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German Pages 355 Year 2009
Rechtsfragen der Globalisierung Band 17
Die Haftung der EG und ihrer Mitgliedsstaaten für WTO-Rechtsverletzungen aus rechtswissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive Von
Armin Steinbach
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ARMIN STEINBACH
Die Haftung der EG und ihrer Mitgliedsstaaten für WTO-Rechtsverletzungen aus rechtswissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive
Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nürnberg
Band 17
Die Haftung der EG und ihrer Mitgliedsstaaten für WTO-Rechtsverletzungen aus rechtswissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive
Von
Armin Steinbach
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen.
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Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-0890 ISBN 978-3-428-12787-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Vorwort Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im September 2006 abgeschlossen und ist im Dezember 2007 aktualisiert worden. Nach Absprache mit Frau Anne Thies, Doktorandin von Prof. Dr. Bruno Simma, beschränkt sich die Arbeit auf die Untersuchung der Haftung für rechtswidriges Handeln, während Frau Thies in ihrer Dissertation auch die Rechtmäßigkeitshaftung behandelt. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rudolf Streinz, danke ich herzlich für die wissenschaftliche Betreuung der Arbeit und seine wohlwollende Förderung. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Horst-Günter Krenzler für die zügige Zweitbegutachung. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Prof. Dr. Bernhard Schloh und Frau Prof. Dr. Anne van Aaken, deren wertvolle Anregungen den Fortgang der Arbeit gefördert haben. Mein Dank gilt außerdem der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die materielle und ideelle Förderung im Rahmen eines Promotionsstipendiums sowie der Rechtsanwaltskanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton für die Finanzierung der Druckkosten. Schließlich möchte ich meinen Eltern, Frau Rita Steinbach und Herrn Prof. Dr. Udo Steinbach, danken, die es mir ermöglicht haben, mein Studium ganz nach meinen Vorstellungen zu gestalten und die mich dabei über all die Jahre hinweg in jeder Hinsicht unterstützt haben. Hamburg, im Juni 2008
Armin Steinbach
Inhaltsübersicht Teil 1 Einführung
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Fallgruppenunterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 2 Die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen nach Art. 235, 288 II EGV
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Relevanz der political question doctrine bei der gerichtlichen Überprüfung von wirtschafts- und außenpolitischen Rechtsakten . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung als Grundlage für die Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
D. Herleitung einer Entbehrlichkeit des Kriteriums der unmittelbaren Wirkung für die Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Der individualbegünstigende Charakter der DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . 174 F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts als Haftungsvoraussetzung . . . . 189 G. Das Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“ . . . . . . . . . 199 H. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I.
Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
J. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Teil 3 Haftung der EG-Mitgliedstaaten für WTO-Rechtsverletzungen
240
A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 B. WTO-widrige Maßnahmen der Mitgliedstaaten im gemeinschaftlichen oder mitgliedstaatlichen Kompetenzbereich der WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . 242
8
Inhaltsübersicht
C. Die Mitgliedstaaten der EG als selbstständige Beklagte im Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 D. Die innergemeinschaftliche Geltung der in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallenden Teile der WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 E. Konsequenzen für die weiteren Voraussetzungen des gemeinschaftlichen Staatshaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 F. Fazit zur mitgliedstaatlichen Haftung für WTO-Rechtsverletzungen . . . . . . . . 266 Teil 4 Die ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen
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A. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 B. Erkenntnisse der ökonomischen Analyse des zivilen Haftungsrechts . . . . . . . . 270 C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse der Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 D. Der Ersatz von Vermögensschäden und seine ökonomischen Implikationen für den Anreizmechanismus des Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers bei Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 F. Ineffizienz bei generellem Haftungsausschluss nach der Rechtsprechung des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 G. Anreizwirkung haftungsbewehrter WTO-Rechtsverletzungen auf den Gemeinschaftsgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 H. Zusammenfassung zur ökonomischen Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Teil 5 Zusammenfassung
310
A. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 B. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einführung A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Terminologisches Vorverständnis – der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Europäische Verfassungsvertrag – keine inhaltlich-materiellen Abweichungen zu den relevanten Vorschriften des EGV . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
C. Fallgruppenunterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fallgruppe A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fallgruppe B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fallgruppe C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 2 Die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen nach Art. 235, 288 II EGV A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Haftung für die Verletzung internationaler Abkommen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Schweden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Spanien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis III. Zwischenergebnis zum Rechtsvergleich der mitgliedstaatlichen Haftungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung der Haftungsvoraussetzungen bei legislativem Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Die Relevanz der political question doctrine bei der gerichtlichen Überprüfung von wirtschafts- und außenpolitischen Rechtsakten . . . . . . . . . . . . I. Verordnungen und Richtlinien des Bananen- und Rindfleischregimes als wirtschaftspolitische Entscheidungen im Sinne der SchöppenstedtFormel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Außen(handels)politische Dimension der Agrar- und Gesundheitspolitik III. Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Beurteilungsspielraum der Gemeinschaftsorgane bei Schadensersatzklagen in der Außen- und Agrarpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung als Grundlage für die Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtswidrigkeit gemeinschaftlichen Handelns und das Kriterium der Verletzung einer höherrangigen Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kein haftungseinschränkendes Erfordernis aus dem Kriterium der Höherrangigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtswirkung von DSB-Entscheidungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Innergemeinschaftliche Geltung der DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . a) Kein rechtssetzender Charakter wie bei Assoziationsratsbeschlüssen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) DSB-Entscheidungen als Judikate im Sinne des EWR-Gutachtens des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unmittelbare Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . a) Die unmittelbare Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Atlanta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Biret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Léon van Parys. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Auslegung des DSU – unbedingte Konformitätsverpflichtung hinsichtlich des „Ob“ der Umsetzung der DSB-Entscheidung. . . . . c) Keine Unbedingtheit hinsichtlich des „Wie“ der Umsetzungsverpflichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine verhandlungsfreiheitsbeschränkende Wirkung der DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die mittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts im Sinne der Nakajima-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Manifestation der Implementierungsabsicht im EG-Sekundärrechtsakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis bb) Bewertung der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte zur Nakajima-Ausnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die DSB-Entscheidung als „bestimmte, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis zur Frage der unmittelbaren Wirkung von DSB-Entscheidungen und der Anwendung der Nakajima-Doktrin . . . . . . D. Herleitung einer Entbehrlichkeit des Kriteriums der unmittelbaren Wirkung für die Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts als Haftungsvoraussetzung in der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte . . . . 2. Der Zusammenhang zwischen Haftungsanspruch und unmittelbarer Wirkung im Schrifttum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Francovich und die Abkoppelung von Haftung und unmittelbarer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die strukturelle Konvergenz zwischen Gemeinschaftshaftung und Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 300 VII EGV als Anknüpfungspunkt für eine am effet utile orientierte Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verpflichtung zur Umsetzung von DSB-Entscheidungen aus Art. 300 VII EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Regelungsgehalt des Art. 300 VII EGV hinsichtlich der Verbindlichkeit und unmittelbaren Wirkung völkerrechtlicher Verträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV als Rechtsetzungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die strukturelle Vergleichbarkeit der Umsetzungsverpflichtungen zwischen Art. 300 VII EGV und Art. 249 III EGV . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleichbare Rechtswirkung von Gemeinschaftsrichtlinie und DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Art. 10 EGV ist keine die Umsetzungsverpflichtung konstituierende Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zweistufige Wirkungsstruktur von EG-Richtlinie und DSB-Entscheidung: Zielobligation und Mittelfreiheit . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anwendung des effet utile-Gedankens auf die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effektivität und Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsbestimmung der Effektivität einer Rechtsnorm . . . . . . bb) Das Vorliegen eines Sanktionsbedürfnisses zur Bestimmung der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Integrationsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutung der Integrationsdichte für die Aktivierung des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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108 112 114 114 115 117 120 121 121 122 124 129 129
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Inhaltsverzeichnis bb) Der wirtschaftliche Integrationscharakter der WTO . . . . . . . . . . cc) Die völkerrechtsintegrierende Wirkung des EGV . . . . . . . . . . . . 3. Anwendung des effet utile auf das WTO-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effektuierung von Gemeinschaftsabkommen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zielsetzung der WTO-Abkommen als Bezugspunkt des effet utile c) Das ökonomische Effizienzkriterium als zulässiges Rechtsprinzip bei der Auslegung des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Haftpflicht als Sanktionsinstrument zur Optimierung von ökonomischer Effizienz und Effektivität des DSU . . . . . . . . . . . e) Die Effektuierung des WTO-Rechts als Träger einer „domestic policy function“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Kritik an der Rechtsfolgenbestimmung durch den effet utile. . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Herleitung der Entbehrlichkeit der unmittelbaren Wirkung aus der Wesensverschiedenheit zwischen Nichtigkeitsklage und Schadensersatzklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die eigenständige Funktion der Schadensersatzklage in Abgrenzung zum Primärrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überlegungen zum unterschiedlichen Verpflichtungsgrad des materiell-inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Teils der DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Gebot des Individualrechtsschutzes als zweite argumentative Säule 1. Die normative Verortung des individualbegünstigenden Rechts im Rahmen der Haftung für WTO-Rechtsverletzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 300 VII EGV . . . . . . . b) Keine partielle unmittelbare Wirksamkeit der DSB-Entscheidung . c) Das Zusammenwirken der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV und der DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingeschränktes Rechtsschutzbedürfnis der Fallgruppe A . . . . . . . . . . . V. Die Stärkung der Haftungsverpflichtung aus Art. 10 EGV . . . . . . . . . . . . . 1. Die Funktion des Art. 10 EGV in Francovich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die pflichtenbestärkende und -bestätigende Funktion des Art. 10 EGV in Bezug auf Art. 300 VII EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen für die Begründung einer Pflicht aus dem Rücksichtnahmegebot des Art. 10 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft . . . . . . . . . aa) Art. 10 EGV als Ausprägung des effet utile-Gedankens . . . . . . bb) Die Identität der Argumente zur Funktionssicherung und des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hinreichende Bestimmtheit des im Einzelfall Gebotenen . . . . . . . . . c) Wahrung der innergemeinschaftlichen Kompetenzverteilung. . . . . . aa) Nachteile aus der gesamtschuldnerischen Haftung von EG und Mitgliedstaaten bei gemischten Verträgen . . . . . . . . . . . . . . .
131 133 136 136 138 139 141 144 145 147
149 149
151 154 155 156 157 158 159 162 163 164 166 166 166 167 168 168 169
Inhaltsverzeichnis
13
bb) Die Verweigerung der Berufungsmöglichkeit auf WTOVorschriften durch die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 cc) Missachtung subjektiver Rechte als Verletzung mitgliedstaatlicher Verfassungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Zwischenergebnis zu Art. 10 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 E. Der individualbegünstigende Charakter der DSB-Entscheidung . . . . . . . . I. Die subjektiv-rechtlichen Anforderungen an die Schutznorm nach Art. 288 II EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anforderungen der Europäischen Gerichte an den Schutznormcharakter jenseits der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTORechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenüberstellung der Rechteverleihung im Sinne von Francovich und dem Schutznormkriterium der Gemeinschaftshaftung. . . . . . . . . . . 3. Konvergenz der Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen Gehalt einer Norm in gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung und Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der individualbegünstigende Charakter des WTO-Rechts und der DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fehlende Rechtssubjektivität des Individuums in der WTO-Rechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzreflexorientierung bei der Auslegung des WTO-Rechts . . . . . . . 3. Der individualschützende Charakter der im Bananen- und im Hormonstreit verletzten Vorschriften zugunsten der Fallgruppe B. . . . 4. Die individualschützende Wirkung der WTO-Vorschriften zugunsten der Opfer von Strafzöllen (Fallgruppe C) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenbetrachtung zur Qualität des WTO-Rechts als Schutznorm . . .
174 174
175 177
178 181 181 182 185 188 189
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts als Haftungsvoraussetzung I. Bestimmbarkeit der Anspruchsberechtigten aus der DSB-Entscheidung II. Der bloß feststellende Charakter der DSB-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . III. Haftungsrelevante Bestimmtheit der Streitbeilegungsentscheidungen im Bananen- und im Hormonstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmtheit des Mindestgehalts für Fallgruppe B im Bananenstreit 2. Bestimmtheit des Mindestgehalts für Fallgruppe B im Hormonstreit 3. Bestimmtheit eines rechtlichen Mindestgehalts der Fallgruppe C . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189 191 192
G. Das Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“ . . . . I. Schwere und Auswirkungen des Rechtsverstoßes als kennzeichnende Merkmale für die qualifizierte Rechtsverletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schwere des Rechtsverstoßes durch die Nichtumsetzung der DSB-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schwere des Rechtsverstoßes im Bananenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schwere der Rechtsverletzung im Streit um die Einfuhr hormonbehandelten Rindfleisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
193 193 195 196 198
200 202 202 208
14
Inhaltsverzeichnis III. Auswirkungen des Rechtsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswirkungen des Rechtsverstoßes auf die Angehörigen der Fallgruppe C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkung der Rechtsverletzung auf die Wirtschaftsteilnehmer der Fallgruppe B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 215 217 222
H. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I. Die Adäquanz im Kausalverhältnis zwischen dem Verhalten der EG und den Schäden aufgrund der Strafzölle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Kein Haftungsausschluss wegen wettbewerbsverzerrender Auswirkung der Schadensersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 J. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Verstoß gegen Gemeinschaftsgrundrechte im Rahmen der Schadensersatzklage für WTO-Rechtsverletzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die außenhandelsbezogenen Gemeinschaftsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . 2. Betonung des weiten Beurteilungsspielraumes bei der Beschränkung der Gemeinschaftsgrundrechte in den bisherigen WTO-Schadensersatzklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rolle der Verhältnismäßigkeit als materieller Prüfungsmaßstab im Mittelpunkt der am Gerichtshof geübten Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. WTO-konforme Auslegung als Abwägungsdeterminante im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenzen für den Nachweis einer qualifizierten Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229 229 230 230
232 233 235 237 239
Teil 3 Haftung der EG-Mitgliedstaaten für WTO-Rechtsverletzungen
240
A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 B. WTO-widrige Maßnahmen der Mitgliedstaaten im gemeinschaftlichen oder mitgliedstaatlichen Kompetenzbereich der WTO-Abkommen. . . . . . 242 C. Die Mitgliedstaaten der EG als selbstständige Beklagte im Streitbeilegungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. WTO-Rechtsverstöße durch nationale Stellen in der bisherigen Streitbeilegungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verhältnis der Gemeinschaftshaftung zur Staatshaftung beim nationalen Vollzug eines WTO-widrigen EG-Sekundärrechts . . . . . . . . . . . III. Keine verschärfte Kontrolle mitgliedstaatlicher WTO-widriger Maßnahmen gegenüber der Überprüfung gemeinschaftlicher Rechtsakte . . . . . . . .
243 244 246 247
Inhaltsverzeichnis D. Die innergemeinschaftliche Geltung der in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallenden Teile der WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die völkerrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft an das gemischte Abkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auffassung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Hermès und Dior. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der dogmatische Zusammenhang zwischen innergemeinschaftlicher Geltung, Auslegungs- und Rechtswirkungsbestimmungszuständigkeit. . . IV. Argumente für eine umfassende innergemeinschaftliche Geltung in den Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die einheitliche Auslegung und Rechtsanwendung zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die einheitliche Anwendung des WTO-Rechts zur Förderung seiner Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die gegenseitige Pflicht zur Vermeidung einer völkerrechtlichen Inanspruchnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Konsequenzen für die weiteren Voraussetzungen des gemeinschaftlichen Staatshaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mögliche Sachverhaltskonstellationen nationaler WTO-Rechtsverstöße II. Verleihung von Rechten an Einzelne und das Bestimmtheitserfordernis III. Das Erfordernis der qualifizierten Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
249 250 251 253 255 255 257 258 261 261 262 265
F. Fazit zur mitgliedstaatlichen Haftung für WTO-Rechtsverletzungen . . . 266 Teil 4 Die ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen
267
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 B. Erkenntnisse der ökonomischen Analyse des zivilen Haftungsrechts . . . . 270 C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse der Gemeinschaftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der politische Entscheidungsträger als Untersuchungsgegenstand der Neuen Politischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Prinzipal-Agenten-Beziehung des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tranksaktionskosten der unternehmerischen Lobbytätigkeit. . . . . . . . . . . . IV. Das Informationsdefizit des Gemeinschaftsgesetzgebers über den WTO-Rechtmäßigkeitsstandard und die Haftungsschwelle. . . . . . . . . . . . . V. Keine gesetzgebungsspezifischen Vorsorge- und Informationsbeschaffungskosten zur Behebung des Informationsdefizits. . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Niveau wohlfahrtsmaximierender Protektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271 273 275 277 279 281 284
D. Der Ersatz von Vermögensschäden und seine ökonomischen Implikationen für den Anreizmechanismus des Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
16
Inhaltsverzeichnis
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers bei Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auswirkungen eines Zolls auf die Wirtschaftsteilnehmer . . . . . . . . . . II. Gegenüberstellung der privaten Schäden der Fallgruppen und der gesamtwirtschaftlichen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachteile aus der Importbeschränkung für die Fallgruppen A und B 2. Schäden der Fallgruppe C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Schadensberechnungsmethode der WTO-Schiedsrichter . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
289 290 293 293 296 297 299
F. Ineffizienz bei generellem Haftungsausschluss nach der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Die reine Opferhaftung (casum sentit dominus) und die Diskontierung des verursachten Schadens durch den Gemeinschaftsgesetzgeber . . . . . . . 301 II. Darstellung der Fehlanreize der reinen Opferhaftung anhand des Konzepts externer Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 G. Anreizwirkung haftungsbewehrter WTO-Rechtsverletzungen auf den Gemeinschaftsgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I. Politische Kosten als Internalisierungsverfahren der gesamtgesellschaftlichen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 II. Die Evidenzhaftung als Korrektiv zur Vermeidung einer Lähmung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 H. Zusammenfassung zur ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Teil 5 Zusammenfassung
310
A. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 B. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Abkürzungsverzeichnis AB ABlEG AEL AJDA AJIL AJPS AöR ArchVR Art. BVBl. CDE CJTL CMLR DE d.h. DÖV DSB DSU DVBl DWiR EA EFAR EG EGV EJIL ELR EuG EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EVV EWR EWS
Appellate Body Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Collected Courses of the Academy of European Law Actualité juridique – Droit administratif American Journal of International Law American Journal of Political Science Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Völkerrechts Artikel Bayerische Verwaltungsblätter Cahiers de Droit Européen Columbian Journal for Transnational Law Common Market Law Review Droit Européen das heißt Die Öffentliche Verwaltung Dispute Settlement Body Dispute Settlement Understanding Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europa-Archiv European Foreign Affairs Review Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Journal of International Law European Law Review Europäisches Gericht, Gerichtshof Erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäischer Verfassungsvertrag Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
18 f. ff. FILJ FS GA GRUR Int GYIL Harvard JInt’l Law Hg. ICLQ IGH ILJ ILM IRLE i. S. v. ITLR i. V. m. JafüSowi JbIntR JIEL JIR JWT JZ LIEI LPIB MichLR MJIL MLJ MLR m. w. N. NJB NJW NVwZ NwULRev NYIL OxfJofLgStudies PCIJ RabelsZ RBDI
Abkürzungsverzeichnis folgend fortfolgende Fordham International Law Journal Festschrift Generalanwalt Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil German Yearbook of International Law Harvard Journal of International Law Herausgeber International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof Industrial Law Journal International Legal Materials International Review of Law and Economics im Sinne von International Trade Law and Regulation in Verbindung mit Jahrbuch für Sozialwissenschaften Jahrbuch für Internationales Recht Journal of International Economic Law Jahrbuch für Internationales Recht Journal of World Trade Juristenzeitung Legal Issues of European Integration Law and Policy in International Business Michigan Law Review Michigan Journal of International Law Maastricht Law Journal Modern Law Review mit weiteren Nachweisen Nederlands Juristenblad Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Northwestern University Law Review Netherlands Yearbook of International Law Oxford Journal of Legal Studies Permanent Court of International Justice Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue belge du droit international
Abkürzungsverzeichnis RdC Rev.fr. Droit adm RGDIP RIDPC RIW RMC RMUE Rn. Rs. RTDE SCM SPS StIGH UnivPennJoIntEcoL UPR ÜSCM USTR Verb. Rs. Verw VerwArch vgl. VVDStRL WBl WTOÜ YEL ZaöRV ZfRV ZfZ ZGR ZHR ZLR
19
Recueil des Cours de l’Académie de Droit International de La Haye Revue francaise du droit administratif Revue Générale de Droit International Public Rivista Italiana di Diritto Pubblico Comunitario Recht der Internationalen Wirtschaft Revue du Marché Commun Revue du Marché Unique Européen Randnummer Rechtssache Revue Trimistrielle de droit européen Subsidies and Countervailing Measures Sanitary and Phytosanitary Agreement Ständiger Internationaler Gerichtshof University of Pennsylvania Journal of International Economic Law Umwelt- und Planungsrecht Agreement on Subsidy and Countervailing Measures United States Trade Representative Verbundene Rechtssache Die Verwaltung Verwaltungsarchiv vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wirtschaftsrechtliche Blätter WTO-Übereinkommen Yearbook of European Law Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Lebensmittelrecht
Teil 1
Einführung A. Einleitung Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Europäische Gemeinschaft (EG) als Rechtsgemeinschaft und das Gemeinschaftsrecht als System eines möglichst umfassenden Rechtsschutzes aufgefasst.1 Getragen von dieser Erkenntnis hat er ein im Allgemeinen als befriedigend empfundenes Niveau an Individualrechtsschutz in der Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleistet. Diese Einschätzung kann allerdings hinsichtlich des zur Verfügung stehenden Rechtsschutzinstrumentariums des Einzelnen zur Durchsetzung des WTO-Rechts nicht übernommen werden.2 Ein Rechtsschutzdefizit offenbart sich hier nicht bloß in der Verweigerung des Primärrechtsschutzes, sondern erstreckt sich auch auf die Ebene des Sekundärrechtsschutzes, auf der den Gemeinschaftsorganen aufgrund rechtswidriger Handlungen generell eine Schadensersatzverpflichtung auferlegt wird. Die mittlerweile über Jahrzehnte hinweg etablierte Rechtsprechung zum Mangel einer unmittelbaren Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften in der Gemeinschaftsrechtsordnung hat die Gemeinschaftsgerichte3 seit einigen Jahren auch in der Frage des Schadensersatzes dazu veranlasst, Entschädigungsbegehren den restriktiven Anforderungen ihrer bisherigen Spruchpraxis zum WTO-Recht zu unterwerfen. Die wirtschaftlichen Einbußen bei den durch das protektionistische Einfuhrregime Benachteiligten und den von den Strafzöllen der USA betroffenen unbeteiligten Dritten haben nach der Rechtsauffassung des EuGH keine Aussicht, auf Grundlage des WTO-Rechts geltend gemacht und entschädigt zu werden. Ist die Kassation eines vom Einzelnen angegriffenen WTO-widrigen EG-Sekundärrechtsakts angesichts fehlender unmittelbarer Wirkung des WTO-Rechts von den Gemeinschaftsgerichten stets aus1
EuGH, Rs. 294/83, Les Verts/Europäisches Parlament, Slg. 1986, 1365, Rn. 23. Der Begriff Rechtsgemeinschaft stammt ursprünglich von Walter Hallstein, vgl. ders., Die Europäische Gemeinschaft, 31 ff. 2 Dazu etwa Oeter, in: Nowak/Cremer, Individualrechtsschutz, 228; Petersmann, CMLR 1983, 424 ff.; ders., EuZW 1997, 325 ff.; Epping, Aussenhandelsfreiheit, 605. 3 Gemeint sind hiermit der Europäische Gerichtshof sowie der Gerichtshof Erster Instanz.
22
Teil 1: Einführung
geschlossen worden, hat der EuGH und haben mit ihm einige Befürworter im Schrifttum diesen Mangel auf den Sekundärrechtsschutz übertragen und damit ein Junktim zwischen unmittelbarer Wirkung und der für die Schadensersatzklage erforderlichen Schutznormverletzung begründet. Die dogmatische Konsistenz dieser Vorgehensweise soll in dieser Arbeit aufgegriffen werden, d.h. es soll der Frage nachgegangen werden, ob die Ablehnung des WTO-Rechts als Prüfungsmaßstab für EG-Sekundärrechtsakte im Rahmen des Primärrechtsschutzes auf den Sekundärrechtsschutz übertragen werden kann oder ob nicht abweichende Bewertungen vorgenommen werden müssen, die den geschädigten Wirtschaftssubjekten – wenn schon nicht die Bekämpfung der Schadensquelle an sich – so doch zumindest die Kompensation ihrer Schäden ermöglicht. Die Spezifität der bis heute von den Gemeinschaftsgerichten entschiedenen Fälle ist in den bislang prominentesten transatlantischen Handelsstreitigkeiten verwurzelt. Sowohl im Bananen- als auch im darauf folgenden Streit um hormonbehandeltes Rindfleisch blicken wir zurück auf ein jahrelanges und zähes Hin und Her zwischen aufrecht erhaltenem Protektionismus und vorsichtigen WTO-Konformitätsbemühungen.4 Dass es im Laufe dieser Phase anhaltender Einfuhrbeschränkung begleitet von amerikanischen Gegenmaßnahmen zu enormen wirtschaftlichen Schäden auf Seiten einiger Außenhandel betreibender Unternehmen gekommen ist, dürfte nicht weiter verwundern und findet seinen Ausdruck in zahlreichen vor die Gemeinschaftsgerichte gebrachten Klagen.5 Zur Stützung ihrer rechtsdogmatischen Befunde verfolgt diese Arbeit einen interdisziplinären Ansatz, der sich eines ökonomischen Instrumentariums bedient, um aus dem speziellen Blickwinkel der ökonomischen Wohlfahrtsoptimierung die allokativen und anreizsystematischen Konsequenzen einer Schadensersatzverpflichtung für WTORechtsverletzungen zu untersuchen.
4 Siehe zur umfangreichen Literatur zum Bananenstreit: Salas/Jackson, JIEL 2000, 145; Trachtman, EJIL 10 (1999), 671; Jackson/Grane, JIEL 2001, 581 ff.; Jürgensen, EWS 1998, 357 ff.; Reinisch, EuZW 2000, 42 ff.; Rabe, NJW1996, 1320 ff.; Peers, EFAR 4 (1999), 195; Schmid, NJW 1998, 190 ff.; Lavranos, EuR 1999, 289 ff.; zum Hormonstreit siehe Wüger, Law & Policy in International Business 2002, 777; Eggers, EuZW 1998, 147 ff.; Godt, EWS 1998, 147 ff. 5 EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315; Rs. T-18/99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913; Rs. T-30/99, Bocchi Food Trade, Slg. 2001, II-943; Rs. T-52/99, T. Port GmbH, Slg. 2001, II-981; EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret International, Slg. 2003, I-10497; Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983; EuG, Rs. T-151/00, Le Laboratoire du Bain, Slg. 2005, II-23; Rs. T-301/00, Groupe Fremaux SA and Palais Royal Inc., Slg. 2005, II-25; Rs. T-320/00, CD Cartondruck GmbH & Co. KG, Slg. 2005, II-27; Rs. T-383/00, Beamglow Ltd, Slg. 2005, II-5459; Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393.
A. Einleitung
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I. Terminologisches Vorverständnis – der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit Vorbehaltlich der noch zu leistenden inhaltlichen Klärung müssen terminologische Festlegungen getroffen werden. Es herrscht eine beträchtliche Verwirrung um die Terminologie der Begriffe der unmittelbaren Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von Rechtsnormen.6 Eine dahingehende Aufklärung zur Entflechtung der Begriffsvielfalt zu bieten, würde die Schwerpunktsetzung dieser Arbeit verschieben. Von daher soll lediglich im Dienste der Argumentationstransparenz ein terminologisches Vorverständnis entworfen werden, mit dem die weitere Untersuchung bestritten werden soll. Synonymität wird zwischen den Begriffen der unmittelbaren Wirkung, unmittelbaren Anwendbarkeit und Direktwirkung angenommen. Diese terminologische Bedeutungsidentität stößt auch in den Entscheidungen des EuGH und im Schrifttum auf breite Zustimmung, da hier die Bezeichnungen „unmittelbare Wirkung“ und „unmittelbare Anwendbarkeit“ nur allzu häufig bedeutungsgleich verwendet werden.7 Die Begriffe der Anwendbarkeit und Wirkung dürften danach als „in the Court’s language equivalent“8 gelten. Terminologisch strikt abzugrenzen, weil der Direktwirkung einer Vorschrift normlogisch vorgelagert, ist die unmittelbare Wirkung von der unmittelbaren Geltung. Die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Vertragsnorm setzt ihre innerstaatliche Geltung voraus.9 Mit der innerstaatlichen Geltung wird der völkerrechtliche Vertrag zum Bestandteil der nationalen Rechtsordnung und bindet die Staatsorgane durch seinen Anspruch, beachtliches Recht in einer Rechtsordnung zu sein.10 Die unmittelbare Wirkung stellt demgegenüber auf die konkrete Anwendbarkeit (Operabilität) der Norm ab, die den Rechtsanwender in einem konkreten Verfahren in die Lage versetzen soll, die Vorschrift als Obersatz anzuwenden und aus ihr Anweisungen zur Entscheidung herzuleiten. Die Bestimmung eines Vertrags muss unter Berücksichtigung seines Gesamtcharakters so genau und 6 Siehe zum Beispiel Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 28; Kuilwijk, European Court, 36; Winter, CMLR 1972, 425; Jarass, NJW 1990, 2420 f.; Weber, ArchVR 1997, 307. 7 EuGH, Rs. C-18/90, Kziber (1991), I-221, Rn. 15; Rs. 17/81, Pabst & Richarz, Slg. 1982, 1350, Rn. 27; Rs. 83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1987, 2374, Rn. 66 f.; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 71; Bleckmann, Begriff, 59; Hinderer, Rechtsschutz, 351 ff.; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 86; Flemisch, Umfang, 79 ff.; anders Wünschmann, Geltung, 42 ff. 8 Pescatore, ELR 1983, 155. 9 Koller, Unmittelbare Anwendbarkeit, 63 f.; Bleckmann, Innerstaatliche Anwendbarkeit, 57 ff.; Öhlinger, Vertrag, 112. 10 Klein, Unmittelbare Geltung, 8; Gabler, Streitbeilegungssystem, 94.
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Teil 1: Einführung
präzise sein, dass sie sich gegenüber dem Einzelnen vollziehen lässt, ohne dass zuvor ein gemeinschaftsinterner Rechtsetzungsakt ergehen müsste.11 Liegen diese Voraussetzungen vor, räumt eine völkerrechtliche Bestimmung dem Einzelnen die Möglichkeit ein, sich vor einem mitgliedstaatlichen oder gemeinschaftlichen Gericht auf sie zu berufen.12
II. Der Europäische Verfassungsvertrag – keine inhaltlich-materiellen Abweichungen zu den relevanten Vorschriften des EGV Das Inkrafttreten einer Europäischen Verfassung, die dem Bestand des bisherigen europäischen Vertragswerks ein Ende bereiten würde, bliebe vom Standpunkt ihres materiellen Regelungsgehalts aus ohne signifikante Folgen für die in dieser Arbeit zu führende Argumentationslinie. Die maßgeblichen Vorschriften aus dem EGV finden sich in (nahezu) identischem Wortlaut auch im Europäischen Verfassungsvertrag wieder. Die Grundlage für die Gemeinschaftshaftung ist primärrechtlich in Art. 235, 288 II EGV normiert, und findet de lege ferenda ihr Pendant in Art. III-370 und Art. III-431 EVV. Auch der zu den Erkenntnisgewinnen dieser Arbeit wesentlich beisteuernde Art. 300 VII EGV wurde im EVV in Art. III-323 (2) wieder aufgegriffen.13 Da insoweit nunmehr auch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs nach Art. IV-437 (4) EVV auf die Vorschrift des Art. III-323 (2) EVV zu übertragen ist, verlieren die im Rahmen dieser Arbeit angestellten Erwägungen auch unter der neuen Verfassung nicht an Aktualität. Im Übrigen wird, sofern die Normativaussage von Vorschriften aus dem EGV fruchtbar gemacht wird, auf die entsprechende Regelung im EVV hingewiesen werden.
B. Gang der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist es, die sekundärrechtliche Schadensersatzklage für WTO-Rechtsverletzungen einer dogmatisch tragfähigen Begründung zuzuführen. Dabei wird jedoch nicht so sehr die Frage nach der unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts im Mittelpunkt des Interesses stehen. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Untersuchung auf die Rechtswirkung von Ent11
EuGH, Rs. C-300/98 und C-392/98, Dior, Slg. 2000, I-11344, Rn. 42; Rs. C-432/92, Anastasiou, Slg. 1994, I-3116, Rn. 23; Rs. C-162/96, Racke, Slg. 1998, I-3688, Rn. 31. 12 EuGH, Rs. 266/81, SIOT, Slg. 1983, 780, Rn. 28; Rs. C-280/93, Deutschland/ Rat, Slg. 1994, 5073, Rn. 109 f. 13 Siehe Herrmann, in: Hatje/Terhechte (Hg.), Binnenmarktziel, 203.
B. Gang der Untersuchung
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scheidungen des Dispute Settlement Body (DSB-Entscheidung) als einen Teilaspekt der Berufungsfähigkeit der WTO-Abkommen beschränkt bleiben. Diese ausschnittartige Untersuchung der unmittelbaren Wirkung von DSBEntscheidungen hängt zum einen mit der Überzeugung des Verfassers zusammen, dass auf dem Gebiet der Rechtswirkung der WTO-Abkommen angesichts der beachtlichen Forschungsdichte keine nennenswerten innovativen Ergebnisse erzielt werden können.14 Darüber hinaus verfolgt diese Abhandlung gerade das Ziel, das Kriterium der unmittelbaren Wirkung als Haftungsvoraussetzung zu überwinden und an seine Stelle andere Bedingungen treten zu lassen. Denn ein zu leistender Erkenntnisgewinn wird sein, dass die Gemeinschaftshaftung in Anbetracht mangelnder unmittelbarer Anwendbarkeit jenseits des äußerst restriktiven Anwendungsbereichs der Nakajima-Doktrin davon abhängig ist, ob das Kriterium der unmittelbaren Wirkung als Haftungsvoraussetzung entbehrlich ist und ob stattdessen eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht die Grundlage des Schadensersatzanspruchs bilden kann. Mit dem Ziel einer Abkoppelung der Schadensersatzpflicht von der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts wird im zweiten Kapitel der Arbeit der Versuch unternommen, die Grundsätze der Francovich-Doktrin und der Wesensverschiedenheit von Nichtigkeits- und Schadensersatzklage fruchtbar zu machen. Die dogmatische Parallelisierung der Francovich-Doktrin mit einer Haftung der Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen bildet den Mittelpunkt dieser Arbeit, erfordert aber die Übertragbarkeit der drei argumentativen Säulen der Francovich-Doktrin – das Prinzip der vollen Wirksamkeit, der damit eng zusammenhängende Rechtsschutzgedanke, sowie die Pflichten aus Art. 10 EGV – in den Kontext einer Haftung der Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen. Kann auf diesem Weg das Junktim zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und Schutznormverletzung aufgelöst werden, müssen anschließend die anderen Voraussetzungen der Klage nach Art. 235, 288 II EGV, insbesondere die erforderliche Bestimmtheit eines individualbegünstigenden Rechts und die Qualifiziertheit der Rechtsverletzung, in Augenschein genommen werden. Das dritte Kapitel widmet sich einer möglichen Schadensersatzverpflichtung der EG-Mitgliedstaaten. Die bisherige WTO-Streitbeilegungspraxis lässt erkennen, dass die EG-Mitgliedstaaten nach wie vor als eigenständige Urheber WTO-widriger Maßnahmen in Erscheinung treten. Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang die innergemeinschaftliche Geltung des gemischten Abkommens, weil sie Konsequenzen für die Anwendbarkeit des nationalen oder gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregimes birgt. Sollte 14 Siehe zu diesem Thema nur die rechtswissenschaftlichen Dissertationen von Becker, Subventionsübereinkommen; Hinderer, Rechtsschutz; Flemisch, Umfang; Wünschmann, Geltung; Oehmichen, Anwendbarkeit; Rapp-Lücke, Welthandelsorganisation; Görgens, Haftung; Höher, Haftung.
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Teil 1: Einführung
nämlich der in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallende Teil des gemischten Abkommens nicht zum Bestand des Gemeinschaftsrechts zählen, käme mithin auch kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in Betracht und der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch wäre ausgeschlossen zugunsten der Anwendbarkeit von Schadensersatzansprüchen nach mitgliedstaatlichem Recht. Kapitel vier sucht die Aussagekraft der Erkenntnisse der juristischen Abhandlung durch eine ökonomische Analyse zu untermauern. Zu diesem Zweck werden das Entscheidungskalkül der politischen Entscheidungsträger, die Wohlfahrtsschäden aus WTO-Rechtsverletzungen sowie die anreizinduzierten Zusammenhänge zwischen Entschädigung und politischer Entscheidung untersucht. Sodann soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden können, wie ein Instrument zur Schadensprävention ausgestaltet sein muss, wenn sein Einsatz zu einem gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn führen soll.
C. Fallgruppenunterscheidung Um einen über den dogmatischen Erkenntnisgewinn hinausgehenden praktischen Nutzen dieser Arbeit sicherzustellen, wird sich die Untersuchung immer wieder an Sachverhaltskonstellationen orientieren, die bereits vom EuGH entschieden wurden und bei denen damit zu rechnen ist, dass sie in ähnlicher Form auch in zukünftigen Handelsstreitigkeiten wieder auftreten werden. Damit könnte diese Arbeit eine Handhabe zur Lösung zukünftiger Fallkonstellationen bieten. Zu diesem Zweck soll eine Kategorisierung in Fallgruppen vorgenommen werden, bei der bestimmte Eigenarten der betroffenen Unternehmen systematisiert werden.15 Zum einen dürfte sie im Hinblick auf die Bewertung eines Rechtsschutzbedürfnisses der geschädigten Wirtschaftsteilnehmer nützlich sein, da nur solche Unternehmen einen Sekundärrechtsanspruch geltend machen sollen, deren Interessen nicht bereits anderweitig effektiv wahrgenommen werden und deren wirtschaftliche Einbußen möglicherweise von anderen WTO-Vertragsstaaten kompensiert werden. Darüber hinaus ist die Systematik auch hilfreich hinsichtlich der Bestimmbarkeit des individualbegünstigenden Rechts, die eine Voraussetzung des Haftungsanspruchs bildet. Es dürfte unschwer zu erkennen sein, dass die verletzten Rechtspositionen zwischen Benachteiligten von Importbeschränkungen und der von Strafzöllen beein15
Insoweit kann für das nun Folgende auf die wertvolle Vorarbeit von Schoißwohl zurückgegriffen werden, von der der Entwurf dieser Systematisierung stammt. Schoißwohl, ZEuS 2001, 692 ff.
C. Fallgruppenunterscheidung
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trächtigten Exporteuren nicht identisch sind und von daher auch einer separaten Erörterung unterzogen werden sollten. Das gilt sowohl im Hinblick auf den sachlichen Gehalt des Bestimmtheitserfordernisses als auch für die Bestimmbarkeit des anspruchsberechtigten Personenkreises. Schließlich ist die Fallgruppenbildung auch im Rahmen der ökonomischen Analyse von Nutzen, wenn es darum geht, eine mögliche Divergenz zwischen den privaten Schäden der Wirtschaftsteilnehmer und den gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsschäden zu ermitteln.
I. Fallgruppe A Zu den Angehörigen der Fallgruppe A werden diejenigen Unternehmen gezählt, die ihren Sitz in einem Drittstaat außerhalb der EG haben und von denen Schäden geltend gemacht werden, welche ihnen in ihrer Importtätigkeit aufgrund des WTO-widrigen Einfuhrregimes der EG entstanden sind. Der vom Gerichtshof Erster Instanz (EuG) entschiedenen Schadensersatzklage Chiquita16 lag ein Rechtsstreit zugrunde, in der ein amerikanisches Unternehmen auf den Ersatz der als Folge der Rechtsverletzung der EG erlittenen Schäden klagte. Chiquita war durch die Bananenmarktverordnung in seinen Geschäftstätigkeiten so stark beeinträchtigt, dass es einen Verlust an Marktanteilen sowie im operativen Ergebnis hinnehmen musste. Grundlage für eine Entschädigung dieser Fallgruppe könnte neben der gemeinschaftsrechtlichen Haftung auch das WTO-Recht selbst bieten. Denn möglicherweise sind die Interessen der Fallgruppe A bereits durch das WTO-Streitbeilegungssystem ausreichend gewahrt, so dass eine strikte Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich der haftungsrechtlichen Verantwortung der Gemeinschaft nach WTO-Recht und einer solchen nach Gemeinschaftsrecht geboten ist. Denn obwohl der Einzelne im Streitbeilegungsverfahren keine Parteistellung innehat, werden seine Interessen effektiv durch seinen Heimatstaat wahrgenommen, kann er doch regelmäßig in innerstaatlichen Verfahren auf die Durchsetzung des WTO-Rechts hinwirken und den Heimatstaat zur Einleitung von WTO-Streitbeilegungsverfahren veranlassen.
II. Fallgruppe B Der zweiten Fallgruppe sind all jene Fälle zuzuordnen, in denen ein in der EG ansässiges Unternehmen Ersatz für die Schäden begehrt, die ihm aufgrund der Einfuhrbeschränkung von Bananen oder hormonbehandeltem Rindfleisch entstanden sind. Zum Kreis der von Gruppe B erfassten Wirt16
EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315.
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Teil 1: Einführung
schaftsteilnehmer zählen beispielsweise Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz in der EG, die vor Erlass der Bananenmarktverordnung Handel mit den günstigen „Dollarbananen“ – also jenen Drittlandsbananen, deren Import durch die Verordnung erschwert wurde – betrieben haben und durch das neue Bananenregime nunmehr gezwungen sind, auf den weniger rentablen Handel mit Gemeinschafts- oder AKP-Bananen umzusteigen. Nachteile dieser Art machten beispielsweise die klagenden Importeure in den vom EuGH entschiedenen Rechtssachen Cordis Obst, Bocchi Food und T. Port geltend.17 Ganz ähnlich gestaltet sich die Situation für die im Import von hormonbehandeltem Fleisch tätigen Unternehmen, zu denen auch die Biret International SA gehört, deren satzungsmäßiger Zweck der Handel mit verschiedenen Lebensmitteln, insbesondere Fleisch, ist, und der durch das Verbot der Einfuhr von hormonbehandeltem Fleisch ein Schaden entstanden ist.18 Allerdings weist die bisherige Rechtsprechung auch Fälle aus, in denen die wirtschaftlichen Einbußen nicht nur auf die im Importhandel tätigen Unternehmen beschränkt sind, sondern bei denen darüber hinausgehend allenfalls mittelbar mit dem Importhandel in Verbindung stehende Unternehmen Nachteile erlitten haben. In derartigen entfernteren Geschäftstätigkeiten war beispielsweise die Atlanta AG verwickelt, von der der Ersatz für Schäden begehrt wurde, die daraus resultierten, dass eine amerikanische Gesellschaft wegen der sich aus dem Vollzug der Bananenmarktordnung ergebenden Beschränkungen für die Einfuhr von Drittlandsbananen ihren Vertrag über das Chartern von drei Schiffen mit der Atlanta Handels- und Schifffahrts-GmbH vorzeitig gekündigt hatte und die Atlanta AG ihrerseits das vereinbarte Entgelt an den Schiffseigentümer weiterzahlen musste.19 Kennzeichnendes Merkmal der Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz in der EG ist somit, dass der Kreis der geschädigten Unternehmen weit zu ziehen ist und keinesfalls beschränkt wird auf diejenigen Händler, die von der Verordnung unmittelbar in ihrer Geschäftstätigkeit betroffen sind, sondern vielmehr auch die mittelbar mit dem einfuhrbeschränkten Handelszweig in Verbindung stehenden Wirtschaftsteilnehmer umfasst.
III. Fallgruppe C Der dritten Fallgruppe werden jene exportierenden europäischen Unternehmen zugeordnet, die durch die vom Dispute Settlement Body (DSB) au17
EuG, Rs. T-18/99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913; Rs. T-30/99, Bocchi Food Trade, Slg. 2001, II-943; Rs. T-52/99, T. Port GmbH, Slg. 2001, II-981. 18 EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret International, Slg. 2003, I-10497. 19 EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983.
C. Fallgruppenunterscheidung
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torisierten Strafzölle geschädigt werden.20 Im Unterschied zu den beiden anderen Fallgruppen handelt es sich hier um die Geltendmachung von Schäden, die nicht aus den nachteiligen Folgen der gemeinschaftlichen Einfuhrbeschränkung resultieren, da die von Gegenmaßnahmen getroffenen Exporteure auf völlig anderen Geschäftsfeldern aktiv sind und von der Regelungstätigkeit der EG in ihrer Geschäftstätigkeit unberührt bleiben.21 Stattdessen geht es um die Konsequenzen aus der Erhebung z. B. eines 100%-igen Strafzolls eines WTO-Mitgliedstaats auf ausgewählte Produkte einiger Gemeinschaftsexporteure, die sich im Hormon- und im Bananenstreit auf den von den USA nach Genehmigung der Vergeltungsmaßnahmen durch den DSB veröffentlichten Listen von Gemeinschaftsprodukten wieder fanden. Angedeutet ist damit die Zurechnungsfrage, da die Schäden in diesen Fällen unmittelbar durch den die Strafzölle erhebenden WTO-Vertragsstaat verursacht werden. Der Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung der Schädigung zum Verantwortungsbereich der EG muss in der konsequenten Fortführung WTO-widriger Gemeinschaftspolitik durch die Gemeinschaftsorgane zu suchen sein. Als problematisch erweist sich auch der Aspekt einer erforderlichen Schutzbestimmung zugunsten der Opfer von Strafzöllen, da die von den Sanktionen Betroffenen nicht direkt durch die Verletzung aus den WTO-Vorschriften abgeleiteten Schutznormen durch die EG geschädigt werden, sondern erst durch die in Reaktion auf die WTO-Rechtsverletzungen ergriffenen Maßnahmen.
20 EuG, Rs. T-151/00, Le Laboratoire du Bain, Slg. 2005, II-23; Rs. T-301/00, Groupe Fremaux SA and Palais Royal Inc., Slg. 2005, II-25; Rs. T-320/00, CD Cartondruck GmbH & Co. KG, Slg. 2005, II-27; Rs. T-383/00, Beamglow Ltd, Slg. 2005, II-5459; Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393. 21 Bei den Opfern von Strafzöllen handelt es sich beispielsweise um italienische Batterieerzeuger, Hersteller kosmetischer Badeprodukte oder Händler von Baumwollbettbezügen.
Teil 2
Die Haftung der Europäischen Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen nach Art. 235, 288 II EGV A. Einleitung Die Haftungsgrundlage der EG für eine direkte außervertragliche Haftung findet sich in Art. 235 II und Art. 288 EGV.1 Diese Regelungen sind Ausdruck der Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit, welche einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts konstituiert.2
I. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze Da die Haftungsvorschrift des Art. 288 II EGV unvollständig ist, müssen die einzelnen Haftungstatbestandsmerkmale aufgrund der Verweisungsformel anhand der allgemeinen Rechtsgrundsätze ermittelt werden. Als besonders problematisch hat sich herausgestellt, dass die Staatshaftungssysteme der einzelnen Staaten nur wenig Übereinstimmungen aufweisen.3 Dies gilt vor allem für den Bereich des normativen Unrechts.4 Vor diesem Hintergrund überließ der EuGH die Ermittlung der allgemeinen Rechtsgrundsätze weitestgehend dem Schrifttum und den Generalanwälten5, ohne die Methode festzulegen, nach der die Rechtsgrundsätze zu gewinnen 1 Auch die anderen europäischen Gründungsverträge sahen bzw. sehen Haftungsvorschriften vor, vgl. Art. 34, 40 EGKSV und Art. 151, 188 EAGV. 2 Vgl. dazu Streinz, VVDStRL 61 (2002), 328; Schwarze, in: Schwarze, Art. 220 EGV, Rn. 3; Rs. 101/78, Granaria (1979), 637. 3 Streinz, VVDStRL 61 (2002), 330; Schockweiler/Wivenes/Godart, RTDE 26 (1990), 29 ff.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 81; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 14; Heldrich, EuR 1967, 348. 4 Friese, Kompensation, 117; Jaenicke, in: Mosler, 859 ff.; Pernice, CDE 1995, 650 f.; für eine ausführliche rechtsvergleichende Darstellung zur Haftung für normatives Handeln vgl. Czaja, Haftung, 73 ff. 5 GA Gand in verb. Rs. 5, 7 und 13–24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 378; GA Mayras in Rs. 11/72, Giordano, Slg. 1973, 427 ff.; GA Roemer in verb. Rs. 63 bis 69/72, Werhahn, Slg. 1973, 1273.
A. Einleitung
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seien.6 Dabei hat das Schrifttum die herrschende Auffassung entwickelt, dass es nicht erforderlich sei, die in sämtlichen Mitgliedstaaten geltenden Staatshaftungsregeln miteinander zu vergleichen, um einen übereinstimmenden Mindeststandard zu ermitteln.7 Eine solche Minimaltheorie würde den restriktivsten Haftungssystemen den Vorrang geben.8 Auch die Ansicht, das überlegenste Haftungsinstitut, d.h. der höchsten Rechtsschutz gewährenden nationalen Regelung, als Vorbild zu nehmen,9 ist zurückgewiesen worden, um das Gemeinschaftsrecht nicht zu sehr der Abhängigkeit von einer innerstaatlichen Rechtsentwicklung zu überlassen.10 Einen Konsens findet die Vorgehensweise zur Ermittlung der allgemeinen Rechtsgrundsätze schließlich im Wege der wertenden Rechtsvergleichung.11 Dabei stellt sich jedoch die Frage nach den der wertenden Rechtsvergleichung zugrunde liegenden Kriterien.12 Hier wird teilweise gefordert, sich nach der fortschrittlichsten oder überlegensten nationalen Haftungsregelung auszurichten,13 was jedoch der Wertungsorientierung an den gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen widersprechen dürfte.14 Ein großer Teil des Schrifttums befürwortet im Rahmen der wertenden Rechtsvergleichung eine Orientierung an den spezifischen Bedürfnissen der Gemeinschaft, d.h. eine Lösung, die dem Zweck und den spezifischen Zielen und Strukturen der Gemeinschaft am 6 Friese, Kompensation, 117; Herdegen, Haftung, 40; EuGH, verb. Rs. 56 bis 60/74, Kampffmeyer II, Slg. 1976, 711. Eine Ausnahme findet sich im Algera-Urteil, EuGH, verb. Rs. 7/56 und 3–7/57, Algera, Slg. 1957, 118, in dem sich der Gerichtshof auf die in den modernsten Rechtsordnungen herrschende Auffassung beruft. 7 Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 14; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 28; anderer Ansicht Modest, ZfZ 1975, 359. 8 Herdegen, Haftung, 40; Much, in: Mosler, 727; Grabitz, in: FS für Kutscher, 217; Friese, Kompensation, 118. 9 Lysén, Liability, 133; so wohl auch GA Roemer in Rs. 63 bis 69/72, Werhahn (1973), 1258. 10 Grabitz, in: FS für Kutscher, 217; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 14. 11 Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 610, der den Begriff erstmals verwendet hat; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 8; Berg, in: Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 31; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 578; Much, 728 f.; Herdegen, Haftung, 39; Gilsdorf, EuR 1975, 92; Czaja, Haftung, 24 ff. 12 Vgl. hierzu Czaja, Haftung, 25 f.; Fetzer, 176; Friese, Kompensation, 119. 13 GA Roemer in Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 990, unter Berufung auf Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 611, und Heldrich, EuR 1967, 350; ähnlich auch GA Lagrange in Rs. 14/61, Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken, Slg. 1962, 570; kritisch Czaja, Haftung, 25. 14 von Bogdandy, JuS 1990, 873; Arnull, in: Heukels/McDonnell (Hg.), Damages, 130; vgl. auch Gilsdorf/Niejahr, Art. 288 EGV, Rn. 14 mit dem Hinweis, dass nicht diejenige Rechtsordnung herangezogen werden dürfe, welche den Einzelnen am günstigsten stellt.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
ehesten entspricht,15 was aber wiederum das Problem der mangelnden Eindeutigkeit dieses Kriteriums aufwirft.16 Angesichts der Schwierigkeiten bei der Bestimmung und Konkretisierung der die wertende Rechtsvergleichung maßgebenden Kriterien und Wertungen dürfte das rechtsschöpferische Element bei der Ermittlung der allgemeinen Rechtsgrundsätze durch den EuGH im Mittelpunkt stehen. Das hat zur Folge, dass das Haftungsrecht der Gemeinschaft in seinem Kern Richterrecht ist17 und die Aufgabe der Entwicklung der Haftungskriterien für die außervertragliche Haftung der EG dem EuGH als rechtsschöpferische Aufgabe zufällt.18 Dabei hat sich der EuGH in der Vergangenheit bei der Entwicklung von Haftungskriterien weniger auf rechtsvergleichende Erwägungen gestützt19 als vielmehr die Besonderheiten der Europäischen Gemeinschaft zur Grundlage seiner Entscheidungen gemacht.20 Streng genommen hat er die Rechtsvergleichung als Ursprung der Haftungskriterien verlassen, und sieht die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten nicht mehr als Direktive, sondern allenfalls als Begrenzung seiner Rechtsschöpfung.21 Somit endet die Gestaltungsfreiheit des EuGH erst dort, wo eine von ihm gefundene Lösung mit den Haftungsprinzipien der Mitgliedstaaten nicht verträglich ist.22
15 Arnull, in: Heukels/McDonnell (Hg.), Damages, 130; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 14; Herdegen, Haftung, 41; Rengeling, Rechtsgrundsätze, 77; Grabitz, in: Schermers/Heukels/Mead (Hg.), 2 f.; Aubin, Haftung, 26; van Gerven, in: Beatson/Tridimas (Hg.), Directions, 35. 16 Czaja, Haftung, 26; Meessen, JbIntR 1974, 302. 17 Streinz, VVDStDL 61 (2002), 330; Gellermann, in Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 8; von Bogdandy, in Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 29; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 32, Rn. 15. 18 Hartley, Community Law, 1994, 471; Weis, JA 1980, 481; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 578 f.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 538; Dumon, CDE 1969, 42; Grabitz, in: FS für Kutscher, 220; Nicolaysen, EuR 1972, 383. 19 Vgl. aber auch die sporadischen Bezugnahmen des EuGH auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Rs. 256/81, Pauls Agriculture v. Rat und Kommission, Slg. 1983, 1721; Rs. C-152/88, Sofrimport/Kommission, Slg. 1990, I-2512; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, 3136. 20 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 579; von Bogdandy, JuS 1990, 873. 21 Streinz, VVDStRL 61 (2002), 330: „allenfalls Korrektivfunktion“; Grabitz, in: FS für Kutscher, 218; kritisch Czaja, 26; Gilsdorf, EuR 1975, 92; Nicolaysen, EuR 1972, 383, die sich für eine stärkere Bindung an rechtsvergleichende Untersuchungen aussprechen. 22 Dogmatisch entspricht dieses Vorgehen einer negativen Evidenzkontrolle. Vgl. dazu Streinz, Europarecht, Rn. 247. Nach diesem Verständnis stößt die Rechtsschöpfung durch den EuGH erst dann an ihre Grenzen, wenn von den mitgliedstaatlichen Haftungsgrundsätzen erkennbar abgewichen wird.
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II. Die Haftung für die Verletzung internationaler Abkommen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen Dennoch ist die Maßgabe von Art. 288 II EGV, wonach die EG nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen haftet, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, für die in dieser Arbeit geführte Argumentation zu Grunde zu legen. Danach muss untersucht werden, ob den Mitgliedstaaten auch eine Haftung für die Verletzung internationaler Abkommen gemeinsam ist und, wenn ja, welche subjektiv-rechtlichen Anforderungen an die verletzte und haftungsbegründende Norm zu stellen sind. Der erste Aspekt berührt die Frage, ob die Mitgliedstaaten überhaupt völkerrechtliche Verträge als Rechtmäßigkeitsmaßstab für nationales hoheitliches Handeln anerkennen. Die Frage nach der subjektiv-rechtlichen Qualität der verletzten Norm ist diesem Aspekt nachgelagert und konkretisiert vielmehr die Haftungsvoraussetzungen. 1. Belgien Das belgische Staatshaftungsrecht richtet sich nach den allgemeinen deliktischen Vorschriften der Art. 1382 ff. des Code Civil.23 Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist die Verletzung eines subjektiven Rechts durch einen hoheitlichen Eingriff. Neben der Herbeiführung eines rechtswidrigen Eingriffs in die individuelle Freiheitssphäre setzt ein Anspruch ferner ein Verschulden voraus.24 Eine Staatshaftung für Parlamentsgesetze ist ausgeschlossen.25 Die belgische Rechtsordnung folgt bei der Einführung internationaler Verträge in die belgische Rechtsordnung einem monistischen Ansatz, d.h. es bedarf keines nationalen Umsetzungsaktes für die innerstaatliche Geltung eines internationalen Abkommens.26 Demnach erlangt das Abkommen mit seiner Ratifizierung innerstaatliche Geltung und wird somit Teil der anwendbaren Rechtsvorschriften.27 Zugleich erhält der nationale Richter die 23
Cour de Cassation, Urteil vom 5.11.1920, Pasicrisie belge 1920, I, 239; der Gesetzeswortlaut des Art. 1382 lautet: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.“ 24 v. Mangoldt, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bundesministerium der Justiz (Hg.), 1975, 29 ff. 25 Herdegen, Haftung, 85 m. w. N. 26 Isenbaert, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 182. 27 Ergec, Revue de Droit International et Droit Comparé 1986, 103.
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Auslegungskompetenz über das Abkommen28 und wird im Falle einer Kollision zwischen nationalem Recht mit einem internationalen Abkommen dazu verpflichtet, letzteren den Anwendungsvorrang zu geben.29 Aufgrund seines Vorrangs vor einfachen Gesetzen gehören die Vorschriften des Völkervertragsrechts auch zu jenen Bestimmungen, die den Rechtmäßigkeitsmaßstab im Schadensersatzverfahren bilden. Dennoch wird in Anbetracht der Geltendmachung durch Individuen eine Unterscheidung zwischen denjenigen internationalen Abkommen getroffen, deren Vorschriften von Privaten geltend gemacht werden können („directement applicable“) und denen, die dazu nicht geeignet sind und lediglich die Qualität haben, Bestandteil der internen Rechtsordnung zu sein („fait partie de l’orde juridique interne“).30 Die Verletzung einer subjektiv-rechtlichen Vorschrift erfordert die unmittelbare Anwendbarkeit des internationalen Abkommens. Diesbezüglich hat das belgische Verfassungsgericht bereits in zwei Entscheidungen festgestellt, dass das WTO-Recht keine Direktwirkung entfaltet. In den streitgegenständlichen Verfahren hatten sich die Kläger auf Vorschriften aus dem TRIPS-Abkommen berufen. Da die Vertragsparteien des TRIPS jedoch nicht die Absicht gehabt hätten, Individualrechte zu begründen, könne das Abkommen auch keine unmittelbare Wirkung entfalten.31 Ist eine Haftung demnach für internationale Verträge im Grundsatz möglich, scheitert sie nach belgischem Recht am Mangel unmittelbarer Wirksamkeit. 2. Deutschland Der Staatshaftungstatbestand nach deutschem Recht ist in § 839 BGB, Art. 34 GG geregelt. Ein Amtshaftungsanspruch ist nach diesen Vorschriften gegeben, wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt und dadurch einen Schaden verursacht. Zur Einschränkung der Haftung dienen dabei insbesondere die Merkmale der Drittrichtung der Amtspflicht und des Verschuldens. Amtspflichten können sich aus allen denkbaren Rechtsquellen ergeben32 und sind folglich nicht auf geltendes deutsches Recht beschränkt, sondern 28
Waelbroek, Effets internes des obligations imposées à l’État, Miscellanea Ganshof van der Meersch, 1972, II, 574 ff.; Cour de Cassation, Urteil vom 16. Februar 1970, I, 533; Urteil vom 2. Mai 1975, J. T., 1975, 585. 29 Cour de Cassation, Urteil vom 27.5.1971, Pasicrisie belge 1971, I, 886; Waelbroeck, Traités internationaux, 236 f. 30 Ergec, Revue de Droit International et Droit Comparé 1986, 102 f. 31 Conseil Constitutionnel, 11.5.2001, Art Research & Contact N. V./B., AR; Gerichtshof erster Instanz (Hasselt), Urteil vom 3.5.2002, IRDI (2002), 171. 32 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 42.
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resultieren auch aus den im innerstaatlichen Recht geltenden völkerrechtlichen Verpflichtungen.33 Für die Frage, ob die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags auch dem deutschen Hoheitsträger Amtspflichten auferlegen, die dieser bei der Wahrnehmung seiner hoheitlichen Aufgaben zu beachten hat, ist zwischen der völkerrechtlichen Verbindlichkeit und der innerstaatlichen Geltung zu unterscheiden. In völkerrechtlicher Hinsicht ist Deutschland als WTO-Mitgliedstaat an die WTO-Übereinkünfte gebunden, wobei eine Verletzung grundsätzlich nur durch die im internationalen Abkommen selbst vorgesehenen Mechanismen, die im DSU geregelt sind, geltend gemacht werden kann. Für die Frage der Haftung nach dem deutschen Staatshaftungsrecht ist hingegen entscheidend, ob die WTO-Normen den deutschen Amtsträgern auch als innerstaatliches Recht Amtspflichten auferlegen. Eine Verletzung solcher innerstaatlichen Amtspflichten könnte im Gegensatz zu der Verletzung der völkerrechtlichen Pflichten vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden. Hierbei kommt es entscheidend auf den Rang an, den die WTO-Abkommen innerhalb der deutschen Rechtsordnung einnehmen. Die WTO-Vorschriften sind durch ein Zustimmungsgesetz zum Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung geworden, soweit sie nicht Teil des EG-Rechts geworden sind.34 In Deutschland haben völkerrechtliche Abkommen den Rang von einfachem Bundesrecht, Art. 59 II GG.35 Das hat zum einen zur Konsequenz, dass das WTO-Recht gegenüber dem Grundgesetz nachrangig ist. Daraus folgt weiterhin aber auch, dass jedes spätere Bundesgesetz die Bestimmungen der WTO-Abkommen nach der allgemeinen Regel lex posterior derogat legi priori außer Kraft setzt, so dass die Vorschriften grundsätzlich nicht als Maßstab für die Rechtmäßigkeit eines späteren Bundesgesetzes in Betracht kommen.36 Gegen eine Haftung spricht auch nicht, dass das BVerfG in seiner Görgülü-Entscheidung angedeutet hat, dass Völkervertragsrecht keine uneingeschränkte Bindung des Gesetzgebers entfalten würde. Danach kann der Gesetzgeber Völkerrecht ausnahmsweise nicht beachten, „sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“37 Als Beispiele, in denen Entscheidungen des EGMR auf „durch eine differenzierte Kasuistik geformte nationale Teilrechtsordnung treffen“ könnten, werden das Ausländerrecht, das Familienrecht und das Recht zum Schutz der Persönlichkeit genannt. In diesen Bereichen geht es somit um wesentlich 33
Fetzer, Haftung, 65. Siehe dazu Stricker, National Report Germany, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 315. 35 Vgl. statt vieler Rojahn, in: von Münch (Hg.), GG-Kommentar, Art. 59 GG, Rn. 37. 36 Streinz, in: Sachs (Hg.), GG-Kommentar, Art. 59, Rn. 63. 37 BVerfG, NJW 2004, 3407. 34
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sensiblere Bereiche als bei handelsrechtlichen Angelegenheiten, so dass dieser Vorbehalt im Falle des WTO-Rechts wohl nicht erhoben würde. Darüber hinaus weist die Görgülü-Entscheidung gewisse Ähnlichkeit mit dem Maastricht-Urteil auf, in dem das BVerfG ebenfalls Vorbehalte gegenüber der Geltung von Hoheitsakten der EU angemeldet hat.38 Insoweit dürfte die Görgülü-Entscheidung vielmehr dahingehend zu verstehen sein, dass das Völkervertragsrecht in einem dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsstandard seine Schranken finden soll. Eine grundsätzliche Ablehnung gerichtlicher Geltendmachung von internationalen Abkommen wird dieser Entscheidung jedenfalls nicht zu entnehmen sein. Die Amtspflicht des in der deutschen Rechtsordnung zur Geltung gebrachten WTO-Rechts ergibt sich aus Art. XVI (4) WTOÜ. Aufgrund dieser Vorschrift haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihre nationalen Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwaltungsverfahren mit ihren Verpflichtungen aus den WTO-Übereinkünften im Einklang stehen. Weiterhin bleibt dann aber die Hürde der Drittbezogenheit zu nehmen. Aufgrund dieses einschränkenden Tatbestandsmerkmals wird Schadensersatz nur dann geleistet, wenn und soweit die verletzte Amtspflicht auch „gegenüber dem Geschädigten“ bestand. Für den Bereich legislativen Unrechts lehnt der BGH und ein Teil der Literatur im innerstaatlichen Kontext die Drittrichtung von Amtspflichten bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt in ständiger Rechtsprechung ab mit der Begründung, dass der Drittbezug der Amtspflicht die Amtshaftung auf solche Schadensfälle begrenzen solle, in welchen der Hoheitsträger und der Geschädigte in eine besonders individualisierte oder individualisierbare Beziehung getreten seien.39 Eine Haftung für WTO-widriges parlamentsbeschlossenes Bundesrecht erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen. Weiterhin hat das Tatbestandsmerkmal der Drittbezogenheit die Funktion, nicht jeden Schaden, der von einem Hoheitsträger verursacht wird, dem Amtshaftungsanspruch zu unterstellen. Aus diesem Grund muss ermittelt werden, ob die Amtspflicht zumindest auch den Zweck hat, das Interesse gerade des Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden Bestimmungen ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange auch geschützt werden, besteht ihm gegenüber die Amtspflicht.40 Nach Auffassung des BGH ist dies dann der Fall, wenn die Amtspflicht neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und der Verfolgung öffentlicher Belange auch den Zweck hat, die Interessen des 38
Vgl. dazu Kadelbach, Jura 2005, 485. BGHZ 102, 350, 367; 123, 191, 195 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 104 ff.; Fetzer, Haftung, 87. 40 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 58. 39
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Einzelnen wahrzunehmen41 und damit zwischen der verletzten Amtspflicht und dem jeweils Geschädigten eine besondere Beziehung besteht.42 Es dürfte mithin entscheidend darauf ankommen, ob die durch die Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung auch innerstaatlich zur Geltung gebrachten Amtspflicht zu WTO-konformem Handeln zumindest auch Individualrechte zu schützen beabsichtigt. Dies ist zweifellos der Fall, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag – wie die EMRK – ausdrücklich einen individuellen Schadensersatzanspruch vorschreibt.43 Dann bildet der völkerrechtliche Vertrag vor deutschen Gerichten eine berufungsfähige Anspruchsgrundlage des innerstaatlichen Staatshaftungsrechts.44 Selbiges gilt, wenn der völkerrechtliche Vertrag unmittelbar wirksame Rechte Einzelner begründet, weil unter diesen Voraussetzungen die Amtspflicht zur völkervertragskonformen Anwendung des innerstaatlichen Rechts gerade den Zweck verfolgt, Rechte für den Einzelnen zu begründen. Fraglich ist bloß, welche Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen Gehalt des drittschützenden Charakters der Amtspflicht zu stellen sind. Als gesichert gilt insoweit, dass der deutsche Begriff einer Schutznorm und das dahinter stehende Verständnis eines subjektiven Rechts restriktiver ist als auf Ebene der Gemeinschaftshaftung45, da an das Entstehen individueller Rechtspositionen in Deutschland höhere Anforderungen gestellt werden.46 In Anbetracht dessen ist davon auszugehen, dass ein völkerrechtlicher Vertrag nur dann die Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen Gehalt eines Drittbezugs einer Amtspflicht erfüllt, wenn die völkervertragsrechtliche Norm unmittelbare Wirkung entfaltet. 3. Frankreich Die dem französischen Haftungsregime für rechtswidriges Handeln („Faute de service“) zugrunde liegende Idee ist diejenige eines „nach unten abweichenden“ Verhaltens der öffentlichen Hand.47 Maßstab ist das Leistungsniveau, das ein neutraler Beobachter von der jeweiligen Behörde vor 41
BGH NJW 1971, 1699; NJW 1974, 1764, 1765. BGH NJW 1991, 2696. 43 Art. 5 V EMRK gibt demjenigen einen Anspruch auf Schadensersatz, der „entgegen den Bestimmungen dieses Artikels [5] von Festnahme oder Haft betroffen ist“. 44 Fetzer, Haftung, 65 ff. 45 Jarass, NJW 1994, 883; Detterbeck, VerwArch 85 (1994), 188; Furrer/Epiney, JZ 1995, 1032; Obwexer, WBl 1996, 185 f.; Nettesheim, DÖV 1992, 1002; Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung, 329 ff. 46 Herrmann, Richtlinienumsetzung, 178; Rengeling, VVDStRL 1994, 210; Steinberg, AöR 95 (1995), 584; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 934; Pernice, NVwZ 1990, 425; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 230 f. 47 Dazu allgemein Wolf, Staatshaftung, 236 ff. 42
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dem Hintergrund ihrer Aufgabenzuweisung und den konkreten Umständen erwarten konnte. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an, ausreichend ist bereits die objektive materielle Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden schadenauslösenden Aktes.48 Eine mögliche Schadensersatzverpflichtung für die Verletzung internationaler Abkommen ist unter Berücksichtigung der Inkorporation des Völkervertragsrechts in die französische Rechtsordnung zu bestimmen. Die innerstaatliche Geltung eines völkerrechtlichen Vertrags in der französischen Rechtsordnung wird von Art. 55 der französischen Verfassung (FV) geregelt. „Les traités ou accords régulièrement ratifiés ou approuvés ont, dès leur publication une autorité supérieure à celle des lois, sous réserve, pour chaque accord ou traité, de son application par l’autre partie“.49 Art. 55 FV hat somit zur Konsequenz, dass der völkerrechtliche Vertrag eine Geltungserweiterung in das innerstaatliche Rechtssystem erfährt und eine höhere Rechtskraft als Gesetze erlangt, soweit der völkerrechtliche Vertrag ordnungsgemäß in das innerstaatliche Recht eingeführt wird und nach dem Gegenseitigkeitsprinzip auch von den anderen Vertragsstaaten angewandt wird. Die Wahrung des in Art. 55 FV angeordneten Vorrangs internationaler Verträge vor einfachen Gesetzen wird vom Conseil constitutionnel oder dem Conseil d’État sichergestellt.50 Ist die Normenhierarchie durch ein dem internationalen Abkommen entgegenstehendes Gesetz verletzt, so ist das Gesetz für verfassungswidrig zu erklären und aufzuheben.51 Zugleich hat der Conseil constitutionnel alle Staatsorgane, also auch die Fachgerichte, aufgefordert, den Vorrang der internationalen Verträge vor den formellen Gesetzen zu gewährleisten.52 Es besteht Einigkeit darüber, dass Art. 55 FV vor Gericht einklagbar ist, wodurch die verfassungsrechtlich vorgegebene Normenhierarchie gewährleistet wird.53 48 In Bereichen, in denen die Verwaltung vor besondere Schwierigkeiten gestellt ist, wird hingegen ein besonders qualifiziertes Fehlverhalten verlangt (faute lourde). 49 „Die ordnungsgemäß ratifizierten oder genehmigten Verträge oder Abkommen erlangen mit ihrer Veröffentlichung höhere Rechtskraft als die Gesetze, vorausgesetzt, dass die Abkommen oder Verträge von den Vertragspartnern angewandt werden“. 50 Zur Problematik, welches Gericht zuständig ist für die Prüfung des Vorrangs nach Art. 55 FV siehe Kohlhammer, Völkervertragsrecht, 222 ff. 51 Pinto, Réflexions sur le role du Conseil constitutionnel, JDI 1987, 289. 52 Siehe auch Conseil constitutionnel, Urteil vom 21.10.1988, Rev. fr. Droit adm 1988, 908; dazu Frydman, Rev. fr. Droit adm 1989, 813. 53 Laroque, AJDA 1992, 210; Simon, RTDE 1992, 282 f.; Dubois, Rev. fr. Droit adm 1992, 9; umstritten ist hingegen das Verhältnis zwischen Verfassung und völkerrechtlicher Vereinbarung, über das bislang nicht vom Conseil constitutionnel entschieden wurde, und bei dem teilweise die Höherrangigkeit der Verfassung gegenüber der völkerrechtlichen Vereinbarung bestritten wird.
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Ein „nach unten abweichendes Verhalten“ im Sinne eines haftungsauslösenden Verhaltens liegt demnach grundsätzlich auch in jedem Verstoß gegen die Verwaltung bindendes und den einfachen Gesetzen übergeordnetes Völkervertragsrecht. Ob jedoch allein die Höherrangigkeit des internationalen Abkommens für ein erfolgreiches Klagebegehren eines Individuums ausreicht, oder ob darüber hinaus die unmittelbare Wirkung der Bestimmung erforderlich ist, lässt sich auf Grundlage der Rechtsprechung nicht eindeutig klären. Die direkte Anwendbarkeit einer Völkervertragsbestimmung in der französischen Rechtsordnung hängt zunächst davon ab, ob die Vorschrift „self-executing“ ist, d.h. ob die völkerrechtliche Norm vollständig ist und keiner weiteren Ergänzung durch innerstaatliche Akte bedarf.54 Darüber hinaus muss die Bestimmung Rechte zugunsten oder Pflichten zu Lasten Einzelner schaffen und nicht nur eine Verpflichtung zwischen den Staaten begründen.55 Hinsichtlich der Notwendigkeit einer unmittelbaren Wirkung der von Individuen geltend gemachten internationalen Abkommen hat der Conseil d’État bereits mehrfach deutlich gemacht, dass das internationale Abkommen nicht anzuwenden sei, wenn das Abkommen keine unmittelbare Wirkung hat mit der Folge, dass Individualklagen abgewiesen wurden.56 Dass die jüngere Rechtsprechung von dem Kriterium der unmittelbaren Wirkung aber auch abzuweichen bereit ist, lässt sich an Entscheidungen zur Aufhebung nationaler Gesetze aufgrund einer Rechtmäßigkeitskontrolle durch nicht unmittelbar wirksames Gemeinschaftsrechts erkennen. Bis zu seiner Entscheidung in der Rechtssache Nicolo vom 20.10.198957 überprüfte der Conseil d’État immer dann nicht die Vereinbarkeit formeller Gesetze mit dem Gemeinschaftsrecht, wenn der gemeinschaftsrechtliche Rechtsakt entsprechend der lex posterior-Regel nicht zeitlich später als das nationale Gesetz ergangen war. Erst mit seinem Nicolo-Urteil sah er die Gewährleistung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Normenhierarchie als maßgeblich für den generellen Vorrang des EG-Vertrages vor nationalen Gesetzen an.58 Diese Rechtsprechung wurde dann im Jahre 1990 auf Verordnungen59, 54 Conseil d’État, Urteil vom 1.3.1968, Syndicat général des fabricants des semoules de France, Rec. S. 149. 55 Conseil d’État, Urteil vom 29.1.1993, Bouilliez, AJDA 1993, 364. 56 Conseil d’État, Urteil vom 10.2.1967, Société Anonyme des Etablissements Petitjean et autre, Rec. S. 63; Conseil d’État, Urteil vom 30.5.1952, dame Kirkwood, RDP 1952, 781. Die Klage wird abgewiesen, wenn die Vertragsbestimmungen „n’ouvrent aucun droit aux personnes résidant sur le territoire d’un pays à l’égard des autorités nationales de ce pays“. 57 RFDA 1989, 823. 58 Laroque, AJDA 1992, 220. 59 Conseil d’État, Urteil vom 24.09.1990, Boisdet, AJDA 1990, 906.
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im Jahre 1992 auch auf Richtlinien60 ausgedehnt. Weiterhin weigert sich der Conseil d’État jedoch seit der Entscheidung Cohn-Bendit61 aus dem Jahre 1978 in ständiger Rechtsprechung, Richtlinien unmittelbare Wirkung zuzuerkennen.62 Nichtsdestotrotz hat der Conseil d’État klagenden Individuen im Rahmen einer Aufhebungsklage mehrfach das Recht zuerkannt, die Verwaltung auf Abschaffung einer nationalen Rechtsverordnung zu verpflichten, soweit diese mit der Richtlinie unvereinbar war.63 Trotz mangelnder unmittelbarer Wirkung der Richtlinie konnte diese als Rechtmäßigkeitsmaßstab herangezogen werden. Dabei spricht der Conseil d’État in seinen Entscheidungen nicht davon, dass der Einzelne sich auf die Richtlinienbestimmungen berufen könne und bezieht sich bei seiner Rechtmäßigkeitskontrolle nicht auf die unbedingte und hinreichend genaue Richtlinienbestimmung, sondern nimmt stattdessen das „Ziel“ der jeweiligen Richtlinie in Bezug.64 Eine Unterscheidung zwischen unmittelbar wirksamen und sonstigen Richtlinienbestimmungen nimmt der Conseil d’État demnach nicht vor. Im Ergebnis lässt sich somit zunächst sicher feststellen, dass internationale Abkommen aufgrund ihrer Stellung in der Normenhierarchie der französischen Rechtsordnung grundsätzlich geeignet sind, nicht nur nationale Gesetze in einem Aufhebungsverfahren zu Fall zu bringen, sondern auch in einem Schadensersatzverfahren als Anspruchsgrundlage zu dienen. Ob darüber hinaus auch die unmittelbare Wirkung der völkervertragsrechtlichen Bestimmung erforderlich ist, oder ob eine schwächere Form der Individualbegünstigung ausreicht, lässt sich nicht eindeutig feststellen. 4. Griechenland Nach Art. 105 des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch ist der Staat für rechtswidrige Handlungen der Staatsorgane schadensersatzpflichtig, es sei denn, die Handlung oder Unterlassung ist unter Verletzung einer das Allgemeininteresse schützenden Vorschrift geschehen. Während ein Verschulden des handelnden Organs nicht erforderlich ist, wird zugleich die Voraus60
Conseil d’État, Urteil vom 28.02.1992, Philip Morris, AJDA 1992, 224. Conseil d’État, Urteil vom 22.12.1978, RTDE 1979, 157. 62 Vgl. Wolf, Staatshaftung, 247, mit Verweis auf Conseil d’État, Rec. Conseil d’État 1993, 227 (Compagnie générale des eaux). 63 Conseil d’État, Urteil vom 28.09.1984, Confédération nationale des sociétés de protection des animaux de France, AJDA 1984, 695; Conseil d’État, Urteil vom 7.12.1984, Fédération française des sociétés de protection de la nature, Rec. Conseil d’État, 410; Conseil d’État, Urteil vom 3.01.1989, Alitalia, Rec. Conseil d’État, 44. 64 Wolf, Staatshaftung, 248; Roseren, CMLR 1994, 329. 61
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setzung verlangt, dass die verletzte Norm eine bestimmte Schutzrichtung enthalten muss. Zu den Organen, deren schadenstiftendes Verhalten eine Schadensersatzpflicht auslösen können, gehören nach der herrschenden Meinung in der griechischen Lehre auch die legislativen Organe.65 Von Interesse ist hier für die Frage der Notwendigkeit einer unmittelbaren Wirkung freilich die Qualität der Schutzrichtung der verletzten Norm. In enger Anlehnung an das deutsche Amtshaftungsrecht wurde behauptet, dass die verletzte Norm einen Drittbezug aufweisen müsse, so dass die von ihr begründete Amtspflicht gegenüber dem Einzelnen bestehen müsse.66 Damit wird die Haftungsbegrenzung dahingehend vorgenommen, dass die Staatshaftung nur dann ausgeschlossen ist, wenn die verletzte Vorschrift ausschließlich zum Schutz des allgemeinen Interesses erlassen sei. Nach anderer Auffassung wird hingegen vertreten, dass es Sinn und Zweck der Haftungsbeschränkung sei, nur solche Schäden zu ersetzen, bei denen die verletzte Norm ein subjektiv-öffentliches Recht begründe.67 Die Rechtsprechung hat sich der Auffassung angeschlossen, dass nur die allein dem öffentlichen Interesse dienenden Vorschriften die Staatshaftung ausschließen.68 Schließlich kommen internationale Verträge aufgrund ihres Gesetzesvorrangs als Grundlage einer Rechtmäßigkeitskontrolle im Rahmen des Schadensersatzanspruchs in Betracht. Art. 28 der griechischen Verfassung normiert, dass internationale Verträge nach ihrer gesetzlichen Ratifizierung und ihrer Inkraftsetzung Bestandteil des griechischen Rechts werden und jeder entgegenstehenden Gesetzesbestimmung vorgehen.69 Im Sinne der monistischen Theorie werden internationale Abkommen folglich ohne ein Transformationsgesetz zur innerstaatlichen Geltung gebracht. Mit ihrer parlamentarischen Ratifizierung erlangen die internationalen Vereinbarungen einen „Übergesetzesrang“, d.h. Vorrang gegenüber früher und später erlassenem einfachem Gesetzesrecht und Nachrangigkeit gegenüber der Verfassung.70 Mit Blick auf die im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung großzügig ausgelegte Schutzrichtung der verletzten Norm dürften internationale Abkommen, sofern sie nicht ausschließlich dem öffentlichen bzw. zwischenstaatlichen Interessen dienen, als Haftungsgrundlage in Betracht kommen. 65 Fetzer, Haftung, 196 mit Verweis auf Tsatsos, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 221. 66 Siehe Triantafyllou, Haftungsrecht, 159 m. w. N. 67 Kafkas, Schuldrecht, 769. 68 OLG Athen 486-76, Arm. A’, S. 30, AP 426-84; LG Pireus 2155-68, NoB 16, 978; für weitere Nachweise siehe Triantafyllou, Haftungsrecht, 159 69 Pitsilis/Stougiannou, National Report Greece, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 344 f. 70 Pitsilis/Stougiannou, National Report Greece, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 344 f.
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5. Großbritannien Mit dem Crown-Proceedings-Act von 1947 wurde die Haftung der Krone für unerlaubte Handlungen ihrer servants und agents etabliert.71 Danach haftet die Verwaltung nach den allgemeinen Grundsätzen der verschuldensunabhängigen Geschäftsherrnhaftung für rechtswidrige Handlungen ihrer Bediensteten und sonstiger Hilfspersonen. Die materiellen Voraussetzungen der Haftung richten sich nach den Regeln des allgemeinen Deliktsrechts, die dem common law entstammen. Dieses begründet eine Haftpflicht in Fällen der Verletzung bestimmter Rechtsgüter unter anderem durch den Verstoß gegen gesetzlich begründete Pflichten (breach of statutory duty).72 In diesem Zusammenhang spielt die Drittbezogenheit und der Schutzbereich der verletzten Pflicht eine entscheidende Rolle. Soweit eine gesetzlich statuierte Pflicht den Interessen der Allgemeinheit zu dienen bestimmt ist, wird überwiegend angenommen, dass ein Anspruch auf Schadensersatz ausgeschlossen ist.73 Werden hingegen die Interessen eines bestimmten, abgrenzbaren Personenkreises geschützt (Class of persons), so kann einem Geschädigten, der diesem Personenkreis zuzurechnen ist, ein Anspruch auf Schadensersatz zustehen. Inwiefern internationale Abkommen Grundlage für einen Schadensersatzanspruch sein können, hat die Rechtsprechung englischer Gerichte bei der Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts durch englische Behörden erkennen lassen. Gemeinschaftsrechtsverletzungen sind als breach of statutory duty qualifiziert worden.74 Mithin können innerstaatlich geltende Abkommen zu jenen Amtspflichten gehören, die von den Behörden bei der Anwendung des Rechts beachtet werden müssen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass durch den European Communities Act 1972 festgelegt wurde, dass alle Rechte, Verbindlichkeiten und Verpflichtungen aus den Gemeinschaftsverträgen im Vereinigten Königreich entsprechend anzuwenden und durchzusetzen sind.75 Eine Haftung für die Verletzung internationaler Abkommen ist deshalb nur möglich, wenn das Abkommen in die Rechtsordnung eingeführt worden ist. Der entscheidende Grundsatz ist wohl, dass völkerrechtliche Verträge aufgrund der dualistischen Rechtsordnung nicht als solche innerstaatlich relevante Rechtsquelle sind.76 Dies hängt damit zusammen, dass die Abschlusskompetenz für internationale Abkommen bei der Regie71
Dazu ausführlich Mayo, Haftung, 38 ff. Mayo, Haftung, 91 ff. 73 Ministry of Housing and Local Government v. Sharp (1970), 2 Q.B. 223; Cutler v. Wandsworth Stadium (1949), A.C. 398. 74 Mayo, Haftung, 190 ff. 75 Sec 2 (1) des European Communities Act. 76 Schmid, Rang und Geltung, 52. 72
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rung liegt und diese ohne vorherige Ermächtigung durch den Gesetzgeber eingeräumt ist und auch für die Ratifikation keiner parlamentarischen Zustimmung bedarf. Um innerstaatlich Geltung zu entfalten, müssen internationale Verträge durch ein Parlamentsgesetz in die nationale Rechtsordnung eingeführt werden.77 Fehlt ein parlamentsbeschlossenes Gesetz zur Umsetzung des internationalen Vertrags, ist das Abkommen nicht innerstaatliche Rechtsquelle und kann somit weder von Bürgern in Gerichts- und Verwaltungsverfahren geltend gemacht, noch von Behörden und Gerichten angewendet werden. Außerdem folgt aus der allumfassenden Souveränität des Parlaments und aus der Bindung der Gerichte an die parlamentarische Gesetzgebung, dass ein Parlamentsgesetz generell keine haftungsrechtlichen Folgen auslösen kann.78 Die WTO-Abkommen sind vom englischen Parlament nicht per Gesetz in die Rechtsordnung inkorporiert worden. Zwar waren englische Gerichte bereits mit Klagen konfrontiert, in denen Individuen sich auf WTO-Vorschriften berufen haben. Bislang neigen die Gerichte allerdings dazu, den Fall dem EuGH vorzulegen.79 Im Ergebnis kommen Schadensersatzklagen zwar nicht für den konkreten Fall der WTO-Vorschriften in Betracht, sind andererseits aber bei transformierten Abkommen möglich, wenngleich dann aber auch nur in Fällen, in denen nicht die Verletzung durch ein Parlamentsgesetz geltend gemacht wird. 6. Italien Die Haftung des italienischen Staates richtet sich gemäß Art. 28 der italienischen Verfassung nach dem Zivilgesetzbuch, wobei die zivilrechtliche Verantwortlichkeit durch Art. 28 der Verfassung auf den Staat und die öffentlichen Körperschaften ausgedehnt wird. Seine einfachgesetzliche Grundlage hat die Staatshaftung in Art. 2043 des italienischen Zivilgesetzbuches. Die Haftung setzt einen Schaden voraus, der auf ein dem Staat zurechenbares rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zurückgeht.80 Ob der Begriff der Rechtswidrigkeit nur die Verletzung subjektiver Rechte oder bereits die Verletzung „legitimer Interessen“ erfasst, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt.81 Insbesondere die Rechtsprechung war bislang der 77
Sinclair, ICLQ 12 (1963), 525 ff. Fetzer, Haftung, 195; Dagtoglou, Ersatzpflicht, 69; Herdegen, Haftung, 89. 79 Vgl. R v Secretary of State for the Environment, Transport and Regions, ex parte Omega Air Ltd; Urteil vom 25.11.1999; Queens Bench Division (Crown Offices List). 80 Galeotti, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 300 ff. 81 Staderini, Responsabilità, 28; Herdegen, Haftung, 87. 78
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Meinung, dass die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme allein in der Verletzung subjektiver Rechte gesehen werden könne.82 Dagegen ist vom Schrifttum überwiegend gefordert worden, dass auch die Verletzung „legitimer Interessen“ haftungsauslösend sein solle.83 Hierunter werden juristische vorteilhafte Positionen verstanden, die nicht einen direkten Schutz genießen wie die subjektiven Rechte, sondern die von einer der Verwaltung zuerkannten rechtlichen Zuständigkeit abhängig sind.84 Zumindest nach diesem weiten Verständnis einer Schutznorm würde man auch die WTO-Vorschriften zum Bestand haftungsauslösender Normen zählen müssen. Hinsichtlich der Implementierung internationaler Verträge in die italienische Rechtsordnung erfordert die italienische Verfassung grundsätzlich die Übernahme durch ein Einführungsgesetz. Im Rahmen einer jüngeren Verfassungsänderung wurde der Status internationaler Abkommen im Hinblick auf ihre innerstaatliche Geltung modifiziert. In der Verfassung wird nunmehr ausdrücklich festgelegt, dass internationale Verträge Vorrang vor einfachen, auch zeitlich nach dem Völkervertragsrecht erlassenen Gesetzen, genießen.85 Damit wurde eine bereits bestehende gleichlautende höchstrichterliche Rechtsprechung nachvollzogen. Jedenfalls folgt daraus, dass auch dem WTO-Recht in der italienischen Rechtsordnung Vorrang vor einfachem Gesetzesrecht zukommt.86 Im Hinblick auf die Diskussion über die Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen Charakter einer Haftungsnorm nach italienischem Recht, dürfte die Einschätzung über einen möglichen Schadensersatz bei der Verletzung von WTO-Recht ebenfalls uneinheitlich sein. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber, dass im Unterschied zu den anderen europäischen Ländern einzelne WTO-Vorschriften von italienischen Gerichten als unmittelbar wirksam anerkannt worden sind.87 Allerdings hat die jüngere Rechtsprechung mit Verweis auf die konträre Auffassung des EuGH von dieser Auffassung wieder Abstand genommen und sich dessen Haltung zur unmittelbaren Wirkung der WTO-Vorschriften angeschlossen.88
82 Vgl. nur Cassazione Civile S.U., Urteil vom 30.3.1968, in: Il Consiglio di Stato 1968, II, S. 821; Cassazione Civile S.U., Urteil vom 10.2.1969, in: Il Consiglio di Stato 1969, II, S. 992. 83 Nigro, Foro amministrativo 1982, I, 1671; Piga, Foro amministrativo 1988, 746. 84 Oellers-Frahm, Landesbericht Italien, in: Zur Reform des Staatshaftungsrechts, Rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1975, 77. 85 Verfassungsänderndes Gesetz Nr. 3 vom 18.10.2001. Siehe Art. 3 II (1), der Art. 117 der italienischen Verfassung abändert. 86 Cappadona, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 425 f. 87 Vgl. beispielsweise Corte Constituzionale, Urteil Nr. 1771 vom 8.6.1972, in dem das Verfassungsgericht Art. III (2) des GATT diese Wirkung zugesprochen hat. 88 Cappadona, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 426.
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7. Luxemburg In Luxemburg richtet sich die Haftung des Staates wie in Belgien nach den Art. 1382 ff. des Code Civil. Eine Haftung des Gesetzgebers für Legislativakte kommt nicht in Betracht. Für die innerstaatliche Geltung eines internationalen Vertrags in der luxemburgischen Rechtsordnung muss dieser vom luxemburgischen Gesetzgeber genehmigt und anschließend im offiziellen Organ publiziert werden, Art. 37 der luxemburgischen Verfassung. Als ratifizierter Staatsvertrag haben die Abkommen damit Vorrang gegenüber früheren oder späteren Landesgesetzen.89 Auch das luxemburgische Staatshaftungsrecht kennt die Verletzung eines subjektiven Rechts als Haftungsvoraussetzung.90 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass internationale Abkommen unmittelbar wirksam sein müssen, um als Rechtsmäßigkeitsmaßstab im Haftungsverfahren zu dienen. 8. Niederlande Das Recht, das die Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Vertreter regelt, beruht im Wesentlichen auf einer Schöpfung der Zivilrechtsprechung auf der Grundlage der Art. 1401 bis 1407 Burgerlijk Wetboek.91 Die Ersatzpflicht des Staates nach niederländischem Recht setzt grundsätzlich voraus, dass ein dem Staat zurechenbares rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten einen Schaden verursacht hat.92 Eine Staatshaftung für Schädigungen durch verfassungswidrige Gesetze ist hingegen ausgeschlossen. Die niederländische Verfassung sieht in Art. 120 ausdrücklich vor, dass die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen nicht beurteilen dürfen. Eine bedeutsame Einschränkung dieses Grundsatzes besteht aber insoweit, dass nach Art. 94 der Verfassung innerhalb der Niederlande geltende gesetzliche Vorschriften nicht angewandt werden, wenn ihre Anwendung mit allgemein verbindlichen Bestimmungen von internationalen Verträgen oder deren Beschlüssen nicht vereinbar sind. In diesen Fällen soll zwar keine Staatshaftung für das zurücktretende Gesetz, wohl aber für dessen Durchführungsregelungen in Betracht kommen.93 Aus Art. 94 folgt weiter der generelle Vorrang völkerrechtlicher Verträge gegenüber dem Landes89
Schmid, Rang und Geltung, 75. Arendt, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 460 f. 91 Prins, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 487 ff.; Herdegen, Haftung, 86 f. 92 Herdegen, Haftung, 86. 93 Herdegen, Haftung, 87; Prins, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 502. 90
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recht.94 Diese gehen dem Landesrecht damit nicht nur vor, sondern können auch zur Rechtmäßigkeitskontrolle in Schadensersatzverfahren herangezogen werden, sofern sie denn innerstaatliche Geltung erlangt haben. Die Geltung von internationalen Abkommen in der niederländischen Rechtsordnung ist in Art. 93 der Verfassung geregelt. Hiernach sollen internationale Verträge nach ihrer Veröffentlichung verbindlich sein, wenn sie ihrem Inhalt nach allgemeinverbindlich sein können. Völkervertragsrecht muss demnach nicht in das nationale Recht inkorporiert werden um innerstaatlich zu gelten und Rechtswirkungen zu entfalten.95 Die Formulierung eines „allgemeinverbindlichen“ Vertrags in Art. 94 wurde dahingehend ausgelegt, dass damit nur „self-executing“-Verträge gemeint sein könnten.96 In diesem Sinne ist der Wortlaut des Art. 94 auch von nationalen Gerichten ausgelegt worden.97 Daraus folgt, dass die Geltendmachung eines internationalen Vertrags in den Niederlanden in Schadensersatzklagen zwar möglich ist, zugleich jedoch von der unmittelbaren Wirkung des Vertrags abhängt. 9. Österreich Grundlage der österreichischen Amtshaftung ist der § 1 AHG, der seinerseits auf die „Bestimmungen des bürgerlichen Rechts“ verweist. Das dazu erforderliche Merkmal der Rechtswidrigkeit des hoheitlichen Handelns hat eine haftungsbegrenzende Funktion. Die Haftung erstreckt sich nämlich nur auf solche Schäden, deren Verhinderung vom Schutzzweck der verletzten Norm umfasst wird. Bei der Amtshaftung ist hierfür die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts nicht erforderlich. Es genügt, wenn das Gesetz den Interessen des Geschädigten, wenn auch nur als Nebenzweck, dienen soll.98 Im Vergleich dazu ist der Tatbestand des § 839 BGB weiter, da dort nach dem Wortlaut kein Gesetzesverstoß zur Verwirklichung einer Amtspflichtverletzung erforderlich ist. In Anbetracht der rechtsschutzfreundlichen Auslegung der deutschen Rechtsprechung zur Drittbezogenheit ist hieraus der Schluss gezogen worden, dass die österreichische Auffassung von der Rechtswidrigkeit zu einer sehr viel stärkeren Einschränkung der 94
Schmid, Rang und Geltung, 85. Peters, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 498. 96 Erades, in: International Law in the Netherlands, 3. Band, 409. 97 Urteil des Distriktgerichts Arnhem, 5.10.1976, Schip en Schade 1976 Nr. 85, NYIL 8 (1977), 249, „the provision . . . is clear, complete and contains no instructions, or reference to an instruction, for the national legislatures of the Contracting States to elaborate or supplement this provision . . .“. 98 OGH JBl. 80, 539; 81, 113; 81, 512. Für den völligen Verzicht einer individualschützenden Vorschrift hingegen Spanner, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 523 ff. 95
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Amtshaftung führe, als dies durch das Merkmal der Drittbezogenheit nach § 839 BGB erreicht werde.99 Damit ist davon auszugehen, dass an die Verletzung eines subjektiven Rechts zumindest ähnlich hohe Anforderungen gestellt werden wie im deutschen Amtshaftungsrecht. Hinsichtlich der Einführung internationaler Abkommen sieht die österreichische Verfassung zunächst vor, dass politische Staatsverträge, zu denen auch die WTO-Abkommen zählen100, nur mit Genehmigung des Nationalrates abgeschlossen werden dürfen.101 Internationale Verträge erhalten ihre innerstaatliche Bindungswirkung schließlich durch die Veröffentlichung in den Bundesgesetzblättern.102 Durch dieses Prozedere haben auch die WTOAbkommen ihre Geltung in der österreichischen Rechtsordnung erlangt.103 Internationale Verträge können den Status von Verfassungsrang, Gesetzesrang oder Verordnungsrang haben, je nach Wichtigkeit der geregelten Materie und dem danach gewählten Beteiligungsmodus der Legislative.104 Dies soll dazu führen, dass die WTO-Abkommen Vorrang gegenüber einfachem Gesetzesrecht haben sollen.105 Damit ist das WTO-Recht ebenso wie andere internationale Verträge grundsätzlich geeignet, als Rechtmäßigkeitsmaßstab für eine Schadensersatzklage zu dienen. Angesichts der hohen Anforderungen an die Verletzung einer den Einzelnen mindestens als Nebenzweck schützenden Vorschrift wird jedoch die unmittelbare Wirkung der völkervertragsrechtlichen Bestimmung unentbehrlich sein. 10. Polen Art. 77 der polnischen Verfassung regelt, dass jeder ein Recht auf Ersatz des Schadens hat, welcher ihm durch die rechtswidrige Handlung eines Organes öffentlicher Gewalt zugefügt wurde. Diese Bestimmung ist durch die Neufassung der Art. 417–4172 des Zivilgesetzbuches über die Grundsätze der Staatshaftung im September 2004 konkretisiert worden. Dabei geht das Gesetz von verschiedenen Grundtypen rechtswidrigen staatlichen Handelns 99
Kollmeier, Amtshaftung, 38; zweifelnd Mueller, Amtshaftungsrecht, 34. Petritz, Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 136. 101 Art. 50 I der österreichischen Verfassung. 102 Öhlinger, Verfassungsrecht, 1999, 75; „Prinzip der generellen Transformation“. 103 Abkommen zur Errichtung des Welthandelsorganisation samt Schlussakte, Anhängen, Beschlüssen und Erklärungen der Minister sowie österreichischen Konzessionslisten betreffend landwirtschaftliche und nichtlandwirtschaftliche Produkte und österreichische Verpflichtungslisten betreffend Dienstleistungen, BGBl. 1/1995, NR: GP XVIII RV 1646 AB 1792 S. 171. 104 Öhlinger, Verfassungsrecht, 76. 105 Petritz, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 137. 100
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aus.106 In Art. 4171 § 1 des Zivilgesetzbuches liegt die Pflichtverletzung im Erlass eines Normativaktes, der mit der Verfassung, einem internationalen Vertrag oder mit Gesetz nicht vereinbar ist. Folglich können rechtswidrige parlamentarische Gesetze eine Haftung begründen. Zugleich sind auch internationale Verträge als Haftungsmaßstab ausdrücklich anerkannt. Dass über die Rechtswidrigkeit und das Verschulden des staatlichen Handelns hinaus weitere Einschränkungen in Bezug auf die verletzte Norm bestehen, lässt sich indes weder der Verfassung noch den Vorschriften im Zivilgesetzbuch entnehmen. Diese Annahme wird vor allem durch einen systematischen Vergleich zwischen Art. 77 und Art. 79 der Verfassung gestützt. Art. 77 der polnischen Verfassung nennt als Haftungsvoraussetzung lediglich die Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns. In Art. 79 hingegen wird von „Freiheiten oder Rechten“ des Einzelnen gesprochen. Art. 79 regelt die Voraussetzungen dafür, dass der Einzelne durch Beschwerde gegen verfassungswidrige Gesetze vorgehen kann. Die Bezugnahme auf die Verletzung von „Freiheiten und Rechten“ legt ein subjektiv-rechtliches Verständnis der Rechtsverletzung nahe. Aus dem völligen Fehlen dieser Einschränkung im Rahmen der Schadensersatzverpflichtung in Art. 77 lässt sich der Schluss ziehen, dass auf dieses Erfordernis bewusst verzichtet wurde. Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus den §§ 415 ff. des Zivilgesetzbuches entnehmen, die den verfassungsrechtlich gesicherten Haftungsanspruch ausformen. Wie erwähnt legt Art. 4171 § 1 des Zivilgesetzbuches fest, dass nationale Gesetze anhand internationaler Verträge überprüft werden können. Der generelle Vorrang des Völkervertragsrechts gegenüber dem Gesetz im Kollisionsfalle beruht auf Art. 91 II der Verfassung. Der völkerrechtsfreundliche Charakter der polnischen Verfassung sowie des Staatshaftungsregimes lassen im Ergebnis vermuten, dass ein Schadensersatzanspruch für die Verletzung internationaler Abkommen nicht von der unmittelbaren Wirkung eines Abkommen abhängt. 11. Schweden Die Haftung des Staates außerhalb vertraglicher Verhältnisse ist von der Rechtsprechung durch Analogie zu den Verhältnissen zwischen Einzelnen gewohnheitsrechtlich entwickelt worden.107 Danach haftet der Staat in demselben Maße wie ein Geschäftsherr in privaten Unternehmungen. Eine Haftung setzt Rechtswidrigkeit der Handlung und Verschulden voraus. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich entweder aus zivilrechtlichen oder öffentlich106
Dazu im Einzelnen Liebscher/Zoll, Einführung, 252. Vgl. zum Folgenden Petrén, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 545 ff. 107
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rechtlichen Vorschriften. Da es keine allgemeine Amtshaftung gibt, gibt es auch keine allgemeinen haftungsbegrenzenden Vorschriften. Wie in allen skandinavischen Ländern sind die völkerrechtlichen Verträge in Schweden nicht ab dem Zeitpunkt ihrer völkerrechtlichen Geltung innerstaatlich anwendbar. Vielmehr bedarf es hierzu der Transformation der Verträge ins schwedische Recht.108 Mit ihrer Transformation in die Rechtsordnung gehören die internationalen Vereinbarungen zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die der Rechtmäßigkeitskontrolle dienen. Mangels haftungsbegrenzender Vorschriften zur Rechtswidrigkeit ist davon auszugehen, dass eine Haftung für die Verletzung internationaler Abkommen in Betracht kommt. 12. Spanien Die spanische Verfassung von 1978 garantiert in Art. 9 III die Haftung der öffentlichen Gewalt. Diese allgemeine Regelung wird durch die Art. 106 II und Art. 121 der Verfassung, die die Haftung im Bereich der öffentlichen Verwaltung und im Bereich der Gerichtsbarkeit regeln, konkretisiert. Danach besteht ein Anspruch auf Entschädigung gegen den Staat für jede Verletzung von Gütern und Rechten, ausgenommen in den Fällen höherer Gewalt, sowie in den Fällen, in denen der Schaden die Folge normalen oder mangelhaften Funktionierens der Verwaltung oder von Maßnahmen war, gegen die kein gerichtlicher Rechtsschutz gegeben war.109 Kennzeichnend für Sinn und Zweck der spanischen Amtshaftung ist es, dass nicht Wiedergutmachung des Staates für dessen Fehlverhalten angestrebt werden soll, sondern dass der Staat eine Vermögensgarantie zugunsten des Bürgers übernimmt.110 Aus diesem Grundverständnis des Entschädigungsgedankens folgt, dass die Pflicht zum Ausgleich von Vermögensschäden nicht als Folge der Widerrechtlichkeit des Schadensakts erklärt werden kann.111 Damit einher geht, dass es für die Haftung nicht auf die Verletzung eines subjektiven Rechts – wie nach deutschem Recht der Drittbezug der Amtspflicht – ankommt.112 Stattdessen wird die Verletzung rechtlich geschützter 108
Schmid, Rang und Geltung, 109. García de Enterría, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 593. 110 Kraus, Amtshaftung, 50. 111 García de Enterría, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 598. 112 Kraus, Amtshaftung, 118; damit steht das Amtshaftungsverfahren im Kontrast zum normalen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, das die Verletzung eines subjektiven Rechts voraussetzt, vgl. Esteve-Pardo, Spanien, 110. 109
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Interessen (los intereses jurídicamente protegidos)113 verlangt, wobei dieses Erfordernis großzügig ausgelegt wird.114 Durch den Verzicht auf ein haftungsbeschränkendes Merkmal geht das spanische Haftungsrecht freilich in dem Umfang haftungsauslösender Rechtsgutverletzungen weit über andere europäische Haftungsregime hinaus. Eine Begrenzung der Schadensersatzpflicht ergibt sich erst auf Ebene des Umfangs des Schadensersatzes, der sich nach dem Verhalten des Hoheitsträgers richtet und eine hinreichende Individualisierung der Geschädigten voraussetzt.115 Die Entbehrlichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts als Anspruchsvoraussetzung könnte darauf hindeuten, dass internationale Verträge, die in die innerstaatliche Rechtsordnung eingeführt worden sind, eine Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch bilden. Gemäß Art. 96 der spanischen Verfassung sind gültig abgeschlossene völkerrechtliche Verträge nach ihrer ordnungsgemäßen Publikation Bestandteil der staatlichen Rechtsordnung.116 Damit erlangen internationale Verträge zugleich Vorrang vor nationalem einfachem Gesetzesrecht. Internationale Verträge werden ohne nationalen Umsetzungsakt in die spanische Rechtsordnung eingeführt. Die Bestimmungen des Völkervertragsrechts sind der Verfassung nachrangig, bei einer Kollision zwischen dem internationalen Vertrag und einfachem Gesetzesrecht hat hingegen das internationale Abkommen Vorrang.117 13. Ungarn Die Haftungsgrundlage für hoheitliches rechtswidriges Handeln ist in den §§ 339 i. V. m. 348, 349 des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt. Während § 339 als Grundnorm eine Ersatzpflicht für die rechtswidrige und schuldhafte Zufügung eines Schadens statuiert, erstreckt § 349 den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf Fälle, in denen der Schädiger in Ausübung öffentlicher Gewalt tätig war.118 Neben dem Auftreten eines Schadens setzt eine Haftung die Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Tätigkeit und deren schuldhafte Verursachung voraus. Eine Tätigkeit ist rechtswidrig, wenn sie oder ihr Ergebnis vom Rechtssystem missbilligt wird. Daraus wird gefolgert, dass, wenn keine Rechtsnorm anderes bestimmt, alle Schä113
Santos Briz, Responsabilidad, 673. Kraus, Amtshaftung, 118 f.; García de Enterría, in: Mosler (Hg.), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 44 (1967), 598 f. 115 Santos Briz, Responsabilidad, 673 ff. 116 Schmid, Rang und Geltung, 19. 117 Merin-Blanco, Legal System, 35. 118 Lajer, Rechtsschutz, 207 f. 114
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digungen an sich rechtswidrig sind.119 Die Rechtswidrigkeit soll mithin nur ausgeschlossen sein, wenn die Tätigkeit durch notstandsähnliche Handlungen, die Zustimmung des Geschädigten oder die bestimmungsgemäße Rechtsausübung gedeckt war. Die Begrenzung einer Rechtsverletzung auf die den Einzelnen schützende Vorschrift i. S. d. Verletzung eines subjektiven Rechts kennt das ungarische Amtshaftungsrecht nicht. Inkorporierte internationale Verträge stellen die Grundlage für eine Beurteilung der Rechtswidrigkeit dar. Die ungarische Rechtsordnung folgt bei der Einführung internationaler Verträge einem dualistischen Ansatz. Für die innerstaatliche Geltung muss ein Vertrag durch nationale Gesetzgebung umgesetzt werden.120 Der völkerrechtliche Vertrag nimmt sodann in der Normenhierarchie denselben Rang ein wie das den Vertrag einführende nationale Gesetz. Der Verfassungsgerichtshof hat die Kompetenz, gleichrangige mit dem Vertrag unvereinbare nationale Gesetze aufzuheben. Die Kassation nationalen Rechts erfolgt unabhängig davon, ob das internationale Abkommen unmittelbar wirksam ist oder nicht. Etwas anderes gilt auch nicht bei Schadensersatzklagen. Aufgrund des Verzichts auf eine subjektiv-rechtliche Rechtsverletzung im Rahmen der Staatshaftung ist das Haftungsmerkmal der Rechtswidrigkeit bei einer Unvereinbarkeit einfachen Gesetzesrechts mit dem internationalen Abkommen erfüllt.
III. Zwischenergebnis zum Rechtsvergleich der mitgliedstaatlichen Haftungsgrundsätze Die kursorische Darstellung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen lässt erkennen, dass die Haftung für die Verletzung von internationalen Abkommen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet ist. Ein Positivbeweis für die Haftung bei WTO-Rechtsverletzungen kann nicht geführt werden. Weitestgehende Übereinstimmung findet sich hingegen in den jeweiligen Rechtsordnungen insoweit, dass die Möglichkeit einer Staatshaftung als Konsequenz einer Verletzung von Völkervertragsrecht zumindest allgemein anerkannt ist. Ein genereller Ausschluss einer Geltendmachung internationaler Verträge in Haftungsverfahren ist keiner Rechtsordnung zu entnehmen, solange das Abkommen tatsächlich auch Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung geworden ist. Unter dieser Voraussetzung gehören völkerrechtliche Verträge zu denjenigen Regeln, nach denen sich die Rechtmäßigkeit innerstaatlichen einfachen Gesetzesrechts in Schadensersatzverfahren bestimmt. Seine Grenzen findet die Eignung als Recht119 120
Lajer, Rechtsschutz, 210. Vgl. zum Folgenden Liszicza, in: Lang/Herdin/Hofbauer (Hg.), WTO, 383 ff.
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mäßigkeitsmaßstab allerdings dort, wo die jeweilige Rechtsordnung die Überprüfung parlamentarischen Gesetzesrechts grundsätzlich ausschließt oder wo internationale Abkommen aufgrund der lex posterior-Regel nicht zur Anwendung kommen. Ein uneinheitliches Bild präsentiert sich vor allem aber im Hinblick auf die Anforderungen, welche an den subjektiv-rechtlichen Charakter des Abkommens zu stellen sind, d.h. ob eine Geltendmachung im Schadensersatzverfahren die unmittelbare Wirksamkeit voraussetzt, oder ob eine schwächere Form der Individualbegünstigung ausreicht. Die Zusammenschau der dargestellten europäischen Rechtsordnungen lässt wohl erkennen, dass überwiegend die Verletzung eines subjektiven Rechts für die Geltendmachung eines Schadensersatzes gefordert wird und dass die Mitgliedstaaten mehrheitlich die unmittelbare Wirkung eines Abkommens voraussetzen. Hieraus sollte aber nicht voreilig der Schluss gezogen werden, dass dieses Erfordernis auch auf Gemeinschaftsebene besteht. Für die Entwicklung gemeinschaftlicher Grundsätze sind die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur zu berücksichtigen.121 Das bedeutet zugleich, dass der Gerichtshof sich nicht an einem Minimalstandard orientiert, sondern gezielt solche Rechtsprinzipien auswählt, die – selbst wenn sie nur in einzelnen nationalen Rechtsordnungen vorkommen – für eine rechtsstaatliche und an den Individualrechten orientierte Rechtsfortbildung fruchtbar gemacht werden können.122 Die nationalen Rechte sind folglich nur Orientierungspunkt, nicht aber Entscheidungsgrundlage. Das Gemeinschaftsrecht kann dann durchaus über die national-rechtlichen Vorgaben hinausgehen.123 Ergeben sich auf Gemeinschaftsebene andere Problemstellungen, können die einzelnen Ausgestaltungen der mitgliedstaatlichen Prinzipien nicht unbesehen übertragen werden. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Gerichtshof bereits den Grundsatz einer mitgliedstaatlichen Haftung für legislatives Unrecht bei Gemeinschaftsrechtsverletzungen begründet, obwohl eine Haftung für legislatives Unrecht den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sicher nicht mehrheitlich hergeleitet werden kann.124 Für den Fortgang dieser Arbeit bedeutet dies Folgendes: der Untersuchung einer gemeinschaftlichen Haftung für WTORechtsverletzungen ist zunächst insoweit der Weg nicht von vornherein verbaut, als dass eine Haftung für die Verletzung internationaler Abkommen aufgrund allgemeiner mitgliedstaatlicher Rechtsgrundsätze kategorisch ausgeschlossen wäre. Mit Blick auf das Erfordernis einer unmittelbaren Wir121
Herdegen, Haftung, 41. Isaac, Droit communautaire général, 145 ff. 123 Püttner, EuR 1975, 222. 124 Vgl. insoweit die diesbezüglichen Rechtsvergleiche bei Fetzer, Haftung, 189 ff.; Herdegen, Haftung, 53 ff. 122
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kung des internationalen Vertrags wird der Nachweis zu führen sein, dass es die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur und insbesondere seines Vertragswerkes und dessen Vorschriften erforderlich erscheinen lassen, die unmittelbare Anwendbarkeit nicht als unentbehrliche Haftungsvoraussetzung anzusehen.
IV. Die Entwicklung der Haftungsvoraussetzungen bei legislativem Unrecht Die Bedeutung der Gemeinschaftshaftung ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass das Gemeinschaftsrecht hohe Voraussetzungen an die Geltendmachung von Primärrechtsschutz gegen Rechtsetzungsakte stellt.125 Insofern bezieht die Haftung im Bereich normativen Unrechts ihre Bedeutung zum einen aus ihrer Funktion zur Kompensation eines erheblichen Rechtsschutzdefizits.126 Darüber hinaus wurde argumentiert, dass die europäischen Rechtsetzungsorgane nicht über eine ausreichende demokratische Legitimation verfügten, da diese nur einer teilweisen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen, und dass deshalb eine Kontrolle durch den EuGH erforderlich sei.127 Die Basis für die Haftung der EG hat der EuGH gewissermaßen erstmals im Lüttecke-Urteil gelegt, in welcher er die Tatbestandsmerkmale einer Haftung mit dem (1) Vorliegen eines Schadens, (2) einem Kausalzusammenhang zwischen Schaden und einem (3) Verhalten von Gemeinschaftsorganen sowie (4) der Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens konkretisiert hat.128 Darüber hinaus wurde das Erfordernis der Rechtswidrigkeit vom EuGH um das Element erweitert, dass die verletzte Vorschrift einen Schutznormcharakter aufweisen muss, aufgrund dessen die Norm nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch die Interessen des Einzelnen schützt.129 Zu der Frage, ob das Verschulden eine eigenständige Tatbestandsvoraussetzung ist, hat sich der Gerichtshof seit geraumer Zeit nicht mehr geäu125 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 564 ff.; Schwarze, in: FS für Schlochauer, 937; von Bogdandy, JuS 1990, 873. 126 Winkler-Trölitzsch, EuZW 1992, 664; Nicolaysen, EuR 1991, 224. 127 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 587; Hartley, Community Law, 478; Stein, EuGRZ 1979, 541; Gilsdorf, EuR 1975, 96. 128 Vgl. erstmalig EuGH, Rs. 4/69, Lüttecke, Slg. 1971, 337; später bestätigt in Rs. 153/73, Holtz und Willemsen, Slg. 1974, 694; Rs. 71 und 72/84, Surcouf, Slg. 1985, 2925 ff.; Rs. 59/84, Tesi Textil, Slg. 1986, 887; Rs. C-352/98 P, Bergaderm, Slg. 2000, I-5291; für Schadensersatzklagen wegen WTO-Rechtsverletzungen bestätigt in EuG, Rs. T-52/99, T. Port GmbH, Slg. 2001, I-999, Rn. 44; EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983. 129 EuGH, verb. Rs. 9, 12/60, Vloeberghs, Slg. 1961, 469.
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ßert.130 Daraus wird überwiegend gefolgert, dass ein Verschulden nicht erforderlich sei,131 während andere davon ausgehen, dass das Verschulden durch die Rechtswidrigkeit „indiziert und in aller Regel auch impliziert“ sei.132 Im Ergebnis ergeben sich jedoch kaum Unterschiede, weil die Gesichtspunkte, die zu einer Entlastung der Gemeinschaftsorgane führen können, bereits im Rahmen der Prüfung der hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung berücksichtigt werden.133 Die generelle Haftung der EG für normatives Unrecht ist vom Gerichtshof in seinem Schöppenstedt-Urteil anerkannt und konkretisiert worden.134 Obwohl sich den Staatshaftungssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten kein allgemeiner Rechtsgrundsatz zur Haftung legislativen Unrechts entnehmen ließ, ist die Anerkennung der Haftung in der Literatur überwiegend begrüßt worden.135 Allerdings ist das Bemühen des EuGH zu erkennen, den Beurteilungsspielraum der Legislativorgane zu schützen und die Haftung einzudämmen. Handelt es sich um eine Entscheidung wirtschaftspolitischen Inhalts, fordert der EuGH als erweiterte Haftungsbedingung, dass neben den genannten Voraussetzungen auch die „hinreichend qualifizierte Verletzung“ einer „höherrangigen, dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm“ vorliegt.136 Diese Einschränkung begründet er mit dem weiten Ermessen, welches den Rechtsetzungsorganen bei der Wahrnehmung wirtschaftspolitischer Kompetenzen zugestanden werden müsse, damit die Willensbildung der Rechtsetzungsorgane nicht durch die drohende Inanspruchnahme behindert werde.137 130 Die ersten Entscheidungen des EuGH zu Art. 215 II EWGV und Art. 188 II EAGV beruhten auf dem Verschuldensgrundsatz, vgl. etwa EuGH, verb. Rs. 3, 7, 13–24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 354. 131 Streinz, VVDStRL 61 (2002), 331; Detterbeck, in: Dettbeck/Windthorst/ Sproll, 42, Rn. 49; Herdegen, Haftung, 136; Fuss, EuR 1978, 358 ff.; Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, 263; Fetzer, Haftung, 177. 132 Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 48; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 538 ff. 133 Streinz, VVDStRL 61 (2002), 331; Winkler-Trölitzsch, EuZW 1992, 664; Herdegen, Haftung, 137. 134 EuGH, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975 ff. 135 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 81; Weis, JA 1980, 481; siehe auch den Versuch Heldrichs einen übereinstimmenden Kernbestand nationaler Regeln zu ermitteln, Heldrich, Rechtsgrundsätze, 17 ff. 136 EuGH, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, Rn. 11; bestätigt in Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061; EuG, Rs. T-267/94, Oleifici, Slg. 1997, II-1239; im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen gegen Importe EuGH, Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3745; für WTO-Rechtsverletzungen EuG, Rs. T-52/99, T. Port GmbH, Slg. 2001, 1000, Rn. 45; vgl. dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 598: die „Crux“ der Haftung der Gemeinschaft für normatives Unrecht. 137 EuGH, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15, und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1209, Rn. 5; EuG, Rs. T-571/93, Lefebvre, Slg. 1995, II-2379, Rn. 38; Ruffert, in: Callies/
B. Relevanz der political question doctrine
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Anderenfalls wäre dieser Beurteilungsspielraum zugunsten der Rechtsetzungsorgane durch ständige Schadensersatzansprüche in Gefahr.138
B. Die Relevanz der political question doctrine bei der gerichtlichen Überprüfung von wirtschaftsund außenpolitischen Rechtsakten Angedeutet ist mit der Feststellung eines weiten Beurteilungsspielraumes bei „wirtschaftspolitischen Entscheidungen“ die Frage, ob eine beschränkte Durchsetzbarkeit des WTO-Rechts durch Private in Form von Schadensersatzklagen in die Konsequenz eines judicial restraint der Europäischen Gerichte im Bereich der Haftung für Gesetzesakte gestellt werden kann. Eine mangelnde Durchsetzbarkeit des WTO-Rechts, die in der Literatur häufig beklagt worden ist,139 könnte unter Umständen insbesondere dann noch augenscheinlicher werden und in den Kontext einer political question doctrine gerückt werden, wenn neben die Eigenschaft als wirtschaftspolitische Entscheidung auch noch ein außenpolitischer Charakter des Rechtsaktes tritt. Auch in diesem Bereich lässt sich – wie zu zeigen sein wird – der Rechtsprechung des EuGH eine deutliche Beschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit entnehmen. Im Zugeständnis eines weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraumes auf dem Gebiet der Außenpolitik und der Agrarpolitik könnte sich somit ein Bemühen zur Beschränkung oder gar zum Ausschluss der Rechtskontrolle der Außenbeziehungen Ausdruck verschaffen. Diese Tendenz dürfte sich als Ausfluss der in engem Bezug stehenden angelsächsischen political question doctrine140, der französischen acte de gouvernment141 oder der deutschen Lehre vom justizfreien HoheitsRuffert, Art. 288 EGV, Rn. 11; Hermann, EuR 1980, 65; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 596; Reinisch, EuZW 2000, 49; im EGKS-Vertrag war das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftspolitischer Einschätzungsprärogative und Rechtsschutzgewährung gegen schädigende Maßnahmen durch Art. 33 I S. 2 EGKSV insoweit zugunsten der Rechtsetzungsorgane entschieden, als dass der EuGH deren Beurteilung der Marktverhältnisse nicht durch seine eigene ersetzen durfte. 138 EuGH, verb. Rs. 9 und 11/71, Compagnie d’approvisionnement, Slg. 1972, 408; Rs. 74/74, CNTA, Slg. 1975, 547; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 597. 139 Petersmann, in: FS Fikentscher, 973, 979, der in diesem Zusammenhang von einer „gerichtlichen Selbstbeschränkung“ zugunsten der Gemeinschaftsexekutive spricht; Oeter, in: Nowak/Cremer, Individualrechtsschutz, 222; Reinisch, EuZW 2000, 43; Schoißwohl, ZEuS 2001, 706. 140 Vgl. dazu Collins, ICLQ 2002, 485 ff.; für eine kritische Haltung zur political question doctrine siehe Redish, 79 NwULRev. 1985, 1031; Chemerinsky, Constitution, 99 ff. 141 Siehe zur Rolle des acte de gouvernment im französischen Staatshaftungsprozess Ress, ZaöRV 32 (1972), 423.
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akt142 darstellen.143 Die verschiedenen Doktrinen wirken zusammen in dem Bestreben, den Vorrang der politischen Auseinandersetzung vor der gerichtlichen Entscheidung zu wahren. Auf Grundlage dieser Formen des judicial restraint vermeiden Gerichte eine Rechtsüberprüfung außenpolitischer Fragen mit der Absicht, die Judikatur und Exekutive im Außenverhältnis nicht voneinander abweichend auftreten zu lassen144 und um eine Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips zu vermeiden.145 Um die selbstbeschränkende Position des EuGH auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Außenpolitik in den hier relevanten Kontext der Schadensersatzklage wegen WTO-Verstößen einordnen und bewerten zu können, bedarf es zunächst des Nachweises eines engen Zusammenhangs zwischen den in den Schadensersatzklagen zugrunde liegenden WTO-widrigen EGSekundärrechtsakten und der Außen(handels)politik.
I. Verordnungen und Richtlinien des Bananen- und Rindfleischregimes als wirtschaftspolitische Entscheidungen im Sinne der Schöppenstedt-Formel Für die hier relevanten das WTO-Recht verletzenden Gemeinschaftslegislativakte dürften die das Bananen- und das Hormonregime ausgestaltenden Verordnungen und Richtlinien durchaus den Haftungsgrundsätzen für wirtschaftspolitische Entscheidungen zuzuordnen sein. Die Verletzung von WTO-Recht erfolgt durch normative Rechtsetzungsakte im Bereich des Außenwirtschaftsrechts146 der EG. Im Bananenstreit stellen die Bananenmarktverordnungen Nr. 404/93147, Nr. 1442/93148 und Nr. 1637/98149, die in ihrer spezifisch diskriminieren142
Schwarz, Kontrolle, 302 ff.; Blumenwitz, DVBl. 1976, 464 ff.; Tomuschat, DÖV 1973, 801 ff. 143 Siehe zu den Parallelen und Unterschieden der Begriffe Schwarzenberg/ Brown, Manual, 30 ff.; Verhoeven, Droit International Public, 746. 144 Knechtle, Review of Central and East European Law, 26 (2000), 107 ff.; aber grundsätzlich gegen den Ausschluss gerichtlicher Kontrolle bei außenpolitischen Sachverhalten der US-Supreme Court in Baker v. Carr, 369 US 186 (1962); zuvor noch anders in Oetjen v. Central Leather Co., 246 US 297, 302 (1918). 145 Vgl. Ott, EuR 2003, 514; Collins, ICLQ 2002, 485 ff.; Malanczuk, Introduction, 123; zur Frage einer political question doctrine und der Lehre vom justizfreien Hoheitsakt in Deutschland Schwarz, Kontrolle, 302 ff. 146 Vgl. zur instrumentellen Ausgestaltung der EG-Agrarpolitik und der Abgrenzung von Binnenmarkts- und Außenhandelsregelungen Wöhlken, Marktlehre, 164 ff.; zur Begriffsbestimmung auch Kilian, Wirtschaftsrecht, 30. 147 Verordnung (EWG) Nr. 404/93, ABlEG 1993 Nr. L 47, 1. 148 Verordnung (EWG) Nr. 1442/93, ABlEG 1993 Nr. L 142, 6.
B. Relevanz der political question doctrine
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den Form nicht ausreichend angepasst wurden, sowie die jüngste Verordnung Nr. 896/2001150, die noch nicht Gegenstand eines Panel-Berichts gewesen ist, den Anknüpfungspunkt für die Untersuchung dar. Grundverordnung Nr. 404/93 formuliert, dass „parallel zum Funktionieren und zu der Entwicklung des gemeinsamen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse [. . .] eine gemeinsame Agrarpolitik definiert werden“ muss. Zu einer gemeinsamen Agrarpolitik gehört insbesondere eine gemeinsame Marktorganisation, deren Ausgestaltung sich primärrechtlich auf die Artikel 42 und 43 EGV (jetzt: Art. 36, 37 EGV) stützt. Die Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Aspekte dürfte bei der Wahrnehmung dieser Kompetenzen angesichts der Nähe zur Handels- und Wirtschaftspolitik außer Zweifel stehen. Im Hormonstreit ist Bezugspunkt für das rechtswidrige Verhalten der Gemeinschaft die Nichtaufhebung der das Importverbot verhängenden Richtlinien Nr. 88/146/EWG151, Nr. 88/299/EWG152 und Nr. 96/22/EG153. Richtlinie Nr. 96/22 erging wie auch die anderen durch sie aufgehobenen Richtlinien Nr. 88/146/EWG und Nr. 88/299/EWG zur Regelung der Einfuhr hormonbehandelten Fleisches auf Grundlage von Art. 43 III EGV (jetzt: Art. 37 EGV), der dem Rat die Kompetenz zur Erarbeitung einer Gemeinsamen Agrarpolitik zuspricht. Dagegen stützt sich die jüngste Hormon-Richtlinie Nr. 2003/74/EC154 nicht mehr auf die agrarpolitische Kompetenz aus Art. 37 EGV, sondern verweist als Rechtsgrundlage auf Art. 152 IV b) EGV.155 Nach dieser Vorschrift trägt der Rat zur Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus im Veterinärwesen bei. Allerdings macht die Wahl der Ermächtigungsgrundlage im Vergleich zur agrarpolitischen Kompetenzgrundlage der anderen Hormonrichtlinien im Hinblick auf ihren wirtschaftspolitischen Charakter im Ergebnis keinen Unterschied.156 Denn auch bei gesundheitspolitischen Entscheidungen ist der Ermessensspielraum des gesetzgebenden Organs sehr weit und impliziert 149
Verordnung (EG) Nr. 1637/98, ABlEG 1998 Nr. L 210, 28. Verordnung (EG) Nr. 896/2001, ABlEG 2001 Nr. L 126, 6. 151 Richtlinie Nr. 88/146/EWG, ABlEG 1988 Nr. L 70, 16. Art. 6 dieser Richtlinie beinhaltet ein Importverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch, sofern die Exporteure nicht garantieren können, dass ihre Ware keine Hormonrückstände aufweist bzw. die in Richtlinie Nr. 88/299/EWG enthaltenen Ausnahmetatbestände erfüllt. 152 Richtlinie Nr. 88/299/EWG, ABlEG 1988 Nr. L 128, 36. 153 Richtlinie Nr. 96/22/EG, ABlEG 1996 Nr. L 125, 3. 154 Richtlinie Nr. 2003/74/EG, ABl. 2003 Nr. L 262, 17. 155 Vgl. zum Verhältnis von Art. 37 EGV und Art. 152 IV b) EGV Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf, Art. 152 EGV, Rn. 51. 156 Vielmehr ist diese Kompetenzverschiebung der Materie von der GAP zur Gesundheitspolitik als politische Folge der BSE-Krise anzusehen; dazu Priebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 32 EGV, Rn. 31. 150
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wirtschaftliche Erwägungen. In diesem Sinne wird in den Erwägungsgründen zur Richtlinie Nr. 2003/74/EG betont, dass es zur Aufrechterhaltung des Importverbotes für hormonbehandeltes Fleisch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Durchführbarkeit kein anderes Mittel geben könne, das den Handel erheblich weniger beeinträchtigt bei gleicher Effektivität des Gesundheitsschutzes.157 Damit steht die Verfolgung gesundheitspolitischer Ziele in engem Zusammenhang mit ökonomischen Erwägungen. Im Übrigen besteht die hier nicht weiter zu vertiefende Schwierigkeit danach abzugrenzen, ob ein Staat wirklich die Gesundheit und Belange seiner Verbraucher schützen will oder dies nur vorschiebt, um primär seine Landwirtschaft zu protektionieren und damit einigen Marktteilnehmern ökonomische Vorteile zu sichern.158 Keine Bedenken bestehen also bei der Feststellung, dass sowohl bei agrarpolitischen als auch bei gesundheitspolitischen Entscheidungen wirtschaftspolitische Entscheidungsspielräume eröffnet sind.159
II. Außen(handels)politische Dimension der Agrar- und Gesundheitspolitik Eine weitere Besonderheit im Umgang mit den hier relevanten agrar- und gesundheitspolitischen Maßnahmen könnte allerdings der Umstand schaffen, dass diese originär binnenmarktrechtlichen Kompetenzen einen ausgeprägten außenpolitischen Bezug aufweisen und dass in Folge dessen die Europäischen Gerichte eine (noch) restriktivere Auffassung hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfbarkeit solcher sekundärrechtlicher Maßnahmen zu vertreten scheinen. Primär dürften zur außenwirtschaftlichen Dimension zwar vor allem die handelspolitischen Schutzinstrumente zählen, die im Einklang mit WTORecht stehen müssen.160 Allerdings beeinflussen neben Zöllen und offenen 157 Vgl. Richtlinie 2003/74/EG, ABlEG 2003 Nr. L 262, 17, Erwägungsgrund Nr. 13. 158 Hilf/Eggers, EuZW 1997, 560; Petersmann, in: FS für Fikentscher, 967. 159 Weiß, EuR 2005, 279; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 261; Bartelt, EuR 2003, 1081. 160 Siehe beispielsweise das Antidumpingrecht, das die Erhebung von Ausgleichszöllen auf Einfuhren vorsieht, wenn Waren in der Gemeinschaft zu einem niedrigeren Preis als die Herstellungskosten verkauft werden und dadurch Wirtschaftszweige der Gemeinschaft schädigen, oder das Antisubventionsrecht für Ausgleichszölle auf schädigende subventionierte Einfuhren, und die Handelshemmnisverordnung Nr. 3286/94, ABlEG 1994 Nr. L 349/71; vgl. dazu ausführlich Reuter, Exportkontrollrecht, 129 ff.; Wenig, in: Dauses, Handbuch, K.II; Grabitz/von Bogdandy/Nettesheim, Außenwirtschaftsrecht, 383; zum Begriff der Außenwirtschaftspolitik auch Kilian, Wirtschaftsrecht, 30.
B. Relevanz der political question doctrine
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Einfuhrbeschränkungen auch Regeln des Binnenmarktes den Außenwirtschaftsverkehr.161 Anerkannt wird dies auch vom EuGH, der die Tendenz erkennen lässt, Kommission und Rat bei Wahrnehmung ihrer binnenmarktrechtlichen Gesetzgebungsbefugnisse, die Berücksichtigung außenhandelspolitischer Interessen zuzugestehen. Bereits in der Rechtssache Faust, einer Schadensersatzklage für Verluste, die dem Kläger aufgrund der von der Kommission erhobenen Schutzmaßnahmen gegen aus Taiwan importierter Pilzkonserven entstanden waren, hatte der Gerichtshof entschieden, dass die Kommission beim Erlass von Schutzmaßnahmen gegenüber dem Import von Pilzkonserven nicht auf die Verfolgung der Ziele des Art. 39 EGV (jetzt: Art. 33 EGV) beschränkt sei, sondern auch außenhandelspolitische Ziele anstreben dürfe.162 Dies machte der EuGH daran fest, dass die relevante Verordnung auf die „Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen“ verwies, „die sich für die Gemeinschaft aus internationalen Übereinkünften ergeben“.163 Eine sekundärrechtliche Bezugnahme und der Hinweis des Gerichts auf die primärrechtliche Regelung des Art. 33 II c) EGV, wonach die Landwirtschaft als einer mit der gesamten Volkswirtschaft eng verflochtenen Wirtschaftsbereich herausgestellt wird, soll demnach ausreichen, der Kommission bei Wahrnehmung ihrer agrarpolitischen Kompetenzen die Berücksichtigung außenhandelspolitischer Interessen einzuräumen.164 Eine Anerkennung außenpolitischer Erwägungen bei der Wahrnehmung binnenmarktrechtlicher Kompetenzen dürfte nicht zuletzt auch als Konsequenz der Auswirkungen des WTO-Rechts auf die Rechtsetzung der EG resultieren. Die sich aus dem Übereinkommen über die Landwirtschaft im Rahmen der Uruguay-Runde ergebenden Verpflichtungen und erforderlichen Anpassungen im Agrarsektor betrafen nicht nur handelspolitische Materien, sondern haben Anlass zu weitreichenden Änderungen in der innergemeinschaftlichen Agrarpolitik gegeben.165 Das Abkommen von Marrakesh unterwirft die Gemeinsame Agrarpolitik erheblichen Bindungen im Hinblick auf die internen Stützungsmaßnahmen, die Ausfuhrsubventionen und hinsichtlich des Zugangs zum gemeinsamen Agrarmarkt.166 161 Montag, EuZW 1990, 112 ff.; von Bogdandy/Nettesheim, EuZW 1993, 265; Grabitz/von Bogdandy/Nettesheim, Außenwirtschaftsrecht, 371. 162 EuGH, Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3745. 163 EuGH, Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3761, Rn. 20; damit übernahm er das von der Kommission vorgetragene Argument, ebd. 3751. 164 EuGH, Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3760, Rn. 20. 165 Vgl. zur Anpassung an die Erfordernisse der WTO Streinz, Europarecht, Rn. 1064; Thiele, in: Calliess/Ruffert, Art. 34 EGV, Rn. 36; Priebe, in: Grabitz/ Hilf, Art. 32 EGV, Rn. 43; Borchardt, in: Lenz, Art. 34 EGV, Rn. 140 ff. 166 Dazu im Einzelnen Borchardt, in: Lenz, Art. 34 EGV, Rn. 142 ff.; van Rijn, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Art. 34 EGV, Rn. 93 ff.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
Der enge Zusammenhang zwischen der inneren Rechtsangleichung und der Steuerung der Marktposition von ausländischen Anbietern ist im Übrigen primärrechtlich bereits in Art. 34 II S. 1 EGV verankert, der die Kompetenz für Maßnahmen zur Stabilisierung der Ein- und Ausfuhr begründet und der seit jeher integraler Bestandteil der Landwirtschaftspolitik und der einzelnen Marktordnungen gewesen ist.167 Sekundärrechtlich wird dieser Zusammenhang deutlich in der Bananenmarktverordnung Nr. 404/93, die als Zielvorgabe neben der Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation, die Einhaltung der Verpflichtungen der Gemeinschaft gegenüber den AKP-Staaten, die Offenhaltung des Gemeinschaftsmarktes für Einfuhren von Bananen aus Mittel- und Südamerika sowie das Bedürfnis und die Notwendigkeit der Einhaltung internationaler Verpflichtungen nennt.168 Neben den vielfältigen Mechanismen zur internen Stützung der gemeinschaftlichen Erzeugung kommt der Regelung für den Handel mit Drittländern somit besondere Bedeutung zu,169 der auf diesem Gebiet mittlerweile überwiegend durch Zollkontingente und Lizenzen gesteuert wird.170 Insofern müssen die Regelungen zur Ein- und Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte vor dem Hintergrund des Einflusses der WTO-Bestimmungen auf die Rechtsetzungstätigkeit der EG gesehen werden.171 Überzeugend lassen sich die außenhandelspolitischen Bezüge und Motive der EG-Rechtsetzungsorgane auch durch den interventionistischen und protektionistischen Charakter ihrer Rechtsetzung im Bereich der Marktorganisation für Agrarprodukte herleiten.172 Das EG-Bananenmarktregime ist von Anfang an darauf angelegt gewesen, Marktzutrittsbarrieren für außergemeinschaftliche Unternehmen zu errichten, den internen Bananenanbau zu protegieren und die Händler von AKP- und Gemeinschaftsbanananen gegenüber Drittlandshändlern zu bevorzugen.173 Darin kommt zum einen zwar der das Außenhandelsregime kennzeichnende Grundsatz der Gemein167
Kopp, in: Streinz, Art. 34 EGV, Rn. 42. Weustenfeld, Bananenmarktordnung, 19 f.; Erwägungsgrund Nr. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 404/93 ABlEG 1993 Nr. L 47, 1; Priebe, in: Grabitz/Hilf, Art. 34 EGV, Rn. 99. 169 Grundverordnung Nr. 404/93 regelt in Titel IV die Bestimmungen über den Handel mit Drittstaaten, vgl. ausführlich Weustenfeld, Bananenmarktordnung, 22 ff. 170 Vgl. im Einzelnen zu den Außenhandels- sowie Binnenmarktregelungen auf dem Getreidemarkt Wöhlken, Marktlehre, 164 ff. 171 Ebenso Kopp, in: Streinz, Art. 34 EGV, Rn. 133. 172 Epping, Aussenwirtschaftsfreiheit, 575. 173 Vgl. für eine detaillierte Darstellung der Regelungen den Handel mit Drittstaaten betreffend Weustenfeld, Bananenmarktordnung, 25 ff.; zur Chronologie im Bananenstreit Salas/Jackson, JIEL 2000, 145; Dony, CDE 1995, 461; zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des protektionistischen Regimes siehe Kuschel, RIW 1995, 220. 168
B. Relevanz der political question doctrine
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schaftspräferenz zum Ausdruck,174 doch stellt die Ausprägung des Protektionismus in dieser Form vielmehr eine lobbygestützte gezielte Verdrängung ausländischer Unternehmen dar, wie sich an den zum Teil erheblichen Protesten der lateinamerikanischen Länder sowie der USA und deren multinationalen Gesellschaften wegen der Beeinträchtigung ihrer Absatzmöglichkeiten ablesen lässt.175 Auch im Bereich gesundheitspolitischer EG-Rechtsetzung sind der Gesetzgebung bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse aus Art. 152 EGV durch das SPS-Abkommen176 Grenzen gezogen und Anforderungen gesetzt, die sie zu berücksichtigen verpflichtet ist, und denen eine außenhandelspolitische Dimension entnommen werden kann. Die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, den Maßgaben des in der DSB-Entscheidung konkretisierten SPS-Abkommens nachzukommen, findet Niederschlag in der neuen Richtlinie Nr. 2003/74/EG, welche auf die Empfehlungen des DSB verweist.177 Die Wirkung des Welthandelsrechts auch auf die EG-Gesundheitspolitik ist also unverkennbar. Daneben stellen auch die Nähe der Gesundheitspolitik zur Agrarpolitik sowie die Wirkungsweise der gesundheitspolitisch motivierten Marktregulierungen naturgemäß einen außenhandelspolitischen Zusammenhang her. In einem von strikter Tarifdisziplin gekennzeichneten System wie dem des Landwirtschaftsübereinkommens besteht die Gefahr, dass Staaten auf nicht-tarifäre Maßnahmen zurückgreifen, um ihren Agrarsektor besser zu schützen.178 Auffällig ist, dass fast jede Maßnahme des Veterinärwesens und Pflanzenschutzes auch andere Ziele als den Gesundheitsschutz und vor allem agrarpolitische Anliegen verfolgt.179 Insofern dient gerade auch das Lebensmittelrecht dem Schutz des Verbrauchers vor gesundheitlicher Beeinträchtigung und Irreführung, kann aber – wie der Hormonstreit zeigt – auch als Handelshemmnis wirken.180 Sanitäre und phytosanitäre Handelsbarrieren bieten wie viele andere nicht-tarifäre Handelshemmnisse importkonkurrierenden Produzenten und Konsumenten Protektion. Sie können dabei ähnliche ökonomische Wirkungen haben wie ihre klassischen Verwandten (Zölle, Einfuhrkontingente) und den Außenhandel beschränken.
174 175 176 177
Kopp, in: Streinz, Art. 34 EGV, Rn. 42. Kuschel, RIW 1995, 221. ABlEG 1994 Nr. L 336, 40. 3. Erwägungsgrund zur Richtlinie Nr. 2003/74/EG, ABlEG 2003 Nr. L 262,
17. 178 179 180
Mögele, in: Dauses, Handbuch, G, Rn. 56. Lurger, in: Streinz, Art. 152 EGV, Rn. 26. Eckert, ZLR 1990, 520; Rabe, ZLR 1998, 130.
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III. Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Beurteilungsspielraum der Gemeinschaftsorgane bei Schadensersatzklagen in der Außen- und Agrarpolitik Vor dem Hintergrund des engen Zusammenhangs von gemeinschaftlicher Binnenmarktpolitik und außenhandelspolitischer Interessenwahrnehmung ist nunmehr die Überprüfungsdichte von EG-Sekundärrechtsakten durch die Europäischen Gerichte in diesen Politikbereichen zu ermitteln. Zunächst lässt die bisherige Rechtsprechung erkennen, dass Klagen gegen Akte mit außenpolitischem Bezug grundsätzlich nicht als unzulässig abgewiesen werden. In der Rechtssache Fediol I181 hatte der Gerichtshof über die Unzulässigkeitsrüge der Kommission gegenüber einer Klage entscheiden müssen, die gegen die Weigerung gerichtet war, gegen Brasilien eine Untersuchung im Bereich der Antisubventionsmaßnahmen einzuleiten. Entgegen dem Vorbringen der Kommission und des Rates, dass diese Entscheidung wegen ihres politischen Charakters nicht überprüfbar sei, verwies der Gerichtshof auf seine Aufgabe nach Art. 164 EWGV zur Wahrung des Rechts und ließ damit das Verfahren in der Sache zu.182 Ebenso handhabte es der EuGH in der Rechtssache Faust, bei der es um die Haftungsklage eines deutschen Importeurs von chinesischen Pilzen aus Taiwan aufgrund der Kontingentierung seiner Einfuhren ging. Die Rügen des Klägers im Hinblick auf die Verletzung berechtigten Vertrauens wurden vom EuGH geprüft, ohne dass eine Unzulässigkeitsrüge erhoben oder diese Frage vom Gerichtshof von sich aus behandelt wurde.183 Diese Position nahm der Gerichtshof auch in der Rechtssache Timex ein im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage eines Unternehmens nach Art. 173 II EWGV gegen die Antidumpingverordnung für Antidumpingzölle auf Armbanduhren aus der UdSSR.184 Das Gericht erachtete die Klage als zulässig, obwohl Rat und Kommission aufgrund der außenpolitischen Natur der Maßnahme die Abweisung wegen Unzulässigkeit verlangt hatten. Seine Rechtsprechungslinie zur Zulässigkeit von Klagen gegen Gemeinschaftsrechtsakte mit außenpolitischem Bezug verfestigte der EuGH schließlich in den Entscheidungen Adams185, Sonderhilfe für die Türkei186 und Clemessy187, 181
EuGH, Rs. 191/82, Fediol, Slg. 1983, 2913. EuGH, Rs. 191/82, Fediol, Slg. 1983, 2935, Rn. 29 f. 183 So die Einschätzung von GA Darmon in Rs. C-241/87, Maclaine Watson, Slg. 1990, I-1807, Rn. 62. 184 EuGH, Rs. 264/82, Timex, Slg. 1985, 866, Rn. 16. 185 EuGH, Rs. 53/84, Stanley Adams, Slg. 1985, 3595. 186 EuGH, Rs. 52/81, Sonderhilfe für die Türkei, Slg. 1982, 3745. 187 EuGH, Rs. 267/82, Clemessy, Slg. 1986, 1907. 182
B. Relevanz der political question doctrine
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denen sich allesamt entnehmen lässt, dass Schadensersatzklagen mit außenhandelspolitischem Bezug grundsätzlich nicht an der Unzulässigkeit scheitern.188 Nichtsdestotrotz ist jenseits der Zulässigkeit der Schadensersatzklage das Bemühen des Gerichtshofs unverkennbar, sich in der Überprüfung des betreffenden Rechtsaktes zurückzunehmen und damit den Gesetzgebungsorganen einen weiten Beurteilungsspielraum einzuräumen.189 In der Rechtssache Faust wurde die Schadensersatzklage vom EuGH mit dem Verweis auf den Ermessensspielraum der Kommission bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer Politik erforderlichen Mittel zurückgewiesen. Ergänzend argumentiert das Gericht, dass es unvermeidlich sei, dass eine Änderung der Außenhandelspolitik der Gemeinschaft Rückwirkungen auf die geschäftlichen Perspektiven der Marktteilnehmer in dem betroffenen Wirtschaftszweig hat.190 In weiteren Urteilen, die einen Bezug zur gemeinsamen Handelspolitik aufweisen, knüpfen die Gemeinschaftsgerichte beim Erfordernis einer qualifizierten Rechtsverletzung unmittelbar an das in bestimmten Rechtsetzungsgebieten „unerlässlich weite Ermessen“ an.191 In diesem Sinne betonte das EuG in der Rechtssache Lefebvre, der eine Schadensersatzklage für Schäden zu Grunde lag, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Nichtgewährung von Einfuhrlizenzen für Bananen nach Frankreich entstanden waren, dass über das Erfordernis einer qualifizierten Rechtsverletzung bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen hinaus die gemeinsame Agrarpolitik ein Gebiet der Rechtsetzung sei, welches durch „ein weites Ermessen“ gekennzeichnet ist, und dass das haftungsauslösende Handeln des Organs die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und überheblich überschritten haben müsse.192 Eine identische Formulierung verwendet das EuG in seinem Urteil zur Rechtssache Nölle.193 In der Kontinuität dieser Rechtsprechung betonte das Gericht in den Schadensersatzklagen T. Port, Bocchi und Cordis Obst, in denen es über den Ersatz von Schäden aus der WTO-widrigen Bananenmarktverordnung zu entscheiden hatte, dass eben aufgrund dieses weiten Ermessensspielraumes die betroffenen Marktbeteiligten „nicht auf die Beibehaltung einer be188 In diesem Sinne auch die Ausführungen von GA Darmon in EuGH, Rs. C-241/87, Maclaine Watson, Slg. 1990, I-1807, Rn. 55 ff.; Ott, EuR 2003, 515 f. 189 Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 261. 190 EuGH, Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3761, Rn. 23. 191 Für die gemeinsame Handelspolitik siehe EuG, Rs. T-167/94, Nölle, Slg. 1995, II-2589, Rn. 85; für die Gemeinsame Agrarpolitik vgl. EuGH, Rs. 56–60/74, Kampffmeyer, Slg. 1976, 744; EuG, Rs. T-571/93, Lefebvre, Slg. 1995, II-2379, Rn. 32. 192 EuG, Rs. T-571/93, Lefebvre, Slg. 1995, II-2379, Rn. 32. 193 EuG, Rs. T-167/94, Nölle, Slg. 1995, II-2589, Rn. 85.
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stehenden Situation vertrauen [dürften], die durch Entscheidungen verändert werden kann, die diese Organe im Rahmen ihres Ermessens treffen“.194 Diesen Wortlaut wählte der EuGH auch in der Bananen-Schadensersatzklage Atlanta und verwies zusätzlich auf die gemeinsame Marktorganisation, deren Zweck es sei, eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage zu ermöglichen.195 Als Konsequenz komme eine Kontrolle des Beurteilungsspielraumes nur in Fällen in Betracht, in denen ein offensichtlicher Irrtum oder deutlicher Ermessensmissbrauch vorliegt.196 In den Isoglukose-Fällen hat der EuGH den Umfang des Beurteilungsspielraums bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen dahingehend präzisiert, dass ein an Willkür grenzendes Verhalten vorliegen müsse.197 Im Ergebnis wird die Formulierung der wirtschaftspolitischen Entscheidung damit zu einem Synonym für Ermessensentscheidung.198 Diese Rechtsprechung hat der EuGH bei der Geltendmachung der Assoziierungsabkommen der EG mit den mittel- und osteuropäischen Ländern fortgeführt. In der Rechtssache Lubella ging es um Ausgleichsabgaben, die die Kommission von der Konservenfabrik Lubella wegen der Einfuhr von Sauerkirschen aus Polen, Ungarn, der Tschechischen und Slowakischen Republik erhob. Zwar ist die unmittelbare Wirkung etlicher Vorschriften der Assoziierungsabkommen vom EuGH anerkannt worden.199 Ungeachtet einer möglichen unmittelbaren Wirkung des zugrunde liegenden Abkommens rechtfertigte der EuGH die Schutzmaßnahmen mit dem Ermessensspielraum der Organe und damit, dass die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen dürften, die durch die Entscheidungen dieser Organe im Rahmen ihres Ermessensspielraumes verändert werden kann.200 Bestätigung erfährt der Gerichtshof in seiner restrik194
EuG, Rs. T-52/99, T. Port, Slg. 2001, II-983. EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983; Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973; Rs. C-350/88, Delacre, Slg. 1990, I-395; Rs. 43/72, Merkur, Slg. 1973, 1055; vgl. dazu Ott, EuR 2003, 514. 196 EuG, Rs. T-33/98 und T-34/98, Petrotub, Slg. 1999, II-3840; EuGH, Rs. 55/75, Balkan-Import-Export GmbH, Slg. 1976, 19; Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3758, Rn. 9. 197 EuGH, verb. Rs. 116 und 124/77, Amylum, Slg. 1979, 3561, Rn. 19; Rs. 143/77, Koninklijke Scholten-Honig, Slg. 1979, 3626, Rn. 14; so auch Kadelbach, JZ 1993, 1138; Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Europäische Union, 278; zurückhaltend Epping, Die Aussenwirtschaftsfeiheit, 589. 198 Friese, Kompensation, 126; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 596; Haack, Haftung, 42 f.; kritisch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 84. 199 Vgl. nur EuGH, Rs. C-113/97, Babahenini, Slg. 1998, I-183, Rn. 17; Rs. C-179/98, Mesbah, Slg. 1999, I-7955, Rn. 23; Rs. C-416/96, Eddline El-Yassini, Slg. 1999, I-1209, Rn. 27 ff. 200 EuGH, Rs. C-64/95, Lubella, Slg. 1996, I-5138, Rn. 31; siehe dazu Ott, EuR 2003, 517, die eine mangelnde Auseinandersetzung des EuGH mit den Rechten des 195
B. Relevanz der political question doctrine
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tiven Auffassung bei Schadensersatzklagen mit auswärtigem Bezug aus rechtsvergleichender Perspektive. In vielen europäischen Staaten ist der gerichtliche Rechtsschutz gegenüber Akten der auswärtigen Gewalt – und auch die Staatshaftung in diesem Bereich – gemindert.201 Deutsche Gerichte schränken ihre Kontrolle zur Wahrung der Gewaltenteilung und des politischen Entscheidungsspielraums der Exekutive ein, ohne dass nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts es zu einem kategorischen Kontrollentzug kommt.202 Gleichzeitig beschränkt das Bundesverfassungsgericht seine Überprüfungskompetenz auf Fälle, in denen die Grenze „offensichtlicher Willkür“ überschritten wird. Innerhalb dieser Grenzen kann das Gericht mangels rechtlicher Maßstäbe die Einschätzungen der Exekutive nicht überprüfen.203
IV. Zusammenfassung Die obige Darstellung der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte legt den Schluss nahe, dass die political question doctrine und damit ein genereller Ausschluss der gerichtlichen Überprüfbarkeit bei auswärtigen Akten im Allgemeinen und im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Haftung im Besonderen keine Anwendung gefunden hat.204 Klagen mit außenpolitischem Bezug werden nicht bereits an der Unzulässigkeit scheitern, wenngleich die Einräumung eines nahezu unbegrenzten Ermessensspielraums zugunsten der Gemeinschaftsorgane sehr weit geht. Zutreffenderweise sollte das Zugeständnis eines weiten Beurteilungsspielraumes als eine abgeschwächte Form des judicial restraint qualifiziert werden. Die Schöppenstedt-Formel dient somit als Ausprägung einer zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolldichte auf dem Gebiet der Schadensersatzhaftung. Ihr kommt damit haftungsrechtlich eine maßgebliche Filterfunktion zu, geht jedoch nicht so weit, gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte mit wirtschafts- und außenpolitischem Bezug vom Bestand gerichtlich überprüfbarer Vorschriften auszunehBürgers aus dem Interimsabkommen kritisiert. Dennoch dürfte die Maßnahme auf Grundlage des Interimsabkommen gerechtfertigt gewesen sein, vgl. Art. 14 des Abkommens. In diesem Sinne auch EuGH, Rs. 245/81, Edeka, Slg. 1982, 2745, Rn. 27; Rs. 52/81, Faust, Slg. 1982, 3745, Rn. 27. 201 Bayer, in: Mosler (Hg.), Haftung, 770 f. 202 BVerfGE 68, 1 ff.; siehe auch Beschluss vom 18.4.1996 – 1 BvR 1452/90, 1 BvR 1459/90 und 1 BvR 2031/94, 33 f. des Vorabdrucks; vgl. für weitere Beispiele von judicial restraint des Bundesverfassungsgerichts Kokott, DVBl. 1996, 948; kritisch Blumenwitz, DVBl. 1976, 464. 203 BVerfGE 68, 2. 204 So auch Ott, EuR 2003, 517; GA Darmon in Rs- C-241/87, Maclaine Watson, Slg. 1990, I-1806 ff.
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men.205 Dennoch gewinnt diese abgeschwächte Form des judicial restraint im später diskutierten Zusammenhang der „qualifizierten Rechtsverletzung“ und auch für die Diskussion einer möglichen Verletzung von Grundrechten durch WTO-Rechtsverletzungen der Gemeinschaft an Bedeutung, da sie erhöhte Anforderungen an das rechtswidrige Verhalten der Gemeinschaftsorgane stellt, an denen sich WTO-rechtsverletzende Maßnahmen messen lassen müssen.
C. Die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung als Grundlage für die Gemeinschaftshaftung Als erster in dieser Arbeit zu untersuchender Anknüpfungspunkt für die Gemeinschaftshaftung wegen WTO-Rechtsverletzungen soll einer möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen nachgegangen werden, mittels derer subjektive Rechte vermittelt werden könnten und die damit als Grundlage für die Verletzung einer „dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm“206 dienen könnte. Bevor allerdings die Rechtswirkung von DSB-Entscheidungen untersucht wird, sollte zweckmäßigerweise noch ein Blick auf die Anforderungen geworfen werden, die der EuGH an die Rechtswidrigkeit der Gemeinschaftshandlung und den subjektiv-rechtlichen Charakter der Schutznorm stellt.
I. Die Rechtswidrigkeit gemeinschaftlichen Handelns und das Kriterium der Verletzung einer höherrangigen Norm Obwohl sich aus den Vorschriften des Art. 288 II EGV keine eindeutigen Anhaltspunkte ergeben, setzt die Haftung ein rechtswidriges Verhalten der Gemeinschaftsorgane und damit einen Verstoß gegen höherrangiges Recht voraus.207 Die Rechtswidrigkeit des Organhandelns als Haftungsvoraussetzung ist den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam.208 Allerdings 205 Grabitz, NJW 1978, 1743; ders., in: FS Kutscher, 227; Herdegen, Haftung, 110; Fuß, in: FS von der Heydte, 178. 206 Erstmalig in EuGH, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, Rn. 11. 207 Vgl. nur EuGH, C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 55; ständige Rechtsprechung seit Rs. 4/69, Lütticke, Slg. 1971, 325; Arnull, in: Heukels/McDonnell (Hg.), Damages, 136; Streinz, Europarecht, Rn. 626; Berg, in: Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 35; Reinisch, EuZW 2000, 45; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 67; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 590. Allerdings hat das EuG in einem jüngeren Urteil angedeutet, dass unter Umständen auch eine Haftung für rechtmäßiges Verhalten in Betracht kommt. Vgl. EuG, Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 155 ff. 208 Eine rechtsvergleichende Übersicht dazu bietet Steinberger, Haftung, 754 ff.
C. Unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung
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genügt ein bloßer Rechtsverstoß in keiner der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, um eine Schadensersatzpflicht auszulösen. Zusätzlich zur Rechtswidrigkeit werden andere qualifizierende Elemente erfordert, die sich jedoch zwischen den einzelnen Rechtsordnungen erheblich unterscheiden, so dass sich hier kein einheitlicher allgemeiner Rechtsgrundsatz ermitteln lässt.209 Gleichwohl lässt auch der Gerichtshof die Rechtswidrigkeit der Maßnahme nicht genügen, sondern erweitert diese um die Voraussetzung, dass die höherrangige Norm, deren Verletzung die Rechtswidrigkeit begründet, auch den Schutz der Interessen des Geschädigten bezweckt.210 Dieser Schutznormgedanke ist dem deutschen Haftungsrecht eigen, wird dort jedoch ungleich strenger ausgelegt. Die deutsche Amtshaftung des Staates wird für normatives Unrecht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG vom BGH in ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen, weil das Parlament bei seiner Gesetzgebungstätigkeit keine drittgerichteten Amtspflichten wahrnimmt, sondern nur einer Verpflichtung zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln gegenüber der Allgemeinheit nachkommt.211 Im Gegensatz dazu legt der EuGH bei der Beurteilung der Frage, ob eine Schutznormverletzung vorliegt, einen sehr großzügigen Maßstab an. Er spricht einer Rechtsvorschrift auch dann Schutzqualität zu, wenn sie in erster Linie Allgemeinbelange schützen soll und nur im Reflex auch individuelle Interessen schützt.212 Somit ist der Kreis der Vorschriften, deren Verletzung zu Ersatzansprüchen führen kann, weiter als der Kreis der amtspflichtbegründenden Normen,213 was die individuelle Befugnis und das objektive Recht einander näher bringt als im deutschen Recht.214 Die Verletzung ei209 Zu den qualifizierenden Voraussetzungen in den EG-Mitgliedstaaten siehe Jurina, ZaöRV 28 (1968), 378; Fuß, EuR 1968, 357. 210 Erstmalig EuGH, Rs. 9, 12/60, Vloeberghs, Slg. 1961, 469; vgl. im Schrifttum statt vieler Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, Rn. 266; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 41; Geiger, Art. 288 EGV, Rn. 8; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 19. 211 BGHZ 56, 40, 46; 84, 292, 300; 87, 321, 335; 102, 350, 367; ausnahmsweise erkennt der BGH jedoch die Haftung bei Einzelfall- und Maßnahmegesetzen an, vgl. BGHZ 102, 350, 367; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 88; Grabitz, in: Schermers/Heukels/Mead, Liability, 6; siehe für kritische Nachweise Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 86; rechtsvergleichend Czaja, Haftung, 73. 212 EuGH, verb. Rs. 5, 7, und 13–24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 354; Rs. 74/74, CNTA, Slg. 1975, 549; vgl. dazu im Schrifttum Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 591; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 20; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 13; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 42. 213 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 16. 214 Steinberg, AöR 120 (1995), 583; daran zweifelnd, ob sich eine Rechtswidrigkeitshaftung tatsächlich in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen finden lässt Herdegen, Haftung, 111.
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nes subjektiven Rechts ist mithin nicht erforderlich, sondern nur die eines rechtlich geschützten Interesses.215 Obwohl die Verletzung eines subjektiven Rechts somit keine Rechtswidrigkeitsvoraussetzung ist, verleiht das Erfordernis der Schutznormverletzung dem auch in der Gemeinschaft geltenden staatshaftungsrechtlichen Grundsatz Ausdruck, dass der Geschädigte zu dem schädigenden Gemeinschaftsorgan in einer näheren Beziehung stehen muss als die generell an einer rechtmäßigen Rechtsetzung interessierte Allgemeinheit.216 Damit bildet die Schutznorm das „dogmatische Bindeglied“217 zwischen objektivem Rechtsverstoß und Haftung gegenüber dem Verletzten und stellt den Bezug zur „subjektiven Rechtssphäre“218 her.
II. Kein haftungseinschränkendes Erfordernis aus dem Kriterium der Höherrangigkeit Darüber hinaus verlangt der EuGH seit Schöppenstedt die Verletzung einer höherrangigen Rechtsnorm. Dabei ist unklar, ob es sich dabei um eine durch ihren Gehalt in der Gemeinschaftsordnung besonders hervorgehobene Rechtsnorm handeln muss. In diesem Sinne wird sie teilweise als eine inhaltlich wichtige Norm in einem materiellen Sinne angesehen.219 Danach muss die verletze Norm zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts220 gehören oder ein fundamentales Rechtsprinzip darstellen.221 Überwiegend wird Höherrangigkeit jedoch bloß in einem formal normen-hierarchischem Sinne verstanden.222 Demnach können primärrechtliche Normen oder im Rang über dem EG-Sekundärrecht stehende Gemeinschaftsabkommen sowie (als allgemeine Rechtsgrundsätze die Gemeinschaft verpflichtende) Grundrechte als Prüfungsmaßstab in Frage kommen. Der Rechtsprechung des 215 Prieß, NVwZ 1993, 122; Henrichs, Haftung, 28; Reinisch, EuZW 2000, 45; Friese, Embargo, 123; anderer Ansicht Herdegen, Haftung, 113, der darin die Gefahr einer Ausuferung der Gemeinschaftshaftung sieht. 216 Jaenicke, in: Mosler, 868; Fuß, EuR 1978, 355; Friese, Embargo, 124; GA Darmon in Rs. C-282/90, Vreugdenhil, Slg. 1992, I-1937, Rn. 56. 217 Fuß, in: FS für von der Heydte, 176; ähnlich Ipsen, FS für Jahrreiß, 86 f. 218 Herdegen, Haftung, 112. 219 Arnull, in: Heukels/McDonnell, Damages, 138; Craig/de Bfflrca, EU Law, 519; kritisch Herdegen, Haftung, 123. 220 GA Capotorti in Rs. 238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2993. 221 GA Reischl in verb. Rs. 116 und 124/77, Amylum, Slg. 1979, 3572; ähnlich GA Tesauro in verb. Rs. C-46, 48/93, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1107, Rn. 76; Fines, Étude, 331. 222 Grabitz, in: Schermers/Heukels/Mead (Hg.), Liability, 4; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 591; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 70; Czaja, Haftung, 79 f.; Reinisch, EuZW 2000, 46.
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EuGH lässt sich nicht entnehmen, nach welchen Kriterien sich die Höherrangigkeit richtet.223 Jedenfalls prüft der EuGH zunächst den geltend gemachten Rechtsverstoß als solchen und nicht die Bedeutung der angeblich verletzten Norm.224 Letztlich dürfte aber zugunsten eines formalen Rangverständnisses das Argument überzeugen, dass sich auf mitgliedstaatlicher und somit rechtsvergleichender Ebene keine hinreichende Stütze für eine materiellrechtliche Interpretation der Höherrangigkeit findet.225 Folglich ergibt sich aus der Voraussetzung einer Höherrangigkeit der verletzten Norm kein spezielles haftungseinschränkendes Erfordernis.
III. Die Rechtswirkung von DSB-Entscheidungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung Grundsätzlich gilt, dass auch völkerrechtliche Normen, soweit sie Teil des Gemeinschaftsrechts sind, taugliche Grundlagen eines Schadensersatzanspruchs darstellen.226 Unzweifelhaft ist auch, dass unmittelbar wirksame Vorschriften subjektive Rechte des Einzelnen schaffen, die den Anforderungen an den Schutznormcharakter erfüllen.227 Die Europäischen Gerichte haben den WTO-Bestimmungen in ihrer bisherigen Rechtsprechung zu Schadensersatzklagen die Qualität als Schutznorm pauschal abgesprochen, weil „die WTO-Vorschriften grundsätzlich nicht bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen und ihre etwaige Verletzung daher nicht die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen kann“.228 Angesprochen ist damit die mangelnde unmittelbare Wirkung, die der EuGH nicht nur im Hinblick auf die WTO-Abkommen als Ganzes, sondern neuerdings auch für Entscheidungen der WTO-Streitbeilegungsgremien explizit ausschließt.229 Hatte der EuGH die mögliche unmittelbare Anwendbarkeit einer DSB-Entscheidung in der Rechtssache Biret noch offen gelassen, machte er in seinem jüngeren Urteil in Léon van Parys unmissverständlich klar, dass er 223
Siehe dazu Herdegen, Haftung, 123; Czaja, Haftung, 80. Cahier, Mélanges offerts à Paul Reuter, 135; Herdegen, Haftung, 123; Czaja, Haftung, 80. 225 Siehe Herdegen, Haftung, 124. 226 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 73; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 265. 227 Vgl. nur Hinderer, Rechtsschutz, 453. 228 EuG, Rs. T-30/99, Bocci Food, Slg. 2001, II-943, Rn. 56; Rs. T-18/99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, Rn. 50; Rs. T-52/99, T. Port, Slg. 2001, II-98, Rn. 50; in ähnlichem Wortlaut EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 114; EuGH, Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 39. 229 EuGH, Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 54; dazu Steinbach, EuZW (2005), 331 ff. 224
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diese Entscheidungen qualitativ nicht anders bewertet als die Rechtswirkung der WTO-Abkommen als solcher.230 Die Diskussion über die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts ist in der Literatur bereits ergiebig geführt worden.231 Aus Sicht des Verfassers können von einer weiteren umfangreichen Abhandlung keine Erkenntnisse im Hinblick auf die hier behandelte Frage der Gemeinschaftshaftung gewonnen werden. Die Rechtswirkung von DSB-Entscheidungen bildet insofern eine Ausnahme, weil sie erst vor kurzem Entscheidungsinhalt eines EuGH-Urteils geworden ist.232 Die Forderung nach einer Unterscheidung zwischen der Direktwirkung der WTO-Abkommen im Allgemeinen und der DSB-Entscheidung im Speziellen nährt sich vor allem aus den Konsequenzen der Reform des Streitbeilegungsverfahrens, die in der Literatur vielfach Anlass zu einer differenzierten Betrachtungsweise gegeben hat.233 Denn für eine unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung könnte sprechen, dass der bindende Charakter der WTO-Bestimmungen sowie allgemein das Legalitätsprinzip bei einer verbindlichen Feststellung der völkerrechtlichen Rechtswidrigkeit durch eine internationale Streitbeilegungsinstanz ungleich stärker ins Gewicht fallen, wenn zuvor bestehende Streitpunkte hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem völkerrechtlichen Übereinkommen endgültig und autoritativ geklärt worden sind.234 Zumindest diesem Aspekt möglicher unmittelbarer Wirkung des WTO-Rechts nach Konkretisierung durch die DSB-Entscheidung soll hier nachgegangen werden.235
230
Dazu unten ausführlich Teil 2 C. III. 2. a) cc). Siehe zu diesem Thema vor allem die Dissertationen von Ott, GATT; Becker, Subventionsübereinkommen; Hinderer, Rechtsschutz; Flemisch, Umfang; Wünschmann, Geltung; Oehmichen, Anwendbarkeit; Höher, Haftung; Görgens, Haftung. 232 EuGH, Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465; kurz zuvor bereits das EuG in Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315. 233 Dazu Zonnekeyn, JWT 34 2 (2000), 102; Thies, CMLR 2004, 1681 f.; Eeckhout, CMLR 1997, 48; Lavranos, EuR 1999, 289; ders., EWS 2004, 296; Cascante, Rechtsschutz, 296; Kuschel, EuZW 1996, 650; Beneyto, EuZW 1996, 299; GA Alber in C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 74 ff.; Zonnekeyn, JWT 34 Nr. 2 (2000), 102; Eeckhout, CMLR 1997, 48; Weber/Moos, EuZW 1999, 234; Meng, in: FS für Rudolf, 85. 234 Bast/Schmidt, RIW 1991, 933; Lavranos, EuR 1999, 296; Weber/Moos, EuZW 1999, 231; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 48 ff.; Schmid, NJW 1998, 196: „Allerdings wird man als rechtsstaatliche Mindestanforderung verlangen müssen, dass die Direktwirkung zwingender Beschlüsse des WTO-Streitbeilegungsgremiums gerichtlich anzuerkennen ist.“ 235 Zur Diskussion der Rechtswirkung der Panel-Berichte unter der Ägide des GATT 1947 vgl. Neuwahl, in: Emiliou/O’Keeffe, World Trade Law, 313 ff. 231
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1. Innergemeinschaftliche Geltung der DSB-Entscheidung DSB-Entscheidungen sind ein Teil des WTO-Sekundärrechts, das sich aus den Beschlüssen der Organe zusammensetzt, die durch das WTO-Primärrecht geschaffen worden sind.236 Insofern sind sie zu den völkerrechtsverbindlichen Beschlüssen zu rechnen, die von einem durch einen völkerrechtlichen Vertrag eingerichteten Organ erlassen werden, und für die in der Literatur auch Begriffe wie „sekundäres Völkervertragsrecht“237, „vereinfachte völkerrechtliche Verträge“238 oder „internes Organisationsrecht“239 verwendet werden. Dabei stellt sich bei diesen vom Primärrecht „abgeleiteten“ Beschlussformen die Frage nach der innergemeinschaftlichen Geltung genau wie beim Primärabkommen auch.240 a) Kein rechtssetzender Charakter wie bei Assoziationsratsbeschlüssen Hinweise für die rechtliche Bindungswirkung und Wirkung einer DSBEntscheidung können sich aus einer vergleichbaren Konstellation wie bei Rechtsakten eines Assoziationsrates, der aufgrund eines Assoziierungsvertrags zwischen der EG und einem Drittstaat geschlossen wurde, ergeben.241 Mit der Rechtswirkung von Assoziationsratsbeschlüssen hat sich der EuGH mehrfach befasst242 und festgestellt, dass die Assoziationsratsbeschlüsse den gleichen rechtlichen Status haben wie der Assoziierungsvertrag selbst,243 direkte Wirkung entfalten können244 und auch dem sekundären Gemeinschaftsrecht vorgehen.245 In der Literatur hat die Anerkennung der unmittel236 237
Zur Begriffsbestimmung Ott, GATT, 175 f.; Wünschmann, Geltung, 118 f. Vedder, EuR 1994, 207; Ott, DWir 1998, 86; Weber, ArchVR 35 (1997),
305. 238
Weber, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 310 EGV, Rn. 47. Benedek, Rechtsordnung, 94 f. 240 Vgl. Kuschel, EuZW 1996, 648; Meessen, EuR 1980, 43; Gilsdorf, EuZW 1991, 462. 241 Zu dieser Überlegung Lavranos, EuR 1999, 296 f.; Wünschmann, Geltung, 116 ff. 242 EuGH, Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461; Rs. C-237/91, Kus, Slg. 1992, I-6781; Rs. C-355/93, Eroglu, Slg. 1994, I-5113; Rs. C-98/96, Ertanir/Land Hessen, Slg. 1997, I-5179. 243 EuGH, Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461; C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685; Gilsdorf, EuZW 1991, 459; vgl. ausführlich Vedder, EuR 1994, 210 ff. 244 EuGH, Rs. 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3719; Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461; Rs. C-237/91, Kus, Slg. 1992, I-6781; Rs. C-355/93, Eroglu, Slg. 1994, I-5113; Rs. C-98/96, Ertanir/Land Hessen, Slg. 1997, I-5179. 245 Rumpf, RIW 1995, 764 ff.; Mallmann, JZ 1995, 916 ff. 239
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baren Wirkung von Assoziationsratsbeschlüssen ein geteiltes Echo hervorgerufen.246 Jedenfalls steht der Fähigkeit Einzelner, sich auf Assoziationsratsbeschlüsse zu berufen, nicht entgegen, dass als Adressaten der Beschlüsse in dem Assoziierungsabkommen ausdrücklich die Mitgliedstaaten genannt werden, die zur Durchführung der Beschlüsse verpflichtet wurden.247 Allerdings unterscheiden sich die hier behandelten DSB-Entscheidungen von den Assoziationsratsbeschlüssen dadurch, dass es sich bei ihnen nicht um Rechtsetzungsakte, sondern um die verbindliche Auslegung der völkerrechtlichen Primärabkommen, also der WTO-Übereinkünfte handelt.248 In Abgrenzung dazu sind die im Rahmen der Assoziierungs- und Freihandelsabkommen gefassten Beschlüsse Instrumente der Rechtsetzung,249 da sie die Rechtsgrundlage für die Durchführung des Abkommens bilden.250 Als verbindliche Auslegung der WTO-Übereinkünfte haben DSB-Entscheidungen mithin keine rechtsgestaltende Wirkung, sondern konkretisieren vielmehr Umsetzungspflichten für die unterlegene Partei in einem Streitverfahren.251 b) DSB-Entscheidungen als Judikate im Sinne des EWR-Gutachtens des EuGH Nahe liegender erscheint deshalb eine Bezugnahme auf die Ausführungen des EuGH zum innergemeinschaftlichen Status der Entscheidungen internationaler Gerichte, die der EuGH im Gutachten zum Europäischen Wirtschaftsraum252 gemacht hat.253 Dort hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Judikate einer durch ein internationales Abkommen eingerichteten Gerichtsbarkeit auch für den Gerichtshof selbst verbindlich sind, sofern die Gemeinschaft diesem zulässigerweise beigetreten ist,254 was sich nach ihrer 246 Ablehnend Hailbronner, EuR 1984/85, 66 f.; Petersmann, ZaöRV Nr. 33 (1973), 271; Weber, ArchVR 35 (1997), 308; zustimmend Lavranos, EuR 1999, 296 f.; Gilsdorf, EuZW 1991, 461; Vedder, EuR 1994, 202 ff. 247 Vgl. etwa Art. 22 (1) des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei, ABlEG 1964, Nr. 217, 3685. 248 Hinderer, Rechtsschutz, 432 f.; Wünschmann, Geltung, 118. 249 von Bogdandy, JWT 39 (2005), 48 f.; Lavranos, EuR 1999, 296; Baumgartner, EuR 1978/79, 108. 250 Vedder, EuR 1994, 212. 251 Gramlich, in: Geiger, Völkerrechtlicher Vertrag, 207. 252 EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, I-6079, 39 f. 253 Eeckhout, CMLR 34 (1997), 52; Hinderer, Rechtsschutz, 438 ff.; Zonnekeyn, JIEL (2001), 607; ausführlich ders., JWT 34 (2000), 98 ff.; Schmid, NJW 1998, 196; Lavranos, EuR 1999, 298; Weber/Moos, EuZW 1999, 231; ähnlich Cottier, CMLR 1998, 371; kritisch Royla, EuR 2001, 511 f.; Wünschmann, Geltung, 119. 254 Die Ablehnung der EWR-Gerichtsbarkeit erfolgte dort vornehmlich wegen der weitgehenden Kompetenzüberschneidung mit dem EuGH und der damit verbunde-
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Zuständigkeit im Bereich der internationalen Beziehungen und ihrer Fähigkeit zum Abschluss internationaler Abkommen bemisst.255 Daraus folgt die grundsätzliche Anerkennung der Bindungswirkung urteilsförmiger Organbeschlüsse, die von einem durch Gemeinschaftsabkommen gemeinschaftskonform errichteten Organ erlassen werden.256 Das Streitbeilegungsverfahren der WTO dient der Klärung und Durchsetzung des Rechts im Einzelfall.257 Zustandekommen und Tragweite von DSB-Streitbeilegungsbeschlüssen bestimmen sich nach der als Anhang 11 zum WTO-Abkommen geschlossenen Vereinbarung (DSU). Das DSU gilt anders als bei seinem Vorgänger, dem GATT 1947,258 für alle in die WTO integrierten Abkommen.259 Antragsberechtigt sind bisher nur die Mitgliedstaaten und keine privaten Individuen. Das geschädigte Mitglied muss gemäß Art. 4 DSU zunächst in Konsultation mit dem angeschuldigten Mitglied treten. Scheitern diese Konsultationen, wird gemäß Art. 6 DSU ein Panel durch den als DSB tagenden Allgemeinen Rat eingesetzt, das sich regelmäßig aus drei Handelsexperten zusammensetzt.260 Dieses erstellt einen Panel-Bericht, in dem über den Streitgegenstand in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beschieden wird. Legt die unterlegene Partei Berufung ein – was häufig der Fall ist261 – kann der Fall unter rechtlichen Gesichtspunkten vor dem ständigen Berufungsgremium (Appellate Body) angefochten werden.262 Dieses Gremium befasst sich ausschließlich mit den im Panel-Bericht aufgeworfenen Rechtsfragen. Nach Abschluss des Panel- und Appellate Body-Verfahrens kann der DSB Entscheidungen treffen und nen Gefährdung der Autonomie der Gemeinschaftsrechtsordnung, die das Gericht als mit Art. 220 EWGV unvereinbar ansah. Siehe ausführlich Hummer, in: Dauses, Handbuch, K. III, Rn. 41. 255 EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, I-6079, 41. 256 Wünschmann, Geltung, 128; Lavranos, EuR 1999, 298. 257 Vgl. für eine ausführliche Darstellung des Streitbeilegungsverfahrens Petersmann, Dispute Settlement System, 177 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, 327 ff.; Sittmann, RIW 1997, 749. 258 In der Rechtsordnung des GATT 1947 verfügten dagegen die einzelnen Nebenabkommen über eigene Streitbeilegungsverfahren, was in vielen Fällen ein sog. „forum shopping“ zur Folge hatte. Wenn sich die klagende Partei für ein Streitbeilegungsverfahren unter einem Abkommen entschieden hatte, konnte die beklagte Partei sich nicht durch Berufung auf ein anderes Abkommen verteidigen, vgl. Jansen, EuZW 1994, 334. 259 Art. 1 DSU. 260 Vgl. Cottier, CMLR (1998), 348: aufgrund seiner persönlichen Erfahrung als Panelist bestätigt er die Unabhängigkeit der Panelmitglieder von ihren Regierungen und den Vorteil disziplinär gemischter Panels. 261 Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 52 (1997), 525 ff. 262 Art. 17 DSU; vgl. hierzu Kuijper, in: Bourgeois/Berrod/Fournier, 90.
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Empfehlungen aussprechen, die nur noch durch Konsensbeschluss ausgeschlossen werden können.263 Mit der durch das DSU eingeführten Reform des Streitbeilegungsverfahrens hat das Verfahren nunmehr einen gerichtsähnlichen Charakter gewonnen. Die Änderungen im Verfahren betreffen sowohl materielle, prozessuale sowie institutionelle Belange.264 Mit der Reform wurden zu einem großen Teil die politisch-konsensualen Elemente der Streitbeilegung, die in der Rechtsprechung des EuGH zum GATT 1947 festgestellt worden waren, beseitigt.265 In institutioneller Hinsicht markiert die Einrichtung des Appellate Bodys als Berufungsinstanz eine qualitative Änderung. Die Einführung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze wie die Unabhängigkeit und Expertise der Mitglieder von Panels und Appellate Body,266 das Verteidigungsund Anhörungsrecht der Streitparteien sowie die kontradiktorische Ausgestaltung des Verfahrens signalisieren ebenfalls eine Verrechtlichung des ehemals diplomatisch ausgeprägten Verfahrens.267 Eine die Annahme eines Panel-Berichts wesentlich beschleunigende Neuerung ist die Einführung des negativen Konsensverfahrens, bei dem ein Panel-Bericht als angenommen gilt, es sei denn, ein gegenteiliger Beschluss wird im Konsensverfahren angenommen. Um dieses Konsensverfahren mit diesem Inhalt zu verhindern, genügt die Gegenstimme einer einzigen Partei.268 Zwar unterscheidet sich das WTO-Streitbeilegungsverfahren von den Verfahren traditioneller inter263 Art. 17 (4) DSU; siehe zum reformierten Beschlussverfahren Petersmann, in: FS für Fikentscher, 967 ff.; die Panel- und Appellate Body-Reports sind rechtskräftige Entscheidungen, die die an dem Verfahren beteiligten Parteien binden, vgl. WT/ DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R, WT/DS11/AB/R, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, Bericht des Appellate Body vom 4.10.1996; siehe für weitere Nachweise Montanà I Mora, CJTL 1993, 163. 264 Vgl. ausführliche Darstellungen zum reformierten Streitbeilegungsverfahren bei Komuro, JWT 29 (1995), 85; Sittmann, RIW 1997, 749; Senti, GATT, 33 ff.; Backes, RIW 1995, 916; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 35; Montanà I Mora, CJTL (1993), 103; Young, International Lawyer (1995), 391. 265 EuGH, Rs. 9/73, Schlüter/Hauptzollamt Lörrach, Slg. 1973, 1135; Rs. 266/81, SIOT/Ministero delle Finanze, Slg. 1983, 731; Rs. 267-9/81, Amministrazione delle Finanze dello Stato v. SPI & SAMI, Slg. 1983, 801. Die ablehnende Auffassung des EuGH gegenüber der Direktwirkung des GATT 1947 wurde im Schrifttum überwiegend befürwortet. Siehe Pescatore, JWT 1 (1993), 15, mit weiteren Nachweisen. 266 Art. 8 (2) DSU. 267 Vgl. für das Streitbeilegungsverfahren unter dem GATT 1947 Hudec, Evolution, 99 ff.; Petersmann, Dispute Settlement System, 66 ff.; Steinmetzler, DWiR 1997, 496 f.; Benedek, Rechtsordnung, 117 ff. 268 Aufgrund des Vetorechts der unterlegenen Partei unter dem GATT 1947 konnten Rechtsverbindlichkeit und Durchsetzung der Panel-Berichte blockiert werden, vgl. Petersmann, CMLR 22 (1985), 441 ff.; Plank, Swiss Review of International Competition Law 21 (1987), 81 ff. Die EG hatte die Annahme des ersten Panel-Berichts zur GATT-Widrigkeit der Bananenmarktordnung blockiert (WT/DS38/R,
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nationaler Gerichte insbesondere269 durch die Bedeutung des Verhandlungsgrundsatzes auch noch während der Panel-Phase zu einer Lösung zu gelangen.270 Die bloße Möglichkeit, sich außerhalb des Streitbeilegungsverfahrens zu einigen, nimmt jedoch dem Streitbeilegungsverfahren nicht seinen rechtlichen Charakter, da auch in anerkannt verrechtlichten Verfahren die Möglichkeit besteht, eine Klage zurückzuziehen oder einen Anspruch anzuerkennen.271 Selbst wenn das Verfahren in seinem ersten Stadium ein starkes Verhandlungsmoment aufweist, so ist es doch in seiner Endphase bei Annahme des Panel-Berichts durch den DSB im Wege des negativen Konsensprinzips durch einen zwingenden Charakter gekennzeichnet.272 Angesichts der als Konsequenz der Reformen herbeigeführten Gerichtsförmigkeit des Verfahrens spricht viel dafür, die DSB-Entscheidungen als urteilsförmige Entscheidungen i. S. d. EWR-Gutachtens zu bewerten und ihre Bindungswirkung anzuerkennen.273 Diese Bindungswirkung hat aber nur zur Folge, dass der EuGH, sofern er ausnahmsweise zur Auslegung des WTO-Abkommens berufen ist, an das Auslegungsergebnis des DSB gebunden ist.274 Auch erstreckt sich die bindende Wirkung von WTO-Entscheidungen nur so weit, wie der Streitgegenstand reicht.275 11.2.1994), die USA verhinderten die Annahme des Panel-Berichts zum Import von Thunfisch (WT/DS21/R, 3.9.1991). 269 Vgl. zu weiteren Unterschieden Hilf, MJIL 18 (1997), 345. 270 Art. 4 DSU und Art. 16 (4) DSU. 271 Cottier, CMLR 1998, 347; vgl. die Möglichkeiten zur Klagerücknahme vor dem EuGH nach Art. 78 VerfO-EuGH und dem EuG nach Art. 99 VerfO-EuG. Zu einem Vergleich oder Verzicht vor den europäischen Gerichten siehe Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, Rn. 667. 272 So auch Eeckhout, CMLR 1997, 52; Weber/Moos, EuZW 1999, 234. 273 Petersmann, JIEL 1998, 189: „judicialization“; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 35: system of adjudication; Montanà I Mora, CJTL (1993), 103; Beneyto, EuZW 1996, 298: „almost ‚judicial nature‘ “; Bartelt, EuR 2003, 1078: „quasi-justitiell“; Young, International Lawyer 1995, 391; Pitschas, EuZW 2003, 762; „rechtsförmlicher Charakter“; Lavranos, EuR 1999, 289: „quasi-rechtliches Streitbeilegungsverfahren; Weber/Moos, EuZW 1999, 234: „justizförmiges Verfahren“; Weustenfeld, Bananenmarktordnung, 163: „gerichtsähnlich“; Steinmetzler, DWiR 1997, 502; Hahn/Schuster, RGDIP 1995, 381 f.; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 693, die die Bindungswirkung maßgeblich mit der Zustimmung des Rates zum WTO-Übereinkommen begründen. Im Ergebnis beipflichtend, aber mit unterschiedlicher Begründung Eeckhout, CMLR 1997, 53. Kritisch Sack, EuZW 1997, 651: „SchnellschußJustiz“; Cascante, Rechtsschutz, 277. 274 Zonnekeyn, JWT 2 (2000), 101; Royla, EuR 2001, 512; Berrisch/Kamann, EWS 2000, 97. 275 Zonnekeyn, JWT 2 (2000), 101 f.; vgl. auch den Bericht des Appellate Body vom 4.10.1996, WT/DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R, WT/DS11/AB/R, Japan-Taxes on Alcoholic Beverages: „[A]dopted panel reports are an important part of the GATT acquis. They are often considered by subsequent panels. They create legiti-
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Gegen diese Einschätzung ließe sich der Einwand erheben, dass der EWR-Gerichtshof auch zuständig sein sollte für die Klagen Privater, woraus sich zwingend die unmittelbare Geltung der Entscheidungen ergebe. Bei Entscheidungen rein zwischenstaatlicher Streitbeilegungsorgane wie den WTO-Streitbeilegungsgremien sei dann aber ein solches „Eindringen“ in die Gemeinschaftsrechtsordnung nicht zwingend. In der Tat sah Art. 102 des EWR-Abkommens vor, dass auch Individuen den EWR-Gerichtshof anrufen konnten, sofern eine wettbewerbsrechtliche Entscheidung der EFTA Surveillance Authority den Streitgegenstand bildete.276 Mit der erfolgreichen Anfechtung dieser Entscheidung eines EWR-Organs wäre konsequenterweise die Geltung der Gerichtsentscheidung gegenüber den Individuen einher gegangen. In diesem Zusammenhang ist allerdings noch einmal die Differenzierung zwischen unmittelbarer Geltung und Anwendbarkeit in Erinnerung zu rufen. Mit der innerstaatlichen Geltung wird der völkerrechtliche Vertrag (oder dessen Sekundärrecht) zum Bestandteil der nationalen Rechtsordnung und bindet die Staatsorgane durch seinen Anspruch beachtliches Recht in einer Rechtsordnung zu sein.277 Entscheidend ist somit die Bindung der internen Rechtsanwendungsorgane und nicht die mögliche Geltendmachung dieser Entscheidung durch den Einzelnen, die vielmehr Aufschluss über die unmittelbare Anwendbarkeit der Gerichtsentscheidung geben kann. In seiner Beurteilung der Bindungswirkung der Entscheidungen des EWR-Gerichtshofs stellte der EuGH allein auf die Zuständigkeit des EWR-Gerichtshofs ab, Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien zu entscheiden und die Bestimmungen des EWR-Abkommens auszulegen.278 Vertragsparteien wären je nach Lage des Einzelfalls die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft oder ihre Mitgliedstaaten gewesen, was auf WTO-Ebene einem zwischenstaatlichen Beziehungsverhältnis entspricht. Liegt diese Streitbeilegungs- und Auslegungszuständigkeit in diesem zwischenstaatlichen Verhältnis vor, ergibt sich daraus in Entsprechung des EWR-Gutachtens die unmittelbare Geltung der Entscheidungen. Ob darüber hinaus auch eine Kompetenz zur mate expectations among the WTO Members, and, therefore, should be taken into account where they are relevant to any dispute. However, they are not binding, except with respect to resolving the particular dispute between the parties to that dispute.“ 276 Eine Zuständigkeit für Verfahren zwischen Privaten bestand hingegen nicht. 277 Klein, Unmittelbare Geltung, 8; Gabler, Streitbeilegungssystem, 94. 278 EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, I-6079, 39. „Sieht aber ein internationales Abkommen ein eigenes Gerichtssystem mit einem Gerichtshof vor, der für die Regelung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien dieses Abkommens und damit für die Auslegung seiner Bestimmungen zuständig ist, so sind die Entscheidungen dieses Gerichtshofs für die Organe der EG, einschliesslich des Gerichtshofs verbindlich.“
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Entscheidung von Klagen Privater gegen Organentscheidungen besteht oder nicht, bleibt für die unmittelbare Geltung der DSB-Entscheidungen ohne Konsequenzen.279 2. Die unmittelbare Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen Können die in dem EWR-Gutachten entwickelten Grundsätze für die innergemeinschaftliche Geltung von urteilsförmigen Organbeschlüssen auch für DSB-Entscheidungen fruchtbar gemacht werden, muss im nächsten Schritt untersucht werden, ob sie auch unmittelbar wirksam sein könnten. Unabhängig von seiner innergemeinschaftlichen Geltung kommt es für die Beurteilung der unmittelbaren Wirksamkeit darauf an, ob die DSB-Entscheidung unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck klar und vorbehaltlos formuliert ist und keiner weiteren Durchführungsmaßnahme bedarf.280 Dahingehend haben sich in der Literatur einige Autoren für eine differenzierte Betrachtungsweise zwischen der unmittelbaren Wirkung des WTO-Abkommens und der Entscheidungen des DSB ausgesprochen.281 Dem EuGH konnten lange Zeit keine eindeutigen Aussagen darüber entlockt werden, ob er ebenfalls einen qualitativen Unterschied zwischen den WTO-Übereinkommen und deren Konkretisierung im Einzelfall in Form einer DSB-Entscheidung feststellen kann. a) Die unmittelbare Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen in der Rechtsprechung des EuGH aa) Atlanta In der Rechtssache Atlanta282 hätte sich für den EuGH erstmalig die Gelegenheit geboten, zur Frage der Rechtswirkung von DSB-Entscheidungen Stellung zu beziehen. Die Kläger hatten dort den Ersatz von Folgeschäden 279 Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die WTO-Entscheidungen grundsätzlich nur inter partes gelten, woraus folgt, dass nur diejenigen WTO-Entscheidungen innergemeinschaftliche Geltung erlangen, an die die EG als Streitpartei gebunden ist. 280 So die Voraussetzungen für die unmittelbare Wirkung von Assoziationsratsbeschlüssen, EuGH, Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, Rn. 15; Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641, Rn. 23. 281 Kuschel, EuZW 1996, 650; Beneyto, EuZW 1996, 299; siehe zuletzt auch GA Alber in C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10565, Rn. 74 ff.; Zonnekeyn, JWT 34 (2000), 102; Eeckhout, CMLR 1997, 48; Meng, in: FS für Rudolf, 85; Lavranos, EuR 1999, 289; Weber/Moos, EuZW 1999, 234. 282 EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983.
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begehrt, die ihnen durch den Erlass der gemeinschaftlichen Bananenmarktordnung entstanden waren. Aus prozessualen Gründen konnte der EuGH hier jedoch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Fragen der Haftung für rechtswidriges und rechtmäßiges Handeln aus dem Weg gehen. Im erstinstanzlichen Verfahren war der Klagegrund der WTO-Rechtsverletzung vom EuG mit einem Verweis auf das Urteil des Gerichtshofes in Deutschland/Rat und der dort begründeten fehlenden unmittelbaren Wirkung der WTO-Abkommen zurückgewiesen worden.283 Die Kläger hatten das Urteil des EuG darauf hin vor dem EuGH angegriffen. Nach der Prozessordnung des EuGH muss der Kläger in der Rechtsmittelschrift alle Argumente vorbringen. Dies hatten die Kläger hinsichtlich der DSB-Entscheidung zunächst versäumt und erst in einem späteren Schriftsatz, der sog. Erwiderung, aufgegriffen. Das war „verspätet“, so dass der EuGH dieses Argument abgewiesen und nicht als neue entscheidungserhebliche Tatsache gewertet hat. bb) Biret In seiner Biret-Entscheidung hatte der EuGH ebenfalls die Gelegenheit, über die Rechtswirkung der Entscheidung des DSB vom 13. Februar 1998, in der das Einfuhrverbot der EG für hormonbehandeltes Rindfleisch als WTO-widrig eingestuft wurde, zu entscheiden.284 Das EuG hatte in erster Instanz festgestellt dass die DSB-Entscheidung „notwendig und unmittelbar mit dem Klagegrund des Verstoßes gegen das SPS-Übereinkommen im Zusammenhang [steht] und daher nur berücksichtigt werden [könnte], wenn die unmittelbare Wirkung dieses Übereinkommens im Rahmen eines auf die Rechtsunwirksamkeit der fraglichen Richtlinien gerichteten Klagegrundes vom Gemeinschaftsrichter bestätigt worden wäre“.285 Im Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH nimmt dieser zwar zunächst Rekurs auf seine etablierte Rechtsprechung nach der die WTO-Übereinkünfte „wegen ihrer Natur und Systematik grundsätzlich nicht zu den Vorschriften [gehören], an denen der EuGH die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst“286, es sei denn, dass „die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist“.287 Im Anschluss daran weist er die Begrün283 EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1723, Rn. 77 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-5071, Rn. 103 ff. 284 Vgl. zum Biret-Urteil Thies, CLMR (2004), 1661 ff. 285 EuG, Rs. T-174/00, Biret, Slg. 2002, II-17, Rn. 77. 286 EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 52. 287 EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 53.
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dung des EuG jedoch als ungenügend zurück288 mit der Feststellung, dass das „Gericht [. . .] noch auf das Argument [hätte] eingehen müssen, dass die Rechtswirkungen der Entscheidung des DSB vom 13. Februar 1998 gegenüber der Europäischen Gemeinschaft geeignet seien, [. . .] im Rahmen der Schadensersatzklage [. . .] die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Richtlinien [. . .] zu rechtfertigen.“289 Hier scheint der EuGH dahingehend eine Kehrtwende zu seiner bisherigen Rechtsprechung vollzogen zu haben, indem er deutlich zwischen dem WTO-Abkommen und der DSB-Entscheidung differenziert. Fraglich ist jedoch, ob sich daraus bereits entnehmen lässt, dass der EuGH die unmittelbare Wirkung von DSB-Entscheidungen grundsätzlich anerkennt.290 Im Schrifttum ist aus diesen Formulierungen des Urteils tatsächlich der Schluss gezogen worden, dass der Gerichtshof dem Einzelnen nunmehr die Möglichkeit gebe, sich auf die normenkonkretisierende Wirkung der DSB-Entscheidung zu berufen, wenn der DSB einen Handelsstreit verbindlich geklärt habe und die Umsetzungsfrist abgelaufen sei.291 Andere Teile des Schrifttums gaben sich auch nach dem Biret-Urteil weniger optimistisch, und verwiesen darauf, dass sich dem Urteil einzig und allein entnehmen lasse, dass sich keine zwingende Verknüpfung zwischen WTO-Übereinkommen und DSB-Entscheidung ergebe, letztere also dennoch an den üblichen Kriterien zur Feststellung der unmittelbaren Wirkung zu messen sei.292 cc) Léon van Parys Diese skeptische Haltung hat der Gerichtshof schließlich in einem jüngeren Urteil bestätigt. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit wollte ein belgischer Bananenimporteur seinen Antrag auf Erteilung von Einfuhrlizenzen durchsetzen, deren Vergabe sich nach den Bananenmarktverordnungen Nr. 1637/98293 und deren Durchführungsverordnung Nr. 2362/98294 richtete. Diese waren vom Gemeinschaftsgesetzgeber erlassen worden, nachdem die ursprüngliche Verordnung Nr. 404/93295 des Rates über die gemeinsame 288
EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 59. EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 60. 290 So wohl Bartelt, EuR 2003, 1080; etwas vorsichtiger auch Zonnekeyn, JIEL 2004, 483; ablehnend Pitschas, EuZW 2003, 761. 291 Bartelt, EuR 2003, 1082; Zonnekeyn, JIEL 2004, 488; Thies, CMLR 2004, 1681; tendenziell auch Lavranos, EWS 2004, 296. 292 In diesem Sinne Pitschas, EuZW 2003, 762. Aus dem Biret-Urteil eine Anerkennung unmittelbarer Wirkung herleitend Berg, FAZ v. 15.10.2003, 23. 293 Verordnung (EG) Nr. 1637/98 ABlEG 1998 Nr. L 210, 28. 294 Verordnung (EG) Nr. 2362/98 ABlEG 1998 Nr. L 293, 32. 295 Verordnung (EWG) Nr. 404/93 ABlEG 1993 Nr. L 47, 1. 289
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Marktorganisation für Bananen mit der Entscheidung des DSB vom 25. September 1997296 für unvereinbar mit GATT-Regeln erklärt worden war. Mit dieser Entscheidung wurde der EG ein Zeitraum bis zum 1. Januar 1999 eingeräumt, um ihre Einfuhrregelung WTO-konform abzuändern. Tatsächlich traten die Verordnungen Nr. 1637/98 und Nr. 2362/98 zum 1. Januar 1999, also pünktlich mit Ablauf der Umsetzungsfrist, in Kraft. Allerdings stellte nur wenige Monate darauf ein auf Antrag Ecuadors gemäß Art. 21 (5) DSU eingesetztes Panel fest, dass auch die neuen Regelungen den GATT-Verstoß nicht beseitigt hatten.297 Dieser Bericht wurde vom DSB am 6. Mai 1999 angenommen. Nachdem Léon van Parys vor dem belgischen Gericht die Unvereinbarkeit der EG-Verordnungen mit dem WTORecht geltend gemacht hat, war die vom EuGH im Vorlageverfahren zu entscheidende Frage demnach die nach der Rechtswirkung der DSB-Entscheidung und ob diese die Rechtswidrigkeit der Verordnungen begründen und somit zu deren Ungültigkeit führen könne.298 Der EuGH beruft sich in seiner Entscheidung auf seine apodiktische und in ständiger Rechtsprechung entwickelte Formel, dass die „WTO-Übereinkünfte wegen ihrer Natur und Systematik grundsätzlich nicht zu den Normen gehören, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst“.299 Als Gründe führt der Gerichtshof seine Auslegung des DSU und dessen praktische Anwendung im Bananenstreit ins Feld. Obwohl die Abweichung von der Rücknahme der betreffenden Maßnahme nur als vorübergehende Lösung vorgenommen werden dürfe, bestünde auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist ein Handlungsspielraum, durch Leistung von Entschädigung und das Ergreifen von Gegenmaßnahmen (Art. 22 (2) DSU), sowie die in Art. 22 (8) DSU vorgesehene Möglichkeit nach Erhebung von Strafzöllen eine „für alle Seiten zufriedenstellende Lösung“ zu finden.300 Mit der Feststellung eines vom DSU gewährten vorübergehenden Abweichungsspielraumes lässt es der Gerichtshof aber nicht bewenden, sondern zeigt auf, dass die EG im Bananenstreit gerade von diesem Handlungsspielraum Gebrauch gemacht hat. Indem die Gemeinschaft Vereinbarungen mit den USA und Ecuador getroffen hat, habe die Gemeinschaft angestrebt, ihr Einfuhrregime auf dem Verhandlungsweg mit den WTO-Regeln in Einklang zu bringen. 296 WT/DS27/AB/R – European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Appellate Body vom 9.9.1997. 297 WT/DS27/RW/ECU, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Panel vom 12.4.1999; vgl. dazu Meier, EuZW 1999, 428. 298 GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 35. 299 EuGH, Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 39. 300 EuGH, Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 45 f.
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Diese Möglichkeit, in Verhandlungen mit den obsiegenden Parteien des Streitbeilegungsverfahrens zu treten, wäre in Frage gestellt gewesen, wenn nach Ablauf der Umsetzungsfrist die Rechtmäßigkeit der Verordnungen im Hinblick auf die WTO-Regeln geprüft worden wäre.301 b) Zur Auslegung des DSU – unbedingte Konformitätsverpflichtung hinsichtlich des „Ob“ der Umsetzung der DSB-Entscheidung Wenngleich der EuGH mit seinen Ausführungen zur möglichen Verhandlungslösung auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist seinen Finger in den wunden Punkt des DSU gelegt hat, sollte für eine sorgfältige Analyse der vom DSU angeordneten Konformitätsverpflichtung eine Differenzierung zwischen dem „Ob“ der Umsetzungsverpflichtung einerseits und dem „Wie“ oder „Wann“ andererseits vorgenommen werden. Ein häufiges Argument, das gegen die Unbedingtheit der Umsetzungsverpflichtung ins Feld geführt wird, ist der Verweis auf Art. 22 (2) DSU, wonach den WTO-Vertragsparteien neben der Befolgung des Beschlusses auch die Möglichkeit offenstehe, den Vertragsverstoß aufrecht zu erhalten und dafür einen Ausgleich durch Kompensationszahlung zu leisten. Infolgedessen sei die Vertragspartei nicht vorrangig zur Umsetzung der WTO-Entscheidung verpflichtet.302 Dieses Argument trägt allerdings nicht dem Umstand Rechnung, dass Art. 22 (1) DSU nur die vorübergehende Möglichkeit der Vereinbarung einer Kompensationszahlung vorsieht und dass diese deshalb nicht als gleichwertige Alternative zur Erfüllung der Abkommensverpflichtungen angesehen werden kann.303 Die Kompensationsmöglichkeit stellt keine gleichwertige, sondern nur eine sekundäre und vorübergehende Reaktionsmöglichkeit auf die Entscheidung des DSB dar.304 Die Primärpflicht des WTO-Mitglieds besteht in der Abänderung oder Rücknahme des WTO-widrigen Aktes.305 Art. 22 (2) DSU räumt zwar die Möglichkeit von Verhandlungen ein, um einen beiderseits annehmbaren Ausgleich zu erzie301
EuGH, Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 49 f. Die Kompensationszahlung wird teilweise als Alternative zur Beseitigung der WTO-widrigen Maßnahme gesehen; in diesem Sinne Sack, EuZW 1997, 650; Bello, AJIL 90 (1996), 417; Berkey, EJIL 9 (1998), 642. Reiff/Forestal, International Law 1998, 763; GA Mischo in C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, Rn. 29, Sykes, in: Bronckers/Quick, Directions, 349. 303 Berrisch/Kamann, EWS 2000, 93; Wünschmann, Geltung, 205; Jackson, AJIL 91 (1997), 60; Weber/Moos, EuZW 1999, 235; Zonnekeyn, JWT (2002), 998; Pierros/Maciejewski, ITLR 6 (2001), 168; Kuschel, EuZW 1996, 647; Krajewski, Verfassungsperspektiven, 62 f.; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 274 ff. 304 Krajewski, Verfassungsperspektiven, 62. 305 Jackson, AJIL 91 (1997), 63. 302
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len, wenn die unterlegene Partei keine Abhilfe in einem angemessenen Zeitraum i. S. d. Art. 22 (3) DSU geschaffen hat. Allerdings ist dies als eine „Verzugsentschädigung“ für die verspätete Herstellung eines WTO-konformen Rechtszustandes zu deuten.306 Gemäß Art. 22 (8) DSU wird die Aussetzung von Zugeständnissen nur solange angewendet, bis die mit dem Abkommen unvereinbare Maßnahme eingestellt wird. Das ergibt sich aus Art. 3 (7) DSU, wonach „das erste Ziel des Streitbeilegungsmechanismus gewöhnlich in der Rücknahme der betreffenden Maßnahmen“ liegt. Gestützt wird dies von einer systematischen Auslegung von Art. 22 DSU mit Art. XVI (4) des WTO-Übereinkommens, in dem grundlegend geregelt ist, dass jedes Mitglied sicherstellt, dass seine Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwaltungsvorschriften mit den WTO-Übereinkünften im Einklang stehen.307 Schadensersatzzahlungen und die Aussetzung von Abkommensverpflichtungen stellen ferner keine Alternative zur Vertragserfüllung, sondern sind der völkerrechtliche Rechtsbehelf zur Sanktionierung des Vertragsverstoßes.308 Die Kompensationsmöglichkeit stellt daher keine Handlungsalternative zum „Ob“ der Umsetzung einer WTO-Entscheidung dar. Vielmehr besteht eine vorrangige Verpflichtung, sie umzusetzen.309 c) Keine Unbedingtheit hinsichtlich des „Wie“ der Umsetzungsverpflichtung Wenngleich das DSU hinsichtlich des „Ob“ der Pflicht zur Beseitigung der WTO-widrigen Maßnahme einen eindeutigen und unbedingten Charakter aufweist, sprechen doch einige Vorschriften des DSU dafür, der Umsetzungspflicht insgesamt einen zwingenden Charakter abzusprechen, weil keine unbedingte Aussage über das „Wie“ der Umsetzung getroffen wird.310 Zunächst ist zu bedenken, dass Art. 22 DSU und die dort geregelten Kompensations306
Berrisch/Kamann, EWS 2000, 93; Wünschmann, Geltung, 206; ähnlich Krajewski, Verfassungsperspektiven, 62. 307 Wünschmann, Geltung, 206; gegenüber diesem Argument kritisch, aber im Ergebnis zustimmend Krajewski, Verfassungsperspektiven, 58; Stoll, ZaöRV 1997, 128 sieht darin die Absicht der Vertragsparteien, die unmittelbare Anwendbarkeit anzuordnen. 308 Berkey, EJIL 9 (1998), 644; Schmid, NJW 1998, 196; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 54; Petersmann, EuZW 1997, 653. 309 So im Ergebnis auch Jackson, in: Krueger, 169; ders., AJIL 91 (1997), 60 ff.; Zonnekeyn, JWT 34 (2000), 123; Griller, JIEL 2000, 452; Schroeder/Schonard, RIW 2001, 660; Oppermann, RIW 1995, 924; Becker-Celik, EWS 1997, 14. 310 Siehe mit identischem Ergebnis, aber unterschiedlichen Begründungen Royla, EuR 2001, 511; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 693; Thies, CMLR (2004), 1669; Meng, in: FS für Rudolf, 85; Wünschmann, Geltung, 205; Krajewski, Verfassungsperspektiven, 66 ff.; Ott, GATT, 179; Rosas, CMLR 37 (2000), 808 ff.
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möglichkeiten den WTO-Mitgliedern die Möglichkeit offen lässt, vorübergehend von der Umsetzung der DSB-Entscheidungen abzusehen. Obwohl Art. 22 DSU die unterlegene Partei nicht vom „Ob“ der Umsetzung befreit, so eröffnet Art. 22 DSU doch einen gewissen Spielraum im Hinblick auf den Zeitpunkt der Umsetzung der WTO-Entscheidung im nationalen Recht.311 Der sich daraus ergebene zeitweilige Spielraum würde den Parteien vorenthalten, wenn sie aufgrund eines nationalen Gerichtsverfahrens zur Umsetzung der DSB-Entscheidung gezwungen würden.312 Die Anerkennung der Direktwirkung von DSB-Entscheidungen würde dann die völkerrechtlich zulässige Möglichkeit, einstweilen eine vertragswidrige Maßnahme zu dulden, konterkarieren, weil die Direktwirkung es nationalen Gerichten ermöglichen würde, die WTO-widrige Maßnahme nicht anzuwenden.313 Doch auch für den Zeitraum danach ergibt eine systematische Auslegung des DSU keinen eindeutigen Zeitpunkt für die Umsetzung der DSB-Entscheidung. Zwar regelt Art. 22 (2) S. 2 DSU, dass nach Ablauf der Umsetzungsfrist der DSB für die Aussetzung von Zugeständnissen anzurufen ist. Allerdings regelt Art. 22 (8) S. 1 DSU, dass selbst nach der Genehmigung zur Aussetzung von Zugeständnissen durch den DSB es der unterlegenen Partei offensteht, eine „Lösung für die Zunichtemachung oder Schmälerung der Vorteile“ vorzulegen oder ein Einverständnis anzustreben, bei dem „eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden wird“.314 Dabei lässt Art. 22 (8) DSU offen, worin diese Lösungen bestehen können. Die Vereinbarung einer Entschädigung dürfte damit aber nicht gemeint sein, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 2 des Art. 22 (8) DSU ergibt. Wenngleich also das „Ob“ der Umsetzung der DSB-Entscheidung feststeht, so besteht doch der Grundsatz des Streitbeilegungsverfahrens, eine „beiderseits akzeptable“ Lösung herbeizuführen,315 auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist fort. Dass diese Lösung letztlich mit der materiell-inhaltlichen Aussage der DSB-Entscheidung vereinbar sein muss, ergibt sich aus Art. 3 (5) DSU.316 Ein konkreter Zeitraum, nach dessen Ablauf nicht mehr „vorübergehend“ von der Umsetzungspflicht abgewichen werden darf, lässt sich damit aber nicht benennen.317 Würde man die unmittelbare Wirkung 311
Vgl. Art. 21 (3) DSU, hierzu Trachtman, EJIL 10 (1999), 668 f. Cottier, CMLR 1998, 373 f.; Davies, YEL 2002, 317; Weber/Moos, EuZW 1999, 235; Wünschmann, Geltung, 207; ähnlich Krajewski, Verfassungsperspektiven, 67. 313 Ebenso Cottier, CMLR 35 (1998), 372 ff.; Trachtman, EJIL 10 (1999), 669; Wünschmann, Geltung, 207. 314 Vgl. auch Weiß, in: Weiß/Herrmann, § 10, 140, Rn. 327. 315 Vgl. Art. 3 (7) S. 3 DSU. 316 Weiß, in: Weiß/Herrmann, § 10, 140 f., Rn. 327. 317 Das übersieht Cascante, Rechtschutz, 294 f. 312
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der DSB-Entscheidung in dem Moment des Ablaufs der Umsetzungsfrist gelten lassen, würden die Legislativ- und Exekutivorgane der EG in ihrem Spielraum zur Aushandlung anderer Lösungen i. S. v. Art. 22 (8) DSU beschränkt.318 Angesichts der Flexibilität in der Umsetzung ist keine Durchgriffswirkung der DSB-Entscheidung in die interne Rechtsordnung hinein geboten. Diese Auffassung liegt begründungs-konstruktiv im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, die ihre Wurzeln in dessen Überlegungen im Rechtsstreit Portugal/Rat zum unverbindlichen und auf dem Grundsatz der Verhandlungen beruhenden Streitbeilegungsverfahren hat.319 d) Keine verhandlungsfreiheitsbeschränkende Wirkung der DSB-Entscheidungen Zu einer anderen Beurteilung könnte man allenfalls dann gelangen, wenn man wie GA Tizzano in seinen Schlussanträgen zu Léon van Parys der DSB-Entscheidung eine verhandlungsfreiheitsbeschränkende Wirkung zuspricht.320 Seiner Meinung nach ist trotz der Verhandlungsmöglichkeit die „Freiheit der Parteien bei der Suche nach alternativen Verhandlungslösungen“ beschränkt, weil sich auch diese Lösungen innerhalb der WTO-Vorschriften und somit der DSB-Entscheidung halten müssten.321 Insoweit beruft er sich auf die Anordnung des Art. 3 (5) DSU, der vorschreibt, dass die Lösung mit den WTO-Vorschriften vereinbar sein muss.322 Maßgeblich sei letztlich somit allein der Inhalt der DSB-Entscheidung, in der die Verletzung der WTO-Normen festgestellt wurde. Eine Verhandlungsposition könne nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht mehr beeinträchtigt werden, weil sich die Streitparteien nicht über den Fortbestand der WTO-Verletzung einigen könnten. Auf der Grundlage dieser Erwägungen schlussfolgert der Generalanwalt, dass es unmöglich sei, dass die DSB-Entscheidungen in einer „Rechtsgemeinschaft“ keinen Maßstab für die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftsvorschriften bilden könnten.323 318 Dieses Argument machte der EuGH bzgl. der seiner Meinung nach bestehenden Wahlmöglichkeit zwischen Kompensation und Umsetzung bereits geltend in Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999, I-8395, Rn. 46; vgl. Cottier, in: FS für Ehlermann, 111; Weiß, EuR 2005, 285; a. A. Schroeder/Schonard, RIW 2001, 662, wohl verkennend, dass die Alternativlosigkeit zur WTO-Konformität den Parteien nicht jeden Spielraum bzgl. der Art und Weise der Umsetzung nimmt. 319 EuGH, Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999, I-8395, Rn. 40; jüngst bestätigt in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 42. 320 Vgl. zum Folgenden Steinbach, EuZW (2005), 332 ff. 321 GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 57. 322 GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 55, Fn. 37. 323 GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 73.
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Zuzustimmen ist dem Generalanwalt zunächst insoweit, dass wenn die Verhandlungslösung von der Entscheidung materiell-inhaltlich nicht abweichen dürfte, diese in der Tat auch unmittelbar wirksam sein müsste, da sie in diesem Fall hinreichend bestimmten und unbedingten Charakter hätte, weil ein Verhandlungsspielraum dadurch faktisch ausgeschlossen wäre. Die von GA Tizzano erwähnte verhandlungsfreiheitsbeschränkende Wirkung der DSB-Entscheidung kann indes aber nur bestehen, wenn sich der DSB-Entscheidung tatsächlich eine hinreichend unbedingte Normativaussage hinsichtlich des angestrebten WTO-konformen Rechtszustandes entnehmen ließe. Denn nur in diesem Fall wäre die Verhandlungsmöglichkeit mangels Abweichungsspielraums „keine Alternative“ zu einem möglichen Ergebnis einer Verhandlungslösung. Dazu ist zu sagen, dass im WTO-Streitbeilegungsverfahren der streitgegenständliche Sachverhalt vom Panel und Appellate Body einer eingehenden rechtsförmigen Prüfung unterzogen wird, an deren Ende die Verletzung bzw. die Beeinträchtigung von Handelsvorteilen der anderen Streitpartei anerkannt wird, die die unterlegene Partei nach Art. 19 DSU aufzuheben verpflichtet ist. Wesentliches Kennzeichen dieser rechtlichen Beurteilung ist, dass die Entscheidungen des DSB sich auf die Feststellung der Rechtsverletzung bzw. der Beeinträchtigung beschränken und in aller Regel darauf verzichten, dem unterliegenden Staate klare Handlungsanweisungen zu erteilen.324 Darin verschafft sich die zweistufige Wirkungsstruktur des völkerrechtlichen Grundsatzes pacta sunt servanda Ausdruck, der die EG verpflichtet, Völkervertragsrecht nach Treu und Glauben einer effektiven innerstaatlichen Geltung zuzuführen (Zielobligation), ihr gleichzeitig aber die Wahl über Art und Weise der Einführung überlässt (Mittelfreiheit).325 Ist der Panel- oder Appellate Body-Bericht vom DSB angenommen worden, bezieht sich die völkerrechtliche Bindungswirkung auf die Verpflichtung, die Maßnahme zurückzunehmen oder in Richtung auf eine Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht zu ändern.326 Als Ausdruck der Mittelfreiheit der zu einem bestimmten Erfolg verpflichteten WTO-Streitpartei steht es der EG also grundsätzlich frei, die ihr richtig erscheinenden (Verhandlungs-)Wege bei der Umsetzung der Entscheidung zu bestimmen und zu wählen.327 Fehlen der DSB-Entscheidung jedoch Hinweise darauf, 324 Cottier, in: Müller-Graff (Hg.), 186; Hinderer, Rechtsschutz, 442 f.; Gabler, Streitbeilegungssystem, 143; anderer Ansicht sind Weber/Moos, EuZW 1999, 234 f. 325 Wünschmann, Geltung, 55; Winter, CMLR 9 (1972), 426; so auch bereits der EuGH in Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3663, Rn. 18; auch der EGMR beschränkt sich in den meisten Fällen auf eine bloße Feststellung der Konventionsverletzung, ist aber in jüngeren Urteilen dazu übergegangen, deutlich zu machen, was im Einzelfall zur Durchführung erforderlich ist. Vgl. Ludewig, NJW 2005, 17 f. 326 Weiß, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, 134, Rn. 309. 327 Gabler, Streitbeilegungssystem, 84.
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durch welche Maßnahmen eine Vereinbarkeit mit den WTO-Vorschriften erzielt werden kann, können diese Entscheidungen auch keine die Verhandlungsfreiheit beschränkende Wirkung dergestalt haben, dass ihnen entnommen werden könnte, „Wie“ der WTO-konforme Zustand zu verwirklichen ist. Die Argumentation des GA Tizzano greift also letztlich nicht, weil sie den auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist bestehenden Verhandlungsspielraum verkürzt. Nach zutreffender Auslegung hat das DSU hinsichtlich des „Ob“ der Pflicht zur Beseitigung der WTO-widrigen Maßnahme zwar eindeutigen Charakter, enthält jedoch keine unbedingte Aussage über das „Wann“ und „Wie“ der Umsetzung.328 Mangels Beschränkung der Verhandlungsfreiheit und Benennbarkeit eines konkreten Zeitraums, nach dessen Ablauf nicht mehr „vorübergehend“ von der Umsetzungspflicht abgewichen werden darf, lässt sich die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung nicht begründen. e) Die mittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts im Sinne der Nakajima-Doktrin Kommt eine unmittelbare Wirkung von DSB-Entscheidungen nicht in Betracht, so verbleibt doch als Anknüpfungspunkt für die Haftung ein WTO-widriger Umsetzungsakt.329 WTO-Normen könnten im Einklang mit den vom EuGH entwickelten Ausnahmen mittelbar als Rechtmäßigkeitsmaßstab für EG-Sekundärrecht dienen.330 Der Gerichtshof überprüft die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts im Hinblick auf die WTO-Vorschriften, sofern der zu überprüfende Gemeinschaftsrechtsakt ausdrücklich zur Erfüllung einer „bestimmten, im Rahmen der WTO-Übereinkommen übernommenen Verpflichtung“ erlassen worden ist (Nakajima)331 oder wenn in der betreffenden Gemeinschaftsrechtshandlung selbst auf WTO-Vorschriften verwiesen wurde (Fediol III).332 Über den als Transformator wirkenden Gemeinschaftsrechtsakt werden einzelne Normen des WTO-Rechts in die 328
Siehe im Ergebnis identisch aber mit unterschiedlichen Begründungen Pitschas, EuZW 2003, 762; Royla, EuR 2001, 511; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 693; Meng, in: FS für Rudolf, 85; Krajewski, Verfassungsperspektiven, 66 ff.; Rosas, CMLR 2000, 808 ff. 329 Vgl. dazu Zonnekeyn, JIEL 2001, 600 ff.; ders., JIEL 2004, 489 f.; Hörmann/ Göttsche, RIW 2003, 695 ff.; Royla, EuR 2001, 506 f. 330 Wünschmann, Geltung, 205. 331 Für das GATT 1947 erstmalig in EuGH, Rs. 69/89, Nakajima, Slg. 1991, I-2069, Rn. 26; später bestätigt für die WTO-Übereinkommen in EuGH, Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999, I-8425, Rn. 49. 332 Für das GATT 1947 erstmalig in EuGH, Rs. 70/87, Fediol III, Slg. 1989, 1830 f.; später bestätigt für die WTO-Übereinkommen in EuGH, Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999, I-8425, Rn. 49.
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Gemeinschaftsrechtsordnung implementiert und so mittelbar zur Anwendung gebracht.333 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung hat sich gerade in den im Bananenstreit geltend gemachten Klagen regelmäßig daran entzündet, dass die zum Grundsatz der fehlenden Direktwirkung entwickelte Nakajima-Ausnahme vom Gerichtshof nicht richtig angewendet und zu restriktiv ausgelegt worden sei.334 Angesprochen ist damit die Schwierigkeit, die Implementierungsabsicht des Gesetzgebers zu ermitteln und Kriterien an die Qualität dieses Umsetzungwillens zu knüpfen, bei der subjektive und objektive Faktoren Berücksichtigung finden.335 Ebenso problematisch ist die Frage, welche Anforderungen an die i. S. v. Nakajima erforderliche „bestimmte, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung“ zu stellen sind. aa) Die Manifestation der Implementierungsabsicht im EG-Sekundärrechtsakt Im Hinblick auf die Ermittlung des gemeinschaftsgesetzgeberischen Umsetzungswillens bedarf die Frage einer Klärung, inwieweit sich die subjektive Implementierungsabsicht objektiv im EG-Sekundärrechtsakt manifestieren muss. Auf eine gerichtlich nachprüfbare Manifestation würde bei einer Annahme einer antizipierten Implementierungsabsicht völlig verzichtet werden. Dahinter steht die Überlegung, dass sich die EG dem Streitbeilegungssystem der WTO unterworfen und damit ihren Willen zur Umsetzung der DSB-Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, der nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine Heranziehung der DSB-Entscheidung zur Überprüfung des Rechtsakts möglich machen könnte.336 Eine antizipierte Implementierungsabsicht würde automatisch mit der Verabschiedung einer DSB-Entscheidung und dem Ablauf der Umsetzungsfrist realisiert werden. Einer sol333 Vgl. auch Weiß, EuR 2005, 288: „da diese sekundärrechtliche Implementation im Lichte der Rangeinordnung völkerrechtlicher Abkommen durch Art. 300 VII EGV als höherrangig auszulegen ist, ergibt sich daraus die unmittelbare Anwendbarkeit als höherrangiges Recht.“ 334 Hierzu beispielsweise Steinbach, EuZW 2005, 331 ff.; Berg/Beck, RIW 2005, 401 ff.; Peers, ELR 2001, 611; Davies, YEL 2002, 312; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 695; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 267; GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 99 ff. 335 Ähnlich Snyder, CMLR 2003, 347: „it emphasizes subjective rather than objective factors“; Hermes, TRIPS, 172 f.; zur Kritik, die Ausnahmen seien zu subjektiv Montana I Mora, JWT 30 (1996), 47. 336 Vgl. zu dieser Erwägung auch Thies, CMLR 2004, 1670 f.
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chen Konstruktion ist jedoch eine Absage zu erteilen, denn verzichtete man völlig auf einen die DSB-Entscheidung umsetzenden Sekundärrechtsakt, würde der DSB-Entscheidung gerade der unbedingte Charakter zugesprochen, den sie wie gesehen mangels verbindlicher Festlegung des „Wie“ der Umsetzung nicht hat.337 Stattdessen muss einzeln und individuell bestimmt werden, ob sich der Sekundärrechtsakt auf WTO-Recht bezieht oder erlassen wurde, um WTO-Verpflichtungen zu erfüllen. Denn immerhin ist die Nakajima-Ausnahme ihrer Natur nach eine sekundärrechtliche Transformation einer völkerrechtlichen Verpflichtung im Gemeinschaftsrecht. Seinen Geltungsgrund bezieht das Nakajima-Prinzip für die betreffenden WTO-Regeln folglich direkt im Gemeinschaftsrecht aus dem Verhalten der Gemeinschaftsorgane selbst.338 Ein weiterer, der gerichtlichen Überprüfung nur schwer zugänglicher Ansatz sieht einen Umsetzungswillen bereits dann als manifestiert an, wenn durch einfachen Verweis auf WTO-Recht oder die bloße Anzeige, dass eine formelle Umsetzung nicht nötig sei, zum Ausdruck gebracht wird, dass die EG-Vorschrift mit dem WTO-Recht in Einklang steht.339 Durch ein solches Vorgehen würde die EG signalisieren, dass sie auf die vom DSU gewährten Verhandlungsspielräume verzichtet hat, wodurch das wesentliche Hindernis zur Durchsetzung des materiellen WTO-Rechts beseitigt sei. Mit diesem Ansatz vereinbar erscheint die Forderung, ein Indiz für den Umsetzungswillen bereits in der Tatsache zu sehen, dass die Gemeinschaft eine Regelung unmittelbar nach Ablauf der vom DSB zur Beseitigung eines WTO-rechtswidrigen Zustandes gesetzten Frist erlässt.340 Diese Ausweitung der Implementierungsabsicht auf Bereiche konkludenten Handelns impliziert eine Gleichsetzung legislativen Handelns mit dem Umsetzungswillen völkerrechtlicher Verpflichtungen und führt im Ergebnis so weit, in jedem nach Erlass der DSB-Entscheidung getroffenen Sekundärrechtsakt bereits eine Manifestation der Umsetzungsabsicht zu sehen, weil selbst ohne Bezug zu WTO-Vorschriften die Maßnahme konkludent zum Ausdruck bringen würde, dass mit diesem Gesetzgebungsakt eine Übereinstimmung mit dem WTO-Recht erzielt wird. Im Bemühen um eine objektivierbare Bewertung des Umsetzungswillens soll hier ein Konzept bevorzugt werden, das sich eines Ansatzes des EuGH bei einer völlig anderen Rechtsfrage bedient, namentlich bei der Überprüfung der Wahl der richtigen Rechtsgrundlage eines Gemeinschaftsrechtsakts.341 Danach hängt die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nicht allein 337 338 339 340 341
So auch Weiß, EuR 2005, 288. Hilf/Schorkopf, EuR 2000, 87. Timmermans, in: Bourgeois/Berrod/Fournier, Uruguay Round, 505 f. So GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 99. Berrisch/Kamann, EWS 2000, 95 f.
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von der Überzeugung eines Organs der EG ab, sondern muss sich auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts.342 Die Bestimmung des Ziels und Inhalts des Rechtsakts sprechen in diesem Zusammenhang für eine teleologische und systematische Ermittlung der Umsetzungsabsicht.343 Bei diesem Auslegungsprozess dürfte es sich insbesondere anbieten, im Wege einer Gesamtschau des Erlasses des Gesetzgebungsakts eine Auswertung und Gewichtung verschiedener Indizien vorzunehmen, die auf einen Umsetzungswillen hindeuten könnten.344 Gegenüber dem oben dargestellten Ansatz würde damit die Maßgeblichkeit konkludenten Handelns zugunsten einer gerichtlich nachprüfbaren Indizienverwertung aufgegeben. Dabei sollte die Indiziengewichtung in Abhängigkeit der Konkretisierung der Umsetzungsabsicht im Gesetzgebungsakt vorgenommen werden. Höchste Aussagekraft können demnach Hinweise auf die Umsetzungsabsicht entfalten, die sich direkt den Erwägungsgründen oder materiellen Vorschriften des EG-Sekundärrechtsaktes entnehmen lassen. Von abgeschwächter, aber keineswegs irrelevanter indizieller Wirkung sind danach die den Gesetzgebungsakt begleitenden Umstände, beispielsweise Stellungnahmen der EG über die gemeinschaftliche Maßnahme. bb) Bewertung der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte zur Nakajima-Ausnahme Mit Hilfe dieses Ansatzes sollen nun die bisherige Rechtsprechung der Europäischen Gerichte bewertet und die entsprechenden Einfuhrverordnungen auf das Vorliegen einer Umsetzungsabsicht untersucht werden. Inkonsistenzen weist in der Hinsicht die Begründung des EuG in Bocchi, T. Port und Cordis auf.345 Den Verfahren lagen die Schadensersatzklagen von Bananenimporteuren zugrunde, die diese auf die Verletzung von WTO-Verpflichtungen sowohl durch die ursprüngliche Verordnung Nr. 404/93/EG346 als auch durch die aufgrund der revidierten Bananenmarktverordnung (Verordnung Nr. 1637/98/EG)347 von der Kommission erlassenen Durchfüh342 EuGH, Rs. 45/86, Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493, Rn. 11; C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867, Rn. 10; C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Rn. 17. 343 Zonnekeyn, JIEL 2001, 602; ähnlich Berrisch/Kamann, EWS 2000, 95. 344 Berg/Beck, RIW 2005, 409; Steinbach, EuZW 2005, 334. 345 So auch Zonnekyn, JIEL 2001, 602; vgl. für die Anforderungen an die Implementierungsabsicht auch Castillo de la Torre, JWT 53 (1995), 60; Royla, EuR 2001, 507; Davies, YEL 2002, 320. 346 ABlEG 1993, Nr. L 47, 1. 347 ABlEG 1998, Nr. L 210, 28.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
rungsvorschriften (Verordnung Nr. 2362/98/EG)348 stützten.349 Die Kläger verwiesen auf den Bericht des AB vom 9. September 1997, der vom DSB am 25. September 1997 bestätigt worden war. In den drei im Wortlaut übereinstimmenden Urteilen kommt das EuG zu dem Ergebnis, dass die DSB-Entscheidung keine bestimmte von der Kommission in der Verordnung Nr. 2362/98 umgesetzte Verpflichtung i. S. d. Nakajima-Rechtsprechung enthalte.350 Dabei verkennt das EuG jedoch, dass die revidierte Rats-Bananenmarktordnung Nr. 1637/98/EG351, die das Mandat für die Durchführungsverordnung Nr. 2362/98 der Kommission bildet, selbst die DSB-Entscheidung umsetzen wollte. Insbesondere wird in der zweiten Begründungserwägung der Rats-Verordnung Nr. 1637/98 eindeutig bestätigt, dass die „von der Gemeinschaft im Rahmen der [WTO] eingegangenen internationalen Verpflichtungen . . . eingehalten werden [müssen]“. Dieselbe Verordnung ändert Art. 20 der Verordnung Nr. 404/93 insoweit ab, als darin u. a. eine Bestimmung eingefügt wird, nach der die Kommission „die notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung der Verpflichtungen [erlässt], die sich aus den von der Gemeinschaft in Übereinstimmung mit Artikel 228 [jetzt Art. 300 EGV] des Vertrags geschlossenen Abkommen ergeben“.352 Diese Anhaltspunkte befinden sich direkt im EG-Sekundärrechtsakt. Ihnen ist mithin eine starke Indizwirkung hinsichtlich der Umsetzungsabsicht zuzusprechen. Angesichts dessen kommt selbst das EuG auch nicht umhin, festzustellen, dass der Rat, „um dieser Entscheidung [des DSB vom 25. September 1997] nachzukommen“, die neue Bananenmarktordnung erlassen hat.353 Nichtsdestotrotz betrachtet das EuG im Folgenden die Kommissionsverordnung isoliert von der auf die DSB-Entscheidungen Bezug nehmenden Ratsverordnung und kann deshalb keine Umsetzung einer bestimmten Verpflichtung erkennen.354 Und auch in einem jüngeren Urteil zur Schadensersatzklage Chiquita wird nicht auf die Basisverordnung des Rates rekurriert, sondern nur die Entscheidungen des Gerichts in den Rechtssachen 348
ABlEG 1998, Nr. L 293, 32. Hier wird die WTO im ersten Erwägungsgrund genannt. 349 Vgl. dazu auch Peers, ELR 2001, 611, der sich auf Äußerungen auf der Homepage der Kommission beruft, auf der die Konformitätsabsicht der Verordnungen Nr. 1637/98 und Nr. 2362/98 mit den DSB-Entscheidungen ausdrücklich erwähnt sein soll. 350 EuG, Rs. T-30/99, Bocchi Food Trade, Slg. 2001, II-943, Rn. 59. 351 Ratsverordnung Nr. 1637/98 vom 20. Juli 1998 zur Änderung der Verordnung Nr. 404/93. 352 Dazu etwa Davies, YEL 2002, 315. 353 EuG, Rs. T-18/99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, Rn. 8. 354 EuG, Rs. T-18/99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, Rn. 59; siehe dazu auch Davies, YEL 2002, 319; kritisch deswegen auch GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 103.
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Bocchi, T. Port und Cordis in Erinnerung gerufen und die NakajimaVoraussetzungen für die Kommissionsverordnung Nr. 2362/98 verneint.355 Entscheidend ist aber, dass die Kommissionsverordnung Nr. 2362/98 lediglich der Durchführung der Ratsverordnung Nr. 1637/98 diente. Die Ratsverordnung konstituiert den Basisrechtsakt der fraglichen Gemeinschaftsregelung, der die Kommission dazu befugt, „alle für die Durchführung einer Grundverordnung erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese nicht gegen die Grundverordnung oder die Anwendungsregeln des Rates verstoßen“. Insofern müssen die Europäischen Gerichte auch und insbesondere die Zielsetzungen der Grundverordnung beachten, die im Falle der Verordnung Nr. 1637/98 auf die Umsetzung der DSB-Entscheidung abzielte. Die genannten Absichtserklärungen zur Einhaltung der WTO-Verpflichtungen in der Ratsverordnung Nr. 1637/98 gehen aufgrund ihrer Inbezugnahme direkt im Sekundärrechtsakt mit bedeutendem Gewicht in die Gesamtbewertung ein. Mit schwächerer Gewichtung sollten diejenigen Indizien bewertet werden, die sich mehr im Umfeld des eigentlichen Gesetzgebungsakts abgespielt haben, d.h. deren Aussagekraft nicht direkt aus dem Sekundärrechtsakt entnommen werden kann. Dazu gehört beispielsweise die Antwort des Kommissionsmitglieds Brittan auf eine parlamentarische Anfrage, in der er bestätigte, dass die Verordnungen Nr. 1637/98 und Nr. 2362/98 die Entscheidung des DSB vom 25. September 1997 umsetzen sollten.356 In Übereinstimmung damit hatte die EG in einer Stellungnahme gegenüber dem DSB vorgebracht, dass sie ihre Verpflichtungen aus der Umsetzung der DSB-Entscheidung wahrnehmen würde.357 Von abgeschwächter Indizwirkung ist in diesem Zusammenhang auch die Bezugnahme des Panels vom 12. April 1999 auf die Stellungnahme der EG zu werten, aus denen es schließt, dass die EG, „in order to live up to its WTO obligations [. . .], it had adopted an entirely new banana import regime, as set out in Regulations 1637/98 and 2362/98.“358 Im Ergebnis kann damit auf ausreichend objektive und gerichtlich nachprüfbare Umstände verwiesen werden, anhand derer sich Ziel und Inhalt der Bananenmarktverordnungen eindeutig erschließen. Sowohl die in der 355
EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 168. Schriftliche Anfrage Nr. 4069/98 von Yvonne Sandberg-Fries an die Kommission, „Auswirkungen des Handelskonfliktes zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union“, ABlEG 1999 Nr. C 182, 137. 357 Vgl. die Stellungnahme vom 16.10.1997, WT/DSB/M/38, 3. 358 WT/DS27/RW/ECU, European Communities, Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Article 21.5 by Ecuador, Bericht vom 12.4.1999, Rn. 4.56. 356
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Grundverordnung des Rates formulierte und vom EuG anerkannte Umsetzungsabsicht der internationalen Verpflichtungen im Rahmen der WTO als auch die Stellungnahmen der Kommission und ihrer Mitglieder und deren Bewertung durch das Panel sprechen dafür, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Änderung seiner Einfuhrregelung die Entscheidungen des DSB umsetzen wollte. Unter Zugrundelegung eines teleologischen Auslegungsansatzes zur Ermittlung der Implementierungsabsicht hätte die Verordnung des Rates Nr. 1637/98/EG zur Änderung der Verordnung Nr. 404/ 93/EG daher gemäß der Nakajima-Rechtsprechung an den WTO-Übereinkünften genauso gemessen werden müssen wie die Durchführungsverordnung der Kommission Nr. 2362/98.359 Auch den zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit aktuellen Einfuhrregimen für Bananen und hormonbehandeltes Rindfleisch kann ausweislich ihrer Erwägungsgründe der gegenständlichen Verordnungen eine ausreichende Manifestation ihres Umsetzungwillens entnommen werden. Zwar vermeidet die jüngste Bananenmarktverordnung Nr. 896/2001360 jede Bezugnahme auf WTO-Verpflichtungen.361 Allerdings setzt diese Verordnung der Kommission lediglich die Verordnung Nr. 216/2001 des Rates um,362 in welcher „die Schlussfolgerungen der Sondergruppe“ berücksichtigt werden, „die im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens der Welthandelsorganisation (WTO) eingesetzt worden ist“.363 Darüber hinaus formuliert diese Grundverordnung des Rates, dass die Bananenmarktordnung „unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Streitbeilegungsgremiums“364 angepasst werden soll. In vergleichbarer Deutlichkeit greift auch Richtlinie Nr. 2003/74365 zur Regelung des Imports von Hormonfleisch die einschlägige Streitbeilegungsentscheidung auf. Der dritte Erwägungsgrund dieser Richtlinie beruft sich auf die „Ergebnisse eines von den Vereinigten Staaten von Amerika und von Kanada vor der Welthandelsorganisation (WTO) eingeleiteten Streitbeilegungsverfahrens (Hormonstreit) und der Empfehlungen des WTO-Streit359 Wünschmann, Geltung, 209; Zonnekeyn, JIEL (2001), 602: „The Nakajima Case Law Misjudged?“; vgl. auch Snyder, CMLR 2003, 337 f.; Griller, in: Breuss/ Griller/Vranes (Hg.), 266. 360 ABlEG 2001, Nr. L 126, 6. 361 Zonnekeyn, JIEL 2001, 604. 362 Siehe Verordnung (EG) Nr. 896/2001, ABlEG 2001 Nr. L 126, 6, Erwägungsgrund Nr. 1. 363 Verordnung (EG) Nr. 216/2001, ABlEG 2001 Nr. L 31, 2, Erwägungsgrund Nr. 1. 364 Verordnung (EG) Nr. 216/2001, ABlEG 2001 Nr. L 31, 2, Erwägungsgrund Nr. 4. 365 ABlEG 2003, Nr. L 262, 17.
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beilegungsgremiums vom 13. Februar 1998“.366 Der Rekurs auf die DSBEntscheidungen in beiden Einfuhrverordnungen sowie der Wortlaut ihrer Erwägungsgründe lässt die Zielsetzung erkennen, den Schiedsspruch der WTO-Streitbeilegungsorgane zu befolgen und umzusetzen. Damit dürfte das Nakajima-Prinzip sowohl auf das aktuelle Bananenmarktregime367 als auch auf die neue umstrittene Hormonrichtlinie anwendbar sein.368, 369 cc) Die DSB-Entscheidung als „bestimmte, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung“ Das Nakajima-Prinzip bezieht wie gesehen, anders als bei der Frage der unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts, seinen Geltungsgrund für die betreffenden Vorschriften aus dem gemeinschaftsrechtlichen Transformationsakt selbst. Dies gilt, soweit eine Umsetzungsabsicht des Gemeinschaftsgesetzgebers festzustellen ist. Darüber hinaus ist aber das Vorliegen einer bestimmten, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung erforderlich. Die Bestimmtheit einer Verpflichtung, deren Erfüllung den Gegenstand der Umsetzungsabsicht bildet, muss durch Auslegung der gegenständlichen WTO-Vorschrift ermittelt werden. In der Hinsicht setzte sich das EuG in dem Verfahren zur Schadensersatzklage Chiquita mit der Voraussetzung einer „bestimmten, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung“ auseinander.370 Dabei ging es um die Geltendmachung von Schäden, die der Klägerin durch den Erlass und die Beibehaltung der Verordnung Nr. 2362/ 98 entstanden war. Das EuG wies die Klage Chiquitas ab, weil die Gemeinschaftsgerichte nur dann das WTO-Recht als Rechtmäßigkeitsmaßstab heranziehen, wenn die Voraussetzungen der Nakajima-Rechtsprechung vorliegen.371 Da die Gemeinschaft mit dem Erlass der Verordnung Nr. 2362/98 keine bestimmte im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umsetzen wollte, könne sich die Klägerin nicht auf diese Rechtsprechung beru366 WT/DS26, 48/R, EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), DSB-Entscheidungvom 13.2.1998. 367 So auch Peers, ELR 2001, 611 f. 368 Vgl. Weiß, EuR 2005, 289 f.; Zonnekeyn, JIEL 2004, 490. 369 Auch im Immaterialgüterrecht dürften die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeitskontrolle sekundären Gemeinschaftsrechts am Maßstab von TRIPS vorliegen. So zielt die Verordnung Nr. 3288/94 zur Anpassung der Gemeinschaftsmarken-Verordnung ausweislich ihres Erwägungsgrundes darauf ab, „dass alle einschlägigen Rechtsvorschriften mit dem TRIPS-Übereinkommen im Einklang stehen“. ABlEG 1994 Nr. L 349/83; dazu Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), GATT, 46 f.; ders., in: FS Fikentscher, 830. 370 EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 114–127. 371 EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 116.
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fen.372 In seiner Begründung zieht das EuG einen Vergleich mit den Antidumpingregelungen der Gemeinschaft, die aufgrund bestehender GATTVerpflichtungen erlassen wurden und die Gegenstand des Nakajima-Urteils gewesen waren. Art. 18 (4) des Antidumpingkodex von 1994 hatte die EG zum Erlass der gemeinschaftsrechtlichen Antidumpingregelungen verpflichtet.373 Art. 18 (4) des Antidumpingkodex fordert die Mitglieder auf, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die nationalen Vorschriften an die WTO-Bestimmungen anzupassen, worin der EuGH im Nakajima-Verfahren eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung sah. Zwar hält das EuG die Nakajima-Ausnahme auch auf Fälle außerhalb des Antidumpingbereichs für anwendbar, doch gelangt es für DSB-Entscheidungen zu dem Ergebnis, dass deren Verpflichtung, interne Regelungen in Übereinstimmung mit internationalen Bindungen aus den WTO-Übereinkünften zu bringen, lediglich allgemeiner Art sei und somit keine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung i. S. d. Nakajima-Ausnahme darstellen würde.374 Diese Auffassung kann im Hinblick auf die in der DSB-Entscheidung ausgesprochene Konformitätsverpflichtung nicht überzeugen. Geht man wie die Europäischen Gerichte davon aus, dass Art. 18 (4) des Antidumpingkodex seinem Wortlaut nach eine bestimmte Verpflichtung konstituiert, muss dieser Befund auch für die DSB-Entscheidung und darüber hinaus ebenso für andere WTO-Abkommen gelten. So sind die WTO-Mitgliedstaaten beispielsweise nach Art. 13 SPS-Übereinkommen nicht nur voll verantwortlich für die Erfüllung aller darin enthaltenen Verpflichtungen, sondern sind auch aufgerufen, alle ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu treffen, die Bestimmungen des Übereinkommens einzuhalten. In ähnlicher Weise wird nach Feststellung einer Rechtsverletzung durch Panel und AB gemäß Art. 19 DSU die unterlegene Partei eines Streitbeilegungsverfahrens dazu verpflichtet, die Maßnahme mit dem Übereinkommen in Einklang zu bringen. Eine unterschiedliche Bestimmtheit oder ein abgestufter Verpflichtungsgrad zwischen diesen Konformitätsverpflichtungen ist nicht erkennbar.375 Dazu kommt, dass der Gerichtshof bereits in Italien/Rat die Voraussetzungen der Nakajima-Doktrin als gegeben angesehen hatte, da die Gemeinschaft mit dem Erlass der gegenständlichen Reiseinfuhr-Verordnung376 entsprechend den Vereinbarungen, die sie im Anschluss an die aufgrund 372
EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 170. EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 121. 374 EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 161. 375 Berg/Beck, RIW 2005, 408. 376 Verordnung (EG) Nr. 1522/96 des Rates vom 24.7.1996 zur Eröffnung und Verwaltung von Einfuhrzollkontingenten für Reis und Bruchreis, ABlEG 1996 Nr. L 190, 1. 373
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von Art. XXIV (6) des GATT geführten Verhandlungen mit Drittländern geschlossen hatte, eine bestimmte, im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung erfüllen wollte.377 Daher prüfte der EuGH die Rechtmäßigkeit der streitigen Verordnung im Hinblick auf Art. XXIV (6) des GATT und die Nrn. 5 ff. der Vereinbarung zur Auslegung des Art. XXIV des GATT, deren Verletzung die Klägerin geltend machte. Bemerkenswert ist dabei, dass sich Nr. 5 ff. der Vereinbarung darauf beschränken, die Parteien aufzufordern, einen allseitig zufrieden stellenden Ausgleich zu erzielen. Darin sah der EuGH bereits eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung, obwohl die Aufforderung zur Aufnahme von alle Parteien zufrieden stellenden Verhandlungen erstens von der subjektiven Einschätzung der verhandelnden Staaten abhängig ist, und zweitens allenfalls eine Zielvorgabe formuliert, ohne gleichzeitig ein konkretes Ergebnis dieser Verhandlungen vorzugeben. Konnte in Italien/Rat eine solche ergebnisoffene Aufforderung zu Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten ausreichen, um die Voraussetzungen der Nakajima-Ausnahme zu erfüllen, ist kein Grund ersichtlich, warum die in der DSB-Entscheidung geforderte Beseitigung einer Verletzung konkreter WTO-Vorschriften nicht ebenfalls eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung darstellt.378
IV. Zwischenergebnis zur Frage der unmittelbaren Wirkung von DSB-Entscheidungen und der Anwendung der Nakajima-Doktrin Durch die Reform des Streitbeilegungssystems der WTO hat das Verfahren vor den Streitbeilegungsgremien eine Gerichtsförmlichkeit erfahren, die es rechtfertigt, die DSB-Entscheidungen als urteilsförmige Entscheidungen i. S. d. EWR-Gutachtens zu bewerten und ihre Bindungswirkung anzuerkennen. Unabhängig von seiner innergemeinschaftlichen Geltung jedoch kann die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung für die unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck eine inhaltliche Unbedingtheit verlangt wird, aufgrund eines unterschiedlichen Verpflichtungsgrades hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Umsetzungsverpflichtung, nicht bejaht werden. Zwar gestattet Art. 22 (1) DSU nur die vorübergehende Möglichkeit der Vereinbarung einer Kompensationszahlung und betrachtet diese nicht als gleichwertige Alternative zur Erfüllung der Abkommensverpflichtungen, die die Primärpflicht des WTO-Mitglieds zur Abänderung oder Rücknahme des WTO-widrigen Aktes unberührt lässt. 377 378
EuGH, Rs. C-352/96, Italien/Rat, Slg. 1998, I-6937, Rn. 20. Ähnlich Berg/Beck, RIW 2005, 403.
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Dennoch eröffnet Art. 22 DSU einen gewissen Spielraum im Hinblick auf den Zeitpunkt der Umsetzung der WTO-Entscheidung im nationalen Recht, der auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist fortbesteht, ohne dass sich ein konkreter Zeitraum bestimmen ließe, mit dessen Verstreichen nicht mehr „vorübergehend“ von der Umsetzungspflicht abgewichen werden darf. Würde man die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung in dem Moment des Ablaufs der Umsetzungsfrist gelten lassen, würden die Legislativund Exekutivorgane der EG in ihrem Spielraum zur Aushandlung anderer Lösungen i. S. v. Art. 22 (8) DSU beschränkt. Eine Durchgriffswirkung der DSB-Entscheidung in die interne Rechtsordnung hinein kann angesichts der Flexibilität des Umsetzungsmechanismus nicht geboten sein. Die Umstrittenheit der Entscheidungen der Europäischen Gerichte zur Anwendung des Nakajima-Prinzips verdeutlichen die Schwierigkeit, im Spannungsfeld subjektiver und objektiver Faktoren konkrete Kriterien an die Qualität der Implementierungsabsicht zu stellen. In dieser Arbeit wurde dazu ein Ansatz teleologischer Auslegung anhand objektiver, gerichtlich nachprüfbarer Umstände vertreten, den der EuGH im Übrigen auch bei der Überprüfung der Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts bevorzugt. Die Gesamtbewertung der Umstände – eine Gewichtung der in den EG-Sekundärrechtsakten formulierten Erwägungsgründe und der die Umsetzung begleitenden Stellungnahmen – spricht dafür, dass die in den Schadensersatzklagen angegriffenen Bananenmarktverordnungen genau wie die aktuellen Einfuhrregime für hormonbehandeltes Rindfleisch und für Bananen die entsprechenden DSB-Entscheidungen umzusetzen beabsichtigten. Schließlich kann auch das Erfordernis einer bestimmten, im Rahmen der WTO übernommenen Verpflichtung beim Erlass von DSB-Entscheidungen nicht in Zweifel gezogen werden. Nach Feststellung einer Rechtsverletzung durch die WTO-Streitbeilegungsgremien wird die unterlegene Partei eines Streitbeilegungsverfahrens dazu verpflichtet, die Maßnahme mit den in der DSB-Entscheidung genannten Vorschriften in Einklang zu bringen und das nationale Recht anzupassen. Diese Konformitätsverpflichtung weist damit denselben Verpflichtungsgrad auf, der auch der Nakajima-Rechtsprechung zugrunde lag. Dennoch dürften aber grundsätzlichere Bedenken zur Anwendbarkeit der Nakajima-Doktrin unausgeräumt bleiben, die vor allem aus Sicht eines umfassenden Rechtsschutzes des Einzelnen und der Durchsetzung des Legalitätsprinzips379 bestehen. Wie dargestellt kann die Nakajima-Ausnahme nur 379
Siehe dazu etwa die Schlussanträge von GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 114 und GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 82.
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dann zur Rechtmäßigkeitskontrolle herangezogen werden, wenn DSB-Entscheidungen (oder andere WTO-Bestimmungen) umgesetzt werden sollten. Für den Fall allerdings, dass die EG gar nicht tätig wird, um den WTO-Verstoß abzustellen, entzieht sie sich vollständig der gemeinschaftsinternen Kontrolle.380 In letzter Konsequenz kann der Gesetzgeber also einer möglichen Nichtigkeits- oder Schadensersatzklage einfach dadurch entgehen, dass er auf eine Regelung verzichtet. Das impliziert aber nicht nur den Anreiz zur legislativen Inaktivität, sondern führt auch dazu, dass der Rechtsschutz des Einzelnen und die Wahrung des Legalitätsprinzips in die Beliebigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers gestellt werden. Und selbst für den Fall, dass der Gesetzgeber der DSB-Entscheidung nachkommen möchte, könnte er doch die Überprüfbarkeit seines Rechtsaktes einfach dadurch ausschließen, indem er jeden Bezug zur WTO unterlässt oder sogar eine Direktwirkung explizit ausschließt, wie er es im Ratsbeschluss 94/800 zur Annahme des WTO-Übereinkommens381 getan hat, der einen ausdrücklichen Hinweis über die Nichtanwendbarkeit enthält.382 Konsequenterweise kommt es zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass eine Haftung nur im Falle einer unzureichenden Umsetzung der DSB-Entscheidung in Betracht kommt, hingegen ausgeschlossen ist, wenn die EG die Befolgung vollständig ignoriert.383 Sollen dem umfassenden Rechtsschutz und der Wahrung des Legalitätsprinzips zum Durchbruch verholfen werden, sollte deshalb eine Dogmatik im Umgang mit nicht unmittelbar wirksamen WTO-Recht entwickelt werden, bei der der Rechtsverstoß an sich zum haftungsauslösenden Moment wird und die Maßgeblichkeit der Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers verdrängt. Dann würde ein Schadensersatzanspruch automatisch entstehen, wenn die Gemeinschaft ihr WTO-rechtswidriges Verhalten mit Ablauf der Umsetzungsfrist nicht beseitigt hat und die weiteren Voraussetzungen des Art. 288 II EGV vorliegen.
380 Petersmann, in: Müller-Graff (Hg.), Welthandelsorganisation, 86; Wünschmann, Geltung, 207; Berg/Beck, RIW 2005, 408; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 EGV, Rn. 58. 381 Ratsbeschluss 94/800 vom 22.12.1994 über den Abschluss des WTO-Übereinkommens, ABlEG 1994 Nr. L 366, 1. 382 Vgl. zu dieser Möglichkeit und der Rechtswirkung eines solchen Ausschlusses Berrisch/Kamann, EWS 2000, 96; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes, 263; vgl. auch Snyder, CMLR 2003, 347; Drexl, in: FS Fikentscher, 828. 383 So andeutungsweise auch Weiß, EuR 2005, 293 f., der dieses Problem jedoch mit fehlender sekundärrechtlicher Transformation zu erklären versucht.
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D. Herleitung einer Entbehrlichkeit des Kriteriums der unmittelbaren Wirkung für die Gemeinschaftshaftung I. Einleitung Dieses Kapitel geht vor dem Hintergrund der vorstehenden Abhandlung davon aus, dass die Gemeinschaftshaftung nicht auf der Verletzung unmittelbar wirksamer DSB-Entscheidungen beruhen kann. Jenseits des begrenzten Anwendungsbereichs der Nakajima-Doktrin ist die Haftung demnach davon abhängig, ob das Kriterium der unmittelbaren Wirkung als Haftungsvoraussetzung entbehrlich ist und ob stattdessen eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht die Grundlage des Schadensersatzanspruchs bildet. Für die Abkoppelung der Schadensersatzpflicht von der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts wird in diesem Teil der Arbeit versucht, die Grundsätze der Francovich-Doktrin und der Wesensverschiedenheit von Nichtigkeits- und Schadensersatzklage fruchtbar zu machen. Bevor diese dogmatische Parallelisierung der Francovich-Doktrin mit einer Haftung der Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen eingehender erläutert wird, sollte zuvor jedoch zweckmäßigerweise von der Rechtsprechung und großen Teilen der wissenschaftlichen Literatur errichtete Junktim zwischen Schadensersatzklage und unmittelbarer Anwendbarkeit der WTO-Vorschriften in Augenschein genommen werden. 1. Die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts als Haftungsvoraussetzung in der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte Die Europäischen Gerichte haben in den wenigen bisher entschiedenen Schadensersatzklagen deutlich werden lassen, dass sie die unmittelbare Wirkung als unüberwindliche Haftungsvoraussetzung betrachten. Ausgangspunkt ihrer Argumentation ist das Erfordernis des Verstoßes gegen eine individualschützende Norm, das im Falle des Verstoßes gegen WTOVorschriften nicht erfüllt sei. Dass diese Haftungsvoraussetzung an das Vorliegen der unmittelbaren Wirkung geknüpft ist, machte der EuGH erstmals im Berufungsurteil in Atlanta384 deutlich: „Die WTO-Entscheidung steht notwendig und unmittelbar mit dem Klagegrund eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des GATT im Zusammenhang, den die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht geltend gemacht, in den Rechtsmittelgrün384
EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-6983, Rn. 19.
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den jedoch nicht wieder aufgegriffen hat. Diese Entscheidung könnte nämlich nur berücksichtigt werden, wenn die unmittelbare Wirkung des GATT im Rahmen eines auf die Rechtsunwirksamkeit der Bananenmarktordnung gerichteten Rechtsmittelgrundes vom Gerichtshof festgestellt worden wäre.“
Die Unabdingbarkeit einer unmittelbar wirksamen DSB-Entscheidung für die Verleihung von Rechten lassen ebenso die Urteile des EuG in Cordis Obst, T. Port und Bocchi erkennen, denen Schadensersatzklagen deutscher Bananenimporteure aufgrund der WTO-Widrigkeit der EG-Bananenmarktordnung zugrunde lagen. Im insoweit identischen Wortlaut der drei Urteile stellte das EuG fest, „dass die WTO-Vorschriften grundsätzlich nicht bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und ihre Verletzung daher nicht die außervertragliche Haftung auslösen kann.“385
Mit dem Verweis auf die mangelnde Eignung des WTO-Rechts, als Rechtsmäßigkeitsmaßstab für die Handlungen der Gemeinschaftsorgane zu dienen, schließt das EuG auch in der Rechtssache Chiquita die mögliche Haftung aus.386 Und schließlich lag der untrennbare Zusammenhang zwischen Rechteverleihung und unmittelbarer Anwendbarkeit auch dem Verständnis der Gemeinschaftsgerichte in der Rechtssache Biret zugrunde. Das EuG hatte im erstinstanzlichen Verfahren festgestellt, dass die WTO-Übereinkommen nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung „für den Einzelnen keine Rechte begründen, auf die er sich vor Gericht berufen könnte, und dass ihre Verletzung daher nicht die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen kann.“387
In seinem Berufungsurteil lässt der Gerichtshof diese Auffassung im Grundsatz unwidersprochen. Seine kritischen Äußerungen gegenüber dem EuG beschränken sich auf die Notwendigkeit, die unmittelbare Anwendbarkeit der DSB-Entscheidungen nicht von der Wirkung der zugrunde liegenden WTO-Übereinkommen abhängig zu machen.388 Unterm Strich kann sämtlichen auf die Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen basierenden Schadensersatzklagen vor den Gemeinschaftsgerichten entnommen werden, dass die Voraussetzung einer Individualbegünstigung der verletzten Norm nur im Falle der unmittelbaren Wirkung der DSB-Entscheidung anzuerkennen ist. Von der Großzügigkeit seiner Rechtsprechung zur Schutznormverletzung, nach der der EuGH regelmäßig 385 EuG, Rs. T-18/99, Cordis Obst, Slg. 2001, II-913, Rn. 51; Rs. T-30/99, Bocchi Food, Slg. 2001, II-943, Rn. 56; Rs. T-52/99, T. Port GmbH, Slg. 2001, II-981, Rn. 51. 386 EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 114. 387 EuG, T-174/00, Biret, Slg. 2002, II-17, Rn. 71. 388 EuGH, C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 60.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
einer Rechtsvorschrift auch dann Schutzqualität zuspricht, wenn sie in erster Linie Allgemeinbelange schützen soll und nur im Reflex auch individuelle Interessen schützt,389 kann im Zusammenhang mit Verletzungen des WTO-Rechts keine Rede sein. Zugleich hat er vielmehr klargestellt, dass eine den „Schutz des Einzelnen dienende Rechtsnorm“ im Sinne der Schöppenstedt-Formel mit der „unmittelbaren Wirkung“ einer völkerrechtlichen Vertragsnorm gleichzusetzen ist. Wie noch auszuführen sein wird, ist diese Einschätzung in dogmatischer Hinsicht zu kritisieren, da die unmittelbare Anwendbarkeit von der Frage einer subjektiven Begünstigung des Einzelnen zu unterscheiden ist.390 Der Anwendungsbereich der vom Schutznormkriterium erfassten individualbegünstigenden Vorschriften geht über die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm hinaus. 2. Der Zusammenhang zwischen Haftungsanspruch und unmittelbarer Wirkung im Schrifttum Erstaunlicherweise hat diese Rechtsprechung der Europäischen Gerichte, die von einer deutlichen Abkehr von der bisherigen Schöppenstedt-Rechtsprechung hinsichtlich des Schutznormkriteriums gekennzeichnet ist, kaum Kritik sondern vielmehr Zustimmung erfahren.391 Größtenteils wird im Schrifttum der Auffassung des Gerichtshofs gefolgt, ohne Zweifel anzumelden an der Übertragung der unmittelbaren Wirkung als Voraussetzung für den Primäranspruch auch auf den Sekundäranspruch. Ausführliche Auseinandersetzungen mit der Problematik lassen sich dem wissenschaftlichen Schrifttum bislang kaum entnehmen. In diesem Sinne und im Einklang mit dem EuGH argumentieren Prieß und Berrisch, dass wenn dem Einzelnen nur eingeschränkt primäre Ansprüche aus einem völkerrechtlichen Vertrag erwachsen und zu dem Zwecke ihrer Bestimmung auf das Konzept der unmittelbaren Wirkung zurückgegriffen werde, auch nichts Abweichendes für die Sekundärrechtsschutzebene 389 EuGH, verb. Rs. 5, 7, und 13–24/66, Kampffmeyer I, Slg. 1967, 354; Rs. 74/74, CNTA, Slg. 1975, 549; vgl. dazu im Schrifttum Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 591; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 20; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 13; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 42. 390 Siehe auch Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 EGV, Rn. 63. 391 Ausnahme bilden insoweit die Ausführungen von Schoißwohl, ZEuS 2001, 697 ff.; Hinderer, Rechtsschutz, 450 ff.; andere Befürworter einer Haftung der EG für WTO-Rechtsverletzungen argumentieren eher zugunsten einer unmittelbaren Wirkung der DSB-Entscheidung oder eines erweiterten Anwendungsbereichs der Nakajima-Doktrin, vgl. Reinisch, EuZW 2000, 48; Peers, ELR 26 (2001), 614 f.; Lavranos, EWS 2004, 296; Görgens, Haftung, 117; Zonnekeyn, JIEL 2004, 483 ff.; GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 103; Davies, YEL 2002, 326.
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gelten könne.392 Generalanwalt Alber stellt in seinen Schlussanträgen in Biret heraus, dass es auch bei der Haftungsklage darum gehe, dass der Einzelne einen Verstoß gegen eine Bestimmung rügen wolle und dass deshalb die Vorschrift auch für den Sekundäranspruch unmittelbar anwendbar sein müsse.393 Ebenso wollen Gilsdorf und Niejahr die Frage nach der Haftung der Gemeinschaft nach den allgemeinen Grundsätzen beurteilen, die für die Frage der Direktwirkung völkerrechtlicher Verpflichtungen innerhalb der Gemeinschaftsordnung gelten; wegen der fehlenden Direktwirkung des GATT müsse eine Haftung mithin ausscheiden.394 Dieses Verständnis klingt auch in den Ausführungen von GA Mayras in der Rechtssache Stimming an, der an der Fähigkeit des Einzelnen zweifelt, sich auf die Bestimmungen des GATT zu berufen und eine Haftung der EG ausschließt.395 Im Ergebnis identisch, wenngleich mit leicht abweichender Begründung, lehnt Weiß den Verzicht auf das Kriterium der unmittelbaren Wirkung für die Haftung der EG ebenfalls ab, da ansonsten unterschiedliche Rechtswidrigkeitsstandards eingeführt würden, die der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts widersprechen könnten.396 Fragwürdig erscheint das strikte Festhalten am Kriterium der unmittelbaren Wirkung durch seine Übertragung auf den Sekundäranspruch dabei in zweifacher Hinsicht. Erstens wird mit keiner Erwägung bedacht, warum die im Rahmen des Primäranspruchs festgestellte mangelnde unmittelbare Wirkung, aufgrund derer die Gültigkeit eines EG-Sekundärrechtsakts unberührt bleibt, so ohne weiteres auf das Haftungsverfahren übertragen werden sollte.397 Angesprochen ist die unterschiedliche Zielrichtung der beiden Klagearten: während die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV auf die Aufhebung eines Gemeinschaftsrechtsaktes gerichtet ist, und somit einem Bedürfnis nach Bestandsschutz Rechnung trägt, zielt die Haftungsklage nach Art. 235 EGV auf den Ausgleich der erlittenen Schäden ab. Sind Rechts392 Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, 764, Rn. 28; Wünschmann, Geltung, 231; ähnlich von Bogdandy, JWT 39 (2005), 58; Davies, YEL 2002, 325 f.; Höher, Haftung, 329 ff. 393 GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 49, der den DSBEntscheidungen jedoch unmittelbare Wirkung zuspricht; ohne jede Begründung für die unmittelbare Anwendbarkeit als Haftungsvoraussetzung dagegen Hermes, TRIPS, 163; Meng, in: FS für Rudolf, 92 f. 394 Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 39. 395 GA Mayras in Rs. 90/77, Stimming/Kommission, Slg. 1978, 1016. 396 Weiß, EuR 2005, 297. 397 So auch die Kritik bei Wiers, LIEI 2004, 147 f.; Reinisch, EuZW 2000, 47; Schoißwohl, ZEuS 2001, 697; Herdegen, Europarecht, 408, Rn. 15 f.; Weiß, EuR 2005, 297, berücksichtigt diesen Aspekt und hält trotzdem an der unmittelbaren Wirkung als Voraussetzung für die Haftungsklage ebenso fest wie von Bogdandy, JWT 39 (2005), 58.
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schutzziel und Funktion beider Klagearten jedoch verschieden, könnte sich daraus auch die Entbehrlichkeit der unmittelbaren Wirkung zumindest im Haftungsverfahren ergeben.398 Zweitens bedarf es darüber hinaus vor allem einer eingehenden Untersuchung, ob das Erfordernis der unmittelbaren Wirkung für den Sekundäranspruch vereinbar ist mit den vom Gerichtshof in der Rechtssache Francovich entwickelten Grundsätzen zur mitgliedstaatlichen Haftung für Gemeinschaftsrechtsverletzungen.399 Im Kontext der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung kann das Fehlen der unmittelbaren Wirkung der verletzten Norm einen Schadensersatzanspruch nicht grundsätzlich ausschließen. Zu untersuchen ist daher, ob sich die für die Entkoppelung der unmittelbaren Wirkung von der Haftung maßgeblichen Erwägungen auf den Kontext der Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen übertragen lassen. 3. Francovich und die Abkoppelung von Haftung und unmittelbarer Wirkung In der Rechtssache Francovich entschied der Gerichtshof, dass trotz der fehlenden unmittelbaren Wirkung der Insolvenzentgeltausfall-Richtlinie eine Pflicht Italiens zum Ausgleich jener Nachteile anerkannt werden müsste, die Einzelnen durch die Nichtumsetzung der Richtlinie und der dadurch bedingten Vorenthaltung der mit der Richtlinie garantierten Rechte entstanden sind.400 Demnach stellt die Möglichkeit des Einzelnen, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf unmittelbar anzuwendende Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu berufen, nach Ansicht des EuGH nur eine Mindestgarantie dar und reicht für sich allein nicht aus, um die uneingeschränkte Anwendung des Vertrages zu gewährleisten.401 Wenn die in der Richtlinie angelegten subjektiven Rechte mangels Direktwirkung keinen Primärrechtsschutz im Wege einer Nichtigkeitsklage bieten können, so können sie nach Francovich doch Grundlage für einen Schadensersatzanspruch darstellen. Auf diesem Weg wird die Diskrepanz zwischen Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten und fehlendem Umsetzungsanspruch des Einzelnen überbrückt.402 Damit vollzieht Francovich eine deutliche Abkoppelung der subjektiven Rechte des Einzelnen vom Begriff der unmittelbaren 398
Dazu unten Teil 2 D. III. Ansätze bieten sich insoweit bei Hinderer, Rechtsschutz, 453 ff.; Schoißwohl, ZEuS 2001, 700 ff.; Peers, ELR 26 (2001), 612; Gasparon, EJIL 10 (1999), 619 ff. 400 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5407, Rn. 10 ff. 401 EuGH, Rs. 168/85, Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945, Rn. 11; Rs. C-120/88, Kommission/Italien, Slg. 1991, I-621, Rn. 10; C-119/89, Kommission/ Spanien, Slg. 1991, I-641, Rn. 9; Deckert, EuR 1997, 216. 402 Henrichs, Haftung, 56. 399
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Wirksamkeit.403 Der entscheidende Punkt für die Gewährung der Entschädigung in Francovich war, dass durch die Richtlinie die Verleihung von Rechten angestrebt wurde – ein Begriff, der von der unmittelbaren Wirkung zu unterscheiden ist: Selbst wenn letztere verneint wird, heißt dies nicht, dass eine Rechtsnorm dem Einzelnen keine Rechte verleihen will.404 Dem Einzelnen braucht durch die umgesetzte Richtlinie also noch kein Vollrecht in der Art zustehen, dass er sich direkt auf diese berufen könnte, sofern die entsprechende Richtlinie dem Einzelnen inhaltlich bestimmte Rechte verleihen will.405 Ausreichend könnte insofern schon ein hinreichend bestimmtes Interesse oder eine Art Anwartschaftsrecht sein, dem das bloße Inaussichtstellen eines Rechts zugrunde liegt.406 Diskussionswürdig erscheint demnach im hiesigen Kontext, ob die in Francovich vollzogene dogmatische Loslösung der unmittelbaren Wirkung vom Konzept des subjektiven Rechts im Rahmen der Haftungsklage übertragbar ist auf den Fall der Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen. Wenn ja, bliebe freilich zu prüfen, ob eine DSB-Entscheidung tatsächlich derart individualbegünstigend sein kann, dass ihr ein bestimmbarer Mindestgarantiegehalt an verliehenen Rechten entnommen werden kann. Für den Gang der weiteren Untersuchung müssen folglich die drei argumentativen Säulen der Francovich-Doktrin, das Prinzip der vollen Wirksamkeit, der damit eng zusammenhängende Rechtsschutzgedanke, sowie die Pflichten aus dem Loyalitätsgrundsatz in Art. 10 EGV, auf ihre Übertragbarkeit in den Kontext der Haftung der Gemeinschaft für WTO-Verletzungen überprüft werden. 4. Die strukturelle Konvergenz zwischen Gemeinschaftshaftung und Staatshaftung Bevor die die Francovich-Doktrin tragenden Grundsätze auf die Haftung der Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen übertragen werden sollen, bedarf es vorab einiger Ausführungen zur Zulässigkeit dieses Vorgehens, denn immerhin würden dabei die im Rahmen der Staatshaftung für Gemeinschaftsrechtsverletzungen entwickelten Grundsätze auf die Gemeinschafts403 Curtin, ILJ (1992), 78 f.; Fischer, EuZW 1992, 43; Diehr, Staatshaftungsanspruch, 95; Ross, MLR 1993, 57; Betlem/Rood, NJB 1992, 252; Bebr, CMLR 1992, 576. 404 GA Mischo in verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 60; Diehr, Staatshaftungsanspruch, 95; Russo Spena, RIDPC 1992, 166; Geiger, DVBl. 1993, 468. 405 Diehr, Staatshaftungsanspruch, 95. 406 Kopp, DÖV 1994, 204; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 232; GA Mischo in verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5391, Rn. 60.
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haftung übertragen. Die Zulässigkeit oder gar Notwendigkeit lässt sich anhand der strukturellen Konvergenz zwischen den beiden Haftungsinstituten entwickeln. Die das System der mitgliedstaatlichen und des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregime prägende strukturelle Konvergenz hat der Gerichtshof in Brasserie du Pêcheur zur Entstehung gebracht, indem er ausführte, dass für die Voraussetzungen der Begründung einer Haftung des Staates die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft heranzuziehen sei.407 Daneben betont er, dass sich die Voraussetzungen für Schäden, die dem Einzelnen wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, nicht ohne besonderen Grund von den Voraussetzungen unterscheiden dürfen, die für die Haftung der Gemeinschaft unter vergleichbaren Umständen gelten. Gemeint ist also, dass der Schutz der Rechte des Einzelnen nicht unterschiedlich sein könne, je nachdem, ob nationale oder gemeinschaftliche Organe rechtswidrig handeln.408 Auch seien beide Haftungsinstitute letztlich über Art. 215 II EWGV (jetzt Art. 288 II EGV) in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten verankert, von denen sich der Gerichtshof leiten lasse.409 Trotz weitestgehender Akzeptanz dieses Grundsatzes ist gegen die Konvergenz beider Haftungsinstitute eingewandt worden, dass das haftungseinschränkende Kriterium bei der Gemeinschaftshaftung für wirtschaftspolitische Entscheidungen gerade nicht auf die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung im Falle der fehlerhaften Richtlinienumsetzung übertragen würde, und deshalb der Rechtsschutz bei der Haftung der Gemeinschaft ungleich geringer sei.410 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Richtlinienumsetzung gar nicht als echte Rechtsetzung begriffen werden darf, weil der mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetzgeber nur als verlängerter Arm oder „executive branch“ des Gemeinschaftsgesetzgebers tätig wird mit der Folge, dass diese Umsetzungsfehler nicht dem legisativen Unrecht zugeordnet werden können.411 Im Ergebnis kann die Grundaussage, dass die beiden Haftungsinstitute auf denselben Prinzipien aufbauen, aus rechtssystematischen und rechts407 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1146, Rn. 40; siehe dazu auch Streinz, EuZW 1996, 203. 408 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 42; bestätigt in C-352/98 P, Laboratoires Pharmaceutiques Bergaderm and Goupil/Commission, Slg. 2000, I-5324, Rn. 41; vgl. von Bogdandy, in: Grabitz/ Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 6. 409 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1147, Rn. 41; van Gerven, in: Beatson/Tridimas (Hg.), Directions, 37; Streinz, EuZW 1996, 203. 410 Cornils, Staatshaftungsanspruch, 202 ff.; Henrichs, Haftung, 99 f. 411 Streinz, EuZW 1993, 602; Henrichs, Haftung, 101; Steiner, ELR 1993, 16; Karl, RIW 1992, 445; Schimke, EuZW 1993, 700; Kopp, DÖV 1994, 205.
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quellenmäßigen Erwägungen heraus überzeugen.412 Darüber hinaus hat der Gerichtshof in jüngerer Vergangenheit einen dialektischen Ansatz verfolgt: wenn Gemeinschaftsrecht geeignet sei, die Staatshaftung zu prägen, müsse dies auch anders herum gelten. So stützt sich der EuGH in Bergaderm auf seine Rechtsprechung zur gemeinschaftlichen Staatshaftung, um die Haftungsvoraussetzungen für die Haftung der Gemeinschaft zu präzisieren.413 Die wechselbezügliche Beeinflussung der beiden Haftungsregime und die Notwendigkeit eines einheitlichen Rechtsschutzes in der Gemeinschaft stehen somit der Fruchtbarmachung der Grundsätze der Francovich-Doktrin für die Gemeinschaftshaftung nicht im Wege.
II. Art. 300 VII EGV als Anknüpfungspunkt für eine am effet utile orientierte Auslegung Die Parallelisierung der in Francovich begründeten Loslösung von unmittelbarer Wirkung und Sekundärrechtsschutz bei der Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen diktiert den Fortgang der Untersuchung: die drei argumentativen Säulen der Francovich-Doktrin, das Prinzip der vollen Wirksamkeit, der damit eng zusammenhängende Rechtsschutzgedanke, sowie die Pflichten aus Art. 10 EGV, müssen auf ihre Übertragbarkeit in den Kontext der Haftung der Gemeinschaft für WTO-Verletzungen überprüft werden. Der erste tragende Pfeiler in Francovich war der effet utile-Gedanke, demzufolge die Anerkennung des Staatshaftungsanspruchs lediglich eine „notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts dar[stelle], die den Gemeinschaftsvorschriften zukommt, auf deren Verletzung der entstandene Schaden beruht“.414 Dabei ist das Argument der praktischen Wirksamkeit415 eng verknüpft mit der Gewährleistung wirksamen Schutzes der durch das Gemeinschaftsrecht vermittelten Individualrechte,416 der letztlich eine komplementäre Sicherung des individuellen 412 Green/Barav, YEL 6 (1986), 118; Labayle, Rev.fr. Droit adm. 8 (1992), 637; Lang, Legal Issues of European Integration 1991/2, 29; kritisch Cornils, Staatshaftungsanspruch, 192 ff.; Tesauro, Rivista di Diritto Europeo 32 (1992), 493 f. 413 EuGH, Rs. C-352/98 P, Laboratoires Pharmaceutiques Bergaderm and Goupil v. Commission, Slg. 2000, I-5291. 414 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 22. 415 Siehe zur Verwendung synonymer Begriffe wie „nützliche Wirkung“, „praktische Wirksamkeit“ oder „Sinn und Zweck“, Streinz, in: FS für Everling, 1495; vgl. auch Jarass, NJW 1990, 2422. 416 Seit van Gend & Loos und Costa/ENEL betont der EuGH die Aufgabe der Gerichte, die volle Wirkung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten und die
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Rechtsschutzes und der materiellen Gemeinschaftsrechtsordnung bezweckt.417 Allerdings setzt die Betonung der „vollen Wirksamkeit“ neben der benachbarten Nennung des Rechtsschutzgedankens einen eigenständigen Gehalt voraus. Das Ziel der „vollen Wirksamkeit“ ist umfassender und drängt auf möglichst optimale Wirkungsentfaltung des gesamten – und damit auch objektiven – Gemeinschaftsrechts.418 Im Hinblick auf die Verletzung von WTO-Vorschriften durch die Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen stellt sich die Frage, ob auch in diesem Zusammenhang dem Gemeinschaftsrecht derart zur vollen Wirksamkeit verholfen werden muss, dass ein Schadensersatzanspruch trotz fehlender unmittelbarer Wirkung nicht prima facie ausgeschlossen ist. Begründungskonstruktiv käme Art. 300 VII EGV als primärrechtliche Anknüpfung in Betracht. Danach sind internationale Abkommen für die Organe und für die Mitgliedstaaten verbindlich. Diese Vorschrift findet sich im Übrigen in beinahe identischem Wortlaut auch in Art. III-323 Abs. 2 EVV. Während der EGV von der Verbindlichkeit der Gemeinschaftsabkommen spricht, ordnet Art. III-323 Abs. 2 EVV die Bindung der Organe und Mitgliedstaaten an die Abkommen an.419 Der Vergleich mit Francovich verdeutlicht, dass zum primären Bezugspunkt für den Anwendungsbereich der praktischen Wirksamkeit nicht die potentiellen subjektiven Rechte des Einzelnen aus der DSB-Entscheidung gemacht werden sollten, sondern eine mögliche Umsetzungspflicht aus Art. 300 VII. Analog sollte in Francovich insbesondere der Vorschrift des Art. 189 III EWGV (jetzt: Art. 249 III EGV) zur praktischen Wirksamkeit verholfen werden, denn „verstößt ein Mitgliedstaat [. . .] gegen seine Verpflichtung aus Art. 189 III EWGV, alle erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels zu erlassen, so verlangt die volle Wirksamkeit dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung einen Entschädigungsanspruch [. . .].“420 Folglich ist es die primärrechtliche Rechte des Einzelnen zu schützen. In diesem Sinne hat er auch in Simmenthal entschieden, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet seien, im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen, indem entgegenstehende Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet bleiben. Vgl. Streinz, in: FS für Everling, 1498 f.; Geiger, DVBl. 1993, 468. 417 Snyder, MLR (1993), 46; Henrichs, Haftung, 62: „Auf diese Weise konvergieren die kontinuierliche Fortentwicklung der individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten und der effet utile.“ 418 Ross, MLR 1993, 61. 419 Vgl. dazu Streinz/Ohler/Herrmann, Verfassung, 91. 420 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5415, Rn. 39 des Urteils, während der Gerichtshof in Rn. 33 f. nur von der „vollen Wirksamkeit
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Norm, die ausgelegt werden muss, wohingegen die DSB-Entscheidung – wie auch der Richtlinieninhalt in Francovich – erst zur Beantwortung der Frage herangezogen wird, ob und, wenn ja, welche Rechte dem Einzelnen verliehen werden sollten. Im Schrifttum ist vor dem Hintergrund des Bananen- und Hormonstreits häufig bemängelt worden, dass die EG der normativen Aussage des Art. 300 VII EGV nicht gerecht würde, wenn sie WTO-Recht ignoriere und dem Einzelnen den Zugang zu effektivem Rechtsschutz verwehre.421 Seltener hingegen wurde diese Kritik so formuliert, dass ausdrücklich auf das Spannungsverhältnis mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der praktischen Wirksamkeit hingewiesen wurde.422 Angesichts der weitläufigen Kritik an der Missachtung des Art. 300 VII EGV ist aber verwunderlich, dass bisher noch kein Versuch unternommen wurde, eine tiefergehende dogmatische Auseinandersetzung mit dieser Frage zu unternehmen.423 Sofern solche Überlegungen angestellt wurden, sind sie zu dem Ergebnis gelangt, dass der effet utile-Gedanke sich nicht für eine Haftung der EG fruchtbar machen ließe, weil er auf die Gemeinschaftsorgane Druck in Richtung einer völkervertragsrechtskonformen Rechtsetzung ausübe, welcher sich ermessenseinschränkend auswirken würde.424 Dieses Argument könnte jedoch an Überzeugungskraft verlieren, sollte im Wege der Auslegung Art. 300 VII EGV gerade eine Umsetzungsverpflichtung von DSB-Entscheidungen zu entnehmen sein. Der aus der Haftpflicht resultierende Disziplinierungsdruck wäre in diesem Fall der vollen Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV zuträglich. Abgesehen davon kann das effet utile-Prinzip auch zu Lasten der Gemeinschaftsorgane wirken.425 1. Die Verpflichtung zur Umsetzung von DSB-Entscheidungen aus Art. 300 VII EGV Steht die Effektuierung der Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV als Ausgangspunkt fest, muss zuvörderst erörtert werden, ob Art. 300 der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen“ spricht und dabei offen lässt, welche er eigentlich meint. 421 Petersmann, in: Müller-Graff (Hg.), Europäische Gemeinschaft, 85 f.; Hilf, in: Müller-Graff (Hg.), Europäische Gemeinschaft, 93 f.; Cascante, Rechtsschutz, 295 f. 422 Lavranos, EWS 2004, 293; Schoißwohl, ZEuS 2001, 707. 423 Einen Ansatz bietet zumindest Hinderer, Rechtsschutz, 460 ff. 424 Schoißwohl, ZEuS 2001, 703; Görgens, Haftung, 91 f. 425 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 9. Beispielsweise wird der effet utile nutzbar gemacht bei der Kontrolle von Sekundärrecht auf die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten.
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VII EGV eine mit Art. 249 III EGV vergleichbare objektive Umsetzungsverpflichtung regelt, aufgrund derer die EG verpflichtet wird, Sekundärrecht völkervertragsrechtskonform zu setzen und insbesondere die DSB-Entscheidungen umzusetzen. Da eine Haftpflicht im Falle der Nichtumsetzung durch Unterlassen begründet würde, müsste die EG also eine Rechtspflicht zum Handeln treffen.426 Bejahendenfalls wäre dann in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des effet utile dergestalt auf Art. 300 VII EGV angewendet werden kann, dass er als Rechtsfolge eine Haftung der EG gebietet. a) Der Regelungsgehalt des Art. 300 VII EGV hinsichtlich der Verbindlichkeit und unmittelbaren Wirkung völkerrechtlicher Verträge Um eine Umsetzungsverpflichtung des Art. 300 VII EGV zugunsten einer DSB-Entscheidung zu ermitteln, ist die Tragweite des Art. 300 VII EGV in Bezug auf die Verbindlichkeit und Wirkung des völkerrechtlichen Vertrags in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu bestimmen. Diese erschließt sich unter Zugrundelegung der Konzepte der unmittelbaren Geltung und unmittelbaren Wirkung von internationalen Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Während es bei der Geltung um den Status eines völkerrechtlichen Vertrages in der Gemeinschaftsrechtsordnung geht, betrifft die unmittelbare Anwendung die Rechtswirkungen des Vertrages auf der gemeinschaftlichen Rechtsanwendungsebene.427 Es entspricht ganz herrschender Meinung, dass Art. 300 VII noch keine Aussage über die unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsabkommens in der Gemeinschaftsrechtsordnung trifft, sondern lediglich die Geltung und Verbindlichkeit des Abkommens in der EG regelt.428 Vereinzelt geblieben ist die Auffassung, dass Art. 300 VII EGV Gemeinschaftsabkommen bereits eine Wirkung verleiht, aufgrund derer der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit eines EG-Sekundärrechtsaktes zu überprüfen verpflichtet ist.429 In diesem Sinne wäre begründungskonstruktiv daran zu denken, dass Art. 300 VII EGV das WTO-Recht, soweit es sich dabei um von der EG abgeschlossene völkerrechtliche Verträge handelt, in das Ge426
Ebenso Lavranos, EWS 2004, 295. Ähnlich auch Bleckmann, Begriff, 57 ff.; Krajewski, Verfassungsperspektiven, 54; Koller, Anwendbarkeit, 119 ff.; Öhlinger, Vertrag, 112. 428 Cascante, Rechtsschutz, 296; Weiß, EuR 2005, 279 f.; Fikentscher, in: FS für Steindorff, 1186; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 293; weitergehend Pescatore, in: FS für Mosler, 671, der meint, dass die Qualifizierung als „integrierender Bestandteil“ erkennen ließe, dass der EuGH einer unmittelbaren Anwendbarkeit zugeneigt sei. 429 So aber Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 82; Flemisch, Umfang, 56. 427
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meinschaftsrecht transformiert,430 ihm fortan als Gemeinschaftsrecht Geltung verschafft und ihm somit auch die Qualität einer höherrangigen Norm vermittelt, die es zum Rechtmäßigkeitsmaßstab von Sekundärrecht werden ließe. Art. 300 VII EGV würde dann die völkerrechtliche Verpflichtung aus Art. XVI (4) des WTO-Übereinkommens, der die Mitgliedstaaten auffordert, ihre Gesetze in Einklang mit dem WTO-Recht zu bringen, zum Rechtmäßigkeitsmaßstab und dessen Verletzung zum Haftungsgrund machen. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass es hier um Fälle geht, in denen der Einzelne sich auf das Gemeinschaftsabkommen berufen will, so dass es auf diesem Wege zum Rechtmäßigkeitsmaßstab avancieren würde. Soweit aber der Einzelne das Gemeinschaftsabkommen geltend machen möchte, ist die unmittelbare Wirkung der Vorschriften erforderlich.431, 432 Würde der Zusammenhang zwischen unmittelbarer Wirkung und Geltendmachung als Rechtmäßigkeitsstab durch den Einzelnen durchbrochen, hätte dies in der Konsequenz zur Folge, dass der völkerrechtliche Ursprung des Abkommens zugunsten einer rein gemeinschaftsrechtlichen Auslegung negiert würde und damit letztlich unberücksichtigt bliebe, welche Wirkung die Vertragsstaaten auf völkerrechtlicher Ebene dem Abkommen einräumen wollten.433 Selbst wenn der völkerrechtliche Vertrag über Art. 300 VII EGV als Generaltransformator434 oder als genereller Vollzugsbefehl435 zum „integrierenden Be430
Vgl. dazu Bleckmann, JIR 1975, 302; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.),
291. 431 EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 71; EuG, Rs. T-18/99, Cordis/Kommission, Slg. 2001, II-913; Rs. T-30/99, Bocchi Food, Slg. 2001, II-943; Rs. T-52/99, T. Port/Kommission, Slg. 2001, II-981; Rs. T-2/99, T. Port/ Rat, Slg. 2001, II-2093; Rs. T-3/99, Banatrading/Rat, Slg. 2001, II-2123. Dazu Weiß, EuR 2005, 280 f.; kritisch gegenüber dieser Verknüpfung Epiney, EuZW 1999, 11. 432 Ob diese Einschränkung des Gerichtshofs auch für mitgliedstaatliche Nichtigkeitsklagen zulässig ist, kann vor dem Hintergrund der privilegierten Stellung der Mitgliedstaaten im Klagesystem des EGV bezweifelt werden, ist für den hier diskutierten Zusammenhang jedoch irrelevant. Kritisch hinsichtlich dieser Voraussetzung für das mitgliedstaatliche Nichtigkeitsverfahren Everling, in: Hilf/Petersmann, GATT, 187; Hahn/Schuster, EuR 1993, 280; Capelli, RMC 1977, 39; Ott, GATT, 258 ff.; Everling, CMLR 1996, 422; Cheyne, ELR 1994, 597; Ott, GATT, 258 ff. 433 Vgl. EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 70: „Auch wenn zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten geschlossene Abkommen nach Artikel 228 Absatz 7 EG-Vertrag [jetzt Artikel 300 Absatz 7 EG] für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich sind und, [. . .] die Bestimmungen solcher Abkommen ab deren Inkrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bilden, hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Wirkungen solcher Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung unter Berücksichtigung des Charakters und Zieles des betreffenden Abkommens zu bestimmen sind.“ EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3663, Rn. 17. 434 Bleckmann, JIR 18 (1975), 315.
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standteil“436 des Gemeinschaftsrechts wird, bleibt das Gemeinschaftsabkommen nach wie vor in der Ebene des Völkerrechts verankert, d.h. dass es völkerrechtlichen Auslegungsmethoden zugänglich sein muss.437 Nach zutreffender Auslegung des Art. 300 VII EGV wird das Völkervertragsrecht vielmehr nicht „vergemeinschaftet“, sondern behält auch innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung seinen völkerrechtlichen Charakter bei.438 Dabei kommt Art. 300 VII EGV aber nicht bloß eine deklaratorische Wirkung in dem Sinne zu, dass er nur den völkerrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda wiederholt,439 zumal die EG auch ohne die Anordnung des Art. 300 VII EGV an diesen allgemeinen Völkerrechtsgrundsatz gebunden ist.440 Seine konstitutive Wirkung liegt in der Erweiterung des Adressatenkreises über das völkerrechtliche Beziehungsverhältnis zwischen der EG und dem Vertragspartner hinaus auf die EG-Organe und die Mitgliedstaaten und macht die Bindung an das Gemeinschaftsabkommen zu einer innergemeinschaftsrechtlichen, nicht bloß völkerrechtlichen Pflicht.441 Damit sind sie von den Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten wie Gemeinschaftsrecht zu behandeln,442 weil sie nunmehr zur Gesamtheit derjenigen Regeln in der Gemeinschaftsrechtsordnung gehören, die dort rechtsverbindliche Wirkung besitzen.443 Eine weitere fundamentale Aussage ist Art. 300 VII EGV über den Rang völkerrechtlicher Verträge in der EG zu entnehmen.444 Die Nachrangigkeit 435
Petersmann, ZaöRV 35 (1975), 272; Jacot-Guillarmod, Droit communautaire, 104 ff. 436 EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 35; Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, 460, Rn. 5; Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3662, Rn. 13; vgl. für eine ausführliche Darstellung der Bedeutung dieses Charakters Flemisch, Umfang, 49 ff. 437 Epiney, EuZW 1996, 6; Weber, ArchVR 1997, 313. 438 EuGH, Rs. C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 35; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 72 f.; Epiney, EuZW 1999, 6; Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, § 73 Rn. 11; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, Art. 59 GG, Rn. 33; Weber, ArchVR 35 (1997), 313. 439 Weiß, EuR 2005, 279 f. mit Verweis auf Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 EGV, Rn. 48; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 291; Bleckmann, JIR 18 (1976), 306 f.; in die Richtung einer rein deklaratorischen Wirkung des Art. 300 VII EGV hingegen die Ausführungen der Bevollmächtigten des Rates in EuGH, Rs. C-122/95, Deutschland/Rat, Slg. 1998, I-973, Rn. 41. 440 Die Bindung ergibt sich jedoch bereits aus dem universalen Charakter dieses Prinzips, Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 31; Bleckmann, JIR 18 (1976), 301 ff.; zur Geltung des Völkergewohnheitsrechts in der EG siehe auch EuGH, Rs. C-162/96, Racke, Slg. 1998, I-3655, Rn. 49. 441 Weiß, EuR 2005, 279 f. 442 Kuilwijk, GATT, 84; Bleckmann, JIR 1975, 302. 443 Arnold, in: Dauses, K. I, 27, Rn. 61.
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völkerrechtlicher Verträge gegenüber primärem Gemeinschaftsrecht folgt aus einer systematischen Auslegung des Art. 300 VII EGV und des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung.445 Würden von den Gemeinschaftsorganen abgeschlossene Abkommen über dem Primärrecht des EGV stehen, könnten die Gemeinschaftsorgane von diesen Bestimmungen des EGV abweichen, was ihnen im Ergebnis eine Kompetenz-Kompetenz außerhalb des formellen Vertragsänderungsverfahrens zukommen ließe. Das wäre mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung unvereinbar. Im Verhältnis zu sekundärem Gemeinschaftsrecht sind sich Rechtsprechung und der ganz überwiegende Teil des Schrifttums einig, dass völkerrechtliche Verträge Vorrang vor sekundärem Gemeinschaftsrecht genießen.446 Diesen Rang teilen auch die Durchführungsbeschlüsse von Vertragsorganen wegen ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Abkommen.447 Allerdings ist auch mit der Rangeinordnung noch keine Aussage über die Art der Rechtswirkung des völkerrechtlichen Vertrages in der Gemeinschaftsrechtsordnung getroffen. Denn die rangmäßige Übergeordnetheit gegenüber gemeinschaftsrechtlichem Sekundärrecht bedeutet noch nicht, dass der Vertrag zum Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Sekundärrechts wird, wenn sich der Einzelne auf ihn beruft. Für die Zwecke dieser Darstellung bleibt vorerst festzuhalten, dass der Regelungsgehalt des Art. 300 VII EGV die objektiv-rechtliche gemeinschaftsrechtliche Verbindlichkeit von höherrangigem Völkervertragsrecht für das EG-Sekundärrecht anordnet, diese jedoch von ihrer Wirkung im Sinne einer Geltendmachung und Berufungsfähigkeit des Einzelnen zu dif444
Vgl. kritisch Bungert, DÖV 1994, 74 f. und Heselhaus, JA 1999, 81, die dem EuGH eine Vermengung der Fragen des Ranges und der unmittelbaren Anwendbarkeit vorhalten. 445 So wohl auch Streinz, Europarecht, Rn. 693; Wünschmann, Geltung, 85; Kovar, RMC 1974, 356; Pescatore, ordre juridique, 156. Dagegen maßgeblich auf das Gutachtenverfahren als Beleg für die Nachrangigkeit von Völkervertragsrecht abstellend Becker-Celik, EG-Marktordnungsrecht, 74 f.; Berrisch, GATT, 56; Arnold, in: Dauses, K, I, 27, Rn. 62; Groux/Manin, 122; Wetzig, Lebensmittelrecht, 95; Hahn/ Schuster, EuR 1983, 271; für den Vorrang des Völkervertragsrecht auch vor EG-Primärrecht Flemisch, Umfang, 70 ff. 446 EuGH, Rs. C-61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-3989, Rn. 52; Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3497, Rn. 9; Epiney, EuZW 1999, 7; Pietri, RTDE 12 (1976), 199 ff.; Pischel, JA 2001, 579; Stein, EuZW 1998, 262; Streinz, Europarecht, Rn. 693; Schwarze, NJW 1979, 461; Meessen, CMLR 13 (1976), 497 ff.; Petersmann, CMLR 20 (1983), 401; Riesenfeld, AJIL 67 (1973); Krück, in: Schwarze, § 281, Rn. 30; Fastenrath, JA 1986, 49; Pescatore, in: FS für Mosler, 672; zweifelnd Weiß, EuR 2005, 280; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 84. 447 EuGH, Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3497, Rn. 9; Vedder, in: Grabitz/ Hilf, Art. 238, Rn. 36.
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ferenzieren ist, welche sich nicht (nur)448 nach Art. 300 VII EGV richtet. Art. 300 VII EGV regelt demnach nicht die subjektiv-rechtliche Berufungsfähigkeit bzw. unmittelbare Wirkung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der Gemeinschaft, die Voraussetzung dafür ist, dass Gemeinschaftsabkommen als Rechtmäßigkeitsmaßstab dienen können.449 Die fehlende subjektiv-rechtliche Berechtigung aus Art. 300 VII EGV führt jedoch nicht zu einer vorzeitigen Entkräftung der hier geführten Argumentation. Schließlich soll es zunächst darum gehen, Art. 300 VII EGV eine Umsetzungsverpflichtung zu entnehmen, die ihrer Natur nach rein objektiv-rechtlich ausgestaltet ist, was der Vergleich mit Art. 249 III EGV nahe legt, der ebenfalls eine rein objektive Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Richtlinien konstituiert.450 Die Frage der Einbeziehung des Individuums in den Schutzbereich des Art. 300 VII EGV im Sinne einer Begünstigung auf der Kehrseite der Umsetzungsverpflichtung, als Reflexivwirkung oder über den individualbegünstigenden Charakter der umzusetzenden DSB-Entscheidung, ist unabhängig von der Frage der Umsetzungsverpflichtung und bedarf der Untersuchung erst auf Ebene des Rechtsschutzgedankens. Diese Ausführungen lassen sich im Übrigen zwanglos auch auf den EVV übertragen. Das nahezu identische Pendant zu Art. 300 VII EGV in Art. III-323 Abs. 2 EVV unternimmt keine Klärung der Frage, unter welchen Bedingungen ein Gemeinschaftsabkommen in der Rechtsordnung der EG unmittelbare Wirkung zeitigen kann.451 Da insoweit nunmehr auch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs nach Art. IV-437 Abs. 4 EVV auf die Vorschrift des Art. III-323 Abs. 2 zu übertragen ist, verlieren die im Rahmen dieser Arbeit angestellten Erwägungen auch unter der neuen Verfassung nicht an Aktualität. b) Die Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV als Rechtsetzungsauftrag Die objektiv-rechtliche Anordnung des Art. 300 VII EGV setzt das WTO-Recht also unmittelbar geltend in der EG in Kraft, erzeugt so seine 448 Die unmittelbare Geltung einer Norm ist stets Voraussetzung für ihre unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsabkommens, Flemisch, Umfang, 103; Veelken, RIW 1988, 114; Stein, EuZW 1998, 263; Pescatore, in: Jacobs/Roberts, Effect, 179 f.; Epiney, EuZW 1999, 11. 449 Manin, RTDE 33 (1997), 405; Bourgeois, MichLR 82 (1984), 1260 f.; Weiß, EuR 2005, 280 f.; Eeckhout, JIEL 2002, 98; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 291; die beiden Ebenen vermengend Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 82. 450 Dazu sogleich in Teil 2 D. II. 1. c). 451 Dazu Streinz/Ohler/Herrmann, Verfassung, 91.
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Rechtsverbindlichkeit und könnte damit einen an die Gemeinschaftsorgane gerichteten Rechtsetzungsauftrag normieren.452 Mit seiner unmittelbaren Geltung beansprucht der völkerrechtliche Vertrag, im Gemeinschaftsrecht beachtliches Recht zu sein453 und die internen Rechtsanwendungsorgane zu binden.454 Ferner wird mit der Verbindlichkeitsanordnung festgestellt, dass das Gemeinschaftsrecht rechtliche Auswirkungen des Abkommens im Innenbereich der Gemeinschaften nicht abschirmen will, sondern ihm dort Verbindlichkeit zuerkennt.455 Unter diesen Bedingungen müssen sich die Organe der EG aber an die vorrangigen völkerrechtlichen Verträge halten, d.h. aufgrund dieser Bindung dürfen „die Gemeinschaftsorgane keine den ordnungsgemäß geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen widersprechende Rechtsakte setzen.“456 Sie unterliegen insoweit einer objektiven gemeinschaftsrechtlichen Pflicht, sich so zu verhalten, dass die EG keiner völkerrechtlichen Haftung ausgesetzt werden könnte.457 Gleichbedeutend damit ist die Verpflichtung, den völkerrechtlichen Vorgaben, selbst wenn diese keine unmittelbare Wirkung haben, „von Amts wegen“458 bei ihrem Handeln Geltung zu verschaffen. Jede Maßnahme, die einen Verstoß gegen Bestimmungen des WTO-Abkommens durch die Gemeinschaft darstellt, würde deshalb zugleich eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts bedeuten.459 Da die Umsetzung von DSB-Entscheidungen dem Gesetzgeber aber ein aktives Handeln abverlangt, die Verletzung also in einem Unterlassen besteht, müsste eine Handlungspflicht vorliegen. Dahingehend anerkannte der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Kupferberg, dass die Gemeinschaftsorgane an Gemeinschaftsabkommen gebunden seien und dass sie folglich zu gewährleisten hätten, dass die Verpflichtungen aus dem Abkommen eingehalten werden und die notwendigen Maßnahmen zur Durchführung des Abkommens zu treffen seien.460 In Abgrenzung dazu büßt ein völkerrechtlicher Vertrag seine Verbindlichkeit immer dann ein, wenn er gemeinschaftsintern 452 Geiger, Grundgesetz, I § 30, 160; Meng, in: FS für Bernhardt, 1069; ähnlich Pescatore, in: FS für Mosler, 684, Rn. 23; Tomuschat, in: GS für Constantinesco, 804. 453 Bleckmann, Begriff, 56; Klein, Geltung, 8; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 863; Geiger, Grundgesetz, § 30 I. 1., 160; Flemisch, Umfang, 103. 454 Deswegen gelegentlich auch als Bindung bezeichnet, siehe Krück, Verträge, 165. 455 Arnold, in: Dauses, Handbuch, K.I, Rn. 61. 456 Krück, Verträge, 170; ähnlich Macleod/Hendry/Hyett, Relations, 125. 457 Macleod/Hendry/Hyett, Relations, 126; Kuschel, EuZW 1995, 692; Cascante, Rechtsschutz, 317; Epping, Außenwirtschaftsfreiheit, 603; Meng, FS für Bernhardt, 1069. 458 Epping, Außenwirtschaftsfreiheit, 622. 459 Vgl. EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641, Rn. 13. 460 EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641, Rn. 11 f.
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durch Rechtsakte, egal ob bereits bestehende oder zukünftige, umgangen werden könnte. Missachtet der EG-Gesetzgeber auf diese Weise eine verbindliche Norm oder unterlässt er die Umsetzung der DSB-Entscheidungen, stellt dies nicht nur eine Verletzung von völkerrechtlichen Verträgen, sondern auch einer gemeinschaftsrechtlichen Handlungspflicht dar.461 Legt man in Entsprechung dieser Ausführungen der Verbindlichkeitsanordnung ein Verständnis zugrunde, das aus der Verbindlichkeit einen klaren Rechtssetzungsauftrag an EG-Organe und ihre Mitgliedstaaten formuliert, enthält der verbindliche Charakter des völkerrechtlichen Vertrags über Art. 300 VII EGV die Anordnung, das Völkervertragsrecht in die Gemeinschaftsrechtsordnung umzusetzen. Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Verträge begründet also eine Verhaltenspflicht zum völkervertragsrechtskonformen Handeln und damit die Pflicht die Entscheidungen des DSB innergemeinschaftlich umzusetzen. Möglicherweise ergeben sich darüber hinaus noch weitere Gründe, die für eine genuin gemeinschaftsrechtliche Umsetzungsverpflichtung sprechen könnten. c) Die strukturelle Vergleichbarkeit der Umsetzungsverpflichtungen zwischen Art. 300 VII EGV und Art. 249 III EGV Der Nachweis einer Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV könnte Bestätigung auch in einem systematischen Vergleich mit Art. 249 III EGV finden. aa) Vergleichbare Rechtswirkung von Gemeinschaftsrichtlinie und DSB-Entscheidung Eine Parallele tut sich zunächst auf im Hinblick auf die Rechtswirkung von Richtlinien und DSB-Entscheidungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Der EGV unterscheidet zwischen der Verbindlichkeit einer Rechtsnorm und ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit. Deutlich wird dies bei der Unterscheidung der Rechtswirkungen von Verordnungen und Richtlinien in Art. 249 EGV. Verordnungen wirken unmittelbar, während die Richtlinie nur verbindlich ist.462 In analoger Sprachverwendung zu Art. 249 III EGV spricht Art. 300 VII EGV von der Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Verträge im Gemeinschaftsrecht, nicht jedoch von deren unmittelbarer Wirkung. Die Rechtswirkung eines völkerrechtlichen Vertrages und seiner Organentscheidungen gemäß Art. 300 VII EGV kann daher der einer Richtlinie gleichgestellt werden, die grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar 461 462
EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641, Rn. 11. EuGH, Rs. 43/71, Politi/Italien, Slg. 1971, 1049.
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ist.463 Beide Rechtsakte haben als Adressaten die Mitgliedstaaten und nicht die Individuen, können somit in der Regel keine Rechte und Verpflichtungen Einzelner begründen.464 bb) Art. 10 EGV ist keine die Umsetzungsverpflichtung konstituierende Rechtsgrundlage Die systematische Herleitung einer Verpflichtung zur Umsetzung von DSB-Entscheidungen im Wege eines Vergleichs der normativen Aussagen von Art. 249 III EGV mit Art. 300 VII EGV könnte indes auf Schwierigkeiten stoßen, wenn man die Verpflichtung zur Umsetzung von EG-Richtlinien in nationales Recht (auch) auf Art. 10 EGV stützen will, der eine Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft konstituiert. In diesem Sinne zieht ein Teil der Literatur Art. 10 EGV als primärrechtliche Grundlage der Umsetzungspflicht heran, und betont die Pflicht der Mitgliedstaaten zur effektiven legislativen Umsetzung, auf die zurückgegriffen werden müsste, weil die Umsetzungspflicht in Art. 249 III EGV nicht ausdrücklich enthalten sei.465 Kann die Verbindlichkeitsanordnung per se keine Umsetzungsverpflichtung kreieren, müsste nach dieser Ansicht auch bei der Umsetzung von Gemeinschaftsabkommen durch die EG ein Pflichtenverhältnis zwischen EG-Mitgliedstaaten und Gemeinschaft gefunden werden, aufgrund dessen die EG gegenüber den Mitgliedstaaten zur Umsetzung verpflichtet wäre. Mehrheitlich wird hingegen argumentiert, dass sich die Umsetzungsverpflichtung bereits unmittelbar aus Art. 249 III EGV ergebe, da dieser die Verbindlichkeit hinsichtlich der Zielverpflichtung der Richtlinie vorsehe.466 Art. 10 EGV soll nach dieser Ansicht nur für das „Wie“ der Umsetzung Bedeutung erlangen. Letztgenannte Auffassung lässt sich am ehesten mit den vom EuGH angestellten Erwägungen in Francovich in Einklang bringen. 463 Weiß, EuR 2005, 281, der daraus allerdings schlussfolgert, dass eine Haftung nur bei Vorliegen der Direktwirkung des völkerrechtlichen Abkommens in Betracht kommt und damit den Umstand unbeachtet lässt, dass bei EG-Richtlinien die Direktwirkung keine notwendige Haftungsvoraussetzung ist. 464 Vgl. für die Richtlinie EuGH, Rs. 152/84, Marshall, Slg. 1986, 723, Rn. 48; Rs. C-355/96, Silhouette, Slg. 1998, I-4799, Rn. 36; so auch ausdrücklich GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 109; auf die Unterschiede zwischen Richtlinie und DSB-Entscheidung hinweisend Thies, CMLR 2004, 1678. 465 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 437; so auch Curtin, CMLR 1990, 714 f.; Green, ELR 1984, 295 f. 466 Klein, Geltung, 26; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 134; Lück, Gemeinschaftstreue, 32 ff.; Brechmann, Auslegung, 8 f.; Schroeder, in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 78; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 249 EGV, Rn. 59; Constantinesco, Recht, Rn. 552; Nessler, Europäisches Richtlinienrecht, 20.
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Dort ließ der Gerichtshof zur Begründung der Umsetzungsverpflichtung der Richtlinie keinen Rekurs auf Art. 10 EGV erkennen, sondern berief sich auf Art. 10 EGV erst zur Feststellung der Notwendigkeit „die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben“.467 Damit hat der EuGH in diesem Urteil klargemacht, dass die von der Einzelrichtlinie abstrahierte, jedes staatliche Organ unmittelbar treffende Pflicht zur Richtlinienumsetzung aus Art. 249 III EGV folgt,468 was er bereits in den Francovich zeitlich vorgehenden Urteilen hatte anklingen lassen.469 Gründe, nach denen für den insoweit vom Wortlaut der Verbindlichkeitsanordnung identischen Art. 300 VII EGV etwas anderes gelten soll, sind nicht ersichtlich, so dass Art. 10 EGV nicht zur Umsetzungsverpflichtung der DSB-Entscheidung herangezogen werden braucht. Dieses Ergebnis wird auch durch die Erwägung gestärkt, dass die Zielobligation des über Art. 300 VII EGV für die EG-Organe geltenden Grundsatz des pacta sunt servanda zu Recht als Ergebnisobligation gedeutet werden muss.470 Entspricht die Rechtslage in der Gemeinschaft nicht dem vom völkerrechtlichen Vertrag (oder des vom ihm abgeleiteten organförmigen Beschlusses) vorgeschriebenen Ergebnis oder Resultat, dann kann die EG der Verbindlichkeit der DSB-Entscheidung nur durch entsprechende Anpassung des EG-Sekundärrechts gerecht werden. Das bedeutet, dass wenn Art. 300 VII EGV das in der DSB-Entscheidung enthaltene Ziel für verbindlich erklärt, resultiert die Umsetzungsverpflichtung bereits aus Art. 300 VII EGV. Ein selbständiger Anwendungsbereich des Art. 10 EGV kommt in diesem Fall nicht mehr in Betracht, weil die Verpflichtung bereits in Art. 300 VII EGV vollständig ausgeformt ist.471 Obwohl also weder Art. 249 III EGV noch Art. 300 VII EGV eine explizite Anordnung zur Umsetzung normieren, muss beiden ausweislich ihrer Verbindlichkeitsanordnung hinsichtlich des zu erreichenden Ziels eine Umsetzungsverpflichtung zugesprochen werden. Trotz der hier vertretenen Entbehrlichkeit des Art. 10 EGV zur Begründung der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 III EGV oder Art. 300 VII EGV, wird die Argumentation auch denjenigen Autoren im Schrifttum gerecht werden, die auf der Maßgeblichkeit des Art. 10 EGV als die die Umsetzungsverpflichtung begründende Norm beharren. Insofern ist auf die im späteren Verlauf der Untersuchung angestellten Erwägungen zum effet utile 467
EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5414, Rn. 36. EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5415, Rn. 39. 469 In diese Richtung etwa EuGH, Rs. 79/72, Kommission/Italien, Slg. 1973, 667, Rn. 4; Rs. 102/79, Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473, Rn. 10 ff. 470 Siehe dazu Wünschmann, Geltung, 55. 471 Vgl. zum Anwendungsbereichs des Art. 10 EGV bei der Richtlinienumsetzungsverpflichtung Albers, Haftung, 98 f. 468
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zu verweisen, die aus Art. 10 EGV eine der Gemeinschaft gegenüber den EG-Mitgliedstaaten bestehende Pflicht zur Anerkennung einer Haftung für WTO-Rechtsverletzungen herzuleiten beabsichtigt.472 cc) Zweistufige Wirkungsstruktur von EG-Richtlinie und DSB-Entscheidung: Zielobligation und Mittelfreiheit Art. 249 III EGV spricht den Richtlinien eine verbindliche Wirkung gegenüber jedem Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles zu.473 Damit werden die Mitgliedstaaten der EG zur Herbeiführung des im Richtlinientext bezeichneten rechtlichen oder tatsächlichen Zustandes verpflichtet, in der Regel zum Erlass geeigneter Rechtsvorschriften, so dass die Wirkungsstruktur zweistufig ist.474 Die Wahl der Form und Mittel zur Erreichung des Zieles bleiben dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Dieser Grundsatz der Zielobligation und Mittelfreiheit ist ebenso kennzeichnend für die Wirkungsstruktur von Gemeinschaftsabkommen, dem WTO-Recht und den DSB-Entscheidungen in der Gemeinschaftsrechtsordnung. In der Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV wird der völkerrechtliche Grundsatz pacta sunt servanda auf die EG-Organe als gemeinschaftsrechtliche Pflicht ausgeweitet.475 Danach werden die Vertragsparteien zwar verpflichtet, Völkervertragsrecht nach Treu und Glauben einer effektiven innerstaatlichen Geltung zuzuführen (Zielobligation oder Ergebnisobligation), es werden ihnen aber die Wahl über Art und Weise der Einführung überlassen (Mittelfreiheit).476 Ergibt sich aus der Auslegung eines Abkommens nichts Abweichendes, steht es jeder Vertragspartei zu, die rechtlichen Maßnahmen zu bestimmen, die zur Erreichung dieses Ziels innerhalb ihrer Rechtsordnung geeignet sind.477 Die Wirkungsstruktur völkerrechtlicher Verträge in der EG ist demnach hinsichtlich der Zielobligation und Mittelfreiheit dieselbe wie bei Richtlinien in der EG. Entsprechendes gilt im Speziellen auch für die Umsetzung von WTO-Recht 472
Siehe unten Teil 2 D. V. Dabei wird der Begriff des Ziels im Sinne eines vorgegebenen Ergebnisses verstanden, Schroeder, in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 77; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 458. 474 Scherzberg, Jura 1992, 572 ff.; ders., Jura 1993, 225; Hilf, EuR 1993, 4; Pernice, EuR 1994, 325; Geiger, Art. 249 EGV, Rn. 8; Rs. C-298/89, Gibraltar/Rat, Slg. 1993, I-3605, Rn. 16; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 455. 475 Vedder, in: Grabitz/Hilf, Art. 228 EGV, Rn. 43; Pescatore, L’ordre juridique, 150 f. 476 Wünschmann, Geltung, 55; Winter, CMLR 9 (1972), 426; Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3663, Rn. 18. 477 Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3663, Rn. 18. 473
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in das Gemeinschaftsrecht. Nach Art. XVI (4) WTOÜ haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihre Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwaltungsverfahren mit ihren Verpflichtungen im Einklang stehen. Weitere Vorgaben hinsichtlich der Umsetzung enthalten die Übereinkommen dagegen nicht.478 Art. 1 I S. 3 TRIPS stellt sogar ausdrücklich fest, dass die Mitgliedstaaten in der Wahl der Methoden der Umsetzung frei sind. Die Mitgliedstaaten können damit selbst über die Art und Weise der innerstaatlichen Umsetzung ihrer Verpflichtungen entscheiden.479 Diesem Prinzip folgt auch die Umsetzungsverpflichtung von DSB-Entscheidungen. Wie bereits festgestellt wurde, gibt es zum „Ob“ der Umsetzung von DSB-Entscheidungen trotz vorübergehenden diplomatischen Handlungsspielraumes keine Alternative.480 Ist der Panel- oder AB-Bericht vom DSB angenommen worden, bezieht sich die völkerrechtliche Bindungswirkung auf die Verpflichtung, die Maßnahme zurückzunehmen oder in Richtung auf eine Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht zu ändern.481 Das nach völkerrechtlichen Methoden auszulegende WTO-Recht gibt der EG damit ein Ermessen bei der Umsetzung der DSB-Entscheidungen lediglich hinsichtlich der Mittel zur Erreichung des Ziels. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die EG faktisch die Möglichkeit hätte, die DSB-Entscheidung nicht zu befolgen, und die daraus resultierenden Vergeltungsmaßnahmen hinzunehmen. Auch auf Gemeinschaftsebene haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, EG-Richtlinien nicht zu befolgen und die entsprechenden Sanktionen in Kauf zu nehmen. Diese Freiheit zum Vertragsbruch ist aber keine vertragsmäßig zugestandene, sondern eine aus dem Souveränitätsgedanken resultierende tatsächliche Handlungsfreiheit. Aus ihren zweistufigen Wirkungsstrukturen resultiert aus beiden Rechtsakten eine gleichermaßen gelagerte Angewiesenheit des Einzelnen, weil bei Umsetzung sowohl der EG-Richtlinie als auch der DSB-Entscheidung im Gemeinschaftsrecht „die volle Wirkung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen davon abhänge, dass der Mitgliedstaat tätig werde, und der Einzelne deshalb im Falle der Untätigkeit des Staates die ihm durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte nicht geltend machen könnte.“482 478
Vgl. dazu Meng, in: FS für Bernhardt, 1063. Butler, Beteiligung, 64; Winter, CMLR 9 (1972), 426. 480 So auch Griller, JIEL 3 (2000), 450 ff.; Steinbach, EuZW 2005, 333; Wünschmann, Geltung, 205 f.; Zonnekeyn, JWT 34 (2000), 122 f.; Desmedt, LIEI 27 (2000), 100; GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 82 ff.; Schroeder/ Schonard, RIW 2001, 660. 481 Weiß, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, 134, Rn. 309. 482 So hinsichtlich der Umsetzung von Richtlinien, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 34; für die Umsetzung von DSB-Entscheidungen vgl. GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 92. 479
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Die normative Verwirklichung des Regelungsziels ist in beiden Fällen von Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder der EG als Normadressaten abhängig, ihre Untätigkeit vereitelt die Wirksamkeit der Rechtsakte. Unter Rechtsschutzgesichtspunkten sollten die Adressaten nicht davon profitieren, dass sie sich vertragswidrig verhalten und der Bürger sollte nicht unter dem vertragswidrigen Verhalten des Mitgliedstaats oder der EG leiden müssen.483 Ob aus der geschwächten Wirksamkeit der Umsetzungsverpflichtung bei Unterlassen der Mitwirkung ein Sanktionsbedürfnis resultiert, das eine Effektuierung des Art. 300 VII EGV durch eine Haftpflicht bei WTO-Rechtsverletzungen erfordert, wird im Zusammenhang mit der Anwendung des effet utile auf Art. 300 VII EGV zu untersuchen sein. Im Ergebnis geht die Vergleichbarkeit der Richtlinie mit der DSB-Entscheidung im Hinblick auf ihre Bindungswirkung und ihre identische Wirkungsstruktur zur Zielobligation und Mittelfreiheit so weit, dass es gerechtfertigt erscheint, wie bei Art. 249 III EGV auch Art. 300 VII EGV eine Rechtspflicht zu Lasten der Gemeinschaftsorgane zuzusprechen, Völkervertragsrecht und die auf dessen Grundlage ergangenen organförmigen Beschlüsse in EG-Sekundärrecht umzusetzen.484 Damit soll keineswegs behauptet werden, dass eine über die Umsetzungsverpflichtung hinausgehende Identität der beiden Rechtsakte besteht.485 Insbesondere ist mit der Feststellung einer Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV noch keine Aussage getroffen darüber, ob das Prinzip der praktischen Wirksamkeit mit haftungsauslösender Wirkung auf Art. 300 VII EGV genauso anwendbar ist, wie es der Gerichtshof für Art. 249 III EGV entwickelt hat. Fraglich erscheint insbesondere – und dies sind die später zu erörternden gegen eine Anwendung des effet utile auf Art. 300 VII EGV sprechenden Argumente – ob andere, die Rechtswirkung von Richtlinien im Gemeinschaftsrecht prägende Umstände tatsächlich auf DSB-Entscheidungen übertragbar sind. Angesprochen ist damit vor allem die rechtsquellenmäßige Verschiedenheit von EG-Richtlinie und DSB-Entscheidung. Die Richtlinie verdankt ihren 483 Siehe zum Vergleich der beiden Nichtumsetzungskonstellationen GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 106 ff. 484 Für eine ähnliche Behandlung bei Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung und EG-Richtlinie plädiert auch Cottier, in: Müller-Graff (Hg.), 187. 485 Unterschiede zwischen Richtlinie und völkerrechtlichem Vertrag ergeben sich auf der Ebene der unmittelbaren Wirkung bei der Auslegung der betreffenden Norm, die aufgrund ihres Ursprungs in unterschiedlichen Rechtsordnungen verschieden ist. Die Direktwirkung einer Richtlinie ist das Ergebnis einer „gemeinschaftsspezifischen“ Auslegungsmethode, während die unmittelbare Wirkung des völkerrechtlichen Vertrags sich nach „völkerrechtsspezifischen“ Auslegungsmethoden richtet, vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 537 ff.; Oppermann, Europarecht, 207, Rn. 18; Meyer, Jura 1994, 455 ff.; zu weiteren Unterschieden vgl. Thies, CMLR 2004, 1678.
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Geltungsanspruch ihrer unionsrechtlichen Erzeugung486 und soll damit letztlich auch im Sinne der (neo)funktionalistischen Integrationstheorien die europäische Integration fördern, ein Aspekt, der auf den ersten Blick nicht auf die Umsetzungsverpflichtung von Völkervertragsrecht anwendbar ist, weil hier lediglich eine völkerrechtlich verbindliche Entscheidung aus einer anderen Rechtsquelle in die Gemeinschaftsrechtsordnung eingeführt wird. Allerdings sind diese Erwägungen erst bei der Frage relevant, ob der integrationsfördernde effet utile für eine Haftpflicht bei WTO-Rechtsverletzungen fruchtbar gemacht werden kann. d) Zusammenfassung Die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte lässt ebenso wie weite Teile des Schrifttums ein beharrliches Festhalten am Kriterium der unmittelbaren Wirkung für die Schadensersatzklage erkennen. Einwände, die unter dem Gesichtspunkt der Wesensverschiedenheit und unterschiedlichen Schutzrichtungen des Primär- und Sekundäranspruchs erhoben werden können, werden nicht aufgegriffen. Auch die vom Gerichtshof in Francovich betriebene Abkoppelung der Staatshaftung vom Kriterium der unmittelbaren Wirkung wird nicht auf ihre Übertragbarkeit auf die Gemeinschaftshaftung bei Völkervertragsverletzungen überprüft. Dabei steht die gegenseitige Beeinflussung und strukturelle Konvergenz der Staats- und Gemeinschaftshaftung sowie die Notwendigkeit eines einheitlichen Rechtsschutzes in der Gemeinschaft der Fruchtbarmachung der Grundsätze der Francovich-Doktrin für die Gemeinschaftshaftung nicht im Wege. Für die dogmatische Herleitung einer Schadensersatzverpflichtung am Vorbild der Francovich-Doktrin ist an eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift anzuknüpfen, für die sich die primärrechtliche Verpflichtung in Art. 300 VII EGV anbietet, in der die objektiv-rechtliche Verbindlichkeit von höherrangigem Völkervertragsrecht für das EG-Sekundärecht angeordnet wird. Um den effet utile-Gedanken auf die Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV anzuwenden, bedarf es einer mit Art. 249 III EGV vergleichbaren objektiven Umsetzungsverpflichtung, aufgrund derer die EG verpflichtet wird, Sekundärrecht völkervertragsrechtskonform zu setzen und insbesondere die DSB-Entscheidungen umzusetzen. Die von Art. 300 VII EGV vermittelte Rechtsverbindlichkeit der WTO-Abkommen begründet einen an die Gemeinschaftsorgane gerichteten Rechtssetzungsauftrag, der sich in einer Verhaltenspflicht zu völkerrechtskonformem Handeln und innergemeinschaftlicher Umsetzung konkretisiert. Bestätigung erfährt die Annahme dieser Umsetzungsverpflichtung in Art. 300 VII EGV durch einen systematischen Vergleich mit 486
Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 121.
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Art. 249 III EGV, der eine Ähnlichkeit zwischen der EG-Richtlinie und DSB-Entscheidung zumindest im Hinblick auf ihre innergemeinschaftliche Geltung und der zweistufigen Wirkungsstruktur in Zielobligation und Mittelfreiheit deutlich werden lässt. Damit ist der Weg geebnet, Art. 300 VII EGV einer am effet utile orientierten Auslegung zuzuführen. 2. Die Anwendung des effet utile-Gedankens auf die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV Kann Art. 300 VII EGV somit eine Umsetzungsverpflichtung entnommen werden, stellt sich im Rahmen der Übertragbarkeit der Francovich-Doktrin auf die hier diskutierte Konstellation die Frage, ob der Grundsatz des effet utile dergestalt zur Effektuierung der Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV beitragen kann, dass eine Haftung trotz fehlender unmittelbarer Wirkung geboten ist. Zur Sprache gekommen ist bereits, welche herausragende Bedeutung das Prinzip der praktischen Wirksamkeit bei der Francovich-Entscheidung des EuGH gespielt hat und dass sich in ihr die Sicherung des individuellen Rechtsschutzes und die Wahrung der Gemeinschaftsrechtsordnung Ausdruck verschafft. Gleichzeitig soll das Gemeinschaftsrecht durch seine Effektuierung gegen die Gefährdung nachlässigen Vollzugs seitens der Mitgliedstaaten gesichert werden.487 Dieser Gedanke ist umgekehrt auch auf die Pflichten der Gemeinschaftsorgane übertragbar, von denen ebenfalls eine Gefährdung der Gewährleistung des Gemeinschaftsrechts ausgehen kann. Obwohl der effet utile-Gedanke bislang maßgeblich zu einer Aufwertung des Gemeinschaftsrechts gegenüber den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen herangezogen wurde, muss dieser Grundsatz auch zu Lasten der Gemeinschaftsorgane anwendbar sein, wenn die Durchsetzbarkeit von materiellem Gemeinschaftsrecht umfassend erreicht werden soll. a) Effektivität und Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV Das Prinzip der „praktischen Wirksamkeit“ des Gemeinschaftsrechts ist vom EuGH bei verschiedenen Gelegenheiten als begründungskonstruktive Grundlage herangezogen worden.488 So taucht es in gering abweichenden Formulierungen489 zur Begründung einer unmittelbaren Wirkung von Ent487
Streinz, in: FS für Everling, 1506. Für eine Einteilung in Fallgruppen siehe Streinz, in: FS Everling, 1491 ff.; instruktiv auch Mosiek, effet utile, 6 ff. 489 Siehe zur Verwendung synonymer Begriffe wie „nützliche Wirkung“, „praktische Wirksamkeit“ oder „Sinn und Zweck“, Streinz, in: FS für Everling, 1495. 488
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scheidungen,490 bei der Entwicklung der Direktwirkung von Richtlinien,491 bei der Anerkennung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts,492 beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch mitgliedstaatliche Behörden und Gerichte,493 beim vorläufigen Rechtsschutz im Vollzug von Gemeinschaftsrecht,494 sowie im Rahmen der Kompetenzausweitungen der Gemeinschaft495 auf. Die Vielfalt an unterschiedlichen Rechtsfolgen, den dieser Grundsatz herzuleiten in der Lage ist, ist freilich nicht unkritisiert geblieben.496 Angesichts der Häufigkeit der Verwendung dieser Begriffe in Rechtsprechung und Literatur ist erstaunlich, dass sich fast nie eine Auseinandersetzung darüber findet, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Effektivität oder Wirksamkeit einer Norm beurteilt werden kann. Angesprochen ist damit die Notwendigkeit eines Maßstabs als Grundlage einer Aussage über die Effektivität einer Rechtsvorschrift. aa) Begriffsbestimmung der Effektivität einer Rechtsnorm Das Problem der Wirksamkeit oder Effektivität der Gesetze hat vor allem in der empirischen und praxisorientierten rechtssoziologischen Forschung Aufmerksamkeit gefunden,497 ist aber auch aus politikwissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive untersucht worden.498 Die folgende kursorische Darstellung soll nicht die Eigenarten dieser unterschiedlichen Ansätze erläutern, sondern wird den für die Zwecke dieser Arbeit relevanten gemeinsamen Bestand an Annahmen wiedergeben, der erforderlich ist, um einen Maßstab zur Einschätzung der Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV zu entwickeln. Nach allgemein anerkannter Terminologie499 ist ein Gesetz effektiv, wenn es befolgt wird, und ineffektiv, wenn es nicht befolgt wird.500 Da490
EuGH, Rs. 9/70, Grad/Finanzamt Traunstein, Slg. 1970, 838, Rn. 5. EuGH, Rs. 41/74, van Duyn/Home Office, Slg. 1974, 1348, Rn. 12; Rs. 48/75, Royer, Slg. 1976, 517, Rn. 69. 492 EuGH, Rs. 6/64, Costa/ENEL, Slg. 1964, 1269, Rn. 8 ff. 493 EuGH, verb. Rs. 205 bis 215/82, Deutsche Milchkontor, Slg. 1983, 2665, Rn. 17. 494 EuGH, verb. Rs. C-143/88 und 92/89, Süderdithmarschen, Slg. 1991, 542 ff. 495 EuGH, Rs. 242/87, Kommission/Rat, Slg. 1989, 1425 ff.; Rs. 56/88, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1989, 1615 ff. 496 Siehe unten Teil 2 D. II. 4. 497 Ryffel, Rechtssoziologie, 251 ff.; Rehbinder/Schelsky, Effektivität. 498 Jost, Effektivität; Kriesi, Vollzugsprobleme. 499 Obwohl Wirksamkeit und Effektivität meistens als Synonyme verwendet werden, ist in der soziologischen Effektivitätsforschung zwischen beiden Begriffen nochmals unterschieden worden: die Wirksamkeit beschreibt den Erfolg gemessen 491
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rüber hinaus gehend kann ein Gesetz jedoch auch in dem Maße effektiv oder ineffektiv sein, wie sein Zweck, die vom Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung, erreicht oder verfehlt wird.501 Legt man die Effektivität als Kriterium einer Auslegung zugrunde, wird dabei auf das Verhältnis von Wirkungen oder Ergebnissen zu den Zielen abgestellt.502 Rückt man die Normbefolgung in den Mittelpunkt der Betrachtung, kann auch eine effektivitätsorientierte Auslegung nicht umhin, sich ebenfalls an den tatsächlichen Funktionen eines Gesetzes zu orientieren, und somit eine Auslegung nach den Wirkungen zu beurteilen, die es in der sozialen Wirklichkeit entfaltet.503 Die Wirksamkeitsprüfung ist also Funktions- und Folgenanalyse zugleich.504 Die volle Wirksamkeit einer Norm muss bedeuten, dass die volle Entfaltung ihres Rechtsfolgebewirkungsanspruchs unter damit idealen rechtlichen und tatsächlichen Geltungsbedingungen sichergestellt ist. Eine am effet utile orientierte Auslegung muss darauf zielen, diejenige Deutung zu finden, welche die Entfaltung der in der Bestimmung angelegten Rechtsfolge am besten ermöglicht.505 Da die Verhaltensnormierung in Art. 300 VII EGV zwar kein Verbot, so doch immerhin ein Gebot im Sinne einer Bindung der Rechtsetzung an die Gemeinschaftsabkommen enthält, gehört sie zu dem Kreis von Rechtsnormen, bei denen die Frage der „sozialen Wirksamkeit“ leicht an der Gehorsamkeit des Normadressaten gemessen werden kann.506 Im Hinblick auf den Anreiz des Normadressaten zur Missachtung dieses Gebots gilt, dass die Verletzung einer Vorschrift häufiger eintreten wird, je größer die Anreize zum widerrechtlichen Verhalten durch die privaten Vorteile aus einem Normverstoß gegenüber den erwarteten Folgen sind, und je schwieriger gleichzeitig die Kontrolle und eine Sanktionierung der Rechtsverletzung ist.507 Betrachtet an den gesetzgeberischen Zielen; Effektivität bezieht sich darauf, ob die Norm das angestrebte Verhalten hervorruft (Normbefolgung), vgl. dazu Deckert, Folgenorientierung, 96, Fn. 37 m. w. N.; Perrin, in: Rehbinder (Hg.), 75 ff. 500 Voß, Symbolische, 54; Öhlinger, in: ders., Methodik, 11; Noll, in: Öhlinger, Methodik, 132; Jost, Effektivität, 59, 62. 501 Voß, Symbolische, 55; Rottleuthner, Rechtstheorie, 113 f.; Deckert, Folgenorientierung, 96. 502 Böhret/Hugger, Test, 24; Ryffel, Rechtssoziologie, 251 ff.; Voß, Symbolische, 49 ff.; Altwegg, Folgekosten, 17. 503 Voß, Symbolische, 59 m. w. N. 504 Deckert, Folgenorientierung, 98. 505 Ossenbühl, DVBl. 1992, 995. 506 So generell Noll, in: Öhlinger (Hg.), Methodik, 134. Problematischer ist dies hingegen bei organisatorischen Vorschriften. 507 Jost, Effektivität, 58; Noll, in: Öhlinger (Hg.), Methodik, 137; vgl. ausführlich zur Anreizsituation des Gemeinschaftsgesetzgebers die ökonomische Analyse unten in Teil 4 G.
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man diese Anreizmechanismen für die Normbefolgung des Art. 300 VII EGV, lassen sich die Ursachen für die Missachtung des Art. 300 VII EGV in dem Einfluss finden, den – im Einklang mit der Theorie des public choice508 – die an Protektionismus interessierten Lobbygruppen auf den Gemeinschaftsgesetzgeber ausüben. Sie setzen Anreize für die EG-Organe, die Umsetzung freihandelsorientierter Vorschriften zugunsten der Verfolgung anderer Interessen zu vernachlässigen. Dieser suboptimale Anreizmechanismus kann nicht durch ein wirksames Sanktionspotential in Form spürbarer Konsequenzen als Folge des Verstoßes aufgewogen werden, weil die gerichtliche Kontrolle der Sekundärrechtsakte so gut wie ausgeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund hätten Gesetzgebung oder Rechtsprechung die Möglichkeit, die Anreize zur Gesetzesmissachtung durch Gegenmotive zu kompensieren, indem Sanktionen angedroht werden und gleichzeitig sichergestellt ist, dass das gebotene Verhalten leicht festzustellen und zu kontrollieren ist. Zu einem möglichen Sanktionsinstrumentarium gehört freilich die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts, die jedoch wie gesehen die Gemeinschaftsorgane in ihren vom DSU gewährten Verhandlungsspielräumen beschneiden würde. Eine für die EG-Legislativorgane schonendere anreizoptimalisierende Sanktionsandrohung wäre die Anerkennung der Haftung für die Verletzung von Art. 300 VII EGV.509 bb) Das Vorliegen eines Sanktionsbedürfnisses zur Bestimmung der Effektivität Bevor jedoch die Zweckmäßigkeit der Haftpflicht als Rechtsfolge einer am effet utile orientierten Auslegung bewertet werden kann, muss für die Untersuchung der Wirksamkeit einer Norm das Ziel dieser Vorschrift definiert werden, weil die volle Wirksamkeit einer Norm bedeuten muss, dass die volle Entfaltung ihres Rechtsfolgebewirkungsanspruchs unter damit idealen rechtlichen und tatsächlichen Geltungsbedingungen eintritt.510 Insoweit kann auf das Ergebnis der Ausführungen zur Umsetzungsverpflichtung des Art. 300 VII EGV zurückgegriffen werden, wonach dieser Vorschrift eine Verpflichtung entnommen werden kann, aufgrund derer die Gemeinschaftsorgane DSB-Entscheidungen in der EG umsetzen müssen. Darüber hinaus konstituiert auch der in den Art. 300–307 EGV niedergelegte Grundsatz völkerrechtskonformer Integration eine Zielsetzung, die den Völkerrechtsgrundsätzen des pacta sunt servanda und der Vermeidung völkerrecht508
Dazu unten Teil 4 C. 1. Zur Optimierung der Anreize durch die Schadensersatzpflicht vgl. unten im Rahmen der ökonomischen Analyse Teil 4 F. 510 Deckert, Folgenorientierung, 96; Leidig, in: FS für Weimar, 233; Deckert, Folgenorientierung, 97; Voß, Symbolische, 55 ff. 509
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licher Vertragskollisionen entspricht. Konkretisiert sich die Zielsetzung des Art. 300 VII EGV folglich in einer Umsetzungsverpflichtung von Völkervertragsrecht, muss im Anschluss daran erörtert werden, ob diese Vorgabe des Art. 300 VII EGV in einem Ausmaß missachtet wurde, das es rechtfertigen würde, von der Ineffektivität dieser Vorschrift zu sprechen. Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit dem Vorliegen eines Sanktionsbedürfnisses, welches maßgeblichen Anteil hatte bei der Aktivierung des effet utile in Francovich. Denn die Einführung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung diente im Wesentlichen auch der Disziplinierung der Mitgliedstaaten,511 indem damit ein neuer dezentraler Sanktionsmechanismus durch die Aktivierung des Einzelnen geschaffen wurde,512 durch den in Ergänzung der vorhandenen Kontrollmechanismen das bestehende Sanktionsdefizit kompensiert werden sollte.513 Im hiesigen Kontext müsste demnach ein Sanktionsbedürfnis nachgewiesen werden, welches vom effet utile durch Haftungsanerkennung befriedigt werden kann. Das Vorliegen dieses Sanktionsbedürfnisses wird seinerseits von der Verfügbarkeit und Effektivität der rechtlichen Disziplinierungsinstrumente auf gemeinschaftsrechtlicher und völkerrechtlicher Ebene bestimmt. Betrachtet man das Disziplinierungsinstrumentarium auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene, erscheint zwar plausibel, dass ein Sekundäranspruch bei unmittelbar wirksamen Normen weniger erforderlich zur Ausfüllung einer Sanktionslücke sein dürfte, weil dann die Haftpflicht neben der Rechtsfolge der Nichtigkeitserklärung nur eine doppelte Disziplinierungschance darstellen würde.514 Diese Situation ist beim WTO-Recht aber gerade nicht gegeben. Das Disziplinierungsinstrumentarium auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sieht sich bei Verletzungen von Art. 300 VII EGV dem Dilemma ausgesetzt, dass Klagen vor den Gerichten der EG und ihrer Mitgliedstaaten – seitens des Einzelnen als auch von mitgliedstaatlichen Klagen nach Art. 230 II EGV – erfolglos bleiben mangels unmittelbarer Wirkung der WTO-Vorschriften. Auch ein Vorgehen des Einzelnen gegen die EG auf Grundlage der Trade Barriers Regulation515 scheidet aus, weil diese lediglich den Zweck verfolgt, durch Drittländer geschaffene völker511
Zuleeg, JZ 1994, 6; Hilf, EuR 1993, 17; Slynn, European Legal Order, 154; Goebel, UPR 1994, 362; Jarass, NJW 1994, 886; Labayle, Rev.fr. Droit adm. 8 (1992), 640. 512 Snoep, NJB 1992, 263; Bebr, CMLR 29 (1992), 582 f.; Mögele, BVBl. 1993, 133; Carnelutti, RMUE 1992, 187; Zenner, Haftung, 19. 513 Snoep, NJB (1992), 263; Pieper, NJW 1992, 2454; Ossenbühl, DVBl. 1992, 995; Mögele, BVBl. (1993), 133; Triantafyllou, DÖV 1992, 571. 514 So auch Cornils, Staatshaftungsanspruch, 170. 515 Verordnung (EG) Nr. 3286/94, ABlEG 1994, Nr. L 349, 71.
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rechtswidrige Handelshemmnisse beseitigen zu helfen.516 Die Rechtsschutzgewährung für Private und Mitgliedstaaten und damit Sanktionierungsmöglichkeiten erschöpfen sich in den engen Grenzen der vom EuGH anerkannten Ausnahmen.517 Sind die Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene in so geringem Umfang verfügbar, kann sich eine ausreichende Sanktionierung allenfalls auf völkerrechtlicher Ebene durch den Sanktionsmechanismus der DSU ergeben. Hier sind private Wirtschaftsteilnehmer bei Rechtsverletzungen seitens der EG auf die Initiierung eines Panel-Verfahrens gegen die EG durch andere WTO-Mitgliedstaaten angewiesen, weil sie selbst keine Klagebefugnis haben.518 Ist eine DSB-Entscheidung gegen die EG verabschiedet, bietet sich allerdings die Möglichkeit zur Erhebung von Strafzöllen gegen die EG. Im Rahmen der Begründung der Staatshaftung ist bezweifelt worden, ob die Staatshaftung als zusätzliches Sanktionsmittel neben dem Vertragsverletzungsverfahren, dem „Follow-Up-Verfahren“519 und der Möglichkeit der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie überhaupt erforderlich sei.520 Angesichts der Einführung der Möglichkeit eines Bußgeldes auf Grundlage von Art. 228 II EGV (früher: Art. 171 II EGV) könne ein die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft ernstlich gefährdendes Sanktionsdefizit nicht mehr identifiziert werden.521 Wollte man dieses Argument auf den WTO-Sanktionsmechanismus übertragen, ließe sich anführen, dass wegen der Möglichkeit zur Aussetzung von Zugeständnissen nach Feststellung der WTO-Verletzung durch den obsiegenden Vertragsstaat kein weitergehendes Sanktionsbedürfnis bestehe. Zweifel an der Effektivität der dort verankerten Mechanismen zwischenstaatlicher Sanktionen müssen jedoch angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem DSU bestehen. Zwar ist die EG wie gezeigt völkerrechtlich und gemeinschaftsrechtlich zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen verpflichtet. Andererseits kann in Abwesenheit von Zwangsmaßnahmen kein ausreichender Druck bei gezielter Verweige516
Siehe dazu ausführlich Hinderer, Rechtsschutz, 236 ff. Dazu oben Teil 2 C. III. 2. e). 518 Für den Zugang Privater zum Streitbeilegungsverfahren daher Hinderer, Rechtsschutz, 133 ff.; Haines-Ferrari, in: Cameron/Campbell (Hg.), Dispute, 1998, 270; Schleyer, Fordham Law Review 65 (1997), 2277; ablehnend Hoekman/Mavroidis, World Economy 23 (2000), 530. 519 Vgl. zu den Voraussetzungen nur Teske, EuR 1992, 285; Middeke/Szczekalla, JZ 1993, 287. 520 Cornils, Staatshaftungsanspruch, 167, der allerdings eingesteht, dass für die Fälle eines zur dauerhaften Nichtumsetzung entschlossenen Mitgliedstaates auch das Sanktions- und Kontrollsystem der EG unzureichend ist. 521 Cornils, Staatshaftungsanspruch, 171; Slynn, Introducing, 1992, 151; das bestehende Sanktionssystem als unzureichend erachtet Streinz, in: FS für Everling, 1509; Jakob, Sanktionen, passim. 517
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rungshaltung522 ausgeübt werden, wie das bisherige Umsetzungsverhalten der EG belegt. Unter dem Regime des GATT 1947 zeigt die Erfüllungsstatistik der EG ein gemischtes Bild.523 Obwohl es in den 20 Fällen, in denen die EG in Panel-Verfahren verurteilt wurde, nur einmal gar keine und sieben Mal eine nur teilweise Umsetzung der Panel-Entscheidung gegeben hat, ist diese positive Bilanz eingedenk der Möglichkeit unter dem GATT 1947, die Verabschiedung eines Panel-Berichts zu blockieren, wenig aussagekräftig.524 Gerade in drei der wichtigsten Panel-Entscheidungen in den 80er Jahren, Pasta, Canned Fruit and Citrus, hat die EG die Annahme des Berichts verhindert, weil zu diesem Zeitpunkt die Annahme eines Panel-Berichts noch einen positiven Konsens voraussetzte. Unter dem WTO-Regime sind bisher vier Fälle in die Implementierungsphase eingetreten.525 Die Auseinandersetzungen unter Beteiligung der EG als Beklagte, in denen der Handelsstreit zur Festsetzung der Höhe der Gegenmaßnahmen durch das Schiedsgericht führte und die Gegenmaßnahmen auch tatsächlich ergriffen wurden, sind der Bananen- und der Hormonstreit.526 Trotz mehrfacher Feststellung der Rechtswidrigkeit durch Panel und AB hat die EG in diesen Auseinandersetzungen ihr Sekundärrecht nicht WTO-konform angepasst und damit eindrucksvoll deutlich gemacht, dass sie bereit ist, die Sanktionen auf Kosten einiger europäischer Exporteure in Kauf zu nehmen, wenn sie selber handfeste Interessen mit ihrer protektionistischen Außenhandelspolitik verfolgt.527 Trotz der Verrechtlichung des Streitbeilegungsverfahrens sind insofern nach wie vor Fälle denkbar, in denen sich die EG der Umsetzung der DSB-Entscheidungen hartnäckig widersetzen kann.528 In solchen Szenarien einer fortgesetzten Verweigerungshaltung bei der Umsetzung der DSB-Entscheidungen sind selbst Sanktionen 522
Vgl. dazu Oeter, in: Nowak/Cramer, Individualrechtsschutz, 227, der im Verhalten der EG eine „an Rechtsleugnung grenzende Hartnäckigkeit“ ausmacht. 523 Vgl. zum Folgenden Hudec, International Trade Law, 306. 524 Dagegen ließen sich auf Seiten der USA bei 14 GATT-Verletzungen immerhin vier Fälle von Nichtumsetzung und ein Fall von teilweiser Umsetzung der Panel-Berichte beobachten, siehe Hudec, International Trade Law, Table 11.18, 305. 525 WT/DS27/R, EC – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas. WT/DS26/17, WT/DS48/15, EC-Hormones; WT/DS286 und WT/DS269, EC-Chicken Cuts; WT/DS141, EC-Anti-Dumping Duties on Imports of Cotton-type Bed Linen from India. 526 So O’Connor, JWT 38 (2004), 246. 527 Einprägsam sind insoweit die Worte des früheren Kommissionsmitglieds Pascal Lamy: „As long as you pay the penalties, you can go on as you are.“ Press and Communication Service Brussels, No. 3036, 23.5.2000; Vgl. auch Petersmann, in: FS für Fikentscher, 967. 528 van den Broek, JWT 37 (2003), 146 f.
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wirtschaftlich starker Handelspartner wie die der USA ungeeignet, einen ausreichenden Druck auf WTO-konformes Verhalten auszuüben. Vor diesem Hintergrund kann erst recht kein glaubwürdiger Druck auf die EG ausgeübt werden, wenn kleine Staaten vom DSB autorisiert werden, Strafzölle auf Exportprodukte der EG zu erheben.529 Hält man sich das geringe ökonomische Potential kleiner Volkswirtschaften vor Augen, ist es unwahrscheinlich, dass Gegenmaßnahmen eine Handelsmacht wie die EG empfindlich treffen könnten.530 Auch die ökonomischen Folgen solcher Gegenmaßnahmen sind für kleine Volkswirtschaften wohlfahrtsmindernd und bedeuten vielmehr einen „Schuß ins eigene Bein“.531 Logischerweise dürften kleine Volkswirtschaften von diesem ökonomischen Kalkül in ihrer Ermessensentscheidung, ob der DSB überhaupt um Genehmigung angerufen oder ob Gegenmaßnahmen tatsächlich ergriffen werden sollten, beeinflusst sein.532 Beispielhaft ist insofern der Bananenstreit, in dem Ecuador wohl im Bewusstsein selbstschädigender Wirkungen schließlich keine Gegenmaßnahmen ergriffen hat.533 Angesichts dieser Wirkungsschwäche der vom DSU bereitgestellten Sanktionsmöglichkeiten ist zu gewärtigen, dass die Sanktionspotentiale weder auf völkerrechtlicher, noch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene zumindest in den Fällen gezielter Verweigerungshaltung eine anreizoptimale Wirkung erzielen können. Aufgrund seines Charakters als Gebotsvorschrift werden die Vorteile aus dem Verstoß mit den zu erwartenden Folgen und der Kontrollierbarkeit des Verstoßes von der Gemeinschaft abgewogen. Zieht man das geringe Sanktionspotential und die damit einhergehende beschränkte Kontrolle einerseits und das manifeste Interesse einiger an Importprotektion interessierter Lobbygruppen und deren Einflussnahmen auf die politischen Entscheidungsträger andererseits in Erwägung, ist die Häufigkeit des Verstoßes durchaus zu erklären. Dem schließt sich der Befund an, dass infolgedessen auch die Zielsetzung des Art. 300 VII EGV, die Gemeinschaftsorgane zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen zu verpflichten, vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Umsetzungsdisziplin der EG im Bananen- und im Hormonstreit als unwirksam angesehen werden muss. In Anbetracht der Kontinuität der Missachtung dieser Vorschrift kann wohl kaum behauptet werden, dass die Verbindlichkeitsanordnung dergestalt effektiv wirkt, dass sie von den EG529 Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 10; van den Broek, JWT 37 (2003), 143. 530 Mavroidis, EJIL 2000, 808. 531 Breuss, in: Österreichs Außenwirtschaft 2002/03, 345. 532 Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 10; Horn/Mavroidis, World Bank 1999, 26; Pauwelyn, AJIL 94 (2000), 338. 533 O’Connor, JWT 38 (2004), 260.
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Organen ernst genommen wird, zumal sie nicht zu befürchten brauchen, dass ihre Sekundärrechtsakte aufgrund mangelnder Direktwirkung kassiert werden könnten. Eine am effet utile orientierte Auslegung muss aber darauf zielen, diejenige Deutung zu finden, welche die Entfaltung des Rechtsfolgebewirkungsanspruchs am besten ermöglicht.534 Insofern könnte die Effektuierung der Umsetzungsverpflichtung des Art. 300 VII EGV darauf hinwirken, dieses Sanktionsdefizit zu beheben, indem der Einzelne durch eine Haftpflicht zur Behebung des Sanktionsdefizits aktiviert wird. Gleichzeitig würde die zeitliche Beschränkung für die Geltendmachung von Schadensersatzklagen auf den Zeitraum nach Ablauf der vom DSB eingeräumten Umsetzungsfrist ein Ausufern des Sanktionspotentials durch Schadensersatzklagen ausschließen. Auch würde die Anerkennung der Schadensersatzpflicht in ihrer Sanktionsintensität schonend mit den vom DSU gewährten Verhandlungsspielräumen umgehen, weil diese vom Sekundäranspruch anders als bei einer Anerkennung der unmittelbaren Wirkung unangetastet bleiben. b) Die Integrationsdichte Ruft man sich die Kommentare zur Begründung der Staatshaftung in Erinnerung, in denen von einem „Integrationsschub“535 der Francovich-Rechtsprechung sowie von der Schaffung eines Instrumentes eines dezentral wirkenden Integrationsmechanismus536 die Rede war, stellt sich die Frage, ob der effet utile auch im Zusammenhang mit WTO-Rechtsverletzungen geltend gemacht werden kann. aa) Die Bedeutung der Integrationsdichte für die Aktivierung des effet utile Ausgangspunkt der Überlegung ist die Feststellung, dass die Verpflichtung in Art. 249 III EGV zur Umsetzung originären Gemeinschaftsrechts verpflichtet, während es bei der Bindungswirkung von Art. 300 VII EGV um in der Völkerrechtsordnung verankertes Recht geht. Diesem Befund schließt sich die Einsicht an, dass dem Völkerrecht im Gegensatz zu dem Gemeinschaftsrecht der Geltungsanspruch nicht immanent ist, in einer anderen Rechtsordnung unmittelbar zu gelten. Weder aus dem allgemeinen Völkerrechtsgrundsatz pacta sunt servanda, an den auch die EG gebunden ist, noch aus einer anderen völkerrechtlichen Norm lässt sich ein derartiger 534 535 536
Ossenbühl, DVBl. 1992, 995. von Danwitz, DVBl. 1997, 2. Masing, Mobilisierung, 1997, 48 ff.
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Geltungsanspruch des Völkerrechts entnehmen.537 Dies hat zum einen zur Folge, dass Vertragsvölkerrecht nur aufgrund eines Geltungsbefehls der anwendenden Rechtsordnung in dieser gilt, während sich das Gemeinschaftsrecht in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen aus einem ihm immanenten Geltungsanspruch durchsetzt.538 Demgegenüber steht die gemeinschaftsrechtliche Richtlinie, die als Gesetzgebungsakt eines Gemeinschaftsorgans ihren Ursprung in der Gemeinschaftsrechtsordnung hat und kraft dessen Vorrang vor mitgliedstaatlichem Recht539 genießt und gleichzeitig als wesentliches Element der europäischen Integration der Rechtsangleichung zwischen den Mitgliedstaaten dienlich ist.540 Der Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten ist vor allem im Hinblick auf die fortschreitende Integration erforderlich, um die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu gewährleisten.541 Fraglich erscheint, ob diese integrationspolitischen Gründe im Verhältnis des Welthandelsrechts zum Gemeinschaftsrecht vorliegen.542 Gegen eine solche Annahme wird argumentiert, dass die Erforderlichkeit einer Haftpflicht für Gemeinschaftsrechtsverletzungen für die fortschreitende Integration der EG deshalb ungleich größer sei als für das WTO-Recht, da letztere lediglich dem Abbau von Handelshemmnissen in heterogenen Rechtsordnungen unter Beibehaltung der einzelnen unterschiedlichen Märkte diene. Das Gemeinschaftsrecht sei auf die Haftung eher angewiesen, um die einheitliche und effektive Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.543 Die Konsequenz wäre, dass eine weitergehende Integration, die sich 537
Wünschmann, Geltung, 55. So auch die h. M. im Schrifttum, vgl. nur Jiménez de Aréchaga, in: FS für Doehring, 410; Koller, Anwendbarkeit, 61; Klein, Geltung, 14; Arnold, Die Friedenswarte 66 (1986), 59; Völker, LIEI 1983/84, 133; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), 345; nach der heute nicht mehr vertretenen Auffassung eines strengen Monismus gelten völkerrechtliche Verträge dagegen nicht erst kraft eines gemeinschaftlichen Geltungsbefehls, vgl. Pescatore, L’ordre juridique, 150 f. Die Notwendigkeit eines gemeinschaftlichen Geltungsbefehls ist sowohl mit einer gemäßigt monistischen als auch einer (gemäßigt) dualistischen Deutung von Gemeinschaftsrechts- und Völkerrechtsordnung vereinbar. 539 Wenngleich Einigkeit über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht herrscht, bestehen hierfür unterschiedliche dogmatische Begründungen. Vgl. zum Streitstand Streinz, Europarecht, Rn. 201 ff. 540 Vgl. dazu Herrmann, Richtlinienumsetzung, 26 f.; Dendrinos, Rechtsprobleme, 97. 541 Vgl. dazu Emmert, Europarecht, § 14, 143, Rn. 7; EuGH, Rs. 6/64, Costa/ ENEL, Slg. 1964, 1259. 542 Ablehnend Krück, Verträge, 168; Flemisch, Umfang, 61; Sack, EuZW 1997, 688. 543 Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 695; von Bogdandy, EuZW 2001, 363; Görgens, Haftung, 92. 538
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in supranationalem Recht verkörpert, eine besondere Art der dynamischen Auslegung erfordern könnte, bei der nicht nur auf den gegenwärtigen Integrationszustand abgestellt wird, sondern die Bedeutung einer Norm, die für Integration möglichst förderlich sein kann, maßgeblich ist.544 Angesprochen sind damit auch die (neo)funktionalistischen Integrationstheorien545 auf Grundlage derer der Einzelne zu einem wichtigen Akteur der europäischen Integration und Rechtsdurchsetzung gemacht wird.546 Im Mittelpunkt steht dabei die dezentrale Durchsetzung von Freiheitsgarantien. Für die Auslegung des Art. 300 VII EGV könnte das bedeuten, dass ihre Bedeutung für die Förderung der Integration geringer sei als im Falle des Art. 249 III EGV. Denn bei Art. 300 VII EGV geht es nur um die Einführung eines Abkommens aus einer anderen Rechtsordnung, während Art. 249 III EGV Vorrang und Funktionsfähigkeit des supranationalen Charakters der EG in den Mitgliedstaaten sichern soll. Das könnte für eine unterschiedliche Auslegung aufgrund unterschiedlicher Integrationsansprüche sprechen und letztlich der Übertragbarkeit des effet utile-Gedankens auf Art. 300 VII EGV entgegenstehen. Dem sind verschiedene Gesichtspunkte entgegenzuhalten: erstens kann integrationstheoretisch durchaus argumentiert werden, dass die WTO eine wirtschaftliche Integration anstrebt. Darüber hinaus tritt neben die ökonomische Integrationskraft der WTO die völkerrechtskonforme Integrationsabsicht des EGV, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die Wahrung des Legalitätsprinzips auch im Außenwirtschaftsrecht der EG verlangt. bb) Der wirtschaftliche Integrationscharakter der WTO Dem integrationspolitischen Argument liegt ein Verständnis von Integration zugrunde, bei dem sich Staaten auf vertraglicher Basis zusammenschließen und dadurch eine neue Einheit gründen, die über den bloßen vertraglichen Zusammenschluss hinaus geht und von den Staaten unabhängig ist.547 Dabei kann die Integration umfassend sein oder aber auch nur Teilbereiche erfassen.548 Die Integrationsforschung differenziert zwischen einer politischen, ökonomischen und juristischen Dimension des Integrationsprozesses.549 544
Krajewski, Verfassungsperspektiven, 50. Petersmann, in: FS für Fikentscher, 969; ders., EuZW 1997, 326; Zuleeg, ZGR 1980, 475. 546 Magiera, DÖV 1998, 174.; Masing, Mobilisierung, 50 ff. 547 Krajewski, Verfassungsperspektiven, 49; vgl. auch Meyer-Cording, in: FS für von der Groeben, 221. 548 Constantinesco, Recht, 139. 549 Behrens, RabelsZ 1981, 13. 545
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Unzweifelhaft dürfte der EG eine größere und qualitativ unterschiedliche Integrationsdichte einzuräumen sein als dies für die WTO gilt. Insbesondere die politische Integration ist durch die Übertragung von Kompetenzen zugunsten einer supranationalen Einheit von den Mitgliedstaaten auf die EG nicht vergleichbar mit den intergouvernementalen Mechanismen der WTOVorschriften. Durch die dynamische Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts mit der Anerkennung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der unmittelbaren Wirkung etlicher Vorschriften ist die Integration in der EG weiter vorangeschritten.550 Dazu kommt die Errichtung eines gemeinsamen Marktes, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er Integration nicht auf den freien Warenverkehr beschränkt, sondern parallel auch die Arbeits-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte integriert.551 Doch auch wenn zwischen der Gemeinschaftsrechtsordnung und dem WTO-Recht somit eine unterschiedliche Integrationsdichte feststellbar ist, kann deswegen dem WTO-Recht noch nicht sein wirtschaftlicher Integrationscharakter abgesprochen werden. Der Begriff der wirtschaftlichen Integration hat zahlreiche Definitionen erfahren. Teilweise werden neben der Beseitigung von Handelshemmnissen zusätzlich gemeinsame Politiken und Institutionen und bestimmte Koordinationsmechanismen notwendig erachtet.552 Andere stellen den Prozess einer Entwicklung hin zu einer politischen Union in den Vordergrund.553 Eine weitere Auffassung argumentiert, dass Integration dort einsetze, wo zumindest in Teilbereichen Hemmnisse für den freien Verkehr von Waren oder Dienstleistungen vollständig beseitigt und nicht nur reduziert worden sind.554 Solange nicht zumindest teilweise alle Hemmnisse beseitigt worden seien, könne nur von bloßer internationaler Kooperation gesprochen werden, weshalb auch für das WTO-Abkommen wegen dessen Ziel des „Abbaus“ und nicht der „Beseitigung“ von Handelshemmnissen keine Integration in Betracht kommen könne.555 Die Schwäche dieser Ansätze liegt in ihrer rein statischen Betrachtungsweise, die das dynamische Wesen der Integration unberücksichtigt lässt. Besser ist es von der generalisierenden Betrachtungsweise dieser Theorien Abstand zu nehmen556 und das zentrale Ziel einer wirtschaftlichen Integration, nämlich die Schaffung von Wohlfahrtsgewinnen, zum Ausgangspunkt zu machen. Danach sollte maßgeblich 550 Teilweise wird sogar der Vorrang des WTO-Rechts vor dem EG Primärrecht gesehen. So Flemisch, Umfang, 72; oder zugunsten der unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts Hinderer, Rechtsschutz, 375 ff. 551 Behrens, RabelsZ 1981, 33. 552 Tinbergen, Integration, 122; El-Agraa, in: ders. (Hg.), Economics, 1. 553 Pinder, in: Denton, (Hg.), Integration, 143 ff. 554 Balassa, Theory, 2; Behrens, RabelsZ 1981, 26. 555 Krajewski, Verfassungsperspektiven, 51. 556 Vgl. Jovanovic, Integration, 7; Duncker, Integration, 41.
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auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung abgestellt werden.557 Hierin unterscheiden sich die Zielsetzungen der WTO nicht von denen der EG.558 Die WTO-Abkommen haben durch die Verfolgung der Prinzipien der Freihandelslehre durch Verhandlungsrunden einen dynamisch integrierenden Prozess in Gang gesetzt, der – wenngleich er noch nicht auf politischer Ebene nachvollzogen wird – so doch zumindest eine Handelsintegration anstrebt. Dieser dynamische Prozess wird eine Fortsetzung finden, bis die völlige Aufhebung der Handelsbeschränkungen erreicht ist.559 Dank dieser Dynamik in der Liberalisierung ist dem WTO-Recht eine ökonomisch integrierende Funktion zuzusprechen, die sich graduell entwickelt und die sich somit lediglich in ihrer Intensität und ihrer Beschränkung auf die Wirtschaft von der Integration in der Europäischen Gemeinschaft unterscheidet. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ferner, dass auch in der EG bis in die 70er Jahre hinein Zölle nicht vollständig beseitigt waren, ohne dass der Prozess der wirtschaftlichen Integration bezweifelt worden wäre. Entscheidend bei dieser Entwicklung war, dass der in der EG erreichte Grad der politischen Integration und ihr supranationaler Charakter gerade durch die Anerkennung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der unmittelbaren Anwendbarkeit ermöglicht wurde. Die Bedeutung der Integrationsdynamik als konstitutives Element des Prozesses verschafft sich nicht zuletzt Ausdruck in der integrationsfreundlichen Rechtsprechung, die ihm entscheidende Impulse verlieh.560 Ohne an dieser Stelle für diese weitreichenderen Rechtswirkungen in Bezug auf das WTO-Recht eintreten zu wollen, sollte von diesen Erkenntnissen nicht dadurch abgewichen werden, dass sowohl eine hohe wirtschaftliche als auch politische Bereiche durchdringende Integrationstiefe zur Voraussetzung für die Effektuierung der Umsetzungsverpflichtung der DSB-Entscheidungen gemacht wird.561 cc) Die völkerrechtsintegrierende Wirkung des EGV Neben dem im ökonomischen Bereich durch die WTO in Gang gesetzten Integrationsprozess sprechen noch weitere Gründe dafür, die Fruchtbarmachung des effet utile-Gedankens auf Art. 300 VII EGV nicht an dem Integrationsargument scheitern zu lassen. Zwar ist zu bedenken, dass die EG-Richt557
So auch Duncker, Integration, 41; Machlup, History, 43. Drexl, in: FS für Fikentscher, 844; Hinderer, Rechtsschutz, 390. 559 Allgemein zur Natur der Integration als langfristigen Prozess Krämer, Methoden, 10 f. 560 Dazu Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 66 ff.; Duncker, Integration, 87. 561 So auch weitergehend mit Bezug auf die Anerkennung der Direktwirkung Hinderer, Rechtsschutz, 390; Meng, in: FS für Rudolf, 85; Hilf, MJIL 18 (1997), 574. 558
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linie in Art. 249 III EGV gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs ist, während Art. 300 VII EGV dagegen ein Abkommen aus einer anderen Rechtsordnung einführt. Entscheidend ist jedoch, dass das WTO-Recht nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH Bestandteil einer Gemeinschaftsrechtsordnung geworden ist, die ihrerseits vom Grundsatz des Individualrechtsschutzes geprägt ist. Würde man diesen Grundsatz für die „integrierenden Bestandteile“562 negieren, käme das einer Etablierung verschiedener Schutzstandards innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung gleich. Unterschiedliche Schutzstandards innerhalb derselben Rechtsordnung würden konsequenterweise auch eine uneinheitliche Durchsetzung des Legalitätsprinzips bedeuten und gleichzeitig die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts gefährden. Denn die EG läuft Gefahr, diese unterschiedliche Ausprägung in der Wahrung des Legalitätsprinzips zwischen integriertem Völkervertragsrecht und formellem Gemeinschaftsrecht zu verfestigen.563 Eine solche desintegrierende Tendenz erscheint in mehrerer Hinsicht unvereinbar mit dem EGV: Zunächst einmal bekennt sich die EU zum Grundrechtsschutz und den Demokratie- und Rechtstaatsprinzipien. Die Ausgestaltung des Rechtsschutzes hat sich als Integrationsmotor für „Integration durch Partizipation“ erwiesen.564 Eine Missachtung des Legalitätsprinzips im Bereich integrierender Gemeinschaftsabkommen sowie das Fehlen eines wirksamen Rechts- und Gerichtsschutzes gegenüber WTO-Rechtsverletzungen vermindert den effektiven Schutzbereich der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsstaatsprinzipien und hat desintegrierende Wirkung im Bereich der Gemeinschaftsabkommen der EG.565 Darüber hinaus ist auch der Grundsatz völkerrechtskonformer Integration zu berücksichtigen, der sich aus den Art. 300–307 EGV ableiten lässt.566 Der in diesen Vorschriften anerkannte und auf Völkerrechtskonformität abzielende Grundsatz entspricht den Völkerrechtsgrundsätzen des pacta sunt servanda und der Vermeidung völkerrechtlicher Vertragskollisionen. Er fügt sich ein als Mosaik in ein welthandelsrechtsfreundliches Gesamtbild der europäischen Verträge. Dieser Grundton klingt auch in der Vorschrift des Art. 131 EGV (Art. III-314 EVV) an, nach der die Mitgliedstaaten durch die Schaffung einer Zollunion beabsichtigen, „im gemeinsamen Interesse 562
Vgl. nur EuGH, Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, 449, Rn. 2 ff.; Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, Rn. 8. 563 Petersmann, in: FS für Fikentscher, 970. 564 Petersmann, in: FS für Fikentscher, 971; Flemisch, Umfang, 136; Kuschel, EuZW 1996, 649. 565 Petersmann, in: Müller-Graff (Hg.), 83; ders., in: FS für Fikentscher, 979. 566 Flemisch, Umfang, 136; Petersmann, in: FS für Fikentscher, 974; im Europäischen Verfassungsvertrag kommt dieser Grundsatz nach wie vor zum Tragen, wenngleich die entsprechenden Normen sich an verschiedenen Stellen des Vertrags wieder finden. Die Regelungen der Art. 300–307 EGV sind nunmehr in den Art. III-322, 323, 325, 327, 435 und Art. IV-441 EVV niedergelegt.
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zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im Handelsverkehr und zum Abbau der Zollschranken“ beizutragen.567 Diese Formulierung findet sich in fast identischem Wortlaut in der Präambel zum EGV und steht im Einklang mit der Zielsetzung des WTO-Abkommens.568 Auch die Funktionszusammenhänge zwischen Außen- und Binnenwirtschaft unterstreichen in Verbindung mit dem gemeinschaftsrechtlichen „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. 4 (1), 98, 157 (1) EGV bzw. Art. III-177, III-178, III-279 (1) EVV) die Bedeutung einer völkerrechtskonformen Berücksichtigung der Freiheits- und Gleichheitsgarantien des WTO-Rechts.569 Die Integration der WTO-Abkommen in der Gemeinschaftsrechtsordnung ist somit rechtsstaatliche Voraussetzung für die Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlichen Ziele. Der Zusammenhang zwischen völkerrechtskonformer und europäischer Integration trat in der Vergangenheit auch in der Liberalisierung und Harmonisierung des nationalen Außenhandelsrechts der EG-Mitgliedstaaten deutlich zu Tage, im Verlauf derer sich die GATT-Verpflichtungen als wichtiges Instrument erwiesen haben.570 Eine andere Beurteilung im Hinblick auf die völkerrechtsintegrierende Intention vermittelt auch nicht der Europäische Verfassungsvertrag. Neben den oben genannten Vorschriften, die teilweise in gleich lautenden Formulierungen die Völker- und Welthandelsrechtskonformität hervorheben, artikuliert Art. I-3 (4) EVV die Zielsetzung, dass die Union einen Beitrag leistet zum freiem und gerechten Handel und zur strikten Einhaltung des Völkerrechts. Das Bekenntnis zur Achtung des Völkerrechts kommt auch in Art. III-292 (1) EVV zum Ausdruck, der darüber hinaus die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beim Handeln der Union auf internationaler Ebene betont. Schließlich soll die Union in ihren internationalen Beziehungen auch die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft fördern und den schrittweisen Abbau von Hemmnissen des internationalen Handels anstreben. Zusammenfassend bleibt eine völkerrechtskonforme Integrationsabsicht des EGV genauso zu konstatieren wie ein von der WTO initiierter wirtschaftlicher Integrationsprozess, angesichts derer die Effektuierung des Art. 300 VII EGV nicht aus integrationspolitischen Gründen ausgeschlossen werden sollte. Vielmehr lassen sich die (neo)funktionalistischen Integra567
So auch Kuschel, EuZW 1995, 691. Als Ausdruck der allgemeinen Völkerrechtsfreundlichkeit des EGV ist auch die direkte Bezugnahme auf die Charta der Vereinten Nationen in der Präambel des EGV sowie die Absichtserklärung zu bewerten, völkerrechtliche Verpflichtungen zu befolgen und zu integrieren. 569 Petersmann, in: FS für Fikentscher, 980. 570 Petersmann/Spennemann, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 307 EGV, Rn. 1. 568
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tionstheorien auch auf die Durchsetzung und Befolgung von Gemeinschaftsabkommen übertragen, weil der Einzelne zum Akteur völkerrechtskonformer Integration avancieren kann. Durch die Anerkennung der Haftung können damit nicht nur gesamtwirtschaftlich ineffiziente Umverteilungseffekte korrigiert, sondern im Bereich des Außenwirtschaftsrechts demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen zum Durchbruch verholfen werden,571 um so zur Vermeidung eines doppelten Schutzstandards in der EG und zu einer einheitlichen Anwendung des Legalitätsprinzips beizutragen. 3. Anwendung des effet utile auf das WTO-Recht Konnte das Prinzip der praktischen Wirksamkeit bislang für die Umsetzungsverpflichtung in Art. 300 VII EGV zugunsten einer Abkoppelung der Haftpflicht vom Kriterium der unmittelbaren Wirkung für gemeinschaftliche WTO-Rechtsverletzungen fruchtbar gemacht werden, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob dieses Ergebnis nicht auch aus einer entsprechenden Auslegung des WTO-Rechts gewonnen werden kann. Anders ausgedrückt soll nun untersucht werden, ob mit der praktischen Wirksamkeit einer Gemeinschaftsnorm letztlich nicht ein Sanktionsinstrument entwickelt wird, das mit den im Rahmen der WTO vereinbarten Durchsetzungsverfahren gar nicht vereinbar ist. Nichtsdestotrotz bleibt zu erörtern, ob die Anwendung des effet utile-Prinzips auf das WTO-Recht ein Auslegungsergebnis liefern könnte, welches mit der Schaffung einer von der unmittelbaren Anwendbarkeit losgelösten Haftpflicht auf Gemeinschaftsebene im Einklang steht. a) Effektuierung von Gemeinschaftsabkommen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs Die Notwendigkeit, das WTO-Recht seiner praktischen Wirksamkeit ebenso zuzuführen wie dies für das primäre Gemeinschaftsrecht getan wurde, ergibt sich nicht nur aus seiner Eigenschaft als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts, als welches es wie das übrige Gemeinschaftsrecht ausgelegt werden muss, sondern auch aus der Tatsache, dass es sich bei dem effet utile-Gedanken um eine besondere Ausprägung der teleologischen Auslegung handelt,572 die im Völkerrecht genauso Anwendung findet wie im Gemeinschaftsrecht.573 571 Dies wohl eine der Grundaussagen von Petersmann, Introduction, 5 ff.; ders., Constitutional Function, 363 ff.; ders., Dispute Settlement, 32, 34; ders., EuZW 1997, 326 ff. 572 Flemisch, Umfang, 74, Fn. 257. 573 Verdross/Simma, Völkerrecht, 492, § 776.
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Als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung müssen die WTO-Abkommen diesem Auslegungsprozess ebenso zugänglich sein wie das genuine Gemeinschaftsrecht selbst, wenn man nicht in Kauf nehmen will, dass unterschiedliche Schutz- und Auslegungsstandards innerhalb des Gemeinschaftsrechts gelten sollen. In diesem Zusammenhang dürfte auch das Argument an Gewicht verlieren, dass die in die Gemeinschaftsrechtsordnung eingeführten Abkommen anders behandelt werden sollten als EG-Richtlinien, die rechtsquellenmäßig der Gemeinschaftsrechtsordnung entspringen. Trotz des rechtsquellenmäßigen Unterschiedes kommen sowohl Richtlinien als auch Gemeinschaftsabkommen für eine an der praktischen Wirksamkeit ausgerichteten Auslegung in Betracht. Selbst wenn das Gemeinschaftsabkommen in der Völkerrechtsordnung verwurzelt bleibt und insofern abweichende Auslegungsmethoden in Bezug auf die Rechtswirkung eines Abkommens zulässig sind,574 gilt der effet utile-Gedanke in beiden Rechtsordnungen, weil es sich bei ihm um eine Ausprägung der teleologischen Auslegung handelt. Durch die Auslegung nach Ziel und Zweck soll dem Abkommen so die größtmögliche Effektivität verschafft werden.575 Von diesen Überlegungen sowie der Anwendbarkeit des effet utile auf Gemeinschaftsabkommen hat sich auch der Gerichtshof immer dann leiten lassen, wenn er Assoziierungsund Freihandelsabkommen und die daraus hervorgehenden Organbeschlüsse verstärkt unter effet utile-Gesichtspunkten ausgelegt hat. In diesem Sinne entschied der EuGH bereits in der Rechtssache Tetik576, dass es die Wirksamkeit des Beschlusses 1/80, hervorgehend aus dem EWG-Türkischen Assoziationsabkommen von 1964, erfordere, dass türkische Arbeitnehmer ihre bisherige Beschäftigung aufgeben und eine neue suchen dürften.577 Ähnlich befand der Gerichtshof in der Rechtssache Ertanir, dass der Ratsbeschluss „jeder praktischen Wirksamkeit beraubt“ wäre, wenn den türkischen Arbeitnehmern durch mitgliedstaatliche Maßnahmen im Ergebnis bestimmte Rechte vorenthalten würden.578 Auch für das Freihandelsabkommen zwischen der EWG und Österreich für den Parallelimport von Arzneimitteln entschied der Gerichtshof in Eurim-Pharm, dass den Vorschriften des Abkommens „ein Großteil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen“ würde, wenn sie nicht der Weigerung des Bundesgesundheitsamtes, ein Arzneimittel auf dem deutschen Markt zuzulassen, entgegenstehen würden.579 574
Epiney, EuZW 1999, 6; Weber, ArchVR 1997, 313. Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge, 101, Rn. 214; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, 80, Rn. 348 ff.; zu den Grenzen dieses Prinzips Brownlie, Public, 631: „generally subordinated to the textual approach“. 576 EuGH, Rs. C-171/95, Tetik, Slg. 1997, I-329, Rn. 31. 577 Siehe Hirsch, BVBl. 1997, 452. 578 EuGH, Rs. C-98/96, Ertanir, Slg. 1997, I-5179, Rn. 32. 579 EuGH, Rs. C-207/91, Eurim-Pharm, Slg. 1993, I-3748, Rn. 25. 575
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Gemeinschaftsabkommen werden also grundsätzlich vom EuGH derart ausgelegt, dass ihre praktische Wirksamkeit sichergestellt bzw. nicht gefährdet ist. Bereits erwähnt wurde, dass der effet utile-Gedanke nicht nur zur Sicherstellung der Effektivität gegenüber den Mitgliedstaaten, sondern auch zur Kontrolle von Gemeinschaftsmaßnahmen angewendet wird.580 Vor diesem Hintergrund ist kein Einwand ersichtlich, warum die WTO-Abkommen nicht auch dahingehend untersucht werden sollten, ob ihre Auslegung nach Ziel und Zweck nicht das Ergebnis liefern könnte, dass eine Haftpflicht auf Ebene der Vertragsstaaten gerade ihre größtmögliche Effektivität sicherstellt. b) Zielsetzung der WTO-Abkommen als Bezugspunkt des effet utile Der im Völkerrecht anerkannte Grundsatz des effet utile (ut res magis valeat quam pereat) hat ebenso wie im Gemeinschaftsrecht die Funktion, dem materiellen Recht zur vollen Entfaltung seines Geltungsanspruches zu verhelfen.581 Die Geltung des Prinzips des effet utile im Rahmen der WTO hat der Appellate Body in der Entscheidung Korea-Safeguards ausdrücklich anerkannt.582 Wie auch im Falle der Anwendung des effet utile im Gemeinschaftsrecht ist eine klare Zieldefinition des WTO-Rechts erforderlich, um eine Aussage über die Effektivität seiner Vorschriften machen zu können, darüber also, ob das von den WTO-Vertragsstaaten intendierte Vertragsziel erreicht oder verfehlt wird. Die vertraglichen Ziele des WTO-Rechts stellen folglich die Beurteilungsgrundlage der Funktions- und Folgenanalyse dar.583 Die Zielsetzungen des WTO-Rechts finden sich in der Präambel des WTO-Übereinkommens. Dort sind eine Reihe von politischen Zielsetzungen für die Ausgestaltung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten niedergelegt. Angestrebt werden die Erhöhung des Lebensstandards, die Verwirklichung der Vollbeschäftigung, ein hohes und ständig steigendes Niveau des Realeinkommens und der wirksamen Nachfrage, die optimale Nutzung der Ressourcen der Welt, sowie die Steigerung der Produktion und des Handels.584 Neu hinzugekommen sind gegenüber dem GATT 1947 im Rahmen der WTO die Sicherung eines angemessenen 580
von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 9. Verdross/Simma, Völkerrecht, § 780, 494; Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rn. 10, 118; Buergenthal/Doehring/Kokott/Maier, Grundzüge, Rn. 214, 101; Seidl-Hohenveldern/Stein, Rn. 348 ff., 80. 582 WT/DS98/AB/R, Korea – Definitive Safeguard Measures on Imports of Certain Dairy Products, Bericht des Appellate Body vom 14.12.1999, Rn. 81. 583 Allgemein dazu Voß, Symbolische, 55; Rottleuthner, Rechtstheorie, 113 f.; Deckert, Folgenorientierung, 98. 584 Präambel Abs. 1 WTOÜ. 581
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Anteils der Entwicklungsländer am weltweiten Wachstum und der Umweltschutz, insbesondere das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung.585 Der Umfang intendierter Liberalisierung erschließt sich aus der dritten Präambelerwägung, wonach die Bestimmungen des WTO-Rechts „auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen abzielen.“586 Zentrales Anliegen der WTO-Vorschriften ist also der Abbau von Beschränkungen und Diskriminierungen im internationalen Handelsverkehr.587 Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels, der Abbau von Beschränkungen sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung588 minimieren damit die Verzerrungen des internationalen Handels infolge protektionistischer Maßnahmen.589 Sie zielen so auf einen möglichst freien, unbeeinflussten internationalen Handel ab.590 c) Das ökonomische Effizienzkriterium als zulässiges Rechtsprinzip bei der Auslegung des WTO-Rechts Die hier entwickelte Argumentation sucht die Begründung einer Schadensersatzverpflichtung für die Verletzung der am Ziel des Freihandels orientierten WTO-Normen herzuleiten. Gegen diesen Ansatz, namentlich dem WTO-Recht dahingehend praktische Wirksamkeit zu verleihen, indem maßgeblich auf die Verwirklichung des Freihandels und damit auf das ökonomische Effizienzkriterium abgestellt wird, ließe sich der Einwand einer rein ökonomischen Folgenorientierung erheben. Angesprochen ist damit die Rolle des ökonomischen Effizienzkriteriums bei der Auslegung von Rechtsnormen.591, 592 Hält man sich vor Augen, dass die wesentliche Zielrichtung 585
Präambel Abs. 1, 2 WTOÜ. Ähnlich auch die 2. Begründungserwägung zum GATT; siehe auch die 2. und 4. Begründungserwägung zum GATS, 1. Begründungserwägung TRIPS. 587 Butler, Beteiligung, 47. 588 Das allgemeine Diskriminierungsverbot ist verankert in Art. III (1) GATT 94, Art. XVII GATS, Art. 3 (1) TRIPS; das Meistbegünstigungsprinzip in Art. I GATT 94, Art. II GATS, Art. 4 TRIPS. 589 Vgl. statt vieler Herrmann, ZEuS 2001, 472; van Eeckhaute, JWT 33 (1999), 203; Beise, Welthandelsorganisation, 48. 590 Davey, Fordham Int’l Law Journal 11 (1987), 53; kritisch gegenüber der Freihandelsmaxime von Bogdandy, in: Walter Hallstein-Institut (Hg.), 74; Herrmann, ZEuS 2001, 472; Matsushita, in: von Bogdandy/Mavroidis/Mény (Hg.), Integration, 301. 591 Vgl. dazu einführend Eidenmüller, Effizienz, 77. 592 Zu unterscheiden sind die Begriffe Effektivität und Effizienz: Während die Effektivität sich aus dem Verhältnis von Wirkungen oder Ergebnissen zu den gesetzgeberischen Zielen erklärt, orientiert sich das Effizienzkriterium hingegen an einem 586
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des WTO-Rechts auf die Liberalisierung des Handels sich maßgeblich am Kriterium der ökonomischen Effizienz orientiert, könnte dies Kritik an den Mängeln einer solchen Betrachtungsweise herausfordern.593 Allerdings ist immer dann, wenn der Gesetzgeber oder die Vertragspartner mit einer bestimmten Norm ein Effizienzkriterium fördern möchten, bei der Auslegung gerade dieser ökonomische Parameter heranzuziehen.594 In diesem Fall ist eine Folgenanalyse und Folgenbewertung im Lichte ökonomischer Effizienz zur Implementierung der legislativen Zielstruktur unerlässlich.595 Diese Eindeutigkeit in der Zielsetzung kann gerade für das WTO-Abkommen bejaht werden. Dem in der Präambel implizit vorausgesetzten Zusammenhang zwischen dem Abbau von Handelsbeschränkungen und Diskriminierungen einerseits und den oben genannten Zielsetzungen andererseits liegt die in der Wirtschaftswissenschaft weithin anerkannte596 Freihandelstheorie und die Theorie der komparativen Vorteile597 zugrunde. Das Effizienzkriterium stellt hier den maßgeblichen Beurteilungsmaßstab dar, wie im Rahmen grenzüberschreitenden Handels internationale Arbeitsteilung zur optimalen Nutzung vorhandener Ressourcen erreicht werden soll. Die daraus resultierenden größeren Absatzmärkte führen wiederum zu Effizienzsteigerungen, die sich ihrerseits in einer höheren Gesamtwohlfahrt durch geringere Produktionskosten und niedrigere Preise für die Konsumenten niederschlagen.598 Ausgangspunkt aller Vorschriften der WTO-Abkommen ist damit zunächst einmal ein an Effizienzmaximierung orientiertes Verständnis. Dies impliziert gleichzeitig nicht die Unbeachtlichkeit von gesundheits- und umweltpolitischen Zielsetzungen, die in der Präambel genauso Niederschlag gefunden haben wie die Liberalisierungsabsicht, deren Realisierung aber gleichwohl mit dem Effizienzkonzept in Einklang zu bringen ist.599 BeiVergleich von Kosten und Nutzen einer Vorschrift und setzt die Wirkungen oder Ergebnisse zu ihrem Ressourcenverbrauch ins Verhältnis. Vgl. Deckert, Folgenorientierung, 96. 593 Siehe zu den Defiziten des Effizienz-Konzeptes allgemein Deckert, Folgenorientierung, 184 ff.; Eidenmüller, Effizienz, 273 ff.; Walther, Folgekostenrechnung, 12. 594 Eidenmüller, Effizienz, 452. 595 So für eine Auslegung im Lichte der ökonomischen Analyse des Zivilrechts Kirchner/Koch, Analyse und Kritik 11 (1989), 111 f.; Kohl, in: Breidenbach/Grundmann/Mülbert/Singer (Hg.), Rechtsfortbildung, 45; Eidenmüller, Effizienz, 452. 596 Kritisch dazu Jackson, Trading, 16 ff.; Maennig/Wilfing, Aussenwirtschaft, 303; Strange, International Organization 30 (1985), 233 ff. 597 Vgl. dazu Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 379 ff.; siehe zum Folgenden auch Butler, Beteiligung, 47. 598 von Weizsäcker, Globalisierung, 7 ff.; Blackhurst/Marian/Tumlir, Trade Liberalization, 23 ff. 599 Vgl. zu den in der Uruguay-Runde hinzugefügten Ziele Senti, GATT-WTO, 40 und 61 ff.
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spielsweise kann es unter ausschließlicher Freihandelsorientierung zu negativen Externalitäten als Folge bestimmter Produktions- und Konsumtionsmuster kommen, die einen steuernden Eingriff in die Wirtschaft rechtfertigen können, wenngleich dadurch auch der Außenhandel leidet. Angesprochen sind damit vor allem die produkt- oder produktionsbezogenen Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzstandards, mit denen die Staaten legitime Gründe verbinden, den Freihandel zu beschränken.600 In einer Situation, in der externe Kosten mit dem Ziel der Maximierung der Gesamtwohlfahrt internalisiert werden sollen, kann durch WTO-konforme einfuhrbeschränkende Maßnahmen ein sozialer Nutzen generiert werden.601 Dieser Erkenntnis tragen die WTO-Abkommen dadurch Rechnung, dass sie Ausnahmen von den Freihandelsregeln nicht grundsätzlich ausschließen, sondern an das Vorliegen bestimmter Bedingungen knüpfen.602 Daran wird deutlich, dass die WTO-Vorschriften durch die Gewährung von Abweichungsmöglichkeiten vom Freihandelsprinzip gerade die Erzielung derjenigen Wohlfahrtsgewinne anstrebt, die vom Konzept der Konsumenten- und Produzentenrente zwar nicht erfasst werden,603 die aber dennoch einen sozialen Nutzen stiften. Angesichts solcher positiver Wohlfahrtseffekte kann im Rahmen der nach WTO-Recht zulässigen Handelsbeschränkung ein gewisses Maß an protektionistischer Einfuhrbeschränkung ganz im Sinne einer Wohlfahrtsmaximierung sein, bei der die im Rahmen der Partialanalyse des Effizienzkonzeptes ausgeblendeten Wohlfahrtseffekte mit berücksichtigt werden. Auf jeden Fall ist unter diesen Gesichtspunkten die ökonomische Wohlfahrtsmessung ein legitimes, sogar notwendiges Leitprinzip bei der Auslegung einer Materie, die wie die WTO-Vorschriften an diesem Prinzip ausgerichtet sind.604 d) Die Haftpflicht als Sanktionsinstrument zur Optimierung von ökonomischer Effizienz und Effektivität des DSU Mit einer ausführlichen ökonomischen Analyse der Anreizmechanismen möglicher Haftungsregime bei Verletzung von WTO-Recht befasst sich Teil vier dieser Arbeit. An dieser Stelle soll lediglich auf ein Teilergebnis der ökonomischen Analyse vorgegriffen werden, wonach unter Zugrundelegung eines Wohlfahrtskriteriums als Beurteilungsmaßstab festgestellt werden 600 Vgl. Oeter, in: Hilf/Oeter (Hg.), WTO-Recht, 31. Siehe auch Herrmann, in: Hatje/Terhechte (Hg.), Binnenmarktziel, 180. 601 van Aaken, Rational Choice, 223. 602 Dazu etwa Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 522 ff., 485 ff., 554 ff. 603 Vgl. etwa van Aaken, Rational Choice, 223; ähnlich Krugman/Obstfeld, International Economics, 227. 604 Ebenso Hinderer, Rechtsschutz, 386.
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kann, dass ein innergemeinschaftliches Evidenzhaftungsprinzip Anreize zur WTO-konformen Setzung von EG-Sekundärrecht vermittelt, die die Gesamtwohlfahrt ihrem Optimum zumindest am nächsten bringt.605 Eine Folgenanalyse mitgliedstaatlichen Handelns im Lichte ökonomischer Effizienz als Zielmerkmal der WTO-Abkommen gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Haftpflicht zur Verwirklichung dieses Leitprinzips beiträgt. In Abgrenzung zur ökonomischen Effizienz erklärt sich die Effektivität einer Norm aus dem Verhältnis von Wirkungen oder Ergebnissen zu den gesetzgeberischen Zielen. Das Effizienzkriterium hingegen orientiert sich an einem Vergleich von Kosten und Nutzen einer Vorschrift und setzt die Wirkungen oder Ergebnisse zu ihrem Ressourcenverbrauch ins Verhältnis.606 Ist die ökonomische Effizienz wie dargestellt das maßgebliche Kriterium für die Verwirklichung der Ziele der WTO-Vorschriften, sind Effizienz und Effektivität miteinander kongruent. Für das WTO-Recht heißt das, dass Effektivität einher geht mit dem Grad an ökonomischer Wohlfahrt, sein Maximum folglich mit dem Wohlfahrtsoptimum erreicht. Die größtmögliche Effektivität im Sinne einer maximierten Effizienz strebt auch die spezielle Zielsetzung des DSU an. Aus Art. 3 (2) und Art. 3 (3) DSU geht hervor, dass das Streitschlichtungsverfahren auf die „Erzwingung“ WTO-konformen Verhaltens abzielt.607 Nach Art. 3 (2) S. 2 DSU dient das Streitbeilegungssystem dazu, die Rechte und Pflichten der Mitglieder aus den Übereinkommen zu bewahren und die WTO-Vorschriften zu verwirklichen bzw. wiederherzustellen. Insofern könnte die innergemeinschaftliche Schadensersatzklage neben ihrer effizienzsteigernden Funktion auch zur Effektuierung des DSU-Sanktionspotentials beitragen. Auf die Schwäche des völkerrechtlichen Disziplinierungsinstrumentariums zur Durchsetzung des WTO-Rechts ist bereits im Rahmen des Sanktionsbedürfnisses für die Aktivierung des effet utile eingegangen worden.608 Wie sich im Bananen- und im Hormonstreit gezeigt hat, entfaltet der Sanktionsmechanismus des DSU keine anreizoptimale Wirkung, können sich doch gerade große Industrienationen aufgrund ihrer ökonomischen Potenz dauerhaft der Umsetzung von DSB-Entscheidungen verweigern.609 Kleinere Staaten, insbesondere Entwicklungsländer, sind unter dem gegenwärtigen Durchsetzungsmechanismus benachteiligt, denn das Aussetzen von Zugeständnissen kommt nur dann als handhabbares Sanktionsmittel in Betracht, wenn sich Parteien ähnlicher wirtschaftlicher 605
Ausführlich dazu unten im Rahmen der ökonomischen Analyse Teil 4 G. II. Deckert, Folgenorientierung, 96. 607 Stoiber, Streitschlichtungsverfahren, 183. 608 Siehe oben Teil 2 D. II. 2. a) bb). 609 Vgl. dazu die Statistik von Hudec, die den Entwicklungsländern eine weitaus bessere Konformitätsquote nachweist als der EG und den USA, Hudec, Enforcing, Table 11.18, 305. 606
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Leistungsfähigkeit gegenüberstehen, obgleich selbst dann keine WTO-Konformität sichergestellt ist, wie der Bananen- und der Hormonstreit zeigen.610 Sind kleinere Staaten oder Entwicklungsländer involviert, ist das bipolare Verhältnis noch eher für Machtpolitik anfällig, weil kleinere Staaten erheblich geringeren wirtschaftlichen Druck ausüben können, da sie anders als große Staaten nicht die Terms of trade611 beeinflussen können,612 weil Marktabschottung ohnehin einen negativen Gesamtwohlfahrtseffekt hat613 und weil sie von den Importen der Industrienation genauso abhängig sind614 wie von der Gewährung von Entwicklungshilfe.615 Das Problem liegt im bilateralen Prozess der Durchsetzung von Gegenmaßnahmen, welche aus dem dem WTO-Recht zugrunde liegenden Prinzip des freiwilligen Selbstvollzugs resultiert.616 Einem wirtschaftlich schwachen „Sieger“ ist eine wirksame Durchsetzung der Gegenmaßnahmen mithin kaum möglich.617 So sind beispielsweise im Bananen-Fall von Ecuador keine Gegenmaßnahmen erhoben worden, obwohl diese sogar auf dem Gebiet des TRIPS durch den DSB autorisiert worden waren.618 Solche Missstände haben Anlass zu diversen Vorschlägen für eine Reform des DSU gegeben.619 Im Hinblick auf eine Effektuierung des Sanktionsmechanismus lässt sich argumentieren, dass durch die Einführung einer Haftpflicht der EG ein Nivellierungsdruck hinsichtlich des Sanktionspotentials ausgeübt werden kann, der das bestehende Ungleichgewicht bei der Ergreifung von Gegenmaßnahmen zumindest abschwächen könnte und der der Zielsetzung des DSU in Art. 3 DSU, die „Erzwingung“ WTO-konformen Verhaltens, zu ihrer praktischen Wirksamkeit verhilft. Als zusätzliches internes Disziplinierungsinstrument könnte eine Haftpflicht durch die Aktivierung des einzelnen Wirtschaftssubjekts das schwache Sanktionspotential des DSU stärken. 610 Bronckers, JIEL 2001, 61; Charnovitz, AJIL 95 (2001), 807; Mavroidis, EJIL 2000, 816. 611 Die terms of trade drücken die reale Relation zwischen Exportpreisen eines Landes und seinen Importpreisen aus. Hierzu unten Teil 4 E. I. 612 Chacholiades, Economics, 168; Appleyard/Field, Economics, 379; Whalley, Trade Liberalization, 22 f. 613 Breuss, in: Österreichs Außenwirtschaft 2002/03, 345; Steinbach, Aussenwirtschaft, 2006, 211 ff. 614 Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 10; Charnovitz, AJIL 95 (2001), 816. 615 Horn/Mavroidis, World Bank 1999, 26; Bronckers, JIEL 2001, 61. 616 Letzel, Streitbeilegung, 323; Emmerich/Fritsche, in: Schachtschneider (Hg.), 198. 617 Stoiber, Streitschlichtungsverfahren, 184; Steinbach, Aussenwirtschafts 2006, 211 ff. 618 Dazu Brown, in: Immenga/Lübben/Schwintowski (Hg.), Conflict Resolution, 69 f.; Vranes, EuZW 2001, 10 ff. 619 Dazu Steinbach, Aussenwirtschaft, 2006, 211 ff.
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e) Die Effektuierung des WTO-Rechts als Träger einer „domestic policy function“ Der Befund einer Ineffektivität des WTO-Rechts und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit einer Effektuierung seiner Zielsetzungen ergibt sich ebenso dann, wenn man dem WTO-Recht eine „domestic policy function“ zuschreibt.620 Nach dieser Lehre geht es in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen nicht nur um die Durchsetzung nationaler Interessen gegen die nationalen Interessen anderer Staaten, sondern auch um die Bewältigung innerstaatlicher Konflikte des sozialen Ausgleichs. Die WTO-Grundsätze621 sollen danach verhindern, dass die nationale Politik Forderungen einzelner durch die Marktöffnung benachteiligter Marktteilnehmer nach protektionistischen Maßnahmen allzu leicht nachgibt.622 Eine daraus resultierende „domestic policy function“ besteht darin, auf nationaler Ebene den Konflikt zwischen langfristigen Gemeinwohlinteressen an wohlfahrtsmaximierendem Freihandel und kurzfristigen protektionistischen Interessen zu lösen.623 Nach so einem Verständnis ist die innergemeinschaftliche Gewährleistung eines Gleichgewichts an durchsetzbaren Rechten gefährdet, wenn die innerstaatliche Umsetzung allein den Staatsorganen überlassen wird. Politische Entscheidungsträger haben nämlich nur dann einen Anreiz im Einklang mit WTO-Vorschriften zu handeln, wenn dies ihrem machtpolitischen Kalkül entspricht.624 Eine Erklärung hierfür bietet die „Neue Politische Ökonomie“.625 Sie geht davon aus, dass die reale Wirtschaftspolitik nicht das abstrakte Ziel der Mehrung gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt anstrebt, sondern sich vielmehr aus Gründen der politischen Rationalität nach Partikularinteressen richtet.626 Obwohl gesamtwirtschaftlich der Freihandel sinnvoll wäre, können die an Protektionismus interessierten Gruppen stärkeren politischen Einfluss ausüben als die am Freihandel interessierten627 und errei620 Abbot, Harvard JInt’l Law (1985), 501 ff.; Tumlir, Ordo 34 (1973), 80 ff.; Hauser, Aussenwirtschaft 41 (1986), 171 ff.; Petersmann, Aussenwirtschaft 41 (1986), 405 ff.; kritisch Langer, Grundlagen, 1995, 72 f. 621 Vgl. dazu Petersmann, Constitutional Functions, 221 ff. 622 Butler, Beteiligung, 50. 623 Hauser, Aussenwirtschaft 41 (1986), 171 ff. 624 Meng, in: FS für Rudolf, 69 f.; ausführlich dazu unten Teil 4 C. I. 625 Einführend Rowley/Thorbecke, in: Hilf/Petersmann (Hg.), Constitutions, 347 ff.; Gwartney/Wagner, in: dies. (Hg.), Public Choice, 3 ff.; Glismann/Horn/ Nehring/Vaubel, Weltwirtschaftslehre, Bd. I, 133 ff. 626 Petersmann, EuZW 1993, 597; Meng, in: FS für Bernhardt, 1080; vgl. auch Drexl, in: FS für Fikentscher, 836 ff. 627 Hauser, Aussenwirtschaft 41 (1986), 175 ff.; Petersmann, Aussenwirtschaft 41 (1986), 407; Streit/Voigt, in: Friedmann/Mestmäcker (Hg.), Conflict, 54 ff.; kritisch Goldstein/Martin, International Organization 54 (2000), 609 f.
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chen auf diese Weise, dass der Freihandel praktisch nur die zweitbeste Politik ist, weil der politische Nutzen für den Gesetzgeber, gemessen an den Kosten, unsicherer ist.628 Ökonomisch gesehen werden damit nur Secondbest-Entscheidungen getroffen.629 Das Ziel der WTO-Vorschriften, den Umfang staatlicher Interventionen zurückzunehmen, um so den Marktteilnehmern größtmögliche Freiheiten im Außenhandel einzuräumen, ist unter diesen Umständen nicht realisierbar. Durch die Aktivierung des Einzelnen können diese suboptimalen Auswirkungen auf der politischen Ebene mittels der Setzung von Anreizen zu völkerrechtskonformen Handeln durch eine potentielle Schadensersatzpflicht partiell kompensiert werden, weil der Einzelne wegen der eigenen Nachteile ein erhebliches Interesse an der Entschädigung seiner Einbußen und damit an einem Tätigwerden hat.630 Dabei macht der geschädigte Unternehmer die Geltendmachung seiner Ansprüche nicht von deren politischen Auswirkungen abhängig, die auf der Ebene der völkerrechtlichen Durchsetzung der DSB-Entscheidung virulent sind.631 4. Zur Kritik an der Rechtsfolgenbestimmung durch den effet utile Die Rechtsfolgenableitung der Staatshaftung aus dem effet utile-Gedanken war in weiten Teilen des Schrifttums auf Ablehnung gestoßen. Argumentiert wurde, dass durch die Begründung der Staatshaftung methodisch das traditionelle Verständnis des effet utile als Auslegungsregel gesprengt und der Gedanke der praktischen Wirksamkeit vielmehr im Sinne eines kompetenzbegründenden materiell-rechtlichen Prinzips angewendet wurde.632 Die Schaffung eines neuen Haftungsinstituts mittels des effet utile sei deshalb unzulässig, weil diese Auslegungsregel selbst keine normative Bedeutung habe, sondern nur einer anderen Bestimmung zu ihrer jeweils vollen Wirksamkeit verhelfen könne.633 Die Herleitung könne nicht über die Methode einer induktiven teleologischen Auslegung hinausgehen und an deren Stelle die Deduktion eines zusätzlichen Sanktionsmechanismus 628
Meng, in: FS für Bernhardt, 1080. Hinderer, Rechtsschutz, 384; Drexl, in: FS für Fikentscher, 839 f. 630 Vgl. dazu die Argumentation zugunsten einer Beteiligung Einzelner am Streitbeilegungsverfahren bei Killmann, Journal of International Arbitration 13 (1996), 147; Schneider, Univ. Penn. JoIntEcoL 19 (1998), 629; Lukas, JWT 29 (1995), 197. 631 Ähnlich Lukas, JWT 29 (1995), 202; Schneider, Univ. Penn. JoIntEcoL 19 (1998), 629. 632 Ossenbühl, DVBl. 1992, 995; von Danwitz, JZ 1994, 338 f.; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 172 ff.; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 48 f.; Dänzer-Vanotti, in: FS für Everling, 215; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 931 f. 633 von Danwitz, JZ 1994, 339. 629
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zum Ziel der Optimierung der Wirkung des Gemeinschaftsrechts treten lassen.634 Wenngleich andere Teile des Schrifttums unter Verzicht auf eingehendere Begründungen eine Art Annexkompetenz der Gemeinschaft und Organkompetenz des Gerichtshofs zur Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung anerkannt haben,635 ist der Einwand der fehlenden Rechtsfortbildungskompetenz freilich diskussionswürdig.636 Letztlich kann aber die Kritik an der Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung nicht herangezogen werden, um eine mögliche Haftpflicht der EG für WTO-Rechtsverletzungen abzulehnen. Die Gemeinschaftsrechtsordnung erkennt eine Haftung der Gemeinschaft generell an und ist primärrechtlich in den Art. 235, 288 II EGV normiert. Auch ist bisher nicht bestritten worden, dass die Gemeinschaftshaftung auf die Verletzung völkerrechtlicher Verträge anwendbar ist.637 Die Frage der Übertragbarkeit der in Francovich legitimationsstiftenden Erwägungen auf die Haftung der EG wird in dieser Arbeit allein deshalb diskutiert, um das Problem der Erforderlichkeit der unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts für eine Schadensersatzklage einer Lösung zuzuführen. Die in der Literatur erhobene Kritik, der EuGH ersetze in unzulässiger Weise die teleologische Auslegung durch eine Deduktion eines zusätzlichen Sanktionsinstituts, kann damit hier nicht greifen. Auch der Fruchtbarmachung des effet utile für die Zielsetzung des WTORechts und des DSU kann nicht der Einwand einer von den WTO-Abkommen nicht vorgesehenen Pflichtenbegründung zu Lasten der Vertragsstaaten erhoben werden. Damit stehen im Ergebnis der aus dem Gemeinschaftsrecht entwickelten Haftpflicht für WTO-Rechtsverletzungen keine im WTORecht verorteten Gründe entgegen. Der hier gewählte Weg, das Effektivitätsprinzip zur Stützung des auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene gefundenen Ergebnisses zu bemühen, stellt sich als der weniger weitreichende Sanktionsmechanismus im Vergleich zur Forderung nach unmittelbarer Wirksamkeit der WTO-Vorschriften dar. Bemerkenswert ist, dass im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Rechtswirkung des WTO-Rechts im Schrifttum häufig die Forderung erhoben wurde, dass gerade der Grundsatz des effet utile eine unmittelbare Wirkung der WTO-Vorschriften notwendig erscheinen ließe.638 Konsequenterweise würde so aber tatsächlich das Ver634
Berlin, LIEI, 1992, 23. Kopp, DÖV 1994, 203; Gündisch, Rechtsschutz, 122; Prieß, NVwZ 1993, 120; Fischer, EuZW 1992, 42 f.; Streinz, in: FS für Everling, 1509; Buschhaus, JA 1992, 145; Detterbeck, Verwaltungsarchiv 85 (1994), 180. 636 Siehe dazu umfassend Diehr, Staatshaftungsanspruch, 24 ff.; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 267 ff.; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 48 ff.; Mosiek, effet utile, 43. 637 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 73. 635
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ständnis des effet utile als induktiv teleologische Auslegungsregel verlassen und durch die Deduktion eines mit der Normativaussage der DSU-Vorschriften nicht zu vereinbarenden Sanktionsmechanismus ersetzt. Das DSU kann nämlich nicht dahingehend ausgelegt werden, dass man ihm die unmittelbare Wirkung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entnehmen müsste. Unzweifelhaft ist, dass die unmittelbare Wirkung nicht die einzig mögliche, sondern wohl lediglich effektivste Art darstellt, dem WTO-Recht zur Geltung zu verhelfen, weil sie den WTO-widrigen Akt aufhebt, während die Schadensersatzverpflichtung nur dessen Folgen beseitigt.639 Der vom DSU ausdrücklich gewährte Handlungsspielraum der Legislative und Exekutive im zwischenstaatlichen Verhältnis würde bei direkt anwendbarem WTO-Recht beschnitten werden, da WTO-widrige Maßnahmen sofort vor nationalen Gerichten zu Fall gebracht werden könnten. Insofern ist die Haftpflicht eine Rechtsfolge, die auf die größtmögliche Effektivität des WTO-Rechts hinwirkt und die zugleich dem Handlungsspielraum der Legislative und Exekutive Rechnung trägt. 5. Zwischenergebnis Das Ziel der „praktischen Wirksamkeit“ ist umfassend und drängt auf möglichst optimale Wirkungsentfaltung des gesamten – und damit auch objektiv-rechtlichen – Gemeinschaftsrechts. Der Sanktionsgedanke dient der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht, sowohl für unmittelbar wirkendes Recht, als auch soweit es um die Befolgung von Staatenpflichten aufgrund Art. 249 III EGV und Art. 300 VII EGV geht. Der Rechtsfolgewirkungsanspruch der objektiv-rechtlichen Staatenverpflichtung aus Art. 300 VII EGV ist auf die umfassende Befolgung der von der Gemeinschaft abgeschlossenen Abkommen gerichtet und erfordert damit auch die Umsetzung von DSB-Entscheidungen in die Gemeinschaftsrechtsordnung. Der Auslegungsgrundsatz der praktischen Wirksamkeit kann dergestalt auf die Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV angewendet werden, dass eine Haftung bei Verletzung dieser Umsetzungsverpflichtung trotz fehlender unmittelbarer Wirkung geboten ist. Eine Funktions- und Folgenanalyse zur Bewertung der Effektivität des Art. 300 VII EGV verdeutlicht die Wirkungsschwäche des gemeinschaftsrechtlichen und völkerrechtlichen Disziplinierungsinstrumentariums, mittels derer keine optimalen Anreize mit Blick auf die Verwirklichung der Ziele 638 Hinderer, Rechtsschutz, 383 ff.; Flemisch, Umfang, 197 f.; Cascante, Rechtsschutz, 159; kritisch von Bogdandy, EuZW 2001, 364; Schoißwohl, ZEuS 2001, 703. 639 Castillo de la Torre, JWT 26 (1992), 36.
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des Art. 300 VII EGV gesetzt werden, nicht zuletzt auch, weil die Gemeinschaftsorgane nicht zu befürchten brauchen, dass ihre Sekundärrechtsakte aufgrund mangelnder Direktwirkung angegriffen werden könnten. Der einzelne Wirtschaftsteilnehmer, kann in den Dienst einer Effektuierung des Art. 300 VII EGV gestellt werden, indem er durch die Anerkennung der Haftpflicht zur Behebung des Sanktionsdefizits aktiviert wird. Das bei der Staatshaftung im Mittelpunkt stehende Argument der Sanktionierung der Mitgliedstaaten durch eine Mediatisierung des Einzelnen und eine Abkoppelung von Individualrechtsschutz und unmittelbarer Wirkung greift auch bei der Durchsetzung internationaler Verträge. Trotz des rechtsquellenmäßig unterschiedlichen Bezugsobjekts von Art. 249 III EGV und Art. 300 VII EGV und des zweifellos bestehenden qualitativen Unterschieds der Integrationstiefen zwischen EG und WTO sprechen doch gewichtige integrationspolitische Gründe für die Anwendung des effet utile auf Art. 300 VII EGV, weil durch die WTO erstens auf wirtschaftlichem Gebiet ein Integrationsprozess in Gang gesetzt wurde und zum anderen, weil die weitgehende Ignorierung der Völkerrechtsbindungen durch die Gemeinschaft eine Gefahr für die Integration des Völkervertragsrechts darstellt, die durch die uneinheitliche Anwendung des Legalitätsprinzips in Bezug auf Gemeinschaftsabkommen und andere Gemeinschaftsmaßnahmen noch verschärft wird. Er wird somit dem Grundsatz der völkerrechtskonformen Integrationsintention des EGV gerecht, der unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die Wahrung des Legalitätsprinzips auch in Bezug auf Gemeinschaftsabkommen verlangt. Dieselbe Einschätzung erschließt sich auch aus dem Blickwinkel einer an der praktischen Wirksamkeit orientierten Auslegung des WTO-Rechts, dass als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts dieser Auslegung zugänglich ist. Im Einklang damit hat auch der EuGH den effet utile-Grundsatz zur Anwendung gebracht, wenn er aufgerufen war, Assoziierungs- und Freihandelsabkommen und die daraus hervorgehenden Organbeschlüsse auszulegen. Die Effektivitätsanalyse muss sich sodann am Leitprinzip des WTORechts der ökonomischen Effizienz orientieren, die im Falle des WTORechts kongruent ist mit der Effektivität seines Durchsetzungsmechanismus. In diesem Sinne kann die innergemeinschaftliche Schadensersatzklage auch ein Instrument zur Effektuierung des DSU-Sanktionspotentials darstellen, welches nach wie vor keine anreizoptimale Wirkung entfaltet. Die Funktion des effet utile-Prinzips als teleologisches Auslegungsverfahren wird auch nicht durch eine diese Funktion sprengende Deduktion eines zusätzlichen Sanktionsinstituts ersetzt, weil auf Gemeinschaftsebene kein neues Haftungsinstitut geschaffen wird. Gleichsam wird auch aus der Per-
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spektive des WTO-Rechts dieses Ergebnis nicht in Frage gestellt, da von diesem Standpunkt aus sich die Haftpflicht als eine Rechtsfolge erweist, die auf die größtmögliche Effektivität des WTO-Rechts hinwirkt, ohne dass die Gefahr einer Beschränkung des Handlungsspielraums von Legislative und Exekutive bestünde. Die erste argumentative Säule der Francovich-Doktrin kann folglich auch für die Verletzung von WTO-Recht errichtet werden. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass die Anwendung des effet utile noch keine zulängliche Berechtigung des Einzelnen darstellt, die Verletzung des Art. 300 VII EGV in einer Schadensersatzklage geltend zu machen. Ob dies tatsächlich möglich ist, hängt von der Frage einer Verletzung individueller Rechte ab, deren Untersuchung Gegenstand der zweiten argumentativen Säule, dem Rechtsschutzgedanken, bildet.
III. Herleitung der Entbehrlichkeit der unmittelbaren Wirkung aus der Wesensverschiedenheit zwischen Nichtigkeitsklage und Schadensersatzklage Die in dieser Arbeit betriebene Abkoppelung der unmittelbaren Anwendbarkeit als Voraussetzung für einen Sekundärrechtsanspruch im Wege der Übertragung der Francovich-Doktrin kann auch mit der Verselbständigung der Schadensersatzklage als Sekundäranspruch in Abgrenzung zum Charakter des Primärrechtsschutzes begründet werden. Die Wesensverschiedenheit in Bezug auf Funktion und Anwendungsbereich zwischen den beiden Klagearten kann fruchtbar gemacht werden, um die Rechtsschutzlücke zu schließen. 1. Die eigenständige Funktion der Schadensersatzklage in Abgrenzung zum Primärrechtsschutz Es entspricht gefestigter Rechtsprechung seit den Urteilen Lütticke und Schöppenstedt, dass die Schadensersatzklage gegenüber der Nichtigkeitsklage einen selbständigen Rechtsbehelf darstellt.640 Auf der einen Seite steht die Nichtigkeitsklage, welche unmittelbar auf die Aufhebung des Rechtsaktes gerichtet ist. Dem gegenüber hat der Schadensersatzanspruch die Funktion, dem Unionsbürger den Schaden zu ersetzen, der ihm durch 640 EuGH, Rs. 4/69, Lütticke, Slg. 1971, 325, Rn. 6; Rs. 9 und 11/71, Compagnie d’approvisionnement, Slg. 1972, 391, Rn. 4 ff.; EuG, Rs. T-185/94, Geotronics, Slg. 1995, II-2795, Rn. 38; Streinz, VVDStRL 61 (2002), 332; von Bogdandy, JWT 39 (2005), 58.
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die Beeinträchtigung in seinen Rechtspositionen entsteht.641 Während der Primärrechtsschutz die Schadensquelle bekämpft, liquidiert der sekundäre Rechtsschutz die Schadensfolge.642 Und während die Anfechtungsklage „erga omnes“ Wirkung entfaltet, zeitigt die Schadensersatzklage Wirkung nur gegenüber dem Kläger.643 Neben dieser Unterschiedlichkeit hinsichtlich ihrer Funktion und ihres Wirkungsumfangs kommt dem Sekundärrechtsanspruch ferner eine rechtsschutzlückenschließende Auffangfunktion zu, um damit diejenigen Defizite auszugleichen, die durch die restriktive Anwendung des primären Rechtsschutzes entstehen.644 Die Erfüllung dieser Funktion bringt es mit sich, dass der Anwendungsbereich der Schadensersatzklage über den der Nichtigkeitsklage hinausgeht. In Bezug auf die Zulässigkeit der Klagegegenstände drückt sich das darin aus, dass im Gegensatz zu den für das Nichtigkeitsverfahren zulässigen Klagegegenständen auch Realhandlungen sowie Rechtsakte in einem weiteren Umfang miterfasst sind. In dieser Hinsicht ist die Haftungsklage nicht mehr nur „letztes“ sondern „erstes und einziges“ Mittel gerichtlicher Kontrolle, was den Vorteil hat, dass damit Rechtsschutzlücken entgegengewirkt werden kann.645 Die Funktion eines erweiterten Anwendungsbereichs gegenüber der Primärklage kann dahingehend gesucht werden, dass der Sekundärrechtsschutz mit der Zielvorgabe eines umfassenden Rechtsschutzes insbesondere die Fälle abdecken soll, in denen primärer Individualrechtsschutz nicht gewährleistet ist. Auf diese Weise soll er die Lücken im primären Rechtsschutz Privater gegen Rechtsetzungsakte bis zu einem gewissen Grad überbrücken. Dies gilt zumindest solange die Schadensersatzklage nicht verfahrensmissbräuchlich erhoben wird, also dann nicht mehr, wenn sie eigentlich die Aufhebung einer Einzelfallentscheidung begehrt.646 Möglicherweise ließe sich diese rechtsschutzsichernde Funktion bei entsprechender Begründung auch auf den Fall übertragen, in dem gegen rechteverleihende647, aber nicht unmittelbar wirksame Gemeinschaftsabkommen verstoßen wurde. Dies würde bedeuten, dass die rechtsschutzlückenschließende Auffangfunktion der Schadensersatzklage auch in solchen Fällen 641
Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 566. Streinz, VVDStRL 61 (2002), 331 f. 643 Vgl. nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 566 f. 644 Streinz, VVDStRL 61 (2002), 332; Herdegen, Haftung, 150; Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch, 179; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 566 f. 645 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 42. 646 Streinz, VVDStRL 61 (2002), 332. 647 Zur Frage, ob die DSB-Entscheidungen individuelle Rechte vermittelt siehe unten Teil 2 E. II. 642
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zum Tragen kommen könnte, in denen die Nichtigkeitsklage mangels unmittelbarer Wirkung erfolglos bleibt. Zu beachten ist insofern, dass der unterschiedliche Anwendungsbereich ja auch daher rührt, dass das Nichtigkeitsverfahren dem Bedürfnis nach einem gewissen Bestandsschutz für gemeinschaftliche Normen durch die Einschränkung der Klagebefugnis Privater Rechnung trägt, was aber auf Sekundärrechtsebene aufgrund deren Beschränkung auf die Liquidierung der Schadensfolge nicht zwangsläufig dieselbe zu sein braucht. Im hier diskutierten Fall ergibt sich die restriktive Ausgestaltung des Primärrechtsschutzes aus der Notwendigkeit zur Wahrung des Handlungsspielraumes auf völkerrechtlicher Ebene. Mangelnder Primärrechtsschutz könnte Anlass geben, einen Ausgleich im Bereich des Haftungsrechts gerade zu forcieren, wenn diese Rechtsschutzlückenschließung die Klagearten in ihrer Funktion und Zielsetzung nicht beeinträchtigt. 2. Überlegungen zum unterschiedlichen Verpflichtungsgrad des materiell-inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Teils der DSB-Entscheidung Begründungs-konstruktiv ließen sich für die Geltendmachung der Wesensverschiedenheit der beiden Klagearten und die rechtsschutzlückenschließende Funktion der Schadensersatzklage möglicherweise die Besonderheiten des WTO-Rechts nutzbar machen. Im Rahmen der Diskussion der unmittelbaren Wirkung von DSB-Entscheidungen ist ausgeführt worden, dass hinsichtlich des Verpflichtungsgrades auf völkerrechtlicher Ebene bei der Umsetzung der DSB-Entscheidung eine Differenzierung zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der Erfüllung der DSB-Entscheidung vorgenommen werden kann. Zwar gestattet Art. 22 (1) DSU nur die vorübergehende Möglichkeit der Vereinbarung einer Kompensationszahlung und betrachtet diese nicht als gleichwertige Alternative zur Erfüllung der Abkommensverpflichtungen, die die Primärpflicht des WTO-Mitglieds zur Abänderung oder Rücknahme des WTO-widrigen Aktes unberührt lässt. Dennoch eröffnet Art. 22 DSU einen gewissen Spielraum im Hinblick auf Handlungsoptionen zur Umsetzung der WTO-Entscheidung im nationalen Recht, der auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist fortbesteht. Würde man die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung in dem Moment des Ablaufs der Umsetzungsfrist gelten lassen, würden die Legislativ- und Exekutivorgane der EG in ihrem Spielraum zur Aushandlung anderer Lösungen i. S. v. Art. 22 (8) DSU beschränkt. Von Bedeutung ist aber, dass die nach Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten gefundene Lösung mit den WTO-Vorschriften im Einklang stehen muss. Das ergibt sich aus der Anordnung des Art. 3 (5)
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DSU, wonach jede Lösung des Konflikts mit den WTO-Vorschriften vereinbar sein muss. Darauf weist auch Generalanwalt Tizzano in seinen Schlussanträgen zu Léon van Parys hin, indem er ausführt, dass die Parteien in Ausübung ihrer Verhandlungsfreiheit sich im Rahmen der Entscheidung des DSB halten müssen.648 Die in Art. 22 (8) DSU niedergelegten Möglichkeiten, auf völkerrechtlicher Ebene auch nach der Verabschiedung einer DSBEntscheidung eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, sind lediglich Ausdruck der Wahrung eines politischen Handlungsspielraumes der EG-Organe, der an der Konformitätsverpflichtung des nationalen Rechtsaktes mit dem WTO-Recht nichts ändert. Die Tatsache, dass das DSU einen unterschiedlichen Verpflichtungsgrad hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ der Vertragserfüllung aufweist, lässt sich systematisch auch auf eine Verpflichtung zur Wahrung materiell-inhaltlichen und verfahrensrechtlichen WTO-Rechts ummünzen.649 Das „Ob“ der Umsetzungsverpflichtung korrespondiert mit der Verpflichtung zur Wiederherstellung materiellen WTO-Rechts. Die Verletzung der materiell-inhaltlichen Umsetzungsverpflichtung tritt ein, sobald die vom DSB gewährte Umsetzungsfrist verstrichen ist, weil das WTO-Recht keinen Beurteilungsspielraum und kein Ermessen einräumt, sie also unbedingt ist. Ab diesem Zeitpunkt wird die materiell-inhaltliche Rechtsverletzung von WTO-Recht trotz verbindlicher Rechtswidrigkeitsfeststellung fortgesetzt, obwohl die Partei von diesem Zeitpunkt an zur Konformität verpflichtet ist. Die Verletzung der unbedingten materiell-inhaltlichen Umsetzungsverpflichtung zur Herbeiführung eines WTO-konformen Zustandes geht aber nicht einher mit einer Verletzung des ermessensbasierten Verfahrens zur Erreichung eines WTO-konformen Zustandes. Denn anders als in materiell-inhaltlicher Hinsicht verhält es sich bei der Verletzung des verfahrensrechtlichen Handlungsspielraums, der Frage des „Wie“ der Umsetzung, der auch nach Ablauf der Frist fortbesteht. Eine Verletzung der verfahrensrechtlichen Vorschriften des DSU liegt auch nach Verstreichenlassen der Umsetzungsfrist nicht vor, weil das DSU in dieser Hinsicht keine eindeutige Regelung trifft. Oder anders ausgedrückt: im Hinblick auf die materiell-rechtliche Konformität besteht nach Fristablauf kein Spielraum mehr, bei der Art und Weise der WTO-konformen Anpassung des Sekundärrechts hingegen schon, weil das DSU auch nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist und der dadurch begründeten materiell-inhaltlichen Rechtswidrigkeit den Spielraum des säumigen Staates – eine Konformitätslösung seiner Wahl zu erzielen – nicht beschränken will. 648
GA Tizzano in Rs. C-377/02, Léon van Parys, Slg. 2005, I-1465, Rn. 57. Vgl. für die Aufsplittung in formelle und materielle WTO-Rechtsverletzungen auch Cascante, Rechtsschutz, 292 ff. 649
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Diese Unterscheidung zwischen materiell-inhaltlicher und verfahrensrechtlicher Verpflichtung kann auch hinsichtlich der Wesensverschiedenheit der beiden Klagearten fruchtbar gemacht werden. Die Nichtigkeitsklage führt unweigerlich zur Aufhebung des Sekundärrechtsaktes, greift den Rechtsakt folglich in seinem Bestand an. Das zentrale Kriterium der Unbedingtheit bei der unmittelbaren Anwendbarkeit als Voraussetzung für die Nichtigkeitserklärung stellt sicher, dass die völkerrechtliche Norm in materieller und prozessualer Hinsicht unbedingt ist. Wäre dies nicht gewährleistet, könnten bei der Nichtigkeitsklage durch die Aufhebung des Rechtsaktes die Gemeinschaftsorgane in ihren Handlungsspielräumen beschnitten werden, weil ihnen im Gegensatz zur materiell-inhaltlichen Ebene auf Verfahrensebene ein Beurteilungsspielraum zusteht. Bei der Frage der Direktwirkung – anders als beim Sekundärrechtschutz – darf nicht allein die Verletzung materieller Grundsätze entscheidend sein, sondern nur das Zusammenspiel mit dem im Vertrag geregelten Verfahren. Für wirksamen Primärrechtschutz gegen WTO-widrige EG-Sekundärrechtsakte ist also nur das kumulative Vorliegen einer unbedingten Regelung des „Ob“ und „Wie“ der Vertragserfüllung durch das DSU ausreichend. Anders verhält es sich bei der Schadensersatzklage, die nicht auf die Aufhebung des Sekundärrechtsaktes gerichtet ist, sondern nur den Ausgleich der Schäden anstrebt, welche ein Gemeinschaftsorgan bei der Ausübung seiner Befugnisse verursacht hat.650 Der Handlungsspielraum der Gemeinschaftsorgane wird durch eine erfolgreiche Schadensersatzklage nicht beeinträchtigt.651 Stattdessen könnte die Schadensersatzklage gerade der unterschiedlichen Verpflichtungen hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ Rechnung tragen, indem es die materiell-inhaltliche Rechtsverletzung als rechtswidrigen Haftungsgrund anerkennt und dabei gleichzeitig die verfahrensrechtlichen Spielräume der EG aufrechterhält. Das entscheidende Element bei der Gewährung von Sekundärrechtsschutz ist dabei die gleichzeitige Achtung dieses Handlungsspielraums und damit des vom WTO-Recht gewährten Verhandlungsspielraums. Ist es unter diesen Umständen möglich, dem materiellen WTORecht zu seiner praktischen Wirksamkeit zu verhelfen, ohne gleichzeitig den verfahrensrechtlichen Handlungsspielraum außer Acht zu lassen, so verwirklicht die Anerkennung des Sekundärrechtsschutzes genau dieses Ziel. Auf diesem Weg könnte die Verletzung materiellen Rechts sanktioniert und damit gleichzeitig Druck auf Konformitätsbemühungen ausgeübt werden, ohne dass in den Verhandlungsspielraum der WTO-Mitgliedstaaten eingegriffen würde. Letztlich können die Einwände gegen die Anerkennung der unmittel650
Vgl. etwa EuGH, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 983, Rn. 3. So auch Thies, CMLR 2004, 1675; GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 93 f. 651
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baren Wirkung, dass dadurch Verhandlungen auf völkerrechtlicher Ebene ausscheiden und Verhandlungsspielräume eingeengt würden, nicht greifen.652 Aufgrund dieser Erwägungen sollte deshalb im Rahmen der Haftungsklage auf das Kriterium der unmittelbaren Wirkung verzichtet werden, solange eine materielle Rechtsposition zugunsten des Einzelnen identifizierbar ist. Gegen diese Überlegungen könnte vorgebracht werden, dass unterschiedliche Standards für die Betrachtung der Rechtmäßigkeit einer Gemeinschaftshandlung der einheitlichen Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts widersprechen und die Konsistenz und Kohärenz des EGRechts zu Lasten der Rechtssicherheit unterlaufen würden.653 Nach dieser Auffassung dürfte eine Maßnahme nicht als rechtmäßig im Nichtigkeitsverfahren und als rechtsverletzend im Schadensersatzverfahren gelten. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Inkonsistenz allein der Wesensverschiedenheit als Konsequenz der in Bezug auf Funktion und Anwendungsbereich unterschiedlichen Klagearten zuzuschreiben ist. Die strikte Parallelität von Nichtigkeits- und Schadensersatzverfahren ist mit dem Fallenlassen der Plaumann-Formel, nach der ein Rechtsakt, der nicht für nichtig erklärt worden ist, keine Schadensersatzansprüche auslösen könne,654 und der Herausbildung des eigenständigen Charakters der Schadensersatzklage ohnehin hinfällig geworden. Vor allem aber sollte eine gewisse Inkonsistenz zwischen den Anforderungen an den Primär- und Sekundärrechtsschutz schon deshalb nicht als systemwidrig angesehen werden, weil sie der Entstehung einer Rechtsschutzlücke entgegenwirkt.655 Wenn dadurch der Anwendungsbereich der Schadensersatzklage weiter sein sollte als der der Nichtigkeitsklage ist trotzdem darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der zusätzlichen Voraussetzungen an die Qualität der Rechtsverletzung im Rahmen der Schadensersatzklage, namentlich der Individualbegünstigung der Norm und der Qualifiziertheit des Rechtsverstoßes, zu einer Verengung der haftungsauslösenden Ansprüche kommen wird.
IV. Das Gebot des Individualrechtsschutzes als zweite argumentative Säule Konnte bislang die Frage nach der Übertragbarkeit der ersten argumentativen Säule der Francovich-Doktrin einer Klärung zugeführt werden, so lässt dies noch keinen Schluss für die sich anschließende Frage nach der 652 Vgl. dazu Thies, CMLR 2004, 1675; Weustenfeld, Bananenmarktordnung, 186; Wünschmann, Geltung, 182; Cascante, Rechtsschutz, 292 ff. 653 Weiß, EuR 2005, 297. 654 EuGH, Rs. 25/62, Plaumann, Slg. 1963, 240. 655 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 42.
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Verletzung von Individualrechten zu. Neben dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit bildet der Rechtsschutzgedanke das zweite argumentative Fundament zur Lockerung des Junktims zwischen unmittelbarer Wirkung und Sekundärrechtsschutz. Hinter der zentralen Bedeutung des Rechtsschutzgedankens steht das Selbstverständnis des Gemeinschaftsrechts, die sich als eigene, autonome Rechtsordnung begreift, die nicht nur die Mitgliedstaaten untereinander berechtigt und verpflichtet, sondern auch dem einzelnen Marktbürger Rechte einräumt.656 Dementsprechend bildet der Individualrechtsschutz einen Kernbestandteil rechtsstaatlicher Ordnung, die nach den insofern gemeinsamen Verfassungstraditionen in allen Mitgliedstaaten und auch der Gemeinschaft selbst gelten.657 Vor diesem Hintergrund ist auch die Bedeutung des Individualrechtsschutzes als die zweite Säule zu verstehen, auf die sich der Gerichtshof in Francovich gestützt hat658 und mit der eine Entwicklungslinie fortgesetzt wird, in der dem Prinzip des effektiven Rechtsschutzes die Qualität eines „allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts“ zugesprochen wird.659
1. Die normative Verortung des individualbegünstigenden Rechts im Rahmen der Haftung für WTO-Rechtsverletzungen Es ist gleichwohl daran zu erinnern, dass es eine Mindestvoraussetzung des Rechtsschutzpostulates ist, dass überhaupt zu schützende Rechte identifizierbar sind. Denn nur wer in seinen Rechten verletzt ist, soll einen Haftungsanspruch geltend machen können. Dabei ist die Frage nach dem Individualrecht aber nicht erst und nur eine solche der tatbestandlichen Voraussetzungen im Rahmen der Gemeinschaftshaftung, sondern unter dem Aspekt des Individualrechtsschutzes eine Grundfrage der theoretischen Begründbarkeit der Entbehrlichkeit der unmittelbar wirksamen DSB-Entscheidung. Angedeutet ist damit die Frage, welchem Rechtsgrund das erforderliche Recht oder wenigstens das rechtlich geschützte Interesse des Einzelnen überhaupt entspringt. Es könnte entweder in der drittbegünstigenden DSB-Entscheidung selbst oder in Art. 300 VII EGV, der damit eine Schutzwirkung zugunsten des Einzelnen entfalten müsste, oder aber in einem Zusammenwirken aus der Umsetzungsverpflichtung und der Individualbegünstigung aus der DSB-Entscheidung gemeinsam zu suchen sein. Es geht an 656
So erstmals in EuGH, Rs. 26/62, Van Gend en Loos, Slg. 1963, 25. Petersmann, in: FS für Fikentscher, 971; Schmidt-Aßmann, JZ 1994, 832; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 181. 658 Vgl. dazu ausführlich Cornils, Staatshaftungsanspruch, 179 ff. 659 EuGH, Rs. 222/84, Marguerite Johnston, Slg. 1986, 1682, Rn. 18 f.; Rs. 222/86, Heylens, Slg. 1987, 4117, Rn. 14. 657
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dieser Stelle also um die normative Verortung des individualbegünstigenden Rechts. Ob ein solches tatsächlich vorliegt und welche Voraussetzungen inhaltlich an dieses Recht gestellt werden, ist eine Folgefrage, die anschließend diskutiert wird. a) Keine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 300 VII EGV Zunächst gilt es zu klären, ob eine Individualbegünstigung nicht direkt aus Art. 300 VII EGV aufgrund dessen unmittelbaren Anwendbarkeit resultieren könnte. Die im Rahmen der Effektuierung des Art. 300 VII EGV gemachten Ausführungen hatten ergeben, dass Art. 300 VII EGV nicht die unmittelbare Anwendbarkeit eines Gemeinschaftsabkommens, sondern nur dessen Verbindlichkeit anordnet. Hier könnte aber die Frage aufgeworfen werden, ob nicht Art. 300 VII EGV selber einer unmittelbaren Wirkung zugänglich ist, um so subjektive Rechte des Einzelnen zu begründen. Der Gedanke scheint deshalb nicht völlig abwegig, weil die Diskussion über die Etablierung der Francovich-Doktrin im Schrifttum eine Auffassung zum Entstehen gebracht hat, die dem Einzelnen die Berufung auf die Umsetzungsverpflichtung in Art. 249 III EGV zuerkennen wollte.660 In Analogie zu diesem Ansatz müsste in Bezug auf Art. 300 VII EGV der Anknüpfungspunkt, in der für die zur unmittelbaren Wirkung erforderlichen Unbedingtheit der Umsetzungsverpflichtung zu suchen sein und der Umsetzungsverpflichtung ein zwingender Normgehalt dahingehend eingeräumt werden, dass den EG-Organen bei der Umsetzung einer DSB-Entscheidung kein eigener Ermessens- und Entscheidungsspielraum hinsichtlich des „Ob“ einer Umsetzung verbliebe. Abgesehen davon, dass diese Auffassung die Erklärung schuldig bliebe, wie für die unmittelbare Wirkung eine mangelnde Unbedingtheit des „Wie“ als unbeachtlich gelten könnte, wäre dieser Ansatz allein deswegen wenig überzeugend, da ansonsten einem individuellen Anspruch auf Umsetzung der DSB-Entscheidung der Weg bereitet würde. Dies käme einem Normerlassanspruch nicht unmittelbar wirksamer DSB-Entscheidungen gleich. Konsequenterweise würde die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 300 VII EGV die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien für die Anerkennung der unmittelbaren Wirkung von Gemeinschaftsabkommen umgehen. Ein solcher Ansatz würde darüber hinaus mit der Reichweite subjektiver Rechte im Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein und ebenso wenig mit der Francovich-Rechtsprechung in Einklang zu bringen sein, wonach ein Schadensersatzanspruch nur bestehen könne, wenn es das Ziel der umzusetzenden Richtlinie (hier gleichsam der DSB-Entscheidung) sei, Rechte 660 In diesem Sinne Pieper, NJW 1992, 2458; van Gerven, MLJ 1994, 22; Albers, Haftung, 105.
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an den Einzelnen zu verleihen.661 Unweigerlich würde ein aus der Direktwirkung des Art. 300 VII EGV fließender Normerlassanspruch eine Rechtsschutzform schaffen, deren Erforderlichkeit sich nicht mit der Pflicht zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts begründen ließe. Die Annahme, dass Art. 300 VII EGV eine unmittelbare Wirkung zukommt, ist daher zu verwerfen. Die Bestimmung des Art. 300 VII EGV verpflichtet die EG-Organe lediglich zur Umsetzung und hat damit keine individualbegünstigende Wirkung.662 b) Keine partielle unmittelbare Wirksamkeit der DSB-Entscheidung Es ist zuweilen der Überlegung nachgegangen worden, der DSB-Entscheidung, wenn schon nicht auf Primärrechtsebene, so doch für den Sekundäranspruch unmittelbare Wirkung zuzusprechen.663 Begrüßenswert an diesem Ansatz ist freilich, dass auf diese Weise der Handlungsspielraum der Legislativorgane aufgrund des Bestandsschutzes auf Primärrechtsebene gewahrt bliebe.664 Dogmatisch ist ihm aber entgegenzuhalten, dass eine DSBEntscheidung keine „schwache“ oder „starke“ unmittelbare Wirkung erzeugen kann. Eine Aufweichung der Einheitlichkeit des Begriffs der unmittelbaren Wirkung würde vor allem die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts zu Lasten der Rechtssicherheit unterlaufen und einen einheitlichen Auslegungsgrundsatz über Bord werfen. Wie gesehen ist die unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidungen aufgrund mangelnder Unbedingtheit ausgeschlossen. Ist die EG aber bei fehlender unmittelbarer Wirkung der DSB-Entscheidung primärrechtlich nicht zur Aufhebung des Rechtsaktes verpflichtet, kann aus der DSB-Entscheidung auch nicht die „unmittelbare“ Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz an die Stelle der Nichtigkeit des Rechtsakts treten. Obgleich die in dieser Arbeit geführte Argumentation ebenfalls die Wahrung des Handlungsspielraums in den Vordergrund rückt, ist der Ansatz ein grundverschiedener, weil gerade vom Kriterium der unmittelbaren Wirkung als Voraussetzung für die Haftungsklage Abstand genommen und nicht für eine „partielle“ unmittelbare Wirkung der DSB-Entscheidung plädiert wird.
661
EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 40. So auch Weiß, EuR 2005, 279 f. 663 So GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 93 f.; zustimmend Lavranos, EWS 2004, 296; kritisch dagegen von Bogdandy, JWT 39 (2005), 57; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 694. 664 GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 95. 662
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c) Das Zusammenwirken der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV und der DSB-Entscheidung Folglich kann mangels unmittelbarer Wirkung bei isolierter Betrachtungsweise weder der DSB-Entscheidung noch dem Art. 300 VII EGV eine identifizierbare schützende Rechtsposition im Sinne eines Vollrechts im gemeinschaftsrechtlichen Verständnis entnommen werden. Ein solches Vollrecht setzt nämlich voraus, dass die Zuerkennung von Individualrechten untrennbar an die unmittelbare Wirkung von Bestimmungen geknüpft ist.665 Kann das Rechtsschutzpostulat somit nicht im Wege einer separaten Erörterung der beiden Rechtsgründe zum Tragen kommen, um ein den Sekundäranspruch begründendes subjektives Recht zu ermitteln, könnte dies doch mittels einer Gesamtbetrachtung der beiden Rechtsgründe gelingen. Für die dogmatische Konsistenz eines solchen Vorgehens bietet sich einmal mehr der vergleichende Blick auf die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung an. Damals wurde zur Begründung der Rechtsschutzerweiterung auf die Haftpflicht für die Verletzung nicht unmittelbar wirksamer Normen eine kombinierte Betrachtung beider Rechtsgründe bemüht. So könne sich die Schutzwirkung aus einem Zusammenwirken des Art. 249 III EGV mit den für die Kläger Rechte begründenden Vorschriften der Richtlinie ergeben.666 Entscheidend soll eine „Gesamtbetrachtung“ der verletzten Vorschrift mit den Bestimmungen der Richtlinie sein, bei der die verletzte Vorschrift (Art. 249 III EGV) nicht notwendigerweise selbst die Schutzwirkung entfalten müsse, sofern sich diese nur aus anderen sekundärrechtlichen Vorschriften ergebe. Anspruchsbegründend sollte somit der Verstoß gegen die objektive Umsetzungspflicht aus Art. 249 III EGV sein, während die subjektivrechtliche Dimension dieser Vertragsverletzung sich damit begründen ließe, dass die betreffende Richtliniennorm ein inhaltlich bestimmbares Recht verleihen will.667 Begründungskonstruktiv entspricht dieser Ansatz einer Kombination von primärrechtlicher Umsetzungspflicht und sekundärrechtlicher Bestimmung, die durchaus auf die hiesige Konstellation übertragen werden kann: Art. 300 665
Vgl. dazu Cornils, Staatshaftungsanspruch, 231. Prieß, NVwZ 1993, 122; Detterbeck, VerwArch 85 (1994), 179; Henrichs, Haftung, 26. 667 So die ganz herrschende Meinung in der Literatur, vgl. Musil, EuR 1998, 711 f.; Pieper, NJW 1992, 285; Diehr, Staatshaftunganspruch, 97; Albers, Haftung, 97 ff.; Seltenreich, Francovich, 63; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 225; Hailbronner, JZ 1992, 285; Bahlmann, DWiR 1992, 63 f.; Mosiek, effet utile, 44; ähnlich Henrichs, Haftung, 46 f., der die subjektive Begünstigung allerdings aus der Kehrseite der Umsetzungsverpflichtung deduziert; kritisch dagegen Ossenbühl, DVBl. 1992, 995; Cornils, Staatshaftunganspruch, 230. 666
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VII EGV verpflichtet die EG-Organe lediglich zur Umsetzung der DSB-Entscheidungen und stellt somit grundsätzlich keinen subjektiv-rechtlichen Rechtssatz dar. Dies ändert sich jedoch, sobald die zur Umsetzung anstehende DSB-Entscheidung auf die Begründung individueller Rechte abzielt. Die Schutzwirkung zugunsten des betroffenen Unternehmens ergibt sich dann aus einem Zusammenwirken des objektiv-rechtlichen und zur Umsetzung verpflichtenden Art. 300 VII EGV und der Rechte begründenden DSBEntscheidung. Ob der umzusetzenden DSB-Entscheidung tatsächlich individualbegünstigende Bestimmungen entnommen werden können, ist eine Folgefrage, die von der hier ermittelten Verortung einer Individualbegünstigung zu trennen ist. Anzudeuten ist aber schon jetzt einmal, dass es zur Annahme einer Individualbegünstigung genügen dürfte, dass die DSB-Entscheidung nur den Rechtsinhalt hinreichend klar bestimmt, ohne im Übrigen (weil der im Streitbeilegungsverfahren unterlegenen Partei noch Handlungsspielraum bei der Umsetzung zusteht) den Anforderungen der unmittelbaren Wirkung zu genügen. Auch der Umstand, dass die umzusetzenden Rechtsakte, hier die völkervertragsrechtliche DSB-Entscheidung, dort die gemeinschaftsrechtliche Richtlinie, rechtsquellenmäßig verschieden sind, kann an dieser Überlegung nicht ihre Überzeugungskraft rauben, weil beide Rechtsakte aufgrund primärrechtlicher Anordnung umgesetzt werden müssen. 2. Eingeschränktes Rechtsschutzbedürfnis der Fallgruppe A Die Errichtung des Rechtsschutzgedankens als zweite argumentative Säule bei der Entkoppelung von Sekundärrechtsschutz und unmittelbarer Anwendbarkeit kann auch im Hinblick auf eine am Rechtsschutzbedürfnis orientierte Differenzierung zwischen den Fallgruppen betroffener Unternehmen fruchtbar gemacht werden. Das Fehlen eines wirksamen Rechts- und Gerichtsschutzes ist vor dem Hintergrund des Bananen- und des Hormonstreits bereits häufig beklagt worden.668 Angesichts der zentralen Bedeutung des Individualrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung könnten Zweifel an der Effektivität der bei gemeinschaftlichen WTO-Rechtsverletzungen bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten der geschädigten Wirtschaftsteilnehmer insbesondere für die Unternehmen der Fallgruppen B und C bestehen. Die Angehörigen dieser Fallgruppen haben als in einem EG-Mitgliedstaat ansässige Unternehmen keinerlei Rechtsschutzmöglichkeiten gegen das Handeln der EG: 668 Petersmann, in: FS für Fikentscher, 973, 979, der in diesem Zusammenhang von einer „gerichtlichen Selbstbeschränkung“ zugunsten der Gemeinschaftsexekutive spricht; Oeter, in: Nowak/Cramer, Individualrechtschutz, 222; Reinisch, EuZW 2000, 43; Schoißwohl, ZEuS 2001, 706.
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die Parteistellung im Streitbeilegungsverfahren ist ihnen genauso verwehrt wie ein Initiativrecht zur Einleitung eines Panel-Verfahrens. Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 IV EGV gegen WTO-widriges Sekundärrecht scheitern an der mangelnden unmittelbaren Wirkung dieser Vorschriften und die Trade Barrier Regulation669 richtet sich nur gegen WTO-Verstöße anderer WTO-Vertragsstaaten und nicht gegen die EG als Urheber der Beeinträchtigung. Sieht man den Einzelnen ebenso wie der Gerichtshof670 grundsätzlich als Träger von Rechten und Pflichten in der Gemeinschaftsordnung, erscheint es geboten, für die aus der rechtswidrigen Wahrnehmung der Außenkompetenzen resultierenden Schäden eine gemeinschaftliche Verantwortung zu begründen. Es ist darauf hinzuweisen, dass solche Überlegungen nicht einfach mit dem Argument beiseite zu wischen sind, dass es hier einzig um die Geltendmachung von WTO-Recht und somit um zwischenstaatliche und nicht dem Einzelnen rechteverleihende Vorschriften geht. Erstens ist nämlich dogmatischer Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverletzung der Art. 300 VII EGV, also eine gemeinschaftsrechtliche Primärverpflichtung, und darüber hinaus kann der Rechtsschutzgedanke nur dann geltend gemacht werden, wenn der Einzelne aus der DSB-Entscheidung eine Individualbegünstigung herleiten kann, die ihm in der Gemeinschaftsrechtsordnung durch Umsetzung hätte verschafft werden müssen. Hätten dem Einzelnen aufgrund der Umsetzungsverpflichtung tatsächlich Rechte eingeräumt werden müssen, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis gerade dort, wo ein Schaden durch das Rechtsschutzinstrumentarium der EG primärrechtlich nicht abgewendet werden kann bzw. sogar in noch stärkerem Maße, wenn diese Instrumente dem Einzelnen gar nicht erst zur Verfügung stehen. Insofern sei auf die oben erläuterte rechtsschutzlückenschließende Auffangfunktion des Sekundärrechtsanspruchs hingewiesen. Solche Erwägungen spielten bereits bei der Einführung der Haftpflicht der Gemeinschaft für legislative Rechtsakte eine Rolle. Damals hatte GA Roemer671 in der Rechtssache Schöppenstedt insbesondere das Bedürfnis nach effektivem Rechtsschutz hervorgehoben, welches infolge des eingeschränkten Zugangs Einzelner zum gemeinschaftlichen Normenkontrollverfahren bestehen sollte.672 Dass die Schadensersatzhaftung „unerlässlich“ sei zum Schutz der den Einzelnen gemeinschaftsrechtlich zuerkannten Rechte, hat der Gerichtshof in Franco669 Verordnung (EG) Nr. 3286/94 des Rates vom 22.12.1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, ABlEG 1994 Nr. L 349, 71; für einen Überblick vgl. Becker, WTO-Subventionsübereinkommen, 64 ff. 670 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 31. 671 GA Roemer in Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 989 ff. 672 Siehe Schoißwohl, ZEuS 2001, 704.
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vich festgestellt und sollte insbesondere auch bei Konstellationen der Fallgruppen B und C bedacht werden, in denen der Einzelne seine Rechte im Falle der Untätigkeit des Staates nicht geltend machen kann.673 Weniger gravierend könnte sich das Fehlen eines Schadensersatzanspruches für die Angehörigen der Fallgruppe A bemerkbar machen. Denn möglicherweise sind die Interessen der Fallgruppe A, der alle in einem Drittstaat ansässigen Unternehmen zuzuordnen sind,674 bereits durch das WTO-Streitbeilegungssystem ausreichend gewahrt, so dass eine strikte Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich der haftungsrechtlichen Verantwortung der Gemeinschaft nach WTO-Recht und einer solchen nach Gemeinschaftsrecht geboten ist.675 Denn das ausländische Unternehmen, das durch die Einfuhrbeschränkungen der EG beeinträchtigt wird, kann davon profitieren, dass sein Heimatstaat als WTO-Mitglied die WTO-Rechtsverletzung der EG vor ein Panel bringen kann. Obwohl der Einzelne im Streitbeilegungsverfahren keine Parteistellung innehat, werden seine Interessen effektiv durch seinen Heimatstaat wahrgenommen, kann er doch regelmäßig in innerstaatlichen Verfahren auf die Durchsetzung des WTORechts hinwirken und den Heimatstaat zur Einleitung von WTO-Streitbeilegungsverfahren veranlassen.676 Darüber hinaus bietet das DSU den Heimatstaaten der ausländischen Unternehmen die Möglichkeit, nach Feststellung des WTO-Rechtsverstoßes vorübergehend Schadensersatz zu verlangen oder Gegenmaßnahmen nach Maßgabe des DSU zu ergreifen. Möglicherweise können die Einkünfte des Heimatstaates des Unternehmens, die dieser durch Kompensationszahlungen oder durch die Verhängung von Strafzöllen empfängt, in Form von Fördermaßnahmen oder Direktzahlungen an die geschädigten Unternehmen weitergeleitet werden. Gibt das DSU dem Heimatstaat demnach Sanktionsmöglichkeiten zur Hand, die die unterlegene Verfahrenspartei nicht nur zur Rücknahme ihrer WTO-widrigen Maßnahme bewegen können, sondern infolge derer gleichzeitig Mittel zur Entschädigung der Unternehmen freigesetzt werden, sollten sich entsprechende Unternehmen der Fallgruppe A nicht auf den Rechtsschutzgedanken berufen dürfen. Maßgeblich abzustellen ist dabei jedoch nicht auf die bloße Möglichkeit einer Kompensation sondern darauf, ob das geschädigte Unternehmen aus den Einnahmen der Vergeltungsmaßnahmen tatsächlich entschädigt wurde. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist ihr das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen. Zwar sind Unternehmen der Fallgruppe A gegenüber jenen der 673
EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5414, Rn. 34. Vgl. oben Teil 1 C. I. 675 Schoißwohl, ZEuS 2001, 706. 676 Siehe beispielsweise das amerikanische Rechtsschutzinstrumentarium in Section 301 of the Trade Act of 1974, Cascante, Rechtsschutz, 41 ff. 674
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Fallgruppen B und C insofern begünstigt, dass sie durch nationalgesetzliche Initiativrechte möglicherweise darauf hinwirken können, dass der Fall von den Streitbeilegungsgremien der WTO entschieden wird. Der entstandene Schaden bleibt hiervon jedoch unberührt. Eine andere Beurteilung würde nur dann gerechtfertigt sein, wenn es in der nationalen Rechtsordnung des geschädigten Unternehmens einen Durchsetzungsmechanismus gäbe kraft dessen die Regierung gezwungen werden könnte, die Einnahmen aus den Vergeltungsmaßnahmen an die Unternehmen weiterzuleiten. Nur unter diesen Voraussetzungen müsste die Inanspruchnahme des gemeinschaftlichen Sekundärrechtsschutzes mangels Rechtsschutzbedürfnisses versagt werden. Der vom EuG entschiedenen Schadensersatzklage Chiquita677 lag ein Rechtsstreit zugrunde, in der ein amerikanisches Unternehmen den Ersatz der als Folge der Rechtsverletzung der EG erlittenen Schäden begehrte. Das EuG kam aber nicht dazu, sich mit Rechtsschutzerwägungen zu befassen, weil es sich in gewohnter Manier darauf beschränkte, die Anwendbarkeit des Nakajima-Prinzips zu erörtern. Da allerdings nicht bekannt ist, dass Chiquita von amerikanischer Seite Kompensationszahlungen aufgrund der dauerhaften Weigerung der EG das Bananenmarktregime anzupassen erhalten hat, wäre in diesem Fall auch keine Einschränkung des Rechtsschutzbedürfnisses angebracht gewesen. Einstweilen lässt sich festhalten, dass zur Beantwortung der Frage, welchem Rechtsgrund das für die Verwirklichung des Rechtsschutzpostulats erforderliche Individualrecht des Einzelnen überhaupt entspringt, eine Gesamtbetrachtung der objektiv-rechtlichen Umsetzungsverpflichtung mit der rechteverleihenden DSB-Entscheidung vorzunehmen ist. Eine individualbegünstigende Schutzwirkung kann folglich aus einem Zusammenwirken des Art. 300 VII EGV mit den für die Wirtschaftsteilnehmer Rechte begründenden DSB-Entscheidungen resultieren. Ferner wird man den Rechtsschutzgedanken zur Selektion schützenswerter Wirtschaftsteilnehmer immer dann heranziehen müssen, wenn ausländische Unternehmen von ihrem Heimatstaat in irgendeiner Form die Folgen der schädlichen Maßnahmen kompensiert wurden.
V. Die Stärkung der Haftungsverpflichtung aus Art. 10 EGV Zuletzt ist die dritte argumentative Säule der Francovich-Doktrin, die Fruchtbarmachung des Rücksichtnahmegebots aus Art. 10 EGV, in Augenschein zu nehmen. Gemäß Art. 10 EGV sind die Mitgliedstaaten dazu ver677
EuG, Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315.
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pflichtet, zum einen alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung gemeinschaftsrechtlich vorgegebener Verpflichtungen zu treffen (Abs. 1) und zum anderen alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnten (Abs. 2). Es bleibt zu erörtern, ob Art. 10 EGV zur Begründung einer Haftpflicht der Gemeinschaft für WTO-Rechtsverletzungen herangezogen werden kann. Zwar richtet sich Art. 10 EGV ausweislich seines Wortlautes ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Ganz überwiegend wird aber Art. 10 EGV über seinen allein die Mitgliedstaaten verpflichtenden Wortlaut hinaus ein allgemeiner Grundsatz entnommen, der auch den Gemeinschaftsorganen gegenüber den Mitgliedstaaten rechtsverbindlich Pflichten zur Rücksichtnahme auferlegen kann.678 Dieses wechselseitige und überwiegend auf den Grundsatz der Gemeinschaftstreue gestützte Loyalitätsgebot hat der Gerichtshof mehrfach aufgezeigt679 und wird als Positivierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes verstanden, dessen einzelfallbezogene Konkretisierung die inhaltliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der EG und den Mitgliedstaaten untereinander im Falle von Interessenkonflikten erlaubt.680 1. Die Funktion des Art. 10 EGV in Francovich Um das mit Art. 10 EGV zu begründende Pflichtenverhältnis für eine Haftpflicht der Gemeinschaft bei WTO-Rechtsverletzungen konstruieren zu können, sollte zunächst kurz auf die Funktion dieses Begründungsansatzes in Francovich eingegangen werden. Neben den Haftungsgründen des effet utile und des Rechtsschutzgedankens leitet der Gerichtshof aus Art. 10 EGV die Verpflichtung her, „die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben“.681 Allerdings lässt die Formulierung des Gerichtshofs wohl den Schluss zu, dass er der Anführung des Art. 10 EGV keine eigenständige Bedeutung zur Begründung der Staatshaftung beigemessen hat. Stattdessen scheint Art. 10 EGV nur die Funktion einer zusätzlichen, hilfsweisen Abstützung eines bereits begründeten Grund678 Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 47 ff.; Zuleeg, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 11; Jarass, AöR 121 (1996), 196; Epiney, EuR 1994, 309 ff.; Rengeling, VVDStRL 53 (1994), 233; Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), 179; Wuermeling, EuR 1987, 242; Lehr, Rechtsschutz, 291 ff.; Schoch, JZ 1995, 120. 679 Vgl. dazu in ständiger Rechtsprechung EuGH, Rs. 230/81, Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 287; Rs. 94/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 192; Rs. C-2/88, Zwartveld, Slg. 1990, I-3367; verb. Rs. C-36/97 und C-37/97, Kellinghusen und Ketelsen, Slg. 1998, I-6361 f. 680 Schoißwohl, ZEuS 2001, 709; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 7. 681 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5414, Rn. 36.
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satzes zu erfüllen.682 Dies legt die Systematik des Urteils nahe, die Art. 10 EGV erst erwähnt, nachdem der Haftungsgrundsatz bereits „aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung“ hergeleitet ist. Folglich unterstützt Art. 10 EGV, der den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts auch über die Erfüllung der ausdrücklich im primären oder sekundären Gemeinschaftsrecht festgelegten Pflichten hinaus sicherzustellen, die Begründung der den Vertragsverstoß sanktionierenden und damit der Sicherung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts dienenden Haftungsverpflichtung,683 bildet aber nicht selbst Grundlage der Schadensersatzverpflichtung. 2. Die pflichtenbestärkende und -bestätigende Funktion des Art. 10 EGV in Bezug auf Art. 300 VII EGV Bevor die Voraussetzungen für die Herleitung einer Schadensersatzverpflichtung der EG bei WTO-Rechtsverletzungen aus Art. 10 EGV im Einzelnen zu ermitteln sind, stellt sich vorrangig die Frage nach der Rechtswirkung, die eine solche Verpflichtung zu entfalten geeignet sein könnte. Angesprochen ist damit die Frage, ob Art. 10 EGV eine berufungsfähige individuelle Rechtsposition vermitteln kann oder ob ihr tatsächlich nur eine pflichtenbestätigende Funktion ohne eigenständigen berufungsfähigen Gehalt zukommt.684 In diesem Zusammenhang überlegenswert wäre zunächst, ob Art. 10 EGV nicht zur Sicherung des Prinzips des effektiven Rechtsschutzes als ein allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts eine grundsätzliche Überprüfbarkeit des EG-Sekundärrechts bewirken und damit dem WTO-Recht zur unmittelbaren Anwendbarkeit verhelfen könnte. Grundsätzlich ist Art. 10 EGV zwar nicht unmittelbar anwendbar in dem Sinne, dass er dem Einzelnen ein Recht verleiht, seinen Mitgliedstaat vor einem nationalen Gericht auf Erfüllung seiner Verpflichtung zu verklagen,685 wenngleich mittlerweile anerkannt ist, dass Art. 10 EGV auch eine selbständige Grundlage für Verpflichtungen sein kann.686 Allerdings soll in bestimmten Fällen eine Ver682 So auch Eilmansberger, Rechtsfolgen, 42 f.; Hailbronner, JZ 1992, 286; Geiger, DVBl. 1993, 469; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 243 f. 683 Vgl. dazu Mosiek, effet utile, 15 ff. 684 Vgl. zu diesem Aspekt allgemein von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 27 ff.; Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 11 f.; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 2. 685 Ansätze für eine solche Sichtweise bei Triantafyllou, DÖV 1992, 568; Curtin, CMLR (1990), 734. 686 Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 11; Epiney, EuR 1994, 310; Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 15; Due, Gemeinschaftstreue, 3; zu Nachweisen
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pflichtung dann über Art. 10 EGV unmittelbare Wirkung erhalten, wenn effektiver Rechtsschutz anderweitig nicht gewährleistet werden kann.687 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Fallgestaltung nicht durch eine spezifische Vorschrift des Vertrags geregelt ist und die Gemeinschaft nur durch eine einzige Maßnahme ihrer Verpflichtung aus dem Gemeinschaftsrecht entsprechen kann (Ermessensreduzierung auf Null).688 Wollte man mit Hinweis auf die nicht bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Verletzung von WTO-Recht auf Gemeinschaftsrechtsebene auf diese Weise die Vorschriften der WTO-Abkommen zum Prüfungsmaßstab von EG-Sekundärrecht erheben und ihnen damit unmittelbare Wirkung zusprechen, würde konsequenterweise die völkerrechtliche Auslegungsmethode bei der Feststellung der unmittelbaren Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrags unterlaufen. Ferner bliebe bei einem solchen Vorgehen unberücksichtigt, dass die maßgebliche pflichtenbegründende Grundlage für eine Haftungsverpflichtung im Falle nicht unmittelbar wirksamen WTO-Rechts – wie oben ausgeführt – in der Vorschrift des Art. 300 VII EGV zu suchen ist, der seinerseits ebenfalls nicht unmittelbar anwendbar ist, dessen Umsetzungsverpflichtung jedoch zur vollen Wirksamkeit verholfen werden kann. Zutreffenderweise dürfte daher in dem hier diskutierten Kontext unter dem Gesichtspunkt der dogmatischen Einordnung die Aufgabe des Art. 10 EGV in einer pflichtenbestätigenden Funktion zu sehen sein, mittels derer die aus dem effektuierten Art. 300 VII EGV hergeleitete Schadensersatzverpflichtung unterstützt wird. Art. 10 EGV könnte demnach aus dem gegenüber den Mitgliedstaaten bestehenden Rücksichtnahmegebot die Umsetzungsverpflichtung der Gemeinschaft bestätigen. Nach einem solchen Verständnis würde Art. 10 EGV am ehesten seiner Funktion in der Francovich-Entscheidung zur Begründung der Staatshaftung gerecht, in der Art. 10 EGV wohl auch keine selbständige Grundlage zur Herleitung der Haftungsverpflichtung geboten hat. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die wiederholte Betonung seitens des Gerichtshofs, dass die in Art. 249 III EGV statuierte Pflicht zur Umsetzung der EG-Richtlinie durch Art. 10 EGV ergänzt bzw. verstärkt werde.689 Soll dem Art. 10 EGV auch eine pflichtenverstärkende Funktion in Bezug auf die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV zukommen, so ist nach Argumenten zu suchen, die ein Rücksichtnahmegebot gegenüber den Mitgliedstaaten begründen und die aus der Rechtsprechung vgl. Lück, Gemeinschaftstreue, 79 f.; kritisch Eilmansberger, Rechtsfolgen, 43. 687 Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 9; Albers, Haftung, 174. 688 Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 15; Zuleeg, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 2. 689 EuGH, Rs. 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1690, Rn. 53 unter Hinweis auf das Urteil in Rs. 79/83, Harz, Slg. 1984, 1921.
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Schadensersatzverpflichtung der EG bei WTO-Rechtsverletzungen gegenüber dem Einzelnen untermauern kann. In Umkehrung der bisherigen Pflichtenverhältnisse und der Umsetzungsverpflichtung in Art. 249 III EGV geht es bei Art. 300 VII EGV um die Rücksichtnahme der Gemeinschaftsorgane zugunsten mitgliedstaatlicher Belange. 3. Voraussetzungen für die Begründung einer Pflicht aus dem Rücksichtnahmegebot des Art. 10 EGV Art. 10 EGV erlaubt die Begründung neuer, vertraglich nicht ausdrücklich geregelter Rechtspflichten, wie dies die bisher vor allem zur Ausgestaltung der den Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft obliegenden Pflichten ergangene Rechtsprechung unzweifelhaft belegt.690 Der Loyalitätsgrundsatz begegnet als zu Lasten der Gemeinschaft wirkendes Institut keinen durchgreifenden Bedenken hinsichtlich des ihm innewohnenden Rechtsfortbildungsgehalts.691 Eine eigenständige Verpflichtung aus Art. 10 EGV muss drei Voraussetzungen erfüllen.692 Die Verpflichtung muss erstens im Anwendungsbereich des EGV der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten dienen, sie muss sich zweitens im Einzelfall mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln lassen und darf drittens die Grenzen der innergemeinschaftlichen Funktionsverteilung nicht überschreiten. a) Die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft Das fundamentale Anliegen der Verpflichtungen aus Art. 10 EGV ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit der EG. Dementsprechend muss eine aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit resultierende Verpflichtung der EG gegenüber den Mitgliedstaaten der Funktionsfähigkeit der EG im Anwendungsbereich des EGV dienen.693 aa) Art. 10 EGV als Ausprägung des effet utile-Gedankens Art. 10 EGV steht demnach im Dienste der Durchsetzung verbindlichen Gemeinschaftsrechts. Insofern erscheint die Behauptung gerechtfertigt, dass Art. 10 EGV auch eine die praktische Wirksamkeit des Gemeinschafts690 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 12 ff.; Kahl, in: Calliess/ Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 15. 691 Mosiek, effet utile, 162 f.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 79. 692 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 12. 693 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 13; Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 11; Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 1; Hatje, Loyalität, 60.
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rechts fördernde Funktion hat.694 Der Regelungsgehalt des Art. 10 EGV erstreckt sich deshalb auch auf das im Wege der Maxime des effet utile interpretierte und insoweit effektuierte Gemeinschaftsrecht. Auf dieser Grundlage kann die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit als vertraglich festgeschriebene Sonderausprägung des Nutzbringungsgedankens verstanden werden.695 Gleichwohl ist anzumerken, dass die Pflicht der Gemeinschaft zur Rücksichtnahme gegenüber mitgliedstaatlichen Interessen grundsätzlich in ein materielles Spannungsverhältnis zur Maxime des auf Effektuierung gemeinschaftsrechtlicher Normen zielenden effet utile-Gedankens treten kann.696 Möglich erscheint dies indes nur dann, wenn im konkreten Fall die Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Belange der Wahrnehmung einer gemeinschaftlichen Kompetenz Grenzen setzt, d.h. wenn mitgliedstaatliche Interessen gerade bei kompetenzgemäßem Vorgehen der Gemeinschaftsorgane beeinträchtigt sind. Eine solche Konfliktsituation tritt bei der Begründung einer Haftpflicht bei WTO-Rechtsverletzungen aber nicht ein. Zwar werden durch die Möglichkeit des Schadensersatzes möglicherweise Anreize für die Gemeinschaftsorgane zu WTO-konformen Verhalten gesetzt, doch wird dadurch nur auf eine kompetenzgemäße und die Normativaussage des Art. 300 VII EGV effektuierende Verhaltenssteuerung hingewirkt, die letztlich eine völkerrechtskonforme Ausgestaltung innergemeinschaftlicher Gesetzgebungsprozesse ansteuert. Ein Spannungsverhältnis zwischen materiellem Gemeinschaftsrecht und Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Interessen entsteht hier nicht. bb) Die Identität der Argumente zur Funktionssicherung und des effet utile Kann eine Wirkungsidentität des effet utile-Gedankens mit einer an der Funktionssicherung des Gemeinschaftsrechts orientierten Pflichtenbestätigung des Art. 10 EGV mithin festgestellt werden, so kann für den Nachweis der Funktionssicherung im Wesentlichen auf die Erwägungen zur praktischen Wirksamkeit zurückgegriffen werden. Eine von Art. 10 EGV gestützte Haftpflicht der EG ist demnach gleich in mehrfacher Hinsicht geeignet, die Funktionsfähigkeit materiellen Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.697 Zunächst dient sie der Förderung der Befolgung des Art. 300 VII EGV und der darin angeordneten Bindung der Ge694 Vgl. dazu Zuleeg, NJW 2000, 2847; Mosiek, effet utile, 15 f.; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 931. 695 Mosiek, effet utile, 15. 696 Mosiek, effet utile, 177. 697 Vgl. zum Folgenden oben Teil 2 D. V. 3.
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meinschaft an die DSB-Entscheidung.698 Im Wege der Haftbarmachung bei Verstoß gegen nicht unmittelbar wirksame Vorschriften kann somit der Rechtssetzungsauftrag des Art. 300 VII EGV gestärkt und damit letztlich die Funktionsfähigkeit und Effektivität des Art. 300 VII EGV gefördert werden. Ebenso würde die Begründung einer Haftpflicht einen einheitlichen Individualrechtsschutz gewährleisten und unterschiedliche Schutzstandards innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung vermeiden. Anderenfalls wären die einheitliche Durchsetzung des Legalitätsprinzips und damit die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gefährdet. Wertungswidersprüche im Individualrechtsschutz wären unvermeidlich. Eine Missachtung des Legalitätsprinzips im Bereich integrierter Gemeinschaftsabkommen sowie das Fehlen eines wirksamen Rechts- und Gerichtsschutzes gegenüber WTO-Rechtsverletzungen vermindert nicht nur den effektiven Schutzbereich der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsstaatsprinzipien, sondern hat auch desintegrierende Wirkung im Bereich der Gemeinschaftsabkommen der EG. Konsequenz wäre eine Negierung des im EGV niedergelegten Grundsatzes völkerrechtskonformer Integration. Die Geltendmachung dieses Grundsatzes bedeutet keinesfalls eine Schmälerung von Gemeinschaftskompetenzen, da sie lediglich der – auch im Außenverhältnis bestehenden – notwendigen Befolgung der von der Gemeinschaft selbst im Rahmen ihrer Außenkompetenz eingegangenen völkerrechtlichen Pflichten Rechnung trägt und damit lediglich Grenzen für die Ausübung anderer Gemeinschaftskompetenzen absteckt.699 Er steht damit im Dienste einer völkerrechtskonformen Ausgestaltung innergemeinschaftlicher Gesetzgebungsprozesse. b) Hinreichende Bestimmtheit des im Einzelfall Gebotenen Die zweite tatbestandliche Voraussetzung einer Pflicht aus Art. 10 EGV sieht vor, dass sich das im Einzelfall Gebotene mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln lässt.700 Diese Voraussetzung wäre unproblematisch erfüllt, weil sich die Haftpflicht im Einzelfall auf der Grundlage der in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Haftungsvoraussetzungen des Art. 288 EGV ergeben würde. c) Wahrung der innergemeinschaftlichen Kompetenzverteilung Als dritte Voraussetzung muss sichergestellt sein, dass durch die Begründung der Pflicht die innergemeinschaftliche Kompetenzverteilung gewahrt 698 699 700
Ebenso Schoißwohl, ZEuS 2001, 710. Schoißwohl, ZEuS 2001, 710. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 15.
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bleibt.701 In der Achtung und Wahrung der Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten verschafft sich das Rücksichtnahmegebot der EG gegenüber den Mitgliedstaaten Ausdruck, welches unter anderem die Achtung vor den Grundprinzipien der jeweiligen Verfassungsordnung umfasst,702 das aber darüber hinaus allen nationalen Interessen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen soll.703 Vom Rücksichtnahmegebot erfasste nationale Belange dürften als Konsequenz der Rechtsprechung des EuGH zur Stellung des WTO-Rechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung in mehrerer Hinsicht betroffen sein. aa) Nachteile aus der gesamtschuldnerischen Haftung von EG und Mitgliedstaaten bei gemischten Verträgen Die Weigerung der Gemeinschaftsorgane, DSB-Entscheidungen zu befolgen, führt zunächst dazu, dass die nationalen Staatsorgane gezwungen werden, völkerrechtswidriges Gemeinschaftssekundärrecht umzusetzen. Dies ist insbesondere im Hinblick darauf problematisch, dass Gemeinschaft und Mitgliedstaaten gemäß Art. 300 VII EGV an sog. gemischte Abkommen gebunden sind.704 Eine völkerrechtliche Bindung sowohl der EG als auch ihrer Mitgliedstaaten tritt ein, weil der gemischte Vertrag nicht nur eine tatsächliche, sondern auch eine rechtliche Einheit bildet,705 was durch das einheitliche Auftreten gegenüber den Vertragspartnern auf Völkerrechtsebene bestätigt wird.706 Das einheitliche Auftreten müssen sich Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auch auf völkerrechtlicher Ebene zurechnen lassen.707 Für die haftungsrechtliche Stellung der Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene hat dies zur Folge, dass sie, unabhängig von der jeweiligen Zuständigkeit, gegenüber Drittstaaten in vollem Umfang haften müssen.708 Bei dauerhafter Weigerung der Gemeinschaftsorgane, ihr Sekundärrecht wie im Hormon- und Bananenstreit völkerrechtskonform anzupassen, lässt die Ge701
von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 22. Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 48; Hatje, in: Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 52 f. 703 BVerfGE 89, 174; Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 50 m. w. N.; Hailbronner, JZ 1990, 152 ff. 704 Vgl. dazu Flemisch, Umfang, 28 ff.; Epiney, EuZW 1999, 7. 705 Stein, Der gemischte Vertrag, 129 f. 706 Schweitzer/Hummer, Europarecht, 203, Rn. 670; Cremona, Oxf.J.ofLg.Studies 1982, 423; Streinz, Europarecht, Rn. 488. 707 Streinz, Europarecht, Rn. 488. 708 So auch Gaja, in: O’Keeffe/Schermers (Hg.), 137; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 64; Everling, CMLR 1996, 423; Bleckmann, EuR 1976, 311; Footer, in: Laurent/Maresceau (Hg.), 320; Staebe, Europarecht, 218; Kovar, AFDI 1975, 915; Flemisch, Umfang, 137. 702
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meinschaft die Mitgliedstaaten in die völkerrechtliche Haftung laufen.709 Zwangsläufig kommt es zu einem Konflikt mit dem in Art. 10 EGV verankerten Rücksichtnahmegebot, trifft die Gemeinschaftsorgane doch auch die Pflicht, die Mitgliedstaaten vor einer völkerrechtlichen Haftung zu bewahren.710 Auf Ebene des WTO-Rechts hat die völkerrechtliche Haftung in erster Linie zur Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten von den Strafzöllen der anderen Vertragsstaaten mittelbar beeinträchtigt werden aufgrund der Schäden, die nationale Wirtschaftssubjekte erleiden.711 Diese Feststellung allein kann jedoch noch keine ausreichende Bezugnahme des Art. 10 EGV rechtfertigen, da dieser nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nur im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit konstituieren kann.712 Nicht erfasst sind damit Nachteile für einzelne Unternehmen, an deren Ausgleich ein Mitgliedstaat ein Interesse haben könnte.713 Obgleich den Mitgliedstaaten damit kein unmittelbarer Nachteil erwächst, verletzt die EG trotzdem ihre Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, wenn sie die DSB-Entscheidungen nicht in EGSekundärrecht umsetzt. Bereits in der Rechtssache Kupferberg hatte der Gerichtshof entschieden, dass die Einhaltung von Gemeinschaftsabkommen durch die Mitgliedstaaten „eine Pflicht [darstellt], die nicht nur dem betreffenden Drittland, sondern auch und vor allem der Gemeinschaft gegenüber besteht, die die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen hat.“714 Diese Verpflichtung ermöglicht zwei Aussagen in Bezug auf das Pflichtenverhältnis: erstens muss die Pflicht zur ordnungsgemäßen Durchführung nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit auch im umgekehrten Verhältnis der EG gegenüber den Mitgliedstaaten auferlegt werden können. Denn Art. 10 EGV ist Ausdruck der allgemeinen Regel, dass die Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorgane gegenseitigen Pflichten zu loyaler Zusammenarbeit und Unterstützung unterliegen.715 Gegenstand der Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane ist es, auf die berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten Rücksicht zu neh709 Stein, EuZW 1998, 263; GA Tesauro in Rs. C-57/96, Hermès, Slg. 1998, I-3603, Rn. 14; Flemisch, Umfang, 137. 710 Herdegen, Europarecht, 409, Rn. 16; Flemisch, Umfang, 137. 711 So Schoißwohl, ZEuS 2001, 710. 712 EuGH, Rs. C-341/95, Betatti, Slg. 1998, I-4355, Rn. 77 mit Verweis auf den Beschluss vom 13.7.1990 in der Rechtssache C-2/88, Zwartveld, Slg. 1990, I-3365, Rn. 17, und auf das Urteil vom 13.10.1992 in den Rs. C-63/90 und C-67/90, Portugal und Spanien/Rat, Slg. 1992, I-5073, Rn. 52. 713 Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 53. 714 EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3662, Rn. 13. 715 Vgl. Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 11; Schwarze, in: Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 51; Herdegen, Europarecht, 409, Rn. 16.
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men.716 Zweitens gilt die gemeinsame Verantwortung bei der Erfüllung von Gemeinschaftsabkommen erst recht für gemischte Abkommen, bei denen die Verflechtung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft noch enger ist.717 Aus diesen Ausführungen ergibt sich zusammenfassend, dass im Verhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten ein Pflichtenverhältnis verletzt wird, wenn eine der beiden Seiten den Maßgaben aus internationalen Verträgen nicht nachkommt. Mit der Nichtbefolgung der DSB-Entscheidungen verletzen die Gemeinschaftsorgane ihre Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit. bb) Die Verweigerung der Berufungsmöglichkeit auf WTO-Vorschriften durch die Mitgliedstaaten Aus der Erkenntnis, dass die nationalen Rechtsanwender gezwungen sind, völkerrechtswidriges Sekundärrecht anzuwenden, ohne dass die Mitgliedstaaten dagegen vorgehen könnten, ist die Forderung abgeleitet worden, die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts zumindest für diese privilegierten Kläger anzuerkennen.718 Die fehlende Berufungsfähigkeit selbst für die Mitgliedstaaten hat im Schrifttum die Auffassung befördert, dass die EG damit ihre Kompetenzen überschreiten und gegen Kerntatbestände des nationalen Verfassungsrechts verstoßen würde. Deshalb könne sich die Bundesrepublik Deutschland – sofern bundesdeutsche Belange betroffen sind – aufgrund der Bindung an die unveränderlichen Bestimmungen des Grundgesetzes nach Art. 23 I S. 3 GG i. V. m. Art. 79 III GG der Umsetzung völkerrechtswidriger Rechtsakte verweigern,719 weil die Gemeinschaftsorgane gegen den fundamentalen Grundsatz der Bindung aller staatlichen Entscheidungsträger an Recht und Gesetz verstießen.720 Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG handelt es sich bei Gemeinschaftsrechtsakten, die durch grundlegende Modifikation des EGV zustande kommen bzw. aufrechterhalten bleiben, um „ausbrechende“ Rechtsakte, die nicht mehr von dem Zustimmungsakt der Bundesrepublik Deutschland zum EGV gedeckt sind, weshalb WTO-widrige Rechtsakte keine Rechtswirkung auf dem deutschen Hoheitsgebiet entfalten könnten.721 Ohne dieser Argumentation wei716 EuGH, Rs. 230/81, Luxemburg/Parlament, 255, Rn. 37; EuGH, C-63/90 und C-39/89, Portugal und Spanien/Rat, Slg. 1992, I-5156. 717 Ebenso Flemisch, Umfang, 137. 718 Flemisch, Umfang, 137; Hinderer, Rechtsschutz, 420 ff. 719 Vgl. dazu Hinderer, Rechtsschutz, 422 ff.; Stein, EuZW 1998, 263; Cascante/ Sander, Bananenmarktordnung, 103; Weustenfeld, Bananenmarktordnung, 206 ff. 720 van den Broek, JIEL 2001, 439 f.; Everling, CMLR 1996, 421 f.; Cottier, CMLR 35 (1998), 371; Schmid, NJW 1998, 193. 721 Schmid, NJW 1998, 196; Petersmann, EuZW 1997, 330; Kuschel, EuZW 1995, 649.
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ter nachgehen zu wollen, kann für die hier zu begründende Haftpflicht doch nur eine bedingte Übertragbarkeit dieses Ansatzes festgestellt werden, weil eine mögliche Schadensersatzverpflichtung der Gemeinschaft die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung völkerrechtswidrigen Gemeinschaftsrechts unberührt lässt und nur die Anerkennung von Rechtsschutz auf Sekundärrechtsebene anstrebt. Der Vorwurf an die Gemeinschaftsorgane, ausbrechende Rechtsakte zu erlassen, bestünde auch fort, wenn der daraus resultierende Schaden ersetzt wird. cc) Missachtung subjektiver Rechte als Verletzung mitgliedstaatlicher Verfassungsgrundsätze Allerdings kann die Rücksichtsnahmepflicht gegenüber den verfassungsrechtlichen Fundamentalprinzipien der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV zur Anerkennung der Haftpflicht möglicherweise dann fruchtbar gemacht werden, wenn anderweitig effektiver Rechtsschutz bei der Wahrnehmung subjektiver Rechte nicht gewährleistet werden könnte.722 Es ist bereits gezeigt worden, dass aus Art. 300 VII EGV i. V. m. einem individualbegünstigenden Charakter der DSB-Entscheidung ein Rechtsschutzgedanke entfaltet werden kann, der, wenn ihm zur praktischen Wirksamkeit verholfen werden soll, die Schadensersatzverpflichtung erforderlich macht. Dann ist allerdings immer noch der Nachweis zu führen, dass DSB-Entscheidungen oder WTOVorschriften gerade individualbegünstigend sein können. Setzt man diesen subjektiv-rechtlichen Charakter der WTO-Vorschriften an dieser Stelle zunächst einmal voraus,723 kann durch die Haltung des Gerichtshofs, dem Einzelnen konsequent jede Berufung auf diese Rechte zu verweigern, die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gefährdet sein.724 Dies könnte deshalb zu einer Unvereinbarkeit mit fundamentalen Verfassungsprinzipien führen, weil der effektive Rechtsschutz durch zumindest eine gerichtliche Instanz zum Kernbestandteil des Rechtsstaatsprinzips gehört.725 Von daher hätte nach Art. 23 I S. 3 i. V. m. Art. 79 III GG bei der Missachtung dieses Grundprinzips kein Zustimmungsgesetz ergehen können. Will man durch ein mit den in Art. 79 III GG niedergelegten Werten unvereinbares Abwägungsergebnis nicht die Umsetzungsverweigerung der Mitgliedstaaten hervorrufen, darf das Rücksichtnahmegebot also eine Durchsetzung fundamentaler mitgliedstaatlicher Belange zumindest nicht ausschließen. 722 Siehe zur Funktion des Art. 10 EGV zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes Streinz, in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 9; Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 16; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 3. 723 Dazu unten Teil 2 E. II. 724 So auch Vachek, ZfRV 1997, 151; Petersmann, EuZW 1997, 330. 725 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), Art. 20 GG, Rn. 197 f.
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Dabei stellt sich allerdings die Frage nach dem „Gewicht“, das den zu berücksichtigenden nationalen Belangen innerhalb des konkreten Abwägungsvorgangs zukommt. Letztlich muss die Frage nach der Intensität oder Gewichtung mitgliedstaatlicher Belange bei der Achtungspflicht seitens der Gemeinschaftsorgane durch einen Ausgleich zwischen gemeinschaftlichen Zielen und fundamentalen mitgliedstaatlichen Interessen Rechnung getragen werden, der wohl eine Verhältnismäßigkeitsprüfung am ehesten gerecht wird.726 Dies bedeutet auch, dass die national-verfassungsrechtlichen Grundwertungen zumindest insoweit mit erheblichem Gewicht in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingehen, als dass sich ihre Durchsetzung auf das unabdingbar notwendige Maß beschränkt. Dies kann überzeugend durch die Aufspaltung der Gewährleistung des Rechtsschutzes auf primärrechtlicher und sekundärrechtlicher Ebene geschehen, weil auf diese Weise nicht nur der völkerrechtliche Handlungsspielraum der Gemeinschaftsorgane respektiert würde, sondern gleichzeitig auch ein umfassender Bestandsschutz gemeinschaftlichen Sekundärrechts gesichert wäre. Auf der anderen Seite kann eine völlige Aushöhlung des Rechtsschutzprinzips dann verhindert werden, wenn zumindest auf Sekundärrechtsebene Schadensersatz geltend gemacht werden kann. Dann nämlich könnte das Rechtsschutzbedürfnis zumindest für die Fälle, in denen überhaupt keine Instrumente des Primärrechtsschutzes zur Verfügung stehen, befriedigt werden. Damit stellt sich die Gewährung von Sekundärrechtschutz als die schonendere und die Geltendmachung subjektiver Rechte generell nicht ausschließende Alternative zur weitergehenden Forderung dar, den Vorschriften der WTO-Abkommen unmittelbare Wirkung zuzusprechen. Es ist nicht ersichtlich, wie durch die Anerkennung von Rechtsschutz auf Sekundärrechtsebene eine primärrechtlich normierte Kompetenz oder ein vitales Interesse der Gemeinschaftsorgane beeinträchtigt sein könnte. Mit der Anerkennung der Haftpflicht wäre die für das Funktionieren der EG wesensnotwendige einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts gesichert. Denn die Haftung lässt den Bestand des WTO-widrigen Sekundärrechtsakts unberührt und hat keine Nichtigkeit zur Folge. Das Normverwerfungsmonopol des EuGH bleibt damit gesichert.727 4. Zwischenergebnis zu Art. 10 EGV Die vorstehenden Ausführungen haben aufgezeigt, dass sich die in Art. 10 EGV niedergelegte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den EG-Mitgliedstaaten auch zur Begründung einer Schadensersatzverpflichtung 726 Kraußer, Prinzip, 145 ff.; Commichau, Verfassungsrecht, 70 f.; Kahl, in: Calliess/Ruffert, Art. 10, Rn. 52; Epiney, EuR 1994, 319 ff. 727 Vgl. dazu Scholz, DÖV 1998, 266.
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bei gemeinschaftlichen WTO-Rechtsverletzungen heranziehen lässt. Der Grundsatz der Funktionssicherung ist bei der Begründung einer Schadensersatzpflicht gewährleistet, steht sie doch in keinerlei Widerspruch zur praktischen Wirksamkeit materiellen Gemeinschaftsrechts, sondern weist bei der Befolgung von Gemeinschaftsabkommen sogar eine Identität ihrer Argumente auf. Darüber hinaus wird durch eine Schadensersatzverpflichtung auch dem Rücksichtnahmegebot entsprochen, wenn die EG beim WTORecht als Materie eines gemischten Abkommens ihrer gemeinschafts- wie völkerrechtlichen Umsetzungsverpflichtung nachkommt, und so von den Mitgliedstaaten mögliche Nachteile auf völkerrechtlicher Ebene abwendet. Soll dem in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verankerten Grundsatz effektiven Rechtsschutzes im Rahmen eines Abwägungsvorgangs zwischen gemeinschaftsrechtlichen und mitgliedstaatlichen Belangen Rechnung getragen werden, ist die Trennung zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz überzeugend, kann die Geltendmachung subjektiver Rechte doch in Einklang gebracht werden mit der Wahrung von Handlungsspielräumen auf Völkerrechtsebene und Achtung des Bestandsschutzes gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften. Werden mit der Schadensersatzverpflichtung bei WTO-Rechtsverletzungen demnach auch mitgliedstaatliche Interessen berücksichtigt, auf die die EG Organe Rücksicht zu nehmen haben, kann Art. 10 EGV letztlich auch von denjenigen Autoren im Schrifttum zur Begründung einer Umsetzungsverpflichtung herangezogen werden, die auf Art. 10 EGV schon bei der Parallelproblematik des Art. 249 III EGV nicht verzichten wollen.728
E. Der individualbegünstigende Charakter der DSB-Entscheidung I. Die subjektiv-rechtlichen Anforderungen an die Schutznorm nach Art. 288 II EGV Bislang konnte im Wege der systematischen Übertragung der FrancovichDoktrin auf die Konstellation der Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen dogmatisch eine Abkoppelung des Kriteriums der unmittelbaren Anwendbarkeit vom Erfordernis einer Schutznormverletzung i. S. d. Art. 288 EGV betrieben werden. Ist somit einmal festgestellt, dass die 728
Dazu oben Teil 2 D. II. 1. c) bb); zu ihnen zählen Streinz, HdbStR, § 182, Rn. 11; ders., Europarecht, Rn. 437; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 5; GA Mischo in verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 32 und 68; Fetzer, Haftung, 75; Curtin, CMLR 1990, 714 f.; Green, ELR 1984, 295 f.
E. Individualbegünstigender Charakter der DSB-Entscheidung
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Schutznorm i. S. d. Art. 288 EGV keine unmittelbar anwendbare Vorschrift zu sein braucht, stellt sich dennoch als Folgefrage, welche Anforderungen dann an den individualbegünstigenden Charakter der DSB-Entscheidung zu stellen sind. Insoweit ist daran zu erinnern, dass das für die Verwirklichung des Rechtsschutzpostulats erforderliche Individualrecht seinem Rechtsgrund nach aus einer Gesamtbetrachtung der objektiv-rechtlichen Umsetzungsverpflichtung mit der rechteverleihenden DSB-Entscheidung zu beurteilen ist. Die Verletzung der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV kann nur dann haftungsbegründend sein, wenn die DSB-Entscheidung beabsichtigt, dem Einzelnen Rechtspositionen zu verschaffen, weil nur dann die aus Art. 300 VII EGV folgende Umsetzungsverpflichtung im Einzelfall individualrechtsschützend ist.729 Bevor jedoch der Geeignetheit der DSB-Entscheidung, einen solchen subjektiv-rechtlichen Charakter zu vermitteln, nachgegangen wird, muss vorab geklärt werden, welche Anforderungen hinsichtlich der Individualbegünstigung der DSB-Entscheidung zu stellen sind, damit sie eine Schutznorm i. S. d. Art. 288 EGV darstellt. Fest steht nach den bisherigen Ausführungen lediglich, dass dem Einzelnen durch die nicht umgesetzte DSB-Entscheidung noch kein Vollrecht in der Art zustehen muss, dass er sich direkt auf dieses berufen könnte. Die Zuerkennung von Individualrechten ist mit anderen Worten nicht an die unmittelbare Anwendbarkeit der DSB-Entscheidung gebunden. Ferner muss die Unterscheidung zwischen dem Recht des Einzelnen auf Schaffung eines Rechts und dem zu schaffenden Recht von gleicher Bedeutung sein, weil nach Maßgabe des Francovich-Urteils die DSB-Entscheidung nicht selbst das Individualrecht schaffen muss, sondern erst das umsetzende EG-Sekundärrecht dies tut.730 Wenn die DSB-Entscheidung die EG verpflichtet, die Rechtsstellung einzelner Unternehmen in einem bestimmten Umfang zu verbessern, kommt diesen Unternehmen zugleich ein individuelles Recht auf diese Verbesserung zu. 1. Die Anforderungen der Europäischen Gerichte an den Schutznormcharakter jenseits der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts Die Darstellung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Haftungsvoraussetzungen bei Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen hatte aufgezeigt, dass der Gerichtshof die unmittelbare Wirkung des WTO729 Siehe zum Parallelproblem bei der Umsetzung von Richtlinien Jarass, NJW 1994, 883; Schimke, EuZW 1993, 700. 730 So hinsichtlich der Richtlinienumsetzung zur Schaffung eines subjektiven Rechts Fischer, EuZW 1992, 43; Schockweiler, Haftung, 11.
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Rechts als unabdingbar für die Haftung nach Art. 288 EGV voraussetzt. Dieser Ansatz konnte widerlegt werden. Nichtsdestotrotz dürften die Ausführungen des Gerichtshofs insofern wertvoll sein, um aus ihnen eine Aussage über die Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen Charakter der DSB-Entscheidung entwickeln zu können. Aus den entsprechenden Formulierungen der bisherigen vor den Europäischen Gerichten vorgebrachten Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen ergibt sich ein uneinheitliches Bild hinsichtlich des vom Gerichtshof verwendeten Schutznormkriteriums, wenngleich er für das WTO-Recht dabei stets dessen unmittelbare Wirkung verlangt. So stellte das EuG in der Schadensersatzklage Atlanta fest, dass die Haftung nur durch „qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, den Einzelnen schützenden Rechtsnorm ausgelöst werden“ könne.731 Damit verwendet es in diesem Urteil noch die seit Schöppenstedt formulierte Haftungsvoraussetzung für das Vorliegen einer Schutznorm. In den darauf folgenden Schadensersatzklagen Bocchi, T. Port, Cordis und auch Chiquita änderte sich zunächst die Formulierung des EuG dahingehend, dass nunmehr „ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm nachgewiesen wird, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.“732 Mit der Bezugnahme auf das Urteil des EuGH in Bergaderm erweckt das EuG den Eindruck, als handle es sich bei dieser Voraussetzung um eine Neuerung in der Rechtsprechung. Dieselbe Formulierung und Bezugnahme auf Bergaderm verwendet das EuG auch im erstinstanzlichen Verfahren in der Rechtssache Biret.733 Zu beobachten ist also eine Änderung in der Formulierung der Haftungsvoraussetzung dahingehend, dass in Atlanta noch die Schöppenstedt-Formulierung, in den folgenden Verfahren eine Rechteverleihung an den Einzelnen verlangt wird. Damit knüpft der Gerichtshof in den späteren Verfahren an die zur Staatshaftung in Francovich formulierte Voraussetzung an, wonach die Haftung die Verletzung eines Rechtssatzes voraussetzt, welcher bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.734 Eine Erklärung für die vom EuGH vollzogene Modifikation in der Formulierung der Schutznormqualität bietet die vom Gerichtshof entwickelte und oben dargestellte strukturelle Konvergenz zwischen den Voraussetzungen für die Gemeinschafts- und 731
EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1738, Rn. 83. EuG, Rs. T-30/99, Bocchi, Slg. 2001, II-965, Rn. 50; Rs. T-18/99, Cordis, Slg. 2001, II-931, Rn. 46 ff.; Rs. T-52/99, T. Port, Slg. 2001, II-966, Rn. 51; Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 77; jeweils bezugnehmend auf Rs. C-352/98 P, Bergaderm und Goupil/Kommission, Slg. 2000, I-5291, Rn. 42; in Banatrading verzichtet das EuG ganz darauf, diese Haftungsvoraussetzung zu nennen, vgl. EuG, Rs. T-3/99, Banatrading, Slg. 2001, II-2137, Rn. 30. 733 EuG, Rs. T-174/00, Biret, Slg. 2002, II-17, Rn. 52. 734 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5415, Rn. 39 f. 732
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Staatshaftung, die von der Idee geleitet ist, dass sich der Ersatz für Schäden, die dem Einzelnen wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, nicht ohne besonderen Grund von anderen Voraussetzungen abhängen solle, als unter vergleichbaren Umständen im Rahmen der Haftung der Gemeinschaft.735 Dieses Bemühen des Gerichtshofs, durch die Vereinheitlichung der Haftungsvoraussetzungen der beiden Haftungsinstitute einen einheitlichen Schutz der Rechte des Einzelnen zu gewährleisten, verschafft sich nunmehr auch Ausdruck in dem der Bergaderm-Entscheidung zeitlich nachfolgenden modifizierten Wortlaut, in der Formulierung der Haftungsvoraussetzungen bei den Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen.736 Ungeklärt und gleichsam relevant für die Zwecke dieser Arbeit bleibt aber die Frage, welche Anforderungen konkret an den subjektiv-rechtlichen Charakter der Schutznorm zu stellen sind, wenn der Gerichtshof in der Formulierung keinen Unterschied zwischen der Schutznormverletzung i. S. d. Art. 288 EGV auf der einen und der Rechteverleihung i. S. v. Francovich auf der anderen Seite aufgibt. Die bisherige Rechtsprechung zur Schutznorm hatte einer großzügigen Betrachtungsweise den Vorzug gegeben. Eine abweichende und restriktivere Beurteilung müsste allerdings dann vorgenommen werden, wenn die Bezugnahme auf die Formulierung der FrancovichRechtsprechung mit einer Verschärfung der Haftungsvoraussetzung im Sinne der Notwendigkeit einer Verleihung subjektiver Rechte einherginge.737 Immerhin ist nicht davon die Rede, dass die Richtlinie den Einzelnen „schützen“ solle, sondern – weitergehend – ihm „Rechte“ verschaffen soll.738 2. Gegenüberstellung der Rechteverleihung im Sinne von Francovich und dem Schutznormkriterium der Gemeinschaftshaftung Zur Sprache gekommen ist bereits, dass für die Schutznormverletzung i. S. d. Art. 288 II EGV nach der Rechtsprechung des EuGH die Verletzung rechtlich geschützter Interessen ausreicht.739 In diesem Sinne ließ der 735
EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 42; bestätigt in C-352/98 P, Laboratoires Pharmaceutiques Bergaderm and Goupil v. Commission, Slg. 2000, I-5324, Rn. 41; vgl. auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 6. 736 So auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 130. 737 Siehe dazu auch Peers, ELR 2001, 612 f. 738 Deswegen zweifelnd an der Übernahme der weiten Rechtsprechung zu Art. 288 EGV auf die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung Henrichs, Haftung, 28; Triantafyllou, DÖV 1992, 569; Eilmansberger, Rechtsfolgen, 73. 739 GA Mischo in verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 77, Fn. 25 m. w. N.; Prieß, NvWZ 1993, 122.
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EuGH bei der Auslegung, ob eine Schutznorm vorliegt, bereits ein individuell drittschützendes Moment der Gemeinschaftsnorm genügen, um eine Haftung der Gemeinschaft auszulösen.740 Geht das in den jüngeren WTOSchadensersatzklagen niedergelegte Erfordernis einer Rechteverleihung i. S. v. von Francovich darüber hinaus? Der Ausdruck „verleihen“ könnte darauf hindeuten, seinem Wortsinn nach nur auf ausdrücklich vorgesehene Rechtspositionen angewendet zu werden.741 Vorgebracht wird auch, dass man von einer „Verleihung von Rechten“ nur sprechen könne, wenn der zur Umsetzung verpflichtete Staat dazu verpflichtet wäre, die klagsweise Durchsetzung der Rechte oder anderer Rechtsbehelfe zu etablieren.742 Für eine enge Auslegung der Rechteverleihung i. S. v. Francovich ließe sich demnach anführen, dass die Bereitstellung eines Entschädigungsanspruchs zugunsten des wirksamen Schutzes der verliehenen Rechte nur erfolgen sollte, wenn Rechte Einzelner auf direkte Weise begründet, d.h. durch ausdrückliche und individuelle Rechtspositionen bestimmt werden. 3. Konvergenz der Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen Gehalt einer Norm in gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung und Gemeinschaftshaftung Dennoch lässt sich im Einklang mit den Erwägungen des Gerichtshofs und des überwiegenden Teils des Schrifttums eine Auslegung befürworten, die einen großzügigen Maßstab für die Bestimmung der Rechteverleihung hinsichtlich des intendierten Individualschutzes anlegt. In diese Richtung weisen zunächst die Ausführungen von Generalanwalt Mischo in Francovich. Generalanwalt Mischo spricht unter Berufung auf die Rechtsprechung zu Art. 288 II EGV allgemein davon, dass es „nach Gemeinschaftsrecht genügt, wenn bloße „Interessen“ auf dem Spiel stehen; es braucht sich nicht um subjektive Rechte der geschädigten Person zu handeln.“ Er orientiert sich bei der Herleitung der Staatshaftung an Art. 288 II EGV und verlangt eine „den einzelnen schützende Norm“.743 Obwohl der Gerichtshof in Francovich sich auf die Ausführungen des Generalanwalts nicht mehr explizit bezieht744 und zumindest hier – anders als später in 740
EuGH, Rs. 380/87, Enichem Base, Slg. 1989, 2518; Rs. C-131/88 Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-867; vgl. auch von Bogdandy, JuS 1990, 874; Kadelbach, Einfluss, 139. 741 Eilmansberger, Rechtsfolgen, 73; so wohl auch Bebr, CMLR 1992, 576. 742 Vgl. dazu Gellermann, Beeinflussung, 51 f.; kritisch Eilmansberger, Rechtsfolgen, 73. 743 GA Mischo in verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 77. 744 Vgl. Streinz, EuZW 1996, 203.
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Brasserie – keine Anknüpfung an Art. 288 EGV erkennen lässt, liest das Gericht den Begriff „Rechte“ im dargestellten Sinne rechtlich geschützter Interessen.745 In den Schlussanträgen zur Rechtssache Brasserie, in der der Gerichtshof den Grundstein für einen parallelisme necessaire legen sollte, argumentiert Generalanwalt Tesauro, dass „der Umstand, dass diese Bestimmungen in allgemeinen Fällen bisweilen oder häufig auch dem Schutz anderer Interessen dienen, für sich allein es nicht ausschließen kann, dass es sich um Vorschriften zum Schutz der Einzelnen handelt“.746 Seine Übereinstimmung mit den Überlegungen des Generalanwalts signalisiert der Gerichtshof in seinen Entscheidungsgründen in Brasserie mit dem Rekurs auf die Regelung des Art. 288 EGV.747 Dort spricht der Gerichtshof im Zusammenhang mit von anderen (also nicht von Richtlinien) Gemeinschaftsnormen indirekt begründeten Individualrechten von „verliehenen“ Rechten und stellt damit klar, dass in seinem terminologischen Verständnis auch die als Reflex einer Verhaltenspflicht entstehenden Rechte Einzelner „verliehen“ werden.748 Die in Brasserie geforderte Verletzung einer subjektiven Rechtsposition dürfte deshalb materiell mit dem vom EuGH bei Art. 288 EGV verlangten Verstoß einer dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm übereinstimmen.749 Aus der Warte des deutschen Verständnisses der subjektiven Rechte geht die weite Auffassung über die Grenzen des restriktiven Merkmals der Drittbezogenheit bei der Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG hinaus.750 Unverkennbar ist, dass vom Gerichtshof ein grundsätzlich anderes subjektiv-rechtliches Konzept verfolgt wird als etwa in Deutschland, da hier höhere Anforderungen an das Entstehen individueller Rechtspositionen gestellt werden.751 Während die Funktion des subjektiven Rechts im Gemein745 Im Ergebnis anerkennend auch Henrichs, Haftung, 29; vgl. auch Hailbronner, JZ 1992, 288. 746 GA Tesauro in EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1107, Rn. 75. 747 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 27 ff., 42 ff. 748 Kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung Eilmansberger, Rechtsfolgen, 74. 749 Davies, YEL 2002, 309; Herdegen/Rensmann, ZHR 161 (1997), 539; GA Tesauro in verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 75; Grzeszick, EuR 1998, 428; Peers, ELR 2001, 613. 750 Jarass, NJW 1994, 883; Detterbeck, VerwArch 85 (1994), 188; Furrer/Epiney, JZ 1995, 1032; Obwexer, WBl 1996, 185 f.; für eine stärkere Orientierung an den deutschen Amtshaftungsvoraussetzungen Nettesheim, DÖV 1992, 1002; Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung, 329 ff. 751 Herrmann, Richtlinienumsetzung, 178; Rengeling, VVDStRL 1994, 210; Steinberg, AöR 95 (1995), 584; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 934; Pernice, NVwZ 1990, 425; Cornils, Staatshaftungsanspruch, 230 f.
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schaftsrecht primär im Dienste der Wahrung der objektiven Rechtsordnung steht – wie bereits die grundlegende Entscheidung in van Gend & Loos erkennen ließ – dient das subjektive Recht in der deutschen Rechtsordnung primär der Durchsetzung von Individualinteressen.752 Im Ergebnis dürfte das von der Rechtsprechung entwickelte Schutznormkriterium als eine Synthese objektiv-rechtlich ausgerichteter französischer Vorstellungen mit der engeren deutschen Schutznormtheorie zu bewerten sein.753 In der wissenschaftlichen Literatur stößt die weite Auslegung des Schutznormkriteriums überwiegend auf Zustimmung, sofern nur die Individualrechte als Reflex einer präzisen, unbedingten und ermessensfreien Verpflichtung entstehen.754 Eine bloß faktische Betroffenheit soll aber auch nach einem weiten Verständnis nicht ausreichen.755 Das Interesse, auf das sich der Einzelne beruft, muss daher ein im Wege der Auslegung zu ermittelndes rechtlich geschütztes sein.756 Zu Recht wird die Normativität der Frage betont, d.h. ob eine bestimmte, gemeinschaftsrechtlich begründete Vorschrift auch Interessen Einzelner zum Ziel hat oder nicht. Dabei sollte aber nicht bloß im Sinne der traditionellen Schutznormtheorie gefragt werden, welche Rechte und Interessen der Gesetzgeber wohl zu schützen beabsichtigt hat, weil damit die Mittelbarkeit und Reflexartigkeit der Begünstigung unerfasst bliebe.757 Zwar steht die Schutzrichtung einer Norm im Mittelpunkt der Auslegung,758 darf allerdings nicht derart beschränkt werden, dass dabei nur auf die primäre Schutzintention abgestellt wird, sondern muss vor allem auch die mittelbare Schutzwirkung des Regelungsgehalts berücksichtigen. Nach alledem ist vorerst davon auszugehen, dass im Bereich der Gemeinschaftshaftung keine hohen Anforderungen an den individualschützenden Charakter der verletzten Norm zu stellen sind, es insbesondere unschädlich ist, wenn eine Norm auch dem Schutz anderer Interessen dient.759 752
Deckert, EuR 1997, 217; Huber, EuR 1991, 33 f.: individuelle Klagebefugnis und objektive Rechtskontrolle sind im Gemeinschaftsrecht miteinander verflochten. 753 Schockweiler, RTDE 28 (1992), 44; Simon/Barav, Revue du Marché Commun 1987, 172. 754 Kopp, DÖV 1994, 204; Fischer, EuZW 1992, 43; Streinz, EuZW 1993, 601; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 44; Zuleeg, NJW 1993, 37; Bell, LIEI 1994, 120; Prechal, Directives, 328. 755 Triantafyllou, DÖV 1992, 569; Geiger, DVBl. 1993, 470; Diehr, Staatshaftungsanspruch, 94. 756 Henrichs, Haftung, 30. 757 Für ein ähnliches Vorgehen mit Bezug auf die Ermittlung geschützter Rechtspositionen von Richtlinien vgl. Ruffert, DVBl. 1998, 72; ders., Subjektive Rechte, 147 ff., 157 ff., 224. 758 Schoch, NVwZ 1999, 464; Pernice, EuR 1994, 339; Temple Lang, FILJ 16 (1992), 28 f.; Simon, AJDA (1993), 238; Jarass, NJW 1993, 883: Vorschriften, die einem abgrenzbaren Personenkreis zugute kommen.
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II. Der individualbegünstigende Charakter des WTO-Rechts und der DSB-Entscheidung Legt man vor diesem Hintergrund einen Maßstab zugrunde, der den mittelbaren, reflexartigen Schutz von Individualinteressen ausreichen lässt, ist das WTO-Recht auf eben diese Schutzrichtung hin zu untersuchen. 1. Die fehlende Rechtssubjektivität des Individuums in der WTO-Rechtsordnung Zunächst könnte man als Ausgangspunkt für die Beurteilung des individualbegünstigenden Charakters die Stellung des Individuums in den Bestimmungen des WTO-Rechts in Bezug nehmen. Legt man die den Individuen in den WTO-Abkommen vermittelte Rechtsstellung als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung des Schutznormkriteriums zugrunde, müsste dem WTORecht ein individualschützender Charakter wohl abgesprochen werden. Dieser allein auf die Rechtssubjektivität des Einzelnen in den Bestimmungen der WTO-Abkommen abhebende Ansatz dürfte unter anderem den Erwägungen entsprechen, von denen sich die Gemeinschaftsgerichte bei der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit leiten lässt. Es wird betont, dass die WTOÜbereinkünfte lediglich die Regelung und Abwicklung der Beziehungen zwischen Staaten oder Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration zum Gegenstand haben und von daher ihrer Natur nach nicht den Schutz des Einzelnen zu dienen bestimmt sind.760 Diese Feststellung ist insoweit zutreffend, als dass die WTO-Vorschriften vorrangig auf die objektive Regelung des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs durch die Staaten ausgerichtet ist und damit lediglich deren Regelungsautonomie begrenzen möchte, ohne dem Einzelnen unmittelbare Rechte zu gewähren.761 Seine originär zwischenstaatliche Natur gewinnt die WTO-Rechtsordnung dabei aus ihrem Ursprung als völkerrechtlichen Vertrag, als welcher sie naturgemäß eine Rechtsordnung zwischen den Staaten als Völkerrechtssubjekten konstituiert.762 Individuen sind formell nicht Subjekte dieser Rechtsordnung, wenngleich ihnen in anderen Bereichen des Völkerrechts in den letzten Jahrzehnten in zunehmendem Maße Rechtsstellungen erwachsen sind. Im WTO-Recht haben Einzelne keinerlei direkte Rechtsstellungen und besitzen auch keine Verfahrenslegitima759 Cornils, Staatshaftungsanspruch, 125; Peers, ELR 2001, 613; Deckert, EuR 1997, 217; Prieß, NVwZ 1993, 122. 760 EuG, Rs. T-174/00, Biret, Slg. 2002, II-17, Rn. 72; dazu Schwartmann, Private, 159 ff. 761 Weiß, EuR 2005, 292; Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 296; Schwartmann, Private, 159. 762 Siehe dazu auch Kelsen, Principles, 234; Noergaard, Individual, 27 f.
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tion im Streitbeilegungsverfahren,763 so dass ihnen auf Ebene des WTORechts unzweifelhaft keine Rechtssubjektivität zukommt.764 2. Schutzreflexorientierung bei der Auslegung des WTO-Rechts Zu einer anderen Einschätzung gelangt man hingegen, wenn von einer formalen Betrachtungsweise Abstand genommen wird und eine schutzreflexorientierte Auslegung des Regelungsgehalts der WTO-Vorschriften der Vorzug gegeben wird, die nicht bloß auf die primäre Schutzintention der Vorschriften oder der Mitgliedstaaten abstellt. Dieser Auslegungsmodus ist oben für die Beurteilung des Schutznormkriteriums als vorzugswürdiger Ansatz befunden worden und stellt darauf ab, ob eine bestimmte, gemeinschaftsrechtlich begründete Vorschrift neben ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt auch die Interessen Einzelner schützt. Auch außerhalb seiner Schadensersatzjudikate ist dieser Ansatz dem EuGH nicht fremd, wirft man einmal einen Blick auf seine Rechtsprechung zu umweltrechtlichen Richtlinien. In der Rechtssache Kommission/Deutschland765 kam es beispielsweise eher auf den individualbegünstigenden Regelungsgehalt der streitgegenständlichen Richtlinie als auf ihre Schutzintention an. Obwohl die Richtlinie die Mitgliedstaaten allein zur Einrichtung von Überwachungsverfahren verpflichtete, um Ableitungen bestimmter Stoffe zu verhindern oder zu begrenzen, sollte diesen Verpflichtungen schon Rechte des Einzelnen zu entnehmen sein. Der individualbegünstigende Reflex des objektiven Regelungsgehalts einer Norm kann hier also bereits Rechte begründen. Zentrales Regelungsziel der WTO-Vorschriften ist die Erzielung größtmöglicher ökonomischer Wohlfahrt und damit die Absicht, einen für die Handelsaktivitäten der privaten Wirtschaftssubjekte günstigen Rahmen zu schaffen, der das wohlfahrtssteigernde Wirtschaften Privater begünstigt.766 Insofern haben die Staaten im WTO-Recht das Prinzip eines möglichst freien Welthandels niedergelegt und als wünschenswertes Ziel formuliert.767 Wenngleich den Privaten keine unmittelbare Rechtsposition in den WTOAbkommen vermittelt wird, sind die Individuen doch die eigentlichen Regelungssubjekte des WTO-Rechts.768 Nicht als Adressaten, sondern als die763
Backes, RIW 1995, 916. Meng, in: FS für Rudolf, 65. 765 EuGH, Rs. C-131/88, Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-867, Rn. 7. 766 Behrens, in: Nowak/Cramer (Hg.), Individualrechtsschutz, 202; Meng, in: FS für Rudolf, 65. 767 Siehe hierzu die Präambel des WTO-Abkommens. 768 Berrisch/Kamann, EWS 2000, 97; Petersmann, EuZW 1997, 651; Gerken, Rechtsschutzmöglichkeiten, 187; Meng, in: FS für Rudolf, 65; Schoißwohl, ZEuS 2001, 714 f.; Reinisch, EuZW 2000, 45; Meier, RIW 1997, 189. 764
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jenigen, welche unter dem durch dieses Recht konditionierten nationalen Recht tätig werden und deren Handelsaktivitäten von den Bestimmungen des WTO-Rechts unmittelbar gestaltet werden.769 Sie sind die eigentlichen Träger des internationalen Waren-, Dienstleistungs- und Zahlungsverkehrs im vom WTO-Recht geprägten Welthandel und werden von den Maßgaben der WTO-Vorschriften mittelbar begünstigt, da eine Selbstbeschränkung der Staaten eine entsprechende Erweiterung der Vertragsfreiheit der Unternehmen impliziert. Mit anderen Worten resultiert die individuelle Begünstigung zwar nicht aus einer explizit niedergelegten Intention der Mitgliedstaaten in den WTO-Abkommen, sondern entsteht vielmehr als Kehrseite aus der Staatenverpflichtung. Darüber hinaus wird sich auch im Hinblick auf den konkreten Schutzzweck der einschlägigen Bestimmungen schwerlich die Behauptung vertreten lassen, dass die WTO-Vorschriften ausschließlich ein staatliches Interesse am Freihandel widerspiegeln. Die WTO-Übereinkommen zielen auf eine möglichst weitgehende Senkung der Zölle in regelmäßigen Verhandlungsrunden770 ab, die den importierenden Unternehmen aller WTO-Mitgliedstaaten gleichermaßen auf Basis der Meistbegünstigungsklausel gewährt werden müssen771 und die ebenfalls ein Verbot mengenmäßiger Beschränkungen vorsehen.772 Wenngleich sich diese Bestimmungen an die WTO-Mitgliedstaaten richten, bezwecken sie doch einige wesentliche Begünstigungen für Unternehmen.773 Dazu gehören das Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich der beim Import eines bestimmten Produktes in einen bestimmten WTO-Mitgliedstaat zu leistenden Zölle sowie die Berechtigung, bei der Wareneinfuhr nicht durch mengenmäßige Beschränkungen behindert zu werden.774 Obwohl das WTO-Recht keinen dem Einzelnen zugänglichen Durchsetzungsmechanismus zur Verfügung stellt,775 so dürften die individuellen Wirtschaftsteilnehmer doch die intendierten Begünstigten der auf Freihandel abzielenden Vereinbarungen sein.776 769 Trebilcock/Howse, Regulation, 1 ff.; Jackson, World, 1998, 1; Oeter, in: Nowak/Cramer, Individualrechtsschutz, 222 f. 770 Art. II, XXVIII ff. GATT. 771 Art. I GATT. 772 Art. XI GATT. 773 Eindringlich auch Petersmann, GATT/WTO, 238: „The formulation of international trade rules in terms of rights and obligations of states is therefore no convincing reason for preventing individuals from invoking precise and unconditional international guarantees of freedom and non-discrimination, such as the custom union rules of the EC Treaty and their underlying worldwide GATT rules.“ 774 Schoißwohl, ZEuS 2001, 714 f. 775 Vgl. dazu Oeter, in: Nowak/Cremer (Hg.), Individualrechtsschutz, 221 ff. 776 So auch Weiß, EuR 2005, 292; GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 116 ff.; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 691; Schoißwohl, ZEuS 2001,
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
Eine am Schutzreflex orientierte Bestimmung des individualbegünstigenden Charakters kann auch aus den Ausführungen eines Panel-Berichts gewonnen werden, der die zentrale Bedeutung individueller Aktivität im Bereich des Welthandels und auch für die Interpretation des WTO-Rechts eindringlich hervorgehoben hat:777 „Many of the benefits to Members which are meant to flow as a result of the acceptance of various disciplines under the GATT/WTO depend on the activity of individual economic operators in the national and global market places. The purpose of many of these disciplines, indeed one of the primary objects of the GATT/WTO as a whole, is to produce certain market conditions, which would allow this individual activity to flourish.778 The multilateral trading system is, per force, composed not only of States but also, indeed mostly, of individual economic operators. The lack of security and predictability affects mostly these individual operators. Trade is conducted most often and increasingly by private operators. It is through improved conditions for these private operators that Members benefit from WTO disciplines. The denial of benefits to a Member which flows from a breach is often indirect and results from the impact of the breach on the market place and the activities of individuals within it.“
Mit seinen Ausführungen hat das Panel die indirekte Ausrichtung des WTO-Rechts auf den Schutz der Interessen des Einzelnen unterstrichen. Daraus lässt sich das Argument entwickeln, dass die WTO-Abkommen ihrem Wesen nach ein Rahmensystem schaffen wollten, welches private Aktivitäten auf internationalen Märkten fördern sollte.779 Aufgrund dessen kann das WTO-Recht nicht nur orientiert an den Erwartungen der Staaten interpretiert werden, sondern muss ebenso den Erwartungshorizont der Individuen, die in diesem Rechtsrahmen tätig werden, berücksichtigen. Diese Verquickung von privaten und öffentlichen Interessen kommt auch in den Worten der Präambel des WTO-Vertrags zum Ausdruck, die von „raising standards of living, ensuring full employment and a large and steadily 714 f.; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 263 f.; Meng, in: FS Rudolf, 66; kritisch Sack, EuZW 1997, 650. 777 WT/DS152/R, United States – Section 301–310 of the Trade Act of 1974, Bericht des Panels vom 27.1.2000, Rn. 7.71 ff. 778 „See also similar language in the second preambles to GATT 1947 and GATS. The TRIPS Agreement addresses even more explicitly the interests of individual operators, obligating WTO Members to protect the intellectual property rights of nationals of all other WTO Members. Creating market conditions so that the activity of economic operators can flourish is also reflected in the object of many WTO agreements, for example, in the non-discrimination principles in GATT, GATS and TRIPS and the market access provisions in both GATT and GATS.“ 779 Ebenso Behrens, in: Nowak/Cramer (Hg.), Individualrechtsschutz, 202, der in diesem Zusammenhang von Privatnützigkeit des WTO-Rechts spricht; kritisch von Bogdandy, JWT 39 (2005), 53.
E. Individualbegünstigender Charakter der DSB-Entscheidung
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growing volume of real income and effective demand, and expanding the production of and trade in goods and services [. . .]“ spricht. Makro- und mikroökonomische Zielsetzungen sind hiernach kaum voneinander zu trennen. Vielmehr werden offensichtlich private Interessen zur Erreichung öffentlicher Zwecke instrumentalisiert, weil mit der Verwirklichung der Privatinteressen auch staatliche Interessen gefördert werden.780 So werden zumindest auf indirekte Art und Weise die Freiheitspositionen der Individuen mit in den Erwartungshorizont des WTO-Rechts einbezogen. 3. Der individualschützende Charakter der im Bananen- und im Hormonstreit verletzten Vorschriften zugunsten der Fallgruppe B Durch die WTO-widrige Bananenmarktordnung wurden Unternehmen der Fallgruppe B insofern beeinträchtigt, als sie für die Einfuhr von Drittlandsbananen nun höhere Zölle bezahlen mussten als für Gemeinschafts- oder AKP-Bananen und ihre Importe überdies durch mengenmäßige Beschränkungen, die ebenfalls nach Herkunftsländern differenzierten, behindert wurden. Verletzt wurden nach Auffassung der mit dem Bananenstreit befassten WTO-Streitbeilegungsorgane die Vorschriften in Art. I781, II782, III783, XI784, XIII785 GATT als auch Art. II786 GATS. Im Hormonstreit wurden Verletzungen der Art. 5 (1), Art. 5 (5) und Art. 3 (1)787 des SPS-Übereinkommens festgestellt. 780
Meng, in: FS für Rudolf, 75. GATT Doc. DS 38/R, in: ILM XXXIV (1995), 180 und 224, Rn. 159; im Rahmen der WTO später auch WT/DS27/R, EC Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Panel vom 22.5.1997, Rn. 7.241; WT/ DS27/AB/R, EC Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Appellate Body vom 9.9.1997, Rn. 205 ff.; für eine ausführliche Darstellung vgl. Cascante/Sander, EG-Bananenmarktordnung, 75 ff. 782 Vgl. GATT Doc. DS 38/R, in: ILM XXXIV (1995), 180, 217 f., Rn. 134 ff.; siehe auch Sander, Rechtsprobleme, 36. 783 WT/DS27/R/ECU, Bericht des Panel vom 22.5.1997; WT/DS27/R/ECU, Bericht des Panel vom 22.5.1997, Rn. 7.171 ff.; WT/DS27/R/GTM und WT/ DS27/R/HDN, Bericht des Panel vom 22.5.1997, Rn. 7.216 ff. und Rn. 7.244 ff.; ebenso WT/DS27/AB/R, Bericht des Appellate Body vom 9.9.1997, Rn. 208 ff. 784 Cascante/Sander, EG-Bananenmarktordnung, 8 1 f. 785 WT/DS27/R/ECU, Bericht des Panel vom 22.5.1997, Rn. 7.79; WT/ DS27/AB/R, Bericht des Appellate Body vom 9.9.1997, Rn. 189 ff. 786 WT/DS27/R/ECU, WT/DS27/R/MEX und WT/DS27/R/USA, Bericht des Panel vom 22.5.1997, Rn. 7.353, 7.368, 7.393, 7.397; insoweit in vollem Umfang bestätigt durch den Bericht des Appellate Body, WT/DS27/AB/R, Rn. 244, 246, 248. 787 WT/DS48/R/CAN, EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Bericht des Panel vom 13.2.1998, Rn. IX.1. 781
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
Der allgemeine Meistbegünstigungsgrundsatz in Art. I (1) GATT ist nicht nur klar und eindeutig formuliert, da sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen dieses Grundsatzes präzise formuliert werden.788 Ausweislich dieses präzisen Wortlautes steht auch der individualbegünstigende Mindestgehalt dieser Vorschrift außer Zweifel. Die Vorschrift gibt dem Einzelnen das Recht, sich gegenüber Staaten, auf „alle Vorteile, Vergünstigungen, Vorrechte oder Befreiungen, die eine Vertragspartei für eine Ware gewährt, welche aus einem anderen Land stammt oder für dieses bestimmt ist“ zu berufen.789 Dieser Grundsatz ist nicht als Staatenpflicht oder -recht, sondern aus der Sicht der „Waren“ formuliert. Damit richtet er sich potentiell direkt an die Wirtschaftssubjekte.790 Zudem wird aufgrund der Bestimmtheit dieser Vorschrift teilweise sogar ihre unmittelbare Anwendbarkeit gefordert.791 Das gleiche gilt für die Parallelvorschrift im Rahmen des GATS, Art. II (1) GATS, dessen Verletzung von den Streitbeilegungsgremien im Bananenstreit ebenfalls gerügt wurde.792 Ein individualschützender Charakter dürfte auch Art. II (1) a) GATT nicht abgesprochen werden, da dieser hinreichend präzise formuliert ist und mit Zugriff auf die Konzessionslisten dem Einzelnen die Berufung darauf ermöglicht, „eine nicht weniger günstige Behandlung, als in dem betreffenden Teil der entsprechenden Liste zu diesem Abkommen vorgesehen ist“ gewährt zu bekommen. Hinsichtlich der Geeignetheit zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. III (1) GATT zeigen sich unterschiedliche Auffassungen,793 die sich aus der Formulierung des Wortlautes ergeben. Zweifel bestehen allerdings weniger aufgrund mangelnder Bestimmtheit der sich aus Art. III GATT ergebenden Rechte, als vielmehr deswegen, weil diese Regelung mitunter auch als rein politische „Wunschvorschrift“ gelesen wird, der keine umfassende Wirkung zukommt.794 Vertritt man zutreffenderweise die Auffassung, 788
Kuschel, EuZW 1995, 690; Petersmann, EuZW 1997, 652; Flemisch, Umfang,
253. 789 In diesem Sinne wohl auch Flemisch, Umfang, 259; Schoißwohl, ZEuS 2001, 714; Reinisch, EuZW 2000, 45. 790 Stoll, ZaöRV 1997, 119. 791 Flemisch, Umfang, 253; Petersmann, EuZW 1997, 652. 792 Vgl. dazu Flemisch, Umfang, 267; kritisch dagegen Krajewski, Verfassungsperspektiven, 190. 793 Während deutsche Gerichte dieser Vorschrift die unmittelbare Anwendbarkeit absprechen, kommen italienische Urteile zur gegensätzlichen Auffassung. Vgl. etwa FG München, EFG 1970, 145; „Art. III des GATT ist nicht geeignet, unmittelbare Wirkungen zu erzeugen und individuelle Rechte des Einzelnen zu begründen, welche die nationalen Gerichte zu beachten haben.“ 794 So Ott, GATT, 226.
E. Individualbegünstigender Charakter der DSB-Entscheidung
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dass Art. III 1 GATT hinsichtlich seiner Verbindlichkeit hinreichend bestimmt ist,795 steht auch der Annahme eines subjektiv-rechtlichen Minimalanspruchs, nämlich „daß die inneren Abgaben und sonstigen Belastungen, [. . .] nicht derart angewendet werden sollen, daß die inländische Erzeugung geschützt wird“ nichts im Wege.796 Auch Art. XI 1 GATT regelt klar und eindeutig das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und darf insofern als inhaltlich bestimmt und unbedingt gelten.797 Ohne dass es weiterer normativer Akte bedarf, kann der Richter diese Vorschrift anwenden, wenn der Einzelne sich auf sie beruft und so Beschränkungen, sei es in Form von Kontingenten, Einfuhr- und Ausfuhrbewilligungen oder in Form von anderen Maßnahmen abwehren möchte. Ebenso eindeutig und bestimmt legt Art. XIII 1 GATT die nichtdiskriminierende Anwendung mengenmäßiger Beschränkungen fest, die als Ausfluss des Nichtdiskriminierungsgrundsatzes den Einzelnen begünstigen will.798 Im Hinblick auf das SPS-Übereinkommen sollte für den Anwendungsbereich gesundheits- und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen eine individualrechtsschützende Wirkung nicht in Abrede gestellt werden.799 Wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund und aus Artikel 2 (3) des SPS-Übereinkommen ergibt, bezweckt das Übereinkommen, einer verschleierten Beschränkung des Handels entgegenzuwirken. Beschränkungen des Handels durch Erlass gesundheitspolitischer und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen sind grundsätzlich geeignet, zu Diskriminierungen zwischen heimischen und eingeführten Waren zu führen, die sich auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Einzelnen auswirken. Eine derartige Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheiten durch die entsprechende EG-Richtlinie hat der DSB mit dem Verstoß gegen Art. 5 (5) SPS festgestellt, da durch das Einfuhrverbot eine unzulässige Diskriminierung und verschleierte Beschränkung des internationalen Handels eingetreten war. Auch die Vorschriften des SPS-Übereinkommens stellen sich somit in den Dienst derjenigen Regeln, die die Marktfreiheiten der Wirtschaftssubjekte gewährleisten sollen.
795 Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 280; Flemisch, Umfang, 255; Petersmann, EuZW 1997, 652. 796 Ebenso Flemisch, Umfang, 261; Drexl, Entwicklungsmöglichkeiten, 280; Gerken, Rechtsschutzsmöglichkeiten, 167 f.; Zonnekeyn, JWT 34 (2000), 121. 797 Petersmann, EuZW 1997, 652; Flemisch, Umfang, 258 f. 798 Flemisch, Umfang, 262. 799 Siehe dazu GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 116 ff.; zweifelnd Wiers, LIEI 2004, 149.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
4. Die individualschützende Wirkung der WTO-Vorschriften zugunsten der Opfer von Strafzöllen (Fallgruppe C) Am offenkundigsten ist der Eingriff in wirtschaftliche Betätigungsfreiheiten freilich bei den Opfern von Strafzöllen (Fallgruppe C).800 Durch die Erhebung eines 100%-igen Strafzolls auf ausgewählte Produkte einiger Gemeinschaftsexporteure ist der Anwendungsbereich der Meistbegünstigungsklausel berührt, weil diesen Exporteuren im Vergleich zu ihren Konkurrenten aus anderen Staaten erhebliche Nachteile entstehen. Insofern wird hier die durch Art. I und II GATT geschützte Rechtssphäre unmittelbar beeinträchtigt. Dass sich dieser Eingriff aus einer Maßnahme der USA ergibt, wirft die Frage der Kausalität und der Zurechenbarkeit des Eingriffs zum rechtswidrigen Verhalten der EG auf, ändert aber nichts daran, dass damit das Meistbegünstigungsprinzip außer Kraft gesetzt wird. Zu unterscheiden ist bei der Fallgruppe C jedoch zwischen dem Recht, dass ihnen materiell vorenthalten wird, hier der Import aus der Gemeinschaft zu denselben Bedingungen wie für andere ausländische Importeure, und den Rechten, die die Unternehmen dieser Fallgruppe im Rahmen der WTO davor schützen sollen, Gegenmaßnahmen ausgesetzt zu werden, die vom DSB autorisiert sind. Dabei ist von der Überlegung auszugehen, dass die WTO-Vorschriften allesamt mit dem Ziel geschaffen und weiterentwickelt wurden, einen möglichst weitgehenden Freihandel zwischen den Mitgliedstaaten auf Grundlage der in den Verhandlungsrunden vereinbarten Konditionen zuzulassen und darüber hinausgehende Restriktionen zu unterbinden. Danach zielen die WTO-Normen nicht nur auf den Abbau von Handelsrestriktionen einer Vertragspartei ab, sondern sollen gleichzeitig auch vor der Ergreifung von Beschränkungen durch andere Vertragsparteien schützen.801 Eine solche am Schutzzweck orientierte Auslegung offenbart also einen „reziproken“ Schutzcharakter der Vorschriften.802 Zu diesem Ergebnis dürfte man zutreffenderweise auch im Wege eines Erst-Recht-Schlusses gelangen. Denn sollen die WTO-Vorschriften die Vertragsstaaten in ihrer Außenwirtschaftspolitik zu einem bestimmten liberalen Verhalten veranlassen und ist die Befolgung dieser Regeln für die Vertragsstaaten verbindlich, dann müssen sie auch und gerade vor denjenigen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen schützen, die aus der Verletzung dieser Vorschriften rührt, und die wie die Ergreifung von Gegenmaßnahmen nach Art. 22 (6) DSU in der Konsequenz des WTO-widrigen Handelns liegen können. Die individualbegünstigende Wirkung kann für die Fallgruppe C mithin aus einer teleologischen Zusammenschau der Vorschriften der WTOÜbereinkommen hergeleitet werden.803 800 801 802
Vgl. oben Teil 1 C. III. So Reinisch, EuZW 2000, 45 mit Verweis auf Petersmann, EuZW 1997, 652. Reinisch, EuZW 2000, 45.
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts
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III. Zwischenbetrachtung zur Qualität des WTO-Rechts als Schutznorm Aus diesen Ausführungen ergibt sich zusammenfassend, dass die im Bananen- und im Hormonstreit verletzten WTO-Vorschriften den Anforderungen des Schutznormkriteriums gerecht werden. Dies gilt für die Angehörigen der Fallgruppen B und C gleichermaßen. Im Übrigen kann eine schutzreflexorientierte Auslegung sehr wohl zu dem Ergebnis kommen, dass trotz des Fehlens einer expliziten individualschützenden Intention in den WTOAbkommen eine Individualbegünstigung als Kehrseite aus der Staatenverpflichtung besteht. Selbst wenn die einschlägigen Bestimmungen vorrangig auf die objektive Regelung des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs ausgerichtet sind, vermögen sie so doch gleichzeitig eine mittelbare Begünstigung für die privaten Wirtschaftssubjekte zu schaffen. Auch deutet der zuvor festgestellte Gleichklang der Voraussetzungen an die „Verleihung eines Rechts“ i. S. v. Francovich und des Schutznormkriteriums darauf hin, dass im Bereich der Gemeinschaftshaftung keine hohen Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen bzw. individualschützenden Charakter der verletzten Norm zu stellen sind, es insbesondere unschädlich ist, wenn eine Norm auch dem Schutz anderer Interessen dient. Wenn die Berichte des Panel oder Appellate Body als die zuständigen Autoritäten verbindlich feststellen, dass das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht nicht vereinbar ist mit den individualberechtigenden WTO- und GATT-Vorschriften, dann dürfte eben dieser DSB-Entscheidung sein subjektiv-rechtlicher Charakter nicht mehr abgesprochen werden. Zwar beschränken sich die Berichte der WTO-Streitbeilegungsverfahren regelmäßig darauf, die Unvereinbarkeit der staatlichen Maßnahme mit einzelnen WTO-Vorschriften festzustellen, ohne dabei eine bestimmte Gruppe von Individuen zu nennen, denen die konkreten Vorteile aus der in der nationalen Rechtsordnung durchzusetzenden WTO-Norm dient. Dazu ist zu sagen, dass die Frage der Abgrenzbarkeit der geschädigten und anspruchsberechtigten Personengruppe der hier festgestellten individualbegünstigenden Wirkung des WTO-Rechts nachgelagert ist und unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit der DSB-Entscheidung diskutiert wird.
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts als Haftungsvoraussetzung Als weitere Voraussetzung des Haftungsanspruchs ist erforderlich, dass der Inhalt der Rechte auf Grundlage der DSB-Entscheidung hinreichend be803
Im Ergebnis identisch Höher, Haftung, 344 f.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
stimmbar ist.804 Kernaussage des Bestimmtheitsgebotes ist das Erfordernis eines „normativen Minimalprogramms“, welches in der DSB-Entscheidung angelegt sein müsste,805 d.h. dass der DSB-Entscheidung ein Mindestinhalt des zu verleihenden Rechts, ein „Mindestrecht“ entnommen werden können muss.806 Der Ermittlung eines solchen Mindestrechts steht die Eröffnung alternativer Regelungsmodelle nicht entgegen.807 Entscheidend ist nur, dass die in der DSB-Entscheidung festgelegte und gemeinschaftsrechtlich verstärkte Konformitätsverpflichtung so bestimmt ist, dass ein Mindestgehalt hinsichtlich der Rechtsposition, die dem Einzelnen letztlich erwachsen soll, festgestellt werden kann.808 Seinem Sinn und Zweck nach soll die Bestimmtheit sicherstellen, dass der Einzelne sich nicht auf etwas berufen können soll, dessen Inhalt die Gemeinschaft noch bestimmen kann. Denn ansonsten würden erneut die Erwägungen zur Beschneidung des Handlungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane Platz greifen. Der Gemeinschaftsrichter muss in der Lage sein zu ermitteln, welche Rechtsstellung der Kläger nach der gebotenen Regelung haben sollte. Er muss insbesondere die Frage beantworten können, in welchem wirtschaftlichen Umfang dem Einzelnen aus der DSB-Entscheidung, wenn sie denn umgesetzt worden wäre, ein Anspruch zukommen würde. An einer Bestimmbarkeit dürfte es folglich dann fehlen, wenn der Inhalt des zu schaffenden Rechts so weitgehend in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt wird, dass sich nicht einmal hinsichtlich eines Minimalstandards das gemeinschaftsrechtlich eingeräumte Ermessen zur Schaffung eines Rechts auf Null reduzieren lässt.809 Zu untersuchen ist demnach, ob den einzelnen WTO-Vorschriften, deren Verletzung die Rechtswidrigkeitsfeststellung durch den DSB begründen, ein normativer Mindestgehalt entnommen werden kann, in Verbindung mit dem sich der oben dargestellte mittelbare Individualschutz der WTO-Vorschriften verwirklicht und aufgrund dessen die unterlegene Partei verpflichtet wird, ein subjektives Recht in ihrer Rechtsordnung zu schaffen. 804
EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5415, Rn. 40. Hailbronner, JZ 1992, 288; Ossenbühl, DVBl. 1992, 996; Gratzel/Bohn, DWiR 1993, 477; Kopp, DÖV 1994, 204. 806 So grundlegend EuGH, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Rn. 17; verb. Rs. C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Denkavit, Slg. 1996, I-5063, Rn. 39 f. 807 Siehe dazu von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 137 m. w. N.; Pescatore, ELR 1983, 164; Das gilt ebenfalls bei der Nichtumsetzung von Richtlinien, EuGH, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 und C-190/94 Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Rn. 45. 808 So für die Umsetzung von Richtlinien in mitgliedstaatliches Recht EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 44; verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 und C-190/94, Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Rn. 43 ff. 809 Klinke, ZGR 1993, 28; Tonner, ZIP 1993, 1205; Kopp, DÖV 1994, 204; Ukrow, Rechtsfortbildung, 294. 805
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts
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I. Bestimmbarkeit der Anspruchsberechtigten aus der DSB-Entscheidung Ergänzend bedarf der Hervorhebung, dass es neben einem hinreichend bestimmten Mindestrechtsgehalts notwendig ist, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu bestimmen. Hier dürfte sich ein wesentlicher Unterschied zwischen der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie und der DSB-Entscheidung auftun. Während die DSB-Entscheidung sich regelmäßig darauf beschränkt, die Unvereinbarkeit einer konkreten Maßnahme mit den WTO-Vorschriften festzustellen, ging es in Francovich um eine Richtlinie, aufgrund derer die Mitgliedstaaten verpflichtet wurden, den Einzelnen direkt bestimmte Rechte einzuräumen810 und die einen konkreten Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Monatsgehältern im Falle der Insolvenz ihrer Arbeitgeber vermittelte. Auch sonst bereitet die Bestimmung des Anspruchsinhabers bei Richtlinien selten ein Problem, da sich der Kreis der Anspruchsberechtigten regelmäßig aus den ersten Richtlinienparagraphen ergibt und im Zweifel auch auf die Richtlinienbegründung, die über die Intention und den berechtigten Personenkreis Aufschluss gibt, zurückgegriffen werden kann.811 Das Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung des Personenkreises, der von der Umsetzung der DSB-Entscheidung profitieren soll, kann aber noch nicht die Bestimmbarkeit der Anspruchsberechtigten ausschließen.812 Im Unterschied zur Richtlinie handelt es sich bei einer DSB-Entscheidung nicht um einen Legislativakt, sondern um einen gerichtsförmigen Beschluss, bei dem die WTO-Rechtswidrigkeit einer bestimmten staatlichen Maßnahme festgestellt wird.813 Naturgemäß folgt daraus zunächst, dass anders als bei einem auf die Bereitstellung subjektiver Rechte abzielenden Legislativakt, die Rechtswidrigkeit nicht zugunsten einiger ausdrücklich genannter Individuen adjudiziert wird. Im Mittelpunkt steht vielmehr die objektive Unvereinbarkeitkeitsfeststellung mit dem WTO-Recht. Dass dies im Hinblick auf die Entfaltung einer Schutzwirkung für Individuen unbedenklich ist, wurde bereits nachgewiesen, da auch die mittelbare oder reflexhafte Individualberechtigung im Rahmen einer Schutznormverletzung ausreicht. Dabei liegt es in der Natur der Reflexhaftigkeit der Schutzwirkung, dass auch der Kreis der Anspruchsberechtigten sich nur unter Berücksichtigung der im konkreten Fall begangenen Rechtsverletzung ermitteln lässt. Die Konkretisierung eines anspruchsberechtigten Personenkreises ergibt sich 810 Vgl. zu den Unterschieden direkt und indirekt verleihender Richtlinien Eilmansberger, Rechtsfolgen, 68 ff. 811 Vgl. hierzu EuGH, EuZW 1994, 182 f. 812 So aber Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 694. 813 Ebenso Thies, CMLR 2004, 1678.
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allein aus den fallspezifischen Umständen im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Schutzintention der konkreten WTO-Vorschrift. Die Schutzreflexorientierung kann also nicht nur wie oben als Instrument für die Bestimmung der subjektiv-rechtlichen Substanz der WTO-Vorschriften, sondern zugleich für die Präzisierung des Berechtigtenkreises fruchtbar gemacht werden. Insofern bleibt im Folgenden zu untersuchen, ob aus der Zusammenschau von verletzter WTO-Norm und geschädigtem Personenkreis eine Gruppe von Anspruchsberechtigten bestimmt werden kann. Der enge Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Bestimmung eines Mindestgehalts eines Rechtes lässt eine kombinierte Untersuchung der beiden Haftungsvoraussetzungen, Bestimmtheit des Rechts und der Anspruchsberechtigten, zweckmäßig erscheinen.
II. Der bloß feststellende Charakter der DSB-Entscheidung Die Möglichkeit der Herleitung einer rechtlichen Minimalaussage aus der DSB-Entscheidung ist maßgeblich davon abhängig, wie in der Spruchpraxis der Streitbeilegungsgremien die WTO-Rechtsverletzung festgestellt wird. Dazu ist zunächst zu sagen, dass im Streitbeilegungsverfahren der streitgegenständliche Sachverhalt vom Panel und Appellate Body einer eingehenden rechtsförmigen Prüfung unterzogen wird. Es wird eine rechtliche Beurteilung vorgenommen, an deren Ende die Verletzung bzw. die Beeinträchtigung von Handelsvorteilen der anderen Streitpartei anerkannt wird, die die unterlegene Partei nach Art. 19 DSU aufzuheben verpflichtet wird. Wesentliches Kennzeichen dieser rechtlichen Beurteilung ist, dass die Entscheidungen des DSB sich häufig auf die Feststellung der Rechtsverletzung bzw. der Beeinträchtigung beschränken und in aller Regel darauf verzichten, dem unterliegenden Staate klare Handlungsanweisungen zu erteilen.814 Hierin unterscheidet sie sich von gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien, die häufig detailliert ausgestaltet sind und denen ein Mindestgehalt entnommen werden kann.815 Als Ausdruck der Mittelfreiheit der zu einem bestimmten Erfolg verpflichteten WTO-Streitpartei steht es dem Mitgliedstaat grundsätzlich frei, die ihm adäquat erscheinenden Rechtsfolgen bei der Umsetzung der Entscheidung zu bestimmen und zu wählen.816 Dabei handelt es sich aber nicht um ein echtes Wahlrecht. Verlangt der Panel-Bericht, dass entweder die betreffende Maßnahme zu eliminieren oder anderweitig in Konformität zu bringen sei,817 sind beide Möglichkeiten ohnehin in der Aufforderung zur 814
Cottier, in: Müller-Graff (Hg.), 186; Hinderer, Rechtsschutz, 442 f.; Gabler, Streitbeilegungssystem, 143; anders jedoch Flemisch, Umfang, 226. 815 Furrer/Epiney, JZ 1995, 1033. 816 Gabler, Streitbeilegungssystem, 84.
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts
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Konformität enthalten. Die Mittelfreiheit lässt also die Zielverpflichtung unberührt. Daneben gibt es eine Reihe von Fällen, in denen von der unterlegenen Partei ein ganz bestimmtes Tun verlangt wird. Dazu gehören die Fälle, in denen die weitere Anwendung einer Maßnahme untersagt wird,818 oder deren Beendigung819 (to terminate) bzw. Abschaffung820 (to eliminate) oder die sofortige Ergreifung von Gegenmaßnahmen gefordert wird.821
III. Haftungsrelevante Bestimmtheit der Streitbeilegungsentscheidungen im Bananenund im Hormonstreit Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen stellt sich die Frage, ob den in den Berichten zum Bananen- und im Hormonstreit verletzten Vorschriften Rechte des Einzelnen entnommen werden können mittels derer der Gemeinschaftsrichter aus dem zugrunde liegenden Sachverhalt „Mindestansprüche“ ableiten könnte. Die DSB-Entscheidung muss also inhaltlich ausreichend bestimmt sein, d.h. sie muss aufgrund ihres sachlichen Gehalts selbst im Hinblick auf die Rechtsfolgen und den begünstigten Personenkreis klare und vollständige Regelungen enthalten. 1. Bestimmtheit des Mindestgehalts für Fallgruppe B im Bananenstreit Obwohl die Panel- und AB-Berichte üblicherweise keine konkreten Handlungsanweisungen an die unterlegene Partei geben,822 hat sich der Appellate 817 BISD 35S/163, Japan – Restrictions on Imports of Certain Agricultural Products, Bericht des Panel vom 22.3.1988, Rn. 6.10; BISD 36S/331, United States – Restrictions in Imports of Sugar, Bericht des Panel vom 22.6.1989, Rn. 6.2; BISD 36S/68, Canada – Import Restrictions on Ice Cream and Yogurt, Bericht des Panel vom 5.12.1989, Rn. 85. 818 SCM/153, Brazil – Imposition of Provisional and Definitive Countervailing Duties on Milk Powder and Certain Types of Milk from the EEC, Bericht des Panel vom 27.1.1994, Rn. 369. 819 SCM/162, United States – Measures affecting Imports of Softwood Lumber from Canada, Bericht des Panel vom 19.2.1993, Rn. 415; SCM/85 Canada – Imposition of Countervailing Duties on Imports of Manufacturing Beef from the EEC, Bericht des Panel vom 13.10.1987, Rn. 5.17. 820 BISD 25S/163, Japan – Import Restrictions on Imports from Certain Agricultural Products, Bericht des Panel vom 22.3.1988, Rn. 6.10. 821 BISD 31S/67, United States – Imports of Sugar from Nicaragua, Bericht des Panel vom 13.3.1984, Rn. 4.7. 822 Eine Ausnahme bilden die Fälle, in denen das Panel die Rückzahlung gezahlter Subventionen angeordnet hat. Vgl. dazu WT/DS126/RW, Australia – Subsidies
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Body in seinem Bericht vom 12.4.1999 auf drei Optionen festgelegt, durch die die EG ihre Bananenmarktordnung WTO-konform gestalten könnte.823 Damit geht es über die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bananenmarktverordnungen hinaus und gibt der EG diejenigen Mittel vor, die das Umsetzungsziel der WTO-Konformität zu verwirklichen geeignet sind. Zunächst stellt das Panel die Möglichkeit der Aufhebung aller mengenmäßigen Beschränkungen und die Einführung eines Außenzolls als eine WTO-konforme Handlungsoption dar, verbunden mit einem Vorzugszoll für traditionelle AKP-Bananen (sog. „tariff only“-Lösung).824 Ebenso vereinbar mit den WTO-Bestimmungen sei die Einführung eines Außenzolls, kombiniert mit einem Mengenkontingent für traditionelle AKP-Bananen. WTO-konform sei schließlich auch die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Systems eines Kontingentes ohne länderspezifische Quoten und mit nach Art. XIII (2) GATT vereinbarten Quoten. Stellt das Panel – gegen dessen Bericht die EG keine Berufung eingelegt hat – diese drei Verfahren zur Anpassung des Bananenregimes vor, ergibt sich für den Gemeinschaftsrichter nur noch das Folgeproblem, diejenige individuelle Rechtsposition zu ermitteln, die dem Wirtschaftsteilnehmer nach Maßgabe aller drei Szenarien mindestens einzuräumen ist. Die Situation ist vergleichbar mit der zur Umsetzung der Insolvenzrichtlinie in Francovich gewährten Mittelfreiheit bei der Festsetzung des Zeitpunktes, von dem an die Befriedigung der Ansprüche garantiert werden musste. Damals musste der Gerichtshof herausfinden, welcher Zeitpunkt die Garantieeinrichtung am wenigsten belastete.825 Analog muss hier diejenige Einfuhrregelung maßgeblich sein, die die am wenigsten günstige Einfuhrbedingungen schafft und damit die EG am wenigsten belastet bzw. ihr die Möglichkeit des Vorzugshandels mit AKP-Bananen bewahrt. Das bedeutet, dass es letztlich auf die Beurteilung einer hypothetischen wirtschaftlichen Position der Importeure ankommt. Es ist unschwer zu erkennen, dass dies einen hohen rechnerischen Aufwand auf Seiten des Gemeinschaftsrichters notwendig macht. Nichtsdestotrotz kann so aufgrund der vom Panel vorgegebenen Optionen eine Rechtsposition des Einzelnen ermittelt werden, die ihm bei WTO-konformer Ausgestaltung mindestens zustünde. Auf der Grundlage der Auswahl des die EG am wenigsten belastenden Umsetzungsszenarios kann auch die Bestimmbarkeit der AnspruchsberechProvided to Producers and Exporters of Automotive Leather, Rn. 6.42. Siehe auch Herrmann, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, 295, Rn. 699. 823 WT/DS27/AB/R, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Appellate Body vom 12.4.1999, Rn. 6.155. 824 Dies sei die welthandelsrechtlich sauberste Lösung, weil damit alle mengenmäßigen Beschränkungen in Zölle umgewandelt würden, vgl. Meier, EuZW 1999, 430; Kuschel, RIW 1998, 126 f. 825 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5410, Rn. 19.
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts
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tigten, die erst im Moment der Urteilsfassung des EuGH vorzuliegen braucht,826 ermittelt werden. Der Kreis der Anspruchsberechtigten erstreckt sich auf diejenigen Marktteilnehmer, die durch die Abweichung von der WTO-konformen Lösung Nachteile erlitten haben, da diese gerade von der mittelbar wirkenden Schutzrichtung der WTO-Vorschrift ausgeschlossen werden soll. Zwar ist der Einwand berechtigt, dass der Berechtigtenkreis damit unübersichtlich groß sein könnte. Diesem Problem wird aber zutreffenderweise auf Ebene der hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung begegnet, die die Betroffenheit einer klar umrissenen und abgrenzbaren Gruppe erfordert. An dieser Stelle reicht die bloße Bestimmbarkeit der Anspruchsberechtigten aus. 2. Bestimmtheit des Mindestgehalts für Fallgruppe B im Hormonstreit Wie bereits erwähnt wurde, stellen die in den WTO-Abkommen enthaltenen Freiheitsgarantien und Diskriminierungsverbote Regelungen dar, die die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Einzelnen fördern sollen.827 Dies gilt auch für den Anwendungsbereich gesundheits- und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen, wie sie im SPS-Übereinkommen enthalten sind. Aus Artikel 2 (3) und dem ersten Erwägungsgrund des SPS-Übereinkommens folgt, dass einer verschleierten Beschränkung des Handels entgegengewirkt werden soll. Diskriminierung zwischen heimischen und importierten Waren kann grundsätzlich das Ergebnis gesundheits- oder pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen sein und zu einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit führen. Eine solche Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheiten des Einzelnen wurden vom DSB in einem Verstoß der EG-Hormonrichtlinie828 gegen Art. 5 (5) SPS gesehen, weil das Einfuhrverbot unzulässiger Weise zwischen hormonbehandeltem und herkömmlichem Fleisch diskriminierte und dadurch den Import von hormonbehandeltem Fleisch beschränkt hat. Zusätzlich wurde ein Verstoß gegen Art. 5 (1) SPS festgestellt, weil die EG es unterlassen hatte, eine Risikobewertung des Verzehrs hormonbehandelten Fleisches anzuführen, aus der sich die Untersuchung der Krebsrisiken ergebe, die mit der Verwendung bestimmter Hormone als Wachstumsförderer in Verbindung gebracht wurden. Die EG konnte sich bei ihrer gesetzgeberischen Risikoeinschätzung auch nicht auf internationale Normen oder wissenschaftliche Begründungen stützen, deren Vorliegen ein höheres gesundheitspolitisches Schutzniveau gerechtfertigt hätten, wodurch 826 827 828
von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 137. GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 116 ff. Richtlinie Nr. 96/22/EG, ABlEG 1996 Nr. L 125, 3.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
im Ergebnis ein Verstoß gegen Art. 5 (1) SPS begründet wurde. Zur Frage der Bestimmtheit eines individuellen Anspruchs und der Herleitung eines „Mindestrechts“ lässt sich unter diesen Voraussetzungen sagen, dass nur eine das Einfuhrverbot vollständig beseitigende Situation als WTO-konform anzusehen ist. Darauf wies auch der auf Grundlage von Art. 21 (3) c) DSU eingesetzte WTO-Schiedsrichter hin, der zur Ermittlung des angemessenen Zeitraums berufen war. Er führte aus, dass „es nicht mit dem Erfordernis der umgehenden Beachtung vereinbar sei, in dem [Umsetzungszeitraum] Zeit für Studien oder Sachverständigenkonsultationen einzubeziehen, um die Vereinbarkeit einer Maßnahme zu demonstrieren, die bereits als unvereinbar verurteilt wurde“.829 Daran, dass einzig die Aufhebung des Einfuhrverbotes einen mit dem SPS-Abkommen zu vereinbarenden Rechtszustand bildet, bestehen auch keine Zweifel angesichts der Regelung in Art. 3 (3) SPS, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, ihr Schutzniveau über das auf internationalen Normen beruhende Niveau hinaus zu erhöhen.830 Die Abweichung von dem Nicht-Diskriminierungsgrundsatz ist nämlich nur dann zulässig, wenn die EG in der Lage ist, die entsprechende wissenschaftliche Evidenz zu liefern. Diesen Nachweis ist sie schuldig geblieben. Solange der wissenschaftliche Nachweis nicht erbracht wurde, ist davon auszugehen, dass es keine gesundheitspolitische Rechtfertigung dafür gibt, zwischen hormonbehandeltem und herkömmlichem Fleisch zu diskriminieren. Sollte die EG zu einem späteren Zeitpunkt die wissenschaftliche Rechtfertigung erbringen können, würde dies die Situation ex tunc ändern. Einzige WTO-konforme Handlungsmöglichkeit zum Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist war aber die Beseitigung des Importhindernisses. Wäre die EG dieser Handlungspflicht nach Ablauf der Frist nachgekommen, hätte hormonbehandeltes Fleisch schrankenlos eingeführt werden können. Insoweit kann mit Blick auf die Bestimmtheit des Individualrechts gesagt werden, dass die DSB-Entscheidung so ausgelegt werden muss, dass dem Einzelnen „mindestens“ das Recht uneingeschränkter Einfuhr von hormonbehandeltem Fleisch zustand. 3. Bestimmtheit eines rechtlichen Mindestgehalts der Fallgruppe C Zu betrachten ist schließlich die Konstellation, in der Unternehmen durch die Verhängung von Strafzöllen geschädigt worden sind, namentlich Angehörige der Fallgruppe C. Der Kreis der von den Strafzöllen geschädigten 829 WT/DS26/15, WT/DS48/13, EC – Hormones, Bericht des Appellate Body vom 29.5.1998, Rn. 39. 830 Vgl. zur Zulässigkeit der eigenständigen Festlegung eines angemessenen Schutzniveaus Makatsch, Gesundheitsschutz, 161 ff.
F. Bestimmbarkeit des zu verleihenden Rechts
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Unternehmen kann auf Grundlage der Listen von Gemeinschaftsprodukten, die von den USA nach Genehmigung der Vergeltungsmaßnahmen durch den DSB veröffentlicht wurden, eindeutig bestimmt werden. Hiergegen ist eingewandt worden, dass das Listenverfahren dem Bestimmtheitsgebot nicht genügen könne, weil die Liste der mit Schutzzöllen sanktionierten Produkte erst nach der DSB-Entscheidung veröffentlicht werde. Dem ist im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH entgegenzuhalten, dass vor Erlass einer die Haftung auslösenden Maßnahme eine Gruppe nicht formal als solche gekennzeichnet zu sein braucht.831 Stattdessen soll es ausreichen, dass die Betroffenen erst nach Eintritt der Schadensfolgen bestimmt werden können. Gleichsam ist ein gewisses Maß an Vagheit der Vorschrift bei der Ermittlung des Anspruchs unschädlich, solange der Gerichtshof in der Lage ist, in der streitigen Situation aus der Bestimmung eine eindeutige Aussage zu entwickeln.832 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmbarkeit fällt somit auf die Prüfung des Anspruchs durch den EuGH. Die Veröffentlichung der Liste durch die obsiegende Partei und die Erhebung der Strafzölle ist der Erhebung der Klage vor den Europäischen Gerichten zwangsläufig vorgelagert und schließt damit das Risiko mangelnder Bestimmbarkeit im Augenblick der Klageerhebung aus. Damit wird auch dem Sinn und Zweck der Bestimmbarkeit, dass der Einzelne sich nicht auf etwas berufen können soll, dessen Inhalt die Gemeinschaft noch bestimmen kann, Genüge getan, denn eine vertragsmäßige Entschließungsfreiheit zwischen der Duldung der Gegenmaßnahmen und WTO-konformen Handeln besteht nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht mehr. Bereits festgestellt wurde, dass den WTO-Vorschriften im „Erstrecht“Schluss auch ein „reziproker“ Schutzcharakter zugesprochen werden muss, der neben dem jeweiligen Regelungsinhalt der Vorschrift auch vollumfänglichen Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen erfasst.833 Dies gilt im Übrigen auch für die DSB-Entscheidung als solcher. Sie verlangt nach gerichtsförmiger Rechtswidrigkeitsfeststellung und verbindlicher Umsetzungsverpflichtung in einem vorgegebenen Zeitraum die Anpassung der WTO-widrigen Maßnahme. Dieser Verpflichtung ist auf der Kehrseite ein Schutzreflex immanent, der auf die Rechtsposition derjenigen gerichtet ist, die von einer nicht fristgemäßen Umsetzung der Entscheidung Nachteile davontragen könnten. Gemeint sind die Opfer von Strafzöllen, denn nur wenn die unterlegene Partei der Entscheidung nicht nachkommt, ist der Weg zur Ausset831
EuGH, verb. Rs. T-195/94 I-2247, Rn. 67. 832 EuGH, verb. Rs. C-178/94, Slg. 1996, I-4845, Rn. 30; verb. I-5357, Rn. 17; von Bogdandy, in: 833 Vgl. oben Teil 2 E. II. 4.
und 202/94, Quiller und Hausmann, Slg. 1997, C-179/94, C-188/94 und C-190/94, Dillenkofer, Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 137.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
zung von Zugeständnissen nach Art. 22 (6) DSU eröffnet. Da es das unbestrittene Ziel der DSB-Entscheidung ist, eine solche Situation zu vermeiden, entfaltet diese auch einen Schutz potentieller Opfer von Schutzzöllen.834 Schließlich soll die Verpflichtung zum WTO-konformen Verhalten gerade Gegenmaßnahmen auf völkerrechtlicher Ebene ausschließen, einen Handelskrieg verhindern und somit letztlich auch die individualschädigenden Wirkungen minimieren.
IV. Zusammenfassung Kernaussage des Bestimmtheitsgebotes ist das Erfordernis eines „normativen Minimalprogramms“, mit dem der DSB-Entscheidung ein Mindestinhalt des zu verleihenden Rechts und eine Bestimmbarkeit des anspruchsberechtigten Personenkreises abverlangt wird. Eine Konkretisierung der Gruppe anspruchsberechtigter Wirtschaftsteilnehmer ergibt sich wegen der objektiven Unvereinbarkeitkeitsfeststellung als Regelformat der DSBSpruchpraxis aus den fallspezifischen Umständen im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung des Schutzreflexes der streitgegenständlichen WTOVorschrift. Im Bananenstreit ist eine Festlegung des sachlichen Gehalts des Bestimmtheitskriteriums dank der vom Panel vorgegebenen Optionen WTOkonformer Anpassung des Einfuhrregimes möglich. Dem Gemeinschaftsrichter fiele die Aufgabe zu, diejenige individuelle Rechtsposition zu ermitteln, die nach Maßgabe aller drei Anpassungsszenarien das normative Mindestrecht konstituiert. Im Hormonstreit lässt sich ein Mindestrecht deswegen ermitteln, weil die Aufhebung des Einfuhrverbotes die einzige WTO-konforme Reaktion auf die DSB-Entscheidung hätte sein dürfen. Diskriminierung ist nach dem SPS-Abkommen nur zulässig, wenn eine wissenschaftliche Begründung vorliegt. Kann die EG diesen Anforderungen nicht genügen, muss den Importeuren das Recht uneingeschränkter Einfuhrfreiheit zugesprochen werden. Was die Bestimmbarkeit der Angehörigen der Fallgruppe C anbelangt, so kann der Kreis der von den Strafzöllen geschädigten Unternehmen, auf Grundlage der Listen von Gemeinschaftsprodukten, die von den USA nach Genehmigung der Vergeltungsmaßnahmen durch den DSB veröffentlicht wurden, eindeutig bestimmt werden. Abschließend lässt sich festhalten: Für vergangene und zukünftige Fälle, in denen Unternehmen Schäden als Folge von Strafzöllen geltend machen, wird der Gemeinschaftsrichter in der Lage sein, das Ausbleiben der Straf834
Ebenso Thies, CMLR 2004, 1679.
G. Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“
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zölle als normativen Mindestgehalt der individualschützenden WTO-Vorschriften anzuerkennen. Mit Blick auf die in der Vergangenheit aufgetretenen Handelsstreitigkeiten in Sachen Bananen und Rindfleisch lagen ebenfalls die Voraussetzungen zur Bestimmtheit des zu verleihenden Rechts vor. Ergänzend bedarf jedoch der Betonung, dass sich dieses Ergebnis – abgesehen von der Fallgruppe C – tatsächlich nur dann herbeiführen lässt, wenn die Entscheidung des DSB zu erkennen gibt, welche Maßnahmen die unterlegene Partei ergreifen sollte, um der Entscheidung nachzukommen. Als in dieser Hinsicht problematisch könnte sich der Regelfall erweisen, in dem sich der DSB nach Art. 19 (1) S. 1 DSU darauf beschränkt, die unterlegene Partei aufzufordern, ihr nationales Recht mit der Entscheidung in Einklang zu bringen. Ob sich in zukünftigen Streitentscheidungen gleichfalls bestimmte Mindestrechte herausbilden lassen, wird entscheidend von der Bereitschaft des DSB abhängen, von der bloßen Rechtswidrigkeitsfeststellung abzuweichen und konkrete Handlungsoptionen darüber zu skizzieren, wie das nationale Recht WTO-konform angepasst werden kann.
G. Das Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“ Die Haftung der Gemeinschaft verlangt nach ständiger Rechtsprechung eine „hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der Einzelnen dienenden Rechtsnorm“.835 Damit will der Gerichtshof nicht jedem Rechtsverstoß der Gemeinschaftsorgane haftungsauslösende Wirkung zusprechen, sondern beabsichtigt eine Einschränkung auf gravierende Rechtsverstöße. Zur Rechtfertigung der Begrenzung der Gemeinschaftshaftung für normatives Unrecht stützt sich der Gerichtshof rechtsvergleichend darauf, dass auch nach den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsätzen die öffentliche Gewalt nur ausnahmsweise bei normativem Unrecht schadensersatzpflichtig sei und dass die Einschränkung darüber hinaus der Funktionstüchtigkeit der Gemeinschaftsorgane bei der Wahrnehmung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben dienen würde.836 835 So die ständige Rechtsprechung seit EuGH, Rs. 5/71, Schöppenstedt, Slg. 1971, 975, Rn. 11; Rs. C-152/88, Sofimport, Slg. 1990, I-2477, Rn. 25; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 12; Rs. C-352/98 P, Bergaderm, Slg. 2000, I-5291, Rn. 43; weitere Nachweise bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 14. 836 EuGH, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15 und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1209, Rn. 5; auf breite Zustimmung stößt das auch in der Literatur, vgl. nur Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 11 m. w. N.
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Eine Reihe von Urteilen im Anschluss an Schöppenstedt hat etwas zur Präzision der generalklauselartigen „hinreichend qualifizierten Verletzung“ beigetragen, ohne dass deshalb eine endgültige Klärung erzielt worden wäre.837 Den Versuch einer Konkretisierung dieser Haftungsvoraussetzung unternahm der EuGH erstmalig im HNL-Urteil, indem er feststellte, dass aufgrund des weiten Ermessensspielraums, der den Rechtssetzungsorganen bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen zukomme, eine Haftung nur dann ausgelöst werden könne, wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse „offenkundig“ und „erheblich“ überschritten habe. Aus diesem Konkretisierungsversuch haben sich im Folgenden das Kriterium der Schwere der Rechtsverletzung und das Kriterium der Auswirkungen der Rechtsverletzung herauskristallisiert.838 Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Gerichtshof eine präzise, allgemeingültige, auf alle Fälle normativen Unrechts anwendbare Formulierung des Begriffs der „qualifizierten Rechtsverletzung“ schuldig geblieben ist839 und dass diese Kriterien seither im Wege einer Einzelfalljurisprudenz entwickelt werden.840
I. Schwere und Auswirkungen des Rechtsverstoßes als kennzeichnende Merkmale für die qualifizierte Rechtsverletzung Im Fall Ireks-Arkady wurde eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes als „erheblich“ qualifiziert, weil „eine begrenzte und klar umrissene Gruppe von Unternehmen betroffen“ war und der „Schaden über die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken hinaus geht, die eine Betätigung in dem betroffenen Wirtschaftszweig mit sich bringt“.841 Die Erheblichkeit der Rechtsverletzung wurde hier anhand der Auswirkungen des Verstoßes festgestellt, nämlich nach der Zahl der Betroffenen und dem Umfang der Belastung.842 Ließ der Gerichtshof damit in Ireks-Arkady noch die Notwendigkeit eines quantitativen Kriteriums erkennen, rückte er vom Erfordernis zahlenmäßiger Begrenztheit, wonach eine Haftung nicht in Betracht kommt, wenn eine große Gruppe betroffen ist,843 in seiner Entscheidung zur Rechtssache Mulder wie837 Reinisch, EuZW 2000, 49; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 89; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 23 m. w. N. 838 Herdegen, Haftung, 126 ff.; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 23; Weiß, EuR 2005, 292; Czaja, Haftung, 83; Schoißwohl, ZEuS 2001, 716 f.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 88. 839 Czaja, Haftung, 83; Herdegen, Haftung, 126 ff.; Grabitz, in: FS für Kutscher, 222; Fuß, in FS für von der Heydte, 173 ff. 840 Czaja, Haftung, 85; Herdegen, Haftung, 126. 841 EuGH, Rs. 238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, I-2955, Rn. 11. 842 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 86.
G. Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“
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der ab und sprach in diesem Fall bis zu 12000 Klägern Ersatzleistungen zu.844 Ausreichend sollte es nunmehr sein, dass die betroffene Gruppe klar abgrenzbar und damit von der Allgemeinheit unterscheidbar sein müsse845 und dass der schädigende Rechtsakt weder vorhersehbar gewesen sei846 noch sich innerhalb der üblichen wirtschaftlichen Risiken gehalten habe.847 Zur Feststellung der Schwere des Rechtsverstoßes hat der EuGH den Aspekt der besonderen Bedeutung der verletzten Schutznorm sowie jenen des unannehmbaren, d.h. unentschuldbaren Normverstoßes, entwickelt, der jedenfalls dann vorliegt, wenn das handelnde Organ sein Ermessen in missbräuchlicher Weise ausgeübt hat.848 Anfangs machte der EuGH hierfür ein an Willkür grenzendes Verhalten zur Voraussetzung,849 nahm davon später als Bedingung der außervertraglichen Haftung jedoch wieder Abstand.850 Schärfere Konturen verlieh der Gerichtshof dem Kriterium der Schwere der Rechtsverletzung im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung. In seiner Entscheidung zu Brasserie du Pêcheur entwickelte er für die Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrecht weitere Voraussetzungen, die aufgrund der Kohärenz von Staatshaftung und Gemeinschaftshaftung auch für den Bereich des Art. 288 EGV Anwendung finden.851 In seinem Urteil ging der Gerichtshof über die Prüfung des Vorliegens eines willkürlichen Verhaltens und der erheblichen Auswirkungen der Rechtsverletzung hinaus und entwickelte stattdessen eine Reihe von anderen Faktoren, die eine hinreichend schwere Verletzung indizieren können. Hiernach werden beispielsweise das Maß an Klarheit und Bestimmtheit der verletzten Vorschrift, der eingeräumte Ermessensspielraum, die Vertretbarkeit eines Rechtsirrtums und die 843 So noch in EuGH, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15 und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1209, Rn. 7. 844 EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 15. 845 EuGH, Rs. 238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, Rn. 12; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 16; vgl. hierzu Ossenbühl, EUDUR I, § 42 Rn. 54; Berg, in: Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 48; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 22; Winkler/Trölitzsch, EuZW 1992, 668. 846 Der EuGH stellt in einigen Urteilen maßgeblich auf die Unvorhersehbarkeit des üblicherweise zu tragenden Risikos ab, EuGH, Rs. 59/83, Biovilac, Slg. 1984, 4057, Rn. 29; Rs. 50/86, Grands Moulins de Paris, Slg. 1987, 4833, Rn. 21. 847 EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 17. 848 EuGH, verb. Rs. 116, 124/77, Amylum, Slg. 1979, 3567, Rn. 18 ff.; EuG, verb. Rs. T-481, 484/93, Verening van Exporteurs, Slg. 1995, II-2941, Rn. 128; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 22. 849 EuGH, Rs. 143/77, Koninkijke Scholten-Honig, Slg. 1979, 3583, Rn. 16; verb. Rs. 116, 124/77, Amylum, Slg. 1979, 3567, Rn. 13 f. 850 EuGH, Rs. C-220/91 P, Peine-Salzgitter, Slg. 1993, I-2393, Rn. 51. 851 Craig/de Bfflrca, EU Law, 527; Herdegen/Rensmann, ZHR 1997, 540; Cornils, Haftung, 192 f.; Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 8.
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Vorsätzlichkeit der Rechtsverletzung berücksichtigt.852 Hervorzuheben ist, dass die entwickelten Kriterien nicht nach ihrem kumulativen Vorliegen zu beurteilen sind, sondern im Rahmen einer Gesamtwürdigung geprüft werden, die sich an den Voraussetzungen des Einzelfalles orientieren muss.853
II. Schwere des Rechtsverstoßes durch die Nichtumsetzung der DSB-Entscheidungen Sollen diese Maßstäbe auf die hiesige Konstellation von WTO-Rechtsverletzungen durch die Gemeinschaftsorgane angewendet werden, erscheint eine differenzierte Betrachtung des Bananen- und des Hormonstreites zweckmäßig, da sich die beiden Fälle hinsichtlich des Umsetzungsverhaltens der Gemeinschaftsorgane unterscheiden. 1. Die Schwere des Rechtsverstoßes im Bananenstreit Der Schwere der Rechtsverletzung liegt im Kern eine Beurteilung des Fehlverhaltens der Gemeinschaftsorgane zugrunde, welches der EuGH dadurch zu bestimmen sucht, dass er – gewissermaßen aus der Sicht eines „sorgfältigen Gesetzgebers“ – in einer Gesamtbetrachtung die Nachvollziehbarkeit und Entschuldbarkeit des Fehlers prüft.854 Insofern ist das Umsetzungsverhalten der Gemeinschaftsorgane bei der Beseitigung der von den Streitbeilegungsgremien der WTO festgestellten Rechtsverstöße zu bewerten. Die das Bananenmarktregime der EG grundlegend gestaltende Verordnung Nr. 404/93 war bereits 1994 – unter der Ägide des GATT 1947 – Gegenstand eines GATT-Panel-Verfahrens gewesen.855 Allerdings konnte die Annahme des Panel-Berichts vom 18.1.1994, in dem zahlreiche Verstöße gegen das GATT 1947 festgestellt wurden,856 durch das Vetorecht der EG verhindert werden, indem diese die notwendige Zustimmung verweigerte. Erst nachdem Verhandlungen zwischen der EG und den betroffenen Staaten über die Anpassung der europäischen Bananenmarktordnung gescheitert 852 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1150, Rn. 56. 853 Weiß, EuR 2005, 293; Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 46. 854 Herdegen/Rensmann, ZHR 1997, 542; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 141; in diesem Sinne auch schon zum Mulder-Urteil van Gerven, MLJ 1994, 28. 855 Den Antrag stellten damals Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Nicaragua und Venezuela, GATT FOCUS Nr. 108 (Juni 1994), 5. 856 GATT Doc. DS38/R, EEC-Import Regime for Bananas, Bericht des Panel vom 18.1.1994.
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waren, wurde 1996 erneut ein Panel eingesetzt. Diesmal hatten die Panels allerdings über die Vereinbarkeit des Bananenmarktregimes mit dem neuen WTO-Recht zu entscheiden, welches aufgrund seines reformierten Streitbeilegungsverfahrens nicht mehr einseitig von der EG blockiert werden konnte. Nachdem die im Mai 1997 verabschiedeten Panel-Berichte857 zu der Auffassung gelangten, dass zahlreiche Bestimmungen sowohl der Verordnung Nr. 404/93 als auch des mit den lateinamerikanischen Ländern geschlossenen Rahmenabkommen gegen das WTO-Recht verstießen, wurden die Ausführungen des Panels im Berufungsverfahren durch den Appellate Body bestätigt und in einigen Punkten noch verstärkt.858 Hierauf folgte die Annahme der Berichte durch den DSB am 25.9.1997, in dessen Entscheidung die EG aufgefordert wurde, die Bananenmarktordnung bis zum 1.1.1999 WTO-konform abzuändern. Anschließend verabschiedete die EG im Juli 1998 die Verordnungen Nr. 1637/98 und Nr. 2362/98, die zum 1.1.1999 in Kraft traten. Doch auch das neue Regime wurde von einem WTO-Schiedsgericht kurze Zeit nach dessen Inkrafttreten am 19.4.1999 für unvereinbar mit den WTO-Vorschriften beurteilt.859 Daraufhin wurden die USA ermächtigt, Handelszugeständnisse im Wert von jährlich 191,4 Mio. US-Dollar gegenüber der EG auszusetzen.860 Erst 2001 verabschiedete die EG eine grundlegende Neuausrichtung des Bananen-Einfuhrregimes, welches vom 1.1.2001 an Geltung haben sollte.861 Voraussetzung dafür war eine Einigung mit den USA und Ecuador, die im Frühjahr 2001 erzielt wurde,862 und schließlich im Juli 2001 zu einer Aufhebung der amerikanischen Sanktionen führte.863 Die damals gefundene Einigung sieht die Umstellung von einer Quotenregelung auf ein reines Zollsystem ab dem 1.1.2006 vor. Allerdings hat ein Panel am 1.8.2005 den von der EG geplanten Zollsatz abermals für WTO-widrig befunden.864 857 Panel-Berichte vom 22.5.1997 WT/DS27/R/ECU (Ecuador), WT/DS27/R/ GTM und WT/DS27/R/HDN (Guatemala und Honduras), WT/DS27/R/MEX (Mexiko) und WT/DS27/R/USA (USA). 858 WT/DS27/AB/R, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Bericht des Appellate Body vom 9.9.1997. 859 WT/DS/ARB, EC – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the EC under Article 22.6 of the DSU, 9.4.1999, Rn. 5.79 f. und 4.8; die Panelists handelten zwei Anträge in einem Verfahren ab, da die EG gleichzeitig die Einsetzung eines Panels auf Grundlage von Art. 21 (5) DSU beantragt hatten. Dazu Meier, EuZW 1999, 428. 860 Siehe dazu ausführlich Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 254 ff. 861 Verordnung (EG) Nr. 896/2001, ABlEG 2001 Nr. L 126, 6. 862 Press Release IP/01/562, 11.4.2001 und IP/01/627, 30.4.2001. 863 Press Release IP/01/930, 2.7.2001. 864 Die neue Regelung erhebt allgemein einen Einfuhrzoll von 230 e je Tonne, während das alte Quotensystem 75 e innerhalb der Quote und 680 e für zusätzliche Einfuhren vorsah. WT/L/616, EC – The ACP-EC Partnership Agreement – Re-
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Um das dargestellte Umsetzungsverhalten der Gemeinschaftsorgane zu bewerten, bietet sich an in chronologischer Vorgehensweise dasjenige Umsetzungsverhalten auszugliedern, das mit Sicherheit nicht den Anforderungen an die qualifizierte Rechtsverletzung genügt. Sinnvoll erscheint vor allem eine zeitliche Differenzierung zwischen der Phase zwischen Rechtsverstoß und DSB-Entscheidung und dem Zeitraum nach Ablauf der Umsetzungsfrist.865 Verletzt die EG WTO-Recht, ohne dass es bereits zur Rechtswidrigkeitsfeststellung durch den DSB gekommen ist, wird eine qualifizierte Rechtsverletzung auszuschließen sein, weil mangels Klärung durch ein Panel nicht die Bestimmtheit des verliehenen Rechts – ungeachtet dessen individualbegünstigenden Charakters – bejaht werden kann. Ebenso wenig dürfte der EG ohne verbindliche Klärung der Rechtslage durch die WTO-Streitbeilegungsgremien vorzuwerfen sein, dass sie mit Vorsatz oder einem an Willkür grenzenden Verhalten die Bestimmungen der WTO-Übereinkommen verletzt habe, da vor dem Panelverfahren durchaus Unklarheit darüber bestehen kann, ob eine Maßnahme mit den WTO-Bestimmungen vereinbar ist oder nicht.866 Gegen diese Einschätzung könnte allerdings der Einwand erhoben werden, dass die Annahme des Panel-Berichts des ersten Bananenverfahrens aus dem Jahr 1994867 lediglich am Einstimmigkeitserfordernis und der Blockadehaltung der EG scheiterte, an der WTO-Widrigkeit der Einfuhrregelung hingegen kein Zweifel bestand.868 Dennoch lässt sich neben dem formalen Fehlen der Annahme des Panel-Berichts auch die schwächere justitielle Wirkung des Streitbeilegungsverfahrens unter dem GATT 1947 im Vergleich zum „gerichtsähnlichen“ Verfahren unter dem DSU869 als Grund dafür anführen, dass die Evidenz eines Fehlverhaltens verneint werden müsste. Danach kann die Verordnung Nr. 404/93 aufgrund mangelnder Rechtswidrigkeitsfeststellung durch ein GATT-Panel nicht zur Grundlage einer hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung gemacht werden. Bemerkenswert dürfte das im Anschluss an den nicht verabschiedeten Panel-Bericht 1994 ausgehandelte „Rahmenabkommen über Bananen“ sein, course to Arbitration pursuant to the decision of 14 November 2001, Entscheidung vom 1.8.2005. 865 Dazu Reinisch, EuZW 2000, 49; Weiß, EuR 2005, 293; Hinderer, Rechtsschutz, 467; eine Einteilung in die unterschiedlichen Zeitfenster nimmt auch Thies vor, vgl. Thies, CMLR 2004, 1668. 866 Ähnlich Schoißwohl, ZEuS 2001, 718. 867 GATT Doc. DS38/R, EEC-Import Regime for Bananas, Bericht des Panel vom 18.1.1994. 868 Cascante, Rechtsschutz, 270 f.; Vranes, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 21. 869 Vgl. zur Gegenüberstellung der beiden Verfahren Petersmann, JIEL 1998, 189; Eeckhout, CMLR 34 (1997), 35; Montanà I Mora, CJTL 1993, 103.
G. Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“
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in dem die EG die meisten beschwerdeführenden Parteien dazu verpflichtete, die Umsetzung des Panel-Berichts nicht weiter voranzutreiben.870 Hierin dürfte sich der vom DSU vorgesehene völkerrechtliche Handlungsspielraum der Parteien und ihr Bemühen widerspiegeln, außerhalb des Streitbeilegungsverfahrens eine Lösung zu erzielen. Machen die Parteien mangels Vorliegens einer Entscheidung des DSB von diesem diplomatischen Verfahren Gebrauch, muss ein qualifizierter Rechtsverstoß ausgeschlossen sein, weil der Handlungsspielraum zu weit gefasst ist. Ändern könnte sich diese Situation frühestens zu dem Zeitpunkt, in dem die Umsetzungsfrist der DSB-Entscheidung vom 25.9.1997, die auf den 1.1.1999 datiert wurde, abgelaufen ist. Allerdings waren zu diesem Zeitpunkt bereits die neuen Verordnungen Nr. 1637/98 und Nr. 2362/98 in Kraft, deren WTO-Widrigkeit noch nicht durch ein Panel festgestellt worden war. Dies geschah aber kurz darauf am 12.4.1999 durch die Entscheidung der WTO-Schiedsrichter in einem Verfahren nach Art. 22 (6) DSU.871 Legt man der Situation nach dem 1.1.1999 die zur Bestimmung der Schwere in Brasserie entwickelten Kriterien zugrunde, kann man der Verletzung in mehrfacher Hinsicht den Grad der Erheblichkeit zuerkennen, die das qualifizierte Fehlverhalten der Rechtsetzungsorgane begründet. Nach dem Befund der WTO-Widrigkeit durch Panel und AB im Jahr 1997 begannen die EG-Organe mit der Ausarbeitung einer neuen Einfuhrregelung. Vor dem Schiedsgericht, das mit der Festlegung eines angemessenen Zeitraums zur Umsetzung der DSB-Entscheidung befasst wurde, beantragte die EG einen Zeitraum von 15 Monaten mit der Begründung, dass nach ihrer Verwaltungspraxis nur zweimal im Jahr neue Rechte verabschiedet würden, sowie mit der Notwendigkeit einer Vorlaufzeit um „denjenigen, die in der Bananenbeschaffungskette tätig sind, zu erlauben, die notwendigen Anpassungen in ihrer Planung und Logistik vorzunehmen“.872 Diese Argumente ließ das WTO-Schiedsgericht mit Blick auf die „Komplexität des Implementierungsprozesses“ nicht unberücksichtigt.873 Bemerkenswert ist aber, dass bereits in der Entwurfsphase der neuen Einfuhrregelungen von den anderen Beschwerdestaaten Einwände erhoben wurden, die Zweifel daran ins Feld 870 Framework Agreement on Banana Imports, ILM XXXIV (1995), 1; Umsetzung durch die EG mit der Verordnung (EG) Nr. 478/95, ABlEG 1995 Nr. L 49, 13. 871 WT/DS27/RW/ECU, European Communities, Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Article 21.5 by Ecuador, Bericht des Panel vom 12.4.1999. 872 WT/DS27/16, EC – Bananas, Bericht des Schiedsrichters vom 7.1.1998, Rn. 9–10. 873 WT/DS27/16, EC – Bananas, Bericht des Schiedsrichters vom 7.1.1998, Rn. 19.
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führten, dass die Änderungen den WTO-Vorschriften genügen würden, auf die sich die EG jedoch weigerte einzugehen.874 Nachdem die EG mehrere Konsultationsbegehren der klagenden Parteien abgelehnt hatte, präsentierte sie vier Monate nach Beginn des angemessenen Zeitraums einen Umsetzungsvorschlag.875 Nach Auffassung der Kläger zielte dieser Vorschlag darauf ab, die ursprüngliche Diskriminierung aufrecht zu erhalten, und wurde von diesen auch in mehreren Sitzungen des DSB zur Sprache gebracht.876 Trotz wiederholter Proteste der klagenden Parteien nahm sechs Monate später der Rat der EU den Vorschlag der Kommission an. Zuvor hatte die EG versichert, dass sie ihre internationalen Verpflichtungen erfüllen würde.877 Vor diesem Hintergrund ruft es keine Verwunderung hervor, dass die Verordnungen Nr. 1637/98 des Rates und Nr. 2362/98 der Kommission nach allgemeiner Auffassung im wissenschaftlichen Schrifttum kaum geeignet gewesen sind, das ursprüngliche Bananenregime in Richtung eines WTOkonformen Zustandes abzuändern.878 Vorgenommen wurden lediglich marginale Änderungen, die den Kern der WTO-widrigen Regelungen unberührt gelassen haben. Gleich in mehrfacher Hinsicht werden die vom AB-Bericht im Jahr 1997 gerügten Verstöße aufrechterhalten. Dies trifft neben der Diskriminierung der Händler mit Dollarbananen ebenso zu wie für den repräsentativen Zeitraum bei der Zuteilung der Kontingentanteile für die Hauptlieferländer, die Markzutrittschancen neuer Marktbeteiligter und das unveränderte zollfreie Kontingent für traditionelle Einfuhren aus AKP-Staaten.879 Dabei war die Klarheit, mit der der AB-Bericht zuvor die einzelnen Regelungen des Einfuhrregimes benannt und deren Abänderung verlangt hatte, unmissverständlich. In dem Bericht wurden die die Rechtswidrigkeit des Einfuhrregimes begründenden Regelungen der Bananenmarktverordnungen durch den AB hinreichend konkretisiert, so dass sich hinsichtlich der Normativaussage des Berichts keine Zweifel an dessen Bestimmtheit ergeben konnten.880 Zusätzlich hatte das Panel drei Umsetzungsmodelle skizziert, bei denen eine WTO-Konformität gegeben sein würde, womit der EG wei874
Vgl. Vranes, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 23. KOM (1998) 4 endg. – 98/0013(CNS), Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 404/93 von der Kommission vorgelegt am 16. Januar 1998. 876 Siehe die Sitzungen des DSB vom 12.1.1998, 22.1.1998, 25.3.1998, 22.4.1998, 22.6.1998, 23.7.1998, 22.9.1998, 21.10.1998 und 25.11.1998. 877 Gleason/Walther, LPIB 31 (2000), 720. 878 Kuschel, EuZW 1999, 76; Schoißwohl, ZEuS 2001, 718; Jürgensen, RIW 1999, 242 ff.; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 269; Cascante, Rechtsschutz, 272. 879 Siehe dazu im Einzelnen Meier, EuZW 1999, 428 ff.; Jürgensen, RIW 1999, 244 f. 880 Reinisch, EuZW 2000, 50. 875
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tere Orientierungshilfe zur Erreichung der WTO-Konformität geleistet wurde. Ergänzend bedarf der Betonung, dass die EG davon abgesehen hat, gegen die Entscheidung des Panels vom 9.4.1999 Berufung einzulegen. Auch ein Rechtsirrtum auf Seiten der Gemeinschaftsorgane muss ausgeschlossen werden, denn bereits die Phase des Gesetzgebungsprozesses zur Änderung der Einfuhrregelung war von den anderen beschwerdeführenden Staaten mit Hinweisen auf die erneute Unvereinbarkeit des Vorhabens mit dem WTO-Recht begleitet worden, denen von den Gemeinschaftsorganen jedoch keinerlei Gehör geschenkt wurden. Stellt man mit diesen Erwägungen also im Ergebnis ein offensichtliches Auseinanderfallen von Umsetzungsverhalten und verbindlicher Empfehlung in Rechnung, muss die Rechtsverletzung als hinreichend schwer eingestuft werden, zumal das Gebotene klar vorgezeichnet war und die EG-Organe die Vorgaben des AB-Berichts so eindeutig ignoriert haben,881 dass sich die geänderte Bananenmarktordnung auch nicht auf eine Auslegung stützen lässt, welche „nicht völlig von der Hand zu weisen ist“882, sondern sich vielmehr der Eindruck einer bewussten Weigerung zur WTO-konformen Anpassung des EG-Sekundärrechts aufdrängt.883 Dieser Verdacht erhärtet sich zusätzlich in dem Moment, in dem die Gemeinschaftsorgane auch auf die erneute verbindliche Feststellung der WTO-Widrigkeit durch ein Panel – wie geschehen am 9.4.1999 – mit legislativer Untätigkeit reagierten. Spätestens von diesem Zeitpunkt an war sich die EG auch über die WTORechtsverletzung ihres geänderten Einfuhrregimes im Klaren, ließ bis zur Anpassung an die Maßgaben des Panel-Berichts vom 9.4.1999 aber über zwei weitere Jahre vergehen.884 Die Aufrechterhaltung der gegen WTORecht verstoßenden Einfuhrregelung nach diesem Zeitpunkt ermöglicht sodann eine weitere Anleihe bei der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung. Danach soll ein Rechtsverstoß „offenkundig qualifiziert“ einzustufen sein, wenn er trotz des Erlasses eines den Verstoß feststellenden Urteils, aus dem sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestehe.885 Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Feststellungen der Panel- und AB-Berichte, deren Umsetzung völker881
Dazu Cascante, Rechtsschutz, 272, der der Auffassung ist, dass die EG sich „materiell in geradezu provozierender Weise über die Entscheidung des Appellate Body hinweg“ setzt. 882 Dies würde nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits genügen, die Offensichtlichkeit des Regelverstoßes auszuschließen, Rs. C-319/96, Brinkmann, Slg. 1998, I-5411, Rn. 31. 883 Reinisch, EuZW 2000, 50; ähnlich Cascante, Rechtsschutz, 272; Schoißwohl, ZEuS 2001, 718; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 697. 884 Siehe dazu Vranes, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 29 ff. 885 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 57.
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und gemeinschaftsrechtlich bindend sind, nicht ebenfalls die Fähigkeit haben können, als Maßstab für die Qualifiziertheit des Rechtsverstoßes zu dienen.886 Vor diesem Hintergrund und angesichts der Zurückhaltung mit der die Gemeinschaftsorgane die Umsetzung der Panel-Berichte angestrebt und die Feststellungen des Panel und AB negiert haben, dürfte auch diese Erwägung bei fortgesetzter Weigerung einer Umsetzung der DSB-Entscheidungen die Rechtsverletzung hinreichend schwer erscheinen lassen.887 2. Schwere der Rechtsverletzung im Streit um die Einfuhr hormonbehandelten Rindfleisches Anders als im Bananenstreit weist die Auseinandersetzung über die Einfuhr hormonbehandelten Fleisches aus Amerika die Besonderheit auf, dass die EG in diesem Fall über einen wesentlich längeren Zeitraum nicht einmal den Versuch unternommen hat, ihr Einfuhrverbot aufzuheben. Kraft der EG-Richtlinie 81/602/EWG888 wurden bestimmte Hormonstoffe im Fleisch und der Import von hormonbehandeltem Fleisch bereits in den 80er Jahren verboten. An die Stelle der genannten Richtlinie trat schließlich die Richtlinie 96/22/EG889, die die Verbotsregelung aufrecht erhielt. Nachdem die USA und Kanada im Mai und November 1996 jeweils ein Streitbeilegungsverfahren vor den zuständigen Gremien der WTO eingeleitet hatten, legten die Panels am 18.8.1997 einen Bericht vor, in dem ein Verstoß gegen verschiedene Bestimmungen des SPS-Übereinkommens festgestellt wurde. Zum gleichen Ergebnis gelangte im Berufungsverfahren der AB mit der Begründung, dass das Verbot in den EG-Richtlinien nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert sei.890 Im Anschluss daran nahm der DSB am 13.2.1998 den Bericht des AB an und gab der EG bis zum 13.5.1999 Zeit, die Entscheidung des AB umzusetzen und den festgestellten Verstoß zu beseitigen. Ansätze, die Vorgaben des AB umsetzen zu wollen, ließ die EG in der Folgezeit jedoch nicht erkennen. In ihrem ersten Sachstandsbericht nach Annahme der DSB-Entscheidung legte die EG dar, dass sie eine Reihe von wissenschaftlichen Studien auf den Weg gebracht habe, „um die Auswirkungen auf das Einfuhrverbot der Gemeinschaft zu beurteilen“.891 Auch die Sachstandsberichte der folgenden Monate beschränkten 886
So auch Hermes, TRIPS, 165. Ebenso Höher, Haftung, 346 ff. 888 Richtlinie Nr. 81/602/EWG, ABlEG 1981 Nr. L 222, 32. 889 Richtlinie Nr. 96/22/EG, ABlEG 1996 Nr. L 125, 3. 890 WT/DS26/AB/R, Bericht des Appellate Body vom 16.1.1998. 891 WT/DS26/17, WT/DS48/15, EC – Hormones, Status Report by the EC vom 14.1.1999, Rn. 4. 887
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sich auf den Hinweis, dass die wissenschaftlichen Studien noch andauerten.892 Eine Aufhebung des Einfuhrverbotes wurde zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen. Stattdessen kam die EG in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass sie sich nicht in der Lage sähe, das Einfuhrverbot aufzuheben und sie daher die wissenschaftlichen Ergebnisse weiter auswerten werde, „um festzustellen, welche Schritte notwendig seien“.893 Infolgedessen verzögerte sich die Annahme der neuen Richtlinie 2003/74/EG bis zum 22.9.2003, durch welche schließlich die ursprüngliche Richtlinie 96/22/EG ersetzt wurde. In den mehr als fünf Jahren seit Ablauf der Umsetzungsfrist hatte die EG nunmehr ausführliche wissenschaftliche Untersuchungen durchführen lassen, um das Fehlen einer wissenschaftlichen Fundierung des Importverbotes nachzuholen.894 Die Ergebnisse dieser Untersuchungen haben die gesundheitsgefährdende Wirkung der verbotenen Hormone nach Auffassung der EG bestätigt.895 Konsequenterweise enthält die Richtlinie weiterhin ein Verbot der meisten Hormone und lässt nur einige wenige Hormone für die Behandlung aus therapeutischen Zwecken zu. Im Ergebnis bleibt das Importverbot für hormonbehandeltes Fleisch auch nach dem Inkrafttreten der neuen Richtlinie bestehen. Die EG hat am 28.10.2003 mit der Annahme der neuen Richtlinie die Umsetzung der DSB-Entscheidung an die WTO und deren Mitglieder gemeldet. Allerdings haben bereits am 1.12.2003 die USA und Kanada Verhandlungsbedarf hinsichtlich der neuen Richtlinie angezeigt.896 Da sich die USA im Folgenden weigerten, die Vergeltungsmaßnahmen außer Kraft zu setzen, wurde am 17.2.2005 auf Betreiben der EG erneut ein Panel eingerichtet. Aufgrund der Komplexität des Falles kündigte das Panel an, eine Entscheidung nicht vor Oktober 2006 treffen zu können. Anders als im Bananenstreit hat die EG im Hormonstreit über einen Zeitraum von über fünf Jahren überhaupt keinen Versuch unternommen, ihre Einfuhrregelungen mit der DSB-Entscheidung in Einklang zu bringen. Im Rahmen der mitgliedstaatlichen Haftung für Schäden, die aus der Nicht892
WT/DS26/17Add.1, WT/DS48/15/Add.1, EC – Hormones, Status Report vom 5.2.1999; WT/DS26/17/Add.2, WT/DS48/15/Add.2, EC – Hormones, Status Report vom 9.3.1999. 893 WT/DS26/17/Add.4, WT/DS48/15/Add.4, EC – Hormones, Status Report vom 11.5.1999. 894 Vgl. dazu den 4. Erwägungsgrund der Präambel zur Richtlinie Nr. 2003/74/EG, ABlEG. Nr. L 262, 17. 895 Vgl. dazu den 10. Erwägungsgrund der Präambel zur Richtlinie Nr. 2003/74/EG, ABlEG. Nr. L 262, 17. 896 WT/DSB/M/157, DSB Minutes of Meeting held on 7 November 2003, 18.12.2003, Rn. 29–32. Inzwischen wird von einem Panel geklärt, ob das neue Hormonregime WTO-konform ist. WT/DS320/8, US – Continued Suspension of Obligations in the EC – Hormones Dispute; sowie zum Streit mit Kanada WT/DS321/8.
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umsetzung von Richtlinien resultieren, hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nicht fristgemäße Umsetzung einer Richtlinie oder die völlige Untätigkeit bei der Umsetzung in jedem Fall einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung darstellt, ohne dass sich der Mitgliedstaat durch Berufung auf eine vermeintliche Unmöglichkeit der Umsetzung exkulpieren kann.897 Nur wenn die Umsetzung fehlerhaft ist, würde es darauf ankommen, wie offensichtlich die Auslegung mit Blick auf den Gehalt der Norm ist.898 Damit soll für den Fall der Nichtumsetzung einer Richtlinie die qualifizierte Rechtswidrigkeit ohne Prüfung der Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums oder weiterer der oben genannten Gesichtspunkte eine Haftpflicht begründen können. Dahinter steht die Überlegung, dass in einem Fall, in dem der Mitgliedstaat zu einem „bestimmten Erfolg“ verpflichtet ist oder sonst eine in jedem Punkt klare und genaue Verpflichtung enthält, strengere Maßstäbe anzulegen sind.899 Hiermit wird bei legislativer Inaktivität die Evaluierung weiterer Gesichtspunkte neben einem nachgewiesenen Gemeinschaftsrechtsverstoß ausgeschlossen. Zur Möglichkeit einer Heranziehung dieser Rechtsprechung ist Folgendes zu sagen: an anderer Stelle haben die Ausführungen ergeben, dass die Gemeinschaftsorgane durch die Nichtumsetzung einer DSB-Entscheidung binnen der Umsetzungsfrist ihre Verpflichtung aus Art. 300 VII EGV verletzen, die ihnen eine Erfolgspflicht hinsichtlich der fristgemäßen WTO-konformen Anpassung des EG-Sekundärrechts bei gleichzeitiger und auch zeitlich darüber hinausgehender Mittelfreiheit auferlegt. Für die Begründung der Schadensersatzpflicht entscheidend ist, dass eine materiell WTO-konforme Modifikation des Sekundärrechts mit Ablauf der Umsetzungsfrist erfolgt sein muss und dass die eingeräumte Mittelfreiheit nicht so weit reicht, dass auf jede Sekundärrechtsanpassung verzichtet werden könnte. Für eine Übertragung des verschärften Standards bei Nichtumsetzung von Richtlinien spricht auch die oben angesprochene Parallelität zwischen Richtlinie und DSB-Entscheidung, die für die Bindungswirkung und Umsetzungsverpflichtung gegenüber ihren Normadressaten genauso besteht wie auch im Hinblick auf ihre zweistufige Wirkungsstruktur, die sie innerhalb der Rechtsordnung, in die die beiden Rechtsakte eingeführt werden, entfalten. Trifft die EG aber bei der Umsetzung von völkerrechtlichen Abkommen und insbesondere bei DSB-Entscheidungen eine vom primären Gemeinschaftsrecht angeordnete Pflicht zur Umsetzung, die vergleichbar ist 897
EuGH, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 und C-190/94 Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Rn. 23, 26, 52 ff.; Rs. C-319/96, Brinkmann, Slg. 1998, I-5255, Rn. 24. 898 EuGH, Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Rn. 28. 899 Siehe dazu GA Tesauro in verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1109, Rn. 80, 84.
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mit der mitgliedstaatlichen Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie, sollte konsequenterweise auch der Maßstab zur Bestimmung der qualifizierten Rechtsverletzung derselbe sein.900 In diesem Sinne sind wohl auch die Ausführungen von GA Alber zu verstehen, der die Situation der nicht umgesetzten DSB-Entscheidung mit der innergemeinschaftlichen Nichtumsetzung einer Richtlinie vergleicht.901 Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Tatsache, dass die EG als Ergebnis ihrer eigenen Einschätzung beim zuständigen WTO-Schiedsgericht für die Umsetzung einen Zeitraum von 15 Monaten beantragt hatte, der ihr von dem Schiedsgericht auch gewährt wurde, nicht jedoch ohne dessen Hinweis, dass eine Befolgung der DSB-Entscheidung nicht mit der Anfertigung weiterer Studien vereinbar sei.902 Damit haben die Gemeinschaftsorgane selber signalisiert, innerhalb dieses Zeitraums ihre Verordnungen anpassen zu wollen. Wollte man an dieser Stelle gegen derartige Überlegungen erneut das Argument des zu wahrenden Handlungsspielraums der Legislativ- und Exekutivorgane bei der Umsetzung der DSB-Entscheidung ins Feld führen,903 kann auf die obigen Erkenntnisse zurückgegriffen werden: zwar spricht das DSU auch nach Erlass der DSB-Entscheidungen der unterlegenen Partei ausdrücklich einen verfahrensrechtlichen Handlungsspielraum zu, in Verhandlungen mit den beschwerdeführenden Parteien und damit im Wege der Gewährung gegenseitiger Zugeständnisse eine Lösung herbeizuführen.904 Allerdings zielt der Sekundäranspruch aufgrund seiner Wesensverschiedenheit von der Nichtigkeitsklage nicht darauf ab, auf Primärebene Rechtsfolgen herbeizuführen. Vielmehr bleibt der Bestand der gemeinschaftlichen Rechtsakte davon unberührt und liquidiert den Schaden auf Sekundärrechtsebene. Darüber hinaus ist entscheidend, dass selbst eine nach Umsetzungsfrist mit den anderen Staaten erzielte Lösung mit den WTO-Vorschriften materiell in Einklang stehen muss und dass die Pflicht, einen materiell WTO-konformen Rechtszustand herbeizuführen, mit Ablauf der Frist ver900
Anders allerdings Schoißwohl, ZEuS 2001, 716. GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 106; anders hingegen Weiß, EuR 2005, 293, der eine Rechtsverletzung verneint und den Ansatz des Gerichtshofs zur Bestimmung der qualifizierten Rechtsverletzung bei Nichtumsetzung der Richtlinie nicht für übertragbar hält. 902 WT/DS26/15, WT/DS48/13, EC – Hormones, Bericht des Schiedsrichters vom 29.5.1998, Rn. 39. 903 So Schoißwohl, ZEuS 2001, 716 mit Hinweis auf die Auffassung des Gerichtshofs in Rs. C-149/96, Portugal, Slg. 1999, I-8395, Rn. 35 ff.; ähnlich Weiß, EuR 2005, 293. 904 Dabei lässt Art. 22 (8) DSU offen, worin diese Lösungen bestehen können. Die Vereinbarung einer Entschädigung dürfte damit aber nicht gemeint sein, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 2 des Art. 22 (8) DSU ergibt. 901
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bindlich geworden ist – anders als die Frage, „wie“ dieser Zustand erreicht werden muss. Demnach verbleibt der EG zur Umsetzung dieser materiellen Anforderungen nach Ablauf der Frist kein Handlungsspielraum. Angesichts dessen kann auch der Hinweis nicht überzeugen, die EG hätte auch die völkerrechtliche Option, Gegenmaßnahmen der obsiegenden Parteien in Kauf zu nehmen.905 Schließlich dürfte dann auch ein EG-Mitgliedstaat die Umsetzung einer Richtlinie unterlassen und sich einfach dem Sanktionsverfahren des Art. 228 II EGV unterwerfen, wenn er dies für die politisch vorzugswürdigere Alternative hielte. In beiden Fällen soll durch das Sanktionsverfahren die säumige Partei dazu veranlasst werden, ihr rechtswidriges Handeln abzustellen. Insofern wohnt diesem Argument wenig Überzeugungskraft inne. Zutreffenderweise ist damit der gleiche Maßstab wie im Falle der Untätigkeit des nationalen Gesetzgebers zugrunde zu legen, was die Beurteilung der Konstellation im Hormonstreit vereinfacht. Die Gemeinschaftsorgane haben über fünf Jahre verstreichen lassen, bevor sie die neue Richtlinie erlassen haben, welche die Vorgaben der Streitbeilegungsgremien umzusetzen beabsichtigt. Ob die wissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich den Bestimmungen des SPS-Übereinkommens genügen, wird gegenwärtig von einem Panel geklärt.906 Festzuhalten bleibt zum jetzigen Zeitpunkt, dass das Verhalten der EG aufgrund ihrer völligen Untätigkeit nach der Annahme des AB-Berichts durch den DSB das Erfordernis der qualifizierten Rechtsverletzung erfüllt. Doch selbst wenn man den verschärften Maßstab für die qualifizierte Rechtsverletzung bei Nichtumsetzung von Richtlinien wegen mangelnder Vergleichbarkeit der beiden Konstellationen ablehnen möchte, dürfte die jahrelang unterlassene Aufhebung des Importverbots der erweiterten Haftungsformel für die Schwere der Rechtsverletzung gerecht werden. Der angenommene Bericht des AB und die entsprechenden Äußerungen des WTO-Schiedsgerichts haben die Unvereinbarkeit des Einfuhrverbotes für hormonbehandeltes Fleisch mit den Vorschriften des SPS-Übereinkommens hinreichend bestimmt benannt, bieten also keine Grundlage für die Annahme eines Ermessensspielraums darüber, ob der Rechtsverstoß abgestellt werden muss oder mögliche andere WTO-konforme Rechtszustände bestehen. Hält man sich gleichzeitig vor Augen, dass die Genehmigung der Ge905
Vgl. Schoißwohl, ZEuS 2001, 716. Auf Antrag der EG wurde vom DSB am 17.2.2005 ein Panel errichtet, der prüfen soll, ob die Aufrechterhaltung der Gegenmaßnahmen nach der Verabschiedung der Richtlinie Nr. 2003/74/EG noch gerechtfertigt ist. Vgl. WT/DS320/8, US – Continued Suspension of Obligations in the EC – Hormones Dispute; und gegenüber Kanada WT/DS321/8. Das Panel hat angekündigt, nicht vor Oktober 2006 eine Entscheidung treffen zu können. 906
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genmaßnahmen durch den DSB bereits am 12.7.1999 erfolgte und die Strafzölle bis heute erhoben werden, muss angesichts der fortlaufenden Schäden, denen europäische Unternehmen von diesem Zeitpunkt an ausgesetzt waren, die Weigerung der EG in den Bereich der vorsätzlichen Weigerung zu WTO-konformen Handeln gerückt werden.
III. Auswirkungen des Rechtsverstoßes Zur Sprache gekommen ist bereits, dass der EuGH den Umfang der Auswirkungen der Rechtsverletzung zu bestimmen sucht, zum einen in der Betroffenheit einer begrenzten und klar umrissenen Gruppe von Markteilnehmern907 und zum anderen in der Unvorhersehbarkeit des Schadens,908 welcher außerhalb des marktüblichen wirtschaftlichen Risikos liegen müsse.909 Diese Ausführungen des Gerichtshofs lassen erkennen, dass bei der Bestimmung einer qualifizierten Rechtsverletzung auch Sonderopfererwägungen ausschlaggebend sind.910 Sie entsprechen im Rahmen der Haftung für rechtmäßiges Handeln dem Erfordernis eines besonderen und außergewöhnlichen Schadens.911 Wenngleich die Anwendung des Sonderopfergedankens in der Haftung für rechtswidriges Verhalten der Gemeinschaft auf Kritik gestoßen ist,912 hat die Rechtsprechung durch die Kriterien des abgegrenzten Personenkreises und des Zumutbarkeitskorrektivs bislang daran festgehalten. Zumindest für die Prüfung der qualifizierten Rechtsverletzung im Hormonstreit, für die die Anwendung eines der Staatshaftung bei Nichtumsetzung von Richtlinien entnommenen Haftungsmaßstabs befürwortet wurde, könnten Zweifel daran bestehen, ob darüber hinaus überhaupt noch die im Rahmen der Gemeinschaftshaftung zur Bestimmung der Auswirkungen des Rechtsverstoßes angestellten Sonderopfererwägungen angewendet werden sollten. Denn im Unterschied zur Gemeinschaftshaftung finden Sonder907 EuGH, Rs. 238/78, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, Rn. 12; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 16. 908 In einigen Urteilen stellt der EuGH gerade auf die Unvorhersehbarkeit des üblicherweise zu tragenden Risikos ab, z. B. EuGH, Rs. 59/83, Biovilac, Slg. 1984, 4057, Rn. 29; Rs. 50/86, Grands Moulins de Paris, Slg. 1987, 4833, Rn. 21. 909 EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 17. 910 Vgl. hierzu ausführlich Schoißwohl, Staatshaftung, 384. Dies hat das EuG nun auch in einer jüngeren Entscheidung bestätigt, in der es sich der Frage einer Haftung für rechtmäßiges Handeln gewidmet hat. Vgl. EuG, Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Urteil vom 14.12.2005, Rn. 157 ff., noch nicht veröffentlicht. 911 Seinen Ursprung dürfte dieses Erfordernis in der Eigenart der französischen sans faute-Haftung des Staates haben. 912 Fuß, in: FS für von der Heydte, 182; Herdegen, Haftung, 129; GA Capotorti in verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15, und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1234.
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opfererwägungen in der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung keine Berücksichtigung.913 Dies erklärt auch, dass dort im Rahmen der nicht fristgemäßen Umsetzung von Richtlinien keine Differenzierung nach Schwere und Auswirkungen des Rechtsverstoßes vorgenommen wird, sondern dass die bloße Untätigkeit trotz Umsetzungsverpflichtung genügt. Allerdings sollte hier von Sonderopfererwägungen nicht abgewichen werden, obwohl die Anwendung des Haftungsmaßstabes aus der Staatshaftung bei Nichtumsetzung von Richtlinien befürwortet wurde. Denn die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung im Recht der Gemeinschaftshaftung gibt dem Gemeinschaftsrichter ein Instrument der Risikozuweisung an die Hand, mit dessen Hilfe eine Eingrenzung sowohl hinsichtlich potentiell anspruchsberechtigter Personen als auch hinsichtlich haftpflichtrechtlich relevanter Risiken erfolgen kann.914 Dabei sollte dieses haftungseingrenzende Kriterium gerade bei allgemeinen Rechtsakten zur Anwendung kommen, wenngleich in der Staatshaftung bislang kein Äquivalent existiert. Dafür lassen sich neben der effektiven Instrumentalisierung dieses Kriteriums zur Risikozuweisung auch rechtsvergleichende Argumente anführen. Eine Haftpflicht für Gesetzgebungsakte ist ausschließlich in Frankreich und dort nur als Sonderopfertatbestand anerkannt. In Deutschland kommt eine Haftung für legislatives Unrecht hingegen mangels drittgerichteter Amtspflichtverletzung bei der Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenzen nicht in Betracht. Eine Haftpflicht für allgemeine Rechtsakte der Verwaltung wird entweder ganz, wie in Frankreich, oder zumindest auch, so in Deutschland, von Sonderopfererwägungen getragen.915 Schließlich spricht auch eine konsequente Durchsetzung des Grundsatzes der Parallelität der Haftungsregime dafür, die Haftungsvoraussetzungen nicht voneinander abweichen zu lassen. Sofern eine Haftpflicht für allgemeine Rechtsakte zur Beurteilung steht, ist kein Grund ersichtlich, warum die Voraussetzungen eines besonderen und außergewöhnlichen Schadens, wie sie in der Gemeinschaftshaftung Anwendung finden, nicht auch für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung gelten soll.916 Will 913 GA Tesauro in verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1100, Rn. 92 ff.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 9; Hidien, Staatshaftung, 64; kritisch dagegen Schoißwohl, Staatshaftung, 413 f.; für eine weitergehende Orientierung der Staatshaftung an der Rechtsprechung zur Gemeinschaftshaftung van Gerven, DE 1997/1998, 89 ff. 914 Schoißwohl, Staatshaftung, 412. 915 Schoißwohl, Staatshaftung, 412; ähnlich auch GA Léger in Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2596, Rn. 178 f., der sich dafür ausspricht, eine besondere Schadensqualifikation als Haftungsvoraussetzung zuzulassen, wenn diese Bestandteil einer nationalen Rechtsordnung, beispielsweise der französischen oder deutschen, sei. 916 Ebenso Tridimas, CMLR 2001, 329 f.; Schoißwohl, Staatshaftung, 412; gegensätzlicher Auffassung hingegen GA Tesauro in verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1100, Rn. 92 ff.
G. Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“
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man den Sonderopfererwägungen als Instrument der Risikozuweisung bei der Entscheidung über Haftpflichten für allgemeine Rechtsakte zum Durchbruch verhelfen, sollte dies auch im hiesigen Kontext Anwendung finden. Die Bestimmung der Auswirkungen des Rechtsverstoßes kann sich optimalerweise unter Berücksichtigung der Betroffenheit der Mitglieder der einzelnen Fallgruppen erschließen und bedarf im Grunde keiner Differenzierung nach der Art der Handelsstreitigkeiten. 1. Auswirkungen des Rechtsverstoßes auf die Angehörigen der Fallgruppe C Kontrovers dürfte zunächst die Beurteilung der Fallgruppe derjenigen aus der EG exportierenden Wirtschaftsteilnehmer sein, die in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in Folge der Strafzölle der USA – im Hormonund Bananenstreit gleichermaßen – beeinträchtigt sind. Von den USA sind in beiden Fällen nach der Genehmigung durch den DSB verschiedene Listen von Gemeinschaftsprodukten veröffentlicht worden, auf deren Einfuhr die USA einen 100%-igen Strafzoll erhoben haben.917 Im Zusammenhang mit der Haftung der EG für Embargoschäden918 ist zur Feststellung der qualifizierten Rechtsverletzung teilweise darauf abgestellt worden, inwieweit ein Embargo in der jeweiligen Situation vorhersehbar war und damit das betroffene Außenhandelsunternehmen auf eigenes Risiko handelte. Dabei wird die Erkennbarkeit eines Embargos mitunter bereits dann bejaht, wenn Handelsgeschäfte mit einer „politischen Krisenregion“ betrieben würden919 oder wenn eine wirtschaftliche Staatskrise bereits Anlass genug gebe, mit Sanktionen zu rechnen.920 Ohne auf mögliche Parallelen mit Embargomaßnahmen einzugehen, hat das EuG in einem jüngeren Urteil die Außergewöhnlichkeit des Schadens im Rahmen einer möglichen Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln verneint.921 Zur Entscheidung stand somit eben genau das Schicksal der Angehörigen der 917 USTR Office, Press Release 99-35, 9.4.1999, USTR Announces Final Product List in Bananas Dispute; USTR Offive, Press Release 99-60, 19.7.1999, USTR Announces Final Product List in Beef Hormones Dispute. 918 Siehe dazu Friese, Embargoschäden, passim; Mestmäcker/Engel, Embargo, passim. 919 Berger, RMC 1990, 616. 920 Graf von Westpfalen, DWiR 1992, 217 f. 921 Vgl. insoweit die in der Entscheidung identischen Urteile EuG, Rs. T-151/00, Le Laboratoire du Bain, Slg. 2005, II-23; Rs. T-301/00, Groupe Fremaux SA and Palais Royal Inc., Slg. 2005, II-25; Rs. T-320/00, CD Cartondruck GmbH & Co. KG, Slg. 2005, II-27; Rs. T-383/00, Beamglow Ltd, Slg. 2005, II-5459; Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
hier diskutierten Fallgruppe C. Unter Bezugnahme auf sein grundlegendes Urteil zur Gemeinschaftshaftung für rechtmäßiges Handeln in Dorsch Consult sieht das EuG die Außergewöhnlichkeit des Schadens dann als gegeben an, wenn die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, überschritten werden.922 Dabei stellt der EuGH unter anderem auf die Unvorhersehbarkeit des Schaden ab, die zumindest dann vorliegt, wenn sich gerade kein typisches sektorspezifisches Risiko verwirklicht hat.923 Das EuG ist allerdings der Auffassung, dass sich in den Strafzöllen ein handelstypisches Risiko verwirkliche. Denn die Erhebung von Strafzöllen als Konsequenz eines WTO-widrigen Verhaltens eines anderen WTO-Mitgliedstaates gehöre zu den Unwägbarkeiten des gegenwärtigen Systems des internationalen Handels.924 Darüber hinaus müsse ein Unternehmen auch deshalb mit möglichen Strafzöllen rechnen, weil sich aus den Vorschriften in Art. 22 III b) und c) des DSU ergebe, dass die Gegenmaßnahmen auch in anderen Wirtschaftsbereichen als dem, in dem der ursprüngliche WTO-widrige Akt aufgetreten ist, ergriffen werden können.925 Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen, da sie eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Natur der vom DSB autorisierten Gegenmaßnahmen vermissen lässt. Hervorzuheben ist nämlich, dass die Gegenmaßnahmen nicht etwa aus den typischen Marktrisiken des internationalen Handelsverkehrs resultieren, sondern einzig auf einen vertraglich vorgeschriebenen Mechanismus zur Rechtsdurchsetzung zurückzuführen sind.926 Die Zölle treffen die Unternehmen völlig unabhängig von den handelstypischen Unwägbarkeiten, da sie in diesen zwar ihren formalen Ursprung haben, die aber mit dem Wirtschaftsfluss des internationalen Handels in keinerlei Zusammenhang stehen. Danach dürfte es nicht im Bereich des Vorhersehbaren zu liegen, eine Aussage darüber zu treffen, für welche Handelsprodukte im internationalen Verkehr zwischen zwei oder mehreren Staaten eine hohe Wahrscheinlichkeit des Ergreifens protektionistischer Maßnahmen besteht. Dies schon deshalb nicht, weil die Opfer von Strafzöllen in überhaupt gar keinem Bezug stehen zu dem Wirtschaftsbereich, in dem die WTO-widrigen Handelsbarrieren ursprünglich errichtet wurden. Die Vorschriften des DSU legen zwar die rechtliche Grundlage einer möglichen 922 EuG, Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 202; Rs. T-184/95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, Rn. 83. 923 EuG, Rs. T-184/95, Dorsch Consult, Slg. 1998, II-667, Rn. 83 ff.; vgl. auch EuGH, Rs. 59/83, Biovilac (1984), 4057, Rn. 29; Rs. 50/86, Grands Moulins de Paris, Slg. 1987, 4833, Rn. 21. 924 EuG Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 205. 925 EuG Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 207. 926 Ähnlich Görgens, Haftung, 204.
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Betroffenheit durch Strafzölle auch in anderen Wirtschaftsbereichen, schaffen doch zugleich aber keine auf einer empirisch signifikanten Wahrscheinlichkeit beruhende Voraussehbarkeit. Hält man sich vor Augen, dass seit Bestehen der WTO nur einige wenige Fälle in die Phase von Strafzöllen eingetreten sind, wird man angesichts des enormen Umfangs internationaler Handelsaktivität wohl kaum behaupten können, dass eskalierende Handelskonflikte über ihre rein theoretische Möglichkeit hinaus für den einzelnen Unternehmer erkennbar wären. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es sich bei der Vorhersehbarkeit um ein subjektives Element handelt, das weniger von theoretischer Möglichkeit als vielmehr von lebensnaher Wahrscheinlichkeit bestimmt sein muss. Von den Unternehmen zu verlangen, eine Prognose darüber zu treffen, ob und in welchen Handelsbeziehungen die Gefahr einer vor der WTO ausgetragenen Handelsstreitigkeit besteht, wäre eine unzumutbare Aufgabe. Dass die zu sanktionierende Produktgruppe zuletzt ausgerechnet ihr Handelsprodukt enthält, ist rein zufällig und für den jeweiligen Wirtschaftsteilnehmer auf keinen Fall erkennbar.927 Dies gilt erst recht dann, wenn diese Unternehmen von rotierenden Handelssanktionen betroffen sind.928 Richtigerweise wird man deshalb davon ausgehen müssen, dass die Verhängung von Strafzöllen generell nicht zu jenen Risiken zählt, mit denen ein in der Gemeinschaft ansässiges und nach den USA exportierendes Unternehmen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zu rechnen hat.929 Schließlich ist auch das Kriterium der klar abgegrenzten Gruppe erfüllt, da die Strafzölle zeitlich limitiert lediglich auf die Einfuhr einzelner Produkte und Produktgruppen erhoben wurden, mittels derer sich die europäischen Importeure hinreichend bestimmt ermitteln lassen.930 2. Auswirkung der Rechtsverletzung auf die Wirtschaftsteilnehmer der Fallgruppe B Schließlich müsste man die Kriterien der Abgegrenztheit der betroffenen Gruppe und der Unvorhersehbarkeit des entstandenen Schadens auf die Angehörigen der Fallgruppe B übertragen können. Angesprochen sind damit diejenigen europäischen Marktteilnehmer, die aufgrund der protektionistischen Marktordnungen Nachteile erlitten haben. Problematisch dürfte sein, 927 Unter den im Bananenstreit sanktionierten Produkten fanden sich Waren wie Badesalz, Kunstoffhandtaschen, Filzpapier oder Baumwollbettwäsche. 928 Zur Problematik der sog. Carousel retaliation vgl. Stoll/Schorkopf, WTO, 174. 929 Schoißwohl, ZEuS 2001, 719. 930 Schoißwohl, ZEuS 2001, 719; Reinisch, EuZW 2000, 49.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
dass diese Nachteile faktisch nahezu alle im Bereich des Bananenhandels und des Fleischimports tätigen Unternehmen treffen. Dazu gehören beispielsweise jene Unternehmen, die vor Erlass der Bananenmarktverordnung Handel mit den günstigen Dollarbananen – also jenen lateinamerikanischen Drittlandsbananen, deren Import durch die Verordnung erschwert wurde – betrieben haben. Diese Unternehmen sahen sich unter den neuen Bedingungen gezwungen, ihren Import auf den Handel mit den weniger rentablen Gemeinschafts- oder AKP-Bananen umzustellen. Zu der Gruppe benachteiligter Importeure gehören die Kläger der vom EuG entschiedenen Rechtssachen Cordis Obst, Bocchi Food und T. Port. Eine ähnliche Situation stellt sich für die im Import von hormonbehandeltem Fleisch tätigen Unternehmen dar, zu denen auch die Biret International SA gehört, deren satzungsmäßiger Zweck der Handel mit verschiedenen Lebensmitteln, insbesondere Fleisch, ist, und der durch das Verbot der Einfuhr von hormonbehandeltem Fleisch ein Schaden entstanden ist. Allerdings zeigt sich, dass die geltendgemachten Nachteile nicht nur auf die im Importhandel tätigen Unternehmen beschränkt ist, sondern dass darüber hinausgehend auch nur mittelbar mit dem Importhandel in Verbindung stehende Unternehmen Nachteile erlitten haben. In solchen entfernteren Geschäftstätigkeiten war beispielsweise die Atlanta AG verwickelt, von der Schäden geltend gemacht wurden, die daraus resultierten, dass eine amerikanische Gesellschaft wegen der sich aus dem Vollzug der Bananenmarktordnung ergebenden Beschränkungen für die Einfuhr von Drittlandsbananen ihren Vertrag über das Chartern von drei Schiffen mit der Atlanta Handels- und Schifffahrts-GmbH vorzeitig gekündigt hatte und die Atlanta AG ihrerseits das vereinbarte Entgelt an den Schiffseigentümer weiterzahlen musste. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass der Kreis der betroffenen Unternehmen wesentlich weiter zu ziehen und keinesfalls beschränkt ist auf die Händler mit Bananen, die von der Verordnung unmittelbar betroffen sind, was im Ergebnis zu einer Ausuferung der Anzahl möglicher Anspruchsberechtigter führen würde. Gleichwohl könnte unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Gerichtshofs in Mulder, in der mehreren tausend Klägern im Zusammenhang mit der Milcherzeugerquotenregelung Schadensersatzleistungen zugesprochen wurden, die Unbeachtlichkeit der zahlenmäßigen Begrenztheit hergeleitet werden. Das Abrücken vom Kriterium einer überschaubaren Zahl geschädigter Marktteilnehmer in der Rechtssache Mulder sollte andererseits aber nicht den Schluss nahe legen, dass nunmehr das quantitative Kriterium völlig an Bedeutung verloren hat.931 Zu beachten ist nämlich, dass im Mulder-Verfahren trotz der hohen Anzahl der Geschädigten, die belastende Gemeinschaftsvorschrift „nur einen Teil“ der Milcherzeugungsbetriebe erfasste. Denn der EuGH hatte in 931
Wie hier auch Schoißwohl, ZEuS 2001, 716; Friese, Kompensation, 132.
G. Erfordernis der „hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung“
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Mulder Schadensersatz nur denjenigen Landwirten zugesprochen, die aufgrund einer Nichtvermarktungsverpflichtung im gewählten Referenzjahr keine Milch geliefert hatten und somit bei der Zuteilung einer Referenzmenge für lieferbare Milch unberücksichtigt blieben. Somit wurde hier nur ein Ausschnitt aus einer Berufsgruppe von der angegriffenen Regelung tangiert.932 Zutreffenderweise ist deshalb im Mulder-Urteil weniger von einer Wende als vielmehr von einer großzügigeren Klarstellung der bisherigen Rechtsprechung zu sprechen.933 Die Betroffenen mussten einen bestimmbaren Ausschnitt einer bestimmten Gruppe konstituieren, der gegenüber den anderen Mitgliedern der Gruppe durch den entstandenen Schaden eine Sonderstellung zukam. Weggefallen ist also das Erfordernis der quantitativen Begrenztheit der Opfergruppe, nicht jedoch dasjenige ihrer Abgrenzbarkeit von der Allgemeinheit nach objektiv feststehenden Merkmalen.934 Wie die oben aufgeführten Fälle deutlich werden lassen, kann bei der Fallgruppe B aber nicht davon gesprochen werden, dass sich die Gruppe der Geschädigten auf einen abgrenzbaren Teil der im Bananenimporthandel aktiven Unternehmen beschränken ließe. Eine klare Abgrenzung einer im Bananenmarkthandel tätigen Gruppe lässt sich nicht vornehmen, da sich die Nachteile praktisch auf alle im Bananenhandel involvierten Unternehmen und sogar auf solche, die mit diesem nur mittelbar in einer Geschäftstätigkeit stehen, auswirken.935 Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob bei der Fallgruppe B so wie bei den Opfern der Strafzölle der Schaden jenseits der Grenzen des allgemeinen Wirtschaftsrisikos liegt, was anzunehmen wäre, wenn er unvorhersehbar war und vom Geschädigten in die Unternehmensplanung nicht hätte einbezogen werden können.936 In diesem Zusammenhang geht der EuGH von der Prämisse aus, dass dem auf dem Gebiet der gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik aktiven Unternehmen abverlangt wird, in vernünftigen Grenzen gewisse schädliche Auswirkungen einer Rechtsvorschrift auf seine 932 Siehe die Schlussanträge von GA van Gerven in verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 28 f.; Haack, Haftung, 158. 933 Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 58; Friese, Haftung, 133; Schoißwohl, ZEuS 2001, 716. 934 EuGH, verb. Rs. T-195/94 und T-202/94, Quiller und Heusmann, Slg. 1997, I-2268, Rn. 66 ff. 935 So im Ergebnis auch Schoißwohl, ZEuS 2001, 716; Meng, in: FS für Rudolf, 92; bemerkenswert ist, dass GA Alber in seinen Schlussanträgen zu Biret zum Erfordernis der qualifizierten Rechtsverletzung überhaupt keine Stellung bezieht, sondern deren Vorliegen pauschal aufgrund der unmittelbaren Wirksamkeit der DSBEntscheidung zu bejahen scheint, vgl. GA Alber in Rs. C-93/02, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 120. 936 Berg, in: Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 49; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 13.
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Wirtschaftsinteressen hinzunehmen.937 Die Bestimmung des Zumutbaren unterliegt freilich erheblichen Wertungsspielräumen.938 Einen Anhaltspunkt zur Ermittlung des gewöhnlichen wirtschaftlichen Risikos lässt sich möglicherweise aus der Vorhersehbarkeit der Verabschiedung eines Rechtssetzungsaktes entnehmen.939 In der Schadensersatzklage Biovilac940 hatte der Schaden die Grenzen der typischen Risiken gerade nicht überschritten, weil die Firma Biovilac damit rechnen musste, dass bestimmte belastende Regelungen verabschiedet werden könnten. Entsprechende Vorschriften waren nur vorübergehend außer Kraft gesetzt worden, weil der Markt sich entspannt hatte.941 Dies lässt den Ansatz erkennen, dass man von einem Marktteilnehmer, der in einem stark reglementierten Markt tätig ist, verlangen kann, mit normativen Eingriffen zu rechnen und die daraus resultierenden Belastungen zu tragen. Betrachtet man die hier relevanten Märkte aus diesem Blickwinkel, lässt sich im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit Folgendes sagen: Der Handel mit Bananen wurde vor der Verabschiedung der EWG-Bananenmarktordnung von den Mitgliedstaaten individuell geregelt und zeichnete sich durch erhebliche Unterschiede in Präferenzhandel und Zollregime aus.942 Die Einigung auf ein einheitliches Einfuhrregime stellte sich angesichts divergierender Interessen als ein schwieriges Unterfangen heraus, in dem die Mitgliedstaaten auch über den Zeitpunkt der Neuregelung des Bananenmarktes hinaus konträre Positionen vertraten.943 Vor diesem Hintergrund darf der weitere Gang der gesetzgeberischen Tätigkeit auf dem Bananenmarkt durch die Gemeinschaftsorgane als eine konsequent fortgeführte Durchsetzung an Protektionismus orientierten Begehrlichkeiten einiger Mitgliedstaaten interpretiert werden, die sich auf Ebene der Gesetzgebung durchsetzen konnten gegenüber den auf Liberalisierung des Einfuhrregimes hinwirkenden Kräfte. Dass es im Verlauf des Anpassungsprozesses zu erheblichen Einschränkungen und interventionistischen Eingriffen in den Handel mit Bananen anderen Ursprungs als denen der Gemeinschaft oder den AKP-Staaten kommen würde, war daher für jedes marktkundige Unternehmen vorherzusehen. Dazu kommt, dass das legislative Tätigwerden durch die Gemeinschaftsorgane durch die rechtlichen Rahmenbedingungen 937
EuGH, verb. Rs. 194 bis 206/83, Asteris, Slg. 1985, 2815, Rn. 22. Albers, Haftung, 44. 939 So ausdrücklich GA van Gerven in seinen Schlussanträgen zu verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 18; in diesem Ansatz verschafft sich ein im Vertrauensschutz wurzelnder Gedanke Ausdruck. 940 EuGH, Rs. 59/83, Biovilac, Slg. 1984, 4057, Rn. 17 941 EuGH, Rs. 59/83, Biovilac, Slg. 1984, 4057, Rn. 28. 942 Vranes, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 1 ff. 943 Siehe dazu die Klage Deutschlands vor dem EuGH, mit der die Bananenmarktordnung zu Fall gebracht werden sollte, EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/ Rat, Slg. 1994, I-4973. 938
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am jeweiligen Markt gedeckt war und im Hinblick auf die Kompetenzen der EG im Bereich des Marktordnungsrechts wohl seit langem vorhersehbar gewesen ist. Auch auf dem Markt für den Handel und die Einfuhr mit hormonbehandeltem Fleisch konnten sich die Marktteilnehmer hinsichtlich der seit Jahren üblichen einfuhrbeschränkenden Praxis auf das wirtschaftliche Risiko eines Einfuhrverbotes einstellen. Bereits die Richtlinie 81/602/EWG des Rates vom 31.7.1982 sah ein Verbot der Verwendung von Stoffen hormonaler Wirkung vor. Die am 7.3.1988 verabschiedete Richtlinie 88/147/EWG untersagte daraufhin auch die Einfuhr von hormonbehandelten Nutztieren aus Drittstaaten. Die vor den Streitbeilegungsgremien der WTO angegriffene Richtlinie 96/22/EG vom 29.4.1996 erhielt dieses Verbot im Grunde nur aufrecht. Insofern sahen sich die Importeure von Fleisch schon seit Ende der 80er Jahre mit dem Einfuhrverbot konfrontiert. Im Einklang mit derartigen Überlegungen hat das EuG für Vorschriften zur Einfuhr hormonbehandelten Rindfleisches entschieden, dass die Wirtschaftsteilnehmer sich nicht auf eine uneingeschränkte Einfuhr verlassen durften, da das Einfuhrverbot schon seit 1981 in Kraft stand und auch die Verhandlungen im Rahmen der WTO nicht die Qualität einer Zusicherung zur zukünftigen Änderung des Einfuhrregimes habe.944 Ein unvorhersehbares Wirtschaftsrisiko dürfte sich in der streitigen Richtlinie also nicht manifestiert haben. Insofern mussten die möglichen Nachteile, die aus der Wahrnehmung gemeinschaftsrechtlicher Gesetzgebungskompetenzen resultieren konnten, als Risiken eingestuft werden, die dem Handel mit diesen Produkten am Gemeinschaftsmarkt innewohnen.945 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass bei der Prüfung der Auswirkungen der Rechtsverletzung zur Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klagen eine Differenzierung zwischen den Fallgruppen geboten ist. Für die Angehörigen der von den Strafzöllen betroffenen Exporteure (Fallgruppe C) kann sowohl hinsichtlich der Schwere der Rechtsverletzung als auch aufgrund der Auswirkungen des Verstoßes eine hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung angenommen werden. Anders stellt sich die Lage nach den obigen Ausführungen für den Kreis derjenigen Marktbeteiligten dar, denen anderweitig Nachteile aus den WTO-widrigen Verordnungen über die Einfuhr von Bananen und von hormonbehandeltem Fleisch entstanden sind (Fallgruppe B). In ihrem Fall mangelt es an der erforderlichen Abgrenzbarkeit der betroffenen Gruppe und der Unvorhersehbarkeit des wirtschaftlichen Risikos.
944 EuG, Rs. T-210/00, Biret, Slg. 2002, Rn. 60, 62; so auch bereits der EuGH in C-331/88, Fedesa, Slg. 1990, I-4023, Rn. 10. 945 Schoißwohl, ZEuS 2001, 727; ähnlich Meng, in: FS für Rudolf, 92.
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IV. Fazit Die Haftung der Gemeinschaft verlangt nach ständiger Rechtsprechung eine „hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der Einzelnen dienenden Rechtsnorm“. Trotz der Bestimmung der maßgeblichen Voraussetzungen im Wege der Einzelfalljurisprudenz haben sich in der Rechtsprechung die Kriterien der Schwere der Rechtsverletzung einerseits und der Auswirkungen der Rechtsverletzung andererseits allgemein herauskristallisiert. Zur Feststellung der Schwere des Rechtsverstoßes hat der EuGH den Aspekt der besonderen Bedeutung der verletzten Schutznorm sowie jenen des unannehmbaren, d.h. unentschuldbaren Normverstoßes, entwickelt, der jedenfalls dann angenommen werden kann, wenn das handelnde Organ sein Ermessen in missbräuchlicher Weise ausgeübt hat. Hiernach werden beispielsweise das Maß an Klarheit und Bestimmtheit der verletzten Vorschrift, der eingeräumte Ermessensspielraum, die Vertretbarkeit eines Rechtsirrtums und die Vorsätzlichkeit der Rechtsverletzung berücksichtigt. Angesichts ihrer Verweigerungshaltung bei der Umsetzung von DSB-Entscheidungen ist für den Bananenstreit ein offensichtliches Auseinanderfallen von Verhalten und verbindlicher Empfehlung nicht von der Hand zu weisen, so dass im Ergebnis die Rechtsverletzung als hinreichend schwer eingestuft werden muss, zumal das Gebotene klar vorgezeichnet war und die EG Organe die Vorgaben des AB-Berichts eindeutig ignoriert haben. Anders als im Bananenstreit hat die EG im Hormonstreit über einen Zeitraum von über fünf Jahren überhaupt keinen Versuch unternommen, ihre Einfuhrregelungen mit der DSB-Entscheidung in Einklang zu bringen. Dabei sprechen gute Gründe dafür, den bei der Nichtumsetzung von Richtlinien verschärften Haftungsmaßstab auch auf die hiesige Konstellation zu übertragen. Die völlige Untätigkeit der Gemeinschaft führt demnach automatisch zur Annahme einer hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung. Die Auswirkungen der Rechtsverletzung, die der EuGH zum einen in der Betroffenheit einer begrenzten und klar umrissenen Gruppe von Markteilnehmern und zum anderen in der Unvorhersehbarkeit des Schadens verwirklicht sieht, kann für die Fallgruppe C bejaht werden, weil die Verhängung von Strafzöllen generell nicht zu jenen Risiken zählt, mit denen ein in der Gemeinschaft ansässiges und nach den USA exportierendes Unternehmen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zu rechnen hat. Auch ist für solche Fälle das Kriterium der klar abgegrenzten Gruppe Betroffener erfüllt, da die Strafzölle zeitlich limitiert lediglich auf die Einfuhr einzelner Produkte und Produktgruppen erhoben wurden, mittels derer sich die europäischen Importeure hinreichend bestimmt ermitteln lassen.
H. Schaden
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Als problematisch erweist sich hingegen die Beurteilung der Auswirkungen der Rechtsverletzung für die Fallgruppe B, da sich hier gezeigt hat, dass die geltendgemachten Nachteile nicht nur auf die im Importhandel tätigen Unternehmen beschränkt sind, sondern dass darüber hinausgehend auch nur mittelbar mit dem Importhandel in Verbindung stehende Unternehmen Nachteile erlitten haben. Zumindest was die hier diskutierten Fälle der Fallgruppe B im Bananen- und im Hormonstreit angeht, dürfte die Abgrenzbarkeit der betroffenen Gruppe daran scheitern, dass sich die Nachteile praktisch auf alle im Bananenhandel involvierten Unternehmen und sogar auf solche, die mit diesem nur mittelbar in einer Geschäftstätigkeit stehen, auswirken. Hinzu kommt, dass bei der Fallgruppe B die eingetretenen Nachteile nicht innerhalb der Grenzen des allgemeinen Wirtschaftsrisikos liegen, da sie vorhersehbar waren und vom Geschädigten in die Unternehmensplanung hätten einbezogen werden können. Das Erfordernis der qualifizierten Rechtsverletzung bereitet somit zumindest für die Opfer von Strafzöllen (Fallgruppe C) kein unüberwindbares Hindernis. Inwieweit dies auch für die Fallgruppe B gilt, wird zukünftig von den Umständen des konkreten Handelsstreits abhängen. Allerdings lässt die Analyse der zwei bisherigen Handelsstreitigkeiten vermuten, dass die hohen Anforderungen an die qualifizierte Rechtsverletzung nur schwer zu erfüllen sein werden.
H. Schaden Der Ersatzanspruch nach Art. 235, 288 II EGV setzt weiter das Vorliegen eines Schadens voraus. Mangels eines Hinweises im EGV auf die Voraussetzungen, die daran geknüpft sind, hat der Gerichtshof eine Konkretisierung dieses Merkmals vorgenommen.946 In seiner Rechtsprechung entwickelt er einen weiten Schadensbegriff, nach dem jeder Nachteil, den der Betroffene durch ein bestimmtes Ereignis an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen rechtlich geschützten Gütern erleidet, grundsätzlich umfasst sein soll.947 Dazu gehört auch entgangener Gewinn948 unter der Voraussetzung, dass dieser genügend substantiiert ist. An ausreichender Substantiierung fehlt es immer dann, wenn die Geschäfte lediglich beabsichtigt gewesen sind, nicht jedoch, wenn diese bloß noch keine konkrete Gestalt angenommen haben.949 In diesem Sinne genügte es in der Rechtssache Kampffmeyer I zur Ersatzfähigkeit des Schadens nicht, dass die geschädigten Importeure Einfuhrlizenzen beantragt hatten oder Einfuhrgeschäfte be946 947 948 949
Instruktiv insoweit Toth, in: Heukels/McDonnell, Damages, 192. EuGH, Rs. 40/75, Produits Bertrand, Slg. 1976, 1, Rn. 4 ff. EuGH, Rs. 238/76, Ireks-Arkady, Slg. 1979, 2955, Rn. 13 f. EuGH, verb. Rs. 5, 7 und 13–24/66, Kampffmeyer, Slg. 1967, 359.
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absichtigten. Darüber hinaus wäre nämlich das Vorliegen abgeschlossener Kaufverträge erforderlich gewesen. Insofern ließe sich die Frage aufwerfen, ob auch solche Geschäfte, die wegen des punitiv hohen Strafzolls von 100% gar nicht erst zustande gekommen sind, tatsächlich einen Schaden konstituieren können. Immerhin handelt es sich bei diesen Geschäften um entgangenen Gewinn, aus dem nicht oder nur weniger profitabel zustande gekommenen Exportgeschäft. In solchen Fällen könnte man bei einer restriktiven Auslegung diese Form des entgangenen Gewinns als bloß beabsichtigte Ausfuhrgeschäfte interpretieren.950 Andererseits hat der Gerichtshof bereits Verluste von Absatzmöglichkeiten als Resultat einer Beihilfengewährung an Konkurrenten als entschädigungsfähigen Schaden anerkannt.951 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Erhebung von Strafzöllen als Benachteiligung europäischer Exporteure positive Umsatzeffekte zugunsten anderer ausländischer Exporteure erzeugt, wenngleich es sich dabei nicht um Beihilfen handelt. Der diskriminierende Strafzoll belastet die europäischen Exporteure und versetzt diese in eine im Vergleich zu anderen Konkurrenten ungünstigere Position, die sich unmittelbar auf ihre Absatzchancen auswirkt. Darüber hinaus hat der EuGH bereits bloße Einbußen durch eine Wettbewerbsveränderung aufgrund einer Agrarmarktregelung als einen entschädigungsfähigen Schaden anerkannt.952 Dass das gemeinschaftliche Einfuhrregime eine wettbewerbsverzerrende Wirkung nicht nur für innerhalb der EG tätige Importeure, sondern auch für die infolge der Strafzölle benachteiligten Exporteure zur Konsequenz hat, dürfte außer Frage stehen. Zutreffend dürfte es daher sein, auf die Absatzeinbußen infolge der WTOwidrigen Wettbewerbsveränderung abzustellen.953 Die Ermittlung des Schadens ließe sich dann in Entsprechung des Mulder-Urteils aus der Differenz zwischen den Einkünften, die die Kläger bei normalem Lauf der Dinge während des betroffenen Zeitraums erzielt hätte, und den Einkünften, die er während desselben Zeitraums tatsächlich erzielt hat, vornehmen.954 Im Einklang damit hat das EuG in einem jüngeren Urteil einen Schaden bei Angehörigen des Fallgruppe C bejaht, da die von der Kommission vorgelegten Statistiken zeigten, dass die Ausfuhren der Produkte der Kläger in die USA erheblich zurückgegangen seien.955 950
Dazu Reinisch, EuZW 2000, 50; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord,
270. 951 EuGH, Rs. 40/75, Produits Bertrand, Slg. 1976, 1, Rn. 9 ff.; vgl. auch Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 71. 952 EuGH, verb. Rs. 63–69/72, Werhahn, Slg. 1973, 1229, Rn. 2. 953 So auch Reinisch, EuZW 2000, 50; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 270. 954 EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 26 ff. 955 EuG, Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 169.
I. Kausalität
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Die Schäden der Fallgruppe B können hingegen aus anderen Erwägungen heraus nicht geltend gemacht werden. Nach ständiger Rechtsprechung müssen Nachteile bei „normativem Unrecht“ nur dann ersetzt werden, wenn die Grenzen der Risiken, die der Tätigkeit in einem bestimmten Sektor innewohnen, überschritten wurden.956 Vorhersehbare Schäden können nicht im Haftungsverfahren nach Art. 288 EGV eingeklagt werden.957 Folglich kann hier auf die oben angestellten Erwägungen zum Sonderopfergedanken zurückgegriffen werden. Danach sind die Schäden der direkt Betroffenen (Fallgruppe B) durchaus als Risiken einzustufen, die dem Handel mit diesen Produkten am Gemeinschaftsmarkt innewohnen. Anders hingegen verhält es sich bei den Schäden der Opfer von Strafzöllen: ihre Einbußen gehören nicht zu den Risiken, mit denen ein in der Gemeinschaft ansässiges und nach den USA exportierendes Unternehmen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zu rechnen hat.
I. Kausalität Zwischen dem Schaden und dem fehlerhaften Verhalten eines Organs der EG muss ein „ursächlicher Zusammenhang“ bestehen.958 Primäre Voraussetzung dafür ist das Setzen einer conditio sine qua non für den Eintritt des Schadens, der die Anknüpfung einer Haftung überhaupt rechtfertigt.959 Darüber hinaus verfolgt der EuGH weitergehend einen restriktiveren Kausalitätsbegriff, dessen Bedeutungsgehalt nach allgemeiner Auffassung von Überlegungen der Adäquanztheorie geprägt ist.960 Nach dieser Lehre wird die Zurechnung auf diejenigen Schäden begrenzt, welche die rechtswidrige Handlung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge herbeizuführen geeignet ist.961 In Betracht kommen für eine haftungsbegründende Rechtsverletzung nur solche Ursachen, die ihrer allgemeinen Natur nach nicht völlig ungeeignet erscheinen, einen derartigen Schaden herbeizuführen, und die nicht bloß durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen zur Bedingung des Schadens wurden.962 956 EuGH, Rs. 59/83, Biovilac, Slg. 1984, 4057, Rn. 28 f.; Rs. 62/83, EXIMO, Slg. 1984, 2295; Rn. 22; Rs. 267/82, Developpement SA, Slg. 1986, 1907, Rn. 33. 957 EuGH, Rs. 50/86, Grands Moulins, Slg. 1987, 4833, Rn. 21. 958 EuGH, Rs. C-55/90, Cato, Slg. 1992, I-2533, Rn. 18. 959 EuG, Rs. T-572/93, Odigitria, Slg. 1995, II-2025, Rn. 65; EuGH, Rs. C-358/90, Compagnia Italiana Alcool, Slg. 1992, I-2457, Rn. 47; Rs. 40/75, Produits Betrand, Slg. 1976, 9; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 107. 960 Berg, in: Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 62; Reinisch, EuZW 2000, 50 f.; Diehr, Staatshaftungsanspruch, 196. 961 Ossenbühl, in: Rengeling, EUDUR I, Rn. 57. 962 Schoißwohl, Staatshaftung, 453.
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I. Die Adäquanz im Kausalverhältnis zwischen dem Verhalten der EG und den Schäden aufgrund der Strafzölle Für die einzelnen Betroffenenkreise bei WTO-Verletzungen durch die EG lässt sich zunächst unzweifelhaft feststellen, dass die Kausalität für die direkt Betroffenen (Fallgruppe B) vorliegt, da sie als Händler, die im europäischen Markt tätig sind, die Beeinträchtigung ihrer Marktchancen als unmittelbare Folge des WTO-widrigen Einfuhrregimes erfahren.963 Weniger eindeutig ist die Situation bei den Opfern der Gegenmaßnahmen (Fallgruppe C). Sicherlich stellt auch für diese Betroffenen das Verhalten der EG eine conditio sine qua non für die Verhängung der Strafzölle dar, denn hätte die EG die DSB-Entscheidung fristgemäß umgesetzt, wäre es nicht zu der vom DSB autorisierten Auferlegung von Schutzzöllen gekommen und somit kein Schaden bei Gemeinschaftsexporteuren eingetreten. Allerdings ist der adäquate Kausalzusammenhang dann in Frage gestellt, wenn neben dem schadenskausalen Verhalten eines Gemeinschaftsorgans noch andere wesentliche Kausalitätseinflüsse nachweisbar sind.964 Dieses Problem ist im Falle der Geschädigten von Schutzmaßnahmen offensichtlich gegeben, denn der Schädigungsakt an sich geht unmittelbar von den staatlichen Organen der USA aus und stellt sich insofern nur als mittelbare Folge des rechtswidrigen Verhaltens der Gemeinschaftsorgane dar. Allerdings impliziert die Einschätzung und Gewichtung einzelner Ursachen im Rahmen der Adäquanztheorie eine Wertentscheidung,965 die von Erwägungen der Risikozuweisung geprägt ist. Darüber hinaus hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Dazwischentreten von Handlungen eines Mitgliedstaates mit eigenen kausalen Handlungen nicht unbedingt den Ausschluss einer Zurechnung zur Gemeinschaft rechtfertigt.966 Dies könnte nur dann bejaht werden, wenn die nationale Maßnahme an einem eigenständigen Fehler leidet und dieser ebenfalls kausal für den eingetretenen Schaden wäre.967 Das ist jedoch angesichts der vom DSB genehmigten und somit WTO-konformen Strafzöllen nicht so.968 Obwohl der eigentliche Schädigungsakt nicht von der EG, sondern den 963 Weiß, EuR 2005, 294 f.; Schoißwohl, ZEuS 2001, 719; insbesondere zum Hormonstreit GA Alber in seinen Schlussanträgen zu C-93/02 P, Biret, Slg. 2003, I-10497, Rn. 121 ff. 964 Smith/Woods, ICLQ 1997, 938 ff.; Toth, in: Heukels/McDonnell, Damages, 193 ff. 965 Schoißwohl, Staatshaftung, 453; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 106. 966 EuGH, Rs. 182/91, Forafrique, Slg. 1993, I-2161; Rs. 175/84, Krohn, Slg. 1986, 753, Rn. 18 f.; Berg, in: Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 64. 967 EuGH, verb. Rs. 89 und 91/86, CNTA, Slg. 1987, 3005, Rn. 18 ff. 968 Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 271; Reinisch, EuZW 2000, 51.
I. Kausalität
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USA ausgeht, steht dieses Verhalten der USA doch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung durch die EG. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verhängung der Zölle durch die USA auf einem selbständigen Beschluss beruht hat, der nicht durch die vorangegangene Rechtsverletzung der Gemeinschaftsorgane bedingt und gerechtfertigt gewesen wäre. Auch war das Ergreifen von Gegenmaßnahmen für die EG vorhersehbar, da sie davon ausgehen musste, dass nach Ablauf der Umsetzungsfrist die USA die Autorisierung von Strafzöllen beim DSB beantragen würden.969 Strafzölle stellen sich angesichts der vom DSU ausdrücklich eingeräumten Möglichkeit zur Aussetzung von Zugeständnissen und angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der Handlungsstreitigkeit zwischen der EG und den USA sogar als logische Entwicklung dar.970 Zu demselben Ergebnis kommt nunmehr auch das EuG. In einem jüngeren Urteil, das das Schicksal der Fallgruppe C zum Gegenstand hatte, kam es zu dem Schluss, dass die Vergeltungsmaßnahmen eine objektive Konsequenz des WTO-widrigen Bananenmarktregimes gewesen seien, die im Einklang mit dem vorhersehbaren Mechanismus des WTO-Streitbeilegungsverfahrens zustande gekommen seien.971 Aus diesem Grund würden die Sanktionen der USA die Kausalkette nicht unterbrechen, so dass sich die WTO-Rechtsverletzung der EG als unmittelbarer Grund für den Schaden der von den Vergeltungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen darstelle.972
II. Kein Haftungsausschluss wegen wettbewerbsverzerrender Auswirkung der Schadensersatzpflicht Namentlich Weiß hat vorgebracht, dass die Haftung trotz Kausalzusammenhangs ausgeschlossen werden müsse, weil die EG den Sanktionen des Handelspartners ansonsten ihre Wirksamkeit nehmen würde.973 Denn durch interne Schadensersatzansprüche könnten die Wettbewerbsnachteile, wie sie durch die Gegenmaßnahmen intendiert sind, unterlaufen werden, weil die Wirkung der Strafzölle auf die Unternehmen durch die Entschädigung auf Gemeinschaftsebene egalisiert würde. In dieselbe Richtung weist auch sein Argument, die Gewährung von Schadensersatz könne eine mit dem WTORecht unvereinbare EG-Beihilfe darstellen, weil es sich gemäß Art. 1 und 2 969
Ebenso Thies, CMLR 2004, 1679 f.; Görgens, Haftung, 186. Schoißwohl, ZEuS 2001, 719 f.; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 696. 971 EuG Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 183. 972 EuG Rs. T-69/00, Fiamm SpA und Fiamm Technologies, Slg. 2005, II-5393, Rn. 185. 973 Weiß, EuR 2005, 295 f. 970
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
ÜSCM um eine direkte Leistung handeln könnte, die einen Vorteil herbeiführt und die spezifisch für bestimmte Wirtschaftskreise gilt. Die unzulässige Gewährung eines Vorteils sei darin zu suchen, dass dadurch eine Belastung ausgeglichen würde, die die Unternehmen nach WTO-Recht zu gewärtigen haben. Darüber hinaus käme der Schadensersatz als eine verbotene Exportsubvention nach Art. 3 ÜSCM in Betracht, weil sie an der Ausfuhrleistung anknüpfe und die Wirkung von Strafzöllen und damit der Einfuhrabgaben ausgleiche.974 Der von Weiß geführten Argumentation liegt ein konkretes teleologisches Verständnis der Gegenmaßnahmen nach dem DSU zugrunde. Danach verlange die Zweckmäßigkeit der Gegenmaßnahmen unter dem DSU, dass die Unternehmen die Nachteile, die aus den Gegenmaßnahmen resultieren, hinzunehmen haben, um die durch die Gegenmaßnahmen intendierte Besserstellung der Industrie des sanktionierenden Staates zu gewährleisten. Hieraus erklärt sich gleichwohl seine Forderung, dass Druck auf völkerrechtlicher Ebene nicht über interne Schadensersatzansprüche ausgeübt werden dürfe.975 Diese Sichtweise wird aber nicht nur der grundlegenden Zielsetzung des DSU nicht gerecht, sondern entzieht die Effektuierung des WTO-Rechts auch dem Bereich WTO-konformer Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts.976 Zutreffenderweise sollte aber die primäre Intention des DSU in Bezug genommen werden, die in erster Linie auf die Wiederherstellung eines WTO-konformen Rechtszustands gerichtet ist. Art. 3 (2) DSU regelt, dass das DSU dazu dient, die Rechte und Pflichten der Mitglieder aus den unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen zu bewahren. Daneben besteht nach Art. 3 (7) DSU das erste Ziel des DSU darin, die betroffene Maßnahme zurückzunehmen. Gewahrt man diese Zielsetzung, sollte es maßgeblich darum gehen, durch die Aussetzung von Zugeständnissen nach Art. 22 (6) DSU Druck auf die Vertragspartei auszuüben, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Bestätigung findet dies in Art. 22 (8) DSU, der die Einstellung der Gegenmaßnahmen verlangt, sobald der DSB-Entscheidung Folge geleistet wurde. Will man dieser Zielsetzung nachkommen, erscheint die Anerkennung einer Schadensersatzpflicht durchaus zweckmäßig, weil es dann gerade der die WTO-Verletzung verursachende und aufrechterhaltende Staat ist, den die Aussetzung von Zugeständnissen trifft. Verbleibt der eigentliche monetäre Schaden bei der EG, ohne dass diese die Nachteile auf die Unternehmen abwälzen kann, dient dies der Zielsetzung des DSU. Eine Wahrung der 974
Schließlich könne der Schadensersatz eine anfechtbare Subvention nach Art. 3 ÜSCM bilden, wenn dadurch die Vorteile aus dem DSU geschmälert würden (Art. 5 (b) ÜSCM analog). 975 Weiß, EuR 2005, 295. 976 Stattdessen fordert Weiß eine einschränkende Auslegung des Haftungsrechts nach Art. 288 EGV, vgl. Weiß, EuR 2005, 295.
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Rechte anderer Mitgliedstaaten wird dann also wesentlich wahrscheinlicher, wenn nicht das Unternehmen, sondern die EG selbst die Belastung trägt, weil das schädigende Verhalten nicht vom privaten Wirtschaftsteilnehmer, sondern der EG ausgeht. Letztlich wird auf diesem Weg nur das Effektivitätsprinzip verwirklicht. Es ist bereits ausgeführt worden, dass auch bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht dem effet utile des integrierten Vertragsvölkerrechts Rechnung getragen werden muss. Dabei drängt das Effektivitätsprinzip auf die umfassende Durchsetzung des materiellen Rechts. Mit dieser völkerrechtsfreundlichen Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzsystems wird auf die Verwirklichung, der auf die Erzielung eines WTO-konformen Rechtszustands gerichteten Ziele des DSU hingewirkt. Auf der Grundlage dessen kann auch keine Verletzung des ÜSCM ausgemacht werden, denn durch den Schadensersatz würde kein Vorteil i. S. v. Art. 1 b) ÜSCM gewährt werden, weil das DSU nicht die Benachteiligung des konkreten Unternehmens bezweckt, sondern wie gesehen die EG als Rechtsverletzer treffen will.977
J. Die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch I. Einleitung Als weiterer Anknüpfungspunkt für die haftungsbegründende Verletzung einer Schutznorm ist ein Verstoß gegen gemeinschaftliche Grundrechte und Rechtsgrundsätze in Betracht zu ziehen. Eine Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten könnte die Rechtswidrigkeit der EG-Verordnung begründen. Anders als bei der Anknüpfung an eine Verletzung des Art. 300 VII EGV bei der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen könnte der Wirtschaftsteilnehmer im Falle einer Grundrechtsverletzung den entsprechenden EG-Sekundärrechtsakt direkt unter Hinweis auf einen Grundrechtsverstoß anfechten.978 Somit wäre jenseits der Erfolgsaussichten des Sekundärrechtsschutzes ebenso eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Nichtigkeitsklage gegeben, da der Mangel unmittelbarer Wirkung des WTO-Rechts überwunden werden könnte. Folglich ist die Untersuchung einer Grundrechtsverletzung nicht auf die Erfolgsaussichten einer Schadensersatzklage beschränkt, sondern wäre bejahendenfalls von gleicher Bedeutung für den Primärrechtsschutz. 977 Handelt es sich somit nicht um eine Subvention i. S. v. Art. 1 ÜSCM, kommt auch die Verbotsregelung des Art. 3 ÜSCM oder die Anwendung des Art. 5 b) ÜSCM nicht in Betracht. 978 Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 697.
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
Hervorzuheben ist an dieser Stelle allerdings, dass insbesondere die Frage möglicher Grundrechtsverstöße durch die Bananenmarktordnung nicht zuletzt infolge des Urteils des Gerichtshofs in Deutschland/Rat, in dem Deutschland auf die Nichtigkeit der ersten Bananenmarktverordnung Nr.404/93 geklagt hatte, in der Literatur umfassend diskutiert wurde,979 und auch die deutschen Gerichte mit Blick auf die Wahrung eines grundrechtlichen Mindeststandards und eine Revisions- und Verwerfungskompetenz des BVerfG wegen Grundrechtsverletzungen beschäftigt hat.980 Aus dem Blickwinkel der Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen beschränkt sich die folgende Untersuchung auf die in den bisherigen WTOSchadensersatzklagen geltend gemachten Grundrechtsverstöße und deutet Möglichkeiten an, wie die Völkerrechtswidrigkeit der EG-Maßnahme in der Verhältnismäßigkeitsprüfung Niederschlag finden und für den Sekundärrechtsschutz fruchtbar gemacht werden kann.
II. Der Verstoß gegen Gemeinschaftsgrundrechte im Rahmen der Schadensersatzklage für WTO-Rechtsverletzungen 1. Die außenhandelsbezogenen Gemeinschaftsgrundrechte Angesichts der Beeinträchtigung außenhandelsbezogener Tätigkeiten auf Seiten der geschädigten Marktteilnehmer sollte der Schutzbereich eines Grundrechts betroffen sein, durch welches die Außenhandelsfreiheit eines Unternehmens geschützt wird. Da sich die Grundfreiheiten nur auf den gemeinschaftsinternen Markt beziehen und die Vorschriften über die gemeinsame Handelspolitik keine individualrechtsschützende Bestimmungen enthalten, kann sich ein solches Recht allenfalls aus den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und somit letztlich aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ableiten.981 In den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wird die Außenhandelsfreiheit über die Berufsund Eigentumsfreiheit geschützt.982 Entsprechend hat sich in der Rechtsprechung des EuGH kein eigenständiges Recht zur Außenhandelsfreiheit entwickelt, sondern schützt die Handelsfreiheit über die Berufs- und Ei979 Vgl. nur die Beiträge von Nettesheim, EuZW 1995, 107; Stein, EuZW 1998, 261; Schmid, NJW 1998, 190; Huber, EuZW 1997, 520; Hohmann, EWS 1995, 381; Everling, CMLR 1996, 412 ff.; Coppel/O’Neill, CMLR 1992, 691 f.; Kokott, AöR 1996, 599. 980 Vorlagebeschluss des VG Frankfurt, EuZW 1997, 186 ff.; das BVerfG hat die Vorlage allerdings unter Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung zurückgewiesen, BVerfGE 102, 147 ff. 981 Krajewski, Verfassungsperspektiven, 167. 982 Stoll, ZaöRV 1997, 91.
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gentumsfreiheit.983 Neben der Handelsfreiheit hat der EuGH als besondere Ausformungen (vor allem) der Berufsfreiheit für die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit984 und die Wettbewerbsfreiheit985 eigenständige Schutzbereiche entwickelt. Die Gewährleistung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit findet auch in den Garantien der Grundrechts-Charta Niederschlag, die ausdrücklich das Recht der unternehmerischen Freiheit anerkennt (Art. 16 GRCh). Damit unterstreicht die Charta, die sich zukünftig in Teil II des Europäischen Verfassungsvertrages wieder finden soll, dass es bei der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit um eine eigenständige Gewährleistung und nicht nur um eine Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit handelt.986 Dabei zeigen die bei den Gemeinschaftsgerichten wegen WTO-Rechtsverletzungen erhobenen Schadensersatzklagen, dass die aufgezählten Grundrechte allesamt eine außenhandelsspezifische Dimension aufweisen können.987 Die Atlanta AG hatte sich in ihrer Schadensersatzklage auf die Verletzung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit berufen.988 T. Port machte in seiner Haftungsklage hingegen die grundrechtliche Eigentumsgarantie geltend.989 Die Unternehmen Bocchi und Chiquita sahen sich durch die Bananenmarktverordnungen in ihrem Recht auf freie Berufsausübung beschränkt.990 Neben Grundrechtsverletzungen haben die Kläger aber auch die Verletzung allgemeiner Rechtsgrundsätze ins Feld geführt. In der Rechtssache Biret hatte sich das von dem Einfuhrverbot betroffenen Importunternehmen auf die Verletzung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes berufen. Dieser Rechtsgrundsatz991 war bereits in der Haftungsklage Atlanta geltend gemacht worden.992 Die Atlanta AG hatte sich darüber hinaus in ihrer Klage auf den das Gemeinschaftsrecht tragenden Grundsatz des Diskriminierungsverbots gestützt.993 983 EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-491, Rn. 14; Rs. 240-83, Procureur de la République, Slg. 1985, 531, Rn. 9. 984 EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707, Rn. 62 f.; Rs. C-317/00 P, Invest Import, Slg. 2000, I-9541, Rn. 57. 985 EuGH, Rs. 240-83, Procureur de la République, Slg. 1985, 531, Rn. 15; Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn. 63. 986 Ruffert, in: Ehlers (Hg.), Grundrechte, § 16, Rn. 10; anders dagegen Schilling, EuGRZ 2000, 12. 987 Ebenso Epping, Aussenwirtschaftsfreiheit, 577. 988 EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1707, Rn. 62 f. 989 EuG, Rs. T-52/99, T. Port, Slg. 2001, II-981, Rn. 90 ff. 990 EuG, Rs. T-30/99, Bocchi Food, Slg. 2001, II-973, Rn. 80; Rs. T-19/01, Chiquita, Slg. 2005, II-315, Rn. 215 ff. 991 Dazu instruktiv Borchardt, EuGRZ 1988, 309 ff. 992 EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-7018, Rn. 11. 993 EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-7017, Rn. 10.
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2. Betonung des weiten Beurteilungsspielraumes bei der Beschränkung der Gemeinschaftsgrundrechte in den bisherigen WTO-Schadensersatzklagen Zu Beginn dieser Arbeit ist bereits festgestellt worden, dass die political question doctrine und mit ihr ein grundsätzlicher Ausschluss der gerichtlichen Überprüfbarkeit bei auswärtigen Akten im Allgemeinen und im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Haftung im Besonderen sich in der Rechtsprechung des EuGH nicht durchgesetzt hat.994 Zutreffenderweise sollte das Zugeständnis eines weiten Beurteilungsspielraumes als eine abgeschwächte Form des judicial restraint angesehen werden. Jedenfalls hat der Gerichtshof in den zu den Schadensersatzklagen wegen WTO-Rechtsverletzungen ergangenen Urteilen die Beschränkung gemeinschaftlicher Grundrechte und Rechtsprinzipien zugunsten eines nahezu unbegrenzten Entscheidungsspielraumes seitens der Gemeinschaftsorgane gewährt.995 Bei ihren diesbezüglichen Ausführungen rekurrieren die Gemeinschaftsgerichte zumindest bei den das Bananenregime betreffenden Klagen regelmäßig auf die umstrittenen Ausführungen des Gerichtshofs zur Beschränkung der Gemeinschaftsgrundrechte in dessen ersten Bananen-Urteil Deutschland/Rat.996 Obwohl auch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehöre, dem Wirtschaftsteilnehmer somit nicht willkürlich das Recht, seine Tätigkeit auszuüben, genommen werden dürfe, könne dieses im Rahmen der Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese dem Gemeinwohl dienlich seien und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen Eingriff darstellen, der die gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet.997 Dieselbe Formulierung verwendet das EuG auch für die Einschränkbarkeit der von der Firma Bocchi in deren Haftungsklage geltend gemachten Verletzung der Berufsfreiheit.998 Das EuG verweist auf das erste Bananen-Urteil des EuGH, in dem dieser feststellte, dass die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation und die dabei verfolgten Allgemeininteressen die Beschränkungen angemessen erscheinen und den Wesensgehalt des Rechts unangetastet ließen.999 Dem Einwand einer Missachtung der Eigentumsgarantie entgegnet das EuG, dass kein Unternehmen auf die Beibehaltung einer bestehenden 994
Siehe oben Teil 2 B. Vgl. dazu grundsätzlich von Bogdandy, in: Grabitz/von Bogdandy/Nettesheim, Außenwirtschaftsrecht, 74; Tomuschat, EuR 1990, 356; Kokott, AöR 1996, 608 f. 996 EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-7030, Rn. 46 f.; EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1730, Rn. 56; Rs. T-30/99, Bocchi Food, Slg. 2001, II-973, Rn. 81. 997 EuGH, Rs. 265/87, Schröder, Slg. 1989, 2237, Rn. 15; EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1730, Rn. 62. 998 EuG, Rs. T-30/99, Bocchi Food, Slg. 2001, II-973, Rn. 79 ff. 995
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Situation vertrauen dürfe. Dies sei vor allem angesichts des bei der Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation bestehenden Ermessensspielraumes der Gemeinschaftsorgane geboten.1000 Bezüglich einer Verletzung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes führen die Gemeinschaftsgerichte aus, dass dieser Rechtsgrundsatz zwar zu den tragenden Grundsätzen der Gemeinschaft gehöre. Die Wirtschaftsteilnehmer dürften jedoch nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können. Dies gelte insbesondere auf dem Gebiet der Marktorganisation, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt.1001 Gleichsam hat das EuG für Vorschriften zur Einfuhr hormonbehandelten Rindfleisches entschieden, dass die Wirtschaftsteilnehmer sich nicht auf eine uneingeschränkte Einfuhr verlassen durften, da das Einfuhrverbot schon seit 1981 in Kraft stand und auch die Verhandlungen im Rahmen der WTO nicht die Qualität einer Zusicherung zur zukünftigen Änderung des Einfuhrregimes habe.1002 Die Berufung der Atlanta AG in ihrer Schadensersatzklage auf das Diskriminierungsverbot scheide aus, weil eine gewisse unterschiedliche Behandlung vereinbar sei mit dem Ziel einer Integration bisher abgeschotteter Märkte und einer Sicherung des Absatzes der Gemeinschaftserzeugung, und weil die betreffenden Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels nicht offensichtlich ungeeignet gewesen seien.1003 3. Die Rolle der Verhältnismäßigkeit als materieller Prüfungsmaßstab im Mittelpunkt der am Gerichtshof geübten Kritik Da das WTO-Recht mangels unmittelbarer Wirkung nicht zur Überprüfung der gemeinschaftlichen Maßnahme herangezogen wird, verbleibt die Verhältnismäßigkeitsprüfung als eigentlicher materieller Prüfungspunkt.1004 Die dargelegte Rechtsprechung zeigt, dass der EuGH in den vorliegenden Fällen der richterlichen Kontrolldichte, der Reichweite der Justiziabilität 999 EuG, Rs. T-30/99, Bocchi Food, Slg. 2001, II-973, Rn. 81 mit Verweis auf Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn. 87. 1000 EuG, Rs. T-52/99, T. Port, Slg. 2001, II-981, Rn. 90 ff. 1001 EuG, Rs. T-521/93, Atlanta, Slg. 1996, II-1730, Rn. 55; EuGH, verb. Rs. C-133/93, C-300/93 und C-362/93, Crispoltoni, Slg. 1994, I-4863, Rn. 57. 1002 EuG, Rs. T-210/00, Biret, Slg. 2002, II-17, Rn. 60, 62; so bereits in EuGH, C-331/88, Fedesa, Slg. 1990, I-4023, Rn. 10. 1003 EuGH, Rs. C-104/97 P, Atlanta, Slg. 1999, I-7017, Rn. 10 unter Bezugnahme auf seine Feststellungen inRs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn. 67. 1004 Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 696.
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einer Maßnahme des Gemeinschaftsgesetzgebers und der Berücksichtigung rechtlich geschützter Interessen der Marktteilnehmer enge Grenzen gesetzt hat. Ausgangs- und Bezugspunkt seiner restriktiven Rechtsprechung ist das erste Bananen-Urteil, in dem er im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung lediglich darauf abstellte, ob „der Rat offensichtlich ungeeignete Maßnahmen erlassen oder [. . .] eine offensichtlich irrige Beurteilung vorgenommen hat.“1005 Im wissenschaftlichen Schrifttum hat sich heftige Kritik an der Rechtsprechung des EuGH entzündet. Gegen den Gerichtshof wurde vorgebracht, dass eine bloße Evidenz- und Willkürkontrolle bei der Beurteilung von Grundrechtseingriffen die Schutzfunktion der Grundrechte verkenne.1006 In diesem Sinne sei zwar nicht zu beanstanden, den Gemeinschaftsorganen einen Gestaltungsspielraum zuzubilligen, wenn dieser dann am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seine Grenze finde. Allerdings verliere die Verhältnismäßigkeitsprüfung ihren eigenständigen Gehalt, wenn auch die Verhältnismäßigkeit in das Ermessen der Organe gestellt und vom Gerichtshof keiner eigenen Beurteilung zugeführt und die Trennung zwischen Verhältnismäßigkeits- und Ermessensprüfung damit schlussendlich aufgehoben würde.1007 Als weiteres, den unzureichenden Individualrechtsschutz prägendes Abwägungsdefizit wird die nur angedeutete Prüfung des Wesensgehalts der Grundrechte bemängelt. Der EuGH berücksichtige weder die Zielrichtung des Eingriffs noch dessen Schwere.1008 Dieses Vorgehen begegne erheblichen Bedenken, erfordere die „grundrechtliche Abwehrfunktion der Grundrechte“ doch die Überprüfung individueller Grundrechtspositionen. Eine Bestimmung des eigentlichen Ranges und der Wertigkeit des Grundrechts bleibe unberücksichtigt, ebenso würde das Gewicht des Individualinteresses einzelner Händler und die Eingriffstiefe keiner Bewertung zugeführt.1009 Im Ergebnis verhindere der EuGH die Möglichkeit interessengerechter Entscheidungen, obwohl gerade der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dazu diene, die betroffenen Individualrechtsgüter und Gemeinwohlbelange gegeneinander abzuwägen.1010 Zutreffenderweise müssten die Maßnahmeziele ins Verhältnis zu der Grundrechtseinschränkung gesetzt und die Frage nach der 1005
EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn. 95. Epping, Aussenwirtschaftsfreiheit, 582; Cascante/Sander, EG-Bananenmarktordnung, 57; Nettesheim, EuZW 1995, 107; Huber, EuZW 1997, 520; Hohmann, EWS 1995, 381; Everling, CMLR 1996, 412 ff.; Coppel/O’Neill, CMLR 1992, 691 f. 1007 Berrisch, EuR 1994, 467; Stein, EuZW 1998, 261; Schmid, NJW 1998, 191; Kokott, AöR 1996, 608. 1008 Selmer, Gewährleistung, 105; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 692 1009 Epping, Außenwirtschaftsfreiheit, 582; Selmer, Gewährleistung, 129. 1010 Besse, JuS 1996, 401; Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 696; Everling, CMLR 1996, 417 f.; Nettesheim, EuZW 1995, 107 f. 1006
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Wesensgehaltsgarantie beantwortet werden.1011 Nehme der Gerichtshof aber nicht einmal zur Intensität des Grundrechtseingriffs Stellung, weshalb die betroffenen Gemeinschafts- und Individualinteressen unbestimmt blieben, könne keine Abwägung innerhalb der Angemessenheit erfolgen. Kritikwürdig erscheint es auch, wenn der EuGH die Erwägungen des Gemeinschaftsgesetzgebers ohne verfassungsrechtliche Gewichtung gerade auch gegenüber den Grundrechten der Marktbürger zu Grunde legt.1012 Mit dem Kerngedanken jeder Grundrechtstheorie unvereinbar sei die Reduzierung des Kontrollmaßstabes auf „offensichtlich unverhältnismäßige“ Grundrechtsbeeinträchtigungen, die die „Grenzen des Ermessens“ des Rates überschreiten.1013 4. WTO-konforme Auslegung als Abwägungsdeterminante im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Ein von Hörmann und Göttsche in die wissenschaftliche Diskussion eingeführter Gedanke zeigt Möglichkeiten auf, innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung Gemeinschafts- und Individualinteressen unter Berücksichtigung der Völkerrechtswidrigkeit in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen.1014 Die Überlegung geht dahin, den Grundsatz völkerrechtskonformer Auslegung1015 im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Abwägungsvorgang einwirken zu lassen mit der Konsequenz, dass dieser Grundsatz bei der Feststellung und Bewertung der Legitimität des Gemeinschaftsinteresses gegenüber den Grundrechten der betroffenen Unternehmen dem Rechtswidrigkeitsurteil der DSB-Entscheidung Gewicht verleihen könne. Dahinter steht nicht zuletzt der Gedanke, dass die EG sich auf völkerrechtlicher Ebene zur Änderung der WTO-widrigen Maßnahmen verpflichtet hat und sich folglich bei Haftungsklagen auf die Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung nicht berufen darf.1016 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung müsste zumindest dann, wenn – wie im Falle des Bananeneinfuhrregimes – die Maßnahmen der EG protektionistisch und somit rein wirtschaftlicher Natur seien,1017 die WTO-Normen kraft ihres individualbegünstigenden Schutzreflexes so stark ins Gewicht fallen können, dass 1011
Schwab, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 95. EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn. 82 f. 1013 Epping, Außenwirtschaftsfreiheit, 582. 1014 Vgl. zum Folgenden Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 697. 1015 EuGH, Rs. C-341/97, Gianni Bettati, Slg. 1998, I-4355, Rn. 20; Rs. C-70/94, Werner, Slg. 1996, I-3189, Rn. 23. 1016 Darin dürfte sich auch die Lehre eines Verbots des venire contra factum proprium Ausdruck verschaffen. Dazu allgemein Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15, Rn. 8 und 109. 1017 Epping, Außenwirtschaftsfreiheit, 582. 1012
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
das ebenfalls wirtschaftliche Interesse der in ihren Grundrechten beeinträchtigten Importeure überwiege und somit die Rechtswidrigkeit begründe.1018 Völlig anders müsste die Situation hingegen beurteilt werden, wenn die EG nicht wirtschaftliche Ziele, sondern solche zum Schutz der Gesundheit oder des Lebens der Bevölkerung verfolgt, wie geschehen mit Aufrechterhaltung des Einfuhrverbots hormonbehandelten Rindfleisches.1019 Liegen solche grundrechtlich abgesicherten Gemeinwohlbelange vor, müsse das wirtschaftliche Interesse auf Seiten der in ihrer Außenhandelsfreiheit beschränkten Importeure zurücktreten. Der Vorschlag von Hörmann und Göttsche zur konkreten Abwägung und Gewichtung der streitenden Interessen orientiert sich seiner Anlage nach an der klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung.1020 Bedeutsam – wenngleich nicht neuartig – ist er freilich hinsichtlich der Möglichkeit, die Verhältnismäßigkeitsprüfung für völkerrechtliche Verpflichtungen der EG zugänglich zu machen und diese in den Abwägungsprozess mit einzubeziehen. Die Rücksichtnahme auf völkerrechtliche Verpflichtungen ist vom EuGH auch in früheren Entscheidungen bereits als gemeinschaftsspezifisches Gemeinwohlbelang zur Einschränkung der Berufsfreiheit herangezogen worden. So bezog er sich in der Entscheidung Metronome Musik hinsichtlich rechtfertigender Gemeinwohlbelange auf völkerrechtliche Verpflichtungen, die die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Bereich des Urheberrechts eingegangen sind. Im konkreten Fall handelte es sich um Verpflichtungen aus dem TRIPS-Abkommen.1021 Wenngleich sich das Gericht in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich auf die Notwendigkeit völkerrechtskonformer Auslegung der EG-Grundfreiheiten beruft, ist der dahinter stehende Ansatz, die Bewertung der widerstreitenden Interessen im Lichte der WTO-Verpflichtungen, doch derselbe. Auf die Notwendigkeit der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Gemeinschaft berief sich der Gerichtshof selbst in seinem ersten Bananen-Urteil, in dem er darauf verwies, dass die Einführung der gemeinsamen Marktorganisation zur Erfüllung der Verpflichtungen beitragen soll, die von der Gemeinschaft aufgrund des Abkom1018 Im Rahmen der Nichtigkeitsklage würde dies zur Aufhebung des WTO-widrigen Rechtsaktes führen. 1019 Für Beispiele in der bisherigen WTO-Praxis siehe Herrmann, in: Hatje/Terhechte (Hg.), Binnenmarktziel, 180; in diesem Sinne hebt die Richtlinie Nr. 2003/74/EG ausdrücklich auf den Gesundheits- und Verbraucherschutz ab, vgl. Erwägungsgründe Nr. 8 und Nr. 9 der Richtlinie Nr. 2003/74/EG, ABlEG Nr. L 262, 17; die bisherige Rechtsprechung weist auch bei anderen gemeinschaftlichen Maßnahmen im Interesse des Gesundheitsschutzes eine Beschränkung der Kontrolldichte auf eine schlichte Evidenzkontrolle auf, vgl. EuGH, Rs. C-331/88, Fedesa, Slg. 1990, I-4023; dazu Schwab, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 84. 1020 Siehe dazu allgemein Schwab, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 32 ff., 93 ff. 1021 EuGH, Rs. C-200/96, Metronome Musik GmbH, Slg. 1998, I-1953, Rn. 25 f.
J. Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten
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mens von Lomé übernommen wurden.1022 Konsequenterweise hätte der EuGH in späteren Urteilen nicht nur auf die Rechtswidrigkeit des Lomé-Abkommen eingehen müssen, sondern hätte gerade die internationalen Verpflichtungen, die sich für die EG aus den Entscheidungen des DSB ergaben, in seine Abwägung einbeziehen müssen. Auf diese Weise hätte er auch der von der Verordnung Nr. 404/93 intendierten „Notwendigkeit der Einhaltung internationaler Verpflichtungen“1023 entsprochen.1024 Die Ausformung der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den Grundsatz WTO-rechtskonformer Auslegung1025 weist in der Tat einen Weg, der die Interessen der in ihren Grundrechten verletzten Unternehmen bei fehlender direkter Berufungsmöglichkeit auf das WTO-Recht stärken könnte, ohne die Legitimität und Höherrangigkeit gemeinschaftlicher Interessen kategorisch in den Hintergrund treten zu lassen. Das integrierte Völkervertragsrecht wird in den Abwägungsprozess bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung miteinbezogen, weil es zum Bestand des objektiven Gemeinschaftsrechts zählt und damit auch nicht ohne Einfluss auf die Wertigkeit des Gemeinschaftsinteresses bleiben kann. Wird die DSB-Entscheidung somit im Wege der WTO-konformen Auslegung eingebunden, könnte dies den Gerichtshof dazu veranlassen, die Legitimität der widerstreitenden Interessen in ein anderes Verhältnis zu rücken. Die Folge wäre eine Aufwertung der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Außenhandelsfreiheit durch die WTO-Vorschriften. Voraussetzung für die stärkere Inbezugnahme völkerrechtlicher Verpflichtungen wäre dann aber zunächst, dass der Gerichtshof seine eingeschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung der Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs auf Seiten der Marktteilnehmer öffnet und die Kontrolldichte nicht bloß auf die Überprüfung offensichtlicher Fehler beschränkt. 5. Konsequenzen für den Nachweis einer qualifizierten Rechtsverletzung Für den Sekundärrechtsschutz stellt sich hingegen die Frage, ob bei konsequentem Hinwegdenken des WTO-Rechts als Haftungsmaßstab die EG die für die Haftung bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen strengen Vo1022
EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-5066, Rn. 82. Erwägungsgrund Nr. 3 der Verordnung Nr. 404/93, ABlEG Nr. L 47, 93. 1024 Damit würde allerdings die restriktive Rechtsprechung des EuGH zur Nakajima-Ausnahme umgangen werden. Denn nach dieser soll sich aus der Selbstverpflichtung der EG noch keine Umsetzungsabsicht ergeben müssen. Allerdings geht es dort um WTO-Rechtsverstöße während hier die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten zur Diskussion steht. 1025 Wünschmann, Geltung, 232 ff.; Hermes, TRIPS, 177 f.; Flemisch, Umfang, 235 ff.; Cascante, Rechtsschutz, 301 ff. 1023
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Teil 2: Haftung der Europäischen Gemeinschaft
raussetzungen erfüllt.1026 Sollte die Grundrechtswidrigkeit einer EG-Maßnahme einmal festgestellt sein, müsste darüber hinaus die Qualifiziertheit des Rechtsverstoßes gegeben sein.1027 Der Nachweis der „offenkundigen“ und „erheblichen“ Überschreitung der Befugnisgrenzen wird aber insbesondere dann schwer zu führen sein, wenn man nicht wie oben die effektuierte Umsetzungsverpflichtung aus Art. 300 VII EGV in Verbindung mit der DSB-Entscheidung zur Haftungsgrundlage macht, sondern die Schadensersatzklage auf die Verletzung von Grundrechten stützt. Im ersten Fall konnte die qualifizierte Rechtsverletzung bei verweigerter Umsetzung der DSB-Entscheidung mit Hilfe der zur Nichtumsetzung von Richtlinien entwickelten Grundsätze für einen Teil der Betroffenen bejaht werden. Steht dem Kläger dagegen nur die Geltendmachung von gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten zur Verfügung, könnte den Gemeinschaftsgerichten ein weit größerer Spielraum zustehen, den Interessen der Gemeinschaftsorgane Rechnung zu tragen.1028 Anderes muss aber dann gelten, wenn die Pflicht zur WTO-konformen Auslegung über die abwägungsmodifizierende Wirkung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinaus auch in die Prüfung der qualifizierten Rechtsverletzung hineinstrahlt, insbesondere, weil eine welthandelsrechtskonforme Auslegung für die Auslegung des gesamten Gemeinschaftsrechts gilt.1029 Unter diesen Voraussetzungen müssten die übrigen Haftungsanforderungen im Lichte der DSB-Entscheidung und vor allem des von ihr festgesetzten Umsetzungszeitraums ausgelegt werden. Von daher könnten dieselben Überlegungen zur qualifizierten Rechtsverletzung und zum Umsetzungsverhalten der Gemeinschaftsorgane angestellt werden wie bereits oben. Darüber hinaus ist zu gewärtigen, dass sich die eingeschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH bei Grundrechtsverletzungen und das Erfordernis der qualifizierten Rechtsverletzung materiell kaum unterscheiden.1030 Die Unverhältnismäßigkeit einer Maßnahme liegt für den EuGH nur dann vor, wenn die Maßnahme „offensichtlich ungeeignet“ war oder das Organ eine „offensichtlich irrige Beurteilung vorgenommen hat.“1031 Die hinreichende qualifizierte Rechtsverletzung knüpft daran an, dass das Rechtssetzungsorgan seinen Ermessensspielraum „offenkundig“ und „erheblich“ überschritten hat.1032 Zumindest was das Kriterium der 1026 Dahingehend skeptisch Royla, EuR 2001, 512 f.; anders Jürgensen, EWS 1998, 364. 1027 Mit Blick auf Kausalität und Schaden würden sich keine Abweichungen zu den obigen Ausführungen ergeben. 1028 Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 697. 1029 Petersmann, in: Müller-Graff (Hg.), 82. 1030 Hörmann/Göttsche, RIW 2003, 697. 1031 EuGH, Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Rn. 95. 1032 EuGH, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15, und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1209, Rn. 6.
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„Schwere“ des Rechtsverstoßes anbelangt, dem eine Beurteilung des Fehlverhaltens durch eine Gesamtbetrachtung der Nachvollziehbarkeit und Entschuldbarkeit des Fehlers zugrunde liegt,1033 unterscheiden sich die restriktiven Voraussetzungen in beiden Fällen nicht. Zusätzlich müssten dann noch die „Auswirkungen“ der Rechtsverletzung bestimmt werden.1034 In dieser Hinsicht ergeben sich keine Abweichungen zu dem oben Gesagten.
III. Zusammenfassung Nach alledem bleibt festzuhalten, dass der EuGH bislang die Beschränkung gemeinschaftlicher Grundrechte und Rechtsprinzipien zugunsten eines nahezu unbegrenzten Entscheidungsspielraumes seitens der Gemeinschaftsorgane gewährt. Durch eine reine Evidenz- und Willkürkontrolle im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit behindert er die Möglichkeit interessengerechter Entscheidungen, obwohl gerade die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Abwägung der betroffenen Individualrechtsgüter und Gemeinwohlbelange zugänglich sein muss. Angeregt wird deshalb, den Grundsatz WTO-rechtskonformer Auslegung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Bewertung der Legitimität des Gemeinschaftsinteresses gegenüber den Grundrechten der betroffenen Unternehmen zur Anwendung zu bringen. Die Berücksichtigung einer DSB-Entscheidung in diesem Abwägungsprozess muss nicht zwangsläufig eine schwächere Legitimität oder Höherrangigkeit gemeinschaftlicher Interessen bedeuten. Vor allem dann nicht, wenn dem individuellen Interesse an wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit Gesamtwohlbelange wie der Schutz der Gesundheit oder des Lebens der Bevölkerung gegenüber stehen, wie sie im Hormonstreit virulent gewesen sind. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung könnte gleichzeitig aber dazu dienen, offensichtlich protektionistische Interessenpolitik zurückzuweisen. Nur wenn grundrechtlich abgesicherte Gemeinwohlbelange vorliegen, muss das wirtschaftliche Interesse auf Seiten der in ihrer Außenhandelsfreiheit beschränkten Wirtschaftssubjekte zurücktreten. Eine modifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung könnte somit auch dem Eindruck entgegenwirken, dass in die Außenhandelsfreiheit intensivere Eingriffe zugelassen würden als in andere gemeinschaftliche Individualrechte.1035
1033
Herdegen/Rensmann, ZHR 1997, 542; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 141; in diesem Sinne auch schon zum Mulder-Urteil van Gerven, MLJ 1994, 28. 1034 Siehe oben Teil 2 G. III. 1035 Dazu Petersmann, EA 1989, 57; Petersmann, Constitutional Functions, 299 ff.
Teil 3
Haftung der EG-Mitgliedstaaten für WTO-Rechtsverletzungen A. Problemaufriss Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels bildet die mitgliedstaatliche Schadensersatzverpflichtung für WTO-Rechtsverletzungen. Diese ist immer dann in Erwägung zu ziehen, wenn die Mitgliedstaaten gegen WTO-Recht verstoßen und Privaten dadurch ein Schaden entsteht. Dem Verfasser sind keine Fälle bekannt, in denen Einzelne solche Schäden in der Vergangenheit gegenüber einem Mitgliedstaat geltend gemacht haben. Nichtsdestotrotz zeigt die bisherige WTO-Streitbeilegungspraxis, dass die Mitgliedstaaten durchaus als eigenständige Urheber WTO-widriger Maßnahmen in Erscheinung treten. Die Möglichkeit originär mitgliedstaatlicher WTO-Rechtsverletzungen kommt bereits deswegen in Betracht, weil das WTO-Abkommen von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist. Folglich sind sowohl Mitgliedstaaten als auch Gemeinschaften Vertragsstaaten, die grundsätzlich je nach Konstellation Beklagte in einem Streitbeilegungsverfahren sein können. Die Mitgliedstaaten und die EG sind unabhängig von der Abgrenzung ihrer Kompetenzen im Innenverhältnis jeweils vollwertige Vertragspartner aller WTO-Abkommen geworden.1 Für die hier interessierende Frage der Haftpflicht der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der WTO-Vorschriften ist die Natur des WTO-Vertragswerks als gemischtes Abkommen bedeutsam, die sich daraus ergibt, dass die EG nicht für alle von den WTO-Abkommen geregelten Regelungsmaterien die innergemeinschaftliche Kompetenz innehat. Um die Auswirkungen geteilter Zuständigkeit auf die Haftungsfrage ermessen zu können, sind mehrere Ebenen zu unterscheiden, deren Ausdifferenzierung nützlich sein kann.2 Erstens stellt sich die Frage nach dem Umfang der völkerrechtlichen Verbindlichkeit bezüglich des gesamten oder nur eines Teils der WTO-Abkommen für die Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten. Darüber hinaus muss festgestellt werden, ob das WTO-Abkommen nur in einem der Zuständigkeit der Gemein1 Cascante, Rechtsschutz, 218 ff.; Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 34; Bleckmann, Mixed Agreements, 157 ff. 2 Gerken, Rechtsschutzmöglichkeiten, 153
A. Problemaufriss
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schaft entsprechenden Umfang Bestandteil der innergemeinschaftlichen Rechtsordnung geworden ist. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der EuGH die Auslegungszuständigkeit für das gesamte WTO-Abkommen beanspruchen kann. Und schließlich muss davon wieder die potentielle Kompetenz des EuGH abgegrenzt werden, die Rechtswirkung der Teile der WTO-Abkommen, die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallen, für die nationalen Gerichte verbindlich festzulegen. Obwohl sich die einzelnen Ebenen argumentativ nur schwer voneinander trennen lassen, ist im hier diskutierten Zusammenhang einer möglichen Haftung der Mitgliedstaaten vor allem ein Aspekt von Bedeutung, nämlich der der innergemeinschaftlichen Geltung des gemischten Abkommens in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Denn nur wenn das gesamte gemischte Abkommen, d.h. sowohl der mitgliedstaatliche als auch der gemeinschaftliche Kompetenzbereich des Abkommens, Geltung in der Gemeinschaftsrechtsordnung erlangt hat, ist es auch Bestandteil des Gemeinschaftsrechts geworden und kann somit zu den Vorschriften gehören, die vom gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gesichert werden sollen.3 Regelmäßig werden Gemeinschaftsabkommen mit ihrem Abschluss zum „integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts“4 und können somit teilhaben an dem durch den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gewährten Schutz.5 Folgerichtig impliziert diese Stellung als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung eine erhebliche Bedeutung, weil sie Konsequenzen für die Anwendbarkeit des nationalen oder gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregimes birgt. Sollte nämlich der in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallende Teil des gemischten Abkommens nicht zum Bestand des Gemeinschaftsrechts zählen, käme mithin auch kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in Betracht und der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch wäre ausgeschlossen zugunsten der Anwendbarkeit von Schadensersatzansprüchen aus mitgliedstaatlichem Recht.6 In diesem Fall würden die unterschiedlichen Ausgestaltungen der jeweiligen staatlichen Einführungsmethoden ausschlaggebend dafür sein, in welchem Umfang sowohl das „Ob“ der innerstaatlichen Geltung als auch das „Wie“ der innerstaatlichen Rechtswirkungen vollzogen wird.7 Dies hätte freilich zur Folge, dass das Rechtsschutzniveau bei Verletzung 3
Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 41; Hermes, TRIPS, 336. So die ständige Formel des EuGH seit Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, 460, Rn. 4 und 6. 5 Gasparon, JIEL 1999, 607; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 131. 6 Dies hätte ferner zur Folge, dass das WTO-Recht als Völkervertragsrecht nur den Rang eines einfachen Gesetzes hätte, und somit durch den Grundsatz lex posterior derogat legi priori durch späteres Recht verdrängt werden kann, vgl. Flemisch, Umfang, 40. 7 Wünschmann, Geltung, 79. 4
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
von Teilen des WTO-Rechts je nach Anforderungen des Mitgliedstaates unterschiedlich ausfällt, während einheitliche Voraussetzungen dann gegeben wären, wenn sich der Schadensersatzanspruch nach den vom gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch entwickelten Kriterien richten würde.
B. WTO-widrige Maßnahmen der Mitgliedstaaten im gemeinschaftlichen oder mitgliedstaatlichen Kompetenzbereich der WTO-Abkommen Anknüpfungspunkt für eine WTO-Rechtsverletzung durch einen Mitgliedstaat der EG können nationale Maßnahmen sein, die entweder in den Bereich der Gemeinschaftskompetenzen fallen oder auf Gebieten, die in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind. Als Grundlage der Kompetenzabgrenzung dient das Gutachten 1/94 des EuGH. Darin stellt der Gerichtshof für den Bereich des Handels mit Waren entgegen der Einwände des Rates und der Mitgliedstaaten8 fest, dass unabhängig von der Art der Waren der EG die ausschließliche Vertragsabschlusskompetenz nach Art. 133 EGV zukomme.9 Auch grenzüberschreitende Dienstleistungen, die keinen Grenzübertritt von Personen erfordern, fielen aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum Warenverkehr unter diese Vorschrift und damit in die Zuständigkeit der Gemeinschaft.10 Für das TRIPS hat der EuGH angenommen, dass es mit Ausnahme der Bestimmungen über das Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zollrechtlich freien Verkehr nicht den Kompetenzen in Art. 133 EGV zugeschrieben werden kann.11 Damit sollten den Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens 1/94 umfangreiche Zuständigkeiten verbleiben.12 Mit den durch die Verträge von Amsterdam und Nizza vorgenommenen Änderungen an Art. 133 EGV ist nunmehr festgelegt, dass die Gemeinschaft in Angelegenheiten des internationalen Dienstleistungshandels und der handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums außenvertretungsbefugt ist, sofern nicht eine der zahlreichen Rückausnahmen das Gegenteil anordnet.13 Zudem hat sich das Verhältnis von Gemeinschafts- und Mitgliedstaatenkompetenzen im Bereich des TRIPS und GATS nach der Logik der AETR-Doktrin14 zugunsten einer 8
EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5396, Rn. 28 und 29. EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5395 ff., Rn. 22 ff. 10 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5399, Rn. 44. 11 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5404, Rn. 53. 12 Vgl. den Überblick bei Hilf, EuZW 1995, 8. 13 Hahn, in: Calliess/Ruffert, Art. 133 EGV, Rn. 71 ff. 9
C. Die Mitgliedstaaten der EG als selbstständige Beklagte
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Gemeinschaftskompetenzerweiterung verändert. Denn je weiter die Gemeinschaft intern Harmonisierungsmaßnahmen erlässt, desto stärker erweitert sich ihre Vertragsabschlusszuständigkeit im Außenverhältnis. Die fortschreitende Harmonisierung im Innern ist damit für die Entwicklung der Gemeinschaftsaußenzuständigkeit einem „principle of dynamic competence“ unterworfen.15 Vor diesem Hintergrund hat die EG seit dem Gutachten 1/94 des EuGH weitere Harmonisierungsmaßnahmen vor allem im Bereich des Urheberrechts16, des Musterschutzes17 und des Patentrechts18 erlassen, und so die Erwartung geweckt, dass sich der Bereich ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen auch in Zukunft ausweiten wird.19 Die vom EuGH entwickelten Voraussetzungen zur gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung würden in jedem Fall dann Anwendung finden, wenn die WTO-widrige mitgliedstaatliche Maßnahme in den Bereich gemeinschaftlicher Kompetenz fiele, weil dieser Teil des Gemeinschaftsabkommen unzweifelhaft „integrierender Bestandteil“ des Gemeinschaftsrechts geworden ist.20 Problematisch hingegen ist wie angedeutet dann aber der Umgang mit den in der mitgliedstaatlichen Kompetenz verbliebenen Teilbereichen des GATS und TRIPS.
C. Die Mitgliedstaaten der EG als selbstständige Beklagte im Streitbeilegungsverfahren Wenngleich bisher noch keine Schadensersatzklage gegen einen Mitgliedstaat für eine WTO-Rechtsverletzung erhoben wurde, zeigt die bisherige WTO-Streitbeilegungspraxis doch die Bedeutung der hier diskutierten mitgliedstaatlichen Haftpflicht, da nicht nur die EG als WTO-Vertragsstaat, sondern auch die EG Mitgliedstaaten als eigenständige Beklagte in Verfahren verwickelt sein können. 14
EuGH, Rs. 22/70, AETR, Slg. 1971, 274 f., Rn. 15 und 19; siehe dazu Hermes, TRIPS, 55 f. 15 Drexl, in: Beier/Schricker (Hg.), 36. 16 Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABlEG 1996 Nr. L 77, 20. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13.10.1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABlEG 1998 Nr. L 289, 28. 18 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 6.7.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABlEG 1998 Nr. L 213, 13. 19 Hermes, TRIPS, 68. 20 Vgl. statt vieler Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 87.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
I. WTO-Rechtsverstöße durch nationale Stellen in der bisherigen Streitbeilegungspraxis Geht man von den angesprochenen kompetentiellen Zuständigkeitsabgrenzungen aus, könnte man annehmen, dass die Maßnahme eines EGMitgliedstaates nur dann als Beschwerdegegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens in Erwägung zu ziehen ist, wenn sie sich im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten bewegt.21 Dies wäre danach nur in den vom EuGH im Gutachten 1/94 festgelegten Rechtsmaterien des GATS und TRIPS, und dort auch nur für die von der EG innergemeinschaftlich noch nicht harmonisierten Teile möglich. Allerdings zeigt die bisherige Praxis der unter dem Streitbeilegungsverfahren der WTO erhobenen Klagen, dass trotz der ausschließlichen Zuständigkeit der EG für den Bereich des Handels mit Waren auch nach Errichtung der WTO die EG-Mitgliedstaaten unabhängiger Beschwerdegegner sein können. Wiederholt rügten die USA mitgliedstaatliche Verletzungen im Bereich des SCM-Abkommens. Dazu gehört der Fall, in dem nationale Vorschriften in Belgien, den Niederlanden, Griechenland, Irland und Frankreich in unterschiedlicher Ausformung die aus Exporten zur versteuernden Erlöse nationaler Unternehmen fiskalisch begünstigt oder gar völlig steuerfrei gestellt hatten.22 Diese Regelungen wurden von den USA erfolgreich mit Hinweis auf Art. 3 SCM beanstandet, der ein Verbot von Subventionen ausspricht, die an die Ausfuhrleistung anknüpfen. Ähnlich stellte sich die Situation bei einem gegen Frankreich eingeleiteten Verfahren dar, bei dem die USA einen Verstoß gegen das SCM geltend gemacht hatten, da Frankreich durch die Gewährung eines Kredites zugunsten seiner Airbusindustrie eine unzulässige Subvention geleistet habe.23 In einer weiteren den Anwendungsbereich des GATT betreffenden Angelegenheit beklagten die USA, dass Irland und Großbritannien Zölle auf den Import von Computerkomponenten erhoben hatten, die über das von der Gemeinschaft in den Listen der Zugeständnisse nach Art. II GATT festgelegte Niveau hinausgingen und somit eine Verletzung der Meistbegünstigungsklausel bedeutete.24 In diesem Fall jedoch sah das Panel die EG als Einheit an und stellte nur in Bezug auf diese eine Pflichtverletzung fest.25 21
So Hinderer, Rechtsschutz, 471. Siehe die von den USA gegen zahlreiche europäische Staaten am 11.5.1998 vorgebrachten Konsultationsbegehren: WT/DS127/1, Belgien – Certain Income Tax Measures Constituting Subsidies; WT/DS128/1, Netherlands – Certain Income Tax Measures Constituting Subsidies; WT/DS129/1, Greece – Certain Income Tax Measures Constituting Subsidies; WT/DS/130/1, Ireland – Certain Income Tax Measures Constituting Subsidies; WT/DS131/1, France – Certain Income Tax Measures Constituting Subsidies. 23 WT/DS173/1, France – Measures Relating to the Development of a Flight Management System, Konsultationsbegehren der USA vom 31.5.1999. 22
C. Die Mitgliedstaaten der EG als selbstständige Beklagte
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Neben potentiellen Verletzungen im Bereich des GATT sind darüber hinaus in den kompetentiell zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten geteilten GATS und TRIPS mitgliedstaatliche Verstöße denkbar. Die bisherige WTO-Praxis weist für das GATS einen Fall auf, in dem Regelungen im Zusammenhang mit dem Druck und Vertrieb von Telefonbüchern der Anlass für eine Beschwerde der USA gegen Belgien waren. Telefonbücher durften in Belgien nur nach Erlangung einer Lizenz und selbst dann nur unter beschränkten Bedingungen hergestellt und verkauft werden, was nach Auffassung der USA GATS-widrig war.26 Im Anwendungsbereich des TRIPS haben verschiedene mitgliedstaatliche Maßnahmen Anlass zur Einsetzung eines Panelverfahrens gegeben. Im Bereich der Urheberrechte wurden so fundamentale Missstände wie das völlige Fehlen nationaler Vorschriften zum Rechtsschutz im Bereich des Urheberrechts beanstandet, was die USA in einem Verfahren gegen Irland vorbrachten.27 Ebenfalls die Materie zum Schutz von Urheberrechten betreffend sah sich Griechenland dem Vorwurf der USA ausgesetzt, dass das griechische Fernsehen ohne Erlaubnis der Urheber amerikanische Filme ausgestrahlt habe. Die TRIPS-Verletzung durch Griechenland war in unzureichendem Urheberrechtsschutz zu suchen, weil das griechische Rechtsschutzsystem keinerlei Maßnahmen zugunsten der verletzten Urheber gegen die unrechtmäßige Ausstrahlung vorsah.28 Um den Schutz von Patentrechten ging es in anderen Streitverfahren bzgl. der effektiven Durchsetzung dieser Rechte, die in Art. 50 TRIPS geregelt ist. In diesem Zusammenhang wurde über die Ausgestaltung nationaler Schutzmechanismen, vor allem im Bereich einstweiliger Maßnahmen, gestritten.29 In einem weiteren Verfahren die Gewährleistung von Patentrechten betreffend, rügten die USA, dass Portugal in seinen nationalen Bestimmungen nicht den in Art. 33 des TRIPSAbkommens vorgesehenen 20-jährigen Patentschutz eingeräumt hatte.30 24
WT/DS67/1, United Kingdom – Customs Classification of Certain Computer Equipment, Bericht des Appellate Body vom 5.6.1998; WT/DS68/1, Ireland – Customs Classification of Certain Computer Equipment, Bericht des Appellate Body vom 5.6.1998. 25 WT/DS62/1, EC – Customs Classification of Certain Computer Equipment, Bericht des Panel vom 5.2.1998, Rn. 8.15 f. und 9.1 f. 26 WT/DS80/1, Belgium – Measures Affecting Commercial Telephone Directory Services, Konsultationsbegehren der USA vom 2.5.1997. 27 WT/DS82/1, Ireland – Measures Affecting the Grant of Copyright and Neighbouring Rights, Konsultationsbegehren der USA vom 14.5.1997. 28 WT/DS125/1, Greece – Enforcement of Intellectual Property Rights for Motion Pictures and Television Programs, Konsultationsbehren der USA vom 4.5.1998. 29 WT/DS83/1, Denmark – Measures Affecting the Enforcement of Intellectual Property Rights, Konsultationsbegehren der USA vom 14.5.1997. 30 WT/DS37/1, Portugal – Patent Protection under the Industrial Property Act, Konsultationsbegehren der USA vom 30.4.1996.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
In keinem dieser die Materien des GATT, GATS und TRIPS betreffenden Fälle haben die WTO-Streitbeilegungsverfahren gegen Mitgliedstaaten bislang ein Stadium erreicht, in dem der Kläger zur Verhängung von Strafzöllen gegen einen Mitgliedstaat vom DSB autorisiert worden wäre. Andererseits wird aber auch deutlich, dass trotz wachsender Kompetenzausweitung und Kompetenzwahrnehmung im Zuge der innergemeinschaftlichen Harmonisierung durch die Gemeinschaft nach wie vor auch die Mitgliedstaaten durch eigenständige Maßnahmen das WTO-Recht verletzen können. Zwar haften sowohl die EG und die Mitgliedstaaten bei Verletzung der WTO-Abkommen auf völkerrechtlicher Ebene für den Verstoß gegen Gemeinschaftsabkommen unabhängig davon, in welchen Kompetenzbereich und durch wen die Verletzung erfolgt.31 Allerdings zeigen die aufgezählten Fälle, dass sich ein WTO-Mitgliedstaat an den Vertragspartner wenden wird, der die Maßnahme erlassen hat und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es einmal zur Autorisierung von Strafzöllen und damit zu einer haftpflichtrelevanten Situation kommen könnte.32
II. Das Verhältnis der Gemeinschaftshaftung zur Staatshaftung beim nationalen Vollzug eines WTO-widrigen EG-Sekundärrechts Neben diesen auf völkerrechtlicher Ebene beanstandeten Fällen eines mitgliedstaatlichen Verstoßes muss die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf nationaler Ebene aber der Beschränkung unterworfen werden, dass mitgliedstaatliches WTO-widriges Handeln bei der Durchführung und dem Vollzug bereits WTO-widrigen EG-Rechts nur unter der Voraussetzung haftungsauslösend sein kann, dass sich das WTO-widrige Verhalten dem Mitgliedstaat auch zurechnen lässt. Anderenfalls käme nur der EG-Sekundärrechtsakt und somit die Gemeinschaftshaftung in Betracht. Mit Blick auf das deutsche Recht bedeutet das folgendes: sollte der nationale Vollzugsakt nur deshalb rechtswidrig sein, weil er auf einem rechtswidrigen Gemeinschaftsakt beruht, scheiden Staatshaftungsansprüche gegen die deutsche öffentliche Hand aus.33 Sinn und Zweck des deutschen Staatshaftungsrechts bestehen ausschließlich darin, Ersatzansprüche für solche Schäden zu gewähren, die der deutschen Hoheitsgewalt zuzurechnen sind. Der bloße Vollzug rechtswidrigen Gemeinschaftsrechts wird aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts nationalen Stellen nicht zugerech31
Dazu sogleich unten Teil 3 D. IV. 3. Ebenso Hinderer, Rechtsschutz, 482. 33 Weiß, EuR 2005, 300; so auch BGHZ 125, 30 ff.; Laubereau, Embargoverordnungen, 188 f. 32
C. Die Mitgliedstaaten der EG als selbstständige Beklagte
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net.34 Eine Haftung nationaler Stellen lebt erst wieder auf, soweit sie im gemeinschaftsrechtlichen Rahmen bestehende Gestaltungsspielräume auf rechtswidrige Weise nutzen,35 was allerdings noch nicht der Fall ist, wenn die Rechtswidrigkeit des deutschen Ausführungsaktes „zwangsläufige Folge“ der Rechtswidrigkeit des Gemeinschaftsakts ist.36 Ansonsten wäre für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung ohnehin wegen der grundsätzlichen Pflicht der Mitgliedstaaten zur Befolgung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts keine offenkundige und schwerwiegende Verletzung höherrangigen Gemeinschaftsrechts im Sinne des Tatbestandsmerkmals der hinreichend qualifizierten Verletzung gegeben. In der GATT-Praxis lässt sich indes beobachten, dass sich die Streitverfahren auf die EG konzentrieren, soweit die Verletzung auf einer Entscheidung der Gemeinschaftsorgane beruht.37
III. Keine verschärfte Kontrolle mitgliedstaatlicher WTO-widriger Maßnahmen gegenüber der Überprüfung gemeinschaftlicher Rechtsakte Gegen diese Einschätzung, nach der ein WTO-widriger mitgliedstaatlicher Akt nur dann Gegenstand einer Schadensersatzklage sein kann, wenn er nicht bloß einen WTO-widrigen EG-Sekundärrechtsakt vollzieht, könnte das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission/Deutschland sprechen.38 In diesem Vertragsverletzungsverfahren verurteilte der EuGH Deutschland mit der Begründung, dass es gegen seine Verpflichtungen aus der Internationalen Übereinkunft über Milcherzeugnisse sowie aus der Verordnung Nr. 1999/85/EWG des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr verstoßen habe. In seiner Entscheidung hatte der Gerichtshof die internationale Übereinkunft als Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit zugrunde gelegt. Dabei ging er jedoch mit keinem Wort auf die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit ein. Daraus ist in der Literatur teilweise der Schluss gezogen worden, dass der EuGH bei der Überprüfung WTO-widriger mitgliedstaatlicher Maßnahmen auf das Kriterium der unmittelbaren Wirkung als Voraussetzung für die Rechtswidrigkeit verzichtet 34
EuG, Rs. T-18/99, Cordis, Slg. 2001, II-931, Rn. 26; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Mulder, Slg. 1992, I-3061, Rn. 9. 35 Weiß, EuR 2005, 300; Streinz, VVDStRL 61 (2002), 334; von Bogdandy, AöR (1997), 283; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 53; so auch die deutschen Gerichte, siehe BGHZ 125, 38. 36 Detterbeck, AöR 2000, 251 ff. 37 WT/DS62/1, EC – Customs Classification of Certain Computer Equipment, Bericht des Panel vom 5.2.1998, Rn. 8.15 f. und 9.1 f. 38 EuGH, Rs. C-61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, II-4012.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
oder zumindest unter vereinfachten Voraussetzungen zu kontrollieren gewillt sei.39 Wollte man tatsächlich so eine Differenzierung nach der Urheberschaft der WTO-widrigen Maßnahmen, d.h. je nachdem, ob die Gemeinschaft oder ein Mitgliedstaat den Rechtsakt erlassen hat, vornehmen, könnte man in der Konsequenz dessen auch für von Individuen geltend gemachte mitgliedstaatliche WTO-Rechtsverstöße von der Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung befreien. Ein solches Verständnis kann aber weder aus dem Urteil des Gerichtshofs entnommen werden, noch dürfte die Differenzierung mit der Dogmatik der unmittelbaren Anwendbarkeit vereinbar sein. Bezugspunkt für die Verletzung eines Gemeinschaftsabkommens war in Kommission/Deutschland die Milchübereinkunft, welche im Zuge der Tokyo-Handelsrunde 1973–1979 ausgehandelt und von der Gemeinschaft mit dem Beschluss Nr. 80/271/EWG des Rates vom 10. Dezember 1979 über den Abschluss der multilateralen Übereinkommen angenommen wurde.40 Damit ist die Milchübereinkunft im Gegensatz zum Antidumping-Kodex nicht zur Durchführung einer Bestimmung des GATT verabschiedet worden,41 sondern stellt ein selbständiges Abkommen dar, dass lediglich anlässlich der Tokyo-Handelsrunde geschlossen wurde.42 Folgerichtig fällt die Milchübereinkunft als Teil der sog. „plurilateralen Handelsübereinkünfte“43 nicht in den Anwendungsbereich des WTO-Streitbeilegungsverfahrens. Aufgrund dieser rechtlichen Selbstständigkeit der Milchübereinkunft gegenüber dem GATT konnte der Gerichtshof diese als unmittelbar anwendbar qualifizieren, ohne dass er sich dabei in Widerspruch zu seiner Rechtsprechung zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit der GATT-Vorschriften setzen musste.44 Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, wie es dogmatisch zu begründen wäre, dass ein völkerrechtliches Abkommen i. S. d. Art. 300 VII EGV unterschiedliche Rechtswirkungen zeitigt, je nachdem, ob es zur Kontrolle gemeinschaftlicher oder aber mitgliedstaatlicher Maßnahmen dient.45 Schließlich wäre auch die Konvergenz der Gemeinschaftshaftung und der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung gefährdet, wenn im Rahmen der ersten das Kriterium der unmittelbaren Anwendbarkeit Voraussetzung wäre, während es für die Staatshaftung entbehrlich sein sollte.46 Eine Entschär39
von Bogdandy/Makatsch, EuZW 2000, 267; Sack, EuZW 1997, 688. ABlEG 1980 Nr. L 71, 1. 41 EuGH, Rs. C-105/90, Nakajima, Slg. 1991, I-2069. 42 Eeckhout, CMLR 1998, 563. 43 Vgl. dazu Benedek, WTO, A.II, 7. 44 Wünschmann, Geltung, 192; trotzdem hätte der EuGH diesen Unterschied im rechtlichen Status hervorheben müssen. Kritisch daher Eeckhout, CMLR 1998, 563 f. 45 EuGH, Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, 449, Rn. 2 und 6; vgl. nur Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 87. 46 Gasparon, EJIL 1999, 620. 40
D. Innergemeinschaftliche Geltung der mitgliedstaatlichen Kompetenz
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fung des Rechtswidrigkeitsmaßstabes dahingehend, dass der EuGH sich bei mitgliedstaatlichen Maßnahmen von anderen Grundsätzen als für das Gemeinschaftsrecht leiten lässt, kann diesem Urteil richtigerweise nicht entnommen werden.47 Die Rechtswidrigkeit der deutschen Maßnahme konnte sich im vom EuGH entschiedenen Fall nur aus der Verletzung des Grundsatzes der WTOkonformen Auslegung ergeben. Dieses aus dem allgemeinen Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung abgeleitete Prinzip überträgt der EuGH in Kommission/Deutschland auf das WTO-Recht.48 Danach „gebietet es der Vorrang der von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, diese nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen“.49 Damit hält sich eine mögliche WTO-Rechtsverletzung im Rahmen der oben gemachten Ausführungen, wonach eine haftungsauslösende mitgliedstaatliche Verletzung voraussetzt, dass den nationalen Stellen ein Gestaltungsspielraum zustehen muss, damit ein eigenständiger Bereich möglichen rechtswidrigen Handelns überhaupt eröffnet ist.50 Besteht ein solcher Entscheidungsspielraum nationaler Stellen so wie es in Kommission/Deutschland der Fall gewesen ist, und kann eine welthandelsrechtskonforme Auslegung diesem Spielraum Grenzen setzen, kommt ein mitgliedstaatlicher Verstoß gegen das WTO-Recht in Betracht.51
D. Die innergemeinschaftliche Geltung der in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallenden Teile der WTO-Abkommen Ist damit nunmehr der eigenständige Bereich WTO-widrigen mitgliedstaatlichen Handelns festgestellt worden, müssen im Anschluss daran die Voraussetzungen für eine Schadensersatzklage geklärt werden. Angespro47
Ebenso Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 270 ff.; Wünschmann, Geltung, 192; so wohl auch Cascante, Rechtsschutz, 314 f. 48 Ebenso in EuGH, Rs. C-70/94, Werner, Slg. 1996, I-3189, Rn. 23; Rs. C-83/94, Leifer, Slg. 1996, I-3231, Rn. 24; vgl. auch Rabe, ZLR 1998, 140; Cottier/Schefer, JIEL 1998, 88. 49 EuGH, Rs. 61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-3989, Rn. 52. 50 Vor diesem Hintergrund sind auch die Schlussanträge des GA Tesauro zu bewerten, der festgestellt hatte, dass bereits die EG-Verordnung WTO-widrig gewesen sei. Vgl. die Schlussanträge in der Rs. 61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-4001, Rn. 19. 51 So auch Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 271, der als solch ein Beispiel die Anti-Dumpingverordnung nennt, die den Mitgliedstaaten Handlungsspielräume einräumt, die wiederum WTO-konform ausgelegt werden müssten.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
chen wurde bereits, dass insofern der Frage erhebliche Bedeutung zukommt, ob die verletzte WTO-Vorschrift Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung geworden ist, weil sich hieraus Konsequenzen für die Anwendbarkeit des nationalen oder gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregimes ergeben. Sollte nämlich der in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallende Teil des gemischten Abkommens nicht zum Bestand des Gemeinschaftsrechts zählen, käme mithin auch kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in Betracht und der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch wäre ausgeschlossen zugunsten der Anwendbarkeit von Schadensersatzansprüchen aus mitgliedstaatlichem Recht, die ihrerseits keine einheitliche Voraussetzungen an den Schadensersatzanspruch stellen. Für die Bestimmung der Reichweite der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung ist entscheidend, ob das GATS und TRIPS – soweit sie die Kompetenzen der Mitgliedstaaten berühren – „integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ geworden sind, d.h. in allen ihren Bestimmungen innergemeinschaftlich Geltung erlangt haben.
I. Die völkerrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft an das gemischte Abkommen Der Frage der innergemeinschaftlichen Geltung begründungskonstruktiv vorgelagert ist die Beurteilung der völkerrechtlichen Bindung bei gemischten Abkommen.52 Dies ergibt sich aus dem Haegeman-Urteil des Gerichtshofs, in dem dieser betont hat, dass die innergemeinschaftliche Geltung mit dem Inkrafttreten des Abkommens, also mit dem Beginn der völkerrechtlichen Bindung der Gemeinschaft an das Abkommen eintrete.53 Dabei lassen sich der Rechtsprechung des EuGH und der überragenden Mehrheit im Schrifttum dahingehend Übereinstimmung entnehmen, dass bei gemischten Abkommen „ohne“ Offenbarung der Zuständigkeitsaufteilung,54 Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auch für die Teile des Abkommens völkerrechtlich haften, für die ihnen jeweils intern die Vertragsabschlusskompetenz fehlen. Eine Differenzierung der völkerrechtlichen Haftung nach der innergemeinschaftlichen Kompetenzverteilung soll hingegen nur in Betracht kommen, wenn eine klare Trennungsklausel vorliege.55 Insoweit lässt sich 52 Eeckhout, CMLR 1997, 23; Bleckmann, in: O’Keefe/Schermers, Mixed Agreements, 156; Neframi, CDE 1998, 147; Stein, Der gemischte Vertrag, 173 ff. 53 EuGH, Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, 460, Rn. 2 und 6. 54 In der Regel legen die EG und ihre Mitgliedstaaten, wenn sie ein gemischtes Abkommen wie die WTO-Abkommen abschließen, ihre Kompetenzverteilung gegenüber den anderen Vertragsstaaten nicht offen. 55 Neframi, CDE 1998, 147; Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 89; Hilf, in: Hilf/Jacobs/Petersmann (Hg.), GATT, 166; Oehmichen, Anwendbarkeit, 103.
D. Innergemeinschaftliche Geltung der mitgliedstaatlichen Kompetenz
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aus der Rechtsprechung die Rechtssache Demirel anführen, die ein gemischtes Abkommen ohne Offenlegung der innergemeinschaftlichen Zuständigkeiten betraf und in der das Gericht seine Auslegungszuständigkeit deshalb bejahte, weil die Gemeinschaft für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens völkerrechtlich hafte, ohne auf die innergemeinschaftliche Kompetenzabgrenzung einzugehen.56 Gleichsam betonte er in seinem Urteil Parlament/Rat in Bezug auf das vierte AKP-EWG-Abkommen, dass „die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten als Partner der AKPStaaten gemeinsam gegenüber diesen Staaten für die Einhaltung aller eingegangenen Verpflichtungen [. . .] verantwortlich“ seien.57 Der Einschätzung einer umfassenden völkerrechtlichen Haftung der EG pflichtet auch das Schrifttum bei.58 Dem ist hier nur zuzustimmen. Immerhin sind die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den WTO-Verhandlungen als einheitliche Partei aufgetreten, weil ein einheitliches Vertragswerk erforderlich war. Insofern kann anderen Vertragsparteien auch nicht zugemutet werden, die nicht offen gelegte innergemeinschaftliche Zuständigkeitsaufteilung zu kennen und bei der völkerrechtlichen Durchsetzung zu berücksichtigen. Im Ergebnis sind also Gemeinschaft und Mitgliedstaaten einer umfassenden völkerrechtlichen Bindung an alle Bereiche des gemischten Abkommens unterworfen.
II. Die Auffassung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Hermès und Dior Der EuGH hat eine Beurteilung der Frage, ob ein gemischtes Abkommen umfassend „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ wird, lange Zeit offen gelassen. Zwar hatte sich der EuGH in dem Haegeman-Urteil59 mit der innergemeinschaftlichen Geltung eines gemischten Vertrages auseinanderzusetzen, welchen er auch umfassend als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bewertete. Allerdings fiel die zu prüfende Vertragsbestimmung in die gemeinschaftliche Außenkompetenz.60 In dieser Hinsicht identisch waren die sich anschließenden Ent56
EuGH, Rs. 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3751, Rn. 11. EuGH, Rs. C-316/91, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-660, Rn. 29. 58 Castillo de la Torre, JWT 29 (1995), 67 f.; Tomuschat, in: von der Groeben/ Schwarze (Hg.), Art. 300 EGV, Rn. 64; Cremona, Oxf. J. of Lg. Stud. (1982), 426 f.; Peters, GYIL 1997, 32; Epiney, EuZW 1999, 7; Ehlermann, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATT, 221; Stein, Der gemischte Vertrag, 131; Neuwahl, CMLR 1991, 733 ff.; Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hg.), GATT, 32; Krück, Völkerrechtliche Verträge, 141 f.; Nolte, CMLR 1988, 408 f. 59 EuGH, Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, 449, Rn. 2/6. 60 Vedder, in: Grabitz/Hilf, Altband II, Art. 238 EGV, Rn. 34. 57
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
scheidungen in Bresciani61, Razantsimba62 und Griechenland/Kommission63, in denen der EuGH gleichsam gemischte Abkommen als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bezeichnet bzw. seine Zuständigkeit ohne Prüfung der zugrunde liegenden Sachkompetenzen angenommen hat. Erst in der Rechtssache Hermès war der EuGH aufgerufen sich zu dem Verhältnis der geteilten Außenkompetenz zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten und seiner eigenen Auslegungszuständigkeit zu äußern. Um künftige Auslegungsdifferenzen zu verhindern, bejahte der EuGH seine Zuständigkeit, Art. 50 TRIPS auszulegen, selbst wenn sich dieser auf rein mitgliedstaatliche Sachverhalte bezieht.64 In seiner Begründung stützte er seine Auslegungszuständigkeit auf die Gefahr einer divergierenden Rechtsprechung von europäischen Gerichten einerseits und den mitgliedstaatlichen Gerichten andererseits. In dieselbe Richtung weist sein darauf folgendes Urteil in der Rechtssache Dior, in der es erneut um seine Zuständigkeit zur Auslegung von Art. 50 TRIPS ging. Hier stellt der Gerichtshof nicht darauf ab, ob die Gemeinschaft zum Schutz eines bestimmten Immaterialgüterrechts bereits Regelungen über einstweilige Maßnahmen getroffen hatte. Maßgeblich war für ihn nur, dass Art. 50 TRIPS als Verfahrensvorschrift für alle in seinen Geltungsbereich fallenden Sachverhalte in gleicher Weise gelte, und deshalb im Interesse der Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten und Gemeinschaft einheitlich auszulegen sei.65 Allerdings hat der Gerichtshof trotz der umfassenden Zuständigkeit zur Auslegung des Art. 50 TRIPS damit noch nicht zu erkennen gegeben, inwiefern das TRIPS „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ geworden ist. Diesbezüglich von größerer Bedeutung sind allerdings die Ausführungen des Gerichtshofes, die er im Rahmen seiner Erörterung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 50 (6) TRIPS anstellt. Dazu führt er aus, dass die Vorschrift nur insoweit „der Sphäre des Gemeinschaftsrechts zuzurechnen“ sei, als es sich um einen Bereich handele, „in dem die Gemeinschaft bereits Rechtsvorschriften erlassen hat“.66 Nur in solchen Bereichen könne für die Beurteilung der gemeinschaftsinternen Wirkung durch den EuGH das Gemeinschaftsrecht herangezogen werden. In den Bereichen, die der mitgliedstaatlichen Kompetenz verblieben ist, seien hingegen die mitgliedstaatlichen 61
EuGH, EuGH, 63 EuGH, 64 EuGH, 65 EuGH, Rn. 36 ff. 66 EuGH, Rn. 47, 49. 62
Rs. 87/75, Bresciani, Slg. 1976, 129, Rn. 17. Rs. 65/77, Razantsimba, Slg. 1977, 2229. Rs. 30/88, Griechenland/Kommission, Slg. 1989, 3711, Rn. 12. Rs. C-53/96, Hermès, Slg. 1998, I-3603, Rn. 32. verb. Rs. C-300/98 und C-392/98, Dior und Assco, Slg. 2000, I-11307, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98, Dior und Assco, Slg. 2000, I-11307,
D. Innergemeinschaftliche Geltung der mitgliedstaatlichen Kompetenz
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Stellen aufgerufen, die interne Wirkung der Vorschrift zu bestimmen. In Konsequenz dieser zur Rechtswirkung angestellten Überlegungen würde sich für die innergemeinschaftliche Geltung der Schluss aufdrängen, dass das TRIPS nur in den Bereichen „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ würde, in denen die Gemeinschaft interne Rechtsvorschriften erlassen hat.67 Ist dies nicht der Fall, richtet sich die Rechtswirkung allein nach den nationalen Rechtsordnungen.
III. Der dogmatische Zusammenhang zwischen innergemeinschaftlicher Geltung, Auslegungs- und Rechtswirkungsbestimmungszuständigkeit Die vom Gerichtshof vollzogene Trennung zwischen einer umfassenden Auslegungszuständigkeit einerseits und einer geteilten innergemeinschaftlichen Geltung und Wirkung andererseits muss allerdings auf Kritik stoßen. Eine dogmatisch schlüssige Erklärung, warum der EuGH zwar zur Auslegung einer Norm befugt sein soll, nicht jedoch ihre Wirkung bestimmen kann, ist nicht ersichtlich.68 Die Durchbrechung der Parallelität von gemeinschaftlicher Geltung und Auslegungskompetenz kann nicht überzeugen.69 Eine einheitliche Auslegung durch den Gerichtshof ist dann nicht durchführbar, wenn die Vorschrift aufgrund einer geteilten internen Geltung in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtswirkungen zu entfalten in der Lage ist.70 Ob die WTO-Vorschriften unmittelbare Wirkung zeitigen können, hängt von der Rechtsnatur des WTO-Abkommens und der Bestimmtheit und Unbedingtheit ihrer Vorschriften ab. Diese Voraussetzungen erschließen sich jedoch nur durch Auslegung der WTO-Übereinkünfte. Wenn sich der EuGH aber auch die Auslegungszuständigkeit im Bereich der ausschließlichen Außenkompetenz der Mitgliedstaaten zuspricht, entfaltet seine Auslegung zur unmittelbaren Wirkung auch Bindungswirkung für die nationalen Gerichte im Bereich mitgliedstaatlicher Zuständigkeit.71 Insofern kann eine unabhängige mitgliedstaatliche Beurteilung über die Rechtswirkung des mitgliedstaatlichen Teils eines gemischten Abkommens nicht mehr getroffen werden, wenn die Kompetenz zur Auslegung gleichzeitig 67
Hermes, TRIPS, 87. Hermes, TRIPS, 96. 69 Wünschmann, Geltung, 74. 70 Schermers, in: O’Keefe/Schermers (Hg.), Law and Integration, 174 f.; Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Art. 300 EGV, Rn. 100; Meessen, EuR 1980, 49; Arnold, ARCHVR (1980/81), 455; Stein, AEL 1990, 165; Hermes, TRIPS, 96. 71 Wünschmann, Geltung, 81; Hinderer, Rechtsschutz, 479; Ruessmann, ITLR 2000, 196. 68
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
bei einer anderen supranationalen Instanz liegt. Aus demselben Grund kann ebenso wenig die Beanspruchung umfassender Auslegungszuständigkeit bei gleichzeitig geteilter innergemeinschaftlicher Geltung dogmatisch überzeugen, denn auch der rechtliche Status, den das Abkommen in der nationalen Rechtsordnung beansprucht, müsste sich bei uneinheitlicher innergemeinschaftlicher Geltung nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaates richten, welche aber der Auslegungshoheit des EuGH unterworfen wäre. Mit anderen Worten: Es ist nicht nachvollziehbar, warum der EuGH aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten daran gehindert sein soll, eine Vorschrift für unmittelbar anwendbar zu erklären, sich aber gleichzeitig als zur Auslegung derselben Vorschrift berechtigt anzusehen.72 Miteinander in Einklang lassen sich Auslegungszuständigkeit und innerstaatliche Geltung und Wirkung aber nur dann bringen, wenn zunächst eine Aussage über die innergemeinschaftliche Geltung des gemischten Abkommens getroffen wird und auf dieser Basis ein Schluss für die Auslegungs- und Rechtswirkungsbestimmungszuständigkeit des EuGH gezogen wird. Der Umfang der Auslegungszuständigkeit kann folglich nicht bestimmt werden, ohne dass zuvor die Reichweite der innergemeinschaftlichen Geltung feststeht.73 Geht man davon aus, dass das gesamte WTORecht Bestandteil des Gemeinschaftsrechts geworden ist, dann ist es auch in seiner Ganzheit gegenüber den nationalen Regelungen vorrangig. Die nationalen Gerichte könnten dann weder die übergeordneten gemeinschaftlichen Vorschriften auslegen, noch könnten sie die Rechtswirkung dieser Bestimmungen in ihren Rechtsordnungen regeln. Als logische Konsequenz daraus ließe sich dann die umfassende Auslegungszuständigkeit des EuGH begründen. Gelangt man jedoch wie ein Teil der Literatur zu der Auffassung, dass die in die Vertragszuständigkeit der Mitgliedstaaten fallenden Teile des gemischten Abkommens nicht „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ werden, kann die Auslegungszuständigkeit auch nur für den Gemeinschaftsteil des Abkommens gelten,74 wenn das Hauptargument der Verfechter dieses Trennungsmodells, nämlich die Vermeidung einer unzulässigen Beeinträchtigung mitgliedstaatlicher Kompetenzen75 ernst genommen werden soll. Allerdings werden die im Folgenden angestellten Erwägungen dafür sprechen, dem Gerichtshof aufgrund umfassender innergemeinschaftlicher Geltung des gemischten Abkommens auch die Auslegungs- und Rechtswirkungsbestimmungshoheit zuzusprechen. 72 73 74
Groh/Wündisch, in: GRUR Int. 2001, 503; Ruessmann, ITLR 2000, 196. So wohl auch Hermes, TRIPS, 93; Gerken, Rechtsschutzmöglichkeiten, 154. In dieser Konsequenz auch Hinderer, Rechtsschutz, 479 ff.; anders Ott, GATT,
219. 75 Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 64; Epiney, EuZW 1999, 8 ff.; von Danwitz, JZ 2001, 729.
D. Innergemeinschaftliche Geltung der mitgliedstaatlichen Kompetenz
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IV. Argumente für eine umfassende innergemeinschaftliche Geltung in den Mitgliedstaaten Der Annahme einer einheitlichen innergemeinschaftlichen Geltung und Auslegung des gemischten Abkommens wird im Schrifttum überwiegend mit dem Argument widersprochen, dass nur derjenige Teil Bestandteil des Gemeinschaftsrechts werden könne, der in den Kompetenzbereich der Gemeinschaften fällt.76 Der andere Teil hingegen, welcher im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten liegt, teile nicht den Charakter des integrierenden Bestandteils des Gemeinschaftsrechts. Hierfür werden die Grundsätze der horizontalen Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten angeführt, die vor einer Umgehung geschützt werden müssten.77 Der Abschluss eines gemischten Abkommens dürfe innerhalb der Gemeinschaft keiner Partei einen Kompetenzgewinn oder -verlust bescheren.78 Trotz dieses berechtigten Einwandes sprechen doch gewichtige Gründe dafür, dem gemischten Abkommen umfassend in den Mitgliedstaaten und in der Gemeinschaft Geltung zuzusprechen. 1. Die einheitliche Auslegung und Rechtsanwendung zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung Zunächst erweist sich die Einheitlichkeit der Auslegung und Rechtsanwendung vor allem als ein die Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts sicherndes Prinzip.79 Die Argumente zugunsten einer beim EuGH zentralisierten Auslegungsinstanz können in diesem Zusammenhang auch für die Begründung einer umfassenden innergemeinschaftlichen Geltung des gemischten Abkommens fruchtbar gemacht werden, denn nur bei Vorliegen der letzteren würde dies nach der hier geführten Argumentation auch die Auslegungs- und Rechtswirkungsbestimmungskompetenz des EuGH begründen.80 76 Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 300 EGV, Rn. 64; Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 88; Arnold, ArchVR 1980/81, 455; Hirsch, BVBl. 1997, 450; Hartley, Community Law, 297; Vedder, in: Grabitz/Hilf, Altband II, Art. 228 EGV, Rn. 21, 23; Flemisch, Umfang, 45; Louis/Steenbergen, RBDI 1983, 362; Hailbronner, EuR 1984, 64; Gaja, in: O’Keefe/Schermers, 136 77 Petrovic, L’effect direct, 300; Epiney, EuZW 1999, 7. 78 Drexl, GRUR Int. 1994, 778 f.; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, Art. 300 EGV, Rn. 71; von Danwitz, JZ 2001, 729. 79 Ebenfalls Hermes, TRIPS, 99 f. 80 Wie bereits ausgeführt wurde, kann eine Auslegungszuständigkeit des EuGH nur dann angenommen werden, wenn der Auslegungsinhalt Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
Seiner Intention nach ist das Erfordernis einer einheitlichen Anwendung und Auslegung des gemischten Abkommens von dem Bemühen geprägt, mögliche Auslegungsdivergenzen zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten zu vermeiden und die Einheitlichkeit somit letztlich auch in den Dienst einer Sicherung der Funktionsfähigkeit der EG zu stellen.81 Die Kohärenz der Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsabkommen innerhalb so eng verzahnter Rechtsordnungen wie der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten ist insoweit notwendig für die Funktionsfähigkeit der EG, als Wertungswidersprüche vermieden werden sollten. Eine die einheitliche Anwendung gewährleistende Auslegung, die auch eine Fragmentierung des WTO-Rechts als Konsequenz geteilter Zuständigkeiten verhindert, kann nur sichergestellt werden, wenn der EuGH die Auslegung und Rechtswirkungsbestimmung des gemischten Abkommens voll umfänglich vornimmt.82 Denn das Völkervertragsrecht hat, sobald es Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung geworden ist, Anteil an der Einheitlichkeit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Diese Einheitlichkeit der Anwendung im Bereich gemeinschaftlicher Kompetenzen wäre gefährdet, wenn mitgliedstaatliche Gerichte den WTO-Regeln von der Rechtsprechung des EuGH divergierende Auslegungen oder Rechtswirkungen zusprechen würden. Überließe man die Bestimmung des rechtlichen Status des gemischten Abkommens und die Auslegungshoheit darüber den nationalen Rechtsordnungen, würden sich darüber hinaus noch weitere Problemfelder offenbaren. Würde man den mitgliedstaatlichen Gerichten die Kompetenz einräumen, über die innerstaatliche Geltung der GATS- und TRIPS-Vorschriften zu bestimmen, könnte dies zur Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung dieser Regeln in einigen Rechtsordnungen führen, die den betroffenen Unternehmen die Berufung auf die Unvereinbarkeit eines EG-Sekundärrechtsaktes mit den GATS- und TRIPS-Regeln ermöglichen würde. Dabei dürfte jedoch im Einzelfall unklar sein, wo eine Bestimmung nur im nationalen Recht Bedeutung hat und wo sie sich auch auf gemeinschaftliche Rechtsakte auswirken kann.83 Angesprochen sind damit vor allem praktische Schwierigkeiten bei der kompetentiellen Grenzziehung,84 welche mangels positivrechtlicher Niederlegung der Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten nur schwer zu ermitteln sein dürfte.85 Verkompliziert wird die saubere Aufteilung der 81 Petersmann, ZaöRV 1973, 280 ff.; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 200; Rideau, RGDIP (1990), 347; Arnold, in: Dauses (Hg.), Handbuch, K.I, Rn. 101. 82 Ott, GATT, 218; Wünschmann, Geltung, 81; Pescatore, RdC 1961 II, 132 f.; Stein, Der gemischte Vertrag, 187 f. 83 Cascante, Rechtsschutz, 239. 84 Eeckhout, Internal Market, 20 f.; Cascante, Rechtsschutz, 224: Die Abgrenzung sei eben kein „chirurgischer Schnitt“. 85 Gerken, Rechtsschutzmöglichkeiten, 156.
D. Innergemeinschaftliche Geltung der mitgliedstaatlichen Kompetenz
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Kompetenzen vor allem durch den Umstand, dass sich die Grenzen im Wege der dynamischen Kompetenzausweitung zugunsten der Gemeinschaft ständig ändern, wenn diese ihre potentielle Zuständigkeit aktualisiert.86 Insofern ist die Vermeidung einer Situation erstrebenswert, in der die Auslegungskompetenz des EuGH allein davon abhängig sein würde, ob nun ein Rechtsakt der Gemeinschaft kurz vor oder nach dem entsprechenden Urteil erginge.87 Einleuchtend ist angesichts dessen auch der Hinweis, dass eine Verunsicherung der Marktteilnehmer aufgrund unklarer Zuständigkeitsfragen und unterschiedlicher Auslegungen verhindert werden könnte.88 Folge einer geteilten Auslegungs- und Rechtswirkungsbestimmungszuständigkeit wäre konsequenterweise ein Defizit an Rechtssicherheit. 2. Die einheitliche Anwendung des WTO-Rechts zur Förderung seiner Effektivität Ein weiteres Argument lässt sich aus der Erforderlichkeit einer effektiven Durchsetzung des WTO-Rechts gewinnen. Im Falle geteilter Zuständigkeiten und eines uneinheitlichen innergemeinschaftlichen Status des Völkervertragsrechts würden die Rechtswirkungen einzelner GATS- und TRIPS-Vorschriften zwischen den einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten variieren. So wäre beispielsweise die unmittelbare Anwendbarkeit einiger TRIPS-Vorschriften nach Vorstellung des deutschen Gesetzgebers durchaus möglich,89 während dies in Großbritannien aufgrund des dualistischen Rechtssystems ausgeschlossen wäre, solange nicht ein parlamentarisches Gesetz die innerstaatliche Bindung und Durchsetzbarkeit festgelegt hat.90 Die Möglichkeit unterschiedlicher Rechtsanwendungen der WTO-Abkommen innerhalb der Gemeinschaft ist jedoch zu vermeiden. Immerhin stellen die WTO-Abkommen etwas Einheitliches dar, dessen Teile nicht innerhalb der Gemeinschaft uneinheitlich ausgelegt und angewendet werden sollten.91 Insbesondere im Hinblick auf die innere Verknüpfung der einzelnen WTO-Übereinkommen untereinander92 erscheint es problematisch, die Festlegung des Rechtsstatus 86
Ott, GATT, 217. Cascante, Rechtsschutz, 239. 88 Eeckhout, CMLR 1997, 14 ff. 89 BT-Drucksache 12/7655, 337: „Zudem ist ein Teil der Vertragsbestimmungen, jedenfalls aus dem Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums, innerstaatlich unmittelbar anwendbar.“ Vgl. dazu Krajewski, Verfassungsperspektiven, 70. 90 Craig/de Bùrca, EU Law, 280. 91 So auch die Kommission in der Rs. C-53/96, Hermès, Slg. 1998, I-3603 ff.; vgl. dazu die die Schlussanträge des GA Tesauro vom 13.11.1997, Rn. 16. 92 Castillo de la Torre, JWT 53 (1995), 67 f. 87
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
den nationalen Rechtsordnungen zu überlassen und so die Gefahr eines uneinheitlichen Wirkungsgrades hervorzurufen. So finden sich insbesondere einige fundamentale Vorschriften, wie der Grundsatz der Inländerbehandlung in Art. III GATT und Art. XVII GATS, in verschiedenen WTO-Übereinkünften, deren interne Wirkung allerdings je nach Abschlusskompetenz variieren würde, überließe man die Bestimmung ihrer internen Rechtswirkung den EG-Mitgliedstaaten. Im Ergebnis würde dies zur Folge haben, dass die Wirkung ein und derselben TRIPS- oder GATS-Vorschrift innerhalb der Gemeinschaft je nach Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt würde. 3. Die gegenseitige Pflicht zur Vermeidung einer völkerrechtlichen Inanspruchnahme Bereits festgestellt wurde, dass die Gemeinschaft für Verletzungen in allen Bereichen des gemischten Abkommens völkerrechtlich haftet. Auf den gemeinschaftlichen Teil ist die völkerrechtliche Haftung nur dann beschränkt, sofern Gemeinschaft und Mitgliedstaaten die Aufteilung ihrer Zuständigkeiten den anderen Vertragsstaaten offen gelegt haben.93 Dies bedeutet auch, dass die uneinheitliche Anwendung innerhalb der Gemeinschaft Auswirkungen haben kann auf die Rechtsstellung der Gemeinschaft gegenüber dritten Vertragsstaaten des gemischten Abkommens. Eine völkerrechtliche Haftung der EG drohte beispielsweise bereits dann einzutreten, wenn auf Ebene der deutschen Rechtsordnung ein einfaches Bundesgesetz nach dem lex posterior-Grundsatz Vorrang vor dem mitgliedstaatlichen Kompetenzteils des WTO-Rechts begründet.94 Ein einfaches, mit WTO-Recht kollidierendes Bundesgesetz würde demnach ausreichen, eine Haftung der Gemeinschaft auf völkerrechtlicher Ebene auszulösen. Die Wahrscheinlichkeit haftungsauslösender nationalstaatlicher GATS- oder TRIPS-Verletzungen ist bei einer Vielzahl unterschiedlicher Wirkungsgrade und Auslegungen innerhalb der Gemeinschaft ungleich größer als bei einer einzigen gemeinschaftsweiten Geltung dieser Vorschriften.95 Um von der Gemeinschaft die erhöhte Gefahr einer völkerrechtlichen Haftung abzuwenden, müssten die Mitgliedstaaten dadurch zu einer koordinierten und einheitlichen Erfüllung der Verpflichtungen aus dem gemischten Abkommen beitragen, indem 93
Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Art. 300 EGV, Rn. 64 m. w. N. 94 Entfalten die WTO-Abkommen nicht umfassende innergemeinschaftliche Geltung, bemisst sich ihr Gesetzesrang nach den nationalen Rechtsordnungen. Nach deutschen Recht hätten die mitgliedstaatlichen Teile des gemischten Abkommens einfachen Gesetzesrang, vgl. statt vieler Streinz, Europarecht, Rn. 696; Meessen, EuR (1980/81), 49. 95 Ebenso Hermes, TRIPS, 98 f.
D. Innergemeinschaftliche Geltung der mitgliedstaatlichen Kompetenz
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sie die einheitliche Geltung der Gesamtheit der WTO-Vorschriften in ihren Rechtsordnungen anerkennen, so dass alle Teile des WTO-Rechts zum „integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ werden.96 Das Gebot zur Rücksichtnahme trifft freilich auch die Gemeinschaftsorgane bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen gegenüber den Mitgliedstaaten. Dahingehend ist oben im Rahmen der Haftung der Gemeinschaft ermittelt worden, dass Art. 10 EGV auch eine Pflicht der Gemeinschaft gegenüber ihren Mitgliedstaaten zur Entstehung bringt, die Schadensersatzpflicht zugunsten geschädigter Unternehmen anzuerkennen, denn auch die Gemeinschaftsorgane haben die Pflicht, die Mitgliedstaaten vor einer völkerrechtlichen Haftung zu bewahren.97 Hier wie dort haften die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten bei WTO-Rechtsverletzungen auf völkerrechtlicher Ebene für das Fehlverhalten des jeweils anderen. Im Übrigen bestünde nicht die Gefahr, dass sich die Gemeinschaftsorgane aufgrund der innergemeinschaftlichen Geltung für alle Teile des Abkommens Kompetenzen einverleiben würden, die ihr nach dem EGV nicht zustünden.98 Um diesen Bedenken zu begegnen, müssen die Gemeinschaftsorgane freilich genauso aus dem Rücksichtnahmegebot verpflichtet werden können wie in entgegengesetzter Richtung die Mitgliedstaaten. Dies erfolgt optimalerweise in der Abstimmung bei der Wahrnehmung der den Mitgliedstaaten nach wie vor verbleibenden Kompetenzen im Außenverhältnis. Das Verhandlungsmandat bei rein mitgliedstaatlichen Sachverhalten im Rahmen gemischter Abkommen wird bei den nationalen Verhandlungsführern verbleiben, das in der Praxis gleichwohl einvernehmlich mit der Kommission als Verhandlungsführerin der Gemeinschaft geführt werden dürfte.99 Ihre externen Kompetenzen blieben damit unangetastet. Das gleiche gilt für die innergemeinschaftliche Zuständigkeitswahrnehmung durch Kommission und Mitgliedstaaten. Hier ist ebenfalls keine Kompetenzverlagerung zu befürchten, wenn die geteilte Zuständigkeit bei der Koordinierung der Zuständigkeiten berücksichtigt wird. Auch der EuGH hat betont, dass die Befugnis zur internen Durchführung eines gemischten Abkommens sich in Übereinstimmung mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach der jeweiligen Sachkompetenz von EG respektive Mitgliedstaaten richtet und 96 Stein, Der gemischte Vertrag, 187; Nolte, CMLR 1988, 408 f.; Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 90; Neuwahl, CMLR 1991, 733 ff.; Oehmichen, Anwendbarkeit, 77; Groux/Manin, Völkerrechtsordnung, 118. 97 Vgl. oben Teil 2 D. V. 3. c) aa); Herdegen, Europarecht, 409, Rn. 16; Flemisch, Umfang, 137. 98 So die Bedenken der für eine geteilte Zuständigkeit eintretenden Stimmen, vgl. Ehlermann, in: O’Keefe/Schermers (Hg.), Mixed Agreements, 18 f.; Hailbronner, EuR 1984, 64. 99 Cascante, Rechtsschutz, 225.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
nicht durch den Abschluss eines gemischten Abkommens berührt wird.100 In der Praxis erfolgt hier die Entscheidungsfindung in enger Abstimmung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten,101 so dass trotz des Scheiterns eines verhaltensregelnden Kodexes102 das Zusammenspiel zwischen EG und Mitgliedstaaten zu keiner nennenswerten Beeinträchtigung der einheitlichen Außenvertretung geführt hat.103 Als Schlussfolgerung der angestellten Erwägungen muss das Interesse der Mitgliedstaaten an einer unabhängigen Auslegung und Geltungsbestimmung der WTO-Vorschriften aus dem Gebot der Gemeinschaftstreue aus Art. 10 EGV hinter den Gemeinschaftsinteressen zurücktreten.104 Die primärrechtliche Verankerung des Rücksichtnahmegebotes lässt sich auch aus der Stellungnahme des EuGH in seinem Gutachten 1/94 und den darin gemachten Ausführungen zur Kooperationspflicht der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten für die Bereiche geteilter Zuständigkeit entnehmen. In seinem Gutachten betont das Gericht, dass eine enge Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und Organen insbesondere deshalb essentiell sei, um die Erfüllung der übernommen Verpflichtungen zu gewährleisten.105 Auch wenn damit primär die Verpflichtungen von EG und Mitgliedstaaten im Außenverhältnis gemeint sind, muss sich eine Pflicht zur Zusammenarbeit auch im Innenverhältnis ergeben, wenn den negativen Auswirkungen einer uneinheitlichen Anwendung der Gemeinschaftsabkommen vorgebeugt werden soll. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aus Gründen der einheitlichen Auslegung und Rechtsanwendung, zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung, der einheitlichen Anwendung des WTO-Rechts zur Förderung seiner Effektivität als auch, um von der Gemeinschaft die Gefahr einer völkerrechtlichen Haftung abzuwenden, den mitgliedstaatlichen Kompetenzteilen des WTO-Rechts der Status innergemeinschaftlicher Geltung zugesprochen werden muss.
100 EuGH, Rs. 22/70, AETR, Slg. 1971, 263; Gutachten 2/91, ILO, Slg. 1993, I-1061, Rn. 28. 101 Vgl. dazu Mögele, in: Streinz, Art. 300 EGV, Rn. 63 f.; häufig wird die Durchführung gemischter Abkommen in der Praxis der Gemeinschaft überlassen, indem entsprechende Durchführungsabkommen abgeschlossen werden; siehe dazu Petersmann, ZaöRV (1973), 280 ff. 102 Siehe Dutzler, in: Griller/Weidel (Hg.), Economic Relations, 176 103 Timmermans, in: Dashwood/Hillion (Hg.), External Relations, 244. 104 Macleod/Hendry/Hyett, External Relations, 145 f.; Gaja, in: O’Keefe/Schermers (Hg.), 140; Ruessmann, ITLR 2000, 189 f.; Gilsdorf, EuR 1996, 159. 105 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5276, Rn. 108; ebenso in Rs. C-25/94, FAO, Slg. 1996, I-1469, Rn. 48.
E. Konsequenzen für Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs
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E. Konsequenzen für die weiteren Voraussetzungen des gemeinschaftlichen Staatshaftungsanspruchs Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bewirkt, dass sich der gesamte gemischte Vertrag als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts nach den durch das Gemeinschaftsrecht bestimmten Rechtsgrundsätzen richtet.106 Damit gehören auch die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallenden Teile des Abkommens als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung zu den Vorschriften, deren Sicherung der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch anstrebt.107 Steht damit einmal fest, dass die Grundsätze der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung sich auf alle WTO-widrigen mitgliedstaatlichen Handlungen erstrecken, müssen nun die Voraussetzungen des Haftungsanspruchs in Augenschein genommen werden. Diesbezüglich kann größtenteils auf die oben entwickelten Ausführungen zur Haftung der Gemeinschaft verwiesen werden, die sich ja maßgeblich an der Rechtsprechung und den Grundsätzen zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch orientiert haben.
I. Mögliche Sachverhaltskonstellationen nationaler WTO-Rechtsverstöße Zu diesem Zweck sind zunächst verschiedene Konstellationen möglicher mitgliedstaatlicher WTO-Rechtsverstöße zu skizzieren, die sich hinsichtlich der Art ihrer Rechtsverletzung unterscheiden und damit auch eine andere schadensersatzrechtliche Behandlung erfahren sollten. In Analogie zur Gemeinschaftshaftung ist dabei zunächst an den Fall zu denken, in dem ein Mitgliedstaat selber in einem Panelverfahren beklagt und die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens verbindlich festgestellt wird. Bei Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung wäre Anknüpfungspunkt für die Haftung auch hier der im Wege des effet utile ausgelegte Art. 300 VII EGV und die an den Mitgliedstaat adressierte individualbegünstigende DSB-Entscheidung. Möglich erscheint aber auch eine Situation wie sie dem Vertragsverletzungsverfahren Kommission/Deutschland zugrunde lag.108 Danach kann ein Mitgliedstaat auch dann rechtswidrig handeln, wenn er trotz eigenen Hand106 107 108
Gellermann, in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 41. Ebenso Hermes, TRIPS, 336; Hinderer, Rechtsschutz, 487. EuGH, Rs. C-61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-4012.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
lungsspielraumes das Gemeinschaftssekundärrecht nicht WTO-konform ausgelegt und angewendet hat. Darüber hinaus ist auch an ein Szenario zu denken, in dem ein Mitgliedstaat WTO-widrige Maßnahmen auf einem Gebiet erlässt, welches in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. So eine GATT-widrige nationale Maßnahme lag im oben genannten Fall vor, in dem Irland und Großbritannien Zölle auf den Import von Computerkomponenten erhoben hatten, die über das von der Gemeinschaft in den Listen der Zugeständnisse nach Art. II GATT ausgehandelte Niveau hinausgingen und somit eine Verletzung der Meistbegünstigungsklausel nach sich zog.109 In diesem Fall ist neben der Verletzung von Völkervertragsrecht über Art. 300 VII EGV auch die Verletzung materieller Kompetenzvorschriften in Erwägung zu ziehen: Eine GATT-widrige Maßnahme eines EG-Mitgliedstaates dürfte nämlich in diesem Fall auch unter Verstoß gegen innergemeinschaftliche Kompetenzen zustande gekommen sein. Denn die Außenkompetenz für den gesamten Bereich des GATT liegt nach Maßgabe des Art. 133 EGV bei der Gemeinschaft.110 In Betracht kommt schließlich eine Konstellation, in der die EG durch die DSB-Entscheidung zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wird, bei der Verwirklichung der Umsetzung jedoch auf eine Mitwirkung der Mitgliedstaaten angewiesen ist. Leisten diese gar keine oder nur unzureichende Hilfe, könnten einzelnen Wirtschaftssubjekten daraus Schäden entstehen.
II. Verleihung von Rechten an Einzelne und das Bestimmtheitserfordernis Der Schadensersatzanspruch setzt einen Verstoß gegen eine Norm voraus, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.111 In dieser Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass die Schadensersatzklage nicht an das Vorliegen einer unmittelbar wirksamen Norm gebunden ist. Grundlage der Haftung bei Verletzung von Völkervertragsrecht stellt vielmehr eine praktische Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV dar, der die Bindungswirkung des Gemeinschaftsabkommens ausweislich seines Wortlautes auch auf die Mitgliedstaaten ausweitet und insofern problemlos auf die gemeinschaftsrecht109 WT/DS67/1, United Kingdom – Customs Classification of Certain Computer Equipment, Bericht des Appellate Body vom 5.6.1998; WT/DS68/1, Ireland – Customs Classification of Certain Computer Equipment, Bericht des Appellate Body vom 5.6.1998. 110 Dazu Griller, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 271; Cascante, Rechtsschutz, 314. 111 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 40.
E. Konsequenzen für Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs
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liche Staatshaftung angewendet werden kann. Neben der Effektuierung des Art. 300 VII EGV tritt, wie oben ausgeführt wurde, das Erfordernis einer individualbegünstigenden DSB-Entscheidung, welche zumindest reflexartig die Interessen des Einzelnen schützt. Über das im zweiten Teil dieser Arbeit Gesagte hinaus wird das Erfordernis der individualschützenden Norm dann bedeutsam, wenn neben der Verletzung des Art. 300 VII EGV und der Umsetzungsverpflichtung aus der DSB-Entscheidung noch eine Verletzung des Art. 133 EGV in Betracht kommt. Das Überschreiten des von der EG im Bereich seiner ausschließlichen Zuständigkeit ausgehandelten Zolls durch einen Mitgliedstaat steht mit der Kompetenzzuweisung des Art. 133 EGV in Widerspruch. Art. 133 EGV verleiht der Union eine ausdrückliche Kompetenz zur gemeinsamen Handelspolitik.112 Nimmt der Mitgliedstaat somit Kompetenzen wahr, die primärrechtlich der Gemeinschaft zugeschrieben sind, verstößt er gegen Bestimmungen, welche die Wahrung der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten regeln. Wenngleich ein solcher Rechtsverstoß ausreicht um die Rechtswidrigkeit in einem Vertragsverletzungsverfahren zu begründen, dürfte damit wohl kaum das für die Schadensersatzklage geltende Erfordernis einer den Einzelnen schützenden Rechtsnorm erfüllt sein. In diesem Sinne hat der Gerichtshof bereits im Rahmen der Gemeinschaftshaftung festgestellt, dass das System der Verteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen Organe der Gemeinschaft zwar die Beachtung des institutionellen Gleichgewichts sicherstellen, nicht aber den Einzelnen schützen soll.113 Die Nichtbeachtung des institutionellen Gleichgewichts soll folglich nicht die Haftung der Gemeinschaft auslösen können. Zwar geht es im hiesigen Kontext nicht um das Gleichgewicht zwischen den Gemeinschaftsorganen, sondern um jenes zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Doch auch die Kompetenzzuweisung in Art. 133 EGV regelt ausschließlich das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und dient nicht dem Schutz des Einzelnen. Dessen ungeachtet wird man aber auch in diesem Fall wieder die praktische Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV zur Geltung bringen können, auch wenn der eigentliche Adressat die EG ist. Andererseits sind auch die Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV verpflichtet, bei der Umsetzung von Gemeinschaftsabkommen einen Beitrag zu leisten und alles Erforderliche zu tun, um den Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen.114 Nach Art. 300 VII EGV werden Gemein112
Diese Kompetenz findet sich nach dem Europäischen Verfassungsvertrag in Art. III-315 EVV. 113 EuGH, Rs. C-282/90, Vreugdenhil, Slg. 1992, I-1937, Rn. 20. 114 In diese Richtung weist das Urteil des EuGH in Kupferberg, wonach die Einhaltung von Gemeinschaftsabkommen durch die Mitgliedstaaten „eine Pflicht [darstellt], die nicht nur dem betroffenen Drittland, sondern auch und vor allem der Ge-
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
schaftsorgane und Mitgliedstaaten gleichermaßen durch das Gemeinschaftsabkommen gebunden, so dass den Mitgliedstaat auch innergemeinschaftlich die Pflicht trifft, die DSB-Entscheidung umzusetzen.115 Der eine effektive Umsetzung beeinträchtigende Mitgliedstaat kann sich seiner Mitwirkungspflicht nicht mit dem Hinweis entziehen, dass die DSB-Entscheidung nur an die EG gerichtet sei. Neben dem Zweck der DSB-Entscheidung, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, müssten diese aber auch hinreichend bestimmt sein, d.h. dass ihr materiell ein Mindestinhalt des zu verleihenden Rechts entnommen werden können muss.116 Die an den Mitgliedstaat gerichtete DSB-Entscheidung müsste sich folglich daran messen lassen, ob die einzelnen WTO-Vorschriften, deren Verletzung die Rechtswidrigkeitsfeststellung durch den DSB veranlasst haben, ein normativer Mindestgehalt entnommen werden kann, auf Grundlage dessen sich der im zweiten Teil der Arbeit beschriebene mittelbare Individualschutz der WTO-Vorschriften verwirklicht und kraft derer die unterlegene Partei verpflichtet wird, ein subjektives Recht in ihrer Rechtsordnung zu schaffen.117 Ferner muss anhand der DSB-Entscheidung der Kreis der Anspruchsberechtigten zu bestimmen sein, dessen Konkretisierung sich allein aus den fallspezifischen Umständen im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Schutzintention der konkreten WTOVorschrift ergibt.118 Problematisch könnte das Bestimmtheitserfordernis dann sein, wenn keine DSB-Entscheidung ergangen ist, sondern der EuGH in einem Verfahren festgestellt hat, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Pflicht zur WTOkonformen Auslegung verstoßen hat wie es in Kommission/Deutschland der Fall war.119 Dann müsste man zum einen bei der Ermittlung einer individualschützenden Vorschrift auf die WTO-Normen im Allgemeinen abstellen, was jedoch mit den oben angestellten Erwägungen zum mittelbaren Individualschutz des WTO-Rechts keinen Bedenken begegnet. Darüber hinaus fehlt in einem solchen Fall jedoch eine DSB-Entscheidung, welche diesen mittelbaren Schutzreflex zugunsten des Einzelnen hinreichend genau bestimmt. Kann die Bestimmbarkeit eines Minimalrechts des Einzelnen nicht meinschaft gegenüber besteht, die die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen hat.“ Vgl. EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3662, Rn. 13. 115 Siehe für die Herleitung einer Umsetzungspflicht aus Art. 300 VII EGV oben Teil 2 D. II. 1. b). 116 EuGH, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Rn. 17. 117 Dazu oben Teil 2 E. II. 118 EuGH, verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 und C-190/94 Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Rn. 35 f. 119 EuGH, Rs. C-61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-4012.
E. Konsequenzen für Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs
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der DSB-Entscheidung entnommen werden, wird das Erfordernis eines „normativen Minimalprogramms“ in dem die Rechtswidrigkeit der nationalen Maßnahmen feststellenden Urteil des EuGH zu suchen sein.120 Entscheidend ist somit also, dass sich anhand des Urteils des Gerichtshofs eine Aussage darüber treffen lässt, wie das WTO-konforme Verhalten des Mitgliedstaates ausgestaltet sein muss, damit sich auf dieser Grundlage ein Minimalrecht des Einzelnen bestimmen lässt.
III. Das Erfordernis der qualifizierten Rechtsverletzung Die Rechtsverletzung vermag die Haftungsfolge indes nur auszulösen, wenn sie in hinreichender Weise qualifiziert ist. In Entsprechung der oben angestellten Überlegungen muss die völlige Untätigkeit des Mitgliedstaates oder offensichtliche Unzulänglichkeit bei der Umsetzung einer DSB-Entscheidung für die Annahme der qualifizierten Rechtsverletzung ausreichen.121 Im Übrigen muss dargelegt werden, dass die Nichtumsetzung der DSB-Entscheidung hinsichtlich der Schwere und der Auswirkungen der Rechtsverletzung qualifiziert ist. Insofern kann grundsätzlich auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Ausgeschlossen ist die qualifizierte Rechtsverletzung zumindest dann, wenn die WTO-Widrigkeit noch nicht durch den DSB festgestellt wurde, weil es in diesen Fällen eindeutig an der Erheblichkeit und Offenkundigkeit des Rechtsverstoßes mangelt.122 Dies dürfte aber nicht zu dem kategorischen Haftungsausschluss bei Vorliegen einer Situation führen, bei der es zwar nicht zu einer DSB-Entscheidung gekommen ist, die WTO-Widrigkeit aber in einem Verfahren vor dem EuGH festgestellt wurde. Dazu ist zu sagen, dass der EuGH in anderen Schadensersatzklagen die qualifizierte Rechtsverletzung als erfüllt angesehen hat, wenn das rechtswidrige Verhalten des Mitgliedstaates „trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, oder eines Urteils im Vorabentscheidungsverfahren [. . .] aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt“, fortbestanden hat.123 Diese Rechtsprechung gewinnt in einer Konstellation, wie sie der Rechtssache Kommission/Deutschland zugrunde lag, an Relevanz. Hier hatten die deutschen Behörden den ihnen zustehenden Handlungsspielraum bei der Umsetzung der gemeinschaftlichen Verordnung deswegen rechtswidrig wahrgenommen, weil sie die Gemeinschaftsverordnung nicht WTO-konform angewandt hat120 Hailbronner, JZ 1992, 288; Ossenbühl, DVBl. 1992, 996; Gratzel/Bohn, DWiR 1993, 477; Kopp, DÖV 1994, 204. 121 Siehe oben Teil 2 G. II. 2. 122 Ebenso Weiß, EuR 2005, 293; Thies, CMLR 2004, 1668, 1677. 123 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Rn. 57; so auch Hermes, TRIPS, 336.
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Teil 3: Haftung der EG-Mitgliedstaaten
ten. Sollte der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren einen WTORechtsverstoß eines Mitgliedstaates festgestellt haben, könnte dieses Urteil zur Bejahung einer qualifizierten Rechtsverletzung herangezogen werden, ohne dass der ansonsten schwierige Nachweis einer qualifizierten Rechtsverletzung zu führen wäre.
F. Fazit zur mitgliedstaatlichen Haftung für WTO-Rechtsverletzungen Obwohl auf die Gemeinschaft in weiten Teilen der WTO-Abkommen mittlerweile die ausschließliche Außenkompetenz übergegangen ist, zeigt die bisherige WTO-Praxis, dass nach wie vor auch die EG-Mitgliedstaaten als selbständige Vertragsparteien dieser Abkommen Urheber WTO-widriger Maßnahmen sein können. Dies gilt zunächst unzweifelhaft dort, wo den Mitgliedstaaten noch Kompetenzen verbleiben, ist aber nicht nur auf diese Bereiche beschränkt, sondern gilt auch für mitgliedstaatliches Handeln im Bereich ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit. Aufgrund seiner Natur als gemischtes Abkommen stellt sich für den Gemeinschaftsrichter bei WTO-Rechtsverletzungen die Frage, ob das nationale oder gemeinschaftliche Haftungsregime maßgeblich sein soll. Hier hat sich diese Arbeit ausgesprochen zugunsten einer umfassenden innergemeinschaftlichen Geltung des WTO-Abkommens in den Rechtsordnungen der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten. Konsequenterweise führt dies zu einer Anwendbarkeit des vom EuGH entwickelten gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auch auf Maßnahmen im Bereich mitgliedstaatlicher Kompetenz. Damit folgen die Haftungsvoraussetzungen in allen Bereichen mitgliedstaatlichen Handelns einheitlichen Grundsätzen und sind nicht allein vom nationalen Haftungsregime abhängig. Für die einzelnen Haftungsvoraussetzungen gelten im Grundsatz die für die Gemeinschaftshaftung angestellten Erwägungen, insbesondere bezüglich der vollen Wirksamkeit des Art. 300 VII EGV sowie der Funktion der DSB-Entscheidung als Rechtsakt, der den von den WTO-Vorschriften reflexartig vermittelten Individualrechtsschutz konkretisiert. Im Übrigen richten sich die Haftungsvoraussetzungen nach der Art des mitgliedstaatlichen Rechtsverstoßes, je nachdem, ob der Rechtsverstoß auf der WTO-widrigen Wahrnehmung des Handlungsspielraumes oder der Verletzung einer Mitwirkungspflicht bei an die EG gerichteten DSB-Entscheidungen beruht. Hinsichtlich des Schadens und der Kausalität ergeben sich keine Abweichungen zu den zur Gemeinschaftshaftung angestellten Überlegungen.
Teil 4
Die ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung für WTO-Rechtsverletzungen A. Einleitung Um die bisherigen rechtsdogmatischen Befunde interdisziplinär zu untermauern, soll dieses Kapitel dazu dienen, mit Hilfe eines ökonomischen Instrumentariums aus dem speziellen Blickwinkel der ökonomischen Wohlfahrtsoptimierung die allokativen und anreizsystematischen Konsequenzen einer Schadensersatzverpflichtung für WTO-Rechtsverletzungen zu untersuchen. Die ökonomische Analyse des Rechts als klar definierte Forschungsrichtung ist eine relativ junge, aus den USA stammende Strömung der Rechtswissenschaften.1 Ihrer Forschungsrichtung nach ist sie darauf ausgerichtet, das Recht mit ökonomischen Methoden zu untersuchen und im Hinblick auf seine Anreizwirkungen zu erklären und zumeist auch normative Aussagen darüber zu machen, wie Recht gestaltet sein sollte, um effizient zu sein.2 Damit ist nicht gesagt, dass dem Effizienzziel auch normativ ein Vorrang vor anderen rechtspolitischen Zielen zukommt bzw. dass die Setzung effizienter Schadensvermeidungsanreize unter Berücksichtigung der Risikoeinstellung der Beteiligten andere Funktionen des Haftungsrechts wie dem gerechten Schadensausgleich,3 der Abgrenzung von Freiheitsbereichen4 oder der Verhütung von Interessenverletzungen an sich ausschließt.5 Solange von 1 Vgl. einführend Posner, Economic Analysis; Cooter/Ulen, Law and Economics; Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse, 1993; Malloy/Braun, Law and Economics, 1995. 2 van Aaken, Rational Choice, 6. Angesprochen ist damit der Dualismus von positiv- und normativtheoretischem Ansatz. Der positive Anspruch der ökonomischen Analyse ist darauf gerichtet, Rechtsnormen auf ihre Effizienz hin zu untersuchen. Der normative oder rechtspolitische Anspruch geht darüber hinaus und fragt, wie das Recht gemäß den Erfordernissen der ökonomischen Effizienz zu gestalten sei. Vgl. zu dieser Unterscheidung Grady, Yale Law Journal 1983, 799 f.; Kelman, Legal Studies, 1987, 115 ff.; Taupitz, AcP 1996, 122 ff. 3 Blaschczock, Gefährdungshaftung, 343; Kötz, in: FS für Steindorff, 644 f.; Wagner, VersR 1999, 1442. 4 Brüggemeier, Prinzipien, 23; Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 53 3. 5 Vgl. Brüggemeier, Prinzipien, 31.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
der ökonomischen Analyse aber nur eine argumentative Bereicherung erwartet wird,6 ist der Einsatz wirtschaftswissenschaftlicher Methoden zur Lösung rechtlicher Probleme angesichts unbestreitbarer Anreizwirkungen von Rechtsnormen auf deren Adressaten sogar nahe liegend und notwendig. Insofern sollen an dieser Stelle nicht umfangreich Sinn und Nutzen einer ökonomischen Theorie des Rechts im Allgemeinen diskutiert, sondern ihre heuristische Brauchbarkeit unterstellt und ihr Instrumentarium fruchtbar gemacht werden.7 Es ist somit davon auszugehen, dass die Förderung von Effizienz im ökonomischen Sinne ein legitimes und wenigstens annäherungsweise auch praktisch erreichbares Ziel ist, und zwar sowohl bei der Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts durch die Gerichte, als auch bei der Weiterentwicklung des Rechts durch den Gesetzgeber.8 Das Effizienzkriterium liefert den maßgeblichen Beurteilungsmaßstab dafür, wie im Rahmen grenzüberschreitenden Handels internationale Arbeitsteilung zur optimalen Nutzung vorhandener Ressourcen erreicht werden soll. Die Wahl des Effizienzkriteriums als Beurteilungsmaßstab impliziert allerdings nicht, dass die einseitige Freihandelsorientierung, d.h. die vollständige Beseitigung aller Handelsbarrieren, ein gesamtgesellschaftliches Wohlfahrtsoptimum garantiert. Denn wie noch zu zeigen sein wird, stoßen die herkömmlichen Konzepte von Konsumenten- und Produzentenrente, mittels derer der Nutzen eines Marktes für die Konsumenten und Produzenten analysiert werden, an ihre Grenzen, wenn es darum geht, den zusätzlichen sozialen Nutzen von Rechtsregeln zu erfassen, die beispielsweise auf den Gesundheits- oder Verbraucherschutz abzielen.9 Angesichts solcher positiven Wohlfahrtseffekte kann im Rahmen der nach WTO-Recht zulässigen Handelsbeschränkung ein gewisses Maß an protektionistischer Einfuhrbeschränkung ganz im Sinne einer Wohlfahrtsmaximierung sein, bei der die im Rahmen der Partialanalyse des Effizienzkonzeptes ausgeblendeten Wohlfahrtseffekte mit berücksichtigt werden. In ihrem Untersuchungsgang verbindet die zu leistende ökonomische Analyse der Haftung für WTO-Rechtsverletzungen positiv- und normativtheoretische Ansätze.10 Für die ökonomische Analyse des Entscheidungs6 Ähnlich Lepsius, Verw 1999, 443; Trautmann, Haftpflicht, 112; so auch Posner, Jurisprudence, 454 ff. 7 Für eine umfassende Diskussion siehe Eidenmüller, Effizienz; van Aaken, Rational Choice; Ladeur, RabelsZ 60 (2000), 60. 8 Ott/Schäfer, in: dies. (Hg.), Präventivwirkung, 146 ff. 9 Vgl. etwa van Aaken, Rational Choice, 223; ähnlich Krugman/Obstfeld, International Economics, 227. 10 Siehe dazu bezogen auf das Schadensrecht Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 125 ff.; allgemein zur Vermengung normativer und positiver Ansprüche der ökonomischen Analyse Grady, Yale Law Journal 1983, 799 f.
A. Einleitung
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kalküls der politischen Entscheidungsträger, der Wohlfahrtsschäden aus WTO-Rechtsverletzungen sowie der anreizinduzierten Zusammenhänge zwischen Entschädigung und politischer Entscheidung wird auf einen deskriptiven und somit positivtheoretischen Ansatz zurückgegriffen. Demgegenüber wird sich die ökonomische Analyse, soweit eine Haftungsregel aufgrund der Natur ihrer Anreizwirkung auf die Beteiligten der Vorzug vor einer anderen Haftungsregel gegeben wird, auf dem Feld normativer an der Allokationseffizienz orientierter Maßstäbe bewegen. Hier geht es dann um die normative Frage, wie ein Instrument zur Schadensprävention ausgestaltet sein sollte, wenn sein Einsatz zu einem gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn führen soll. Von allergrößter Bedeutung ist damit die Wahl der Haftungsregel, d.h. je nachdem, ob die vom EuGH vertretene Opferhaftung bei WTO-Rechtsverletzungen greift, oder ob eine Form der Verschuldenshaftung die Schadensersatzpflicht zulässt und als Anreiz zur Internalisierung der Gesamtwohlfahrtsschäden im Entscheidungskalkül des Gemeinschaftsgesetzgebers dienen könnte. Die Maßgeblichkeit des Anreizmechanismus als Grundlage für die Wahl einer Haftungsregel unterstreicht die Präventivfunktion, die dem Haftungsrecht aus ökonomischer Sicht zukommt. Im Gegensatz dazu sieht die Rechtswissenschaft die Ziele des Haftungsrechts vor allem darin, dem Geschädigten einen Ausgleich für den erlittenen Schaden zu verschaffen, während der Präventivfunktion nur eine Nebenrolle zuerkannt wird.11 Die Ökonomische Theorie des Haftungsrechts stellt hingegen auf die Präventions- bzw. Steuerungsfunktion des Schadensrechts ab.12 Sie definiert die Anreiz- und Abschreckungsfunktion des Schadensrechts als Steuerung des individuellen Verhaltens mit dem Ziel, schadensträchtige Aktivitäten zu reduzieren oder schadenvermeidendes Verhalten zu fördern.13 Die Aussicht des Schädigers, ex post die Opfer entschädigen zu müssen, soll den potentiellen Verletzer ex ante dazu veranlassen, Maßnahmen zu treffen, die die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der Schädigung herabsetzen.
11
Larenz, Schuldrecht, § 27 I; Lange, Schadensersatz, 9 ff.; Deutsch, Haftungsrecht, 14 f.; während dem Haftungsrecht nach ökonomischen Maßstäben somit eine ex ante Funktion zugesprochen wird, knüpft das rechtswissenschaftliche Verständnis des Schadensersatzrechts ex post am Schadensausgleichsgedanken an. Dabei wird zuweilen aber auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur darauf hingewiesen, dass die präventive und edukative Bedeutung der Wirkung des Staatshaftungsinstituts nach Francovich nicht zu unterschätzen ist, vgl. Saenger, JuS 1997, 872. 12 Magnus, Schaden, 282; Bender, Ökonomische Analyse, 11; Endres, JafüSowi 1989, 116; Hager, JZ 1990, 400 f.; Wagner, JZ 1991, 175. 13 Bender, Ökonomische Analyse, 13.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
B. Erkenntnisse der ökonomischen Analyse des zivilen Haftungsrechts Da sich die ökonomische Analyse der Haftung für WTO-Rechtsverletzungen auf keine anderen Forschungsergebnisse aus dem Bereich der öffentlich-rechtlichen Haftung stützen kann,14 ist es nahe liegend, einen orientierungsuchenden Blick auf das für die zivilrechtliche Haftung entwickelte ökonomische Modell zu werfen. Das zivile Haftungsrecht steht seit den grundlegenden Arbeiten von Coase und Calabresi15 im Mittelpunkt des Interesses der ökonomischen Analyse.16 Es ist darauf gerichtet, nach Ausgestaltungen des Haftungsrechts zu suchen, die den potentiellen Verletzer veranlassen, optimale Vorbeugemaßnahmen zu treffen.17 Zu diesem optimalen Vorsorgeaufwand soll der Verletzer nach dem Prinzip der Verschuldenshaftung angereizt werden.18 Nach der Verschuldenshaftung haftet der Verletzer, wenn er bei seiner Aktivität die „im Verkehr übliche Sorgfalt“ hat vermissen lassen.19 Tritt ein Schaden ein, obwohl der Verursacher alle allgemein als notwendig erachteten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hat, ist er von der Schadensersatzpflicht befreit. Dem Prinzip der Verschuldenshaftung folgt dem Grundsatz nach auch die Gemeinschaftshaftung nach Art. 288 EGV, die durch die Schöppenstedt-Formel und deren Erfordernis einer qualifizierten Rechtsverletzung eine spezielle haftungsbeschränkende Ausformung erfahren hat. Zwar existiert kein explizites Verschuldenserfordernis in der Gemeinschaftshaftung, doch werden entsprechende Kriterien durchaus im Rahmen der qualifizierten Rechtsverletzung geprüft,20 wenngleich die Haftungsanforderungen ungleich höher sind im Vergleich zur einfachen Sorgfaltsverletzung. 14
Einzige Ausnahme stellt nach Kenntnisstand des Autors die von van den Bergh und Schäfer verfasste ökonomische Analyse der Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Gemeinschaftsrechtsverletzungen dar, van den Bergh/Schäfer, German Working Papers in Law and Economics (2001); dies., ELR 1998, 552 ff. 15 Coase, Journal of Law and Economics 1960, 1; Calabresi, Economic Analysis. 16 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 121 ff.; Vandall, Liability, 1989; Posner, A Theory of Negligence, in: Wahl (Hg.), Economic Analysis, 47 ff.; Adams, Verschuldenshaftung; Endres, JafüSowi 1989, 115; Brown, Journal of Legal Studies 1973, 323 ff.; Landes/Posner, Tort Law; Shavell, Journal of Legal Studies 1980, 1 ff. 17 Vgl. dazu Adams, Verschuldenshaftung, 3 ff.; Endres, JafüSoWi 1989, 115. 18 Endres, Haftungsrecht, 6; für den Vergleich mit der Gefährdungshaftung siehe etwa Adams, Verschuldenshaftung, 47 ff. 19 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 157. 20 Gilsdorf/Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 288 EGV, Rn. 48; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 538 ff.
C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse
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Mit der Zielvorstellung einer präventiven Funktion des Haftungsrechts soll das zivilrechtliche Schadensrecht für den Verletzer den Anreiz setzen, ein effizientes Vorsorgeniveau anzuwenden.21 Wesentlich ist dabei das Verhältnis zwischen Unfallvermeidungsaufwand und Schadenseintritt. Zwar wird mit steigendem Vorsorgeaufwand die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts immer unwahrscheinlicher, gleichzeitig jedoch ist die optimale Vorsorge in der Regel mit der maximalen Vorsorge nicht identisch.22 Sie ergibt sich konzeptionell vielmehr aus einem Vergleich der Kosten von Vorsorgemaßnahmen und ihrem Nutzen. Dieser Nutzen ist in dem Umfang zu sehen, in dem die Maßnahmen den Erwartungswert der Schäden herabsetzen. Optimal sind Qualität und Umfang von Vorsorgemaßnahmen gerade dann, wenn die Differenz zwischen Nutzen und Kosten maximal wird. Anders ausgedrückt ist im gesamtgesellschaftlichen Optimum die Summe aus Vorsorgekosten und erwarteten Schäden minimal.23
C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse der Gemeinschaftshaftung Eine grundlegend verschiedene haftungsbegründende Ausgangslage ergibt sich bei der Suche nach einer anreizoptimalen Haftungsregel für die Gemeinschaftshaftung bei WTO-Rechtsverletzungen. Ein wesentlicher Unterschied zum zivilrechtlichen Haftungsrecht besteht darin, dass sich das für die Staatshaftung zu entwickelnde Haftungsmodell vor allem dadurch auszeichnet, dass politische Institutionen ins Spiel kommen, die eine Reihe weiterer Probleme aufwerfen. Dieser Umstand macht die Auseinandersetzung mit der Neuen Institutionenökonomik und die Einführung ihrer Aussagen in die Analyse notwendig. Kernaussage der Institutionenökonomik ist der Satz, dass Institutionen für den Wirtschaftsprozess von Bedeutung sind.24 Untersuchungsgegenstand der Neuen Institutionenökonomik25 sind einerseits die Institutionen im Markt (Transaktionskostenökonomik und Prinzipal-Agenten-Theorie) und andererseits die politischen Institutionen (Neue Politische Ökonomie) sowie die Verfassungsökonomik.26 Die Neue 21
Schäfer/Schönenberger, in: Bouckaert/De Geest (Hg.), 600. Zum Folgenden siehe auch Trautmann, Konkurrenz, 107. 23 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 19 mit Verweis auf Brown, Journal of Legal Studies 1973, 323 ff. 24 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 1. 25 Zur Abgrenzung der Alten Institutionenökonomik und der Neuen Institutionenökonomik siehe Mercuro, in: Mercuro (Hg.), Law and Economics, 1 ff.; Erlei/ Leschke/Sauerland, Institutionenökonomik, 27 ff. 26 van Aaken, Rational Choice, 223 mit Verweis auf Erlei/Leschke/Sauerland, Institutionenökonomik, 44. 22
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
Institutionenökonomik erkennt nicht nur an, dass Institutionen von Bedeutung sind, sondern geht – anders als der neoklassische Ansatz, der Institutionen im Hinblick auf ihren Effekt auf die Wirtschaftsleistung als neutral bewertet und weitestgehend ignoriert27 – einen Schritt weiter, indem sie diese Institutionen untersucht und unter anderem durch Transaktionskosten erklärt.28 Ihrem Ansatz nach befasst sich die Neue Institutionenökonomik mit der positiven Analyse der handlungskanalisierenden Wirkungen und Auswirkungen von Institutionen und normativ mit der Frage, wie diese Institutionen gestaltet sein sollten. Dabei werden die unterschiedlichen Anreizbedingungen der Akteure verglichen. Anders als im zivilrechtlichen Haftungsmodell treten bei der Staatshaftung nicht-marktliche Institutionen im politischen Bereich auf, deren Analyse die Neue Politische Ökonomie zum Gegenstand hat. Damit werden die Aussagen der public choice-Theorie, das Prinzipal-Agenten-Verhältnis sowie des Informationsdefizits29 über den Rechtswidrigkeitsstandard zu institutionenökonomischen Determinanten für die ökonomische Staatshaftungsanalyse. Zentrales Instrument dabei ist die Transaktionskostenanalyse.30 Transaktionskosten treten in allen marktlichen und nicht-marktlichen Bereichen auf.31 Für die Zwecke dieser Darstellung entscheidend ist, dass nicht nur ökonomische Transaktionen, sondern auch „soziales Handeln“ in den Transaktionskostenbegriff aufgenommen werden.32 Erfasst sind dann auch politische Transaktionen, die die Ausübung politischer Autorität durch die Entscheidungsträger berücksichtigt, und die Transaktionen zwischen Politikern und Interessengruppen berücksichtigt. Die von den Interessengruppen aufgebrachten Ressourcen mit dem Ziel der protektionsorientierten Einflussnahme lassen sich von diesem Konzept erfassen und in den Kontext der Untersuchung der Anreizbedingungen der Akteure einbinden.
27
Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 13. van Aaken, Rational Choice, 223 f. 29 Das Informationsdefizit der Entscheidungsträger ist von der Institutionenökonomik als unvollkommene individuelle Rationalität behandelt worden. Dieser Ausdruck dient zur Bezeichnung der Tatsache, dass Entscheidungssubjekte nicht allwissend sind und bei der Verarbeitung von Informationen Schwierigkeiten haben. Siehe North, Journal of Economic Literature 1978, 972 ff. 30 Williamson, in: Medema (Hg.), Coasean Economics, 132. Nach Williamson findet eine Transaktion statt, „wenn ein Gut oder eine Leistung über eine technisch trennbare Schnittstelle hinweg übertragen wird. Eine Tätigkeitsphase wird beendet, eine andere beginnt.“ 31 Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 57 ff. 32 Dazu Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 56. 28
C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse
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I. Der politische Entscheidungsträger als Untersuchungsgegenstand der Neuen Politischen Ökonomie Public choice oder auch Konstitutionelle Politische Ökonomie33 lässt bereits im Namen deutlich werden, dass es um eine Auseinandersetzung mit Fragen des Öffentlichen Rechts geht. Sie befasst sich mit dem politischen Bereich, also den nicht-marktlichen Institutionen und soll hier fruchtbar gemacht werden, um Erklärungsmuster für das Verhalten des Gemeinschaftsgesetzgebers als politischem Entscheidungsträger zu liefern und ein Transaktionskostenkonzept für das Verhältnis zwischen Gemeinschaftspolitikern und rent-seeking Unternehmen zu entwickeln. Gewahrt man die selbstschädigende, weil wohlfahrtssuboptimale Wirkung von Handelsbeschränkungen,34 sollte es grundsätzlich verwundern, dass die Europäische Gemeinschaft keine bedingungslose Politik des Freihandels verfolgt und unabhängig von der Politik der anderen Staaten auf jegliche Formen von Handelsbeschränkungen verzichtet. Stattdessen betreiben alle Staaten zumindest sektorbezogene Formen des Protektionismus, wobei in der Staatenpraxis eine Präferenz für nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen besteht.35 Diese Diskrepanz zwischen den Handlungsmaximen der ökonomischen Theorie und der Außenhandelspolitik der meisten Staaten wird auch als „Paradox des Protektionismus“ bezeichnet36 und wirft die Frage auf, warum Regierungen eine protektionistische Politik betreiben, die der Bevölkerung schadet, obwohl Handelsliberalisierungen im nationalen Interesse eines jeden Staates liegen müssten.37 Ausgehend von diesem Widerspruch beschreibt die konstitutionelle Ökonomie des GATT/WTO-Rechts eine protektionistische Politik als „Politikversagen“ (government failure).38 33 Zur Vielzahl der verwendeten Bezeichnungen, „Neue Politische Ökonomie“, „Public Choice“, „Konstitutionelle Politische Ökonomie“ siehe Leschke, Verfassungstheorie, 18 ff. 34 Dieser ökonomischen Analyse liegt die Annahme der klassischen und neoklassischen Außenwirtschaftstheorie zugrunde, dass die Teilnahme einer Volkswirtschaft am internationalen Handel stets wohlfahrtssteigernd ist. Dazu etwa Kösters, Handelspolitik, 810. Auf die Einschränkungen dieser Aussage, die von der Außenwirtschaftstheorie seit David Ricardo entwickelt wurde, kann hier nicht eingegangen werden. 35 Williamson/Milner, World Economy, 139 ff.; Schuknecht, Protection, 17 ff.; Petersmann, Constitutional Functions, 100 ff.; Deardorff, Discussion Paper No. 186, 14; Stoll, ZaöRV, 102 ff. 36 Vanberg, ORDO 1992, 378. 37 Hauser/Moser/Planta/Schmid, ORDO 39 (1988), 224 ff.; Schuknecht, Protection, 17 ff.; Hauser, Aussenwirtschaft 1986, 175; Petersmann, Constitutional Functions, 112; Langhammer, in: Zippel (Hg.), Integration, 44 f. 38 Petersmann, Constitutional Functions, 96, 205.
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Die public-choice Theorie gibt dem Grunde nach die Annahme des wohlfahrtsmaximierenden Politikers auf und modelliert die Regierung im politischen Prozess als homines oeconomici. Mittels diesen Ansatzes wird das nutzenmaximierende Streben rational handelnder Wirtschaftssubjekte aus der Sphäre des wirtschaftlichen Handelns auf den politischen Prozess erweitert.39 In einem politischen Prozess findet eine Interaktion von Anbieter (Regierung) und Nachfragern (Produzenten und Konsumenten) politischer Leistungen statt. Im Gegensatz zum neoklassischen Ansatz besteht somit die wesentliche Neuerung der Neuen Politischen Ökonomik in der Verwendung des ökonomischen Instrumentariums zur Analyse des Verhaltens der politischen Entscheidungsträger.40 Es gibt die Vorstellung von Politikern als „benevolenten Diktatoren“, die über ein umfassendes Wissen verfügen und jede Entscheidung im öffentlichen Interesse fällen, auf41 und unterstellt stattdessen, dass auch die politischen Entscheidungsträger von individuellen Nutzenmaximierungsinteressen geleitet sind.42 Auf diese Weise können protektionistische Maßnahmen einer Regierung als Reaktion auf einen politischen Handlungsdruck bestimmter Interessengruppen im demokratischen Prozess erklärt werden. Auf dem politischen Markt treten organisierte Interessengruppen als Nachfrager an politische Entscheidungsträger heran, um durch Einflussnahme einen Rentengewinn zu erzielen.43 Als Gegenleistung für eine zugunsten einer bestimmten Interessengruppe getroffenen Entscheidung kommen verschiedene Formen der Unterstützung der Entscheidungsträger durch die Interessenverbände, wie Wahlkampfhilfe, das Versprechen von Wählerstimmen oder persönliche Vorteile, in Betracht.44 Entscheidend ist die Durchsetzungskraft der organisierten Interessenverbände, die ihre Produktion vor ausländischer Konkurrenz schützen möchten. Da der Grad ihrer Organisiertheit größer ist als der der Verbrauchergruppen, die ein Interesse an preissenkender Handelsliberalisierung haben, können erstgenannte gezielter auf die politischen Entscheidungsträger einwirken. Kennzeichnend für politische Märkte sind demnach Asymmetrien zugunsten organisierter Interessengruppen. Der so zu verzeich39 Schulz, in: Arbeitskreis Europäische Integration (Hg.), Protektionismus, 36 f.; Erlei/Leschke/Sauerland, Institutionenökonomik, 325 ff. 40 Erlei/Leschke/Sauerland, Institutionenökonomik, 319; Mueller, Public Choice, 1; Frey, InternationalOrganization 1984, 201. 41 Krajewski, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hg.), Ökonomische Analyse, 127; Buchanan, Constitutional Political Economy 1990, 6. 42 Johnson, Public Choice, 1991, 12; Deardorff, Seminar Discussion Paper No. 186, 14. 43 Krajewski, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hg.), Ökonomische Analyse, 127. 44 Krajewski, in: van Aaken/Schmid-Lübbert (Hg.), Ökonomische Analyse, 127; Mitchell/Munger, AJPS 1991, 520.
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nende Verlust an Unabhängigkeit der politischen Entscheidungsträger kann aus politischen Motiven heraus zum Einsatz protektionistischer Maßnahmen führen, die isoliert von wirtschaftspolitischen Überlegungen zur Anwendung kommen, weil die individuellen Motive der Entscheidungsträger selbst egoistisch geprägt sind und keine Wohlfahrtsmaximierung anstreben. Anschauliches Beispiel für die Mechanismen der politischen Ökonomie aus der WTO-Praxis bietet das Vorgehen der Amerikaner im Stahlstreit mit der EG, in dessen Verlauf die USA Schutzmaßnahmen in Form von Einfuhrzöllen auf Stahlimporte aus der Gemeinschaft verhängten. Diese Maßnahmen gingen nach einer Studie des Verbandes der Verarbeitenden Industrie zu Lasten heimischer Branchen, wie beispielsweise der beiden Stahlkonsumenten General Motors und Caterpillar.45 Mit ihrer protektionistischen Politik gab die US-Regierung vor allem dem Druck aus den „Stahl-Staaten“ Pennsylvania und West Virginia nach, um der dortigen Stahlindustrie Luft zu verschaffen. Eine kleine, aber durchsetzungsstarke Stahl-Lobby vermochte ihre im Vergleich zu den anderen Wirtschaftssektoren weniger bedeutsamen ökonomischen Interessen durchzusetzen. Unterm Strich soll der Protektionismus die amerikanische Industrie 200 000 Arbeitsplätze gekostet haben, während die Gesamtzahl der Beschäftigten in der US-Stahlindustrie nur knapp 190 000 beträgt!46 Im Grunde nicht anders verhielt (und verhält) es sich bei der Durchsetzung agrarpolitischer Interessen in der EU. Die Sonderstellung, die dabei einigen landwirtschaftlichen Partikularinteressen eingeräumt worden ist, lässt sich durch die einflussreiche Bauernlobby erklären, die stark mobilisiert und in ihren Forderungen sehr durchsetzungsfähig ist.47
II. Die Prinzipal-Agenten-Beziehung des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Bürger Macht der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Wohlfahrtsfunktion zur Grundlage seiner Entscheidungen, bei der die Interessen des Verbrauchers zugunsten derjenigen der heimischen Industrie diskontiert werden,48 besteht keine Identität mehr zwischen gesamtgesellschaftlicher Optimierung und der vom politischen Entscheidungsträger maximierten Wohlfahrtsfunktion. Dazu 45
Fuchs, Der fast liberale Hahnenkampf, europaspiegel.de, 8.3.2004. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12.11.2003, Zölle wider alle Vernunft. 47 Cooper/Skogstad, in: Skogstad/Cooper (Hg.), 6 f.; „The Cosy Cooperative“, in: The Economist, Beilage, 325 (12.12.1992), 7789, 12 ff. 48 Der Begriff Diskontierung wird in diesem Zusammenhang verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Interessen der Verbraucher und Importeure nicht in vollem Umfang in die maximierte Wohlfahrtsfunktion eingehen, sondern nur mit reduziertem Gewicht Niederschlag finden. 46
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kommt, dass das Verhältnis zwischen den Entscheidungsträgern der Gemeinschaft und den europäischen Bürgern die Charakteristika einer Prinzipal-Agent-Beziehung aufweist.49 Mit dieser Beziehung lässt sich die Gesamtheit der Interdependenzen aller am politischen Prozess Beteiligten darstellen. Unter der Prinzipal-Agent-Beziehung versteht man ein Rechtsverhältnis, in dem eine Partei, der Vertreter (Agent), im Namen einer zweiten Partei, des Vertretenen (Prinzipal), für diesen tätig wird.50 Der demokratische Rechtsstaat wird verstanden als Netzwerk relationaler Prinzipal-AgentBeziehungen zwischen seinen Bürgern (den Prinzipalen) und deren Vertretern (Agenten) mit dem Ziel der Optimierung des allgemeinen Wohls durch geeignete Organisation von Zwang.51 Die politische Wahl, die sich im Falle der Europäischen Kommission durch das Zusammenwirken von Europäischem Parlament und Europäischem Rat vollzieht, stellt das Bindeglied zwischen Anbieter und Nachfrager auf dem politischen Markt her und konstituiert den Auftrag des Prinzipals an den Agenten zur Wahrnehmung der Interessen. Legt man innerhalb dieser Beziehung die Annahme eines individuell nutzenmaximierenden Agenten zugrunde, wird deutlich, dass es angesichts der politischen Einflussnahme bei gleichzeitig fehlendem Überwachungs- oder Kontrollmechanismus keine Zielidentität von Agent und Prinzipal gibt. Der einzige Sanktionsmechanismus des EU-Bürgers liegt angesichts des fehlenden Individualrechtsschutzes im Außenhandelsrecht in der Abwahl des Gemeinschaftsgesetzgebers, die sich indirekt über die Abwahl der nationalen Regierungen und des Europäischen Parlaments vollziehen würde. Allerdings erweist sich dieses Sanktionsinstrument als zu langwierig und dürfte darüber hinaus nicht unmittelbar an eine protektionistische Außenhandelspolitik gekoppelt sein, sondern von einer Vielzahl an Motiven ausgelöst werden. Der politische Markt im Bereich der Außenwirtschaftspolitik („Markt für Protektionismus“) impliziert somit auch eine Prinzipal-Agent-Problematik, bei der der Gemeinschaftsgesetzgeber als Agent mangels eines Überwachungsmechanismus durch die politische Einflussnahme durchsetzungsstarker Interessen Anreize vermittelt bekommt, eine von der optimalen Gesamtwohlfahrt abweichende und maßgeblich auf Minimierung seiner individuellen politischen Kosten abzielende Wohlfahrtsfunktion zu maximieren.
49 50 51
Dazu allgemein Pratt/Zeckhauser (Hg.), Principals and agents. Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 30 f. Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 534.
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III. Tranksaktionskosten der unternehmerischen Lobbytätigkeit Zu Sprache gekommen ist bereits, dass sich das Transaktionskostenkonzept nicht nur auf ökonomische Transaktionen sondern auch auf „soziales Handeln“ erstreckt.52 Erfasst sind demnach auch politische Transaktionen, die die Ausübung politischer Autorität durch die Entscheidungsträger und die Transaktionen (den „politischen Tausch“) zwischen Politikern und Interessengruppen berücksichtigen, und sich folglich auch auf das politische Austauschverhältnis zwischen Gemeinschaftsgesetzgeber und Unternehmen erstreckt. Entsprechend des oben anhand der public choice – Theorie erläuterten Entscheidungsverhaltens des Gemeinschaftsgesetzgebers resultieren aus der politischen Einflussnahme gesamtgesellschaftliche Transaktionskosten, die darin bestehen, dass die für das rentseeking verwendeten Ressourcen nicht anderweitig für wirtschaftliche Aktivitäten eingesetzt werden können.53 Die Lobbyaktivitäten zielen auf Gewinne ab, die nicht direkt auf die Produktion irgendeines Gutes verwendet werden. Deshalb können sie auch als „direkt unproduktive profitsuchende“ (DUP)-Aktivitäten bezeichnet werden.54 Der Einsatz der unproduktiven Ressourcen und das Streben nach dieser Art von Renten stellt ein rationales Verhalten dar, weil ein rationaler Unternehmer stets in den Bereichen investiert, die den höchsten Ertrag erbringen. Solange die Lobbytätigkeit eines Unternehmers den Ertrag aus einer alternativen Verwendung der Ressourcen übersteigt, handelt der Unternehmer rational, wenn er der DUP-Aktivität nachgeht. Was nun das Verhältnis dieser monetären Größe zum Niveau der Protektion anbelangt, wird in dieser Arbeit angenommen, dass das Niveau der Marktabschottung mit höherem Ressourceneinsatz in DUP-Aktivitäten steigt, und vergleichsweise liberal ausgestaltet ist, wenn der DUP-Aufwand der Unternehmen gering ist. Denn im Zustand unbeeinflusster Politikführung dürfte der Entscheidungsträger eher eine Wohlfahrtsfunktion maximieren, die weitestgehend unverzerrt ist. Ist das Protektionsniveau niedrig, wird 52
Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 56. Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch, dass Regierungen inzwischen häufig mit Unternehmen zusammenarbeiten, um WTO-Verfahren zu bestreiten. Während die Streitbeilegung ursprünglich rein intergouvernemental ausgestaltet gewesen ist, werden private Akteure bei der Vorbereitung und Durchführung von Verfahren immer häufiger beteiligt, so dass sich eine Public-Private-Partnership in der WTOStreitbelegung entwickelt hat. Vgl. dazu Shaffer, Interests. Diese Art der Beteiligung stellt somit ein weiteres Gebiet dar, auf dem Unternehmen Ressourcen aufwenden, um ihre Interessen durchzusetzen. Dabei werden sie jedoch nicht in Form einer Einflussnahme, sondern vielmehr im Rahmen einer Kooperation mit staatlichen Stellen verwendet. 54 Glismann/Horn/Nehring/Vaubel, Weltwirtschaftslehre, 141. 53
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signalisiert, dass geringe protektionistische Bestrebungen am Werk sind. Um hingegen ein hohes Niveau an Marktabschottung zu sichern, bedarf es eines hohen Aufwands an DUP-Aktivitäten. Gleichzeitig erscheint es plausibel davon auszugehen, dass der Grenznutzen jeder weiteren DUP-Aktivität für ein Unternehmen abnimmt, weil es mit zunehmender Protektion schwieriger werden dürfte, die Politiker zu einer umfangreicheren Protektion zu bewegen, weil schlichtweg die Widerstände von Konsumentenverbänden oder anderer an Handelsliberalisierung interessierter Interessengruppen wachsen dürften.55 Dazu kommt, dass sich die Politiker trotz der Organisationsschwäche und dadurch abgeschwächten Durchsetzungskraft von Konsumenteninteressen der negativen Signalwirkung dieser Politik für den Verbraucher bewusst werden und ihre Folgen auf das Wahlverhalten der Konsumenten abschätzen können. Mit anderen Worten lässt sich sagen, dass je höher das Protektionsniveau und damit zwangsläufig die gesamtwirtschaftlichen Verluste sind, desto mehr DUP-Aktivität muss ein Unternehmen bzw. eine Branche entfalten, um ein höheres Protektionsniveau zu erreichen. Letztlich spricht also einiges dafür, dass der Grenznutzen der DUP-Aktivitäten bei steigendem Protektionsniveau abnimmt. Die Annahme eines abnehmenden Grenznutzens einer DUP-Aktivität bei steigendem Protektionsniveau impliziert, dass es ceteris paribus immer dann einen Anreiz zur Intensivierung der Lobbyarbeit eines Unternehmens oder einer Branche gibt, wenn der Außenhandel des jeweiligen Sektors relativ liberal ausgestaltet ist.56 Dies geschieht deshalb, weil unter diesen Bedingungen die Grenzkosten einer zusätzlichen Einheit an Protektion vergleichsweise gering sind. Die Grenzkosten werden hier durch die Opportunitätskosten, d.h. der durch die Lobbytätigkeit in Anspruch genommenen Ressourcen bestimmt, die nicht mehr in anderen Geschäftsbereichen gewinnsteigernd eingesetzt werden können.57 Ein rationaler Unternehmer wird den Einsatz von Ressourcen in DUP-Aktivitäten solange fortsetzen, bis sein Einkommen aus einem alternativen Ressourceneinsatz den Ertrag aus der Lobbytätigkeit übersteigt. 55 Das Beispiel des Stahl-Handelsstreits bestätigt diese Annahme: Nachdem infolge des verteuerten Stahls etliche Automobilzulieferer mit Einbußen im operativen Geschäft und Entlassungen zu kämpfen hatten, wuchs der Widerstand der Automobilbranche und der Konsumentenverbände, deren Proteste schließlich auch in den Senatoren einiger Bundesstaaten ein Sprachrohr fanden; siehe dazu Oldag, Zölle wider alle Vernunft, Süddeutsche Zeitung vom 12.11.03. 56 Inwieweit es für das einzelne Unternehmen tatsächlich attraktiv erscheint, über Lobbyarbeit auf die politischen Entscheidungen versuchen Einfluss zu nehmen, ist freilich individuell unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise davon, inwieweit und in welchem Volumen das Unternehmen in den Außenhandel verwickelt ist. 57 Dabei wird Vollbeschäftigung unterstellt, so dass für die Lobbytätigkeit Arbeitskräfte aus produktiven Tätigkeiten abgezogen werden.
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IV. Das Informationsdefizit des Gemeinschaftsgesetzgebers über den WTO-Rechtmäßigkeitsstandard und die Haftungsschwelle Soweit die Entscheidungen des politischen Entscheidungsträgers betroffen sind, kann hier ferner die in der Institutionenökonomik zentrale Aussage über die unvollkommene individuelle Rationalität fruchtbar gemacht werden. Dieser Ausdruck dient zur Bezeichnung der Tatsache, dass Entscheidungssubjekte nicht allwissend sind und bei der Verarbeitung von Informationen Schwierigkeiten haben.58 Er geht aus einer fundamentalen Kritik am neoklassischen Modell hervor, welche die neoklassische Grundannahme kostenloser Transaktionen zurückweist und damit bestreitet, dass Entscheidungssubjekte mit vollkommener Information und vollkommener Voraussicht handeln.59 Dieses Phänomen eines mit unvollkommener Information ausgestatteten Gemeinschaftsgesetzgebers tritt auch bei der Wahrnehmung der Außenhandelspolitik zu Tage. Angesprochen ist damit die Schwierigkeit, über die für die Entscheidungsfindung relevanten Informationen zu verfügen, die dem Gesetzgeber Gewissheit darüber geben könnten, ob eine handelsbeschränkende Maßnahme WTO-widrig ist und ob sein Verhalten eine Haftung auslösen wird. Faktische und rechtliche Unsicherheit besteht gleich in mehrfacher Hinsicht: Faktische Ungewissheit herrscht hinsichtlich der Frage, ob ein anderer WTO-Mitgliedstaat die vermeintliche Rechtsverletzung überhaupt in einem WTO-Streitbeilegungsverfahren geltend machen wird. Für den Fall, dass ein Verfahren in Gang gesetzt wird, hat der EG-Gesetzgeber keine ausreichenden rechtlichen Kenntnisse darüber, ob das WTO-Panel die Maßnahme im Rahmen der WTO-Streitbeilegung für WTO-widrig erklären wird. Es besteht somit Unsicherheit über den welthandelsrechtlichen Rechtmäßigkeitsstandard, der sich nicht zuletzt aus der Natur der unpräzisen und generalklauselartig verfassten WTO-Vorschriften ergibt. Darüber hinaus kann der Gesetzgeber auch nicht wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen der EuGH sein Verhalten als qualifizierte Rechtsverletzung und damit als haftungsbegründend ansehen wird. Trotz dieses mehrfachen Informationsdefizits ist der Gesetzgeber aufgerufen, ein Regulierungsniveau zu wählen, das im Idealfall dem wohlfahrtsoptimalen Protektionsniveau entspricht. Wie Unsicherheit die Anreizwirkungen sanktionsbewehrter Rechtsnormen beeinflusst, ist von der ökonomischen Analyse des Rechts bereits recht gut erforscht.60 Dies gilt zumindest für Regeln, die wie die Verschuldenshaftung 58
Siehe North, Journal of Economic Literature, 972 ff. Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 13. 60 Siehe etwa Craswell/Calfee, Deterrence; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 173 ff.; Adams, Verschuldenshaftung, 135 ff.; Baird/Gertner/Picker, Game Theory, 48; Endres, JafüSoWi 1989, 123 f. 59
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die Verletzung eines vordefinierten Standards mit einer Sanktion belegen. Ausgangspunkt dabei ist die Erkenntnis, dass der potentielle Schädiger die Wahrscheinlichkeit seiner Haftung nur abschätzen kann. Er nimmt die gesetzliche Haftungsandrohung der Erwartungsnutzentheorie entsprechend als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Folgen seines Handelns wahr. Häufig bleibt der erforderliche Sorgfaltsaufwand, oder wie im Fall der Außenhandelspolitik der EG das zulässige Protektionsniveau, ex ante unbestimmt und wird erst durch die WTO-Streitbeilegungsgremien oder den EuGH im Prozess festgelegt.61 Besteht somit ein vager gerichtlicher Rechtmäßigkeitsstandard, kann der Schädiger nur die Wahrscheinlichkeit einschätzen, mit denen die Gerichte die Maßnahme als rechtswidrig klassifizieren, und das gewählte Protektionsniveau wird so nur zufällig wohlfahrtsoptimal und ansonsten gegenüber dem wohlfahrtsoptimalen Niveau zu hoch oder zu niedrig sein. Neben der faktischen Unsicherheit über die Einrichtung eines Panelverfahrens kann der Gemeinschaftsgesetzgeber also zum Zeitpunkt der Regulierung angesichts der Unschärfe der meisten WTO-Vorschriften keine klare Aussage darüber treffen, ob seine Maßnahme im Einklang mit den WTOVorschriften stehen wird. Dies ändert sich auch nicht zwangsläufig, nachdem eine DSB-Entscheidung getroffen wurde, weil sich diese darauf beschränkt, die Rechtsverletzung festzustellen, und in aller Regel darauf verzichtet, dem unterliegenden Staate klare Handlungsanweisungen zu erteilen.62 Auch nach der Entscheidung des DSB bestehen noch Beurteilungsspielräume, aufgrund derer verschiedene Maßnahmen WTO-konform sein können, und somit auch dann noch keine Klarheit darüber besteht, ob und unter welchen Voraussetzungen die staatlichen Maßnahmen die DSBEntscheidung umsetzt.63 Über dieses welthandelsrechtliche Informationsdefizit hinaus beruhen die Anforderungen, die der EuGH an die Voraussetzung einer „qualifizierten Rechtsverletzung“ knüpft auf vagen Formulierungen bzgl. der Schwere und Auswirkungen der Rechtsverletzung. Diese hat der Gerichtshof zwar durch einige Kriterien zu konturieren versucht,64 doch vermitteln sie dem Gemeinschaftsgesetzgeber ex ante keinen eindeutigen Aufschluss über das Vorliegen dieser Voraussetzungen. In beiden Fällen kann der Gesetzgeber so nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass seine Maßnahme als rechtswidrig bzw. 61 Siehe allgemein zur Verschuldenshaftung bei vagen Sorgfaltsstandards Schäfer/ Ott, Ökonomische Analyse, 173. 62 Cottier, in: Müller-Graff (Hg.), 186; Hinderer, Rechtsschutz, 442 f.; Gabler, Streitbeilegungssystem, 143; anderer Ansicht sind Weber/Moos, EuZW 1999, 234 f. 63 Siehe dazu Steinbach, EuZW 2005, 332. 64 Siehe dazu oben Teil 2 G.
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qualifiziert rechtsverletzend eingestuft wird oder nicht. Die haftungsauslösenden Urteile werden vom Gesetzgeber in Entsprechung der Erwartungsnutzentheorie als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Rechtsfolgen seiner Maßnahme wahrgenommen. Sicherheit über die schadensersatzrelevanten Folgen seines Handelns hat er ex ante niemals.65 Der Befund eines unpräzisen gerichtlichen Rechtmäßigkeitsmaßstabs ist insbesondere deshalb von Bedeutung für die Bewertung der Anreize des Gesetzgebers, weil sie – wie die Abhandlung zu einem späteren Zeitpunkt zeigen wird – in Verbindung mit einer Schadensersatzpflicht für reine Vermögensschäden zu Überabschreckung bei der Gesetzgebungsaktivität und der Wahl eines ineffizienten Regulierungs- bzw. Protektionsniveaus führt.66
V. Keine gesetzgebungsspezifischen Vorsorgeund Informationsbeschaffungskosten zur Behebung des Informationsdefizits Im Hinblick auf dieses Informationsdefizit ist jetzt aber die Frage zu stellen, ob der Entscheidungsträger dieses Defizit durch Aufwendung von Informationskosten beheben kann und inwiefern die anfallenden Kosten gesamtgesellschaftlich signifikant zu Buche schlagen. Dem zivilrechtlichen Haftungsmodell liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Schädiger durch Anwendung größerer Sorgfalt – übertragen auf die vorliegende Konstellation ist dies gleichbedeutend mit höheren Informationskosten – den Erwartungswert des verursachten Schadens senken kann und dadurch seine Aussichten verbessert, ganz der Haftung zu entgehen.67 Vorsorge- oder Schadenvermeidungskosten sind im zivilrechtlichen Haftungsmodell damit im direkten Verhältnis zur Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadensfalls korreliert. Die Kostenstruktur gemeinschaftlicher Entscheidungsträger bei der Erzielung eines WTO-konformen Zustandes lässt sich indes nur bedingt vergleichen mit den Vorsorgekosten des Schädigers im Rahmen des zivilrechtlichen Haftungsmodells.68 Zwar sind für viele Bereiche der Staatshaftung Konstellationen denkbar, in denen auch der hoheitlich verursachte Schadenseintritt abhängig ist von der geleisteten Schadenvermeidungsvorsorge des öffentlich-rechtlichen Entscheidungsträgers und auf die das aus dem 65 Mit der Bildung einer umfangreichen Rechtsprechung der Spruchkörper der WTO und des EuGH wird die Erwartungsbildung bezüglich der Bedingungen, unter denen Schadensersatzzahlungen zu leisten sind, erleichtert. Dies gilt immer dann, wenn der potentielle Verletzer einer Rechtsnorm sich anhand gerichtlicher Präzedenzfälle Erwartungen bilden kann, Endres, JafüSoWi 1989, 124. 66 van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 555. Vgl. dazu unten ausführlich Teil 4 E. 67 Craswell/Calfee, Virginia Law Review 1984, 966, 980 f. 68 van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 557.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
herkömmlichen Haftungsmodell bekannte Verhältnis zwischen Vorsorgeaufwand und Schadenseintritt anwendbar ist. Für die Staatshaftung bei WTORechtsverletzungen dürfte es hingegen einige Probleme bereiten, eine solche Informationskosten-Schadenseintrittswahrscheinlichkeit-Relation für alle denkbaren Konstellationen zu übernehmen. Ein unmittelbares kostenverursachendes Verhältnis zwischen gesetzgeberischer Informationsbeschaffung zur Maximierung der Rechtskonformitätswahrscheinlichkeit und dem Schadenseintritt ist nicht immer erkennbar. Für die Prüfung der Konformität mit höherrangigem Recht im Gesetzgebungsverfahren sind zwar auch Rechtskenntnisse und Informationsbeschaffung der Entscheidungsträger, insbesondere der Europäischen Kommission, über faktische Umstände notwendig. Zweifelhaft ist aber, ob ein linearer Mehraufwand für Informationszuwachs so lange fortgesetzt werden kann, bis die WTO-Rechtsverletzung ausgeschlossen ist. Gerade wegen der angesprochenen mangelnden konkreten Ausformulierung des normativen Gehalts vieler WTO-Normen kann die Rechtsverletzung nicht mit Präzision vorherbestimmt und vermieden werden, selbst wenn sich der Entscheidungsträger eine umfassende faktische und rechtliche Gewissheit zu verschaffen sucht.69 Auf die Existenz eines Zusammenhangs zwischen Informationsbeschaffung und Schadenseintritt könnte hingegen das Umsetzungsverhalten der EG im Bananenstreit hindeuten. Dann müsste die WTO-Rechtswidrigkeit der Verordnungen Nr. 1637/98 und Nr. 2362/98, deren Unvereinbarkeit mit dem WTO-Recht bereits kurze Zeit nach deren Inkrafttreten am 19.4.1999 festgestellt wurde,70 lediglich Konsequenz eines unzureichenden Kenntnisstandes der Kommission gewesen sein, der durch gründlichere Information hätte vermieden werden können. Doch selbst wenn man annehmen würde, dass die EG lediglich die Einschätzungen des Panels nicht ausreichend gewürdigt oder verstanden hat, verbleiben dennoch Zweifel, weil nicht klar ist, inwiefern es – angesichts der Evidenz der WTO-Widrigkeit der angepassten Verordnungen71 – nur dem politischen Kalkül entsprochen hat, die gegebenen Informationen nicht zu verwerten bzw. sich zu beschaffen. Denn gerade in einer Situation, in der die EG eine Schadensersatzpflicht gegenüber den Geschädigten nicht zu befürchten braucht, 69 Es bestünde immerhin noch die Möglichkeit, auf eine potentiell mit WTORecht kollidierende Maßnahme ganz zu verzichten. Dies käme einer abschreckenden Wirkung und Lähmung des Gesetzgebers gleich. Dazu unten Teil 4 E. 70 WT/DS/ARB, EC – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the EC under Article 22.6 of the DSU, Bericht der Schiedsrichter vom 9.4.1999, Rn. 5.79 f. und 4.8; vgl. dazu Meier, EuZW 1999, 428. 71 Kuschel, EuZW 1999, 76; Schoißwohl, ZEuS 2001, 718; Jürgensen, RIW 1999, 241 ff.; Zonnekeyn, in: Kronenberger (Hg.), Discord, 269; Cascante, Rechtsschutz, 272.
C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse
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hat sie einen Anreiz, die Informationsbeschaffung nicht in ausreichendem Umfang zu betreiben. Ferner sind Konstellationen denkbar, in denen der Zusammenhang zwischen Information und Schadenseintritt offenkundig durchbrochen ist. Insoweit ist der Hormonstreit in Erinnerung zu rufen, in dem deutlich wurde, dass trotz ausgiebiger Informationsbeschaffung in Form von wissenschaftlichen Studien die WTO-Rechtsverletzung nicht verhindert werden konnte. Der WTO-Rechtsverstoß trat ein, obwohl die EG umfangreiche Studien bzgl. der Auswirkungen von hormonbehandeltem Rindfleisch auf die Gesundheit des Verbrauchers in Auftrag gegeben hatte. Unterm Strich bietet sich somit ein uneinheitliches Bild, weil sich nicht mit Bestimmtheit sagen lässt, dass die Sorgfalt bei der Informationsbeschaffung stets losgelöst von der Bewertung der WTO-Konformität sein wird. Für die Zwecke dieser Darstellung dürften indes die Informationskosten aus einem anderen Grund ausgeblendet werden. Auch wenn man annehmen würde, dass die Rechtswidrigkeit einzig einer unzureichenden Informationsbeschaffung seitens der Gemeinschaftsorgane zuzuschreiben ist, würden sich die Mehrkosten, die der EG-Kommission bei sorgfältiger Arbeit entstanden wären, mit Sicherheit marginal gering sein im Verhältnis zu den Wohlfahrtsschäden und der Lobbykosten, die im Rahmen dieser Analyse die wohlfahrtsrelevanten Kostenpunkte darstellen. Zwar werden durch die im Stadium der Gesetzesinitiative bei der Kommission und im Rat getroffenen Vorkehrungen Ressourcen gebunden, um die Vereinbarkeit der Maßnahme mit höherrangigem Recht festzustellen und um die Informationen zu gewinnen, die die rechtliche Bewertung des geplanten Gesetzesvorhabens sicherstellen. Allerdings sind die bei der Europäischen Kommission mit dem Rechtsstreit betrauten Mitarbeiter zahlenmäßig überschaubar und nehmen von daher keine signifikanten finanziellen Ressourcen bei der Informationsbeschaffung in Anspruch, bzw. die zusätzlichen Aufwendungen würden ihrer monetären Größe nach in Relation zu den Gesamtwohlfahrtsschäden nur geringfügig ins Gewicht fallen. Zutreffend erscheint deshalb die Annahme, dass sich die Informations- und Administrationskosten auf Ebene des Gemeinschaftsgesetzgebers auf konstant niedrigem Niveau befinden.72 Wenngleich also eine Informationskosten-Schadenseintrittswahrscheinlichkeits-Relation nicht ausgeschlossen werden kann, diese aber aufgrund ihrer geringen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung für die Wohlfahrtsmessung ihrer monetären Größe nach unberücksichtigt bleiben darf, muss nichtsdes72 Zweifel an der Vergleichbarkeit der Vorsorgekosten des zivilrechtlichen Haftungsmodells und den Kosten zur Maximierung der Rechtmäßigkeitswahrscheinlichkeit haben auch van den Bergh/Schäfer, German Working Paper in Law and Economics 2001, 3 f.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
totrotz untersucht werden, unter welchen Umständen dem Gemeinschaftsgesetzgeber Anreize vermittelt werden können, damit dieser in größtmöglichem Umfang Informationen beschafft und verwertet, um die Wahrscheinlichkeit einer WTO-Rechtsverletzung möglichst gering zu halten. Denn es soll keineswegs behauptet werden, dass die Rechtsverletzung ein unvermeidbares Phänomen ist, auf deren Eintritt oder Ausbleiben der Gesetzgeber keinen Einfluss hat. Abgesehen von den Konsequenzen eines unpräzisen Rechtmäßigkeitsstandards über eine mögliche WTO-Rechtsverletzung ist das Entscheidungskalkül pro oder contra einer WTO-konformen Einfuhrregelung wie bereits angedeutet vielmehr eine Frage der vom Gemeinschaftsgesetzgeber maximierten Wohlfahrtsfunktion, bei der die mit seinem Handeln verbundenen politischen Kosten ausschlaggebend sind für seine Entscheidungen. Wie die obigen politökonomischen Ausführungen gezeigt haben, fällt die optimale individuelle Entscheidung des Gesetzgebers zur Wahl eines bestimmten Protektionsniveaus unterschiedlich aus, je nachdem, ob er die gesellschaftlichen Kosten internalisiert, und so ein Wohlfahrtsoptimum anstrebt, oder aber teilweise diskontiert, und auf diese Weise anderen Interessen als der Gesamtwohlfahrt den Vorzug gibt. Von allergrößter Bedeutung für das Ergebnis seiner Entscheidung ist freilich die Wahl der Haftungsregel, d.h. je nachdem, ob die vom EuGH vertretene Opferhaftung greift oder ob eine Form der Verschuldenshaftung die Schadensersatzpflicht zugelassen wird und als Internalisierungsverfahren dienen könnte.73
VI. Das Niveau wohlfahrtsmaximierender Protektion Bevor in einem nächsten Schritt die Konsequenzen aus der Kombination eines unpräzisen rechtlichen Standards einerseits und dem Ersatz von Vermögensschäden andererseits erörtert werden, sollte zuvor noch das wohlfahrtsoptimale Protektionsniveau betrachtet werden. Dieser ökonomischen Analyse liegt zwar die Annahme der klassischen und neoklassischen Außenwirtschaftstheorie zugrunde, dass die Teilnahme einer Volkswirtschaft am internationalen Handel stets wohlfahrtssteigernd ist, und die Errichtung von Handelsbarrieren (fast) immer negative binnenwirtschaftliche Auswirkungen hat.74 Die einseitige Freihandelsorientierung lässt jedoch bestimmte von den Konzepten der Konsumenten- und Produzentenrente nicht erfassbare Wohlfahrtseffekte unberücksichtigt.75 Es sind nämlich durchaus auch Situationen 73
Siehe dazu unten Teil 4 F. und G. Glismann/Horn/Nehring/Vaubel, Weltwirtschaftslehre, 20 f.; Krugman/Obstfeld, Economics, 195 ff.; Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 565 ff.; Borchert, Aussenwirtschaftslehre, 262 ff. 75 Dazu Krugman/Obstfeld, Economics, 227. 74
C. Notwendigkeit einer institutionenökonomischen Analyse
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anerkannt, in denen es für die Gesamtwohlfahrt nutzenstiftend sein kann, den Handel zugunsten anderer Zwecke zu beschränken.76 Beispielsweise kann es unter ausschließlicher Freihandelsorientierung zu negativen Externalitäten als Folge bestimmter Produktions- und Konsumtionsmuster kommen, die einen steuernden Eingriff in die Wirtschaft rechtfertigen können, wenngleich dadurch der Außenhandel leidet. Angesprochen sind damit vor allem die produkt- oder produktionsbezogenen Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzstandards, mit denen die Staaten legitime Gründe verbinden, den Freihandel zu beschränken.77 In einer Situation, in der externe Kosten mit dem Ziel der Maximierung der Gesamtwohlfahrt internalisiert werden sollen, kann durch WTO-konforme einfuhrbeschränkende Maßnahme ein sozialer Nutzen gestiftet werden.78 Mit dem klassischen Konzept der Konsumentenrente werden diese Wohlfahrtseffekte nicht erfasst. Wenn etwa gesundheitlicher Schutz durch eine Rechtsregel bezweckt ist, so kann das zwar materielle Einbußen bei Konsumenten provozieren, andererseits aber ihre physische Integrität schützen. Solche Effekte finden keinen Niederschlag in der Konsumentenrente. Nichtsdestotrotz lässt sich durch diese Regelungszwecke mittels einer Beschränkung des Freihandels die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigern. Dieser Erkenntnis tragen die WTO-Abkommen dadurch Rechnung, dass sie Ausnahmen von den Freihandelsregeln nicht grundsätzlich ausschließen, sondern an das Vorliegen bestimmter Bedingungen knüpfen.79 Damit eröffnen diese Ausnahmeregelungen den Vertragsstaaten Spielräume, um Wohlfahrtssteigerungen zu generieren, die die aus der Aussetzung der Freihandelsvorschriften resultierenden Einbußen überwiegen. Allerdings besteht die Problematik im Umgang mit diesen Ausnahmen darin, dass die Höhe einer optimalen Protektionsrate nur sehr schwer feststellbar ist.80 Darüber hinaus müssen die Staaten im Gebrauch dieser Eingriffsbefugnisse diszipliniert werden, um Missbräuche mit protektionistischer Zielsetzung zu vermeiden, die über das Ziel hinausschießen.81 Für das effiziente Protektionsniveau einer Außenhandelspolitik wird vor diesem Hintergrund in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass ein geringes 76 Während sich die Schutzmaßnahmen nach Art. XIX GATT wohl kaum durch Wohlfahrtsgewinne rechtfertigen lassen, können Maßnahmen zum Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen schon eher markttheoretisch vertretbar sein. Vgl. Hilf/ Oeter, WTO-Recht, § 13, Rn. 3, § 21, Rn. 1 f. 77 Vgl. Oeter, in: Hilf/Oeter (Hg.), WTO-Recht, 31; Herrmann, in: Hatje/Terhechte (Hg.), Binnenmarktziel, 180. 78 van Aaken, Rational Choice, 223. 79 Dazu etwa Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, Rn. 522 ff., 485 ff., 554 ff. 80 Glismann/Horn/Nehring/Vaubel, Weltwirtschaftslehre, 76. 81 Hilf, NVwZ 2000, 481 ff.; Oeter, in: Hilf/Oeter (Hg.), WTO-Recht, 31; Bender, in: Hilf/Oeter (Hg.), WTO-Recht, § 13, Rn. 3.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
Maß an einfuhrbeschränkenden Maßnahmen, sofern sie sich auf die in den WTO-Vorschriften vorgegebenen Ausnahmeregelungen berufen können, wohlfahrtssteigernd sein kann.82 Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass die wohlfahrtsoptimale Protektionsrate dann überschritten wurde, wenn die WTO-Streitbeilegungsgremien eine WTO-Rechtsverletzung festgestellt haben. In diesem Sinne kann das Einfuhrverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch nicht für sich in Anspruch nehmen, einen durch den Schutz der Gesundheit zusätzlichen sozialen Nutzen gestiftet zu haben, weil nicht die entsprechenden wissenschaftlichen Beweise dafür geliefert werden konnten, dass es zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund des Verzehrs des hormonbehandelten Rindfleisches kommt. Neben den durch Einfuhrbeschränkung erzielbaren positiven Wohlfahrtseffekten müssen als weiterer gesamtgesellschaftlicher Kostenpunkt für die Bestimmung des Wohlfahrtsoptimums die Lobbykosten Berücksichtigung finden, bei denen es sich schließlich auch um ressourcenverbrauchende Aktivitäten handelt, die im Wert ihrer Opportunitätskosten in die Gesamtrechnung mit eingehen. Dazu ist oben bereits die Annahme hinsichtlich des Verhältnisses dieser monetären Größe zum Niveau der Protektion getroffen worden, dass das Niveau der Marktabschottung mit dem Ressourceneinsatz in DUP-Aktivitäten steigt und vergleichsweise niedrig ist, wenn wenig protektionsorientierte Lobbyarbeit betrieben wird. Gleichzeitig nimmt der Grenznutzen jeder weiteren DUP-Aktivität für ein Unternehmen ab. Daraus folgt, dass die Kosten aus DUP-Aktivitäten auf einem Protektionsniveau von Null minimiert werden. Gesamtgesellschaftlich gesehen liegt der wohlfahrtsoptimale Zustand auf einem Niveau, in dem die Summe aus Wohlfahrtsschäden und Lobbykosten ihr Minimum hat.83 Der Bestimmung dieses Kostenminimums liegen dann zwei Prämissen zugrunde: Erstens, dass die Lobbykosten bei Null ihr Minimum haben und mit dem Protektionsniveau ansteigen, und zweitens, dass bei einer Protektionsrate etwas über Null die Wohlfahrtsschäden am niedrigsten sind. Konsequenterweise wird das Wohlfahrtsoptimum an einem Punkt irgendwo zwischen diesem Niveau und Null liegen.
82 So auch die Annahme der ökonomischen Analyse von mitgliedstaatlichen Verletzungen des Europarechts bei van den Bergh/Schäfer, German Working Paper in Law and Economics 2001, 7 ff. und dies., ELR 1998, 558. 83 Hinsichtlich der Informationskosten auf Seiten des Gemeinschaftsgesetzgebers ist oben die Annahme getroffen worden, dass diese so gering sind, dass sie in der Gesamtwohlfahrtsmaximierung vernachlässigt werden können.
D. Der Ersatz von Vermögensschäden
287
D. Der Ersatz von Vermögensschäden und seine ökonomischen Implikationen für den Anreizmechanismus des Schädigers Für die Bewertung der von einer Schadensersatzpflicht gesetzten Anreize der Gemeinschaft zu WTO-konformem Verhalten sind als nächstes die von der WTO-Rechtsverletzung ausgehenden Schäden für die Wirtschaftsteilnehmer zu untersuchen. Insbesondere ist hierbei eine Unterscheidung zwischen den privaten – also den von den einzelnen Fallgruppen im Schadensersatzverfahren geltend gemachten Schäden – und den sozialen Schäden notwendig, die sich in den an der Gesamtwohlfahrt entstandenen Verlusten ausdrücken. Eine Kongruenzprüfung dieser beiden Schadenskategorien ist deshalb wichtig, weil bei einer Divergenz legislativhemmende Anreize auf den Gemeinschaftsgesetzgeber wirken können, wenn gleichzeitig ein unpräziser Rechtmäßigkeitsstandard vorliegt. Letzteres hat die obige Darstellung bereits deutlich gemacht. Gegenstand der nun folgenden Ausführungen ist der Nachweis, dass es im Falle der als Konsequenz von WTO-Rechtsverletzungen erhobenen Schadensersatzklagen zu einer Geltendmachung von reinen Vermögensschäden kommt, die sich eben gerade dadurch auszeichnen, dass sie nicht identisch sind mit den sozialen Schäden, d.h. mit den Einbußen der Gesamtwohlfahrt, sondern über diese hinaus gehen. Die bisherige Literatur zur ökonomischen Analyse des Haftungsrechts hat die daraus resultierenden Folgen für die Anreizmechanismen im Verhältnis zwischen Schädiger und Opfer beim Ersatz reiner Vermögensschäden bereits ergiebig erforscht.84 Ausgangspunkt der Überlegung ist immer eine Situation, in der von den anspruchsberechtigten Geschädigten Schäden geltend gemacht werden, deren Höhe die gesamten Wohlfahrtsverluste übersteigt. Dabei birgt der Ersatz reiner Vermögensschäden durch die Divergenz zwischen sozialen und privaten Schäden die Gefahr der Überkompensation des Geschädigten und dadurch der Überabschreckung des Schädigers. In vielen nationalen Rechtsordnungen ist daher der Ersatz reiner Vermögensschäden ausgeschlossen.85 In der Rechtssache Brasserie musste sich der EuGH mit diesen nationalen Grundsätzen auseinandersetzen, nachdem 84 Vgl. hierzu Gilead, IRLE 1997, 591 ff.; Posner, Economic Analysis, 196 ff.; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 301 ff.; Ulen, in: Malloy/Braun (Hg.), 413 ff.; van den Bergh/Schäfer, German Working Papers in Law and Economics, 4 f. 85 Siehe dazu Bishop, Oxford Journal of Legal Studies 1981, 1; Goldberg, Journal of Legal Studies 1994, 1; Landes/Posner, Economic Structure, 251 ff.; beispielsweise begrenzt § 823 I BGB den Schadensersatz auf diejenigen Schäden, die durch die Verletzung eines absoluten Rechts entstanden sind. Reine Vermögensschäden dagegen werden nur bei Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 II BGB oder bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) ersetzt.
288
Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Vorlagefrage ausgeführt hatte, dass eine Beschränkung der Entschädigungspflicht auf Schäden, die an bestimmten, besonders geschützten Rechtsgütern wie dem Eigentum entstanden sind, zulässig sein müsste. Der BGH wies darauf hin, dass der entgangene Gewinn nicht erfasst sein dürfe von der Entschädigungspflicht, da die Chancen, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu vermarkten, von der deutschen Rechtsordnung nicht dem geschützten Bestand des Unternehmens zugeordnet würden.86 Der EuGH widersprach dieser Auffassung und stellte fest, dass es nicht zulässig sei, den entgangenen Gewinn bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vollständig vom ersatzfähigen Schaden auszuschließen. In dieselbe Richtung weist seine Rechtsprechung zur Gemeinschaftshaftung, nach der der Ersatz von Vermögensschäden nicht ausgeschlossen wird.87 Die Rechtsprechung deutet also ein weites Verständnis des Schadensbegriffs nach Art. 288 EGV an, nach dem jeder Nachteil, den der Betroffene an seinem Vermögen erleidet, einen ersatzfähigen Schaden bildet.88 Aus ökonomischer Sicht stößt dieser weitgefaßte Schadensbegriff des EuGH deshalb auf Bedenken, weil von einem vollumfänglichen Ersatz der Vermögensschäden unter bestimmten Voraussetzungen keine anreizoptimale Wirkung ausgeht. Dies hat seinen Grund darin, dass die erlittenen Vermögensschäden über den gesellschaftlichen Schaden hinausgehen können.89 Sind die bei dem Einzelnen anfallenden Schäden höher als die gesamtgesellschaftlichen Schäden, kann der volle Schadensersatz Anreize für überoptimalen Schadenvermeidungsaufwand vermitteln.90 Ziel der Nichtberücksichtigung von reinen Vermögensschäden ist es somit, den Schädiger nicht einen Ersatz leisten lassen zu müssen, der über dem Erwartungswert des Schadens läge. Dadurch würden überoptimale Anreize zur Schadensabwehr vermittelt, d.h. der Schädiger würde eine Sorgfaltsaktivität entfalten, die über dem effizienten Niveau liegt.91 Denn bei jedem gewählten Sorgfaltsniveau muss der Schädiger noch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit rechnen, zur Haftung herangezogen zu werden und dann einen Schadensersatz zu leisten, der über dem verursachten gesellschaftlichen Schaden liegt. Aufgrund dieser Unsicherheit wird er dazu angereizt, seine Schadens86 EuGH, verb. Rs. C-46/92 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1157, Rn. 86. 87 EuGH, Rs. 40/75, Produits Bertrand, Slg. 1976, 1, Rn. 4 ff. 88 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 288 EGV, Rn. 100. 89 Dazu Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 301; van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 556. 90 Bishop, Oxford Journal of Legal Studies 1982, 1 ff. 91 Gilead, IRLE 1997, 597; Schäfer/van den Bergh, German Working Paper in Law and Economics 2001, 4; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 302.
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers
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vermeidungsaufwendungen auf ein unvernünftig hohes Maß hochzuschrauben, um sicherzustellen, nicht fahrlässig zu handeln und die Übermaßhaftung abzuwenden. Dieses Phänomen tritt insbesondere dann auf, wenn das Sorgfaltsniveau bei der Regulierung ungewiss ist, d.h. wenn es keinen präzisen und eindeutig definierten Sorgfaltsmaßstab gibt.92 Könnte der vom Gericht angelegte Sorgfaltsmaßstab vom Schädiger antizipiert werden, wäre dadurch die Gefahr der Überabschreckung gebannt, weil eine präzise Festlegung der optimalen Sorgfalt möglich wäre, und der Schädiger damit in die Lage versetzt würde, den Sorgfaltsstandard zu befolgen und so einer möglichen Überkompensation zu entgehen. Wendet man diese im Zusammenhang mit dem zivilrechtlichen Haftungsmodell entwickelten Grundsätze auf die Gemeinschaftshaftung für WTORechtsverletzungen an, ist das Phänomen der Überabschreckung des Schädigers hier bezogen auf die Legislativaktivität so zu verstehen, dass es aufgrund der drohenden Überkompensation bei der Entscheidungsfindung der politischen Entscheidungsträger zu einer unerwünschten Lähmung der Rechtssetzungsaktivität kommt.93 Um eine Einschätzung über die Gefahr einer Überabschreckung und Lähmung der Legislative im Falle von WTORechtsverletzungen treffen zu können, bedarf es zweierlei: einer Untersuchung der positiven und negativen Effekte auf die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer bei der Errichtung von Handelsschranken und einer Prüfung, ob eine Identität der sozialen Schäden mit dem Schadensumfang der anspruchsberechtigten Fallgruppen vorliegt.
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers bei Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen Um die Möglichkeit einer Überkompensation beim Schadensersatz für WTO-Rechtsverletzungen zu beurteilen und damit die Gefahr einer Lähmung der Legislative einschätzen zu können, müssten die als Konsequenz der WTO-Rechtsverletzung entstandenen Schadenspositionen der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer dem gesamten sozialen Schaden gegenübergestellt werden. Dies soll hier anhand der Wohlfahrtseffekte eines Importzolls demonstriert werden. Importzölle sind Hauptgegenstand tarifärer Behinderungen.94 Neben 92
Adams, Verschuldensgshaftung, 128 ff.; van den Bergh/Schäfer, ELR 1998,
553. 93 So in Bezug auf die Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Gemeinschaftsrechtsverletzungen van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 553. 94 Zu den bisher von den WTO-Gremien entschiedenen Fällen siehe Hinderer, Rechtsschutz, 62 ff.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
Importzöllen sind mengenmäßige Beschränkungen von Bedeutung, wobei die ökonomischen Auswirkungen eines Kontingents denen eines vergleichbaren Importzolls entsprechen.95 Auch für nicht-tarifäre Handelshindernisse, die häufig technische oder gesundheitliche Erfordernisse für die importierten Waren zum Gegenstand haben,96 ergeben sich für die Zwecke dieser Darstellung keine signifikanten Unterschiede. Bei nicht-tarifären Hindernissen werden – vereinfacht ausgedrückt – Anforderungen an die Ware gestellt, bei deren Erfüllung der Einfuhr nichts im Wege steht, genauso wie im Falle von Importzöllen nach Zahlung der Zollgebühr die Einfuhr nicht mehr behindert werden darf. Letztlich führen alle Handelsschranken zu einer Verteuerung des geschützten Produktes im Inland, so die Aussage der Theorie der Handelspolitik über binnenwirtschaftliche Auswirkungen von Handelsbarrieren.97 Insofern können die Erkenntnisse über die Divergenz von privaten und sozialen Schäden, die im Folgenden aus der Wirkungsweise eines Importzolls gewonnen werden, auch als übertragbar auf andere handelspolitische Schutzinstrumente gelten.98
I. Die Auswirkungen eines Zolls auf die Wirtschaftsteilnehmer Führt die EG einen WTO-widrigen Importzoll ein, resultieren daraus verschiedene Effekte, die in Abbildung 1 illustriert werden99: 95 Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 587; Herrmann, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, § 2 Rn. 27; ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass die Zolleinnahme bei einer direkten Einfuhrbeschränkung nur dann dem Staat zufließt, wenn der Staat die von den Importeuren begehrten Einfuhrlizenzen an die Meistbietenden versteigert. Ansonsten fallen die Rentengewinne den Importeuren zu, Krugman/Obstfeld, Economics, 209. 96 Dazu Puth, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, § 10 Rn. 26 ff.; Hinderer, Rechtsschutz, 82 ff. 97 Glismann/Horn/Nehring/Vaubel, Weltwirtschaftslehre, 20 f.; Krugman/Obstfeld, Economics, 195 ff.; Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 565 ff.; Borchert, Aussenwirtschaftslehre, 262 ff.; Ströbele/Wacker, Außenwirtschaft, 46 ff.; Siebert, Außenwirtschaft, 178 ff. 98 Gegenstand der folgenden Ausführungen sind die für die heimische Industrie, die ausländischen Exporteure und die Konsumenten aus dem Handelshindernis resultierenden Wohlfahrtseffekte. In dieser Hinsicht existieren keine wesentlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Instrumenten. Zur Ökonomik von Mengenbeschränkungen vgl. Borchert, Aussenwirtschaftslehre, 270 ff.; Siebert, Außenwirtschaft, 185 f. 99 Zur allgemeinen Darstellung von zollinduzierten Wohlfahrtseffekten vgl. nur Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 581 ff.; Krugman/Obstfeld, Economics, 190 ff.; Siebert, Außenwirtschaft, 175; Ströbele/Wacker, Außenwirtschaft, 45 ff.; Borchert, Außenwirtschaftslehre, 260 ff.
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers Preis
Angebot
291
Nachfrage
P+t A
TR
B
P
E
D
0
Q
G
Q’
F
C
C’
Menge
Abbildung 1: Umsatzverluste der Fallgruppen A und B
Der Zoll bewirkt zunächst einen Schutzeffekt, der es den heimischen Produzenten ermöglicht, die eigene Produktion zu erhöhen (Q ! Q’) und die Preise des betreffenden Gutes anzuheben, ohne befürchten zu müssen, von der ausländischen Konkurrenz aus dem Markt gedrängt zu werden. Parallel zum Schutzeffekt sinkt die in der EG nachgefragte Menge (Konsumeffekt, C’! C), weil die Konsumenten für die betroffenen Güter mehr zahlen müssen. Zusätzlich wird aufgrund der Zollerhebung Staatseinkommen generiert (Zolleinnahmeeffekt, TR). Diese drei Effekte bilden zusammen einen Umverteilungseffekt, der sich durch Verluste bei Konsumenten und zugunsten der Unternehmereinkommen und den Staatseinkünften vollzieht. Allerdings geht nicht der gesamte Verlust an Konsumentenrente (A + B + TR + G) in einen zusätzlichen Gewinn der Produzentenrente (A) und des Staatseinkommens (TR) über. Denn aufgrund der im Vergleich zur ausländischen Industrie ineffizienter arbeitenden heimischen Unternehmen entstehen „Produktionskosten der Protektion“ (B), die bei der Umverteilung verloren gehen und einen Wohlfahrtsverlust darstellen. Auf Seiten der Konsumenten kommt es aufgrund des Verzichts auf Konsum zu „Konsumtionskosten“ (G). Beide Kostenarten werden als „deadweight-losses“ bezeichnet, weil sie im Rahmen der Umverteilung verloren gehen und nicht kompensiert werden können. Im Ergebnis sind die Verluste der Konsumentenrente größer als die Zuwächse zugunsten von heimischer Industrie und Staat, so dass die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt sinkt. Anzusprechen ist in diesem Zusammenhang aber die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Weltmarktpreis durch den zollinduzierten Nachfrage-
292
Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
rückgang in der EG. Angesichts der Stellung der EG als großes Land ist wegen der Beeinflussung des Weltmarktpreises der Wohlfahrtseffekt nicht mehr zwingend negativ.100 Es stehen sich nämlich die oben beschriebenen Wohlfahrtsverluste aus der Allokationsineffizienz einerseits, und der Wohlfahrtsgewinn aus der Verbesserung der terms of trade andererseits gegenüber. Die terms of trade drücken die reale Relation zwischen Exportpreisen eines Landes und seinen Importpreisen aus. Eine Verbesserung der terms of trade wird über einen Rückgang der Importpreise erzielt und bedeutet, dass ein Land für seine Exporte mehr importieren kann als zuvor. Angesichts der Größe und ökonomischen Potenz der EG führt der zollinduzierte Rückgang der Nachfrage in der EG zu einer Ausweitung des Angebots am Weltmarkt und lässt dort ein Angebotsüberhang entstehen, der wiederum einen Rückgang des Weltmarktpreises auslösen wird. Demnach könnte man auf die Idee kommen, zu argumentieren, dass die EG mit der Errichtung von Handelsbarrieren im Hinblick auf die Wohlfahrtsmaximierung innerhalb der Gemeinschaft rational handeln würde, selbst wenn dies negative Auswirkungen für die Gesamtwohlfahrt aller Staaten hätte. Eine den terms-of-trade-Effekt ausnutzende Optimalzollpolitik101 führt aber nur dann für ein Land zu Wohlfahrtsgewinnen, wenn andere Handelspartner nicht ebenfalls eine Optimalzollpolitik betreiben. In der Praxis wird das Ausland versuchen, durch die Einführung eines Vergeltungszolls seine Verluste soweit wie möglich rückgängig zu machen.102 Am Ende dieses auf nationale Wohlfahrtsmaximierung ausgerichteten Zollkrieges kommt es zum Erliegen des Handels und zum Wegfall der auf dem ursprünglichen Zollniveau erzielten Wohlfahrtsgewinne. In Anbetracht dessen wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass eine europäische Optimalzollpolitik immer auch eine Gegenreaktion des Auslands hervorrufen wird, die mögliche Verbesserungen der europäischen Wohlfahrt zunichte machen würde. Diese Annahme kann sich auch auf Ergebnisse empirischer Studien berufen, in denen nachgewiesen wurde, dass der Optimalzoll weit über dem Niveau liegt, wie es in den Schedules of Concession im Rahmen der WTO-Verhandlungsrunden erreicht wurde.103 100 Vgl. zum Folgenden Krugman/Obstfeld, Economics, 225 f.; Chacholiades, Economics, 1990, 168; Bagwell/Staiger, NBER Working Paper Series 1997, Working Paper 6049, 1; Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 602 ff.; Herrmann, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, § 2 Rn. 28, 15 f.; Breuss, in: Breuss/Griller/Vranes, Banana Dispute, 151 ff.; Kennan/Riezman, International Economic Review 1988, 81 ff. 101 Hierzu grundlegend Johnson, Review of Economic Studies 21 (1953/54), 2; Appleyard/Field, Economics, 378. 102 Herrmann, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, § 2 Rn. 28, 16; Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 610; Krugman/Obstfeld, Economics, 226. 103 Whalley hat dieses Zollniveau für die EG und Japan jeweils bei einem Einheitszoll von 150% und für die USA bei 145% ermittelt, vgl. Whalley, Trade Libe-
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers
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Folglich lässt sich keine WTO-konforme Optimalzollpolitik betreiben. Versucht ein WTO-Mitglied dennoch über Optimalzölle Wohlfahrtsgewinne zu erzielen, ist davon auszugehen, dass als Reaktion hierauf ein WTO-Streitbeilegungsverfahren in Gang gesetzt wird, an dessen Ende schließlich gesamtwohlfahrtsschädigende Gegenmaßnahmen stehen könnten. Im Ergebnis legen diese Erwägungen den Schluss nahe, dass über die Wahl europäischer Optimalzölle nicht mal eine gemeinschaftliche Wohlfahrtsmaximierung erreicht werden kann und dass eventuelle Gewinne durch eine Verbesserung der terms of trade nicht die dead-weight-losses überkompensieren können.104
II. Gegenüberstellung der privaten Schäden der Fallgruppen und der gesamtwirtschaftlichen Schäden Vor dem Hintergrund dieser Auswirkungen auf die Volks- und Weltwirtschaft ist im Anschluss hieran eine Erörterung geboten, die sich auf die mögliche Divergenz zwischen sozialen und privaten Kosten konzentriert und eine Kongruenzprüfung dieser beiden Schadenskategorien für die entsprechenden Klägergruppen zum Gegenstand hat. Die Frage lautet somit, ob der von den Fallgruppen A, B und C geltend gemachte Schadensersatz den tatsächlich eingetretenen sozialen Schäden entspricht. Geklärt werden muss also, inwieweit die einzelnen Fallgruppen von den Wirkungen auf Konsumenten- und Produzentenrente profitieren bzw. Verluste hinnehmen müssen. 1. Nachteile aus der Importbeschränkung für die Fallgruppen A und B Die Handelstätigkeit der Fallgruppe A – nicht-europäische Exporteure, die in ihren Exportmöglichkeiten beschränkt werden – und jene der Fallgruppe B – all diejenigen europäischen Händler, die durch den verteuerten Import unmittelbar oder mittelbar beschränkt werden – ist ökonomisch gesehen dieselbe. Für die Fallgruppe amerikanischer bzw. nicht-europäische Importeure ohne Sitz in der EG (Gruppe A) hat die obige Abhandlung ergeben, dass diese Gruppe zumindest dann kein Rechtsschutzbedürfnis genießt, wenn die Folgen der schädlichen Maßnahmen von ihrem Heimatstaat in irgendeiner Form kompensiert worden sind. Die Zweckmäßigkeit einer Differenzierung der beiden Gruppen ist jedoch auf die juristische Erörteralization, 248. Für das Niveau der gegenwärtig angewendeten Zollsätze siehe Puth, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, § 10 Rn. 19. 104 Damit wird gleichzeitig unterstellt, dass Wohlfahrtsmaximierung nur bei Konformität der Außenhandelspolitik mit dem WTO-Recht möglich ist.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
rung eines Schadensersatzanspruches beschränkt und trägt keine Konsequenzen bei einer ökonomischen Betrachtungsweise. Unternehmen der Gruppe A bekommen die negativen Auswirkungen unmittelbar durch den erschwerten oder verhinderten Export zu spüren. Die Angehörigen der Fallgruppe B können direkt oder mittelbar (wie im Falle der Atlanta AG) von der Einfuhr des Gutes abhängig sein, so dass sich die Zollerhöhung in den Ergebnissen ihrer Geschäftstätigkeiten niederschlägt. Aus der Perspektive ihrer Handelsaktivität unterscheiden sich die beiden Fallgruppen nicht, denn Umfang und Gewinnaussichten ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten hängen gleichermaßen davon ab, ob und zu welchen Bedingungen das ausländische Produkt in die Gemeinschaft eingeführt werden kann. In der Art ihrer Benachteiligung durch die einfuhrbeschränkende Wirkung der Zollerhöhung unterscheiden sie sich folglich nicht. Diese Feststellung vereinfacht eine Beurteilung der Frage, welche Verluste diese Importeure (Fallgruppe B) bzw. Exporteure (Fallgruppe A) aufgrund der Einfuhrbeschränkung in einem Schadensersatzverfahren geltend machen werden. Graphisch können die aggregierten Einbußen der Fallgruppen A und B durch die Differenz zwischen der im ursprünglichen WTO-konformen Zustand eingeführten Menge QC’ und dem reduzierten Einfuhrumfang nach Einführung des Zolls Q’C veranschaulicht werden. Bei Freihandel wird die Menge QC’ eingeführt bzw. exportiert, während nach der Handelsbeschränkung die eingeführte Menge auf Q’C zurückgeht. Die Verluste der Fallgruppen A und B werden somit durch die Flächen D und F illustriert. In dieser Höhe werden die Fallgruppen A und B Schäden geltend machen, da dies den privaten Einbußen entspricht, die diesen Gruppen aus der Einfuhrbeschränkung resultieren. Die Graphik macht dabei aber auch deutlich, dass der Ersatz dieser Schäden, die tatsächlich eingetretenen gesamtwirtschaftlichen Schäden, die Flächen B und G, weit übertrifft.105 Variierende Preiselastizitäten können dazu führen, dass sich das Verhältnis der tatsächlichen monetären Größen zueinander verändert. Auch ist das tatsächliche Ausmaß der gesamtgesellschaftlichen Verluste und des Schadensersatzes vom Preisniveau des streitgegenständlichen Produktes abhängig. Abgesehen davon kann jedoch bei einer Preiserhöhung von maximal 100% durch einen ad valorem Importzoll keine Situation eintreten, bei der die Flächen D und F kleiner sein würden als die den Wohlfahrtsschaden illustrierende Flächen B und G. Damit kann bereits jetzt festgestellt werden, dass im Fall einer erfolgreichen Schadensersatzklage eine Divergenz der sozialen und privaten Schäden eintreten wird. 105 Diese Aussage hat auch dann Bestand, wenn man davon ausgeht, dass es aufgrund des terms of trade-Effekts zu einer Wohlfahrtsverlustübertragung zu Lasten des Auslands kommt, weil die Schäden an der Gesamtwohlfahrt unverändert groß sind.
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers
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Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt, der in der Partialanalyse der Zollwirkungen keine Berücksichtigung findet. Charakteristisch für den von den Fallgruppen A und B geltend gemachten Schaden (in Höhe der Flächen D und F) ist nämlich, dass er sich allein aus den Handelseffekten im bilateralen Verhältnis zwischen dem einfuhrbeschränkenden Land und dem Land, aus dem das mit einem Zoll belegte Produkt exportiert wird, ergibt. Die Auswirkungen auf den Weltmarkthandel als Konsequenz der im bilateralen Verhältnis vollzogenen Zollerhöhung werden dabei weitestgehend unberücksichtigt gelassen.106 Zwar liegt der herkömmlichen theoretischen Untersuchung von Zollwirkungen die Annahme zugrunde, dass der Weltmarktpreis aufgrund des Angebotsüberhangs fallen wird und somit ein Teil der nationalen Wohlfahrtsverluste auf das Ausland abgewälzt werden kann.107 Allerdings spiegelt das Modell nicht die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Handel mit Drittländern wider. Naturgemäß wird damit letztlich nur auf den bilateralen Handelseffekt der einfuhrbeschränkenden Maßnahme im Verhältnis zum geschädigten Vertragsstaat abgestellt, nicht aber die Wirkung von Dritthandels- und Substitutionseffekten auf die beteiligten Länder abgebildet.108 Diese resultieren aus einer veränderten Nachfrage- und Angebotssituation auf dem Weltmarkt.109 Verhindert die EG die Einfuhr von hormonbehandeltem Fleisch oder Bananen, kann dies wie beschrieben zu einem Angebotsüberschuss auf dem Weltmarkt führen, das sich seinerseits in einem sinkenden Weltmarktpreis für diese Güter niederschlägt.110 Gleichzeitig und darüber hinaus jedoch werden die europäischen Konsumenten wegen der verhinderten Einfuhr des ausländischen Gutes ein Substitutionsgut nachfragen, dadurch dessen Preis auf dem Weltmarkt zum Steigen bringen und durch diesen Effekt die Nachfrage von Drittstaaten auf dem Weltmarkt nach der einfuhrbeschränkten Ware erhöhen.111 Im Ergebnis könnte sich dies ab106 Für die Wohlfahrtsauswirkungen auf das Ausland vgl. Borchert, Aussenwirtschaftslehre, 267. 107 Vgl. statt vieler Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 584. Dieser Effekt ist hier aus Vereinfachungsgründen graphisch nicht dargestellt. Die Konsequenz für den Inlandsmarkt wäre, dass der neue Gleichgewichtspreis p’ weniger als t über dem alten Gleichgewichtspreis p liegt, weil es zu einer Senkung des Weltmarktpreises gekommen ist. 108 Wie noch zu zeigen sein wird, lassen sich auch die WTO-Schiedsrichter bei der Bestimmung der Höhe der Gegenmaßnahmen nach Art. 22 (7) DSU ebenfalls allein von den Umsatzeinbußen im bilateralen Verhältnis leiten. Kritisch dazu Bernstein/Skully, Review of Agricultural Economics 25 (2003), 391. 109 Für eine ausführliche Diskussion dieser Effekte vgl. Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 7 ff. 110 Auf diese Feststellung über den sinkenden Weltmarktpreis beschränkt sich die Partialanalyse der Zollauswirkungen auf dem Importgütermarkt, vgl. Krugman/Obstfeld, Economics, 196 f.; Rose/Sauernheimer, Außenwirtschaft, 584. 111 Siehe dazu Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 7 ff.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
satzfördernd auf den Handel der Güter auf Drittmärkten auswirken und somit zu einer Teilkompensation der durch die Einfuhrbeschränkung erlittenen Verluste führen. Der Handel mit Drittstaaten erfolgt gleichwohl zu einem geringeren Preis und somit zu ungünstigeren Konditionen als auf dem europäischen Markt, weil dort die Nachfrage und somit die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten in Abwesenheit einer Einfuhrbeschränkung höher wäre. Der Substitutionseffekt kann die Verluste damit freilich nicht überkompensieren. Im Ergebnis ist festzustellen, dass aufgrund dieser Drittstaatenhandelsund Substitutionseffekte Teile des dead-weight-losses und der nachteiligen Auswirkungen auf nationale Importeure und ausländische Exporteure kompensiert werden. Dieser Effekt wird in der Partialanalyse der Zollauswirkungen nicht abgebildet. Intuitiv bedeutet dies, dass die Flächen D und F, der Umsatzrückgang im bilateralen Handel, kleiner sein müssten aufgrund der Kompensation durch den Handel mit Drittstaaten. Bilden die Flächen D und F die Grundlage zur Bemessung der Schadensersatzhöhe, kommt es somit zu einer deutlichen Divergenz zwischen privaten und sozialen Schäden. Diesem Auseinanderfallen der beiden Schadenskategorien mit abschreckender Wirkung auf die Legislativaktivität könnte dann vorgebeugt werden, wenn für die Gruppen A und B nicht allein auf die Umsatzeinbußen auf dem europäischen Markt abgestellt würde. Eine auf den Ersatz der tatsächlich Wohlfahrtseinbußen abzielende Ausdifferenzierung ist aber ausgeschlossen oder zumindest erheblich erschwert, wenn sich die Teilkompensierung durch erhöhte Nachfrage auf den Drittmärkten nicht zugunsten des betroffenen Unternehmens, sondern anderer Exporteure/ Importeure dieses Gutes auswirkt, d.h. wenn nicht das auf Schadensersatz klagende Unternehmen, sondern seine exportierenden/importierenden Konkurrenten den Handel mit Drittstaaten abwickeln. Für letztere würde sich dieser Effekt als positive Externalität der Zollerhebung darstellen.112 In diesem Fall käme es somit nicht zu einem wohlfahrtsoptimalen Schadensausgleich, wenn dem klagenden Unternehmen vollumfänglich die auf dem europäischen Markt erlittenen Nachteile erstattet würden, weil dann die positiven Effekte auf die Gesamtwohlfahrt unberücksichtigt blieben. 2. Schäden der Fallgruppe C Zuletzt ist die Situation der Angehörigen der Fallgruppe C zu untersuchen. Zu dieser Gruppe zählen diejenigen europäischen Händler, die von 112 Das bedeutet, dass der Verlust einiger Importeure durch Gewinne zugunsten anderer Wirtschaftsteilnehmer zumindest teilweise kompensiert werden kann. Zur Kompensation solcher Schäden durch positive Externalitäten siehe allgemein auch Gilead, IRLE 1997, 594.
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers
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den vom DSB genehmigten Strafzöllen getroffen werden. Auch bei diesen Gegenmaßnahmen handelt es sich um Zölle. Sie entfalten damit grundsätzlich dieselben Effekte wie die hier untersuchte WTO-rechtsverletzende einfuhrbeschränkende Maßnahme der EG. Hinsichtlich einer möglichen Divergenz zwischen sozialen und privaten Schäden für die Fallgruppe C können die zu den anderen Fallgruppen angestellten Erwägungen übertragen werden. Die Maßgeblichkeit der durch den Strafzoll hervorgerufenen Umsatzeinbußen würde auch bei dieser Fallgruppe die gesamtgesellschaftlichen Schäden überkompensieren. Auch für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt im Falle der Strafzölle gilt, dass diese in der Gemeinschaft dafür sorgen, dass die amerikanischen Konsumenten aufgrund der Strafzölle in größerem Umfang Substitute nachfragen werden, dadurch deren Preis auf dem Weltmarkt erhöhen und damit auch eine größere Nachfrage nach dem mit einem Strafzoll versehenen Produkt generieren und so den Handel mit Drittstaaten anregen. Kommt es infolgedessen zu einem höheren Absatz des Produktes auf Drittmärkten außerhalb der USA, werden diese Schäden teilweise kompensiert und mindern den Schaden auf die Gesamtwohlfahrt in der EG. Allerdings ist für die hier im Mittelpunkt stehende Kongruenzprüfung von privaten und sozialen Schäden der Fallgruppe C bedeutsam, in welchem Umfang ein Vertragsstaat für den Hormon- und Bananenstreit die USA zu Gegenmaßnahmen berechtigt wird. Denn bevor europäische Produkte mit Strafzöllen belegt werden können, müssen diese vom DSB genehmigt werden.113 Grundlage für den Umfang der Aussetzung der Zugeständnisse ist Art. 22 (4) DSU, wonach die Gegenmaßnahmen dem Umfang der zunichte gemachten Vorteile entsprechen müssen. Diesen Grundsatz haben auch die nach Art. 22 (7) DSU bei einem Widerspruch der beklagten Partei einberufenen Schiedsrichter zu befolgen. 3. Die Schadensberechnungsmethode der WTO-Schiedsrichter Es ist bereits angedeutet worden, dass sich die Schiedsrichter bei der Schadensberechnung weniger von der Auswirkung der WTO-widrigen Maßnahme auf die Gesamtwohlfahrt leiten lassen, als die Handelseinbußen im bilateralen Verhältnis zur maßgeblichen Schadensgröße machen. Diese Vorgehensweise haben die WTO-Schiedsrichter bei ihren Schadensberechnungen im Hormonstreit erkennen lassen.114 Aus ökonomischer Sicht muss 113
Dazu etwa Weiß, in: Weiß/Herrmann, Welthandelsrecht, § 10, Rn. 317 ff. WT/DS27/ARB, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas – Recourse to Arbitration by the European Communities Under Article 22.6 of the DSU, Bericht der Schiedsrichter vom 9.4.1999, Rn. 6.12. 114
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
diese Methode auf Bedenken stoßen, weil ein großer Anteil der Verluste auf dem europäischen Rindfleischmarkt durch Erlöse auf Drittmärkten ausgeglichen werden konnte.115 Insofern stellt sich auch bei der Festlegung der völkerrechtlichen Sanktion nach Art. 22 (7) DSU das Problem der Vernachlässigung der Drittstaatenhandelseffekte. Die Schadensanalyse der WTO-Schiedsrichter war im Hormonstreit die folgende: Zunächst wurde eine hypothetische Prognose darüber getroffen, wie viele Importe unter der Annahme eines WTO-konformen Einfuhrregimes in die EG eingeführt worden wären, und in einem zweiten Schritt wurde anhand der von den USA und der EG vorgetragenen Zahlen und Argumenten ermittelte Wert mit der tatsächlichen Einfuhr in die EG verglichen.116 Die Differenz bildeten danach die Handelsverluste aufgrund der Einfuhrbeschränkung und gleichzeitig die Höhe der Gegenmaßnahmen.117 Das Ergebnis dieser Schadensberechnungsmethode entspricht somit den im obigen Schaubild dargestellten Flächen D und F, da diese den Importrückgang auf dem nationalen Markt illustrieren. Es ist bereits oben diskutiert worden, dass mit dieser Methode118 letztlich Dritthandels- und Substitutionseffekte auf die beteiligten Länder ausgeblendet werden, obwohl sie zu einer erheblichen Schadensreduzierung führen können.119 Die Verengung der Schadensberechnung auf den bilateralen Handelseffekt hat zur Folge, dass die Schäden auf Seiten der im Export beeinträchtigten Streitpartei regelmäßig ihre tatsächlichen Wohlfahrtseinbußen überschreiten.120 Eine Kongruenz der durch die WTO-widrigen 115
Bernstein/Skully, Review of Agricultural Economics 25 (2003), 391. WT/DS48/ARB, European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones) – Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU, Bericht der Schiedsrichter vom 12.7.1999, Rn. 43; dazu Breuss, Paper presented at the International Conference on Policy Modeling (EcoMod2003), 4 ff. 117 Für eine ausführliche Berechnung der Schadenspositionen im Hormonstreit siehe Breuss, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 164. 118 Angesichts des offensichtlichen Unterlassens einer wohlfahrtsorientierten Berechnungsmethode ist behauptet worden, dass sich die WTO-Schiedsrichter eher von der Plausibilität der von den Parteien vorgebrachten Zahlen als von Effizienzgesichtspunkten überzeugen lassen. Bernstein/Skully, Review of Agricultural Economics 25 (2003), 396; Breuss, in: Breuss/Griller/Vranes (Hg.), 162. 119 Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 7 f.; Bernstein/ Skully, Review of Agricultural Economics 25 (2003), 397. 120 Anderson, Discussion Paper 0207, Adelaide University 2002, 6 ff. Es liegt ferner in der Konsequenz der Berechnungsmethode der WTO-Schiedsrichter, dass damit ein höherer Anreiz zur Umsetzung der DSB-Entscheidung gesetzt wird, weil das Ausmaß der Gegenmaßnahmen höher sein wird als bei Zugrundelegung eines wohlfahrtsorientierten Maßstabes. Ebenso Bernstein/Skully, Review of Agricultural Economics 25 (2003), 397. 116
E. Die Gefahr der Lähmung des Gesetzgebers
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Maßnahmen generierten Wohlfahrtseffekte und der vom DSB autorisierten Gegenmaßnahmen ist damit nicht gewährleistet, weil die Höhe der Gegenmaßnahmen die tatsächlichen Wohlfahrtseinbußen übersteigt. Das führt zwangsläufig dazu, dass die Gegenmaßnahme schwerwiegendere ökonomische Nachteile zeitigt als die vorangegangene WTO-Rechtsverletzung. Dieses Ergebnis bestätigen auch empirische Analysen der Wohlfahrtseffekte der beiden bisherigen Haupthandelsdispute, des Bananen- und des Hormonstreits. Danach haben in beiden Fällen die Strafzölle der Amerikaner gegen europäische Produkte stets auf Seiten der EG zu höheren Wohlfahrtseinbußen geführt, als die EG zuvor durch ihre WTO-widrigen Einfuhrregime für Bananen und hormonbehandeltes Rindfleisch der amerikanischen Wohlfahrt Schaden zufügte.121 Die Inäquivalenz zwischen den durch die originäre WTO-Rechtsverletzung hervorgerufenen Schäden und der Höhe der Gegenmaßnahmen ist zu unterscheiden von der bislang diskutierten Divergenz zwischen sozialen und privaten Schäden, die sich auf nationaler staatshaftungsrechtlicher Ebene ergibt. Genau wie letztere aber bleibt auch diese auf Völkerrechtsebene auftretende Erscheinung nicht ohne Folgen auf die Anreizstrukturen des WTO-Rechtsverletzers, weil dieser sich durch WTO-konforme Gegenmaßnahmen größeren Einbußen ausgesetzt sieht als er selbst durch seine WTO-widrige Maßnahme verursacht hat.122 Dieser Anreizmechanismus greift nicht erst auf der Ebene des nationalen Haftungsrechts, sondern bereits bei der Durchsetzung des WTO-Rechts auf zwischenstaatlicher Ebene. Durch die Inäquivalenz der wirtschaftlichen Nachteile zwischen der WTO-Rechtsverletzung auf der einen und der Gegenmaßnahme auf der anderen Seite werden dem WTO-Rechtsverletzer ineffiziente Anreize vermittelt. Erstens, weil durch die Strafzölle größerer volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, als verursacht wurde, und zweitens, weil aufgrund eben dieser Überkompensation durch die völkerrechtliche Sanktion die Gefahr der Überabschreckung des Gemeinschaftsgesetzgebers besteht.
III. Zwischenergebnis Die vorangehende Untersuchung sollte Aussagen über eine potentielle Divergenz zwischen sozialen und privaten Schäden bei Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen ermöglichen, um so Aufschluss über die Anreize für die Legislativaktivität des Gemeinschaftsgesetzgebers zu gewinnen. 121 Breuss, WTO Dispute Settlement in Action, Paper presented at the International Conference on Policy Modeling (EcoMod2003), Tabellen 2 und 3. 122 Auf diesen Anreiz zu WTO-konformen Verhalten weisen auch Bernstein/ Skully hin. Vgl. Bernstein/Skully, Review of Agricultural Economics 25 (2003), 397.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
Aufgrund der uneinheitlichen Wirkungsstruktur eines einfuhrbeschränkenden Zolls auf die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer dürfte es nur schwer möglich sein, Kongruenz der Schäden bei der Anerkennung von Schadensersatz zu erzielen. Stattdessen muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass es sowohl auf nationaler Haftungsebene als auch bei der Festlegung der völkerrechtlichen Gegenmaßnahmen durch die WTO zu Entscheidungen mit anreizverzerrender Signalwirkung für den Gemeinschaftsgesetzgeber kommen kann. Wird den einzelnen Fallgruppen ein Schadensersatzanspruch zugesprochen, der die im bilateralen Verhältnis entgangenen Umsätze ersetzt, ohne dass andere Transaktionen auf dem Weltmarkt berücksichtigt werden, kommt es zu einem deutlichen Auseinanderfallen von sozialen und privaten Schäden. Diese Divergenz wird durch die Vorgehensweise der WTO-Schiedsrichter, bei ihrer Aufgabe gemäß Art. 22 (7) DSU die Höhe der Gegenmaßnahmen zu bestimmen, allenfalls verschärft und erweitert das Ausmaß der Überkompensierung. Schadensersatzklagen für WTO-Rechtsverletzungen können somit bei Vorliegen eines unpräzisen Rechtmäßigkeitsstandards die Gefahr einer Lähmung der Legislative hervorrufen. Bei jedem vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Protektionsniveau muss dieser mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit rechnen, an die geschädigten Wirtschaftsteilnehmer einen Schadensersatz zu leisten, der die tatsächlichen sozialen Schäden übersteigt. Aufgrund der Unsicherheit erhält der Gemeinschaftsgesetzgeber Anreize, seine Legislativaktivität auf ein unvernünftig niedriges Niveau herunterzuschrauben, um sicher zu gehen, sich nicht WTO-widrig zu verhalten und von der Übermaßhaftung freizukommen. Das Resultat dieses Anreizes zu gesetzgeberischer Inaktivität ist ein wohlfahrtssuboptimales Ergebnis. Der übermäßige Verzicht auf die Regulierung des vom Anwendungsbereich des WTO-Rechts erfassten Außenhandels nimmt der EG die Möglichkeit, durch WTO-konforme Regelungen beispielsweise im Umweltoder Gesundheitsbereich, positive Wohlfahrtseffekte zu erzielen. Anerkennt der EuGH Schadensersatz im vollen Umfang der privaten Schäden, der von den Fallgruppen geltende gemachten Verluste, und kennt der Gemeinschaftsgesetzgeber den Standard WTO-konformer Gesetzgebung nicht genau, kann er nur vermuten, welche Maßnahmen die WTO-Streitbeilegungsorgane für rechtmäßig befinden werden. Aus Sicht des Entscheidungskalküls des Gemeinschaftsgesetzgebers stellt sich diese Situation somit letztlich als Wahrscheinlichkeitsintervall dar, indem er für jede Gesetzgebungsaktivität davon ausgeht, dass Panel oder Appellate Body diese Maßnahme mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit für ausreichend halten, um eine WTO-Rechtsverletzung auszuschließen. Der Gesetzgeber rechnet dabei wegen des unpräzisen Rechtmäßigkeitsmaßstabs nicht mit Sicherheit, sondern nur mit einer bestimmten subjektiven Wahrscheinlichkeit mit
F. Ineffizienz bei generellem Haftungsausschluss
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Schadensersatzforderungen.123 Infolgedessen macht der Gesetzgeber eine Schadensersatzerwartung zur Grundlage seiner Entscheidung über die gewählte Regulierungsaktivität, als Ergebnis derer er das optimale Niveau unterschreitet, weil der Erwartungswert des Schadens zu hoch angesetzt wird.124
F. Ineffizienz bei generellem Haftungsausschluss nach der Rechtsprechung des EuGH Zweck der nun folgenden Darstellung ist die Verwertung der bisher gewonnenen Erkenntnisse und ihre Fruchtbarmachung für eine vergleichende Bewertung der Anreize auf die Entscheidungsträger der EG einerseits in einer Situation, in der die Schäden von den geschädigten Wirtschaftsakteuren selbst getragen werden müssen, andererseits in einem Szenario, in dem die Schadensersatzpflicht bei WTO-Rechtsverletzungen in Entsprechung der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht grundsätzlich anerkannt wird.
I. Die reine Opferhaftung (casum sentit dominus) und die Diskontierung des verursachten Schadens durch den Gemeinschaftsgesetzgeber Muss das Opfer den Schaden in voller Höhe immer selbst tragen, spricht man von einer reinen Opferhaftung (Casum sentit dominus).125 Wie die Ausführungen im juristischen Teil dieser Arbeit gezeigt haben, kann das WTO-Recht nach der Rechtsprechung des EuGH mangels unmittelbarer Wirkung nur unter sehr beschränkten Umständen eine Haftung auslösen.126 Grundsätzlich gilt, dass der Einzelne sich nicht auf die WTO-Vorschriften berufen kann und die WTO-Abkommen deshalb auch nicht zur Überprüfung des EG-Sekundärrechts herangezogen werden können. Aus ökonomischer Sicht ist dieser Haftungsausschluss ineffizient, weil die Anreize, die von einer Haftungsbefreiung ausgehen, den EG-Gesetzgeber 123 So auch bei mitgliedstaatlichen Gemeinschaftsrechtsverletzungen van den Bergh/Schäfer, German Working Papers in Law and Economics, 16. 124 Siehe hierzu instruktiv Abbildung 14 in Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 303. 125 Zu den zivilrechtlichen Implikationen dieser Haftungsregel siehe Adams, Verschuldenshaftung, 48 ff. 126 Eine Haftung kommt wie gesehen nur bei Vorliegen der Nakajima- oder Fediol-Ausnahmen in Betracht. Die Rechtsprechung des EuGH zu Schadensersatzklagen im Bananen- und Hormonstreit hat deren Anwendungsbereich weiter eingeschränkt. Dazu Steinbach, EuZW 2005, 33 ff.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
nicht dazu veranlassen können, die wohlfahrtsökonomisch optimale Regulierung zu wählen. Im Rahmen der juristischen Abhandlung ist der Bananenstreit als eindrucksvolles Beispiel für eine evident wohlfahrtsschädigende Handelspolitik beschrieben worden.127 Dieser Fehlanreiz hat mehrere Gründe und erschließt sich aus der vorangegangenen ökonomischen Analyse: Der Ursprung einer suboptimalen Wohlfahrtsmaximierung ist zunächst einmal in dem Umstand zu sehen, dass sich der politische Entscheidungsträger der Einflussnahme diverser Partikularinteressen ausgesetzt sieht, die sich gegenüber anderen, an der Gesamtwohlfahrt orientierten Interessen, besser durchsetzen können und die dem Entscheidungsträger individuellen Nutzen bringen können. Kraft seiner dem europäischen Bürger verpflichteten Legitimation ist er aber gleichzeitig dazu verpflichtet, die optimale Entscheidung für allgemeine Wohlfahrtsbelange anzustreben. Wohlfahrtsoptimal in diesem Sinne wäre ein Protektionsniveau, bei dem der gesamte soziale Nutzen maximiert wird, d.h. in dem die Besserstellung einer Mehrheit der Bürger zu einer theoretischen Kompensierung von Verlusten einzelner Partikularinteressen führt128 und in dem die Schäden (aus den Handelsbarrieren) und Kosten (Lobbykosten) minimiert werden. Ein effizientes Protektionsniveau ließe mithin auch noch Spielraum für Außenhandelsbeschränkungen zum Schutz anderer Güter. Muss der Gemeinschaftsgesetzgeber hingegen wie unter der gegenwärtigen Rechtslage nicht damit rechnen, aufgrund der Verletzung von WTO-Recht Schadensersatz zu zahlen, wird die EG den erwarteten Schaden entsprechend diskontieren.129 Die Diskontierung gesamtgesellschaftlicher Schadenspositionen geht einher mit einer Aufwertung anderer protektionsorientierter Interessen, die in der maximierten Wohlfahrtsfunktion übergewichtet Niederschlag finden.130 Das Ergebnis ist eine verzerrte Wohlfahrtsfunktion, weil der Schädiger eine gesetzliche Haftungsandrohung der Erwartungsnutzentheorie entsprechend als eine Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Folgen seines Verhaltens wahrnimmt. Existiert jedoch wie hier faktisch keine Haftungsandrohung, setzt er die Wahrscheinlichkeit einer Haftung somit gleich Null. Dies äußert sich 127
Siehe oben Teil 2 G. II. 1. Maßgeblich ist das in der ökonomischen Theorie dominierende Kaldor-HicksKriterium. Eine Situation ist effizient nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium, wenn die Gewinner die Verlierer entschädigen könnten und dann noch einen Gewinn behielten. Vgl. statt vieler van Aaken, Rational Choice, 217. 129 Eine solche Diskontierung tritt generell dann auf, wenn der Schädiger aufgrund eines erschwerten Kausalitäts- oder Verschuldensnachweises zu Lasten des Geschädigten der Haftung entkommen kann, vgl. Kleindorfer/Kunreuther, in: dies. (Hg.), 145 ff. 130 Vgl. dazu die modellhafte Darstellung bei der mitgliedstaatlichen Verletzung von EG-Recht bei van den Bergh/Schäfer, German Working Papers in Law and Economics, 12 f. 128
F. Ineffizienz bei generellem Haftungsausschluss
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dann darin, dass der EG-Gesetzgeber bei seiner Entscheidung über die Regulierung des Außenhandels nicht den Wert der tatsächlich zu erwartenden Schäden, sondern einen in seiner Wahrscheinlichkeit des Haftungseintritts herabgesetzten Schaden in seinem Entscheidungskalkül mit einbezieht. Folge dieser Diskontierung des Schadens ist die Wahl einer höheren Protektionsrate.
II. Darstellung der Fehlanreize der reinen Opferhaftung anhand des Konzepts externer Effekte Die Ineffizienz der reinen Opferhaftung lässt sich auch mit dem Konzept externer Effekte plausibel machen.131 Auszugehen ist dafür von der Grundannahme, dass ein Schaden eine Externalität ist, das heißt die Inanspruchnahme eines fremden Gutes, ohne dafür auf dem Markt einen Preis zu zahlen.132 Die vom Schädiger verursachten Schäden wirken auf die Handlungsergebnisse anderer Individuen (der Geschädigten) ein, ohne in das KostenNutzen-Kalkül des Akteurs einzugehen. Ohne Internalisierung dieses Effekts über einen Preismechanismus oder ein Haftungsregime kommt es zu Marktversagen.133 Eine Verhandlungslösung wird erschwert, weil die Koordinations- und Transaktionskosten in der Regel zu hoch sein werden. Diese Aussagen zur Grundkonstellation externalitätenbehafteten Handelns greifen auch in diesem Kontext. Der Gemeinschaftsgesetzgeber maximiert seine Nutzenfunktion unter Ausschluss der externen Kosten zu Lasten der Handlungsergebnisse der importabhängigen Wirtschaftsakteure. Infolgedessen verfügt er über die Disposition eines Gutes im grenzüberschreitenden Handel, dessen Ge- oder Verbrauch er dadurch beschränkt und bei bestimmten Gruppen einen Schaden verursacht, der seinerseits nicht durch die Gewinne der inländischen Produzenten ausgeglichen werden kann.134 Ohne die Haftungsandrohung kann die EG nicht zur Internalisierung dieser Externalität veranlasst werden.135 131
Vgl. zum Marktversagen bei externen Effekten Cooter/Ulen, Law and Economics, 38 ff., 261 f.; Dahlman, Journal of Law and Economics 1979, 141; Eidenmüller, Effizienz, 59; Feess, Umweltökonomie, 41 ff.; Richter/Furubotn, Institutionenökonomik, 109 ff. 132 Röckrath, Haftung, 83. 133 Cooter/Ulen, Law and Economics, 44 f.; Feess, Umweltökonomie, 1998, 41 ff.; Röckrath, Haftung, 83. 134 Damit sind weder die Bedingungen der Pareto-Optimalität (tatsächliche Entschädigung aller Beteiligten) noch die des Kaldor-Hicks-Kriteriums (hypothetische Kompensation der Verlierer) erfüllt. Vgl. zu diesen Effizienzkriterien Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 32 ff. 135 Zum Zusammenhang von Haftung und Internalisierung allgemein Englard, IRLE 1990, 173.
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G. Anreizwirkung haftungsbewehrter WTO-Rechtsverletzungen auf den Gemeinschaftsgesetzgeber I. Politische Kosten als Internalisierungsverfahren der gesamtgesellschaftlichen Schäden Auf dem Hintergrund dessen können nun recht eindeutige Schlüsse für die von einer Haftpflicht ausgehenden Anreize für den Gesetzgeber gezogen werden. Zuallererst ist aber noch zu fragen, wie das Nutzen-Kosten-Kalkül des Gemeinschaftsgesetzgebers auf eine potentielle Schadensersatzzahlung reagiert. Das mag entscheidend davon abhängen, ob oder wie der Gesetzgeber die monetären Schadensersatzzahlungen in politische Kosten transformiert und diese bei seinen Entscheidungen zu minimieren sucht. Insofern könnte man die Ansicht vertreten, dass die Schadensersatzpflicht nicht notwendigerweise in das Entscheidungskalkül des Entscheidungsträgers einfließen müsse, weil er diese Zahlungen auf den Steuerzahler abwälzen kann, da dieser schließlich die aus dem Haushalt bezahlten Summen in Form von Steuergeldern finanziert. Ließe sich der Schadensersatz folgenlos abwälzen, könnte der politische Entscheidungsträger weiterhin die mit der Begünstigung kleiner Interessengruppen assoziierten Vorteile ausnutzen, ohne von den Schadensersatzzahlungen nachteilig betroffen zu sein. Realistischer indes erscheint eine Betrachtungsweise, die jeder Schadensersatzzahlung auch eine gewisse Signalwirkung für den Bürger beimisst.136 Der Bürger kann an solchen Schadensersatzverpflichtungen leicht ablesen, dass der Gesetzgeber den Interessen partikularer Lobbygruppen den Vorzug vor den Belangen des Allgemeinwohls gegeben hat. Eine solche Signalwirkung wiederum bleibt nicht ohne Konsequenzen auf das Wahlverhalten der Bürger. Unter diesen Voraussetzungen kann aber das Abwälzungsargument nicht mehr greifen, da die Kompensationszahlungen – wenn nicht ihrer monetären Größe nach so doch in Form von politischen Kosten – für den Entscheidungsträger spürbar werden.137 Zutreffenderweise dürften damit also bei steigenden Schadensersatzzahlungen auch die politischen Kosten des Entscheidungsträgers ansteigen. Zur Veranschaulichung dieser Annahme mag auch hier der zwischen den USA und der EG ausgefochtene Streit um Einfuhrzölle der Amerikaner auf Stahlimporte aus der EG dienen.138 Nach136
Ebenso van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 559. Dann bliebe ferner zu ermitteln, in welchem Verhältnis sich eine monetäre Einheit an Schadensersatzzahlung in politische Kosten umwerten lässt. 138 Siehe dazu Decker, Handelskonflikte, 171 ff. 137
G. Anreizwirkung haftungsbewehrter WTO-Rechtsverletzungen
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dem der DSB die amerikanischen Importzölle als WTO-widrig eingestuft hatte, drohte die EG mit der Erhebung von Strafzöllen ein Jahr vor der amerikanischen Präsidentenwahl ausgerechnet auf Produkte, die ihren Ursprung in Bundesstaaten hatten, in denen die Stimmenverhältnisse zwischen Republikanern und Demokraten unentschieden waren. In dieser Absicht drückt sich das Bewusstsein für die Sensibilität des Bürgers für wirtschaftliche Nachteile aus einer protektionistischen Außenhandelspolitik aus. Bekommt der Verbraucher neben den wohlfahrtsschädigenden Effekten der Importbeschränkung darüber hinaus auch die Folgen von drohenden Schadensersatzzahlungen zu spüren, dürften die Abwehrkräfte noch größer sein und nicht ohne Konsequenzen auf das Wahlverhalten bleiben. Unter dem Eindruck dieser aus den monetären Schadensersatzzahlungen resultierenden politischen Kosten ändert sich auch das individuelle Nutzen- und Entscheidungskalkül des Gemeinschaftsgesetzgebers, da er bestrebt sein wird, die politischen Kosten seines Handelns, namentlich solcher, die seine Wiederwahl gefährden können, zu minimieren. Vom Standpunkt seines erwarteten Nutzens aus ändert sich als Folge der Haftungsandrohung die Wahrscheinlichkeitsverteilung, mit der er zum Ersatz der Schäden verpflichtet werden kann. Ist diese Wahrscheinlichkeit des Haftungseintritts nunmehr wesentlich höher, wird er im Vergleich zur haftungsfrei bleibenden Rechtsverletzung weniger Anreize haben, eine Gesamtwohlfahrtsfunktion zu maximieren, in der die Interessen der Lobbyisten über- und die Belange der Konsumenten und importabhängigen Industrie untergewichtet sind. Oder anders ausgedrückt: Läuft der Gesetzgeber Gefahr, die externen Effekte seiner Protektionspolitik in Form von politischen Kosten selbst tragen zu müssen, wird er diese internalisieren und als zu minimierenden Kostenpunkt in seiner Entscheidung berücksichtigen.
II. Die Evidenzhaftung als Korrektiv zur Vermeidung einer Lähmung des Gesetzgebers Damit können durch die potentielle Haftung Anreizmechanismen generiert werden, welche sich positiv auf die Egalisierung der von organisierten Interessengruppen ausgeübten Einflussnahme beim Entscheidungsträger auswirken. Nichtsdestotrotz haben die obigen Ausführungen zur Divergenz von sozialen und privaten Schäden veranschaulicht, dass selbst bei Einführung einer Schadensersatzpflicht Ineffizienzen und Fehlanreize immer noch möglich sind. Denn die von den Fallgruppen geltend gemachten Vermögensschäden aus der WTO-Rechtsverletzung werden die Schäden an der Gesamtwohlfahrt übersteigen. Bei unpräzisem Rechtmäßigkeitsstandard rechnet der Gemeinschaftsgesetzgeber bei jedem gewählten Protektionsniveau mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit, an die geschädigten Wirt-
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
schaftsteilnehmer einen Schadensersatz zu leisten, der die tatsächlichen sozialen Schäden übersteigt. Aufgrund der Unsicherheit erhält der Gemeinschaftsgesetzgeber Anreize, seine Legislativaktivität auf ein unvernünftig niedriges Niveau herunterzuschrauben, um sicher zu gehen, sich nicht WTO-widrig zu verhalten und von der Übermaßhaftung freizukommen. Kann er die Rechtmäßigkeit nur vermuten, macht er eine Schadensersatzerwartung zur Grundlage seiner Entscheidung über die gewählte Regulierungsaktivität, wobei im Ergebnis das optimale Niveau unterschritten wird, weil der Erwartungswert des Schadens zu hoch angesetzt wird.139 Tatsächlich hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Art. 288 EGV mit der Schöppenstedt-Formel im Grundsatz eine Evidenzhaftung entwickelt, mittels derer die Möglichkeit einer Überabschreckung des Gesetzgebers zumindest erheblich reduziert werden kann.140 Danach tritt eine Haftung nur ein, wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse „offenkundig“ und „erheblich“ überschritten hat. Bemerkenswert ist der Umstand, dass der Gerichtshof die Sicherung der Funktionstüchtigkeit der Gemeinschaftsorgane bei der Wahrnehmung des Allgemeininteresses als wesentlichen Grund für diese Haftungsbeschränkung nennt.141 Darin klingt die hier entwickelte anreizorientierte Überlegung an, dass bei einer reinen Fahrlässigkeitshaftung der Gemeinschaftsgesetzgeber durch die Haftungsandrohung in der Wahrnehmung seiner Legislativfunktion gehemmt werden kann, weil er stets die Gefahr eines möglichen Schadensersatzanspruchs fürchten muss. Damit kann die Evidenzhaftung als Korrektiv dafür dienen, die mögliche Überabschreckung des Gemeinschaftsgesetzgebers, die aus dem unpräzisen Rechtmäßigkeitsstandard und der Divergenz von sozialen und privaten Kosten resultiert, auszugleichen.142 Erste Voraussetzung für die Zweckmäßigkeit der Evidenzhaftung ist ein unpräziser Rechtmäßigkeitsstandard. Könnte der Gesetzgeber vorhersehen, ob seine Maßnahme mit dem WTO-Recht vereinbar sein wird oder nicht, bestünde keine Gefahr der Überabschreckung. Diesbezüglich ist oben bereits festgestellt worden, dass die welthandelsrechtliche Rechtmäßigkeit einer Maßnahme mangels Klarheit der WTO-Bestimmungen genauso schwer einzuschätzen ist wie die vom EuGH an das Vorliegen einer qualifizierten Rechtsverletzung gestellten Bedingungen. Ist der Rechtmäßigkeitsstandard 139
Siehe hierzu instruktiv Abbildung 14 in Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse,
303. 140
So auch van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 552 ff. EuGH, verb. Rs. 83 und 94/76, 4, 15, und 40/77, HNL, Slg. 1978, 1209, Rn. 5; das findet auch breite Zustimmung in der Literatur, vgl. nur Ruffert, in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 11 m. w. N. 142 van den Bergh/Schäfer, ELR 1998, 560. 141
G. Anreizwirkung haftungsbewehrter WTO-Rechtsverletzungen
307
bei WTO-Rechtsverletzungen also ex ante unbestimmt, kann die Evidenzhaftung eine Signalwirkung für den Gesetzgeber auslösen, dass ein gewisses Maß an Protektion, das wie gesehen mit Blick auf die Erzielung von im Bereich des Gesundheits- oder Umweltschutzes möglichen Wohlfahrtsgewinnen ökonomisch sinnvoll sein kann, noch nicht haftungsauslösend sein wird. Auf diese Weise stellt sich aus der Sicht des Gesetzgebers der Rechtmäßigkeitsmaßstab als weniger unpräzise dar, weil der Bereich haftungsfrei gestellter Protektionsmaßnahmen durch die Evidenzhaftung ausgeweitet wird. Würde die Gemeinschaftshaftung auf dem Prinzip der Fahrlässigkeitshaftung beruhen, wäre dieser Bereich des haftungsfreien Handlungsspielraums bei außenhandelspolitischen Maßnahmen wesentlich beschränkter und die mögliche Überkompensation sozialer Schäden würde Gesetzgebungsaktivitäten hemmen. Durch das Erfordernis einer qualifizierten Rechtsverletzung wird dem Gesetzgeber so eine Rechtssicherheit bezüglich der gemeinschaftshaftungsrechtlichen Rechtmäßigkeit143 gegeben, die darüber hinaus auch eine Reduzierung des Risikos einer Überabschreckung des Gesetzgebers herbeiführt. Im Ergebnis könnten bei Anerkennung einer Schadensersatzpflicht für WTO-Rechtsverletzungen Fehlanreize de lege lata mit Hilfe der Evidenzhaftung vermieden werden. Ein weiterer Vorschlag zur Behebung einer Überabschreckung des Schädigers aus den genannten Gründen sieht vor, den Schaden an der Gesamtwohlfahrt im konkreten Fall zu ermitteln und nur diesen Betrag den Geschädigten zu ersetzen.144 Erforderlich wäre damit eine ökonomische Analyse im konkreten Fall zu betreiben. Diese müsste dann beispielsweise ausdifferenzieren, inwieweit die klagenden Unternehmen oder ihre Mitkonkurrenten aufgrund erhöhter Nachfrage auf Drittmärkten zusätzliche Gewinne erzielt haben. Ferner müsste auch das Ausmaß der dead-weight-losses ermittelt werden, was sich aufgrund der Abhängigkeiten von Angebotsund Nachfrageelastizitäten als kompliziertes empirisch-ökonomisches Unterfangen darstellen würde. Wenngleich die Beschränkung des Schadensersatzes auf die Höhe der Gesamtwohlfahrtsverluste ein anreizneutrales Handeln des politischen Entscheidungsträgers sicherstellen könnte, wirft es doch offenbar gleichzeitig die Frage auf, ob die Wohlfahrtsschäden bei WTORechtsverletzungen überhaupt einigermaßen willkürfrei geschätzt werden können. Jedenfalls dürfte die dafür erforderliche ökonomische Analyse die damit befassten Gerichte vor Anforderungen stellen, bei denen sie an die 143 Hier muss unterschieden werden zwischen der WTO-Rechtmäßigkeit und der qualifizierten Rechtswidrigkeit im Sinne des Art. 288 EGV. Rechtssicherheit besteht freilich nur im Hinblick auf den Schadensersatz nach Gemeinschaftsrecht, nicht jedoch für den WTO-Konformitätsmaßstab. Die Völkerrechtswidrigkeit bleibt davon unberührt und kann zu zwischenstaatlichen Gegenmaßnahmen führen. 144 Gilead, Journal of Legal Studies 1991, 249 ff.
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Teil 4: Ökonomische Analyse einer Gemeinschaftshaftung
Grenzen ihrer Kapazitäten zur Informationsverarbeitung und -auswertung stoßen würden.145
H. Zusammenfassung zur ökonomischen Analyse Die ökonomische Analyse der Haftung für WTO-Rechtsverletzungen hat recht deutlich machen können, dass die gegenwärtige Rechtsauffassung des EuGH, nämlich einen Schadensersatz für WTO-Rechtsverletzungen nur in sehr engen Grenzen zuzulassen, aus ökonomischer Sicht nicht zu einem wohlfahrtsoptimalen Ergebnis führen kann. Dabei hat die ökonomische Analyse ihren Ausgangspunkt in den Erkenntnissen der Institutionenökonomik genommen und versucht, den Gemeinschaftsgesetzgeber als Akteur in einem Spannungsfeld von politischer Einflussnahme und gemeinwohlverpflichteter Legitimation darzustellen. Als individueller Nutzenmaximierer neigt er dazu, den organisierten und durchsetzungsstarken Interessen nachzugeben und infolgedessen außenhandelspolitisch die Maximierung der Gesamtwohlfahrt aus den Augen zu verlieren. In Abwesenheit einer Haftpflicht wird er die Wohlfahrtsverluste diskontieren und einen in seiner Wahrscheinlichkeit des Haftungseintritts herabgesetzten Schaden zur Grundlage seines Entscheidungskalküls machen. Als Folge dieser verzerrten Wohlfahrtsmaximierung wird ein überoptimales Protektionsniveau erreicht. Demgegenüber kann der Gesetzgeber bei einem haftungsbewehrten System dazu gezwungen werden, die negativen Externalitäten seines Handelns zu internalisieren. Dies geschieht durch Transformation der Schadensersatzzahlungen in politische Kosten des Entscheidungsträgers, die dieser in seinem Kosten-Nutzen-Kalkül versuchen wird zu minimieren. Als Folge der Haftungsandrohung ändert sich die Wahrscheinlichkeitsverteilung, mit der er zum Ersatz der Schäden verpflichtet werden kann, so dass die Schäden in vollem Umfang in die maximierte Wohlfahrtsfunktion eingehen. Darüber hinaus besteht auf Seiten des Gesetzgebers allerdings ein Informationsdefizit, das sich darin äußert, dass dieser ex ante keine Kenntnis darüber haben wird, ob sein legislatives Handeln von den WTO-Streitbeilegungsorganen als WTO-widrig und vom EuGH als qualifiziert rechtsverletzend angesehen wird. In Kombination mit dem Ersatz reiner Vermögensschäden birgt dieses Informationsdefizit die Gefahr der Überkompensation des Klägers, weil die sozialen und privaten Schäden voneinander divergieren. Der von den Fallgruppen geltend gemachte Schaden übertrifft bei WTO-Rechtsverletzungen die Schäden an der Gesamtwohlfahrt und schafft so die Voraussetzungen 145
Ebenso Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 306.
H. Zusammenfassung zur ökonomischen Analyse
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für eine Lähmung des Gesetzgebers, der nur mit einer bestimmten subjektiven Wahrscheinlichkeit mit Schadensersatzforderungen rechnet und den Erwartungswert des Schadens zu hoch ansetzt. Dieser Problematik kann aber de lege lata mit dem der Schöppenstedt-Formel zugrunde liegenden Evidenzhaftungsprinzip begegnet werden. Diese gibt dem Gesetzgeber Rechtssicherheit hinsichtlich des Umfangs haftungsauslösender Maßnahmen und reduziert die Gefahr einer Überabschreckung der Legislative.
Teil 5
Zusammenfassung A. Zusammenfassung in Thesen 1. Ein Vergleich mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen macht deutlich, dass die Möglichkeit einer Staatshaftung als Konsequenz einer Verletzung von Völkervertragsrecht zumindest allgemein anerkannt ist. Ein genereller Ausschluss einer Geltendmachung internationaler Verträge in Haftungsverfahren ist keiner Rechtsordnung zu entnehmen, solange das Abkommen tatsächlich auch Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung geworden ist. Hingegen kann ein Positivbeweis für die Haftung bei WTO-Rechtsverletzungen in den nationalen Rechtsordnungen nicht geführt werden. Uneinheitlich präsentieren sich die nationalen Haftungsregime vor allem im Hinblick auf die Anforderungen, welche an den subjektiv-rechtlichen Charakter des Abkommens zu stellen sind. Die Zusammenschau der dargestellten europäischen Rechtsordnungen lässt wohl erkennen, dass überwiegend die Verletzung eines subjektiven Rechts für die Geltendmachung eines Schadensersatzes gefordert wird und dass die Mitgliedstaaten mehrheitlich die unmittelbare Wirkung eines Abkommens voraussetzen. Für die Entwicklung gemeinschaftlicher Haftungsgrundsätze sind indes die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur zu berücksichtigen. Der Gerichtshof orientiert sich nicht an einem Minimalstandard, sondern wählt gezielt solche Rechtsprinzipien aus, die – selbst wenn sie nur in einzelnen nationalen Rechtsordnungen vorkommen – für eine rechtsstaatliche und an den Individualrechten orientierte Rechtsfortbildung fruchtbar gemacht werden können. 2. Trotz ihrer innergemeinschaftlichen Geltung muss die unmittelbare Wirkung einer DSB-Entscheidung verneint werden, weil ihr unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck aufgrund eines unterschiedlichen Verpflichtungsgrades hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Umsetzungsverpflichtung, eine inhaltliche Unbedingtheit nicht zu entnehmen ist. Die Ausnahme der Nakajima-Doktrin interpretiert der EuGH äußerst restriktiv. Zutreffend ist es, das Vorliegen der NakajimaVoraussetzungen von einer Gesamtbetrachtung der Umstände bei Erlass des EG-Sekundärrechtsaktes in Form einer Gewichtung, der in den EG-Sekundärrechtsakten formulierten Erwägungsgründe und der die Umsetzung be-
A. Zusammenfassung in Thesen
311
gleitenden Stellungnahmen abhängig zu machen. Danach werden die einschlägigen DSB-Entscheidungen sowohl von der in den Schadensersatzklagen angegriffenen Bananenmarktordnung als auch von den gegenwärtigen Einfuhrregelungen für hormonbehandeltes Rindfleisch umgesetzt. 3. Der Ansatz zur Überwindung des Junktims zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und Schutznormverletzung muss in der Fruchtbarmachung der Francovich-Doktrin seinen Ausgangspunkt nehmen. Dabei steht die gegenseitige Beeinflussung und strukturelle Konvergenz der Staats- und Gemeinschaftshaftung sowie die Notwendigkeit eines einheitlichen Rechtsschutzes in der Gemeinschaft einer Anwendung der Grundsätze der Francovich-Doktrin für die Gemeinschaftshaftung nicht im Wege. Für die dogmatische Herleitung einer Schadensersatzverpflichtung nach dem Vorbild der Francovich-Doktrin muss an eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift angeknüpft werden, für die sich die primärrechtliche Verpflichtung in Art. 300 VII EGV anbietet, in der die objektiv-rechtliche Verbindlichkeit von höherrangigem Völkervertragsrecht für das EG-Sekundärecht angeordnet wird. Um den effet utile-Gedanken auf die Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV anzuwenden, bedarf es einer mit Art. 249 III EGV vergleichbaren objektiven Umsetzungsverpflichtung. Die von Art. 300 VII EGV vermittelte Rechtsverbindlichkeit der WTO-Abkommen begründet einen an die Gemeinschaftsorgane gerichteten Rechtssetzungsauftrag, der sich in einer Verhaltenspflicht zu völkerrechtskonformen Handeln und innergemeinschaftlicher Umsetzung der DSB-Entscheidung konkretisiert. 4. Der Auslegungsgrundsatz der praktischen Wirksamkeit kann dergestalt auf die Verbindlichkeitsanordnung des Art. 300 VII EGV angewendet werden, dass eine Haftung bei Verletzung dieser Umsetzungsverpflichtung trotz fehlender unmittelbarer Wirkung geboten ist. Eine Funktions- und Folgenanalyse zur Bewertung der Effektivität des Art. 300 VII EGV verdeutlicht die Wirkungsschwäche des gemeinschaftsrechtlichen und völkerrechtlichen Disziplinierungsinstrumentariums, mittels derer keine optimalen Anreize mit Blick auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 300 VII EGV gesetzt werden. Die Instrumentalisierung des einzelnen Wirtschaftsteilnehmers kann in den Dienst einer Effektuierung des Art. 300 VII EGV gestellt werden, indem er durch die Anerkennung der Haftpflicht zur Behebung des Sanktionsdefizits aktiviert wird. Trotz des rechtsquellenmäßig unterschiedlichen Bezugsobjekts von Art. 249 III EGV und Art. 300 VII EGV und des zweifellos bestehenden qualitativen Unterschieds der Integrationstiefen zwischen EG und WTO sprechen doch gewichtige integrationspolitische Gründe für die Anwendung des effet utile auf Art. 300 VII EGV. 5. Der Rechtsgrund, dem das für die Verwirklichung des Rechtsschutzpostulats erforderliche Individualrecht des Einzelnen entspringt, kann im
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Teil 5: Zusammenfassung
Wege einer Gesamtbetrachtung der objektiv-rechtlichen Umsetzungsverpflichtung mit der rechteverleihenden DSB-Entscheidung gewonnen werden. Eine individualbegünstigende Schutzwirkung müsste aus einem Zusammenwirken des Art. 300 VII EGV mit den für die Wirtschaftsteilnehmer Rechte begründenden DSB-Entscheidungen resultieren. 6. Auch die in Art. 10 EGV niedergelegte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den EG-Mitgliedstaaten lässt sich zur Begründung einer Schadensersatzverpflichtung bei gemeinschaftlichen WTO-Rechtsverletzungen heranziehen. 7. Der Grundsatz des „parallelisme necessaire“ zwischen Gemeinschaftsund Staatshaftung legt nahe, dass im Bereich der Gemeinschaftshaftung keine hohen Anforderungen an den subjektiv-rechtlichen bzw. individualschützenden Charakter der verletzten Norm zu stellen sind, es insbesondere unschädlich ist, wenn eine Norm auch dem Schutz anderer Interessen dient. Im Übrigen kann eine schutzreflexorientierte Auslegung sehr wohl zu dem Ergebnis kommen, dass trotz des Fehlens einer expliziten individualschützenden Intention der WTO-Abkommen eine Individualbegünstigung als Kehrseite aus der Staatenverpflichtung besteht. Selbst wenn die einschlägigen Bestimmungen vorrangig auf die objektive Regelung des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs ausgerichtet sind, vermögen sie so doch gleichzeitig eine mittelbare Begünstigung für die privaten Wirtschaftssubjekte zu schaffen. 8. Kernaussage des Bestimmtheitsgebotes des Individualrechts ist das Erfordernis eines „normativen Minimalprogramms“, mit dem der DSB-Entscheidung ein Mindestinhalt des zu verleihenden Rechts und eine Bestimmbarkeit des anspruchsberechtigten Personenkreises abverlangt wird. Begehrt das Unternehmen Ersatz für Schäden als Folge von Strafzöllen (Fallgruppe C), wird der Gemeinschaftsrichter stets in der Lage sein, das Ausbleiben der Strafzölle als normativen Mindestgehalt der individualschützenden WTO-Vorschriften anzuerkennen. Für die Angehörigen der Fallgruppe B lässt sich feststellen, dass diese Voraussetzung im Bananen- und im Hormonstreit gegeben war. Ergänzend bedarf jedoch der Betonung, dass das Individualrecht nur dann hinreichend bestimmt ist, wenn die Entscheidung des DSB zu erkennen gibt, welche Maßnahmen die unterlegene Partei ergreifen sollte, um der Entscheidung nachzukommen. 9. Zur Ermittlung einer hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung werden die Kriterien der Schwere der Rechtsverletzung einerseits und der Auswirkungen der Rechtsverletzung andererseits herangezogen. Angesichts der andauernden Verweigerungshaltung der Gemeinschaftsorgane bei der Umsetzung von DSB-Entscheidungen ist für den Bananenstreit ein offensichtliches Auseinanderfallen von Verhalten und verbindlicher Empfehlung nicht von der Hand zu weisen, so dass im Ergebnis die Rechtsverletzung als hin-
A. Zusammenfassung in Thesen
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reichend schwer eingestuft werden muss, zumal das Gebotene klar vorgezeichnet war und die EG-Organe die Vorgaben des AB-Berichts eindeutig ignoriert haben. Im Hormonstreit hat die EG über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren überhaupt keinen Versuch unternommen, ihre Einfuhrregelungen mit der DSB-Entscheidung in Einklang zu bringen. Lässt sich der zu EG-Richtlinien etablierte verschärfte Haftungsmaßstab bei Nichtumsetzung einer Richtlinie auf die hiesige Konstellation übertragen, führt die völlige Untätigkeit der Gemeinschaft demnach automatisch zur Annahme einer hinreichend qualifizierten Rechtsverletzung. Die Auswirkungen der Rechtsverletzung, die der EuGH zum einen in der Betroffenheit einer begrenzten und klar umrissenen Gruppe von Markteilnehmern und zum anderen in der Unvorhersehbarkeit des Schadens erkennt, kann für die Fallgruppe C bejaht werden. Komplizierter erweist sich hingegen die Beurteilung der Auswirkungen der Rechtsverletzung für Unternehmen, die aufgrund der Einfuhrbeschränkung von Bananen oder hormonbehandeltem Rindfleisch Schadensersatz begehren (Fallgruppe B). Denn in diesem Fall sind die geltend gemachten Nachteile nicht nur auf die im Importhandel tätigen Unternehmen beschränkt, sondern treten darüber hinausgehend auch bei nur mittelbar mit dem Importhandel in Verbindung stehenden Unternehmen auf. Hinzu kommt, dass bei der Fallgruppe B die eingetretenen Nachteile nicht innerhalb der Grenzen des allgemeinen Wirtschaftsrisikos liegen, da sie vorhersehbar waren und vom Geschädigten in die Unternehmensplanung hätten einbezogen werden können. 10. Hinsichtlich der Verletzung gemeinschaftlicher Grundrechte durch WTO-Rechtsverletzungen ist zu konstatieren, dass der EuGH durch eine reine Evidenz- und Willkürkontrolle im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit interessengerechter Entscheidungen verhindert, obwohl gerade die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Abwägung der betroffenen Individualrechtsgüter und Gemeinwohlbelange zugänglich sein muss. Angeregt wurde deshalb, den Grundsatz WTO-rechtskonformer Auslegung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Bewertung der Legitimität des Gemeinschaftsinteresses gegenüber den Grundrechten der betroffenen Unternehmen zu verfolgen. Die Berücksichtigung einer DSBEntscheidung in diesem Abwägungsprozess muss nicht zwangsläufig eine schwächere Legitimität oder Höherrangigkeit gemeinschaftlicher Interessen bedeuten. Vor allem dann nicht, wenn dem individuellen Interesse an wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit Gesamtwohlbelange wie der Schutz der Gesundheit oder des Lebens der Bevölkerung gegenüber stehen. Das bedeutet gleichzeitig jedoch, dass das wirtschaftliche Interesse auf Seiten der in ihrer Außenhandelsfreiheit beschränkten Wirtschaftssubjekte nur dann zurücktreten muss, wenn grundrechtlich abgesicherte Gemeinwohlbelange vorliegen.
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Teil 5: Zusammenfassung
11. Auch die Haftung der EG-Mitgliedstaaten für WTO-Rechtsverletzungen ist nicht ausgeschlossen. Obwohl auf die Gemeinschaft in weiten Teilen der WTO-Abkommen mittlerweile die ausschließliche Außenkompetenz übergegangen ist, sind die EG-Mitgliedstaaten ausweislich der bisherigen WTO-Praxis nach wie vor originärer Auslöser WTO-widriger Maßnahmen. In diesem Zusammenhang muss gelten, dass der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruchs aufgrund einer umfassenden innergemeinschaftlichen Geltung des gesamten WTO-Abkommens in den Rechtsordnungen der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten auch auf Maßnahmen im Bereich mitgliedstaatlicher Kompetenz anwendbar ist. Damit folgen die Haftungsvoraussetzungen in allen Bereichen mitgliedstaatlichen Handelns einheitlichen Grundsätzen und sind nicht allein vom nationalen Haftungsregime abhängig. 12. Die ökonomische Analyse der Haftung für WTO-Rechtsverletzungen weist die gegenwärtige Rechtsauffassung des EuGH aus Effizienzgesichtspunkten zurück. Demgegenüber kann der Gemeinschaftsgesetzgeber bei einem haftungsbewehrten System dazu gezwungen werden, die negativen Externalitäten seines Handelns zu internalisieren. Dies geschieht durch Transformation der Schadensersatzzahlungen in politische Kosten des Entscheidungsträgers, die dieser in seinem Kosten-Nutzen-Kalkül versuchen wird zu minimieren. Gleichzeitig aber sieht sich der Gesetzgeber mit einem Informationsdefizit konfrontiert, weil er ex ante keine Kenntnis darüber haben wird, ob sein legislatives Handeln von den WTO-Streitbeilegungsorganen als WTO-widrig und vom EuGH als qualifiziert rechtsverletzend beurteilt wird. In Kombination mit dem Ersatz reiner Vermögensschäden birgt dieses Informationsdefizit die Gefahr der Überkompensation des Klägers, weil die sozialen und privaten Schäden voneinander divergieren. Der von den Fallgruppen geltend gemachte Schaden übertrifft bei WTO-Rechtsverletzungen die Schäden an der Gesamtwohlfahrt und schafft so die Voraussetzungen für eine Lähmung des Gesetzgebers, der nur mit einer bestimmten subjektiven Wahrscheinlichkeit mit Schadensersatzforderungen rechnet und den Erwartungswert des Schadens zu hoch ansetzt. Eine effiziente Antwort darauf gibt das der Schöppenstedt-Formel zugrunde liegende Evidenzhaftungsprinzip. Der Gesetzgeber gewinnt dadurch an Rechtssicherheit hinsichtlich des Umfangs haftungsauslösender Maßnahmen und reduziert die Gefahr einer Überabschreckung der Legislative.
B. Schlusswort Auf Ebene des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzes für die Verletzung von WTO-Recht durch Gemeinschaftsrechtsakte offenbart sich ein Defizit. Weder können Individuen die Regeln der WTO im Wege der Nich-
B. Schlusswort
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tigkeitsklage geltend machen, noch wird ihnen vom EuGH ein Recht auf Ersatz derjenigen Schäden eingeräumt, die ihnen infolge des WTO-Rechtsverstoßes entstehen. Beide Rechtsbehelfe werden mit der Begründung abgelehnt, dass das WTO-Recht keine unmittelbare Wirkung in der Rechtsordnung der EG hat. Dabei übersieht der Gerichtshof die Wesensverschiedenheit der beiden Klagearten, aufgrund derer zumindest für die Schadensersatzklage ein Junktim zwischen der Schutznormverletzung und der direkten Anwendbarkeit einer WTO-Vorschrift oder DSB-Entscheidung nicht erforderlich erscheint. Der gemeinschaftsrechtliche Sekundärrechtsschutz bei WTO-Rechtsverletzungen kann auf eine tragfähige dogmatische Grundlage gestellt werden. Die Anerkennung einer Haftpflicht sollte im Übrigen nicht an der Befürchtung scheitern, dass infolgedessen die Gemeinschaftsorgane mit unvorhersehbar vielen Schadensersatzverpflichtungen konfrontiert würden. Die etablierten Haftungsanforderungen stellen nach wie vor hohe Voraussetzungen an das Vorliegen eines Anspruchs. Zwar bereitet die Voraussetzung der qualifizierten Rechtsverletzung zumindest für die Opfer von Strafzöllen kein unüberwindbares Hindernis. Inwieweit dies auch für anderweitig beeinträchtigte in die EG importierende Unternehmen gilt, bestimmt sich allerdings nach den Umständen des konkreten Handelsstreits. Dabei lässt die Analyse des Bananen- und des Hormonstreits vermuten, dass die hohen Anforderungen an die qualifizierte Rechtsverletzung nur schwer erfüllt sein werden. Haftungsbegrenzend wirkt sich ebenso das Erfordernis eines bestimmbaren Mindestrechts aus. In dieser Hinsicht kommt es entscheidend auf die Spruchpraxis des DSB und dessen Bereitschaft an, der unterlegenen Partei konkrete Umsetzungsvorgaben zu machen. Bestätigung erfährt das Ergebnis der rechtswissenschaftlichen Untersuchung auch bei Betrachtung aus der ökonomischen Perspektive. Aus Anreiz- und Wohlfahrtsgesichtspunkten führt die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte zu ineffizienten Ergebnissen. Ein „gerechtes“ und „effizientes“ Rechtsschutzsystem setzt somit voraus, dass Unternehmen auch bei Verletzung des WTO-Rechts Sekundärrechtsschutz gewährt wird.
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Sachwortverzeichnis Assoziationsratsbeschlüsse 71 f. Auslegung – WTO-konforme Auslegung 228, 235 ff. Auswärtige Gewalt 65 Bananenstreit 28, 63, 79 f., 89 ff., 107, 128 f., 169, 185 ff., 194, 202 ff., 218, 232, 282 f., 295 ff., 312 Beurteilungsspielraum 54 ff., 62 ff., 152 f., 232 ff. Bindung – Völkerrechtliche Bindung 169, 250 ff. Effektivität 58, 121 ff., 137 ff., 141, 147 ff., 159, 168, 257 ff., 311 Effet utile 105 ff., 116, 119 ff., 129 ff., 136 ff., 145 ff., 163, 166 f., 229, 261, 311 Effizienz 140 ff., 148, 268 ff. Embargo 215 EWR-Gutachten 72, 75 ff., 95 Francovich 25, 98, 102 ff., 115 f., 120 f., 125, 146, 149, 154 ff., 162 ff., 174 ff., 189 ff., 194, 311 Geltung – Innergemeinschaftliche Geltung 25, 71, 77, 121, 249 ff., 253 ff. Gemischte Abkommen 169, 171, 241, 250 ff. Hormonstreit 57, 61, 92, 107, 127 f., 142 f., 159, 185 ff., 195, 198, 208 ff., 212 f., 222 f., 239, 283, 286, 299, 312 f. Informationsdefizit 272, 279 ff., 308, 314
Institutionenökonomik 271 f., 279, 308 Integration 120, 124, 130 ff.,148, 168, 233 Judicial restraint 55 f., 65 f., 232 Kausalität 188, 225 ff., 266 Nakajima 25, 86 ff., 162 Neue Politische Ökonomie siehe Public Choice Normatives Unrecht 54, 67, 199 f., 225 Political question-doctrine 55, 65, 232 Public Choice 124, 272 ff. Recht – Allgemeine Rechtsgrundsätze 31 ff., 52 ff., 67 f., 104, 163, 231, 233 – Bestimmbarkeit 26 f., 189 ff., 264, 312 – Bestimmtheit 25, 192, 196, 199, 204, 262 ff. – Rechtsschutzbedürfnis 26, 159 ff., 173, 293 Rechtsvergleichung 31 f. Rechtsverletzung – hinreichend qualifiziert 54, 195, 199 ff., 221 f., 312 f. – Gemeinschaftsgrundrechte 229 ff. Richtlinie 40, 57 f., 92, 102 ff., 114 ff., 126, 130, 156, 158 f., 165, 177, 182, 187, 191, 208 ff., 221, 313 Rücksichtsnahmegebot 162, 165 f., 169 ff., 259 f.
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Sachwortverzeichnis
Schaden 28, 34 ff., 43 ff., 53, 105, 149, 160 ff., 172, 200, 211, 216 ff., 223 ff., 269 f., 288 f., 295 ff., 301 ff., 307 f., 314 Schutznorm 37, 44, 66 ff., 174 ff., 189, 201, 222, 229 Sonderopfer 213 f., 225 Staatshaftung 33, 41 ff., 51, 65, 102 ff., 120, 125 ff., 145 ff., 158, 163, 165, 176 ff., 201, 207, 214, 243, 246 ff., 250, 261 ff., 271 f., 281 f., 312 Strafzölle 26, 29, 80, 126, 128, 161, 170, 188, 196 ff., 213 ff., 223 ff., 246, 297 ff., 305, 312, 315 Streitbeilegungsverfahren 27, 70, 73 ff., 81 f., 92 ff., 127, 159 ff., 182, 189, 192, 203 ff., 227, 243 ff., 279, 293 Subjektives Recht 158, 190 f., 264
Transaktionskosten 272 f., 277, 303 TRIPS 34, 118, 143, 236, 242 ff., 250 ff. Umsetzungsverpflichtung 81 f., 95, 102, 107, 112 ff., 118 ff., 124, 129, 133, 136, 147, 152, 155 ff., 165 f., 174, 197, 210, 214, 238, 263, 311 f. Verfassungsvertrag 24, 135 Verhältnismäßigkeit 233 ff. 313 Verschuldenshaftung 269 ff., 279, 284 Völkerrechtliche Verträge – Berufungsfähigkeit 25, 111 ff., 171 – Rang völkerrechtlicher Verträge 110 ff. – Verbindlichkeit 35, 42, 108, 114, 117 f., 156, 187, 311