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German Pages 416 [417] Year 2006
PETRA GEIGER
Deutsche Arzneimittelhaftung und EG-Produkthaftung
Untersuchungen zum Europäischen Privatrecht Band 20
Deutsche Arzneimittelhaftung und EG-Produkthaftung Die deutsche verschuldensunabhängige Arzneimittelhaftung aus europäischer Perspektive
Von Petra Geiger
Duncker & Humblot • Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Wintersemester 2001/2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 30 Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1438-6739 ISBN 3-428-11018-8 978-3-428-11018-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Dem Andenken meiner Mutter und für meine Tante Herta
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001 / 2002 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Die Arbeit wurde im Februar 2002 abgeschlossen. Die am 1. August 2002 in Kraft getretene Reform des deutschen Arzneimittelhaftungsrechts wurde nachträglich in die Arbeit eingearbeitet. Soweit möglich wurde die bis Ende 2005 erschienene Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Manfred Wandt, an dessen Lehrstuhl ich während der gesamten Zeit der Anfertigung der Arbeit als Assistentin tätig sein durfte, danke ich für die Betreuung meines Promotionsvorhabens, die eingeräumten Freiräume und die sehr zügige Erstellung des Erstgutachtens. Zu danken habe ich auch Herrn Professor Dr. Eckard Rehbinder für die ebenfalls sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Für die ständige Gesprächsbereitschaft und wertvolle Hinweise habe ich meinem ehemaligen Kollegen und Freund Herrn Dr. Michael Sonnentag von Herzen zu danken. Frau Dr. Sabine Reimer, Frau Heike Sterna, Frau Tanja Hild und Herrn Harald Schmitt möchte ich dafür danken, dass sie die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen haben. Ferner möchte ich Frau Elke Vizzini danken, die bei der langfristigen Ausleihe lehrstuhleigener Bücher große Geduld aufgebracht hat. Für die herzliche Unterstützung während der gesamten Zeit der Anfertigung der Arbeit danke ich meiner Schwester Karin Geiger und meiner Tante Herta Löchel. Dem Andenken meiner Mutter sowie meiner Tante ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, Januar 2006
Petra Geiger
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung
37 Erster Teil
Die Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts im Jahre 2002 § 2 Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
42 42
§ 3 Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
186
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
277
§ 5 Vereinbarkeit der deutschen Umsetzung der Arzneimittelhaftung mit europäischem Recht 307 Zweiter Teil Die Reform des deutschen Arzneimittelhaftungsrechts
334
§ 6 Geschichte der Reform
334
§ 7 Die Neuregelung im Einzelnen
342
§ 8 Bewertung der Reform aus europarechtlicher Sicht
359
Dritter Teil Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
384
§ 9 Zusammenfassung der Ergebnisse
384
§10 Ausblick
390
Anhang
394
Literaturverzeichnis
398
Sachverzeichnis
412
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung
37 Erster Teil
Die Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts im Jahre 2002
§ 2 Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz A. Haftungsvoraussetzungen des § 84 AMG
42
42 42
I. Allgemeine Haftungsvoraussetzungen
43
1. Sachlicher Anwendungsbereich
43
a) Begriff des Arzneimittels
43
b) Humanarzneimittel
45
c) Zulassungspflichtige oder von der Zulassungspflicht befreite Arzneimittel
46
aa) Zulassungspflichtige Arzneimittel
46
bb) Durch Rechtsverordnung von der Zulassungspflicht befreite Fertigarzneimittel
47
2. Räumlicher Anwendungsbereich
47
a) Inverkehrbringen im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes ..
48
b) Abgabe an den Verbraucher im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes
48
3. Maßgebliche Rechtsgutverletzung
49
4. Geschützter Personenkreis
50
a) Pränatale Schädigungen
50
b) Einbeziehung mittelbar Geschädigter
51
aa) Meinungsstand
51
bb) Stellungnahme
52
nsverzeichnis
12
(1) Keine Beschränkung auf den Arzneimittelanwender
52
(2) Begrenzung des geschützten Personenkreises durch das Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs
53
(a) Blutprodukte und Impfstoffe
54
(b) Arzneimittel mit psychotrophen Wirkungen
54
5. Pharmazeutischer Unternehmer als Haftungssubjekt
55
6. Ursachenzusammenhang zwischen der Anwendung des Arzneimittels und der Rechtsgutverletzung
56
a) Kausalität
56
b) Schutzzweckzusammenhang II. Besondere Haftungsvoraussetzungen
56 57
1. Haftung für die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln (§ 84 S. 2 Nr. 1 AMG) a) Schädliche Wirkungen eines Arzneimittels
57 58
aa) Abgrenzung zur Nebenwirkung
59
bb) Placebo-Effekt
60
cc) Wirkungslose Arzneimittel
60
(1) Schädlichkeit wirkungsloser Arzneimittel
61
(2) Wortlaut des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG
61
(3) Arzneimittelsicherheitsrechtlicher Zweck des Arzneimittelgesetzes
62
(4) Zweck von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG
63
dd) Schädliche Wechselwirkungen
64
b) Bestimmungsgemäßer Gebrauch
65
aa) Tatsächlicher Gebrauch
66
bb) Bestimmung des Gebrauchs
67
(1) Meinungsstand
67
(a) Festlegung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs durch den pharmazeutischen Unternehmer
67
(b) Festlegung des bestimmungsgemäßen auch durch die übrigen Marktteilnehmer
68
Gebrauchs
(aa) Fehlgebrauch durch die fachlich kompetenten Kreise
68
(bb) Fehlgebrauch durch den Arzeimittelanwender ...
69
(2) Stellungnahme (a) Keine Beschränkung auf den ausdrücklich empfohlenen Gebrauch
70 70
nsverzeichnis (b) Bedeutung der Informationshaftung für den Begriff des bestimmungsgemäßen Gebrauchs
71
(c) In Fachkreisen üblicher und wissenschaftlich anerkannter Fehlgebrauch
72
(d) Fehlgebrauch durch einzelne Ärzte
72
(e) Bewusster Fehlgebrauch durch den Arzneimittelanwender
73
(f) Fahrlässiger Fehlgebrauch durch den Arzneimittelanwender
73
(g) Versehentliche Fehlanwendung
74
(h) Zusammenfassung
75
c) Ursache der schädlichen Wirkung im Bereich der Herstellung oder Entwicklung aa) Keine Einschränkung der Haftung bei besonderer Anfälligkeit des Patienten (1) Meinungsstand
75 76 77
(a) Rechtsprechung
77
(b) Literatur
77
(2) Stellungnahme bb) Kein Ausschluss der Haftung für Wechselwirkungen d) Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen
78 79 80
aa) Vertretbarkeitsprüfung als Nutzen-Risiko-Abwägung
80
(1) Feststellung des Nutzens eines Arzneimittels
81
(2) Arzneimittelrisiko
83
(3) Abwägungsvorgang
83
bb) Kein abstrakt-genereller Charakter der Vertretbarkeitsprüfung
84
(1) Meinungsstand
85
(2) Stellungnahme
86
(a) Wortlaut
86
(b) Funktionaler Zusammenhang zwischen Arzneimittelsicherheits- und -haftungsrecht
88
(aa) Risiko-Nutzen-Abwägung bei § 5 AMG
88
(bb) Übertragbarkeit auf § 84 AMG
89
cc) Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (1) Anerkennungsgrad der medizinischen Erkenntnisse
92 92
(a) Meinungsstand
92
(b) Stellungnahme
92
(2) Repräsentanten der medizinischen Wissenschaft
95
(3) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
95
14
nsverzeichnis (a) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Erkennbarkeit der Schädlichkeit
97
(aa) Meinungsstand
97
(bb) Stellungnahme
98
(b) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Vertretbarkeitsprüfung
100
(aa) Meinungsstand
100
(bb) Stellungnahme
101
(c) Keine Prognoseentscheidung
105
dd) Entscheidungsbefugnis des Rechtsanwenders bei der NutzenRisiko-Abwägung 106 (1) Meinungsstand
107
(2) Stellungnahme
107
2. Haftung für Arzneimittelinformation (§ 84 S. 2 Nr. 2 AMG) a) Haftungsbegründende Informationen aa) Typen und Inhalt maßgeblicher Informationsquellen
110 111 111
(1) Kennzeichnung
111
(2) Packungsbeilage
112
(3) Fachinformation
112
bb) Inhalt und Umfang der Informationspflichten (1) System der Arzneimittel-Informationspflichten
112 113
(2) Verhältnis der gesetzlichen Informationspflichten zu den haftungsrechtlichen Informationspflichten 114 (a) Meinungsstand (aa) Literatur (bb) Rechtsprechung (a) Estil-Fall (ß) Asthmaspray-Fall (b) Stellungnahme
114 114 115 115 116 117
(aa) Keine allgemeine Gefahrabwendungspflicht mittels Arzneimittelinformation 118 (bb) Umfassendere Informationspflichten durch Ge120 setzesänderung im Jahre 1994 b) Den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Arzneimittelinformation
121
aa) Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft als Haftungsmaßstab
121
bb) Haftung für das Verschweigen bestimmter Erkenntnisse
123
nsverzeichnis (1) Haftung für das Verschweigen von in Fachkreisen allgemein bekannten Gefahren 123 (a) Meinungsstand
123
(b) Stellungnahme
124
(aa) Haftung für das Verschweigen von in Fachkreisen allgemein bekannten Gefahren in der Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) 125 (bb) Haftung für das Verschweigen von in Fachkreisen allgemein bekannten Gefahren in der Fachinformation 128 (2) Haftung für das Verschweigen von vertretbaren Nebenwirkungen 129 (a) Meinungsstand
130
(b) Stellungnahme
130
cc) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft 134 c) Vorliegen eines Schadens
135
d) Kausalität zwischen der fehlerhaften Arzneimittelinformation und dem eingetretenen Schaden 135 e) Haftung für wirkungslose Arzneimittel
136
f) Haftung für Wechselwirkungen
137
g) Keine Produktbeobachtungspflicht des pharmazeutischen Unternehmers nach dem Arzneimittelgesetz 138 B. Darlegungs-und Beweisfragen I. Darlegung der Haftungsvoraussetzungen des § 84 AMG
140 141
II. Beweis der Haftungsvoraussetzungen des § 84 AMG
142
1. Beweis der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen
142
a) Beweiserleichterungen aa) Anscheinsbeweis (1) Zulässigkeit des Anscheinsbeweises
143 143 144
(2) Spezielle Kriterien für den Anscheinsbeweis bei Blutprodukten 145 bb) Beweiserleichterung nach § 8301S. 2 BGB
146
(1) Anwendbarkeit von § 830 IS. 2 BGB
147
(2) Voraussetzungen von § 8301S. 2 BGB
148
(a) Beteiligung an der Verletzungshandlung bei § 84 AMG 150
nsverzeichnis (aa) Meinungsstand
151
(bb) Stellungnahme
151
(b) Geeignetheit der Verletzungshandlung für den Gesamtschaden 153 (aa) Meinungsstand
154
(bb) Stellungnahme
155
(c) Anwendung des § 830 I S. 2 BGB auf verschiedene Fallgruppen 156 (aa) Erste Fallgruppe
156
(bb) Zweite Fallgruppe
156
(cc) Dritte Fallgruppe
157
b) Zusammenfassung 2. Beweis der besonderen Haftungsvoraussetzungen
158 159
a) Beweis der Voraussetzungen des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG
159
b) Beweis der Voraussetzungen des § 84 S. 2 Nr. 2 AMG
160
aa) Nachweis der nicht den medizinischen Erkenntnissen entsprechenden Arzneimittelinformation 160 bb) Beweis des Ursachenzusammenhangs (1) Meinungsstand
161 161
(a) Rechtsprechung
161
(b) Literatur
163
(2) Stellungnahme
164
(a) Keine Beweislastumkehr
164
(b) Nachweis der Ursächlichkeit bei Gebrauchshinweisen
165
(c) Nachweis der Ursächlichkeit bei Warnhinweisen
167
(d) Nachweis der Ursächlichkeit bei verschwiegenen vertretbaren Nebenwirkungen 168 (aa) Keine Anwendung der Regeln zum Anscheinsbeweis 169 (bb) Anwendung der Grundsätze zum „echten Entscheidungskonflikt" 169 (e) Ergebnis C. Rechtsfolgen der Haftung nach § 84 AMG I. Ersatzfähige Schäden
171 171 171
1. Ersatzfähigkeit von Sach- und Sachfolgeschäden
172
2. Ersatzfähigkeit von immateriellen Schäden
172
nsverzeichnis II. Umfang der Ersatzpflicht
173
1. Heilungskosten
173
2. Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit
173
3. Ersatz von Schäden Dritter
173
4. „Kind als Schaden"
174
III. Schadensersatz als Rentenzahlung
174
IV. Haftungshöchstsummen
175
D. Weitere haftungsrelevante Spezialregelungen des Arzneimittelgesetzes I. Mitverschulden 1. Mitverschulden bei der Schadensverursachung
175 175 175
a) Verweisung des Arzneimittelgesetzes auf § 2541 BGB
175
b) Mitverschulden und bestimmungswidriger Gebrauch
176
2. Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht a) Verweisung des Arzneimittelgesetzes auf § 254 I I BGB
177 178
b) Schadensminderungspflicht unabhängig vom Mitverschulden bei der Schadensverursachung II. Verschulden Dritter
178 179
III. Gesamtschuldnerische Haftung
179
IV. Veijährung 1. Rechtslage bis zum 14. Dezember 2004
180 181
2. Rechtslage seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Anpassung von Veijährungsvorschriften an das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz am 15. Dezember 2004 182 V. Unabdingbarkeit der Ersatzpflicht VI. Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften VII. Deckungsvorsorge VIII. Örtliche Zuständigkeit § 3 Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie A. Anwendungsbereich der Richtlinie 2 Geiger
183 183 184 186 186 187
nsverzeichnis
18
I. Sachlicher Anwendungsbereich
187
1. Bewegliche Sache
187
2. Industrielle Fertigung als Produktmerkmal
188
II. Räumlicher Anwendungsbereich B. Haftungstatbestand des Art. 1 Produkthaftungsrichtlinie I. Struktur
189 190 190
II. Haftungsvoraussetzungen 1. Herstellerhaftung
191 191
a) Tatsächlicher Herstellet
192
b) Dem Hersteller gleichgestellte Personen
193
aa) Quasi-Hersteller
193
(1) Erkennungszeichen
193
(2) Anbringen des Erkennungszeichens
194
(3) Sich-Ausgeben als Hersteller (a) Meinungsstand (b) Stellungnahme
194 194 195
(4) Verhältnis zur Haftung des tatsächlichen Herstellers
195
(5) Quasi-Hersteller von Arzneimitteln
196
bb) Importeur (1) Anwendbarkeit auf Re-Importe
196 197
(a) Meinungsstand
197
(b) Stellungnahme
198
(2) Gewerblicher Zweck der Einfuhr
199
(3) Verhältnis zur Haftung des tatsächlichen Herstellers
200
cc) Lieferant
200
(1) Lieferantenbegriff
201
(2) Nichtfeststellbarkeit
201
(a) Voraussetzungen der Nichtfeststellbarkeit
201
(b) Zeitpunkt der Nichtfeststellbarkeit
203
(aa) Meinungsstand
203
(bb) Stellungnahme
203
(3) Pflichten des Lieferanten bei Nichtfeststellbarkeit des Herstellers 204 (4) Folgen der Verletzung der Auskunftspflicht (a) Haftungssanktion
204 204
Inhaltsverzeichnis (b) Anwendung der Haftungsausschlussgründe
19 205
(aa) Meinungsstand
205
(bb) Stellungnahme
205
(5) Lieferant eingeführter Produkte
206
(6) Ergebnis
206
2. Fehler eines Produkts a) Berechtigte Sicherheitserwartungen als Haftungsmaßstab aa) Subjekt der Sicherheitserwartungen
206 207 207
(1) Meinungsstand
208
(2) Stellungnahme
208
bb) Berechtigung der Sicherheitserwartungen
209
(1) Schädliche Produkte ohne Nutzen
210
(2) Arzneimittel
211
cc) Herleitung der Fehlertypen aus dem Begriff der Sicherheits211 erwartungen b) Zu berücksichtigende Umstände aa) Bedeutung der zu berücksichtigenden Umstände
212 212
bb) Ausdrücklich genannte relevante Umstände und ihre Bedeutung für den Haftungstatbestand 213 (1) Darbietung des Produkts
214
(a) Einfluss der Darbietung des Produkts auf die Sicherheitserwartungen 215 (b) Begründung von Instruktionspflichten
215
(aa) Umfang der Instruktionspflichten bei Arzneimitteln 216 (bb) Hinweispflicht auf allgemein bekannte Gefahren von Arzneimitteln 216 (cc) Hinweispflicht auf vertretbare Nebenwirkungen von Arzneimitteln 218 (c) Schaffung einer Erwartungshaltung durch Produktdarbietung 219 (aa) Keine Haftung für fehlende Gebrauchsfähigkeit . 219 (bb) Haftung für wirkungslose Arzneimittel
219
(a) Meinungsstand
219
(ß) Stellungnahme
220
(d) Beschränkung der Haftung durch die Darbietung des Produkts 220 2*
nsverzeichnis (2) Gebrauch des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann 221 (a) Begriff
222
(b) Gebrauch von Arzneimitteln
223
(3) Zeitpunkt, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde 224 (a) Bedeutung für Arzneimittel
224
(b) Keine Pflichten des Herstellers nach Inverkehrbringen des Produkts 225 cc) Nicht ausdrücklich genannte Umstände
226
(1) Wirtschaftliche Gesichtspunkte
226
(2) Stand der Wissenschaft und Technik
227
(a) Begriff
228
(b) Maßgeblichkeit des Standes von Wissenschaft und Technik für die Fehlerhaftigkeit 228 (c) Bedeutung des Standes der Wissenschaft und Technik bei den einzelnen Fehlertypen 229 (d) Stand der Wissenschaft und Technik bei Arzneimitteln 230 (3) Bedeutung technischer Sicherheitsvorschriften und Regelwerke 231 c) Inverkehrbringen eines verbesserten Produkts
233
3. Rechtsgutverletzung und Schaden
235
4. Kausalität
236
a) Ursachenzusammenhang zwischen Produktfehler und Rechtsgutverletzung 236 aa) Äquivalente Kausalität
236
bb) Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs
237
b) Ursachenzusammenhang Schaden
zwischen
Rechtsgutverletzung
c) Kausalitätsprobleme bei fehlerhafter Darbietung C. Haftungsausschlussgründe des Art. 7 Produkthaftungsrichtlinie
und 238 238 239
I. Bedeutung der Haftungsausschlussgründe des Art. 7 für die Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie 239 II. Haftungsausschlussgründe im Einzelnen
240
1. Fehlendes Inverkehrbringen des Produkts durch den in Anspruch genommenen Hersteller 240
nsverzeichnis 2. Inverkehrbringen eines fehlerfreien Produkts
243
3. Herstellung für einen nichtgewerblichen Zweck sowie Herstellung und Vertrieb außerhalb der beruflichen Tätigkeit 245 a) Herstellung für einen nichtgewerblichen Zweck
245
aa) Arzneimittelmuster
246
bb) Erstmuster (Konstruktionsphase)
247
cc) Arzneimittelspenden
247
dd) Unentgeltliche medizinische Leistung innerhalb des staatlichen Gesundheitswesens 248 b) Herstellung und Vertrieb außerhalb der beruflichen Tätigkeit 4. Herstellung nach verbindlichen hoheitlichen Normen
248 249
5. Nichterkennbarkeit des Produktfehlers nach dem Stand der Wissenschaft und Technik 251 a) Anwendbarkeit von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auf die verschiedenen Fehlertypen 251 aa) Konstruktionsfehler
251
bb) Instruktionsfehler
252
(1) Meinungsstand
252
(2) Stellungnahme
253
cc) Fabrikationsfehler
254
(1) Meinungsstand
254
(2) Stellungnahme
255
b) Bedeutung und Inhalt des Begriffes „Stand der Wissenschaft und Technik" 257 c) Optionsrecht der Mitgliedstaaten nach Art. 15 I lit. b ProdHaftRiLi
260
d) Bedeutung des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi für Arzneimittel
261
6. Haftungsausschluss bei fehlerfreien Teilprodukten
261
D. Darlegungs-und Beweisfragen
262
I. Darlegungsfragen
262
n. Beweisfragen
263
1. Beweislast
263
a) Haftungstatbestand
263
b) Haftungsausschlussgründe
264
22
nsverzeichnis 2. Beweismaß
264
a) Beweismaßregelung des Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi
264
b) Kein Verbot von Beweismaßreduzierungen
265
aa) Meinungsstand
265
bb) Stellungnahme
265
3. Beweiserleichterungen
266
a) Anscheinsbeweis zum Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Herstellungs- bzw. Konstruktionsfehler und der Rechtsgutverletzung 266 b) Beweiserleichterungen beim Ursachenzusammenhang zwischen Produktinformation und Rechtsgutverletzung 268 aa) Anscheinsbeweis
268
bb) Grundsätze zum „echten Entscheidungskonflikt"
269
c) Anwendung des § 8301S. 2 BGB E. Rechtsfolgen der Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie
269 270
I. Ersatzfähige Schäden
271
1. Personenschäden
271
2. Sachschäden
271
a) Einbeziehung von Sachfolgeschäden
272
b) Selbstbehalt
272
3. Immaterielle Schäden II. Haftungshöchstgrenzen
273 273
F. Weitere haftungsrelevante Spezialregelungen der Produkthaftungsrichtlinie ... 274 I. Mitverschulden 1. Mitverschulden bei der Schadensverursachung (§ 2541 BGB)
274 274
2. Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht (§ 254 I I BGB) 275 IL Verschulden Dritter
275
III. Gesamtschuldnerische Haftung
275
IV. Verjährung und Ausschlussfrist
275
1. Verjährung
275
2. Ausschlussfrist
276
nsverzeichnis V. Unabdingbarkeit der Haftung VI. Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften VE. Produkthaftpflichtversicherung Vin. Örtliche Zuständigkeit § 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
276 276 277 277 277
A. Haftungssubjekt
278
B. Begriff des Inverkehrbringens
280
C. Geschützter Personenkreis
280
D. Geschützte Rechtsgüter
281
E. Fehlerbegriff/Haftungsvoraussetzungen im engeren Sinne
282
I. Zusammenfassende Darstellung
282
1. Produkthaftungsrechtlicher Fehlerbegriff
282
2. Arzneimittelhaftungsrechtlicher Fehlerbegriff
283
II. Vergleich F. Haftungsausschlussgründe I. Zusammenfassende Darstellung n. Vergleich
284 286 286 287
G. Kausalitätsfragen
288
H. Darlegungs-und Beweisfragen
290
I. Darlegungsfragen
290
II. Beweisfragen
292
1. Beweislast
292
2. Beweismaß
294
3. Beweiserleichterungen
295
I. Ersatzfahige Schäden I. Personenschäden
297 297
24
nsverzeichnis IL Sachschäden III. Schmerzensgeld J. Haftungshöchstgrenzen K. Weitere haftungsrelevante Vorschriften I. Mitverschulden II. Verschulden Dritter
297 298 299 300 300 300
III. Gesamtschuldnerische Haftung
301
IV. Verjährung und Ausschlussfrist
302
V. Unabdingbarkeit der Haftung
304
VI. Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften VII. Deckungsvorsorge VIII. Örtliche Zuständigkeit L. Ergebnis
304 305 305 306
§ 5 Vereinbarkeit der deutschen Umsetzung der Arzneimittelhaftung mit europäischem Recht 307 A. Verletzung der Umsetzungsverpflichtung im Hinblick auf zulassungspflichtige Arzneimittel 308 I. Bestehen der Umsetzungsverpflichtung II. Keine Verletzung der Umsetzungsverpflichtung allein durch Aufrechterhaltung des Arzneimittelgesetzes
308
309
III. Verletzung der Umsetzungsverpflichtung durch Anordnung der Exklusivität 311 1. Keine Vermutung der Richtlinienkonformität von § 15 I ProdHaftG .. 312 a) Meinungsstand
312
b) Stellungnahme
312
2. Unvereinbarkeit des § 15 I ProdHaftG mit Art. 13 ProdHaftRiLi a) Wortlautauslegung
316 316
nsverzeichnis aa) Meinungsstand
316
bb) Stellungnahme
317
(1) Kein Ausschluss anderer Haftungsgrundlagen durch den Begriff „Nichtberühren" 317 (2) Verwendung des Begriffes „Nichtberühren" in anderen Vorschriften 320 (3) Ergebnis der Wortlautauslegung b) Zweck des Art. 13 ProdHaftRiLi aa) Zweck der Stichtagsregelung
321 322 322
(1) Meinungsstand
322
(2) Stellungnahme
323
bb) Gesamtzweck des Art. 13 ProdHaftRiLi c) Historischer Wille des Richtliniengebers
325 326
aa) Meinungsstand
326
bb) Stellungnahme
326
d) Wertungswiderspruch bei paralleler Geltung beider Haftungsregime 327 aa) Meinungsstand
327
bb) Stellungnahme
328
(1) Entstehungsgeschichte des § 15 I ProdHaftG
328
(a) Vorschlag einer parallelen Geltung beider Haftungsregime 328 (b) Motiv des Gesetzgebers bei der Entscheidung gegen die parallele Geltung 329 (2) Steigerung des Verbraucherschutzes im Arzneimittelsektor 330 IV. Ergebnis
330
B. Folgen der nicht europarechtskonformen Umsetzung
331
Zweiter Teil Die Reform des deutschen Arzneimittelhaftungsrechts
§ 6 Geschichte der Reform A. Bericht des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages I. Rechtsgutachten von Hart aus dem Jahre 1994
334
334 335 335
26
nsverzeichnis II. Vorschläge des 3. Untersuchungsausschusses III. Sondervotum der SPD-Fraktion
336 336
B. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Arzneimittelhaftung
337
C. Verhandlungen des 62. Deutschen Juristentages
338
I. Gutachten von von Bar II. Beschlüsse des 62. Deutschen Juristentages D. Gesetzentwürfe der 13. Legislaturperiode I. Gesetzentwurf der Bundesregierung II. Gesetzentwurf der SPD-Fraktion
338 339 339 339 340
E. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. September 2001
341
F. Das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften
342
§ 7 Die Neuregelung im Einzelnen A. Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage I. Änderungen im Beweisrecht
342 342 342
1. Umkehr der Beweislast für den Fehlerbereichsnachweis
343
2. Kausalitätsvermutung
344
II. Einführung eines Auskunftsanspruchs zugunsten des Geschädigten
347
III. Einführung eines Schmerzensgeldanspruchs
351
IV. Anhebung der Haftungshöchstgrenzen
354
B. Zeitlicher Geltungsrahmen des neuen Arzneimittelhaftungsrechts
354
C. Nicht vorgenommene Rechtsänderungen
357
I. Einbeziehung Sekundärgeschädigter II. Entschädigungsfonds D. Ergebnis
357 358 359
nsverzeichnis § 8 Bewertung der Reform aus europarechtlicher Sicht A. Europarechtliche Zulässigkeit einer Reform des Arzneimittelgesetzes I. Prinzip der Sperrwirkung II. Reichweite der Sperrwirkung IE. Sperrwirkung der Produkthaftungsrichtlinie 1. Bindungswirkung der Produkthaftungsrichtlinie
359 359 360 360 361 361
a) Optionen
361
b) Verweisungen auf das nationale Recht
362
aa) Ausdrückliche Verweisungen auf das innerstaatliche Recht... 362 bb) Stillschweigende Verweisungen auf das innerstaatliche Recht
363
(1) Beweismaß
363
(2) Schadensbegriff
363
(a) Meinungsstand (aa) Literatur (bb) Rechtsprechung (b) Stellungnahme
364 364 364 365
c) Festlegung von Haftungsstandards (Mindest- und Höchststandards) 367 aa) Festlegung von Mindeststandards
367
bb) Festlegung von Höchststandards
368
(1) Art. 100 EGVa.F. als Rechtsgrundlage
368
(2) Wille des Richtliniengebers und Regelungsziele
369
(a) Regelungsziele der Produkthaftungsrichtlinie (aa) Schaffung eines Haftungstatbestandes
369 369
(bb) Angleichung der Wettbewerbsbedingungen
370
(cc) Verbraucherschutz
372
(b) Abwägung der Regelungsziele (3) Systematik der Richtlinie cc) Ergebnis
373 374 374
2. Sperrwirkung der Produkthaftungsrichtlinie gegenüber dem Arzneimittelgesetz 375 a) Keine allgemeine Sperrwirkung der Produkthaftungsrichtlinie für das Arzneimittelgesetz 375
28
nsverzeichnis b) Keine Sperrwirkung aufgrund der Stichtagsregelung
376
aa) Meinungsstand
377
bb) Stellungnahme
377
c) Keine Sperrwirkung aufgrund einer Beeinträchtigung des sekundärrechtlichen Regelungssystems 378 d) Ungeeignetheit der Produkthaftungsrichtlinie als Maßstab einer AMG-Reform 379 3. Ergebnis
379
B. Bewertung der einzelnen arzneimittelhaftungsrechtlichen Reformregelungen anhand der Produkthaftungsrichtlinie 380 I. Umkehr der Beweislast für den Fehlerbereichsnachweis II. KausalitätsVermutung
380 381
III. Einführung des Auskunftsanspruchs zugunsten des Geschädigten
382
IV. Einführung des Schmerzensgeldanspruchs
382
V. Anhebung der Haftungshöchstgrenzen VI. Ergebnis
383 383
Dritter Teil Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick § 9 Zusammenfassung der Ergebnisse
384 384
A. Die Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts im Jahre 2002
384
I. Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
384
U. Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
385
in. Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
387
1. Übereinstimmungen
387
2. Abweichungen
387
IV. Vereinbarkeit der deutschen Arzneinüttelhaftung mit europäischem Recht 388
nsverzeichnis B. Die Reform des deutschen Arzneimittelhaftungsrechts I. Die Neuregelung II. Bewertung der Reform aus europarechtlicher Sicht
389 389 389
1. Sperrwirkung der Produkthaftungsrichtlinie gegenüber dem Arzneimittelgesetz 389 2. Bewertung der arzneimittelhaftungsrechtlichen Reformregelungen anhand der Produkthaftungsrichtlinie 390 §10 Ausblick
390
Anhang
394
Literaturverzeichnis
398
Sachverzeichnis
412
Abkürzungsverzeichnis a.A.
andere(r) Ansicht
ABl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
a.E.
am Ende
a.F.
alte Fassung
AG
Amtsgericht, Arbeitsgemeinschaft
AHB
Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung
AIDS
Acquired Immune-Deficiency Syndrome
al.
andere
Alt.
Alternative
AMG
Arzneimittelgesetz
Am. J. Comp. L.
The American Journal of Comparative Law
ÄndG
Änderungsgesetz
Anm.
Anmerkung
Art., Artt.
Artikel
Aufl.
Auflage
Az.
Aktenzeichen
BAnz.
Bundesanzeiger
BB
Betriebs-Berater
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGesBl.
Bundesgesundheitsblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BMJ
Bundesministerium der Justiz
BR-Drucks.
Drucksachen des Deutschen Bundesrates
BSeuchG
Bundesseuchengesetz
BT
Deutscher Bundestag
BT-Drucks.
Drucksachen des Deutschen Bundestages
Bull. EG
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
Abkürzungsverzeichnis
32 BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
BW
BurgerlijkWetboek
bzw.
beziehungsweise
C
Commentaire
ca.
circa
Cal. Rptr.
California Reporter
Cass. civ.
Cour de Cassation, Chambre civile
CE
Communautés européennes
DB
Der Betrieb
ders.
derselbe
DES
Diethylstilbestrol
d. h.
das heißt
dies.
dieselbe(n)
DIN
Deutsche Industrie Norm
Diss. iur.
Juristische Dissertation
DJT
Deutscher Juristentag
DM
Deutsche Mark
Drucks.
Drucksache
DZWiR
Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ECU
European Currency Unit
éd.
édition
EEC
European Economic Community
EG
Europäische Gemeinschaft
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. 3. 1957
Einf.
Einführung
Einl.
Einleitung
endg.
endgültig
Erl.
Erläuterung(en)
et al.
und andere
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGVO
EG-Verordnung Nr. 44 / 2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
Abkürzungsverzeichnis EuGVÜ
Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
e.V.
eingetragener Verein
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f., ff.
folgend(e)
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GenTG
Gentechnikgesetz
GG
Grundgesetz
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
HaftpflG
Haftpflichtgesetz
HCV
Hepatitis C-Virus
HIV
Human-Immundefizienz-Virus
h.L.
herrschende Lehre
h.M.
herrschende Meinung
hrsg.
herausgegeben
Hrsg.
Herausgeber
HWG
Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens
IAA
Interministerielle Arbeitsgruppe Arzneimittelhaftung
idF
in der Fassung
IfSG
Infektionsschutzgesetz
IPR
Internationales Privatrecht
i.V.m.
in Verbindung mit
J.C.P.
Juris-Classeur Périodique
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
KG
Kammergericht
KOM
Kommissions-Dokument
Kza.
Kennzahl
L
Loi
LG
Landgericht
lit.
litera
LMBG
Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz
LuftVG
Luftverkehrsgesetz
3 Geiger
Abkürzungsverzeichnis
34 MdB
Mitglied des Bundestages
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
MedR
Medizinrecht
M.M.
Mindermeinung
MMR
Multi Media und Recht
MPG
Medizinproduktegesetz
MüKo
Münchener Kommentar
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
N.
Numero
n.F.
neue Fassung
NJ
Neue Justiz
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJWE-VHR
NJW Entscheidungsdienst Versicherungs- und Haftungsrecht
NJW-RR
NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht
no.
numéro
Nr.
Nummer
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
PflVG
Pflichtversicherungsgesetz
Pharm. Ind.
Pharmazeutische Industrie
PharmR
Pharmarecht
PHG
Produkthaftungsgesetz
PHi
Haftpflicht international - Recht & Versicherung/Produkthaftpflicht international (bis 1999)
ProdHaftG
Produkthaftungsgesetz
ProdHaftRiLi
Produkthaftungsrichtlinie
ProdSG
Produktsicherheitsgesetz
ProdSRiLi
Produktsicherheitsrichtlinie
RabelsZ
Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
RdW
Österreichisches Recht der Wirtschaft
RegE
Regierungsentwurf
RG
Reichsgericht
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts
RIW
Recht der internationalen Wirtschaft
Rn.
Randnummer(n)
Rs.
Rechtssache(n)
S.
Satz, Seite
SGB
Sozialgesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis Slg.
Sammlung der Rechtsprechung der Europäischen Gemeinschaften
sog.
so genannte(r,s)
str.
strittig
StVG
Straßenverkehrsgesetz
u.
und
UA
Untersuchungsausschuss
u. a.
unter anderem, und andere
umstr.
umstritten
UmweltHG
Gesetz über die Umwelthaftung
Urt.
Urteil
US
United States
USA
United States of America
usw.
und so weiter
UTR
Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts
v.
versus, vom, von
VDE
Verband deutscher Elektrotechniker
Verb.
Verbundene
VersR
Versicherungsrecht
VersRAI
Versicherungsrecht, Beilage Ausland
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
VP
Die Versicherungspraxis
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
WiB
Wirtschaftliche Beratung
WM
Wertpapier-Mitteilungen
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis
ZAP
Zeitschrift für die Anwaltspraxis
ZAR
Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik
z. B.
zum Beispiel
ZEuP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZEuS
Zeitschrift für Europarechtliche Studien
zfs
Zeitschrift für Schadensrecht
ZG
Zeitschrift für Gesetzgebung
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
Ziff.
Ziffer
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ZLR
Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht
3*
35
36
Abkürzungsverzeichnis
ZPO
Zivilprozessordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZfRV
Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht
ZVglRWiss
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
§ 1 Einleitung Das Thema Arzneimittelhaftung hat in den dreißig Jahren seit dem In-Kraft-Treten des deutschen Arzneimittelgesetzes von 1976 1 nichts von seiner Aktualität verloren. Wie die jüngsten Arzneimittelskandale um das Bayer-Medikament „Lipobay/Baycol" 2 und das von Merck & Co. vertriebene Mittel „Vioxx" 3 erneut gezeigt haben, sind Arzneimittel mit Risiken behaftet, die nur schwer beherrschbar sind. M i t dem Gebrauch von Arzneimitteln ist die Erwartung verbunden, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes eintritt. Arzneimittel sind jedoch aufgrund ihrer komplexen chemischen Struktur unvermeidbar unsichere Produkte 4 , deren schädliche Wirkungen in klinischen Prüfungen zwar untersucht, aber nicht mit letzter Sicherheit erkannt und ausgeschlossen werden können 5 . Während das Arzneimittelsicherheitsrecht lediglich eine Risikominimierung leisten kann 6 , ist es die Aufgabe der Arzneimittelhaftung, das verbleibende Arzneimittelrestrisiko rechtlich zu bewältigen und gerecht zwischen den Beteiligten zu verteilen 7 .
1 Gesetz zur Neuregelung des Arzneimittelrechts v. 24. 8. 1976 (BGBl. I S. 2445), in Kraft getreten teils am 2. 9. 1976, teils am 1. 1. 1978, in der Fassung der Bekanntmachung v. 11. 12. 1998 (BGBl. IS. 3586), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Anpassung von Veijährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 9. 12. 2004 (BGBl. I S. 3214). 2 In Deutschland wurde das Medikament unter dem Namen „Lipobay", in den Vereinigten Staaten unter dem Namen ,3aycol" vertrieben. Bei dem Medikament handelt es sich um ein Mittel zur Senkung des Cholesterin-Spiegels im Blut. Die schädlichen Wirkungen wurden vor allem im Zusammenwirken mit dem Wirkstoff Gemifibrozil verursacht. Die kombinierte Einnahme beider Medikamente soll zur Zerstörung von Muskelgewebe führen. Im Jahre 2001 wurde Lipobay vom Markt genommen, da es in Verdacht stand, in Europa und den Vereinigten Staaten zu Todesfällen bei Arzneimittelanwendern geführt zu haben. 3 Bei Vioxx handelt es sich um ein Mittel zur Behandlung von Arthritis. Es ist in Verdacht geraten, bei den Anwendern ein erhöhtes Risiko von schweren Herzerkrankungen bis zu Herzinfarkten und Schlaganfällen auszulösen. In der Folge wurde es daher im Jahre 2004 von der Herstellerfirma vom Markt genommen. 4
Siehe hierzu grundlegend das Restatement of Torts, Second (1965), § 402 A, comment k: „Unavoidably unsafe products. There are some products which, in the present State of human knowledge, are quite incapable of being made safe for their intended and ordinary use. These are especially common in the field of drugs". Der deutsche Gesetzgeber hat diese Prämisse aufgegriffen; vgl. den Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit v. 28. 4. 1976, BT-Drucks. 7/5091 S. 9. 5 Hart , Gutachten „Die Sicherheit von Blutarzneimitteln", in: Bericht des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte", BT-Drucks. 12/8591 S. 510 (520). 6 Hart, Gutachten, BT-Drucks. 12/8591 S. 510 (520).
38
§ 1 Einleitung
Typisch für Arzneimittelrisiken ist das Auftreten von Massenschäden bei einer Reihe von Patienten8. Die großen Arzneimittelskandale der letzten fünfzig Jahre haben die Entwicklung des deutschen Arzneimittelhaftungsrechts maßgeblich beeinflusst. Der deutsche Gesetzgeber hat sich nach der Contergan-Katastrophe in den 60er-Jahren 9 im Jahre 1976 für eine Reform des Arzneimittelgesetzes von 1961 1 0 und die Einführung einer verschuldensunabhängigen Arzneimittelhaftung in den §§ 84 ff. A M G entschieden. Parallel zum deutschen Arzneimittelgesetz existiert mit der Produkthaftungsrichtlinie11 seit 1985/1988 auf europäischer Ebene ein weiteres Haftungsregime, das die verschuldensunabhängige Haftung für Arzneimittel regelt 12 . Die Vorarbeiten zur Richtlinie hatten bereits vor Erlass des Arzneimittelgesetzes im Jahre 1976 begonnen. Nach verschiedenen Richtlinienentwürfen fanden diese Arbeiten ihren Abschluss mit der Produkthaftungsrichtlinie vom 25. Juli 1985. Deutschland ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union und damit der Europäischen Gemeinschaften grundsätzlich zur Umsetzung der Produkthaftungsricht7
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts v. 7. 1. 1975, BT-Drucks. 7/3060 S. 43; Unterrichtung der Bundesregierung, Bericht über die Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz v. 12. 2. 1982, BT-Drucks. 9/1355 S. 29. 8 Der Frage der rechtlichen Bewältigung von Massenschäden hat sich auch der Deutsche Juristentag im Jahre 1998 in Bremen gewidmet. Vgl. die Verhandlungen des 62. Deutschen Juristentages (1998), Band I, Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen zur rechtlichen Bewältigung von Massenschäden?, von Bar, Gutachten A; Band I I /1, Sitzungsberichte - Referate und Beschlüsse. 9
Unter dem Namen Contergan wurde in Deutschland seit den 50er-Jahren der Wirkstoff Thalidomid vertrieben. Contergan entwickelte sich zu Deutschlands erfolgreichstem Schlafund Beruhigungsmittel. In den 60er-Jahren stellte sich jedoch heraus, dass die Einnahme von Contergan zu erheblichen Nervenschäden führen kann. Vor allem aber verursachte Contergan schwere Fehlbildungen der Gliedmaße ungeborener Kinder, deren Mütter das Medikament eingenommen hatten. Diese Kinder kamen teilweise mit so starken Fehlbildungen zur Welt, dass sie nicht lebensfähig waren. Die rechtliche Bewältigung der Contergan-Schäden warf viele schwierige Probleme auf, da geeignete Haftungsgrundlagen zum damaligen Zeitpunkt nicht existierten. Siehe zum Ganzen Beyer, Grenzen der Arzneimittelhaftung. Zur ConterganKatastrophe siehe auch den Contergan-Beschluss des LG Aachen, 18. 12. 1970, JZ 1971, S. 507 ff.; BGH, 13. 2. 1975, BGHZ 64, S. 30 ff.; BVerfG, 8. 7. 1976, BVerfGE 42, S. 263 ff. (Verfassungsmäßigkeit der Stiftung für Contergan-Geschädigte). 10 Vgl. das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) v. 16. 5. 1961 (BGBl. IS. 533). 11 Richtlinie 85/374/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für fehlerhafte Produkte v. 25. 7. 1985, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29, geändert durch Richtlinie 1999/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 10. 5. 1999 zur Änderung der Richtlinie 85/374/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. Nr. L 141 v. 4. 6. 1999, S. 20. 12 Art. 2 ProdHaftRiLi. Siehe hierzu im Einzelnen unten § 3 A. I. 1. Die Umsetzungsfrist ist gemäß Art. 19 ProdHaftRiLi am 30. 7. 1988 abgelaufen.
§ 1 Einleitung
linie verpflichtet. Dennoch hat es die verschuldensunabhängige Haftung für Arzneimittel im Arzneimittelgesetz geregelt gelassen und nicht den deutschen Umsetzungsvorschriften zur Produkthaftungsrichtlinie, dem Produkthaftungsgesetz 13, unterworfen. § 15 I ProdHaftG erklärt sogar ausdrücklich, dass das Produkthaftungsgesetz auf Arzneimittel, die den Haftungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes unterfallen, nicht anwendbar ist. Damit verfügt Deutschland über ein spezielles Haftungsregime für fehlerhafte Arzneimittel, während in allen übrigen Mitgliedstaaten fehlerhafte Arzneimittel den Umsetzungsvorschriften zur Produkthaftungsrichtlinie unterworfen sind14. Diese Konstellation wirft Fragen zum Verhältnis zwischen der deutschen Arzneimittelhaftung und der europäischen Produkthaftung auf. Zum einen ist fraglich, ob sich die Haftungsregelung im Arzneimittelgesetz von der Haftungsregelung in der Produkthaftungsrichtlinie unterscheidet. Dies erfordert eine eingehende Analyse der Haftungsregime nach beiden Rechtsgrundlagen. Zentraler Gegenstand der Untersuchung ist daher die Aufarbeitung der beiden Haftungssysteme zum Zwecke des Vergleichs. Ein wesentliches Ergebnis des Vergleichs ist die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit der Geschädigte nach dem Arzneimittelgesetz oder nach der Produkthaftungsrichtlinie besser gestellt ist. Anhand des Vergleichs ist auch zu ermitteln, ob sich das Arzneimittelgesetz im Rahmen der Vorgaben der Produkthaftungsrichtlinie hält. Weichen die Haftungsregelungen des Arzneimittelgesetzes von diesen Vorgaben ab, stellt sich nämlich 13 Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG) vom 15. 12. 1989, in Kraft getreten am 1. 1. 1990 (BGBl. I S. 2198), zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19. 7. 2002 (BGBl. IS. 2674). 14 In den anderen Mitgliedstaaten fallen Arzneimittel als bewegliche Sachen in den Anwendungsbereich der Produkthaftungsvorschriften, die zur Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie erlassen wurden. Die Anwendbarkeit der jeweiligen verschuldensunabhängigen Produkthaftungsregelungen auf Arzneimittel wird jedoch in keinem Mitgliedstaat außer in Deutschland durch eine spezielle Norm ausgeschlossen. Zu den Produkthaftungsgesetzen von Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und dem Vereinigten Königreich siehe die Übersetzungen bei HillAming/Hoffman, Produkthaftung in Europa, S. 191 ff. Zum französischen Recht siehe Art. 1386-1 ff. Code civil; zum spanischen Recht Ley N. 22/94 v. 6. 7. 1994. Einige Mitgliedstaaten verfügen allerdings über zusätzliche Sonderregelungen für Arzneimittel, bei denen es sich aber nicht um produkthafhingsrechtliche Bestimmungen handelt. In Schweden (1.7. 1978) und Finnland (1.7. 1984) wurden freiwillige Ausgleichsfonds für Arzneimittelschäden errichtet, die durch die pharmazeutische Industrie finanziert werden. In Dänemark, wo das Modell einer freiwilligen Verpflichtung der pharmazeutischen Industrie nicht schnell genug zu verwirklichen war, wurde zum 1.1. 1996 per Gesetz ebenfalls ein solcher Ausgleichsfonds errichtet, der allerdings durch die Senkung des Rückerstattungssatzes für Medikamente und nicht durch die potentiellen Ersatzpflichtigen finanziert wird. Siehe dazu das Grünbuch „Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte" v. 28. 7. 1999, KOM (1999) 396 final, S. 27. Die Ausgleichsfonds dienen der Versicherung für Risiken, die mit der Anwendung von Arzneimitteln verknüpft sind und stellen eine Art Unfallversicherung dar. Vgl. Bloth, Produkthaftung in Schweden, Norwegen und Dänemark, S. 325.
§ 1 Einleitung
40
die weitere Frage, ob diese Abweichung aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht als rechtmäßig zu beurteilen ist. Das Verhältnis des deutschen Arzneimittelgesetzes zur Produkthaftungsrichtlinie wird gemeinschaftsrechtlich durch Art. 13 der Richtlinie geregelt. Nach dieser Vorschrift sollen Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund des deutschen Arzneimittelgesetzes geltend machen kann, durch die Produkthaftungsrichtlinie nicht berührt werden15. Die Formulierung des Art. 13 ProdHaftRiLi lässt viele Fragen offen und beschäftigt bis heute die deutsche Rechtswissenschaft16. Es ist fraglich, ob Deutschland durch diese Regelung für unter das Arzneimittelhaftungsrecht fallende Arzneimittel gänzlich von der Umsetzungspflicht der Produkthaftungsrichtlinie ausgenommen oder ob damit nur eine parallele Geltung beider Haftungsregime ermöglicht werden sollte. Erlaubte Art. 13 ProdHaftRiLi nur eine parallele Geltung, wäre § 15 I ProdHaftG, der eine exklusive Geltung der Haftungsvorschriften des deutschen Arzneimittelgesetzes anordnet, nicht richtlinienkonform. Das europarechtliche Verhältnis des deutschen Arzneimittelgesetzes zur Produkthaftungsrichtlinie bestimmt auch darüber, ob der deutsche Gesetzgeber das Arzneimittelgesetz unabhängig von den Vorgaben der Produkthaftungsrichtlinie reformieren darf oder ob einer solchen Reform die Richtlinie entgegensteht. Die Frage einer Sperrwirkung der Richtlinie ist von aktueller Bedeutung, da Deutschland sein Arzneimittelhaftungsrecht durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften im Jahre 2002 in wesentlichen Punkten reformiert hat 17 . Der Skandal um Blutprodukte, die mit Human-Immundefizienz-Viren (HIV) und Hepatitis C-Viren verseucht waren und durch die bis Mitte der 80erJahre Frischoperierte und Bluter mit HIV und Hepatitis C-Viren 18 infiziert wurden - ein weiterer trauriger Meilenstein der Geschichte der deutschen Arzneimittelhaftung - hatte gezeigt, dass das Arzneimittelgesetz Haftungslücken aufweist 19 und dadurch Reformüberlegungen angeregt20, welche im Vorfeld zu verschiedenen 15
Siehe hierzu im Einzelnen unten § 5 A. II. 16 Zuletzt Wandt/Geiger, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel, PHi 2004, S. 234 ff.; Besch, Fehlerhafte Arzneinüttel, S. 95 ff.; Müko-Wagner, § 15 ProdHaftG Rn. 5, Schaub, Abschied vom nationalen Produkthaftungsrecht, ZEuP 2003, S. 562 (571 ff.); Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 126 ff.; Wagner, Die Reform der Arzneimittelhaftung, VersR 2001, S. 1334 (1336); Wandt, Deutsche Arzneimittelhaftung und EGProdukthaftung, VersR 1998, S. 1059. 17 Vgl. Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19. 7. 2002 (BGBl. I S. 2674), in Kraft getreten am 1. 8. 2002. 18 Zu den haftungsrechtlichen Problemen HCV-infizierter Patienten vgl. Scheu, Deliktische Produktverantwortung für Hepatitis C-Infektionen hämophiler Patienten. 19 Für eine eingehende Analyse des Blutprodukte-Skandals siehe den Bericht des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte", BT-Drucks. 12/8591. 20 Zu den verschiedenen Reformvorschlägen vgl. den Bericht des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte",
§ 1 Einleitung Gesetzgebungsvorschlägen 21 geführt haben. Diese Überlegungen mündeten schließlich in den Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften - vom 24. September 2 0 0 1 2 2 , welcher mit einigen Änderungen am 1. August 2002 als Gesetz in Kraft getreten ist. Zentraler Gegenstand der Neuregelung sind die Einführung eines Schmerzensgeldanspruchs, die Verbesserung der beweisrechtlichen Situation des Geschädigten sowie die Anhebung der Haftungshöchstgrenzen 23. Es ist daher auch zu klären, ob Deutschland mit dieser Reform des Arzneimittelhaftungsrechts gegen europäisches Recht verstoßen hat.
BT-Drucks. 12/8591; Reformvorschläge des Untersuchungsausschusses, S. 255 ff.; Sondervotum der SPD-Fraktion, S. 264 ff.; Reformvorschläge von Hart, S. 606. 21 Zu den GesetzgebungsVorschlägen siehe den Gesetzentwurf der Abgeordneten Schmidbauer et al. und der Fraktion der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Arzneimittelhaftungsrechts v. 4. 3. 1998, BT-Drucks. 13/10019 sowie den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 21. 4.1998, BT-Drucks. 13/10435. 22 Siehe den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 24. 9. 2001, BT-Drucks. 14/7752. Siehe auch die Stellungnahme des Bundesrates v. 9. 11. 2001, BR-Drucks. 742/01 (Beschluss) und BT-Drucks. 14/7752 S. 45 ff. sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/7752 S. 53 ff. 23
Vgl. das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz v. 19. 7. 2002 (BGBl. I S. 2674) und im Einzelnen dazu unten § 7.
Erster Teil
Die Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts im Jahre 2002 § 2 Die Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz A. Haftungsvoraussetzungen des § 84 AMG § 84 A M G 2 4 begründet eine verschuldensunabhängige Haftung des pharmazeutischen Unternehmers für Arzneimittel, die dieser in den Verkehr bringt. § 84 S. 1 AMG bestimmt den Anwendungsbereich dieser Haftung, die Rechtsgutverletzung, die Haftungsadressaten und Ersatzberechtigten sowie den Kausalzusammenhang. Hierbei handelt es sich um die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen. § 84 S. 2 AMG enthält weitere arzneimittelspezifische Haftungsvoraussetzungen, welche die Haftung gegenüber dem Grundtatbestand des Satzes 1 einschränken, die besonderen Haftungsvoraussetzungen. Gemäß § 84 S. 2 Nr. 1 AMG ist der pharmazeutische Unternehmer nur ersatzpflichtig, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. Nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG ergibt sich eine Ersatzpflicht, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Arzneimittelinformation eingetreten ist.
24 Die im ersten Teil dieser Arbeit zitierten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes sind solche in der Fassung vor dem In-Kraft-Treten des Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes am 1. 8. 2002. Die Neufassung des Wortlauts von § 84 AMG wurde mit der Reform durch die Regelung der Beweislastumkehr für den Fehlerbereichsnachweis und der Kausalitätsvermutung innerhalb des Arzneimittelhaftungstatbestandes notwendig. Hierzu wurden zwei neue Absätze in § 84 AMG eingefügt. Der Wortlaut des § 84 AMG a.F. entspricht von den Haftungsvoraussetzungen her - im Wesentlichen - dem des § 84 I AMG n.F. Siehe zu der textlichen Gegenüberstellung von §§ 84 ff. AMG a.F. und §§ 84 ff. AMG n.F. den Anhang zu dieser Arbeit. Auf eine Kennzeichnung der Vorschriften der alten Fassung der §§ 84 ff. AMG mit „a.F." wird aus Lesbarkeitsgründen bewusst verzichtet, soweit sich die Rechtslage nicht verändert hat.
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
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I. Allgemeine Haftungsvoraussetzungen 1. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes wird durch den maßgeblichen Arzneimittelbegriff bestimmt. Die Haftung nach § 84 AMG erfasst nicht alle Arten von Arzneimitteln. § 84 S. 1 AMG begründet eine Haftung für Schäden, die durch zulassungspflichtige Arzneimittel oder durch Arzneimittel, die aufgrund einer Rechtsverordnung von der Zulassungspflicht befreit sind, verursacht werden. a) Begriff des Arzneimittels Arzneimittel sind nach der Legaldefinition des § 2 I AMG Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen 25, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im menschlichen oder tierischen Körper bestimmten Zwecken zu dienen26. Hierzu gehören die Heilung, die Verhütung und das Erkennen von Krankheiten oder von anderen körperlichen oder seelischen Zuständen, das Ersetzen von durch den Körper erzeugten Wirkstoffen oder Körperflüssigkeiten sowie die Abwehr von Krankheitserregern. Für die Zweckbestimmung kommt es vorrangig darauf an, welche Funktion die maßgeblichen Verkehrskreise dem Arzneimittel beimessen. Die Funktion, die dem Arzneimittel durch den pharmazeutischen Unternehmer beigegeben wird, ist nur bei fehlender Verkehrsauffassung zu berücksichtigen27. Unter den Arzneimittel25
Zum Stoffbegriff siehe die Legaldefinition in § 3 AMG. * Vgl. den Arzneimittelbegriff in § 2 I AMG. Siehe hierzu BGH, 19. 1. 1995, NJW 1995, S. 1615 (1616) (Knoblauchkapseln); dazu die Anm. v. Forstmann, ZLR 1995, S. 432 ff.; BGH, 10. 2. 2000, NJW-RR 2000, S. 1284 (1285) (L-Carnitin); dazu die Anm. v. Forstmann, ZLR 2000, S. 381 ff., und Meisterernst, Zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln, GRUR 2001, S. 111; BGH, 11.7. 2002, WRP 2002, S. 1141. Der Arzneimittelbegriff des Arzneimittelgesetzes setzt europäisches Recht um. Vgl. die Richtlinie 65/65/EWG des Rates v. 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, ABl. Nr. L 22 v. 9. 2. 1965, Art. 1. Durch die Richtlinie wurde der Arzneimittelbegriff auf europäischer Ebene harmonisiert. Die Erste Pharmazeutische Richtlinie 65/65/EWG legte die Basis für die europäische Rechtsangleichung im Arzneimittelsektor. Siehe auch das Urteil des EuGH, 28. 10. 1992, Rs. C-219/91, Arrondissementsrechtbank Leeuwarden/Ter Voort, Slg. 1992, S. 1-5485. Mittlerweile wurden die Erste Pharmazeutische Richtlinie und die in der Folge für den Arzneimittelsektor zur Regelung der Herstellung, des Inverkehrbringens, des Vertriebs und des Einsatzes von Humanarzneimitteln erlassenen Richtlinien im Jahr 2001 durch den Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel zusammengefasst und ersetzt. Vgl. die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. Nr. L 311 v. 28. 11. 2001, S. 67, geändert durch die Richtlinie 2003/63/EG der Kommission v. 25. 6. 2003 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. Nr. L 159 v. 27. 6. 2003, S. 46. 2
2
? Lippert in Deutsch / Lippert, § 2 AMG Rn. 3.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
begriff fallen insbesondere auch Arzneimittel, die aus Blut gewonnene Blut-, Plasma- und Serumkonserven sind oder solche Stoffe enthalten (Blutzubereitungen)28. Ebenso handelt es sich bei der so genannten Abtreibungspille um ein Arzneimittel 29 In den Regelungsbereich des § 84 AMG fallen hingegen nicht Lebensmittel, Tabakerzeugnisse30, Kosmetika31, Futtermittel, Reinigungsmittel, Medizinprodukte 3 2 und Organe33, da es sich bei diesen Stoffen und Gegenständen gemäß § 2 III 28 Bei Blutprodukten handelt es sich um Stoffe, die vom menschlichen Körper erzeugte Wirkstoffe und Körperflüssigkeiten im Sinne von § 2 I Nr. 3 AMG ersetzen. § 4 I I AMG erwähnt außerdem die verschiedenen Blutprodukte ausdrücklich als Arzneimittel. Siehe hierzu auch Kullmarm, Arzneimittelhaftung bei Blutpräparaten, Pharma Recht 1993, S. 162. 29
Die Arzneimitteleigenschaft der Abtreibungspille ergibt sich aus § 2 1 Nr. 2 AMG, da es sich um ein Mittel handelt, das den Zustand und die Funktionen des Körpers beeinflusst. Vgl. Deutsch, Ein Arzneimittel außerhalb der Apotheke, NJW 1999, S. 3393. 30 Die Haftung für Tabakerzeugnisse richtet sich nach § 823 BGB und § 1 ProdHaftG. Angesichts erfolgreicher Verbraucherklagen in den USA wird die Haftung für Tabakerzeugnisse auch in Deutschland diskutiert. Vgl. Friedrich, Werbung für Tabakwaren und Haftung für Raucher-Folgeschäden, WRP 1997, S. 150; von Hippel, Ersatz von Tabakschäden?, ZRP 1998, S. 6; ders., Tabakschäden - Klagen gegen die Tabakindustrie?, JZ 1999, S. 781; Kullmann, Haftung für Raucherschäden, FS für Deutsch (1999), S. 217; Zekoll, Die Haftung der Zigarettenindustrie, NJW 1999, S. 2722; Rohlfing/Thiele, Die Haftung des Tabakwarenproduzenten, VersR 2000, S. 289; Buchner/Wiebel, Die Fehlerhaftigkeit des Produkts Zigarette, VersR 2001, S. 29; Endrös, Viel Rauch um nichts? PHi 2000, S. 20 (zur Rechtslage in Frankreich); Adams /Bornhäuser/Pötschke-Langer/Grunewald, Die Haftung der Zigarettenhersteller, NJW 2004, S. 3657. Als Beispiel für die wenig erfolgreichen Raucherklagen in Deutschland vgl. LG Arnsberg, 14. 11. 2003, NJW 2004, S. 232 („Ernte 23"); OLG Hamm, 14. 7. 2004, NJW 2004, S. 295. 31 Zur Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Kosmetika vgl. BGH, 7. 12. 2000, GRUR 2001, S. 450 (Franzbranntwein-Gel); BVerwG, 18. 12. 1998, BVerwGE 106, S. 90. 32 Medizinprodukte sind gemäß § 3 des Gesetzes über Medizinprodukte ((Medizinproduktegesetz - MPG) v. 2. 8. 1994 (BGBL I S. 1693), in der Fassung der Bekanntmachung v. 7. 8. 2002 (BGBl. I S. 3146), zuletzt geändert durch Gesetz v. 25. 11. 2003 (BGBl. I S. 2304)): „Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände . . . , die vom Hersteller zum Zwecke a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen, c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder d) der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann." Zur Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln siehe Kammergericht Berlin, 15. 6. 2000, ZLR 2000, S. 785 mit Anm. Baumann, ZLR 2000, S. 790; OLG Frankfurt, 19. 12. 1996, ZLR 1997, S. 174 mit Anm. Meyer-Lüerßen, ZLR 1997, S. 179; Meyer-Lüerßen/
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
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A M G per definitionem nicht um Arzneimittel handelt 34 . I m Einzelfall können Abgrenzungsprobleme auftauchen 35 . Diese werden allerdings zum Teil von den Fiktionen des § 2 I V A M G gelöst. Solange ein Mittel nach dem Arzneimittelgesetz nämlich als Arzneimittel zugelassen, registriert oder hiervon freigestellt ist, gilt es als Arzneimittel 36 . Wurde ein Antrag auf Zulassung oder Registrierung eines Mittels als Arzneimittel von der Arzneimittelbehörde mit der Begründung abgelehnt, es handele sich hierbei nicht um ein Arzneimittel, gilt das betroffene Mittel nicht als Arzneimittel 37 . Soweit allerdings kein Antrag auf Zulassung oder Registrierung gestellt wurde, bestehen die Abgrenzungsprobleme fort.
b) Humanarzneimittel Das Arzneimittel muss zum Gebrauch beim Menschen bestimmt sein. Zum Gebrauch beim Menschen bestimmt sind Arzneimittel, die vom pharmazeutischen Unternehmer zur Anwendung im oder am menschlichen Körper vorgesehen sind 38 . Dieses Merkmal hat die Funktion, Tierarzneimittel von der Haftung nach § 84 Will , Das Medizinproduktegesetz und seine Auswirkungen, S. 2 ff. Die Haftung für Medizinprodukte richtet sich nach § 823 BGB und § 1 ProdHaftG. Zu den haftungsrechtlichen Fragen im Einzelnen vgl. Jenke , Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 157 ff.; Hill , Deutschland: Neues „Gesetz über Medizinprodukte" in Kraft, PHi 1995, S. 122 (125). 33 Siehe § 2 III Nr. 8 AMG, § 4a AMG n.F. (vor dem Elften Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes v. 21. 8. 2002 (BGBl. I S. 3352) waren die Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes in § 80 AMG a.F. geregelt). Zur Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes auf Organe siehe Bender, Organtransplantation und AMG, VersR 1999, S. 419 (420); Lippert in Deutsch/Lippert, § 2 AMG Rn. 14. Das Produkthaftungsgesetz ist auf Organe anwendbar; vgl. zur Produkthaftungsrichtlinie das Urteil des EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569. 34 Siehe im Einzelnen § 2 III AMG. 35 Abgrenzungsprobleme treten beispielsweise auf bei Nahrungsergänzüngsmitteln wie Multivitaminprodukten. Die gemäß § 2 I I I Nr. 1 AMG berufene Abgrenzungsnorm des Lebensmittelrechts ist § 11LMBG. Danach ist zunächst zu prüfen, ob das Nahrungsergänzungsmittel aus Stoffen besteht, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden. Ist die Lebensmitteleigenschaft zu verneinen, ist die Frage nach der Arzneimitteleigenschaft zu stellen. Nahrungsergänzungsmittel werden gewöhnlich als Lebensmittel und nicht als Arzneimittel eingeordnet. Siehe hierzu im Einzelnen BGH, 19. 1. 1995, NJW 1995, S. 1615; BGH, 10. 2. 2000, NJW-RR 2000, S. 1284; OLG Hamburg, 27. 1. 2000, ZLR 2000, S. 386 mit Anm. Doepner/Hüttebräuer, ZLR 2000, S. 393; Horst, Zur grundsätzlichen Lebensmitteleigenschaft von Vitaminpräparaten, ZLR 2001, S. 570; Klein, Nahrungsergänzung oder Arzneimittel, NJW 1998, S. 791 f.; Fogel, Vitamin-Produkte: Arznei- oder Lebensmittel?, Pharma Recht 1993, S. 132 ff.; Rabe, Arzneimittel und Lebensmittel, NJW 1990, S. 1390 ff.; Doepner, Multi-Vitamin-Präparate, Pharma Recht 1988, S. 187 ff., 226 ff.; ders., Pharma Recht 1989, S. 13 ff., S. 44 ff. 36 § 2 I V S. 1 AMG. 37 § 2 I V S. 2 AMG. 38 So Sander /May, § 84 AMG Erl. 9a); Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 12.
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AMG auszunehmen. Schäden durch Arzneimittel, die zur Anwendung bei Tieren bestimmt und entsprechend gekennzeichnet sind, können keine Haftung auslösen, und zwar weder bei unmittelbarer Anwendung am Menschen noch bei mittelbarer Schädigung durch den Verzehr tierischer Produkte39.
c) Zulassungspflichtige oder von der Zulassungspflicht befreite Arzneimittel Von der Arzneimittelhaftung nach § 84 AMG erfasst werden nicht alle Humanarzneimittel, sondern nur solche, für die eine Zulassungspflicht besteht oder die durch Rechtsverordnung von der Zulassungspflicht befreit sind.
aa) Zulassungspflichtige Arzneimittel Die Zulassungspflicht richtet sich nach den §§ 21 ff. AMG und betrifft Arzneimittel im Sinne von § 2 I, I I Nr. 1 AMG, die zugleich Fertigarzneimittel sind40. Die Zulassungspflicht ist auf Fertigarzneimittel (Arzneimittelspezialitäten), also auf solche Arzneimittel beschränkt, die gemäß § 4 I AMG im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden41. Die Arzneimittelhaftung erfasst somit vor allem pharmazeutische Produkte, die der industriellen Massenproduktion entstammen. Keine Fertigarzneimittel sind Rezepturarzneimittel, die aufgrund eines einzelnen Rezeptes für einen bestimmten Patienten durch den Apotheker hergestellt werden 42 . Auch bei so genannter Bulkware 43, die noch nicht für die Abgabe an den Verbraucher verpackt wurde, besteht mangels Fertigarzneimitteleigenschaft keine Zulassungspflicht und deshalb keine Haftung nach § 84 AMG. Nicht zulassungspflichtig und damit nicht erfasst von § 84 S. 1 AMG sind Fertigarzneimittel, die als Rezepturarzneimittel in einer Apotheke in größerem Umfang aufgrund ärztlicher Verschreibung im Voraus hergestellt werden, zur kli39 Sander /May, § 84 AMG Erl. 9a); Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 12. 40 Die Zulassungspflicht für Fertigarzneimittel beruht auf Art. 3 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates v. 26. 1. 1965; seit 2001 gilt Art. 6 der Richtlinie 2001 /83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. 41 Für die Legaldefinition des Fertigarzneimittels vgl. § 4 I AMG. Eine Zulassungspflicht kann sich bei unmittelbarer oder mittelbarer Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier auch aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 35 I Nr. 2 AMG ergeben. 42 Zur Abgrenzung des Rezepturarzneimittels vom Fertigarzneimittel vgl. BGH, 23. 6. 2005, NJW 2005, S. 2705. 43 Hierbei handelt es sich um lose und unverpackte Arzneimittel.
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nischen Prüfung bestimmte Fertigarzneimittel 44 sowie registrierte homöopathische Arzneimittel 45.
bb) Durch Rechtsverordnung von der Zulassungspflicht befreite Fertigarzneimittel § 84 S. 1 AMG greift hingegen bei Arzneimitteln, die durch Rechts Verordnung gemäß § 36 AMG von der Zulassung freigestellt sind. Hierbei handelt es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel, für die Standardzulassungen vorliegen. § 36 AMG ermöglicht solche Standardzulassungen per Rechtsverordnung für Arzneimittel, bei deren Anwendung keine Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier zu befürchten ist 46 .
2. Räumlicher Anwendungsbereich Der räumliche Anwendungsbereich des § 84 AMG wird durch zwei Elemente bestimmt. Eine Haftung wird nur für solche Arzneimittel begründet, die sowohl im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in Verkehr gebracht wie auch im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurden. Diese doppelt-territoriale Voraussetzung schließt die Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften des Internationalen Deliktsrechts aus47 Ohne Bedeutung ist, an welchem Ort das Arzneimittel angewendet wird oder wo der Schaden eintritt 48.
44 Für den Schutz des Probanden vor Schäden durch Arzneimittel, die sich in der klinischen Prüfung befinden, sieht das Arzneimittelgesetz die Probandenversicherung vor. Siehe § 401 Nr. 8 AMG. 45 Bei diesen Arzneimitteln handelt es sich um Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 1 AMG, die durch § 21 I I AMG - nicht durch Rechts Verordnung - ausdrücklich von der Zulassungspflicht ausgenommen werden. Für homöopathische Fertigarzneimittel besteht allerdings eine Registrierungspflicht. Siehe § 38 AMG. 46 Anker in Deutsch / Lippert, § 36 AMG Rn. 1. Standardzulassungen bestehen beispielsweise für Paracetamol, Thymian, Isländisches Moos, Kamillenblüten, Sennesblätter. Siehe die Verordnung über Standardzulassungen v. 3. 12. 1982 (BGBl. I S. 1601), zuletzt geändert durch Art. 2 der VO v. 26. 6. 2000 (BGBl. I S. 1010); vgl. die Anlage zur Achten Verordnung zur Änderung über Standardzulassungen von Arzneimitteln, Anlagenband zu Nr. 31 des Bundesgesetzblattes v. 11. 7. 2000 (BGBl. I S. 1010). 47 Vgl. Wiedemann, Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung, S. 30 (m. w. N. in Fn. 28). Zur Bedeutung der räumlichen Voraussetzungen des § 84 AMG für die Bildung einer Kollisionsnorm vgl. Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 432 ff.; Pfister in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 4010 S. 37 f. 48 Sander /May, § 84 AMG Erl. 9b).
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a) Inverkehrbringen im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes Der pharmazeutische Unternehmer haftet für das Inverkehrbringen des Arzneimittels im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes. Hierbei handelt es sich um einen finalen Vorgang, der gemäß § 4 XVII AMG in einem Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, in einem Feilhalten oder in der Abgabe als solcher bestehen kann. Der bloße Besitz des Arzneimittels genügt nicht, vielmehr muss der pharmazeutische Unternehmer die Absicht zur Abgabe haben. Im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in Verkehr gebracht ist ein Arzneimittel, wenn es innerhalb der Staatsgrenzen der Bundesrepublik Deutschland an andere abgegeben wird 49 .
b) Abgabe an den Verbraucher im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes Ein Arzneimittel wird im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben, wenn es innerhalb des Bundesgebiets einem Verbraucher körperlich überlassen wird 50 . Das Arzneimittelgesetz definiert den Begriff „Verbraucher" nicht. Überwiegend anerkannt ist eine Definition, die der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das Arzneimittelgesetz von 1961 aufgestellt hat 51 . Verbraucher ist danach, „wer Arzneimittel erwirbt, um sie an sich, an anderen oder an Tieren anzuwenden. Verbraucher sind auch Einrichtungen der Gesundheits- und Krankenfürsorge, in denen Arzneimittel angewendet werden"52. Der Verbraucher muss mit dem Arzneimittelanwender oder dem Arzneimittelgeschädigten nicht identisch sein 5 3 . Es genügt, wenn das Arzneimittel an irgendeinen Verbraucher im Bundesgebiet abgegeben wird 54 . Die Bedeutung der Regelung in § 84 S. 1 AMG liegt allein in der räumlichen Eingrenzung der Arzneimittel, die in Deutschland der Verbraucherkette übergeben werden. Die Abgabe an den Verbraucher erfolgt im Wesentlichen durch den Verkauf in Apotheken, aber auch durch die Übergabe von Arzneimittelgroßhändlern an deutsche Kliniken55.
49 Zum Begriff des Inverkehrbringens siehe die Legaldefinition in § 4 X V I I AMG: „Inverkehrbringen ist das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere". 50 Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 44.
51 Teilweise wird diese Definition als zu eng angesehen, weil sie nicht den Erwerb zur Weitergabe an andere erfasse. So Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 24; Kulimann in Kulimann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 12 f. Zum Arzneimittelgesetz von 1961 siehe das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln v. 16. 5. 1961 (BGB1.1S. 533). 52 BT-Drucks. 3/654 S. 29. 53 Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 423. 54 Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 423, zieht daher in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Produkthaftungsrecht den Begriff „Erster Endabnehmer" vor.
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3. Maßgebliche Rechtsgutverletzung § 84 AMG begründet eine Haftung bei Tötung oder nicht unerheblicher Verletzung des Körpers oder der Gesundheit eines Menschen. Als Mensch im Sinne von § 1 BGB gilt auch der Nasciturus, sodass Schädigungen der Leibesfrucht durch § 84 AMG geschützt werden, wenn sie bei der Geburt noch fortbestehen 56. Auch eine Schwangerschaft gegen den Willen der betroffenen Frau erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung 57. Bei einer Übertragung des HI-Virus ist eine Gesundheitsbeeinträchtigung bereits dann gegeben, wenn es noch nicht zum Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS gekommen ist 58 . Haftungsvoraussetzung ist ein primärer Personenschaden. Ersetzt werden weder primäre Sachschäden59 noch reine Vermögensschäden. Eine weitere Beschränkung ergibt sich aus dem Erfordernis einer nicht unerheblichen Verletzung der Rechtsgüter, da hierdurch so genannte Bagatellschäden von der Haftung ausgenommen werden60. Das heißt allerdings nicht, dass eine erhebliche Verletzung vorausgesetzt wird. Die Rechtsgutverletzung muss vielmehr zumindest nicht unerheblich sein und darf in der Spannbreite zwischen unerheblich und erheblich liegen61. Dies zu bestimmen ist schwierig und betrifft die vom Richter zu beurteilende Frage der Sozialadäquanz solcher Schäden62. Als nicht erheb55 Arzneimittel werden mittlerweile teilweise auch über das Internet vertrieben. Der Vertrieb über die so genannte Internetapotheke war in Deutschland umstritten. Siehe dazu die Rechtsprechung: KG Berlin, 29. 5. 2001, MMR 2001, S. 759; LG Berlin, 7. 11. 2000, MMR 2001, S. 249; OLG Frankfurt, 31. 5. 2001, ZIP 2001, S. 1164 ff.; LG Frankfurt a.M., 9. 11. 2000, ZIP 2000, S. 2080. Das LG Frankfurt a.M. hat dem EuGH in der Folge verschiedene Fragen zur Vereinbarkeit der Beschränkung des grenzüberschreitenden Arzneimittel-Internet-Versandhandels mit europäischem Recht vorgelegt (LG Frankfurt a.M., 10. 8. 2001, NJW 2001, S. 2824); vgl. hierzu die Entscheidung des EuGH, 11. 12. 2003, Rs. C-322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, NJW 2004, S. 131. Der EuGH macht die Zulässigkeit eines nationalen Versandverbotes davon abhängig, ob das Arzneimittel im Einfuhrstaat zugelassen ist und ob es sich dabei um ein verschreibungspflichtiges Medikament handelt. Das Zu den unklar formulierten Kriterien des EuGH vgl. auch Koenig/Meurer/Engelmann, EuGH-Urteil „Deutscher Apotheker-Verband/DocMorris", EWS 2004, S. 65. Mittlerweile hat der deutsche Gesetzgeber reagiert und den Versand mit Arzneimitteln für verschreibungspflichtige und -freie Arzneimittel seit dem 1.1. 2004 zugelassen. Im Einzelnen dazu Koenig/ Meurer/Engelmann, S. 71 f. 56 Kulimann in Kulimann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 19. 57 BGH, 18. 3. 1980, NJW 1980, S. 1452 (1453); OLG Frankfurt, 25. 6. 1992, NJW 1993, S. 2388 (2389).
58 BGH, 30. 4. 1991, BGHZ 114, S. 184; BGH, 14. 6. 2005, NJW 2005, S. 2614 (2615). 59 Ob Sachfolgeschäden nach § 84 AMG zu ersetzen sind, ist umstritten. Dafür Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3805 S. 1 f.; ablehnend Sander/May, § 84 AMG Erl. 10. Siehe hierzu im Einzelnen unten § 2 C. I. 1. 60 Sander /May, § 84 AMG Erl. 11. 61 Sander/May, § 84 AMG Erl. 11; anders Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 19 Fn. 52. 4 Geiger
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lieh einzustufen sind etwa leichtes Unwohlsein, vorübergehende Hautirritationen oder Schweißausbrüche63. Subjektive Überempfindlichkeiten bleiben außer Betracht64.
4. Geschützter Personenkreis § 84 AMG schützt den unmittelbaren Arzneimittelanwender, der das Arzneimittel selbst einnimmt und dadurch einen Schaden erleidet. Ob auch der mittelbar Geschädigte in den Schutzbereich des § 84 AMG fällt, ist strittig 65.
a) Pränatale Schädigungen In den personalen Schutzbereich einbezogen ist auch das ungeborene Kind, das durch die Arzneimittelanwendung seiner Mutter eine pränatale Schädigung erleidet 66 . Dies ergibt sich aus dem Zweck der Schaffung des § 84 AMG, deren Anlass die haftungsrechtliche Bewältigung der Contergan-Katastrophe war 67 . Dem Gesetzgeber ging es bei der Regelung des Arzneimittelhaftungsrechts gerade darum, Menschen, die im Mutterleib eine pränatale Schädigung erleiden, wirtschaftlichen Schutz zu gewährleisten68. Der Fötus ist unmittelbar Geschädigter, da das Arzneimittel über den Blutkreislauf der Mutter bei ihm direkt angewendet wird 69 . Wird der Fötus infolge einer Arzneimittelanwendung getötet, kann auch die Mutter umittelbar Geschädigte sein70.
62 Deutsch, Das Risiko bei der Zulassung von Arzneimitteln, VersR 1988, S. 869 (870); Wiedemann, Das Internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung, S. 29 (m. w. N. in Fn. 21); Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 19. 63 Deutsch in Deutsch/Lippert, § 84 AMG Rn. 3; Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 20; Flatten, Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (464). 64 Vogeler, Die speziellen Haftungsvoraussetzungen, MedR 1984, S. 18 (19); Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 20. 65 Vgl. hierzu unten § 2 A. I. 4. b). 66 Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 46; Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21; Vogel, Die Produkthaftung des Arzneimittelherstellers, S. 120. 67 Vogel, Die Produkthaftung des Arzneimittelherstellers, S. 120; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 46. 68 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts v. 7. 1. 1975, BT-Drucks. 7/3060 S. 43. 69 Ähnlich Vogel, Die Produkthaftung des Arzneimittelherstellers, S. 120. 70 Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 31 f.
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b) Einbeziehung mittelbar Geschädigter Umstritten ist, ob § 84 AMG neben dem unmittelbar geschädigten Arzneimittelanwender auch den mittelbar Geschädigten (sog. „Bystander") schützt. Diese Fragestellung erlangt Bedeutung bei zwei Fallgruppen. Zum einen kann der infizierte Arzneimittelanwender bei mit Krankheitserregern verunreinigten Arzneimitteln die Krankheit auf weitere Personen übertragen (z. B. mit HIV oder Hepatitis C-Viren verseuchte Blutprodukte oder fehlerhafte Impfstoffe) 71. Zum anderen können fehlerhafte auf psychotrophen72 Substanzen basierende Arzneimittel die Steuerungsfähigkeit des Arzneimittelanwenders beeinträchtigen und - insbesondere im Straßenverkehr - zu Unfällen mit Sekundärgeschädigten führen 73. aa) Meinungsstand Die Einbeziehung von Sekundärgeschädigten in den Schutzbereich des § 84 AMG wird überwiegend abgelehnt74. Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich im Wesentlichen auf den Wortlaut von § 84 S. 1 AMG, der eine Rechtsgutverletzung „infolge der Anwendung" des Arzneimittels verlange. Hieraus wird gefolgert, dass § 84 AMG nur denjenigen schütze, der das Medikament einnimmt oder dem es verabreicht wird 75 . Außerdem wird zum Vergleich auf § 52 I S. 2 BSeuchG a.F.76 verwiesen, der für Impfschäden ausdrücklich auch demjenigen Schadensersatz zubilligt, der nicht mit Lebenderregern geimpft wurde, jedoch durch Ansteckung mit diesen Erregern einen Gesundheitsschaden erleidet77. 71
Gerade die Fälle der HTV-verseuchten Blutprodukte haben den Anstoß für die Diskussion über die Einbeziehung von Sekundärgeschädigten in den personalen Schutzbereich des § 84 AMG gegeben. Siehe das Gutachten von Hart im Bericht des 3. Untersuchungsausschusses „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte", BT-Drucks. 12/8591 S. 581, sowie den Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Arzneimittelhaftung (IAA) v. 30. 8. 1996, BT-Drucks. 1012/96 S. 9. 72 Psychotroph: auf die Seele, das Gemüt wirkend. Siehe bei Deutsch/Lippert, AMG, Glossar, S. XXI. 73 Siehe hierzu den Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Arzneimittelhaftung (IAA) v. 30. 8. 1996, BT-Drucks. 1012/96 S. 9. 74 Zur herrschenden Meinung vgl. Kulimann in Kulimann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21; dersZur Haftungsregelung des § 84 AMG, Pharma Recht 1981, S. 112; Deutsch in Deutsch /Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1092; Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 424; Wiedemann, Das Internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung, S. 29; Vogel, Die Produkthaftung des Arzneimittelherstellers, S. 119 f.; Sander /May, § 84 AMG Erl. 9b). 75
Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21; ders., Haftung der pharmazeutischen Unternehmer, BB 1978, S. 175 (176). 7 * Die Regelung wurde mittlerweile durch § 60 I S. 1 i.V.m. § 2 Nr. 11 IfSG (Infektionsschutzgesetz v. 20. 7. 2000 (BGBl. I S. 1045)) ersetzt. Die neue Entschädigungsregelung im Infektionsschutzgesetz erfasst ebenfalls solche geschädigten Personen, die nicht selbst geimpft wurden. 77 Kullmann in Kullmann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21 Fn. 61. 4*
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Die Vertreter der Gegenauffassung bejahen eine Einbeziehung Sekundärgeschädigter in den Schutzbereich des § 84 AMG mit der Begründung, der Wortlaut von § 84 S. 1 AMG bezeichne nicht den Arzneimittel Verbraucher als geschützte Person, sondern den Menschen, dessen Rechtsgüter verletzt würden78. Außerdem könne dem Vergleich von § 84 AMG mit § 52 I S. 2 BSeuchG a.F. nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass nur bei § 52 I S. 2 BSeuchG a.F. ein Schadensersatzanspruch zugunsten des mittelbar Geschädigten begründet werde. Die Regelung in § 52 I S. 2 BSeuchG a.F. habe nämlich nur deklaratorische und keine konstitutive anspruchsbegründende Wirkung 79.
bb) Stellungnahme Die Frage der Einbeziehung anderer Personen als dem Arzneimittelanwender in den Schutzbereich des § 84 AMG kann nicht pauschal und einheitlich für allé potentiellen Sekundärgeschädigten beantwortet werden. Es ist vielmehr danach zu differenzieren, ob sich mit der Schädigung einer anderen Person als dem Arzneimittelanwender das Arzneimittelrisiko verwirklicht. (1) Keine Beschränkung auf den Arzneimittelanwender § 84 S. 1 AMG schützt seinem Wortlaut nach den „Menschen". Diese Formulierung ist umfassend und erfasst jeden Geschädigten. Ihre Bedeutung wird auch nicht dadurch modifiziert, dass die Vorschrift für die Bestimmung ihres Geltungsbereichs auf die Abgabe an den Verbraucher abstellt. Die Verwendung des Begriffes „Verbraucher" hat in diesem Zusammenhang nicht die Funktion der Benennung des Anspruchsberechtigten, denn dies erfolgt bereits durch die Bezeichnung „Mensch"80. Der Verbraucherbegriff des § 84 S. 1 AMG wäre zudem auch nicht geeignet, den geschützten Personenkreis einzuschränken. Er ist nämlich weit gefasst. Verbraucher in diesem Sinne ist jeder, der ein Arzneimittel erwirbt, um es an sich oder anderen anzwenden81. Der Verbraucher ist daher weder notwendigerweise identisch mit dem Arzneimittelanwender noch mit dem Arzneimittelgeschädigten82. Auch das Erfordernis der Anwendung des Arzneimittels führt nicht zwingend zu dem Schluss, der Geschädigte müsse das Arzneimittel selbst angewendet haben.
78 Hart, Gutachten, BT-Drucks. 12/8591 S. 582; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 47. 79 Hart, Gutachten, BT-Drucks. 12/8591 S. 582; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 48; Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 33. so So auch Hart, Gutachten, BT-Drucks. 12/8591 S. 582. 81 Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 422. 82 Vgl. Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 423, der aus diesem Grund den Begriff „Erster Endabnehmer" vorzieht.
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§ 84 S. 1 AMG verlangt lediglich, dass die Rechtsgutverletzung „infolge der Anwendung" eines Arzneimittels eingetreten ist. Wer das Arzneimittel angewendet haben muss, besagt die Vorschrift somit nicht. Festzuhalten ist somit, dass § 84 AMG vom Grundsatz her nicht nur den unmittelbaren Anwender des Arzneimittels schützt. Hiervon ging auch der deutsche Gesetzgeber bei seiner Reform des deutschen Arzneimittelrechts im Jahre 2002 aus und hat deswegen bewusst auf eine gesetzliche Klarstellung im Hinblick auf mittelbar Geschädigte verzichtet83. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich eine Beschränkung der Haftung nach § 84 AMG im Hinblick auf bestimmte Personenkreise nicht aus anderen Gesichtspunkten ergeben kann. (2) Begrenzung des geschützten Personenkreises durch das Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs Die wesentliche Einschränkung des durch § 84 AMG geschützten Personenkreises erfolgt erst auf der Ebene des Schutzzweckzusammenhangs. § 84 AMG erfordert einen Ursachenzusammenhang zwischen der Arzneimittelanwendung und der Rechtsgutverletzung. Für den Ursachenzusammenhang ist bei Gefährdungshaftungstatbeständen wie § 84 AMG allerdings nicht darauf abzustellen, ob die Rechtsgutverletzung die adäquat kausale Folge der Arzneimittelanwendung ist 84 . Es kommt vielmehr darauf an, ob die Schäden der mittelbar Geschädigten vom Schutzzweck des § 84 AMG erfasst sind, ob sich also in der Rechtsgutverletzung ein typisches Arzneimittelrisiko verwirklicht hat, dessen Vermeidung der Haftungstatbestand gerade bezweckt85. 83 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 24.9.2001, BT-Drucks. 14/7752 S. 18 f. Kritisch Müller, Der Entwurf, PHi 2001, S. 119. w Vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 684, der die Verwendung der adäquaten Kausalität allerdings nur bei Typen der engen Gefährdungshaftung begrenzt, wozu er die Haftung nach § 84 AMG nicht zählt {Deutsch, Rn. 77); BGH, 27. 1. 1981, BGHZ 79, S. 259 (261 ff.). Die Adäquanz wäre bei einer durch HI-Viren verseuchte Blutprodukte hervorgerufenen Sekundärinfizierung ebenso gegeben wie bei Schäden Dritter bei einem Verkehrsunfall, den ein steuerungsunfähiger Arzneimittelanwender verursacht hat. Sowohl die HlV-Infizierung von Sekundärinfizierten wie auch der Verkehrsunfall sind als vorhersehbar zu bewerten. Im Falle einer HIV-Infektion eines Ehegatten hat der Bundesgerichtshof die Adäquanz der Rechtsgutverletzung bereits für § 823 BGB bejaht. Vgl. BGH, 30. 4. 1991, BGHZ 114, S. 284 (289 f.). Teilweise wird diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes herangezogen, um zu belegen, dass das allgemeine Deliktsrecht keine Grenzziehung in Bezug auf den geschützten Personenkreis vornimmt, und um ähnliche Schlüsse für § 84 AMG zu ziehen. Vgl. den Bericht der IAA, BT-Drucks. 1012/96 S. 10. Dies überzeugt nicht, da es bei § 823 BGB auf die Ädaquanz ankommt, während bei § 84 AMG der Schutzzweckzusammenhang maßgeblich ist. 85 Ähnlich Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 48; Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 34 f.; Kulimann in Kulimann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21; Hart, Gutachten, BT-Drucks. 12/8591 S. 582.
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(a) Blutprodukte und Impfstoffe Die wesentliche Arzneimittelgefahr besteht bei Blutprodukten und Impfstoffen darin, dass sie mit Krankheitserregern verseucht sind. Das hierdurch verursachte Infektionsrisiko kann sich sowohl beim Arzneimittelanwender selbst realisieren wie auch bei anderen Personen, die von diesem angesteckt werden. Die Ansteckungsgefahr ist daher eine Arzneimittelgefahr und der Sekundärinfizierte somit vom Schutzzweck des § 84 AMG umfasst 86. Dem steht auch nicht entgegen, dass § 52 I S. 2 BSeuchG a.F. im Gegensatz zu § 84 S. 1 AMG den mittelbar Geschädigten ausdrücklich mit in den personalen Schutzbereich einbezieht. Grund für die Unbeachtlichkeit der Regelung in § 52 I S. 2 BSeuchG a.F. ist allerdings nicht die lediglich deklaratorische Wirkung dieser Vorschrift 87. Diese lässt sich nicht begründen. Vielmehr fehlt es an der strukturellen Vergleichbarkeit von § 84 AMG mit den §§ 51, 52 BSeuchG a.F., da es sich bei den Vorschriften über den Ersatz von Schäden durch Impfstoffe bei Pflichtimpfungen um einen Aufopferungsanspruch handelt88. Festzuhalten ist daher, dass § 84 AMG durch Blutprodukte und Impfstoffe mittelbar Geschädigte schützt89. (b) Arzneimittel mit psychotrophen Wirkungen Wenn der Arzneimittelanwender dagegen infolge eines fehlerhaften psychotrophen Arzneimittels seine Steuerungsfähigkeit verliert und bei einem Unfall andere Personen verletzt, verhält es sich anders90. Die Vermeidung von Verkehrsunfällen mit Personenschäden gehört nicht zu den Arzneimittelgefahren, vor denen § 84 AMG schützen will. Unter den Schutzzweck des § 84 AMG fallen nämlich nur solche Schäden, die durch unvertretbare schädliche Wirkungen von Arzneimitteln entstehen. Ein Verkehrsunfall ist aber gerade keine Folge dieser typischen Arzneimittelgefahr, sondern Folge des Verhaltens des Verkehrsteilnehmers. Dritte Personen, die bei einem „arzneimittelbedingten" Verkehrsunfall verletzt werden, fallen daher nicht in den personalen Schutzbereich von § 84 AMG 9 1 .
86 So bereits Hart, Gutachten, BT-Drucks. 12/8591 S. 582; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 48. 87 Anders Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 48. 88 Siehe hierzu BGH, 19. 2. 1962, BGHZ 36, S. 379 (390). 89 In diesem Sinne auch Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 35. 90 Anders offenbar Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 36. 91 Deutsch, Arzneimittelschaden, FS für Larenz (1983), S. 111 (113). Im Übrigen entstünden bei der Annahme einer Haftung nach § 84 AMG bei einem Straßenverkehrsunfall Abgrenzungsprobleme zur Gefährdungshaftung nach dem StVG. Anders jedoch der Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Arzneimittelhaftung (IAA) v. 30. 8. 1996, S. 9.
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5. Pharmazeutischer Unternehmer als Haftungssubjekt § 84 AMG begründet eine Arzneimittelhaftung des pharmazeutischen Unternehmers92. Pharmazeutischer Unternehmer ist gemäß der Legaldefinition des § 4 XVIII AMG, wer Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt 93. Pharmazeutischer Unternehmer kann der Hersteller des Arzneimittels sein, erforderlich ist dies aber nicht. Auch der Vertriebsunternehmer oder der Importeur können pharmazeutische Unternehmer sein. Es kommt ausschließlich darauf an, wer seinen Namen auf dem Arzneimittel angibt, unabhängig davon, ob er subjektiv auch das Arzneimittelrisiko übernehmen will 94 . Bringt der Hersteller seinen Namen nicht auf dem Arzneimittel an, ist er nicht als pharmazeutischer Unternehmer haftpflichtig, wenn ein anderer als pharmazeutischer Unternehmer firmiert 95. Die Arzneimittelhaftung nach § 84 AMG kann daher nicht als eigentliche Produzentenhaftung bezeichnet werden96. Ein Arzneimittel kann mehrere pharmazeutische Unternehmer haben, wenn es mehrfach mit dem Namen eines pharmazeutischen Unternehmers gekennzeichnet und in den Verkehr gebracht wird 97 . Es besteht keine Haftung des Packmittelherstellers98. Das Inverkehrbringen muss im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes erfolgen99. Wer Arzneimittel im Ausland in Verkehr bringt, wird auch nicht dadurch zum pharmazeutischen Unternehmer, dass diese Arzneimittel auf irgendeine Weise auf den deutschen Markt gelangen100.
92 Ob neben der Haftung des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 AMG eine Haftung des Grundstoff- und Teileherstellers von Arzneimitteln nach den §§ 1, 4 I S. 1 ProdHaftG möglich ist, ist umstritten. Dafür: Frietsch in Taschner/Frietsch, § 15 ProdHaftG Rn. 42; Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193 (200). Siehe im Einzelnen unten § 4 A. 93 Zur Haftung der Leitungsorgane pharmazeutischer Unternehmer vgl. Voit, Zivilrechtliche Haftungsrisiken, in: Die Haftung der Unternehmensleitung, S. 36 ff.; Leßmann, Die persönliche Zuordnung, in: Die Haftung der Unternehmensleitung, S. 129 ff.; Wagner, Haftung der Unternehmensleitung, VersR 2001, S. 1057. 94 Sander/May, § 84 AMG Erl. 6. 95 Wird ein Arzneimittel hingegen anonym - ohne Angabe eines pharmazeutischen Unternehmers in Verkehr gebracht - kommt eine Haftung des Arzneimittelherstellers analog § 84 AMG in Betracht, da der Geschädigte ansonsten schutzlos bliebe. So schon Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 429 f.; Kulimann in Kulimann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 46 f. 96 Sander/May, § 84 AMG Erl. 6; Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 43. 9 ? OLG Stuttgart, 28. 10. 1988, NJW-RR 1989, S. 1004 (1005). 98 Wesch, Die Haftung des pharmazeutischen Packmittelherstellers, Pharma Recht 1995, S. 2 (3). 99 Siehe hierzu bereits oben § 2 A. I. 2. a). 100 Sander/May, § 84 AMG Erl. 7; Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 45 f.
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6. Ursachenzusammenhang zwischen der Anwendung des Arzneimittels und der Rechtsgutverletzung Gemäß § 84 S. 1 AMG muss die Rechtsgutverletzung infolge der Anwendung des Arzneimittels eingetreten sein. Das Arzneimittelgesetz verlangt damit einen Ursachenzusammenhang zwischen der Anwendung des Arzneimittels und der Rechtsgutverletzung.
a) Kausalität Der Ursachenzusammenhang erfordert zum einen die Kausalität der Medikamentenanwendung für die Rechtsgutverletzung im Sinne der Äquivalenztheorie. Die Anwendung ist kausal für die Rechtsgutverletzung, wenn diese ohne die Anwendung des Arzneimittels nicht eingetreten wäre 101 . Der naturwissenschaftliche Bedingungszusammenhang ist jedoch nicht ausreichend, um einen Verletzungserfolg zuzurechnen. Bei verschuldensabhängigen Haftungstatbeständen wird der Ursachenzusammenhang deshalb einer Adäquanzprüfung unterzogen, für die es auf die allgemeine Vorhersehbarkeit des Verletzungserfolges ankommt102.
b) Schutzzweckzusammenhang Für die Tatbestände der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung ist die Adäquanz hingegen nicht als Abgrenzungskriterium geeignet, da die Gefahr und damit die Vorhersehbarkeit des Verletzungserfolges dort bereits zum Haftungsgrund gehört 103. Dies gilt auch für § 84 AMG, denn die Vorschrift dient dazu, die Auswirkungen der erlaubtermaßen gesetzten und damit vorhersehbaren Arzneimittelgefahr auszugleichen104. Für den Ursachenzusammenhang kommt es darauf an, ob der Verletzungserfolg eine spezifische Folge der Gefahren ist, hinsichtlich derer der Verkehr durch § 84 AMG schadlos gehalten werden soll 105 . Die Rechtsgutverletzung muss Folge des Arzneimittelrisikos sein 106 . Das typische Arzneimittel101 LG Traunstein, 29. 9. 1994, MedR 1995, S. 241; OLG München, 10. 5. 1995, VersR 1997, S. 314 (315). 102 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 133 ff. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 148; ders. in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1095. 103
104 Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 20 f.; Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1095. 105 Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21; Deutsch, Das Arzneimittelrecht im Haftungssystem, VersR 1979, S. 685 (689); BGH, 27. 1. 1981, BGHZ 79, S. 259 (261 ff.).
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risiko ergibt sich aus dem Schutzzweck von § 84 AMG. Zwischen der Anwendung des Arzneimittels und der Rechtsgutverletzung muss ein Zusammenhang bestehen, der vom Schutzzweck des § 84 AMG gedeckt ist 107 . Der Schutzzweck von § 84 AMG hat seinen Niederschlag vor allem in den besonderen Haftungsvoraussetzungen 108 gefunden 109. Zum Schutzzweck gehört die Vermeidung von Schäden durch Arzneimittel mit unvertretbaren schädlichen Wirkungen. Dies bedeutet, dass der erforderliche Ursachenzusammenhang nur gegeben ist, wenn die Rechtsgutverletzung auf den schädlichen Wirkungen des Arzneimittels und seiner Fehlerhaftigkeit beruht 110.
II. Besondere Haftungsvoraussetzungen Sind die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen gegeben, hängt die Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers davon ab, ob auch die besonderen Haftungsvoraussetzungen des § 84 S. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 AMG vorliegen. Es genügt somit nicht, dass durch die Anwendung des Arzneimittels ein Schaden eingetreten ist. Es muss sich vielmehr das durch die besonderen Haftungsvoraussetzungen spezifizierte Arzneimittelrisiko verwirklicht haben111.
1. Haftung für die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln (§ 84 S. 2 Nr. 1 AMG) Eine Ersatzpflicht nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG erfordert, dass das Arzneimittel schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen 106 Deutsch in Deutsch/Lippert, § 84 AMG Rn. 5; ders. in Deutsch /Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1095; ders., Arzneimittelschaden, FS für Larenz (1983), S. 111 (113). An anderer Stelle behauptet Deutsch allerdings, dass es auf die Verwirklichung der Arzneimittelgefahr bei § 84 AMG nicht ankomme. Bei der Arzneimittelhaftung handele es sich um einen Typus weiter Gefährdungshaftung, bei dem das Risiko nur Motiv des Gesetzgebers sei (siehe Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 77). Als Arzneimittelgefahr sieht Deutsch in diesem Zusammenhang die Gefahr durch industrielle Massenfertigung von Arzneimitteln an. Diese Gefahr muss sich für § 84 AMG tatsächlich nicht verwirklicht haben. Daneben besteht die von Arzneimitteln ausgehende Gefahr aber in der unvermeidbaren Gefährlichkeit von Arzneimitteln. Dieser Gefahr trägt der Haftungstatbestand des § 84 S. 2 AMG Rechnung. Diese Gefahr muss sich auch nach Deutsch verwirklicht haben. 107 Kulimann in Kullmann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21. i° 8 Siehe zu diesen sogleich im Text unten § 2 A. II. 109 Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1096. ho Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 21 f. in Dies ist beispielsweise nicht gegeben, wenn ein Patient ein Arzneimittel aus Versehen verschluckt und dieses in die Luftröhre gelangt. Es liegt zwar eine Anwendung des Arzneimittels vor, der Schaden beruht jedoch nicht auf den schädlichen Wirkungen des Arzneimittels.
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Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. Diese Haftungsvoraussetzung umschreibt die haftungsbegründende Beschaffenheit des Arzneimittels und legt somit den arzneimittelrechtlichen Fehlerbegriff fest 112 . Wesentliches Element des Fehlerbegriffes ist die medizinische Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen. Das Arzneimittelhaftungsrecht trägt damit dem Umstand Rechnung, dass Arzneimittel unvermeidbar unsichere Produkte sind, deren schädliche Wirkungen so lange hingenommen werden müssen, wie ihr Nutzen diese übersteigt. Die Prüfung der Fehlerhaftigkeit erfordert die Abwägung der Nutzen des Arzneimittels mit seinen Risiken. Da es im Rahmen von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG auf die Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen und nicht auf die Einhaltung von Sorgfaltsstandards durch den pharmazeutischen Unternehmer ankommt, begründet die Vorschrift eine Haftung für Arzneimittel, deren Fehlerhaftigkeit auch unter Einsatz der allergrößten Sorgfalt bei der Herstellung nicht zu vermeiden gewesen wäre (so genannter Ausreißer) 113 .
a) Schädliche Wirkungen eines Arzneimittels Voraussetzung der Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG ist, dass das Arzneimittel schädliche Wirkungen hat. Arzneiliche Wirkungen sind alle Reaktionen des Organismus, die durch das Arzneimittel messbar, fühlbar oder sonst erkennbar ausgelöst werden 114. In Betracht kommt jede Beeinflussung des physischen oder psychischen Zustandes115. Ein Arzneimittel kann erwünschte und unerwünschte Wirkungen haben. Die erwünschte Wirkung eines Arzneimittels, zu deren Zweck es eingesetzt wird, bezeichnet man als Hauptwirkung116. Hiervon sind die unerwünschten Wirkungen, zu denen auch die schädlichen Wirkungen gehören, zu unterscheiden. Beide Wirkungsarten sind bei Arzneimitteln untrennbar miteinander verbunden117.
112 Weitnauer, Die Arzneimittelhaftung, Arzt- und Arzneimittelrecht 1977, S. 128 (132); ders., Die Produktenhaftung für Arzneimittel, Pharm. Ind. 1978, S. 425 (426). 113
Vgl. statt vieler Wolter, Die Haftungsregelung des neuen Arzneimittelgesetzes, DB 1976, S. 2001 (2004); zum neueren Schrifttum Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 51. Der Gesetzgeber hat dies als Fehler bei der Produktion bezeichnet und damit den Ausreißer gemeint (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/3060 S. 61). 114 Diese Definition geht zurück auf Fiilgrajf und ist auch heute noch allgemein anerkannt. Fülgraff, Vorwort, in: Lewandowski / Schnieders, Grundzüge der Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln; ebenso Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 53. Iis Kloesel/Cyran, § 22 AMG Anm. 19. 116 Vgl. Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 55. 117 Vogeler, Die speziellen Haftungsvoraussetzungen, MedR 1984, S. 132; siehe auch das eindrucksvolle Zitat von Kuschinsky bei Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 22: „Wenn be-
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Schädlich sind solche Wirkungen des Arzneimittels, die das Leben, den Körper oder die Gesundheit des Menschen nachteilig beeinflussen 118. Die nachteiligen Wirkungen von Arzneimitteln können unmittelbarer oder mittelbarer Natur sein 119 . Auch Spät- und Langzeitfolgen sowie schädliche Wirkungen von arzneilich nicht wirksamen Bestandteilen120 fallen unter den Schädlichkeitsbegriff des § 84 S. 2 Nr. 1 A M G 1 2 1 .
aa) Abgrenzung zur Nebenwirkung Der Begriff der schädlichen Wirkung in § 84 S. 2 Nr. 1 AMG ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der Nebenwirkung, der in § 4 XIII AMG gesetzlich definiert wird 122 . Nebenwirkungen sind nach dieser Definition beim bestimmungsgemäßen Gebrauch auftretende unerwünschte Begleiterscheinungen. Der Begriff der schädlichen Wirkung setzt demgegenüber keinen bestimmungsgemäßen Gebrauch voraus. Insofern ist dieser Begriff weiter gefasst als die Nebenwirkung. Im Übrigen ist jedoch der Begriff der Nebenwirkung umfassender. Eine unerwünschte Begleiterscheinung kann nämlich schädlich oder unschädlich sein. Unerwünscht ist bereits jede andere als die therapeutisch indizierte Hauptwirkung. Ob eine Wirkung unerwünscht ist, ist normativ zu bewerten 123. Deshalb kann eine generell unerwünschte Wirkung im Einzelfall durchaus positiv sein. Ein in diesem Zusammenhang viel verwendetes Beispiel ist die für Personen mit niedrigem Blutdruck erfreuliche blutdrucksteigernde Wirkung eines Medikaments als Nebenwirkung124. Wenn aber eine unerwünschte Wirkung nicht notwendigerweise schädlich sein muss, dürfen die Begriffe „schädliche Wirkung" und „Nebenwirkung" nicht gleichgesetzt werden 125. Dieses Ergebnis entspricht auch der Systematik des Arzneimittelgesetzes, das die Angabe über die Nebenwirkungen gemäß § 11 I S. 1 Nr. 13 AMG als notwendigen Inhalt einer Packungsbeilage vorschreibt, während hauptet wird, daß eine Substanz keine Nebenwirkungen zeigt, so besteht der dringende Verdacht, daß sie auch keine Hauptwirkungen hat". US Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 15. 119 Vgl. Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 15. 12° Zu denken ist an Farbstoffe, Konservierungsstoffe, Emulgatoren und künstliche Süßstoffe. 121 Kloesel/Cyran, § 5 AMG Anm. 15. 122 So bereits Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 56; anders Vogeler, Die speziellen Haftungsvoraussetzungen, MedR 1984, S. 132; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 52. 123 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 44. !24 Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 56. 125 So bereits Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 55; Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 46; Deutsch in Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 845. Vgl. auch Hartsen-Dix, Zum Begriff „schädliche Wirkungen" im Arzneimittelrecht, Pharma Recht 1989, S. 8 (9), die allerdings den Begriff der „schädlichen Wirkungen" im Rahmen des § 25 I I S. 1 Nr. 5 AMG auslegt.
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schädliche Wirkungen nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG als HaftungsVoraussetzung eines Schadensersatzanspruches verstanden werden 126.
bb) Placebo-Effekt Der so genannte Placebo-Effekt von Scheinmedikamenten stellt keine Wirkung im Sinne von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG dar 127 . Das Scheinmedikament enthält nur pharmakologisch unwirksame, indifferente Substanzen128. Der Placebo-Effekt beruht nicht auf der Pharmakodynamik129 der Inhaltsstoffe des Arzneimittels, sondern ist das Ergebnis der psychologischen Reaktion des Arzneimittelanwenders, der ein Bedürfnis nach medikamentöser Therapie hat, auf die Arzneimittelgabe130. Die Wirkung auf den Patienten gründet letztlich auf seinen Selbstheilungskräften. Im Rahmen der Arzneimittelhaftung soll es hingegen auf die Eigenschaften pharmakologischer Stoffe ankommen131. Nur die pharmakologische Wirkungsweise begründet die unvermeidbare Gefährlichkeit von Arzneimitteln und somit die Arzneimittelgefahr. Gehen jedoch von den arzneilich nicht wirksamen Bestandteilen des Placebo-Präparates wie beispielsweise den Träger- oder Farbstoffen allergieauslösende und damit schädliche Wirkungen aus, kommt eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG in Betracht, weil es sich hierbei um pharmakodynamische Reaktionen des menschlichen Körpers handelt.
cc) Wirkungslose Arzneimittel Wirkungslose Arzneimittel fallen nicht unter das Haftungsregime von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG, sondern begründen eine Haftung wegen fehlerhafter Arzneimittelinformation gemäß § 84 S. 2 Nr. 2 A M G 1 3 2 . Bei wirkungslosen Arzneimitteln fehlt 12 6 Der Begriff der Nebenwirkungen wird in der Literatur in Anlehnung an den allgemeinen Sprachgebrauch nicht selten ungeachtet der begrifflichen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes als Synonym für schädliche Wirkungen verwendet. Vgl. z. B. bei Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 24. 127 So bereits Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 53 f.
128 So Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, unter „Placebo". Trotzdem sind nach der Einnahme von Placebos Nebenwirkungen registriert worden. Vgl. Plagemann, Der Wirksamkeitsnachweis nach dem Arzneimittelgesetz, S. 52 Fn. 23. 1 29 Unter Pharmakodynamik sind „die durch das Arzneimittel verursachten Veränderungen der normalen und experimentell veränderten Funktionen des Organismus" zu verstehen. Vgl. die Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln v. 11. 6. 1971, BAnz. Nr. 113 v. 25. 6. 1971, 1. Teil E. i^o Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 53. 131
Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 5 f. 132 Eine Auseinandersetzung mit diesem Argument erfolgt im Rahmen der Darstellung von § 84 S. 2 Nr. 2 AMG, siehe unten § 2 A. II. 2. e). Vgl. hierzu auch Hart in Hart/Hilken/ Merkel/Woggan, Das Recht des Arzneimittelmarktes, S. 161; Besch, Fehlerhafte Arzneimit-
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die in der Gebrauchsinformation angegebene Hauptwirkung. Das Fehlen dieser Hauptwirkung stellt jedoch keine schädliche Wirkung im Sinne von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG dar. (1) Schädlichkeit wirkungsloser Arzneimittel Es besteht zwar kein Zweifel, dass ein wirkungsloses Medikament einen Schaden anrichten kann, indem es eine andere wirksame Therapie verzögert oder verhindert. Dies wird besonders deutlich am Medikamententypus der Impfstoffe und Diagnostika. Diese Arzneimittel werden nicht verwendet, um aufgrund ihrer pharmakologischen Wirkungsweise unmittelbar eine Krankheit zu heilen. Mit Diagnosetests werden vielmehr vorhandene Erkrankungen erkannt. Das Erkennen einer Erkrankung führt im Regelfall zu einer adäquaten Behandlung des Patienten. Wird eine Erkrankung nicht erkannt und der Arzneimittelanwender in Sicherheit gewogen, unterlässt er die notwendige Heilbehandlung. Die Verabreichung von Impfstoffen dient der Vorbeugung einer ansteckenden Krankheit, wobei mit der Bildung von Antikörpern eine Reaktion des Organismus hervorgerufen wird. Versagt der Impfstoff, kann die geimpfte Person sich mit der Krankheit infizieren, gegen die sie durch den Impfstoff geschützt werden soll. Sowohl zu Heilungszwecken eingesetzte Arzneimittel wie auch Diagnostika und Impfstoffe können bei Wirkungslosigkeit zu nicht unerheblichen Schäden beim Arzneimittelanwender führen. Diese Schäden beruhen jedoch nicht auf den Wirkungen des Arzneimittels, sondern auf dem Fehlen der arzneilichen Wirkung. (2) Wortlaut des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG Der Wortlaut des § 84 AMG setzt jedoch eine schädliche Wirkung, also eine durch das Arzneimittel ausgelöste Veränderung im Organismus, voraus. Eine Veränderung im Organismus tritt bei wirkungslosen Arzneimitteln aber gerade nicht ein. Die Wirkungslosigkeit ist keine unerwünschte Wirkung, sondern die Wirksamkeit wäre die erwünschte indizierte Wirkung 133. Der Wortlaut der Vorschrift spricht damit gegen eine Einbeziehung von unwirksamen Arzneimitteln in den Schutzbereich des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG.
tel, S. 73 f.; Kulimann in Kulimann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 40; ders., Haftung des pharmazeutischen Unternehmers für nicht wirksame Arzneimittel, Pharma Recht 1983, S. 196 (200); anders Flatten , Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (465); Rolland, § 15 ProdHaftG Rn. 40. 133 Hart in Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Das Recht des Arzneimittelmarktes, S. 161 f.
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(3) Arzneimittelsicherheitsrechtlicher des Arzneimittelgesetzes
Zweck
Für eine Einbeziehung unwirksamer Arzneimittel in den Schutzbereich von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG spricht auch nicht, dass Zweck des Arzneimittelgesetzes gemäß § 1 AMG die Herstellung der Arzneimittelsicherheit durch Gewährleistung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln ist 134 . Die Wirksamkeit von Arzneimitteln hat zwar einen hohen Stellenwert im Arzneimittelrecht. Die Wirksamkeit 135 von Arzneimitteln wird jedoch durch andere Mechanismen als den Haftungstatbestand gewährleistet. So verbietet § 8 I Nr. 2a AMG das Herstellen und Inverkehrbringen von Arzneimitteln, denen irreführenderweise eine nicht vorhandene therapeutische Wirksamkeit beigelegt wird. Darüber hinaus ist es nach § 22 i.V.m. § 24 I S. 2 Nr. 3 AMG für die Zulassung eines Arzneimittels erforderlich, dass der pharmazeutische Unternehmer ein Gutachten über die angemessene Wirksamkeit des antragsgegenständlichen Arzneimittels vorlegt. Der Nachweis therapeutischer Wirksamkeit ist Zulassungsvoraussetzung136. Dies ergibt sich aus § 25 I I S. 1 Nr. 4 AMG, wonach bei Fehlen dieses Nachweises die Zulassung versagt werden darf 137 . Auch kann einem Arzneimittel nachträglich wegen fehlender Wirksamkeit die Zulassung wieder entzogen (§ 301 Nr. 1 AMG), beziehungsweise die Verlängerung der Zulassung versagt werden (§ 31 III S. 1 AMG). Das Regelwerk des Arzneimittelgesetzes ist darauf ausgerichtet, zu verhindern, dass unwirksame Medikamente hergestellt oder in Verkehr gebracht werden. Der Zweck des Arzneimittelgesetzes insgesamt wird aber nicht notwendigerweise durch den Haftungstatbestand des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG verwirklicht. Vielmehr verfügt das Arzneimittelgesetz über weitere, arzneimittelsicherheitsrechtliche Verfahren, um die Regelungsziele des Arzneimittelgesetzes zu realisieren. Aus dem Gesamtzweck des Arzneimittelgesetzes ergibt sich daher noch nicht, dass ein zugelassenes aber wirkungsloses Medikament auch in den Schutzbereich des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG fällt. 134 Ebenso Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 73; anders Flatten, Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (465). 135 Die Wirksamkeit eines Medikaments ist von seinen Wirkungen zu unterscheiden. Wirkung meint alle wahrnehmbaren Reaktionen im weitesten Sinne. Demgegenüber ist die Wirksamkeit eines Arzneimittels spezifischer als der durch die Therapie angestrebte Heilerfolg und stellt nur einen Ausschnitt aus dem Wirkungsspektrum dar. Vgl. zum Ganzen Plagemann, Der Wirksamkeitsnachweis nach dem Arzneimittelgesetz, S. 53 ff.; Henning, Der Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimitteln, NJW 1978, S. 1671 (1673). In der Literatur werden auch andere Wirksamkeitsbegriffe vertreten, vgl. die Nachweise bei Plagemann, S. 53 ff. 136 Siehe die Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz, BT-Drucks. 9/1355 S. 16. Ebenso Henning, Der Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimitteln, NJW 1978, S. 1671 (1676). 137 Vgl. auch die Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte, die im Streitfall über die Zulassung von Arzneimitteln durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu entscheiden haben: z. B. OVG Berlin, 25. 11. 1999, Az. 5 B 11.98 (nicht veröffentlicht; bei Juris unter Nr. MWRE106300000).
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(4) Zweck von § 84 S. 2 Nr. 1AMG Entscheidend für die Frage, ob wirkungslose Arzneimittel in die Arzneimittelhaftung einbezogen sind, ist nicht der Gesamtzweck des Arzneimittelgesetzes, sondern der Gesetzeszweck, den § 84 S. 2 Nr. 1 AMG selbst verfolgt. Grund für die Haftung aus § 84 S. 2 Nr. 1 AMG ist die erhöhte Gefahr, die von Arzneimitteln als „unvermeidbar unsicheren"138 Produkten ausgeht139. Diese Gefahr realisiert sich weder bei wirkungslosen Diagnosetests oder Impfstoffen noch bei einem wirkungslosen Kopfschmerzmittel. Der Zustand nach Gabe eines wirkungslosen Impfstoffes entspricht dem, wie er ohne die Arzneimittelgabe bestünde. Auch beim Versagen des Diagnosetests bleibt der Patient letztlich „nur" unbehandelt. Diese „Unterlassungswirkung" des Medikaments wird vom Haftungsgrund des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG nicht erfasst 140. Die Gefährlichkeit der Wirkungslosigkeit beruht auf dem Vertrauen, das in die Effizienz des Diagnosetests oder Impfmittels gesteckt wird. Der Patient unterlässt es in der Folge, sich anderweitig behandeln zu lassen. Dieser Kausalverlauf stellt jedoch keine Verwirklichung der Arzneimittelgefahr dar und ist mithin auch vom Zweck des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG nicht gedeckt141. Daher stellt das Fehlen einer Hauptwirkung grundsätzlich keine schädliche Wirkung nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG dar 142 . Der Schutz der Wirkungserwartung fallt vielmehr in den Bereich der Zusageoder Verschuldenshaftung 143. Eine Haftung für wirkungslose Arzneimittel wird aufgrund der Verletzung von arzneimittelrechtlichen Informationspflichten durch § 84 S. 2 Nr. 2 AMG begründet144. Zu denken ist in solchen Fällen außerdem an eine Haftung nach den kaufrechtlichen Vorschriften, weil das Medikament weder die vertraglich vereinbarte oder vorausgesetzte Beschaffenheit aufweist noch sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, oder an eine verschuldensabhängige Haftung nach § 823 BGB 1 4 5 . 138
Der Begriff des „unavoidably unsafe product" stammt aus dem US-amerikanischen Produkthaftungsrecht, vgl. Restatement of Torts, Second (1965), § 402 A, comment k: „Unavoidably unsafe products. There are some products which, in the present state of human knowledge, are quite incapable of being made safe for their intended and ordinary use. These are especially common in the field of drugs". 139 Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1087. 140 Deutsch , Arzneimittelschaden, FS für Larenz (1983), S. 111 (115); ders. in Deutsch/ Lippert, § 84 AMG Rn. 13; Kullmann, Die Haftungsregelung des § 84 AMG, Pharma Recht 1981, S. 112 (116); ders., Haftung des pharmazeutischen Unternehmers für nicht wirksame Arzneimittel, Pharma Recht 1983, S. 196 (200). 141
So auch Hart in Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Das Recht des Arzneimittelmarktes, S. 161. Anders jedoch Flatten, Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (465). 1 42 So die herrschende Literaturmeinung. Vgl. hierzu Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1106; Kullmann, Die Haftungsregelung des § 84 AMG, Pharma Recht 1981, S. 112 (116); Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 57. 143 Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1106. 1 44 Siehe hierzu im Einzelnen unten § 2 A. II. 2. e).
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dd) Schädliche Wechselwirkungen Schädlich können auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sein 146 . Eine Wechselwirkung beruht auf der Interaktion von mindestens zwei Arzneimitteln, von denen keines für sich fehlerhaft sein muss, aber sein kann 147 . Die schädliche Wirkung kann gerade durch das Zusammenwirken von an sich nicht zu beanstandenden Arzneimitteln hervorgerufen werden 148. In Betracht kommt auch eine Wechselwirkung mit Lebensmitteln wie beispielsweise Alkohol 149 . Auch wenn es sich bei Wechselwirkungen um schädliche Wirkungen im Sinne von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG handelt, ist diesen vorrangig durch eine entsprechende Arzneimittelinformation zu begegnen150. Wechselwirkungen sind in der Regel bereits durch einen entsprechenden Hinweis, die beiden inkompatiblen Arzneimittel nicht miteinander zu kombinieren, zu vermeiden. Deshalb ist gemäß § 11 I S . 1 Nr. 9 AMG auf Wechselwirkungen in der Packungsbeilage hinzuweisen. In Betracht zu ziehen ist eine Haftung für Wechselwirkungen wegen der Herstellung von Arzneimitteln daher nur ausnahmsweise. Dieser Ausnahmefall tritt ein, wenn bei Unverträglichkeit mehrerer Medikamente erst der Schadensfall die weder bekannte noch erkennbare Unverträglichkeit offenbart 151. Dann besteht nämlich keine Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft bezüglich dieser Wechselwirkung und damit keine Aufklärungspflicht des pharmazeutischen Unternehmers, 145
Die Haftung für wirkungslose Arzneimittel ergibt sich nach dem Arzneimittelgesetz aus § 84 S. 2 Nr. 2 AMG, wenn dem Arzneimittel keine Information über seine Wirkungslosigkeit beigefügt ist. Zur Verschuldenshaftung für wirkungslose Produkte siehe BGH, 17. 3. 1981, BGHZ 80, S. 186 ff. (Derosal); BGH, 17. 3. 1981, BGHZ 80, S. 199 ff. (Benomyl) sowie Kulimann, Die Bedeutung der „Apfelschorf'-Urteile, Pharma Recht 1982, S. 6 ff. 146 Deutsch in Deutsch /Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1107; Kulimann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 24. w Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1107. 148 Deutsch in Deutsch / Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1107; siehe auch OLG Frankfurt, 25. 6. 1992, NJW 1993, S. 2388. In dieser Entscheidung hatte der pharmazeutische Unternehmer einen Hinweis auf Wechselwirkungen von Antibiotika mit einem empfängnisverhütenden Medikament unterlassen. 149 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 44. Es wurden sogar schon Wechselwirkungen mit Grapefruitsaft beobachtet, der morgens zum Frühstück zusammen mit Medikamenten eingenommen wird. 150 Ebenso Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 74; Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 78. 151 Hager, Schäden infolge Unvereinbarkeit mehrerer Medikamente, VersR 1987, S. 1053 (1055); Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 75. Vor diesem Zeitpunkt existiert keine Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft über die durch die Wechselwirkung hervorgerufene Gefahr für den Menschen. Eine Haftung für unbekannte Wechselwirkungen wird abgelehnt von Prutting, Zivilrechtliche Haftungsprobleme im neuen Arzneimittelrecht, Deutsche Apotheker Zeitung 1978, S. 256 (258); Vogel, Die Produkthaftung des Arzneimittelherstellers, S. 123.
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz weswegen eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 A M G ausscheidet 152 . Die Haftung für nicht erkennbare Wechselwirkungen fällt auch in den Schutzbereich von § 84 S. 2 Nr. 1 A M G , da es sich hierbei um schädliche Wirkungen von Arzneimitteln handelt, bei denen sich das mit der Herstellung von Arzneimitteln verbundene Arzneimittelrisiko verwirklicht 153 . Ein ohne Hinweis auf Wechselwirkungen in Verkehr gebrachtes Arzneimittel hat unvertretbare schädliche Wirkungen. Schwierigkeiten kann allerdings die Frage bereiten, ob die Wechselwirkungen ihre Ursache im Bereich der Entwicklung und Herstellung haben 1 5 4 .
b) Bestimmungsgemäßer Gebrauch Die Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 1 A M G setzt voraus, dass die schädlichen Wirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Arzneimittels auftreten. Nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eintretende schädliche Wirkungen können die Fehlerhaftigkeit des Arzneimittels begründen 155 . Das Kriterium des bestimmungsgemäßen Gebrauchs wirkt haftungsbegrenzend. Es hat die Funktion, die Risikosphären des pharmazeutischen Unternehmers, des Arztes und des Patienten voneinander abzugrenzen 156 . Der pharmazeutische Unter-
Zu dieser Problematik gibt es keine dokumentierte Rechtsprechung deutscher Gerichte. Als Anschauungsmaterial dient daher der Fall Thorens, der im Jahr 1986 vom französischen Kassationshof entschieden wurde. Die Kombination zweier Herzpräparate hatte bei dem Patienten Thorens zu schweren neurologischen Störungen geführt. Das französische Gericht beurteilte den Fall nach den seinerzeit auf die Produzentenhaftung anwendbaren kaufrechtlichen Regeln des Code civil und verneinte einen „vice caché" (verborgenen Sachmangel) mit der Begründung, dass die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten keinen dem Medikament anhaftenden Mangel darstelle. Eine Aufklärungspflicht seitens der pharmazeutischen Hersteller wurde ebenfalls abgelehnt, da bei Inverkehrgabe des Medikaments die Wechselwirkung nicht bekannt gewesen sei. Cass. civ., 8. 4. 1986, J.C.P. 1987 I I 20721 mit Observations (Anmerkungen) von Viala/Viandier, J.C.P. 1987, éd. G., II, 20721. Zu diesem Fall siehe auch den Beitrag von Huet, Le paradoxe des médicaments et les risques de développement, Recueil Dalloz Sirey 1987, Chronique, S. 73. 153 Ähnlich Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 75; Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 79. 154 Hager, Schäden infolge Unvereinbarkeit mehrerer Medikamente, VersR 1987, S. 1053 (1057). Der Meinungsstreit über die Bedeutung des Merkmals „Ursache im Bereich der Herstellung und Entwicklung" für die Haftung bei Wechselwirkungen wird später an gegebener Stelle erörtert, siehe unten § 2 A. II. 1. c) bb). 155 Siehe hierzu auch den Asthmaspray-Fall, in dem der Bundesgerichtshof eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG mit der Begründung verneinte, dass das Spray bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine tödlichen Wirkungen habe. Vgl. BGH, 24. 1. 1989, BGHZ 106, S. 273 (278). 156 Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 11; zum Begriff des bestimmungsgemäßen Gebrauchs in § 5 AMG siehe auch Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 57 f.; BGH, 10. 6. 1998, MedR 1999, S. 270 (271); BGH, 11. 8. 1999, MedR 2000, S. 482 und dazu der Nichtannahmebeschluss des BVerfG, 26. 4. 2000, MedR 2000, S. 481 f. 5 Geiger
1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
nehmer soll nicht für Schäden haften, die nicht in seinen Verantwortungsbereich gehören 157. In den Verantwortungsbereich des pharmazeutischen Unternehmers fallen gemäß § 84 S. 2 Nr. 1 AMG nämlich nur solche Schäden, die ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. Eine gesetzliche Definition des Begriffes „bestimmungsgemäßer Gebrauch" findet sich im Arzneimittelgesetz nicht. Der Begriff des „Gebrauchs" entspricht dem der Anwendung des Arzneimittels. Probleme bereitet hingegen die Frage, wer die Bestimmung des Arzneimittelgebrauchs vornimmt.
aa) Tatsächlicher Gebrauch Auf tatsächlicher Ebene bestehen mehrere Möglichkeiten des Gebrauchs von Arzneimitteln. Der Arzneimittelanwender kann das Arzneimittel so gebrauchen, wie der pharmazeutische Unternehmer dies in seinen dem Produkt beigefügten Unterlagen, seiner Werbung und seinen Zulassungsunterlagen beschreibt. Bei einem Gebrauch entsprechend den ausdrücklichen Indikations-, Anwendungs- und Dosierungsangaben des pharmazeutischen Unternehmers handelt es sich um den empfohlenen Gebrauch 158. Dieser stellt nach einhelliger Meinung stets einen bestimmungsgemäßen Gebrauch dar 159 . Eine weitere Gebrauchsmöglichkeit besteht in einem Gebrauch, der vom empfohlenen abweicht, dem so genannten Fehlgebrauch160. Der Fehlgebrauch kann in medizinischen Fachkreisen üblich und anerkannt sein oder lediglich von einzelnen Ärztevertretern vorgenommen werden. Der Fehlgebrauch kann aber auch durch naheliegenden vorhersehbaren Fehlgebrauch oder unvorhersehbaren Missbrauch erfolgen. Vom Fehlgebrauch strikt zu unterscheiden ist die Fehlanwendung des Arzneimittels, bei der die Abweichung vom empfohlenen Gebrauch - sei es durch den Arzt oder den Patienten - nicht bewusst, sondern versehentlich erfolgt 161.
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Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 11. Vgl. die Begriffsbildung bei Rapple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 59, der zwischen dem vom pharmazeutischen Unternehmer empfohlenen Gebrauch und dem hiervon abweichenden Gebrauch, dem Fehlgebrauch, unterscheidet. 159 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 59; Wolz, Bedenkliche Arzneimittel, S. 61; Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 13; Plagemann, Das neue Arzneimittelrecht in der Bewährung, WRP 1978, S. 779 (783); Kulimann, Produkthaftungsrecht, Rn. 378; Hart in Hart/Hilken/Merkel/Woggan, Das Recht des Arzneimittelmarktes, S. 159; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 52; Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 45 f.; BGH, 10. 6. 1998, MedR 1999, S. 270 (272). 160 Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 59. 158
161
Beispiel: Der behandelnde Arzt injiziert ein Arzneimittel, das intravenös angewendet werden soll, aus Versehen in die Arterie des Patienten. Siehe den Estil-Fall, BGH, 11.7.1972, NJW 1972, S. 2217. Der BGH spricht auch von einem „Danebengehen", S. 2221.
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
bb) Bestimmung des Gebrauchs Inwiefern die verschiedenen Varianten des Fehlgebrauchs einen bestimmungsgemäßen Gebrauch darstellen, ist umstritten. Zur Auslegung des Begriffes „bestimmungsgemäßer Gebrauch" werden verschiedene Auffassungen vertreten 162. Das Meinungsspektrum reicht von der Einschränkung des Begriffes auf den durch den pharmazeutischen Unternehmer vorgegebenen Gebrauch bis zur Ausweitung auf jeglichen Gebrauch, der keinen grob fahrlässigen Missbrauch durch den Verbraucher darstellt. Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass der Gebrauch entsprechend den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers auf jeden Fall bestimmungsgemäß sei, während ein Gebrauch zur vorsätzlichen Selbstschädigung schon deswegen nicht bestimmungsgemäß sein könne, weil das Arzneimittel zu einem in § 2 I oder II AMG genannten Zwecke, wie zum Beispiel der Heilung von Krankheiten, eingesetzt werden müsse163. (1) Meinungsstand (a) Festlegung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs durch den pharmazeutischen Unternehmer Nach einer im Schrifttum vertretenen sehr engen Auslegung stellt lediglich der durch den pharmazeutischen Unternehmer empfohlene Gebrauch einen bestimmungsgemäßen dar 164 . Denn nur dieser Gebrauch sei der Risikosphäre des pharmazeutischen Unternehmers zuzuordnen165. Der bestimmungswidrige Gebrauch falle in den Regelungsbereich der Informationshaftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG und könne nur eine Warnpflicht oder Hinweispflicht begründen166. Schließlich erfasse der Begriff „bestimmungsgemäßer Gebrauch" schon vom Wortlaut her nicht den Fehlgebrauch167. Als ebenfalls durch den pharmazeutischen Unternehmer bestimmter Gebrauch wird von Teilen der Literatur darüber hinaus der vom pharmazeutischen Unternehmer geduldete oder jedenfalls nicht ausdrücklich ausgeschlossene Gebrauch ange162
Literaturhinweise zum Meinungsstand siehe unten § 2 A. II. 1. b) bb) (1). Zu denken ist hier beispielsweise an einen Suizidversuch, bei dem der Patient ein Schlafmittel in einer beabsichtigten Überdosierung zu sich nimmt. 164 So Hauke/Kremer, Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, Pharma Recht 1992, S. 162 (168); Vogeler, Das Verhältnis von Arzt- und Arzneimittelhaftung, S. 115; ders., Die speziellen HaftungsVoraussetzungen, MedR 1984, S. 18 (20); Prutting, Zivilrechtliche Haftungsprobleme im neuen Arzneimittelrecht, Deutsche Apotheker Zeitung 1978, S. 256 (258). 163
165 Hauke / Kremer, Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, Pharma Recht 1992, S. 162 (163). 166 Hauke/Kremer, Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, Pharma Recht 1992, S. 162 (165,168). 167 Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 13.
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sehen168. Die Vertreter dieser Ansicht argumentieren, der pharmazeutische Unternehmer müsse die ihm bekannten und von ihm untätig hingenommenen Verbrauchsgewohnheiten gegen sich gelten lassen, da er die Möglichkeit habe, sich durch entsprechende Warnungen vor den Folgen einer nicht bestimmungsgemäßen oder missbräuchlichen Verwendung des Arzneimittels zu entlasten169. Im Ergebnis knüpfen die Vertreter dieser Ansicht allein an die - ausdrückliche oder stillschweigende - Bestimmung des Gebrauchs durch den pharmazeutischen Unternehmer an. Ein vom pharmazeutischen Unternehmer ausdrücklich ausgeschlossener Gebrauch wird von keinem Vertreter dieser Ansicht als bestimmungsgemäß angesehen170. Dadurch wird dem pharmazeutischen Unternehmer die Begrenzung seiner eigenen Risikosphäre ermöglicht. (b) Festlegung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs auch durch die übrigen Marktteilnehmer Nach einer anderen im Schrifttum vertretenen weiten Auslegung soll unter einem „bestimmungsgemäßen Gebrauch" auch ein solcher zu verstehen sein, den der pharmazeutische Unternehmer weder empfohlen noch geduldet habe. (aa) Fehlgebrauch durch die fachlich kompetenten Kreise Ein Teil der Vertreter der weiten Auslegung des Begriffes „bestimmungsgemäßer Gebrauch" sieht neben dem vom pharmazeutischen Unternehmer empfohlenen und geduldeten Gebrauch auch den in medizinischen Fachkreisen üblichen und wissenschaftlich anerkannten Fehlgebrauch als bestimmungsgemäß an 1 7 1 . Teilweise soll es dabei nicht darauf ankommen, ob der durch Fachkreise vorgenommene Medikamentengebrauch der lex artis entspricht oder ob der Gebrauch den Hinweisen des pharmazeutischen Unternehmers widerspricht 172. Maßgebliches Ar168
Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 13; Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 46; Kloesel/Cyran, § 84 AMG Anm. 23, § 5 Anm. 17; Sander/May, § 84 AMG Erl. 13. 169 So noch Kloesel/Cyran, § 84 AMG Anm. 11 (Stand: 62. Ergänzungslieferung, 1. Juni 1997). Allerdings kreiert die Konstruktion eines bestimmungsgemäßen Gebrauchs bei Stillschweigen oder Nichthandeln des pharmazeutischen Unternehmers eine Produktbeobachtungspflicht zu seinen Lasten. 170
Siehe beispielsweise Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 13. Sander/May, § 84 AMG Erl. 13. Zusätzlich verlangen Sander/May allerdings, dass der pharmazeutische Unternehmer diese Gebrauchsgewohnheit hätten kennen müssen. Das ist bei einer medizinisch anerkannten Verordnungsweise von Medikamenten regelmäßig gegeben. Ablehnend Flatten, Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (464). Flatten nennt als Beispiel die Verordnung von Methadon an Drogenabhängige, obwohl dieses Arzneimittel keine Indikation als Suchtersatzmittel habe. ™ Plagemann, Das neue Arzneimittelrecht in der Bewährung, WRP 1978, S. 779 (783). Da die Ausführungen Plagemanns den Begriff des „bestimmungsgemäßen Gebrauchs" in § 5 171
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gument der Vertreter dieser Auffassung ist, dass es aus Sicht des Verbrauchers einen bestimmungsgemäßen Gebrauch darstelle, wenn er das Arzneimittel den Anweisungen des Arztes gemäß anwende. Auf die Sicht des Verbrauchers komme es an, da es im Arzneimittelgesetz um seinen Schutz gehe 173 .
(bb) Fehlgebrauch durch den Arzeimittelanwender Noch weiter gehend ist die Auffassung, die auch den naheliegenden174 beziehungsweise den vorauszusehenden175 Fehlgebrauch durch den Arzneimittelanwender als bestimmungsgemäß ansieht176. Teilweise soll maßgeblich sein, ob der Fehlgebrauch der ausdrücklichen Gebrauchsbestimmung durch den pharmazeutischen Unternehmer widerspricht 177. Nur vereinzelt wird vertreten, ein Fehlgebrauch liege allein bei grob fahrlässigem Missbrauch durch den Verbraucher vor 178 . Bei allen anderen Formen des Fehlgebrauchs handele es sich um einen bestimmungsgemäßen Gebrauch. Es wird argumentiert, Arzneimittel seien hochkomplizierte chemische Produkte, deren Gebrauch für den Verbraucher ein erhöhtes Nutzungsrisiko berge. Bei der Arzneimittelanwendung sei der Fehlgebrauch durch den Anwender daher nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Die Verlagerung des Haftungsrisikos auf den Verbraucher sei bei Arzneimitteln somit nicht gerechtfertigt. Die Eingrenzung der dem Hersteller durch den Gesetzgeber auferlegten „Schutzgarantie" sei nur dort gerechtfertigt, wo dem Verbraucher ein grob fahrlässiger Fehlgebrauch vorgeworfen werden könne 179 . AMG betreffen und Plagemann für § 5 AMG eine polizeirechtliche Sichtweise zugrunde legt, ist unklar, ob diese Überlegungen auf § 84 AMG übertragbar sind. >73 Plagemann , Das neue Arzneimittelrecht in der Bewährung, WRP 1978, S. 779 (783). Die Ausführungen Plagemanns betreffen allerdings den Begriff des „bestimmungsgemäßen Gebrauchs" in § 5 AMG. 174 Der Begriff des „naheliegenden Missbrauchs" wird im Estil-Fall verwandt. Dort ging es um die Begründung einer Hinweispflicht des Arzneimittelherstellers vor naheliegendem Missbrauch eines Arzneimittels, das versehentlich kontraindiziert intraarteriell injiziert wurde. Siehe BGH, 11. 7. 1972, NJW 1972, S. 2217 (2221). 175 Plagemann, Das neue Arzneimittelrecht in der Bewährung, WRP 1978, S. 779 (783); Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 13. 176
„Naheliegend" und „vorhersehbar" beschreiben in gleicher Weise einen Fehlgebrauch, der aus objektiver Sicht vorhergesehen werden konnte. 177 So kann nach Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 13, auch ein voraussehbarer Fehlgebrauch ein bestimmungsgemäßer Gebrauch sein, solange er nicht der Gebrauchsbestimmung des pharmazeutischen Unternehmers widerspricht. Für Plagemann, Das neue Arzneimittelrecht in der Bewährung, WRP 1978, S. 779 (783), spielt es keine Rolle, ob der voraussehbare Fehlgebrauch den Hinweisen des pharmazeutischen Unternehmers widerspricht. 178 Wolter, Die Reform der Haftung, ZRP 1974, S. 260 (262). i™ So die Argumentation von Wolter, Die Reform der Haftung, ZRP 1974, S. 260 (262).
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(2) Stellungnahme Eine Beschränkung des Begriffes „bestimmungsgemäßer Gebrauch" auf den vom pharmazeutischen Unternehmer ausdrücklich empfohlenen Gebrauch ist abzulehnen. Als bestimmungsgemäß sind neben dem empfohlenen Gebrauch auch bestimmte Formen des Fehlgebrauchs anzusehen. (a) Keine Beschränkung auf den ausdrücklich empfohlenen Gebrauch Dem Wortlaut von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG ist nicht zu entnehmen, dass allein der pharmazeutische Unternehmer die Gebrauchsbestimmung vornehmen darf. Auch aus den übrigen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes lässt sich keine Beschränkung auf die Gebrauchsbestimmung durch den pharmazeutischen Unternehmer herleiten. Der Begriff der Bestimmung findet sich zwar auch in der Arzneimitteldefinition des § 21, II AMG. Demnach sind Arzneimittel Stoffe, die unter anderem zur Heilung, Diagnostik oder Desinfektion bestimmt sind. Dadurch wird jedoch nur die Selbstschädigung als bestimmungsgemäßer Gebrauch ausgeschlossen, weil der Arzneimittelverwender das Arzneimittel nicht als Arzneimittel zur Heilung, sondern zweckfremd zum Gegenteil, der Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes, gebraucht. Wer die Bestimmung vornimmt, besagt § 2 AMG hingegen nicht. Auch der Umstand, dass der pharmazeutische Unternehmer in der Arzneimittelinformation, die dem Arzneimittel gemäß den §§ 10 ff. AMG beizufügen ist, den Gebrauch des Arzneimittels genau beschreiben und somit bestimmen muss, ergibt nicht zwingend, dass allein der pharmazeutische Unternehmer die Gebrauchsbestimmung vornimmt. Der Vergleich der Regelung der Gebrauchsbestimmung im Arzneimittelgesetz von 1961 mit dem Arzneimittelgesetz von 1976 spricht ebenfalls dafür, dass es für die Gebrauchsbestimmung auf objektive Kriterien und nicht auf die Vorgaben des pharmazeutischen Unternehmers ankommen soll. § 1 I AMG 1961 sah nähmlich noch ausdrücklich vor, dass der Hersteller oder derjenige, der das Arzneimittel in Verkehr bringt, die arzneiliche Zweckbestimmung vornimmt. § 2 I, I I AMG 1976 knüpft für die arzneimittelbestimmung demgegenüber an objektive Kriterien wie den Heilungszweck an 1 8 0 . Die Gebrauchsbestimmung des Arzneimittels lässt sich daher nicht allein aus den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers herleiten. Vielmehr sind auch andere objektive Aspekte zu berücksichtigen, die zu einer Gebrauchsbestimmung führen können.
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Siehe auch Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 62 f.
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
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(b) Bedeutung der Informationshaftung für den Begriff des bestimmungsgemäßen Gebrauchs Beschränkungen des Begriffes „bestimmungsgemäßer Gebrauch" ergeben sich aus dem systematischen Zusammenhang von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG zur Haftung für fehlerhafte Arzneimittelinformation nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG. Gemäß § 84 S. 2 Nr. 2 AMG haftet der pharmazeutische Unternehmer für eine nicht den medizinischen Erkenntnissen entsprechende Information über seine Arzneimittel. Die hierdurch begründete Informationspflicht beinhaltet die ordentliche Kennzeichnung der Verpackung des Arzneimittels, eine entsprechende Fachinformation für Ärzte sowie eine ordnungsgemäße Gebrauchsinformation mittels Packungsbeilage für den Arzneimittelanwender. Bereits die Kennzeichnung der Verpackung muss gemäß § 10 I Nr. 7 AMG die Art der Anwendung angeben. Im Rahmen der Gebrauchsinformation sind Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung wie auch Dosierung und Dauer der Anwendung anzugeben (§ 11 I AMG). Die Fachinformation, also die an Fachkreise gerichtete Gebrauchsinformation, muss ebenfalls die Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Warnhinweise, Inkompatibilitäten, Dosierung sowie die Art und die Dauer der Anwendung enthalten (§ lia I AMG). Im Rahmen der Gebrauchsinformation hat der pharmazeutische Unternehmer auch vor den ihm bekannten Möglichkeiten des Fehlgebrauchs zu warnen 181. Tritt eine Rechtsgutverletzung mangels Warnung vor möglichem Fehlgebrauch oder infolge unrichtiger oder unvollständiger Gebrauchsanweisung ein, haftet der pharmazeutische Unternehmer gemäß § 84 S. 2 Nr. 2 A M G 1 8 2 . Es ist aber nicht Sinn und Zweck des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG, eine Haftung unter den gleichen Voraussetzungen wie nach Nr. 2 zu begründen183. Systematisch gesehen kann eine Haftung für bestimmungsgemäßen Gebrauch daher nur solche Konstellationen erfassen, die nicht bereits von § 84 S. 2 Nr. 2 AMG erfasst werden. Dies betrifft die Fälle des vorhersehbaren Fehlgebrauchs, vor denen der pharmazeutische Unternehmer hätte warnen müssen. Ist eine Warnung erfolgt und der pharmazeutische Unternehmer seinen Informationspflichten nachgekommen, scheidet sowohl eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 1 wie auch nach Nr. 2 AMG aus 184 . Es kann daher nur der Fehlgebrauch, der mittels Warnung und Gebrauchsanweisung nicht vermeidbar ist, „bestimmungsgemäßer Gebrauch" im Sinne von § 84 S. 2 Nr. 1 AMG sein. In der Regel fällt der voraussehbare Fehlgebrauch damit in den Bereich der Informationshaftung und nicht unter § 84 S. 2 Nr. 1 AMG. 181 Hauke /Kremer, Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, Pharma Recht 1992, S. 162 (165). 182 Siehe hierzu im Einzelnen unten § 2 A. II. 2. 183 Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 14; Vogeler, Die speziellen Haftungsvoraussetzungen, MedR 1983, S. 18 (20). 184 Ähnlich Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 53; Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 27.
1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
(c) In Fachkreisen üblicher und wissenschaftlich anerkannter Fehlgebrauch Eine Form des bestimmungsgemäßen Gebrauchs stellt der in medizinischen Kreisen übliche und wissenschaftlich anerkannte Fehlgebrauch dar 185 . Dieser Fehlgebrauch widerspricht zwar dem durch den pharmazeutischen Unternehmer empfohlenen Gebrauch. Das Arzneimittel wird jedoch bewusst und aufgrund heilkundlicher Erkenntnisse für einen arzneilichen Zweck eingesetzt und erfährt dadurch eine neue Gebrauchsbestimmung. Zudem ist bei einer Verbreitung des Fehlgebrauchs in Fachkreisen davon auszugehen, dass der pharmazeutische Unternehmer den Fehlgebrauch kennt oder zumindest kennen müsste186. Ihm wäre es daher möglich, den Fehlgebrauch durch entsprechende Hinweise in der Fachinformation auszuschließen187. Für die Einordnung des wissenschaftlich anerkannten Fehlgebrauchs als bestimmungsgemäßen Gebrauchs spricht außerdem, dass sich die Arzneimittelgefahr auch bei einem wissenschaftlich anerkannten Fehlgebrauch verwirklicht. Die Arzneimittelgefahr entsteht nämlich nicht durch die Abweichung vom empfohlenen Gebrauch, sondern im Rahmen des Fehlgebrauchs durch die dem Arzneimittel anhaftenden schädlichen Wirkungen. Diese sind der Zurechnungsgrund für die Arzneimittelhaftung des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG. Dieser Zurechnungszusammenhang wird allerdings unterbrochen, wenn der pharmazeutische Unternehmer einen bestimmten Gebrauch ausdrücklich ausschließt188. An der damit bewirkten Haftungsbegrenzung hat der pharmazeutische Unternehmer ein legitimes Interesse, da die Arzneimittelprüfungen den kontraindizierten Gebrauch nicht abdecken und er ansonsten keine Möglichkeit hätte, seine Haftung zu bestimmen und abzuschätzen. Realistischerweise besteht allerdings ein wirtschaftliches Interesse des pharmazeutischen Unternehmers an der Ausweitung des Gebrauchs seines Arzneimittels, weswegen er den Gebrauch nur dann einschränken wird, wenn hierfür arzneimittelsicherheitsrechtliche Argumente sprechen. Dieser Mechanismus dient auch dem Markt, der wiederum ein Interesse an der Anwendung eines Arzneimittels auch zu solchen Heilzwecken hat, die dem pharmazeutischen Unternehmer nicht bekannt sind.
(d) Fehlgebrauch durch einzelne Ärzte Ein nur vereinzelt vorgenommener Fehlgebrauch durch medizinische Fachkreise kann dem pharmazeutischen Unternehmer jedoch nicht zugerechnet werden, weil die Experimentierfreudigkeit einzelner Ärzte nicht zulasten des pharmazeutischen 185
Ebenso Sander/May, § 84 AMG Erl. 13; ablehnend Flatten, Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (464). 186 Kloesel/Cyran, § 84 AMG Anm. 23, § 5 Anm. 20. 187 Sander/May,
§ 84 AMG Erl. 13.
188 Anders (für § 5 AMG) Plagemann, Das neue Arzneimittelrecht in der Bewährung, WRP 1978, S. 779 (783).
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
Unternehmers gehen darf 189 . Zudem würde ein solcher Fehlgebrauch aus arzthaftungsrechtlicher Sicht einen Behandlungsfehler darstellen, da er nicht im Einklang mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft stünde190. Wird dem pharmazeutischen Unternehmer eine solche Behandlungspraxis der Ärzte allerdings bekannt und unternimmt er hiergegen nichts, kommt eine Verletzung der Warnpflicht des pharmazeutischen Unternehmers in Betracht. (e) Bewusster Fehlgebrauch durch den Arzneimittelanwender Ein unter Arzneimittelanwendern verbreiteter bewusster Fehlgebrauch stellt keinen bestimmungsgemäßen Gebrauch dar, weil der Anwender selbst keine Bestimmung des Gebrauchs eines Arzneimittels vornehmen kann. Hierzu fehlt ihm aufgrund der Komplexität der Wirkungsweisen von Arzneimitteln die fachliche Kompetenz und Befugnis, weswegen schädliche Wirkungen durch einen Fehlgebrauch in seine Risikosphäre fallen. Ist der Fehlgebrauch allerdings vöraussehbar und ist der pharmazeutische Unternehmer nicht seinen Informationspflichten nachgekommen, kommt eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG in Betracht. (f) Fahrlässiger Fehlgebrauch durch den Arzneimittelanwender Als nicht bestimmungsgemäß ist auch der fahrlässige Fehlgebrauch durch den Arzneimittelanwender anzusehen191. Zwar handelt es sich bei Arzneimitteln um hochkomplizierte chemische Produkte, die ein erhöhtes Nutzungsrisiko für den Anwender bergen. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass dem pharmazeutischen Unternehmer das Haftungsrisiko für jeglichen fahrlässigen Fehlgebrauch auferlegt werden kann, der keinen grob fahrlässigen Missbrauch darstellt 192 . Die Gefährlichkeit von Arzneimitteln ist nämlich allgemein bekannt und es kann daher erwartet werden, dass der Arzneimittelanwender die ihm zur Verfügung gestellten Arzneimittelinformationen gründlich studiert und auch befolgt.
189 Ähnlich Räpple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, S. 64. Einen anderen Standpunkt vertritt der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung zu § 5 AMG. BGH, 11. 8. 1999, MedR 2000, S. 482 f.; bestätigt durch BVerfG, 26. 4. 2000, MedR 2000, S. 481 f. In dem entschiedenen Fall hatten zwei Ärzte Schlankheitskapseln undifferenziert an verschiedene Personenkreise verordnet. Diese Verordnungspraxis stufte der Bundesgerichtshof als gebrauchsbestimmend ein. Der Rechtssatz ist jedoch nicht ohne weiteres auf § 5 AMG übertragbar, da im entschiedenen Fall die Annahme eines bestimmungsgemäßen Gebrauchs notwendig war, um die beiden Ärzte strafrechtlich belangen zu können. Der Hersteller wurde mit der Änderung der Gebrauchsbestimmung allerdings nicht belastet. 190 Siehe hierzu Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 11. 191 Kulimann in Kullmann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 27; anders Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 47 f.
i « So aber Wolter, Die Reform der Haftung, ZRP 1974, S. 260 (262).
1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
(g) Versehentliche Fehlanwendung Vom Fehlgebrauch zu unterscheiden ist die versehentliche Fehlanwendung. Bei der Fehlanwendung wollen der Arzneimittelanwender oder sein Arzt das Arzneimittel so anwenden, wie der pharmazeutische Unternehmer es empfohlen hat. Das Arzneimittel soll also bestimmungsgemäß angewendet werden, was jedoch missglückt. Eine versehentliche Fehlanwendung liegt beispielsweise vor, wenn im Rahmen der Injektion eines Medikaments die Spritze infolge eines Versehens abirrt. Eine Fehlanwendung kann auch darauf beruhen, dass der Arzt oder der Anwender nicht erkennen, dass beim Patienten die Voraussetzungen einer Gegenanzeige (Kontraindikation) vorliegen. Einer vorhersehbaren Fehlanwendung ist primär durch eine entsprechend deutliche Gebrauchsinformation vorzubeugen. Unterlässt der pharmazeutische Unternehmer, einen hinreichenden Warnhinweis und tritt infolge der Fehlanwendung ein Schaden ein, richtet sich die Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG und nicht nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG. Ein Verstoß gegen Informationspflichten vermag nämlich weder die Bestimmung des Arzneimittels ändern noch die Fehlanwendung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch machen193. Eine vorhersehbare Fehlanwendung stellt jedoch einen bestimmungsgemäßen Gebrauch dar, wenn sie weder mit deutlichen Warnhinweisen noch durch Anordnung einer Verschreibungspflicht für das betroffene Arzneimittel verhindert werden kann. Das Argument der vorrangigen Informationshaftung greift hier nicht, weil auch eine adäquate Information nicht ausreichen würde, um die Fehlanwendung zu vermeiden. Sinn der Verschreibungspflicht ist es, für Arzneimittel mit besonderem Gefährdungspotential die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen, indem verlangt wird, dass ein Arzt die medizinische Indikation für die Abgabe schriftlich fixiert 194. Eine Verschreibungspflicht ordnet § 48 I, I I Nr. 1 AMG gerade für solche Arzneimittel an, die die Gesundheit von Menschen auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gefährden oder die häufig in erheblichem Umfang nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden. Birgt ein Arzneimittel Risiken, denen weder mittels Warnhinweisen noch durch Anordnung einer Verschreibungspflicht vorgebeugt werden kann, müsste diesem aufgrund seines Gefährdungspotentials gemäß § 25 II S. 1 Nr. 5 AMG die Zulassung versagt werden 195. Verfügt das Arzneimittel über eine Zulassung, hat der pharmazeutische Unternehmer das Haftungsrisiko zu tragen, das vom Arzneimittelanwender nicht beherrscht werden kann 196 . 193 So auch Hauke /Kremen Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, Pharma Recht 1992, S. 162. 194 Lippert in Deutsch/Lippert, § 48 AMG Rn. 3; Vogeler, Die speziellen Haftungsvoraussetzungen, MedR 1983, S. 18 (20). 195 § 25 I I S. 1 Nr. 5 AMG lautet: „Die zuständige Bundesoberbehörde darf die Zulassung nur versagen, wenn bei dem Arzneimittel der begründete Verdacht besteht, daß es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen".
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneittelgesetz
Wichtigstes Beispiel für eine schwer vermeidbare Fehlanwendung ist das Vorliegen einer Kontraindikation, die der Arzneimittelanwender nicht erkennt. Dies mag daran liegen, dass ihm eine kontraindizierte Krankheit oder Schwangerschaft unbekannt ist. Die Kontraindikationen sind zwar in der Packungsbeilage angegeben, die Feststellung des Vorliegens der Kontraindikation ist aber gerade für den Arzneimittelanwender sehr schwierig und nicht zumutbar. Es würde der gerechten Verteilung des Haftungsrisikos in der Arzneimittelhaftung widersprechen, wenn der pharmazeutische Unternehmer sich allein durch die Nennung der Kontraindikationen von der Haftung befreien könnte197. Die Nennung einer Kontraindikation kann daher nicht immer zur Änderung der Bestimmung des Arzneimittelgebrauchs führen 198. (h) Zusammenfassung Der bestimmungsgemäße Gebrauch wird nicht allein durch den pharmazeutischen Unternehmer mittels seiner Produktinformationen definiert, sondern auch durch die wissenschaftlich anerkannte Praxis der fachlich kompetenten Kreise mitbestimmt, soweit der pharmazeutische Unternehmer diese Art des Fehlgebrauchs nicht ausdrücklich untersagt. Ein vorhersehbarer Fehlgebrauch oder eine vorhersehbare Fehlanwendung fällt hingegen unter die Informationshaftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG. Eine Fehlanwendung durch den Geschädigten, die weder durch eine Warnpflicht noch durch die Verschreibungspflichtigkeit des Arzneimittels vermieden werden kann, stellt einen bestimmungsgemäßen Gebrauch dar. Dies betrifft vor allem das Vorliegen einer schwer erkennbaren Kontraindikation.
c) Ursache der schädlichen Wirkung im Bereich der Herstellung oder Entwicklung Die schädlichen Wirkungen müssen ihre Ursache gemäß § 84 S. 2 Nr. 1 AMG im Bereich der Herstellung oder Entwicklung haben. Nach weit verbreiteter Ansicht verweist diese Formulierung des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG auf die Terminologie der Produzentenhaftung mit ihrer Unterscheidung zwischen Fabrikations-199 und Konstruktionsfehler 200. Zudem begründet sie die Einbeziehung von Entwicklungsgefahren in den Haftungstatbestand 201. 196
Anders wohl Hauke / Kremer, Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, Pharma Recht 1992, S. 162 (168). 197 Anders Vogeler, Die speziellen Haftungsvoraussetzungen, MedR 1983, S. 18 (20). 198 Die Missachtung der Kontraindikation ist dem Arzneimittelanwender vielmehr über das Mitverschulden zuzurechnen (§ 85 AMG, § 254 BGB). Wenn die Gefahr der Verwendung des Arzneimittels trotz Kontraindikation nicht zu minimieren ist, ist dies auf der Mitverschuldensebene nicht vom Arzneimittelanwender zu tragen. i " Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1105.
1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Der Voraussetzung der Ursache im Bereich der Herstellung oder Entwicklung kommt darüber hinaus die Funktion zu, den Schutzzweckzusammenhang zwischen der Arzneimittelanwendung und der Rechtsgutverletzung zu beschreiben202. Erforderlich ist demnach ein besonderer Gefahrzusammenhang zwischen der Entwicklung beziehungsweise Herstellung des Arzneimittels und den schädlichen Wirkungen, die zur Rechtsgutverletzung führen 203. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die schädlichen Wirkungen auf einem Entwicklungs-, Konstruktions-, oder Herstellungsfehler des Arzneimittels beruhen 204. Die schädlichen Wirkungen dürfen hingegen nicht auf Umständen beruhen, die erst nach Inverkehrgabe entstanden sind. Solche Umstände können in einer unsachgemäßen Lagerung durch die Apotheke, den Arzt oder den Verbraucher bestehen205. Dem Verbraucher obliegt damit der so genannte Fehlerbereichsnachweis, also der Beweis dafür, dass das Arzneimittel bereits fehlerhaft in den Verkehr gebracht worden ist 206 .
aa) Keine Einschränkung der Haftung bei besonderer Anfälligkeit des Patienten Es ist umstritten, ob die schädlichen Wirkungen auch dann ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben, wenn sie durch eine besondere Konstitution des Patienten bedingt sind. Bei den konstitutionsbedingten schädlichen Wirkungen handelt es sich typischerweise um allergische Reaktionen oder einen anaphylaktischen Schock. Als konstitutionsbedingt gelten aber auch besonders gravierende Gesundheitsbeschädigungen bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem, das besonders empfindlich auf die Wirkungen des Arzneimittels reagiert. Da nur wenige Patienten eine solche besonders anfällige Konstitution auf-
200 Vgl. auch die Unterscheidung zwischen Konstruktions- und Fabrikationsfehler bei Wolter, Die Haftungsregelung des neuen Arzneimittelgesetzes, DB 1976, S. 2001 (2004); Weitnauer, Die Produktenhaftung für Arzneimittel, Pharm. Ind. 1978, S. 425 (426). 201 202
Zum Ganzen siehe auch Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 67. Siehe hierzu bereits oben § 2 A. I. 6. b). Ebenso Besch, Fehlerhafte Arzneimittel,
S. 67 f. 203 Kulimann in Kullmann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 41; Flatten, Die Haftung nach dem Arzneimittelgesetz, MedR 1993, S. 463 (465). 2 »4 Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3800 S. 32 (bis zur 52. Lieferung, Stand: 2/03). 2
°5 Rolland, § 15 ProdHaftG Rn. 39; Deutsch in Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1105; Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 68; OLG Stuttgart, 28. 10. 1988, NJW-RR 1989, S. 1004 (1005); AG München, 7. 10. 1986, Sander/May, Entscheidungssammlung, §84 AMG/Nr. 3, S. 3 f. 2 °6 Siehe hierzu im Einzelnen das Kapitel zu Beweis- und Darlegungsfragen unten § 2 B. II. 2. a). Die Neufassung des § 84 AMG sieht in Abweichung von der Vorgängerregelung zugunsten des Geschädigten in § 84 EI AMG n.F. eine Umkehr der Beweislast für den Fehlerbereichsnachweis vor.
§ 2 Haftung für Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz
weisen, tritt diese Art der schädlichen Wirkungen nur selten oder sehr selten auf 207 . (1) Meinungsstand (a) Rechtsprechung Die Gerichte befassten sich in zwei Fällen mit der Frage der Ursächlichkeit der persönlichen Konstitution des Patienten für die Schädlichkeit der Wirkungen des Arzneimittels und kamen dabei zu abweichenden Ergebnissen. Das OLG Celle 208 lehnte die Ursächlichkeit der schädlichen Wirkungen im Bereich der Entwicklung und Herstellung in einem Fall ab, in dem der Patient aufgrund einer Immunschwäche nach einer Impfung schwerwiegende Gesundheitsschäden davongetragen hatte. Das Gericht begründete sein Ergebnis damit, dass der Impfstoff weder einen Entwicklungs- noch einen Herstellungsfehler aufgewiesen habe und die Schädigung durch den Immundefekt verursacht worden •209
sei . In einem anderen durch das OLG Stuttgart 210 entschiedenen Fall befand das Gericht in einem obiter dictum, dass es auch dann nicht zum Wegfall der Haftung des pharmazeutischen Herstellers geführt hätte, wenn die Intoxikation durch einen genetischen Mangel des Patienten bedingt gewesen wäre 211 . Nach der Ansicht des OLG Stuttgart kommt es für die Ursächlichkeit der schädlichen Wirkungen im Bereich der Herstellung oder Entwicklung folglich nicht auf die persönliche Verfassung des Patienten an. Der Bundesgerichtshof hat bislang keinen Anlass gesehen, diese Frage zu entscheiden212. (b) Literatur In der Literatur wird teilweise vertreten, eine schädliche Wirkung habe ihre Ursache nicht im Bereich der Herstellung oder Entwicklung eines Arzneimittels, wenn der Schaden aufgrund der besonders anfälligen Konstitution des Patienten eintrete 213. Nach einer anderen Auffassung sollen schädliche Wirkungen ihre Ursa207 Zu dem zwischen beiden Fragen bestehenden Zusammenhang vgl. Kulimann, Die Rechtsprechung des BGH zum Produkthaftpflichtrecht in den Jahren 1989/90, NJW 1991, S. 675 (682). 2 Siehe Art. 7 lit. a, lit. b ProdHaftRiLi. Nach Art. 7 lit. c, lit. d, lit. f ProdHaftRiLi entfällt die Vorwerfbarkeit der Fehlerhaftigkeit des Produkts gegenüber dem Hersteller. Vgl. dazu auch Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 12, der allerdings auch für lit. b auf die fehlende Pflichtwidrigkeit abstellt.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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Zentrales Element der Haftung ist der Produktfehler. Dieser muss sowohl eine Rechtsgutverletzung wie auch einen Schaden verursacht haben. In Art. 1 ProdHaftRiLi wird der Begriff der Rechtsgutverletzung zwar nicht erwähnt. Das Erfordernis einer Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Sache eines anderen ergibt sich jedoch aus den Bestimmungen zum Schadensbegriff in Art. 9 ProdHaftRiLi. Zwischen dem Produktfehler und der Rechtsgutverletzung wie auch zwischen der Rechtsgutverletzung und dem Schaden muss jeweils ein Ursachenzusammenhang bestehen797. Im Ergebnis begründet die Richtlinie also eine verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers für Produktfehler. Ob die Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie auch die Kriterien einer Gefährdungshaftung erfüllt, ist umstritten 798. Für den Vergleich der europäischen Produkthaftung mit der deutschen Arzneimittelhaftung kommt es auf diese Einordnung jedoch nicht an.
II. Haftungsvoraussetzungen 1. Herstellerhaftung Art. 1 ProdHaftRiLi begründet eine Haftung des Herstellers. Wer Hersteller in diesem Sinne ist, ergibt sich aus Art. 3 ProdHaftRiLi, der eine Legaldefinition des von der Richtlinie weit angelegten Herstellerbegriffs enthält. Art. 3 ProdHaftRiLi nimmt keine Kanalisierung der Haftung auf den Endhersteller vor 799 . Die Richtlinie ist vielmehr auf eine Haftung aller am Produktionsprozess Beteiligten gerichtet 800 . Eine Haftung des Händlers sieht die Produkthaftungsrichtlinie vom Grundsatz her hingegen nicht vor 801 . 797
Dies ergibt sich aus den Formulierungen der Artt. 1 und 9 der Richtlinie, wonach der Schaden „durch" den Produktfehler entstanden sein muss und der Schaden den „durch" Tod oder Körperverletzungen verursachten Schaden umfasst. 798 Dagegen z. B. Schmidt-Salzer, Art. 1 ProdHaftRiLi Rn. 12 ff. Dafür z. B. Taschner, Die künftige Produzentenhaftung in Deutschland, NJW 1986, S. 611 ff.; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 7. Von „nominell [er] Gefährdungshaftung" sprechen Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (154). Nach Heck, Produkthaftung, S. 43, hat der Meinungsstreit keine praktische Bedeutung. 799
Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 3. 800 Vgl. den 4. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8.1985, S. 29. 801 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 18; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 12. Den Mitgliedstaaten ist es auch verwehrt, andere Personen als den Hersteller der verschuldensunabhängigen Produkthaftung zu unterwerfen. Vgl. das Urteil des EuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-52/00, Kommission/Französische Republik, Slg. 2002, S. 1-3827 (3872 f.), Rn. 36 ff. Frankreich hatte in Art. 1386-7 Code civil eine Produkthaftung für gewerblich tätige Lieferanten eingeführt. Hintergrund dürfte gewesen sein, dass in Frankreich bereits eine verschärfte Haftung des gewerblichen Lieferanten - auf anderer
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts a) Tatsächlicher Hersteller
„Hersteller" ist zum einen der Hersteller des Endprodukts. Daneben sind aber auch die Hersteller von Grundstoffen und Teilprodukten in die Produkthaftung einbezogene „Hersteller". Damit haftet nach der Produkthaftungsrichtlinie auch der Hersteller eines Arzneimittelgrundstoffs gegenüber dem Geschädigten. Die genannten Herstellertypen haben gemeinsam, dass es sich bei diesen um tatsächliche Hersteller handelt. Das Merkmal des Herstellens ist erfüllt, wenn eine bewegliche Sache in ihrer Individualität als Ergebnis eigener Tätigkeit und in eigener Verantwortung geschaffen w i r d 8 0 2 . Der Hersteller gibt dem Produkt im Herstellungsprozess erst seine Wesensform 803 . Das Verpacken oder Abfüllen von Produkten stellt keine Herstellung d a r 8 0 4 . Das Endprodukt, Teilprodukt oder der Grundstoff müssen das Ergebnis menschlicher Tätigkeit sein 8 0 5 . Dieses Kriterium ist im Allgemeinen unproblematisch erfüllt. I m Rahmen der Haftung für Blutprodukte führt diese Einschränkung des Herstellungsbegriffs jedoch dazu, dass der Blutspender nicht für sein verseuchtes Blut haftet. Auch wenn das Blut als Grundstoff anzusehen ist, stellt es nach allgemeiner Anschauung kein Ergebnis menschlich schaffender Tätigkeit d a r 8 0 6 . Der Blutspen-
Rechtsgrundlage - bestand, an der aus Verbraucherschutzgründen festgehalten werden sollte. Dazu Endrös, Fehlerhafte Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie in Frankreich, PHi 2002, S. 154 f. Kritisch zur französischen Regelung bereits Posch, Neue Produkthaftungsgesetze, ZfRV 1998, S. 238 (242). Im Anschluss an die Urteile des EuGH v. 25. 4. 2002 hat sich der Rat der Europäischen Union kritisch dazu geäußert, dass die Produkthaftungsrichtlinie es den Mitgliedstaaten verbiete, Vorschriften über eine verschuldensunabhängige Haftung des Lieferanten zu erlassen. Vgl. dazu die Entschließung des Rates v. 19. 12. 2002 zur Änderung der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. Nr. C 26 v. 4. 2. 2003, S. 2 (3). Vgl. dazu auch Rott, Produkthaftung und Vollharmonisierung, RIW 2003, Heft 4, Die erste Seite. Es ist ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH, C-402/03, Skov u. Bilka/Mikkelsen u. Nielsen, anhängig, in dem darüber zu entscheiden sein wird, ob die Produkthaftungsrichtlinie einer dänischen Regelung entgegensteht, welche den Zwischenhändler der verschuldensunabhängigen Produkthaftung unterwirft. Generalanwalt Geelhoeld kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die dänische Regelung nicht im Einklang mit der Produkthaftungsrichtlinie stehe. Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, C-402/03 v. 20. 1. 2005, Rn. 85. Mittlerweile hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 30. 8. 2005 Klage gegen Dänemark eingereicht und beantragt, festzustellen, dass Dänemark mit der Haftung des Zwischenhändlers gegen die Produkthaftungsrichtlinie verstoße; vgl. Klage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen das Königreich Dänemark, eingereicht am 30. August 2005, Rs. C-327/05, ABl. Nr. C 257 v. 15. 10. 2005, S. 7. 802 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 1. 803 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 1. 804 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 25. 805 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 1. 806 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 2 ProdHaftRiLi Rn. 5; Kulimann, Produkthaftungsgesetz, S. 123; Heck, Produkthaftung, S. 48. Siehe auch den Gesetzentwurf der Bundes-
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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der ist daher nicht als Hersteller seines Blutes anzusehen. Als Hersteller kommen allerdings diejenigen in Betracht, die wie Blutbanken, Kliniken oder Pharmaunternehmen dieses Blut weiterverarbeiten 807. Sie haften als Hersteller von Blutprodukten. Eine Klinik haftet auch als Hersteller von menschlichen Organen, die sie für eine Transplantation vorbereitet 808.
b) Dem Hersteller gleichgestellte Personen Die Produkthaftungsrichtlinie bestimmt neben dem tatsächlichen Hersteller auch Personen, die nach der Richtlinie als Hersteller gelten, zu weiteren Haftungssubjekten.
aa) Quasi-Hersteller Hersteller nach Art. 3 I ProdHaftRiLi ist auch derjenige, der sich als Hersteller ausgibt, indem er seinen Namen, seine Marke oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt (Quasi-Hersteller). Diese Vorschrift soll in erster Linie Händler erfassen, die Produkte von Unternehmen, die nicht nach außen in Erscheinung treten, herstellen lassen und unter ihrem eigenen Namen vertreiben 809. Der Schutz des Verbrauchers wäre unvollkommen, wenn der Händler den Geschädigten auf einen unbekannten und möglicherweise nicht haftungsfähigen Hersteller verweisen könnte810. (1) Erkennungszeichen Als Erkennungszeichen benennt die Produkthaftungsrichtlinie in Art. 3 I beispielhaft den Namen und das Warenzeichen. Als Name kommen sowohl die kaufmännische Firma wie auch der bürgerliche Name in Betracht 811. Der Begriff des Erkennungszeichens ist im Übrigen weit zu verstehen812. Wesentlich ist, dass es regierung, Entwurf eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG), BT-Drucks. 12/2447 S. 16. 807 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 2 ProdHaftRiLi Rn. 5; Heck Produkthaftung, S. 61. Siehe auch BT-Drucks. 12/2447 S. 16. 808 EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3595 ff.), Rn. 11 ff. 809 Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 15, Erl. Nr. 8 zu Art. 2; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 13. 810 Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 15, Erl. Nr. 8 zu Art. 2. 811 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 28. 812 Pott in Pott/Frieling, § 4 ProdHaftG Rn. 36. 13 Geiger
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
sich um ein unterscheidungskräftiges Kennzeichen handelt813, das auf die Person hinweist, die sich als Hersteller ausgibt814. (2) Anbringen des Erkennungszeichens Der Begriff des Anbringens eines Erkennungszeichens ist weit zu verstehen. Ein Erkennungszeichen ist nicht nur angebracht, wenn es am Produkt selbst fixiert ist. Es genügt, wenn sich nach der Verkehrsanschauung ein Zusammenhang zwischen dem Produkt und der Kennzeichnung ergibt, sodass die Kennzeichnung dem Produkt zugeordnet werden kann. Eine Zuordnung erfolgt nach der Verkehrsanschauung, wenn sich die Kennzeichnung auf der Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung bzw. dem Beipackzettel findet 815. Arzneimittel, die in Deutschland in den Verkehr gebracht werden, müssen gemäß § 9 I AMG den Namen oder die Firma desjenigen tragen, der sie in den Verkehr bringt 816 . Daher findet sich bei Arzneimitteln regelmäßig ein Erkennungszeichen im Sinne von Art. 312. Alt. ProdHaftRiLi. (3) Sich-Aus geben als Hersteller Die Bedeutung des Merkmals des Sich-Ausgebens als Hersteller wird nicht einheitlich beurteilt. (a) Meinungsstand Der Wortlaut des Art. 312. Alt. ProdHaftRiLi legt die Annahme nahe, die Einstandspflicht des Quasi-Herstellers werde nur begründet, wenn dieser erklärtermaßen nach außen als der eigentliche Hersteller in Erscheinung trete 817 . Eine solche Auslegung würde dem Begriff des Sich-Ausgebens eine eigenständige tatbestandliche Funktion zuweisen. Teilweise wird im Schrifttum verlangt, dass der Quasi-Hersteller bewusst und gewollt beim Erwerber den Eindruck erweckt, er sei der tatsächliche Hersteller 818. Eine Haftung als Quasi-Hersteller käme nur in Betracht, wenn durch die Ausstattung des Produkts mit dem Kennzeichen nach Lage der Dinge der Anschein erweckt werde, der Ausstatter sei der Hersteller 819. Da es für den Fehlerbegriff 813 Pott in Pott/Frieling, § 4 ProdHaftG Rn. 36. 814 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 15. 815 Siehe zum Ganzen Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 30. 816 Das Arzneimittelsicherheitsrecht würde auch dann gelten, wenn sich die Haftung nicht nach dem Arzneimittelgesetz richtete. 817 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 25. 818 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 14. 819 Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 137.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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gemäß Art. 6 lit. b ProdHaftRiLi auf die Darbietung des Produkts gegenüber dem Verkehr ankomme, sei es logisch, das Merkmal des Sich-Ausgebens auch anhand der Präsentation des Produkts gegenüber dem Markt zu beurteilen 820. Von der Gegenansicht wird demgegenüber eine tatbestandliche Funktion des Sich-Ausgebens 821
verneint
.
(b) Stellungnahme Gegen eine tatbestandliche Funktion des Sich-Ausgebens spricht der weitere Wortlaut des Art. 3 12. Alt. ProdHaftRiLi, wonach der Quasi-Hersteller sich als Hersteller ausgibt, indem er sein Kennzeichen auf dem Produkt anbringt. Dieses Anbringen soll folglich für ein Sich-Ausgeben als Hersteller genügen, soweit mit der Kennzeichnung ein Sich-als-Hersteller-Ausgeben erfolgt. Die Annahme einer tatbestandlichen Funktion des Sich-Ausgebens würde den Quasi-Hersteller-Begriff darüber hinaus einengen und damit dem Sinn und Zweck des Art. 3 ProdHaftRiLi, so viele Beteiligte am Produktionsprozess wie möglich einzubeziehen, widersprechen 822 . Auch wären die Versandhäuser, die im Verkehr nicht als Hersteller, sondern als Händler auftreten, jedoch Produkte herstellen lassen und unter ihrem Namen vertreiben, nicht von der Quasi-Hersteller-Haftung erfasst 823. Um die Einbeziehung dieser Gruppe von Händlern ging es dem Richtliniengeber aber ausdrücklich 824. Für die Annahme der Quasi-Herstellereigenschaft genügt daher die Ausstattung des Produkts mit einem Kennzeichen, soweit nicht zu erkennen gegeben wird, dass ein anderer Hersteller ist 825 . Es kommt daher auch nicht darauf an, ob der Produktverwender oder der Geschädigte auf die Herstellereigenschaft vertraut haben826. (4) Verhältnis zur Haftung des tatsächlichen Herstellers Die Haftung des Quasi-Herstellers besteht neben der Haftung des tatsächlichen Herstellers 827. Der Geschädigte muss auch nicht vergeblich versucht haben, die 820
Siehe zu diesem Argument Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 137. 821 Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 137; Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 25; Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (151 f.). 822
Siehe dazu den 4. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29. 823 Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 137. 824 Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 15, Erl. Nr. 8 zu Art. 2; Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 138. 82 5 Im Ergebnis ebenso Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 26; Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 138. 826 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 27; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 14. 827
13*
Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 17.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Identität des tatsächlichen Herstellers aufzudecken 828. Eine Formulierung wie diejenige in Art. 3 III ProdHaftRiLi, wonach eine Herstellerhaftung nur eintritt, wenn der tatsächliche Hersteller nicht festgestellt werden kann, enthält Art. 3 12. Alt. ProdHaftRiLi für den Quasi-Hersteller gerade nicht. (5) Quasi-Hersteller
von Arzneimitteln
Jedes in Deutschland in Verkehr gebrachte Arzneimittel verfügt über einen in Deutschland, einem anderen europäischen Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des europäischen Wirtschaftsraums ansässigen Quasi-Hersteller. Da jedes Arzneimittel den Namen oder die Firma des Unternehmens trägt, das es in den Verkehr bringt und sich dieses Unternehmen damit als Hersteller ausgibt, steht dem Geschädigten der pharmazeutische Unternehmer im Sinne der §§ 4 X V I I I 8 2 9 , 9 I AMG stets als Quasi-Hersteller zur Verfügung.
bb) Importeur Art. 3 II ProdHaftRiLi stellt dem Hersteller den Importeur gleich, der Produkte aus Drittstaaten in den Europäischen Wirtschaftsraum 830 einführt 831. Importeure, die Produkte innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums von einem Staat in einen anderen verbringen, unterliegen der Herstellerhaftung hingegen nicht 832 . Die Importeurhaftung soll nach der Zielsetzung des Richtliniengebers dem Verbraucherschutz dienen und verhindern, dass der Geschädigte seine Ansprüche vor Gerichten in Drittstatten, in denen der tatsächliche Hersteller seinen Sitz hat, geltend machen muss833. Innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ist die einheitliche 828
Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 14. § 4 X V m AMG lautet: „Pharmazeutischer Unternehmer ist, wer Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt." 830 Die Produkthaftungsrichtlinie sah 1985 als räumliche Bezugsgröße die Gemeinschaft vor. Die Rechtslage hat sich mit dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum v. 2. 5. 1992, ABl. Nr. L 1 v. 3. 1. 1994, S. 3, in Kraft getreten am 1. 1. 1994, geändert. Gemäß Anhang III des Abkommens wurde die Produkthaftungsrichtlinie wie folgt angepasst: ,,a) in bezug auf die in Artikel 3 Absatz 2 geregelte Haftung des Importeurs gilt folgendes: i) Unbeschadet der Haftung des Herstellers haftet jede Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in den EWR einfühlt, wie der Hersteller." Deutschland hat dies mit Art. 39 des EWR-Ausführungsgesetzes v. 27. 4. 1993 (BGBl. I S. 512) in § 4 II ProdHaftG umgesetzt. 831 Zum Internationalen Privatrecht der Importeurhaftung siehe Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 690 ff. 832 Vgl. statt vieler Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 223; Taschner in Taschner/ Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 20; Kulimann, Produkthaftungsgesetz, S. 138; Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 37; Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (152); Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 694. 829
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und wirksame Rechts Verfolgung durch die EG-Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) 834 und das Abkommen von Lugano835 gesichert. Der Schutz des Verbrauchers vor den Schwierigkeiten einer Rechtsverfolgung im Ausland ist allerdings nur die vordergründige Rechtfertigung der Importeurhaftung. Daneben verhindert die Importeurhaftung, dass der Importeur sich mit der Behauptung entlasten kann, das Produkt sei nicht für die Vermarktung im Europäischen Wirtschaftsraum, sondern für die Vermarktung in einem Drittstaat und im Einklang mit den dortigen Sicherheitsbestimmungen hergestellt worden 836. Der Importeur haftet somit für den Marktzutritt des Produkts. Durch die Regelung in Art. 3 II ProdHaftRiLi wird auch für einen Teil der Händler, nämlich solche, die ihre Produkte selbst aus Drittstaaten importieren, eine Herstellerhaftung begründet. (1) Anwendbarkeit auf Re-Importe Problematisch ist die Anwendbarkeit der Importeurhaftung auf Re-Importe, bei denen das Produkt im Europäischen Wirtschaftsraum hergestellt, anschließend in einen Drittstatt exportiert und schließlich wieder in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt wird. (a) Meinungsstand Re-Importe erfüllen den Wortlaut von Art. 3 I I ProdHaftRiLi, da das Produkt in den Europäischen Wirtschaftsraum verbracht wird. Allerdings wird teilweise be833 So jedenfalls die Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 15, Erl. Nr. 10 zu Art. 2. Auch der deutsche Gesetzgeber rekurriert bei seiner Gesetzesbegründung zum Produkthaftungsgesetz auf diesen Zweck der Importeurhaftung, vgl. BTDrucks. 11/2447 S. 20. 834 Vgl. die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 22. 12. 2001, ABl. Nr. L 12 v. 16. 1. 2001, S. 1; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, Nr. 160. Die Verordnung ist am 1. 3. 2002 in Kraft getreten. Im Verhältnis zu Dänemark gilt noch das Brüsseler EWG-Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27. 9. 1968 (BGBl. I I S. 774), idF des 4. Beitrittsübereinkommens v. 29. 11. 1996 (BGBl. 1998 I I S. 1412); abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht (10. Aufl.), Nr. 150. 835 Vgl. das Luganer Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16. 9. 1988 (BGBl. I I S. 2660); abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, Nr. 152. 836 Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 696.
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zweifelt, ob diese Konstellation vom Schutzzweck der Herstellerhaftung des Importeurs erfasst werde 837 . Der Importeur solle deswegen in Anspruch genommen werden können, weil im Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums kein dem Geschädigten zumutbarer Schuldner vorhanden sei 838 . Bei Re-Importen der beschriebenen Art habe der Hersteller seinen Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum, sodass der Geschädigte auf diesen zugreifen könne 839 . Es wird daher teilweise vertreten, der Importeur hafte bei Re-Importen nur unter den sich aus dem Schutzzweck von Art. 3 H ProdHaftRiLi ergebenden Einschränkungen als Hersteller. Zur Einschränkung der Haftung des Re-Importeurs werden verschiedene Kriterien vorgeschlagen. So soll eine Haftung des Importeurs bei Re-Importen zu bejahen sein, wenn eine Haftung des Herstellers nicht in Betracht komme, weil das Produkt den Sicherheitserwartungen im Importland entspreche, nicht aber denen im Re-Importland des Europäischen Wirtschaftsraums 840. Teilweise wird überlegt, ob der Importeur bei Re-Importen nur dann zur Haftung als Hersteller herangezogen werden könne, wenn der tatsächliche Hersteller infolge Insolvenz, aufgrund seiner Verteidigungsmöglichkeiten nach Art. 7 ProdHaftRiLi oder mangels Erkennbarkeit des Herstellers auf dem Produkt als Haftungssubjekt nicht zur Verfügung stehe841.
(b) Stellungnahme Die Einschränkungen der Haftung des Importeurs bei Re-Importen in den Europäischen Wirtschaftsraum sind abzulehnen. Sie finden weder einen Anhaltspunkt im Wortlaut von Art. 3 II ProdHaftRiLi noch sind sie mit der grundlegenden Wertung der Richtlinie, die den Herstellerbegriff zum Schutz des Verbrauchers weit fasst, vereinbar. Die vorgeschlagenen einzelfallbezogenen Kriterien sind schwer handhabbar und belasten den Geschädigten, da sie letztlich dazu führen, dass ein möglicher Anspruchsgegner entfällt. Dem Geschädigten ist es nicht zumutbar, die Importeure, Exporteure und Hersteller des Produkts zu ermitteln 842. Auch widerspräche das Kriterum der Erkennbarkeit und Verfügbarkeit des Herstellers als Voraussetzung der Haftung des Importeurs der im Richtlinienvorschlag ausdrücklich formulierten 837 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 55. 838 Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1 /76, S. 15, Erl. Nr. 10 zu Art. 2; Gesetzentwurf zum Produkthaftungsgesetz, BT-Drucks. 11/2447 S. 20. Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 695 f., geht davon aus, dass der Grund für die Haftung des Importeurs nicht die mangelnde Möglichkeit der Rechtsverfolgung, sondern die Gewährleistung eines Anspruchs gegen den Importeur sei, wenn das Produkt im Hinblick auf die (niedrigeren) Sicherheitsbestimmungen in einem Drittstaat produziert werde. 839 So die Argumentation von Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 55. 840 So Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 56. 841 Angedacht und abgelehnt von Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 212 f. Ablehnend Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 53. 842 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 53.
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Vorgabe, wonach es für die Haftung des Importeurs nicht darauf ankommen soll, ob der Hersteller bekannt ist und in Anspruch genommen werden kann 843 . Für die Re-Importe würde eine solche Voraussetzung auf Umwegen eingeführt werden. Die Re-Importeurhaftung verwirklicht aber vor allem den wesentlichen Schutzzweck der Importeurhaftung, indem sie verhindert, dass der Re-Importeur sich darauf berufen kann, er habe das Produkt für die Vermarktung in einem Drittstaat und entsprechend den dortigen Sicherheitsbestimmungen hergestellt844. Der ReImporteur haftete nämlich ansonsten nicht, obwohl er das Produkt hergestellt hat und dieses den Sicherheitserwartungen im europäischen Wirtschaftsraum, in den er es selbst verbracht hat, nicht entspricht. Durch die Haftung des Re-Importeurs wird somit auch eine Umgehung der Sicherheitsbestimmungen des Importlandes verhindert. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Importeur bei Re-Importen als Hersteller gemäß Art. 3 I I ProdHaftRiLi haftet 845. (2) Gewerblicher Zweck der Einfuhr Voraussetzung der Herstellerhaftung des Importeurs ist, dass er ein Produkt zum Zwecke des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder einer anderen Form des Vertriebs im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit in den Europäischen Wirtschaftsraum einführt. Der Importeur muss das Produkt für den kommerziellen Vertrieb einführen. Maßgeblich für die Zweckbestimmung ist der Zeitpunkt der Einfuhr 846 . Ein Vertrieb mit wirtschaftlichem Zweck liegt auch vor, wenn das Produkt im Rahmen der Geschäftstätigkeit des Importeurs entgeltfrei zu Werbezwecken weitergegeben wird 847 .
Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1 /76, S. 15, Erl. Nr. 10 zu Art. 2. 844 Zu diesem Schutzzweck der Importeurhaftung siehe Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 696. Die Sicherheitsbestimmungen des Drittstaates sind maßgeblich, da es aus kollisionsrechtlicher Sicht auf die Sicherheitsstandards am Vermarktungsort ankommt. Der Re-Importeur würde als Hersteller, der für den Vermarktungsort Drittstaat produziert, daher nicht haften, solange er die dortigen - in der Regel - niedrigeren Sicherheitsstandards einhält. Die Importeurhaftung ist damit Konsequenz der kollisionsrechtlichen Vorgaben für die Anknüpfung von Sicherheitsbestimmungen. 845 im Ergebnis ebenso Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (152); Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 22; Pott in Pott/ Frieling, § 4 ProdHaftG Rn. 49; Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 138; Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 695. Siehe auch den Gesetzentwurf zum Produkthaftungsgesetz, BT-Drucks. 11 /2447 S. 20. 846 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 19; Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 62; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 58. 847 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 59; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 57; a. A. Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 19.
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(3) Verhältnis zur Haftung des tatsächlichen Herstellers Die Haftung des Importeurs ist nicht von der Haftung des Herstellers abgeleitet und somit von dieser unabhängig848. Der Importeur haftet daher auch, wenn der Hersteller sich auf einen Haftungsausschlussgrund berufen kann 849 . Er muss sich vielmehr selbst auf Art. 7 ProdHaftRiLi berufen können, um nicht zu haften 850. Zudem schließt die Haftung des Importeurs nicht die Haftung des tatsächlichen Herstellers aus und umgekehrt 851. cc) Lieferant Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz, dass die Beteiligten am Vertrieb nach der Produkthaftungsrichtlinie nicht haften, statuiert Art. 3 m ProdHaftRiLi 852. Danach wird jeder Lieferant als Hersteller eines Produkts behandelt, wenn der Hersteller nicht festgestellt werden kann. Im Rahmen dieser Regelung kann sich jeder Lieferant von seiner Haftung befreien, indem er seinen Vorlieferanten oder den Hersteller benennt853. Die Lieferantenhaftung ist eine Auffanghaftung, die ersatzweise eintritt, wenn der Geschädigte den Hersteller mangels Feststellbarkeit nicht belangen kann 854 . Primärer Zweck dieser Regelung ist es nicht, den Kreis der Haftenden zu vergrößern. Sie soll vielmehr Druck auf den Lieferanten ausüben, den Hersteller oder seinen Lieferanten zu benennen, da dieser die Vertriebskette und somit in der Regel auch den Hersteller kennt 855 . In erster Linie geht es bei Art. 3 III ProdHaftRiLi um die Ermittlung des Herstellers. Außerdem dient die Regelung dazu, sicherzustellen, dass der Geschädigte in jedem Fall einen Schuldner hat, wenn sich der Hersteller nicht feststellen lässt856. Es soll verhindert werden, dass der Geschädigte aufgrund der Unkenntnis der an der Vertriebskette Beteiligten seine Ansprüche nicht durchsetzen kann. Den Mitgliedstaaten ist es nicht erlaubt, die Lieferanten von Produkten abweichend von Art. 3 m ProdHaftRiLi grundsätzlich wie den Hersteller haften zu lassen857. 848 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 63a. 849 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 63a; Kulimann, Produkthaftungsgesetz, S. 142. 850 Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 220; Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 142. 851 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 22. 852 Zum Ausnahmecharakter der Lieferantenhaftung vgl. Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 269. 853 Zur Einordnung als Haftungsbefreiung vgl. Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch n, § 75 Rn. 78. 854 Pott in Pott/Frieling, § 4 ProdHaftG Rn. 62. 855 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 68. 856 Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 66. 857 Vgl. hierzu das Urteil des EuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-52/00, Kommission/Französische Republik, Slg. 2002, S. 1-3827 (3872 f.), Rn. 36 ff.; siehe auch Rs. C-327/05, ABl. Nr. C 257 v. 15. 10. 2005, S. 7.
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(1) Lieferantenbegriff Der Lieferantenhaftung unterworfen ist der „Lieferant". Die Richtlinie verwendet bewusst nicht den Begriff „Veräußerer" oder „Händler" 858. Der Lieferantenbegriff ist weit zu verstehen und erfasst jeden, der das Produkt gegenüber dem Verbraucher in den Verkehr gebracht hat 859 . Damit sind alle Formen des Vertriebs gemeint 860 . Für den Arzneimittelbereich bedeutet dies, dass der Apotheker ebenso wie der Arzt oder die Klinik als Lieferant in Betracht kommen, soweit das Arzneimittel an den Patienten abgegeben wird. (2) Nichtfeststellbarkeit Voraussetzung der Haftung des Lieferanten ist, dass der Hersteller nicht festgestellt werden kann. Art. 3 III ProdHaftRiLi benennt keine ausdrücklichen Kriterien für die Nichtfeststellbarkeit. Insbesondere trifft die Richtlinie keine unmittelbare Aussage darüber, worauf sich die Nichtfeststellbarkeit beziehen muss und aus welchem Grund der Hersteller dem Geschädigten unbekannt ist. (a) Voraussetzungen der Nichtfeststellbarkeit Die Maßgaben zur Bestimmung der Voraussetzungen der Nichtfeststellbarkeit ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 3 III ProdHaftRiLi und dem Schutzzweck der Norm. Nach Art. 2 des Richtlinienvorschlages für eine europäische Produkthaftung von 1976 sollte der Lieferant als Hersteller behandelt werden, wenn der Hersteller der Sache nicht festgestellt werden kann „es sei denn, daß er [der Lieferant] dem Geschädigten alsbald die Identität des Herstellers bekanntgibt"861. Der Wortlaut des Art. 3 III der Produkthaftungsrichtlinie von 1985 weicht hiervon ab und sieht die Entlastung des Lieferanten vor, wenn dieser „dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller... benennt"862. In der gültigen Fassung der Richtlinie von 1985 wird der Begriff der Identität zwar nicht ausdrücklich verwendet, die Formulierung ist aber auf die Offenlegung der Identität des Herstellers gerichtet. Wenn der Lieferant den Hersteller benennen soll, muss er Auskunft über die Iden«58 Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 280; Kulimann in Kullmann / Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3605 S. 24. 859 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 70; Schmidt-Salzer, Art. 3 ProdHaftRiLi Rn. 282; Rolland, § 4 ProdHaftG Rn. 67. 860 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 75 Rn. 70. 861 Vgl. den Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte v. 9. 9. 1976, ABl. Nr. C v. 14. 10. 1976, S. 9 (11); auch abgedruckt im Bull. EG, Beilage 1 /76, S. 6 (9 f.). 862 ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29 (30).
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tität des Herstellers geben. Diese Auskunftspflicht tritt ein, wenn der Hersteller nicht festgestellt werden kann 863 . Da der Auskunftsanspruch auf die Identität gerichtet ist, muss sich auch die Nichtfeststellbarkeit auf die Identität des Herstellers beziehen. Gegenstand der Nichtfeststellbarkeit nach Art. 3 III ProdHaftRiLi ist die Identität des Herstellers 864. Die Frage nach dem maßgeblichen Grund für die Nichtfeststellbarkeit ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Da Art. 2 des Richtlinienvorschlages von 1976 und Art. 3 III ProdHaftRiLi trotz unterschiedlicher Formulierungen die gleiche Regelung enthalten, kann zur Bestimmung des Regelungszwecks des Art. 3 III ProdHaftRiLi auf die Erläuterungen zum Richtlinienentwurf von 1976 zurückgegriffen werden. Dort wird als Zweck der Lieferantenhaftung angegeben, der Verbraucher solle vor anonymen Produkten geschützt werden 865. Anonym wird ein Produkt verkauft, wenn der Hersteller nicht aus den Angaben identifiziert werden kann, die das Produkt begleiten866. Als Grund für die Nichtfeststellbarkeit sah der Richtlinienvorschlag folglich vor, dass das Produkt anonym, also ohne Angabe des Herstellers, verkauft wird 867 . Der Anwendungsbereich der Haftung des Lieferanten wird durch diese Erläuterungen klar vorgegeben. Die Nichtfeststellbarkeit muss darauf beruhen, dass ein anonymisiertes Produkt den Hersteller nicht oder nicht eindeutig erkennen lässt868. Ist die Nichtfeststellbarkeit des Herstellers hingegen Folge der Zerstörung des Produkts oder seiner Verpackung, ist dies vom Regelungszweck des Art. 3 III ProdHaftRiLi nicht erfasst 869. Der Lieferant haftet auch dann nicht, wenn der Geschädigte die ihm gegebene Information zur Identität des Hersteller verliert, selbst wenn der Lieferant zur Benennung des Herstellers ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten in der Lage wäre 870 . Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht muss der Geschädigte keinerlei auch nicht zumutbare - Bemühungen unternehmen, um den Hersteller zu ermitteln 871 . Der Geschädigte muss daher auch keine Erkundigungen über den Hersteller einholen872. 863
Zur Qualifikation als Auskunftspflicht siehe Michlitz in Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 1045. 564 Siehe auch den Gesetzentwurf zum ProdHaftG, BT-Drucks. 11/2447 S. 20. 565 Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 15, Erl. Nr. 9 zu Art. 2. 8 009 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143. loio Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 101. Ion Borer, Der Fehlerbegriff, S. 269; Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), DB 1985, S. 2389 (2393); Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch n, § 74 Rn. 22; Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 7, führt den Stand von Wissenschaft und Technik zwar nicht ausdrücklich als zu berücksichtigenden Umstand auf, geht aber in seinen Ausführungen davon aus, dass die Sicherheitserwartungen maßgeblich dem Stand der Technik folgen; a.A. Brüggemeier/Reich, Die EG-Prodükthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (150); Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 19. 1012 Siehe dazu Borer, Der Fehlerbegriff, S. 269. 1013 Borer, Der Fehlerbegriff, S. 270. 1014 Zur Konzeption der europäischen Produkthaftung als verschuldensunabhängige Haftung vgl. den 2. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29.
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Produkt dem Stand der Wissenschaft und Technik, führt dies aber nicht automatisch zu Fehlerfreiheit 1016. (c) Bedeutung des Standes der Wissenschaft und Technik bei den einzelnen Fehlertypen Auch bei einer Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik haftet der Hersteller grundsätzlich unabhängig von der Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten 1017. Dies zeigt auch die Untersuchung seines Einflusses auf die Fehlerhaftigkeit des Produkts innerhalb der einzelnen Fehlertypen. Im Hinblick auf Herstellungsfehler kann sich der Hersteller gerade im Bereich der verschuldensunabhängigen Haftung für Ausreißer nicht darauf berufen, er habe alle Vorkehrungen getroffen, um sein Produkt sicher zu machen 1018 . Das Ausreißerprodukt weicht von der für dieses Produkt festgelegten Sollbeschaffenheit und damit auch vom Stand der Wissenschaft und Technik ab. Hier hat der Hersteller zwar alle Sorgfaltspflichten erfüllt, dennoch entspricht sein Produkt nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. In diesem Zusammenhang bildet dieser somit einen Standard, den der Hersteller auch bei Wahrnehmung seiner Sorgfaltspflichten nicht erfüllen konnte. Die Haftung ist trotz der Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik im Bereich des Herstellungsfehlers verschuldensunabhängig. Beim Instruktionsfehler kann der durchschnittliche Verbraucher nach der Produkthaftungsrichtlinie nur solche Angaben vom Hersteller erwarten, die ihm bekannt sind oder zumindest bekannt sein müssten. Der beim Hersteller vorauszusetzende Kenntnisstand wird auch durch den Stand von Wissenschaft und Technik festgelegt. Der Haftung für Instruktionsfehler liegt daher eine Konzeption zugrunde, die an die Verletzung von Instruktionspflichten anknüpft. Es ist allerdings auch nicht Ziel der Produkthaftungsrichtlinie, eine verschuldensunabhängige Haftung für Instruktionsfehler einzuführen. Im Bereich der Erweckung von Sicherheitserwartungen durch die Produktdarbietung bildet hingegen die Darbietung den Maßstab, an dem sich der Hersteller messen lassen muss, ohne dass es auf den Stand von Wissenschaft und Technik ankäme. Problematischer ist die Einordnung des Standes von Wissenschaft und Technik in den Bereich der Haftung aufgrund eines Konstruktionsfehlers. Fraglich ist, ob der durchschnittliche Verbraucher im Hinblick auf die Konstruktion nur so viel Sicherheit von einem Produkt erwarten darf, wie nach dem jeweiligen Stand von 1015 Bodewig , Der Rückruf fehlerhafter Produkte, S. 108 Fn. 41; ähnlich Kort, „Stand der Wissenschaft und Technik", VersR 1989, S. 1113 (1114). 1016 Lorenz, Europäische Rechtsangleichung, ZHR 151 (1987), S. 1 (13). Jon Siehe auch Borer, Der Fehlerbegriff, S. 270. ioi8 Micklitz in Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 1054.
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Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens erwartet werden konnte. Dies würde bedeuten, dass der Hersteller nicht haftete, wenn die Konstruktion seines Produkts dem Stand der Wissenschaft und Technik zu diesem Zeitpunkt entsprach. Dies ist zu bejahen und ergibt sich aus der Systematik der Produkthaftungsrichtlinie 1019. Die Richtlinie stellt für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit nämlich maßgeblich auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens ab. Bereits dies weist darauf hin, dass nur die Sicherheit erwartet werden kann, die man zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens erwarten konnte. Eine Erwartungshaltung kann nämlich lediglich im Hinblick auf eine vorhandene und nicht auf eine erst in der Zukunft herstellbare Sicherheit bestehen. Noch gewichtiger ist allerdings, dass die Richtlinie in Art. 6 II ProdHaftRiLi ausdrücklich bestimmt, dass ein Produkt nicht deshalb als fehlerhaft angesehen werden kann, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde. Art. 6 II ProdHaftRiLi regelt die Beurteilung der Konstruktion eines Produkts, das bei Inverkehrbringen nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik „fehlerfrei" war und die Konstruktion dieses Produkts später, also nach dem Inverkehrbringen, verbessert wurde 1020 . Art. 6 II ProdHaftRiLi zwingt daher zu dem Schluss, dass es für die Fehlerhaftigkeit auf den Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommt.
(d) Stand der Wissenschaft und Technik bei Arzneimitteln Die Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft und Technik ist besonders bedeutsam bei der Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von Arzneimitteln. Wie bereits ausgeführt wurde 1021 , handelt es sich bei Arzneimitteln um unvermeidbar unsichere Produkte, deren Schädlichkeit soweit in Kauf genommen wird, wie diese in einem angemessenen Verhältnis zum therapeutischen Nutzen des Arzneimittels steht. Für die Ermittlung des Nutzens und der Schädlichkeit des Arzneimittels müssen die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und der Pharmazie ebenso herangezogen werden wie die anderer relevanter Wissenschaften. Gab es zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens ein nach dem Stand der Wissenschaft weniger schädliches pharmazeutisches Produkt, fällt seine Risiko-Nutzen-Bilanz negativ aus. Gegenstand der Prüfung der Fehlerhaftigkeit ist somit auch, ob dem Arzneimittelanwender die eingetretenen Schäden nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zumutbar waren. Der Stand der medizinischen Wissenschaft erfüllt hier die Funktion eines Umstandes, welcher der Beurteilung des Nutzens und der Schädlichkeit des Arzneimittels dient. Er stellt aber keinen selbständigen Haftungsmaßstab dar, da diese Funktion nach der Produkthaftungsrichtlinie dem Begriff der berechtigten Sicherheitserwartungen zugewiesen ist.
1019 Anders Lorenz, Europäische Rechtsangleichung, ZHR 151 (1987), S. 1 (13). 1020 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 32. 1021 Vgl. dazu oben § 1, § 2 A. H. 1. d).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
(3) Bedeutung technischer Sicherheitsvorschriften
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und Regelwerke
Vom Stand der Wissenschaft und Technik zu unterscheiden sind technische Sicherheitsvorschriften und Regelwerke 1022. Während der Stand der Wissenschaft und Technik sich ständig weiterentwickelt und die neuesten Erkenntnisse repräsentiert, bleiben Sicherheitsvorschriften, soweit sie nicht auf den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik verweisen, schon aufgrund des mit ihrem Erlass verbundenen langwierigen Verfahrens und ihres minimalistischen Ansatzes im Allgemeinen hinter dem Stand der Wissenschaft und Technik zurück 1023 . Staatliche Sicherheitsvorschriften definieren in allgemeiner Form gewisse Sicherheitsstandards, ohne jedoch eine bestimmte Herstellung des Produkts vorzuschreiben 1024. Auch private technische Regelwerke wie DIN- und VDE-Normen geben zwar technische Standards vor. Diese dienen aber vorrangig der Vereinfachung und Rationalisierung der Produktion und nicht der Erhöhung der Produktsicherheit 1025. Unklar ist die Bedeutung von staatlichen und europäischen technischen Sicherheitsvorschriften sowie privaten technischen Regelwerken für die Berechtigung von Sicherheitserwartungen 1026. Denkbar wäre, dass der durchschnittliche Verbraucher nicht mehr Sicherheit erwarten kann, wie durch staatliche und berufsständische Bestimmungen vorgeschrieben wird 1 0 2 7 . Demnach wäre eine Haftung ausgeschlossen, wenn der Hersteller die staatlichen Sicherheitsvorschriften eingehalten und die privaten technischen Normen befolgt hat. Gegen diese Ansicht spricht aber bereits die Systematik der Produkthaftungsrichtlinie. In Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi ist die Beurteilung von Sicherheitsnormen ausdrücklich und abschließend geregelt. Nach dieser Vorschrift stellt lediglich die Übereinstimmung mit verbindlichen, hoheitlich erlassenen Normen einen Haftungsausschlussgrund dar. Auf die Befolgung privater Sicherheitsnormen kann es daher nicht ankommen1028, denn private Normen sind weder staatlich noch zwingend 1029 .
1022 Siehe auch Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 74 Rn. 23; unklar insoweit Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 19, der technische Sicherheitsvorschriften und Regelwerke mit dem Stand der Wissenschaft und Technik gleichsetzt. lon Ähnlich Kort, „Stand der Wissenschaft und Technik", VersR 1989, S. 1113 (1115). low Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 41. 1025 Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 42; ähnlich Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 645. 1026 Borer, Der Fehlerbegriff, S. 272. 1027 Der deutsche Gesetzgeber geht in seiner Begründung zu § 3 I I ProdHaftG, BT-Drucks. 11/2447 S. 19, davon aus, dass bei Einhaltung solcher Normen der Anschein dafür spreche, dass das Produkt den berechtigten Sicherheitserwartungen entspreche. Es handele sich allerdings um eine Einzelfallentscheidung.
iom Ebenso MüKo-Cahn, § 3 ProdHaftG Rn. 24 (3. Aufl.); Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 42. 1029 Zum fehlenden zwingenden Charakter von DIN-Normen vgl. BGH, 17. 1. 1984, VersR 1984, S. 270.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Auch die bloße Einhaltung öffentlichrechtlicher Sicherheitsvorschriften schließt die Beurteilung des Produkts als fehlerhaft nicht aus 1030 . Der Begriff der Übereinstimmung in Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi ist nach einhelliger Auffassung nämlich so eng zu verstehen, dass er nur die Herstellung nach einer durch zwingende Vorschriften festgelegten Produktionsweise erfasst 1031. Einfache öffentlichrechtliche Sicherheitsvorschriften begründen aber regelmäßig keine Verpflichtung zu einer bestimmten Produktionsweise1032. Zudem legen öffentlichrechtliche Sicherheitsvorschriften lediglich Mindeststandards fest 1033 , die der Hersteller überschreiten kann, darf und soll. Dieser Mindeststandard an Sicherheit entspricht nicht notwendigerweise den Sicherheitserwartungen des idealtypischen Verbrauchers 1034. Auch im europäischen Produkthaftungsrecht gilt der Grundsatz, dass es für die zivilrechtliche Haftung nicht auf die Einhaltung öffentlichrechtlicher Vorschriften ankommt 1035 . Die Geltung dieses Grundsatzes hat der Richtliniengeber für das europäische Produkthaftungsrecht später in der Produktsicherheitsrichtlinie bestätigt, indem er die Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie ausdrücklich als nicht ausgeschlossen ansieht1036, auch wenn das schädigende Produkt nach der Produktsicherheitsrichtlinie als sicher gilt 1 0 3 7 .
1030 Ebenso MüKo-Cahn, § 3 ProdHaftG Rn. 24 (3. Aufl.); Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 41. 1031 Vgl. beispielsweise Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 26; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 129; Michlitz in Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 1056. 1032 Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 641 ff. 1033 Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 642; Huth, Die Bedeutung technischer Normen, S. 125. 1034 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 74 Rn. 23; ähnlich Rolland, § 3 ProdHaftG Rn.41. 1035 Zu diesem Grundsatz bei § 823 BGB siehe BGH, 7. 10. 1986, VersR 1987, S. 102 ff. (Verzinkungsspray-Fall); BGH, 26. 5. 1998, BGHZ 139, S. 43 (46 f.) („Tolle Biene"); BGH, 26. 5. 1998, BGHZ 139, S. 79 (83) („Feuer-Wirbel"); OLG Köln, 7. 9. 2005, NJW 2005, S. 3292 (3293). 1036 Siehe den 21. Erwägungsgrund sowie Art. 13 der Produktsicherheitsrichtlinie. Vgl. die Richtlinie 92/59/EWG des Rates v. 29. 6. 1992, ABl. Nr. L 228 v. 11. 8. 1992, S. 24. Auch die neue Produktsicherheitsrichtlinie hält an diesem Grundsatz fest. Vgl. den 36. Erwägungsgrund und Art. 17 der Richtlinie 2001 /95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 3. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. Nr. L 11 v. 15. 1. 2002, S. 4. Allerdings soll gemäß Art. 3 I I ProdSRiLi eine beweisrechtliche Privilegierung bei Einhaltung der harmonisierten technischen Normen gelten. Siehe dazu Klindt, Der „new approach" im Produktrecht, EuZW 2002, S. 133 (136). Zum Einfluss des § 6 ProdSG auf den Fehlerbegriff des § 3 ProdHaftG vgl. König, Produktsicherheitsgesetz, S. 156 ff. 1037 Der Maßstab der Sicherheit ergibt sich aus Art. 4 ProdSRiLi und bezieht sich im Wesentlichen auf die Konformität des Produkts mit staatlichen Rechtsvorschriften über die Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen an Produkte und hilfsweise auf die Konformität des Produkts mit unverbindlichen Sicherheitsnormen, den Stand der Wissenschaft und Technik sowie die Sicherheit, welche die Verbraucher billigerweise erwarten dürfen.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
233
Während die Einhaltung der beschriebenen Sicherheitsvorschriften der Fehlerhaftigkeit eines Produkts nicht entgegensteht, führt umgekehrt die Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften zur widerlegbaren Vermutung, dass das Produkt fehlerhaft war 1 0 3 8 . Für das Arzneimittelsicherheitsrecht bedeutet die Unbeachtlichkeit der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften im Ergebnis, dass die Einhaltung der Vorschriften über die Zulassung von Arzneimitteln wie auch die Zulassung des Arzneimittels selbst die Fehlerhaftigkeit des Arzneimittels und somit die Haftung des Herstellers nicht ausschließen1039.
c) Inverkehrbringen eines verbesserten Produkts Art. 6 II ProdHaftRiLi bestimmt, dass ein Produkt nicht deshalb als fehlerhaft angesehen werden kann, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Ausformung des bereits in Art. 6 I lit. c ProdHaftRiLi festgelegten Grundgedankens, dass es für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommt1040. Eine sicherheitsrelevante Verbesserung des Produkts kann vor allem durch eine Veränderung seiner technischen Konzeption und somit seiner Konstruktion eintreten. Art. 6 I I ProdHaftRiLi trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass durch den Fortschritt von Wissenschaft und Technik Produkte entwickelt werden, die weniger geeignet sind, den Anwender zu schädigen. Möglich ist auch eine Verbesserung der Produktinformation aufgrund neuer Erkenntnisse über Gefahren des Produktfehlgebrauchs 1041. 1038 MÜKo-Cahn, § 3 ProdHaftG Rn. 25 (3. Aufl.); Kort, „Stand der Wissenschaft und Technik", VersR 1989, S. 1113 (1115). Ähnlich Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 647. Teilweise wird von mehr als einer widerlegbaren Vermutung ausgegangen und der Schluss von der Nichteinhaltung auf die Fehlerhaftigkeit als beinahe zwingend angesehen; Frietsch in Taschner/Frietsch, § 3 ProdHaftG Rn. 17; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 74 Rn. 24. 1039 So im Ergebnis auch Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 74 Rn. 23, ausdrücklich für das Verhältnis von § 25 AMG zum Produktfehlerbegriff. 1040 Ähnlich Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 45. 1041
Den Anwendungsbereich von Art. 6 I I ProdHaftRiLi auf Konstruktionsfehler einschränkend Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 32; Kulimann , Produkthaftungsgesetz, S. 120; anders Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 46, der Verbesserungen auch bei der Produktion und der Instruktion für möglich hält und diese in den Anwendungsbereich von Art. 6 I I ProdHaftRiLi einbezieht; so wohl auch Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 74 Rn. 65. Siehe als Beispiel für eine Verbesserung der Instruktion OLG Karlsruhe, 29. 3. 2001, MDR 2001, S. 751 (752) („Schnüffeln"). Dort hatte der Hersteller nach dem Tode eines Jungen infolge des Schnüffeins von Gas aus Feuerzeuggasnachfüllflaschen einen Warnhinweis mit dem Text „Darf nicht eingeatmet werden" angebracht. Das
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Existiert im Zeitpunkt des Inverkehrbringens ein weniger gefährliches Produkt, spricht dies dafür, dass aufgrund des Standes von Wissenschaft und Technik berechtigterweise ein solcher Grad an Sicherheit erwartet werden kann, die dem weniger schädlichen Produkt entspricht. Existiert im Zeitpunkt des Inverkehrbringens kein weniger gefährliches Produkt, ist das schädigende Produkt insoweit als fehlerfrei zu beurteilen 1042. Dieses fehlerfreie Produkt wird nach Art. 6 II ProdHaftRiLi nicht dadurch fehlerhaft, dass später ein weniger schädliches Produkt herstellbar ist. Die Bedeutung von Art. 6 I I ProdHaftRiLi liegt darin, dass nicht allein das Inverkehrbringen des verbesserten Produkts die Bewertung des bei Inverkehrgabe fehlerfreien Produkts beeinflussen darf. Der Richter darf sich deshalb nicht darauf beschränken, das alte und das neue Produkt zu vergleichen und hieraus auf die Fehlerhaftigkeit des älteren Produkts zu schließen1043. Er darf jedoch feststellen, dass das schädigende Produkt nach den Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Verbrauchers bereits zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens fehlerhaft war 1 0 4 4 . Die Abgrenzung mag im Einzelfall schwierig sein 1045 , da schon die Existenz eines - wenn auch erst nach Inverkehrbringen - verbessert entwickelten Produkts die Frage aufwirft, ob das Produkt nicht vorher schon so hätte konstruiert werden können. Entscheidend ist hier, dass die Erkenntnis über die Fehlerhaftigkeit des älteren Produkts unabhängig von der Kenntnis über die spätere Verbesserungsmöglichkeit gewonnen wird 1 0 4 6 . Eine spätere Produktverbesserung gibt letztlich dann einen Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit des Produkts, wenn diese Produktverbesserung dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens entspricht. Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass den Hersteller bei Entwicklung sicherheitsmäßig verbesserter Produkte nach der Produkthaftungsrichtlinie keine Rückrufpflicht für Produkte trifft, die er bereits in Verkehr gebracht hat. Der Hersteller kann jedoch die Pflicht haben, seine älteren Produkte zukünftig nicht mehr in den Gericht sah die Verbesserung der Instruktion auf der Haftungsgrundlage des § 823 BGB nicht als Umstand an, der eine Instruktionsfehlerhaftung begründet. 1042 Das Produkt kann selbstverständlich auch fehlerhaft sein, wenn kein weniger schädliches Produkt existiert. Art. 6 I I ProdHaftRiLi erlangt allerdings nur unter der hier angestellten Prämisse Bedeutung, da diese Vorschrift die Berücksichtigung von weniger schädlichen Alternativprodukten regelt. 1043 So die Materialien zu § 3 I I ProdHaftG, der deutschen Umsetzung von Art. 6 I I ProdHaftRiLi; vgl. BT-Drucks. 11/2774 S. 19. Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), DB 1985, S. 2389 (2393), spricht von einer „Ablehnung der Beweiskraft von nachträglichen Produktverbesserungen". Auch Schmidt-Salzer, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 267, ordnet Art. 6 II ProdHaftRiLi als Beweiswürdigungsvorschrift ein; ebenso Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch n, § 74 Rn. 66. 1044 BT-Drucks. 11/2447 S. 19; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 33. 1045 Ähnlich Schmidt-Salzer, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 269. 1046 Rolland, § 3 ProdHaftG Rn. 46.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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Verkehr zu bringen. Außerdem muss er bei fortschreitendem Stand der Wissenschaft und Technik, der durch Produktverbesserungen anderer Hersteller dokumentiert wird, seine eigenen Produkte verbessern 1047. Die Frage der Berücksichtigung verbesserter Produkte ist von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit von Arzneimitteln. Dieser Produkttyp unterliegt der kontinuierlichen Forschung und wird im Hinblick auf Schädlichkeit und Nutzen ständig weiterentwickelt. Hierdurch verbesserte Produkte mit höherem therapeutischem Nutzen oder unschädlicherer Wirkungsweise beeinflussen das Urteil über die Vertretbarkeit eintretender Schäden, da eine unschädlichere alternative Behandlungsmethode zur medizinischen Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels führen kann. Der eintretende Schaden ist dann nämlich als vermeidbar und nicht zumutbar einzustufen. Die Regelung in Art. 6 II ProdHaftRiLi hat im Ergebnis gerade bei Arzneimitteln eine haftungsbegrenzende Funktion, die sich nur mit der gängigen Begründung, wonach das Produkthaftungsrecht nicht der Weiterentwicklung der Sicherheit von Produkten entgegenstehen soll, rechtfertigen lässt 1048 .
3. Rechtsgutverletzung
und Schaden
Art. 1 ProdHaftRiLi setzt voraus, dass der Produktfehler zu einem Schaden geführt hat. Von Rechtsgutverletzung spricht diese Vorschrift nicht. Die Voraussetzung einer Rechtsgutverletzung ergibt sich aus Art. 9 ProdHaftRiLi, der den Schaden als durch Tod, Körperverletzung oder Sachbeschädigung verursacht beschreibt. Im Hinblick auf die Tötung oder Körperverletzung enthält Art. 9 S. 1 lit. a ProdHaftRiLi keinerlei Beschränkung. Erfasst wird damit jede Tötung oder Körperverletzung, unabhängig davon, ob sie unmittelbar beim Produktbenutzer oder bei einer anderen Person eingetreten ist 1 0 4 9 . Eine Verletzung liegt daher auch vor, wenn ein Kind vor seiner Geburt geschädigt wird 1 0 5 0 . Die Herbeiführung einer Schwangerschaft gegen den Willen der Frau stellt gleichfalls eine Körperverletzung dar 1 0 5 1 . Wird ein Patient durch ein Blutprodukt mit HIV infiziert, tritt die Gesundheitsverletzung bereits mit der Infektion und nicht erst mit dem Ausbruch der AIDS-Erkrankung ein, weil bereits die Infektion eine Störung des körperlichen Zustands bewirkt 1052 . 1047 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 74 Rn. 61. 1048 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 8. Dieses Argument bildet auch den historischen Hintergrund für die Regelung in Art. 6 II ProdHaftRiLi; vgl. Frietsch in Taschner/Frietsch, § 3 ProdHaftG Rn. 63. 1049 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 7. 1050 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 32. 1051 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 25.
236
1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Nach Art. 9 S. 1 lit. b ProdHaftRiLi erfasst der Begriff des Schadens auch die Beschädigung oder die Zerstörung von Sachen. Allerdings beschränkt diese Vorschrift die geschützten Rechtsgüter in zweierlei Hinsicht. Zunächst wird nur die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts erfasst. Außerdem muss die beschädigte Sache von einer Art sein, wie sie gewöhnlich für den privaten Ge- und Verbrauch bestimmt ist und sie muss von dem Geschädigten auch hauptsächlich zu einem solchen Zweck verwendet worden sein. Die Produkthaftungsrichtlinie bezieht somit nur bestimmte Sachen in ihren Schutzbereich ein und beschränkt so ihr Haftungsregime bereits auf der Rechtsgutebene. Die Beschränkung auf Sachen, die außerhalb des fehlerhaften Produkts liegen und die zum privaten Gebrauch bestimmt sind, führt im Ergebnis zu - gewollten - Haftungslücken in der europäischen Produkthaftung. Die Rechtsgutverletzung (Tötung, Körperverletzung oder Sachbeschädigung) muss zu einer Vermögenseinbuße beim Geschädigten führen. 4. Kausalität Art. 1 ProdHaftRiLi bestimmt, dass der Schaden durch den Produktfehler verursacht worden sein muss. In Verbindung mit Art. 9 ProdHaftRiLi bedingt dies zwei Ursachenzusammenhänge: Der Produktfehler muss kausal für die Rechtsgutverletzung und die Rechtsgutverletzung muss kausal für den Schaden gewesen sein.
a) Ursachenzusammenhang zwischen Produktfehler und Rechtsgutverletzung aa) Äquivalente Kausalität Der Ursachenzusammenhang zwischen Produktfehler und Rechtsgutverletzung ist gegeben, wenn die Verletzung ohne die Fehlerhaftigkeit des Produkts nicht eingetreten wäre. Ursächlich für die Rechtsgutverletzung sind auch unbekannte Wechselwirkungen, die ein Arzneimittel in Zusammenhang mit einem anderen Arzneimittel, Lebensmittel oder Alkohol entfaltet. Bei Arzneimitteln mit Wechselwirkungen wäre ohne die Anwendung des Arzneimittels keine Rechtsgutverletzung eingetreten. Der Hersteller kann sich nicht darauf berufen, dass diese Verletzung zugleich durch die Wirkung des anderen an der Wechselwirkung beteiligten Produkts verursacht worden sei. Art. 8 I ProdHaftRiLi bestimmt nämlich ausdrücklich, dass die Haftung des Herstellers nicht gemindert wird, wenn der Schaden durch den 1052 BGH, 30. 4. 1991, BGHZ 114, S. 284; BGH, 14. 6. 2005, NJW 2005, S. 2614 (2615).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
237
Fehler des Produkts und zugleich durch die Handlung eines Dritten verursacht worden ist.
bb) Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs Kein Element des Ursachenzusammenhangs ist - wie bei anderen verschuldensunabhängigen Haftungsregimen auch - die Adäquanz des eingetretenen Erfolges 1053 . Es kommt daher nicht darauf an, ob die Rechtsgutverletzung adäquate Folge des Produktfehlers ist und ob sie vorhersehbar war 1 0 5 4 . Das Kriterium der Vorhersehbarkeit hat der Richtliniengeber mit Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi nämlich auf die Erkennbarkeit der Fehlerhaftigkeit des Produkts beschränkt 1055. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Verletzung die spezifische Auswirkung der Gefahr ist, wegen der nach dem Sinn und Zweck der Haftungsnorm ein Anspruch gewährt wird 1 0 5 6 . Anders als bei anderen Gefährdungshaftungstatbeständen kommt es bei der Produkthaftungsrichtlinie allerdings nicht auf die Verwirklichung der allgemeinen (Produkt-)Gefahr an 1 0 5 7 . Diese Gefahr entsteht durch die industrielle Massenproduktion von Produkten 1058. Eine Verwirklichung der Produktgefahr könnte somit nur vorliegen, wenn das Produkt einer industriellen Herstellung entstammte. Wie bereits ausgeführt wurde, stellt die industrielle Fertigung nach dem Willen des Richtliniengebers keine Haftungsvoraussetzung dar 1 0 5 9 . Der Ursachenzusammenhang kann aber auch bei der Produkthaftung nicht allein von der reinen Ursächlichkeit im Sinne der conditio sine qua non abhängen, sondern die Erfolgszurechnung muss durch den Schutzzweck der Produkthaftungsrichtlinie begrenzt werden 1060 . Da die Produkthaftungsrichtlinie dem Schutz des Verbrauchers vor fehlerhaften Produkten dient, ist der Schutzzweckzusammenhang zu verneinen, wenn die Rechtsgutverletzung nicht mehr die Verwirklichung der vom Produktfehler ausgehenden Gefahr darstellt 1061. Eine Verwirklichung der vom Produktfehler ausgehenden Gefahr liegt auch vor, wenn die Verletzung durch die besonders anfällige Konstitution des Geschädigten 1053 Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3602 S. 6; anders Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 44 ff. 1054 Ablehnend Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 63. 1055 Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3602 S. 6. •056 BGH, 27. 1. 1981, BGHZ 79, S. 259 (262). 1057 Siehe auch Deutsch , Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 665. 1058 Vgl. den 2. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29. 1059 Siehe oben § 3 A. I. 2. 1060 Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3602 S. 6; Sack, Das Verhältnis der Produkthaftungsrichtlinie, VersR 1988, S. 439 (451). 1061 Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3602 S. 6.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
mitverursacht wurde 1062 . Die Rechtsgutverletzung beruht bei besonders anfälliger Konstitution des Patienten auf der Anwendung des Produkts, welches nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen entspricht, da es geeignet ist, Personen in ihrer Gesundheit zu verletzen 1063.
b) Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden Der Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden liegt vor, wenn der Schaden ohne die Rechtsgutverletzung nicht entstanden wäre. Zudem muss der eingetretene Schaden vom Schutzzweck der Produkthaftung erfasst
c) Kausalitätsprobleme bei fehlerhafter Darbietung Für den Bereich der mangelhaften Darbietung des Produkts ergeben sich besondere Kausalitätsprobleme. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie der Produktbenutzer sich bei ordentlicher Produktinformation verhalten hätte und ob die Rechtsgutverletzung auch dann eingetreten wäre. Da die Produktinformationen dazu dienen, dem Produktverwender Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, wird der Kausalverlauf maßgeblich durch die Entscheidung des Verwenders mitbestimmt. Es handelt sich daher um ein Problem der psychischen Kausalität. Im Nachhinein ist die Entscheidung des Produktverwenders außerdem schwer nachzuvollziehen und muss anhand einer Hypothese bestimmt werden. Die Kausalitätsfrage bei mangelhafter Produktinformation erfordert daher die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs. Der Nachweis dieses Kausalverlaufs ist äußerst schwierig. Aufgrund der ex post-Betrachtungsweise muss die Entscheidung des Produktbenutzers rekonstruiert werden, indem von der Entscheidung eines durchschnittlichen Verbrauchers in der Situation des Produktbenutzers ausgegangen wird.
1062 Ebenso Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 67. 1063 Von einer Haftung für selten auftretende Schäden wie Allergien und anaphylaktischem Schock geht auch Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1037), aus. Anders die Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beüage 1 /76, S. 16, Erl. Nr. 13 zu Art. 4, in denen berechtigte Sicherheitserwartungen verneint werden bei subjektiv begründeter Geneigtheit zu Schäden, die nur bei einzelnen Patienten auftreten. 1064 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 148.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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C. Haftungsausschlussgründe des Art. 7 Produkthaftungsrichtlinie Zu seiner Entlastung kann der Hersteller die Haftungsausschlussgründe des Art. 7 ProdHaftRiLi vortragen. Gemäß Art. 7 haftet der Hersteller nicht nach der Produkthaftungsrichtlinie, „wenn er beweist, a) daß er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat; b) daß unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, daß der Fehler, der den Schaden verursacht hat, nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder daß der Fehler später entstanden ist; c) daß er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat; d) daß der Fehler darauf zurückzuführen ist, daß das Produkt verbindlichen, hoheitlich erlassenen Normen entspricht; e) daß der vorhandene Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte; f) wenn es sich um den Hersteller eines Teilprodukts handelt, daß der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produkts verursacht worden ist."
I. Bedeutung der Haftungsausschlussgründe des Art. 7 für die Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie Die Systematik der Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie weist die Besonderheit auf, dass ein Teil der Haftungsvoraussetzungen als Haftungsausschlussgründe geregelt sind, die der Hersteller zu beweisen hat. Bei einer Betrachtung, die von der Beweislastverteilung absieht, statuieren nämlich auch die in Art. 7 lit. a bis d ProdHaftRiLi aufgezählten Tatbestände Umstände, die bei der Beurteilung der Berechtigung der Sicherheitserwartungen zu berücksichtigen sind und die damit unmittelbaren Einfluss auf den Produktfehlerbegriff der Richtlinie haben. Die Unterscheidung bei der Einordnung in Art. 6 oder Art. 7 beruht letztlich allein auf prozessrechtlichen Erwägungen im Sinne einer eindeutigen Regelung der Beweislastverteilung. Zwar haben die in Art. 7 lit. a bis d ProdHaftRiLi genannten Umstände formal auch die materiellrechtliche Funktion der Haftungsbegrenzung. Da diese aber den Haftungstatbestand unmittelbar berühren und nicht die Rechtsfolgenseite bestimmen, sind sie von den Haftungsvoraussetzungen nur aufgrund der Beweislastverteilung und der ausdrücklichen Einordnung in Art. 7 ProdHaftRiLi zu unterscheiden1065.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Art. 7 lit. a bis f ProdHaftRiLi enthält eine abschließende Aufzählung der Gründe, welche die Haftung des Herstellers ausschließen. In allen in Art. 7 genannten Konstellationen wird nach der Richtlinie zunächst vermutet, dass kein Haftungsausschlussgrund vorliegt 1066 . Der Richtliniengeber geht davon aus, dass in der Regel der Hersteller das von ihm hergestellte Produkt in den Verkehr gebracht hat, dass es in diesem Zeitpunkt fehlerhaft war, dass es gewerbsmäßig hergestellt wurde, dass der Produktfehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erkennbar war und dass das fehlerhafte Teilprodukt den Produktfehler verursacht hat. Der Hersteller hat die Möglichkeit, den Gegenbeweis anzutreten 1067. Materiellrechtlich dient die Berücksichtigung der Umstände des Art. 7 ProdHaftRiLi der gerechten Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller 1068. Nach der Wertung des Richtliniengebers handelt es sich hierbei um Umstände, die den Hersteller entlasten und seine Haftung ausschließen1069. Da es sich bei den Haftungsausschlussgründen des Art. 7 ProdHaftRiLi um Ausnahmetatbestände vom Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung des Herstellers für von ihm in Verkehr gebrachte fehlerhafte Produkte handelt, sind die Befreiungsgründe nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eng auszulegen1070.
II. Haftungsausschlussgründe im Einzelnen 1. Fehlendes Inverkehrbringen des Produkts durch den in Anspruch genommenen Hersteller Nach Art. 7 lit. a ProdHaftRiLi haftet der Hersteller nicht, wenn er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Haftungsgrund der europäischen Produkthaftung das Inverkehrbringen eines Produkts ist 1 0 7 1 . Eine gerechte Risikoverteilung erfordert daher den Ausschluss ei-
1065 IN diesem Sinne auch Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 10. Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 46, spricht in diesem Zusammenhang von „negativen HaftungsVoraussetzungen". •066 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 3. 1067 Vgl. die Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1 /76, S. 16, Erl. Nr. 14 zu Art. 5. 1068 Vgl. den 7. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29. 1069 Vgl. die Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1 /76, S. 16, Erl. Nr. 14 zu Art. 5. 1070 EUGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001,
S. 1-3569 (3596), Rn. 15. Zustimmend Taschner,
Die zerstörte Niere, PHi 2003, S. 13
(15).
1071 Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
241
ner Ersatzpflicht, wenn der Hersteller das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat und damit keine Produktgefahr verursachen konnte 1072 . Der Begriff ist EG-einheitlich und damit autonom unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Richtlinie und des mit ihr verfolgten Zwecks auszulegen1073. Daher darf auch nicht auf weiter reichende Definitionen des Tatbestandmerkmals „Inverkehrbringen" in deutschen Spezialgesetzen wie in § 4 XVII A M G 1 0 7 4 zurückgegriffen werden 1075 . Dem Richtliniengeber erschien eine Legaldefinition des Begriffes „Inverkehrbringen" entbehrlich 1076. Er hat aber in seinen Erläuterungen zum Richtlinienvorschlag von 1976 ansatzweise deutlich gemacht, was hierunter zu verstehen sein soll. Danach ist eine Sache in den Verkehr gebracht, wenn sie der Verteilerkette übergeben wurde 1077 . In der Regel bedeutet dies, dass die Sache das Werk des Herstellers verlassen haben (so genanntes „Werktorprinzip" 1078) und dem Vertrieb übergeben sein muss 1079 . Ein menschliches Organ wird durch ein Krankenhaus in Verkehr gebracht, wenn es im Rahmen einer medizinischen Dienstleistung für die Transplantation vorbereitet wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Organ den Herstellungsbereich des Krankenhauses verlassen hat. Ein Inverkehrbringen liegt auch vor, wenn sich die Person, der das Organ transplantiert werden soll, in die Herrschaftssphäre des Krankenhauses begibt 1080 . Im Hinblick auf die unterschiedlichen Mitglieder der Verteilerkette ist die Frage des Inverkehrbringens isoliert mit Blick auf den jeweiligen Hersteller zu betrachten 1 0 8 1 . Aus der Perspektive des tatsächlichen Herstellers des Endprodukts stellt 1072 Zur gerechten Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller als Regelungszweck von Art. 7 ProdHaftRiLi siehe den 7. Erwägungsgrund, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29.
•073 E U G H ,
10. 5. 2 0 0 1 , Rs. C - 2 0 3 / 9 9 , V e e d f a l d / A r h u s
Amtskommune,
Slg.
2001,
S. 1 - 3 5 6 9 ( 3 5 9 5 ) , R n . 14. 1074
Art. 4 X V I I AMG definiert den Begriff wie folgt: „Inverkehrbringen ist das Vorrätighalten zum Verkauf und zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten und die Abgabe an andere." 1075 So die einhellige Meinung, vgl. hierzu Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 48; Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 53; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 32 f. 1076 So ausdrücklich die Erl. zum Richtlinien Vorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 16, Erl. Nr. 15 zu Art. 5. 1077 Vgl. die Erl. zum Richtlinienvorschlag von 1976, Bull. EG, Beilage 1/76, S. 16, Erl. Nr. 15 zu Art. 5. 1078 Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), DB 1985, S. 2389 (2396). 1079 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 7. 1080 Siehe zum Ganzen EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3596 f.), Rn. 17 f.; zustimmend Taschner, Die zerstörte Niere, PHi 2003, S. 13 (15). 1081 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 55; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 18. So Posch, Neue Produkthaftungsgesetze, ZfRV 1998, S. 238 (242); ders., Produkthaftungsgesetz, RdW 1988, Sonderheft, S. 65 (68), ders., Nochmals: Zur Übergangs16 Geiger
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
die Auslieferung an die anderen Hersteller oder an den Handel ein Inverkehrbringen dar 1 0 8 2 . Für den Lieferanten kann das Inverkehrbringen durch Weiterlieferung des Produkts an andere Lieferanten, an den Handel oder an den Endverbraucher selbst erfolgen 1083. Da ein Produkt somit nicht nur gegenüber dem Endverbraucher in den Verkehr gebracht werden kann, ist eine Haftung des tatsächlichen Endherstellers für Schäden in Betracht zu ziehen, die bei Mitarbeitern anderer nachgeordneter Teilnehmer der Vertriebskette entstehen1084. Für den Bereich der Arzneimittel ergibt sich somit, dass der Hersteller für Schäden haftet, die dem Klinikpersonal durch HlV-verseuchte Blutprodukte entstehen. Es ist erforderlich, dass der Hersteller die Vermarktung des Produkts willentlich vorgenommen hat 1 0 8 5 . Wird dem Hersteller die Verfügungsmacht hingegen auf andere Weise entzogen, scheidet eine Haftung des Herstellers für sein Produkt aus 1086 . Nicht von Bedeutung ist allerdings, ob der Hersteller das Produkt versehentlich in den Verkehr gebracht hat 1 0 8 7 . Er haftet deshalb auch, wenn als fehlerhaft erkannte Produkte auf Grund eines Irrtums seiner Angestellten an die Vertriebskette weitergegeben werden. Nicht zurechenbar ist dem Hersteller hingegen, wenn ihm das Produkt durch Diebstahl entzogen wird 1 0 8 8 oder während des Transports verloren geht 1089 . Die Sache muss „als Produkt" in den Verkehr gebracht werden 1090 . Überlässt der Hersteller die von ihm hergestellte Sache einem anderen Marktteilnehmer
bestimmung, RdW 1988, S. 378, zum Begriff des Inverkehrbringens in den §§ 6, 19 des österreichischen Produkthaftungsgesetzes; ähnlich Preslmayr, Handbuch des Produkthaftungsgesetzes, S. 78; ablehnend Andreewitch, Zur Übergangsbestimmung, RdW 1988, S. 283 ff.; anders allerdings die französische Umsetzungsvorschrift Art. 1386-5 Code civil, die bestimmt, dass ein Produkt nur einmal in den Verkehr gebracht werden kann („seule mise en circulation"). Siehe dazu Posch, Neue Produkthaftungsgesetze, ZfRV 1998, S. 238 (242). 1082 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 55. «083 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 55. Zum gleichen Ergebnis kommt Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 37, der allerdings kritisiert, dass dies nicht das rechtspolitische Ziel der Haftungsregelung sei. Vgl. auch Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 56. 1085 Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), DB 1985, S. 2389 (2394); SchmidtSalzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 28; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 35; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 89; EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3596), Rn. 16; ablehnend hingegen Junke, Zur Konkurrenzsituation der Produkthaftung, PHi 1991, S. 138 (142). 1086 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 5; Kulimann, Produkthaftungsgesetz, S. 47; in diesem Sinne auch der EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3596), Rn. 16. 1087 Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 32; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 89. 1088 Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 26. 1089 Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 28. 1090 So Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 29. 1084
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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lediglich zur Entsorgung und bringt dieser die Sache „als Produkt" auf den Markt, ist das dem Hersteller nicht als Inverkehrbringen der Sache „als Produkt" zurechenbar 1091. Bei Arzneimitteln scheidet deshalb eine Haftung des Herstellers nach der Produkthaftungsrichtlinie aus, wenn er abgelaufene Medikamente an ein Entsorgungsunternehmen übergeben hat und dieses Unternehmen die Arzneimittel in Deutschland oder (wahrscheinlicher) in einem anderen Staat an den Endverbraucher abgibt. Ein Inverkehrbringen „als Produkt" liegt hingegen vor bei der Abgabe von Musterarzneimitteln zu Werbezwecken an Ärzte und Kliniken. 2. Inverkehrbringen
eines fehlerfreien
Produkts
Da es sich bei der europäischen Produkthaftung um eine Haftung für die Fehlerhaftigkeit von Produkten handelt, haftet der Hersteller nicht, wenn das von ihm in Verkehr gebrachte Produkt nicht fehlerhaft war 1 0 9 2 . Dies betrifft Konstellationen, in denen der Hersteller ein fehlerfreies Produkt in den Verkehr gebracht hat, welches nach diesem Zeitpunkt aufgrund anderer Ursachen fehlerhaft geworden ist. Dementsprechend kann sich der Hersteller nach Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi von seiner Haftung entlasten, indem er entweder nachweist, dass das von ihm hergestellte Produkt bei Inverkehrbringen fehlerfrei war oder dass der Fehler später entstanden ist. Die Unterscheidung zwischen den beiden genannten Konstellationen trägt dem Umstand Rechnung, dass der Nachweis der Fehlerfreiheit des Produkts bei Inverkehrbringen entweder durch den unmittelbaren Beweis der Fehlerfreiheit zu diesem Zeitpunkt erbracht werden kann, oder mittelbar durch den Beweis, dass das Produkt zu einem späteren Zeitpunkt fehlerhaft wurde 1093 . 1091 Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 29; ähnlich Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1037 f.); anders Junke, Zur Konkurrenzsituation der Produkthaftung, PHi 1991, S. 138 (142). Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 42, § 73 Rn. 12, erörtert das Problem des Inverkehrbringens von Abfall pauschal unter dem Produktbegriff. Diese Einordnung trägt allerdings den Konstellationen nicht Rechnung, in denen das Produkt vom Hersteller als Produkt hergestellt wurde (es sich also um kein Abfallprodukt der Produktion handelte) und dieses später aufgrund seiner Fehlerhaftigkeit oder aus anderen Gründen nicht mehr dem Vertriebsweg übergeben werden soll. Der Hersteller bringt nämlich in einem solchen Fall Abfall in den Verkehr, der von einem anderen Marktteilnehmer als Produkt in den Verkehr gebracht wird. Letztlich wird der Geschädigte durch ein Produkt verletzt, das der Hersteller als Abfall weitergegeben hat. Da es sich bei dem Abfall des Herstellers und dem Produkt des anderen Marktteilnehmers um ein und dieselbe Sache handelt, muss bestimmt werden, warum der Hersteller nicht für die durch ihn hergestellte und in Verkehr gebrachte fehlerhafte Sache haftet. Das Kriterium des Inverkehrbringens „als Produkt" ist dazu wesentlich besser geeignet als der Produktbegriff selbst. Der Hersteller hat nämlich nicht nur Abfall in Verkehr gebracht, sondern Abfall, der auch als Produkt in Verkehr gebracht werden könnte. Die Zurechnung kann daher nur bei der Frage erfolgen, ob er die Sache (die auch Produkt sein kann) „als Produkt" in den Verkehr gebracht hat. 1092 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 81 Rn. 6. 1093 Entgegen einer vereinzelt vertretenen Aufassung beruht die Unterscheidung zwischen diesen beiden Konstellationen nicht darauf, dass von der ersten Alternative nur Vorprodukte 1*
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Der positive Nachweis der Fehlerfreiheit eines Produkts bei Inverkehrbringen wird in der Regel schwierig sein 1094 . Der bloße Nachweis von Ausgangskontrollen und des fehlerfreien Funktionierens des Produktionsablaufs dürfte hierfür in der Regel nicht genügen, da der Hersteller mit der Durchführung solcher Kontrollen lediglich seine Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die Qualitätssicherung seiner Produkte unter Beweis stellt 1095 . Die Einhaltung dieser Sorgfaltspflicht entscheidet zwar über das Vorliegen einer Verschuldenshaftung. Im Rahmen der Gefährdungshaftung kann ihr hingegen keine eigenständige Bedeutung zukommen, da ein Haftungsausschluss aufgrund fehlenden Organisationsverschuldens dem Schutzzweck der europäischen Produkthaftung widerspräche. Hierdurch würde es dem Hersteller nämlich auch ermöglicht, sich von der Haftung für Ausreißer 1096 zu befreien 1 0 9 7 . Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi kann daher nur solchen Umständen eine Bedeutung zukommen lassen, die nicht dazu führen, dass der Hersteller entlastet wird, obwohl das Produkt bei Inverkehrbringen fehlerhaft war 1 0 9 8 . Der Nachweis der Fehlerfreiheit des Produkts wird bei Massenproduktionen allerdings letztlich - wenn überhaupt - nur mittels der Dokumentation von Herstellungsprozess, Qualitäts- und Ausgangskontrolle zu führen sein 1099 . Der Schwerpunkt der Anwendung des Haftungsausschlussgrundes des Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi liegt auf dem Fabrikationsfehler 1100. Die Anwendung der Vorerfasst werden, während die zweite Alternative auch auf Endprodukte anwendbar ist. So jedoch Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 45. Wie hier Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 103. Der deutsche Gesetzgeber hielt die ausdrückliche Erwähnung der 2. Alternative für überflüssig und hat in § 1 I I Nr. 2 ProdHaftG „nur" das Nichtvorhandensein des Fehlers bei Inverkehrbringen des Produkts zum Haftungsausschlussgrund erklärt. Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 11/2447 S. 28. 1094 So auch Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 111; Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), DB 1985, S. 2389 (2394). 1095 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 112; anders Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1038). 1096 Zum Schutzzweck der Produkthaftungsrichtlinie als Grundlage einer Haftung für Ausreißer vgl. statt vieler Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 20. 1097 Ähnlich Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 112; diesen Zusammenhang sieht auch Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1038 Fn. 43), der einen Haftungsausschluss für Ausreißer nach der Produkthaftungsrichtlinie zu befürworten scheint. 1098 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 112. 1099 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/2447 S. 14 sowie den Calawaert-Bericht, zitiert nach Rolland, Produkthaftungsrecht, S. 483. Die Grenzziehung zwischen der Bewertung von Ausgangskontrollen als sorgfaltspflichterfiillendes Verhalten des Herstellers und der Berücksichtigung des Inhalts ihrer Dokumentation als Hinweis auf die Fehlerfreiheit des Produkts ist außerordentlich schwierig. MüKo-Cahn, § 1 ProdHaftG Rn. 33 (3. Aufl.) sieht - unter anderem auch aufgrund dieser Prämisse - keinen praktischen Unterschied mehr zwischen der deliktsrechtlichen Ausreißerhaftung und der Haftung für Ausreißer nach dem Produkthaftungsgesetz. 1100 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 69; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 81 Rn. 10; MüKo-Cahn, § 1 ProdHaftG Rn. 28 (3. Aufl.).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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schrift ist auch bei Instruktionsfehlern denkbar 1101, bei Konstruktionsfehlern allerdings faktisch ausgeschlossen1102. Für den Produkttyp der Arzneimittel, bei dem typischerweise eher Konstruktions- als Fabrikationsfehler auftreten, ergibt sich somit, dass dieser Haftungsausschlussgrund von geringer praktischer Bedeutung für den Hersteller ist. Im Hinblick auf Fabrikationsfehler ist allerdings denkbar, dass Arzneimittel als chemisch sensible Produkte nach dem Inverkehrbringen durch eine nicht sachgerechte Lagerung oder den Ablauf des Verfallsdatums ihre Wirkungsweise verändern und infolgedessen fehlerhaft werden.
3. Herstellung für einen nichtgewerblichen Zweck sowie Herstellung und Vertrieb außerhalb der beruflichen Tätigkeit Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi bestimmt, dass sich der Hersteller von seiner Haftung nach der Richtlinie befreien kann, indem er nachweist, dass das von ihm in den Verkehr gebrachte fehlerhafte Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des gewerblichen Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt wurde (erste Voraussetzung) noch dass Herstellung oder Vertrieb im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erfolgt sind (zweite Voraussetzung). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen 1103. Die Vorschrift hat vorwiegend klarstellende Funktion und unterstreicht die Natur der europäischen Produkthaftung als Industriehaftung 1104.
a) Herstellung für einen nichtgewerblichen Zweck Der Hersteller muss mit der Herstellung einen nichtwirtschaftlichen Zweck verfolgen. Die erste Voraussetzung des Haftungsausschlussgrundes nach Art. 7 lit. c 1101 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 67; MüKo-Cahn, § 1 ProdHaftG Rn. 28 (3. Aufl.); anders Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 81 Rn. 10; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 10. Möglich ist eine „Verschlechterung" der Darbietung des Produkts nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch einen Hersteller, wenn dem Produkt Informationen, die ihm von diesem Hersteller beigefügt wurden, auf seinem späteren Weg durch die Vertriebskette verloren gehen. Bei Arzneimitteln könnte so die vom pharmazeutischen Hersteller beigefügte Packungsbeilage dem Arzneimittelanwender nicht zukommen. Bei Arzneimitteln, denen die Packungsbeilage gänzlich fehlt, ist allerdings ein Mitverschulden des Anwenders in Betracht zu ziehen, da Arzneimittel bekanntermaßen nur entsprechend der Gebrauchsinformation angewendet werden sollen, was sich im Übrigen auch aus der äußeren Verpackung des Arzneimittels ergibt. Ähnlich Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 106. 1102 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 66; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 81 Rn. 13; MüKo-Cahn, § 1 ProdHaftG Rn. 28 (3. Aufl.). "03 Frieling in Pott/Frieling, § 1 ProdHaftG Rn. 89. ii04 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 18.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
ProdHaftRiLi ist auf den Herstellungszweck und somit auf die Subjekte Seite der Herstellung gerichtet 1105. Die diesbezügliche Absicht des Herstellers muss nach außen erkennbar sein 1106 . Auf eine bestimmte Vertriebsart kommt es dabei nicht an 1 1 0 7 . Neben dem Verkauf dient auch jede andere kommerzielle Überlassung des Produkts wirtschaftlichen Zwecken 1108 . Im Regelfall erfolgt der Vertrieb mit wirtschaftlichem Zweck gegen Entgelt. Ein wirtschaftlicher Zweck kann aber auch bei unentgeltlichen Verträgen gegeben sein, wenn die Überlassung des Produkts mittelbar zur Gewinn- oder Umsatzerzielung verwendet wird 1 1 0 9 oder das Entgelt nicht vom Produktbenutzer selbst, sondern von dritter Seite geleistet wird 1110 .
aa) Arzneimittelmuster Ein wirtschaftlicher Zweck liegt auch bei der Abgabe von Produktmustern zu Werbezwecken vor 1 1 1 1 . Eine solche Abgabe soll dem Verbraucher ermöglichen, das Produkt ohne Kostenaufwand auszuprobieren, um ihn zu einem späteren Erwerb des Produkts zu motivieren. Letztlich dient die unentgeltliche Abgabe zu Werbezwecken der Umsatz- und Gewinnsteigerung1112. Für den Bereich der Arzneimittel ergibt sich hieraus, dass die in der Praxis gängige Abgabe von Arzneimittelmustern an Patienten nicht unter Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi fallt 1113 . Der pharmazeutische Hersteller haftet somit nach der Richtlinie für seine Arzneimittelmuster. Problematisch ist, ob dies auch für den behandelnden Arzt (als Lieferanten) gilt, der dem Patienten das Medikamentenmuster übergibt. Dies ist zu veraeinen, da die unentgeltliche Überlassung von Arzneimittelmustern durch den Arzt auch nicht mittelbar der Erzielung von Gewinnen dient. Der Arzt beabsichtigt mit der unentgeltlichen Überlassung von Mustermedikamenten nämlich nicht, seine Patienten an sich zu binden oder hierdurch seine Einnahmen zu sichern. Vielmehr gibt er die 1105 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 120; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 18. 1106 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 120. no? Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 120. nos Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 120. 1109 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 77. 1110 EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3598), Rn. 21. im Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 77. iii2 Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 77. ms Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 77; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 55; zur Zulässigkeit der Abgabe von Arzneimittelmustern an Ärzte und andere Fachkreise vgl. § 47 III AMG.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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Produkte, die er von der pharmazeutischen Industrie erhält, ohne eigenes wirtschaftliches Interesse an den Endverbraucher weiter 1114 .
bb) Erstmuster (Konstruktionsphase) Unklar ist auch, ob sich der pharmazeutische Unternehmer auf Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi berufen kann, wenn Erstmuster - also solche Präparate, deren Konstruktionsphase noch nicht abgeschlossen ist - zu Erprobungszwecken an Probanden abgegeben werden 1115 . Handelte es sich hierbei um eine Herstellung für den Vertrieb mit wirtschaftlichem Zweck, haftete der pharmazeutische Hersteller im Ergebnis während der klinischen Prüfungsphase von Arzneimitteln nach der Produkthaftungsrichtlinie 1116. Angesichts der Unabdingbarkeit der Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie aufgrund von Art. 12 ProdHaftRiLi könnte sich der Hersteller von diesem Haftungsrisiko auch nicht durch eine vertragliche Vereinbarung mit dem Probanden freizeichnen. Die Entscheidung zugunsten der Einbeziehung von Erstmustern hat somit weitreichende Konsequenzen für das Haftungssystem. Gegen eine Einbeziehung von Erstmustern spricht bereits, dass Erstmuster nicht für den Vertrieb, also die Weitergabe an die Verteilerkette überlassen werden, sondern nur zur Durchführung der klinischen Versuche. Die Überlassung zu Erprobungszwecken erfüllt daher nicht das Merkmal des Vertriebs zu wirtschaftlichen Zwecken 1117 . Zudem erfasst der Schutzzweck der Produkthaftungsrichtlinie nicht die Haftung für Arzneimittel in der klinischen Prüfungsphase, da es sich hierbei um keine typische Produktgefahr handelt, sondern um ein Risiko, das aus der Erprobung von Arzneimitteln an Menschen resultiert und das der Proband bewusst in Kauf nimmt. Der Hersteller kann sich daher bei der Überlassung von Arzneimitteln zu klinischen Prüfungszwecken auf Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi berufen.
cc) Arzneimittelspenden Schwierigkeiten bereitet außerdem die Einordnung von Arzneimittelspenden, die unentgeltlich erfolgen und deren unmittelbarer Zweck nicht in der Gewinnerzielung liegt. Den Unternehmen geht es bei Spenden in der Regel auch um die Verbesserung des Images des Unternehmens und seiner Produkte 1118. Dies dient letztlich der Vermarktung der eigenen Produkte. Der Zusammenhang zwischen den Im Ergebnis ebenso Rolland, § 15 ProdHaftG Rn. 28. ms Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121. 1116 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121. 1117 Ebenso Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 78; unentschieden Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121. ms Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 79.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Spenden und der Erzielung von Gewinn ist zwar sehr entfernt. Dennoch ist die Produktspende von der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens nicht zu trennen 1119 . Zudem werden die gespendeten Produkte in der Regel nicht gesondert für eine Spendenaktion hergestellt, sondern der Herstellung für die wirtschaftliche Verwertung entnommen1120. Daher ist bei Produktspenden Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi schon nach seinem Wortlaut nicht erfüllt 1121 .
dd) Unentgeltliche medizinische Leistung innerhalb des staatlichen Gesundheitswesens Vom Haftungsausschlussgrund des Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi wird auch die Herstellung und Verwendung eines Produkts im Rahmen einer medizinischen Leistung, die ein durch öffentliche Mittel finanziertes Krankenhaus erbringt, nicht erfasst. Obwohl diese Leistung für den Patienten unentgeltlich ist, handelt es sich nicht um eine unbezahlte Tätigkeit, da sie von der öffentlichen Hand finanziert wird 1 1 2 2 .
b) Herstellung und Vertrieb außerhalb der beruflichen Tätigkeit Zweite Voraussetzung des Haftungsausschlussgrundes des Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi ist, dass Herstellung und Vertrieb objektiv nicht im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Herstellers erfolgt sind 1123 . Auch in diesem Zusammenhang spielt die Entgeltlichkeit der Leistung eine wesentliche Rolle. In Betracht kommt jede professionelle Tätigkeit, unabhängig davon, ob sie freiberuflich oder abhängig, handwerklich oder industriell ist 1 1 2 4 . Die bereits angesprochene Überlassung von Erstmustern zu Erprobungszwecken erfüllt auch diese zweite Haftungsausschlussvoraussetzung des Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi, da die Herstellung und der Vertrieb nicht der Entgelterzielung aus dem Vertrieb, sondern der Durchführung der klinischen Prüfungsphase dienen. Bei einem Arzt, der als Lieferant subsidiär zur Haftung herangezogen werden kann 1125 und der kostenlose Arzneimittelmuster an den Patienten weitergibt, liegen die 1H9 Rolland, § 1 ProdHaftGRn. 121. 1120 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121. 1121 Im Ergebnis ebenso Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 121; anders Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 79; wohl auch Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 57. 1122 Siehe dazu EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3597 f.), Rn. 19 ff. 1123 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 118. 1124 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 118. 1125 Zur Lieferantenhaftung siehe im Einzelnen oben § 3 B. II. 1. b) cc).
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Voraussetzungen des zweiten Haftungsausschlussgrundes hingegen nicht vor, da der Arzt die Arzneimittelmuster im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit weitergibt. Im Ergebnis kann sich der Arzt daher nicht auf Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi berufen. 4. Herstellung nach verbindlichen hoheitlichen Normen Der Hersteller haftet gemäß Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi nicht, wenn der Fehler darauf beruht, dass das Produkt verbindlichen hoheitlichen Normen entspricht 1126. Wenn bei der Herstellung des Produkts keine Entscheidungsfreiheit des Herstellers besteht, soll er für entstehende Schäden nicht haften 1127 . Getragen wird dieser Haftungsausschlussgrund vom Gedanken der Unzumutbarkeit des Verstoßes gegen verbindliche hoheitliche Normen 1128 . Aus dem Zweck der Vorschrift - Vermeidung eines unzumutbaren Entscheidungszwangs beim Hersteller - ergibt sich, dass sie eng auszulegen ist 1 1 2 9 . Der Begriff der Rechtsvorschrift ist weit angelegt und erfasst Gesetze und Rechtsverordnungen, nicht aber behördliche Verwaltungakte1130. Daher fällt die behördliche Arzneimittelzulassung nach den §§21 ff. AMG schon aus diesem Grund nicht unter Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi 1131. Zudem muss es sich um hoheitliche und somit um Vorschriften handeln, die durch staatliche Organe erlassen wurden, weswegen privatrechtliche Regelungswerke nicht unter Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi fallen 1132 . Das wesentliche Kriterium zur Eingrenzung dieses Haftungsausschlussgrundes ergibt sich aus der erforderlichen Kausalität zwischen der Konformität des Produkts mit verbindlichen Normen und der Fehlerhaftigkeit des Produkts 1133. Hieraus ist zu schließen, dass es sich bei Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi um mehr als einfach zwingende Vorschriften handeln muss. Unter verbindlichen Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 7 lit. d ProdHaft1126 Zur maßgebenden Rechtsordnung Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 758 ff. 1127 Taschner in Taschner /Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 26; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 93. 1128 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 26; demgegenüber stellt Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 93, auf den Wegfall des Rechtswidrigkeitsmoments ab; dagegen Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 128.
1129 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 30. H30 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 64; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 130 u. 134; Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 643; a.A. Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 96, der Verwaltungsakte als verbindliche Rechtsnormen ansieht. n3i Ebenso Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (152). 1132 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 130; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 28. Siehe hierzu auch oben § 3 B. II. 2. b) cc) (3). 1133 Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (153); Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 28.
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RiLi sind nur solche zu verstehen, die den Hersteller zu einer den Produktfehler verursachenden Herstellungsweise zwingen 1134 . Diese Normen müssen ein konstruktives Ermessen des Herstellers gänzlich ausschließen1135. Aufgrund des sehr engen Zuschnitts des Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi fallen viele Vorschriften, welche die Sicherheit von Produkten zwingend regeln, wie etwa das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz1136, nicht in den Anwendungsbereich dieses Haftungsausschlussgrundes, da sie keine bestimmte Produktionsweise, sondern lediglich Mindeststandards vorschreiben 1137. Auch das Arzneimittelsicherheitsrecht in den §§ 1 ff. AMG enthält keine zwingenden Vorschriften im Sinne von Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi. Dieses bestimmt zwar, dass bedenkliche Arzneimittel nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen (§ 5 AMG) und ordnet die Zulassungspflicht der meisten Arzneimittel (§ 21 AMG) wie auch die Durchführung von pharmakologischen und toxikologischen Versuchen sowie klinischen Prüfungen an (§ 22 II, § 25 II S. 1 Nr. 2 A M G 1 1 3 8 ) . Der Arzneimittelherstellungsprozess unterliegt damit einer eingehenden staatlichen Kontrolle. Aber auch dieses vielschichtige System zur Gewährleistung der Sicherheit von Arzneimitteln legt im Ergebnis keine zwingende Produktionsweise - insbesondere auch keine Konstruktionsweise - fest. Schwieriger ist die Beurteilung der Anwendbarkeit von Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi im Hinblick auf die durch das Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen Arzneimittelinformationen. Die §§ 10 ff. AMG bestimmen sehr detailliert, was der Her1134 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 63; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 26. ins Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 63; Wandt, Internationale Produkthaftung, Rn. 643. 1136 Seit dem 1.5. 2004 gilt das neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz v. 6. 1. 2004 (BGBl. I S. 2). Dieses fasst das alte Gerätesicherheitsgesetz und das Produktsicherheitsgesetz zusammen und dient gleichzeitig der Umsetzung der neuen Produktsicherheitsrichtlinie (Richtlinie 2001 /95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 3. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. Nr. L 11 v. 15. 1. 2002, S. 4). Zum Gerätesicherheitsgesetz vgl. Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung v. 23. 10. 1992 (BGBl. I S. 1793), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. 24. 4. 1998 (BGBl. I S. 730); zum Produktsicherheitsgesetz vgl. Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung v. 22. 4. 1997 (Produktsicherheitsgesetz) (BGBl. I S. 934). 1137 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 65; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 23; Marburger, Produktsicherheit und Produkthaftung, FS für Deutsch (1999), S. 271 (283). 1,38 Die Pflicht zur Durchführung von Versuchen und klinischen Prüfungen ergibt sich aus § 22 I I AMG, welcher die Vorlage der Ergebnisse dieser Untersuchungen zur Zulassungsvoraussetzung macht. Vgl. hierzu Müller-Römer / Fischer in Blasius/Müller-Römer/ Fischer, Arzneimittel und Recht in Deutschland, S. 65. Bei nicht ausreichender Prüfung darf die zuständige Behörde die Zulassung des Arzneimittels gemäß § 25 I I S. 1 Nr. 2 AMG versagen.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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steller in der Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformation anzugeben hat. Dies betrifft jedoch nur abstrakt die Art der Information (beispielsweise „Nebenwirkung")- Die auf das konkrete Arzneimittel bezogene Information ist durch das Gesetz nicht vorgegeben. Diese obliegt dem Hersteller. Aber auch im Hinblick auf die verschiedenen Informationstypen ermöglicht das Arzneimittelgesetz dem Hersteller weitere Angaben, soweit diese für die gesundheitliche Aufklärung wichtig sind (§ 11 I S. 5 AMG). Daher zwingt das Arzneimittelgesetz den Hersteller nicht, auf bestimmte Informationen zu verzichten, deren Fehlen möglicherweise zu einer Schädigung führen könnte. Folglich handelt es sich auch bei den Vorschriften zur Arzneimittelinformation in den §§ 10 ff. AMG nicht um verbindliche Vorschriften im Sinne des Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi. Es ist somit festzuhalten, dass dem Haftungsausschlussgrund des Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi weder im Allgemeinen noch im Hinblick auf die Produktkategorie der Arzneimittel große Bedeutung zukommt. 5. Nichterkennbarkeit des Produktfehlers nach dem Stand der Wissenschaft und Technik Nach Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi liegt ein Haftungsausschlussgrund vor, wenn der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts nicht erkannt werden konnte. Diese Konstellation wird auch als „Entwicklungsrisiko" oder „Entwicklungsfehler" bezeichnet. Die Bezeichnung als „Entwicklungsfehler" ist irreführend, da der in Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi umschriebene Einwand keinen eigenen Fehlertypus umschreibt, sondern einem vorhandenen Produktfehler entgegengehalten werden kann 1139 . Unklar ist allerdings, ob und mit welcher Begründung sich dieser Einwand bei den drei Fehlertypen Fabrikationsfehler, Konstruktionsfehler und Instruktionsfehler erheben lässt. a) Anwendbarkeit von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auf die verschiedenen Fehlertypen aa) Konstruktionsfehler Entwicklungsrisiken sind Gefahren, die typischerweise von der Konstruktion eines Produkts ausgehen1140. Der Hersteller erkennt bei Inverkehrbringen nicht und U39 So auch Hager, Fehlerbegriff, PHi 1991, S. 2 (6); anders Graf von Westphalen , Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 78. ii40 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 38; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 77; in diesem Sinne auch der deutsche Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zum Produkthaftungsgesetz, BT-Drucks. 11/2447 S. 15.
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vermag auch nicht zu erkennen, dass von einem Produkt aufgrund seiner Konzeption Gefahren ausgehen, die zu einer Enttäuschung der berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Verbrauchers führen. Nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung findet Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi daher auf den Typus der Konstruktionsfehler Anwendung1141.
bb) Instruktionsfehler Uneinheitlich ist hingegen das Meinungsbild im Hinblick auf die Anwendung von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auf Instruktionsfehler. (1) Meinungsstand Von den meisten Autoren wird der Anwendungsbereich des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi als seiner „Natur" nach 1142 auf Konstruktionsfehler beschränkt angesehen. Daraus ergibt sich eine Ablehnung der Anwendbarkeit des Entwicklungsrisiko-Einwandes auf Instruktionsfehler 1143. Daneben wird eine Ablehnung der Anwendung auf Instruktionsfehler im Wesentlichen damit begründet, dass eine solche „ohne Zweifel" ausscheide1144. Die Befürworter der Anwendung von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auf Instruktionsfehler begründen ihre Ansicht nicht, sondern begnügen sich mit der Feststellung, dass dieser Haftungsausschlussgrund nur auf Fabrikationsfehler unanwendbar
1141 Vgl. statt vieler Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 77; BGH, 9. 5. 1995, BGHZ 129, S. 353 (359) (Mineralwasserflasche). 1142 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 10. 1143 Siehe beispielsweise Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 6 ProdHaftRiLi Rn. 10; BGH, 9. 5. 1995, BGHZ 129, S. 353 (359) (Mineralwasserflasche). 1144 So beispielsweise Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 38. Da die Vertreter dieser Ansicht keine Begründung vorbringen, kann über die Grundlagen einer solchen nur spekuliert werden. Möglicherweise ist Ausgangspunkt dieser Ansicht, dass es bei Instruktionsfehlern schon im Rahmen der Feststellung der Fehlerhaftigkeit der Darbietung auf den Kenntnisstand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommt, sodass bei fehlender Erkennbarkeit des Risikos bereits kein Instruktionsfehler vorliegt und kein Raum mehr für die Anwendung eines Haftungsausschlussgrundes bleibt. Möglicherweise basiert die Ablehnung der Anwendung des Entwicklungsrisiko-Einwandes aber auch darauf, dass es bei Instruktionsfehlern nicht auf die fehlende Erkennbarkeit des Instruktionsfehlers ankommen kann, da die Erkenntnis der Wissenschaft und Technik sich nicht auf die Fehlerhaftigkeit der dem Produkt beigefügten Informationen bezieht, sondern auf die dieser Information selbst zugrunde liegenden Erkenntnisse. Zur Vorgreiflichkeit der fehlenden Fehlerhaftigkeit aufgrund der Nichtherstellbarkeit der Sicherheit gegenüber dem Einwand, der Fehler sei nicht zu erkennen gewesen, vgl. Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 142; Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1037).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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(2) Stellungnahme Der Entwickungsrisiko-Einwand ist auf Instruktionsfehler anwendbar. Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi enthält seinem Wortlaut nach keine Beschränkung auf einen bestimmten Produktfehlertyp und schließt daher auch nicht grundsätzlich seine Anwendung auf Instruktionsfehler aus. Maßgeblich kann somit nur sein, ob der Instruktionsfehler die Voraussetzungen von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi überhaupt erfüllen kann und ob die Anwendung der Vorschrift auf Instruktionsfehler nicht den Sinn und Zweck der europäischen Produkthaftung unterliefe. Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi erfasst daher solche Instruktionsfehler, die das Kriterium der Nichterkennbarkeit erfüllen können. Bei Instruktionsfehlern, die darauf beruhen, dass der Hersteller im Zeitpunkt des Inverkehrbringens Informationen über bekannte Risiken nicht weitergibt, scheidet die Annahme eines Entwicklungsrisikos allerdings schon deshalb aus, weil der Fehler nach dem damaligen Stand der Wissenschaft und Technik erkannt werden konnte. Beruht das Informations- und damit das Sicherheitsdefizit hingegen darauf, dass dem Hersteller die Risiken, über die er nicht informiert hat, nicht bekannt waren und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik auch nicht bekannt sein konnten, gibt es keine tragfähige Begründung dafür, ihm den Einwand des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi zu verweigern. Handelt es sich um Sicherheitsmängel, die zu einem Konstruktionsfehler führen, ergibt sich aus der Unterlassung des Hinweises auf den Sicherheitsmangel automatisch auch ein Instruktionsfehler. Könnte der Hersteller die Nichterkennbarkeit des Fehlers lediglich im Rahmen des Konstruktionsfehlers einwenden, nicht aber für den Instruktionsfehler, entstünde ein Wertungswiderspruch und der von der Richtlinie nicht gewollte Effekt, dass der Hersteller für nicht erkennbare Konstruktionsfehler haftete. Wenn sich der Hersteller für den Konstruktionsfehler entlasten kann, muss er dies erst recht im Hinblick auf den Instruktionsfehler können. Bei Instruktionsfehlern, die in keinem Zusammenhang mit einer fehlerhaften Konstruktion des Produkts stehen, greift das Argument des Weitungswiderspruchs zwar nicht. Solche Instruktionsfehler treten auf, wenn beispielsweise ein Produkt wegen bislang nicht bekannter Anwendungsschwierigkeiten keinen entsprechenden Hinweis auf eine sicherere Verwendung des Produkts enthält oder wenn das Produkt unbekannte schädliche Wirkungen aufweist, die aufgrund ihrer Sozialadäquanz nicht zu einem Konstruktionsfehler führen. Es stellt sich jedoch die Frage, warum der Hersteller sich bei Nichterkennbarkeit derartiger Risiken nicht auf Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi berufen können soll. Es handelt sich tatbestandlich um die Nichterkennbarkeit des Mangels an sicherheitsrelevanten Informationen bei Inverkehrbringen des Produkts. Eine Entlastung widerspricht auch nicht der Natur 1145
Hager, Fehlerbegriff, PHi 1991, S. 2 (6); ebenso, aber ohne Begründung, Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 78.
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der europäischen Produkthaftung als verschuldensunabhängiger Haftung, da der Hersteller sich der Sache nach nicht darauf berufen kann, er habe seine Sorgfaltspflichten in Form seiner Informationspflichten erfüllt. Vielmehr macht der Hersteller geltend, dass er über diese Risiken nicht informiert hat, weil sie nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar waren.
cc) Fabrikationsfehler Die Anwendbarkeit des Entwicklungsrisiko-Einwandes auf Fabrikationsfehler wird ebenfalls nicht einheitlich beurteilt. (1) Meinungsstand Nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist der Haftungsausschlussgrund des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auf Fabrikationsfehler nicht anwendbar 1146. Maßgebliches Argument dieser Ansicht ist, dass die Anwendung von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auf Fabrikationsfehler eine Haftung des Herstellers für Ausreißer verhindere 1147. Dies widerspräche dem Wesen der europäischen Produkthaftung als verschuldensunabhängiger Haftung und dem Willen des Richtliniengebers 1148. Soweit diese Ansicht zu einer Bejahung der Ausreißerhaftung führt, ist ihre Begründung einheitlich. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des EntwicklungsrisikoEinwandes auf Fabrikationsfehler außerhalb der Ausreißerproblematik wird hingegen unterschiedlich argumentiert. Die Mehrheit der Autoren vertritt, dass Fabrikationsfehler bereits den Wortlaut von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi nicht erfüllten, da sie nicht unerkennbar, sondern lediglich unentdeckbar seien 1149 . Vereinzelt wird demgegenüber vertreten, dass Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi auch auf Fabrikationsfehler anwendbar sei 1150 .
"46 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 38; ders., Produkthaftung in der Europäischen Union, PHi 2000, S. 148 (153 f.); Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 77; Hager, Fehlerbegriff, PHi 1991, S. 2 (3, 6); Lorenz, Europäische Rechtsangleichung, ZHR 151 (1987), S. 1 (14 Fn. 36); BGH, 9. 5. 1995, BGHZ 129, S. 353 (359) (Mineralwasserflasche); a.A. Foerste, Anm. zu BGH v. 9. 5. 1995, JZ 1995, S. 1063. 1147 Kullmann in Kulimann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3602 S. 21 f.; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 77; Becker/Rusch, Das Problem des Entwicklungsrisikos, ZEuP 2000, S. 90 (92); BGH, 9. 5. 1995, BGHZ 129, S. 353 (360) (Mineralwasserflasche). Ii 4 « Schmidt-Salzer, Art. 1 ProdHaftRiLi Rn. 26; Hager, Fehlerbegriff, PHi 1991, S. 2 (3). " 4 9 Hager, Fehlerbegriff, PHi 1991, S. 2 (3); Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch U, § 72 Rn. 78; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 38; Pfeifer, Produktfehler oder Fehl verhalten des Produzenten, S. 163. "so Foerste, Anm. zu BGH v. 9. 5. 1995, JZ 1995, S. 1063.
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Auch eine neuerdings vertretene Auffassung geht davon aus, dass Entwicklungsrisiken bei Fabrikationsfehlern auftreten könnten. Der Hersteller solle aber dennoch aufgrund von „Risikoverteilungs- und Fairnessaspekten" für Entwicklungsrisiken im Herstellungsverfahren haften 1151 . Als Beispiel für mögliche Entwicklungsrisiken nennt diese Ansicht Fabrikationsfehler bei unerkennbar verseuchten Blutprodukten1152. (2) Stellungnahme Der Entwicklungsrisiko-Einwand kann auf Fabrikationsfehler nicht angewendet werden, soweit diese das Merkmal der Nichterkennbarkeit nicht erfüllen. Dies betrifft sowohl Ausreißer wie auch Fabrikationsfehler bei einer Serie von Produkten eines Herstellungsprozesses. Alle Arten von Fabrikationsfehlern werden bereits nach dem Wortlaut von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi nicht vom EntwicklungsrisikoEinwand erfasst. Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi verlangt nämlich, dass der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war. Fabrikationsfehler sind - unabhängig davon, ob sie als Einzelfall oder in Serie auftreten - immer erkennbar. Sie weichen von dem durch das Design des Herstellers vorgegebenen Standard ab. Da der Hersteller den Standard des Produkts kennt, ist die Abweichung von diesem Standard und damit die Fehlerhaftigkeit erkennbar. Der Hersteller vermag die Fehlerhaftigkeit nur nicht zu entdecken. Dies gilt nicht nur für Ausreißer. Bei Produkt-Ausreißern kommt allerdings hinzu, dass die Berücksichtigung des Einwandes, der Fabrikationsfehler sei mit den Mitteln, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens zur Verfügung standen, nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht entdeckbar gewesen, zur Verschuldensabhängigkeit der Haftung für Fabrikationsfehler führte. Dies widerspräche dem Willen des Richtliniengebers und ist deshalb abzulehnen. Für Fabrikationsfehler, die nicht als Ausreißer zu qualifizieren sind, ergibt sich nichts anderes. Das von den Vertretern der abweichenden Auffassung vorgebrachte Beispiel der unerkennbar verseuchten Blutprodukte 1153 ist nicht geeignet, die Möglichkeit der Nichterkennbarkeit eines Fabrikationsfehlers zu demonstrieren. Unerkennbar verseuchte Blutprodukte weisen nämlich entgegen dieser Ansicht keinen Fabrikationsfehler, sondern einen Konstruktionsfehler auf. Die Verseuchung des Blutproduktes geht darauf zurück, dass das Blut von Anfang an HTV-verseucht war. Da der Blutspender nicht Hersteller seines Blutes ist 1 1 5 4 , handelt es sich bei dem gespendeten verseuchten Blut auch nicht um ein hergestelltes Produkt. Die Her1151 Becker/Rusch, Das Problem des Entwicklungsrisikos, ZEuP 2000, S. 90 (102). 1152 Becher/Rusch, Das Problem des Entwicklungsrisikos, ZEuP 2000, S. 90 (102); auch Pfeifer, Produktfehler oder Fehlverhalten des Produzenten, S. 163 f., geht davon aus, dass verseuchte Blutprodukte Fabrikationsfehler aufweisen, die durch Qualitätskontrollen nicht entdeckbar seien. 1153 So Becker/Rusch, Das Problem des Entwicklungsrisikos, ZEuP 2000, S. 90 (102). 1154 Vgl. dazu bereits oben § 3 B. II. 1. a).
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Stellung erfolgt erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das Blut für die Weitergabe an den Endverbraucher vorbereitet wird. Zur Herstellung eines sicheren virenfreien Produkts müsste der Hersteller den Herstellungsprozess so gestalten, dass der verseuchte Blutrohstoff mittels eines Virusinaktivierungsverfahrens gereinigt wird. Diesen Schritt unterlässt der Hersteller, weil die Verunreinigung des Blutes nicht erkennbar ist 1 1 5 5 . Letztlich führt die mangelnde Erkennbarkeit der Verseuchung dazu, dass der Hersteller seinen Herstellungsprozess nicht auf die Beseitigung der Verunreinigung des Blutes ausrichtet. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, ob diese Ausgestaltung des Herstellungsprozesses, die den Schaden verursacht, dem Konstruktions- oder dem Herstellungsbereich zuzuordnen ist. Die Frage der Abgrenzung zwischen Konstruktion und Fertigung ist gerade bei Naturprodukten schwierig 1156. Richtigerweise ist die Planung des Herstellungsprozesses dem Konstruktionsbereich zuzuordnen, während die Durchführung des Herstellungsprozesses die eigentliche Herstellung darstellt. Dementsprechend ist auch die Zuordnung zu den Fehlertypen vorzunehmen. Da die Fehlerhaftigkeit des Blutproduktes auf der Planung des Herstellungsprozesses, der keine Sterilisierung vorsieht, beruht, liegt ein Konstruktionsfehler vor 1 1 5 7 . Somit greift der Einwand des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi. Aber selbst bei Annahme eines Fabrikationsfehlers wäre aufgrund der zu bejahenden Voraussetzung der Nichterkennbarkeit des Fehlers Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi anzuwenden. „Risikoverteilungs- und Fairnessaspekte" genügen nämlich nicht, um eine Wertung des Richtliniengebers nach eigenen rechtspolitischen Ansichten zu korrigieren 1158. Der Hersteller kann sich daher darauf berufen, dass die HIV-Verseuchung des Blutproduktes nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass Fabrikationsfehler von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi nicht erfasst werden. Da unerkennbar verseuchte Blutprodukte einen Konstruktionsfehler aufweisen, ist Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi anwendbar.
1155 Für die Unkenntnis der HIV-Verseuchung des Blutes kann es verschiedene Ursachen geben. Erstens kann die Krankheit gänzlich unbekannt sein. Zweitens kann unbekannt sein, dass sich die Krankheit durch Blut überträgt. Drittens kann es an einem wirksamen Testverfahren zur Feststellung der Infizierung des Blutes fehlen. Viertens kann das Testergebnis nur bedingt aussagekräftig sein, da sich eine HIV-Infektion nicht sofort feststellen lässt. Da die HlV-Infizierung und ihre Übertragungswege mittlerweile allgemein bekannt sind, kommen die beiden zuerst genannten Konstellationen immer seltener in Betracht. 1156 Foerste, Anm. zu BGH v. 9. 5. 1995, JZ 1995, S. 1063. 1157 Anders OLG Stuttgart, 26. 9. 2000, VersR 2002, S. 577, wonach durch den Vorwurf, es hätte eine Virusinaktivierung durch Hitze erfolgen müssen, ein Herstellungsfehler und kein Konstruktionsfehler behauptet werde. H58 So aber wohl Becker /Rusch, Das Problem des Entwicklungsrisikos, ZEuP 2000, S. 90
(102).
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b) Bedeutung und Inhalt des Begriffes „Stand der Wissenschaft und Technik" Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi bestimmt, dass der Hersteller sich nur dann entlasten kann, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnte. Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi stellt damit ausdrücklich nicht auf die - subjektive oder objektive - Erkenntnisfähigkeit des Herstellers ab, sondern auf einen wissenschaftlich-technischen Standard 1159. Es entlastet den Hersteller somit nicht, dass auch kein anderer Hersteller den Fehler hätte erkennen können1160. Ein Haftungsausschluss nach Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi beruht nicht auf der Einhaltung eines Sorgfaltsmaßstabes durch den Hersteller 1161. Vielmehr handelt es sich bei dem Entwicklungsrisiko-Einwand um ein objektives Element, welches die Verschuldensunabhängigkeit der europäischen Produkthaftung bestätigt1162. Dem Stand von Wissenschaft und Technik kommt nach der Regelungsstruktur der Produkthaftungsrichtlinie auch nicht die Funktion eines Haftungsmaßstabes zu. Diesen bilden bereits die berechtigten Sicherheitserwartungen 1163. Der Stand der Wissenschaft und Technik ist im Rahmen der europäischen Produkthaftung nämlich kein Maßstab der Sicherheit des Produkts, sondern ein Maßstab für die Frage der Erkennbarkeit der Unsicherheit des Produkts 1164. Der Stand der Wissenschaft und Technik kann allerdings auch im Rahmen der Gesamtabwägung der maßgeblichen Umstände für die berechtigten Sicherheitserwartungen Berücksichtigung finden 1165 . »59 Siehe dazu EuGH, 29. 5. 1997, Rs. C-300/95, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1997, S. 1-2649 (2670), Rn. 27. ii60 Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 63 f.; Kort, „Stand der Wissenschaft und Technik", VersR 1989, S. 1113 (1116); insoweit verwirrend Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 87, der darauf abstellen will, ob der Fehler auch von einem „idealtypischen" Hersteller nicht erkannt werden konnte. In diesem Sinne ist auch die Umsetzungsvorschrift des Vereinigten Königreichs zu Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi, Art. 4 (l)(e) Consumer Protection Act, zu verstehen. Diese Vorschrift stellt darauf ab, ob „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zum maßgebenden Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden konnte, dass ein Hersteller von Produkten mit der gleichen Beschreibung wie das fragliche Produkt den Fehler erkannt hätte, während sie seiner Kontrolle unterlagen". Der EuGH hat im Rahmen des wegen der Umsetzung von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi gegen das Vereinigte Königreich eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens allerdings entschieden, dass die Formulierung in Art. 4 (l)(e) Consumer Protection Act nicht offensichtlich unvereinbar mit Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi sei. Es komme auf die Auslegung der Vorschrift durch die Gerichte des Vereinigten Königreichs an, die mit einer entsprechenden Auslegung das Ziel der Produkthaftungsrichtlinie erreichen könnten. Vgl. hierzu EuGH, 29. 5. 1997, Rs. C-300/95, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1997, S. 1-2649 (2671 ff.), Rn. 33 ff. Dazu ausführlich Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 265 f. »61 Ebenso Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 64. 1162 Anders Buchner, Neurorientierung des Produkthaftungsrechtes, DB 1988, S. 32 (33). i i « Ebenso Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143; Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 102. Siehe hierzu auch oben § 3 B. II. 2. a). 1164 Unscharf daher Bodewig, Der Rückruf fehlerhafter Produkte, S. 108 f. 1165 Siehe dazu oben § 3 B. II. 2. b) cc) (2). 17 Geiger
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Der Stand der Wissenschaft und Technik in Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi stellt einen Rechtsbegriff gemeinschaftsrechtlicher Art dar 1 1 6 6 , den die Richtlinie nicht definiert. Er enthält keine Verweisung auf einen außerrechtlichen Sachverhalt 1167 und über sein Vorliegen hat daher der Richter zu entscheiden. Dieser muss sich in der Regel sachverständiger Hilfe bedienen1168. Mit dem Begriff „Wissenschaft und Technik" hat sich der Richtliniengeber zugunsten der Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten der Theorie wie auch der Praxis entschieden. Die zwei Elemente stehen nebeneinander, ergänzen sich und verbinden beide Bereiche 1169. Stand der Technik ist nicht der praktizierte Standard in Form der branchenüblichen Produktionsweise1170. Gemeint ist damit vielmehr die Übung der allgemein akzeptierten, sich auf dem neuesten Stand befindenden Praxis auf der Grundlage der Erkenntnisse der Wissenschaft 1171. Der Begriff „Wissenschaft und Technik" enthält keine Beschränkung auf eine bestimmte wissenschaftliche Disziplin. Faktisch handelt es sich dabei eher um naturwissenschaftliche als um geisteswissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten. In Betracht kommen beispielsweise Erkenntnisse der Medizin, Pharmazie, Chemie, Physik und Biologie. Bei der Frage, ob der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erkennbar war, kommt es nicht nur auf die Erkenntnisse in Deutschland und Europa an 1 1 7 2 . Aufgrund der mittlerweile ungehinderten und stetig anwachsenden Informationsströme zwischen den Industrienationen und der voranschreitenden Internationalisierung von Wissenschaft und Technik sind wissenschaftliche Erkenntnisse aus anderen Ländern - nicht zuletzt durch das Internet - frei zugänglich1173 und müssen Berücksichtigung finden. Es ist daher der Weltstandard maßgeblich1174. Wissenschaft und Technik entwickeln sich allerdings nur allmählich voran. Es ist daher schwierig zu beurteilen, wann von einem „Stand" der Wissenschaft und Technik gesprochen werden kann. Vorauszusetzen sind gesicherte Erkenntnis1166 Zur autonomen Auslegung des Begriffes „Stand der Wissenschaft und Technik" in Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi siehe Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 82. 1167 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143. 1168 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 44. 1169 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143; Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 101. Siehe hierzu bereits oben § 3 B. II. 2. b) cc) (2) (a). 1170 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 84; Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 101; EuGH, 29. 5. 1997, Rs. C-300/95, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1997, S. 1-2649 (2670), Rn. 26. 1171 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 101. "72 Noch einschränkend Kort, „Stand der Wissenschaft und Technik", VersR 1989, S. 1113 (1115); Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 82. "73 Zum Kriterium der Zugänglichkeit der Information vgl. EuGH, 29. 5. 1997, Rs. C-300/95 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1997, S. 1-2649 (2670), Rn. 28. "74 In diesem Sinne bereits der deutsche Gesetzgeber für das Produkthaftungsgesetz, BTDrucks. 11/2447 S. 15.
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se 1 1 7 5 . Diese liegen nicht erst vor, wenn eine wissenschaftliche Erkenntnis allgemeine Anerkennung durch die herrschende Meinung erfahren hat 1 1 7 6 . Eine solche Voraussetzung verlagerte den Zeitpunkt der Handlungspflicht des Herstellers zu sehr nach hinten, was mit der Systematik des als Haftungsausschlussgrund ausgestalteten Entwicklungsrisiko-Einwandes nicht zu vereinbaren wäre. Es sind daher auch Mindermeinungen und Außenseiteransichten zu berücksichtigen, wenn diese auf die Gefahr durch ein Produkt hinweisen1177. Je größer die Gefahr für die Rechtsgüter des Verbrauchers ist, desto eher muss der Hersteller einer solchen Ansicht nachgehen1178 und gegebenenfalls das Inverkehrbringen des betroffenen Produkts unterlassen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Erkennbarkeit des Produktfehlers ist das Inverkehrbringen desjenigen Produkts, das den Schaden verursacht hat 1 1 7 9 . Es ist der zu diesem Zeitpunkt gültige Stand von Wissenschaft und Technik festzustellen 1 1 8 0 . Hieraus folgt, dass der Hersteller bei einer Weiterentwicklung der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse im Hinblick auf das Gefährdungspotential von Produkten nicht haftet. Es sind daher weder neuere Erkenntnisse im Moment des Schadenseintritts noch solche, die bis zur letzten mündlichen Verhandlung entstehen, als haftungsausschließend zu berücksichtigen. Konsequenterweise trifft den Hersteller keine Produktbeobachtungs- oder Rückrufpflicht, wenn sich die Fehlerhaftigkeit des Produkts nach seinem Inverkehrbringen erweist 1181 . Den Mitgliedstaaten ist es im Rahmen der Haftung nach Art. 1 ProdHaftRiLi verwehrt, die Anwendbarkeit des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi davon abhängig zu machen, dass der Hersteller Produkt- und Rückrufpflichten nachgekommen ist 1 1 8 2 . Produktbeobachtungs- und Rückrufpflichten nach Verschuldenshaftungsgrundsätzen bleiben aber aufgrund von Art. 13 ProdHaftRiLi unberührt 1183.
ins Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143. 1176
Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143; siehe den Schlussantrag des Generalanwalts Tesauro, EuGH, 29. 5. 1997, Rs. C-300/95 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1997, S. 1-2649 (2659), Rn. 21. 1177 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 85; Kulimann, Produkthaftungsgesetz, S. 63; Brüggemeier /Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (153); Micklitz in Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 1068; a.A. Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 43. 1178 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 143. 1179 Frietsch in Taschner/Frietsch, § 1 ProdHaftG Rn. 106. »so Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 87. 1181 Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II, § 72 Rn. 89; kritisch dazu Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1037). 1182 Siehe dazu EuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-52/00, Kommission/Französische Republik, Slg. 2002, S. 1-3827 (3875), Rn. 49. Frankreich hatte für den Haftungsausschluss „geeignete Maßnahmen . . . , um den Eintritt eines Schadens zu vermeiden" zur Voraussetzung gemacht. Vgl. Art. 1386 - 1 2 n Code civil. 1183 Sack, Das Verhältnis der Produkthaftungsrichtlinie, VersR 1988, S. 439 (448). 1*
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
c) Optionsrecht der Mitgliedstaaten nach Art. 151 lit. b ProdHaftRiLi Art. 15 I lit. b ProdHaftRiLi gestattet es den Mitgliedstaaten, abweichend von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi, in den nationalen Umsetzungsvorschriften Regelungen beizubehalten oder vorzusehen, wonach der Hersteller auch dann haftet, wenn er beweist, dass der vorhandene Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr gebracht hat, nicht erkannt werden konnte 1184 . Die Ausübung des Optionsrechts durch den Mitgliedstaat ist aufwändig ausgestaltet. Art. 15 II ProdHaftRiLi verlangt neben der Mitteilung der geplanten Regelung, dass der Mitgliedstaat neun Monate mit der Einführung derselben abwartet und hiervon gänzlich absieht, wenn mittlerweile ein gemeinschaftsrechtlicher Änderungsvorschlag im Hinblick auf das Optionsrecht vorliegt. Übt ein Staat die Option aus, entfällt der Haftungsausschlussgrund des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi und der Hersteller haftet für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts, ohne dass es darauf ankäme, ob diese zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens erkennbar war. Um Haftungskonsequenzen zu vermeiden, muss der Hersteller sein Produkt am Markt beobachten und bei eintretender Erkennbarkeit des Gefährdungspotentials, das von dem Produkt ausgeht, Maßnahmen ergreifen, um Rechtsgutverletzungen zu verhindern. Solche Maßnahmen bestehen typischerweise in Rückrufaktionen. Folglich ergibt sich im Falle der Nichtanwendbarkeit von Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi aus der Fehlerhaftigkeit des Produkts und den daraus resultierenden Haftungskonsequenzen für den Hersteller eine rechtliche Situation, als ob ihn Produktbeobachtungs- und Rückrufpflichten träfen 1185 . Art. 151 lit. b ProdHaftRiLi räumt den Mitgliedstaaten zwar die Option ein, den Entwicklungsrisiko-Einwand auszuschließen. Die Vorschrift erlaubt es aber nicht, die Haftungsbefreiung von weiteren Voraussetzungen als in Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi vorgesehen - wie etwa dem Ergreifen von schadensverhütenden Maßnahmen nach Inverkehrbringen des Produkts - abhängig zu machen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat eine entsprechende Regelung Frankreichs für richtlinienwidrig erklärt 1186 . 1184 Von diesem Optionsrecht haben Gebrauch gemacht: Luxemburg (für alle Produkte), Finnland (für alle Produkte), Spanien (nur für Lebensmittelprodukte, die zum menschlichen Verzehr bestimmt sind, und Arzneimittel; Art. 6 III Ley N. 22/94 v. 6.1. 1994), Frankreich (nur für Produkte, die Bestandteile des menschlichen Körpers waren oder die aus dem menschlichen Körper gewonnen werden, sowie für Produkte, die vor Mai 1998 auf den Markt gebracht wurden; Art. 1386-12 Code civil). Vgl. den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte v. 31. 1. 2001, KOM (2000) 893 endg., S. 18. "85 Siehe hierzu bereits oben § 3 B. II. 2. b) bb) (3) (b). 1186 EuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-52/00, Kommission/Französische Republik, Slg. 2002, S. 1-3827 (3875), Rn. 49. Von der Richtlinienkonformität des Art. 1386-12 I I Code civil geht - allerdings vor der Entscheidung des EuGH - Posch, Neue Produkthaftungsgesetze, ZfRV 1998, S. 238 (243 f.), aus. Posch vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Regelung des
§ 3 Haftung für A r z n e i t t e l nach der Produkthaftungsrichtlinie
261
d) Bedeutung des Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi für Arzneimittel Der Entwicklungsrisiko-Einwand ist von besonderer Bedeutung für Arzneimittel, da bei diesem Produkttyp die Nichterkennbarkeit unvertretbarer schädlicher Wirkungen eine typische Gefahr darstellt. Die Zulässigkeit der Erhebung eines solchen Einwandes stellt somit eine starke Einschränkung der Haftung des Herstellers von pharmazeutischen Produkten dar 1 1 8 7 . 6. Haftungsausschluss bei fehlerfreien
Teilprodukten
Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi stellt klar, dass der Hersteller eines Teilprodukts nicht haftet, wenn der Fehler durch die Konstruktion des Endprodukts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitung des Herstellers des Endprodukts verursacht worden ist. Dieser „Haftungsausschluss" ergibt sich allerdings bereits unmittelbar aus Art. 1 i.V.m. Art. 3 ProdHaftRiLi, wonach die Haftung für ein fehlerfreies Produkt ausscheidet1188. Bei den von Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi erfassten Teilprodukten handelt es sich nämlich um solche, die für sich gesehen fehlerfrei waren, als sie an den Endhersteller abgeben wurden 1189 . Es ist zwar die ungeeignete Beschaffenheit des Teilprodukts, die zur Fehlerhaftigkeit des Endprodukts führt. Diese Ungeeignetheit bedingt aber nicht die Fehlerhaftigkeit des Teilprodukts selbst. Die Fehlerhaftigkeit des Endprodukts beruht daher letztlich nicht auf der Fehlerhaftigkeit des Teilprodukts, sondern auf der mangelhaften Konstruktion des Endprodukts oder den falschen Anleitungen des Endherstellers. Bei beiden Alternativen ist das Teilprodukt für sich genommen fehlerfrei. Der Haftungsausschluss des Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi greift hingegen nicht, wenn die Anleitungen des Endprodukteherstellers zur Herstellung eines fehlerhaften Teilprodukts führen 1190 . Eine solche Haftungseinschränkung widerspräche dem Ziel der Richtlinie, alle am Produktionsprozess Beteiligten zur Haftung heranzuziehen1191. Außerdem entlastete es den Teilproduktehersteller von seiner nach Art. 1 ProdHaftRiLi gegebenen Verantwortung für die Herstellung eines fehlerhaften Teilprodukts. Art. 1386-12 I I Code civil um eine „Konkretisierung der Verschuldenshaftung in Gesetzesform" handele. Frankreich habe lediglich den falschen Ort für diese Regelung gewählt. 1187 Kritisch dazu Schlechtriem, Angleichung der Produktehaftung in der EG, VersR 1986, S. 1033 (1037); Hager, Fehlerbegriff, PHi 1991, S. 2 (8 ff.). 1188 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 55; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 148. 1189 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 55. H90 Ebenso Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 56; anders Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 157; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 189. ii9i Vgl. hierzu den 4. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 29.
262
1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Unklar ist, ob Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi auch Grundstoffe erfasst. Während diese bei der haftungsbegründenden Herstellerdefinition in Art. 3 ProdHaftRiLi neben den Teilprodukten ausdrücklich erwähnt werden, schweigt Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi zum Haftungsausschluss bei Grundstoffen. Da sich der Hersteller eines Grundstoffs in einer ähnlichen Situation befindet wie der Teilproduktehersteller, wäre die Aufnahme von Grundstoffen in Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi sinnvoll gewesen 1192 . Angesichts der lediglich deklaratorischen Wirkung von Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi kommt es hierauf aber nicht an 1 1 9 3 . Eine Haftung des Herstellers von fehlerfreien Grundstoffen, deren Beschaffenheit aufgrund der Konstruktion des Endprodukteherstellers zu einem fehlerhaften Endprodukt führt, scheidet schon mangels Vorliegens eines Produktfehlers am Grundstoff nach Art. 1 i.V.m. Art. 3 ProdHaftRiLi aus 1194 . Für den Bereich der Arzneimittel ist inbesondere festzuhalten, dass sich der Hersteller eines fehlerfrei in den Verkehr gebrachten Grundstoffs entlasten kann, wenn die Fehlerhaftigkeit des Arzneimittels auf der Konstruktion des Endprodukts oder auf den konstruktiven Anleitungen des Arzneimittelherstellers beruht.
D. Darlegungs- und Beweisfragen I. Darlegungsfragen Die Produkthaftungsrichtlinie enthält keine Angaben darüber, wer die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen hat. Es existiert bislang auch keine allgemeine europarechtliche zivilprozessuale Regelung, welche die Frage der Darlegungslast für europarechtlich gesetztes Privatrecht bestimmt1195. Daher verweist die Produkthaftungsrichtlinie für diese Frage auf die nationalen Rechte. Im deutschen •192 Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 147. Der deutsche Gesetzgeber hat daher in das Produkthaftungsgesetz eine entsprechende Regelung aufgenommen; vgl. § 1 I I I S. 2 ProdHaftG. 1193 Anders Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), DB 1985, S. 2389 (2396), der Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi eine konstitutive Wirkung zuschreibt und daher eine ausdrückliche Aufnahme von Grundstoffen in diese Vorschrift fordert. H94 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 57. H95 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 1, behauptet allerdings die Existenz einer „Grundregel der Zivilprozeßrechte aller Mitgliedstaaten4', nach der der Geschädigte alle haftungsbegründenden Tatsachen geltend zu machen habe, aus denen er seinen Anspruch ableite. Einen Nachweis für seine Behauptung erbringt Taschner nicht. Nahe liegender ist die Annahme, dass in den anderen Rechtsordnungen zwischen der Darlegung und dem Beweis von Tatsachen nicht so strikt unterschieden wird wie im deutschen Zivilprozessrecht und dass die Darlegung von Tatsachen von der Beweisführung miterfasst ist. Bestrebungen für eine Vereinheitlichung der europäischen Zivilprozessrechte existieren bereits. Zu den Perspektiven einer europäischen Harmonisierung des Zivilprozessrechts vgl. Wagner, Europäisches Beweisrecht, ZEuP 2001, S. 441; Kerameus, Angleichung des Zivilprozeßrechts in Europa, RabelsZ 66 (2002), S. 1.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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Rechtrichtetsich die Darlegungslast nach der Beweislast. Letztere wird durch die Richtlinie determiniert, sodass die Darlegungslast für die Anspruchsvoraussetzungen des Haftungstatbestandes der Produkthaftungsrichtlinie der dort festgelegten Beweislastverteilung folgt. Die Darlegung der Haftungsausschlussgründe obliegt dem Hersteller. Offen bleibt allerdings die Frage, wann eine Partei die von ihr zu beweisenden Tatsachen hinreichend dargelegt hat. Dieses „Darlegungsmaß" richtet sich mangels europarechtlicher Regelung nach dem nationalen Zivilprozessrecht des jeweiligen Mitgliedstaates, für Deutschland also nach der Zivilprozessordnung und den allgemeinen Prinzipien des Zivilprozessrechts.
II. Beweisfragen Haftungsbegründende und haftungsausschließende Tatsachen müssen von der beweisbelasteten Partei bewiesen werden. Der geführte Beweis muß das gesetzlich vorgeschriebene Beweismaß erfüllen. 1. Beweislast a) Haftungstatbestand Nach Art. 4 ProdHaftRiLi trägt der Geschädigte die Beweislast für den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden. Der Richtliniengeber hat sich bei seiner Regelung für die strikte klassische Beweislastverteilung entschieden1196. Damit hat er auch der Umkehr der Beweislast beim Ursachenzusammenhang eine deutliche Absage erteilt. Dem Arzneimittelgeschädigten fällt der Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Produktfehler und Rechtsgutverletzung aufgrund der „Unsichtbarkeit" der Wirkungsweise und der technischen Komplexität von Arzneimitteln sowie der oft unspezifischen Art der eingetretenen Schädigung schwer 1197. Auch durch die fehlende Sachkenntnis auf dem Gebiet der Pharmazie wird er sich nicht selten in Beweisnot befinden. Der Beweis des Schadens bzw. der Rechtsgutverletzung erfordert den Nachweis der Tötung oder Körperverletzung eines Menschen oder der Beschädigung einer Sache, die privat genutzt wird und außerhalb des fehlerhaften Produkts liegt. Der Geschädigte muss den Nachweis eines Produktfehlers erbringen, indem er die einzelnen Umstände, die zur Fehlerhaftigkeit des Produkts geführt haben, nachweist 1198 . Die Beurteilung der Berechtigung der Sicherheitserwartungen obliegt 1196 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 2. 1197 Vgl. den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produke v. 31. 1. 2001, KOM (2000) 893 endg., S. 15. 1198 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 6.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
hingegen dem Richter und ist als Rechtsfrage dem Beweis nicht zugänglich1199. Der Geschädigte muss nicht nachweisen, dass der Fehler bei Inverkehrbringen des Produkts bereits vorhanden war 1 2 0 0 . Der Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Produktfehler und Schaden erfordert den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Fehler und Rechtsgutverletzung wie auch zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden.
b) Haftungsausschlussgründe Art. 7 ProdHaftRiLi bestimmt, dass der Hersteller die von ihm geltend gemachten Haftungsausschlussgründe zu beweisen hat. Hervorzuheben ist, dass Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi dem Hersteller des Produkts den so genannten Fehlerbereichsnachweis, also den Beweis, dass das Produkt bei Inverkehrbringen nicht fehlerhaft war, auferlegt 1201.
2. Beweismaß Weder der Haftungstatbestand des Art. 1 ProdHaftRiLi noch die entlastenden Tatbestände des Art. 7 ProdHaftRiLi enthalten eine grundsätzliche Regelung des Maßes an Wahrscheinlichkeit, das für den Beweis eines relevanten Umstandes erforderlich ist 1 2 0 2 .
a) Beweismaßregelung des Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi Eine Ausnahme zum Verzicht der Produkthaftungsrichtlinie auf eine Regelung des Beweismaßes enthält Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi. Demnach genügt für den Nachweis, dass das Produkt fehlerfrei war, als es in den Verkehr gebracht wurde, ein reduziertes Beweismaß. Im Rahmen des Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi kommt es darauf an, ob unter Berücksichtigung aller Umstände davon auszugehen ist, dass ein Produktfehler bei Inverkehrbringen nicht vorlag oder dass dieser erst später entstanden ist. Der Beweis des Haftungsausschlussgrundes wird dem Hersteller 1199 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 6; Rolland, § 1 ProdHaftG Rn. 178. 1200 Dies ergibt sich als Umkehrschluss aus Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi, der den Hersteller mit dem Nachweis des NichtVorliegens des Fehlers bei Inverkehrbringen des Produkts belastet. 1201 Kullmann, Produkthaftungsgesetz, S. 72. 1202 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 3, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 4; Brüggemeier/Reich, Die EG-Produkthaftungs-Richtlinie, W M 1986, S. 149 (154). Siehe dazu auch das Grünbuch „Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte" v. 28.7. 1999, KOM (1999) 396 final, S. 20.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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hierdurch in zweierlei Hinsicht erleichtert. Zum einen ist kein positiver Nachweis der Fehlerfreiheit des Produkts erforderlich 1203. Zum anderen lässt der Richtliniengeber ein geringeres Maß an Wahrscheinlichkeit, nämlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit1204, genügen1205.
b) Kein Verbot von Beweismaßreduzierungen Umstritten ist, ob es den Mitgliedstaaten verboten ist, das Beweismaß der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 1 ProdHaftRiLi zu reduzieren oder ob durch die Produkthaftungsrichtlinie zwingend ein höheres Maß an Wahrscheinlichkeit festgeschrieben ist.
aa) Meinungsstand Teilweise wird argumentiert, die Produkthaftungsrichtlinie nehme mit Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi eine ausdrückliche Beweismaßreduzierung vor. Daraus sei zu folgern, dass die Produkthaftungsrichtlinie im Übrigen ein höheres Beweismaß voraussetze 1206. Andere Stimmen in der Literatur lehnen diese Argumentation ab und gehen für Fragen des Beweismaßes und der Beweiswürdigung von einer stillschweigenden Verweisung der Produkthaftungsrichtlinie auf die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten aus 1207 .
bb) Stellungnahme Der Existenz einer isolierten Regelung des Beweismaßes in Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi ist im Umkehrschluss nicht zu entnehmen, dass Beweismaßreduzierungen außerhalb dieser Vorschrift verboten sind 1208 . Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi stellt keine abschließende Regelung des Beweismaßes dar und gebietet daher auch nicht die Anwendung des Vollbeweises im übrigen Kontext der Produkthaftungsrichtlinie 1 2 0 9 . Die Richtlinie ist bereits von ihrer Anlage her nicht so konzipiert, dass 1203 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 12. 1204 Riedel/Karpenstein, Europarechtliche Grenzen, Pharm. Ind. 1996, S. 201 (204). 1205 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn. 12; Schmidt-Salzer, Art. 7 ProdHaftRiLi Rn.51. 1206 Riedel/Karpenstein, Europarechtliche Grenzen, Pharm. Ind. 1996, S. 201 (204). 1207 Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (725 f.); Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 259 (m. w. N. in Fn. 1483); Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 3; Kulimann, Bestrebungen zur Änderung, FS für Steffen (1995), S. 247 (253). 1208 So aber Riedel/Karpenstein, Europarechtliche Grenzen, Pharm. Ind. 1996, S. 201 (204); anders Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (725). 1209 So auch Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (725 f.).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
sie Beweisfragen im Detail regeln soll. So fehlen etwa auch Regelungen zur Beweisführung. Um eine einheitliche Beweisführung in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, hätte es jedoch aufgrund der divergierenden nationalen Rechte einer detaillierten Regelung der damit verbundenen Fragen bedurft 1210 . Bei Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi handelt es sich vielmehr um eine einzelne Regelung einer Beweisführungsfrage, die dem Umstand Rechnung trägt, dass sich der Hersteller beim Nachweis des Umstandes, dass der Fehler erst nach Inverkehrbringen, also nachdem das Produkt seinen Einflussbereich bereits verlassen hatte, entstanden ist, in einer sehr schwierigen Beweissituation befindet 1211. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Beweismaß wie auch die Einzelheiten der Beweiswürdigung dem Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten überlassen sind 1212 . 3. Beweiserleichterungen Beweiserleichterungen dienen dazu, der in Beweisnot geratenen Partei den Beweis der von ihr behaupteten Tatsache zu ermöglichen 1213. Dies lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Partei unverschuldet die erforderlichen Beweismittel nicht benennen und beibringen kann 1214 . Da der europäische Richtliniengeber in der Produkthaftungsrichtlinie nur die Beweislast, nicht aber das Beweismaß und die Beweiswürdigung geregelt hat, steht die Produkthaftungsrichtlinie der Anwendung nationaler Beweisregeln nicht entgegen1215, solange dadurch die Beweislast nicht berührt wird. a) Anscheinsbeweis zum Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Herstellungsbzw. Konstruktionsfehler und der Rechtsgutverletzung Dem Geschädigten kann nach deutschem Zivilprozessrecht eine Beweiserleichterung mittels Anscheinsbeweises zugute kommen. Dies kommt angesichts der Be1210
Zur Praxis der nationalen Gerichte vgl. den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte v. 31. 1. 2001, KOM (2000) 893 endg., S. 15 f. 1211 Vgl. auch Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (725). 1212 v o n einer stillschweigenden Verweisung auf die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten für Fragen des Beweismaßes und der Beweisführung geht auch die Kommission in ihrem Grünbuch „Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte" v. 28. 7. 1999, KOM (1999) 396 final, S. 20, aus („Die Richtlinie legt keinen Beweisstandard fest."); in diesem Sinne auch Besch, Fehlerhafte Arzneimittel, S. 259 (m. w. N. in Fn. 1483); Taschner in Taschner/ Frietsch, Art. 4 ProdHaftRiLi Rn. 3; Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (725); Kullmann, Bestrebungen zur Änderung, FS für Steffen (1995), S. 247 (253). 1213 Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rn. 215. 1214
Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rn. 215. 1215 Siehe auch Taschner, Produkthaftung in der Europäischen Union, PHi 2000, S. 148 (153).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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weisprobleme des Geschädigten insbesondere für den Nachweis des Ursachenzusammenhangs in Betracht. Die deutsche Rechtsprechung1216 und Literatur 1217 haben die Möglichkeit der Beweisführung mittels Anscheinsbeweises bei der haftungsbegründenden Kausalität grundsätzlich anerkannt 1218. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises wird vermutet, dass ein bewiesener Sachverhalt nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf einen bestimmten typischen Geschehensablauf hindeutet. Diese Vermutung kann durch den Beklagten mittels Darlegung der ernsthaften Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs entkräftet werden, sodass der Kläger dann den vollen Beweis führen muss. Für die Produkthaftung bedeutet die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises, dass dem Geschädigten die Möglichkeit eröffnet ist, durch den Nachweis des Produktfehlers und der Rechtsgutverletzung einen Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit des Fehlers für die Verletzung zu begründen. Da die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises einen typischen Geschehensablauf erfordert, besteht bei Körperverletzungen durch komplexe chemische Produkte wie Arzneimitteln das Problem, dass die Rechtsgutverletzung auch auf anderen Umständen beruhen kann. Diese Beweisschwierigkeit ist durch den Anscheinsbeweis kaum zu überwinden. Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen zum Anscheinsbeweis bei HlV-verseuchten Blutprodukten Kriterien für den Anscheinsbeweis der Ursächlichkeit eines fehlerhaften Blutproduktes für eine HIV-Infektion aufgestellt 1219. Der Geschädigte darf keiner HTV-Risikogruppe angehören und auch sonst keiner gesteigerten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sein. Der Blutspender muss nachweislich an Aids erkrankt sein und bei den anderen Empfängern seines Blutes muss ebenfalls eine HIV-Infektion festgestellt worden sein. Soweit der beklagte Anspruchsgegner die Charge des verabreichten Blutproduktes nicht benennen kann, gilt die HTV-Kontaminierung des Blutproduktes als zugestanden1220. Der Bundesgerichtshof hat somit unter bestimmten Voraussetzungen einen typischen Geschehensablauf angenommen. Bei Gesundheitsverletzungen durch andere pharmazeutische Produkte wird die Beweisführung mittels Anscheinsbeweises regelmäßig noch schwieriger sein, da HTV-Infektionen vergleichsweise selten vorkommen und die Übertragungswege bekannt sind. Bei anderen Erkrankungen, die nicht durch eine Infektion hervorgerufen werden, und die vielerlei - auch umweltbedingte - Ursachen haben können, lässt sich die Rechtsgutverletzung noch seltener auf einen Produktfehler zurückführen.
1216 Grundlegend BGH, 10. 7. 1956, NJW 1956, S. 1638. 1217 Vgl. Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rn. 248 (m. w. N. in Fn. 117). 1218 Siehe hierzu bereits ausführlich oben § 2 B. II. 1. a) aa) (1). 1219 BGH, 30. 4. 1991, BGHZ 114, S. 284; BGH, 14. 6. 2005, NJW 2005, S. 2614 (2615 f.). Siehe dazu ausführlicher oben § 2 B. II. 1. a) aa) (2). 1220 BGH, 14. 6. 2005, NJW 2005, S. 2614 (2615 f.).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Die Anwendung des Anscheinsbeweises widerspricht nicht Art. 4 ProdHaftRiLi 1 2 2 1 , da sie bei weitem zu keiner Beweislastumkehr1222 führt oder faktisch wie eine solche wirkt. Die Voraussetzungen sind so eng, dass letztlich der Geschädigte mit dem Beweis der Ursächlichkeit belastet bleibt und somit auch die Konsequenzen des non liquet zu tragen hat.
b) Beweiserleichterungen beim Ursachenzusammenhang zwischen Produktinformation und Rechtsgutverletzung aa) Anscheinsbeweis Der Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen fehlender oder falscher Produktdarbietung und der Rechtsgutverletzung erfordert den Nachweis, dass der Geschädigte die Information zur Kenntnis genommen und befolgt hätte. Steht fest, dass der Geschädigte die Produktinformation insgesamt nicht gelesen hat und damit auch von der fehlenden Information keine Kenntnis genommen hätte, fehlt es an einem Ursachenzusammenhang zwischen fehlerhafter Information und Rechtsgutverletzung. Hat der Geschädigte hingegen die vorhandene Information zur Kenntnis genommen, ist unklar, ob er bei ordentlicher Information sein Verhalten, d. h. die Art und Weise der Verwendung des Produkts, geändert hätte. Der Geschädigte hat beim Nachweis dieses Aspektes des Ursachenzusammenhangs Beweisschwierigkeiten, die er nicht verschuldet hat und die daher dem Anscheinsbeweis zugänglich sind. Im Einzelfall wird die Annahme eines typischen Geschehensablaufs aber kaum gelingen, da es keine allgemeine Lebenserfahrung über den Umgang mit Produktinformationen gibt. Der Bundesgerichtshof hat sich bislang bei der Frage des Anscheinsbeweises für die Ursächlichkeit von Aufklärungspflichtverletzungen im Rahmen von Gefährungshaftungstatbeständen zurückhaltender verhalten als bei Aufklärungspflichtverletzungen im Rahmen von vertraglichen Haftungsnormen oder deliktischen Verschuldenshaftungstatbeständen 1223. Im Asthmaspray-Fall machte der Bundesgerichtshof allerdings deutlich, dass die Frage, ob die Rechtsgutverletzung durch eine ausreichende Produktinformation zu vermeiden gewesen wäre, separat geprüft werden müsse 1224 . Bei Gebrauchs- und Warnhinweisen ist allerdings davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Verbraucher diese befolgt hätte, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die gegen eine solche Annahme sprechen. 1221 Taschner, Produkthaftung in der Europäischen Union, PHi 2000, S. 148 (153). 1222 Die Einordnung des Anscheinsbeweises als Beweislastumkehr wird in der deutschen Literatur diskutiert. Vgl. hierzu Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rn. 244 (m. w. N. in Fn. 94 ff.). 1223 Vgl. hierzu den Asthmaspray-Fall, BGH, 24. 11. 1989, BGHZ 106, S. 273; vgl. dazu ausführlich oben § 2 B. IL 2. b) bb) (1) (a). 1224 BGH, 24. 11. 1989, BGHZ 106, S. 273 (Asthmaspray). Siehe hierzu ausführlich oben § 2 A. II. 2. a) bb) (2) (a) (bb) (ß).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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bb) Grundsätze zum „echten Entscheidungskonflikt" Im Hinblick auf den unterlassenen Hinweis auf vertretbare Nebenwirkungen von Arzneimitteln ist für die Frage, ob der Geschädigte das Arzneimittel auch bei Kenntnis der Nebenwirkungen angewendet hätte, auf die Grundsätze zum „echten Entscheidungskonflikt" zurückzugreifen 1225. Diese Grundsätze wurden für den Ursachenzusammenhang bei fehlender Aufklärung über (vertretbare) Risiken in Arzthaftungsfällen entwickelt und sind auf die unterlassene Aufklärung über vertretbare Nebenwirkungen aufgrund der vergleichbaren Interessenlage übertragbar. Demnach kann der Geschädigte den Beweis, dass er das Arzneimittel bei Kenntnis der Nebenwirkungen nicht genommen hätte, führen, indem er einen echten Entscheidungskonflikt nachweist. Dies wird ihm angesichts der Nützlichkeit des Arzneimittels aber selten gelingen. Auch beim Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen mangelhafter Produktdarbietung und Rechtsgutverletzung ist die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises und der Grundsätze zum „echten Entscheidungskonflikt" nur unter so engen Voraussetzungen zulässig, dass sie die Beweislastverteilung des Art. 4 ProdHaftRiLi nicht berührt.
c) Anwendung des § 8301 S. 2 BGB Unklarheiten können auch im Hinblick auf die Identität des Herstellers eines Produkts bestehen1226. Eine Anwendung der Grundsätze der Marktanteilshaftung 1227 , bei welcher der Geschädigte jeden Hersteller eines Produkts entsprechend seinem Marktanteil an diesem Produkt in Anspruch nehmen kann, sieht die Produkthaftungsrichtlinie nicht vor 1 2 2 8 . Diesem Beweisproblem begegnet § 830 I S. 2 BGB, der die Verantwortlichkeit aller Beteiligten festlegt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden verursacht hat. Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht Art. 5 ProdHaftRiLi nicht entgegen, wonach mehrere haftpflichtige Personen als Gesamtschuldner haften. Art. 5 ProdHaftRiLi setzt eine bestehende Ersatzpflicht voraus und regelt nicht den Fall, dass bei Beteiligung mehrerer Personen die Kausalität ungeklärt ist 1 2 2 9 . Insoweit sind die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten maßgeblich.
1225 siehe hierzu ausführlich oben § 2 B. IL 2. b) bb) (2) (d) (bb). 1226 Grünbuch „Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte" v. 28. 7. 1999, KOM (1999) 396 final, S. 22. 1227 Zur Marktanteilshaftung siehe im Einzelnen oben § 2 B. II. l.a) bb) (2) (c) (cc). 1228 So die Kommission im Grünbuch„Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte" v. 28. 7. 1999, KOM (1999) 396 final, S. 22. 1229 Eberl-Borges , § 830 BGB und die Gefährdungshaftung, AcP 196 (1996), S. 491 (538).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
§ 8301 S. 2 BGB ist auch auf den Haftungstatbestand der Produkthaftungsrichtlinie anwendbar 1230. Da es sich bei Art. 1 ProdHaftRiLi bzw. § 1 ProdHaftG um keine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. BGB handelt, ist § 830 I S. 2 BGB analog anzuwenden1231. Voraussetzung von § 830 I S. 2 BGB ist, dass die betroffenen Hersteller an der Verletzungshandlung beteiligt waren und dass ihre Handlungen geeignet waren, den Schaden herbeizuführen 1232. Das Merkmal der Beteiligung ist bei Gefahrdungshaftungstatbeständen erst erfüllt, wenn eine über die Gefährdung des Rechtsguts des Geschädigten hinausgehende Konkretisierung der Gefahr eingetreten ist 1 2 3 3 . Bloßes Inverkehrbringen des Produkts genügt für die Konkretisierung der Gefahr nicht. Die Anwendung von § 830 I S. 2 BGB setzt voraus, dass das Produkt dieses Herstellers vom Geschädigten auch verwendet wurde 1234 . Ein Arzneimittelhersteller ist demzufolge lediglich dann Beteiligter im Sinne von § 830 I S. 2 BGB, wenn der Patient sein Medikament nachweislich angewendet hat 1 2 3 5 . Das Merkmal der Geeignetheit zur Schadensherbeiführung ist nur erfüllt, wenn die Handlung des Herstellers geeignet war, den gesamten entstandenen Schaden zu verursachen 1236. Es ist somit festzuhalten, dass die Anwendung von § 830 I S. 2 BGB auf Urheberzweifel auch bei Schäden durch Produkte im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie aufgrund der engen Voraussetzungen der Vorschrift nur sehr eingeschränkt möglich ist.
E. Rechtsfolgen der Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie Nach Art. 1 ProdHaftRiLi haftet der Hersteller für den durch sein fehlerhaftes Produkt entstandenen Schaden.
1230 Eberl-Borges, § 830 BGB und die Gefährdungshaftung, AcP 196 (1996), S. 491 (538). 1231 Eberl-Borges, § 830 BGB und die Gefährdungshaftung, AcP 196 (1996), S. 491 (538). 1232 MÜKo-Stein, § 830 BGB Rn. 26 f. (3. Aufl.); MüKo-Wagner, § 830 BGB Rn. 32. 1233 Zum Meinungsstreit über die Frage, wann die Konkretisierung der Gefahr eingetreten ist, siehe oben bei den Ausführungen zu § 84 AMG i.V.m. § 8301 S. 2 BGB in § 2 B. II. 1. a) bb) (2) (a). 1234 Siehe oben § 2 B. II. 1. a) bb) (2) (a) (bb). 1235 Eberl-Borges, § 830 BGB und die Gefährdungshaftung, AcP 196 (1996), S. 491 (538 f.). Siehe dazu auch oben § 2 B. II. 1. a) bb) (2) (a) (bb). 1236 Siehe hierzu im Einzelnen oben § 2 B. II. 1. a) bb) (2) (b) (bb).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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I. Ersatzfähige Schäden Ersatzfähig sind gemäß Art. 1 i.V.m. Art. 9 ProdHaftRiLi sowohl Personen- wie auch Sachschäden. Die Richtlinie definiert den Begriff „Schaden" im Übrigen nicht 1237 . Den Mitgliedstaaten ist es daher überlassen, die beiden Schadensarten genauer zu definieren 1238. Für die Frage, ob ein Schaden in die eine oder in die andere Kategorie einzuordnen ist, kommt es daher auf die Regelungen des jeweiligen nationalen Rechts an. Dabei dürfen allerdings die Arten des zu ersetzenden materiellen Schadens nicht eingeschränkt werden 1239 . Soweit alle übrigen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind, kann eine Schadensersatzpflicht auf der Basis der Richtlinie nicht mit der Begründung verneint werden, der entstandene Schaden lasse sich weder unter den Personen- noch den Sachschadensbegriff subsumieren und falle daher unter keine der in Art. 9 ProdHaftRiLi genannten Schadens,,1240
arten
7. Personenschäden Schaden im Sinne von Art. 1 ist gemäß Art. 9 S. 1 lit. a ProdHaftRiLi der durch Tod oder Körperverletzung verursachte Schaden. Die Produkthaftungsrichtlinie erfasst umfassend alle unmittelbaren und mittelbaren Personenschäden1241, soweit es sich um Vermögensschäden handelt. Der Richtliniengeber hat darauf verzichtet, einzelne Arten ersatzfähiger Personenschäden zu benennen. In Betracht kommen beispielsweise Beerdigungskosten, Kosten einer versuchten Heilung, Ersatz für entgangene Unterhaltsansprüche bei Verlust eines Unterhaltsverpflichteten, Heilungskosten, Ersatz für die Minderung bzw. Aufhebung der Erwerbsfähigkeit oder Ersatz für den verletzungsbedingten Mehrbedarf des Geschädigten1242. 2. Sachschäden Nach Art. 9 S. 1 lit. b ProdHaftRiLi umfasst der Schaden auch die Beschädigung oder die Zerstörung einer Sache. Der Hersteller hat daher unmittelbar aus der 1237 EUGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3599), R n . 25.
1238 EUGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3599), R n . 27.
1239 EUGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3600), R n . 28.
1240 EUGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569 (3601), Rn. 33. Vgl. dazu Hakenberg, Die Produkthaftung, ZEuS 2002, S. 65 (69); Taschner, Die zerstörte Niere, PHi 2003, S. 13 (16 f.). 1241 Anderle, Der Haftungsumfang, S. 60; Schmidt-Salzer, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 14. 1242 Siehe hierzu auch die deutschen Umsetzungsvorschriften §§ 7, 8, 9 ProdHaftG.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Sachbeschädigung entstehende Vermögensschäden (Neuanschaffungskosten, Reparaturkosten) ebenso zu ersetzen wie Sachfolgeschäden (entgangener Gewinn, Kosten der Nutzung einer anderen Sache).
a) Einbeziehung von Sachfolgeschäden Obwohl die Formulierung des Art. 9 S. 1 lit. b ProdHaftRiLi die Annahme nahe legt, der Sachschadensbegriff erfasse nur die Kompensation der Beschädigung oder Zerstörung der Sache, sind Sachfolgeschäden in die Sachschadenshaftung mit einbezogen1243. Art. 1 ProdHaftRiLi gewährt dem Geschädigten nämlich den Ersatz seines ganzen Schadens. Der Begriff ist umfassend zu verstehen und erfasst alle auf dem Produktfehler kausal beruhenden Schäden. Hätte der Richtliniengeber eine Beschränkung des Sachschadensbegriffs auf direkte Sachschäden beabsichtigt, hätte er - wie bei Schäden am fehlerhaften Produkt selbst uncl bei Schäden an gewerblich genutzten Sachen - eine Begrenzung des Schadensbegriffs vorgenommen. Dies ist nicht geschehen. Gegen eine Einbeziehung von Sachfolgeschäden kann auch nicht vorgebracht werden, Sachfolgeschäden seien nicht versicherbar. Sie sind nämlich bereits als Produktrisiko von der Produkthaftpflichtversicherung abgedeckt1244. Bei Nichteinbeziehung von Sachfolgeschäden in den Schadensbegriff der Produkthaftungsrichtlinie wäre auch die Prozessführung schwierig. Denn Sachfolgeschäden entstehen häufig im Zusammenhang mit Sachschäden. Die Sachfolgeschäden müsste der Geschädigte dann nach den Grundsätzen der Verschuldenshaftung geltend machen, während der Sachschaden nach § 1 ProdHaftG einzuklagen wäre 1245 .
b) Selbstbehalt Art. 9 S. 1 lit. b ProdHaftRiLi bestimmt, dass sich der Geschädigte an dem Schaden mit 500 ECU/Euro selbst beteiligen muss 1246 . Unterschreitet der Sachschaden •243 Ebenso Schmidt-Salzer, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 35; anders Taschner in Taschner/ Frietsch, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 12. 1244 Schmidt-Salzer, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 31; Änderte, Der Haftungsumfang, S. 101. Vgl. § 1 I, 2. Alt. AHB (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung); dazu Nickel in Kulimann /Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 6820 S. 6. Siehe auch Ziff. 1 der Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben, abgedruckt bei Kulimann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 6925. 1245 Schmidt-Salzer, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 34. 1246 Der Selbstbehalt des Geschädigten wird von der Kommission als europarechtlich zwingende Regelung angesehen. Die Mitgliedstaaten dürfen auf diesen nicht zulasten des Herstellers verzichten. Die Kommission hatte daher gegen Frankreich und Griechenland wegen abweichender Regelungen Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Der EuGH hat die Europarechtswidrigkeit der französischen und griechischen Vorschriften festgestellt; vgl.
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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diesen Betrag, ist der Schaden vom Geschädigten zu tragen. Die Selbstbeteiligung des Geschädigten dient der Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten bei geringfügigen Sachschäden1247. 3. Immaterielle Schäden Nicht ersetzt werden nach der Produkthaftungsrichtlinie immaterielle Schäden. Dem nationalen Gesetzgeber steht es aber aufgrund von Art. 9 S. 2 ProdHaftRiLi frei, in seinen nationalen Umsetzungsvorschriften den Ersatz von immateriellen Schäden, wie beispielsweise Schmerzensgeld, vorzusehen 1248.
II. Haftungshöchstgrenzen Art. 16 ProdHaftRiLi erlaubt den Mitgliedstaaten, die Gesamthaftung des Herstellers für Schäden durch Tod oder Körperverletzungen, die durch das gleiche Produkt mit demselben Fehler verursacht wurden, auf einen Betrag von nicht weniger als 70 Millionen ECU/Euro zu begrenzen 1249. Übt ein Mitgliedstaat bei der Umsetzung diese Option aus 1250 , kann es bei auftretenden Massenschäden zu Haftungslücken zulasten des Geschädigten kommen. Diese Haftungslücken sind der Ausgleich für die Verschuldensunabhängigkeit der Haftung des Herstellers und sollen die Versicherbarkeit des Produktrisikos gewährleisten 1251. Mit der Ermöglichung von Haftungshöchstsummen wollte der Richtliniengeber den Rechtstraditionen in einigen Mitgliedstaaten Rechnung tragen 1252 . Abgesehen vom Selbstbehalt haftet der Hersteller für Sachschäden unbegrenzt. Eine Art. 16 ProdHaftRiLi entsprechende Regelung, die den MitgliedEuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-52/00, Kommission/Französische Republik, Slg. 2002, S. 1-3827 (3869 ff.), Rn. 26 ff.; EuGH, 25.4. 2002, Rs. C-154/00, Kommission/Hellenische Republik, Slg. 2002, S. 1-3879 (3899), Rn. 34. 1247 Hollmann, Die EG-Produkthaftungsrichtline (I), DB 1985, S. 2439. 1248 wie hier Änderte, Der Haftungsumfang, S. 69; Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 9 ProdHaftRiLi Rn. 16; Klauer, Die Europäisierung des Privatrechts, S. 156; so ausdrücklich der EuGH, 10. 5. 2001, Rs. C-203/99, Veedfald/Arhus Amtskommune, Slg. 2001, S. 1-3569, Rn. 27. Deutschland verfügt seit dem 1.8. 2002 über eine solche Schmerzensgeldregelung; vgl. § 8 S. 2 ProdHaftG n.F., § 253 I I BGB n.F. 1249 § 101 ProdHaftG sah bis zum 31. 7. 2002 eine Haftungshöchstgrenze von 160 Millionen DM vor. Mit dem Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetz v. 19. 7. 2002 wurde dieser Betrag an den Euro angepasst und auf 85 Millionen Euro angehoben. 1250 Diese Option haben ausgeübt: Deutschland, Spanien, Portugal. Vgl. den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 85/374 über die Haftung für fehlerhafte Produkte v. 31. 1. 2001, KOM (2000) 893 endg., S. 22. 1251 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/2447S. 12. 1252 Vgl. den 17. Erwägungsgrund der Produkthaftungsrichtlinie, ABl. Nr. L 210 v. 7. 8. 1985, S. 30. 18 Geiger
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Staaten die Haftungsbegrenzung auf Höchstsummen erlaubt, gibt es für Sachschäden nicht.
F. Weitere haftungsrelevante Spezialregelungen der Produkthaftungsrichtlinie I. Mitverschulden Gemäß Art. 8 I I ProdHaftRiLi kann die Haftung des Herstellers gemindert werden oder entfallen, wenn das Verschulden des Geschädigten oder einer Person, für die er haftet, den Schaden mitverursacht hat. Ob ein Haftungsausschluss vorzunehmen ist, hängt vom Einzelfall ab. Der Richter hat dabei alle Umstände zu berücksichtigen. Der Begriff des Verschuldens im Sinne von Art. 8 ProdHaftRiLi erfasst Vorsatz und jede Form von Fahrlässigkeit 1 2 5 3 Art. 8 II ProdHaftRiLi regelt zwar, dass ein Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen ist. Die Voraussetzungen und Beurteilungswirkungen eines Mitverschuldens sind in der Vorschrift aber nicht geregelt. Insoweit wird auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten verwiesen 1254. In Deutschland gelangt § 254 BGB zur Anwendung.
7. Mitverschulden
bei der Schadensverursachung (§ 2541 BGB)
Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung des Mitverschuldens von der Haftungsvoraussetzung des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, da sich das Verhalten des Geschädigten entweder auf der Ebene des Fehlerbegriffs oder auf der Ebene des Mitverschuldens auswirken kann. Tritt der Schaden bei einem Gebrauch auf, mit dem billigerweise nicht gerechnet werden kann, liegt bereits kein Produktfehler im Sinne von Art. 6 ProdHaftRiLi vor. Auf ein Mitverschulden kommt es dann nicht an. Schwieriger gestaltet sich die Einordnung zwischen Fehlerbegriff oder Mitverschuldenstatbestand, wenn das Produkt nicht so gebraucht wurde, wie es billigerweise erwartet werden konnte, der Schaden aber auch bei einem solchen Gebrauch eingetreten wäre. Da das Produkt bei einem billigerweise zu erwartenden Gebrauch diesen Schaden herbeiführt, ist es fehlerhaft nach Art. 6 ProdHaftRiLi. Der hiervon abweichende Gebrauch ist beim Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen.
1253 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 8 ProdHaftRiLi Rn. 9. 1254 Schmidt-Salzer, Art. 8 ProdHaftRiLi Rn. 6; im Ergebnis auch Koch, Internationale Produkthaftung, ZHR 152 (1988), S. 537 (556 f.).
§ 3 Haftung für Arzneimittel nach der Produkthaftungsrichtlinie
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2. Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht (§ 254 II BGB) Den Geschädigten trifft nach § 254 II BGB auch die Pflicht, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt beispielsweise dann vor, wenn der Geschädigte bei Beschwerden, die nach der Anwendung eines Arzneimittels auftreten, nicht unmittelbar einen Arzt aufsucht.
II. Verschulden Dritter Eine Mitverursachung durch einen Dritten berührt die Haftung des Herstellers gemäß Art. 8 I ProdHaftRiLi nicht. Dritter im Sinne dieser Vorschrift ist jede im Verhältnis zum Hersteller und zum Geschädigten außen stehende Person 1255. Das Verschulden des Arztes bei der Arzneimittelanwendung schließt damit die Haftung des Arzneimittelherstellers aufgrund eines Produktfehlers nicht aus.
I I I . Gesamtschuldnerische Haftung Die Produkthaftungsrichtlinie sieht in Art. 5 eine gesamtschuldnerische Haftung aller haftpflichtigen Personen vor. Dadurch hat der Richtliniengeber zum Ausdruck gebracht, dass jeder Haftungsschuldner für den gesamten Schaden haftet 1256 . Indem Art. 5 ProdHaftRiLi auf die einzelstaatlichen Rückgriffsrechte Bezug nimmt, wird deutlich, dass der Rückgriff der Haftungsschuldner untereinander möglich sein soll. Die Voraussetzungen eines Innenausgleichs werden von der Produkthaftungsrichtlinie nicht geregelt, sondern ausdrücklich den nationalen Rechtsordnungen überlassen. Im deutschen Recht ergibt sich der Innenausgleich aus § 426 I und I I BGB. § 426 I BGB bestimmt, dass die Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu gleichen Anteilen haften. Diese Grundregel findet jedoch nur Anwendung, wenn kein anderer Vergleichsmaßstab vorhanden ist. Bei Schadensersatzansprüchen findet sich ein solcher in § 254 BGB 1 2 5 7 .
IV. Verjährung und Ausschlussfrist 1. Verjährung Art. 10 ProdHaftRiLi regelt die Verjährung von Ansprüchen nach der Richtlinie. Gemäß Art. 101 ProdHaftRiLi verjährt der Anspruch aus Art. 1 ProdHaftRiLi nach 1255 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 8 ProdHaftRiLi Rn. 3. 1256 Schmidt-Salzer, Art. 5 ProdHaftRiLi Rn. 4. 1257 Heinrichs in Palandt, § 426 BGB Rn. 10. 18*
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Tage, an dem der Kläger von dem Schaden, dem Fehler und der Identität des Herstellers Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Für die Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung verweist Art. 10 II ProdHaftRiLi auf die nationalen Vorschriften in den Mitgliedstaaten. Im deutschen Recht ist die Hemmung der Verjährung in den §§ 203 ff. BGB geregelt. Eine Unterbrechung der Verjährung sieht das deutsche Zivilrecht seit dem In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1. Januar 2002 nicht mehr vor. Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurde außerdem in § 203 BGB ein neuer Hemmungstatbestand eingeführt, der vorsieht, dass Verhandlungen über den streitigen Anspruch zu einer Hemmung der Verjährung führen. Dieser findet auch auf Produkthaftungsansprüche Anwendung. 2. Ausschlussfrist Die Produkthaftungsrichtlinie sieht in Art. 11 eine Ausschlussfrist vor. Ansprüche aus Art. 1 ProdHaftRiLi erlöschen nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Hersteller das schädigende Produkt in den Verkehr gebracht hat. Eine Hemmung oder Unterbrechung sieht die Vorschrift nicht vor. Der Anspruch erlischt nach Art. 11 ProdHaftRiLi ausnahmsweise nicht, wenn vor Ablauf von zehn Jahren vom Geschädigten gegen den Hersteller ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wurde. Die Frage, ob ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wurde, richtet sich nach den nationalen Rechtsordnungen1258. Im deutschen Recht erfolgt die Verfahrenseinleitung durch Klageerhebung nach § 253 ZPO. Maßgeblich ist die Rechtshängigkeit des Schadensersatzanspruchs und das heißt die Zustellung der Klageschrift, §§ 261, 253 ZPO 1 2 5 9 .
V. Unabdingbarkeit der Haftung Nach Art. 12 ProdHaftRiLi kann die Haftung des Herstellers gegenüber dem Geschädigten nicht durch eine Klausel, die die Haftung begrenzt oder den Hersteller von der Haftung befreit, ausgeschlossen werden. Nachträgliche Vereinbarungen werden durch Art. 12 ProdHaftRiLi nicht berührt 1260 . VI. Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften Das Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften regelt Art. 13 ProdHaftRiLi. Die Richtlinie lässt Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der nationalen Vörschrif1258 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 11 ProdHaftRiLi Rn. 8. 1259 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 11 ProdHaftRiLi Rn. 8. 1260 Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 12 ProdHaftRiLi Rn. 5.
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
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ten über die vertragliche und die außervertragliche Haftung geltend machen kann, unberührt. Das bedeutet für das deutsche Recht, dass die von den Gerichten entwickelte verschuldensabhängige Produzentenhaftung fortbesteht und weiterentwickelt werden kann. Ebenso bleiben Ansprüche wegen der Verletzung von Pflichten aus dem Kaufvertrag über ein fehlerhaftes Produkt erhalten. Schwieriger ist die Beurteilung der Regelung in Art. 13 ProdHaftRiLi, wonach Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Produkthaftungsrichtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung geltend machen kann, durch die Richtlinie nicht berührt werden. Die strittige Frage ist, ob es Art. 13 ProdHaftRiLi Deutschland erlaubt, die Anwendung der Produkthaftungsrichtlinie für Arzneimittel durch § 15 I ProdHaftG auszuschließen1261.
VII. Produkthaftpflichtversicherung Die Produkthaftungsrichtlinie verpflichtet den Hersteller weder zur Deckungsvorsorge noch zum Abschluss einer Produkthaftpflichtversicherung. Ein Hersteller von Produkten wird in der Regel allerdings freiwillig eine Produkthaftpflichtversicherung abschließen, um den Bestand seines Unternehmens im Haftungsfall nicht zu gefährden.
VIII. Örtliche Zuständigkeit Die Produkthaftungsrichtlinie regelt die örtliche Zuständigkeit von Gerichten für Produkthaftungsklagen nicht. Sie ergibt sich damit aus den nationalen Rechten. Im deutschen Recht bestimmen die §§ 12, 17 ZPO und § 32 ZPO die örtliche Zuständigkeit. Demnach kann der Geschädigte den Hersteller am Sitz seines Unternehmens oder bei dem Gericht verklagen, in dessen Bezirk die unerlaubte Handlung begangen wurde. Tatort bei Produkthaftungstatbeständen ist der Herstellungsort und der Schadensort1262.
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime Der Vergleich der Vorgaben des Haftungsregimes der Produkthaftungsrichtlinie mit den bis zum 31. Juli 2002 geltenden haftungsrechtlichen Regelungen des Arzneimittelgesetzes ist vielschichtig. Denn er erfordert neben einer die Günstigkeit 1261
Siehe hierzu ausführlich - im Anschluss an den Vergleich beider Haftungsregime unten § 5 A. 1262 OLG Frankfurt, 22. 12. 1994, OLG-Report Frankfurt 1995, S. 119; OLG München, 20. 10. 1998, NJW-RR 1999, S. 1010.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
bewertenden Betrachtung der materiellrechtlichen Rechtslage auch die Untersuchung der Frage, ob sich die arzneimittelrechtlichen Vorschriften in dem von der Richtlinie vorgegebenen Haftungsrahmen halten. Das Ergebnis gibt Aufschluss darüber, ob und in welchen Punkten das Arzneimittelgesetz in seiner alten Fassung den Geschädigten besser oder schlechter stellt, als er bei Anwendbarkeit des Produkthaftungsgesetzes stünde. Bei gravierenden Abweichungen stellte sich die weitere Frage, ob hierin ein Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung im Hinblick auf die Produkthaftungsrichtlinie zu sehen ist.
A. Haftungssubjekt Haftungssubjekt der Produkthaftungsrichtlinie ist gemäß Art. 1 i.V.m. Art. 3 ProdHaftRiLi der Hersteller. Der Begriff ist weit angelegt und erfasst neben dem tatsächlichen Hersteller des Endprodukts, Teilprodukts oder Grundstoffs auch den Quasi-Hersteller 1263, den Drittstaaten-Importeur und bei anonymen Produkten sogar den Produktlieferanten, soweit der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden kann 1264 . § 84 S. 1 i.V.m. § 4 XVIII AMG bestimmt hingegen den pharmazeutischen Unternehmer zum Haftungssubjekt, also denjenigen, der das Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt 1265 . Der pharmazeutische Unternehmer muss gemäß § 9 II AMG seinen Sitz in Deutschland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) haben (Residenzpflicht). Das Haftungssubjekt der Produkthaftungsrichtlinie unterscheidet sich damit von dem des § 84 A M G 1 2 6 6 . Der pharmazeutische Unternehmer des Arzneimittelgesetzes entspricht aber von den Tatbestandsvoraussetzungen her dem Quasi-Hersteller der Produkthaftungsrichtlinie. Wesentliches Merkmal beider Begriffe ist nicht die Herstellung des Produkts, sondern das Inverkehrbringen unter eigenem Namen. Während das Arzneimittelgesetz nur diesen Haftungsadressaten vorsieht, erklärt die Produkthaftungsrichtlinie auch den Hersteller des Endprodukts, den Hersteller eines Teilprodukts oder Grundstoffs, den Importeur und unter besonderen Umständen auch den Lieferanten zu Ersatzpflichtigen. Die Produkthaftungsrichtlinie stellt damit dem Geschädigten eine Vielzahl von Haftungsadressaten zur Verfügung, wohingegen sich § 84 AMG auf einen Haftpflichtigen beschränkt. Da die Produkthaftungsrichtlinie auch den pharmazeuti-
1263 1264 1265 1266
Zum Begriff siehe oben § 3 B. II. 1. b) aa). Siehe hierzu oben § 3 B. II. 1. Siehe hierzu oben § 2 A. I. 5. Ebenso Frieling in Pott/Frieling, § 15 ProdHaftG Rn. 7.
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
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sehen Unternehmer erfasst, ist sie aus der Perspektive des Geschädigten insoweit günstiger 1267. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Arzneimittelgesetz im Gegensatz zur Produkthaftungsrichtlinie die für den Geschädigten günstige Regelung der Residenzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers vorsieht. Diese Pflicht gewährleistet, dass der Geschädigte auf einen identifizierten pharmazeutischen Unternehmer - durch dessen räumliche Erreichbarkeit - besser zugreifen und seinen Anspruch damit effektiver durchsetzen kann. Die Produkthaftungsrichtlinie verpflichtet zwar keinen Haftpflichtigen, sich im Europäischen Wirtschaftsraum niederzulassen. Das Arzneimittelsicherheitsrecht des Arzneimittelgesetzes gilt aber für alle Arzneimittel, unabhängig davon, ob sich deren Haftung nach den §§ 84 ff. AMG richtet. Nach § 9 II AMG gilt die Residenzpflicht für jeden pharmazeutischen Unternehmer, der Arzneimittel innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in den Verkehr bringt. Damit besteht die Residenzpflicht auch für Arzneimittel, die in den Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie fallen. Die Residenzpflicht ändert an der Bewertung der Günstigkeit der Regelung der Haftungsadressaten in der Produkthaftungsrichtlinie daher nichts. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass die Regelung des Haftungsadressaten in der Produkthaftungsrichtlinie aus der Sicht des Geschädigten günstiger ist als die Regelung des § 84 AMG. Der Geschädigte kann die nach der Produkthaftungsrichtlinie bestimmten Haftpflichtigen auch nicht auf der Grundlage des Produkthaftungsgesetzes in Anspruch nehmen. Eine Haftung des Herstellers von Grundstoffen und Teilprodukten, des EWR-Importeurs und des Lieferanten wäre nur möglich, wenn das Produkthaftungsgesetz anwendbar wäre. § 15 I ProdHaftG bestimmt aber, dass bei Verletzung eines Menschen infolge der Anwendung eines zulassungspflichtigen Arzneimittels die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden sind. Demnach kommt das Produkthaftungsgesetz auch dann nicht zur Anwendung, wenn eine solche Verletzung durch den Hersteller eines Grundstoffs oder Teilprodukts, den EWR-Importeur oder den Lieferanten herbeigeführt wird 1 2 6 8 . Die Regelung des Haftungsadressaten im Arzneimittelhaftungsrecht weicht somit zum Nachteil des Verbrauchers von der Regelung der Produkthaftungsrichtlinie ab und ist nicht konform mit dieser.
1267 Ebenso Meyer, Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelhaftung, ZRP 1989, S. 207 (209); ders., Zur Konkurrenz von Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelgesetz, MedR 1990, S. 70 (71). 1268 Anders, aber mit dem Wortlaut von § 15 I ProdHaftG nicht vereinbar, Frietsch in Taschner/Frietsch, § 15 ProdHaftG Rn. 42; Frieling in Pott/Frieling, § 15 ProdHaftG Rn. 21; Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193
(200).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
B. Begriff des Inverkehrbringens Ein „Inverkehrbringen" im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie erfolgt durch die Übergabe des Produkts an die Verteilerkette und damit in der Regel an den Vertrieb. Im Hinblick auf die Mitglieder der Verteilerkette ist die Frage des Inverkehrbringens mit Blick auf den jeweiligen Hersteller zu betrachten 1269. § 4 XVII AMG definiert als Inverkehrbringen ein Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. Da es sich hierbei um einen finalen Vorgang handelt, genügt der bloße Besitz eines Arzneimittels nicht, sondern der pharmazeutische Unternehmer muss die Absicht zur Abgabe haben 1270 . Der Begriff des Inverkehrbringens nach der Produkthaftungsrichtlinie unterscheidet sich auf den ersten Blick von dem des Arzneimittelgesetzes, da er nicht bereits das Vorrätighalten, sondern erst die Weitergabe des Arzneimittels erfasst. Allerdings verlangt das Arzneimittelgesetz eine Absicht zur Weitergabe und ein Haftungsfall ist nicht denkbar, ohne dass das Arzneimittel weitergegeben wird. Im Ergebnis setzen folglich sowohl die Produkthaftungsrichtlinie wie auch das Arzneimittelgesetz für die Haftung eine Weitergabe des Arzneimittels voraus. Beide Haftungsregime sind im Hinblick auf das Merkmal des Inverkehrbringens gleichwertig 1271. Die Haftungsregelung des Arzneimittelgesetzes weicht somit im Hinblick auf den Begriff des „Inverkehrbringens" nicht von der Produkthaftungsrichtlinie ab.
C. Geschützter Personenkreis Art. 1 ProdHaftRiLi schützt sowohl den unmittelbaren Produktbenutzer wie auch den unbeteiligten Dritten (Bystander) 1272. § 84 S. 1 AMG nennt demgegenüber als Ersatzberechtigten jeden in seinem Leben, seinem Körper oder seiner Gesundheit Verletzten. Geschützt wird dadurch zwar nicht nur der unmittelbare Arzneimittelanwender. Der Kreis der geschützten mittelbar Geschädigten ist jedoch auf diejenigen beschränkt, deren Verletzung vom Schutzzweck des § 84 AMG erfasst ist 1 2 7 3 . Die Verletzung muss daher auf einem typischen von dem betroffenen Arzneimittel ausgehenden Risiko beruhen 1274. •269 Siehe hierzu oben § 3 C. II. 1. 1270 siehe hierzu oben § 2 A. I. 2. a). 1271 Anders wohl Meyer, Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelhaftung, ZRP 1989, S. 207 (209). 1272 siehe hierzu oben § 3 B. II. 3. •273 Siehe hierzu oben § 2 A. I. 4. b) bb) (2). 1274 siehe hierzu oben § 2 A. I. 4. b) bb) (2).
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
281
Die Produkthaftungsrichtlinie ist im Hinblick auf den geschützten Personenkreis als günstiger zu bewerten, da sie im Gegensatz zu § 84 AMG jeden unbeteiligten Dritten schützt1275. § 84 AMG weicht somit in Bezug auf den geschützten Personenkreis zulasten des Geschädigten von der Produkthaftungsrichtlinie ab.
D. Geschützte Rechtsgüter Art. 1 ProdHaftRiLi i.V.m. Art. 9 ProdHaftRiLi schützt das Leben, den Körper und das Eigentum des Geschädigten, soweit es sich hierbei nicht um das Eigentum an dem fehlerhaften Produkt selbst handelt und die Sache nicht gewerblich genutzt wurde 1276 . § 84 AMG schützt wie die Produkthaftungsrichtlinie das Leben, den Körper und die Gesundheit des Geschädigten. Der Schutz von Körper und Gesundheit wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass die Verletzung dieser Rechtsgüter nicht unerheblich sein darf. Außerdem schützt § 84 AMG im Gegensatz zu Art. 1 i.V.m. Art. 9 ProdHaftRiLi nicht das Eigentum an Sachen. Der Verletzte bleibt im Rahmen der arzneimittelhaftungsrechtlichen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes bei Sachbeschädigungen schutzlos1277. Die Produkthaftungsrichtlinie ist damit sowohl im Hinblick auf Verletzungen des Körpers und der Gesundheit1278 wie auch bei Sachbeschädigungen günstiger als § 84 A M G 1 2 7 9 . § 84 AMG weicht folglich in Bezug auf den Schutz von Rechtsgütern zum Nachteil des Geschädigten von der Produkthaftungsrichtlinie ab. Da der Geschädigte bei unmittelbaren Sachschäden durch Arzneimittel, die in den Anwendungsbereich des § 84 AMG fallen, aber einen Anspruch auf Ersatz solcher Schäden nach dem Produkthaftungsgesetz geltend machen kann 1280 , ist das Arzneimittelgesetz im Hinblick auf unmittelbare Schäden mit der Produkthaftungsrichtlinie vereinbar. Das Erfordernis einer nicht unerheblichen Verletzung einer Person nach dem Arzneimittelgesetz stellt hingegen eine mit der Produkthaftungsrichtlinie nicht vereinbare Abweichung dar.
1275 Auch Frieling in Pott/Frieling, § 15 ProdHaftG Rn. 9, bejaht eine Abweichung des Arzneimittelgesetzes vom Produkthaftungsgesetz im Hinblick auf den geschützten Personenkreis. Allerdings geht Frieling davon aus, dass § 84 AMG nur den Arzneimittelanwender und keinen Dritten schütze. 1276 siehe hierzu oben § 3 B. II. 3. 1277 Siehe hierzu oben § 2 A. I. 3. 1278 Ebenso Frieling in Pott/Frieling, § 15 ProdHaftG Rn. 11; Meyer, Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelhaftung, ZRP 1989, S. 207 (208); ders., Zur Konkurrenz von Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelgesetz, MedR 1990, S. 70 (71); Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193 (211 f.). 1279 Frieling in Pott/Frieling, § 15 ProdHaftG Rn. 10. 1280 Siehe hierzu oben § 2 D. VI.
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
E. Fehlerbegriff/HaftungsVoraussetzungen im engeren Sinne I. Zusammenfassende Darstellung 1. Produkthaftungsrechtlicher
Fehlerbegriff
Gemäß Art. 6 ProdHaftRiLi ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist. Der Haftungsmaßstab der Richtlinie ist damit objektiv und verschuldensunabhängig. Er führt zu einer Haftung des Herstellers für Herstellungs-, Konstruktions- und Informationsfehler 1281. Im Hinblick auf die Produktkategorie der Arzneimittel wird der Begriff der berechtigten Sicherheitserwartungen durch den Maßstab der medizinischen Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels ausgefüllt 1282. Es sind die Nutzen des Arzneimittels mit seinen Risiken abzuwägen. Die Entscheidung über die Vertretbarkeit hat der Richter zu treffen. Zur Klärung von medizinischen Fragen kann er einen medizinischen Sachverständigen heranziehen 1283. Da es auf ein Verschulden des Herstellers nicht ankommt, haftet dieser bei Vorliegen eines Herstellungsfehlers auch für Ausreißer 1284 und bei Vorliegen eines Konstruktions- oder Informationsfehlers unabhängig davon, ob der Fehler nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik erkennbar war 1 2 8 5 . Ein Produktfehler liegt nach Art. 6 ProdHaftRiLi nur vor, wenn das Produkt bei einem Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, unsicher ist. Dies ist vor allem der bestimmungsgemäße, das heißt der vom Hersteller vorgegebene oder der in Fachkreisen anerkannte Gebrauch. Auch der nicht fern liegende Fehlgebrauch ist ein Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden muss. Nicht erfasst wird hingegen der Produktmissbrauch, der weder aus der Sicht des durchschnittlichen Produktbenutzers noch aus der Sicht des Herstellers vorstellbar war 1 2 8 6 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sicherheitserwartungen ist der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts. Deshalb haftet der Hersteller auch nicht, wenn er ein zu diesem Zeitpunkt fehlerfreies Produkt in den Verkehr bringt und später ein verbessertes Produkt entwickelt wird 1 2 8 7 .
1281 1282 1283 1284 1285 1286 1287
Siehe hierzu oben § 3 B. II. Siehe hierzu oben § 3 B. II. siehe hierzu oben § 3 B. II. Siehe hierzu oben § 3 B. II. siehe hierzu oben § 3 C. II. Siehe hierzu oben § 3 B. II. siehe hierzu oben § 3 B. II.
2. a) cc). 2. a) bb) (2). 2. a) bb). 2. b) cc) (2) (c). 5. a) aa), bb). 2. b) bb) (2). 2. b) bb) (3), § 3 B. II. 2. c).
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
283
Für die Informationshaftung stellt Art. 6 ProdHaftRiLi auf die gesamte Darbietung des Produkts ab. Diese umfasst neben den Gebrauchs- und Warnhinweisen, die dem Produkt beigefügt sind, auch Informationen mittels Werbung 1288. Diese Hinweise müssen allgemein verständlich sein und es muss auch über vertretbare Nebenwirkungen von Arzneimitteln informiert werden 1289 . Ebenso gehört das positive Anpreisen von Produkteigenschaften zur Darbietung, sodass das Fehlen solcher Eigenschaften zu einer Haftung des Herstellers führt, wenn sich der Schaden nicht in der mangelnden Gebrauchsfähigkeit des Produkts erschöpft. Daher wird im Rahmen der Informationshaftung nach der Produkthaftungsrichtlinie auch für Schäden durch wirkungslose Arzneimittel gehaftet 1290.
2. Arzneimittelhaftungsrechtlicher
Fehlerbegriff
§ 84 S. 2 AMG enthält den arzneimittelhaftungsrechtlichen Fehlerbegriff. Danach tritt die Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers ein, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung haben, oder wenn ein Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. Hierdurch wird eine objektive und verschuldensunabhängige Haftung des pharmazeutischen Unternehmers auf der Basis der drei klassischen Fehlertypen begründet 1291. Arzneimittelrechtlicher Haftungsmaßstab ist die medizinische Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen. Diese macht eine Abwägung der Nutzen und Risiken des Arzneimittels erforderlich und wird vom Richter beurteilt 1292 . In diese Abwägung einzubeziehen sind nur solche schädlichen Wirkungen, die bei dem bestimmungsgemäßen Gebrauch, also dem Gebrauch eintreten, der den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers entspricht oder der in Fachkreisen anerkannt ist 1 2 9 3 . Da es auf ein Verschulden des pharmazeutischen Unternehmers bezüglich der Fehlerhaftigkeit nicht ankommt, haftet dieser sowohl für Ausreißer bei der Herstellung wie auch für schädliche Wirkungen eines Arzneimittels, die bei Inverkehrbringen nicht erkennbar waren 1294 . Der pharmazeutische Unternehmer haftet hingegen nicht, wenn er ein fehlerfreies Arzneimittel in den Verkehr bringt und da1288 Siehe hierzu oben § 3 B. II. 2. b) bb) (1). 1289 Siehe hierzu oben § 3 B. II. 2. b) bb) (1) (b) (aa), (cc). 1290 Siehe hierzu oben § 3 B. II. 2. b) bb) (1) (c) (bb) (ß). 1291 Siehe hierzu oben § 2 A. 1292 Siehe hierzu oben § 2 A. II. l.d). 1293 Siehe hierzu oben § 2 A. n. l.b). 1294 Siehe hierzu oben § 2 A. n. 1.,§2A. II. 1. d) cc) (3) (a).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
nach ein weniger schädliches Arzneimittel mit dem gleichen Nutzen oder ein genauso schädliches Arzneimittel mit einem größeren therapeutischen Erfolg entwickelt wird 1 2 9 5 . Bei der Informationshaftung beschränkt sich das Arzneimittelgesetz auf die Angaben in den gesetzlich geregelten Informationsquellen: Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformation. Informationen außerhalb dieser dem Arzneimittel beizufügenden Unterlagen können zu keiner Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG führen 1296 . Ebenso wenig erfasst die arzneimittelrechtliche Informationshaftung jegliches Anpreisen fehlender Eigenschaften. Dennoch führt sie im Ergebnis zu einer Haftung für wirkungslose Arzneimittel 1297 .
n . Vergleich Produkthaftungsrechtlicher und arzneimittelhaftungsrechtlicher Fehlerbegriff stimmen in weiten Teilen überein 1298 . Nach beiden Regelungen wird eine verschuldensunabhängige Haftung begründet 1299, der gedanklich die klassischen Produktfehlertypen zugrunde liegen 1300 . Für Arzneimittel kommt es in beiden Haftungsregimen darauf an, ob die hervorgerufenen Schäden medizinisch vertretbar sind, wobei die Entscheidung hierüber der Richter zu treffen hat 1 3 0 1 . Sowohl der produkthaftungsrechtliche wie auch der arzneimittelhaftungsrechtliche Fehlerbegriff führen zu einer Haftung des Ersatzpflichtigen für Ausreißer 1302 wie auch für beim Inverkehrbringen nicht erkennbare Fehler 1303 und für wirkungslose Arzneimittel. Die Entwicklung verbesserter, also weniger schädlicher oder nützlicherer, Arzneimittel nach dem Inverkehrbringen eines zu diesem Zeitpunkt fehlerfreien Arzneimittels führt nach keinem der beiden Haftungsregime zur Fehlerhaftigkeit. Nach beiden Haftungsregimen kommt es bereits für die Frage, ob das Arzneimittel fehlerhaft ist, darauf an, wie der Geschädigte dieses gebraucht hat. Art. 6 ProdHaftRiLi stellt dafür auf den Gebrauch ab, mit dem billigerweise gerechnet 1295 Siehe hierzu oben § 2 A. II. 1. d) cc) (3) (b) (bb). 1296 siehe hierzu oben § 2 A. II. 2. a) aa). 1297 siehe hierzu oben § 2 A. II. 2. e). 1298 Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193 (204 f.). 1299 Ebenso Rolland, § 15 ProdHaftGRn. 11. 1300 Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193
(206).
1301 Ebenso Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193 (205); Riedel/Karpenstein, Europarechtliche Grenzen, Pharm. Ind. 1996, S. 201 (202 f.); anders Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (728). 1302 Ebenso Rolland, § 15 ProdHaftGRn. 11. 1303 Ebenso Taschner in Taschner/Frietsch, Art. 13 ProdHaftRiLi Rn. 5.
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
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werden kann, während § 84 S. 2 Nr. 1 AMG voraussetzt, dass ein bestimmungsgemäßer Gebrauch vorliegt. Beide Regelungen haben trotz ihrer unterschiedlichen Begriffe im Hinblick auf Arzneimittel den gleichen Inhalt 1304 . Der Begriff des bestimmungsgemäßen Gebrauchs nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG erfasst nämlich nicht nur den Gebrauch, den der pharmazeutische Unternehmer in seinen Produktangaben vorgibt, sondern auch den in Fachkreisen anerkannten Gebrauch 1305 . Nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG trifft den pharmazeutischen Unternehmer die Pflicht, den Patienten sowohl über den ordnungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels wie auch über die Gefahren des vorhersehbaren Fehlgebrauchs und Arzneimittelmissbrauchs zu informieren 1306. Der Begriff des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, im Sinne des Art. 61 lit. b ProdHaftRiLi, umfasst einerseits den Gebrauch, der für das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers vorausgesetzt wird. Dies ist der Gebrauch, den der Hersteller in seinen Angaben empfohlen hat sowie der in Fachkreisen anerkannte Gebrauch. Andererseits ist der Gebrauchsbegriff der Richtlinie auch Grundlage der Informationshaftung. Der Hersteller muss den Produktbenutzer über den ordentlichen Gebrauch ebenso informieren wie über die Gefahren eines vorhersehbaren Fehlgebrauchs bzw. Produktmissbrauchs. Die Anforderungen an den Gebrauch stimmen damit in beiden Haftungsregimen überein. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Arzneimittelgesetz und Produkthaftungsrichtlinie findet sich bei der Informationshaftung. Art. 6 ProdHaftRiLi bezieht sich für die Haftung auf die gesamte Darbietung des Produkts, während § 84 S. 2 Nr. 2 AMG auf die detailliert festgelegten Angaben in den gesetzlichen Arzneimittelinformationsquellen abstellt1307. Dies führt zwar im Hinblick auf die zentrale Frage der Informationshaftung für wirkunglose Arzneimittel zu keinem unterschiedlichen Ergebnis 1308. Im Übrigen kann es jedoch zu Abweichungen bei der Haftung kommen, da der Begriff der Darbietung, der Werbung und Anwendungsberatungen einschließt, weiter gefasst ist als die Angaben in der Gebrauchsinformation und Kennzeichnung. Es ist festzuhalten, dass der Produktfehlerbegriff der Richtlinie im Hinblick auf die Informationsfehlerhaftung für den Geschädigten günstiger ist als der arzneimit1304 Anders Meyer, Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelhaftung, ZRP 1989, S. 207 (208); ders., Zur Konkurrenz von Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelgesetz, MedR 1990, S. 70 (71); Rolland, § 15 ProdHaftG Rn. 13; Frieling in Pott/Frieling, § 15 ProdHaftG Rn. 12. 1305 Siehe hierzu oben § 2 A. II. 1. b) bb) (2) (h). 1306 Siehe hierzu oben § 2 A. II. 2. a) bb) (1). 1307 Ebenso Meyer, Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelhaftung, ZRP 1989, S. 207 (209); ders., Zur Konkurrenz von Produkthaftungsgesetz und Arzneimittelgesetz, MedR 1990, S. 70 (71); anders Riedel/Karpenstein, Europarechtliche Grenzen, Pharm. Ind. 1996, S. 201 (204). 1308 Ebenso Rolland, Zur Sonderstellung des Arzneimittelherstellers, FS für Lorenz (1991), S. 193 (209).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
telhaftungsrechtliche Fehlerbegriff, da der Begriff, den die Richtlinie verwendet, die umfassende Darbietung des Produkts zum Bezugspunkt hat und sich nicht auf die dem Arzneimittel beigefügten Angaben beschränkt. Im Ergebnis stimmt der Fehlerbegriff des Arzneimittelgesetzes in den wesentlichen Aspekten mit dem der Produkthaftungsrichtlinie überein. Er weicht für die Informationshaftung allerdings zulasten des Geschädigten von der Richtlinie ab.
F. Haftungsausschlussgründe I. Zusammenfassende Darstellung Art. 7 ProdHaftRiLi gibt dem Hersteller die Möglichkeit, sich von seiner Haftung zu entlasten, indem er einen von sechs abschließend genannten Haftungsausschlussgründen darlegt und beweist. Die Haftung des Herstellers kann demnach ausgeschlossen sein, wenn er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat 1 3 0 9 , wenn das Produkt zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens fehlerfrei war 1 3 1 0 , wenn der Hersteller das Produkt nicht gewerblich hergestellt oder vertrieben hat 1 3 1 1 oder wenn der Fehler auf der Herstellung nach einer staatlich vorgeschriebenen Produktionsweise beruht 1312 . Keine Entlastungsmöglichkeit besteht hingegen, wenn andere privatrechtliche oder öffentlichrechtliche Normen bei der Herstellung beachtet wurden 1313 . Außerdem kann sich der Teilproduktehersteller entlasten, wenn der Fehler des Endprodukts nicht durch den Hersteller des Teilprodukts verursacht wurde 1314 . Den bedeutsamsten Haftungsausschlussgrund bildet der EntwicklungsrisikoEinwand. Nach Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi kann sich der Hersteller darauf berufen, dass der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnte. Gemäß Art. 151 ProdHaftRiLi ist der Entwicklungsrisiko-Einwand allerdings optional. Jeder Mitgliedstaat kann sich bei seiner Umsetzung dafür entscheiden, dass der Hersteller auch bei Nichterkennbarkeit des Fehlers haftet 1315 .
1309 Art. 7 lit. a ProdHaftRiLi. 1310 Art. 7 lit. b ProdHaftRiLi. 1311 Art. 7 lit. c ProdHaftRiLi. 1312 Art. 7 lit. d ProdHaftRiLi. 1313 Siehe hierzu im Einzelnen oben § 3 C. II. 4. 1314 Art. 7 lit. f ProdHaftRiLi. 1315 Allerdings darf der Mitgliedstaat den Ausschluss des Entwicklungsrisiko-Einwandes nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig machen, die in Art. 7 lit. e ProdHaftRiLi nicht genannt sind. Vgl. EuGH, 25. 4. 2002, Rs. C-52/00, Kommission/Französische Republik, Slg. 2002, S. 1-3827 (3874), Rn. 47.
§ 4 Vergleichende Bewertung der Haftungsregime
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§ 84 AMG sieht demgegenüber zwar keine ausdrücklichen Entlastungsmöglichkeiten des pharmazeutischen Unternehmers vor. Das NichtVorliegen einer Haftungsvoraussetzung führt jedoch auch bei § 84 AMG zu einem Haftungsausschluss. Ein solcher Haftungsausschluss tritt im Rahmen von § 84 AMG ein, wenn der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel nicht in den Verkehr gebracht hat oder wenn das Arzneimittel bei Inverkehrbringen nicht fehlerhaft war 1 3 1 6 . § 84 AMG sieht hingegen keinen Haftungsausschluss vor, wenn der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel nicht gewerblich in den Verkehr gebracht hat. Auch könnte sich der pharmazeutische Unternehmer nicht darauf berufen, dass der Arzneimittelfehler auf der Einhaltung einer staatlich vorgeschriebenen Produktionsweise beruht. Die Einhaltung privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Vorschriften wirkt wie bei der Produkthaftungsrichtlinie nicht entlastend für den pharmazeutischen Unternehmer 1317. Ein Haftungsausschlussgrund zugunsten des Teilprodukteherstellers existiert im Arzneimittelgesetz nicht, machte aber auch keinen Sinn, da der Teilproduktehersteller nicht Haftungssubjekt des § 84 AMG ist. Darüber hinaus kann sich der pharmazeutische Unternehmer im Rahmen von § 84 AMG nicht entlasten, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war 1 3 1 8 .
II. Vergleich Im Hinblick auf die Haftungsauschlussgründe des fehlenden Inverkehrbringens und des Inverkehrbringens eines fehlerfreien Produkts besteht die Abweichung zwischen Art. 7 lit. a, b ProdHaftRiLi und § 84 AMG allein in der Beweislastverteilung. Relevant sind diese Umstände im Rahmen beider Haftungsregime. Bei § 84 AMG sind sie jedoch als Anspruchsvoraussetzungen vom Geschädigten zu beweisen, während Art. 7 ProdHaftRiLi die Beweislast hierfür dem potentiell Ersatzpflichtigen zuweist 1319 . Auf der materiellrechtlichen Ebene, nämlich der Erheblichkeit dieser beiden Umstände, liegt hingegen keine Abweichung vor. Eine Abweichung ist festzustellen im Hinblick auf die Entlastungsmöglichkeit bei nicht gewerblicher Herstellung oder nicht gewerblichem Vertrieb des Arzneimittels und wenn der Produktfehler auf der Einhaltung einer staatlich vorgeschriebenen Produktionsweise beruht. Die Einhaltung von privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Vorschriften bei der Produktion führt in keinem der beiden Haftungsregime zu einer Entlastung des 1316 Siehe oben § 2 A. I. 5., § 2 A. II. 1. d) cc) (3) (b) (bb). 1317 Siehe oben § 2 A. ü. 1. d) bb) (2) (b), § 2 A. ü. 2. a) bb) (2) (b). 1318 Siehe oben § 2 A. II. 1. d) cc) (3) (a) (bb). 1319 So für Art. 7 lit. a ProdHaftRiLi Hart, Vereinbarkeit, S. 701 (729); Riedel/Karpenstein, Europarechtliche Grenzen, Pharm. Ind. 1996, S. 201 (204).
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1. Teil: Rechtslage vor der Reform des Arzneimittelhaftungsrechts
Ersatzpflichtigen. Der Ersatzpflichtige wird weder nach dem Arzneimittelgesetz noch nach der Produkthaftungsrichtlinie von seiner Haftung befreit, wenn er die arzneimittelsicherheitsrechtlichen Bestimmungen beachtet. Bei der Frage der Erheblichkeit des Entwicklungsrisiko-Einwandes kann keine Abweichung festgestellt werden, da die Richtlinie die Regelung dieses Aspekts mit Art. 151 ProdHaftRiLi im Ergebnis den Mitgliedstaaten überlässt 1320. Bei der Bewertung des materiellrechtlichen Gehalts der Haftungsausschlussgründe ergibt sich, dass die Produkthaftungsrichtlinie für den Geschädigten dort ungünstiger ist als das Arzneimittelgesetz, wo sie dem Hersteller eine echte Entlastungsmöglichkeit ermöglicht und nicht lediglich die Beweislastverteilung verändert. Dies trifft auf den Haftungsausschlussgrund der nichtgewerblichen Herstellung oder des nichtgewerblichen Vertriebs und bei Beruhen des Fehlers auf einer staatlich vorgeschriebenen Produktionsweise zu. Diese beiden Haftungsausschlussgründe sind bei Arzneimitteln jedoch nicht von großer praktischer Bedeutung, da Arzneimittel selten privat hergestellt und dann verschenkt werden und es - zumindest in Deutschland - keine Vorschrift gibt, die eine bestimmte Produktionsweise für die Herstellung von Arzneimitteln vorsieht 1321. Die AMG-Regelung weicht bei den Haftungsausschlussgründen somit in zwei Punkten zugunsten des Geschädigten von der Produkthaftungsrichtlinie ab. Zum einen kann sich der Ersatzpflichtige nicht entlasten, wenn das Arzneimittel nicht gewerblich hergestellt oder vertrieben wurde. Zum anderen besteht keine Entlastungsmöglichkeit, wenn der Fehler auf der Einhaltung einer staatlich vorgeschriebenen Produktionsweise beruht.
G. Kausalitätsfragen Art. 1 i.V.m. Art. 9 ProdHaftRiLi erfordert einen Ursachenzusammenhang zwischen Produktfehler und Rechtsgutverletzung wie auch zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden. Es kommt allerdings nicht darauf an, ob die Rechtsgutverletzung adäquate Folge des Produktfehlers ist und vorhersehbar war. Voraussetzung des Ursachenzusammenhangs ist auch nicht die Verwirklichung des durch die Massenfertigung von Produkten entstehenden Produktrisikos. Auf die industrielle Fertigung des Produkts kommt es nicht an 1 3 2 2 . Die Rechtsgutverletzung muss jedoch eine Verwirklichung der vom Produkt/