Die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ergebnis und Folgen eines historisch-politischen Prozesses [1. ed.] 9783958321656


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I Einleitung
1. Stand der Forschung und Problemstellung
1.1 ›Wehrhafte Demokratie‹
1.2 ›Freiheitliche demokratische Grundordnung‹
2. Thesen und Gliederung der Arbeit
II Theoretischer Zugang
1. Staat: Eine scheinbar neutrale Vermittlungsinstanz
2. Recht: System, Form und Zwang
3. Parlamentarische Demokratie und politisches Handeln
4. Liberalismus vs. »totalitäre Staatsauffassung«
5. Das Individuum und das vorausgesetzte Ganze
6. Zwischenfazit: Keine Totalität ist total
III Material und Methoden
1. Quellen
1.1 Bundestagsdebatten, -drucksachen und Ministeriumsakten
1.2 Rechtstexte
1.3 Biographische Anmerkungen
2. Ein politikwissenschaftlicher Zugang zu Rechtstexten
2.1 Juristische Zeitgeschichte
2.2 Scheinrationalität durch juristische Methoden
3. Zwischenfazit: Filter für politische Argumente
IV Historische Grundlagen: Das Scheitern von Weimar
1. Konflikte der Weimarer Staatsrechtslehre
1.1 Positivismus und Antipositivismus
1.2 Der Weimarer Methodenstreit
2. Republikschutz und nationalsozialistische Machtübernahme
2.1 Notverordnungen, Republikschutzgesetzgebung und Rechtsprechung
2.2 Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz
2.3 Zusammenfassung
3. Substantialisierung und Entrationalisierung im Nationalsozialismus
4. Erste Konzeptionen einer »militant democracy«
5. Zwischenfazit: Kontinuität materialer Rechtsstaatskonzeption
V Phasen der Implementierung
1. Antikommunismus und Antitotalitarismus
2. Verfassungsgebungsprozess
2.1 Die hessische Landesverfassung
2.2 Herrenchiemseer Konvent
2.3 Parlamentarischer Rat
2.4 Zusammenfassung
3. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1951
4. Das erste Strafrechtsänderungsgesetz 1951
4.1 Überblick zum Gesetzgebungsprozess und SPD-Entwurf
4.2 Die erste Lesung im Bundestag und die Regierungsbegründung
4.3 Die Ausschussdebatte um die »Verfassungsgrundsätze«
4.4 Die zweite und dritte Lesung im Bundestag
4.5 Die Kritik des Bundesrates
4.6 Zusammenfassung
5. Die Parteiverbotsverfahren gegen SRP, KPD und NPD
5.1 Verfassungsgerichtsbarkeit im politischen System der BRD
5.2 SRP-Verbot 1952
5.3 KPD-Verbot 1956
5.4 NPD-Urteil 2017
5.5 Zusammenfassende Würdigung der Parteiverbotsverfahren
6. Juristische Kommentare zum Grundgesetz
6.1 Die Suche nach dem Begriff
6.2 Historische Herleitung
6.3 Der juristische Blick auf politisches Handeln
6.4 Ausblicke auf aktuelle Grundgesetzkommentare
6.5 Zusammenfassung
7. Zwischenfazit: Von der Wortgruppe zur Substanz der Verfassung
VI Stabilisierung und Ausdifferenzierung
1. Schutz der bestehenden Ordnung
1.1 Verfassungsschutz und Extremismusansatz
1.2 Politische Justiz
1.3 Änderung des Art. 10 GG und Notstandsgesetzgebung
1.4 Treue zur fdGO: Loyalität der Staatsbediensteten
2. Politisches Handeln in der Bundesrepublik
2.1 Parteien
2.2 Zivilgesellschaft
2.3 Politische Bildung
2.4 Einbürgerung, Ausweisung und politische Betätigung von ›Ausländern‹
3. Zwischenfazit: Effizienter Schutz des Status quo
VII Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Quellen und Literatur
1. Gerichtsentscheidungen
2. Juristische Kommentarliteratur
3. Archivalien, Plenarprotokolle, Drucksachen
4. Forschungsliteratur und Zeitungsartikel
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Die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ergebnis und Folgen eines historisch-politischen Prozesses [1. ed.]
 9783958321656

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Sarah Schulz

Die freiheitliche demokratische Grundordnung Ergebnis und Folgen eines historisch-politischen Prozesses

VELBRÜCK WISSENSCHAFT

Sarah Schulz Die freiheitliche demokratische Grundordnung

Sarah Schulz

Die freiheitliche demokratische Grundordnung Ergebnis und Folgen eines historisch-politischen Prozesses

VELBRÜCK WISSENSCHAFT

Erste Auflage 2019 © Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2019 www.velbrueck-wissenschaft.de Printed in Germany ISBN 978-3-95832-165-6 Dissertation an der Universität Kassel, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Disputation am 16. Januar 2018 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Stand der Forschung und Problemstellung . . . . . . 13

1.1 ›Wehrhafte Demokratie‹ . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 ›Freiheitliche demokratische Grundordnung‹ . . . . . 20 2. Thesen und Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . 28

II Theoretischer Zugang . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Staat: Eine scheinbar neutrale Vermittlungsinstanz . . 33 2. Recht: System, Form und Zwang . . . . . . . . . . 35 3. Parlamentarische Demokratie und politisches Handeln . 37 4. Liberalismus vs. »totalitäre Staatsauffassung« . . . . 44 5. Das Individuum und das vorausgesetzte Ganze . . . . 47 6. Zwischenfazit: Keine Totalität ist total . . . . . . . 52 III Material und Methoden . . . . . . . . . . . . . 57 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.1 Bundestagsdebatten, -drucksachen und Ministeriumsakten . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.2 Rechtstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1.3 Biographische Anmerkungen . . . . . . . . . . . 61 2. Ein politikwissenschaftlicher Zugang zu Rechtstexten . 63 2.1 Juristische Zeitgeschichte . . . . . . . . . . . . 65 2.2 Scheinrationalität durch juristische Methoden . . . . 68 3. Zwischenfazit: Filter für politische Argumente . . . . 79

IV Historische Grundlagen: Das Scheitern von Weimar . 83 1. Konflikte der Weimarer Staatsrechtslehre . . . . . . 85

1.1 Positivismus und Antipositivismus . . . . . . . . . 85 1.2 Der Weimarer Methodenstreit . . . . . . . . . . 88

2. Republikschutz und nationalsozialistische Machtübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.1 Notverordnungen, Republikschutzgesetzgebung und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 91 2.2 Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz . 98 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . 107

3. Substantialisierung und Entrationalisierung im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Erste Konzeptionen einer »militant democracy« . . . 114 5. Zwischenfazit: Kontinuität materialer Rechtsstaatskonzeption . . . . . . . . . . . . . . 116

V Phasen der Implementierung . . . . . . . . . . . 121 1. Antikommunismus und Antitotalitarismus . . . . . . 122 2. Verfassungsgebungsprozess . . . . . . . . . . . . 124

2.1 Die hessische Landesverfassung . . . . . . . . . . 2.2 Herrenchiemseer Konvent . . . . . . . . . . . . 2.3 Parlamentarischer Rat . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1951 . . . . . . 4. Das erste Strafrechtsänderungsgesetz 1951 . . . . . . 4.1 Überblick zum Gesetzgebungsprozess und SPD-Entwurf . . 4.2 Die erste Lesung im Bundestag und die Regierungsbegründung . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Ausschussdebatte um die »Verfassungsgrundsätze« . 4.4 Die zweite und dritte Lesung im Bundestag . . . . . 4.5 Die Kritik des Bundesrates . . . . . . . . . . . . 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . .

126 129 135 149 151 156 157 158 163 185 189 191

5. Die Parteiverbotsverfahren gegen SRP, KPD und NPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.1 Verfassungsgerichtsbarkeit im politischen System der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 SRP-Verbot 1952 . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 KPD-Verbot 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 NPD-Urteil 2017 . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Zusammenfassende Würdigung der Parteiverbotsverfahren . . . . . . . . . . . . . 6. Juristische Kommentare zum Grundgesetz . . . . . . 6.1 Die Suche nach dem Begriff . . . . . . . . . . . . 6.2 Historische Herleitung . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der juristische Blick auf politisches Handeln . . . . . 6.4 Ausblicke auf aktuelle Grundgesetzkommentare . . . 6.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Zwischenfazit: Von der Wortgruppe zur Substanz der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

VI Stabilisierung und Ausdifferenzierung . . . . . . . 271 1. Schutz der bestehenden Ordnung . . . . . . . . . . 272

1.1 Verfassungsschutz und Extremismusansatz . . . . . 1.2 Politische Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Änderung des Art. 10 GG und Notstandsgesetzgebung . . 1.4 Treue zur fdGO: Loyalität der Staatsbediensteten . . . 2. Politisches Handeln in der Bundesrepublik . . . . . . 2.1 Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Politische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Einbürgerung, Ausweisung und politische Betätigung von ›Ausländern‹ . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit: Effizienter Schutz des Status quo . . .

273 296 312 319 333 334 339 344 348 352

VII Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . 358 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . 368 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Juristische Kommentarliteratur . . . . . . . . . . . 370 3. Archivalien, Plenarprotokolle, Drucksachen . . . . . 373 4. Forschungsliteratur und Zeitungsartikel . . . . . . . 376

Danksagung Akademisches Arbeiten kann von Freiheit geprägt sein. Die intensive Beschäftigung mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der ›wehrhaften Demokratie‹ benötigt genau diese Freiheit. Zugleich kann die Durchdringung eines komplexen Themas sehr einsam sein. Ohne die vielen unterstützenden Menschen um mich herum wäre diese Dissertation nicht möglich gewesen. In erster Linie gilt mein herzlicher Dank Sonja Buckel und Alex Demirović für ihre kritische und solidarische wissenschaftliche Unterstützung. Durch ihre Anregungen und ihr Vertrauen konnte diese Arbeit zu der werden, die sie ist. Ohne die finanzielle Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Universität Kassel wäre es mir nicht möglich gewesen, jahrelang an einer Doktorarbeit zu schreiben. Besonders erwähnenswert ist das Promotionsbüro der Universität Kassel, das mit einer in der Universitätslandschaft rar gesäten Transparenz und Hilfsbereitschaft die bürokratischen Hürden eines Promotionsprozesses verringert. Danken möchte ich auch meiner Promotionskooperative, die mit geballter Kompetenz und gegenseitiger Solidarität den Widrigkeiten des Promotionsalltags die Stirn bieten lässt. Mein Dank gilt insbesondere Karoline Georg. Wie sähe diese Arbeit nur ohne die intensiven Gespräche, geschichtswissenschaftlichen Anregungen und gegenseitigen Unterstützungen gerade auch während der Abschlussphase aus? Mein Dank gilt vor allem meinem freundschaftlichen, politischen und Wohnumfeld, das mich durch unermüdliches Zuhören begleitet hat. Das Verständnis und das Wohlwollen für meine Prioritätensetzungen gaben mir unendlich Kraft und Zuversicht. Besonders möchte ich den vielen Korrekturleser*innen danken, die sich beharrlich auf die Suche nach Fehlern begeben haben. Tagelang und bis in die späten Abendstunden hat sich insbesondere Sebastian Schlegel mit beeindruckend ausdauernder Akkuratesse und Sorgfalt einen Weg durch das Dickicht meiner grammatikalischen Eigenheiten gebahnt. Nicht zuletzt gilt mein Dank meiner Mutter. Ihre Stärke ist beeindruckend; durch sie konnte ich zu der werden, die ich bin und damit auch diese Arbeit schreiben. Sarah Schulz, Dezember 2018

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I Einleitung Der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) ermordete allein zwischen 2001 und 2007 mindestens zehn Menschen. Das NSU-Kerntrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt war zwar umringt von Vertrauenspersonen (V-Personen) der Verfassungsschutzbehörden, verhindert wurden die Morde allerdings nicht. Eine Vertreterin der Nebenklage sprach im Gerichtsverfahren gegen Zschäpe sogar von einer Stärkung und Steuerung bis hin zum (Mit-)Aufbau militanter Neonazistrukturen durch die Verfassungsschutzbehörden (vgl. von der Behrens 2017, 39). Im Urteil zum Verbotsverfahren der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) vom 17. Januar 2017 bescheinigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) der Partei zwar ein qualifiziertes und planvolles Agieren zur Beseitigung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ (fdGO). Es sah jedoch keine »konkreten Anhaltspunkte von Gewicht« (BVerfGE 144, 20, 246), dass dieses Handeln in absehbarer Zukunft von Erfolg gekrönt sein könnte und verbot die NPD deshalb nicht. Seit dem »Sommer der Migration« (Kasparek und Speer 2015) stieg die Zahl der rassistischen Übergriffe und der Angriffe auf parlamentarische oder außerparlamentarische politische Gegner*innen1 um ein Vielfaches. Im Jahr 2016 gab es über 3.500 Angriffe auf geflüchtete Menschen oder deren Unterkünfte (vgl. Netz gegen Nazis 2017) und 142 auf Politiker*innen bzw. deren Einrichtungen (vgl. Gensing 2017). Diese Zahlen gehen Hand in Hand mit dem Erstarken von rechten Bewegungen wie der »Alternative für Deutschland« (AfD) oder der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) (vgl. Speit 2016). Die Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts, der Einzug der AfD in den Bundestag 2017 und die hohen Zahlen rechter Angriffe lassen Wissenschaftler*innen »vielleicht nicht von Faschismus, aber von einer Tendenz der Faschisierung« (PROKLA-Redaktion 2016, 529) sprechen – also von einer Entwicklung, die noch nicht voll entfaltet, aber auf dem Weg dahin sei. Als Schutz des repräsentativ-demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland soll das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ dienen. Es soll eine ›Lehre aus der Geschichte‹, eine Konsequenz aus dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus sein. Die Republik sei durch eine ›zu‹ liberale Haltung gegenüber den ›Feinden der 1 Zur Sichtbarmachung verschiedener Geschlechtsidentitäten, die durch das generische Maskulinum verdeckt werden, habe ich mich für die gendersensible Schreibweise mit dem * entschieden.

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EINLEITUNG

Demokratie‹ und aus dem daraus folgenden mangelnden Willen zur Verteidigung dieser Demokratie dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen. Da die Weimarer Republik keine unumstößlichen und unbedingt zu verteidigenden Werte kannte, konnten die Nationalsozialisten die Demokratie missbrauchen, um sie zu stürzen. In der Konsequenz können in der Bundesrepublik nach Artikel 18 des Grundgesetzes (GG) Personen Grundrechte entzogen werden, wenn sie diese gegen die fdGO einsetzen. Art. 21 Abs. 2 GG ermöglicht es, Parteien zu verbieten, wenn diese gemäß ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger*innen darauf ausgehen, die fdGO zu gefährden oder zu beeinträchtigen. Die fdGO ist in der Bundesrepublik also jener Wert, der unbedingt im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ gegen die ›Feinde der Demokratie‹ verteidigt werden soll. Mit ihr kann politisches Handeln anhand inhaltlicher Kriterien bewertet werden. Zum Schutz der Demokratie bietet die ›wehrhafte Demokratie‹ »wichtige Akteur[e]« (BfV 2015, 14): die Landesämter (LfV) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Sie beobachten ebenjene potentiellen ›Feinde der Demokratie‹ und sammeln Informationen über sie. Das heißt, sie agieren präventiv, sind also das »Frühwarnsystem« »unserer Demokratie« (BMI 2017). Um dies sein zu können, bestimmen sie, welche politischen Akteur*innen auf dem Boden der fdGO handeln und welche nicht. Aber erkennen die Verfassungsschutzbehörden die oben beschriebenen Entwicklungstendenzen der letzten Jahre? Greifen die Mechanismen der ›wehrhaften Demokratie‹ angesichts der aktuellen politischen Situation? Schließlich soll die ›wehrhafte Demokratie‹ eine Reaktion auf das Scheitern der Weimarer Republik und den Nationalsozialismus sein. Im Jahr 2011, kurz vor der Selbstenttarnung des NSU, kündigte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) an, eine »Demokratieerklärung« für zivilgesellschaftliche Initiativen einführen zu wollen. Wenn Projekte für demokratische Kultur und gegen ›Rechtsextremismus‹ staatliche Fördergelder bekommen, sollten sie sich zur fdGO bekennen und dafür Verantwortung tragen, dass ihre Projektpartner*innen sich zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Wie kann es sein, dass gerade diejenigen Akteur*innen, die sich gegen faschistische Tendenzen engagieren, verdächtigt erscheinen? In Sachsen, wo diese Klausel zuerst bei der Verleihung des sächsischen Förderpreises für Demokratie im Jahr 2010 eingeführt wurde und das nicht erst seit 2015 mit Heidenau, Clausnitz oder Bautzen regelmäßig aufgrund rassistischer Angriffe in den Medien auftauchte, spricht der christ-demokratische Innenminister (LfV Sachsen 2016) von der »Asyldebatte« als »Antriebskraft für links- und rechtsextremistische Bestrebungen«, gegen die »der Staat« entschieden durchgreifen werde. Die »linksextreme Szene« mache »mobil«, warnte auch der bayerische 11

EINLEITUNG

Innenminister (dpa/AZ 2016). In der Hochphase der rechten Mobilisierung des Jahres 2015, also schon im Herbst nach dem ›Sommer der Migration‹, reagierten die Staatsapparate mit Asylgesetzverschärfungen. Das integrierte die Ängste ›besorgter‹ Bürger*innen (vgl. Rad./AfP 2014) oder der als »asylkritisch« (LfV S 2015, 11) statt rassistisch benannten Gruppen. Zusätzlich gab das BMFSFJ (2016, 7) nach Schilderung der Zunahme rassistischer Gewalt in seinem Papier zur »Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung« an, dass man Maßnahmen gegen »jegliche Formen des Extremismus« ergreife. Das hat Konsequenzen: Beispielsweise wurde 2018 in Berlin dem Festival »Offenes Neukölln«, das ein Zeichen gegen die sich in den letzten Jahren häufenden Angriffe auf Politiker*innen, Buchläden oder alternative Treffpunkte im Bezirk setzen wollte, ein Preisgeld im Rahmen des Bundesprogramms »Bündnis für Demokratie und Toleranz« verwehrt. Ein Teil des Bündnisses ist eine vom Verfassungsschutz beobachtete vermeintlich ›linksextreme‹ Gruppe, weshalb eine Förderung nicht möglich sei (vgl. Meisner 2018). In den Jahren 2016 und 2017 traf es in Bayern zwei Personen, die ihre Ausbildung aufgrund von Bedenken des Landesamtes für Verfassungsschutz zunächst nicht antreten konnten. So wurde 2016 an der Ludwig-Maximilians-Universität München einem Kommunikationswissenschaftler vorübergehend die Promotionsstelle verwehrt, da das bayerische LfV aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) Zweifel an seiner Verfassungstreue anmeldete (vgl. Meixner 2016). Im Jahr 2017 verhinderte das bayerische LfV ebenso den Beginn des Referendariats eines Lehramtsstudenten. Der angehende Lehrer war zu Studienzeiten Mitglied des sozialistisch-demokratischen Studentenbundes (SDS) und sein Eintritt in den Staatsdienst sei deshalb bedenklich. Ein Jahr später ruderte das LfV jedoch zurück und legte der Verbeamtung keine Steine mehr in den Weg (vgl. Haug 2018). Noch in seinem Bericht aus dem Sommer 2011 schrieb das BfV: »Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar« (BfV 2010, 57). Im Herbst desselben Jahres enttarnte sich der NSU und die geheimdienstlichen Verstrickungen lassen bis heute nur schwerlich die wissenschaftliche Contenance wahren (vgl. zu den noch offenen Fragen nach Prozessende: von der Behrens 2018). Im Jahr 2017 wurde ein Netzwerk in Mecklenburg-Vorpommern bekannt, das sich auf einen potentiellen Bürgerkrieg vorbereitete und dazu Vorräte anlegte, Waffen hortete und Namenslisten von politischen Gegner*innen führte (vgl. Köpke 2017). Auf das Netzwerk stießen die Behörden als sie im Fall eines rechten Bundeswehrsoldaten ermittelten, der eine Liste mit potentiellen Anschlagszielen geführt hatte und bei der Beschaffung einer Waffe aufgefallen war (vgl. Flade 2018). Zu dem 12

STAND DER FORSCHUNG UND PROBLEMSTELLUNG

»Prepper«-Netzwerk sollen neben Polizisten, ehemaligen Soldaten und Beamten (vgl. Flade 2018) auch mindestens zwei Mitglieder der AfD gehört (vgl. Köpke 2017) und der ehemalige Landesvorsitzende der AfD in Mecklenburg-Vorpommern soll es gekannt haben (vgl. Flade und Naumann 2018). Weitere Netzwerke sollen in Süddeutschland, in Teilen auch grenzübergreifend existieren (vgl. Flade 2018). Die AfD selbst wird nicht vom BfV beobachtet (vgl. BfV 2017). Der Punkt »Krisenszenarien und Krisenvorsorge« ist nun unter dem Punkt »Ansätze für neue Entwicklungen im Rechtsextremismus« (BfV 2017, 67) im jährlichen Verfassungsschutzbericht zu finden. Sind die Verfassungsschutzbehörden also wirklich ein »Frühwarnsystem« (BMI 2017) gegen erstarkende rechte und faschistische Bewegungen? Welche Gewichtung hat in den Augen der Behörden ein ehemaliges Mitglied des SDS im Vergleich zu einem rechten Netzwerk mit Verbindungen in die staatliche Exekutive und ins Militär? Wie können sich Akteur*innen eines Demokratieschutzkonzepts, die die Wiederholung des Nationalsozialismus verhindern sollen, gegen Demokratie-Festivals richten? Welche ›Extremist*innen‹2 bedrohen in den Augen der Behörden die Demokratie? Wenn nicht gegen faschistische Tendenzen, wogegen schützt die ›wehrhafte Demokratie‹? Was ist dieser Wert, ebenjene ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹, die eine inhaltliche Bewertung politischen Handelns ermöglicht?

1. Stand der Forschung und Problemstellung Eine politikwissenschaftliche Analyse der Entstehung und Anwendung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ ist mit Blick auf den Forschungsstand vor eine Herausforderung gestellt. Die Literaturlage ist einerseits schier endlos und unübersichtlich, andererseits existieren kaum Arbeiten, dies sich konkret mit diesem Rechtsbegriff beschäftigen und deren Thesen sowie Ergebnisse zu überprüfen oder zu revidieren wären. Das liegt am Gegenstand selbst. Die ›freiheitliche demokratische 2 Im normativen Extremismusansatz wird als ›extremistische‹ Strömung auch der »Radikalfeminismus« (Jesse 2004, 9) aufgezählt. Der eigentlich diskursiv eher männlich konnotierte Begriff »Extremist« verschleiert also Geschlechteridentitäten. Deshalb verwende ich die Schreibweise mit dem *. Anders verhält es sich bei ›Feind der Demokratie‹ oder ›Systemstürzler‹. Hier sind die selbst schon konstruierten Begriffe männlich gemeinte. Deshalb verwende ich sie auch in der männlichen Form. Frauen* oder Transpersonen sind tatsächlich nicht als ›Systemfeinde‹ und Gefahr für die politische Ordnung konstruiert, was selbst schon Teil patriarchaler Praxis ist. Eine Differenzierung der Geschlechtsidentität würde diese Konstruktion verfälschen.

13

EINLEITUNG

Grundordnung‹ ist ein verallgemeinerter Rechtsbegriff. Diese Verallgemeinerung ist Ursache für die mangelnde Auseinandersetzung mit ihm. Gerade die scheinbare Selbstverständlichkeit der Existenz einer Grundordnung, die freiheitlich und demokratisch ist, verunmöglicht nahezu die Fragestellung nach ihrer Setzung und Ausformulierung. Dazu müsste sie als relativer Begriff erkannt sein, der von Kräfteverhältnissen abhängig ist sowie bestimmte Funktionen erfüllt, und nicht als universelles Prinzip schlicht gelten. Dennoch ist die Literaturlage zugleich aus zwei Gründen opulent. Erstens taucht die fdGO in zahlreichen verschiedenen Rechts- und Politikbereichen als Bezugsgröße auf. In den je unterschiedlichen Bereichen erfüllt sie eine Funktion, die in der Logik dieser Bereiche verstanden werden muss. Zweitens ist die fdGO untrennbar mit dem Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ verbunden. Um dieses Konzept zu begreifen, benötigt es geschichts-, rechts- und politikwissenschaftlich sowie ideengeschichtlich informierte Analysen zur Weimarer Republik, zum Nationalsozialismus und zur Entstehung und Institutionalisierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik. Ein solcher interdisziplinärer Blick kommt in der bisherigen Forschung nicht vor. Ich werde deshalb im Folgenden den Forschungsstand verschiedener Disziplinen vorstellen und verknüpfen.

1.1 ›Wehrhafte Demokratie‹ Rechtshistorisch betrachtet sind staatliche Schutzmechanismen gegen Umsturzversuche kein neues Phänomen. Schon das römische Recht kannte Majestätsverbrechen. Im preußischen Landrecht des 18. Jahrhunderts pönalisierten verschiedene Paragraphen die Störung der Ruhe und Ordnung oder Angriffe auf sowie Beleidigungen gegen den Staat und dessen Oberhaupt (vgl. Steinberg 2012, 1064). Das Reichsstrafgesetzbuch des deutschen Kaiserreichs kannte den Kanzelparagraphen (vgl. Vormbaum 2013, 137). Revolutionen stürzen die bestehende Ordnung und damit die bestehenden Gesetze, sie sind folglich illegal. Der versuchte Umsturz des Staates oder die versuchte Ermordung des Staatsoberhauptes werden im politischen Strafrecht als Hochverrat bezeichnet. 1798 definierte Paul Johann Anselm von Feuerbach (1798, 17) den Hochverrat als »Verletzung der Grundverträge der bürgerlichen Gesellschaft«. Das Strafrecht expandierte im Laufe der Jahrhunderte, d.h., die Anzahl der Straftatbestände vergrößerte sich und ihr zeitlicher Beginn wurde vorverlagert. Der Präventionsgedanke (berechenbare Strafandrohung soll zur freiwilligen Befolgung der Regeln führen), der zu einem effizienteren und weniger martialischen Strafrecht führte (vgl. Foucault 1979), 14

STAND DER FORSCHUNG UND PROBLEMSTELLUNG

bot zugleich die Möglichkeit zur Schaffung abstrakter Tatbestände und zu ihrer moralischen Aufladung (vgl. Vormbaum 2013, 138f.). Ein Beispiel ist das »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« der Ära Bismarck (vgl. Fraenkel 1968 [1927], 7).3

1.1.1 Forschungsstand der Politikwissenschaft In der politikwissenschaftlichen Forschung wird ›wehrhafte Demokratie‹ jedoch selten in der Tradition des politischen Strafrechts gesehen, sondern vielmehr wird das politische Strafrecht als Teil der ›wehrhaften Demokratie‹ benannt (vgl. Flümann 2015, 106; Jaschke 2006, 24; Kailitz 2004, 215f.). Zum Teil wird ›wehrhafte Demokratie‹ explizit vom Staatsschutzgedanken abgegrenzt: Sie schütze nicht wie in früheren Jahrhunderten den Staat, sondern ziele auf den Schutz der demokratischen Staatsform (vgl. Flümann 2015, 111). Um diese demokratische Staatsform zu charakterisieren, wird auf die politische Ideengeschichte zurückgegriffen (vgl. Backes und Jesse 1996, 34ff.). Aus der Ideengeschichte werden verallgemeinerte Prinzipien oder Werte (vgl. Flümann 2015, 111; Gerlach 2012, 62, 65; Kailitz 2004, 18) bzw. »liberale[...] Grundideen« (Jaschke 2006, 13) abgeleitet. Diese bilden ein Konglomerat, das verschiedene Begriffe bekommt: »freiheitliche demokratische Grundordnung«, »demokratischer Minimalkonsens«, »demokratischer Verfassungsstaat«, »freiheitliche Demokratie«, »demokratische Spielregeln« (vgl. I 1.2). ›Wehrhafte Demokratie‹ schütze also den ›Kern‹ demokratischer Staatlichkeit. Dieser ›Kern‹ wird als unabänderlich und überpositiv festgelegt. Zugleich dient er aber seiner eigenen Einschränkung. Rechtsstaat (›Spielregeln‹) wird Demokratie (politische Teilhabe und Gestaltungsmacht) entgegengehalten. Dabei sind es nicht lediglich formale Regeln, sondern materiale Inhalte, nach der diese Entgegensetzung funktioniert. Die »liberalen Grundideen« (Jaschke 2006, 13) können, so die Annahme, wenn sie wirklich für alle immer unbeschränkt gelten, missbraucht (vgl. Backes und Jesse 1996, 39) oder ausgenutzt (vgl. Flümann 2015, 107) werden. Ein Missbrauch setzt allerdings einen ›richtigen‹ Gebrauch voraus. Um Missbrauch zu verhindern, seien verschiedene Instrumentarien4 der 3 Wenn es der inhaltliche Kontext nötig macht, wird das Ersterscheinungsdatum der Literatur angegeben. 4 Zur ›wehrhaften Demokratie‹ in der Bundesrepublik gehören verfassungsund strafrechtliche Instrumente. Das BVerfG kann Personen Grundrechte aberkennen (Art. 18 Abs. 2 GG) und Parteien verbieten (Art. 21 Abs. 2 GG). Vereinigungen, die den Strafgesetzen zuwider laufen oder sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten (Art. 9 Abs. 2 GG), können durch die Innenministerien des Bundes oder der Länder verboten werden.

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EINLEITUNG

›wehrhaften Demokratie‹ etabliert worden. Denn es bestünde stets die Möglichkeit, dass sich ›Extremist*innen‹ legaler Methoden bedienen, um die Demokratie zu Fall zu bringen. Sie können zwar formell legal vorgehen, aber ihre Absicht oder ihr »Fernziel« (BVerfGE 5, 85, 227) sei die Abschaffung der Demokratie – und damit nicht legitim, also kein ›richtiger‹ Gebrauch der politischen Freiheitsrechte. Es gehe um den »staatliche[n] Umgang mit nichtgewalttätigem politischem Extremismus« (Flümann 2015, Herv. d. Verf.), d.h. nach formellen Regeln nicht illegal, sondern illegitim agierenden politischen Akteur*innen. Vor diesen schütze die ›wehrhafte Demokratie‹, indem sie im Vorfeld einschreite und legales politisches Handeln im Blick behalte. Insgesamt kennzeichnet die politikwissenschaftliche Forschung daraus schlussfolgernd ›wehrhafte Demokratie‹ als Dreiklang aus Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung des Demokratieschutzes (vgl. Backes und Jesse 1996, 464; Flümann 2015, 100; Gerlach 2012, 65). Dies zeigt Parallelen zur oben dargestellten Expansion des Strafrechts auf. Eine Entwicklung von abstrakten und moralisierenden Tatbeständen sowie der Präventionsgedanke kennzeichnen das politische Strafrecht wie auch die ›wehrhafte Demokratie‹. Beide bieten in der Folge Sanktionsmaßnahmen bzw. Instrumente, um die jeweils festgelegten Schutzgüter zu bewahren. In diesen Kontext wird ›wehrhafte Demokratie‹ in der politikwissenschaftlichen Forschung nicht eingebettet. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten potentiell demokratiegefährdende Personen, Vereinigungen oder Parteien. Die Tätigkeit der Bundes- und Landesämter ist durch das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und die entsprechenden Ländergesetze geregelt. Im Strafrecht schützen die §§ 84–91a StGB den demokratischen Rechtsstaat. Sie geben die Möglichkeit, Verunglimpfung der Staatsorgane und ihrer Repräsentant*innen, Verwendung ›verfassungsfeindlicher‹ Symbole, Agent*innentätigkeit und Vorbereitungen zu den demokratischen Rechtsstaat untergrabenden Gewalttaten präventiv zu verfolgen. Neben diesen Instrumenten ist der Wesensgehalt des Grundgesetzes durch Art. 79 Abs. 3 GG vor Veränderungen geschützt. Der Artikel erklärt die Art. 1 und 20 GG sowie die Gliederung der Bundesrepublik in Bund und Länder und die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung für unveränderlich. Hinzu kommen Regelungen, Bundesrichter*innen bei Verstößen gegen die »Grundsätze des Grundgesetzes« (Art. 98 Abs. 2 GG) in den Ruhestand versetzen oder aus ihrem Dienst entlassen zu können. Beamt*innen müssen sich nach Art. 33 GG iVm § 33 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) durch ihr »gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten«. Der Bundespräsident kann wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht angeklagt werden (Art. 61 GG).

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Stattdessen bestätigt die Forschung die moralische Aufladung, indem sie Werte als universelle setzt und politisches Handeln daran misst. Als historisches Beispiel eines illegitimen Missbrauchs demokratischer Freiheit dienen das Scheitern der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtübernahme.5 Die ›wehrhafte Demokratie‹ sei die »Antwort auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten« (Flümann 2015, 97), der »Niedergang Weimars« sei das »politische Lehrstück« vor dessen Hintergrund der »Demokratieschutz« entworfen sei (Gerlach 2012, 50). Denn, so die Behauptung, die Machtübernahme des Nationalsozialismus6 sei legal oder mindestens »quasilegal« (Bötticher 5 Ich habe mich in dieser Arbeit für den Begriff nationalsozialistische ›Macht­ übernahme‹ entschieden. Er beschreibt den Prozess der Transformation der Weimarer Demokratie zum nationalsozialistischen Staat weniger politisch aufgeladen. Der oft verwendete Begriff »Machtergreifung« blendet den gesellschaftlichen Kontext aus, indem er eine gegen breiten Widerstand durchgesetzte Eroberung der Macht suggeriert. Außerdem ist er stark durch eine antitotalitaristische Verwendung gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt, was die Ausblendung gesellschaftlicher Prozesse, also die Unterstützung des Nationalsozialismus durch Eliten und Bevölkerungsschichten, auch schon impliziert. Es sind unterschiedliche Kräftekonstellationen zu beachten, die eine stetige Untergrabung der Demokratie der Weimarer Republik sowie eine Implementierung, Erprobung und Verfestigung nationalsozialistischer Herrschaftstechniken ermöglicht haben. Weiterhin existiert das Wort »Machtübergabe«. Darin liegt die Betonung auf der Abgabe staatlicher Macht der alten Elite an die neue nationalsozialistische. Mir erscheinen die nationalsozialistischen Akteur*innen dadurch seltsam passiv. Zudem fokussiert »Machtübergabe« zu stark auf die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 und bezieht weniger die Prozesse davor und danach mit ein, weshalb ich mich auch gegen diesen Begriff entschieden habe. Gleichwohl hat auch »Machtübernahme« eine historische Konnotation. Der Begriff fand teilweise in nationalsozialistischer Propaganda Verwendung, um auf die vermeintliche Legalität der Abschaffung der Weimarer Demokratie und der Implementierung nationalsozialistischer Herrschaft zu verweisen (vgl. Frei 1983, 136ff.). Die »Konnotationen wie Gesetzmäßigkeit, Normalität, Solidität« (ebd., 141) im Gegensatz zu den Begriffen ›Ergreifung‹ oder auch ›Revolution‹ ermöglichten die Festigung nationalsozialistischer Herrschaft. Das ist gerade für die Dekonstruktion der Legende der ›wehrhaften Demokratie‹, die diese Arbeit leisten will, ärgerlich. Mangels Alternativen bleibe ich dennoch dabei. 6 Insofern ist die ›wehrhafte Demokratie‹ ein deutsches Phänomen, da es eine Interpretation und Reaktion auf die deutsche Geschichte ist. Staatsschutzmechanismen in anderen Staaten werden m. E. unzulässigerweise unter dieses Konzept subsumiert. Das heißt nicht, dass es nicht auch in anderen Staaten etabliert werden kann. Der ideologische Gesamtkomplex aus

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EINLEITUNG

und Lange 2011, 283) mit den Mitteln der Demokratie vonstattengegangen. Weimar sei gegenüber der »Legalitätstaktik der Extremisten« (Jesse 2010, 48) hilflos gewesen. Diese Hilflosigkeit sei auf die mangelnde Wertgebundenheit der Weimarer Demokratie zurückzuführen. Der Weimarer Rechtspositivismus bzw. Wertrelativismus, die keinen ›Kern‹ vor dem Zugriff politischer Auseinandersetzung bewahren wollten, haben die ›Legalitätstaktik‹ ermöglicht (vgl. Flümann 2015, 94; Gerlach 2012, 52; Jesse 2011, 83). Mit dieser Darstellung steht die politikwissenschaftliche Forschung in der Tradition einer bestimmten Deutung des Weimarer Scheiterns. Je nachdem, wem die ›Schuld‹ an der nationalsozialistischen Machtübernahme gegeben wird, werden unterschiedliche ›Lehren‹ gezogen, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern. Diese Arbeit kommt folglich nicht umhin, den Forschungsstand der Geschichtswissenschaft einzubeziehen.

1.1.2 Forschungsstand der Geschichtswissenschaft Soll ›wehrhafte Demokratie‹ in ihrer historischen Gewordenheit verstanden werden, braucht es einen Blick auf die verschiedenen Deutungen des Scheiterns der Weimarer Republik und die aus ihnen folgenden Konsequenzen für die Konzeption und Institutionalisierung eines ›Demokratieschutzes‹. Hier sind die Werke der Historiker Sebastian Ullrich (2009) und Dominik Rigoll (2013) grundlegend. Ullrich zeigt, dass fdGO und ›wehrhafte Demokratie‹ keineswegs so konsensuell waren, wie es die Erzählung von den ›Lehren aus der Geschichte‹ vermittelt. Seine Arbeit untersucht den Bezug zur Weimarer Republik in Politik und Medien im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik. Ull­ rich ist dabei auf drei Themenkomplexe fokussiert. Er will das Narrativ der Weimarer Geschichte herausarbeiten, dessen geschichtspolitische Legitimitätsstiftung untersuchen und analysieren, wie die Weimarer Republik als Argument in politischen Debatten verwandt wurde (vgl. Ullrich 2009, 28ff.). Ullrichs (vgl. ebd., 19) These ist, dass die Ansichten zu den ›Lehren‹, die aus dem Scheitern der Weimarer Republik zu ziehen seien, Wertbegründung, Verallgemeinerung und moralisch begründeter Expansion ist zunächst jedoch ein deutscher. Das erklärt die in der Forschung beanstandete mangelnde Praktikabilität der Definition von ›wehrhafter Demokratie‹ des normativen Extremismusansatzes von Backes/Jesse im internationalen Kontext (vgl. Flümann 2015, 100f.). Dies ist allerdings kein Definitionsproblem, sondern der Genese des Konzepts geschuldet. Zu Recht bemerkt Kailitz (vgl. 2004, 224), dass bspw. ein Parteiverbot in Frankreich schlicht bei Verstößen gegen die Strafgesetze möglich sei. Das ist aber nicht unter die Idee einer ›wehrhaften Demokratie‹ zu subsumieren.

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weitaus heterogener waren, als es das heutige Geschichtsbild in der Bundesrepublik vermuten lasse. Erst als sich die BRD als relativ stabil erwies, sei das Narrativ der Weimarer Republik zu einer kohärenten Negativfolie, zum »Normalitätsdispositiv« (ebd., 21) geworden. Ullrichs Motivation ist es, dieses Narrativ der Weimarer Geschichte zu analysieren, denn wer über die historische Erinnerung einer Gesellschaft bestimmt, beeinflusst ihr Selbstverständnis und den Handlungsraum, der sich politischen Akteuren öffnet. Im Kampf um die Deutungshoheit über das kollektive Gedächtnis geht es immer auch um historische Legitimation von politischen Wertvorstellungen und Erwartungshorizonten. (ebd., 28)

Wenn die fdGO als Wertentscheidung begründet ist, geschieht das durch den Rückgriff auf die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Wenn daraus die Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ abgeleitet wird, sind, wie Ullrich angibt, Konsequenzen für den Raum gezogen, den politisches Handeln in der Bundesrepublik hat. Die Geschichtsdeutung hat politische Konsequenzen. Die aktuelle politikwissenschaftliche Forschung zur ›wehrhaften Demokratie‹ registriert dies nicht, sondern präferiert eine bestimmte Deutung des Weimarer Scheiterns, mittels derer universelle Werte gesetzt werden. Damit ist sie für diese Arbeit eher Quelle denn Forschungsgrundlage, auf der aufzubauen wäre (vgl. I 1.1.1). Als Historiker geht Ullrich (vgl. ebd., 624) der Frage nach den Konsequenzen für politisches Handeln allerdings nicht nach, verneint sogar die Relevanz des Weimar-Bezugs für die heutige Zeit. Die hier vorgelegte politikwissenschaftliche Analyse will die rechtsstaats- und demokratietheoretischen Traditionen, die sich mit einem bestimmten Narrativ zum Weimarer Scheitern verbinden, darstellen und aufzeigen, wie sie politisches Handeln bis heute durch die Institutionen und Legitimation der wehrhaften Demokratie vorstrukturieren. Mit Ullrich kann der Blick auf die politischen Auseinandersetzungen und Kräfteverhältnisse in der Gründungsphase der Bundesrepublik gelenkt und so die Darstellung von der zwischen den ›Extremen‹ zerriebenen Weimarer Republik hinterfragt werden. Die von Ullrich dargestellten politischen Deutungskämpfe um das Scheitern der Weimarer Republik in den 1950er Jahren verbinden sich mit der Konzeption des Schutzes der Demokratie vor ihren ›Feinden‹ in der Bundesrepublik. Wer ist der ›Feind‹ der Demokratie und wie schützt man sich am besten vor ihm? Die dazugehörigen personellen Verstrickungen und inhaltlichen Dissense, die sich aus Verschiebungen zwischen einem »›antitotalitären‹ und einem ›antifaschistischen‹ Narrativ« ergaben, hat Rigoll (2013, 7) aufgezeigt. Neben dem Ausschluss der Kommunistischen Partei Deutschlands 19

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(KPD) aus dem Bereich des politisch Legitimen, der notwendig war, um die alte NS-Funktionselite in die neuen Staatsapparate der Bundesrepublik zu integrieren, habe diese Integration »gravierende Folgen [...] für die Alltagspraxis der Institutionen [...], allen voran für die der streitbaren Demokratie« (ebd., 14) gehabt. Von aus Deutschland emigrierten Intellektuellen als Idee vorgebracht (vgl. IV 4), wurde die institutionelle Implementierung der ›wehrhaften Demokratie‹ von Mitläufer*innen und der ehemaligen NS-Funktionselite übernommen (vgl. Rigoll 2013, 14). Die fehlende Verfolgungserfahrung und die politische Sozialisation in einem Umfeld, das Antikommunismus als Bedingung für Demokratie ansah, habe sich auch auf die jüngere Generation übertragen (vgl. ebd., 16). Von Rigolls biographisch-historischem Argument und Ullrichs zeitgeschichtlich-diskursiver Analyse ausgehend muss politikwissenschaftlich gefragt werden, wie vor dem Hintergrund der deutschen Rechtsstaats- und Demokratietradition diese Kontinuität der Stoßrichtung der ›wehrhaften Demokratie‹ auch bis heute gilt und sich in den Logiken der Institutionen wie Verfassungsschutz oder der politischen Justiz fortgeschrieben haben. Wer hat welche Werte – welchen ›Kern‹ – warum als unveränderlich und schutzwürdig gesetzt?

1.2 ›Freiheitliche demokratische Grundordnung‹ Das Bundesverfassungsgericht hat 1952 im Verbot der »Sozialistischen Reichspartei« (SRP) die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ definiert. Ein Instrument der ›wehrhaften Demokratie‹ ist das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG. Wenn Parteien nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger*innen darauf ausgehen, die fdGO zu beeinträchtigen oder zu gefährden, können sie durch das BVerfG verboten werden. Das Verbot 1952 erforderte eine gerichtliche Auslegung, was denn diese ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ sei. Das Gericht bestimmte sie als eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. (BVerfGE 2, 1, 1) 20

STAND DER FORSCHUNG UND PROBLEMSTELLUNG

Diese Definition erfuhr seit den 1950er Jahren eine »einzige Kettenzitation« (Leggewie und Meier 1995, 215). Zunächst einleuchtend, höchst­ richterlich beglaubigt und deshalb so viel zitiert, war sie dennoch Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Auseinandersetzung.

1.2.1 Konjunkturen der Wissenschaft – die fdGO als umkämpfter Begriff Die wissenschaftliche Literatur zur fdGO und zur ›wehrhaften Demokratie‹ hatte in den 1970er Jahren Konjunktur (vgl. Abendroth u. a. 1977; Azzola 1972; Denninger 1977, 1979; J. Fischer 1977; Goerlich 1973; Maus 1976; Perels 1977, 1978; Preuß 1973; Ridder 1975; Ruland 1971).7 Einige Schriften finden sich auch schon in der zweiten Hälfte der 1960er (vgl. Abendroth 1967; Abendroth, Ridder und Schönfeldt 1968; Copic 1967), andere noch in den 1980er Jahren (vgl. Azzola und Crossmann 1986; Gusy 1980; Lautner 1982; Maus 1986; Meier 1987; Römer 1989; Schiffers 1989). Danach erschienen nur noch wenige Arbeiten (vgl. Leggewie und Meier 1992; Nichelmann 2013). In der heutigen Politikwissenschaft zum ›Extremismus‹ finden fdGO und ›wehrhafte Demokratie‹ nur einen affirmativen und keinen analytischen Bezug (vgl. Backes und Jesse 1996; Bötticher und Lange 2011; Gerlach 2012; Jaschke 1991, 2006; Thiel 2003). In der wissenschaftlichen Kritik des normativen Extremismusansatzes (vgl. Ackermann u. a. 2015; Forum kritische Rechtsextremismusforschung 2011) tauchen die fdGO und ihre Funktion punktuell wieder auf (vgl. Liebscher 2012; Schulz 2012). Die Arbeiten aus den früheren Jahrzehnten werden hier allerdings kaum rezipiert. Ursächlich für diese Konjunkturen könnte sein, dass das Themengebiet als erschöpfend bearbeitet betrachtet wird und alle Argumente ausgetauscht scheinen. Ebenso möglich ist, dass die politischen Auseinandersetzungen um das Demokratieverständnis in der Bundesrepublik hegemonial entschieden sind. Stimmen, die etwas anderes fordern, werden entweder nicht gehört, kommen gar nicht erst auf oder erscheinen – getreu der Logik der ›wehrhaften Demokratie‹ – nicht als ›legale‹ Alternative. Dazu gehört, dass neuere Arbeiten die Analysen früherer Jahrzehnte nicht kennen und sich damit auch nicht auf deren Erkenntnisse stützen können bzw. sich diese neu erarbeiten müssen. Wenn das hegemoniale Demokratieverständnis zu weitreichende materielle und repressive Konsequenzen zeitigt, befördert dies neue Wellen der wissenschaftlichen und politischen Kritik. Die Konjunkturen der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen sind an politisches Zeitgeschehen 7 Zur Einordnung in die Entwicklung der Staatsrechtslehre (vgl. Stolleis 2012, 379ff.).

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EINLEITUNG

geknüpft. Die Hochphase wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema in den 1970er Jahren hängt mit dem »Radikalenerlass« und der Berufsverbots­ praxis zusammen, die auch in liberalen Kreisen auf Kritik stieß. Die intransparente Datensammlung der Verfassungsschutzbehörden zu politisch Aktiven und die daraus folgenden personellen Konsequenzen waren Anlass, die Gesamtkonzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ in Frage zu stellen. Zudem wurde um die Definition darüber, was denn der demokratische Minimalkonsens fdGO sei, gekämpft. Die Definitionsmacht sollte von den Staatsapparaten wieder zu den Bürger*innen geholt werden. Für die Behörden auf der anderen Seite war mit der 68er-Bewegung ein breiteres gesellschaftliches Feld aufgekommen, das den sozialen und politischen Status quo herausforderte. Es ging nicht mehr nur um – tatsächliche oder vermeintliche – kommunistische Gruppen, sondern ebenso um neue soziale Bewegungen, die sich mit diesem Etikett nur unzureichend beschreiben ließen, aber auch zu groß waren, um sie gänzlich zu kriminalisieren. Der antikommunistische Staatsschutz wurde zur Abwehr von ›Extremist*innen‹. ›Extremismus‹ und ›Radikalismus‹ wurden in der behördlichen Praxis zu unterschiedlichen Bewertungskategorien. Die zum Ende der 2000er Jahre einsetzende zivilgesellschaftliche Kritik am normativen und administrativen Extremismusansatz war eine Reaktion auf zunehmende Repression gegen linke Kulturprojekte, die von staatlichen Fördergeldern abhingen und deren Politik durch das ›Ex­ tremismus-Demokratie-Schema‹ delegitimiert wurde (vgl. bspw. INEX 2008). Viele dieser Projekte entstanden als Reaktion auf die rassistischen Pogrome der 1990er Jahre. In den neuen Bundesländern sollten Jugend- und Zivilgesellschaftsprojekte demokratische Kultur gegen Neonazis stärken. Seinen Höhepunkt fand dieser Konflikt mit dem Versuch des BMFSFJ unter der damaligen Ministerin Kristina Schröder (CDU) eine »Demokratieerklärung« bzw. »Extremismusklausel« für geförderte zivilgesellschaftliche Projekte gegen ›Rechtsextremismus‹ einzuführen, die die Treue zur fdGO per Unterschrift besiegeln sollte (vgl. VI 2.2). Neben solchen Konjunkturen gab es in der Wissenschaft stets Versuche, der hegemonialen fdGO-Definition einen antifaschistischen Gehalt des Grundgesetzes entgegenzusetzen. Der Rechtswissenschaftler Hans Copic (vgl. 1967, 6ff.) stellt die These auf, dass das ursprünglich antinazistisch angelegte Grundgesetz mit der Strafrechtsänderung von 1951 antikommunistisch wurde und auch die fdGO diese inhaltliche Verschiebung mitmachte. Der Komplex der ›wehrhaften Demokratie‹, bestehend aus den Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG, wurde auch als »antifaschistische Normenschicht« (Stuby 1977, 123) interpretiert. Die Anwendung und Interpretation der fdGO im Verbotsurteil gegen die KPD sei eine »antisozialistische und antidemokratische Entstellung des Begriffs« (ebd., 128). Die fdGO sei eigentlich das Prinzip, »menschenwürdige Ausübung öffentlicher Herrschaft durch ihre materielle Begrenzung und 22

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formelle Bindung zu gewährleisten«, alles andere führe zu einem »autoritären Rechtsstaat« (Azzola 1972, 815). Eine Wiederauflage erfuhr dieser Vorschlag in dem Versuch, eine soziologisch informierte und damit »›empirienäher‹ gebaute Dogmatik der fdGO« (Nichelmann 2013, 17) ohne »werthafte Interpretation« vorzulegen, die nicht »die Freiheitssphäre [des Bürgers, Anm. d. Verf.] im Namen des Demokratie- und Freiheitsschutzes« (ebd., 201) einschränke. Dies sind Versuche, einer hegemonial werdenden bzw. gewordenen Definition der fdGO eine andere entgegenzusetzen, die weniger repressive und materielle Konsequenzen hat. Sie sind unter der Herangehensweise dieser Arbeit selbst Teil des Forschungsgegenstandes: Sie erkennen die Setzung der fdGO als universellen Begriff an, ringen aber um seinen Gehalt. Damit sind sie Teil der Hegemonie selbst. Die antifaschistische Lesart schenkt dem staatschützenden Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹ Legitimität. Der Kampf um die Freiheit politischer Auseinandersetzungen ist selbst politisch; Verfassung und Recht sind Mechanismen zur Begrenzung wie Stabilisierung kapitalistischer Verhältnisse und staatlicher Herrschaft (vgl. II 6).

1.2.2 Strafrechtliche Entstehungsgeschichte der fdGO Zur Entstehung der verfassungsgerichtlichen Definition der fdGO im Verbot der SRP 1952 und ihren Ursprüngen im 1. Strafrechtsänderungsgesetz (1. StÄG) von 1951 haben der Strafrechtler Friedrich-Christian Schroeder (vgl. 1970) und der Historiker Reinhard Schiffers (vgl. 1989) Anmerkungen gemacht. Schroeders (vgl. 1970, 186ff.) Werk zum Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht macht einige Angaben zu den Definitionsproblemen der Abgeordneten mit dem Begriff der fdGO während der Schaffung des neuen Straftatbestandes der Staatsgefährdung 1951. Detaillierter beschreibt Schiffers (vgl. 1989, 178ff.) den Definitionsprozess der fdGO im 1. StÄG. Dabei bezieht er sich zur demokratietheoretischen Einordnung weitestgehend auf die Darstellung der beteiligten Abgeordneten (vgl. ebd., 182ff.) und das Widerstreiten der Prinzipien Freiheit und Sicherheit in der ›wehrhaften Demokratie‹ mit Blick auf das politische Strafrecht (vgl. ebd., 20). Zudem hat Schiffers (vgl. 1984) den Gesetzgebungsprozess zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz in einer Materialiensammlung dargestellt, die auch auf erste Definitionsversuche der fdGO verweist. Schroeder (vgl. 1970, 189) machte außerdem auf den Umstand aufmerksam, dass mit der fdGO als Schutzobjekt an der Spitze des bundesrepublikanischen Staatsschutzes das in der Aufklärung entstandene politische Strafrecht neu installiert worden sei. Der Vereinigungsvertrag und sein Zweck, die bürgerliche Gesellschaft, seien zum Schutzgut erklärt worden. Damit liefert Schroeder eine an Gesetzgebungsprozess 23

EINLEITUNG

und Rechtsgeschichte orientierte Analyse des Schutzes der fdGO, auf der staatstheoretische Erörterungen aufbauen können.

1.2.3 Ideengeschichtliche und staatstheoretische Analysen der fdGO Mit dem Politik- und Rechtswissenschaftler Ulrich K. Preuß (1973, 17) lässt sich die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ als »Super-Legalität« des Grundgesetzes verstehen. Die fdGO sei von einem losen Sammelbegriff für Verfassungsgrundsätze zu einem politischen Substanzbegriff geworden, der durch »militante existenzielle Wertentscheidung« (ebd., 26) das Verhalten der Subjekte in dem »gesellschaftlichen Zustand, den wir Verfassung nennen« (ebd., 24) vorstrukturiere. Preuß (ebd., 30) stellt die These auf, dass fdGO und ›wehrhafte Demokratie‹ nicht vor einer »abermaligen faschistischen ›Gewaltherrschaft‹ als vielmehr unbewußt vor der Aufhebung des besitzindividualistischen Charakters der Freiheit« schützen, was durch die Umwandlung des antifaschistischen Schutzgedankens in einen antikommunistischen angezeigt werde. Die Verfassung sei nicht lediglich Staatsverfassung, sondern die politische Form der bürgerlichen Gesellschaft, in der Freiheitsrechte nicht nur negative Abwehrrechte seien, sondern ebenso eine bestimmte Form von Vergesellschaftung positiv garantieren, die auf der freien Verfügung des Individuums über seine Person und sein Eigentum aufbauen (vgl. ebd., 18). Der Rechtswissenschaftler Helmut Ridder (1975, 58) behauptet, dass das »freiheitlich« vor demokratischer Grundordnung in Abgrenzung zur Entstehung des politischen Systems in der Sowjetischen Besatzungszone hinzugefügt wurde, was Preuß’ These vom Schutz der besitzindividualistischen Freiheit bestätigt. Auch Ridder (ebd., 61) bekräftigt die Charakterisierung der fdGO als substanzhaften Begriff mit Wertentscheidungen, wenn er von »hochtrabender ideologischer Nomenklatur des ›überpositiven Rechts‹« spricht. Den Normenkomplex aus den Art. 9, 18 und 21 GG analysierte Ridder (vgl. 1984) im Alternativkommentar zum Grundgesetz. Er legte damit eine Charakterisierung der Funktion der fdGO vor, die er als »Einbruchstelle bestandsschützender staatlicher Intervention« (ebd., 1425) beschrieb. Da sie ein Rechtsbegriff sei, werden die bestehenden Verhältnisse als »Rechtswert« (ebd., 1411) gesetzt, was Alternativen, die durch demokratisches Veränderungspotential entstehen könnten, von vornherein abwerte und eben auch abwehre.8 Die Politikwissenschaftlerin Ingeborg Maus (1986, 49) stimmt Preuß darin zu, dass die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ ein 8 Dieser Kommentar von Ridder zum Grundgesetz ist ein Beispiel für die Verschiebungen zwischen Forschungsstand- und Quellenliteratur. Ridder legte

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STAND DER FORSCHUNG UND PROBLEMSTELLUNG

»grenzenlos unbestimmter Substanzbegriff« sei, expliziert die Entwicklung zu diesem Zustand darüber hinaus aus einer ideengeschichtlichen Darstellung der deutschen Rechtsstaats- und Demokratieentwicklung. Die schon von Ridder konstatierte Überpositivität der fdGO lässt sich mit Maus’ Darstellung (rechts-)historisch einordnen. Sie machte deutlich, dass die antipositivistische Tradition der deutschen Staatsrechtslehre a) den Nationalsozialismus begünstigte, b) gerade dann Aufwind bekam, als die formale, positivistische Rechtsstaatskonzeption dazu führte, von der politischen auch zur sozialen Demokratisierung voranzuschreiten und c) dass der Skandal der ›wehrhaften Demokratie‹ darin besteht, substanzhafte Setzungen unter Verdrehung historischer Tatsachen als Schutz der Demokratie zu betiteln sowie die Schuld am Nationalsozialismus dem Rechtspositivismus zuzuweisen, obwohl doch gerade materiale Rechtsstaatskonzeptionen die Demokratie der Weimarer Republik zerstört haben (ebd., 45). Die Herauslösung einzelner Verfassungsbestandteile als fundamentale Wertentscheidung aus dem Gesamtkomplex der Verfassung hat eine Sicherung des sozialen Status quo zur Folge, was den durch formale Rechtsstaatskonzeption möglichen Transformationsund Demokratisierungsprozess verhindert (vgl. Maus 1976, 47). Konkreter auf die fdGO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die Rechtswissenschaftler Christoph Gusy (1980) und Helmut Goerlich (1973) geblickt. Beide sind sich einig, dass methodische Schwächen in der Rechtsprechung durch einen Rückgriff auf die fdGO bzw. die »Wertordnung des Grundgesetzes« ausgeglichen werden (vgl. Goerlich 1973, 24, 187; Gusy 1980, 293, 299). Goerlich benennt den Rückgriff auf die »Argumentationsfigur« (1973, 18) der »Wertordnung des Grundgesetzes« und ihrer verschiedenen Synonyme – bspw. die »Wertmaßstäbe der freiheitlichen demokratischen Grundordnung« – als »argumentative Fehlentwicklung« (ebd., 26). Ein Rekurs auf Werte könne keine konkretisierende Argumentation ersetzen, sei intransparent und befriedige nicht die Begründungspflicht; mithin sei darauf gänzlich zu verzichten (vgl. ebd., 187). Wenn der Rechtswissenschaftler Michael Ruland (1971, 17) die Verwendung des fdGO-Begriffs in der Begründungspraxis »rhetorisch-pathetisch« nennt, stimmt er dem zu. Goerlich (vgl. 1973, 187) schlägt eine methodische Weiterentwicklung vor, die sich an positivistischen Grundsätzen orientiert und sozialwissenschaftlich öffnet. Gusy elaborierte, dass in Folge der Identifikation von Grundordnung und Wertordnung die fdGO in verschiedenen Fällen als »Argumentationstopos« (1980, 290) funktioniere, dessen Anwendung »formelhaft« (ebd., 292) sei und der gerade dort zum Einsatz komme, wo mit seinem Kommentar keinen neuen Definitionsversuch der fdGO vor, sondern ordnete ihre Anwendung rechts- und politikwissenschaftlich ein.

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Abwägungsentscheidungen getroffen werden. Mit der aus der Argumentationsweise des Gerichts folgenden Identifikation von ›freiheitlicher demokratischer Grundordnung‹ und Staatsordnung der Bundesrepublik sei eine zunehmende Verpflichtung der Bürger*innen und ihres Handelns auf den Staat zu beobachten; Neutralität oder Distanz reichen nicht mehr aus. Vielmehr sei politisches Handeln auf die Verwirklichung der fdGO auszurichten (vgl. ebd., 299f.). Der »Prüfstein des pluralistischen Staates« sei damit zum »Kampfbegriff im politischen Meinungsstreit« (ebd., 303), zur Identifikation des Schmitt’schen ›Feinds‹ geworden. Legalität und Legitimität fielen nach dem Grundgesetz aber zusammen, die Rechtssprechung des BVerfG müsse sich dahingehend auch entwickeln (vgl. ebd., 310). Gusy und Goerlich kommen damit beide zu dem Ergebnis, dass ein methodischer Schwenk zum Positivismus in der GG-Auslegung der Rechtsprechung des BVerfG zugutekommen würde. Mit Maus (1994, 12) ist dieser Position entgegenzuhalten, dass in der Herauslösung einzelner Elemente aus der Verfassung schon grundsätzlich eine materiale Rechtsstaatskonzeption angelegt ist und daraus keine positivistische Anwendung folgen kann: »Unantastbar werden die Freiheitsrechte erst dadurch, dass nicht die Mächtigen, sondern die Machtlosen über die Art ihres Freiheitsgebrauchs befinden« – also auch keine Gerichtsbarkeit im Namen der fdGO Parteien verbieten könne. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth (1968) hat in seiner Forschung den Kompromiss­ charakter des Grundgesetzes elaboriert. Die soziale und wirtschaftliche Ordnung sei nicht mehr Gegebenheit, sondern demokratischer Gestaltungsgegenstand (vgl. ebd., 121), also den politischen Kräften vorbehalten und es sei »keineswegs die Aufgabe des Verfassungsgerichts [...], den Bürgern der Bundesrepublik und den politischen Parteien irgendeine politische Kompromißphilosophie obligatorisch aufzuerlegen« (Abendroth 1967, 147). Das vom Rechtswissenschaftler Erhard Denninger (vgl. 1977) herausgegebene zweibändige Werk zur ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ versammelt Beiträge, die die Definition und Anwendung der fdGO problematisieren. Eingeteilt in die Rechtsbereiche und Politikfelder juristische Dogmatik, Rechtsstaatstheorie, Straf- und Polizeirecht sowie Verfassungsschutz sind amtliche, juristische und rechtswissenschaftliche Materialien dokumentiert, die einleitende, kritische Darstellungen erhalten. Was einleitend zu den zwei Bänden bemerkt wird, gilt bis heute: »So verbreitet diese Formel, so groß ist auch, und nicht nur unter Juristen, die Ungewißheit über ihre Bedeutung und ihre begrifflichen Grenzen« (Denninger 1977, 7). Dabei stellen die verschiedenen Autoren Thesen auf, die aus der anderen Forschungsliteratur an Prägnanz herausstechen, leider aber in lediglich kurzen Einleitungen zur Materialiensammlung formuliert sind und keine grundlegenden Herleitungen 26

STAND DER FORSCHUNG UND PROBLEMSTELLUNG

vornehmen. Sie sind vielmehr als Ausgangspunkte für weitergehende Forschungen zu betrachten. Die Definition der fdGO des Bundesverfassungsgerichts wird in der Forschungsliteratur oft als unbestimmt gekennzeichnet. Sie sei eine »unsystematische [...] Kompilation« (Ridder 1966, 28) von Prinzipien, die mit »Theorielosigkeit« (Lameyer 1978, 37) »rein additiv« (Azzola 1972, 803) oder »disponibel« (Gusy 1980, 285) aneinandergereiht seien. Hinzu komme, dass das Gericht für den Begriff der fdGO selbst unterschiedliche Termini verwende: »freiheitliche Ordnung«, »freiheitliche Demokratie«, »freiheitlich demokratischer Rechtsstaat« (vgl. Ridder 1966, 27; Ruland 1971, 10f.). Dem gegenüber steht die These von Gerhard Böhme (1977, 67) in Denningers Sammelband: Die fdGO-Definition sei nicht beliebig, sondern stelle bei genauerem Hinsehen jene Prinzipien zusammen, die »die bürgerliche Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem feudalen und absolutistischen Staat im liberalen Rechtsstaat durchgesetzt hat«. Sie sei vom Gericht aber nicht aus ihrem materiellen Entstehungskontext hergeleitet, sondern wertbegründet, also als universell gesetzt. Diese zwei sich auf den ersten Blick widersprechenden Meinungen werden in der Kritik an der fdGO und dem Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹ nicht diskutiert. Vielmehr stehen sie beide nebeneinander, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Eine Zwischenposition hat Goerlich (1973, 187), wenn er den Wertbegründungen in der Rechtsprechung einen »Arkancharakter« nachweist, der durch mangelnde Offenlegung ihres Inhalts die Legitimität in der richterlichen Praxis fehle. Diese Forschungsmeinungen über Konkretheit oder Unbestimmtheit des fdGO-Begriffs kreisen um den Kern der Sache. Wenn die fdGO, wie Preuß (1973, 30) meint, die »besitzindividualistische[...]« Vergesellschaftung im bürgerlichen Staat schütze, dann können ihre Definitionselemente nicht beliebig sein, dann ist dieser Inhalt aber genauso wenig explizit benannt, wie Goerlich fordert. Die von Böhme (vgl. 1977, 67) konstatierte mangelnde Rückkopplung der fdGO-Formel an ihren materiellen Entstehungskontext ist Teil des Problems. Nur deshalb kann sie als universelle Wertsetzung politische Auseinandersetzungen begrenzen. Eine »rhetorisch-pathetisch[e]« (Ruland 1971, 17) Verwendung der fdGO, ihre Funktion als »Kampfbegriff im politischen Meinungsstreit« (Gusy 1980, 303) und ihre intransparente Wertbegründung (vgl. Goerlich 1973, 187) sind Belege dafür, nicht die Probleme selbst.

27

EINLEITUNG

2. Thesen und Gliederung der Arbeit Die bisherigen Forschungen zur fdGO gehen auf einzelne Teilbereiche ihrer juristischen Dogmatik, ihrer Entstehung im Verfassungsgebungsprozess oder ihrer Anwendung ein. Die Geschichtswissenschaft hat mit Blick auf geschichtspolitische Folgerungen aus den Deutungskämpfen um das Weimarer Scheitern sowie die Entwicklung des Staatsschutzes in Westdeutschland grundlegende Bausteine geliefert, um ›wehrhafte Demokratie‹ zu verstehen. Die politikwissenschaftliche Abstraktion dieser Forschungen steht allerdings noch aus. Es gibt keine Darstellung, die eine Gesamtschau vornimmt, interdisziplinär verknüpft und die fdGO in ihrer Genese und Wirkung erörtert. Die bisherige politikwissenschaftliche Forschung ist nach der Darstellung der staatstheoretischen und ideengeschichtlichen Analysen zur fdGO selbst als eine Position innerhalb der deutschen staatsrechtlichen Auseinandersetzungen einzuordnen. In der antipositivistischen Staatsrechtslehre Weimars wurde die »funktionalistische Wertneutralität« (Schmitt 1980 [1932], 97) als Grund des Untergangs der Republik behauptet. Entgegen der rechtspositivistischen Auffassung wurden substanzhafte Inhalte (sprich: eine materiale Rechtsstaatskonzeption) gefordert, die vor dem politischen Prozess bewahrt werden sollten. Gelten Freiheit und Gleichheit immer absolut für alle, schaffe sich die Demokratie selbst ab, so die Behauptung der ›Lehre aus der Geschichte‹. Gerade die moderne Rationalität staatlicher Herrschaft (Legitimität allein durch Legalität; vgl. Kirchheimer 1967, 13) wird in der politikwissenschaftlichen Forschung zur ›wehrhaften Demokratie‹ zurückgewiesen. Folglich stehen einige Werte nicht zur Disposition und sind vom demokratischen Prozess ausgeschlossen. Ich stelle die These auf, dass ›wehrhafte Demokratie‹ als Verbindung des politischen Strafrechts mit einer materialen Rechtsstaatskonzeption bestimmt werden muss. ›Wehrhafte Demokratie‹ ist ein erweitertes und vorverlagertes Konzept des politischen Strafrechts. Es begrenzt legales politisches Handeln und bestraft nicht den schon begangenen Hochverrat. Die Besonderheit der ›wehrhaften Demokratie‹ ist die Behauptung des Schutzes legitimer, d. h. hier bürgerlich-demokratischer Staatlichkeit vor Umsturzversuchen, die noch nicht stattgefunden haben. Dabei wird die Exekutive zur ›Demokratie‹-Schützerin. Legitimität bedeutet hierbei nicht schlicht Legalität, wie es idealtypisch für liberale Staatlichkeit wäre, sondern wird durch die Behauptung der Existenz universeller demokratischer Werte substantialisiert. Legitimität wird dadurch mehr als Legalität. Gegenüber einer schlicht auf Legalität beruhenden Herrschaftsordnung muss ein sich legitim setzender Staat »den politischen und sozialen Status einer bestimmten historischen Zeitspanne mit dem Anschein ewiger Gültigkeit umkleiden« (Kirchheimer 1967, 26). Das 28

THESEN UND GLIEDERUNG DER ARBEIT

materiale ›Mehr‹ mit »ewiger Gültigkeit« (ebd.) gegenüber der Legalität ist heute nicht Gott, sondern sind die ›demokratischen Grundwerte‹, ›Spielregeln‹ oder, genauer, ist die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹. Das Paradoxe dabei ist: ›Wehrhafte Demokratie‹ setzt die »liberalen Grundideen« (Jaschke 2006, 13) als Wesenskern. Das heißt das formal Rationale, lediglich an Legalität Orientierte, also eigentlich »Wertrelativistische« wird zum materialen legitimen Inhalt. Damit ist es aber nicht mehr nur formal. Die Formalität wird nicht nach rationalen, sondern moralischen Kriterien begrenzt – und die sind juristische Auslegungs- sowie exekutive Anwendungssache, d.h. eben auch eine Sache von Kräfteverhältnissen. ›Wehrhafte Demokratie‹ bedeutet verkürzter Liberalismus – verkürzt in seinem grundlegenden Aspekt der formalen Rationalität und daraus folgender abstrakter Gleichheit. Dadurch kommt die Frage nach politischem Handeln ins Spiel. Abstrakte Gleichheit ist das bürgerliche Versprechen zum Machtwechsel, zur gleichen Teilhabe an staatlicher Herrschaft nach formalen Kriterien qua Mensch-Sein bzw. Bürger*in-Sein. Politische Gleichheit ist jedoch mit der auf sozialer Ungleichheit basierenden kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert. Das formale Versprechen hat das Potential, den Widerspruch zwischen politischer Gleichheit und sozialer Ungleichheit aufbrechen zu lassen. Die ungleiche Einrichtung der Gesellschaft kann in Frage stehen. Ist das allein formale Kriterium durch materiale Substanzhaftigkeit begrenzt, verstellt es genau dieses Potential bürgerlicher Demokratie. Das heißt ›wehrhafte Demokratie‹ schützt durch eine materiale Rechtsstaatskonzeption den sozialen Status quo der Gesellschaft; die fdGO wird zum »Hemmnis der Demokratieentfaltung« (Ridder 1968, 9). Nun ist hierbei wiederum an die Paradoxie der ›wehrhaften Demokratie‹ zu denken. Durch die Setzung der Formalität als das Materiale wiederholt ›wehrhafte Demokratie‹ die Ambivalenz bürgerlicher Demokratie. Innerhalb der Idee eines Schutzes universeller Werte können a) inhaltliche Verschiebungen dieser Werte passieren und b) geht es um die freiwillige Zustimmung zu diesen Werten. Ein rein auf Repression fokussiertes Denkmodell greift zu kurz. Werte zu universalisieren heißt auch, Zustimmung bei Teilen der Beherrschten ihnen gegenüber zu generieren. Das passiert durch Repression und Ideologie zugleich – bei Rigoll (2013, 478) als »Polizeistaat« und »Selbstdisziplinierung« bezeichnet. Was bedeutet das für die politischen Akteur*innen und für die Alternativen, für die sie kämpfen (können oder überhaupt wollen)? Um diesen Fragen nachzugehen, ist ein staats- und rechtstheoretischer Blick auf die fdGO erforderlich (vgl. II). Ist dieser ein materialistischer, rückt die Konflikthaftigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung und die Prozessierbarmachung der Konflikte in den Fokus. Damit wird deutlich, 29

EINLEITUNG

dass bürgerliche Staatlichkeit die Widersprüche zwischen postulierter politischer Gleichheit und tatsächlicher sozialer Ungleichheit austarieren kann. Dieser Ausgleich passiert aber nicht automatisch, sondern ist entsprechend der Konflikthaftigkeit kapitalistischer Verhältnisse ein Prozess von trial and error, den verschiedene Faktoren und Akteur*innen beeinflussen. Welche Rolle spielen dabei ›wehrhafte Demokratie‹ und die fdGO? Im theoretischen Teil der Arbeit werde ich die These entfalten, dass mit der fdGO Prinzipien bürgerlicher Staatlichkeit als universelle Werte gesetzt wurden. Im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ verdreht diese verallgemeinernde Setzung das Verhältnis von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip. Statt Rationalität und politische Teilhabe – zusammengehörig – gegen Staatlichkeit einzufordern, wird Rechtsstaat gegen Demokratie in Stellung gebracht, d. h., der Staat erfüllt die Aufgabe, die Demokratie gegen die Bürger*innen zu verteidigen. Die Verpflichtung auf die fdGO begrenzt in der Bundesrepublik das der Demokratie eigene Potential, von der politischen auch zur sozialen Gleichheit fortzuschreiten. Diese theoretische These wird in den folgenden Kapiteln politik- und geschichtswissenschaftlich bzw. juristisch-zeitgeschichtlich ausdifferenziert. Dazu gehört – das liegt in der ›Natur der Sache‹ der Thematik – eine rechtswissenschaftliche Informiertheit. Deshalb wird eine Auseinandersetzung mit juristischen Argumentationsmethoden unternommen (vgl. III). Untersuchungsgegenstände der Arbeit sind juristische Kommentarliteratur und Gerichtsurteile. Diese werden mit politischen Diskursen, hier vor allem Parlamentsdiskussionen und exekutiven Initiativen, verknüpft. Wie geschieht die Verallgemeinerung des Rechtsbegriffs fdGO in Rechtstexten und wie verbinden sich politische und juristische Diskurse? Welche Funktion hat das rechtliche Argument in der politischen Debatte? Dass ›wehrhafte Demokratie‹ eine geschichtspolitische Funktion hat, liegt auf der Hand: Eine ›Lehre aus der Vergangenheit‹ soll sein, dass sich Demokratie gegen ihre ›Feinde‹ verteidigen müsse. Die Frage ist jedoch, wer die ›Feinde‹ welcher Demokratie sind. Wer ist also schuld am Weimarer Scheitern und was folgte auf dieses Scheitern? Für die Ausgestaltung der ›wehrhaften Demokratie‹ ist das die relevante Frage, ein Blick auf die Weimarer Republik folglich unabdingbar. Es ist also ein Rekurs auf die ›erste deutsche Demokratie‹ notwendig (vgl. IV). Thema sind hier die staatsrechtlichen Auseinandersetzungen, die Republikschutzmechanismen und die nationalsozialistische Machtübernahme. Wie beeinflussten diese staatsrechtlichen Debatten den erstarkenden Nationalsozialismus, welche Positionen gab es zur demokratischen Staatsform Weimars? Dazu blicke ich auf die Traditionen und Deutungskämpfe der deutschen Staatsrechtslehre, um so die These von der Entgegensetzung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ideengeschichtlich zu kontextualisieren. 30

THESEN UND GLIEDERUNG DER ARBEIT

Hat, wie Maus (1986, 45) behauptet, eine materiale Rechtsstaatskonzeption die formale untergraben und damit auch das Scheitern der Weimarer Republik begünstigt bis ermöglicht? Wie und woran die Weimarer Republik gescheitert ist, ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine umkämpfte Frage. Aus den verschiedenen Antworten folgen unterschiedliche Konsequenzen für die ›wehrhafte Demokratie‹ und die fdGO. Ich werde folglich auf das Ende der 1940er und die beginnenden 1950er Jahre blicken, um die Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ und die Definition der fdGO im Verfassungsgebungsprozess, während der Neugestaltung des politischen Strafrechts, in den Parteiverboten von SRP (1952) und KPD (1956) des Bundesverfassungsgerichts und in den ersten juristischen Kommentaren zum Grundgesetz nachzuvollziehen (vgl. V). Zudem: Verändert sich die bundesverfassungsgerichtliche Deutung mit dem Urteil zur NPD 2017? Abschließend kann darauf aufbauend gefragt werden, wie sich dieses Konzept institutionell verfestigt, von dort aus in anderen Rechtsbereichen Anwendung findet und welche Resonanz dies für politisches Handeln hat (vgl. VI). Wie passiert also durch ›wehrhafte Demokratie‹ und Verpflichtung auf die fdGO die Entschärfung des Widerspruchs zwischen politischer Gleichheit und sozialer Ungleichheit? Welche Mechanismen – welche Institutionen und Praxen – haben sich herausgeschält, um Demokratisierung zu begrenzen? Wie reagieren politische Akteur*innen darauf?

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II Theoretischer Zugang Nach der Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung wird die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ als funktionaler und von Kräfteverhältnissen abhängiger Begriff verstanden und nicht als gegebene Entität. So muss an dieser Stelle ein theoretischer Zugang gewählt werden, der die Genese der fdGO und ihre Funktionalität verstehbar macht. Warum braucht es in der Bundesrepublik eine fdGO, die – als scheinbar universelle Ordnung – den politischen Prozess begrenzt? Wo genau liegen diese Grenzen und warum sind sie da, wo sie sind? Ist der theoretische Zugang ein materialistischer, kann Gesellschaft als durch und durch konflikthaft begriffen werden, die auf sozialer Ungleichheit und Ausbeutung basiert. Und wenn Gesellschaft widersprüchlich ist, drohen ihre Konfliktlagen auch stets sie selbst zu sprengen. Wie also gestaltet sich die Widersprüchlichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung und was haben Staat und Recht darin für eine Rolle? Wie sind daraufhin Demokratie und die in ihr politisch handelnden Individuen in Bezug zur Konflikthaftigkeit zu setzen? Können ›wehrhafte Demokratie‹ und fdGO in diesem Kontext als ein Schutzmechanismus (unter mehreren) vor der Sprengkraft politischer Auseinandersetzung verstanden werden, also als eben jene Begrenzung des politischen Prozesses? Im Folgenden werde ich zunächst das bürgerliche Recht und die bürgerliche Staatlichkeit in kapitalistischen Verhältnissen mit Hilfe der Ansätze von Johannes Agnoli und Louis Althusser charakterisieren. Dabei soll herausgestellt werden, wie der bürgerliche Staat als abstraktes Herrschaftsverhältnis funktioniert und auch die Menschen in diesem Staat durch das Recht in abstrakte Beziehungen zueinander treten. Damit werde ich auch die Prekarität bürgerlicher Vergesellschaftung, die durch diese Abstraktion geschieht, verdeutlichen, um zu verstehen, warum und wie politische Prozesse begrenzt werden. Die Funktionalität von Recht und Staat für kapitalistische Vergesellschaftung ist allerdings kein determinierender Mechanismus, vielmehr kann das Handeln der Menschen die Struktur bestätigen ebenso wie sie in Frage stellen. Um diese Kontingenz und Abhängigkeit von gesellschaftlichen Kräftekonstellationen zu verstehen, ist der Ansatz von Antonio Gramsci hilfreich. Mit ihm kann deutlich gemacht werden, wie trotz der Prekarität bürgerlicher Vergesellschaftung ein relativ stabiles System entstehen kann. Vor diesem Hintergrund können parlamentarische Demokratie und politisches Handeln in den Fokus genommen werden. Widersprüche, die aus dieser abstrakten Vergesellschaftung entstehen, können in der parlamentarischen Demokratie harmonisiert werden, zugleich aber 32

STAAT: EINE SCHEINBAR NEUTRALE VERMITTLUNGSINSTANZ

präsent bleiben. Wie also gleichen sich gesellschaftliche Konflikte aus, wie stabilisiert dieser Ausgleich das bestehende System? Welche Rolle spielt darin die ›wehrhafte Demokratie‹? Jenseits des Versuchs, parlamentarische Demokratie und ihre Funktion in kapitalistischer Vergesellschaftung generell zu verstehen, ist eine Rückbindung an historisch spezifische Entwicklungslinien aufschlussreich. Gesellschaft entsteht nicht im luftleeren Raum. Für das Verständnis von ›wehrhafter Demokratie‹ und fdGO ist auch ein historisch-theoretischer Blick auf Auseinandersetzungen um Recht und Staat nötig. Hierzu werde ich die Darstellung von Herbert Marcuse (1934) vom Kampf der »totalitären Staatsauffassung« gegen den Liberalismus mit der schon im Forschungsstand vorgestellten Analyse der deutschen Rechtsstaatsentwicklung von Ingeborg Maus in Bezug setzen.

1. Staat: Eine scheinbar neutrale Vermittlungsinstanz Bleiben wir zunächst abstrakt: Kapitalistische Vergesellschaftung bewegt sich scheinbar auf dünnem Eis. Vielschichtige und mehrdimensionale Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse prägen sie. Das relativ stabile Fortbestehen einer Gesellschaft, die auf einem antagonistischen Gegensatz zwischen Privateigentum an Produktionsmitteln und Ausbeutung beruht, verwundert zunächst. Um diese relative Stabilität der Verhältnisse zu verstehen, ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive eine Klärung von Recht und Staat in ihrem Zusammenhang zur kapitalistischen Produktionsweise nötig, um daraufhin fragen zu können, wie Widersprüche in diesen Formen prozessierbar werden. Mit Johannes Agnoli (1975, 63) lässt sich der bürgerliche Staat als scheinbar »allgemeine Instanz« verstehen, die den Rahmen für die Kapitalakkumulation ermöglicht. Die Widersprüchlichkeit und der antagonistische Gegensatz kapitalistischer Vergesellschaftung werden von einer scheinbar neutralen Vermittlungsinstanz ausgeglichen.1 Staat und Recht erscheinen als naturgegeben, ebenso wie die Menschen in diesem Staat 1 Das ist als wechselseitiges Verhältnis und nicht als deterministische Notwendigkeit zu verstehen. Der bürgerliche Staat und das bürgerliche Recht ermöglichen die Vermittlung und den Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, zwischen den vereinzelten Individuen. Sie sind aber nicht bewusst ausgedachte Organisationsformen, sondern mit der kapitalistischen Produktionsweise entstanden und bedingen sich mit dieser gegenseitig. »Recht existiert nicht, um eine gesellschaftliche Funktion (Warentausch, Erwartungsstabilisierung oder Herstellung der Einheit des Machtblocks) zu erfüllen« (Buckel 2007, 243, Herv. i. O.). Die sozialen Formen sind Ergebnisse von trial and error, von politischen und sozialen Kämpfen, nicht von vornherein

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THEORETISCHER ZUGANG

als vereinzelte und egoistische Individuen mit unterschiedlichen Interessen vorausgesetzt sind. Kapitalistischer Warentausch profitiert von (Erwartungs-)Sicherheit und einer neutralen Instanz zur Schlichtung von Konflikten, die nicht im Verdacht steht, partikulare Interessen zu verfolgen. Das Recht als scheinbar neutrales und allgemeines ermöglicht es, formal freie und gleiche Warenbesitzer*innen bzw. Rechtssubjekte zu konstruieren2, die sich auf dem Markt gegenübertreten und ihr Verhältnis zueinander regeln. Ihre »bestimmte Lebenstätigkeit und die bestimmte Lebenssituation« (Marx 1958, 368), also auch ihre Reproduktion, sind dabei als Privatangelegenheit getrennt vom allgemeinen Ganzen. So ist ein Zwangsverhältnis geschaffen, das zumindest in der öffentlichen Sphäre als ein formales, vermitteltes und unpersönliches erscheint. Es verdeckt den materiellen Ausbeutungscharakter der Mehrwertproduktion und -abschöpfung. »Die Macht eines Menschen über den anderen wird als Macht des Rechts in die Wirklichkeit umgesetzt, das heißt als die Macht einer objektiven unparteiischen Norm« (Paschukanis 2003, 143). Persönliche, direkte Herrschaft »bedeutet für die warenproduzierende Gesellschaft Unterwerfung unter eine Willkür« und »widerspricht der Grundvoraussetzung des Verkehrs zwischen Warenbesitzern« (ebd.). Staat und Recht scheinen so von der Gesellschaft und ihren Konflikten entkoppelt; der bürgerliche Staat erscheint als »selbständige Gewalt« (ebd., 145). Damit ist Staat nicht mehr ein willkürliches Gewaltverhältnis, sondern erscheint als neutrale Entität, die berechenbar und transparent Konflikte schlichten kann und den Rahmen für den gesellschaftlichen Zusammenhang setzt. Rechtsstaatlichkeit, also formales, an klare, berechenbare Regeln gebundenes staatliches Handeln und die Privatsphäre der Bürger*innen sind dafür die Voraussetzung.

ausgedachte Funktionsweisen. Es lässt sich ex post sagen, dass bürgerliches Recht und bürgerlicher Staat mit der kapitalistischen Produktionsweise zusammengehen und sich gegenseitig ermöglichen und stabilisieren. 2 Diese Konstruktion ist ein komplexer und kein geradliniger Vorgang. Zunächst geht es hier um die Freisetzung aus persönlichen ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen, auf die dadurch gewonnene Freiheit aber folgt der Zwang, die »eigne Haut zu Markt« (Marx 1972, 191) zu tragen. Nicht nur Repression, sondern ebenso Selbstdisziplinierung und Subjektivierungsweisen ermöglichen Menschen in kapitalistischer Vergesellschaftung mehr oder weniger zu funktionieren – genauso wie sie dadurch beschädigt sind. Diese Mechanismen können unterwandert werden. Auch hier ist allerdings die Ambivalenz zwischen subversiver Praxis und möglicher effizienter Einbindung in bestehende Herrschaftsverhältnisse zu beachten.

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RECHT: SYSTEM, FORM UND ZWANG

2. Recht: System, Form und Zwang Mit Althusser (2012, 96ff.) können drei charakteristische Merkmale des Rechts herausgestellt werden, welche sowohl die Berechenbarkeit staatlichen Handelns, als auch die Einhegung von Konflikten ermöglichen: Systematizität, Formalität und Repressivität. Erstens ist es dem Recht eigen, den Anschein eines kohärenten Systems von Regeln anzunehmen. Recht beansprucht, lückenlos und widerspruchsfrei zu sein. Es darf keine Regel gegen eine andere ausgespielt werden, sondern das Ziel des Rechts – genauer der juristischen Akteur*innen – ist es, jeglichen Widerspruch zu tilgen. »[D]eswegen entfalten die Juristen diese ganz außerordentliche Aktivität der Systematisierung« (Althusser 2012, 96). Diese Aktivität ist die juristische Praxis in Rechtsprechung, juristischer Ausbildung und Auslegung von Gesetzen. In diesen Bereichen werden Regeln zu einem scheinbar kohärenten System zusammengesetzt und angewendet. Dieses System bildet den rechtlichen Rahmen, in dem gesellschaftliche Konflikte ausgeglichen werden sollen. Betont die materialistische Theorie die Funktionalität des Rechts in der kapitalistischen Vergesellschaftung, also die Kohäsion der Vereinzelten und die Glättung der Widersprüche, gelingt es mit dem Ansatz von Jacques Derrida3 diese Widersprüche in der Sprache aufzuspüren. Die von Althusser benannte Aktivität der Systematisierung des Rechts geschieht durch Gerichtsurteile, Gesetzeskommentare und juristische Ausbildung. Recht soll kohärent sein, ist es aber nicht von sich aus, sondern durch Interpretation und Auslegung. Derridas (2008, 83) Auffassung von Sprache und im Besonderen von der Schrift betont die »Spuren«, also die Geschichte in der Schrift. Ein wesentliches Prädikat der Schrift ist, dass es sich um bleibende Zeichen handelt. Sie werden aufgeschrieben, damit sie erhalten bleiben. Sie werden damit zitierbar, d.h. aus ihrem Entstehungskontext lös- und verknüpfbar mit anderen Kontexten. Sie können dadurch auch strukturell einen Bruch mit ihrem Kontext darstellen. Juristisch zu argumentieren, heißt aber, diese möglichen Brüche zu vermeiden bzw. zu verdecken. Sie müssen eingeebnet werden, um Kohärenz und Widerspruchsfreiheit zu suggerieren. Mit Derrida lässt sich bei dem Blick auf juristische Literatur stets an diese möglichen Brüche denken (vgl. III 2.2), was seinen Ansatz zu einer fruchtbaren theoretischen und methodischen Erweiterung von Althussers Perspektive für diese Arbeit macht. Zweitens ist bürgerliches Recht nach Althussers Auffassung formal, da für es weder der Inhalt eines Konflikts noch seine Voraussetzungen 3 Für eine ausführlichere Darstellung von Derridas Rechtstheorie und seiner Auseinandersetzung mit Walter Benjamin vgl. Gehring 1997; Haverkamp 1994; Lüdemann 2010; Menke 1994; Schulz 2012.

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THEORETISCHER ZUGANG

interessant erscheinen. Es gilt erst einmal abstrakt für alle gleichermaßen (insofern zugehörig zur Rechtsgemeinschaft). So vermittelt es universelle Gültigkeit und Gleichheit für alle Beteiligten. Doch Recht existiert nur im Zusammenhang mit den bestehenden Produktionsverhältnissen und es hat nur formale Systematizität, insofern es von den Produktionsverhältnissen vollständig abstrahiert (vgl. Althusser 2012, 98). Recht erscheint eben nur formal, ist es aber nicht. Sein Inhalt bleibt in ihm präsent. Wenn ein Freiheitsrecht dem Individuum garantiert, daß es frei von Einwirkungen durch das staatliche Gewaltmonopol über sein Eigentum verfügen, Verträge schließen, andere gegen Entgelt an seinen Maschinen arbeiten lassen kann, so garantiert die Verfassung ja in erster Linie eine bestimmte Form gesellschaftlicher Beziehungen und ist insoweit durchaus politische Form einer spezifischen, bürgerlichen Gesellschaft. (Preuß 1973, 18)

Recht existiert nur in Verbindung mit und unter seinem Inhalt, den es aber in seiner scheinbaren Formalität verschwinden lässt. »Das Menschenrecht des Privateigentums ist also das Recht, willkürlich (à son gré), ohne Beziehung auf andre Menschen, unabhängig von der Gesellschaft, sein Vermögen zu genießen und über dasselbe zu disponieren, das Recht des Eigennutzes« (Marx 1958, 365). Drittens ist Recht notwendigerweise auf seine Durchsetzung angewiesen, also auf Sanktionen. »Recht impliziert Zwang« (Althusser 2012, 106). Es gibt kein bürgerliches Gesetzbuch ohne ein strafrechtliches. Bei der Aufstellung einer Regel muss zugleich für ihre Geltung und Anwendung gesorgt werden. Stehen Gesetze lediglich auf Papier ohne Niederschlag in der Lebenswirklichkeit zu finden, steht ihre tatsächliche Geltung in Frage. Gerichtsurteile müssen zur Anwendung kommen; der Urteilsspruch muss reale Folgen haben. Zur Sicherung des Status quo gehört folglich ein entsprechender Repressionsapparat: Polizei, Gefängnisse, Psychiatrie und anderes. (vgl. ebd.). Diese drei Eigenschaften des Rechts – Systematizität, Formalität und Repressivität – ermöglichen die »abstrakte Vergesellschaftung« im bürgerlichen Staat unter kapitalistischen Produktionsbedingungen, von der Agnoli (1975, 71) spricht. Sie ermöglichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Sie vereinzeln die Individuen und setzen sie durch abstrakte Vertrags- und Willensverhältnisse wieder in Beziehung. Gleichzeitig aber sind die Grundlagen dieser Vergesellschaftung nicht Verhandlungsgegenstand. Eigentumsverhältnisse und gesellschaftliche Privilegien stehen prinzipiell nicht zur Disposition. Die Verhältnisse sind nicht auf die Menschen selbst zurückgeführt, sondern erscheinen objektiv. Mit Blick auf die fdGO wird besonders der Formalitätsaspekt des Rechts komplexer. Formalität hat zwei Seiten: Sie abstrahiert von den 36

PARLAMENTARISCHE DEMOKRATIE UND POLITISCHES HANDELN

gesellschaftlichen Verhältnissen und zugleich eröffnet sie durch die Festschreibung von Rechtsstaatlichkeit die Möglichkeit, diese gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern. Die fdGO-Elemente sind als formale Spielregeln für politische Auseinandersetzungen (judikativ) gesetzt (vgl. V 5.3.2). Dies verleiht den Anschein der Neutralität der allgemein ausgleichenden Instanz und dadurch Autorität. Die formalen Regeln sind dabei jedoch als Werte verabsolutiert, die der Formalität von Demokratie im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ entgegengehalten werden. Wenn Demokratie ›zu‹ formal sei, gefährde sie sich selbst (vgl. V 6). Als historisches Beispiel dafür dient die nationalsozialistische Machtübernahme. In der Erzählung vom Scheitern der Weimarer Republik ist gerade der, sagen wir, emanzipatorische Faktor der Formalität des Rechts als ›Gefahr‹ für die Demokratie imaginiert. Doch durch die allgemeine Geltung für alle gleichermaßen »lauert im Herzen der Rechtsform selbst die Subversion« (Buckel 2007, 249f.). Gerade seine für kapitalistische Vergesellschaftung funktionale Allgemeinheit, die auch Liberalität nach sich zieht, ermöglicht es dem Recht, über sich selbst hinauszuweisen. Um das zu verhindern, werden mit der ›wehrhaften Demokratie‹ formale Regeln, in denen sich die bestehenden Verhältnisse spiegeln, zum materiellen, mit Werten aufgeladenen Inhalt. Die Formalität, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse verdeckt, wird zum abstrakt verallgemeinerten Inhalt, der wiederum Formalität – abstrakt gleiches Recht für alle – einschränkt und so den sozialen Status quo sichert.

3. Parlamentarische Demokratie und politisches Handeln Nun ist die Darstellung von Recht und Staat bis hierhin etwas holzschnittartig und erscheint ungebunden an ihre historische Entstehung und Entwicklung. Wenn kapitalistische Vergesellschaftung grundsätzlich konflikthaft ist, die Widersprüche aber harmonisiert werden, braucht es dafür Orte und Mechanismen. Eine Harmonisierung von Widersprüchen ist prozesshaft und Prozesse können gelingen, aber auch scheitern. Vor allem sind Menschen an diesen Prozessen beteiligt. Das klingt zunächst banal, macht aber einen entscheidenden Unterschied für das Verständnis des hier erforschten Bereichs. ›Wehrhafte Demokratie‹ und fdGO bilden Grenzen für politisches Handeln, also für politische Akteur*innen. Ihr Handeln und ihre Interessen müssen betrachtet werden. An diesem Punkt ist die Perspektive Antonio Gramscis aufschlussreich. Denn seine grundsätzlichen Fragen lauten: Warum wird die politische Form, die als vermeintlich neutrale öffentliche Gewalt partikulare Interessen und ihre Prozessierbarkeit gewährleistet, akzeptiert – und 37

THEORETISCHER ZUGANG

zwar von denjenigen, denen sie zum Nachteil gereicht? Wieso ist der Staat trotz der vielen Widersprüche relativ stabil? Gramsci (vgl. bspw. 1991, GH 1, 101f., 111, 114f.) zeichnet ein komplexes, historisch kontextualisiertes Bild, das die stabile Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse trotz politischer und sozialer Konflikte verstehen lässt. Er betont, dass die Stabilität nicht lediglich durch Zwang, sondern durch die Ausweitung der Klasseninteressen, also durch die Integration und das Hervorkehren gemeinsamer Interessen gewährleistet wird.4 Durch Kompromisse und Einbindung können Gruppen über den Tellerrand ihrer Partikularität hinaus Konsens generieren und ihre eigenen Interessen von der korporativen auf die »›universale‹ Ebene« (Gramsci 1996, GH 13, 1561) heben. Auch der Ausgleichsmechanismus für soziale Konflikte selbst kann so universalisiert werden, [...] das heißt, die herrschende Gruppe wird konkret mit den allgemeinen Interessen der untergeordneten Gruppen abgestimmt, und das staatliche Leben wird als ein ständiges Sich-Bilden und Überwunden-Werden instabiler Gleichgewichte (im Rahmen des Gesetzes) zwischen den Interessen der grundlegenden Gruppe und denen der untergeordneten Gruppen aufgefaßt, Gleichgewichte, in denen die Interessen der grundlegenden Gruppe überwiegen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, also nicht bis zum nackten korporativ-ökonomischen Interesse. (ebd., 1561)

So kann die Widersprüchlichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung bspw. durch unterschiedliche Ausformungen von Sozialstaatlichkeit gemildert, ihre grundsätzlichen Ursachen aber beibehalten werden.5 Es geht jedoch um mehr als den schlichten materiellen Ausgleich. Der Begriff Hegemonie ist bei Gramsci zentral. Es geht auch nicht um bloße Repression, sondern darum, »führend gegenüber den verbündeten Klassen und herrschend gegenüber den gegnerischen Klassen« (Gramsci 1991, GH 1, 101) zu sein. Interessen unterschiedlicher Gruppen müssen in Ausgleich gebracht werden, um zu einem relativ stabilen Gleichgewicht zu gelangen – von allen Beteiligten getragen. Die Zugeständnisse gehen nicht an den »entscheidenden Kernbereich« (Gramsci 1996, GH 13, 1567) der ökonomisch-korporativen Interessen, betreffen also nicht das »Wesentliche« (ebd.). So gerät die bestehende Ordnung nicht aus den Fugen. Die Zugeständnisse sind aber doch so relevant, dass die Ordnung stabilisiert wird. Es geht Gramsci um die »konsensuelle Dimension 4 Foucault (2006, 155) bringt zudem das strategische »Feld der Gegnerschaft« ins Spiel. 5 Solche Mechanismen zur Sicherung des »Überlebens des Kapitalismus« (Foucault 2006, 232) funktionieren nicht unbedingt, sondern können scheitern und sich weiterentwickeln. Sie reagieren auf die Widersprüchlichkeiten der kapitalistischen Gesellschaft mit ihren Irrationalitäten und Sackgassen (ebd., 234).

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PARLAMENTARISCHE DEMOKRATIE UND POLITISCHES HANDELN

politischer Herrschaft« (Opratko 2014, 43). Zu ihr gehören »bestimmte Elemente subalternen Bewusstseins, Alltagserfahrungen, historisch gewachsenen Ideologien und materielle Bedürfnisse« (ebd.). Wissenschaftliche Forschung benötigt in dieser Perspektive einen Blick auf das Handeln der Menschen in der Struktur – und eine theoretische Offenheit für die prozesshafte gegenseitige Beeinflussung von Struktur und Handeln. Das konkrete Handeln in bürgerlicher Vergesellschaftung hat zunächst scheinbar keinen Einfluss auf das abstrakte Ganze, obwohl es durch die Menschen tagtäglich geschaffen wird. »Sie wissen das nicht, aber sie tun es«, schrieb Marx (1968, 88) im ersten Band des Kapitals mit Blick auf die Gleichsetzung menschlicher Arbeiten. Dies allein würde das Handeln der Menschen jedoch stark determinieren und obwohl die Struktur erschaffend, zugleich irrelevant erscheinen lassen. In seiner Analyse des Staatsstreichs von Napoleon III. zeichnete Marx ein komplexeres Bild: Menschen machen »ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen« (Marx 1960, 115). So formuliert, wird deutlich, dass Menschen sich selbstverständlich mit der sie umgebenden Struktur arrangieren müssen, sie aber dennoch ausfüllen, sich darin bewegen, sie zwar anerkennen, aber auch durch ihr Handeln beeinflussen und ändern (können). Gramscis Perspektive ist hier wiederum hilfreich, da sie ein Denken einer dialektischen Wirkung von Struktur und Handlung ermöglicht. Die Struktur, die scheinbar determiniert, ist selbst abgeleitet aus den Handlungen der Individuen, prägt deren Handlungen aber zugleich. Es gibt eine »aktive[...] Rückwirkung des Menschen auf die Struktur« (Gramsci 1994, GH 10II, 1309) und die Struktur ist nichts »Unbewegliches und Absolutes« (ebd.). »Freiheit und Notwendigkeit [stellen sich] als Gegensatz von Struktur und Handlung [dar]« (Demirović 2010, 161), sind aber dialektisch miteinander vermittelt. Das Handeln der Menschen kann die gesellschaftliche Struktur bestätigen, sie verändern und über sie hinausweisen. Dies vorangestellt, lässt sich die Vielschichtigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung verdeutlichen. Hier kommt auch die parlamentarische Demokratie ins Spiel. Der Ort des Aushandlungsprozesses zur Harmonisierung der Widersprüche ist schon fast bildhaft das Parlament. Sicherlich finden Aushandlungsprozesse und Kompromissbildungen nicht nur hier statt. Doch bleiben wir zunächst in diesem Raum und betrachten die parlamentarische Demokratie und ziehen Agnolis (1968) Anmerkungen zur »Transformation der Demokratie« hinzu. Für ihn ist der parlamentarische und auf Parteien ausgerichtete Aushandlungsprozess schlicht eine »Reduktion des Antagonismus auf den Pluralismus« (Agnoli 1968, 24). Mit Gramscis (1996, GH 13, 1567) Worten: Es geht hier eben nicht um das »Wesentliche«. In der parlamentarischen Form der politischen Auseinandersetzung verbleiben die Widersprüche »im Rahmen der zu 39

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sichernden Strukturen« (Agnoli 1968, 30): »Die Pluralität der Parteien funktioniert als Sicherung und Absicherung nur, wenn die Parteien keine Umschlagstelle des gesellschaftlichen Kampfes mehr sind« (ebd., 32). Parteien als politische Organisationsformen werden zu »Organen der Verfassung und konsequenterweise als Organe des Staates anerkannt« (ebd., 33). Bestehende Verhältnisse, »können friedlich bewahrt werden, wenn ihre politische Organisationsform die Möglichkeit eines antagonistischen Inhalts abstreift und nicht mehr als Werkzeug der sozialen Emanzipation gebraucht und mißbraucht werden kann« (ebd., 27). Als Verfassungsorgane wirken die Parteien in der Bundesrepublik an der politischen Willensbildung mit und sorgen dadurch für die Bildung eines einheitlichen politischen Willens. Ohne eine Bejahung der bestehenden politischen Ordnung wäre dies nicht möglich. In Agnolis Interpretation kann es keine antagonistische Partei geben. »[I]n der Gesellschaft vorhandene, teils sich hart widersprechende Kräfte sollen parlamentarisch und durch das Parteiensystem nicht reproduziert und damit politisch potenziert, sondern repräsentiert, und in ihrer Widersprüchlichkeit reduziert werden« (ebd., 28). Die ideologischen Formen machen Widersprüche prozessierbar, »Unterdrückung akzeptabel« (Agnoli 1968, 19). Ein Blick auf den parlamentarischen Betrieb bestätigt dieses Argument, macht es aber auch komplexer. Eine Partei wird nicht automatisch durch den Eintritt ins Parlament in ihren politischen Forderungen eingehegt. Opposition kann es geben. Allerdings müssen sich Abgeordnete Regeln fügen, sich rechtfertigen oder konstruktive Vorschläge machen. Eine Regierungsbeteiligung kann umso mehr verlangen, vielen Interessen Rechnung zu tragen, die eigenen (materiellen) Positionen zu sichern und politische Ziele vermeintlichen Sachzwängen zu opfern. Das ist jedoch nicht vorherbestimmt. Die Reduktion der Widersprüchlichkeit, von der Agnoli (vgl. 1968, 28) spricht, heißt, dass die Widersprüche bestehen bleiben und somit auch aufbrechen können. Gerade die Ermächtigung, die durch demokratische Partizipation entstehen kann, kann dazu beitragen. Ebenso das Gegenteil ist möglich. Soziale Kompromisse können die Zustimmung zur Herrschaft schaffen. Wohlstand hilft »den Verlust an Politik zu kompensieren und die Notwendigkeit von Politik zu verdecken« (ebd., 22). Das kann durchaus als Krisenprävention bezeichnet werden, als Befriedungsfunktion bzw. als »Programm des sozialen Friedens« (ebd.). Es kann aber zugleich autoritäre Entwicklungen verursachen. Angesichts der »Möglichkeiten revolutionärer Umgestaltung« (ebd., 10), die Technik und Demokratie bieten, verstärken sich die Disziplinierungstendenzen und modernisieren sich die Herrschaftsmittel westlicher Demokratien. Agnoli (ebd.) spricht in diesem Zusammenhang von einer »Involutionstendenz zu einem autoritären Staat rechtsstaatlichen Typus«. Involution bezeichnet dabei die Rückbildung zu anti- oder vordemokratischen Zuständen. 40

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Gerade mit Blick auf fdGO und ›wehrhafte Demokratie‹ müssen diese »Möglichkeiten revolutionärer Umgestaltung« (ebd.) noch etwas genauer betrachtet werden. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind keine universellen Werte, sondern historisch entstandene Prinzipien zur Zurückdrängung des absolutistischen Staates und seiner Exekutive. Ihre Durchsetzung gegen eine überbordende Exekutivgewalt gelang durch politische Kämpfe bzw. Revolutionen – also durch handelnde Personen. So ist Demokratie nicht per se ein »Programm des sozialen Friedens« (ebd., 22) und Rechtsstaatlichkeit kein Repressionsinstrument, sondern zunächst einmal erkämpfte Beteiligung an staatlicher Macht und ebenso erkämpfte Beschränkung staatlicher Gewalt. Die Allgemeinheit des Gesetzes und die Gleichheit aller vor dem Gesetz genauso wie die Berechenbarkeit staatlichen Handelns schränken willkürliche Staatsgewalt ein. Diese Gewalt muss sich an Regeln halten und alle gleich behandeln. Rechtsstaatlichkeit beschränkt die staatliche Gewalt, macht staatliches Handeln kalkulierbar. Die Regeln sollen klar und die Folgen von Taten abschätzbar sein. Damit ist in der öffentlichen Sphäre die Herrschaftsgewalt eingeschränkt und der Staat hat nur begrenzt Zugriff auf die Privatssphäre der Bürger*innen. Politisch sind damit die Menschen gleich, ihre soziale Verschiedenheit sowie deren gesellschaftliche Voraussetzungen bleiben aber bestehen. Der Mensch »wurde nicht vom Eigentum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigentums« (Marx 1958, 369). Kämpfe, die die Zurückdrängung staatlicher Gewalt und die Beteiligung an staatlicher Macht zum Ziel haben, schaffen auch Mittel, die auch von Subalternen, beispielsweise eben jenen ohne Eigentum, genutzt werden können. Gerade dem Formalitäts- und Gleichheitsanspruch des bürgerlichen Rechts ist dies, wie oben beschrieben, zuzurechnen. Gleichheit gilt für alle gleichermaßen. Nicht die bloße politische Beteiligungsmöglichkeit, sondern auch der potentielle Machtwechsel, also die Änderung der sozialen Verhältnisse, ist damit immer mitzudenken. Genau dies wird zum ›Problem‹ des bürgerlichen Staates: Die Bourgeoisie hatte die richtige Einsicht, daß alle Waffen, die sie gegen den Feudalismus geschmiedet, ihre Spitzen gegen sie selbst kehrten, daß alle Bildungsmittel, die sie erzeugt, gegen ihre eigne Zivilisation rebellierten, daß alle Götter, die sie geschaffen, von ihr abgefallen waren. Sie begriff, daß alle sogenannten bürgerlichen Freiheiten und Fortschrittsorgane ihre Klassenherrschaft zugleich an der gesellschaftlichen Grundlage und an der politischen Spitze angriffen und bedrohten, also »sozialistisch« geworden waren. (Marx 1960, 153, Herv. i. O.)

So offenbart sich inmitten des Aushandlungsprinzips ein grundsätzlicher Widerspruch. Demokratische Partizipation begrenzt politische 41

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Herrschaft und bietet Möglichkeiten zu ihrer Mitgestaltung. Damit aber der soziale Status quo, die soziale Grundlage der Herrschaft selbst nicht angetastet wird, braucht es Grenzen, Kompromisse und Einbindung der Beherrschten. Marx beschrieb es für die Klassenkämpfe in Frankreich so: Der umfassende Widerspruch aber dieser Konstitution besteht darin: Die Klassen, deren gesellschaftliche Sklaverei sie verewigen soll, Proletariat, Bauern, Kleinbürger, setzt sie durch das allgemeine Stimmrecht in den Besitz der politischen Macht. Und der Klasse, deren alte gesellschaftliche Macht sie sanktioniert, der Bourgeoisie, entzieht sie die politischen Garantien dieser Macht. Sie zwängt ihre politische Herrschaft in demokratische Bedingungen, die jeden Augenblick den feindlichen Klassen zum Sieg verhelfen und die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stellen. Von den einen verlangt sie, daß sie von der politischen Emanzipation nicht zur sozialen fort-, von den anderen, daß sie von der sozialen Restauration nicht zur politischen zurückgehen. (Marx 1971, 43)

Dabei ermächtigt politische Partizipation die sich Beteiligenden; sie werden von dem »Gefühl befreit [...], im Zustand bloßer Untertanenschaft zu verharren« (Agnoli 1968, 47). Partizipation lässt aber zugleich die Frage entstehen, warum nicht das Ganze Teil eines gemeinsam selbstbestimmten Prozesses ist. Wenn eine Regierungsform von politischer Auseinandersetzung lebt, wie die Demokratie, dann kann diese politische Auseinandersetzung auch um ausbeuterische Eigentumsverhältnisse geführt werden. Dadurch birgt sie das Risiko in sich, dass ebenso die soziale Grundlage von Herrschaftsverhältnissen in Frage gestellt wird. Soziale Emanzipation kann »auf dem Boden und mit den Mitteln der bürgerlichen Verfassung erfolgen« (ebd., 26). Das Ganze kann Teil des Aushandlungsprozesses werden. Einmal angefangen, kann demokratische Partizipation einen Spielraum für weitergehendes politisches Handeln eröffnen. Was tun, damit das nicht passiert? »Das parlamentarische Regime lebt von der Diskussion, wie soll es die Diskussion verbieten?« (Marx 1960, 153). Neben einem materiellen Ausgleich, wie zum Beispiel der Sozialstaatlichkeit, kann die bundesrepublikanische ›wehrhafte Demokratie‹ als ein solcher ideologischer Begrenzungsmechanismus funktionieren. Mit der fdGO als Kern der ›wehrhaften Demokratie‹ sind bestimmte, scheinbar nur formale ›Spielregeln‹ aus dem politischen Prozess herausgenommen, die eine flexible Begrenzungsmöglichkeit des politischen Prozesses bieten. Die »Isolierung spezifisch bürgerlicher Verfassungsbestandteile als der eigentlichen Verfassungsentscheidung [bedeutet] eine Bestätigung der vorgegebenen Sozialstruktur und eine Verteidigung ihres Bestandes gegen den initiierten Transformationsprozeß« (Maus 1976, 47), der durch das Gleichheitsversprechen des bürgerlichen Rechts und formale 42

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Demokratisierung in Gang kommen kann. Neben der judikativen Auslegung und Definition sind im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ ausgerechnet die Exekutivbehörden als Schutzinstitutionen der Demokratie auserkoren – also diejenige Gewalt, die in den Kämpfen um Rechtsstaat und Demokratie in ihrer Willkürlichkeit und in ihrem Exzess zurückgedrängt und eingeschränkt werden sollte und wurde. Exekutive und repressive Maßnahmen werden zum vermeintlichen Demokratieschutz und können sich mehr und mehr ausweiten. Mit diesem Blickwinkel kann die ›wehrhafte Demokratie‹ als Teil des Involutionsprozesses der bundesrepublikanischen Demokratie angesehen werden. Agnoli (1968, 14) sieht die Involutionstendenz in der Bundesrepublik sehr deutlich, da es ihr geschichtlich an Liberalität fehle und sich »Freiheitsrechte nicht von selbst verstehen«. Hinzuzufügen ist, dass sie sich nicht nur »nicht von selbst verstehen«, sondern vom Staat gewährt erscheinen. Die Wahrung der ›höheren‹ Rechtsprinzipien ist »Justiz und Exekutive [vorbehalten], also gerade jenen Instanzen, die dem positivistischen Rechtsstaatsverständnis zufolge der Kontrolle des Gesetzgebers unterstehen sollten« (Maus 1986, 38).6 »[A]ls wäre es die Großzügigkeit des Souveräns, die erst radikale Forderungen der Verwalteten ermöglicht [...]« (Agnoli und Brückner 1968, 194). Artikel 18 GG beispielsweise sieht vor, dass bei Gefahr für die fdGO der einzelnen Person bestimmte Grundrechte entzogen werden können. Nur etwas Gegebenes kann wieder zurückgenommen werden. Der Schutz der fdGO ist die Legitimation für die Einschränkung politischer Rechte. An dieser Stelle wird eine »repressive Praxis selbst zur Idealnorm einer demokratischen Ordnung erhoben« (Agnoli 1968, 16). Der Schutz der bestehenden Ordnung steht über dem politischen Handeln der sich Beteiligenden. Die fdGO ist die Grenze, obwohl sie gerade Freiheit zur Grundlage der politischen Ordnung erklärt. Der allgemeine consensus (über Spielregeln, Wertkodifikationen, nationale Interessen und Freiheitsideen) [...] kriminalisiert die mögliche Zustimmung der Massen zu einer konkreten Emanzipation, zu einer Ausweitung der Demokratie, zu einer Veränderung auch der Wertmaßstäbe und macht daraus einen Anschlag gegen Demokratie und Freiheit. (ebd., 83)

Die parlamentarische Demokratie ermöglicht also die Aushandlung von »konkrete[n] Kompromiss- und Einbindungsprojekte[n]« (Opratko 2014, 30) und ist damit beides zugleich: Ort der Befriedung als auch potentieller Ort der grundsätzlichen Infragestellung von Herrschaft. Genau hier setzt die ›wehrhafte Demokratie‹ als präventiver und repressiver Mechanismus in den Händen der Judikative und vor allem der 6 Vgl. hierzu auch: Foucault 2006, 240f.

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Exekutive an. Die bürgerlichen Freiheiten, die gegen den absolutistischen Staat errungen wurden und Mittel der politischen Auseinandersetzung sind, sind im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ universalisiert, vom Staat gewährt und gegen Demokratisierung eingesetzt. Sie sind eben keine erkämpften Rechte von Bürger*innen mehr, die sich diese Rechte auch nicht mehr nehmen lassen, sondern dienen als Substanz einer Staatlichkeit, die exekutiv gegen politisches Handeln vorgeht, wenn dieses Handeln – vielleicht auch nur vermeintlich – droht, bestehende Herrschaftsverhältnisse und Privilegien anzutasten oder gar umzuwerfen. Diese Verdrehung bürgerlicher Liberalität ist unbedingter Bestandteil ›wehrhafter Demokratie‹ und hat ihre Wurzeln in der deutschen Staatsrechtslehre.

4. Liberalismus vs. »totalitäre Staatsauffassung« In einem 1934 erschienen Aufsatz hat Marcuse die von Agnoli benannte Involutionstendenz der bürgerlichen Demokratie bereits systematischer gefasst. Auch der Mangel an Liberalität, den Agnoli (vgl. 1968, 14) feststellt, lässt sich mit Marcuse konkreter historisch kontextualisieren. Er hat sie weniger in der Manipulation und Befriedung der Massen durch die herrschende Klasse begründet, als vielmehr in der Dialektik des Liberalismus selbst gesehen. Dabei hat er sich auf Texte aus der deutschen Staatsrechtslehre gestützt, die auch in dieser Arbeit das Verständnis für die Entstehung und Begründung der ›wehrhaften Demokratie‹ liefern (vgl. IV 1). Staatsrechtliche und juristische Debatten über Staat und Demokratie aus der Weimarer Republik prägen die Auffassung von politischem Handeln bis heute und sind insbesondere im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ präsent (vgl. IV 4). In seinem Aufsatz »Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung« analysiert Marcuse (1934) Texte der konservativen und nationalsozialistischen Staatsrechtslehre und verknüpft sie mit einer materialistischen Kritik an bürgerlicher Vergesellschaftung. Für ein Verständnis der ›wehrhaften Demokratie‹ ist dies fruchtbar, weil diese sich durch die ›Lehren aus der Vergangenheit‹ legitimiert, dabei aber unklar lässt, was genau diese Vergangenheit war, bzw. dabei auf einer Erzählung aufbaut, die eine eindimensionale Darstellung vom Scheitern der Weimarer Republik ist (vgl. IV 2) und dazu Anleihen bei eben jener von Marcuse als ›totalitär‹ betitelten Staatsauffassung nimmt.7 Er kommt zu dem Schluss, dass diese Staatsrechtslehre sowie der Liberalismus ein gemeinsames irrationales Moment besitzen: Sie setzen das 7 Leider bedient Marcuse in seinem Essay »Repressive Toleranz« Jahrzehnte später ebendiese eindimensionale Erzählung. Hätte man in der Weimarer Republik die »demokratische Toleranz« gegenüber dem Nationalsozialismus

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LIBERALISMUS VS. »TOTALITÄRE STAATSAUFFASSUNG«

gesellschaftliche Ganze als Gegebenes voraus und betrachten es nicht als Ergebnis einer rationalen Auseinandersetzung der einzelnen Individuen. Beide produzieren damit ein politisches Handeln der Menschen ohne Ziel: »Er handelt, – aber er weiss nicht, wozu er handelt. Er handelt, – aber er hat gar nicht selbst für sich entschieden, wofür er handelt« (Marcuse 1934, 187). Das vorausgesetzte Ganze der deutschen Staatsrechtslehre und des Liberalismus unterscheiden sich jedoch. Der Liberalismus entlehnt seine Vorstellung vom freien und gleichen Menschen dem Naturrecht und begründet den Ausgleich der divergierenden Interessen im freien Kräftespiel, das sich natürlich ausgleiche. Die (national-)konservative Staatsrechtslehre wirft den Menschen in das existentielle Dasein und reduziert ihn in der Folge im Nationalsozialismus auf »Volkstum« sowie »Blut und Boden« (ebd., 171). Beide jedoch lassen die soziale Einrichtung der Gesellschaft, die Eigentumsverhältnisse, unangetastet und produzieren im Ergebnis ein Subjekt, welches dem gesellschaftlichen Ganzen ohnmächtig gegenübersteht. »Und mit dem Liberalismus teilt die totalitäre Staatstheorie die Ueberzeugung, dass im Ganzen schliesslich ›das Gleichgewicht der wirtschaftlichen Interessen und Kräfte hergestellt wird‹ (Mussolini)« (ebd., 169). Die Konflikthaftigkeit bürgerlicher Vergesellschaftung wird als natürlich gesetzt, d.h., die soziale Struktur bleibt dem Ausgleich entzogen, die »Rationalität des Ganzen der Wirtschaftsführung dem Zufall überlassen« (Maus 1976, 61). Dabei ist die Konflikthaftigkeit keineswegs natürlich, sondern durch gesellschaftliche Ungleichheit bedingt. Im Liberalismus bleibt das frei entscheidende Individuum aber erhalten8; das freie und gleiche Subjekt ist Teil der liberalen Theoriewelt, während in der Auffassung vom ›totalitären‹ Staat der Mensch im Ganzen aufgeht und seine Individualität verliert. Der Liberalismus ist dabei zwar grundsätzlich rationaler, doch ist der Irrationalismus auch in ihm angelegt. Gerade die rationale Bestimmung und Bedingung jener »Allgemeinheit«, bei der schliesslich das »Glück« des Einzelnen aufgehoben sein soll, fehlt. Insofern (und nur insofern) wirft man dem Liberalismus mit Recht vor, dass seine Rede von der Allgemeinheit, der Menschheit usw., in aufgegeben, »so hätte die Menschheit die Chance gehabt, Auschwitz und einen Weltkrieg zu vermeiden« (Marcuse 1967, 120). An dieser Stelle ist – wie in der 1934 von Marcuse kritisierten deutschen Staatsrechtslehre – der Weimarer Liberalismus bzw. Relativismus Schuld an der nationalsozialistischen Machtübernahme bzw. sei ihm mindestens Nachlässigkeit anzukreiden. 8 Dabei darf nicht vergessen werden, dass gerade auch die liberale Illusion des sich selbst ermächtigenden Individuums durch den objektiven Zwang der kapitalistischen Verhältnisse einen Widerspruch produziert, der das Individuum, das er hervorbringt, zugleich tilgt (vgl. Adorno 1975, 344f.).

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puren Abstraktionen stecken bleibt. Struktur und Ordnung des Ganzen bleibt letztlich irrationalen Kräften überlassen: einer zufälligen »Harmonie«, einem »natürlichen Gleichgewicht«. (Marcuse 1934, 173)

Dennoch verpflichtet sich der Mensch in der liberalen Idee aus Vernunftgründen für das Ganze. Seine von Natur aus gegebene Freiheit schränkt er zum Wohle der Gesellschaft ein. In der Auffassung vom ›totalitären‹ Staat ist diese Verpflichtung verdreht: »[J]etzt wird umgekehrt der Mensch von der ›autoritativ geführten Volksgemeinschaft zur Freiheit ermächtigt‹« (ebd., 192). Das Wesen der Freiheit der einzelnen Person soll gerade in der Bindung an Volk und Staat liegen, aus ihr und von ihr erhält sie Freiheit.9 Wenn nun das Ganze Voraussetzung und nicht Ergebnis politischen Handelns ist, hat politisches Handeln kein Ziel und keinen Sinn. Es stellt sich die Frage nach dem Wozu und Wofür des Handelns (vgl. ebd., 187). Zudem steht das vom Liberalismus vorausgesetzte autonome Individuum dem vermeintlich rationalen Ganzen ohnmächtig gegenüber. »Die Herrschaft tritt dem Einzelnen als das Allgemeine gegenüber, als die Vernunft in der Wirklichkeit« (Adorno und Horkheimer 1969, 28). Durch das partikulare, an Privatheit orientierte Handeln kapitalistischen Wirtschaftens scheinen die gesellschaftlichen Verhältnisse sich stets rational zu bilden, obwohl sie der gemeinsamen rationalen Auseinandersetzung entzogen sind. »Die Macht aller Mitglieder der Gesellschaft, denen als solche kein anderer Ausweg offen ist, summiert sich durch die ihnen auferlegte Arbeitsteilung immer von neuem zur Realisierung eben des Ganzen, dessen Rationalität dadurch wiederum vervielfacht wird« (ebd.). Die eigentliche Ermächtigung zur politischen Freiheit gerät zum Grund für »Ohnmacht und Apathie« (Adorno 1975, 191). Politisches Handeln kann, so scheint es, das Bestehende nicht verändern; die Einrichtung der Gesellschaft scheint, obwohl von Menschen gemacht, ihrer Verfügung entzogen. Sie sollen daran partizipieren, haben aber keine tatsächliche Gestaltungsmacht. Gerade die Idee des autonom und willentlich handelnden Individuums steht dazu in eklatantem Widerspruch. »Das Destruktive, Angsterzeugende ist gerade die Machtlosigkeit des Einzelnen [...]« (F. Neumann 1967, 203). Mit Blick auf das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ und der fdGO lassen sich Parallelen zur ›totalitären Staatsauffassung‹, wie sie Marcuse analysiert, erkennen. Gerade die Ermächtigung zum politischen Handeln wird vom Staat gewährt und eben nicht von Menschen gegen Staat und Exekutivgewalt durchgesetzt. Eine materiale Substanz wird der Demokratisierung entgegengehalten. Politisches Handeln soll die Rechtsstaatlichkeit nicht bedrohen, dabei wurden rechtsstaatliche Prinzipien 9 Marcuse zitiert hier aus der zweiten Ausgabe der Zeitschrift »Volk im Werden« von 1933 und Otto Koellreutters (vgl. Fn. 10, Kap. IV) »Der deutsche Führerstaat«.

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zur Begrenzung staatlicher Macht errungen. In der ›wehrhaften Demokratie‹ bekommt staatliche Exekutive Mittel in die Hand, die ›gewährte Freiheit‹ wieder zurückzunehmen, politisches Handeln mindestens zu beobachten und damit auch zu beeinflussen. Politisches Handeln soll sich im Rahmen des Bestehenden bewegen; die Individuen bleiben ohnmächtig dem Ganzen gegenübergestellt.

5. Das Individuum und das vorausgesetzte Ganze Nun ist nach der Darstellung der Ambivalenz der parlamentarischen Demokratie und dem judikativen und exekutiven Sicherungsmodell der ›wehrhaften Demokratie‹ mit seinen Traditionslinien noch nicht viel über das Handeln der Menschen, also staatlicher wie nichtstaatlicher Akteur*innen, in dieser Ordnung gesagt. Lediglich die zunächst sehr pessimistische Sicht vom ohnmächtigen Individuum bleibt übrig. Doch die Verhältnisse sind komplexer. Politisches Handeln seitens der Staatsbürger*innen ist zunächst notwendig für die parlamentarische Demokratie. Sie legitimiert und stabilisiert sich durch die Partizipation der Mehrheit und durch die Akzeptanz der Minderheit. Die repressive Seite des Rechts als Zwangsmittel erhält eine höhere Durchsetzungskraft durch eine breite Partizipation, durch Konsens zum Zwang.10 Politisch aktive Bürger*innen gehören zur parlamentarischen Demokratie. Partizipation und die Kompromisse, die daraus entstehen, sorgen für Stabilität. Das ist zum einen weniger offensichtlich gewaltförmig und verläuft in scheinbar geordneten Bahnen. Zum anderen verdeckt es aber Ausschlüsse und Gewalt. Es stellt sich immer die Frage »wer in die demokratische Beteiligung und in staatliche Politiken einbezogen und wer vom Abbau der Demokratie in welcher Hinsicht und in welchem Umfang betroffen ist« (Demirović 2016, 288). Die Fragen sind also: Wer beteiligt sich, wann und wie aus welchen Gründen, wer ist von der Beteiligung ausgeschlossen und wie findet dieser Ausschluss statt? Diese Fragen müssen jeweils spezifisch untersucht werden. Darüber hinaus kann politisches Handeln ebenso den Rahmen durchbrechen, in dem es gefordert, akzeptiert oder gar gewünscht ist. Partizipation am Bestehenden kann über dieses hinausgehen, kann Handlungsfähigkeit suggerieren und eingehegte Widersprüche dadurch aufscheinen lassen. Beispielsweise können die Einbindungs- und Kompromissprojekte 10 Damit stimmt auch die positivistische, bürgerliche Rechtstheorie überein. Auch bei Kelsen (vgl. 1993 [1925], 99f.) bspw. ist Recht immer Zwangsordnung. Daraus leitet Kelsen allerdings ab, dass eine Demokratie die beste Geltung der Gesetze sichert. Wenn die Mehrheit den Regeln zustimme, werde sich auch die Mehrheit an diese Regeln halten.

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durch neu entstandene Situationen nicht mehr genügen oder es entwickeln sich Handlungsräume jenseits der bestehenden demokratischen Institutionen. Wenn Widersprüche aufbrechen, kann politisches Handeln bedrohlich werden. Es kann den sozialen Status quo potentiell bedrohen, gar die Widersprüche verstärken und damit über parlamentarische Demokratie und Kapitalismus hinausweisen. Wenn Widersprüche offenbar werden und Menschen darin agieren, kann vieles aus den Fugen geraten, was geordnet erschien. Politisches Handeln kann emanzipatorisch, aber genauso regressiv sein – wahrscheinlich trägt es stets beide Aspekte in sich. Es kann regressiv hinter die Entwicklungen der bürgerlichen Demokratie zurückfallen oder auch schlicht am Status quo scheitern. (Subalternes) Handeln muss nicht progressiv sein, schon gar nicht in kapitalistischen Verhältnissen. Zwischen Emanzipation und Regression liegen Partizipation und Ohnmacht. Hiermit richtet sich der Blick auf die psychische Disposition zur autoritären Ermächtigung von vereinzelten Menschen in kapitalistischen Verhältnissen. Wer einen richtigen Zustand ausmalt, [...] kann von jener Vormacht [des Objektiven, Anm. d. Verf.], auch über ihn, nicht absehen. Vermöchte selbst seine Phantasie alles radikal verändert sich vorzustellen, so bliebe sie immer noch an ihn und seine Gegenwart als statischen Bezugspunkt gekettet, und alles würde schief. [...] Wahrscheinlich wäre für jeden Bürger der falschen Welt eine richtige unerträglich, er wäre zu beschädigt für sie. (Adorno 1975, 345)

Abstrakte (Herrschafts-)Verhältnisse, denen die Menschen ohnmächtig gegenüber stehen, bergen das Potential in sich, in regressive, direkte Gewalt umzuschlagen. Gerade aus dieser Dialektik bezieht das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ seine Legitimation, kann hegemonial sein. Schließlich wird ›wehrhafte Demokratie‹ durch die Abgrenzung zum Nationalsozialismus, mit einem »Nie wieder!« begründet. Die antifaschistische Deutung des Konzepts macht es für Kritiker*innen einer autoritären Staatsraison scheinbar akzeptabel. Paradoxerweise jedoch schützt sie genau jene Form der Gesellschaft, die den NS ermöglichte. Staat und Recht erscheinen als naturgegeben, ebenso wie die Menschen in diesem Staat als vereinzelte Individuen vorausgesetzt sind. Obwohl sie die Akteur*innen der kapitalistischen Produktionsweise und des politischen Handelns sind, scheint es, als müssten sie sich der »Vormacht des Allgemeinen« (ebd., 306) fügen. Sie sind als freie und gleiche Rechtssubjekte, als gestaltende Individuen mit Willen konstruiert11, als seien sie »das Substantielle« (ebd.). Der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang erscheint aber naturgegeben und universell, die Menschen 11 Die Definition von Freiheit und Gleichheit ist abhängig von gesellschaftlichen Kräftekonstellationen. Es ist immer eine Frage, wer als freies und gleiches

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können ihn scheinbar nicht frei gestalten, darin nicht bewusst handeln, sondern müssen sich nach seinen Bedingungen richten, sich an seine Regeln halten. Dabei waren und sind sie die Akteur*innen, die diesen politischen und sozialen Zusammenhang ausmachen. Blicken wir beispielsweise auf den kapitalistischen Arbeitsprozess, zählen nicht die Arbeiter*innen als Subjekte, sondern ihre Arbeitskraft wird zur Ware, also Objekt des Tausches und somit relevante Größe. Reproduktion ist nur mit Blick auf die (Wieder-)Herstellung der Ware Arbeitskraft von Belang (vgl. Agnoli 1975, 72). Im Bereich des Rechts ist das freie und gleiche Individuum Rechtssubjekt, also die »Abstraktion des Menschen überhaupt« (Paschukanis 2003, 113). So ist das Subjekt im Staat wie in den wirtschaftlichen Beziehungen ein abstraktes. »(Rechts-)Individualität bedeutet in kapitalistischen Verhältnissen die Abstraktion von jedweder qualitativen Bestimmtheit und Differenz, das heißt letztlich nichts anderes als Individualismus und Egoismus des Warentauschers« (Buckel 2007, 134). Aber das abstrakte, formal freie und gleiche, Rechtssubjekt ist in kapitalistischer Konkurrenz ebenso das einzelne Besondere und muss es auch sein, um darin zu bestehen. Individuum sein, heißt anders sein als andere, besser und konkurrenzfähig. Der Mensch soll individuell besonders sein, sich von der Masse abheben. Doch im Arbeits- und im eigenen Reproduktionsprozess ist die Besonderheit nicht von Belang. Zudem: [Die] Formalisierung ist gegenüber dem Klassenverhältnis kein Neutraleres. Durch Abstraktion, die logische Hierarchie der Allgemeinheitsstufen, reproduziert es sich, und zwar auch dort, wo Herrschaftsverhältnisse hinter demokratischen Prozeduren sich zu tarnen veranlaßt werden. (Adorno 1975, 303)

Die rechtliche Formalisierung sozialer Beziehungen reproduziert die Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse, die hinter der scheinbaren Inhaltslosigkeit stehen. »Über formalisierte Prozeduren und abstrahierende Normen wird Gesellschaft nachträglich in die sozialen Beziehungen hereingeholt [...]« (Buckel 2007, 238). Ihre Grundlagen sind aber als unverhandelbar gesetzt, obwohl sie menschengemacht sind. Gesellschaft ist aus Individuen zusammengesetzt, dem großen Ganzen aber können sie sich scheinbar nur fügen. Das konkrete Individuum ist nur vermittelt mit anderen verbunden, da der gesellschaftliche Zusammenhang ein abstrakter ist, der es auf eine atomisierte Monade, Objekt der Verhältnisse, reduziert. Kapitalistische Vergesellschaftung und ihre Zusammenfassung zum Staat sind die Subjekt gilt oder bspw. wessen freie Entfaltung der Persönlichkeit grundgesetzlich zu schützen ist. Ist es die des weißen, heterosexuellen Mannes? Das kann sich verschieben, Freiheit und Gleichheit können eingefordert werden.

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identitätsstiftenden Verbindungen von Individuen. Gesellschaft ist »ebenso ein Inbegriff von Subjekten [...] wie deren Negation« (Adorno 1975, 22). Hier kommen gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse ins Spiel, die Menschen mit dieser Ohnmacht umgehen lassen. Weniger verharmlosend formuliert: Ausformungen davon können Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, geschlechtsspezifische Gewaltverhältnisse, Sozialchauvinismus und andere sozialisationsbedingte autoritäre Dispositionen sein. Jenseits der historisch-spezifischen gesellschaftlichen Ausdrucksweisen dieser Herrschaftsverhältnisse, möchte ich hervorheben, dass Vereinzelung und Ohnmacht durch abstrakte Vergesellschaftung in direkte Gewalt umschlagen können. Die Vereinzelung kann durch eine prekäre Identitätsfestigung scheinbar überwunden werden und Ohnmacht kann durch regressive Ventile zur Rückversicherung der Handlungsfähigkeit finden. Der emanzipatorische Sprung der bürgerlichen Gesellschaft, die Freisetzung der Individuen und das Versprechen ihrer Gleichheit, kann zugleich brutale Gewalt hervorrufen. Ja, sie ist schon im Normalvollzug gewaltförmig, indem sie die Besonderheit der Menschen einebnet, während sie sie einfordert. Die Befreiung aus persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen und die damit einhergehende Ermächtigung des Individuums sowie das unpersönliche Wieder-ins-Verhältnis-Setzen schaffen zwar formal freie und gleiche Subjekte, welche dann jedoch durch den abstrakten Charakter ihrer Vergesellschaftung zu Objekten ihrer eigenen Verhältnisse werden. Direkte Autorität scheint primär abgeschafft, ist nicht Teil ihres Funktionsmechanismus. Wohlgemerkt scheint sie nur abgeschafft: Gerade in der privaten Sphäre können sich unterschiedliche Herrschaftsmechanismen und Unterdrückungsverhältnisse manifestieren. Aber auch in der öffentlichen Sphäre bleibt die Gewalt präsent. Das Recht reproduziert die Gewalt, die es vermeintlich durch die Abschaffung ihrer Unmittelbarkeit beseitigt hat. In seiner abstrakten Struktur trägt es die Widersprüche in sich. Das heißt gerade nicht, dass das bürgerliche Recht ein direktes Gewaltverhältnis wäre. Aber die Gewalt ist weiterhin in ihm präsent. In ihm wird das formale Äquivalenzprinzip zur Norm, alle schlägt es über den selben Leisten. Solche Gleichheit, in der die Differenzen untergehen, leistet geheim der Ungleichheit Vorschub [...]. Die Rechtsnormen schneiden das nicht Gedeckte, jede nicht präformierte Erfahrung des Spezifischen um bruchloser Systematik willen ab [...]. (Adorno 1975, 304)

Damit »konserviert« (ebd., 303) das bürgerliche Recht die Gewalt, die es angetreten war, abzuschaffen.12 Die Gewalt kapitalistischer 12 Die von Derrida (vgl. 1991, 40ff.) geforderte Gerechtigkeit in der Einzelfallentscheidung ist eine Absage an die Allgemeinheit des Rechts, aber keine Lösung dieser Dialektik von Allgemeinem und Konkretem. Seine »favori­ sierte Gleichzeitigkeit von Regelbefolgung und Regeldurchbrechung mit

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DAS INDIVIDUUM UND DAS VORAUSGESETZTE GANZE

Vergesellschaftung kann je nach Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte und Konstellation der Kräfteverhältnisse wieder eine direkte werden, genauso wie sie abgeschafft werden kann. Beides – Restauration wie Abschaffung – sind gewaltvolle Auseinandersetzungen. Das Stichwort ›Restauration‹ leitet in dieser Perspektive zur Rolle der ›wehrhaften Demokratie‹ über. Rechtsstaatliche Abstraktion und Formalität schaffen die Option für ein Hinausweisen der bürgerlichen Gesellschaft über sich selbst genauso wie ihre Restauration. Sind gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse angetastet, kann ihre Verteidigung gar hinter die eigenen Garantien der bürgerlichen Gesellschaft zurückfallen. Das kann allmählich, aber auch eruptiv passieren. Eine Änderung der Eigentumsverhältnisse und die Abschaffung gesellschaftlicher Privilegien werden nicht friedlich vonstattengehen – genauso wenig wie die Restauration und der Schutz dieser Privilegien in Reaktion darauf. Die Parole der ›wehrhaften Demokratie‹ ist dabei »Stillgestanden – Demokratie!« (Krüger 1969, 2). Die grundsätzlich herrschaftsförmige Einrichtung der Gesellschaft steht nicht zur Debatte, dort hat die bundesrepublikanische Demokratie ihre Grenze. Doch die »politische Zusammenfassung bürgerlicher Gesellschaften« (Agnoli 1975, 69) zu Staaten und dazugehörige Herrschaftsmechanismen wie (heteronormative) Geschlechterverhältnisse oder spezifisch rassistische Ausbeutungsverhältnisse sorgen nicht nur einerseits für Stabilität, sondern sind andererseits immer auch prekär. Die »bürgerliche Gesellschaft als Gesellschaft des Krieges aller gegen alle [läßt sich] nicht vereinheitlichen« (Demirović 1997, 69). Widersprüche zu glätten, heißt nicht, sie zu lösen, sondern ihre Einebnung zu objektivieren und in einem scheinbar erträglichen Rahmen zu halten. Die parlamentarische Demokratie schafft das politische Terrain, in dem die Konflikte ausgetragen und abgemildert werden können und die ›wehrhafte Demokratie‹ ist ein ideologischer und repressiver Mechanismus zur Begrenzung dieses Terrains. Sie legt sich also um die Widersprüchlichkeit, ohne aber die Ursachen für sie zu lösen. Vielmehr ist die Verallgemeinerung der bürgerlichen Gesellschaft mit der Setzung der fdGO als universellem Wert und ihre Verteidigung der Versuch, die ›schlimmsten‹ Konsequenzen dieses Widerspruchs zu bannen, seine Voraussetzungen aber zugleich zu schützen. Dabei fördert sie zugleich eine autoritäre Entwicklung bzw. Agnolis Involution, indem exekutive Befugnisse als vermeintlicher Demokratieschutz ausgedehnt werden.

Rücksicht auf je situative ›Einzelfallgerechtigkeit‹ [entspricht] exakt den alltäglichen Funktionsbedingungen der NS-Justiz« (Maus 2006, 80). Die Abstraktheit bürgerlichen Rechts ist eine Begrenzung staatlicher Gewalt.

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THEORETISCHER ZUGANG

6. Zwischenfazit: Keine Totalität ist total Kapitalistische Vergesellschaftung ist grundsätzlich konflikthaft, sie basiert auf sozialer Ungleichheit und Ausbeutung. Zu dieser sozialen Herrschaft gehören vereinzelte Individuen, die über abstrakte Rechtsbeziehungen miteinander verbunden sind. Im Staat treten die Vereinzelten wieder in Beziehung zueinander; ihre Konflikte können durch eine unpersönliche Instanz geschlichtet werden. Parlamentarische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit garantieren gleiche politische Rechte für alle (mit entsprechender Staatsangehörigkeit). Damit ist die Möglichkeit zur Beteiligung an der Macht oder gar zum Wechsel der Machtverhältnisse sowie eine Kontrolle und Rationalität staatlicher Gewalt gegeben. Als Regierungssystem institutionalisiert parlamentarische Demokratie die Konflikthaftigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung. Soziale Konflikte können durch Einbindung und Kompromissgleichgewichte harmonisiert werden; die Eigentumsverhältnisse allerdings, die diese Konflikte verursachen, stehen nicht zur Disposition. Damit ist bürgerliche Demokratie grundsätzlich prekär: Sie kann gesellschaftliche Widersprüche prozessierbar machen und einhegen; zugleich aber entwickeln sich Mechanismen zur Abschaffung der Ursachen für diese Widersprüche. Politische Freiheit und Gleichheit, also die Möglichkeit zum Wechsel der Machtverhältnisse, können soziale Herrschaft in Frage stellen, d.h. die Änderung der Eigentumsverhältnisse und die Abschaffung gesellschaftlicher Privilegien und Herrschaftsverhältnisse ermöglichen. Die politisch-prozessualen Rechte und bürgerlichen Freiheiten sind Mittel des politischen Kampfes gegen Herrschaft, politisch und sozial. Politische Partizipation in einer Demokratie kann immer beides zugleich: befrieden und die Frage nach Mehr aufwerfen. Die ›wehrhafte Demokratie‹ in der Bundesrepublik ist ein ideologischer und repressiver Mechanismus zum Schutz vor dieser Prekarität der bürgerlichen Demokratie und damit zur Wahrung des sozialen Status quo. Sie steckt das politische Terrain ab, in dem Konflikte ausgetragen werden können. Sie deutet die historisch gegen den Staat errungenen politisch-prozessualen Rechte als staatlich gewährte Freiheiten um und schafft so Möglichkeiten zu deren Einschränkung. Demokratie in der Bundesrepublik erscheint als Zugeständnis des Staates an die Bürger*innen und wird damit zugleich durch ihn begrenzt. Gewährtes kann zurückgenommen werden. Die eigentliche Stoßrichtung der Demokratie gegen eine tendenziell stets ausufernde Exekutivgewalt ist umgekehrt gegen potentiell die Demokratie gefährdende Bürger*innen gerichtet. Sie sind verdächtig, nicht der Staat. Ausgerechnet der Exekutive werden durch die ›wehrhafte Demokratie‹ Mittel zur Verfügung gestellt, das politische Handeln der Bürger*innen zu beobachten. »Für sozialistisch wird selbst der bürgerliche 52

ZWISCHENFAZIT: KEINE TOTALITÄT IST TOTAL

Liberalismus erklärt, für sozialistisch die bürgerliche Aufklärung [...]« (Marx 1960, 153, Herv. i. O.). Eine Forderung nach politischen Freiheitsrechten kann als ›extremistisch‹ gelten. Die potentiell durch politische Emanzipation aufkommende Frage nach sozialer Emanzipation kann durch den Rekurs auf Demokratieschutz eingehegt werden. Die ›wehrhafte Demokratie‹ bietet Instrumente zur exekutiven Verteidigung der bestehenden sozialen Ordnung, zur Zurückdrängung von Demokratisierung im Namen der Demokratie. Die Widersprüchlichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung kann verschiedene Folgen haben. Auf Krisen können autoritäre oder faschistische Antworten gefunden werden, die die Gleichheits- und Freiheitsversprechen der bürgerlichen Gesellschaft zurückweisen und in direkte Gewalt umschlagen. Abstrakte Herrschaft kann wieder konkret werden. Zugleich weisen zugespitzte Konflikte auf Möglichkeiten zur Emanzipation. Politische Emanzipation kann zu sozialer Emanzipation führen, wodurch der gesellschaftliche soziale Status quo in Frage steht. Möglichkeiten zu Regression und Emanzipation liegen nah beieinander – auch in den Individuen selbst. Relevant sind gesellschaftliche Konstellationen und Kräfteverhältnisse sowie die historisch spezifisch ausgebildete Staatlichkeit und ihre Sicherungsmechanismen. Für eine stabile Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse ist ein Schutz vor übermäßiger Regression wie Emanzipation erforderlich. Beides kann in der Bundesrepublik durch ›wehrhafte Demokratie‹ begrenzt und eingehegt werden – ideologisch und repressiv. Die fdGO erscheint dazu als ein universeller Begriff, losgelöst von ihrer historischen Entstehung. Die verfassungsgerichtliche Definitionsformel der fdGO enthält Organisationsprinzipien des bürgerlichen Staates, die historisch-materielle Ursachen in der Entstehung dieser politischen Form haben (vgl. V 5.2). Sie sind Ergebnisse politischer Auseinandersetzungen mit dem absolutistischen Staat und dienen der Begrenzung seiner Exekutivgewalt. Das Bundesverfassungsgericht hat die fdGO jedoch als objektiven Rechtsbegriff verallgemeinert, ohne diese Entstehung zu benennen. Es hat zudem politisch-prozessuale Rechte, die der Forderung nach Begrenzung staatlicher Macht und politischer Teilhabe zum Erfolg verhalfen, nicht als Elemente der fdGO bestimmt. Gerade also politisches Handeln, das Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gegenüber absolutistischer Staatlichkeit einforderte, ist nicht Teil der fdGO. Sehen wir dieses Bild in Gänze vor uns und fügen die von Agnoli beschriebene Involutionstendenz westlicher Demokratien gepaart mit der individuellen Ohnmacht vor dem vorausgesetzten und unveränderlichem Ganzen hinzu, scheint jeglicher Versuch politischen Handelns obsolet. Es entsteht das Szenario eines autoritären Staates, der sich als Demokratie ausgibt, aber lediglich Untertan*innen produziert. Der Verfallsprozess 53

THEORETISCHER ZUGANG

scheint linear vorgegeben. Dabei vergisst diese Perspektive in solcher Absolutheit ihre eigenen Argumente. In ihrer rationellen Gestalt ist sie [die Dialektik, Anm. d. Verf] dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist. (Marx 1972, 27f.)

Ist kapitalistische Vergesellschaftung eine durch und durch widersprüchliche, so können diese Widersprüche jeder Zeit aufbrechen – ja, sie erneuern sich beständig und die Individuen agieren und reagieren in ihnen. Es ist klarzustellen, dass Rechtsstaat und Demokratie nicht universelle Prinzipien sind, sondern miteinander verbundene Ergebnisse politischer Auseinandersetzungen mit dem absolutistischen Staat. Sie sind zugleich funktional für kapitalistische Vergesellschaftung, stellen aber genauso »Fesseln« (Marx 1961, 9) ihrer Ausdehnung dar und bieten die Mittel ihrer Abschaffung. Die kapitalistische Totalität ist nie total und kann es nicht sein, da Widersprüche einzuhegen bedeutet, sie bestehen zu lassen. Auch ein ideologischer Sicherungsmechanismus funktioniert nicht absolut. Einhegung genauso wie Sicherung muss nicht funktionieren, sie kann scheitern. Die notwendige Partizipation am bestehenden Ganzen kann immer auch Emanzipation bedeuten, kann potentiell über es hinausweisen – genauso wie hinter es zurückfallen. Auch Produktionsverhältnisse müssen reproduziert werden und bestehen nicht einfach so. Dies theoretisch anzunehmen, würde der Verobjektivierung lediglich das Wort reden. Sach- und Handlungszwänge einer verselbstständigten Struktur können durch eine Wiederaneignung der gesellschaftlichen Verhältnisse überwunden werden (vgl. Demirović 2010, 163). Die Menschen können sich in den ideologischen Formen, in denen sie sich bewegen und die die Produktionsverhältnisse ermöglichen, ebenso der Widersprüche bewusst werden und sie »ausfechten« (Marx 1961, 9). Zudem ist der Staat nicht als monolithischer Block zu denken. Gerade die parlamentarische Demokratie muss darauf bauen, Kompromisse einzugehen und verschiedene Gruppen einbeziehen. Genau das macht sie so funktional für kapitalistische Vergesellschaftung. Ein rein repressives Regime stagniert, ist unflexibler. Parlamentarische Demokratie bindet unterschiedliche Gruppen ein, kann sich erneuern. So ist die von Agnoli festgestellte Involutionstendenz keine geradlinige, vorherbestimmte. Es ist nicht lediglich die Manipulation der Massen oder der Fetischcharakter, der die parlamentarische Demokratie als Herrschaftsform im Kapitalismus so stabil scheinen lässt, sondern es sind immer 54

ZWISCHENFAZIT: KEINE TOTALITÄT IST TOTAL

auch Kräfteverhältnisse und Kompromisse, die für eine Zustimmung der Beherrschten zu ihrer Beherrschung sorgen. Genauso kann dieses Kräftegleichgewicht sich verschieben und instabil werden. Eben jenes Einbinden und Ausschließen kann nicht nur stabilisieren, sondern birgt auch die Möglichkeit in sich, dass Ausschluss in Widerstand oder Partizipation in Emanzipation mündet, d.h., durch die Forderung nach politischer Beteiligung kann gleichzeitig die Frage nach der sozialen Gestaltung aufscheinen und gestellt werden. Diese Ambivalenz ist Teil der Demokratie. Doch Beteiligung hat nicht nur eine Emanzipations-, sondern gleichermaßen auch eine Regressionsmöglichkeit. So kann Partizipation Ventile für Ressentiments bieten, wenn sie nicht für die Änderung sozialer Herrschaftsverhältnisse eintritt, sondern für gruppenspezifische Privilegien. Dennoch sind beides Optionen: sowohl die Festigung von Herrschaft als auch ihre Überwindung durch politisches Handeln. Politische Freiheit heißt nicht »urtümliche Unmittelbarkeit« (Adorno 1975, 192). Die Dialektik wäre »ohne das Moment von dinghaft Festem nicht möglich [...]« und glättete sich »zu einer harmlosen Doktrin von Veränderung« (ebd., 193). In jedem Moment gibt es eine freie Wahl, die gemäß bestimmten Leitlinien erfolgt, die für eine große Menge von Individuen oder Einzelwillen identisch sind, insofern diese in einem bestimmten ethisch-politischen Klima homogen geworden sind. Das heißt nicht, daß alle auf gleiche Weise handeln: die individuellen Willkürakte sind sogar vielfältig, aber der homogene Teil überwiegt und »diktiert das Gesetz«. (Gramsci 1994, GH 10II, 1260f.)

Aus dem Zwang, sich in der Konkurrenz von anderen abzuheben, individuell zu sein und eben nicht das ewig Gleiche zu wiederholen, können Brüche in den gesellschaftlichen Verhältnissen hervortreten (vgl. Demirović 2010, 175). Aus Zwang kann Emanzipation erwachsen. Das ist ebenso wenig eine rein optimistische wie rein pessimistische Sichtweise. Sie trägt hingegen der Widersprüchlichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung Rechnung und nimmt damit die eigene Analyse ernst. Emanzipation ist nur möglich, wenn sich die politische und soziale Dimension verbinden – und zwar so, dass soziale Kompromisse nicht lediglich zur Befriedung des Antagonismus dienen und Gruppen kooptiert werden, sondern eine tatsächliche Gestaltungsmacht aller über ihr Leben besteht, wenn also das Ganze von den Menschen eingerichtet wird und sie in ihrem Handeln auf eben dieses Ganze blicken können. »Alle Emanzipation ist die Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst« (Marx 1958, 370, Herv. i. O.). Dabei gilt es, das Prinzip, welches Gruppen als partikulare und antagonistische überhaupt erst schafft, zu überwinden und nicht lediglich einer anderen 55

THEORETISCHER ZUGANG

Gruppe, die ihre partikularen Interessen als allgemeine setzt, eine neue Herrschaft zu ermöglichen. Recht ist ein soziales Verhältnis, es setzt die Menschen zueinander in Beziehung. Es erscheint zwar unpersönlich und abstrakt, ist es aber nicht. Die Verabsolutierung eines Wertes oder einer Norm muss hergestellt, argumentiert und durchgesetzt werden. Bürger*innen müssen diese Verallgemeinerung auch verstehen, glauben und akzeptieren – gerade in einer parlamentarischen Demokratie. Ebenso wie die fdGO und die ›wehrhafte Demokratie‹ autoritativ als existentielle Wertentscheidungen gesetzt werden können, um politische nicht zu sozialer Organisierung fortschreiten zu lassen, so können diese juristischen Verallgemeinerungen abgelehnt werden. »Es dient keinem Herrschaftssystem, wenn die Techniken des Herrschens den Beherrschten zum Bewußtsein gebracht werden« (Agnoli 1968, 12). Die juristische Verallgemeinerung der fdGO und die Legitimation exekutiver Zurückdrängung von Demokratisierung können durch die historische Kontextualisierung und theoretische Analyse brüchig werden.

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III Material und Methoden Um die Entstehung und Entwicklung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ im Rahmen der ›wehrhaften Demokratie‹ zu verstehen, werde ich verschiedene Quellen untersuchen. Dabei sind im engeren Sinne politische und juristische Quellen notwendig. Die fdGO und die Wehrhaftigkeit der Demokratie waren zunächst Gegenstand politischer Debatten in den verfassungsgebenden Versammlungen der Länder und des Parlamentarischen Rats. Auch dabei waren Juristen anwesend, die im Nachhinein die Kommentierung des Grundgesetzes übernahmen. So sind politische Debatten und juristische Auslegung nicht völlig voneinander zu trennen. Die Akteur*innen spielen in ihren jeweiligen Kontexten andere Rollen, beeinflussen die Kontexte aber gegenseitig. Auf juristische Argumente in einer politischen Auseinandersetzung zurückgreifen zu können, verschafft Autorität. Bei der politischen Aushandlung von Gesetzen anwesend gewesen zu sein, ermöglicht auch für die juristische Perspektive Expertenwissen. In der Politikwissenschaft sind die Analyse von Rechtstexten und die Auseinandersetzung mit Rechtstheorie vernachlässigt (vgl. von Beyme 2001, 493f.). Dabei zeigt gerade der Themenkomplex fdGO und ›wehrhafte Demokratie‹, wie stark juristische Festlegungen und die Materialisierung von Recht den Rahmen des Politischen vorgeben (vgl. IV 3, V 5.3). Die Rechtswissenschaft übernimmt hier die Auslegung von ›Demokratie‹ – also des politikwissenschaftlichen Kernthemas. Die Politikwissenschaft muss das mindestens zur Kenntnis nehmen. Rechtstexte müssen politisch eingeschätzt werden: Welche Relevanz haben Urteile des BVerfG für das politische System in der Bundesrepublik? Was verändern sie und welchen Rahmen des Politischen geben sie vor? Das Grundgesetz und die juristische Auslegung der fdGO haben Demokratievorstellungen und das Denken über das Politische in der BRD geprägt. Mit der ›wehrhaften Demokratie‹ wird der Rahmen für ›legitimes‹ politisches Handeln gesetzt. Das BVerfG legte mit den Verboten der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1956 den Maßstab für legitimes und illegitimes politisches Handeln fest. Dieser Maßstab – gerade erst aus den verfassungsgebenden Versammlungen und in den Diskussionen im Bundestag zum 1. Strafrechtsänderungsgesetz (1. StÄG) entstanden – wurde von der Judikative als universell gesetzt und ist in der Folge der legislativen wie außerparlamentarischen Debatte entzogen (vgl. V 5.2, 5.3). Mit ›wehrhafter Demokratie‹ und fdGO hat es die Politikwissenschaft mit einer materialen Rechtsstaatskonzeption zu tun, die dazu dient, Demokratisierung einzuhegen (vgl. I 2.2.3, IV 1.1). 57

MATERIAL UND METHODEN

Um Rechtstexte zu analysieren sind Kenntnisse juristischer Begriffe und Methoden vonnöten. Im Folgenden werde ich zunächst die empirischen Grundlagen meiner Arbeit vorstellen (1), um danach einen politikwissenschaftlichen Blick auf juristische Versuche zur Rationalisierung und Formalisierung materieller bzw. politischer Entscheidungen zu werfen (2).

1. Quellen Neben den verfassungsgebenden Versammlungen war für die konkrete Ausformulierung der fdGO das 1. StÄG 1951 und im Besonderen die Debatte dazu im Rechtsausschuss des Bundestags relevant. Hier wurde der §88 StGB (F.v. 1951), der darauffolgend vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im SRP-Urteil 1952 zur fdGO gemacht wurde, debattiert. In den Jahren 1948 bis 1952 wurde die fdGO implementiert und ihre Ausformulierung stabilisiert. Ab 1952 blieb die fdGO-Formel stabil. Vom Strafrecht ausgehend fand die fdGO-Definition Eingang und Anwendung in vielen Rechtsbereichen. Sie fungiert als Grenze, Bedingung oder Legitimationsgrundlage im Ausländerrecht, Beamtenrecht, Entschädigungsrecht, Verfassungsschutzrecht und Notstandsrecht (vgl. VI). Methodisch ist es eine Herausforderung, politische und juristische Texte gleichermaßen zu analysieren. Unterschiedliche Quellen – politische Debatten, Gesetzesentwürfe, juristische Kommentarliteratur und Gerichtsurteile – erfordern unterschiedliche Fragen bei der Analyse.

1.1 Bundestagsdebatten, -drucksachen und Ministeriumsakten Für die Diskussionen der verfassungsgebenden Versammlungen kann auf die Ergebnisse von Armin Scherb (1987) zurückgegriffen werden. Scherb hat eine grundlegende Analyse der Debatten der verfassungsgebenden Versammlungen auf Länder- und Bundesebene mit Fokus auf die ›wehrhafte Demokratie‹ vorgelegt, in der er den Zustand des Konzepts durch eine verfassungsgenetische Rekonstruktion bewertet (vgl. Scherb 1987, 18f.). Die stenographischen Protokolle des Parlamentarischen Rats sind in den Bänden des Bundesarchivs veröffentlicht und aufbereitet (vgl. Bundesarchiv und Deutscher Bundestag 1975–2009). Relevant sind für meine Arbeit vor allem die Protokolle der Ausschusssitzungen zu den Grundgesetzartikeln 18, 21 und 79. Entweder steht die fdGO als Begriff 58

QUELLEN

im Text selbst oder stand noch in den Entwürfen des Herrenchiemseer Konvents. Somit war die fdGO Thema der Debatten. Die Plenarprotokolle des Bundestags sowie Gesetzesentwürfe und Vorlagen zu den Strafrechtsänderungen, der Notstandsverfassung, dem Beamtenrecht und dem Ausländerrecht sind online auf www.bundestag. de verfügbar. Die Protokolle des 23. Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, wo die Diskussion zum 1. StÄG geführt wurde, sind im Parlamentsarchiv (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, I 212) einsehbar. Die Akten des Bundesjustizministeriums zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz (vgl. BArch B 141/68–71) und zum 1. StÄG (vgl. BArch B 141/3009–3039), die im Bundearchiv einsehbar sind, vervollständigen das Bild der Parlaments- und Ausschussdiskussionen. Vorarbeiten des Ministeriums, Aussprachen mit Angehörigen der Justiz und strategische Absprachen mit bestimmten Abgeordneten finden sich in den Akten. Diese werden hinzugezogen und einer historischen Quellenanalyse unterzogen.

1.2 Rechtstexte 1.2.1 Juristische Kommentarliteratur Für den juristischen Bereich greife ich auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts und Kommentarliteratur zum Grundgesetz zurück. Kommentare prägen Auslegung und Anwendung der Gesetze. Sie sind das Medium der juristischen Auseinandersetzung. »Nur Laien zitieren Gesetze« (Henne 2006, 5) und »jeder Versuch, vom bloßen Gesetzestext auf seine Bedeutung zu schließen wird scheitern« (Buckel 2013, 73). Die Kommentare interpretieren den Gesetzestext, legen ihn aus und erklären seine Bedeutung. Dabei greifen sie auf (rechts-)philosophische und -politische Prämissen zurück, die sie nicht mehr begründen, sondern als gegeben voraussetzen. Gerade die Kommentare zum Verfassungsrecht sind eine Schnittstelle zwischen Recht und Politik. Hier werden verfassungspolitische Meinungen festgeschrieben und zum Kanon. »Ihre Autoren, speziell die des Verfassungsrechts, sind genuin politisch interessierte Juristen, ihre Verbindungen zur Sphäre der Politik traditionell eng« (Stolleis 2012, 142). Kommentare sind dabei auch Vorschläge für die Gesetzgebung bzw. beeinflussen sie Rechtsprechung und Verwaltungspraxis (vgl. Kelsen 1934, 108). Die Entstehung des Gesetzestexts und die politischen Auseinandersetzungen um ihn sind dabei selten konkret ausgeführt. Oft sind einzelne Argumente der politischen Debatten aus ihrem Kontext genommen und werden als gegeben hingestellt (vgl. V 4, 6). Die Rechtsfindung selbst wird somit anonymisiert und nicht 59

MATERIAL UND METHODEN

mehr als demokratisch konflikthafte Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Akteur*innen gesehen (vgl. Henne 2006, 5). Dies gilt auch für die Kommentare selbst. Sie ermöglichen es, den Gesetzestext zu aktualisieren, ohne dass es einen legislativen Prozess benötigt (vgl. Henne 2006, 6). Gleichzeitig verweisen sie nicht auf ihre eigene Geschichte und Veränderung. Ältere Kommentare in Loseblattsammlungen müssen den Aktualisierungen weichen.

1.2.2 Urteile des Bundesverfassungsgerichts Auch wenn die juristische Kommentarliteratur das juristische Wissen und die Auslegung des Gesetzestexts festlegt, greifen die Kommentare auf aktuelle Entscheidungen der Gerichte zurück und binden sie in ihre Kommentare ein. Die Urteile des BVerfG sind unverzichtbarer Bestandteil der Argumentation der Kommentare. Zugleich sind die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ebenso wie die Kommentare Auslegungen und Interpretationen des Gesetzestexts, sie wenden ihn an und setzen ihn damit um. Das macht sie zu wichtigen Quellen dieser Arbeit. Das BVerfG hat mit seiner Rechtsprechung das Verständnis des Grundgesetzes (GG) fundamental geprägt. Ohne eine Kenntnis der Entscheidungen des BVerfG kann das GG nicht mehr verstanden werden. Das ähnelt dem Mechanismus, den Henne (2006, 2) auch für die Kommentarliteratur feststellt: Der Gesetzestext selbst wird zum »Subtext«. Maus (1994, 4) konstatiert gar, dass ein Blick in das GG »irreführend« sei, denn was »unsere Verfassung ist, findet sich in über 80 Entscheidungsbänden des Bundesverfassungsgerichts«. Um also herauszufinden, was sich hinter dem Begriff der fdGO verbirgt, wie er ausgelegt und worauf er angewendet wird, müssen die Urteile des BVerfG und die einschlägige Kommentarliteratur analysiert werden.

1.2.3 Eingrenzung Für die Entstehungsphase der fdGO sind vor allem die Verbotsurteile des Bundesverfassungsgerichts von SRP 1952 (BVerfGE 2, 1) und KPD 1956 (BVerfGE 5, 85) relevant, da in ihnen die Definition der fdGO-Formel geliefert wird, auf die sich bis heute – nicht nur in der rechtswissenschaftlichen Forschung – bezogen wird. Eine Partei kann nur verboten werden, wenn sie die fdGO gefährdet. Dazu muss das Gericht klären, was die fdGO ist. Weiterhin wird das Urteil zum NPD-Verbotsverfahren von 2017 (BVerfGE 144, 20) untersucht. Hier hatte das BVerfG die Gelegenheit, seine Rechtsprechung von vor 60 Jahren zu aktualisieren. Hinzu kommt das Urteil des BVerfG zum Radikalenerlass von 1975, in 60

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dem es die Entscheidungskompetenz über die Beurteilung von Verfassungsfeindlichkeit den Verfassungsschutzbehörden überlässt. Die Analyse der Kommentarliteratur wird auf Grundgesetzkommentare des ersten Jahrzehnts der Bundesrepublik beschränkt. Auf die folgenden Jahrzehnte wird ein explorativer Blick geworfen. Für andere Rechtsbereiche, in denen die fdGO als Begriff auftaucht, werden Kommentare ergänzend hinzugezogen. Generell ist anzumerken, dass gerade bei den in loser Blattform erschienen Kommentaren die Quellenlage undurchsichtig ist. Nur Bibliotheken, die sich auch als Archive verstehen, behalten die alten losen Blätter. Dabei ist es mit einigem Aufwand verbunden, nachzuvollziehen, wann welcher Artikel von wem kommentiert wurde und ob alle Kommentare lückenlos überliefert sind. Gerade für die juristisch zeitgeschichtliche Forschung sollte es ein Anliegen sein, diesen Zustand zu beenden. Rechtswissenschaftliche Bibliotheken sollten eine Forschung zur Veränderung der Verfassungsinterpretation ermöglichen. »Was dort [in den Kommentaren, Anm. d. Verf.] stand und nicht stand, dort herausgelesen werden und zum festen Bestandteil gemacht werden konnte, wurde zur Basis der jungen Republik [...]« (Stolleis 2012, 140). Die Grundgesetzkommentare ermöglichen eine Erforschung der staatsrechtlichen Ideen und Konzepte. Ihre Entstehung und ihren Wandel bilden sie ab. Für eine solide Forschung braucht es eine übersichtliche und zugängliche Quellenlage.

1.3 Biographische Anmerkungen Ich verfolge in dieser Arbeit keinen biographischen Ansatz, werde aber dennoch biographische Fußnoten einfügen, um damit Argumente im Diskurs zu kontextualisieren. Diese Kontextualisierung ist notwendig, da nach der deutschen Kapitulation viele Mitglieder der nationalsozialistischen Funktionselite aus ihren Ämtern zunächst entlassen wurden, aber in den folgenden Jahren wieder auf ihre Stellen zurückkehrten (vgl. Frei 2016). Die Wiederkehr der NS-Funktionselite in staatliche Ämter und gesellschaftlich wichtige Positionen – vor allem auch in den hier relevanten Bereichen der Rechtswissenschaft und Justiz – war so umfassend, dass sich diese Arbeit aus politikwissenschaftlicher Sicht mit der Frage der Konsequenzen dieser personellen Kontinuität beschäftigen muss. »Hält die Bundesregierung Personen, die für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft an hervorragender Stelle tätig waren, [...] im Sinne des Grundgesetzes für geeignet, heute hohe öffentliche Ämter zu bekleiden?«, fragte der SPD-Abgeordnete Adolf Arndt (BT-Plenarprot. 1/73, 2634) im Bundestag. Die Idee zu einer sich verteidigenden Demokratie wurde zwar in den 1940er Jahren von Emigrant*innen vorgebracht (vgl. 61

MATERIAL UND METHODEN

IV 4), doch ausbuchstabiert und institutionalisiert wurde sie vielfach von Mitgliedern der ehemaligen NS-Funktionselite. Für den Gegenstand dieser Arbeit ist also noch weitergehender zu fragen bzw. zu bezweifeln, ob sich ehemalige Bedienstete des nationalsozialistischen Staates eignen, die Demokratie zu schützen und die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ zu definieren. Es ist zu problematisieren und der Blick ist auf die Konsequenzen dieser personellen Kontinuität für ein demokratisches System zu richten. In der Forschung gibt es zur Auswirkung personeller Kontinuitäten des NS im Wesentlichen zwei Positionen. Einerseits besteht die Ansicht, dass eine staatsdienstliche Tätigkeit im Dritten Reich auch zu inhaltlichen Kontinuitäten führt (vgl. I. Müller 1987, 211ff.; Rigoll 2013, 16ff.). Die zweite Meinung zieht diese Konsequenz in Zweifel und fordert eine Untersuchung der konkreten Tätigkeit von ehemaligen nationalsozialistischem Personal (vgl. Rückert 2013, 70) oder veranschlagt für die Mehrheit dieser Personen eine opportunistische Wende nach 1945 (vgl. Gutfleisch 2014, 215). Das Opportunismus-Argument der NS-Funktionseliten1 wurde jedoch von der Forschung schon in den 1980er Jahren kritisch eingeschätzt: Nur allzu belastete Einzelne, die nicht zu halten waren, wurden fallengelassen. Eine Reihe verbreiteter Redewendungen, die stets ein Körnchen Wahrheit, aber auch sehr viel Selbstbetrug und Selbstmitleid enthielten, dienten der Immunisierung: »geblieben, um Schlimmeres zu verhüten« – »in schwerer Zeit das Ideal unparteiischen Richtertums hochgehalten« – »dem Rechte gedient, so gut es ging« usw. (Stolleis 1982, 406)

Rückert (2013) ist zwar zuzustimmen, wenn er Konkretion fordert. Doch die Meinung, dass sich ehemalige NS-Funktionseliten im Wesentlichen aus opportunistischen Gründen in das neue parlamentarische System der Bundesrepublik einfügten (vgl. Gutfleisch 2014, 215), unterschlägt, dass politische Sozialisation und die Erfahrung von (Nicht-)Verfolgung zu verschiedenen inhaltlichen Konsequenzen gerade im Bereich des Demokratieschutzes führen. Rigoll (2013, 21) belegt, dass »Personen, die tief in den NS-Unrechtsstaat verstrickt waren [...], nach dem Krieg in 1 Die Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB) bspw. war keine Pflicht. Wer nicht eintrat, musste gegebenenfalls berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Wer eintrat, beteiligte sich auch, blieb da und gliederte sich ein. Das mag aus opportunistischen Gründen passiert sein, aus karrieristischen oder aus nationalsozialistischer Überzeugung zur ›Wahrung‹ des Rechts. Das NS-System ging damit nicht an ihnen vorbei. Das Opportunismus-Argument blendet die Verstrickungen aus, die aus Beteiligung, wenn auch lediglich aus persönlicher Vorteilnahme, entstehen (zum NSRB vgl. Sunnus 1990).

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der Regel grundlegend anders über die Eignung von NS-Belasteten und den Umgang mit Extremisten dachten, als Personen, deren Karriereverlauf 1933 unterbrochen worden war [...]«. Personen, die verfolgt wurden oder geflüchtet waren, standen aus eigener Erfahrung in der Regel der Bekämpfung politischer Gegner*innen in der Bundesrepublik skeptisch gegenüber. Sie beantworteten die Frage, warum die Weimarer Republik scheiterte und wie es dem Nationalsozialismus möglich war, die Macht zu übernehmen, anders. Juristisches Personal, das auch im NS Positionen bekleidet hatte, stand vielfach in einer demokratieskeptischen und antiliberalen Tradition der deutschen Staatsrechtslehre (vgl. IV 1, 3), in der sie sich gerade bei der Ausbuchstabierung der ›wehrhaften Demokratie‹ weiter bewegten. Die als Bremse der Demokratisierung funktionierende Substantialisierung des Rechtsstaats2, ist in der ›wehrhaften Demokratie‹ Begrenzung für politisches Handeln und hatte auch schon am Untergang der Weimar Republik »gründlich« (Maus 1986, 45) mitgewirkt. Die konkrete Tätigkeit im NS-Staat beeinflusste Rechts- und Staatsdenken, auch wenn es sich opportunistisch anpassen ließ.3 Exemplarisch steht dafür Josef Schafheutle, der schon im Reichsjustizministerium mit der Formulierung des politischen Strafrechts befasst gewesen war und seine Tätigkeit im Bundesjustizministerium fortsetzte. Die Vorverlagerung des Staatsschutzes und die Relevanz der Absicht der Täter*innen geht auch auf Initiativen Schafheutles während der Strafrechtsnovellierung 1950/51 zurück (vgl. V 4.3). Diese Ansätze hat Schafheutle schon 1934 verfolgt (vgl. L. Schäfer, Schafheutle, und Wagner 1934).4 Noch stärker als die Personalien in individueller Betrachtung, fällt das gesamte politische Klima ins Gewicht, auf dem die überall zu findenden ehemaligen NS-Funktionseliten aufbauen konnten und das sie mitprägten. Ihr Antikommunismus konnte sich mit der weltpolitischen Lage des Kalten Krieges verbinden. Ihre ›Expertise‹ war in den Ministerien willkommen (vgl. bspw. Goschler und Wala 2015, 222ff.) – sie wurden 2 Diese Substantialisierung und der Herrschaftsmechanismus rivalisierender Führungsgruppen führten schließlich zur gänzlichen Abschaffung dessen, was als Rechtsstaat bezeichnet werden kann (vgl. F. Neumann 1984 [1942], 509, 517f., 523). Dieser war historisch entstanden als Begrenzung staatlicher Macht. Die Versuche einen ›nationalen‹ und ›nationalsozialistischen Rechtsstaat‹ zu konstruieren scheiterten (zu Koellreutters Versuchen vgl. insb. Hilger 2003, 33ff.). 3 Eine in diesem Sinne instruktive Bewertung des Staats- und Verwaltungsrechtlers Friedrich Giese, der auch einen ersten Kommentar zum Grundgesetz vorlegte (vgl. V 6), findet sich bei Ruppert (2008, bes. 193–197). 4 Im Gesetzgebungsprozess zum 1. StÄG wurde auch die Strafrechtsnovelle von 1934 als Arbeitsmaterial hinzugezogen (BArch B 141/3028, pag.15) und ein Vermerk, womöglich von Schafheutle, zum Begriff der »Absicht« abgeheftet (BArch B 141/3038, pag. 167).

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nicht trotz, sondern wegen ihrer bisherigen ›Berufserfahrung‹ wieder eingestellt. Ihre Argumente prägten nicht nur das politische Strafrecht der 1950er Jahre, sondern die gesamte Konzeption und Anwendung der ›wehrhaften Demokratie‹. Dabei fällt nicht nur ins Gewicht, mit welchen Argumenten, welche Normen und exekutive Handlungsbefugnisse entstanden, sondern auch, was dadurch nicht entstand. Eine jahrelange KZHaft auf Grund des Vorwurfs »Hochverrat« führt zu anderen Schlüssen, wie und gegen wen die Demokratie geschützt werden muss bzw. was in Zukunft unbedingt verhindert werden müsse, als eine jahrelange Tätigkeit im Reichsjustizministerium im Bereich des politischen Strafrechts. Doch ehemalige Verfolgte waren schon 1950 in der Minderheit.

2. Ein politikwissenschaftlicher Zugang zu Rechtstexten Im Folgenden möchte ich meinen methodischen Zugang zu den verschiedenen Quellen erläutern. Dazu werde ich zunächst Grundgedanken der juristischen Methodenlehre hinzuziehen, da eine Kenntnis juristischer Argumentationsstruktur für eine politikwissenschaftliche Analyse erst erarbeitet werden muss. Leitgedanke meiner Analyse ist, dass das Recht – politische – Deutungen und Setzungen beinhaltet, die Realität formen und aus denen entsprechende Handlungen bzw. rechtliche und exekutive Maßnahmen folgen. »Zu jedem juristischen Argument gibt es ein juristisches Gegenargument« (Somek 2006, 11). Welche Deutung sich durchsetzt, ist eine politische Frage, eine Frage von Kräfteverhältnissen. Dabei erscheinen die juristischen Argumente als universelle Wahrheiten, die nicht mehr an ihren historisch-politischen Kontext zurückgebunden werden. Doch Gesetze sind eben politische Kompromisse. Wenn Gesetze kommentiert werden und nach ihnen geurteilt wird, wird den Kompromissen Geltung verschafft. Dabei sind auch Auslegung und Interpretation Deutung der politischen Kompromisse. Gegenargumente oder Zweifel an Auslegung und Entscheidung können zwar vorgebracht werden. »›Praktisch‹ muss man [aber] der Auffassung der entscheidenden Instanzen folgen« (Somek 2006, 13, Fn. 10). Mit Kenntnis der juristischen Methoden und Argumentationsformen kann auf die politischen Einlassungen der Rechtstexte fokussiert werden. Daraus folgt, dass die Gewalt des Rechts sich nicht lediglich in Rechtstexten äußert. Wie gerade schon angeklungen ist, folgen den Deutungen und Setzungen der Texte ganz konkrete und materielle Handlungen: justitielle und exekutive Maßnahmen, die das Gewaltmonopol des Staates spürbar machen. Die Analyse der Rechtstexte wird deshalb 64

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gekoppelt mit historischen Quellenanalysen politischer Debatten und Archivmaterialen. Mittels der juristischen Zeitgeschichte können die Gerichtsurteile und Kommentare an ihren politischen und historischen Kontext zurückgebunden und ihre Konsequenzen aufgezeigt werden. Damit bleiben die Deutungen und Setzungen der Rechtstexte gerade nicht mehr universelle Wahrheiten, sondern es wird deutlich, wie ihre Autoren in politischen Auseinandersetzungen Position beziehen. Für die Analyse stellen sich damit folgende Leitfragen: Wie und warum entsteht ein Gesetz, wer ist daran beteiligt? In welcher konkreten Auseinandersetzung stellt es eine Lösung dar und was passiert darauf folgend in Justiz und Rechtswissenschaft mit dieser Lösung? Welche Möglichkeiten bieten diese Auslegungen für die Exekutive und was bedeutet das für die Demokratie in der Bundesrepublik?

2.1 Juristische Zeitgeschichte Um die (politische) Entstehung und Wirkung der Rechtstexte zu verstehen, werde ich auf die Methoden der juristischen Zeitgeschichte (vgl. Vormbaum 2011, 3ff.) bzw. der Geschichtswissenschaft (vgl. Borowsky, Vogel, und Wunder 1989, 157ff.) zurückgreifen. Die juristische Zeitgeschichte ist ein relativ junges Fach in der Rechtswissenschaft (vgl. Stolleis 1993a). Sie versucht etwa den Zeitraum der letzten zwei Jahrhunderte zu untersuchen und deutet dazu verschiedene Quellen – eben nicht nur unmittelbare und mittelbare Rechtsquellen wie die Rechtsgeschichte (vgl. Mitteis 1992, 8f.), sondern auch umliegende, die die Rechtssetzung und -interpretation beeinflussen können. Gesetze, parlamentarische Debatten zu diesen Gesetzen, politischer Kontext der Entstehungszeit – all das nutzt die juristische Zeitgeschichte, um Entwicklungen im Recht nachzuvollziehen. Als Zeitgeschichte richtet sie ihren Blick auf das bestehende Recht und dessen Gewordensein. Rechtsgeschichte und juristische Zeitgeschichte sind in der Rechtswissenschaft entstanden, um das Blickfeld der Dogmengeschichte, die sich auf die Entwicklung der juristischen Dogmatik beschränkt, zu erweitern (vgl. Vormbaum 2010, 6f.). Neue Gesetze und Normen werden in ihren politischen Entstehungskontext gestellt und somit besser bewertbar. Die Rechtswissenschaft öffnet sich damit der Geschichts- und Politikwissenschaft und ist so für diese Arbeit ein methodischer Gewinn. Als Konsequenz der Rechtsgeschichte wurde allerdings paradoxerweise eine vollständige Enthistorisierung des Rechts kritisiert, die Dis­tanz zur Vergangenheit schafft und das Handeln der Menschen aus den sie festlegenden Traditionen löst (vgl. U. Wesel 1974, 337f.). Gerade durch eine geschichtswissenschaftliche Betrachtung können gesellschaftliche Entwicklungen als abgeschlossene betrachtet werden und der Status quo 65

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als unabhängig von Zeit und Raum gelten (vgl. ebd., 338).5 Doch ist dies eben gerade auf die Eingrenzung der Dogmengeschichte zu beziehen. Die juristische Zeitgeschichte gibt durch ihren breiteren Blick gerade die Möglichkeit, auf die politischen Konflikte in Legislative, Judikative und Exekutive zu blicken. Dadurch werden rechtlich gesetzte Eindeutigkeiten relativiert. »Geschichte ist [...] das [...] Produkt der Tätigkeit der Menschen selbst« (Lukács 1967, 203). In dieser Arbeit geht es deshalb um die Entstehung und Entwicklung der Gesetze, Urteile und Kommentare, damit deutlich gemacht werden kann, dass Recht ein politisch umkämpftes Terrain ist und bleibt, dass Recht eben gerade nicht universell schon immer existierte, sondern ein historisch-politischer Kompromiss unterschiedlicher Kräfteverhältnisse ist, der rekonstruiert werden kann und dessen Konsequenzen die Gesellschaft und das Handeln der Menschen prägen. Die zeitgeschichtliche Betrachtung von Recht ermöglicht ein differenzierteres Fragen an die Quellen. Hier sind Anleihen aus der politischen Ideengeschichte methodisch hilfreich. Ideengeschichtlich lassen sich Argumente als bewusste Stellungnahmen gegen andere Argumente verstehen; sie sind eben nicht nur Text, sondern Handlungen, Positionierungen und Abgrenzungen oder bewusste Auslassungen. Man muss bei der Quellenanalyse also fragen, wogegen argumentiert wird oder was stillschweigend hingenommen, vorausgesetzt und einbezogen wird. Es ist herauszufinden, was ein*e Akteur*in tat, indem sie*er sagte, was sie*er sagte (vgl. Skinner 2009, 65), genauso, was sie*er damit gerade nicht getan hat. Ein Beispiel hierfür ist die Kommentierung des Art. 18 GG durch Günter Dürig von 1964: Es ist ferner nicht zu bezweifeln, daß das BVerfG hierbei an die »Verfassungsgrundsätze« des § 88 II StGB anknüpfte, also an ein einfaches Gesetz, das gerade im Blick auf die Grundrechte an der Verfassung gemessen werden muß. Sicherlich gibt auch der Katalog der Verfassungsgrundsätze in § 88 II StGB im großen Ganzen nur das wieder, was Gegenposition zum Totalitarismus bezieht und deshalb auch den 5 Rechts- und juristische Zeitgeschichte sind sich allerdings bewusst, dass gerade diese Forschungszweige die Gewordenheit des Rechts nachvollziehen (vgl. Mitteis 1992, 1), dass Recht menschengemacht ist (vgl. Vormbaum 2011, 13). Der Geschichtsbegriff der Forschungszweige ist dennoch pro­ blematisch, da er zwar »Wirtschafts-, Sozial und Geistesgeschichte« (Mitteis 1992, 2) mitdenkt, aber Geschichte als »Verwirklichung des Rechts«, als die »großen Geschichts[tatsachen]« (ebd.) beschreibt. Problematisch deshalb, da die menschengemachte Geschichte eben »nicht von allen gleichermaßen« (Vormbaum 2011, 13) gemacht wird, und damit bestimmte Menschen zu Zuschauer*innen »der Weltgeschichte des Grandiosen« (Adorno 1975, 347) macht.

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verfassungsrechtlichen Schutzbegriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausmacht. (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 53)

Betrachtet man die Argumentation genauer, sieht man, dass der Autor die Bestimmung der fdGO-Formel aus dem Strafrecht durch das B ­ VerfG rechtfertigt. Damit wird deutlich, dass es Stimmen gab, die kritisierten, dass das Gericht im SRP-Verbot Strafrecht, also einfaches Recht, zu Verfassungsrecht machte, ohne im Urteil auf diese Quelle hinzuweisen. Das BVerfG entnahm seinen Prüfmaßstab zum Verbot der SRP dem § 88 StGB (F. v. 1951). Dürig (ebd.) macht diesen Paragraphen nun schon im Vorfeld zu Verfassungsrecht bzw. zu Verfassungsgrundsätzen und verteidigt die Entscheidung des BVerfG. Daran wird deutlich, dass es Auseinandersetzungen oder zumindest vernehmbare Gegenpositionen zur Entscheidung des BVerfG gegeben haben muss, gegen die sich der Autor hier abgrenzt. Somit begreife ich Rechtstexte und Protokolle parlamentarischer Versammlungen als Quellen, die zugleich Zeugnisse politischer Auseinandersetzungen sind. Für eine politische Debatte im Bundestag ist das nicht unbedingt überraschend, für einen juristischen Kommentar zum Grundgesetz oder ein Gerichtsurteil hingegen schon. Denn gerade in ihnen wird die juristische Leistung der Verallgemeinerung politischer Kompromisse deutlich. Deshalb kann das Bonner Grundgesetz nur in seinem rechtlichen Inhalt verstanden werden und seine politisch-soziale Funktion für das Regierungssystem der Bundesrepublik und deren Veränderung in der geschichtlichen Entwicklung seit 1949 nur dann zutreffend bestimmt werden, wenn die politische Willensbildung, die es enthält, historisch analysiert wird. (Abendroth 1975, 15)

Recht ist – gerade in einer parlamentarischen Demokratie – ein festgeschriebener politischer Kompromiss. Wie ist er entstanden und welche Zugeständnisse gab es dabei für die Beteiligten? Für die fdGO reicht es dabei nicht aus, parlamentarische Debatten zu untersuchen. Die Formel selbst steht nicht im Grundgesetz, sondern wurde vom Rechtsausschuss des Bundestags während der Debatte zum 1. StÄG ausgehandelt. Daraufhin tradierte sich die Formel in der juristischen Kommentarliteratur und wurde vom BVerfG im SRP-Verbot zu Verfassungsrecht erhoben. Es ist also nicht nur die im engeren Sinne politische Willensbildung zu betrachten, wie Abendroth (ebd.) fordert, sondern auch die judikative Festschreibung, Tradierung und Verallgemeinerung, d.h. darauf aufbauende neue Gesetze, Kommentare, Urteile und Befugniserweiterungen der Exekutive. 67

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2.2 Scheinrationalität durch juristische Methoden Ich möchte hier voranstellen, dass diese Arbeit einer rechtspositivistischen Position zugeneigt ist, ohne sich diese zugleich unkritisch zu eigen zu machen. In der Analyse der fdGO und der ›wehrhaften Demokratie‹ blicke ich auf die Verallgemeinerung überpositiver Werte, die politische Entscheidungen anhand der vermeintlich neutralen Rechtsordnung legitimieren, sie also als unpolitische erscheinen lassen. Eine rechtspositivistische Position kritisiert diese politischen Einbruchstellen und entlarvt ihre methodischen Mängel. Zugleich aber zieht sich eine solche Position auf die Neutralität des Rechts zurück, weist Inhalte jenseits der Rechtsordnung von sich. Ersetzt wird dies durch den Rückverweis auf die »Grundnorm« (Kelsen 2008 [1934], 77), die methodisch den infiniten Regress verhindern soll, dabei aber »Leerstelle« (F. Müller und Christensen 2004, 106) bleibt. Diese durchaus liberale Position relativiert die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, auf die eine Rechtsordnung baut und aus der sie entsteht. Recht ist das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen und keine rein logische Ordnung. Dennoch neige ich mich gerade deshalb dem Rechtspositivismus zu, da er am konsequentesten die Idee des bürgerlichen Rechtes verficht. Eine tatsächlich rechtspositivistische Auffassung wäre vom politikwissenschaftlichen Standpunkt betrachtet eine demokratische Rechtstheorie. Denn der Rechtspositivismus sieht Recht ganz klar als Zwangsordnung (vgl. Kelsen 1993 [1925], 99f.), deren Geltung am besten gewährleistet wird, wenn möglichst viele der Regelsetzung zustimmen (vgl. Kelsen 1993 [1925], 31, 326). Die Konflikte um die juristischen Methoden der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik – gerade auch gegen die Theorie Hans Kelsens gewandt – waren politisch begründet. Nur stellvertretend wurden sie methodisch über Relativismus, Formalismus und Inhaltsleere ausgefochten. »Was gegen den Rechtspositivismus als Vorwurf der Formalisierung des Rechtsstaats in Erscheinung tritt, ist in Wirklichkeit dessen beginnende Demokratisierung« (Maus 1986, 36). Gerade als die rechtspositivistische Auffassung auch eine demokratische Öffnung und soziale Veränderung der Gesellschaft durch ihre formalen Elemente erleichtern konnte, fanden sich antipositivistische – zumeist konservative – Verteidiger der alten Ordnung. Meine Analyse fokussiert auf Gesetzeskommentierungen und Gerichtsurteile, weil hier aus dem Recht abgeleitete Entscheidungen getroffen, festgelegt und begründet werden. Folglich muss die historische Quellenanalyse juristisch informiert sein. Eine Kenntnis juristischer Methoden und Argumentationen ist unabdingbar. Gerichtsurteile interpretieren Normen, bilden das Recht fort oder wägen zwischen Rechtsprinzipien ab. Richterliche Entscheidungsfindung ist der Hauptgegenstand juristischer Tätigkeit. Alle anderen Tätigkeitsfelder wie Gesetzgebung, 68

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Rechtsberatung und Verwaltung müssen auf sie Bezug nehmen (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 3). Richterliche Entscheidungen ermöglichen Konfliktlösung und hegemoniale Setzungen und sind damit ein Baustein für die erstrebte Kohärenz und Widerspruchsfreiheit des Rechts (vgl. II 2, III 2.2). Die Gesetzeskommentare wiederum nehmen die Gerichtsentscheidungen auf und erläutern die entsprechenden Paragraphen und Artikel. Sie integrieren die Entscheidungen aber nicht nur, sie kommentieren auch die Güte der Urteile. Sie selbst interpretieren den Gesetzestext. Damit setzen und verfestigen sie Interpretationen der Normen, die unter anderen politischen Vorzeichen auch anders hätten ausfallen können. Sie stehen noch vielmehr als Gerichtsurteile exemplarisch für die angestrebte Widerspruchsfreiheit und Lückenlosigkeit des Rechts, die erst durch juristische Akteur*innen hergestellt werden muss. Aus einem einzelnen Paragraphen machen Kommentare eine ins Gesamtsystem passende Norm, die durch andere ergänzt oder komplettiert wird. Die einzelnen Begriffe werden logisch aufeinander bezogen, ihre Definition so gefasst, dass alles zusammenpasst. Auf Widersprüchliches weisen Kommentare wie Gerichtsurteile hin und fordern entweder den Gesetzgeber auf, diesen Missstand zu ändern, oder sie legen die Normen so aus, dass sie sich widerspruchsfrei ins Rechtssystem einpassen. So kann durch juristische Methoden ein lückenloses und kohärentes Gesamtsystem konstruiert werden, das von den gesellschaftlichen Verhältnissen, auf denen es beruht, abstrahiert, von ihnen losgelöst und neutral erscheint. Ob dies dann auch gelingt und Zustimmung findet, ist hingegen eine Frage hegemonialer Auseinandersetzungen. Zunächst muss festgestellt werden, dass sich selbst die »Theorie der juristischen Argumentation« (Alexy 1991) mehr oder weniger der politischen Dimension der richterlichen Entscheidungen bewusst ist. Die Motivation und die Vorverständnisse der Richter*innen werden bei diesem Ansatz jedoch als nicht ausschlaggebend angesehen – die Frage dieser Methodenlehre sei, was ›gute‹ und ›richtige‹ juristische Gründe sind (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 1). Sie solle also das Begründungsproblem für Urteile, die auch anders hätten ausfallen können, lösen (vgl. Alexy 1991, 17f.). Damit ist sie argumentativ bemüht, die politischen Entscheidungen und Wertbegründungen des Rechts auf eine rationale und vermeintlich neutrale Basis zu stellen. Die Feststellung, dass die Wahl der Methode lediglich sekundär sei und vor allem dazu diene, primäre Überlegungen, Gerechtigkeitsvorstellungen oder Sachverständnisse der jeweiligen Richter*innen zu begründen und zu legitimieren (vgl. Esser 1972, 7f.), fällt dabei unter den Tisch. Der Rückgriff auf Werte ersetzt keine konkretisierende Argumentation (vgl. Goerlich 1973, 187), auch wenn behauptet wird, die ›richtigen‹ Argumente gefunden zu haben. Kurz: Ihre Methoden dienen der Verhüllung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der politischen Dimension rechtlicher und richterlicher Entscheidung. 69

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Eine Auseinandersetzung mit diesem Strang der juristischen Methodenlehre ist aber gerade deshalb für diese Arbeit nutzbringend. Dieser Strang arbeitet daran, politische und moralische Werturteile als rationale zu invisibilisieren. Trotz oder gerade aufgrund des Bewusstseins für die politische Dimension richterlicher Entscheidungen, ist man in der von Alexy inspirierten Methodenlehre bemüht, einen intersubjektiv nachvollziehbaren Rahmen für die Entscheidungsfindung zu setzen, um vor allem auf ›richtige‹ Ergebnisse zu kommen, die Gleichheit und Rechtssicherheit gewährleisten (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 112ff.). Es geht um rechtlich »korrekt gebildete Entscheidungsbegründung[en]« (ebd., 115), die Prämissen und Argumente klar gliedern. Dieses ›korrekte‹ und ›richtige‹ Argumentieren dient dem Ausschluss antagonistischer Meinungen, die genauso das Ergebnis eines Urteils hätten sein können, wären andere Prämissen und Vorverständnisse vorhanden gewesen. »Law is not so much a rational enterprise as a vast exercise in rationalization« (Hutchinson und Monahan 1984, 206), ist die Position der Critical Legal Studies. Alle Lösungen können durch juristisches Instrumentarium gerechtfertigt werden und als rational erscheinen. ›Korrekt‹, ›vernünftig‹ oder ›richtig‹ ist das Argumentieren, wenn es einen hegemonialen Konsens über die Bedeutung von Korrektheit, Vernunft und Richtigkeit gibt. Dieser Punkt macht deutlich, dass es für die Politikwissenschaft unerlässlich ist, juristische Entscheidungsstrukturen zu verstehen, ihren politischen Gehalt zu erkennen und die mit den Entscheidungen einhergehenden politischen Weichenstellungen zu analysieren. Gerade die Stellen, an denen die rationale Argumentation brüchig wird und sie sich politischer, philosophischer, rhetorischer Mittel bedient, weisen auf gesellschaftliche Konflikte hin. Methodisch müssen genau diese Stellen sichtbar gemacht werden. Das heißt nicht, dass rationale juristische Argumente nicht schon selbst auf die politische Dimension des Rechts verweisen. Offensichtlichere Stellen sind aber vor allem diejenigen, in denen die Richter*innen zur externen Rechtfertigung für ihre Urteile übergehen. An diesen Stellen ist es vielversprechend, die sprachliche und argumentative Struktur zu analysieren. Doch was ist die externe Rechtfertigung? Im folgenden Teil werde ich in groben Zügen die Grundlagen der von Alexy inspirierten juristischen Methoden umreißen, da sie sich besonders plastisch eignen, die »Infrastruktur zur Universalisierung und Vereinheitlichung« (Buckel und Fischer-Lescano 2007, 92) des Rechts darzustellen. Eine Darstellung der ›Theorie der rationalen Argumentation‹ zeigt, wo die vermeintlich rationale und neutrale Jurisprudenz zu politischen Argumenten übergehen muss, um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen. Doch auch die vermeintlich lediglich formale Argumentation ist politisch. Durch formalisierte Begründungsprozeduren werden Rechtsfiguren fixiert und damit reproduzierbar, sie scheinen ihrer Willkürlichkeit enthoben (ebd., 92). 70

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Die folgenden Erläuterungen werde ich in die drei methodischen Werkzeuge gliedern, die Jurist*innen zur Verfügung stehen: Interpretation, Rechtsfortbildung und Abwägung. Dem vorangestellt wird eine kurze Darstellung der Grundbegriffe Rechtsbegriff, Regel und Prinzip sowie Rechtssystem als Formen von Rechtsnormen.

2.2.1 Rechtsbegriffe, -normen, -system Rechtsbegriffe sind wie Begriffe allgemein dazu da, die wahrgenommene Realität in Worte zu fassen und dadurch zu verstehen. Die juristische Besonderheit ist, dass – gerade bei Urteilen – konkrete Fälle unter diese Begriffe stets aufs Neue subsumiert werden müssen. Es ist Teil der juristischen Begründung, zu zeigen, dass eine bestimmte Regel auf einen bestimmten Fall angewendet werden muss. Dazu müssen die Tatbestände zur Regel passen. Es gehört also zur juristischen Alltagspraxis, Begriff und Objekt zusammenzubringen – immer wieder aufs Neue. Hier ist die Gewaltförmigkeit der Sprache offensichtlich. Regelanwendung heißt in der Konsequenz verurteilen und strafen.6 Dabei haben Rechtsbegriffe die gleichen problematischen Aspekte wie alle anderen Begriff-Objekt-Beziehungen auch (vgl. Adorno 1975, 23). In der von Alexy inspirierten Methodenlehre ist man sich zwar der sprachphilosophischen sowie erkenntnistheoretischen Problematiken und der Vagheit, Mehrdeutigkeit und evaluativen Offenheit von Begriffen bewusst (vgl. Klatt 2004, 65f., 264ff.; Koch 2003; Koch und Rüßmann 1982, 188ff.). Doch mehr als bei bspw. philosophischen Begriffen ist die Gewaltförmigkeit unmittelbarer. Recht ist Teil des repressiven Staatsapparats, also mit der Exekutive, Gefängnissen und Polizei verbunden (vgl. Rottleuthner 1975, 171f.). Rechtsbegriffe und wann wer oder was unter sie subsumiert wird, stehen in unmittelbarem Bezug zum staatlichen Gewaltmonopol. Ihre Definitionen und die Macht, sie überhaupt festzulegen, haben direkte Konsequenzen. Rechtsbegriffe sind allerdings nicht nur repressiv, sondern auch produktiv. Rechtsnormen sind nicht wahr, sondern zeigen Sollensvorschriften an: Etwas ist verboten, geboten oder erlaubt. Damit normieren sie Gesellschaft bzw. wird die gesellschaftlich-hegemoniale Norm zum Gesetzesinhalt. Dass sie Gesetz wird, zeigt zugleich an, dass die Realität nicht völlig der Norm entspricht, sonst wäre kein Gesetz nötig. Mit Blick auf das politische Strafrecht und das Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹ wird dies für diese Arbeit relevant. Politisches Strafrecht und 6 Die methodische Auseinandersetzung erfolgt hier mehr im strafrechtlichen denn im zivilrechtlichen Bereich, da die fdGO ihre Ursprünge im politischen Strafrecht hat (vgl. V 4).

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›wehrhafte Demokratie‹ setzen den Rahmen für legitimes – nicht nur legales (vgl. V 4, VI 1.2) – politisches Handeln. Sie normieren, wie politisch gehandelt werden soll. Ob diese Normen jeweils eingehalten oder wie sie umgangen werden, ist hingegen eine andere Frage: »Eine solche kausale Hypothese – der Erlaß einer Norm ist Ursache ihrer Befolgung – wäre aber nicht einmal für Juristen mit ihrer Konformitätsannahme plausibel« (Rottleuthner 1975, 168). Dennoch gelten die Normen und produzieren dadurch ein bestimmtes Handeln. Sie steuern es nicht direkt, aber beeinflussen es. Im Bereich der Rechtsnormen ist für die von Alexy inspirierte Methodenlehre der Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien relevant, da dieser Unterschied methodische Konsequenzen hat (vgl. Alexy 2003, insb. 224f.). Eine Regel gilt oder gilt nicht, sie gibt ein definitives Sollen an, z.B. Diebstahl wird bestraft. Regeln werden interpretiert und Fälle werden unter sie subsumiert. Ein Prinzip hingegen gilt nicht definitiv, sondern seine Erfüllung erfolgt graduell. Im konkreten Konfliktfall zwischen zwei Prinzipien muss abgewogen werden, ob das eine oder das andere gerade schwerer wiegt und ein Eingriff bzw. eine Reduktion gerechtfertigt werden kann (ebd., 233). Damit etabliert diese Methodenlehre ein scheinbar neutrales Werkzeug zur politischen Entscheidung zwischen sich widersprechenden Normen, die als Prinzipien gekennzeichnet werden und so nur graduell gelten. Die Grundrechte sind nach dieser Methodenlehre Prinzipien. Auch die Elemente der fdGO-Formel sind in diesem Sinne als Prinzipien zu verstehen. Der Maunz-Dürig bezeichnet die fdGO als »unmittelbar einsichtig« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 50, Herv. i. O.) besteht aber auf »Toleranzbereiche« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 56, Herv. i. O.) der einzelnen Elemente. Dadurch wird eine vermeintlich objektive Wertordnung konstruiert, die jedoch nur graduell gilt und dann durch »begrifflich unscharfe und kaum zu überprüfende Verfahren der Wertabwägung« (F. Müller und Christensen 2004, 147) methodisch angewendet werden kann. So kann richterlich entschieden werden, ob eine Partei oder eine Einzelperson den Boden dieser Toleranz verlässt oder noch darauf verweilt und ob dies eine Bedrohung der fdGO ist.7 Innerhalb der juristischen Methodenlehre sind Prinzipien und die aus ihnen folgende Methode der Abwägung stark umstritten: »Das Prinzip kann keine inhaltlichen Maßstäbe zur Verfügung 7 Im Urteil des BVerfG zur NPD 2017 (BVerfGE 144, 20) ist zudem der Grad der Gefährlichkeit relevantes Kriterium für ein Parteiverbot. Doch wann ist eine Partei ungefährlich und wann wird sie so stark, dass sie verboten werden muss? Ist es dann nicht schon zu spät? Erstens sind das nur subjektiv zu beantwortende Fragen und zweitens sollten sie politisch diskutiert und nicht der richterlichen Anwendung oder dogmatischen Auslegung vorbehalten sein.

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stellen, die rechtsstaatlichen Anforderungen an Normklarheit, Methoden- und Rechtssicherheit genügten« (ebd., 100). Wenn von einem Rechtssystem gesprochen wird, wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Recht eine kohärente Einheit von Normen bildet, die wechselseitig in Beziehung stehen (vgl. Klatt 2012b; Seelmann 2010, 53ff.). Das Recht soll – auch nach der Idee des Rechtspositivismus – ein »lückenloses System von Rechtssätzen« (F. Müller und Christensen 2004, 105) sein. Dabei müssen alle Fälle unter irgendeine Regel des Systems subsumiert werden können oder, wenn das für einen Fall nicht möglich ist, muss diese Lücke geschlossen werden – durch Gesetzgebung oder richterliche Auslegung.8 »Wirklich offene Rechtsfragen können nicht auftauchen« (ebd., 105). Das heißt, von einer politikwissenschaftlichen Position aus betrachtet, die an Konflikthaftigkeit von Gesellschaft und an politische sowie soziale Kräfteverhältnisse denkt, müssen Widersprüche, wenn sie auftreten, durch juristisches Argumentieren eingeebnet werden. Je mehr Prinzipien in einem Rechtssystem aufgestellt werden, desto kleiner erscheint dieses Problem. Alexys methodischer Ansatz dient hier also der Minimierung eines politischen Problems des Rechts. Die Abwägung vereinfacht politische Entscheidungen, stellt sie rational dar und verdeckt sie zugleich. Mag das Rechtssystem dadurch zwar in sich schlüssig sein, ist es doch »durch die Fragen der Vorbewertung, des Vorurteils, der mitlaufenden Kontrolle von vernünftigen Ergebnissen keineswegs [ein] ›autonome[r]‹ Urteilszusammenhang« (Esser 1972, 162), sondern angewiesen auf »vorsystematische Wertungen« (ebd.).

2.2.2 Interpretation Juristische Interpretation soll die Anwendung von Regeln auf konkrete Fälle sein. Dabei werden die Begriffe der Regeln auf den Fall angewendet, d.h. der Fall und seine Merkmale subsumiert. Die juristische Zielvorstellung sei dabei ›Vernünftigkeit‹ und ›Richtigkeit‹ – zumindest im 8 Vom Standpunkt der Reinen Rechtslehre aus betrachtet, ist das Lückenproblem ein ideologisches. Es gibt keine Lücken in der Rechtsordnung. Wenn eine Lücke gefunden wird, ist es lediglich die Auffassung der entscheidenden Instanz, dass die Rechtsordnung hier ungenügend sei. Das ist allerdings kein Mangel der Rechtsordnung, sondern deren Messung an ihr nicht immanenten Maßstäben (vgl. Kelsen 2008 [1934], 111). Esser (1972, 178) sieht im Lückenproblem eine »Selbsttäuschung« der Rechtsanwendung, da überall Lücken sind, wo der zu lösende Fall nicht zur Regel passt. Dies ist jedoch in nahezu allen juristischen Entscheidungen so, da keine Regel alle Eventualitäten und Eigenheiten abdeckt. Die Behauptung einer Lücke, ist nur durch das »Vorverständnis der Ordnungsbedürftigkeit des betreffenden Konfliktes« (ebd.) zu rechtfertigen.

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Rahmen des bestehenden Rechtssystems (vgl. Alexy 1991, 351). Dabei liegt der Fokus auf der Begründung für die Interpretation der Regeln – schließlich ist Interpretation die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen und diese Wahl soll transparent argumentiert werden (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 346f.). »Vernunft ist freilich hier nicht definierbar« (Esser 1972, 164), sondern bezieht sich auf hegemoniale, sprich: konsensfähige, gesellschaftliche Werte, die außerhalb des positiven Rechts angesiedelt sind. Die interne Rechtfertigung beschreibt dabei die formale Struktur der Entscheidungsfindung, auch bekannt als Justizsyllogismus (vgl. Alexy 1991, 273ff.; Esser 1972, 48ff.). Wenn es eine Regel gibt, die festlegt, dass auf eine Tat eine bestimmte Rechtsfolge folgt, dann ist es Aufgabe des Gerichts, in einem konkreten Fall diese Regel anzuwenden. Oder beispielhafter formuliert: Alle Diebe werden bestraft. Alle Angeklagten im Strafverfahren gegen x und Genossen sind Diebe. Alle Angeklagten im Strafverfahren gegen x und Genossen werden bestraft. (Haft 1999, 77) Doch welche Merkmale gehören zum Sachverhalt und liegen sie im konkreten Fall vor? Am gerade zitierten Beispiel gefragt: Was beweist, dass x und Genossen Diebe sind? Je nach Beantwortung dieser Fragen entscheidet das Gericht. Der Knackpunkt sind die Tatbestandsmerkmale. Wird ein konkreter Fall nun subsumiert und folgt die Rechtsfolge, wenn ja, warum? Franz Neumann wählt ebenso das Beispiel Diebstahl zur Veranschaulichung des nationalsozialistischen Strafrechts und macht dadurch die Problematik von Rechtsbegriffen und ihrer Auslegung deutlich: Das traditionelle Strafrecht definiert einen Dieb sowohl nach seinen Taten als auch nach seinen Absichten. Die phänomenologische Schule [die Neumann als wichtigste Strafrechtstheorie des NS benennt, Anm. d. Verf.] definiert ihn nach seiner Persönlichkeit: Ein Dieb ist, wer »seinem Wesen nach« ein Dieb ist. Damit ist der Richter in seiner Entscheidung auf schuldig oder nicht schuldig auf seine Intuition angewiesen. (F. Neumann 1984 [1942], 525)

Hier wird deutlich, dass es nicht nur Tatbestandsmerkmale sind, sondern zugleich die Frage, was einen Dieb auszeichnet – die Tat oder seine Persönlichkeit – und darüber hinaus dass es überhaupt Eigentum gibt, das von Dieb*innen gestohlen werden kann. An dieser Stelle beginnt die externe Rechtfertigung (vgl. Alexy 1991, 283ff.). Bei Gerichtsurteilen reicht es nicht, aus der internen Logik der 74

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Regeln Fälle zu entscheiden, sondern es müssen Argumente gefunden werden, die nicht unmittelbar aus der Juristerei stammen, Entscheidungen aber begründen. Veranschlagt wird hier eine Trennung zwischen logischer Folgerichtigkeit und inhaltlicher Wahrheit (vgl. Haft 1999, 77). »Gegenstand der externen Rechtfertigung ist die Begründung der in der internen Rechtfertigung benutzten Prämissen« (Alexy 1991, 283). An dieser Stelle werden Begriffsdefinitionen festgelegt9, die Umstände des Falls einbezogen und Tatbestandsmerkmale gewichtet. Vor allem werden bei der externen Rechtfertigung in interpretatorischer Hinsicht die Prämissen für die Entscheidung offen gelegt und begründet – zumindest scheinbar. Dazu werden die canones der Auslegung, empirische Argumente, spezielle juristische Argumentformen, allgemein-praktische Argumente und schon bestehende Urteile herangezogen (vgl. Alexy 1991, 288ff.). Die canones der Auslegung gehen auf Friedrich Carl von Savigny (vgl. 1840, 213ff.) zurück. Sie sind im Grunde Interpretationshilfen für die juristische Auslegung, die den Fokus der Argumente in eine bestimmte Richtung lenken. Dabei können unterschiedliche canones zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Es gibt sechs canones, die der externen Rechtfertigung dienen: die semantische, genetische, historische, komparative, systematische und objektiv-teleologische Auslegung.10 Im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit ist die methodische Inkonsequenz der verfassungsrechtlichen Praxis zu bedenken: Sie [verfassungsrechtliche Praxis und Methodik, Anm. d. Verf.] ziehen sich auf Savignys Interpretationsregeln zurück, um im Grundsatz Regularität ihres Verfahrens vorzugeben; und sie entscheiden angesichts der spezifischen Schwierigkeiten von Verfassungskonkretisierung um so häufiger – je nach Erfordernissen des Falls und des erwünschten Ergebnisses – ohne die canones, gegen sie oder über sie hinaus. (F. Müller und Christensen 2004, 160)

Eine Analyse von Rechtstexten muss dennoch über die canones informiert sein, um die Tradition juristischen Argumentierens zu verstehen bzw. auch die Abgrenzung von dieser Tradition. Gerade hier werden politische Entscheidungen deutlicher. In dieser Arbeit sind vor allem die semantische, genetische, historische und objektiv-teleologische Auslegung relevant. Ich werde im Folgenden 9 Dabei wird zwischen Begriffen der Alltagssprache und der Fachsprache unterschieden. Ein Beispiel dafür ist der Begriff ›Wohnung‹. Nach Auffassung des BVerfG (vgl. BVerfGE 32, 54, 68ff.) sind auch Gewerberäume Wohnungen, obwohl das für die Alltagssprache abwegig erscheint. 10 Hinzu kommen inzwischen die verfassungskonforme und europarechtskonforme Auslegung (vgl. bspw. F. Müller und Christensen 2004, 401ff.).

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nicht auf die einzelnen Auslegungsschwerpunkte eingehen, sondern darauf fokussieren, was für meine Analyse relevante Aspekte dieser Auslegungsformen sind. Die Kenntnis der verschiedenen canones hilft bei der hier angestrebten Analyse, ein Scheinwerferlicht auf die Argumente zur externen Rechtfertigung zu richten. Die canones sind also Anzeiger für politische Argumente, die nicht durch rechtsinterne Vorgehensweisen vorhergesehen werden können. An diesen Stellen wird eine Gerichtsentscheidung getroffen und gerechtfertigt. In der semantischen oder auch grammatischen Auslegung (vgl. Alexy 1991, 289f.; Koch und Rüßmann 1982, 163ff.) wird der Sprachgebrauch und Wortlaut eines Begriffes vom Gericht entweder festgestellt oder festgesetzt. Dabei ist es umstritten, ob Feststellung und Festsetzung so trennscharf unterschieden werden können. Es sei ein »Dauerbrenner« (Klatt 2012a, 121) der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung, ob Bedeutungen ideal und feststellbar sind oder ob sie kollektiv entstehen und auch fehlerhaft sein können (vgl. ebd.). Je nach Entscheidung in diesen Fragen misst sich die Relevanz der semantischen Auslegung. Genau betrachtet, lasse sich lediglich bei numerisch determinierten Normen wirklich von Subsumtion sprechen (F. Müller und Christensen 2004, 273), z.B. bei Widerspruchsfristen. Hier reicht auch diese Form der Auslegung und der Normtext ist klar. Kritisch lässt sich – gleich ob Feststellung oder Festsetzung von Begriffen, ideal oder nicht – sagen, dass es eine machtvolle und vor allem politische Entscheidung ist, Bedeutungen festzulegen. Hier geht es um die »herrschende Auffassung von der Begriffsbedeutung« (Esser 1972, 56). Daraus ergibt sich, welche Merkmale unter einen Begriff subsumiert werden und welche nicht. Die genetische Auslegung (vgl. Alexy 1991, 291f.; Koch und Rüßmann 1982, 210ff.) bezieht den Sprachgebrauch des historischen Gesetzgebers ein und zieht zur Interpretation der Regel die Gesetzesdokumentationen hinzu. Die historische Auslegung (vgl. Alexy 1991, 294) ist dem verwandt, bezieht sich aber vor allem auf Tradition und Erfahrung. Das ist besonders relevant, wenn es um den Bezug zur Weimarer Republik im Rahmen der Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹ geht (vgl. IV 4, V 5). Geschichte wird zur Gegenwart in Bezug gesetzt und gefiltert dargestellt. Bestimmte Interpretationen historisch-gesellschaftlicher Zusammenhänge gewinnen an Bedeutung und aus ihnen werden entsprechende Konsequenzen gezogen. Andere Deutungen und Erfahrungen gehen dabei unter. Dies gilt nicht nur für die Normentstehung, sondern auch für ihre spätere Auslegung und Anwendung. Die systematische Auslegung (vgl. Alexy 1991, 295; F. Müller und Christensen 2004, 349ff.) ist besonders mit den oben (vgl. II 2) dargestellten Gedanken von Althusser (2012) zum Recht relevant bzw. relativiert sie Althussers These von der Systematizität und Kohärenz des Rechts. Die 76

EIN POLITIKWISSENSCHAFTLICHER ZUGANG ZU RECHTSTEXTEN

systematische Auslegung dient dazu, die Regel in das Rechtssystem einzugliedern, also die Konsistenz und Kohärenz des Rechtssystems erst herzustellen: Widerspruchsfreiheit der Regeln untereinander und substantielle Einheit des Rechtssystems zu schaffen. So gesehen ist die von Althusser unterstellte Kohärenz des Rechts keine gegebene oder unumstößliche. Im Gegenteil ist von einer Kohärenzfiktion zu sprechen, die durch juristische Auslegung erst geschaffen und dann aufrechterhalten werden muss. Eine am häufigsten verwendete und offensichtlich im politischen Bereich angesiedelte Auslegung ist die objektiv-teleologische (vgl. Alexy 1991, 295ff.). Hier gehe es um die Frage, was ›vernünftig‹ und gewollt sei (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 7f.), um den Sinn und Zweck der Norm – d.h. wohl, was die jeweiligen Richter*innen am ›vernünftigsten‹ finden. Hier wird die angeblich richtige Entscheidung getroffen. Gerade aus rechtspositivistischer Sicht wird diese Auslegung angezweifelt: »Die Frage, welche der im Rahmen einer Norm gegebenen Möglichkeiten die ›richtige‹ ist, ist – voraussetzungsgemäß – überhaupt keine Frage der auf das positive Recht gerichteten Erkenntnis, ist kein rechtstechnisches, sondern eine rechtspolitisches Problem« (Kelsen 1934, 107f.). Die Frage nach der ›richtigen‹ Entscheidung hängt immer von dem Recht nicht immanenten Aspekten oder Normen ab, die keine Elemente des positiven Rechts sind – also »Normen der Moral, der Gerechtigkeit, soziale Werturteile« (Kelsen 2008 [1934], 108). »›Sinn und Zweck‹ ist, anders gesagt, keine Methode, sondern bereits das Ergebnis« (F. Müller und Christensen 2004, 349). Die objektiv-teleologische Auslegung ist die Möglichkeit politische Entscheidungen zu treffen und sie durch vermeintlich rationale Methodik als neutrale darzustellen. Im Urteil zum Verbotsantrag der NPD 2017 (vgl. BVerfGE 144, 20) bspw. argumentiert das BVerfG, dass es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten ankomme, sondern auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers, der sich aus Wortlaut und Sinnzusammenhang ergebe. Zusätzlich könnten zwar Informationen aus den Gesetzgebungsmaterialien herangezogen werden, jedoch seien diese nicht mit dem objektivierten Gesetzesinhalt gleichzusetzen (vgl. ebd., Rdnr. 555). Das Gericht postuliert damit eine Kombination aus semantischer und objektiv-teleologischer Auslegung, die lediglich im Zweifel durch die historische Auslegung Bestätigung oder Konkretisierung findet. Grundsätzlich aber befindet die Judikative über den vermeintlich objektiven Gesetzesinhalt und kann die politischen Auseinandersetzungen während der Gesetz- oder Verfassungsgebungsprozesse als irrelevant markieren und gleichzeitig eigene politische Entscheidungen treffen. So wird über methodische Argumentationen der politische Gehalt und Kompromisscharakter von Gesetzen geleugnet und die Ergebnisse politischer Kämpfe können von der Judikative neu bewertet und anders angewendet werden. 77

MATERIAL UND METHODEN

In der hier vorgenommen Analyse fokussiere ich in den Texten vor allem auf diese letztgenannten Argumentformen und arbeite ihre sprachlichen Auffälligkeiten heraus.

2.2.3 Rechtsfortbildung Schon die externe Rechtfertigung in der Interpretation von Regeln muss auf politische Argumente zurückgreifen, um Entscheidungen zu begründen. Die Rechtsfortbildung geht noch über diese Rechtfertigungsart hinaus. Hier wird nicht behauptet, dass auf einen konkreten Fall eine Regel angewendet wird, sondern es wird eine Regel, die als nicht genügend erscheint, erweitert oder eingeschränkt – eine Rechtslücke gefüllt. Das Gericht kann neue Tatbestandsmerkmale aufnehmen oder die Regel für einen bestimmten Kontext einschränken bzw. abwandeln (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 247ff.). Doch ist schon die Annahme der Rechtslücke eine Messung der Rechtsordnung mit ihr nicht immanenten Maßstäben. Mit der richterlichen Fortbildung gibt sich die Judikative selbst legislative Kompetenzen. An dieser Stelle ist die Jurisprudenz mit einem Legitimationsproblem konfrontiert. Wie können Richter*innen, die nicht die gewählte Legislative sind, Regeln ändern? Hier von zentralem Interesse – im methodischen Fokus – ist, dass durch die Rechtsfortbildung wiederum Konsistenz und Kohärenz hergestellt werden sollen, also Regeln, die nicht nach bestimmten Maßstäben passen, passend gemacht werden.

2.2.4 Abwägung Die Abwägung ist die Methode der Wahl, wenn es um Prinzipien geht. Prinzipien können nicht ausgelegt werden, sondern gelten in so starker Ausprägung wie möglich und sollen im Kollisionsfall abgewogen werden (vgl. Koch und Rüßmann 1982, 244ff.). Dabei sind das Prinzip und die Schwere des Eingriffs darin gegen die Wichtigkeit des dagegen stehenden Prinzips abzuwägen.11 Besteht hier zwar der Versuch der Rationalisierung mittels logischer Formeln und Abwägungskriterien sowie -einstufungen, so ist dennoch zu konstatieren, dass gerade an dieser Stelle nicht der Rechtsordnung immanente Regeln angewendet und politische Entscheidungen getroffen werden. Keine Gewichtung ist grundsätzlich rational ›richtig‹. Denn, ob ein Eingriff in die Meinungsfreiheit mittelschwer 11 Schwere und Wichtigkeit werden dabei zumeist auf einer dreistufigen Skala eingeteilt: leicht, mittel, schwer (vgl. Klatt und Schmidt 2013, 112f.). Für diese Einstufung ist wiederum die externe Rechtfertigung mit ihren verschiedenen Argumentationsarten notwendig.

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ZWISCHENFAZIT: FILTER FÜR POLITISCHE ARGUMENTE

ist und die nationale Sicherheit in diesem Fall gewichtiger erscheint, ist eine politische Frage. Doch schon vor der eigentlichen Abwägung setzt die Kritik in der innerdisziplinären rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung an. »Die Ganzheit eines grundrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Wertesystems ist auch mit Hilfe des formalen Prinzips der sogenannten Güterabwägung nicht rationalisierbar« (F. Müller und Christensen 2004, 100). Dass überhaupt Grundrechte abgewogen werden können und vor allem, was ihnen gegenüber Vorrang hat, ist eine Frage gesellschaftlicher Auseinandersetzung, eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse. Die von Alexy vorgeschlagene Prinzipienbestimmung und Abwägung auf Basis einer objektiven Wertordnung »dient gerade [...] der Verdeckung von Begründungsdefiziten« (ebd., 148) und verdeckt die politische Dimension der richterlichen Entscheidung.

3. Zwischenfazit: Filter für politische Argumente Dieses Schlaglicht auf einen Teil der juristischen Methodenlehre soll zum Verständnis meines Vorgehens beitragen. Denn mit den dargestellten Mitteln werden überpositive Elemente, soziale und politische Werturteile in der Auslegung gerechtfertigt und bleiben zugleich intransparent (vgl. Goerlich 1973, 187). So wird die fdGO definiert, mit ihr der Spielraum für exekutive Maßnahmen im Rahmen der ›wehrhaften Demokratie‹ erweitert und Grenzen für politisches Handeln gesetzt. Ein Verständnis juristischer Methoden macht Rechtstexte für andere wissenschaftliche Disziplinen nachvollziehbarer. Mir ermöglicht diese Kenntnis, die Aspekte in Urteilen und Kommentaren herauszufiltern, in denen politische Argumente eingesetzt werden, um Entscheidungen zu begründen. Es wird klarer, wo die brisanten Stellen sind. Substantialisierte Rechtsbegriffe, wie eben die fdGO, bieten die Möglichkeit, politische Entscheidungen ins Recht zu flechten. Gleichzeitig wird dies durch vermeintlich rationales Argumentieren verdeckt und politische Entscheidungen werden universalisiert. Gerade deshalb aber bietet Alexys (1991) »Theorie der juristischen Argumentation« eine gute Prüfung juristischer Argumente und methodisch die Möglichkeit, auf Einbruchstellen in der Rationalität bzw. auf die »irrationale[...] Rationalität« (Adorno 1975, 304) zu verweisen. Sicherlich, die rechtswissenschaftliche Forderung nach logisch-rationalem Vorgehen muss nicht zwangsläufig in der juristischen Praxis eingehalten werden. Gerade dann lässt sich aber mit Kenntnis der Methoden herausfiltern, wo und warum diese formale Struktur, die ja selbst schon auf Vorverständnissen und Werturteilen beruht, nicht eingehalten wurde und was an ihre Stelle getreten ist. Betrachte ich dazu die Auffassung des BVerfG, wird dieser Aspekt nur noch relevanter: 79

MATERIAL UND METHODEN

Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. Der Richter muß sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen. Es muß einsichtig gemacht werden können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den »fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft« (BVerfGE 9, 338, [349]). (BVerfGE 34, 269, 287)

Das BVerfG rechtfertigt hier die Rechtsfortbildung bei Rechtslücken. Dabei sollen Willkür vermieden, rechtsimmanente Wertvorstellungen herausgestrichen werden und die Entscheidungen intersubjektiv nachvollziehbar sein. Mit der vorangestellten Argumentation wird deutlich, dass das Verfassungsgericht sich dadurch die Legitimation verschafft, außerhalb der positiven Rechtsordnung zu argumentieren bzw. die Rechtsordnung mit außerrechtlichen Maßstäben zu messen. Damit maßt sich die Judikative legislative Kompetenz an. Sie unterläuft das Parlament als den eigentlich bestimmten Ort zur politischen Auseinandersetzung und Regelaufstellung. Doch nicht nur bei Rechtslücken geschieht eine Rechtsfortbildung, sondern die Struktur des Urteilens selbst ist aporetisch. Recht muss erst widerspruchsfrei gemacht werden. Entgegen Max Weber (vgl. 1980, 825), der für kapitalistisches Wirtschaften rationale oder mindestens klar an die Interessen der besitzenden Klasse gebundene Entscheidungen als Notwendigkeit benennt, beschreibt Derrida (vgl. 1991, 50), dass Gerichte keine »Paragraphen-Automaten« (Weber 1980, 825) und Entscheidungen nie vollständig berechenbar sein können. Nicht nur Richter zu Webers Zeiten lehnten aus Sorge um ihre herausgehobene gesellschaftliche Stellung die Vorstellung von »Paragraphen-Automaten« ab, sondern verschiedene Rechtstheorien haben dies zurückgewiesen. Der amerikanische Legal Realism bspw. sah Auslegungsregeln und juristische Begründungsfiguren lediglich als nachträgliche Rationalisierungen von eigentlich nichtjuristischen Überlegungen, die zur Urteilsfindung führen (vgl. Leitner 2005, 50). Die Critical Legal Studies wiederum bestanden darauf, dass Urteile immer auch politische Entscheidungen seien und dass Richter*innen von den ökonomischen Verhältnissen ihrer Zeit geprägt, gar »Beteiligte im ideologischen Konflikt« (Kennedy 1995, 55), also mitnichten rein logisch und rational arbeitende Automaten seien. 80

ZWISCHENFAZIT: FILTER FÜR POLITISCHE ARGUMENTE

Für Derrida (1991, 51) sind Urteile Akte zwischen Regelbindung, -loslösung und -setzung. Das Unentscheidbare bleibt ihm jedoch »Gespenst« (ebd.). Mit der Kenntnis juristischer Methoden und einem Blick, geprägt von materialistischer Rechtstheorie, ist es möglich, sich diesem »Gespenst« (ebd.) zu nähern und es nicht schlicht Geist bleiben zu lassen, sondern die richterlichen Vorverständnisse, Weltanschauungen und Entscheidungsstrukturen zu benennen, um sie zugleich in die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse einzuordnen. Die mit Althusser (2012) beschriebene Systematizität, Formalität und Repressivität des Rechts (vgl. II 2) wird mit der Kenntnis der juristischen Methoden klarer. Es wird deutlich, dass die Systematizität konstruiert werden muss und darüber hinaus, wie dies passiert. Die Rationalität und Formalisierung der Methoden ermöglicht die Abstraktion vom Inhalt, erlaubt es, universelle Werte zu setzen, ohne sie als politische zu kennzeichnen und sie zugleich von ihrem historischen Entstehungskontext zu lösen. Es ist Teil des juristischen Selbstverständnisses, scheinbar rational zu begründen bzw. sich auf die neutrale Position der unpolitischen Rechtswissenschaft zurückzuziehen.12 Die Politikwissenschaft nimmt in Teilen diese scheinbar neutrale Jurisprudenz hin (vgl. VI 1). Mit Blick auf die fdGO und die ›wehrhafte Demokratie‹ geht es um eine materiale Rechtsstaatskonzeption, die sich aber auf die formale Neutralität des Rechts berufen kann. Um dies überzeugend zu argumentieren, ist neben methodischen Erörterungen ein juristisch-zeitgeschichtlicher Blick auf die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus nötig. Die Rechtfertigung einer Wehrhaftigkeit einer Demokratie speist sich aus Kontinuitäten staatsrechtlichen Denkens und Deutungen zum Scheitern der Weimarer Republik. Die Einwände gegen den Rechtspositivismus haben, wie ich im Folgenden zeigen möchte, in der Weimarer Republik den Nationalsozialismus begünstigt und ermöglichen heute durch die Idee der ›wehrhaften Demokratie‹, wertbegründete Elemente in die Rechtsordnung aufzunehmen, die das politische Handeln der Bürger*innen auf den Staat verpflichten, d. h. Demokratie gegen die Bürger*innen zu verteidigen, nicht um Staat und Exekutive einzuhegen (vgl. VI).13 Mit einer formalen Rechtsstaatskonzeption ist auf den historischen Skandal hinzuweisen, dass gerade die Argumente, die gegen Rechtspositivismus und formale 12 Die Gegenposition kann allerdings nicht sein, gänzlich willkürlich zu urteilen. Vielmehr muss erkannt sein, dass Recht das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Kräfteverhältnisse ist. Auslegung muss »die am Gesetzgebungsprozess Beteiligten als Repräsentanten von gesellschaftlichen Gruppen und Klassen zu erkennen, die um die Durchsetzung ihrer Interessen miteinander kämpfen; und die Norm als Produkt dieser politisch-sozialen Auseinandersetzung« (Römer 1977, 95) produzieren. 13 Dass der Rechtspositivismus selbst die Geltung seiner eigenen Voraussetzungen verkennt und sie durch Formalität überdeckt, steht auf einem anderen

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MATERIAL UND METHODEN

Rechtsstaatskonzeption in der Weimarer Republik vorgebracht wurden, den Nationalsozialismus begünstigten und nach Ende des Zweiten Weltkriegs als vermeintliche Gegenposition zum NS den Rechtspositivismus ablehnten – ihn gar an der nationalsozialistischen Machtübernahme und -festigung beteiligt sehen –, um eine ›wehrhafte Demokratie‹ zu installieren (vgl. Kap. IV 5, V 3).

Blatt (vgl. II 4). Inhalte und substantielle Werte an die Rechtsordnung heranzutragen bzw. sie wegen ihres Relativismus anzuklagen, sind historisch betrachtet falsche Kritiken. Sie haben gerade das Potential des bürgerlichen Rechts negiert, sich über seine Formen hinaus zu entwickeln. Durch das bürgerliche Recht und dessen Gleichheitsversprechen kann es auch subalternen Gruppen gelingen, ihre Rechte einzufordern. Eine substantielle Füllung bzw. eben auch Bedingung der formalen Gleichheitsvorstellung nimmt dem bürgerlichen Recht genau dieses Potential und löst seine Widersprüchlichkeit (vgl. II 3, 4) in eine regressive Richtung auf.

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IV Historische Grundlagen: Das Scheitern von Weimar Die Vorstellungen von Recht und Staat, die dazugehörigen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik und die daraus abgeleitete Begrenzung des demokratischen Streits prägten die Entstehung des Grundgesetzes und mit ihm die Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹. Im Verfassungsgebungsprozess und in späteren Gesetzgebungsprozessen waren die Weimarer Republik und ihr Scheitern zentrale Bezugsgrößen zur Konzeption und Festschreibung des Schutzes der Demokratie vor ihren ›Feinden‹1. Wie das Scheitern der Republik beurteilt wurde, wem daran die Schuld gegeben und wer dadurch entlastet wurde, beeinflusste die verfassungs- und strafrechtspolitischen Weichenstellungen der ›wehrhaften Demokratie‹. Ullrich (2009, 28) nennt den Bezug zur Weimarer Republik gar »obsessiv«. ›Wehrhafte Demokratie‹ und fdGO sind demnach Ergebnisse der Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik. Der Nationalsozialismus bleibt in den Diskussionen ein nicht näher beleuchteter Bezugspunkt – er erscheint als das ›dunkle Kapitel‹ der deutschen Geschichte. Er dient zwar als Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹, aber nur mittelbar, anders als das Narrativ des Schutzes der Demokratie vor ihren ›Feinden‹ suggeriert.2 Die Abgrenzungsfolie ist die Weimarer Republik. Aber sie ist es nur, weil der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg auf die Republik folgten. Allerdings waren weder der Transformationsprozess von Republik zu nationalsozialistischem Regime, noch das Regime und seine Funktionsweise selbst Gegenstand der Auseinandersetzungen. Für einen konkreten Gegenentwurf muss klar sein, wogegen er sein soll. Präsent sind die juristischen und politischen Debatten der Weimarer Zeit und die Machtübernahme der Nationalsozialisten – nicht das nationalsozialistische System und dessen Ideologie selbst. Dies ist das (geschichts-)politische Feld, vor dem die ›wehrhafte Demokratie‹ konzipiert wurde. Damals schon erschienene Forschungsarbeiten sind nicht rezipiert worden (vgl. Fraenkel 1984 [1941]; Kogon 1974 [1946]; F. Neumann 1984 [1942]). Mit besagten juristischen und politischen Debatten der Weimarer Zeit ist hier der Weimarer Methodenstreit gemeint. Er kann als Zuspitzung 1 Als Zitat aus dem Diskurs wird ›Feind‹ hier nicht in einer für alle Geschlechter offenen Formulierung wiedergegeben. 2 Das Narrativ der zwischen den ›Extremen‹ zerriebenen Republik ist ein Deutungsmuster des Scheiterns von Weimar. Es setzte sich unter verschiedenen anderen durch (vgl. I 1.1.2) und ist heute zugleich Teil des normativen und amtlichen Extremismusansatzes (vgl. VI 1.1.2).

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

der juristisch-politischen Auseinandersetzung zwischen Rechtspositivismus und Antipositivismus gesehen werden. Wer sich in diesem Streit durchsetzte, konnte sich im Nationalsozialismus etablieren. Zugleich waren die nichtpositivistischen, den Staat substantialisierenden Positionen in diesem Streit ein Moment, das die demokratische Republik in staatsrechtlicher Hinsicht zu untergraben drohte. Trotzdem sind es diese Argumentationslinien, die als Grundlage für die Behauptung der Existenz einer ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ und deren notwendige Verteidigung herangezogen werden. Teil des heutigen Narrativs der ›wehrhaften Demokratie‹ ist die vermeintliche Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme. 3 Die Bewertung der Reichstagsbrandverordnung und des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes sind Grundlagen der Legitimation eines präventiven Demokratieschutzes. Die ›wehrhafte Demokratie‹ kriminalisiert politisches Handeln bevor es im eigentlichen Sinne strafrechtlich relevant wird, also noch legal ist. Nur auf Grundlage der behaupteten Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme lässt sich ein präventiver Demokratieschutz etablieren, der zwischen Legalität und Legitimität (unterstellter) politischer Zielsetzungen unterscheidet. Politisches Handeln kann sich zwar gesetzlich im legalen Rahmen bewegen, aber tatsächliche oder unterstellte Zielsetzungen können als illegitim im Rahmen der bestehenden Ordnung gelten. Als Kern dieser Ordnung und zugleich als Rahmensetzung fungiert die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹. Die fdGO ist Grenze und Spielregel zugleich und dabei als Wertordnung verobjektiviert oder auch substantialisiert.4 Deshalb werden im Folgenden historische Anmerkungen zu staatsrechtlichen Konflikten der Weimarer Republik (1) und Weimars Staatsschutzmechanismen sowie zur nationalsozialistischen Machtübernahme (2) gemacht. Darauffolgend wird das Rechts- und Staatsverständnis des Nationalsozialismus charakterisiert (3). Nach einer Darstellung der 3 Es ist allerdings zu bedenken, dass trotz der Frage, ob das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz und auch schon die Reichstagsbrandverordnung legal oder illegal waren, eine Vielzahl der Deutschen die NSDAP gewählt hat und die konservative und/oder monarchistische Exekutive und Judikative sie – im besten Fall – als das geringere Übel ansah. Das ist deshalb wichtig, da der argumentative Schauplatz um die Legalität oder Illegalität der national-sozialistischen Gesetze den Fokus auf die Führungsriege der NSDAP richtet, aber nicht im Blick hat, dass diese ohne eine Mehrheit in der Bevölkerung und im Staatsapparat nicht an die Macht gekommen wäre – mit welch ausgefeilter legalistischen Rhetorik und Strategie auch immer. 4 In der Rechtsprechung ist die fdGO zwar nur vereinzelt mit der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes identifiziert, dennoch zeigt die Wertbegründungspraxis eine ähnliche Orientierung (vgl. Gusy 1980, 291).

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KONFLIKTE DER WEIMARER STAATSRECHTSLEHRE

ersten Ideen zu einer »militant democracy« (Loewenstein 1937a, b) (4) werden abschließend die Traditionslinien einer materialen Rechtsstaatskonzeption in der ›wehrhaften Demokratie‹ herausgearbeitet (5).

1. Konflikte der Weimarer Staatsrechtslehre 1.1 Positivismus und Antipositivismus Da sich diese Arbeit zwischen Rechts-, Politik- und Geschichtswissenschaft bewegt, ist es notwendig, vorab einige Begriffe zu klären. Positivismus in der Rechtswissenschaft bedeutet eine Absage an jegliche religiöse, metaphysische oder naturrechtliche Fundierung von Recht. Die Grundlage des Rechts ist hiernach lediglich seine Setzung durch einen Gesetzgeber (= positives Recht) und daraufhin seine Geltung für den festgeschriebenen Geltungsbereich. Recht und Gesetz sind dasselbe, Gerechtigkeit findet ihre Grundlage schlicht in der Legalität des formal rechtmäßig zustande gekommenen Gesetzes: »Gerechtigkeit als Vermeidung von Unrecht, die Minimisierung in positiver Rechtsetzung inkarnierter gesellschaftlicher Repression« (Maus 1986, 13). Dies sind Grundlagen der frühen konstitutionellen Rechtsstaatstheorie, in der das Interesse der Stärkung der Legislative und Beschränkung der Exekutive galt. Es ging um ein Zurückdrängen des absolutistischen, feudalen Staates zugunsten des aufstrebenden Bürgertums durch formal gleiche Gesetze für alle. Zentral für die hier vorgenommene Nachzeichnung des ›Weimarer Methodenstreits‹ sind Hans Kelsens5 Reinen Rechtslehre (2008 [1934]) und seine Allgemeine Staatslehre (1993 [1925]). Diese dienten als Abgrenzung gegenüber Theorien, die Staat und Recht auf metaphysische oder naturrechtliche Grundlagen stellen wollen und denen das Legalitätsprinzip der Republik nicht ausreichte. Als Relativismus wird die Reine Rechtslehre oft bezeichnet, da Kelsen dem Recht eben keine Wertordnung zu Grunde legte. Kelsen definiert den Staat lediglich als Rechtsordnung; Versuche, den Staat anders zu begründen sind für ihn Metaphysik (vgl. Kelsen 1993 [1925], 3–26, 2008 [1934], 125ff.). Kelsen 5 Hans Kelsen studierte Rechtswissenschaft in Wien, wurde dort Professor und 1921 Richter am österreichischen Verfassungsgerichtshof. 1930 erhielt er eine Professor für Völkerrecht in Köln und wurde 1933 beurlaubt (vgl. Métall 1969, 60). 1936 wurde er an die Universität in Prag gerufen, wo es aufgrund seiner jüdischen Herkunft zu Protesten der Studierenden kam (ebd., 70). 1940 emigrierte Kelsen in die USA und wurde 1945 Professor in Berkeley.

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

(2008 [1934], 29) unterstellt seiner Reinen Rechtslehre dabei selbst eine »antiideologische Tendenz«, da sie als »realistische Rechtstheorie« weder das Recht als gerecht oder ungerecht bewerten, noch die bestehende Ordnung legitimieren oder delegitimieren will, sondern es gehe ihr um das Begreifen ihres Gegenstandes (vgl. ebd., 29f.).6 Weitere Anhänger des Positivismus in der Weimarer Republik waren Hans Nawiasky oder Richard Thoma, letzterer kommentierte mit Gerhard Anschütz zusammen die Weimarer Reichsverfassung. Politisch gesehen unterstützten die Rechtspositivisten die Weimarer Republik in ihrer repräsentativ-demokratischen Form. Bei Kelsen ist ein Fürsprechen für die Demokratie argumentativ aus seiner Rechtstheorie ableitbar (vgl. Kelsen 1963 [1920]). Durch seinen formalen Charakter bietet der Rechtspositivismus die Möglichkeit einer Demokratisierung der Gesellschaft. Da er – zumindest theoretisch – keine substantiellen Grundlagen voraussetzt, können festgefügte gesellschaftliche Herrschaftsmechanismen mit ihm nicht als natürliche legitimiert werden. Damit bietet er die Möglichkeit des Zugriffs auf und die Veränderung von Herrschaftsverhältnissen, die politisch gleichberechtigte Teilhabe kann auch in soziale Veränderungen übergehen. Diese beginnende Demokratisierung durch die »objektiv progressive gesellschaftliche Funktion« (Maus 1986, 35) des Rechtspositivismus ist der Grund für die Bewegung gegen ihn mittels einer wie auch immer gearteten materialen Rechtstheorie (vgl. Maus 1976, 51). Der Antipositivismus nimmt eine Gegenposition zum Positivismus ein. Dabei sind aber unterschiedliche Ansätze und auch politische 6 Kelsens Rechtstheorie kann damit tatsächlich als liberal bezeichnet werden. Die Rationalität, die er für die Rechtswissenschaft einfordert, lehnt jegliche substantielle Grundlage, die dem Recht vorgängig sein soll, ab. Doch unterschlägt Kelsen seine eigenen Prämissen. Wenn er, wie er selbst schreibt, das »Wesen« (Kelsen 1934, 29) des positiven Rechts begreifen will, muss er auf die gesellschaftlichen Widersprüche, die es beeinflusst und es notwendig machen, rekurrieren (vgl. II 2, 3). Das heißt nicht, dass das bürgerliche Recht an einer ›gerechteren‹ Idee gemessen werden soll, sondern dass gerade sein »Wesen« (ebd.) nur durch den Blick auf die materiellen Verhältnisse erkennbar wird. Werden diese in vermeintlich werturteilsfreier Wissenschaftsauffassung nicht beachtet, erscheinen gesellschaftliche Widersprüche als gegeben oder natürlich, obwohl sie historisch geworden, also von Menschen gemacht sind – ebenso wie die Rechtsordnung. Dadurch wird die eingeforderte Rationalität lediglich die Bestätigung des gesellschaftlichen Status quo bzw. die Grundlage doch wieder irrational oder naturrechtlich gelegt (vgl. II 4). Die Kritik an Kelsen aus vielen politisch unterschiedlichen Richtungen hat ihm oft allerdings gerade nur eine Idee oder eben eine substantielle Wertbegründung entgegengesetzt und nicht das Potential des bürgerlichen Rechts über sich hinauszuweisen (vgl. II 6) beachtet.

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KONFLIKTE DER WEIMARER STAATSRECHTSLEHRE

Ausrichtungen unter dem Begriff zu fassen. Als Gegenstücke zu Kelsens Reiner Rechtslehre erschienen 1928 die Verfassungslehren von Carl ­Schmitt7 (1957 [1928]) und Rudolf Smend8 (1928). Sie sind zwei der bekanntesten antipositivistischen Vertreter. Weitere waren Hermann Heller9, Otto Koellreutter10 oder Heinrich Triepel11. Für alle galt: »Der Staat mußte ›mehr‹ sein als Recht, mußte ›vor‹ dem Recht sein [...]«, so Stolleis (1999, 174). Im Antipositivismus benötigte das Recht eine Legitimation, 7 Carl Schmitt war einer der prominentesten Staatsrechtslehrer. Er unterstützte die Präsidialkabinette der Weimarer Republik und ebnete dem Nationalsozialismus rechtstheoretisch den Weg. Er legitimierte ihn staatstheoretisch, verfassungsgeschichtlich und völkerrechtlich (vgl. Mehring 2007). Seine Monographie »Legalität und Legitimität« (Schmitt 1980 [1932]) war eine Absage an die Liberalität der Weimarer Republik. Konkurrierende Juristen wie Otto Koellreutter (vgl. Fn. 10, Kap. IV) bremsten Schmitts Karriere 1936. Er verlor seine Partei- und Ehrenämter, behielt aber seinen Lehrstuhl (vgl. Mehring 2007; Rüthers 2008, 70f.). 1945 wurde er seines Lehrstuhls enthoben und verhaftet, 1947 wurde er ohne Anklage im Rahmen der Nürnberger Prozesse vernommen (vgl. ebd.). Schmitt publizierte weiterhin, hatte aber keine Professur mehr inne . 8 Rudolf Smend lehrte Öffentliches Recht in Tübingen, Bonn und Berlin. 1935 wurde er nach Göttingen strafversetzt (vgl. Gassner 1999, 101), 1945–1946 war er dort Rektor (vgl. Landau 2010). Smend versuchte, die im Protestantismus verbreitete Abneigung gegen Demokratie und Liberalismus zurückzudrängen und sah der nationalsozialistischen Machtübernahme mit Skepsis entgegen (ebd.). Seine Staatslehre von der Integration konkurrierte mit der Carl Schmitts und Hans Kelsens. 9 Hermann Heller war Sozialdemokrat und von 1928–1932 außerordentlicher Professor für öffentliches Recht in Berlin. Während eines Auslandsaufenthalts erfuhr er von der nationalsozialistischen Machtübernahme und suchte Asyl in Spanien (vgl. Kilmansegg 1969), wo er noch 1933 starb. 10 Otto Koellreutter war von 1927 bis 1944 Mitherausgeber des Archivs des öffentlichen Rechts und erhoffte sich vom NS einen »nationalen Rechtsstaat« (vgl. auch Fn. 48, Kap. IV). »Seine damaligen Schriften [...] sind repräsentativ für die bürgerliche, nationalkonservative Gegnerschaft zur Weimarer Republik, die im Nationalsozialismus eine Alternative zu erblicken glaubte« (Stolleis 1979). Ab 1933 lehrte Koellreutter in München. 1945 wurde er zunächst seines Amtes enthoben und inhaftiert, 1949 in den Ruhestand versetzt und 1952 emeritiert (vgl. Eberle 2017). 11 Heinrich Triepel war 1913 bis 1935 Professor für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht an der Universität Berlin. Er gründete die »Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer«. In einem Artikel in der Deutschen Allgemeinen Zeitung legitimierte er die nationalsozialistische Machtübernahme (vgl. Triepel 1933). Triepels Haltung zum NS wird als »pragmatisches Arrangement mit den neuen Machthabern« (Gassner 1999, 102) bezeichnet. 1935 ersuchte er nicht die Verlängerung seiner Professur, von der er aus Altersgründen enthoben werden sollte (vgl. Gassner 1999, 103).

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die sich nicht lediglich durch legislative Setzung in Gleichheit und Freiheit begründete. Recht entstehe aus der gesamten Kultur der Gegenwart (vgl. Triepel, VVDStRL 3 1927, 50). In der Historischen Rechtsschule des 19. Jahrhunderts von Friedrich Carl von Savigny bspw. ergibt sich das Recht aus Traditionen, Sitten und Gewohnheiten des Volkes – dem ›Volksgeist‹. Erich Kaufmann12 (1960 [1921], 375) argumentierte 1921 z.B.: »Der Strom des wirklichen Lebens läßt sich nicht in eine ihm fremde, von außen gesetzte, bloß rezipierte Rechtsform leiten; er läßt vielmehr solche Rechtsformen leer stehen, verdorren und absterben, und sucht sich ein neues, anderes Bett«. Kaufmann (vgl. ebd., 387) behauptete, dass die parlamentarische Demokratie nach britischem oder US-amerikanischem Vorbild nicht dem deutschen Volk entspreche. Politisch war der Antipositivismus ein heterogenes Feld, obwohl ein Übergewicht auf der konservativen und nationalistischen Seite des politischen Spektrums lag (vgl. Fn. 7–11, Kap. IV).

1.2 Der Weimarer Methodenstreit Als Weimarer Methodenstreit wird die Auseinandersetzung zwischen Positivisten und Antipositivisten bezeichnet. Dabei »bildete [der Streit] methodisch ab, was politisch gesucht wurde«, wie Stolleis (1999, 182) bemerkt. Auf der rechtswissenschaftlichen Ebene wurden politische Kämpfe ausgefochten, die zum Scheitern der Weimarer Republik wesentlich beigetragen haben. Es wurden materiale Maßstäbe gesucht, an denen formal legale Gesetze überprüft werden konnten (vgl. Fraenkel 1968 [1927], 26f.). So wurde das Legalitätsprinzip der Weimarer Republik untergraben (vgl. Maus 1986, 38). Der Streit polarisierte sich 1926 während der Tagung der Vereinigung der Staatsrechtslehrer (vgl. VVDStRL 3 1927, 43ff.) in Münster. Mit dem Satz »Ohne etwas ›Überpositives‹ kommen wir nicht durch« (Triepel, 12 Seine gegen den Positivismus ausgerichtete Staatsrechtsauffassung wurde im Nationalsozialismus aufgrund seiner Herkunft aus einer jüdischen Familie als »taktisches Interesse« (Tatarin-Tarnheyden 1937, 4) ausgelegt. Carl ­Schmitt intrigierte gegen ihn. 1936 sagte Tatarin-Tarheyden (vgl. weitergehend: Hilger 2003, 167ff.) auf der Tagung der Hochschullehrergruppe des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes: »Auch er [Erich Kaufmann, Anm. d. Verf.] stand scheinbar ganz im Dienste einer sittlichen Weltanschauung und persönlicher Integrität, wobei eine der Hauptwaffen des Judentums – der dogmatische Formalismus und Gesetzespositivismus wie die bloß technische Rechtswissenschaft überhaupt von ihm [...] sogar ausdrücklich bekämpft wurden« (Tatarin-Tarnheyden 1937, 20). Kaufmann flüchtete nach der Reichspogromnacht 1938 in die Niederlande. Er überlebte und kehrte 1946 nach Deutschland zurück und wurde Professor in München.

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KONFLIKTE DER WEIMARER STAATSRECHTSLEHRE

ebd., 51) brachte Heinrich Triepel das Verlangen Vieler, die sich gegen den Positivismus stellten, auf den Punkt. Entgegen der verbreiteten Auffassung vom hegemonialen Rechtspositivismus, die sich bis heute gehalten hat (vgl. IV 4, V 2.3, VI 1.1), hatte der Positivismus der Kaiserzeit schon mit der Verabschiedung der Weimarer Verfassung seinen Zenit überschritten (vgl. Deiseroth 2008, 96f.; Kirchheimer 1965, 316) und mehr und mehr Gegenwind bekommen (vgl. Stolleis 1999, 182). Gerade in Folge der Niederlage im Ersten Weltkrieg maßen die Rechtsprechung die neu entstandene Republik mit dem Recht vorgelagerten Werten, der sie kaum standhielt (vgl. Fraenkel 1968 [1927], 26; Kirchheimer 1965, 315).13 Dass Recht nur noch von parlamentarischen Mehrheiten 13 »Diese Entwicklung muß man im Auge behalten, wenn man die gelegentlich vertretene Meinung beurteilen will, wonach die Richterschaft die Machtergreifung der Nationalsozialisten durch ihr Festhalten am Rechtspositivismus ermöglicht habe« (Kirchheimer 1965, 315). Im Gegenteil war die Akzeptanz der Republik unter den Richtern gering, das Festhalten an Traditionen, Staatsautorität und Nationalismus stark, sowie die Herabwürdigung des parlamentarischen Streits als Modus der Gesetzgebung vorherrschend. Beispielhaft für den Zeitgeist ist die Rezension der akademischen Rede »Vom Kampf des Rechts gegen die Gesetze«, gehalten von Freiherr Marschall von Bieberstein, vom Historiker Georg von Below. Von Below (1928, 500) schreibt: »Diese akademische Rede legt ein entschiedenes Bekenntnis zum wahren Rechtsstaat ab, in welchem auch das Gesetz unter dem Recht stehen muß und diesem gleichsam nur als ›Kanzlei‹ unterstützend zur Seite tritt. Denn als staatliches Willensgebot muß auch das Gesetz seine Legitimation aus dem Recht als der allgemeinen Rechtsüberzeugung der Volksgesamtheit ableiten und darf nicht wie das bekannte positivistische Dogma von der Allmacht des Gesetzgebers es irrig fordert, aus eigener Machtvollkommenheit sich über seinen Herrn erheben«. Diese Scheidung von Recht und Gesetz ist bis heute im Grundgesetz enthalten. Artikel 20 Abs. 3 GG normiert die Bindung von Exekutive, Legislative und Judikative an »Recht und Gesetz«. Was das Recht gegenüber den Gesetzen mehr enthält, ist dabei der Auslegung überlassen und klares Einfallstor für metaphysische, naturrechtliche, nationalistische oder sonstige Einlassungen, die einer positivistischen Rechtsauffassung fremd sind – so auch schon in der Weimarer Republik. »Unter größtmöglicher Ausnutzung der These von der richterlichen Unabhängigkeit betätigten sich die meisten Richter mit ziemlicher Konsequenz als wohlwollende Schirmherren der sogenannten ›vaterländischen Kräfte‹. Schritt für Schritt trugen sie dazu bei, das politische Gleichgewicht zugunsten dieser Kräfte zu verschieben; sie verhalfen ihnen zum verhängnisvollen totalen Sieg über die Teile der Gesellschaft, die, wie es hieß, die Niederlage von 1918 mitverursacht und von ihr profitiert hätten« (Kirchheimer 1965, 318). Auch die nationalsozialistischen Juristen traten folgerichtig für eine Trennung von Recht und Gesetz ein (vgl. Pauer-Studer 2014, 26).

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abhängig sein und keine Begründung durch Naturrecht, Religion oder Monarchie haben sollte, war für viele konservative Staatsrechtslehrer kein tragbarer Zustand. Es war die politische Suche nach festeren Grundlagen des Rechts durch juristische Methoden. So war die Frontstellung gegen den methodischen Positivismus und Abarbeitung an Kelsens Reiner Rechtslehre vor allem auch »eine Kritik an Kelsens klarer Option für die parlamentarische Demokratie [...]. Alles dies mobilisierte philosophisch-idealistische und politisch-konservative Energien gegen Kelsen« (Stolleis 1999, 167). Der Antipositivismus personifizierte mit der Ablehnung Kelsens den Positivismus. Die liberale Weimarer Demokratie war für die Antipositivisten ein Bruch mit dem deutschen Rechtsgeist (Kaufmann 1960 [1921], 374) und die Weimarer Republik und mit ihr die Verfassung lediglich ein Kompromiss zwischen Monarchisten, Sozialdemokraten, Militärs und »protestantisch-preußischen Gutsbesitzer[n]« (Fraenkel 1968 [1932a], 57f.) zur Verhinderung der Räterepublik (vgl. Bracher 1978, 14ff.; Jasper 1963, 18) – also das »kleinere Übel« (Gusy 1991, 266). Dem Zeitgeist entsprechend formulierte Kaufmann: Und nach dem Sturze der Monarchie und in den Strudeln der Revolution, die uns nur die Wahl ließ zwischen einer parlamentarischen Mehrheitsherrschaft und der »Diktatur des Proletariats«, blieb der Parlamentarismus der einzige taktische Boden, auf den wir uns begeben konnten, wenn wir uns nicht, wenigstens vorübergehend, dem Rätesystem nach russischem Vorbilde verschreiben wollten (Kaufmann 1960 [1921], 375).

Die Forderung nach einer festen Grundlage für das Recht hatte also eine starke antiliberale und gegen die repräsentative Demokratie der Republik gerichtete Schlagseite, die mit dem Scheitern der Weimarer Demokratie dann auch erstarkte. Diese politische Ausrichtung ist für die hier vorliegende Arbeit besonders relevant, weil Argumente, die von antipositivistischer Seite gegen den Positivismus vorgebracht wurden, auch als Argumente für die ›wehrhafte Demokratie‹ funktionierten. Der vorgeworfene Wertrelativismus der Weimarer Republik und die daraus gefolgerte Schwäche des parlamentarischen Systems galten im Gründungsjahrzehnt der Bundesrepublik als Negativfolie zur Legitimation eines neuen Demokratieentwurfs, der das Feld des politisch Legitimen rahmt und begrenzt. Die aus den meisten antipositivistischen Theorien heraus resultierenden antiliberalen Argumente waren in diesem Jahrzehnt Argumente für die ›wehrhafte Demokratie‹. Die Vorstellung von der Notwendigkeit einer Wertbegründung des Staates sowie des Rechts und die daraus entstehende Begrenzung und Einhegung des legitimen politischen Feldes prägten die Bundesrepublik. 90

2. Republikschutz und nationalsozialistische Machtübernahme 2.1 Notverordnungen, Republikschutzgesetzgebung und Rechtsprechung 2.1.1 Erste Notverordnungen und erstes Republikschutzgesetz Eine umfassende Darstellung der Republikschutzgesetze sowie -verordnungen und ihren Zusammenhang mit dem politischen Strafrecht wurde bereits an anderer Stelle geleistet (vgl. Gusy 1991; Hueck 1996; Jasper 1963; Schroeder 1970). Hier soll deutlich gemacht werden, dass die anfänglichen Notverordnungen, die gegen nationalistische und monarchistische Gruppierungen und Presse gerichtet waren und politische Morde härter bestrafen sollten, im Laufe der Weimarer Auseinandersetzungen mehr und mehr rechtliche Instrumente gegen kommunistische Gruppierungen boten und sich der angestrebte Republikschutz zu einem allgemeinen Staatsschutz wandelte.14 Die erste Verordnung vom 29. August 1921 (RGBl. I, 1239f.) wurde nach der Ermordung Matthias Erzbergers erlassen. Er war Zentrumspolitiker und wurde am 26. August 1921 durch Mitglieder der nationalistischen Vereinigung Organisation Consul15 erschossen. Die Verordnung war gegen periodische Druckschriften gerichtet, die unter anderem »zu Gewalttaten gegen Vertreter der republikanisch-demokratischen Staatsform« (§1) aufrufen oder anreizen und ermöglichte auch das Verbot von Versammlungen (§4). Sie zielte auf die nationalistische Presse, die die Ermordung Erzbergers – explizit und implizit – bejubelte. Einen Tag später folgte eine zweite Verordnung, die das Uniformtragen auf Versammlungen sanktionierte (vgl. RGBl. 1921 I, 1251). Auch sie zielte auf das rechte Lager, in dem ehemalige Militärs gern ihre Uniformen zu Demonstrationen anzogen. Beide Verordnungen sollten vor allem die Gefahr für die 14 Republikschutz will Staat mit Blick auf die demokratische Republik und ihre Institutionen nicht wie Staatsschutz die schlichte staatlicher Ordnung fixieren (Leggewie und Meier 1995, 323). 15 Die Organisation Consul ging aus einem am Kapp-Putsch 1920 beteiligten Freikorps hervor. Die paramilitärische Organisation bestand zeitweilig aus bis zu 5.000 Personen, war antisemitisch, völkisch und antikommunistisch. Die Organisation war auch für den Mord an Reichsaußenminister Rathenau verantwortlich. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme unterstellte sich die Organisation der Schutzstaffel (SS) (vgl. Sabrow 2010; Selig 2012).

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Republik von monarchistischer und nationalistischer Seite bannen (vgl. Jasper 1963, 59f.; Schroeder 1970, 121f.). Nach dem Mord an Reichsaußenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 ergriff die Legislative erneut die Initiative. Zwei Tage nach dem Mord erging die Verordnung zum »Schutz der Republik« (RGBl. 1922 I, 521).16 Diese Verordnung enthielt einen Schutz gegen die »gesetzeswidrige Beseitigung der repu­ blikanischen Staatsform« (§ 1). Die ersten Republikschutzverordnungen legten auf die republikanische Staatsform ihren Fokus. Diese Ausrichtung verblasste in den folgenden Jahren aber zunehmend.17 Das erste Gesetz zum Schutz der Republik (RepSchG) wurde am 21. Juli 1922 ausgefertigt (RGBl. 1922 I, 585ff.). Es war vor allem gegen politische Morde ausgerichtet (§§ 1–6). Zudem wurde als Sondergerichtsbarkeit der »Strafgerichtshof zum Schutze der Republik« eingerichtet (§12). »Das RepSchG wollte nicht bloß den Schutz dieses Staates, sondern auch einen Schutz einer bestimmten Staatsform: Das Deutsche Reich war nicht nur Staat, sondern auch Republik« (Hueck 1996, 135).18 Allerdings gab es hier Defizite und Einseitigkeiten in der judikativen Auslegung, der Strafverfolgung und der exekutiven Durchsetzungsbereitschaft. Ein Beispiel ist die Anwendung des § 7 Nr. 4 RepSchG. Da der Mord an Rathenau der letzte seiner Art war, wurde in der Rechtsprechungspraxis vor allem jener § 7 Abs. 1 Nr. 4 iVm §§ 128 und 129 16 Am 29. Juni 1922 wurde eine zweite Verordnung zum »Schutz der Republik« erlassen, die den Schutz von Personen des öffentlichen Lebens erweiterte (RGBl. 1922 I, 532). 17 Die Verordnungen auf Reichsebene brachten Kompetenzkonflikte und Durchsetzungsschwierigkeiten insbesondere zwischen dem Reich und Bayern mit sich (vgl. Huber 1984, 258ff.; Schroeder 1970, 120). Die Zuständigkeit wurde daraufhin am 28. September 1921 auf die Landesbehörden übertragen (vgl. RGBl. 1921 I, 1272, §4). Linke Parteien hatten Bedenken, dass diese Verordnungen nun auch gegen sie angewandt werden könnten – je nach Ausrichtung der Regierungskoalitionen. Sie wurde dann auf Antrag von linken und rechten Parteien im Dezember 1921 aufgehoben (ebd., 1664). Der Historiker und Politikwissenschaftler Gotthard Jasper (1963, 46) sieht mit der Verlagerung vom Schutz von »Vertretern der republikanisch-demokratischen Staatsform« auf »Personen des öffentlichen Lebens« durch die September-Verordnung schon die Verschiebung vom Republikschutz hin zum Staats- und Verfassungsschutz, die Rechtswissenschaftler Christoph Gusy erst beim zweiten Republikschutzgesetz von 1930 und den nachfolgenden Verordnungen der Präsidialdiktaturen ansiedelt (vgl. Gusy 1991, 214f.). Strafrechtler Friedrich-Christian Schroeder sieht in Jaspers Bewertung ein einseitiges Abstellen auf den Personenschutz (vgl. Schroeder 1970, 120). 18 An dieser Einschätzung wird deutlich, dass Hueck einen Staat jenseits der Rechtsordnung zumindest logisch für möglich hält.

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StGB wichtig. Er sollte die »verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform« gegen »geheime oder staatsfeindliche Verbindungen« schützen. Die Verbindung zu den §§ 128 und 129 StGB rückte bereits bestehende kriminelle Vereinigungen in den Fokus der Strafverfolgung und traf insbesondere die KPD. »Denn ihre Politik galt seit 1925 durchweg als Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens [...]« (Leggewie und Meier 1995, 187) im Sinne des § 86 StGB. Somit war jede Betätigung für die KPD potentiell durch das RepSchG pönalisierbar. Die Staatsfeindlichkeit der KPD wurde allgemein vorausgesetzt, während sie für Tätigkeiten der NSDAP erst nach Prüfung des Einzelfalles nachgewiesen werden musste (vgl. Gusy 1991, 189).19 Zudem legte die Judikatur den Republikschutz etatistisch aus (vgl. ebd., 170f.; Hueck 1996, 142ff.). Es wurde vor allem die Herabwürdigung des Staates bestraft nicht die Verunglimpfung von Demokratie oder Republik. Geschützte Objekte waren die Reichswehr und die Bürokratie, nicht jedoch das Parlament, die Regierung oder die Grundrechte. Das begünstigte eine härtere Verurteilung kommunistischer Gruppen und ließ gegenüber nationalistischen und nationalsozialistischen Gruppen Milde walten. »Wer sich ›von rechts‹ für ›den Staat‹ einsetzte, unterfiel den dargestellten Auslegungsgrundsätzen der Rechtsprechung nicht in gleicher Weise wie derjenige, der sich von ›links‹ für dessen Absterben bzw. den Internationalismus engagierte« (Gusy 1991, 171). Gusys Argument ist hier, dass in einem Prozess, in dem sich das politische Strafrecht vom Republik- zum Staatsschutz wandelt, diejenigen Gruppierungen, die sich gegen den Staat als solchen wenden, stärker im Fokus stehen als nationalistische oder monarchistische Gruppierungen, die für einen starken und autoritären Staat arbeiten.20 Der Nationalismus der Rechten war für einen großen Teil der Richterschaft ein zu unterstützender Wert (vgl. Kirchheimer 1965, 315), was zu milderen Urteilen »mit lächerlich geringen 19 Leggewie und Meier (vgl. 1995, 187) stellen dies schon für das 1. Repu­ blikschutzgesetz fest, während Gusy (vgl. 1991, 189) erst beim zweiten Republikschutzgesetz davon ausgeht. 20 Dies ist auch mit Blick auf das beamtenrechtliche Treueverhältnis interessant. Durch die einseitige Rechtsprechung war es möglich, dass zwar NSDAP-Mitglieder, nicht jedoch Mitglieder der KPD in den Staatsdienst eintreten konnten. Rechtswissenschaftler Bernhard Schlink (vgl. 1976, 340) legt dar, dass nach herrschender Meinung in der Weimarer Republik die Mitgliedschaft in einer den Strafgesetzen zuwiderlaufenden Vereinigung ein Verstoß gegen die Pflichten der Beamt*innen gewesen sei. Ob allerdings die NSDAP illegal und gewaltsam, also gesetzeswidrig, ihre Ziele verfolge, sei als nicht bewiesen angesehen worden. Dieser Umstand lässt sich wohlwollend formuliert als politische Fehleinschätzung bezeichnen, oder, was hier näher liegt, auf politische Nähe bzw. Sympathie der Justiz zurückführen.

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Strafen« (ebd., 319) führte, wofür die Verurteilung Adolf Hitlers nach dem Münchener Putschversuch 1923 nur das prominenteste Beispiel ist.21 Auch spätere Verfahren gegen die NSDAP wurden »verschleppt oder mit Hinweis auf die kommunistische Gefahr abgesetzt« (Bracher 1978, 175). Ziel der Verurteilungen in der Weimarer Republik war vor allem die KPD. Eine Zusammenfassung der pauschalisierenden Verurteilungen gibt ein damaliges Rechtsgutachten von Moritz Liepmann (1928). Er untersuchte Urteile des Strafgerichtshofs und der Strafsenate des Reichsgerichts sowie einzelne Urteile der Ländergerichte in Bayern, Württemberg und Preußen. Er kommt zu dem Schluss, dass die Gerichte nach einem »eingefahrene[n] Gedankenschema« (ebd., 7f.) urteilen und dass die Praxis des Reichsgerichts zeige, »daß praktisch in der Zugehörigkeit zum Funktionärskörper der KPD allein ein strafwürdiger Tatbestand erblickt [wurde]« (ebd., 10) – auch in den Jahren, in denen die Partei nicht verboten war. Beispielgebend für die stereotypen Verurteilungen ist eine Veröffentlichung des Polizeipräsidiums in Stuttgart aus dem Jahr 1925 zur Rechtsprechung gegen die KPD (vgl. Polizeipräsidium Stuttgart 1925). In der Anlage findet sich eine Sammlung von Urteilen gegen Mitglieder der KPD oder ihrer Jugendorganisation aus den Jahren 1924 und 1925. Viele Urteile beinhalten sinngemäß folgenden Satz: 21 Adolf Hitler erhielt lediglich Festungshaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde für dieses milde Urteil der »Liberalismus« – vulgo: Wertrelativismus oder auch Positivismus – verantwortlich gemacht. Der Jurist Günther Willms schreibt bspw.: »Die liberale Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts hat [...] jede Unterdrückung politischer Gesinnung mit Recht verpönt. [...] Hitler, der sich nicht genug tun konnte, den Liberalismus zu schmähen, war ein Nutznießer dieser liberalen Haltung« (Willms 1962, 4f.). Die fünf Jahre Festungshaft für Hitler mit einer Bewährungsregelung war die mildest mögliche Strafe für Hochverrat. Er war allerdings schon vorbestraft, weshalb eine Bewährung gar nicht zulässig war. Begründet wurde dieses Strafmaß vom Volksgericht München I mit »rein vaterländischem Geiste und dem edelsten selbstlosen Willen« (Volksgericht München I, Beschl. v. 1.4.1924, Anz. Verz. XIX 421/1923, 42). Es sei ihnen um die »Rettung des Vaterlandes« (ebd., 42) gegangen, beklagenswert seien lediglich der »Tod und die Verwundung einer Reihe vaterlandsbegeisterter Männer« (ebd., 43). Zudem war Hitler Österreicher und hätte nach dem RepSchG ausgewiesen werden müssen. Das Gericht aber erkannte an, dass sich Hitler als Deutscher betrachtete (ebd., 44). Es war also mitnichten die liberale Haltung der Richter, politische Gesinnungen nicht unterdrücken zu wollen, sondern vielmehr ihre politische Zuneigung, die sie ein solch mildes Urteil fällen ließ. Sie im Nachhinein zu naiven Liberalen zu machen, ist eine nahezu skandalöse Geschichtsverdrehung, die in der Argumentationsfolge der Rechtfertigung der ›wehrhaften Demokratie‹ gilt (vgl. Willms 1962, 5) ohne konkret zu machen, gegen wen sich eine Demokratie da wehren soll.

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Die Kommunistische Partei Deutschlands verfolgt, wie dem Gerichtshof aus zahlreichen Strafprozessen bekannt und auch durch die Hauptverhandlung bestätigt worden ist, das Ziel, mit allen Mitteln, auch mit den Waffen in der Hand, einen gewaltsamen Umsturz der deutschen Reichsverfassung herbeizuführen und die Arbeiter- und Bauernräteregierung, die Diktatur des Proletariats, zu errichten. (Polizeipräsidium Stuttgart 1925, 78, Anlage 1, auch 4 und 8)22

Eine juristische Begründung inklusive Beweise dafür fehlen zumeist in den Urteilen bzw. erachtete das Gericht dies nicht mehr als notwendig, sondern führte seine Praxis bei neuen Fällen lediglich fort und setzte Gründe als »gerichtskundig« (Polizeipräsidium Stuttgart 1925, 78, Anlage 1) voraus.23 Die »Funktionärskörperlehre«24 des Gerichts brachte es dazu, jegliche Parteihandlung der KPD als republikfeindlich einzustufen, wohingegen es bei anderen Gruppierungen Milde walten ließ. Das Gericht stufte, wenn nicht alle KPD-Mitglieder, so doch zumindest ihre Funktionäre als staatsfeindlich ein, was auf generellen und stereotypen Begründungen aufbaute (vgl. Gusy 1991, 189). »Jede Tätigkeit, die irgendwie die kommunistischen Ziele förderte oder unterstützte, konnte in Betracht kommen. [...] Mit der Generalisierung der Staatsfeindlichkeit hatte das Gericht schließlich jede Tatbestandslimitierung aufgehoben« (Hueck 1996, 197).

22 In dem hier zitierten Fall wurde der Angeklagte Zschocher zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 50 Goldmark verurteilt, da bei ihm Plakate und Druckschriften der KPD und der Jugendorganisation der KPD gefunden wurden. 23 Die pauschalisierende statt am Einzelfall orientierte Praxis des Strafgerichtshofs für Republikschutz und anderer Strafgerichte gegen die KPD wurde schon von zeitgenössischen Beteiligten kritisiert. So begründete beispielsweise Wolfgang Heine (zit. n. Hueck 1996, Anhang C Teil III, 339) seinen Rücktritt als Beisitzer vom Gericht, mit der Einseitigkeit der Verurteilungen: »Sie wissen, wie weit entfernt ich von jeder Sympathie mit den Zielen der Kommunisten bin, in denen ich nicht nur eine Gefahr für das Reich, sondern auch für die sozialistische und demokratische Idee erkenne. Gerade deshalb aber sehe ich mit Besorgnis eine Praxis, die je länger je mehr, darauf hinausläuft, dass bei Kommunisten bestraft wird, was im Deutschen Reiche von anderen Feinden der Republik straflos ausgeübt wird«. 24 Vgl. dazu ausführlicher: Hueck 1996, 196ff. Die KPD als staatsfeindlich einzustufen war insofern problematisch, als dass sie in vielen Landesregierungen oder auf kommunaler Ebene mitregierte. Durch die »Funktionärskörperlehre« konnte das Gericht jedoch mindestens den »Funktionärskörper« der Partei als »staatsgefährdend« einstufen, nicht aber die gesamte Partei.

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2.1.2 Zweites RepSchG und die Notverordnung vom 19. Dezember 1932 Diese Tendenz der Rechtsprechung änderte sich auch nicht mit der Neuauflage des Republikschutzgesetzes 1930 (RGBl. I, 91ff.). Die republikanische Staatsform, die eigentlich zu schützen war, war nur noch ein »Torso« (Gusy 1991, 190); die letzte parlamentarische Mehrheitsregierung war gescheitert, das System der Präsidialkabinette begann mit Heinrich Brüning (Zentrum) (vgl. Bracher 1978, 257ff.; Mommsen 2009, 431ff.). Zwar verschärfte sich die Auslegung der Gerichte nun auch bezüglich rechter Gruppierungen – besonders durch den Tatbestand der Verächtlichmachung der Republik (§ 5 RepSchG II). Allerdings blieben die pauschalen Verurteilungen der Kommunist*innen bestehen. Das zweite Republikschutzgesetz (RepSchG II) trat im Dezember 1932 außer Kraft und wurde durch die »Verordnung zur Erhaltung des inneren Friedens« vom 19. Dezember 1932 (RGBl. I, 548) abgelöst. Diese Notverordnung des Kabinetts Schleicher sollte, so Gusy (vgl. 1991, 212), die politische Lage stabilisieren und ihr Rechnung tragen, indem die drakonischen Strafen, Versammlungsverbote und Möglichkeiten zur Einrichtung von Sondergerichtsbarkeiten aus den vorangegangenen fünf Notverordnungen25 des Präsidialkabinetts von Papen abgemildert bzw. verringert wurden. Vor allem aber regelte die Notverordnung vom 19. Dezember 1932 die Übernahme von Paragraphen des RepSchG II in das StGB. So wurde der Tatbestand des Angriffs auf Regierungsmitglieder oder den Reichspräsidenten (§ 3 RepSchG II) zum § 94 StGB. Dabei war aber nur noch der Angriff auf den Reichspräsidenten strafbar. Absatz 2 des neuen § 94 StGB regelte die Strafe bei Beschimpfung des Reichspräsidenten, was vorher § 5 RepSchG II normierte. Dabei entfiel die Nummer 1 des § 5 aus dem alten RepSchG26, die gerade die »verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform« schützen sollte, gänzlich. »Die 6. NotVO erkannte das Scheitern der Republik praktisch an« (Gusy 1991, 214). Die Republik wurde nun nicht mehr durch Verordnungen oder Gesetze geschützt; der Tatbestand der Verächtlichmachung der Republik war nicht mehr vorhanden, nur noch der 25 Die Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1932 (RGBl. I, 297), die Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitung vom 28. Juni 1932 (RGBl. I, 339), die Verordnung des Reichspräsidenten gegen politischen Terror vom 9. August 1932 (RGBl. I, 403), die Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 9. August 1932 (RGBl. I, 404) und die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung des inneren Friedens vom 2. November 1932 (RGBl I, 517). 26 § 5 RepSchG II Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann, wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung

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Reichspräsident als politische Person stand unter Schutz – nicht das Parlament, nicht die Regierung. Damit besiegelte diese Notverordnung auch den Umschwung von einem Schutz der republikanischen Staatsform, hin zu einem Schutz des Staates, gleich welcher Ausprägung. Denn mit der durch die Notverordnung geregelten Hinzufügung des § 134a27 zum StGB wurden zwar Reich, Länder, deren Verfassungen und Flaggen sowie die Armee, hier schon als »Wehrmacht« bezeichnet, geschützt. Ein Schutz von Institutionen, die zur Republik gehörten, kam allerdings genauso wenig vor, wie die sonst noch in den beiden Republikschutzgesetzen benannte republikanische Staatsform. Vielmehr fand der Staat als solches Schutz (vgl. Schroeder 1970, 148). Geschützt wurden der Reichspräsident und »der Staat« bzw. »die Verfassung«; und zwar unabhängig von ihrer konkreten Form bzw. ihrem Inhalt. Der Schutz des § 134a StGB für »Staat« und »Verfassung« konnte jeder Staat und jede Verfassung auf deutschem Boden für sich beanspruchen. Die Richtigkeit dieser These zeigte sich am deutlichsten daran, daß die 6. NotVO als Dauerrecht in Kraft blieb. Sie überstand Republik und Nationalsozialismus und trat erst im Jahre 1964 außer Kraft. (Gusy 1991, 214)

Für die fehlende Wirkung des Schutzes der republikanischen Staatsform und seine gänzliche Abschaffung war kein Positivismus oder Relativismus verantwortlich, sondern die einseitige Auslegung der Gesetze und Verordnungen (vgl. Bracher 1978, 176f.) durch die Justiz, die mangelhafte Umsetzung der Vorschriften durch die Exekutive – »bürokratische Sabotage« (ebd., 166) – und die Wegebnung für die NSDAP durch die Präsidialkabinette von Papen und Schleicher. Es gab gesetzliche Möglichkeiten, die allerdings bis zum Ende der 1920er Jahre und dann vor allem während der Präsidialkabinette aufgeweicht wurden. Spätestens mit dem RepSchG II war ein Schutz der Republik nicht mehr politisch gewollt, aber auch davor ohnehin nur mangelhaft umgesetzt. Diese Rechtspraxis ist Folge der schon bei der Gründung der Republik angelegten Gegnerschaft gegen die KPD, auf der die repräsentative 1. die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes beschimpft oder böswillig und mit Überlegung verächtlich macht oder dadurch herabwürdigt, daß er den Reichspräsidenten oder ein Mitglied des Reichs- oder einer Landesregierung beschimpft oder verleumdet [...]. 27 § 134a StGB Wer öffentlich das Reich oder eines der Länder, ihre Verfassung, ihre Farben oder Flaggen oder die deutsche Wehrmacht beschimpft oder böswillig und mit Überlegung verächtlich macht, wird mit Gefängnis bestraft.

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Demokratie Weimars errichtet wurde. Die kommunistische Räterepublik sollte durch den Weimarer Kompromiss zwischen Monarchisten, (National-)Konservativen, Sozialdemokraten und Militär verhindert werden (vgl. Bracher 1978, 19; Fraenkel 1968 [1932a], 61). Sie wurde auch zum grundsätzlich bekämpfenswerten Ziel für Judikative und Exekutive, die bestehend aus den monarchistischen und konservativen Eliten (vgl. Bracher 1978, 158ff.; vgl. Dahrendorf 1966, 258f., 274, 417f.) nicht nur antikommunistisch geprägt waren, sondern vor allem auch die legislative, also demokratische Entscheidungsmacht über Politik durch juristische Auslegung (vgl. Bracher 1978, 174; grundsätzlich: Rüthers 2012) – Stichwort: materiale Rechtsstaatskonzeption – und durch exekutive Vollzugsdefizite konterkarieren konnten. Diejenigen, die die Republik schützen sollten, empfanden die liberale Demokratie als eine pragmatische Verhinderung der Räterepublik (vgl. Gusy 1991, 266). So verschob sich der Republikschutz immer mehr auf einen Staatsschutz, der die Linke strukturell mehr im Visier hatte, als die Rechte. Die Staatsfeindlichkeit, die bei kommunistischen Gruppen generell vermutet und verurteilt wurde, musste bei den Nationalsozialisten erst im Einzelnen nachgewiesen werden.

2.2 Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz Neben der unterstellten Wehrlosigkeit der Weimarer Republik, die auf naive Liberalität der Eliten und auf den vermeintlich hegemonialen Rechtspositivismus zurückgeführt wird, war die Behauptung der Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme eine zentrale Überzeugung in den verfassungsgebenden Versammlungen in der entstehenden Bundesrepublik (vgl. V 2). Mit dem nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 soll die Weimarer Reichsverfassung (WRV) zwar nicht de jure aber doch de facto abgeschafft worden sein. Es soll auf legalem Wege entstanden sein, durch Abstimmung im Parlament, das durch Art. 76 WRV dazu befugt war, verfassungsändernde Gesetze mit lediglich qualifizierter Mehrheit zu erlassen.28 Diese Annahme stützt sich auch auf die Kritik am Weimarer Positivismus, der es durch seine Wertneutralität ermöglicht haben soll, dass die NSDAP mit legalen Mitteln an die Macht gekommen ist und die Demokratie damit abgeschafft hat. Kein fundamentaler republikanischer Wert – keine fdGO – wurde von Änderungen ausgenommen. 28 Art. 76 WRV (1) Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch

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Dabei ist, wie ich im Folgenden darstellen werde, die Legalitätsbehauptung Teil nationalsozialistischer Propaganda zur Festigung der Machtübernahme und die Legalität des Ermächtigungsgesetzes anzuzweifeln. Zudem ist der Transformationsprozess von Republik zu Diktatur, zum NS-Regime, nicht beachtet. Dieser Prozess vollzog sich nicht an einem Tag (vgl. Mommsen 2009, 593ff.) oder mit einem Gesetz, sondern wurde mit den Präsidialdiktaturen vorbereitet (vgl. Bracher 1978, 295ff.), setzte sich mit Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz fort, war auch nach diesen Gesetzen noch nicht abgeschlossen und fand ohnehin nicht lediglich auf der juristischen Ebene statt.

2.2.1 Die nationalsozialistische Legende von der ›legalen Revolution‹ Zunächst möchte ich herausstellen, dass die Legende der ›legalen Revolution‹ seinen Ursprung in der nationalsozialistischen Propaganda selbst hatte. Es ist »den Nationalsozialisten gelungen, den Glauben zu erwecken, daß die Machtergreifung nur mit legalen Mitteln angestrebt« (Fraenkel 1968 [1932b], 91) worden sei. 1933 verwendete Triepel diese Bezeichnung in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 2. April zum ersten Mal: Und das Eigentümliche an der Umwälzung des Jahres 1933 ist, daß sie sich in ihrem Hauptstück – von ungesetzlichen oder in ihrer Gesetzlichkeit bestreitbaren Einzeltaten muß und kann dabei abgesehen werden – durchaus im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts vollzogen hat. Sie ist eine legale Revolution. (Triepel 1933, 1, Herv. i. O.)

Der Artikel betont außerdem die Illegalität der Revolution von 1918, und dass nun alles nach »deutschem Rechtsgeist« (Triepel 1933, 2) abgelaufen sei. Dieser argumentative Schachzug war ein Hinweis für all diejenigen, die sich mit dem Weimarer Kompromiss nie wirklich hatten abfinden können und sollte Bürokratie sowie Militär beruhigen.29 »Die Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich. (2) Hat der Reichstag entgegen dem Einspruch des Reichsrats eine Verfassungsänderung beschlossen, so darf der Reichspräsident dieses Gesetz nicht verkünden, wenn der Reichsrat binnen zwei Wochen den Volksentscheid verlangt. 29 Gerade in der Phase der Machtfestigung war die Rede von der ›legalen Revolution‹ das Mittel, um die Ministerialbürokratie in ihrem »exklusiven, kritisch-abwartenden Charakter, durch den die Haltung der Beamtenschaft

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nationalsozialistische ›Revolution‹ gilt als das historisch zwangsläufige Ergebnis der angeblich politisch unhaltbaren Zustände in der Weimarer Republik« (Pauer-Studer 2014, 33). Sie sei eine ›wirkliche‹ deutsche Revolution, die sich an Recht und Gesetz halte, wie es auch schon im Kaiserreich und bei Bismarck der Fall gewesen sei (vgl. Triepel 1933, 2). Expliziter in die gleiche Richtung argumentierte auch Schmitt: Es war von großer praktischer Bedeutung, daß dieser Übergang [vom alten zum neuen Staat durch die Brücke Ermächtigungsgesetz, Anm. d. Verf.] legal erfolgte. Denn, wie unten noch zu erwähnen, ist die Legalität ein Funktionsmodus des staatlichen Beamten- und Behördenapparates und insofern von politischer und juristischer Bedeutung. (Schmitt 1933, 8)

Das Beteuern des legalen politischen Handelns seitens der NSDAP war allerdings auch in den Jahren davor präsent. Hitlers Zeugenaussage und »Legalitätseid« im Ulmer Reichswehrprozess oder die gerichtliche Fehl­ einschätzung der Boxheimer Dokumente (vgl. Bracher 1978, 381f.) sind dabei lediglich die prominentesten Beispiele. Doch der »nationalsozialistischen Legende von der ›legalen Revolution‹ steht die Realität des illegalen Staatsstreichs gegenüber« (Fraenkel 1984 [1941], 26), wie die Entstehung und Inkraftsetzung der Reichstagsbrandverordnung und des Ermächtigungsgesetzes zeigen.30

2.2.2 Die Reichstagsbrandverordnung und der Preußenschlag Die Verordnung des Reichspräsidenten »zum Schutz von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933 (RGBl. I, 83), kurz Reichstagsbrandverordnung, stützte sich auf die zweite Verordnung des Preußenschlags 1932 der Regierung Franz von Papen. Die Nationalsozialisten konnten auf Strategien aufbauen, die schon vor ihrer Machtübernahme eingesetzt wurden. Das Vorgehen der Regierung ermöglichte es den Nationalsozialisten auch für ihren Plan Rechtmäßigkeit einzufordern (vgl. Pauer-Studer 2014, 37). Der Preußenschlag sollte den Dualismus zwischen dem Land Preußen und dem Reich (vgl. Bracher 1978, 491ff.) zugunsten des Reiches auflösen.31 Dieser föderalistische Konflikt kreuzte sich mit einem politischen. schon im Übergang zur Republik gekennzeichnet war« (Bracher 1978, 166), zur Loyalität zu bewegen. 30 Eine chronologische Darstellung der juristischen Machtübernahme findet sich bspw. bei Deiseroth 2008 und Strenge 2002. 31 Dieser Konflikt hatte seine Wurzeln im deutschen Kaiserreich: Der König von Preußen war zugleich deutscher Kaiser und der preußische

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Im Freistaat Preußen regierten fast ausschließlich die Parteien, die den Weimarer Kompromiss getragen hatten: SPD, Zentrum und DDP.32 Preußen war damit eine »Bastion der Weimarer Ordnung« (ebd., 504).33 Der Weimarer Kompromiss verlor in den letzten Jahren der Weimarer Republik mehr und mehr an Zustimmung und litt an strukturellen Konflikten. Der Preußenschlag sollte gegen das »demokratische Bollwerk« Preußen eine »monarchische Restaurationspolitik« (Scheuermann-Peilicke 2002) ermöglichen.34 Der Preußenschlag bestand juristisch gesehen aus zwei Verordnungen35, die die preußische Regierung (zu dieser Zeit nur geschäftsführend und ohne parlamentarische Mehrheit) absetzten und die Geschäfte an den Reichskanzler als Reichskommissar übergaben. Dabei gab es keinen konkreten Anlass, der diesen Ausnahmezustand gerechtfertigt hätte. Vielmehr hatte die Regierung von Papen die zwei vom Reichspräsident Hindenburg blanko unterschriebenen Verordnungen in der Schublade

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Ministerpräsident fast immer Reichskanzler. Preußen umfasste auch in der Weimarer Republik immer noch eine große Mehrheit der Bevölkerung und des Territoriums. Durch die Revolution von 1918 wurde die »Bismarcksche Personalunion« (Bracher 1978, 491) aufgelöst und Preußen wurde zu einem Freistaat, was die Mehrheiten im Reichsrat änderte und keine Sperrminorität des Reiches mehr ermöglichte. Durch die personelle Verbindung und die Größe Preußens konnten aufgrund der Anzahl der Abgeordneten in Bundesrat Entscheidungen blockiert werden. Bracher (1978, 19) argumentiert, dass sich Bürokratie, Militär, monarchistische und konservative Gruppen nur im Augenblick der Revolution der SPD fügten, da ihre »gemäßigte Revolution« ( die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung versprach ohne eine sozialistische Räterepublik zu errichten. Das wiederum »prägte der Revolution jenen konservativen, anpassungsfähigen Zug auf, der auch dem neuen Staat selbst einen zwielichtigen, unfertigen und unentschiedenen Charakter verlieh« (ebd., 19). Gerade im Preußenschlag wird dieses Fügen ohne tatsächliche Unterstützung deutlich. Das antikommunistische Verhindern des geringeren Übels war kein Votum für die SPD und die bürgerliche Demokratie, sondern nur ein taktischer Zug gegen die andere räterepublikanische Option. In diesem Konflikt verbanden sich monarchistische, konservative und nationalsozialistische Akteure, die behände von einer »kommunistischen Infil­ tration der Preußenregierung« (Bracher 1978, 507) sprachen und darin ihr Handeln begründeten. Zum Ablauf der Ereignisse vgl. Bracher 1978, 510ff. Die Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen, vom 20. Juli 1932 (PreußenschlagVO I) und die Verordnung des Reichs­ präsidenten, betreffend der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Groß-Berlin und Provinz Brandenburg, vom 20. Juli 1932 (PreußenschlagVO II) (RGBl. I, 377f.).

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(vgl. Strenge 2002, 54) und wartete, bis sich eine Gelegenheit bot, die preußische Regierung abzusetzen. Nach dem Altonaer Blutsonntag36 am 17. Juli 1932 setzte von Papen das Datum ein und die Regierung wurde abgesetzt. Der § 2 der zweiten Verordnung des Preußenschlags ähnelt § 2 der nationalsozialistischen Reichstagsbrandverordnung: § 2 PreußenschlagVO II 1932 (RGBl. I 377, Herv. d. Verf.)

§ 2 ReichstagsbrandVO 1933 (RGBl. I, 83, Herv. d. Verf.)

[...] Zur Durchführung der zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen wird dem Inhaber der vollziehenden Gewalt die gesamte Schutzpolizei des bezeichneten Gebiets unterstellt.

Werden in einem Lande die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung notwendigen Maßnahmen nicht getroffen, so kann die Reichsregierung insoweit die Befugnisse der obersten Landesbehörde wahrnehmen.

ie notwendigen »Maßnahmen« zur Wiederherstellung der öffentlichen D Sicherheit und Ordnung waren bei beiden Verordnungen die Stichwörter zur Überwindung des Föderalismus. Die preußische Polizei wurde durch die zweite Preußenschlagverordnung an die Reichsregierung gebunden. 1933 wurde durch die Reichstagsbrandverordnung Hermann Göring Reichskommissar für das preußische Innenministerium. Dabei erschien die Reichstagsbrandverordnung durch die kann-Bestimmung sogar milder als die Preußenschlagsverordnung (vgl. Strenge 2002, 56f.). Im Fall »Preußen contra Reich«37 1932 vor dem Staatsgerichtshof wurde der Preußenschlag für rechtmäßig erklärt. Allerdings sollte die 36 Die Stadt Altona gehörte damals zu Preußen. Während eines Marsches von etwa 7.000 SA- und SS-Mitgliedern durch Altona am 17. Juli 1932 kam es zu gewaltsamen Konflikten, bei denen 18 Menschen erschossen wurden. Für die zwei toten SA-Mitglieder wurden vier Kommunisten verantwortlich gemacht und 1933 wegen gemeinschaftlichen Mordes zum Tode verurteilt. Die 16 weiteren Toten wurden von der Polizei erschossen (vgl. Schirmann 1994). 37 Der Prozess fand vom 10. bis 17. Oktober 1932 vor dem Reichsstaatsgerichtshof statt. Antragssteller waren die Länder Preußen, Bayern und Baden, die preußischen Landtagsfraktionen der SPD und des Zentrums sowie die preußischen Staatsminister. Gegnerin war die Reichsregierung. Vertreten wurden beide Seiten durch die vordersten Reihen der deutschen Staatsrechtslehrer. U. a. vertrat Carl Schmitt (vgl. Fn. 7, Kap. IV) die Reichsregierung, Gerhard Anschütz das Land Preußen, Hermann Heller (vgl. Fn. 9,

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preußische Regierung ihre staatsrechtliche Stellung behalten. Dies war ein Kompromiss-Urteil, durch das de facto zwei preußische Regierungen entstanden. Bei der ersten Reichsratssitzung nach dem Preußenschlag und noch vor dem Gerichtsverfahren erkannten die anderen Länder die Kommissariatsregierung Preußen nicht an, woraufhin die Sitze Preußens im Reichsrat leer blieben. Das Urteil führte dann zu einem Stillstand der Arbeit des Reichsrats. Gesetze, die der Zustimmung des Reichsrats bedurften, waren in der Folge nicht verfassungskonform zu Stande gekommen – so auch das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz. Im Unterschied zur zweiten Preußenschlagverordnung, die den militärischen Ausnahmezustand verhängte, verhängte die Reichstagsbrandverordnung den zivilen Ausnahmezustand. Sie sollte der »Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte« (Präambel) dienen.38 Für Fraenkel (1984 [1941], 27) ist die »systematisch geplante mißbräuchliche Durchführung« der Reichstagsbrandverordnung – gerade auch auf Grundlage der Präambel – Nachweis der Illegalität der nationalsozialistischen Machtübernahme. Der in der Präambel festgelegte Zweck »Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte« wurde ein dehnbares Mittel für den Zugriff durch die Partei (vgl. ebd., 39–95). Ein Ausnahmezustand soll durch die Regierung verhängt werden, wenn die rechtsstaatliche Ordnung gestört ist. Er soll solange bestehen bleiben bis die rechtsstaatliche Ordnung wiederhergestellt ist. Das waren aber nicht die Intentionen der NSDAP: Der nationalsozialistische Staatsstreich ist darin zu erblicken, daß die Nationalsozialisten als führende Regierungspartei 1. die Störung der rechtsstaatlichen Ordnung nicht verhindert, sondern verursacht haben; 2. den erschlichenen Belagerungszustand zur Vernichtung der rechtsstaatlichen Ordnung ausgenützt haben; 3. den Belagerungszustand aufrecht erhalten [...]. (ebd., 33f.) Kap. IV) die SPD-Fraktion und Theodor Maunz (vgl. Fn. 86, Kap. V) das Land Bayern. Das Urteil erging am 25. Oktober und teilte die preußische Staatsgewalt. Das Land behielt seine formale Rechtsstellung, während die Kommissariatsregierung die Hauptregierungsgewalt zugesprochen bekam. Ausführlicher zum Prozess: vgl. Bracher 1978, 556ff. 38 1951 wird der Begriff »Staatsgefährdung« wieder unter § 88 1. Strafrechtsänderungsgesetz in das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik eingeführt (vgl. Schroeder 1970, 184). Dort sind Verfassungsgrundsätze im Sinne des Strafrechts festgelegt, die 1952 vom Bundesverfassungsgericht zur fdGO gemacht werden.

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Die Reichstagsbrandverordnung diente der Festigung des NS-Regimes und sie ermöglichte die Ausdehnung der politischen Verfolgung auf alle Bereiche, die der NSDAP notwendig erschienen. Der Historiker Rudolf Morsey (1968, 7) spricht von der Reichstagsbrandverordnung als weitaus »stärkere[r] Zäsur« für den Rechtsstaat als das Ermächtigungsgesetz und ist in dieser Einschätzung einig mit Fraenkel (vgl. 1984 [1941], 26f.).39

2.2.3 Das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« Ebenso wie die Legalität der Reichstagsbrandverordnung so ist auch die des »Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich« vom 24. März 1933 (RGBl. I, 141), kurz Ermächtigungsgesetz, zweifelhaft. Das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz baute mit seinem Namen auf den Ermächtigungsgesetzen des Reichspräsidenten Friedrich Ebert von 1923 auf. Diese dienten der Sicherung der Republik in ihren Anfangsjahren, ermächtigten die Regierung zum Erlass von Gesetzen in festgelegten Teilbereichen und waren auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Das Ermächtigungsgesetz von 1933 hingegen räumte der Regierung sämtliche Gesetzgebungskompetenz ein und war damit eine »Generalvollmacht« (Strenge 2002, 177) für die Exekutive, ohne dass diese Verfassungsänderung extra gekennzeichnet worden wäre.40 Neben den gleich folgenden dargestellten juristischen Argumenten und zeitgeschichtlichen Kontextualisierungen ist dies ein grundsätzliches Argument gegen die Legalität des Ermächtigungsgesetzes. In einem Regierungssystem, dass die Souveränität, also die Gesetzgebungskompetenz, vom Volk vermittelt auf das Parlament überträgt, ist eine Verlagerung der Legislativgewalt auf die Exekutive alles andere als verfassungskonform. Blickt man nun genauer auf das Zustandekommen des Ermächtigungsgesetzes, wird auch hier seine Legalität fragwürdig. Für eine Verfassungsänderung nach Art. 76 WRV mussten zwei Drittel aller Abgeordneten des Reichstags anwesend sein und von diesen mussten wiederum zwei Drittel für die Änderung stimmen. Durch die Notverordnungen im Fe­ bruar 1933 – die Reichstagsbrandverordnung und die »Verordnung zum 39 Die Reichstagsbrandverordnung verstieß außerdem gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. § 5 ermöglichte Todesstrafen für Vergehen, die vor ihrem Inkrafttreten durch das StGB mit Zuchthaus bestraft wurden. Marinus van der Lubbe wurde auf Grundlage dieses Paragraphen und der »Verordnung über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe« vom 29. März 1933 (RGBl. I, 151) zum Tode verurteilt, obwohl die Brandstiftung, die ihm zur Last gelegt wurde, vor Inkrafttreten der Verordnung stattfand. 40 Der Juristentag verlangte schon 1924 für derartige Gesetze – Verfassungsänderungen ohne Verfassungsurkunde – eine explizite Änderung des Verfassungstexts (vgl. Ständige Deputation des Deutschen Juristentages 1925, 68f.).

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Schutz des deutschen Volkes« vom 4. Februar 193341 (RGBl. I, 35f.) – war es den Nationalsozialisten gelungen, 81 KPD- und 25 SPD-Abgeordnete des Reichstags zu verhaften bzw. zur Flucht zu zwingen, um der Haft zu entgehen, oder sie schlicht nicht formal einzuladen (vgl. Deise­ roth 2008, 101). Das veränderte die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der NSDAP und ist allein schon ein Grund, die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens des Ermächtigungsgesetzes in Frage zu stellen. Damit aber insgesamt noch zwei Drittel der Abgeordneten des Reichstags zusammen kamen, wurde die Geschäftsordnung geändert: Alle unentschuldigt Fehlenden wurden als anwesend gezählt. Die Zustimmung der Zentrumsmitglieder war somit für eine Zweidrittelmehrheit unerlässlich. Den Nationalsozialisten gelang dies durch »Gewalt und Täuschung« (Strenge 2002, 179). Der Text des Ermächtigungsgesetzes von 1933 erinnerte an die Ermächtigungsgesetze von 1923, was für Verwirrung, aber auch Beruhigung der Lage sorgte (vgl. ebd., 172ff.), da hier offensichtlich schon einmal Dagewesenes abgestimmt werden sollte. Zudem erschien der Wortlaut so als blieben die wesentlichen Strukturen der Gesetzgebung unangetastet. Ermächtigungsgesetz vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I, 943) § 1 Abs. 1 Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, welche sie auf finanziellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiete für erforderlich und dringend erachtet. Dabei kann von den Grundrechten der Reichsverfassung abgewichen werden.

Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 (RGBl. I, 141) Artikel 1 Reichsgesetze können außer in dem von der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. [...] Artikel 2 Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.

Was die Ermächtigungsgesetze der 1920er Jahre unterschied, war, dass sie für einzelne Teilbereiche der Regierung legislative Kompetenz zuwiesen. Das Ermächtigungsgesetz von 1933 drehte den Spieß um und nahm 41 Die »Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes« (RGBl. I 1933, 35f.) schränkte kurz nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler das Versammlungsrecht (§§1–6) und die Pressefreiheit (§§7–13) ein.

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einzelne Teilbereiche (die Einrichtung des Reichstags und -rats) von der Ermächtigung aus (vgl. Schmitt in: Morsey 1968, 60). Diese Wendung verkannte das Zentrum durch die Täuschung der NSDAP. Es ging Frick [Wilhelm Frick, Reichsinnenminister 1933–1943, Anm. d. Verf.] nämlich keineswegs um die Fortsetzung der Tradition der Ermächtigungsgesetze, sondern um eine umfassende Ermächtigung zum Erlaß von Gesetzen auf welchem Rechtsgebiet auch immer, sogar um den Erlaß von verfassungsändernden Gesetzen. (Strenge 2002, 173)

Die Bedingungen des Zentrums, die die Partei in einer Vorbesprechung am 20. März 1933 verlangte, sollten schriftlich bestätigt werden (vgl. ebd., 179ff.). Das Zentrum verlangte, dass die neue Regierung schriftlich versichere, dass durch die Ermächtigung keine Reichsreform oder Verfassungsänderung geschehe, sondern dafür der von der WRV vorgesehene Weg der Gesetzgebung eingehalten und Einzelgesetze in einem Ausschuss beraten würden. Der Föderalismus sollte unangetastet bleiben und der Reichspräsident den Gesetzen weiterhin zustimmen müssen (vgl. Morsey 1968, 27ff.). Die schriftliche Bestätigung wurde dem Zentrum von der NSDAP zugesichert; sie gab es aber nie (vgl. ebd., 27, Fn. 1). Noch kurz vor der Abstimmung in der Krolloper, so wurde dem Zentrum versichert, soll ein Bote mit dem Schreiben unterwegs gewesen sein (vgl. Strenge 2002, 181). Mit Hitlers Regierungserklärung vor der Abstimmung gab sich das Zentrum aber auch schon zufrieden (vgl. Kaas in: Morsey 1968, 50) und so stimmte es zu und die in der Oper postierte SA, deren Anwesenheit Drohung genug war und wodurch die Abstimmung gegen Art. 21 WRV42 verstieß (vgl. Deiseroth 2008, 101), musste nicht einmal eingesetzt werden. Eine solche Abstimmung entsprach nicht den Kriterien der Gesetzgebung der Weimarer Verfassung und kann nicht als legal bezeichnet werden. Der Art. 76 WRV war ein Bekenntnis zu einer im demokratisch-parlamentarischen Prozess entscheidenden Mehrheit. Gusy (vgl. 1991, 29f.) argumentiert, dass mit der Beschränkung der Auseinandersetzung um Verfassung und Staatsform auf die parlamentarische Weise eine ganz und gar nicht neutrale Haltung gegenüber der Demokratie der WRV anzulasten sei. Vielmehr war die Möglichkeit zur Verfassungsänderung an die Einhaltung der Verfassung gebunden und eine Absage an bewaffnete politische Auseinandersetzungen. Die Abstimmung über das nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz entspricht diesen Kriterien mitnichten. Weiterhin war die Zustimmung des Reichsrats durch die unklare Besetzung und dem daraus folgenden Stillstand seiner Arbeit seit dem 42 Art 21 WRV Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.

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Preußenschlag und dem Urteil des Reichsstaatsgerichtshofs vom 25. Oktober 1932 fehlerhaft. Eine formaljuristische Auffassung könnte zwar eine fehlende Klage gegen das Ermächtigungsgesetz vor dem Reichsgericht beanstanden, die dessen Illegalität verbürgt hätte. Dieses Argument verschließt jedoch erstens die Augen davor, dass es mitnichten im Sinne der WRV sein konnte eine demokratische Abstimmung unter Täuschung, Gewaltandrohung und nur mit einem Teil der Abgeordneten abzustimmen. Und zweitens unterschlägt es die Urteilspraxis der Gerichte und ihre politische Rolle. Haben sie [die Gerichte, Anm. d. Verf.] früher die von ihnen usurpierte Befugnis, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze nachzuprüfen, nur gelegentlich ausgeübt, so besitzen sie jetzt jeder Notverordnung gegenüber das Recht, die Einhaltung der durch Art. 48 gezogenen Grenzen zu kontrollieren. Erst die Nichtausübung dieses Vetorechts gewährleistet das ungestörte Funktionieren des Notverordnungssystems gegenüber nachgeordneten Behörden und Bürgern. Die Gerichte haben die Notverordnungspraxis stets gedeckt und sanktioniert, und die Zurückhaltung, die sie durch das Abstellen auf den Einzelfall übten, entsprang dem Bestreben, die ihnen gewordene Machtfülle nicht durch eine Präjudizierung aus der Hand zu geben, sondern sich damit die stete Beteiligung an der Staatsmacht zu erhalten. (Kirchheimer 1967, 22f.)

Auch Fraenkel (vgl. 1984 [1941], 29) betont diese Zurückhaltung der Gerichte. Ihnen sei es nie gelungen ihre Zuständigkeit bei der Erklärung des Ausnahmezustands – und so auch die Überprüfung der Notverordnungen – durchzusetzen. Dabei ist nicht nur von Zurückhaltung, sondern auch von »Opposition« (Fraenkel 1968 [1927], 24) der juristischen Eliten gegenüber der Republik zu sprechen. Eine Klage hätte wenig Aussichten auf Erfolg gehabt.

2.3 Zusammenfassung Das Narrativ der Wertungebundenheit und Wehrlosigkeit der Weimarer Republik verdeckt die politischen Entwicklungen und Kräfteverhältnisse der Republik. Die »legale Revolution« (Triepel 1933, 1) war Teil nationalsozialistischer Propaganda zur Festigung des NS-Regimes, keine Realität. Weimar war wehrhaft, wenn man eine solche Formulierung überhaupt bemühen möchte. Es gab Mechanismen zur Verteidigung der Republik, die aber von einer antiliberalen Tradition der Eliten in Justiz und Bürokratie einseitig ausgelegt und angewendet wurden – auch mit Hilfe einer antipositivistischen, materialen Rechtsstaatskonzeption, die gegen das geschriebene Gesetz der Legislative andere Maßstäbe setzte. 107

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Die Notverordnungspraxis der Präsidialdiktaturen und die Rechtsprechung haben den Weg für die NSDAP geebnet. Das Scheitern der Weimarer Republik kann nicht auf die »Legalitätstaktik der Extremisten« (Jesse 2010, 48), gegen die die Republik auf Grund ihres vermeintlichen Wertrelativismus hilflos gewesen sei, zurückgeführt werden. Stattdessen ist die innerstaatliche »Aushöhlung« (Fraenkel 1968 [1931], 53) durch die politische Elite in Anschlag zu bringen. Die stetige Untergrabung der parlamentarischen Legislativgewalt durch die Präsidialdiktaturen, die erstarkende antipositivistische Suche nach dem »absolute Wertvorstellungen setzenden Staat« (Bracher 1978, 169) in der Jurist*innenschaft (vgl. Fraenkel 1968 [1927], 10ff.) sowie die politische und soziologische Ausrichtung der Beamten*innenschaft (vgl. Dahrendorf 1966, 254ff.; Fraenkel 1968 [1927], 8) darf nicht übersehen werden. Die Etablierung des NS-Regimes passierte nicht lediglich durch das Ermächtigungsgesetz und war auch 1933 nicht abgeschlossen. Der mehrjährige Prozess der Transformation von liberaler Demokratie zur nationalsozialistischen Diktatur kann nicht nur geschichtswissenschaftliches Forschungsobjekt sein (vgl. Mommsen 2009, 593ff.), sondern gehört auch zu einer politikwissenschaftlichen Analyse. Im Folgenden werde ich die Verstärkung der antipositivistischen, gegen formale Rechtsstaatlichkeit gerichteten, Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus fokussieren. Damit soll deutlich werden, dass die Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus im Narrativ der ›wehrhaften Demokratie‹ nicht nur nicht stimmt, sondern die Forderung nach Wertgebundenheit aus einer materialen Rechtsstaatskonzeption stammt, die auch im Nationalsozialismus aufgehen konnte. Dessen Rechtslehre ging gegen die liberale Theorie und den demokratischen Prozess der Repu­blik in Frontstellung. Sie wollte eine Substantialisierung des Staates – auch wenn sich die NS-Juristen nicht einig waren, wie genau diese Substanz aussehen sollte. Gemeinsamer ›Feind‹ war die liberale Republik und der vermeintlich hegemoniale Rechtspositivismus.

3. Substantialisierung und Entrationalisierung im Nationalsozialismus Zur nationalsozialistischen Machtübernahme gehörte die Diskreditierung des liberalen Weimarer Rechtssystems. Hier konnten diejenigen ansetzen, die sich schon während der Weimarer Republik gegen den Positivismus stark gemacht hatten. Der NS ist »in Hinsicht dominanter Entwicklungslinien des Illiberalismus ein Höhepunkt« (Ridder 2009c, 386) und keine plötzliche Wendung in der deutschen Geschichte. 108

SUBSTANTIALISIERUNG UND ENTRATIONALISIERUNG IM NS

Doch die nationalsozialistische Machtübernahme stand vor einem Dilemma (vgl. auch Pauer-Studer 2014, 36f.): Es mussten einerseits Justiz, Bürokratie und Wirtschaft beruhigt und gewonnen, andererseits aber auch eine substantielle Änderung der bestehenden Ordnung behauptet werden. Schließlich soll eine Revolution geschehen sein, also ein Umsturz. Die Unterstützung oder mindestens Duldung der nationalsozialistischen Machtübernahme durch die Personen in den Staatsapparaten muss hierfür gesichert sein. Dies ermöglichte zum einen die Behauptung der Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme, die eine ›wirklich‹ dem deutschen Volk entsprechende – also legitime – Ordnung wiederherstelle, und zum anderen die Diskreditierung der republikanischen Ordnung und der Revolution von 1918. Die Nationalsozialisten konnten – auch über die Brücke substanzhaften, antipositivistischen Rechtsdenkens – den ohnehin fragilen Weimarer Kompromiss aufkündigen.43 Ein Beispiel dafür ist der oben schon zitierte Artikel von Triepel (vgl. IV 2.2.1). Er schrieb: »Es läßt sich geradezu behaupten, daß es germanischem Rechtssinn entspricht, wenn die Deutschen ihre Staatsumwälzungen in legaler Form bewirken« (Triepel 1933, 1f.). Mit antipositivistischer Rechtsauffassung und Diffamierung der bürgerlichen Demokratie Weimars als eine aus dem »Auslande« (ebd., 2) importierte, gelang es, die Republik als den eigentlichen Rechtsbruch darzustellen. Die nationalsozialistische Machtübernahme wurde so zur Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung. Ulrich Scheuner44 fasste es wie folgt zusammen: Die Führung der revolutionären Volksbewegung gelangte zur Ergreifung der Macht auf dem verfassungsmäßigen Wege, gerufen durch den Präsidenten des Reiches. An der Spitze der revolutionären Kräfte stand die Reichsregierung, die ihre außerordentliche Macht in einer legalen Form beschlossenen Ermächtigung verdankt [...]. (Scheuner 1934, 166)

Mit der »nationalen Revolution« (Scheuner 1934) sei der »vierzehnjährige[...] beispiellose[...] Leidensweg[...]« (Forsthoff 1934, 28) des 43 Zur Legitimationsfunktion der nationalsozialistischen Rechtsstaatsbegriffe (vgl. Hilger 2003, 225ff.). 44 Ulrich Scheuner trat 1937 in die NSDAP ein. Von 1933 bis 1940 war er Professor in Jena, von 1941 bis 1944 lehrte er an der »Reichsuniversität« in Straßburg. 1950 wurde er an die Universität Bonn berufen und lehrte dort bis 1972. Ebenso war er Berater der Bundesregierung in kirchenrechtlichen Angelegenheiten (Landau 2005). Scheuner (1950, 318) vertrat die Ansicht, dass Demokratie sich »nicht in relativistischer Weise beliebige politische Inhalte zu eigen machen [kann], sondern [...] auf festen Anschauungen und Werten« beruhe, die ein Verfassungsschutz auch vor einem »äußerlich legalen Staatsstreich« zu verteidige habe.

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deutschen Volks zu Ende und eine neue Staatlichkeit gegen die »Form der liberalistischen, formalen und relativistischen Demokratie« (Scheuner 1934, 184) könne errichtet werden. Doch zu einer Revolution gehört die Änderung der vorhergehenden Rechtsordnung. Das ermöglichte die antipositivistische Rechtsauffassung, ohne dass das komplette Gesetzeswerk der Weimarer Republik geändert werden musste. Sie wurde zur Voraussetzung für eine neue Verfassung und der »angebliche Wertagnostizismus des Positivismus zur Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik« (Pauer-Studer 2014, 31). Der Antipositivismus stabilisierte die nationalsozialistische Macht­ übernahme. Für eine Neugestaltung des deutschen Verfassungswesens müsse sich zwischen zwei Alternativen entschieden werden: »Anerkennung substanzhafter Inhalte und Kräfte des deutschen Volkes oder Beibehaltung und Weiterführung der funktionalistischen Wertneutralität mit der Fiktion gleicher Chance für unterschiedslos alle Inhalte, Ziele und Strömungen« (Schmitt 1980 [1932], 97). Die Ablehnung der »funktionalistischen Wertneutralität« (ebd.) bildete den Ausgangspunkt für die Umdeutung von Verfassung und Gesetzen. Es war nicht notwendig, die WRV und die Gesetze der Weimarer Republik ganz abzuschaffen. Vielmehr war die Aufgabe, die Gesetze so auszulegen, dass sie sich der nationalsozialistischen Ideologie fügten. Hier konnten die Nationalsozialisten auf die »Interpretationskunst der Rechtsanwender« (Rüthers 2012, 99) vertrauen: Wenn Formalität einmal delegitimiert ist, können so ziemlich alle Inhalte in Gesetze gepresst werden. Die Juristen und Staatsrechtslehrer, die schon vor 1933 die Grundlagen der Republik anzweifelten, machten sich ans Werk einer neuen Auslegung. Das Einfallstor zur Uminterpretation bildeten vorhandene oder neu hinzugefügte Generalklauseln. Für die Rechtsprechung war schon vor der Machtübernahme eine »situationsbedingte Wandelbarkeit des Begriffsinhalts« (ebd., 217) bei unbestimmten Rechtsbegriffen gegeben (vgl. ebd., 216f.). Nun kamen zu Generalklauseln wie den »guten Sitten« oder »Treu und Glauben« noch das »gesunde Volksempfinden« oder die »nationalsozialistische Volksanschauung« hinzu, die durch ihre »Elastizität« (ebd., 232) gänzlich andere Auslegungen und Rechtsfolgen ermöglichten, ohne die Gesetze zu ändern. Die Diskreditierung des Rechtspositivismus war dazu die argumentative Grundlage, die sich auch in der heutigen Rechtfertigung der ›wehrhaften Demokratie‹ wiederfindet (vgl. Flümann 2015, 94; Gerlach 2012, 52; Jesse 2011, 83; kritisch dazu: Pauer-Studer 2014, 28f.). In seiner Monographie »Legalität und Legitimität« schrieb Schmitt, es sei die Illusion entstanden, man könne allen denkbaren, auch den radikals­ ten und revolutionärsten Bestrebungen, Zielen und Bewegungen einen legalen Weg und ein legales Verfahren eröffnen, auf dem sie ihr Ziel ohne 110

SUBSTANTIALISIERUNG UND ENTRATIONALISIERUNG IM NS

Gewalt und Umsturz erreichen könnten, ein Verfahren, das gleichzeitig ordnungsstiftend und doch völlig »wertneutral« funktioniere. (Schmitt 1980 [1932], 14)

Schmitt (ebd., 14) stellte hier den »Zusammenbruch des Legalitätssystems« Weimars fest. Es sei in einem »gegenstands- und beziehungslosen Formalismus und Funktionalismus« (Schmitt 1980 [1932], 14) geendet. Ernst Forsthoff45 pflichtete ihm bei: Wer den Staat hat, gibt die Gesetze, und, was nicht weniger wichtig ist, er legt sie aus. Er bestimmt darüber, was legal ist. Da nun die Rechtssetzung wie der Staat überhaupt formalisiert ist und keine wesensmäßige Beziehung mehr hat zu materialen Prinzipien des Rechtes und der Gerechtigkeit oder zu unerschütterlichen Ordnungen, kann auch die Rechtsetzung in den Dienst jedes beliebigen politischen Zweckes treten. (Forsthoff 1934, 30)

Wenn Wertgebundenheit heute als ein Element der ›wehrhaften Demokratie‹ der Weimarer Republik entgegengesetzt wird, wiederholt sich ­exakt diese Argumentation. Aus der Ablehnung eines vermeintlich inhaltsleeren ›Formalismus‹ ergibt sich die Behauptung einer wertgebundenen Ordnung. Der positiven Rechtsordnung und der liberalen Demokratie wurde ein nationalsozialistischer Staat mit völkischen Werten entgegengesetzt. Dabei waren sich die NS-Juristen aber nicht einig, wie genau sie den neuen Staat charakterisieren wollten, ob es ein »[a]utoritärer Staat, nationaler Rechtsstaat oder völkischer Führerstaat« (Walz 2014 [1933], 293) oder »totale[r] völkische[r] Staat« (Huber 2014 [1934], 292) sein sollte. Eines jedoch war klar: Im Gegensatz zur Weimarer Republik sollte der neue nationalsozialistische Staat eine Substanz haben. Der deutsche Staat wurde in Weimar zum »Raub«-gut (Forsthoff 1934, 31) des 45 Ernst Forsthoff promovierte 1925 bei Carl Schmitt (vgl. Fn. 7, Kap. IV) und wurde nach seiner Habilitation 1933 als Nachfolger von Hermann Heller (vgl. Fn. 9, Kap. IV) an die Universität Frankfurt gerufen (vgl. Ruppert 2008, 192; Rüthers 2008, 67ff.). Er lehrte außerdem in Hamburg, wo er den Lehrstuhl von Kurt Perels übernahm, und im damaligen Königsberg (vgl. Rüthers 2008, 69). Forsthoff kritisierte Otto Koellreutters (vgl. Fn. 10, Kap. IV) Versuche der Charakterisierung eines »nationalen Rechtsstaats« (I. Müller 1987, 79). 1937 wurde er Mitglied der NSDAP (vgl. Klee 2011, 159). 1942 erhielt er kurzzeitig ein »Rede- und Berufsverbot«, 1943 aber wieder einen Lehrstuhl in Heidelberg (vgl. Rüthers 2008, 70). Nach 1945 wurde er von der amerikanischen Militärregierung entlassen, kehrte jedoch 1952 wieder zurück und lehrte in Frankfurt, später wurde er Professor in Heidelberg (vgl. Assall 2007, 44; Klee 2011, 159; I. Müller 1987, 238).

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

gesellschaftlichen Pluralismus. Er musste also wieder zurückgeholt werden. Einer positiven Rechtsordnung, die sich im allgemeinen Parteienstreit verliere, sollte ein vorrechtlicher Inhalt entgegensetzt werden. Ein »wirklicher Staat« (ebd., 23), der eine Substanz hat, »die er nicht schafft, sondern voraussetzt, aus der er seine Kraft bezieht, die seine Formen und sein Leben füllt« (ebd.). Diese Substanz ist, wie jede metaphysische Grundlegung, je nach Machtverhältnissen auslegbar. Koellreutter (2014 [1933], 263) beschreibt den nationalsozialistischen Staat bspw. so: »Die Grundlage jedes Staates ist sein völkisches Sein. Diese politische Seinsgrundlage des Staates liegt in Raum und Volk beschlossen. Aus dem Volksgeist entwickelt sich der Volkswille, durch den sich politisch ein Volk im Staate zur Nation formt«. Auch Forsthoff (1934, 33) sieht eine »vorpolitisch[e]« »Volksordnung«, anhand derer sich eine Herrschaftsordnung im nationalsozialistischen Staat gestalten muss. Trotz des »Diktat[s] von Ver­ sailles« und der Bedrohung durch das »internationale Judentum« werde einem »nüchtern[em] und heroisch[em]« »Geschlecht« der »Staat des 20. Jahrhunderts« gehören (ebd., 51). In welchen rassistischen, völkischen und antisemitischen Beschreibungen sich die Charakterisierung des Staates auch verliert, mit einer positivistischen Rechtsordnung haben sie nichts mehr gemein, sondern sind ihr Gegenpol. Das zeigt auch der Streit der nationalsozialistischen Juristenzunft über den Begriff des Rechtsstaats. Zunächst war der Begriff ein Instrument in einem »taktische[n] Gefecht« (Stolleis 1999, 332) wie schon die Legalitätsbehauptung der nationalsozialistischen Machtübernahme. Mit den Monaten der Festigung des Regimes warfen sich die nationalsozialistischen Juristen dann gegenseitig Liberalismus und Denken in bürgerlichen Kategorien vor.46 Auch wenn sie sich nicht einigen konnten: Gerade die Formalität des Rechtsstaates, der mit klaren Regeln ›den Führer‹ beschränken könnte, war Gegenstand der Ablehnung. Die formale Rationalität des Rechts wird im Nationalsozialismus zerstört und an ihre Stelle wird ein Konglomerat aus materialer Gerechtigkeit, Moral und ›Volksgemeinschaft‹ gesetzt, das es ermöglicht, »die herrschenden politischen Anschauungen auch dort durchzusetzen, wo das positive Recht ihnen widerspricht« (F. Neumann 1984 [1942], 517). Recht ist dann nicht mehr allgemein, sondern »technisches Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele« (ebd., 518). Das zeigte sich auch in der Gesetzgebung. Die »prinzipiell unformale Struktur der NS-›Gesetze‹, ihre ungewöhnliche Kürze, mangelnde technische Präzision und inhaltliche Unbestimmtheit [machte] jede Gesetzesbindung der Justiz zur Farce« (Maus 1986, 44). Übrig bleibt als ›rechtsstaatliches‹ Kontrollinstrument lediglich die persönliche Eignung des Führers (vgl. Pauer-Studer 46 Vgl. zu diesen Auseinandersetzungen: Stolleis 1999, 330–338.

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SUBSTANTIALISIERUNG UND ENTRATIONALISIERUNG IM NS

2014, 42). Von Merkatz (vgl. 1935, 5)47, der bei Koell­reutter promovierte, sah bspw. Verantwortung und Vertrauen sowie die Eigenschaften des Führers als Garanten für einen Dienst für die politische Einheit des Volkes. Nicht nur streng genommen kann von Recht hier nicht mehr gesprochen werden. Das, was es ausmacht, ist vom Nationalsozialismus getilgt und von den NS-Juristen argumentativ untergraben worden. Die Sub­ stantialisierung des Staates diente der Außerkraftsetzung der Rationalität und Formalität des bürgerlichen Rechts. »In dieser stillschweigenden Zerstörung des normativen Charakters des Rechts und seiner Angleichung an jeweils situative faktische Interessenlagen besteht die eigentliche Funktion der Substantialisierung des Formalrechts im ›nationalsozialistischen Rechtsstaat‹« (Maus 1986, 44). Der Nationalsozialismus löste den Widerspruch bürgerlichen Rechts zwischen Allgemeinem und Konkretem zum Konkreten auf. Er zerstörte die Rationalität des Rechts. Gleichbehandlung der Menschen trotz Verschiedenheit galt nicht mehr. Es ist die »je situative ›Einzelfallgerechtigkeit‹ [, die] exakt den alltäglichen Funktionsbedingungen der NS-Justiz« (Maus 2006, 80) entspricht. Je mehr Recht material aufgeladen wird, desto weniger ist es Hindernis für direkte Gewalt.48 Koellreuters Absage an formale Gleichheit von 47 Vgl. Fn. 26, Kap. V. 48 Obwohl selbst ein verbindlicher materialer Wert für den NS schon zu viel Hemmung war. »Eine Verfassung im politischen und staatsrechtlichen Sinne muß immer von den in einem Volke lebendigen Staats- und Rechtsideen beherrscht sein« (Koellreutter 2014 [1938], 304). Doch was nun die jeweils »im Volk lebendigen Staats- und Rechtsideen« (ebd.) sind, das kann je nach politischer Lage geändert werden. Die Bestrebungen nationalkonservativer Staatsrechtslehrer wie Otto Koellreutter, die zwar mit Freude den Nationalsozialismus begrüßten und unterstützten, erlahmten durch dessen grundsätzliche Rechtsfeindlichkeit. Auch die Idee eines nationalen oder nationalsozialistischen Rechtsstaates konnte nicht auf Dauer Fuß fassen. Diese Idee war der Versuch, Nationalsozialismus und Rechtsstaat irgend zu vereinen. Doch schon die dazu unternommenen theoretischen Beschreibungen verdeutlichen, dass hier zwei Widersprüche vereint werden sollten, die nicht vereinbar sind: »Rechtsidee wie Rechtsgestaltung dienen beide nur der Sicherung des völkischen Lebens. Die Idee der völkischen Gerechtigkeit erwächst aus dem Rechtsgefühl des Volkes. Und dieses Rechtsgefühl findet wieder eine feste Stütze in dem Gefühl der Rechtssicherheit, das die positive Rechtsordnung mit ihrer normativen Gestaltung dem einzelnen Volksgenossen gewährt. Er fühlt sich in ihr geborgen, weil sie die gefestigte Ordnung des völkischen Lebens sichert. [...] Letzte und oberste Rechtsquelle im nationalsozialistischen Rechtsstaat ist vielmehr die nationalsozialistische Rechts­ idee, die im Rechtsgefühl des Volkes ihren Ausdruck findet« (Koellreutter 2014 [1938], 347). Die feste Sicherheit soll hiernach die positive Rechtsordnung sein, die aus dem Rechtsgefühl des Volkes erwächst. Das ist aber nicht

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

1938 zeigte den Kern nationalsozialistischen Rechtsverständnisses: »Es ist klar, daß dieser Grundsatz der formalen Gleichheit nach der nationalsozialistischen Auffassung durch den der organischen Ungleichheit ersetzt werden muß, der nicht ›jedem das Gleiche‹, sondern ›jedem das Seine‹ zubilligt« (Koellreutter 2014 [1938], 236f.). Kern der nationalsozialistischen Rechtsidee ist die »absolute Leugnung der Allgemeinheit des Gesetzes« (F. Neumann 1984 [1942], 523) und die Behauptung der »Ungleichheit aller Menschen« (Fraenkel 1984 [1941], 142f.). Substantialisierung und Entrationalisierung von Recht und Staat sind Teil nationalsozialistischer Ideologie und Praxis. Die antipositivistische Ablehnung des vermeintlichen Wertrelativismus Weimars und die Frontstellung gegen den liberalen – und in der politischen Konsequenz eben demokratischen – Rechtspositivismus waren Teil dieser Ideologie. Im Folgenden werde ich zeigen, dass in Konzeption und Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹ ebenjene Elemente antipositivistischen Denkens aufgenommen und wiederum gegen die Weimarer Republik in Stellung gebracht werden. Sie dienen der Rechtfertigung eines Demokratieschutzes, obwohl mit ihnen gerade das demokratische System der Weimarer Republik delegitimiert wurde.

4. Erste Konzeptionen einer »militant democracy« Die Idee eines Schutzes des demokratischen Systems entstand während der Zeit des Nationalsozialismus und wurde vor allem im Exil artikuliert (vgl. Ullrich 2009, 49ff.).49 Am prominentesten sind die Aufsätze von Karl Mannheim (1952) und Karl Loewenstein (1937a, 1937b). Mannheim forderte eine »streitbare Demokratie«, die »sich von der relativistischen Laissez-faire-Gesellschaft der vergangenen Epoche« (Mannheim 1952, 19) unterscheidet, um vor »totalitären Systemen« (ebd., 11) zu schützen. Statt einer »gleichgültigen Haltung« (ebd., 18) brauche die Demokratie »grundlegende moralische Werte«, die mit neuen »Techniken des Regierens« (ebd., 24) gekoppelt sein müssen, um vor den modernisierten »Techniken der Revolution« (ebd.) zu bestehen, aber auch um »die Gesellschaft in die richtige Bahn lenken« (ebd., 14) zu können.50 mit positiv gesetzter Ordnung und klaren Regeln, die Rechtssicherheit schaffen, vergleichbar. Geborgenheit und Gefühl sollen Rechtssicherheit geben. 49 Allerdings haben auch ehemalige NS-Juristen schon früh in der Bundesrepublik Thesen zur Notwendigkeit eines Demokratieschutzes vertreten (vgl. Koellreutter 1953, 36f.). 50 Foucaults (vgl. 2006, 260ff.) Theorie der Gouvernementalität und seine Analyse des deutschen Ordoliberalismus sind ein aufschlussreicher Blick auf Mannheims Aufsatz. Mannheim will eine Begrenzung des liberalen »laissez faire«. In der Massengesellschaft müsse die Gesellschaft durch

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ERSTE KONZEPTIONEN EINER »MILITANT DEMOCRACY«

Loewensteins (1937a, 417ff.) Konzept der »militant democracy« entstand explizit als Sicherungsmechanismus gegen und in Auseinandersetzung mit dem Faschismus – also nicht als antitotalitäres Konzept. Vielmehr war ihm der Antikommunismus als Teilaspekt im Faschismus bewusst (vgl. Loewenstein 1937a, 419, 421).51 Angesichts der faschistischen Bewegungen in mehreren Ländern forderte Loewenstein eine demokratische Militanz, die den »exaggerated formalism of the rule of law« (ebd., 424) ablegt. Auch er macht einen »self-destroying legalism« (ebd., 427) sowie ein »lack of militancy« (ebd., 426) der Weimarer Republik für die Machtübernahme des Nationalsozialismus verantwortlich und setzt dagegen eine »antifascist legislation« (Loewenstein 1937b, 644ff.). Wenn die Demokratie an ihre »absolute values« wirklich glaube, dann müsse sie das Gebot der Stunde erkennen und gegen den Faschismus vorgehen, auch wenn dadurch ihre fundamentalen Prinzipen verletzt würden (vgl. Loewenstein 1937a, 432): »let us not shy from the word [...] ›authoritarian‹, democracy« (Loewenstein 1937b, 657). Mannheims und Loewensteins Ansätze unterscheiden sich sowohl in ihrer Abwehrrichtung, als auch in den für Demokratien grundlegend benannten Werten. Dennoch bauen beide Konzepte auf einer Sozialtechniken gesteuert werden, es brauche »Planung für die Freiheit« (Mannheim 1952, 16). Mit Foucault lässt sich dies als Gegenentwurf zum US-amerikanischen Neoliberalismus verstehen. Das »deutsche Modell« sei eine Sicherung des »Überlebens« (Foucault 2006, 232) des Kapitalismus durch Rechts- und Sozialstaat (vgl. ebd., 236). Dabei bleibt der NS bei Mannheim, gegen den die geforderte »streitbare Demokratie« (Mannheim 1952, 19) eingerichtet werden soll, seltsam unbestimmt: »Wir haben erst jetzt gelernt, was es bedeutet, wenn sie [Freiheit und Demokratie, Anm. d. Verf.] verschwinden« (Mannheim 1952, 24). 51 Er benennt außerdem die Funktionalität der faschistischen Bewegungen für die bestehenden kapitalistischen Ordnungen, zeigt aber gleichzeitig auf ihre Gefahr für »private capitalisms«: »Another common assumption is that private capitalism, threatened by the socialist tide an the attendant loss of privileges, builds up fascism as a protective wall of counter-revolution. Beyond doubt, this theory is justified empirically by events in Germany, Italiy, ­Austria, and recently Spain. But it would be an undue belief in the self-stultufication of the capitalist class to assume that it should not have fully realized the ultimate fate of private capitalism under fascist domination in a totalitarian régime. Private capitalism cannot have failed to understand that at least in Italy and Germany it has fallen from the frying pan into the fire [...]« (Loewenstein 1937a, 422). Als Schutz gegen die kommunistische Gefahr war die nationalsozialistische Bewegung den monarchistischen, nationalistischen und besitzenden Eliten in der Weimarer Republik willkommen, wurde gar gefördert. Loewenstein beschreibt hier treffend ihre Selbstüberschätzung, als sie davon ausgingen, die nationalsozialistische Bewegung kontrollieren zu können.

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

antipositivistischen Rechtsidee und einer Demokratie von oben.52 Die ›wehrhafte Demokratie‹ beruht auf der grundsätzlich dem Rechtspositivismus entgegengesetzten Auffassung, in der es eine vorstaatliche Basis gibt, die der pluralistischen Auseinandersetzung als auch der legislativen Änderung entzogen ist und mit autoritären Mitteln verteidigt werden muss. Diese können gegen eine fortschreitende soziale Demokratisierung aber auch gegen die Restauration politischer Herrschaft, sprich faschistische Verteidigung des sozialen Status quo, eingesetzt werden. Zugleich – und das ist Mannheim wie Loewenstein bewusst – ist ›wehrhafte Demokratie‹ eben eine Begrenzung von Demokratisierung mit autoritären Zügen. Die Grenzen zu autoritären Regimen sind damit fließend. Die Definitions- und Entscheidungsmacht über die grundlegenden Werte und den Mitteleinsatz zu ihrer Verteidigung ist bei beiden Konzepten offen und damit je nach Kräfteverhältnissen verschieden einsetzbar. Dass mit dem Sieg der Alliierten über das Dritte Reich kein absoluter Bruch, also keine »Stunde Null« einsetzte, ist mittlerweile bekannt. Weniger deutlich ist in der rechts- und politikwissenschaftlichen Debatte, wie genau die Kontinuitäten in der Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ wirkten. Paradoxerweise weist gerade das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ Kontinuitäten des antipositivistischen Rechtsstaatsverständnisses auf – also derjenigen (rechts-)theoretischen Richtung, die das Scheitern der Weimarer Republik herbeisehnte als auch die nationalsozialistische Machtübernahme legitimierte und stabilisierte.

5. Zwischenfazit: Kontinuität materialer Rechtsstaatskonzeption Die inhaltliche Kontinuität antipositivistischer Staatsrechtslehre in der Bundesrepublik stützte sich auf eine personelle. Diejenigen, die schon die Weimarer Republik aufgrund ihres Liberalismus und Formalismus abgelehnt und auch den Nationalsozialismus als lang erwartete Rettung des »deutsche[n] Sinn[s] für Ordnung« (Schmitt 1933, 8) mit »Rauschartigkeit« (Ridder 1969, 222) begrüßt hatten, waren nach 1945 wieder zugegen, um der Demokratie der Bundesrepublik eine Substanz zu geben.53 52 Loewenstein ändert seine Ansichten dazu in seinen späteren Werken (vgl. Stoffregen 2007). 53 Allerdings war auch in den Diskussionen unter den Emigrant*innen eine Meinung von der Weimarer Republik sehr präsent, die »dem nationalsozialistischen Zerrbild gar nicht so unähnlich war« (Ullrich 2009, 51). So waren sich Nationalsozialist*innen und vor dem NS Geflohene oft gleichermaßen in der Ablehnung der ›schwächlichen‹ Republik (vgl. ebd., 51f.) und im antipositivistischen Rechtsdenken einig.

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ZWISCHENFAZIT: KONTINUITÄT MATERIALER RECHTSSTAATSKONZEPTIONEN

Die »juristischen Interpretationseliten der Diktatur [wurden] zu denen der Demokratie« (Perels 1999, 71). Für die wissenschaftliche Debatte in den verschiedenen Disziplinen ist dabei das »Fehlen einer umfassenden Analyse, die Konsequenzen aus den personellen Kontinuitäten für die Ausbildung eines bürgerlich-restaurativen Rechtsbegriffs und einer ihm entsprechenden Rechtspraxis« (ebd.) zieht, zu konstatieren. Die Aufarbeitung rechtlicher Bedingungen des NS-Regimes kann nicht nur in der Rechtswissenschaft verbleiben, sondern muss ebenso in der Politikwissenschaft geschehen (vgl. Maus 2006) – gerade wenn daraus Konsequenzen für einen präventiven Demokratieschutz gezogen werden. Die Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus hält sich als »zählebige Nachkriegslegende« (Maus 1986, 43f.; ähnlich: Rüthers 2012, 491). Beispielsweise stellt Niclauß (1998, 207) die »vorherrschende Staatsrechtslehre« der Weimarer Republik, gemeint ist der Rechtspositivismus, in Verbindung zum nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetz (ebd., 208) als Ursache für das Scheitern der Republik dar. Flümann (2015, 94) benennt als Ursache für die ineffektive Durchsetzung von Partei- und Vereinsverboten den »in der Rechtswissenschaft dominierenden Rechtspositivismus, der einer Wertrelativität der Weimarer Verfassung das Wort« geredet habe. Oder es sei die »Hilflosigkeit der relativistisch geprägten Demokratie Weimarer Typs« (Jesse 2011, 84) gewesen, die zum »antiextremistisch ausgerichteten Grundgesetz« (ebd.) geführt habe. Noch weiter geht Schiffers (1984, XXII), wenn er mit einem Zitat von Karl Larenz54 belegt, dass der Rechtspositivismus gar im Nationalsozialismus herrschende Rechtslehre gewesen sei. Larenz behauptete, dass man sich in der juristischen Methodenlehre vom Rechtspositivismus aufgrund der Erfahrung »mit dem praktischen ›Positivismus‹ einer sich an nichts gebunden haltenden Diktatur« (Larenz 1960, 122) abwendete. Diese Auffassung, mit der sich NS-Juristen selbst als gesetzestreue und deshalb Naive entlasten konnten, wurde auch schon im Verfassungsgebungsprozess vorgebracht. Exemplarisch sei hier August-Martin Euler55 (LDP) zitiert: Und wenn Strafrichter und auch Zivilrichter sich im Dritten Reich in gleicher Weise schuldig gemacht haben, so haben sie es aus einem Teil aus falsch verstandener Gehorsamspflicht gegenüber dem abstrakten Gesetz getan, aus positivistischem Rechtsdenken, aus dem Grundsatze 54 Karl Larenz bekam 1933 einen Lehrstuhl an der Universität Kiel (vgl. I. Müller 1987, 77). Die »Kieler Rechtsschule« sollte nationalsozialistisches Denken verbreiten und voranbringen (vgl. Canaris 2010, 270f.) 1949 lehrte Larenz wieder in Kiel bis er 1960 an die Universität München gerufen wurde. Er publizierte nach 1945 zur juristischen Methodenlehre (vgl. Larenz 1960). 55 Vgl. Fn. 4, Kap. V.

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

heraus: Gesetz ist Gesetz, und danach muß ich handeln. Und danach haben sie dann nationalsozialistisches Recht gesprochen. (Euler, Sitzung v. 1.10.1946, Berding 1996, 991)

Wäre die juristische Elite tatsächlich Anhängerin des Rechtspositivismus gewesen, »wäre vielen Menschen großes Leid erspart geblieben« (Preuß 2009, 26). Es ist schlicht falsch, NS-Juristen als Positivisten zu kennzeichnen, das Gegenteil war der Fall. Dennoch ist diese »Nachkriegslegende« (Maus 1986, 43f.; ähnlich: Rüthers 2012, 491) Ausgangspunkt für die material-rechtliche Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ in der Bundesrepublik und mit ihr der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹. Als Abgrenzung zur Weimarer Republik und ihrer vermeintlichen Wertneutralität ist die fdGO als unabänderlicher Wertekanon gesetzt und definiert worden. Die Auslegung des Grundgesetzes und der Rechtsprechung haben mit dem Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ ein substantialisiertes Element, eine »Super-Legalität« (Preuß 1973, 17) geschaffen, die dem pluralistischen Meinungsstreit entzogen wird. Hier wird eine objektive Wertordnung dem demokratischen Prozess entgegengehalten – dem Prozess, dem unterstellt wird, dass er sich aufgrund seiner Formalität und Wertungebundenheit selbst abschaffe, wenn er keine Grenzen bekomme. Die Legislative kann von der Judikative überprüft werden, ob sie den super-legalen Rahmen auch einhält. Wenn die Justiz unformale Rechtsbegriffe gegen den einfachen Gesetzgeber ausspielt, untergräbt sie – wie die Justizentwicklung im Übergang von der Weimarer Republik zum NS-System offenbart – in scheinbarer Kompetenzerweiterung in dem Maße ihre Selbstständigkeit, wie sie sich von der Bindung an das (Verfassungs-)Gesetz emanzipiert. [...] Die Handhabung der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« in der Überprüfungspraxis administrativer Instanzen [...] ist dafür ein Beispiel. (Maus 1986, 65)

Die historische Rechtfertigung dafür ist ein »Zerrbild« (Maus 1976, 58) des Gesetzespositivismus der Weimarer Republik. Die Skepsis gilt – neben außerparlamentarischen Akteur*innen – der Legislative als regelsetzendes (Repräsentativ-)Organ und Ort politischer Auseinandersetzung (vgl. Maus 1986, 17). Das Grundgesetz sei durch Art. 79 Abs. 3 GG »vor einer demokratiefeindlichen Legislative« (Bötticher und Lange 2011, 283) geschützt. Im Gegensatz zum Art. 76 WRV stehe Art. 79 Abs. 3 GG, der einer um sich greifenden und potentiell verfassungsgefährdenden Legislative Schranken setze. Als Vorbild dient hier das vermeintlich legal zustande gekommene nationalsozialistische Ermächtigungsgesetz (und zudem eine Skepsis gegenüber dem demokratischen Parteienstreit). 118

ZWISCHENFAZIT: KONTINUITÄT MATERIALER RECHTSSTAATSKONZEPTIONEN

Der positivistische Grundsatz, dass alles änderbar sei und nichts dem gesetzten Recht vorausgehe, soll damit die »scheinlegale« (Fromme 1999, 193) Machtübernahme ermöglicht haben. Die ›wehrhafte Demokratie‹ schütze sich folglich vor »legalistisch orientierten extremistischen Gruppierungen« (Flümann 2015, 104). Fromme (1999, 191) macht in seiner Analyse des Verfassungsgebungsprozesses Schmitt zum »geistigen Ahnherren des Grundgesetzes«, wenn auch »paradoxer Weise« und stärkt damit jene Position, die sich gegen die Weimarer Republik aussprach und von Beginn an rechtswissenschaftlich untergrub. So führte »Carl Schmitt schon 1933 den Zusammenbruch der Weimarer Demokratie [...] auf den Wertrelativismus sowohl des Weimarer Staates wie der ihm zugeordneten rechtspositivistischen Theorie, auf die »bis zum Selbstmord gehende Neutralität zurück« (Maus 1976, 58). Damit steht Schmitt aber nicht allein da. Wie oben beispielhaft mit den Texten von Forsthoff, Koellreutter und Scheuner (vgl. Forsthoff 1934; Koellreutter 2014 [1933]; Scheuner 1934) dargestellt, war für die antipositivistische und nationalsozialistische Juristenschaft der Weimarer Liberalismus Beispiel für einen sich selbst ruinierenden Staat. »Allerseits bleibt unbegriffen, daß die demokratische Legalität die Legitimität der Demokratie ausmacht, daß Demokratie- und Rechtszerstörung also koinzidieren und nicht gestaffelte oder gar konträre Vorgänge sind« (Ridder 2009c, 360). Die Leugnung der Allgemeinheit des Gesetzes des NS zerstörte auch das demokratische System der Weimarer Republik. Ob Schmitt nun Vater des Grundgesetzes ist oder nicht, steht in dieser Arbeit nicht im Fokus. Dazu gibt es in der wissenschaftlichen Debatte unterschiedliche Sichtweisen.56 Prinzipiell – und dafür steht Carl 56 Preuß (vgl. 1993, 131f.) bspw. sieht Schmitt lediglich für die Art. 18 und 21 GG als Paten. Artikel 79 Abs. 3 GG sei weniger eine Substantialisierung der Verfassung als eine Norm demokratischer Reflexivität. Ähnlich argumentiert auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth (1975, 14): Gerade Art. 79 Abs. 3 GG sei eine Konsequenz aus »dem Schicksal der Aushöhlung des Verfassungsrechts durch verfassungsfremde innere Einstellung und verfassungsfeindliches Verhalten starker sozialer und politischer Kräfte, durch verfassungsfremden, wenn nicht verfassungsfeindlichen Gebrauch der öffentlichen Gewalt seitens der Exekutive und durch nicht verfassungsadäquate, von traditionalen Vorurteilen bestimmte Auslegung des Verfassungsrechts durch einen erheblichen Teil der Staatsrechtswissenschaft und der Gerichte bewahren wollte, dem einst die Weimarer Reichsverfassung erlegen« gewesen sei. Der herrschenden Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG als Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers, also der Legislative, stimmt Abendroths Meinung nicht überein. Der Schutz vor einer ausufernden Exekutive ist im Prozess der Stabilisierung der ›wehrhaften Demokratie‹ nachrangig geworden bzw. taucht im Diskurs und auch in der Praxis kaum noch auf.

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HISTORISCHE GRUNDLAGEN: DAS SCHEITERN VON WEIMAR

Schmitt nur exemplarisch – verkörpert die ›wehrhafte Demokratie‹ die Abneigung gegen rationales Recht ohne Letztbegründung und gegen den freien und gleichen demokratischen Prozess, die in der materialen Rechtsstaatskonzeption ihre Tradition hat. Dem demokratischen Prozess setzt die ›wehrhafte Demokratie‹ zur Begrenzung überpositive Werte entgegen, wie schon die antipositivistische Staatslehre der Weimarer Republik. Vertreter des Naturrechts bekämpften den rechtswissenschaftlichen Positivismus als Hauptschuldigen, wobei meist verdrängt wurde, daß man sich dabei mit veränderten politischen Vorzeichen von neuem der Argumente bediente, mit denen auch der Nationalsozialismus den Positivismus bekämpft hatte. Ebenso bewegte man sich methodisch in Bahnen, die nach 1933 beschritten worden waren: Man propagierte eine neue politische Wertordnung und empfahl deren Umsetzung durch die »Einbruchstellen« der Generalklauseln. (Stolleis 1994, 13f.)

Sicherlich waren die »politischen Vorzeichen« (ebd., 13) andere, doch ist nicht zu vergessen, dass hier teilweise dieselben Personen die Akteur*innen waren und sich selbst entlasteten. Im Ergebnis haben wir »Demokratierettung durch Demokratieverkürzung« (Ridder 2009c, 360) bzw. eine eingeschränkte Idee von Demokratie, die Recht nicht als »ein gesellschaftliches Emanat von Formalisierung (mit dem natürlich auch Politik sich selbst binden kann) [vorstellt], sondern Recht und Politik begegnen sich, als ob sie zwei disparaten Quellen entstammten« (ebd., 358). Rechtsstaat bleibt in der ›wehrhaften Demokratie‹ getreu der deutschen Denktradition (vgl. Maus 1986, 13ff.) Begrenzung des demokratischen Prozesses. Der gleichen formalen Rechtsstaatskonzeption, die der Nationalsozialismus so gründlich zerstört hatte, wurde nun von Vertretern »substantieller« Rechtsstaatstheorien das Versagen gegenüber der faschistischen Depravierung des Rechts angekreidet und so die Kontinuität materialer Rechtsstaatsdoktrin vor und nach 1945 zugleich legitimiert und verschleiert. (ebd., 45)

Materiale Rechtsstaatskonzeption wird zum Schutz der Demokratie selbst, obwohl diese Konzeption gerade am Untergang der Weimarer Republik beteiligt war.

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V Phasen der Implementierung Im folgenden Kapitel werde ich die Genese der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ darstellen. Karl Loewenstein und Karl Mannheim – beide emigrierten 1933 aufgrund des Nationalsozialismus – entwarfen die ersten Konzepte für einen Schutz der Demokratie (vgl. IV 4). Eine militante Verteidigung demokratischer Werte sollte angesichts faschistischer Bewegungen vor einer Untergrabung der Demokratie bewahren. Die fdGO soll genau eine solche Bündelung demokratischer Prinzipien sein, die es vor den ›Feinden‹ der Demokratie zu schützen gelte. Anfangs noch kein feststehender Begriff wurde sie in den 1950er Jahren schrittweise in Verfassungs- und Gesetzgebungsprozessen sowie abschließend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Parteiverboten definiert. Nach einer zeitgeschichtlichen Kontextualisierung (1) stelle ich die Diskussionen in den Verfassungsgebungsprozessen der westlichen Besatzungszonen dar. Für die Länderverfassungsdebatten habe ich Hessen als Beispiel ausgewählt, da hier kurz nach der Verfassungsgebung auch ein Strafrecht beschlossen wurde, das dem Schutz der Demokratie dienen sollte. Im Folgenden blicke ich auf den Entwurf des Herrenchiemseer Konvents und die Diskussionen im Parlamentarischen Rat (2). Dort greife ich Artikel heraus, die eine Definition der fdGO vermuten lassen. Im Anschluss geht der Referentenentwurf zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1950/51 (BVerfGG) in die Analyse ein (3). Das Gesetz normiert die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Entwurf beinhaltete zunächst eine Legaldefinition der fdGO. Fast parallel zum Gesetzgebungsprozess des BVerfGG begannen die Diskussionen um ein Strafrechtsänderungsgesetz (4), das die Lücken im StGB füllen sollte, die nach dem Ende des Nationalsozialismus durch die Streichungen von nationalsozialistischem Recht entstanden waren. Hier fand die einzige legislative Diskussion um die fdGO statt, bei der man auch auf die Diskussionen im Parlamentarischen Rat und die Überlegungen aus dem Referentenentwurf zum BVerfGG zurückgriff. Im darauffolgenden Schritt wird eine Analyse der Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorgenommen (5). Eine Partei kann nach Art. 21 Abs. 2 GG verboten werden, wenn sie darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. In einem Parteiverbotsverfahren muss die fdGO begrifflich festgelegt sein und als Prüfungsmaßstab funktionieren. Im Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 definierte das BVerfG die bis heute zitierte fdGO-Formel, im Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1956 konkretisierte es die Stellung von Parteien 121

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

im Grundgesetz und das Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹. Seit diesen Verboten hat es bis 2017 kein weiteres gegeben. Im Januar 2017 verkündete das BVerfG sein Urteil zum Antrag des Bundesrats auf ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Dieses Urteil fließt als Ausblick auf die heutige Rechtsprechung zur fdGO in die Analyse ein. Abschließend werfe ich einen Blick auf die ersten Kommentare zum Grundgesetz und ihre Auseinandersetzung mit den Art. 18 und 21 GG, in denen die fdGO als Begriff vorkommt (6). Dazu gebe ich auch einen Überblick über die aktuelle Kommentarliteratur.

1. Antikommunismus und Antitotalitarismus Der beginnende Ost-West-Konflikt prägte die Verfassungs- und Gesetzgebung entscheidend. In den Jahren 1945 bis 1947, also noch vor dem Herrenchiemseer Konvent und den Versammlungen des Parlamentarischen Rats, war das politische Klima links geprägt. Die erste strafrechtliche Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher*innen und derer, die dem Nationalsozialismus schon in der Weimarer Republik zur Macht verholfen hatten – die Spruchkammerverfahren –, wiesen rechten und konservativen Akteur*innen ihre Mitschuld am Nationalsozialismus nach (Ullrich 2009, 156f.). Dieser »Wind von links« (ebd. 159) in der sich noch herausbildenden Bundesrepublik drehte sich mit dem beginnenden Kalten Krieg und den sich verschiebenden weltpolitischen Bündnissen. Die Truman-Doktrin vom 12. März 1947 kündigte die Anti-Hitler-Koalition auf und verlegte die Frontlinie endgültig zwischen Ost und West. Auch der noch zu gründende westdeutsche Staat war darin enthalten. Die alte NS-Funktionselite erhielt durch einen »personalpolitischen Pragmatismus« (Rigoll 2013, 41) neue Chancen mit der Begründung, dass, wenn nahezu alle als belastet gelten, es kein Personal gebe, das den neu zu gründenden Staat ausfüllen könnte (vgl. zu den Zahlen Frei 1996, 70f.). Diese personalpolitische Weichenstellung bedurfte der Rechtfertigung. Sie fand sie im Antikommunismus, der in Deutschland Tradition hatte (vgl. IV 2.1), Teil der nationalsozialistischen Ideologie gewesen war und sich mit der weltpolitischen Lage verbinden konnte (vgl. Mitscherlich und Mitscherlich 1977, 42). Der »Antikommunismus [bot] die Möglichkeit [...], die jüngste Vergangenheit zu begraben, restaurative Tendenzen zu begründen und tagesaktuell kritische Oppositionsstimmen zu delegitimieren« (Korte 2009, 52). Die DDR und die bundesrepublikanische KPD wurden durch projektive Abgrenzung zu einheitsstiftenden Größen. »Gefährlich schien die KPD [...], weil sie insbesondere bis 1956 die spezifische Form der demokratischen und der nationalen Legitimität der Bundesrepublik Deutschland bestritt« (Brünneck 1978, 337). 122

ANTIKOMMUNISMUS UND ANTITOTALITARISMUS

Die an der Sowjetunion orientierte KPD stellte die an westlichen Systemen orientierte parlamentarische Demokratie und nationale Integrität der Bundesrepublik in Frage und »traf [damit] das Selbstverständnis aller übrigen am Aufbau der Bundesrepublik beteiligten Kräfte in seinem Kern« (ebd., 341). Die Kontinuität des antikommunistischen Ressentiments verband sich durch den Antitotalitarismus mit einer Verdrängung des Nationalsozia­ lismus. Der Antitotalitarismus ermöglichte das Lippenbekenntnis zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, ohne sich dabei konkret mit diesem und dem Zweiten Weltkrieg zu beschäftigen. Exemplarisch stehen dafür Begriffe wie »12 Jahre Diktatur« (Katz, KombA, Sitzung v. 24.9.1948, 174), »Abgrund der Unfreiheit und des Terrors« (Dehler, BT-Plenarprot. 1/83, 3105) und »früher« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48), die den Nationalsozialismus zwar meinen, aber nicht thematisieren, wie er funktionierte, wer teilhatte und was eigentlich ›in den letzten zwölf Jahren‹ geschehen war. Der Antitotalitarismus verschob den Fokus von der jüngsten deutschen Vergangenheit auf den neu entstehenden deutschen Nachbarstaat, die DDR. Die Totalitarismustheorie »typisiert unter Abstraktion von den zugrundeliegenden Gesellschaftsverhältnissen politische Herrschaftsformen« (Böhme 1977, 69).1 Erste rechts-, politik- und geschichtswissenschaftliche Forschungen zur Funktionsweise des NS (vgl. Fraenkel 1984 [1941]; F. Neumann 1984 [1942]) oder zur Shoah (vgl. Kogon 1974 [1946]; Poliakov und Wulf 1955) sind im politischen Diskurs um die ›wehrhafte Demokratie‹ nicht präsent. Es gelang durch die politische Verwendung des Totalitarismuskonzepts, den Verweis auf den Nationalsozialismus oberflächlich bleiben zu lassen und den Antikommunismus der alten NS-Funktionselite zu integrieren. In das zur blassen Allgemeinheit gedehnte Bild vom »Totalitarismus« lassen sich scheinbar zwanglos einander so sehr entgegengesetzte Systeme wie das des Nationalsozialismus und das des gegenwärtigen deutschen Nachbarstaates einpassen. Die stille Aufforderung ist dabei: Wer 1 Zunächst kam ›Totalitarismus‹ als politischer Begriff zur Bezeichnung des italienischen Faschismus auf. In den 1930er Jahren entwickelte er sich zunehmend zum Vergleichsbegriff verschiedener Herrschaftssysteme. Im Kalten Krieg und nach dem Zusammenbruch der UdSSR erfuhr er jeweils eine »Renaissance« (Rieger 2010, 1105; Wippermann 1997, 111); die wissenschaftliche Konjunktur läuft deutlich parallel zur politischen Verwendung als »Kampfbegriff« (Rieger 2010, 1105). Es gibt unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze (bspw. Arendt 1986; Friedrich und Brzezinski 1999). Kritisiert wird vor allem die Gleichsetzung gänzlich unterschiedlicher politischer Systeme und die dadurch entstehende Ungenauigkeit sowie Relativierung des Nationalsozialismus (vgl. Rieger 2010, 1105).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

an unserer nationalsozialistischen Vergangenheit etwas zu mäkeln findet, hat heute allem voran der gegenwärtigen Form der Diktatur auf deutschem Boden zu begegnen; er soll sich einreihen in jene gesellschaftliche Einheitsfront der Abwehr, die heute von den Verbänden der Wirtschaft bis zu den Gewerkschaften, von der HIAG, dem Kameradschaftsbund der alten SS-Kämpfer, bis zu den Kirchen reicht. (Hofmann 1969, 132f., Herv. i. O.)

Damit konnte unter dem Antitotalitarismus der Antikommunismus weiter bestehen und zu einer einheitsstiftenden Ideologie in der frühen Bundesrepublik werden, die eine Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit ermöglichte und die Integration der alten NS-Funktionselite erleichterte.

2. Verfassungsgebungsprozess Generell bestand über die Notwendigkeit eines Demokratieschutzes in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Einigkeit. In der heutigen Darstellung werden dabei allerdings die politischen Differenzen innerhalb dieses Konsenses verdeckt (vgl. Ullrich 2009, 165). Sie zeigten sich in der Frage danach, vor wem der noch zu definierende Kernbestand der Demokratie beschützt werden solle. Diese Differenzen ergaben sich aus unterschiedlichen Deutungen des Scheiterns der Weimarer Repu­ blik und den verschiedenen Erfahrungshintergründen der Akteur*innen (vgl. Abendroth 1975, 37f.; Ullrich 2009, 93ff.). In der heutigen wissenschaftlichen Darstellung werden die Differenzen oft vorschnell unter einer verallgemeinerten Erzählung subsumiert, die ich bereits zum hegemonialen Konsens der ›wehrhaften Demokratie‹ zähle. Zum Beispiel schreibt der Politikwissenschaftler Karlheinz Niclauß (1998, 202) in seinem Standardwerk zum Verfassungsgebungsprozess in Westdeutschland, dass sich die Notwendigkeit einer ›wehrhaften Demokratie‹ aus den Erfahrungen »antidemokratischer Bewegungen« in der Weimarer Republik ergeben habe, die »demokratische[...] Rechte und Freiheiten zum Kampf gegen die Demokratie« genutzt haben sollen. Diese Deutung war im Verfassungsgebungsprozess noch umkämpft und steht in der konservativen Tradition der deutschen Staatsrechtslehre, die vor einem ›Zuviel‹ an Freiheit warnt (vgl. IV 1.1, 3). Die Verortung der Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik fielen durchaus verschieden aus (vgl. Ullrich 2009, 93ff.) und deshalb unterschieden sich auch die Konzeptionen eines Demokratieschutzes (vgl. Scherb 1987, 254ff.). In den Jahren von 1945 bis 1947 lag die Deutungshoheit bei Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Emigrant*innen. Konservativen und rechten Kreisen sowie 124

VERFASSUNGSGEBUNGSPROZESS

Großgrundbesitz und -unternehmertum wurde ihre Mitschuld am Nationalsozialismus angelastet (vgl. Ullrich 2009, 156f.). Die alte NS-Funktionselite war 1946 vom Verfassungsgebungsprozess in den Ländern weitestgehend ausgeschlossen (vgl. Abendroth 1975, 22f.). Die »subversiv agierenden Sympathisanten [der Nazis, Anm. d. Verf.] in Exekutive und Judikative« (Rigoll 2013, 42) waren noch im Bewusstsein der Akteur*innen. Viele der Abgeordneten der zu bildenden Bundesländer hatten entweder Verfolgungserfahrungen oder waren in Widerstandsgruppen aktiv gewesen. Die Mehrheit der Abgesandten des Herrenchiemseer Konvents 1948 hingegen entstammte der juristischen Zunft2, die unterstellten Mängel der Weimarer Reichsverfassung stellten folglich eine gute Entlastung ihrer eigenen Verantwortung dar (vgl. Abendroth 1975, 37f.). Bei einem als fehlerhaft beanstandeten Verfassungswerk kann nach dieser Logik juristische Gesetzestreue bedeuten, politische Verantwortung von sich zu weisen. Zugleich wird Gesetzestreue zu einem Manko, das sich an der Rechtsordnung nicht inhärenten Maßstäben messen lassen muss. Dies ist wiederum eine Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus, die den historischen Tatsachen nicht entspricht (vgl. IV 5). Der Fokus auf die Mängel der Weimarer Reichsverfassung (WRV) war damit auch eine Möglichkeit, die verfassungspolitischen Entwicklungen von 1945 bis 1947 wieder zurückzudrängen (vgl. Abendroth 1975, 37f.); sie legten andere Schlussfolgerungen in Bezug auf den Demokratieschutz nahe. Mit der Veränderung der weltpolitischen Lage, die sich auch auf die Entnazifizierungspolitik (vgl. dazu generell Frei 1996) auswirkte, wurde der sich bildende westdeutsche Teilstaat »Verbündeter gegen den Kommunismus« (Ullrich 2009, 159). Nach 1947 verstärkte sich »eine Neigung zum Verdrängen und zur Entschuldigung selbst hochgradig belasteter Förderer und Nutznießer des ›Dritten Reiches‹« (ebd., 163). Die antifaschistische Motivation zum Demokratieschutz wurde deshalb nur umso stärker. Diese Diskursverschiebungen mussten bei den Linksparteien und den alten Weimarern große Besorgnis erregen und die Angst befördern, die zweite Demokratie könne den Weg der ersten gehen. Umso wichtiger erschien es, politische Sicherungen gegen ein erneutes Abgleiten der Demokratie in die Diktatur einzubauen, also die richtigen »Lehren aus Weimar« zu ziehen. (ebd., 163f.) 2 Die Reproduktion der juristischen und bürokratischen deutschen Elite sowie ihrer antidemokratischen und autoritären Tradition hat Ralf Dahrendorf (vgl. 1966) aufgezeigt. Doch gab es auch im Herrenchiemseer Konvent Personen mit Verfolgungserfahrungen wie bspw. Hermann Louis Brill (vgl. V 4.3), genauso wie NS-Belastete wie Theodor Maunz (vgl. Fn. 86, Kap. V).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Neben den sozialdemokratischen und kommunistischen Deutungen des Weimarer Scheiterns in einem »intellektuellen Klima[, das] stark von den überzeugten Gegnern des Nationalsozialismus geprägt« (ebd., 157) war, gab es liberale und konservative Deutungen. Geschichtspolitisch rangen alle Positionen um »historisch-moralische Legitimität im Prozess des demokratischen Wiederaufbaus« (ebd., 93) und waren bemüht, die Schuldfrage von sich zu weisen. Das liberale Deutungsmuster betont die undemokratische Einstellung der Deutschen, das konservative die Modernisierung und Vermassung der Gesellschaft im Industriezeitalter (ebd., 101). In der konservativen Deutung ist nach Ullrich zudem die totale Diktatur eine Folge des sich uneingeschränkt entwickeln könnenden Mehrheitswillens, der keinen »geschützten Bereich des Rechts, des Geistes oder der Religion mehr zulasse« (ebd.). Die Tradition einer materialen Konzeption des Rechtsstaats als Begrenzung für Demokratisierung ist in dieser Deutung offensichtlich (vgl. IV 1.1, 3). Die Notwendigkeit zur Begrenzung politisch-prozessualer Rechte in der ›wehrhaften Demokratie‹ folgt daraus. Die vermeintliche Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme (vgl. IV 2) dient als legitimierendes Beispiel und lässt so auch die antifaschistische Deutung integrieren – schließlich gehe es ja darum, dass sich der Nationalsozialismus nicht wiederholen könne. Vor diesem Hintergrund richte ich im Folgenden den Blick auf die Länderverfassungsdebatten, den Herrenchiemseer Konvent und den Parlamentarischen Rat.

2.1 Die hessische Landesverfassung In mehreren Landesverfassungen sind Regelungen zum Demokratieschutz integriert. In Baden, Württemberg-Baden und Hessen wurden Möglichkeiten zur Verwirkung der Grundrechte benannt, wie sie später Art. 18 GG normiert. In Baden und Rheinland-Pfalz wurden zudem Artikel zu Parteiverboten aufgenommen (vgl. Niclauß 1998, 204f.). Doch die Definition dessen, was als unabänderlicher Kern der Demokratie geschützt werden sollte, blieb abstrakt (vgl. Scherb 1987, 264). In den Verfassungen im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Hessen sind einige Strukturprinzipien benannt, die nicht veränderbar sein sollen (ebd., 264). So legt die saarländische Verfassung bspw. fest, dass Verfassungsänderungen nicht den »Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates« widersprechen dürfen (Art. 101 Abs. 2 SVerf). Der hessische Verfassungsgebungsprozess 1946 ist in dieser Hinsicht aufschlussreich. Erstens lassen sich die unterschiedlichen ›Lehren‹ der verschiedenen politischen Richtungen aus dem Weimarer Scheitern hier noch »ungefilterter« (Ullrich 2009, 201) und ohne den beginnenden Kalten Krieg studieren. In der verfassungsgebenden Versammlung kamen 126

VERFASSUNGSGEBUNGSPROZESS

SPD und KPD gegenüber CDU und LDP auf 49 der Sitze, also 54 Prozent. SPD und KPD waren sich noch deutlich näher (vgl. Berding 1996, 415f., 438f.), was sich mit der späteren strategischen Distanzierung der SPD von der KPD (vgl. Brünneck 1978, 349f.; Scherb 1987, 261, 275f.) änderte und antitotalitär verschob. Zweitens wurde in Hessen 1948 ein Staatsschutzgesetz verabschiedet, das auch 1951 in den Gesetzgebungsprozess zum 1. Strafrechtsänderungsgesetz auf Bundesebene als Anregung einging, in dem wiederum die erste Definition von Verfassungsgrundsätzen vorgelegt wurde, an der sich das Bundesverfassungsgericht 1952 beim Parteiverbot der SRP orientierte. Aus diesen Gründen werfe ich im Folgenden einen Blick auf die hessische Verfassungsgebung und die Begründung zum Staatsschutzgesetz. Die Verfassung des Landes Hessen hat einen Abschnitt über den »Schutz der Verfassung«. Sie spricht zudem vom »demokratischen Grundgedanken der Verfassung« und der »republikanisch-parlamentarische[n] Staatsform« (Art. 150 HEVerf). Die Errichtung einer Diktatur sei verboten (Art. 150 HEVerf). 3 Dieser Artikel ist außerdem jeglicher Möglichkeit der Verfassungsänderung entzogen. Das 1947 entworfene hessische Staatsschutzgesetz sollte diese Vorgaben aus der Landesverfassung umsetzen. In der Begründung dieses politischen Strafrechts ist vom »Grundgedanken der Demokratie«, von der »staatsrechtlichen Grundordnung« und dem »verfassungsmäßigen Zustand[...]« die Rede (BArch B 141/3038, pag. 152). Konkretisiert wird an einer Stelle, dass eine politische Gruppe sich nicht gegen die in der Verfassung anerkannten Menschenrechte richten oder das allgemeine Wahlrecht abschaffen dürfe (vgl. ebd., pag. 156). Das Staatsschutzgesetz bezieht sich an vielen Stellen auf Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Die Formulierungen zum Schutz der »Staatsform« erinnern an das Weimarer Republikschutzgesetz von 1922 (RGBl. 1922 I, 585ff.). Normiert sind Strafen für den Hochverrat, aber auch mit Blick auf die Personen in den Staatsapparaten. Die Treue der Beamt*innen wird bspw. mit dem Eid Adolf Hitlers auf die WRV in Verbindung gebracht. Nicht nur die nationalsozialistische Machtübernahme, sondern auch der Preußenschlag stehe »im klaren Gegensatz zu 3 Im Entwurf von Friedrich H. Caspary (SPD) war auch der Begriff »nationalsozialistische Gewaltherrschaft« (Art. 129, Berding 1996, 142) zu lesen. Der Begriff ›Gewaltherrschaft‹ stammt aus der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts der Britischen Besatzungszone und wurde dort auf den Nationalsozialismus angewandt (vgl. W. Schubert 2010, 116). ›Gewalt- und Willkürherrschaft‹ wird im 1. StÄG ohne den Zusatz ›nationalsozialistisch‹ zur antitotalitaristischen Formulierung für die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹, die ihre inhaltliche Bestimmung durch ihren Gegensatz zum ›totalen Staat‹ erfahre (vgl. VI 6.2).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Rechtslage der damaligen Zeit« (BArch B 141/3038, pag. 149). Deshalb sei eine »Rechtspflicht zum Handeln« normiert, denn »nicht nur die Bevölkerung, sondern sogar die Beamtenschaft [hatte] sich vielfach untätig oder angeblich ›neutral‹« verhalten (ebd.). Im Staatsschutzgesetz sind zudem die Sprengung von Parteiveranstaltungen, uniformiertes und militärisches Auftreten sowie Gewalttaten gegen Personen »wegen ihres religiösen Glaubens, ihrer Weltanschauung oder ihrer Rasse« unter Strafe gestellt (§ 6, BArch B 141/3038, pag. 153). Die Begründung spricht explizit von der NSDAP und dem von ihr ausgehenden »Terror« (BArch B 141/3038, pag. 151, 152). Das hessische Staatsschutzgesetz blickt vor allem auf die nationalsozialistische Machtübernahme und deren Unterstützung durch die Weimarer Eliten – nicht, wie später antitotalitaristisch gewendet, auf politische ›Extreme‹, die die Demokratie zerstören. Diese Perspektive des Demokratieschutzes auf Personen im Staatsapparat und die explizite Benennung des Nationalsozialismus waren auch im hessischen Verfassungsgebungsprozess präsent. Ein Augenmerk lag auf Justiz und Bürokratie (vgl. zur Treuepflicht im hessischen Beamten­ gesetz Rigoll 2013, 42f.), die den NS erst ermöglicht und dann unterstützt hatten (vgl. Berding 1996, 421, 443, 454, 990ff.). In Hessen hing diese durchaus mit der linken Mehrheit in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen. Die Sozialdemokratie sah die Ursache für das Weimarer Scheitern kurz nach 1945 noch in dem »Angriff der rechten Gegenrevolution« (Ullrich 2009, 216). In der Grundsatzrede zur hessischen Verfassungsgebung sagte der Abgeordnete Wilhelm Knothe (SPD): »Es waren fast durchweg bürgerliche Schichten, die aus materiell-egoistischer Einstellung zum Nazismus stießen [...], zuhauf die Fahnen der Demokratie verließen und in das Lager der Diktatur drängten« (Knothe, Sitzung v. 5.8.1946, Berding 1996, 416). Militär, Schwerindustrie und Großgrundbesitz seien die Unterstützer des NS gewesen und die bürgerlichen Parteien haben dem nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetz zugestimmt, dem lediglich die SPD ihre Ablehnung erteilt habe. Die KPD habe dies nicht mehr tun können, da sie durch nationalsozialistischen Rechtsbruch von der Abstimmung ausgeschlossen gewesen sei (vgl. ebd.). Auch wenn dies auf Widerspruch auf Seiten der CDU stieß, bezeichnete man sich selbst dort zu dieser Zeit noch als »Antifaschisten«, die Lehren aus dem »grauenvolle[n] Erbe der Hitlerzeit« ziehen wollten (Köhler, ebd., 430). Die »Toleranz der Demokratie von Weimar« gegenüber ihren Feinden als Ursache für das Weimarer Scheitern war auf die »monopolisierte Großwirtschaft« bezogen (Knothe, ebd., 418). Einen Anklang des Antitotalitarismus findet sich bei der Liberal-Demokratischen Partei (LDP). Der Abgeordnete August-Martin Euler4 stellt 4 Seine eigenen Verstrickungen in das nationalsozialistische Regime, die ein Grund für diesen entpersonalisierten Antitotalitarismus sind, verschwieg Euler

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VERFASSUNGSGEBUNGSPROZESS

fest, dass der »totale Staat [...] nicht nur von einer bestimmten Seite her zukommen« (Euler, ebd., 455) könnte. Als Beweis führt er den Streik der Berliner Verkehrsbetriebe 1932 an, bei dem KPD und NSDAP zusammenarbeiteten. Allerdings benennt er lediglich den Streik ohne genauer auszuführen, worauf er damit genau abzielt.5 In einem späteren Debattenbeitrag zum Abschnitt über den Schutz der Verfassung sagte Euler: »In der Tat ist nichts nötiger, als daß dafür gesorgt wird, daß niemals das wiederkehren kann, was in der Zeit vor 1933 geschehen ist: daß die Demokratie nach dem fehlerhaften Satze: Toleranz der Intoleranz in einer selbstmörderischen Praxis sich selbst abwürgt« (Euler, Sitzung v. 1.10.1946, Berding 1996, 986). Mit dem beginnenden Kalten Krieg und der schrittweisen Reinte­ gration der NS-Funktionselite wurde in den westlichen Besatzungszonen die soziale Kontinuität des deutschen Beamtentums, das sich »seit der Entstehung des monarchischen Obrigkeitsstaates [...] jeder Demokratisierung entgegengestellt und dann mit dem Dritten Reich identifiziert hatte« (Abendroth 1975, 23), wieder hergestellt. Mit dem »Huckepack-Verfahren« (von Miquel 2003, 170) der folgenden Jahre – für jede*n nicht belastete*n Richter*in wurde ein*e belastete*r eingestellt – wurde diese Kontinuität auch für die juristische Zunft geschaffen. Die sozialdemokratische und kommunistische Interpretation des Weimarer Scheiterns wurde zunehmend schwächer, entsprechend änderte sich die Richtung der Wehrhaftigkeit. Allerdings blieb die antifaschistische Motivation des Demokratieschutzes bestehen und diente der Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹.

2.2 Herrenchiemseer Konvent Vom 10. bis 23. August 1948 berieten elf von ihren Landesregierungen entsandte Personen auf der Herreninsel im Chiemsee über die Grundlage für eine neue deutsche Verfassung. Der Bericht des Konvents war in allerdings. Euler war ab 1939 in Berlin Justitiar für die I.G. Farben gewesen (vgl. Schumacher 2006, 282) und ab 1944 Polizist in der Waffen-SS des SS-Polizei-Regiments 2 Brandenburg (vgl. Kirschner 2013, 39). Euler engagierte sich 1950 mit stark nationalistischen und antikommunistischen Phrasen für eine Aufhebung der Entnazifizierung (vgl. Frei 1996, 55, 59). Mit Hans Joachim von Merkatz (vgl. Fn. 26, Kap. V), promoviert bei Otto Koellreutter (vgl. Fn. 10, Kap. IV) und Mitwirkender beim 1. StÄG, fand Euler im Ausschuss für Verfassungsschutz dazu auch einen »kongenialen Kombattanten« (Frei 1996, 58). 5 Bis heute dient dieser Streik als Beleg für die Bedrohung der Demokratie durch Rechts- wie Linksextremismus (vgl. Kellerhoff 2016). Die Dämonisierung der KPD bzw. des ›Linksextremismus‹ erfolgt dabei durch die Gleichsetzung mit der NSDAP bzw. mit dem ›Rechtsextremismus‹.

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

einen darstellenden, artikulierenden und kommentierenden Teil gegliedert und wurde dem Parlamentarischen Rat im September 1948 vorgelegt. Der darstellende Teil erörterte verfassungsrechtliche Problemstellungen und gab Lösungsvorschläge, der artikulierende Teil stellte den Entwurf zu einer Verfassung dar und der kommentierende Teil erläuterte einzelne Artikel (vgl. Verfassungskonvent 1948, 10). In dem Chiemseer Entwurf (HChE) wurde die fdGO an mehreren Stellen erwähnt, aber als freiheitliche und demokratische Grundordnung. Eine Diskussion über die einzelnen Prinzipien, die diese Grundordnung ausmachen sollte, fand nicht statt (vgl. Scherb 1987, 197). Dem Bericht vorangestellt war eine Auflistung von »unbestrittenen Hauptgedanken« (Verfassungskonvent 1948, 10). Nummer 10 dieser Auflistung war: »Eine Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung geändert würde, ist unzulässig.« (ebd.). Im darstellenden Teil wurde angeführt, dass die Verwirkung von Grundrechten »dringend notwendig[...]« sei, wenn eine Person sie zum »Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht« (ebd., 22). Die Formulierung ›freiheitliche und demokratische Grundordnung‹ tauchte in vier Artikeln auf: Art. 20 (1) Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 7 Abs. 1), der Pressefreiheit (Art. 7 Abs. 2), der Versammlungsfreiheit (Art. 8) oder der Vereinigungsfreiheit (Art. 9) zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen. [...] (ebd., 63) Art. 47 [...] (4) Das Bundesverfassungsgericht kann Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, auf Antrag der Bundesregierung, welcher der Zustimmung des Bundesrats (Senats) bedarf, für verfassungswidrig erklären. Das Gericht kann einstweilige Anordnungen gegen solche Parteien treffen. Ohne verfassungsgerichtliche Entscheidung kann keine Behörde gegen eine Partei wegen verfassungswidriger Betätigung einschreiten. (ebd., 68) Art. 108 Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig. (ebd., 77) 130

VERFASSUNGSGEBUNGSPROZESS

Art. 111 [...] (3) Ist durch die drohende Gefahr der Bestand des Bundes oder seiner freiheitlichen und demokratischen Grundordnung in Frage gestellt, so können durch Gesetz bei Verhinderung der gesetzgebenden Organe auch durch Verordnung nach Abs. 1, die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 7 Abs. 1), der Pressefreiheit (Art. 7 Abs. 2), der Versammlungsfreiheit (Art. 8), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9) und das Grundrecht des Postgeheimnisses (Art. 11) befristet außer Kraft gesetzt werden. In dem Gesetz oder der Verordnung müssen die außer Kraft gesetzten Grundrechte sowohl namentlich wie mit ihrer Artikelzahl bezeichnet sein. Eine Verordnung tritt, auch wenn sie gemäß Abs. 1 Satz 3 bestätigt wurde, auf Beschluß des Bundestags oder seines ständigen Ausschusses außer Kraft. (ebd., 78)

In Art. 98 HChE waren zudem die Zuständigkeiten eines Bundesverfassungsgerichts geregelt. Artikel 98 Nr. 6 HChE erlegte diesem die Entscheidungsbefugnis über das Verbot einer Partei auf, Nr. 9 jene über die Verwirkung von Grundrechten. Im kommentierenden Teil wurde dazu auf den Art. 47 HChE abgestellt: Zu Ziffer 6: Der dieser Ziffer zugrunde liegende Art. 47 Abs. 4 gehört zu den Vorschriften, welche die Gegner der Demokratie von den demokratischen Spielregeln ausschließen. Eine Partei, die sich die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel setzt, darf sich nicht auf die demokratischen Freiheiten berufen können. Sie ist für verfassungswidrig zu erklären. Dies bedeutet, daß sie vom Bundesverfassungsgericht zu verbieten ist. Die endgültige Entscheidung kann daher nur auf das Verbot der Partei lauten. (ebd., 89) Zu Ziffer 9: Auch der dieser Ziffer zugrunde liegende Artikel 20 gehört zu den Vorschriften, welche die Maxime »Demokratie als Selbstmord« bekämpfen. Wer Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Rechte zu berufen. Über diesen schweren Eingriff in die Rechte des Einzelnen kann aber in einem Rechtsstaat nur ein Gericht, und zwar das höchste, entscheiden. (ebd., 90)

Die in Art. 108 HChE festgelegte Ewigkeitsgarantie war neu in der deutschen Verfassungsgebung. Allerdings wurde in den Debatten des Konvents diese Neuerung nicht besprochen, sondern erschien als Konsens: »als hätte es nie eine Verfassung ohne eine solche Garantie gegeben« (Bauer-Kirsch 2005, 142). Dieser Art. 108 HChE sei in dem Willen entstanden, »legale Revolutionen« (ebd., 231) zu verhindern. Systemänderungen sollten zur Revolution »gezwungen« (ebd., 230) werden und nicht legal erfolgen können. 131

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

An dieser Stelle prägt die Auffassung von der vermeintlich »legalen Revolution« des Nationalsozialismus den Entwurf des Konvents (vgl. IV 2). Der Schutz einer ›freiheitlichen und demokratischen Grundordnung‹ wird damit begründet. Die Selbstverständlichkeit, mit der der Konvent vom »Selbstmord«6 (Verfassungskonvent 1948, 90) der Demokratie spricht, wenn sie ohne Grundrechtsverwirkung und Parteiverbot existiere, ist überraschend: Es bedürfe »keiner Darlegung, daß jede Demokratie, die in diesem Punkt achtlos ist, in Gefahr steht, selbstmörderisch zu werden« (Verfassungskonvent 1948, 22). Der Konvent behauptet schlicht diese Notwendigkeit und lehnt es ab, sie zu begründen. Diese explizite Ablehnung kann ein Indiz für eine Forderung nach einer solchen Begründung sein, sonst wäre es nicht notwendig gewesen, diese so deutlich zu verneinen. Abendroth ist zuzustimmen, wenn schreibt, dass der »wesentliche[...] Inhalt [des Herrenchiemseer-Berichts] dadurch bestimmt wurde, daß die radikale Wendung zur Demokratie, die unmittelbar nach 1945 erfolgt war, nur noch partiell anerkannt wurde« (Abendroth 1975, 38). Die explizit verneinte Notwendigkeit der 6 Im Diskurs der ›wehrhaften Demokratie‹ und mit Bezug zur Weimarer Republik wird gehäuft auf die drohende Gefahr eines ›Selbstmords der Demokratie‹ hingewiesen (vgl. Arndt, BT-Plenarprot. 1/47, 13119; Verfassungskonvent 1948, 90; Dehler, BT-Plenarprot. 1/83, 3105). Auch schon in der Weimarer Republik und in staatsrechtlichen Diskussionen tauchte die vermeintliche Gefahr eines Selbstmords auf (vgl. Gusy 1993). Schmitt (1980 [1932], 37) bspw. schrieb in »Legalität und Legitimität«: »Denn man kann die gleiche Chance selbstverständlich nur demjenigen offenhalten, von dem man sicher ist, daß er sie einem selber offenhalten würde; jede andere Handhabung eines derartigen Prinzips wäre nicht nur im praktischen Ergebnis Selbstmord, sondern auch ein Verstoß gegen das Prinzip selbst.« Schaut man genauer auf die Bedeutung dieser Metapher, wird ein illiberales und durchaus etatistisches Bild deutlich. Zunächst wird Demokratie personalisiert. Ihr wird die Fähigkeit und das Bewusstsein zur Entscheidung eines Selbstmords zuerkannt. Gleichzeitig wird Selbstmord nicht als eigenständige Entscheidung, sondern als Bedrohung gekennzeichnet. Der Tod kommt nicht auf eigenen Wunsch, sondern die Demokratie erscheint durch ihre Eigenschaften – vor allem Freiheit (vgl. Dehler, BT-Plenarprot. 1/83, 3105; Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2001, Art. 21, Rdnr. 490) – notwendig in den Tod getrieben, wenn ihnen kein Einhalt geboten werde. Ein Getriebensein ist weniger mit freier Entscheidung als mit mangelnder Zurechnungsfähigkeit verknüpft. Durch die potentielle Eigengefährdung brauche Demokratie einen Vormund, eine erziehungsberechtigte Person, die Schlimmeres verhindern könne. Implizit kann hier der Staat als Beschützer vor der Eigengefährdung auftreten und der Rechtsstaat als Begrenzer der Demokratisierung zum Wohle der Bürger*innen fungieren. Damit gliedert sich dieses Bild in die konservative und liberale Geschichtsdeutung des Scheiterns der Weimarer Republik ein, mitsamt ihren antidemokratischen Traditionen (vgl. IV 1,

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VERFASSUNGSGEBUNGSPROZESS

Begründung der These vom demokratischen ›Selbstmord‹ ist in diesem Zusammenhang ein strategischer Schachzug und eine Anknüpfung an die konservative Skepsis vor Demokratisierung. Generell fällt bei der Sichtung des HChE auf, dass die ›freiheitliche und demokratische Grundordnung‹ keine positiv bestimmte Erläuterung erfährt, sondern vor allem im Zusammenhang mit ›Missbrauch‹ bzw. ›Selbstmord‹ der Demokratie auftaucht. Im Bericht des Unterausschusses III, der für Organisationsfragen, also Aufbau, Gestaltung und Funktion der Bundesorgane zuständig war, ist lediglich eine Umschreibung des Begriffs zu finden. In den Erläuterungen zu seinem Vorschlag über eine Ewigkeitsgarantie (Art. 108 HChE) erklärt der Unterausschuss: [Der Ausschuß habe sich mit Nachdruck dafür eingesetzt,] daß in den Entwurf eine Bestimmung aufgenommen wird, nach der Anträge unzulässig sind, die über eine formelle Änderung des Grundgesetzes hinaus seinen Geist oder seine Prinzipien verletzten, also praktisch das Grundgesetz als solches vernichten würden. Es wurde hierfür die Formulierung gewählt, daß Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, unzulässig sind. (HChE 1981, 305)

Danach ist zumindest zu sagen, dass die »freiheitliche und demokratische Grundordnung« den »Geist und seine Prinzipien« des zukünftigen Grundgesetzes ausmache (ebd.). Freilich ist das immer noch keine genaue Begriffsklärung, sondern erinnert an metaphysische Grundlegungen des Rechts (vgl. IV 1, 5). Weiterhin ist im darstellenden Teil dazu zu lesen: Eine andere Minderheit hat dagegen noch eine zusätzliche Differenzierung vorgeschlagen, indem sie bestimmte Aufgaben zur unentziehbaren Länderangelegenheit erklärt sehen will. Es würde damit die Auffassung der Mehrheit, daß nur die freiheitliche und demokratische, nicht aber auch die föderative Grundordnung überpositives Recht ist, verlassen. (Verfassungskonvent 1948, 48) 3, 5). Die Selbstmordmetapher trägt der Ambivalenz bürgerlicher Vergesellschaftung Rechnung (vgl. II 2). Politische Gleichheit und die Chance zum Machtwechsel haben das Potential, einen sozialen Demokratisierungsprozess anzustoßen. Gesellschaftliche Konflikte können aufbrechen, eine Änderung der Eigentumsverhältnisse gefordert werden. Eine Abschaffung gesellschaftlicher Privilegien und ebenso eine Restauration politischer Herrschaft in Reaktion darauf können gewaltvolle Prozesse sein. Die Selbstmordmetapher verbildlicht diese Ambivalenz und dieses Potential der Demokratie. Sie ermöglicht es, ein Bedrohungsszenario zu zeichnen, das in seiner Abstraktheit auch die antifaschistische Erzählung vom Scheitern der Weimarer Republik integrieren kann.

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Hieran wird deutlich, dass es für den Konvent noch mehrere Grundordnungen gibt, wie auch schon das »und« zwischen freiheitlich und demokratisch andeutet. Neben der »freiheitlichen« und der »demokratischen« gibt es noch eine »föderative Grundordnung«. Der Begriff fdGO ist noch kein feststehendes Konzept, folglich hat man auch nicht über eine genaue Begriffsklärung diskutiert und sie festgehalten – jedenfalls ist mehr dazu nicht aus den Protokollen ersichtlich. Interessant ist an dieser Erläuterung außerdem die Setzung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung als ›überpositives Recht‹. Hier ist die Verortung in der rechtswissenschaftlichen Debatte zwischen Positivismus und Antipositivismus zu erkennen (vgl. IV 1). Auch wenn die fdGO noch kein feststehender Begriff ist, bekommt sie schon die Rolle einer Kontrollinstanz für positives Recht – und wird damit zur Begrenzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Im kommentierenden Teil des Berichts gibt es eine Passage, die acht »demokratische Mindestanforderungen« (Verfassungskonvent 1948, 27) benennt. In den Schlagworten der Seitenleiste zusammengefasst lauten diese Mindestanforderungen: »Freiheit und Gleichheit, Volksvertretung, [k]ein Einparteiensystem, [k]ein Blocksystem, Parteienkontrolle, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Sicherung der Grundrechte, Teilung der Gewalten« (ebd.). Dies sind im Wesentlichen die Ziffern, die in den folgenden Jahren unter dem Begriff fdGO verhandelt werden. Darunter fallen klassisch bürgerlich-liberale Prinzipien (Freiheit und Gleichheit, Volksvertretung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Sicherung der Grundrechte, Teilung der Gewalten), aber auch Abgrenzungen zur sowjetischen Besatzungszone (kein Einparteiensystem, kein Blocksystem).7 »Parteienkontrolle« verweist auf die Möglichkeit eines Parteiverbots, wenn sie die »Beseitigung der Freiheitsrechte und die Gewaltherrschaft« anstrebe (ebd.). Im SPD-Entwurf zur hessischen Verfassung war noch explizit von »nationalsozialistischer Gewaltherrschaft« die Rede gewesen (vgl. Fn. 3, Kap. V). Diese Schlagworte werden vom Konvent nicht explizit als fdGO benannt. Die fdGO war noch keine objektive Wertordnung. Eine Begriffsdefinition ist erst notwendig, wenn es einen Begriff gibt. Die Fragestellung und Suche nach der Definition des Herrenchiemseer Konvents schaut von der Gegenwart auf die Geschichte, nimmt also das an, was den fdGO-Begriff heute kennzeichnet, aber Konstruktion ist: die fdGO 7 Die Ablehnung eines Einparteiensystems geschah nicht nur mit Blick auf die SED, sondern zielte auch auf die NSDAP. Eine Einheitspartei ist nach dem Totalitarismusschema von Friedrich/Brzezinski ein Merkmal totalitärer Systeme (vgl. Rieger 2010, 1105). Die inhaltliche Offenheit der Totalitarismustheorie lässt unterschiedliche Akteur*innen sich dieser Abgrenzung anschließen. »Blocksystem« weist schon konkreter auf eine Abgrenzung vom Parteiensystem der zukünftigen DDR hin.

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als objektive Wertordnung, die vermeintlich schon immer existiert habe und universell sei. Dies ist Teil seiner Wirkmächtigkeit, nicht seiner Rea­ lität.

2.3 Parlamentarischer Rat Vom 1. September 1948 bis zum 23. Mai 1949 diskutierte der Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik. Unter den 65 gewählten Abgeordneten waren vier Frauen. Vertreten waren neben den Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Zentrum, Deutsche Partei (DP) und KPD auch fünf nicht stimmberechtigte Vertreter aus Berlin. Der Rat war in Ausschüsse gegliedert, die Vorschläge zu ihren jeweiligen Fachbereichen diskutierten: den Ausschuss für Grundsatzfragen, für Zuständigkeitsabgrenzung, für die Geschäftsordnung, für das Besatzungsstatut, für Wahlrechtsfragen, für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege und Organisation des Bundes (zeitweilig als sogenannter Kombinierter Ausschuss), für Finanzfragen und den Allgemeinen Redaktionsausschuss sowie das Plenum. Daneben existierten der interfraktionelle Fünfer- und Siebenerausschuss.8 Die Ergebnisse der Ausschüsse wurden nach Überarbeitung durch den Allgemeinen Redaktionsausschuss dem Hauptausschuss zu Sitzungen vorgelegt, der dann in vier Lesungen einen Entwurf zu einem Grundgesetz erarbeitete. Über diesen Entwurf wurde dann im Plenum in drei Lesungen abgestimmt. Im Parlamentarischen Rat gab es, ähnlich wie auf dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, keine konkrete Diskussion um den ­fdGO-Begriff. Der Begriff taucht zunächst als ›freiheitliche und demokratische Grundordnung‹ auf. Der Parlamentarische Rat hat sich an ähnlichen Stellen wie der Verfassungskonvent mit dem Schutz der fdGO und dabei implizit auch mit dem Begriff beschäftigt. Relevant sind vor allem die Debatten um die Verwirkung von Grundrechten (Art. 18 GG), das Parteiverbot (Art. 21 II GG) und die Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG), die ich im Folgenden darstellen werde.

2.3.1 Die Verwirkung von Grundrechten in Art. 18 GG Zunächst wurde in der 26. Sitzung des Grundsatzausschusses am 30. November 1948 über die Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte und über ihre potentielle Verwirkung bei deren Missbrauch 8 Der Fünferausschuss institutionalisierte die Absprachen zwischen den Fraktionen, die außerhalb der öffentlichen Beratungen stattfanden. DP, Zentrum und KPD waren am Fünferausschuss nicht beteiligt. Der später gegründete Siebenerausschuss beteiligte auch DP und Zentrum, aber nicht die KPD.

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debattiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Regelung dafür der Art. 20.9 In dieser Sitzung schlug der Vorsitzende Hermann von Mangoldt (CDU)10 vor, folgenden Satz in den Artikel aufzunehmen: Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit oder der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen. (von Mangoldt, GrundA, Sitzung v. 30.11.1948, 755)

Von Mangoldt (ebd.) fragte noch, welche Grundrechte verwirkt werden könnten. Zumindest das Recht auf Leben, Sicherheit der Person und die freie Entfaltung der Persönlichkeit können seiner Meinung nach nicht gegen die »demokratische Grundordnung« – ohne freiheitlich – eingesetzt werden.11 Die Religionsfreiheit wurde strittig verhandelt. Das religiöse Bekenntnis könne mit einem weltanschaulichen verglichen werden und mit »dem weltanschaulichen Bekenntnis kann man geradezu einen neuen Nazismus aufmachen« (von Mangoldt, ebd., 756). Auch ob die Eigentumsfreiheit missbraucht werden könne, war umstritten. Von Mangoldt verneinte dies zunächst und stieß damit bei Ludwig Bergsträsser (Deutsche Demokratische Partei (DDP), später SPD) gleich auf Widerspruch. Beispiele für missbräuchliche Verwendung des Eigentums wurden vorgebracht: die Unterstützung Hitlers (vgl. Bergsträsser, ebd., 756f.), »betrügerische Unternehmungen« oder Spekulationen mit »Kriegsgefahr« (Theodor Heuss (Deutsche Volkspartei (DVP), später FDP), ebd., 758) »oder wenn ein Konzern die Nazis gegen die Verfassung finanziert« (Hans Wunderlich (SPD), ebd., 757). Von Mangoldt wiegelte mit Hinweis auf den Art. 1712 ab. Bergsträsser (ebd.) gab sich damit zufrieden: »Dann brauchen wir es hier nicht mehr«. Zudem, so von Mangoldt (ebd.), sei es 9 Der Wortlaut des Art. 20 zur 26. Sitzung des Grundsatzausschusses: »Soweit nach den Bestimmungen dieses Grundgesetzes ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, darf es in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden« (GrundA, Sitzung v. 30.11.1948, 754). 10 Vgl. zur Biographie Fn. 83, Kap. V. 11 Dass diese Grundrechte nicht eingeschränkt werden können, war auch die Sicht der Parlamentarier*innen, die 1951 im Ausschuss für Rechts- und Verfassungswesen die Verfassungsgrundsätze im Sinne des Strafrechts debattierten (vgl. V 4.3). Das BVerfG nahm diese Grundrechte in seine fdGO-Formel im Verbot der SRP 1952 auf (vgl. V 5.2). 12 Gemeint ist der heutige Art. 14 GG: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

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schwierig festzustellen, was Missbrauch des Eigentums sei. Die Beispiele überzeugten von Mangoldt ebenso wenig. Bei einer misslungenen Spekulation sei ja das Eigentum, das geschützt werden solle, nicht mehr da, die Diskussion also obsolet (von Mangoldt, ebd., 759). Er schlug vor: Wir können so formulieren: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder die Vereinigungsfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht... (von Mangoldt, ebd., 759)

Somit blieben es die politisch-prozessualen Rechte, die gegen die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ missbraucht werden können. Eigentumsverhältnisse und die Unterstützung des Nationalsozialismus seitens großer Unternehmen sowie ihre auf Kriegswirtschaft aufbauenden Gewinne gelangten nicht in den Artikel, sondern verblieben in einem gesonderten Artikel. Bergsträsser (ebd.) verwies noch auf die Verfassung des Landes Hessen, in der es heißt: »[w]er den verfassungsmäßigen Zustand angreift oder gefährdet«. Von Mangoldt (ebd.) fand diese Formulierung »nicht schön«. Außerdem müsse man sich an dem »und« (von Mangoldt, ebd.) zwischen freiheitlich und demokratisch stoßen. Ohne weitere Begründung dafür sagte er: »Wir lassen das Wort also weg und fahren fort: ... verwirkt diese Grundrechte« (von Mangoldt, ebd.). Das stieß auf Widerspruch, da dieser Artikel somit nur auf Einzelpersonen, aber nicht auf die Regierung anwendbar sei (vgl. Bergsträsser, ebd.) – mithin die Demokratie vor Bürger*innen, nicht vor Regierungshandeln geschützt sei. Um den Text nicht weiter zu verkomplizieren oder gar neue Artikel zu schaffen, entschied der Ausschuss, es bei dieser Formulierung zu belassen und damit die beiden Stoßrichtungen so zusammenzufassen (ebd.). Nach einer Umstellung des Redaktionsausschusses diskutierte der Organisationsausschuss in seiner 32. Sitzung am 11. Januar 1949 erneut über den Sachverhalt, nun in Art. 20b geregelt. Fritz Eberhard (SPD) fragte, ob es nicht möglich sei, die Formulierung des damaligen Art. 21a13 »gegen die freiheitliche oder demokratische Grundordnung« zu übernehmen (Eberhard, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951). Theodor Heuss (FDP) (ebd.) argumentierte, dass er zwar wisse, was gemeint sei, (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. 13 Dieser Artikel regelte zwischenzeitlich das Parteiverbot, heute ist es Art. 21 Abs. 2 GG.

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bei dieser Formulierung aber angenommen werden könne, dass »freiheitlich« und »demokratisch« nicht identische Begriffe seien. Eberhard (ebd.) sagte, dass es auch so gemeint war, dass jemand »die freiheitliche Grundordnung bekämpft oder die demokratische«. Von Mangoldt (ebd.) führte an, dass es auch weniger freie Grundordnungen geben könne, die »volksdemokratische« zum Beispiel. Die Dinge solle man nicht »antithetisch« sehen, sagte Heuss (ebd.), schließlich sollen sie »im Volksbewußtsein in sich zusammenfließen«. Jakob Kaiser (CDU) (ebd.) meinte, dass »demokratische Grundordnung« genüge; das schließe die Freiheit ein. Mit Verweis auf Jean Jacques Rousseau als Vordenker der Demokratie und »Erfinder des Totalitarismus« widersprach Heuss (ebd.) dieser Ansicht und plädierte dafür, bei »freiheitliche demokratische Grundordnung« zu bleiben, »ohne Komma«. Von Mangoldt (ebd.) gab noch die Möglichkeit an, »demokratische Freiheitsordnung« zu schreiben. »Ich würde schon ›Grundordnung‹ lassen«, sagte Eberhard (ebd.). Und damit blieb es bei »freiheitlicher demokratischer Grundordnung«. Dass Verschiebungen demokratischer politischer Systeme zu autoritären Systemen oder Diktaturen gerade auch mit der Verwirkung von Grundrechten beginnen, schnitt lediglich Bergsträsser (GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) mit Verweis auf »schludrige« Arbeit in Notstandszeiten an. Die nationalsozialistische Reichstagsbrandverordnung hatte politische Grundrechte eingeschränkt bzw. aufgehoben. Außerdem ermöglichte sie den Ausschluss der KPD von der Reichstagsabstimmung zum Ermächtigungsgesetz (vgl. IV 2.2). Grundrechtsverwirkung erschien den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates als adäquates Instrument einer Wehrhaftigkeit des zukünftigen politischen Systems, das sich vom Nationalsozialismus abgrenzen sollte. Eine Auseinandersetzung mit der Etablierung des NS-Regimes geschah dabei allerdings nicht, obwohl daran deutlich geworden wäre, dass eine Außerkraftsetzung der Grundrechte einer der ersten Schritte der NSDAP gewesen war. Damals schon erschienene Literatur, die diesen Transformationsprozess von Demokratie zu Diktatur mittels der Reichstagsbrandverordnung behandelte (vgl. Fraenkel 1984 [1941]), wurde nicht in die Beratungen einbezogen.14 Stattdessen lag der Fokus auf der Abgrenzung von der »volksdemokratische[n]« (von Mangoldt, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) Ordnung. Die aktuellen Entwicklungen in der Sowjetischen Besatzungszone waren den Abgeordneten mehr vor Augen als der Nationalsozialismus.15 14 Ich danke Karoline Georg besonders in diesem Aspekt für die instruktiven Diskussionen über die Theorie Ernst Fraenkels und ihre geschichtswissenschaftliche Expertise. 15 Auch Rigoll (2013, 48) kommt in diesem Punkt zu der Deutung, dass der Begriff der fdGO »in Abgrenzung zum Ostblock« gewählt worden sei. Er verortet die Intention des Demokratieschutzes durch Verwirkung der

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Die Verwirkung der Grundrechte wurde in dieser Logik als Artikel gegen Einzelpersonen konzipiert. Der Einwand, dass dies auch als anderer Tatbestand eine gesetzeswidrig agierende Regierung treffen solle (vgl. Bergsträsser, GrundA, Sitzung v. 30.11.1948, 759), wurde durch ein pragmatisches Vorgehen abgetan und war damit auch für die zukünftige Auslegung dieses Artikels (vgl. V 6) nicht mehr relevant. Der Fokus der Wehrhaftigkeit richtet sich gegen die Bürger*innen und nicht gegen Regierungshandeln, das demokratiegefährdend sein könnte. Zudem wird in die Aufzählung der missbräuchlich anwendbaren Grundrechte nicht die Freiheit des Eigentums aufgenommen. Die Deutungen zum Aufstieg des Nationalsozialismus und seiner Unterstützung durch Großkapital (vgl. Bergsträsser, ebd., 756f.), die in der Debatte vorgebracht wurden, fanden keinen Niederschlag in der Formulierung des Artikels. Die antifaschistische Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik war mithin nicht Kontext seiner Konzeption.

2.3.2 Das Parteiverbot in Art. 21 Abs. 2 GG In der zweiten Sitzung des Organisationsausschusses am 16. September 1948, der zunächst kombiniert mit dem Ausschuss für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege tagte, begannen die Diskussionen über den Art. 47 HChE und den dazu gegebenen Kommentar des Entwurfs16. Art. 47 HChE (1) Wahlvorschläge können nur von Wählergruppen eingereicht werden, die sich den Vorschriften über politische Parteien unterstellen. (2) Die Bildung politischer Parteien ist frei. Abreden der Parteien, durch die die Abgeordneten in ihrer Stimmabgabe so gebunden werden, als ob in der abstimmenden Körperschaft nur eine Partei vertreten sei, sind verboten.

Grundrechte auf sozialdemokratischer Seite (ebd., 47). Die Idee von der Möglichkeit des Missbrauchs politisch-prozessualer Rechte als eine illiberale und der konservativen Staatsrechtslehre entstammende gerät bei Rigolls sehr auf Biographien fokussiertem Ansatz in den Hintergrund. 16 »[...] Das Grundgesetz erklärt die Bildung von Parteien für frei. Nur das Verfassungsgericht kann Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, für verfassungswidrig erklären« (Verfassungskonvent 1948, 35, Herv. i. O.)

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(3) Durch Bundesgesetz können die Rechtsverhältnisse der Parteien und ihre Mitwirkung bei der politischen Willensbildung näher geregelt werden. Das Gesetz kann insbesondere bestimmen, daß Wahlvorschläge einer Partei von den Mitgliedern im Wege der Vorwahl beschlossen sein müssen. (4) Das Bundesverfassungsgericht kann Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, auf Antrag der Bundesregierung, welcher der Zustimmung des Bundesrats (Senats) bedarf, für verfassungswidrig erklären. Das Gericht kann einstweilige Anordnungen gegen solche Parteien treffen. Ohne verfassungsgerichtliche Entscheidung kann keine Behörde gegen eine Partei wegen verfassungswidriger Betätigung einschreiten. (5) Das Bundeswahlgesetz kann bestimmen, daß Parteien, die nicht weniger als 5 v. H. aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten, und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat. (Verfassungskonvent 1948, 67f.)

Relevant für die Diskussionen um die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ sind vor allem zwei Absätze des Artikels. Artikel 47 Abs. 2 HChE verbot Absprachen zwischen Parteien, die es so erscheinen ließen, als gebe es nur eine Partei. Die Ablehnung eines Einparteiensystems war schon Bestandteil der »demokratischen Mindestanforderungen« (ebd., 27) auf dem Herrenchiemseer Konvent (vgl. V 2.2). Artikel 47 Abs. 4 HChE normierte, dass »Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben« (ebd., 68), vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können.

Art. 47 Abs. 2 HChE Kritisiert wurde zuerst die Formulierung in Art. 47 Abs. 2 HChE, der auf eine Blockbildung von Parteien abzielte. Dies sei »im Hinblick auf die Ostzone und auf den besonderen Antrag der Berliner Vertreter« (Josef Schwalber (CSU), KombA I, Sitzung v. 16.9.1948, 29) in den Artikel gelangt und solle »offenbar bedeuten, daß die totale Partei verboten ist« (Rudolf Katz (SPD), ebd., 28). Katz (ebd., 29) sprach sich gegen diese Regelung aus, da sie sinnlos sei. Max Becker (LDP, später FDP) (vgl. ebd., 29f.) verwies auf die grundsätzliche Frage nach der Notwendigkeit eines Verfassungsschutzes. In der 6. Sitzung am 24. September 1948 wurde das Thema im Kombinierten Ausschuss erneut besprochen. Katz (KombA I, Sitzung v. 140

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24.9.1948, 167) wiederholte, dass es wohl selbstverständlich sei, daß »totalitäre Blockbildungen verboten sind«. Otto Suhr (SPD und nicht stimmberechtigter Vertreter für West-Berlin) (ebd., 168) gab zu, dass die Formulierung unglücklich, aber mit Blick auf die »Ostzone« notwendig sei, »um einen Mißbrauch der Demokratie und des Parteiwesens zu verhindern«. »Es gilt, nicht bloß eine Einheitspartei oder eine scheinbare Einheitspartei zu verhindern, sondern auch die Blockbildung [...]« (Suhr, ebd., 168). Katz, Fritz Löwenthal (SPD) und Johannes Brockmann (Zentrum) (vgl. ebd., 168f.) bezweifelten hingegen, dass eine Regelung in der Verfassung politische Entwicklungen dieser Art aufhalten könne. In der folgenden Abstimmung wurde dieser Satz gestrichen (ebd., 169). In der Debatte um den Art. 47 Abs. 2 HChE liegt der Fokus deutlich auf den Vorgängen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED 1946 war für die Abgeordneten ein wichtiges Beispiel für die Notwendigkeit zur Abgrenzung. Die Begriffe »Einheitspartei« und »Blockbildung« (Suhr, KombA I, Sitzung v. 24.9.1948, 168) sind mit der »Ostzone« (Schwalber, KombA I, Sitzung v. 16.9.1948, 29) verknüpft. Sie waren auch schon Schlagworte zu demokratischen Mindestanforderungen des Herrenchiemseer Entwurfs (vgl. Verfassungskonvent 1948, 27).

Art. 47 Abs. 4 HChE Nach zunächst erfolgreicher Abstimmung in der Sitzung des Kombinierten Ausschusses am 24. September 1948 über Art. 47 Abs. 4 HChE (vgl. KombA I, Sitzung v. 24.9.1948, 170), der das mögliche Verbot durch das Bundesverfassungsgericht von Parteien regelte, wurde die Debatte aufgrund mehrerer Anmerkungen erneut eröffnet (ebd., 172). Beanstandet wurde die Beschränkung des behördlichen Zugriffs auf Parteien (vgl. Thomas Dehler (FDP)17, ebd., 170f.). In der aktuellen Fassung sollten Behörden lediglich nach einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung gegen eine Partei vorgehen können (Art. 47 Abs. 4 S. 3 HChE). Der Vorsitzende Robert Lehr (CDU) (ebd., 171) verteidigte die Formulierung aufgrund der zu vermeidenden »Behördenwillkür«. Katz (vgl. ebd.) stimmte Dehler mit Blick auf potentielle Aktionen oder Demonstrationen der kommunistischen Partei, die die Polizei verhindern solle, zu. »Unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung des demokratischen Systems« (Löwenthal, ebd., 172) solle die Kann- in eine Muss-Bestimmung umgewandelt 17 Thomas Dehler (FDP) studierte Rechts- und Staatswissenschaften. Er arbeitete als Rechtsanwalt und war von 1920 bis 1933 Mitglied der DDP. 1938 im Zuge der Reichspogromnacht und 1944 wurde er kurzzeitig verhaftet. Von 1949 bis 1953 war er Bundesjustizminister.

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werden: »Auf diese Weise käme zum Ausdruck, daß das Bundesverfassungsgericht nicht nach freiem Ermessen entscheiden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat nur festzustellen: Verfolgt eine Partei solche Ziele? Wenn ja, dann muß sie verboten werden« (Löwenthal, ebd., 172). Katz (ebd., 173) gab zu bedenken, dass man »dem Gericht nicht vorschreiben [sollte], wie es urteilen soll« und dass es »politische Gesichtspunkte [gibt], die die Existenz subversiver Parteien rechtfertigen«. Elisabeth Selbert (SPD) (ebd.) meinte, die Bestimmung wolle sagen, »daß Parteien, die die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziele haben, als antidemokratisch und verfassungswidrig zu erklären sind« – das wäre an anderer Stelle im GG und vor allem im Parteiengesetz zu regeln. Der Verweis auf später zu verabschiedende Gesetze genügte Katz (ebd., 174) nicht: Wir dürfen nicht vergessen, hinter uns liegen 12 Jahre Diktatur, und die Gespenster derartiger Parteien spuken in gewissen Volksgruppen noch sehr lebendig herum. Wir haben damit zu rechnen, daß verkappte Diktaturparteien der Kommunisten und Nationalsozialisten auftauchen werden [...].

Mit einem Rekurs auf die Weimarer Republik18 brachte Rudolf-Ernst Heiland (SPD) (ebd., 175) seine Skepsis zum Ausdruck, ob es ein »absolut objektive[s] Bundesverfassungsgericht« geben werde und sprach sich deshalb für eine Muss-Bestimmung aus. Schwalber (ebd., 175) widersprach dem, da es sich bei der Zuständigkeitsfestlegung um einen Schutz gegen »Verwaltungswillkür« handle.19 Wenn man an der »Objektivität 18 »Die Reichsgewalt wagte es gegen Sachsen einzuschreiten«, so Heiland (KombA I, Sitzung v. 24.9.1948, 175). Am 23. Oktober 1923 zwang der Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) mit einer Notverordnung die sächsische Landesregierung, bestehend aus einer SPD-KPD-Koalition, und am 6. November 1923 die thüringische SPD-KPD-Regierung zur Auflösung (vgl. Bayerlein 2003; Weiler 1987). Der Preußenschlag 1932 des Reichspräsidenten von Papen ähnelte diesem Vorgehen Eberts (vgl. IV 2.2). »Zur gleichen Zeit aber hatte das Land Bayern staats- und verfassungswidrige Maßnahmen getroffen, und da hatte die Reichsgewalt nicht den Mut einzuschreiten [...]« (Heiland, KombA I, Sitzung v. 24.9.1948, 175). Gegen das Land Bayern wurde 1923 keine derartige Maßnahme verhängt. Es bestand ein Konflikt um den »Völkischen Beobachter«, der 1920 von der NSDAP gekauft wurde, die aber 1923 bis 1925 aufgrund des Hitler-Ludendorff-Putsches verboten war. Die rechtskonservative Regierung, das Kabinett unter Eugen Ritter von Knilling (BVP), weigerte sich die Zeitung zu verbieten (vgl. Hürten 2007). 19 Zum Parteienprivileg und exekutiver Einschätzungsprärogative (vgl. V 5.4, 6.4, VI 1.4).

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der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts« (ebd.) zweifle, dann solle man es ganz aus der Verfassung rauslassen: »Letzten Endes wird es bei der Urteilskraft des Bundesverfassungsgerichts liegen, in welchen Fällen eine Verletzung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung festzustellen ist« (ebd.). Man könne die Parteien auch als legal belassen, aber als illegal behandeln, schlug Löwenthal (vgl. ebd., 176) vor, was Brockmann zu einer eindringlichen Klarstellung veranlasste: Nach Abs. 4 können Parteien, die sich die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, verboten werden. Das versteht doch kein Mensch! Solche Parteien sind doch verfassungswidrig. Die Parteien haben doch der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zu dienen.20 (Brockmann, ebd., Herv. i. O.)

Katz (ebd.) erwiderte, dass wohl alle Parteien betonen, »auf dem Boden der Grundordnung zu stehen«. Der Vorschlag von Willibald Mücke (SPD), der die Kann- oder Muss-Frage umging, wurde zunächst21 angenommen: Parteien, die sich nach Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, sind verfassungswidrig. Die Feststellung auf Verfassungswidrigkeit erfolgt durch das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung, welche der Zustimmung des Bundesrats (Senats) bedarf. (Mücke, ebd., 177)

In der 20. Sitzung des Organisationsausschusses am 5. November 1948 kamen die Abgeordneten erneut auf den Art. 47 Abs. 4 HChE zurück. Löwenthal (vgl. OrgA II, Sitzung v. 5.11.1948, 732) bemängelte die Formulierung »nach Art ihrer Tätigkeit«. Es bestehe die Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung und die programmatische Zielsetzung sei damit nicht erfasst (vgl. ebd.). Mücke (vgl. ebd., 732f.) widersprach 20 Dass Parteien der fdGO zu dienen bzw. für sie einzutreten haben, ist 1956 im Verbot der KPD durch das BVerfG (vgl. BVerfGE 5, 38) in die Rechtsprechung zur ›wehrhaften Demokratie‹ aufgenommen worden. Zu den politikwissenschaftlichen Implikationen für Parteien im politischen System der BRD: vgl. V 5.3, 5.4. 21 In der 11. Sitzung des Kombinierten Ausschusses am 7. Oktober 1948 wurde vorgebracht, ob nicht auch Parteien ein Antragsrecht auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit von anderen Parteien eingeräumt werden solle. Mit dem Hinweis, dass dann wahrscheinlich eine SED den Antrag stellen könnte, die SPD zu verbieten, und dass es zu viele unnötige Fälle beim Verfassungsgericht geben würde, wurde der Vorschlag auf die Debatten über ein Parteiengesetz vertagt (vgl. KombA I, Sitzung v. 7.10.1948, 417f.).

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Löwenthals Änderungsvorschlag, da Parteien, wenn sie den Sturz der Verfassung planen, dies sicher nicht in ihre Programme schrieben. Löwenthal (vgl. ebd., 733) entgegnete, dass die KPD dies durchaus tue. Löwenthals (ebd., 734) Vorschlag zur Umformulierung lautete nun: »Politische Parteien, deren Programm oder Tätigkeit erkennen lassen, daß sie sich die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, sind verfassungswidrig«. Angenommen wurde jedoch mit dem Argument, es »wäre einfacher« (Katz, ebd., 735): Politische Parteien, die sich nach ihrem Programm oder ihrer Tätigkeit die Beseitigung ... [der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung, Anm. d. Verf.] zum Ziel gesetzt haben, sind verfassungswidrig. (ebd.)

Der Allgemeine Redaktionsausschuss schlug am 16. November 1948 folgende Fassung des nun als 21a nummerierten Artikels vor: [...] 3. Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Über die Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Antragsrecht und das Verfahren werden durch Gesetz geregelt. [...] (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 279 v. 16.11.48, 42)

Die Rolle des Redaktionsausschusses im Verfassungsgebungsprozess ging über formelle Änderungen hinaus. Statt lediglich Umarbeitungen redaktioneller Natur vorzunehmen, änderte er auch Inhaltliches (vgl. Scherb 1987, 242). Der neue Art. 21a Abs. 3 ist ein Beispiel dafür. Die umstrittene Beschränkung der exekutiven Befugnisse (Art. 47 Abs. 4 S. 3 HChE) entfällt in dem Vorschlag. Diese Umformulierung des ARA wurde in der 4. Sitzung des Hauptausschusses am 17. November 1948 in erster Lesung dennoch zunächst ohne Widerspruch verhandelt (vgl. HptA I, Sitzung v. 17.11.1948, 120f.). In der 27. Sitzung des Hauptausschusses am 15. Dezember 1948 wurde dann folgende Fassung des Art. 21a Abs. 3 als Vorschlag der CDU/ CSU-Fraktion besprochen: Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche und demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Das Nähere regelt das Gesetz. (HptA I, Sitzung v. 15.12.1948, 799f.)

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Eberhard (ebd., 801) führte zusätzlich an, dass es »freiheitliche oder demokratische Grundordnung« heißen müsse, schließlich genüge es, wenn eines der beiden Elemente angegriffen würde. Auch dieser Änderungsvorschlag wurde angenommen (vgl. ebd.), im Widerspruch zur Debatte um Art. 18 GG und Heuss’ (GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) Meinung, dass es »freiheitliche demokratische Grundordnung« »ohne Komma« heißen müsse. So findet sich der Absatz auch im Vorschlag des interfraktionellen Fünferausschusses (vgl. Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 591 v. 5.2.1949, 347). Im Vorschlag des ARA zur dritten Lesung des Hauptausschusses war das »oder« zwischen »freiheitlich« und »demokratisch« wieder gestrichen. So hieß der Absatz dann: [...] 2. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht [...]. (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 751 v. 2.-5.5.1949, 502)

Scherb (vgl. 1987, 234f.) argumentiert, dass dies nicht aus Gründen der Einheitlichkeit mit Art. 18 GG geschehe, sondern auf von Mangoldts Argumentation im Grundsatzausschuss zurückzuführen sei. Von Mangoldt (GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) gab dort zu Protokoll, dass es auch nicht freiheitliche demokratische Grundordnungen gebe, so die »volksdemokratische«. Zum Ende der 1940er Jahre ist diese Formulierung ein eindeutiger Hinweis auf den Blick Richtung DDR und SED und damit mitnichten irrelevant. ›Freiheitlich‹ wird selbst nicht positiv inhaltlich bestimmt, bedeutet aber auf jeden Fall nicht-kommunistisch. Diese Interpretation wird auch durch die in der Debatte vorgebrachten Beispiele bekräftigt. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rats argumentierten mit Blick auf die SBZ und die besondere Situation Berlins aufgrund der Sektorenaufteilung. Der Willen zum Staatsumsturz wurde bspw. dem Programm der KPD entnommen (vgl. Löwenthal, OrgA II, Sitzung v. 5.11.1948, 733). Ein anderes Argument war ein potentieller Verbotsantrag der SED gegen die SPD, wenn neben den Organen des Staates auch Parteien eine Antragsbefugnis erhalten würden (vgl. KombA I, Sitzung v. 7.10.1948, 417f.). Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED 1946 war den Abgeordneten präsenter als das nationalsozialistische Verbot der SPD 1933. Argumente für ein Parteiverbot waren also nicht historisch mittels konkreter Beispiele zur NSDAP begründet, sondern mit damals aktuellen Entwicklungen in der »Ostzone« (Schwalber, KombA I, Sitzung v. 16.9.1948, 29). Zwar wurde von »12 Jahre[n] Diktatur« (Katz, 145

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

KombA I, Sitzung v. 24.9.1948, 174) gesprochen, doch ohne diese Jahre zu kennzeichnen und zu spezifizieren. Vielmehr war sogleich die Rede von »Diktaturparteien der Kommunisten und Nationalsozialisten« (Katz, ebd.).

2.3.3 Die Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG Die Vorlage für den heutigen Art. 79 Abs. 3 GG war der Art. 108 HChE: Art. 108. Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig. (Verfassungskonvent 1948, 77)

In der 13. Sitzung des Organisationsausschusses am 13. Oktober 1948 wurde vorgeschlagen, den Art. 108 HChE zu streichen. Eine Abstimmung dazu erfolgte allerdings nicht, sondern die Debatte wurde auf die folgende Sitzung verschoben (vgl. Robert Lehr (CDU), OrgA I, Sitzung v. 13.10.1948, 555). Am 14. Oktober 1948, in der 14. Sitzung, wurde der Art. 108 HChE aus der Vorlage gestrichen (vgl. OrgA I, Sitzung v. 14.10.1948, 573). Katz (vgl. ebd., 572) führte aus, dass man in einer Verfassung oder mittels Gesetz nicht versuchen brauche, Revolutionen für illegal zu erklären; sie seien sowieso illegal. »[E]bensogut könne man durch einen Maueranschlag verkünden ›Einführung der Diktatur ist verboten‹« (Katz, ebd.). Paul de Chapeaurouge (CDU) (ebd.) gab an, dass es noch einen weiteren Zweck des Artikels gebe, nämlich Gesetzesanträge, die »inhaltlich auf die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung hinzielen«, gar nicht erst zur Verhandlung kommen zu lassen. Katz (ebd.) erwiderte, dass jeder Vorsitzende einer gesetzgeberischen Institution solche Anträge von vornherein nicht zulassen dürfe. Albert Finck (CDU) (vgl. ebd., 572f.) beantragte, falls es nicht zu einer Streichung des Artikels kommen sollte, dass neben der freiheitlichen und demokratischen auch die bundesstaatliche Ordnung zu schützen sei. Die Abstimmung ergab eine Streichung des Artikels (vgl. ebd., 573). In der 29. Sitzung des Organisationsausschusses am 11. Januar 1949 beantragte Dehler (vgl. OrgA II, Sitzung v. 11.1.1949, 1016) die Wiederaufnahme des Art. 108. Wir sind der Meinung, [...] es soll einem Revolutionär nicht die Möglichkeit gegeben werden, zu behaupten, die Verfassung sei auf legalem Wege außer Kraft gesetzt worden. Das sind Dinge, die eine praktische Rolle gespielt haben. Das Dritte Reich hat damit manipuliert, das Ermächtigungsgesetz sei aufgrund der Weimarer Verfassung, also legal 146

VERFASSUNGSGEBUNGSPROZESS

zustande gekommen; damit sei die Grundlage des Dritten Reiches gesetzmäßig gewesen. (Dehler, ebd., 1016)

Debattengrundlage in dieser Sitzung des Organisationsausschusses war der Vorschlag des ARA vom 13. Dezember 1948. Dieser hatte plädiert, den Art. 108 HChE wie folgt neu zu formulieren: Der Verfassungsänderung gemäß Art. 106 sind die in den Artikeln 1 und 21 dieses Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze entzogen. (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 374 v. 16.12.1948, 172)

Der Redaktionsausschuss hatte über seine redaktionelle Tätigkeit hinaus die Art. 1 und 21 (der heutige Art. 20 GG) als Ersatz für die Formulierung »freiheitliche und demokratische Grundordnung« vorgeschlagen. Er stellte in seiner Begründung fest, dass die Art. 1 und 21 die »Grundsubstanz« der zukünftigen Verfassung seien. Außerdem entgegnete der ARA – ohne direkt auf ihn Bezug zu nehmen – dem Abgeordneten Katz, dass »revolutionären antidemokratischen Bewegungen« mit diesem Artikel die Möglichkeit genommen werde, »mit demokratischen Mitteln« vorzugehen und ihre »fehlende Legitimität« durch die Berufung auf ihr »äußerlich ›legales‹ Zustandekommen« auszugleichen (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 374 v. 16.12.1948, 172). Dehler brachte diese Argumente in der Debatte vor; Katz (vgl. OrgA II, Sitzung v. 11.1.1949, 1016f.) wiederholte seine Ansicht zur Sinnlosigkeit dieses Artikels. Dehler (ebd., 1018) hielt dagegen: Nein! Wir wollen doch auch verhindern, daß auf legalem Wege zum Beispiel die Monarchie eingeführt wird. Das würden Sie [Katz, Anm. d. Verf.] zulassen, wenn Sie das nicht durch eine Bestimmung ausschließen. Dann könnte ev[en]t[uel]l durch ein Referendum oder durch einen Antrag im Parlament die Einführung der Monarchie beschlossen werden. Das darf doch nicht sein. Sie müssen bestimmte demokratische Grundsätze festlegen, die nicht geändert werden dürfen.

Dehler beantragte daraufhin, den vom Redaktionsausschuss vorgeschlagenen Art. 108 wieder aufzunehmen, was aber abgelehnt wurde. Der Art. 108 blieb gestrichen. Doch schon am folgenden Tag wurde der Vorschlag des ARA in der 36. Sitzung des Hauptausschusses wieder eingebracht. Carlo Schmid (SPD) (HptA II, 12.1.1949, 1118) stimmte Dehler zu und stellte heraus, dass es ein Unterschied sei, ob man sich legal zu einer Revolution bekennen müsse oder ob man die Möglichkeit habe, »unter dem Schutz der Scheinlegalität effektiv Revolution zu machen, ohne sich dazu bekennen zu müssen«. Die »Dummen im Volk« bekäme man so leichter 147

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

hinter sich, als wenn man von vornherein klarstellen müsste: »Ich will eine Tyrannei errichten und die Demokratie abschaffen« (Schmid, ebd.). In der Abstimmung wurde der Artikel diesmal wieder aufgenommen.22 In der vierten Lesung des Hauptausschusses, am 5. Mai 1949, fand der Artikel zu seiner abschließenden Fassung. Der Redaktionsausschuss hatte einen neuen Vorschlag gemacht: Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die im Artikel 21 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig. (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 751 v. 2.-5.5.1949, 516)23

Georg-August Zinn (SPD) (HptA. II, Sitzung v. 5.5.1949, HauptA, 1806) beantragte, dass es »oder die in den Artikeln 1 und 21 nieder gelegten Grundsätze« heißen solle. Dieser Antrag wurde angenommen. Nach dieser Abstimmung erhielt der Artikel die Nummer 79 (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 850 v. 5.5.1949, 552). Katz (vgl. OrgA I, Sitzung v. 14.10.1948, 572) betonte in der Debatte um die Ewigkeitsgarantie, dass Revolutionen per se im Lichte der alten Ordnung illegal und nicht per Gesetz zu verhindern seien. Diese Position fand allerdings keine Mehrheit, da die Abgeordneten die Möglichkeit der Behauptung der Legalität eines potentiellen revolutionären Umsturzes nicht zulassen wollten. Sie behaupteten zwar nicht direkt die Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme, sahen aber die Notwendigkeit, eine solche Behauptung qua Verfassung ausschließen zu können. Der Umsturz solle klarer rechtlich verboten sein (vgl. Dehler, OrgA II, Sitzung v. 11.1.1949, 1018). 22 In einer Stellungnahme zu den beschlossenen Artikeln des Hauptausschusses erarbeitete der ARA noch eine neue Formulierung: »Eine Änderung des Grundgesetzes ist unzulässig, die den Grundsatz der unmittelbaren Geltung der Grundrechte (Artikel 1) oder die demokratische, republikanische und rechtsstaatliche Ordnung (Artikel 21) antastet« (Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 543, 25.1.1949, 254). Diese Änderung wurde aber nicht weiter berücksichtigt (vgl. Entwürfe zum GG, Drs. Nr, 591, 371). Vom interfraktionellen Fünferausschuss wurde die bisherige Fassung (vgl. Entwürfe zum GG, Drs. Nr. 370, 172) angenommen. 23 Der Redaktionsausschuss hatte offensichtlich Artikel 1 aus der Ewigkeitsklausel herausnehmen wollen. Anhand der Quellenlage ist die Begründung dafür nicht nachvollziehbar. Die Forschung spekuliert, dass die Menschenwürde des Art. 1 als »Ewigkeitsbestand als selbstverständlich und als unabdingbarer Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorausgesetzt« (Bauer-Kirsch 2005, 236) galt und deshalb schlicht nicht erwähnt worden sei. Belege für diese Mutmaßung gibt es nicht.

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Diese Position blendet aus, dass die nationalsozialistische Machtübernahme nach der Weimarer Reichsverfassung nicht legal war. Auch in der Weimarer Republik hätten nicht zulässige Gesetze nach Art. 76 WRV abgelehnt werden bzw. hätte gegen ihr Zustandekommen mindestens geklagt werden können (vgl. IV 2). Der Art. 76 WRV ermöglichte zwar Verfassungsänderungen mit einer qualifizierten Mehrheit – und dies ist gemeinhin die Grundlage für den unterstellten Wertrelativismus Weimars –, dies jedoch nur auf parlamentarischem Wege und nicht mit Waffengewalt (vgl. Gusy 1991, 29f.). Die Delegitimierung von Umsturzversuchen – durch die Verunmöglichung der Legalitätsbehauptung – mittels Setzung absoluter Werte umgeht die Verantwortung der politischen Eliten in Weimar. Politische Kämpfe und Mehrheitsverhältnisse sind damit gegen universelle Werte gesetzt und so verdeckt. Die Weimarer Repu­ blik ist auch an der mangelnden Unterstützung bzw. an der Untergrabung von Exekutive und Judikative gescheitert. Wenn Gesetze auf den Weg gebracht werden, die nicht mit den in der Verfassung normierten Regeln übereinstimmen, müssen sie abgelehnt werden – und zwar von den Akteur*innen in der Legislative, der Judikative und der Exekutive. Dazu braucht es keine objektive Wertordnung. Das elitäre Argument von der ›dummen Bevölkerung‹, die durch eine Legalitätsbehauptung hinter die revolutionäre Bewegung geschart werden könne (vgl. Schmid, HptA II, 12.1.1949, 1118), vergisst die Relevanz der Legalitätsbehauptung der nationalsozialistischen Propaganda für Justiz und Bürokratie in der Weimarer Republik. Es ging den nationalistischen Staatsrechtlern, die die nationalsozialistische Revolution rechtfertigten, darum, den Großteil der Akteur*innen in den Staatsapparaten für sich zu gewinnen, um ihre Macht zu stabilisieren. Dazu konnten sie auf der konservativen und obrigkeitsstaatlichen Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie aufbauen und eine Herstellung tatsächlich rechtmäßiger Zustände im Sinne deutscher Tradition durch die nationalsozialistische Machtübernahme behaupten (vgl. IV 2).

2.4 Zusammenfassung Für den Verfassungsgebungsprozess ist festzuhalten, dass die fdGO noch keine genaue Ausformulierung erhalten hatte. Man sprach in den Debatten nicht über den genauen Inhalt der Grundordnung. Aus den Protokollen und Vorschlägen ist zu entnehmen, dass die fdGO so etwas wie der »Geist« (HChE 1981, 305) des Grundgesetzes sei, den man schützen wolle. Aus dem zunächst geplanten Art. 108 HChE wurde die ›freiheitliche und demokratische Grundordnung‹ gestrichen. Stattdessen setzten die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates die Art. 1 und 20 als Kernbestand der Verfassung in den Art. 79 Abs. 3 GG. Damit ist 149

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anzunehmen, dass sie in diesen beiden Artikeln einen Ersatz für die Formulierung fdGO sahen. Andere inhaltliche Näherungen wurden nur bei den Konjunktionen vorgenommen: Soll nun ein »und« oder ein »oder« zwischen den Worten freiheitlich und demokratisch stehen oder verknüpfe man die Wörter direkt, also »ohne Komma« (Heuss, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951). Dabei sind Äußerungen gefallen, die eine Konkretisierung erahnen lassen. Die ausschlaggebende war, dass es neben der freiheitlichen auch eine »volksdemokratische« (von Mangoldt, ebd., 951) Grundordnung geben könne und dass man diese ausschließen möchte. Hier richtete sich der Blick der Abgeordneten explizit auf die SBZ. ›Freiheitlich‹ bedeutete ›nichtkommunistisch‹. Der Nationalsozialismus spielte dabei eine geringere Rolle. Wenn eine oberflächliche Benennung erfolgte, wurde zugleich die antitotalitaristische Parallele zur SBZ gezogen (vgl. Katz, KombA I, Sitzung v. 24.9.1948, 174). Eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Machtübernahme, der Transformation des demokratischen Weimarer Systems oder der Festigung des nationalsozialistischen Regimes fand nicht statt. Der Antitotalitarismus ermöglichte durch eine oberflächliche Benennung eine Verdrängung der unmittelbaren Vergangenheit. Zugleich war die Ablehnung dessen, was als Kommunismus galt, ein Integrationsmoment, mit dem sich alle Parteien – bis auf die KPD natürlich – identifizieren konnten. Die in der Politikwissenschaft gängige Darstellung der Verfassungsgebungsprozesse macht eine Deutung, die Teil der Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹ ist, zum Konsens: ›Antidemokratischen Bewegungen‹ solle nicht die Möglichkeit zum Sturz der Demokratie mit legalen Mitteln gegeben werden und zu Parteiverboten habe es keine Meinungsverschiedenheiten im Parlamentarischen Rat gegeben (vgl. Niclauß 1998, 202, 206). Dabei werden die politischen Differenzen in der Deutung des Weimarer Scheiterns verdeckt, die gerade in den Diskussionen um die Landesverfassungen noch deutlicher erkennbar und weniger von den politischen Weichenstellungen des Ost-West-Konflikts geprägt waren. Aus der Debatte um die Verwirkung der Grundrechte wird deutlich, dass politische Freiheitsrechte nicht zu den vorbehaltlos garantierten Grundrechten gehören sollen. Dass es die Möglichkeit eines Missbrauchs von politischen Rechten und eine Instanz gibt, die der Beurteilung dessen überhaupt fähig ist, wurde damit im Verfassungsgebungsprozess vorausgesetzt. Ein Missbrauch der Eigentumsfreiheit – und damit eine antifaschistische Deutung der nationalsozialistischen Machtübernahme – wurde nicht aufgenommen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die NSDAP mit legalen Mitteln oder mindestens mit dem Anschein der Legalität an die Macht gekommen sei. Eine Auseinandersetzung mit der einseitigen Anwendung der Republikschutzgesetze oder der verbreiteten antirepublikanischen 150

DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHTSGESETZ 1951

Ausrichtung der Justiz und der Bürokratie, mithin dem wackligen Weimarer Kompromiss, fand nicht statt (vgl. IV 1, 2). Die Einschränkung von Grundrechten als einer der ersten Schritte zur Etablierung eines illiberalen politischen Systems oder einer Diktatur wird dabei keine Rechnung getragen. Die Abgeordneten diskutieren bspw. nicht die Rolle der Reichstagsbrandverordnung für den Nationalsozialismus und ihre Einschränkung der Grundrechte. Eine Analyse, die das Scheitern der Weimarer Republik in den staatlichen Institutionen verortet, hätte ein stärkeres Gewicht auf Kontrolle und mögliche Sanktionen der Exekutive und der Justiz gelegt und nicht Grundrechtsverwirkung von Einzelpersonen und Parteiverbote als primäre Instrumentarien geschaffen. So ist es auch in der Debatte um die hessische Landesverfassung 1946 und das hessische Staatsschutzgesetz 1947/48 geschehen. Diese Stoßrichtung der ›wehrhaften Demokratie‹ wurde aber vom Parlamentarischen Rat in der Konzeption des Art. 18 GG übergangen.

3. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz 1951 Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) vom 12. März 1951 regelt die Zuständigkeiten und Verfahrensweisen des am 28. September 1951 gegründeten Bundesverfassungsgerichts. In § 13 Nr. 1, 2 und 9 bestimmt das Gesetz, dass das BVerfG über die Verwirkung von Grundrechten (Art. 18 Abs. 2 GG), das Verbot von Parteien (Art. 21 Abs. 2 GG) bei Gefahr für die fdGO und die Anklage von Richter*innen bei Verstoß gegen die »Grundsätze des Grundgesetzes« (Art. 98 Abs. 2 GG) entscheidet. In den §§ 36ff. konkretisiert das BVerfGG die dazu nötigen Verfahrensvorschriften. Zuständiger Referent für das BVerfGG im Bundesjustizministerium war Willi Geiger.24 Er versuchte in den Verfahrensvorschriften, eine Bestimmung der fdGO im Gesetzestext unterzubringen. Dieser Versuch wurde aber schon auf exekutiver Ebene aus 24 Willi Geiger war während des Nationalsozialismus Staatsanwalt am Sondergericht in Bamberg, hat dort an mindestens fünf Todesurteilen mitgewirkt; in seiner Doktorarbeit von 1941 verteidigte er antisemitische Berufsverbote und argumentierte gegen den Liberalismus und seinen Schutz des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen (vgl. Klee 2011, 177; Kramer 1998, 373, 375). Nach 1945 blieb er zunächst in Bamberg. 1949 wurde er Leiter des Verfassungsreferats im Bundesjustizministerium (vgl. Kramer 1998, 375), 1950 Richter und 1951 Senatspräsident am Bundesgerichtshof. Von 1951 bis 1977 war er zugleich Richter am Bundesverfassungsgericht. Geiger war im Verfahren zu den aus dem Radikalenerlass der Regierung Brandt resultierenden Berufsverboten von 1975 (BVerfGE 39, 334) Berichterstatter (vgl. Kramer 1998, 376).

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dem Text gestrichen. Allerdings war er eine Orientierung für folgende Gesetze (vgl. V 4). In der Fassung des Gesetzes vom 9. Februar 1950 war unter den besonderen Verfahrensvorschriften eine erste fdGO-Definition zu finden: im ersten Abschnitt, der die Modalitäten für ein Verfahren um den Entzug der Grundrechte nach Art. 18 GG regelte (§ 35), und im fünften Abschnitt, in dem es um die Richteranklage (§ 53) ging.25 § 35 Die freiheitliche demokratische Grundordnung greift an, wer sich für die Beseitigung der Grundrechte, der politischen Parteien, der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl der Volksvertretungen, der Teilung der Gewalten, der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung, der Unabhängigkeit der Gerichte oder der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einsetzt. (BArch B 141/70, pag. 29) § 53 Ein Verstoß gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes liegt vor, wenn sich der Richter für die Beseitigung der Grundrechte, der politischen Parteien, der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl der Volksvertretungen, der Teilung der Gewalten, der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung, der Unabhängigkeit der Gerichte oder der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einsetzt. (ebd., pag. 34f.)

In der Begründung des Entwurfes ist zu § 35 angegeben, dass der Begriff der fdGO »unbestimmt« sei und seine »Anwendung auf den Einzelfall [...] Schwierigkeiten bereiten« werde (ebd., pag. 56). Der Paragraph solle eine Interpretationshilfe darstellen, die »mit Bedacht nicht [...] sagt, ›die freiheitliche demokratische Grundordnung greift nur an‹« (ebd., Herv. i. O.). Der Definitionsversuch sollte also zunächst nicht endgültig und ausschließlich sein. Das BVerfG solle in seiner Auslegung den Begriff noch weiter entwickeln. Warum an dieser Stelle dennoch ein 25 Im ersten Entwurf des Gesetzes vom 6. Dezember 1949, der sich im Nachlass von Bundesminister Dehler befindet (vgl. Schiffers 1984, 9f.) und nicht in den hier gesichteten Akten des Justizministeriums im Bundesarchiv auftaucht, steht unter § 29: »Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist in jedem Falle angegriffen, wenn eine Person oder Organisation für die Beseitigung der Grundrechte, der politischen Parteien, der Trennung der Gewalten, der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung, der Unabhängigkeit der Gerichte oder der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eintritt« (zit. n. ebd.).

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DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHTSGESETZ 1951

Definitionsvorschlag im Gesetz stehen müsse, begründet Geiger (ebd., pag. 57) wie folgt: Die Vorschrift verfolgt ein doppeltes Ziel: einmal soll sie dem Bürger plastisch vor Augen stellen, was zu den Grundwerten der Demokratie gehört; er soll wissen, wann er auf jeden Fall mit der Verwirkung eines Grundrechtes zu rechnen hat; zum anderen soll die Bestimmung für die Antragsteller bei der Frage, ob ein solches Verfahren eingeleitet werden soll, und für das Gericht – insbesondere zu Beginn seiner Rechtsprechung – eine Richtlinie und ein Anhaltspunkt dafür sein, was sich der Gesetzgeber unter der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« vorgestellt hat.

In der Begründung von § 53 wird auf dieses unter § 35 Dargelegte verwiesen. Geiger ist hier als Ministeriumsreferent in der Position, die fdGO bzw. wie er schreibt, die »Grundwerte[...] der Demokratie« (ebd.), schon vor jeglicher legislativen und judikativen Diskussion individuell vorzuprägen. Sein Vorschlag stößt bei den anderen Ministerien allerdings auf Ablehnung. In der Kabinettssitzung am 10. Februar 1950 äußert der Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU) Bedenken: Zunächst sei diese Bestimmung nicht Verfahrensrecht, sondern materielles Recht. Außerdem sei eine befriedigende Definition dessen, was man unter einem Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verstehen habe, schwerlich zu finden und werde am besten der Rechtsprechung des Gerichts selbst überlassen. (Lehr, Kabinettsprot. v. 10.2.1950, TOP 1)

In einer darauffolgenden Referentenbesprechung am selben Tag zwischen Geiger und Wilhelm von Nathusius für das Bundesinnenministerium und Joachim von Merkatz26 für das Bundesministerium für die 26 Hans Joachim von Merkatz (vgl. 1935) studierte Rechtswissenschaft und promovierte beim Staatsrechtler Otto Koellreutter (vgl. Fn. 10, Kap. IV) zum Thema Ministerialverantwortlichkeit. Seine Problemstellung ist die Verantwortlichkeit politischer Führung (vgl. von Merkatz 1935, 1). Dabei schwankt er zwischen rationaler Zweckbindung und Führerstaat, der Rationalität nicht als Beschränkung duldet. Als Ergebnis präsentiert er die gewissensmäßige Verantwortlichkeit der Führung »vor Gott und vor der Geschichte, in der sich das Wirken ewiger Mächte als Schicksal des Volkes erfüllt« (ebd., 5). Von 1935 bis 1938 war er Referent am Kaiser-WilhelmInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und von 1938 bis 1945 Generalsekretär des Ibero-Amerikanischen Instituts Berlin (vgl. Vierhaus und Herbst 2002a, 555), in dem er sich nach eigener Aussage vom NS abgegrenzt aufhalten konnte (vgl. Strelow 1995, 315). 1956 bis 1957

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Angelegenheiten des Bundesrates sprachen sich die beiden anderen Referenten für eine Streichung der beiden Paragraphen aus (vgl. BArch B 141/70, pag. 99). Eine Einigung konnte nicht erzielt werden und das Kabinett solle entscheiden. Ein neuer Entwurf nach der Referentenbesprechung enthält weiterhin Geigers Definitionsversuche. Er wollte, dass die Vorschriften »zunächst einmal als Diskussionsgrundlage bei den Beratungen in den gesetzgebenden Körperschaften« (ebd., pag. 102) erhalten bleiben, denn gegen sie selbst seien »bisher keine Einwendungen erhoben« (ebd.). Obwohl der Bundesjustizminister noch einmal betonte, dass die beiden Paragraphen »notwendige Ergänzungen der materiellen Bestimmungen des Grundgesetzes« (Dehler, Kabinettsprot. v. 17.2.1950, TOP 1) seien, beschloss das Kabinett, die §§ 35 und 53 zu streichen (vgl. Kabinettsprot. v. 17.2.1950, TOP 1). Der dem Bundesrat zur Diskussion vorgelegte Entwurf vom 1. März 1950 enthält die beiden Paragraphen nicht mehr (vgl. BR-Drs. Nr. 125/50).27 In der Begründung der Vorlage für den Bundestag vom 28. März 1950 ist lediglich unter § 34 noch zu lesen: »Die schwierige Auslegung des Begriffs ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ (Art. 18 GG) ist hier – wie im Verfahren nach Art. 98. Abs. 2 GG die des Begriffs ›Grundsätze des Grundgesetzes‹ – nicht ohne erhebliche Bedenken der Rechtsprechung überlassen« (BT-Drs. Nr. 1/788, 29).28 Allgemein sollte die Einrichtung eines Verfassungsgerichts mit umfassenden Aufgaben »eine Antwort auf die Erfahrungen mit dem war er Bundesjustizminister, 1960 bis 1961 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (vgl. Vierhaus und Herbst 2002a, 556). Von Merkatz pflegte einen Antitotalitarismus, der auch der bundesrepublikanischen Demokratie skeptisch gegenüberstand und um die verloren gegangenen preußischen Werte in der Massengesellschaft trauerte – Familie, Ehe, Gemeinsinn, Arbeitsethos (vgl. von Merkatz 1964; Strelow 1995, 320f.). Die Teilung Deutschlands war für ihn in geschichtsrevisionistischer Verdrehung »Ergebnis der Eroberung und Abschnürung Mittel- und Ostdeutschland durch die Sowjets« (von Merkatz 1957, 58), nicht des von den Deutschen begonnenen Zweiten Weltkriegs. 27 In der ersten Fassung zum BVerfGG, die an den Bundesrat weitergeleitet wurde (vgl. BArch B 141/70, pag. 143ff.), fanden sich die Paragraphen allerdings noch (vgl. BR-Drs. Nr. 125/50, F. v. 24.2.1950). Am 1. März 1950 wurde eine Neufassung ohne die Definition nachgereicht (vgl. BR-Drs. Nr. 125/50, F. v. 1.3.1950; BArch B 141/71). Diese Neufassung findet sich dann im Parlamentsarchiv als erste Fassung in der Gesetzesdokumentation, die während des legislativen Prozesses eingereicht wurde (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, 3). 28 In einem Gesetzeskommentar zum BVerfGG von 1952 zitiert Geiger seinen Definitionsversuch aus dem Referentenentwurf und verlieh seinem Unmut

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DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHTSGESETZ 1951

nationalsozialistischen Regime« (Schiffers 1984, XXII) sein. In den Gesetzesberatungen wurde sich vom Rechtspositivismus abgewandt (vgl. ebd.). Schiffers (ebd.) bringt dafür die Erfahrungen mit dem Rechtspositivismus während des Nationalsozialismus in Anschlag. Als Beleg zitiert er Karl Larenz‹29 Methodenlehre. Dieser argumentierte 1960, dass die »Abkehr vom Positivismus in der Rechtspraxis [...] durch über die Streichung dieser Paragraphen noch einmal Ausdruck. Die im Referentenentwurf von Geiger noch als »Richtlinie« und »Anhaltspunkt« (BArch B 140/70) betitelte Definition wird in seinem Gesetzeskommentar zur »Auslegungsregel« (Geiger 1952, 136). Zudem gibt er im Kommentar – ganz nebenbei – eine neu formulierte Bestimmung der »Rechtsgrundsätze [...], die diese Verfassung als freiheitliche und demokratische charakterisieren« (ebd.): »Dazu gehören die Anerkennung unveräußerlicher und unverletzlicher Grundrechte, die die Staatsgewalt (einschließlich der Gesetzgebung) beschränken, das Prinzip der Gewaltenteilung, insbesondere die Unabhängigkeit der Gerichte auch gegenüber dem Parlament, das Recht des Bürgers zur aktiven Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen Ordnung, insbesondere im Wege regelmäßig wiederkehrender freier, gleicher, geheimer Wahlen, und der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit; zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Staates, wie sie das Grundgesetz enthält, gehört außerdem, daß die rechtliche und faktische Möglichkeit besteht, daß sich mehr als nur eine politische Partei bildet, daß sich diese mehreren Parteien frei entfalten und nach ihrer Entschließung im öffentlichen Leben und im Parlament, auch gegenüber einer Regierung, als Opposition auftreten können, daß das staatliche und öffentliche Leben grundlegenden Entscheidungen innerhalb der nach der Verfassung berufenen Organe gefällt und nicht außerhalb ihrer in anderen Organisationen und Verbänden getroffen und dem Parlament aufgezwungen werden. Wer gegen diese Grundsätze ankämpft, bekämpft die freiheitliche, demokratische Grundordnung unseres Staates« (ebd.). Hier, in seiner Funktion als Autor eines Gesetzeskommentars, stellt Geiger (vgl. ebd.) eine Definition auf, die er selbst über die ›Verfassungsgrundsätze im Sinne des Strafrechts‹ aus dem Gesetzgebungsprozess zum 1. StÄG 1950/51 (vgl. V 4) stellt. Diese 1951, nach Verabschiedung des BVerfGG, unter § 88 StGB aufgestellten Grundsätze bezeichnet er als »Anhaltspunkt – aber nicht mehr« (ebd., 132). 29 Larenz bekam 1933 nach dem nationalsozialistischen Gesetz zur »Widerherstellung des Berufsbeamtentums« an der Universität Kiel einen Lehrstuhl (vgl. I. Müller 1987, 77). Die juristische Fakultät an der Universität Kiel war ein »Musterbeispiel nationalsozialistischer Berufspolitik« und gab der »Justiz für ihre mörderischen Konstruktionen die geistigen Grundlagen« (I. Müller 1987, 88; ähnlich: Ruppert 2008, 193). Larenz war einer der »wichtigsten NS-Theoretiker im Zivilrecht« und arbeitete am nationalsozialistischen Großprojekt »Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften« (vgl. dazu: Hausmann 2007) mit (Klee 2011, 358). 1949 lehrte Larenz wieder in Kiel, bis er 1960 an die Universität München gerufen wurde.

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die abschreckenden Erfahrungen veranlaßt worden [ist], die man in Deutschland und anderwärts mit dem praktischen ›Positivismus‹ einer sich an nichts gebunden haltenden Diktatur gemacht hat« (Larenz 1960, 122). Der »›Beliebigkeit‹ des Inhalts des positiven Rechts« (ebd.) setzt Larenz (ebd. 127) ein »relatives Naturrecht der geschichtlich erfahrenen Werte« entgegen, die eine positive Wertordnung bilden (vgl. IV 1, 3). Der Versuch der Festlegung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im BVerfGG kann als erste Grundlegung dieser Wertordnung gesehen werden. Geigers (1952, 136) Versuche, dem zukünftigen Bundesverfassungsgericht eine »Auslegungsregel« vorzugeben, sind zwar gescheitert – sehr zu seinem Ärger, wie seinen Kommentaren zu den Gesetzesvorlagen und seiner Stellungnahme in der Kommentierung zum BVerfGG zu entnehmen ist. Er hat aber Prinzipien aufgestellt, die in den späteren Debatten wieder auftauchen, und damit die Definition der fdGO vorgeprägt. In den Beratungen zum 1. Strafrechtsänderungsgesetz 1950/51 wird Geiger erneut um seine Expertise gebeten.

4. Das erste Strafrechtsänderungsgesetz 1951 Nach 1945 strichen die Alliierten mit den Kontrollratsgesetzen Nummer 1 und 11 deutsche Gesetze, die als nationalsozialistisch galten (vgl. Safferling 2013, 170ff.; Stolleis 1982). Das waren bspw. Gesetze, die sich auf das »gesunde Volksempfinden« beriefen oder durch ähnliche Generalklauseln gekennzeichnet waren. Dabei wurden die Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, die das politische Strafrecht im engeren Sinne darstellten: Hochverrat, Landesverrat, Diffamierung von Vertreter*innen der Staatsorgane. Das erste Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 (1. StÄG) sollte diese entstandenen Lücken wieder füllen. Es war in die Abschnitte Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat gegliedert. Es führte die alten Tatbestände wieder ein, schuf zusätzlich neue subjektivierte Tatbestände und verlagerte die Strafbarkeit vor.30 Bei der folgenden Darstellung fokussiere ich auf den Abschnitt Staatsgefährdung und den § 88 StGB (F. v. 1951). Unter diesem Abschnitt fand die erste parlamentarische Debatte um eine Bestimmung der fdGO statt. Ich werde nach einem kurzen Überblick zum Gesetzgebungsprozess mit Blick auf den ersten Entwurf eines politischen Strafrechts von der SPD 30 Das 1. StÄG war »ausschließlich und eindeutig gegen die Kommunisten gerichtet« (Brünneck 1978, 73). Die Forschung ist sich in dieser Darstellung einig. Zur vollständigen Bewertung seiner Anwendung vgl. Brünneck 1978, 71ff.; Copic 1967; Schiffers 1989; Schroeder 1970, 179ff.

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zunächst die erste Lesung im Bundestag beleuchten, zweitens die Diskussionen im Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht, drittens die zweite und dritte Lesung im Bundestag, viertens die Bundesratsdebatten und fünftens erste juristische Kommentare zum neuen § 88 StGB sowie Zeitschriftenartikel, die von am Gesetzgebungsprozess Beteiligten selbst verfasst wurden.

4.1 Überblick zum Gesetzgebungsprozess und SPD-Entwurf Die Reintegration der ehemaligen NS-Funktionselite in die Staatsapparate der Bundesrepublik und dafür exemplarische Ereignisse wie der Fall Hedler31 veranlassten die SPD am 15. Februar 1950, einen Entwurf für ein »Gesetz gegen die Feinde der Demokratie« (BT-Drs. Nr. 1/563) einzureichen. Die SPD begründete ihren Entwurf mit der Dringlichkeit, gegen die »Feinde der Demokratie [...] in den Organen unseres Staates« (Otto Heinrich Greve (SPD)32, BT-Plenarprot. 1/47, 1595) vorgehen zu müssen, um eine Wiederholung der »Fehler der Zeit nach 1918 zu vermeiden« (Greve, ebd., 1594). Der Entwurf war vor allem gegen ›oben‹ gerichtet. Die SPD sah die Ursache für das Weimarer Scheitern noch in fehlender Unterstützung bzw. in der Untergrabung der Republik durch Personen in Bürokratie und Justiz, wie sie es auch noch zur Zeit der Landesverfassungsgebung deutete (vgl. V 2.1). Der Entwurf konzipierte entsprechende Tatbestände, die bspw. Mitglieder der Bundesregierung 31 Wolfgang Hedler (DP) hielt am 26. November 1949 eine Rede im Landtag Schleswig-Holsteins, in der er die Gruppe um den 20. Juli 1944 als »Landesverräter« bezeichnete und – so der sozialdemokratische Protokollant – den Holocaust rechtfertigte (vgl. Ullrich 2009, 352). Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. Doch das Landgericht Kiel sprach Hedler am 31. Januar 1950 mit der Begründung frei, seine Äußerungen seien nicht erwiesen gewesen (ebd.). Mit Misstrauen gegenüber der Justiz und Vergleichen mit der Weimarer Republik rechtfertigte die SPD nun ihren Vorstoß zum strafrechtlichen Demokratieschutz (vgl. Greve, BT-Plenarprot. 1/47, 1594). 32 Otto Heinrich Greve war von 1926 bis 1933 Mitglied im Reichsbanner »Schwarz-Rot-Gold«. Ab 1936 war er im Justizdienst, aus dem er 1938 entlassen wurde. Bis 1945 war er kaufmännischer Direktor und Syndikus. Greve war Mitglied im Parlamentarischen Rat. Zunächst Mitbegründer der FDP, trat er 1948 in die SPD ein. Ihn prägte eine Skepsis gegenüber der Demokratiefähigkeit der deutschen Bevölkerung: »Der Deutsche war bisher kein Demokrat und ist es auch heute noch nicht. Er gibt sich nur als solcher aus, weil ihm im Augenblick nichts anderes übrig bleibt« (Greve 1946, 11f.).

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(§ 1 Abs. 2 SPD-Entwurf) oder Personen im öffentlichen Dienst (§ 4 SPD-Entwurf) betrafen. Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) (BT-Plenarprot. 1/47, 1597f.) lehnte im Bundestag den SPD-Entwurf als »Sondergesetz« ab und verwies auf sein Vorhaben zur Novellierung des gesamten Strafgesetzbuches. Die CDU-Fraktion wies darauf hin, dass Demokratie »in den verschiedenen Köpfen recht verschieden aussehe« (Kurt Georg Kiesinger (CDU), ebd., 1598): Es könne eine sozialistische, liberale Demokratie oder eine Volksdemokratie sein. Man brauche zur Konzeption eines strafrechtlichen Schutzes der Demokratie zunächst ein »demokratisches ideologisches Existenzminimum« (Kiesinger, ebd.). Der SPD-Entwurf wurde nach der Debatte am 16. März 1950 an den Ausschuss für Verfassungsschutz verwiesen. Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung wurde am 5. Juni 1950 dem Bundesrat überstellt (vgl. BR-Drs. Nr. 366/50). Der Bundesrat beriet in seiner 25. Sitzung am 23. Juni 1950 über den Entwurf und übersendete Änderungsvorschläge an die Bundesregierung, billigte das Vorhaben der Strafrechtsnovellierung aber grundsätzlich (vgl. BR-Drs. Nr. 478/50). Das Bundesjustizministerium brachte am 9. September 1950 den Entwurf in den Bundestag ein und bezog zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates Stellung (vgl. BT-Drs. Nr. 1/1307). In der ersten Lesung, am 12. September 1950 wurde das Gesetz an den Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht verwiesen. Der Ausschuss beriet von Januar bis Juli 1951 über das Gesetz und übersandte seine Vorschläge am 4. Juli 1951 dem Bundestag (BT-Drs. Nr. 1/2414). Am 19. Juli 1951 besprach der Rechtsausschuss des Bundesrates über das Gesetz (vgl. BArch B 141/3031, pag. 22ff.). Nach zweiter und dritter Lesung am 9. und 11. Juli 1951 stimmte der Bundestag dem Gesetz zu. Am 26. und 27. Juli 1951 stimmte auch der Bundesrat für das Gesetz, forderte aber Änderungen in einer nächsten Strafrechtsnovelle (vgl. BR-Drs. Nr. 577/51). Das 1. StÄG wurde am 31. August 1951 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I, 793).

4.2 Die erste Lesung im Bundestag und die Regierungsbegründung Bundesjustizminister Thomas Dehler zeichnete in der ersten Lesung im Bundestag ein Bedrohungsszenario, vor dem sich die Bundesrepublik schützen müsse. Er sprach von einer »Sturmflut«, die das »deutsche Staatsschiff« gleich der »Arche Noah« zu überstehen habe (Dehler, BT-Plenarprot. 1/83, 3105). Die durch die alliierten Kontrollratsgesetze entstandenen Lücken im Strafrecht sollen dazu geschlossen werden. Die neue Bundesrepublik dürfe durch eine »Überdosierung der Freiheit« (ebd.) nicht den gleichen Fehler machen wie die Weimarer Republik. 158

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Zuviel Freiheit würde zum »Freitod« führen, deshalb müsse man ein »Freiheitsopfer« bringen (ebd.). Die Notwendigkeit zur Erweiterung des politischen Strafrechts sah Dehler in der Modernisierung der Methoden politischer Straftaten. Die »Machtergreifung« Hitlers sei dafür das beste Beispiel (ebd., 3107). Man habe es mit einer »kalten Revolution«33 zu tun, die sich nicht dem Mittel 33 Der Begriff »kalte Revolution« geht auf den während des Nationalsozialismus in die USA emigrierten Politikwissenschaftler und Soziologen Siegmund Neumann zurück (vgl. Schiffers 1998, 91), der in einem Aufsatz 1949 schrieb: »Gone are the individual exploits, the spontaneity of action, the romantic hero, the intimacy of localized encounters [...]. Today’s spasm reflects a different atmosphere and attitude altogether – cold, calculated, coordinated« (S. Neumann 1949, 339). Neumann beschreibt, dass sich die revolutionären Methoden vom glühenden Barrikadenkampf zu kalkulierten und rationalen Planungen gewandelt haben sollen. Im Gesetzgebungsprozess wird in diesem Zusammenhang auf das Schweizer Recht und den dortigen Bundesanwalt Werner Lüthi rekurriert. In seinem 1951 erschienenen Buch zum Staatsschutz schrieb dieser: »Wir sind gewarnt aus der Kenntnis der anderwärts zutage getretenen neuzeitlichen Umsturzmethoden. Nach sorgfältig ausgearbeitetem Plan, unter ausländischer Leitung, mittels Unterbringens politischer Gesinnungsgenossen in wirtschaftliche und politische Schlüsselstellungen, durch vielfältige Formen der Infiltration, im Wege der Staatszersetzung, durch Angriffe auf Regierung, Polizei und Militär, durch Propaganda, Schulung von Militanten und Aktivisten, Schaffung von Betriebsgruppen – so wird die sog. kalte Revolution vorbereitet« (Lüthi 1951, 151). Dieses Bedrohungsszenario ist im gesamten Gesetzgebungsprozess präsent. Neben Bundesjustizminister Dehler im Bundestag beschrieb es bspw. auch der Vorsitzende des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, im Rechtsausschuss (vgl. V 4.3.4). Das Bild wird vor allem auf die sozialistischen Staaten bezogen. John (PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 15, 13) warnte z.B. vor kommunistischen Führern, deren Ziel es sei, mit den neuen Methoden der »kalten Revolution« durch die Weltrevolution Deutschland zu unterminieren, da die Beherrschung Deutschlands der erste entscheidende Schritt zur Weltherrschaft sei. Gelegentlich erfolgt eine Parallelisierung mit den Methoden des Kalten Krieges, die keine unmittelbare Gewaltanwendung beinhalten würden, sondern die »Widerstandskraft der gegnerischen Bevölkerung auf dem Wege der Desorganisation und seelischen Zermürbung« (BT-Drs. Nr. 1307, S. 34) niederzwängen. Als Belege dienten der Verweis auf Lüthi und die Beispiele des BfV in der Ausschusssitzung. Andere empirische Nachweise werden nicht vorgebracht. Sicherlich werden gerade die geheimdienstlichen Tätigkeiten in der sich zuspitzenden Systemkonfrontation des Kalten Krieges zugenommen haben – auf allen Seiten und gerade auch an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten. Doch statt einer tatsächlich bedrohlichen Lage, die die Bundesrepublik destabilisieren könnte, ist anzunehmen, dass die »kalte Revolution« als überzeichnetes antikommunistisches Szenario etabliert wird, um eine Verschärfung des politischen Strafrechts zu legitimieren und den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Das Wittern

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der Gewalt bediene und die es Adolf Hitler ermöglicht habe, von einer legalen Machtübernahme zu sprechen (vgl. ebd.). Es sei notwendig, »›vor‹ dem Hochverrat« (ebd., 3108) – also präventiv – den Staatsschutz anzusetzen. Der Bundesrat hatte zwar eine öffentliche Debatte in Wissenschaft und Politik zu dem neuen Strafrecht gefordert.34 Doch nur zwei Tage nach dessen Beschluss »war Korea« (ebd.) – jegliches Zaudern sei zu beenden. Dehler bringt den Korea-Krieg35 als Beispiel für eine unmittelbare Bedrohung durch den Nachbarstaat DDR ins Spiel. Impliziert wird damit, dass die DDR die BRD genauso wie Nordkorea Südkorea überfallen könnte. Bedrohlicher aber noch als ein direkter Überfall sei das »Trojanische Pferd [...] in unserer Mitte« (ebd.). Die »Ostzone« trachte mit »allen Mitteln der Propaganda, der Wühlarbeit, der Zersetzung« (ebd.) danach, die Bundesrepublik zu untergraben. Die Regelungen gegen Staatsgefährdung – die Regierung kam dem Bundesrat entgegen und verwendete von nun an diesen Begriff anstatt Verfassungsstörung (vgl. BT-Drs. Nr. 1307, Anlage 3, 77) – seien das »Kernstück« (ebd.) des Entwurfs. Aufgrund der »Entwicklung der politischen Lage« und der »Enthüllung kommunistischer Pläne« (ebd., 75f.) mahnte das Justizministerium zur Eile. Nicht nur der Bundesrat, sondern auch die Abgeordneten des Bundestags standen dem neuen Straftatbestand Verfassungsstörung bzw. des allgegenwärtigen Feindes lässt auf verschwörungstheoretische Elemente schließen. Dabei kann das Bild der »kalten Revolution« auf einer deutschen Tradition des Antikommunismus aufbauen (vgl. Korte 2009), die sich während des Nationalsozialismus erhärtete. Das erleichterte die Glaubwürdigkeit des Bedrohungsszenarios, schien es doch nach jahrelanger Propaganda gegen den überall lauernden »jüdischen Bolschewismus«, der mit »jüdischer Methode« die christliche Zivilisation untergrabe (vgl. Pufelska 2010, 47), nur selbstverständlich. 34 Der Regierungsentwurf enthielt in der ersten Lesung noch nicht den Abschnitt »Staatsgefährdung«, unter dem später die Verfassungsgrundsätze festgelegt wurden. Das Ministerium versuchte zunächst, einen anderen Straftatbestand zu schaffen: die »Verfassungsstörung« (BT-Drs. Nr. 1307, § 90). Vor der Bundestagsdebatte hatte der Bundesrat in seiner Sitzung am 23. Juni 1950 gerade diesen Teil kritisiert: »Verfassungsstörung« sei ein neuer juristischer Begriff, der § 90 am besten zu streichen, da der Tatbestand nicht hinreichend abgegrenzt sei und dieses Rechtsproblem »eingehende Erörterung [...] in Wissenschaft und Praxis und in der breitesten Öffentlichkeit« (BR-Drs. Nr. 478/50, 3) benötige. Außerdem empfahl er – durchaus überraschenderweise – den Begriff »Staatsgefährdung«, der schon in der Präambel der nationalsozialistischen Reichstagsbrandverordnung vorkam (so auch: Schroeder 1970, 184). 35 Der Korea-Krieg begann mit dem Angriff nordkoreanischer Truppen auf Südkorea am 25. Juni 1950 (vgl. zum Hintergrund Stöver: 2015).

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Staatsgefährdung skeptisch gegenüber. Der DP-Abgeordnete Hans Ewers36 sah hier die diskussionswürdigsten Punkte. Es seien den Gerichten die Tatbestandsmerkmale »noch nicht so an die Hand« gegeben, dass »ohne eigene politische Auffassung« entschieden werden könne (Ewers, BT-Plenarprot. 1/83, 3115). Ewers weist damit schon auf die zentralen Punkte hin, die den Rechtsausschuss beschäftigen werden. Die Merkmale und das Schutzgut – die fdGO – des neuen Straftatbestands waren im Regierungsentwurf noch nicht eindeutig definiert. In der Begründung zum Regierungsentwurf kommt der Begriff fdGO zwar mehrmals vor, allerdings noch sehr ungenau. Die fdGO sei in der Schweiz eine »seit Jahrhunderten bewährte und in das Lebensgefühl der Bevölkerung eingegangene Selbstverständlichkeit« (BT-Drs. Nr. 1307, 27), trotz seiner »freiheitlichen Tendenz« habe das deutsche Volk hingegen eine »wechselvolle Verfassungsgeschichte« (ebd.). Die demokratischen Freiheiten, da erneut nicht »vom Volke erkämpft«, sondern mit der »Hypothek schwerster nationaler und wirtschaftlicher Not belastet«, dürften nicht zur »Selbstaufgabe der Demokratie« führen (ebd., 28). Von »unbelehrbaren verbrecherischen Anhänger[n] der nationalsozialistischen Ideologie« und »neue[n] verblendete[n] Gegner[n]« (ebd.) gingen Angriffe gegen die fdGO aus. Und »wenn politische Leidenschaften den Blick trüben«, könnten auch aus »den Reihen der demokratischen Parteien« Gefahren erwachsen (ebd.). Dies mache den Aufbau und den Erhalt eines »starken« Staates notwendig, »der seinen Bürgern so viel Freiheit gibt und läßt als irgend vertretbar ist, die Feinde der Demokratie aber mit unerbittlicher Härte trifft« (ebd.). Der Entwurf der Regierung band damit zunächst die Stoßrichtung des SPD-Entwurfs ein. § 90 richtete sich auch gegen »Verfassungsstörung in Ausübung des öffentlichen Dienstes« (ebd., 8), setzte aber, wie die Begründung zeigt, einen starken Staat gegen diese Taten. Die Gefahr erwächst in dieser Sicht aus der Bevölkerung, nicht aus den Staatsapparaten. Lediglich in Bezug auf den neu vorgeschlagenen § 87 und den Begriff der »verfassungsmäßigen Ordnung«, der damals den Hochverrat regeln sollte, erfolgte eine nähere Charakterisierung:

36 Hans Ewers wurde ab 1933 Mitglied des NSRB (vgl. C. Schubert 2012, 85). In seinem 1942 von ihm selbst geschriebenen Lebenslauf bezeichnete er sich als »Widersacher der sozialdemokratischen Klassenkampfpolitik« (zit. n. ebd.). Ab 1947 war er Mitglied des Lübecker Kreisverbandes der Deutschen Konservativen Partei – Deutsche Rechtspartei (DKP-DRP). In der ersten Wahlperiode kam er über ein Mandat der Landesliste Schleswig-Holstein in den Bundestag (vgl. Vierhaus und Herbst 2002a, 196).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Unter verfassungsmäßiger Ordnung sind die Grundlagen des staatlichen Zusammenlebens zu verstehen, also in erster Linie die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 18 des Grundgesetzes, die grundlegenden politischen Staatseinrichtungen und ihr ordnungsgemäßes Funktionieren, wie auch die Aufrechterhaltung des Systems von mindestens zwei politischen Parteien [...]. (ebd., 33)

Das Justizministerium sah in der fdGO die »Grundlagen des staatlichen Zusammenlebens«. Was »ordnungsgemäßes Funktionieren« bedeutet, wurde offengelassen. Außerdem müsse es mindestens zwei Parteien geben, die um die Regierung konkurrierten. Ein Mehrparteiensystem gehöre nach Ansicht des Bundesjustizministeriums zur fdGO. Die erste Begründung des Regierungsentwurfs zu § 90 »Verfassungsstörung«, der in den Ausschussdebatten zunächst der Paragraph für die fdGO werden sollte, benannte die fdGO selbst noch nicht. An dieser Stelle wurde stattdessen auf die Bedrohung durch die »kalte Revolution« hingewiesen (vgl. ebd., 34). Erst in Anlage 3, der Vorlage für die Debatte im Bundestag, die die Regierungsstellungnahme zur Kritik des Bundesrates enthielt, wurde die fdGO in einer umformulierten Fassung des § 90 benannt: (1) Wer in der Absicht, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder zu ändern oder zu untergraben, 1. durch Anwendung von Massenterror, durch die planmäßige Irreführung der Massen oder sonst mit verwerflichen Mitteln a) die Einführung von Maßnahmen oder Einrichtungen betreibt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind, b) auf die Ausschaltung oder Lahmlegung verfassungsmäßiger Einrichtungen hinarbeitet, [...] [...] und dadurch eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder herbeiführt, wird wegen Staatsgefährdung mit Gefängnis bestraft [...]. (ebd., 77f., Herv. d. Verf.)

Das Justizministerium führte in seiner Begründung zu dieser Neufassung des § 90 an, dass der Tatbestand nicht mehr nur wie im bisherigen Entwurf auf die Absicht der Täter*innen, sondern auch auf deren* Handlung abziele. Diese Handlungen müssten eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung herbeiführen können. Anders als beim Hochverrat wurden diese Handlungen aber nicht durch Gewalt 162

DAS ERSTE STRAFRECHTSÄNDERUNGSGESETZ 1951

oder Drohung mit Gewalt definiert, sondern meinten »insbesondere den Massenterror oder die planmäßige Irreführung der Massen [...] und damit die Einführung von Maßnahmen oder Einrichtungen [...], die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind« (ebd., 77). Eine Konkretisierung der Maßnahmen und Einrichtungen, die nicht mit der fdGO vereinbar sind, nahm das Justizministerium nicht vor. Nach der Debatte im Bundestag wurde der Entwurf an den Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Dort wurde beschlossen, zunächst noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz fertigzustellen und erst im Januar 1951 mit den Beratungen zum 1. StÄG zu beginnen.

4.3 Die Ausschussdebatte um die »Verfassungsgrundsätze« Der Ausschuss setzte sich die Aufgabe, den neuen Tatbestand der Verfassungsstörung zu konkretisieren. Schnell akzeptierte die Mehrheit der Abgeordneten den Vorschlag des Bundesrates, von Staatsgefährdung zu sprechen. Staatsgefährdung ist als Straftatbestand vor dem Hochverrat angesiedelt. Der Tatbestand kann erfüllt sein, wenn eine Handlung legal war, allerdings in einer staatsgefährdenden Absicht geschah und sich anderer »verwerflicher Mittel« (BT-Drs. Nr. 1307, 77) als Gewalt bediene. Damit ist die Staatsgefährdung ein Tatbestand, der dem Bedrohungsszenario der »kalten Revolution« beikommen soll. Er ist eine Konsequenz aus der Erzählung der vermeintlich legalen nationalsozialistischen Machtübernahme. Die unterstellten subjektiven Elemente geben den Ausschlag, nicht die objektiven Taten. Zunächst musste allerdings das Schutzgut, das dieser neue Straftatbestand schützen sollte, konkretisiert werden. Begrifflich gefasst wurde es zunächst als ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹. Auf diesen Begriff aufbauend wurden weitere Paragraphen ausgearbeitet, die alle zur Staatsgefährdung gehörten. Die Nummerierung des Paragraphen für diese Legaldefinition wurde vermehrt aus redaktionellen Gründen während des Gesetzgebungsprozesses geändert. Zunächst war § 90 der Ort für die Definition, kurzzeitig § 90a und § 92b bis schließlich zur zweiten Lesung des Bundestags der Paragraph die Nummer 88 erhielt. Der § 88 im ausgefertigten Gesetz enthielt eine Aufzählung von Verfassungsgrundsätzen. Von der fdGO war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Rede. Wie kam diese Aufzählung zustande, was beinhaltete sie und warum wurde sie nicht mehr als »freiheitliche demokratische Grundordnung« bezeichnet? 163

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

4.3.1 Notwendigkeit einer »Definitionsnorm« Am 12. und 13. Januar 1951 trafen sich Ministerialrat Josef Schafheutle (CDU)37 und Ministerialdirigent Hans Eberhard Rotberg38 mit 37 Josef Schafheutle studierte Rechtswissenschaft und war ab 1933 im Reichsjustizministerium tätig, u. a. in der Abteilung Strafrecht und Strafverfahren (vgl. Kramer 2004, 107; Klee 2011, 526; I. Müller 1987, 213). Zudem war er Landgerichtsdirektor in Karlsruhe (vgl. Kramer 2004, 108). Im Ministerium war er als Regierungsrat für die Ausarbeitung des politischen Strafrechts zuständig (vgl. von Miquel 2003, 188ff.; I. Müller 1987, 213). Unter seiner Beteiligung entstand 1934 die sogenannte »Verratsnovelle«, die Strafrechtsänderungen zu Hoch- und Landesverrat sowie der Einrichtung des Volksgerichtshofs (vgl. L. Schäfer, Schafheutle und Richter 1934) vornahm. Außerdem war er am »Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher« beteiligt, an dem sich die Täter*innentypenbildung (vgl. Fn. 49, Kap. V) des NS-Strafrechts nachvollziehen lässt (vgl. ebd., 41ff., 59f.). Zur geplanten Reform des Strafprozessrechts, die eine Anpassung der Strafprozessordnung an den Nationalsozialismus vornehmen sollte, trug er Vorschläge zur Änderung der Verfahren von Beschlagnahmung und Durchsuchung bei (vgl. Schafheutle 1938). Generell sprach er sich für eine Beseitigung von »Hemmnissen« (ebd., 293) aus, die der Strafverfolgung im Wege standen. Er schlug nächtliche Durchsuchungen, Ausweitung der Zulässigkeit von »körperlichen Durchsuchungen« sowie Zwangsmaßnahmen auch zur Untersuchung des »Geisteszustandes« vor (ebd., 294ff.). Nach 1945 war Schafheutle dreieinhalb Jahre in Hohenschönhausen und Sachsenhausen inhaftiert (vgl. Rückert 2013, 86). 1948 wurde er Ministerialrat im Badischen Justizministerium und 1949 Ministerialdirigent in der Abteilung Strafrecht im Bundesjustizministerium. Anfang der 1950er Jahre war Schafheutle Generalstaatsanwalt am Landgericht und Oberlandesgericht in Freiburg, 1954 wurde er Leiter der Abteilung Strafrecht im Bundesjustizministerium (vgl. Kramer 2004, 108). 38 Hans Eberhard Rotberg studierte Rechtswissenschaft und arbeitete von 1928 bis 1932 im preußischen Justizministerium (vgl. Meyer-Goßner 1995, 1337). Er war von 1933 bis 1945 Mitglied im NSRB (vgl. BArch Pers 101/48920, pag. 95, 118) und seit 1940 Parteianwärter der NSDAP (vgl. ebd., pag. 161), in die er dann 1942 eintrat (ebd., pag. 200) von 1942 bis 1945 Mitglied der NSDAP (vgl. BArch Pers 101/48915). 1937 wurde er Landgerichtsrat in Koblenz (vgl. Godau-Schüttke 2005, 384). Aufgrund von Zweifeln an seiner nationalsozialistischen Überzeugung wegen seines katholischen Glaubens musste Rotberg jedoch auf eine Beförderung zum Dirigenten warten (vgl. Godau-Schüttke 2005, 384; BArch Pers 101/48920, pag. 133). Das veranlasste ihn 1941 zu einer Versicherung seiner Treue zum Nationalsozialismus gegenüber der Gauleitung Koblenz-Trier: »Ich kann mir sonst nicht vorstellen, dass man ausgerechnet den Richter [Rotberg selbst, Anm. d.Verf.] glaubt wegen angeblicher Abhängigkeit vom Papst [...] nicht als Landgerichtsdirektor verwenden zu können, der wie kaum ein anderer Gelegenheit hatte, seine innere Unabhängigkeit gegenüber der Kirche durch

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dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs Hermann Weinkauff39, weiteren Mitgliedern des BGH und Vertretern der Bundesanwaltschaft (vgl. BArch B 141/3023, pag. 126ff.), um über die Gesetzesvorlage zu sprechen. Diskussionsgrundlage waren die geänderten Vorschläge der Regierung aus Anlage 3 des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. Nr. 1307, 77). Weinkauff sagte, dass die Begriffe des geplanten § 90 »völlig unscharf und uferlos« (BArch B 141/3023, pag. 128) seien; der klassische Tatbestand des Hochverrats sei ein genügendes Rechtsmittel. Hans Richter, Senats­präsident am BGH, lehnte eine Gesetzgebung ab, die es der Rechtsprechung auferlege, »politische[...] Werturteil[e]« zu fällen (ebd.). Zudem würde die unbestimmte Formulierung die Grundrechte verletzen, sagte Weinkauff (ebd., pag. 131). Schafheutle und Rotberg widersprachen den Bedenken in allen Punkten und versuchten die Notwendigkeit eines neuen Tatbestands herauszustellen (ebd., pag. 131). Gerade die Grundrechtsverletzung entfiele, wenn das Schutzgut die freiheitliche demokratische Grundordnung sei (ebd., pag. 131). Schafheutle impliziert damit, dass die Grundrechte Teil der eine gewichtige Sondertätigkeit in bedeutsamen Strafsachen gegen Kirchenangehörige zu beweisen« (zit. n. Godau-Schüttke 2005, 386). 1943 wurde Rotberg Landgerichtsdirektor in Bonn. Ein Verfahren wegen Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens gegen ihn wurde 1944 vom Volksgerichtshof eingestellt (vgl. BArch Pers 101/48915, pag. 248ff.). Nach kurzer Unterbrechung seiner beruflichen Laufbahn wurde Rotberg 1946 am Landgericht Koblenz wieder in den Dienst aufgenommen. 1948 wurde er Senatspräsident am Oberlandesgericht in Koblenz und war währenddessen auch im Justizministerium in Rheinland-Pfalz tätig (vg. Godau-Schüttke 2005, 388f.). Das Verfahren vor dem Volksgerichtshof und sein später Parteieintritt in die NSDAP ermöglichten es ihm, 1950 Ministerialdirigent im Bundesjustizministerium zu werden (ebd., 389f.). Dort war er Leiter der Strafabteilung (vgl. Meyer-Goßner 1995, 1337; Rückert 2013, 65). Von 1952 bis 1969 war er Richter am BGH und zeitweise auch für Staatsschutzsachen zuständig (vgl. Meyer-Goßner 1995, 1337). 39 Hermann Karl August Weinkauff war ab 1934 Mitglied im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNDJ) aus dem später der NSRB (vgl. Fn. 1, Kap. III) hervorging. 1932 bis 1937 war er am Landgericht in München und ab 1935 am Reichsgericht in Leipzig tätig. In Leipzig war er am 3. Strafsenat, der für »Rasseschande«-Fälle zuständig war, und 1937 wurde er Reichsgerichtsrat (vgl. Godau-Schüttke 2015). In seiner Tätigkeit am Reichsgericht ist in mindestens einem Urteil seine Beteiligung im Sinne des nationalsozialistischen Gesetzes »zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« nachgewiesen (vgl. ebd.). 1950 wurde er der erste Präsident des Bundesgerichtshofs. In »Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus« vertritt Weinkauff die Radbruch-These (vgl. Weinkauff 1968, 28ff.; kritisch dazu: Walther 1998), dass der Rechtspositivismus die deutsche Justiz gegenüber dem Nationalsozialismus wehrlos gemacht habe.

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freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien und folglich nicht verletzt werden könnten, wenn sie doch Teil des zu schützenden Gutes seien. In den folgenden Diskussionen werden die Grundrechte jedoch aus der Definition der Verfassungsgrundsätze gestrichen (vgl. V 4.3.4). Weinkauff fasste das Ergebnis der Diskussion um den § 90 Abs. 1 Nr. 1 zusammen: Die geplante Vorschrift sei »allzu kasuistisch und daher ungerecht und wirkungslos und [...] allzu unscharf und unbestimmt und daher in hohem Masse gefährlich und nicht für rechtstaatlich [zu] halten« (ebd., pag. 135). Am 19. Januar 1951 begann der Rechtsausschuss seine Arbeit und teilte sich in drei Unterausschüsse auf, die jeweils einen der drei Abschnitte des Gesetzes diskutierten. Für den zweiten Unterausschuss (UA II), der sich mit dem Abschnitt »Hochverrat und Verfassungsstörung« befasste, war auch der neue Vorschlag der Regierung aus Anlage 3 des Entwurfs (vgl. BT-Drs. Nr. 1307, 77) noch zu schwer »juristisch faßbar« (Etzel, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 12, 14). In den folgenden Sitzungen des Rechtsausschusses, am 15. März und am 4. April 1951, wurde über die Begriffe und die Abgrenzung der Schutzgüter bei Hochverrat und Staatsgefährdung diskutiert. Rotberg (PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 6, 6) begrüßte den Versuch des UA II, für die Staatsgefährdung ein engeres Schutzobjekt als das des gesamten Grundgesetzes zu bestimmen: »Es sei sehr wohl verständlich, den Schutz gegen gewaltsame Einwirkung weiter zu fassen als den Schutz gegen ein nicht gewaltsames Vorgehen, gegen den Geist der Verfassung«. Man brauche für das engere Schutzgut eine »Definitionsnorm« (Rotberg, ebd., 5). Der Begriff »Grundsätze des Grundgesetzes«40 sei sehr viel enger als der der verfassungsmäßigen Ordnung und umfasse nur, »was in Art. 1, 20, 79 und an deren Brennpunktstellen als der unveränderliche, unveräusserliche und wesenhafte Kern« gekennzeichnet sei (Rotberg, ebd., 6). Dazu gehören »insbesondere das Prinzip der parlamentarischen Regierungsform, Ausübung der Staatsgewalt durch Staatsorgane, unmittelbare, freie und geheime Wahlen, Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung, Bindung auch des Richters und der vollziehenden Gewalt an die Gesetze, parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung usw.« (Rotberg, ebd.).41 Der Abgeordnete Ewers (PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 15, 6) mahnte zu einer Konkretisierung von »verfassungsmäßige[r] Ordnung«. 40 Der Begriff »Grundsätze des Grundgesetzes« stammt aus Art. 98 GG. Dort ist geregelt, dass ein Bundesrichter in den Ruhestand versetzt werden kann, wenn er gegen diese Grundsätze verstößt. Als Referent im Bundesjustizministerium für das BVerfGG hatte Willi Geiger den Grundsätze-Begriff dem der fdGO gleichgestellt (vgl. V 3). 41 Diese Aufzählung hier ist ein Ergebnis von Vorüberlegungen im Justizministerium, die auch durch das Gespräch mit den Vertretern der Justiz am 12. und 13. Januar 1951 notwendig erschienen (vgl. V 4.3). In den Akten des

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Seiner Meinung nach gehören dazu: das parlamentarische Prinzip im Gegensatz zum totalitären, die Gesetzgebung durch das Parlament, die vom Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte und der Rechtsstaat (vgl. Ewers, PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 6, 4). In einem strafrechtlichen Verfahren müsse klar sein, an was der Gesetzgeber gedacht habe und was geschützt werden solle, sonst würden die Tatbestände nicht richtig angewendet. Richter*innen wie Täter*innen müssten dies wissen (vgl. Ewers, ebd., 13). Damit man dabei nicht ins »Uferlose« komme, müsse man sich klar nach dem Grundgesetz richten – gerade nachdem man Weimarer Republik und Nationalsozialismus hinter sich habe (Adolf Arndt (SPD)42, ebd., 15f.).

4.3.2 Die fdGO »im Sinne des Strafrechts« Für den 29. März 1951 lud Schafheutle die Abgeordneten Fritz Oellers (FDP), Erich Mende (FDP), Hans Ewers (DP) und Ernst Majonica (CDU), also keinen von der SPD und der KPD, zu einer Besprechung ins Fraktionszimmer der DP ein (vgl. BArch B 141/3036, pag. 120). Die Vorlage zu dieser Besprechung enthielt Formulierungsvorschläge für den Abschnitt »Hochverrat und Staatsgefährdung«. In dieser Vorlage gab es auch den § 92b, der die fdGO näher definierte: § 92b Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne der §§ 90, 90a, 90b, 91a, 92 sind Bundesjustizministeriums wurde am 16. März 1951 ein Vermerk zu Geigers Vorschlägen aus dem BVerfGG abgeheftet (vgl. BArch B 141/3037, pag. 55). Rotbergs Definitionselemente erinnern durchaus an Geigers Definitionsversuch aus dem BVerfGG. 42 Arndt verteidigte als Rechtsanwalt Sozialdemokraten und Gewerkschafter, u. a. Wilhelm Leuschner (vgl. Gosewinkel 1997, 21), der nach dem versuchten Attentat auf Hitler 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Viele von Arndts Angehörigen wurden in Konzentrationslagern ermordet (vgl. ebd.). Aus seiner Stellung als Landrichter wurde Arndt 1933 entlassen, sein Vater – obwohl zum Protestantismus konvertiert – galt nach NS-Ideologie als Jude (vgl. ebd.). Ab 1943 musste Arndt Zwangsarbeit leisten; ihm gelang aber die Flucht zu seiner Familie nach Schlesien und von dort aus zusammen nach Nordrhein-Westfalen (vgl. Ladwig-Winters und Sturm 2012). Arndt gestaltete die hessische Verfassung mit und war in der 1., 2. und 4. Wahlperiode Mitglied des Ausschusses für Rechts- und Verfassungswesen (vgl. Vierhaus und Herbst 2002a, 19). Das hessische wie das bundesrepublikanische Staatsschutz- und Parteienrecht war Arndt ein Anliegen, mit besonderem Blick auf die Wehrhaftigkeit der Demokratie (vgl. Gosewinkel 1997, 21).

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1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretungen in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmässige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, 4. die Unabhängigkeit der Gerichte 5. die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Wahrung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Glaubens und des Gewissens, Freiheit des religiösen und des weltanschaulichen Bekenntnisses, Freiheit der Meinungsäusserung, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit. (ebd., pag. 125)

In der Besprechung einigte man sich, dass die Paragraphen der Vorlage jeweils dem Abschnitt Hochverrat und dem Abschnitt Staatsgefährdung zugeordnet werden sollten. Die hier zusammengestellten Paragraphen zur Staatsgefährdung sollten den ursprünglichen § 90 der Regierungsvorlage (Verfassungsstörung) ersetzen (ebd., pag. 126). Am 19. April 1951 reichte »ein kleines Redaktionskomitee mit Unterstützung des Herrn Generalstaatsanwalts Dr. Schafheutle vom Bundesjustizministerium« (Ewers, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 19, 4) ebenjenen Formulierungsvorschlag (vgl. BArch B 141/3036, pag. 132) in den Ausschuss als Ausschussdrucksache Nummer 29 (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 25; jetzt § 90a) ein. Besprochen wurde er erst in der Sitzung am 17. Mai 1951. Ewers (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 25, 6) sagte, die Liste der Verfassungsgrundsätze des § 90a sei vom Bundesjustizministerium eingereicht worden. Die Begründung der Regierung für die Dringlichkeit und Notwendigkeit dieser Legaldefinition mache sich der »Unterausschuss in jedem Teil zu eigen« (Ewers, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 19, 5). Der Ausschuss sehe die Staatsgefährdung mehrheitlich als gewaltlosen Hochverrat. Der Paragraph solle ein engeres Gut schützen als die verfassungsmäßige Ordnung: eben die fdGO, nun legaldefiniert im § 90a. Der normierte Tatbestand diene der Verhinderung der »von oben gesteuerten kalten Revolution« (Ewers, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 25, 5).43 43 Neben Ewers ging es vor allem den SPD-Abgeordneten des Ausschusses um diese Stoßrichtung der Staatsgefährdung. Arndt (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23,

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Die Aufzählung sei »erschöpfend, und es könne nichts davon wegfallen«, es sei die fdGO »im Sinne des Strafrechts« (Ewers, ebd., 6). Die Tragweite dieser Festlegung, demokratische Grundsätze im politischen Strafrecht zu normieren, ging durch die Dynamik des Gesetzgebungsprozesses unter. Mit Blick auf die Ferien des Bundestags wurden die Abgeordneten pragmatischer und Justiz- sowie Innenministerium drängten angesichts der vermeintlich »drohenden Gefahren« (BT-Drs. Nr. 1307, Anlage 3, 76) zur Eile.

4.3.3 Potentielle Konflikte mit dem Verfassungsgericht In der Sitzung am 7. Juni 1951 wurden noch einmal grundsätzliche Zweifel an der Aufzählung der Verfassungsgrundsätze (PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 28, 3f.) geäußert. Als Problem wurden mögliche zukünftige Konflikte mit dem Bundesverfassungsgericht benannt. Denn dieses sei für die Auslegung des Grundgesetzes zuständig. Wenn nun der Begriff »freiheitliche demokratische Grundordnung« im Strafrecht definiert werde, müsse aber der Bundesgerichtshof entscheiden. Damit gebe es möglicherweise Konflikte zwischen BGH und BVerfG, die die fdGO unterschiedlich weit oder eng auslegten. Oder das Verfassungsgericht widerspreche gar der hier im 1. StÄG aufgestellten Legaldefinition (vgl. Rotberg, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 28, 3). Dieser Meinung war auch das Bundesinnenministerium. In unregelmäßigen Abständen nahmen Vertreter des BMI an den Ausschusssitzungen teil und das Bundesjustizministerium informierte die thematisch nahe liegenden Ressorts. In einem Schreiben vom 18. April 1951 schlägt das BMI die Streichung des § 90a vor (vgl. BArch B 141/3037, pag. 34f.). Denn diese »Legaldefinition kann nur für den Strafrichter, nicht dagegen für den Verfassungsrichter verbindlich sein« (ebd., pag. 35). Was zunächst die fdGO ausmache, seien die auch schon in Art. 79 Abs. 3 GG als unabänderlich benannten Art. 1 und 20 GG. Außerdem fehle in dem Vorschlag zu § 90a das föderalistische Prinzip. Stattdessen seien Aspekte hinzugenommen worden, die durchaus veränderbar seien, z.B. die unmittelbare Wahl, die auch durch eine mittelbare ersetzt werden könne. Man solle die Definition dem Bundesverfassungsgericht überlassen (vgl. ebd.). Dies war schon während der Gesetzgebung zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Meinung des Innenministeriums gewesen (vgl. V 3). sten. Prot. 15, 24) und Friederike Nadig (ebd., Kurzprot. 25, 6) betonten immer wieder das Ziel »die Arbeit der Regierung und anderer führender Staatsorgane sauber zu halten«. Die Anwendung des neuen Strafrechts (vgl. Brünneck 1978) entsprach allerdings in keiner Weise dieser Intention. Arndt (vgl. BT-Plenarprot. 2/191, 10911) distanzierte sich 1957 im Bundestag von diesem Strafrecht.

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In Reaktion darauf findet sich in den Akten des BMJ eine Fassung, in der der § 90a zunächst entfällt (BArch B 141/3037, pag. 40). Es gab allerdings noch eine Rücksprache mit Geiger, den man aufgrund seiner Expertise beim BVerfGG wieder zu Rate zog. In einer Zusammenfassung des Gesprächs vom 30. Mai 1951 wird vermerkt, dass das föderalistische Prinzip zwar zur verfassungsmäßigen Ordnung gehöre, aber nicht zur fdGO (ebd., pag. 50). Diese könne auch in einem unitarischen Staat verwirklicht werden. Zur fdGO gehöre »lediglich das Prinzip der Volkssouveränität, das Bestehen der wesentlichsten Grundrechte, die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3) und die Freiheit der Parteibildung (Art. 21)« (ebd., pag. 50). Verwiesen wird dazu auf den Bonner Kommentar des Grundgesetzes zu Art. 18 GG. Weiterhin wird eingestanden, dass die bisherige Form des Entwurfs nicht tragbar sei. Der Versuch der Konkretisierung sei zwar richtig, allerdings sei dem Bundesverfassungsgericht in den Verfahren zu Art. 18 und 21 GG keine Definition gegeben – so wie es Geiger in seinen Entwürfen zu den §§ 35 und 53 BVerfGG wollte (vgl. V 3). Dadurch müsse das BVerfG nach »pflichtgemässem Ermessen« (ebd., pag. 51) entscheiden, was es als fdGO ansehe. Diese Auslegung könne aber enger oder weiter sein als das, was man gerade im § 90a aufstelle. Eine weitere Auslegung sei unproblematisch. Würde das BVerfG die fdGO aber enger auslegen und eine Partei bspw. nicht verbieten, die aber nach der fdGO im Sinne des Strafrechts zu verbieten wäre, würde dies das Entscheidungsmonopol des BVerfG gemäß Art. 21 aufweichen. Es muss vermieden werden, dass das Bundesverfassungsgericht einerseits, der Strafrichter andererseits verschiedene Begriffe der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde legen. Da dem Bundesverfassungsgericht insoweit keine Vorschriften gemacht werden können, bleibt [...] nichts übrig, als die Erwähnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ihrer Grundsätze in § 90 zu beseitigen und anstelle der §§ 90 und 90a [...] eine einheitliche Strafbestimmung zu setzen, die die Ausdrücke »freiheitliche demokratische Grundordnung« vermeidet und statt dessen die einzelnen Elemente des § 90a Nr. 1 bis 5 im Straftatbestand selbst aufführt. (ebd., pag. 52)

Auf einen Verweis auf die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesetzestext wolle man sich hingegen nicht verlassen, da es in naher Zukunft wohl nicht dazu komme, dass das BVerfG die fdGO auslegen werde. Dem Strafrichter müsse dann aber die Auslegung überlassen werden, was nicht im Sinne eines präzisen Strafrechts sei (vgl. ebd.).

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4.3.4 Von fdGO zu »Verfassungsgrundsätzen« und von »primitiven Tätern« Zur Begriffsklärung schaute das Justizministerium auch in die Debatten der Verfassungsgebung. In einem Vermerk vom 4. Juni 1951 findet sich eine kurze Zusammenfassung der Diskussionen im Parlamentarischen Rat um die Art. 20 und 47 des Herrenchiemseer Entwurfs (vgl. BArch B 141/3027, pag. 53). Abgestellt wird auf die Bemerkung, dass es auch weniger freiheitliche demokratische Grundordnungen gebe, wie bspw. die »volksdemokratische« (von Mangoldt, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951). Doch ohne den Definitionsversuch des § 90a sei die Beweisführung in Strafverfahren gerade bei »primitive[n] Täter[n]« schwierig (Rotberg, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 28, 4), sagte Rotberg am 7. Juni 1951 im Ausschuss.44 Mehrheitlich ist sich der Ausschuss einig, dass man um einen Definitionsversuch nicht herum komme. »Fraglich sei aber, ob man aus der Abstraktion, aus der Phantasie heraus in der Lage sei, diese Tatbestände sicher zu ermitteln« (von Merkatz, PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 14, 16) und ob man nicht damit die »Waffen für ein totalitäres Regime schmiede« (von Merkatz, ebd., 17). Allerdings müsse man geschichtliche und politische Erfahrungen einbeziehen und mehr konkretisieren (vgl. Hermann Louis Brill (SPD)45, ebd., 19f.). Brills (vgl. ebd., 21f.) Beispiel dafür ist, dass sich in der Definition wiederspiegeln müsse, dass ein Abgeordneter nicht sagen könne, er werde Konzentrationslager wieder einführen. Schafheutle (ebd., 23) weist das mit der Begründung zurück, man könne nicht »tausend 44 Die geplanten Sitzungen am 1. und 6. Juni waren mangels Anwesenheit ausgefallen. 45 Hermann Louis Brill war seit den 1920er Jahren Mitglied der SPD in Thüringen. Sein Verhältnis zur KPD war stets ambivalent, die Sozialfaschismusthese der KPD (vgl. zustimmend Schleifstein 1980; und darstellender: Ullrich 2009, 92ff.) war für ihn mitschuldig am Untergang der Weimarer Republik (vgl. Overesch 1992, 101). »Für ihn hatten beide Arbeiterparteien bei der Rettung der Weimarer Republik versagt« (Röll 2011, 111). Im Dezember 1943 wurde Brill in Buchenwald inhaftiert. Er wurde zu einer zwölfjährigen Zuchthausstrafe wegen Hochverrats verurteilt (vgl. ebd., 105). Im Konzentrationslager war er Vorsitzender des Volksfront-Komitees (vgl. ebd., 113). Nach der Befreiung Buchenwalds versuchte Brill die Politik des Komitees weiterzuführen. Doch nach Auseinandersetzungen mit der sowjetischen Militäradministration sowie der KPD und einer Verhaftung (vgl. Overesch 1992, 107ff.; Röll 2011, 126ff.) verließ er Thüringen in Richtung Berlin und ging von dort aus nach Hessen, wo er 1946 Staatsekretär in der Staatskanzlei wurde (vgl. Overesch 1992, 407). Er war auch Mitglied des Herrenchiemseer Konvents.

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andere Dinge« ins Gesetz schreiben. Schließlich sei das ja Freiheitsberaubung und würde schon durch das Polizeirecht abgedeckt. Von Merkatz (ebd., 24) pflichtet dem bei und stellt die Notwendigkeit von Lagern bei einer »Invasion von [...] Banden« heraus, da hier Gefängnisse unter Umständen nicht ausreichten. Der Ausschuss versuchte, der Skepsis gegenüber dem fdGO-Begriff am 13. Juni 1951 entgegenzukommen. Eduard Wahl (CDU)46 schlug vor, den Begriff der fdGO beizubehalten, aber zu schreiben: »Wer es unternimmt, ... die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes dadurch zu gefährden, daß er einen der ... Verfassungsgrundsätze beseitigen oder außer Geltung setzen will, ...« (Wahl, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 29, 2, Herv. i. O.). Damit ließen sich weitere Punkte auf verfassungsrechtlicher Ebene hinzuzählen oder auch weglassen. Aus dem Ministerium wurde eine andere Formulierung vorgeschlagen (PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 29, Ausschussdrs. Nr. 36/37)47, die auch deutlich machen sollte, dass die aufgezählten Grundsätze nicht unbedingt eins zu eins die fdGO seien (vgl. Schafheutle, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 29, 2). Die Ausschussdrucksache Nummer 37 spricht in § 90a nun von »Verfassungsgrundsätzen im Sinne dieses Abschnittes« und lässt den Begriff fdGO weg (PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 29, Ausschussdrs. Nr. 37; BArch B 141/3026, pag. 6). Die Ungenauigkeit der Formulierung wurde allerdings immer noch beanstandet; der Begriff fdGO war weiterhin in der Debatte. »Durch die Generalklausel ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ komme eine Kontroverse in den Strafgerichtssaal, die der Strafjustiz abträglich sein müsse [...]« (Herbert Fritz Krille48, PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 15, 4). Schafheutle (vgl. ebd., 5)

46 Eduard Wahl studierte Rechtswissenschaft und arbeitete ab 1927 am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Er war ab 1935 außerordentlicher Professor in Göttingen, ordentlich ab 1941 in Heidelberg (vgl. Vierhaus und Herbst 2002b, 914). »Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde W. wegen politischer Belastung zur Wehrmacht eingezogen« (ebd.). Wahl trat 1945 in die CDU ein und wurde in den Bundestag als Direktkandidat gewählt. Außerdem war er Verteidiger im IG-Farben-Prozess 1947–1948 (vgl. ebd.). 47 Die Ausschussdrucksache Nummer 36 wurde in loser Blattform ergänzt und schließlich zur Ausschussdrucksache Nummer 37. 48 Herbert Fritz Krille studierte Rechtswissenschaft und begann 1923 im Justizdienst zu arbeiten, in dem er bis 1947 blieb (vgl. Landesarchiv NRW). 1947 wechselte er zum Zentraljustizamt in Hamburg und wurde 1949 Ministerialrat im Justizministerium Nordrhein-Westfalen. Ab 1950 war er dort als Ministerialdirigent in der Abteilung Strafrechtspflege und Strafvollzug und ab 1956 bis 1967 Staatssekretär (vgl. ebd.).

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versucht diesen Einwand abzumildern, indem er prognostiziert, dass Verfahren dazu sowieso vor das Bundesverfassungsgericht kämen. Wahl und Schafheutle griffen das Problem des »primitive[n] Täter[s]«49 oder »kleine[n] Agenten« auf (ebd., 5f.), der gar nicht wisse, 49 Das Argument der »primitiven Täter« wirkt zunächst befremdlich. Dahinter steckt nicht nur eine elitäre Auffassung von Politik, sondern ebenso ein nationalsozialistisches Strafrechtsdenken. In der Strafrechtskommission unter der Leitung des Reichsjustizministers Franz Gürtner, die das Strafrecht an nationalsozialistische Leitgedanken anpassen sollte, saß auch Schafheutle. Rotberg war während des NS-Regimes Richter. Dass sich Elemente nationalsozialistischen Rechtsdenkens finden, ist nicht verwunderlich. Die Subjektivierung des Tatbestands der Staatsgefährdung allein ist noch nicht genuin nationalsozialistisch. Auch ein liberales Tatstrafrecht kennt subjektive Merkmale, die zu den objektiven hinzukommen können. Der Fokus aber auf die Täter*innen selbst und nicht ihre Taten, gerade in Verbindung mit der Annahme der zwar legalen, aber illegitimen Handlung, legt einen Schwerpunkt auf die subjektive Seite. So werden die Absicht und das ›Wesen‹ der Täter*innen in den Blick gerückt, nicht ihre Taten sind ausschlaggebend für die Verurteilung (vgl. F. Neumann 1984 [1942], 524f.; Vormbaum 2013, 178f.). Ein liberales politisches Strafrecht hingegen kennzeichnet die »Erfassung der Verfassungsänderung erst bei Gewaltanwendung« (Schroeder 1970, 150). Das nationalsozialistische Strafrecht ist durch eine Verschiebung weg von Taterfolg, Sachverhalt und der objektiven Tat hin zum »verwerflichen« oder »verbrecherischen« Willen der Täter*innen charakterisiert (vgl. Pauer-Studer 2014, 80ff.). »Die förmliche Straftat ist nur noch als Indiz für die gemeinschaftsfeindliche Gesinnung interessant« (Vormbaum 2013, 179, Herv. i. O.). Das Willensstrafrecht sollte wirken, bevor eine Tat Erfolg hat, und nicht erst, wenn es schon zu spät sei: »möglichst früh und mit aller Macht!« (Freisler 2014 [1935], 465). Dazu war eine materielle Bindung (vgl. Schroeder 1970, 150) oder »Ethisierung« (Pauer-Studer 2014, 84) des Strafrechts nötig, die objektive oder formale Kriterien mit nationalsozialistischen Inhalten füllt, und den unterstellten Willen der Täter*innen daran misst. Um einen Willen zu erkennen, muss es Anzeichen für diesen Willen geben. Das nationalsozialistische Strafrecht nutzt dafür eine Täter*innentypenbildung (vgl. Vormbaum 2013, 127ff., 179), »um die Lücke zwischen nicht erfolgter, aber befürchteter Tat und dem verbrecherischen Willen zu schließen« (Pauer-Studer 2014, 89). So entstehen Täter*innentypen wie der »Gewohnheitsverbrecher« oder »Volksverräter«. »Das von den Alliierten aufgehobene politische und Staatsschutz-Strafrecht wurde 1951 in einer Weise formuliert, die [...] strukturell und bis in den Normtext hinein an das vor 1945 geltende anknüpft und sich alsbald geeignet erwies, Mitglieder der mit BVerfGE 5, 85 [das KPD-Verbotsurteil des BVerfG, Anm. d. Verf.] verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands auch und gerade strafrechtlich zu verfolgen« (Vogel 2004, 50). Die von Vogel drastisch formulierte Parallele zwischen NS-Strafrecht und dem 1. StÄG kann hier

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gegen welche Verfassungsgrundsätze er verstoße bzw. gar glaube, dass er die Freiheit erst herstelle, und betrachten unter diesem Aspekt die Qualität der aufgestellten Aufzählung. Noch in derselben Sitzung war der Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz Otto John 50 eingeladen, um den Abgeordneten aus Sicht der Behörde die Notwendigkeit juristischer Regelungen darzustellen (vgl. hierzu auch: Schulz 2015, 300). John (PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 15, 13) mahnte zur Eile: »Man müsse sich aber darüber klar sein, daß man, wenn man allzu viel Zeit auf übertriebene Haarspaltereien juristischer Art verwende, in den Abgrund gerate«. Er warnte vor kommunistischen Führern, deren Ziel es sei, durch die Weltrevolution Deutschland zu unterminieren, da die Beherrschung Deutschlands der erste entscheidende Schritt zur Weltherrschaft sei (vgl. John, ebd., 13). Nach Beispielen zur kommunistischen »Infiltration« (John, ebd., 22) versuchten die Abgeordneten, ihre bisherigen Ergebnisse anzuwenden. Krille (vgl. ebd., 16) meinte, dass das bisher existierende Polizeirecht ausreiche, was vom Bundesinnenministerium jedoch verneint wird. Es bestehe noch keine Einigkeit über Sinn und Praktikabilität nicht in Gänze verifiziert werden, da der Fokus dieser Arbeit für das 1. StÄG auf dem Tatbestand der »Staatsgefährdung« liegt. Für die Konzeption dieses Tatbestandes aber ist sie nicht von der Hand zu weisen. So soll die »Staatsgefährdung« vor den Tatbestand des Hochverrats geschaltet werden, um Umsturzversuche zu verhindern, bevor sie Erfolg haben. Sie fokussiert auf legale Handlungen, deren Absicht, die Verfassungsgrundsätze zu gefährden oder zu beseitigen, über Legalität oder Illegalität entscheidet. Diese präventive Ausrichtung ist ebenso Kennzeichen des Konzepts der ›wehrhaften Demokratie‹ – es geht um legale Handlungen, die als illegitim gelten. Die aufgestellten Verfassungsgrundsätze gelten als moralische Richtschnur. Das »primitive Täter«-Argument macht in dieser Kontextualisierung Sinn. In späteren Kommentierungen zum Verfassungsschutz- und politischen Strafrecht tauchen auch andere Täter*innentypen wie bspw. der »kommunistische Überzeugungstäter« (J. Schwagerl und Walther 1968, 207) oder der »Einzelgänger« (ebd., 212) auf. 50 Otto John war von 1950 bis 1954 der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er studierte Rechtswissenschaft und arbeitet von 1937 bis 1944 in der Rechtsabteilung der Lufthansa (vgl. Schaefer 2009, 16f.). Er beteiligte sich an den Vorbereitungen zum Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 und floh danach nach Großbritannien. Dort wirkte er am Soldatensender Calais mit (vgl. ebd., 17ff.). 1954 wurde er in die DDR entführt und ist nicht dorthin geflohen, wie die neueste Forschung zum »Fall Otto John« angibt (vgl. ebd., 48f., 245ff.). Im ostdeutschen Rundfunk gab er Erklärungen ab. Er kehrte 1955 zurück in die BRD und wurde 1956 vom BGH wegen landesverräterischer Fälschung und Konspiration zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

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des geplanten Tatbestandes, schlussfolgerte Arndt (ebd., 24): Schließlich sei der Tatbestand gegen den »Staatsstreich« von »Personen, die bereits Träger öffentlicher Gewalt« seien, gerichtet. Um den Dissens auszuräumen, wurde ein neuer Unterausschuss bestehend aus Arndt, von Merkatz, Neumayer und Wahl gebildet, der sich am Nachmittag des Sitzungstages treffen sollte, um das Problem »im kleinen Kreise« (Wahl, ebd., 9) – und ohne die KPD – zu besprechen.51 Ein Gesprächsprotokoll dieses Unterausschusses gibt es nicht, allerdings ein Ergebnisprotokoll mit neuen Vorschlägen und kurzen Begründungen, datiert auf den 21. Juni 1951 (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 31, Ausschussdrs. Nr. 38; BArch B 141/3026, pag. 20). Die neuen Formulierungen werden in der Ausschusssitzung am 26. Juni 1951 als Ergebnisse vorgestellt (vgl. Schafheutle, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 31, 2f.). Der § 90a wird zum § 90 und an den Anfang des Abschnittes Staatsgefährdung gestellt. Zudem soll der Begriff ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ gestrichen und stattdessen von »Verfassungsgrundsätzen« gesprochen werden.

4.3.5 Strafrechtliche Anwendbarkeit durch Negativbestimmung Außerdem werden in den § 90 zwei Ziffern zur Aufzählung der Verfassungsgrundsätze hinzugefügt und eine geändert. Das Justizministerium schlägt zwei Negativformulierungen vor. Eine Nummer enthält einen eingeschränkten Schutz der Grundrechte und eine soll die positiv formulierten Verfassungsgrundsätze in Gänze widerspiegeln und zusammenfassen, aber als negative Abgrenzung statt positiver Definition. Die neue vorgeschlagene Fassung des »kleinen Kreise[s]« (Wahl, PADBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 15, 9) sieht nun im Vergleich zur bisher diskutierten Aufzählung wie folgt aus:

51 In der Sitzung am 14. Februar 1951 einigte sich der Ausschuss darauf, die zunächst gebildeten Unterausschüsse wieder aufzulösen und als Gesamtausschuss zu tagen. Nur bei »Formulierungsschwierigkeiten« sollten »ad hoc kleine Redaktionsausschüsse« gebildet werden (PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 12, 16).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Vorschläge des Bundesjustizministeriums vom 12.6.1951 (PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 29, Ausschussdrs. Nr. 37; BArch B 141/3026, pag. 6, Herv. i. O.)

Vorschläge der Unterkommission des Rechtsausschusses vom 21.6.1951 (PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 31, Ausschussdrs. Nr. 38; BArch B 141/3026, pag. 20f., Herv. i. O.)

§ 90a Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Abschnitts sind 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, 4. die Unabhängigkeit der Gerichte, 5. die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Wahrung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Glaubens und des Gewissens, Freiheit des religiösen und des weltanschaulichen Bekenntnisses, Freiheit der Meinungsäusserung, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit. [...].

§ 90 [...] Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Abschnittes sind 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die verfassungsmässige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Schutz der Grundrechte gegen eine Beeinträchtigung durch Gewalt, Erregung von Schrecken oder sonstige rechtswidrige Massnahmen, (Das Bundesjustizministerium schlägt vor, als weitere Nummer folgenden Satz hinzuzufügen: »7. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft«).

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Im Folgenden werde ich die Änderungen und ihre Begründungen darstellen.

Die neue Nummer 3: »das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition« Die in den Nrn. 1 bis 5 des § 90 a (Ausschußdrucksache Nr. 37) aufgezählten Verfassungsgrundsätze reichen nicht aus, die Wesensmerkmale einer freiheitlichen Demokratie zu kennzeichnen. Gegen die Verfassungsgrundsätze einer freiheitlichen Demokratie verstösst eine Handlung auch dann, wenn sie darauf hinzielt, die öffentliche Gewalt einer einzigen Partei, Organisation, Gruppe oder Person dienstbar zu machen und die verfassungsmäßige Rolle einer parlamentarischen Opposition auszuschalten. (BArch B 141/3026, pag. 25)

Es werde mit der neuen Nummer 3 klar, dass Art. 21 GG keine verfassungswidrige Opposition schütze und dass strafrechtlich gegen sie vorgegangen werden könne. Es sei mit dieser neuen Ziffer auch nicht mehr nötig, den Ausschluss aller Bestrebungen zu einer »totalitären Diktatur« (ebd.) aufzuführen. Dies erübrige sich mit dem Recht auf parlamentarische Opposition, da ein derartig geschütztes Recht mit einem totalitären Staatssystem unvereinbar sei. Das ist eine Gegenposition zum Vorschlag des Justizministeriums, die Ziffer 7 »Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« in die Aufzählung aufzunehmen. In Vorbereitung zu den Beratungen in dieser kurzerhand gebildeten Unterkommission am 18. Juni 1951 hatte das Justizministerium schon über diesen Punkt nachgedacht; er ist handschriftlich in der Vorlage notiert (vgl. BArch B 141/3038, pag. 14). Es wollte die Möglichkeit der verfassungsmäßigen Opposition aber lieber als Negativbestimmung in einem zweiten Absatz des § 90 erwähnen. Das Ministerium versuchte neben den bisher positiv bestimmten Verfassungsgrundsätzen nun »verfassungswidrige Grundsätze« aufzustellen: Verfassungswidrige Grundsätze im Sinne dieses Abschnitts sind 1. die Zusammenfassung der staatlichen Herrschaft bei einer einzigen Partei, Organisation, Gruppe oder Person und die Unterdrückung jeder Opposition gegenüber der Partei, Organisation, Gruppe oder Person, die sich an der Macht befindet, 2. die Erringung oder Behauptung der staatlichen Gewalt durch Androhung rechtswidriger Maßnahmen oder durch Anwendung anderen Terrors gegenüber dem Volke. (ebd.)

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Die neue Nummer 6: »der Schutz der Grundrechte gegen eine Beeinträchtigung durch Gewalt, Erregung von Schrecken oder sonstiger rechtswidriger Massnahmen« Die bisherige Nummer 5 zum Grundrechtsschutz (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 29 Ausschussdrs. Nr. 36/37; BArch B 141/3026, pag. 6) ging der Unterkommission zu weit. Die Grundrechte dürfen nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet, sehr wohl aber aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Einen alle Grundrechte schützenden strafrechtlichen Verfassungsgrundsatz könne es nicht geben. Im Strafrecht müsse es daher genügen, die Grundrechte gegen rechtswidrige Maßnahmen zu schützen (vgl. BArch B 141/3026, pag. 25f.). In den Vorbereitungen zur Sitzung der Unterkommission wurde zudem erwogen, nach der Aufzählung der Grundrechte einschränkend hinzuzufügen: »[...] soweit nicht in diese Rechte nach dem Grundgesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf« (BArch B 141/3038, pag. 13). In der Sitzung vom 20. Juni 1951 stritten die Abgeordneten über diesen Grundrechtsschutz. Die Grundrechte gelten nicht absolut, strafrechtlich könne man aber keinen Wesensgehalt schützen (vgl. Krille, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 30, 4). Das sei Verfassungsrecht. Dieser methodische Einwand führte zu ersten Bestrebungen, den Grundrechtsschutz aus den Verfassungsgrundsätzen zu streichen (vgl. Kopf, Rotberg, PADBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 16, 7f.). Schließlich einigte sich die Unterkommission auf die neue Nummer 6. Dadurch sind die bisher benannten Freiheitsrechte und politischen Grundrechte nicht mehr Teil der Aufzählung, sondern werden allgemein als Grundrechte vor rechtswidrigen Maßnahmen geschützt (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 31 Ausschussdrs. Nr. 38 (21.6.1951)). Sie werden nicht mehr zu den Verfassungsgrundsätzen gezählt.

Die neue Nummer 7: »der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« Die Aufzählung der bisherigen Verfassungsgrundsätze reichte dem Justizministerium nicht aus. Rotberg hatte darauf hingewiesen, dass es schwierig sei, »primitiven Tätern« einen Angriff auf die fdGO strafrechtlich nachzuweisen (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 28, 4). Für die Praxis der strafrechtlichen Bekämpfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen neonazistischer und kommunistischer Richtung sind die Vorschriften über die Staatsgefährdung aber nur brauchbar, wenn an den Nachweis der verfassungsfeindlichen Absicht des Täters nicht die 178

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Anforderung gestellt werden muss, dass er einen der in den Nr. 1 bis 6 den § 90 konkret bezeichneten Verfassungsgrundsätze beseitigen wollte, sondern wenn es ausreicht, ihm nachzuweisen, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes schlechthin beseitigen und durch ein kommunistisches oder neonazistisches Gewalt- und Terrorsystem ersetzen wollte. Genaue Vorstellungen darüber gehabt zu haben, in welchen konkreten juristischen Grundsätzen sich die freiheitliche demokratische Grundordnung von einer Gewalt- und Willkürherrschaft kommunistischer oder neonazistischer Prägung unterscheidet, wird vielen Tätern schwer nachzuweisen sein. (BArch B 141/3026, pag. 26, Herv. i. O.)

Mit der neuen Ziffer 7 werde die Anwendbarkeit des neuen Strafgesetzes gesichert, die sonst »ernsthaft gefährdet« (ebd.) sei, wenn stets juristisch der Nachweis erbracht werden müsse, dass der*die Täter*in konkret die Nummern 1 bis 6 beseitigen wolle. Strafrechtliche Anwendbarkeit war der Grund für die Versuche, »verfassungswidrige Grundsätze« (BArch B 141/3038, pag. 14) aufzustellen. Der Begriff der »Gewalt- und Willkürherrschaft« habe sich schon in der Rechtsprechung zum Nationalsozialismus der Britischen Besatzungszone (vgl. W. Schubert 2010, 116) und im Gesetz zum »Schutz der persönlichen Freiheit«52 als nützlich und praktikabel erwiesen. Deswegen verabschiedete sich das Justizministerium von den anderen Versuchen zur Negativbestimmung und entschied sich für den »Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft«. Dabei fallen nun »kommunistische Massnahmen [sic]« und »das nazistische Regime« (BArch B 141/3026, pag. 27) gleichermaßen unter diesen Begriff und er erweist sich als nützlich für antitotalitaristische Gleichsetzungen.

4.3.6 Zurück auf Start: Negativbestimmungen als neue Generalklausel Der Vorschlag des »kleinen Kreise[s]« (Wahl, PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 15, 9) führt im Rechtsausschuss am 26. Juni 1951 zu Diskussionen.53 Schafheutle (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 31, 2) stellt die 52 Das Gesetz schuf den Tatbestand der »Verschleppung« mit Blick auf die DDR (BGBl. I 1951, 448). 53 Wohl auch in Vorüberlegungen zur Debatte in der Unterkommission schlug Wahl in einem undatierten Vermerk, der sich in den Akten des Justizministeriums findet, vor, die Verfassungsgrundsätze gänzlich zu streichen: »Der Vorschlag Prof. Wahls geht dahin, die Verfassungsgrundsätze des § 90 fortfallen zu lassen und die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ etwa wie folgt zu definieren: ›Eine Handlung richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, wenn sie darauf abzielt, die öffentliche Macht im Staate einer einzelnen Partei oder Gruppe zu verschaffen und die

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Ergebnisse der Unterkommission vor. Diese sind Krille allerdings immer noch zu unkonkret und erinnern ihn zu sehr an eine Generalklausel. Die Formulierung »sonstigen rechtswidrigen Maßnahmen« der Nummer 6 sei zu unklar für den Strafgerichtssaal, wo kein Ort für verfassungs- oder staatsrechtliche Kontroversen sei (Krille, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 31, 3). Von Merkatz (PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 17, 4) entgegnet, dass dieser Ausdruck konkret genug sei und man schließlich keine »Richter-Automaten« schaffen könne. Nach kurzer Debatte schlägt Schafheutle vor, »Gewalt, Erregung von Schrecken oder Einschüchterung durch ungesetzliche Maßnahmen« einzusetzen (ebd., 6). Arndt äußert nun grundsätzliche Bedenken gegen die neuen Vorschläge, die methodisch ins Negative abgleiten. Bisher bestimme der § 90 positive Grundsätze und nun würden Ziffern eingefügt (Nummer 6 und 7), gegen die sich etwas nicht richten dürfe (vgl. Arndt, ebd., 7). Grundrechte können nicht von Dritten eingeschränkt werden und hätten deshalb im Strafrecht nichts zu suchen. Eine Formulierung, wie sie jetzt bestehe, mache die Verhinderung von großen kommunistischen oder faschistischen Kundgebungen strafbar, und das wolle Arndt (vgl. ebd., 9) vermeiden. Rotberg (ebd., 10) ist der Ansicht, dass der Staat die Wahrung der Grundrechte schützen müsse und auch »staatsähnliche Kollektive« und »extremistische Gruppen« wie die SA oder der NKWD die Grundrechte institutionell bedrohten. Das Thema wurde an dieser Stelle ausgesetzt und die Beratungen wendeten sich stattdessen der Nummer 7 zu. Die Ziffer 7, der »Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft«, erfuhr von den Abgeordneten noch größeren Widerspruch. Schafheutle verwies auf die Praktikabilität dieses Ausdrucks, der die Beweislast im Gericht erheblich senke: Gerade der primitive Täter wisse nicht, worin sich die freiheitliche demokratische Grundordnung von einem entgegengesetzten System unterscheide. Deshalb müsse es nach Auffassung des Ministeriums genügen, wenn der Nachweis geführt werde, daß der Täter ein System errichten wolle, das Gewalt- und Willkürmaßnahmen anwende, um den Rechtsstaat zu beseitigen. Die Ziffer 7 sei nicht aus theoretischen Gründen eingeführt, sondern um die Praktikabilität der Vorschriften zu sichern. (Schafheutle, ebd., 11f.)

Krille überraschte die Aufnahme dieser Nummer 7. Nachdem man sich bemüht habe Nummern 1 bis 5 zu definieren, sei hier ein Generalbegriff eingeführt, der als Negativum versuche die Probleme zu lösen (Krille, ebd., 12). verfassungsmäßige Rolle einer parlamentarischen Opposition auszuschalten.‹« (BArch B 141/3038, pag. 18). Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht berücksichtigt.

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Walter Fisch (KPD)54 kritisierte diese »Kautschukbestimmung«. Der*die Richter*in müsse die Verletzung eines Verfassungsgrundsatzes nachweisen, »sonst habe der ganze Verfassungsschutz keinen Sinn mehr« (Fisch, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 31, 6). Lechner (PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 17, 14f.) vom Bundesinnenministerium will aber kein »übertriebenes Maß an Ängstlichkeit bei der Ausarbeitung der Tatbestände walten lassen«; eine positive Formulierung sei zwar besser, aber die habe man eben nicht gefunden. Die Abstimmung zur Nummer 7 wurde zurückgestellt, mit der restlichen Fassung des § 90 und dem Weglassen des Begriffs fdGO, der sich nun in der Aufzählung auflöse, erklärte sich der Ausschuss einverstanden (vgl. ebd., 15). Der § 90 wurde zur darauffolgenden Sitzung des Ausschusses am 28. Juni 1951 aber wieder in einer veränderten Fassung als Arbeitsunterlage eingereicht. Die Formulierung findet sich als erste und zweite Ergänzung in loser Blattform zur Ausschussdrucksache Nummer 36 vom 26. Mai 1951 (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, Anlage Kurzprot. 29). Hier wurden die umstrittenen Ziffern 6 und 7 zu einem eigenständigen Absatz 2 des § 90 umgruppiert. § 90 [...] Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Abschnitts sind 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition

54 Walter Fisch wurde 1933 in Schutzhaft genommen und wegen Hochverrats angeklagt (vgl. Rigoll 2013, 78). Er wurde freigesprochen und konnte in die Schweiz fliehen (vgl. Vierhaus und Herbst 2002a, 210). Aufgrund seiner Arbeit für die KPD wurde er von 1941 bis 1945 in verschiedenen Lagern inhaftiert (vgl. ebd., 211). Nach 1945 war er Angehöriger der hessischen Landesverfassungsversammlung sowie Mitglied im Parlamentarischen Rat. Während des Verbotsverfahrens der KPD am BVerfG war er Bevollmächtigter für die KPD. 1958 wurde er vom BGH zu drei Jahren Gefängnis wegen Propagierung des »Programms zur nationalen Wiedervereinigung« verurteilt. 1963 kam er vorübergehend in Beugehaft (vgl. ebd.).

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4. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, (ebd., Ausschussdrs. Nr. 36, 1. Ergänzung) Den Verfassungsgrundsätzen im Sinne dieses Abschnitts stehen gleich 1. der Schutz der Grundrechte gegen eine Beeinträchtigung durch Gewalt, durch Erregung von Schrecken oder durch Einschüchterung mit ungesetzlichen Maßnahmen, 2. Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (ebd., Ausschussdrs. Nr. 36, 2. Ergänzung)

Diese Umstellung der Aufzählung und die eingeführten Negativbestimmungen erfahren in der Sitzung am 28. Juni 1951 erneut Kritik von Arndt und Fisch. Strafrechtlich sei es schlicht nicht möglich, ein negatives Spiegelbild der Gesamtverfassung als Tatbestand nachzuweisen (vgl. Arndt, PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 19, 1f.). Wenn man eine Feindbestimmung machen wolle, müsse man eben diskutieren, was Kommunismus und was Faschismus sei (vgl. Arndt, ebd., 10). Für »Gewalt- und Willkürherrschaft« treffe die gleiche Unbestimmtheit zu wie zu Beginn der Debatte auf den Begriff ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹; es könne nicht Aufgabe der Justiz sein, diesen Begriff justitiabel zu machen (vgl. Arndt, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 34, 3). Wahl betont dagegen noch einmal die Schwierigkeit der Beweislast im Gerichtssaal: Man dürfe dabei nicht verkennen, daß es sehr schwer sei, nachzuweisen, irgendeiner habe z. B. den Grundsatz der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht verletzt. Zu dem Bewußtsein, gegen einen solchen Verfassungsgrundsatz zu verstoßen, gehörten schon speziellere staats- und verfassungsrechtliche Kenntnisse. Man fürchte [...] damit einen Ausweg für Täter zu schaffen, die an sich ebenso gefährlich seien wie die anderen, die aber die verfassungsrechtliche Tragweite ihres Handelns gar nicht überblickten. [...] Die Frage sei aber, ob der einzelne Täter auch intus habe, was das Essentiale sei. Das gehe auch schon daraus hervor, daß es selbst für den Ausschuß sehr schwer gewesen sei, den Inhalt der Ziffern 1 bis 5 wirklich auf »Flaschen zu destillieren«. (Wahl, PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 19, 5)

Fisch (ebd., 18) unterstellt der Regierung einen Willen zur Undeutlichkeit, um eine Generalvollmacht für Richter*innen zu schaffen; man müsse aber wissen, wann man sich strafbar mache. Deshalb brauche man 182

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schlicht eine genaue Umschreibung, »1) was man schützen wolle und 2) wie das unter 1) Umschriebene geschützt werden solle«. Von Merkatz (ebd., 9) stellt fest, dass erst durch den neuen Absatz des § 90 die »Waffe scharf« werde, da man in einem früheren Stadium die Gefahr beheben könne und nicht erst, wenn schon alles zu spät sei. Arndt betont hingegen, dass diese Negativbestimmungen des § 90 auch mit Blick auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 nicht notwendig gewesen seien. Es sei prinzipiell nicht sinnvoll, eine »Gesetzgebung retrospektiv zu machen« (Arndt, ebd., 11). Aber wenn man sich an den Ereignissen vor 1933 orientiere und auch an dem, was heute wieder gemacht werde, so hätten, was z. B. die in den ersten der Verfassungsgrundsätze aufgeführten Wahlen zur Volksvertretung angehe, die Nazis doch ganz offen erklärt, daß es mit dem Unfug der Wahlen jetzt aufhören müsse. (Arndt, ebd.)

Von Merkatz entgegnet, dass sich die Angriffsmethoden gegenüber dem Staat seit dem Nationalsozialismus geändert hätten: Heute wird damit angegriffen, daß man die entscheidenden Positionen in Gesellschaft, Wirtschaft und d[a]nach auch im Staat besetze, daß man dann auch eine Ämterakkumulierung durchführe und schließlich die Herrschaft einer Partei im Staat durchsetze. Vorbild dafür sei die sowjetische Verfassung [...]. Was getroffen werden solle, sei [aber] doch die Taktik aller totalitären Richtungen, daß man zunächst innerhalb der Gesellschaft, der Betriebe, der Wirtschaft die entscheidenden Schlüsselpositionen zu erringen versuche. (von Merkatz, ebd.)

Aus der Kritik an den Negativbestimmungen § 90 Abs. 3 Nr. 1 und 2 entsteht damit noch einmal eine grundsätzliche Debatte. Vielleicht solle man es doch lieber bei dem Begriff fdGO belassen (vgl. Neumayer, ebd., 16). Staatssekretär Strauß aus dem Bundesjustizministerium will nicht wieder an den Anfang der Debatte zurück. Die Regelung sei zwar unvollkommen, aber praktikabel. Man könne nicht alles den Richter*innen überlassen, die »einfach nicht den Reifezustand« zur Auslegung eines solchen allgemeinen und grundsätzlichen Begriffes hätten (vgl. Strauß, ebd., 16). Wahl, Rotberg und Schafheutle unterstreichen erneut die Praktikabilität der Regelung und führen im Vergleich mit internationaler Gesetzgebung an, dass Willkürherrschaft nun einmal der gemeinsame Nenner rechts- wie linksradikaler Diktaturen sei und auch das Alliierte Kontrollratsgesetz Nummer 10 damit schon operierte (vgl. ebd., 4ff.). Von Merkatz (vgl. ebd., 18) betont abschließend die »aktive Demokratie«, die im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung eben nicht wertneutral sei; der Ausschuss habe die Pflicht, diesen Demokratieschutz auszugestalten. 183

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Abschließend wird der § 90 in der vorgelegten Fassung mit 9 gegen 3 Stimmen angenommen. Hieraus entsteht die Ausschussdrucksache Nummer 48 (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, 37; BArch B 141/3029, pag. 4ff.). Sie ist eine zusammengestellte Fassung aus den Ausschussdrucksachen und deren Ergänzungen und wird zur zweiten Lesung in den Bundestag als Drucksache Nummer 2414 eingereicht (BT-Drs. Nr. 2414). Der § 90 ist hier nun aus redaktionellen Gründen § 88: Staatsgefährdung § 88 (bisher § 90) Im Sinne dieses Abschnitts ist eine Handlung auf die Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, wenn sie darauf hinzielt, die Bundesrepublik Deutschland ganz oder teilweise unter fremde Botmäßigkeit zu bringen, ihre Selbständigkeit sonst zu beseitigen oder einen Teil des Bundesgebietes loszulösen. Als Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland im Sinne dieses Abschnitts gilt nicht die Teilnahme an einer Staatengemeinschaft oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung, auf die die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsrechte überträgt oder zu deren Gunsten sie Hoheitsrechte beschränkt. Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Abschnitts sind 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition 4. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung 5. die Unabhängigkeit der Gerichte. Den Verfassungsgrundsätzen im Sinne dieses Abschnitts stehen gleich 1. der Schutz der Grundrechte gegen eine Beeinträchtigung durch Gewalt, durch Erregung von Schrecken oder durch Einschüchterung mit ungesetzlichen Maßnahmen, 184

DAS ERSTE STRAFRECHTSÄNDERUNGSGESETZ 1951

2. Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (PA-DBT 3109 A 1/23, 37; BArch B 141/3029, pag. 12)

4.4 Die zweite und dritte Lesung im Bundestag In der zweiten Lesung des Gesetzes im Bundestag am 9. Juli 1951 stellt Wahl als Berichterstatter des Ausschusses den § 88 als Lösung für das Problem einer Revolution mit legalen Mitteln vor und zieht dabei die Parallele zum Nationalsozialismus. Wir erinnern uns alle an die »Legalität« der von Hitler herbeigeführten Revolution. Wie soll das Recht dem entgegenwirken? Der Ausweg [...] läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß der einzelne, der einen Beitrag zu dieser revolutionären Entwicklung liefert, dann wegen eines Deliktes der Staatsgefährdung bestraft wird. (Wahl, BT-Plenarprot. 1/158, 6304)

Wahl zeichnet ein ähnliches Bedrohungsszenario wie schon Bundesjustizminister Dehler von der »kalten Revolution« in der ersten Lesung 1950 (vgl. V 4.2). Es gebe »radikale Umsturzpläne« (ebd., 6303). Die Freiheit dürfe nicht dazu benutzt werden, den Umsturz vorzubereiten; das sei auch im Parlamentarischen Rat klar gewesen (ebd.). Trotz des ursprünglichen Bezugs auf den Internal Security Act der USA55 grenzt Wahl nun die »kontinentale Rechtstradition« von den USA ab. Man habe versucht, abstrakte Tatbestände zu formulieren, die dann für alle gleichermaßen gelten (vgl. ebd., 6304). Die SPD- (BArch B 141/3027, pag. 11, BT-Umdruck Nr. 269) und die KPD-Fraktion (PA-DBT 3109 A 1/23, 42, BT-Umdruck Nr. 270) stellen jeweils einen Antrag, den Absatz 3 – also die negativen Verfassungsgrundsätze (vgl. V 4.3.6) – des § 88 zu streichen. Die KPD-Fraktion will zudem die ursprüngliche Fassung der Nummer 5, den Grundrechtsschutz, wieder zur Aufzählung hinzufügen (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, 42, Umdruck Nr. 270). Arndt weist in der Debatte auf die Änderung der Methode in der Legaldefinition durch Absatz 3 hin. »Gewalt- und Willkürherrschaft« sei ein »politisches Prinzip, nicht dagegen ein strafrechtlich hinreichendes Schutzgut« (Arndt, BT-Plenarprot. 1/158, 6307) und könne deshalb so nicht im Gesetz stehen. Ebenso könne der Schutz der Grundrechte 55 Wahl bezieht sich hier auf den McCarran Internal Security Act von 1950, der gegen »unamerikanische und subversive« und insbesondere kommunistische Aktivitäten gerichtet war und das auch direkt rechtlich normierte. Das 1. StÄG spricht zwar nicht explizit von Kommunist*innen, doch waren Konzeption und Anwendung antikommunistisch. Dies war auch Gegenstand der Debatte im Rechtsausschuss des Bundesrates (vgl. V 4.5).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

aufgrund der »Eigenart der Grundrechte« (ebd.) nicht in das Gesetz aufgenommen werden; lediglich das Recht auf Leben gelte absolut. Alle anderen Grundrechte werden stets durch den Einfluss der Gesetzgebung tangiert. Fisch (ebd., 6309) sieht im Absatz 3 ein »uferloses Gesinnungsstrafrecht« und kritisiert die mangelnde Rechtsstaatlichkeit, die von Vertretern des Bundesinnenministeriums im Ausschuss an den Tag gelegt wurde. Gemeint ist hier Lechner (PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 30, 14f.), der vor einem »übertriebene[n] Maß an Ängstlichkeit bei der Ausarbeitung der Tatbestände« warnt. Wahl rechtfertigt zwar als Ausschussberichterstatter die Notwendigkeit der negativen Verfassungsgrundsätze, da sie die Anwendbarkeit des Gesetzes sichern. Die CDU-Mitglieder des Ausschusses, also auch Wahl, reichen dennoch einen Antrag auf Streichung des § 88 Abs. 3 ein (vgl. BArch B 141/3027, pag. 33; PA-DBT 3109 A 1/23, 46, BT-Umdruck Nr. 288). Stattdessen solle zur Aufzählung der Verfassungsgrundsätze schlicht die Nummer 6 »Ausschluss der Gewalt- und Willkürherrschaft« hinzugefügt werden (vgl. ebd.). So sei bei »primitiven Anhängern« (Wahl, BT-Plenarprot. 1/158, 6305) der Schwierigkeit der Nachweisbarkeit einer Tat beizukommen. Justizminister Dehler pflichtet Wahl bei: Es wird ja nicht so sein, daß die Staatsfeinde gleichzeitig Verfassungsrechtler sind, und es wird nicht ohne weiteres möglich sein, einem Staatsfeind, der mit den Mitteln der kalten Revolution [...] dem Staate entgegentritt, nachzuweisen, daß er die Absicht hat, ganz bestimmte Verfassungsgrundsätze zu ändern, so wie sie in Abs. 2 des § 88 niedergelegt sind. (Dehler, ebd., 6309)

Brills Einwand im Ausschuss, man müsse auch die Androhung der Errichtung von Konzentrationslagern als gegen die fdGO gewendet in die Aufzählung aufnehmen (vgl. V 4.3.4), wird von Wahl in seiner Berichterstattung für die Rechtfertigung der Nummer 1 des umstrittenen 3. Absatzes, der Negativformulierungen, herangezogen. In der Ausschusssitzung war Brills Einwand noch zurückgewiesen worden. Es mußte deshalb eine allgemeinere und ins Negative gewendete Formulierung gewählt werden, die das Wesentliche aussagt und angesichts der offenen Drohung in politischen Veranstaltungen, man werde die KZs wiederherstellen und alle heutigen Verantwortlichen darin einsperren, auch nicht entbehrt werden kann. (Wahl, BT-Plenarprot. 1/158, 6305)

Dass die aufgestellten Verfassungsgrundsätze die fdGO bilden, wolle man nicht mehr behaupten und so den Konflikten mit den obersten Gerichten aus dem Weg gehen, »die gerade bei diesem Zentralbegriff unseres staatlichen Lebens besser vermieden werden« (ebd.). Der Begriff 186

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fdGO steht also nicht mehr im § 88, um Auseinandersetzungen über seinen Gehalt zwischen den verschiedenen Gerichtsbarkeiten zu vermeiden. Zwischen der zweiten und dritten Lesung im Bundestag lagen nur zwei Tage. In diesen zwei Tagen gab es keine offizielle Sitzung des Rechtsausschusses mehr, aber »Beratungen« (Wahl, BT-Plenarprot. 1/160, 6483), zu denen es weder in der Gesetzesdokumentation des Parlamentsarchivs noch im Bundesarchiv Protokolle gibt. Nach der zweiten Lesung wurde das Gesetz nicht mehr an den Ausschuss überwiesen, somit fanden keine offiziellen Sitzungen statt. Viel eher wurde die Sache weiter fraktionsintern und -übergreifend besprochen. Eine Information des Justizministers durch Schafheutle vom 7. Juli 1951 – noch vor der zweiten Lesung – macht deutlich, dass man die Anträge der SPD ernst nehme und nicht umhinkomme, sich mit der SPD zu einigen (vgl. BArch B 141/3038, pag. 164). Für das 1. StÄG hatte man sich zwischen den Lesungen auf den Änderungsantrag der CDU-Fraktion (vgl. BArch B 141/3027, pag. 33; PADBT 3109 A 1/23, 46, BT-Umdruck Nr. 288) geeinigt. Die CDU stellte am 10. Juli 1951 den Antrag, Abs. 3 des § 8856 zu streichen und stattdessen in Abs. 257 eine Nummer 6 den »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« anzufügen (PA-DBT 3109 A 1/23, 46, BT-Umdr. 288). Es wurde den »Bedenken der SPD gegen den ganzen dritten Absatz von § 88 teilweise Rechnung getragen« (Wahl, BT-Plenarprot. 1/160, 6484). Die Gewährleistung der Grundrechte – Nummer 1 aus Abs. 3 – entfiel mit dieser Änderung, 56 § 88 Abs. 3 Den Verfassungsgrundsätzen im Sinne dieses Abschnitts stehen gleich 1. der Schutz der Grundrechte gegen eine Beeinträchtigung durch Gewalt, durch Erregung von Schrecken oder durch Einschüchterung mit ungesetzlichen Maßnahmen, 2. Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (PA-DBT 3109 A 1/23, 37; BArch B 141/3029, pag. 12, Ausschussdrs. Nr. 48; BT-Drs. Nr. 1/2414). 57 § 88 Abs. 2 Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Abschnitts sind 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition 4. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung 5. die Unabhängigkeit der Gerichte (PA-DBT 3109 A 1/23, 37; BArch B 141/3029, pag. 12, Ausschussdrs. Nr. 48; BT-Drs. Nr. 1/2414).

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weil sich die verfassungsmäßige Gewährleistung der Grundrechte ohne weiteres schon aus Ziffer 2 des Katalogs ergibt, in der die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht vorgesehen [...] ist. (Wahl, ebd.)

Die Grundrechte sind nun kein Bestandteil der Verfassungsgrundsätze mehr. Auf die Formulierung »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« sollte aber nicht verzichtet werden. Der Kompromiss in den »Beratungen« (ebd., 6483) zwischen zweiter und dritter Lesung war also: Streichung des Absatzes 3 und Hinzufügung der Nummer 6 in Absatz 2 »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft«. Nummer 1 Absatz 3 entfällt ersatzlos. In dieser Form wurden die Verfassungsgrundsätze des § 88 abgestimmt und in dritter Lesung angenommen (ebd., 6484). Als Ergebnis sehen die Verfassungsgrundsätze der § 88 StGB (F. v. 1951) folgendermaßen aus: §88 [...] Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Abschnitts sind 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (BGBl. I, 740)

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DAS ERSTE STRAFRECHTSÄNDERUNGSGESETZ 1951

4.5 Die Kritik des Bundesrates Der Bundesrat entschließt sich nach dem Votum seines Rechtsausschusses, das am 27. Juli 1951 in dessen Plenum vorgetragen wurde, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen und der Strafrechtsänderung zuzustimmen (vgl. PA-DBT 3109 A 1/23, 53, BR-Drs. Nr. 577/51). Er begrüßt aber Änderungen, die in zukünftigen Strafgesetznovellen passieren sollen, besonders die »vom Hochverratstatbestand (§ 80 StGB) abweichende Definition des Schutzobjektes in § 88, insbesondere den Katalog der Verfassungsgrundsätze in § 88 Abs. 2« (ebd.). Rechtsanwalt Otto Küster58, der für den Rechtsausschuss im Plenum Bericht erstattete, trägt seine Bedenken dazu vor. Die Dringlichkeit des Strafrechtsänderungsgesetzes sei zwar ein Argument, doch die definierten Verfassungsgrundsätze seien Institutionen, die auch bestehen könnten, wenn der »bare Terror« (Küster, BR-Plenarprot. 1/65, 588) herrsche. Die Verfassungsgrundsätze habe man proklamiert, ohne an ihre »Brauchbarkeit für einen dauerhaften demokratischen Staat« (Küster, ebd., 589) zu denken. Diese Kritik erschließt sich aus der Debatte des Rechtsausschusses des Bundesrates59 vom 19. Juli 1951. Krille, der zeitweise auch im Rechtsausschuss des Bundestags anwesend war, verteidigt nun im Ausschuss des Bundesrates die Verfassungsgrundsätze. Die Generalklausel der Ziffer 6 »Gewalt- und Willkürherrschaft« sei zwar immer noch bedenklich. Ebenso trage die »Skala [...] der Verfassungsgrundsätze durchaus Kompromisscharakter« (Krille, BArch B 141/3031, pag. 28). Allerdings seien alle Ziffern im Zusammenhang geeignet, eine »Beseitigung der Verfassung, und zwar auch auf kaltem Wege, zu verhindern« (ebd., pag. 29). Auch Rotberg (ebd., pag. 30) besteht auf den Verfassungsgrundsätzen. Es sei die »demokratische Mindestsubstanz, das was man als freiheitliche Grundordnung bezeichnen kann«. Sie werde hier aber nicht, wie Küster behaupte, für unabänderlich erklärt: Es ist überhaupt zu sagen, dass die Verfassungsrechtsgüter, die in § 88 als solche aufgeführt sind, ja gar[...]nicht [sic] etwa durch ihre Aufführung hier absolut gesetzt sind und etwa für unabänderlich erklärt oder sonst wie aus der möglichen Entwicklung herausgenommen werden. Sie werden lediglich als besonders schutzwürdig erklärt gegen bestimmte 58 Otto Küster war 1933 zunächst als Richter, nach seiner Entlassung als Rechtsanwalt tätig. 1945 wurde er in Baden-Württemberg Staatsbeauftragter für die Wiedergutmachung. Sein Engagement für eine Entschädigung der Verfolgten und Opfer des Nationalsozialismus ging der Landesregierung aber zunehmend zu weit; Küster wurde 1954 gekündigt (vgl. Goschler 1992, 165ff.). 59 Eine Analyse dieser Bundesratsrechtsausschussdebatte habe ich bereits an anderer Stelle veröffentlicht (vgl. Schulz 2015, 297ff.).

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verwerfliche Methoden des Angriffs. (Rotberg, BArch B 141/3031, pag. 30)

Die Verfassungsgrundsätze sollen also kein ewig währendes Schutzgut universeller Art sein. Sie sind als Kompromiss zu Stande gekommen; das geben die Akteure hier zu. Dieser Kompromiss hingegen dient in den Parteiverboten der folgenden Jahre als Basis für die Definition der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ (vgl. V 5.2). Küster benennt noch ein weiteres Problem. Man versuche im Strafrechtsänderungsgesetz abstrakte Tatbestände zu schaffen, die aber in Wahrheit nur auf bestimmte Gruppen oder Ideen ausgerichtet seien. In Amerika wurde das Gesetz einfach als Antikommunistengesetz gemacht [...]. Das entspricht nicht dem deutschen Recht: Wir sind gewohnt, die Dinge abstrakt zu formulieren, sie nicht bei[m] Namen zu nennen, sondern so zu formulieren, dass sie alle möglichen Tatbestände zu umfassen scheinen, auch wenn wir nur einen ganz bestimmten Teil meinen. (Küster, ebd., pag. 34)

Rotberg weist den Vorwurf zurück. Es sei »ein komplexes Gebiet, das man nicht einfach mit dem Wort ›Kommunismus‹ abtun« (Rotberg, ebd.) könne. Küster (ebd.) gab nicht nach: »Keiner dieser Einzeltatbestände ist als solcher gemeint. Er ist immer nur dann gemeint, wenn er im Sinne unserer derzeitigen politischen Gesamtkonzeption unerwünscht und negativ zu bewerten ist«. § 88 solle legale Fälle treffen, die dann illegalisiert werden sollen, wenn sie »auf den Osten gehen« (Küster, ebd., pag. 35). Zudem sollen die Verfassungsgrundsätze die »Substanz der Verfassung« darstellen, dabei seien sie »reine Zufälligkeiten« (ebd., pag. 36) wie bspw. die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung. Wenn man nun Bücher darüber austausche, solle man bereits wegen Staatsgefährdung ins Zuchthaus gehen. Franz Wessel, Sekretär des Bundesratsrechtsausschusses, versucht, die Gemüter zu beruhigen. Küster kritisiere ja eigentlich nur drei der Verfassungsgrundsätze: die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, die unmittelbare und die gleiche Wahl. Den Rest, also die freie, allgemeine und geheime Wahl, die Bindung an das Gesetz, das Recht auf parlamentarische Opposition, die Unabhängigkeit der Gerichte und den Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft, könne man als sicher ansehen (vgl. Wessel, ebd., pag. 37). »Kann man nicht vielleicht sagen: Bei der augenblicklich kritischen Situation, die wir haben, soll das überhaupt einmal in Ruhe bleiben. [...] Man könnte das jetzt akzeptieren und alles Weitere einer späteren Änderung überlassen [...]« (ebd.). Doch Rotberg (ebd.) gibt zu bedenken, dass die Verfassungsgrundsätze ein »heisses Eisen« seien, das er nicht »ohne Not anfassen« wolle. Überhaupt 190

DAS ERSTE STRAFRECHTSÄNDERUNGSGESETZ 1951

solle sich der Gesetzgeber möglichst wenig damit befassen, da dadurch die Relativität der Grundsätze zu deutlich werde (vgl. Rotberg, ebd.). »Deswegen sollte man es gar[...]nicht [sic] in die Welt setzen und sagen, daß das nun die Dinge sind, zu denen das Volk als ein Verfassungsheiligtum aufzusehen hat«, entgegnete Küster (ebd.). Zudem zweifelt er mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit an der Verfassungsmäßigkeit des Tatbestands der Staatsgefährdung. Das sei aber auch nicht nötig, meinte Rotberg. »Es ist lediglich notwendig, dass die unveränderlichen Teile des Grundgesetzes geschützt werden« (Rotberg, ebd., pag. 38). Krille (ebd.) bemühte sich um Schlichtung und verweist auf den Kompromisscharakter der Verfassungsgrundsätze. Sie seien eine »Kompromißformel«. Niemand sei in Gänze mit dem Gesetz zufrieden, aber »im Hinblick auf das dringende Staatsbedürfnis« (ebd.) sei der Kompromiss eben geschlossen worden. Nicht alle Anwesenden stellt dieser Versuch zufrieden. Ministerialrat Claus Leusser (Bayern) vergleicht das Gesetz mit einer unterdurchschnittlichen juristischen Seminararbeit, die allerdings Zuchthausstrafen zur Folge habe. Sein »Mitgefühl[...]« (Leusser, ebd., pag. 39) gelte den anwendenden Richter*innen. Aber in Vertrauen auf die Justiz und ihre Entscheidungs- und Auslegungsfähigkeit solle man sich jetzt zufrieden geben (vgl. ebd.). Mit Blick auf die »Ferien des Bundestags« (Danckerwerts, ebd., pag. 37) entscheidet der Ausschuss, dem Bundesrat zu empfehlen, nicht den Vermittlungsausschuss anzurufen. Lediglich Baden-Württemberg, für das Küster anwesend ist, stimmte für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses (ebd., pag. 41).

4.6 Zusammenfassung Das 1. Strafrechtsänderungsgesetz schuf eine exzessive antikommunistische Strafverfolgung. Selbst Bundesjustizminister Dehler (vgl. Der Spiegel 1961, 23) und die SPD (vgl. Arndt, BT-Plenarprot. 2/191, 10911), die so vehement für ein neues Strafrecht plädiert hatten, plagten in den folgenden Jahren Gewissensbisse. Dies war aber nicht lediglich den Strafgerichten und denjenigen aus der ehemaligen NS-Funktionselite, die dieses Gesetz anwendeten, zuzusprechen, sondern lag schon in der Gesetzgebung begründet. Unter vermeintlichem Zeitdruck angesichts der drohenden »kalten Revolution« und der kommunistischen »Weltgefahr« (Kaufmann 1952, 19) wurde ein präventives, subjektiviertes und antikommunistisches politisches Strafrecht geschaffen, das Bausteine aus dem NS-Strafrechtsdenken übernimmt. Dieses Strafrecht ist Ursprung für die heutige fdGO-Formel. Im § 88 Abs. 2 StGB (F. v. 1951) finden sich Elemente, die das Bundesverfassungsgericht für seine Definition der fdGO 1952 übernehmen wird. 191

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Dabei waren diese im § 88 legaldefinierten Verfassungsgrundsätze eine »Kompromißformel« (Krille, BArch B 141/3031, pag. 38), die selbst von den am Gesetzgebungsprozess Beteiligten als unbefriedigend eingeschätzt wurde, allerdings in ihrer Akzeptanz nicht durch zu viele Änderungen, die ihre Relativität verdeutlichen könnten, geschwächt werden sollte (vgl. Rotberg, ebd., pag. 37). Die Verfassungsgrundsätze ermöglichten die Legitimierung eines präventiven und antikommunistischen Strafrechts. Sie wurden nur nicht mehr als ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ bezeichnet, da die Abgeordneten keine Konflikte zwischen den unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten produzieren wollten. Das BVerfG sollte die fdGO bestimmen. Die unter dem neuen Tatbestand der Staatsgefährdung aufgestellten Verfassungsgrundsätze stellen eine »Definitionsnorm« (Rotberg, ­PA-DBT 3109 A 1/23, sten. Prot. 6, 5) für politische Straftaten dar, die vor dem Hochverrat als klassischem Tatbestand des politischen Strafrechts ansetzen. Die Staatsgefährdung stützt sich auf die Annahme, dass die nationalsozialistische Machtübernahme legal gewesen sei. In Zusammenhang mit der vermeintlichen Wehrlosigkeit der Weimarer Republik soll so die Demokratie »Selbstmord« begangen haben. Mit dem Szenario der »kalten Revolution« und dem antikommunistischen Klima verbindet sich diese Darstellung der nationalsozialistischen Machtübernahme zu einer neu aufscheinenden Bedrohung für die Bundesrepublik aus dem Osten, die durch das neue politische Strafrecht gebannt werden sollte. Die Legende von der Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme (vgl. IV 2) diente auch als Beispiel für die Notwendigkeit, politisches Handeln zu kriminalisieren, das zwar objektiv den Taten nach legal erscheine, nach der Absicht der Täter*innen aber einen Angriff auf den Staat darstelle. Mit der »Absicht« werden subjektive Elemente relevant, die mehr auf die Täter*innen als auf die Tat fokussieren. Es ist nicht mehr objektiv die Legalität oder Illegalität der begangenen Handlung für eine Verurteilung von Belang, sondern die unterstellten politischen Ziele bzw. die Person selbst. Die Täter*innentypenbildung des NS-Strafrechts findet hier ihre Kontinuität. Die im Gesetzgebungsprozess aufgestellten Verfassungsgrundsätze – vor allem die Nummer 6 des § 88 Abs. 2 StGB (F.v. 1951) »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« – sichern in diesem Punkt die Anwendbarkeit des Straftatbestands der Staatsgefährdung. Die Beweisbarkeit eines Angriffs auf die dann zunächst einzeln aufgestellten Grundsätze erschien den Abgeordneten besonders bei »primitive[n] Täter[n]« (Rotberg, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 28, 4) aber nahezu unmöglich. Das Bundesjustizministerium führte aufgrund dessen den »Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« in die Aufzählung ein. Dieser Verfassungsgrundsatz sollte im Negativen die vorher aufgestellten Verfassungsgrundsätze zusammenfassen und die Beweislast mindern, da 192

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die Absicht zur Errichtung einer »Gewalt- und Willkürherrschaft« leichter nachweisbar sein sollte. Die vorangestellten Verfassungsgrundsätze schienen dadurch obsolet. Damit wurde die Auseinandersetzung und Entscheidung über politisches Handeln sowie die Beurteilung der politischen Ziele in den Strafgerichtssaal und auf die Strafrichter*innen verlagert. Es wurde nicht nur eine wiederum generalklauselartige Formulierung in die Verfassungsgrundsätze geschrieben, sondern es wurde die Definitionsmacht und die Entscheidung über die Legitimität politischen Handelns auf Gerichte übertragen, deren personelle Kontinutität zum Nationalsozialismus außerordentlich war (vgl. Frei 1996, 88ff.). Es wurden also nicht nur Verfassungsgrundsätze im Sinne des Strafrechts durch ehemalige NS-Funktionseliten (hier bspw. Schafheutle, Rotberg oder von Merkatz) festgelegt und subjektive Elemente in das neue Strafrecht aufgenommen, sondern nach diesem urteilten ebenso ehemalige NS-Richter – zum Teil sogar am Gesetzgebungsprozess beteiligte Mitglieder der Exekutive (wie Rotberg von 1953 bis 1954). Der Verfassungsgrundsatz des »Ausschlusses jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« war eine antitotalitaristische Brücke zur Verdrängung und Verharmlosung der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sowie zur weiteren Tradierung des Antikommunismus. Er ermöglichte die Parallelisierung von NS-Staat und DDR. Damit konnte die DDR dämonisiert werden. Gleichzeitig fand keine Diskussion über den NS-Staat und seine Funktionsweise statt.60 Paradoxerweise konnte also der Kommunismus – oder das, was als kommunistisch bezeichnet wurde – durch den NS-Vergleich pejorativ besetzt werden, ohne zeitgleich konkret zu beschreiben, was der Nationalsozialismus war.61 Der Fokus konnte – auch angesichts der weltpolitischen Lage – nach Osten statt in die jüngste Vergangenheit gerichtet werden. Die gezeichnete Bedrohung durch die kommunistische »Weltgefahr« (Kaufmann 1952, 19), die mit den Mitteln der »kalten Revolution« die Bundesrepublik angeblich zu unterwandern drohe, verdrängte die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, obwohl dieser gerade als Legitimation für das neue Strafrecht und den neuen Straftatbestand der Staatsgefährdung herhielt. Der Antikommunismus vereinte ehemalige NS-Funktionseliten und Konservative in der Bundesrepublik – und auch die SPD war lieber auf dieser 60 Bis heute böte sich hier ein breites Forschungsfeld für die Politikwissenschaft, das allerdings in seltsamer Arbeitsteilung lediglich von anderen Disziplinen erhellt wird (vgl. Gruchmann 2001; Rebentisch 1989; Stolleis 1999). 61 Ebenso wenig wurde über den Stalinismus und seine Funktionsweise gesprochen. Der im Gesetzgebungsprozess dominante Totalitarismusbegriff diente lediglich einer oberflächlichen Parallelisierung und Identitätsstiftung nach innen, keiner inhaltlichen Auseinandersetzung.

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politischen Seite, als sich zu stark mit den Kommunist*innen gemein zu machen. Prävention und Subjektivierung führten zur Kriminalisierung jeglichen politischen Handelns, das irgend als kommunistisch galt oder dem Kommunismus vermeintlich nahe stand. Die Definitionsmacht lag ohnehin bei Exekutive und Judikative, die mit vielen Personen der ehemaligen NS-Funktionselite besetzt war. Dies war eine stetige Warnung an die parlamentarische Opposition, also insbesondere die SPD, sich nicht zu sehr ins kommunistische Fahrwasser zu begeben. Auch die parlamentarische Opposition muss verfassungsgemäß, d.h. in der Welt der 1950er Jahre nicht-kommunistisch, sein. Der dritte Verfassungsgrundsatz des § 88 Abs. 2 StGB (F. v. 1951), die Bildung und Ausübung einer verfassungsmäßigen parlamentarischen Opposition, wurde im Gesetzgebungsprozess zwar eingebracht, um den Verfassungsgrundsatz der »Abwesenheit jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« überflüssig zu machen. Mit einem Oppositionsrecht könne keine willkürliche Alleinherrschaft errichtet werden, so die Argumentation. Doch wurde dieses Oppositionsrecht schon auf dem Herrenchiemseer Konvent und im Parlamentarischen Rat in Abgrenzung zur Vereinigung von SPD und KPD zur SED aufgestellt (vgl. V 2.2, 2.3). Zudem beschränkte es sich auf die Sicherung einer parlamentarischen, also eben nicht einer außerparlamentarischen, Opposition. Sinn und Zweck des politischen Strafrechts ist der Schutz des Staates. In dieser Logik ist es nur folgerichtig, dass politische Grundrechte – aber auch die klassischen Freiheitsrechte – nicht Teil der Verfassungsgrundsätze geworden sind. Zunächst darin aufgenommen, wurden die Grundrechte wieder aus der Aufzählung gestrichen – mit Verweis darauf, dass die Bindung der Staatsgewalten an die verfassungsmäßige Ordnung sie ja ohnehin garantiere. Politische Grundrechte zu garantieren und zu bejahen, ist dem politischen Strafrecht nicht eigen. Das politische Strafrecht dient der Einschränkung und Kriminalisierung politischen Handelns. Selbstverständlich schützt es politisch-prozessuale Freiheitsrechte nur bedingt bzw. stellen diese ja die Handlungsgrundlage für die Bedrohung des Staates dar. Dieser Logik folgt auch die ›wehrhafte Demokratie‹. Hier ist der Staat zwar der Garant der politischen Freiheit – aber eben nur bis zu einer bestimmten Grenze. Er gewährt politische Freiheit und kann sie folglich auch wieder entziehen. Politische Rechte als unumstößlichen Kern aufzunehmen, widerspricht dieser Vorstellung. Es würde die Einschränkung politischen Handelns verunmöglichen. So wurde im Gesetzgebungsprozess angeführt, dass nur das Recht auf Leben absolut gelte. Alle anderen Grundrechte können durch Gesetze eingeschränkt werden. Methodisch sei es ohnehin schwierig, im Strafrecht Aussagen über verfassungsrechtliche Materie wie die Grundrechte zu treffen (vgl. Arndt, BT-Plenarprot. 194

DIE PARTEIVERBOTSVERFAHREN GEGEN SRP, KPD UND NPD

1/158, 6307). Die Streichung der Grundrechte aus den Verfassungsgrundsätzen wurde von allen vertretenen Parteien bis auf die KPD befürwortet.

5. Die Parteiverbotsverfahren gegen SRP, KPD und NPD Der Art. 21 Abs. 2 GG normiert, dass Parteien, »die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen [...] verfassungswidrig« sind. In der Bundesrepublik wurden zwei Parteien nach diesem Artikel vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt und verboten: die Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 und die KPD 1956. Im Frühjahr 1951, also noch während der Debatten um das 1. StÄG, entschied sich die Bundesregierung zu einem Verbotsantrag der SRP. Im dazu gesprochenen Urteil hat das BVerfG die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ definiert. Die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze prägten diese Definition. Im Folgenden werde ich zuerst einen genaueren Blick auf das Verbot der SRP werfen. Ich werde die fdGO-Definition des Gerichts mit den Verfassungsgrundsätzen des 1. StÄG vergleichen und sie in den Begründungszusammenhang des Urteils einordnen. Zweitens blicke ich auf das KPD-Verbot von 1956. Das Gericht hat für dieses Verbot deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen als für das der SRP. Beide Anträge wurden zeitgleich von der Bundesregierung beim Gericht eingereicht. Im KPD-Verbot frage ich nach eventuellen Erweiterungen, Bestätigungen oder Verschiebungen in der Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ und der fdGO-Definition. Ich betrachte drittens das Nichtverbot der NPD von 2017. Nach mehreren gescheiterten Verfahren zur NPD urteilte das Gericht schließlich 2017 über die Verfassungswidrigkeit der Partei. Es ist das erste Urteil zu einem beantragten Parteiverbot nach den Urteilen von SRP und KPD, das explizit zur Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei Stellung nimmt. Korrigiert das Gericht im Vergleich zu den Urteilen der 1950er Jahre seine Rechtsprechung oder bestätigt es sie? Vor dieser Darstellung ist eine Einordnung der Rolle des BVerfG in das politische System der Bundesrepublik nötig. So wird kontextualisiert, welchen Einfluss die Rechtsprechung auf politische Konflikte hat und wie es der Verfassungsgerichtsbarkeit gelingt, Werte zu setzen, die akzeptiert werden. Die Frage ist, warum eine begriffliche Setzung des BVerfG Akzeptanz und Unterstützung findet.

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

5.1 Verfassungsgerichtsbarkeit im politischen System der BRD Die politik- und rechtswissenschaftliche Forschung debattiert über Deutungsmacht und Institutionenvertrauen (vgl. Schaal und Vorländer 2002), die Autorität des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Lembcke 2007), Fragen der politischen Kultur (vgl. Byrde 2002; Gebhardt 1999; Haltern 2006, 1996; Lietzmann 1999) und kontextualisiert das Gericht und seine Rechtsprechung im politischen System der Bundesrepublik (vgl. Ooyen und Möllers 2006; Wesel 2004).62 Zentrale Thesen sind, dass das BVerfG aufgrund seiner integrativen Rechtsprechung »auf einer relativ abstrakten Wert- und Prinzipienebene« (Byrde 2002, 330) für einen Konsens sorge, der an eine »autoritätsgläubige Tradition« (ebd., 331) und »antipolitische Vorstellung« (Ooyen 2005, 13) in der politischen Kultur anknüpfen könne und dadurch als »oberste[s] nationale[s] Schiedsgericht« (Lamprecht 2011, 12) fungiere. Es habe jedoch quasi ›von oben‹ demokratische Werte in die Gesellschaft getragen (vgl. Schaal 2004, 125) und eine »Lektion in Staatsbürgerkunde« (Lamprecht 2011, 11) erteilt. Mit Werten und Normen sei es in seiner Rechtsprechung durch sachgemäße Beurteilung verantwortungsvoll umgegangen, was zu einer »Wertschätzung« (Lembcke 2007, 160) seiner Autorität beigetragen habe. Das BVerfG habe den Bürger*innen »ein Gefühl dafür gegeben, in welcher Verfassung sie leben« (Wesel 2004, 361). Kritisch wird das Gericht in diesem Zusammenhang auch als »Obrigkeits-Ersatz« (Ooyen 2015, 111) bezeichnet. Das BVerfG hat im Lichte dieser Forschung eine durchaus ambivalente Rolle. Es stabilisiert durch autoritative Setzungen die Demokratie der Bundesrepublik. Wenn etwas nicht demokratischen Standards genüge, gebe es ›zum Glück‹ immer noch das Gericht (vgl. Lamprecht 2011, 11f.; Wesel 2004, 360). Damit wird allerdings unterschlagen, dass die Bürger*innen und ihr Vertretungsorgan, das Parlament, weniger und weniger selbst wissen, was verfassungskonform ist und zudem keine Entscheidungs- und Beurteilungsbefugnis über die gerichtlich gesetzten Werte haben. Heute ändern in ehemals liberaldemokratischen Systemen höchste Gerichte mit den Mitteln exzessiver Interpretation und im Durchgriff auf überpositive Werte täglich die Verfassungen, während das »Volk« bei jeder innovativen Regung mahnend auf eine Verfassung verpflichtet wird, die als positivrechtliche gar nicht mehr existiert. (Maus 1994, 13f.)

Ein Blick in das Grundgesetz ist ohne eine Kenntnis der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nutzlos. Es ist zu problematisieren, dass das BVerfG 62 Eine etwas ausführlichere Darstellung: Schulz 2012, 4ff.

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als »Hüter der Verfassung«63 wirkt und damit seine Aufgabe – die Einhaltung der Verfassung zu überprüfen, nicht mehr und nicht weniger – überschreitet. Die Werte, die es setzt, und die Auslegungen, die es vornimmt, sind politische Entscheidungen und Weichenstellungen, die kraft seiner Autorität wirken. Sie erscheinen jedoch durch die richterliche Autorität dem politischen Streit enthoben. Eine tendenziell progressive Rechtsprechung mag beruhigend auf dieses Problem wirken, behebt es aber nicht, sondern macht deutlich, dass sich je nach richterlichen Vorverständnissen der Wind drehen kann. An den Beratungen zu den Entscheidungen nehmen nur die zuständigen Richter*innen teil (§ 25 BVerfGGO), Protokolle gibt es nicht. Das dort Gesagte unterliegt dem Beratungsgeheimnis.64 Diese Sicherung der Vertraulichkeit ist zugleich eine Erschwerung der wissenschaftlichen Forschung. Entscheidungsprozesse können so nicht nachvollzogen werden. Gleichzeitig werden die Autorität des Gerichts und seine scheinbare Neutralität durch gemeinsames inhaltliches Auftreten gestärkt. Gerade im Bereich des Verfassungsrechts geht es aber um politische Verfahren und interpretationsreiche Rechtsbegriffe. Diskussionsprozesse, das Abwägen des Für und Widers machen die Relativität von Aussagen deutlich. Bleiben diese hinter dem »Schleier des Beratungsgeheimnisses« (Kranenpohl 2010), ist eine Behauptung des Wesens eines Rechtsbegriffs leichter möglich.

5.2 SRP-Verbot 1952 Die Sozialistische Reichspartei (SRP) gründete sich im Oktober 1949. Zu ihren Hochzeiten hatte sie etwa 40.000 Mitglieder. Sie war ein Sammelbecken für Nationalsozialist*innen. Bei den niedersächsischen Landtagswahlen 1951 erreichte sie elf und bei den Wahlen zur Bürgerschaft in Bremen sieben Prozent. Gerade die Parteiführung bestand aus frühen NSDAP-Mitgliedern mit entsprechenden Karrieren bis 1945 (vgl. Hansen 2007, 47ff.). Am 4. Mai 1951 beschloss die Bundesregierung ein Verbot der SRP vor dem BVerfG anzustreben und beantragte es am 19. November 1951. Sie argumentierte, dass die SRP eine Nachfolgepartei der NSDAP sei und ihre innere Organisation demokratischen Grundsätzen nicht genüge. Nach Art. 21 Abs. 1 GG muss der innere Aufbau einer Partei demokratischen Grundsätzen entsprechen. Im Urteil vom 23. Oktober 1952 verbot das BVerfG die SRP. Sie sei verfassungswidrig. Ersatzorganisationen 63 Zu Geschichte und Kontroverse dieser Formulierung vgl. Kelsen 1931; Schmitt 1985; Schulz 2012. 64 Zum Für und Wider des Beratungsgeheimnisses vgl. Kranenpohl 2010, 175f., 197.

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durften nicht gegründet werden, das Parteivermögen wurde eingezogen und die Abgeordneten verloren ihre Mandate. Zu würdigen ist, dass im Urteil die »antisemitische Tendenz« (BVerfGE 2, 1, 65) der SRP benannt wird, die »angesichts der Massenausrottung jüdischer Mitmenschen durch die Nationalsozialisten« (ebd.) besonders schwer wiege. Zwar findet sich dieses Argument erst am Schluss des Urteils, doch die Erwähnung des Antisemitismus und zumindest die Umschreibung der Shoah ist für die 1950er Jahre bemerkenswert. Schließlich wird dies in allen anderen hier untersuchten Quellen kaum bis nicht benannt, verdeckt oder verharmlost und schon gar nicht in Bezug zur ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ gestellt.

5.2.1 »Wertgebundene Ordnung« Das BVerfG könne die fdGO weiter oder enger auslegen, hatte man im Bundesjustizministerium während des Gesetzgebungsprozesses zum 1. StÄG gewarnt (vgl. BArch B 141/3037, pag. 51f.). Eine engere Auslegung sei problematisch, da sie zu Konflikten zwischen dem BGH und dem BVerfG führen könne. Deshalb entschied man sich im politischen Strafrecht gegen den Begriff fdGO und verwandte stattdessen »Verfassungsgrundsätze«. Im Leitsatz zum Verbotsurteil definierte das BVerfG nun die fdGO: Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. (BVerfGE 2, 1, 1)

Die Definition des BVerfG erinnert stark an die Verfassungsgrundsätze des 1. StÄG. Ridder (1966, 28) bezeichnet sie als »schlichte Übernahme einer – unsystematischen – Kompilation von gewiß sehr wichtigen, aber heterogenen Verfassungsgrundsätzen«. Dabei werde der historische Entstehungskontext dieser aneinandergereihten Rechtsprinzipien einer repräsentativen Demokratie ausgeblendet (vgl. Böhme 1977, 68; Ridder 2009b, 544). Henne (2005, 208f.) schreibt, dass das BVerfG mit dieser Definition »eine bereits zuvor bestehende strafrechtliche Norm faktisch zu Verfassungsrecht 198

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erhöht« habe. Auf die Anlehnung an die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze hat das Gericht nicht verwiesen (vgl. Lameyer 1978, 38; Ridder 1966, 28). Wie begründet das BVerfG stattdessen seine fdGO-Formel? Dieser Grundordnung liegt letztlich nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die Grundordnung eine wertgebundene Ordnung. (BVerfGE 2, 1, 12)

Eine argumentative Herleitung der einzelnen fdGO-Elemente fehlt im Urteil völlig, sie sind schlicht als »fundamental[e]« »Grundwerte« der »staatlichen Gesamtordnung« (BVerfGE 2, 1, 12) gesetzt. Das B ­ VerfG hat nur einen »geringen Teil seiner Darlegungen der Auslegung des Begriffs und den damit zusammenhängenden Fragen gewidmet« (Ruland 1971, 16). Statt einer Argumentation verweist das Gericht auf die »Schöpfungsordnung« und gibt damit eine »religiös-naturrechtliche« (Gusy 1980, 285) Begründung. Die fdGO sei eine »wertgebundene Ordnung« (BVerfGE 2, 1, 12). Die Rechtswissenschaft kritisiert diese Wertbegründungspraxis des Gerichts, die sich nicht nur in dem hier analysierten Urteil findet. Ridder (1975, 61) findet dafür polemische Worte, wenn er schreibt, dass »sogar der liebe Gott mit von der Partie der Partei des machtmäßigen status quo« sei und das BVerfG mit der »ideologische[n] Nomenklatur des ›überpositiven Rechts‹ [...] hochtrabende[...] Leerformeln« verwende. Neumann (vgl. 1937) hatte darauf hingewiesen, dass naturrechtliche Begründungen je nach politischer Lage und Kräfteverhältnissen unterschiedlich inhaltlich gefüllt und eingesetzt werden können und auch wurden. Das »Rationalitätsdefizit« werde durch einen »Begründungs-Anschein« (Böckenförde 2006, 86) ersetzt. Ein Rekurs auf Werte könne keine konkretisierende Argumentation ersetzten, sei intransparent und befriedige nicht die Begründungspflicht (vgl. Goerlich 1973, 187). Mit Blick auf die fdGO kann konstatiert werden, dass das BVerfG »die Formulierung oft gerade dort wählt, wo einer im übrigen schwachen Begründung durch die Berufung auf die Grundordnung mehr Nachdruck verliehen werden soll« (Ruland 1971, 17). Das BVerfG hat sich im SRP-Urteil für die Wertbegründung entschieden und damit eine substanzialisierte fdGO als »Super-Legalität« (Preuß 1973, 17) gesetzt, die von der gesellschaftlichen Auseinandersetzung entkoppelt ist. Die Ausblendung des historischen Entstehungskontextes der in der fdGO-Formel festgeschriebenen Prinzipien und ihre mangelnde Begründung führen dazu, dass die fdGO als Wesensgehalt der Demokratie schlechthin erscheinen kann. Das Gericht behauptet eine objektive 199

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Wertordnung und eignet sich die Definitionsmacht darüber an. Es könne, laut BVerfG, zudem nicht verschiedene ›freiheitliche demokratische Grundordnungen‹ geben, sondern nur unterschiedliche Gestaltungen der einen, einzigen Grundordnung (vgl. BVerfGE 2, 1, 12). Es behauptet, es gebe eine von Zeit, Raum und Gesellschaft unabhängige ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹. In den verfassungsgebenden Versammlungen war die fdGO noch kein feststehender Begriff (vgl. V 2). Die Abgeordneten suchten nicht bewusst nach einer Definition, weil es noch keinen Begriff gab, für den es eine Definition zu finden galt. Das Gericht setzte die fdGO nun wenige Jahre später als universelle Formel, scheinbar schon immer existent. Die Relativität und historische Bedingtheit der aufgestellten Verfassungsprinzipien wird verdeckt. Bevor ich genauer auf die einzelnen Elemente der fdGO-Formel eingehe, werde ich ihre argumentative Rechtfertigung aus der Geschichtsdeutung des Gerichts darstellen.

5.2.2 Konservativ-liberale Deutung des Weimarer Scheiterns Die Behauptung einer objektiven Wertordnung des Grundgesetzes, der fdGO als ›Kern‹ der Demokratie der Bundesrepublik passt zu den von Ullrich (vgl. 2009, 93ff., 101) ausgemachten Deutungen des Weimarer Scheiterns in den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Das liberale Deutungsmuster betont die Unreife der Deutschen für die Demokratie, das konservative macht das Fehlen eines vor der Mehrheit geschützten Bereiches – Recht, Religion oder Geist – als Ursache für den NS aus (vgl. V 1, 2). Das Urteil ist eine Zusammenfassung der konservativen und liberalen Deutung. Aus dieser zieht das BVerfG Schlüsse für die Wehrhaftigkeit der Bundesrepublik und behauptet eine universelle fdGO, die vor Opposition geschützt werden muss. Das Gericht zeichnet den Aufstieg der »Rechtsparteien« in der Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg nach und überträgt die daraus gewonnen Erkenntnisse auf die Bundesrepublik der 1950er Jahre. Es parallelisiert die NSDAP mit der SRP und zeigt die Entwicklung neuer revolutionärer Methoden auf, auf die die Bundesrepublik – anders als die nicht-wehrhafte Weimar Republik – reagiere. Mit der Darstellung des Scheiterns der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Machtübernahme kennzeichnet das Gericht die ›wehrhafte Demokratie‹ als Konsequenz aus der Geschichte.

5.2.2.1 Der Aufstieg der NSDAP Das BVerfG sieht die unter der konstitutionellen Monarchie noch staatstragenden Rechtsparteien in eine oppositionelle Haltung gegenüber 200

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der Weimarer Republik gedrängt (vgl. BVerfGE 2, 1, 16). Es kennzeichnet die traditionell konservativen Parteien als ein Milieu, das gegen »Materialismus und Rationalismus ethische Werte, bisweilen in christlicher Tönung« (ebd.) hervorbringe und statt einer politischen, eine »allgemeine geistige und gesellschaftliche Erneuerung« (ebd.) anstrebe. Damit stellten sie sich gegen das liberale Parteiensystem. Ihre Gedanken seien aber »romantisch, unrealistisch« (ebd., 17). Ihnen fehle zunächst die charismatische Führungspersönlichkeit, die für ein »lebendiges politisches Leben« (ebd., 15) zu den »Lebensgesetzen« (ebd., 19) politischer Parteien gehöre. Diese Führungspersönlichkeit fand sich in Adolf Hitler, der einer der Rechtsparteien – der NSDAP – die antisemitische Stoßrichtung gegeben habe (vgl. ebd., 17f.). Die sich in »wirtschaftliche[r] Not« befindende Jugend, dessen »soldatische[s] Selbstgefühl« durch die Dolchstoß-Legende geschmeichelt worden sei, zeigte sich von der »männlichen Führung« beeindruckt (ebd., 17). »Junge Offiziere« und »unreife[...] Jugend« (ebd., 17) wären in ihren »echte[n] patriotische[n] Gefühlen« durch »Mythisierung des Fronterlebnisses, Ordensideen und [...] übersteigerten Ehrbegriffs« (ebd., 18) missgeleitet worden. Die »straff militärisch« aufgebaute ­NSDAP hätte »planmäßig [die] moderne Technik der Massenbeeinflussung« genutzt und damit die »romatische[n]« Gefühle der Jugend angesprochen (ebd.). Mit »formell demokratischen Mitteln« und »absichtlich unklar gehaltene[m] Parteiprogramm« (ebd.) sei die NSDAP an die Macht gekommen. Es herrsche die »Lehre vom totalen Staat«, die »Rassendoktrin« und das Führerprinzip (ebd., 19). Der Staatsbürger sei seiner Freiheit beraubt, die Menschenwürde geschändet worden und Rechtlosigkeit sowie Willkür seien an der Tagesordnung gewesen. Vollstrecker des Führerwillens sei die Gestapo und der »Apparat von Konzentrations- und Vernichtungslagern« (ebd.) gewesen. Das alles habe »schließlich den Staat in Krieg und Zusammenbruch« (ebd.) geführt. Die anfänglich »theoretisch-prinzipielle« Opposition der Rechtsparteien sei zu einer »umstürzlerische[n] Opposition« geworden, deren »rücksichtslose[...] Durchsetzung auch ihrer extremsten Ziele die Katastrophe des Staates herbei führt[e]« (ebd., 20). Dominant in der gerichtlichen Darstellung des Untergangs der Weimarer Republik ist das Zusammenspiel von unreifer, emotionaler Jugend und planvoller Manipulation durch die NSDAP. Der Nationalsozialismus erscheint als Jugendphänomen, dem man mit sozialpädagogischen Mitteln hätte beikommen können – und wahrscheinlich einem Verbot der NSDAP. Weder das konservative, nationalistische und monarchistische Milieu in Bürokratie und Justiz, das durchaus nicht nur aus Jugendlichen bestand, noch die einseitige Anwendung der Republikschutzgesetze und Notverordnungen und damit verbundene Verharmlosung und Förderung des Nationalsozialismus wird benannt. Der »Staatsbürger« 201

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(ebd., 19) taucht in der Nacherzählung des BVerfG erst auf, nachdem die NSDAP die Macht schon übernommen hatte. Das Ergebnis der Machtübernahme bedeutete in dieser Lesart das Ende für den Staat – nicht den Tod für Millionen von Menschen. Die Zusammenfassung des BVerfG am Schluss impliziert, dass gegenüber jedweder Opposition von Anfang an Wachsamkeit herrschen müsse, da sie sich schnell in eine radikale Opposition, die den Staat stürzen wolle, wandeln könne. Der Staat sei durch die Opposition bedroht. Neben der Schlussfolgerung zur Opposition, die das Gericht aus dieser Geschichtserzählung ableitet, hat es mit dieser Darstellung noch vor Beginn der geschichtswissenschaftlichen Forschung eine Deutung des Weimarer Scheiterns vorgelegt. Es bleibt unklar, woher die Richter*innen ihre Erkenntnisse nahmen. Verweise auf Literatur oder Forschung finden sich nicht. Das Gericht greift vielmehr aus den um Hegemonie kämpfenden unterschiedlichen Deutungen des Weimarer Scheiterns zwei heraus. Liberale und konservative Deutung gehen ineinander über. Eine Skepsis gegenüber der ›undemokratischen‹ bzw. in der Sprache des Gerichts »unreife[n]« (BVerfGE 2, 1, 17) Bevölkerung65 paart sich mit dem Wunsch des Schutzes des Staates vor prinzipieller Opposition in Zeiten der Massendemokratie. Das BVerfG stellt eine Grenzmarke für die Gestaltungsmacht der Bevölkerung zur Verfügung – die fdGO – und legitimiert sie durch seine Geschichtsdeutung.

5.2.2.2 Abgrenzung zur Weimarer Republik und die neuen Methoden der Revolution Die Weimarer Republik habe von Anfang an in den konservativen Kreisen und den Rechtsparteien einen schlechten Stand gehabt. Der Ausgang des Ersten Weltkriegs und die wirtschaftliche Not haben ein »tiefgehendes Ressentiment« (BVerfGE 2, 1, 17) erzeugt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand der Verfassungsgesetzgeber vor der Frage, ob er dieselbe »absolute Freiheit« (ebd., 11) gewähren wolle, die bei einer solchen sozialen und politischen Situation gefährlich werde, oder aber »gewisse Grenzen ziehen müsse« (ebd.) – gerade wenn Parteien, die in modernen Staaten die politischen »Handlungseinheiten« und Darstellung des Volkswillens 65 Sicherlich war der Nationalsozialismus auch eine von der deutschen Bevölkerung getragene Bewegung. Nicht nur die Wahlergebnisse in den beginnenden 1930er Jahren geben dafür Belege. Eine Skepsis gegenüber der »Demokratiefähigkeit« der Deutschen war nicht weit hergeholt. Zugleich aber wäre ebenso eine Skepsis vor der Demokratiefähigkeit der deutschen politischen und wirtschaftlichen Eliten angebracht gewesen, die ihren Teil zur Machtübernahme wie Stabilität und Brutalität des Nationalsozialismus beigetragen hatten.

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sind, auch mit »formalen Mitteln der Demokratie diese selbst beseitigen« (ebd.) können. Im modernen Staat würden Machtkämpfe zur Beseitigung der bestehenden Ordnung immer öfter ohne unmittelbare Gewalt geführt, sondern durch »Zersetzung« (ebd., 20). Gleich dem Kalten Krieg sei die moderne Form der Revolution eine »Unzahl feindseliger Einzelakte, von denen jeder für sich betrachtet verhältnismäßig unbedeutend und nicht notwendig verfassungswidrig erscheint« (ebd., 20f.), es komme auf die »Grundhaltung« (ebd., 21) an. So spiegeln sich die Ziele der Partei nicht notwendig in ihrem Programm wieder, sondern vor allem auch im Verhalten ihrer Anhänger (vgl. ebd., 21). Das BVerfG gibt hier wieder, was auch schon bei den Beratungen zum 1. StÄG ausschlaggebend war. Die neuen Methoden der »kalten Revolution« (vgl. Fn. 33, Kap. V) – Infiltration, Zersetzung und Missbrauch der Freiheit der Demokratie – stellen aus dieser Sicht den Staat vor eine Herausforderung. Noch vor der Ergreifung gewaltsamer Mittel durch eine Opposition müsse die Demokratie wehrhaft sein. Die wichtige Rolle der Parteien als »Handlungseinheiten« (BVerfGE 2, 1, 11) im politischen System ist gleichsam bedrohlich, da sie ausgenutzt werden könne. Die eigentlichen Handlungen müssen dabei in ihrem gesamten Kontext betrachtet werden, um die Absichten der Partei zu verstehen. Das ­BVerfG übernimmt aus dem Strafrecht nicht nur die Verfassungsgrundsätze, sondern auch die Idee des neuen Straftatbestands der Staatsgefährdung wie er im 1. StÄG formuliert wurde (vgl. V 4). Auf die Absichten müsse fokussiert werden (vgl. BVerfGE 2, 1, 22). Das eigentlich objektive Handeln fällt nicht ins Gewicht. Es geht statt um Legalität, um die Legitimität des Handelns. Das geschichtliche Narrativ zum Weimarer Scheitern rechtfertigt diese Auslegung. Die »gewisse Grenze[...]« (ebd., 11), die man ziehen müsse, um die Demokratie zu schützen, ist die fdGO.

5.2.3 Prinzipien des bürgerlichen Staates in deutscher Tradition Die Elemente, die das BVerfG in der fdGO-Formel festlegt, sind Freiheitsrechte und Staatsorganisationsprinzipien. Dass es rechtswissenschaftliche Differenzen in der Konkretion dieser Definitionselemente gibt, ist politikwissenschaftlich weniger relevant; das ist das »tägliche Brot der Juristen« (Preuß 1973, 23). Die einmal in den Jahren 1948 bis 1952 entstandene Formel bleibt bestehen. Sie ist »kanonisiert« (Stolleis 2012, 312) und wird bis heute in dieser Form exekutiv angewendet – unabhängig von rechtswissenschaftlichen Diskussionen und Akzentverschiebungen des NPD-Urteils von 2017 (vgl. V 5.4). Die Formel ist keineswegs »neutral«, indem sie lediglich die »Ideen von Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit« schützt, ansonsten aber die »Ausformung der staatlichen Ordnung« dem Gesetzgeber überlässt 203

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(Gusy 1980, 286). Die Prinzipien sind nicht »disponibel« (ebd., 285) oder »rein additiv« (Azzola 1972, 803), sondern die Elemente der fdGO sind Bestandteile der politischen Form der bürgerlichen Gesellschaft. Die fdGO »stellt einen mißlungenen Verschnitt von demokratischen Prinzipien mit dubiosen Zutaten spätbürgerlicher Ideologie und Elementen der Totalitarismuslehren dar [...]« (Ridder 1975, 64). Es sind jene Prinzipien, »die die bürgerliche Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem feudalen und absoluten Staat im liberalen Rechtsstaat durchgesetzt hat« (Böhme 1977, 67). Keines der Prinzipien ist losgelöst von Raum und Zeit oder unabhängig von geschichtlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Das BVerfG hat die fdGO aus diesem materiellen und historischen Kontext (vgl. ebd., 68) gelöst und stattdessen wertbegründet, religiös hergeleitet und damit als universell gültig gesetzt. Rechtsstaatsprinzipien begrenzen hier die Demokratisierung, sind nicht ihre Bedingung. Die »Maxime ›keine Freiheit den Feinden der Freiheit‹ ist für das Bundesverfassungsgericht kein politischer Appell an den doch so mündigen Bürger, sondern eine Ermächtigung an den Staat« (Ladeur 1979, 115, Herv. i. O.). Die vom BVerfG benannten Prinzipien wurden durch Zurückweisung des absoluten Staates in politischen Bewegungen erkämpft, nicht von ihm selbst aus dem Nichts heraus gewährt. »Die verbreitete Verwendung des ›rechtsstaatlichen‹ Arguments zur Legitimation beliebiger politischer Entscheidungen steht in einer deutschen Tradition der Verselbstständigung substantialisierter Rechtsbegriffe gegen demokratische Willensbildungsprozesse« (Maus 1976, 7). Mit der ›wehrhaften Demokratie‹ werden der Demokratisierung Grenzen gesetzt. Die Grenze ist die fdGO, die den demokratischen Willensbildungsprozess zwar schützen soll, ihn aber durch Substantialisierung konterkariert als auch seine Grenzbestimmung in die Hände der Exekutive legt. Das spiegelt sich in der Definitionsformel des BVerfG.66

Rechtsstaatliche Herrschaftsordnung unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« war schon Bestandteil der Verfassungsgrundsätze des § 88 StGB (F.v. 1951). Die Formulierung sollte die Anwendbarkeit des neuen Straftatbestands der Staatsgefährdung gewährleisten, da die Absicht der Errichtung einer »Gewalt- und Willkürherrschaft« den Abgeordneten leichter beweisbar erschien. Sie 66 Die folgende Analyse der einzelnen Bestandteile der verfassungsgerichtlichen fdGO-Formel beruht auf Vorüberlegungen, die ich an anderer Stelle veröffentlicht habe (vgl. Schulz 2015, 290ff.)

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diente als Negativzusammenfassung der anderen Verfassungsgrundsätze (vgl. V 4.3). Zunächst von der Rechtsprechung der Britischen Besatzungszone für den Nationalsozialismus angewandt (vgl. W. Schubert 2010, 116), zielte »Gewalt- und Willkürherrschaft« im Gesetz zum »Schutze der persönlichen Freiheit« (BGBl. I 1951, 448) auf die DDR. Mit dem 1. StÄG festigt sich die antitotalitäre und antikommunistische Ausrichtung des Begriffs, den das BVerfG nun an den Anfang seiner ­fdGO-Definition rückt. Die fdGO wird im SRP-Urteil und der späteren Kommentarliteratur als Gegenteil zum »totale[n] Staat[...]« (Leibholz-Rinck, Leibholz/Rinck/ Burckhardt, Einführung, 2014, Rdnr. 2), zur Unfreiheit gesetzt (vgl. auch Preuß 1973, 29). Zwar solle sie »glaubhaft und glasklar« (Maunz-Dürig, Dürig, Art. 18, 1964, Rdnr. 57) das definieren, was man »als politische Ordnung unbedingt nicht« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48) wolle, doch bleibt genau dies unbestimmt.67 Die inhaltliche Beliebigkeit einiger Spielarten der Totalitarismustheorie spiegelt sich so in der fdGO wieder. »Gewalt- und Willkürherrschaft« ist der antitotalitaristische Begriff, der Nationalsozialismus und Kommunismus synonym fasst. Damit sind nicht nur gänzlich verschiedene politische Systeme unter einem Begriff vereint. Der Nationalsozialismus ist zudem nur unzureichend gefasst. Ihn schlicht als Willkürherrschaft zu bezeichnen, reicht nicht aus, um seine Herrschaftsmechanismen zu verstehen. Die damals schon publizierte politik- und rechtswissenschaftliche Kontroverse, ob der Staat im Nationalsozialismus ein Monster, der »Behe­moth« (F. Neumann 1984 [1942]), gewesen sei oder vielmehr ein »Doppelstaat« (Fraenkel 1984 [1941]), der in einen rationalen, die ökonomische Sphäre betreffenden Normenstaat und einen nicht berechenbaren, politischen Maßnahmestaat gespalten war, bezieht das Gericht genauso wenig ein, wie die ersten Analysen des Systems der Konzentrationslager (vgl. Kogon 1974 [1946]). Die Rechtsstaatlichkeit, also das Gesetz als Voraussetzung staatlichen Handelns und damit die Rationalisierung des staatlichen Gewaltmonopols, ist ein elementarer Bestandteil des bürgerlichen Staates, der kein direktes, personalisiertes Zwangs- und Gewaltverhältnis mehr ist, sondern als neutrale, vermittelnde Instanz erscheint (vgl. II 1). Dabei entwickelte sich die Rechtsstaatstheorie zunächst als Demokratietheorie: Die 67 Eine nähere Bestimmung, was Gewalt- und Willkürherrschaft bedeute könnte, geschah lediglich in einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung von 1962 zur Großen Strafrechtsreform später (vgl. VI 1.2). Dort wurde vorgeschlagen, den Begriff »Gewalt- und Willkürmaßnahmen« ins Gesetz einzufügen und diese als »rechtsstaatswidrige Gewalttätigkeiten oder andere Akte der Willkür, wie sie in einem totalitären Staat von diesem selbst oder mit dessen Billigung zur Festigung der Diktatur oder zur Erreichung seiner Ziele begangen zu werden pflegen«, (E 1962, BT-Drs. IV/650, 559) zu fassen.

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»demokratische Genesis« (Maus 1976, 13) der Gesetze sichere vor willkürlicher staatlicher Gewalt. Rechtsstaat gilt auch in der fdGO-Formel als Gegenteil von Gewalt und Willkür, ist jedoch als substantialisiertes Prinzip gesetzt und nicht in seiner demokratietheoretischen Tradition verstanden. Rechtsstaatliches Handeln soll gesetzesmäßig und rational sein, was in der ökonomischen Sphäre Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit schafft. Die politische Forderung nach Freiheit der bürgerlichen Revolution ging mit der ökonomischen Forderung nach Planbarkeit individuellen Handelns und Verfügung über individuelles Eigentum Hand in Hand. Die Beziehungen der Bürger*innen zum Staat als auch die Beziehungen untereinander sind durch Verträge geregelt, sie sind Rechtsverhältnisse und damit einklagbar. Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass staatliches Handeln voraussehbar wird und individuelles Handeln rechtssicher geschehen kann. Gesetze gelten allgemein für alle gleichermaßen und sind keine willkürlichen Einzelmaßnahmen. Sie sind nicht staatlich Gewährtes, sondern durchgesetzte politische Forderungen zur Zurückdrängung des Staates und seiner Exekutive, nicht zur Begrenzung des Handelns der Bürger*innen.

Oppositionsrecht Mit diesem Blick ist auch das Oppositionsrecht zu bewerten. Es war schon in dem Herrenchiemseer Entwurf angefügten demokratischen Mindeststandards mit Blick auf die Sowjetische Besatzungszone formuliert (vgl. V 2.2). Ein Recht auf Opposition bedeutete insbesondere keine Bildung von Blockparteien und keine Einheitspartei. So ist das Oppositionsrecht einerseits Bestandteil einer liberalen demokratischen Verfassung, aber andererseits als Inhalt der fdGO-Formel eine im Kalten Krieg entstandene Abgrenzung zum zweiten deutschen Staat (vgl. V 2.2, 2.3) Es ist zu würdigen, dass in der verfassungsgerichtlichen Formel der Zusatz »parlamentarische« vor dem Wort Opposition fehlt, wodurch nun auch außerparlamentarische Opposition denkbar und verfassungskonform erscheint. Das Gericht hat damit den verengten strafrechtlichen Blick des 1. StÄG gelockert. Doch ist gerade auch die Versicherung der Opposition Teil der Generierung von Zustimmung. Mitwirkung oder potentiell mögliche Machtwechsel machen Herrschaft legitimer. Die politische Gleichheit des bürgerlichen Staates kann aber auch die Forderung nach sozialer Gleichheit nach sich ziehen. Im Rahmen der wehrhaften Demokratie ist dieses Potential beschränkt. Es geht um »ein bestimmtes System des Machterwerbs unter der Bedingung real ungleicher Verteilung der Chancen« (Azzola 1972, 811). Opposition soll »verfassungsmäßig, nämlich ›systemkonform‹« (ebd.), vielleicht in 206

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Einzelfragen dagegen, aber keine prinzipielle Opposition sein. So argumentiert das Gericht auch in seinem Urteil: Eine fundamentale Opposition führe »den Staat in Krieg und Zusammenbruch« (BVerfGE 2, 1, 19). Für ebenjene Grenzziehung zwischen noch verfassungskonformer Opposition und verfassungswidriger bzw. -feindlicher Opposition ist die fdGO das Instrument. Azzola (1972, 812) fragt zudem, ob eine »systemsprengende« Opposition im Rahmen der fdGO als zulässig gelten könne. Verneine man diese Frage, verwandle sich die fdGO und die Bundesrepublik in einen autoritären Rechtsstaat. Die fdGO wäre dann lediglich dazu da, die »soziale Existenz der bürgerlichen Gesellschaft zu defendieren« (ebd.). Dies ist tatsächlich Sinn der ›wehrhaften Demokratie‹. Sie dient dazu, das bürgerliche Verfassungsgefüge und die damit bestehenden Herrschaftsverhältnisse stabil zu halten, nicht sie grundlegend zu ändern. Sie ist keine Sicherung politischer Freiheit, die es ermöglicht, die Gesellschaft grundlegend zu emanzipieren. Die fdGO ist das verfassungsrechtliche Argument – strafrechtlich und geheimdienstlich abgesichert – Opposition zu unterbinden oder mindestens zu beobachten. Legitimiert ist sie durch die Verallgemeinerung politischer Forderungen zu Werten, die ihres Entstehungskontextes enthoben werden. Die fdGO ermöglicht die sozialen Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft zu prozessieren und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie hervorbringen, damit zu stabilisieren. Deutlich wird das am Fehlen der politischen Grundrechte in der Definitionsformel, zu deren Einschränkung die fdGO als Argument ja dient.

Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit Das BVerfG hat die im »Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte[...]« und das »Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung« (BVerfGE 2, 1. 1) in seine fdGO-Formel aufgenommen – im Gegensatz zu den Verfassungsgrundsätzen des politischen Strafrechts. Dort wurden die Grundrechte gänzlich wieder aus der Aufzählung gestrichen (vgl. V 4.3).68 Dass es das Recht auf Leben hervorhebt, zeugt von der 68 Rigoll (2013, 116) führt diese Hinzufügung der Menschenrechte zur fdGO auf die Biographien der Richter*innen des BVerfG zurück. Im Vergleich zur restlichen Justiz der Bundesrepublik waren am BVerfG weniger ehemalige NSRichter tätig. Allerdings waren im Ersten Senat, der das Urteil fällte, durchaus unterschiedliche Biographien zu finden. So waren am Urteil bspw. Martin Draht als ehemaliges Mitglied des Reichsbanners »Schwarz-Rot-Gold«, Erna Scheffler, die 1933 aus ihrer Anstellung als Amtsgerichtsrätin entlassen wurde (vgl. Waldhoff 2008), oder Hermann Höpker-Aschoff, der während des Zweiten Weltkriegs Leiter der Abteilung IV »Vermögensverwaltung des ehemaligen polnischen Staates« der Haupttreuhandstelle Ost tätig war (vgl. Aders 1994,

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Kenntnis der Diskussionen im Rechtsausschuss zum 1. StÄG. Gegenüber anderen Grundrechten sei das Recht auf Leben als einziges absolut garantierbar und nicht von gesetzlicher Einschränkung betroffen (vgl. Arndt, BT-Plenarprot. 1/158, 6307). So sollte es als Teil der Verfassungsgrundsätze in § 88 StGB aufgenommen werden. Abschließend entfielen die Grundrechte aber gänzlich (vgl. V 4.3). Das BVerfG benennt nun zwar »Menschenrechte« als Teil der fdGO, formuliert aber einschränkend: »die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung« (BVerfGE 2, 1, 1). Es unterstreicht damit die Achtung vor liberalen Abwehrrechten gegenüber dem Staat. Andere Menschen- oder Grundrechte erwähnt es hingegen nicht. Gerade das Recht auf Leben ist in der Verfassungs- und Vertragstheorie Existenzgrund des Staates (Hobbes 1996, 141). Es verwundert nicht, dass genau dieses Recht in der fdGO-Formel auftaucht. Schließlich schützt die Übereinkunft der Menschen zum Staat davor, in einen »Krieg eines jeden gegen jeden« (ebd., 104) zu versinken. Dass es darauffolgend das Recht der Persönlichkeit auf freie Entfaltung ist, das das BVerfG betont, verwundert ebenso wenig. An dieser Stelle ist es die Trennung von Gesellschaft und Staat, von privat und öffentlich, die Bestandteil der liberalen Theorietradition ist. Der Mensch hat eine Privatssphäre, in der der Staat und alle anderen Menschen nichts zu suchen haben. Dieses Abwehrrecht ist Teil der Subjektivierungs- und Vereinzelungsmechanismen des bürgerlichen Rechts (vgl. Buckel 2007, 217ff.), es ist das Recht »des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. des egoistischen Menschen, des vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen« (Marx 1958, 364). Als freies und gleiches Subjekt kann es tun und lassen, was es will, solange es die anderen nicht beschränkt. Die private Sphäre ist vom Zusammenschluss der Menschen entkoppelt. Die »Kategorie des Einzelnen« (Adorno 1975, 346) und folglich seine Partikularität und Isoliertheit sind notwendige Bestandteile kapitalistischer Vergesellschaftung. Alle sind frei und gleich im Warentausch. Dazu müssen sie als Einzelne existieren. Durch die schlichte Setzung dieser Rechte geht verloren, dass sie erkämpft werden mussten: »Diese Rechte waren Ausdruck der Bedürfnisse der sie formulierenden Gesellschaft, der Schicht, des Standes oder 206ff.; Dingell 2003, 83; Foschepoth 2017, 180ff.). »Insofern war das Bundesverfassungsgericht zwar einerseits eine ›antifaschistische‹ Neugründung, teilweise aber auch getreuer Spiegel von Mehrheitsmeinungen des westdeutschen Bürgertums« (Stolleis 2012, 154). Die Biographien der Richter*innen könnten ein Grund für die Hinzufügung der Grundrechte zur fdGO sein – je nachdem, wer sich in den Diskussionen durchsetzte. Doch lassen sich die einzelnen Positionen ohne Gesprächsprotokolle des Gerichts schwer nachvollziehen.

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der Klasse, die sich für jeweils berechtigt hielt, ›für die Menschheit‹ zu sprechen« (Lautner 1982, 20). Es sind keine universellen Prinzipien, die seit Ewigkeiten existieren. Stattdessen wurden sie in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen errungen. Dass sie nun als universell gesetzt und überpositiv beschrieben werden können, ist dem Erfolg des politischen Kampfes zuzusprechen. In der liberalen Theorietradition sichert aber gerade der demokratische Prozess der Entstehung der Gesetze vor staatlicher Willkür, nicht die Setzung universaler Rechtsprinzipien durch den Staat (vgl. Maus 1986, 13). Dass nun wiederum die politisch-prozessualen Rechte nicht Bestandteil der fdGO-Formel sind, liegt genau in dieser Entgegensetzung von Demokratie und Rechtsstaat begründet. Die fdGO hegt Demokratie ein, ist also Begrenzung politisch-prozessualer Rechte. »Grundrechte, die überhaupt erst aus der Vergesellschaftung des Individuums resultieren, erst in der Gesellschaft entstehen können und nicht ›vorstaatlich‹ sind, [...] erscheinen in dieser Definition gar nicht« (Preuß 1973, 28). Somit bietet die fdGO die Möglichkeit, politische Freiheitsrechte gegen ein höheres Prinzip abzuwägen (vgl. Schulz 2015, 10), obwohl genau diese politischen Rechte den demokratischen Willensbildungsprozess ausmachen. Außer dem Recht auf Leben und der Persönlichkeitsentfaltung stehen alle anderen Grundrechte unter Vorbehalt, können im Zweifel nicht mit der fdGO vereinbar sein. Politische Freiheit ist in der ›wehrhaften Demokratie‹ ein Zugeständnis des Staates an die Bürger*innen. Politische Freiheitsrechte mit der fdGO als absolute Werte zu setzen, würde die Möglichkeit verhindern, sie zu begrenzen.

Volkssouveränität und Gewaltenteilung Das BVerfG benennt konkret das Prinzip der Gewaltenteilung, während die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze des 1. StÄG durch Angabe der Legislative, Exekutive und Judikative die Gewaltenteilung implizieren. Dabei gleichen sich die Definitionen in der Benennung der Unabhängigkeit der Gerichte (§ 88 Nr. 5 StGB F. v. 1951) und in der Bindung der Exekutive ans Gesetz (§ 88 Nr. 4 StGB F. v. 1951). Das Wort »parlamentarisch« vor der Verantwortlichkeit der Regierung hat das ­BVerfG im Gegensatz zum Strafrecht allerdings weggelassen, wahrscheinlich in der Auffassung, dass auch ein präsidentielles Regierungssystem der fdGO der Bundesrepublik entsprechen könne. Dies war ein Streitpunkt im Gesetzgebungsprozess zum 1. StÄG (vgl. V 4.3). Die Forderung nach Volkssouveränität war die »Frontstellung« (Azzola 1972, 807) gegen die feudale Staatsordnung. Sie war Teil des Kampfes gegen eine bestimmte Ungleichheit – die der Geburt (vgl. ebd. 807f.). Ihre Sicherung erhält sie durch Strukturprinzipen zur Begrenzung 209

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und Kontrolle von Herrschaft. Die Regierung als exekutive Gewalt ist der gesetzgebenden Gewalt, dem Parlament als Vertretungsorgan des Volkes, verantwortlich. Die Kontrolle über die Einhaltung der Gesetze hat die Judikative. Rechtsstaatlichkeit wird durch Gewaltenteilung gewährleistet, und zwar nicht durch »Beschränkung des Gesetzgebers, sondern ausschließlich der Exekutive« (Maus 1986, 20). Dazu gehören das gesetzmäßige Handeln der Verwaltung ebenso wie die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der legislativen Gewalt und die Unabhängigkeit der Gerichte. Die Gewaltenteilung selbst ist eine funktionale, rationale Differenzierung staatlicher Herrschaft zur ihrer Begrenzung und Mäßigung (vgl. Montesquieu 1950, 128ff.). Exekutives Handeln geschieht auf Grundlage dieser Idee nicht mehr willkürlich und durch Einzelmaßnahmen, sondern ist an die allgemeinen Gesetze gebunden, die vom Parlament, also der Legislative, geschaffen werden. Die vom Volk gewählte Legislative schafft die Gesetze, bindet sich selbst durch Selbstbestimmung und den formalen Prozess.69 Die Gewaltenteilung ist historisch die Gegenbewegung zum absolutistischen Staat und seiner aus­ ufernden Exekutive. Im Gegensatz zu den strafrechtlichen Verfassungsgrundsätzen hat das BVerfG die Bindung der Legislative an die Verfassung sowie die Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz (§ 88 Nr. 2 StGB F. v. 1951) weggelassen. Lässt sich auch mit der von Rüthers analysierten »unbegrenzten Auslegung« (Rüthers 2012) das Vertrauen in eine gesetzestreue Judikative als naiv bezeichnen, so ist es für die Rechtsprechung des BVerfG scheinbar selbstverständlich an »Recht und Gesetz« gebunden zu sein, wie die Verfassungsgrundsätze des 1. StÄG noch extra festschrieben. Schließlich ist dies das Selbstverständnis der juristischen Ausbildung. Das Nicht-Erwähnen der Bindung der Legislative an die Verfassung ist hingegen überraschender. Die sonst wertorientiert und naturrechtlich argumentierende Rechtssprechung des BVerfG bezüglich der ›wehrhaften Demokratie‹ hat hier eine durchaus positivistische Änderung der strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze vorgenommen. Die Legislative als Ort der Auseinandersetzung und Findung von Gesetzen macht die Gesetze eben selbst. Der Willen zur Kontrolle der Legislative entspringt konservativer Angst vor der Volksouveränität.

69 Die Realität des heutigen parlamentarischen Systems sieht freilich anders aus. Der überwiegende Teil der Gesetzesinitiativen stammt von der Bundesregierung, also der Exekutive. Bundestag und Bundesrat beraten zwar über diese Vorschläge, die Vorarbeiten, der Einfluss der Interessensvertretungen u. ä. sind aber beim Einbringen der Entwürfe bereits geschehen. Die Abgeordneten müssen darauf aufbauen und sich diesen geschaffenen Tatsachen beugen.

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Wahlen und Abstimmungen Im Gesetzgebungsprozess zum 1. StÄG waren Wahlen noch näher als freie, gleiche, geheime und unmittelbare bestimmt (vgl. V 4.3). Die Unmittelbarkeit der Wahlen war aber umstritten, da auch ein Präsidialsystem nach US-amerikanischem Vorbild für die Bundesrepublik denkbar schien – diese Bestimmung also nicht notwendig unter den strafrechtlichen Schutz gestellt werden müsse (vgl. Küster, BArch B 141/3031, pag. 36). Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung an, indem es die nähere Charakterisierungen weglässt. In einer parlamentarischen Demokratie ist die Wahl der Repräsentant*innen das Mittel, um die Legislative zu bestimmen. Freiheitseinschränkung muss legitimiert werden. In der bürgerlichen-liberalen Demokratie dienen Volkssouveränität und der Wille der Mehrheit dazu, die Regeln der Freiheitseinschränkung festzulegen. Recht ist immer auch Zwangsordnung. Seine Geltungskraft, d.h. die tatsächliche Befolgung der Regeln durch die Beherrschten, steigt, je mehr Menschen an der Regelsetzung beteiligt sind oder sich in ihr repräsentiert wissen (vgl. IV 1.2). Dass die Volkssouveränität Teil der verfassungsgerichtlichen Definition der fdGO ist, verwundert also nicht, sondern ist Konsequenz der republikanischen Demokratietheorie. Welche Ausformungen die Volkssouveränität bzw. die ›Selbstbestimmung des Volkes‹ nehmen soll, beschreibt das Gericht nicht genau. Das führt in der rechtswissenschaftlichen Diskussion dazu, zu behaupten, die fdGO-Formel sei »neutral« (Gusy 1980, 286). Dabei impliziert es mindestens ein repräsentativ-demokratisches System, in dem es von Parteien und Mehrheiten spricht.

5.2.4 Zusammenfassung Das Gericht verbindet in seinem Urteil die konservative und liberale Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik, den antitotalitären Konsens und die angeblich neuen Methoden der »kalten Revolution« zu einer Gesamterzählung, an deren Ende eine »religiös-naturrechtliche« (Gusy 1980, 285) begründete fdGO steht. Die Organisationsprinzipien des bürgerlichen Staates werden zu Werten und sind ihrem Entstehungskontext enthoben. Politisch-prozessuale Rechte sind kein Teil der fdGO, die dazu da ist, diesen Rechten Grenzmarken entgegenzuhalten. Mit der fdGO wird Rechtsstaatlichkeit zur Begrenzung von Demokratie, sie wird den Bürger*innen entgegengehalten, nicht dem Staat. Die fdGO steht über dem positiven Recht, sie ist ihm vorgängig und wird vom Gericht zu einem feststehenden Begriff gemacht.

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5.3 KPD-Verbot 1956 Der Erste Senat des BVerfG verbot die Kommunistische Partei Deutschlands am 17. August 1956. Der Verbotsantrag war von der Bundesregierung am 22. November 1951 – fast zeitgleich mit dem Antrag auf Verbot der SRP – gestellt worden: »Die Regierung hatte 1951 sorgfältig darauf geachtet, die Schläge gegen die Extremisten gleichmäßig zu verteilen« (Doering-Manteuffel 2003, 273) und das obwohl die westalliierten Besatzungsmächte, sich keineswegs für ein Verbot der KPD ausgesprochen hatten (vgl. Foschepoth 2017, 114f.). Die mündliche Verhandlung begann im November 1954.70 Nach Abschluss der Verhandlung im Juli 1956 musste der Erste Senat schnell entscheiden. Eine Änderung des BVerfGG übertrug die Zuständigkeit für Parteiverbote vom Ersten auf den Zweiten Senat (§ 14 Abs. 2 ­BVerfGG; BGBl. I, 662). Noch nicht abgeschlossene Verfahren verblieben so nur noch bis Ende August 1956 beim Ersten Senat. Dies kann als Druckmittel der Regierung Adenauer für die zögernden Richter*innen interpretiert werden (vgl. Brünneck 1978, 118f.; Rigoll 2013, 138). Die Verzögerung und Dauer des Verfahrens ist durchaus auf ihre Zweifel zurückzuführen (vgl. auch Foschepoth 2017, 162f.), die sich sowohl in den einleitenden Worten zur Urteilsverkündung erkennen lassen als auch im Urteil selbst (ähnlich: Stolleis 2012, 311). Vor Verlesung des Urteils betonte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Josef Wintrich (Präsident des BVerfG 1956): »Ist der Antrag gestellt, dann ist das Gericht verpflichtet, darüber zu entscheiden. Das Gericht hat seine Entscheidung nach rein rechtlichen Gesichtspunkten zu treffen; daher sind ihm politische Zweckmäßigkeitserwägungen untersagt«. Diese explizite Distanzierung von politischen Erwägungen und der Verweis auf den Antrag der Regierung, der Anlass zur Entscheidungsfindung sei, lassen zumindest auf Zurückhaltung innerhalb des Gerichts gegenüber diesem Verfahren schließen. Gleichzeitig zieht sich das BVerfG damit auf die vermeintlich neutrale Position des Rechts zurück, das sich nicht vom politischen Tagesgeschehen beeinflussen lasse, was die stetige Beeinflussung des Prozesses durch die Bundesregierung unterschlägt (vgl. dazu Foschepoth 2017, 198ff.). Die intensive Beschäftigung der Richter*innen mit marxistischer Theorie und die Länge des Urteils sind Zeichen für eine angestrebte fundierte Auseinandersetzung. Allerdings änderte dies nichts am 70 Zur Verzögerung des Prozesses im Vergleich zum SRP-Prozess aufgrund von persönlich-politischen Erwägungen des ersten Präsidenten des BVerfG, Hermann Höpker-Aschoff, und insb. zu den verschiedenen Versuchen der Bundesregierung, zunächst auf einen raschen Beginn zu drängen, später aber aufgrund von wahltaktischen Überlegungen und außenpolitischen Erwägungen den Prozess lieber ruhen lassen zu wollen vgl. Foschepoth 2017, 154f., 156ff., 196f.

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Ergebnis. Das Urteil wurde zwar polemisch, aber doch treffend als »antikommunistische[s] Manifest[...]« (Ridder 1975, 60) des Bundesverfassungsgerichts bezeichnet. Das BVerfG verbot die KPD mit der Begründung, dass sie, auch wenn sie die Ordnung des Grundgesetzes zunächst akzeptiere, als Fernziel jedoch eine Diktatur des Proletariats anstrebe. Damit nutze sie die parlamentarische Demokratie zur Verwirklichung von Zielen, die nicht mehr mit der fdGO vereinbar seien. »Sowohl die proletarische Revolution als auch der Staat der Diktatur des Proletariats sind mit der freiheitlichen demokratischen Ordnung unvereinbar« (BVerfGE 5, 85, 147). Das ­BVerfG entschied folglich, dass die KPD verfassungswidrig sei und aufgelöst werden müsse, keine Ersatzorganisationen gegründet werden dürfen und das Vermögen der Partei für gemeinnützige Zwecke eingezogen werde sowie alle Abgeordneten ihre Mandate verlieren (vgl. ebd., 3).71 Ich werde im Folgenden auf die für die fdGO relevanten Argumente fokussieren. Hier von Bedeutung sind Ausführungen zur ›wehrhaften Demokratie‹ und der Weimarer Republik, die Abgrenzung der fdGO zur Diktatur des Proletariats, die Charakterisierung der ›freiheitlichen Demokratie‹ und die Absteckung des Rahmens, in dem sich verfassungsmäßige Opposition bzw. politisches Handeln bewegen darf.

5.3.1 Die ›wehrhafte Demokratie‹ als überpositives Prinzip Der Argumentationsgang des KPD-Verbots baut auf der Legende der legalen Revolution der NSDAP auf. Wie schon im SRP-Verbot (vgl. ­BVerfGE 2, 1, 17) sieht das BVerfG die steigende Arbeitslosigkeit bzw. die wirtschaftliche Krisensituation in der Weimarer Republik ab dem Jahr 1929 als Ursache für den Wähler*innenzuwachs bei KPD und ­NSDAP (vgl. BVerfGE 5, 85, 94). Das Gericht würdigt zwar die Gegnerschaft der KPD zur NSDAP und ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus (vgl. ebd., 95). »[F]reilich« ist aber für das BVerfG die »gemeinsame Front beider Fraktionen im Kampf gegen die von ihnen gleichermaßen abgelehnte Weimarer Republik« (ebd., 94) ein gewichtiges Argument. Damit erscheint die Zurückstellung des von der KPD anvisierten gewaltsamen Umsturzes der Republik bei gleichzeitiger Beibehaltung des Parteiprogramms dem Gericht als rein taktisch (vgl. ebd., 71 Vgl. zur Zusammenfassung der Argumentation des Urteils anhand der Gliederung 1. Zurückweisung der Einwendungen gegen die Durchführung des Verfahrens, 2. die Rechtsgrundlagen des Verfahrens, 3. die allgemeine Zielsetzung und Betätigung der KPD im Sinne des Marxismus-Leninismus und 4. die aktuelle Politik der KPD: vgl. Brünneck 1978, 119–126. Weitere Darstellungen des Urteils: vgl. Abendroth 1967, 139ff.; Lameyer 1978; Meier 1987; Ridder 1966, 2009a.

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92). Da die KPD schon in der Weimarer Republik lediglich zeitweise ihre Umsturzpläne aufgeschoben hatte (vgl. ebd., 5f.), um wenige Jahre darauf wieder zu ihnen zurückzukehren, allerdings von der NSDAP daran gehindert wurde, würde sie nach Einschätzung des Gerichts auch heute – also in den 1950er Jahren der BRD – wieder die gleiche Strategie anwenden (vgl. ebd., 236). Die Unterstützung der KPD für das Grundgesetz und die fdGO sei lediglich ein taktisches Warten bis die Zeit für den revolutionären Umsturz gekommen sei und geschehe nicht »um ihrer selbst willen« (ebd., 237). Aus dieser antitotalitaristisch gedeuteten Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik zieht das Verfassungsgericht Konsequenzen für die Bundesrepublik. Vor allem die systemoppositionellen Parteien in der Weimarer Republik, »denen oberste Gerichte bescheinigt hatten, daß sie das Ziel verfolgten, die bestehende Staatsordnung gewaltsam durch eine andere zu ersetzen« (ebd., 136), seien für den Untergang verantwortlich gewesen. Doch die »Weimarer Verfassung hat auf eine Lösung verzichtet, ihre politische Indifferenz beibehalten und ist deshalb der aggressivsten dieser ›totalitären‹ Parteien erlegen« (ebd., 138). Der Verfassungsgeber des Grundgesetzes habe vor dem »Hintergrund der Erfahrungen des Kampfes mit diesem totalitären System« (ebd.) die verfassungspolitische Entscheidung für eine »streitbare Demokratie« (ebd., 139) getroffen. Diese Entscheidung sei für das Gericht bindend. Damit erklärt das BVerfG die ›wehrhafte Demokratie‹ für eine im Grundgesetz verankerte verfassungspolitische Entscheidung, ohne dass diese im Verfassungstext auftaucht. Zudem gibt es der antipositivistischen Auffassung Recht. Die Weimarer Republik habe sich aufgrund ihrer politischen und rechtlichen Neutralität nicht der Feinde erwehren können. Es parallelisiert mit dieser Argumentation NSDAP und KPD. Die »Machtergreifung« (ebd., 138) sei Ziel der ›totalitären‹ Parteien. Gerade die Verwendung dieses Wortes, das für die nationalsozialistische Machtübernahme steht, zeigt die unterschiedslose Einebnung politischer Akteur*innen und die Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen und systemstrukturellen Umständen der antitotalitaristischen Geschichtsdeutung, der das Gericht hier anhängt: nicht nur, dass »Machtergreifung« (vgl. Fn. 5 , Kap. I) impliziert, dass die NSDAP aus dem Nichts kommend sich die Macht einfach genommen hat ohne Rückkopplung an Staatsapparat oder Gesellschaft, sondern die KPD würde in dieser Logik das Gleiche tun, da sie eben eine ›totalitäre‹ Partei sei, zu der das Machtstreben gehöre. Die NSDAP sei lediglich die »aggressivste[...]« (ebd., 138) der beiden Parteien gewesen. Das natürliche Streben jeder politischen Partei nach Einfluß auf den staatlichen Machtapparat wird bei diesen Parteien zum Anspruch auf 214

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eine »Machtergreifung«, die, wenn sie erreicht wird, ihrem Wesen nach auf Ausschaltung aller anderen politischen Richtungen ausgehen muß und – jedenfalls dem Grundsatz nach – eine Freiheitssphäre des Einzelnen gegenüber dem Staat nicht mehr anerkennt. (ebd., 138)

Deshalb sei das instrumentelle Verhältnis der KPD zum Grundgesetz und zur fdGO nicht ausreichend, um als verfassungstreu zu gelten. Wie schon im SRP-Verbot (vgl. BVerfGE 2, 1, 20) sieht das BVerfG eine angenommene fundamentale Opposition als Gefährdung der bestehenden Ordnung – auch wenn sie legal agiert. Das dagegen gesetzte Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹ sei deshalb präventiv. Bei einer »aktiv kämpferische[n], aggressive[n] Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung«, die das Funktionieren dieser Ordnung »planvoll« beeinträchtigen bzw. beseitigen wolle (BVerfGE 5, 85, 141), müsse eine Partei verboten werden, bevor sie Erfolg habe. Dem Gericht geht es nicht um ein Tätigwerden der Partei, sondern der Art. 21 Abs. 2 GG sei »seinem Wesen nach Präventivmaßnahme« (ebd., 142).72 Das BVerfG will den potentiellen Angriff auf die von ihm festgelegten obersten Werte der Verfassungsordnung schon im Vorfeld verhindern. Bei bereits erfolgtem Angriff, der ja mit objektiven Taten einherginge, komme dann das Strafrecht zum Tragen und nicht mehr die verfassungsrechtlichen Mittel. Die ›wehrhafte Demokratie‹ ziele auf potentielle Handlungen, die sich im Vorfeld an eventuell planvollem Verhalten und Absichten, die sich aus Stil und Äußerungen von Parteimitgliedern oder dem Parteiprogramm ergeben, ablesen lassen sollen. Das politische Strafrecht greife erst dann, wenn es tatsächlich zu gewaltvollen Angriffen gekommen sei, die präventiven Mittel also ungenügend waren. Zur Prävention gehört ein Fokus auf den subjektiven Bereich, also nicht auf die Taten, sondern auf unterstellte Absichten (ähnlich: Brünneck 1978, 121). Meier beschreibt dies als »Radikalisierung des Präventionsgedankens«, der es erlaube, »völlig jenseits realer Gefahrenlagen den gesamten öffentlichen Meinungskampf einer Partei [...] am Maß aller Parteipolitik, den ›obersten Werte(n) der Verfassungsordnung‹ zu messen« (Meier 1987, 467). Obwohl das Gericht eine aktiv-kämpferische Haltung verlangt – Aktivität bedeutet immerhin Handeln – bleibt es auf der Ebene der Einstellungen, die es aus einem Konvolut theoretischer Auseinandersetzungen von Marx, Lenin und Stalin ableitet, und den perspektivisch daraus zu erwartenden Handlungen. Es argumentiert mit unterstellten Absichten. Die Bestimmung, wann gegen die vom 72 Im Urteil zur NPD 2017 hat das Gericht diese Auffassung relativiert und fügt zu den notwendigen Verbotsgründen auch eine »Potentialität« (BVerfGE 144, 20, 52, 225), also eine gewisse Aussicht auf erfolgreiche Umsetzung der ›verfassungsfeindlichen‹ Parteiziele an (vgl. V 5.4).

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BVerfG festgelegten obersten Verfassungsprinzipien verstoßen wird, liegt in der Hand des Gerichts. Die politische Einschätzung einer Partei sowie ihr Verhältnis zu den obersten Verfassungsprinzipien liegen in der Definitionsmacht des BVerfG, da es bei Grundrechtsverwirkung und Parteiverboten das Entscheidungsmonopol hat. Trotz seiner Abgrenzung von ›wehrhafter Demokratie‹ und Strafrecht hat das Gericht hier nur vervollständigt, was als Straftatbestand der Staatsgefährdung im Strafrecht 1951 geschaffen wurde. Der 1951 mit dem 1. StÄG eingeführte Tatbestand der Staatsgefährdung war ebenso präventiv angelegt und sollte ›vor‹ dem Hochverrat ansetzen (vgl. V 4). Er baut mithin auf der gleichen Erzählung auf. Die Explizierung subjektiver Tatbestandsmerkmale ist Judikative und Exekutive überlassen. Die oben aufgeführten politikwissenschaftlichen Darstellungen der vermeintlich »legalen Revolution« des Nationalsozialismus sowie die Schuldzuweisung an den Positivismus (vgl. I 1), die Ausblendung der Weimarer Straf- und Republikschutzgesetzgebung und die totalitarismustheoretische (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die schlicht nicht benennt, was der NS eigentlich war und wie er funktionierte, sind im KPD-Verbot versammelt und führen zur Begründung der ›wehrhaften Demokratie‹ als präventives GG-Prinzip mit verfassungsgerichtlicher Absegnung. Mit diesem Urteil nimmt das Gericht den Begriff »streitbare Demokratie« (BVerfGE 5, 85, 139) in seinen Begriffsapparat auf und setzt sie als »quasi überpositive Existenz« (Lameyer 1978, 39, 40). Dies tut es auf der Basis einer Geschichtsdeutung, die »teilweise falsch, mindestens ungenau« ist – nicht nur in Bezug auf die Parteiengeschichte, wie Abendroth (1967, 142) schreibt, sondern auch mit Blick auf die Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik.

5.3.2 Mehrparteienprinzip und fdGO als Ideal Das BVerfG führt zunächst an, dass die verfassungsrechtlichen Begriffe, die für ein Parteiverbot nötig sind, ausreichend dargestellt und hinreichend bestimmt seien. Das gelte vor allem für den Begriff der fdGO, »dessen wesentliche Elemente das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 23. Oktober 1952 aus einer Gesamtinterpretation des Grundgesetzes und seiner Einordnung in die moderne Verfassungsgeschichte heraus entwickelt« (BVerfGE 5, 85, 112) habe. Auf den ersten Blick scheint zur inhaltlichen Bestimmung der fdGO im KPD-Verbot nicht viel hinzugekommen zu sein, doch der Rahmen, den das Gericht der fdGO gibt, macht die Tragweite des Konzepts der ›wehrhaften Demokratie‹ und der Bedeutung der fdGO darin deutlicher als zuvor (vgl. Meier 1987, 467). Das KPD-Verbot legitimiert nachträglich das strafrechtliche Vorgehen gegen alles vermeintlich oder tatsächlich Kommunistische auf Basis des 216

DIE PARTEIVERBOTSVERFAHREN GEGEN SRP, KPD UND NPD

1. StÄG. Das Gericht radikalisiert den Präventionsgedanken der ›wehrhaften Demokratie‹ (ebd., 467) und legitimiert implizit den neuen Tatbestand der Staatsgefährdung des politischen Strafrechts von 1951. Es verlangt Zustimmung zur und Loyalität gegenüber der fdGO. Keine Gleichgültigkeit, keinen taktischen Pragmatismus will es gelten lassen. Die Diktatur des Proletariats wird zur Abgrenzungsfolie der ›freiheitlichen Demokratie‹ (Ridder 1966, 28f.). Politisches Handeln oder gar Widerstand gibt es für das Gericht nur für die fdGO (vgl. V 5.3.2.3). Dabei kennzeichnet das BVerfG die fdGO selbst als utopisches Ideal, das es erst noch zu erreichen gelte und für dessen Erreichung sich politische Parteien einzusetzen haben.

5.3.2.1 Parteien und die fdGO »Die Diktatur des Proletariats ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar. Beide Staatsordnungen schließen einander aus [...]« (BVerfGE 5, 85, 195). Dabei sei nicht relevant, dass die KPD auch die Diktatur des Proletariats als ›Demokratie‹ bezeichne. »Das hängt von den Begriffen und Maßstäben ab« (ebd.). Das BVerfG orientiere sich an dem »Bild der freiheitlichen Demokratie, das dem Grundgesetzgeber als Leitbild vorgeschwebt« (ebd., 196) habe. Im Folgenden entwirft das Gericht sein Bild von dieser »freiheitlichen Demokratie« und die Rolle von Parteien darin. Parteien seien »verfassungsrechtliche[...] Institution[en]« (ebd., 387). Durch die Erhebung in diesen höheren Rang haben Parteien eine »Integrationsaufgabe« (ebd., 388). Das politische Handeln von Parteien wird Bestandteil der bestehenden Ordnung, des Staates. Zwar gesteht das BVerfG Parteien zu, in politischen Auseinandersetzungen »die emotionalen Bedürfnisse der Massen« (ebd., 389) durch »Propaganda« (ebd., 388) und »Vulgarisierung« (ebd., 389) zu mobilisieren. Doch in Verbindung mit der Setzung der ›wehrhaften Demokratie‹ als überpositivem Prinzip postuliert das Gericht eine »Mindestpflicht«, »die obersten Verfassungswerte als für sich verbindlich anzuerkennen, an der Festigung ihres Ansehens im Volke mitzuarbeiten, allermindestens aber sich jeder Herabsetzung, Schmähung und Verächtlichmachung dieser Ordnung zu enthalten« (ebd.). In einer »freiheitlichen Demokratie« (ebd., 388) könne eine Partei, die die obersten Verfassungswerte verhöhne, nicht an der Willensbildung beteiligt werden. Parteien sind demnach keine politischen Organisationen, die sich selbst für ihre Zwecke organisieren, sondern sie sind zwischen Staat und Bürger*innen angesiedelt und erziehen diese Bürger*innen zur Loyalität gegenüber der Ordnung. Die traditionsreiche Skepsis vor dem ›Parteiengezänk‹ findet so eine kompromissartige Einhegung: Parteien 217

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

werden zwar akzeptiert, aber durch ihre Integration auch gebändigt. Die Ordnung, die ihnen gewährt, politisch zu agieren, dürfen sie nicht in Frage stellen, ablehnen oder lediglich instrumentell nutzen. Parteiliches Handeln hat in dieser Argumentation auf dem Boden der fdGO stattzufinden und sie zu verteidigen. Die fdGO müsse »um ihrer selbst Willen« (ebd., 237) erhalten werden. Nicht nur, dass sie erst vom Staat aus die Voraussetzung für politisches Handeln gewährt und gegebenenfalls einschränkt. Nein, sie wird auch der Selbstzweck politischen Handelns. Der Bundesrepublik und der fdGO müsse mit »Achtung« (ebd., 380) begegnet werden. Ein Definitionselement der fdGO-Formel aus dem SRP-Verbot ist das »Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition« (BVerfGE 2, 1, 1). Dass es gerade das Mehrparteienprinzip ist, das im Verbot der KPD näher ausgelegt wird, ist angesichts der Genese der fdGO nicht verwunderlich. Schon im Herrenchiemseer Konvent und im Parlamentarischen Rat waren es das Mehrparteienprinzip und das Oppositionsrecht, die eine Abgrenzung zur SBZ und zur SED darstellen sollten (vgl. V 2.2, 2.3). Es ist also nur folgerichtig, dass gerade im Verbot der KPD eine Ausbuchstabierung erfolgt. Davon ausgehend, dass das Gemeinwohl nicht mit den »Interessen oder Wünschen einer bestimmten Klasse« (BVerfGE 5, 85, 198) gleichgesetzt sei, sei es für die »freiheitliche Demokratie« notwendig, dass die »staatliche Ordnung [...] systematisch auf die Aufgabe der Anpassung und Verbesserung und des sozialen Kompromisses angelegt« (ebd.) sei. Um dies zu gewährleisten, brauche es freie Diskussion und Mehrparteienprinzip. Dabei könnten Mehrheits- und Minderheitenpositionen wechseln. Die »freiheitliche demokratische Ordnung« (ebd., 199) fördere dies und gebe der Minderheitenposition Chancen. Alle am Prozess Beteiligten sollen diese Spielregeln anerkennen. Die »freiheitliche Demokratie« und die Parteien darin müssen »sich ihrem Wesen [das der freiheitlichen Demokratie, Anm. d. Verf] nach zu der Auffassung bekennen, daß es im Bereich der politischen Grundanschauungen eine beweisbare und unwiderlegbare Richtigkeit nicht gibt« (ebd., 224).73 Da die KPD dies aber auf der Basis des Marxismus-Leninismus tue, 73 Die relativistische Auffassung, dass alle Meinungen individuell – hier eben parteilich – seien und kein Kriterium für ihre Richtigkeit gefunden werden, kein letzter Grund zur Überprüfung bestehen könne, vergisst, dass die individuellen Interessen vom gesellschaftlichen Ganzen, von objektiven Verhältnissen, geprägt sind. »Nichtig aber ist der Relativismus darum, weil, was er einerseits für beliebig und zufällig, andererseits für irreduzibel hält, selbst aus der Objektivität – eben der einer individualistischen Gesellschaft – entspringt, abzuleiten ist als gesellschaftlich notwendiger Schein. Die nach relativistischer Doktrin dem je Einzelnen eigentümlichen Reaktionsweisen sind

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fehle ihr die »Koalitionsloyalität« (ebd., 227). »Sie kann im Partner nur den Vorspann zur Erreichung ihrer eigenen Ziele sehen« (ebd.). In einer Koalition in der »freiheitlichen Demokratie« können aber durch Kompromisse auch die eigenen Parteiziele verwirklicht werden, weil »jede verfassungsmäßige Partei von der Unmöglichkeit absolut richtiger parteipolitischer Zielsetzung ausgehen« (ebd., 226) müsse. Nur so sei das Mehrparteienprinzip »für die Dauer« (ebd., 224) gesichert. Die Loyalität aller Parteien wird damit »materielle Funktionsvoraussetzung des Mehrparteienprinzips« (Meier 1987, 469). Da dieses Prinzip aufgrund seiner Offenheit aber fragil sei, müssen illoyale Parteien, die perspektivisch ihre Konkurrentinnen von der Macht ausschließen wollen, aus dem Prozess ausgeschaltet werden. »Dem Schutz des ganzen Systems dient vor allem die Verfassungsgerichtsbarkeit« (BVerfGE 5, 85, 200). Für das BVerfG ist die KPD eine solche Partei, da sie die fdGO nur benutze, um ihr Fernziel zu erreichen (ebd., 227).

5.3.2.2 fdGO als Ideal Mit seiner Charakterisierung von Parteien beschreibt das BVerfG die Ausgleichsprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft und setzt sie als fdGO bzw. »freiheitliche Demokratie« (BVerfGE 5, 85, 234) oder »freiheitliche demokratische Ordnung« (ebd., 229). Die Bestimmung des Allgemeinwohls hat in diesen beschriebenen Formen – Parlamentarismus und Mehrparteienprinzip, Opposition im Rahmen der bestehenden Ordnung, kein Absolutheitsanspruch – zu erfolgen. Andere Möglichkeiten befinden sich nach Auffassung des BVerfG nicht auf dem Boden der fdGO. Parteien, die diese politische Form kritisieren oder gar ändern wollen, seien zu verbieten. Auch wenn das BVerfG sieht, dass es in der Diktatur des Proletariats »nur systemimmanente Kritik« (ebd., 202) gebe, bemerkt es nicht die Parallelität in seiner Darstellung zur fdGO. Denn auch hier hat es von »Kritik [...] im Rahmen dieser Ordnung« (ebd., 199) gesprochen. Das BVerfG setzt die Ordnung, die es dem Grundgesetz abliest, als universell richtig. Diese Ordnung gewähre Freiheiten und strebe nach Ausgleich. Sie sei ein »System geistiger Freiheit und Toleranz, geduldiger Reformarbeit und fortwährender Auseinandersetzung mit anderen grundsätzlich als gleichberechtigt angesehenen Auffassungen« (ebd., 206f.).

präformiert, stets fast Geblök; insbesondere das Stereotyp von der Relativität« (Adorno 1975, 46f.). Das ist kein Determinismus, der die Individuen festlegt, aber eine dialektische Vermittlung (vgl. II 3, 5).

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Sie [die Ordnung der Bundesrepublik, Anm. d. Verf.] beruht auf einer ungebrochenen Tradition, die – aus älteren Quellen gespeist – von den großen Staatsphilosophen der Aufklärung über die bürgerliche Revolution zu der liberal-rechtsstaatlichen Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts geführt und der sie selbst das Prinzip des Sozialstaates, d. h. das Prinzip der sozialen Verpflichtung hinzugefügt hat. Die sich hieraus ergebenden Wertsetzungen werden von der übergroßen Mehrheit des deutschen Volkes aus voller Überzeugung bejaht. (ebd., 397)

Mit der »ungebrochenen Tradition« blendet das BVerfG hier nicht nur den Nationalsozialismus aus, sondern stellt die deutsche Rechtsstaatsentwicklung in eine bürgerlich-liberale Linie, mit der die deutsche juristische Zunft stets ihre Probleme hatte (vgl. IV 1, 3), und das Sozialstaatsprinzip wird weder als erkämpftes Prinzip noch in seiner Gleichzeitigkeit zum Sozialistengesetz der Ära Bismarck gesehen. Das Gericht stellt die BRD in eine ungebrochene bürgerlich-liberale Traditionslinie, obwohl die für die deutsche Rechtsstaats- und Demokratieentwicklung kennzeichnenden illiberalen Merkmale Teil seiner Argumentation und Rechtfertigung der ›wehrhaften Demokratie‹ sind. Gerade die Gewährung der Freiheit durch den Staat und damit ihre potentielle Einschränkung sowie die Verpflichtung auf die staatliche Ordnung stehen nicht in einer liberalen Tradition, sondern in der ihrer Gegenbewegung. Das BVerfG legt zugleich die Form der Allgemeinwohlbestimmung fest. Die Frage, wer überhaupt wie dazu kommt, seine partikularen Interessen als Gemeinwohl setzen zu können und sie zu verallgemeinern, bleibt dabei außen vor (vgl. II 6). Das Prinzip der Gemeinwohlbestimmung ist die fdGO und genau damit lässt sich eine Veränderung des Bestehenden nicht erreichen, da sie das Bestehende schützt. Wer dies versucht oder lediglich angibt, es versuchen zu wollen, bewegt sich nicht mehr auf dem Boden der fdGO und kann damit die Grundrechte verwirken oder als Partei verboten werden. Ein Beispiel ist die Passage, in der das BVerfG sich weigert, Lohnarbeit prinzipiell als Ausbeutung anzuerkennen: Sie [die freiheitliche Demokratie, Anm. d. Verf.] sieht es aber als ihre Aufgabe an, wirkliche Ausbeutung, nämlich Ausnutzung der Arbeitskraft zu unwürdigen Bedingungen und unzureichendem Lohn zu unterbinden. Vorzüglich darum ist das Sozialstaatsprinzip zum Verfassungsgrundsatz erhoben worden; es soll schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen. (BVerfGE 5, 85, 206)74 74 Die vermeintliche Gefahr einer schrankenlosen Freiheit, die aus Vernunftgründen beschränkt werden müsse, weist auf die Dialektik der Vernunft

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Das BVerfG ist damit zu einer »verspäteten Rechtfertigung des Bismarck­ schen Sozialistengesetzes gelangt« (Abendroth 1967, 152). Die grundsätzliche Funktionsweise kapitalistischer Produktion bewege sich auf dem Boden der fdGO, ihre grundsätzliche Kritik als Ausbeutung nicht. Das Sozialstaatsprinzip soll hier ausgleichend wirken und die schlimmsten Auswüchse abmildern. Das Prinzip selbst, Aneignung von Mehrwert durch Ausbeutung, darf nicht überwunden werden (wollen). Die als universelle Spielregeln gesetzten Mechanismen des Ausgleichs zur Prozessierbarmachung der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft haben hier ihren Inhalt. Die vermeintlich formalen Spielregeln legen fest, was wie kritisiert werden darf. Das Gericht setzt dieser Darstellung noch einen Aspekt obenauf. Es gibt an, »daß diese idealtypische Konstruktion [der freiheitlichen Demokratie, Anm. d. Verf.] nichts mit der Wirklichkeit gemein hat« (Abendroth 1967, 148). Wie auch immer das Leitbild der freiheitlichen Demokratie konkret aussehe, es entspreche gerade nicht der Denkweise des Grundgesetzes, »eine Übereinstimmung von Ideal und Wirklichkeit zu behaupten« (BVerfGE 5, 85, 196). Diese Übereinstimmung sei gar »utopisch« (ebd., 197). Das politische und soziale Leben strebe ein Ideal an und alle staatlichen Institutionen förderten dieses Streben. Die Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik entspreche also gar nicht der fdGO und das sei auch so gewollt, da die »freiheitliche Demokratie« (ebd.) eben gerade nicht die Kongruenz von Ideal und Wirklichkeit verspreche. In der Bundesrepublik nähere man sich diesen Idealen nur an, erreiche sie aber nie. Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung durchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit und Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehenden Spannungen zwischen diesen beiden Werten allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu steigern. Dies erscheint ihr erstrebenswerter als die Verfolgung eines utopischen, d.h. rational nicht beweisbaren und durch die Erfahrung der Geschichte nicht gestützten Staatsideals, das die volle Verwirklichung beider Ideale in einer nicht absehbaren Zukunft verspricht, dafür aber das Opfer von Generationen verlangt, denen weder Freiheit noch Gleichheit gewährt werden kann. Die freiheitliche selbst hin. ›Vernünftigerweise‹ könnte die Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse erkannt werden. Der »einmal emanzipierte Begriff der Vernunft [muß] innerhalb der bestehenden Produktionsverhältnisse fürchten, daß seine Konsequenz diese sprengt« (Adorno 1975, 47). Die Begrenzung von Freiheit und Vernunft gehört deshalb zur bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Schutz dazu. »Er [der Geist, Anm. d. Verf.] verzeiht es sich nicht, daß ihm die Verfassung des von ihm gesteuerten Daseins jene Entfaltung zur Freiheit verbietet, die in seinem eigenen Begriff liegt« (ebd.).

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Demokratie verwirft es, wenn für Ziele im praktisch-politischen Leben der Absolutheitsanspruch erhoben wird, weil daraus unvermeidlich politische Intoleranz folgt. (ebd., 206)

Kritik »am Bestehenden, Unzufriedenheit mit Personen, Institutionen und konkreten Entscheidungen [können] im Rahmen dieser Ordnung positiv verarbeitet werden« (ebd., 199). Politisches Handeln und Kritik sind nach Auffassung des Gerichts in und mit der Ordnung zu verwirklichen, die gesetzt ist und sich eben nicht mit Idealen decken wird. Diese Ordnung kann nur bestehen, wenn ihre letzten Prinzipien, die freiheitliche demokratische Grundordnung, von allen jenen Kräften bejaht werden. Es gehört deshalb zu den ungeschriebenen, aber fundamentalen Voraussetzungen des Grundgesetzes und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung selbst, daß auch im Kampfe um die politische Macht keine Partei diese Basis negieren darf. Jede Partei muß deshalb auch die Variationsbreite der in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zulässigen Gestaltungen des Gemeinschaftslebens und damit die Möglichkeit verschiedener verfassungsmäßiger politischer Wege und Ziele anerkennen und ihren politischen Kampf auf dieser Basis führen. (ebd., 317f.)

Dabei sei auch der »Ton« der politischen Auseinandersetzungen relevant und dürfe die »Achtung« (ebd., 380), die »ein selbstverständliches Gebot für jede politische Partei in diesem Staat« sei, nicht vermissen lassen (ebd., 381). Ein Beispiel für ein Vergreifen im Tonfall sei die Kritik der KPD am – eben auf die KPD und alles tatsächlich oder vermeintlich Kommunistische zielende – 1. Strafrechtsänderungsgesetz, die »jeden Respekt vor den Gesetzgebungsorganen vermissen« (ebd., 381) lasse. Neben dem Umstand, dass dieser Auffassung keine Norm im Grundgesetz entspricht, stellt sich die Frage, wie ein utopisches Ideal gefährdet oder beeinträchtigt werden kann, und wann rechtliche Schritte gegen diese Gefährdung oder Beeinträchtigung erfolgen können. Das BVerfG setzt hiermit eine »typische Mittelstandsphilosophie« (Abendroth 1967, 148), ohne sie aus dem Grundgesetz herzuleiten. Das Ergebnis dieser Argumentation ist eine »Verkürzung des legalen Handlungsspielraums politischer Opposition« (Meier 1987, 463). Schon im SRP-Verbot hatte das BVerfG grundsätzlicher Opposition die Verfassungswidrigkeit bescheinigt – und zwar mittels einer Geschichtsdeutung, die die konkreten gesellschaftlichen Konfliktlagen der Weimarer Republik ausblendete (vgl. V 5.3). Im KPD-Verbot postuliert das BVerfG nun eine zulässige »Variationsbreite« (BVerfGE 5, 85, 318) für politisches Handeln von Parteien, stellt eine Etikette für Opposition auf und kennzeichnet zugleich das Streben über Bestehendes hinaus als illusorisch. Zudem belegt es ein 222

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solches Streben mit dem Banner der ›Verfassungsfeindlichkeit‹ – bringt also die mögliche Repression ins Spiel. Damit muss politisches Handeln in der Bundesrepublik reformerisch im Rahmen der bestehenden Ordnung stattfinden, es muss die fdGO bejahen und sich für ihre Verwirklichung einsetzten (vgl. auch Gusy 1980, 300).

5.3.2.3 Konservierendes Widerstandsrecht Die Ausführungen des Gerichts zum Widerstandsrecht geben dazu noch eine Konkretisierung. Die KPD brachte zu ihrer Verteidigung in der Verhandlung ein Widerstandsrecht gegen das »Adenauer-Regime« vor, da dieses die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ missachte und durch Widerstand gegen diese Politik die verfassungsmäßige Ordnung wieder hergestellt werden müsse (vgl. BVerfGE 5, 85, 358ff.). Das in Art. 20 Abs. 4 GG festgelegte Widerstandsrecht ist erst 1968 ins Grundgesetz gekommen (vgl. VI 1.3). Das BVerfG erkennt dennoch schon 1956 ein Widerstandsrecht an, doch nur »gegen einzelne Rechtswidrigkeiten [...] im konservierenden Sinne [...], d. h. als Notrecht zur Bewahrung oder Wiederherstellung der Rechtsordnung« (ebd., 377, Herv. i. O.). Damit wird das Widerstandsrecht Teil der ›wehrhaften Demokratie‹. Das Widerstandsrecht stehe »nicht für die Revolution gegen die Verfassung, sondern für die wehrhafte Bewahrung des Verfassungsstaates, wenn alle rechtsstaatlichen Mechanismen versagen sollten« (F. L. Schäfer 2010, 205). Das Verfassungsgericht sieht sich selbst als besten Schutz gegen Rechtsbruch und fragt, »ob überhaupt noch ein Bedürfnis für ein Widerstandsrecht anzuerkennen ist« (BVerfGE 5, 85, 377). Man dürfe nicht den Unterschied zwischen einer grundsätzlich intakten Ordnung, in der Verfassungsbrüche vorkommen mögen, und einer Ordnung, die durch Nichtachtung von Gesetzen gekennzeichnet sei, verwischen (vgl. ebd., 378). So berief sich zwar auch die KPD in der Verhandlung darauf, die verfassungsmäßige Ordnung durch Widerstand wiederherstellen zu wollen, aber das BVerfG lehnte dies als unnötig ab, da die Ordnung der Bundesrepublik gar nicht gestört sei (vgl. ebd., 378f.). Ein Widerstandsrecht in der Bundesrepublik stelle die Ordnung wieder her, wenn sie durch die anderen Maßnahmen nicht hätte geschützt werden können.

5.3.3 Zusammenfassung »Eine monolithische Entscheidung wie das KPD-Verbot wird nicht nur für den Tagesbedarf geschrieben. Das BVerfG hat darin in Sachen Opposition äußerst enge Grenzmarken abgesteckt« (Meier 1987, 471). Im KPD-Verbot setzt das Gericht die ›wehrhafte Demokratie‹ als 223

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Entscheidung des Grundgesetzes. Es leitet aus der Weimarer Republik die Notwendigkeit eines präventiven Demokratieschutzes ab und setzt die Ausgleichsmechanismen des bürgerlichen Staates dazu als absolut. Ein politisches Streben über die bestehenden Verhältnisse hinaus kennzeichnet das Gericht als ›verfassungsfeindlich‹, da dies notwendig totalitäre Entwicklungen mit sich bringe. Politisches Handeln wird am Staat ausgerichtet, »Neutralität und Distanz [reichen] nicht aus« (Gusy 1980, 300). Das Gericht bestimmt, dass politisches Handeln grundsätzlich loyal gegenüber der Ordnung, die es gewährt, sein müsse. Parteien werden zwar anerkannt, aber zugleich in den Staat inkorporiert und auf ihn verpflichtet. Einer Partei dürfe die staatliche Ordnung nicht gleichgültig sein. Darüber hinaus müsse sie diese Ordnung auch noch verteidigen. Die Wertordnung »verpflichtet [...] den Bürger tendenziell auf den ›Staat‹« (ebd.). Das Widerstandsrecht ist nicht mehr das naturrechtlich begründete Recht des Individuums, sich selbst gegen Gewalt zu verteidigen.75 Es ist dazu da, die staatliche Ordnung zu verteidigen. »Nicht gefährdete Herrschaft wird unter dem Banner der fdGO verteidigt, sondern der gute Volksglaube an ihre ›Rechtlichkeit‹, d.h. die Legitimität von Herrschaft« (Meier 1987, 465). Das konservierende Widerstandsrecht geht von der Legitimität und Intaktheit der bestehenden Ordnung aus und verlangt von den Bürger*innen, dass sie diese Ordnung verteidigen, wenn alle anderen Mechanismen versagt haben – und nur dann. Die Bürger*innen werden so Teil der ›wehrhaften Demokratie‹, obwohl diese als Sicherung des Staates vor schrankenloser Freiheit der Bürger*innen funktioniert. Sie gewährt den Bürger*innen Freiheiten, die sie nicht missbrauchen dürfen, allein oder im Zusammenschluss zu Vereinen oder Parteien.

5.4 NPD-Urteil 2017 Nach den Parteiverboten von 1952 und 1956 hat das BVerfG erst wieder am 17. Januar 2017 zur ›Verfassungswidrigkeit‹ einer Partei geurteilt (BVerfGE 144, 20). Im Folgenden werde ich das Urteil mit Fokus auf die eventuellen Neuerungen oder Bestätigungen des Konzepts der ›wehrhaften Demokratie‹ und der fdGO-Definition betrachten. Hat sich die Rechtsprechung 60 Jahre nach dem letzten Parteiverbot verändert? 75 In der Hobbes’schen Vertragstheorie geben die Menschen freiwillig ihr von diesen Theorien postuliertes Recht auf alles mittels eines imaginierten Vertrages ab. Ihr Recht auf Selbstverteidigung gegen Gewalt können sie nicht freiwillig abgeben (vgl. Hobbes 1996, 117). In der Sicht von Locke darf sich gegen die Tyrannei widersetzt werden, da diese die Gesetze überschreitet und damit keine Autorität mehr besitzt (vgl. Locke 2005, 153).

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Die Verbotsdiskussionen und -anträge bezüglich der Nationaldemokratischen Partei (NPD) verliefen in der Vergangenheit »synchron« (Flemming 2005, 88) zu ihren Wahlerfolgen oder zu offen zu Tage tretenden und erstarkenden Neonazistrukturen sowie deren Verbindungen zur Partei. Das aktuelle NPD-Verbotsverfahren wurde nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« 2011 angestoßen (vgl. Botsch, Kopke, und Virchow 2013, 1), da Verbindungen von Parteifunktionären zum Kerntrio dieser rechtsterroristischen Gruppe bestanden. Das BVerfG hat die Ziele der NPD für ›verfassungsfeindlich‹ erklärt. Daraus folgte für das Gericht allerdings kein Verbot. Zwar gehe das Handeln der NPD planmäßig auf die Beseitigung der fdGO aus, ihm fehle jedoch die Potentialität der Qualität des »Darauf Ausgehens«, mithin die Aussichten auf Erfolg dieses Handelns (vgl. BVerfGE 144, 20, 369).

5.4.1 Parteien in der ›wehrhaften Demokratie‹ Die Parteien sind nach Auffassung des Gerichts weiterhin notwendige Instrumente zur »Bildung des Staatswillens« (BVerfGE 144, 20, 200). Zugleich sei »Teil des Prozesses der Konstitutionalisierung der politischen Parteien [...] die Festschreibung der Möglichkeit des Parteiverbots« (ebd., 194) gewesen. Wie schon beim KPD-Verbot folgt auf die verfassungsrechtliche Anerkennung von Parteien die Inpflichtnahme für den Staat bzw. die Repressionsandrohung. Die Freiheit zur politischen Auseinandersetzung wird weiterhin vom Staat gewährleistet und eine »gewährte Freiheit« (ebd., 195) kann zurückgenommen werden. Das heißt, die Anerkennung der politischen Organisierung und des politischen Streits in der bundesrepublikanischen Demokratie findet nicht ohne Begrenzung statt. Die Begrenzung bietet das Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹ mit der fdGO, was das BVerfG wie schon in den vorangegangenen Parteiverboten feststellt. Die ›wehrhafte Demokratie‹ sei »präventive[r] Verfassungsschutz[...]« (ebd., 166) und »Grundentscheidung der Verfassung« (ebd., 197), »die ihre grundlegenden, für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbaren Werte nicht zur Disposition stellt« (ebd.). Es bleibt bei der Wertbegründung, die schon in den 1970er Jahren als intransparent kritisiert wurde (vgl. Goerlich 1973). Schaut man mit politikwissenschaftlichem Blick auf die Definitionen von Parteien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts machen sich in den Jahrzehnten der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zwar Verschiebungen deutlich. So wandelt sich die Betrachtung der Rolle von Parteien von der Leibholz’schen Parteienstaatsthese (vgl. Leibholz 1968), die Parteien als die zentralen Organisationen zur politischen Willensbildung ansieht, zur These, Parteien dienten lediglich der 225

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Vorbereitung von Wahlen und der Nominierung von Kandidat*innen. Dazwischen bezeichnete das Gericht Parteien abwechselnd als Staatsoder Verfassungsorgane (vgl. Alemann 2003, 82ff.; Ooyen 2015, 229f.). Aber ungeachtet dieser unterschiedlichen Gewichtungen zeigt sich im Urteil zur NPD, dass die rechtliche und staatliche Einhegung von Parteien bis heute zentraler Teil der Rechtsprechung ist. Parteien in der Bundesrepublik »müssen verfassungstreu sein« (Meier 2015, 156). Nach der normierten Mitwirkung von Parteien an der politischen Willensbildung in Art. 21 Abs. 1 GG folgt sogleich ihre Begrenzung in Art. 21 Abs. 2 GG. Parteien »lässt man nicht gerne lange frei herumflattern« (Alemann 2003, 81). So bleibt das Gericht in der Tradition dessen, was die politikwissenschaftliche Forschung »Staatsverflechtung« oder »Verrechtlichung« (ebd., 81) nennt.

5.4.2 Zentralität der Menschenwürde und »Subjektqualität« Das BVerfG bestätigt bezüglich der Definition der fdGO seine bisherige Rechtsprechung aus den Parteiverboten der 1950er Jahre. Es nimmt aber eine Akzentverschiebung vor, in dem es die Menschenwürde zentraler und Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Bedingungen ihrer Verwirklichung setzt. Zunächst ist anzumerken, dass das BVerfG behauptet, die fdGO-Definition aus seiner »Gesamtinterpretation des Grundgesetzes« (BVerfGE 144, 20, 203) zu bestimmen. Das heißt, dass das Gericht bis heute den Ursprung der fdGO-Definition aus dem antikommunistischen politischen Strafrecht der 1950er Jahre nicht benennt (vgl. V 4.3). Es bleibt bei seiner eigenen Deutung, die zudem auch im Jahr 2017 noch die »Schöpfungsordnung« (BVerfGE 144, 20, 203) als Grundlage für Freiheit und Gleichheit des Menschen aus dem SRP-Verbot (BVerfGE 2, 1, 12) wiederholt. Eine kritische Abgrenzung dieser religiösen Herleitung passiert im NPD-Urteil nicht. Der Kritik der Theorielosigkeit und Beliebigkeit der fdGO-Elemente aus früheren Jahrzehnten (vgl. Azzola 1972, 803; Lameyer 1978, 37; Ridder 1966, 28) begegnet das Gericht mit dem Argument, dass zwischen den »Kernelementen« und den »(fallbezogenen) Ableitungen« unterschieden werden müsse (BVerfGE 144, 20, 205). Aufgrund des »Ausnahmecharakters des Parteiverbots« sei eine »Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich« (ebd., 535) seien, geboten. Grundrechte, die in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur fdGO gezählt wurden, seien den Besonderheiten der jeweiligen Fälle geschuldet, aber keine Wesenselemente. Das Gericht akzentuiert die Menschenwürde, die durch Rechtsstaat und Demokratie verwirklicht bzw. ausgestaltet werden solle 226

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(vgl. ebd., 203). Damit setzt das BVerfG die Würde des Menschen als das zentrale Prinzip, dem sich die anderen Elemente der fdGO unterordnen. Schon im KPD-Verbot hatte das BVerfG die Würde des Menschen als den »oberste[n] Wert« (BVerfGE 5, 85, 204) bezeichnet. Allerdings wurde die Formel des SRP-Verbots eher als Gesamtkomposition vorgestellt. Die hinzugezählten Definitionsmerkmale der fdGO wurden nicht als Instrumente für die Menschenwürde expliziert. Das BVerfG bleibt jedoch wie schon bei den früheren Parteiverboten bei schlichter Behauptung und Wertbegründung, ohne zu argumentieren oder herzuleiten. Die kritisierte fehlende konkretisierende Argumentation (vgl. Goerlich 1973, 187; Gusy 1980, 291) oder die »rhetorisch-pathetisch[e]« (Ruland 1971, 17) Verwendung des fdGO-Begriffs trifft deshalb eher zu als die beanstandete Theorielosigkeit (vgl. I 1.2). Die fdGO ist nicht beliebig, sondern substantialisiert Prinzipien des bürgerlichen Staates. Das ist eine Verallgemeinerung von erkämpften politischen Forderungen, »für die die Bürger im 18. Jahrhundert auf die Barrikaden gingen« (Maus 1994, 14). Wertbegründung statt Argumentation ist nur eine logische Folgerung daraus. Zugleich sind dabei aber die Instrumente, die diese politischen Forderungen zum Erfolg gebracht haben, nicht Teil der fdGO-Definition: die politisch-prozessualen Rechte. Das ist nicht zufällig oder beliebig, sondern gehört zum Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹, deren Funktion es gerade ist, politisches Handeln präventiv zu begrenzen. Das zeigt auch der genauere Blick darauf, wie das Gericht Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Instrumente zur Verwirklichung der Menschenwürde charakterisiert (vgl. BVerfGE 144, 20, 208ff.). Die gleichberechtige Teilhabe aller Bürger*innen am politischen Prozess sei zentral für die Demokratie. Das Mehrparteienprinzip, das Recht zur Bildung und Ausübung einer Opposition sowie die Chancengleichheit der Parteien werden zu Mechanismen, die diese Teilhabe und damit die Demokratie und ebenso die Menschenwürde gewährleisteten. Die Volkssouveränität sichere die »ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern« (ebd., 209). Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament werden Mittel zur Sicherung der Demokratie. »Wie diesen Anforderungen entsprochen wird, ist für die Frage der Vereinbarkeit eines politischen Konzepts mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entscheidend« (ebd., 208f.), argumentiert das Gericht. Dennoch bleiben sowohl »Volkssouveränität« als auch Demokratie ihrem historischen und materiellen Entstehungskontext enthoben. Sie werden als universelle Prinzipien gesetzt (vgl. II 3), und schränken damit zugleich die gerade eröffneten Möglichkeitsspielräume des politischen Prozesses ein. Das BVerfG bestimmt die repräsentative Demokratie als 227

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Entscheidung des Grundgesetzes – nicht der Grundgesetzgeber*innen – und Demokratie selbst als »Herrschaftsform der Freien und Gleichen« (BVerfGE 144, 20, 208). Diese entpersonalisierte und enthistorisierende Darstellung setzt eine abstrakte Demokratie als Rahmen und verdeckt, dass Demokratie aus politischen Auseinandersetzungen als Begrenzung absoluter staatlicher Herrschaft hervorgegangen ist. Denn Freiheit und Gleichheit wurden erkämpft, waren nicht per se gegeben, schon gar nicht von der Exekutive. Die daraufhin vom BVerfG verlangte konstruktive Kritik im Rahmen der fdGO entzieht den Bürger*innen die erkämpften Rechte und gibt Bedingungen vor, an denen sie sich messen lassen müssen. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann. (ebd., 210)

Demokratische Prinzipien werden nicht dem Staat oder im Besonderen der Exekutive entgegengehalten, sondern Parteien – also der ›Brücke‹ der Bürger*innen in den Staat. Parteien in der parlamentarischen Demokratie sammeln und organisieren politische Vorstellungen sowie Interessen und dienen als ihr Sprachrohr und ihre Durchsetzungsmöglichkeit. In der Auffassung des BVerfG ist diese Funktion aber an Voraussetzungen geknüpft. Das heißt, das BVerfG erlässt sozusagen Teilnahmebedingungen für einen demokratischen Prozess, den Parteien durch ihr Agieren doch überhaupt erst entstehen lassen. Ein solcher turn gelingt lediglich durch Wertbegründung und Enthistorisierung. Die gegen den Staat eingeforderten und erkämpften Prinzipen werden zu judikativ definierten und kontrollierten Regeln des politischen Prozesses, die denjenigen Vereinigungen entgegengehalten werden, die sie historisch eingefordert hatten. Ähnlich verhält es sich mit der Charakterisierung des Rechtsstaatsprinzips. Es wird schlicht gesetzt, bestimmt durch die Unabhängigkeit der gerichtlichen Kontrolle und durch die Gesetzesbindung der Gewalten sowie durch das alleinige Monopol des Staates auf physische Gewalt (vgl. ebd., 210). Die Verbindung von Demokratie und Rechtsstaat, also vor allem die Berechenbarkeit von Herrschaft durch formale rechtsstaatliche Mechanismen, geht verloren. Rechtsstaat und Demokratie entwickelten sich als ergänzende Prinzipien gegen den absolutistischen Staat. Sie sind keine Begrenzungen politischen Handelns, sondern Zurückdrängung staatlicher Macht. An dieser Stelle benennt das Gericht nicht wie im SRP-Verbot explizit den »Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft« (BVerfGE 228

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2, 1, 1) als Teil der fdGO, sondern belässt es beim staatlichen Gewaltmonopol. Der Verfassungsgrundsatz »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« (§ 88 Abs. 2 Nr. 6 StGB, F. v. 1951) sollte bei der Schaffung des Straftatbestandes der Staatsgefährdung die Beweislast im Strafgerichtssaal erleichtern (vgl. V 4.3.5). Das Weglassen dieser antitotalitaristischen Formulierung könnte auf eine zaghafte Liberalisierung hindeuten, was sich allerdings mit genauem Blick auf die Gesamtargumentation wieder abschwächt. Das BVerfG elaboriert die fdGO weiterhin als »wertgebundene Ordnung« und als »Gegenteil des totalen Staates« (BVerfGE 144, 20, 203), nicht als Sammlung historisch erkämpfter bürgerlich-liberaler Prinzipien. Der ›totale Staat‹ bleibt abstrakt und ein dehnbarer Begriff. Noch deutlicher wird dies an der Ableitung der ›wehrhaften Demokratie‹ aus der »Katastrophe des Nationalsozialismus« (ebd., 58). Zur näheren Charakterisierung bezeichnet das BVerfG den NS als »nationalsozialistische[...] Gewalt- und Willkürherrschaft« (ebd., 240). Er erhält eine »gegenbildlich identitätsprägende[...] Bedeutung« (ebd., 229) für das Grundgesetz. Die Katastrophenmetapher entpersonalisiert den Nationalsozialismus und mindert bis leugnet die personelle Verantwortung, die Eliten und Bevölkerung für Machtübernahme und Festigung hatten (vgl. IV 2). Zudem bleibt auch 2017 eine Charakterisierung der Funktionsweise des NS-Regimes aus. »Katastrophe« oder »Gewaltherrschaft« sind keine der Analyse dienenden Begriffe, die klären, wie der NS-Staat funktioniert hat; folglich bieten sie keine Informationen, wie ein Gegenentwurf zu diesem Staat aussehen könnte. Das Parteiverbot als Mittel der ›wehrhaften Demokratie‹ wird aus dem Aufstieg der NSDAP in der Weimarer Republik abgeleitet (vgl. ebd., 239f.). Das BVerfG verbleibt dabei in der unbestimmten Darstellung und Deutung der nationalsozialistischen Machtübernahme, die schon die Etablierung und Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹ in den 1950er Jahren kennzeichnete (vgl. V 2). Wiederum bleiben konkrete Ausführungen zur Funktionsweise des nationalsozialistischen Regimes und vor allem zur Transformation von Republik zu NS-Staat außen vor, obwohl die nationalsozialistische Machtübernahme vor Implementierung des Regimes zur Identitätsbildung der Bundesrepublik herangezogen wird. Zugleich wird gerade die rechtsstaatliche Formalität – also dasjenige Prinzip, das die Menschenwürde sichern soll – als Ursache des Scheiterns der Weimarer Republik in Anschlag gebracht. Mittels dieses argumentativen Kontextes bleibt die schon in früheren Urteilen vorgenommene Entgegensetzung von Rechtsstaatlichkeit und »Gewaltund Willkürherrschaft« bestehen. Eine Kontextualisierung der historischen Entstehung und Begründung des Rechtsstaatsprinzips als auch sein etatistischer Charakter in der Tradition der deutschen Staatsrechtslehre nimmt das Gericht nicht vor (vgl. IV 1, 3, 5). Damit bleiben die 229

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fließenden Übergänge zwischen deutscher Staatsrechtslehre, substantialisiertem Staat und Nationalsozialismus unbenannt und die antitotalitaristische Identitätsbildung erfährt eine erneute höchstrichterliche Bestätigung. Die Geschichtserzählung vom Weimarer Scheitern und die Verdrängung des Nationalsozialismus nach Art und Weise der 1950er Jahre werden schlicht wiederholt. Einen Bruch erfährt diese Deutung allerdings, wenn das Gericht auf Basis der Zentralität der Menschenwürde von der »Subjektqualität« (BVerfGE 144, 20, 207) des Menschen spricht. Daraus leitet es zudem ab, dass rassistische oder antisemitische Diskriminierungen und »demütigende Ungleichbehandlungen« (ebd., 208) mit der fdGO unvereinbar seien. In dieser Ausformulierung der fdGO sei dem Staat jeglicher Vorrang genommen, so das Gericht (vgl. ebd., 206f.). Doch bleibt dies wiederum Behauptung, wird nicht argumentativ belegt und widerspricht im Übrigen der Praxis der ›wehrhaften Demokratie‹. Unabhängig von der eigentlichen Definition der fdGO ist das Prinzip der ›wehrhaften Demokratie‹ durch eine Gewährleistung der (politischen) Freiheit gekennzeichnet, die bei Missbrauch wieder entzogen werden kann. Gewährleistung und Missbrauch sind durch judikative Auslegung und exekutive Anwendung konkretisiert. Wenn Freiheit grundsätzlich und ohne staatlichen Vorrang zum Menschen und dessen Würde gehört, dann kann sie auch nicht missbraucht werden, da kein Gebrauch vorgegeben werden kann. Freiheit ist dann dem Subjekt eigen und kein entziehbares Gut. Das heißt, die vom BVerfG postulierte »Subjektqualität« (ebd., 207) des Menschen als politisch Handelndem ist in der ›wehrhaften Demokratie‹ nicht absolut gegeben. Würde bedeutet für das Gericht, dass Menschen nicht mehr auf Objekte reduziert werden können (vgl. ebd.), insofern spricht es von »Subjektqualität« (ebd.). Es hat die Auffassung Dürigs (vgl. 1952) übernommen, die sich auch bis heute in der Kommentarliteratur findet. Zwar sollen Menschen durch einen Entzug ihrer Grundrechte nach Art. 18 nicht »entmenschlicht« werden, aber eben »entpolitisier[t]« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 10). Damit sind Menschen keine eigenständigen Subjekte, sondern an einen staatlich vorgegebenen Rahmen gebunden. Der Staat ist und bleibt gewährende und bewertende Instanz. Mit Blick auf politisch-prozessuale Freiheitsrechte verschärft das Gericht diesen Umstand gar durch sein Nicht-Verbot der NPD. Es eröffnet Möglichkeiten, den politischen Spielraum von Parteien auch ohne ein verfassungsgerichtliches Verbot einzuschränken, bspw. im Rahmen der Parteienfinanzierung.

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DIE PARTEIVERBOTSVERFAHREN GEGEN SRP, KPD UND NPD

5.4.3 Kein Verbot trotz ›verfassungsfeindlicher‹ Ziele Verboten hat das Gericht die NPD trotz der bescheinigten ›Verfassungsfeindlichkeit‹ ihrer Ziele nicht. Das wurde durch eine Wendung in der Rechtsprechung ermöglicht. Neben dem Streben nach einer Beseitigung der fdGO, das sich aus Parteizielen und dem Verhalten der Anhänger*innen ergebe, und in Zusammenhang mit einer planvollen und qualifizierten Arbeit zur Erreichung dieser Ziele stehe, müssen außerdem eine »hinreichende Intensität einer spürbaren Gefährdung« (BVerfGE 144, 20, 213), mithin also »konkrete Anhaltspunkte von Gewicht« (ebd., 224f.) für den Erfolg dieses Handelns bestehen, um ein Verbot auszusprechen. Das Urteil begegnet damit unter anderem der Kritik, dass lediglich die Absichten und Ziele eine Partei verfassungswidrig machen. Objektivierbare Gefahrenlagen oder Realisierungschancen würden so nicht einbezogen (vgl. Meier 2015, 145). Noch im KPD-Verbot argumentierte das BVerfG, dass es unerheblich sei, ob die verfassungswidrige Absicht einer Partei auch in absehbarer Zukunft verwirklicht werden könne (vgl. BVerfGE 5, 85, 143), es zähle die »aktiv kämpferische aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung« (ebd., 141).76 2017 ist dem Gericht mit der Feststellung der ›Verfassungsfeindlichkeit‹ der NPD-Ziele und dem gleichzeitigen Nicht-Verbot eine Gratwanderung gelungen. Es bestanden Zweifel, ob ein Verbot der NPD vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Bestand gehabt hätte (vgl. Roßner 2012). Die Regelung des Art. 21 Abs. 2 GG ist im Sinne der ›wehrhaften Demokratie‹ präventiv ausgelegt. Diese Auslegung ist geprägt von der Erzählung der zwar legalen, aber illegitimen Handlungen, die die fdGO gefährden könnten, inspiriert von den Deutungskämpfen um das Scheitern der Weimarer Republik (vgl. IV 2.2; V 2).77 Die Rechtsprechung des EGMR jedoch fokussiert auf illegale, undemokratische und insbesondere gewaltsame Mittel (vgl. Sarx 76 In den 1960er Jahren war dies ein Grund für die Forderung, das Verbot der KPD zurückzunehmen. Nur eine kleine Partei könne verboten werden – eine Illegalisierung der Mehrheit sei unvorstellbar –, doch sei ein Verbot einer kleinen Partei eben auch die Verhinderung einer kleinen Gefahr. Damit stelle sich die Frage der Verhältnismäßigkeit. Das KPD-Verbot sei demokratieverkürzend, selbst eine Gefährdung der fdGO und müsse vom BVerfG zurückgenommen werden (vgl. Ridder 1966, 44ff.). 77 So betont das BVerfG hier nochmals, dass eine Partei »auch dann verfassungswidrig sein [kann], wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung« (BVerfGE 144, 20, 222) verfolge und das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG eine »Reaktion auf die von den Nationalsozialisten verfolgte Taktik der ›legalen Revolution‹ dar[stellt], die die Machterlangung mit erlaubten Mitteln auf legalem Weg anstrebte« (ebd.).

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2004, 185). Deshalb aber der NPD Verfassungstreue zu bescheinigen, hätte innenpolitisch eine Debatte um die Einschätzungsfähigkeit des BVerfG ausgelöst. Die Beobachtung der NPD durch die Verfassungsschutzbehörden hätte aufgehoben, die NPD aus den Berichten gestrichen werden müssen. Schon in den 1970er Jahren wurde vorgeschlagen, die »Verbotsautomatik« (Azzola und Lautner 1973, 246) abzuschaffen und zwei Verfahren einzuführen: ein Feststellungs- und ein Verbotsverfahren (vgl. Azzola und Lautner 1973; Kriele 1975). Dies sollte unter anderem dazu dienen, den »leichtfertigen Umgang« (Azzola und Lautner 1973, 246) der Exekutive mit dem Begriff ›Verfassungsfeindlichkeit‹ zu unterbinden und in Zeiten des Radikalenerlasses ein rechtsstaatlicheres – hier also transparentes und nachvollziehbares – Verfahren zu finden, das nicht allein von der Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden abhänge (vgl. Kriele 1975, 204). Zudem sollte es der politischen Auseinandersetzung überlassen sein, sich mit verfassungswidrigen Parteien zu beschäftigen, um dies nicht in den Gerichtssaal zu verlagern (vgl. ebd., 203). Eine ähnliche Diskussion, allerdings mit Blick auf die SED, fand dazu im Parlamentarischen Rat in der Debatte um den damals zu schaffenden Art. 21 GG statt (vgl. V 2.3.2). Auch hier wurde argumentiert, dass es sinnvoller sei, eine Partei in der Legalität zu belassen, um sich politisch mit ihr auseinander zu setzen. Schließlich ließen sich Revolutionen ohnehin nicht verbieten (vgl. Katz, OrgA I, Sitzung v. 14.10.1948, 572). Die Abgeordneten entschieden sich aber dafür, dass eine Partei ihre »illegalen« Absichten auch kundtun müsse und keine »Legalitätstaktik« (Scherb 2008, 14) wie die NSDAP anwenden können dürfe. Nun hat das BVerfG in einem Verfahren die »Verfassungsfeindlichkeit« der Ziele einer Partei festgestellt, ohne sie daraus schlussfolgernd zu verbieten. Es bleibt abzuwarten, ob dies der Praxis der verfassungsschützerischen Exekutive Einhalt gebieten wird und ob in Zukunft eine Reihe Verfahren beim BVerfG beantragt werden, um Verfassungswidrigkeit oder -konformität zu bescheinigen. Was hingegen die Möglichkeiten zur Beschränkung politischer Freiheit angeht, werden sie sogleich erwogen. »In seiner Einführung hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts auch Handlungsspielräume des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Parteienfinanzierung angedeutet. Das werde ich jetzt sorgfältig prüfen lassen«, ließ der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einer Pressemitteilung zum Urteil verlautbaren (Bundesministerium des Innern 2017). Auch einige Bundesländer prüfen Möglichkeiten. Ausdehnbar erscheint dies auch auf die Nutzung öffentlicher Veranstaltungsräume, Demonstrationsrechte und die Präsenz in Rundfunk und Fernsehen. Dies wurde schon 1973 vorgeschlagen (vgl. Azzola und Lautner 1973, 246). Damit werden Maßnahmen, die sich durchaus in das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ einordnen lassen, 232

DIE PARTEIVERBOTSVERFAHREN GEGEN SRP, KPD UND NPD

unterhalb der verfassungsgerichtlichen Ebene angesiedelt. Das Parteienprivileg – sowieso lediglich das Privileg nur vom BVerfG verboten werden zu können – wird dadurch aufgeweicht (ähnlich: Jürgensen 2017). Wozu braucht es noch ein Verbot des Verfassungsgerichts, wenn eine Partei sich nicht mehr auf die Neutralität des Staates berufen kann und sie gar durch Gesetze oder exekutive Maßnahmen in ihrer Betätigung eingeschränkt werden kann? Mag dies gegenüber der NPD auch mit einem antifaschistischen Lächeln quittiert werden, so zeigt doch die Geschichte der Bundesrepublik und insbesondere die Etablierung der Idee und Praxis der ›wehrhaften Demokratie‹, dass diese Maßnahmen vor allem die politische Gegenseite treffen werden. Selbst wenn das Gericht betont, dass vor der Feststellung der Verfassungswidrigkeit »ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei [als] schlechthin ausgeschlossen« (BVerfGE 144, 20, 201) gelte, zeigt bspw. die Beobachtung von Abgeordneten der Linkspartei (vgl. Nichelmann 2013, 196f.) und einzelner Unterorganisationen durch den Verfassungsschutz,78 dass exekutive Behörden ihren Spielraum im Rahmen ihrer Logik erweitern. Verbunden mit dem normativen Extremismusansatz wird dies aufgrund des »smarte[n] Extremismus« (Jesse und Lang 2008) der Partei gerechtfertigt.

78 Die Linkspartei bzw. Unterorganisationen werden in Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder erwähnt (bspw. BfV 2015, 111ff.; LfV BY 2015, 186f.). Auch über Abgeordnete wurden öffentlich zugängliche Informationen gesammelt und in Akten zusammengestellt. Das Bundesverwaltungsgericht entschied 2010 (BVerwG Az. 6 C 22.09), dass nicht ausschließlich repressive Maßnahmen zum Schutz der fdGO angewendet werden, sondern die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden dazu diene, »Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung« (ebd., Rdnr. 24) zu gewinnen, um potentielle Gefahren zu erkennen. Mit der Berufung auf das KPD-Verbot des BVerfG legitimierte das BVerwG die Beobachtung eines Abgeordneten der Linkspartei und lehnte die Beschwerde ab (vgl. ebd., Rdnr. 33). 2013 entschied das BVerfG die Aufhebung des Urteils des BVerwG. Die Rechte des Abgeordneten aus Art. 38 iVm Art. 28 GG seien durch die Beobachtung und das Urteil verletzt worden (vgl. BVerfGE 134, 141). Trotz dieser erfolgten Einschränkung der behördlichen Beobachtung von Abgeordneten ist die Linkspartei selbst oder einzelne zur Partei gehörende Gruppen weiterhin Beobachtungsobjekt. Eine Mitgliedschaft bspw. in der Jugendorganisation der Partei gilt als Einstellungshindernis für den öffentlichen Dienst in Bayern (vgl. das »Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen«, AllMBl. 2007, 695).

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5.5 Zusammenfassende Würdigung der Parteiverbotsverfahren Im Verbot der SRP hat das Gericht eine konservativ-liberale Deutung des Weimarer Scheiterns vorgelegt, die von fundamentaler Opposition auf den Zusammenbruch des Staates schließt. Es hat dem entgegen eine Definition der fdGO gesetzt, die es aus dem antikommunistischen Strafrecht übernommen hat und als wertbegründete universell setzt. Diese Definition ist bis heute gültig. Im Verbot der KPD (und 1970 noch expliziter im Abhörurteil (vgl. BVerfGE 30, 1, 20) hat es die ›wehrhafte Demokratie‹ als Entscheidung des Grundgesetzes behauptet und deren präventive Ausrichtung mit seiner Geschichtsdeutung belegt. Es hat Parteien in den Staat inkorporiert und ihr politisches Handeln auf die fdGO verpflichtet. Politisch-prozessuale Rechte sind nicht Teil der fdGO-Definition geworden, denn sie dient gerade zu deren Begrenzung. Im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren hat das BVerfG seine Rechtsprechung der 1950er Jahre mit Blick auf die fdGO und die Rolle von Parteien in der BRD bestätigt. Das Handeln einer Partei mit dem Ziel der Beseitigung der fdGO müsse nun aber auch potentiell Erfolg haben können – anders als noch im KPD-Verbot. Um dennoch gegen ›verfassungsfeindliche‹ Parteien vorgehen zu können, hat das Gericht exekutive Möglichkeiten unterhalb eines Parteiverbots aufgezeigt.

5.5.1 Die fdGO-Definition und ihre Folgen Entgegen der Kritik der bloßen Aneinanderreihung von Staatsorganisationsprinzipien (Ridder 1966, 28), vertrete ich die These, dass die fdGO-Formel des BVerfG aus dem SRP-Verbot nicht beliebig ist, sondern Prinzipien des bürgerlichen Staates sichert und in der deutschen antipositivistischen Rechtstheorietradition steht. Dabei haben nationalsozialistische Juristen ebenso wie der Antikommunismus der frühen Bundesrepublik die Definition dieser Prinzipien beeinflusst und das Gericht hat sie übernommen. Es hat tatsächliche demokratische Liberalität, also politische Freiheitsrechte, nicht in seine Definition aufgenommen. Als Rechtfertigung dafür dient eine bestimmte Darstellung der nationalsozialistischen Machtübernahme, die auf einer konservativ-liberalen Narration des Scheiterns der Weimarer Republik (vgl. I 1.1.2) aufbaut. Als Rechtsbegriff des Grundgesetzes ist die fdGO kein basisdemokratischer Minimalkonsens, sondern eine Setzung von Prinzipien des bürgerlichen Staates. Die fdGO-Formel ist als Wert und Kern der Demokratie postuliert; ihre Bestandteile sind nicht als historische und erkämpfte Prinzipien dargestellt, sondern entkontextualisiert. Sie erscheinen als universell. Auch das gehört zum bürgerlichen Staat: die Verallgemeinerung 234

DIE PARTEIVERBOTSVERFAHREN GEGEN SRP, KPD UND NPD

partikularer Interessen. Entstanden ist eine Formel, die zwar die Liberalität und Rationalität der bürgerlichen Gesellschaft zu garantieren scheint, aber den Schutz des Staates als oberstes Gut setzt – zur Not auch gegen die bürgerliche Liberalität. Politisch-prozessuale Rechte – also gerade die Mittel, die der Zurückdrängung des absolutistischen Staates und seiner Exekutivgewalt dienten – sind nicht Teil der fdGO geworden. Die Orientierung des BVerfG an den Beratungen zum 1. StÄG ist offensichtlich. Das lässt sich an den Ähnlichkeiten der fdGO-Formel zu den strafrechtlichen Verfassungsgrundsätzen als auch an den vorgenommenen Änderungen erkennen. Die Richter*innen haben zwar die Volkssouveränität explizit benannt, meinen damit aber genau jene Festlegung auf Wahlen und Abstimmungen, die schon in den Verfassungsgrundsätzen und dem BVerfGG benannt waren. Die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte übernahm das BVerfG von den strafrechtlichen Verfassungsgrundsätzen. Dabei betonte es allerdings nur die Bindung der Exekutive ans Gesetz und ließ die Bindung der Legislative und Judikative an Verfassung und Gesetze heraus. Die Verantwortlichkeit der Regierung war keine parlamentarische mehr. Das war schon in den Beratungen zum 1. StÄG umstritten. Schließlich könne die fdGO auch in einem präsidentiellen System verwirklicht werden (vgl. V 4.3). Die Hinzufügung der Menschenrechte zur fdGO durch das BVerfG, die noch bei 1. StÄG aus den Verfassungsgrundsätzen herausgestrichen wurde, lässt sich in Teilen auf die Verfolgungserfahrungen der Richter*innen zurückführen. Offensichtlicher ist jedoch, dass das BVerfG das Recht auf Leben und die freie Entfaltung der Persönlichkeit explizierte. In der Diskussion um die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze war das absolute Gelten dieser beiden Grundrechte Konsens. Alle anderen Grundrechte – insbesondere die politischen Freiheitsrechte – standen unter Vorbehalt. Sie können also eingeschränkt werden und sind damit nicht Teil der fdGO. Das widerspricht der im NPD-Urteil vom Gericht postulierten »Subjektqualität« (BVerfGE 144, 20, 207) des Menschen. Das Gericht setzt zwar die Menschenwürde als das zentrale Prinzip der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹, doch ohne zugleich den Kampf für die Anerkennung als politisch handelndes Subjekt zu würdigen oder zu benennen. Es setzt Würde schlicht universell, zitiert seine Rechtsprechung aus dem SRP-Verbot und verdeckt damit die politischen Auseinandersetzungen, in denen um Freiheit, Gleichheit und politische Handlungsfähigkeit gekämpft wurde. Gerade die Handlungsfähigkeit aber macht Menschen zu Subjekten (vgl. II 5), nicht die Organisationsprinzipien des bürgerlichen Staates. Dem Staat ist damit entgegen der Behauptung des Gerichts im NPD-Urteil (vgl. BVerfGE 144, 20, 206f.) weiterhin der Vorrang eingeräumt. Die fdGO-Formel aus dem SRP-Verbot wird im KPD-Verbot auf den ersten Blick nicht erweitert. Doch die Abgrenzung zum 235

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Marxismus-Leninismus, wie ihn das BVerfG interpretiert, konkretisiert die fdGO. Diese Interpretation des Marxismus-Leninismus und seine Unvereinbarkeit mit der fdGO des Jahres 1956 findet auch in aktueller Rechtsprechung Zustimmung (BVerwG, Az. 6 C 22.09, Rdnr. 33). Politische Theorien wie der Marxismus-Leninismus behaupten die Möglichkeit der Deckung von Ideal und Wirklichkeit und seien damit potentiell totalitär, da sie andere Ziele nicht zulassen. Der KPD ist damit die Koalitionsfähigkeit abgesprochen, weil sie andere Parteien lediglich benutze, um ihre eigenen absolut gesetzten Ziele zu realisieren. Ihre eigenen Ziele stelle die KPD über die der anderen Parteien und über die bestehende Ordnung selbst, derer sie nicht genügend Achtung und Loyalität entgegen bringe. Das Element »Mehrparteienprinzip« der fdGO-Formel bedeutet also nicht nur die Existenz von mindestens zwei Parteien, sondern diese müssen sich zudem als fähig erweisen, ihre Ziele aneinander im Rahmen der bestehenden Ordnung anzupassen. Das KPD-Verbot »rechtfertigte [...] nicht nur en bloc nachträglich alle Verfolgungsmaßnahmen bis 1956, es erleichterte auch erheblich die Legitimation der danach einsetzenden Verfolgung« (Brünneck 1978, 127). Dem Antikommunismus der 1950er Jahre gab es durch die Erklärung der Verfassungswidrigkeit marxistischer Theorie eine rechtliche Grundlage. Die fdGO solle geachtet werden und Parteien hätten eine Inte­ grationsaufgabe. Der KPD unterstellte das Gericht ein instrumentelles Verhältnis zur ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹, was nicht verfassungskonform sei. Selbst wenn das Gericht eine »aktiv kämpferische aggressive Haltung« (BVerfGE 5, 85, 141) als Verbotsvoraussetzung fordert, verlangt es gleichzeitig von Parteien Engagement für die fdGO (vgl. ebd., 389) und damit nicht nur Nicht-Gegnerschaft, sondern Bejahung und »Achtung« (ebd., 380), ein politisches Handeln »um ihrer selbst willen« (ebd., 237). Schon ein indifferentes Verhältnis zur fdGO ist damit nicht mehr verfassungsmäßig. Aus der Darstellung marxistischer Theorie und der verfassungsgerichtlichen Auffassung zur Verfolgung utopischer Ideale ist außerdem abzuleiten, dass ein Ausschließlichkeitsanspruch politischer Theorie für das Gericht grundsätzlich totalitär ist. In dieser Argumentation setzt das BVerfG nicht nur NSDAP und KPD gleich, sondern bestimmt zudem den Relativismus, der in der konservativ-liberalen Narration paradoxerweise zugleich Schuld am Scheitern der Weimarer Republik ist (vgl. IV 3, 4; V 2) als politische Leitidee der Bundesrepublik. Keine Meinung sei letztlich wahr oder falsch, alles ist dem Ausgleich der Kräfte überlassen. In Verbindung mit dieser relativistischen Leitidee und der als anzustrebendes Ideal gekennzeichneten fdGO wandelt das Verfassungsgericht im KPD-Verbot die fdGO vom universell begründeten Wert, der sie noch im SRP-Verbot war, zu einer Utopie, der sich alle politische Parteien in der Bundesrepublik verschreiben sollen. 236

DIE PARTEIVERBOTSVERFAHREN GEGEN SRP, KPD UND NPD

5.5.2 Prävention durch Geschichtsdeutung Im SRP-Verbot explizierte das Gericht den Nationalsozialismus als Phänomen enttäuschter und planvoll manipulierter Jugend, die die NSDAP und Adolf Hitler als Führer anerkannte. Die Machtübernahme mit legalen Mitteln, gegen die sich die Weimarer Republik nicht wehren konnte, wird richterlich beschlossene Geschichtsinterpretation. Nach dieser Erfahrung mit der Gewährung der absoluten Freiheit sei es eine verfassungspolitische Entscheidung gewesen, dieser Grenzen zu setzen. Die ›wehrhafte Demokratie‹ trete der Gefahr, die von totalitären Parteien und ihrem Willen zur »Machtergreifung« (BVerfGE 5, 85, 138) ausgehe, entgegen. Die Demokratie könne so nicht mehr mit formalen Mitteln unterlaufen werden. Mit dieser Deutung bestätigt das Gericht die Selbstverteidigungsschwäche der Weimarer Republik und macht die Notwendigkeit der Begrenzung absoluter Freiheit deutlich. Es setzt dagegen eine Wertordnung, die unumstößlich wird und verteidigt werden soll. Die Richter*innen nahmen hier eine Deutung der jüngeren Vergangenheit vor, ohne schon vorhandene wissenschaftliche Annäherungen (vgl. Fraenkel 1984 [1941]; Kogon 1974 [1946]; F. Neumann 1984 [1942]) einzubeziehen und noch vor Beginn der deutschen historischen Forschung (vgl. am Beispiel Kempter 2013). Die Taktik, die das Gericht der NSDAP zuschreibt, ähnelt den in den 1950er Jahren beschriebenen Methoden der »kalten Revolution«, die als alarmistisches Bedrohungsszenario die Subjektivierung und antikommunistische Ausrichtung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes rechtfertigte (vgl. V 4.2.). Umsturzversuche mit legalen Mitteln und modernen Methoden – wie es die ­NSDAP tat – sollen in der Bundesrepublik verhindert werden. Vor eigentlich objektiv illegalen Handlungen sind es Absichten und Einstellungen, die politisches Handeln legitim oder illegitim sein lassen. Der Straftatbestand der Staatsgefährdung, sozusagen als »ideologische Variante des Hochverrats« (Meier 1987, 467), bündelte die Deutungen des Weimarer Scheiterns, repräsentierte die antikommunistische Wende der ›Lehren aus der Vergangenheit‹. Mit den Verboten von SRP und KPD hat das Verfassungsgericht diese Wendung zu Eckpfeilern der ›wehrhaften Demokratie‹ gemacht, die selbst im aktuellen Urteil zur NPD fest im Boden verankert bleiben. Die ›wehrhafte Demokratie‹ wird vom Gericht als präventives Prinzip zur Sicherung des politischen Status quo elaboriert. Die in den Kritiken am KPD-Verbot bemängelte konkrete Gefährdungslage, die ausschlaggebend für ein Verbot sein müsse (vgl. Meier 1987, 467), trägt das BVerfG im NPD-Urteil Rechnung. Auch unter Einschätzung der Bestandskraft eines Verbots der NPD vor dem EGMR verbot das Gericht die NPD nicht. Es erklärte dennoch ihre Ziele und ihr Handeln für ›verfassungsfeindlich‹ und eröffnet die Möglichkeit, jenseits eines Verbots gegen die Partei vorzugehen. Damit weicht es das 237

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Parteienprivileg auf, das ohnehin lediglich aus dem Privileg besteht, nur vom BVerfG verboten werden zu können. Nach dem NPD-Urteil sind nun auch Benachteiligungen in der Parteienfinanzierung, im Demons­ trationsrecht oder in der Nutzung kommunaler Räumlichkeiten denkbar geworden. Eine Gesamtwürdigung der Parteiverbotsurteile ergibt, dass das Fundament für die ›wehrhafte Demokratie‹ in den 1950er Jahren gelegt wurde. Alle folgenden Neuerungen und Erweiterungen bauen darauf auf. Die Existenz einer bestimmten ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ wird behauptet, ihr Inhalt ist universalisiert und enthistorisiert; er verbindet sich mit antikommunistischen Elementen aus der Strafrechtsgesetzgebung. Die Idee des präventiven Schutzes dieser verallgemeinerten Formel ist aus einer nicht wissenschaftlich ausdifferenzierten Geschichtsdeutung hergeleitet. Die Kräfteverhältnisse in der Weimarer Republik werden einseitig darstellt und der Aufstieg des Nationalsozialismus auf ein Jugendproblem reduziert. Einer vermeintlich absoluten Freiheit sollen Grenzen gesetzt werden, um ein formales Unterwandern der Demokratie zu verhindern. Politische Parteien werden zwar verfassungsrechtlich anerkannt, aber zugleich wird der politische Streit durch eine Verpflichtung der Parteien auf die fdGO als zu achtendes und noch zu verwirklichendes Ideal eingehegt.

6. Juristische Kommentare zum Grundgesetz Abschließend werfe ich einen Blick auf die juristischen Kommentare zum Grundgesetz zwischen 1950 und 1964. Der Zeitraum der Analyse bezieht sich – je nach Quellenlage – auf Kommentare vor und nach dem StÄG, dem SRP- und KPD-Verbot. In diesen 14 Jahren erschienen die ersten Kommentare zu den hier im Fokus stehenden Art. 18 und 21 GG. Mit ihnen werde ich zeigen, dass spätestens mit dem Verbot der KPD 1956 die fdGO gesetzt ist und ihre schlichte Existenz nicht mehr in Frage gestellt wird. Die Eckpfeiler der ›wehrhaften Demokratie‹ stehen fest. Kommentarliteratur ist für die juristische Auslegung eine fundamentale Quelle (vgl. III 2.2.1). Geben die Kommentare also schon die Richtung für das BVerfG vor oder haben sie andere Definitionen der fdGO? Beschäftigt sie der Begriff überhaupt? Schließlich hat es auch im Parlamentarischen Rat keine Diskussionen um die Definition gegeben, sondern lediglich grobe Charakterisierungen. Die fdGO war Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre noch kein fester Begriff (vgl. V 2). Ab den 1970er Jahren expandiert die Kommentarliteratur, es erscheinen neben den großen Kommentaren mittlere und Taschenkommentare; die Quellenlage ist außerordentlich breit (vgl. Stolleis 2012, 530ff.) 238

JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

und aufgrund der Loseblattsammlungen zudem unübersichtlich. Ich habe die Analyse auf das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik begrenzt, um die damaligen Weichenstellungen für die ›wehrhafte Demokratie‹ zu erforschen. Für die folgenden Jahrzehnte werde ich einen explorativen Überblick geben, um auf Verschiebungen oder Bestätigungen hinzuweisen. Ähnlich wie im Urteil zur NPD 2017 interessiert hier, ob die in den 1950er Jahren konzipierte ›wehrhafte Demokratie‹ Korrekturen erfährt. Den besten Überblick zu den Anfängen der Grundgesetzkommentarliteratur liefert Stolleis (2012, 136ff.), auf den ich hier zurückgreife. In den Fußnoten mache ich zudem kurze biographische Angaben zu den ersten Herausgebern der Grundgesetzkommentare. Alle hatten während des Nationalsozialismus an rechtswissenschaftlichen Fakultäten oder im Militär Karriere gemacht und nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu bruchlos ihre Lebensläufe fortgesetzt. Es gab unter ihnen keine vor dem Nationalsozialismus Geflohenen oder Oppositionelle, was gerade in Zusammenhang mit der Auslegung der Art. 18 und 21 GG von Bedeutung ist. Denn die Artikel stellen die Grenzmarken der bundesrepublikanischen Demokratie dar. Die Herausgeber der GG-Kommentare hatten selbst kaum bzw. keine Verfolgungserfahrung. Ihre Interpretation politisch legitimen oder illegitimen Handelns ist davon beeinflusst (vgl. III 1.3). Der erste Kommentar von Friedrich Giese79 erschien schon 1949 und wurde 1951, 1953 und 1955 neu aufgelegt. 1960 wurde er von Egon Schunck80 neu bearbeitet. Ich verwende für die Analyse die ersten sechs Auflagen. Der zweite hier analysierte Kommentar, der »Bonner 79 Friedrich Giese lehrte von 1914 bis 1946 Öffentliches Recht an der Universität Frankfurt und war Rechtspositivist (Ruppert 2008, 187ff.), was auch an seinen Kommentierungen der hier untersuchten GG-Artikel erkennbar wird. 1932 vertrat er Preußen vor dem Staatsgerichtshof im Nachgang des »Preußenschlags« (vgl. Fn. 37, Kap. IV). Während des Zweiten Weltkriegs lehrte er auch in Darmstadt und Jena (vgl. Mallmann 1964). Er wurde 1934 förderndes Mitglied der SS, trat 1940 aber wieder aus (vgl. Ruppert 2008, 190). Außerdem war er Mitglied im NSRB, dem Kraftfahrerbund und der NS-Volkswohlfahrt (ebd., 190) sowie in der Akademie für Deutsches Recht (vgl. Klee 2011, 182). Er entlastete nach 1945 u. a. Ulrich Scheuner (vgl. Fn. 44, Kap. IV) und Otto Koellreutter (vgl. Fn. 10, Kap. IV) (vgl. Ruppert 2008, 199). 1946 wurde Giese von der amerikanischen Militäradministration entlassen und dann auf Antrag emeritiert. Später lehrte er an der Universität Mainz in der Französischen Besatzungszone weiter (ebd., 199ff.). 80 Egon Schunck war Regierungsassessor in der preußischen inneren Verwaltung und während des Nationalsozialismus am Preußischen Oberverwaltungsgericht tätig (vgl. De Clerk 1981, 566). Von 1952 bis 1963 war er Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts.

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Kommentar«, erschien ab 1950 in loser Blattform.81 Ideengeber war Bodo Dennewitz82. In den ersten beiden Jahrzehnten besaß der »Bonner Kommentar« die »beherrschende Stellung« (Stolleis 2012, 137). Ich verwende hier die Kommentierung des Art. 18 von 1951. Im Jahr 1953 erschien ein dritter Kommentar: »Das Bonner Grundgesetz«, in gebundener Form herausgegeben von Herrmann von Mangoldt83. 1955, nach dem Tod von Mangoldts, wurde die Herausgeberschaft von Friedrich Klein84 übernommen. Eine zweite Auflage des »Mangoldt-Kleins« erschien 1957, eine dritte mit mehreren Bänden zwischen 1957 und 1974. Diese drei Auflagen gehen in meine Analyse ein. Der vierte Kommentar, der »Hamann-Lenz«, erschien 1956 und ist von Andreas Hamann85 bzw. später von seinem gleichnamigen Sohn und Hermann Lenz herausgegeben. Diesen »Kommentar für Wissenschaft und Praxis« verwende ich in den ersten beiden Auflagen von 1956 und 1961. Der fünfte in die Analyse einbezogene Kommentar ist der »Maunz-Dürig«, zunächst 81 Die ersten drei Lieferungen behandelten etwa 40 Kommentare (vgl. Stolleis 2012, 136). Das Grundwerk erschien 1954. 82 Bodo Dennewitz lehrte von 1938 bis 1945 an der Wiener Hochschule für Welthandel. Er war ein Schüler von Otto Koellreutter (vgl. Fn. 10, Kap. IV). 1945 wurde er in Hamburg Oberverwaltungsrat (vgl. Stolleis 2012, 136). In seinen während des Nationalsozialismus veröffentlichten Schriften wird der antipositivistische Charakter seines Rechtsverständnisses deutlich (bspw. Dennewitz 1943, IV); er gibt Werten den Vorrang und weist die Begrenzung staatlicher Macht durch liberale und politisch-prozessuale Rechte zurück (vgl. Hilger 2003, 146f.). 83 Herman von Mangoldt wurde 1939 Professor für Öffentliches Recht in Tübingen, 1941 in Jena und 1943 in Kiel. Er war Mitglied des NSRB (vgl. Fn. 1, Kap. III). In Kiel war er auch Direktor des Instituts für Internationales Recht. 1944 nahm er als Korvettenkapitän am Zweiten Weltkrieg teil. 1945 wurde er Dekan, 1947 Rektor der Staatswissenschaftlichen Fakultät in Kiel (Wolfrum 1990). Von Mangoldt war Mitglied des Parlamentarischen Rates. 1952 wurde er Richter am Staatsgerichtshof in Bremen. 84 Friedrich Klein wurde 1933 Mitglied der NSDAP. Er promovierte 1934 bei Friedrich Giese (vgl. Fn. 79, Kap. V). Ab 1935 war er im Dienst der Reichsfinanzverwaltung, habilitierte 1939 an der Universität Frankfurt und lehrte dort ab 1940. 1944 erhielt er einen Ruf an die Universität Münster, trat die Stelle aber wegen des Krieges nicht an (vgl. Wilke 1974, 647). 1945 wurde er aus dem Dienst entlassen, bekam jedoch 1946 eine vorläufige Lehrbefugnis und wurde 1951 ordentlicher Professor am Institut für Steuerrecht in Münster. Sein erster Doktorand war Helmut Ridder. 1965 bis 1967 war er dort Rektor (vgl. ebd.). 85 Andreas Hamann wurde 1931 Mitglied der NSDAP. 1934 wurde er Richter am Kreisgericht Siegen-Land. Der Nachruf von Adolf Arndt (vgl. 1964, 1217f.) erwähnt das nicht.

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

herausgegeben von Theodor Maunz86 und Günter Dürig87. 1952 als gebundenes Werk geplant (vgl. Stolleis 2012, 138) erscheint der Kommentar seit 1958 in einzelnen Monographien und später in Loseblattform mit entsprechenden Nachlieferungen bei C. H. Beck. Er war und ist einer der Kommentare mit der höchsten Reputation, er wurde zum »konstitutiven Orakel für den neuen Staat« (Stolleis 1993b, 393). Bei der Analyse der Kommentare fokussiere ich besonders auf Art. 18 GG (Grundrechtsverwirkung), da der Begriff ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ hier zum ersten Mal im GG auftaucht und damit auch in den Kommentaren ausführlich behandelt wird.88 Weiterhin gehen die Kommentare zu Art. 21 Abs. 2 GG (Parteiverbot) in die Analyse ein. Die Kommentare zu Art. 79 Abs. 3 GG beschäftigen sich seltener mit der fdGO, da der Begriff im Verfassungstext nicht mehr benannt wird. Ich beziehe sie dennoch stellenweise in die Analyse ein, da Art. 79 Abs. 3 GG in den Kommentaren zu Art. 18 GG und 21 GG auftaucht und die ursprüngliche Fassung des Art. 79 Abs. 3 GG vom Herrenchiemseer Konvent die Worte »freiheitliche und demokratische Grundordnung« enthielt (vgl. V 2.2).

6.1 Die Suche nach dem Begriff Die Entstehungsgeschichte der einzelnen GG-Artikel wird in den Kommentaren dargelegt. Die verschiedenen Änderungen der Herrenchiemseer Vorschläge werden aufgezeigt und bis zu ihrem aktuellen Wortlaut nachverfolgt. Die historische Auslegung hat zunächst den quantitativ wichtigsten Stellenwert, außer beim Kommentar von Giese (vgl. 1949, Art. 18, S. 22; Art. 21, S. 25), der lediglich auf den Herrenchiemseer 86 Theodor Maunz trat 1933 der NSDAP und der SA bei (vgl. Klee 2011, 395f.). Von 1937 bis 1945 war er Professor in Freiburg. 1936 war er Teilnehmer der Tagung »Das Judentum in der Rechtswissenschaft« (Stolleis 1993b, 394). Maunz nahm am Herrenchiemseer Konvent und am Parlamentarischen Rat (vgl. V 2.2, 2.3) teil. Ab 1952 war er Professor für Öffentliches Recht in München. 1957 wurde Maunz bayerischer Kultusminister. Von diesem Posten trat er 1964 aufgrund seiner NS-Vergangenheit zurück (vgl. Klee 2011, 396). Er war Vertrauter des DVU-Mitglieds Gerhard Frey und veröffentlichte anonym Artikel in der Nationalzeitung (vgl. Köhler 2005; Stolleis 1993b, 395ff.). 87 Günter Dürig war ab 1938 im Kavallerieregiment in Oels, später in der Wehrmachtsdivision »Großdeutschland« (Schmitt Glaeser 1997, 134). 1946 studierte er Rechtswissenschaft und wurde 1956 ordentlicher Professor in Tübingen (vgl. ebd.). 88 Als Begriff taucht die fdGO zudem in den Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 87a Abs. 4, 73 und 91 GG auf.

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Entwurf verweist89. Im Verfassungsgebungsprozess wurde der Begriff fdGO noch nicht definiert (vgl. V 2), was im Bonner Kommentar vermisst wird (vgl. Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5). Von Mangoldt (Mangoldt-Klein, 1953, Art. 21, S. 148) kritisiert die »Unbestimmtheit« des Begriffs und damit die potentielle Gefahr der Ausschaltung missliebiger Oppositionsparteien (ebd.). Der Kommentar von Giese (1949, Art. 18, S. 22; Art. 21, S. 25f.) behandelt den Begriff fdGO zunächst gar nicht. Der Fokus auf die Entstehung der Grundgesetzartikel bindet die Kommentare an die wenigen Diskussionen, die es zur fdGO im Parlamentarischen Rat und auf der Herreninsel im Chiemsee gab. Eine inhaltliche Bestimmung der fdGO orientiert sich an den wenigen Aussagen, die dazu im Verfassungsgebungsprozess gemacht wurden. Damit treffen die Autoren anhand der kurzen Debatte um die Konjunktionen zwischen »freiheitlich« und »demokratisch« Aussagen über die Grundordnung des Staates (vgl. Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1953, Art. 18, S. 114; Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5). Die Worte »freiheitlich« und »demokratisch« seien nicht antithetisch verbunden. Der Bonner Kommentar hebt hervor, dass »freiheitlich« nicht »volksdemokratisch« heiße (vgl. Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5) und somit das Wort »freiheitlich« das Wort »demokratisch« näher charakterisiere, ohne dabei weitere Ausführungen zum Wort »demokratisch« zu machen. Die Abgrenzung von der DDR bzw. der damaligen SBZ, auf die von Mangoldt im Parlamentarischen Rat abzielte, geht in die Kommentare ein (vgl. V 2.3). Von Mangoldt selbst erwähnt seine im Parlamentarischen Rat vorgenommene Abgrenzung zur »volksdemokratischen« Grundordnung jedoch nicht. Dies entspricht seiner Charakterisierung der fdGO, die stark mit Volkssouveränität argumentiert: Der Artikel richtet sich vielmehr nur gegen den, der seine Freiheiten zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausnutzt, also an die Stelle eines freiheitlichen und vom Volke getragenen, auf dem Grundsatz der Volkssouveränität aufbauenden Staatswesens das Gegenteil setzten will. (Mangoldt-Klein, 1953, Art. 18, S. 3) 89 In der Kurzzitatschreibweise der GG-Kommentare gebe ich den geläufigen Namen des Kommentars, den Namen des Autors (insofern verschieden), das Erscheinungsdatum der Kommentierung, die Artikelnummer und entweder die Seitenzahl oder die Randnummer an. Bei mehreren Verweisen auf den gleichen Kommentar in unterschiedlichen Auflagen wird die Jahreszahl in Klammern nach der Seitenzahl oder Randnummer angegeben. Die vollständigen Quellenangaben finden sich im Anhang. Geordnet sind die verwendeten Kommentierungen dort nach Jahreszahlen, da es mir in dieser Arbeit weniger um die Autor*innenschaft als um den zeitgeschichtlichen Kontext geht. Zur Schwierigkeit der Nachvollziehbarkeit der Entwicklung der Kommentare für die wissenschaftliche Forschung: vgl. III 2.2.1.

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

Eine »vom Volke getragen[e]« Grundordnung ist sprachlich nah an einer »volksdemokratischen«. »[V]om Volke getragenen« ersetzt im oben genannten Zitat gar das Wort »demokratisch« bzw. wird synonym gesetzt. Warum die »volksdemokratische« gerade eben nicht die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ sein solle, lässt sich schwer argumentativ begründen bzw. müsste expliziert werden, was eine »volksdemokratische« Grundordnung von einer »vom Volke getragen[en]« Ordnung unterscheidet. Der Bonner Kommentar gibt eine nähere Charakterisierung des Wortes »Grundordnung«. In einer Grundordnung seien »Bestimmungen, die gewissermaßen die tragenden Grundpfeiler der durch die beiden Eigenschaftswörter näher bestimmten staatlichen Struktur usw. darstellen« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5), festgelegt. Der Begriff der Grundordnung sei auch enger als »verfassungsmäßige Ordnung«, »da er nur diejenigen – grundlegenden – Bestimmungen umfaßt, die dieser staatlichen Grundordnung das freiheitliche demokratische Gepräge verleihen« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5; ähnlich: Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, 533). Dabei ist auffällig, dass der zunächst als »terminus technicus« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5) benannte fdGO-Begriff Bestimmungen enthalte, die dem Staat ein Gepräge »verleihen« – eine technische Bezeichnung für einen Gehalt, der dem Staat etwas verleiht, ihn eventuell ehrt oder auszeichnet. Ansonsten lässt sich dieser näheren Definition nur entnehmen, dass Grundordnung »grundlegende [...] Bestimmungen« (ebd.) umfasse. Der Maunz-Dürig ist gleicher Auffassung: Die fdGO sei in Abgrenzung zur verfassungsmäßigen Ordnung enger, sie beziehe sich auf »gewisse elementare Grundprinzipien der Verfassung« (Maunz-Dürig, Dürig, 1960, Art. 21, Rdnr. 114); die Worte »freiheitlich« und »demokratisch« hätten einen »eigenen neuen politischen Aussagewert« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 49). Um diese »elementare[n] Grundprinzipien« (Maunz-Dürig, Dürig, 1960, Art. 21, Rdnr. 114) zu präzisieren, bezieht sich der Bonner Kommentar auf die Art. 20 Abs. 2 und 3, 21 Abs. 1 und 28 GG. Die Auswahl wird nicht näher begründet. Dennoch sei es aber genau die »spezielle[...]« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 6) fdGO, die das GG durch den Art. 18 schützen wolle. Hieraus folgt, daß Art. 18 nicht nur jeden radikalen Kampf mißbilligt, der auf Beseitigung der so verstandenen Ordnung ausgeht, sondern auch den – nicht oder weniger radikalen – Kampf, der diese Ordnung nur modifizieren will. Das gilt also auch dann, wenn die etwa angestrebte Ordnung ebenfalls – noch – als eine freiheitliche demokratische Grundordnung angesehen werden kann. (ebd., S. 5)

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Selbst eine Änderung der aktuellen fdGO der Bundesrepublik zu einer anderen freiheitlichen demokratischen Ordnung wäre nicht mehr verfassungsgemäß. Auch die Radikalität der Mittel sei für die Einschätzung irrelevant. Wernicke geht es um den Bestandsschutz der aktuellen Ordnung. Neben der fdGO des Grundgesetzes, könne es zwar noch andere fdGOs geben. Doch es solle die spezielle fdGO des GG geschützt werden. 1952 hat das BVerfG mit dem Verbot der SRP eine Definition der fdGO vorgelegt (vgl. V 5.2). Doch nur Schunck enthält sich einer Bewertung und zitiert lediglich (vgl. Giese, Schunck, 1960, Art. 21, S. 56f.). Das Zitat erfolgt allerdings erst in der überarbeiteten Auflage 1960 und nicht schon ab 1953. Die anderen Kommentare reagieren verhalten. Dürig billigt die fdGO-Formel zwar »im Prinzip« (Maunz-Dürig, Dürig, 1960, Art. 21, Rdnr. 114), man dürfe aber aus dem »Interpretationsversuch«, der keine »authentische Definition« sei, keine »Bibelstelle« machen (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 52). Hamann beanstandet das fehlende Sozialstaatsprinzip (vgl. Hamann-Lenz, Hamann, 1956, Art. 18, S. 168). Mangoldt-Klein meint, dass darüber, was die fdGO sei, »die Meinungen nicht unerheblich auseinander« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 533) gingen. Er verweist dann zwar auf Urteile und Sekundärtexte, zitiert die Definition des BVerfG aber nicht. Der Bonner Kommentar zum Art. 18 GG von 1950 ging der verfassungsgerichtlichen f­dGO-Formel historisch voraus. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Formel auch in der aktualisierten Fassung von 1993 nicht zitiert wird (vgl. Bonner Kommentar, Wernicke, 1993, Art. 18, S. 11). Die fehlende legislative Definition in GG und BVerfGG (vgl. V 3) wird weiterhin beanstandet (vgl. Bonner Kommentar, Wernicke, Art. 18, S. 5 (1951), S. 11 (1993)). Die Kommentare legen keine eigenen Definitionen vor. Die Darstellungen der Diskussionen im Verfassungsgebungsprozess wirken eher suchend. Auf die Definition der einzelnen Worte geschaut, ergibt sich keine wirkliche Klärung. Begriffsbestimmungen, sei es von »freiheitlich«, »demokratisch« oder »Grundordnung«, fehlen oder sind tautologisch. Das ändert sich auch nicht mit der vom BVerfG vorgelegten Definition. Diese wird mit Skepsis, vielleicht sogar implizit ablehnend betrachtet. Dennoch geht es am Ende eines jeden Kommentars um den Schutz der bestehenden Ordnung, die durch die fdGO repräsentiert wird. Ein Blick auf die historische Kontextualisierung und Herleitung der Notwendigkeit dieses Schutzes verschafft eventuell Klärung.

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

6.2 Historische Herleitung 6.2.1 Antitotalitarismus Der Maunz-Dürig versah die Worte »freiheitlich« und »demokratisch« noch mit einem »neuen eigenen politischen Aussagewert« (Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 49). Darauf folgte allerdings keine Klärung dieses Aussagewertes. Ein Blick auf die Kontextualisierung der fdGO verrät, was der Autor meint: Die Merkmale dieses Begriffs [der fdGO, Anm. d. Verf.] werden vielmehr ganz spezifisch durch ihren Gegensatz zum totalitären Staat geprägt, also von der Vorstellung einer Grundordnung her, [...] was nach früherem und gegenwärtig fremdem totalitären Anschauungsunterricht bei uns nicht rechtens sein soll. (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48)

Die antitotalitaristische Abgrenzung vom Nationalsozialismus und der DDR bzw. der UdSSR bestimmt den Inhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dabei bleibt dieser Inhalt vage, da er nur dichotomisch und nicht aus seiner selbst heraus konkretisiert wird. Die Suche nach einzelnen Begriffsbestimmungen ergibt deshalb kein Ergebnis. Der »Maßstab der Verfassungsinterpretation« (ebd.) wird durch Abgrenzung gewonnen: »Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt sich einfach daraus, was wir von ›früher‹ und ›drüben‹ als politische Ordnung unbedingt nicht wollen« (ebd.). Es folgt im Kommentar das Zitat der BVerfG-Formel aus dem SRP-Verbot, das die »Gegenposition zum Totalitarismus« vor allem in der Formulierung »Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft« getroffen habe (ebd., Rdnr. 55). Zu den restlichen positiven Punkten der verfassungsgerichtlichen fdGO-Formel gebe es »Toleranzbereiche« (ebd., 19), über die man diskutieren könne. Diese Kommentierung ist ein typisches Beispiel für die paradox anmutende Melange aus Benennung und Nichtbeschäftigung mit dem Nationalsozialismus und der daraus folgenden Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹. Als Existenzbegründung für die ›wehrhafte Demokratie‹ zwar angeführt, bleibt doch stets unklar, was der nationalsozialistische Staat und die nationalsozialistische Ideologie war, was die Deutschen für Taten begangen haben und wie diese zukünftig verhindert werden sollen. Der Maunz-Dürig behauptet in seinen Vorbemerkungen zur Kommentierung des Art. 18, dass die Aufwertung der Grundrechte »eine bewußte Reaktion und klare Antwort des Grundgesetzes auf die Hitler-Diktatur« (Dürig 1964, Art. 18, Rdnr. 3) gewesen 245

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

sei.90 Informationen über die Funktion des politischen und rechtlichen Systems des NS-Staates werden jedoch nicht gegeben. Auf die damals schon erschienenen (rechts-)historischen Forschungen wird nicht eingegangen (vgl. Fraenkel 1984 [1941]; F. Neumann 1984 [1942]; Kogon 1974 [1946]; Poliakov und Wulf 1955). Gerade Fraenkels »Doppelstaat« (1984 [1941]) weist darauf hin, dass die Einschränkung der Grundrechte durch die Reichstagsbrandverordnung ein erster Schritt zur Festigung des NS-Regimes war. Zumindest eine Begründungsleistung, warum nun in der Bundesrepublik die Einschränkung von Grundrechten als Demokratieschutz dienen soll, wäre angemessen. Was der Nationalsozialismus war, eine Benennung der Shoah, oder wovon genau sich das politische System der Bundesrepublik abgrenzen soll, bleibt unter »Abwesenheit von Gewalt- und Willkürherrschaft« unbenannt. Der Antitotalitarismus gab eine Legitimationsgrundlage, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit suggerierte, wo keine stattfand, und bot damit zugleich die Möglichkeit zur Schuldabwehr. Weder die »erlebte Vergangenheit« (Maunz-Dürig, Dürig, Art. 18, 1964, Rdnr. 50) noch das gegenwärtige politische System erhalten dadurch Konkretion. Das BVerfG erwähnte im SRP-Verbot zumindest die Shoah, in dem es von der »Massenausrottung jüdischer Mitmenschen durch die Nationalsozialisten« (BVerfGE 2, 1, 65) sprach. Der Kommentar fällt dahinter zurück. Auch »drüben« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48) erhält wenig inhaltliche Ausgestaltung. »Mauer« und »Todesstreifen[...]« werden als Charakterisierung angeboten (ebd., Rdnr. 50), aber nicht weiter erläutert. Zum Parteiensystem der UdSSR bzw. der DDR findet die Leserin einen Hinweis im Punkt Oppositionsrecht: »Selbst das so­ wjetzonale ›Blocksystem‹ muß, wenn man es als wissenschaftlichen Entwurf betrachtet und politisch entgiftet, als solches keinen Widerspruch zum vom Bundesverfassungsgericht erwähnten ›Recht auf ... Opposition‹ sein« (ebd., Rdnr. 56, Auslassung i. O.). Das Parteiensystem der DDR ist damit wohl nicht Teil dessen, von dem sich die Bundesrepublik abgrenzen solle. Hier gilt der »Toleranzbereich« (ebd., Rdnr. 49). Dennoch bleibt unbenannt, wie das Parteiensystem der DDR funktioniert und wovon es »politisch entgiftet« werden müsste. Dürig möchte den fdGO-Begriff »glaubhaft und glasklar« (ebd., Rdnr. 57) halten und ihn deshalb nicht mit Bestimmungen beschweren. Er solle lediglich zu all dem Abgrenzung sein, was »wirklich totalitär indiskutabel« (ebd., Rdnr. 57) sei. »Entscheidend ist das negative Moment [...]« (ebd., Rdnr. 55, Herv. i. O.). Dazu würde allerdings eine 90 Die spätestens 1963 mit dem Frankfurter Auschwitzprozess auch in der Geschichts- und Rechtswissenschaft begonnene Debatte bleibt in diesem Kommentar gänzlich unberücksichtigt.

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

genaue Charakterisierung von »früher« und »drüben« oder »totalitär indiskutabel« gehören, die nicht mit Alltagsverstand oder Schlagworten arbeitet. Der eigentliche Argumentationsgang des Kommentars, einen konsensualen Rest zu belassen und alles andere als potentiell diskussionswürdig anzusehen, wird dadurch konterkariert. Das scheinbar klare Argument ist inhaltlich völlig unbestimmt und bietet deshalb die Möglichkeit zur weiten Anwendung. Auf dieser Basis aber soll die »politische[...] Grundrechtsbetätigung« (ebd., Rdnr. 59) einschränkbar sein. Im Gegensatz dazu enthält sich der Kommentar von Giese einer antitotalitaristischen Abgrenzung. Es gehe bei Art. 18 GG um »Bestrebungen zur Herbeiführung eines V.Umsturzes«91 – also einer Revolution – »insb. zur Erneuerung des autoritären Regimes« (Giese 1953, Art. 18, 40). Dabei geht Giese im Kommentar zu Art. 18 GG gar nicht auf die fdGO ein, sondern erläutert indirekt, dass es um die »v.mäßigen Grundlagen der BRep. und der Bländer« (ebd.) gehe. Die fdGO ist zu dieser Zeit noch kein eigenständiger Begriff. Erst 1960 nimmt Schuncks Neubearbeitung des Gieses die Formel aus dem SRP-Verbot des BVerfG auf (vgl. Giese, Schunck 1960, Art. 21, S. 56f.). Begriffe in den Artikeln erhalten bei Giese eine Nummerierung und werden dann nachfolgend hintereinander erläutert. Andere Begriffe des Art. 18 GG werden in dieser Form näher beschrieben; der fdGO-Begriff erhält bis zur Neubearbeitung durch Schunck 1960 keine Nummer und wird bis dahin folglich noch nicht als erklärungswürdiger Begriff angesehen. Dass es bei Giese um die »Erneuerung« (Giese 1953, Art. 18, 40) des autoritären Regimes geht, lässt vermuten, dass er den Nationalsozialismus meint, den er aber nicht als totalitär, sondern als autoritär kennzeichnet. Damit wird Art. 18 GG direkt auf den NS bezogen und als Reaktion auf ihn interpretiert – allerdings ohne den NS selbst zu konkretisieren. Die DDR oder die UdSSR kommen hier als Abgrenzung nicht vor. Die inhaltliche Unbestimmtheit in den Kommentaren wird durch Worte gefüllt, die nur scheinbar Klarheit schaffen. Das wird gerade durch einen politikwissenschaftlichen Blick deutlich, der nach einer Bestimmung von autoritären Regimen oder von Parteiensystemen fragt. Alle Kommentare haben diese Leerstelle gemeinsam, auch wenn der Maunz-Dürig sie am deutlichsten durch eine antitotalitaristische Argumentation überdeckt. Der Bonner Kommentar, der Hamann-Lenz und der Mangoldt-Klein fokussieren stärker auf die Abgrenzung zur Weimarer Republik und bauen ihre Konzeptionen der ›wehrhaften Demokratie‹ und der fdGO auf die Annahme der Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme 91 Die Abkürzung steht für Verfassungsumsturz.

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

(vgl. IV 2.2), als explizit eine antitotalitaristische Abgrenzung von NS und DDR vorzunehmen.

6.2.2 Vom Staat gewährte Freiheitsrechte Außer der Kommentar von Giese, der auf eine Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik am Positivismus verzichtet und schlicht den Tatbestand des Art. 18 GG als »praktisch-politische Bekämpfung der v.mäßigen Grundlagen der BRep. und der BLänder« (Giese, 1949, Art. 18, S. 22) benennt, beziehen die anderen Kommentare eine Position zur Weimarer Republik. So soll Art. 21 GG bspw. eine »formell legale Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch antidemokratische Gruppen [...] verhindern« (Hamann-Lenz, Hamann, 1961, Art. 21, S. 219). Dahinter steht die Auffassung, dass die Machtübernahme des Nationalsozialismus legal geschehen sei und die Weimarer Republik keine Mechanismen besessen habe, sich dagegen zu wehren. Art. 18 GG wiederum verwirkliche den »der WRV noch nicht bekannten verfassungspolitischen Gedanken des unbedingten Willens zu Selbsterhaltung und Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie« (Bonner Kommentar, Wernicke 1950, Art. 18, S. 2). Diese Aussage betont die angenommene Wehrlosigkeit der Weimarer Republik und setzt dieser Art. 18 GG als Teil der ›wehrhaften Demokratie‹ der Bundesrepublik entgegen. Der Maunz-Dürig wird expliziter: »Die entscheidende Schwäche der Weimarer Republik war ihre Wertneutralität. [...] Dieser ›Wertrelativismus‹, der alles und jedes hinnahm, wenn es nur Ergebnis des formalen Mehrheitsprinzips war, bedeutete die ›Demokratie als Selbstmord‹« (Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 5) (vgl. V 2.2). Darauffolgend wird die ›wehrhafte Demokratie‹ als Reaktion auf Weimar beschrieben. Die reine Formalität, die der Weimarer Republik unterstellt wird, erhält trotz der antitotalitaristischen Argumentation des Maunz-Dürig mehr Raum als die Konkretisierung der »Hitler-Diktatur« (ebd., Rdnr. 3), die ja ebenso Gegenbild zur fdGO sein soll. Der »Selbsterhaltungstrieb« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 2) der ›wehrhaften Demokratie‹ sei dabei nicht Staatsschutz, sondern schütze das Individuum in der Stellung, die ihm die fdGO gewährleiste (vgl. ebd.). Der Maunz-Dürig betont demgegenüber, dass »im Rechtsstaat die Freiheitsrechte von den Bürgern zum Kampf gegen die Freiheit als solche tausendfach mißbraucht worden waren [...], ehe mit Hitler und der Gestapo der Staat den Grundrechten ein Ende setzte« (Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 5, Herv. i. O.). Beide – Staat und Bürger*innen – stehen folglich unter dem Schutz der ›wehrhaften Demokratie‹. Der Staat wird vom Bonner Kommentar zunächst hingegen 248

JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

nur als »Garant« (Wernicke, 1951, Art. 18, S. 2) der von der fdGO gewährten Stellung des Individuums geschützt. Das Individuum erhalte durch die fdGO seine Grundrechte. Dabei stehen allerdings die politischen Grundrechte unter Vorbehalt und können verwirkt werden, da »mit deren Ausübung zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung erfahrungsgemäß zu rechnen« (ebd., S. 3) sei. Damit nähert sich der Bonner Kommentar dem Maunz-Dürig wieder an, der zu bedenken gibt, dass »Grundrechtsterror« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 5) von Staat und von Bürger*innen her drohe. Letztendlich ist es doch der Staat, der vor den Bürger*innen geschützt wird, denen er zwar Grundrechte garantieren will, aber eben nur bedingt. Beim Maunz-Dürig scheint die ›wehrhafte Demokratie‹ fast wie ein transzendentes Drittes, weder Staat noch Bürger*in, das vor dem Missbrauch der Grundrechte schütze. Neben der Abgrenzung vom Positivismus der Weimarer Republik geht es in den Kommentaren auch um eine Fortführung der antipositivistischen Abgrenzung, die schon im Weimarer Methodenstreit stattgefunden hat (vgl. IV 1.2). Demokratie und Rechtsstaat werden in dieser Tradition nicht zusammen gedacht, sondern getrennt und gegeneinander in Stellung gebracht (vgl. IV 4). Dazu werden die vom GG versicherten Grundrechte als demokratische Errungenschaft, ihr Schutz vor Missbrauch und ihre daraus folgende potentielle Abschaffung als Verdienst des Rechtsstaats dargestellt. Die Grundrechte sind zwar durch die fdGO gewährleistet, doch etwas Gewährleistetes kann zurückgenommen werden. »Es handelt sich hierbei, richtig verstanden, nicht um Durchbrechungen der der Demokratie zwangsläufig innewohnenden Toleranz, sondern um notwendige Folgerungen des Rechtsstaatsprinzips« (Hamann-Lenz, Hamann, 1956, Art. 18, S. 166). Die Nutzung politischer Grundrechte könne eine »unzulässige Rechtsausübung«, ein »Handeln ohne Recht« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 522) sein. Liberale Freiheitsrechte und politisch-prozessuale Rechte sind in dieser Argumentation getrennt. Politische Rechte können ›missbraucht‹ werden. Wenn auch nicht ein ›richtiger‹ Gebrauch vorgegeben ist, so ist doch potentiell ein ›falscher‹ Gebrauch möglich. In der deutschen Staatsrechtslehre hat die Trennung von politisch-prozessualen und Freiheitsrechten sowie die Begrenzung von Demokratie durch eine materiale Rechtsstaatskonzeption Tradition (vgl. IV 5). Im Methodenstreit der Weimarer Republik (vgl. IV 1.2) zwischen Antipositivismus und Positivismus waren die Grundrechte im zweiten Teil der WRV eine Verfassungsentscheidung, die gegen den formalen und prozessualen ersten Teil und gegen die Legislative von antipositivistischer Seite als Substanz ins Feld geführt wurde. Dieses antipositivistische Argument ist in den Kommentaren zu Art. 18 GG implizit weitergeführt – zwar nicht mit der Auffassung von Grundrechten als Naturrecht wie in den 249

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Weimarer Debatten92, doch als Zugeständnis des demokratischen Staates an die Bürger*innen und unter rechtsstaatlichem Vorbehalt. Die Freiheitsrechte sind angeführt, um den politischen Rechten Einhalt zu gebieten, wenn sie »aus[ge]nutzt« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1953, Art. 18, S. 3) werden. Der Verweis auf die Grundrechte funktioniert als befriedendes und legitimierendes Zugeständnis an das Individuum, das sich bei der Ausübung dieser Freiheit nur bis zur »Grenze des Zulässigen« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 4f.) bewegen solle, schließlich gehe es gleichzeitig um den Schutz seiner anderen Grundrechte. Damit schlagen die Kommentare eine Brücke vom abgelehnten Weimarer Positivismus, der vermeintlich formal legalen Machtübernahme des Nationalsozialismus hin zum Gegeneinander der Grundrechte und der ›wehrhaften Demokratie‹. Diese Positionierung der Kommentare sowie ihre Geschichtsdeutung haben Konsequenzen für politisches Handeln.

6.3 Der juristische Blick auf politisches Handeln Die Kommentatoren versuchen festzulegen, wann politisch-prozessuale Grundrechte legitim angewandt und wann sie missbraucht werden, um die fdGO zu gefährden. Diese Grenzziehung erfordert Aussagen über Mittel und Zwecke politischen Handelns und eine Bewertung seiner Legitimität. Gleichzeitig lässt dies Rückschlüsse darauf zu, was der Staat und was politisches Handeln im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ bedeuten. Was heißt es für das politische Handeln der Bürger*innen, wenn Rechtsstaat und Demokratie, politisch-prozessuale Rechte und Freiheitsrechte nur bedingt zusammengehen oder gar entgegengesetzt sind? Wird politisches Handeln überhaupt erst relevant (überhaupt 92 Beispielhaft ist die dritte Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer von 1926. Kaufmann zeigt sich dort erfreut darüber, »daß der Positivismus der Rechtswissenschaft so wet [sic] als erledigt« (Kaufmann 1927, 3) angesehen werden könne, dass nun wieder möglich sei, über die Gleichheit vor dem Gesetz zu sprechen. Denn diese sei der bindende Maßstab für die Legislative, die nur dann »Recht« schaffe, wenn ihre »Gesetze« nicht »oberste Rechtsprinzipien« verletzen (ebd. 5f.). Auf die Anwendung der Gesetze bezogen sei dies schließlich eine »Trivialität« (ebd. 6). Gleichheit wird damit gegen die demokratische Legislative, nicht die Exekutivgewalt in Stellung gebracht. Doch der politische Kampf gegen eine unbeschränkte Exekutive des absolutistischen Staates war mitnichten trivial (vgl. II 3). Kelsen erwiderte auf das Referat Kaufmanns, dass die Hinwendung zum Naturrecht eine Abwertung des positiven Gesetzgebers – sprich der Legislative – sei (vgl. Kelsen, VVDStRL 3 1927, 54).

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

erst politisch?), wenn es den aktuellen Zustand herausfordert, zur Veränderung zwingt – wenn es den Staat bedroht? Durch die juristische Tatbestandsdefinition, die eine Zweckrichtung des Handelns erfordert, ist politisches Handeln ohne Kampf gegen den Staat ohne Ziel. »Vorausgesetzt wird ein Kampf des Grundrechtsmißbrauchers gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 531). Es geht hier um die Zurechnungsfähigkeit eines handelnden Individuums, das wissentlich und gezielt gegen die fdGO agiere. Dabei argumentiert lediglich der Mangoldt-Klein gegen eine solche Anlehnung an das Strafrecht (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 531). Alle anderen Kommentare bestätigen diese strafrechtliche Parallele. Der Missbrauch von Grundrechten sei ein »unzulässiger« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 4) Gebrauch, wobei die Unzulässigkeit durch das vom »Verfassungsgeber mißbilligte[...] Kampfziel« (ebd., S. 4) bestimmt sei. Die Kommentare unterstellen ein Wissen und Wollen der Individuen, verlangen ein vorsätzliches Handeln (Hamann-Lenz, Hamann, 1961, Art. 18, S. 191). Der Mangoldt-Klein betont, dass die Grundrechtsverwirkung hingegen »keine Strafe, sondern Verfassungsschutzmaßnahme« sei (von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 531), allerdings ohne anzugeben, was den Unterschied ausmache. Was bedeutet ein vorsätzliches Handeln gegen die fdGO? Wann werden politische Kämpfe zu Bedrohungen oder Beeinträchtigungen der fdGO? Eine Bewegung, die mit einer »aktiv kämpferische[n], aggressive[n] Haltung« (BVerfGE 5, 85, 85) eine mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht zu vereinbare Veränderung des Grundgesetzes anstrebe, könne dies nur durch eine Revolution erreichen (Maunz-Dürig, Dürig, 1960, Art. 21, Rdnr. 115). Dann sei auch die fdGO der Bundesrepublik bedroht. Revolutionen sind aber schon per definitionem illegal (vgl. V 2.3.2), da sie das bestehende Rechtssystem abschaffen und an seine Stelle ein neues setzen. Um das festzustellen, braucht es keine ›wehrhafte Demokratie‹. »Erlaubt sind dagegen Bestrebungen, die zwar mit Art. 79 III unvereinbar sind, sich aber mit dem bloßen Protestieren begnügen [...]« (Maunz-Dürig, Dürig, 1960, Art. 21, Rdnr. 115). Bestrebungen zur Änderung des bestehenden Zustands seien nicht auf dem Boden der fdGO. Politisches Handeln könne »rechtswidriges Handeln« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 523) sein. Protest und Kritik können geäußert werden. Grundsätzlich müsse dies aber »aus sachlichen Gründen« passieren und mit dem Ziel, die bestehende Ordnung »zu bessern« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1953, Art. 18, S. 115), nicht sie abzuschaffen oder ihre Grundlagen in Frage zu stellen. Ähnlich argumentierte auch das BVerfG beim Verbot der KPD (vgl. BVerfGE 5, 85, 199). Zur Veranschaulichung gibt von Mangoldt (Mangoldt-Klein, 1957, Art. 18, S. 532) ein Beispiel: 251

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

In der Form gutwilliger Ironisierung gewisser Schwächen oder (und) Fehler der freiheitlichen demokratischen Grundordnung [...] ist sie [die Satire, Anm. d. Verf.] allerdings schon begrifflich niemals »Kampf«, weil ihr die Zweckrichtung fehlt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Satire solcher Art ist entweder staatspolitisch zweckneutral und nur der humorvollen Glossierung wegen vorhanden, oder sie will Schwächen oder (und) Fehler ohne irgendeinen Zweck aufdecken oder aber sogar zu einer Besserung anregen und beitragen. Anders dagegen steht es mit der Satire, die darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben. Beschränkt sich etwa ein Kabarett oder eine Druckschrift darauf, ausschließlich oder doch zumindest überwiegend Schwächen oder (und) Fehler dieser Ordnung zu glossieren und ironisieren, ohne z. B. auch mit diktatorischen oder ähnlichen Erscheinungen entsprechend zu verfahren, dann dürften darin in der Regel schon Anzeichen für einen Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu sehen sein.

Zu den politischen Rechten im demokratischen System der Bundesrepublik gehört es damit, sich auch in einem gewissen Rahmen über die fdGO lustig machen zu dürfen. Es dürfen Verbesserungen der Ordnung angestrebt werden. Allerdings müsse das auch auf andere Ordnungen angewandt werden. Nur die fdGO der Bundesrepublik zu kritisieren, weckt bei von Mangoldt schon den Verdacht, diese beseitigen zu wollen. Die vom BVerfG verlangte »aktiv kämpferische, aggressive Haltung« (BVerfGE 5, 85, 85) ist hier noch nicht nötig, um »Anzeichen« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 532) für die Bedrohung der fdGO zu liefern. Giese geht nicht so weit, sondern spricht von der »v-widrigen politisch-praktischen Bekämpfung der v.mäßigen Grundlagen« (Giese, 1953, Art. 18, 40), gibt allerdings nicht an, wann politisch-praktische Betätigung zu einer tatsächlichen Bekämpfung der fdGO wird. Um es plastischer zu machen: Wann wird einer Person, die für bezahlbaren Wohnraum und gegen Verdrängung einkommensschwacher Mieter*innen kämpft, die Absicht zur Bedrohung der fdGO unterstellt? Diese Auslassung gegenüber dem eigentlichen Inhalt politischen Handelns hat Vorteile. Die juristische Neutralität gegenüber den politischen Zielen steht in liberal-demokratischer Theorietradition. Offenheit und Unbestimmtheit sind politische Freiheit. Der bürgerlich-liberale Staat bestimmt nicht explizit, welche politischen Ziele legitim sind und welche nicht. In Verbindung mit dem Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ steht diese politische Freiheit aber unter Vorbehalt. Die Neutralität oder Indifferenz gegenüber politischem Handeln wird zur Folie, mittels derer politisches Handeln als bedrohlich, mindestens illoyal oder illegitim gekennzeichnet werden kann. Gegenüber dem eigentlichen Inhalt neutral, wird eine Zustimmung zur bestehenden Ordnung oder eine 252

JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

Nichtschmähung dieser verlangt. Es geht um die Wertschätzung der Ordnung, die das politische Handeln gewährt, um die Kritik an der Ordnung »aus sachlichen Gründen« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1953, Art. 18, S. 115) oder um deren Verbesserung. Es geht nicht um eigenständige Ziele, denn diese seien »staatspolitisch zweckneutral« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 532), vielleicht auch ein bisschen irrelevant, wenn sie die Ordnung als solche nicht betreffen. Diese Unbestimmtheit der Inhalte und der »Grenzen des Zulässigen« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1951, Art. 18, S. 5) ermöglicht aber nicht nur inhaltliche Neutralität, sondern auch Handlungsspielraum für exekutive Maßnahmen. Wenn es notwendig erscheint, kann politische Betätigung eingeschränkt werden. Die Bestimmung dieser Notwendigkeit liegt bei den exekutiven Institutionen. Das konterkariert die Liberalität und Neutralität gegenüber politischen Inhalten bzw. macht sie für staatliche Behörden nutzbar. Die Unbestimmtheit ist funktional. Für die Setzung der Wehrhaftigkeit werden in den GG-Kommentaren Demokratie und Rechtsstaat theoretisch getrennt. In dieser Auffassung können und sollen die Bürger*innen aktiv sein, sich beteiligen, aber nicht auf Kosten der politischen Ordnung selbst. Den formalen Regeln und Rechten werden substanzhafte, aber unbestimmte Grenzen gesetzt. In dieser Logik bilden die Bürger*innen die Ordnung nicht durch ihr Handeln, sondern sie existiert unabhängig von ihnen. »Die vom demokratischen Prozeß abgelöste autoritative Schlichtung gesellschaftlicher Konflikte ist die eigentliche Konsequenz der Trennung von Rechtsstaat und Demokratie« (Maus 1986, 46). Die Grenze ist dort gezogen, wo die Formalität des Rechtsstaats auch eine politische und soziale Demokratisierung zur Folge hätte, die gesellschaftliche Herrschaft bedrohen könnte. Die gesellschaftliche Ordnung und ihr Status quo sind gesetzt, die darin bestehenden Widersprüche sowie ihre Auflösung sind nicht dem demokratischen Prozess überlassen, sondern staatlich eingehegt. Das spiegelt sich auch in den Konsequenzen der Grundrechtsverwirkung wieder. Mit der ›wehrhaften Demokratie‹ können genau die Grundrechte eingeschränkt werden, die »erfahrungsgemäß« (Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, S. 520) missbraucht werden – also politische Rechte, die für einen demokratischen Willensbildungsprozess nötig, aber eben auch geeignet sind, die gesellschaftlichen Widersprüche anzugehen. Erst wenn politische Grundrechte als Zugeständnis des Staates an das Individuum gesehen werden, ist ein Missbrauch theoretisch überhaupt möglich. Denn dann ist vorgegeben, wie sie angewendet werden und wann sie missbraucht werden können – auch wenn das unkonkret bleibt. Und selbstverständlich können nur politische Grundrechte ›missbraucht‹ werden, da sie politisches Handeln erst ermöglichen. Die Kommentare sprechen von der »Entpolitisierung nicht Entbürgerlichung« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 59); es blieben nach Abzug 253

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

der politischen Dimension noch »genügend Ausweichmöglichkeiten zur Verwirklichung dessen, was Würde und Wert des Menschen« (ebd.) ausmache. Grundrechtsverwirkung bedeute nicht, dass das Grundrecht komplett entzogen würde, sondern nur, dass die einzelne Person seine Ausübung zu unterlassen habe (vgl. Hamann-Lenz, Hamann, 1961, Art. 18, 191). Das Grundrecht sei nicht mehr einklagbar, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gelte hingegen weiter (vgl. Hamann-Lenz, Hamann, 1956, Art. 18, 191; Mangoldt-Klein, von Mangoldt, 1957, Art. 18, 527). Die politischen Grundrechte blieben zwar bestehen, doch Behörden seien in ihrem Handeln nicht mehr daran gebunden. Die Betroffenen können sich nicht mehr auf diese berufen (vgl. Giese 1949, Art. 18, 40). Ihnen bleiben die Grundrechte also erhalten; sie sind aber nicht mehr gegenüber exekutiven Behörden einklagbar. So werden der Person zwar nicht die politischen Grundrechte aberkannt. Was sie ihr aber noch nutzen, wenn der Staat in Vertretung der Exekutive gegen sie vorgeht, bleibt fraglich. Politisches Handeln ist dann nicht mehr – oder nur noch mit drohender Repression – möglich. Handelnde müssen sich darauf einstellen. Politisches Handeln ist für die ›wehrhafte Demokratie‹ also ambivalent, es kann die bestehende Ordnung bestätigen oder aus den Angeln heben. In der bundesrepublikanischen Demokratie ist politisches Handeln der Staatsbürger*innen zwar Bestandteil der Ordnung, aber nur insofern es die Ordnung, also den Staat in seiner bestehenden Form, nicht selbst in Frage stellt, sondern stärkt. Es kann ebenso völlig marginal sein. Ob es zur Bedrohung wird oder nicht, bestimmen die Exekutivbehörden.

6.4 Ausblick auf aktuelle Grundgesetzkommentare Im Folgenden werfe ich einen Blick auf neuere Kommentarliteratur. Leitend ist hierfür die Frage, ob sich die Begriffsbestimmungen geändert haben oder gleich geblieben sind. In der Analyse beschränke ich mich weiterhin auf die Art. 18 und 21 Abs. 2 GG.

6.4.1 Kernsubstanz Vor allem die großen Kommentare, der Maunz-Dürig, der Mangoldt-Klein und der Bonner Kommentar, führen an, dass unbeschränkte Freiheit entweder sich selbst zerstöre oder missbraucht werde, um sie zu zerstören. Die mittleren und kleinen Kommentare beschränken sich eher auf die Rechtsprechung und kurze Ausführungen, machen weniger philosophische Grundannahmen. Die großen Kommentare können hingegen weiter ausholen und weichen damit von den juristischen 254

JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

Argumentationen ab, um philosophische Aussagen über die »Freiheit als solche« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 12) und die Menschen, die von dieser Freiheit Gebrauch machen, zu treffen. Es handelt sich aber um einen inneren Widerspruch der Freiheit selbst, die, wenn sie vollkommen und unbegrenzt ist, sich selbst aufhebt. In einer menschlichen Gesellschaft könnte nur dann vollkommene Freiheit bestehen, wenn die Bedingungen für ihre Ausübung für alle gleich und die Ausübung selbst bei allen vollkommen uneigennützig wäre. Da das in wirklichen Gesellschaften ohne Zwang niemals der Fall ist, muß die Freiheit, wenn sie wirklich bestehen soll, in ihr [sic] eingeschränkt und ihre Offenheit begrenzt werden [...]. (Bonner Kommentar, Henke, 1991, Art. 21, S. 306)

Die Kommentare postulieren eine scheinbar naturgegebene gesellschaftliche Realität und halten sie der Freiheit entgegen. Freiheit wird als abstrakte Größe gesetzt. Ihr wird die Eigenschaft zugeschrieben, dass sie als unbegrenzte zu ihrer eigenen Abschaffung beitrage oder gar dafür selbst ursächlich sei. Für politisches Handeln gilt Freiheit nur dann, wenn es die Legitimität staatlicher Herrschaft selbst nicht antastet (vgl. II 6). Es darf die prinzipielle Ordnung nicht in Frage stellen. So muss in dieser Logik Freiheit und politisches Handeln rechtlich eingehegt werden. Die Grenze kann nicht klar gezogen werden, sondern benötigt Flexibilität, die sie an jeweils aktuelle Ereignisse anpassbar hält. Damit ist die fdGO zwar mit Grundprinzipien des bürgerlichen Staates definiert. Ihre jeweilige inhaltliche Füllung ist aber von den Rechtsbereichen, in denen sie Anwendung findet, und von der jeweils als bedrohlich angesehenen politischen Bewegung, abhängig (vgl. VI). Die Definition der fdGO selbst ändert sich nicht – es bleibt bei der 1952 vom BVerfG definierten Formel, auch wenn das BVerfG 2017 leichte Akzentverschiebungen vornimmt (vgl. V 5.4). Zwar gibt es Diskussionen in der Rechtswissenschaft, ob das Sozialstaats- oder Bundesstaatsprinzip zur fdGO gehören oder auch ob Art. 79 Abs. 3 GG kongruent mit der fdGO sei (vgl. Mangoldt-Klein, Brenner, 2010, Art. 18, Rdnr. 29), aber ihr Mechanismus, flexible Grenze für politisches Handeln und exekutive Legitimationsbasis zu sein, ändert sich nicht durch ihre Definition, sondern durch ihre Anwendung. Wo und wie die fdGO eingesetzt wird, wann und in welchen Rechtsbereichen sie Grenze wird, ist ihr eigentlicher Inhalt. Die Abstraktheit des in den Kommentaren angeführten Freiheitsbegriffs korrespondiert dabei mit der Flexibilität der fdGO. Zwar ist die fdGO-Definition des BVerfG mittlerweile in jedem Kommentar zitiert – nun auch in der Neubearbeitung des Bonner Kommentars durch Silja Vöneky (vgl. 2016, Art. 18, Rdnr. 46), der ersten Kommentatorin in dem 255

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

hier untersuchten Quellenfundus – doch ohne gesellschaftliche Rückkopplung oder Verständnis bürgerlicher Staatlichkeit. Oft erscheint die fdGO gar als Entscheidung des personifizierten Grundgesetzes selbst. Sie »ergibt sich aus den grundlegenden Wertentscheidungen des GG« (Hesselberger, 2003, Art. 18, S. 174). Der Begriff sei kein »prozeduraler«, sondern ein »wertgeladener« (Bonner Kommentar, Vöneky, 2016, Art. 18, Rdnr. 46). Kritiken an der verfassungsgerichtlichen fdGO-Formel werden zurückgewiesen. Denn man solle bedenken, »daß der Inhalt des Begriffs [...] vielleicht gar nicht theoretisch festgestellt werden kann, sondern nur von Fall zu Fall [...] entwickelt werden kann« (Mangoldt-Klein, Streinz, 2000, Art. 21, Rdnr. 226). Damit wird eine gewisse Freiheit je nach Situation verteidigt. Und obwohl die fdGO nicht als theoretisch fassbar gilt, wird sie doch zur »objektiven freiheitlichen demokratischen Grundordnung« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 16), die »angesichts des horrenden historischen und aktuellen Anschauungsmaterials« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein 2010, Art. 18, Rdnr. 59) mittels des »Subtraktionswege[s]« (ebd., Rdnr. 58) immer noch »glaubhaft und glasklar« (ebd., Rdnr. 68) das »Gegenteil des totalen Staates« (Leibholz-Rinck, Leibholz/Rinck/Burckhardt, 2014, Einführung, Rdnr. 2) sei. Sie beschreibe »Strukturprinzipien« (Jarass-Pieroth, Pieroth, 2014, Art. 21, Rdnr. 33) oder »Kernelemente« (Bonner Kommentar, Vöneky, 2016, Art. 18, Rdnr. 46), sei »Kernsubstanz« (Mangoldt-Klein, Streinz, 2000, Art. 21, Rdnr. 224) und »Klammerbegriff« (Münch-Kunig, Kunig, 2012, Art. 21, Rdnr. 81) einer »Verfassung der Freiheit« (Mangoldt-Klein, Brenner, 2010, Art. 18, Rdnr. 29) – einer Freiheit wohlgemerkt, die, »um ihrer Gemeinverträglichkeit willen, rechtlicher Hegung« (Maunz-Dürig, Klein, 2012, Art. 21, Rdnr. 486, Herv. i. O.) bedürfe.

6.4.2 Gefährliche Verheißungen der Freiheit Die begrifflich abstrakte Darstellung von Freiheit und die postulierte Notwendigkeit ihrer Einhegung sind untrennbar mit der Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik verbunden. Konkrete Umstände der nationalsozialistischen Machtübernahme kommen dabei, wie schon in den 1950er Jahren, nicht zur Sprache. Vielmehr wird diese Erzählung noch selbstverständlicher in den Diskurs über die ›wehrhafte Demokratie‹ eingebunden. Aus der ›historischen Lehre‹ ist verallgemeinertes Wissen geworden. Es seien die »erfahrene Macht« (Maunz-Dürig, Dürig/ Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 18) oder die »verfassungsrechtlichen Ausfallerscheinungen« (Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, 2011, Art. 18, Rdnr. 1), die die »Aushöhlung des Rechtsstaates« (ebd.) bewirkt haben sollen. 256

JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

Als Ursache gilt immer noch die zu liberale Weimarer Republik, deren »historische[r] Anschauungsunterricht [...] wohl kaum Zweifel« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 15) lasse. Vor allem die großen Kommentare holen historisch aus: Sie kon­ statieren einen mangelnden Glauben der Weimarer Demokratie an sich selbst und sehen in ihrer »Wertneutralität« (ebd., Rdnr. 7) den Grund für ihr Scheitern. Sie gehen von nicht »hinreichenden Sicherungsmechanismen« (Mangoldt-Klein, Brenner, 2010, Art. 18, Rdnr. 2) aus, die es »Verfassungsfeinden« (ebd.) ermöglicht haben sollen, die Republik zu bekämpfen. Der Weimarer Verfassung sei der »verfassungspolitische[...] Gedanke[...] des unbedingten Willens zur Selbsterhaltung« (Bonner Kommentar, Wernicke, 1993, Art. 18, S. 2b) noch nicht bekannt gewesen. Die Erkenntnisse neuerer rechtswissenschaftlicher Forschungen gehen dabei zwar in den Fußnotenapparat ein (vgl. Mangoldt-Klein, Brenner, 2010, Art. 18, Rdnr. 2, Fn. 6; Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 7, Fn. 1), haben aber keine Änderungen der Erzählung zur Folge. Die ›wehrhafte Demokratie‹ wird zum »Wesenszug« (Leibholz-Rinck, Hesselberger, 1990, Art. 18, Rdnr. 3) des Grundgesetzes, die »Selbstverteidigung« vor dem »Angreifer« (Jarass-Pieroth, Jarass, 2014, Art. 18, Rdnr. 1) der fdGO zur Selbstverständlichkeit, ebenso wie überhaupt die Möglichkeit eines Missbrauchs politischer Freiheitsrechte (vgl. Hesselberger, 2003, Art. 18, S. 174). Staatliche Gewährung politischer Rechte und ihr Entzug bei potentieller Bedrohung sind nicht mehr in Frage gestellte Gegebenheiten des politischen Systems; sie sind verallgemeinertes gesellschaftliches Wissen, das keiner Begründung oder Belege mehr bedarf. Distanzierungen von dieser Erzählung erscheinen in den Kommentaren nur mittelbar. So zum Beispiel im Mangoldt-Klein zu Art. 18 GG, wenn die Einschätzungen des Parlamentarischen Rates zur Wehrhaftigkeit der Weimarer Republik lediglich im Konjunktiv nacherzählt, aber keine eigenen Aussagen des Kommentators getroffen werden (vgl. Mangoldt-Klein, Brenner, 2010, Art. 18, Rdnr. 2–3).93 Krebs (Art. 18, 2012, Rdnr. 3) schreibt im Kommentar von Münch, dass das BVerfG Art. 18 GG zur Herleitung einer »Grundentscheidung für die ›streitbare Demokratie‹« nutze, bezieht aber selbst nicht Position zu dieser Aussage des Gerichts. Das Zitat vermittelt eher Skepsis als Bestätigung der verfassungsgerichtlichen Setzung. Den Kommentaren geht es um den Schutz der Freiheit und sie warnen vor dem trügerischen Schein des Strebens nach unbegrenzter Freiheit durch Parteien oder Organisationen.

93 Michael Brenner (vgl. 1999) hat an anderer Stelle über diese Fehleinschätzung publiziert, kommentiert hier aber Art. 18 GG.

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Sie gaukeln den Menschen vor, ihre – unter den Bedingungen des Zusammenlebens in einer staatlichen Gemeinschaft unvermeidlich – »unvollkommene wirkliche Freiheit« gegen eine von ihnen verheißene vollkommene Freiheit, einen gleichsam paradiesischen Zustand, eintauschen zu können, die sich in der Realität allerdings stets als Verlust jeglicher Freiheit darstellt. (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2001, Art. 21, Rdnr. 490)

Daran lässt sich erkennen, dass es in den Kommentaren nicht primär um den Nationalsozialismus geht – auch wenn das GG als »Gegenentwurf zur totalitären Gewaltherrschaft der NS-Diktatur« (Bonner Kommentar, Vöneky, 2016, Art. 18, Rdnr. 13) bezeichnet wird. Dem Nationalsozialismus kann keinesfalls ein Streben nach unbegrenzter Freiheit für alle Menschen unterstellt werden. Hierin – also in diesem, eventuell auch nur vorgetäuschten, Streben – sehen die Kommentare aber die Gefahr für die bundesrepublikanische Ordnung. »Gewaltherrschaft« ist kein Begriff, der historisch oder politikwissenschaftlich den Nationalsozialismus fassen kann (vgl. V 6.2). Die Abgrenzungsfolie für die BRD war die DDR, mit ihrer eigenen Rechtfertigung der Befreiung des Menschen. Dies sei aber angesichts des »Erstarkens einer stalinistischen oder kommunistischen Diktatur nicht völlig fernliegend« (ebd., Rdnr. 14) gewesen. Die BRD legitimiert sich über den Schutz der Freiheit durch ihre Einhegung und durch die Abgrenzung zum ›totalitären‹ System, das selbst unbestimmt bleibt. Die totalitarismustheoretische Gleichsetzung von NS und DDR/UdSSR macht es zudem möglich, das bestehende politische System zu legitimieren. Die doppelte Erfahrung von »früher« und »drüben« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48)94 ist nicht nur eine ungenaue Ablehnung beider politischer Systeme, sondern zugleich eine Bestätigung der bestehenden eigenen Ordnung. Das bestehende politische System der Bundesrepu­blik ist grundsätzlich ›gut‹, Skandale sind Ausnahmen oder Teil einer Pannenserie, nicht systemisch bedingt. Das war auch schon die Ansicht des BVerfG in seinen Ausführungen zum konservierenden Widerstandsrecht im KPD-Verbot (vgl. BVerfGE 5, 85, 378f.). Die Verknüpfung von postulierter Notwendigkeit der Freiheitsbegrenzung95 und dem hinzugezogenen historischen Beispiel der Weimarer 94 Später lautete die Formulierung: »[...] was wir aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrung mit totalitären Unrechtsregimen als politische Ordnung unbedingt nicht wollen« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 1997, Art. 18, Rdnr. 58). 95 Zu Positionen, die ein Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit behaupten oder warnen, dass Demokratie sich selbst ad absurdum führe, wenn Freiheit eingeschränkt werde, bezieht Klein im Maunz-Dürig Stellung. Es liege »in der Konsequenz demokratischer Verfassungsstaatlichkeit«, die Verfolgung »verfassungsfeindliche[r] Ziele« »nach Kräften zu verhindern« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2001, Art. 21, Rdnr. 489). Lediglich »Maß und Art« (ebd.)

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

Wertneutralität ermöglicht eine Verallgemeinerung des Prinzips der ›wehrhaften Demokratie‹. Die Erzählung vom Scheitern der Weimarer Republik ist dabei Beweis für die Notwendigkeit der Wehrhaftigkeit. Sie verblasst zwar gegenüber bspw. der Darstellung des BVerfG von 1952 (vgl. V 5.2), hat aber durch abstrakt geltende Aussagen Eingang in die Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ gefunden und kann verallgemeinert – in antitotalitaristischer Tradition – für verschiedene politische Phänomene und Bewegungen angewendet werden. Die Abgrenzung vom Nationalsozialismus, sei sie auch noch so unkonkret und verharmlosend, legitimiert diese Konzeption. Das hat Konsequenzen für das Verständnis von Demokratie und politischem Handeln. Auf dieser verallgemeinerten Grundlage wird eine Erweiterung der exekutiven Befugnisse – Definitionsmacht und Repressionsmechanismen – möglich. Die vermeintlich legale Machtübernahme des Nationalsozialismus dient als Legitimation für Beobachtung und Repression von politischem Handeln, gleich ob es in (straf-)rechtlichen Kategorien illegal oder legal ist.

6.4.3 Einschätzungsprärogative der Exekutive Die Kommentarliteratur betont zwar die »ausschließliche Zuständigkeit des BVerfG« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 121) und die »[k]onstitutive Bedeutung« (Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, 2014, Art. 18, Rdnr. 13) der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen über Verfassungswidrigkeit oder -mäßigkeit, womit die »Exekutive [...] entmachtet« seien zu beachten. Es gebe keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Freiheit und Sicherheit (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 13). Diese Deutung wurde schon 1984 in der Monographie »Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland« angeführt, die ich hier lediglich ergänzend zur Kommentarliteratur hinzuziehe. »Freiheit in der Gemeinschaft« könne nicht »grenzenlos« sein, da mit ihrer »Entartung« »nach aller geschichtlichen Erfahrung« gerechnet werden müsse (Stern 1984, 196). Die anderen Kommentare bezeichnen ›wehrhafte Demokratie‹ immer noch als »Grenzproblem[...] jeder freiheitlichen Staatsordnung« (Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, 2011, Art. 18, Rdnr. 3). War diese Argumentation schon in den 1980er Jahren auffällig, so zeigt die heutige Betonung der Normalität des Selbstverteidigungsgedankens, dass immer noch Skepsis besteht. Denn einige Kommentare stellen die »Grundentscheidung« (Münch-Kunig, Krebs, 2012, Art. 18, Rdnr. 3) des GG für eine ›wehrhafte Demokratie‹ und die Verlagerung zur Freiheitsbegrenzung in Frage. Gerade methodisch wird Kritik geübt und »Zurückhaltung« (ebd.) angemahnt, Missbrauch und Verwirkung muten als rechtstechnische Begriffe an, erschweren aber das Verständnis, weil der Norminhalt generell unklar sei (ebd., Rdnr. 26).

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PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

(Hesselberger, 2003, Art. 21, S. 204) sei. Doch ist die Differenzierung zwischen ›Verfassungsfeindlichkeit‹96 und Verfassungswidrigkeit in die herrschende Lehre eingegangen. ›Verfassungsfeindlichkeit‹ ist ein dehnbarer Begriff für die Exekutive, die mit ihm schon vor verfassungsgerichtlichen Entscheidungen operieren kann. Diese begriffliche Unterscheidung ist ein Ergebnis der Auseinandersetzungen um den »Radikalenerlass« in den 1970er Jahren (vgl. VI 1.4). Mit ihr ist die Entscheidungskompetenz des BVerfG unterlaufen und an die exekutiven Institutionen vorverlagert worden. Zwar entscheidet nur das BVerfG, wer verfassungswidrig handle oder welche Partei verfassungswidrig sei, doch die Einstufung der ›Verfassungsfeindlichkeit‹ vor einem Verbot bleibt den Verfassungsschutzbehörden überlassen.97 Mit dem NPD-Urteil 2017 hat das BVerfG die Spielräume für exekutive Maßnahmen unterhalb eines Parteiverbots noch erweitert (vgl. V 5.4.3). Die Deutung des Weimarer Scheiterns ermöglicht, alle legalen politischen Tätigkeiten als potentiell illegitim, da Freiheit missbrauchend bzw. ›verfassungsfeindlich‹, zu bezeichnen. Die Unbestimmtheit der fdGO – sie sei ohnehin nicht theoretisch zu fassen und nur von »Fall zu Fall« (Mangoldt-Klein, Streinz, 2000, Art. 21, Rdnr. 226) inhaltlich zu füllen – eröffnet den Raum, potentiell alles als ›verfassungsfeindlich‹ zu benennen. Dabei wird nicht mehr die höchstrichterliche Bestätigung der Verfassungswidrigkeit benötigt. Mit der Feststellung der ›Verfassungsfeindlichkeit‹ einer Partei sei deren Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden legitim, d.h. »verfassungsrechtlich unbedenklich und von der politischen Verantwortung der Regierung gefordert« (Leibholz-Rinck, Burghart, 2012, Art. 21, Rdnr. 333). Nur weil die Verfassungswidrigkeit vom BVerfG noch nicht festgestellt worden sei, sei dies kein Hindernis für ein politisches Bekämpfen der Partei, der man ›verfassungsfeindliche‹ Ziele unterstelle (vgl. ebd.). Der insgesamt etwas skeptischere Kommentar Münch-Kunig argumentiert zurückhaltender, bejaht aber die Entscheidungsbefugnis und »Einschätzungsprärogative« (Kunig, 2012, Art. 21, Rdnr. 86) der Exekutive. Der Münch-Kunig zeigt sich auch in Bezug auf Art. 18 GG vorsichtig. »Missbrauch« sei eher ein »rechtstechnisch anmutende[r]« (Krebs, 2012, Art. 18, Rdnr. 26), also nur scheinbar ein klarer Begriff, der inhaltlich mehr Fragen als Antworten aufwerfe. In den anderen Kommentaren ist die Möglichkeit des Missbrauchs politischer Freiheit eine 96 Rigoll (vgl. 2013, 108) meint, dass der Begriff ›Verfassungsfeindlichkeit‹ auf Ulrich Scheuner (vgl. Fn. 44, Kap. IV) zurückgeht. Eventuell bezieht er sich auf Scheuners (vgl. 1950, 316) Darstellung des zum Schutz der Verfassung von 1950. 97 An dieser Stelle wird in den 1970er Jahren der Begriff ›Extremismus‹ funktional in den politischen Diskurs eingebunden (vgl. VI 1).

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JURISTISCHE KOMMENTARE ZUM GRUNDGESETZ

Selbstverständlichkeit. Dazu gehört, dass der Staat zunächst den Gebrauch dieser Freiheit gewährt und ihn dann wiederum verwehren kann. In der Konzeption der ›wehrhaften Demokratie‹ ist das politische Handeln der Bürger*innen für die bestehende Ordnung zwar wünschenswert, allerdings können sie sie auch bedrohen. Es gelte »die Verfassung vor dem Bürger und den Bürger gleichsam ›vor sich selbst‹« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 11) zu schützen. Hier erscheint der Staat als schützenswertes Gut, das von den Bürger*innen bedroht wird, zugleich schütze sozusagen »Vater Staat« die Bürger*innen vor ihrem eigenen Handeln. Der Nationalsozialismus und das Weimarer Scheitern sind hier die historischen Beispiele – »Anschauungsunterricht« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 1997, Art. 18, Rdnr. 15) – zur Rechtfertigung der Einschränkung politischer Freiheit – auch gegen Kritiker*innen des Konzepts der ›wehrhaften Demokratie‹: »Wo auch immer die an sich berechtigte Grundrechtsabwehr gegen erlebte Methoden des Hitler-Staates diskutiert wird: was der Bürger in Weimar im Zeichen eben dieser Grundrechte mit dem Staat machte, wird kaum erwähnt« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 6, Herv. i. O.). Das eigentliche ›Privileg‹ lediglich vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig betitelt und damit verboten werden zu können, ist aufgeweicht worden und allgemein akzeptiert. Nach »allgemeinem Urteil« (Schmidt-Bleibtreu, Sannwald, 2008, Art. 21, Rdnr. 121) können Parteien als ›verfassungsfeindlich‹ gelten, auch wenn sie nicht verboten sind. Zwar hat ein Verbot noch fundamentalere materielle Konsequenzen. Doch auch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz und eine Delegitimierung im politischen Prozess erschweren politisches Handeln und greifen in das private Leben von Menschen ein. Und genau dies ist das Ziel: »den Angreifer zu ›entpolitisieren‹« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 10, ähnlich: Münch-Kunig, Krebs, 2012, Art. 18, Rdnr. 15) bzw. die »Eliminierung des Einzelnen oder der Gruppe aus dem politischen Kampffeld« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 16). Weiterhin dürfe natürlich alles geredet und geschrieben werden, »wenn es nur unpolitisch« (ebd.) sei. Die verfassungsgerichtliche fdGO-Formel bleibt von den Kommentaren weitestgehend unangetastet und wird akzeptiert. Sie wird Kern der ›wehrhaften Demokratie‹ und dieses Konzept selbst immer weiter gefestigt. Geschützt wird – obwohl theoretisch nicht bestimmbar – eine verobjektivierte Wertordnung, die mit abstrakten Begriffen ohne gesellschaftliche materielle Grundlage naturrechtlich gesetzt erscheint. Von diesem Punkt aus kann politisches Handeln be- und verurteilt, als ›verfassungsfeindlich‹ charakterisiert und damit delegitimiert werden. Die Vorverlagerung der Definitionsmacht auf die Exekutivbehörden, insb. auf den Verfassungsschutz, wird als legitim eingestuft, wodurch 261

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

politisches Handeln immer potentiell unter Verdacht steht. Persönliche Konsequenzen dieser Repression dienen vermeintlich lediglich der »Entpolitisierung«, nicht aber der »Entmenschlichung«, verringern damit aber genau jene »Subjektqualität«, von der das BVerfG im NPD-Urteil 2017 sprach (vgl. V 5.4.2).

6.5 Zusammenfassung Frühere wie aktuellere Kommentare legen keine eigenen Definitionen der fdGO vor. Nach eher suchenden Begriffsklärungen anhand des Verfassungsgebungsprozesses arbeiten sie sich lediglich an der 1952 vom BVerfG vorgegebenen Definition ab. Und obwohl die fdGO vielleicht letztlich gar nicht inhaltlich bestimmbar sei, ist sie doch Substanz des Grundgesetzes. Explikation soll sie durch die Abgrenzung zu totalitären Systemen erhalten, die allerdings in der Kommentarliteratur selbst nicht konkretisiert werden. Der Nationalsozialismus erhält – obwohl Legitimationsgrund – keine Erläuterung. Weder wie Staatlichkeit im NS funktionierte, noch die nationalsozialistische Ideologie oder die Shoah erhalten Erwähnung. In der antitotalitaristischen Abgrenzung wird er vielmehr mit der DDR/UdSSR gleichgesetzt, die allerdings wiederum keine nähere Charakterisierung behalten. »Gewalt- und Willkürherrschaft« ist und bleibt der Abgrenzungsbegriff. Dabei wird die antipositivistische Traditionslinie von den Kommentaren bedient. Das Weimarer Scheitern sei durch Wertrelativismus und mangelnde Abwehrbereitschaft hervorgerufen worden. Der Nationalsozialismus habe so die Macht ›ergreifen‹ können. Die theoretische Traditionslinie findet Fortsetzung in der Gegenüberstellung von Demokratie und Rechtsstaat. Beide werden nicht als gegenseitige Bedingungen, sondern sich begrenzende Prinzipien verstanden. Analog werden Freiheitsrechte und politisch-prozessuale Rechte entgegengesetzt. Vor allem wird politisches Handeln der Bürger*innen als Bedrohung des Rechtsstaates gesehen. In der bundesrepublikanischen Demokratie ist politisches Handeln der Staatsbürger*innen zwar Bestandteil der Ordnung, aber nur insofern es die Ordnung, also den Staat in seiner bestehenden Form, nicht selbst in Frage stellt, sondern stärkt. Die Einschätzung der Bedrohlichkeit wird exekutive Ermessenssache. Das heißt, obwohl die fdGO selbst inhaltlich nicht klar bestimmt ist, wird sie gerade durch diese Unbestimmtheit zum flexiblen Maßstab für politisches Handeln. Durch ihre Anwendung erhält sie Konkretion.

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ZWISCHENFAZIT: VON DER WORTGRUPPE ZUR SUBSTANZ DER VERFASSUNG

7. Zwischenfazit: Von der Wortgruppe zur Substanz der Verfassung Spätestens mit dem verfassungsgerichtlichen Verbot der KPD 1956 ist das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ und mit ihm die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ als universelles Konzept gegen die Gefahr eines ›Selbstmordes‹ der Demokratie gesetzt. Dies geschah in verschiedenen Etappen der Herausbildung der Bundesrepublik und war keinesfalls seit ihrem Beginn Konsens, sondern beruht auf der antipositivistischen und illiberalen Tradition der deutschen Staatsrechtslehre, die sich mit einer konservativen und elitären Geschichtsdeutung des Weimarer Scheiterns verband. Das links zu verortende Projekt des Schutzes der Demokratie vor einer Wiederholung des Faschismus wurde durch die Verschiebung der außenpolitischen Bündnisse im beginnenden Kalten Krieg zu einem antikommunistischen Projekt, das mittels der Integration der alten NS-Funktionselite in die Staatsapparate gelang. Diese alte Garde war in Justiz und Exekutive an der Setzung der fdGO beteiligt. Der Antitotalitarismus verband sich mit einer nur scheinbaren Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, der Shoah und dem Zweiten Weltkrieg, die entpersonalisierte und dadurch konkrete individuelle Verstrickungen in den Hintergrund treten ließ. Diese floskelhafte Auseinandersetzung findet sich in der Grundgesetzkommentarliteratur bis heute. So konnte der Fokus nach Osten gerichtet werden und die NS-Funktionselite war entlastet, ihre ›Expertise‹ konnte in den neuen Institutionen des Staatsschutzes sogar nutzbringend angewendet werden. Die Delegitimierung dessen, was als Kommunismus galt, veranlasste die Sozialdemokratie sich von der KPD abzugrenzen, wobei hier auch die innerlinken Konflikte um die Schuld an der nationalsozialistischen Machtübernahme in der Weimarer Republik eine Rolle gespielt haben dürften. Der schlaglichtartige Blick auf die Verfassungsgebung und das erste politische Strafrecht in Hessen ergab, dass 1946/47 noch eine antifaschistische und sozial-ökonomische Deutung der nationalsozialistischen Machtübernahme hegemonial war. Diese Deutung produzierte Vorstellungen von einem Schutz der Demokratie, die sich mehr auf die staatlichen Akteure in Justiz und Bürokratie richteten. Dies war noch 1950 die Motivation der SPD für einen Entwurf zu einem Gesetz gegen die ›Feinde der Demokratie‹. Die außenpolitischen Weichenstellungen hatten sich allerdings schon längst verschoben. Spätestens 1947 war der Fokus auf die UdSSR gerichtet und der Kommunismus das neue Feindbild. Auf dem Herrenchiemseer Konvent 1948 sind die als »demokratische Mindestanforderungen« bezeichneten Grundsätze einer Demokratie schon von der Abgrenzung 263

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

zur Sowjetischen Besatzungszone geprägt. »Einparteiensystem« und »Blocksystem« sind als Reaktionen auf die Vereinigung von SPD und KPD zur SED 1946 zurückzuführen. In den Diskussionen des Parlamentarischen Rates um die zu schaffenden Art. 18 und 21 GG ist dieser Blick auf die »Ostzone« (Schwalber, KombA I, Sitzung v. 16.9.1948, 29) noch deutlicher. Die beiden Artikel enthalten die Formulierung ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹. Diese war jedoch noch kein feststehender Begriff und wurde deshalb auch nicht als solcher in der Verfassungsgebung besprochen. Die Suche nach Diskussionen um eine Begriffsdefinition im Parlamentarischen Rat geht vom Ergebnis aus: die fdGO als enthistorisierter und verallgemeinerter Begriff der Grundsätze des bürgerlichen Staates. Im Verfassungsgebungsprozess war die fdGO noch kein solcher Begriff, entsprechend gab es keine ausgewiesenen Diskussionen um sie. Vielmehr schälte sich im Parlamentarischen Rat die antikommunistische Ausrichtung der ›wehrhaften Demokratie‹ erst heraus. Grundrechtsmissbrauch und Parteiverbote als Mittel der ›wehrhaften Demokratie‹ wurden in Abgrenzung zur SBZ debattiert, der Nationalsozialismus und seine Funktionsweise spielten in der staatsrechtlichen Konzeption zwar eine Rolle, waren aber nicht Gegenstand der Auseinandersetzung. Damals schon erschienene wissenschaftliche Erörterungen zum NS-Staat wurden nicht rezipiert. »Freiheitlich« hieß nicht »volksdemokratisch« (von Mangoldt, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) und war damit gegen die sich gründende DDR gerichtet, gab Legitimation für die sich herausbildende Bundesrepublik als den ›wirklichen‹ demokratischen Staat. Die antitotalitaristische Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem was »Kommunismus« hieß ermöglichte die Dämonisierung des anderen deutschen politischen Systems und damit die Legitimierung der zu gründenden Bundesrepublik. Die in den Art. 18 und 21 GG konstruierte Möglichkeit zur Begrenzung politisch-prozessualer Freiheitsrechte baute auf einer Deutung des Weimarer Scheiterns auf, die von der Annahme der Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme geprägt war. Noch im hessischen Verfassungsgebungsprozess war die Abstimmung zum nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetz 1933 mit dem rechtswidrigen Ausschluss der KPD von der Abstimmung durch die Reichstagsbrandverordnung und die daraus gerechtfertigte Verfolgung charakterisiert worden. Die Zustimmung der bürgerlichen Parteien zum nationalsozialistischen Gesetz wurde kritisiert. Es wurden also konkrete Akteur*innen und der Einsatz von Gewalt der NSDAP, die keinem Standard der Weimarer Reichsverfassung an einen demokratischen Abstimmungsprozess entsprach, benannt. Im Parlamentarischen Rat war diese Deutung in den Diskussionen um Grundrechtsverwirkung und Parteiverbot nicht mehr hegemonial. Die Versuche, die Absurdität einer Illegalisierung von 264

ZWISCHENFAZIT: VON DER WORTGRUPPE ZUR SUBSTANZ DER VERFASSUNG

Revolutionen verfassungsrechtlich herauszustellen (vgl. Katz, OrgA I, Sitzung v. 14.10.1948, 572), fanden keine Zustimmung angesichts des Arguments der nationalsozialistischen ›Legalitätstaktik‹. Zukünftig wolle man ›Systemstürzlern‹ das Argument der Legalität nicht mehr zugestehen (vgl. Dehler, OrgA II, Sitzung v. 11.1.1949, 1016). Dennoch war die fdGO als zu schützender Kern des demokratischen Systems der Bundesrepublik noch keine feststehende Größe. Der erste Definitionsversuch wurde erst vom Referenten des Bundesjustizministeriums, Willi Geiger, im Entwurf zum BVerfGG 1950/51 vorgenommen (vgl. BArch B 141/70 pag. 29). Dies stieß allerdings auf Ablehnung des BMJ. Die zunächst noch in der Vorlage für den Bundesrat enthaltene Legaldefinition wurde gestrichen und eine zweite Version ohne diese eingereicht (vgl. BR-Drs. Nr. 125/50, Neufassung v. 1.3.1950). Die Gesetzesdokumentation des Parlamentsarchivs startet erst mit der geänderten Vorlage. Nach dem Freispruch Wolfgang Hedlers 1950 durch einen Richter, der ehemaliges NSDAP-Mitglied war, brachte die SPD einen Entwurf zu einem Gesetz »gegen die Feinde der Demokratie« in den Bundestag ein. Anlass wie Stoßrichtung des Gesetzes waren geprägt von der linken Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik. Ein Sicherungsmechanismus gegen die Untergrabung der Demokratie durch Bürokratie, Justiz und rechtskonservative Kräfte sollte geschaffen werden. Dies war auch durch die Reintegration der alten NS-Funktionselite in die Staatsapparate der Bundesrepublik motiviert. Das Bundesjustizministerium nahm diesen Vorstoß der SPD zum Anlass, das Strafgesetzbuch zu novellieren. Aus dem StGB waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs die vom Nationalsozialismus geprägten Paragraphen gestrichen worden. Der beginnende Kalte Krieg und der Überfall Nordkoreas auf Südkorea 1950 boten den Anlass ein neues politisches Strafrecht mit antikommunistischer Ausrichtung zu gestalten. Die antitotalitaristische Brille gab die Möglichkeit von einem eher antifaschistisch motivierten Gesetz auf ein antikommunistisches umzuschwenken. Das alarmistische Bedrohungsszenario der »kalten Revolution« diente als Begründung. Die Geschichtsdeutung von der legalen nationalsozialistischen Machtübernahme verband sich mit dem Fokus auf die »Weltgefahr des Weltkommunismus« (Kaufmann 1952, 19), der mit den neuen revolutionären Methoden der Zersetzung und Unterwanderung arbeite. Legale Handlungen, die noch vor einem eigentlichen Umsturzversuch standen, sollten, wenn sie die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ bedrohten pönalisiert werden. Dazu wurde der Tatbestand der Staatsgefährdung geschaffen, der stärker auf subjektive Merkmale fokussiert und damit geeignet sein sollte, der »kalten Revolution« beizukommen. Im Rahmen der Diskussionen im Ausschuss für Rechts- und Verfassungswesen des Bundestags diskutierten die Abgeordneten über die 265

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ als das im Gesetzesentwurf vorgesehene Schutzgut, das vor der Staatsgefährdung geschützt werden sollte. Dabei saßen sich Mitglieder der ehemaligen NS-Funktionselite und im Nationalsozialismus Verfolgte gegenüber. Die Konfliktlinie um die Schutzgutdefinition verlief dennoch stärker zwischen den Parteigrenzen, als dass sie durch die verschiedenen persönlichen Hintergründe geprägt war. Die ›Expertise‹ des schon im Reichsjustizministerium 1934 für das politische Strafrecht zuständigen Josef Schafheutle und des Referenten des Bundesjustizministeriums, Willi Geiger, floss in die Vorlagen zu den Debatten ein. Die aus dem Gesetzgebungsprozess hervorgegangenen Verfassungsgrundsätze im Sinne des Strafrechts sind gekennzeichnet durch eine antiliberale Rechtsstaatstradition, den Willen zur Erleichterung der strafrechtlichen Anwendbarkeit und der Moralisierung sowie Subjektivierung, die Anleihen an nationalsozialistischem Strafrecht nehmen. Das Schutzgut ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ wurde im Gesetzgebungsprozess zu ›Verfassungsgrundsätzen‹ umbenannt, da man dem Bundesverfassungsgericht, dessen Aufgabe die Auslegung des Grundgesetzes und damit auch der Legaldefinition der fdGO sei, nicht habe vorgreifen wollen. Die zunächst in den Verfassungsgrundsätzen enthaltenen Grundrechte wurden aus juristisch-methodischen Bedenken gestrichen. Die Formulierung »Abwesenheit jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« sollte als negativer Verfassungsgrundsatz die Beweislast im Strafgerichtssaal gerade bei »primitive[n] Täter[n]« (Rotberg, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 28, 4) erleichtern. Sie ermöglichte eine antitotalitaristische Abstraktion vom NS-Regime und seine Gleichsetzung mit dem, was als Kommunismus galt. Die Hinzufügung des Rechtes auf parlamentarische Opposition sollte diesen negativen Verfassungsgrundsatz zunächst obsolet machen, da ein verbrieftes Oppositionsrecht eine Einparteienherrschaft verunmögliche. Dieses Argument wurde im Gesetzgebungsprozess allerdings übergangen. Die »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« etablierte sich als Zusammenfassung der vorstehenden positiv formulierten Verfassungsgrundsätze, die im Wesentlichen Prinzipien des bürgerlichen Staates sind und auch schon im ersten Definitionsversuch von Geiger im BVerfGG vorhanden waren. Die Kritik von Otto Küster im Rechtsausschuss des Bundestags an der Beliebigkeit und Abstraktheit der Verfassungsgrundsätze als auch der Konzeption des Tatbestandes der Staatsgefährdung fand keine Mehrheit. Der Referent des Bundesjustizministeriums, Eberhard Rotberg, wies auf die Gefahr hin, dass zu viele Änderungen an den Verfassungsgrundsätzen auf deren Relativität schließen ließen. So seien die Verfassungsgrundsätze zwar eine »Kompromißformel« (Krille, BArch B 141/3031, pag. 38), aber zunächst ausreichend, um der Bedrohung beizukommen, der sich die Bundesrepublik ausgesetzt sehe. Obwohl also klar war, dass die 266

ZWISCHENFAZIT: VON DER WORTGRUPPE ZUR SUBSTANZ DER VERFASSUNG

Verfassungsgrundsätze ein nicht zufriedenstellender Kompromiss waren, wurden sie als solcher verabschiedet und sollten auch zukünftig nicht zu viel geändert werden, da sie dadurch zu offensichtlich als eben diskussionswürdig erscheinen würden. Aus dieser strafrechtlichen »Kompromißformel« machte das Bundesverfassungsgericht 1952 in seinem Verbot der SRP die bis heute geltende Definition der fdGO. Es wies weder auf ihre Herkunft aus dem politischen Strafrecht hin, noch kennzeichnete es ihren Kompromisscharakter. Vielmehr gab es der Definition eine »religiös-naturrechtliche« (Gusy 1980, 285) Begründung und verallgemeinerte sie so zu einem feststehenden Begriff. Die fdGO wurde überhaupt zum Begriff, wohingegen sie vorher lediglich eine Wortgruppe gewesen war, die in der Verfassungsgebung keine eingehende Erörterung benötigte. Das Gericht universalisierte damit die Organisationsprinzipien des bürgerlichen Staates und verdeckte die Gewordenheit dieser in politischen Konflikten erkämpften Forderungen nach Volkssouveränität, Freiheit und Gleichheit. Es nahm im Gegensatz zu den strafrechtlichen Verfassungsgrundsätzen das Recht auf Leben und auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit wieder in die Definition auf. Im Strafrechtsgebungsprozess waren dies auch die Grundrechte gewesen, die man absolut gelten lassen könne. Alle anderen Grundrechte stünden unter dem Vorbehalt, durch Gesetze eingeschränkt werden zu können. Dennoch entschieden sich die Abgeordneten für die Streichung. Im NPD-Urteil 2017 spricht das BVerfG sogar von der »Subjektqualität« (BVerfGE 144, 20, 207) des Menschen und betont die Menschenwürde als das zentrale Prinzip der fdGO, zu deren Verwirklichung Rechtsstaat und Demokratie beitragen. Die übrigen Elemente der fdGO-Formel aus dem SRP-Verbot würden damit zu Instrumenten zur Verwirklichung der Menschenwürde. Somit sei dem Staat jeglicher Vorrang genommen. Doch obwohl das Gericht damit eine Akzentverschiebung seiner bisherigen Rechtsprechung in den Parteiverboten vornimmt und es die etatistische Ausrichtung korrigiert, nimmt es weiterhin gerade politisch-prozessuale Rechte nicht in die Definition der fdGO auf. Freiheit bleibt lediglich vom Staat gewährt und steht unter Vorbehalt. Die Menschen bilden durch politisches Handeln den Staat, machen die Regeln, an die sie sich halten, selbst – so die Behauptung der liberalen Demokratietheorie. Wenn Freiheit aber gewährt wird und auch wieder entzogen werden kann, ist eine Instanz, die dies entscheidet, den Menschen vorrangig. Das Demokratieprinzip wird dadurch eingeschränkt – ebenso wie ihre »Subjektqualität«. Neben dieser illiberalen, etatistischen Tradition hat das BVerfG mit dem Begriff der »Abwesenheit jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft« auch die antikommunistische Konnotation der strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze übernommen. »Gewalt- und Willkürherrschaft« dient als Charakterisierung des Nationalsozialismus und des politischen 267

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

Systems des Ostblocks gleichermaßen. »Gewalt- und Willkürherrschaft« ist damit nicht nur eine unzureichende Beschreibung des NS-Staates, sondern ermöglicht eine antitotalitaristische Gleichsetzung gänzlich unterschiedlicher politischer Systeme und eine Fokusverschiebung von der Vergangenheit zur Gegenwart im Osten. Das, was als Kommunismus bezeichnet wird, wird durch die Gleichsetzung mit dem NS dämonisiert, obwohl keine konkrete Analyse erfolgte, was das eigentliche ›Problem‹ am Nationalsozialismus, Zweiten Weltkrieg und der Shoah gewesen ist. »Gewalt- und Willkürherrschaft« verdeckte die konkrete Verantwortung und persönliche Verstrickung der alten NS-Funktionselite, die in den 1950er Jahren wieder in die bundesrepublikanischen Staatsapparate integriert wurde. Die Redewendung macht als generalklauselartige Formulierung überdies das politische Strafrecht anwendbarer. Diese antikommunistische Ausrichtung verstärkte sich im verfassungsgerichtlichen Verbot der KPD 1956. Im Urteil wird das Mehrparteienprinzip klarer akzentuiert. Schon auf dem Herrenchiemseer Konvent als auch im Parlamentarischen Rat war das Mehrparteienprinzip mit Blick auf die »Ostzone« (Schwalber, KombA I, Sitzung v. 16.9.1948, 29) elaboriert worden. Parteien werden vom BVerfG im KPD-Urteil in den Staat inkorporiert. Sie sind damit zwar anerkannt, was als ein bewusster Gegensatz zur Parteienskepsis in der deutschen politischen Kultur anzusehen ist. Aber auf diese Anerkennung erfolgt zugleich ihre Einhegung durch ein potentielles Verbot, wenn sie die fdGO gefährden oder beeinträchtigen. Diese Melange aus Gewährung und Repressionsandrohung ist ein Tribut der materialen, antipositivistischen Staatsrechtstradition an die bürgerliche Demokratie. Das Zugeständnis der Freiheit zum politischen Handeln wird mit Bedingungen belegt. Diese Bedingungen schließen eine Substanz von der gesellschaftlichen Debatte aus. Damit sind konservative Ängste vor einer umfänglichen politischen und sozialen Gestaltungsmacht aller ruhiggestellt. Parteien müssen nach Auffassung des Gerichts die fdGO achten und sogar für sie werben. Ihre Ziele müssen koalitionsfähig sein. Die Verwirklichung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ müsse Ziel einer jeden Partei sein, die sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege. Parteien, die ein instrumentelles Verhältnis zur fdGO haben, seien nicht wirklich koalitionsfähig, ihre Ziele ›totalitär‹. Die fdGO wird damit der geschützte Bereich vor einem »Zu viel« an Demokratie und Freiheit, ein Prinzip der »Super-Legalität« (Preuß 1973, 17), das eine Begrenzung des politischen Streits und des politischen Handelns ermöglicht und es auf die bestehende Ordnung verpflichtet. Zudem bestätigt das BVerfG im KPD-Verbot den Präventionsgedanken des Tatbestands der Staatsgefährdung. Die ›wehrhafte Demokratie‹ wird zur Entscheidung des Grundgesetzes. Die Notwendigkeit der Wehrhaftigkeit leitet es aus einer zu toleranten Weimarer Republik und 268

ZWISCHENFAZIT: VON DER WORTGRUPPE ZUR SUBSTANZ DER VERFASSUNG

der vermeintlich legalen Machtübernahme des Nationalsozialismus ab. Das Gericht hat mit dem SRP- und KPD-Verbot eine Geschichtsdeutung richterlich abgesegnet, die keiner geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung Rechnung trägt, leitet aber daraus Konsequenzen für das bestehende politische System ab. Politisches Handeln – auch wenn es sich in legalem Rahmen bewegt – steht unter Verdacht, die Ordnung zu bedrohen. Je nach Unterstellung der politischen Absichten kann so der Handlungsspielraum oppositioneller Bewegungen und Gruppierungen begrenzt werden. Das NPD-Urteil 2017 eröffnet hierzu gar Möglichkeiten unterhalb eines verfassungsgerichtlichen Verbots und weicht damit die praktische Relevanz des Parteienprivilegs auf – das ohnehin lediglich das ›Privileg‹ ist, nur vom BVerfG verboten werden zu dürfen. Damit sind spätestens 1956 die fdGO und die ›wehrhafte Demokratie‹ als unumstößliche Konzepte gesetzt. Welche konkreten weiteren Ausformulierungen die fdGO-Formel erhält, ist für das Prinzip selbst unerheblich. ›Wehrhafte Demokratie‹ schützt den bürgerlichen Staat in seinem Status quo. Sie ermöglicht politische Beteiligung in gewissen Grenzen. Eine Demokratisierung, die auch auf soziale Gestaltungsmacht übergeht, ist damit verhindert. Die fdGO dient als scheinbarer demokratischer Konsens über gesellschaftliche und politische Spielregeln lediglich als Legitimation dieser Begrenzung. Das Jahr der ›wehrhaften Demokratie‹ 1951, in dem die Parteiverbote von SRP und KPD beantragt und das neue politische Strafrecht geschaffen wurden, wurde mit dem 1956 folgenden KPD-Urteil abgerundet (ähnlich: Ullrich 2009, 369). Das Wesen der bundesrepublikanischen Demokratie war höchstrichterlich bestimmt. Die ersten Kommentare zum Grundgesetz sehen den »Interpretationsversuch« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 52) des BVerfG zwar skeptisch, bestätigen aber das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹. Die Herausgeber der Kommentare haben ihre juristische oder militärische Laufbahn im und nach dem Nationalsozialismus fortsetzen können. Verfolgungserfahrungen oder Erfahrungen aus politischer Opposition haben sie wenig bis gar nicht. Die Kommentare wiederholen die Geschichtsdeutung und betonen die antitotalitaristische Ausrichtung der fdGO, in dem sie sie als Gegenteil zum »totale[n] Staat[...]« (Leibholz-Rinck, Leibholz/Rinck/Burckhardt, 2014, Einführung, Rdnr. 2) bezeichnen oder als Gegensatz zur »erlebte[n] Vergangenheit« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 50) oder zum »fremde[n] totalitären Anschauungsunterricht« (ebd., Rdnr. 48) setzen. Eine Konkretisierung der Funktion des NS-Staates oder seiner Rechtsideen findet nicht statt. »Hitler-Diktatur« (ebd., Rdnr. 3) ist die höchste Stufe der Konkretion. Die von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen losgelöste Deutung der nationalsozialistischen Machtübernahme erhält von den Kommentaren Bestätigung. Die aktuelleren 269

PHASEN DER IMPLEMENTIERUNG

GG-Kommentare sind angesichts neuer (rechts-)historischer Forschung gegenüber dieser Darstellung zurückhaltender geworden. Allerdings hat das keine Konsequenzen für die Konzeption oder überhaupt die Legitimation des Konzepts der ›wehrhaften Demokratie‹. Der unterstellten Möglichkeit zur formellen Beseitigung der Demokratie mit legalen Mitteln ist und bleibt die ›wehrhafte Demokratie‹ entgegengesetzt. Die Weimarer Republik sei wehrlos gewesen und der Wertrelativismus habe den ›Selbstmord‹ der Demokratie zu verantworten. Einer absoluten Freiheit müssen Grenzen gesetzt werden. All dies sind (rechts-)konservative Argumente gegen den Rechtspositivismus und seine Tendenz, neben der politischen Beteiligung auch eine soziale Demokratisierung zu ermöglichen. Die elitär-konservative Angst vor einer demokratischen Gestaltungsmacht der Bevölkerung ist durch eine Substantialisierung des Wesens des bürgerlichen Staates in Gestalt der fdGO und die Möglichkeit der Einschränkung politisch-prozessualer Grundrechte beruhigt. Das, was am vermeintlich relativistischen Rechtspositivismus der Weimarer Republik von rechts kritisiert wurde, war seine beginnende Demokratisierung, die nach der formalen Gleichheit aller auch die soziale Gleichheit aufs Tableau brachte. Die Idee der ›wehrhaften Demokratie‹ ermöglichte eine Substantialisierung des Staates über die Universalisierung der Prinzipien des bürgerlichen Staates: der fdGO. Die individuellen Einzelrechte werden den politisch-prozessualen entgegengestellt, deren Einschränkung gerade mit dem Schutz des Individuellen begründet wird. Rechtsstaat und Demokratie erscheinen als Gegensätze und nicht als sich bedingende Prinzipien. Damit wird die Begrenzung der Demokratie mit einem vermeintlich demokratischen Argument gerechtfertigt. Als Ironie der Geschichte dient die antifaschistische Erzählung von der Notwendigkeit des Schutzes der Demokratie vor dem Faschismus dieser konservativ-etatistischen Begrenzung politischen Handelns, um eine Substanz des Staates vor Demokratisierung zu bewahren. Über die antitotalitaristische Brücke konnte die sozial-ökonomische und linke Deutung des Weimarer Scheiterns abstrahiert und nach »drüben« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48) gerichtet werden. Die substanzhafte Grenze politischen Handelns bilden das bürgerliche Individuum und liberale Staatsorganisationsprinzipien, die paradoxerweise eigentlich gerade die Möglichkeit böten, über das Bestehende hinauszuweisen. Doch genau in dieser Möglichkeit werden sie begrenzt – je nach konstruierter Bedrohungslage, je nach unterstelltem oder tatsächlichem Potential einer politischen Bewegung. Genau dies ermöglicht das Verwenden der fdGO in unterschiedlichen Rechts- und Politikfeldern. In nahezu allen Bereichen bietet sie die Grundlage zur Delegitimierung und Begrenzung. Die Verlagerung der Definitionsmacht auf die Exekutivbehörden leistet dem Vorschub. 270

VI Stabilisierung und Ausdifferenzierung Ob die Formel als abschließender Katalog zu begreifen ist, bleibt überdies offen. Dies zu kritisieren wäre jedoch voreilig. Der Mangel an Konkretem gewährleistet eine ungleich größere Flexibilität des Begriffs. In der politischen Praxis bewirken starre Leitsätze und sperrige Definitionen oftmals eine erstarrte Handhabung. Eine solche kann sich die streitbare Demokratie im Umgang mit ihren Gegnern nicht leisten. (Gerlach 2012, 62)

Mit der Strafrechtsänderung der 1950er Jahre und den verfassungsgerichtlichen Parteiverboten sind die ›wehrhafte Demokratie‹ als verallgemeinertes Konzept und die fdGO als universaler Begriff gesetzt. Organisationsprinzipien des bürgerlichen Staates sind in der fdGO-Formel von ihrem geschichtlichen Entstehungskontext gelöst, die politisch-prozessualen Rechte, die gerade für den Kampf gegen den feudalen Staat und um Freiheit und Gleichheit Bedingung waren, werden mit der ›wehrhaften Demokratie‹ begrenzt. Als Legitimation dafür dient der Schutz des Individuums und der Demokratie, die doch gerade durch politische Grundrechte und politisches Handeln charakterisiert wird. So ist Demokratie in der Bundesrepublik als staatliches Zugeständnis gedacht. Der Staat ermöglicht erst Demokratie, gewährt seinen Bürger*innen die Freiheit politisch zu handeln. Als Zentrum der ›wehrhaften Demokratie‹ wird mit der fdGO politisches Handeln durch die Exekutive und die Judikative beobachtet, begrenzt, bewertet und sanktioniert. »Mit Hilfe der Formel ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ [...] steht die Exekutive im Begriff, den freiheitlichen politischen Prozeß unter ihre Kuratel zu nehmen« (Denninger 1977, 28). Das heißt, die in politischen Kämpfen der bürgerlichen Gesellschaft dem Staat abgerungenen Prinzipien, die Begrenzungen seiner Macht, werden umgekehrt vom Staat gegen die Bürger*innen als vermeintlicher Demokratieschutz universalisiert. Eine materiale Rechtsstaatskonzeption wird der Demokratisierung entgegengehalten. Bürger*innen stellen in der ›wehrhaften Demokratie‹ die Bedrohung dar, sie werden von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet, nicht die Staatsorgane. Gleichzeitig ist die fdGO auch bei politisch handelnden, nichtstaatlichen Akteur*innen und Bürger*innen als Orientierung angekommen. Selbst, wenn es nicht gänzlich zum zivilgesellschaftlichen Wissen gehört, wie genau die fdGO juristisch gefasst ist, ist sie ein Begriff, mit dem sich viele identifizieren können oder zumindest vorgeben, es zu tun. Noch wirkmächtiger ist eine vorauseilend gehorsame Selbstbegrenzung. 271

STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

Politisches Handeln wird als potentiell gefährlich gesehen, muss ausgewogen sein; eine Begrenzung ist nicht nur des Staatsschutzes wegen notwendig, sondern auch von politischen Akteur*innen anerkannt – gegen sich selbst. Die von ihrem geschichtlichen Entstehungszusammenhang abstrahierte Wesensbehauptung bürgerlicher Staatsorganisationsprinzipien erhält Zustimmung. Sie erscheint nicht als die etatistisch-repressive Begrenzung von Demokratisierung, sondern als ein universeller demokratischer Minimalkonsens, für den einzutreten es sich lohnt. Die fdGO wird dabei zum Wesen oder Wert der Demokratie. Ihre Wertbegründung macht sie zu einem flexibel einsetzbaren Rechtsbegriff, der in verschiedenen Rechts- und Politikfeldern als Begrenzung dienen kann. Ferner ist die Exekutive überall da, wo staatliche Leistungen, Genehmigungen oder sonstige Vergütungen von einer Übereinstimmung mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig gemacht werden, zumindest mittelbar an der Verfassungssicherung beteiligt, so zum Beispiel im Beamten- und Soldatenrecht bei der Einstellung von Bewerbern, im Ausländerrecht bei der Überprüfung von Aufenthaltserlaubnissen sowie im Entschädigungs- und Wiedergutmachungsrecht. (Schneider 1977, 96)

Diese Aufzählung ließe sich nahezu bis ins Unendliche fortsetzen und bietet eine große Zahl an potentiellen Forschungsfeldern. Im Folgenden möchte ich Schlaglichter in einige Bereiche werfen, um aufzuzeigen, wie die Begrenzung durch ›wehrhafte Demokratie‹ und fdGO funktioniert. Ich habe diese Bereiche in zwei Kapitel gegliedert. Zunächst blicke ich stärker auf die repressiven Mechanismen des Staatsschutzes in den Bereichen Straf-, Beamt*innen-, Verfassungsschutz- und Notstandsrecht (1). Darauffolgend steht politisches Handeln im Fokus (2). Hier sind Parteien, außerparlamentarische und zivilgesellschaftliche Bewegungen, politische Bildung und Ausländerrecht von Belang. Repression und Ideologie, Konsens und Zwang, sind dabei nicht kategorisch zu trennen, sondern bedingen sich jeweils. Dennoch habe ich diese Einteilung vorgenommen, um eine – vielleicht explorative – Strukturierung der verschiedenen Anwendungsfelder der fdGO vorzunehmen. Diese Schlaglichter auf die Anwendung von fdGO und ›wehrhafter Demokratie‹ bieten Ansätze für weitergehende Forschungen.

1. Schutz der bestehenden Ordnung Ich werde im Folgenden die exekutive und judikative Verwendung der fdGO beleuchten. Sie funktioniert zunächst als Instrument zur Herrschaftssicherung bzw. Stabilisierung staatlicher Ordnung, kann also staatliche, sprich exekutive oder judikative Eingriffe in Grundrechte 272

SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

rechtfertigen oder es kann ihr gegenüber die schon 1956 vom BVerfG geforderte Loyalität und »Achtung« (BVerfGE 5, 85, 380) schriftlich abverlangt werden. Besonders relevant ist die fdGO für die Bereiche Verfassungsschutz (1.1) und politisches Strafrecht (1.2). Gerade die Verfassungsschutzbehörden sind vorgeblich angetreten, die fdGO zu schützen. Mit dem administrativen Extremismusansatz hat sich seit den 1970er Jahren eine praktikable Differenzierung für politisches Handeln in ›demokratisch‹ und ›ex­tremistisch‹ entwickelt. Wie begründen die Behörden ihre Existenz mit der fdGO? Wen sehen die Ämter als Bedrohung der fdGO, als ›extremistisch‹ und wie verhalten sich fdGO und administrativer wie normativer Extremismusansatz zueinander? Seit der Neufassung des politischen Strafrechts 1951 besteht in der Bundesrepublik ein spezifischer Straftatbestand: die Staatsgefährdung (§ 88 StGB a. F. 1951), heute in § 92 StGB als »Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats« bezeichnet. Er baut auf strafrechtliche »Verfassungsgrundsätze«, aus denen das BVerfG 1952 seine fdGO-Formel ableitete (vgl. V 5.2). Haben sich diese Verfassungsgrundsätze geändert? Liberalisierte sich das antikommunistische Strafrecht der 1950er Jahre? Zur Sicherung der staatlichen Ordnung gehören weiterhin das Notstandsrecht, das im Falle eines proklamierten Ausnahmezustands angewendet wird (1.3). Dazu sind in den 1960er Jahren Grundgesetzänderungen erlassen worden. Welche staatlichen Zugriffsmöglichkeiten zur Sicherung der fdGO erlauben sie? Dass sich der Staat der Loyalität seiner Bediensteten versichern will, ist keine neue Entwicklung, sondern gehört zur Logik staatlicher Ordnung: Ohne loyale Beamt*innen und Soldat*innen kann ein Staat nicht bestehen. Wie versichert sich die ›wehrhafte Demokratie‹ der Loyalität der Anwärter*innen für den öffentlichen Dienst (1.4)?

1.1 Verfassungsschutz und Extremismusansatz Zunächst möchte ich grundsätzlich herausstellen: »Der Verfassungsschutz ist gar kein Verfassungsschutz. [...] Er schützt nicht die Verfassung dieser Gesellschaft, er schützt ihre Verfasstheit« (Assall 2013, 110) – also die politische Ordnung. Es ist die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden, politisches Handeln zu beobachten. Es geht um die »gezielte Abwehr von [...] Angriffen auf die Grundlagen der Verfassung und der staatlichen Existenz« (Denninger 1983, 1297, Herv. i. O.). Die Verfassungsschutzämter agieren repressiv und diskursiv-politisch.1 Die 1 Ein Beispiel für die Melange aus Repression und Ideologie ist schon die Bezeichnung »Verfassungsschutz« selbst. Sie weist euphemistisch auf einen

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STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

Behörden beeinflussen durch Berichte und zunehmend durch politische Bildung die öffentliche Meinung und können so Personen, Gruppen oder Parteien delegitimieren. Zudem beobachten sie und bringen dadurch die Drohung der Repression mit sich, auch wenn sie laut Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei keine polizeilichen Befugnisse haben.2 Unter staatlicher Beobachtung und Verdacht zu stehen, widerspricht freier politischer Betätigung. Die Verfassungsschutzbehörden sind die Institutionen der ›wehrhaften Demokratie‹. Im Folgenden werde ich zunächst die gesetzlichen Grundlagen und die Rolle der fdGO darin darstellen und aufzeigen, inwiefern sich die Behörden in ihren Berichten auf die fdGO beziehen. Zweitens gehe ich auf den administrativen und normativen Extremismusansatz3 ein. Dieser Ansatz hat es ermöglicht, den vom Antikommunismus geprägten Blick der 1950er Jahre auf neuere soziale Bewegungen, namentlich die 68er, zu erweitern und Differenzierungen vorzunehmen. ›Extremismus‹ ist neben ›Verfassungsfeindlichkeit‹ der Begriff, der das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ von der juristischen auf die politisch-diskursive Ebene erweitert, sich dabei aber weiterhin durch die fdGO legitimiert. Das Extremismusmodell baut auf der hegemonialen konservativen Geschichtsdeutung des Scheiterns der Weimarer Republik auf (vgl. V 2) und kann die etatistisch-elitäre Skepsis vor einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft beruhigen (vgl. I 1.2.3), indem es flexibel verschiedene politische Strömungen aus dem Bereich des Legitimen und Demokratischen ausschließt und mit dem pejorativen Banner des ›Extremismus‹ versieht. Drittens werde ich am Beispiel des Konzepts »Verfassungsschutz durch Aufklärung« (§ 16 Abs. 2 BVerfSchG) einen Blick auf das Zusammenspiel von repressiver und ideologischer Funktion der Behörden werfen.

Schutz der Verfassung, des Grundgesetzes hin und vermeidet damit die pejorative Bedeutung des Wortes »Geheimdienst«. Das war bei der Namensgebung in den Gründungsjahren der Bundesrepublik intendiert (vgl. Goschler und Wala 2015, 31f.), um keine Erinnerungen an die Geheime Staatspolizei des Nationalsozialismus zu wecken. 2 Das Trennungsgebot ergibt sich aus dem Zusammenhang der §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 und 8 Abs. 3 BVerfSchG. 3 Im Folgenden ist, außer es ist anders gekennzeichnet, immer der normative und administrative Extremismusansatz gemeint. Es gibt auch andere Ansätze, die zwar den Begriff verwenden, aber deutlich andere Forschungsprämissen haben.

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SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

1.1.1 Rechtfertigungen des exekutiven Ermessensspielraumes 1.1.2.1 Bundesverfassungsschutzgesetz Das erste Gesetz zum Verfassungsschutz wurde am 27. September 1950 verkündet (BGBl. I, 682). Der § 5 dieses Gesetzes »über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes« befugte die Bundesregierung, im Falle eines Angriffs auf die verfassungsmäßige Ordnung, Weisungen an die Landes- und Bundesbehörden zu erteilen. Von der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ war noch nicht die Rede. Die fdGO kommt erst am 7. August 1972 mit dem Verfassungsschutzänderungsgesetz (VerfSchutzÄndG) in den Gesetzestext (BGBl. I, 1382). Das VerfSchÄndG normierte, dass die Verfassungsschutzbehörden unter anderem bei Bestrebungen gegen die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ des Bundes oder der Länder Informationen sammeln und auswerten sollen (§ 3 BVerfSchG, F. v. 1972). Hier blieb es lediglich bei der Nennung des Begriffs. Weder die seit 1952 existente fdGO-Formel des Bundesverfassungsgerichts, noch die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1951 wurden ins Gesetz aufgenommen. Erst mit der Gesetzesnovellierung von 1990 kommt auch die Definition der fdGO ins BVerfSchG. § 4 Abs. 2 BVerfSchG zählt dazu: a) das Recht des Volkes in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz, c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, e) die Unabhängigkeit der Gerichte, f) der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft, g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (BGBl. I, 2971) 275

STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

Im Gegensatz zu den strafrechtlichen Verfassungsgrundsätzen des Straftatbestandes Staatsgefährdung (§ 88 StGB F. v. 1951) bzw. der »Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates« (§ 92 StGB) nimmt das ­BVerf­SchG die Menschenrechte in die Aufzählung hinein, orientiert sich also mehr an der Formel des Bundesverfassungsgerichts. Die erste Vorlage des BVerfSchG wurde schon 1986 eingebracht und dann 1989 in die Ausschüsse verwiesen. Der Bundesrat rief den Vermittlungsausschuss an und schlug vor, die fdGO-Formel in das Gesetz zu schreiben (BT-Drs. Nr. 11/07504, 7f.), da dies Normenklarheit und Präzision der Aufgabenbeschreibung schaffe. Zudem greife eine Begriffsbestimmung im Gesetz die »zentralen, von der Rechtsprechung immer wieder angesprochenen Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung« (ebd., 8) auf. Damit wurde die verfassungsgerichtliche Definition von 1952 Gesetz. »Was bisher administrative Auslegungsakrobatik von Juristen war, ist nun in Gesetzesform gegossen« (Busch 1991, 77). Allerdings sind schon die Verfassungsgrundsätze des politischen Strafrechts Quelle für das Verfassungsgericht und seine ­fdGO-Definition gewesen (V 5.2). Vor der juristischen »Auslegungsakrobatik« lagen also legislative und exekutive Debatten zur Definition von Verfassungsgrundsätzen, die strafrechtliche Anwendbarkeit ermöglichen sollten (vgl. V 4). Dass die Definition nun ins BVerfSchG kam, ermöglichte es den Verfassungsschutzbehörden dennoch, einer Kritik der Willkürlichkeit ihres Ermessens vorzubeugen, wie ein Blick ins »Handbuch zum Verfassungsschutzrecht« von Bernadette Droste, frühere Mitarbeiterin des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), zeigt: »Ihr Eingang [der Legaldefinition der fdGO, Anm. d. Verf.] in das Gesetz lässt weder Platz für die Annahme, dass willkürliche Definitionsmacht durch den Verfassungsschutz ausgeübt wurde und wird, noch besteht rechtliche Unsicherheit über Inhalt und Grenzen des Begriffs« (Droste 2007, 196). Zwar sind auch die einzelnen Bestandteile der fdGO-Formel willkürlich gesetzt, an strafrechtlicher Anwendbarkeit orientiert, selbst noch ausführungsbedürftig und ohne historische Kontextualisierung als objektiv postuliert (vgl. V). Doch suggeriert eine Legaldefinition Rechtssicherheit. Heiner Busch (1991, 80), Redakteur der Zeitschrift »Bürgerrechte und Polizei/CILIP«, nennt sie »Scheindefinition«. Das eigentliche Problem hingegen liege [...] nicht in der FDGO-Formel, [...] sondern darin, daß das Feld, das der VfS beobachten soll, den Rechtsnormen und einer gerichtlichen Überprüfbarkeit vorgelagert ist. [...] Die Klassifikation als »verfassungsfeindlich«, »extremistisch«, »gegen die fdGO« gerichtet liegt jedoch ausschließlich im Ermessen der Ämter und – mittelbar – des Bundesinnenministers. (ebd., 79f.)

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SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

Mit der Novellierung wurden die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden nicht eingeschränkt oder präzisiert, sondern nur weiter legitimiert – und das mittels der fdGO-Formel im Gesetz. Denn in ihr bündeln sich die Erzählung des Weimarer Scheiterns und die daraus gezogenen Schlüsse für die Vorverlagerung des Verfassungsschutzes und des politischen Strafrechts. Die von Busch kritisierte Vorverlagerung ist dabei keine neuere Entwicklung des Gesetzes von 1990, sondern ist prinzipiell in der Konstruktion der ›wehrhaften Demokratie‹ und des Verfassungsschutzes als ihr »Akteur« (BfV 2015, 14) angelegt. Die Behörden sollen den Staat noch vor einem Umsturz sichern, nicht erst, wenn es zu spät ist. Sobald eine politische Bewegung gesellschaftliche Relevanz bekommt und über »bloße[s] Protestieren« (Maunz-Dürig, Dürig, 1960, Art. 21, Rdnr. 115) hinaus gelangt, ist sie ein potentielles Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Allerdings gilt manch bloßer Protest schon als potentiell bedrohlich und beobachtungswürdig – auch ohne reale Wirkmächtigkeit. Die Auslegung des juristischen Begriffs »Bestrebung« (§ 3 Abs. 1 Nr. BVerfSchG) macht das deutlich: »Bestrebungen müssen also zum einen politisch determiniert, folglich objektiv geeignet sein, – über kurz oder lang – politische Wirkungen zu entfalten« (Droste 2007, 165). Die Wirkung muss also noch gar nicht existent sein. Allein die im Ermessen der Behörden unterstellte ›extremistische Bestrebung‹ bzw. ›Verfassungsfeindlichkeit‹ sind Grund genug für eine Beobachtung und Nennung in den Berichten.

1.1.2.2 Verfassungsschutzberichte Die Selbstdarstellungen und Ausführungen zur ›wehrhaften Demokratie‹ aus den Berichten des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) zeigen, wie sich die Behörden zur Legitimation ihres Handelns auf die fdGO beziehen. Im Verfassungsschutzbericht 2015 des BfV ist zu lesen: »Die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland ist an die grundlegenden Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gebunden« (BfV 2015, 14). Dies wird ergänzt mit einer Selbstdarstellung als »wichtiger Akteur im System der wehrhaften Demokratie« (ebd.), der dazu diene, die Sicherheit zu garantieren, auf deren Basis sich Freiheit erst entwickeln könne. Die fdGO wird hier als Bindung der Demokratie in der Bundesrepublik dargestellt, ein Widerspruch zwischen Freiheit und Sicherheit zugleich durch die Postulierung von Sicherheit als Voraussetzung für Freiheit negiert (vgl. V 6.4.2). Die fdGO-Formel selbst wird durch Verweise auf das Grundgesetz expliziert; die »grundlegenden Werte« (ebd.) scheinen keine weitere Erläuterung zu benötigen. 277

STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

Auch in den Berichten der LfV ist die fdGO und sind Darstellungen über die Notwendigkeit einer ›wehrhaften Demokratie‹ Rechtfertigungsgrundlage für die Existenz und Arbeit der Behörden. Das LfV Hamburg bspw. stellt eine kurze Behauptung zum Scheitern der Weimarer Republik auf und leitet daraus die Notwendigkeit einer ›wehrhaften Demokratie‹ ab: Nach den Erfahrungen mit der von Extremisten verschiedener politischer Lager bekämpften Weimarer Demokratie enthält das Grundgesetz (GG) der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland – dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend – grundlegende Schutzmechanismen gegen Gefährdungen der Verfassung und ihre wesentlichen System- und Werteentscheidungen. [...] Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten, die die Werteentscheidungen der Verfassung beseitigen wollen [...]. (LfV HH 2015, 14f.)

Die nationalsozialistische Machtübernahme, die Konfliktlagen und Kräfteverhältnisse, die das repräsentativ-demokratische System der Weimarer Republik scheitern ließen, sind hier gänzlich abstrakt dargestellt und auf ›Extremist*innen‹ verschiedener Lager runtergebrochen. Die Sammlung von Informationen über Bestrebungen gegen die fdGO sei, so das LfV Mecklenburg-Vorpommern, »eine Lehre aus der auf legalistischem Wege erfolgten Abschaffung der Weimarer Republik durch die Nationalsozialisten« (LfV MV 2015, 11).4 Diese historische Darstellung des Weimarer Scheiterns (vgl. IV 2.2) ermöglicht die Rechtfertigung der Beobachtung politischer Akteur*innen – auf den Unterschied zwischen legal und »legalistisch« wird nicht eingegangen. Die enthistorisierte Darstellung dient der Legitimation des Schutzes von »Werteentscheidungen«, die politisches Handeln begrenzen. Die »Werteentscheidungen« selbst scheinen völlig selbstverständliche Setzungen »der Verfassung« (LfV HH 2015, 15). Genese und Relativität dieser politischen Setzungen sind überdeckt. Gänzlich ohne historische Darstellung kommt der Bericht des LfV Rheinland-Pfalz aus: »Der Verfassungsschutz als Element der wehrhaften Demokratie dient 4 Schaut man auf Geschichte und Aktualität des (neo)nazistischer Anschläge und Aktivitäten in der Bundesrepublik, scheinen die Selbstdarstellung der Behörden und die Rechtfertigung ihrer Tätigkeit durch den Bezug zur Machtübernahme der NSDAP Hypokrisie. Die Bagatellisierungen, Unterschätzungen und Verflechtungen dieser Entwicklungen wie bspw. beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) (vgl. am Bsp. Hessen Pichl 2015) sind kein neues Phänomen (vgl. Goschler und Wala 2015, 286f.; Kalinowsky 1993; Maegerle, Röpke, und Speit 2013; Radke und Staud 2012). Inzwischen sprechen die Behörden zwar selbst von »Rechtsterrorismus« (vgl.

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dem Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung« (LfV RP 2015, 8). Weitere Klärungen sind dort lediglich den Gesetzestexten im Anhang zu entnehmen (vgl. ebd., 96f.). Was die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ ist, steht gar nicht zur Debatte, scheint selbsterklärend, wird noch nicht einmal, wie in den Berichten oft üblich, durch ein Zitat des SRP-Verbots oder des BVerfSchG expliziert. Der Bericht des LfV Berlin bspw. verweist auf die fdGO-Formel des SRP-Verbots von 1952 als »Kern des demokratischen Verfassungsstaates« (LfV BE 2015, 17), und kann damit zugleich behaupten: »Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig festgelegt« (ebd.). Der Bericht suggeriert durch die fdGO-Formel des BVerfG Klarheit und eine präzise Grenzziehung für politisches Handeln. Mit dieser Selbstverständlichkeit der Grenze für politisches Handeln und vor dem Hintergrund einer bestimmten Darstellung des Scheiterns der Weimarer Republik legitimieren die Behörden ihre Arbeit. Der Nationalsozialismus taucht in der Erzählung zur ›wehrhaften Demokratie‹ weiterhin lediglich abstrakt auf, eine Konkretisierung erfolgt nicht. Statt einer Analyse des NS-Regimes, geht es um die Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik. Wie eine Quintessenz dessen wirkt das Vorwort des Innenministers im Bericht des bayerischen LfV, das auch gleich auf die Folgerung aus der Geschichtserzählung hinweist: Pfahl-Traughber 2012), jedoch hat dies bspw. angesichts der Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten in den Jahren 2015/16 kaum erkennbare Folgen. Zwar arbeiten die Ämter auch hier »präventiv«, indem sie Neonazistrukturen mit Verbindungspersonen (V-Personen) durchsetzen. Doch scheint dies weniger der Verhinderung von Straftaten zu dienen. Vielmehr befördern sie den Aufbau der Strukturen (vgl. Förster 2013, 204ff.) durch juristischen Schutz und finanzielle ›Unterstützung‹. So wiegt der Quellenschutz oftmals höher als die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten (vgl. von der Behrens 2017). Der neueste ›Skandal‹ ist, dass der frühere Chef von »Blood and Honour« eine V-Person gewesen sein soll (vgl. dpa/fo 2017). Das Bundesinnenministerium gab im Winter 2016 an, dass 598 offene Haftbefehle gegen Neonazis vorliegen (vgl. Jansen 2016). Aktuell besitzen etwa 750 Neonazis eine Schusswaffenerlaubnis während Angriffe mit Waffeneinsatz zunehmen (vgl. Flade 2017). Lediglich wohlwollend ließe sich behaupten, dass im aktuellen Fall eines mutmaßlich rechten Netzwerks in der Bundeswehr, das Waffen entwendet und eine Liste mit potentiellen Opfern angelegt hat (vgl. Vates 2017), die ›Prävention‹ des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) funktioniert hat. Zu verfolgen bleibt die Entwicklung aktuell laufender Gerichtsprozesse wie bspw. gegen Beate Zschäpe als Mitglied des NSU, gegen die »Gruppe Freital« (vgl. Maxwill 2017) oder gegen das »Aktionsbündnis Mittelrhein« (vgl. Diehl 2017). Immerhin: die »Oldschool Society« wurde am 15. März 2017 vom Gericht als ›terroristische‹ Vereinigung eingestuft und die Mitglieder zu Haftstrafen verurteilt (vgl. bma/wit/ AFP/dpa 2017).

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Auf die Erkenntnisse und Methoden des Verfassungsschutzes zu verzichten, würde unsere Demokratie blind machen gegenüber jenen, die sie zerstören wollen. [...] Der Präsident und die Mitarbeiter des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz treten mit ihrer Arbeit für die Grundwerte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein. Dafür gebühren ihnen unser Dank und unsere Anerkennung. (LfV BY 2015, 4)

Mit völliger Selbstverständlichkeit legitimieren die Behörden ihre Existenz und Arbeit aus einer hegemonial gewordenen Deutung des Weimarer Scheiterns und aus einer verallgemeinerten und enthistorisierten ­fdGO-Formel (vgl. V 2, 5) . Sie ermöglicht und legitimiert die exekutive Befugnis der geheimdienstlichen Beobachtung durch die Autorität des Verweises auf das BVerfG und mit der vermeintlich historischen Notwendigkeit des Schutzes von Demokratie und Freiheit. Die fdGO kann einer geheimdienstlichen behördlichen Praxis einen rechtsstaatlichen Anstrich geben, da ihre eigene Gewordenheit durch die judikative Objektivierung verdeckt ist. Sie erscheint als universeller Begriff, »unmittelbar einsichtig[e]« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 50, Herv. i. O.) Quintessenz der bundesrepublikanischen Demokratie, obwohl sie im antikommunistischen politischen Strafrecht der 1950er Jahre entstand und auf einer geschichtspolitischen Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik aufbaut, die eine Entschuldung und Reintegration der NS-Funktionselite in die bundesrepublikanischen Staatsapparate ermöglichte. Die Bestimmung, wer die politische Ordnung bedroht, ist den Verfassungsschutzbehörden überlassen. Dabei wird in der Rechtswissenschaft ein weiterer und ein engerer Begriff des Schutzes der Verfassung angenommen (vgl. Denninger 1983, 1297f.). Es gibt in dieser Unterscheidung diejenigen Bürger*innen und staatlichen Akteur*innen, denen grundsätzlich verfassungsgemäßes Handeln unterstellt wird; im Zweifel müssen sie nur noch einmal belehrt werden. Das ist der »weitere« Begriff des Schutzes der Verfassung. Im engeren Sinne geht es um die ›wehrhafte Demokratie‹ und die ›Feinde‹, denen der »Wille zur Verfassung« (ebd., 1297) nicht mehr unterstellt wird. Die ›besorgten Bürger‹ der rassistischen Mobilisierungen in den Jahren 2015/16 bspw. fallen dabei unter den weiteren Begriff. Ihre Ängste ernst zu nehmen und sie wieder besser zu integrieren, ist die Aufgabe der staatlichen Ordnung. Eine Bedrohung für den Staat stellen sie zunächst nicht dar. Ein Beispiel für den engeren Begriff sind stadtpolitische Proteste in Berlin, bei denen das Berliner LfV die Gefahr einer »Unterwanderung« der gesellschaftlich »relevanten« (LfV BE 2015, 6, 129) Themen durch ›linksextremistische‹ Gruppen sieht.5 Daran 5 Ähnlich formuliert es der Hamburger Innensenator in seinem Vorwort zum Bericht des dortigen LfV 2015: »Ich freue mich über das breite gesellschaftliche und demokratische Engagement in diesen und anderen Themenfeldern.

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lässt sich erkennen, dass es nicht in erster Linie um eine inhaltliche Bewertung politischer Ziele geht, sondern um Gruppen, die, egal welche Ziele sie angeben und mit welchen Methoden sie arbeiten, von vornherein als feindlich gegenüber der Demokratie eingestuft werden – ein »Wille zur Verfassung« also nicht unterstellt wird. »Die Grenze wird weder von der Schärfe noch von der Richtigkeit der Kritik bestimmt, sondern von deren politischer Zielsetzung [...] und von dem Ausmaß der öffentlichen Wirksamkeit« (Agnoli 1968, 85). Genauer trifft es die unterstellte politische Zielsetzung oder eben die unterstellte Absicht. Politische Anliegen jener Gruppierungen scheinen lediglich vorgetäuscht, um den Umsturz herbeizuführen. Diese behördliche Praxis ähnelt dem juristischen Blick auf politisches Handeln, den ich in der Analyse der Grundgesetzkommentarliteratur herausgearbeitet habe (vgl. V 6.3). Ob legal oder illegal agiert werde, ist dabei für die Behörden unerheblich, »denn – angesichts höchstrangigster Rechtsgüter – ist den Nachrichtendiensten der Schutz des Staates bereits im Vorfeld der Strafbarkeit übertragen« (Droste 2007, 168). Die Unterstellung der antidemokratischen Staatsfeindlichkeit nach eigenem Ermessen zum Schutz der fdGO ist das relevante Kriterium, nach dem die Behörden tätig werden. Das gilt – hier ist Agnoli zu widersprechen – nicht nur für Gruppen oder Personen, die politisch einen gewissen Grad an Erfolg haben, sondern auch für marginalisierte Gruppen (vgl. V 5.4.3). Die Rechtfertigung der Existenz und Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden baut auf dem normativen Extremismusansatz und dessen Gegenüberstellung von ›demokratischem Verfassungsstaat‹ und ›Extremismus‹ auf.

1.1.2 Administrativer und normativer Extremismusansatz 1.1.2.1 Administrative Verwendung ›Extremismus‹ ist selbst kein Rechtsbegriff, sondern ein »Arbeitsbegriff für die Verwaltungspraxis« (Neugebauer 2000, 18). Er ist von den Verfassungsschutzbehörden in den 1970er Jahren gefestigt worden. Zuvor schwankte die Bezeichnung zwischen ›Radikalismus‹ und ›Extremismus‹. Alle, die sich engagieren, sollten indes acht geben, dass ihre richtigen und wichtigen Ziele nicht von Linksextremisten ausgenutzt werden. Es ist eine eindeutige Strategie von Linksextremisten, genau solche Themen und Fragen zu besetzen, mit denen sie auch im bürgerlichen Spektrum Gehör finden« (LfV HH 2015, 6). Hier wird zugleich deutlich, dass mit der Brille des Verfassungsschutzes politisches Handeln zwar erwünscht, tendenziell aber immer auch bedrohlich sein kann.

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Im Bericht des BfV von 1974 wurde begründet, dass mit ›Extremismus‹ besser zwischen Bestrebungen unterschieden werden könne, die zwar radikal seien, sich aber noch im verfassungskonformen Rahmen bewegen und extremen Positionen, die als ›verfassungsfeindlich‹ und gegen die fdGO einzustufen seien (vgl. BfV 1974, 4). ›Extremismus‹ wird als Begriff in der administrativen Verwendung durch die Abgrenzung von der fdGO definiert. Bei »extremistischen« Straftaten gebe »es Anhaltspunkte [...], dass sie darauf abzielen, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung prägend« (BfV 2015, 25) seien. Diese sei »Kern« des »demokratischen Verfassungsstaates« (LfV BE 2015, 17). »Extremismus« richte sich gegen »seine fundamentale Werte, seine Normen und Regeln« und ziele darauf ab, »die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen« (BMI). Die juristische Behauptung der Existenz einer objektiven Wertordnung und deren Definition (vgl. V 5) dienen als Bezugspunkte für die Innenministerien des Bundes und der Länder und für die ihnen unterstellten Verfassungsschutzbehörden. Sie können dabei auf die verallgemeinerte fdGO aufbauen. Neben dem Extremismusbegriff verwenden die Behörden den der ›Verfassungsfeindlichkeit‹. Über die ›Verfassungswidrigkeit‹ entscheidet das BVerfG. ›Verfassungsfeindlichkeit‹ hingegen kann auch eine Behörde unterstellen (vgl. V 6.4.3). ›Verfassungsfeindlichkeit‹ und ›Extremismus‹ werden dabei weitgehend synonym verwendet und dienen als Begründungen für eventuelle Vereinsverbote. Dabei orientiert sich die administrative Verwendung an dem normativen Extremismusansatz.

1.1.2.2 Der normative Extremismusansatz

1.1.2.2.1 ›Extremismus‹ Die Basis der administrativen Verwendung ist der politikwissenschaftliche, normative Ex­tremismusansatz. Letzterer wird auch als »verfassungspolitische[r]« (Bötticher und Mares 2012, 73) Extremismusansatz bezeichnet. Das Wissen, das die Verfassungsschutzbehörden durch ihre Überwachungs- und Berichtspraxis produzieren, ist inhaltlich wie personell eng verzahnt mit diesem politikwissenschaftlichen Extremismusansatz. Kritiker*innen sprechen von einem »Rezensions- und Zitationskartell« (Mohr und Rübner 2010, 126), das zudem auf finanzielle Unterstützung des Bundesinnenministeriums für eine der Hauptpublikationen, das »Jahrbuch Extremismus & Demokratie«, bauen könne (vgl. ebd.). Die Bundes- und Landesämter verweisen auf die Vertreter*innen 282

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des normativen Ansatzes (vgl. bspw. LfV Berlin 2015, 17) und in der einschlägigen Publikation des normativen Ansatzes finden sich Autor*innen aus den Verfassungsschutzbehörden (vgl. Mohr und Rübner 2010, 126, Fn. 328). Der Konnex aus Wissenschaft und behördlicher Praxis bietet eine scheinbar seriöse Grundlage für die Einteilung in ›extremistisch‹ einerseits und ›demokratisch‹ andererseits. Im normativen Ansatz wird ein schon seit der griechischen Antike existierender Gegensatz zwischen ›extrem‹ und ›gemäßigt‹ behauptet, der sich bis ins 19. Jahrhundert tradiert habe (vgl. Backes 2003). In der französischen Revolution habe sich der Gegensatz mit dem links-rechtsSchema zur Einteilung der politischen Spektren verbunden (vgl. Jaschke 2006, 16). In den 1950er Jahren habe sich ›Extremismus‹ in der Wissenschaft als Gegensatz zur ›liberal democracy‹ langsam etabliert (vgl. Backes und Jesse 1996, 40ff.). Durch die Entgegensetzung von ›Extremismus‹ und ›liberal democracy‹ gewinnt der normative Extremismusansatz die inhaltliche Füllung seiner Begrifflichkeiten. »Extremismus ist das Gegenstück zum demokratischen Verfassungsstaat« (Jesse und Hirschner 2013, 9). Der Extremismusansatz baut argumentativ auf der Bestimmung der fdGO als »Gegenteil des unfreiheitlichen totalitären Staates« (BfV 1974, 3) als »Ausschluß jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft« (BVerfGE 2, 1, 1) auf (vgl. V 6.2.1). Durch diese Negativbestimmung können auch unterschiedliche Phänomene unter dem Extremismusbegriff subsumiert werden: »Der Begriff Extremismus erfaßt in seinem antithetischen Verhältnis zu dem des demokratischen Verfassungsstaates ein breites Feld politischer Akteure [...]« (Backes und Jesse 1996, 53). Die Ablehnung des »demokratischen Verfassungsstaates« sei der gemeinsame Nenner der verschiedenen Strömungen (vgl. ebd., 51). Das Problem des mangelnden wissenschaftlichen Konsenses über die Begriffe ›Extremismus‹ und ›Demokratie‹ wird durch den Verweis auf ihre Gegensätzlichkeit verkleinert, konkrete Abgrenzungsschwierigkeiten werden mit der »Tarnung« (ebd.) von ›Extremist*innen‹ begründet, aber nicht als Problem der Begrifflichkeiten gesehen. Dennoch definiert der normative Extremismusansatz auf dieser Grundlage »[r]echte und linke Varianten« (ebd., 53) des ›Extremismus‹ und sortiert verschiedene Personen, Parteien oder Gruppen ein.6 Diese Einteilungen finden sich wiederum in den jährlichen amtlichen Berichten der Ämter für Verfassungsschutz wieder.

6 Auf eine detailliertere, kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Begrifflichkeiten verweise ich an dieser Stelle lediglich: zu ›Rechtsextremismus‹ vgl. Kiess 2011; Stöss 2000; Zimmermann 2010, 273ff., zu ›Linksextremismus‹ vgl. Feustel, Stange, und Stohschneider 2012; Fuhrmann 2017;

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1.1.2.2.2 Demokratischer Verfassungsstaat Den Begriff des demokratischen Verfassungsstaates bestimmt der normative Extremismusansatz aus einer politischen Ideengeschichte von Aristoteles über Rousseau7, die französische Revolution und den deutschen Vormärz bis zu neueren Darstellungen von Carl Joachim Friedrich, Karl Loewenstein8 und Ernst Fraenkel (vgl. Backes und Jesse 1996, 34ff.). Dazu werden verschiedene Attribute zum Begriff Demokratie hinzugefügt und Fragmente politischer Philosophie (Konstitutionalismus und Gewaltenteilung) sowie politische Forderungen aus der französischen Revolution und dem deutschen Vormärz (bürgerliche Freiheitsrechte) dargestellt. Allerdings bleibt eine historische Kontextualisierung ebenso wie eine Benennung der zur Erringung bürgerlicher Freiheitsrechte notwendigen politischen Rechte aus. Die »Ausrichtung des Staates auf den Grundwert der Menschenwürde« (ebd., 38), die Gewaltenteilung und die bürgerlichen Freiheitsrechte bilden eine »›freiheitliche‹ Demokratie« (ebd.). Hinzugefügt werden die Pluralismuskonzeption und das Neugebauer 2000, 23ff., zu ›Ausländerextremismus‹ und ›islamistischer Extremismus‹ vgl. Scheuring und Rodatz 2011. 7 Rousseaus Vertragstheorie erhält in der Darstellung von Backes und Jesse (1996, 35) zwar selbst nur zitiert, aber durchaus zustimmend, das Etikett der »totalitären Demokratie«, wie es auch im Parlamentarischen Rat während der Debatte um die Adjektive »freiheitlich« und »volksdemokratisch[...]« (von Mangoldt, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) vorgetragen wurde (vgl. V 2.3). Gestützt wird diese Charakterisierung Rousseaus als totalitärer Vordenker auf eine »Identitätstheorie«, die Regierte und Regierende nicht mehr trennen wolle und daraus einen »volonté générale« konstruiere (vgl. Backes und Jesse 1996, 34f.; Kailitz 2004, 20). Rousseaus politische Philosophie wird damit verkürzt, die Rezeption seines Werkes (vgl. dazu Jesko und Tröhler 2013) in den letzten Jahrhunderten nur unzureichend dargestellt. Rousseau (vgl. 1754, 37; 2010, 186, 208f.) proklamierte (im Gegensatz zu Carl Schmitt) keine völkische Homogenität, sondern sah in den Eigentumsverhältnissen den Ursprung der sozialen Ungleichheit der Menschen und den Grund für die politische Konflikthaftigkeit von Gesellschaft. Er fragte, wie unter diesen Umständen ein Staat von Dauer sein könne (vgl. Rousseau 2010, 194f.). Eine in der politischen Ideengeschichte informierte Analyse dieser gerade im deutschen Sprachraum auftauchenden Rezeption von Rousseau könnte Erkenntnisse zu Staats- und Demokratieverständnis sowie zur politischen Kultur in Deutschland geben. Ebenso gäbe sie Aufschluss über die Ablehnung von Rousseau als vermeintlichem Vordenker des Totalitarismus, wo er doch auf die Eigentumsverhältnisse abzielte. 8 Zu Karl Loewensteins Konzeption der »militant democracy«, die die Demokratie vor dem aufkommenden Faschismus schützen will und keinen universalen antitotalitaristischen oder anti­extremistischen Wert setzt: vgl. IV 4.

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Repräsentationsprinzip mit Bezug auf die Theorien Fraenkels.9 Die Begrenzung des Pluralismus wird sogleich benannt: »Freilich vermag der Konfliktaustrag nur dann friedlich vonstatten zu gehen, wenn alle Akteure ein Minimum an Werten und Spielregeln akzeptieren (›freiheitliche demokratische Grundordnung‹, ›fair play‹)« (ebd., 39). Der demokratische Verfassungsstaat als Begriff im normativen Extremismusansatz bedeutet zusammengefasst: »konstitutionelle, gewaltenteilende, freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie«, »pluralistisch ausgerichtet«, aber mit »Anerkennung einer naturgegebenen Vielfalt von Interessen, Meinungen und Überzeugungen« (ebd., 38). 9 Die sich anbietende Darstellung der konservativ-autoritären Demokratiekonzeption von Carl Schmitt (1996 [1932], 44f.), der zur Voraussetzung von Demokratie die Homogenität des Volkes macht und deshalb Pluralismus ablehnt, taucht hingegen im normativen Extremismusansatz nicht auf. Kailitz (vgl. 2004, 19) benennt Schmitt in seiner Darstellung zumindest, bei Backes und Jesse (vgl. 1996, 34f.) bleibt dieser Bezug außen vor. Der Schritt von Schmitts »Demokratiekonzeption« zum Antisemitismus des NS war nicht mehr weit (vgl. Fraenkel 1973, 205f.). In Abgrenzung zur Denktradition Schmitts hatte Fraenkel (vgl. bspw. 1984 [1941], 139) seinen Pluralismusansatz entwickelt. Nicht trotz, sondern dank der Existenz verschiedener Interessenverbände könne sich ein Gemeinwohl herausbilden (vgl. Fraenkel 1973, 46), dazu brauche es keine völkische Homogenität. Backes und Jesse zwängen Fraenkel mit ihrer Darstellung in eine Denktradition, gegen die er in seinem Werk konstant anschrieb. Sie verwechseln Fraenkels (vgl. 1984 [1941], 152ff.) Proklamation eines ›rationalen Naturrechts‹ mit der »naturgegebenen Vielfalt von Interessen, Meinungen und Überzeugungen« (Backes und Jesse 1996, 38). Im rationalen oder weltlichen Naturrecht sind alle Menschen gleich, d.h. auch gleich vernunftbegabt. In einer Welt, die auf sozialer Ungleichheit beruht, führt dies notwendig zu gesellschaftlichen Konflikten. Deshalb braucht es Pluralismus, damit diese Konflikte gemildert werden können. Die Ungleichheit selbst ist aber nicht naturgegeben. Der Nationalsozialismus und die konservativ-etatistische Staatslehre z.B. in persona von Schmitt behauptete dies aber und lehnte die abstrakte Gleichheit der Menschen ab: »Der Nationalsozialismus geht [...] von der rassisch bedingten und jeder menschlichen Einwirkung entzogenen Ungleichheit aller Menschen aus« (Fraenkel 1984 [1941], 142f.). Genau dagegen führte Fraenkel ein ›rationales Naturrecht‹ und seine Pluralismuskonzeption strategisch ins Feld (vgl. Perels 2007, 289f.). Der NS lehnte jegliche Begrenzung der Macht ab (vgl. Fraenkel 1984 [1941], 143). Das Naturrecht ist eben auch das Recht der Menschen, sich zu wehren. Es ist eine Begrenzung der Macht. Fraenkel findet sich allerdings mit dieser Argumentation in einer Tradition der politischen Philosophie wieder, die je nach gesellschaftlichen Vorzeichen, das Naturrechtsdenken mal als »freiheitsbegründendes« mal als »apologetisch[es]« Recht anwendete (vgl. F. Neumann 1937, 554f.; Perels 2007, 288).

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Die Definition der fdGO durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. V 5.2) sei »recht treffend« (ebd., 467). Einige Prinzipien der Definition überlappen sich zwar oder bedürfen der Relativierung (Gewaltenteilung, Volkssouveränität), doch sie sei »ausreichend präzise, so daß sich Bestrebungen gegen die freiheitliche Ordnung leicht ausmachen lassen« (ebd.). In die Darstellung des demokratischen Verfassungsstaates sind die fdGO-Merkmale der Definition des Bundesverfassungsgerichts eingewoben. Auch »Willkürherrschaft« (ebd., 38), die durch die Mechanismen des demokratischen Verfassungsstaates verhindert werde, taucht auf. Die Darstellung von Charakteristiken des demokratischen Verfassungsstaates ist enthistorisiert und passt sich damit an die verallgemeinerte fdGO-Formel des BVerfG an. Die in Auseinandersetzungen mit dem absolutistischen Staat vonseiten des Besitzbürgertums und als politische Forderungen der nicht-besitzenden Bevölkerung aufgekommenen Begrenzungen feudaler Macht sind ihrem Entstehungskontext entzogen. Die damit einhergehenden politisch-prozessualen Rechte als Bedingung der Konstitution von Demokratie, also gerade auch die Wechselseitigkeit von Rechtsstaat und Demokratie (vgl. II 3), werden vom normativen Extremismusansatz zu Teilhaberechten verkleinert. Die fdGO wird zur abstrakten »Spielregel[...]«, zum »fair play« (ebd., 39). Hinzu kommt die Behauptung, Interessenskonflikte seien »naturgegeben« (ebd., 38). Herrschaftsverhältnisse und Widersprüche werden damit auf Meinungsverschiedenheiten reduziert und als natürliche, nicht als gesellschaftlich gewordene begriffen. Die »essentialistische Begriffsbestimmung« und die »idealtypische« Setzung »›ewiger‹ Verfassungsgrundsätze« wird auch von anderen Studien, die ›Extremismus‹ als politisches Phänomen zu fassen suchen, zutreffend kritisiert (Bötticher und Mares 2012, 79). Die Charakterisierung des demokratischen Verfassungsstaates im normativen Ansatz ist zudem tautologisch. Der Begriff ist gefüllt mit ›freiheitlicher‹ Demokratie und diese ist, benannt als ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹, zugleich die Begrenzung des pluralistischen Meinungsstreits.10 Der Signifikant wird hier zugleich die Begrenzung des Signifikats, des Begriffes, den er bezeichnen soll. Dennoch soll mit dem Bezug zur verfassungsgerichtlichen fdGO-Formel von 1952 eine »ausreichend präzise« (Backes und Jesse 1996, 467) Grenze für politisches Handeln, also zwischen demokratisch und ›extremistisch‹ gefunden worden sein. In der Kritik am Extremismusansatz11 wird konstatiert, dass ›Extremismus‹ und fdGO gegenseitig aufeinander bezogen werden, um den 10 Vgl. zum Relativismus Fn. 73, Kap. V. 11 Es gibt zahlreiche elaborierte Kritiken des administrativen und normativen Extremismusansatzes, auf die ich hier allerdings lediglich verweisen möchte

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jeweils anderen Begriff zu konkretisieren, ohne selbst ausreichend bestimmt zu sein (vgl. Ackermann u. a. 2015, 162). Der Feststellung dieser strategisch-argumentativen Praxis des administrativen wie des normativen Extremismusansatzes ist zwar zuzustimmen, ist es doch das »antithetische[...] Verhältnis« (Backes und Jesse 1996, 53), das beide Begriffe klären soll. Doch vernachlässigt die Kritik die rechts- und staatstheoretische Einbettung der fdGO und des Konzepts der ›wehrhaften Demokratie‹. Die fdGO ist flexibel einsetzbar, aber nicht unbestimmt. Als Begriff stellt sie eine Verallgemeinerung – sprich: Enthistorisierung, Entkontextualisierung und Universalisierung – von Prinzipien bürgerlicher Staatlichkeit dar, die im aufkommenden Kalten Krieg antikommunistische Vorzeichen bekommen haben (vgl. V 1, 2). Das ist nicht unbestimmt, sondern sehr deutlich: Der Kern der Bundesrepublik ist bürgerliche Staatlichkeit als Mechanismus zur Naturalisierung von Herrschaftsverhältnissen und der vermeintlich neutralen Schlichtung der gesellschaftlichen Widersprüche, die aus Herrschaftsverhältnissen entstehen. Sie begrenzt die Möglichkeit, von politischer Gleichheit auch zur sozialen weiterzugehen (vgl. II 3, 4). Wann politische Teilhabe diesen Staat bedroht, ist flexibel bestimmbar und dann durch die Verfassungsschutzbehörden als ›extremistisch‹ oder ›verfassungsfeindlich‹ etikettierbar. Die Benennung der fdGO als »demokratische[r] Minimalkonsensus« (Backes und Jesse 1996, 83) im normativen Extremismusansatz führt genau jene Enthistorisierung von Prinzipien, die aus politischen Auseinandersetzungen mit absolutistischem Staat und feudaler Herrschaft hervorgegangen sind, fort.

1.1.2.2.3 ›Streitbare Demokratie‹ Als Schutzkonzept des demokratischen Verfassungsstaates vor ›Extremismus‹ diene die »streitbare Demokratie« (Backes und Jesse 1996, 461), die durch »Wertgebundenheit«, »Abwehrbereitschaft« und »Vorverlagerung des Verfassungsschutzes« (Backes und Jesse 1996, 464) gekennzeichnet sei. Dies sei im Verfassungsgebungsprozess aus der (vgl. Ackermann u. a. 2015; Butterwegge 2010; Feustel, Stange, und Stohschneider 2012; Forum kritische Rechtsextremismusforschung 2011; Mohr und Rübner 2010; Neugebauer 2010; Zimmermann 2010). Die Kritiken zielen auf die methodischen und begrifflichen Widersprüche und Ungenauigkeiten des Extremismusansatzes, kritisieren seine tautologischen Muster und seine politische Ausrichtung. Geschichtspolitische Einordnungen des normativen und administrativen Extremismusansatzes und der ›wehrhaften Demokratie‹ aus früheren Jahrzehnten (vgl. Leggewie und Meier 1995; Ridder 1975, 1984; Römer 1989; Schneider 1977) werden allerdings nicht rezipiert, die rechtswissenschaftliche Expertise und staatstheoretische Einordnung gehen damit in der heutigen politikwissenschaftlichen Kritik verloren.

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»Auseinandersetzung mit dem totalitären Staat« (Bötticher und Mares 2012, 40) entstanden. Das Grundgesetz sei »antiextremistisch« ausgerichtet, im Gegensatz zur »Hilflosigkeit der relativistisch geprägten Demokratie des Weimarer Typs« (Jesse 2011, 83). Als Beispiele für die Bedrohungen, denen der demokratische Verfassungsstaat ausgesetzt sei, werden die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtübernahme angeführt: Denn in jener Zeit [zwischen den zwei Weltkriegen, Anm. d. Verf.] entwickelten sich ungefestigte Demokratien zu autoritären Staaten oder wurden gar von totalitären Bewegungen überrannt. Musterfall für letztes Beispiel ist der Nationalsozialismus, der auf legale Weise – jedenfalls was die Kanzlerschaft Hitlers angeht – an die Macht kam, schon bald eine politische Gleichschaltung vollzog und dann eine in den Krieg mündende Diktatur totalitären Charakters errichtete. (Backes und Jesse 1996, 462f.)

Diese Geschichtsdarstellung lässt die politischen und sozialen Konflikte aus, die im Kompromiss der Weimarer Republik angelegt waren. Die konservative und monarchistische Skepsis gegenüber demokratischer Beteiligung wurde durch die antipositivistische Staatsrechtslehre komplettiert. Denn diese proklamierte eine staatliche Substanz, die dem Pluralismus und formaler Gleichheit entzogen sein müsste. Das Potential demokratischer Partizipation, gesellschaftliche Privilegien anzutasten, konnte so eingehegt werden (vgl. IV). An den Pfeilern der Republik sägten Bürokratie und Justiz. Statt historisch fundiert zu argumentieren, kennzeichnet der normative Extremismusansatz den Nationalsozialismus, der selbst auf der von der antipositivistischen Staatsrechtslehre behaupteten Substanzhaftigkeit und der konservativen Abwehr vor politisch-prozessualen Rechten und Demokratisierung aufbauen konnte (vgl. IV 3), als Phänomen, das die Weimarer Republik »überrannt[e]« (ebd., 463). Der NS wird damit völlig entkoppelt von seinen Entstehungsbedingungen, gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen sowie antisemitischen Traditionen und autoritären Dispositionen der deutschen Gesellschaft. Die Machtübernahme wird als »legal – jedenfalls was die Kanzlerschaft Hitlers angeht« (ebd.) gekennzeichnet, was die historische Realität unterkomplex darstellt (vgl. IV 2.2) und ein Element nationalsozialistischer Propaganda (vgl. Scheuner 1934, 166; Triepel 1933, 1) zur Festigung des neu zu installierenden politischen Systems schlicht übernimmt. Das präventive Vorgehen der Verfassungsschutzbehörden gegen legal handelnde politische Akteur*innen baut auf dieser Erzählung auf und stellt einen Kontrast zur vermeintlichen Wehrlosigkeit der Weimarer Republik dar. Dass diese Wehrlosigkeit ein Mythos ist, weist Gusy (1991) in seiner rechtshistorischen Studie »Weimar – die wehrlose Republik?« nach. Diese wird in den Fußnoten bei Jesse und Backes lediglich als Versuch der 288

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Entkräftung der Wehrlosigkeitsthese gewertet, ohne dazu Argumente vorzubringen (vgl. Backes und Jesse 1996, 463, Fn. 5; Jesse 2011, 83, Fn. 4).12 Zudem werden die Notwendigkeit der Festigung der NS-Machtübernahme und die Transformation von Demokratie zu Diktatur lediglich mit »Gleichschaltung« (Backes und Jesse 1996, 463) benannt.13 Doch auch das nationalsozialistische System war nicht von heute auf morgen, von Ende Januar 1933 bis Anfang Februar 1933, klar und gefestigt. Strukturen, Machtverhältnisse und Herrschaftstechniken wurden von der NS-Funktionselite implementiert, erprobt, verworfen und (weiter-)entwickelt. Fraenkel (vgl. 1984 [1941]; 1968), auf den sich Jesse und Backes im Aspekt des Pluralismus beziehen, wäre ein historisch und juristisch informierter Politikwissenschaftler zur Darstellung eines solchen Transformationsprozesses gewesen. Doch diese Darstellung hätte die Richtigkeit des normativen Ex­tremismusansatzes und die Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹ in Frage gestellt, vertritt Fraenkel (vgl. 1968 [1932b], 91) doch die Gegenthese zur ›legalen‹ Machtübernahme und entlarvt sie als nationalsozialistische Propaganda. Wie sehr der normative Extremismusansatz dieser immer noch wirkmächtigen nationalsozialistischen Propaganda aufsitzt, belegt auch folgende Aussage zum vermeintlichen Wertrelativismus in der Weimarer Republik: Die Weimarer Demokratie war weder wertgebunden noch streitbar – ungeachtet einiger Schutzvorkehrungen. Wertrelativistisches Denken überwog – auch und gerade bei jenen Verfassungsrechtlern wie Gerhard Anschütz und Hans Kelsen, die sich demokratischen Prinzipien verpflichtet fühlten. [...] Denn ein Staat, der die Bindungen an Werte verwirft, vermag auch nicht in angemessener Weise »Abwehrbereitschaft« an den Tag zu legen. (Backes und Jesse 1996, 463)

Gerade die (rechts-)konservative Frontstellung gegen den juristischen Positivismus hatte die Substantialisierung des Staates vorangetrieben, auf die auch der Nationalsozialismus aufbauen konnte (vgl. IV 3). Diejenigen, die von staatsrechtlicher Seite gegen den Positivismus anschrieben und gerade Kelsen als ihren Feind auserkoren hatten, kamen 1936 auf einer Tagung des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes (NSRB, vgl. Fn. 1, Kap. III) zum Thema »Das Judentum in der Rechtswissenschaft« 12 Andere Extremismustheoretiker*innen weisen diese Studie nicht zurück und bezeichnen die Wehrlosigkeit Weimars treffend als »Gründungsmythos« (Bötticher und Mares 2012, 42) der Bundesrepublik. Dies führt allerdings lediglich zur Erkenntnis, dass es in Weimar an Demokrat*innen gemangelt habe (ebd., 43), nicht zu weiteren historischen Erörterungen über die Rolle der juristischen und politischen Eliten in Weimar. 13 Vgl. stattdessen bspw. Frei 2013.

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zusammen. Carl Schmitt, einer der prominentesten Gegner Kelsens, sagte dort: Durch die Referate hindurch zog sich die Erkenntnis, wie stark das jüdische Gesetzesdenken auf sämtlichen Gebieten des Rechtslebens zur Herrschaft gelangt und wie wenig dieses Gesetzesdenken mit dem Rechts- und Gesetzesgefühl der deutschen Menschen auch nur vergleichsweise in Beziehung gebracht werden kann. [...] Die Polarität von jüdischem Chaos und jüdischer Gesetzlichkeit, von anarchistischem Nihilismus und positivistischem Normativismus, von grob sensualistischem Materialismus und abstraktem Moralismus steht jetzt so klar und plastisch vor unseren Augen, daß wir diese Tatsache als eine wissenschaftliche, auch für die Rassenseelenkunde entscheidende Erkenntnis unserer Tagung der weiteren rechtswissenschaftlichen Arbeit zugrunde legen können. (Schmitt 1936, 28)

Schmitt stellte die Notwendigkeit der Herstellung eines »deutsche[n] rechtswissenschaftliche[n] Schrifttum[s]«, das vom »jüdischen Geist« (ebd., 29) ›gesäubert‹ werden müsse, dar und bemängelte zudem, dass sich »die Wiener Schule des Juden Kelsen« (ebd., 30) untereinander selbst zitiere. Kelsens Rechtspositivismus ist hier in antisemitischer Manier mit der Ablehnung metaphysischer oder substanzhafter Wertsetzungen – »anarchistischem Nihilismus und positivistischem Normativismus« – sowie liberaler Gleichheit – »abstraktem Moralismus« – einem »deutschen Rechtsdenken« entgegengesetzt, dass sich auf Volk und Staat als Substanz beziehen kann. Genau die vermeintliche Vorherrschaft des Wertrelativismus in der Rechtslehre der Weimarer Republik für die nationalsozialistische Macht­ übernahme verantwortlich zu machen, steht in dieser antipositivistischen Traditionslinie der deutschen Staatsrechtslehre, die sich auch im Nationalsozialismus weiterentwickelte. Das waren die Argumente gegen den »jüdischen Geist«, der sich in der »deutschen Rechtswissenschaft« breit gemacht habe. Der deutsche Staat sei mittels der »funktionalistischen Wertneutralität« (Schmitt 1980 [1932], 97) zum »Raub«-gut (Forsthoff 1934, 31) des gesellschaftlichen Pluralismus geworden. Dass dies nun dem Schutz der Demokratie in der Bundesrepublik dienen solle, ist eine Verdrehung geschichtlicher Tatsachen und historisch betrachtet ein Skandal (vgl. Maus 1986, 45), der sich darin fortsetzte, dass Viele der ersten Personalgeneration der Verfassungsschutzämter aus der alten NS-Funktionselite stammten (vgl. Goschler und Wala 2015, 54, 64, 69ff.; Rigoll 2013, 179ff.). Die ausgiebige Beschäftigung mit einem methodisch und inhaltlich fragwürdigen Konzept, wie dem normativen Extremismusansatz, der vor allem durch zwei prominente Wissenschaftler vorangetrieben wird, kann 290

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durchaus in Frage gestellt werden. Allerdings ist dessen Wirkmächtigkeit durch die Verbindung mit der amtlichen Betrachtung nicht von der Hand zu weisen und bleibt nach wie vor aktuell. Das Bundesinnenministerium und die Verfassungsschutzbehörden arbeiten auf dieser Grundlage und es gibt personelle Überschneidungen. ›Extremismus‹ und ›Verfassungsfeindlichkeit‹ sind funktionale Begriffe, die den exekutiven Ermessensspielraum erweitert haben und diskursiv leichter eingesetzt werden können als juristische Fachtermini. Dabei dienen sie der Rechtfertigung für geheimdienstliche Beobachtung und ermöglichen die Delegitimierung und Kriminalisierung politischer Akteur*innen (vgl. VI 2.2). Anhand des Konzepts »Verfassungsschutz durch Aufklärung« und des Vordringens der Behörden in die politische Bildung möchte ich die Relevanz dieser Auseinandersetzung verdeutlichen.

1.1.3 »Verfassungsschutz durch Aufklärung« Der Verfassungsschutz sieht sich selbst als »talking head« (Schreiber 2010, 34). Wir haben mit Absicht keine polizeilichen Befugnisse, sondern das Recht, zu hören, zu sehen und wahrzunehmen, zu überdenken und abzugleichen und letztlich weiterzusagen, was wir erfahren haben. Die Arme und Füße der Demokratie hingegen sind beim aufgeklärten Bürger selbst. (ebd., 34f.)

Der Kopf der Bürger*innen – nur jenen, denen der »Wille[...] zur Verfassung« (Denninger 1983, 1297) unterstellt ist – sei der Verfassungsschutz, der sie vor gefährlichen Bestre­bungen warne und sie zum Handeln veranlasse. »Die Grundlagen ihrer Ordnung [der streitbaren Demokratie, Anm. d. Verf.] sollen von ihren Bürgern und vom Staat verteidigt werden« (Droste 2007, 196). Doch die Bürger*innen sollen zunächst befähigt werden, »den Feind« zu erkennen, denn der »Ansatz der Verfassungsfeinde ist ›unten‹«, schreiben Hans Joachim Schwagerl und Rolf Walter (1968, 61) in ihrem »Handbuch für Theorie und Praxis« zum Schutz der Verfassung. Als Masse, die den Falschen auf den Leim gehe, seien auch die Bürger*innen gefährlich. Doch »die stärkeren Argumente besitzt die freiheitliche demokratische Grundordnung. Für sie lohnt sich der unermüdliche Einsatz aller Kräfte« (ebd., 318).14 Die Verfassungsschutzbehörden sehen ihren Auftrag neben dem Beobachten der ›Feinde‹ vor allem auch 14 Schwagerl arbeitete von 1959 bis 1965 beim BfV in der Abteilung »Spionageabwehr« und leitete danach das Referat »Positiver Verfassungsschutz« im hessischen Innenministerium. Er kritisierte den etatistischen Fokus der Behörde und forderte eine stärkere Betonung der fdGO als Schutzgut (vgl.

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in der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, der Befähigung der Bürger*innen zur Verteidigung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹. Zustimmung zur bestehenden Ordnung entsteht nicht nur durch direkte Repression, sondern auch mittels politisch-diskursiver Deutungshoheit und dem Versuch der Einflussnahme. Als staatliche Behörden haben die Ämter für Verfassungsschutz ein »Informationsmonopol« und die »Definitionsmacht« (Hofferbert 1977, 644). Das Konzept »Verfassungsschutz durch Aufklärung« (BfV 2015, 19) steht dafür exemplarisch. Dazu gehören jährliche Berichte und Öffentlichkeitsarbeit durch Webauftritte, Ausstel­lungen sowie Newsletter. Es soll die »geistig-politische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ausprägungen des Extremismus« (BfV 2015, 14) vorantreiben, da ohne diese Auseinandersetzung die fdGO nicht dauerhaft bewahrt werden könne. Nach § 3 BVerfSchG ist es unter anderem Aufgabe der Behörden, Informationen über Bestrebungen gegen die fdGO zu sammeln und auszuwerten. In § 16 Abs. 2 BVerfSchG (»Verfassungsschutz durch Aufklärung der Öffentlichkeit«) ist normiert, dass die Behörden die Öffentlichkeit mindestens einmal im Jahr durch einen Bericht informieren müssen. Darin ist kein Bildungsauftrag, sondern lediglich eine Informationspflicht zu sehen (vgl. Wiedemann 2013, 124), die der Präsident des Bundesamtes 1960, Hubert Schrübbers (CDU)15, zunächst sogar als Aufgabe auslagern wollte (vgl. Schwagerl 1985, 242). Dennoch erscheinen seit 1961 jährlich Verfassungsschutzberichte, zunächst zum »Rechtsradikalismus« (BfV 1962) und ab 1964 ebenso zu »kommunistischen Tätigkeiten« (BfV 1965). Die Berichte unterrichten nach eigener Aussage »über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrelevanten Entwicklungen und deren Bewertung« (BfV 2015, 14). Sie seien eine Reaktion auf die »Last der Vergangenheit« (Jesse 2007, 13), »eine Maßnahme der streitbaren Demokratie« (ebd., 32). Das heißt, sie benennen Gruppen, Parteien oder Einzelpersonen als ›verfassungsfeindlich‹ bzw. ›extremistisch‹ nach eigener Definitionsgrundlage und publizieren ›Erkenntnisse‹ über sie. Diese Erkenntnisse basieren inhaltlich auf dem normativen Extremismusansatz und infrastrukturell auf Datenbeschaffung durch öffentlich zugängliche Quellen oder Goschler und Wala 2015, 277). Schwagerl und der Mitautor des Handbuches, Walther, können als Vorreiter des Vordringens der Verfassungsschutzbehörden in die politische Bildung gelten (vgl. Goschler und Wala 2015, 336). 15 Hubert Schrübbers studierte Rechtswissenschaft und war von 1938 bis 1948 Staatsanwalt in Bochum, Dortmund und Arnsberg, dann Oberstaatsanwalt in Hamm. Er war Mitglied des NSRB und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (vgl. Goschler und Wala 2015, 170). 1950 wurde er Bundesanwalt beim BGH, 1953 Generalstaatsanwalt in Düsseldorf. 1955 bis 1972 war er Präsident des BfV.

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geheimdienstliche Praktiken wie dem Einsatz von V-Personen, Spion*innen oder der Überwachung von Kommunikationswegen. In den Berichten geht es »von vornherein kaum um die Weitergabe nachrichtendienstlich erworbener Erkenntnisse, sondern um die Deutungshoheit des Staates bei der Beurteilung seiner KritikerInnen und GegnerInnen« (Wiedemann 2013, 123). Wie ›Aufklärung‹ und Repression dabei zusammengehen, zeigen die Versuche, die Gemeinnützigkeit von Vereinen an ihre Nicht-Nennung in den Verfassungsschutzberichten zu knüpfen (vgl. Eick 2012). Damit haben die Ämter eine indirekte Entscheidungsgewalt über die Gemeinnützigkeit von Vereinen und so auch über deren finanzielle Ressourcen. Klagen bspw. der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten« oder des Jugend- und Kulturzentrums »Conne Island« gegen diese Praxis waren allerdings erfolgreich (vgl. ebd., 2f.). Die Berichte haben dabei vor allem seit den 1990er Jahren eine Tendenz zur optischen Verwissenschaftlichung, die der Beurteilung der Behörden die »Insignien wissenschaft­licher Objektivität und Validität« (Ackermann u. a. 2015, 220) verleiht. Das ist durchaus intendiert. Den Nachrichtendiensten sei es ein Anliegen, mit dem »analytischen Anspruch der Wissenschaft mit[zu]halten« (Pfahl-Traughber 2010, 26).16 ›Extremistische‹ Bestre­bungen sollen nicht mehr nur über ein »juristisches Raster«, sondern auch politisch analysiert werden (ebd., 25).17 Neben dieser ›Wissenschaftlichkeit‹ haben die Behörden die Autorität des Staates auf ihrer Seite, auf welche Presse, Lehrer*innen oder Kommunen vertrauen, obwohl die Etikettierungen in gerichtlichen Streitfällen schon öfter revidiert werden mussten (vgl. Kohlstruck 2013, 116). Gelegentlich sind die Ämter zwar durch Klagen gezwungen, ihre Einstufungen zurückzunehmen (bspw. der Zeitschrift LOTTA), doch bleibt das Etikett ›extremistisch‹ im öffentlichen Gedächtnis nur allzu oft hängen. Auch der normative Extremismusansatz trägt zur Aura der Wissenschaftlichkeit bei. Die Vertreter*innen des Ansatzes selbst bezeichnen als ihren wissenschaftlich-normativen Maßstab den »demokratischen 16 Armin Pfahl-Traughber war selbst von 1994 bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referatsleiter der Abteilung »Rechtsextremismus« im BfV. Seit 2004 ist er Professor an der Fachhochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung und doziert außerdem an der Schule für Verfassungsschutz in Heimerzheim. Pfahl-Traughber ist damit ein gutes Beispiel für die Verzahnung von amtlichem und normativem Extremismusansatz. 17 Wie weit diese politische Analyse gehen soll, erklärt Pfahl-Traughber nicht. Zwar sind die juristischen Erläuterungen oft tautologisch. Doch ist hier zumindest der Versuch gemacht, in der Neutralität des Rechts Aussagen zu treffen. Wenn dies nun hin zum Politischen geöffnet wird, besteht die Gefahr, dass ein Geheimdienst Aussagen darüber macht, was politisch gefordert werden darf und was nicht.

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Verfassungsstaat« (Jesse und Lang 2008, 269) und verbinden damit vermeintlich neutrales (= demokratisches und der Vielfalt der Meinungen Rechnung tragendes) Forschungsinteresse, also eine »anti-extremistische Haltung mit einer normativ-ontologischen Perspektive« (Zimmermann 2010, 273). Wissenschaftlichkeit ist der Objektivierung zuträglich, suggeriert sie doch Neutralität. Neben den Berichten sind die Verfassungsschutzbehörden in der politischen Bildung präsent. Auch dies sei Teil des Konzepts »Verfassungsschutz durch Aufklärung« (vgl. Grumke und Pfahl-Traughber 2010). Schüler sind eine Zielgruppe, die in der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes eine besondere Rolle spielen. Ihnen den Unterschied von Demokratie und Extremismus zu vermitteln, ist in einer Demokratie, die sich als wehrhaft versteht, eine wichtige Aufgabe. Teilweise mehrmals in der Woche sind Mitarbeiter des Referates ›Verfassungsschutz durch Aufklärung‹ in Brandenburg deswegen unterwegs. Bei uns können Schülerinnen und Schüler unter pädagogischer Begleitung im Rahmen von Projekttagen selbst in die Rolle eines Verfassungsschützers schlüpfen. (Schreiber 2010, 37)

Zur politischen Bildungsarbeit gehören Projekttage an Schulen oder Bildungsmaterial, das für den Unterricht zur Verfügung gestellt wird. Es gibt Info-Mobile, Internetseiten, Comics und Plan- oder Computerspiele vom Verfassungsschutz. Die Aufgabe der Informationspflicht der Öffentlichkeit nach § 16 Abs. 2 BVerfSchG ist damit um politische Bildungsarbeit erweitert. Der Verfassungsschutz übernimmt »volkspädagogische Aufgaben« und will sich als »Kontrollinstanz gesellschaftlicher Diskurse« etablieren (Kohlstruck 2013, 113). Ein prägnantes Beispiel für die Bildungsarbeit der Behörden sind die Andi-Comics des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (vgl. zur Kritik Arbeitskreis Extremismusbegriff 2012). In drei Ausgaben zeigen die Comics die Gefahren der Verfassungsschutzkategorien ›Rechts-‹, ›Links-‹› und ›Ausländerextremismus‹. Sie vermitteln, dass politisches Handeln sich im Rahmen der bestehenden Ordnung zu bewegen habe und dass es potentiell immer unter den Augen der Behörden stattfinde. Dabei soll ein »positiver Bezug auf die freiheitliche demokratische Grundordnung [...] Dreh- und Angelpunkt des ›Andi‹-Projekts« (Grumke 2010, 94) sein. Im ersten Andi-Comic ist bspw. zu lesen: »Wer demokratiefeindliche Propaganda mit dem Ziel verteilt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen, kann sich nicht mehr auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, da er den Kern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung selbst angreift« (CoDeX 1, 14). Im Informationsteil des Comics wird die fdGO wieder aufgegriffen und die Definition des BVerfG zitiert. Zur Veranschaulichung sind 294

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die einzelnen Bestandteile der fdGO als Basketballteam dargestellt; jede*r Spieler*in erhält ein Element der verfassungsgerichtlichen Definition von 1952 (ebd., 40). Erklärt wird, dass es ausreiche, wenn eine Person oder Gruppe auf die Beseitigung oder Untergrabung eines der Bestandteile hinarbeite, um ›verfassungsfeindlich‹ zu sein. Neben der tautologischen Legitimation der Arbeitsgrundlage der Behörden – wer Propaganda gegen die fdGO macht, greift die fdGO an – wird in den Andi-Comics mittels der fdGO das präventive Beobachten nach eigenen behördlichen Maßstäben gerechtfertigt. Sobald die Behörden das Etikett ›verfassungsfeindlich‹ verteilen, steht einer Beobachtung nichts mehr im Wege. Die vom BVerfG im KPD-Verbot vorausgesetzte »aktiv kämpferische, aggressive Haltung« (BVerfGE 5, 85, 85) gegenüber der fdGO als Verbotsbedingung für Parteien, ist für die nachrichtendienstliche Beobachtung unerheblich. So gibt die »Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung« im Lehrbuch zum Verfassungsschutzrecht zu Protokoll: »Keinesfalls ist eine aktiv kämpferische Haltung Voraussetzung einer nachrichtendienstlichen Beobachtung« (RoseStahl 2002, 48). Der Präventionsgedanke – die Beobachtung durch die Behörden nach ihrem eigenen Ermessen ohne konkrete Tatbestände – wird im Andi-Comic an Schüler*innen unkritisch vermittelt und als notwendiger Schutz der Demokratie vor ›Extremismus‹ dargestellt. Im Rahmen der ›wehrhaften Demokratie‹ agiert damit eine staatsschützende Behörde als politische Bildnerin und gibt ihre Einschätzungen über das Politische an die »zukünftigen Staatsbürger*innen« weiter. Den Widerspruch zwischen einer Behörde, deren »Aufgabe in der Vorbereitung repressiver Maßnahmen besteht« (Kohlstruck 2013, 115) und der politischen Bildung, die zur mündigen politischen Einschätzung befähigen soll, wird von den Behörden durch »entstaatlichte[...] Selbstdarstellung und [...] herrschaftsneutrale[...] Selbstpräsentation« (ebd.) verdeckt. Wie schon in den Verfassungsschutzberichten entscheiden die Ämter über die Legitimität von politischen Bewegungen. In der politischen Bildung geben sie ihre Einschätzungen direkt an Schüler*innen oder Multiplikator*innen weiter.

1.1.4 Zusammenfassung Die Ämter für Verfassungsschutz legitimieren ihre geheimdienstliche Tätigkeit durch Bezug auf die fdGO. Das verfestigte Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ mit seinen historischen Narrativen dient als Rechtfertigung. Sie agieren im Vorfeld der juristischen Entscheidungen über Verfassungswidrigkeit. ›Extremismus‹ und ›Verfassungsfeindlichkeit‹ sind weichere Begriffe, über die die Ämter die Definitionsmacht besitzen. Sie agieren repressiv durch Beobachtung und Datensammlung; sie 295

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können Personen, politische Zusammenhänge und Parteien durch Etikettierung delegitimieren. Politisch-diskursiv drängen sie in den Bereich der politischen Bildung und vermitteln der Öffentlichkeit scheinbar wissenschaftliche Erkenntnisse. Im normativen Extremismusansatz als auch in der administrativen Darstellung in den Verfassungsschutzberichten verdichten sich die Behauptungen über das Scheitern der Weimarer Republik und die Bedrohungen des Staates durch legales, aber nicht legitimes politisches Handeln von ›extremistischen‹ Gruppen (vgl. IV). So kann exekutive Repression als Freiheitsschutz dargestellt werden. Dass Rechtsstaat und Demokratie der Zurückdrängung staatlicher Exekutive dienten, ist völlig verdeckt (vgl. II 3). Die Behauptung der Notwendigkeit der Beschränkung politischer Freiheit durch den Staat, der sie gleichzeitig auch gewährt, erscheint als Selbstverständlichkeit. Die deutsche Tradition einer materialen Konzeption des Rechtsstaates zur Einhegung von Demokratisierung institutionalisiert sich in den Ämtern für Verfassungsschutz.

1.2 Politische Justiz Aus den »Ängsten des Augenblicks« (Kirchheimer 1964, 145) entstehen Gesetze. Politische Justiz ist dabei ein »Notbehelf der Politik« (Kirchheimer 1965, 48), um politische Konflikte mit Hilfe juristischer Verfahren zu lösen. Ob und wie genau diese Möglichkeiten Anwendung finden, ist jedoch von politischen Ereignissen, Entwicklungen und Kräfteverhältnissen abhängig. Ein »Notbehelf« muss nicht täglich eingesetzt werden, ist aber potentiell da, wenn es sein muss. Die fdGO ist hierbei ein Begriff für alle Rechtsbereiche, in denen ein Ausschluss von möglichen ›Gegner*innen‹ oder ›Extremist*innen‹ nötig werden könnte, und erinnert im täglichen Geschehen gleichzeitig an die Grenzen politischer Betätigung. Das politische Strafrecht der 1950er Jahre war vor allem antikommunistisch geprägt und ist auch entsprechend angewendet worden (vgl. Brünneck 1978). Es entstand in einer Zeit, in der die nationalsozialistische Propaganda noch im Ohr war und Angst vor kommunistischer Unterwanderung herrschte. »Staatsfeind« (Güde 1978, 24) war der Kommunismus. Das politische Strafrecht von 1951 wurde am 25. Juni 1968 mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz (BGBl. I, 741) in weiten Teilen geändert. In der Geschichte der Bundesre­publik gelten das Jahr 1968 und die nach ihm benannte politische Bewegung als Einschnitt. Die Gesellschaft liberalisierte sich in verschiedenen Bereichen. Welche Auswirkungen hatte diese gesellschaftliche Liberalisierung auf das in den 1950er Jahren gefestigte Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹? Im Folgenden werde ich die Änderungen des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes (8. StÄG) bezüglich der »Verfassungsgrundsätze« und mit Blick 296

SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

auf den Tatbestand der Staatsgefährdung aus dem 1. StÄG von 1951 nachzeichnen, um diese Frage zu beantworten.

1.2.1 Die große Strafrechtsreform und die Verfassungsgrundsätze Generell gilt das 8. StÄG18 von 1968 als »große[r] Wurf« (Gutfleisch 2014, 327), der die antikommunistische Strafverfolgungspraxis der ersten Jahre der Bundesrepublik beendete. Zum Überblick sei hier vorweg der Gesetzgebungsprozess chronologisch umrissen. Zwar wurde schon 1962 ein Regierungsentwurf (E 1962) zu einer allgemeinen Strafrechtsreform vorgelegt, der auf den Arbeiten der Großen Strafrechtskommission beruhte und auch Neufassungen des politischen Strafrechts vorsah (BT-Drs. Nr. IV/650). Doch wurde dieser an die Ausschüsse verwiesen und kam zunächst nicht mehr in den Bundestag. So kam das politische Strafrecht erst mit einem Entwurf der FDP zur Lockerung des Verfolgungszwangs (BT-Drs. Nr. IV/3048) und einem Entwurf der SPD (BT-Drs. Nr. V/102) 1965 wieder auf die Tagesordnung des Bundestags. Der SPD-Entwurf wurde zunächst nur dem Strafrechtssonderausschuss vorgelegt. Im Januar 1966 wurde der Regierungsentwurf von 1962 noch einmal von der FDP- und der CDU/ CSU-Fraktion in den Bundestag eingebracht – beide Parteien waren auch an der Regierung beteiligt. Aber erst im September 1966 kam ein Entwurf des 8. StÄG, das nun in erster Linie lediglich das politische Strafrecht ändern sollte, mit der ersten Lesung in den Bundestag. Es wurde sogleich an den Ausschuss überwiesen. Ab Dezember 1966 regierte die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU. Der Beratungsprozess dauerte bis ins Jahr 1968. Im Mai 1968 wurde das 8. StÄG beschlossen. Im Folgenden werde ich einen Blick auf die Veränderungen der Verfassungsgrundsätze in diesen verschiedenen Vorlagen werfen.

1.2.1.1 Die Bundestagsdebatte: Das »Wesen unserer politischen Existenz« Von 1954 bis 1959 tagte die Große Strafrechtskommission und 1962 legte die Bundesregierung einen Entwurf zu einer grundsätzlichen Neuordnung des Strafrechts vor (vgl. BT-Drs. Nr. IV/650). Eingebracht wurde er in der Bundestagsdebatte am 28. März 1963 von Bundesjustizminister 18 Andere Änderungen des politischen Strafrechts, die aber nicht die Verfassungsgrundsätze betrafen, sind im 3. (1953), 4. (1957) und 6. (1960) StÄG vorgenommen worden.

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Ewald Bucher (CDU). Nach der »Spiegel-Affäre«19 und dem Urteil des BVerfG zum § 90a StGB20 solle auch das Staatsschutzrecht geändert werden, so der Justizminister (vgl. Bucher, BT-Plenarprot. 4/70, 3189). Gustav Heinemann (SPD) (ebd., 3218) plädierte in der Debatte für die Eindeutigkeit von Tatbeständen und für die Umbenennung von Staatsgefährdung in »Gefährdung der freiheitlichen Ordnung«. Um gleichzeitig deutlich zu machen, dass die SPD trotz der angeführten Kritikpunkte im Grunde für ein politisches Strafrecht in der Form des Regierungsentwurfs sei, nahm Heinemann Bezug auf die schon aus dem 1. StÄG bekannten Verfassungsgrundsätze und bestätigte die fundamentale Bedeutung der fdGO für die bundesrepublikanische Demokratie: Diese Grundsätze sind die Elemente der Freiheit, und deshalb können sie nicht Gegenstand der Freiheit sein. Sie sind die Substanz der Freiheit. 19 Nach Erscheinen des Artikels »Bedingt abwehrbereit« (Der Spiegel 1962, 34ff.) wurden die Räumlichkeiten der Spiegel-Redaktion in Hamburg von der Polizei durchsucht. Der Redaktion und den Autoren wurde Landesverrat vorgeworfen. Der Artikel kritisierte die personelle und finanzielle Ausstattung der Bundeswehr, die nicht fähig sei, die NATO-Vereinbarungen zu erfüllen (vgl. ebd., 50). Die Öffentlichkeit sah die Pressefreiheit aufgrund der Durchsuchungen gefährdet. In Folge der Affäre traten die FDP-Minister des Kabinetts aus Protest gegen den CSU-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß zurück. Dieser erklärte später seinen Rücktritt. Die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Redakteure wurde 1965 vom BGH abgelehnt, da die Informationen aus dem Artikel auch zuvor schon öffentlich zugänglich gewesen seien und ein Geheimnisverrat nicht belegbar sei. Staatliche Versuche, Presse einzuhegen, gab und gibt es immer wieder (vgl. bspw. zum Bundespressegesetzentwurf 1951/52: Buchloh 2002). Im Jahr 2015 wurde gegen den Blog netzpolitik.org ein Verfahren wegen Landesverrats eingeleitet, da über Pläne des Verfassungsschutzes zur Überwachung der sozialen Netzwerke berichtet worden war. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Auch die Aufzählung von Publikationen in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder zeigt, dass Presseerzeugnisse beobachtet werden. Im Jahr 1972 wurden gar in mehreren Städten Buchhandlungen und Wohnungen durchsucht, um Druckerzeugnisse sicherzustellen und einige Buchhändler*innen festzunehmen. Grundlage für diese Razzien und Festnahmen war die Annahme, dass die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik gefährdet seien könnten (vgl. Cobler 1977). Die Zeitung agit 883 bspw. wurde zwar nicht verboten, »aber phasenweise wurde fast jede Ausgabe beschlagnahmt, da bestimmte Inhalte inkriminiert wurden« (Anders 2006, 241). 2008 klagte die Zeitschrift LOTTA erfolgreich gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen. 20 Das BVerfG hatte am 21. März 1961 den § 90a StBG (F. v. 1951) als teilweise verfassungswidrig beurteilt (vgl. BVerfGE 12, 296, 297). Die Verurteilung von Mitgliedern der KPD für ihre Parteitätigkeiten vor dem Verbot

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Die freiheitliche Demokratie ist mit anderen Worten mehr als nur eine Methodik, mehr als nur eine Sammlung von Spielregeln. Die freiheitliche Demokratie ist das Wesen unserer politischen Existenz. Von daher ist es gerechtfertigt, nur den zum Mitspiel zuzulassen oder im Mitspiel bleiben zu lassen, der sich diesen Spielregeln fügt und die freiheitlichdemokratische Ordnung als solche anerkennt und beibehalten wissen will. (Heinemann, ebd.)

Diese Äußerung verdeutlicht den breiten Konsens, in dem die Parteien über den Entwurf und das politische Strafrecht diskutierten. Auch die Opposition bezieht sich auf die Verfassungsgrundsätze. Die noch wenige Jahre zuvor im Rechtsausschuss aufgestellten Grundsätze werden unter dem Begriff »freiheitliche Demokratie« zum »Wesen unserer politischen Existenz« (Heinemann, ebd.). Die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze sind die fdGO, auch wenn es einzelne Unterschiede zur Formel des BVerfG gibt. Selbst wenn es hier um politisches Strafrecht und ursprünglich vor allem um die strafrechtliche Anwendbarkeit der einzelnen Grundsätze ging, erscheinen sie nun als objektive und schon immer dagewesene »Substanz« (Heinemann, ebd.) der bundesrepublikanischen Demokratie.

1.2.1.2 Die Verfassungsgrundsätze im Regierungsentwurf von 1962 Der Abschnitt Staatsgefährdung findet sich im Regierungsentwurf (E 1962) unter den Paragraphen 361 bis 382. Die Verfassungsgrundsätze aus dem 1. StÄG (§ 88 F. v. 1951) sind im § 38021 aufgeführt. Dabei sind die Zweifel aus dem Gesetzgebungsprozess von 1951 in den Entwurf eingegangen (vgl. V 4.3). Die Unmittelbarkeit der Wahlen ist nicht mehr Teil der Nummer 1 der Grundsätze und die »parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung« aus § 88 Abs. 2 Nr. 4 StGB (F. v. 1951) ist umformuliert zur »Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit der KPD 1956 verstoße gegen das Parteienprivileg und das Rückwirkungsverbot. Nur das Verfassungsgericht könne eine Partei als verfassungswidrig verbieten und erst dann könnten Personen, die in dieser Partei aktiv seien, um die Konsequenzen ihrer Handlungen für die Partei wissen. Das Vereinsgesetz von 1964 (BGBl. I, 593) schaffte in diesem Aspekt schon erste, allerdings nicht erhebliche Änderungen bzgl. Ersatzorganisationen und Strafzumessungen (vgl. Brünneck 1978, 322; Schroeder 1970, 221f.). Die Rechtsprechung des BGH änderte sich nach dem Urteil des BVerfG erst allmählich (vgl. Gutfleisch 2014, 318f.). 21 § 380 E 1962 Begriffsbestimmungen[...] (2) Verfassungsgrundsätze im Sinne dieses Titels sind

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gegenüber der Volksvertretung« (§ 380 Abs. 2 E 1962). Die Änderung wird damit begründet, dass es strafrechtliche Auslegungsschwierigkeiten gegeben habe (BT-Drs. Nr. IV/650, 570f.). Die Verbindung der Begriffe Ablösbarkeit und Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung solle sicherstellen, dass ein Regierungssystem, in dem das Parlament nicht in irgendeiner Form Kontrolle gegenüber der Regierung ausübt, nicht auf dem Boden der fdGO sei. In der Begründung heißt es, dass der Katalog der Verfassungsgrundsätze den »Wesenskern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung« (ebd., 570) umfasse, ihn aber nicht erschöpfend darstelle. Der § 380 Abs. 2 E 1962 ermögliche es, »in den Strafbestimmungen, die den unmittelbaren Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dienen, einen Begriff zu verwenden, den das Strafgesetzbuch selbst für seine Zwecke abgrenzt« (ebd.). In der Debatte um die Verfassungsgrundsätze im Jahr 1951 sollte die Auslegung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ noch der zu schaffenden Verfassungsgerichtsbarkeit überlassen werden, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Die Regierung hat in ihrem Entwurf nun dennoch nicht die fdGO-Definition des BVerfG von 1952 übernommen. Stattdessen sind die »Zwecke« des Strafrechts priorisiert worden. Die Formel des BVerfG war zwar umgekehrt an die Verfassungsgrundsätze des 1. StÄG angelehnt, hatte aber die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenrechte hinzugefügt, die in dieser Aufzählung von 1962 weiterhin fehlen. 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte und 6. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (3) Im Sinne dieses Titels sind Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichtete, wenn ihre Träger darauf hinarbeiten, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland (Absatz 1) zu beeinträchtigen. (4) Im Sinne dieses Titels sind Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze gerichtet, wenn ihre Träger darauf hinarbeiten, einen Verfassungsgrundsatz (Absatz 2) zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben (BTDrs. Nr. IV/650, 75).

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Die Verfassungsgrundsätze im § 380 E 1962 dienen wie schon 1951 als Bezugsgrößen für die einzelnen Straftatbestände des Abschnitts. So pönalisiert bspw. der § 369 Abs. 1 Nr. 3 E 196222 die »Vorbereitung einer Gewaltherrschaft«, die durch die »Ankündigung von Gewalt oder anderen Willkürmaßnahmen die Bevölkerung oder Teile der Bevölkerung einzuschüchtern« (BT-Drs. Nr. IV/650, 72) plane. Dieser Tatbestand soll auch anwendbar sein, wenn die staatsgefährdenden Bestrebungen (§ 380 Abs. 3 und 4) auf gewaltlose »Machtergreifung« gerichtet sind oder das Ziel des gewaltsamen Umsturzes nicht nachweisbar ist. Die Geschichte hat gezeigt, daß eine totalitäre Bewegung einerseits verkünden kann, sie wolle die Macht im Staate auf »legalem Wege« erlangen, daß ihre Aktivisten aber andererseits alle Handlungen begehen, die in Absatz 1 aufgeführt sind. (ebd., 557)

Die Bundesregierung wollte mit der »Vorbereitung der Gewaltherrschaft« einen eigenen neuen Tatbestand schaffen, der anwendbar sein sollte, wenn die »staatsgefährdende Bestrebung« auf eine »gewaltlose ›Machtergreifung‹« gerichtet und ein gewaltsamer Umsturz nicht nachweisbar sei (ebd.). Im 1. StÄG war der gesamte Komplex der Staatsgefährdung in seiner Anordnung zwischen Hoch- und Landesverrat überhaupt genau dafür geschaffen worden. Die Staatsgefährdung sollte es den Behörden ermöglichen, vor dem gewaltvollen Umsturz einzugreifen, da die Methoden der »kalten Revolution« (vgl. Fn. 33, Kap. V) mit legalem Anschein den Staat untergraben würden. Das historische Beispiel dafür war die Machtübernahme des Nationalsozialismus. In dieser 22



§ 369 E 1962 Vorbereitung einer Gewaltherrschaft (1) Wer es unternimmt, 1. Gruppen, a) die zu Gewalttätigkeiten, zu Volksverhetzung (§ 298), zur Bedrohung der Allgemeinheit (§ 299), zur Sabotage (§§ 335, 370. 413), zur Zersetzung (§ 371) oder zur Agententätigkeit (§ 373 Abs. 1) eingesetzt werden oder eine solche Tätigkeit leiten sollen oder b) deren Dasein, Zusammensetzung oder Aufgabe vor den Behörden geheimgehalten werden soll, zu schaffen, einzuüben oder 2. Waffen, Sprengstoffe oder andere Kampfmittel herzustellen, zu beschaffen, zu sammeln, bereitzuhalten oder zu verteilen oder 3. durch die Ankündigung von Gewalt- oder anderen Willkürmaßnahmen die Bevölkerung oder Teile der Bevölkerung einzuschüchtern, und dadurch absichtlich oder wissentlich Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze verfolgt oder sich in ihren Dienst stellt, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft (BT-Drs. Nr. IV/650, 72).

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Formulierung des Regierungsentwurfes kommt die »kalte Revolution« zwar nicht mehr vor, die ins historische Bewusstsein eingegangene vermeintliche Legalität der nationalsozialistischen Machtübernahme bleibt aber Begründung – und wie schon in den 1950er Jahren ist sie totalitarismustheoretisch eingeebnet (vgl. V 4, 5.3). In der Begründung des § 369 E 1962 findet sich außerdem der Versuch einer Konkretion der Formulierung »Gewalt- und Willkürmaßnahmen«: Gewaltmaßnahmen im Sinne der Nummer 3 sind Gewalttätigkeiten [...], die sich als Willkürmaßnahmen darstellen; denn diese bilden den Oberbegriff. Willkürmaßnahmen sind Eingriffe, die grob gegen »Gesetz und Recht« [...] verstoßen. Willkürmaßnahmen sind demnach insbesondere nicht von der Rechtsordnung vorgesehene Maßnahmen zur Enteignung, wie sie etwa Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes zulassen. Der Rechtsbegriff »Gewalt- oder andere Willkürmaßnahmen« ist hier im Zusammenhang mit dem Verfassungsgrundsatz der »Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft« in § 380 Abs. 2 Nr. 6 zu verstehen. Von diesem Verfassungsgrundsatz her erhält er seinen Inhalt. Es handelt sich also um rechtsstaatswidrige Gewalttätigkeiten oder andere Akte der Willkür, wie sie in einem totalitären Staat von diesem selbst oder mit dessen Billigung zur Festigung der Diktatur oder zur Erreichung seiner Ziele begangen zu werden pflegen. (BT-Drs. Nr. IV/650, 559)23

Neben der tautologischen Bestimmung – Gewaltmaßnahmen als Gewalttätigkeiten, die Willkürmaßnahmen darstellen, und die inhaltliche Bestimmung von »Gewalt- und Willkürmaßnahmen« durch »Gewalt- und Willkürherrschaft« – bilden »Gesetz und Recht« den Gegenpol zu »Gewalt- und Willkürmaßnahmen«. Das bürgerliche Gesetz ist die Garantie der Berechenbarkeit von Herrschaft. Gerade die Formulierung »Gesetz und Recht« schwächt diese Rationalität. Welchen Unterschied die Regierung zwischen Recht auf der einen und Gesetz auf der anderen Seite sieht, expliziert sie nicht. »Gesetz und Recht« verweist auf ein ›Mehr‹ des Rechts gegenüber dem positiven Gesetz. Die Formulierung ist Einfallstor für naturrechtliche oder metaphysische Begründungen jenseits der Legalität positiver Gesetzgebung durch die parlamentarische Legislative, also jenseits formaler Berechenbarkeit (vgl. IV 1.2; V 5.2.3). 23 Die Kennzeichnung von Willkürmaßnahmen als »insbesondere« (BT-Drs. Nr. IV/650, 559) nicht nach Art. 14 und 15 GG rechtmäßige Maßnahmen zur Enteignung ist gerade im antitotalitären und antikommunistischen Kontext dieser Formulierung (vgl. V 4.3.6, 5.2.3, 6.2.1) auffällig. § 369 Abs. 2 Nr. 3 E 1962 spricht von der Einschüchterung der Bevölkerung durch »Gewalt- und Willkürmaßnahmen« (vgl. ebd., 72). Einschüchterung lässt nicht als erstes an Enteignungen denken, sondern eher an physische Gewaltandrohungen, Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und andere repressive

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SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

Auch in der Begründung des § 380 E 1962 findet sich der Versuch einer näheren Bestimmung dieses einen Verfassungsgrundsatzes. Der »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« sei eine »einfache, klar abgegrenzte Zusammenfassung wesentlicher, unverzichtbarer Verfassungsgrundsätze einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung« (BT-Drs. Nr. IV/650, 571). »Gewalt- und Willkürherrschaft« bedeute »ein Herrschaftssystem, das zur Erreichung seiner Ziele im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen und unter Verletzung von Grundrechten ›Gewalt- oder andere Willkürmaßnahmen‹ anwendet« (ebd.). »Gewalt- oder andere Willkürmaßnahme« sei dabei das »Korrelat« zur »Gewalt- und Willkürherrschaft« (ebd.) – hier wird »Gewalt- und Willkürherrschaft« wiederum durch »Gewalt- und Willkürmaßnahme« konkretisiert, was in der Begründung zu § 369 E 1962 ja genau andersherum formuliert war (ebd., 559). »[J]eder« solle dabei nicht nur zum Ausdruck bringen, dass die freiheitlich demokratische Verfassung der Bundesrepublik jeder Art von Despotie oder totalitärer Herrschaft entgegensteht; es soll vielmehr auch klarstellen, daß der Verfassungsgrundsatz bereits durch eine partielle Gewalt- und Willkürherrschaft gegen eine Bevölkerungsschicht oder -gruppe verletzt würde. (ebd., 571)

Die Regierung sah sich zu einer ausführlicheren Erklärung dieses Verfassungsgrundsatzes genötigt. 1951 war er in seiner inhaltlichen Bestimmung noch als fast selbstverständlich angenommen worden. Der Vorwurf allerdings, dies sei ein Begriff, der den eigentlich näher zu definierenden Begriff der fdGO eben nur wieder durch eine neue Generalklausel ersetze (vgl. V 4.3.6), war noch präsent. Weiterhin sollte der § 37224 E 1962 (BT-Drs. Nr. IV/650, 72f.) eingeführt werden, der die »staatsgefährdende Werbung« pönalisierte. Auch hier finden die Verfassungsgrundsätze Verwendung. Bestrebungen, die einzelne Verfassungsgrundsätze gefährden, müssten nach § 372 E 1962 auf die »Unterdrückung demokratischer Freiheit« gerichtet sein. Dieser Straftatbestand sollte zum Ziel haben, dass bspw. die Bestrebung, die Gleichheit der Wahl durch Altersgrenzen zu beschränken, noch nicht als Angriff auf die Verfassungsgrundsätze gewertet werde, sondern erst, Maßnahmen. An dieser Stelle kann nur spekuliert werden. Jedoch scheint mir die Verknüpfung von »Gewalt- und Willkürmaßnahmen« ausgerechnet mit dem Thema Enteignung (die Bodenreform in der DDR war 1960 abgeschlossen) eine weitere Festigung der antikommunistischen Stoßrichtung des Verfassungsgrundsatzes »Abwesenheit von Gewalt- und Willkürherrschaft« zu sein. 24 § 372 E 1962 Staatsgefährdende Werbung

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STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

wenn dadurch auch die Vorbereitung einer »Gewaltherrschaft« bezweckt werde (vgl. ebd., 562). Dies ist auch noch einmal in der Begründung der Verfassungsgrundsätze des § 380 E 1962 hervorgehoben (vgl. ebd., 570). Die Junge Union forderte in den 1960er Jahren die Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre (vgl. Der Spiegel 1965, 21). Die Entwurfsbegründung betont explizit, dass es nicht ausgeschlossen ist, daß [es] Personen [gibt], die den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht verlassen wollen, in gewisser Verkennung dieser Ordnung für Bestrebungen gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahlen oder gegen einen anderen der aufgezählten Verfassungsgrundsätze werben [...] (BT-Drs. Nr. IV/650, 570)

Dieser Paragraph zeigt, dass die Verfassungsgrundsätze nicht unumstößlich und dass sie je nach politischer Lage veränderbar sind, obwohl sie als »Wesen unserer politischen Existenz« (Heinemann, BT-Plenarprot. 4/70, 3218) bezeichnet werden. Er bestätigt auch Denningers (1983, 1297) Bestimmung vom Verfassungsschutz im engeren und weiteren Sinne, wonach angenommen wird, dass es Personen gibt, bei denen ein grundsätzlicher »Wille zur Verfassung« besteht, die im Zweifel nur belehrt werden müssen, und andere, denen dieser Wille nicht unterstellt werden kann (vgl. VI 1.2.2). Die »Unterdrückung demokratischer Freiheit« ist dazu ein dehnbarer Begriff, der zur politischen Delegitimierung verwendet werden kann. (1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3), die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt oder geeignet sind, als Propagandamittel Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder auf die Unterdrückung der demokratischen Freiheit gerichtete Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze herbeizuführen oder zu fördern, 1. verbreitet, 2. öffentlich oder in einer Versammlung ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 3. herstellt, vervielfältigt, bezieht, an einen anderen gelangen läßt, vorrätig hält oder in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einführt, damit sie oder aus ihnen gewonnene Stücke verbreitet oder nach Nummer 2 zugänglich gemacht werden, und dadurch die bezeichneten Bestrebungen verfolgt oder sich in ihren Dienst stellt, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren oder mit Strafhaft bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften dieses Titels im Höchstmaß mit der gleichen oder einer schwereren Strafe bedroht ist. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Beteiligung von untergeordneter Bedeutung ist, kann das Gericht von Strafe absehen (BT-Drs. Nr. IV/650, 72f.).

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SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

Zudem sah sich das BMJ veranlasst, neue Tätigkeitsbeschreibungen zur Beeinträchtigung bzw. Beseitigung der Verfassungsgrundsätze hinzuzufügen. In § 380 Abs. 4 E 1962 ist nun formuliert, dass Bestrebungen, deren »Träger darauf hinarbeiten, einen Verfassungsgrundsatz zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben« (BTDrs. Nr. IV/650, 75), Bestrebungen im Sinne dieses Paragraphen seien. Damit solle zum Ausdruck kommen, dass »nur Angriffshandlungen« (ebd., 571) pönalisiert werden sollen, nicht aber »Hal­tungen der Ablehnung oder des Nörglertums« (ebd.). Sätze wie diese sind Indiz für die Meinung, dass die Strafrechtsänderungen der 1960er Jahre eine Liberalisierung darstellten. Wenn allerdings von »Angriffshandlungen« gesprochen wird, ist die präventive Konzep­tion des Straftatbestandes fragwürdig. Wann ist eine Handlung ein Angriff, wann ist dieser Angriff auch die Absicht? Wann wird das »Nörglertum« zum absichtlichen Angriff? Tatbestandliche Klarheit und weniger Möglichkeiten für exekutiven Zugriff auf politisches Handeln wären eine Liberalisierung, nicht das Bestehenlassen und die Diffusität der Begrifflichkeiten.

1.2.1.3 »Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates« Nach der Lesung im Jahr 1963 wurde der Regierungsentwurf an den Rechtsausschuss des Bundestags überwiesen (vgl. BT-Plenarprot. 4/70, 3224). Aufs Tableau kam die Novellierung des politischen Strafrechts erst zwei Jahre später durch einen SPD-Entwurf (BT-Drs. Nr. V/102). Im Dezember 1965 bekräftigte die SPD noch einmal ihre Forderungen nach der Umbenennung von Staatsgefährdung in »Gefährdung der freiheitlichen Ordnung« und der Vereindeutigung der Tatbestände. Die SPD – 1965 noch in der Opposition – wollte die Verteidigung der fdGO auf das Notwendigste beschränkt wissen (vgl. ebd., 5). Einen Monat später, im Januar 1966, brachten Abgeordnete der FDP- und CDU/CSU-Fraktionen initiativ eine gleiche Version des Regierungsentwurfs von 1962 (BT-Drs. Nr. V/32) ein, um die Reform voranzutreiben, vorgestellt von Emmy Diemer-Nicolaus (FDP). In der Bundestagsdebatte dazu wurde noch einmal die Dringlichkeit der Strafrechtsreform angemerkt. Bundesjustizminister Richard Jaeger (CSU) (vgl. BT-Plenarprot. 5/14, 554) betonte, dass sich alle Parteien über die Notwendigkeit einer generellen Neuordnung des Strafrechts einig seien. Dennoch blieb der Entwurf seit 1963 in den Ausschüssen stecken. Eine grundsätzliche Einigkeit werde dazu beitragen, dass »das neue Strafgesetzbuch von der gesamten Bevölkerung als ein angemessener Rahmen ihres Zusammenlebens in der freiheitlichen demokratischen Ordnung bejaht« (Jaeger, ebd.) werde. 305

STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

Heinemann sprach erneut für die SPD über das politische Strafrecht. Das Gesetz von 1951 sei »in den Übertreibungen, in den ungenauen Formulierungen und auch in der Handhabung« (Heinemann, ebd., 573) unbehaglich. Durch unvernünftige oder geringfügige Strafverfolgungen mache es die Bundesrepublik »denen da drüben« (Heinemann, ebd., 575) einfach, sich als das bessere Deutschland darzustellen. Zwar habe das Vereinsgesetz von 1964 schon einige Abhilfe geschaffen (vgl. dazu Schroeder 1970, 221f.), doch es brauche eine grundsätzliche Bereinigung des politischen Strafrechts, gerade wenn die Regierungsparteien um »Vertrauen für [i]hre Notstandsabsichten« (Heinemann, BT-Plenarprot. 5/14, 576) werben. Die Umbenennung von Staatsgefährdung in »Gefährdung der freiheitlichen Ordnung« sei dafür ein grundsätzliches Signal, das der Justiz eine »weisende Hilfe« (Heinemann, ebd.) zu Teil werden lasse. Der Staat geht nicht zugrunde über dem, was da unter der bisherigen alten Überschrift behandelt wird. Aber unsere freiheitliche Ordnung könnte zugrunde gehen, und deshalb ist die angemessene Bezeichnung für diesen Teilabschnitt des Strafgesetzbuchs »Gefährdung der freiheitlichen Ordnung«. (Heinemann, ebd.)

Vor allzu scharfer Kritik am 1. StÄG warnte allerdings der amtierende Justizminister. Gerade gegen antisemitische Hetze und nationalsozialistische Propaganda seien Tatbestände geschaffen worden, die man, wenn man sie wegen des Schutzes kommunistischer Schriften zurücknehmen wolle, vernachlässige (Jaeger, ebd., 579f.). Außerdem sei es gefährlich, Gesetze zurückzunehmen, nur weil die Gefahr gerade nicht so groß erscheine (Jaeger, ebd., 582). Dass es dennoch vor allem um die kommunistische Gefahr ging, wird am Beitrag von Manfred Wörner (CDU) deutlich: Was wir allerdings nicht dulden können, ist, daß sich Kommunisten von drüben wie von hier in Kumpanei zusammensetzen, um gemeinsam Pläne zu schmieden und dann auch ins Werk zu setzen, wie sie die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik umstülpen können. (Wörner, ebd., 584)

Trotzdem wird die Änderung der Ostpolitik und die Notwendigkeit deutsch-deutscher Treffen zur Annäherung (vgl. Diemer-Nicolaus, ebd., 588) hervorgehoben, wenn auch eher als notwendiges Übel und klügere Abgrenzung vom Kommunismus. Die »Auseinandersetzung mit dem Kommunismus auch im Geistigen und Politischen« (Diemer-Nicolaus, ebd., 587) sei kaum zu verhindern, sogar nötig, um zu beweisen, »daß wir ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat sind« (Diemer-Nicolaus, ebd.). 306

SCHUTZ DER BESTEHENDEN ORDNUNG

1.2.2 Das 8. Strafrechtsänderungsgesetz Nach der Aussprache im Bundestag wurde der Entwurf an den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform überwiesen. Erst am 14. September 1966 wurde dann ein Entwurf der Regierung für das 8. StÄG (BT-Drs. Nr. V/898) in den Bundestag eingebracht, der explizit nur das politische Strafrecht zum Thema hatte. Die Verfassungsgrundsätze waren in diesem Entwurf unter § 97 Abs. 2 (ebd., 6) aufgeführt und entsprachen denen des Regierungsentwurfs von 1962. Am Begriff der Staatsgefährdung wolle die Regierung jedoch festhalten, da »Gefährdung der freiheitlichen Ordnung« nicht passend sei und außerdem zu viele Änderungen in den Gesetzestexten nach sich ziehen würde. Diese Bezeichnung trifft jedoch nur einen Teil der mit den Staatsgefährdungsvorschriften geschützten Rechtsgüter. Nicht erfaßt werden einzelne Verfassungsgrundsätze, wie der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung (vgl. § 97 Abs. 2 Nr. 4), der zwar ein tragender Grundsatz der durch das Grundgesetz geschaffenen Verfassung ist, der aber für eine freiheitliche demokratische Ordnung nicht unabdingbar erscheint. Auch eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist nicht notwendig eine Gefährdung der freiheitlichen Ordnung. (ebd., 18)

Der Entwurf wurde sogleich ohne Debatte zur Beratung in den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform verwiesen (vgl. BT-Plenarprot. 5/55, 2654). Nach 53 Sitzungen legte der Ausschuss am 9. Mai 1968, über zwei Jahre später, seinen Bericht vor (BT-Drs. Nr. V/2860). Der Ausschuss nahm die Unmittelbarkeit der Wahl wieder in die Verfassungsgrundsätze auf, da er sie im Grundgesetz so normiert sah und damit unter den Schutz des Strafrechts stellen wolle. Gestrichen wurde hingegen das Wort »verfassungsmäßige« im dritten Verfassungsgrundsatz, »weil eine ›parlamentarische‹ Opposition stets verfassungsmäßig« (ebd., 13) sei.25 Staatsgefährdung als bisheriger Begriff für den Tatbestand bringe »in seiner ›Wertneutralität‹« (ebd., 2) das Schutzobjekt nicht genügend klar zum Ausdruck. Es sollte also ein neuer Begriff gefunden werden. Von »Gefährdung der freiheitlichen Ordnung«, wie von der SPD vorgeschlagen, sah man ab, einigte sich aber auf »Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates« (ebd., 2). Es sei vielmehr der durch das Grundgesetz konkretisierte demokratische Rechtsstaat und nicht die freiheitliche Ordnung, die von den Verfassungsgrundsätzen beschrieben sei (vgl. ebd.). 25 Dennoch war es den Ämtern für Verfassungsschutz über einen langen Zeitraum möglich, parlamentarische Abgeordnete zu beobachten und Informationen über sie zu sammeln (vgl. Fn. 78, Kap. V).

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STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

Das Gesetz wurde nach der zweiten und dritten Lesung am 29. Mai 1968 angenommen (vgl. BT-Plenarprot. 5/177, 9550) und am 29. Juni 1968 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I, 741). Der dritte Abschnitt des Gesetzes war nun die »Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates«; die Verfassungsgrundsätze wurden unter »gemeinsame Bestimmungen« im § 92 Abs. 2 StGB aufgezählt: § 92 [...] (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind Verfassungsgrundsätze 1. das Recht des Volkes in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf die Ausübung und Bildung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und die Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte und 6. der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. (BGBl. I, 744)

Bis heute (2017) sind die Verfassungsgrundsätze in dieser Form im § 92 Abs. 2 StGB festgeschrieben. Die Menschenrechte wie in § 4 Abs. 2 g BVerf­ SchG und die freie Entfaltung der Persönlichkeit wie in der fdGO-Formel des Bundesverfassungsgerichts sind nicht aufgenommen worden.

1.2.3 Zusammenfassung Die 1960er Jahre stehen in der Geschichte der Bundesrepublik für Liberalisierung – ein Heraustreten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit mit Erholung der deutschen Wirtschaft, Festigung der Demokratie und außenpolitischer Annäherung an die DDR. Als ein Teil dieser Liberalisierung gilt die Reform des politischen Strafrechts. An den Bundestagsdebatten dieser Jahre wird deutlich, dass die öffentliche Kritik am politischen Strafrecht auch bei den Regierungsparteien 308

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angekommen war. Die Konzeptionen der Tatbestände rekurrieren aber immer noch auf die Erzählung von der vermeintlich legalen Machtübernahme der NSDAP. Der NS selbst wird dabei gar nicht mehr erwähnt, viel zu präsent ist die Auseinandersetzung mit dem deutschen Nachbarstaat und die Verfolgung der Kommunist*innen – vermeintlich oder tatsächlich – durch die Strafrechtspraxis der 1950er Jahre. Eine gewisse Akzeptanz der DDR war jedoch unumgänglich geworden, wollte man nicht als völlig realitätsfern gelten. Der Antikommunismus war zwar immer noch »konsensfähige Integrationsideologie« (Kleßmann 1991, 255), musste aber andere abgemilderte Formen der Strafgesetzgebung finden, die im Notfall wieder ausweitbar sind. Statt ausufernder Strafverfolgung und Verteufelung schienen jedoch Annäherung und Aus­einandersetzung als bessere Strategien, um gegen die vermeintliche kommunistische Bedrohung vorzugehen. Und in der Tat wurden Straftatbestände verringert, versucht zu vereindeutigen und rechtsstaatliche Verfahrenswege gesichert. Brünneck (1978, 324) kommt zur Einschätzung, dass durch das 8. StÄG »der bisherigen Strategie der Kommunistenverfolgung der Boden entzogen« wurde. Nach dem Urteil des BVerfG zum § 90a StGB (F. v. 1951) konnten nicht mehr einfach Gruppen als Ersatzorganisationen, eine »zentrale Konstruktion« (ebd.) des bisherigen politischen Strafrechts nach dem KPD-Verbot, eingestuft und damit strafrechtlich verfolgt werden. Mit den §§ 84 und 85 StGB wurde das »Feststellungsprinzip«, also die Notwendigkeit einer gerichtlichen Einstufung als Ersatzorganisation, eingeführt (vgl. Güde 1978, 30ff.; Rigoll 2013, 207). Das führte auch dazu, dass die neugegründete DKP politisch geduldet wurde – sie war also nicht verboten, allerdings auch nicht unumstritten legal, eher toleriert (vgl. Brünneck 1978, 326f.). Ein Antrag darauf, sie als Ersatzorganisation einzustufen, wurde nicht gestellt. Aber – und das ist kennzeichnend für diese »Liberalisierung« der 1960er Jahre – er konnte prinzipiell gestellt werden, das »Damoklesschwert« (Rigoll 2013, 207) der Einstufung als Ersatzorganisation und damit die strafrechtliche Verfolgung war zukünftig immer noch möglich. Kirchheimer stellt dies als ein Charakteristikum des politischen Strafrechts heraus. Auf keinem anderen Gebiet [wie dem des Staatsschutzes, Anm. d. Verf.] gibt es eine größere Kluft zwischen dem, was möglich ist, und dem, was wirklich geschieht; auf keinem anderen Gebiet hängt die Handhabung der Praxis in noch höherem Maße ab von den Erfordernissen der Stunde, den Stimmungen der Bürokratie und der Vorausschätzung von Gewinnen und Verlusten, die sich in der Empfindlichkeit der öffentlichen Meinung und in den Reaktionen der von Sanktionen bedrohten Gruppen niederschlagen. (Kirchheimer 1964, 145)

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Zur Entlastung der Gerichte (nicht weil die Strafverfolgung als illegitim gesehen wurde), wollte die Bundesregierung die Handlungsverpflichtung der Judikative lockern und an die Zweckmäßigkeit des Verfahrens knüpfen. In einem Entwurf zur Änderung der Strafprozessordnung schlugen die FDP- und CDU/CSU-Fraktionen 1965 vor, dass der Generalbundesanwalt beim BGH von der Erhebung der Klage absehen kann, »wenn der Verfolgung überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen« (BTDrs. Nr. IV/3048, § 153d Abs. 1). Die SPD – noch in der Rolle der Opposition – war zunächst dagegen: »Die Bestrafung oder Nichtbestrafung kann nicht, soll nicht nach Maßstäben der politischen Zweckmäßigkeit erfolgen«, sagte Heinemann (BT-Plenarprot. 5/14, 577) am 13. Januar 1966 im Bundestag. Zweieinhalb Jahre später, am 29. Mai 1968, stimmte die SPD dieser Lockerung des Verfolgungszwangs dennoch zu, mit Heinemann als Bundesjustizminister. Diemer-Nicolaus (BT-Plenarprot. 5/177, 9546) begründete dies mit zukünftigen möglichen »Umständen«, die diese »Ausnahmeregelung« nötig machen. Manchmal müsse das Legalitätsprinzip eben durchbrochen werden und die Regierung werde dafür die Verantwortung tragen, so die Abgeordnete. Hier ist schon angedeutet, dass politische Erwägungen zur Änderung des Strafrechts führen können und dass diese Änderungen an die Einschätzung der jeweiligen politisch Verantwortlichen geknüpft werden. Die Möglichkeit zu einer härteren Strafverfolgung blieb also bestehen, war prinzipiell gewollt, sollte aber nicht eingesetzt werden, wenn zu starkes Scheitern drohte und die öffentliche Meinung zu sehr erregt werden könnte. Die Erfahrung lehrt, daß Prozesse umso wirksamer sind, je klarer sie dem Bürger als Rechtsexempel einleuchten. [...] Uns lehrt die Erfahrung, daß es nicht darauf ankommt, möglichst viele zu bestrafen, sondern wir versuchen solche Fälle zur Entscheidung zu stellen, die der Bürger versteht – der brave Bürger, ich sage es ohne Ironie, der brave Bürger und seinesgleichen sind ja das sichere Fundament des Staates und Wortführer des gesunden Menschenverstandes der öffentlichen Meinung. (Güde 1978, 28, Herv. i. O.)

Statt kompromissloser Strafverfolgung und Abschreckung wie durch das 1. StÄG, ist es die Idee effizienter Organisation von Zustimmung, die das 8. StÄG repräsentiert. Die Repression ist nicht mehr »unmittelbar, mittelbar stand sie von je dahinter« (Adorno 1975, 304). Dafür sprechen auch die Beteuerungen von verschiedenen Akteur*innen während des Gesetzgebungsprozesses, auf dem Boden der fdGO zu stehen bzw. den Schutz der fdGO für absolut notwendig zu halten. Zweifel am Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ oder am Inhalt der fdGO bzw. der Verfassungsgrundsätze sind völlig verschwunden. Eine Kritik 310

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wie die Otto Küsters im Bundesratsrechtsausschuss 1951 (vgl. V 4.5.) war nicht mehr zu hören. Die SPD – durch die Regierungsbeteiligung an der Großen Koalition seit dem 1. Dezember 1966 nicht mehr im »Schatten der Halbverdächtigung, halbe Kommunisten zu sein« (Hans Apel, Steininger und Weiss 2009, Min. 21) – hatte noch als Opposition ihrer Kritik 1963 eine ausdrückliche Bejahung des Tatbestandes der Staatsgefährdung und seiner Definition der »Substanz der Freiheit« (Heinemann, BT-Plenarprot. 4/70, 3218), also der Verfassungsgrundsätze, vorangestellt. Die FDP – 1968 in der Rolle der Opposition – bekräftigte nun ihrerseits das Bekenntnis zum Schutz der fdGO: »Natürlich muß unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Feinde von innen und von außen absolut geschützt werden« (Diemer-Nicolaus, BT-Plenarprot. 5/177, 9548). Das »Ja« der FPD zur fdGO sei »völlig zweifelsfrei« (Genscher, ebd., 9554). Die Liberalisierung der 1960er Jahre war also ambivalent. Das politische Strafrecht wurde in einer Zeit abgemildert, in der sich die Bundesrepublik konsolidierte, in der kommunistische Tätigkeiten abnahmen (die exzessive Strafverfolgung und das KPD-Verbot 1956 haben ihren Teil dazu beigetragen) und die Annäherung an die DDR begann (vgl. Brünneck 1978, 352) – war aber reaktivierbar. Gleichzeitig sollte diese Abmilderung der Beweis sein, dass die Bundesregierung auch bei den Notstandsgesetzen verantwortungsvoll agieren würde. Wenn die Notstandsregelung wirklich darauf abzielte, unsere freiheitliche Ordnung auszuhöhlen oder gar umzustürzen, so läge es wohl nahe, das politische Strafrecht zumindest nicht zu liberalisieren. Indem wir es aber liberalisieren und indem wir es jetzt tun, dokumentieren wir, daß es auch bei der Notstandsregelung um die Bewahrung der freiheitlichen Ordnung in Notzeiten geht. (Heinemann, BT-Plenarprot. 5/177, 9539)

FdGO und strafrechtliche Verfassungsgrundsätze müssen geschützt werden – diese Ansicht hatte sich durchgesetzt und war über jeden Zweifel erhaben. Das 8. StÄG bestätigte die bisherigen Definitionen. Der Schutz war gegen ›Gefahren‹ aus der Gesellschaft konzipiert, nicht gegen Exekutive oder Judikative. Dass staatliche Behörden selbst die fdGO bedrohen könnten, schien zwar während der Diskussion um die Notstandsgesetze noch einmal auf, war aber nicht mehr Gegenstand des Diskurses. Die Liberalisierung war nicht »substantiell« (Rigoll 2013, 207), sondern festigte im Gegenteil eine »wohlwollend-repressive[...] Bevormundung unmündiger Halbbürger« (Dahrendorf 1966, 258), die sich in bestimmtem Rahmen politisch betätigen dürfen und sollen – am besten als »brave Bürger«, die das »Fundament des Staates« (Güde 1978, 28) bilden. Die Institutionalisierung und Festigung, die die ›wehrhafte Demokratie‹ in den 1950er Jahren gewonnen hatte – den »Staat gegen die Gesellschaft 311

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in Stellung zu bringen« (Doering-Manteuffel 2003, 277) –, konnte in den 1960er Jahren zur Anwendung kommen.26

1.3 Änderung des Art. 10 GG und Notstandsgesetzgebung Für einen »wirksamen Schutz des Staatswesens vor Angriffen gegen seinen Bestand, seine Sicherheit oder seine freiheitliche demokratische Grundordnung« (BT-Drs. Nr. V/1880, 6) reiche das bisherige Strafrecht nicht aus, argumentierte die Bundesregierung 1967 in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. In »Zeiten der Not« solle der Staat befähigt werden, den »Schutz der Bevölkerung und ihrer freiheitlichen Lebensordnung« zu gewährleisten (BT-Drs. Nr. V/1879, 16). 1967 legte die Bundesregierung Entwürfe für ein Notstandsrecht (­BT-Drs. Nr. V/1879) und Änderungen des Art. 10 GG (BT-Drs. Nr. V/1880) vor. Die Gesetzesvorhaben wurden schließlich zusammen verhandelt, da sie beide die Vorbehaltsrechte der Alliierten ablösten (vgl. Foschepoth 2014, 173ff.; Rigoll 2013, 206). Die Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) war zuerst nicht Teil der Notstandsverfassung, sondern für »die ganz alltägliche Überwachung der Bevölkerung durch die westdeutschen Geheimdienste« (Foschepoth 2014, 177) konzipiert. Die Notstandsverfassung hingegen war für den Ausnahmezustand gedacht. Schließlich wurden beide Regelungen im 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes (BGBl. I 1968, 709) verkündet – und für beide Gesetze war der Schutz vor einer Gefährdung der fdGO eine wesentliche Legitimationsgrundlage (vgl. Benda 1966, 8; Preuß 1973, 103).

1.3.1 G10-Gesetz Nach der »Spiegel-Affäre« 1962 erregte ein Jahr später erneut eine Staatsschutzpraxis das Aufsehen der Öffentlichkeit. Die Rede ist von der »Abhöraffäre« (Foschepoth 2014, 119ff.; Goschler und Wala 2015, 238ff.). Durch Werner Pätsch, Mitarbeiter des BfV, wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz am Abhören von Telefonaten und Öffnen von Post beteiligt war, und dass zudem viele Beschäftigte im Amt eine einschlägige Vergangenheit im Nationalsozialismus hatten. Pätsch ging mit diesen Informationen zu einem Anwalt. Er wurde einer der ersten Whistleblower der bundesdeutschen Geschichte (vgl. Deiseroth 2014). 26 Zu den Novellierungen des politischen Strafrechts der folgenden Jahrzehnte, insb. zum § 129a StGB: vgl. Anders 2006, 249ff.; Hawickhorst 2011.

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Der Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) musste sich rechtfertigen, doch glättete das nicht die Wogen. In der Presse war zu lesen, dass die Behörde keinen Sinn dafür habe, »daß die Beschäftigung ehemaliger SS-, SD- und Gestapo-Häuptlinge als Bewacher und Schützer einer demokratischen Verfassung geradezu ein Hohn« (Stähle 1963) sei. Der Skandal war, dass das BfV die Post kontrollierte ohne eine gesetzliche Grundlage für dieses Handeln zu haben und dass es dies von früheren Nazis tun ließ. Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs oblag eigentlich den alliierten Geheimdiensten (vgl. Foschepoth 2014, 48ff.). Das Bundesamt agierte in einer rechtlichen Grauzone (vgl. ebd., 75ff.). Der Art. 10 GG, der die Unverletzlichkeit dieses Geheimnisses garantierte, verlangte nach einer gesetzlichen Grundlage, wenn es eingeschränkt werden sollte. Diese Grauzone zu beseitigen war Ziel der Gesetzesinitiative. Dass die Überwachung für den Schutz der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ notwendig sei, darüber waren sich die Fraktionen des Bundestags einig (Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU), BT-Plenarprot. 5/117, 5862). Der Skandal um das Abhören von Telefonaten und das Mitlesen der Post durch den Verfassungsschutz, der obendrein mit ehemaligen Angehörigen des SD, der SS und der Gestapo durchsetzt war, führte im Ergebnis zu einer gesetzlich legitimierten Eingriffsgrundlage in das Post- und Fernmeldegeheimnis. Artikel 10 GG bekam einen neuen zweiten Absatz: (2) Beschränkungen dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Die Funktion, die der Begriff fdGO hier erfüllt, wird in der Änderung des Art. 10 GG durch das G10-Gesetz sehr deutlich. So sind zwar Gewaltenteilung und die Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz Teile der fdGO-Definition. Wenn exekutive Behörden dagegen verstoßen, wird ihr »Wille zu Verfassung« (Denninger 1983, 1297) jedoch nicht in Zweifel gezogen, sondern die Verfassung wird entsprechend geändert. Die fdGO als die »Substanz der Freiheit« (Heinemann, BT-Ple­narprot. 4/70, 3218) legitimiert diese Änderung und das einst rechts- bzw. verfassungswidrige Vorgehen wird verfassungskonform und obendrein demokratieschützend. Das G10-Gesetz änderte den Art. 10 GG dahingehend, dass das bis dahin unverletzliche Post- und Fernmeldegeheimnis nun zum Schutz der fdGO beschränkt werden konnte. Darüber hinaus muss dies seitdem der 313

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betroffenen Person nicht mitgeteilt werden und der ordentliche Rechtsweg wurde durch von der Volksvertretung berufene Organe und Hilfsorgane ersetzt. Damit werden die Gewaltenteilung und die Gesetzesbindung der Exekutive untergraben, um die ›Demokratie‹ zu schützen. Der Rechtsweg über die ordentliche Gerichtsbarkeit wird den Abgehörten verwehrt – die Garantie des Art. 19 GG, die ein elementarer Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit ist. Ein wesentlicher Grundgedanke liberalen Rechts ist es, dass die Bürger*innen den Eingriff in ihre Freiheitsrechte und Persönlichkeitssphäre durch den Staat gerichtlich anfechten können. Doch mit dem Schutz der fdGO ist diese Anfechtung aus den Angeln gehoben worden. Ergebnis des Abhörskandals war also nicht eine Beschränkung der Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden, sondern eine Legitimierung ihres Handelns durch die behauptete Notwendigkeit, die fdGO schützen zu müssen. Dabei wurden Bestandteile der fdGO, soweit sie die Verfassungsschutzbehörden begrenzten – hier die Gesetzesbindung der Exekutive –, eingeschränkt. Anstatt eine Praxis zu beenden, die viel Empörung und Zweifel am BfV hervorgerufen hatte, wurde dessen Eingriffsgrundlage gestärkt und die »Weichen für eine dauerhafte, rechtlich legitimierte Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs« (Foschepoth 2014, 160) gestellt. Pätsch hingegen wurde aus dem Dienst entlassen und zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.27 Außerparlamentarisch führte diese neue Befugnis der Behörden zu Protest. Der Künstler Klaus Staeck bspw. fertigte Stempel und Briefverschlussmarken mit der Aufschrift »Achtung! Inhalt entspricht der FDGO« an. Im Abhörurteil vom 7. Juli 1970 befand das BVerfG, dass diese Grundgesetzänderung nicht nur »zu rechtfertigen ist, sondern zusätzlich verfassungsrechtlich legitimiert ist durch die Grundentscheidung des Grundgesetzes für die streitbare Demokratie« (BVerfGE 30, 1 21). Die Ersetzung der Rechtsweggarantie durch bestellte »Organe oder Hilfsorgane«, wie es der neue Art. 10 Abs. 2 GG formuliert, widersprach in den Augen des Verfassungsgerichts nicht den Grundsätzen des Art. 79 Abs. 3 GG. Eine »systemimmanent[e]« (ebd., 25) Modifikation dieser Grundsätze verstoße nicht gegen das Gebot des Art. 79 Abs. 3 GG, da die Grundsätze nicht prinzipiell abgeschafft worden seien. Das Prinzip der Gewaltenteilung erlaubt, daß Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Exekutive ausnahmsweise nicht durch Gerichte, sondern durch vom Parlament bestellte oder gebildete unabhängige Institutionen innerhalb des Funktionsbereichs der Exekutive gewährt wird. (ebd., 28) 27 Das Urteil sprach Hans Eberhard Rotberg (vgl. V 4, Fn. 128) für den 3. Strafsenat des BGH. Zur Bewertung des Urteils vgl. Deiseroth 2014, 9.

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Ebenso argumentierte das BVerfG, dass im möglichen Missbrauch der neuen Regelung noch keine Gefahr liege, da davon auszugehen sei, dass sie »in einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie korrekt und fair angewendet« (ebd., 27) werde. Die Nichtinformation des Betroffen liege in der »Natur der Sache« (ebd., 21) der geheimdienstlichen Maßnahme. Die »freiheitliche Verfassungsordnung« sei ein so »überragendes Rechtsgut« (ebd., 18), dass zu seiner Verteidigung, wenn unbedingt nötig, eben auch die Grundrechte eingeschränkt werden könnten. Zum Schutz der fdGO gegen Angriffe von ›unten‹, kann die fdGO durch den Staat, also von ›oben‹, eingeschränkt werden. »Tragende Idee des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur G10-Gesetzgebung war eine deutliche Relativierung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Prinzipien zugunsten des Staatsschutzes« (Foschepoth 2014, 200). Das sahen auch die drei Richter so, die eine abweichende Meinung zu Protokoll gaben. Ihrer Meinung nach sei die Änderung des Art. 10 Abs. 2 GG nicht mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar und damit nichtig (vgl. BVerfGE 30, 1, 33). Die verfassungskonforme Auslegung des neuen Art. 10 Abs. 2 GG durch das ergangene Urteil sei widersinnig, da der Wortlaut des neuen Absatzes eindeutig keine Information der Betroffenen vorsehe, auch nicht im Nachhinein (ebd., 37f.). »[W]ann immer es dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes dient« (ebd., 35), könne ganz allgemein eine Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses angeordnet werden – ohne Information der Betroffen und ohne unabhängige gerichtliche Kontrolle. Sicherlich sei die bestehende rechtsstaatliche Verfassungsordnung ein überragendes Rechtsgut. Die Grundrechte gehören aber zu ebenjener Ordnung und die Staatsraison sei kein alles überragender Wert. »Verkennt der Gesetzgeber die Schranken, so kehrt die ›streitbare Demokratie‹ sich gegen sich selbst« (ebd., 45). Dass es eine liberalere Anwendungsmöglichkeit der ›wehrhaften Demokratie‹ geben könne, wird mit diesem abweichenden Votum deutlich. Was allerdings nicht mehr zur Debatte stand, war die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ – weder ihre inhaltliche Bestimmung noch ihre Schutzwürdigkeit, ja überhaupt ihre Existenz als objektive Wertordnung und ihr Schutz durch das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹. Dass sie als Rechtsbegriff die carte blanche für Beschränkungen und Ausschlüsse ist, stößt lediglich in ihrer Unbeschränktheit auf Kritik. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer Wehrhaftigkeit der Demokratie gegen gesellschaftliches politisches Handeln war common sense geworden. Zwar können die Staatsapparate dabei zu weit gehen – die ›wehrhafte Demokratie‹ sich gegen sich selbst kehren –, aber dass die Staatsapparate selbst das Problem darstellen könnten, ist nicht mehr hörbar im Diskurs vertreten. Staatliche Befugnisse, die mit dem Schutz der fdGO begründet werden, wurden in der Geschichte der Bundesrepublik immer weiter ausgedehnt. 315

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Die Abhörmaßnahmen des BfV sind dafür ein Beispiel. Zwar stoßen erweiterte staatliche Befugnisse und Eingriffe in Grundrechte zunächst auf Kritik. Doch mit Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, die sich mit dem Schutz der fdGO – und der gesamten dazugehörenden Erzählung vom Scheitern der Weimarer Republik und den drohenden kommunistischen Unterwanderungen – rechtfertigt, ist diese Kritik zurückgewiesen. Es steht dann nur noch zur Debatte, was staatliche Behörden tun und wie weit sie dabei gehen dürfen. Dass sie überhaupt Überwachungsmaßnahmen anwenden und dass die fdGO überhaupt in dieser Form besteht, ist nicht mehr Gegenstand der Diskussion.

1.3.2 Notstandsgesetzgebung Die Machtübernahme des Nationalsozialismus war auch während des Gesetzgebungsprozesses der Notstandsverfassung präsent. Die Kritiker*innen des Gesetzesvorhabens zeichneten ein Szenario, dass den drohenden Untergang des demokratischen Systems der Bundesrepublik vorhersah. Im Buch »Der totale Notstandsstaat« (Abendroth u.a. 1965) warnte bspw. Eugen Kogon (vgl. 1965, 3), Politikwissenschaftler und von 1938 bis zu seiner Flucht 1945 im KZ-Buchenwald inhaftiert, davor, dass die Bundesrepublik nicht in Gefahr sei, sondern selbst eine Gefahr werden könne. Einige sahen durch die Notstandsgesetze die gleichen Methoden ermöglicht, mit denen schon die Weimarer Repu­blik zerstört wurde (vgl. Spernol 2008, 7f.). Ulrike Meinhof, Journalistin und späteres Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), kritisierte das Vorhaben und berief sich dabei sogar auf die fdGO. Sie forderte die Sozialdemokratie auf, mit Nein zu stimmen: »Das Ja zum Grundgesetz, das Ja für den Bestand und die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik ist das Nein zur Notstandsgesetzgebung der Bundesregierung« (Meinhof, 1960, 1). Ähnlich sah es Dieter Sterzel, früherer Professor für Öffentliches Recht in Oldenburg. Er warf dem Notstandsgesetzgeber vor, sich vom »Selbstverständnis einer ›freiheitlich demokratischen Grundordnung‹, die zu wahren in Normalzeiten wie in Krisensituationen das unbedingte Gebot des Grundgesetzes von 1949 ist, weit entfernt« (Sterzel 1968b, 21) zu haben. Auch wenn die Notstandsgesetzgebung ein entscheidendes Ereignis in der politischen Kultur der Bundesrepublik war, sind für diese Arbeit weder die Grundgesetzänderungen en detail (vgl. dazu Benda 1966; Sterzel 1968a) noch die einzelnen Kritiken (vgl. dazu Abendroth u.a. 1965) und Proteste (vgl. dazu Spernol 2008) von großer Bedeutung.28 In den 28 Die These, dass die Notstandsgesetze zur Einschüchterung der Opposition dienen, selbst wenn sie nicht angewendet werden (vgl. Sterzel 1968b, 22)

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Grundgesetzänderungen für den Ausnahmezustand tauchte die fdGO im schon benannten Art. 10 GG auf. Weiterhin war sie, wie auch schon vor der Änderung, Rechtfertigung für die Möglichkeit, Polizeikräfte anderer Bundesländer anzufordern (Art. 91 GG). Nun konnte zwar auch der Bundesgrenzschutz angefordert werden. Das änderte aber nichts an der Funktion des fdGO-Begriffs. Lediglich die Rechtfertigungsfunktion für exekutive Maßnahmen wird dabei – wie auch schon vorher – deutlich. Interessant an der Notstandsverfassung ist allerdings die Einführung des Widerstandsrechtes als Absatz 4 des Art. 20 GG (BGBl. I, 710). Im Zuge der Gesetzgebung wurde, sozusagen als letztes Mittel, das Recht auf Widerstand gegen die Zerstörung der fdGO von ›oben‹ ins Grundgesetz geschrieben. Damit hat die Interpretation des BVerfG aus dem KPD-Verbotsurteil (vgl. V 5.3) Eingang in die Verfassung bekommen. Die Bevölkerung habe ein »Widerstandsrecht [...] nur im konservierenden Sinne« (BVerfGE 5, 85, 377, Herv. i. O.). Diese Interpretation hat bis heute Bestand, wie ein Blick in aktuelle Sekundärliteratur bestätigt (vgl. Isensee 2013). Ein generelles Widerstandsrecht habe sich im demokratischen Verfassungsstaat erübrigt, da er Macht in geordnete Bahnen lenke und kontrolliere. »Die grundrechtliche Freiheit endet vor dem Gewaltmonopol des Staates. Wenn es ein Widerstandsrecht im Verfassungsstaat gäbe, so wären seine Mittel Ungehorsam gegen das geltende Recht [...]« (ebd., 147). Ein Widerstandsrecht ist nach dieser Argumentation obsolet. Zugleich steht sie klar in der von Maus (1986) herausgearbeiteten Traditionslinie deutscher Rechtsstaatstheorie. So ist es nicht die grundrechtliche Freiheit die durch das staatliche Gewaltmonopol begrenzt wird, sondern umgekehrt: Die ausufernde Exekutive wird durch die grundrechtliche Freiheit beschränkt. Die Notstandsverfassung hatte nun – auch in Reaktion auf die vielen Proteste und Kritiken – ein ultimatives Widerstandsrecht in Art. 20 GG geschrieben, das Widerstand unter bestimmten Bedingungen erlaubt: (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Die Bürger*innen werden mit dem Widerstandsrecht, das ihnen die Notstandsverfassung zugesteht, zu Verteidiger*innen des Staates im und den Status quo des bürgerlichen Staates auch über Krisenzeiten hinweg stabilisieren, kann hier nicht nachgegangen werden. Aus ihrer Zeit heraus ist diese Einschätzung nachvollziehbar. Doch im Verlaufe der Bundesrepublik zeigte sich, dass es keine Notstandsgesetze zur Stabilisierung des Staates benötigte. Strafgesetzgebung, Anti-Terror-Gesetze und die Hegemonie der ›wehrhaften Demokratie‹ wirkten stabilisierend genug.

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Ernstfall. Die anderen Bestimmungen, die mit den Notstandsgesetzen in das GG geschrieben wurden, erweitern die Befugnisse der Exekutive. »Der Widerstandsartikel dagegen richtet sich an die Bürger. Sie sind das letzte Aufgebot zum Schutz der Verfassung« (Isensee 2013, 148). Widerstand ist in diesem Sinne der »Gegenbegriff zur Revolution« (ebd.). Die Ordnung soll durch die Bürger*innen wiederhergestellt werden, wenn alle anderen Mittel versagt haben: »Es wird instrumentalisiert für die Ziele der ›abwehrbereiten‹ (›streitbaren‹, ›wehrhaften‹) Demokratie« (ebd.). Für die heutige Rechtsprechung betont Isensee (vgl. ebd., 150), dass das Widerstandsrecht über das sonst übliche Schutzgut fdGO hinaus gehe. Die Prinzipien des Art. 20 GG sind mehr als die fdGO. In der politischen Debatte während der Verabschiedung der Notstandsgesetze war allerdings durchaus die fdGO gemeint. Das Widerstandsrecht sei, »das äußerste Selbsthilferecht der Deutschen [...], um einen Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren und sich gegen deren Beseitigung zu stemmen« (Paul Hubert Even (CDU), BT-Plenarprot. 5/174, 9366). Der Aufnahme des Widerstandsrechtes ins GG sollte dabei auch ein erzieherisches Moment zukommen: »­[D]urch eine solche Formulierung wird auch dem letzten Deutschen klargemacht, daß er in letzter Instanz für die Erhaltung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit verantwortlich ist« (Even, ebd., 9367). Mit der Notstandsgesetzgebung wurde deutlich, dass nicht nur der Staat die fdGO zu schützen habe, sondern auch die Bürger*innen aufgerufen sind, sie zu verteidigen. Das Widerstandsrecht, erweiterte den Radius der Beschützer*innen der fdGO. Die 1956 vom BVerfG im KPD-Verbot verlangte Loyalität gegenüber der fdGO und das Eintreten poli­tischer Parteien für sie (vgl. V 5.3) kam nun mit Art. 20 Abs. 4 in das Grundgesetz. Zwei Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes entschied auch das BVerfG, dass die »[...] Bundesrepublik Deutschland eine Demokratie [ist], deren Verfassung von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Ordnung erwartet und einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung nicht hinnimmt« (BVerfGE 28, 36, 36). Das Gericht entschied damit, dass die Bürger*innen die fdGO aktiv verteidigen müssen. Dies lasse die »allseitig dirigierende Wirkung der Wertordnung sichtbar werden: Die Pflicht zur Verwirklichung der freiheitlichen Demokratie, die bislang nur den Staatsorganen aufgegeben war, richtet sich nunmehr auch an die Bürger« (Gusy 1980, 295) – und zwar auch im Normalfall.

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1.3.3 Zusammenfassung Das G10-Gesetz und die Grundgesetzänderungen für den Ausnahmezustand erweitern die Befugnisse der Exekutive. Eine zunächst als Skandal wahrgenommene Überschreitung staatlicher Kompetenz wird mit der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ nachträglich legitimiert. Die fdGO kann in unterschiedlichen Bereichen als Rechtsbegriff eingeführt werden, um exekutive Handlungsspielräume zu eröffnen. Mit dem Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG wird die Verteidigung der fdGO auch den Bürger*innen abverlangt. Die Verfassung erwarte von ihren Bürger*innen den Einsatz für die fdGO, so das BVerfG. Auch Kritiker*innen beziehen sich auf die fdGO. Sie kann für verschiedene Inhalte moralisch mobilisiert werden. Unter fdGO kann vieles verstanden werden, aber die staatliche Definitionsmacht bestimmt die Auslegung und Anwendung. Wir sehen also eine Entwicklung, die von der Behauptung der Existenz der fdGO zur inhaltlichen Bestimmung als Wesen der bundesrepublikanischen Demokratie und Substanz der Freiheit fortschreitet und von dort gar eine Bürger*innenpflicht zur Verteidigung der fdGO, zunächst im Ausnahmezustand und dann im Normalfall, postuliert.

1.4 Treue zur fdGO: Loyalität der Staatsbediensteten In dem eben zitierten Urteil des BVerfG (BVerfGE 28, 36), in dem es eine Verteidigung der fdGO durch die Bürger*innen verlangt, ging es um einen Stabsunteroffizier. Er hatte in einer politischen Diskussion am 5. Juli 1968, in der auch ihm untergebene Soldaten anwesend waren, gesagt, dass in der Bundesrepublik eine Meinung nicht frei geäußert werden könne und Demonstrationen von der Polizei niedergeknüppelt würden. Vorgeworfen wurde ihm eine Parteinahme für die außerparlamentarische Opposition. Damit habe er die Zurückhaltung, die nach § 10 Abs. 6 Soldatengesetz (SG) gefordert sei, nicht an den Tag gelegt. Der Stabsunteroffizier bekam zunächst eine Arreststrafe und wurde dann aus dem Dienst entlassen. Er hatte daraufhin Verfassungsbeschwerde beim ­BVerfG eingereicht. Das Gericht wies die Beschwerde jedoch zurück. Der Beschwerdeführer hat aber durch seine undifferenzierte Billigung von Zielen und Methoden der sogenannten außerparlamentarischen Opposition seinerseits die rechtsstaatliche Ordnung in Frage gestellt. Seine Äußerung, Demonstrationen würden durch die Polizei niedergeknüppelt, sucht den Eindruck zu erwecken, die Polizei gehe systematisch und rechtswidrig gegen friedliche Bürger vor. Hiervon kann aber keine Rede sein. Mit der provozierenden Behauptung, in der Bundesrepublik 319

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könne man seine Meinung nicht frei äußern, diffamiert der Beschwerdeführer die freiheitlich-demokratische Ordnung. (BVerfGE 28, 36, 49f.)

Dass in einer staatlichen Ordnung die Loyalität ihrer Bediensteten gesichert werden soll, überrascht nicht. »Öffentliche Verwaltungen als Teil staatlicher Organisation von Herrschaft haben sich zu allen Zeiten mit dem Problem auseinandergesetzt, welche Personen [...] die verschiedenen Funktionen in den öffentlichen Einrichtungen ausüben können sollten« (Zoll 2006, 488). Selbstverständlich sollen die, die im Staat und für ihn arbeiten, ihm gegenüber loyal sein. Im Folgenden werfe ich einen Blick auf das Soldatengesetz (SG) und das Beamtenrecht. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem »Radikalenerlass« vom 28. Januar 1972 (abgedruckt in: Frisch 1976, 144). In dessen Folge kam es zu Einzelfallüberprüfungen bezüglich der »Verfassungstreue« von Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst und zahlreichen Berufsverboten. Welche Rolle spielte hier die fdGO? Und wie nahmen die unterschiedlichen Akteur*innen auf sie Bezug?

1.4.1 Soldatengesetz Das SG hat in mehreren Paragraphen die Loyalität der Soldat*innen und die Regulierung ihrer politischen Betätigung zum Gegenstand. »Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten« ist der Wortlaut des § 8 SG seit 1956. Weitere Paragraphen gebieten Zurückhaltung von Vorgesetzten (§ 10 Abs. 6 SG) und beschränken die politische Betätigung (§ 15 SG). Soldat*innen dürfen sich nicht zugunsten oder -ungusten einer politischen Richtung betätigen oder für eine Gruppe werben.29 Auf politischen Versammlungen dürfen sie keine Uniformen tragen und Vorgesetzte dürfen Untergebene nicht im Sinne einer bestimmten politischen Meinung beeinflussen. Im Gespräch unter einfachen Soldat*innen bleibt dabei das Recht auf freie Meinungsäußerung unberührt. In § 37 Nr. 2 SG ist das Eintreten für die fdGO als Voraussetzung für die Berufung angegeben. Vor der Beschränkung der Wehrpflicht auf den Verteidigungsfall (2011) war die Kriegsdienstverweigerung an Gewissensgründe geknüpft. Ende der 1960er Jahre stieg die Zahl der Kriegsdienstverweigerer an 29 Der Skandal um das rechte Netzwerk von Franco A. (vgl. Vates 2017) sowie die Nähe einiger Studierender der Bundeswehr-Universität München zur rechten »Identitären Bewegung« (vgl. Bernstein und Schmidt 2017) zeigen, dass zwar im Gesetzestext von ›freiheitlicher demokratischer Grundordnung‹ gesprochen werden kann, die Realität einer Armee allerdings anders aussieht.

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und es wurde vom »organisierte[n] Mißbrauch« (Zimmermann, BTPle­narprot. 5/201, 10849) durch »Minderheiten, die versuchen, unsere staatliche Ordnung und die Bundeswehr anzugreifen« (Zimmermann, ebd., 10850) gesprochen. Franz Josef Degenhart, Jurist und Liedermacher, spielte in seinem Lied »Befragung eines Kriegsdienstverweigerers« den Dialog zwischen einem potentiellen Verweigerer und einem Kammervorsitzenden nach. Darin lässt er den Kammervorsitzenden sagen: Ja Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz. Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind sie eigentlich Kommunist? Naja, hier darf jeder machen, was er will – im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung versteht sich. (Degenhardt 1972, Min. 3:39, ähnlich: 1975, Min. 2:13)

Die Gewissensprüfungen wurden als Gesinnungsprüfungen kritisiert, ähnlich den Anhörungen für den öffentlichen Dienst. Degenhardts Re­ frain weist darauf hin, dass eine Berufung auf Grundrechte gegen staatlichen Zugriff in den 1970er Jahren schon einen Verdacht auf Kommunismus hervorrief. Das erinnert an Max Reimanns (KPD) (1974, 157) Ausspruch nach Verabschiedung des Grundgesetzes: »Es wird [...] der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben«. Im Gesetzgebungsprozess des 1. StÄG war Walter Fisch (KPD), der einzige, der vehement die Wiederaufnahme der Grundrechte in die Verfassungsgrundsätze des § 88 StGB (F. v. 1951) forderte (vgl. V 4.3). Es zeigt sich, dass es zwar Deutungsmöglichkeiten von Rechtsbegriffen und liberalen Garantien gibt. Doch bleibt es eine Frage von Kräfteverhältnissen, wo die Definitionsmacht liegt.

1.4.2 Öffentlicher Dienst Im Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) vom 17. Juni 2008 ist in § 7 Abs. 1 Nr. 2 geregelt, dass in das Beamtenverhältnis nur eine Person berufen werden darf, »die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten« (BGBl. I, 1011f.). § 33 BeamtStG normiert, dass Beamt*innen sich durch ihr »gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten« (ebd., 1017) müssen.30 30 Das BeamtStG löste 2009 das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) ab. Im BRRG regelte seit 1957 § 4 Abs. 1 Nr. 2 dass Beamte*r nur werden darf, wer »Gewähr dafür bietet, daß er jeder Zeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt«. Auf

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Derartige Loyalitätsvergewisserungen für Staatsbedienstete gab es im deutschen Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und es gibt sie eben auch in der Bundesrepublik.31 Im Zuge der Republikschutzgesetzgebung der Weimarer Republik (vgl. IV 2) wurde 1922 das Reichsbeamtengesetz (RBG) geändert. Dort normierte seitdem der § 10a RBG, dass Reichsbeamte verpflichtet seien, in der amtlichen Tätigkeit »für die verfassungsmäßige republikanische Staatsgewalt einzutreten« (RGBl. I, 591). Das Deutsche Beamtengesetz (DBG) vom 26. Januar 1937 löste das RBG ab (RGBl. I, 39ff.). Fortan regelte § 3 Abs. 2 DBG, dass [d]er Beamte [...] jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache zu leiten lassen [hat], daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke die Trägerin des deutschen Staatsgedankens ist.

Schon das Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 (RGBl. I, 175ff.) verlangte in § 4, dass »Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, [...] aus dem Dienst entlassen werden« können. Durch die alliierten Streichungen nationalsozialistischer Gesetze wurden diese Regelungen aufgehoben und 1950 durch das Bundespersonalgesetz (BPG) geändert (BGBl. I, 207). Im § 3 Abs. 2 BPG hieß es nun, dass die »im Dienst des Bundes stehenden Personen [...] sich durch ihr gesamtes Verhalten zur demokratischen Staatsauffassung bekennen« (BGBl. I, 207) müssen. Im Bundesbeamtengesetz (BBG) von 1953 normierte dann § 7 Abs. 1 Nr. 2 (BGBl. I, 552), dass in das Beamt*innenverhältnis nur berufen werden darf, wer »die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt«. Dass sich Staaten der Loyalität und Treue ihrer Beamt*innen versichern, ist also nichts Neues. Darauf verweist allein schon das Synonym Staatsdiener*in. Die Formulierungen der unterschiedlichen politischen Systeme ähneln sich. Nur die Begriffe – also für was Gewähr geboten Bundesebene sind diese Voraussetzungen (§ 7) und Grundpflichten (§ 60) für das Beamt*innenverhältnis im BBG (2009) normiert (BGBl. I, 160ff.). 31 Zum Ende des deutschen Kaiserreichs war eine Mitgliedschaft in der SPD Ausschlusskriterium für den Staatsdienst (vgl. Rudolf 2003, 212). In der dritten Durchführungsverordnung zum Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 6. Mai 1933 regelte § 2 Nr. 2, dass zu entlassen ist, wer sich im »kommunistischen Sinne« oder für die KPD betätigt habe (RGBl. I, 245). Zur Personalisierung und Erweiterung der Treuepflicht von Beamt*innen im Nationalsozialismus: vgl. Rudolf 2003, 216.

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werden und eingetreten werden soll – ändern sich. Dabei ist wieder einmal ausschlaggebend, wer diese Begriffe definiert, auslegt und anwendet (vgl. dazu: Schlink 1976, 339ff.). Aber sicherlich stellt es ein Unterschied dar, ob dies die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ oder der nationalsozialistische Staat ist.

1.4.2.1 Der Adenauer-Erlass 1950 In den 1950er Jahren schälte sich die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ als die Generalklausel für die Bundesrepublik heraus. 1953 kam sie ins BBG. Da die »Gegner der Bundesrepublik [...] ihre Bemühungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben«, vermeintlich verstärkten, verfasste die Bundesregierung im September 1950 eine Liste von Organisationen, »deren Unterstützung mit den Dienstpflichten unvereinbar sind« – den sogenannten »Adenauer-Erlass« (abgedruckt in: Frisch 1976, 142). Der Erlass bezog sich dabei auf § 3 BPG, sprach also nicht nur von der fdGO, sondern auch noch von »demokratischer Staatsordnung«. Er richtete sein Augenmerk auf die Mitgliedschaft, in den von ihm aufgezählten Organisationen, prüfte also nicht, wie es dann in den 1970er Jahren Praxis wurde, die Persönlichkeit der Bewerber*innen (vgl. Rigoll 2013, 87; Rudolf 2003, 218). Die Mitgliedschaft in Organisationen und Parteien bestimmte damit, was eine Gefährdung der fdGO sein sollte. Das Urteil des BVerfG von 1961 zum Parteienprivileg (BVerfGE 12, 296) verstärkte die schon früh geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des »Adenauer-Erlasses« (vgl. Rudolf 2003, 218; Zoll 2006, 490). Ein Erlass, der unter anderem Parteien aufzählt, deren Mitgliedern die Aufnahme in den öffentlichen Dienst versagt wird, war damit strittig. Zur Ausräumung der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Erlasses wurden von der Bundesregierung 1951 die Verbote von SRP und KPD beantragt. (vgl. Zoll 2006, 490).

1.4.2.2 Der »Radikalenerlass« von 1972 Die Proteste der 1960er Jahre, die Gründung der DKP nach dem Verbot der KPD, die Debatten um die politische Bildung (vgl. VI 2.3) und der »lange Marsch durch die Institutionen« war für viele Mitglieder der bis dato etablierten Parteien ein Bedrohungsszenario (vgl. Rigoll 2013, 335ff.). Die konservative Wissenschaft warnte vor einer Unterwanderung der Verwaltung (vgl. Schelsky 1974, 21f.) und des Bildungssystems. Am 28. Januar 1972 beschlossen der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder, der Unterwanderung des Staatsapparates 323

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durch ›Radikale‹ Einhalt zu gebieten. Da aber die DKP nicht verboten war, konnte nicht einfach wie beim Erlass 1950 eine Liste von Organisationen, bei denen eine Mitgliedschaft zum Ausschluss aus oder zur Nicht-Einstellung in den öffentlichen Dienst führte, veröffentlicht werden. Man entschied sich für eine Einzelfallprüfung der Bewerber*innen und verabschiedete den »Radikalenerlass« bzw. »Extremistenbeschluss« (abgedruckt in: Frisch 1976, 144). Dieser Beschluss sah vor, dass »in das Beamtenverhältnis nur berufen werden [darf], wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt« (ebd.). Außerdem seien Beamt*innen verpflichtet, sich »innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen« (ebd.). Der Erlass bestätigte damit nur ohnehin schon geltendes Recht, wies aber auf ein erhöhtes Bedürfnis der Exekutive hin, diese gesetzliche Grundlage zu betonen. Die Einzelfallprüfung der Bewerber*innen war die Möglichkeit, das Parteienprivileg und das damit zusammenhängende Entscheidungsmonopol des BVerfG zu umgehen. Der Erlass formulierte es folgendermaßen: Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet eine Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Einstellungsantrages. (ebd.)

Die Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen wurde damit zum Indiz für die mangelnde Verfassungstreue. Die Umsetzung des Erlasses war in den Bundesländern und den jeweiligen Behörden unterschiedlich.32 Grundsätzlich wurden Regelanfragen bei den Verfassungsschutzämtern üblich, was zu einer »systematischen Überprüfung« (Mühldorfer 2014) aller Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst führte. Lagen den Verfassungsschutzbehörden »Erkenntnisse« vor, wurde eine Anhörung – von Bewerber*innen auch »Verhör« (Narr 1975, 162) genannt – durchgeführt. Der Ministerpräsidentenerlass galt zudem nicht nur für Bewerber*innen, sondern auch für Personen, die schon im öffentlichen Dienst 32 Die uneinheitliche Praxis in den Bundesländern führte 1974 zu einem Gesetzesentwurf des Bundesrates (BT-Drs. Nr. 7/2432), der in das BRRG, das Deutsche Richtergesetz (DRiG) und das SG jeweils einen Artikel mit gleichem Wortlaut einfügen wollte, der bei Zweifeln am Eintreten für die fdGO von Bewerber*innen eine Einzelfallprüfung vorsah. Zudem sollte normiert werden, dass die Mitgliedschaft in einer Vereinigung oder Partei, die ›verfassungsfeindliche‹ Ziele verfolge, die Zweifel am Eintreten für die fdGO begründe.

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beschäftigt waren.33 Dies führte zu unterschiedlichen Verfahren. Während Bewerber*innen bereits bei »Zweifeln« an ihrer Verfassungstreue nicht in den öffentlichen Dienst aufgenommen wurden, musste bei schon im Dienst Befindlichen ein Disziplinarverfahren angestrengt werden. In diesem Verfahren musste die mangelnde Verfassungstreue erst bewiesen werden, Zweifel genügten nicht für die Entlassung (vgl. Güde 1978, 33). Bewerber*innen hingegen mussten den Beweis für ihre Entlastung selbst erbringen. So entschied auch das Bundesverwaltungsgericht am 6. Februar 1975 (BVerwG Az. II C 68.73), das die Widerlegung von Zweifeln an der Verfassungstreue als Sache der Bewerber*innen ansah. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 22. Mai 1975 (BVerfGE 39, 334), dass einem Urteil über die Persönlichkeit von Bewerber*innen Prognosen über deren zukünftiges Verhalten zugrunde liegen.34 Ebenso könne die Mitgliedschaft in einer Organisation, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt – »unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht« (ebd., 335) –, auf die Persönlichkeit der Bewerber*innen schließen lassen. Damit rechtfertigte das BVerfG die Einstellungspraxis der Behörden und entledigte sich selbst seines Entscheidungsmonopols, das es zum Teil auf die Exekutive übertrug. Verfassungsfeindlichkeit wurde zum praktikablen Begriff für die Exekutive. So sagte auch der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger 1976: »Spätestens seit dieser 33 Neben der Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden, die vorrangig linkspolitisch Aktive oder auch nur vermeintlich Aktive traf, gab es auf Anweisung des Bundesinnenministeriums seit Beginn der 1960er Jahre auch Routineanfragen in der Zentralstelle in Ludwigsburg für Neueinstellungen bei Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA). Diese führten zu Versetzungen (vgl. Weinke 2012, 9f.). »Besonders gründlich scheint man allerdings nicht vorgegangen zu sein«, schreibt Rigoll (2013, 180) mit Blick auf die personellen Kontinuitäten im BfV und BKA. Seifert (1978, 37) kritisierte schon 1978: »Ein faschistischer Beamter bleibt in diesem Lande – trotzallem – Freund, ein kommunistischer oder ein sogenannter linksradikaler Beamter aber ist und bleibt Feind«. Im Verfassungsschutzbericht des Bundes von 1974 wurden bspw. auch NPD-Mitglieder aus der ›Rechtsextremismus‹Statistik herausgerechnet (vgl. Ackermann u. a. 2015, 134). 34 Der Fall, der zu diesem Urteil führte, beschäftigte sich mit einem Anwärter auf den Vorbereitungsdienst als Rechtsreferendar in Schleswig-Holstein, der mangelhafte Gewähr dafür biete, jederzeit für die fdGO einzutreten, und deshalb abgelehnt wurde. Auch Bewerber*innen für Vorbereitungsdienste und Ausbildungen im öffentlichen Dienst haben für die fdGO einzutreten. Dies gilt ebenso für Richter*innen (§ 9 Nr. 2 DRiG) und Anwält*innen (§ 7 Nr. 6 BRAO). Das BVerfG legitimierte diese Überprüfungspraxis auch für Angestellte im öffentlichen Dienst.

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Entscheidung kann von einer verfassungsfeindlichen Partei gesprochen werden, auch wenn diese Partei noch nicht verboten ist [...]« (Der Spiegel 1976, 40). Kritisiert wurde diese Auffassung als »Nachschieben von Legalität« (Frankenberg 1977, 362). Wo sich die Exekutive selbst schon eine Handlungsgrundlage geschaffen hatte, dienten Legislative und Judikative im Nachhinein lediglich zu deren Legalisierung. Gewaltenteilung als rechtsstaatliches Prinzip zur Zurückdrängung staatlicher Exekutive wird damit völlig umgedreht (vgl. V 5.2.3). Das Gericht projizierte ›Verfassungsfeindlichkeit‹ schon in die Weimarer Republik (vgl. Schlink 1976, 340). Das Urteil des BVerfG wurde lange erwartet, sollte es doch die Unklarheiten, die sich durch die unterschiedliche exekutive Praxis ergaben, beseitigen. Allerdings war es nicht deutlich in Bezug auf die geforderte Treuepflicht der Beamt*innen; auch Befürworter*innen und Kritiker*innen konnten sich darauf beziehen (vgl. Rigoll 2013, 434; Rudolf 2003, 231). Gerade auch weil es die abweichenden Meinungen der Richter Rupp, Seuffert und Wand (vgl. BVerfGE 39, 334, 375ff.) gab, die verschiedene Aspekte des Urteils kritisierten. Einerseits erklärte das Urteil eine generelle Regelabfrage bei den Verfassungsschutzbehörden für nicht verhältnismäßig, dies würde gar die politische Atmosphäre »vergiften« (ebd., 356). Andererseits erklärte Wand es für »unverantwortlich« (ebd., 390), würde der Staat nicht alle Erkenntnisse nutzen, gerade auch die, die ihm von der Behörde, die ja für den Schutz der fdGO zuständig sei, zur Verfügung gestellt werden könnten. Zwar gab es die unterschiedlichen Voten, doch das BVerfG war mit Blick auf seine Definition der Treuepflicht sehr deutlich: Diese sei »die Pflicht zur Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem der Beamte dienen soll, mit der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren« (ebd., 347f.). Unverzichtbar sei, daß der Beamte den Staat – ungeachtet seiner Mängel – und die geltende verfassungsrechtliche Ordnung, so wie sie in Kraft steht, bejaht, sie als schützenswert anerkennt, in diesem Sinne sich zu ihnen bekennt und aktiv für sie eintritt. Der Beamte, der dies tut, genügt seiner Treupflicht und kann von diesem Boden aus auch Kritik äußern und Bestrebungen nach Änderungen der bestehenden Verhältnisse – im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und auf verfassungsmäßigem Wege! – unterstützen. (ebd., 348)

Der »Beamte« solle sich »in dem Staat, dem er dienen soll, zu Hause« (ebd., 349) fühlen, sich also durchaus emotional an »›seinen‹ Staat« (ebd., 349) binden. Verbesserungsvorschläge sind erwünscht, grundsätzliche Änderungswünsche – insb. von Beamt*innen – aber nicht. Das 326

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BVerfG identifiziert hier »freiheitliche Demokratie« – eines der Synonyme für die fdGO in der Rechtsprechung (vgl. I 2.2.3) – mit den bestehenden Verhältnissen in der Bundesrepublik (ähnlich argumentieren: Gusy 1980, 297; Narr 1975, 167).35 Es bleibt nicht vielmehr als die Forderung nach einer »plumpen Staatsloyalität« (Schiller und Becker 1977, 219); das Gericht »konstituierte den alten Gegensatz zwischen Obrigkeit und Untertanen neu« (Doering-Manteuffel 2003, 284). Die fdGO wird zum »Teil der ›fixierten Verfassungssubstanz‹« (­BVerfGE 39, 334, 366) und zusätzlich völlig entpolitisiert. So benennt das Gericht die Verfassungstreue von Bewerber*innen als eine Eigenschaft unter vielen, die sie eben erfüllen müssten. Bewerber*innen könnten bspw. »uneinsichtig rechthaberisch« sein oder ihnen könne ein »Geschick im Umgang mit Schülern« abgehen (ebd., 353). Genauso können im »prognostische[n] Urteil« (ebd.) der Einstellungsbehörde mit Blick auf die Persönlichkeit der Bewerber*innen auch Zweifel an der Gewähr des Eintretens für die fdGO bestehen – schlicht als ein Entscheidungskriterium unter vielen anderen. Auch das Bundesverwaltungsgericht urteilt ähnlich, wenn es die »politische Haltung« mit den »intellektuellen Fähigkeiten« oder den »gesundheitlichen Voraussetzungen« als »Eignungsmerkmal« gleichsetzt (BVerwG, Az. II C 68.73, Rdnr. 251). Diese Entpolitisierung folgt logisch aus der Setzung als objektive Wertordnung, ist diese doch dem politischen Streit entzogen und mit dem ›neutralen‹ Staat identifiziert. Um Rechtssicherheit zu schaffen, musste das BVerfG auch zum Parteienprivileg urteilen. Hatte es doch die Praxis des § 90a StGB (F. v. 1951) als verfassungswidrig beurteilt (vgl. VI 1.2.1). Nun war die Frage, ob die Mitgliedschaft in einer Partei (namentlich der DKP) ein Hindernis für die Einstellung war oder nicht. Ist die Mitgliedschaft in einer Partei, die als verfassungsfeindlich eingestuft wird und (noch) nicht vom BVerfG als verfassungswidrig bezeichnet wurde, also schon politisches Handeln, das die fdGO gefährden könnte? Wann geht es lediglich um »Gesinnung« (BVerfGE 39, 334, 364) und wann folgen auf diese Gedanken politische Äußerungen oder Handlungen? Die Richter waren sich nicht einig, ob das »bloße Haben« (BVerfGE 39, 334, 350) einer Meinung und dessen Äußerung durch die Parteimitgliedschaft schon als Gefährdung der 35 Diese Identifikation soll verhindern, dass Beamt*innen ihre Pflichten verletzen. Diese Pflichtverletzung könne nicht nur in Aktivitäten, sondern auch in Unterlassungen bestehen, »bspw. wenn der Vorgesetzte oder Dienstvorgesetzte verfassungsfeindliche Umtriebe innerhalb seines Verantwortungsbereichs geflissentlich übersieht und geschehen läßt« (BVerfGE 39, 334, 350). Setzt man diese Aussage des Gerichts in Bezug zum NSU-Komplex, ließe sich fragen, ob die Behörden sich so sehr auf die Staats- und Verfassungstreue ihrer Bewerber*innen konzentriert haben, dass sie gerade dadurch das Wesentliche aus den Augen verloren haben.

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fdGO gelten könne. Die noch im KPD-Verbot verlangte »aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung« (BVerfGE 5, 85, 85), was zumindest für die Partei als Gesamtorganisation galt, ist hier aber nicht für die Einzelperson veranschlagt. Im Urteil kommt das BVerfG dahin zu sagen, dass auch die bloße Mitgliedschaft in einer Partei, die ›verfassungsfeindlich‹ sei, ausreiche, um eine*n Bewerber*in abzulehnen. Die abweichenden Voten von Seuffert und Rupp halten dagegen. Außerdem betont das Gericht: »Jedes Verhalten, das als politische Meinungsäußerung gewertet werden kann, ist danach nur dann verfassungsrechtlich durch Art. 5 GG gedeckt, wenn es nicht unvereinbar ist mit der in Art. 33 Abs. 5 GG geforderten politischen Treuepflicht des Beamten« (BVerfGE 39, 334, 367). Wann eine Partei als ›verfassungsfeindlich‹ gilt, wann ein Verhalten eine politische Meinungsäußerung ist und wann diese Meinungsäußerung mit der geforderten Treuepflicht kollidiert, die nun auch laut Gericht eine politische ist, bleibt unklar. Die Antwort ist sicherlich: bei Gefahr für die fdGO. Das »Reizwort vom ›Berufsverbot‹« (ebd., 370) sei hier auch völlig fehl am Platz, denn es gehe schlicht um »legitime Zulassungsvoraussetzung«, »die zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nötig« sei und »von jedem, der den Staatsdienst anstrebt, erfüllt werden« könne, wenn er nur wolle (ebd., 371). »Wer dem Staate dienen will, darf nicht gegen den Staat und seine Verfassungsordnung aufbegehren und anrennen wollen« (ebd., 370). Es herrschte also trotz des Urteils über die Anwendung des Erlasses völlige Rechtsun­sicherheit und der Spielraum der Exekutive wurde ausgedehnt. Die Einzelfallprüfung ließ subjektiven Einschätzungen Raum. »[D]ie Bewertung der einzelnen politischen Aktivitäten entbehrt des klaren Maßstabs, und wo das objektive Kriterium der sanktionierten Rechtswidrigkeit fehlt, da rücken subjektive Vorstellungen über mißliebige Nonkonformität ein« (Schlink 1976, 364). Diese subjektiven Einschätzungen konnten aber über die Behauptung einer objektiven Wertordnung, der fdGO, begründet werden. In den folgenden Jahren wurde diese Praxis der Exekutive, nicht nur in der Bundesre­publik, sondern auch international kritisiert (vgl. Rigoll 2013, 440ff.; Zoll 2006, 500f.). Am 19. Mai 1976 erließ die Bundesregierung Grundsätze, die bei der Verfassungstreueprüfung eingehalten werden sollten (abgedruckt in: Frisch 1976, 147f.). Die Regierung bezog sich auch auf die Entschließung des Bundestags vom 24. Oktober 1975, die betonte, dass der »freiheitlich demokratische Staat« von der »Verfassungsloyalität seiner Bürger« ausgehe (abgedruckt in: Frisch 1976, 145). Viele Betroffene mussten einen Bruch in ihrer beruflichen Laufbahn hinnehmen und tragen bis heute die Konsequenzen, da sie ihre erlernten Berufe nicht ausüben konnten (zu einzelnen Fällen: Deutscher Beirat des 3. Internationalen Russell-Tribunal 1978; Zwetz 2016; Rigoll 328

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2013, 370ff.). Die Berufsverbotspraxis hatte, neben der unangenehmen Gewissheit beim Verfassungsschutz Akten über sich angelegt zu wissen, auch finanzielle Konsequenzen. Die Regelanfrage wurde als letztes in Bayern im Jahr 1991 offiziell abgeschafft.36 Allerdings erregte 2016 der Fall eines Doktoranden der Ludwig-Maximilians-Universität in München Aufsehen, der aufgrund seiner DKP-Mitgliedschaft seine Stelle nicht antreten durfte (vgl. Schamberger 2016). Eingeführt wurden in vielen Ländern zudem Treueerklärungen, in denen neue Beamt*innen oder Angestellte im öffentlichen Dienst versichern sollen, dass sie auf dem Boden der fdGO stehen oder keiner ›ex­ tremistischen‹ Gruppe angehören. Diese Praxis der Treueerklärungen hat sich von hier aus in viele andere Bereiche auch jenseits des Beamt*innenrechts ausgedehnt (vgl. VI 2.2).

1.4.2.3 Bedeutung der Treuepflicht für politisches Handeln Die persönlichen und politischen Konsequenzen, die eine langjährige Überprüfungspraxis haben kann, werde ich anhand eines Berichts über eine Anhörung eines Betroffenen aufzeigen. Hierbei ist zu bedenken, in wie vielen Bereichen eine Verbeamtung in den 1970er Jahren noch üblich war.37 Wolf-Dieter Narr, Politikwissenschaftler und Mitherausgeber des Magazins Bürgerrechte & Polizei/CILIP, schildert 1975 seine Anhörung an der Universität Hannover. Es wurde an seiner politischen Eignung für die ausgeschriebene Stelle gezweifelt. Das Dilemma einer solchen Anhörung beschreibt er wie folgt: Die zentrale Schwierigkeit besteht nun darin, daß der Befragte gegebenenfalls die Interpretation dieser FdGO, indem erhsich [sic] durchaus, ja gerade auf dem Boden des Grundgesetzes versteht, nicht mehr akzeptiert, vielmehr einen grundgesetzlich richtigeren Maßstab für sich in Anspruch nimmt. Das Dilemma ergibt sich für ihn daraus, daß die Befragenden definieren und sanktionieren können, der Befragte sich aber 36 Zum weiteren Debattenverlauf um den »Radikalenerlass«, die verschiedenen Verlautbarungen der Regierung, die Durchführungsbestimmungen der Länder bis zur formellen Abschaffung der Regelanfrage in Bayern 1991 vgl. Frisch 1976; Rigoll 2013, 427ff.; Zoll 2006. 37 Durchaus treffend formulieren dies Becker und Schiller (1977): »›Pluralis­ tische‹ Harmonie durch Verbeamtung der Gesellschaft«. So wurden auch Briefträger*innen oder Zugführer*innen nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt, wenn Zweifel an ihrer Verfassungstreue aufkamen. Nach der Privatisierung von Post und Bahn und in Zeiten von Public Private Partnership ist das natürlich kein Argument mehr.

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nur zu rechtfertigen vermag, während die Rechtfertigungsebene von den Definitoren vorgegeben wird. (Narr 1975, 170)

Narr sieht zwei konträre Möglichkeiten, wie Bewerber*innen sich verhalten können: entweder die politischen Tätigkeiten der Vergangenheit verleugnen und einen »Lügenknicks vor den herrschenden Erwartungen« (ebd., 171) machen oder der Einstellungsbehörde die eigene – also »richtigere« (ebd., 172) – Auslegung von Demokratie entgegensetzen und damit die Definition über den Boden des Grundgesetzes und der fdGO für sich zu reklamieren. Narr verwirft beide Strategien als entweder kollaborativ oder naiv. In seinem Nachruf zu Johannes Agnoli 2003 sprach er gar von der »grotesken Unterschätzung der Definitionsmacht etablierter Institutionen« (Narr 2003). Er schlägt den Mittelweg vor, von seinem eigenen Grundgesetzverständnis nicht abzulassen und sich dahingehend in seinen Äußerungen während der Anhörung leiten zu lassen. »Nur es muss ein Grundgesetzverständnis sein und nicht ein wie auch immer sonst gearteter Bezugsrahmen« (Narr 1975, 174). Dabei sollte die »Sprechweise und die Terminologie [...] die übliche, die herrschende sein« (ebd., 175). Um es sich in zukünftigen Anhörungen nicht noch schwerer, als ohnehin schon zu machen, schlägt Narr (ebd., 176) vor, dass man »politisch härter« werden müsse. Nicht jeder Aufruf müsse unterschrieben, nicht jedes Flugblatt oder jede Demonstration unterstützt werden. Die »politische[...] Nutzlosigkeit« vieler Verlautbarungen stehe im Kontrast zur »institutionalisierte[n] Sammelleidenschaft« (ebd.), durch die man in die Illegalität gedrängt werde. Deshalb sei der »Kampf um Verfassungspositionen und die eigene Position innerhalb des Verfassungsrahmens« (ebd.) unabdingbar, will man sich nicht jeder politischen Möglichkeit berauben. Dabei sei es wichtig, keine konspirativen Verhaltensweisen an den Tag zu legen und sich nicht in die Illegalität drängen oder zum »Outsider« (ebd., 177) stigmatisieren zu lassen. So unrichtig es ist, harmlos zu bleiben im oberflächlichen Sinne und beispielsweise freiweg so zu telefonieren, als gäbe es kein anderes als das angesprochene Ohr, so zentral ist es im Sinne der oben betonten eigenen Integrität als Einzelner und als Gruppe die prinzipielle Harmlosigkeit sich zu erhalten. (ebd., 177f.)

Was der potentielle Verdacht verursacht, ist also erstens eine Beschränkung des politischen Feldes auf den Rahmen der Verfassung, andere Bezugsrahmen verschaffen nicht die nötige Legitimation. Das Mittel ist der Kampf um Verfassungspositionen, das Ziel die ›richtige‹ Umsetzung des Grundgesetzes. Zweitens ist das eben nicht mehr bedrohlich, sondern harmlos, da ja offiziell im Sinne einer besseren Verwirklichung 330

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des Grundgesetzes. Dass das GG als Argument dient, wurde auch schon in Degenhardts Darstellung einer Befragung eines Kriegsdienstverweigerers deutlich (vgl. IV 1.4.1). Der Bezug zum GG soll die nötige Legitimation verschaffen und zeigen, dass die politische Aktion auf dessen Boden stattfand, also folglich nicht zu beanstanden sei. Zwischen »Kollaboration [...] und Kompromiss[...]« (Narr 1975, 177) geht damit die politische Frage jenseits des Bezugsrahmens der bürgerlichen Demokratie verloren. Die Frage »Wie zusammen leben?«, kann nur noch im Rahmen des GG gestellt werden. Politisch Aktive sind nun diejenigen, die eine ›richtigere‹ Umsetzung des GG fordern, es verteidigen. Damit lässt sich zeigen, dass man natürlich auf dem Boden der fdGO steht, man fordert gar ihre ›wirkliche‹ Umsetzung. Alles jenseits des rechtlichen Rahmens ist nicht legitim, da es im behördlichen Diskurs nichts taugt. Der Extremismusbegriff macht diesen rechtlichen Bezugsrahmen noch flexibler, wichtig wird die Abgrenzung und das Bekenntnis zur ›Demokratie‹ – so wie sie behördlich gemeint ist. Politisches Handeln und dessen Ziele werden damit relativ vom Staat her gedacht. Es bleibt nur, entweder vorausschauend zu handeln oder doch konspirativer zu agieren, um möglicher Repression vorzubeugen. Die Anhörungen und Regelabfragen, die Undurchsichtigkeit der Entscheidungskriterien sowie die materiellen Konsequenzen verursachten »Einschüchterung, Angst und Apathie« (Schiller und Becker 1977, 115), die sich auf die politische Praxis ausgewirkt haben.

1.4.3 Zusammenfassung Mit den Protestbewegungen der 1960/70er Jahre wird die Bundesrepu­ blik nur auf den ersten Blick liberaler. Vielmehr wird das staatsschützende Instrumentarium, das ursprünglich vor allem antikommunistisch austariert war, auf politische Felder jenseits des Parteikommunismus‹ ausgedehnt. War die Verfolgung von Kommunist*innen in den 1950er Jahren ausufernd, entwickelt sich durch ›wehrhafte Demokratie‹ und fdGO in den 1960/70er Jahren ein weniger effektives, aber effizienteres Vorgehen. Der angedrohte »lange Marsch durch die Institutionen« rief Ängste vor dem Eindringen von ›Verfassungsfeinden‹ in den Beamt*innenapparat hervor (vgl. BVerfGE 39, 334, 370). Nicht der Apparat selbst, sondern wer aus der Gesellschaft in ihn gelangt, kann bedrohlich sein. Angesichts gesellschaftlicher Protestbewegungen wurde die »Kategorie der ›streitbaren Demokratie‹ angewendet [...], um die Absicherung von ›freiheitlicher demokratischer Grundordnung‹ als Schutz der etablierten institutionellen Macht gegen kritische, nonkonformistische, aufrührerische Auffassungen aus der Staatsbürgergesellschaft zu erreichen« (Doering-Manteuffel 2003, 271). 331

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Der Angst wurde mit einer Bestätigung und Erweiterung der Befugnisse der Ämter für Verfassungsschutz begegnet. Durch den Begriff ›Verfassungsfeindlichkeit‹ wird die Definitionsmacht stärker auf die Verfassungsschutzbehörden verlagert. Was fdGO heißt, wird flexibler – auch ohne die eigentliche Definition zu ändern. Der in der parallelen Ent­ wicklung vom Verfassungsschutz ab 1974 etablierte Begriff ›Extremismus‹ (vgl. VI 1.1.2) löste zusätzlich die Bindung an die Judikative. ›Ex­ tremismus‹ und ›Verfassungsfeindlichkeit‹ können beide ohne allzu starre Regeln im politischen Diskurs eingesetzt werden, behalten aber den Bezugspunkt fdGO zur Legitimierung. Dabei ist die fdGO zwar ein Rechtsbegriff, aber sie stellt ebenso wenig wie ›Extremismus‹ oder ›Verfassungsfeindlichkeit‹ einen präzisen und klar abgrenzbaren Begriff dar (vgl. Hofferbert 1977, 491).38 Wer die fdGO bedrohe, und wann politisches Handeln ein Angriff auf einzelne Elemente oder die gesamte Grundordnung sei, kann je nach politischer Großwetterlage durch die Exekutive entschieden werden. Da können Prinzipien auch gegeneinander abgewogen werden, wenn es dem staatlichen Schutz dienen soll (vgl. III 2.2). Zugleich wird an der Berufsverbotspraxis deutlich, wie stark das Konzept ›wehrhafte Demokratie‹ vermittelt über die fdGO politisches Handeln strukturiert. Versuche, dem Verständnis der Behörden eigene Vorstellungen über Demokratie oder das Grundgesetz entgegenzuhalten, mussten sich auf die Spielregeln dieses Bezugsrahmens einlassen – und sie stehen einem staatlichen Apparat gegenüber, der die besseren Karten hat. Der Begriffsinhalt könne sich »jeweils gemäß dem Konsensus der herrschenden Parteien« (Narr 1975, 159) verschieben. Kritik muss aber nach der Legitimation durch das Bestehende fragen und sich auf dessen Boden bewegen – und/oder mit entsprechender Repression rechnen. Das heißt, es muss ein Arrangement gefunden werden. Die Konsequenzen sind vorauseilender Gehorsam, Verzicht oder Konspiration – und daraus folgend Marginalisierung.39 Was sich schon bei der Änderung des politischen Strafrechts und der Notstandsgesetzgebung 1968 abzeichnete, wurde durch den 38 Spürbar bleiben dabei jedoch die antikommunistischen Wurzeln. So kann auch Frisch behaupten, dass der »Anhänger der Todesstrafe« (Frisch 1976, 19) kein Verfassungsfeind sei, eine »Totalsozialisierung« des »gesamten Grund und Bodens sowie aller Naturschätze und Produktionsmittel« (ebd., 20) die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedoch bis zur unerträglichen Bevormundung einschränke und damit nicht mehr auf dem Boden der fdGO stehe. 39 Nicht zu unterschätzen, hier allerdings nur spekulativ anzuführen, ist die Wirkmächtigkeit eines ›Extremismus‹-Demokratie-Gegensatzes, der auf eine politische Kultur trifft, in der Streit negativ sowie Ruhe und Ordnung positiv konnotiert sind (vgl. bspw. Lietzmann 1999) und ein ausgleichendes

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POLITISCHES HANDELN IN DER BUNDESREPUBLIK

»Radikalenerlass« noch deutlicher: Die fdGO anzuwenden »verlangt nicht mehr nach einer Begründung, warum und ob sie richtig angewendet wird, sondern lediglich nach dem politisch begründeten Konsens, daß sie angewendet werden müsse« (Hofferbert 1977, 491). Es geht nicht um die Frage, ob die fdGO überhaupt existiert und ob sie denn verteidigt werden müsse. Die Frage ist bloß noch, wer alles auf dem Boden der fdGO steht und wer nicht. Dass die Antwort auf diese Frage umkämpft war, zeigen die Versuche, die fdGO für die jeweils eigenen politischen Ziele zu vereinnahmen, sie bspw. als Teil des antifaschistischen Gehalts des Grundgesetzes zu bezeichnen (vgl. I 1.2.1). Gerade weil die fdGO nun so selbstverständlich existiert, ist es für viele politische Akteur*innen – auch außerhalb der Parlamente – wichtig, die fdGO mehr in ihrem Sinne inhaltlich zu füllen und für sich die ›wahre‹ fdGO zu proklamieren und diese gegen die aktuelle Politik in Stellung zu bringen. Diese versuchte Wendung der fdGO gegen den Staat erinnert an den historischen Entstehungskontext von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gegen absolutistische Staatlichkeit. Doch das Konzept ›wehrhafte Demokratie‹ bringt Rechtsstaat gegen Demokratie in Stellung, sieht politische Freiheit durch den Staat gewährleistet. Das Verhältnis von Bürger*in und Staat wird durch den »Radikalenerlass« enger aneinander geknüpft, es wird »existenziell und identifikatorisch« (Schlink 1976, 366). Die Exekutive wird die Wahrerin der Freiheit, die die aus der Gesellschaft drohenden Gefahren einhegt. Die Bürger*innen stehen in der Pflicht, die Ordnung, die ihnen die Freiheit gewährt, zu verteidigen. Ihr Handeln soll die Ordnung bejahen, vielleicht verbessern, aber nicht unabhängig oder gar gegen sie gerichtet sein.

2. Politisches Handeln in der Bundesrepublik Nachdem ich im vorangegangenen Kapitel die Entwicklung der Definitionsmacht von Exekutive und Judikative als auch die inhaltliche Füllung der fdGO selbst nachgezeichnet habe, werde ich nun die politischen Akteur*innen, die nicht unmittelbar im Staatsapparat tätig, sind in den Blick nehmen. Die Auswirkungen, die das politische Strafrecht, die Praxis der Berufsverbote und die Entwicklung des Extremismusansatzes bzw. der Verfassungsschutzbehörden hatten (vgl. V 4, IV 1), sind Drängen zur ›Mitte‹ mehrheitsfähiger ist als klare politische Positionen (vgl. Link 1997, 396ff.). Die exekutive Einschätzungsprärogative kann auf dieser politischen Kultur bauen. Gramscis (1992, GH 6, 783) Beschreibung von Staat als »politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang« trifft hier einen zentralen Aspekt.

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STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

dabei im Hinterkopf zu behalten. Gleichzeitig ist der für politisches Handeln bittere Befund dieser repressiven Staatspraxis wenn nicht zu relativieren, so doch mindestens mehrdimensionaler zu betrachten. Gerade die bürgerliche Demokratie kann nicht lediglich als vorgegebenes Ganzes oder als top-down-Modell verstanden werden. Zwar gibt es Strukturen, die das Handeln prägen, aber ebenso prägt das Handeln erst die Strukturen (vgl. II 3). Repressive Praxen unterdrücken nicht nur, sondern rufen Widerstand hervor. Es ist nicht gesichert, dass sie so funktionieren, wie sie funktionieren sollen. Betroffene schaffen Gegen- oder Umgehungsstrategien. Das folgende Kapitel skizziert, wie die fdGO als Ausschluss- oder Steuerungsinstrument eingesetzt werden kann. Dafür blicke ich zunächst auf politische Parteien (1), zweitens auf außerparlamentarisches, zivilgesellschaftliches Handeln (2), das im Gegensatz zu Parteien nicht unmittelbar rechtlich in das Verfassungsgefüge inkorporiert ist und sich deshalb flexibler entwickeln kann. Drittens gehe ich auf politische Bildung (3) und viertens auf die Begrenzung politischer Betätigung von Nicht-Deutschen im Sinne des Ausländerrechts (4) ein. Welche Rolle spielen hier fdGO und ›wehrhafte Demokratie‹? Lässt sich nichtstaatliches politisches Handeln davon beeinflussen? Geht es dabei immer um den hohen Wert der Demokratie oder auch um Banaleres?

2.1 Parteien 2.1.1 Ein »notwendiger Bestandteil der fdGO« Parteien waren in der Entwicklung des deutschen bürgerlichen Staates nicht sonderlich beliebt. Einheit und Gemeinwohl wogen mehr als Konflikt und partikulare Interessenvertretung. Im Grundgesetz haben Parteien einen eigenen Artikel bekommen: Art. 21 GG. Er gilt als Anerkennung der elementaren Rolle von Parteien in der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik und deren politischer Willensbildung (vgl. V 5.3, 5.4). Umso bezeichnender ist es, dass in demselben Artikel, durch den die Parteien ins Grundgesetz und damit ins politische System aufgenommen wurden, sogleich eine potentielle Einschränkung enthalten ist. Bei Gefährdung der fdGO kann eine Partei verboten werden (Art. 21 Abs. 2 GG). Die Anerkennung steht selbst schon im Zeichen der Inkorporation in den Staat, ist ein »verstaatlichende[r] Sog« (Ridder 1984, 1428), komplettiert durch staatliche Parteienfinanzierung und »Quasiverbeamtung« (ebd., 1430) von Abgeordneten. Für das BVerfG ist es im KPD-Verbot kein »Zufall« (BVerfGE 5, 85, 135), dass liberale westliche Demokratien weder die verfassungsrechtliche Anerkennung noch 334

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ein Verbot kennen. Das Gericht weist Parteien »ihre Stelle in der Ordnung des Staatsaufbaus« (ebd., 134) zu. Es folgert, »daß an der ›Inkorporation‹ der Parteien in das Verfassungsgefüge ›politisch sinnvoll‹ nur die Parteien teilhaben können, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen« (ebd.). Parteien sind als Staatsorgane anerkannt (vgl. Agnoli 1968, 33), haben also Rechte, aber auch Pflichten; in einem gewissen Rahmen dürfen und sollen Parteien Teil der politischen Willensbildung sein. Diese soll aber für die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ und für das Gemeinwohl passieren, nicht für partikulare Interessen bzw. nur insofern als dass individuelle Interessenvertretung im Sinne des bürgerlichen Staates ist. In diesem Sinne wird hier § 1 des Parteiengesetzes (PartG) verstanden: Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe.

Die Interessenvertretung wird damit zu einer verfassungsrechtlichen Aufgabe für Parteien. Sie sollen Interessen vertreten. Völlig abgelöst von historischen Entstehungsgründen politischer Bewegungen und Parteien sind sie »verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil« der fdGO. Das BVerfG verbindet dies im KPD-Verbot mit der Notwendigkeit eines einheitlichen Staatswillens, der nur gebildet werden könne, wenn diejenigen, »die zur Mitwirkung an dieser Willensbildung berufen sind, wenigstens Einmütigkeit in der Bejahung der verfassungsrechtlichen Grundwerte« (BVerfGE 5, 85, 134) an den Tag legen. Partikulare Inte­ ressen existieren in dieser Sicht nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als Inhalt des Rahmens, den der Staat vorgibt und dienen der Willensbildung. In der Rechtsprechung zur Parteienfinanzierung hat das Gericht 1966 zwar betont, dass die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt passiere (vgl. BVerfGE 20, 56, 56). Doch gerade im Rahmen der ›wehrhaften Demokratie‹ bleibt das grundsätzliche Verständnis von der gewährten Freiheit, die nicht ausgenutzt werden dürfe, bestehen, wie der Blick auf das Urteil zur NPD 2017 zeigte (vgl. V 5.4). Damit das Parteiverbot nicht missbraucht wird, entscheidet nur das BVerfG über die Verfassungswidrigkeit von Parteien. Das judikative Entscheidungsmonopol »schließt [...] administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber noch so feindlich verhalten« (BVerfGE 5, 85, 140). 335

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Dieses »Parteienprivileg« ist ambivalent, bezeichnet es doch die Bevorzugung, lediglich verfassungsgerichtlich und nicht schon administrativ verboten werden zu können. Es müsse »seltsam berühren, daß eine Befugnis zum Eingriff in eine oder zur Vernichtung einer Organisation für diese ein ›Privileg‹ darstellen könne« (Ridder 1975, 59). Wie wackelig dieses »Privileg« ist, zeigte die Praxis der Verfassungsschutzämter und die judikative Rechtsprechung zum Radikalenerlass (vgl. VI 1.1, 1.4). In den 1970er Jahren wurde die Trennung der Begriffe ›Verfassungsfeindlichkeit‹ und Verfassungswidrigkeit klarer; der Extremismusbegriff vom BfV gesetzt. In der Folge wurde es möglich, auch ohne gerichtliches Verbot mittels unterstellter ›Verfassungsfeindlichkeit‹ Parteien oder Gruppen nicht nur öffentlich zu delegitimieren, sondern vor allem auch Personen von ihren erlernten Berufen auszuschließen. Erscheint die begriffliche Trennung zunächst als Einschränkung exekutiver Definitionsmacht – nur das Gericht urteilt wirklich, wer verfassungswidrig ist –, so legitimierte das BVerfG die Beobachtung und Berichterstattung des Verfassungsschutzes und stärkte damit die exekutive Einschätzung (vgl. BVerfGE 39, 334). »Der Entwicklung zur verselbstständigten Exekutivgewalt korrespondiert die Tendenz, gesellschaftliche Hie­rarchien zu legal nicht veränderlichen Konstanten zu verwandeln« (Perels 1978, 10). Das Gericht hat mit der fdGO die unveränderlichen Konstanten selbst abgesteckt und gibt der Exekutive Raum, zu agieren. Das ist nicht unbedingt eine »verselbstständigte[...] Exekutive« (ebd.). Man hat es nicht mit einem unmittelbaren, sondern mit einem durch Recht vermittelten Gewaltverhältnis zu tun, das dadurch umso legitimer erscheint und sich obendrein auf ›Lehren‹ aus der Vergangenheit beruft. Das Gericht überlässt aber die Definitionsmacht über den Boden der fdGO mehr und mehr der Exekutive, sodass eine Parteimitgliedschaft auch ein Grund für den Ausschluss aus dem bzw. für die Nicht-Einstellung in den öffentlichen Dienst werden konnte.40 Parteien sind also immer noch eine potentielle Gefährdung des Staatswohls, und das trotz oder gerade wegen ihrer »Privilegierung«. »Wer von den Parteien sagt, daß sie den Volkswillen mediatisieren, geht von der Prämisse eines einheitlichen Gesamtwillens aus. Für ihn sind – ob er es zugibt oder nicht – die Parteien Erscheinungsformen einer politischen Desintegration« (Fraenkel 1973, 47). Das Verfassungsgericht ist deshalb nicht gleich in der theoretischen Linie Carl Schmitts. Pluralismus und Parteienwettstreit sind für das Gericht kein Teufelswerk. Aber der Parteienwettstreit existiert zur Bildung 40 Heute ist dies bspw. in Bayern erweitert um Listen von Organisationen, die laut den jeweiligen LfV als ›verfassungsfeindlich‹ oder ›extremistisch‹ gelten. Mitgliedschaft in einer solchen Organisation begründet in Bayern bis heute Zweifel am Eintreten für die fdGO (Verfassungstreue-Bekanntmachung

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des Staatswillens, nicht zur Durchsetzung irgendwelcher politischer Ziele.

2.1.2 Ausschluss von Entschädigungszahlungen bei KPD-Mitgliedschaft Dass die fdGO ein funktionales Instrument zur Begrenzung ist, zeigt sich anhand des Ausschlusses von Entschädigungszahlungen für Verfolgte des Nationalsozialismus. Sie verschafft einen Legitimationsrahmen, der in allen Bereichen des politischen Lebens oder eben auch, wie hier in materiellen Belangen, Ausschlüsse ermöglicht. Noch bevor ein Parteiverbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht beantragt wird, können auf exekutiver Ebene Entscheidungen getroffen werden, die materielle Konsequenzen zeitigen. So ermöglichen sie auch die Einstellung bzw. Verweigerung von Entschädigungszahlungen an NS-Verfolgte. Das »Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung« (BEG) von 1953 (BGBl. I, 1387) normierte in § 1 Abs. 4 Nr. 4, dass, wer die ›freiheitliche demokratische Grundordnung‹ bekämpfe, von Entschädigungszahlungen ausgeschlossen wird. 1956 wurde das Gesetz neugefasst (BGBl. I, 559). Nun sah § 6 Abs. 1 Nr. 2 vor, dass »wer nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft hat«, von Entschädigungszahlungen ausgeschlossen ist.41 In der Bundestagsdebatte zum BEG 1953 kritisierte Oskar Müller (KPD)42 (BT-Plenar-prot. 1/279, 14013), dass mit dem Ausschlussgrund (VerftöD), AllMBl. 1991, 895, StAnz. Nr. 49). Eine Liste von Organisationen (AllMBl., 695, StAnz. Nr. 51) wird regelmäßig aktualisiert 41 Interessant ist die Erläuterung Greves im Bericht des Ausschusses für Fragen der Wiedergutmachung zur Begrenzung durch das Datum der GGVerkündung. Sie solle deutlich machen, »daß nur eine Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zum Ausschluß der Entschädigung führt« (BT-Drs. Nr. 2/2382, 3). Damit ist impliziert, dass die fdGO auch schon vor dem Grundgesetz existiert hätte, obwohl sie ein Begriff ist, der erst mit dem GG eingeführt worden ist. 42 Oskar Müller war von 1924 bis 1933 Abgeordneter für die KPD im Landtag Preußens. 1933 wurde er zu Zuchthaus verurteilt und kam anschließend bis 1939 ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Zunächst freigelassen, wurde er 1944 wieder verhaftet und diesmal ins Konzentrationslager in Dachau gesperrt. Seine Rolle bei der Befreiung des Lagers wurde von Mithäftlingen stark gewürdigt. 1945 bis 1947 war er Minister für Arbeit und Wohlfahrt in Hessen. 1953 wurde er Präsident der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (vgl. Weber und Herbst 2008).

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fdGO die Entscheidung, wer diese bekämpft, »in die Hände dieser Regierung und ihrer Verwaltungsorgane gelegt« werde. Das würde auch Gewerkschafter*innen und Sozialdemokrat*innen treffen. Johann Kunze (CDU)43 rief dazwischen: »Nein, nur Sie!« (Kunze, ebd.). Durchaus berechtigt wird von der KPD die Gefahr einer ausgedehnten Exekutivbefugnis benannt, die nicht nur antikommunistisch gegen die KPD agiert (vgl. V 4), sondern auch durch die Verpflichtung auf die fdGO als die legitime Basis für die Bundesrepublik eine Drohung an die Sozialdemokratie ist, nicht zu sehr nach links auszuscheren. Die antikommunistischen Ausschlussgründe sind nicht explizit benannt, doch lassen sie sich mit dem fdGO-Begriff und der dahinter stehenden antitotalitaristischen Bedeutung so auslegen (vgl. V 6.2). Die antikommunistische Schlagseite dieses Ausschlussgrundes war zwar offensichtlich, doch die Rechtsprechung nicht eindeutig. Nicht immer funktionieren Gesetze nach Plan. In Berlin wurde das Gesetz besonders stark gegen Kommunist*innen ausgelegt, während die Gerichte in anderen Ländern erst das Verfahren gegen die KPD beim Bundesverfassungsgericht abwarten wollten und Renten bewilligten (vgl. Jasper 1989, 370ff.). Doch die Behauptung war zunächst: KPD-Mitgliedschaft bedeute Bekämpfung der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹. Die Mitgliedschaft in der NSDAP wurde hingegen häufiger und leichter als rein nominelle Mitgliedschaft bewertet (vgl. ebd., 372) und stand nicht automatisch für ein Bekämpfen der fdGO. Das war im Gesetzgebungsprozess auch so angedacht (vgl. BT-Drs. Nr. 2/2382, 3). Mit dem Verbot der KPD aus dem Jahr 1956 entstand die Frage, ob die KPD-Mitgliedschaft auch vor 1956 schon als Ausschlussgrund zu werten sei. Das BVerfG entschied 1961, dass erst mit dem verfassungsgerichtlichen Verbot die Mitgliedschaft in der KPD zum Ausschluss führen könne. Alles andere sei ein Verstoß gegen das Parteienprivileg (vgl. BVerfGE 12, 296). Wie hoch die Zahl der mit dieser Begründung Ausgeschlossenen war und welchen Verlauf die einzelnen Fälle nahmen, kann hier nicht dargestellt werden (vgl. bspw. Spernol 2009). Vielmehr wird deutlich, dass die fdGO ein in allen Rechtsbereichen flexibles Instrument der Grenzziehung ist. Die Wiedergutmachung selbst sollte eingedämmt werden, die fdGO und der Antikommunismus waren darin funktional (vgl. ebd., 206). Die Spielregeln des bürgerlichen Rechts machen solche Ausschlüsse zwar auch 43 Johann Kunze war von 1925 bis 1959 Verwaltungsdirektor der von Bodelschwinghschen Anstalten (vgl. Landtag NRW), heute von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel genannt. 2015 entstand eine Kontroverse über die Beteiligung der Bethel-Anstalten an der T4-Aktion des NS, die bis dato als unbeteiligt galten. Auslöser war das Buch »Bethel in der NS-Zeit. Die verschwiegene Geschichte« (Degen 2014).

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verhandelbar, schlussendlich aber effizienter und unangreifbarer. So war die exekutive Behauptung: KPD-Mitgliedschaft ist Bekämpfung der fdGO und deshalb können KPD-Mitglieder von Entschädigung ausgeschlossen werden. Gegen diese Behauptung wurden zwar Beschränkungen bspw. Härtefallregelungen (vgl. Jasper 1989, 380) oder die Frage des Parteienprivilegs angeführt. Doch die grundsätzliche Behauptung blieb bestehen: Rechtfertigen müssen sich die Ausgeschlossenen, nicht die Exekutive. Zudem war es nach dem KPD-Verbot des BVerfG klar: die KPD ist verfassungswidrig, ihre Mitglieder also potentielle Bekämpfer*innen der fdGO.

2.2 Zivilgesellschaft 2.2.1 Handeln unter gegebenen Umständen Zivilgesellschaftliche Initiativen und soziale Bewegungen können unabhängiger als politische Parteien agieren; sie sind nicht qua Rechtsprechung ins Verfassungsgefüge integriert und müssen sich zudem nicht den Spielregeln des parlamentarischen Politikbetriebs beugen. Politisches Handeln ist aber auch hier an Regeln gebunden. Das banalste Beispiel ist die Anmeldepflicht von Demonstrationen nach § 14 VersG. Weiterhin können sich die diversen Vereine, Musikgruppen oder Publikationen, die in den Berichten der Ämter für Verfassungsschutz aufgeführt werden, der geheimdienstlichen Aufsicht gewiss sein. In dieser Struktur von Regelbindung, potentieller Überwachung und Unabhängigkeit ›können‹ sich außerparlamentarische Initiativen bewegen. ›Wehrhafte Demokratie‹ ist dabei nicht nur repressiv zu denken, sondern hat auch poli­tisches Handeln hervorgebracht. So war bspw. in den 1970er Jahren die Kritik an der Berufsverbotspraxis und auch direkt am fdGO-Begriff präsent; hier wurde neben grundsätzlicher Ablehnung auch um eigene Definitionen gerungen (vgl. I 2.2.1). Staatliche Repression kann Proteste und im besten Fall Solidarität unter den Betroffenen hervorrufen, also Vereinzelung entgegenwirken und zur Organisierung drängen (vgl. Narr 1975, 177) und damit neue Bewegungen produzieren. Damit ist einerseits die Forderung an den Staat, sich in seinem Handeln selbst in rechtsstaatlichen Bahnen zu bewegen, vorgebracht. Das heißt, der bürgerliche Staat ist an seine eigene Legitimation erinnert, Rechtsstaatlichkeit wird eingefordert. Andererseits schuf bspw. die Berufsverbotspraxis ein Bewusstsein dafür, wie politisches Handeln den persönlichen Lebensweg durch staatliche Repression beeinflussen kann, und zeitigte dadurch Konsequenzen: Öffentliche Positionierung ist mit Repressionserwartung verknüpft. Da es angesichts der Flexibilität der fdGO nicht klar, aber erheblich ist, wo die Grenzen verlaufen, müssen 339

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politische Akteur*innen vorsichtig oder gar konspirativ handeln – oder sie bestätigen die »Einschätzungsprärogative« (Münch-Kunig, Kunig, 2012, Art. 21, Rdnr. 86) der Exekutive und übernehmen als Bürger*innen die Aufgabe, in denen sie die Verfassungsschutzbehörden gern sehen würden (vgl. VI 1.1.4). Politisches Handeln findet unter den gegebenen Umständen statt (vgl. II 3, 4), ob als Gegensatz, als Bestätigung oder irgendwo dazwischen. Es muss sich im »Bezugsrahmen« (Narr 1975, 174) bewegen. Dabei kann es diesen Rahmen verschieben, wirkt darauf zurück, ist aber mit staatlicher Definitions- und Sanktionsmacht konfrontiert. Mit der ›wehrhaften Demokratie‹ ist ein effizientes Repressionssystem geschaffen, das durch diffuse Grenzziehung, Delegitimierung und potentielle Zugriffs- und Beobachtungsmöglichkeiten politisches Handeln einhegt (vgl. VI 1.2). Das kann aber auch misslingen. Phantasien der Innenministerien müssen nicht real werden. Am Beispiel der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eingeforderten »Demokratieerklärung« und des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen ›Extremismus‹ lässt sich nachvollziehen, wie staatliche Behörden politisches Handeln einhegen und sich nutzbar machen wollen, damit Erfolg haben, jedoch zugleich auch scheitern.

2.2.2 »Extremismusklausel« 2010 Im Jahr 2011 wollte die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) eine Erklärung einführen, die die staatlichen Fördergelder der Bundesprogramme »Toleranz fördern – Kompetenz stärken«, »Initiative Demokratie stärken« und »Zusammenhalt durch Teilhabe« an ein Bekenntnis zur fdGO knüpften sollte. Vorläufer dieser »Extremismusklausel« oder in der Sprache des Ministeriums »Demokratieerklärung« war ein ähnliches Schriftstück des sächsischen Innenministeriums im Vorfeld der Verleihung des sächsischen Förderpreises für Demokratie 2010. Auch hier sollten alle Nominierten versichern, dass sie und ihre Kooperationspartner*innen den Boden der fdGO nicht verlassen.44 Der Preisträger, der Verein AkuBiZ aus Pirna, verweigerte die Unterschrift und 44 Der Wortlaut der Klausel des sächsischen Innenministeriums 2010 wie auch später auf Bundesebene: »Hiermit bestätigen wir, dass wir – uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und – eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Nominierte bzw. Preisträger des Sächsischen Förderpreises für Demokratie haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur,

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verzichtete auf das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro. Das sächsische Innenministerium hatte versucht, unliebsame Preisträger*innen auszuschließen. Im Ergebnis sah es sich allerdings mit einer Protestwelle zivilgesellschaftlicher Initiativen und der Oppositionsparteien konfrontiert. Die »Extremismusklausel« war in aller Munde, das Ministerium musste sich rechtfertigen. Die Unterschriftsforderung beim sächsischen Förderpreis war aber nur die nächste Stufe zum Ausschluss nicht genehmer Vereine von staatlicher Förderung. Seit 2005 ist die fdGO in den Vergabekriterien für die Bundesförderprogramme gegen ›Extremismus‹ vermerkt (vgl. Hermann Kues (CDU), BT-Plenarprot. 17/90, 10167).45 Mit der Unterschriftsforderung kam die an die Praxis der Berufsverbote erinnernde Loyalitätserklärung auch bei zivilgesellschaftlichen Initiativen an. Die gleichzeitigen Versuche, die Gemeinnützigkeit von Vereinen an ihre Nicht-Nennung in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder zu knüpfen (vgl. Eick 2012), zeigt zudem die Tendenz, die exe­kutive Definitionsmacht immer weiter in den Bereich des politischen Handelns auszudehnen. So sind nun nicht mehr lediglich potentielle Staatsdiener*innen zur Vorsicht aufgerufen, sondern – das ist klar – finanziell abhängige Akteur*innen, aber auch Vereine, die sich lediglich durch private Spenden finanzieren, welche aber aufgrund der Gemeinnützigkeit von den Geldgeber*innen steuerlich abgesetzt werden können. Praktisch bedeutet dies, dass zunehmend Druck auf demokratische Organisationen der Zivilgesellschaft ausgeübt wird, ihre Positionen und Aktionsformen so zu zensieren, dass sie nicht in den Verdacht jenes »Extremismus« kommen, den staatliche Exekutivorgane [...] bestimmen. (Oppenhäuser 2012, 46) Kontakte zu anderen Vereinen/Trägern sowie Behörden, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass einer Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird« (Berliner Senat 2011). In der Folge der Auseinandersetzung gab es verschiedene Änderungen des Wortlauts, die aber grundsätzlich den gleichen Inhalt behielten. 45 Warum der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) diese Formulierung in die Vergabekriterien aufnahm, kann hier nicht nachvollzogen werden. Von 2001 bis 2006 gab es verschiedene Fördertöpfe im Rahmen des Programms »Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus«. 2004 wurde das Programm evaluiert (vgl. BMFSFJ 2004).

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Oppenhäuser ist zuzustimmen, dass damit der Druck erhöht ist. Gleichzeitig ist hier aber auch versichert, dass es um »demokratische Organisationen« (ebd.) gehe – also fälschlicherweise verdächtigte Gruppen. Zugleich ist die Rede von Zensur. Wie schon in den 1970er Jahren nach dem »Radikalenerlass« zog die »Extremismusklausel« eine Zurückhaltung angesichts staatlicher Überwachung nach sich. Die Unterschriftsforderung produzierte also nicht nur Protest, sondern zugleich Auseinandersetzungen um Zugehörigkeit: Wer verwehrt sich, ›Verfassungsfeind‹ zu sein und beansprucht das Etikett ›demokratisch‹? Keiner Initiative war es in dieser Debatte möglich, Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung des BMFSFJ oder des BMI zu äußern. Was befindet denn schon die Exekutive über Demokratie? Die Struktur bleibt erhalten, aber die Akteur*innen kämpfen um Verschiebung. Die geschichtspolitische Wendung der ›wehrhaften Demokratie‹ aus den 1950er Jahren ist völlig hegemonial geworden: Staatliche Behörden schützen ›Demokratie‹ vor den Bürger*innen (vgl. V). Dass Staat und insbesondere die Exekutive durch Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zurückgedrängt wurden, mithin sie die eigentliche ›Gefahr‹ für Demokratisierung darstellen, scheint wie aus dem Gedächtnis getilgt. Es scheint lediglich auf, wenn rechtsstaatliches Handeln eingefordert, also bspw. gegen die Klausel geklagt wird, da ihre Verfassungsmäßigkeit in Zweifel gezogen wird.46 So nutzen zivilgesellschaftliche Initiativen die judikative Korrektur exekutiven Handelns. Nun sind gerade die Bundesprogramme gestartet worden, um die fdGO bzw. den ›demokratischen Verfassungsstaat‹ zu schützen. »Es ist auch völlig klar, dass der Staat, wenn er Programme gegen Extremismus auflegt, darauf achtet, dass nicht gerade diejenigen gefördert werden, die selbst in extremistischen Kategorien denken und danach handeln« (Kues, BT-Plenarprot. 17/90, 10166). Es sind hier Ministerien, die Geld verteilen. Die Bundesprogramme sind die Umsetzung des Selbstbildes der Verfassungsschutzbehörden als »talking heads« (Schreiber 2010, 34), die die Bürger*innen vor den »Verfassungsfeinde[n]« (Schwagerl und Walther 1968, 61) warnen und zur Gegenwehr befähigen (vgl. VI 1.1.3). Als bspw. in Naumburg 2015 eine Demonstration des lokalen PEGIDA-Ablegers angekündigt war und sich Gegenproteste organisierten, appellierte die Sprecherin des Naumburger Bündnisses für Demokratie: »Lassen Sie uns zeigen, dass die Naumburger mit dem Bündnis für Demokratie zusammenstehen, wenn es gilt, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu verteidigen und dass Fremdenfeindlichkeit hier keinen Platz hat« (ag 2015). Das entspricht zunächst der Wunschvorstellung des 46 Das Dresdner Verwaltungsgericht entschied bspw., dass die Klausel zwar rechtswidrig sei, aber nur aufgrund ihrer Unbestimmtheit (vgl. Bendner 2012).

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Verfassungsschutzes. Allerdings ist die »heterogene GIDA-Bewegung« kein »Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden« (BfV 2015, 64), jedoch stelle man »Versuche einer Einflussnahme durch Rechtsex­ tremisten« fest (ebd., 65). Wenn die Bürger*innen nicht mitziehen, ist auch der Staat nicht allzu mächtig. Die »talking heads« (Schreiber 2010, 34) des Verfassungsschutzes sind auf aktive Bürger*innen angewiesen, die sich für die fdGO einsetzen. Die Vermittlung der objektiven Werte ist mit der Hoffnung verknüpft, dass die Staatsbürger*innen entsprechend handeln, wenn sie nur genügend Informationen haben. Die ›wehrhafte Demokratie‹ wirkt nicht nur repressiv, sondern ihr institutionalisierter Rahmen – also Verfassungsschutz und politische Bildung sowie judikative Auslegung – produziert Vorstellungen von legitimem politischen Handeln. Wenn Bürger*innen ihre »Arme und Füße der Demokratie« (Schreiber 2010, 34f.) in Ergänzung zum Verfassungsschutz-Kopf einsetzen sollen, müssen es die richtigen Bürger*innen sein, also diejenigen, denen der »Wille zur Verfassung« (Denninger 1983, 1297) unterstellt wird. »Handlungsgrundlage einer erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Arbeit ist der gesunde Abstand zum Staat« (AKuBiZ e.V. 2012). Nur ist dieser Abstand gerade in einem Bereich, in dem politisches Handeln von staatlichen Geldern abhängt und nach exekutiven Maßstäben verteilt wird, gar nicht ohne Weiteres möglich. Oder es erfordert einen solchen Schritt, wie ihn der Verein AKuBiZ getan hat, indem er sich öffentlich positioniert sowie auf materielle Unterstützung verzichtet und sich damit dem Einbindungsprojekt entzieht, es eventuell gar schwächt.47 Und selbst wenn dennoch Gelder beantragt und erhalten werden, ist nicht sogleich besiegelt, dass fdGO und ›Extremismus‹ als Filter auch 47 Die Klausel ist seit 2014 nicht mehr unterschriftspflichtig, sondern Teil des Zuwendungsbescheids (vgl. BMFSFJ und BMI 2014). Es wird ein Begleitschreiben beigefügt, in dem zunächst erklärt wird, das »ziviles Engagement« und »demokratisches Verhalten« »Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft« seien. Darauffolgend wird angemerkt, dass im »Umkehrschluss« »extremistischen Personen oder Organisationen, die nicht die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten, keine direkte oder indirekte Förderung zuteilwerden« (Hornfeck 2014) dürfe. Zur Definition wird auf § 4 BVerfSchG verwiesen. Das Instrumentarium bleibt also bestehen, ist aber ›leiser‹ als eine Unterschriftsforderung. 2018 wurde bekannt, dass das BfV seit 2004 Projekte und Initiativen überprüft, die durch das Bundesprogramm »Demokratie leben!« gefördert werden bzw. gefördert werden sollen (vgl. BT-Drs. 19/2086, 2). Die Einführung dieser Prüfung wurde parallel zur Evaluation des Programms »Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus« unter dem damaligen Bundesinnenminister Otto

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funktionieren. Eine Unterschrift ist das eine, tatsächliches Handeln das andere. Retrospektiv lässt sich dennoch sagen, dass die persönlichen Konsequenzen, die die Praxis der Berufsverbote hatte, in politisches Handeln eingegangen sind. So warnte schon Narr (vgl. 1975, 177) in seiner damaligen Auseinandersetzung vor zu viel Konspiration. Doch ist dies an vielen Stellen eingetreten. Mit Namen und Gesicht für das eigene politische Handeln zu stehen, kann nicht nur eine potentielle Bedrohung bspw. durch Neonazis mit sich bringen, sondern auch staatliche Beobachtung und Repression zur Folge haben. Das impliziert eine teilweise Akzeptanz der Stigmatisierung zum »Outsider« (ebd.) und damit auch eine gewisse Marginalisierung. Öffentlichkeit und Bewegung lassen sich konspirativ schwerer organisieren und mobilisieren. Die Abkopplung des politischen Handelns vom persönlichen Alltag trennt die Lebenswelt in verschiedene Sphären. Das »Damoklesschwert« (Rigoll 2013, 207) zeigt also durchaus Wirkung. »Erlaubt ist, was nicht stört« (Die Goldenen Zitronen 2006) – bzw. solange es niemandem vom Verfassungsschutz oder Innenministerium stört und man sich nicht erwischen lässt.

2.3 Politische Bildung 2.3.1 »Staatsbürgerkunde« Ich meine, ein wesentliches Ziel des Schulunterrichts in unserem Lande sollte die Vermittlung der Wertvorstellungen unserer freiheitlichen Ordnung, über die wir doch offenbar alle übereinstimmen, an die Schüler unseres Landes sein [...] (Carstens (CDU), BT-Plenarprot. 7/80, 5172)

Politische Bildung erfüllt in unterschiedlichen politischen Systemen die Funktion, Zustimmung der Bürger*innen zur jeweiligen Ordnung herzustellen. Ihnen werden die entsprechenden Ideologien näher gebracht, sie werden zu legitimem Handeln in der jeweiligen Ordnung erzogen. »Es kommt alles darauf an, dem Bürger verständlich zu machen, warum das eigentlich so sein muss« (Maunz-Dürig, Dürig/Klein, 2010, Art. 18, Rdnr. 12, Herv. i O.). Ob dies so auch gelingt, ist eine andere Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Schily (SPD) und ein Jahr, bevor die fdGO als in den Vergabekriterien auftauchte, eingeführt (vgl. Fn. 45, Kap. VI).

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Das eingangs angeführte Zitat zeigt schon die offensichtliche Verknüpfung: Die fdGO als vermeintlich konsensueller Wert soll den Schüler*innen beigebracht werden. Die politische Bildung in der Bundesrepublik ist eine von mehreren Säulen, die die fdGO schützen und die Demokratie gegen ›Extremismus‹ resistent und wehrhaft machen sollen. Sie dient neben dem zunächst lediglich als repressiv verstandenen Verfassungsschutz und der politischen Justiz als Instrument, um »Verständnis zu wecken für den demokratisch strukturierten Staat« (Ackermann u. a. 2015, 171), wirkt also ideologisch. »Staatsbürgerkunde macht nicht frei« (Agnoli 1968, 12), sondern vermittelt Herrschaftswissen. Allerdings ist politische Bildung im bürgerlichen Staat weniger eindimensional zu denken. Sicherlich ist gerade der Schulunterricht ein Steuerungsinstrument. Doch selbst im »Grundgesetzkommentar zur Politischen Bildung« wird bis zum Jahr 2000 angegeben, dass zwar zur »Übernahme der gesellschaftlichen Normen«, gleichzeitig aber auch zur »Überprüfung und Distanzierung von solchen Normen« erzogen werden solle (Hesselberger, 1975, Vorwort, V). Die politische Bildung in der Bundesrepublik war je nach politischer Großwetterlage »Sündenbock«, »Notstandsfeuerwehr« oder »Präventionsinstrumentarium« (Ackermann u. a. 2015, 220) – und zwar immer alles zugleich. Hinzu kommt, dass der Unterricht zur politischen Bildung in einer sich als Demokratie verstehenden politischen Ordnung die Schüler*innen als zukünftige Bürger*innen betrachtet, die politisch im Rahmen dieser Ordnung handeln werden und auch sollen. Mit der fdGO wird Schüler*innen der Rahmen vorgelegt, in dem sie politisch handlungsfähig sein dürfen – so unklar er auch bleibt: »[D]ie Anerkennung einer politischen Ordnung als legitim legt es nahe, sich gemäß den Erwartungen dieser Ordnung zu verhalten, also systemgerecht zu funktionieren« (Detjen 2013, 6). In einem demokratischen System, das von freien und gleichen Individuen ausgeht, dient politische Bildung also dazu, zukünftigen Bürger*innen beizubringen, welche Freiheit und Gleichheit sie haben und wie sie mit ihr umgehen sollen. Das Hamburger Schulgesetz bspw. normierte in § 2 Abs. 2 Nr. 4 (F. v. 1977), dass Erziehung und Unterricht »den Schüler darauf vorbereiten [soll], politische und soziale Verantwortung zu übernehmen und im Sinne der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken«. Die Schüler*innen sollen »im Sinne der« fdGO politisch Handeln, nicht unabhängig von ihr. So können die zukünftigen Bürger*innen »von dem Gefühl befreit werden, im Zustand bloßer Untertanenschaft zu verharren« (Agnoli 1968, 47). Man braucht sich nicht mit allen Maßnahmen zufrieden geben und kann nach dem Sinn verschiedener Gesetze fragen. »Die Frage nach der sozialen Funktion des Staates und nach dem cui bono der staatlichen Institute stellt er [der gebildete Staatsbürger, Anm. d. Verf.] nicht« (Agnoli 1968, 47, Herv. i. O.). Partizipation ist gewollt 345

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und gefördert – gerade in einem repräsentativ-demokratischen System. Politische Bildung soll dennoch systemstabilisierend wirken (vgl. Detjen 2013, 6), es geht um die Anerkennung und Verteidigung der politischen Ordnung sowie das Erlernen legitimen politischen Handelns. Erinnert sei hier an das Vordringen der Verfassungsschutzbehörden in die politische Bildung (vgl. VI 1.1.3). »Man ist sich darüber einig, dass die Förderung der politischen Urteilsfähigkeit und, darauf aufbauend, der politischen Handlungsfähigkeit den Kernauftrag der politischen Bildung darstellt« (Detjen 2013, 173, Herv. i. O.). Die politische Bildung diene der »Verhinderung einer erneuten Legalitätstaktik demokratiefeindlicher Kräfte« (Scherb 2008, 14). Dementsprechend lautet auch der Titel eines Arbeitsblattes der Bundeszentrale für politische Bildung (2014) »Wie schützt sich der Staat gegen Rechtsextremismus?«. Angeführt wird die fdGO und mögliche Arbeitsaufgaben für den Unterricht werden vorgeschlagen. ›Rechtsextremismus‹ ist hier ein Problem für den Staat, nicht für Menschen, die rassistisch bedroht werden (vgl. Fn. 4, Kap. VI). Wie die fdGO entstanden ist, ist in den Schulbüchern hingegen kein Thema. Sie ist gesetzt, eine Grundordnung existiert offensichtlich. Ob die Erwartungen an die politische Bildung auch erfüllt werden, d.h. Lehrer*innen diesen Auftrag annehmen und Schüler*innen sich entsprechend beeinflussen lassen, ist eine andere Frage. Die »Schulbuchschelte« aus den 1970er Jahren zeigt (vgl. dazu: Ackermann u. a. 2015, 135ff.), wie umkämpft der Bereich der politischen Bildung ist. Die fdGO ist darin Bezugspunkt.

2.3.2 Die »Schulbuchschelte« 1972 »Daß Schulbücher ein Politikum sind, ist insbesondere Verfassern von Sozialkundebüchern schon immer eine Selbstverständlichkeit« (George 1979, 50). Dies betraf besonders das hessische Schulbuch »sehen beurteilen handeln« (George und Hillingen 1972). Die Verfasser hatten andere Methoden der Politikdidaktik angewandt und waren damit ins Zentrum der Kritik geraten. Bis in die 1960er Jahre waren die Schulbücher von einem »harmonisierenden Politik- und Gesellschaftsbild geprägt, das auf die unreflektierte Affirmation des Bestehenden zielte« (Mambour 2007, 101f.). Die Kontroverse schaffte es bis in den Bundestag. Anlässlich der Befreiung des Vorsitzenden der Berliner CDU, Peter Lorenz48, debattierte das Parlament am 13. März 1975 über innere Sicherheit. Das frühere NSDAP-Mitglied Alfred Dregger (CDU) gab der politischen Bildung und den neuen Methoden der Politikdidaktik eine Mitschuld an der Entführung: 48 Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der »Bewegung 2. Juni« entführt. Gefordert war die Freilassung von Inhaftierten. Die Bundesregierung unter

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POLITISCHES HANDELN IN DER BUNDESREPUBLIK

Wer Staat und Gesetz, wer Recht und Moral in Frage stellen läßt, wer es staatlichen Lehrern an staatlichen Schulen erlaubt, unser freiheitliches System zu diskreditieren, der muß damit rechnen, daß aus dem, was er selber vielleicht nur als intellektuelle Spielerei betrachtet hat, einmal blutiger Ernst wird. [...] Sorgen Sie dafür, daß nicht Konflikttheorien, Haß und Klassenkampfparolen, sondern Toleranz, Rechtsbewußtsein und Staatsgesinnung die Erziehung unserer Jugend ausmachen. (Dregger, BT-Plenarprot. 7/155, 10742)

Die neueren Methoden sowie der Vergleich von BRD und DDR, den das hessische Schulbuch vornahm, riefen Ängste und Empörung auf den Plan, die auch mit der ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹ bzw. einem ihrer Synonyme aufwarteten.49 »Nicht mehr die Verteidigung der Grundsätze der freiheitlichen Demokratie ist gefragt, sondern es wird offen zum Klassenkampf aufgerufen und Propaganda für den Sozialismus östlicher Prägung gemacht« (Münch 1972, 5). Eindeutig ist hier die Funktion der fdGO, als »konstitutionell verankerter Grundkonsens« (Solzbacher 1994, 235) die politische Bildung zu beschränken. Ob das auch funktioniert, ist eine andere Frage. Die politische Bildung hat sich entwickelt, neue Konzepte sind entstanden, genauso wie alte fortbestehen oder wieder aufleben (vgl. zum Überblick: Eierdanz 2012). Im Auftrag der politischen Bildung spiegeln sich die politischen Konflikte wieder, die in einer Gesellschaft ausgetragen werden. Wie genau politische Bildung funktionieren soll, worauf sie den Fokus legt, wozu und zu welchem Handeln sie erzieht, ist eine Frage von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Politische Bildung ist immer auch Kampffeld um hegemoniale Deutungsmacht und Anschauungen – und die fdGO ein Instrument in diesem Feld. Es geht dabei aber um Konsensherstellung für die bestehende politische Ordnung. Die fdGO kann als »konstitutionell verankerter Grundkonsens« (Solzbacher 1994, 235) funktionieren – muss sie aber nicht.50 Kanzler Helmut Schmidt ging auf die Forderungen ein und Lorenz wurde am 4. März 1975 freigelassen. 49 Mit dem »Beutelsbacher Konsens« wurde dieser Konflikt besänftigt. Der Konsens entstand auf der Tagung der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung 1976 in Beutelsbach und besteht aus drei Prinzipien: Überwältigungsverbot, Kontroversität und Schüler*innenorientierung (vgl. Kuhn, Massing, und Skuhr 1993, 300f.; Mambour 2007, 166ff.). Bei genauerem Blick war es allerdings kein Konsens, sondern die Tagung vielmehr der erste Versuch einer zaghaften Annäherung unterschiedlicher Bildungsauffassungen (vgl. Ahlheim 2012). 50 Auffällig ist allerdings, dass sich die hegemonialen Erzählungen zum Weimarer Scheitern und die Legitimation der ›wehrhaften Demokratie‹ in der politischen Bildung vielfach durchgesetzt haben. Wie auch der

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2.4 Einbürgerung, Ausweisung und politische Betätigung von ›Ausländern‹ 2.4.1 Politische Betätigung als Ausweisungsgrund Auch im Bereich des Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrechts taucht die fdGO als Beschränkungsmöglichkeit auf. Sie kann als Begründung für eine Ausweisung herangezogen werden und eine Loyalitätserklärung ist Bedingung zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit. Ebenso funktioniert sie als Steuerung und Begrenzung der politischen Tätigkeit von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Dabei ist ihre Begrenzungsfunktion in diesen Rechtsbereichen unmittelbarer als selbst im Strafrecht. Viel klarer sind die Bedingungen für einen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder die Erlangung der Staatsangehörigkeit an sie geknüpft, viel direkter die Drohung der Ausweisung formuliert. Im Jahr 1960 plante die Bundesregierung ein Ausländergesetz (AuslG) für die Bundesrepublik. Federführend war das Bundesinnenministerium, dass sich an der Ausländerpolizeiverordnung (APVO) von 1938 orientierte (RGBl. I, 1053ff.). 1962 wurde ein Entwurf in Bundestag und -rat eingebracht, der in § 9 (im ausgefertigten Gesetz § 10 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, BGBl. I 1965, 355) Ausweisungsgründe benannte (BT-Drs. Nr. IV/868, 9). Als erster Grund wurde nun nicht mehr wie in § 5 Abs. 1 a APVO die Gefährdung der »Belange des Reichs oder der Volksgemeinschaft« angeführt, sondern die Gefährdung der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder [der] Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland«. »Volksgemeinschaft« funktionierte als Generalklausel im Recht des NS-Staates. Das Recht der Weimarer Republik wurde nationalsozialistisch ausgelegt und mit unbestimmten Rechtsbegriffen gefüllt, die Einfallstore für willkürliche Maßnahmen bildeten (vgl. Fraenkel 1984 [1941]; F. Neumann 1984 [1942]; Rüthers 2012). »Volksgemeinschaft« durch »freiheitliche demokratische Grundordnung« zu ersetzen, zeigt methodisch den gleichen Mechanismus: die Ausnahmeoption durch unbestimmte Begriffe ins Recht einzuschreiben und somit der Exekutive Handlungsspielräume zu eröffnen.51 Die fdGO wurde in den 1950er Jahren als funktionaler Begriff für Ausschlussoptionen und exekutive Handlungserweiterungen etabliert Extremismusbegriff (vgl. Ackermann u. a. 2015, 220f.) ist die fdGO in den Schulbüchern angekommen. In der Regel wird das SRP-Verbot des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Die Existenz einer Grundordnung steht außer Frage. 51 Auf der inhaltlichen Ebene, und sei die fdGO auch noch so exzessiv angewandt, liegen allerdings Welten.

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(vgl. V 4, VI 1). Es war nur folgerichtig, sie in verschiedenen Rechtsbereichen als mögliche Begrenzung zu verwenden – so auch in den 1960er Jahren in der Ausländergesetzgebung. Hier war die fdGO ein Mittel, um »unerwünschte Ausländer« (BT-Drs. Nr. IV/868, 14) aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Die Bundesregierung gab an, durch die gesetzliche Festlegung das staatliche »Verfügungsrecht über den Ausländer« (ebd.) zu beschränken. Eine klare Norm sollte hier also das staatliche Handeln lenken und nachvollziehbar, rational machen – und nicht wie das nationalsozialistische Recht willkürlich sein. Als funktionaler Rechtsbegriff ermöglichte die fdGO, je nach festgestellter Bedrohungslage einmal diejenige, einmal denjenigen als Bedrohung einzustufen. Zunächst kamen Menschen aus der DDR oder Ländern Osteuropas in die Bundesrepublik. In der Hochphase des Kalten Krieges konnten sie nicht nur ›Überläufer*innen‹, sondern auch Teil von »fünften Kolonnen« des feindlichen Systems sein (ähnlich: Hofmann 1969, 152f.; vgl. auch Fn. 33, Kap. V). Neben »zahlreichen verfolgten Demokraten [sind] auch Angehörige links- und rechtsextremistischer Gruppen in die Bundesrepublik gekommen« (BT-Drs. Nr. IV/3013, 4), warnte der Innenausschuss in seinem Bericht von 1964. Auch der Putsch 1973 in Chile führte dazu, dass nicht mehr nur Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik wechseln wollten, sondern auch solche, die für die Bundesrepublik potentielle ›Systemstürzler‹ bzw. »Gegner jeder Rechtsstaatlichkeit« (Doehring 1974, 8) waren, aber dennoch Asyl suchten.52 In den 1990er Jahren waren es Kurd*innen und Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die verdächtig waren, eine Gefahr für die fdGO zu sein.53 Seit dem 11. September 2001 sind es sogenannte Islamist*innen.54 Es entsprach dieser Logik, dem Anliegen des Bundesrates zuzustimmen und auch die politische Betätigung von Asylsuchenden zu beschränken bzw. mindestens zu beobachten (BT-Drs. Nr. IV/868, Anlage 2, 21; BTDrs. Nr. IV/3013, 3f.). Die Bundesregierung fügte 1965 mit Empfehlung 52 Vgl. dazu Waske 2013 und das Flugblatt »Sofortiges Asyl für alle Flüchtlinge aus Chile« (AELA Hamburg 1973). Für diesen Gedanken danke ich Julia Kleinschmidt. 53 1993 wurde die PKK mit einem Betätigungsverbot belegt und 1998 nach § 129 StGB als kriminelle Vereinigung eingestuft. 54 Spätestens seit den 1970er Jahren und der RAF sowie der Bewegung 2. Juni wird in der Bundesrepublik der Begriff ›Terrorismus‹ relevant, der hier, wie auch bei der PKK, stärker im politischen Diskurs vertreten ist. An dieser Stelle sei dazu lediglich vermerkt, dass die Verwendung (ähnlich wie bei ›Extremismus‹) mehr auf einen Kampf- als einen wissenschaftlichen Begriff hinweist und es keine konsensfähige Definition gibt. »In short, the definition of terrorism seems to depend on point of view – it is what the ›bad guys‹ do« (Jenkins 1974, 1).

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des Innenausschusses einen § 5a Abs. 3 Nr. 2 zum geplanten Gesetz hinzu (im ausgefertigten Gesetz § 6 Abs. 3 Nr. 2 AuslG, BGBl. I 1965, 354), der politische Betätigung nicht erlaubt, wenn sie »die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet« (BT-Drs. Nr. IV/3013, 12). Gleichzeitig wurden politische Freiheitsrechte als »Deutschengrundrechte« benannt. Aus dem Grundgesetz ergebe sich kein Anspruch auf politische Betätigung für Ausländer*innen, »die Grundrechte der Versammlungs- und Vereinsfreiheit stehen nur Deutschen zu« (ebd., 4). Die Bundesrepublik müsse »streng darauf achten«, dass die politische Betätigung nicht gegen die »Interessen unseres Staates verstößt« (ebd., 3). Im Ausländergesetz von 1965 wurde eine exekutive Handlungsbefugnis geschaffen, die politisches Handeln an die Zustimmung zur bestehenden Ordnung knüpft. Dabei lässt diese Bedingung einen breiten Interpretationsspielraum, der politisch anpassbar ist. Es ist allerdings zu vermerken, dass es sich ähnlich wie in der Entwicklung des politischen Strafrechts in den 1960er Jahren (vgl. VI 1.2) um ein potentielles Instrumentarium handelt, das nicht eingesetzt werden muss, aber kann.55 Politische Betätigung von Asylsuchenden oder Geduldeten ist in wenigen Fällen ein Ausweisungsgrund. Vorher greifen andere rechtliche Möglichkeiten. Die fdGO als Ausweisungsgrund und als Beschränkung der politischen Betätigung ist bis heute Teil des Aufenthaltsgesetzes (§§ 53 Abs. 1 und 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG)56 – so der neue Name des Ausländergesetzes seit Inkrafttreten 2005 (BGBl. I 2004, 1950). Die Kommentarliteratur zum Ausländerrecht verweist zur Bestimmung der fdGO auf die Parteiverbotsurteile des BVerfG (vgl. Beichel-Benedetti 2011, 416; Bergmann, Dienelt, und Röseler 2011, 760, 900; Renner 1998, 637). Renner (1998, 637) fügt hinzu, dass die fdGO auch durch die Behandlung von »Ausländerfragen unter Mißachtung der Menschenwürde und des Verbots der Rassendiskriminierung« gefährdet sei. Diese Formulierung ermöglicht eine sonst selten auftauchende Wendung der fdGO gegen staatliches Handeln. 55 Auch Rechte zur politischen Mitbestimmung werden selten bzw. nicht für Nichtdeutsche gewährt. Das BVerfG billigte die Vorstöße für das Kommunalwahlrecht in Schleswig-Holstein und Hamburg 1989 nicht (vgl. Renner 1998, 32; BVerfGE 83, 60). Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde am 15. März 2017 ein ähnlicher Vorschlag abgelehnt. 56 Lediglich in einem Entwurf der SPD von 1989 (BT-Drs. Nr. 11/5637) wurde die fdGO komplett aus dem Ausländerrecht gestrichen. In ihrem Entwurf formulierte die SPD schlicht die Geltung von Versammlungs-, Vereinsund Strafrecht auch für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (§ 7, ebd., 5). Der SPD-Entwurf sah auch in den Ausweisungsgründen (§ 15, ebd., 7) nur Verstöße gegen Strafgesetze und die verfassungsmäßige Ordnung vor.

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2.4.2 Loyale Staatsangehörige Auch im Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) wird die fdGO verwendet. Das StAG von 1999 (BGBl. I, 1618) änderte § 85 AuslG (F. v. 1990) und fügte ein Loyalitätsbekenntnis zur fdGO als Bedingung für die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit hinzu. Die Einbürgerung wurde damit an ein Bekenntnis zur fdGO geknüpft und an die Erklärung, keine Bestrebungen zu verfolgen oder verfolgt zu haben, die die fdGO gefährden. Der Innenausschuss empfahl, hinzuzufügen, dass es die Möglichkeit geben solle, sich glaubhaft von früheren Aktivitäten zu distanzieren (BTDrs. Nr. 14/867, 10). § 86 stellte außerdem einen Bezug zu § 46 AuslG (F. v. 1990) her. Der Ausweisungsgrund »Gefährdung der fdGO« sollte ebenso ein »zwingendes Einbürgerungshindernis« (BT-Drs. Nr. 14/881, 3) darstellen, soweit »tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen« (ebd., 2). Das StAG von 1999 sollte, wie die Bundesregierung angab, der »Verbesserung der Integration« (BT-Drs. Nr. 14/533, 2) dienen, wozu »Staatsvolk und Wohnbevölkerung zusammenkommen« (Otto Schily (SPD), BT-Plenarprot. 14/40, 3417) müssten. So sollten die Menschen, die in den 1960er und 70er Jahren als Arbeitskräfte angeworben wurden und in der Bundesrepublik geblieben waren, erleichterte Möglichkeiten zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit erhalten. Dabei sollte allerdings sichergestellt sein, dass nur »Personen eingebürgert werden, die in die deutschen Rechts- und Lebensverhältnisse integriert« (BT-Plenarprot. 14/18, Anlage 3, 1245f.) seien. Dazu gehöre auch »ein schriftliches Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung« (ebd., 1246). Passend zu den Auseinandersetzungen um das StAG brachte die CDU/ CSU-Fraktion in derselben Bundestagssitzung noch einen Antrag zur Bekämpfung des politischen ›Extremismus‹ (BT-Drs. Nr. 14/295) ein. In der Stellungnahme kam der »Ausländerextremismus« und die »Militanz« der PKK zur Sprache (vgl. Manfred Grund (CDU), BT-Plenarprot. 14/28, 2320). Der Bogen zum StAG wird dabei schnell geschlagen. So zitiert der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl den Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit dem Satz »Wer unser Gastrecht mißbraucht, fliegt raus, und zwar schnell« (Uhl, ebd., 2328). Er forderte die strikte Umsetzung dieser Parole. Sylvia Bonitz (CDU) (ebd., 2348) warf den vermeintlichen Mitgliedern der PKK vor, »die Demonstrationsfreiheit für ihre Angriffe gegen Menschen, Einrichtungen und die freiheitliche Grundordnung unseres Landes zu mißbrauchen«. Doch auch wenn Abgeordnete der GRÜNEN (vgl. Müller, ebd., 2291) und der SPD (vgl. Edathy, ebd., 2299f.) der Unionsfraktion eine rassistische Stimmungsmache oder ein »Verhetzen[...]« (Edathy, ebd. 2300) der Menschen vorwarfen, hatten auch sie selbst schon in ihren Entwurf 351

STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

das Loyalitätsbekenntnis zur fdGO eingefügt. Auch die FDP hielt der CDU/CSU-Fraktion entgegen, dass es eine »Schutzklausel geben [wird], mit der die Einbürgerung extremistischer Ausländer ausgeschlossen ist« (Guido Westerwelle (FDP), BT-Plenarprot. 14/40, 3438). Die PDS-Fraktion beantragte die Streichung des Loyalitätsbekenntnisses (vgl. BT-Drs. Nr. 14/992), hatte damit aber keinen Erfolg. Der Deutsche Anwaltsverein (1999, 2) kritisierte den »generalklauselartigen Charakter« der fdGO-Treueerklärung. Die §§ 85–87 würden zu Rechtsunsicherheit führen; alles sei eine Frage behördlicher Bewertung und bloße Anhaltspunkte würden schon zur Verweigerung der Einbürgerung genügen. Trotz der Kritik wurde die Loyalitätserklärung zur fdGO 1999 nach § 85 StAG eine Bedingung der Einbürgerung (BGBl. I, 1620).57

3. Zwischenfazit: Effizienter Schutz des Status quo Nachdem die fdGO im politischen Strafrecht der 1950er Jahre ausbuchstabiert und vom BVerfG im Verbot der SRP übernommen wurde, hat sie sich von da aus zu einem feststehenden Begriff entwickelt. Im Verbot der KPD 1956 wurde das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ mit Verfassungsrang ausgestattet und konnte so in verschiedenen Rechts- und Politikbereichen zur Wirkung kommen. Die fdGO ist als »Kernsubstanz« (Mangoldt-Klein, Streinz, 2000, Art. 21, Rdnr. 224) und »Wesen unserer politischen Existenz« (Heimemann, BT-Plenarprot. 4/70, 3218) anerkannt. Die Mahnung im Strafrechtsgebungsprozess 1951, man dürfe die Relativität der fdGO nicht durch zu viele Änderungen deutlich werden lassen (vgl. Rotberg, BArch B 141/3031, pag. 37), ist in der Strafrechtsnovellierung der späten 1960er Jahre nicht mehr präsent. Es steht weder in Frage, dass die fdGO existiert, noch was ihre Bestandteile sind. Dass ausgerechnet der Staat und insbesondere seine Exekutive sie verteidigen müsse, scheint selbst für die Justiz selbstverständlich. Alle damals im Bundestag vertretenen Parteien erkannten die fdGO sowie die Notwendigkeit ihres Schutzes an. Als fest etablierter Begriff wurde sie damit für andere Rechtsbereiche funktional. So findet sie sich auch jenseits des ›klassischen‹, staatsschützerischen Feldes des politischen Strafrechts wieder. In den 1970er Jahren entwickelt sich mit ihr in Verbindung mit dem Beamt*innen- und 57 Nach dem 11. September 2001 wurde außerdem ein Einbürgerungstest eingeführt. Im Zuge des »Kampfes gegen den Terrorismus« waren der Orientierungskurs und der dazu gehörige Test eine Möglichkeit, die Grundwerte des politischen Systems zu vermitteln und abzufragen. Dabei geriet vor allem der Test aus Hessen von 2006 in die Kritik. Im dritten Teil des Tests »Verfassung und Grundrechte« wird bspw. erklärt: »Die Deutschen haben

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ZWISCHENFAZIT: EFFIZIENTER SCHUTZ DES STATUS QUO

Soldat*innenrecht ein effizienterer Mechanismus zur Einhegung politischen Handelns. Im Gegensatz zur ausufernden antikommunistischen Strafverfolgung durch das erste Strafrechtsänderungsgesetz in den 1950er Jahren wurde mit dem Radikalenerlass 1972 ein mit Überwachung und Drohung ausgestatteter Loyalitätsbekenntniszwang zur bestehenden Ordnung eingeführt, über den die Verfassungsschutzbehörden die Definitionsmacht erhielten. Statt also ›lediglich‹ alle vermeintlichen oder tatsächlichen kommunistischen Tätigkeiten zu verfolgen, wirkten Überwachung und potentielle Repression. Beim Berufseinstieg in den öffentlichen Dienst wurde mit der Regelabfrage bei den Verfassungsschutzbehörden sowie durch die Anhörungspraxis ein Bewusstsein für Kontrolle und Überwachung bei politischen Akteur*innen geschaffen. Politisches Engagement konnte Nachteile für den persönlichen Lebensweg haben. Wann dies der Fall ist, haben die Verfassungsschutzbehörden in der Hand. Dieser Ermessensspielraum erleichterte den behördlichen Umgang mit den in den 1960er Jahren entstehenden politischen und sozialen Bewegungen. Der 1974 vom Verfassungsschutz gewählte und durchgesetzte Extremismusbegriff erleichterte diese Verbreiterung des Ermessensspielraums. Statt lediglich den Parteikommunismus zu erfassen, konnten nun soziale Bewegungen durch die Betitelung als ›extremistisch‹ delegitimiert werden. ›Extremismus‹ gewinnt seine inhaltliche Bestimmung negativ: ›Extremistisch‹ heißt nicht auf dem Boden der fdGO, bedeutet ihr Gegenteil. Nach dem Verbot der KPD im Jahr 1956 war das kommunistische Feindbild zumindest innenpolitisch zunächst erfolgreich bekämpft worden. Allerdings stellten die Studierenden und die 68er-Bewegung eine Herausforderung für die Geheimdienste dar. Die antikommunistische Folie genügte nicht mehr. Auf dem Radar der Behörden konnte mittels des Extremismusbegriffs auch politisches Engagement gegen die Notstandsgesetzgebung oder die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auftauchen und ›legitim‹ beobachtet werden. aus der Geschichte gelernt: Die Verfassung der Deutschen ist von der Erkenntnis geprägt, dass auch ein demokratischer Staat nur existieren kann, wenn ein Konsens über bestimmte Werte besteht. Der Kernbestand unseres Staatswesens ist deshalb jeder Disposition entzogen. Er ist ein Konsens, der einen weiten Spielraum für unterschiedliche, gegensätzliche Standpunkte und Interessen bietet. Die Bürgerinnen und Bürger sollen diese Verfassung, die sie tragenden Grundsätze und damit auch diesen Staat innerlich bejahen und sich ihnen verpflichtet fühlen« (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport 2006, 14). Seit 2013 ist der Test auf Bundesebene vereinheitlicht. FdGO als Begriff kommt nicht vor und wird nicht abgefragt (vgl. Anlageband BGBl. I Nr. 35 2008, 4ff.). Im Modul II »Leben in der Demokratie« des Rahmencurriculums für den Einbürgerungskurs ist die fdGO als »Schlüsselbegriff« angeführt (Anlageband BGBl. I Nr. 35 2008, 156, 159).

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Nach Abschaffung der Regelanfragen in den 1980er und 90er Jahren58 wurde ein Loyalitätsbekenntnis zur fdGO eingeführt. Berufsanfänger*innen im öffentlichen Dienst müssen nun in einigen Bundesländern ihre Unterschrift unter die fdGO setzen oder versichern, keine Absichten gegen die fdGO zu verfolgen bzw. keine ›extremistischen‹ Organisationen zu unterstützen. Gegebenenfalls werden Einzelprüfungen von den Verfassungsschutzbehörden vorgenommen. Auch hier entwickelt sich der Mechanismus von einer allumfassenden Überprüfung zu einer effizienteren Selbstdisziplinierungspraxis, die mit potentieller Repression arbeitet. Statt schlicht alle Bewerber*innen standardmäßig zu überprüfen wird ihnen ein Loyalitätsbekenntnis abverlangt und nur gegebenenfalls Kenntnisse des Verfassungsschutzes angefragt. Die Überprüfungs- und Anhörungspraxis der Zeit der Berufsverbote ließ also ein neues Instrument entstehen. Dieses konnte auf der verallgemeinerten fdGO-Formel aufbauen. Die Frage war lediglich noch, ob eine Person auf dem Boden der fdGO steht oder nicht – nicht, ob eine fdGO als objektive Ordnung überhaupt existiert. Das Loyalitätsbekenntnis zur fdGO hat sich in den folgenden Jahren zu einer funktionalen Praxis auch für andere Rechts- und Politikbereiche entwickelt. Eine Unterschrift unter die fdGO ist/war notwendig zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit, beim Eintritt in die Beamt*innenlaufbahn oder den öffentlichen Dienst sowie bei der Vergabe öffentlicher Gelder an zivilgesellschaftliche Projekte. Dass eine solche Aufforderung zum Bekenntnis, vorgebracht ausgerechnet von staatlichen Behörden, schon selbst fragwürdig ist, genauso wie die Existenz einer objektiven Wertordnung überhaupt, ist nicht mehr Teil der Auseinandersetzung. Im Gegenteil, Skandale um Überschreitung und Missbrauch exekutiver Kompetenzen können mit dem Argument der Notwendigkeit des Schutzes der fdGO legitimiert werden. Die staatliche Exekutive wird nicht an der fdGO gemessen. Vielmehr können ihre Kompetenzüberschreitungen mit dem Schutz der fdGO gerechtfertigt werden – so geschehen zum Beispiel bei der Änderung des Art. 10 GG nach der Abhör-Affäre 1963. Für die Verfassungsschutzbehörden ist die fdGO Existenzbegründung und Argument zur Befugniserweiterung, ohne dass ihr Handeln selbst an ihr gemessen wird. Die gesellschaftliche Liberalisierung der 1960er Jahre hatte also einen Wandel von effektivem zu effizientem Schutz der bestehenden Ordnung zur Folge. Nicht mehr alle – tatsächlich oder nur vermeintlich – staatsgefährdenden bzw. kommunistischen Tätigkeiten mussten verfolgt werden, was auch die Strafgerichtsbarkeit entlastete. Das Instrumentarium 58 Als mögliches Instrument bleibt die Regelanfrage allerdings im Diskurs. 2018 will das Land Hessen, inspiriert von der bayerischen Praxis, eine erneute Einführung bei der Einstellung von Richter*innen diskutieren (vgl. Janisch 2018).

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ZWISCHENFAZIT: EFFIZIENTER SCHUTZ DES STATUS QUO

blieb bestehen, baute jedoch mehr auf dem potentiellen, denn dem tatsächlichen Einsatz. Diese Effizienz kann mit Selbstzurückhaltung und Zustimmung politischer Akteur*innen rechnen. Als Grundwert bundesrepublikanischer Staatlichkeit wirkt die fdGO nicht nur repressiv. Ihre Etablierung als demokratische »Kernsubstanz« (Mangoldt-Klein, Streinz, 2000, Art. 21, Rdnr. 224) ermöglicht eine Selbstverpflichtung der politischen Akteur*innen. Die ohnehin durch Strafverfolgung und Verbot marginalisierte KPD war keine gefährdende Größe mehr. Mit der Etablierung der Bundesrepublik erschien die DDR weniger bedrohlich. Die Systemkonkurrenz war zwar vorhanden, doch impliziert Konkurrenz, dass es zwei bestehende Systeme gibt, die Bundesrepublik wie auch die DDR also zunächst gefestigt waren. Eine überbordende antikommunistische Strafverfolgung war nicht mehr notwendig. Sie verschlang zudem zu viele Ressourcen. Selbstverpflichtung und -zurückhaltung politischer Akteur*innen zeitigt effizientere Erfolge. Dahinter steht freilich die potentielle staatsschützerische Drohung. Potentielle Repression wirkt nachhaltiger durch Verständnis und Einsicht der Beherrschten. Kulturelle Faktoren wie beispielsweise die politische Bildung kommen hinzu. Im Sozialkunde-, Politik- und Geschichtsunterricht kann Schüler*innen die Notwendigkeit eines Demokratieschutzes vermittelt werden. Die hegemonial gewordene fdGO ist oft Teil der Curricula und wird als gegebene Definition dargestellt. Ist Schüler*innen beigebracht, dass außerstaatliches politisches Handeln bedrohlich sein kann und die Exekutive die Demokratie vor ›Extremismus‹ beschützt, ist dies auf lange Sicht ein effizientes Instrument zur Einhegung politischen Handelns. Wie bspw. das Scheitern der Weimarer Republik und die daraus zu ziehenden ›Lehren‹ im Schulunterricht dargestellt werden, könnte in einer eigenständigen Forschung untersucht werden. Die Auswirkungen des Vordringens der Verfassungsschutzbehörden in die politische Bildung – durch eigens von den Ämtern durchgeführte Projekttage oder durch ihre Bildungsmaterialen – müssten Teil einer solchen Forschung sein. Die repressive Praxis der Berufsverbote – die Nachwirkungen der antikommunistischen Strafverfolgung nach dem 1. StÄG müssen hier auch beachtet werden – hatte eine Eigenbegrenzung des politischen Handelns zur Folge. Die Gewissheit, beobachtet werden zu können, und die Selbstverteidigungshaltung in den Anhörungen – quasi die Bitte um Legitimation – tradieren sich in politischem Handeln. Auch hier ist eine Entwicklung von Effektivität zu Effizienz zu verzeichnen. Öffentliche und vor allem auch internationale Kritik an der Praxis der Berufsverbote drängten diese zwar zurück. Geblieben ist jedoch die auch vom BVerfG bestätigte exekutive Einschätzungsprärogative, die in politischem Handeln antizipiert wird. Die Erzählung von der legalen nationalsozialistischen Machtübernahme, die Subjektivierung des politischen Strafrechts 355

STABILISIERUNG UND AUSDIFFERENZIERUNG

und das Vordringen des Extremismusbegriffs haben es erforderlich gemacht, für politisches Handeln um Zustimmung, mindestens Duldung, durch staatliche Behörden zu werben. Der richtige Gebrauch der politischen Freiheit muss abgesegnet werden, damit kein Missbrauch unterstellt wird. Dann kann er gar von Ministerien finanziell gefördert werden – entweder mit vorherigem Loyalitätsbekenntnis zur bestehenden Ordnung oder doch gleich vorsorglicher Überprüfung durch die Verfassungsschutzbehörden (vgl. BT-Drs. 19/2086). Die Berufsverbote verdrehten zudem die Folgerungen aus der antifaschistischen Deutung des Weimarer Scheiterns. Hier schützte sich der Staatsapparat vor in ihn eindringende ›Systemstürzler‹ – getreu dem Bedrohungsszenario der »kalten Revolution« (vgl. Fn. 33, Kap. V) der 1950er Jahre, das sich wohl durch den angekündigten »langen Marsch durch die Institutionen« der 68er-Bewegung befeuert sah. Weder die konservative und illiberale Kontinuität des bürokratischen Apparates noch die Reintegration der NS-Funktionselite, sondern dessen potentielle Neuausrichtung erschien als Bedrohung der Demokratie. Es ist bei politisch Handelnden angekommen, dass sie eine Gefahr für die Demokratie darstellen, nicht der Staat. Die Begrenzung von Demokratisierung durch eine materiale Rechtsstaatskonzeption ist anerkannt. Das heißt nicht, dass es innerhalb dieses Prinzips nicht auch Verschiebungen geben könnte. Wenn die antifaschistische Deutung des Weimarer Scheiterns die ›wehrhafte Demokratie‹ legitimiert, dann sind rassistische Pogrome oder jahrelang mordende Neonazis wie der NSU ein Problem. Substanzbegriffe im Recht können politisch unterschiedlich ausgelegt werden. Gerade dies macht die fdGO aber zu jenem konsensuellen Wert, dessen staatsschützerische Seite ausgeklammert scheint. Vieles kann unter der fdGO subsumiert werden – auch unabhängig von der verfassungsgerichtlichen Definition. Demokratieschutz ist weicher als Staatsschutz, auch komplexer und vielschichtiger. Zudem haben Judikative und Exekutive gegenüber nicht-staatlichen politischen Akteur*innen den Institutionen-Vorteil. Die nicht-staatlichen Akteur*innen müssen zunächst anerkannt sein, um Deutungen zu ändern. Sie kämpfen dann gegen das Bestehende unter den Regeln des Bestehenden, müssen diesen »Bezugsrahmen« (Narr 1975, 174) annehmen und in ihm legitimiert sein. An dieser Stelle muss die anfänglich dargestellte Repressivität, die Althusser als zentrales Merkmal des Rechts ausmacht (vgl. II 2), konkretisiert werden. Eine Regel benötigt Durchsetzung. Diese Durchsetzung muss aber nicht nur repressiv geschehen. Recht ist zwar mit den Repressionsapparaten verknüpft, jedoch auch mit der »bürgerlichen juristisch-moralischen Ideologie« (Althusser 2012, 238). Das Eingreifen des repressiven Apparats stellt – wenn auch oft und gut sichtbar – eine »Ausnahme« (ebd., 239, Herv. i. O) dar. Die Ideologie hingegen »interveniert 356

ZWISCHENFAZIT: EFFIZIENTER SCHUTZ DES STATUS QUO

direkt und alltäglich, in jeder Sekunde« (ebd.) und ermöglicht so das Funktionieren der Produktionsverhältnisse. Hier ist die von Opratko (2014, 43) in Bezug auf Gramsci betonte »konsensuelle Dimension politischer Herrschaft« von Bedeutung. Die Einbindung der zivilgesellschaftlichen Projekte in die Verteidigung der Demokratie funktioniert auch über deren finanzielle Ausstattung durch die Bundesprogramme gegen ›Extremismus‹. Eine mögliche Streichung der Mittel bei zumindest vom BfV unterstellter Gefahr für die fdGO kann existenzielle Folgen für Initiativen haben. Genauso stark wirkt »in jeder Sekunde« (Althusser 2012, 239) der Selbstdisziplinierungsmechanismus einer effizienten Sicherung des Status quo: zum einen aufgrund des Glaubens an eine antifaschistische Ausrichtung der ›wehrhaften Demokratie‹ und zum anderen durch Selbstbeschränkung politischer Forderungen angesichts potentieller Repression.

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VII Schlussbetrachtung »Was es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gilt, ist die freiheitliche demokratische Grundordnung«, sagte der Politikwissenschaftler Werner Patzelt (2018, Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, 20:40 Uhr) während einer Diskussionsrunde unter dem Titel »Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?«. Anlässlich des ersten Jahrestages der Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 waren Vertreter (die *-Form erübrigt sich hier) aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in die Berliner Gedenkstätte Hohenschönhausen geladen, um über die Geschehnisse in Hamburg und ihre Konsequenzen für die Politik zu sprechen. Angesichts des ›Lösungsvorschlags‹ auf dem Podium – verstärkte Polizeipräsenz und Repression – ist wohl zu Patzelts Kommentar hinzuzufügen: Zur Not wird die fdGO auch gegen Demokratie und Rechtsstaat verteidigt. Denn die hier vorliegende Untersuchung hat gezeigt: Die fdGO wandelte sich von einem relativen Rechtsbegriff zu einer flexibel einsetzbaren Formel zur exekutiven Kompetenzerweiterung und zur Delegitimierung politischen Handelns. Auch wenn rechtsstaatliche Strukturelemente zur fdGO-Formel zählen, gelten sie weniger für die Exekutive als für die Bürger*innen, deren politisches Handeln unter Beobachtung steht. Zunächst durch das Bundesverfassungsgericht mit Inspiration aus dem politischen Strafrecht definiert, liegt der Anwendungsspielraum der fdGO in den Händen der staatlichen Exekutive. Die fdGO wird in der juristischen Kommentarliteratur als »Kernsubstanz« (Mangoldt-Klein, Streinz, 2000, Art. 21, Rdnr. 224) oder »Klammerbegriff« (Münch-Kunig, Kunig, 2012, Art. 21, Rdnr. 81) einer »Verfassung der Freiheit« (Mangoldt-Klein, Brenner, 2010, Art. 18, Rdnr. 29) bezeichnet. Sie sei »unmittelbar einsichtig« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 50, Herv. i. O.) das »Gegenteil des totalen Staates« (BVerfGE 144, 20, 203). Es scheint, als würde sie schon ewig existieren und als wäre völlig klar, was sie ist. Doch diese Umschreibungen sind Ergebnis eines historisch-politischen Prozesses, der die fdGO erst zu dem gemacht hat, was sie ist: Ein Begriff, der ›Demokratie‹ als solche repräsentiert, obwohl er ein flexibel anwendbares Instrument gerade zur Einhegung demokratischen Handelns ist. Die Herauslösung bestimmter Elemente aus dem Grundgesetz mit dem Zweck, sie zur eigentlichen Substanz der Verfassung, zur Verfassungsentscheidung zu erklären, bedeutet eine Sicherung des Status quo vor dem Veränderungspotential des bürgerlichen Rechts und der bürgerlichen Demokratie (vgl. Maus 1976, 47; II 3). Im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ ist die ideengeschichtlich antidemokratische Traditionslinie deutscher Rechtsstaatsentwicklung verlängert, die den demokratischen Transformationsprozess dort stoppen 358

SCHLUSSBETRACHTUNG

will, wo er von politischer Gleichheit zur sozialen voranschreiten kann. Rechtsstaat und Demokratie bedingen sich im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ nicht gegenseitig, sondern der ›Schutz‹ des Rechtsstaates dient als Einhegung von Demokratisierung. Die als Substanz verabsolutierte fdGO ermöglicht es, die Emanzipationsperspektive, die aus der Allgemeinheit der Gesetze und der demokratischen Gleichheit für alle entsteht, zu beschränken. Die fdGO scheint zwar formal, sichert jedoch die materiellen Herrschaftsverhältnisse kapitalistischer Vergesellschaftung, indem sie das Potential der bürgerlichen Demokratie, über sich selbst hinauszuweisen, begrenzt. Diese Beschränkung des sozialen Transformationspotentials versperrt nicht nur die Emanzipationsperspektive, sondern ebenso das, was die ›wehrhafte Demokratie‹ vorgibt zu tun: die Demokratie zu schützen. Paradoxerweise leistet sie einer autoritären Entwicklung Vorschub und sichert genau die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ein regressives Umschlagen von indirekter in direkte Gewalt ermöglich(t)en. Dass die ›wehrhafte Demokratie‹ gegen die aktuellen politischen Entwicklungen und Rechtsverschiebungen so wenig zu bieten hat, liegt an ihrer ideologischen Tradition und Institutionalisierung. So wurde die ›wehrhafte Demokratie‹ zwar als Idee von Exilanten zur Eindämmung des Faschismus vorgebracht, aber in der postnazistischen Bundesrepublik implementiert und institutionalisiert, aufbauend auf einer materialen Rechtsstaatskonzeption, die Demokratisierung einhegen kann. Statt eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seiner Staatlichkeit, seiner Ideologie und der Shoah voranzutreiben, ging der Blick zurück zur Weimarer Republik. Die ›zu‹ liberale Republik selbst und ihr Scheitern wurde zum Problem, nicht das, was auf sie folgte. Genau jene (national-)konservative staatsrechtliche Traditionslinie, die schon an der liberalen Republik gerüttelt hatte, errang im Kampf um die Erzählungen des Weimarer Scheiterns nach 1945 die Deutungshoheit. Auf dieser ideologischen Basis wurde die ›wehrhafte Demokratie‹ konzipiert. Es war der staatsrechtliche Antipositivismus, der es (mit-)ermöglichte, das Weimarer Recht zu substantialisieren und die allgemeine Gleichheit aller Menschen der ›Volksgemeinschaft‹ zu opfern. Ausgerechnet die materiale Konzeption des Rechtsstaates konnte sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Demokratieschutz durchsetzen sowie sich mittels Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus legitimieren – und schaffte so auch die Möglichkeit zur Reintegration der alten NS-Funktionselite. Paradoxerweise wird also gerade eine demokratie­ skeptische bis antidemokratische staatsrechtliche Denktradition zur juristischen Grundlage eines sich als Demokratieschutz ausgebenden Konzepts. Der geschichtspolitische Deutungskampf um die Ursachen für das Weimarer Scheitern verhinderte eine politikwissenschaftliche 359

SCHLUSSBETRACHTUNG

Auseinandersetzung mit dem Transformationsprozess der liberalen Weimarer Demokratie zum NS-Regime. Die Demokratieskepsis ließ die ›Fehler‹ der Weimarer Republik suchen, anstatt Kräfteverhältnisse und ihre Verschiebungen sowie die allmähliche Entwicklung zum nationalsozialistischen (Un)Staat in den Blick zu nehmen. So gewannen eindimensionale Deutungen Raum und die ersten Analysen des Transformationsprozesses aus den 1930er und 40er Jahren (vgl. Fraenkel 1984 [1941]; Kogon 1974 [1946]; F. Neumann 1984 [1942]) erfuhren kaum wissenschaftliche Weiterentwicklung. Obwohl es also im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ als auch in der heutigen normativen Forschung zum ›Extremismus‹ um Demokratieschutz gehen soll, besteht eine eklatante Forschungslücke zum Wandel demokratischer Staaten in faschistische Regime. Statt interdisziplinärer Informiertheit den Vorrang zu geben, werden in der Politikwissenschaft juristisch-zeitgeschichtliche und geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse nur unzureichend berücksichtigt. Im Vordergrund steht stattdessen ein geschichtspolitisch motivierter Deutungskampf, aus dem eine eindimensionale Erzählung vom Scheitern der Weimarer Republik hervorging, mit der es möglich ist, politisches Handeln einzuschränken. Statt den Transformationsprozess in all seinen Facetten in den Blick zu nehmen, ist eine Geschichtsdeutung von den ›Extremen‹, die die Demokratie zwischen sich zerrieben hätten, hegemonial: Die ›zu‹ formale Weimarer Demokratie habe ihnen nichts entgegensetzen können und so ergriffen die Nationalsozialisten vermeintlich legal die Macht. Die »Legalitäts-Legende« (Deiseroth 2008) – schon seit 1941 als solche bezeichnet (vgl. Fraenkel 1984 [1941], 26) – wirkt bis heute als Argument zur präventiven Sicherung des Status quo. Losgelöst von der konkreten historisch-politischen Konstellation zwischen (National-)Konservatismus, Monarchismus und Nationalsozialismus und mit Verdrehung rechtsstaatstheoretischer Debatten erhält dieses Argument eine illiberale Stoßrichtung nach links – und steht damit in der guten alten Tradition des politischen Strafrechts (vgl. Steinberg 2012, 1065f.). Die anfänglich antifaschistische Intention einer ›militant democracy‹ (Loewenstein 1937a, b) wandelte sich mit der Institutionalisierung der ›wehrhaften Demokratie‹ zu einer anti-totalitaristischen bzw. antikommunistischen. Der zunächst als Bezeichnung des NS-Regimes dienende Begriff der ›Gewaltherrschaft‹ aus der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts der Britischen Besatzungszone (vgl. W. Schubert 2010, 116) wurde aus seinem Kontext gelöst und als antitotalitaristischer Gehalt in die Definition der fdGO als »Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft« (BVerfGE 2, 1, 1, Herv. d. Verf.) aufgenommen. Wie Derrida (vgl. 2008, 83) in seiner Darstellung der Schrift ausführt, können Begriffe aus ihrem Entstehungskontext gelöst und mit gänzlich anderen Kontexten verbunden werden (vgl. II 2). So ist die »Gewalt- und Willkürherrschaft« nicht nur eine unzureichende Charakterisierung des 360

SCHLUSSBETRACHTUNG

NS-Regimes, sondern zugleich das fdGO-Definitionselement, das mit anderen politischen Vorzeichen der Legitimation einer antikommunistischen Strafverfolgung diente. Mit Rückverweis auf den Nationalsozialismus – ohne diesen genauer zu beschreiben, aber zugleich als Negativabgrenzung zu verwenden – konnte im 1. Strafrechtsänderungsgesetz (1. StÄG) von 1951 mit der Formel vom »Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft« (heutige Fassung: § 92 Abs. 2 Nr. 6 StGB) eine im Gerichtssaal breit anwendbare Begrifflichkeit geschaffen werden, die für alle vermeintlichen oder tatsächlichen kommunistischen Tätigkeiten zutraf (vgl. V 4). »[F]rüher« (Maunz-Dürig, Dürig, 1964, Art. 18, Rdnr. 48) sollte nicht noch einmal geschehen und konnte mit »drüben« (ebd.) gleichgesetzt werden, ohne dass eine Auseinandersetzung mit dem, was »früher« denn eigentlich passiert ist und wer daran beteiligt war, geschah. So wurde die Abgrenzung von jeder »Gewalt- und Willkürherrschaft« (§ 92 Abs. 2 Nr. 6 StGB) eine »unmittelbar einsichtig[e]« (ebd., Rdnr. 50, Herv. i. O.) flexible Begrifflichkeit zur leichteren Anwendbarkeit des neu geschaffenen Straftatbestands der Staatsgefährdung des 1. StÄG. Damit kann es heute im Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ um ›Linksextremismus‹ gehen statt um autoritäre oder faschistische gesellschaftliche Entwicklungen oder um die »Alternative für Deutschland« (AfD) als Betroffene des ›Linksextremismus‹ anstatt um sie selbst (vgl. BfV 2017, 101f, 121ff.). Deshalb kann nicht nur die Berliner Gedenkstätte Hohenschönhausen im ehemaligen Gefängnis der DDR-Staatssicherheit über die Frage »Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?« diskutieren, sondern seit Jahrzehnten haben diverse ›Expert*innen‹ für Innenpolitik (vgl. Knütter und Winckler 2002; Schünemann 2008), Wissenschaftler*innen (vgl. Moreau und Lang 1996; Bergsdorf und van Hüllen 2011) und Medien (vgl. Fromm 2017; Ringelstein 2017) eine Vorliebe für diese mal als rhetorische Frage, mal als Aussage formulierte Wendung. Gelegentlich sind die Grenzen ins rechtskonservative oder neurechte Lager dabei fließend. So war in der ersten Version der ZDF-Dokumentation »Radikale von links – Die unterschätzte Gefahr« (Fromm 2017) der AfD-Politiker Karsten Dustin Hoffmann schlicht als Politologe interviewt (vgl. Ecke 2017) und das »Handbuch des Linksextremismus: Die unterschätzte Gefahr« (Knütter und Winckler 2002) erschien im Leopold Stocker Verlag, dessen Ausrichtung und Geschichte schon 1985 hinreichend beschrieben wurde (vgl. Murray 1985). Heute steht der Förderverein der Gedenkstätte Hohenschönhausen in der Kritik, sich zunehmend von der AfD vereinnahmen zu lassen (vgl. Decker 2018). Diese politische Schlagseite des ›Linksextremismus‹-Diskurses hat Tradition. Dass es so kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der politischen Strafgesetzgebung um Kommunismus und nicht um 361

SCHLUSSBETRACHTUNG

Nationalsozialismus ging, lag am beginnenden Kalten Krieg, aber vor allem auch an der Reintegration der ehemaligen NS-Funktionselite in die Staatsapparate der Bundesrepublik. Sie prägte den Definitionsprozess um die strafrechtlichen Verfassungsgrundsätze, die später zur fdGO wurden. Wer schon 1934 für das politische Strafrecht zuständig war, ließ auch 1950/51 nicht von seinem Antikommunismus ab und hatte nicht viel übrig für die Aufarbeitung der Shoah (vgl. V 4.3.4). Unter diesen innenpolitischen Bedingungen wurde die erste Legaldefinition der fdGO geschaffen, auch wenn ihre Definitionselemente zunächst als »Verfassungsgrundsätze« (§ 88 Abs. 2 StGB F. v. 1951; aktuell: § 92 Abs. 2 StGB) bezeichnet wurden, um Konflikte zwischen dem Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht zu vermeiden. Nur ein Jahr nach Verabschiedung des 1. StÄG, 1952, bestätigte das Bundesverfassungsgericht ebenjene Verfassungsgrundsätze im Verbot der »Sozialistischen Reichspartei« (SRP). Im Urteil machte das BVerfG die Verfassungsgrundsätze »im Sinne des Strafrechts« (Ewers, PA-DBT 3109 A 1/23, Kurzprot. 25, 6) zur ›freiheitlichen demokratischen Grundordnung‹. Es fügte noch die »Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten« (BVerfGE 2, 1, 1) hinzu, die im Strafgesetzgebungsprozess als Bestandteile der Verfassungsgrundsätze gestrichen worden waren. Das Gericht ließ aber die politisch-prozessualen Rechte, also gerade jene Rechte, die politisches Handeln in einer Demokratie ermöglichen, außen vor. In dieser Form wurde die fdGO zu einem bis heute feststehenden Begriff, obwohl sie im Verfassungsgebungsprozess keineswegs klar definiert oder inhaltlich gefüllt wurde, d.h. schlicht noch kein Begriff war. Einzig die Abgrenzung von der Sowjetischen Besatzungszone, die eben eine »volksdemokratisch[e]« (von Mangoldt, GrundA, Sitzung v. 11.1.1949, 951) und keine ›freiheitliche‹ Ordnung war, ließ schon während der Debatten um das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat die spätere inhaltliche Ausrichtung erkennen. Außerdem bestätigte das BVerfG im SRP-Verbot eine Geschichtsdeutung, die den Nationalsozialismus entpersonalisierte, die deutsche Gesellschaft entschuldete und als seinen Endpunkt die »Katastrophe des Staates« (ebd., 20) sah – anstatt den Mord an Millionen Menschen. Diese Darstellung kam ohne Verweise auf die damaligen ersten geschichtsund rechtswissenschaftlichen Studien zum NS-Regime aus und erleichterte durch Ausblendung des komplexen Transformationsprozesses der Weimarer Republik die Implementierung der ›wehrhaften Demokratie‹ unter antitotalitaristischen und vor allem antikommunistischen Vorzeichen. Konsequenterweise machte das Gericht in seinem Verbot der »Kommunistischen Partei Deutschlands« (KPD) im Jahr 1956 die ›wehrhafte Demokratie‹ zur Entscheidung des Grundgesetzes und die fdGO zu einem für alle Parteien zu verfolgenden Politikziel. So ist Agnolis 362

SCHLUSSBETRACHTUNG

Darstellung der Parteien im parlamentarischen System vom Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbot geradezu bildhaft bestätigt worden. Parteien werden zu »Organen der Verfassung und konsequenterweise als Organe des Staates anerkannt« (Agnoli 1968, 33). Das BVerfG verbot die KPD unter anderem, weil sie lediglich ein instrumentelles Verhältnis zu fdGO habe. Parteien sollten jedoch für die fdGO voll und ganz eintreten, sie nicht nur instrumentell akzeptieren und andere Fernziele haben (vgl. BVer-fGE 5, 85, 237). Mit der Integration von Parteien ins staatliche Gefüge sind Parteien zwar verfassungsrechtlich anerkannt, zugleich aber in ihrer Politik und ihren Zielen beschränkt. So ist gesichert, »daß keine wesentlichen Änderungen zu erwarten sind« (Agnoli 1968, 39). Statt also auf Basis einer Analyse des Transformationsprozesses liberaler Demokratien zu faschistischen oder autoritären Regimen der Exekutive Einhalt zu gebieten, wird die ›wehrhafte Demokratie‹ und die in ihr als Wert bzw. Substanz verabsolutierte fdGO zu einem flexibel einsetzbaren Instrument gegen eine vermeintlich »demokratiefeindliche[...] Legislative« (Bötticher und Lange 2011, 283) oder auch zum Mittel der Delegitimierung des politischen Handelns von Parteien oder nichtstaatlichen Akteur*innen. Die fdGO ist Mindestanforderung zur Teilhabe am politischen Prozess für nichtstaatliche Akteur*innen statt Maßstab für exekutives Handeln. Ihre Unbestimmtheit, hervorgerufen durch ihre Negativbestimmung als Gegensatz zum ›totalen Staat‹, macht sie flexibel einsetzbar. Die Definitionsmacht darüber, was oder wer nicht auf dem Boden der fdGO steht, liegt bei staatlichen Behörden, in judikativer Auslegung und exekutiver Anwendung. Auf dieser Basis wird exekutive Kompetenzerweiterung als Demokratieschutz imaginiert. Ausgerechnet die Exekutive wird Verteidigerin des Rechtsstaates und der Demokratie – also jene Gewalt, gegen die Rechtsstaat und Demokratie auf Barrikaden erst erkämpft werden mussten, die durch konkrete Maßnahmen statt allgemeine Gesetze regiert, die in Ernst Fraenkels (vgl. 1984 [1941], 96ff.) Doppelstaatsthese im Maßnahmestaat wirkte und die Deutungshoheit über das Politische ausübte oder in Franz Neumanns (vgl. 1984 [1942], 541ff.) These vom Unstaat das rationale Recht völlig tilgte und nationalsozialistischen Terror brachte. Wie kann eine Politikwissenschaft, die sich ernst nimmt, die Exekutive oder eine Behörde wie den Inlandsgeheimdienst als Institution des Demokratieschutzes ins politische System der Bundesrepublik einordnen? In einer historisch und rechtswissenschaftlich informierten politikwissenschaftlichen Analyse müsste der Frage nachgegangen werden, wie weit die exekutiven Kompetenzerweiterungen zur Kontrolle und Einhegung des demokratischen Prozesses gehen können, um noch von einem demokratischen System zu sprechen. Welche Erkenntnisse kann die Politikwissenschaft von Geschichtswissenschaft und juristischer Zeitgeschichte dazu in ihren Forschungsstand aufnehmen und weiterentwickeln? Wie 363

SCHLUSSBETRACHTUNG

genau also sieht die von Agnoli (1968, 10) gekennzeichnete »Involutionstendenz zu einem autoritären Staat rechtsstaatlichen Typus« heute aus? Welche Merkmale lassen sich aus dem Transformationsprozess von der Weimarer Republik zum NS-Regime abstrahieren und wo liegen die Unterschiede? Wie verändert sich beispielsweise das politische System der Bundesrepublik durch die Integration einer Partei wie der AfD und durch eine gleichzeitige Novellierung der Polizeigesetzgebung der Bundesländer inklusive starker Befugnis- und Ermessensspielraumerweiterungen? Dass das Konzept der ›wehrhaften Demokratie‹ bei diesen Fragen nicht nur nicht hilft und gar hinderlich ist, sondern auch historisch und politikwissenschaftlich nur unterkomplexe Antworten zu bieten hat, ist nach dieser Arbeit eindeutig festzustellen. Bei den Fragestellungen ist zu bedenken, dass die von Agnoli skizzierte Involution keine geradlinige sein kann, sondern von gesellschaftlichen Kräftekonstellationen als auch dem schlichten trial and error staatlicher Behörden abhängt. Eine politikwissenschaftlich kritische Analyse will nicht den Masterplan herausfinden, sondern die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und Entwicklungen verstehen. Wie weit die exekutiven Kompetenzerweiterungen für den ›Demokratieschutz‹ gehen oder ob sie zurückgedrängt werden können, ist eine solche Frage gesellschaftlicher Kräftekonstellationen. Die fdGO kann auch staatlichem Handeln entgegengehalten werden. Oder es kann die antifaschistische Deutung Raum gewinnen und dadurch bspw. die staatliche Repression gegen Neonazistrukturen zunehmen, vielleicht als Feuerwehrpolitik oder mit größerer Nachhaltigkeit. Allerdings ist die antifaschistische Deutung mit Institutionen der ›wehrhaften Demokratie‹ konfrontiert, die sich im antikommunistischen Klima des Kalten Krieges, in illiberaler Tradition der deutschen Staatsrechtslehre und mit ehemaligem Personal aus dem NS-Regime entwickelt haben. Der NSU-Komplex führte wie schon die ›Abhör-Affäre‹ von 1963 zu einer finanziellen und personellen Aufstockung der Verfassungsschutzbehörden statt zu einer In-Frage-Stellung ihrer Existenz und Arbeitsweise. Oder es besteht gegen einen Bundeswehrsoldaten, der Listen von Politiker*innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen anlegt, Anschlagsziele ausspäht und Waffen sammelt, doch kein »hinreichender Tatverdacht für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat« (OLG Frankfurt a. M. 2018). Auch das Handeln der NPD gehe zwar planmäßig auf die Beseitigung der fdGO aus, aber die Aussichten auf Erfolg dieses Handelns fehlen (vgl. BVerfGE 144, 20, 369) und deshalb sei ein Verbot nicht (mehr) nötig. Vor dem historischen Entstehungshintergrund der ›wehrhaften Demokratie‹ und ihrer Konsequenzen für politisches Handeln wird verständlich, dass in Hamburg während des G20-Gipfels 2017 sämtliche polizeiliche Einsatztechnik und -methodik erprobt werden konnte, während 364

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zehn Tage später in der thüringischen Kleinstadt Themar etwa 6.000 Neonazis unter »Sieg Heil!«-Rufen Konzerte hörten, ohne dass die Polizeikräfte nennenswert einschritten (vgl. Hecht 2017; Miller 2017). Auch kann nach den Protesttagen in Hamburg – der Brandstiftungen und rassistischen Angriffe seit dem »Sommer der Migration« (Kasparek und Speer 2015) zum Trotz – wieder ein verstärktes Vorgehen gegen ›Linksextremismus‹ gefordert werden, das einhergeht mit Repression und exekutiver Aufrüstung. Aus der Genese der ›wehrhaften Demokratie‹ heraus wird deutlich, dass vor allem Bürger*innen an ihre Pflicht zur Treue zur fdGO erinnert werden – und nicht die staatlichen Behörden. So wird klar, warum der damalige Erste Hamburger Bürgermeister und später zum Bundesfinanzminister aufgestiegene Olaf Scholz (SPD) nach den G20-Protesten im Juli 2017 sagen konnte: »Wer dagegen daherredet, dass die Polizei mit ihrer klaren Linie auch die Demokratie gefährdet, der hat vergessen, dass zur Demokratie auch der Rechtsstaat gehört, dessen Regeln nicht beliebig sind« (Senatskanzlei 2017). Weder die polizeiliche Kompetenzüberschreitung durch die Missachtung von Gerichtsurteilen (vgl. Decker 2017; Komitee für Grundrechte und Demokratie 2017, 9) noch die physischen Angriffe auf Journalist*innen, weder der Entzug der Akkreditierung von einigen Pressevertreter*innen noch die Behinderung anwaltlicher Arbeit (vgl. Komitee für Grundrechte und Demokratie 2017, 29f.; RAV 2017, 1) werden als Verstoß gegen die fdGO benannt. ›Wehrhafte Demokratie‹ spielt in dieser Hinsicht im Diskurs keine Rolle, obwohl gerade hier mit einem kenntnisreichen Blick auf den Transformationsprozess zu autoritären Regimen von einer Gefährdung der Demokratie gesprochen werden könnte. Die Brutalität der polizeilichen Gewalt (vgl. G20 Doku; Loick 2017) und die Freigabe des Schusswaffengebrauchs während des Einsatzes des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Hamburg (vgl. dpa 2017) werden als ›klare Linie‹ gewertet statt als Zurückdrängung von Demokratisierung. Der Rechtsstaat wird den Bürger*innen entgegengehalten, nicht der Exekutive, obwohl doch gerade sie es ist, deren Macht in politischen Kämpfen durch Rechtsstaatlichkeit begrenzt werden sollte. Dass politisch-prozessuale Rechte und Rechtsstaatsprinzipien historisch entstandene und erkämpfte Begrenzungen der staatlichen Exekutive sind, scheint vergessen. Sie sind heute eben keine erkämpften Rechte von Bürger*innen mehr, die sich diese Rechte auch nicht mehr nehmen lassen. Stattdessen sind die politisch-prozessualen Rechte entkoppelt von den Schutzrechten gegenüber dem Staat und unterstehen exekutiver Beobachtung und Bewertung. Ein potentieller Missbrauch wird unterstellt – und damit zugleich ein ›richtiger‹ Gebrauch vorausgesetzt. Die Freiheitsrechte und Staatsorganisationsprinzipien der fdGO-Formel dienen als verabsolutierter Wert, als Substanz einer Staatlichkeit, die exekutiv 365

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gegen politisches Handeln vorgeht, wenn dieses Handeln – vielleicht auch nur vermeintlich – droht, bestehende Herrschaftsverhältnisse und Privilegien anzutasten oder gar umzuwerfen. Die Wendung des Rechtsstaates gegen Demokratie ermöglicht Kriminalisierung und Delegitimierung politischen Handelns. Das Potential bürgerlicher Demokratie, politische Macht auch zur sozialen Gestaltungsmacht weiterzuentwickeln, kann so eingehegt werden. Die fdGO als Mindestanforderung für politisches Handeln ermöglicht es, den Status quo der Gesellschaft zu schützen. Soziale Demokratisierung bedeutet eine Änderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse. Das ist nicht unbedingt ein gewaltloser Prozess, die Restauration gesellschaftlicher Privilegien in Reaktion darauf schon gar nicht. Die bürgerliche Demokratie kann durch den Ausgleich gesellschaftlicher Konflikte – materiell wie ideologisch – relativ stabil sein, diese direkte Gewalt also hemmen. ›Wehrhafte Demokratie‹ ist dabei ein unterstützendes Konzept. Die Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung bleiben aber bestehen und können aufbrechen. Wenn dies geschieht, wird vieles an die Oberfläche gespült, was in den aktuellen Verhältnissen konserviert und gezähmt ist. Das gilt für das Potential des exekutiven Exzesses wie auch für die Regression in der Wiedererlangung von Handlungsfähigkeit und -macht isolierter Individuen. Der Mechanismus der ›wehrhaften Demokratie‹ ist nicht lediglich repressiv zu verstehen, sondern kann auf Eigenbegrenzung, Selbstdisziplinierung und vorauseilendem Gehorsam der Bürger*innen bauen. Die jahrzehntelange Praxis der ›wehrhaften Demokratie‹ – politische Bildung, Berufsverbote, geheimdienstliche Überwachung, Strafverfolgung – führte dazu, dass diese ihr politisches Handeln selbst skeptisch beurteilen. Das Bekenntnis zur Demokratie verlangen sich die Bürger*innen ab, um zu versichern, dass ihr Handeln nicht bedrohlich für die bestehende Ordnung ist, sondern ihr zuträglich. Das Vertrauen in die Staatsapparate als die ›Guten‹ ist in der Bundesrepublik stark. Besteht dieses Vertrauen bei politisch Handelnden nicht, entsteht aus der Gewissheit der Überwachung Konspiration und Marginalisierung. Die ›wehrhafte Demokratie‹ und ebenso das administrative Extremismusmodell haben einen Teil dazu beigetragen, dass Forderungen nach sozialer Demokratisierung um Legitimation bitten muss. Doch für Kritik und Protest wird es keine Genehmigung seitens der bestehenden Ordnung geben. Politisches Handeln, das die bestehenden Herrschaftsverhältnisse des Status quo herausfordert, ist mit einer Entwicklung konfrontiert, die alles bestehende Recht gegen jeden Änderungsdruck von unten verfestigt. Nicht mehr die Regierung wird vom Volk anhand der Verfassung kontrolliert, sondern umgekehrt wird das Volk bei jeder [...] rechtsinnovativen Aktion drohend auf die je autoritär interpretierte Verfassung 366

SCHLUSSBETRACHTUNG

verpflichtet, während die Staatsapparate nicht mehr der Verfassung, sondern nur noch ihren eigenen Verfassungsinterpretationen zu entsprechen haben. (Maus 2006, 115f.)

Transformation geht von der gesellschaftlichen Basis aus, nicht von den Staatsapparaten. Politisches Handeln muss sich unabhängig von der Definitionsmacht staatlicher Behörden entfalten.

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Abkürzungsverzeichnis AllMBl APuZ AfD AöR ARA BArch BBG BeamtStG

Allgemeines Ministerialblatt (Bayern) Aus Politik und Zeitgeschichte Alternative für Deutschland Archiv des öffentlichen Rechts Allgemeiner Redaktionsausschuss Bundesarchiv Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz) BEG Bundesergänzungsgesetz BerG Bundesentschädigungsgesetz Beschl. v. Beschluss von BfV Bundesamt für Verfassungsschutz Bundesgesetzblatt BGBl BGH Bundesgerichtshof BJM Bundesjustizministerium BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMI Bundesministerium des Innern BPG Bundespersonalgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Bundesverfassungsgerichtsentscheid BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerfGGO Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Bundesverwaltungsgerichtsentscheid DBG Deutsches Beamtengesetz DRiZ Deutsche Richterzeitung E 1962 Regierungsentwurf zur Änderung des StGB von 1962 EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte F. v. Fassung von GG Grundgesetz HChE Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948 Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates HptA iVm in Verbindung mit KombA Kombinierter Ausschuß (Ausschuß für Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege) des Parlamentarischen Rates KPD Kommunistische Partei Deutschlands 368

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Kurzprot. LfV MAD NJW NPD NSDAP NSRB NSU PA-DBT PartG PEGIDA

Kurzprotokoll Landesamt für Verfassungsschutz Militärischer Abschirmdienst Neue Juristische Wochenschrift Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistischer Untergrund Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestags Parteiengesetz Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes Reichsbeamtengesetz RBG Rdnr. Randnummer Regierungsentwurf RegE RepSchG Republikschutzgesetz RGBl Reichsgesetzblatt SA Sturmabteilung Sowjetische Besatzungszone SBZ SED Sozialistische Einheitspartei SG Soldatengesetz Sozialistische Reichspartei SRP SS Schutzstaffel StÄG Strafrechtsänderungsgesetz sten. Prot. stenographisches Protokoll StGB Strafgesetzbuch VO Verordnung Weimarer Reichsverfassung WRV

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Quellen und Literatur 1. Gerichtsentscheidungen BVerfG, Beschl. v. 23.10.1952, BVerfGE 2, 1 – SRP-Verbot. BVerfG, Beschl. v. 17.8.1956, BVerfGE 5, 85 – KPD-Verbot. BVerfG, Beschl. v. 21.3.1961, BVerfGE 12, 296 – Parteienprivileg. BVerfG, Beschl. v. 7.7.1970, BVerfGE 30, 1 – Abhörurteil. BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, BVerfGE 32, 54 – Betriebsbetretungsrecht. BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973, BVerfGE 34, 269 – Soraya. BVerfG, Beschl. v. 22.5.1975, BVerfGE 39, 334 – Extremistenbeschluß. BVerfG, Beschl. v. 18.2.1979, BVerfGE 28, 36 – Zitiergebot. BVerfG, Beschl. v. 31.10.1990, BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahlrecht II. BVerfG, Beschl. v. 17.1.2017, BVerfGE 144, 20 – NPD-Urteil. BVerwG, Beschl. v. 6.2.1975, Az. BVerwG II C 68.73, BVerwGE 47, 330. BVerwG, Beschl. v. 21.7.2010, Az. BVerwG 6 C 22.09, BVerwGE 137, 275, http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?lang=de&ent=210710U6C22.09.0 (18. Juli 2017) OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 2.6.2018, Az. 5-2 StE 18/17-5a-1/17, ­https:// ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/strafverfahren-gegen-franco-wird-vor-dem-landgericht-darmstadt-er%C3%B6ffnet (20. Juli 2018). Volksgericht München I, Beschl. v. 1.4.1924, Anz. Verz. XIX 421/1923, Proz. Reg. Nr. 20, 68, 97/1927 (Staatsarchiv München, STAANW 3098), www. historisches-lexikon-bayerns.de/images/2/25/Prozessurteil_1924.pdf (13. Juni 2017).

2. Juristische Kommentarliteratur 2.1 Grundgesetz Alternativkommentar Azzola, Axel und Richard Bäumlin, Hrsg. Seit 1984. Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Neuwied: Luchterhand. Verwendete Kommentierungen: Ridder, Helmut. 1984. Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. 1409–1494.

370

JURISTISCHE KOMMENTARLITERATUR

Bonner Kommentar Kahl, Wolfgang, Christian Waldhoff und Christian Walter, Hrsg. Seit 1950. Bonner Kommentar zum Grundgesetz. Heidelberg: C.F. Müller. Verwendete Kommentierungen: Wernicke, Kurt Georg. 1950. Art. 18. Henke, Wilhelm. 1991. Art. 21. Wernicke, Kurt Georg. 1993. Art. 18. Vöneky, Silja. 2016. Art. 18.

Giese Giese, Friedrich und Egon Schunck. 1949–1976. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Staatsrechtlich erläutert. Frankfurt a. M.: Kommentator-Verlag. Verwendete Kommentierungen: Giese, Friedrich. 1949. Art. 18, Art. 21. Giese, Friedrich. 1953. Art. 18, Art. 21. Giese, Friedrich. 1955. Art. 18, Art. 21. Schunck, Egon. 1960. Art. 18, Art. 21. Schunck, Egon. 1962. Art. 18, Art. 21. Schunck, Egon. 1976. Art. 18, Art. 21.

Hamann-Lenz Hamann, Andreas, Andreas Hamann jr. und Helmut Lenz. 1956–1970. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis. Berlin, Neuwied: Luchterhand. Verwendete Kommentierungen: Hamann, Andreas. 1956. Art. 18, Art. 21. Hamann, Andreas. 1960. Art. 18, Art. 21.

Hesselberger Hesselberger, Dieter. 1975–2003. Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung. Berlin, Neuwied: Luchterhand. Verwendete Kommentierungen: Hesselberger, Dieter. 1975. Vorwort. Hesselberger, Dieter. 2003. Art. 18, Art. 21.

Jarass-Pieroth Jarass, Hans D. und Bodo Pieroth. Seit 1989. Grundgesetz. Kommentar. München: C.H. Beck. Verwendete Kommentierungen: Jarass, Hans D. 2014. Art. 18. Pieroth, Bodo. 2014, Art. 21.

371

QUELLEN UND LITERATUR

Leibholz-Rinck Leibholz, Gerhard, Hans-Justus Rinck, Dieter Hesselberger und Axel Burghart, Hrsg. Seit 1966. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar; Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Köln: O. Schmidt. Verwendete Kommentierungen: Hesselberger, Dieter. 1990. Art. 18. Burghardt, Axel. 2012. Art. 21. Bughart, Axel, Dieter Hesselberger, Gerhard Leibholz und Hans-Justus Rinck. 2014. Einführung.

Mangoldt-Klein Mangoldt, Hermann von, Friedrich Klein und Christian Starck, Hrsg. Seit 1953. Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. München: Vahlen. Verwendete Kommentierungen: Mangoldt, Hermann von. 1953. Art. 18, Art. 21, Art. 79. Mangoldt, Hermann von. 1957. Art. 18, Art. 21. Brenner, Michael. 1999. Art. 18. Streinz, Rudolf. 2000. Art. 21. Brenner, Michael. 2010. Art. 18. Streinz, Rudolf. 2010. Art. 21.

Maunz-Dürig Maunz, Theodor, Günter Dürig und Roman Herzog, Hrsg. Seit 1958. Grundgesetz. Kommentar. München: C.H. Beck. Verwendete Kommentierungen: Maunz, Theodor. 1960. Art. 21. Maunz, Theodor und Günter Dürig. 1960. Art. 79 Abs. 3. Dürig, Günter. 1964. Art. 18. Dürig, Günter und Friedrich Klein. 1997. Art. 18. Klein, Friedrich. 2001. Art. 21. Dürig, Günter und Friedrich Klein. 2010. Art. 18. Klein, Friedrich. 2014. Art. 21.

Münch-Kunig Münch, Ingo von und Philip Kunig. Seit 1974. Grundgesetz-Kommentar. München: C.H. Beck. Verwendete Kommentierungen: Krebs, Walter. 2012. Art. 18. Kunig, Philip. 2012. Art. 21.

372

ARCHIVALIEN, PLENARPROTOKOLLE, DRUCKSACHEN

Schmidt-Bleibtreu Schmidt-Bleibtreu, Bruno, Hans Hofmann und Hans-Günter Henneke, Hrsg. Seit 1967. Kommentar zum Grundgesetz,. Köln: Carl Heymanns Verlag. Verwendete Kommentierungen: Sannwald, Rüdiger. 2008. Art. 21. Hofmann, Hans. 2011. Art. 18. Hofmann, Hans. 2014. Art. 18.

2.2 Sonstige Kommentare und Handbücher Beichel-Benedetti, Stephan. 2011. »§ 54«. In: Aufenthaltsgesetz, Hrsg. Bertold Huber. München: C.H. Beck. Bergmann, Jan, Klaus Dienelt und Sybille Röseler. 2011. Ausländerrecht. München: C.H. Beck. Denninger, Erhard. 1983. »Der Schutz der Verfassung«. In: Handbuch des Verfassungsrechts, Hrsg. Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 1293–1330. Droste, Bernadette. 2007. Handbuch des Verfassungsschutzrechts. Stuttgart: Boorberg. Geiger, Willi. 1952. Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951. Berlin, Frankfurt a. M.: Vahlen. Renner, Günter. 1998. Ausländerrecht in Deutschland. Einreise und Aufenthalt. München: C. H. Beck. Rose-Stahl, Monika. 2002. Recht der Nachrichtendienste: Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst. Brühl: Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Schwagerl, Joachim und Rolf Walther. 1968. Der Schutz der Verfassung. Handbuch für Theorie und Praxis. Köln, Berlin, Bonn, München: Carl Heymanns Verlag. Stern, Klaus. 1984. Bd. 1. Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Grundlagen und Grundbegriffe des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung. München: C.H. Beck.

3. Archivalien, Plenarprotokolle, Drucksachen Bundesarchiv, Koblenz Bundesjustizministerium B 141/68-73 B 141/3009-3039 Pers 101/48915, 48920

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. 1. Strafrechtsänderungsgesetz. Eberhard Rotberg.

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QUELLEN UND LITERATUR

Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, Berlin Ausschuss für Rechtswesen, Ständiger Ausschuss (1. Wahlperiode/23. Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht) I 115 Materialen zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht. I 212 Materialien zum 1. Strafrechtsänderungsgesetz.

Verfassungsgebung Parlamentarischer Rat Bundesarchiv und Deutscher Bundestag, Hrsg. 1975–2009. Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle in 14 Bänden. Boppard am Rhein: Boldt; München: Oldenbourg. Bd. 2 bearb. Bucher, Peter. 1981. Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. (zit. HChE). Bd. 5 bearb. Pikert, Eberhard und Wolfram Werner. 1993. Ausschuß für Grundsatzfragen. (zit. GrundA). Bd. 7 bearb. Hollmann, Michael. 1995. Entwürfe zum Grundgesetz. (zit. Entwürfe zum GG). Bd. 9 bearb. Werner, Wolfram. 1996. Das Plenum. (zit. Plenum). Bd. 13 bearb. Büttner, Edgar und Michael Wetterengel. 2002. Ausschuß für Organisation des Bundes/Ausschuß für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege. Teil-Bd. I (zit. OrgA I/KombA I). Teil-Bd. II (zit. OrgA II). Bd. 14 bearb. Feldkamp, Michael F. 2009. Hauptausschuß. Teil-Bd. I (zit. HptA I). Teil-Bd. II (zit. HptA II).

Herrenchiemseer Konvent Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen. 1948. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948. München 2: Richard Pflaum. (zit. Verfassungskonvent).

Hessische Landesverfassung Berding, Helmut, Hrsg. 1996. Die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946. Eine Dokumentation. Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau. (zit. Berding).

Protokolle, Drucksachen, Gesetzblätter dip.bundestag.de dipbt.bundestag.de pdok.bundestag.de protokolle.archive.nrw.de 374

ARCHIVALIEN, PLENARPROTOKOLLE, DRUCKSACHEN

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Karl-Heinz LADEUR · Die Textualität des Rechts. Zur poststrukturalistischen Kritik des Rechts. 320 S., br., ISBN 978-3-95832-080-2, EUR 34,90 Benjamin LAHUSEN · Rechtspositivismus und juristische Methode. Betrachtungen aus dem Alltag einer Vernunftehe. 238 S., geb., ISBN 978-3-942393-20-1, EUR 24,– Christoph MÖLLERS · Die drei Gewalten. Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat u. Europäischer Integration. 240 S., geb., ISBN 978-3-938808-42-9, EUR 29,90 Sabine MÜLLER-MALL · Performative Rechtserzeugung. Eine theoretische Annäherung. 304 S., geb., ISBN 978-3-942393-35-5, EUR 38,– Sven OPITZ · An der Grenze des Rechts. Inklusion/Exklusion im Zeichen der Sicherheit. 448 S., geb., ISBN 978-3-942393-34-8, EUR 45,– Jörn REINHARDT · Der Überschuss der Gerechtigkeit. Perspektiven der Kritik unter Bedingungen modernen Rechts. 272 S., geb., ISBN 978-3-938808-63-4, EUR 29,90 Julika ROSENSTOCK · Vom Anspruch auf Ungleichheit. Über die Kritik am Grundsatz bedingungsloser Menschengleichheit. 364 S., geb., ISBN 978-3-942393-86-7, EUR 39,90 Stephan RÜBBEN · Bedeutungskampf. Zur Kritik der zeitgenössischen Rechtstheorie, 280 S., br., ISBN 978-3-95832-048-2, EUR 29,90 Hans Jörg SANDKÜHLER · Recht und Staat nach menschlichem Maß. Einführung in die Rechts- und Staatstheorie in menschenrechtlicher Perspektive. 688 S., geb., ISBN 978-3-942393-52-2, EUR 49,90 Thomas VESTING · Medien des Rechts – Sprache. 216 S., geb., ISBN 978-3-942393-05-8, EUR 24,95 Medien des Rechts – Schrift. 232 S., geb., ISBN 978-3-942393-06-5, EUR 24,95 Medien des Rechts – Buchdruck. 232 S., geb., ISBN 978-3-942939-53-9, EUR 24,95 Medien des Rechts – Computernetzwerke 240 S., geb., ISBN 978-3-942939-059-8, EUR 24,95; Lars VIELLECHNER · Transnationalisierung des Rechts. 432 S., geb., ISBN 978-3-942393-67-6