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German Pages [321] Year 2020
Studien zu Macht und Herrschaft Schriftenreihe des SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive«
Band 6
Herausgegeben von Matthias Becher, Jan Bemmann und Konrad Vössing
Dominik Büschken / Alheydis Plassmann (Hg.)
Die Figur des Ratgebers in transkultureller Perspektive
Mit 2 Abbildungen
V&R unipress Bonn University Press
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旻天疾威、敷于下土 謀猶回遹、何日斯沮 謀臧不從、不臧覆用 我視謀猶、亦孔之邛 Des milden Himmels grimmer Ernst Hat sich zur Erd’ herab gewendet. Rat und Beschluss sind schief und schlecht; Wann kommt der Tag, der das beendet? Der gute Rat will nie verfangen, Dem schlimmen nur wird nachgegangen. Seh’ ich auf Rat und auf Beschluss, Muss ich im tiefsten Leide bangen. (Aus: ›Shijing‹ 詩經, »Xiao min« 小旻 [›Klassiker der Lieder‹ (Shijing), dat. ca. 10.–7. Jhd. v. Chr. Übersetzung zitiert nach: Schi-King, das kanonische Liederbuch der Chinesen, übers. v. Victor von Strauß. Heidelberg 1880) »consilium nemo clare dat« – »Einen (guten) Rat gibt niemand laut.« (Seneca, Briefe an Lucilius 38,1) Hic ordo, haec ratio, hic modus praevidendus est in viro consilii, ut diligat, ut sapiens sit. In ore istorum duorum, id est dilectionis et sapientiae, stabit omne verbum consilii. Haec duo si in unum conveniant, poterit eructare verbum bonum et dicere opera facienda Regi. So muß es sein: Diese Richtschnur, diese Vernunft (ratio), dieses Maß muß bei einem Ratgeber beachtet werden: daß er in Liebe (diligere) ergeben ist und daß er weise (sapere) ist. Im Mund dieser zwei Tugenden, der Liebe und der Weisheit, wird jedes Wort des Rates Bestand haben. Wenn sich diese zwei in einer Person
vereinen, wird der Ratgeber imstande sein, ein gutes Wort zu sagen und aufzuzeigen, wie der König handeln soll. (Bernhard von Clairvaux, Ep. 342 an Bischof Jocelin, in: Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, ed. und übers. Gerhard B. WINKLER, Band 3, Innsbruck 1992, 595.) »Et el rrey enviso creçe su gran poder en consejandose con sus consejeros, asy commo creçen los rryos con la gran lluvia.« »Und der kluge König vermehrt seine große Macht, indem er sich mit seinen Beratern berät, so wie die Flüsse durch große Regen anschwellen.« (El libro de Calila e Dimna (1251). Nueva edición y estudios de los dos manuscritos castellanos, ed. Hans-Jörg Döhla Zaragoza 2009, 307 [Manuskript B; Übersetzung Ulrike Becker]) krtajñah ksa¯ntima¯n ksma¯bhrt mantrı¯ bhaktah smayojjhitah | ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ abhan˙ghuro ’yam samyogah sukrtair ja¯tu drs´yate || ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ »Der König nachsichtig und das Rechte kennend, der Berater treu und frei von Hochmut – diese Verbindung, die aufgrund der Verdienste [aus früheren Geburten entsteht], erweist sich überhaupt als unvergänglich.« (Kalhanas Ra¯jataran˙gin¯ı 5.4) ˙ ˙ Der râtgebe, daz ist ein man,/ der wol mit saelden râten kan/ und der die rehten wârheit/ dem man mit rehter lêre seit[.] (Rudolf von Ems, ›Barlaam und Josaphat‹, Vv. 5189–5192)
Inhalt
Vorwort zur Schriftenreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alheydis Plassmann Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Felix Bohlen Vom Mauerstampfer zum Minister – Zur Darstellung der Ratgeberfigur Fu Yue im Spiegel antiker chinesischer Texte . . . . . . . . . . . . . . . .
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David Hamacher »Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt« – Seneca als Ratgeber Neros in der römischen Tragödie ›Octavia‹ . . . . . . . . . . . .
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Alheydis Plassmann Wie ermahnt man einen König? Bischöfe als Ratgeber des Königs im 11. und 12. Jahrhundert in England und im römisch-deutschen Reich
. .
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Dominik Büschken Geschichtsschreibung als Ratschlag. Robert von Gloucester als Ratgeber in der ›Historia Novella‹ und die ›Historia Novella‹ als guter Rat im englischen Thronstreit (1135–1153) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ulrike Becker ›Prudentia‹: Kritik, Rat und Tat in Krisenzeiten . . . . . . . . . . . . . . . 123 Theresa Wilke Zum Scheitern beraten. Zwei Ratsszenen im Kontext des Sturzes König Harsas von Kaschmir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 ˙
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Inhalt
Ann-Kathrin Deininger Der Ratgeber, der lachte. Beratung und Kritik am Herrscher im ›Graf Rudolf‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Karina Kellermann Sebastian Brant als Wunderzeichendeuter, Publizist und königlicher Ratgeber. Der Meteoritenfall von Ensisheim (7. 11. 1492) und was der Humanist daraus macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Sophie Quander Guter Rat kommt von außen. Belehrung durch Figur und Text anhand einer politischen Reformschrift des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . 217 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Autorenverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Vorwort zur Schriftenreihe
Im Bonner Sonderforschungsbereich 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« werden die beiden namengebenden Vergesellschaftungsphänomene vergleichend untersucht. Sie prägen das menschliche Zusammenleben in allen Epochen und Räumen und stellen damit einen grundlegenden Forschungsgegenstand der Kulturwissenschaften dar. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des disziplinär breit angelegten Forschungsverbundes, die Kompetenzen der beteiligten Fächer in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zu bündeln und einen transkulturellen Ansatz zum Verständnis von Macht und Herrschaft zu erarbeiten. Hierbei kann der SFB 1167 auf Fallbeispiele aus unterschiedlichsten Regionen zurückgreifen, die es erlauben, den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu schärfen. Die Reihe »Studien zu Macht und Herrschaft« bündelt Ergebnisse aus teilprojektbezogenen Workshops und dient der Publikation von Monographien, die vor allem im Zuge der Projektarbeit entstanden sind. Dies wäre ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und das kontinuierliche Engagement der Universität Bonn zur Bereitstellung der notwendigen Forschungsinfrastruktur nicht möglich, wofür an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Matthias Becher – Jan Bemmann – Konrad Vössing
Vorwort
Ab Frühjahr 2017 trafen sich mehrere Teilprojekte des SFB 1167, die sich mit der Kritik am Herrscher beschäftigten, regelmäßig in interdisziplinären, transkulturellen Werkstatttreffen (ITW), um »Kategorien der Kritik« zu diskutieren. Aus der Diskussion der verschiedenen Kritiksituation wurde ein Raster erarbeitet, um Kritik zu ordnen und zu verstehen, wie, mit welchen Mitteln und unter welchen Umständen der Herrscher kritisiert werden konnte, und dieses Raster wurden in den Studien der Forschungsarbeit der Projekte angewandt. Den TeilnehmerInnen dieser Treffen, namentlich Ulrike Becker, Felix Bohlen, AnnKathrin Deininger, Paul Fahr, David Hamacher, Karina Kellermann, Konrad Klaus, Jasmin Leuchtenberg, Sophie Quander, Florian Saalfeld, Christian Schwermann und Theresa Wilke möchten wir an dieser Stelle für ihre Bereitschaft zur intensiven Diskussion und zur Arbeit über die eigenen Fachgrenzen hinweg danken. Der vorliegende Band stellt das Ergebnis eines Aspektes dieser Diskussionen dar, indem sich die BeiträgerInnen auf die Erzählfigur des Beraters konzentrierten, weil dieser Aspekt nach Meinung der Mitglieder den besten Zugang für eine vergleichende transkulturelle Perspektive bot. Den Reihenherausgebern Matthias Becher, Jan Bemmann und Konrad Vössing danken wir für die Aufnahme in die Reihe Studien zu Macht und Herrschaft und Katharina Gahbler für die aufmerksame Durchsicht des Manuskriptes. Bonn, Juli 2020
Dominik Büschken und Alheydis Plassmann
Alheydis Plassmann
Einleitung
Abstract From spring 2017 onwards, several projects of the SFB 1167 that focussed on criticism on the ruler convened regularly in an interdisciplinary workshop to discuss transcultural ‘categories of criticism’. The discourse on criticism resulted in patterns to subsume and understand how, with what means and in what circumstances the ruler could be criticised, and these patterns were applied to the studies in the research work of the projects. The participants of the workshop decided on publishing the result of a small part of their discussion by focusing on the narrative figure of the counsellor. The focal point of the research is the counsellor-ruler situation and several disciplines – Classical and medieval history, German philology, Hispanic studies, Indian studies and Chinese studies – picked examples to explain the dynamics of counselling the ruler. The following questions have been addressed: method of counselling, what kind of media were used, legitimacy and capability of the counsellor to give counsel and the influence of the distance or familiarity of the counsellor in regard to the ruler. The success of counselling, i. e. the ruler listening to counsel, depends on several factors. Basis for success is the ruler’s willingness to listen to counsel to ask for counsel and to follow counsel. This royal virtue is a consistent background in the examples from different disciplines. On the side of the counsellor the virtue of selflessness that ensures a counsel aimed at the well-being of the realm seems to be an integral part of any successfully counsellor-ruler situation while the methods, media and the conditions vary by a wide degree, as exemplified in the examples. Comparable cross references in collected articles encompass the sources in question (fictional, factual-historiographical, pragmatic), the situation of the counsellor (institutionalised, close, accidental or detached), the method (exemplary, admonishing, subtle, open) and the aim of the counsel (which may pertain to a given situation or methods of ruling in general). Considering the diverse subjects, times and cultures involved the articles show a surprisingly coherent default constellation of the counsellor and the ruler that may curb, weaken or question the ruler in his power.
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Alheydis Plassmann
Dass man gut daran tut, Ratschläge anzuhören und ihnen zu folgen, ist eine Weisheit, die sich in zahlreichen Erzählungen niedergeschlagen hat. Der ›Index of Folk-Tales‹ von Stith-Thompson legt davon beredtes Zeugnis ab.1 Im Märchen findet sich der gute ebenso wie der schlechte Ratschlag, der unerbetene, der unerhörte ebenso wie der ersuchte und befolgte.2 Es findet sich der institutionalisierte, geschulte, möglicherweise gar professionelle Ratgeber ebenso wie derjenige, dem aus Zufall die richtige Formulierung gelingt, der Ratschlag in Todesnot ebenso wie der listige Ratschlag zum eigenen Vorteil. Die Palette ist vielfältig und man kann mit neun Fallstudien kaum erwarten, sie auch nur annäherungsweise wiederzugeben, oder alle Varianten zu erfassen. Ein Ratschlag kann aber natürlich auch das Handeln des Beratenen – im hiesigen Kontext zumeist eines Herrschaftsträgers – prinzipiell in Frage stellen und aus diesem Kontext sind die hier in diesem Sammelband vereinten Beispiele zu verstehen. Im Bonner SFB 1167 ›Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive‹ haben wir in regelmäßigen interdisziplinären Arbeitstreffen zum Thema ›Kategorien der Kritik (am Herrscher)‹ diverse Disziplinen (Alte und Mittelalterliche Geschichte, Germanistik, Romanistik, Indologie, Islamwissenschaft und Sinologie) versammelt, um unsere Überlegungen und Ergebnisse aus den Teilprojekten einzubringen, um unseren Blick auf die Herrscherkritik und die Kategorien, in denen sie stattfindet, auch transkulturell zu schärfen und für den interdisziplinären Dialog fruchtbar zu machen. Aus der fachübergreifenden Vergleichsarbeit ergaben sich Muster und Kategorien der Kritik, die wiederum für die Forschungsarbeit der individuellen Teilprojekte von erheblichem Nutzen waren. Eine Zusammenschau von solchen Kritikmustern ist in ihrer Gänze sicherlich wünschenswert, aber schwierig zu leisten, so dass sich die Teilnehmenden der Werkstätte entschlossen haben, die Kategorisierung von Herrscherkritik an einem kulturübergreifenden Motiv, nämlich dem des Ratgebers bzw. der Ratgeber-Herrscher-Situation, exemplarisch zu erarbeiten und aus unterschiedlichen Disziplinen und aus transkultureller Perspektive heraus ein möglichst weites Feld von Ratgebersituationen zu eröffnen. Folgende Aspekte sollen durch unsere Beispiele thematisiert werden:
1 Vgl. hierzu Stith Thompson, Motif-index of Folk-Literature. A Classification of Narrative Elements in Folktales, Ballads, Myths, Fables, Medieval Romances, Exempla, Fabliaux, Jest Books and Local Legends, Band 1. A–C, 2. Aufl., Kopenhagen 1955, s.v. Advice, Adviser, Advising, S. 12 und s.v. Counsel, Counselor(s), 167. 2 Vgl. hierzu Jean-Pierre Pichette, Ratschläge, Die klugen, und Katalin Horn, Ratgeber, jeweils in Wolf W. Brednich/Heidrun Alzheimer/Hermann Bausinger et al. (edd.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Band 11: Prüfung – Schimärenmärchen, Berlin/New York 2004, Sp. 242–247 und Sp. 259–267.
Einleitung
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Die Methode des Ratgebers: Wählt der Ratgeber einen indirekten oder direkten Zugang? Wird der Ratschlag offen als ein Rat markiert, oder wird er so gerahmt, dass dem Beratenen erst später deutlich wird, dass er beraten wurde? Wird innerhalb des Ratschlages eine offene Aussprache oder eine verbrämte Andeutung gewählt? Wie versucht der Berater dem Herrscher den Rat angenehm zu machen? Durch literarische Ausarbeitung, durch Betonung der eigenen Kompetenz oder durch seine Stellung als ›offizieller‹ Ratgeber? Die Medialität der Beratung: Der gesprochene Rat stellt die größte Anzahl unserer Beispiele, bildet indes selbstverständlich nicht die einzige Möglichkeit. Schriftlich kann Rat ebenfalls erteilt werden, etwa wenn der Herrscher in einer Mahnschrift auf Missstände hingewiesen wird, und schließlich kann der Rat auf einer Metaebene selbst wiederum zur Didaxe des Herrschers dienen, wenn – wie im spanischen Fall – in der dem Herrscher zugedachten Ratgeberliteratur Einzelfälle von gelungenem Rat angeführt werden. Die Berechtigung und Befähigung zum Ratgeben: Methode und Medialität der Beratung hängen ganz entscheidend an der Berechtigung und Befähigung zum Ratschlag. Der institutionalisierte Ratgeber kann die offene Aussprache qua Amtskompetenz wohl wagen, während der nicht-institutionalisierte Ratgeber vorsichtiger sein muss. Der offizielle Ratgeber kann gerade dann, wenn er um Rat gebeten wird, offener sprechen als eine möglicherweise liminale oder marginale Person, die ungefragt Ratschläge erteilt. Indes kann die externe Situation aber auch den Vorteil haben, dass eigentlich Unsagbares dann doch artikuliert werden kann. Die Befähigung des Ratgebers zeigt sich oft allein an der äußeren Zuschreibung und hängt keinesfalls zwingend an einer irgendwie gearteten Bildung oder erworbenen Kompetenz. Der Ratgeber, dem die Schulweisheit fremd ist, zählt nicht notwendigerweise zu den schlechten Ratgebern. Selten schreibt sich der Ratgeber seine Kompetenz selbst zu und wenn dann eher anhand von nachvollziehbaren Kriterien, indem auf erworbenes Wissen oder auf die mit einer Stellung verbundene Befähigung zum Rat verwiesen wird. Die Berechtigung und Befähigung zum Rat hängt mit dem Abstand des Ratgebers zum Herrscher zusammen, der sowohl räumlich als auch persönlich zu verstehen ist, ohne dass immer eine passgenaue Korrelation besteht. Der Abstand kann im Sinne des ›außerhalb der Situation stehen‹ die Befähigung zum Rat erhöhen, gleichzeitig wird die Berechtigung zum Rat mit Abstand zum Herrscher geringer. Wie dann der Abstand überbrückt wird, damit der Rat an den Herrscher gelangt, kann unterschiedlich geschehen. Der Herrscher kann von sich aus den Rat suchen, kann ihn zufällig erhalten oder er kann ihm aufgedrängt werden. Im letzten Fall muss die Befähigung zum Rat natürlich besonders hervorgehoben werden. Der berechtigte Ratgeber kann selbstverständlich diese Legitimierung aus einem Amt erhalten, kann aber auch in besonderer personaler Nähe zum Herrscher stehen, etwa Mitglied seiner Familie sein, in welchem Fall der Rat-
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Alheydis Plassmann
schlag nicht beliebig, sondern nur in bestimmten situativen Kontexten erteilt werden kann. Sowohl die Berechtigung als auch die Befähigung zum Rat können durch schlechten Rat untergraben werden und die Person des Ratgebers, aber auch – in Ausweitung – eine Gruppe von Personen als Ratgeber diskreditieren, oder aber auch im Fall des guten Rates unterstützen. Ob der Rat angenommen wird, hängt also von der Seite des Herrschers prinzipiell an der Herrschertugend der Bereitschaft, den Rat anzuhören, die vielleicht einen Teilaspekt von prudentia darstellt. Von den Ratgebern besteht eine Interdependenz zur Figurenkonstellation, die das Vorbringen des Ratschlages unterstützen kann und dann, wenn etwa die Berechtigung fehlt, vom Ratgeber auch entsprechend gelenkt werden sollte. Je weniger selbstverständlich eine Person Rat geben kann, desto mehr Sorgfalt muss sie grundsätzlich in die Beeinflussung der Figurenkonstellation und der Performanz der eigenen Beratung, zu der sicher auch die Medialität zählt, verwenden. Auf der Seite des Herrschers ist die prinzipielle Bereitschaft, Rat anzuhören, guten von schlechtem Ratschlag zu unterscheiden, und die Ratgeber sorgfältig auszuwählen, eine Herrschertugend, der man – auch im Lichte der hier versammelten Studien – transkulturell große Bedeutung, möglicherweise sogar Universalität zuschreiben kann. Auf der Seite des Ratgebers spielt die Intention für die Beurteilung eine entscheidende Rolle. Der gute Rat dient dem Wohl des Reiches, der Ehre des Herrschers, nie dem Eigennutz oder der Intrige. Das Konzept der Verpflichtung zur correctio, zur Besserung des Herrschers oder auch der Beherrschten, hat dabei weit über den europäischen Raum hinaus Geltung, wie die Fallbeispiele aus dem außereuropäischen Raum zeigen. Auch die Praxis des Ratschlags muss sich innerhalb eines gewissen idealtypischen Rahmens abspielen. Grundsätzlich ist dabei auch zwischen den Ratgebersituationen in den Texten und der textexternen Situation zu unterscheiden, denn häufig sind die erzählten Beratungsszenen auf einer Metaebene ja auch selbst wieder Ratschlag, an den Herrscher, der die Geschichte rezipieren und darüber reflektieren soll, an den Ratgeber, der erfolgreiches Ratschlagen an Beispielen erlernen kann. Sie alle spielen vor der Hintergrundfolie einer gedachten idealen Ratgeber–Herrschersituation, deren spezifische Ausprägung in den unterschiedlichen vormodernen Kulturen anhand der Beispiele deutlich wird, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede offenbar werden und wiederum Rückschlüsse auf das Bild des Herrschers zulassen. Dessen Zugänglichkeit für Ratschläge ist ein Grundmotiv, das wiederum Ergebnisse zu allgemeinen Methoden und Diskursobjekten der Herrscherkritik erwarten lässt. In den einzelnen Beiträgen kamen neben den eingangs skizzierten Grundkategorien die folgenden Aspekte für die Analyse einer Ratgebersituation zum Tragen: Wie ist der Ratgeber zu verorten? Welche soziale Stellung ist ihm zu
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eigen, welche Nähe zum Herrscher, was sind seine Qualitäten und seine Befähigung? Weiterhin ist die Frage nach den Intentionen zu stellen. Geht es ihm um Partizipation an der Macht, um die Einhegung herrscherlicher Inkompetenz, um das Erreichen von selbstsüchtigen Zielen oder um das Wohl des ›Reiches‹? In welche Blickrichtung wird der Rat gegeben: Ist es der Herrscher, der proaktiv Rat sucht, oder erfolgt der Rat ungebeten? Geht es im Ratschlag um das öffentliche oder private Gebaren des Herrschers? Erfolgt der Ratschlag spontan oder inszeniert, geschieht er in einem regelhaften Rahmen und wird er explizit als Ratschlag gekennzeichnet oder erfolgt er mittelbar? Mit Hilfe welchen Mediums wird beraten? Ist der Ratschlag durch eine Entscheidungssituation bedingt und somit reaktiv, oder enthält er eine auf die Zukunft gerichtete Handlungsaufforderung? Wie sehr wird die Berechtigung des Ratgebers thematisiert? Und wann stößt ein Ratgeber an seine Grenzen? In den hier versammelten Beiträgen fallen die Antworten auf diese Fragen sehr unterschiedlich aus und doch finden sich zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten, die deutlich werden lassen, dass die Ratgebersituation in der Tat Potential für transkulturelle Vergleiche bietet, die ins Herz des Herrschaftsverständnisses und der Machtvorstellungen zielen. Die in den Beiträgen untersuchten Herrscher-Ratgeber-Situationen sind durch die verschiedensten Verbindungslinien verknüpft, die im Folgenden kurz skizziert werden, damit die Vergleichspunkte für die Leserinnen und Leser des Bandes deutlicher zu Tage treten. Die untersuchten Ratgebersituationen bilden eine Ellipse, deren zwei Zentren im Ratgeber und Herrscher bestehen. Dabei liegt der Schwerpunkt mal mehr auf dem Ratgeber, mal mehr auf dem Herrscher, ohne dass der nachgeordnete Bezugspunkt jemals völlig aus dem Blick geriete. Ratgeberzentrierte Situationen in diesem Sinne sind in den Beiträgen von Bohlen, Büschken, Deininger und Plassmann Thema, während bei Becker, Hamacher, Kellermann, Quander und Wilke eher der Herrscher im Fokus steht. Die Art und Weise der untersuchten Quellen lässt sich unterscheiden in fiktional-erzählende Quellen (Deininger, Hamacher), faktual-erzählende Quellen (Büschken, Plassmann, Wilke) und pragmatische Quellen, die explizit den Ratschlag und den Ratgeber zum Inhalt haben (Bohlen, Becker, Kellermann, Quander). Die Frage nach der Institutionalität von Ratgebern ist, wie wir bei der Diskussion festgestellt haben, kaum befriedigend zu beantworten. Sicher sind die in der ›Ra¯jataran˙gin¯ı‹ des Kalhana ˙ ˙ explizit so benannten Ratgeber (Wilke) Inhaber eines Hofamtes, aber selten ist die Situation so eindeutig. Die Bischöfe Englands und des römisch-deutschen Reiches im Mittelalter (Plassmann) haben als geistliche Fürsten im Grunde immer die Berechtigung zum Rat, die sich aber streng genommen nur auf den Herrscher als Christ und nicht notwendigerweise als König bezieht. Die Mutter des Herrschers hat zwar kein Amt inne, die spezielle Figurenkonstellation erlaubt ihr aber uneingeschränkt den Ratschlag im Privaten (Becker). Der zum Ratgeber
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Alheydis Plassmann
berufene Mauerstampfer bewegt sich auf einer Achse, die von einer marginalisierten Position zur Institutionalisierung reicht, die späteren Generationen als Beispiel vorgehalten wird (Bohlen). Seneca, dessen Berechtigung zum Rat seiner personalen Nähe zum Herrscher als Erzieher entspringt, wird als Ratgeber nachgerade deinstitutionalisiert, indem er in den Tod getrieben wird (Hamacher). Sebastian Brant hingegen beschreitet den umgekehrten Weg; sein im Frühhumanismus erworbener Wissensschatz befähigt ihn zu öffentlich formulierten Ratschlägen an den Herrscher, die ihm schließlich das Amt und die Würde eines bezahlten Rats einbringen (Kellermann). Der Autor der ›Reformatio Sigismundi‹ agiert in einer Situation, in der die Reform des Reiches den Ratschlag erzwingt, legitimiert sich allerdings allein aus der einleuchtenden Rationalität seiner Ratschläge heraus (Quander). Fürsten, die keinen offiziellen Ratgebertitel tragen, können dennoch als Ratgebende gefragt sein, weil die Verbesserung der Königsherrschaft an ihrem Rat hängt (Büschken, Deininger). Im Beitrag von Felix Bohlen steht die gegenseitige Bedingtheit von gutem Herrscher und gutem Ratgeber im Mittelpunkt (vgl. auch Wilke), eine Konstellation, die sowohl das explizite Erfragen von Rat, die Rekrutierung von geeigneten Ratgebern unter Einschluss des Numinosen (wie auch bei Kellermann und Quander) und die Annahme von Ratgeberaufgaben zum Thema hat (vgl. Büschken), die sich indes nur in der Rezeption der Erzählung in späterer Überlieferung spiegelt. David Hamacher untersucht die literarische Bearbeitung der bekannten Ratgeber-Herrscher-Konstellation von Seneca und Nero, die vom strikten Ablehnen des eindeutig guten Ratschlages geprägt ist – das einzige Beispiel im Band. Dabei steht eine Figurenkonstellation im Vordergrund, die durch die personale Nähe des Ratgebers bestimmt wird (vgl. Becker), und in der historische Figuren fiktionalisiert und als Exempla herangezogen werden (vgl. Bohlen, Quander), der Ratschlag also literarisch gestaltet wird (vgl. Deininger). Alheydis Plassmann untersucht ein spezifisches Genre, nämlich das der bischofszentrierten Quellen zu Bischöfen in England und im römisch-deutschen Reich im 11. und 12. Jahrhundert. Mit den Ratschlägen der Bischöfe selbst, die aufgrund ihrer religiös bedingten Autorität oftmals die Hierarchie insgesamt in Frage stellen, wird auch das Verhältnis zwischen König und Ratgeber thematisiert (vgl. auch Bohlen, Büschken, Wilke). Obwohl Bischöfe eine an sich zum Rat berechtigte Gruppe darstellen, sind die Ratschläge selbst unerbeten (vgl. auch Deininger, Quander, Wilke). Anhand eines einzelnen englischen Großen, Graf Robert von Gloucester, untersucht Dominik Büschken die Beglaubigung einer einzelnen Person, die als Ratgeber forciert werden soll. Der gute Ratgeber wird im Verhältnis zwischen König und Ratgeber (vgl. Bohlen, Plassmann, Wilke) hier nachgerade zum Kriterium guter Herrschaft, während gleichzeitig die schlechten Ratgeber als Kol-
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lektivum die Negativfolie abgeben (vgl. Quander). Die Konzentration auf das Idealbild des uneigennützigen Ratgebers wird hier offensichtlich (vgl. Deininger). Im Beitrag von Ulrike Becker ist der Ratgeber-Herrscher-Situation ein Gender-Aspekt zu eigen. Die Mutter des Herrschers agiert aus einer personalen Situation der Nähe heraus (vgl. Hamacher), die in Teilen tatsächlich eine spezifisch weibliche Perspektive bietet, die außerhalb der Institution anzusiedeln ist. Gleichzeitig verläuft der Ratschlag durchaus regelhaft, sogar im öffentlichen Bereich und wird ähnlich wie im antiken China (vgl. Bohlen) nicht nur von der Situation selbst, sondern auf einer Metaebene auch in Bezug auf das Ratschlagen an sich beurteilt. Das Genre der Ratgeberliteratur bedeutet noch einmal eine Überhöhung des Ratschlagens als moralische Verpflichtung (vgl. Kellermann, Quander). Theresa Wilke hat mit der Situation eines Königs, der kurz vor der Absetzung steht, eine Konstellation ausgewählt, in der die Selbstlosigkeit des Ratgebers (vgl. Büschken, Quander) besonders gefragt ist, ohne dass es den im Kollektiv handelnden Ratgebern gelingen würde, dies Ideal zu verwirklichen. Der König kann die unerwünschten Ratschläge (vgl. Deininger), die ihm weder einen ehrenvollen Tod noch das Überleben ermöglichen, nicht annehmen, weil in der verfahrenen Situation kein eigennütziger Rat mehr helfen kann. Das Ratgeber-HerrscherVerhältnis (vgl. Bohlen, Büschken, Plassmann) wird also grundsätzlich in Frage gestellt, weil die Ratgeber an der unglücklichen Situation nicht unschuldig sind. Ann-Kathrin Deininger nimmt mit dem ›Grafen Rudolf‹ einen Ratgeber in den Blick, der seinem König eindeutig überlegen ist (vgl. Büschken) und der zum Rat zwar berechtigt ist, nicht aber immer gerne gehört wird (vgl. Plassmann). Die literarische Gestalt agiert deutlich vor dem Hintergrund eines christlichen Tugendkataloges und der König gerät durch die glaubhafte Ratgeberfigur ernsthaft in die Kritik (vgl. Hamacher). Karina Kellermann wählt mit Sebastian Brant einen Ratgeber, der sich selbst die Befähigung aufgrund seiner humanistischen Bildung zuschreibt (vgl. Quander). Sein Rat basiert auf einem deutungswürdigen Ereignis und mit dem neuen Medium des lateinisch-deutschen Flugblatts wird die größtmögliche Öffentlichkeit gesucht, das dann dem König den Rat schon fast nicht mehr anbietet, sondern eher aufdrängt. Hier wird wie in anderen Fällen auch (vgl. Bohlen, Büschken, Plassmann, Wilke) das Verhältnis Ratgeber – Herrscher prinzipiell thematisiert. Sophie Quanders Beispiele aus der ›Reformatio Sigismundi‹ zeigen ebenfalls einen öffentlichen, geradezu zu verkündenden Rat, dessen Notwendigkeit sich aufgrund eines Ereignisses ergibt. Der Ratgeber ist keine für diese Rolle vorgesehene Person und muss sich daher, da er anonym bleibt, mit historischen Exempla, deren Dialogform besondere Parteilichkeiten zeigt (vgl. Bohlen, Hama-
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cher) beglaubigen, was er zum einen mit der Negativfolie des Kollektivs der schlechten Ratgeber (vgl. Wilke) macht, zum anderen mit dem Wissen, das ihn von der Beglaubigung und Befähigung aufgrund des Amtes oder der sozialen Stellung unterscheidet (vgl. Büschken, Plassmann). Um dem Ansatz des transkulturellen Vergleichs in diesem Band eine noch prägnantere Sichtbarkeit zu geben, hat sich das AutorInnenkollektiv dazu entschlossen, dem Band einen Quellenanhang beizugeben, der die in den jeweiligen Beiträgen analysierten Quellenstellen in ihren Kontext setzt und so einen Quellenapparat bereitstellt, der im Umfang eines Beitrages zu viel Raum einnehmen würde. Im Kontext des Bandes wiederum erlaubt diese Beigabe einen unverstellten Blick auf die diversen Textgattungen und einen Zugriff auf die Einbettung der zentralen Passagen in ihren literarischen und kulturellen Gesamtkontext. Aus der vergleichenden und transkulturellen Perspektive unterschiedlicher Disziplinen ergibt die Summe der hier versammelten Beiträge trotz differenter historischer Situationen und Traditionen ein erstaunlich kohärentes Bild von einer Herrscher-Ratgeber-Konstellation, die den Herrscher in der Ausübung seiner Macht eingeschränkt oder geschwächt oder sogar prinzipiell in Frage gestellt zeigt.
Literatur: Katalin Horn, Ratgeber, in: Wolf W. Brednich/Heidrun Alzheimer/Hermann Bausinger et al. (edd.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Band 11: Prüfung – Schimärenmärchen, Berlin/ New York 2004, Sp. 242–247. Jean-Pierre Pichette, Ratschläge, Die klugen, in: Wolf W. Brednich/Heidrun Alzheimer/Hermann Bausinger et al. (edd.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Band 11: Prüfung – Schimärenmärchen, Berlin/New York 2004, Sp. 259–267. Stith Thompson, Motif-index of Folk-Literature. A Classification of Narrative Elements in Folktales, Ballads, Myths, Fables, Medieval Romances, Exempla, Fabliaux, Jest Books and Local Legends, Band 1: A–C, 2. Aufl., Kopenhagen 1955.
Felix Bohlen
Vom Mauerstampfer zum Minister – Zur Darstellung der Ratgeberfigur Fu Yue im Spiegel antiker chinesischer Texte 說操築於傳巖兮,武丁用而不疑 »Ach, an den Klippen von Fu hantierte Yue mit Stampfern Wu Ding setzte ihn ein, ohne an ihm zu zweifeln« (Aus: ›Chu ci‹ 楚辭, ›Li sao‹ 離騷)1
Abstract This article analyses various narratives concerning Wu Ding (r. ca. 1200 B.C.E.), king of the Shang-dynasty (ca. 1600–1045 B.C.E.), and his advisor Fu Yue. The textual tradition and historiography of early China portrays Wu Ding as a virtuous ruler who had a particular talent for selecting wise and competent counselors. One prominent anecdote concerns Fu Yue and his promotion to be a high minister at the court of king Wu Ding. It tells that Wu Ding has been desperate because his rule lacked competent officials. In a dream vision, the ordinary wall rammer Fu Yue is recommended to the king as an outstanding advisor. Wu Ding summons him to the court and appoints him as his close servant. However, even though king Wu Ding is a historical personage, the historicity of the various accounts concerning him and Fu Yue is highly questionable, but are more likely to originate from Eastern ZhouPeriod (771–221 B.C.E.). By analyzing different variations of the story in received texts and excavated manuscripts, the paper shows that the plot rather functioned as an illustrative example. The ruler-advisor motive in general and various narratives of Wu Ding and Fu Yue in particular are thus a literary product from an age of great socio-political transitions and reflect the undergoing discourse on concepts of power and rule.
Die Begegnung von König Wu Ding 武丁 und Fu Yue 傅說 war für beide Seiten äußerst günstig. Dem Dichter dieses Verses aus dem Klagelied ›Im Ungemach‹ (›Li sao‹ 離騷) wurde eine solch glückliche Fügung indes nicht zuteil – denn Qu Yuan 屈原 (ca. 340–278 v. Chr.) fiel tief, reiste fort und suchte schließlich den Freitod, nachdem sein früherer Fürst ihn seiner Ämter und Pflichten entbunden und vom Hof gejagt hatte. Wu Ding und Fu Yue – für Qu Yuan ein Herrscher und sein Ratgeber in ferner Vergangenheit – stehen hier symbolisch für das, was dem
1 Zitiert nach: Chu ci deng 楚辭燈, ed. Lin Yunming 林雲銘, Shanghai 2012, 14.
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einst angesehenen Würdenträger selbst versagt blieb: ein weiser Monarch, der sich auf seine Helfer stützt, statt sie zu verstoßen.2 König Wu Ding (reg. ca. 1200 v. Chr.) der Shang-Dynastie 商 (ca. 1600–1045 v. Chr.) wird in der Texttradition des antiken Chinas einhellig als mächtiger, weiser und tugendhafter Herrscher dargestellt, dem es dank seiner Fähigkeiten gelang, seinem Haus und seiner Dynastie wieder zu alter Blüte zu verhelfen.3 Wu Ding soll insbesondere ein Talent dafür gehabt haben, tüchtige und taugliche Helfer um sich zu versammeln, die sodann mit Rat und Tat dabei helfen konnten, des Königs Herrschaft vollends erstrahlen zu lassen. Wu Ding war eine historische Herrscherperson, was authentische Quellen der späten Shang-Zeit (ca. 1200–1045 v. Chr.) unzweifelhaft belegen.4 Für seine in der Geschichtsschreibung prominenten Ratgeber Zu Ji 祖己5 und den für uns interessanten Fu
2 Zur Gedichtanthologie ›Chu ci‹ (›Elegien aus Chu‹) und dem Entstehungshintergrund, siehe Ulrich Unger, Abriß der Literatur des chinesischen Altertums, Gossenberg 2008, 168–180; zum Klagelied ›Li Sao‹ bes. 171, 176f.; vgl. auch Martin Kern, Die Anfänge der Chinesischen Literatur, in: Reinhard Emmerich (ed.), Chinesische Literaturgeschichte, Stuttgart/Weimar 2004, 1–87, hier 51–61. 3 In der ersten Universalgeschichte ›Shiji‹ 史記 wird die gesamte Regierungszeit des Wu Ding mit zwei Ratgeber-Narrativen abgedeckt (zum ›Shiji‹ gleich mehr im Haupttext). Die unmittelbare Zeit nach seiner Thronbesteigung wird mit den in dieser Arbeit vorgestellten Ereignissen rund um Fu Yue in Verbindung gebracht (vgl. ›Shiji‹, 3.102 sowie den »Prolog« in diesem Beitrag); hieran knüpft eine Erzählung von einer erfolgreichen Konsultation mit dem anderen Ratgeber Zu Ji 祖己 an, die mit den Worten der Erzählinstanz schließt: »Wu Ding reformierte [nach der Beratung mit Zu Ji] den Regierungsapparat und praktizierte einen rechten Lebenswandel. Alle unter dem Himmel (die Welt / das Reich) waren glücklich und der rechte Herrschaftsweg der Yin (i. e. Shang-Dynastie) wurde wieder zur Blüte gebracht.« 武丁修 政行德,天下咸驩,殷道復興 (ebd., 3.103). Laut ›Shiji‹ soll denn auch nach Ableben des Wu Ding sich die Herrschaft der Shang unter seinen Nachfolgern wieder im Niedergang befunden haben (vgl. ebd., 3.104). 4 Wu Ding war der 21. König der Dynastie (insg. 29), vgl. David N. Keightley, The Ancestral Landscape. Time, Space, and Community in Late Shang China (ca. 1200–1045 B.C.) (China Research Monograph 53), Berkeley 2000, 132f. Zum Herrscherhaus im Spiegel der Orakelknochen, vgl. ebd., 97–103. Grundlegendes auch in Ders., The Shang. China’s First Historical Dynasty, in: Michael Loewe/Edward L. Shaughnessy (edd.), The Cambridge History of Ancient China. From the Origins of Civilization to 221 B.C., Cambridge/New York/Melbourne 1999, 232–291; vgl. auch Li Feng, Early China. A Social and Culture History, New York 2013, 66–111. König Wu Ding ist in den Orakelknochen belegt, sowohl als Initiator für eigene Anfragen, als auch als Objekt des Ahnenkults für seine Nachfahren, vgl. dazu entsprechende Beispiele in Keightley 2000, 97–103. Zu den Königsgräbern und den archäologischen Funden vgl. Li Feng 2013, 68–75, für das Königsgrab von Wu Ding bes. 73; für das Grab seiner Gemahlin Hao 婦好 (Fu Hao), vgl. ebd., 75–78. 5 Konsultationen, die mit Zu Ji anlässlich eines unglückverheißenden Omens stattgefunden haben sollen, sind auch im ›Shangshu‹ 尚書, Kapitel ›Gao Zong rong ri‹ 高宗肜日 (›Der Tag des Rong-Opfers von Gao Zong‹), überliefert (und darauf basierend in ›Shiji‹, 3.103). Derselbe Stoff ist als Binnenerzählung im Shanghai-Manuskript ›Die Remonstration von Bao Shuya und Xi Peng‹ (›Bao Shuya yu Xi Peng zhi jian‹ 鮑叔牙與隰朋之諫, dat. ca. 4. Jh. v. Chr.) eingelagert,
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Yue scheint dies nicht in dem Maße zu gelten. Bei den uns überlieferten Geschichten rund um die beiden Ratgeber und ihren Herrn muss wohl von literarischen, fiktionalen Produkten der ausgehenden Vorkaiserzeit ausgegangen werden (5.–3. Jahrhundert v. Chr.).6 Doch bemüht sich der Beitrag nicht, eine historische Spurensuche anzugehen, sondern nimmt die narrativen Aspekte in den Blick: Wir widmen uns nicht den historischen Personen, sondern den literarischen ›Figuren‹7 Wu Ding und Fu Yue im Spiegel antiker Texte.8 Eben solche Geschichten,9 die eine jeweils spezifische Verarbeitung des Stoffes von Wu Ding und Fu Yue darstellen,10 werden im Fokus des Beitrages stehen. In
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vgl. Yu Shaohong 俞紹宏, Shanghai bowuguan cang Chu jian jiaozhu 上海博物館藏楚簡校 注, Beijing 2016, 351–355. ›Ausgehende Vorkaiserzeit‹ meint hier die sog. Zeit der Streitenden Reiche (Zhanguo 戰國), ca. 5. Jh.–221 v. Chr. Die Historizität der Personen Zu Ji und Fu Yue sei indes nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Die Quellenlage lässt keine endgültigen Aussagen diesbezüglich zu. Ein Ahnengeist namens ›Zu Ji‹ (wörtl. Ahn/Großvater Ji) findet sich durchaus in den Orakelknochenaufzeichnungen. Aber ob damit unser Ratgeber gemeint ist, kann letztendlich kaum beantwortet werden. Die Orakelknochen sind Texte, die vornehmlich im Kontext von Divination und Ahnenkult durch die Herrscherelite produziert wurden. Etwaige weltliche Beratungsvorgänge wurden hier nicht aufgezeichnet. Einen Fu Yue in den Divinationstexten zu identifizieren, gestaltet sich ebenfalls schwierig und ist m. E. zu spekulativ. Einen kurzen Überblick zu solchen Forschungsansätzen findet sich in Chiu Jen-ju 邱彥儒, Xian Qin ›Fu Yue‹ jishu yanjiu 先秦「傅說」記述研究 (M.A.-Thesis), Guoli Jinan guoji daxue 國立暨南 國際大學, Puli 2015, 4. Möglich, dass Fu Yue aber auch kein Objekt der Ahnenkultverehrung war und deshalb in den uns vorliegenden zeitgenössischen Shang-Quellen nicht aufspürbar ist. Für die hier getroffene terminologische Unterscheidung zw. ›Person‹ (außertextlich-historisch) und ›Figur‹ (textimmanent-artifiziell), vgl. Manfred Pfister, Das Drama. Theorie und Analyse, München 2001, 221f. An dieser Stelle sei auch auf den Beitrag von Dominik Büschken im vorliegenden Band aufmerksam gemacht, der veranschaulicht, wie dieselben Ratgeber- und Herrscherfiguren in historiographischen Quellen Englands des 12. Jh. unterschiedlich dargestellt werden konnten und welche Faktoren hierbei eine Rolle gespielt haben mögen (s. u. 99–121). ›Geschichte‹ soll hier ein neutraler Begriff sein, der eine ausgeformte literarische Verarbeitung des Stoffes meint. Es meint das, was Elisabeth Frenzel mit ›Kunstwerk‹ bezeichnet, vgl. Dies., Stoff- und Motivgeschichte, 2. verbesserte Aufl., Berlin 1974, 25. ›Stoff‹ sei hier im Sinne von Elisabeth Frenzel verstanden: »[Der] Stoff als ein Verbund von Motiven, Handlungseinheiten, Figuren, Zügen stellt sich mit seinem zwar nicht starren und invariablen aber doch im Umriss festen Handlungszusammenhang […] dar, die eine Umstellung, Variierung, Verstärkung, sogar Eliminierung von Bestandteilen zulässt, aber eine totale Veränderung nicht erlaubt […].« (Dies., Vom Inhalt der Literatur. Stoff, Motiv, Thema, Freiburg/Basel/Wien 1980, 71) Vgl. außerdem: Dies. 1974, 24–27. ›Stoff‹ bezeichnet demnach eine Verflechtung spezifischer Handlungselemente (s. u.). Der Stoff wird dann zu einer ausgeformten ›Geschichte‹ (im Sinne von histoire) verarbeitet. Die Form ist abhängig von den Gestaltungskonventionen des jeweiligen Textgenres. Derselbe Stoff kann folglich unzählige Realisierungen annehmen. Indes ist der Stoff als solcher nicht für uns sichtbar, sondern immer nur aus den bekannten Realisierungsformen ableitbar (vgl. Dies. 1974, 25). Vgl. dazu auch Armin Schulz, Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, Berlin/München/Boston 2015, 122f.
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einem Prolog soll die verbreitetste Fassung des Stoffes aus einer frühen Universalgeschichte präsentiert werden, um sich mit den Handlungselementen11 vertraut zu machen. Im Hauptteil soll anhand eines rezenten Manuskriptfundes eine der frühesten uns bekannten Versionen der Stoffverarbeitung eingehender diskutiert werden. Hieran anknüpfend wird die Untersuchung noch um weitere Formen der Realisierung aus den Traditionsquellen12 der Vorkaiserzeit ergänzt und diese einander gegenübergestellt, um ein aussagekräftiges Gesamtbild der verschiedenen Konfigurationen zeichnen zu können.13 Am Ende soll eine kleine Stoffgeschichte stehen. Ferner soll die ausgearbeitete Stoffgeschichte im Speziellen und das Herrscher-Ratgeber-Motiv14 im Allgemeinen im Epochenkontext situiert werden.15 Denn, so die These: Die Geschichten sind eine literarische Ausdrucksform und Manifestation im Rahmen außertextlicher Elitendiskurse in einer Zeit einschneidender sozio-politischer Umbrüche. In den Geschichten spiegelt sich die konfliktgeladene Verhandlung des Herrscher-Ratgeber-Verhältnisses in der ausgehenden Vorkaiserzeit per se.
Prolog: Handlungselemente des Stoffes von Wu Ding und Fu Yue, ausgehend von der Verarbeitung im ›Shiji‹ In den ›Aufzeichnungen der Hofschreiber‹ (›Shiji‹ 史記, dat. 109–91 v. Chr.), der ersten Universalgeschichte aus dem frühen chinesischen Kaiserreich, ist eine Adaption des Stoffes von den verantwortlichen Schreibern Sima Tan 司馬談 (gest. 110 v. Chr.) und Sima Qian 司馬遷 (145?–86? v. Chr.) inkorporiert worden. In dieser Fassung finden sich die Handlungselemente wieder, die auch für die weiterführenden Betrachtungen von Relevanz sein werden. So heißt es dort: 11 Mit ›Handlungselement ‹ bezeichne ich hier die einzelnen Bausteine, die zum jeweiligen Stoff verbunden werden, vgl. auch die vorangehenden Anmerkungen zu ›Stoff‹. 12 Zur Erklärung der Begriffe ›Traditionsquelle‹ und ›Manuskript‹ im Forschungsdiskurs zum alten China: Ersteres bezeichnet Texte, die mit ihrer Entstehung und späteren Kompilierung in der Han-Dynastie (ca. 1 Jh. v. Chr.) über Epochen hinweg per Abschrift und später qua Druck o. ä. an uns überliefert wurden – vereinfacht gesagt, eine ›oberirdische‹ Traditionslinie. ›Manuskripte‹ meint hier altchinesische Handschriften auf Bambus, Seide oder Holz, die archäologisch gewonnen wurden und so zurück an die Erdoberfläche kamen – in Abgrenzung zur ›oberirdischen‹ Tradition gewissermaßen eine ›unterirdische‹ Überlieferung. 13 Ein Musterbeispiel für diesen Ansatz ist der Aufsatz von Dim C. Lau, der die Erzählstoffvariationen des Motives vom ›Neigungsgefäß‹ beschreibt, vgl. Ders., On the Term ch’i ying 持 盈 and the Story Concerning the So-called ›Tilting Vessel (ch’i ch’i 欹器)‹, in: [Department of Chinese, University of Hong Kong (ed.)], Symposium on Chinese Studies. Commemorating the Golden Jubilee of the University of Hong Kong, 1911–1961, Bd. 3, Hong Kong 1968, 18–33. 14 Zum ›Motiv‹ als abstrakte Grundeinheit unterhalb der Stoff-Ebene, vgl. Frenzel 1974, 11–16, bes. 11. 15 Zu diesem Ansatz, vgl. Frenzel 1974, 44–52.
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帝武丁即位,思復興殷,而未得其佐。三年不言,政事決定於冢宰[…]。武丁夜 夢得聖人,名曰說。以夢所見視羣臣百吏,皆非也。於是迺使百工營求之野,得 說於傅險中。是時說為胥靡,築於傅險。見於武丁,武丁曰是也。得而與之語, 果聖人,舉以為相,殷國大治。故遂以傅險姓之,號曰傅說。 »Als Kaiser Wu Ding (i. e. König Wu Ding)16 den Thron bestieg, überlegte er, wie er die Herrschaft der Yin (i. e. Shang) wieder zur Blüte bringen könnte, doch hatte er noch nicht seinen [geeigneten] Helfer gefunden. Drei Jahre lang hüllte er sich in Schweigen und die Regierungsangelegenheiten wurden vom Regierungsminister bewältigt […]. Wu Ding träumte eines Nachts, dass er in den Besitz eines Weisen kommen würde, der auf den Namen Yue hörte. Im Hinblick auf das, was er im Traum gesehen hatte, suchte er unter seinen Dienern, doch der Richtige war nicht darunter. Daraufhin hieß er die Kunsthandwerker in der Wildnis nach ihm zu suchen und so wurde Yue zwischen den ›Klippen von Fu‹ (ein Ortsname) gefunden. Yue war zu jener Zeit ein Strafarbeiter, der an den ›Klippen von Fu‹ Mauern stampfte. Er wurde von Wu Ding zur Audienz empfangen und dieser sagte: ›Das ist der Richtige.‹ Er unterhielt sich mit ihm und er war in der Tat ein Weiser. [Wu Ding] erhob ihn in den Rang eines königlichen Assistenten (xiang 相) und im Land Yin herrschte große Ordnung. Deshalb wurde er in der Folge nach den ›Klippen von Fu‹ benannt und Fu Yue (wörtl. Yue von Fu) geheißen.« (Aus: ›Shiji‹, 3.102)17
Dies ist eine Version, in der die zentralen Handlungselemente des Stoffes zu einem kohärenten Narrativ verarbeitet wurden. Hierin finden sich die Bausteine wieder, die uns im Verlauf dieses Beitrags häufiger begegnen werden: Die Herrscherfigur Wu Ding sehnt sich nach einem fähigen Helfer; dieser erscheint ihm in einem Traum;18 Wu Ding lässt mit Hilfe eines Abbildes außerhalb des Hofes unter der einfachen Bevölkerung nach ihm suchen; ein einfacher Mauerstampfer wird als eben jene Traumerscheinung identifiziert, an den Hof geladen und vom König postwendend in Amt und Würden gebracht; mit seiner Berufung einhergehend erblühen Land und Herrschaft wieder. Es ist die Geschichte vom Aufstieg eines Mauerstampfers zum königlichen Minister19. 16 »Kaiser« (di 帝) ist hier ein Anachronismus für den Herrschertitel. Gemeint ist ›König‹ (wang 王) Wu Ding. In der Vorkaiserzeit galt wang als der höchste Herrschertitel; die Shang-Könige bezeichneten sich insb. in den Orakelknochen selbst als ›wang‹. Mit Gründung der QinDynastie 221. v. Chr. wurde der Kaisertitel ›di‹ als höchster Herrscherrang eingeführt. 17 Zitiert nach: Sima Qian 司馬遷, Shiji 史記 (10 Bde.), Beijing 1963. 18 Traumvisionen des Herrschers scheinen ein geläufiges Erzählmotiv zu sein, wie auch eine Binnenerzählung in der Quelle, die Sophie Quander in ihrem Beitrag untersucht, abermals beweist (siehe 217–239 bes. ›Schlussvision‹ 228–232). 19 Die Amtsbezeichnung des Fu Yue variiert je nach Ausgestaltung des Stoffes. Für die vorliegende Untersuchung fällt dies in die Kategorie variabler Elemente des Erzählstoffes – zentral ist der Aspekt der Beförderung und sein Dienst für den König und nicht die konkrete Amtsbezeichnung. Ob die eine Amtsbezeichnung nun historisch ›richtiger‹ ist als die andere, ist ohnehin nicht zu klären. Mit ›Minister‹ sei hier also eine allgemeine Amtskompetenz ausgedrückt, mit der Herrschernähe und Ratgebertätigkeiten einhergehen (dieser Zuständigkeitsbereich wird auch aus den kommenden Textbeispielen erkennbar).
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Das Tsinghua-Manuskript ›Das Mandat an Fu Yue‹ Hält man nach weiteren Fu Yue-Narrativen im Korpus der klassischen Traditionsquellen Ausschau, so stößt man unweigerlich auf den Text ›Das Mandat an Yue‹ (›Yue ming‹ 說命), der im Textkonvolut ›Altehrwürdige Dokumente‹ (›Shangshu‹ 尚書)20 überliefert wurde.21 Im Kern wird hier die bereits vorgestellte Handlung erzählt: Wu Ding stellt den Traumberater Fu Yue ein und erteilt ihm das Mandat, dem Monarchen mit kritischen Ratschlägen zur Seite zu stehen, um seine Herrschaft zu optimieren. Im Gegensatz zur Version aus dem Prolog arbeitet diese Geschichte mit wesentlich mehr Anteilen an zitierter Figurenrede beider Protagonisten. Die Darstellung der Geschichte vermittelt den Eindruck eines ausgesprochen hilfe- und ratsuchenden Herrschers auf der einen Seite22 und eines belehrend-weisen Ratgebers auf der anderen Seite.23 Insbesondere der Inhalt der Figurenrede trägt dazu bei, dass sich ein markanter ratgeber-affiner Grundtenor, der den Berater als primäre Mahn-Instanz profiliert,24 spürbar wird.25 Prima facie mag der Text für ein Musterstück des Herrscher-Ratgeber20 Konsultierte Edition: Shangshu zhengyi 尚書正義 (2 Bde.), ed. Li Xueqin 李學勤 (Shisan jing zhu shu zhengli ben 十三經注疏整理本), Taipei 2001. Für ›Yue ming‹ siehe 292–302. 21 Das ›Shangshu‹ ist eine Textsammlung von sog. ›Schriften / Dokumenten‹ (shu 書), die vorgeben aus der Yu-, Xia-, Shang- und Zhou-Zeit zu stammen (Yu und Xia sind hist. nicht belegt, sondern nach unseren Maßstäben mythologischer Natur). Die ›Schriften‹ aus der Zhou-Periode sind gemeinhin die Zuverlässigeren, andere sind hingegen nachweislich fingiert. Dokumentiert sind Ansprachen, Mandatierungen, Verlautbarungen, Eidschwüre, Beratungen u. a. der Herrschenden an bzw. mit ihren Großen. Für Grundlegendes vgl. Edward L. Shaughnessy, Shang shu 尚書 (Shu ching 書經), in: Michael Loewe (ed.): Early Chinese Texts (Early China Special Monograph Series 2), Berkeley 1993, 376–389; Unger 2008, 28–42. 22 So heißt es: »Hierauf ließ der König ein (schriftliches) Dokument erstellen und ließ verkünden: ›So bin ich es, der über die Vier Regionen (das Herrschaftsgebiet) walten muss. Doch befürchte ich, dass meine Tugendkraft ungenügend ist […].‹« 王庸作書以誥曰:「以台正 于四方,台恐德弗類[…]」(10.293). 23 Die Beamtenschar des Königs reagiert auf das Schweigen des Wu Ding folgendermaßen: »›Oh weh! Wer es (das Schweigen) versteht, den heißen wir intelligent (ming zhe). Und ein Intelligenter dient wahrhaftig als Vorbild [für andere].‹« 嗚呼!知之曰明哲,明哲實作則 (10.293). Fu Yue wird später jener intelligente Ratgeber sein, der seinen Herrn zur Weisheit (sheng 聖, d.i. kluge und besonnene Weitsicht) anleiten wird. Fu Yue gibt seinem Herrn den Sinnspruch mit auf den Weg: »Folgt das Holz der Richtschnur, so ist es gerade; folgt ein Souverän Remonstrationen, so ist er weise (sheng)« 惟木從繩則正,后從諫則聖 (10.295). Wu Ding wird später sagen: »Arme und Beine formen einen Körper; tüchtige Diener formen einen weisen [Herrscher]« 股肱惟人,良臣惟聖 (10.301). 24 Mit ›affin‹ soll keine Wertung der Figuren einhergehen, sondern das Hervorheben einer der beiden Figuren durch die Erzählinstanz als Technik zur Interpretationslenkung bezeichnet werden. 25 Nach den Unterrichtungen des Fu Yue preist der König ihn: »Der König sagte: ›Prächtig! Yue, deinen Worten gilt es sich zu unterwerfen! Würdet Ihr Euch nicht so gut aufs Reden verstehen, so hätte ich nichts über einen rechten Lebenswandel zu hören bekommen.‹« 王曰:「旨哉! 說乃言惟服。 乃不良于言, 予罔聞于行」 (10.299). Woanders heißt es: »Der König
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Motives gehalten werden – doch ist der Text von problematischer Provenienz. Erwiesenermaßen handelt es sich um eine fabrizierte Textcollage, die ein gewisser Herr Mei Ze 梅賾 erst im 4. Jahrhundert n. Chr. präsentiert haben soll,26 um als Supplement27 für einen damals bereits verloren gegangenen Text herzuhalten.28 Die Schrift ›Das Mandat an Yue‹ ist folglich weder ein authentischer Text der Shang-Zeit im Speziellen, noch ein Text der Vorkaiserzeit im Allgemeinen, sondern erweckt mit seinen Archaismen lediglich den Anschein. Dank rezenter Manuskriptfunde sind wir nun in der glücklichen Situation, einen Text zu haben, der die bis dato wohl früheste uns bekannte Version des Erzählstoffes bereithält29 und möglicherweise die Schrift ist, die genannter Mei Ze mit seinem Supplement rekonstruieren wollte. Das zu diskutierende Manuskript trägt den Titel ›Das Mandat an Fu Yue‹ (›Fu Yue zhi ming‹ 傅說之命) und gehört zum Korpus der sogenannten Tsinghua-Manuskripte.30 Es präsentiert eine Ge-
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sprach: ›Herrje! Yue! Dass innerhalb der Vier Meere (der Welt) alle zu meiner Tugendkraft hinaufblicken [ist der Verdienst] deiner Anweisungen […].‹« 王曰:「嗚呼! 說,四海之內,咸仰朕德,時乃風 […]」(10.301). Zur Textgeschichte des ›Yue ming‹ im Kontext der sog. ›unechten Alttextdokumente‹ (wei guwen Shangshu 偽古文尚書), vgl. Einführendes in Shaughnessy 1993, 379–389, bes. 380– 383; und Zhu Tingxian 朱廷獻, Shangshu yanjiu 尚書研究, Taipei 1987, 143–160, zur Rolle des Mei Ze bes. 158–160. Philologische Untersuchungen konnten schon früh nachweisen, dass jener ›unechter / gefälschter‹ ›Yue ming‹-Text eine Collage ist, für deren Erstellung man sich bei Textfragmenten in älteren Traditionsquellen bediente. Hierfür stellvertretend die moderne Untersuchung von Cheng Wei 程薇, Chuanshi guwen Shang shu ›Yue ming‹ pian chongshen – yi Qinghua jian ›Fu Yue zhi ming‹ wei zhongxin 傳世古文尚書《說命》篇重審 ——以清華簡《傅說之命》為中心, in: Zhongyuan wenwu 中原文物 1 (2015), 122–128. Zur Collagetechnik vgl. Christian Schwermann, Collage-Technik als Kompositionsprinzip klassischer Chinesischer Prosa. Der Aufbau des Kapitels »Ta¯ng wèn« (Die Fragen des Ta¯ng) im Liè zı˘, in: Wolfgang Behr/Joachim Gentz (edd.). Komposition und Konnotation – Figuren der Kunstprosa im Alten China (Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung 29), München 2006, 125–157. Für Einführendes zum Supplement siehe Martin Korenjak/Simon Zuenelli, Vorwort, in: Dies. (edd.), Supplemente antiker Literatur (Rombach Wissenschaften Reihe Paradeigmata 29), Freiburg 2016, 7–15, bes. 10–15. Alle relevanten Details in Cheng 2015, 123–125. Ob die Handschrift selbst auf einen noch älteren Text bzw. ältere Version zurückgeht, kann momentan nicht geklärt werden. Abgesehen davon wird im Guodian-Manuskript ›qiong da yi shi‹ 窮達以時, das aus einem gesicherten archäologischen Kontext stammt und in das 4. Jh. v. Chr. datiert werden kann, auf Fu Yue angespielt, dazu im Verlauf mehr; der Erzählstoff muss also spätestens schon im 4. Jh. v. Chr. zirkuliert sein (zur Datierung des Guodian-Grabes M1, Hubei sheng Jingmen shi bowuguan 湖北省荊門市博物館, Jingmen Guodian yi hao Chu mu 荊門郭店一號楚墓, in: Wenwu 文物 7 [1997], 35–48, bes. 47). In der Binnenerzählung des Shanghai-Manuskripts ›Die Remonstration von Bao Shuya und Xi Peng‹ 鮑叔牙 與隰朋之諫 (dat. 4. Jh. v. Chr.) hat Fu Yue einen Kurzauftritt, siehe Yu 2016, 348–365. Zum Kurzauftritt von Fu Yue, siehe Leiste Jing-4, ebd., 354. Aus: Li Xueqin 李學勤 (ed.), Qinghua daxue cang Zhanguo zhujian (san) 清華大學藏戰國竹 簡(叁), Shanghai 2012. Für die Transkription von ›Das Mandat an Fu Yue‹ mitsamt Annotationen der Herausgeber, vgl. ebd., 122–131. Der Handschriftenkorpus ist nicht etwa
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schichte des Stoffes um den König und seinen Ratgeber in drei Teilen31 (siehe Quellenanhang). Der Autor ist unbekannt und über den konkreten Sitz im Leben können nur Mutmaßungen angestellt werden, weshalb wir vornehmlich das Textinterne in den Blick nehmen wollen. Die Handlung wird von einer extradiegetisch-heterodiegetischen Erzählstimme32 wiedergegeben. Im ersten Teil wird die Geschichte von der Suche nach Fu Yue und schließlich seiner Beförderung zum Hohen Hofwürdenträger (gong 公) erzählt (Leisten 01.01–07). Trotz punktueller Variation des Erzählstoffes kommt uns die Geschichte in der Gesamtschau überaus vertraut vor. Einzig die Handlungselemente im Zusammenhang mit der Figur Shizhong 失仲 fallen aus dem uns bekannten Rahmen: Shizhong scheint eine Art regionaler Unterherrscher und Herr über Fu Yue zu sein. Nachdem der König den Mauerstampfer für seine Dienste gewonnen hat, wird alsbald ein Feldzug gegen den Regionalfürsten Shizhong initiiert (01.04). Die Hintergrundereignisse, die den Feldzug motivieren, werden mit Hilfe einer unmarkierten Analepse erklärt:33 Shizhong soll sich einst gegen ein himmlisches Orakel gestellt haben (01.04–05). Wu Ding als Befehlsgeber und Fu Yue als Feldherr dienen als des Himmels irdische Vollstrecker. Der König schenkt seinem neuen Gefährten in der Folge die eroberten Gebiete, durch gesicherte archäologische Grabungen an die Erdoberfläche gelangt, sondern war wohl Opfer von Grabräuberei. Die Bambusmanuskripte wurden von der Tsinghua-Universität in Peking angekauft – daher rührt der Name. (vgl. das Vorwort in Li Xueqin (ed.), Qinghua daxue cang Zhanguo zhujian (yi) 清華大學藏戰國竹簡(壹), Shanghai 2010, 1–4, hier 2). Sie werden vom Großteil der Forschung aber als authentische Texte aus der Zeit der Streitenden Reiche (5.–3. Jh. v. Chr.) eingestuft und nicht als Fälschung, siehe dazu stellvertretend Sarah Allan, Buried Ideas Legends of Abdication and Ideal Government in Early Chinese Bamboo-Slip Manuscripts, Albany 2015, 68–70. Trotzdem gibt es auch Kritiker, die skeptisch bleiben: Zhang Yan 張岩 behauptet beispielsweise, dass es sich angesichts inhaltlicher und gestalterischer Schwächen des hier diskutierten Textes um ein plumpes Falsifikat moderner Fälscher handeln müsse, vgl. Ders., Qinghua jian ›Xian you yi de‹ ›Yue ming‹ zhenwei kaobian 清華簡《咸有一德》《說命》真偽考辨, in: Shandong qingnian zhengzhi xueyuan xuebao 山東青年政治學院學報 1 (2015), 119–137, bes. 135f. Solch subjektive Kriterien scheinen m. E. aber nicht sehr stichhaltig. Objektive philologische Argumente legen nach meinem Dafürhalten die Echtheit nahe, vgl. stellvertretend die Untersuchungen in Hao Sutong 郝蘇彤, Cong Qinghua jian yu chuanshi wenxian duibi tan ›Yue ming‹ zaoqi liuchuan 從清華簡與傳世文獻對比談《說命》早期流傳, in: Jiangnan daxue xuebao 江南大學學報 9 (2007), 38–44. 31 Die Dreiteilung ergibt sich aus der rückseitigen Nummerierung der Bambusleisten. Teil 1 und 2 bestehen aus jeweils sieben Leisten ( jeweils Nr. 1–7); Teil 3 aus insg. 10 Leisten, wobei Leiste 1 fehlt (ergo sind nur die Leisten 2–10 vorhanden). Der Texttitel ›Fu Yue zhi ming‹ findet sich jeweils auf den letzten Leisten eines Abschnittes, also 1.7, 2.7, 3.10 (im Folgenden gilt: Teil/ Abschnitt X. Leiste Y), vgl. auch die Fotoaufnahmen in Li 2012, 2–7. 32 D.i. ein Erzähler der ersten Stufe, der eine Geschichte erzählt, in der er nicht vorkommt, vgl. Matías Martinez/Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, 10., überarbeitete Auflage, München 2016, 86. 33 Eine ausführlichere strukturalistische Darstellung der Chronologie findet sich in Chiu 2015, 126–133.
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Fu Yue wird an den Hof bestellt und dort vom Monarchen zum Hohen Hofwürdenträger befördert (01.05–07). Dieser erste Teil der Geschichte zeichnet sich durch eine gewisse Erzähldynamik aus: Ereignisse werden in geraffter Erzählweise wiedergegeben, mit verhältnismäßig geringem Anteil an Figurenrede. Im Kontrast dazu stehen der zweite und dritte Teil der Geschichte, die hauptsächlich von der zitierten Figurenrede des Königs dominiert werden, wodurch die Erwartungen des Königs an seinen Ratgeber offenbart werden. Die dynamische Erzählweise kommt zum Erliegen;34 die Figur des Königs und seine Mahnungen stehen im Fokus der Erzählung. Die Worte, die der König dem Fu Yue persönlich im Stammahnentempel mit auf den Weg gibt, eröffnet er mit der Aufforderung, seine Worte »anzuhören« (ting 聽) und sie sich »zur Warnung zu nehmen« ( jie 戒): 武丁曰:「來格汝說,聽戒朕言,漸之于乃心。若金,用惟汝作礪 […]。敬之 哉!啟乃心,日沃朕心。若藥,如不瞑眩,越疾罔瘳 […]。若天旱,汝作淫雨。 若津水,汝作舟。汝惟茲說底之于乃心[…]。」 »Wu Ding sagte: ›Komm herbei, du, Yue! Höre meine Worte (ting) und nimm sie dir zu Warnung ( jie) und lasse sie in dein Herz einfließen. Wie beim Eisen, so nehme ich dich zum Schleifstein […]. Gib Acht darauf ( jing zhi zai)! Öffne dein Herz und erfülle das meine, Tag für Tag. Es ist wie bei der Medizin: wenn sie keinen Schwindel und keine Benommenheit hervorruft, wird die Krankheit nicht geheilt.35 […]. Wenn eine Dürre herrscht, sei du ein üppiger Regen. Wenn wir einen Fluss queren wollen, so mögest du ein Boot sein. Du sollst an das Gesagte denken und es tief in deinem Herzen tragen […]!‹« (02.02–05)
Mit Hilfe verschiedener Bilder macht der Herrscher deutlich, was er von Fu Yue einfordert: ihm ein kritischer Ratgeber zu sein, der auch den Finger in Wunden legen darf. Indes darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um regelrechte Appelle des Dienstherrn an seinen Untertanen handelt. Die in anderen 34 Die Erzählstimme wird durch den dominierenden Anteil an zitierter Figurenrede des Königs regelrecht in den Hintergrund gedrängt. Die ausufernde Rede hat den Effekt von Isochronie; das raffende Erzähltempo des ersten Teils wird dadurch erheblich gedrosselt. Im dritten Teil haben wir es ausschließlich mit aneinandergereihten Redesequenzen des Königs zu tun, jeweils eingeleitet mit der Inquit-Formel »Der König sagte/sprach« (wang yue 王曰) (sechs Mal in Teil 3). Zum Verhältnis Erzähler- vs. Figurenrede, vgl. Nine Miedema, Zur historischen Narratologie am Beispiel der Dialoganalyse, in: Harald Haferland/Matthias Meyer (edd.), Historische Narratologie – Mediävistische Perspektiven (Trends in Medieval Philology 19), Berlin 2010, 35–67, hier 34–44. 35 Auch dies ist sprichwörtlich zu verstehen. Nebenwirkungen einer Medizin sind in diesem Sinne ein Zeichen der Wirksamkeit bzw. Heilung. Fu Yue wird damit sprichwörtlich gestattet, den ›Finger in die Wunde zu legen‹ – also unverblümte, ja gar ›schmerzhafte‹ Kritik am König zu üben. Vgl. dazu beispielsweise folgende Textpassage: »Wirksame Medizin hinterlässt zwar einen bitteren Geschmack auf der Zunge (wörtl. »Mund«), hilft aber bei der [Heilung der] Krankheit.« 良藥苦於口利於病 (Aus: ›Shuoyuan‹ 說苑, zitiert nach: Liu Xiang 劉向, Shuoyuan jiaozheng 說苑校證, ed. Xiang Zonglu 向宗魯, Beijing 1987, hier 9.238).
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Teilen der Rede mehrfach belegte Ermahnung »Acht zu geben« ( jing zhi zai 敬之 哉)36 verstärkt den Eindruck einer mit Nachdruck herangetragenen ›Dienstanweisung‹ des Herrn an seinen Untertan.37 Berücksichtigt man ferner den erdrückend großen Anteil der Figurenrede des Königs und die Quasi-Verstummung des Fu Yue und der Erzählstimme,38 so wird dem König und seinen Anweisungen in dieser Stoffversion insgesamt eine deutlich hervorgehobene Position eingeräumt. Ruft man sich die eingangs vorgestellte Traditionsquelle ›Das Mandat an Yue‹ in Erinnerung, die ein tendenziell ratgeber-affines Bild zeichnet, so lassen sich die Eigenheiten der Geschichten noch deutlicher konturieren: Beide Texte haben das Herrscher-Ratgeber-Motiv gemein, beide verarbeiten den selben Stoff, beide bezeugen eine symbiotische Idealkonstellation eines Herrschers und seines Ratgebers – doch die Erzählinstanz der Manuskriptversion rückt die Figur des Königs in den Vordergrund, indem seiner Rede beträchtlich mehr Raum überlassen wird und er damit als primäre Mahn-Instanz inszeniert wird.39
Von der Notwendigkeit der Herrscherkritik: Fu Yue als Remonstrant im ›Guoyu‹ Widmen wir uns nun dem Fu Yue-Stoff, wie er in verschiedenen Traditionsquellen übermittelt wurde. Den Anfang macht ein Erzählstück, das in der Quelle ›Guoyu‹ 國語 (›Gespräche / Reden aus den Ländern‹, dat. ca. 4.–3. Jahrhundert v. Chr.)40 überliefert wurde. Wu Ding wird darin zu einem klarsichtig-weisen und 36 Das adhortative jing zhi zai taucht dreimal auf und beschließt jeweils die mahnenden Aufforderungen des Königs gegenüber Fu Yue (02.03, 06; 03.07). 37 Neben den Aufforderungen erteilt der König seinem Diener im dritten Teil drei mit der Prohibitivpartikel wu 毋 (»nicht dürfen« markierte Verbote (03.04, 07, 10). Im überlieferten ›Yue ming‹ werden indes keine Verbote erteilt. 38 Zu diesem Effekt, vgl. Miedema 2010, 39f. Hier sei auch die Fallstudie von Sophie Quander im vorliegenden Band ans Herz gelegt, in der die Historische Dialogforschung gewinnbringend zur Anwendung gebracht wurde. 39 Dieser Befund fügt sich ins größere Bild, dass in den ›Neutext Dokumenten‹ ( jinwen Shangshu 今文尚書) des tradierten ›Shangshu‹ die Herrschaftsträger vornehmlich als primäre Mahn-Instanz dargestellt werden und dadurch Deutungshoheit gegenüber Untertanen innehaben. Im Kontrast dazu scheint sich in den ›Alttext Dokumenten‹ (guwen Shangshu 古 文尚書) eine gewisse Tendenz gen Ratgeber-Schicht abzuzeichnen. 40 Konsultierte Edition: Guoyu jijie (xiuding ben) 國語集解(修訂本), ed. Xu Yuangao 徐元 誥, Beijing 2002 (Neuauflage 2015). Einführendes zur Quelle: Chang I-jen 張以仁/William Boltz/Michael Loewe, Kuo yü 國語, in: Michael Loewe (ed.), Early Chinese Texts (Early China Special Monograph Series 2), Berkeley 1993, 263–268; Unger 2008, 95–107. Zur Datierung vgl. auch Yuri Pines, Foundations of Confucian Thought. Intellectual Life in the Chunqiu period 722–453 B.C.E., Honolulu 2002, 39–45, bes. 39–41.
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Rat erbittenden König und Fu Yue zum tüchtigen und pflichtbewussten Remonstranten stilisiert. Genannte Quelle ist ein heterogenes Textkonvolut unbekannter Autor- bzw. Kompilatorenschaft,41 in dem zahlreiche Gesprächsszenen, die sich zwischen Herrscherfiguren und ihren subalternen Ratgebern ereignet haben sollen, in anekdotischer Form präsentiert werden. Die Reden sollen in diversen Kontexten stattgefunden haben: Remonstrationen, Konsultationen, Geheimabsprachen, Prophezeiungen u. a. Hinsichtlich ihrer literarischen Formung zeichnen sich diese Erzählstücke durch die formale Eigenheit aus, dass sie von zitierter Figurenrede dominiert werden. Die kompilierten Ratgeberanekdoten muten auf den ersten Blick wie historische Tatsachenberichte an, doch bei genauerer Begutachtung muss konstatiert werden, dass die Quelle wahrscheinlich eine andere Intention verfolgte: die eines didaktisch-mahnenden Fürstenspiegels.42 Die literarische Form und Struktur der versammelten Anekdoten, geprägt durch rekurrente Erzählschemata, und die auffällig ratgeberfreundliche und herrscherkritische Färbung legen nahe, dass die kompilierten Erzählstücke ein Mittel waren, um zu rechtem Herrscherhandeln anzuleiten. Die ratgeberfreundliche Darstellung in den Erzählungen deutet darauf hin, dass die in der Quelle kompilierten ›Präzedenzfälle‹ vornehmlich aus der zeitgenössischen Elitenschicht der Ratgeber entstammte und deren Sichtweise affirmierte und propagierte.43 Diesen Kontext gilt es zu berücksichtigen, wenn wir uns nun mit dem angekündigten Erzählstück auseinandersetzen. Die ausgewählte Anekdote berichtet von einem Gespräch zwischen dem königlichen Würdenträger Zizhang 子張 und dem amtierenden, aber sich tyrannisch gebenden Ling-König des Landes Chu 楚靈王 (reg. 540–529 v. Chr.). In Anbetracht der schlechten Herrschaftsausübung remonstriert sein Würdenträ41 Chang I-jen 張以仁, Cong wenfa, yuhui de chayi zheng Guoyu, Zuo zhuan er shu fei yi ren suo zuo 從文法、 語彙的差異證國語、 左傳二書非一人所作, in: Ders., Guoyu Zuo zhuan lunji 國語左傳論集, Taipei 1980, 109–162. 42 Chang I-jen 張以仁 1980, 38f.; Ausführlicher in Ders., Cong Sima Qian de yijian kan Zuoqiu Ming yu Guoyu de guanxi 從司馬遷的意見看左丘明與國語的關係, in: Ders., Chunqiu shi lunji 春秋史論集 (2. Auflage), Taipei 1993, 61–104, bes. 106–115; darauf aufbauend Yuri Pines, Speeches and the Question of Authenticity in Ancient Chinese Historical Records, in: Helwig Schmidt-Glintzer/Achim Mittag/Jörn Rüsen (edd.), Historical Truth, Historical Criticism, and Ideology. Chinese Historiography and Historical Culture from a new Comparative Perspective (Leiden Series of Comparative Historiography 1), Leiden/Boston 2005, 195–224, bes. 207–213. Dazu auch die kommende Studie zum ›Guoyu‹ von Felix Bohlen. 43 Zu ›Guoyu‹-ähnlichen ratgeberfreundlichen Narrativen im Kontext beratender Funktionstexte, vgl. Felix Bohlen, Narrative Discourses on Power and Rule: The Anecdote and the Exemplum in the Shanghai-Manuscript ›The Remonstrance of Bao Shuya and Xi Peng‹, in: Thomas Crone/Christian Schwermann (edd.), The History of Remonstrance in China. From the Beginnings to the Medieval Period (Studien zu Macht und Herrschaft) (in Vorbereitung).
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ger mehrfach, stößt jedoch auf taube Ohren. Der König setzt gar alles daran, die Remonstrationen vollends zu unterdrücken (vgl. Guoyu., 17.502–503). So setzt Zizhang zu einer längeren Rede an, die dem König den Mehrwert von Herrscherkritik vermitteln soll und illustriert seinen Standpunkt anhand des idealisierten Herrscher-Ratgeber-Duos Wu Ding und Fu Yue. Die Figur Zizhang der Rahmenerzählung nimmt damit die Funktion einer intradiegetisch-hetereodiegetischen Erzählinstanz ein. 白公又諫, […]對曰: 「昔殷武丁能聳其德, 至於神明[…], 於是乎三年默以思 道。 卿士患之, 曰: 『王言以出令也, 若不言, 是無所稟令也。 』武丁於是作 書,曰:『以余正四方,余恐德之不類,茲故不言。』如是而又使以夢象旁求四 方之賢,得傅說以來,升以為公,而使朝夕規諫,曰:『若金,用女作礪。若津 水,用女作舟[…]。』若武丁之神明也[…]。既得道,猶不敢專制,使以象旁求聖 人。既得以為輔,又恐其荒失遺忘,故使朝夕規誨箴諫,曰:『必交修余,無余 棄也。』今君或者未及武丁,而惡規諫者,不亦難乎!」 »Der Herr von Bai (d. i. Zizhang) remonstrierte abermals […] und erwiderte (gegenüber dem Ling-König von Chu): »Einst (xi 昔), da vermochte es Wu Ding von Yin, seine Tugendkraft zu steigern, und erreichte göttliche Klarsicht […]. Nach drei Jahren hüllte er sich sodann in Schweigen, um über den rechten Weg zu sinnen. Minister und Dienstmänner verzweifelten daran und sagten: ›Es sind die [gesprochenen] Worte Eurer Majestät, womit Befehle ausgegeben werden! Wenn [Ihr] nicht redet, gibt es keine Mittel, Befehle entgegenzunehmen.‹ Wu Ding ließ daraufhin ein [schriftliches] Dokument erstellen: ›Ich bin es, womit die Vier Himmelsrichtungen (das Herrschaftsgebiet) geordnet werden, doch ich befürchte, dass meine Tugendkraft nicht ausreicht. Aus diesem Grunde spreche ich nicht.‹ So kam es, dass [Wu Ding] veranlasste, dass mit Hilfe eines Abbildes einer Traumerscheinung in den Vier Himmelsrichtungen nach einem Tüchtigen gesucht werden sollte. Fu Yue wurde gefunden und so kehrte man mit ihm zurück. [Wu Ding] erhob ihn zum Hohen Hofwürdenträger (gong) und hieß ihn morgens und abends mit Plänen und Remonstrationen zu dienen. [Er] sagte: ›Wie beim Eisen, so sei du mir ein Schleifstein […]!‹« So war die göttliche Klarsicht des Wu Ding […]. Nachdem er den rechten Weg gefunden hatte, wagte er es immer noch nicht, die Bestimmungsgewalt für sich in Besitz zu nehmen, sondern ließ mit einem Abbild nach einem Weisen suchen. Nachdem er diesen bekommen hatte, erhob er ihn zum Assistenten […] und sagte: ›[Du] musst mich unterstützen und warnen! Gib mich nicht auf!‹ Nun ( jin 今) gibt es so manches, in dem Ihr, mein Fürst (der Ling-König von Chu), nicht an Wu Ding heranreicht und solche verabscheut, die Euch mit Remonstrationen und Plänen dienen. Bedeutet das denn keine Schwierigkeiten?« (Aus: ›Guoyu‹, 17.503–504.)
Die erzählende Ratgeberfigur Zizhang der Rahmenerzählung bedient sich dem uns bekannten Erzählstoff von Wu Ding und Fu Yue und verarbeitet ihn zum Exempel44, um den eigenen subjektiven Standpunkt in Form einer Geschichte zu 44 Für das ›Exempel‹ gilt folgende Definition: »[…] Exemplum [bedeutet] eine rhetorische Form oder Funktion, mit der vergangenes Geschehen in persuasiver Absicht auf einen gegenwärtigen Problemfall bezogen wird.« (vgl. Peter von Moos (a), Das argumentative Ex-
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illustrieren. Die Exempel-Anekdote ist strukturell auf einer intradiegetischen Erzählebene anzusiedeln, an der Textoberfläche eingeleitet durch »einst« (xi 昔) und abgeschlossen durch »nun« ( jin 今). Letzteres markiert gleichzeitig den vorliegenden Problemfall, mit dem sich die Figur Zizhang konfrontiert sieht und auf den das Exempel gemünzt ist: die Beratungsresistenz des Ling-Königs, den Dienstherrn des Zizhang. Die Erzählweise und die Adaption des Stoffes zum Exempel scheint handwerklich gelungen, denn die Analogien zwischen Beispielund Problemfall sind offenkundig: in beiden Fällen geht es um Ratgeber und das Herrscherverhalten ihrer Dienstherren. Wu Ding ist der Spiegel, in dem sich der Ling-König betrachten soll; Er ist das idealisierte Rollenmodell, an dem sich der beratungsresistente Monarch orientieren soll. Fu Yue ist der narrative Hebel, durch den Zizhang selbst versucht, seiner Herrscherkritik in Form von Remonstrationen Gehör zu verschaffen. Die sinnstiftende Analogie45 zwischen Exempel und Problemfall sollte ein adäquates Verständnis durch den Adressaten im Sinne des Beispielgebenden ermöglichen – doch klärt uns die heterodiegetische Erzählinstanz darüber auf, dass der Ling-König von Chu sich das Handeln des Wu Ding nicht zur Richtschnur nahm, die Kritik des Zizhang ignorierte und in der Folge das prognostizierte Unheil eintrat: 王病之,[…]七月,乃有乾谿之亂,靈王死之。 »Der König missbilligte es (die Remonstrationen) […] und im siebten Monat kam es dann zum Aufstand von Ganxi, wodurch der Ling-König zu Tode kam.« (›Guoyu‹17.505)
Die Coda der Anekdoten im ›Guoyu‹, in der uns die Erzählinstanz über das Herrscherhandeln im Nachgang der Beratungen informiert, dienen dem textexternen Rezipienten, das Herrscher- und Ratgeberhandeln der Rahmenerzählung zu evaluieren: In diesem Fall mit Hilfe der hergestellten Kausalverbindung zwischen ›Nichtannahme des Rates‹ und ›Destabilisierung der Herrschaft‹. Diese Erzählweise verdeutlicht die eingangs hervorgehobene ratgeberfreundliche und herrscherkritische Stoßrichtung der Textstücke im Ganzen. Anhand dieses Erzählstücks wird deutlich, wie der Stoff von Wu Ding und Fu Yue für die subjektiven Interessen einer Figur in einem argumentativen Zusammenhang adaptiert und angepasst wurde.46 Herrschertugenden wie Beraemplum und die ›wächserne Nase‹ der Autorität im Mittelalter, in: Willem J. Aerts/Martin Gosman (edd.), Exemplum et Similitudo. Alexander the Great and other Heroes as Points of Reference in Medieval Literature, Groningen 1988, 55–84, hier 58. 45 Alle konstanten Merkmale des Exempels sind im vorliegenden Fall nachweisbar: Inseratcharakter, Isolierbarkeit und sinnstiftendes Analogans, vgl. Gerd Dicke, Exempel, in: Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft 1 (2007), 534–537, hier 534. 46 Exempel in Form von ›historischen‹ Präzedenzfällen sind keiner historiographischen Intention verpflichtet, sondern primär den jeweiligen Interessen der beispielgebenden Partei.
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tungsempfänglichkeit und der Wille, Ratgebereliten in die Entscheidungsprozesse zu integrieren, werden in dieser spezifischen Stoffkonfiguration akzentuiert. Letzterer Aspekt wird insbesondere dadurch pointiert, dass Zizhang als verantwortliche Erzählinstanz König Wu Ding als einen Herrscher charakterisiert, dem das positive Attribut von »gottgleicher Klarsicht« (shen ming 神明) durch die Erzählinstanz zugeschrieben wird. Wu Ding wird ferner attestiert, den »Rechten Weg« (dao 道) – die ideale Herrschaftsausübung per se – erlangt zu haben. Bemerkenswert ist das erzählerische Hervorheben spezieller Herrschaftspraktiken: Wu Ding ließ seine Ratgeber bzw. Assistenten an der Macht partizipieren, anstatt die »Bestimmungsgewalt für sich in Besitz zu nehmen« (zhuan zhi 專制).47 Dass Wu Ding seinen Ratgeber angewiesen haben soll, mit Remonstrationen und Plänen zu dienen, ist die narrativ verkappte Aufforderung an den Ling-König von Chu, Herrscherkritik durch Untergebene zuzulassen. Der Erzählstoff wird zum Exempel, womit den Adressaten – sowohl textintern als auch textextern – eine konkrete und leicht zu abstrahierende Moral vermittelt werden soll: der Mehrwert von Ratgebern und deren konstruktiver Kritik in Verbindung mit beratungswilligen, hörigen Herrschaftsträgern. Über beide Erzählebenen hinweg wird die identische Moral vermittelt, indem ein Positiv- und Negativbeispiel in Beziehung zueinander gesetzt werden: Wu Ding als Idealherrscher auf der intradiegetischen Ebene; der Ling-König von Chu als Negativbeispiel der Rahmenerzählung – die Erzählung in der Erzählung ist die Lehre in der Lehre. Hieraus ergibt sich eine funktionale Analogie der intratextuell strukturierten Erzählstücke: So wie die Binnenerzählung als Exempel für die adressierte Figur der Rahmenerzählung dient, so gilt dies auch für die Rahmenerzählung, die auf einen textexternen Adressaten – der Analogie entsprechend einen Herrschaftsträger – zielte, um eben jene Moral zu vermitteln. Die Verarbeitung und Erzählweise des Stoffes durch Zizhang ist ein intentionaler Kunstgriff, die eigene Position innerhalb einer asymmetrischen Herrscher-Rat-
Die vermeintliche ›Historizität‹ dient vornehmlich der Steigerung des persuasiven Potentials. Dementsprechend können Exempel und deren Stoff immer an die gegebene Situation angepasst und umgeformt werden, vgl. Peter von Moos (b), Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im »Policraticus« Johanns von Salisbury, Hildesheim/Zürich/New York 1988, XI.; und Ders. 1988(a), 68. Dazu auch Paul R. Goldin, Non-deductive Argumentation in Early Chinese Philosophy, in: Paul van Els/Sarah A. Queen (edd.), Between History and Philosophy. Anecdotes in Early China, Albany 2017, 41–62, bes. 49–51. 47 Das ›Monopolisieren / für sich beanspruchen‹ (zhuan) von Macht, Ressourcen o. ä. fällt insb. im ratgeberfreundlichen Diskurs des ›Guoyu‹ in die Kategorie schlechter Herrschaftspraxis, bspw. in ebd., 1.13–14.
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geber-Konstellation zu stärken.48 Es ist die narrative Verhandlung des Verhältnisses zwischen Herrschenden und ihren Eliten.49
Vitalisierendes gegen Nachlässigkeiten der Herrscher: Fue Yue im ›Mengzi‹ Weitere literarische Quellen sind die sogenannten politisch-philosophischen ›Meister‹-Texte,50 in denen herrschaftstheoretische Abhandlungen und Erörterungen historischer Denkerpersönlichkeiten überliefert sind. Diese Texttradition wurzelt in den zahlreichen philosophischen Denkschulen, die ihre Blütezeit in der ausgehenden Vorkaiserzeit erlebten. Denkschulen und ihre Meister entwickelten ausgeformte Gedankengebäude, die trotz verschiedenartiger Ansätze ein Ziel einte: In einer Epoche, die von ständigen kriegerischen Konflikten zwischen Regionalherrschern und damit einhergehenden Strapazen für das Volk geprägt war, eine stabile und friedliche gesamtgesellschaftliche Ordnung zu etablieren. Denker und Philosophen zogen mitunter von einem regionalen Herrscherhof zum anderen, um Fürsten von ihrer Lehre zu überzeugen, als Ratgeber angestellt zu werden und auf die Umsetzung ihrer Agenda hinzuarbeiten.51 Meister Meng 孟子 (alt. Menzius, Eigenname Meng Ke 孟軻, ca. 370–290 v. Chr.) war nach Konfuzius 孔子 (551–479 v. Chr.)52 der zweite große Vertreter des Frühkonfuzianismus. Seine Lehre ist im Text ›Mengzi‹ 孟子 (›Meister Meng‹)53 überliefert. Es besteht aus Aufzeichnungen seiner Gespräche mit ver48 Hier sei auch auf die Überlegungen zur Handlungsfähigkeit (›agency‹) der Figuren innerhalb einer Herrscher-Ratgeber-Konstellation im Beitrag von Dominik Büschken verwiesen (›Ratgeben als Handlungsfähigkeit‹ 99–121, hier 117f.). 49 Sophie Quander setzt sich ebenso mit dem Phänomen eingelagerter Erzählungen auseinander und demonstriert überzeugend, welche Funktion(en) sie in der von ihr untersuchten Quelle erfüllen (bes. ›Guter Rat kommt von außen‹ 217–239, hier 232–237). 50 ›Meister‹ meint hier nicht etwa einen meisterhaften Schreibstil o. ä., sondern bezeichnet eine Gruppe von tradierten Texten, die mit ihrer Kompilierung in der Han-Dynastie (ca. 1. Jh. v. Chr.) einem ›Meister‹ (zi 子) zugeschrieben und dementsprechend betitelt wurden. ›Meister‹ ist damit ein Ehrentitel für Lehrer einer Denkschule, vgl. Hubert Schleichert/ Heiner Roetz, Klassische chinesische Philosophie. Eine Einführung (Klostermann Rote Reihe 28), 3., neu bearbeitete Auflage, Frankfurt a. M. 2009, 15f.; Kern 2004, 45–51. 51 Einführendes in David Nivison, The Classical Philosophical Writings, in: Michael Loewe/ Edward L. Shaughnessy (edd.), The Cambridge History of Ancient China. From the Origins of Civilization to 221 B.C., Cambridge/New York/Melbourne 1999, 754–812, für den soziopolitischen Hintergrund 747f.; außerdem Schleichert/Roetz 2009, 9–16. 52 Der für den Frühkonfuzianismus zentrale Meister- bzw. Lehrtext ist das ›Lunyu‹ 論語 (sog. ›Analekten‹; wörtl. ›Ausgewählte [Lehr]Gespräche‹): Eine Anthologie von Lehrsprüchen des Meisters, die von seinen Schülern aufgezeichnet wurden. 53 Konsultierte Edition: Mengzi zhengyi 孟子正義 (2 Bde.), ed. Jiao Xun 焦循 (Shisan jing Qing ren zhushu 十三經清人注疏), Beijing 1987. Zum ›Mengzi‹, vgl. Einführendes in Dim C. Lau,
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schiedenen Herrscherpersonen, Zeitgenossen und eigenen Schülern. Meister Meng bedient sich zahlreicher Argumente und Beweisführungsstrategien, um seinen Thesen zur rechten Herrschaftsordnung Geltung zu verleihen.54 So auch in einer Episode, in der der Schüler Chen Zhen 陳臻 seinen Meister fragt, wie ›Edelmänner‹ ( junzi 君子)55 es im Altertum vermocht hätten, ein hohes Staatsamt zu bekleiden.56 Neben grundlegenden theoretischen Gedanken führt der Meister historische Vorbilder an, um hieraus ein überzeitliches Allgemeinprinzip für stabile Herrschaft abzuleiten: 孟子曰:「舜發於畎畝之中,傅說舉於版築之間,膠鬲舉於魚鹽之中,管夷吾舉 於士,孫叔敖舉於海,百里奚舉於市。故天將降大任於是人也,必先苦其心志, 勞其筋骨,餓其體膚,空乏其身[…]困於心,衡於慮,而後作[…]。」 »Meister Meng sagte: ›Shun kam aus Wassergräben und Feldern hervor;57 Fu Yue wurde aus Planken und Stampfern heraus in ein Amt gehoben; Jiao Ge wurde befördert, als er zwischen Fisch und Salz war;58 Guan Yiwu wurde aus den anderen Dienstmännern heraus ins Amt gehoben;59 Sunshu Ao wurde von der Meeresküste geholt und ins Amt
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Meng tzu 孟子, in: Michael Loewe (ed.): Early Chinese Texts. A Bibliographical Guide (Early China Special Monograph Series 2), Berkeley 1993, 331–335. Zur Philosophie des Meister Meng siehe Nivison 1999, 770–778; Schleichert/Roetz 2009, 50–77. Der ›Edelmann‹ ist die zu erstrebende Idealfigur im konfuzianischen Diskurs: ein Mensch edler Gesinnung und vollendeten Charakters, der sich somit für gesellschaftstragende Ämter qualifiziert. Der Begriff hat in einen bemerkenswerten Bedeutungswandel erfahren: Ursprünglich wurden damit ›Prinzen‹ bezeichnet, ein Adelstitel, der die soziale Stellung hervorhob. Im philosophischen Diskurs wurde der Begriff ethisiert und zum konfuzianischen Bildungsideal erhoben. Nicht mehr die gesellschaftliche Stellung war ausschlaggebend, sondern die moralische Qualität einer Person. Dazu Ulrich Unger, Grundbegriffe der altchinesischen Philosophie. Ein Wörterbuch für die klassische Periode, Darmstadt 2000, 52; Schleichert/Roetz 2009, 31–35. Zum Bedeutungswandel von junzi im Zusammenhang mit den soziopolitischen Umbrüchen der Zeit, vgl. Hsu Cho-yun, Ancient China in Transition. An Analysis of Social Mobility, 722–222 B.C., Stanford 1965, 158–174. Siehe ›Mengzi‹, 25.863. Shun 舜 war einer der sogenannten mythologischen Urkaiser. Er stammte laut Überlieferung aus ärmlichen Verhältnissen, wurde wegen seiner Tüchtigkeit und Leistungen vom vorangehenden Urkaiser Yao 堯 zum Nachfolger bestimmt – und nicht etwa der leibliche Sohn des Yao. Jiao Ge 膠鬲 soll dem letzten tyrannischen Shang-Herrscher gedient haben, floh aber und wurde dann vom Wen-König von Zhou 周文王 gewonnen, vgl. Kommentar in ›Mengzi‹, 25.864. Guan Yiwu 管夷吾 (alt. Guan Zhong 管仲), alias Guanzi 管子 (Meister Guan), war laut Tradition einer der brillantesten Minister seiner Zeit. Dank seiner Kompetenz und unter seiner Regie wurde der Huan-Patriarch von Qi (Qi Huan-gong 齊桓公, ca. 7. Jh. v. Chr.) der erste Hegemon (ba 霸) und führte das Land Qi zu überregionaler Dominanz in der damaligen chinesischen Welt. Vor seiner erfolgreichen Karriere in Qi wirkte Guan Yiwu indes im Nachbarland Lu 魯, wo er – je nach Erzählung – in Machtkämpfe verwickelt und eingekerkert wurde (vgl. bspw. ›Shiji‹, 62.2131; ›Guoyu‹, 6.215–217).
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befördert;60 und Baili Xi kam vom Marktplatz in sein Amt.61 Deshalb: Wenn der Himmel eine große Aufgabe auf eine Person übertragen möchte, stellt er ihren Willen auf die Probe, ihre Knochen und Sehnen werden schwerer Körperarbeit ausgesetzt, der Körper muss Hunger leiden und der Leib muss Armut durchstehen […]. In ihren Herzen müssen sie Sorgen verspüren und in ihren Überlegungen auf Widerstände stoßen, denn erst dann können sie gestärkt hervorgehen […]!‹« (›Mengzi‹, 25.864–871)
Fu Yue ist hier in einer Reihe mit anderen namhaften Persönlichkeiten koordiniert. Der hier verarbeitete Erzählstoff ist auf ein Minimum reduziert. Aus dem uns bekannten Stoffreservoir wurde ein zentrales Element herausselektiert: Dass Fu Yue ein einfacher plackender Mauerstampfer war, bevor er in sein Amt befördert wurde. Die Verengung des Stoffes mag durchaus erzählökonomischen Abwägungen geschuldet sein: Der Stoff muss nicht in toto nacherzählt werden. Er wird bei den Adressaten wohl gar als bekannt vorausgesetzt. Die mit Fu Yue assoziierte Herrscherfigur wird gar vollständig ausgespart; dass Fu Yue in seinem Dienst überaus erfolgreich gewesen sein soll ebenso. Eine schlichte Anspielung genügt, um aussagekräftige Assoziationen beim Rezipientenkreis zu evozieren62 – selbst beim modernen Leser. Dasselbe Verarbeitungsprinzip wird auch auf den Stoff der anderen hier gelisteten Figuren appliziert. Trotz Reduktion schält sich ein charakteristisches Gruppenmerkmal heraus: Allesamt waren sie verdiente Staatsmänner, die erst über einen leidvollen Umweg in den höheren Dienst für einen Monarchen kamen.63 Die gesellschaftliche Stellung bzw. Herkunft scheint hier nicht das aus60 Laut Kommentar soll Sunshu Ao 孫叔敖 ein Einsiedlerleben gefristet haben, bevor er vom Zhuang-König von Chu 楚莊王 (reg. 613–591 v. Chr.) mit einem hohen Regierungsamt am Hof ausgestattet wurde, vgl. ›Mengzi‹ 25.865. Ferner wird überliefert, dass der Chu-König Dank seiner Unterstützung zum Hegemon werden konnte (›Shiji‹, 126.3201–3202). 61 Baili Xi 百里奚 soll ursprünglich ein Minister im Land Yu 虞 gewesen sein, wurde dann aber im Zuge der Vernichtung des Landes (655 v. Chr.) abgenötigt, als Eskorte für eine Prinzessin aus Qin herzuhalten. Er floh nach Chu. Der Mu-Patriarch von Qin 秦繆公 (reg. 659–621 v. Chr.) hörte denn von seinen Talenten, woraufhin er ihn nach Qin berufen haben soll (›Shiji‹, 5.186–187). Baili Xi soll den Qin-Fürsten im Zuge seines Dienstes zur Hegemonie verholfen haben. So heißt es im ›Mengzi‹: »Yu ging unter, indem es keinen Gebrauch von Baili Xi machte; Der Mu-Patriarch von Qin wurde zum Hegemonen, indem er von ihm Gebrauch machte – wer von den Tüchtigen keinen Gebrauch macht, geht unter.« 虞不用百里奚而亡, 秦繆公用之而霸。不用賢則亡 (vgl. ›Mengzi‹, 24.831). 62 Somit mögen die hier angeführten Exempel durchaus in die Kategorie der ›elocutionellen Verwendung‹ fallen, also die Reduzierung auf einen bloßen Namen, vgl. Dicke 2007, 533f. 63 Shun war kein Angehöriger des Herrschergeschlechts von Yao; Fu Yue war bekanntlich ein einfacher Mauerstampfer; Jiao Ge diente zuerst den Shang-Herrschern, später den ZhouKönigen; Guan Yiwu stammte nicht gebürtig aus dem Land Qi und wirkte zuvor in Lu 魯; Shusun Ao musste wohl ins Exil fliehen, weil sein Vater Wei Jia 蒍賈 Opfer einer Fehde zwischen zwei Familien wurde (zum Mord, siehe ›Zuo zhuan‹ 左傳, Xuan 4.3, 679–681; zitiert nach: Chunqiu Zuo zhuan zhu [xiuding ben] 春秋左傳注(修訂本)(4 Bde.), komm. und ed. Yang Bojun 楊伯俊, Beijing 2009 [Neuauflage 2012]; und Baili Xi kam ursprünglich aus Yu, floh nach Chu und diente dann erfolgreich in Qin.
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schlaggebende Kriterium zu sein, schließlich waren die fiktionalisierten Personen wie Guan Yiwu, Jiao Ge, Sunshu Ao und Baixi Li im Gegensatz zu Fu Yue allesamt Sprösslinge der Elitenschicht. Es gilt, lebensgeprüfte Ratgeber an den Hof zu holen. In den Augen von Meister Meng sind sie ein nicht zu vernachlässigender Vorteil für Herrschende, weil sie ein wesentlicher Faktor für die langfristige Stabilisierung von Herrschaft sind. So führt er abschließend aus: 「[…]入則無法家拂士, 出則無敵國外患者, 國恆亡。 然後知生於憂患而死於安 樂也。」 »[…] Wenn es im Inneren [eines Landes] keine Regulierungsexperten (fajia 法家)64 und widersprechende Dienstmänner; und es im Landesäußeren keine feindseligen Länder und externe Bedrohungen gibt, dann wird ein Land für gewöhnlich untergehen. So wird doch ersichtlich, dass Besorgnisse und Gefahren zum Überleben beitragen und das der Untergang von Bequemlich- und Nachlässigkeiten herrührt.« (›Mengzi‹, 25.872)
Leiderprobte Amtsträger von außerhalb – einer wie Fu Yue es gewesen sein soll – sind eben jene vitalisierenden Elemente, die einer etwaigen Verkrustung des Herrschaftssystems entgegenwirken und so das Überleben in einer Zeit alltäglicher kriegerischer Auseinandersetzungen wahrscheinlicher werden lässt.
Von der Schwierigkeit des Ratgebens: Fu Yue im ›Han Feizi‹ Ein anderer prominenter Denker war Meister Han Fei 韓非子 (Han Feizi, ca. 280–233 v. Chr.). Auf ihn geht das umfangreiche Werk mit dem Titel ›Han Feizi‹ (›Meister Han Fei‹ 韓非子) zurück,65 aus dem folgende Abhandlung zur ›Schwierigkeit des Ratgebens‹ (›nan yan‹ 難言)66 entnommen ist. Der Text ist eine Unterredung des Han Fei, seines Zeichens Ratgeber am Hof des Landes Qin 秦, die er an seinen Dienstherrn, den Fürsten von Qin, gerichtet haben soll. 64 Der Begriff fajia ist im gegebenen Kontext schwierig zu verstehen, weil nur einmal noch im ›Guanzi‹ 管子, 76.1337, belegt (zitiert nach: Guanzi jiaozhu 管子校注 (3 Bde.), ed. Li Xiangfeng 黎翔鳳 [Xinbian zhuzi jijie 新編諸子集解], Beijing 2004). Möglich, dass hier gewisse Wirtschafts- bzw. Kalkulationsexperten gemeint waren, vgl. die Anmerkungen von Y. Allyn Ricket in: Guanzi. Political, Economic, and Philosophical Essays from Early China (2 Bde.), übers. von dems., Princeton/N.J. 1985, 415 (2. Bde.), bes. Anm. 38. 65 Zur Person Han Fei und dem Werk ›Han Feizi‹ siehe ausführlich in Paul R. Goldin, Introduction. Han Fei and the Han Feizi, in: Ders. (ed.), Dao Companion to the Philosophy of Han Fei (Dao Companions to Chinese Philosophy), Heidelberg/New York/London 2013, 1–21; sowie Schleichert/Roetz 2009, 179–182, zur Philosophie des Han Fei, siehe entsprechende Beiträge in Goldin 2013; Schleichert/Roetz 2009, 208–238; Nivison 1999, 799–802. 66 Zitiert nach: Han Feizi jijie 韓非子集解, ed. Wang Xianshen 王先慎 (Xinbian zhuzi jicheng 新編諸子集成), Beijing 1998; für das Kapitel ›nan yan‹, siehe 3.20–23. Die Übersetzungen sind im Folgenden in Anlehnung an: Die Kunst der Staatsführung: die Schriften des Meisters Han Fei, übers. v. Wilmar Mögling, Leipzig 1994.
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Demnach hängen die Erfolgsaussichten eines Rates weder von der rhetorischargumentativen Finesse noch von der Tüchtigkeit und Kompetenz des Ratgebers ab,67 sondern seien im besonderen Maße von der Befähigung der Herrscher bestimmt: Nach Han Fei gebe es ausreichend historische Beispiele, in denen selbst die tüchtigsten und kompetentesten Ratgeber durch den Monarchen nicht berücksichtigt wurden, weil es Letzteren schlicht an ›Klarsicht‹ (ming 明) – einer kardinalen Herrschertugend68 – gemangelt hätte.69 Selbst bei Herrschern von höchster Weisheit (sheng 聖) 70 sei es nicht ausgemacht, dass sie einen klugen Rat auf Anhieb auch als solchen erkennen würden. Prekärer werde es indes, wenn Talentierte an Herrscher geraten, die sich nicht durch Weisheit, sondern durch ›Torheit‹ (yu 愚) auszeichnen.71 故曰以至智說至聖,未必至而見受,伊尹說湯是也;以智說愚必不聽,文王說紂 是也。故文王說紂而紂囚之,[…]比干剖心,[…]傅說轉鬻[…]。 67 Seine theoretischen Gedanken zu Argumentations- und Überredungstechniken werden im ersten Teil seiner Rede dargelegt, vgl. 3.21–22. Han Fei hält sodann fest: »Deshalb gilt: Selbst, wenn die (argumentativen) Abwägungen (eines Ratgebers) sorgfältig sind, so bedeutet das nicht, dass man zwingend erhört wird. Selbst wenn jemandes Ideen und Prinzipien ausgeprägt sind, heißt das nicht, dass davon auch zwingend Gebrauch gemacht wird.« 故度量 雖正,未必聽也;義理雖全,未必用也 (›Han Feizi‹, 3.22). Zur Untermauerung seiner These werden anknüpfend Beispielfälle bzw. -figuren angeführt, vgl. Ausführungen im Haupttext. Zur Gefährlichkeit von Rat und Überredung im ›Han Feizi‹, vgl. auch Schleichert/Roetz 2009, 236–238. 68 ›Klarsicht‹ bzw. ein ›klarsichtiger Herrscher‹ ist in der Denkschule des Han Fei ein Herrscherideal, vgl. Unger 2000, 67. ›Klarsicht‹ meint im vorliegenden Kontext die Befähigung des Herrschers, das Richtige und Zielführende rational zu erfassen und dabei das Urteilsvermögen trübende Faktoren (z. B. irrationale Emotionen) auszublenden: »Der Huan-Patriarch (von Qi) konnte die Erfolge von Guan Zhong (Guan Yiwu) nutzbar machen, indem er seinen Zorn über den Pfeilschuss auf seine Gürtelschnalle (durch Guan Zhong) ignorierte; der Wen-Patriarch (von Jin) vermochte es auf die Worte des Eunuchen zu hören, indem er die Strafe für das Zerschneiden des Ärmels fallen ließ. Der Huan- und Wen-Patriarch konnten diesen Zwei verzeihen. Fürsten späterer Generationen reichen in ihrem Klarblick (ming) nicht an diese zwei Patriarchen heran.« 桓公能用管仲之功而忘射鉤之怨,文公能聽寺人之言而 棄斬袪之罪。桓公、文公能容二子者也。後世之君明不及二公 (›Han Feizi‹, 38.371). 69 »Zi Xu verstand sich aufs Pläne machen und wurde dennoch in Wu hingerichtet. Konfuzius war ein guter Redner, dennoch wurde er in Kuang umzingelt. Guan Yiwu war wahrhaft tüchtig, doch wurde er in Lu eingekerkert. Waren diese drei Würdenträger denn etwa nicht tüchtig? Es waren viel mehr die drei Herrscher, die keine Klarsicht (ming) an den Tag legten.« 故子胥善謀而吳戮之, 仲尼善說而匡圍之, 管夷吾實賢而魯囚之。 故此三大夫豈不賢 哉?而三君不明也 (vgl. ›Han Feizi‹, 3.22). 70 ›Weisheit‹ bezeichnet »[…] eine hochgradige Fähigkeit des Erkennens, das Erkennen aus den geringsten Anzeichen.« (siehe Unger 2000, 103). Es meint hier den Weitblick und eine überlegene Form der Einsicht, die gewöhnlichen Menschen fehlt. Dem gegenüber steht die ›Torheit‹, vgl. anschließende Erläuterungen. 71 ›Torheit‹ bezeichnet hier einen destruktiven Mangel an Besonnenheit und Weitblick; also Kurzsichtigkeit. Zum Verhältnis ›Weisheit‹ vs. ›Torheit‹, vgl. Christian Schwermann, »Dummheit« in altchinesischen Texten. Eine Begriffsgeschichte (Veröffentlichung des Ostasien-Instituts der Ruhr-Universität Bochum 62), Wiesbaden 2011, 139–142.
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»Deshalb heißt es, dass der Überzeugungsversuch eines Mannes höchster Klugheit von einem [Herrscher] höchster Weisheit (sheng) nicht notwendigerweise auch angenommen wird, wie es bei (Ratgeber) Yi Yin und (Herrscher) Tang der Fall war;72 und dass ein Mann höchster Klugheit bei einem Einfaltspinsel (yu) nicht zwingend Gehör findet, zeigt der Fall von der Unterredung des (späteren) Wen-Königs von (dem letzten ShangHerrscher) Zhòu. Deshalb wurde der Wen-König, als er auf Zhòu einredete, von ihm eingekerkert; […] Bigan wurde das Herz herausgeschnitten73 […] und Fu Yue wurde [an verschiedene Herren] weiterverkauft […].« (›Han Feizi‹, 3.22)
Wie im vorherigen Beispiel aus dem ›Mengzi‹ wurde der Fu Yue-Stoff der Aussageintention entsprechend auf ein charakterisierendes Kernelement reduziert bzw. noch kürzer angespielt. Wir müssen uns indes wohl eingestehen, dass uns dieses Stoffelement ein wenig ratlos zurücklässt, denn der Handlungskern von einem Weiterverkauf des Fu Yue an verschiedene Herren ist uns in der Form noch nicht begegnet. Dennoch funktioniert die Adaption des Stoffes im gegebenen Sinnzusammenhang: Dass Menschen trotz außerordentlicher Kompetenzen und gewinnbringender Ratschläge nicht davor gefeit sind, verkannt zu werden, ja gar um ihr leibliches Wohlergehen fürchten müssen, wenn sie an den Falschen geraten. Dass beschlagene Ratgeberkompetenzen zwangsläufig auch deren Nutzbarmachung und Umsetzung durch die Dienstherren mit sich bringen, ist eine Rechnung, die nach dem Dafürhalten von Han Fei nicht aufgeht: Entscheidend sei das Wesen des Herrschaftsträgers.74 皆世之仁賢忠良有道術之士也,不幸而遇悖亂闇惑之主而死,然則雖賢聖不能逃 死亡避戮辱者何也?則愚者難說也 »Sie (die Ratgeberfiguren) waren die mitmenschlichsten, tüchtigsten, loyalsten und patentesten Dienstmänner ihrer Zeit, die sich auf die Kunst des Regierens (daoshu) verstanden. Dennoch mussten sie sterben, weil sie unglücklicherweise an renitente, durchtriebene, umnachtete und irrende Herren geraten waren. Warum konnten sie trotz ihrer Tüchtigkeit und Weisheit nicht dem Tod entrinnen und die Schmach nicht vermeiden? Weil die Toren nur schwer zu überzeugen sind.« (›Han Feizi‹, 3.23)
Gemäß dieser Erzählweise hatten Fu Yue und die anderen Figuren schlicht das Pech, an eben jenen Typ von einfältigen Dienstherren zu geraten, die ihr Po-
72 Nach Han Feis Darstellung soll Yi Yin siebzig Versuche benötigt haben bis Tang seine Kompetenz und die Qualität seines Rates dann doch erkannt haben soll, vgl. ›Han Feizi‹ ebd. 73 Bigan 比干 soll ein remonstrierender Prinz gewesen sein, der offen Kritik am tyrannischdespotischen Zhòu übte. Dieser soll ihn dann aufgeschlitzt und das Herz amputiert haben (vgl. ›Han Feizi‹, 20.471; ›Shiji‹, 3.108). 74 Die Fähigkeit eines Herrschers, guten von schlechtem Rat zu unterscheiden, wird auch in den Quellen im Beitrag von Dominik Büschken thematisiert (siehe ›Robert von Gloucester als komplementärer Charakter König Stephans‹ 107–109).
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tenzial verkannten.75 Ob hiermit indirekt auf Wu Ding angespielt wird, lässt sich in Anbetracht der verknappten Darstellung des Schicksals von Fu Yue indes nicht mit Gewissheit klären. Es mag ebenso plausibel erscheinen, von einer anonymen Gruppe von Herren auszugehen, von denen Fu Yue abhängig war. Vielleicht hat Han Fei Kenntnis von weiteren Erzählstoffelementen gehabt, die uns nicht mehr überliefert sind, den rezipierenden Zeitgenossen aber bekannt waren; vielleicht wurde der Stoff aber auch für die exemplarische Intention modifiziert. Wie dem auch sei: in dieser Erzählvariante wird Fu Yue als Beispiel angeführt, um in aller Deutlichkeit die Krux des Ratgebens zu veranschaulichen. So beendet Han Fei seine Rede an den Herrscher von Qin folgendermaßen: 且至言忤於耳而倒於心,非賢聖莫能聽,願大王熟察之也 »Überdies widersetzt sich das Ohr aufrichtigen Worten und das Herz sträubt sich. Nur ein Tüchtiger und Weiser vermag auf sie zu hören. Ich hoffe, dass Eure Majestät das überdenken wird.« (›Han Feizi‹, 3.23).
Der fürstliche Ratgeber Han Fei gibt seinem Dienstherrn einen Katalog rechter Herrschertugenden an die Hand, die ihn in die Lage versetzen sollen, richtigen Rat als solchen zu erkennen und anzunehmen. Dies mag durchaus als ein Indikator für das Selbstbewusstsein der Ratgebereliten genommen werden, schließlich erzeugt er mit seiner Erörterung einen gewissen Erwartungsdruck gegenüber seinem Herrn.76 Sofern der Monarch sich die idealisierten ›klarsichtigen‹ Herrscherfiguren zur Richtschnur nimmt, schafft Han Fei sich gleichzeitig aber auch den Raum, um aufrichtige Kritik vortragen zu können und das Risiko für sich selbst zu reduzieren.
75 In anderen Darstellungen hatten die Ratgeberfiguren hingegen Glück: Im Guodian-Manuskript 郭店 ›Erfolg und Scheitern hängt vom rechten Zeitpunkt ab‹ (›qiong da yi shi‹ 窮達 以時 ) werden sämtliche Herrscher-Ratgeber-Begegnungen auf glückliche Schicksalsfügungen zurückgeführt. »[Fu Yue?] ließ von den Stampfern ab und assistierte dem Himmelssohn (d.i. der höchste Herrscher) – das war die Begegnung mit Wu Ding.« 釋築而佐天 子,遇武丁也 (Leiste 4, zitiert nach Liu Zhao 劉釗, Guodian Chu jian jiao shi 郭店楚 簡校釋, Fuzhou 2005, 168–176, bes. 168, 170). Das Manuskript stammt aus einem gesicherten archäologischen Grabkontext. Das Grab datiert in den Zeitraum 375–300 v.Chr. (s. Hubei sheng Jingmen shi bowuguan 1997, 35–48, bes. 47), womit belegt wäre, dass der Stoff im 4. Jh. v. Chr. bereits zirkulierte (und Anspielungen auf den Stoff bereits ausreichten). 76 An einer anderen Stelle lautet es im ›Han Feizi‹: »Wirksame Medizin schmeckt bitter auf der Zunge, doch Weise schlucken sie, wenn sie dazu aufgefordert werden, weil sie wissen, dass die eigene Krankheit stoppt, wenn sie zugeführt wird; loyale Worte (aufrichtiger Rat) schmerzt im Ohr, doch ein klarsichtiger Herr (ming zhu) hört auf sie, weil er weiß, dass er es damit zum Erfolg bringen wird.« 夫良藥苦於口,而智者勸而飲之,知其入而已己疾也。忠言拂於 耳,而明主聽之,知其可以致功也 (ebd., 21.267).
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Das Fördern von Tüchtigen: Fu Yue im ›Mozi‹ Abschließend wollen wir uns noch dem Denker Mo Di 墨翟 (ca. 480–380 v. Chr.) widmen.77 Seine Lehre ist in dem stattlichen Werk ›Mozi‹ 墨子 (›Meister Mo‹) überliefert.78 Mo Di geht mit seinen zeitgenössischen Herrschern hart ins Gericht. Das Volk werde überbelastet, es sei ausgelaugt und mürbe. Das Reich verarme, sei unterbevölkert und versinke im Chaos (›Mozi‹, 8.43). Herrschaftsträger würden indes keine adäquaten Maßnahmen ergreifen, um der Agonie zu begegnen. Ein Lösungsansatz, um der Lage Herr zu werden, ist die Agenda vom ›Fördern der Tüchtigen‹ (shang xian 尚賢):79 子墨子言曰:「是在王公大人為政於國家者,不能以尚賢事能為政也。是故國有 賢良之士眾,則國家之治厚,賢良之士寡,則國家之治薄。故大人之務,將在於 眾賢而己。」 »Meister Mozi sagte: ›Es liegt daran, dass Könige, Minister und wichtige Personen beim Handhaben der Regierungsgeschäfte für das Land darin versagen von den Instrumenten der Förderung von Tüchtigen und der Indienststellung von Kompetenten Gebrauch zu machen. Es gilt: Sind die tüchtigen und patenten Dienstmänner eines Landes zahlreich, so wird die Ordnung des Landes robust sein. Sind tüchtige und patente Dienstmänner wenige an der Zahl, so wird die Ordnung prekär sein. Deshalb gilt, dass die wichtigen Personen sich bloß darum bemühen müssten, die Zahl der Tüchtigen zu steigern und mehr nicht.‹« (›Mozi‹, 8.44)
Es ist ein Reformansatz, der die Qualifikation und praktische Fähigkeiten von Herrschenden und deren Würdenträger einfordert. Laut Mo Di hätten bereits die herausragenden Herrscher der Vergangenheit diese Maxime beherzigt. Einzig die zeitgenössischen Fürsten scheinen dieses Prinzip vom Fördern der Tüchtigen noch nicht als Leitfaden für das eigene Handeln verinnerlicht zu haben.80 Antizipierende Lesende werden sicherlich nicht sonderlich überrascht sein, dass nun 77 Einführendes in Schleichert/Roetz 2009, 85–104; Nivison 1999, 759–765. 78 Zitiert nach: Mozi xian gu 墨子閒詁 (2 Bde.), ed. Sun Yirang 孫詒讓 (Xinbian zhuzi jicheng 新編諸子集成), Beijing 2001. Zum Text, vgl. Angus C. Graham, Mo tzu 墨子, in: Michael Loewe (ed.), Early Chinese Texts (Early China Special Monograph Series 2), Berkeley 1993, 336–341. Ausführlicher in Ian Johnston, The Mozi. A Complete Translation, Hong Kong 2010, xvii–lxxxii. 79 Programmatisch in den ›Mozi‹-Kapiteln ›Shang xian (1–3)‹ erörtert. Zu dieser Kerndoktrin im ›Mozi‹, vgl. Johnston 2010, xxxiv–xxxiv; sowie Schleichert/Roetz 2009, 89–91. 80 »Wenn die Könige, Minister und wichtigen Personen ein wirkliches Verlangen danach hätten, Ordnung in ihr Land zu bringen, […] warum ziehen sie dann nicht das Fördern der Tüchtigen als Fundament für die rechte Herrschaftsordnung in Betracht? […] Ich bin doch nicht der einzige, der davon spricht! Dies ist der [rechte] Weg der [früheren] weisen Könige.« 今王公大 人中實將欲治其國家,[…] 胡不察尚賢為政之本也?[…] 亦豈獨子墨子之言哉!此聖 王之道 (›Mozi‹, 9.65).
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unter anderem die Figuren Wu Ding und Fu Yue von Mo Di ins Spiel gebracht werden, um seine Erörterungen mit ›historischem‹ Anschauungsmaterial zu unterfüttern. 古者舜耕歷山 […] ,堯得之服澤之陽,舉以為天子,與接天下之政 […]。傅說被 褐帶索。庸築乎傅巖,武丁得之,舉以為三公,與接天下之政[…]。此何故始賤 卒而貴,始貧卒而富?則王公大人明乎以尚賢使能為政。 »Einst, da pflügte (der spätere Urkaiser) Shun am Li-Berg […]. (Herrscher) Yao fand ihn am Nordufer des Fu-Moores und erhob ihn zum Himmelssohn (i. e. zum höchsten Herrscher) und übertrug ihm die Regierungsgeschäfte des Reiches […]. Fu Yue trug einfaches Leinen, gürtete sich mit Seilen und wurde als Mauerstampfer an den ›Klippen von Fu‹ eingesetzt. Wu Ding erlangte ihn, beförderte ihn zum Hofwürdenträger (sangong 三公) und übertrug ihm die Regierungsgeschäfte des Reiches […]. Warum wohl gelangten welche zu Ansehen, wo sie doch anfangs niedrigstehend waren; warum gelangten welche zu Wohlstand, wo sie doch anfangs arm waren? Weil die Könige, Minister und wichtigen Personen es verstanden haben das Fördern von Tüchtigen und die Einstellung von Kompetenten zu Regierungsinstrumenten zu machen.« (›Mozi‹, 9.57– 59)
Es sind abermals die altvorderen Könige, die zur Einsicht gelangten, dass Eignung und Kompetenz die ausschlaggebenden Kriterien für etwaige Herrschaftsträger sein sollten. Die Forderung des Mo Di, Ämter mit ›Tüchtigen‹ (xian 賢)81 zu besetzen, ist eine unverhohlene Kritik an dem Verfahren der Amtsvergabe qua Bekannt- und Verwandtschaft – laut Mo Di bedauerlicherweise gängige Praxis (›Mozi‹, 10.70). Einmal mehr werden die altvorderen Herrscher und ihre Ratgeber ins Feld geschickt, um das rechte Herrscherhandeln zu illustrieren: 是故古之聖王之治天下也,其所富,其所貴,未必王公大人骨肉之親、無故富 貴、面目美好者也 […]。昔者傅說居北海之洲,圜土之上,衣褐帶索,庸築於傅 巖之城,武丁得而舉之,立為三公 […] 武丁之舉傅說也,豈以為骨肉之親、無故 富貴、面目美好者哉?惟法其言,用其謀,行其道[…]是故推而上之。 »Aus diesem Grund waren solche, denen die weisen Herrscher des Altertums beim Regieren der Welt zu Wohlstand und Ansehen verhalfen, weder notwendigerweise die Blutsverwandten der Könige, Regionalherrscher und wichtigen Personen, noch solche, die es grundlos zu Reichtum und Ansehen gebracht haben, oder solche, die ein schönes Antlitz hatten […]. Fu Yue wohnte einst in den Gefilden des Nordmeeres innerhalb von Gefängnismauern. Er trug Leinenkleidung, gürtete sich mit Seilen und arbeitete als Mauerstampfer am Stadtwall an den ›Klippen von Fu‹. Wu Ding erlangte und beförderte ihn und stellte ihn als Hofwürdenträger auf […]. War der Grund, dass Wu Ding Fu Yue ins Amt hievte, etwa, dass er ein Nahverwandter aus eigenem Fleisch und Blut war; oder dass er jemand war, der grundlos zu Reichtum und Ansehen gekommen war; oder dass 81 Vgl. dazu Unger 2000, 28: »Mit hien2 (= xian 賢) sind solche Qualitäten gemeint, welche einen Menschen als geeignet für ein Amt erscheinen lassen. Es muss daher den Regierenden angelegen sein, solche tüchtigen Männer für sich zu gewinnen.«
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er ein schönes Antlitz hatte? Es war, dass sie (mustergültige Herrscher und ihre tüchtigen Ratgeber) sich nach ihren Worten richteten; dass sie ihre Pläne zur Anwendung brachten und ihren Weg beschritten […]. Das war der Grund, weshalb sie vorgebracht und gefördert wurden.« (›Mozi‹, 10.67–69)
Bei seiner Bearbeitung des Stoffes bedient sich Mo Di mehrerer Handlungselemente aus dem bekannten Stoffrepertoire, die den Aufstieg des Fu Yue von einem in ärmlichen Verhältnissen lebenden Arbeiter zum königlichen Minister nachzeichnen – ein Stoff, der für die These vom ›Fördern der Tüchtigen‹ wie gemacht zu sein scheint. Überdies mag die Stoffselektion mit Hinblick auf die drei ›Antikriterien‹ zur Rekrutierung von Herrschaftsträgern – Nepotismus, Kleptokratisches und Physiognomik – abgewogen worden sein: Die geographische sowie soziale Herkunft des Fu Yue spricht gegen die Förderung durch Wu Ding qua Verwandtschaftsbeziehung; die Beschreibung seiner schlichten Kleidung und seiner fleißigen Arbeitsmoral spricht gegen einen ungerechtfertigten Aufstieg zu Ansehen und der Auswahl qua Aussehen.82 Das Ausschlaggebende war einzig seine Tüchtigkeit.83 Die eigentliche Ratgebertätigkeit des Fu Yue in der Zeit nach seiner Beförderung wird indes ausgespart. Der Erzählstoff ist eine narrativ verpackte Spitze gegen elitären Nepotismus und Günstlingswirtschaft. Seine Adaption diente sowohl der Kritik an dynastisch-hereditären Herrschaftsinstitutionen als auch der gleichzeitigen Förderung meritokratischer Prinzipien.84 Wu 82 Das Aussehen des Fu Yue wird auch im Tsinghua-Manuskript (siehe 01.02–03) beschrieben: »Yue war dabei, eine Mauer zu stampfen, kletterte hinauf und hinunter und rackerte sich ab, sodass seine Erscheinung, seine Handgelenke [2] und Schultern Hämmern glichen.« 說方築 城,縢降庸力,厥說之狀、腕、肩如椎. Zur Wertschätzung der Qualitäten von Fu Yue durch den König heißt es im Manuskript: »Ich mag dich wegen deines Schneids und nicht wegen deines Körpers.« 朕畜汝,惟乃腹,非乃身 (02.04). Im Lichte einer Stelle aus der Traditionsquelle ›Xunzi‹ 荀子 (Meister Xun, dat. ca. 4.–3. Jh. v. Chr.) mag dies als eine Anspielung auf einen nicht-ästhetischen Körperbau gesehen werden. So heißt es im Traktat ›Verwerfung der Physiognomik‹ (›fei xiang‹ 非相): »Der Körper des Fu Yue nahm sich aus wie ein stehender Fischrücken.« 傅說之狀,身如植鰭 (vgl. ›Xunzi‹, 3.75; zitiert nach: Xunzi jijie 荀子集解 (2 Bde.), ed. Wang Xianqian 王先謙 (1842– 1917) (Xinbian zhuzi jicheng 新編諸子集成), Beijing 1988; Übersetzung nach HsünTzu, übers. v. Herman Köster, Kaldenkirchen 1967; V.5, 43). Nach Meister Xun sei nicht die äußere Erscheinung eines Menschen, sondern die inneren Qualitäten und die Lebensart das Ausschlaggebende für einen Edelmann (vgl. dazu ›Xunzi‹, 3.72–73; in Köster 1967, V.3, 42). 83 Im Guodian-Manuskript wird die Begegnung Wu Ding/Fu Yue bekanntermaßen als glückliche Schicksalsfügung dargestellt; Mo Di kritisiert den Glauben an ›Schicksal‹ bzw. glückliche/schicksalhafte Fügungen, vgl. 39.290. Mo Di führt die Gewinnung von Fu Yue hauptsächlich auf das praktizierte Fördern von Tüchtigen von Wu Ding zurück. 84 Ein ähnlicher Gedanke tritt im altchinesischen Text ›Lü shi chunqiu‹ 呂氏春秋 (›Die Frühlings- und Herbstannalen des Herrn Lü‹, dat. ca. 3. Jh. v. Chr.) zu Tage: »Damit Ordnung (Herrschaft) im Reich herrscht, bedarf es Tüchtiger.« 天下治,必賢人; Aufstieg und Untergang würden von einem Faktor abhängen: Tüchtige gewinnen bzw. sie verlieren (vgl. 22.613) Die Geschichte von Fu Yue wird darin ebenso angeführt: »[…] Fu Yue
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Ding und Fu Yue waren Projektionsflächen für einen zeitgenössischen Diskurs von und über Herrschaftseliten.85
Resümee Der vorliegende Beitrag präsentierte die Geschichte des Erzählstoffes von Wu Ding und Fu Yue im Spiegel antiker chinesischer Texte. Auf Grundlage hier gesammelter Quellenbelege wurde ein Verbund an charakteristischen Handlungselementen des Erzählstoffes herausgestellt. Aus diesem Stoffreservoir wurden verschiedenste literarische Verarbeitungen generiert. Trotz punktueller Variationen lässt sich für uns eine klar umrissene Handlung nachzeichnen – die Geschichte eines einstigen Mauerstampfers, der zum königlichen Ratgeber befördert wurde. Anhand dieser Textbelege wurde überdies versucht zu zeigen, welche genretypischen Konventionen bei der Verarbeitung des Stoffes im Hintergrund wirkten und inwiefern die Textintention einen gestalterischen Faktor darstellten. Die Stoffversion des diskutierten Tsinghua-Manuskripts zeichnet sich beispielsweise durch eine markante Orientierung an der herrscherlichen Perspektive aus. Der dominierende Anteil an Figurenrede und der dazugehörige Inhalt, durchsetzt mit Mahnungen und Verboten an den Ratgeber, sind erzähltechnische Strategien, die dem König mehr Raum zugestehen. Es sei aber betont, dass dies mitnichten eine Abwertung der Ratgeberfigur respektive die Aufwertung der Herrscherfigur bedeutet, sondern eher eine unterschiedliche Gewichtung der Figuren innerhalb der Herrscher-Ratgeber-Konstellation – beide bilden immer eine symbiotische Einheit. Dass der Herrscher aber als primäre Mahn-Instanz inszeniert wird, steht im Kontrast zu anderen Stoffrealisierungen. Die Manuskriptversion des Stoffes könnte aus diachronischer Perspektive daher älter sein als jene in den Traditionsquellen der ausgehenden Vorkaiserzeit. Im tradierten ›Guoyu‹ wird der Stoff von Wu Ding und Fu Yue als Exempel instrumentalisiert, womit der beispielgebende Ratgeber im Angesicht seines beratungsresistenten Dienstherrn seine Position zu stärken sucht. Hier wird war ein Strafarbeiter von Yin. Alle (Fu Yue und andere Aufsteiger), die zum Herrscherassistenten des Himmelssohnes aufstiegen, waren aus niedrigsten Verhältnissen.« […] 傅說, 殷之胥靡也。 皆上相天子, 至賤也 (ebd. 22.614) (zitiert nach: Lü shi chunqiu jishi 呂氏春秋集釋 (2 Bde.), ed. Xu Weiyu 許維遹 (Xinbian zhuzi jicheng 新 編諸子集成), Beijing 2009). 85 Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund und zum Diskurs ›Heredität‹ versus ›Qualifikation‹, vgl. Hsu 1965, 141–146. Mit Blick auf die Figur Fu Yue als Projektionsfläche, vgl. Gan Lan 甘 嵐/Yan Zhi 閆志, Fu Yue chuanshuo yu Zhanguo ›xuan xian‹ sixiang 傅說傳説與戰國»選 賢«思想, in: Zhongzhou xuekan 中州學刊 11 (2014), 131–134, bes. 133f.
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erkennbar, wie der Stoff intentional den Bedürfnissen einer Partei entsprechend modifiziert wurde. Die vorbildhafte Beratungsempfänglichkeit des Wu Ding dient über mehrere Erzählebenen hinweg als eine Anleitung zum rechten Herrscherhandeln – freilich aus der subjektiven Sicht der Ratgeberschicht. Die Beispiele aus den ›Meister‹-Texten zeigten ferner, wie auf den Stoff angespielt werden konnte, ohne aber sein illustratives Potential einzubüßen. Dass mitunter nur einzelne Elemente des Stoffes selektiert wurden und pars pro toto für die Gesamtheit der Geschichte stehen, spricht für die weite Verbreitung des Motives und Stoffes unter den Adressaten jener Zeit. Ferner ließ sich das Phänomen beobachten, dass Fu Yue mit motivgleichen Figuren zusammengeführt wurde. Der Stoffkorpus, mit dem das Herrscher-Ratgeber-Motiv verkleidet wurde, konnte in der ausgehenden Vorkaiserzeit mannigfaltige Gestalten annehmen. Der literarische Umgang mit dem abstrakten Motiv und dem konkreten Fu Yue-Stoff sind ein Indikator für die damaligen einschneidenden Gesellschaftsentwicklungen. Eine nie dagewesene soziale Mobilität führte zum Aufstieg und zur Herausbildung neuer Eliteschichten, die in die etablierten Herrscherschichten vordrangen und ein Recht auf Machtpartizipation einforderten.86 Konzepte von Macht und Herrschaft wurden neu verhandelt.87 Die neuen Aufsteiger brachten ihre Stimme in den Diskurs ein und forderten ein Recht auf Dissens ein – die überlieferten ratgeberfreundlichen Narrative sind ein Zeugnis ihres Selbstbewusstseins, das sich in der ausgehenden Vorkaiserzeit auf einem Höhepunkt befand. Die Genese und Präferenz für bestimmte literarische Herrscher-Ratgeber-Motive und deren stoffliche Ausgestaltung sind folglich ein Spiegel für epochen-spezifische Diskurse. Der Stoff und die Geschichten waren ein Mittel, mit dem das Verhältnis zwischen Herrschern und ihren Ratgebern ausgefochten wurde, die zur Stärkung der Beraterposten eingesetzt wurden und den eigenen Thesen Überzeugungskraft verleihen sollten. Auf die oben gemachten Beobachtungen aufbauend, ließe sich die These aufstellen, dass, würde man die diachronische Perspektive erweitern, sich weitere Phasen entdecken ließen, in denen insbesondere der Stoff von Fu Yue von Ratgebereliten regelmäßig hervorgeholt wurde, wenn es um die Aufwertung der eigenen Stellung und der Durchsetzung von Machtpartizipationsansprüchen ging. So spielt beispielsweise Jia Yi 賈誼 (201–169 v. Chr.) in seiner bekannten ›Eulen-Rhapsodie‹ (›Funiao fu‹ 服鳥賦) auf Fu Yue an,88 was darauf hindeutet, 86 Grundlegendes in: Hsu 1965; Pines 2002. 87 Sophie Quander diskutiert in den Schlussbetrachtungen ihres Beitrags ebenso, inwiefern soziokulturelle Umwälzungen den politischen Diskurs im Heiligen Römischen Reich des 15. Jh. veränderten und somit den Nährboden für elitenkritische Reformschriften, wie die volkssprachige ›Reformatio Sigismundi‹, schufen (234–237). 88 Jia Yi, Funiao fu, Chia Yi’s »Owl Fu«, komm. und übers. v. James R. Hightower, in: Asia Major 7 (1959), 125–130, hier 128.
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dass er sich als homo novus mit dieser Personifikation des Aufsteigers identifizierte. Überdies fand der Erzählstoff auch Eingang in das Werk ›Garten der Exempla‹ (›Shuoyuan‹ 說苑, 17 v. Chr. beim Thron eingereicht) des Han-zeitlichen Würdenträgers Liu Xiang 劉向 (79–8 v. Chr.), der ein namhafter Fürsprecher und Verfechter der Remonstration am Kaiserhof war.89 Diese und andere Autoren der frühen Kaiserzeit würden noch viel Material für weitergehende stoffgeschichtliche Untersuchungen bieten.
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89 Vgl. ›Shuoyuan‹, 11.273–274; 17.422–424, bes. 423. Zum ›Shuoyuan‹, Liu Xiang und der Remonstration, vgl. auch Christian Schwermann, Anecdote Collections as Argumentative Texts. The Composition of the Shuoyuan, in: Paul van Els/Sarah A. Queen (edd.), Between History and Philosophy. Anecdotes in Early China, Albany 2017, 147–192.
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David Hamacher
»Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt« – Seneca als Ratgeber Neros in der römischen Tragödie ›Octavia‹
Abstract This paper is about an advisory scene in a work that is still controversially discussed in research with regard to its origins and intentions and, due to its peculiar form, occupies a unique position within the ancient literature handed down to us: the so-called ‘Octavia’. This is the only Roman tragedy with historical content that has come to our attention in its entirety, at the turning point of which Seneca and Nero, two of the most dazzling personalities of the Julio-Claudian era, meet to have a passionate, even heated debate on what an appropriate governance should look like. The present study will focus on this discussion, paying particular attention to its underlying constellation, in which with Seneca in the role of advisor and Nero in the role of ruler, two figures come together, who, at the same time, bring to bear the full potential of their historical counterparts and thus elevate the discussion, which is placed initially in the dramatic context, beyond the narrow limits of the tragedy. Against the background of the plot, which deals with the events of the ‘fateful’ year of 62, Seneca endeavours to dissuade Nero from his ominous intentions, including the repudiation of his wife Octavia as well as the murder of his relatives Sulla and Plautus. According to various ideas well known from the Senecaic writings (especially from de clementia) the ideal of a gentle, just ruler committed to stoic ethics, who can rule unchallenged by the affection or acceptance of his subjects, is drawn. Nero, however, rejects this conception and invokes instead the unlimited power of an autocratic ruler who acts ruthlessly in awareness of his position based on fear. This Machiavellian-looking discourse represents the actual ‘leitmotif ’ of the discussion. Whereas in the context of the plot Seneca is condemned to fail as advisor to the tyrant Nero, he at the same time formulates a ruler ideal, which in its outline can be understood as a pointed contribution to a contemporary discourse on the question of how a good emperor should act. This kind of discussion would most probably be suited to the epoch of the Flavian imperial dynasty, whose representatives attempted to gain legitimacy not least in the confrontation with the Neronian reign. From this perspective, the ‘Octavia’ and the central advisory scene between Seneca and Nero would be given a deeper level of meaning that could be understood beyond its exemplification of the Neronian tyranny, set in a new political situation, as part of a discourse about what actually constitutes a good emperor and what empowers him to rule.
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liceat facere quod Seneca improbat1 – Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt. Diese markigen Worte Kaiser Neros (reg. 54–68) gegenüber seinem alten Lehrer Seneca († 65), dem wohl bekanntesten Politiker und Philosophen seiner Zeit, stehen am unvermittelten Ende einer Ratgeberszene, die keiner historiographischen Darstellung, sondern einem Werk entstammt, das in der Forschung hinsichtlich seiner Entstehung und Intention nach wie vor kontrovers diskutiert wird und aufgrund seiner eigentümlichen Form eine einzigartige Stellung innerhalb der uns überlieferten antiken Literatur einnimmt: die so genannte ›Octavia‹. Es handelt sich hierbei um die einzige vollständig auf uns gekommene römische Tragödie mit historischem Inhalt, die in der Forschung gemeinhin mit dem für das republikanische Drama geläufigen Gattungsbegriff als fabula praetexta bezeichnet wird.2 Die diese Literaturgattung kennzeichnende Verpflichtung gegenüber republikanischen (und nicht zuletzt: freiheitlichen) Idealen musste angesichts der Verarbeitung historischer bzw. zeitgenössischer Vorgänge im Gesichtskreis der Frühen Kaiserzeit zumindest teilweise als geradezu anti-monarchisch und somit potenziell prekär verstanden werden.3 Der schrittweise Rückgang entsprechender Produktionen dürfte in dieser Hinsicht gerade auf die veränderte Kommunikationssituation im Prinzipatssystem zurückzuführen sein, in welcher der Kaiser nur in Form positiver Ansprachen adressiert werden konnte, während jede Kritik zugleich als Angriff auf die Legitimität des 1 Oct. 589. Wenn nicht anders gekennzeichnet, gehen sämtliche der im Folgenden verwendeten Originalzitate auf die maßgebliche Textedition von Otto Zwierlein zurück: L. Annaei Senecae Tragoediae (Oxford Classical Texts), Oxford/New York/Auckland et al. 1986, 415–452. 2 Zum antiken Gattungsbegriff der fabula praetexta sowie den hierunter subsumierten Werken siehe im Einzelnen Nevio Zorzetti, La pretesta e il teatro latino arcaico (Forme, materiali e ideologie del mondo antico 14), Neapel 1980; Gesine Manuwald, Fabulae praetextae. Spuren einer literarischen Gattung der Römer (Zetemata. Monographien zur Klassischen Altertumswissenschaft 108), München 2001; sowie Patrick Kragelund, Roman Historical Drama. The Octavia in Antiquity and Beyond, Oxford/New York 2016. Die Frage, inwiefern auch die ›Octavia‹ dieser Gattung zugehört, ist immer wieder diskutiert worden. Einen guten Überblick über die ältere Forschungsdiskussion bietet Peter L. Schmidt, Die Poetisierung und Mythisierung der Geschichte in der Tragödie ›Octavia‹, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 32, 2 (1985), 1421–1453, hier 1422–1426. Eine Zusammenfassung der relevanten Beiträge der jüngeren Forschung findet sich bei Manuwald 2001, 259–339; Patrick Kragelund, Historical Drama in Ancient Rome. Republican Flourishing and Imperial Decline? (Debate), in: Symbolae Osloenses. Norwegian Journal of Greek and Latin Studies 77/1 (2002), 5–105; JanWilhelm Beck, ›Octavia‹ Anonymi. Zeitnahe praetexta oder zeitlose tragoedia? Mit einem Anhang zur Struktur des Dramas (Beihefte zum Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 15), 2. Aufl., Göttingen 2007, 46–52; zuletzt Kragelund 2016, 129–143. Bezüglich der dramatischen Verortung des Stücks siehe Ronaldo Ferri, Octavia and the Roman Dramatic Tradition, in: Marcus Wilson (ed.), The Tragedy of Nero’s Wife. Studies on the Octavia Praetexta (Prudentia 35, 1), Auckland 2003, 89–111. 3 Vgl. Anthony J. Boyle, An Introduction to Roman Tragedy, Abingdon/New York 2006, 219– 238.
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Herrschers zu gelten hatte und sich dementsprechend im öffentlichen Raum (etwa im Rahmen eines Bühnenstücks) schlicht verbot.4 Angesichts dieser Ausgangslage gewährt uns die ›Octavia‹ seltene Einblicke, die jenseits der panegyrischen Angebote der Zeitgenossen sowie des historiographischen Urteils der Nachwelt eine alternative Perspektive auf die Verhältnisse des Frühen Prinzipats eröffnen und dabei auch Macht- und Herrschaftsdiskurse greifbar werden lassen. So treffen am Wendepunkt des Dramas mit Seneca und Nero zwei der schillerndsten Persönlichkeiten der iulisch-claudischen Epoche aufeinander, um in der Art eines leidenschaftlich und mitunter hitzig geführten Streitgesprächs darüber zu diskutieren, welche Handlungsmaximen ein Kaiser im Sinne einer angemessenen Herrschaftsführung zu beachten habe. Der vorliegende Beitrag möchte sich dieser Diskussion unter besonderer Berücksichtigung der ihr zugrunde liegenden Konstellation widmen, in der mit Seneca in der Rolle des Ratgebers sowie mit Nero in der Rolle des Herrschers zwei Figuren aufeinandertreffen, die zugleich das gesamte Potenzial ihrer historischen Pendants einbringen und die zunächst im dramatischen Kontext verortete Diskussion somit über die engen Grenzen der Tragödie hinausheben.
Die ›Octavia‹ als politisches Stück Die Rahmenhandlung der Tragödie greift auf historische Ereignisse des Jahres 62 zurück, welche an dieser Stelle zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen zumindest kurz umrissen werden sollen. Da uns die Vorgänge in Form verschiedener historiographischer Darstellungen überliefert sind, lassen sie sich zumindest in ihren wesentlichen Zügen wie folgt rekonstruieren:5 Im 4 Vgl. Gerhard Binder, Herrschaftskritik bei römischen Autoren. Beispiele eines seltenen Phänomens, in: Ders./Bernd Effe (edd.), Affirmation und Kritik. Zur politischen Funktion von Kunst und Literatur im Altertum (Bochumer altertumswissenschaftliches Colloquium 20), Trier 1995, 125–164; François Paschoud, Biographie und Panegyricus. Wie spricht man vom lebenden Kaiser?, in: Konrad Vössing (ed.), Biographie und Prosopographie. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Anthony R. Birley (Historia. Einzelschriften 178), Stuttgart 2005, 103–118. Die Frage, inwiefern die ›Octavia‹ tatsächlich als Stück konzipiert worden ist, das nicht nur zur Rezitation, sondern explizit auch zur Aufführung bestimmt war, ist nach wir vor umstritten, vgl. Patrick Kragelund, Prophecy, Populism, and Propaganda in the ›Octavia‹ (Opuscula Graecolatina 25), Kopenhagen 1982, 58–60; Octavia. Attributed to Seneca, ed. with Introd., Transl., and Commentary by Anthony J. Boyle, Oxford/New York/ Auckland et al. 2008, xl–xliii. Zum Aufführungskontext der republikanischen fabulae praetextae siehe Harriet I. Flower, Fabulae Praetextae in Context. When Were Plays on Contemporary Subjects Performed in Republican Rome?, in: Classical Quarterly 45, 1 (1995), 170– 190. 5 Den mit Abstand detailliertesten Bericht bietet uns [Publius] Cornelius Tacitus, ein senatorischer Historiograph, der die Ereignisse im Rahmen seiner wohl in den 110er-Jahren ent-
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achten Jahr seiner Herrschaft fasste Nero den Entschluss, sich von seiner damaligen Frau, der jüngsten Tochter seines kaiserlichen Adoptivvaters Claudius (reg. 41–54), zu trennen. Unter dem Vorwand von Unfruchtbarkeit und Ehebruch wurde sie zunächst nach Kampanien, später auf die Insel Pandateria (heute Ventotene) im Tyrrhenischen Meer verbannt, wo sie am 9. Juni schließlich auf Anordnung des Kaisers den Tod fand. Bei der Verstoßenen handelte es sich um Octavia.6 Ihrem Schicksal ist die Tragödie gewidmet, der sie ihren Namen leiht. Bereits in den Darstellungen der antiken Geschichtsschreiber geht der Fall Octavias in seinen Implikationen weit über die ›Privatsphäre‹ der kaiserlichen Familie hinaus.7 So wird berichtet, dass sich die stadtrömische Bevölkerung angesichts der Verbannung der populären Kaisergattin zu Protesten bereitfand und insbesondere daran Anstoß nahm, dass Nero nur kurze Zeit später seine bereits schwangere Geliebte Poppaea Sabina heiratete.8 In der Rückschau der Ereignisse fügt sich das Schicksal Octavias zudem sinnbildlich in den weiteren historischen Kontext ein: Nach einer als besonders glücklich empfundenen Anfangsphase der Herrschaft Neros musste das Jahr 62 in gewisser Weise als standenen ›Annales‹ (Tac. ann. 14,51–65) überliefert; vgl. Ronald Syme, Tacitus. 2 Bde., Oxford 1958; Stephan Schmal, Tacitus (Studienbücher Antike 14), 4., unveränd. Aufl., Hildesheim/ Zürich/New York 2016. Weniger umfangreiche Darstellungen finden sich zudem in den vermutlich nur wenig später verfassten Kaiserbiographien Suetons (Suet. Nero 35) und in der ›Römischen Geschichte‹ Cassius Dios (Cass. Dio 62,13f.), einem Geschichtswerk des dritten Jahrhunderts; vgl. Andrew Wallace-Hadrill, Suetonius. The Scholar and His Caesars (Classical Life and Letters), London 1983; Fergus Millar, A Study of Cassius Dio, Oxford 1964. Vor allem der taciteische Bericht ist dabei immer wieder mit der Darstellung der ›Octavia‹ verglichen worden, wobei man mitunter zu der Ansicht gelangte, Tacitus habe die Tragödie nicht nur gekannt, sondern sogar als Vorlage für seine eigene Schilderung der Ereignisse verwendet, vgl. Ronaldo Ferri, Octavia’s Heroines. Tacitus Annales 14.63–64 and the Praetexta Octavia, in: Harvard Studies in Classical Philology 98 (1998), 339–356; Frances Billot, Tacitus Responds. Annals 14 and the Octavia, in: Wilson 2003, 126–141. Relativierend äußern sich hingegen: Rebekka Junge, Nicholas Trevet und die Octavia Praetexta. Editio princeps des mittelalterlichen Kommentars und Untersuchungen zum pseudosenecanischen Drama (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums. 1. Reihe. Monographien 14), Paderborn/ München/Wien et al. 1999, 183–197; sowie Michael Brinkmann, Seneca in den Annalen des Tacitus, Univ., Diss., Bonn 2002, 158–166. Siehe auch Adelheid Bruder, Die Form der Tragik in der Praetexta ›Octavia‹, Univ., Diss., Freiburg i. Breisgau 1958, 111–132. 6 Das genaue Todesdatum Octavias wird indirekt über eine Bemerkung Suetons erschlossen, wonach Nero sich am gleichen Tag das Leben nahm, an dem er einst Octavia ermorden ließ, Suet. Nero 57,1. Zur Errechnung des Todesdatums Neros siehe Ludwig Holzapfel, Römische Kaiserdaten (Teil 1), in: Klio. Beiträge zur Alten Geschichte 12 (1912), 483–493. 7 Angesichts des vollkommen auf seine Person zugeschnittenen Prinzipatssystems hatte der Kaiser gewissermaßen überhaupt kein ›Privatleben‹, sondern stand als regelrechte Personifizierung des römischen Staatswesens (auch in Angelegenheiten seines Hauses) permanent im öffentlichen Fokus. Programmatisch erscheint in diesem Kontext die vom augusteischen Dichter Ovid formulierte Gleichsetzung des Kaisers mit der res publica an sich: res est publica Caesar (Ov. trist. 4,4,15f.). 8 Tac. ann. 14,59–61; Suet. Nero 35,1–3.
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regelrechte Zäsur empfunden werden. Als Grund hierfür hat dabei das Urteil der Zeitgenossen zu gelten, dass der zu Regierungsantritt erst 16-jährige Kaiser in seinen ersten Jahren unter dem äußerst positiven Einfluss zweier, sich vorteilhaft ergänzender Erzieher- bzw. Ratgeber-Figuren stand, nämlich des Prätorianerpräfekten Burrus und Senecas.9 Als Burrus im Jahr 62 verstarb und Ofonius Tigellinus als Nachfolger auf den Posten des praefectus praetorio berufen wurde, schien auch der Einfluss Senecas gebrochen, welcher sich hiernach mehr und mehr aus dem politischen Bereich zurückzog.10 In der Folge habe Nero – so zumindest die Darstellung der Geschichtsschreiber – dementsprechend mit Unterstützung des Tigellinus den Neigungen seiner wahren Tyrannen-Natur nachgehen können, was sich nicht zuletzt an einem verstärkten Vorgehen gegen vermeintlich oppositionell gesonnene Angehörige der römischen Oberschicht zeigte;11 in diesem Kontext ist besonders die Ermordung der beiden mit Nero verwandten Senatoren Rubellius Plautus und Faustus Cornelius Sulla hervorzuheben, deren Schicksal auch innerhalb der ›Octavia‹ ein prominenter Platz zukommt.12 Die literarische Rezeption der Ereignisse des Jahres 62 in Form einer Tragödie, in der die sich über mehrere Monate erstreckenden Entwicklungen auf nur drei aufeinanderfolgende Tage verdichtet werden,13 hat die Forschung vor einige Rätsel gestellt. Insbesondere die Frage nach dem Autor, der Datierung und 9 Ihren wohl sinnfälligsten Ausdruck findet diese Auffassung dabei in den angeblich auf Kaiser Trajan (reg. 98–117) zurückgehenden Worten, wonach die (ersten) fünf Regierungsjahre Neros zu den besten des gesamten Prinzipats zu zählen seien (Aur. Vict. 5,2: quinquennium Neronis). Vgl. Miriam T. Griffin, Nero. The End of a Dynasty (Batsford Studies in Archeology), London 1984, 37–66; Jürgen Malitz, Nero (Beck′sche Reihe 2105), 2., durchges. Aufl., München 2013, 21–29. 10 Tac. ann. 14,51f.; Cass. Dio 61,4,5. Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass sich Burrus zuvor offenbar entschieden gegen eine Trennung Neros von Octavia ausgesprochen hatte, Cass. Dio 62,13. 11 Eine entscheidende Maßnahme stellte dabei die Wiedereinführung der so genannten ›Majestätsprozesse‹ dar. Es handelt sich hierbei um juristische Verfahren, welche gegen Personen angestrengt wurden, denen man vorwarf, ein Verbrechen gegen die kaiserliche maiestas begangen zu haben. Aufgrund der Weitläufigkeit dieses Tatbestands, der mit dem Tod bestraft werden konnte, wurden solche Prozesse nicht selten genutzt, um gegen potenzielle wie tatsächliche Rivalen vorzugehen, vgl. Martin Avenarius, Maiestas (Crimen maiestatis), in: Reallexikon für Antike und Christentum 23 (2010), Sp. 1135–1156. Zur Rolle des Tigellinus während der Vorgänge des Jahres 62 siehe Tac. ann. 14,57–60. 12 Oct. 437f.; 462–471. Zu den Hintergründen und Umständen ihrer Ermordung siehe Robert S. Rogers, Heirs and Rivals to Nero, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 86 (1955), 190–212. 13 Die Handlung beschränkt sich dabei auf den Vortag der Hochzeit Neros mit Poppaea, den Tag der Hochzeit sowie den Tag danach. Zum zeitlichen Rahmen der Tragödie siehe Cecil J. Herington, Octavia praetexta. A Survey, in: Classical Quarterly 11, 1 (1961), 18–30, hier 21f.; Dana F. Sutton, The Dramaturgy of the Octavia (Beiträge zur klassischen Philologie 149), Königstein i. Taunus 1983, 12–14; Schmidt 1985, 1443–1448; Kragelund 2016, 151–153.
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– hiermit verbunden – nach der eigentlichen Wirkungsabsicht der ›Octavia‹ ist bis heute äußerst umstritten und lässt sich auch künftig wohl kaum ohne neue und eindeutige Befunde zweifelsfrei beantworten. Demgemäß kann auch im Rahmen des vorliegenden Beitrags nur mit bereits bekannten Einsichten operiert werden, die eine bestimmte Verortung des Werkes jedoch zumindest sehr plausibel machen. So gilt die Autorschaft Senecas, in dessen Tragödiencorpus sich die ›Octavia‹ erhalten hat, mittlerweile als ausgeschlossen.14 Die in diesem Zusammenhang angeführten Argumente umfassen – neben der Problematisierung des Umstands, dass Seneca im Stück selbst als handelnde Figur in Erscheinung tritt – vor allem überlieferungsgeschichtliche, sprachlich-stilistische, metrische sowie chronologische Einwände15 und gehen somit über die sich eigentlich aufdrängende Frage hinweg: Aus welchem Grund hätte sich Seneca, der im Zuge der Aufdeckung einer vermeintlichen Verschwörung im Jahr 65 schließlich auf Initiative Neros in den Selbstmord getrieben wurde, mit der Abfassung einer derart deutlich gegen den Kaiser gerichteten Schrift einem solchen Risiko aussetzen sollen?16 Jedem ernsthaften Versuch, hierauf eine 14 Zur Überlieferungsgeschichte der ›Octavia‹ siehe Otto Zwierlein, Prolegomena zu einer kritischen Ausgabe der Tragödien Senecas (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 1983, 3), Mainz/ Wiesbaden 1983, 7–181. Die Frage nach Autorschaft und Abfassungszeit des Stücks wird erstmals in der Korrespondenz des italienischen Humanisten Coluccio Salutati formuliert, der die Autorschaft Senecas bereits in Zweifel zog, vgl. Coluccio Salutati, Epistolario. 1, ed. Francesco Novati (Fonti per la storia d’Italia 15. Epistolari, secolo XIV), Rom 1891, 150–155 (Brief 8 vom 15. Oktober 1371), bes. 152f. Wenn auch der Großteil der Forschung die Autorschaft Senecas ausschließt, wird die entsprechende Gegenmeinung doch immer wieder vereinzelt vertreten, vgl. Beck 2007, 5f. (Anm. 2) mit einer Zusammenstellung der einschlägigen Titel. 15 Dass es im Rahmen einer fabula praetexta grundsätzlich möglich war, als Autor im eigenen Werk aufzutreten, ist wiederholt mit dem Hinweis auf ein Stück zu belegen versucht worden, das Lucius Cornelius Balbus minor zugeschrieben wird, dessen Autorschaft jedoch unsicher bleiben muss, vgl. Manuwald 2001, 54–62 (in Auseinandersetzung mit Cic. fam. 10,32). Bezüglich der weiteren Einwände siehe exemplarisch Rudolf Helm, Die Praetexta ›Octavia‹ (Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Sonderausgabe 16), Berlin 1934; Herington 1961, 18–30; Margarethe Billerbeck, Senecas Tragödien. Sprachliche und stilistische Untersuchungen (Mnemosyne. Supplementum 105), Leiden/New York/Kopenhagen et al. 1988, 174–181; Junge 1999, 215–272; Octavia. A Play Attributed to Seneca, ed. with Introd. and Commentary by Rolando Ferri (Cambridge Classical Texts and Commentaries 41), Cambridge/New York/Port Melbourne et al. 2003, 31–54 (metrische und sprachlich-stilistische Einwände); Martin E. Carbone, The Octavia. Structure, Date, and Authenticity, in: Phoenix 31, 1 (1977), 48–67; Schmidt 1985, 1449f. (chronologische Einwände). 16 Es handelt sich hierbei um die so genannte ›Pisonische Verschwörung‹, deren genauen Hintergründe bis heute umstritten sind, Tac. ann. 15,48–59. Dem Tod Senecas hat Tacitus indes eine berühmte Szene gewidmet: Tac. ann. 15,60–64; vgl. Brinkmann 2002, 91–154; Stephan Schmal, Held oder Harlekin? Der sterbende Seneca bei Tacitus, in: Klio. Beiträge zur Alten Geschichte 90, 1 (2008), 105–123.
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Antwort geben zu wollen, liegt dabei ein Seneca-Bild zugrunde, das sich in seiner allzu idealisierten Zeichnung wohl mehr nach Wunschvorstellungen und weniger nach dem richtet, was sich in den uns überlieferten antiken Quellen tatsächlich greifen lässt.17 Wenn auch Seneca selbst nicht als Autor des Werkes in Betracht kommt, ist in der Forschung immer wieder die Vermutung geäußert worden, die ›Octavia‹ sei zumindest in dessen engerem Umfeld zu verorten und entstamme der Feder eines seiner Schüler, Freunde oder Bewunderer.18 Angesichts zahlreicher motivischer wie wörtlicher Übereinstimmungen mit den Schriften des Philosophen lässt sich durchaus von einer gewissen Nähe zum Wirken Senecas sprechen, doch scheint fraglich, inwiefern hier nicht nur auf Dinge rekurriert wurde, die ohnehin bereits durch die Lektüre der entsprechenden Schriften zugänglich waren. Wesentlich aufschlussreicher erweist sich in diesem Zusammenhang der Blick auf die Themenwahl des Dramas. Wenn auch verschiedentlich hervorgehoben wurde, die ›Octavia‹ beanspruche in ihrer dezidiert politischen Lesart eine Gültigkeit, die weit über eine bestimmte zeitliche Phase (oder Kaiserdynastie) hinausreiche, ist doch davon auszugehen, dass der Entscheidung des Autors, mit dem Schicksal Octavias eine Episode des neronischen Prinzipats zum Gegenstand der Tragödie zu machen, gewisse Motive zugrunde lagen, die sich zunächst aus dem Gesichtskreis der entsprechenden Abfassungszeit herleiten.19 Die wohl besten Ar17 In ihrer Kühnheit aufschlussreich erscheint in diesem Zusammenhang die Interpretation, wonach die ›Octavia‹ mit der senecaischen ›Apocolocyntosis‹ zu verknüpfen sei und somit als Teil eines Diptychons zu gelten habe, das einerseits eine Abrechnung Senecas mit den beiden Kaisern Claudius und Nero darstelle sowie andererseits in der Art einer Apologie das Handeln (und letztlich: Scheitern) des Philosophen am Kaiserhof gegenüber der Nachwelt rechtfertigen sollte, vgl. Berthe M. Marti, Seneca’s Apocolocyntosis and Octavia. A Diptych, in: American Journal of Philology 73, 1 (1952), 24–36 (zuvor bereits: Dies., The Fabulae Praetextae and Seneca’s Octavia, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 80 [1949], 427f.); Giuseppe G. Gamba, Seneca rivisitato. Per una lettura contestuale dell’Apocolocyntosis e dell’Octavia, Rom 2000. Die bei Cassius Dio (62,25,2) überlieferte Notiz, wonach Seneca verschiedene seiner Schriften, von denen er befürchtete, sie könnten nach seinem Tod in Neros Hände fallen und vernichtet werden, bei Freunden hinterlegen ließ, mag die Vorstellung eines oppositionellen Schaffens beflügelt haben. 18 Vgl. Winfried Trillitzsch, Seneca im literarischen Urteil der Antike. Darstellung und Sammlung der Zeugnisse, 2 Bde., Amsterdam 1971, 43–48; Friedrich Bruckner, Interpretationen zur Pseudo-Seneca-Tragödie Octavia, Univ., Diss., Erlangen/Nürnberg 1976, 7f.; Eckard Lefèvre, Die politische Bedeutung der römischen Tragödie und Senecas ›Oedipus‹, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 32, 2 (1985), 1242–1262, hier 1260f. Eine Zusammenstellung der in der Forschung als in Frage kommend diskutierten Kandidaten bietet Beck 2007, 20. 19 So stellt etwa Beck 2007, 44, mit Blick auf die (politische) Intention des Bühnenstücks die Frage, »inwieweit es sich dabei um eine aktuell zeitgerichtete Aussageabsicht nach angeblich typischer Art einer praetexta handelt, und nicht eher um eine allgemeine politische Erkenntnis im Sinne einer zeitlos exemplarischen Gültigkeit der Darstellung«. Manuwald 2001, 322 (Anm. 140), gesteht der politischen Aussage der ›Octavia‹ ebenso eine »überzeit-
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gumente finden sich dabei für eine Einordnung in die Epoche der flavischen Kaiserdynastie.20 Nach dem Tode Neros, der zugleich das Ende der iulisch-claudischen Dynastie bedeutete, kam es zu einer gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzung um den römischen Kaiserthron, aus der mit Vespasian (reg. 69–79) schließlich ein Prätendent als Sieger hervorging, welcher – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – über keine verwandtschaftliche Beziehung zum Prinzipatsgründer und ersten Kaiser Augustus († 14) verfügte.21 Die sich hieraus in besonderer Weise ergebende Frage nach der Legitimation seiner Herrschaft versuchte Vespasian dabei nicht zuletzt in der Konfrontation mit dem neronischen Prinzipat zu begegnen, das gleichsam zur negativen Kontrastfolie der eigenen (glückverheißenden) Regierung stilisiert wurde.22 Unter diesen Bedingungen stellte sich die von ihm begründete neue Kaiserdynastie der Flavier in die Traditionslinie des Claudius, der als letzter ›guter‹ princeps vielfältige Anknüpfungspunkte bot und den neuen Herrschern zudem die Möglichkeit eröffnete, das von ihm und seiner Familie durch Nero erfahrene Unrecht herauszustellen und im Nachhinein symbolisch zu sühnen.23 Der literarischen Rezeption des Schicksals der Claudius-Tochter
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liche Bedeutung« zu, wählt hier jedoch einen differenzierteren Ansatz, 336: »Die politische Aussage der Octavia als solche, Kritik an Neros Herrschaftspraxis und Entwurf einer positiven Alternative, kann ohne Berücksichtigung von Autor und Abfassungszeit ermittelt werden. Die konkrete Relevanz der vorgeführten Problematik und somit die Brisanz des Stücks hängen jedoch von der Abfassungszeit ab.« Wenn auch der Großteil der Forschung diese Einschätzung teilt, lässt sich keineswegs davon sprechen, dass die Diskussion um die Datierung »mittlerweile zugunsten der frühen flavischen Zeit entschieden [scheint]« wie es Christoph Schubert, Studien zum Nerobild in der lateinischen Dichtung der Antike (Beiträge zur Altertumskunde 116), Stuttgart/Leipzig 1998, 254f., formuliert. Einen prägnanten Überblick über die zahlreichen verschiedenen Datierungsvorschläge bietet Beck 2007, 7–18. Zum flavischen Charakter der Tragödie siehe Joseph A. Smith, Flavian Drama. Looking Back with Octavia, in: Anthony J. Boyle/William J. Dominik (edd.), Flavian Rome. Culture, Image, Text, Leiden/Boston 2003, 391–430. Vgl. Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich (Historische Studien 7), 2., akt. u. erw. Aufl. Frankfurt a. Main 2019. Dass Vespasian keine entsprechende Abstammung vorweisen konnte, ist gerade zu Beginn seiner Herrschaft als Manko empfunden worden, wie nicht zuletzt aus Berichten hervorgeht, wonach man versucht haben soll, den neuen Kaiser mit einem ›standesgemäßen‹ Stammbaum auszustatten, Suet. Vesp. 12. Exemplarisch sei hier nur auf die flavische Baupolitik in Rom verwiesen: So wurden weite Teile des Geländes, das vormals zum neronischen Palast, der domus aurea, gehörte, mit dem Amphitheatrum Flavium (›Kolosseum‹) und den Titus-Thermen in einer Art überbaut, die als demonstrative Rückgabe des zuvor vom Tyrannen Nero okkupierten Landes an das Volk verstanden werden konnte bzw. sollte, vgl. Andrea Scheithauer, Kaiserliche Bautätigkeit in Rom. Das Echo in der antiken Literatur (Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien 32), Stuttgart 2000, 129–132. Vgl. Johanna Leithoff, Macht der Vergangenheit. Zur Erringung, Verstetigung und Ausgestaltung des Principats unter Vespasian, Titus und Domitian (Schriften zur politischen Kommunikation 19), Göttingen 2014, 147–175.
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Octavia in Form einer Tragödie käme in diesem Kontext eine weitere Bedeutungsebene zu, die jenseits ihrer Exemplifikation der neronischen Tyrannis als Beitrag eines Diskurses verstanden werden könnte, in welchem vor dem Hintergrund einer neuartigen politischen Situation die Frage erörtert wurde, was einen guten Herrscher eigentlich ausmache und zum Kaisertum befähige.
Die Einführung der Ratgeberfigur Seneca »Warum, [unbändige] Fortuna, mit trügerischer Miene mir schmeichelnd, hast du mich, der ich mit meinem Lose zufrieden, hoch erhoben? Daß ich aufgenommen in erhabener Burg um so schwerer stürze und so viele Ängste vor Augen habe? Besser lebte ich verborgen, fern von der Mißgunst Bosheit verbannt inmitten der Klippen des Korsischen Meeres, wo der Geist frei und Herr eigenen Rechtes mir zu meinem Forschen immer Muße ließ.«24
Mit dieser an die Schicksalsgöttin Fortuna gerichteten Klage, die am Beginn eines längeren Monologes (V. 377–436) steht, gibt sich der zuvor in keiner Weise angekündigte und auch im weiteren Verlauf nicht mit Namen bezeichnete Seneca dem Publikum als Ratgeber des Kaisers zu erkennen und führt sich zugleich selbst in die Handlung des Dramas ein.25 In Umkehrung des Modells der senecaischen Tragödien, in denen zunächst die Figur des Tyrannen durch ein soliloquium als Protagonist in Erscheinung tritt, erhält hier die Figur des Ratgebers das Vorrecht der monologischen Eröffnungsrede, die als längster Redebeitrag des gesamten Bühnenstücks einmal mehr auf den Stellenwert ihres Sprechers hinweist.26 Nur wenige Worte sind nötig, um dem antiken Rezipienten
24 Oct. 377–384: Quid, impotens Fortuna, fallaci mihi / blandita uultu, sorte contentum mea / alte extulisti, grauius ut ruerem edita / receptus arce totque prospicerem metus? / melius latebam procul ab inuidiae malis / remotus inter Corsici rupes maris, / ubi liber animus et sui iuris mihi / semper uacabat studia recolenti mea. Übersetzung bei Seneca, Sämtliche Tragödien. 2 Bde., übers. u. erl. v. Theodor Thomann (Die Bibliothek der Alten Welt. Römische Reihe), Zürich/ Stuttgart 1961–1969, der Fortuna auf Grundlage seiner Textvorlage (Quid me, potens Fortuna) das Adjektiv »mächtig« beilegt. 25 Lediglich in der zu Beginn des vorliegenden Aufsatzes zitierten Abweisung Neros (Oct. 589), d. h. erst am Ende des Gesprächs zwischen Kaiser und Ratgeber, wird Senecas Name genannt. Eine ähnlich indirekte Einführung in die Handlung lässt sich auch für Octavia und Agrippina feststellen, vgl. Octavia, ed. Ferri 2003, 57f.; der Auftritt Neros wird dagegen angekündigt (Oct. 435f.). Sander M. Goldberg, Authorizing Octavia, in: Wilson 2003, 13–36, hier 23 (Anm. 21), sieht in dieser variierenden Einführung der Figuren des Dramas ein Indiz dafür, dass die ›Octavia‹ mehr als Stück zur Rezitation denn zur Aufführung konzipiert worden ist. 26 Vgl. Elz˙bieta Wesolowska, Seneca in the Octavia, in: Eos. Commentarii Societatis Philologae Polonorum 84 (1996), 285–291, hier 288–290; Gesine Manuwald, The Concepts of Tyranny in Seneca’s Thyestes and in Octavia, in: Wilson 2003, 37–59, hier 48; Octavia, ed. Boyle 2008, lxvi und 168. Zum grundsätzlichen Verhältnis der ›Octavia‹ zum Modell der senecaischen
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die Identität des Klagenden zu offenbaren und die im Kontext des Dramas wesentlichen Punkte der als grundsätzlich bekannt vorausgesetzten Hintergrundgeschichte der historischen Persönlichkeit Senecas zu vergegenwärtigen.27 Als Ausgangspunkt dient hierbei die Erwähnung des korsischen Exils. Senecas Verbannung nach Korsika, welche unmittelbar nach dem Herrschaftsantritt des Claudius im Jahr 41 infolge seiner Verwicklung in eine Hofintrige gegen ihn ausgesprochen worden war, bildete zugleich den Prolog seiner späteren außergewöhnlichen Karriere.28 Auf Initiative der Kaisergattin Agrippina war er zu Beginn des Jahres 49 nach Rom an den Kaiserhof zurückgerufen worden, um dort Nero, ihrem Sohn, der nur wenig später von Claudius adoptiert und zum Nachfolger aufgebaut werden sollte, als Lehrer bzw. Prinzenerzieher zu dienen.29 In der Rückschau der Ereignisse stellt sich das korsische Exil demgemäß als Sehnsuchtsort dar, an dem es möglich war, fernab der (höfischen) Niedertracht und frei von allen Zwängen den eigenen wissenschaftlichen Studien unbekümmert nachzugehen.30 Die vermeintliche Befreiung aus der Verbannung erscheint in dieser Perspektive geradezu ins Gegenteil verkehrt. Die Beglaubigung als Ratgeber erfolgt hier zunächst in gewisser Weise textextern. Allein die Berufung Senecas an den Hof des Kaisers, von der sich
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Tragödien siehe Joe Park Poe, Octavia Praetexta and Its Senecan Model, in: American Journal of Philology 110 3 (1989), 434–459. Es sei an dieser Stelle nur exemplarisch auf wenige Einführungen zum Leben und Wirken Senecas verwiesen: Miriam T. Griffin, Seneca. A Philosopher in Politics, Oxford 1976; Marion Giebel, Seneca (Rowohlts Monographien 50575), Reinbek b. Hamburg 1997; Gregor Maurach, Seneca. Leben und Werk, 6., bibliograph. aktualisierte u. mit einem Nachtr. vers. Aufl., Darmstadt 2013; zuletzt Shadi Bartsch/Alessandro Schiesaro (edd.), The Cambridge Companion to Seneca (Cambridge Companions to Literature), Cambridge/New York 2015. Dass der Autor der Tragödie von seinen Rezipienten in dieser Hinsicht einiges erwarten konnte, ergibt sich, wenn man von einer Entstehung des Stücks in flavischer Zeit und somit von einer zeitlichen Nähe zum neronischen Prinzipat ausgeht. Wie aus den antiken Quellen ersichtlich wird, wurde Seneca als Ehebrecher exiliert: Offenbar auf Betreiben der damaligen Kaisergattin Messalina warf man ihm vor, eine außereheliche Verbindung mit Iulia Livilla, der Nichte des Kaisers, eingegangen zu sein, die ihrerseits von Messalina als gefährliche Rivalin um die Gunst des Claudius eingeschätzt wurde und dementsprechend ausgeschaltet werden sollte, Tac. ann. 13,42,2f.; Cass. Dio 60,8,5. Vgl. zusammenfassend Werner Eck, Die iulisch-claudische Familie. Frauen neben Caligula, Claudius und Nero, in: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (ed.), Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora, München 2002, 103–163, hier 121f. Tac. ann. 12,8,2; Suet. Nero 7,1; Cass. Dio 61,32,3. Zur Rolle Senecas am Kaiserhof siehe überblicksartig Manfred Fuhrmann, Seneca und Kaiser Nero. Eine Biographie, Berlin 1997, 155–174. In seinen im Exil entstandenen Werken stellt Seneca seinen Verbannungsort mitunter deutlich negativer dar, etwa in seiner Trostschrift an den kaiserlichen Freigelassenen Polybios (Sen. dial. 11). Die Vorstellung des freien Geistes, der sich ganz den Forschungen widmen kann, findet sich in ähnlichen Worten auch in der gleichfalls im Exil verfassten Trostschrift an seine Mutter Helvia: Sen. dial. 12,20; siehe darüber hinaus auch Sen. epist. 124,12; benef. 3,20,1; nat. 3, praefatio 2; dial. 12,8,6.
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Agrippina laut Tacitus gerade »wegen der Berühmtheit seiner Schriften« einiges versprach, verweist auf die Reputation, die sich der zuvor Exilierte insbesondere als Redner und Autor zahlreicher, weit gefächerter Werke erworben hatte31. Nach dem Herrschaftsantritt Neros verblieb Seneca in dessen engstem Umfeld und avancierte zu einem der wichtigsten Berater des jungen Kaisers, dem gegenüber er sich auch weiterhin als Erzieher verpflichtet fühlte. Seinen wohl berühmtesten literarischen Ausdruck fand dieses Verhältnis schließlich in Senecas Schrift de clementia (›Über die Milde‹), welche sich in der Art eines Fürstenspiegels direkt an Nero wendet und ihm konkrete Handlungsmaximen an die Hand gibt, welche zu guter Herrschaft anleiten sollen.32 Die zu Beginn des Monologes von Seneca formulierte Klage mag dabei nicht recht zum Bild des Philosophen passen, der als bekennender Anhänger der so genannten ›Stoa‹ darum bemüht sein musste, im Sinne der Affektkontrolle auch persönliche Schicksalsschläge mit Fassung zu (er)tragen.33 Während Seneca zunächst dazu anzusetzen scheint, sein Fatum in individueller Prägung zu zeichnen, eröffnet er im Anschluss hieran sogleich eine Perspektive, welche die Vorgänge im Wissen um die späteren Ereignisse in einen größeren Zusammenhang einordnet. In Anlehnung an den in der antiken Literatur vielfach ausgestalteten Mythos der Weltzeitalter schildert Seneca den kontinuierlichen Niedergang der Weltgeschichte, dem auch er in seinem persönlichen Schicksal unmöglich entgehen kann.34 Ausgehend vom goldenen Zeitalter, in dem die Menschen unter der Herrschaft von Iustitia an der Seite der Fides (als Personifikation der Treue und Redlichkeit) noch in Eintracht, Frieden und Wohlstand leben konnten, wird das Bild eines permanenten Abstiegs gezeichnet, der unweigerlich auf den »letzten Tag« (dies supremus) hinausläuft, an dem das »fre31 Tac. ann. 12,8,2: ob claritudinem studiorum eius. Siehe in diesem Kontext auch Quint. inst. 10,1,128f. 32 Seneca selbst führt diese Programmatik zu Beginn seiner Schrift explizit aus: Sen. clem. 1,1,1. 33 Diese Diskrepanz ist auch von der Forschung verschiedentlich hervorgehoben und diskutiert worden – freilich mit unterschiedlichem Ergebnis. Während Bruckner 1976, 33, davon ausgeht, der Dichter der ›Octavia‹ habe Senecas Schicksal »möglichst eindrucksvoll« darstellen wollen und sei dabei aufgrund »literarische[r] Clichés« zu einer uneinheitlichen Konzeption der Senecafigur gelangt (siehe auch ebd. 14–20), erkennt Schubert 1998, 257f., hierin eine Technik: Die Figurenzeichnung der ›Octavia‹ falle bewusst ambivalent aus, um »den wahren Charakter der Figuren erst allmählich zu enthüllen und so ein tieferes Eindringen in ihre Psyche zu ermöglichen«. Kragelund 2016, 214, hebt dagegen die sehr eindringliche und menschliche Darstellung des Philosophen im Sinne des Dramas hervor (»a mask was here becoming a face«). 34 Oct. 391–428. Als Grundlage für die Schilderung der Weltzeitalter hat die im Römischen besonders prägende Ausgestaltung des Mythos bei Ovid (met. 1,89–150) zu gelten. Auch in den Werken Senecas finden sich entsprechende Vorstellungen: Sen. epist. 90,26; 90,35–46; Phaedr. 525–558; vgl. Gareth Williams, Nero, Seneca and Stoicism in the Octavia, in: Jás Elsner/Jamie Masters (edd.), Reflections of Nero. Culture, History, and Representation, London 1994, 178–195, hier 180–182.
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velhafte Geschlecht« (genus impium) von der Erde vertilgt und ein Neues erstehen wird.35 Senecas Beschreibung der Gegenwart als eine von Verbrechen (scelera), Ruchlosigkeit (impietas), Wollust (libido) und Zügellosigkeit (luxuria) geprägte Zeit lässt dabei keinen Zweifel daran, welches Stadium er innerhalb des Weltzyklus erreicht sieht.36 In stellenweise enger Anlehnung an die senecaischen Schriften wird im Rahmen der monologischen Eröffnungsrede ein Figurenbild entworfen, das der historischen Persönlichkeit Senecas in einer Weise nahekommen soll, die dazu geeignet scheint, die gesamte Autorität des berühmten Politikers und Philosophen in das sich hieran anschließende Streitgespräch mit Nero einzubringen. Mit seinen Ausführungen zur kosmischen Weltordnung gibt sich Seneca dem Publikum dabei als Weiser zu erkennen, der im Wissen um die Unentrinnbarkeit des Schicksals zugleich sorgenvoll und ohnmächtig erscheint.37 Das Modell der Degeneration der Weltzeitalter dient zudem als assoziative Überleitung. Auf dem Höhepunkt der immer dichter werdenden apokalyptisch anmutenden Beschreibungen der sich anbahnenden finalen Katastrophe betritt der Kaiser die Bühne: »Doch siehe, mit bestürztem Schritt eilt Nero herbei und drohender Miene. Mich schaudert beim Gedanken, was er im Schilde führe.«38
35 Zur Einordnung des in der ›Octavia‹ gezeichneten senecaischen Modells der Weltzeitalter siehe im Einzelnen Bruckner 1976, 20–32; Mireille Armisen-Marchetti, Le Sénèque de l’Octavie. Imago imaginis, in: Marie-Hélène Garelli-François (ed.), Rome et le tragique. Colloque international 26, 27, 28 mars 1998, Crata (Pallas. Revue d’études antiques 49), Toulouse 1998, 197–209, hier 205–207; Manuwald 2001, 297–299; Kragelund 2016, 214– 216. Zur Idee des dies supremus in den Schriften Senecas siehe Peter Habermehl, Die Dämonen der Geschichte. Trauerarbeit und historische Reflexion in der ps.-senecanischen Octavia, in: Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens 54 (2008), 113–128, hier 116 (Anm. 22). 36 Die genannten Auswüchse lassen sich dabei mehr oder weniger eindeutig mit verschiedenen Untaten Neros in Verbindung bringen, vgl. Bruckner 1976, 32; Schubert 1998, 267f.; Jakub Pigon´, The Portrayal of Seneca in the Octavia and in Tacitus’ Annals, in: Symbolae Philologorum Posnaniensium Graecae et Latinae 27, 3 (2017), 169–187, hier 171f. Interessant erscheint in diesem Kontext die Diskrepanz zu der in der neronischen Panegyrik prominenten Vorstellung, wonach Nero als Repräsentant des ›Goldenen Zeitalters‹ zu gelten habe; nicht zuletzt Seneca selbst tat sich dabei durch entsprechende Aussagen hervor: Sen. apocol. 4; Carm. Einsidl. 2,22–38; Calp. ecl. 1,42–45; 4,5–8; 7,73–78. 37 Vgl. Bruckner 1976, 33. 38 Oct. 435f.: Sed ecce, gressu fertur attonito Nero / trucique uultu. quid ferat mente horreo. Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann.
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Der Ratgeber und sein Kaiser Wie aus dem plötzlichen Auftritt Neros ersichtlich wird, befindet sich Seneca zum Zeitpunkt seines Monologes keineswegs in einem privaten Umfeld, sondern im kaiserlichen Palast.39 Auch das Aufeinandertreffen mit Nero stellt dementsprechend »keine vertraute Zusammenkunft von Erzieher und Schüler« dar, sondern findet stattdessen »in (halb)offizieller Situation«40 statt. Senecas Anwesenheit am Kaiserhof steht dabei im Widerspruch zur historischen Situation des Jahres 62: Nach dem, was wir von Tacitus wissen, hatte Seneca seine Stellung als Ratgeber des Kaisers zum Zeitpunkt der im Rahmen der Tragödie behandelten Ereignisse bereits verloren und sich ins Privatleben zurückgezogen.41 Der Umstand, dass ihm im Bühnenstück dennoch eine derart prominente und zentrale Rolle zukommt, ist dabei wohl weniger der Unwissenheit des (ansonsten gut informierten) Autors geschuldet, sondern vielmehr damit zu erklären, dass seine Figur aufgrund ihres bereits angeklungenen Potenzials in besonderer Weise geeignet schien, Nero als moralischer Konterpart entgegenzutreten und dabei dessen tyrannisches Wesen nicht nur sichtbar, sondern zugleich in seinen ihm zugrunde liegenden Motiven nachvollziehbar zu machen.42 Wie im Folgenden deutlich werden wird, hebt sich Seneca hierdurch klar von den übrigen im Stück vertretenen dramatis personae ab.43 Als Ausgangspunkt des Streitgesprächs zwischen Ratgeber und Kaiser dient bei alledem die Bewahrheitung der im letzten Satz des Monologes von Seneca geäußerten Befürchtung, Nero hege unheilvolle Absichten. So erteilt der Kaiser noch während seines Aufzugs einem namenlos bleibenden, ihn begleitenden Präfekten in knappen Worten den Befehl, dafür zu sorgen, dass ihm die abge39 Der stadtrömische Palast des Kaisers hat dabei als (Haupt-)Schauplatz der gesamten Handlung zu gelten, wenn auch seine lokalen Bedingungen im Stück nur angedeutet werden, vgl. Schmidt 1985, 1443f.; Kragelund 2016, 153–171, mit entsprechenden Belegstellen. 40 Beides Schubert 1998, 270. 41 Tac. ann. 14,57–59. Als chronologische Bezugspunkte können hierbei die Ermordungen von Plautus und Sulla sowie die Verstoßung Octavias dienen. 42 Auch »im strukturellen Bereich (Handlungsstraffung usw.)«, lässt sich laut Bruckner 1976, 42, kein Grund hierfür finden, wohl aber in der Tendenz des Stücks, Seneca als »Weisen« und »ethisches Gegenbild zum entarteten Nero« zu positionieren. Whitman erkennt in der anachronistischen Inszenierung Senecas im Stück gar den Versuch, den Philosophen hinsichtlich seines späteren Rücktrittsgesuchs und seiner Rolle innerhalb der Pisonischen Verschwörung in Schutz zu nehmen, siehe The Octavia, ed. with Introd., Text, and Commentary by Lucile Y. Whitman (Noctes Romanae. Forschungen über die Kultur der Antike 16), Bern/Stuttgart 1978, 78. 43 Zu nennen wären hier vor allem die beiden Ammen Octavias und Poppaeas, welche sich darum bemüht zeigen, ihren jeweiligen Herrinnen in angst- und sorgenvollen Zeiten Trost zu spenden und darauf hinzuwirken, sich im Sinne der Vernunft und Mäßigung zu verhalten, vgl. Wesolowska 1996, 288–290.
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schlagenen Köpfe seiner beiden Verwandten Plautus und Sulla überbracht werden mögen.44 Die ebenso militärisch-kurz gehaltene Antwort des Präfekten, nämlich die gehorsame Annahme des Befehls, zieht dessen Abgang nach sich und gibt Seneca die Möglichkeit, sich in direkter Weise an den Kaiser zu wenden. Ohne nach seinem Rat gefragt worden zu sein, nimmt er das zuvor Mitangehörte zum Anlass, um Nero von dessen Vorhaben abzubringen, woraufhin sich ein schneller, zunächst stichomythisch (in Vollversen), dann hemistichomythisch (in Halbversen) gehaltener Wortwechsel zwischen Beiden entspinnt: SENECA: NERO: SENECA: NERO: SENECA: NERO: SENECA: NERO:
Gegen die Nächsten unüberlegt vorzugehen schickt sich nicht. Gerecht zu sein fällt dem leicht, dessen Herz von Furcht frei ist. Ein mächtiges Heilmittel gegen Furcht ist Milde. Den Feind auszutilgen ist des Führers größte Tugend. Die größere für den Vater des Vaterlandes, Bürger zu bewahren. Für den milden Greis schickt sich, Knaben zu unterweisen. Lenken eher soll man die feurige Jugend. In meinem Alter wohnt, glaube ich, Einsicht genug.45
Bereits diese wenigen Worte reichen aus, um die Grundkonstellation des Gesprächs offenbar werden zu lassen. Während Seneca den Kaiser zunächst in Form von regelrechten Sentenzen davon abzubringen versucht, an der Ermordung von Plautus und Sulla festzuhalten, zeichnet er hiernach sogleich das Idealbild eines milden, gerechten und der Ethik (im Sinne der Stoa) verpflichteten Herrschers, welcher aufgrund der Liebe seiner Untertanen in der Lage ist, unangefochten zu regieren. Nero jedoch lehnt diese Vorstellung ab und beruft sich stattdessen auf die unumschränkte Macht eines autokratischen Herrschers, der im Wissen um seine Stellung rücksichtslos handelt.46 Dieser machiavellisch anmutende Diskurs 44 Oct. 437f. Zur Frage der Identität des im gesamten Stück namenlos bleibenden praefectus (praetorio), die in der Forschung immer wieder auch mit der Frage nach der Datierung des Dramas verknüpft wurde, siehe Timothy D. Barnes, The Date of the Octavia, in: Museum Helveticum. Schweizerische Zeitschrift für klassische Altertumswissenschaft 39, 2 (1982), 215–217; Patrick Kragelund, The Prefect’s Dilemma and the Date of the Octavia, in: Classical Quarterly 38, 2 (1988), 492–508; Beck 2007, 29–32. Die fast beiläufig anmutende Erteilung des Mordbefehls steht dabei in scharfem Kontrast zu der berühmten bei Sueton (Nero 10,2) überlieferten Episode, wonach Nero zu Beginn seiner Herrschaft angesichts eines von ihm zu unterzeichnenden Todesurteils ausgerufen haben soll: quam vellem nescire litteras. – »Wie sehr wollte ich, ich könnte nicht schreiben!« 45 Oct. 440–447: Se. Nihil in propinquos temere constitui decet. / Ne. Iusto esse facile est cui uacat pectus metu. / Se. Magnum timoris remedium clementia est. / Ne. Extinguere hostem maxima est uirtus ducis. / Se. Seruare ciues maior est patriae patri. / Ne. Praecipere mitem conuenit pueris senem. / Se. Regenda magis est feruida adolescentia. / Ne. Aetate in hac satis esse consilii reor. Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann. 46 Besonders deutlich stellt sich der Kontrast der beiden Positionen in der direkt auf die Stichomythie folgenden schnellen Wechselrede in Halbversen (V. 455–461) dar, in deren Rah-
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bildet das eigentliche ›Leitmotiv‹ des Gesprächs, dessen Figurenkonstellation bereits zu Beginn thematisiert wird. Die Tatsache, dass sich Seneca am Hof befindet und in der Lage ist, seine Worte direkt an den Kaiser zu richten, zeigt an, dass er (ungeachtet historischer Anachronismen) zum Zeitpunkt des Aufeinandertreffens mit Nero noch offiziell als dessen Ratgeber tätig ist, auch wenn sich sein schwindender Einfluss bereits deutlich abzeichnet.47 Neros spöttische Bemerkung, wonach es sich für den »milden Greis« (mitis senex) gehöre, »Knaben« (pueri) zu unterrichten, sowie die hierauf von Seneca gebotene Antwort, es sei nötig, die »hitzige Jugend« (fervida adolescentia) zu lenken, reflektieren das vormalige Verhältnis der beiden Gesprächspartner als Lehrer und Schüler, dem der Kaiser sich mittlerweile entwachsen wähnt.48 Die dementsprechend von Nero formulierte Selbsteinschätzung, er sei in seinem Alter (aetas) durchaus in der Lage, zu eigenen Einsichten zu gelangen, erscheint vor diesem Hintergrund förmlich wie eine Absage an frühere Zeiten, die – wie gezeigt – als glückliche Epoche in besonderer Weise mit Senecas Wirken als Erzieher und Ratgeber des Kaisers verbunden waren.49 Unter diesen Vorzeichen steht das im Folgenden näher zu betrachtende Streitgespräch men sich die unterschiedlichen Standpunkte geradezu schlagwortartig gegenübergestellt finden; vgl. Ekkehard Stärk, Die Gesprächsverdichtung in der Octavia, in: Ders./Gregor Vogt-Spira (edd.), Dramatische Wäldchen. Festschrift für Eckard Lefèvre zum 65. Geburtstag (Spudasmata. Studien zur Klassischen Philologie und ihren Grenzgebieten 80), Hildesheim 2000, 221–232, hier 223f. 47 Auch die einleitenden Worte des senecaischen Dialoges, in denen Seneca erklärt, in den kaiserlichen Palast, hier als arx, also (Zwing-)«Burg« bezeichnet, aufgenommen worden zu sein, bestätigen diesen Eindruck, Oct. 377–384. 48 Interessant erscheint in diesem Kontext der Befund, dass die hier vertretenden Standpunkte im berühmten Dialog zwischen Ratgeber und Kaiser bei Tacitus (ann. 14,53–56) geradezu ins Gegenteil verkehrt sind: Während Seneca seinen ehemaligen Schüler darum bittet, ihn von seinen Pflichten am Hof zu entbinden, lehnt Nero dies gerade unter dem Vorwand seiner Jugend ab, Tac. ann. 14,56,1: quin, si qua in parte lubricum adulescentiae nostrae declinat, revocas ornatumque robur subsidio impensius regis? Übersetzung Heller: »Warum willst du denn, wenn ich an irgendeiner Stelle in der Unsicherheit meiner Jugend (adulescentia) vom Wege abkomme, mich nicht zurückholen und die mit deinem Rückhalt ausgestattete Jugendkraft mit festerer Hand lenken?« Vgl. Pierre Grimal, Le discours de Sénèque à Néron dans les ›Annales‹ de Tacite, in: Giornale italiano di filologia 20 (1967), 131–138; Brinkmann 2002, 14–84; Habermehl 2008, 118; James Ker, Seneca in Tacitus, in: Victoria E. Pagán (ed.), A Companion to Tacitus (Blackwell Companions to the Ancient World), Malden, MA/Oxford/ Chichester 2012, 305–329, hier 322–324. 49 Diese Selbsteinschätzung findet sich in den Berichten des Tacitus (ann. 14,52,4) zu einer wohl aus dem engsten Umfeld des Kaisers erhobenen Forderung gewendet, sich Seneca zu entledigen: certe finitam Neronis pueritiam et robur iuventae adesse: exueret magistrum, satis amplis doctoribus instructus maioribus suis. Übersetzung Heller: »Sicher seien Neros Knabenjahre (pueritia) beendet, und er stehe in der Vollkraft seiner Jugend (iuventa): entledigen solle er sich also des Schulmeisters (magister), da er von vollauf ausreichenden Lehrern (doctores) unterwiesen werde in Gestalt seiner Vorfahren.« Im Jahr 62 stand der Kaiser dabei in seinem 25. Lebensjahr.
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(V. 440–592), dem nicht nur in Bezug auf die Handlung des Dramas, sondern gerade auch in Bezug auf die Aussage des gesamten Stücks eine zentrale Bedeutung zukommt.50 Sein auf den ersten Blick wechselhaft erscheinender Verlauf sei an dieser Stelle kurz zusammengefasst: Im Anschluss an die einführende, in Hinblick auf die Diskussion um die rechte Ausübung von Macht noch sehr schablonenartig anmutende Stichomythie holen beide Gesprächspartner in längeren Reden dazu aus, ihre jeweiligen Standpunkte noch klarer darzulegen (V. 462–532). Während etwa Nero den zuvor erteilten Mordbefehl damit rechtfertigt, dass Plautus und Sulla eine ernsthafte Bedrohung seiner Herrschaft darstellen (V. 462–471),51 unternimmt Seneca den Versuch, das ihm vorschwebende Herrscherideal am Beispiel des Dynastiegründers und ersten Kaisers Augustus zu bekräftigen (V. 472–491). Da sich dies jedoch durch eine ablehnende Entgegnung Neros (V. 492–532) als zwecklos erweist, geht Seneca dazu über, den Kaiser in ein Gespräch über den vor dem Hintergrund des Dramas eigentlichen Gegenstand der Diskussion, nämlich die befürchtete Verstoßung Octavias, zu verwickeln, indem er sich einer ganzen Bandbreite von verschiedenen Argumenten bedient, um Nero zum Festhalten an seiner Ehe mit der Claudius-Tochter zu bewegen (V. 533–592). Im Sinne der Tragödie erreicht er hiermit jedoch nur das Gegenteil: Durch das Eintreten seines ehemaligen Erziehers für die Sache Octavias52 fühlt sich Nero nur darin bestätigt, die Dinge zu beschleunigen, woraufhin er die Hochzeit mit Poppaea auf den nächsten Tag festsetzt. Das Gespräch mit Seneca findet infolgedessen ein abruptes Ende: »Laß endlich ab – schon wirst du mir allzu lästig –, so auf mich einzudringen; mir stehe frei zu tun, was ein Seneca mißbilligt.«53
Zum Scheitern verurteilt – Senecas vergeblicher Einsatz Senecas Scheitern als Fürsprecher Octavias ist unvermeidlich; auch der Mordbefehl gegen Sulla und Plautus lässt sich nicht mehr zurücknehmen. Der Ausgang des Dramas steht dabei für die Rezipienten des Bühnenstücks ebenso fest wie für den Ratgeber des Kaisers selbst, der – wie gezeigt – bereits im Rahmen seiner monologischen Eröffnungsrede die Unentrinnbarkeit des Schicksals heraus50 Vgl. Manuwald 2001, 317; Marcus Wilson, Allegory and Apotheosis in the Octavia, in: Ders. 2003, 60–88, hier 62f.; Pigon´ 2017, 170. Die Bedeutung des Streitgesprächs zeigt sich dabei nicht zuletzt an seiner zentralen Stellung im Stück. 51 Vgl. Schubert 1998, 269f. 52 Wesolowska 1996, 290, sieht Seneca geradezu als »mouthpiece« Octavias. 53 Oct. 588f.: Desiste tandem, iam grauis nimium mihi, / instare: liceat facere quod Seneca improbat. Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann.
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stellt.54 Senecas verzweifelter Versuch, in seiner Rolle als Ratgeber doch noch mäßigend auf den Kaiser einzuwirken, wurde – neben seiner eigentlichen Funktion im dramatischen Kontext – vor diesem Hintergrund in der Forschung immer wieder auch mit der Absicht des Tragödiendichters in Verbindung gebracht, Seneca in einem möglichst guten Licht darzustellen und ihn zugleich von jeder Mitschuld an den Untaten Neros freizusprechen.55 Gemäß dieser Auffassung habe Seneca alles in seiner Macht Stehende unternommen, um den Kaiser von dessen unheilvollem Vorhaben abzubringen, sei hiermit aber schließlich gescheitert, weil ein jeder am tyrannischen Wirken Neros scheitern musste.56 In der Tat greift Seneca im Verlaufe seines Gesprächs mit Nero auf eine ganze Reihe von verschiedenen Beglaubigungsstrategien zurück, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und seinen ehemaligen Schüler doch noch umzustimmen.57 Interessant erscheint dabei der Befund, dass es ihm zwar durchaus gelingt, hiermit zum Kaiser durchzudringen, dieser die Einwände seines alten Lehrers jedoch zumeist in der Art aufnimmt, dass er sie entweder schlicht verwirft, entkräftet oder aber in Form der Retorsion gegen ihre ursprüngliche Wirkungsabsicht umwendet. Während etwa Seneca davor warnt, mit unrechtem Handeln den Zorn der Götter zu erregen, maßt sich Nero an, über diesen zu stehen (V. 448–453). Während sich Seneca darum bemüht zeigt, die Eignung Octavias als Kaisergattin mit deren Abstammung und verschiedenen im Kontext der Ehe traditionellen Wertebegriffen wie probitas (Redlichkeit), fides (Treue), mores (Sitten) und pudor (Keuschheit) zu bekräftigen, kann Nero all dies ernsthaft in Zweifel ziehen (V. 533–552). Symptomatisch erscheint zudem der Umstand, dass es dem Kaiser gelingt, Senecas Vergleich des Kaiserpaares mit dem obersten Götterpaar Iuppiter und Iuno zu nutzen, um ihn gerade zugunsten Poppaeas umzuwenden: So sei diese seiner Ehe würdig durch (hohe) Abstammung (genus) und Schönheit (forma), welche selbst Göttinnen wie Venus, Minerva und Iuno zurückstehen lasse.58 Sogar auf der Ebene der philosophischen Argumentation kann Nero bestehen: So kontert er den (stoischen) Vorwurf 54 Schubert 1998, 267, erkennt in Senecas Monolog eines von gleich mehreren »Modell[en] der Fatalität«, die sich innerhalb der ›Octavia‹ finden lassen. 55 Vgl. etwa Bruckner 1976, 33; Schubert 1998, 272; siehe auch Trillitzsch 1971, 47f. Dass Seneca bereits zu Lebzeiten mit dem Vorwurf konfrontiert war, zu den größten Profiteuren der neronischen Tyrannis zu gehören, ist mehrfach bezeugt, Tac. ann. 13,42,4. Auch in seinen eigenen Werken scheint sich Seneca gegenüber derartigen Vorwürfen stellenweise positioniert zu haben, Sen. epist. 18,13; vgl. Fuhrmann 1997, 223–241. Beck 2007, 19–38, kann dagegen keine emotionale Beteiligung des Autors erkennen. 56 Hinsichtlich der Zugänglichkeit des Herrschers für guten Rat siehe auch den Beitrag von Felix Bohlen, Abschnitt: ›Von der Schwierigkeit des Ratgebens: Fu Yue im ›Han Feizi‹‹, 38–41. 57 Siehe im Einzelnen Schubert 1998, 270–272. 58 Oct. 544–546; zur ›göttlichen‹ Schönheit Poppaeas siehe zudem Oct. 199–221; 551f.; 706–709; 762–777; vgl. Patrick Kragelund, History, Sex and Scenography in the Octavia, in: Symbolae Osloenses. Norwegian Journal of Greek and Latin Studies 80, 1 (2005), 68–114, hier 78–86.
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seines alten Lehrers, wonach Amor nur für niedere Gelüste und Affekte stehe, mit der auf Epikur zurückgehenden Anschauung, dass gerade die voluptas, die sinnliche Lust, der Ursprung allen Lebens sei.59 Gemäß diesem Gesprächsverlauf zeigt auch Senecas letztes (politisches) Argument keine Wirkung: Seine Warnung vor einer Auflehnung des Volkes, das die Verstoßung Octavias niemals hinnehmen werde, schlägt Nero in den Wind, indem er erklärt, als Kaiser dürfe er keine Schwäche zeigen und sei im Recht, seinen Willen auch gegen etwaige Widerstände durchzusetzen (V. 572–585). Die hierin zum Ausdruck kommende Konfrontation zweier vollkommen unterschiedlicher, in sich jedoch zugleich völlig konsistenter Vorstellungen von angemessener Herrschaftsführung zeigt sich dabei nirgends so deutlich wie in der Diskussion des Beispiels des Prinzipatsgründers und ersten Kaisers Augustus (V. 472–532).
Das exemplum Augusti Das von Seneca ins Feld geführte Beispiel des Augustus umfasst die größten Wortbeiträge des gesamten Dialogs und nimmt zwischen der einleitenden Stichomythie sowie der finalen Auseinandersetzung um das Schicksal Octavias eine zentrale Stellung innerhalb des Gesprächs zwischen Kaiser und Ratgeber ein. Im Kontext der Tragödie scheint Seneca dieses exemplum in besonderer Weise geeignet, um das bereits zuvor gezeichnete Bild eines idealen Herrschers gegenüber Nero (wirksam) zu illustrieren. Lässt sich dies zum einen damit erklären, dass dem Prinzipatsgründer gerade im politischen Diskurs der Frühen Kaiserzeit eine zentrale Bedeutung zukam, dürfte sich hierin nicht zuletzt der Umstand widerspiegeln, dass Nero als Ururenkel in direkter Blutslinie von Augustus abstammte und dieses Verwandtschaftsverhältnis im Rahmen seiner medialen Repräsentation als Kaiser selbst in den Fokus rückte.60 Als entscheidend für die Wahl des exemplum Augusti hat schließlich jedoch wohl die Tatsache zu gelten, 59 Oct. 553–571. Emma Buckley, Nero Insitiuus. Constructing Neronian Identity in the PseudoSenecan Octavia, in: Alisdair G. G. Gibson (ed.), Julio-Claudian Succession. Reality and Perception of the ›Augustan Model‹ (Mnemosyne. Supplements 349), Leiden/Boston 2013, 133–154, hier 135, erkennt hierin eine Anspielung auf Sen. clem. 1,1,1, wo von der voluptas maxima omnium, der »größten aller Freuden« die Rede ist. Siehe auch Schubert 1976, 272; Junge 1999, 278–281. 60 Auch wenn Seneca im Rahmen seiner Ausführungen darauf verzichtet, das zwischen Nero und Augustus bestehende Verwandtschaftsverhältnis in Form entsprechender Bezeichnungen explizit herauszustellen, steht diese familiäre Verbindung sowohl den Beteiligten als auch den Rezipienten des Stücks deutlich vor Augen, vgl. etwa Tac. ann. 13,34,1; 14,53,3; 14,55,2 (Nero als abavus des Augustus). Eine Verbindung wird jedoch vermutlich in Oct. 248–251 hergestellt, wo Octavia ihrer Amme erklärt, Neros Laster beschmutzten den Namen des Augustus (nomen Augustum); siehe auch Sen. apocol. 10,4.
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dass Seneca selbst den Prinzipat des Augustus in seinen Schriften als Lehrbeispiel verwendet hat. Die in diesem Zusammenhang zweifellos bekannteste und zugleich wirkmächtigste Darstellung bietet dabei seine bereits erwähnte Abhandlung de clementia.61 Hier wird das augusteische Vorbild genutzt, um dem gerade an die Herrschaft gelangten Nero anhand eines Beispiels »aus der eigenen Familie«62 den Nutzen und die Bedeutung der Milde als wichtigste Herrschertugend vor Augen zu führen. Dieses senecaische Modell ist in der ›Octavia‹ deutlich erkennbar, wenn auch der Dichter des Dramas in einigen Punkten in bezeichnender Weise von seiner Vorlage abweicht. Augustus erscheint hier zunächst als Verkörperung des idealen Herrschers: »Schön ist hervorzuragen unter erlauchten Männern, für das Land zu sorgen, die Bedrängten zu schonen, wilden Blutvergießens sich zu enthalten, seinem Zorn ein Maß zu geben, dem Erdkreis Ruhe, seinem Jahrhundert Frieden. Das ist die höchste Tugend, auf diesem Weg geht man zum Himmel ein. So errang sich der erste Vater des Vaterlandes, Augustus, die Gestirne und wird in den Tempeln als Gott verehrt.«63
Bereits im ersten Satz stellt Seneca eine Verbindung zur römischen Nobilität her und greift somit implizit einmal mehr das Schicksal von Sulla und Plautus auf. Als primus inter pares, als Erster unter Gleichen, rage der gute Herrscher unter »erlauchten Männern« (viri illustres), d. h. seinen senatorischen Standesgenossen, hervor – nicht aufgrund der brutalen Ausnutzung seiner Machtstellung, sondern allein aufgrund seiner Tugend (virtus).64 Nur auf diesem Weg erreiche man als Kaiser das Ziel, nach seinem Tod in Form eines Senatsbeschlusses offiziell unter die römischen Staatsgötter aufgenommen und von der Nachwelt als divus verehrt zu werden.65 Das Idealbild des guten Herrschers sieht Seneca dabei in Augustus verwirklicht. Wie im Folgenden ausgeführt wird, habe sich dieser jedoch zunächst in einem Bürgerkrieg bewähren müssen, wohingegen Nero die
61 Sen. clem. 1,9f. Zur Nutzung der senecaischen Vorlage siehe dezidiert Gesine Manuwald, Der ›Fürstenspiegel‹ in Senecas De clementia und in der Octavia, in: Museum Helveticum. Schweizerische Zeitschrift für klassische Altertumswissenschaft 59, 2 (2002), 107–126. 62 Sen. clem. 1,9,1: exemplo domestico. 63 Oct. 472–478: Pulcrum eminere est inter illustres uiros, / consulere patriae, parcere afflictis, fera / caede abstinere, tempus atque irae dare, / orbi quietem, saeculo pacem suo. / haec summa uirtus, petitur hac caelum uia. / sic ille patriae primus Augustus parens / complexus astra est, colitur et templis deus. Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann. 64 Seneca referiert hiermit grosso modo die schon im Rahmen der Selbstdarstellung des Augustus in ähnlicher Weise formulierte Ideologie des Prinzipatssystems, R. Gest. div. Aug. 34; vgl. Lauren D. Ginsberg, Staging Memory, Staging Strife. Empire and Civil War in the Octavia, Oxford/New York 2017, 64–75. 65 In de clementia (1,10,3) wird die Aufrichtigkeit der Verehrung des divus Augustus vor diesem Hintergrund noch einmal explizit hervorgehoben: Deum esse non tamquam iussi credimus – »Dass er [Augustus] Gott ist, glauben wir nicht wie solche, denen es befohlen wurde«.
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Herrschaft ohne Blutvergießen zugekommen sei.66 Hieraus erwachse indes eine besondere Verantwortung: In Entsprechung der dem Kaiser vonseiten des Volkes und des Senats entgegengebrachten Zustimmung (consensus) habe Nero sich (weiterhin) als »Vater des Vaterlandes« (parens patriae) zu erweisen und sich demgemäß auch zu verhalten.67 Die Vorstellung, wonach der Kaiser in seiner Stellung auf die Akzeptanz seiner Untertanen angewiesen sei, findet sich in Neros Selbstverständnis als Herrscher jedoch geradezu negiert: »Geschenk der Götter ist es, daß Rom selbst mir untertan und der Senat und daß Furcht vor mir ihnen Bitten und unterwürfige Worte wider Willen entreißt. Bürger am Leben zu lassen, die für Fürsten und Vaterland gefährlich sind, sich mit erlauchter Herkunft brüsten, welcher Wahnsinn ist das, wo doch in seinem Belieben steht, mit einem Wort die ihm Verdächtigen sterben zu heißen?«68
Gemäß dieser Anschauung verdanke Nero seine Stellung allein dem göttlichen Willen und sei in dieser Hinsicht gegenüber den Untertanen in keiner Weise verpflichtet. So bilde nicht die Zustimmung, sondern die Furcht (metus) vor der Gewalt des Kaisers die eigentliche Grundlage seiner Herrschaft und lasse sowohl Volk als auch Senat, deren Abneigung sich Nero entgegen der senecaischen Schilderung »in realistischer Selbsteinschätzung«69 offen zugesteht, parieren. Untertanen zu schonen, die eine Bedrohung für die eigene Herrschaft darstellen, zeuge demnach von »Wahnsinn« (dementia). In Anlehnung an die Vorgehensweise seines alten Lehrers beruft sich auch Nero dabei auf ein Beispiel aus der römischen Geschichte: So habe bereits Caesar seine als clementia Caesaris sprichwörtlich gewordene Milde und Nachsicht gegenüber seinen Gegnern mit dem Leben bezahlen müssen, als er unter der Führung seines ehemaligen Feindes Brutus, den er nach seinem Sieg in der Schlacht von Pharsalos nicht nur begnadigt, sondern mehr noch unter seine engsten Freunde aufgenommen hatte, an den Iden des März 44 v. Chr. »durch ein ruchloses Verbrechen von Bürgern den Tod [fand].«70 66 Auch wenn Goldberg 2003, 25, in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass der Herrschaftsantritt Neros mit Blick auf den Tod von Claudius, Britannicus und Agrippina der Jüngeren keineswegs ohne jedes Blutvergießen verlaufen sei, geht es Seneca an dieser Stelle explizit um eine paränetische Beschreibung, vgl. Manuwald 2002, 119 (mit Anm. 30). 67 Vgl. Bruckner 1976, 69–71. 68 Oct. 492–498: Munus deorum est, ipsa quod seruit mihi / Roma et senatus quodque ab inuitis preces / humilesque uoces exprimit nostri metus. / seruare ciues principi et patriae graues, / claro tumentes genere quae dementia est, / cum liceat una uoce suspectos sibi / mori iubere? Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann. 69 Schubert 1998, 271. 70 Oct. 502: Caesar nefando ciuium scelere occidit. Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann. Dasselbe Beispiel nutzt auch Seneca in seiner Schrift de beneficiis (›Über Wohltaten‹), um ein besonders fragwürdiges moralisches Verhalten zu illustrieren: Sen. benef. 2,20. In de clementia wird die Milde und Nachsicht Caesars dagegen nicht thematisiert.
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Als »rhetorisches Meisterstück« und »Höhepunkt«71 des gesamten Dramas hat schließlich Neros Aufgreifen des senecaischen exemplum Augusti zu gelten, dessen Relevanz der Kaiser nicht etwa leugnet, sondern ganz und gar anerkennt – allerdings im Sinne seiner eigenen Auslegung, welche der seines ehemaligen Erziehers vollkommen entgegensteht: »Er, der durch seine fromme Tugend den Himmel verdiente, der göttliche Augustus, wie viele vornehme Männer ließ er beseitigen: Jünglinge, Greise verstreut über den Erdkreis, als sie aus Todesangst ihre Penaten fliehen wollten und das Schwert dreier Führer [sog. ›zweites Triumvirat‹ zwischen Octavian (dem späteren Augustus), Marc Anton und Lepidus], da die Ächtungsliste sie einem traurigen Tode überantwortet hatte! […] Und nicht blieb es bei diesem Ausgang von Bluttat oder Mord: Vögel und wilde Tiere lud lange Zeit das traurige Philippi [Bürgerkriegsschlachtort, 42 v. Chr.] zum Fraße, * * * * * * * und das Sizilische Meer verschlang Flotten und Männer, die oftmals ihre eigenen Leute erschlugen; erschüttert wurde die Erde von der Führer großen Streitkräften. […] Endlich barg der schon ermattete Sieger sein Schwert, das stumpf geworden von grausamen Wunden, und seine Herrschaft hielt Furcht zusammen. Durch der Soldaten Waffen und Treue ward er beschützt, nach seinem Tode durch des Sohnes [Kaiser Tiberius, reg. 14–37] ausnehmende Liebe zum Gott gemacht, heiliggesprochen und zu den Tempeln erkoren.«72
In bestechender Kenntnis der historischen Abläufe zeichnet Nero den Prinzipat des Augustus in einer Weise nach, die das zuvor von seinem alten Lehrer entworfene Idealbild geradezu als Trugbild entlarvt. Während Seneca im Kontext seiner Schilderung der Herrschaftsübernahme des Augustus eher allgemein vom Wirken Fortunas, den Wechselfällen des Krieges sowie der pietas, d. h. der Sohnespflicht, gegenüber dem ermordeten Adoptivvater Caesar spricht und die Dinge somit verunklart, legt Nero das Wirken seines Ururgroßvaters als Bürgerkriegsfeldherr und Machthaber schonungslos offen: Auch Augustus habe seine Gegner unbarmherzig verfolgt und seine Herrschaft auf die Furcht der Untertanen gegründet. Im Rahmen einer geradezu dichotomischen Gegenüberstellung konfrontiert Nero die Ausführungen Senecas dabei mit den Punkten seiner eigenen Darstellung: So habe Augustus nicht etwa aufgrund
71 Beides Stärk 2000, 230 und 224. Eine gegensätzliche Position vertritt dagegen Manuwald 2003, 51, die in Neros Antwort auf Senecas Ausführungen zum exemplum Augusti eine Verlegenheit des Kaisers zu erkennen glaubt. 72 Oct. 504–529: ille qui meruit pia / uirtute caelum, diuus Augustus, uiros / quot interemit nobiles, iuuenes senes / sparsos per orbem, cum suos mortis metu / fugerent penates et trium ferrum ducum, / tabula notante deditos tristi neci! […] Nec finis hic cruoris aut caedis stetit: / pauere uolucres et feras saeuas diu / tristes Philippi, * * * * / * * * hausit et Siculum mare / classes uirosque saepe caedentes suos, / concussus orbis uiribus magnis ducum. […] / condidit tandem suos / iam fessus enses uictor hebetatos feris / uulneribus, et continuit imperium metus. / armis fideque militis tutus fuit, / pietate nati factus eximia deus, / post fata consecratus et templis datus. Seneca, übers. Thomann.
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seiner Tugend unter den Angehörigen der römischen Oberschicht hervorgeragt, sondern sich schlicht mit Gewalt über diese erhoben. Statt die Bedrängten zu schonen habe er selbst den Fliehenden nachgesetzt, statt seinen Zorn zu mäßigen Proskriptionen erlassen und die abgeschlagenen Köpfe seiner Opfer öffentlich zur Schau gestellt. Neros Klarlegung der Verhältnisse entspricht dabei einem Narrativ, welches bereits Seneca in seiner Schrift de clementia verwendet hat. Auch hier erscheint Augustus als brutal agierender Bürgerkriegsfeldherr, der in seinem Streben nach Macht rücksichtslos handelt und den Tod unzähliger Menschen in Kauf nimmt.73 Aufgrund seiner Fähigkeit zur Milde habe er sich später jedoch als guter Herrscher erwiesen und somit die Schatten der Vergangenheit überwunden.74 Eine solche Wandlung spielt innerhalb der Auseinandersetzung zwischen Seneca und Nero indes keine Rolle. So ist es dem Kaiser möglich, das Beispiel seines Ururgroßvaters zu nutzen, um die eigene Herrschaftsauffassung zu bekräftigen und seinen alten Erzieher gewissermaßen mit dessen eigenen Argumenten zu schlagen. Neros vermeintliche Überlegenheit wird mit Blick auf sein schmähliches Ende, welches sich innerhalb der Tragödie allenfalls angedeutet findet, den Rezipienten des Bühnenstücks jedoch deutlich vor Augen stand, relativiert: Angesichts von militärischen Aufständen in den Provinzen sowie einer vom Senat ausgesprochenen Erklärung zum Staatsfeind nahm sich Nero am 9. Juni des Jahres 68, dem sechsten Todestag Octavias, unter erbärmlichen Umständen das Leben.75 Die vom Kaiser in Rückgriff auf das Beispiel des Augustus gezogene Schlussfolgerung offenbart vor diesem Hintergrund das ganze Ausmaß seiner Verblendung: »Auch mich werden die Gestirne erwarten, wenn ich mit grimmigem Schwert allem zuvorkomme, was mir feindlich ist, und auf würdige Nachkommenschaft unser Haus gründe.«76
73 Sen. clem. 1,9,1; 1,11,1. 74 Sen. clem. 1,9f.; benef. 4,30. Zur Frage der Identität des an diesen Stellen genannten Cinna siehe John Scheid, Les frères arvales. Recrutement et origine sociale sous les empereurs julioclaudiens (Bibliothèque de l’École des Hautes Études. Section des Sciences Religieuses 77), Paris 1975, 23–27. In Sen. clem. 1,11,1 wird zudem betont, dass Augustus sich erst im Alter als milder, d. h. guter Herrscher erweisen konnte, wohingegen es Nero zukommt, bereits in jungen Jahren clementia zu zeigen. 75 Suet. Nero 47–49; 57,1; Cass. Dio 63,27–29. 76 Oct. 530–533: Nos quoque manebunt astra, si saeuo prior / ense occuparo quidquid infestum est mihi / dignaque nostram subole fundaro domum. Übersetzung bei Seneca, übers. Thomann.
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Fazit Die im Rahmen des vorliegenden Beitrags besprochene Ratgeberszene bildet gleichermaßen den Höhe- und Wendepunkt eines Dramas, das in seiner Anlage als historische Tragödie unweigerlich Perspektiven bietet, die weit über die engen Grenzen der Handlung hinausreichen. Vor dem Hintergrund der Ereignisse des schicksalhaften Jahres 62 unternimmt Seneca in seiner Rolle als Ratgeber des Kaisers den Versuch, Nero unter Aufbietung aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu mäßigen, erreicht hiermit jedoch im Sinne der Tragödie nur das Gegenteil: Der Mordbefehl gegen Plautus und Sulla wird nicht widerrufen, die ins Auge gefasste Hochzeit mit Poppaea nicht verworfen, sondern auf den nächsten Tag festgesetzt, womit zugleich auch das Schicksal Octavias besiegelt ist. Das im Zentrum der Szene stehende Streitgespräch zwischen Ratgeber und Kaiser geht dabei in seiner Ausführung deutlich über die eigentlichen Erfordernisse des Dramas hinaus. Mit der Grundsatzdiskussion um die rechte Ausübung von Herrschaft scheint man sich vom Geschehen der Handlung geradezu zu entfernen. Senecas Zeichnung eines vordergründig auf Milde und stoischen Grundsätzen basierenden Herrscherideals wie Neros Gegenentwurf eines im Wissen um seine Stellung autokratisch handelnden Machthabers beanspruchen eine Universalität, in die sich der tragische Einzelfall Octavias nur mit Mühe einbetten lässt. Auch der Ausgang des Streitgesprächs erschließt sich in seiner vollen Tragweite erst in der historischen Retrospektive. Neros Uneinsichtigkeit gegenüber den Ausführungen seines alten Lehrers bedeutet sein Ende. Seneca selbst braucht dieses Szenario nicht erst in Form expliziter Warnungen zu formulieren, es stand den Rezipienten der Tragödie deutlich vor Augen. Der Selbstmord des Kaisers am überlieferten Todestag Octavias mag somit den Anlass dazu geboten haben, sich der Tyrannis Neros gerade in Gestalt eines Bühnenstücks anzunehmen, welches das Schicksal der ClaudiusTochter in den Blick nimmt. Besonders sinnfällig gestaltet sich dabei eine Einordnung in die unmittelbar auf Nero folgende Zeit der flavischen Kaiserdynastie: Während Seneca im Rahmen der Handlung dazu verurteilt ist, als Ratgeber des Tyrannen zu scheitern, kann das von ihm entworfene Herrscherideal in seiner prägnanten Zeichnung durchaus als nuancierter Beitrag eines zeitgenössischen Diskurses verstanden werden, in welchem vor dem Hintergrund einer neuartigen politischen Situation die Frage erörtert wurde, was einen guten Herrscher auszeichne und letztlich legitimiere.
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Wie ermahnt man einen König? Bischöfe als Ratgeber des Königs im 11. und 12. Jahrhundert in England und im römisch-deutschen Reich
Abstract For several reasons, bishops are ideal counsellors of the kings and in the best position to criticize the king. As shepherds of their flock the correctio, the admonition was inherent in their jobs and as princes they were able to reach the king’s ears. Looking at the bishops in the role of admonishers and counsellors of the king in Germany and England gives us insight into how this episcopal admonishment was shaped by the different expectations in Germany and England and how the counselling of the king varied. The sources to be used for this research are the Vitae and Gesta of bishops and bishoprics because they convey best what was expected of an ideal bishop. In Germany, a dominant topos of narrative sources on bishops is that the bishop has a certain obligation to the realm and the king, even if this duty is mainly observed before the elevation as bishop. Therefore, while we do have explicit criticism of the king in German sources more often than not delivered unasked for, the German bishops tend to criticize single actions of the king and refrain from openly voicing discontent with situations or systems. The necessity of bishops as counsellors is nevertheless an underlying subject that plays a role in the vitae and gesta. The independence of the bishops is a necessary precondition for their ability to improve the kings and the kings should acknowledge that. In English episcopal narrative sources, the criticism is placed stricter within the boundaries of traditional moral admonishment and is rarely directed at single actions. Thus, the English bishops who counsel and criticize the king act more within a framework of traditional moral admonishments and it is therefore often the archbishop of Canterbury who as the most important prelate of England has to fulfil the role of the admonisher. While bishops had the right and the might to voice discontent, the method apparently differed according to what kind of expectation patterns had evolved in the different realms.
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Bischöfe als geborene Ratgeber Es ist nicht leicht einen König zu kritisieren. Ein König mag viele Laster haben und es mag gleichwohl unklug sein, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Denn der Zorn des Königs konnte lange andauern und mochte der Gesundheit des Kritikers sogar abträglich sein. Bischöfe waren da eine Ausnahme. Zum einen gab ihnen der Status als Kleriker eine Immunität, die andere nicht aufweisen konnten. Zum anderen verlieh ihre Position als bedeutende Große ihrer Kritik ein bedeutendes Gewicht, weil sie dem König auxilium et consilium schuldeten. Der Bischof – wie auch andere Große – musste seine Meinung kundtun, unter gewissen Umständen gar war der Ratschlag Verpflichtung. Hinzu kommt noch, dass er als Hirte seiner Herde Sorge um jede christliche Seele haben musste, also auch der des Königs. Es lässt sich also sagen, dass der Bischof geradezu eine Pflicht zur Kritik und zum Ratschlag hatte, er hatte die Möglichkeit, das Recht und die Freiheit, dies zu tun. Diese Stellung beinhaltete, dass er Rat ungefragt erteilen konnte.1 Bischöfe sind qua Amt befugt, Rat zu erteilen, wenn sie auch nicht zwingend ›offizielle‹ Ratgeber sind. Es kann überhaupt keinen Zweifel geben, dass Bischöfe in der Tat ihre Meinung sagten und dies gelegentlich auch deutlich. Als Beispiele seien sächsische Bischöfe wie Werner von Magdeburg (†1078) und Bucco von Halberstadt (†1088) genannt, die herausragende Gegenspieler Heinrichs IV. und Anführer der sächsischen Fürstenopposition waren.2 Wenn wir Brunos ›Liber de bello saxonico‹ Glauben schenken wollen, hat Otto von Nordheim auf einer Versammlung die Großen Sachsens dazu aufgefordert, ihre Beschwerden vorzutragen und Werner und Bucco hielten nach einer Brandrede Ottos mit ihren nicht hinter dem Berg.3 Der Eid der Bischöfe, die ›libertas ecclesiae‹ und die Freiheit Sachsens zu
1 Insgesamt zum Konzept der Beratung des Königs einschlägig: Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig (ed.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, 53–87. Über Bischöfe als Kritiker gerade für den hier behandelten Zeitraum vgl. Björn Weiler, Bishops and Kings in England c. 1066–c. 1215, in: Ludger Körntgen/Dominik Wassenhoven (edd.), Religion und Politik im Mittelalter. Deutschland und England im Vergleich (Prinz-AlbertStudien 29) Berlin 2012, 157–203. 2 Hierzu Gerd Althoff, Heinrich IV. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), 3. Aufl., Darmstadt 2013, 91–95. 3 Bruno, Liber de bello saxonico, in: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., ed. FranzJosef Schmale (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 12), Darmstadt 1963, 191–405, hier cap. 26, 224–227. Bruno, Liber de bello Saxonico, in: Annales et chronica aevi Salici, ed. Georg Pertz (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 5), Hannover 1844, 327–384, hier 337f.
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verteidigen, soweit es ihr Amt zuließ, bescherte den Truppen gegen Heinrich IV. regen Zulauf.4 Dass gerade Bucco als würdiger Gegner Heinrichs IV. geschildert wird, ein Vorbild für die Sachsen, ein Anführer der Rebellion, liegt natürlich an der Darstellungsabsicht Brunos.5 Indes kann man die Frage stellen, ob Bucco selbst wohl einverstanden damit gewesen wäre, so offen als Rebell benannt zu werden, auch wenn er Gründe für seinen Widerstand hatte. Die besondere Eignung der Bischöfe als Kritiker bedeutet, dass sie in einem Werk wie dem Brunos die idealen Kandidaten waren, denen man Kritik in den Mund legen konnte. Indes ist der Fall von Buccos Opposition gegen den König, wie es Bruno uns erzählt, kein Fall von einer Ermahnung. Brunos ›Liber de bello saxonico‹ war nicht geschrieben worden, um den König zu ermahnen, sondern es war dazu gedacht, den sächsischen Rebellen eine Rechtfertigung zu liefern.6 Brunos Ziel bei der Ausschmückung der Erzählung von Buccos Widerstand und dem Leiden, dem er durch die Hand des Königs ausgesetzt war, diente dazu, die aufständischen Sachsen hinter ihren Anführern zu vereinen. Es ist kein Fall einer correctio im eigentlichen Sinne.
Genre der Bischofsviten und -gesten als Untersuchungsgegenstand Wenn wir uns also die Bischöfe als Kritiker ansehen wollen, müssen wir weniger spektakuläre Fälle untersuchen. Eine sanfte Ermahnung, ein leichter Stups, vielleicht sogar ein offenes Wort, aber keine Ansprache, die einen Aufstand anfeuern soll. Wenn wir weiterhin untersuchen wollen, wie die Bischöfe selbst sich als ideale mahnende Stimmen sahen, dürfen wir uns nicht auf die Historiographie beschränken. Die Bischofsvitae oder -gesta sind in dieser Hinsicht deutlich vielversprechender.7 In dieser Kategorie von Quellen finden wir schließlich die Ideale und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, denen die Bischöfe nacheifern sollten. Hier finden wir Auskunft darüber, wer den König ermahnen durfte und sollte, wie der Bischof Kritik angehen konnte und was für königliches Verhalten die Scheltworte des Bischofs hervorrufen konnte.
4 Ebd., cap. 26, 226: maximus exercitus. Althoff 2013, 93. 5 Gerd Althoff/Stephanie Coué, Pragmatische Geschichtsschreibung und Krisen. I. Zur Funktion von Brunos Buch vom Sachsenkrieg, in: Hagen Keller/Klaus Grubmüller/Nikolaus Staubach (edd.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Münstersche Mittelalter-Schriften 65), München 1992, 95–107. 6 Ebd. 7 Karina Kellermann hat in diesem Band ebenfalls die Untersuchung eines einzelnen Genres vorgelegt.
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Bischofsvitae geben uns sicher ein relativ klares Bild davon, wie der ideale Bischof agieren sollte. Eine Vita wurde geschrieben, um den Bischof zu loben, um ihn als beispielhaften Heiligen darzustellen und das lesende (oder zuhörende) Publikum und insbesondere den Nachfolger dazu anzuspornen, dem Bischof nachzueifern.8 Bischofsgesta sind demgegenüber etwas vielfältiger.9 In den ›Gesta Episcoporum‹ finden wir gute und schlechte Beispiele, eines nach dem anderen, und in gewissem Sinne spiegeln sie die Möglichkeiten der Bischöfe deutlich besser wider, da sie über gute und schlechte Vorgänger sprechen. Der Zweck der Gesta ist indes so didaktisch wie der der Vitae, und die schlechten Beispiele geben uns selbstverständlich auch Einblick in die Erwartungen an einen Bischof und in das Bischofsideal. Die genre-beschränkte Untersuchung kann uns so Aufschluss über die Erwartungshaltung geben, die den unerbetenen Ratschlag beinhaltete.10
Bischöfe als Ratgeber im römisch-deutschen Reich Eigenheit der Topoi im römisch-deutschen Reich Zuerst sollen nun die Vitae und Gesta im römisch-deutschen Reich genauer betrachtet werden, ehe wir uns den englischen Beispielen zuwenden. Die Bischofsgeschichtsschreibung hat die Tendenz, die Bischofsleben dem Ideal der eigenen Zeit einzupassen. Dies soll hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden,11 es soll nur darauf hingewiesen werden, dass wir neben den Tugenden und Ei8 Zu Bischofsviten vgl. Stephanie Haarländer, Vitae episcoporum. Eine Quellengattung zwischen Hagiographie und Historiographie, untersucht an Lebensbeschreibungen von Bischöfen des Regnum Teutonicum im Zeitalter der Ottonen und Salier (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 47), Stuttgart 2000. 9 Zu den Gestae vgl. Michel Sot, Gesta episcoporum. Gesta abbatum (Typologie des sources du moyen âge occidental 37), Turnhout 1981; Reinhold Kaiser, Die Gesta episcoporum als Genus der Geschichtsschreibung, in: Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (edd.), Historiographie im frühen Mittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 32), Wien/München 1994, 459–480; Dirk Schlochtermeyer, Bistumschroniken des Hochmittelalters. Die politische Instrumentalisierung von Geschichtsschreibung, Paderborn/München/Wien et al. 1998, und Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis 1), Berlin 1999, 259–266, 281–287. 10 Zum unerbetenen Ratschlag vgl. auch die Beiträge von Ann-Kathrin Deininger, Sophie Quander und Teresa Wilke in diesem Band. 11 Vgl. Dazu Haarländer 2000 und Alheydis Plassmann, Corrupted by Power. Bishops in Adam of Bremen’s Gesta episcoporum Hammaburgensis ecclesia, in: Mia MünsterSwendsen/Thomas K. Heebøll-Holm/Sigbjørn O. Sønnesyn (edd.), Historical and Intellectual Culture in the Long Twelfth Century. The Scandinavian Connection (Durham Medieval and Renaissance Monographs and Essays 5), Durham 2016, 51–70, hier 54f.
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genschaften eines Bischofs, die geradezu auf der Hand liegen, auch andere, etwas ungewöhnlichere ausfindig machen können. Kaum überraschen dürften uns die folgenden Erzählmuster, die uns immer wieder begegnen: Der fragliche Bischof erfährt schon als sehr kleines Kind seine Berufung, er ist üblicherweise ein überaus begabtes Kind und wird daher schon früh für eine geistliche Laufbahn vorgesehen. Ist der vielversprechende junge Mann erst einmal Bischof geworden, sticht er in all seinen Aufgaben und Pflichten hervor, die vorhersagbar dem Bild des Seelenhirten seiner Gemeinde entsprechen. Er gibt Almosen, predigt mitreißend, tut fromme Werke, fördert Erziehung und Bildung, kümmert sich um seine Gläubigen und um die Ausstattung, Renovierung und den Erbau der Kirchen in seinem Sprengel. Dies ist Bestandteil eines guten bischöflichen Lebenswandels überall in Europa, und bedarf keiner weiteren Ausführung.12 Es gibt indes ein Charakteristikum gerade der römisch-deutschen Vitae und Gesta, das so häufig auftaucht, dass es fast ein Topos genannt werden kann. Bevor der Bischof erhoben wird, verbringt er üblicherweise eine gewisse Zeit am Königshof, wo er sich aufgrund seiner Fähigkeiten auszeichnet. Dann kommt der Zeitpunkt, an dem der Bischof mit Hilfe des Königs ernannt wird, mal wegen seines zuverlässigen Dienstes, mal wegen der Intervention eines Verwandten.13 Königsdienst vor der Erhebung zum Bischof geschieht in Vitae und Gesta nicht nur relativ häufig, sondern ist darüber hinaus auch ein Tatbestand, den die Autoren reflektieren, wofür ein Beispiel genannt sei. In der ›Vita Leonis‹ teilt uns der Autor explizit mit, dass Bruno von Toul (†1054), der spätere Papst Leo IX., Zeit am Königshof verbrachte und sich eifrig für den König bemühte, und zwar deshalb, weil »alles seine Zeit hat«.14 Der Hinweis auf den Topos des Königsdienstes soll aber nicht so verstanden werden, als wollten wir hier dem inzwischen zu Recht in Frage gestellten sogenannten ottonisch-salischem Reichskirchensystem das Wort reden.15 Schließlich haben wir ja nur Vitae für einen 12 Hierzu Haarländer 2000 und kürzlich Britta Hermans, Sanctum eum adprime virum esse. Die Vita Brunonis des Ruotger als Bischofsvita, in: Geschichte in Köln 63 (2016), 7–32; Alheydis Plassmann, England and Germany. Two Perspectives, in: Anglo-Norman Studies 39 (2017), 167–181, hier 173. 13 Vgl. dazu Plassmann 2016, 61f. 14 Vita Leonis, ed. Hans-Georg Krause/Detlev Jasper/Veronika Lukas (Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarum 70), Hannover 2007, cap. 6, 104: Verum quoniam omnia tempus habent, secundum quod dispensat temporis conditor temporis tamen expers, qui per quedam aliena suos perducit ad sua, accidit, ut eximius adolescens a parentibus et consanguineis assignaretur glorioso imperatori Chuonrado, contribuli suo, eius educandus in aula atque excubaturus in basilica. Zur Vita Leonis: Humbertus de Silva Candida, Vita S. Leonis IX papae, http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_02895.html (11. 03. 2019). Die Vita findet sich nach wie vor unter dem Lemma von Humbert, den man lange für den Autor der Vita gehalten hat. 15 Seit Leo Santifaller, Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems (Sitzungsberichte. Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische
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Bruchteil der Bischöfe und ganz sicher sind ja Bischöfe nicht immer aus dem königlichen Umfeld rekrutiert worden. Wichtig ist indes, dass eine Bischofserhebung nach einer Zeit des Königsdienstes ein sich wiederholendes Muster in den Vitae und Gesta ist, und dies mag einen Einfluss darauf haben, wie denn die Kritik am König, die man als Ratschlag verstehen kann, dargestellt wird. Die Bedingungen der Bischofserhebung spielen in das Verhältnis zwischen Bischof und König schließlich hinein. Nach seiner Erhebung muss der Bischof auf einem schmalen Grat wandeln. Natürlich wird auch als Bischof noch Dienst für den König von ihm erwartet, aber im Unterschied zu dem zuverlässigen Dienst vor der Erhebung wird das Agieren für den König nach der Erhebung nicht mehr uneingeschränkt positiv dargestellt. Wenn der Bischof seine Verbindungen nutzt und dem König dient, um im Interesse seines Bistums zu handeln, dann wird dies gelobt. Mehrere Beispiele zeigen uns, dass dies eine für beide vorteilhafte Situation war und dies wird auch so gesagt.16 Aber im Gegensatz zu der Zeit vor der Erhebung kann der Königsdienst als Bischof offenbar übertrieben werden: Wenn der Bischof über dem Königsdienst es versäumt, zum Besten seines Sprengels zu wirken, wenn er seine bischöflichen Pflichten vernachlässigt, dann wird der Bischof kritisiert. Diese Kritik kann nur in den Gesta formuliert werden, weil der Bischof in den Vitae natürlich nichts falsch macht, oder wenn er etwas falsch macht, die conversio im Grunde genommen schon angelegt ist.17 Die Art und Weise, wie Adalbert von Bremen (†1072) in den ›Gesta episcoporum Hammaburgensium‹ des Adam dargestellt wird, mag eines der besten Beispiele für dieses Szenario sein. Adalbert treibt sein Bistum in den Ruin, vernachlässigt seine Herde und jagt dem Einfluss bei Hofe nach.18 Adam von Bremen berichtete über Adalbert, um dessen Nachfolger Liemar (†1101) zu zeigen, Klasse 229/1), Wien 1954, das System zuerst so benannte, hat sich die Forschung immer wieder damit auseinandergesetzt. Hierzu nach wie vor instruktiv Timothy Reuter, The ’Imperial Church System’ of the Ottonian and Salian Rulers. A Reconsideration, in: Journal of Ecclesiastical History 33 (1982), 347–374. Die Kritik an der Vorstellung findet sich gut zusammengefasst bei Hagen Keller, Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier, in: Frühmittelalterliche Studien 44 (2010), 153–174. 16 Plassmann 2016, 61f. 17 Ebd., 55. 18 Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. Bernhard Schmeidler (Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarum 2), 3. Aufl., Hannover 1917, lib. III, cap. 34, 175f.: Itaque ex illo tempore nostram ecclesiam omnes calamitates oppresserum, nostro pastore tantum curiae intento negotiis. »Daher suchte seitdem allerlei Unheil auch unsere Kirche heim, während unser Hirte sich nur noch um die Geschäfte des Hofes bekümmerte.« Übers. bei: Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, in: Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches, ed. Werner Trillmich (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 11), Darmstadt 1961, 137–498, hier 369.
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wie er es gerade nicht tun sollte.19 Eine Figur wie Adalbert taugt natürlich nicht als Ermahner des Königs. Um den König zu ermahnen, muss der Bischof eine gewisse unabhängige Stellung haben, die sich mit den ehrgeizigen Machenschaften bei Hof nicht gut verträgt. Gerade die Tatsache, dass Adalbert in all seinen Handlungen bei Hof, seine Stimme auch nicht ein einziges Mal erhob, um den König zu ermahnen, kann uns einen Hinweis darauf geben, dass dies vom idealen Bischof natürlich erwartet wurde.
Megingaud und Gebhard von Eichstätt Nun kommen wir zu den Beispielen, wie römisch-deutsche Bischöfe denn tatsächlich versuchten, königliches Verhalten durch unerbetenen Rat und Kritik zu ändern. Diese stammen aus dem 11. Jahrhundert, wobei die Entstehungszeit der Vitae und Gesta entscheidend ist, nicht die Lebenszeit des beschriebenen Bischofs. Auch wenn ein Ereignis angeblich im 9. Jahrhundert stattfand, ist doch der Bericht über das Ereignis das, was uns den Hinweis auf die Absichten und die Ideale des Autors gibt. Die vielen Gelegenheiten, zu denen Bischöfe dem König geraten haben, sich gegenüber der Kirche im allgemeinen oder ihrer eigenen Kirche im speziellen großzügig zu zeigen, sollen hier außen vor gelassen werden, weil sich aus ihnen wenig Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Ratgeber und König gewinnen lassen. Die Ermahnung, die Kirchen großzügig zu beschenken, gehörte schließlich zum Standardrepertoire eines jeden Bischofs. In den Gesta der Bischöfe von Eichstätt, die um 1078 von einem Unbekannten geschrieben wurden, tauchen zwei sture Bischöfe auf, die den König kritisieren. Megingaud von Eichstätt (†1014/15) nahm sich einige Male gegenüber dem König etwas heraus: Er ließ einen Königsdiener schlagen, als dieser zuviel servitium verlangte,20 und er sandte Kaiser Heinrich II. Tuche anstatt von Wein.21 Beide Handlungen waren natürlich wenig subtile Hinweise an den König, dass Megingaud nicht in der Lage war, das zu geben, was Heinrich II. wollte. Und Megingaud war damit auch erfolgreich – jedenfalls wenn wir dem Autor der 19 Plassmann 2016, 53 und 70. 20 Anonymus Haserensis, Die Geschichte der Eichstätter Bischöfe, ed. Stefan Weinfurter (Eichstätter Studien. Neue Folge 24), Regensburg 1987, cap. 20, 51f. Über diese Quelle vgl. die Einleitung der Edition und Eva Schlotheuber, Diruit, aedificat, mutat quadrata in rotundis. Die Würdigung der Eichstätter Bischöfe in den schwierigen Zeiten des Investiturstreits, in: Johannes Giessauf/Werner Maleczek (edd.), Päpste, Privilegien, Provinzen. Beiträge zur Kirchen-, Rechts- und Landesgeschichte. Festschrift für Werner Maleczek zum 65. Geburtstag (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband 55), Wien/München 2010, 377–391; über Megingaud im Anonymus auch Plassmann 2016, 55f. 21 Anonymus Haserensis, ed. Weinfurter 1987, cap. 23, 53f.
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Gesta glauben wollen. Er konnte den König daran hindern, sein Bistum auszuplündern.22 Als Megingaud Heinrich II. bei Hof aufsuchte, weigerte er sich abzusteigen und ritt geradewegs bis zur Tür, damit er sich nicht die Schuhe schmutzig machen müsste.23 Als er sich im selben Raum wie der König befand, erhob er sich nicht für den König, und behauptete, er habe dies nicht nötig, weil er ein älterer Verwandter des Königs sei.24 Sicher bewegte sich Megingaud auf dünnem Eis. Er verweigerte den Königsdienst nicht ausdrücklich, aber er machte unmissverständlich klar, dass der König zu viel verlangte, und der König gab nach. Außerdem versuchte er den Respekt, der ihm zustand, einzufordern und ging möglichweise sogar darüber hinaus und Heinrich II. ließ es ihm durchgehen, jedenfalls nach Ausweis der Gesta. Auch wenn Gebhard von Eichstätt (†1057) seine Erhebung zum Papst (Victor II.) der Gunst Kaiser Heinrichs III. verdankte, vergaß er doch nicht, dass Heinrich Eichstätter Güter entfremdet hatte und ermahnte den Kaiser, seinen ehemaligen Bischofssitz zu entschädigen.25 Wie es schon Heinrich II. bei Megingaud getan hatte, so tat es auch Heinrich III. bei Gebhard und kam seinem Wunsch nach.26 Dem Interesse des Eichstätter Bistums hatten diese beiden Bischöfe wohl gedient und hatten sich nicht gescheut, sich beim König etwas herauszunehmen.
Wazo von Lüttich Ein ganz ähnlicher Fall wie Megingaud ist Bischof Wazo von Lüttich (†1048), so wie er in den Gesta der Lütticher Bischöfe von Anselm beschrieben ist, die kurz vor 1056 entstanden: Aufgrund seines hohen Alters hatte Wazo einen Befehl Heinrichs III. gegen den Grafen von Holland in Krieg zu ziehen, missachtet.27 22 Ebd., cap. 25, 54f. Erst nach dem Tod Megingauds konnte Heinrich II. einen für Eichstätt nachteiligen Gütertausch zugunsten Bambergs erzwingen. 23 Ebd., cap. 24, 54. Über das insgesamt positive Bild des Megingaud siehe Schlotheuber 2010, 388f. 24 Anonymus Haserensis, ed. Weinfurter 1987, cap. 24, 54. 25 Ebd., cap. 38, 65; Plassmann 2016, 57. 26 Anonymus Haserensis, ed. Weinfurter 1987, cap. 38, 65. 27 Anselm von Lüttich, Gesta episcoporum Tungrensium, Traiectensium et Leodiensium, ed. Rudolf Köpke (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 7), Hannover 1846, 189–234, hier cap. 57, 223f. Zu Anselms Gesta vgl. Pieter-Jan de Grieck, Anselm of Liège, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 105; Anselmus Leodiensis, Gesta episcoporum Tungrensium, Traiectensium et Leodiensium, http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_ 00489.html (11. 03. 2019); Régis Reich, Gesta episcoporum Cameracensium, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 695; Steffen Patzold, …inter pagensium nostrorum gladios vivimus. Zu den ›Spielregeln‹ der Konfliktführung in Niederlothringen zur Zeit der Ottonen und frühen Salier, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Ger-
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Dieser Fall von Missachtung des Kaisers wurde auf einer Reichsversammlung besprochen. Wazo, der offenbar die ganze Zeit stehen musste, fragte schließlich nach einem Stuhl und argumentierte, dass ihm als gesalbten Bischof das Sitzen gestattet sein müsse. Heinrich III., der in den Gesta so geschildert wird, als ob es ihm vor allem auf eine Bestrafung Wazos angekommen wäre, führte an, dass er ebenfalls gesalbt sei. Dies wurde von Wazo mit dem Hinweis auf seine eigene bessere Salbung gekontert: Seine Salbung sei zum Leben, die von Heinrich III. als König zum Tode.28 Abgesehen von der Tatsache, dass die römisch-deutschen Kaiser von ihren Bischöfen offenbar Stehvermögen im Sinne des Wortes verlangten, ist es eine interessante Beobachtung, dass Heinrich III. in Wazos Fall sogar zweimal ermahnt werden musste, und dass dies durch die wörtliche Rede noch zusätzlich betont wird. Zunächst pochte Wazo auf seinem Vorrecht als Kleriker und erst als Heinrich III. nicht nachgeben wollte, setzt er noch die Demütigung des Kaisers hinzu. In Megingauds Fall hatte die eine Ermahnung ausgereicht. Wie auch beim Fall des Megingaud ist das Verlangen eines alten Mannes nach einem Stuhl zwar vordergründig der einzige Grund, der aufgeführt wird, aber es lässt sich auch tiefgründiger verstehen. Der Sitz ist auch ein Zeichen des Respekts und Wazo fordert diesen Respekt lautstark für sich, für sein Bistum und in letzter Konsequenz auch für jeden Bischof ein. Wazo kritisierte Heinrich III. noch bei zwei anderen Gelegenheiten, die indes nicht ganz so aufschlussreich sind: Als der Kaiser Päpste und Bischöfe nach Belieben einsetzte und absetzte, erinnere Wazo daran, dass der Kaiser kein Recht dazu hatte.29 Diese Erinnerung ist recht nahe an den üblichen Ermahnungen der Bischöfe an den König, dass er die Kirche und die Kirchen anständig zu behandeln habe. Dies passt durchaus in das Erzählmuster, dass der Bischof als Hirte auch für die Seele des Königs verantwortlich und zuständig ist. Die genannten Bischöfe sorgten also im Umgang mit dem König für das Wohlergehen und das Vermögen ihres Bistums, hatten aber auch die eigene Würde und ebenfalls die aller Bischöfe im Blick. Ermahnungen im Hinblick auf die traditionellen christlichen Tugenden treten hinter diesen Anliegen zurück. Neben diesen Beispielen lassen sich Fälle nennen, in denen die Ermahnung durch den Bischof nicht ausdrücklich geschieht, sondern wo die Situation als solche oder deren Inszenierung als Kritik und Ratschlag zur Besserung verstanden werden kann. Dem Bischof wird gar keine Kritik in den Mund gelegt, sondern der jeweilige Autor spielt mit der Inszenierung des bischöflichen Vermanistische Abteilung 118 (2001), 58–99, und Robert M. Stein, Reality Fictions. Romance, History, and Governmental Authority, 1025–1180, Notre Dame 2006, 17–34. Plassmann 2016, 57f. 28 Anselm von Lüttich, ed. Köpke 1846, cap. 65f., 228–230. Vgl. auch Plassmann 2016, 58. 29 Anselm von Lüttich, ed. Köpke 1846, cap. 65, 228f.
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haltens, um damit seine Kritik zu verdeutlichen und letztlich auch den Status des Bischofs als sozusagen ›geborener‹ Ratgeber zu betonen.
Heribert von Köln Erzbischof Heribert von Köln (†1021) hatte sich mit Kaiser Heinrich II. überworfen, weil Heinrich II. ihm übelnahm, dass Heribert einen anderen als Thronanwärter unterstützt hatte. Als Heinrich II. Köln aufsuchte, wurde Heribert angeklagt, wobei die ›Vita Heriberti‹ – entstanden vor 105630 – das lesende Publikum im Unklaren darüber lässt, wie die Anklagepunkte lauteten. Möglicherweise war Heinrich II. sogar darauf aus, Heribert abzusetzen. Die Vita berichtet so ungenau über diesen Prozess, dass Einzelheiten oder logische Abläufe nicht ganz deutlich werden. Heinrich II. träumte offenbar vom Heiligen Petrus, der den Kaiser – sozusagen in Stellvertretung für den Erzbischof – ermahnte, den Oberhirten der Kölner Kirche nicht zu behelligen. Der Kaiser erkannte den Heiligen Petrus und wusste auch sofort, worauf der Heilige hinauswollte, ließ den Prozess gegen Heribert aber dennoch fortführen – wenn wir Lantbert von Deutz glauben. Erst während des Prozesses gab der Kaiser nach und bat Heribert um Verzeihung. Diese Erzählung sollte natürlich die clementia als Tugend loben, zugleich aber wird nahegelegt, dass der Kaiser seinen Bischof anständig behandeln sollte. Man sollte betonen, dass die ›Vita Heriberti‹ aus der ›Bekehrung‹ des Kaisers zum rechten Verhalten gegenüber seinem Bischof eine sehr öffentliche Angelegenheit macht. Schließlich geschieht der Kniefall Heinrichs II. bei dem Prozess vor aller Augen in einer öffentlichen Situation.31
Wolbodo von Lüttich Ein anderer Fall von solcher indirekten Kritik begegnet uns mit Wolbodo von Lüttich (†1021):32 Wolbodo wurde an den königlichen Hof gerufen und beschaffte sich eine große Geldsumme, um sich darauf vorzubereiten, die Ausgaben für die Gunst des Kaisers bestreiten zu können. Und wie die Lütticher Gesta betonen, benötigte Wolbodo die Gunst des Kaisers um zugunsten seiner Diözese wirken zu können. Auf dem Weg zum König aber beschlichen Wolbodo Zweifel 30 Lantbert von Deutz, Vita Heriberti, in: Ders., Vita Heriberti, Miracula Heriberti, Gedichte, Liturgische Texte, ed. Bernhard Vogel (Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarum 73), Hannover 2001, 135–201. Zur Datierung der Vita vgl. die dortige Einleitung. 31 Lantbert von Deutz, ed. Vogel 2001, lectio 10, 160–164. 32 Anselm von Lüttich, ed. Köpke 1846, cap. 34, 208.
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und er gab das gesamte Geld für die Armen aus. Wie das Unglück es wollte, hatte er aber bereits jemanden bei Hof über die Tatsache informiert, dass er eine große Summe Geldes mitbringen würde. Heinrich II. befand sich also in froher Erwartung, als Wolbodo eintraf und wurde schwer enttäuscht. Indes hatte der Kaiser ein Einsehen. Obwohl Wolbodo mit leeren Händen bei Hof erschienen war, zeigte sich Heinrich II. Lüttich gegenüber großzügig. Auch diese Erzählung ist auf den ersten Blick eine Geschichte über die Tugend der generositas, aber wie bei der ›Vita Heriberti‹ dient auch diese Anekdote dazu, aufzuzeigen, wie sich der Kaiser gegenüber dem Bischof verhalten sollte.
Anno von Köln Ermahnung durch einen Bischof konnte auch in gewisser Weise anlasslos erfolgen: Die ›Vita Annonis‹, in der älteren Fassung um 1100 verfasst, berichtet, wie Anno II. von Köln (†1075) Kaiser Heinrich III. im königlichen Ornat einst die Teilnahme an der Messe untersagt hatte, bis dieser sich bequemt hatte, Almosen zu verteilen.33 In der ›Vita Annonis‹ hat diese Geschichte durchaus eine Moral, da der Autor, wie er selbst bekennt, hin- und her gerissen wird zwischen der Bewunderung für den König, der die bischöfliche Ermahnung geduldig ertrug und der für den Erzbischof, der sich herausnahm, den König frei zu kritisieren. Der König, der sich von einem ermahnenden Bischof tatsächlich zur Änderung seines Verhaltens bewegen lässt, scheint dem Autor der Vita wie ein positives Bild aus einer längst vergangenen Zeit.34 Da dieser goldenen Zeit Spannungen zwischen Anno und Heinrich IV. folgten, ist dieser Rückbezug des Autors durchaus verständlich.
Benno von Osnabrück Bischof Benno von Osnabrück (†1088) gelang es, die erstaunliche Herausforderung zu meistern, sowohl mit Heinrich IV. als auch mit dem Papst auf gutem Fuße zu stehen und der Autor seiner Vita scheint dies seiner Hauptfigur hoch anzurechnen und erzählt mit Genuss, welche Tricks Benno anwandte, um dies zu
33 Vita Annonis archiepiscopi Coloniensis, ed. Rudolf Köpke (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 11), Hannover 1854, 462–518, hier cap. 6, 469. 34 Ebd., cap. 6, 469: Miranda sane constantia praesulis, nec minus laudanda humilitas principis, porro in utroque timoris dei imitanda perfectio.
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bewerkstelligen.35 Er spricht ganz offen aus, dass Benno das Richtige tat, als er die Pflicht gegenüber seinem König erfüllte. So sollte es sein.36 In den Bischofsvitae und -gesta der Zeit gibt es viele Fälle von traditioneller Kritik, Ermahnungen an den König, mehr für die Mission der Heiden zu tun, den Kirchen mehr zu geben, entweder einzelnen oder der Kirche im Allgemeinen, aber keiner dieser Fälle eskaliert zu einem Konflikt oder auch nur zu harschen Worten.37
Der Bischof als kluger Ratgeber Wie ist es zu erklären, dass Bischöfe als Ratgeber und Ermahner in der Historiographie so viel harscher agieren als in den Quellen, die den Bischof in den Mittelpunkt stellen? Und dies sogar im zeitlichen Umfeld des sogenannten Investiturstreits? Zumindest zum Teil ist dies tatsächlich eine Frage des Genres. Bucco von Halberstadt muss in Brunos ›Liber de bello Saxonico‹ Brandreden gegen den König führen, weil er für die sächsische Opposition spricht und sie legitimiert, die durch seine Person die Unterstützung bischöflicher Autorität erhält. Der Darstellungszweck ist eben ein anderer als der der Bischöfe als geschickte Ermahner in den Vitae und Gesta. Die Topoi, die den Bischöfen in den Vitae und Gesta üblicherweise zugeschrieben werden, verhindern, dass sie als harsche Kritiker und nicht als kluge Ratgeber auftreten. Die rechte Zeit für den Königsdienst vor der Erhebung zum Bischof, sein Status als respektierter Ratgeber, seine Geschicklichkeit im Umgang mit dem König, den er sogar mit unerbetenen Ratschlägen in aller Öffentlichkeit dazu bewegen kann, zum Guten für seinen Bischofsitz und seine Kirche zu wirken, all diese Erzählmuster passen nicht zu der Rolle eines harschen Kritikers, der als Sprachrohr der Opposition die Defizite des Königs offen ausspricht. Diese Rolle wird an die Bischöfe in den römisch-deutschen Vitae und Gesta schlichtweg nicht vergeben. Ihre Ermahnungen und ihre Kritik passen nicht zu den Mustern einer Erzählung von Krise, sondern eher von einer leichten Störung der Ordnung. Es geht darum, kleinere lässliche Fehler zu korrigieren. Nicht der Ordo als solcher ist in 35 Norbert von Iburg, Vita Bennonis II. episcopi Osnabrugensis, ed. Harry Bresslau (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 30/2), Leipzig 1934, 869–892, hier cap. 18, 883f. Vgl. zur Quelle Norbertus abbas Iburgensis, Vita S. Bennonis II episcopi Osnabrugensis, http://www. geschichtsquellen.de/repOpus_03591.html (11. 03. 2019) und Volker Scior, Identitäten und Perspektiven. Die Vita Bennos von Osnabrück als Ausdruck der Vorstellungen eines Iburger Mönchs, in: Osnabrücker Mitteilungen 108 (2003), 33–57. Plassmann 2016, 60f. 36 Norbert von Iburg, ed. Bresslau 1934, cap. 16, 881f, cap. 17, 882f und cap. 22, 887f. Vgl. auch Haarländer 2000, 357. 37 Haarländer 2000, 377f; Plassmann 2017, 174.
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Gefahr, sondern nur das Einkommen eines bestimmten Bischofssitzes, der Respekt, der einem bestimmten Bischof zusteht, oder die Unbestechlichkeit eines Bischofs. Das System als solches wird nicht in Frage gestellt. Während christliche Tugenden wie Demut, Milde und Frömmigkeit den Hintergrund für die Ermahnungen abgeben, steht doch insgesamt außer Frage, dass der König ein guter Christ ist. Das wird niemals angezweifelt. Die römisch-deutschen Bischöfe gehen in den Vitae und Gesta bei der Ermahnung des Königs und beim Ratgeben sehr pragmatisch vor. Es ist keine Frage des königlichen Seelenheils oder auch nur der Abwendung von schlechten Gewohnheiten, es geht um die Handlung der correctio, und die Tatsache, dass es der Bischof ist, der in der richtigen Position für eine solche correctio ist. Ihr Status als geachtete Ratgeber wird durch die Reaktionen des Königs, der als jemand dargestellt wird, der dem Rat folgt, bestärkt, auch wenn der König manchmal sehr eindringlich und öffentlich bearbeitet werden muss. Nicht nur die Berechtigung des Bischofs zum Rat ist Thema, sondern auch das Verhältnis zwischen Herrscher und Ratgeber, das durch einen unerbetenen Ratschlag aufgestört, aber nie ernsthaft gefährdet wird.38
Bischöfe als Ratgeber in England Eigenheit der Topoi in England Man kann diesen Befund einer Eigenart der römisch-deutschen Situation durch die Belege der Vitae und Gesta aus England bestätigen. In England haben wir mehr Vitae und weniger Gesta, was bedeutet, dass uns die Bischöfe in einer idealisierteren Version entgegentreten und weniger schlechte, oder auch nur differenzierte Beispiele als Kontrast vorliegen. Während in den deutschen Bischofsschriften der Dienst bei Hofe als einer der Faktoren, die bei der Bischofserhebung eine Rolle spielen, offen genannt wird, ist der entsprechende Topos in England etwas anders, zumindest in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Den Typ, den wir in den Vitae am häufigsten finden ist der Mönchsbischof, ein frommer Mönch, der die Aufmerksamkeit des Königs und seines Hofes wegen seiner Frömmigkeit auf sich zieht und wegen dieser besonderen Frömmigkeit dann auch zum Bischof erhoben wird.39
38 Zum Verhältnis zwischen Herrscher und Ratgeber vgl. auch die Beiträge von Felix Bohlen, Dominik Büschken und Teresa Wilke in diesem Band. 39 Plassmann 2017, 175f.
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Gelegentlich zieht der Bischofskandidat auch die Aufmerksamkeit eines Bischofs auf sich, der sich dann für den frommen Mönch einsetzt.40 Ein anderer Topos, der in englischen Vitae häufiger auftaucht als in deutschen, ist die logische Folge dieser idealisierten Erhebung eines Mönchsbischofs: Der Status des Mönchsbischofs bei Hof ist gefährdet, weil die Höflinge neidisch auf seinen Einfluss sind, der ihm zufällt, ohne dass er etwas dafür tut: Ecgwine von Worcester (†717) zum Beispiel wird von den Höflingen so bedrängt, dass er sich selbst in Fesseln legt und die Schlüssel wegwirft. Er pilgert nach Rom, wo der Fisch, der die Schlüssel verschluckt hat, gefangen und als Mahlzeit zubereitet wird. Die Schlüssel werden gefunden und Ecgwine ist rehabilitiert41. Während wir Neid auf die Bischöfe als Motiv in römisch-deutschen Quellen durchaus finden können, ist dies doch nirgendwo so prominent wie in dieser märchenhaften Erzählung von Byrhtferth von Ramsey († um 1020) aus den 1020er Jahren.
Mahner für die Kirchenreform und die Moral Die ermahnenden angelsächsischen Bischöfe tun dies für die Kirche oder die Kirchenreform, also die Art von Kritik und Einmischung in die Politik, die man von einem Bischof erwarten würde. Gelegentlich werden auch Laster oder Fehler des Königs angesprochen, wie sich etwa an dem folgenden Beispiel sehen lässt, das eine Erzählelement aufweist, das auch in der Historiographie übernommen wurde: König Eadwig verließ sein eigenes Krönungsmahl, um sich in der Gesellschaft seiner Geliebten und deren Mutter zu vergnügen. Dunstan, später Erzbischof von Canterbury (†988), platzte in das Rendezvous, unterbrach den König und ermahnte ihn, sich zu beherrschen.42 Genau genommen, ermahnt hier nicht der Bischof, sondern nur der zukünftige Bischof, aber die Erzählung wurde 40 So etwa die Erhebung Oswalds auf Dunstans Fürsprache hin: Byrhtferth von Ramsey, Vita Oswaldi in: The Lives of St Oswald and St Ecgwine, ed. und übers. von Michael Lapidge (Oxford Medieval Texts), Oxford/New York 2009, 2–203, hier lib. III, cap. 5, 58f. 41 Byrhtferth von Ramsey, Vita S. Ecgwini, in: The Lives of St Oswald and St Ecgwine, ed. und übers. von Michael Lapidge (Oxford Medieval Texts), Oxford/New York 2009, 205–304, hier lib. I, cap. 13, 230–235. 42 In der Vita S. Oswaldi wird diese Szene Bischof Oda von Canterbury zugeschrieben; vgl. Byrhtferth von Ramsey, Vita S. Oswaldi, ed. Lapidge, lib. I, cap. 2, 12–15, der allgemein über die Ermahnung des Eadwig berichtet. Die Erzählung findet sich ausführlicher bei Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum. The History of the English Kings 1, ed. und übers. von Roger A. B. Mynors/Michael Winterbottom/Rodney Thomson (Oxford Medieval Texts), Oxford 1998, lib. II, cap. 147, 236–238; zur verbreiteten Geschichte siehe auch Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum 2. General Introduction and Commentary, ed. Rodney M. Thomson/Michael Winterbottom (Oxford Medieval Texts), Oxford 1999, 131f. Plassmann 2017, 175f.
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in die Vita des Dunstan aufgenommen, um zu betonen, wie furchtlos Dunstan beim Aussprechen von Wahrheiten war. Nach 1066 weisen die Erzählungen von Bischofserhebungen subtile Änderungen auf. Der Einfluss von Hof und König wird angedeutet und gelegentlich sogar deutlich ausgesprochen.43 Die hervorstechenden Beispiele sind in den Gesta zu finden, wie etwa Hugh the Chanters Gesta der Erzbischöfe von York, aber es finden sich auch in den Vitae einige, sogar in denen, die die Leben angelsächsischer Bischöfe neu erzählen. Um Beispiele zu nennen: In der ›Vita Wulfsige‹, die Goscelin von Saint-Bertin verfasste, wird der Hof als einflussreicher Faktor genannt: »Durch Gottes Fügung, königliche Zustimmung und die allgemeine Akklamation des Klerus und des Volkes wurde Wulfsige auf den Bischofsthron der Kirche erhoben.«44 Und dennoch ist der Typ des Mönchsbischofs auch nach 1066 noch der bevorzugte Typ in den Vitae. Das liegt sicher mit daran, dass es nach 1066 auch besonders berühmte und angesehene Mönchsbischöfe gab: Lanfranc (†1089) und Anselm von Canterbury (†1109) sowie Gundulf von Rochester (†1108). Nach 1066 gibt es also durchaus eine wahrnehmbare Verschiebung in der Art und Weise, wie der Einfluss des Hofes thematisiert wird, aber die hauptsächlichen Topoi der Vitae bleiben die gleichen, gerade so wie im römisch-deutschen Reich, wo auch nach 1077 der ideale Bischof nach wie vor mit dem König kooperiert. Beispiel für politische Ermahnung In England erhält das Thema der bischöflichen Unabhängigkeit und des Bischofs als Ermahner in politischen Fällen erst deutlich später Aufmerksamkeit als im Reich. Wir finden es besonders einprägsam in Eadmers ›Vita Anselmi‹, in der der Erzbischof als standfester Ermahner und besonders häufig als unerbetener Ratgeber des Königs dargestellt wird.45 Während andere Bischöfe sich bestechen ließen, nach dem Willen König Wilhelms Rufus zu handeln, folgte Anselm (†1109) seinem Gewissen.46 In einem solchen Erzählkontext kommt Anselms 43 Plassmann 2017, 176–178. 44 Goscelin von Saint-Bertin, The Life of St Wulfsige of Sherborne. A New Translation with Introduction, Appendix and Notes, ed. Rosalind Love, in: Katherine Barker (ed.), St Wulfsige and Sherborne. Essays to celebrate the Millenium of the Benedictine Abbey, 998– 1998 (Bournemouth University School of Conservation Sciences Occasional Papers 8), Oxford 2005, 98–123, hier cap. 4, 106. 45 Zu Eadmer vgl. Paul A. Hayward, Eadmer of Canterbury, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle 1 (2010), 553; Plassmann 2017, 178f. 46 Eadmer, The Life of St Anselm, Archbishop of Canterbury, ed. Richard W. Southern (Oxford Medieval Texts), 2., überarb. Aufl., Oxford 1972, lib. II, cap. 5, 67; eine längere Version in Wilhelm von Malmesbury, Gesta Pontificum Anglorum 1. Text and Translation,
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Figur bei Eadmer der Rolle des Bischofs als Antagonisten und Anführer der Opposition, der für das Aussprechen unbequemer Wahrheiten verfolgt wird, schon ziemlich nahe. Eadmer geht aber mit seinen Erzählmustern deutlich über die in England üblichen Topoi hinaus, wenn er auch das wohlbekannte Ausgangsszenario des Mönches wählt, der aufgrund seiner Frömmigkeit Bischof wird. Es ist aufschlussreich, dass vor allem der Erzbischof von Canterbury als Ermahner und Ratgeber aufritt. Einmal abgesehen davon, dass er als erster Kirchenfürst in England für diese Rolle prädestiniert war, wird man wohl auch konstatieren können, dass die Tradition der narrativen Quellen in England den Weg für den Erzbischof von Canterbury als Opponenten durchaus bereitet hat.
Eigenständigkeit der Ratgeber Um es kurz zusammenzufassen: Im 11. Jahrhundert finden wir in den Vitae und Gesta der Bischöfe im römisch-deutschen Reiche zahlreiche Beispiele von unabhängigen und eigenwilligen ermahnenden Bischöfen, die ungefragt als Ratgeber tätig werden. Während es selbstverständlich allgemein gehaltene Kritik am König gibt, die etwa die Behandlung der Kirche im Allgemeinen und in besonderen Fällen thematisiert, und während dies natürlich vor dem Hintergrund eines christlichen Tugendbildes erfolgt, vor dem das königliche Verhalten Bestand haben muss, gibt es doch auch Fälle, in denen die Kritik und die Ermahnung sich um das richtige Verhältnis zwischen König und Bischöfen als Ratgeber dreht. Es geht darum, dass die Ermahnung die Eigenständigkeit des Bischofs erweist und damit im Grunde seinen Wert als Ratgeber unterstreicht. Es geht eigentlich um den gegenseitigen Respekt, der für das geschmeidige Zusammenspiel von König und Bischof für das System unerlässlich ist. Dies bedeutet keinesfalls, dass das König-Bischof-Verhältnis im römisch-deutschen Reich anders war, aber die Tradition der bischofszentrierten Quellen im Reich bedeutete, dass der Bischof eher in die Rolle eines Mitglieds des Hofes gesetzt und nicht als ein von Beginn an frommer Außenseiter dargestellt wurde. Die Tradition des Mönchsbischofstopos in England hingegen führte dazu, dass die Rolle des Antagonisten und Anführers der Opposition in englischen Vitae leichter angenommen werden konnte, am deutlichsten sicher in der ›Vita Anselmi‹ des Eadmer.47 ed. und übers. von Michael Winterbottom (Oxford Medieval Texts), Oxford 2007, lib. I, cap. 49.5 β-Version 2–4, 128 und lib. I, cap. 49.5 β-Version 7, 132, wo Wilhelm Anselms Plan erwähnt, dem König Geld zu geben, einen Plan, den er später verwarf. 47 Vgl. auch Plassmann 2017, 179–181.
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Die Erwartungshaltungen, die mit dem Amt eines Bischofs und vielleicht sogar mit einem bestimmten Bischofssitz verknüpft waren, führten dazu, dass ein Bischof gemäß den Verhaltensmustern seiner Vorgänger beurteilt wurde und dies mag sogar dazu geführt haben, dass der Bischof selbst diese als Handlungsrichtschnur benutzte. Die Tradition des Königsdienstes mag Bischöfe auch noch ein Jahrhundert später beeinflusst und sie dazu veranlasst haben, dementsprechend zu handeln. Dachte ein Erzbischof wie Eberhard von Salzburg (†1164) während des Alexandrinischen Schismas im 12. Jahrhundert vielleicht an Benno von Osnabrück, gerade dann, wenn er die Ladung an den Hof Barbarossas und die darin beinhaltete Obedienz für den kaiserlichen Gegenpapst um jeden Preis vermied? Dachte Rainald von Dassel (†1167) jemals an den unermüdlichen Königsdienst eines Bernward von Hildesheim (†1022), besonders da er seine Erziehung in Hildesheim genossen hatte? Formte Thomas Becket (†1170) sein eigenes Exil dem Anselms nach? Die Antwort darauf ist sicher nicht leicht zu finden, aber die narrativen Strukturen von Vitae und Gesta und deren Einfluss auf Erwartungshaltungen und Handlungen der Bischöfe gerade als Ratgeber und in Interaktion mit dem König sind sicher noch weitere Untersuchungen wert.
Quellen Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. Bernhard Schmeidler (Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarcum 2), 3. Aufl., Hannover 1917. Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, in: Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches, ed. Werner Trillmich (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 11), Darmstadt 1961, 137–498. Anonymus Haserensis, Die Geschichte der Eichstätter Bischöfe, ed. Stefan Weinfurter (Eichstätter Studien. Neue Folge 24), Regensburg 1987. Anselm von Lütich, Gesta episcoporum Tungrensium, Traiectensium et Leodiensium, ed. Rudolf Köpke (Monumenta Germaniae Historica Scriptores 7), Hannover 1846, 189– 234. Bruno, Liber de bello Saxonico, in: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., ed. FranzJosef Schmale (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 12), Darmstadt 1963, 191–405. Bruno, Liber de bella Saxonico, in: Annales et chronica aevi Salici, ed. Georg Pertz (Monumenta Germaniae Historica Sciptores 5), Hannover 1844, 327–384. Byrhtferth von Ramsey, Vita S. Oswaldi, in: The Lives of St Oswald and St Ecgwine, ed. und übers. von Michael Lapidge (Oxford Medieval Texts), Oxford/New York 2009, 2–203. Byrhtferth von Ramsey, Vita S. Ecgwini, in: The Lives of St Oswald and St Ecgwine, ed. und übers. von Michael Lapidge (Oxford Medieval Texts), Oxford/New York 2009, 205–304.
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Wie ermahnt man einen König?
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Geschichtsschreibung als Ratschlag. Robert von Gloucester als Ratgeber in der ›Historia Novella‹ und die ›Historia Novella‹ als guter Rat im englischen Thronstreit (1135–1153)
Abstract A well-known topic of chronicle narratives is that of bad advice. In these narratives, the errors and sins of kings were often blamed on poor advice and attributed to malicious counsellors. In this article, the role of counsellors in the narratives of two chroniclers – William of Malmesbury and the anonymous author of the ‘Gesta Stephani’ – will be outlined using the example of the unique situation of the reign of King Stephen. The two basic narrative sources, ‘Historia Novella’ by William of Malmesbury (favourable to Empress Matilda), and the ‘Gesta Stephani’ – a narrative favourable to Stephen’s cause – are examined in terms of their use of the topos of advisors. The first aim is to show which role the counsellors play in the narrative. In addition, however, we will examine to what extent the authors saw themselves as advisors in their own right, their historical writing performing the role of counsel. In particular, the characterisation of Robert of Gloucester in the ‘Historia Novella’ should be understood as a form of multi-faceted advice. The advice worked on three levels: first as a virtuous example to the reader of how to ideally resolve conflicts; as advice for Robert of Gloucester himself, and as admonition as to how a ruler’s ability to receive advice reflected his suitability to rule.
Es ist selten eine schlechte Idee, sich guten Rat einzuholen. Schwieriger aber ist es, guten Rat zu erkennen und ihn von schlechtem Rat zu unterscheiden. Diese Fähigkeit ist eine Kompetenz, die von mittelalterlichen Herrschern erwartet wurde. Guter Rat sollte in der Regel von guten Ratgebern kommen, was andersherum hieß, wer gute Ratgeber benannte, erfuhr auch guten Ratschlag. In dieser Konstellation ist es nicht verwunderlich, dass der Bischof allgemein als ein solcher gute Ratgeber akzeptiert war und ihm qua Amt die Befähigung zu gutem Ratschlag zugesprochen wurde.1 Die Pflicht zu consilium et auxilium war eine 1 Zu diesem Aspekt sei auf den Beitrag von Alheydis Plassmann in diesem Band verwiesen, 79– 98. Ferner auf Ryan Kemp, Advising the king, in: Rodney Thomson/Emily Dolmans/Emily Winkler (edd.), Discovering William of Malmesbury, Woodbridge 2017, 65–79, der besonders Wilhelm von Malmesburys’ Darstellungen in den Gesta Regum und Gesta Pontificum untersucht.
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formelhafte Beschreibung der Vasallität, die den Stellenwert der Beratung für die Ausübung von Herrschaft zusätzlich unterstreicht und auch zeigt, dass Ratgeben indes nicht allein als eine klerikale Kompetenz verstanden wurde. Im folgenden Beitrag werden Rat und Ratgeber auf ihre narrative Funktion in zwei historiographischen Quellen des 12. Jahrhunderts untersucht, der ›Historia Novella‹2 des Wilhelm von Malmesbury und die anonymen ›Gesta Stephani‹3.4 Der politische Konflikt in England, den die Schriften darstellen und in dessen Zeit sie entstanden sind, bietet die Möglichkeit, die narrative Figur des Ratgebers in Person Roberts von Gloucester zu dekonstruieren und ihre Funktion offenzulegen.
Die Qualitäten eines Ratgebers Die zeitgenössischen Vorstellungen von gutem und schlechtem Rat sollen zuvor jedoch am Beispiel des Zisterziensermönches Bernhard von Clairvaux (c.1090– 1153) – eine intellektuelle und moralische Autorität seiner Zeit – vorgestellt werden, um sodann im konkreten Beispiel diese Vorstellungen über guten Rat im Kontext historiographischer Schriften zu überprüfen. Gute Ratgeber zu finden, sollte im Interesse eines jeden fähigen Regenten liegen. Denn keinen Rat einzuholen oder guten Rat zu ignorieren, war Teil der kollektiven Vorstellungen über schlechte Herrschaft. Als Gewährsmann mag hier der genannte Bernhard von Clairvaux einstehen, der selbst gefragter Ratgeber war und die Bedeutung von und Verpflichtung zu gutem Rat betonte.5 In seiner dritten Osterpredigt stellte Bernhard die gewichtige rhetorische Frage: »Und gibt es keinen größeren Hochmut (superbia) als den, daß ein einziger Mensch sein Urteil über das der ganzen Versammlung stellt, als ob er allein den Geist Gottes hätte?«6 Damit brachte Bernhard die moralische Verpflichtung zum Einholen von Ratschlägen auf den Punkt. Daran knüpfte unweigerlich die Frage an, wer Rat 2 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, ed. Edmund King, übers. Kenneth R. Potter, Oxford 1998. 3 Gesta Stephani, ed. Kenneth R. Potter/Ralph H. W. C. Davis (Oxford Medieval Texts), Oxford 1976. 4 Hier sei schon auf den Beitrag Felix Bohlens in diesem Band verwiesen, der in einem differenten kulturellen Rahmen vergleichbare narrative Ausdeutungen der Figur des Ratgebers offenlegt (21–50). 5 Zu Bernhards Rolle als (politischer) Ratgeber siehe John R. Sommerfeldt, Bernard of Clairvaux. On the life of the Mind, New York/Mahwah 2004, 65. 6 Bernard von Clairvaux, in resurectione Sermo 3, in: Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, Band 8, ed. und übers. Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1997, 277–290, hier 3.4, 284: Et quae maior superbia, quam ut unus homo toti congregationi iudicium suumpraeferet, tamquam ipse solus habeat spiritum Dei? außerdem der Bezug zu 1. Cor 7:40.
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geben sollte. Natürlich lag es für Bernhard als Abt und monastische Autorität seiner Zeit auf der Hand, dass ein solcher Ratschlag vor allem von monastischer oder klerikaler Seite erfolgen sollte, und nicht von Unerfahrenen oder gar Weltlichen.7 Was aber ein guter Ratgeber war, lag für Bernhard nicht allein im kirchlichen Dienst begründet, sondern insbesondere auch im Verhältnis von Ratgeber und -nehmer. So schrieb Bernhard Arducius (†1185), Bischof von Genf, er möge Rat nehmen und das von den Guten.8 Diese unspezifische, auf den ersten Blick trivial erscheinende Empfehlung geht auf den zweiten Blick tiefer auf die Vorstellung eines guten Ratgebers ein. Es beschreibt exakt den Umstand, dass Ratgeber nicht allein qua Amt in ihre Position gelangten, sondern auch durch ihre charakterliche Integrität befähigt sein sollten. In der Idealvorstellung gingen charakterliche Integrität und bischöfliches Amt selbstredend Hand in Hand, aber Integrität war nicht exklusiv klerikal. Wer aber nach diesem Maßstab gute Ratgeber habe, der werde auch selbst für gut befunden.9 Die von Bernhard hier formulierten Vorstellungen bringen gültige kollektive Vorstellungen von gutem Rat und guten Ratgebern im 12. Jahrhundert zum Ausdruck. Das Gute des Ratgebers, auf das Bernhard an dieser Stelle verweist, ist keine Worthülse für eine Selbstverständlichkeit, sondern ernstgemeinter Ratschlag: Charakterlich integer, aufrichtig und demütig sollte ein Ratgeber sein. Keinesfalls waren diejenigen geeignet, die selbst aus eigennützigen Motiven die Position des Ratgebers anstrebten.10 Guter Rat erfolgte für Bernhard letztendlich aus den zwei Grundtugenden schlechthin, wie er in seinem Brief an den Bischof von Soissons Jocelin (†1152) – Jocelin von Soissons war nicht nur Bischof, sondern auch einflussreicher Berater Ludwig VII. von Frankreich (1120–1180) – rechtfertigend vorbrachte: »So muß es sein: Diese Richtschnur, diese Vernunft (ratio), dieses Maß muß bei einem Ratgeber beachtet werden: daß er in Liebe (diligere) ergeben ist und daß er weise (sapere) ist. Im Mund dieser zwei Tugenden, der Liebe und der Weisheit, wird jedes Wort des Rates Bestand haben. Wenn sich diese zwei in einer Person vereinen, wird der 7 Bernhard von Clairvaux, De duplici adventu et pennis deargentatis Sermo 4, Band 7, 101–112, hier 102. 8 Bernhard von Clairvaux, Ep. 28 Ad Arducio Band 2, 402–405, hier 404: Omnia fac cum consilio, nec tamen omnium aut quorumcumque, sed tantum bonorum. 9 Bernhard von Clairvaux, Ep. 28, Band 2, 404: In hoc enim te bonum probabis, si testimonium a bonis habueris. 10 In dem bemerkenswerten Traktat ›De consideratione‹, das als Mahnschrift an Papst Eugen III. (1145–1153) adressiert ist, widmet sich Bernhard ein Unterkapitel lang der Thematik des Ratgebens und den Ratgebern. Bernhard von Clairvaux, De consideratione, in: Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, Band 1, ed. und übers. Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1990, 625– 841, lib. iv, c. 4 Quales sibi debeat eligere collaterales et coadiutores, hier c. 4, 9 752: Sane huic negatio non se ingerat rogans, consilio, non prece egendum est.
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Ratgeber imstande sein, ein gutes Wort zu sagen und aufzuzeigen, wie der König handeln soll.«11
Aus Weisheit und Liebe allein konnte demnach guter Rat entstehen, egal ob dieser Rat für den Bischof, Papst oder König gedacht war, egal ob aus dem Mund eines Mönches, Bischofs oder Laien. Die innere Motivation wird von Bernhard zur maßgeblichen Richtschnur der Scheidung von gutem und schlechtem Rat aufgebaut. Dass solch guter Rat in schlechten Zeiten besonders wertvoll war, ist dagegen in der Tat eine Binsenweisheit. Im Folgenden soll eine solch konflikthafte Zeit als Rahmen der Untersuchung gesteckt werden, in der es insbesondere um die narrative Ausdeutung politischer Akteure gehen wird.
Wenn guter Rat teuer ist. Der englische Thronstreit (1135–1153) Über die Jahre der sogenannten Anarchie in England (1135–1153)12 sind wir durch verschiedene historiographische Verfasser recht gut unterrichtet.13 Wilhelm von Malmesbury und dem unbekannten (klerikalen) Verfassers der ›Gesta Stephani‹ kommen hierbei jedoch eine Sonderstellung zu.14 So detailreich Wilhelms ›Historia Novella‹ und die anonymen ›Gesta Stephani‹ berichten, so problematisch ist die Darstellung der Figuren in den beiden Werken, die jeweils für eine politische Fraktion Partei ergreifen und Entscheidungen und Motivationen der Akteure dem Erzählmuster nach verorten. 11 Bernhard von Clairvaux, Ep. 342 an Bischof Jocelin, Band 3, 595: Hic ordo, haec ratio, hic modus praevidendus est in viro consilii, ut diligat, ut sapiens sit. In ore istorum duorum, id est dilectionis et sapientiae, stabit omne verbum consilii. Haec duo si in unum conveniant, poterit eructare verbum bonum et dicere opera facienda Regi. Hintergrund des Briefes ist die Wahl Grimoards zum Bischof von Poitiers 1140, die ohne die königliche Erlaubnis (licentia eligendi) erfolgt war. Bernhard war offensichtlich um Schadensbegrenzung bemüht, argumentierte Jocelin gegenüber aber durch Vorstellungen des guten (ethischen) Ratgebers. Vgl. dazu auch Lukas G. Grzybowski, Politische Tugendvorstellungen im 12. Jahrhundert. Die Schriften Ottos von Freising und Bernhards von Clairvaux, Diss. Hamburg 2014, 226. 12 Zur Zeit der sogenannten Anarchie in Auswahl: Frank Barlow, The Feudal Kingdom of Eng land. 1042–1216, 5. Aufl. Harlow 1999; David Crouch, The Reign of King Stephen. 1135– 1154, London/New York 2000; Edmund King, King Stephen (Yale English monarch series), New Haven/London 2012. 13 Zu nennen ist hier insbesondere noch Johannes von Worcester, der ausführlich von den Ereignissen berichtet. Johannes von Worcester, Chronicon ex chronicis, Band 3, ed. und übers. Peter McGurk (Oxford Medieval Texts), Oxford 1998, ad. 1135–ad. 1141, 214–305. 14 Die Autorenschaft gilt nach wie vor als unbekannt. Ralph H. Davis hält Robert, Bischof von Bath für den Verfasser (Gesta Stephani, xxxviii; sowie Ders., The Authorship of the Gesta Stephani, in: The English Historical Review 77 (1962), 209–232.); Robert Bartlett und Richard Huscroft halten dies für wahrscheinlich, ohne es definitiv bestätigen zu können (Robert Bartlett, England under the Norman and Angevin Kings (The Oxford History of England), Oxford 2000, 99; Richard Huscroft, Ruling England. 1042–1217, London 2005, 200).
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Der Konflikt drehte sich um die Nachfolge Heinrichs I. (1100–1135), der ohne einen legitimen männlichen Erben zu hinterlassen, verstarb.15 Der älteste Sohn Heinrichs, Wilhelm, war in der sogenannten ›white ship‹ Katastrophe 1120 ums Leben gekommen, als bei der Überfahrt von der Normandie nach England über den Ärmelkanal das Schiff des Thronfolgers sank.16 Gleich mehrfach hatte Heinrich I. in der Folge die Großen des Reiches einen Eid auf die Anerkennung seiner leiblichen Tochter Matilda (1102–1167) schwören lassen (1127, 1128, 1131).17 Diesen Eid schworen sowohl Robert von Gloucester (c. 1100–1147) als auch Stephan von Blois (c. 1092–1154), zwei zentrale Protagonisten des folgenden Konfliktes.18 Der Lebensweg Matildas erwies sich für ihre Akzeptanz unter den Großen des Reiches jedoch als problematisch.19 Nicht allein ihr Geschlecht stand ihr im Wege, sondern vielmehr ihre lange Abwesenheit von England und die daraus resultierende Unbekanntheit. Matilda, genannt Kaiserin Matilda, wurde durch ihren Vater eben nicht zur gezielten Nachfolgerin aufgebaut, sondern bereits 1114, im Alter von zwölf Jahren, mit dem deutschen König und späteren römisch-deutschen Kaiser Heinrich V. (c. 1086–1125) zur Bündnisbildung verheiratet. Als Heinrich V. 1125 verstarb, kehrte Matilda 1126 nach England zurück und wurde 1127 von ihrem Vater Heinrich I. mit dem Grafen von Anjou Gottfried Plantagenet (1113–1151) erneut verheiratet.20 Auch dies war vordergründig ein Zweckbündnis, das den Grafen, der durch seine an die Normandie grenzenden Besitzungen potenzieller Widersacher des englischen Königs war, befrieden sollte. Eben wegen dieser traditionellen Feindschaft der Grafen von Anjou mit dem englischen Königshaus und vielen anglonormannischen Großen seit der Eroberung Englands durch die Normannen 1066 wurde die Ehe Matildas mit Gottfried von diesen misstrauisch beäugt.
15 Zu Heinrich und dessen Nachfolge siehe Charles W. Hollister, Henry I, New Haven/ London 2003; Judith Green, Henry I. King of England and Duke of Normandy, Cambridge 2006; und jüngst Dominik Büschken/Alheydis Plassmann, Stephen of Blois. Legitimizing Succession, Idoneity and Inheritance, in: Tilmann Trausch (ed.), Norm, Normabweichung und Praxis des Herrschaftsübergangs in transkultureller Perspektive (Macht und Herrschaft 3), Göttingen 2019, 401–430. 16 Green 2006, 135–138. 17 Hollister 2003, 463. 18 Zu Robert siehe David Crouch, Robert, first earl of Gloucester (b. before 1100, d. 1147), in: Oxford Dictionary of National Biography 47 (2004), 93–96; und jüngst Robert B. Patterson, The Earl, The Kings & the Chronicler. Robert Earl of Gloucester & The Reigns of Henry I & Stephen, Oxford 2019. 19 Zu Matilda Marjorie Chibnall, The Empress Matilda. Queen Consort, Queen Mother and Lady of the English, Oxford 1993; sowie Dies., Art. »Matilda«, in: Oxford Dictionary of National Biography 37 (2004), 321–329. 20 Zu Gottfried siehe Kathryn A. Dutton, Geoffrey, Count of Anjou and Count of Normandy, 1129–51, unpublished PhD thesis, Glasgow (University of Glasgow) 2011.
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Dies galt umso mehr nach dem Tode Heinrichs I. 1135. Mit der Anerkennung Matildas wäre Gottfried zum Mitregenten aufgestiegen. In Ausnutzung der Antipathien gegen Gottfried, der Abwesenheit Matildas, die zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters nicht in England weilte, meldete Stephan von Blois 1135 seinen eigenen Anspruch an. Stephan war ein Neffe Heinrichs, Enkel Wilhelm des Eroberers und konnte seinen Anspruch so ebenfalls, wenn auch schwächer als Matilda, genealogisch begründen.21 Noch dazu war er ein respektiertes und bekanntes Gesicht unter den englischen Großen. Am 22. Dezember 1135, nur drei Wochen nach dem Tode Heinrichs I., wurde Stephan in Westminster unter weitgehender Zustimmung des Adels gekrönt.22 Damit war der Konflikt allerdings keineswegs gelöst, da die Loyalitäten gespalten waren. Dramatische Bewegung kam in den schwelenden Konflikt indes erst durch den Seitenwechsel Roberts von Gloucester 1138 von der Partei Stephans auf die Seite Matildas. Robert war nicht nur der Halbbruder Matildas, ein Bastardsohn des verstorbenen Heinrichs I., sondern auch schon unter Heinrich I. einflussreicher Earl, und sein Wechsel veränderte das Machtgefüge entscheidend. Ab 1139, mit der Landung Matildas an der englischen Küste, eskalierte der Konflikt und Robert von Gloucester kam als militärischem Anführer eine entscheidende Rolle zu. Vor diesem historischen Hintergrund ist die Frage der Überlieferung von besonderer Bedeutung. Die ›Historia Novella‹ von dem als Autorität geltenden Mönch Wilhelm von Malmesbury ist Robert von Gloucester gewidmet und nimmt Partei für die Sache Matildas.23 Demgegenüber sind die ›Gesta Stephani‹ – wie der Name erahnen lässt – Stephan von Blois zugetan. Wilhelm von Malmesbury gilt auch deswegen als Autorität, da sein Verständnis von Geschichtsschreibung, wie er es selbst in seinen ›Gesta regum Anglorum‹ beschrieb,24 in eine 21 Zur Bedeutung der Genealogie in diesem Kontext siehe Dominik büschken/Alheydis Plassmann, Stephen of Blois. Legitimizing Succession, Idoneity and Inheritance, 412f. 22 Vgl. King 2012, 43–49. 23 Zur Bedeutung Wilhelms siehe jüngst Rodney Thomson/Emily Dolmans/Emily Winkler (edd.), Discovering William of Malmesbury, Woodbridge 2017; die ›Historia‹ wurde überarbeitet, an dieser Revision könnte Robert gar selbst mitgewirkt haben, auch wenn dies hoch spekulativ bleiben muss, vgl. ›Historia Novella‹, Introduction, xciv. Die Frage, ob die Schrift auch eine Auftragsarbeit war (vgl. etwa patterson, 997), ist naheliegenderweise virulent, muss aber letztlich als ungeklärt gelten, da es höchstens Indizien, aber keine eindeutigen Befunde gibt. 24 Wilhelm von Malmesbury, Gesta Regum Anglorum, ed. und übers. Roger A. B. Mynors/ Rodney M. Thomson/Michael Winterbottom, Oxford 1998, lib. v, c. 445, 796: ego enim, ueram legem secutus historiae, nichil umquam posui nisi quod a fidelibus relatoribus uel scriptoribus addidici. Porro, quoque modo haec se habeant, priuatim ipse michi sub ope Christi gratulor, quod continuam Anglorum historiam ordinauerim post Bedam uel solus uel primus. Zu diesem Ansatz der wahrheitsgetreuen Berichterstattung, den Wilhelm von seinem Vorbild Beda übernommen hatte, vgl. Alheydis Plassmann, Beda Venerabilis – Verax his-
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außerordentlich wertvolle und durch den Verfasser zumindest behauptete ereignisgetreue Berichterstattung mündeten. Dennoch verfolgte auch Wilhelm ein Programm. Die ›Historia‹ verfasste Wilhelm von 1128 bis zu seinem mutmaßlichen Tode 1142. Der Konflikt jedoch um die englische Krone wurde erst 12 Jahre später endgültig gelöst. Zum Zeitpunkt der Abfassung konnte Wilhelm also noch keine erfolgreiche Partei ausgemacht haben. Robert von Gloucester, dem Wilhelm sein Werk widmete, war in dieser Zeit und besonders zwischen 1139 und 1142 ärgster Widersacher Stephans. Dieser Umstand lässt sich auch in der Darstellung der Ereignisse, mehr noch aber in der Figurenkonstellation fassen, für die auch das Ideal eines guten Ratgebers wichtig war. Anders als teilweise vorgeschlagen, verklärt Wilhelm Roberts Rolle und sein Agieren im Konflikt keineswegs.25 Sein Werk ist weniger Panegyrik als vielmehr ein Empfehlen Roberts. Die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit eines Erfolges Stephans über Matilda musste auch Wilhelm gesehen haben und die Implikationen, die eine Niederlage für die unterlegene Seite hatte, waren kaum einzuschätzen. Der Seitenwechsel Roberts ermutigte Wilhelm eventuell gar dazu, die Option einer zukünftigen Kooperation Roberts mit König Stephan in Betracht zu ziehen. Es ist jedenfalls durchaus auffallend, wie sehr Wilhelm Robert als eine Figur in seinem Werk etabliert, die überparteilichen Respekt genossen habe. Eine Einschätzung, die im Kontext der Geschichte keineswegs zu hochgegriffen wirkt.26 Es ist die Weisheit, die Stephan Respekt abgenötigt habe, eine Qualität, die schon Bernhard von Clairvaux als eine der zwei zentralen Qualitäten eines guten Ratgebers ausgemacht hatte. Prudentia galt ohnehin als eine der zentralen Tugenden als erstrebenswert, für Kleriker und Laien.27 Dass Robert prudentia nicht nur zugeschrieben wurde, sondern er auch nach ihr handelte, belegt Wilhelm sodann gleich an einer der wohl kniffligsten Stellen der ›Historia‹ toricus. Bedas Vera lex historiae, in: Matthias Becher/Yitzhak Hen (edd.), Wilhelm Levison. Ein jüdisches Forscherleben zwischen wissenschaftlicher Anerkennung und politischem Exil (Bonner Historische Forschungen 63), Siegburg 2010, 123–143; sowie bei Wilhelm: Dies., Bede’s legacy in William of Malmesbury and Henry of Huntingdon, in: David Bates/Edoardo d’Angelo/Elisabeth van Houts (edd.), People, Texts, and Artefacts. Cultural Transmission in the medieval Norman Worlds, London 2018, 171–192, hier 173f. 25 Joe W. Leedom, William of Malmesbury and Robert of Gloucester Reconsidered, in: Albion 6, 3 (1974), 251–265, hier 251. 26 Vgl. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. I, c. 17, 30: Eodem anno post Pascha Rotbertus comes Gloccestriae venit in Angliam, cuius prudentiam maxime Stephanus verebatur; ebenso in den Gesta Stephani, c. 6, 12: Affuitet inter alios Robertus comes Glaorniae, filius regis Henrici, sed nothus, vir probati ingenii laudabilisque prudentiae. 27 Siehe dazu z. B. die Tugendlehre im Policraticus des Johannes von Salisbury als einen wichtigen Vertreter zeitgenössischer Moralvorstellungen: Sigbjørn Sønnesyn, Qui recta quae docet sequitur, uere Philosophus est. The Ethics of John of Salisbury, in: Christoph Grellard/Frédérique Lachaud (edd.), A Companion to John of Salisbury (Brill’s Companions to the Christian Tradition 57), Leiden/Boston 2014, 307–338, zu den Kardinaltugenden: 333.
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in Bezug zur Figur Roberts: der Rechtfertigung von Roberts homagium für König Stephan in Widerspruch zu Roberts Eid auf Matilda.28 Zunächst macht Wilhelm deutlich, dass dieser Widerspruch auch schon Robert bewusst gewesen sei, der vor seiner schlussendlichen Reise nach England auf Aufforderung Stephans die Situation genau analysiert habe.29 Die ›Gesta Stephani‹ berichten hierzu bezeichnenderweise, dass Robert erst nach mehrmaliger Aufforderung und mit Verspätung dem Ruf Stephans gefolgt sei,30 was allein schon als ein Zeichen der Missbilligung verstanden werden kann.31 Die Abwägung, die Robert zu treffen hatte, führt Wilhelm detailliert aus und führt so auch dem Leser die Situation zunächst vor Augen, bevor er Roberts Vorgehen rechtfertigt. Eidbruch war im 12. Jahrhundert ein schwerwiegender Vorwurf, den Wilhelm von Robert unbedingt abzuwenden hatte, wenn er die Glaubwürdigkeit seiner Figur nicht beschädigen wollte. Das Mittel, das Wilhelm wählte, war eine geschickte Strategie, um Robert zu entlasten. Der von ihm auf König Stephan 1136 geschworene Eid sei konditional gewesen, daran gebunden, dass König Stephan sich an seine in seiner Krönungscharta niedergeschriebenen Verpflichtungen halte.32 Dass er dies nicht tun würde, sah Robert aufgrund seiner prudentia, wenn wir Wilhelm von Malmesbury folgen, voraus und konnte so den Eid zur Entschärfung der politischen Situation für den Moment und als Hilfe für seine Schwester leisten. Neben der prudentia kann an dieser Stelle der Bezug zu Matilda als Verweis auf die zweite von Bernhard genannte Tugend, die Liebe, begriffen werden, die Roberts Handlung durch Weisheit und aus der guten Motivation der (geschwisterlichen) Liebe erklärte. Explizit spricht Wilhelm von Malmesbury Matilda hier als Schwester (soror) an, nicht als Kaiserin oder Regentin, was nicht nur von der Ansprache im übrigen Text abweicht, sondern an
28 Vgl. zum Eidschwur auf Matilda King 2012, 30–32; zum homagium 61–64. Eidbruch wird auch im Narrativ der ›Reformatio Sigismundi‹ als gewichtiges, diskreditierendes und delegitimierendes Argument genutzt, wie Sophie Quander in ihrem Beitrag in diesem Sammelband betont, vgl. Abschnitt Klosterbrüder im Dialog, 225–228. 29 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. i, c. 17, 30: Is, dum esset in Normannia, multa cogitatione fatigarat animum quidnam sibi super hoc negotio statuendum putaret. 30 Vgl. Gesta Stephani, c. 6, 14: Hic itaque cum regiis mandatis et scriptis saepius ad se uenire commonitus tandem affuisset […]. 31 Zu dem Aspekt der Bedeutung der Verzögerung im Konflikt hat Emily A. Winkler in einem Bonner Gastvortrag ›Delay and the Experience of Writing in Medieval Chronicles of Conflict‹ Stellung bezogen: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8099 (30. 10. 2019). 32 Vgl. zu Stephans Versprechen in der Charta Graeme White, Continuity in Government, in: Edmund King (ed.), The Anarchy of King Stephen’s reign, Oxford 1994, 117–143, hier 118.
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dieser Stelle gewiss die Verbindung zu Robert betonen soll und so auch Roberts Entscheidung legitimierte oder mindestens erklärte.33 Wird im Narrativ Wilhelms die Figurenkennzeichnung Roberts und Stephans an der analysierten Stelle verglichen, so wird das Konzept des Verfassers noch deutlicher. Auf der einen Seite steht Robert von Gloucester als tugendhafter und rationaler Akteur im sich anbahnenden Konflikt. Auf der anderen Seite finden wir Stephan. Den von Bernhard vorgetragenen, von klerikaler Seite oft und vehement unterstrichenen Rat, sich keine Gefolgsleute und Berater zu suchen, die sich selbst feilboten und nur um ihrer selbst oder des Lohnes Willen in den Dienst traten, machte Wilhelm indirekt König Stephan. Der König war im Besitz des reichen Schatzes, den Heinrich I. gesammelt hatte und das sei einer der Gründe gewesen, weshalb Stephan so zahlreiche Unterstützer (auxiliatoris) um sich scharen konnte. Gefolgschaft habe Stephan so durch seine Verschwendung lediglich erkauft, lautete der Vorwurf, der sich sowohl an Stephan als auch an sein Gefolge zu gleichen Teilen richtete.34
Robert von Gloucester als komplementärer Charakter König Stephans Nun war Stephan jedoch zur Zeit der Abfassung König und obwohl es augenscheinlich durchaus möglich war, Kritik an Herrscher und Herrschaft schon zu Lebzeiten vorzubringen, gab es auch hierfür sicherlich Grenzen.35 Wilhelm zeichnete auch kein schwarzweißes Bild, das wäre weder seine Art gewesen, noch der tatsächlichen Situation gerecht geworden. Zwar war Stephan im Vergleich zu Robert ganz eindeutig die schlechtere Figur, darüber entspann Wilhelm jedoch eine ihm als Autor eigene und im Vergleich zu seinen Zeitgenossen bemerkenswerte Differenzierung zwischen Herrscher und Herrschaft.36 Stephan wird 33 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 17, 30: Si enim regi Stephano subderetur, contra sacramentum quod sorori fecerat fore uidebat. 34 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. i, c. 17, 31: Hanc copiam gazarum habenti auxiliatores deesse non poterant, presertim cum esset ipse in dando diffusus, et, quod minime principem decet, prodigus. 35 Heinrich von Huntingdon lässt darauf schließen, wenn er nach dem Tode Heinrichs I. ihn und dessen Herrschaft negativ darstellt, in harschem Kontrast zu seiner Darstellung noch zu Lebzeiten Heinrichs, vgl. den Kontrast zwischen Heinrich von Huntingdon, Historia Anglorum, ed. und übers. Diana Greenway (Oxford Medieval Texts), lib. vii, c. 26, 456: Deditque gratis ei tria Dominus omnipotens munera: sapientiam, uictoriam, diuicias. Quibus ad omnia prosperans, omnes suos bantecessores precessit) und De contemptu mundi, c. 12, 606: Hic tamen beatissimus regum habitus est. Sed certe miserrimus est. 36 Vgl. zu dieser Differenzierung Plassmann 2018, 177f.; sowie Dies., Bedingungen und Strukturen von Machtausübung bei Wilhelm von Malmesbury und Heinrich von Huntingdon, in: Norbert Kersken/Grischa Vercamer (edd.), Macht und Spiegel der Macht. Herr-
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von Wilhelm ambivalent beschrieben. So sei Stephan ein freundlicher (mansuetus) Mann gewesen, dem nicht viel fehlte, das das königliche Wesen auszeichnete (regia persona decor).37 Warum also war Stephan bei diesen charakterlichen Voraussetzungen kein guter König? Schuld an der Misere von Stephans Herrschaft sind laut Wilhelm die Ratgeber Stephans, was ihm in jeder Hinsicht Freiheit zu Kritik und zur gleichzeitigen Erklärung der Ungerechtigkeit gab, ohne Stephan persönlich offensiv anzugreifen. Seine Ungerechtigkeiten lagen für Wilhelm größtenteils in Verbrechen gegen die Kirche begründet.38 Seine Usurpation39 und seine ungerechte Herrschaft seien das Resultat schlechter Ratgeber gewesen, die übelwollend (malevolus) waren. Dieser schlechte Rat wird Stephan eingeflüstert (susurrus) – eine typische performative Kennzeichnung des Vorbringens schlechten Rates. Was Stephan aber ganz offensichtlich fehlte, war die Fähigkeit, gutem von schlechtem Rat zu unterscheiden und gute von schlechten Ratgebern, weshalb Stephans Regentschaft im Bild Wilhelms ultimativ in schlechter Herrschaft resultierte. Seine Leichtgläubigkeit (credulus) war das Wenige, das ihm von einem guten Herrscher unterschied. Daher betont Wilhelm zum Abschluss dieser Passage noch einmal unmissverständlich: »Diese Dinge sollten nicht ihm [Stephan], sondern seinen Ratgebern (consiliarii) zugeschrieben werden, die ihm einredeten, dass es ihm nicht an Geld mangeln solle, wenn die Klöster voll mit Schätzen seien.«40
Eindeutig und wiederholend unterstreicht Wilhelm Stephans schlechte Ratgeber sowie Stephans Unfähigkeit, diese zu erkennen.41 Schon wenige Zeilen zuvor
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schaft in Europa im 12. und 13. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Chronistik (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 27), Wiesbaden 2013, 145–171. Vgl. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 19, 36. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 19, 36: Itaque sub eo aliquarum aecclesiarum thesauri direpti, possessiones terrarum laicis datae; aecclesiae clericorum alienis venditae; episcopi capti et res suas abalienare coacti; abbatiae vel amicorum gratia vel relaxatione debitorum indignis concessae. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 19, 36: qui, si legitime regnum ingressus fuisset […]. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 19, 36: Sed heac non tam illi quam consiliariis eius ascribenda puto; qui persuadebant ei, numquam cum debere carere denariis dum monasteria essent referta thesauris. Eine von Wilhelm als Inkompetenz ausgemachte Eigenschaft, die auch in transkultureller Perspektive vergleichbar ausgedeutet wird, vgl. in diesem Band Felix Bohlen, Vom Mauerstampfer zum Minister – Zur Darstellung der Ratgeberfigur Fu Yue im Spiegel antiker chinesischer Texte, der die Akzeptanz von und das Erkennen guten Rates ebenso als Herrscherqualität herausarbeitet (21–50).
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hatte er Stephan attestiert, dass er durch seine zahlreichen Helfer zum Nachteil seiner Untertanen leicht zu beeinflussen gewesen sei.42 Die offensichtlichen Kompetenzen, die Stephan zum guten König fehlten, brachte Robert von Gloucester allesamt mit. Er war klug, überlegt und arbeitete im harschen Kontrast zu den namenlosen, stets nur als unbestimmte Masse auftretenden Ratgebern Stephans nicht zu seinem eigenen Vorteil, sondern für die Gerechtigkeit. Im Gegensatz zu Stephans Blindheit in Bezug zu seinen Ratgebern sowie Söldnern war es Robert möglich, Stephans Agieren vorauszuahnen, da er durch seine Beobachtung einschätzen konnte, wie Stephan sich verhalten würde, während Stephan die inneren Absichten seiner Ratgeber nicht zu erkennen vermochte. Noch bevor Robert zu der extremen Maßnahme griff, einen Eid zu schwören – auch wenn es zutreffend sein sollte, was Wilhelm uns darlegt, dass Robert bereits im Vorhinein wusste, dass er ihn nicht halten müsste – versuchte Robert all diejenigen, die sich allein durch Stephans gutes Wesen (facilitas mors) hatten blenden lassen, zu überzeugen. Er tat dies durch persönliche Unterhaltungen (colloquium), um die englischen Großen zu einer vernünftigeren Meinung (sanus sententia) zu bringen. Er erteilte also ungefragten, guten Rat, der nicht gehört wurde. Auch in dieser Stelle handelt Robert idealisiert, indem er sich im Wissen um seine Erkenntnis als Einzelner gegen die große Masse der englischen Großen stellte, die sich von Oberflächlichkeit blenden ließen, während Robert als einziger den wahren Kern erkannt habe. Und es ist auch das Motiv des Individuums, das sich gegen das Kollektiv stellte, die gesichtslose Masse und der herausragende Robert von Gloucester.43 In der Tat sei das, was Robert vorhergesehen habe, auch eingetreten. »Stephan änderte fast alles zum Schlechteren, fast so als hätte er seinen Eid nur zu dem Zweck geschworen, um allen zu zeigen, dass er ihn nicht halten konnte.«44 Was Stephan in dieser Erzählung zu guter Herrschaft fehlte, war schlichtweg Robert von Gloucester und dessen prudentia als Ratgeber. Es waren nicht Stephans Intentionen, die in die schlechte Herrschaft mündeten, sondern seine charakterliche Disposition, seine Gutmütigkeit, die für den Herrscher zum drängenden Problem wurde. 42 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 17, 31: Hi omnes gratanter principi assenserant, quem levi negotio ad sua commoda inflectere possent, prouintialium dispendio suas fortunas urgentes. 43 Ein Motiv, das im Übrigen anschlussfähig an die von Sophie Quander herausgearbeiteten Erzählmuster der ›Reformatio Sigismundi‹ ist, vgl. Sophie Quander, Guter Rat kommt von außen. Religiöse Belehrung durch Figur und Autor in einer politischen Reformschrift des 15. Jahrhunderts, 217–239. 44 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, c. 19, 36: […] quia pene omnia ita perperam mutavit, quasi ad hoc tamen iurasset ut prevaricatorem sacramenti se regno toti ostenderet.
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Robert von Gloucester: Nicht Parteigänger, sondern universelles Vorbild Der Konflikt zwischen Matilda und Stephan spitzte sich nach 1139 stetig weiter zu. Auffallend indes ist, dass Robert als aktiver und entscheidender Akteur der Partei Matildas keineswegs durch Wilhelm in erster Linie als Anhänger ihrer Sache gekennzeichnet wurde, sondern immer zuvorderst als der Gerechtigkeit verpflichtet, die nun einmal, im Bilde Wilhelms, auf der Seite Matildas lag. Anschaulich wird dies wiederum im historischen Kontext. Das Treffen von Bath 1140 sollte zur Lösung des Konfliktes führen. Auf Seiten Matildes nahm Robert von Gloucester als hochrangiger Vertreter an dem Treffen teil. Ihm gegenüber standen Heinrich von Winchester (c. 1096–1171), der Bruder König Stephans und Bischof von Winchester sowie päpstlicher Legat in England, Theobald Erzbischof von Canterbury und die Königin, Matilda von Boulogne (c. 1105–1152), Stephans Frau. Das Treffen wurde jedoch vorzeitig und ergebnislos abgebrochen.45 Auch die im Nachgang zum Treffen vorgebrachten Lösungsvorschläge durch Heinrich von Winchester in seiner Funktion als Legat befriedeten den Konflikt nicht.46 Wilhelm von Malmesbury berichtet, während die ›Kaiserin‹ Matilda offen für die Lösungsvorschläge der Kirche gewesen sei, wollte Stephan diesen gerade nicht zustimmen, da es ihm nicht um den Frieden gegangen sei, sondern einzig um den Status quo. Wenig überraschend ist es auch hier nicht Stephan selbst, sondern seine abermalige Manipulierbarkeit durch seine schlechten Ratgeber, die ursächlich für das Scheitern gewesen sei.47 Die Gefangennahme König Stephans in der Schlacht von Lincoln 1141 verschob das Machtgefüge erheblich zugunsten Matildas. Wilhelm beschrieb ausführlicher Roberts Umgang mit dem gefangenen König als die Schlacht selbst. Ritterliche Tugenden kennzeichneten diesen Umgang ebenso wie Roberts Respekt vor der Krone, der von Wilhelm besonders betont wird (diadema dignitas).48 Die Großzügigkeit Roberts im Umgang mit Stephan erwiderte Stephan, indem er, glauben wir Wilhelm, diese ausnutzte, was zur Beschneidung seiner Freiheiten führte. In diesen Szenen wird Robert direkt in Kontrast zu Stephan 45 Vgl. King 2012, 138–140. 46 Ebd. 139. 47 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. ii, c. 40, 78: Nec fuit ambarum parti um aequum discidium, dum imperatrix, ad bonum pronior, aecclesiasticum non se uereri iuditium mandasset, et rex illud quam maxime caueret, consiliis illorum male credulus, qui nichil minus quam pacem uellent, dum ei dominari ad utilitates suas ualerent. 48 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 43, 86: Predicandus itaque comes Gloccestriae precepit regem uiuum et illesum asseruari, non passus etiam ullo exprobationis conuitio illum proscindi. Et quem iratus modo impugnabat regno fastigatum, placidus ecce protegit triumphatum, ut, compositis irae et letitiae motibus, et consanguinitati impenderet humanitatem, et in captiuo diadematis respiceret dignitatem.
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gesetzt, nicht nur ideell, sondern auch ganz konkret in der Figurenkonstellation des Erzählens. Hier Robert, der ritterlich Respekt vor Stephan erweist, dort Stephan, der nachts über die Flure schleicht und abermals versucht, sich Freiheit(en) zu erkaufen.49 Im Versuch, den Konflikt nun endgültig zugunsten Matildas zu lösen, wird Roberts bestimmende Rolle ebenfalls unterstrichen. Nach dem entscheidenden Konzil von Winchester 1141, auf dem Matilda vom Klerus und den Großen des Reiches als Königin (Angliae Normanniaeque domina) anerkannt wurde,50 sei es aber Robert gewesen, der Matildas Ehre stetig erhöht habe, durch seine schiere Anwesenheit und durch sein umsichtiges Agieren als Gefolgsmann und Vertrauter in der Wiederherstellung der Gerechtigkeit (iustitia) und der alten Gesetze (lex patria). Roberts moderatio und sapientia hätten zu Erfolg geführt, hätten ihm nur alle vertraut.51 Es kam anders, der Konflikt brach erneut aus, Matilda wurde nicht wie erhofft als Regentin anerkannt und Robert von Gloucester in der Ermöglichung der Flucht Matildas aus Winchester gar, wie zuvor Stephan, in Stockbridge 1141 gefangengenommen.52 Wilhelm von Malmesbury sprach sogar davon, er habe sich freiwillig ergeben.53 Diese Gefangennahme egalisierte den vorherigen Vorteil Matildas. In der ›Historia‹ ist es nun Robert, der durch all seine charakterlichen Tugenden, die Fehler, die Wilhelm zuvor Stephan direkt oder indirekt anlastete, vermied und bewies, wie man auch in der Schande der Gefangenschaft Würde beweisen konnte.54 Besonders bemerkenswert ist dabei die von Wilhelm in der Figur Roberts zur Schau gestellte Loyalität. Eben jene Loyalität, die nicht durch Ämter und Lehen erkauft war, doch aus der inneren Überzeugung unerschütterlich sei. Beide Parteien versuchten aus der Gefangennahme des jeweils wichtigsten Mannes der anderen Partei das Beste herauszuholen und einen Austausch zu gleichen Bedingungen zu erwirken.55 Nicht nur Wilhelm von Malmesbury war bewusst, wie kompliziert sich dieser Austausch letztlich gestaltete, wenn er in 49 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 44, 86: […] et quia ipse ferebatur plusquam semel, uel elusis delinitis custodibus, extra statuam custodiam noctu presertim inuentus, anulis ferreis innodatus est. 50 William of Malmesbury, Historia Novella, lib. III, c. 47, 90; dazu Stephen D. Church, Succession and Interregnum in the English polity. The Case of 1141, in: Haskins Society Journal 29 (2018), 181–200. 51 William of Malmesbury, Historia Novella, lib. III, c. 52, 96. 52 Vgl. King 2012,160–163; 169–171. 53 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 57, 106: Quapropter comitibus confestim insecutis, dum et ipse fugere pudori et citra dignitatem suam estimat, et solus ab omnibus precipue impetitur, captus est. 54 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 62, 114: […] quamquam ea captione non tam miserandum quam laudandum se ipse per Die gratiam exhibuerit. 55 Vgl. King 2012, 160–165.
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Anlehnung an Vergil ironisch bemerkte, dass »es so kompliziert gewesen sei, Prinzen freizulassen, die ihr Schicksal in Ketten gelegt hatte.«56 Kompliziert war es vor allem deshalb, da in den Verhandlungen gewissermaßen Tugend und Laster an einem Tisch saßen. Wilhelm stilisiert Robert zur Selbstlosigkeit in Person, die ihre eigene Freiheit dem guten Zweck der Gerechtigkeit unterordnete, wohingegen die Vertrauten Stephans ausschließlich ihrem eigenen Zweck dienten. Bemerkenswert ist, dass Wilhelm Robert folgende Sätze in den Mund legte: »Ich bin nicht unter meiner eigenen Kontrolle, sondern in der Macht von anderen. Meine Antwort ist, dass, wenn ich mich selbst als meinen eigenen Herrn sehe, werde ich tun, was auch immer mir die Vernunft bezüglich eures Angebotes gebietet.«57
Das Angebot, auf das Robert hier Bezug nimmt, war nichts weniger als die faktische Herrschaft in England. Formal würde Stephan König bleiben, aber faktisch hätte Robert die Regentschaft innegehabt, unter der Bedingung, dass er die (gerechte) Sache seiner Halbschwester fallen ließ. Das Angebot, das indes nur Wilhelm erwähnt,58 lehnte Robert ab und demonstrierte einmal mehr, dass er nicht aus egoistischen Motiven handelte. Aus all diesen Zeilen und Anekdoten spricht letztlich eines: Hätte Stephan, wenn er schon selbst nicht diesem Ideal gerecht wurde, in seinen Reihen nur einen Gefolgsmann und Ratgeber gehabt, der wie Robert war, wäre der Konflikt friedlich beigelegt worden. Robert handelte selbstlos, loyal, ritterlich, weise und, besonders wichtig für Wilhelm zu betonen, demütig in christlicher Tugend verankert. Die Lösung des Patts erreichte so letztlich auch Robert, der dem Austausch zu gleichen Bedingungen am Ende unter einer zentralen Bedingung zustimmte. Die sich als Garantie in Gefangenschaft befindlichen Heinrich von Winchester sowie der Erzbischof von Canterbury sollten bis zur endgültig erfolgten Freilassung Roberts in Gefangenschaft verbleiben. Robert aber befürchtete, dass »König Stephan, beeinflusst von schlechten Ratgebern, wie es häufig passierte, wenig Rücksicht zeigen würde.«59 Auf Geheiß Roberts wurde der Papst über den geplanten Austausch zur Friedensfindung schriftlich informiert und so eine externe Autorität ins Boot geholt, die die Gefangennahme bzw. die Verstoßung des 56 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 66, 118: Tantae molis erat ›liberari posse principies quos fortuna sua innexuisset catena’. In Anlehnung an Vergil, Aeneis, ed. Niklas von Holzberg (Sammlung Tusculum), Berlin/Boston 2015, lib. i, 44. 57 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 64, 116f.: ›Non sum‹, inquit, ›meus sed alieni iuris. Cum meae potestatis me uidero, quicquid ratio de re quam allegatis dictauerit, facturum me respondeo‹. 58 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii, c. 64, 116. 59 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. iii., c. 68, 120: […] ut rex, malorum quod sepe fit preuentus consilio, captionem fratris sui et archiepiscopi parui duceret, dummodo ipse liber in pluma iaceret.
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päpstlichen Legaten niemals toleriert hätte und daher Roberts Freilassung garantieren sollte.60 Letztlich fanden Stephan und Robert demgemäß ihren Weg zurück in die Freiheit und in den neu aufflackernden Konflikt, dessen Lösung erst 1153 mit dem Vertrag von Wallingford gelang. Die getroffene Nachfolgeregelung beinhaltete die Adoption von Matildas leiblichen Sohn Heinrich durch Stephan. Diese erlebte Wilhelm von Malmesbury jedoch nicht mehr so wie auch nicht den Tod Roberts von Gloucester 1147.61 Robert von Gloucester ist die Schlüsselfigur in der ›Historia Novella‹, die im von Falschheit, Illoyalität und Eigennützigkeit geprägten Konflikt zur moralischen Konstante durch Wilhelm aufgebaut wird. Roberts Weisheit, seine göttliche Gunst und seine Ritterlichkeit machten ihn zu einer Person, an der keine Partei am Ende vorbeikommen konnte. Die Figur Roberts liest sich wie ein Empfehlungsschreiben eines unverzichtbaren Gefolgsmannes, der in der unlösbar scheinenden Situation 1139 bis 1142 den Überblick behielt, seinen moralischen Kompass bewahrte und sich als Ratgeber unverzichtbar machte.62
Dekonstruktion der Figur: ›Gesta Stephani‹ Anders als Wilhelm von Malmesbury wusste der anonyme Verfasser der ›Gesta Stephani‹ um den Ausgang des Konfliktes und – in diesem Kontext hervorzuheben – um den Tod Roberts 1147. Am Ende entschied nicht Robert und am Ende schrieb der Verfasser nicht gegen einen potenziell einflussreichen Earl. Bedauerlicherweise ist ein entscheidender Teil der ›Gesta Stephani‹ nicht tradiert, mutmaßlich der Teil, in dem es um die offen zur Schau gestellte Missachtung Roberts für Stephan 1138 ging.63 Rat und Ratgeber spielen für die Darstellung der ›Gesta Stephani‹ eine kleinere Rolle, als sie sie im Narrativ Wilhelms prominent einnehmen. Es sind nicht die schlechten Ratgeber der Kaiserin Matilda, die für 60 Vgl. King 2012, 171–173. 61 Zu dieser Regelung und zur Nachfolge Heinrichs II siehe Edmund King, The Accession of Henry II, in: Christopher Harper-Bill/Nicholas Vincent (edd.), Henry II. New Interpretations, Suffolk 2007, 24–46. 62 Die Darstellung Roberts von Gloucester ist schon länger im wissenschaftlichen Diskurs besprochen worden, siehe dazu noch immer einschlägig Robert B. Patterson, William of Malmesbury’s Robert of Gloucester. A Re-evaluation of the Historia Novella, in: The American Historical Review 70, 4 (1965), 983–997. Auch wenn das Urteil Pattersons vielleicht aus heutiger Perspektive zu streng ausfällt, ist ihm sicherlich dahingehend zuzustimmen, dass die ›Historia Novella‹ einem Programm in Bezug zu Robert von Gloucester folgte, das unfraglich auch dem Entstehungskontext geschuldet war (Vgl. Patterson, 997.). 63 Gesta Stephani, c. 26, 56. Der Text ist nur lückenhaft überliefert, zur Rekonstruktion vgl. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, lib. i, c. 21, 40f., freilich nur für die Ereignisse, nicht die Darstellung.
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ihre Ungerechtigkeiten stehen, sondern sie selbst und ihr weibliches Geschlecht.64 Sie ist es daher auch, die maßgeblich auf guten Ratschlag angewiesen war, vielleicht, weil sie als Regentin in der Position war, Ratschlag zu erhalten, vielleicht aber auch, weil ihr die Fähigkeiten abgesprochen werden sollten, eigenständig zu regieren. Es war der Rat, der an sie gerichtet wurde, dass sie sich gut mit Heinrich von Winchester stellen, ihm zu ihrem Ratgeber machen sollte, dem sie folgte und nicht Ergebnis ihrer prudentia.65 Die Figur Matildas funktioniert in den ›Gesta‹ ein Stück weit als Blitzableiter für Robert, indem auf sie projiziert wird, welche Ablehnung aus den Parteizugehörigkeiten resultierte. Robert ist in den ›Gesta‹ keineswegs die personifizierte Tugendhaftigkeit und Ritterlichkeit, zu der Wilhelm ihn stilisierte. Dies lässt sich anhand der Darstellung der Gefangenahme König Stephans aufzeigen. Hatte Wilhelm noch unterstrichen, wie (ungewohnt) gut Robert Stephan aus Respekt vor der Krone behandelte, weicht die Darstellung in den ›Gesta‹ davon kontradiktorisch ab: »So nahm der Earl von Gloucester den König und brachte ihn in Gloucester vor seine Schwester, die Gräfin von Anjou, und stellte ihn dann nach Beratung zwischen den beiden im Tower von Bristol unter Bewachung, um dort bis zum letzten Atemzug des Lebens festgehalten zu werden. In diesem zeigt er sich blind und völlig unwissend über den geheimen Zweck Gottes […].«66
Robert und Matilda berieten untereinander und in diesem Entschluss zeigte sich für den Verfasser der ›Gesta‹ jene fehlende Weitsicht und Respekt um die königliche Würde, die Wilhelm Robert explizit zusprechen wollte. Für Matildas Idoneität als Regentin ist dies eine ebenso entscheidende Stelle wie für Robert als Gefolgsmann. Blind (caecus) seien beide gewesen, eine diskreditierende Zu64 Dies lässt sich im Falle Matildas außerordentlich gut an der letztlich gescheiterten Anerkennung nach dem Konzil von Winchester erkennen. Ursächlich dafür sei nach den ›Gesta Stephani‹ Matildas Arroganz gewesen, also ihre persönliche Nichteignung, die interessanterweise im Kontrast zu Stephans durch Wilhelm hervorgehobene und kritisierte Nähe zu seinen Gefolgsleuten und Beratern steht, vgl. Gesta Stephani, c. 58, 117: illa statim elatissimum summi fastus induere supercilium nec iam humilem femineae mansuetudinis motum uel incessum, sed solito seuerius, solito et arrogantius procedere et loqui, et cuncta coepit peragcre, adeo ut in ipso mox dominii sui capite reginam sc totius Angliae fecerit, et gloriata fuerit appellari. 65 Gesta Stephani, c. 58, 118: Consultem autem est ei, quatinus Henricum Winoniensem episcopum fratrem regis in amorem suum ascisceret, eo quod omnibus magnatibus consilio et prudentia praestantior, uirtute et diuitiis haberetur potentior.; quod si suae uellet parti allubescere, honorandum eum et consiliorum primum. 66 Gesta Stephani, c. 56, 114: Comes itaque Glaornensis regem secum adducens sorori suae comitissae Andegauiae in Glaornia obtulit, communique inde consilio in turri Bristoensi usque ad extremum uitae halitum reseruandum custodiis adhibitis reposuit: caecus in hoc et Dei secreti ex toto nescius, in cuius manu, ut scriptum est, continetur cor regis, et quocumque uoluerit uertet illud.
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schreibung, die im Wissen um den späteren Erfolg Stephans als König verfasst wurde. Die Szene der Beratung (consilium) wird bewusst vorangestellt und auf die beiden Hauptakteure reduziert, ohne dass der Verfasser erklären könnte, wie er zu dem Wissen um dieses Detail gekommen sein könnte. Sie dient den ›Gesta‹ jedoch mehr zur Dekonstruktion Matildas, dies ist nämlich der in den ›Gesta‹ als Argument aufgemachte wesentliche Unterschied: mochte Matilda noch so legitim sein, ihr fehlte schlichtweg die Idoneität, die Stephan besaß.67 Und deshalb, aufgrund der fehlenden Qualitäten als Herrscherin, war Matilda umso mehr auf guten Rat angewiesen. »Was ein Zeichen extremen Hochmuts und Anmaßung war, als der König von Schottland und der Bischof von Winchester und ihr Bruder, der Earl von Gloucester, die führenden Männer des ganzen Königreichs, die sie damals als permanente Gefolgsleute mit sich führte, mit gebeugtem Knie vor sie kamen, um eine Bitte zu stellen, stand sie nicht respektvoll auf, wie sie es hätte tun sollen, […] indem sie sie durch eine arrogante Antwort abwies und sich weigerte, auf ihre Worte zu hören; und zu diesem Zeitpunkt verließ sie sich nicht mehr auf ihren Rat, wie sie es hätte tun sollen und versprochen hatte.«68
Matilda schlug den wichtigen Rat aus. Robert wird an dieser Stelle explizit als ein Ratgeber genannt, der, fälschlich, nicht weiter erhört worden sei. Die Unfähigkeit Matildas, Rat anzunehmen, ist das zentrale Motiv der Passage, aber unterschwellig wird doch Robert als ein fähiger Ratgeber für die Sache Matildas genannt. Nebenbei transportiert der Verfasser der ›Gesta‹ auch seine persönliche Sichtweise auf richtiges Handeln, die er mit seinem Hinweis decere gleich zweimal einstreute.
67 Dies zeigt sich gewiss auch in der Passage in den ›Gesta‹ um Matildas Verhalten nach ihrer erfolgten Einsetzung 1141, vgl. c. 59, 120. Wilhelm von Malmesbury dürfte diese Sicht nicht gänzlich fremd gewesen sein, sah er Matilda doch ebenfalls als nur bedingt fähig, schon allein aufgrund ihres Geschlechts, vgl. Historia Novella, lib. iii, c. 53, 100: […] quod eum capere uoluerit; quod quicquid ei iurauerat pro nichilo haberet; omnes barones Angliae fidem suam circa eam implesse, sed ipsam temerasse, quae adquisitis uti modeste nesciret.; zu der Frage der Idoneität Stephans siehe auch Alheydis Plassmann, […] et claues thesaurorum nactus est, quibus fretus totam Angliam animo subiecit suo […]. Herrschaftsnachfolge in England zwischen Erbschaft, Wahl und Aneignung (1066–1216), in: Matthias Becher (ed.), Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen 84), Ostfildern 2017, 193–225; sowie Dominik Büschken/Dies., Stephen of Blois. Legitimizing Succession, Idoneity and Inheritance, 409. 68 Gesta Stephani, c. 59, 120: quodque plurimi fuerat supercilii et arrogantiae indicium, cum rex Scotire et episcopus Wintoniae et frater illius comes Glaorniae, quos totius regni primos continuos tunc comites secum ductabat, pro quolibet supplicaturi, poplitibus ante ipsam flexis accesserant, non ipsis ante se inclinantibus reuerenter ut decuit assurgere nec in postulatis assentiri […] tumidaque responsione obbuccatos a se inhonore dimittere; iamiamque non illorum consiliis, ut decebat et ut eis promiserat […].
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Dass die ›Gesta Stephani‹ Matilda negativ zeichneten, ist vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontextes nicht besonders verwunderlich. Interessant ist vielmehr die Funktion, die Rat in den ›Gesta‹ einnimmt. War es bei Wilhelm in der ›Historia Novella‹ vor allem Stephan, der leichtgläubig auf schlechten Rat hörte, ist es in den ›Gesta‹ Matilda, die vorschnell (praecipitanter) den guten Rat ihres Bruders Robert ausschlug.
Die ›Historia Novella‹ als Ratschlag Die ›Gesta‹ sind in ihrer Erzählstruktur stark bemüht, die Ereignisse sinnvoll zu erklären, selbst die Gefangennahme Stephans wird so, in dem Wissen um den späteren Erfolg, zur göttlichen Fügung.69 In diesem Bild wird die Gegenseite um Matilda notwendigerweise zur Negativschablone, dies gilt insbesondere für Matilda selbst, aber auch für ihre Getreuen, vorneweg Robert von Gloucester. Dass er dennoch als klug und fähiger Ratgeber beschrieben wird, mag seiner Stellung als einer der wichtigsten Großen geschuldet sein. Die ›Gesta‹ sind so vor allem Rechtfertigung einer siegreichen Partei, die Stephans Anspruch durch seine Idoneität zu legitimieren versuchte. Die ›Historia Novella‹ mit ihrem abrupten Ende 1142 ist weniger stark auf eine Partei als auf die Person Roberts zugeschnitten. Diese Differenzierung ist sicher nicht zufällig, sondern Wilhelms Konzeption geschuldet. Die stückweise Abkopplung Roberts von der Sache Matildas, vor allem von ihrem Agieren im Erfolg, macht die Figur Roberts in der ›Historia‹ glaubwürdiger und unabhängiger. Wilhelm formuliert mit Fingerspitzengefühl und inszeniert Robert nicht allein als wichtigen und fähigen Akteur, der den moralischen Standards seiner Zeitgenossen gerecht werden sollte, sondern preist seine Fähigkeiten eben grade auch unabhängig von der Sache Matildas. Robert habe das große Ganze gesehen, sich stets für den Frieden eingesetzt, die Krone, auch wenn sie bei Stephan lag, stetig respektiert und aus Loyalität zu Heinrich I. und seinem gültigen Eid gehandelt, nicht aus Feindschaft zu Stephan. In diesem durch Wilhelm gezeichneten Bild wird die ›Historia Novella‹ zum Empfehlungsschreiben Roberts, ohne die Geschichte zu verfälschen. Robert als Ratgeber ist deshalb ein Bild, das Wilhelm bewusst betont, da es eine Funktion erfüllt, die Robert auch als wertvollen Gefolgsmann Stephans oder jedes anderen Herrschers zeigen konnte. Sein Rat rekurriert immer auf seine prudentia, wie es auch Bernhard von Clairvaux forderte, seine Loyalität galt der Gerechtigkeit. Kurzum, an Robert als Gefolgsmann und damit als Ratgeber führte kein Weg vorbei, dies war die zentrale und 69 Gesta Stephani, c. 56, 114: ipse idem secreto illo, quo nihil agit sine causa, consilio, regem Stephanum ad momentum uoluit deici, ut excelsius postea et mirificentius posset eleuari.
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Robert in jeder Hinsicht legitimierende Botschaft seiner narrativen Figur in der ›Historia‹. In dieser Hinsicht kann die ›Historia‹ selbst als Rat für Robert, aber auch Stephan verstanden werden. Die Figur Roberts, die Wilhelm zeichnete, empfahl ihn nicht nur persönlich, sondern empfiehl Robert selbst und jedem Leser konkrete Handlungen. Aus der Geschichte zu lernen konnte hier sinnbildlich verstanden werden. Wilhelm offenbarte seine Sicht eines idealen, weltlichen Adligen, der seine Handlungen an prudentia, humilitas, und modestia ausrichtete und sich nicht von Macht und Einfluss korrumpieren ließ. Das hieß auch offen zu bleiben für Rat von außen und die Ränkespiele der Macht zu erkennen, die sich in schlechtem Rat manifestierten.70
Ratgeben als Handlungsfähigkeit Auffallend ist indes, dass die Hauptakteure des Konfliktes, Matilda und Stephan, in den Erzählungen erstaunlich wenig Handlungsfähigkeit (agency) zu besitzen scheinen. Während Stephan abhängig von seinen schlechten und eigennützigen Beratern war und sich in seinen Entscheidungen von ihren Bedürfnissen (unwissentlich) abhängig machte, war Matilda ohnehin in Gänze auf ihre männlichen Unterstützer angewiesen und wenn sie in die Position gelangte, ihren Handlungsspielraum aufgrund ihrer persönlichen Stellung als Regentin auszuweiten, scheiterte sie an sich selbst und verlor ihren Spielraum.71 So stellen es zumindest die Narrative der beiden Quellen dar. Die Figur des Ratgebers ist deshalb auf eine eigentümliche Art und Weise beides: sie ist im Negativbild handlungseinschränkend für diejenigen, die auf sie angewiesen waren und gleichzeitig erweitert sie die agency der Ratgeber selbst, die so in Positionen und zu Entscheidungen gelangen, die ihnen ohne ihre ratgebende Funktion nicht offen gestanden hätten. Rat und Ratgeber wirken in den historiographischen Quellen auch als Erklärmuster. In Wilhelms Ansatz entlasten sie Stephan ein Stück weit, auch wenn der Entlastung der Vorwurf fehlender Idoneität genauso innewohnt, wie dem Vorwurf der ›Gesta‹, der Missachtung guten Rates. Ferner ist es eine implizite Warnung, dass ein gutes Wesen allein noch keinen guten König 70 Dieses Muster arbeitet auch Sophie Quander glänzend heraus und betont dabei nicht nur die Wichtigkeit des äußeren Rates (vgl. Abschnitt ›Guter Rat kommt von außen‹ 232–237), sondern auch die Funktion der ›Reformatio Sigismundi‹ als Medium des verfasserseitigen Ratschlags (vgl. Ebd.). 71 In diesem Scheitern an sich selbst stimmen letztlich die ›Historia‹ und die ›Gesta‹ überein, auch wenn die ›Gesta‹ diesen Punkt selbstredend wesentlich stärker ausschlachteten als Wilhelm, der es subversiver tat.
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machte.72 Stephans agency im Konflikt hätte durch einen Ratgeber wie es Roberts Figur in Wilhelms Erzählung wird, entscheidend ausgeweitet werden können, so wie Robert Matilda durch seinen Rat und Tat (consilium et auxilium) trotz ihrer charakterlichen Defizite fast zum Ziel führte. Dass Rat in den Erzählstrukturen indes nicht bloß Stilmittel ist, sondern dahinter eine Vorstellung über die tatsächliche Bedeutung guten Rates für herrschende Regenten und per se machtvolle Personen steht, deckt sich sowohl mit Bernhards von Clairvaux Ansichten als auch der Erweiterung der Handlungsspielräume durch Rat in einer durch persönliche Beziehungen geprägten Herrschaftsstruktur.73 Sowohl den Vorteil von als auch die Pflicht zu Rat betonen letztlich beide Quellen, wenn sie Schuldigkeit und Versäumnis der Regenten am Umgang mit Rat und Ratgebern exemplifizieren.
Fazit Vielleicht hat Wilhelm von Malmesbury sich selbst als guten Ratgeber verstanden. Seine oft pragmatischen Einstellungen zu weltlicher Herrschaft qualifizierten ihn jedenfalls mehr als manch anderen seiner Zeitgenossen. Für welches Publikum Wilhelm schrieb, können wir nicht mit letzter Bestimmtheit sagen.74 Dass die ›Historia Novella‹ aber Robert gewidmet war und dieser jene auch zur Kenntnis nahm, ist unbestritten. Seinen Anspruch, nichts in der Geschichte zu verfälschen, gab Wilhelm selbstredend nicht auf und auch im Kontrast zu den ›Gesta Stephani‹ tun sich keine substantiellen chronologischen oder ereignisgeschichtlichen Widersprüche auf.75 Lediglich die Figuren werden durch die Verfasser unterschiedlich und abweichend gezeichnet. In Wilhelms Narrativ nimmt Rat einen besonderen Stellenwert ein. Er ist ursächlich für Stephans Fehler, die zu seiner ungerechten Herrschaft führten. Wilhelm geht ins Detail, um die Unfähigkeit der Ratgeber Stephans zu beschreiben und kann so, ohne es explizit zu schreiben, Robert als (moralischen) Gegenentwurf aufbauen. Ob Robert wirklich immer so tugendhaft handelte, wie 72 Plassmann 2013, 156. 73 Vgl. zu diesem Punkt auch Sommerfeldt 2004, 65.; ebenso Felix Bohlen, Vom Mauerstampfer zum Minister, der Strategien von Ratgebern in einer hierarchischen HerrscherRatgeber-Konstellation untersucht (21–50). 74 Emily A. Winkler/Emily Dolmans, The Man and his Works, in: Rodney Thomson/Emily Dolmans/Emily A. Winkler (edd.), Discovering William of Malmesbury, Woodbridge 2017, 1–12. 75 Das Urteil Pattersons: »William of Malmesbury must be held responsible for these examples of gross distortion which should deprive him of the title of historian in so far as the Historia Novella is concerned.« (Patterson, 996) auf den historischen Wert der Quelle bezogen, erscheint daher zu hart.
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Wilhelm es ihm zuschrieb, ist unwahrscheinlich. Wird jedoch angenommen, dass die ›Historia‹ in ihrer doppelt intendierten Dimension als Empfehlung Roberts und als Rat an Robert funktionieren sollte, ist dies keine Propaganda, sondern eine im Rahmen des vera lex historiae zulässige Konzeption, die für die Vermittlung der Werte von Wilhelm wichtig war. Gleich mehrere Ebenen berührte Wilhelm dadurch, die die Figur des Ratgebers betrafen. Schlechter Rat wurde verborgen eingeflüstert, währenddessen guter Rat aktiv vorgetragen wurde. Im Idealfall galt, dass zu Rat berechtigt war, wer befähigt war, im Sinne der Eignung und nicht allein der Stellung und Nähe zum Herrscher. Diese Befähigung des Ratgebers war für Wilhelm ein ganz wesentliches Muster für guten Rat und einen guten Herrscher, die direkt mit dem persönlichen Tugendkatalog des Ratgebers verbunden war. So wie Robert durch seinen Charakter geeignet war, waren es die schlechten, namenlosen Ratgeber gerade nicht. Die Figurenkonstellation war somit ein entscheidendes Motiv: Wurde die Ordnung verdreht, indem nicht der Ratgeber nützlich für den Herrscher war, sondern der Herrscher zum nützlichen Idioten für die eigennützigen Ratgeber und so Teil deren Agenda wurde, disqualifizierten sich beide selbst. Klugheit im Umgang war dafür die Voraussetzung, um ein solches Szenario zu vermeiden. Roberts von Gloucester idealtypisches Handeln im Konflikt der Jahre 1135– 1142 in den Darstellungen der ›Historia Novella‹ war weniger eine Verklärung der Person, als eine Betonung der Wichtigkeit ethischer und christlicher Werte besonders in einem Konflikt der Tragweite, wie es die Anarchie in England war. Wilhelm konnte so seine Lehren aus der Geschichte anhand eines zeitgenössischen Konfliktes anwenden und den Akteuren, die direkt betroffen waren und die agency besaßen, Handlungsmuster ans Herz legen, um den Konflikt zu beenden und somit die Ordnung wiederherzustellen. Die Figur des Ratgebers wirkt in Wilhelms ›Historia‹ somit dreifach: Als Ausweis der Untauglichkeit und damit verbundenen Delegitimierung eines Herrschers, als Handlungsmaxime für tugendhafte Adlige und als pragmatische Lösung weltlicher Konflikte um Herrschaft, wie sie wohl nur Wilhelm von Malmesbury liefern konnte.
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›Prudentia‹: Kritik, Rat und Tat in Krisenzeiten
Abstract This article analyses prudence, ‘prudentia’, as a virtue of power and domination in ‘Calila e Dimna’ as well as its importance as a suitable method to criticise the ruler. The translation of this mirror of princes from Arabic to Castilian was commissioned by Alfons X, also called Alfons the Wise, in 1251 while he was still heir to the throne. The starting point of this study is the story ‘The Inquiry of Dimna’, in which criticism is already implied: the malpractice or inaction of the lion-king, after having chosen a treacherous counsellor, provokes the crisis. Consequently, the lion’s rulership is at risk to run into elementary danger. For the mother of the lion, the solution to the problem does not lie merely in criticising her son, but also in aiming self-criticism and providing concrete recommendations for his actions. The motherly agency relating to her criticism and advising process will be analysed with regard to the rhetoric, the enactment and the respective forums. As her strategy complies with the Aristotelian ‘prudentia’ or ‘phronesis’, the ‘Liber consolationis et consilii’ by Albertanus of Brescia will be referenced in a following step – a text dealing with the same feature (and cardinal virtue) almost simultaneously in its tale ‘Melibeus and Prudentia’. The ‘Liber consolationis et consilii’ is one of the most widely spread manuscripts and influential texts of its time and, in addition, it served as an explicitly cited compilation template for the ‘Libro del consejo e de los consejeros’ (1306–1336) by Maestre Pedro, presumably Pedro Gómez Barroso, Bishop of Cartagena. Thus, the trail leads back to the Iberian Peninsula. In the following historical contextualization, two aspects of political ‘prudentia’ will be briefly explained: the importance of prudence and, subsequently, its systematic association as a virtue and royal wisdom in the political thinking of Alfons the Wise. The second aspect will be the literal reading in reference to historically powerful and influential women on the Iberian Peninsula throughout the Middle Ages. Finally, the central importance of prudence is to be noted both in terms of the process of criticism and in its approach, method and instrumentation, as well as in terms of the behaviors and characteristics complained about. In all three works, however, it is obvious that ‘prudentia’ represents an elementary virtue for the ruler as well as for the adviser.
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Was tun, wenn man dem König persönlich nahesteht und dessen Herrschaft aufgrund seines Fehlverhaltens bzw. eines schlechten oder heimtückischen Rates in eine Krise gerät? Für die Mutter des Löwen/Herrschers im Fürstenspiegel ›Calila e Dimna‹1 liegt die Lösung nicht nur in Herrscherkritik, sondern zugleich darin, ihn zu Selbstkritik zu führen sowie konkrete Handlungsempfehlungen zu geben. Die Art und Weise, wie sie sich selbst Gehör verschafft und in den Entscheidungsprozess des Herrschers einbringt sowie die Mittel, die sie nutzt, den König zu konkretem Handeln zu bringen, erinnern in ihrer Kombination aus zweckorientiertem Agieren und dem Einsatz entsprechender Maßnahmen an die aristotelische ›Phrone¯sis‹. Diese Form der Klugheit, lateinisch prudentia genannt, eignet sich in besonderer Weise zur Herrscherkritik, da sie zu konstruktivem Abwägen der Gegebenheiten und möglicher Konsequenzen befähigt. Die Analyse verspricht somit Aufschluss über gundsätzliche Berater- wie Herrschereigenschaften, gerade auch im Kontext der Herrschaft Alfons’ X., die durch die besondere transkulturelle Situation der Iberischen Halbinsel im Mittelalter geprägt war. Die Pflicht der Vasallen zur Beratung war eine grundsätzliche Festlegung des Feudalrechts – festgeschrieben etwa im alfonsinischen Gesetzestext der ›Siete Partidas‹ – und schlägt sich auch in der zeitgenössischen Bedeutung entsprechender Traktatliteratur nieder.2 Aus diesem Grund bietet sich eine Bezugsetzung zum ›Liber consolationis et consilii‹ (Buch des Trostes und des Rates) des Albertanus von Brescia an, der nahezu zeitgleich derselben Eigenschaft (und Kardinaltugend) in der Erzählung von ›Melibeus und Prudentia‹ umfänglich Raum gibt.3 Im Hinblick auf Manuskript-Verbreitung wie posthumen Einfluss gilt er als einer der ›populärsten‹ Autoren des Mittelalters.4 Darüber hinaus dient das ›Liber consolationis et consilii‹ explizit als Quelle für das zwischen 1306 und 1336 entstandene ›Libro del consejo e de los consejeros‹ (Buch 1 Grundlage dieser Untersuchung ist die kritische Edition El libro de Calila e Dimna (1251). Nueva edición y estudio de los dos manuscritos castellanos, ed. Hans-Jörg Döhla (Estudios árabes e islámicos 9), Zaragoza 2009. Im Folgenden wird der Titel mit ›Calila e Dimna‹ abgekürzt, die Seitenzahlen verweisen mit Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, auf diese Edition. Auf editorische Verweise innerhalb der Zitate in Bezug auf Zeilenenden oder fehlende Wortabstände wurde der Lesefreundlichkeit halber in diesem Beitrag verzichtet. ›Calila e Dimna‹ wurde 1251 auf Betreiben des Thronfolgers und späteren Alfons X. als erstes narratives Prosawerk aus dem Arabischen ins Kastilische übersetzt. 2 Vgl. Vicenç Beltran, Poesía y público. Un camino de ida y vuelta, in: Gemma Avenoza Vera/Meritxell Simó/M. Lourdes Soriano Robles (edd.), Estudios sobre pragmática de la literatura medieval, Valencia 2017, 25–51, hier 32. 3 Albertanus von Brescia, Liber consolationis et consilii ex quo hausta est fabula de Melibeo et Prudentia, ed. Thor Sundby, London 1873. Im Folgenden wird der Titel mit ›Liber consolationis et consilii‹ abgekürzt, die Seitenzahlen verweisen mit ›Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873‹ auf diese Edition. 4 James M. Powell, Albertanus of Brescia. The Pursuit of Happiness in the Early Thirteenth Century (Middle Ages series), Pennsylvania 1992, 121.
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des Rates und der Berater)5 – ein Fürstenspiegel in Traktatform von Maestre Pedro, vermutlich Pedro Gómez Barroso, Bischof von Cartagena6 und königlicher Berater –, wodurch sich der Kreis zurück auf die Iberische Halbinsel schließt. Dass die prudentia als Tugend ein transkulturelles Eigenleben führt, zeigt sich in ihrer intertextuellen vielgestaltigen Persistenz,7 die nicht zuletzt auch auf unterschiedliche Wege der Aristoteles-Rezeption zurückzuführen ist: So existiert etwa eine lateinische Übersetzung der ›Nikomachischen Ethik‹ von Brunetto Latini,8 von dessen Aufenthalt als Gesandter am alfonsinischen Hof auszugehen ist.9 Latini ist als Autor wiederum von Albertanus von Brescia beeinflusst.10 Aber auch Übersetzungen arabischer Texte ins Kastilische, wie eben ›Calila e Dimna‹, spielen hinsichtlich des aristotelischen Verständnisses eine vermittelnde Rolle. ›Sophia‹ (Weisheit) wie ›Phrone¯sis‹ (Klugheit) sind bei Aristoteles intellektuelle Verstandestugenden, ausgerichtet auf den rationalen Anteil einer Entscheidung, eine Disposition, die richtigen Mittel zu erkennen, und von 5 Maestre Pedro, Libro del consejo e de los consejeros, ed. Barry Taylor (Colección Instituto Literatura y Traducción 7), San Millán de la Cogolla 2014. Seitenangaben beziehen sich im Folgenden auf diese Edition. Zur Datierung siehe ebd., 15, in seinem Vorwort zu ›Libro del consejo e de los consejeros‹. 6 Zu Bischöfen als Ratgeber und Kritiker siehe den Beitrag von Alheydis Plassmann in diesem Band (79–98). 7 Etwa Vinzenz von Beauvais, Speculum quadruplex sive speculum maius. Naturale, doctrinale, morale, historiale. Liber 4: Speculum doctrinale, Graz 1965, cap. 21, 313, http://digital.ub.uniduesseldorf.de/content/structure/1355779 (02. 04. 2019) und seine Definition: Itaque prudétiae partes sunt Memoria, Intelligentia, Providentia, Consilium, Cautela, Circumspectio. Als Frau namens Prudence, Personifikation oder Allegorie, je nach Lesart, auch in Geoffrey Chaucer’s ›The Tale of Melibee‹ in ›The Canterbury Tales‹, online verfügbar, https://chaucer. fas.harvard.edu/pages/tale-melibee-0. Die Rahmenhandlung der ›Canterbury Tales‹ inszeniert eine Pilgerreise zum Grabmal von Thomas Becket in der Kathedrale von Canterbury; vgl. General Prologue, online verfügbar, https://chaucer.fas.harvard.edu/pages/general-prologue -0, 16f., mittelenglisch auf der Basis der Edition von Larry D. Benson (ed.), The Riverside Chaucer. Based on the Works of Geoffrey Chaucer, Boston, MA 1987. Zur Bedeutung des Erzbischofs von Canterbury und Thomas Becket siehe den Beitrag von Plassmann in diesem Band (79–98). Vorlage für ›The Tale of Melibee‹ war wiederum das französische ›Livre de Mellibe et de Prudence‹ von Renaud de Louhans. 8 Heraclio S. Martínez, Alfonso X, Brunetto Latini y la historia de las primeras traducciones de la Ética aristotélica/Alfonso X, Brunetto Latini and the History of Early Translations of Aristotelian Ethics, in: Estudios Humanísticos. Filología 39 (2017), 245–277, hier 246. Zur komplexen Rezeptionsgeschichte der Nikomachischen Ethik und ihrer Forschung siehe Pierre J. Payer, Prudence and the Principles of Natural Law. A Medieval Development, in: Speculum 54, 1 (Jan. 1979), 55–70, hier Fußnote 1, https://www.journals.uchicago.edu/doi/ abs/10.2307/2852989 (02. 04. 2019). 9 Zur Forschungssituation bzgl. des Aufenthaltes von Bruno Latini am Hof Alfons’ X. siehe Barbara Schlieben, Verspielte Macht. Politik und Wissen am Hof Alfons’ X. (1252–1284) (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 32), Berlin 2009, 178, Fußnote 100. 10 Angus Graham, Albertanus of Brescia (c. 1190–1251 or after), in: Richard K. Emmerson (ed.), Key Figures in Medieval Europe. An Encyclopedia (Routledge Encyclopedias of the Middle Ages 13), New York 2006, 12–14, hier 13.
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handlungsleitender Kraft.11 Dass die prudentia zudem im christlichen Kontext (etwa Cassiodor, Albertus Magnus und Thomas von Aquin12) die ›auriga virtutum‹, die Lenkerin der Tugenden ist, macht den Blick auf narrative Darstellungen (weiblicher) Personalisierungen im politischen Kontext interessant. Im Hinblick auf die didaktische Ausrichtung eines Fürstenspiegels wie ›Calila e Dimna‹ ist somit vor allem ein Blick auf die Inszenierung und Pragmatik der Kritik aufschlussreich. Deshalb werden zunächst die thematische wie narrative Situierung sowie Foren und Prozedere der Kritik fokussiert, um dann Konstanten bzw. Varianten der Prudentia nachzuspüren. Abschließend wird ein Bezug zum konkreten historischen iberischen Kontext hergestellt.
Narrative und thematische Situierung der beratenden Kritik in ›Calila e Dimna‹ ›Calila e Dimna‹ ist ein über Zwischenstationen auf das indische ›Panchatantra‹ zurückführender Fürstenspiegel, der von Ibn al-Muqaffa im 8. Jahrhundert aus dem Pahlevi für die Abbasiden unter dem Titel ›Kalı¯la wa-Dimna‹ ins Arabische übersetzt wurde. Dessen Übertragung ins Kastilische wiederum erfolgte 1251 im Auftrag Alfons’ X., als dieser noch Thronfolger war. Dies ist sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung arabischer Fürstenspiegel mit Blick auf Tugenden guter Herrscher respektive Kritik an Untugenden als auch speziell für eine der Schlüsselszenen im Hinblick auf Handlungsanweisungen zu berücksichtigen: Die Erzählung ›De la pesquisa de Digna‹ (Über das Verfahren gegen Digna/ Dimna), die in der Folge im Zentrum stehen wird, wurde von Ibn al-Muqaffa hinzugefügt, findet sich also nicht in den älteren Vorlagen. ›Calila e Dimna‹ ist als eine nach Art der Matrjoschka-Puppen ineinandergreifende Sammlung von Erzählungen und Tierfabeln mit Rahmenhandlung gestaltet und geprägt durch 11 Otfried Höffe, Aristoteles (Beck’sche Reihe 535, Denker), 3. überarb. Aufl., München 2006, 204. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, ed. u. übers. v. Ursula Wolf (Rowohlts Enzyklopädie 55651), 6. Aufl., Reinbek b. Hamburg 2017, Buch VI, 199, 204f. Siehe auch: Klaus Jacobi, Klugheit als reflektierende Urteilskraft. Aristoteles’ Nikomachische Ethik und Platons Menon, in: Franz-Josef Bormann/Christian Schröer (edd.), Abwägende Vernunft. Praktische Rationalität in historischer, systematischer und religionsphilosophischer Perspektive, Berlin/New York 2012, 17–38, hier 31. 12 Vgl. Payer 1979, 61, zu Prudentia in ›De bono‹: »The priniples of practical intellect are the principles of prudence whereby one is able to judge the moral quality of projected actions«; Thomas von Aquin, Summa Theologica, 2–2, 47, 2: »Klugheit ist die rechte Vernunft als Grund des Handelns.«, online verfügbar (lateinisch/deutsch): http://www.unifr.ch/bkv/sum ma/kapitel563-2.htm. Zur Bedeutung von Prudentia siehe im Beitrag von Dominik Büschken in diesem Band in den Abschnitten ›Wenn guter Rat teuer ist‹ und ›Die Historia Novella als Ratschlag‹, 102–107 und 116f.
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die als Dialog zwischen Herrscher und Weisem gestaltete Beratungssituation. Als Ausgangspunkt dieser Analyse dient damit eine Erzählsequenz aus ›Calila e Dimna‹, in der implizit bereits Kritik als Basis angelegt ist, denn die ursächlich falsche Beraterwahl wird narrativ schon zu Beginn der Rahmenhandlung thematisiert und kombiniert mit einer quasi listenartigen Kategorisierung negativer Ausschlusskriterien, die ein König bei der Auswahl seiner Berater berücksichtigen sollte. Es ist eine Mischung individueller, sozialer, politischer, moralischer, gar wirtschaftlicher Aspekte, wobei sich ein konkretes, praxisorientiertes Hofambiente abbildet.13 Keinesfalls sollte ein König jemandem, der in diese Kategorien fällt, seine Angelegenheiten in die Hände legen, ihm vertrauen oder sich auf ihn verlassen – und genau dies macht der Löwe mit dem Schakal Dimna. Die Liste spiegelt, wie eine sich später selbst erfüllende Prophezeiung, narrativ die Gedanken des Löwen-Herrschers wider, basierend auf expliziter Selbstkritik: »Ich habe nicht gut daran getan, mich diesem anzuvertrauen.«14 Auch im ›Liber consolationis et consilii‹ führt die Ehefrau namens Prudentia inhaltlich vergleichbare negative Beratereigenschaften aus, jedem der Kriterien ist ein eigenes Kapitel gewidmet.15 Das heißt, auch dort wird Kritik an der falschen Beraterwahl mit der Kritik an den daraus resultierenden falschen Handlungsweisen kombi13 »Darunter fällt, wer am Hof lebt und unverdient lange missachtet wird; in Ungerechtigkeiten verwickelt; als habgierig bekannt; wer boshaft oder sehr arm ist; große Untat begangen und somit Angst vor Strafe hat; wer neidisch oder schlecht ist und niemanden mag. Weiterhin jemand, der erwiesenermaßen dreist/waghalsig/frech ist; wenn jemandem alles genommen wurde, was er vom König hatte; wenn er Diensthaber am Hof war und es ihm genommen wurde; wenn er in eine Falschheit verstrickt oder dessen verdächtigt wurde; eine Schuld begangen hat oder wenn Seinesgleichen sich als ›gut‹ bewiesen haben und so über mehr Würde und Ehre verfügen; wenn er nicht an das eigene, also gültige Recht glaubt; wenn er in der Hoffnung auf einen Vorteil bzw. Furcht vor Schaden durch seine Herren von diesen abhängig ist.« Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 172f.: ca el ome, sy es de casa del rrey, et es por luengo tienpo desdeñado non lo mereçiendo o mezclado a tuerto, o sy conoçido por cobdiçioso o por maliçioso, o sy es muy pobre, o sy ha fecho algun gran pecado e se teme de la pena, o sy es ENBIDIOSO O malo que a ninguno non quiere bien, o sy es testiguado por atrevido, o sy le han fecho perder lo que tenie del rrey, o sy era ofiçial e ge lo tollieron, o sy a alguno fizo falsedat e sospecharon del, o cayo en alguna culpa, o sy sus yguales fueron provados por buenos et ovieron myjoria del en dinidat e en onrra, o sy es de mala fe en su ley, o sy ha esperança de aver algun pro o daño de sus señores, o sy se teme ende, o sy es contrario a los pryuados de los señores, a todos estos non deue el rrey meter su fazienda en sus manos nin fiar en ellos nin segurarse. Döhlas kritische Edition umfasst die Texte aus den beiden erhaltenen Manuskripten A und B. Die hier zitierten Stellen stammen hier und im Folgenden aus Manuskript A, wenn nicht explizit auf Manuskript B oder Unterschiede verwiesen wird. 14 Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 172: Non fize bien en fiarme en este. 15 Vgl. Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, 45–54; genannt werden Schmeichler; vormalige Feinde; jene, die aus Furcht und nicht aus Liebe/Freundschaft Ehrerbietung erweisen; jene, die kein Geheimnis wahren können; jene, die geheim etwas beraten und es öffentlich preisgeben wollen; schlechte Menschen und solche, die diesen Ruf haben, sowie junge Menschen.
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niert. Diese fehlende Fähigkeit bzw. konkrete falsche oder unterlassene Entscheidungen könnten in ›Calila e Dimna‹ zu Macht- und Autoritätsverlust, zu Verrohung und Gesetzlosigkeit führen – ein von der Mutter projiziertes Szenario. Im ›Liber consolationis et consilii‹ drohen dagegen Krieg und Gewalt auszubrechen. Diese Zukunftsperspektiven sind jeweils ›Urgrund‹ oder vielmehr Rechtfertigung für das Eingreifen von Mutter respektive Ehefrau.16 Die Darstellung des Prozederes, das heißt auch potenzieller Autorisierungsmanöver, verspricht somit auch Aufschluss über grundsätzliche Erzählmuster.17
Foren und Prozedere der Kritik Schon das Verhältnis von privatem zu offiziellem Agieren der Löwenmutter in ›Calila e Dimna‹ ist aufschlussreich: Im gesamten erzählerischen Kontext vom ersten Handeln bis zur Verurteilung des Verräters stehen vier im Privaten ausgeführte Kritik-Aktionen einem offiziellen Handeln entgegen. Unter ›privat‹ sei hier eine im vertrauten, nicht offiziellen, informellen Kontext zwischen den beiden Protagonisten, Herrscher und Herrschermutter, auf ihrer Verwandtschaft basierende Situation verstanden. Im Unterschied dazu meint ›offiziell‹ in diesem Fall die Abläufe während einer Versammlung der Großen des Reiches bzw. eine Gerichtsverhandlung. Die erzählerischen Etappen und das mütterliche Prozedere entsprechen sich und werden deshalb im Folgenden im Hinblick auf ihre Strukturen und den inhaltlichen Kontext nachgezeichnet.
Erste private Kritik Ursächliches Initialmoment ist die Tatsache, dass der Schakal Dimna, eben jener Berater, dem der König nicht hätte vertrauen sollen, aus Eifersucht den Löwen dazu bringt, den königlichen Vertrauten und Freund, den Ochsen Sensebar, in einem Wutanfall zu töten, was er im Nachhinein bereut. In der ersten Phase sucht seine Mutter, durch einen loyalen Berater und Ohrenzeuge schon in Kenntnis des Verrates, den Löwen auf und führt ihn zu Erkenntnis und Selbstkritik im Hinblick auf seine vorschnelle Affekthandlung, ausgelöst oder vielmehr manipuliert durch den verräterischen Berater. Sie will ihn zu der Einsicht bringen, dass eine Verurteilung bzw. Bestrafung des Verräters die einzig richtige, da politisch not16 Zur Ratgeberkompetenz aus Prophezeiung siehe den Beitrag von Karina Kellermann in diesem Band (193–215). 17 Zu Erzählmustern bzgl. Herrschermutter und Sohn, Prinzenerziehung und Ratgeber, Fürstenspiegel und Tugend siehe den Beitrag von David Hamacher in diesem Band im Abschnitt ›Die Einführung der Ratgeberfigur Seneca‹, 59–62.
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wendige Maßnahme darstellt. Diese narrative Ausgangssituation erinnert an die von Gerd Althoff dargestellten, für Herrschaftsverbände charakteristischen Konflikt- und Konkurrenzsituationen.18 In dieser ersten Phase fallen vor allem das strategische Prozedere und rhetorische Geschick der Mutter auf. Ausgehend vom Mutter-Sohn-Verhältnis und im Zwiegespräch bedient sie sich unterschiedlicher Argumentationsstrukturen (psychologisch, mütterlich besorgt, medizinisch, politisch): »Das Grämen und das Grübeln und Traurigkeit machen nichts wieder gut, sondern zerstören den Körper und schmälern den Verstand [seso] und schwächen die Kraft.«19 Sie verschweigt ihm ihr bekannte Tatsachen (ihr Wissen von Dimnas Schuld, den Namen ihres Vertrauten), ihr Sprachstil wechselt, von verallgemeinernden, sprichwortartigen Strukturen, über persönliche Aufforderungen bis zum Rückgriff auf die Autorität der Weisen. Damit einher gehen wechselnde Formen logischer Schlussfolgerungsmöglichkeiten (Analogien und Ursache-WirkungFolgerung), die der Selbsterkenntnis königlicher Motivation und der daraus resultierenden Einsicht in die Schuld des Verräters dienen. Die Breite ihres rhetorischen Instrumentariums wird in Erzählsequenzen deutlich, die vertrauliches mit politischem Vokabular mischen: »Also, dann sag mir, was du hast. Und wenn es etwas wäre, wegen dem wir traurig sein müssten, dann wären weder ich noch irgendeiner deiner Vasallen ohne Sorgen.«20 Diese Sequenz endet entsprechend mit einer Mischung aus offizieller Anrede und erneutem persönlichen Zugriff: »Und du, König, du weist [sabes] und erkennst [entiendes] die Dinge mithilfe deines Verstandes [seso] und deiner Weisheit [sapiencia], und siehst sie somit wie ein Mensch sein Abbild im Spiegel.«21 Dabei ist die Wortwahl ausschlaggebend, denn beide Elemente, Verstand und Weisheit, prägen das politische Denken Alfons X., zugleich wird im königlichen Scriptorium in zahlreichen Texten das lateinische prudentia bzw. prudens gerade eben mit Begriffen aus den dargelegten Wortfeldern der Weisheit und des ›Verstehens‹ übersetzt.22 18 Gerd Althoff, Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter, Darmstadt 2016, 320f. 19 Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 240: E dixo le: »El cuydar e el pensar e la tristeza non fazen cobrar nada, mas desgastan el cuerpo e derraman el seso e la fuerça e enflaqueçe[n]lo.« Eigene Übersetzung, auch infolge bezüglich sämtlicher deutscher Zitate aus ›Calila e Dimna‹, ›Liber consolationis et consilii‹, ›Libro del consejo e de los consejeros‹. Zur Verdeutlichung der inhärenten Bilder bzw. Bedeutungen im Interesse der Nähe zum spanischen Original gelegentlich im Deutschen unter Verwendung ›sperriger‹ Formulierungen. 20 Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 240: Pues, dime lo que has. Et sy fuere por cosa que deuamos aver tristeza, yo nin ninguno de tus vasallos non estaremos syn cuydado. 21 Ebd., 240f.: Et tu, rrey, sabes las cosas e entiendes las por tu seso e por tu sapiençia, e asy lo vees commo el omne vee su figura en el espejo claro. Pues dime: ¿Qual coraçon le tenias antes que lo matases? 22 Marina Kleine, Imágenes del poder real en la obra de Alfonso X (III). Rex sapiens, in: De Medio Aevo 7, 1 (2015), 63–98, hier 64.
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Dies ist als eine Schlüsselstelle zu verstehen, liefert sie doch quasi eine Umschreibung der prudentia und erhebt sie zugleich durch das Spiegelbildnis zur leitenden Herrschertugend. Die Mutter appelliert so an diese oder kritisiert implizit ihr Fehlen, was wiederum den Löwen – der diese madre nennt23 – zur expliziten Schlussfolgerung respektive zur Selbsterkenntnis bringt, dass »ein König nicht auf der Basis von Verdacht oder im Zweifel urteilen darf, […]. Und ich, der ich bei Sensebar blind gehandelt habe, möchte es bei Digna [Dimna] nicht genauso ohne Beweis und Sicherheit machen.«24 Da die Mutter den Namen ihres Informanten nicht preisgibt, wird eine Versammlung einberufen, womit das Agieren der Mutter in eine neue Phase tritt.
Versammlung der Großen des ›königlichen‹ Gefolges Die Struktur dieses öffentlichen bzw. offiziellen Forums gibt Anlass für eine Strategieanpassung der Mutter: So heißt es explizit, der König riefe die ›Großen‹ (›los majores/los mejores‹, je nach Manuskript) seines Gefolges (mesnada) zusammen und, als diese versammelt waren, schickte er explizit nach seiner Mutter.25 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sie eben nicht zu den ›Großen‹ gehört. Analysiert man nun die Redebeiträge von Dimna, dem Verräter, und der Mutter, die somit das Recht zu reden besitzt, so zeigt sich, dass Dimna dies vermittels eines expliziten, fünfstufigen Vergleiches unter Zuhilfenahme von Frauenschelte zur Infragestellung ihrer Autorität nutzt und zwar in direkter Antwort auf ihren Vorwurf, er sei ein ›falscher Mensch‹: »[…] fünf Arten solcher falschen Menschen gibt es: die einen, die einer Frau ein Geheimnis anvertrauen; die, die Frauenkleider tragen; drittens die Frau, die Männerkleidung trägt; der Gast, der seine Grenzen übertritt und sich als Hausherr versteht und der fünfte ist der, der den anderen verrät, was sie ihn weder gefragt noch wozu sie ihn aufgefordert haben.«26 Jeder Punkt ist an die Situation adaptierbar, gerade auch hinsichtlich der vermeintlichen Anmaßung von Rollen und Aufgaben durch die 23 Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 241. 24 Ebd., 242: Et el rrey non deue justiçiar por sospecha nin en dubda, fasta que clara mente vea la cosa, ca la sangre de grand prez es. Et yo, maguera que a çiegas andude en Sençeba, non quiero fazer otro tal en Digna syn prueua e syn çertedunbre. 25 Ebd., 243: Manuskript A: Et pues que amanesçio, envio el leon por los mejores de su mesnada, e fueron y presentes, e enbio por su madre, e vino y. Manuskript B: Et despues que amaneçio, enbyo el leon por los mayores de su mesnada e por su madre. 26 Ebd., 250: Los omnes que son tales [id est ›falso‹] son çinco: el vno es el que descubre a la muger la poridat; et el otro es el que viste los paños de las mugeres; e el terçero es la muger que viste los vestidos de los varones; et el quarto es el huesped que SE ENFINIO ET cuyda que es señor de la casa; et el quinto es el que denu[n]çia a los omnes lo que le non preguntan NIN LE DEMANDAN.
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Mutter. Auf der anderen Seite wird sie vom Erzähler immer madre del leon genannt, als solche auch vom Löwen angesprochen, also stets in biologischer wie emotionaler Verbundenheit wie Nähe und damit implizierter Autorität. Als Reaktion auf die Offensive Dimnas kritisiert die Mutter explizit den Einsatz von Rhetorik als nicht erkenntnisführend und trügerisch – mit anderen Worten: Sie variiert ihre Methode, klagt ein Verhalten Dimnas offen an, was sie selbst im Vorfeld im Privaten genutzt hat, fordert Beweise. Sie kritisiert ihren Sohn in der Versammlung allerdings nicht öffentlich. Als sie sieht, dass aufgrund der Passivität des Königs die Versammlung nicht zu dem erwarteten Erfolg, einer Verurteilung oder vielmehr Bestrafung des Verräters führt, wird sie letztlich wütend und verlässt die Versammlung – narrativ mit einem ihr als Gedanken zugeschriebenen sprichwortartigen Satz unterlegt: »Wer schweigt, stimmt zu.«27 Inwiefern sich dies auch auf die Pflicht zur Kritik am Herrscher bezieht, bleibt der Interpretation überlassen. Im konkreten Kontext fokussiert es einerseits auf das Verhalten der Großen, das Akzeptanz gegenüber der Argumentation des Verräters zum Ausdruck bringt, sowie andererseits vor allem auf die Passivität des Löwen selbst, der es versäumt, seine Stimme zu erheben. Daraufhin ordnet der Löwe Gefängnis und eine Untersuchung der Sache an. Von diesem Zeitpunkt an agiert die Mutter nur noch im kleinen Kreis.
Zweite direkte Kritik und Warnstufe Ihr Handeln ist im Folgenden eine Verknüpfung von auf Kritik sowie Warnungen beruhenden Handlungsempfehlungen und Vorschlägen von konkreten Maßnahmen, wobei sich die Warnungen inhaltlich steigern. So sucht sie, erneut in der Absicht, mit ihm zu reden, ihren Sohn auf. Allein dieses explizite »um ihm zu sagen« (para decirle) ist eine deutliche Beratungs- genauer gesagt Kritikintention. In der Folge warnt sie ihn konkret davor, den vermeintlichen Unschuldsbezeugungen Dimnas Glauben zu schenken, und verweist erneut auf ihren Wissensvorsprung. Dabei mündet ihre Rede in eine klare, drastische und sehr deutliche Handlungsempfehlung: »Wenn du dich seiner entledigen willst, diskutiere nicht mit ihm und töte ihn.«28 Aber ihr Sohn fordert sie zum Schweigen auf, verweist auf die Notwendigkeit einer Untersuchung respektive eines Prozesses. Zuletzt teilt die Mutter dem Löwen ihren Informanten mit. Erneut mahnt sie am folgenden Morgen ihren Sohn zum Handeln, argumentiert in größeren Zusammenhängen bzw. mit abstrakteren Werten auf politischer Ebene mit Gottesfurcht, Staatsraison, der Handlungsnotwendigkeit bzw. impliziter Kritik 27 Ebd., 251: Et dizen los sabios que quien calla, otorga. Desy levanto se por sallir ende sañosa. 28 Ebd., 252: […] sy quieres folgar del, non contiendas con el e mata lo.
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an der Nachlässigkeit und dem Zögern (vagancia) des Sohnes. Damit rekurriert sie auf ein starkes Argument, findet sich doch schon in der dem gesamten Text vorangestellten Einführung des Ibn al-Muqaffa der Hinweis, eben diese vagancia verhindere den Erfolg eines »guten Werkes«.29 Die Zuständigkeit der Mutter für diesen politischen Rat scheint zunächst auch hinsichtlich der Geschlechterfrage unkommentiert. Allerdings weist Manuskript B an dieser Stelle eine Variante auf: Im Unterschied zu arabischen Versionen und zum Manuskript A30 wechselt die Sprecherinstanz nach einer Erinnerung an das vor der Versammlung gegebene Versprechen von der Mutter zum König; der Hinweis auf die vagancia fällt weg, und der Löwe selbst formuliert die gottgefällige Notwendigkeit, Übeltäter zu bestrafen. Als Erklärungsmuster könnte hier die insgesamt größere Elaboriertheit und der zeitlich etwas später anzusetzende Entstehungszeitpunkt dieses Manuskriptes herangezogen werden. Erst nach dieser erneuten kritisierenden Beratung ordnet der Löwe den Prozess an. Dieser findet in Abwesenheit des Löwen wie seiner Mutter statt und zieht sich über mehrere Tage hin. Informationsmedium sind die offiziellen Aufzeichnungen, die der Löwe seiner Mutter vorlesen will – in Manuskript B ist sie es, die verlangt, dass man sie ihr vorlese bzw. er ordnet an, ihr sie vorlesen zu lassen.31 Dimna dagegen will durch einen spitzelnden Mittelsmann wissen, was zwischen den beiden besprochen wird.32 Insofern wird in dieser Sequenz die Bedeutung des privaten Austausches erkennbar, da der fundamentale mütterliche Einfluss auf das öffentliche Geschehen durch dieses Bestreben offenkundig wird. Das mütterliche Potenzial zu Kritik und Rat beruht auf der Selbstverständlichkeit ihrer Anwesenheit, ihr eigenes »Haus« (casa) wurde vorab thematisiert,33 auch scheint sie zum König kommen zu können, wann sie will. Weiterhin hat sie Zugang zu den Dokumenten bzw. Prozessunterlagen, obwohl zumindest ein weiterer Akteur anwesend ist (Jazube, der Informant Dimnas), was zugleich zeigt, dass der Austausch nicht nur im Zwiegespräch, sondern in kleinerem, aber wohl nicht ausschließlich privatem Mutter-Sohn-Kreis stattfindet. Dies erhöht die Bedeutung der damit offenkundig werdenden selbstverständlichen Autorität der madre del leon sowie ihrer Möglichkeit, direkt mit dem Herrscher zu sprechen. Am Ende äußert die Mutter wütend und deutlich, trotz der Anwesenheit Jazubes direkt und offensiv: »Nimm es mir nicht übel, Sohn, wenn ich dich mit meinen Worten vor den Kopf stoße.« Als Erklärung für ihr Verhalten führt sie an, dass sie seine Unkenntnis und sein fatales Verkennen der Gefährlichkeit der Situation 29 Ebd., 118. 30 Ebd., 255, Fußnote 75. 31 Ebd., 264: Manuskript A: Et pues que sallieron ende, vino la madre del leon, e leyo le el aquellos. Manuskript B: Et luego vino la madre del leon e mando que le leyesen los escritos. 32 Ebd., 264. 33 Ebd., 253, nur in Manuskript A: Et pues que se fue la madre del leon para su casa, […].
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festgestellt habe: »Ich sehe, dass du nicht erkennst, was für ein Schaden dir durch diesen Falschen zugefügt wird, wenn du ihn am Leben lässt. Befreist du ihn, wird er deinen Angelegenheiten schaden.«34 Erneut verlässt sie verärgert das Geschehen.
Gesteigerte Warnung: umfänglicher Machtverlust Nach sieben ergebnislosen Prozesstagen kulminiert ihre Kritik am Herrscher im Aufzeigen der drohenden fatalen Konsequenzen aus seinem falschen Handeln. Nachdem ihr erneut die Prozessakten gezeigt wurden, warnt sie konkret vor dem Vertrauensverlust der Untertanen ihrem Herrscher gegenüber: »Und wenn du diesen, der dir so schwere Verfehlung angetan hat, am Leben lässt, werden deine Gefolgsleute übermütig dir gegenüber und verlieren die Furcht vor deiner Justiz, gleich wie groß ihr Vergehen ist, sie werden sich all dessen, was du besitzt, bemächtigen und du wirst es nicht ändern oder verbessern können, selbst wenn du es wolltest.«35
Sie benennt explizit die Fundamente seiner Macht – gehorsame Gefolgsleute, Gerichtsbarkeit und Besitz – warnt ihn vor dem vollkommenen Machtverlust, zeigt aber zugleich die konkrete Gegenmaßnahme auf, das Töten des Verräters. Sie steigert somit den Handlungsdruck beim Löwen. Letztlich lässt sie gar den Leoparden für eine Zeugenaussage rufen, was ihrem ursprünglichen Vorbehalt widerspricht. Das heißt, im Hinblick auf ihren Kritisierungs- bzw. Beratungsprozess wählt sie ihre Mittel so, dass letztlich ihr Ziel erreicht wird. Sie ist fähig, die richtigen Mittel zu erkennen, eine Eigenschaft, die sie auch ihrem Sohn vermitteln will. Inhaltlich ist der Rat vor allem pragmatisch und auf Machterhalt gerichtet. Dass diese Zweckorientiertheit am Ende auch moralisch durch die Bestrafung des Verräters abgerundet wird, läuft als weitere Kondition mit: Ethisch-moralische Tugendhaftigkeit, wie sie auch in der von der Löwenmutter als persuasives Mittel eingesetzten ›Gottesfurcht‹ deutlich wurde, und Gerichtsbarkeit sind grundlegende Legitimationsstrategien von Herrschaft. Im Vordergrund steht das Treffen von Entscheidungen und das Erkennen der richtigen Mittel für ein bestimmtes Ziel sowie deren Einsatz, sprich: Durch das 34 Ebd., 264: ›Non me lo tengas mal, fijo, sy te yo estultare de mi palabra ca veo que non sabes que tiene pro nin daño por el engaño deste falso. Pues libralo e folgaras, ca sy lo a vida dexas, confondera tu mesnada.‹ 35 Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 270f., Manuskript B: Et quando fueron mostrados los escrytos de todo ello a la madre del leon, dixo a su fijo: ›si este dexas a vida, aviendtote fecho tan gran pecado, atreer se an a ty tus mesnadas e non averan miedo de tu justiçia, por gran pecado que te fagan, e ensanchar se a tu fazienda por guise que non lo podras emendar nin mejorar quando querras‹.
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Eingreifen der Mutter in der Krise, die ungefragt, explizit und nachdrücklich sowie wiederholt und steigernd kritisiert, aber auch reflektiert, vorausschauend berät sowie letztlich konkret und praxisbezogen zum Handeln gemäß der Erkennung und Benennung der ›richtigen‹ Mittel anleitet, wird die Krise überwunden.36 Ihr Beratungsprozess entspricht somit den Qualitäten der ›Phrone¯sis‹ im aristotelischen Sinne der ›Nikomachischen Ethik‹, sprich der prudentia.37 Zugleich mahnt sie diese bei ihrem Sohn an und beharrt solange auf ihrer Position, bis er dieses nicht nur erkennt, sondern auch demgemäß handelt. Aufschlussreich ist weiterhin die Tatsache, dass die Löwenmutter zugleich zu Besonnenheit (templanza), Affektkontrolle und Gerechtigkeit – Juris-prudencia ist einer der Schlüsselbegriffe des Herrschaftsverständnisses und der Monarchiekonzeption Alfons’ X. – anleitet. Dies liegt im Spannungsfeld sowohl aristotelischer wie der Kardinaltugenden.38
Prudentia im ›Liber consolationis et consilii‹ Albertanus von Brescia, der als richtender causidicus in die Kämpfe der lombardischen Städte gegen Friedrich II. verwickelt war,39 verfasste 1246/1248 das ›Liber consolationis et consilii‹ (Buch des Trostes und des Rates). Er widmete es seinem Sohn anlässlich dessen Berufsstarts als Wundarzt. Als Dialog zwischen einem Ehepaar, Melibeus und Prudentia, gestaltet, ist es zusätzlich von Albertanus mit zahlreichen Zitaten, Referenzen inklusive genauer Quellenverweise versehen. Die Personenzeichnung bleibt dagegen reduziert. Diese Abstraktion dient laut Roger Friedlein vor allem der »Umsetzung der utilitaristischen und pragmatischen Verhaltensvorgaben in der alltäglichen Lebensführung«.40 Die Bedeutung des ›Liber consolationis et consilii‹ für den iberischen Kontext liegt zudem darin, dass es eine 36 Zum Verhältnis von Rat, konkreter Handlungsanweisung und tagespolitischer Pragmatik siehe den Beitrag von Kellermann (193–215). 37 Höffe 2006, 204; auch Aristoteles, Nikomachische Ethik, ed. u. übers. v. Wolf 2017, Buch VI, 199, 204f.; Jacobi 2012, 31. 38 Zu Tugenden und Herrschaft, speziell der ›Clementia‹, siehe den Beitrag von Plassmann. 39 Roger Friedlein, Geleit auf dem Weg zur Wahrheit. Dialoge im Duecento, in: Klaus W. Hempfer (ed.), Möglichkeiten des Dialogs. Struktur und Funktion einer literarischen Gattung zwischen Mittelalter und Renaissance in Italien (Text und Kontext 15), Stuttgart 2002, 39–73; Sundby in seinem Vorwort zu Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, IXf. über politische Konstellationen: Albertano wurde später vom Kaiser in Cremona gefangen gehalten. 40 Friedlein 2002, 69. Ausführlicher und speziell im Bezug zur Dialogform im ›Liber consolationis et consilii‹ im Kontext vergleichbarer Dialoge, siehe Friedlein 2002 insgesamt. Zur Bedeutung des Verhältnisses narrativer Dialoggestaltung und Deutungshohheit, siehe den Beitrag von Sophie Quander in diesem Band im Abschnitt ›Klosterbrüder im Dialog‹ (225– 228).
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elementare und explizit genannte Kompilationsvorlage für das ›Libro del consejo e de los consejeros‹ (Buch des Rates und der Berater) des Maestre Pedro bildet.
Inhaltliche und thematische Situierung In Abwesenheit von Melibeus werden seine Frau sowie seine Tochter überfallen und verletzt, worauf dieser nach seiner Rückkehr mit Weinen und Haareraufen, also inadäquaten emotionalen Verhaltensmustern, reagiert. Seine Ehefrau namens Prudentia moniert diese Reaktion und legt ihm nahe, Rat einzuholen. Die Beratung führt allerdings zu einem Kriegsbeschluss. Als Prudentia davon erfährt, kritisiert sie seine Beraterwahl – es seien eben lauter Ja-Sager,41 was unmittelbar an die vernichtende Feststellung der Löwenmutter »Wer schweigt, stimmt zu« hinsichtlich des Fehlens von Kritik durch Berater in ›Calila e Dimna‹ erinnert. Entsprechend folgt eine umfängliche Abhandlung darüber, wer als Berater nicht geeignet ist sowie damit einhergehend eine Erörterung über den idealen Rat. Prudentias Resümee ist eine harsche Kritik, eingebettet in sieben diesbezüglichen Punkten, jeweils beginnend mit errasti (erravisti) – »du hast dich geirrt«.42 Ihren Rat lehnt Melibeus allerdings dennoch grundlegend ab, basierend auf seinen überwiegend auf Genderaspekten beruhenden Gründen; seinem Reputationsverlust gegenüber den Männern, wenn er ihrem Rat Präferenz vor dem der Männer gäbe,43 sowie drohendem Machtverlust der Frau gegenüber: »Wenn ich durch deinen Sachverstand und Rat geleitet würde, wäre es, als gäbe ich dir Vorherrschaft [primatum] über mich, und dadurch würde ich dich zu meiner Kontrahentin machen und dir Macht über mich geben, was keinesfalls sein darf.«44 Er argumentiert weiterhin mit der Gefährlichkeit ihrer Einmischung auf der Basis biblischer Weisheit, also theologischer Autorität: Frauen seien grundsätzlich schlecht und bereits Salomon habe bestätigt, dass sie sich nicht einmischen sollten.45 Zusätzlich führt er ›typisch‹ weibliche Eigenschaften wie mangelnde Verschwiegenheit und Inadäquatheit als Ratgeber an, da sie Männer im Hinblick auf schlechten Rat überträfen.46 Dem Ansinnen Dimnas in ›Calila e Dimna‹ vergleichbar, werden verallgemeinernde, der Frauenschelte zuzuordnende, 41 Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, 10: […] cum magno stepita clamaverunt: Sic, sic. Tunc vero quasi omnes fiat, fiat. 42 Ebd., 66. 43 Ebd., 11f. 44 Ebd., 12: […] quia si tuo sensu ac consilio me regerem, jam viderer tibi super me dare primatum, et ita per hoc facerem te mihi contrariam, et potestatem tibi super me darem, quod esse minime debet. 45 Ebd., 12. 46 Ebd., 13.
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quasi toposartige Gründe zur Verhinderung eines Ratschlages durch eine, in diesem Fall seine Frau vorgebracht. Prudentia leitet Melibeus daraufhin argumentativ in mehreren diskursiven Schritten, indem sie jeden einzelnen Punkt rhetorisch und logisch aushebelt,47 und zwar »geduldig und wohlwollend« (patienter et benigne), zur theoretischen Möglichkeit, dass sie, Prudentia, doch das Recht bzw. die Qualifikation zum Rat haben könnte. Sie führt ihn so zur quasi offiziellen Beauftragung ihrer selbst als Beraterin in dieser Sache, indem sie rhetorisch geschickt wie in einem Prozess ihre Legitimierung erreicht. In welcher Form es sich in diesem von Albertanus so gestalteten Teil der Erzählung um Genderaspekte handelt, ist in der Forschung umstritten: Die Interpretationen reichen von der Deutung als Topos des Renaissance-Frauenlobs,48 der Betonung der dezidiert laizistischen, sich von theologisch-kanonischen Positionen abgrenzenden Perspektive des Albertanus49, über narrative Figurenkonstellationen hierarchischer Ordnungen im Dialog50 bis hin zum Verständnis als Allegorisierung inklusive kritischer Wertung (geprägt von der Editionszeit 1873): »Indeed, if we did not remember her allegorical dignity, we might be tempted to use a modern term and call her a most terrible blue-stocking.«51 Roger Friedleins Ansatz einer narrativen Komplementarität ist dabei mit Blick auf das implizit inhärente Adaptionspotenzial auf Vorstellungen vom Machtverhältnis zwischen Mann und Frau besonders interessant, »wenn einbezogen wird, daß die personifizierte Prudentia nicht als ontologisch von Melibeus verschiedene Instanz gesehen werden muß, sondern als seine eigene prudentia, die – ähnlich wie in einem Soliloquium – als Gesprächspartnerin aus ihm selbst ›ausgegliedert‹ ist. Nicht umsonst hat sie, seine Ehefrau, als ›sein eigen Fleisch und Blut‹ zu gelten. Die Komplementarität der Positionen wird somit nicht durch die Aussagen, sondern wird erst durch den Darstellungszusammenhang aufgemacht.«52 Festzuhalten bleibt in jedem Falle, dass im Vergleich zu ›Calila e Dimna‹ der Geschlechteraspekt stärker gewichtet und somit die Autorisierung des weiblichen Rates weniger selbstverständlich ist. 47 Ebd., 15. 48 Leo Hohenstein, Melibeus und Prudentia. Der liber consolationis et consilii des Albertano von Brescia in zwei deutschen Bearbeitungen des 15. Jahrhunderts, 1. Teil, Breslau 1903, 34, https://archive.org/details/MelibeusUndPrudentiaHohen/page/n3 (02. 04. 2019): »Verherrlichung [!] des Weibes«. 49 Oscar Nuccio, I Trattati ed i Sermoni di Albertano da Brescia: fonti inesplorate dell’ »Umanesimo Economico«, in: Franco Spinelli/Carlo M. Cipolla (edd.), Albertano da Brescia. Alle origini del Razionalismo economico, dell′Umanesimo civile, della Grande Europa (Culture della città), Brescia 1996, 95–155, hier 137: »Albertano rivaluta la donna ed il suo ruolo perché è un pensatore laico che non tiene conto (e non già per ignoranza) dei giudizi formulate dai contemporanei teologi e canonisti.« 50 Friedlein 2002, 65, verweist auf diesen Ansatz Oscar Nuccios. 51 Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, XVII. 52 Friedlein 2002, 65.
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In narrativer Scherzhaftigkeit ist im Text selbst ein sprachliches Spiel um Namen wie Eigenschaft und Personifikation zu finden. Auf Prudentias Kritik an Melibeus, ihm fehle es, um »klug« (prudenter) zu leben, an »Klugheit« (prudentia), erwidert er, er habe sehr wohl ›Prudentia‹/»Klugheit«, da dies doch ihr Rufname sei.53 Ihre Replik ist aufschlussreich: »Ich bin nicht die Klugheit, sondern ich bin die Worte der Klugheit.«54 Von Albertanus in den Randnoten explizit in der lateinischen Tradition des Seneca und Cassiodor verortet, widmen sich die folgenden vier Kapitel den Formen, Effekten und Erwerbsmöglichkeiten der prudentia als Tugend.55 In der narrativen Fortführung des Geschehens, das heißt der Kritik an den Plänen ihres Mannes, bestätigen sich deren Attribute: Mit rhetorischem Geschick, umfänglichem Wissen, logisch und argumentativ ausgefeilt, erreicht Prudentia letztlich ihr Ziel. Aus eigener Initiative als (unbeauftragte) Mittlerin erlangt sie schließlich ein reuiges Schuldbekenntnis der Aggressoren sowie das Verzeihen durch Melibeus: Gewalt und Krieg sind abgewendet – ihr kluges, zweckorientiertes Handeln, basierend auf verstandesmäßiger Prüfung der Situation und vorausdenkender Reflexion, führte zum Erfolg.56
›Libro del consejo e de los consejeros‹ Im Unterschied zum ›Liber consolationis et consilii‹ umfasst im ›Libro del consejo e de los consejeros‹ (1306–1336) von Maestre Pedro keine narrative Rahmenhandlung die Ausführungen zu den Beratern. Im Vorwort der Abhandlung heißt es zu Motivation und Inhalt, dass »gleich wie weise, vernünftig oder (gar) mächtig man auch sei, es ohne Rat nicht gehe, zumal wenn man dazu bedenke, wie immer wieder große Irrtümer, Gefahren und Schaden aus bösem oder falschem Rat entstünden.«57 Prudentia58 wird nicht personifiziert, obwohl 53 Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, 13: At illa dixit: Si prudenter vis vivere, te prudentiam oportet habere. Melibeus respondit: Bene habeo prudentiam, es quo habeo te ipsam, quae hoc nomine vocaris. 54 Ebd., 13: Non ego sum prudentia, sed sum prudentiae verba. 55 Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, 20–23. Prudence Allen, R.S.M., The Concept of Woman. The Aristotelian Revolution 750 BC – AD 1250, Grand Rapids, 1997, 245, verweist darauf, dass in der griechischen Tradition die Personifizierung der Weisheit als Frau verbreitet war, besonders bei Plato als Diotima oder neuplatonisch bei Boethius. 56 Für eine weiterführende Interpretation der Bedeutung der ›Prudentia‹ über die hier im Zentrum stehenden Belange hinaus siehe Friedlein 2002, insgesamt sowie speziell 64, 69. 57 Libro del consejo e de los consejeros ed. Taylor 2014, 111f.: […] e por poderosos que sean non pueden bevir en él sin acorro e sin consejo unos de otros, e otrosí parando mientes en cómo suelen acaescer grandes yerros e grandes peligros e muchos daños por malos e falsos consejos […]. 58 Ausführlicher zur ›Prudentia‹ in Traktatliteratur siehe Mélanie Jecker, Entre littérature religieuse et philosophie morale. L’exemple de la vertu de prudence (Castille, XIIIe–XVe
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sich Maestre Pedro umfänglich auf Albertanus von Brescias ›Liber consolationis et consilii‹ beruft, auch sind Frauen im gesamten Werk nicht als Berater vorgesehen.59 Das bedeutet aber nicht, dass die Tugend der prudentia nicht vorkommt: Gemäß der Definition im ›Liber consolationis et consilii‹ ist prudentia die Fähigkeit, zwischen Gut und Schlecht unterscheiden zu können, und stellt somit die Kernkompetenz (nicht nur) bei der Beraterwahl dar (in expliziter Referenz auf Ciceros ›De inventione‹60). Im ›Libro del consejo e de los consejeros‹ findet sich mit Blick auf seine Referenzquelle, eben das ›Liber consolationis et consilii‹ und seinen Autor, Albertanus von Brescia, ein expliziter Verweis just an der Stelle, wo Maestre Pedro auf die Unterscheidung von gutem und schlechtem Rat eingeht: »Der weise Albertanus zeigt uns hier, was guter und wahrer Rat ist, und sagt, dass guten und wahren Rat zu geben bei guten Beratern, die gut ausgesucht wurden, ihre selbstverständliche Absicht ist […], und auf der anderen Seite, dass schlechter und trügerischer Rat in der Absicht des falsch Ausgesuchten liegen, um die Dinge zu machen, die man nicht machen sollte.«61
Die lateinische Vorlage des Albertanus wird eingeleitet mit dem Satz: »Da du also meinen Rat wünschst, sollten wir zuerst sehen, was Rat sein sollte.«62 Es ist gerade Prudentia, Ehefrau und letztlich Beraterin des Melibeus, die im ›Liber consolationis et consilii‹ dieses Grundsätzliche erläutert und von meum consilium und videamus, also in der ersten Person, spricht. Maestre Pedro scheint die im ›Liber consolationis et consilii‹ des Albertanus von Brescia vorkommende Prudentia, die eben als Ehefrau in einer konkreten Krise als Beraterin zur Seite steht, eher allegorisch bzw. als personifizierte Schlüsselqualifikation und Leittugend gelesen zu haben. Zumindest findet keinerlei Beraterin Eingang in sein Werk. Berücksichtigt man noch dazu die Tatsache, dass es sich bei dem Autor mit großer Wahrscheinlichkeit um den aus dem Klerus stammenden königlichen Berater von Alfons XI. – jenem vormalig minderjährigen Herrscher unter der Regent-
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siècle), in: e-Spania 22 (octobre 2015). Vices et vertus/Les ports de la monarchie espagnole/La Fabrique du Local, http://journals.openedition.org/e-spania/24942. Vielmehr verweist Maestre Pedro im Vorwort auf den Sündenfall Adams, ohne jedoch direkt auf den weiblichen Rat einzugehen, vgl. Libro del consejo e de los consejeros, ed. Taylor 2014, 108. Sundby in seinem Vorwort zum Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, 20. Libro del consejo e de los consejeros, ed. Taylor 2014, 117: Onde el sabio Albertano muéstranos aquí qué cosa es consejo bueno e verdadero, e dize que consejo bueno e verdadero es la entención del entendimiento de la voluntad del ome verdaderamente escogida […], otrosí consejo malo engañoso es la entención de la vountad del ome falsamente escogido para fazer las cosas que non son fazederas. Zu Eigenschaften eines Beraters siehe auch den Beitrag von Büschken in diesem Band im Abschnitt ›Die Qualitäten eines Ratgebers‹, 100–102. Liber consolationis et consilii, ed. Sundby 1873, 29: Quia igitur meum consilium habere desideras, primo videamus, quid sit consilium (XI a).
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schaft seiner Großmutter Maria de Molina – handelt,63 ist nicht verwunderlich, dass es im ›Libro del consejo e de los consejeros‹ keinen Raum für zusätzliche, gar von einer Frau stammende Beratung gibt. Prudentia ist somit in ihrer Bedeutungsvielfalt als moralische, geistige, philosophische, politische sowie ethische Tugend einschließlich ihrer Modifikationen im Verlauf unterschiedlicher Aristoteles-Rezeptionen sowie christlicher Interpretation im Mittelalter von maßgeblicher Bedeutung.64 Im hier fokussierten politischen Kontext von Kritik und Beratung erweist sich die prudentia sowohl als dargestelltes Prozedere von Kritik und zugleich als Herrschertugend. Fehlt sie, wird sie als elementares Defizit bemängelt. Dieses Potenzial der politischen Bedeutung der prudentia soll zum Ausgangspunkt einer kurzen historischen Kontextualisierung genommen werden, die sich auf zwei eng miteinander verknüpfte Aspekte konzentriert: zunächst auf prudentia als politisches Attribut sowie im Anschluss daran auf eine potenzielle wörtliche Lesart von Frauen als Kritikerinnen.
Historische Kontextualisierung: Prudentia als politisches Attribut bei Alfons X. Die bereits an anderer Stelle ausgeführte Bedeutung der Wortwahl im Kontext von ›Wissen‹, ›Weisheit‹, ›Verstehen‹ und ›Verstand‹ in der kastilischen Übersetzung von ›Calila e Dimna‹ zeigt schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der beginnenden Herrschaft von Alfons dem Weisen die späterhin systematische Assoziation von prudentia als Tugend und königliche Weisheit in seinem politischen Denken.65 Dabei wird in seinen Schriften, die das Idealbild des ›rex sapiens‹ proklamieren, jedoch deutlich, dass dieses auf zwei unterschiedlichen, aber komplementären Begriffsverständnissen von Weisheit (sabiduría) beruht: einerseits prudentia als Fähigkeit, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden – königliche Primärtugend bei Regierungsgeschäften und Rechtsprechung – sowie andererseits das auf der Basis von Studium und Lernen erworbene Wissen.66 Fehlende Entscheidungsfähigkeit und somit prudentia in Bezug auf Re63 Zur Forschungssituation zur Autorschaft siehe Taylor in seinem Vorwort zu Libro del consejo e de los consejeros, ed. Taylor 2014, 12–15. 64 Weiterführend dazu Jecker 2015, insgesamt, speziell 71, 88; Myriam Chopin-Pagotto, La prudence dans les Miroirs du prince, in: Chroniques italiennes 60 (4/1999), 87–98, hier 98, jeweils auch zur Bedeutung von Thomas von Aquins ›Summa Theologica‹. 65 Kleine 2015, 64. 66 Ebd., 64. Einen Ausblick auf die begrifflichen wie konzeptionellen Veränderungen von ›roi Sage‹ bzw. ›roi Prudent‹ von Mittelalter zu Neuzeit siehe im online verfügbaren Resümee der bislang unveröffentlichen Dissertation von Mélanie Jecker, La notion de prudence dans la
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gierungsgeschäfte und Rechtsprechung ( juris-prudencia) waren exakt die von der Löwenmutter in ›Calila e Dimna‹ mehrfach vor Augen geführten Desiderata im Blick auf elementare Herrscherfähigkeiten. So erstaunt es nicht, dass dieser Ansatz auch Eingang in den von Alfons initiierten Gesetzeskodex der ›Siete Partidas‹ findet, der zugleich der Konstituierung der Monarchie dienen sollte. Im Vergleich zum ›Espéculo‹, einem chronologisch früheren von Alfons X. in Auftrag gegebenen Gesetzestext, sieht Rodríguez Velasco in der Einbringung gerade der prudentia in die ›Siete Partidas‹ die elementare Neuheit, eine Idee, »die sich über den ganzen Kodex lagert«.67 Sie findet Eingang vermittels der Aufwertung der Moral – durchaus auch zweckorientiert mit Blick auf die Gestaltung der Monarchie –, mit der sich prudentia und die Gewohnheiten über die Handlungsmacht (poder de la acción) legen.68 Damit wird zugleich auch der König selbst zum Maße der prudentia.69 Fast scheint es, als habe Alfons der Weise die Kritik der Löwenmutter verinnerlicht und umsetzen wollen.
Historische Kontextualisierung: Frauen und Kritik – potenzielle wörtliche Lesart Besonders interessant im Hinblick auf unterschiedliche Lesarten des narrativen Fürstenspiegels ›Calila e Dimna‹ ist der Blick auf den Umstand, dass es de facto Ehefrauen und Mütter sein können, die Kritik am Herrscher ausüben. Aufschluss verspricht es, wenn man diesbezüglich die Entstehungsgeschichte von ›Calila e Dimna‹ und die damit verbundenen politischen Konzepte zum Ausgangspunkt nimmt. So kam der Verräter im ›Panchatantra‹,70 der in Sanskrit verfassten Urform von ›Calila e Dimna‹, unbestraft davon. Dies liegt im nutzenorientierten, indischen Konzept des ›nı¯ti-s´a¯stra‹ begründet, das »kluge Lebensführung«, auch »List«, »Klugheit« sowie »Staatskunst« bedeutet.71 Der Vermittlung dieser Fä-
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pensée castillane médiévale et moderne (1252–1598). Du roi Sage au roi Prudent?, Thèse de doctorat sous la direction de Paris 2016, https://www.theses.fr/2016PA040213. Jesús D. Rodríguez Velasco, De oficio a estado. La caballería entre el Espéculo y las Siete Partidas, in: Cahiers d’Études Hispaniques Médiévales 18/19 (1993), 49–77, hier 68: »Desde un punto de vista superior, las Partidas incluyen una novedad básica con respecto al Espéculo: la idea de prudencia. Una idea que se superpone a todo el código.« Ebd., 69. Zu den christlichen Tugenden Demut, Milde und Frömmigkeit beim Herrscher/König bzw. deren Potenzial für (pragmatische) Kritik im herrschaftlichen System siehe auch Plassmann in diesem Band (79–98). Pañcatantra. The Book of India′s Folk Wisdom, translated from the original Sanskrit, ed. Patrick Olivelle (Oxford World’s Classics), New York 2009. Vgl. Döhla in seiner Einleitung zu Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 14, Döhla zitiert Johannes Hertel, Tantra¯kya¯yika, die ältere Fassung des Pañcatantra, 2 Bde, Leipzig/Berlin 1909, I, 6f.
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higkeit und entsprechender Kenntnisse dienen die Erzählungen. So erläutert der Verräter dem König, für ihn gelten andere, vor allem auf zweckmäßiges Handeln72 ausgerichtete Werte.73 Demgemäß bedurfte es weder der Kritik am Verräter noch am König selbst, die Didaxe war anders gewichtet. Genau an diesem Punkt, an dem die indische Vorlage den Verräter unbestraft lässt, fügt Ibn al-Muqaffa die Erzählung ›De la pesquisa de Digna‹ (Über die Ermittlung gegen Digna/ Dimna) ein. So wird einerseits im Blick auf die Regierungspraxis die Notwendigkeit der Bestrafung zum Machterhalt thematisiert, andererseits der schlechte Ratgeber rechtens bestraft und eine moralische Grundhaltung bewahrt. Darin offenbart sich auch das Konzept des ›adab‹, das nicht nur eine arabische Literaturform ist, sondern ebenfalls das Ergebnis einer Transmission von Normen und Wissen in der Schnittmenge religiöser, politischer und didaktischer Prinzipien bezeichnet.74 Inwiefern die Tatsache, dass Ibn al-Muqaffas Wahl gerade auf die Mutter als Kritikerin bzw. Protagonistin fällt, impliziert, dass entsprechende historische Konstellationen de facto existierten, bleibt unklar, wenn auch in letzter Zeit Untersuchungen zeigen, dass im Vorderen Orient Mütter bzw. Frauen von Herrschen, aber auch hochrangige Damen oder Sklavinnen im höfischen Harem durchaus konkreten Einfluss auf das Herrschaftsgeschehen respektive die Machtausübung nehmen konnten.75 Auch das Prozedere entspricht dem hier Festgestellten: »A woman could on occasion give her opinion in public, but attempts to exert influence generally where limited to private persuasion of the men in her family and clan.«76 Im Hinblick auf die Übersetzung ins Kastilische kann eine Lesart, die Müttern eine Teilhabe an der Macht zuschreibt, als unkompliziert und transkulturell adaptierbar angesehen werden. Denn im gesamten Mittelalter waren Frauen mit Macht und Einfluss auf der Iberischen Halbinsel aktiv, wenn auch zumeist we-
72 Döhla in seiner Einleitung zu Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 7, zugleich mit Hinweis auf den Maquiavellismus, wo Machterhalt über Moral steht. 73 Pañcatantra, ed. u. übers. v. Olivelle 2009, 69f.: »You cannot govern a kingdom with the standards of common folk; For the things that are faults in such folk are truly virtues in a king.« 74 Calila e Dimna, ed. Döhla 2009, 25, auch Wiebke Walther, Kleine Geschichte der arabischen Literatur. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart, München 2004, 113. 75 Walther 2004, 168; Gavin R. G. Hambly, Becoming visible. Medieval Islamic Women in Historiography and History, in: Gavin R. G. Hambly (ed.), Women in the Medieval Islamic World. Power, Patronage, and Piety (The New Middle Ages 6), New York 1999, 3–28. 76 Jane I. Smith, Women, Religion and Social Change in Early Islam, in: Yvonne Y. Haddad/ Ellison B. Findly (edd.), Women, Religion and Social Change, New York 1985, 19–36, hier 23, vgl. auch Fatima Mernissi, Herrscherinnen unter dem Halbmond. Die verdrängte Macht der Frauen im Islam, aus dem Franz. von Edgar Peinelt (Herder-Spektrum 5478), Freiburg i. Breisgau/Basel/Wien 2004.
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niger als direkte Machthaberin denn im Umfeld des Königs.77 Sie fanden entsprechend Eingang auch in die Chroniken: so etwa die Königinnen Urraca und Berenguela von Kastilien, aber auch Yolante von Aragón. Nicht zuletzt wird María de Molina im Prolog des ›Libro del caballero Zifar‹ gewürdigt,78 ein Werk, das zur Zeit des ›Libro del consejo e de los consejeros‹ entstand – María de Molina war Großmutter eben des von Maestre Pedro beratenen Königs, vormalig auch Regentin während dessen Minderjährigkeit sowie zuvor auch ihres ältesten Sohnes Ferdinand IV. Auch das ›Liber consolationis et consilii‹ fand im Hinblick auf weibliche Berater unmittelbar Niederschlag im ›Libro del caballero Zifar‹.79 Lohnend wäre es, die entsprechenden Erzählmuster in unterschiedlichen Quellenarten vergleichend zu analysieren.80 Abschließend ist die zentrale Bedeutung der prudentia sowohl hinsichtlich des Prozesses der Kritik als auch bezüglich ihrer Vorgehensweise, Methode und ihres Instrumentariums wie auch im Hinblick auf die monierten Verhaltensweisen und Eigenschaften festzuhalten. Prudentia ist eine umfängliche Herrscher- wie Beratertugend. Zugleich wird in den untersuchten narrativen Texten, ›Calila e Dimna‹ und ›Liber consolationis et consilii‹, die Vorgehensweise des Kritikers entsprechend den propagierten Werten dargestellt. Form und Inhalt entsprechen sich, wodurch die didaktische Intention verstärkt wird. Personalisierende Darstellungsweisen der prudentia können durch das damit einhergehende Potenzial zu weiblichen Metaphorisierungen und allegorischen Lesarten führen: Als Wagenführerin der Tugendquadriga wird die prudentia ebenfalls als Frau dargestellt. Andererseits ist sie eben gerade auch für konkrete politische Lesarten geeignet, wie es etwa die Interpretationen von Melibeus und Prudentia in Geoffrey Chaucer’s ›Tale of Melibee‹ als Richard II. und Queen Ann zeigen.81 Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass Gabriel Téllez, Mönch und zugleich einer der 77 Estelle Maintier-Vermorel, Le conseil féminin dans les chroniques du règne de Ferdinand III, in: e-Spania 12 (décembre 2011). Conseil, conseillers et conseillères/Catastrophes, cataclysmes et naufrages, http://journals.openedition.org/e-spania/20665. 78 Darstellungen in Chroniken siehe Maintier-Vermorel 2011; Georges Martin, Valoración de la mujer en la Chronica Adefonsi Imperatoris, in: e-Spania 15 ( juin 2013). La Chronica Adefonsi imperatoris y la Historia Roderici/Au miroir des anciens, http://journals.openediti on.org/e-spania/22311; Mechthild Albert, Herrscher und Beraterin in der kastilischen Literatur des Mittelalters – Transkulturelle Konstellationen in der Epoche Alfons’ des Weisen, in: Matthias Becher (Hg.), Transkulturelle Annäherungen an Phänomene von Macht und Herrschaft (Macht und Herrschaft 11), Göttingen 2019, 173–190. 79 Juan M. Cacho Blecua, Del Liber consolationis et consilii al Libro del caballero Zifar, in: La corónica. A Journal of Medieval Hispanic Languages, Literatures & Cultures 27.3 (1999), 45– 66; Albert, 173–190. 80 Zum Verhältnis von Genre bzw. Quellenart und Kritikpotenzial siehe den Beitrag von Plassmann in diesem Band (79–98). 81 Gardiner Stillwell, The Political Meaning of Chaucer’s Tale of Melibee, in: Speculum 19, 4 (Oct. 1944), 433–444, hier 443.
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bedeutendsten spanischen Dramatiker – id est Tirso de Molina – 1621/1623 ein historisches Drama mit dem Titel ›Die Weisheit der Frauen‹ (›La prudencia en la mujer‹) verfasst hat,82 in dessen Mittelpunkt (die erwähnte) María de Molina als umstrittene politische Protagonistin steht.
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Theresa Wilke
Zum Scheitern beraten. Zwei Ratsszenen im Kontext des Sturzes König Harsas von Kaschmir ˙
Abstract The present article examines poet Kalhana’s concept of an ideal ruler-consultant rela˙ tionship on the example of two council scenes that occurred in 1101 in the context of King Harsa’s (r. 1089–1101) overthrow. These two scenes – before and after his fall – proceed very ˙ differently, but both cannot avert the imminent disaster: the king’s loss of power and life. Within the first council scene the advice ranges from escape to battle to suicide, all of which are rejected by the king. Then the narratively gifted Harsa himself instructs his advisors ˙ finally by means of an anecdote about the former Kashmir king Mukta¯pı¯da over their ˙ obligations, which they elude however. The councillors remain passive leading to Kalhana’s ˙ fierce criticism. The scene after Harsa’s fall shows in contrast the advancing dissolution of ˙ order, since everyone gives unasked pieces of advice to the ousted king. According to Kalhana ˙ this condition announces the ruin of a sovereign’s fortune already. After all, the qualities of the king and his advisers always depend on each other prompting Kalhana to criticise ever ˙ both sides.
Kaschmir im Sommer 1101: König Harsa (reg. 1089–1101) gerät zunehmend in ˙ Bedrängnis. Uccala und Sussala, zwei Brüder, die einer Nebenlinie der Königsfamilie angehören, erheben sich gegen ihn. Zuvor hatte sich seine Herrschaft zur Tyrannei entwickelt, wodurch er den einstigen Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat.1 Immer mehr seiner von ihm brutal verfolgten Gegner schlossen sich zum Aufruhr zusammen. Uccala und Sussala rücken aus unterschiedlichen 1 König Harsa wurde in der älteren Forschung auch als ›Nero von Kaschmir‹ bezeichnet (Marc ˙ A. Stein, Kalhan a’s Ra¯jataran˙gin¯ı. A chronicle of the kings of Kas´mı¯r. Translated, with an ˙ introduction, commentary, and ˙appendices. Westminster 1900, Bd. 1, 32; Hermann Goetz, Eine indische Königstragödie, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 82 (1928), 207–216, hier 209). Näheres über König Harsa, seine Dynastie, Herrschaft sowie seine ˙ Ein Herrscherportrait aus dem mittelletzten Tage s. Theresa Wilke, Harsa von Kaschmir. ˙ alterlichen Indien (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Veröffentlichungen der Fächergruppenkommission für Außereuropäische Sprachen und Kulturen, Studien zur Indologie 5), Wiesbaden 2019.
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Richtungen ins Kaschmirtal vor und zwingen ihn so zu Schlachten an verschiedenen Fronten. Auch die beiden Brüder kämpfen jeder für sich; am Ende würde derjenige König, der zuerst auf dem Thron sitzt. Als Uccala, der geringfügig ältere der beiden Brüder, auf dem Weg in die Hauptstadt S´rı¯nagara in der Ortschaft Hiranyapura von dort ansässigen Brahmanen zum König geweiht wird, wenden ˙ sich die Minister an den aufgebrachten König Harsa. Eine Ratsszene entspinnt ˙ sich, in deren Verlauf der König seine Berater immer wieder auffordert, ihm einen besseren Rat zu erteilen. Von Anfang an scheinen die Berater überzeugt, dass Harsas Sturz nicht mehr zu verhindern sei. Lediglich die Folgen seines ˙ bevorstehenden Machtverlusts können noch beeinflusst werden. Das in Rede stehende Gespräch zwischen König Harsa und seinen Ministern ˙ ist Teil der ›Ra¯jataran˙gin¯ı‹ des Dichters Kalhana. Dieser »Wellenstrom der Kö˙ ˙ nige« stellt eine Art Chronik der Könige Kaschmirs dar und erzählt die Geschichte jenes kleinen Tals im äußersten Nordwesten Indiens von einer mythischen Anfangszeit an bis in das Jahr 1150,2 als Kalhana sein Werk abschloss. Seine ˙ Darstellung, die zunächst auf schriftlichen Quellen und später auf Augenzeugenberichten sowie eigenen Beobachtungen basiert, entwickelt sich in ihrem Verlauf zu einem detaillierten Bericht über das Zeitgeschehen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Kaschmir. König Harsas Herrschaft im ausgehenden ˙ 11. Jahrhundert hatte Kalhana selbst noch nicht miterlebt,3 doch sein Vater ˙ Canpaka gehörte zum Kreis jener Minister des Königs, die diesen in seinen ˙ letzten Tagen berieten. Sehr wahrscheinlich stützt sich Kalhana in seinen Aus˙ führungen über diese Ereignisse unter anderem auf den Augenzeugenbericht seines Vaters.4
2 Vgl. hierzu ausführlich Konrad Klaus, Kalhanas ›Ra¯jataran˙gin¯ı‹ – ein indisches Pendant zur ˙ Kaiserchronik?, in: Elke Brüggen (ed.), Erzählen von Macht˙ und Herrschaft. Die ›Kaiserchronik‹ im Kontext zeitgenössischer Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung (Macht und Herrschaft 5), Göttingen 2019, 133–160. 3 Kalhanas eigene Lebenszeit reichte von etwa 1100–1150 (Stein 1900, Bd. 1, 15, sowie Walter Slaje,˙ Kalhanas Ode an den androgynen Gott (Ardhanarı¯´svarastotra), in: Zeitschrift der ˙ Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 165,2 (2015), 393–416, hier 398). 4 Vgl. Stein 1900, Bd. 1, 6f. Er schließt aus einigen Details der Erzählung, dass Kalhana – wie in ˙ diesem Punkt – über ein Wissen verfügte, das nur wenigen, wenn nicht gar ausschließlich seinem Vater, bekannt gewesen sein dürfte. Näheres dazu sowie die damit im Zusammenhang stehende Frage nach Kalhanas Quellen insbesondere zur Zeit König Harsas in WILKE 2019, 8f. ˙ ˙
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Minister – Berater qua Amt Die Minister (mantrin)5 sind in Kaschmir die institutionalisierten Berater des Königs. Ihre Fähigkeiten sowie ihre moralische Integrität sind laut der Darstellung Kalhanas entscheidend für die Qualität einer Herrschaft und werden von ˙ ihm als ein notwendiges Korrektiv angesehen. Kalhana kritisiert im Verlauf ˙ seiner Abhandlung wiederholt, dass verschiedene Minister ihre Ämter ausschließlich zu ihrem eigenen Vorteil nutzten, wobei sie sich regelmäßig der Unterschlagung von Geldern, der Ausbeutung der Untertanen, der Untreue, des Opportunismus und des ständigen Ränkespiels schuldig machten. Allerdings bedeutet diese Kritik an den Ministern bei Kalhana auch immer eine gleichzeitige ˙ Kritik am König, der diese Machenschaften nicht durchschaut oder sogar duldet. Ein unfähiger, intriganter Ministerstab ist somit auch immer ein Zeichen für einen schwachen, nachlässigen oder grausamen Herrscher. Dieser verletzt damit die Pflicht, die Untertanen und das Königreich vor der Ausbeutung durch eigennützige oder unfähige Amtsinhaber zu schützen.6 Ein guter Herrscher zeichnet sich dagegen durch gute Minister aus. Er prüft und erkennt ihr Talent und ihre Integrität und er durchschaut ihre wahren Absichten.7 Darüber hinaus lobt Kalhana jenes Verhältnis von König und Minister in besonderem Maße, bei ˙ dem sich beide auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt begegnen.8 Auch im zu untersuchenden ersten Fall sind die Ratgeber die Minister König Harsas. Sie alle wurden von ihm oder seinem Vater König Kalas´a (reg. 1061–1089) ˙ in ihre jeweiligen Ämter gehoben und gehörten dadurch zum engsten Kreis seiner Vertrauten. Ihre Funktion als Berater des Königs ist durch ihre Amtseinsetzung legitimiert, wodurch sich Beglaubigungsstrategien innerhalb solcher Ratsszenen in der Regel erübrigen.9 Die Amtsträger rekrutierten sich häufig aus der Gruppe der Brahmanen, dem in der indischen Ständehierarchie am höchsten stehenden Priesterstand, und gehörten dadurch idealerweise zu den hochran5 Das Wort mantrin ist ein substantiviertes Adjektiv, das sich von mantra (u. a. ›Rat, Plan‹, ›(geheime) Beratung‹) ableitet, und bezeichnet somit jemanden, der einen Rat weiß oder einen Plan hat. 6 Die Pflicht des Herrschers, geeignete Berater auszuwählen, damit diese ihn auf dem rechten Weg halten, wird auch im ›Graf Rudolf‹ thematisiert (s. den Beitrag von Ann-Katrin Deininger in diesem Band, 167–191, Abschnitt 3, 174–176). Auch dort richtet sich die Kritik des Erzählers im Falle einer schlechten Entscheidung daher gegen beide Instanzen: den Herrscher und die Berater. 7 In diesem Punkt zeigen sich erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen Kalhanas Vorstellungen und ˙ jenen in England im 12. Jahrhundert, siehe den Beitrag von Dominik Büschken im Abschnitt ›Die Qualitäten eines Ratgebers‹ in diesem Band (100–102). 8 Ein solches, ideales Verhältnis beschreibt Kalhana im Falle König Avantivarmans (reg. 855/6– ˙ 883) und dessen Minister S´u¯ra. 9 Vgl. dazu das Kapitel ›Bischöfe als geborene Ratgeber‹ im Beitrag von Alheydis Plassmann in diesem Band (79–98).
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gigen Gelehrten des Landes.10 Dass Brahmanen in Kaschmir – anders als im übrigen Indien – durchaus Waffen trugen und kämpften, ist bei Kalhana gut ˙ belegt.11 Nicht selten bekleideten sie daher auch hohe militärische Ämter. Ein in hohem Maße prestigeträchtiges Amt war das des Kommandanten über die Grenzpässe Kaschmirs (dva¯rapati).12 Er kontrollierte, wer das Tal betreten oder verlassen durfte, erhob Zölle und unternahm militärische Operationen in den benachbarten Fürstentümern. Canpaka, der Vater unseres Dichters Kalhana, ˙ ˙ hatte dieses Amt unter König Harsa zwischenzeitlich inne.13 Daneben gab es ˙ unter anderem das Amt des Ersten (oder auch Obersten) Ministers (sarva¯dhika¯rin), der als höchstes Kontrollorgan fungierte.14 Es ist nicht ganz klar, wer dieses Amt unter Harsa zuletzt übernommen haben könnte. Im Zuge des vor˙ anschreitenden Konflikts zwischen ihm und den beiden Thronprätendenten Uccala und Sussala waren immer weniger Minister bereit, noch verantwortungsvolle Ämter zu übernehmen. Jene, die es taten, wurden nicht selten im Kampf getötet, sodass einige Ämter vakant wurden und vermutlich auch nicht mehr neu besetzt werden konnten.15
10 Eine systematische Untersuchung der gesellschaftlichen Hintergründe und Laufbahnen der bei Kalhana beschriebenen Minister liegt bislang noch nicht vor. Die Menge unterschied˙ lichster Lebensläufe lässt aber durchaus spannende Ergebnisse hinsichtlich der vertikalen Durchlässigkeit der Gesellschaft erwarten. 11 Nur zu Zeiten äußerster Sicherheit und Ordnung verzichteten die kaschmirischen Brahmanen auf das Tragen von Waffen (vgl. KRT 6.9). Vgl. Walter Slaje, A Glimpse into the Happy Valley’s Unhappy Past. Violence and Brahmin Warfare in Pre-Mughal Kashmir, in: Walter Slaje (ed.), Brahma¯’s Curse. Facets of Political and Social Violence in Premodern Kashmir (Studia Indologica Universitatis Halensis 13), Halle a. d. Saale 2019 (b), 1–22, hier 12f., sowie Michael Witzel, The Brahmins of Kashmir, in: Yasuke Ikari (ed.), A study of the Nilamata. Aspects of Hinduism in ancient Kashmir, Kyoto 1994, 237–294, hier 277. 12 Kaschmir galt aufgrund seiner Lage inmitten hoher Berge lange Zeit als uneinnehmbar für äußere Feinde. Die wenigen größeren Gebirgspässe, die in das Tal von Kaschmir führten, waren durch mächtige Passbollwerke, die sog. Tore (dva¯ra, später dran˙ga), gut gegen Eindringlinge zu verteidigen. Vgl. Stein 1900, Bd. 2, 291f. sowie Slaje 2019 (b), 5–6. 13 KRT 7.1178. 14 Vgl. Walter Slaje, Harsa von Kaschmir. Ein politisches Sittengemälde aus dem indischen Mittelalter. Kalhanas Ra¯˙ jataran˙gin¯ı (Buch 7) mit annotierter Übersetzung kritisch neu her˙ ˙ ausgegeben von Walter Slaje. (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Veröffentlichungen der Fächergruppenkommission für Außereuropäische Sprachen und Kulturen, Studien zur Indologie 4), Wiesbaden 2019 (a), 52, Übersetzung KRT 7.364. 15 Vgl. KRT 7.1363f.
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Zur Struktur der ersten Ratsszene Die erste Ratsszene (KRT 7.1387–1453) zwischen König Harsa und seinen Mi˙ nistern ist beinahe durchgängig in Dialogform mit direkter Rede gestaltet, die 16 ausnahmslos durch inquit-Formeln gekennzeichnet ist. Derart lange Dialogsequenzen sind bei Kalhana nicht allzu häufig, doch kommen sie hin und wieder ˙ vor.17 Da die ›Ra¯jataran˙gin¯ı‹ eine in Versform, dem sog. S´loka, verfasste Meis˙ terdichtung darstellt, fügen sich auch die Redeszenen in diesen metrischen Rahmen ein. Gelegentlich kommentiert Kalhana das von ihm beschriebene Ge˙ schehen und neben die übliche Versform treten dann auch andere Metren.18 In der Redeszene zwischen Harsa und seinen Ministern kommen ebenfalls Verse ˙ anderer Metrik vor, die hier jedoch überwiegend in die direkten Redeanteile eingebettet sind (KRT 7.1395–1400, 1404, 1424, 1440, 1442). Sie könnten Zitate aus anderen Dichtwerken darstellen, die die gelehrten Gesprächsteilnehmer ins Feld führen, um ihren jeweiligen Standpunkt zu untermauern.19 Insbesondere für den zweiten Rat der Minister werden auffällig viele solcher Strophen bemüht. Die Wiedergabe des Gesprächs zwischen Harsa und seinen Ministern wird von ˙ Kalhana an einem Punkt unterbrochen, an dem sich die Minister in seinen Augen ˙ grundlegend falsch verhielten. Er übt heftige Kritik an ihrer Tatenlosigkeit (KRT 7.1411–1414) und ergänzt seine Gedanken um eine Strophe, in der er die Niederlage des eigenen Herren auf eine Stufe mit anderen Schicksalsschlägen stellt (KRT 7.1415). Anschließend lässt Kalhana den König das Wort ergreifen und ihn ˙ nach einer eigenen Einschätzung seiner Lage eine Geschichte über den früheren König Mukta¯pı¯da und dessen Ersten Minister erzählen. Ein zentrales Element ˙ dieser Geschichte ist die Erteilung eines Rates seitens des Ersten Ministers an seinen vor einer Niederlage stehenden König: so entsteht eine Ratsszene innerhalb der Ratsszene (KRT 7.1429–1450). Die Rede der Minister König Harsas wird während der gesamten ersten Re˙ deszene von Kalhana stets einstimmig, das heißt wie aus einem Mund, wieder˙ gegeben. Keiner tritt mit einer anderen oder eigenen Meinung aus dem Kollektiv der Berater heraus und ohne Nennung jedweder Namen bleibt offen, wer von ihnen eigentlich jeweils spricht oder wer hier überhaupt anwesend ist. Dabei sind die Namen der einzelnen Minister bereits aus der vorangehenden Erzählung bekannt. Durch diese Einstimmigkeit erfüllen die Minister bereits eine im Verlauf des Gesprächs von ihnen selbst formulierte Empfehlung in kritischen Si-
16 Zu möglichen Funktionen von Figurenrede in narrativen Texten siehe den Beitrag von Sophie Quander in diesem Band, 217–239. 17 Vgl. z. B. KRT 4.592–616, 5.306–326. 18 Eine genaue Bestimmung der einzelnen Metren bei Slaje 2019 (a), 293–337. 19 Vgl. Stein 1900, Bd. 1, 23f.
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tuationen: den Konsens unter den Beratern.20 Wohin es führt, wenn unter den Beratern keine Einigkeit mehr besteht, wird sich in einer späteren Szene zeigen, in der Harsa bereits gestürzt ist (KRT 7.1585–1587, 1601–1606). Im Vergleich zu ˙ dieser Redeszene zeichnet sich die Ratsszene vor seinem Sturz insgesamt noch durch ein hohes Maß an Ordnung aus. Der König bittet um Rat und die Minister erteilen ihm diesen einhellig. Somit scheint hier die politische und soziale Ordnung – vor allem im Umkreis des Königs – noch weitgehend intakt. Doch ungeachtet der offenbar idealen Rahmenbedingungen der Ratsszene finden der König und seine Berater zu keiner Lösung des Problems.
Erster Rat: Flucht Wie eingangs erwähnt, war die Situation für König Harsa bereits kritisch. Einer ˙ der Thronprätendenten war kurz zuvor von einigen Brahmanen zum König geweiht worden. Zwar dürfte dieses Ritual der Königsweihe abseits des Hofes kaum irgendeine rechtliche Bindungskraft gehabt haben, doch brachte es den Willen bestimmter Teile der Bevölkerung zum Ausdruck. Ob Harsa sich nun ratsuchend ˙ an seine Minister wandte oder diese sich an ihn, bleibt offen. »[1387–1388] Die Minister [sagten] zu König [Harsa, der] bei diesem Anlaß seiner selbst ˙ überhaupt nicht mehr mächtig war: ›[…]21 sind viele. Mit denen gehe in die Berge von Lohara. [Sobald] sich ihre Sehnsucht nach einem neuen Herrscher gelegt hat, werden die Untertanen Dich bald danach [wieder] selbst holen, oder Du kehrst nach einigen Tagen [eben] von allein [zurück].‹«22
Zunächst erteilten die Minister König Harsa den Rat, zur Bergfeste von Lohara zu ˙ fliehen, einem Gebiet in den westlichen Gebirgsausläufern des Pı¯r Pantsa¯l.23 Dort lag der Stammsitz der sog. Lohara-Dynastie,24 der König Harsa angehörte, und ˙ dorthin sollte dieser sich zurückziehen, um abzuwarten, bis die Lage sich beruhigt hatte. Harsa, ein Mann, der den Luxus liebte, lehnte diesen Rat ab, da er seine ˙ Frauen, seinen Schatz und den Thron nicht zurücklassen wollte. 20 KRT 7.1400. 21 Der Text weist hier eine Lücke auf. 22 Die in diesem Beitrag zitierten Übersetzungen sowie die in den Fußnoten wiedergegebene Edition der Sanskritverse aus dem siebenten Buch der KRT stammen, sofern nichts anderes angegeben ist, von Slaje 2019 (a), hier 226f., KRT 7.1387–1388: nrpam atyantavivas´am prasan˙ge tatra mantrinah […] bhu¯ya¯msas santi tais sa¯rdham vraja tal˙ Lohara¯calam || praja¯ ˙ ˙ | tva¯m a¯nesyanti nacira ˙ ¯ d dinair va¯ svayam esyasi || eva tatas´ ´sa¯ntotkantha¯˙ navanr pam prati ˙ ˙ ˙ ˙ 23 Stein 1900, Bd. 2,˙293. 24 Königin Didda¯ (reg. 980–1003), die Begründerin dieser Dynastie, war die Tochter des Sim˙ hara¯ja, des Fürsten von Lohara. Ihre Heirat mit Ksemagupta, dem König von Kaschmir ˙ (reg. 950–958), stellte wohl ursprünglich eine Art Heiratsbündnis zwischen dem Fürstentum Lohara und dem Königreich Kaschmir dar.
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»[1389] [Harsa] entgegnete: ›Ich kann nicht im Nu aufbrechen [und all das] Unver˙ gleichliche zurücklassen, wie die Frauen [meines] Gynäzeums, [meine] Privatschatulle und der Thron es sind!‹«25
Die Minister versicherten ihm daraufhin, dass sowohl die Frauen seines Harems als auch seine Schatulle ihm mit Pferden hinterher gebracht werden würden, während der Thron dagegen kaum etwas sei, dessen Besitz wirklich als erstrebenswert gelten könne. »[1390] Die wiederum äußerten sich hinsichtlich des Erhalts [der wertvollen Güter so]: ›Mobile [Männer] zu Pferd werden [Dir Deine] Schatulle und die Haremsfrauen, [die] sie auf den Rücken [der Packtiere] geladen haben, [nach]bringen. [1391] [Und] welche Würde würde [denn] aus dem [Grunde] verletzt, daß ein anderer als dieser [König Cakravarman] den Thron bestiege, der als Liebhaber einer [unberührbaren] Hundekocherin auf ihm [gesessen hat]?‹«26
Über den kaschmirischen König Cakravarman (reg. 923–933, 935 und 936–937) berichtet Kalhana, dass er sich in seiner letzten Amtszeit neben zahlreichen ˙ anderen Vergehen in die Töchter eines umherziehenden Domba-Sängers verliebt ˙ habe. Die Dombas, die wie hier auch abwertend als ›Hundekocher‹ (s´vapa¯ka) ˙ bezeichnet wurden, standen außerhalb der indischen Ständegesellschaft und gehörten zu den sog. ›Unberührbaren‹, da ihre Berührung als (rituell) verunreinigend galt.27 Obwohl Könige laut dem ›Ma¯nava Dharmas´a¯stra‹ (MDhS´), einem der einflussreichsten Rechtstexte Indiens, gewissermaßen als immun gegen derartige Verunreinigung gelten,28 finden sich bei Kalhana mehrfach ˙ Hinweise, dass diese Annahme in Kaschmir nicht gemeinhin geteilt wurde. Über König Harsa, der unwissentlich sexuelle Kontakte mit ›unberührbaren‹ Skla˙ vinnen hatte, berichtet Kalhana, dass er sich dadurch Unreinheit auflud.29 Die ˙ rituelle Unreinheit, die sich König Cakravarman durch die Berührung der beiden Domba-Frauen zuzog, ging nach Aussage der Minister Harsas also auch auf den ˙ ˙ Thron über, als er darauf saß.30 Aus diesem Grund hielten die Minister den Thron offenbar nicht für wert, ihn um jeden Preis vor dem Feind zu schützen.
25 Slaje 2019 (a), 226f., KRT 7.1389: so ’bhyadha¯d »avarodhastrı¯kos´asimha¯sana¯dy aham | ˙ asa¯ma¯nyam parityajya gantum sapadi notsahe« || ˙ 26 Slaje 2019 (a), 226f., KRT 7.1390f.: punas te ’kathayann a¯ptau »ya¯nto ’dhya¯ruhya va¯jinah | ˙ prsthe vinyasya nesyanti kos´a¯ntahpurayositah || ´svapa¯kı¯ka¯muko ’py a¯sı¯d yasmims tadaparo ˙˙˙cet | simha¯sanam ˙ sama¯rohet ka ˙ ˘¯ bhima¯˙naks˙atis tatah« || ’pi ˙ ˙ a, in: Patrick ˙ 27 Vgl. dazu˙Mikael Aktor, Social Classes. Varn Olivelle/Donald R. Davis, Jr. ˙ ´a¯stra, Neu Delhi 2018, 60–77, hier 74f. (edd.), Hindu Law. A New History of Dharmas 28 MDhS´ 5.93–97. 29 KRT 7.1131. Vgl. Slaje 2019, 320, Anm. 310. 30 Tatsächlich scheint von der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts an bis in Kalhanas Zeit (1150) ˙ durchweg derselbe Thron in Gebrauch gewesen zu sein.
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Im Gegensatz zum Thron sollten laut den Beratern Harsas Frauen sowie sein ˙ Schatz nach Lohara transportiert werden. Hinsichtlich der Umsetzbarkeit dieses Plans muss jedoch die enorme Dimension des Harems König Harsas berück˙ sichtigt werden. Kalhana berichtet, dass Harsa auf dem Höhepunkt seiner Macht ˙ ˙ einmal 360 Frauen in seinen Harem aufgenommen haben soll. Auch wenn diese Zahl, die nicht zufällig der Anzahl von Tagen eines indischen Jahres entspricht, möglicherweise eher ein Gerücht darstellt, das verbreitet wurde, um die übermenschliche Potenz des Königs zu demonstrieren,31 so dürfen wir dennoch eine beachtliche Größe für Harsas Harem annehmen. Alle diese Frauen einschließlich ˙ der königlichen Schatulle sicher nach Lohara zu bringen, hätte sehr wahrscheinlich größere Ressourcen gebunden, als es die schwierige Situation erlaubte. Dagegen überrascht es aber ein wenig, dass die Minister den Abtransport des Throns, der durchaus mobil war, nicht ebenfalls erwogen.32 Der Fall des späteren Königs Sussala (reg. 1112–1120 und 1121–1149) zeigt, dass der vorübergehende Rückzug nach Lohara durchaus erfolgreich hätte verlaufen können. Ähnlich wie Harsa hatte auch Sussala seine Untertanen gegen sich ˙ aufgebracht und musste seinem Rivalen Bhiksa¯cara (reg. 1120–1121), einem ˙ Enkel König Harsas, vorübergehend den Thron überlassen. Sussala verbrachte ˙ etwa ein halbes Jahr in Lohara und konnte anschließend auf den Thron zurückkehren, nachdem Bhiksa¯cara in der Zwischenzeit das Geld ausgegangen war. ˙ Tatsächlich kritisiert Kalhana die Untertanen wiederholt dafür, dass sie aufgrund ˙ ständiger Unzufriedenheit nach immer neuen Königen verlangten.33 Dass sie Harsa irgendwann zurückholen würden, scheint daher trotz seiner vorange˙ gangenen Tyrannei nicht allzu unwahrscheinlich. Dennoch lehnte Harsa die Flucht als Option ab und forderte einen gänzlich ˙ anderen, besseren Rat. Möglicherweise erkannte er angesichts der Größe seines Harems, dass die Minister nur aus Verlegenheit vorschlugen, all seine Frauen nach Lohara zu bringen. Und auch wenn eine rasche Flucht sein Leben möglicherweise hätte retten können, haftet dieser Maßnahme doch auch die Feigheit und das Versagen des Königs an. Von ihm wird die Verteidigung des Reiches bis zum letzten Atemzug erwartet. Dass König Harsa sein Scheitern an diesem An˙ spruch erkannte, zeigt sich in seiner späteren Rede. Dort greift er auf eine ge31 Vgl. David Smith, One man and many women. Some notes on the harem in mainly ancient and medieval India from sundry perspective, in: Cracow Indological Studies 14 (2012), 1–16, hier 2f. 32 An verschiedenen Stellen in der KRT entsteht der Eindruck, dass das bloße Sitzen auf dem Thron bereits ausreichte, um als König zu gelten. Was hätte also die Flucht des Königs in Verbindung mit einem Entzug des Throns vor dem Zugriff des Usurpators bewirken können? Ferner gewinnt man hier den Eindruck, dass der Thron nicht zu den persönlichen Besitztümern des Königs gehörte. 33 Vgl. KRT 7.1730, 8.796, 8.895.
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bräuchliche Metapher zurück, in der sich die Vorstellung niederschlägt, dass das als weiblich gedachte Königreich Kaschmir eine Ehefrau des Herrschers darstellt.34 Mit der Herrschaft gingen demnach Rechte und Pflichten einher, die mit denen eines Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau vergleichbar waren. Durch Harsas Verfehlungen war diese einst ehrbare Frau nun also zum Objekt der ˙ Begierden anderer Männer geworden, da diese sich Hoffnungen machten, sie gewaltsam an sich zu reißen.35
Zweiter Rat: Kampf Da Flucht für Harsa nicht in Frage kam, rieten ihm die Minister nun zu einem ˙ ehrenvollen Tod in der Schlacht. Dies würde zwar nicht sein Leben retten, doch immerhin seinen Nachruhm. »[1392] Als der König sie aufforderte: ›Schluß damit, gebt mir besseren Rat!‹, redeten sie erneut mit Ungestüm [auf ihn ein]: [1393] ›Welchen Anlaß zur Verzagtheit kann es für Könige geben, [die] unter Voranstellung [ihrer] Kriegerpflicht die Welt beherrschen [und] deren Hoffnung der Tod in der Schlacht ist?‹«36
Nach der Warnung vor Trägheit, Schmach, Furcht und Dissens unter den Beratern, die mit je eigenen Versen begleitet werden, empfehlen die Minister weiter: »[1401] ›Ein Widersacher, selbst wenn ihm alle [militärischen] Abteilungen fehlen, holt sich Reich und Leben eines allmächtigen Herrschers, wenn [dieser bloß] von der Hoffnung auf einen einzigen [Mann] beherrscht wird. [1402] Gehe dorthin, wo [Deine] Gegner sind! Gib Dein Land nicht auf, [das sie] durchquert und besetzt haben! So wirst Du schon bald wieder den Sieg erringen. [1403] Auch wenn [ihnen] das Schicksal ungünstig ist, wird Königen überirdischer Ruhm zuteil, wenn sie sich bedeckt von tausend tapferen Männern in die Schlacht stürzen (i. e. in der Schlacht fallen, Anm. d. Verf.).‹«37
Und nach einem Vers über den ruhmreichen Tod in der Schlacht beenden die Minister ihren ausführlichen Rat mit: 34 Vgl. Walter Slaje, Zum Stiftungswesen im mittelalterlichen Kaschmir, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 167 (2017), 399–418, hier 403. 35 KRT 7.1420: »kim tu du¯ye yad esa¯ bhu¯r bhu¯tva¯ kulavadhu¯r iva | maddosa¯d dhattacet¯ıva pra¯pta¯ ˙ ¯ m« || »›Allerdings ˙ ˙˙ ˙ einer ehrprasabhabhogyata quält es mich, daß dieses Land,˙das [vorher] baren Frau geglichen hat, aufgrund meiner Verfehlung [nun] wie eine Marktsklavin gewaltsam genommen werden kann.‹« (Slaje 2019 (a): 234f.). 36 Slaje 2019 (a), 226f., KRT 7.1392f: »a¯sta¯m etat param bru¯ta mantram« ity atha codita¯h | te ˙ ¯m pa¯rthivena bhu¯yo ’pi sasamrambham babha¯sire || ˙»ksatradharmam puraskrtya ´sa¯sata ˙ ˙ ¯ d a¯´s¯ır yes ˙ a¯m mrdhe vadhah« ||˙ ˙ ksma¯m ksama¯bhuja¯m | ko dainyasya ¯ vaka¯´sas sya ˙ ˙ 2019 ˙ (a) 230f., KRT 7.1401–1403: »samagras´akter˙ ekena¯˙py a¯´sa¯kra¯ntasya ˙ 37 Slaje bhu¯pateh | vairı¯ sarva¯n˙gahı¯no ’pi ra¯jyam a¯yus´ ca karsati || yatra dvisas tatra ya¯hi kra¯nta¯m kra¯nta¯m˙ca ˙ jayam ava¯psyasi ˙ medinı¯m | ma¯ tya¯ks¯ır acira¯d evam punar || vidhure ’pi ˙vidhau ´s˙u¯ra˙ sahasrapariva¯ritaih | patadbhir a¯have bhu¯paih ka¯py abhikhyopalabhyate« || ¯ ˙
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»[1405] ›Die allerletzte Tat [muß eine] außergewöhnliche [sein]!‹ – in diesem Gedanken verlieren Krieger [ jede] Furcht, da sie wie Spieler um das Reich spielen.«38
Hierin schwingt die Vorstellung mit, dass der König von den Göttern als Beschützer der Erde und der Menschen geschaffen wurde.39 Es ist somit die oberste Pflicht des Herrschers, sein Reich und die Untertanen vor Feinden zu schützen, durch deren Erfüllung er zudem jenseitiges Verdienst erlangt.40 Da der Schutz des Landes darüber hinaus der Kriegerkaste, den Ksatriyas, zufiel, rekrutierte sich ˙ der König üblicherweise aus eben diesem Stand der Gesellschaft. Nach altindischem Glauben steigen die auf dem Schlachtfeld gefallenen Krieger in das Himmelreich Indras auf, wo sie von den Apsarasen, den heiratswilligen Himmelsnymphen, empfangen werden.41 Das Ideal der Ksatriya sieht also einen Tod ˙ im Kampf vor; im Falle des Königs wird dieses Ideal noch um den Kampf für den Schutz des Reiches gesteigert. Der Rat, den Tod im Kampf zu suchen, vereint somit die Ehrvorstellungen der Kriegerkaste mit den Pflichten des Königs. Dass die Minister genau zu diesem Rat auffallend viele Verse zitieren,42 könnte der moralischen Überlegenheit eben dieses Vorgehens Rechnung tragen. Auch Kalhana erkennt diesen Rat als angemessen (pra¯ptaka¯la – zeitgemäß, zweckmäßig) ˙ an.43 Dessen ungeachtet wurde auch dieser Rat von König Harsa zurückgewiesen, ˙ wofür Kalhana keine direkte Rede verwendet. Zwar werden hier keine Gründe für ˙ Harsas erneute Ablehnung angegeben, doch Kalhana vermutet an anderer Stelle, ˙ ˙ dass Harsa Schlachten grundsätzlich verabscheute.44 Tatsächlich hatten zuvor ˙ bereits schwere militärische Niederlagen das Ansehen König Harsas beschädigt. ˙ Obwohl er große Summen Geldes in die Ausrüstung seines Heeres investiert 38 Slaje 2019 (a), 232f., KRT 7.1405: »uda¯ttam ity antakrtyam sañcintya kitava¯ iva | ra¯jye ˙ ˙ bhajante dı¯vyantah ksatriya¯s tra¯sahı¯nata¯m« || ¯ ˙ ´ 39 MDhS 7.2–4. 40 Vgl. Mark McClish, King: ra¯jadharma, in: Patrick Olivelle/Donald R. Davis, Jr. (edd.), Hindu Law. A New History of Dharmas´a¯stra. Oxford 2018, 255–272, hier 268–270. 41 Diese Vorstellung findet sich in der KRT häufig in Metaphern ausgedrückt, in denen das Schlachtfeld mit einem Hochzeitsfest verglichen wird und der Krieger mit dem Bräutigam der himmlischen Nymphen. Ein Beispiel dafür lässt sich bereits in Harsas Prinzenzeit finden, als ein Diener an Harsas Standesehre appelliert und ihn auffordert, ˙die Heldenbinde für den Kampf anzulegen, ˙die zu seinem Hochzeitskranz für die Vermählung mit den himmlischen Nymphen werden würde (KRT 7.661–665). 42 Auch wenn – wie Slaje 2019 (a), 326, Anm. 393 und 395 feststellt – die Verse 7.1394 und 1397 nicht ganz in das von den Ministern einleitend eröffnete Feld aus Trägheit (7.1395), Schmach (7.1396), Feigheit (7.1398) und der Dissens unter den Ministern (7.1400) passen und daher möglicherweise als spätere Ergänzung zu bewerten sind. 43 KRT 7.1406. 44 KRT 7.1716: yad vekenaiva san˙gra¯mavaimukhyenonnata¯tmanah | sarvapraka¯rasubhagam ˙ ihm gehegte Abneigung ma¯ha¯tmyam tasya khanditam || »Indessen war es die einzige von ˙ ˙ ˙ majestätische Größe [hätte] beschädigen [können], die [sonst] in gegen Schlachten, die seine jeder Hinsicht beglückend war.« (Slaje 2019 (a), 284f.).
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hatte,45 gelang ihm kein einziger militärischer Sieg. Nach allem, was Kalhana ˙ berichtet, blieb Harsa zudem meist abseits des eigentlichen Kampfgeschehens ˙ und überließ sein Heer im Zweifel einem ungeordneten Rückzug.46
Dritter Rat: Selbstmord Erneut forderte König Harsa also einen Rat von seinen Ministern. Da er weder ˙ fliehen noch kämpfen wollte, empfahlen ihm seine Minister schließlich, sich selbst zu töten, sobald es zum schlimmsten gekommen sei. »[1407] ›In der [höchsten] Not kannst Du wie Utkarsa Dein Leben auch [selbst] aufgeben. ˙ Andernfalls wird Dir irgendetwas Ungebührliches widerfahren, [wie] Deine Feinde es 47 sich ausgedacht haben.‹«
Die Minister verwiesen bei diesem Vorschlag auf den Selbstmord König Utkarsas ˙ (reg. 1089), der ein jüngerer Bruder König Harsas war und vor diesem für 22 Tage ˙ auf dem Thron saß. Nachdem Harsa seinen Bruder vom Thron verdrängt und ˙ gefangen gesetzt hatte, entleibte sich dieser, vermutlich um drohende Strafe oder Gefangenschaft abzuwenden. Obwohl Harsa auch den Rat zur Selbsttötung ab˙ lehnte, da er sich dazu außerstande sah, scheint er seinen Tod dennoch bereits in Betracht gezogen zu haben, denn er bat seine Minister daraufhin, ihn im Ernstfall zu erschlagen. »[1408] Er sagte zu ihnen: ›Ich bin nicht imstande, mich umzubringen. Daher müßt Ihr selbst, wenn ich in [solcher] Bedrängnis bin, [mich] niederstrecken.‹«48
Doch reagierten die Minister darauf mit Bestürzung und sahen sich dazu nicht in der Lage, wofür sie von Kalhana heftig kritisiert werden. An dieser Stelle un˙ terbricht Kalhana die Redeszene, um seine Sicht auf diese Situation mitzuteilen. ˙ Seiner Ansicht nach sei es die Pflicht der Minister, jegliches Unglück von ihrem Herrn, der sie versorgte, abzuwenden – und sei dieser auch noch so tief gesunken. Zur Erfüllung dieser Pflicht hätten sie bereit sein müssen, ihr Leben zu opfern. Da die Minister – wie sie selbst sagen – das drohende Unheil nicht mehr abwenden konnten, hätten sie zumindest jedes Opfer für ihren König bringen müssen. Er bezeichnet sie daher wiederholt als »Vieh in Menschengestalt« (pas´u purusaru¯pa, ˙ ma¯nusapas´u). ˙ 45 KRT 7.1089. 46 S. dazu Wilke 2019, 137–139. 47 Slaje 2019 (a), 232f., KRT 7.1407: »Utkarsavad asu¯ms tyaktum api ´saknosi san˙kate | any˙ || ˙ ˙ ˙ atha¯nucitam kiñcit pra¯psyasy ahitacintitam« 48 Slaje 2019˙(a), 232f., KRT 7.1408: sa ta¯n uva¯ca »svam hantum na ´sakto ’ham tato mayi | ˙ ˙ bhavadbhir eva visame prahartavyam upasthite« || ˙ ˙
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Nach Kalhanas Kommentar wird das Gespräch mit König Harsas Rede fort˙ ˙ gesetzt, in der er eine Selbsteinschätzung seiner zurückliegenden Herrschaft gibt sowie eine Aussicht, welche Bewertung diese nach seinem Sturz von den Zeitgenossen erfahren wird (KRT 7.1417–1426). Anschließend erklärt Harsa, dass er ˙ den Tod herbeisehne, um diese unglückliche Situation zu beenden (KRT 7.1427– 1428). Allerdings betont er, dass er nicht aufgrund von Furcht vor dem Feind sterben wolle, sondern aufgrund des Ehrverlusts, der mit seiner Niederlage einhergehen würde. Und wenn seine Minister ihn töten würden, so würde er zumindest seinen Ruf bewahren, dass ihm andernfalls niemand das Königreich hätte nehmen können. »[1427] ›Es ist daher aufgrund der Schande, nicht aus Furcht, [daß] ich, der ich heute völlig ratlos geworden bin, im Wunsche nach Beilegung des Problems den Tod herbeisehne, [und sei er] auch ein solcher! [1428] Aus dem Grunde, [daß], wenn jemand nicht direkt von seinen eigenen Leuten erschlagen wird, ihm wer? das Reich nehmen könnte, will ich [mir meinen] erworbenen Ruf erhalten.‹«49
Indem die Untertanen also denken sollten, dass König Harsa von seinen eigenen ˙ Leuten erschlagen wurde und dass nur dadurch das Königreich in die Hände seiner Feinde fallen konnte, sollte sein Nachruhm ungetrübt bleiben. Damit wird deutlich, dass die Minister nach außen hin Hochverrat an ihrem Herrn begehen sollten, um dessen Ruf als unbesiegbaren Herrscher zu retten. Sie hätten sich somit eines vorgetäuschten Verbrechens schuldig machen müssen, für das sie auch von einem nachfolgenden König noch hätten hart bestraft werden können. Indem sie scheinbar Hochverrat begehen, würden sie Zweifel an ihrer Treue schüren und damit in jedem Fall ihr eigenes Ansehen ruinieren. Da die Minister diese Option aber bereits abgelehnt haben, ändern sich an diesem Punkt gewissermaßen die Rollen der beiden Gesprächsparteien: Der ratsuchende König wird zum belehrenden Berater seiner Minister. Mittels einer Anekdote über den früheren kaschmirischen König Mukta¯pı¯da50 und dessen ˙ Ersten Minister demonstriert er ein Paradebeispiel für einen guten Berater (KRT 7.1429–1450).51 Die darin beschriebene Situation ist ebenso aussichtslos wie seine eigene.
49 Slaje 2019 (a), 236f., KRT 7.1427f.: tato ’vama¯na¯n na tra¯sa¯t sampra¯pto ’dya vihastata¯m | samarthanecchur va¯ñcha¯mi mrtyum ¯ıdr´sam apy aham || svair eva sa hato no cet kas tasma¯d ˙ itum iccha ˙ ¯ mi khya¯tim etena hetuna¯ || vasudha¯m haret | labdha¯m raks ˙ ˙ ˙ 50 Mukta¯pı¯da, der auch den Namen Lalita¯ditya trug, regierte Kaschmir für etwas mehr als 36 Jahre ˙in der Mitte des 8. Jahrhunderts. Kalhana erzählt die Geschichte dieses Königs in ˙ 1, 130–156). Buch 4 seiner ›Ra¯jataran˙gin¯ı‹ (vgl. Stein 1900, Bd. ˙ 51 Wie im Beitrag von Felix Bohlen (siehe das Kapitel »Von der Notwendigkeit der Herrscherkritik: Fu Yue als Remonstrant im ›Guoyu‹« in diesem Band, 30–35) dient die eingewobene Binnenerzählung als Exempel einer idealtypischen Herrscher-Ratgeber-Beziehung,
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Als König Mukta¯pı¯da getrennt vom Großteil seines Heeres von seinem Feind ˙ auf einem Gebirgspfad eingekesselt worden war, erkannte sein Erster Minister, dass es keinen Ausweg mehr gab, der das Ansehen des Königs nicht beschädigt hätte. Seine Niederlage war gewiss und Gefangenschaft drohte. Dies hätte seinem Ruf, ein Welteroberer zu sein, einen schweren Schlag versetzt, denn er war zuvor rastlos von einer Unterwerfung zur nächsten gezogen. Sein Erster Minister konnte ihm jedoch nicht schlicht vorschlagen, Selbstmord zu begehen, um der Niederlage zu entgehen, denn dies hätte dem König als Feigheit vor dem Kampf ausgelegt werden können. Sein Rat war also zunächst die Vortäuschung einer Krankheit,52 um dem König damit bereits insgeheim einen ehrenhaften Ausweg zu ebnen. Um seine eigentliche Absicht weiter zu verschleiern, kündigte der Minister seinen eigentlichen Rat erst für den nächsten Morgen an. Doch dann übermittelte er diesen Rat in Form einer Handlung an den König: mittels seines eigenen Selbstmords. Der König verstand diesen Hinweis und konnte sich nun, da alle bereits dachten, er sei todkrank, ebenfalls ohne Ehrverlust das Leben nehmen. Der Suizid im Verlauf einer schweren, voraussichtlich tödlich endenden Krankheit galt als legitime Beendigung der eigenen Qualen.53 Interessanterweise lässt Kalhana König Harsa hier eine Version vom Tod ˙ ˙ Mukta¯pı¯das erzählen, die in seinem eigenen Bericht über diesen König so nicht ˙ vorkommt.54 Kalhana selbst berichtet am Ende der Passage über jenen König ˙ lediglich knapp von drei verschiedenen ihm bekannten Geschichten, die sich um den Tod des Herrschers im Ausland ranken.55 Eine seiner Zusammenfassungen davon deutet die von Harsa hier nun auserzählte Version grob an: ˙
52 53
54 55
deren Moral eine Mahnung zunächst an die textinternen, und schließlich auch die textexternen Adressaten darstellt. Die Vortäuschung einer Krankheit wird von Kalhana an diversen Stellen mit je ganz unterschiedlichen Motiven der Simulanten beschrieben. ˙ Vgl. dazu Bernhard Kölver, Textkritische und Philologische Untersuchungen zur Ra¯jataran˙gin¯ı des Kalhana (Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland. Sup˙ ˙ plementband 12), Wiesbaden 1971, 164, sowie Fabrizia Baldissera, Tradition of Protest. The Development of Ritual Suicide from Religious Acts to Political Statement, in: Federico Squarcini (ed.), Boundaries, Dynamics and Construction of Traditions in South Asia, Firenze 2005, 515–568, hier 565. Vgl. KRT 4.337–370. Das wirft nicht zuletzt die Frage nach den Quellen auf, die Harsa und Kalhana über die ˙ diese ver˙ früheren Könige besaßen. Bemerkenswert ist ferner Kalhanas Entscheidung, ˙ schiedenen Berichte als Gerüchte offenzulegen und selbst auf ihre Auserzählung zu verzichten. Auch an anderer Stelle legt Kalhana sich nicht auf eine der ihm bekannten Versionen der Geschichte fest (vgl. dazu KRT 8.234).˙
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[4.368]
»Manche [sagen] so: Um [seinen] Standort auf dem Gipfel der Könige, den [er] lange zusammengesammelt [hatte], zu schützen, ist er in einer bestimmten Gefahr ins Feuer eingetreten.«56
Schon dort wird als Motiv des Selbstmords die Bewahrung des Rufs des Königs angegeben. Daneben wird in Harsas Darstellung des Geschehens noch die Ab˙ wendung drohenden Unheils als Beweggrund ersichtlich. Der Widersacher König Mukta¯pı¯das erklärte immerhin, dass er ihn gefangen nehmen wolle. Dass das ˙ Schicksal eines geschlagenen Königs in den Händen seiner Feinde liegt, hatten auch Harsas Minister im Sinn, als sie ihm zum Selbstmord rieten. ˙ In der von König Harsa erzählten Szene wird wiederholt betont, dass die ˙ Wahrung des Ansehens des Königs die oberste Priorität haben und der Berater bereit sein müsse, sein Leben und seine Ehre dafür zu opfern: »[1451] ›Der verständige [Minister, der] aus Gründen des Ansehens eines anderen in der [genannten] Weise [seines eigenen] Lebens nicht geachtet hatte, hat [sich] damit eine Stufenleiter zum Aufstieg nach ganz oben gebaut, [aber] keineswegs [deshalb], weil er sich selbst gerühmt hat (i. e. nicht wegen seines eigenen Ruhms, Anm. d. Verf.).‹«57
Und König Harsa resümiert seine Geschichte über den klugen Minister, der ˙ durch sein Opfer das Ansehen seines Königs bewahrt hatte, mit den abschließenden Worten: »[1452] ›So erreicht die Heilung einer vom Schicksal herbeigeführten Schmach unter vernunftbegabten Wesen [ihr] letztes Ziel [entweder] durch eigenen Verstand oder durch die Geisteskraft der Räte.‹«58
Dabei geht es um viel mehr als einen bloßen Rat der Minister an den König, es geht um das kluge und mutige Handeln seitens der Minister, um einen Plan (mantra), den sie selbst mit ausführen. Zwar forderte König Harsa immer wieder ˙ einen Rat, da er selbst keinen Ausweg mehr sah, doch seine Situation erforderte deutlich mehr Einsatz von den Ministern, als diese bereit waren zu zeigen. Hätten sie ihn tatsächlich getötet und es wie einen Verrat aussehen lassen, hätten sie ihre eigene Ehre riskiert. Dieses Risiko war auch der Erste Minister König Mukta¯pı¯das ˙ in Harsas Anekdote eingegangen, da sein Selbstmord ihm als Feigheit hätte ˙ ausgelegt werden können.
56 Übersetzung von Kölver 1971, 164, KRT 4.368: ra¯japrstha¯m pratistha¯m sa raksitum cira˙˙ || ˙ ˙˙ ˙ ˙ samcita¯m | samkate kva¯pi dahanam pra¯viksad iti kecana ˙ 2019 (a), ˙ 240f., ˙ ˙ ›tena ˙pra¯na¯n upeksyaivam anyakhya¯ter manasvina¯ | 57 Slaje KRT 7.1451: ˙ || ˙ u¯rdhva¯dhirohe sopa¯nam krtam na nijakı¯rtana¯t‹ ˙ 7.1452: ˙ 58 Slaje 2019 (a), 240f., ˙KRT »evam daivopanita¯na¯m akhya¯tı¯na¯m cikitsitam | sva˙ ¯ m« || ˙ dhiya¯ma¯tyabuddhya¯ va¯ pa¯ram eti manasvina
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Vierter Rat: Rettung der königlichen Linie Ohne auf diese Anekdote oder die damit zum Ausdruck gebrachten Erwartungen des Königs einzugehen, erteilten die Minister daraufhin einen vierten und letzten Rat: die Entsendung des Kronprinzen zur Bergfeste von Lohara, um zumindest Harsas Königsgeschlecht vor der Auslöschung zu bewahren. ˙
»[1453] Als er mit diesen Worten geendet hatte, redeten die Minister daraufhin folgendermaßen auf ihn ein: ›Sende doch [Deinen] Sohn Bhoja in die Burg [von Lohara], damit der Same [Deines] Geschlechts bewahrt bleibe!‹«59
Offenbar rechneten die Minister damit, dass im Fall des Sturzes nicht nur der König selbst, sondern auch alle seine Nachkommen ermordet werden würden. Tatsächlich berichtet Kalhana später, dass Harsas Enkel Bhiksa¯cara, der Sohn des ˙ ˙ ˙ Kronprinzen Bhoja, als letzter verbliebener Nachkomme Harsas eigentlich vom ˙ nachfolgenden König Uccala umgebracht werden sollte.60 Aber so berechtigt und vorausschauend dieser Rat auch gewesen sein mag, er beinhaltet keinerlei Maßnahmen, die König Harsas eigene Situation betroffen ˙ hätten. Er impliziert die Aufrechterhaltung des Status quo und somit den Verbleib des Königs in dieser äußerst kritischen Lage. Dennoch wurde dieser Rat endlich von König Harsa angenommen, auch wenn Kalhana seine Antwort un˙ ˙ ausgesprochen lässt. Stattdessen überspringt Kalhana das folgende Geschehen ˙ – nämlich das Ende des Gesprächs sowie die Reisevorbereitungen – und setzt direkt mit dem Aufbruchssegen fort, an dessen Ende der Prinz bereits losgezogen war. Aufgrund eines verräterischen Ministers ließ König Harsa seinen Sohn je˙ doch wieder zurückrufen, sodass dieser immer noch bei ihm war, als die Feinde schließlich den Palast stürmten. Die Ratsszene endete somit im Grunde ergebnislos und änderte nichts an der misslichen Lage des Königs. Dabei hatten die vier erteilten Ratschläge der Minister die Grenzen des für den König noch Machbaren bereits weitgehend ausgelotet. Die Lösung, die der König aber forderte, wurde ihm von seinen Beratern verwehrt. Ein Mittel, das in Harsas Anekdote kurz zur Sprache gebracht wird, ˙ aber weder dort noch in der Ratsszene mit seinen Ministern tatsächlich in Betracht gezogen wird, sind diplomatische Verhandlungen mit dem Gegner. In der Anekdote wird dieses Mittel verworfen, da es dem Ruf des siegreichen Eroberers König Mukta¯pı¯das schaden würde. In Harsas Fall wird nicht einmal erwogen, mit ˙ ˙ 59 Slaje 2019 (a), 240f., KRT 7.1453: ity uktva¯ virato »vam´sabı¯jaraksa¯rtham a¯tmajah | Bhojo ˙ ˙ ˙ visrjyata¯m Kotam« evam u¯ce ’tha mantribhih || ˙ 8.16–18 ˙ sowie ˙ ˙ Palasts durch Uccala war dieser Enkel König 60 KRT 224. Bei der Eroberung des Harsas etwa ein Jahr alt. Obwohl Uccala vorhatte, den Prinzen zu töten, kam immer wieder ˙ dazwischen, sodass Bhiksa¯cara schließlich aus dem Palast entkommen und im Ausland etwas ˙ aufwachsen konnte.
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den Gegnern zu verhandeln. Da jedoch Uccala und Sussala keineswegs vereint gegen König Harsa zu Felde zogen, sondern ihre jeweils eigenen Interessen ˙ verfolgten, wäre eine diplomatische Strategie unter Umständen ein Ausweg gewesen.
Ein Ende in Ratlosigkeit Die Ergebnislosigkeit der Ratsszene bedeutete für König Harsa und seine Mi˙ nister, dass sie nur noch abwarten konnten, was der Gegner tun würde und was das Schicksal bringen mochte. Während der Kronprinz den vorrückenden Sussala noch einmal zurückschlagen konnte, verlor König Harsa den Kampf gegen ˙ Uccala, der bereits bis in die Hauptstadt S´rı¯nagara vorgestoßen war. Wieder einmal wandte sich das Schicksal im Kampf gegen ihn, als ein Kriegselefant sich von Pfeilen getroffen losriss und die eigenen, königlichen Truppen überrannte. Harsa zog sich in den Palasthof zurück, während die Feinde gegen seine Tore ˙ drängten. Von dort aus gelang zunächst seinem Sohn und schließlich auch ihm selbst die Flucht. Sein Palast wurde unterdessen von Feinden und Plünderern erobert. Einige Frauen des königlichen Harems stürzten sich in die Flammen, um den Feinden zu entgehen,61 während andere aus dem Palast geraubt wurden. Auch Harsas Besitztümer fielen entweder in die Hände der Plünderer oder ˙ wurden vom Feuer zerstört, das sich im Palast ausbreitete. Selbst der Thron nahm Schaden in den Flammen und musste im Anschluss an Uccalas Machtübernahme restauriert werden. Seine Frauen, sein Schatz und der Thron waren es, die Harsa ˙ von der Flucht nach Lohara zurückgehalten hatten, und all das fiel nun also beim Sturm auf den Palast den Flammen oder der Plünderung zum Opfer.
Rat im Überfluss Auf der Flucht vor seinen Feinden wurde Harsa zunächst noch von etlichen ˙ Gefolgsleuten begleitet, die jedoch auf Schritt und Tritt desertierten. An diesem Punkt setzt die zweite Ratsszene ein (KRT 7.1585–1593 und 1601–1607). In dieser ungeordneten Situation strömten die Ratschläge von allen Seiten auf König Harsa ein. Die Gefolgsleute widersprachen einander und verwarfen die Emp˙ fehlungen anderer.
61 Zum Phänomen des sog. Jauhar, der massenhaften Selbstentleibung der Frauen eines besiegten Fürsten, siehe Jörg Fisch, Tödliche Rituale. Die indische Witwenverbrennung und andere Formen der Totenfolge, Frankfurt a. Main 1998, 325–328.
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»[1585] Daraufhin wollte König [Harsa] im Kampf den Tod finden, wurde [aber] durch ˙ jeden Augenblick wechselnde Meinungsverschiedenheiten [seiner] Fußtruppen [dies[1586] bezüglich] unschlüssig. Schritt er im Anschluß an die Meinung von Anantapa¯la und anderer Prinzen zum Kampf, wurde er bei jedem einzelnen Schritt von der [Gegen-] Rede des Oberbefehlshabers [davon] abgehalten. [1587] Sagte Canpaka [zu ihm]: ›Kämpfe, ˙ oder gehe [wie Bhoja] ebenfalls nach Lohara!‹, [so] leuchtete Praya¯ga der zweite, doch 62 nicht der erste Standpunkt ein.«
Wie zuvor wurden dem König die Optionen Flucht nach Lohara oder Kampf angeraten und wieder vermochte kein Rat ihn mit Bestimmtheit zu überzeugen. Fasste König Harsa einen vagen Entschluss, wurde er im nächsten Moment ˙ wieder umgestimmt. Tatsächlich führten die vielen Ratschläge schließlich dazu, dass er überhaupt keine Entscheidung mehr treffen konnte. »[1601] Der König, beim Hören der vielen Ratschläge völlig verzweifelt [und] des festen Sinns ermangelnd, fällte in keinem einzigen Fall eine Entscheidung über das, was vielleicht zu tun sei.«63
Selbst jene Gefolgsleute, die offenbar keine Berechtigung besaßen, dem König einen Rat zu erteilen, wandten sich nun ungefragt an ihn. Kalhana kommt zu dem ˙ Schluss: »[1603] Genau das ist [ ja] das Zeichen für den Niedergang des Glücks, wenn sogar der gewöhnliche Mann aus [purer] Dreistigkeit einen Rat ungefragt [so] erteilen darf, wie er seinem eigenen Gutdünken entspricht.«64
Es scheint schließlich als hätte jede Entscheidung dazu geführt, dass jene Gefolgsleute, die eine andere Meinung als die König Harsas vertraten, desertierten. ˙ So stolperte der gestürzte König trotz – oder gerade wegen – der vielen Ratschläge ratlos und mit schwindendem Gefolge durch die Straßen der Hauptstadt. Ohne Ziel galt es nur, den Verfolgern zu entkommen, die ihn zu ergreifen suchten. Im Gegensatz zu der zuvor besprochenen Ratsszene mit den Ministern, die ihren Rat wie aus einem Mund erteilten, nachdem sie dazu aufgefordert wurden, herrschte hier völlige Unordnung. Ungefragt meinte jeder ungeachtet seines Rangs den König beraten zu können, was als nächstes zu tun sei. Die unterschiedlichen Meinungen werden von Kalhana einzelnen Sprechern zugeordnet ˙ und so fallen hier auch die Namen oder die Amtsbezeichnungen der Rat ertei62 Slaje 2019 (a), 262f., KRT 7.1585–1587: tato yuddhva¯ martum icchan ninye ra¯ja¯kula¯tmata¯m | ucca¯vacair matidvaidhaih pada¯tı¯na¯m ksane ksane || gacchann Anantapa¯la¯dira¯japutradhiya¯ ˙ idhyata ˙ ˙ ˙pade ˙ pade || »yudhyasva Loharam va¯pi ya¯hı¯«ty ˘¯ kyena nyas mrdham | dandana¯yakava ˙ ca Canpakah ˙ ˙ | Praya¯gasyottarah˙ paksah pratyabha¯n na¯grimah punah || ˙ u¯ce ˙ ˘krtsna¯vasannasya ´srnvato ˙ mantritam | na˙ (a), ˙264f., KRT 7.1601: ˘ra¯jñah ˘ bahu 63 Slaje 2019 ¯ ˙ ˙ ˙ ikatra ru¯dhih kartavye kva¯py adhı¯radhiyo ’bhavat || ¯ ˙ (a), 64 Slaje 2019 264f., KRT 7.1603: bha¯gyaksayasyaitad eva laksanam pra¯krto ’pi yat | aprstah ˙ ˙ ˙ ˙ ˙˙˙ ¯ kathayed dha¯rstya¯n mantram svahrdayocitam || ˙˙ ˙ ˙
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lenden Personen. Bei der Darstellung der Ereignisse spart Kalhana nicht mit ˙ Kritik an den einzelnen Akteuren und insbesondere Harsas Oberbefehlshaber ˙ hatte sich in seinen Augen bereits vollends als Berater disqualifiziert. Aufgrund seiner Inkompetenz und der mannigfaltigen betrügerischen Vergehen gegen den König ist er für Kalhana in erheblichem Maße für dessen Sturz verantwortlich.65 ˙ Am Ende begleiteten den mittellos gewordenen König noch zwei letzte treue Diener, mit deren Hilfe er in der schäbigen Hütte eines Bettlers Zuflucht fand. Dort erfuhr er am nächsten Tag vom Tod seines Sohnes und wurde nach zwei elenden Tagen, am 7. September 1101,66 von Soldaten des neuen Königs aufgespürt und erschlagen.
Schluss Die beiden Beratungssituationen vor und nach dem Sturz König Harsas widmen ˙ sich inhaltlich derselben Notlage und kommen so zu ähnlichen Lösungsvorschlägen. Das bevorstehende Scheitern des Königs ließ sich dadurch allerdings nicht mehr verhindern. Unter diesen Umständen scheint es irrelevant, wer unter welchen Voraussetzungen seinen Rat an ihn richtete. Bedeutsamer war die Einigkeit bzw. Uneinigkeit der Berater in den beiden Gesprächssituationen. Vielleicht hätte eine lebhafte Diskussion unter den Beratern in der ersten Ratsszene durchaus hilfreich sein können, in der zweiten jedoch verschlimmerte sie die Lage des Königs. Auf den Verlauf der ersten Redeszene zurückblickend wird zudem deutlich, dass die Minister bei der Erteilung eines Rates gelegentlich von einem zuvor oder anschließend erteilten abraten. So wird beim Rat zum Tod im Kampf erklärt, dass Selbstmord mit Schmach einhergehen würde und daher abzulehnen sei.67 Der Selbstmord wird schließlich aber doch noch geraten. Ferner soll Harsa sein Land ˙ laut diesem Rat nicht aufgeben,68 wozu beim ersten Rat zur Flucht aber implizit – und sei es nur vorübergehend – bereits geraten wurde.69 Möglicherweise lässt diese scheinbare Inkonsequenz doch verschiedene Sprecher und ihre jeweiligen Ansichten durchscheinen. Das wiederum würde andeuten, dass sich auch bei dieser ersten Beratung die Minister nicht gänzlich einig waren, was als nächstes zu tun sei. Im Verlauf der Ratsszene erklärte König Harsa, dass er angesichts seiner Lage ˙ den Tod herbeisehne, und bittet daher um eine für seine Berater riskante Tat 65 66 67 68 69
KRT 7.1598–1600. S. dazu Wilke 2019, 153. KRT 7.1396. KRT 7.1400. KRT 7.1387f.
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anstelle eines bloßen Rates. Seine Minister jedoch beharren auf ihrer passiven Beraterfunktion und lehnen die Bitte ihes Königs ab. Sie waren nicht bereit, das Risiko, das eine solche bedingungslose Treue für sie hätte bedeuten können, einzugehen. Die von König Harsa erzählte Anekdote über König Mukta¯pı¯da und ˙ ˙ seinen Ersten Minister scheint eine Lösung widerzuspiegeln, wie er sie sich von seinen Ministern gewünscht hätte. Vielleicht verwehrte ihr offen ausgesprochener Rat zum Selbstmord ihm anschließend die Möglichkeit, diesen noch in einer ehrenwerten, das heißt geheimen (?), Weise zu begehen. Seine Anekdote mag daher auch eine Mahnung an die Minister sein, dass ihr Vorgehen keineswegs vorbildhaft ist. Auch Kalhana kritisiert die Minister in dieser Szene scharf, ihre eigentlichen ˙ Vergehen begannen jedoch bereits einige Jahre zuvor. Am Ende der Passage über König Harsa sinniert Kalhana über dessen Scheitern: ˙ ˙ »[1717] Wahrscheinlicher aber ist, daß sein [wahrer] Makel tatsächlich in der Manipulierbarkeit seines Geistes bestand. [Dann] aber [wären] sämtliche Fehler, die das ganze Leiden herbeigeführt haben, seinen Ministern [zuzurechnen, die ihn lenkten].«70
Hierin zeigt sich die Vorstellung der gegenseitigen Bedingtheit der Qualitäten eines Herrschers und seiner Berater deutlich. Der Makel der Manipulierbarkeit zog in diesem Fall die Einsetzung ungeeigneter Berater nach sich. Ungeeignete Berater wiederum verstärken – wie Kalhana auch an anderen Stellen in der ˙ ›Ra¯jataran˙gin¯ı‹ aufzeigt – die charakterlichen Schwächen eines Königs und ˙ können spätestens in der höchsten Not zur Gefahr für ihn werden. Dann nämlich bekommt der König nicht den Rat, den er braucht, wohl aber den, den er sich durch die Fehleinschätzung seiner Ratgeber verdient hat.
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Theresa Wilke
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Ann-Kathrin Deininger
Der Ratgeber, der lachte. Beratung und Kritik am Herrscher im ›Graf Rudolf‹
Abstract Confronted with an extensive undertaking by King Gilot, who wants him to organise a feast never seen before, the protagonist of the crusade epic ‘Graf Rudolf ’, named after him, bursts into laughter, thus showing a spontaneous emotional reaction that transcends the norms of courtly society. He quickly elaborates on his criticism of the ruler’s plan, but cannot – and does not try to – deny his initial reaction. However, the laughter does not result in a rejection of criticism, but rather underlines it and thus entices the king to self-reflection. This acceptance of the criticism associated with laughter is only made possible by gradually establishing Count Rudolf as a counsellor. The Count advises the king in three different consulting episodes: First as a young counsellor, who has just arrived in Jerusalem, at a meeting of the King’s War Council, then in a private conversation – thereby gaining unique access to the ruler. At last, Rudolf is able to demonstrate his experience at the great court council meeting in the king’s palace in Jerusalem. The article traces the rise of Rudolf as a counsellor, analyses strategies for the certification and authentification of his advice, illustrates the positive evaluation of laughter, and discusses how Rudolf is nevertheless able to implement the advice rejected – despite royal self-reflection – by turning the king’s project into his own: Instead of demonstrating the king’s power, the feast organised by Rudolf celebrates the reconciliation with the Muslim opponents and thereby the count, who negotiated the peace, rather than the king.
Als am 25. September 2018 die UN-Generalversammlung tagte, geschah inmitten der Rede von US-Präsident Donald J. Trump etwas Ungewöhnliches: Die Abgeordneten lachten.1 Dass es sich dabei um eine klare Abweichung von der Norm 1 Die Vereinten Nationen stellen eine Zusammenfassung, Audiodateien des Originals wie Übersetzungen in unterschiedlichste Sprachen sowie Videoaufzeichnungen aller Redebeiträge auf ihrer Homepage bereit: United Nations, General Debate of the 73rd Session. 25 September 2018-01 October 2018, https://gadebate.un.org/en/sessions-archive/73 (27. 05. 2019). Ein komplettes Transkript findet sich ebenfalls, das jedoch die initiale Reaktion nicht erfasst, die nur von einigen wenigen Abgeordneten ausging, aber auf den Videoaufnahmen deutlich hörbar ist. Das Transkript führt allerdings das Lachen nach dem Innehalten Donald Trumps auf. Vgl. United Nations, 73rd Session of the United Nations General Assembly. Annual General Debate.
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Ann-Kathrin Deininger
handelte, zeigte das hohe Bedürfnis des Präsidenten, seiner Mitarbeiter und der Vertreter der Presse, diese Reaktion erklären zu müssen, ein Bedürfnis, das in der Folge höchst unterschiedliche Deutungen hervorbrachte. Donald Trump selbst unterbrach seine Rede und räumte ein, mit der Reaktion der Abgeordneten nicht gerechnet zu haben, behauptete aber, als er im Anschluss an seine Rede darauf angesprochen wurde, es habe sich um einen intendierten Scherz gehandelt, die Reaktion sei also eingeplant gewesen,2 und erklärte auf einer Pressekonferenz am Folgetag, die Abgeordneten hätten mit ihm gelacht, man habe zusammen Spaß gehabt.3 In den Medien wurde das Lachen unterschiedlich gewertet: Einige sahen darin eine Kritik der vorausgegangenen Äußerung Trumps,4 die als maßlos, größenwahnsinnig, restlos übertrieben5 oder schlichtweg absurd6 zurückgewiesen werde, andere vermuteten, Trump habe sich in der Zielgruppe geirrt,7 die ihm das Eigenlob nicht abnehme,8 erklärten das Gelächter als Ausdruck des Spaßhabens und des Wohlwollens gegenüber einem authentisch auftretenden Präsi-
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Address by the President of the United States of America. H. E. Mr. Donald Trump, https://gade bate.un.org/sites/default/files/gastatements/73/us_en.pdf (27.05. 2019). Vgl. daher auch die Videoaufnahme der Vereinten Nationen (s.o.). Dies wurde von verschiedenen Medien festgehalten, so z. B. von Michael Schwirtz in der New York Times: Michael Schwirtz, Deliberate or Not, Trump’s Speech Draws Laughter at the U.N., in: The New York Times, (25. 09. 2018), https://www.nytimes.com/2018/09/25/world/ trump-nations-laughter.html (27. 05. 2019). Vgl. hierzu die Aufzeichnung der Pressekonferenz, die von verschiedenen bestätigten Nachrichten-Kanälen auf der Video-Plattform Youtube bereitgestellt wird, z. B. hier: CBS News, Watch Donald Trump’s full press conference in New York, (26. 09. 2018), 1:30:25, https://www. youtube.com/watch?v=mdpHnMplJ70 (27. 05. 2019), die entsprechende Frage mit Trumps Antwort 1:00:05–1:03:39. Hier das Originalzitat: »In less than two years, my administration has accomplished more than almost any administration in the history of our country«, vgl. United Nations, Address, (25. 09. 2018) (wie Anm. 1). Vgl. hierzu etwa Chris Cillizza, der die Leistungen anderer Präsidenten wie Abraham Lincoln, Woodrow Wilson etc. zum Vergleich aufführt; Chris Cillizza, Donald Trump bragged about himself to the United Nations. The UN laughed, in: CNN Politics, (25. 09. 2018), https:// edition.cnn.com/2018/09/25/politics/donald-trump-un-speech-laugh (27. 05. 2019). Vgl. Steve Benen, At the U.N., Trump finds the world literally laughing at him, in: MSNBC (25. 09. 2018), http://www.msnbc.com/rachel-maddow-show/the-un-trump-finds-the-world-li terally-laughing-him (27. 05. 2019). Vgl. David Nakamura, ›People actually laughed at a president‹. At U.N. speech, Trump suffers the fate he always feared, in: Washington Post, (25. 09. 2018), https://www.washingtonpost. com/politics/people-actually-laughed-at-a-president-at-un-speech-trump-suffers-the-fate-he -always-feared/2018/09/25/990b1d52-c0eb-11e8-90c9-23f963eea204_story.html?utm_term=.8 860cccdedcd (27. 05. 2019). Vgl. Juliane Schäuble, UN-Generalversammlung. Trump bleibt sich treu, in: Der Tagesspiegel, (26. 09.2018), https://www.tagesspiegel.de/politik/un-generalversammlung-trump-bleibt-sichtreu/23113610.html (27. 05. 2019).
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denten,9 oder vermuteten darin ein Zeichen der Realitätsverweigerung auf Seiten der Abgeordneten,10 deren Lachen Trump schließlich mit seiner klaren Ablehnung des Globalismus’ und seiner aggressiven Haltung gegenüber dem Iran zum Ersticken gebracht habe.11 Trotz aller Bemühungen, die Aufmerksamkeit wieder auf den Inhalt der restlichen Rede zu lenken,12 wurde das Lachen zum definierenden Moment dieses Auftritts.13 Nun handelt es sich bei Donald Trump um das gewählte Oberhaupt eines modernen, demokratisch organisierten Staates und bei den UN-Abgeordneten um diplomatische Vertreter anderer Länder – Redner und Lachende befinden sich somit auf Augenhöhe. Wenn noch in der Moderne die im Lachen manifeste Normüberschreitung der Erklärung bedarf und die Deutung des Lachens als Kritik oder Zurückweisung derartige politische Brisanz beinhaltet, dass sie vom Präsidenten, seinem Stab und ihm nahestehenden Medien ebenso vehement dementiert wird, wie sie von ihm kritisch gegenüberstehenden Medien vorangetrieben wird, so ist leicht einzusehen, dass dies in der Gesellschaft des Mittelalters, die ein ungleich höheres Interesse an Repräsentation, Performanz und
9 Vgl. das Interview mit der damaligen US-Botschafterin der Vereinten Nationen, Nikki Haley, in der Sendung Fox and Friends mit Steve Doocy, Ainsley Earhardt, Brian Kilmeade: FoxNews, Amb. Nikki Haley. World leaders respect Trump, love his honesty, (26. 09. 2018), 11:10, https://www.youtube.com/watch?v=G_KPZvCGA9U (27. 05. 2019). 10 Vgl. Jon Bowne, Trump Silences Laughter at the UN. World leaders can’t face reality of Trump’s accomplishments, in: Infowars (25. 09. 2018), https://www.infowars.com/trump-si lences-laughter-at-the-un/ (27. 05. 2019). 11 Vgl. ebd.; ähnlich auch bei Charlie Spiering, United Nations Audience Laughs at Donald Trump During Speech, in: Breitbart (25. 09. 2018), https://www.breitbart.com/politics/2018/ 09/25/united-nations-audience-laughs-at-donald-trump-during-speech/ (27. 05. 2019). 12 Der Sender FoxNews veröffentlichte z. B. zunächst die gesamte Rede in mehreren VideoAbschnitten, in denen aber die Reaktion der Abgeordneten und das Innehalten des Präsidenten herausgeschnitten wurden, über seinen Twitter-Account (FoxNews, @FoxNews, »@POTUS: ›In less than two years, my administration has accomplished more than almost any administration in the history of our contry.‹ #UNGA« (Tweet), (25. 09. 2018); FoxNews, @FoxNews, »@POTUS: ›America’s economy is booming like never before.‹ #UNGA« (Tweet), (25. 09. 2018). Dies wurde wiederum schnell kritisiert, unter anderem von Aaron Blake (Aaron Blake, @AaronBlake, »Fox’s Twitter account clipped what Trump said immediately before AND immediately after the laugther« (Tweet), (25. 09. 2018). Vgl. zusätzlich Joe Berkowitz, Fox News would prefer you didn’t laugh at Trump. And also that you not know others were doing so, in: Fast Company, (25. 09. 2018), https://www.fastcompany.com/ 90241790/fox-news-would-prefer-you-didnt-laugh-at-trump (27. 05. 2019). Später wurde die Rede auch vollständig von FoxNews bereitgestellt, sie ist z. B. auf dem Youtube-Kanal von FoxNews zu sehen: FoxNews, Trump speaks at the United Nations General Assembly, (25. 09. 2018), 35:56, https://www.youtube.com/watch?v=KKrpEuyEHqc (27. 05. 2019). 13 Vgl. hierzu Berkowitz 2018. In Michael Schwirtz’ Beitrag wird das Lachen als definierender Moment ganz besonders herausgestellt: Der Ortsangabe sowie den ersten beiden Sätzen folgt jeweils der Satz »They laughed.«; vgl. Schwirtz 2018.
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Visualisierung von Macht hatte,14 erst recht problematisch erscheinen muss. Wie wird ein mittelalterlicher Herrscher reagiert haben, wenn seine Äußerungen vor der Öffentlichkeit einer Ratsversammlung von einem Untergebenen lachend zurückgewiesen werden?
1. Eine solche Situation beschreibt der ›Graf Rudolf‹: Im Orient ist der gleichnamige Protagonist als junger Ratgeber vom christlichen König Gilot, in dessen Auftrag er soeben einen Friedensvertrag mit Girabobe, dem Vertreter des muslimischen Königs Halap, ausgehandelt hat, zu einer Versammlung der Eliten des Reiches geladen. Als ihm auf besagter Versammlung der König seine Pläne zu einer Machtdemonstration im Rahmen eines Festes von im christlichen Orient nie dagewesenen Ausmaßen verkündet und sich im Zuge dessen als dem römischen Kaiser, dem obersten Herrschaftsträger des Abendlandes, ebenbürtig bezeichnet, bricht Rudolf, der die Äußerung sehr erheiternd findet, in herzhaftes Lachen aus (GR Db 52f.).15 Der emotionale Ausbruch ist sicherlich eine Überschreitung der Norm, wird Rudolf aber nicht zum Verhängnis. Vielmehr wird er verstanden als eine ehrliche, authentische Reaktion, die den folgenden Ratschlag Rudolfs bekräftigt. Die Affekthandlung eines Ratgebers ist zudem kein Einzelfall in der deutschsprachigen Literatur der Zeit: Im ›Rolandslied‹ springt Roland während einer Ratsversammlung gleich mehrfach wütend auf,16 Alexander schlägt auf 14 Daher wird das Mittelalter auch gerne als eine ›Kultur der Sichtbarkeit‹ bezeichnet. Vgl. hierzu Hans R. Velten, Visualität in der höfischen Literatur und Kultur des Mittelalters, in: Claudia Benthien/Brigitte Weingart (edd.), Handbuch Literatur & visuelle Kultur (Handbücher zu kulturwissenschaftlichen Philologie 1), Berlin/New York 2014, 304–320, hier 304–306. 15 Ich verweise auf den ›Graf Rudolf‹ unter Verwendung der folgenden Textausgabe: Graf Rudolf, ed. Peter F. Ganz (Philologische Studien und Quellen 19), Berlin 1964. Ich zitiere diese hier und im Folgenden unter Angabe der Sigle ›GR‹, des jeweiligen Fragmentes und der Versangabe. Konjekturen des Editors habe ich übernommen und durch recte-Setzung in den kursiv gesetzten Zitaten gekennzeichnet. – Vgl. hierzu auch Yücel Sivri, Mitteldeutsche Orientliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts. ›Graf Rudolf‹ und ›Herzog Ernst‹. Ein Beitrag zu interkulturellen Auseinandersetzungen im Hochmittelalter (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung 28), Frankfurt a. Main/Bern/Brüssel et al. 2016, 66. 16 Das erste Mal reagiert Roland auf die Boten Marsilies und reißt damit, ungeachtet der Rangfolge unter den Ratgebern, das Wort an sich (RL 911). Andere hochrangige Berater, wie Olivier, die Bischöfe Turpin und Johannes, oder Naimes von Bayern, reagieren dagegen sehr viel bedachter, kontrollierter und unter Beachtung höfischer Regularien. Einzig Genelun reagiert vergleichbar aufgebracht (RL 1093), seiner Wortmeldung folgt ein zweiter, vehementer und wiederum durch Aufspringen unterstrichener Widerspruch Rolands (RL 1440). – Ich beziehe mich auf folgende Ausgabe des ›Rolandslieds‹: Das Rolandslied des Pfaffen
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einem Fest seines Vaters Philipp einem Ratgeber ein schweres Gefäß ins Gesicht und löst damit einen Tumult aus, in dem sich der König das Bein bricht,17 und im ›Willehalm‹ reißt der Markgraf gleichen Namens seiner Schwester, der Königin, die Krone vom Kopf, packt sie bei den Zöpfen und schickt sich an, sie zu erschlagen.18 Keine der teilweise extremen emotionalen Überreaktionen werden ihren Akteuren in diesen Texten negativ ausgelegt – vielmehr unterstreichen sie die Ratschläge, Argumentationen und Kritik, die von den jeweiligen Ratgebern hervorgebracht werden. Es fällt zudem auf, dass die emotionale Reaktion im Fall einer berechtigten Kritik am Herrscher weitaus drastischer ausfällt, als wenn lediglich Boten oder Ratgeber kritisiert werden – wie an den Beispielen aus dem ›Alexanderroman‹ und dem ›Willehalm‹, in denen die Protagonisten jeweils Herrscherkritik formulieren, deutlich wird. Es eint diese Episoden, dass der jeweilige Berater, der zudem Sympathieträger und Protagonist des entsprechenden Textes ist, in äußerster Wut agiert – der Zorn, der gerechte Zorn, ist die vorherrschende Emotion dieser Affekttaten. Darin unterscheidet sich der ›Graf Rudolf‹ von diesen Werken, wenn hier eben gerade nicht der Zorn, sondern das Lachen in den Mittelpunkt rückt. Dass die öffentliche Kritik am Herrscher ausgerechnet mit dem Lachen des Ratgebers verbunden wird, scheint ein Alleinstellungsmerkmal dieses besonderen Textes zu sein.
Konrad, mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, ed., übers. und kommentiert von Dieter Kartschoke (Reclams Universal-Bibliothek 2745), Stuttgart 1993. Diese zitiere ich unter Angabe der Sigle ›RL‹ mit entsprechender Versangabe. 17 Die Szene findet sich sowohl im ›Vorauer Alexander‹ als auch im ›Straßburger Alexander‹, allerdings in leicht abweichender Spielart. Alexander reagiert zornig auf die Verstoßung der Mutter und ihre Ersetzung durch eine neue Braut, die durch Lysias, der offenbar als Brautwerber Philipps fungierte, verteidigt wird. Alexander schlägt Lysias darauf ein Gefäß ins Gesicht (VA 410–414; StA 490–496) und schlägt mit dem Schwert um sich (VA 425). Philipp, der den Streit zu schlichten sucht, stürzt und bricht sich dabei das Bein (VA 416–421; StA 501), die Braut kommt ebenfalls zu Fall (StA 503). Ich beziehe mich auf folgende Textausgabe, die beide Versionen des ›Alexanderromans‹ beinhaltet: Pfaffe Lamprecht, Alexanderroman, mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, ed., übers. und kommentiert von Elisabeth Lienert (Reclams Universal-Bibliothek 18508), Stuttgart 2007. Ich zitiere daraus den ›Vorauer Alexander‹ als ›VA‹, den ›Straßburger Alexander‹ als ›StA‹ mit der jeweiligen Versangabe. 18 Willehalm hält bereits seine erste Rede am Königshof zornbebend über das Versäumnis des Königs, ausreichend Truppen zur Verteidigung des Grenzlandes bereitzustellen (WH 145,1– 4). Als der König und seine Schwester ihn zurückweisen, reißt er ihr die Krone vom Kopf, die auf dem Boden zerspringt, packt sie bei den Zöpfen und will ihr mit dem Schwert den Kopf abschlagen, was gerade noch durch die Mutter Irmschart verhindert werden kann (WH 147,15–28). Die Königin flüchtet daraufhin und versteckt sich in ihren Gemächern. – Ich beziehe mich auf folgende Textausgabe: Wolfram von Eschenbach, Willehalm, ed. Joachim Heinzle (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 39), Frankfurt a. Main 2009. Diese zitiere ich unter der Sigle ›WH‹ mit der jeweiligen Versangabe.
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2. Es ist jedoch nicht das einzige Merkmal, das den ›Graf Rudolf‹ als ein singuläres Werk seiner Zeit ausweist. Der Text eines unbekannten Dichters gilt als »das einzige erhaltene frühmittelhochdeutsche Kreuzzugsepos«,19 er schildert die Kämpfe zwischen Christen und Muslimen in ungewohnt sachlich-realistischer Weise,20 unterläuft einen »unversöhnlichen Antagonismus«21 beider Parteien, entwirft im Heidenkönig Halap ein höfisch-ideales Gegenbild zum christlichen König Gilot,22 führt mit Rudolf einen Protagonisten ein, der auf beiden Seiten gleichermaßen kämpft,23 und verknüpft Kreuzzugs- und Minnemotiv, wie es auch – deutlich später – Wolfram von Eschenbach in seinem ›Willehalm‹ tun wird.24 Leider ist dieses originelle Werk nur fragmentarisch überliefert, erhalten sind etwa 1.400 Verse in 14 Fragmenten einer Handschrift, es fehlen Anfang und Ende sowie verschiedene Teilstücke des Epos.25 Schätzungen zufolge umfassen die erhaltenen Passagen ungefähr ein Drittel des Gesamtwerkes.26 Das Fehlen eines Prologs, in dem traditionell Informationen zum Dichter, zum Auftraggeber und zur Quelle vermittelt werden, erschwert eine Einordnung. Aus dem Gebrauch einiger französischer Namen wie Gilot oder Bonifait lässt sich ableiten, dass der Dichter eine französische Vorlage nutzte, die allerdings von der Forschung bisher nicht sicher identifiziert werden konnte;27 er muss daher über
19 Hans Fromm, Der Graf Rudolf, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 119 (1997), 214–234, hier 216. 20 Vgl. Stephen J. Kaplowitt, The Non-Literary Sources of Graf Rudolf. A Re-evaluation, in: Studies in Philology 66 (1969), 584–608, hier 584 sowie Leslie P. Johnson/Joachim Heinzle, Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Band II: Vom hohen zum späten Mittelalter, Teil 1: Die höfische Literatur der Blütezeit (1160/70–1220/ 30), Tübingen 1998, 245. 21 Falk Quenstedt, »Des strîtes sie vergâzen«. Transkulturalität und Vergessen in ›Graf Rudolf‹ und ›Herzog Ernst B‹, in: Jianhua Zhu/Michael Szurawitzki/Jin Zhao (edd.), Akten des XIII. internationalen Germanistenkongresses Shanghai 2015. Germanistik zwischen Tradition und Innovation (Publikationen der internationalen Vereinigung für Germanistik 8), Frankfurt a. Main/Bern/Brüssel et al. 2017, 17–22, hier 17. 22 Vgl. ebd., 19. 23 Vgl. Hartmut Beckers, Wandel vor sine missetat. Schuldverstrickung und Schulderkenntnis im ›Graf-Rudolf‹-Roman, in: Ingrid Kuhn/Gotthard Lerchner (edd.), Von wyssheit wurt der Mensch geert, Frankfurt a. Main 1993, 17–37, hier 18. 24 Vgl. Johnson/Heinzle 1999, 244. 25 Zur Überlieferung vgl. Peter Ganz, Graf Rudolf, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 3 (1981), 212–216, hier 212f. 26 Vgl. Christian Kiening, Graf Rudolf, in: Killy Literaturlexikon 4 (2009), 361–364, hier 362. 27 Vgl. Ganz 1981, 213f.
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entsprechende Sprachkenntnisse verfügt haben. Unsicher bleibt die Verortung ebenso wie die Datierung des Werkes.28 Bereits sehr früh wurde aufgrund der »realistische[n] Nüchternheit«29 der Schilderung der Welt der Kreuzzüge vermutet, dass der Dichter entweder über eigene Erfahrungswerte verfügte oder historische Personen als Vorbild für seinen Protagonisten nutzte. Man hat daher versucht, den Text auf historische Grundlagen zurückzuführen. Erwogen wurden die Kämpfe um Askalon in der Regierungszeit Fulkos von Anjou, in die auch Hugo von Puiset verwickelt war, der aufgrund eines verräterischen Wechsels zur heidnischen Gegenpartei als Vorlage für Rudolf angesehen wurde.30 Die Ähnlichkeiten sind allerdings nur sporadisch vorhanden, bei genauerer Betrachtung erweisen sich die Überlegungen zur historischen Fundierung als höchst zweifelhaft.31 Abgesehen von Fragen der Datierung, Verortung, Identifizierung von Quellen und historischen Vorbildern hat sich die Forschung insgesamt eher zögerlich mit dem ›Graf Rudolf‹ auseinandergesetzt, so dass sich Hans Fromm 1997 sogar genötigt sah, ihn »ins Gedächtnis zurückzurufen«.32 Aufgrund des fragmentarischen Status des Textes sei dieser ungeeignet, um »Strukturen und Bauformen eines Werkes aufzudecken und zu analysieren, um daraus Sinndeutungen abzuleiten«,33 verleite »zwar punktuell zu einigen Schlüssen«,34 biete aber »zur Formulierung von Konzeptionen keine Sicherheit«.35 Dabei gibt es zumindest eine längere Passage, die annähernd vollständig überliefert ist: Sie umfasst Ru28 Zur Verortung vgl. ebd., 213; sowie die Ausführungen bei Sivri 2016, 50–53. – In der Forschung wurde versucht, eine Datierung über textinterne Merkmale vorzunehmen. Die Beschreibung des Hoffestes des Kaisers, auf dem ihm ein König als Mundschenk dient (GR DB 31–42), wurde als Reminiszenz auf den Reichstag von Nürnberg 1170 oder aber das Mainzer Hoffest Barbarossas 1184 aufgefasst, der Text müsste dann entsprechend später verfasst worden sein. Als spätesten Zeitpunkt setzt man die Eroberung Jerusalems durch Saladin 1187 an. Da sich nicht einmal eine beiläufige Klage über den Fall der Stadt im Text findet, die allerdings aufgrund der Bedeutung des Ereignisses zu erwarten gewesen wäre, nimmt man an, dass er noch in der Zeit der christlichen Herrschaft über die Heilige Stadt entstanden sein müsse. Vgl. Ganz 1981, 214f.; Johnson 1999, 245; Fromm 1997, 214. Die Forschungsdiskussion zur Datierung hat Yücel Sivri zusammengefasst: Sivri 2016, 38–49. 29 Ganz 1981, 215; vgl. auch Sivri 2016, 82. 30 So zunächst Heinrich v. Sybel (Heinrich von Sybel, Über die geschichtliche Grundlage des Grafen Rudolf, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 2 (1842), 235– 248), dessen Überlegungen von Kaplowitt 1969 reeevaluiert wurden. 31 Vgl. Kaplowitt 1969 sowie Ganz 1981, 215f. 32 Fromm 1997, 214; Hans Fromm leistet in seinem Beitrag zudem eine Inhaltsangabe der Fragmente (ebd. 219–221). In jüngster Zeit hat sich Yücel Sivri im Rahmen seiner Dissertation mit dem Text beschäftigt (vgl. Sivri 2016). Er bietet einen Überblick über die – spärliche – Forschung zum ›Graf Rudof‹ (vgl. ebd., 32–37). Auch findet sich eine strukturierte Inhaltsübersicht (ebd. 55–79). 33 Fromm 1997, 215. 34 Ebd., 215. 35 Ebd., 215.
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dolfs Ankunft im Orient, die Belagerung von Askalon,36 den Friedensschluss, den Empfang Rudolfs in Jerusalem, die Beratungsszene, die Festvorbereitungen, und schließlich das Fest. Auch wenn man daraus keine Aussagen über die Gesamtkonzeption des Werkes ableiten kann, so lassen sich doch wiederkehrende Themen festhalten, an deren Diskussion Dichter und Rezipienten offenbar Interesse hatten, und anhand der Wiederaufnahmen dieser Themen Strukturen ermitteln, die der Text durchaus anbietet. Besonders prominent ist in dieser Textpassage der Diskurs um ›Beratung‹ und ›Ratgeben‹: Es gibt insgesamt vier Beratungsszenen, die Rudolf und seinen muslimischen Gegenpart Girabobe als Ratgeber ihres jeweiligen Herrschers zeigen. Sie stehen im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen.
3. Girabobe befindet sich im Dienst des muslimischen Königs Halap und ist offenbar dessen Vasall. Die Figur ist spiegelbildlich zum Protagonisten Rudolf angelegt, der bei Girabobes erster Erwähnung im Text gerade die Stadt Askalon belagert, in der sich Halap mit seinen Gefolgsleuten aufhält. Wie Rudolf ist auch Girabobe zwar jung (GR δ 39), aber verständig – wise (GR δ 39) – und tugendhaft – edel (GR δ 38). Eine Standeszuschreibung oder einen Titel gibt es bei Girabobe, wie auch bei allen anderen heidnischen Figuren im Text mit Ausnahme von Halap, allerdings nicht.37 Anders als Rudolf – zumindest zu diesem Zeitpunkt – ist Girabobe bereits als Ratgeber etabliert. Halap schickt extra einen Boten, um ihn herbeizuholen, denn er ne wolde nuwet ane gan, er ne hetes sinen rat; wender ime zu herlicher tat dike riet mit guten wizzen (GR δ 40–43).38
36 Im Text wird der Name der Stadt, hier Scalun, nur einmal genannt (GR Bb 3). Ein Verweis auf das historische Askalon ist allerdings wahrscheinlich, weshalb ich hier und im Folgenden diese Schreibung verwende. 37 Daher halte ich es auch für zweifelhaft, dass es sich bei dem Herzog (GR Eb 34f.), für dessen Verlust König Gilot später Rudolf verantwortlich macht, um den heidnischen Fürsten handelt, der während des Hoffestes in Jerusalem eintrifft (GR γ 51– γ b 5). So bei Beckers 1993, 23f., der den Herzog als den Vater Appolinarts identifiziert und die Rückführung beider an den heidnischen Hof als fatale Schuld Rudolfs ausmacht, die dann wieder abgegolten werden muss. 38 »Er wollte niemals darauf verzichten, dass er seinen Rat hörte; denn er riet ihm oft mit Klugheit zu ausgezeichneten Taten.« – Übersetzung AKD.
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Nicht nur fungierte Girabobe bereits in der Funktion des Ratgebers, er hat diese auch sehr erfolgreich erfüllt und sich durch besonders wertvolle Ratschläge ausgezeichnet. Daher wird ihm vom Erzähler ein Ehrenplatz zugesprochen (GR δ 44f.). Der muslimische Ratgeber ist damit gleich doppelt beglaubigt, auf einer Figurenebene durch das Vertrauen Halaps, der ihn extra um seinen Ratschlag bittet, und durch die Erzählinstanz, die ihn als besonders vorbildlich auszeichnet. Daran wird angeknüpft, wenn der Text den Blickwinkel erweitert und allgemein auf die Qualität von Ratgebern zu sprechen kommt: nu sult ir alle danken den herren die des gerne phlegen, daz sie sulhe ratgeben nemen zu irme rate, die sich vru unde spate zaller zit des besten vlizen den man nie mochte verwizen untruwe unde tracheit, und ire herren wisen von der boseit (GR δ 46–54).39
Vor allem wird hier die Pflicht des Herrschers angesprochen, sich die richtigen Ratgeber auszuwählen. Welche Eigenschaften diese Berater mitbringen müssen, wird ebenso gesagt: Nur jene sollen ausgewählt werden, die immerfort nach dem Besten streben, die treu und unermüdlich sind und die ihren Herren konsequent von schlechtem Handeln abraten.40 Darin scheint mir auch eingeschlossen, den Herrscher zu kritisieren, wenn dies denn nötig ist: Um den Herrscher von schlechtem Verhalten abzubringen, muss ihm dieses aufgezeigt werden können. Die Auswahl des richtigen Ratgebers soll nach diesen Kriterien erfolgen.41 An seine Ausführungen knüpft der Erzähler nun an: (S)o laze mich got leben, sus getaner ratgeben ist luzel imme lande. sie ne raden e die schande dan sie tun die ere. sine solden ire lere
39 »Nun sollt ihr all den Herren danken, die sich gerne solche Ratgeber für ihren Rat auswählen, die sich früh und spät, zu aller Zeit, um das Beste bemühen, denen man nie Untreue oder Trägheit nachsagt und die ihre Herren von allem schlechten Handeln abhalten.« – Übersetzung AKD. 40 Ähnlich positiv wird diese Eigenschaft, wie David Hamacher in seinem Beitrag herausarbeitet, in der ›Octavia‹ gewertet, wenn Seneca als positive Ratgeberfigur mit allen Mitteln versucht, den Kaiser von seinem Vorhaben abzubringen (›Zum Scheitern verurteilt‹, 66–68). 41 Dass ein guter Herrscher sich auch durch die Auswahl guter Ratgeber auszeichnet, thematisiert Theresa Wilke in ihrem Beitrag (Absatz I, Minister – Berater qua Amt, 149f.).
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nimmer gevolgen. we, den bin ich harte ir bolgen (GR δb 1–8).42
Die Qualitäten der Ratgeber, die er soeben aufgezählt hat, vermisst der Erzähler bei seinen Zeitgenossen. Mehr noch, diese leisten schlechten Rat, was das Erzähler-Ich empört und zornig macht, weshalb es seinerseits den Herren rät, die Empfehlungen jener Ratgeber strikt abzulehnen.43 Girabobe fungiert hier als ein Exempel für einen guten Ratgeber, der Eigenschaften aufweist, die als positiv gewertet werden. Die genauere Definition dieser Qualitäten bildet eine Überleitung zu einer Zeitklage des Erzählers, die eine Kritik nicht näher bezeichneter text-externer Instanzen enthält. Dabei werden auf der einen Seite die Ratgeber angesprochen, die ihrer Pflicht nicht nachkommen und nach den zuvor formulierten Kriterien zur Beratung ungeeignet sind. Auf der anderen Seite richtet sich die Kritik aber auch an die Herren, die diesen schlechten Ratschlägen nicht folgen sollten, es aber – wie der Konjunktiv in solden vermuten lässt – dennoch tun.44
4. 4.1 Dass den geforderten Qualitäten eines Ratgebers nicht nur Girabobe, sondern auch der Protagonist Rudolf entspricht, führt der Text sehr deutlich in der Szene der großen Ratsversammlung vor Augen. Es scheint mir für deren Interpretation aber wichtig zu sein, den Weg und die Entwicklung des Beraters Rudolf nachzuvollziehen. Die Ratsversammlung ist die dritte Szene, in der wir die Figur in dieser Funktion betrachten können. Das erste Mal tritt Rudolf nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Jerusalem als Ratgeber in Erscheinung, als der christliche König Gilot über die Vermittlung eines Boten erfährt, dass sich der muslimische König Halap in Askalon aufhält. Deme kunige sagete man die rede. ›wir suln ein nuwez ir hebe 42 »Gott lasse mich leben, so geartete Ratgeber gibt es wenig im Land. Sie raten eher zur Schlechtigkeit als zur Tugendhaftigkeit. Ihren Ratschlägen sollten sie (die Herren), niemals Folge leisten. Weh, derentwegen bin ich sehr aufgebracht.« – Übersetzung AKD. 43 Zu den Qualitäten von Ratgebern nimmt Dominik Büschken in seinem Beitrag Stellung (›Die Qualitäten eines Ratgebers‹, 100–102). Auch hier wird die moralische Integrität der Ratgeber als eine der wichtigsten Eigenschaften betont. 44 Die Aufnahmebereitschaft des Herrschers für gute Ratschläge thematisieren auch die Beiträge von David Hamacher (›Zum Scheitern verurteilt‹ 66–68), und Felix Bohlen (›Von der Schwierigkeit des Ratgebens: Fu Yue im ›Han Feizi‹‹, 38–41).
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uffe die gotis gnadin‹, sprach der junge greve. ›herre, mir retet min sin, iedoch ich aller tumbest bin, dar zu trostet mich min mut, ob iz uch alle dunket gut, daz wir schafen unse schare; wir suln dare vroliche vare unde in besizzen in der stat. got durch sin heilige grap helfe uns daz wir in gelezzen unde wir in ir gezzen daz er uns leides hat getan. er muz uns me der gisele lan.‹ (GR Bb 9–24)45
Der Text bietet hier wenig Anhaltspunkte die Situation betreffend, in der dieser Ratschlag Rudolfs erfolgt. Es scheint sich aber um eine öffentliche Beratung zu handeln, in der neben Rudolf und dem König noch andere Fürsten anwesend sind, denn Rudolf spricht ausdrücklich eine Mehrzahl von Personen an – uch alle (GR Bb 16). Inhaltlich bietet der Ratschlag Rudolfs in etwa das, was man von einem jungen Ritter, der enthusiastisch dem Kreuzzugsaufruf ins Heilige Land gefolgt ist, erwarten kann: Es sollen Truppen aufgestellt und der muslimische König in Askalon belagert, den Christen entstandenes Leid an ihm und den Seinen gerächt werden; im Namen Gottes, der hier gleich zwei Mal angerufen wird. Kurzum: Dass der Aufenthaltsort des muslimischen Herrschers zweifelsfrei bekannt ist, macht diesen verwundbar und soll für einen militärischen Gegenschlag genutzt werden. Interessant ist allerdings die Form, in der Rudolf seinen Rat artikuliert. Er beginnt unmittelbar mit dem Kern seiner Empfehlung; er will ein Heer aufstellen (GR Bb 10). Dem lässt er eine Anrufung Gottes folgen. Nach der inquit-Formel wendet er sich an den Herrscher und die Versammelten. Bevor er allerdings seinen Vorschlag weiter ausführt, setzt er einen gleich doppelten Verweis auf die Ratio, die ihm diesen eingegeben hat. Sowohl sein sin, als auch sein mut befähigen ihn zu seinem Ratschlag. Letzterer Terminus bezeichnet »die beschaffenheit der gedanken, der gefühle, des willens, und zwar so, dass diese drei thätigkeiten
45 »Dem König meldete man diese Neuigkeit. ›Wir sollen ein neues Heer ausheben, bei Gottes Gnade‹ sprach der junge Graf, ›Herr, meine Einsicht rät mir dazu – obwohl ich der Unverständigste bin, verlasse ich mich dabei auf meinen Verstand, wenn es euch allen gut erscheint, dass wir unsere Heere zusammenziehen; wir sollen frohgestimmt dorthin ziehen und ihn (Halap) in der Stadt belagern. Gott helfe uns um des Heiligen Grabes willen, dass wir ihm Schaden zufügen und wir ihm das vergelten, was er uns an Leid zugefügt hat. Er muss uns mehr Geiseln lassen.‹« – Übersetzung AKD.
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ungetrennt gedacht werden«46 und stellt damit sogar noch eine Steigerung zum reinen Verstand, dem sin,47 dar. Zwischen beide setzt Rudolf einen Bescheidenheits- bzw. Unfähigkeitstopos, er erklärt sich selbst zum Unverständigen (GR Bb 14). Sodann spricht er die Versammelten an, und gibt ihnen zu verstehen, dass sein Ratschlag nur umgesetzt werden solle, wenn die Fürsten ihm zustimmen (GR Bb 15). Erst mit ihrem Einverständnis sollen Scharen aufgestellt und die Stadt Askalon belagert werden. Rudolf endet mit einer weiteren Berufung auf Gott sowie dem Hinweis auf vergangenes Leid, das vergolten werden soll. Innerhalb seiner Rede spricht er den König nur einmal direkt an, er nutzt dafür die formelle Anrede herre (GR Bb 13). Im restlichen Teil spricht er entweder alle Versammelten gleichermaßen an, oder spricht von einem ›wir‹, imaginiert also eine Gemeinschaft, zu der alle Anwesenden, inklusive des Sprechers, gehören. Rudolfs Ratschlag ist ein Lehrstück dafür, wie sich ein junger Ratgeber an einem fremden Hof präsentieren und sich Gehör verschaffen kann. Sein Auftritt ist bescheiden und zurückhaltend; nur unter der Voraussetzung der Zustimmung der anderen Fürsten gibt er eine Empfehlung ab. Er ist sich seiner Position als ›Neuzugang‹ bewusst und bemüht sich daher um die Akzeptanz weiterer Vertreter der Eliten. Er schreibt sich selber der Gemeinschaft ein, der er erst wenige Tage angehört, und schlägt ein kollektives Handeln vor, in das er sich selbst stets mit einbezieht. Den Herrscher spricht er zwar an, aber nicht exklusiv – sein Rat richtet sich vielmehr an alle, die der Versammlung beiwohnen. Sein Ratschlag zur militärischen Intervention selbst, den er mit Verweis auf den Verstand formuliert, ist inhaltlich in einer Gemeinschaft von Kreuzfahrern nicht kontrovers, so dass ihm leicht zugestimmt werden kann. So ist es wenig verwunderlich, dass Gilot den Rat sogleich positiv bescheidet: Er bedankt sich bei Rudolf (GR Bb 25), lobt seine Tapferkeit (GR Bb 29) und schließt einen freundschaftlichen Bund mit dem Grafen: ›[…] her greve, svaz uch dunket gut, daz [wil] ich mit u ane gan die wile daz ich daz leben han‹ (GR Bb 30–32).48
Wie Rudolf nutzt auch der König die formelle Anrede, er verwendet sowohl den Titel des Protagonisten als auch die ir-Form.
46 Georg Friedrich Benecke/Wilhelm Müller/Friedrich Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, ND der Ausgabe Leipzig 1854–1866 mit einem Vorwort und einem zusammengefassten Quellenverzeichnis von Eberhard Nellmann sowie einem alphabetischen Index von Erwin Koller, Werner Wegstein und Norbert Richard Wolf, 4 Bde. u. Indexbd., Stuttgart 1990, im Folgenden zitiert als ›BMZ‹; hier Bd. II, 242a–253b. 47 Vgl. den Eintrag sin in: BMZ, Bd. II, 311b. 48 »Herr Graf, was auch immer euch gut erscheint, das will ich mit euch angehen, solange ich lebe.« – Übersetzung AKD.
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4.2 Ganz anders gestaltet sich dagegen die zweite Szene, in der Rudolf einen Ratschlag äußert. Inzwischen wurde die Belagerung aufgrund der heidnischen List, Frauen in Rüstungen auf die Mauern zu stellen und somit Wehrhaftigkeit zu demonstrieren, abgebrochen. Der christliche König befindet sich auf dem Rückweg nach Jerusalem. Rudolf führt mit Girabobe Verhandlungen über einen Friedensschluss und sucht Gilot auf, um ihn davon zu unterrichten. Der greve [zu] dem kunige ginc, vil minnecliche er in enphinc [unde] vragete in ware er were, ob er ich wiste mere. do [sprach] er ›ja.‹ ›daz saltu mir sagen.‹ ›ich was gegan an den grab[en den] woldich baz besehen. nu ist ze sagene mir geschen: G[irabobe der] gute, der stete gemute, eines vrides gerter an mich. des s[al ich] von ime biten dich‹ ›ist daz war?‹ ›ja iz is. du saltes an m[ir sin] gewis daz ich dir andirs nicht ne sage wan alsich vor[numen] habe.‹ (GR D 4–19)49
Im Unterschied zur ersten Beratungssituation erfolgt dieses Gespräch zwischen Rudolf und dem König nicht in der Öffentlichkeit. Es ist vielmehr eine geheime Beratung, erst im Anschluss ruft der König seine Fürsten zur öffentlichen Versammlung zusammen (GR D 20f.). Die Atmosphäre zwischen Gilot und Rudolf wirkt sehr vertraut: Der König empfängt ihn freundschaftlich (GR D 5), beide duzen einander.50 Anstelle langer rhetorisch ausgefeilter Reden steht hier ein Dialog, in dem Rudolf mit recht überschaubaren, überwiegend parataktisch 49 »Der Graf ging zu dem König, der ihn sehr freundschaftlich empfing. Er (der König) fragte ihn (den Grafen), wie es um ihn bestellt sei und ob er etwas Neues wüsste. Da sprach dieser ›ja.‹ ›Das sollst du mir sagen.‹ ›Als ich an den Befestigungsgraben ging, um mir den genauer anzusehen, ist mir folgendes passiert: Der gute und standhafte Girabobe bat mich um einen Friedensschluss. Darum soll ich dich von ihm bitten.‹ ›Ist das wahr?‹ ›Ja, ist es. Du kannst dich auf mich verlassen, dass ich dir nichts anderes erzähle als das, was ich vernommen habe.‹« – Übersetzung AKD. 50 Ulrike Becker arbeitet in ihrem Beitrag den Wechsel zwischen öffentlicher und privater Sphäre in der Beratung heraus und thematisiert Gesprächs- und Anredeformen, die in der vertraulichen Unterredung gewählt werden (›Erste private Kritik‹ 128–130). Ähnlich stellt auch Karina Kellermann in ihrem Beitrag die Bedeutung der Anrede in der 2. Person Singular als ein Zeichen für eine Kommunikation auf Augenhöhe heraus (Absatz 3, 202–208).
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gebauten Sätzen auf sehr knappe Nachfragen des Königs reagiert. Benötigte Rudolf in der ersten Szene noch die Invokation Gottes, die Verweise auf die Rationalität und das Aufrufen einer Vorstellung kollektiven Handelns, um auf Akzeptanz zu stoßen, so ist jetzt, da er dem König deutlich nähersteht, eine Versicherung der Wahrhaftigkeit seines Berichtes ausreichend. Es wird zwar nicht ausdrücklich davon gesprochen, dass Rudolf den Friedensschluss selbst befürwortet – aber würde er die Bitte, wäre es anders, überhaupt an den König herantragen? In ähnlicher Weise wird ein Konsens zwischen Rudolf und dem König nicht explizit gemacht, doch scheint es diesen bereits zu geben, wenn in der folgenden Ratsversammlung die Fürsten den Friedensschluss befürworten, sobald sie ihn vernehmen (GR D 22–27).51 Dadurch ist ein Konsens hergestellt. Während der König nach Jerusalem weiter zieht, unterrichtet Rudolf in seinem Auftrag die muslimische Partei und besiegelt den Frieden.
4.3 Damit ist der Boden für die große Ratsversammlung52 in Jerusalem bereitet. Ich skizziere kurz die Situation, bevor ich die Rede des Königs und die Gegenrede Rudolfs genauer analysiere: Bei seiner Ankunft in der Stadt wird Rudolf vom Patriarchen von Bethlehem und weiteren geistlichen Würdenträgern empfangen, die ihm fahnenschwingend entgegen kommen (GR D 42–48).53 Es ist ein äußerst prunkvoller Empfang, das gesamte Volk ist versammelt und singt beim Einzug 51 Dass der König am Friedensangebot Girabobes Zweifel hat, wie es Yücel Sivri auffasst, sehe ich in dieser Szene nicht (vgl. Sivri 2016, 63). Bei der Nachfrage des Königs, ob die Nachricht wahr sei, handelt es sich meiner Ansicht nach eher um eine erstaunte Reaktion auf eine unerhörte Neuigkeit. Zudem wird diese im vertrauten Privatgespräch gestellt und erreicht nie die öffentliche Sphäre. Auch im Folgenden gibt es keinen Hinweis darauf, dass das Angebot Girabobes in Zweifel gezogen wird, die Fürsten stimmen auf der öffentlichen Versammlung kommentarlos zu und ergreifen nicht das Wort (GR D 22–27). Über den Grafen lässt der König vielmehr der Gegenpartei ausrichten, auch die anderen muslimischen Fürsten, die weiterhin zu Kampfhandlungen raten, von einem Friedensschluss zu überzeugen (GR D 28– 35). Dass er selbst diesen in Frage stelle, ist damit m. E. eher ausgeschlossen. 52 Die entsprechende Episode habe ich zusammenhängend im Anhang mit meiner eigenen neuhochdeutschen Übersetzung bereitgestellt. Siehe Anhang 278–281. Ich beschränke mich daher auf kurze Textverweise und zitiere den Text nur, wo es mir unbedingt nötig scheint. 53 Hans Fromm hat diese Textstelle anders interpretiert: »In Bethlehem feiert man den Sieg mit einem großen Dankesgottesdienst, und in Jerusalem kommt es dann zu der schon beschriebenen Zusammenkunft zwischen dem christlichen König und dem Grafen, bei der es um den Repräsentationsanspruch des Jerusalemer Herrschers geht« (Fromm 1997, 228). Offenbar liegt hier eine Verwechslung vor: Es wird zwar als Person der Patriarch von Bethlehem genannt, als Ort aber eindeutig Jerusalem (GR D 42). Obwohl vor Askalon gerade kein Sieg errungen, sondern nach einem Patt abgezogen und ein Frieden ausgehandelt wurde, werden der Graf und seine Männer wie Kriegshelden empfangen.
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des Grafen und seines Gefolges das Gotteslob (GR D 49–53). Auch wenn der Empfang einem König angemessen wäre, so handelt es sich hier entgegen der Vermutung Yücel Sivris aber keinesfalls um den feierlichen Einzug Gilots,54 sondern eindeutig um den seines Lehnsmannes – der König ist bereits in seinem Palas. Noch während Rudolf Gott zu Ehren eine Opfergabe erbringt (GR D 54– 56), trifft ein Bote des Königs ein, der den Grafen bittet, seinen Herren aufzusuchen (GR D 57–59). Rudolf lässt sich mit einem Pferd ausstatten, da der Weg zum Palas zu weit ist (GR D 60f.). Das Tier, das er erhält, ist ein arabisches Pferd von ausgesuchter Qualität (GR D 62–64). Auf diesem reitet der Graf vor den Palas, wo er erneut ehrenvoll empfangen wird (GR Db 1f.). Sogleich weist man ihm den Weg zu dem Saal, in dem der König mit seinen Vasallen eine Ratsversammlung hält (GR Db 2–5). Auf dem Weg dorthin wird er insbesondere von den anwesenden Damen bewundert (GR Db 6–14). Im Saal angekommen, wird Rudolf vom König empfangen (GR Db 15f.). Aufgrund seines Verstandes und seines vornehmen Verhaltens bittet der König ihn, sich neben ihn zu setzen (GR Db 17– 26).55 Sogleich spricht er ihn auf ein Thema an, das ihn offenbar schon länger beschäftigt: Der kunic [sprach] da zestunt ›Rudolf, dir ist wole kunt umme den keiser [vo]n Rome? […]‹ (GR Db 27–29)
Wie bereits in dem vorausgegangenen Beratungsgespräch spricht Gilot den Grafen mit dem vertrauten ›du‹ an. Er verwendet auch nicht mehr, wie es noch bei Rudolfs erstem Auftritt als Berater der Fall war, den Titel des Grafen, sondern nennt ihn bei seinem Namen. Mit seiner Frage nach dem römischen Kaiser rekurriert der König auf das Spezialwissen seines Ratgebers, der, wie dem König wohl bekannt ist, aus dem Okzident stammt und mit den im Orient fremd erscheinenden Sitten des Abendlandes vertraut ist – darauf hatte zudem der Erzähler noch kurz zuvor verwiesen (GR Db 20f.). Nun führt Gilot sein Interesse am römischen Kaiser weiter aus, denn er hat, wie er sagt, von einem jungen Mann bereits viel über ihn gehört (GR Db 43f.): Er feiere jedes Mal ein großes Fest, wenn er die Krone trage (GR Db 30f.). Sein Festgelände sei so ausgedehnt, dass es sich weit über die Felder erstrecke (GR Db 32f.). Sein Schwert werde ihm von hochadligen Fürsten vorausgetragen (GR Db 34f.), und wenn er durstig sei, so schenke ihm ein König ein, der ihm seine Krone
54 Vgl. Sivri 2016, 64. 55 Die Bedeutung von ›Sitzen‹ vs. ›Stehen‹ thematisiert Alheydis Plassmann in ihrem Beitrag am Beispiel des Bischofs Wazo von Lüttich (›Wazo von Lüttich‹ 86–88). Im ›Graf Rudolf‹ darf der Protagonist nicht nur einfach Platz nehmen, sondern wird explizit an die Seite des Königs gesetzt.
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verdanke (GR Db 36–39). Allen diene man gleichermaßen vorbildlich (GR Db 40– 42). Gilot stellt das Zeremoniell am kaiserlichen Hof heraus, das auf großen Festtagen zur Ausführung kommt. Insbesondere thematisiert er die Visualisierung von Macht, die im festlichen Ritual vorgenommen wird: Die Insignien, Krone und Schwert, haben als Herrschaftszeichen dabei für ihn besonderen Stellenwert, ebenso wie der Dienst, den mächtige Fürsten leisten, der damit wiederum den hohen Rang des Kaisers selbst herausstellt. Zudem beeindruckt ihn die schiere Dimension seiner Residenz. Dass hier alle, ob arm oder mächtig, in bester höfischer Manier versorgt werden, wird erst ganz am Ende der Beschreibung erwähnt, es erscheint gegenüber dem zuvor Gesagten beinahe nebensächlich. An seine Ausführungen knüpft Gilot nun an. Das Zeremoniell, das der Kaiser ausübt, befindet er für ausgezeichnet (GR Db 43), an der Erzählung des Jünglings stört ihn deshalb auch nur eines: ›[…] nu bin ich [doch si]n genoz unde hand lande genuc, sint immer mer hat min [mut a]lso wan here gestan, ob ich hete einen man die mir daz [konde] gemachen.‹ (GR Db 46–51).
Da er selbst über viele Länder herrscht, fühlt er sich dem Kaiser ebenbürtig, er sieht sich als sin genoz, als ebenso mächtigen Herrscher, der sich als christlicher König über die Länder des Orients auf Augenhöhe mit dem obersten Herrschaftsträger des Okzidents befindet. Diese selbstbewusste Einschätzung führt ihn zu der Idee, dass ihm ein vergleichbares Fest mit entsprechendem Zeremoniell ebenfalls zustehe, wenn er denn jemanden finden könne, der sich der Organisation annehme. Der letzte Teil ist freilich auf den Grafen gemünzt, den der König trotz jugendlichen Alters aufgrund seines Verstandes sehr schätzt (GR Db 18f.).56 Was dem christlichen König vorschwebt, ist eine Machtdemonstration. Was ihn am Fest des Kaisers fasziniert, ist die Zurschaustellung von Macht, und eine solche möchte er ebenfalls vornehmen. Das Bedürfnis, die eigene Macht in dieser Weise auszustellen, begründet sich aus der Situation des christlichen Herrschers: Soeben ist er von einem Kriegszug gegen die Heiden zurückgekehrt, der für ihn wenig erfolgreich verlaufen ist. Er sah sich gezwungen, die Belagerung von Askalon abzubrechen.57 Da er dem Gegner militärisch nicht beikommen konnte, 56 Vgl. Sivri 2016, 64–66. 57 Sein Zorn angesichts der (vorgeblichen) muslimischen Wehrhaftigkeit zeigt deutlich, dass es sich keinesfalls um einen Sieg der Christen handelt. Gilot lässt sogar kurzerhand seine ei-
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musste er sich auf einen Friedensschluss einlassen. Politisch ist seine Herrschaft dadurch geschwächt und in Frage gestellt. Dem versucht er entgegenzuwirken, in dem er seine Macht, um mit Heinrich Popitz zu sprechen, im Ritual positionalisiert.58 Seinem militärischen Misserfolg will er die Visualisierung nicht-militärischer Macht entgegenstellen und dadurch ein labiles Herrschaftsverhältnis stabilisieren. In Gilots Selbstverständnis ist für Schwäche kein Platz, weshalb er sich nicht einfach irgendeinem Herrscher als gleichbedeutend beiordnet, sondern dem mächtigsten Herrscher der christlichen Welt. Er hofft dabei auf die Zustimmung Rudolfs. Diese Hoffnung wird freilich enttäuscht: do begonde der greve lachen unde duchte en [harte] gemelich (GR Db 52f.).
Der Ratgeber lacht. Dass Rudolfs Lachen »eine höfliche Antwort auf des Königs superbia, die Verletzung des Maßes«59 darstellt, scheint mir durch den Folgesatz widerlegt: Rudolf lacht, weil ihn die Ausführungen des Königs sehr belustigen. Er reagiert damit spontan auf eine ihm komisch anmutende Rede und bricht in schallendes Gelächter aus.60 Dadurch erscheint das Lachen hier eher als eine unwillkürliche Zurückweisung der Selbstüberschätzung Gilots als um eine auf Höflichkeit zielende, intendierte Aktion.61 Rudolf führt seine Kritik im Folgenden aus: er sprach ›under windes tu is dich, daz ge[ruwe]t dich harte sere, edele kunic here, unde were din schade [harte] groz, wande keisers genoz ne war noch nie nechein [gebor]n. din lant were allez virlorn. […]‹ (GR Db 54–60).
Rudolf spricht eine deutliche Warnung aus: Sollte der König seine Pläne verwirklichen wollen, werde ihm das zum Nachteil gereichen. Dabei spricht er den
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genen Wachposten hinrichten, da diese seiner Ansicht nach den Zutritt in die Stadt Askalon nicht ausreichend kontrollieren konnten (vgl. GR Cb 10–33). Vgl. Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, 2. Aufl., Tübingen 1992 (ND 2009), 245. Fromm 1997, 229. Vgl. hierzu auch Sivri 2016, 66, der von einem »herzhaft[en]« Lachen Rudolfs spricht. Der ›Graf Rudolf‹ ist zudem m. W. der einzige Text der Zeit, in dem ein Ratgeber, dem der König gerade ein Vorhaben eröffnet hat, lacht. An den Höfen, die die Texte entwerfen, erscheint vielmehr das Lachen generell als eine außergewöhnliche, die Norm überschreitende Reaktion – man denke etwa an das Lachen der Cunneware in Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹.
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Herrscher direkt an, er nutzt erneut, wie auch Gilot zuvor, das vertraute ›du‹.62 Er kombiniert dies allerdings mit einer in die Warnung eingeschobenen, höchst formellen Anrede, edele kunic here (GR Db 56), die den Rang und den Status seines Gegenübers unterstreicht, und Rudolfs Lachen nun durch ein deutliches Zeichen des Respekts und der Höflichkeit ergänzt. Erst jetzt folgt sein Kritikpunkt: Jemand, der dem Kaiser ebenbürtig wäre, sei noch nie geboren worden. Der Graf weist somit die Einschätzung Gilots als maßlos zurück und schließt eine weitere Warnung an.63 Nachdem er den Plan des Königs als höchst schädlich für dessen Herrschaft und seinen Anspruch als maßlos herausgestellt hat, schließt er einen Ratschlag an, den er selbst für gut befindet (GR Db 61). Gilot solle sich weniger an dem überhöhten, ritualisierten Festgebaren des Kaisers orientieren, sondern vielmehr an seiner alltäglichen Hofhaltung, die bereits vorbildlich sei (GR γ 1–6). Den Zustand des kaiserlichen Festes nachzubilden, hält er für unmöglich, eine Adaptation gewohnheitsgemäßer höfischer Sitten dagegen erscheint umsetzbar und ehrenvoll zugleich. Auf die Rede des Grafen reagiert der König unmittelbar, er senkt das Haupt und versinkt in tiefe Nachdenklichkeit (GR γ 8f.). Die Normüberschreitung im Lachen Rudolfs bewirkt gemeinsam mit der direkt formulierten Kritik, die das Selbstbild des Königs erschüttern muss, eine Re-evaluierung und Selbstreflexion im Herrscher – der Rat ist damit, obwohl höchst unwillkommen, zunächst einmal erfolgreich.64 Verglichen mit den Reaktionen anderer Herrscher auf die überzogenen emotionalen Ausbrüche ihrer Ratgeber ist die Nachdenklichkeit Gilots wiederum außergewöhnlich: Obwohl die Sympathie der Rezipienten stets auf ihrer Seite ist, stoßen Roland, Alexander und Willehalm mit ihren Zornreaktionen keinesfalls auf Verständnis der Herrscher, selbst wenn sie in der Lage sind, ein Umdenken auszulösen: Karl der Große wird im ›Rolandslied‹ selbst zornig, dass seine Berater sich derart zerstritten zeigen, und verpflichtet sie, einen Konsens zu erzielen und damit auch die Ordnung wiederherzustellen (RL 1154– 1165). Philipp stürzt in dem erzürnten Versuch, dem Streit Alexanders mit Lysias 62 Davon, dass »[a]uf einmal […] der Jüngling den König von Jerusalem« duzt, und »sich der König über den Ton des jungen Grafen [wundert], da der Höhere den Geringeren mit ir anredet, aber mit du geantwortet bekommt«, (Sivri 2016, 66), kann keine Rede sein. Beide haben sich bereits im Gespräch über den Friedensvertrag geduzt, und auch in dieser Szene spricht Gilot den Grafen nicht mit dem formellen ir an. 63 In ähnlicher Weise wie Gilot hier dem römischen Kaiser ordnet sich Nero, wie David Hamacher in seinem Beitrag (›Zum Scheitern verurteilt‹ 66–68) herausstellt, in maßloser Selbstüberschätzung gleich den Göttern bei bzw. sogar über. 64 Zum Vergleich möchte ich an dieser Stelle auf den Beitrag David Hamachers verweisen, der das Scheitern eines etablierten Ratgebers thematisiert. Die Kritik des Seneca wird, obwohl der Ratgeber den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend auftritt, von seinem Herrscher schlichtweg abgelehnt (›Der Ratgeber und sein Kaiser‹ 63–66).
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Einhalt zu gebieten, und bricht sich dabei das Bein (VA 416–421, StA 497–501). König Louis wünscht sich gar, er wäre nicht vor Ort gewesen. Gemeinsam mit allen versammelten Fürsten sieht er den höfischen Verhaltenscodex durch Willehalm schwer verletzt. Es scheint angesichts der extremen Reaktion Willehalms unter den Fürsten gar ein Moment der Fremdscham aufzukommen (Wh 148,3– 17). Der ›Graf Rudolf‹ zeichnet sich nun dadurch aus, dass das Lachen Rudolfs, obwohl eine ähnliche Affekthandlung und ebenso eine Normüberschreitung, nicht weiter thematisiert wird, es ruft weder Zorn noch Scham des Königs hervor und führt auch nicht zu Versuchen, eine gestörte Ordnung wiederherzustellen. Dafür gibt es gute Gründe. Erstens bleibt das Lachen Rudolfs nicht für sich stehen, sondern wird unmittelbar in Bezug zu seinen Worten gesetzt. Seine Argumentation ist erneut klug aufgebaut: Er warnt vor den Folgen einer falschen Handlungsweise, versichert den König sowohl seines Respekts als auch seiner Freundschaft und schließt eine klare Handlungsempfehlung an. Sein Lachen als erste, unmittelbare Reaktion scheint seine anschließenden, von Rationalität geprägten Ausführungen zu beglaubigen. Zweitens hat sich Rudolf mittlerweile als Ratgeber etabliert. Er knüpft in seiner Rede an beide vorherigen Beratungen an: Erneut spricht er vor einer Öffentlichkeit und nutzt eine rhetorisch ausgefeilte Rede mit entsprechend anspruchsvollem Satzbau, die er nun allerdings direkt an den Herrscher richtet. Den König spricht er, wie bei seinem ersten Auftritt, als es um die Belagerung Askalons ging, respektvoll mit here an, er steigert dies sogar noch, indem er den Titel und das Adjektiv edel voranstellt. Gleichzeitig greift er auf die Vertrautheit zum König zurück, die im Freundschaftsbund im Anschluss an den ersten Ratschlag ihren Ursprung hat und in der zweiten Szene, in der Rudolf das Friedensangebot Girabobes übermittelt, im privaten Gespräch ausgebaut wurde. Wie dort spricht Rudolf den König mit dem vertrauten ›du‹ an. Drittens weiß der König um die Qualität seines Ratgebers, eben weil sich dieser bereits etabliert hat. Ihm ist, wie gesagt wird, bekannt, dass der Graf trotz seiner Jugend großen Verstand aufweist (GR Db 19f.), dass er über eine ausgezeichnete höfische Bildung verfügt (GR Db 22f.), und dass er sich im Gegensatz zum Jerusalemer Hof mit den Sitten des Okzidents auskennt (Gr Db 20f.). Er rekurriert deshalb gerade auf Rudolfs Spezialwissen den Kaiser betreffend und scheint daher eher geneigt, seine Selbsteinschätzung zu überdenken. Interessant ist zudem, dass die Einordnung des Wissens und der Qualität seines Ratgebers nicht in wörtlicher Rede des Königs wiedergegeben, sondern über den Erzähler vermittelt wird. Viertens erhält der Ratgeber Rudolf eine entsprechende Einordnung in den offiziellen Kontext der Ratsversammlung, er erscheint als der wichtigste Ratge-
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ber, der sogar an der Seite des Königs Platz nehmen darf (GR Db 17). Der Graf wird aber keineswegs nur dadurch ausgezeichnet, vielmehr wird seine Bedeutung mehrfach durch entsprechende Handlungsweisen herausgestellt. Gleich dreimal wird ihm ein offizieller Empfang zuteil: Der Patriarch begrüßt ihn mit Vertretern des Klerus und dem versammelten Volk am Stadttor. Nachdem man ihn mit einem standesgemäßen Reittier ausgestattet hat, wird er am Palas erneut empfangen. Schließlich begrüßt ihn der König selbst im Saal der Ratsversammlung. Damit wird eine Bewegung Rudolfs in die unmittelbare Nähe des Königs nachvollzogen, schrittweise nähert er sich dem Platz an der Seite des Herrschers, erreicht nacheinander die Stadt, den Herrschersitz, den Ratssaal und setzt sich schließlich neben den Herrscher. Die Bewegung entspricht ebenfalls dem Aufstieg des Ratgebers Rudolf, der zunächst noch als Fremder in der ersten Beratung Fuß zu fassen suchte, in der zweiten dann bereits vertraulich mit dem König sprechen konnte und hier nun einen ganz besonderen Ehrenplatz zugewiesen bekommt. Fünftens wird Rudolf als Ratgeber zusätzlich noch durch den Erzähler beglaubigt, indem ihm ein Heldentum zugesprochen wird, von dem zunächst keine Rede war. Die große Ratsversammlung in Jerusalem ist – soweit man dies bei dem fragmentarischen Status des Textes sagen kann – die erste Szene, in der Rudolf überhaupt näher beschrieben wird. Ihm wird ein Empfang zuteil, der einem König gebührt, man feiert den Friedensstifter als Helden. Es gibt gleich mehrere Verweise auf seine Tugendhaftigkeit, zudem finden seine Schönheit, seine Ritterlichkeit und seine Wirkung auf die Damen am Hofe Erwähnung. Rudolf wird somit als Held aufgebaut und nahezu ins Unermessliche erhöht. Dass er gleichzeitig zu einem Favoriten des Königs aufsteigt, könnte Neider unter den Vasallen Gilots und damit Konfliktpotential hervorrufen.65 Alle diese Punkte stützen die Qualität des Ratschlags, den Rudolf erteilt, zumal er der Forderung, die in der Girabobe-Episode allgemein für Ratgeber entwickelt wurden, nämlich dass sie ihren Herren konsequent schlechtes Handeln aufzeigen und ihnen davon abraten sollen, exakt entspricht. Dementsprechend erwartet man als Rezipient, dass der König nach einer Phase der Reflexion den Ratschlag positiv bescheidet und sein Handeln, das er gerade überdenkt, entsprechend anpasst. Erneut erfüllt der Text die Erwartung der Rezipienten nicht, Gilot hält an seiner Idee, ein ebenso prachtvolles Fest wie der Kaiser zu feiern, fest:
65 Vergleichbar wäre dies etwa zur Situation des Helden in den ›Tristan‹-Romanen, wenn Tristan am Markehof, als Held und Favorit seines Onkels einen hohen Status erhält, der wiederum zu Neid und zu Intrigen gegen ihn am Hof führt. Im Falle des ›Graf Rudolf‹ bleiben solche Überlegungen jedoch Spekulation, da man zwar weiß, dass, aber nicht, wie es zum Bruch Rudolfs mit Gilot kommt.
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doch was sin ge dechte daz er iz vol b[ringen] wolde (GR γ 13f.).
Weiterhin beharrt er darauf, seinen Plan umzusetzen. Noch einmal wird im Text hervorgehoben, wie sehr der König die Tugend des Grafen zu schätzen weiß. Aus genau diesem Grund entschließt er sich, Rudolf mit der Ausführung seines Planes zu betrauen – eine paradoxe Situation: Ausgerechnet der Ratgeber, der ihm eindringlich von seinem Festvorhaben abgeraten hatte, wird mit der Organisation des Festes beauftragt (GR γ 25–29).66 Gilot geht sogar noch darüber hinaus, wenn er Rudolf, dem vorbildlichen Ratgeber, Land und Ansehen gleichermaßen anvertraut (GR γ 20–24).
5. Das Fest allerdings, das Rudolf letztlich organisiert, muss Gilots Erwartungen enttäuschen. Zwar lässt der Graf den Festplatz deutlich erweitern, und zwar so, dass es niemals zuvor und niemals danach einen ausgedehnteren gegeben hätte (GR γ 42–44). Das gesidele bleibt aber der einzige Vergleichspunkt zwischen dem Fest am Jerusalemer Hof und dem des römischen Kaisers, mit dem Gilot es hatte aufnehmen wollen. Weder in den Vorbereitungen noch auf dem Fest selber wird – sofern wir es den erhaltenen Fragmenten entnehmen können – besonderer Wert auf die Insignien gelegt, weder Krone noch Schwert kommen in irgendeiner Weise zur Geltung,67 obwohl an Reichtümern keinesfalls gespart wird – Silber und Gold wird sogar in großen Mengen aufgeboten (GR γ 45f.). Ebenso wenig kommt dem König von Jerusalem eine Sonderstellung zu, er wird zwar geflissentlich bedient, aber weder von anderen Königen noch von weiteren hochrangigen Adligen – vielmehr verschweigt der Text den Rang und Status der Schenken am Hof (GR A 14–19). Stattdessen wird mehrfach betont, dass alle eingeladen und verköstigt werden – Muslime und Christen gleichermaßen (GR γ 47–50; γ b 53–55; A 20–30). »Schließlich wird der religiöse Konflikt nach dem Friedensschluss ganz ausgeblendet. Feste führen zum Austausch von Personen und Dingen. Rudolf übernimmt die Erziehung eines jungen heidnischen Adligen und er gibt seinen Neffen an den Hof des muslimischen Königs Halap. Religiöse Zuordnungen werden in diesen Passagen nur noch durch Apostrophierungen deutlich.«68 Dadurch erfährt das Fest eine Umdeutung: Es ist nicht länger die Machtdemonstration in der feierlich-friedlichen Prachtentfaltung, die Gilot vorgeschwebt 66 Vgl. hierzu Quenstedt 2017, 18. 67 Vgl. zur Festvorbereitung GR γ 30– γ b 55; zum Fest selbst GR A 1–30. 68 Quenstedt 2017, 19.
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hatte, es ist zu einem Versöhnungsfest geworden, ein symbolischer Akt des Friedens, den Rudolf ausgehandelt, vertreten und durchgesetzt hat. Die Macht, die hier visualisiert wird, ist nicht länger die des Königs, sondern die seines Ratgebers, das Fest, das ursprünglich Gilots Macht festigen sollte, positionalisiert nun die des Friedensstifters, des Grafen Rudolf. Der Favorit erscheint dem König ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Darin liegt freilich großes Konfliktpotential, das möglicherweise den späteren Bruch mit dem Herrscher verantwortet.69
6. Der ›Graf Rudolf‹ zeichnet sehr deutlich den Aufstieg eines an einem Herrscherhof fremden Ratgebers nach, der sich innerhalb von unterschiedlichen Beratungsepisoden etabliert. Rudolf gelingt dies zunächst in einer öffentlichen Beratung, später in einem privaten Beratungsgespräch, bis er schließlich zur großen Ratsversammlung eingeladen wird. Dort ist es unter anderem seine spontane Reaktion auf die Pläne des Königs, die ihn als exzeptionelle Figur herausstellt: Er beginnt zu lachen und kann damit seiner Kritik, die er anschließend formuliert, mehr Gewicht verleihen. Als Gilot sich weigert, seiner Kritik – obwohl sie exakt den Erwartungen an einen guten Ratgeber entspricht – zu folgen, gelingt es Rudolf, das Vorhaben des Königs zwar auszuführen, aber gleichzeitig mit neuer Bedeutung zu füllen: Die Demonstration von Macht und Überlegenheit des christlichen Königs wird so zu einem Friedensfest, das religiöse Unterschiede in Vergessenheit geraten und gleichzeitig den Friedensstifter und Organisator in den Vordergrund treten lässt, den Grafen Rudolf. Das Fest bildet dennoch oder gerade deswegen den konfliktreichen Höhepunkt der erhaltenen Fragmente eines singulären Textes, der auch in seiner Verhandlung von Herrscherkritik und Ratgeber-Thematik als einzigartig im Gedächtnis verbleibt. Ein guter Ratgeber, so lautet die Forderung des Textes, äußert stets ehrliche Kritik – wenn es sein muss, auch im Lachen.
69 Aus diesem Grund kommt es beispielsweise im ›Herzog Ernst‹ zum Konflikt Ernsts mit dem Kaiser: Angestachelt von einem neidischen Adligen, der Ernst verleumdet, sieht der Kaiser im Machtzugewinn Ernsts eine Bedrohung und zieht deshalb gegen ihn zu Felde. – Hartmut Beckers führt in seinem Beitrag zur Schuldfrage im ›Graf Rudolf‹ den Bruch auf eine Hilfeleistung bei der Flucht Appolinarts und seines Vaters, des heidnischen Herzogs, zurück (vgl. Beckers 1993). Es ist allerdings keineswegs sicher, dass es sich bei dem Heiden, der auf dem Fest nach seinem Sohn sucht, um Appolinarts Vater handelt, und noch unsicherer ist die Identifizierung mit dem Herzog, für dessen Verlust Gilot Rudolf später verantwortlich machen wird.
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Quellen Graf Rudolf, ed. Peter F. Ganz (Philologische Studien und Quellen 19), Berlin 1964. Pfaffe Lamprecht, Alexanderroman, mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, ed., übers. und kommentiert von Elisabeth Lienert (Reclams Universal-Bibliothek 18508), Stuttgart 2007. Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch, ed., übers. und kommentiert von Dieter Kartschoke (Reclams Universal-Bibliothek 2745), Stuttgart 1993. Wolfram von Eschenbach, Willehalm, ed. Joachim Heinzle (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 39), Frankfurt a. Main 2009.
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Der Ratgeber, der lachte. Beratung und Kritik am Herrscher im ›Graf Rudolf‹
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Karina Kellermann
Sebastian Brant als Wunderzeichendeuter, Publizist und königlicher Ratgeber. Der Meteoritenfall von Ensisheim (7. 11. 1492) und was der Humanist daraus macht
Abstract With more than twenty Latin and vernacular pamphlets Sebastian Brant (1457–1521) gives proof of his competence as a prophet and reader of signs. He comments on planetary constellations, floods, epidemics, and monstrous animals as well as human beings by describing, categorizing, and interpreting them against the backdrop of current political events. His studies in law and humanities enable him to speak in two languages and allow him to present interpretations on a high intellectual and professional level. The following article illustrates how the scholarly ‘publicist’ manages to apprehend wunder scientifically and to situate them historically; based on these structuring and interpreting descriptions, Brant articulates instructions for the ruler, King Maximilian, while at the same time shaping political opinion in a more public sphere. The analysis focuses on the bilingual pamphlet ‘Meteoritenfall von Ensisheim’ and the vernacular pamphlet ‘Schlacht bei Salins’, the last and decisive battle of the War of the Burgundian Succession. The pamphlet ‘Wunderbare Sau von Landser’ will support the line of argumentation. The article aims to demonstrate the interrelations of prodigies and political impact, to shed light on the interaction of prophetic aura and the status as a counsellor close to the ruler, and to highlight the pamphlet as a new medium in terms of image and text, choice of language, decoration and layout.
1 Wie kann einer, der nur über öffentliche Kanäle wirken kann, Ratschläge an den Herrscher adressieren, die gehört und auch befolgt werden? Was tut ein Mann, der gebildet ist, der einen guten Ruf als Dichter hat, lebhaften Anteil an der Politik des Reiches nimmt, aber nicht adlig ist und keineswegs zum engeren Kreis des Herrschers gehören, ja nicht einmal zu ihm vordringen kann? Er setzt 1. auf seine spezifischen Fähigkeiten – Intellekt, Mehrsprachigkeit, politischen Sachverstand –, 2. auf breite Wirkung – zweisprachige Textfassungen, Bild, das neue Medium des Drucks – und 3. auf personale Adressierung und individuelle Na-
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Karina Kellermann
mensnennung von Sender und Empfänger. Genau dies macht Sebastian Brant (1457–1521), Humanist, studierter Jurist und Doktor beider Rechte, Universitätslehrer und Literat in Basel, später Stadtschreiber in seiner Geburtsstadt Straßburg. Sein wichtigstes volkssprachiges Werk, das ›Narrenschiff‹, erstmals 1494 von Johann Bergmann von Olpe gedruckt, wird der erste europäische Bestseller und macht ihn mit einem Schlag berühmt. Aber schon vor diesem Bucherfolg ist Brant kein Unbekannter, notorisch nicht nur in Humanistenkreisen. Er hat sich einen Namen gemacht als Publizist, zunächst mit lateinischen Gedichten, dann auch mit deutschen, und sein Spezialgebiet sind außergewöhnliche Naturphänomene. In mehr als zwanzig Flugblättern oder Flugschriften hat er Stellung bezogen zu Planetenkonstellationen, Überschwemmungen, Seuchen und monströsen Tier- oder Menschenwesen, hat sie beschrieben, kategorisiert und prognostisch ausgedeutet, meistenteils politisch konkret.1 Als Prophet und Zeichendeuter ist er berufener Nachrichtenübermittler und wirkt mit seinen Flugschriften und -blättern als politischer Meinungsbildner in die Öffentlichkeit hinein.2 Wie der gelehrte Publizist es schafft, wunder naturwissenschaftlich zu erfassen, historisch zu situieren und so auszudeuten, dass er aus ihnen eine konkrete Handlungsanweisung an den Herrscher, König Maximilian († 1519)3, extrahieren kann, soll im Folgenden beispielhaft vorgeführt werden. Ich konzentriere mich hier im Wesentlichen auf zwei Flugblätter4 und ziehe ein drittes Blatt kurz heran, um die enge Verzahnung von Prodigien und politischer Ratgeberschaft zu demonstrieren und zudem die in1 Zu den Flugblättern vgl. Falk Eisermann, Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. VE 15, 3 Bde., Sebastian Brant in Bd. 2, Wiesbaden 2004, 318–335 [im Folgenden als VE 15 zitiert]. Vgl. Dieter Wuttke, Sebastian Brants Verhältnis zu Wunderdeutung und Astrologie, in: Werner Besch/Günther Jungbluth/Gerhard Meissburger et al. (edd.), Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Festschrift für Hugo Moser zum 65. Geburtstag, Berlin 1974, 272–286, bes. S. 279–284. Wieder in: Dieter Wuttke, Dazwischen. Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren (Saecula Spiritalia 29), 2 Bde., Bd. 1, Baden-Baden 1996, 195–212; Dieter Wuttke, Erzaugur des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: Sebastian Brant deutet siamesische Tiergeburten, in: Humanistica Lovaniensia 43 (1994), 106–131; Marco Heiles, Monster und Humanisten. Zum Bedeutungswandel der Monstra im ausgehenden Mittelalter (Hochschulschrift, Oxford 2010), http://dx.doi.org/10.17613/M6JJ6W. 2 Vgl. Jan-Dirk Müller, Poet, Prophet, Politiker: Sebastian Brant als Publizist und die Rolle der laikalen Intelligenz um 1500, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Politik und Dichtung vom Mittelalter bis zur Neuzeit 37 (1980), 102–127, bes. 102–105 u. 121f. 3 D. i. Kaiser Maximilian I. (1459–1519), der 1486 noch zu Lebzeiten seines Vaters, Kaiser Friedrichs III. († 1493), deutscher König wurde, aber erst 1508 den Kaisertitel annehmen konnte. 4 Beide Texte Brants habe ich unter den Aspekten von Wissen, Wahrheit und Medienwandel schon einmal behandelt: Karina Kellermann, Wissen im Wandel. Von Kosmos, Körper und Kometen, in: Heinz-Dieter Heimann/Martin M. Langner/Mario Müller et al. (edd.), Weltbilder des mittelalterlichen Menschen (Studium Litterarum 12), Berlin 2007, 53–68.
Sebastian Brant als Wunderzeichendeuter, Publizist und königlicher Ratgeber
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tertextuellen Beziehungen im publizistischen Werk Brants zu fokussieren. In der Publizistik finden sich unterschiedliche Genres, die alle zu den pragmatischen Texten gehören und weder fiktional noch erzählend sind. Dies bringt es mit sich, dass mein Beitrag als einer der wenigen dieses Bandes nicht das Ratgeberprofil einer fiktionalen Figur untersucht, sondern der Autor selbst in die Rolle des Ratgebers schlüpft. Diese Rolle ist selbstverständlich eine literarisch geformte, denn Sebastian Brant und seine publizistischen Kollegen arbeiten mit den verschiedensten rhetorischen Mitteln und entlehnen Rollen, Motive und Stoffe aus der literarischen Tradition.
2 Am 7. November 1492 ereignete sich im Deutschen Reich eine astronomische Sensation: Ein 130 kg schwerer Meteorit fiel auf ein Weizenfeld nahe dem elsässischen Dorf Ensisheim. Sofort wurde über dieses Ereignis berichtet und über seine Bedeutung spekuliert.5 Unter den Chronisten und Publizisten befand sich auch Sebastian Brant, der dem aufsehenerregenden Naturereignis eine politische Deutung gab. Er widmete dem Meteoritenfall ein in Text und Layout sorgfältig komponiertes und mit einem Holzschnitt versehenes bilinguales Flugblatt.6 Zweisprachigkeit ist keineswegs nur für Sebastian Brant typisch, sondern signifikant für die Humanisten immer dann, wenn sie eine breitere Öffentlichkeit erreichen, aber auch ihr gelehrtes Publikum nicht vernachlässigen wollten; sie schrieben dann zwei Fassungen eines Gedichts. In dem Fall – und das ist zu diesem Zeitpunkt singulär – sind die lateinische und die deutsche Fassung nebeneinander auf einem Flugblatt abgedruckt. Das Flugblatt ist sehr bald – wohl 5 König Maximilian selbst ließ es sich nicht nehmen, den Meteoriten vor Ort zu besichtigen; er reiste am 26. 11. 1492 nach Ensisheim. Vgl. Wolfgang Harms, Sebastian Brant und die Möglichkeiten der frühen Bildpublizistik, in: Gonthier-Louis Fink (ed.), Sébastien Brant, son époque et ›la Nef des fols‹. Sébastian Brant, seine Zeit und das »Narrenschiff« (Actes du Colloque international Strasbourg 10–11 Mars 1994), Strasbourg 1995, 23–45, hier 35. 6 Die Forschung geht allgemein davon aus, dass Sebastian Brant nicht nur die Inhalte, sondern auch die Anordnung der Texte und das im Holzschnitt Dargestellte vorgegeben hat (Nikolaus Henkel, Ein unveröffentlichtes deutsches Flugblatt Sebastian Brants. Die Klage des Friedens gegen den Krieg und die Verteidigung des Kriegs gegen den Frieden (1499), in: Rudolf Bentzinger/Ulrich-Dieter Oppitz /Jürgen Wolf (edd.), Grundlagen. Forschungen, Editionen und Materialien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit [Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Beiheft 18], Stuttgart 2013, 523–534, hier 529f.) oder – vorsichtiger – dass »Wahl und Entwicklung des Layouts als Ergebnis einer Kooperation von Verfasser, Formschneider, Drucker und Verleger zu gelten« habe (Michael Schilling, Die Flugblätter Sebastian Brants in der Geschichte der Bildpublizistik, in: Hans-Gert Roloff/Jean-Marie Valentin/Volkhard Wels (edd.), Sebastian Brant. 1457–1521 [Memoria 9], Berlin 2008, 143–167, hier 156).
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Karina Kellermann
noch im selben Monat – verlegt worden. Auf die Überschrift ›Uon dem donnerstein gefalle im xcij.iar: vor Ensishein‹ folgt zunächst der Holzschnitt im Querformat, der bedrohliche Wolken, aus denen der durch Strahlen gekennzeichnete Komet fällt, über baumgesäumten Straßen mit Menschen zu Fuß und zu Pferde sowie zwei Dörfer anzeigt, durch Inschriften als Ensißhein im Vordergrund und Battenhein im Hintergrund ausgewiesen.7 Darunter gesetzt ist der in zwei Kolumnen angeordnete Text. Die linke Kolumne wird vom lateinischen Text in 22 Distichen gefüllt, über die eine zweizeilige Überschrift in Majuskeln gesetzt ist: De fulgetra anni xcij. / Sebastianus Brant. Die rechte Kolumne hat keine Überschrift, sondern nur eine über 6 Textzeilen gezogene S-Initiale, die den 44versigen deutschen Text einleitet. Am Ende des auf die zwei Kolumnen aufgeteilten zweisprachigen Gedichts gibt es eine markante optische Trennung durch eine horizontal über beide Kolumnen laufende Überschrift von derselben Größe wie die oben zitierte erste lateinische: An Maximilianum Romischen kuning, wobei die ersten beiden Worte über der linken, die zweiten über der rechten Kolumne platziert sind, getrennt durch das königliche Wappen, den Adler. Dieses Schmuckelement trennt und vereinigt gleichzeitig den folgenden Text; denn der ist über beide Kolumnen fortlaufend auf Frühneuhochdeutsch abgefasst und beinhaltet eine wahre Kaskade von Ratschlägen an den Herrscher, formuliert in iterierenden Imperativen. Schauen wir uns den Text genauer an: Die Reimrede ›Uon dem donnerstein‹8 eröffnet der versierte Publizist Sebastian Brant mit dem reißerischen Doppelvers: S Jch wundert mancher fremder gschicht / Der merck vnd leß ouch diß bericht. »Mancher hört gern seltsame Ereignisse, der beachte und lese auch diesen Bericht.« (V. 50f.) Mit einer Adnominatio, der Wiederholung des Wortstammes wunder, setzt der Bericht ein, der auf Visualität abhebt und über 13 Verse atemlos Wundererscheinungen der Natur addiert:
7 Ich beziehe mich hier nur auf den Holzschnitt der beiden Baseler Drucke (VE 15: B-69, B-70), der auch im Straßburger Druck (VE 15: B-72) Verwendung findet. Der Reutlinger Druck (VE 15: B-71) benutzt einen anderen Holzschnitt. Zu den Drucken s. u. in meinem Beitrag. 8 Das Flugblatt in der ersten und zweiten Basler Auflage sowie die beiden Raubdrucke sind als Faksimile abgedruckt bei: Flugblätter des Sebastian Brant, ed. Paul Heitz. Mit einem Nachwort von Franz Schultz. Mit 25 Abb. (Jahresgaben der Gesellschaft für elsässische Literatur 3), Straßburg 1915. Taf. 1–4; Gedichte 1300–1500. Nach Handschriften und Frühdrucken in zeitlicher Folge, ed. Eva und Hansjürgen Kiepe (Epochen der deutschen Lyrik 2), München 1972, 385–389 bietet einen Textabdruck der lateinischen und deutschen Fassung der 1. Auflage des Blattes sowie eine Übersetzung des frühneuhochdeutschen Textes. Kiepes Abdruck und Übersetzung lege ich hier zugrunde; Sebastian Brant, Kleine Texte, ed. Thomas Wilhelmi (Arbeiten und Editionen zur mittleren deutschen Literatur. N. F. 3.1.1/3.1.2/3.2), 2 Bde., Bd. 1.1, Stuttgart, Bad Cannstatt 1998. Wilhelmi ediert den zweisprachigen Text als Nr. 79 und trennt den Aufruf ›An Maximilianum Romischen kuning‹ als eigenes Gedicht ab: Nr. 80.
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Es sint gesehen wunder vil Jm lufft / comet vnd fuͦ ren pfil. Brinnend fackel / flamme vnd kron. Wild kreiß vnd zirckel vmb den mon Am hymel. bluͦ t / vnd fuͦ ren schilt Regen noch form der thier gebildt. […] Als ouch ander der wunder glich. »Es wurden viele Wundererscheinungen in der Luft gesehen: Kometen und feurige Pfeile, eine brennende Fackel, Flamme und Krone, seltsame Kreise und Ringe um den Mond, Blut am Himmel und feurige Schilde, Regen[wolken] in Tiergestalt […] und auch andere ähnliche Wunder.« (V. 52–57; 64)
Dann leitet er über zu spezifischen Himmelszeichen, die unter den drei Kaisern mit dem Namen Friedrich zu sehen waren – gemeint sind die beiden Stauferkaiser Friedrich I. († 1190), Friedrich II. († 1250) und der Habsburger Friedrich III. († 1493), Maximilians Vater, – und gibt den kosmischen Erscheinungen auf diese Weise eine geschichtliche Dimension, die bis in die Gegenwart reicht; denn Friedrich III. lebt noch. Der Fluchtpunkt der Aufzählung der Naturwunder ist das aktuelle Ereignis: der grusam donnerschlag (V. 79) von Ensisheim. Nachdem er das beunruhigende Naturereignis durch die Kaiserreihe der drei Friedriche historisch situiert hat, kann Brant naturwissenschaftlich exakt berichten: Er nennt Datum und Ort des Aufpralls, Gewicht, Konsistenz, geometrische Gestalt und Farbe des kosmischen Körpers und erwähnt die Streuung einzelner Teile: Als man zalt viertzehenhundert Jar Uff sant Florentzen tag ist war Nuntzig vnd zwei vmb mittentag Geschach ein grusam donnerschlag / Drij zentner schwer fiel diser stein Hie in dem feld vor Ensißhein / Drij eck hat der verschwertzet gar Wie ertz gestalt vnd erdes var Ouch ist gesehen in dem lufft Slymbes fiel er in erdes klufft Clein stuck sint komen hin vnd har Und wit zerfürt süst sichst in gar. »Am Sankt Florentiustag 1492
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um Mittag erscholl ein grausiger Donnerschlag: drei Zentner schwer fiel dieser Stein hier in das Feld vor Ensisheim. Er hat drei Ecken [und ist] völlig geschwärzt, wie Erz aussehend und erdfarben. Er wurde [noch] in der Luft gesehen, fiel schräg herunter und schlug in die Erde. Kleine Stücke sind hierhin- und dorthingekommen und weit verstreut worden, im übrigen siehst du ihn ganz und heil.« (V. 76–87)
Während die Wirkung des Meteoriteneinschlags im Umland visuell erfahrbar ist, können Bewohner der Regionen in mittlerer Distanz das Krachen hören, und für die Franzosen im fernen Burgund ist das akustische Signal als Zeichen des Schreckens zu werten (V. 90–93). Damit endet der Bericht. Worin bestehen die inhaltlichen Unterschiede der lateinischen und deutschen Fassung? Sie sind minimal, aber signifikant. In der lateinischen Fassung gibt Brant die Hinweise auf den saturnischen Charakter des Meteoritenfalls und auf den antiken Naturphilosophen Anaxagoras, der im Mittelalter über Plinius’ ›Naturgeschichte‹ bekannt war; nur in der lateinischen Fassung stellt Brant die Schwierigkeit einer naturwissenschaftlichen Erklärung aus und bleibt in der Auslegung eher vage. Alles in allem ist der wissenschaftliche Anspruch im lateinischen Text höher, mit Vorwissen wird gerechnet: Anaxagoras hatte einst einen Meteoritenfall in Thrakien korrekt vorausgesagt. Bei der Beschreibung des Steins erfährt das gelehrte humanistische Publikum nicht nur, dass die Abmessung des Steines dreieckig ist, sondern Cui species delte est (V. 32), d. h. in der Form dem griechischen Buchstaben Delta entspricht. Aber auch die deutsche Version weist Details auf, die wiederum der lateinischen fehlen: nur im Deutschen erfährt man das exakte Gewicht des Meteoriten: Drij zentner (V. 80).9 Mit den vier Schlussversen des deutschsprachigen Berichts (V. 90–93), die den politischen Gegner als Empfänger einer Negativbotschaft adressieren, ist der Humanist bereits in die Auslegung eingeschwenkt, die nun, nach der Wid-
9 Zu den zwei Fassungen vgl. Dieter Wuttke, Sebastian Brant und Maximilian I. Eine Studie zu Brants Donnerstein-Flugblatt des Jahres 1492, in: Otto Herding/Robert Stupperich (edd.), Die Humanisten in ihrer politischen und sozialen Umwelt (Kommission für Humanismusforschung. Mitteilung 3), Boppard 1976, 141–176, 150f. Wieder in: Dieter Wuttke, Dazwischen. Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren (Saecula Spiritalia 29), 2 Bde., Bd. 1, BadenBaden 1996, 213–250; Pia Reimen, »Der Donnerstein zu Ensisheim«. Zu einem Flugblatt Sebastian Brants, in: Centre Universitaire de Luxembourg. Publications du Centre Universitaire de Luxembourg. Germanistik / Département des Lettres Allemandes, Fasc. 5, Luxembourg 1993, 1–13, hier 11–13.
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mungsadresse an Maximilian, in eine Serie politischer Ratschläge übergeht.10 Diese Ratschläge gibt der selbstbewusste Autor dem Herrscher in Befehlsform: S Jch für dich recht o Adler milt. Erlich sint wapen in dim schilt Brüch dich noch eren gen dim findt An dem all truw vnd ere ist blindt Schlag redlich / vnd mit froüden dran / Trib vmb das radt Maxmilian Jn dim geuell das gluck jetzt stat Ach suͦ m dich nit / küm nit zuͦ spat Nit sorg den vnfal vff diß Jar Nit vorcht din findt als vmb ein har Sig / seld / vnd heyl von Osterich Bürgundisch hertz von dir nit wich Romsch ere vnd tütscher nacion An dir o höchster künig stan. »Gib recht acht, o gnädiger Adler! Die Wappen auf deinem Schild bezeugen Deine Ehre so handle, wie es die Ehre verlangt, gegenüber deinem Feind, der bar jeder Treue und Ehre ist! Schlag trefflich und mit Freude drein! Dreh das Rad [des Glückes] herum, Maximilian, dir neigt sich das Glück jetzt zu! Ach, säume nicht, komm nicht zu spät! Befürchte jetzt kein Mißgeschick, fürchte deine Feinde nicht im geringsten! Sieg, Glück und Heil von Österreich Herz von Burgund, werde dir nicht untreu! Die römische Ehre und die der deutschen Nation stehen und fallen mit dir, o höchster König.« (V. 95–108)
Und dann wird die Auslegung des Naturereignisses ganz konkret zum politischen Ratschlag enggeführt: Nym war der stein ist dir gesant Dich mant gott in dim eigen lant Das du dich stellen sölt zuͦ wer O küning milt fuͦ r vß din her Cling harnesch. vnd der büchsen werck Trummet herschoͤ l / franzoͤ sisch berck Ouͦ ch mach den grossen hochmuͦ t zam. 10 Diese Ratschläge werden ungebeten erteilt. Bischöfe als oft unbequeme Ratgeber des Königs, die ungebeten Rat erteilen, untersucht Alheydis Plassmann in ihrem Beitrag (79–98). Ratsuchende Herrscher stehen im Zentrum der Aufsätze von Felix Bohlen und Theresa Wilke.
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Rett schirm din ere vnd guͦ tten nam. »Sieh, der Stein ist dir gesandt worden. Gott ermahnt dich in deinem eigenen Land, daß du dich zur Wehr setzen sollst. O milder König, führ dein Heer hinaus – Harnisch und Geschütze, ertönt! Trompete, laß die französischen Berge widerhallen! – und bändige den großen Hochmut! Rette, schütze deine Ehre und deinen guten Namen!« (V. 109–116)
Sebastian Brant deutet den Kometenfall providentiell aus, er ist ein Zeichen, das die Zukunft des Königs bestimmt, er ist ein konkretes reichspolitisches Prodigium. Der gelehrte Humanist schwingt sich zum Ratgeber auf, weil er erstens die Zeichen in der Natur sehen und wissenschaftlich beschreiben kann – das ist seine Funktion als ›moderner‹ Naturwissenschaftler. Er kann aber zweitens die Zeichen auslegen, und ist somit auch ein Weiser alter Schule, der in den Strukturen der Heilsgeschichte denkt. Jedoch vollzieht er keine klassische an der Bibelexegese ausgerichtete Allegorese, vielmehr deutet er den mirakulösen Sternenfall als glückliche Fügung im Leben Maximilians, dafür steht das Bild des Glücksrads. Aber dieses Glück ereignet sich nicht im Leben des Privatmanns, sondern in dem des Königs, und somit wird aus der Deutung ein politischer Ratschlag, der das Deutsche Reich betrifft.11 Naturbeobachtung und Naturausdeutung werden funktionalisiert zur konkreten Handlungsanweisung im Dienst tagespolitischer Pragmatik. Und da Brant Doktor beider Rechte und Dekan der juristischen Fakultät zu Basel ist, nimmt er außerdem Stellung für das Recht des Deutschen Reichs gegen den Rechtsbrecher Karl VIII. von Frankreich.12 Dass der deutsche König die Prophezeiung Brants ernst genommen und in seinen politischen Unternehmungen berücksichtigt hat, ist belegt. Maximilian erwähnt in einem späteren Mandat vom 12. 11. 1503 den Meteoritenfall und interpretiert ihn als Mahnung Gottes und entsprechend Brants Auslegung als Aufforderung zum Kampf zunächst gegen die Franzosen und später dann gegen die Ungläubigen.13 11 Handlungsempfehlung auf der Basis massiver Herrscherkritik untersucht Ulrike Becker in ihrem Beitrag (123–145). 12 Die rechtliche Dimension der Zeichendeutung betont Joachim Knape, Dichtung, Recht und Freiheit. Studien zu Leben und Werk Sebastian Brants 1457–1521. Mit 58 Abb. (Saecula Spiritalia 23), Baden-Baden 1992, 77. 13 Vgl. Wuttke 1976, 167–169. Die deutsche Fassung des Mandats ebd. 168f. König Maximilian setzte die Erneuerung des St. Georg-Ordens zum Kampf gegen die Ungläubigen fest und erwähnt in diesem Zusammenhang den Meteoritenfall. Der Kaiser interpretiert ihn als Mahnung Gottes und entsprechend Brants Auslegung als Aufforderung zum Kampf zunächst gegen die Franzosen und später dann gegen die Ungläubigen, in diesem Fall die Türken. Dass die Grenzverwischung von »Türkenkrieg« und »Kreuzzug« in Brants Schriften beabsichtigt erscheint, hebt Jean Schillinger, Der Türkenkrieg im Werk Sebastian Brants, in: Hans-Gert
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Das beweist: Der König hat die Brantsche Deutung des Himmelszeichens nach dem glücklichen Sieg über den französischen König und in seinen seit 1502 forcierten Planungen eines Kreuzzugs gegen die Türken bereitwillig als positives Omen aufgenommen, um Siegesstimmung zu schüren und die Zögerlichen auf seine Seite zu ziehen.14 Der Ratgeber hat den textinternen Adressaten, den Herrscher, erreicht. Wie sieht es mit den externen Adressaten aus? Hier ist mit zwei Rezipientengruppen zu rechnen: Mit der lateinischen Version des bilingualen Flugblatts wollte Brant ein akademisches Publikum ansprechen, so wie er es schon während seiner Basler Studienzeit vor 1492 mehrmals getan hatte, als er lateinische Anschläge an Kirchentüren heftete.15 Mit der deutschen Fassung und nicht zuletzt dem Holzschnitt und dem markanten Layout zielte Brant auf ein breites Publikum, den ›Gemeinen Mann‹. Der »plakatähnliche[] Gesamteindruck«,16 der sicher auf eine Kooperation von Autor, Formschneider, Drucker und Verleger zurückgeht, hat diesem Flugblatt eine breite Wirkung beschert. Noch im selben Jahr druckte der Verleger Johann Bergmann von Olpe in Basel eine zweite Auflage, und außerdem entstanden zwei weitere Drucke als Raubdrucke in Reutlingen bei Michael Greiyff und in Straßburg bei Johannes Prüss. Ein solcher medialer Erfolg ist ebenso sensationell wie das beschriebene Naturereignis. Dass Bilder in Form von Holzschnitten die Wirksamkeit von Flugblättern steigern, ist gut zu belegen und leicht nachzuvollziehen. Die alte Forschungsthese aber, dass Bilder die Analphabeten adressieren, die den Text nur oral aufnehmen können, während die Schriftkundigen sich an die Schrift halten, ist längst obsolet.17 Hier an diesem Flugblatt lässt sich sogar noch eine weitere Vermischung von Rezeptionsebenen beobachten: Beide deutschen Texte, der 44versige Bericht über den Kometenfall wie auch die 22versige ›Adhortatio Maximiliani‹, sind mit dem Akrostichon SEBASTIANUS BRAND DOCTOR versehen. Die nur in der Schrift sichtbare Schmuckform hat der Dichter ausgerechnet in den volkssprachigen Text gesetzt, ein klarer Beleg dafür, dass auch der deutsche Text und nicht nur der lateinische
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Roloff/Jean-Marie Valentin/Volkhard Wels (edd.), Sebastian Brant. 1457–1521 (Memoria 9), Berlin 2008, 169–201, 188 hervor. Nach dem Bündnis mit Frankreich und Burgund 1501 forderte Maximilian von den Reichsständen die Bereitstellung von Truppen für den Türkenkrieg. Vgl. Dieter Mertens, Sebastian Brant, Kaiser Maximilian, das Reich und der Türkenkrieg, in: Klaus Bergdolt/ Joachim Knape/Anton Schindling et al. (edd.), Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 26), Wiesbaden 2010, 173–218, hier 207. Vgl. Schilling 2008, 146f. Ebd., 147. Harms 1995, 39: »In keinem einzigen Fall ersetzt die Lektüre des Bildes die Lektüre von Brants Text. […] Nicht Konkurrenz, sondern wechselseitige Bedingung macht das Text-BildVerhältnis dieser Flugblätter aus.«
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für ein zumindest mäßig gebildetes Publikum gedacht war, das nicht nur alphabetisiert war, sondern auch schriftliche Zierformen erkennen und goutieren konnte.18
3 Wenige Monate später, Anfang 1493, verfasst Sebastian Brant ein Flugblatt auf den Schlachtensieg Maximilians über den französischen König Karl VIII. bei Salins in der Grafschaft Burgund am 17. 1. 1493.19 Auch dieses zweite erhaltene Flugblatt aus dem Œuvre Brants weist ein sorgsam gestaltetes Layout auf. Unter einem querformatigen Holzschnitt ist die Überschrift ›Von der erlichen schlacht der Tutschen by Salyn‹ mit der Autorsignatur ›Sebastiani Brant‹ in einer Zeile quer über das Blatt gesetzt. Darunter folgt in drei Kolumnen in kleinerer Schrift der einsprachige Text, der die dritte Spalte nicht ganz ausfüllt. Kolumne 1 und 2 werden durch eine vertikal verlaufende breite Schmuckleiste mit drei großen Wappen Österreichs, des Deutschen Reichs und Burgunds getrennt, zwischen der 2. und 3. Kolumne verläuft eine wesentlich schmalere vertikale Leiste mit Wappen und anderen heraldischen Elementen. Der Holzschnitt zeigt zwei feindliche Heere gegeneinander reiten mit eingelegten oder aufgerichteten Lanzen, im Vordergrund eine Kanone. In dem Schlachtgetümmel sind einige wenige über den Kopf gehobene Schwerter auszumachen, deutlich aber ein Lilienbanner auf französischer Seite und zwei Banner auf der deutschen Seite.20 Im Hintergrund erstreckt sich eine hügelige Landschaft mit einer Ortschaft im rechten Bildteil und weiteren angedeuteten Bäumen, Häusern und Kirchtürmen im mittleren Hintergrund. Von diesem deutschsprachigen Flugblatt kennen wir nur einen Druck aus dem Verlag Johann Bergmanns von Olpe in Basel, dessen Signet Nüt on vrsach J. B. das Blatt nach der Jahreszahl 1493 beschließt. Dass Brant auch eine
18 Wie ein volkssprachiger Text durch stilistische und narrative Mittel unterschiedliche Rezipientengruppen adressieren kann, stellt Sophie Quander in ihrem Beitrag zur ›Reformatio Sigismundi‹ heraus (217–239). 19 Das Flugblatt ist als Faksimile abgedruckt bei Heitz 1915, Taf. 5. Editionen des Textes: Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert, ed. Rochus von Liliencron (4 Bde., Bd. 2), Leipzig 1866 (ND Hildesheim 1966), Nr. 183; Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Nr. 81 (zit.). Dieses einsprachige Blatt ist chronologisch das zweite erhaltene Flugblatt Brants: VE 15, B 73. Zu der Reimrede vgl. auch Karina Kellermann, Abschied vom »historischen Volkslied«. Studien zu Funktion, Ästhetik und Publizität der Gattung historisch-politische Ereignisdichtung (Hermaea 90), Tübingen 2000, 309f. 20 Harms 1995, 37: »Im übrigen zeigt das Blatt die zeittypische Nahsicht des Schlachtgeschehens, noch ohne Ansätze zu Informationen über strategische Ordnungen«.
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lateinische Fassung in Druck gehen ließ, ist recht wahrscheinlich,21 allerdings findet sich keine in den 1498 von ihm zusammengestellten ›Varia Carmina‹.22 Der Text beginnt mit einer imperativischen Warnung des Dichters an den französischen König, nicht nach der Reichsherrschaft zu streben und seine Übergriffe auf Maximilians Erbland Burgund23 zu unterlassen, denn das könne kein gutes Ende nehmen. Hätte er Auguren oder andere Mantiker gehabt, die Vogelschau betrieben,24 dann wüsste er, was ihm die Zukunft bringt – nämlich die Vergeltung Gottes für die Schmach, die er dem frommen hertz Maximilian (V. 12) angetan habe. Anschließend wendet sich Brant dem eigentlichen Vorhaben zu, der Schlachtschilderung mit der Niederlage der Franzosen und dem glänzenden Sieg der Truppen Maximilians. Die Parteien werden markant als die franzosen (V. 52 u. ö.) und die tutschen (V. 88 u. ö.) in Freund und Feind geschieden, mehrfach identifiziert sich der Dichter selbst mit den Deutschen, indem er von »den unsrigen«25 spricht und zuletzt ist es auch das Kollektiv, das den Sieg einfährt: Doch zoch es sich als uff das lest Als es gott fugt und haben wolt Das uns der sig beliben solt »Doch lief es zuletzt alles darauf hinaus, wie Gott es fügte und wollte, dass der Sieg bei uns bleiben sollte.« (V. 84–86)
Der Kriegsbericht endet mit der Genugtuung des Dichters, dass die Franzosen, von ihrem hochmütigen Wahn getäuscht, Gottes Gerechtigkeit und die Quittung für ihre permanente Superbia erfahren haben. Dafür gebühre Gott »Lob, Ehre, Preis, Ansehen und Ruhm«.26 Ab V. 110 beginnt eine neue Partie des Gedichts, die für das Thema ›Ratgeberschaft‹ von besonderem Interesse ist. Brant erinnert Maximilian an seine 21 Schilling 2008, 151: »Es ist nicht ausgeschlossen, ja sogar wahrscheinlich, dass es zu den nur in einer Sprache überlieferten Einblattdrucken jeweils ein Pendant in der anderen Sprache gegeben hat.« 22 Die ›Varia Carmina‹ sind eine von Brant selbst 1498 für den Druck zusammengestellte Sammlung seiner kleineren lateinischen Gedichte. 23 Burgund war durch seine Heirat mit der Erbin, Maria von Burgund, an Maximilian gefallen und dann auf deren Tochter Margaretha übertragen worden. Diese brachte Burgund in die Ehe mit dem französischen König Karl VIII. Nach der Auflösung der noch nicht vollzogenen Ehe des Königs mit Margaretha war dieser nicht bereit, deren Brautland herauszugeben. 24 Für war, hestu Aruspices / Oder die man nempt Augures / Das sie dir zeigtent künfftig ding. »Wahrlich, hättest Du die Auspizien oder Leute, die man Auguren nennt, dass sie dir die Zukunft anzeigten« (V. 5–7). 25 die unseren (V. 64), den unsern (V. 69), die unsern (V. 76) u. ö. 26 Dem sy, lob, er, prys, wird, und, zier (V. 109).
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frühere Reimrede, die er in schriftlicher Form als Mahnung und als Ratschlag an den König gerichtet habe: Vor hab ich ouch geschriben dir O Romscher kuͤ nig […] »Zuvor habe ich bereits für Dich geschrieben, oh, römischer König […]« (V. 110f.) Ouch hab ich vor gemanet dich Das dir on ursach nit der stein Gefallen sy vor Ensisheim Und das din gluck sich uff diß iar Anfacht, on end blibt, das ist war Biß das din leben sich versliess. »Auch habe ich Dich schon früher belehrt, dass der Stein vor Ensisheim nicht ohne Grund vom Himmel gefallen ist und dass Dein Glück in diesem Jahr beginnt und ohne Ende fortdauert, solange Du lebst, das ist wahr!« (V. 118–123)
Er verweist auf seine Dichtung von November 1492, eben das oben besprochene Flugblatt zum Meteoritenfall von Ensisheim, und erinnert den König an eine Prophezeiung, die er damals getätigt habe und die sich jetzt durch den Sieg über den französischen König als wahr erwiesen habe. Brant koppelt die Aussagen seiner zwei Dichtungen aneinander, insinuiert, dass Gott die Schmach des Herrschers nicht ungerächt lasse, und fordert ihn auf, das neue Gedicht – und damit die Deutung, die Brant dem Sieg von Salins gibt – als Fortsetzung der ersten Weissagung zu lesen: Nym diß gedicht on widertrieß / Und gedenck, was ich dir hab geseit »Nimm dieses Gedicht ohne Widerstand / und erinnere Dich, was ich Dir gesagt habe.« (V. 124f.)27 Der Dichter als Prophet sieht eine Serie: Der Meteoritenfall steht am Beginn einer Glückssträhne der Herrschaft Maximilians, die mit dem Sieg von Salins ihre Fortsetzung findet, denn nun ist dieser – wenigstens teilweise – auch faktisch wieder im Besitz seines Erbes, das Brant ihm in den folgenden Versen zuschreibt: Von osterich du edels bluͦ tt Ein furst Burgund, flandern brabant Ungren, vil rich und mechtig landt 27 Wuttke 1976, 170: »Die letzte Gewißheit, daß seine Verknüpfung berechtigt war, erhält er post festum. […] Wäre der Frankreich-Zug Maximilians ungünstig ausgegangen, hätte er beschämt schweigen müssen.«
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Sint dir von erbrecht underthon »Du edles Blut von Österreich, Fürst von Burgund, Flandern, Brabant, Ungarn, viele blühende und mächtige Länder sind dir aufgrund des Erbrechts untertan.« (V. 130–133)
Anschließend folgt der entscheidende politische Ratschlag: Als Erbe mächtiger Länder, Herrscher des deutschen Reiches (V. 129) und Repräsentant des Rechts (V. 126f.) soll er den vorgezeichneten Weg weitergehen und sich nun zum Weltherrscher aufschwingen, indem er gegen die Türken zieht und das Heilige Land befreit: Dich forcht all welt und nation Turck, heiden, all ertrich wirt gon Under din gwalt, gebott, und kron »Alle Welt und alle Völker fürchten Dich, Türken, Heiden, die ganze Erde wird unter Deine Herrschaft gelangen und Deiner Krone unterstellt.« (V. 134–136)
Sebastian Brant geriert sich in dieser Reimrede zunächst als Augenzeuge und Beobachter der Schlacht und Kenner der Topographie.28 Er gestaltet den Schlachtbericht konsequent parteilich und rahmt ihn mit einer politischen Scheltrede auf die Franzosen bzw. den Herrscher König Karl VIII. selbst, den er bereits im ersten Vers persönlich und despektierlich Von Franckrich Karle adressiert und damit für die Niederlage verantwortlich macht.29 Der klare Aufbau der 159versigen Reimrede setzt sich fort in ihrem letzten Drittel, auf das ich hier den Fokus lege. 50 Verse lang kombiniert Brant einen Panegyricos auf den Herrscher mit dem Aufruf zu einem Unternehmen universalpolitischer Bedeutung. Das dominante Thema dieser Schlusssequenz aber ist die Beratung: Der Sieg über die Franzosen – so Brant – sei nur der Auftakt gewesen. Er rät dem König, nun den Kriegszug gegen die Türken anzugehen und insinuiert ihn als Kreuzzug, der auf die rechtmäßige »Zurückeroberung des Heiligen Landes«30 abziele. Mit dieser Aufforderung wagt sich Brant sehr weit vor. Nachdem er Maximilian an seine Prophezeiung nach dem Meteoritenfall erinnert hat und den Schlachtensieg als Zeichen des prophezeiten Glücks feiert, nimmt der Dichter 28 Textsignale sind die Angabe von Datum (V. 49), Uhrzeit (V. 50, 58, 81) und Zahlenverhältnissen der Truppen (V. 91f.), die Wahrheitsbeteuerung (V. 90) und nicht zum Geringsten das kollektive »wir«. 29 Die Rahmung erfolgt V. 1–12 und V. 104–109. 30 Schillinger 2008, 189. Schillinger stellt die Kreuzzugspläne Maximilians und die publizistische Unterstützung, die Brant dem Herrscher durch seine lateinischsprachigen Dichtungen leistete, in einen plausiblen Zusammenhang.
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nun – Ausweis seines exzeptionellen Selbstbewusstseins31 – den Herrscher als seinen Brötchengeber in die Pflicht, und zwar äußerst raffiniert. Er lobt ihn, nennt exemplarische Gestalten der Antike und schreibt ihm die Taten in sein Pflichtenheft, die er verrichten muss, um den Panegyricos durch den gelehrten Poeten und Prodigiendeuter Sebastianus Brandt auf Dauer zu stellen:32 Den anfang hab ich dir bedütt Leb ich und sych die kunfftig zytt Hoff ich, das all min synn und gdycht Allein werd uff din er gericht Und du mir gebst mattery genuͦ g Zuͦ eren dich in feders pfluͦ g Das ich allzyt din manheitt groß Und dugent schrib on underloß Als ich in guͦ tter hoffnung bin Dir wil ich bruchen all min sinn Hercly din lob sich glichen sol Und Allexandro, hoff ich wol, Und das die wilden Tygerthier Du von Arabien drybest schier Als vor den Dionysius Das ist, das du das heilig huß Jherusalem, und berg syon Machst aller Sarracenen on Uns wider kuͦ m das heillig land Gott geb den sig dir in din handt. Begert Sebastianus Brandt. Diß klein gedichtlin nit veracht Jn einer stund hatt ers gemacht. »Den Anfang habe ich Dir ausgedeutet. Wenn ich weiterlebe und auch weiterhin in die Zukunft schaue, dann, so hoffe ich, dass alle meine Verstandesgaben und all mein Dichten allein auf deine Ehre ausgerichtet sein werden 31 Eine selbstbewusste Ratgeberfigur innerhalb eines fiktionalen Textes stellt Ann-Kathrin Deininger in ihrem Beitrag vor: Hier ist es Graf Rudolf, der durch eine Reihe von Beratungsszenen mehr und mehr an Prestige gewinnt und immer vertrauter mit dem König wird (vgl. Abschnitt 4.3 des Beitrags von Deininger, 180–187). 32 Jan-Dirk Müller, Publizistik unter Maximilian I. Zwischen Buchdruck und mündlicher Verkündigung. in: Ute Frevert/Wolfgang Braungart (edd.), Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, Göttingen 2004, 95–122, hier 97 bemerkt, dass in der Publizistik unter Maximilian die Verbindung von Aktuellem und »übergeschichtlichen Ordnungen« mit der »Verstetigung politischer Rechtfertigung« durch »regelmäßige Information über die Regierungstätigkeit« einhergeht. Es kommt schon »eine andere Struktur der Zeit in den Blick« […], »Zeit als ein Prozess, in dem die Gegenwart in vielfacher Hinsicht mit der Vergangenheit verknüpft ist.«
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und du mir Stoff genug gibst, dich mit der Schreibfeder zu ehren, so dass ich immerzu und pausenlos deine große Tapferkeit und Tugend dichtend besinge, was ich zuversichtlich hoffe. Auf dich will ich meinen ganzen Verstand richten: ich will dein Lob mit dem des Herkules gleichsetzen und dem des Alexander, wie ich hoffe. Und dass du die wilden Tiger von Arabien hierher treibst wie in Vorzeiten Dionysius. Und dass du unsere heilige Heimat, Jerusalem und den Berg Sion, von allen Heiden befreist, so dass das Heilige Land wieder in unseren Besitz komme. Gott verleihe dir den Sieg, das wünscht Sebastian Brandt! Verachte dieses kurze Gedicht nicht, das er in kurzer Zeit gemacht hat.« (V. 137–159)
Er begegnet dem König auf Augenhöhe, denn er duzt ihn und setzt sich selbst in der 1. Person Singular oder über die entsprechenden Possessivpronomina in den 20 Versen der Rede 10mal ein, genauso häufig wie das du, dich, dir oder die Possessiva in der 2. Person Singular für den Herrscher. Nach dieser geballten Egomanie, mit der er sich als Ratgeber ausstattet, kann er dann in den Schlussversen in die 3. Person Singular wechseln und nach der Segensformel für den Sieg des Weltenherrschers Maximilian mit der traditionellen Captatio benevolentiae des Dichters enden.33 Der Ratgeber richtet seinen Ratschlag über die konkreten Eroberungs- und Befreiungskriegszüge hinaus auf den Nachruhm, der die Memoria des Königs wach und den Dichter im Brot hält. Brants Kalkül ging auf. Seine jahrzehntelange publizistische Tätigkeit, die ausschließlich Reichsinteressen verfolgte und sich oftmals in Herrscherlob und Herrscherrat niederschlug, und sein hohes Renommee als Jurist und Gutachter wurden im April 1502 von Maximilian mit dem Titel »Rat und Diener« belohnt, was einem kaiserlichen Consiliarius entspricht.34 Nur wenige Monate später berief ihn der König nach Innsbruck, »wo die Hofordnung von 1476 vorsah, daß immer ein gelerter vernunfftiger doctor bei Tisch sein sollte«.35 Da Brant zur selben Zeit Stadtsyndikus 33 Ulrike Becker arbeitet in ihrem Beitrag heraus, welche Rolle der Wechsel von offizieller zu persönlicher Anrede bei der Beratung des Herrschers spielen kann (123–145). 34 Knape 1992, 185 wertet die Quellen aus und ergänzt noch weitere Titel: Brant wurde »Comes palatinus (Pfalzgraf)« und außerdem »zum Beisitzer am Speyrer Reichskammergericht berufen.« 35 Ebd., 185.
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und Stadtschreiber Straßburgs (prothonotarius civitatis argentinensis) war und blieb,36 ist zu konstatieren, dass sich das Amt in der Reichsstadt und die Tätigkeit am Hof nicht ausschlossen, zumal die Urkunden von mehreren Begegnungen zwischen Brant und dem König berichten. Entscheidend scheint mir, dass es sich bei den von Maximilian verliehenen Titeln nicht um reine Ehrentitel handelt, sondern Brants Ratgeberfunktion mit jährlich 50 Gulden aus der königlichen Kasse entlohnt wurde.37
4 Mit der Ausdeutung des Meteoritenfalls im Elsass, dem bald weitere Wunderdeutungen Brants folgten, war der Grundstein zum Ruhm des Humanisten als Prodigienmeister gelegt. Brant bekam die verstörenden Exemplare aus Gottes Schöpfung, die im Wissensdiskurs der Zeit meist unter der Rubrik ›monstra‹ firmieren, ins Haus geschickt, weil man seine Auslegung erfahren und damit das Beunruhigende bannen wollte.38 Ihm wurde die Autorität des wissenden Ausdeuters zugeschrieben, und er selbst hat diese Zuschreibung in der Regel auch akzeptiert. Mehrfach hat Sebastian Brant selbst seine spezifische Kompetenz als Deuter von Naturwundern unterstrichen und einen Zusammenhang von der Häufung der Wunderzeichen in der Natur und der Bedrohung der religiösen, kulturellen und politischen Ordnung hergestellt. So gilt ihm der Meteorit von Ensisheim als Anfang einer bedeutsamen Serie und steht am Beginn seiner Augurentätigkeit. Dies lässt sich am Flugblatt studieren: ›Von der wunderbaren Su / zuͦ Landser jm Suntgaw des jars .M.CCCC.XCVj. / Uff den erstentag des mertzen geboren / Ein versaͤ helich ußlegung Sebastiani Brant.‹ – »Von der wunderlichen Sau zu Landser im Sundgau, am 1. März 1496 geboren. Eine an Gewissheit grenzende wahrscheinliche Auslegung des Sebastian Brant.«39 Schon 36 Ebd., 188. Knape, der noch weitere Amtsbezeichnungen Brants in Straßburg nennt, streicht die Bedeutung des Stadtschreiberamts heraus: »Zu Brants Zeit war es unter dem politischen Regiment die höchste und wichtigste Verwaltungsposition in der Freien Reichsstadt.« 37 Ebd., 186 zitiert aus einem Schreiben von Sebastian Brants Sohn Onofrius: »Jr maiestat gab auch (on alle sein ansuchung / bitt / oder beger) auß sundern Keyserlichen gnaden / ime einen bestall brief / vff järlichs Fünfftzig gulden.« 38 Vgl. Wuttke 1974, 280; Harms 1995, 40: »Die Wahrnehmung des Monströsen verlangte, weil es etwas anzeigt (monstrat), nach der Leistung des deutungsfähigen Propheten, der über die Beunruhigung der Gegenwart hinausblickt und -redet und die gottgeschaffene Natur auch in ihren häßlichen Entstellungen als Medium Gottes verstehbar macht.« 39 Die deutsche Fassung VE 15, B-81, die lateinische VE 15, B-82. Das Flugblatt ist als Faksimile abgedruckt in: Flugblätter, ed. Heitz, Taf. 10. Der Text ist ediert in: Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi 1998, Nr. 158 (zit.). Hier berichtet Brant selbst davon, dass der Amtmann Christoph von Hattstatt ihm die Ferkel-Missgeburt zugesandt habe (V. 60f.). Zu diesem Flugblatt vgl. Wuttke 1994, 108–115; Harms 1995, 32–35.
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hier im Titel, der zwischen den Holzschnitt und die Reimrede platziert ist, gibt er sich stolz als Experte zu erkennen und zählt dann neun beunruhigende Vorfälle der Natur auf, die sich im Deutschen Reich in den letzten Jahren ereigneten, darunter den wundersteyn by Ennßheyn (V. 19). Gerahmt ist diese Reihe durch einen an das Reich und den König gerichteten Ausruf, der die Häufung der Naturwunder, ihren Zeichencharakter und ihre Wertigkeit als von Gott gesandte Vorboten ausstellt und diese als Ankündigung einer großen Gefahr für die gesamte Christenheit liest, einer Gefahr, die ihren Zenit noch nicht erreicht habe. Die Reimrede beginnt: O Roͤ msches rich du heilge kron Was wil zuͦ letzst doch nacher gon So man taͤ glich entpfindt und sieht So vil wunders so staͤ ts geschieht Do mit uns die natur zeigt an By wunder, wunderwerck verstan Und das gott ettwas wurcken well Das die natur vor zeygen soͤ ll. »O heilige Krone des römischen Reichs! Was wird zuletzt noch geschehen, da man täglich empfindet und sieht so viele Wunder, die permanent geschehen. Damit zeigt uns die Natur an durch Wunder, Wunderwerke sollen wir verstehen, dass Gott etwas machen will, das die Natur zuvor anzeigen soll.« (V. 1–8)
Nach der Reihung der Wunder, bevor das neue ›monstrum‹, die wunderliche Sau von Landser, vorgestellt und als Zeichen für die Gefahr türkischer Hegemonie gedeutet wird,40 weist Brant darauf hin, dass seine Aufzählung der Wunder weder vollständig noch abgeschlossen sei: Jst worlich on bedütniß nitt, Jch wil geswygen anders vil Dar uß man naͤ men moͤ cht by wyle Anzeyg zuͦ sorg, vorcht, angstbarkeyt So billich yetz all cristenheyt Betrachten solt gantz innentlich Und gegen gott erklagen sich Der uffruͦ r so uff aller erd Jst, ich sorg das er groͤ sser wird
40 Vgl. zu diesem Thema des Flugblatts Schillinger 2008, 171–175.
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»Das ist wahrhaftig nicht ohne Bedeutung, Ich will von vielem anderen nicht sprechen, aus dem man jetzt herleiten könnte Anzeichen zu Sorge, Furcht und Angst, So dass von Rechts wegen nun die gesamte Christenheit Introspektion betreiben sollte und sich Gott gegenüber anklagen. Es herrscht Aufruhr überall auf der Erde, ich bin besorgt, dass er größer wird.« (V. 49–57)
Sebastian Brant macht keinen Hehl daraus, dass die ›monstra‹ Furcht und Schrecken verbreiten, und er bestätigt, dass diese Unruhe der Menschen berechtigt sei. Aber statt in Angststarre zu verfallen, solle man als Christ in sich gehen und Gott seine Sünden klagen, zudem aber die Zeichen gemäß ihrer Bedeutung lesen. Mit dieser Empfehlung hat Brant auch sich selbst als Wunderdeuter empfohlen. Während das bilinguale Flugblatt zum Meteoritenfall wie auch das deutschsprachige zur Schlacht bei Salins in ihren Überschriften keinen Hinweis auf Maximilian oder eine andere Person enthalten, adressiert dies in zwei separaten Fassungen, lateinisch und deutsch, verlegte Flugblatt den Herrscher in Form einer dem Titel vorangestellten Widmung, noch bevor der Gegenstand des Blatts und damit die Sensationsmeldung eines neuen Wunderwesens exponiert wird: An den grosmechtigsten aller durchlichtigsten herren / Maximilianum Roͤ mischen künig – »An den mächtigsten aller durchlauchtigsten Herren, den Römischen König Maximilian«.41 Nach Ausweis der Überlieferung gibt es erst seit dem Jahre 1495 eine derartige Gestaltung des Peritextes, die mit einer persönlichen Widmungsadresse an den König beginnt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt beginnt der planvolle Aufstieg Brants zum »Rat und Diener« des Königs. In diesem Flugblatt allerdings fehlt ein spezifisch politischer Rat, Brant beschließt es mit einer allgemeinen Formel, in der er dem König Gottes Segen für Glück, Heil und Ansehen wünscht (V. 156f.). In den Flugschriften über die Geburt siamesischer Zwillinge in Worms 1495 erweitert Brant den namentlich zu identifizierenden Adressatenkreis.42 Die auf 41 Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Nr. 158, Titel. Das Flugblatt in der lateinischen Fassung ist im selben Jahr und beim selben Verleger, Johann Bergmann von Olpe, gedruckt und mit demselben Holzschnitt verziert worden. Hier lautet der Titel: Ad Sacrosancti Romani imperij invictissimum regem Maximilianum: de portentifico Sue. in Suntgaudia: kalendis Marcijs Anno & xcvj. edito coniecturalis explanatio S. Brant. (VE 15, B-82; Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Nr. 157) 42 VE 15, B-78; B-79. Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Nr. 152, Nr. 153, Nr. 154. Vgl. Dieter Wuttke, Wunderdeutung und Politik. Zu den Auslegungen der sogenannten Wormser Zwillinge des Jahres 1495, in: Kaspar Elm/Eberhard Gönner/Eugen Hillenbrand (edd.), Landesgeschichte und Geistesgeschichte. Festschrift für Otto Herding zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1977, 217–244, bes. 220–228.
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den Wormser Reichstag bezogene politische Auslegung der siamesischen Zwillingsgeburt mit einem Kopf und zwei Körpern, die die Einheit von Reichsständen und Herrscher bezeichne, widmet Sebastian Brant in ihrer deutschsprachigen Version dem König; hier ist der König also der Adressat auf zwei Textebenen, im Text und im Peritext. Die lateinische Flugschrift, die den König ebenfalls texintern adressiert, ist dem Kanzler Maximilians, Konrad Stürtzel, gewidmet und enthält im Anhang weitergehende Mahnungen zur Einigkeit, die auf die politische Elite der Kurfürsten zielen. Die Widmungen wie auch der Textanhang sind narratologisch als Peritexte zu kategorisieren, so dass Brant im Falle der lateinischen Flugschrift auf der innersten Textebene den König, auf der Peritextebene durch die Widmung den Kanzler und im Textanhang die Kurfürsten adressiert; hinzu kämen dann noch auf der textexternen Ebene der gebildete Hofzirkel um Konrad Stürtzel, aber auch ein potentiell weit verstreutes Publikum aus Humanisten und anderen Lateinkundigen, welches die Flugschrift erreichen wollte.43
5 Zum Schluss ist festzuhalten: 1. Die gut zwanzig Flugblätter bzw. Flugschriften Sebastian Brants, die fast alle prominent namentlich gekennzeichnet sind, beweisen ein starkes Selbstbewusstsein des Autors.44 Die chronologische Reihe der meistenteils illustrierten Flugblätter reicht von rein lateinischen Blättern über das lateinisch-deutsche Flugblatt zum Meteoritenfall von Ensisheim zu Flugblättern oder Flugschriften, die eine lateinische und eine deutsche Version separat drucken.45 Das lässt vermuten, dass Verfasser, Drucker und Verleger verschiedene Publikationsformen ausprobierten und trotz des großen Erfolgs des Meteoriten-Flugblatts in den separat veröffentlichten zweisprachigen Fassungen die Zukunft des politischen Flugblatts sahen – womit sie recht behalten sollten. 2. Der Publizist Brant arbeitete durch Bezugnahmen auf eigene frühere Flugblätter und eine einheitliche Aufmachung seiner Einblattdrucke darauf hin, dass seine Wunderdeutungsproduktion als Serie wahrgenommen wurde.46 Dar43 Harms 1995, 40 betont, dass Brant als Erster »das Flugblatt jeweils mit potentieller Breitenwirkung einsetzt, lateinisch auf dem Anspruchsniveau des Gelehrten, deutsch für den lesefähigen Laien.« Müller 2004 betont für die Publizistik Maximilians die Verschränkung von Drucktechnik und Manuskriptkultur, Mündlichkeit und Schrift sowie Bild und Text. 44 Vgl. Harms 1995, 23, 35. Schilling 2008, 150f. kann die ins Auge fallende Nennung des Autornamens Sebastian Brant speziell beim Verleger Bergmann feststellen und spricht ihr eine »autorisierende und werbende Wirkung« (151) zu. 45 Vgl. Schilling 2008, 151. 46 Vgl. Schilling 2008, 152: »Nicht nur der Einblattdruck zur Schlacht von Salins greift auf das Donnerstein-Blatt zurück, sondern auch das verlorene Blatt über den Wunderfalken von
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über hinaus forcierte die Rezeption die Wahrnehmung der Blätter in einem seriellen Zusammenhang. In einem 1505 publizierten Einblattdruck beklagt der anonyme Autor, dass die Menschen sich nicht um die warnenden Zeichen Gottes kümmern, wie sie sebastianus Brant: bekannt Jnn teutschen vnnd welschen landen (»bekannt in deutschen und romanischen Ländern«) publik gemacht habe; im Anschluss daran nennt er fünf Flugblätter Brants.47 3. Am Hof Maximilians wurden der Buchdruck, die bildenden Künste und die Wissenschaften gezielt und auf vielfältige Weise zur Herrschaftsrepräsentation eingesetzt.48 Gerade die auf politische Vorhersagen ausgerichtete Astrologie hatte am Habsburger Hof seit Friedrich III. Konjunktur.49 Dementsprechend sind Sebastian Brants politische Prognosen seit dem zweisprachigen, illustrierten, plakatähnlichen und schnell und zahlreich verbreiteten Ensisheim-Einblattdruck sowohl in der Umgebung des Herrschers als auch vom König selbst aufmerksam registriert worden. Da die Flugblätter in ihren deutschen Fassungen darüber hinaus von einer breiten Öffentlichkeit sehend, lesend oder hörend rezipiert wurden, haben wir es in jedem Fall mit einer Form von öffentlicher Ratgeberschaft zu tun;50 alle Rezipienten der Blätter dürfen zuschauen wie Brant, auratisiert durch den Prophetenstatus, dem Herrscher Rat angedeihen lässt. Die auf manchen Blättern angebrachten Herrschaftssymbole geben ihnen »einen offiziellen Anstrich«, zugleich aber weisen sie »den gemeinen Mann in die Distanz«.51
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Thann und die Texte zur Sau von Landser.« – In dem Einblattdruck ›Von der wunderbaren Su zuͦ Landser jm Suntgaw des jars .M.CCCC.XCVj.‹ werden die siamesischen Zwillinge von Rottweil, von Worms, der Meteoritenfall von Ensisheim, der wunderliche Falke und das Tier von Nördlingen – Wie ich vor hab jn gdicht gemacht (V. 34) –, und weitere wundersame Naturerscheinungen genannt (VE 15, B-81; Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Nr. 158, V. 9–49). Vgl. Wuttke 1977, 228f.; Schilling 2008, 155; dort auch das Quellenzitat. Grundlegend zum Medienkaiser Maximilian: Jan-Dirk Müller, Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 2), München 1982. Vgl. Claudius Sieber-Lehmann, Maximilian I. in astronomisch-astrologischen Druckwerken und Prophezeiungen, in: Johannes Helmrath/Ursula Kocher/Andrea Sieber (edd.), Maximilians Welt. Kaiser Maximilian I. im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition. Mit 24 Abb. (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 22), Göttingen 2018, 61–82. Vgl. Joachim Knape, Sebastian Brant, in: Stephan Füssel, Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600), Berlin 1993, 156–172., hier 166f; Mertens 2010, 218: »Brant fungierte weder als Sprachrohr des Hofes noch schrieb er als autonomer Autor für seine politischethischen Überzeugungen. Adressat seiner politischen Publizistik war nicht der König, sondern das Publikum, teils ein gelehrtes, teils ein Laienpublikum. Autor und Publikum kannten einander, gerade die Erwartungen der politischen Eliten und des breiteren regionalen Publikums dürfte Brant sehr gut gekannt haben.« Müller 1980, 123.
Sebastian Brant als Wunderzeichendeuter, Publizist und königlicher Ratgeber
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4. Verlief die Karriere des Publizisten Sebastian Brant vom nichtinstitutionellen zum institutionellen Ratgeber des Königs?52 So wird man das nicht sagen können. Auch wenn er 1502 in die Funktion eines königlichen Rats einrückte und diese Position offenbar über Jahre behielt, gehörte er nicht zu dem mit den politischen Geschäften befassten Beamtenapparat, der sich dauerhaft am Hof aufhielt. Seine Haupttätigkeit als Straßburger Stadtschreiber und sein dortiger Wohnsitz widersprechen dem. Eine weitere Schwierigkeit bei der Bewertung der Position Brants ergibt sich aus seiner Doppelfunktion als Jurist und Publizist. Ohne seine juristische Expertise wäre er wohl kaum zum Consiliarius berufen worden; aber wäre er ohne seine literarischen und publizistischen Produkte und deren Wirkung am königlichen Hof bekannt geworden? Wir wissen es nicht. Vielleicht lässt sich sagen, dass die Publizistik Brants in ihrer reichspolitischen Tendenz eine offiziöse war, weil sie keine offizielle Verlautbarung der königlichen Kanzlei war, aber eben doch mit den königlichen Plänen affirmierte.53 5. Die Kompetenz Sebastian Brants als königlicher Ratgeber gründet sich auf seine prophetischen Fähigkeiten, Naturwunder politisch konkret auszudeuten. Offenbar achtete Brant, dessen Ruf als Prodigienmeister sich schnell ausbreitete, sehr genau darauf, sich als Astrologe und Wahrsager nicht im Irrationalen zu verlieren und die rationale Erdung aufzugeben. Er vermied Prognosen mit festen Daten und blieb außerdem in seinen Deutungen immer den Zielen der Reichspolitik verbunden.54 Die Auslegung von Wunderzeichen auf politische Ereignisse wird legitimiert durch ein Analogieverfahren, in das historische und gegenwärtige Erfahrungen einbezogen werden.55 Die Wunderzeichen selbst sind in eine historische Reihe gestellt, und auch die Ausdeutungen stehen in einer historischen Tradition.56 Die Zeitgenossen haben das offenbar honoriert: Wir kennen keinerlei zeitgenössische Kritik an Brants politischen Zukunftsprognosen.
52 Facettenreiche Ratgeberfiguren, die dezidiert nichtinstitutionell sind, stellt der Beitrag von Sophie Quander vor (217–239). 53 Ich dehne hier eine von Mertens 2008, 207 gemachte Aussage über das 1502 von Brant publizierte Flugblatt zum Trienter Vertrag ›Zu eren romscher kuniglicher maiestat von der vereyn der kunigen und anschlag an die turchen‹ (Flugblätter, ed. Heitz, Nr. 21; Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Bd. 1.2, Nr. 386): »Der Vertrag war Gegenstand sowohl offizieller, von den Kanzleien unmittelbar ausgehender als auch von ihnen nur angeregter, offiziöser Publizistik. Zur letzteren gehört der Einblattdruck Brants.« 54 Vgl. Mertens 2010, 217: Brant glaubte, »dass dem Wissen, das durch Astrologie und Prophetie gewonnen und an der Zeitgeschichte überprüft wird, ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit zukomme«. 55 Vgl. Wuttke 1976, 171. 56 Vgl. Müller 1980, 110. – Die Historisierung der Wunderzeichen ist besonders ausgeprägt bei der deutschsprachigen Fassung der Flugschrift ›Von der wunderbaren Geburt des Kinds bey wurmß‹ (Sebastian Brant. Kleine Texte, ed. Wilhelmi, Nr. 152) und des Flugblatts ›Von der wunderbaren Sau zu Landser‹ (ebd., Nr. 158).
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Karina Kellermann
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Sebastian Brant als Wunderzeichendeuter, Publizist und königlicher Ratgeber
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Sophie Quander
Guter Rat kommt von außen. Belehrung durch Figur und Text anhand einer politischen Reformschrift des 15. Jahrhunderts
Abstract The given article highlights the impact of fictional narratives and voicing strategies within the genre of non-fictional advice literature exemplarily. The ‘Reformatio Sigismundi’, the very first reform text in German written in 1439 during the council of Basel, offers a wide range of advises how and when to reform the Holy Roman Empire. Before giving advice effectively, however, the vernacular author needs to legitimize his opinion in order to gain attention. Facing a rich Latin tradition and its established authorities, he decides to make use of his unique standpoint: while the actual decision-makers fail, the political outsider identifies the grievance and offers decisive advice. To establish this dynamic as a meaningful pattern, the author integrates narrative sequences into his pragmatic text: the expelled pope Sylvester helps the ill Emperor Constantine, an abbot must endure the criticism of a layman, the Emperor Sigismund, an outsider to the Church Assembly himself, criticises the members of the Council harshly. All these narratives interrupt the main text staging dialogues in direct and indirect speech. While the opposing characters either stay silent or speak indirectly, the outsider raises voice and gives advice in direct speech. In doing so, fictional as well as historical characters repeat or anticipate reform demands of the main text literally. With the aid of these narratives, the ‘Reformatio Sigismundi’ damages the reputation of established authorities and pluralizes those voices agreeing with its call for reforms. These moments of staged dialogues, of fictionalized sequences in a non-fictional text, thus manage to introduce the external counsellor as superior character and hence play a crucial part in the text’s successful strategy of performative self-setting.
Die katholische Kirche des beginnenden 15. Jahrhunderts steht unter dem Vorzeichen politischer Machtkämpfe. Als sich drei Männer zum jeweils einzig legitimen Papst erklären, kulminieren die unterschiedlichen Autoritätsansprüche im Abendländischen Schisma. Die auflodernden Rivalitäten drohen die Kirche von innen heraus zu zersetzen, so dass der Römisch-deutsche Kaiser Siegmund von Luxemburg den Gegenpapst Johannes XXIII. dazu auffordert, ein Konzil einzuberufen und die internen Konflikte endgültig beizulegen. Gut hundert Jahre liegt das letzte Kirchenkonzil zurück, als sich die Entscheidungseliten des
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Sophie Quander
Heiligen Römischen Reiches am 5. November 1414 in Konstanz versammeln. Nach zahlreichen Konflikten wählt die Synode schließlich Martin V. zum neuen Papst und beendet damit das 40 Jahre währende Schisma. Kaiser Siegmund steigt seinerseits zur Galionsfigur der schwelenden Reformhoffnungen auf: Nach langer Pause hat ein weltlicher Herrscher wieder ein Kirchenkonzil in die Wege geleitet und damit die Spannungen erfolgreich als Außenstehender moderiert.1 Die Reichsreform, die vor allem der Kaiser anzutreiben versucht hat, soll auf dem nächsten Konzil endlich Beachtung finden.2 Von Beginn an jedoch steht das Konzil von Basel (1431–1449) unter krisenreichem Vorzeichen: Papst Martin V. stirbt nur wenige Monate vor der durch ihn einberufenen Versammlung, sein konzilskritischer Nachfolger Eugen IV. versucht vergeblich, die Zusammenkunft zu verhindern. 1437 erreichen die Auseinandersetzungen zwischen Papst und Konzil dann einen dramatischen Höhepunkt: Papst Eugen IV. verlegt das Konzil nach Ferrara und muss die meisten Konzilsteilnehmer exkommunizieren, da sie seinem Dekret nicht folgen wollen. Das Konzil reagiert seinerseits, indem es sich auf die eigene Superiorität beruft, den Papst kurzerhand absetzt und stattdessen
1 Jörg Hoensch fokussiert in seiner Biografie die entscheidende Rolle Siegmunds im Kontext des Konstanzer Konzils (Ders., Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit. 1368– 1437, München 1996, 173). Laut Mona Kirsch verändern sich die »internen Machtstrukturen« der Synode dadurch, dass Siegmund in eine »Leitungsfunktion« aufsteige (Dies., Das allgemeine Konzil im Spätmittelalter. Organisation – Verhandlungen – Rituale (Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte 21), Heidelberg 2016, 31). Dass der Kaiser durch sein selbstbewusstes Auftreten zum Hoffnungsträger der anstehenden Reformen stilisiert worden sei, hat die Forschung bereits früh betont (so etwa Heinrich Werner, Zur ›Reformation Kaisers Sigmund‹. Eine Entgegnung, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 29 (1904), 495–506, hier 506; Paul Joachimsen, Die ›Reformation Kaisers Sigismund‹, in: Historisches Jahrbuch 41 (1921), 36–51, hier 44f.). Hermann Wiesflecker schreibt Siegmund eine »Gloriole des Märtyrers der Reform« zu (Ders., Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit. Band II. Reichsreform und Kaiserpolitik. 1493–1500. Entmachtung des Königs im Reich und in Europa, München 1975, 204) und Thea Buyken spricht gar von Siegmunds Apotheose zum »Engel« in der Wahrnehmung seiner Zeitgenossen (Dies., Der Verfasser der ›Reformatio Sigismundi‹, in: Josef Engel/Hans M. Klinkenberg (edd.), Aus Mittelalter und Neuzeit. Gerhard Kallen zum 70. Geburtstag dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern, Bonn 1957, 97–116, hier 113). 2 Die Reichsreform wurzelt in den Hoffnungen auf eine Reform der Kirche, in ihren Anfängen gelten die beiden als untrennbar: Die Kirchenreform wird auch die Reichsprobleme lösen. Deshalb entstehen die meisten Reformentwürfe zunächst im Kontext der Konzilien (Wiesflecker 1975, 201; Erich Meuthen, Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte (Vorträge/Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Geisteswissenschaften; G 274), Opladen 1985, 6f.; Karl-Friedrich Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 14), München 1992, 49f.).
Guter Rat kommt von außen
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den Herzog Amadeus von Savoyen zum bisher letzten Gegenpapst wählt. Kaiser Siegmund, Lichtgestalt der Reformträume, ist derweil gestorben.3 Entsetzt beobachtet ein anonym gebliebener Teilnehmer des Basler Konzils die brodelnden Streitigkeiten: Wie soll das Konzil seine grundlegenden Aufgaben angehen, wenn Machtkämpfe und persönliche Interessen jede weiterführende Diskussion boykottieren? Die Kardinäle wollen ihre Position nicht einbüßen, die Klöster ihre Ländereien nicht aufgeben, die Mönche ihre Ordensregel nicht einhalten. Statt ihrer Funktion als Berater und Entscheidungsträger des Reichs gerecht zu werden, scheinen die geistlichen Autoritäten vor allem an gruppenorientierten Vorteilen interessiert und desavouieren somit jede ernsthafte Reformbestrebung.4 Angesichts der prekären Situation entscheidet er im Jahr 1439 – in dem Moment, als ein weiteres Kirchenschisma die Reform endgültig zu verhindern scheint –, einen eigenen, volkssprachlichen Reformplan in Anlehnung an die lateinischen Reformschriften aufzusetzen: Die ›Reformatio Sigismundi‹.5 Leidenschaftlich kritisiert der Anonymous die Obrigkeit und ihre mangelnde Bereitschaft zu Reformen, während er selbst im Anschluss an die Skizze einer Kirchenreform detaillierte Vorschläge für die Reichsreform bietet. Selbstbewusst fordert er eine Neuordnung von Papst- und Königtum, möchte das Münzwesen von Willkür und Kalkül befreien, Leibeigenschaft und Zölibat ab3 Ausführlich zeichnet Erich Meuthen die Ereignisse um das Abendländische Schisma und die Konflikte zwischen Papst und Konzil im Zuge des Basiliense nach (Ders. 1985). Die internen Rivalitäten führen laut Heinrich Werner zum »erste[n] Verfassungskonflikt in der Kirche zwischen Papst und Konzil« (Ders., Der kirchliche Verfassungskonflikt vom Jahre 1438/39 und die sog. ›Reformation des Kaisers Sigmund‹, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 32 (1907), 728–745, hier 730). 4 Dass kirchliche Autoritäten in besonderem Maße zu auxilium et consilium berechtigt und bestimmt waren, belegen die Beiträge von Dominik Büschken (›Geschichtsschreibung als Ratschlag‹) und Alheydis Plassmann (›Bischöfe als geborene Ratgeber‹, 80f.). Vor diesem Hintergrund liest sich der vorliegende Beitrag als Kontrastfolie zu den Darstellungen von Alheydis Plassmann: Gilt jener Bischof, der Besitz und Status seines Bistums gegen den König verteidigt, den Bischofsviten und –gesten als Vorbild (›Wazo von Lüttich‹, 86–88), greift die ›Reformatio Sigismundi‹ dieses gruppenbewusste Verhaltensmuster dezidiert an. 5 Die Forschung hat sich mittlerweile dahingehend geeinigt, dass die ›Reformatio Sigismundi‹ 1439 in Basel entstanden ist (Heinrich Koller, Untersuchungen zur ›Reformatio Sigismundi‹ III: Entstehungszeit, Entstehungsort und die Verfasser der RS und ihrer Redaktionen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 15 (1959), 137–162, hier 144; Ders., ›Reformatio Sigismundi‹, in: Verfasserlexikon 7 (2. Aufl., 1989), 1070–1074, hier 1071; Hartmut Boockmann, ›Reformatio Sigismundi‹, in: Theologische Realenzyklopädie 28 (1997), 384–386, hier 385). Hitzig diskutiert worden sind vor allem die unterschiedlichen Lösungsansätze, die einen Verfasser zu identifizieren suchen (vgl. den Forschungsrückblick bei Koller 1989, 1071). Heinrich Koller fasst die Ergebnisse treffend zusammen: »Bis jetzt steht jedenfalls nur fest, daß der Autor der RS offenbar in Basel gelebt, weitgehend die Interessen seiner südwestdeutschen Heimat berücksichtigt hat und dem Kaiser Sigismund näher stand. Es ist unsicher, ob er Laie oder Kleriker war. Ungeklärt bleibt auch, ob er mit dem von der RS genannten jungen Adeligen Friedrich identisch ist.« (Ders. 1959, 155).
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schaffen und kostenfreie ärztliche Versorgung in den Städten anbieten. Der Text endet schließlich mit einer Kaiser Siegmund zugeschriebenen Traumvision: Eine göttliche Stimme habe dem Kaiser die Ankunft eines Priesterkönigs namens Friedrich prophezeit, der die Reform auch gegen den Willen der Konzilsteilnehmer erzwingen werde. In vielerlei Hinsicht stellt die ›Reformatio Sigismundi‹ ein literarisches Novum dar: Gegen die Gattungskonvention bleibt der Verfasser anonym, gegen die Gattungskonvention richtet er seine Reformforderungen nicht ausschließlich an die relevanten Entscheidungseliten, sondern adressiert mit der Wahl der Volkssprache dezidiert ein Laienpublikum.6 Diesen Spagat zwischen so disparaten Adressatengruppen reflektiert die Textgestalt:7 Gegenwartsbezogene Handlungsanweisungen weichen apokalyptischen Zukunftsbildern, nüchterne Sentenzen folgen auf emotionale Ansprachen, sachliche Aufzählungen rahmen detailverspielte Erzählungen.8 Seltsam muten diese Momente fiktionalisierter Narration in einem nüchternen Reformkatalog an und so hat die 6 Die ›Reformatio Sigismundi‹ zählt zu den sog. Reformschriften des Spätmittelalters. Claudia Märtl übt als Erste Kritik an dem »fest eingeführten, gleichwohl etwas unscharfen« Gattungsbegriff (Dies., Der Reformgedanke in den Reformschriften des 15. Jahrhunderts, in: Ivan Hlavácˇek/Alexander Patschovsky (edd.), Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Konstanz-Prager historisches Kolloquium (11.–17. Oktober 1993), Konstanz 1996, 91–108, hier 92). Inspiriert von Märtls Überlegungen verwendet Sebastian Dümling den Gattungsbegriff mit der nötigen Vorsicht: Es handle sich um eine wissenschaftliche Konstruktion, nicht um einen Quellenbegriff (Ders., Träume der Einfachheit. Gesellschaftsbeobachtungen in den Reformschriften des 15. Jahrhunderts (Historische Studien 511), Husum 2017, 15, Anm. 13). Soweit bisher bekannt ist die ›Reformatio Sigismundi‹ die erste deutschsprachige Reformschrift (Werner 1904, 495; Karl Beer, Der gegenwärtige Stand der Forschung über die ›Reformatio Sigismundi‹, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 59 (1951), 55–93, hier 57; Heinrich Koller, Eine neue Fassung der ›Reformatio Sigismundi‹, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 60 (1952), 143–154, hier 143). 7 Das bemerkt bereits Dümling: »Die RS ist auch die erste der vorliegenden Schriften [gemeint sind die Reformschriften, S.Q.], die sich nicht in erster Linie an die Konzilsteilnehmer richtet – was auch zu den bedenkenswerten rhetorischen und sprachlichen Ausgestaltungen der Schrift führt.« (Dümling 2017, 101) 8 Wiederholt hat die texteigene Ästhetik zu polemischen Ausrufen geführt: Der Verfasser sei »ein schlechter Schriftsteller« (Hermann Heimpel, Die Federschnur. Wasserrecht und Fischrecht in der ›Reformation Kaiser Siegmunds‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 19 (1963), 451–488, hier 478), sein Werk »merkwürdig[]« (Joachimsen 1921, 36) und »rätselhaft[]« (Beer 1951, 93). Alfred Doren schreibt der stilistischen Vielfalt gar die historische Einzigartigkeit des Textes zu: »Dieses eigentümliche Zwittergesicht: halb prophetisch mit der Sicherheit des fanatisch Gläubigen in verstiegenem Pathos vorgetragenes Zukunftsbild, halb konkretes, mit individuellen Zügen reich und farbig ausgestaltetes Reformprogramm unterscheidet unsere Schrift von allen anderen der gleichen Zeit; erst die Reformationszeit hat ähnliche Werke, keines aber von annähernd gleicher Bedeutung aufzuweisen.« (Ders., Zur ›Reformatio Sigismundi‹, in: Historische Vierteljahrsschrift 21 (1922/23), 1–59, hier 5; ähnlich auch Tilman Struve, Reform oder Revolution? Das Ringen um eine Neuordnung in Reich und Kirche im Lichte der ›Reformatio Sigismundi‹ und ihrer Überlieferung, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 126 (1978), 73–129, hier 128).
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Forschung Form und Funktion der eingelagerten Erzählsequenzen bisher weitestgehend ignoriert.9 Der folgende Beitrag möchte dagegen einige dieser Kurzerzählungen, namentlich die Schlussvision Siegmunds, die Silvesterlegende und den fingierten Dialog zwischen zwei Klosterbrüdern zur Zeit des Basler Konzils, erstmals im Vergleich fokussieren.10 Die drei eingelagerten Episoden präsentieren in dialogischer und monologischer Form wörtliche Figurenrede, für deren literarische Spielformen und Wirkabsichten die Historische Dialogforschung sensibilisiert hat. An der Schnittstelle von Literatur-, Kommunikations-, Kultur- und Sprachwissenschaften exponiert die Historische Dialogforschung Szenen schriftlich inszenierter Mündlichkeit und wirft somit wesentliche Fragen nach der Medialität literarischer Kommunikation auf.11 Als primären Untersuchungsgegenstand des neuen interdisziplinären Diskurses führen Monika Unzeitig, Nine Miedema und Franz Hundsnurscher in ihrer Einleitung zum ersten Band der Reihe ›Historische Dialogforschung‹ den Begriff der literarisierten Rede ein: »Eine Redeszene ist jeder Abschnitt in einem narrativen Text, in dem eine oder mehrere Figuren sprechend (ggf. auch verbal denkend) in Erscheinung tritt (treten), wobei ihre sprachlichen Handlungen sowohl durch Redebericht als auch durch direkte oder indirekte Rede wiedergegeben werden können.«12 Szenen literarisch gestalteter Rede, so ein erster Befund, verleihen einer Erzählung Lebendigkeit und Unmittelbarkeit. Wie unterschiedlich stilisierte Mündlichkeit im Raum der Schrift zum Einsatz 9 Bereits Michael Hiersemann plädiert für eine Interpretation »von innen« heraus, um sich der Verfasserfrage zu nähern, wählt dann jedoch den Entstehungskontext als Zugang zur Vielschichtigkeit des Textes (Ders., Der Konflikt Papst-Konzil und die ›Reformatio Sigismundi‹ im Spiegel ihrer Überlieferung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 9,1 (1982), 1–13, hier 4). Ähnlich äußert sich auch Koller: »Die geschickte Sprache ließ das Werk propagandistisch besonders wirksam werden und machte es auch literarisch bedeutsam. Leider ist es in diesem Zusammenhang nie gewürdigt worden.« (Koller 1952, 144; er wiederholt dieses Desiderat an späterer Stelle noch einmal: Ders. 1989, 1071). Dümling kündigt in seiner Auseinandersetzung mit der ›Reformatio Sigismundi‹ an, »Beobachtungen zu ihrer rhetorischen wie sprachlichen Form« anzustellen, und bietet damit erste Ansätze einer literaturwissenschaftlichen Perspektive (Ders. 2017, 93). 10 Aus Platzgründen kann hier nur eine Auswahl geboten werden. Die ausführliche Analyse bietet die Dissertation der Vf.in zur ›Reformatio Sigismundi‹: »Die ›Reformatio Sigismundi‹ als Beispiel politischer Publizistik im 15. Jahrhundert« (Arbeitstitel). 11 Monika Unzeitig/Nine Miedema/Franz Hundsnurscher, Einleitung, in: Dies. (edd.), Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven (Historische Dialogforschung 1), Berlin 2011, 1–14. 12 Unzeitig/Miedema/Hundsnurscher 2011, 3. Die Autoren favorisieren den Begriff der Rede (in Abgrenzung etwa zu Dialog oder Gespräch), um terminologisch auch den Erzählerbericht vor (fingiertem) Publikum einzufangen (ebd.). Dass die Begriffe ›Erzählerbericht‹ und ›Figurenrede‹ in der mediävistischen Germanistik »uneinheitlich« zum Einsatz kommen, mahnen die Herausgeber im dritten Band der Reihe an (Monika Unzeitig/Angela Schrott/ Nine Miedema, Einleitung, in: Dies. (edd.), Stimme und Performanz in der mittelalterlichen Literatur (Historische Dialogforschung 3), Berlin/ Boston 2017, 1–12, hier 10, Anm. 14).
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kommen kann, um kommunikative Nähe zu erzeugen, legen die polymorphen Gestaltungsmöglichkeiten offen: Erzähler integrieren Figurenaussagen vollständig oder summarisch, in berichtender oder transponierter Rede, präsentisch oder retrospektiv. Die Analyse funktionalisierter Figurenrede mag dabei nicht nur den Blick auf konkrete Einzelszenen, sondern auf das Textganze schärfen: So charakterisiert die Figurenrede Figur wie Erzähler und bietet Einblicke in Medialität und Performativität der Texte; sie demonstriert Kommunikationsstrategien, die affirmativ oder auch kritisch die Wirkkraft mündlicher Rede ausstellen, und illustriert so die zunehmende Sprachgewandtheit und -reflexivität der Texte; sie mag Produktions- und Rezeptionsbedingungen der literarischen Erzeugnisse reflektieren und schließlich auch die textimmanente Poetik nuancieren, um somit zu Binnendifferenzierungen in Gattungen oder zwischen Autoren beizutragen.13 In der ›Reformatio Sigismundi‹ ergreifen fiktionalisierte Figuren vor allem dann das Wort, wenn guter Rat nötig ist. Welche Funktion diese narrativierten Ratschläge in einem nicht narrativen Text erfüllen, gilt es im Folgenden aufzuzeigen. Dabei interessieren weniger die konkreten Ratgeber als vielmehr die (erfolgreichen) Strategien der performativen Selbstsetzung. Im strukturellen Vergleich entwerfen die Erzählsequenzen nämlich ein Dialogmuster, das Aufschluss über das Textprogramm bieten mag: Die an Beispielen fiktionaler Literatur entwickelten Fragestellungen der Historischen Dialogforschung sollen aufdecken, dass die Szenen narrativierter Figurenrede in der ›Reformatio Sigismundi‹ als Reflex der Selbstlegitimation des Textes fungieren.
Konstantin und Silvester Wiederholt rekurriert der Sprecher14 der ›Reformatio Sigismundi‹ auf die Idealgestalten Konstantin und Silvester, um auf der Kontrastfolie einer ›laudatio temporis acti‹ die aktuellen Missstände nur umso deutlicher zu konturieren.15 So 13 Dass die Historische Dialogforschung gerade im Kontext von literarisch gestalteten Szenen des Rates ein wertvolles Instrumentarium zur Verfügung stellt, führt exemplarisch auch Felix Bohlen vor (›Das Tsinghua-Manuskript ›Das Mandat an Fu Yue‹‹, 26–30). 14 Im Folgenden soll terminologisch zwischen zwei Vermittlungsinstanzen unterschieden werden: Während der ›Sprecher‹ den pragmatischen Reformkatalog präsentiert, tritt in den fiktionalen Narrativen eine ›Erzählinstanz‹ hervor. Mit ›Verfasser‹ sei dagegen der extratextuell historische Urheber des Textes bezeichnet. Zur Differenzierung von Autor und Erzähler siehe einführend die Beiträge von Ansgar Nünning (Ders., Autor, historischer, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (5. Aufl., 2013), 45f. und Werner Wolf (Ders., Erzähler, in: ebd., 184f.). 15 Vermutlich indirekt durch andere Quellen vermittelt (z. B. durch den Schwabenspiegel) kennt die ›Reformatio Sigismundi‹ die Silvesterlegende aus der Konstantinischen Schenkung, weiß
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eröffnet er denn auch, nachdem er seine Ansichten zu einer Reorganisation der Kirche vorgestellt hat, seine weltlich ausgerichteten Reformvorschläge mit dem Kaiser als oberster Spitze, indem er dessen Idealbild mithilfe des verklärten Urkaisers Konstantin zeichnet. Ausgehend von dem Gründervater Ninus habe sich eine Kontinuitätslinie aufgespannt, die mit dem römischen Herrscher Konstantin in einem Höhe- und Wendepunkt kulminiert sei: Dye keyser, einer nach dem andernn, regirten mit der ritterschaft biß das Constantinus keyser wart. Der wart aussetzig und sucht sich also, das er alle meyster beschickt, im zü raten, ob er gesunt mocht werden, als in einer nacht erschein ym sant Peter und sprach: ›Constantine, wiltu gesunt werden, so gang zu sant Siluester, dem babst, der macht dir ein bat, so wirstu gesunt!‹ (RS N 246)16 »Die Kaiser, einer nach dem anderen, regierten mit der Ritterschaft, bis Konstantin Kaiser wurde. Dieser wurde aussätzig und so ließ er an alle Meister um Rat schicken, wie er genesen könne, als ihm in einer Nacht der Heilige Petrus erschien und sprach: ›Konstantin, wenn du genesen willst, so gehe zu dem Heiligen Silvester, dem Papst, der wird dir ein Bad bereiten, so wirst du gesund!‹«
Der vom Aussatz befallene Kaiser wendet sich hilfesuchend an ein namenloses Kollektiv von Meistern mit der Bitte um Beistand;17 wie sie ihm auf seine Verzweiflung antworten, erfahren wir nicht. Den entscheidenden Ratschlag erhält Konstantin schließlich in Form einer nächtlichen Vision: der in direkter Rede wiedergegebenen Offenbarung des Heiligen Petrus, dessen Stimme somit als erste in der kurzen Episode laut wird. Konstantin folgt dem göttlichen Gebot und lässt gleich am nächsten Morgen nach Silvester suchen, der sich angesichts der Christenverfolgung in einer Höhle versteckt hat. Der kranke Kaiser begibt sich zu der ihm gewiesenen Stelle und bittet den babst um Hilfe, indem er die Worte der Visionsstimme – in transponierter Rede – wiederholt. Silvester erwidert hierauf, dass Konstantin durchaus geheilt werden könne, solange er nur den christlichen jedoch – wie die meisten ihrer Zeitgenossen – noch nicht um deren Status als Fälschung (vgl. Heinrich Koller, Untersuchungen zur ›Reformatio Sigismundi‹ II: Die Vorlagen der ›Reformatio‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 14 (1958), 418–468, hier 423. Dass der Text Konstantin und Silvester wiederholt als Repräsentanten der idealen Ordnung heranzieht, wurde zwar kommentiert, jedoch nicht weiter ausgedeutet (Struve 1978, 82; Carl Pfaff, Klerus und Laien im Spiegel der ›Reformatio Sigismundi‹, in: Eckhart C. Lutz (ed.), Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburger Colloquium 1996, Freiburg 1999, 191–207, hier 206). 16 Zitiert wird im Folgenden nach: ›Reformation Kaiser Siegmunds‹, ed. Heinrich Koller (Monumenta Germaniae Historica 6), Hannover 1964. Da die Fassung N dem verlorenen Original am nächsten steht, soll diese als Grundlage gewählt werden (Koller 1989, 1070). Es kann hier nur exkursartig auf die Variationen in den anderen Fassungen eingegangen werden. 17 Dass Namensnennung in der Begegnung unterschiedlicher Ratgeberinstanzen Figuren Autorität verleiht bzw. entzieht, bemerkt auch Dominik Büschken (›Robert von Gloucester als komplementärer Charakter König Stephans‹, 108–109).
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Glauben annehme. Dieser versichert, den Geboten Silvesters Folge leisten zu wollen, fastet auf dessen Aufforderung hin sechs Tage lang und lässt sich am siebten Tag taufen. Der christliche Ritus der Reinigung heilt den Herrscher von seinem körperlichen Leid. Konstantins folgende Demutsgeste sichert das Hierarchieverhältnis zwischen den beiden Sphären weltlicher und geistlicher Macht: Do viel er uff seine knye und riefft got an und ergab sich seins keyserthumß und gab allen gewalt sant Siluestro, er wer nit wirdig, zü heyssen ein keyser; als enpfing sant Siluester allen gewalt geystlich und weltlich und satzt Constantinum zü einem vicarien des weltlichen states und bot im das swert, als noch heutbetage geschicht, wan man einen keyser macht. (RS N 248) »Daraufhin fiel er auf die Knie und rief Gott an und ergab sich seiner Herrschaft und überantwortete alle Herrschergewalt dem Heiligen Silvester, da er nicht würdig sei, Kaiser genannt zu werden; also empfing der Heilige Silvester alle geistliche und weltliche Macht und setzte Konstantin als weltlichen Stellvertreter ein und reichte ihm das Schwert, wie es noch heutzutage geschieht, wenn man einen Kaiser krönt.«
Ausdrücklich betont die Erzählinstanz, dass Konstantin Silvester alle Herrschaftsgewalt überantworte, der Kaiser also als vicarius, als Vertreter des weltlichen Herrschaftsbereichs, seine Legitimation durch die Kirche empfange. Finden sich Konstantins Aussagen bis zu diesem Zeitpunkt nur in Form indirekter Rede, spricht er nun nach seiner Taufe unmittelbar: Do sprach Constantinus zü sant Siluester: ›Nu muß man schirmen setzen, das dye heyligen kyrchen schirmen habe und der glaübe.‹ Da wart erst recht dye ritterschaft verordent. Constantinus sprach: ›Mein vorfordernn haben gereiset woll mit der ritterschaft und sein woll bestanden; man sol es aber woll verorden.‹ (RS N 248) »Daraufhin sprach Konstantin zu dem Heiligen Silvester: ›Nun soll man Schutzmaßnahmen einrichten, so dass die heilige Kirche und der Glaube geschützt werden.‹ Die Ritterschaft wurde daraufhin zum ersten Mal rechtmäßig in Stand gesetzt. Konstantin sprach: ›Auch wenn meine Vorgänger mit der Ritterschaft bisher gute Kriege geführt haben und sie also soweit gut bestand, soll man sie nun richtig in Stand setzen.‹«
Die beiden artikulierten Aufforderungen Nu muß man schirmen setzen und man sol es […] woll verorden gleichen in Wortwahl, Syntax, Modus und unpersönlicher Sprechhaltung den zahlreichen Handlungsanleitungen des Haupttextes.18
18 So etwa die vom Sprecher wiederholt gebrachte Wendung (Item) man sol. Besonders ähnlich klingt: Man sol halten und beschirmen, was Cristus geordent hat, mit leyb und mit leben[.] (»Man soll mit Leib und Leben einhalten und bewahren, was Christus geordnet hat[.]«, RS N 192).
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Klosterbrüder im Dialog Nach Papst und Kardinälen widmet sich der Sprecher seinem hierarchisierenden Strukturprinzip folgend im dritten Kapitel der geistlichen Reform dem Stand der Bischöfe. Im Sinne seines Kontraste provozierenden Argumentationsprogramms beschwört er auch hier auf Grundlage vehementer Zeitkritik einen wünschenswerten Idealzustand herauf, indem er seine Zeitgenossen für ihre Eidbrüche anklagt – zahlreiche Ehen werden unrechtmäßig geschieden, ebenso halte niemand die Ordensregel: sehet an, wer in orden will komen, der muß herntlich sweren und globen drew dinck: reynigkeyt, das ist keusch leben, armüt und gehorsamkeyt; nü sehe mann, wye es gee; wolt yr horen eins, das do geschach? (RS N 124) »Bedenkt, wer in einen Orden eintreten möchte, der muss drei Dinge fest versprechen und geloben: Reinheit, das heißt keusch zu leben, Armut und Gehorsam; nun betrachte man, wie es gehe; wollt ihr von etwas hören, das vor einiger Zeit geschehen ist?«
Niemand wahre die drei im Matthäusevangelium erwähnten Mönchsgelübde, namentlich Armut, Gehorsam und Keuschheit. Über die Rezeptionsaufforderung nü sehe mann scheint der Sprecher den Blick auf aktuelle Zustände richten zu wollen, leitet über die rhetorische Frage dann jedoch in eine zurückliegende Erzählung ein. Den Beweis für die artikulierte Unterstellung bietet er demnach nicht in Form einer verifizierbaren Information, sondern in Gestalt einer eingelagerten Erzählung.19 Die folgende Episode berichtet von einem jungen Adligen, der in ein Kloster bei Breisach am Rhein eintritt und sich mit Bitte um Rat an seine Ordensbrüder wendet: Ich wolt gernn wyssen, was ewer orden wer, beweyset mich dye regeln, was zü thünn oder zü lassen sey und was ewer gepot sey! (RS N 124) »Ich möchte Eure Ordensregeln gern kennen und verstehen lernen, unterweist mich darin, was zu tun und was zu lassen und was genau Euer Gebot sei!«
Mit dieser Nachfrage erfüllt der Protagonist der eingeschobenen Erzählung eben jene Erwartungshaltung, die der Sprecher des Haupttextes wiederholt den Geistlichen gegenüber formuliert (RS N 180, 190, 352). Einen Monat übt sich der 19 Welch wesentlichen Beitrag narratologische Fragestellungen für die Arbeit mit Textzeugnissen pragmatischer Literatur leisten, soll folgender Umstand exemplarisch aufzeigen: Beer hält die Episode um das Kloster für eine (literarisierte) Tatsache, da der Sprecher/ Erzähler selbst deren Wahrheitsgehalt beteuere (Ders. 1951, 76). Der vorliegende Beitrag versteht die Vermittlungsinstanz der ›Reformatio Sigismundi‹ dagegen dezidiert als Ergebnis eines strukturierenden und intentionalen Schreibprozesses, deren Aussagen man mit Vorsicht begegnen muss.
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junge Mann in den strengen Ordensregeln, scheitert letzten Endes jedoch an deren Ausübung und sucht daraufhin Zuspruch bei dem Propst des Klosters. In ihrer markanten Stimmverteilung verkehrt die folgende Dialogpassage die Hierarchie zwischen den beiden Dialogpartnern auffallend: der brobst antwurt im, er wer es nit alles verpunden zü halten und zü thünn als dye regel innehelt, man dispensirt mit im, das er es woll leichtiglichen hielt; der junge herr sprach: ›Ob ich nü in orden ginge, must ich nit sweren, in eweren orden zü halten?‹ do sprach der brobst: ›Ja!‹ do sprach der jung herre als ein weyserr man: ›Yr habt alle gesworenn in dye helle; solt ich ewer regel sweren zü got und das brechen, wye keme ich so erlich als ein rechter meyneydiger an got! ir nyessent alle gotsgabe zu ewiger verdampnuße und were ich herre uber euch, ich wolt euch ewerr regel leren halten oder yr mustent alle sterben und nit got also betriegen!‹ (RS N 124–126) »Der Probst antwortete ihm, er sei nicht verpflichtet dazu, alle Regeln exakt einzuhalten, man dispensiere ihn, so dass er die Regeln leicht einhalten könne; der junge Adlige sprach: ›Wenn ich nun in Euren Orden eintrete, müsste ich nicht geloben, Eure Ordensregel einzuhalten?‹ Darauf erwiderte der Probst: ›Ja!‹ Der junge Adlige erwiderte darauf einem weisen Mann vergleichbar: ›Ihr habt euch mit eurem Eidbruch alle zur Hölle verdammt; wenn ich Eurer Gelübde Gott gegenüber ablege und es dann breche, wie meineidig stünde ich dann vor Gott! Ihr habt den Nutzen aller Gaben Gottes und riskiert damit ewige Verdammnis, wäre ich Euer Herr, ich würde euch schon lehren, Euer Gelübde einzuhalten oder aber ihr müsstet sterben und Gott dadurch nicht mehr betrügen!‹«
Der Propst, dessen Antwort zunächst nur in indirekter Rede Eingang in den Text findet, begegnet den Bedenken des jungen Klosteranwärters mit Sorglosigkeit. In seinem aufscheinenden Leichtsinn bestätigt der Geistliche so den generellen Eindruck des Sprechers des Haupttextes, Ordensbrüder nähmen ihre Regeln allzu leichtfertig (RS N 96–98, 176–178, 186–188, 280). Überrascht ob der Nachlässigkeit möchte sich der junge Klosteranwärter seinerseits mit einer Nachfrage vergewissern. Das einsilbige »Ja« des Propstes steht in scharfem Kontrast zu den empörten Ausrufen des jungen Adligen, die über die Hälfte der gesamten Textstelle einnehmen (122 zu 240 Worten). Der junge Klosteranwärter, der an den Geboten scheitert und also eigentlich Rat sucht, erweist sich bereits quantitativ als überlegen.20 Und so spricht er denn auch als ein weyserr man, der die Kritikpunkte des Haupttextes reaktualisiert: Den wörtlichen Vorwurf des Meineids bringt der Sprecher der ›Reformatio Sigismundi‹ selbst an zahlreichen
20 Wie bemerkenswert diese Figurenkonstellation ist, zeigt kontrastiv jenes Ratgeberideal, das Bernhard von Clairvaux zeichnet: Der Abt spricht vornehmlich monastischen Autoritäten Ratgeberfunktion zu (vgl. Dominik Büschken: ›Die Qualitäten eines Ratgebers‹, 100–102).
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Stellen (RS N 72, 172, 312, 340). Somit weist sich der junge Adlige letzten Endes als derjenige aus, der den notwendigen Ratschlag nicht sucht, sondern formuliert.21 Kurz bevor der Sprecher die gebotene Erzählung um den jungen Adligen in seinem Kapitel zu den Bischöfen einbettet, fingiert er einen Dialog mit einem Ordensbruder: hyevor woren dye closter fast beschlossen, man hielt dye regeln; nü ist es alles geandert, das hat der babst verhenget; er mocht es woll thünn; ist es aber recht, da laß ich es fallen, das bekent yederman woll. Fraget man ein münich: ›Warumb haltet yr / ewer regeln nit?‹, was kan er anders antwurten wan: ›Man hatt mit unss dispensiert.‹ O des dispensirens! Der babst, cardinal, der orden dispensir alle in dye helle. Wer mag brechen oder abthünn dye glubde, dye dye orden thünn, das ein sacrament ist unnd sunderlich sich einet zü got. (RS N 106) »Früher waren die Klöster fest verschlossen, man hielt sich an die Ordensregel; nun hat sich alles geändert, das hat der Papst veranlasst; die Macht dazu hat er schließlich; ist es aber rechtens, so lass ich [meine Kritik, S.Q.] fallen, dazu bekennt sich wohl jedermann. Fragt man einen Mönch: ›Warum haltet ihr Eure Ordensregel nicht ein?‹, was kann er anderes antworten als: ›Man hat uns dispensiert.‹ Oh dieses Dispensieren! Der Papst, der Kardinal, das Kloster, sie alle dispensieren und gelangen so in die Hölle. Wer darf schon ein Gelübde, das die Orden aufstellen, brechen oder gar ignorieren, wenn es doch ein Sakrament ist und in besonderem Maße zu Gott führt.«
In diesem Fall kleidet der Sprecher den präsentierten Dialog in Anonymität: Die beiden Gesprächspartner erhalten keine differenzierenden Zuschreibungen (Kloster, Stand, Alter, Status), das fragende man wie der antwortende münich werden lediglich als abstrakte Leerstellen imaginiert. Die wörtlichen Wiederaufnahmen provozieren aber geradezu, die Begebenheit um den jungen Adligen als erzählerische Ausgestaltung der hier entworfenen Gesprächsschablone zu deuten: Wörtlich entsprechen sich die Aussagen des Mönches (Man hatt mit unss dispensiert. [RS N 106]) und des Propstes (man dispensirt mit im [RS N 126]) sowie die jenseitige Dimensionen aufspannende Klage von Sprecher (Der babst, cardinal, der orden dispensir alle in dye helle [RS N 106]) und Klosteranwärter (Yr habt alle gesworenn in dye helle [RS N 126]). Subtil zeichnet sich hier eine charakteristische Vermittlungsstrategie der ›Reformatio Sigismundi‹ ab: Auf der Ebene des Reformkatalogs präsentiert der Text seine Kritik in der Regel aus einer
21 Eine vergleichbare Episode findet sich in den Eingangsversen der ›Reformatio Sigismundi‹: Hier disputiert ein türkischer Ritter mit einem christlichen Adligen auf dem Basler Konzil. Koller weist darauf hin, dass der »fingierte Dialog« eine zeittypische »Ausdrucksform« darstelle (Koller 1959, 140). Er spricht der kurzen Erzählung um das Türkengespräch ihren Authentizitätswert ab, dennoch nutze der Sprecher sie, um die Glaubwürdigkeit seiner Behauptung zu untermauern. Weshalb die Erzählung, die offensichtlich imaginiert ist, dennoch persuasiv wirkt, interessiert ihn nicht weiter.
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anonymisierten, somit aber auch generalisierenden Perspektive, in den Erzählsequenzen konkretisieren sich diese Folien hin zu emotionalisierten Exempla. Die beiden inhaltlich so divergierenden Erzählungen um den römischen Kaiser Konstantin und den jungen Klosteranwärter folgen bei genauerer Betrachtung derselben strukturgebenden Figurenkonstellation: Ein hierarchisch unterlegener Außenseiter tritt in Dialog mit einer etablierten Autorität – im Streitgespräch begegnet der Laie dem christlich Geschulte(re)n, im Beratungsgespräch der Eremit dem Herrscher. Die Erzählinstanz nimmt sich in den beiden Dialogpassagen auf den ersten Blick auffallend zurück; wenige inquit-Formeln strukturieren die Dialogpartien, es fehlen wertende Kommentare. Der neutrale Blick evoziert scheinbare Distanz und verbirgt somit hinter Objektivierungsmasken geschickt, wie die Erzählinstanz die beiden Geschichten instrumentalisiert. Erst die Verteilung der Sprechsequenzen, mediatisiert in direkter und indirekter Rede, legt die tendenziöse Inszenierung offen: Im Dialog von Klostervater und jungem Klosteranwärter klingt das einsilbige »Ja« des Propstes beinahe zu lächerlich angesichts der Wortgewalt des jungen Protagonisten; während die Erzählinstanz die Reden der hilflosen Ratgeber nicht wiedergibt, kommen Silvester und Konstantin (allerdings erst nach der Taufe!) selbst zu Wort. Hinter diesen Vertextungsstrategien scheint letztlich die Autorität der Erzählinstanz durch: »Der Erzählinstanz wird die Kontrolle über das Sprechen und Schweigen der Figuren zugeschrieben[.]«22 Geschickt führen die beiden Erzählungen somit die Figur des externen Ratgebers ein und besetzen sie axiologisch: Sprech- und Deutungshoheit erhalten nur jene Figuren, deren Worte in direkter Rede erklingen.
Schlussvision Noch einmal berichtet die ›Reformatio Sigismundi‹ von einem Kaiser, den im Schlaf der entscheidende Rat erreicht. Kurz vor den letzten beiden Reformpunkten schaltet der Text eine Traumvision ein, die Kaiser Siegmund von Luxemburg am 24. Mai 1403 in Preßburg gehabt haben soll: Eine göttliche Stimme habe ihm die Ankunft eines Priesterkönigs namens Friedrich prophezeit, dem er, Siegmund, den Weg bereiten solle.23 Der Text inszeniert diese Traumvision als wörtlichen Bericht, Siegmund selbst kommt im ›Pluralis maiestatis‹ ausführlich 22 Nine Miedema, Zur historischen Narratologie am Beispiel der Dialoganalyse, in: Harald Haferland/Matthias Meyer (edd.), Historische Narratologie – Mediävistische Perspektiven (Trends in Medieval Philology 19), Berlin/New York 2010, 35–67, hier 38. 23 Dass eine nächtliche Vision den Weg zum entscheidenden Ratgeber weist, scheint ein beliebtes Erzählmotiv zu sein (vgl. Felix Bohlen, ›Prolog: Handlungselemente des Stoffes von Wu Ding und Fu Yue, ausgehend von der Verarbeitung im ›Shiji‹‹, 24f.).
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zu Wort.24 Es fällt jedoch auf, wie sehr die vermeintlich andere ›Stimme‹ vorangehende Aussagen des Reformtextes repliziert: So hebt der Kaiser den Eingangszeilen des Haupttextes vergleichbar mit einem Gebet an. Hierauf folgt jeweils ein detaillierter, sich z. T. wörtlich entsprechender Bericht der historischen Ereignisse: Siegmund habe das Konzil von Konstanz einberufen, sei mit seinen Reformabsichten jedoch auf das Konzil von Pavia verwiesen worden; dort habe man ihn auf das Konzil von Siena und schließlich auf dasjenige von Basel vertröstet. Doch auch das Konzil von Basel falle hinter die gewünschten Erwartungen zurück, da sich die Kirchenväter gegen die notwendigen Entscheidungen stellen (Sprecher: RS N 54; Erzähler Siegmund: RS N 334–336). Beide Vermittlungsinstanzen finden für die Widerständigkeit der Entscheidungsträger sehr deutliche Worte: Sobald die Kirchenväter – so klagt der Sprecher in der Einleitung – die Konsequenzen der Reform sehen, so keren sye – mit urlaup – den hindernn dar (»so kehren sie ihr [der Reform, S.Q.] – mit Verlaub – den Hintern zu«, RS N 54). Ähnlich konstatiert der autodiegetische Erzähler Siegmund: so sy nu horen, wye man reformiren will, so hencken sye yr eyde uff und yr glubde und kerent dem concilio den ars. (»Sobald sie nun hören, wie man reformieren möchte, brechen sie ihren Eid und ihr Gelübde und kehren dem Konzil ihren Arsch zu.«, RS N 336) Die Kritik verleitet den Kaiser im Bericht seiner Traumvision schlussendlich dazu, sein Rezeptionskollektiv zu gewaltsamen Taten aufzufordern: Darumb wann dye zeyt kömen, das yr vernement solch offenung, slag iglichen zü, lasset unns helffen dem, den alles unrecht leit ist, und lasset euch funden werden an dem rechten. wolt got, das wir den tag sehen solten, wir welten auch funden werden getrew cristen und mit dem priester tretten biß in den tot, als auch cristen billich thünn solten. (RS N 336) »Sobald nun also die Zeit gekommen ist, dass ihr die Offenbarung vernehmen sollt, so schlage jedermann zu, lasst uns demjenigen helfen, den alles Unrecht bekümmert, und stellt euch auf die Seite des Rechts. Füge es Gott, dass wir den Tag sehen werden, so werden wir als treue Christen wahrgenommen, wenn wir mit dem Priester in den Tod gehen, wie es Christen rechtmäßig tun sollten.«
In Inhalt und Wortwahl nimmt der Erzähler Siegmund damit erneut einen Ausruf des Sprechers auf: Allen getrewen cristen kumpt dye stunt, das yr horen werdet einen antragk und verkundung der rechtenn ordenung. Slah yderman zü! 24 Hier erzählt also eine Figur ihre eigene Geschichte. Der kategoriale Unterschied ist entscheidend: Im Gegensatz zu der extradiegetisch-heterodiegetischen Erzählinstanz der anderen Narrative tritt hier ein homo- bzw. autodiegetischer Erzähler hervor und pluralisiert die ›Stimmen‹ des Textes somit zusätzlich (zur terminologischen Unterscheidung siehe Matías Martínez/Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, 10. überarbeitete Auflage, München 2016, 86f.).
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(»Allen getreuen Christen naht die Stunde, in der ihr Antrag und Verkündigung der rechtmäßigen Ordnung hören werdet. Schlage jedermann zu!«, RS N 68) – beide Vermittlungsinstanzen rufen die christliche Gemeinschaft mit der Formel getrew cristen an, schwören sie auf die folgende Reform ein und artikulieren Gewaltbereitschaft. Der Erzähler Siegmund gleicht in seinen Aussagen im Übrigen nicht nur dem Sprecher des Haupttextes, sondern auch einer der fiktionalisierten Figuren: Wünscht Konstantin nach seiner Taufe, sein Reich woll [zu] verorden (»gut [zu] ordnen«, RS N 248), so zielen auch Siegmunds Handlungsabsichten auf ein recht ordenung (»eine rechtmäßige Ordnung«, RS N 334); in sichtagen und in suntheyt (»in Krankheit und Gesundheit«, RS N 334) opfert sich Siegmund den Angelegenheiten seines Herrschaftsgebiets und erinnert derart an den römischen Kaiser Konstantin, dessen Leidensweg ebenfalls durch Krankheit und Genesung führt. Konstantin vergleichbar weist eine göttliche Stimme dem hilfesuchenden Herrscher Siegmund schließlich den Weg zu einem außenstehenden Ratgeber. Beide Kaiser überantworten sich also einer externen Autorität: In einer Demutsgeste kniet Konstantin vor dem Papst Silvester, denn er wer nit wirdig, zü heyssen ein keyser (»er sei nicht würdig, Kaiser genannt zu werden«, RS N 248); ähnlich sieht sich auch Siegmund unwirdig genant ein diener gots und ein merer des heyligen reiches (»nicht würdig, ein Diener Gottes und ein Vergrößerer des Heiligen Reichs genannt zu werden«, RS N 334).25 Die Bescheidenheitstopoi verschränken die beiden Herrscherfiguren auffallend ineinander; Konstantin präfiguriert den idealen Herrscher, Siegmund reaktualisiert das gezeichnete Muster. Die Genealogie führt von dem antiken Kaiser über den zeitgenössischen Herrscher – und mündet schließlich in dem Siegmund prophezeiten Heilsbringer: In dem Friedenskönig findet das entworfene Herrscherbild seine endgültige Vervollkommnung.26 Über die Darstellungsmodi von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entwirft der Text derart eine Figurentypologie, die den gesamten Reformkatalog umspannt und an deren Ziel- und Endpunkt Friderich von Lantnewen (RS N 332) steht.27 Das Hoch- und Spätmittelalter imaginiert zahlreiche Wiederkehrmythen, 25 Die Worte erinnern an die Messfeier (Lukas 7, 6f.). 26 Indem Boockmann konstatiert, dass die ›Reformatio Sigismundi‹ »ein Priesterkönigtum in der Tradition des Alten Testamens und Konstantins I.« propagiere (Ders. 1997, 385), deutet er das typologische Darstellungsmuster zumindest in Ansätzen an. Günther Franz betont dagegen die Parallelität von Siegmund und prophezeitem Friedrich (Ders., ›Reformation Kaiser Sigmunds‹, in: Sachwörterbuch zu deutschen Geschichte (1958), 962f., hier 962. Dass die drei eine genealogische Linie bilden, hat die Forschung bisher nicht erkannt. 27 Dass die unterschiedlichen Zeitebenen so produktiv zusammentreten, wurzelt letztlich im Charakter des Reformdiskurses: Wiesflecker bezeichnet ›Reformatio‹ als »Modeschlagwort des 15. Jahrhunderts«, das eine konservative Rückbesinnung impliziere (Ders. 1975, 201f.). Bereits Karl Beer vermutet allerdings, dass die ›Reformatio Sigismundi‹ vergangene Zustände idealisiert, um sie als Vorbild ihrer Forderungen nutzbar zu machen (Ders., Was ein deut-
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die in der Regel auf den Staufer Friedrich II. (1194–1250) hoffen bzw. dessen Vorbild nutzen, um eine mythisch vermittelte Idealgestalt zu skizzieren.28 Dass der Priesterkönig einen Namen erhält, überrascht für sich genommen also nicht. Die späteren Bearbeitungsstufen nutzen diesen Namen, um Sprecher und Figur(en) noch deutlicher zu verzahnen: Die Vulgata etwa benennt mit Fridrich von Lantnaw (RS V 89) einen Verfasser;29 die Fassung P dagegen stellt den jungen Adligen aus der Klostererzählung als Friedrich (RS P 125) vor.30 Die späteren Bearbeitungen konkretisieren damit, was die Fassung N nur impliziert: Hinter allen eingelagerten Figurenreden scheint der Sprecher der ›Reformatio Sigisscher Reformer vor einem halben Jahrtausend vom Ärztestand erwartete, in: Gesnerus 12,1–2 (1955), 24–36, hier 30f.) Wenn Buyken in der Spannung von historischem Bericht und apokalyptischer Vision ein Argument sieht, verschiedene Verfasser anzunehmen (Dies. 1957, 99f.), erkennt Struve hierin gerade den charakteristischen Eigenwert des Textes: »Traditionsgebundenes und Zukunftsträchtiges, herkömmliche und neuartige Denkstrukturen und Anschauungsweisen überlagerten sich somit in der RS auf charakteristische Weise und verliehen ihr jenes Maß an Ambivalenz, welches sie als Zeugnis einer Epoche tiefgreifender Umbrüche und Wandlungen ausweist.« (Ders. 1978, 120) Krieger sensibilisiert dahingehend, dass der Bezugsraum ›Vergangenheit‹ Ergebnis projizierter Erwartungshaltungen sei und also die Reformbewegung in ihrer Konstruktion der Vergangenheit genuin Neues erschaffe (Ders. 1992, 49f.) Diesen Gedanken nimmt Dümling auf; überzeugend weist er nach, dass sich der Reformdiskurs letztlich aufgrund der rückwärtsgewandten Diskussion auf das antike Rom als Projektionsfläche idealer Gesellschaftsentwürfe beziehe (Ders. 2017, 48). 28 Karina Kellermann, Kaiser Friderich ist komen! Der Wiederkehrmythos und die frühe Vision eines 1000jährigen deutschen Reiches, in: Michael Bernsen/Matthias Becher/Elke Brüggen (edd.), Gründungsmythen Europas im Mittelalter, Göttingen 2013, 177–199, hier 184–187. 29 Dass der Priester einen Namen erhält, findet Beer bemerkenswert (da in anderen Dialogszenen die Gesprächspartner namenlos bleiben) und sieht deshalb in dem Priesterkönig den Verfasser, obgleich er zumindest einräumt: »Gewiß ist zuzugeben, daß die Hereinnahme des Namens Friedrich als Träger großer Hoffnungen an sich schon verständlich wäre.« (Ders. 1951, 77) Wiederholt sind Verfasser und Priesterkönig den späteren Bearbeitungsstufen folgend miteinander identifiziert worden (so u. a. Doren 1922/23, 6f.). Auch Koehne sieht im Priesterkönig Friedrich den Autor der ›Reformatio Sigismundi‹, zeigt aber zumindest ein Gespür für die unterschiedlichen Vermittlungsinstanzen des Textes: »Es tritt uns […] nicht nur bei jenem Traum, sondern auch bei der Erläuterung ein im Pluralis Maiestatis von sich sprechender entgegen, während Priester Friedrich selbst von sich im Singular redet.« (Ders., Zur sogenannten ›Reformation Kaiser Sigmunds‹, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 28 (1903), 739–750, hier 748f.) Koller hat in seiner Auseinandersetzung mit der dem verlorenen Original nahestehenden Fassung N nachweisen können, dass erst die Vulgata, die am weitesten verbreitete Fassung der ›Reformatio Sigismundi‹, den Priesterkönig Friedrich mit dem Verfasser gleichsetzt (Koller 1958, 427; Koller 1959, 149). 30 Struve zeichnet nach, wie die einzelnen Redaktionen den Text nach persönlichen Vorstellungen modifizieren. Die Bearbeitungen, die unklare Passagen kommentieren und präzisieren, stehen »Vorstellungswelt der RS und Sprache ihres Autors« wesentlich näher als ein moderner Interpret; deshalb muss sich jede Interpretation an diesen Bearbeitungen messen (Ders. 1978, 79). Auch Dümling betont, dass Kollers synoptischer Paralleldruck für die überlieferungsgeschichtliche Disparität der ›Reformatio Sigismundi‹ sensibilisiert habe (Ders. 2017, 98).
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mundi‹ auf. Der überlieferungsgeschichtliche Vergleich bestätigt damit, dass der Text seine Sprecher mithilfe der eingelagerten Erzählungen bewusst multipliziert, ja miteinander identifiziert: Göttliche Stimmen, junge Klosteranwärter, historische Kaiser und der anonyme Sprecher der ›Reformatio Sigismundi‹ – sie alle fordern letztlich das Gleiche, ein einzelner scheint sich dahinter bewusst aufzulösen. Diese Stimmenvielfalt mag im Übrigen neues Licht auf die Anonymität des Verfassers werfen: Da bisher kein Vorschlag zur Identität hat überzeugen können, hat man sich darin geeinigt, die Anonymität als Ergebnis der geäußerten Kritik und damit als Selbstschutz zu lesen.31 Beachtet man jedoch die Konzeption des Textes, so scheint diese Anonymität durchaus intendiert: Der Rat soll als allgemeingültige ›Wahrheit‹ propagiert werden, die nicht auf einen einzelnen zurückzuführen ist. Mag sich der Verfasser auch aus Selbstschutz als Anonymus maskiert haben, so nutzt er die Kommunikationsbedingungen doch produktiv: Seine Anonymität steht nicht nur passiv als Ausdruck eines diskursiven Zwangs, sondern findet durchaus sinnstiftenden Einsatz.32
Guter Rat kommt von außen Da seine Berater ihm in seiner Krankheit nicht zu helfen wissen, sucht der römische Kaiser Konstantin einer nächtlichen Vision folgend Rat bei einem Außenstehenden – dem verfolgten Christen Silvester. Entsetzt erlebt ein Externer, wie Abt und Mönche leichten Gewissens die von Christus formulierten Ratschläge zur rechten Lebensführung ausschlagen, und ermahnt die Meineidigen. An Christi Himmelfahrt prophezeit eine göttliche Stimme dem römisch-deutschen Kaiser Siegmund von Luxemburg die Ankunft eines nahenden Priesterkönigs, der auch gegen den Widerstand der internen Entscheidungsgremien die Reichsreform durchsetzen wird. 31 Vgl. Carl Koehne, Die sogenannte ›Reformation Kaiser Sigmunds‹, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere Geschichtskunde 23 (1898), 689–738, hier 723; Karl Beer, Zur Überlieferung der sogenannten ›Reformation Kaiser Siegmunds‹, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 40 (1925), 205–233, hier 221; Heinrich Koller, Zum Finanzwesen Kaiser Friedrichs III., in: Gerhard Ammerer/Christian Rohr/Alfred S. Weiss (edd.), Tradition und Wandel. Beiträge zur Kirchen-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Festschrift für Heinz Dopsch, München/Wien 2001, 152–160, hier 156. Lediglich Claudia Märtl scheint mehr als nur eine Schutzmaßnahme zu vermuten: Die Anonymität sei »gewollt« und markiere »die Sonderstellung« des Textes (Dies. 1996, 95). 32 Kontrastiv hierzu lesen sich die Ergebnisse von Karina Kellermann: Auch sie kann nachweisen, wie sich der Publizist Sebastian Brandt als Sprachrohr der Beherrschten inszeniert, nicht jedoch, indem der Sprecher als ›Stimme der Allgemeinheit‹ auftritt, sondern indem er seinen Namen selbstbewusst als Experten einführt (Abschnitt 3, 202–208).
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Eine fiktionalisierte Historie um zwei legendarische Helden, ein dramatisierter Dialog zwischen zwei anonymisierten Zeitgenossen und ein innerer Monolog einer historischen Herrscherpersönlichkeit – kontrastreicher könnten die drei Episoden in Inhalt, Darstellung und Figurenpersonal kaum sein, kontrastreicher könnten sie auch dem rahmenden Haupttext in seiner sachlichen Argumentationsstruktur nicht gegenüberstehen. Der Blick auf das Textganze erhellt jedoch, was diese so unterschiedlichen Erzählsequenzen inmitten eines Reformkatalogs leisten: Der strukturelle Vergleich hat erstens offengelegt, dass historisches Exemplum, zeitgenössische Begebenheit und Zukunftsvision eine Gesprächsschablone etablieren, die ›den Rat von außen‹ zum strukturgebenden Schema erhebt. Scheitert der Abt im Gespräch mit dem jungen Klosteranwärter in seiner Funktion als Beratungs- und Wissensinstanz, so versagen auch die kaiserlichen Beratungsgremien in der Silvesterlegende. Erst eine göttliche Stimme löst den drohenden Konflikt, indem sie den erkrankten Kaiser Konstantin zu dem vertriebenen Silvester sendet. Ebenso weist eine göttliche Stimme dem von den entscheidungsunwilligen Kirchenvätern enttäuschten Kaiser Siegmund den Weg zum Priesterkönig Friedrich, der die Reichsreform gleichsam von außen erzwingen wird. In den beschriebenen Szenarien entsteht der Rat dezidiert abseits institutionalisierter Kommunikationskonventionen: Nicht die königlichen Ratgeber äußern ihn auf einem Hoftag, nicht der Abt spricht zu einer Synode – vielmehr treten Dritte hinzu, die als Figuren jedoch erstaunlich blass bleiben. Der junge Klosteranwärter erhält in der Fassung N weder Namen noch Biografie, in den beiden Herrschernarrativen spricht gar eine körperlose Stimme. Die Ratgeber zeichnen sich damit gerade nicht durch ihren sozialen Status, ihr Amt, durch fachliche Kompetenz oder ihre Nähe zum Gesprächspartner für einen Ratschlag aus.33 Umso eindringlicher erklingen dagegen ihre jeweiligen Aussagen, da sie allein den Figuren Kontur verleihen – oder vielmehr: Die Figuren reduzieren sich zum bloßen Medium, der Rat selbst tritt hervor. Zweitens hat sich gezeigt, dass der Text in den eingelagerten Figurenreden seine eigenen Programmpunkte legitimiert: Über die Darstellungsmodi von direkter und transponierter Rede verleiht die Erzählinstanz nur jenen Figuren Sprechhoheit, die Aussagen des Reformsprechers vorweg- bzw. wiederaufnehmen. Mit Werner Wolfs Definition der ›mise en abyme‹ gesprochen, handelt es sich hierbei um »eine Form v. a. literar. Rekursivität bzw. Ähnlichkeit und damit Selbstreferenz, die sich in einem isolierbaren Segment auf einer ontologisch oder 33 Inwiefern gerade die Negativfolie als literarischer Kommentar zu Günstlingswirtschaft und Elitenbildung denjenigen zum Ratgeber stilisiert, der nur durch seine Leistung hervortritt, thematisieren auch Felix Bohlen (›Das Fördern von Tüchtigen: Fu Yue im ›Mozi‹‹, 42–45) und Dominik Büschken (›Fazit‹, 118f.). Dass der unerbetene Rat über Gattungsgrenzen und Kulturräume hinweg universales Erzählinteresse darstellt, belegen die anderen, im vorliegenden Band vorgestellten Beispiele von Ann-Kathrin Deininger und Alheydis Plassmann.
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textlogisch untergeordneten Ebene eines Textes oder Kunstwerks manifestiert, so dass auf dieser mindestens ein in der Regel signifikantes Element (inhaltlicher oder formaler Natur) einer übergeordneten Ebene ›gespiegelt‹ erscheint[.]«34 Die Wiederholungen verschränken Sprecher- und Figurenrede, wobei die Nähe zum Sprecher die Figuren auratisiert: »Figurenrede kann narrative Funktionen übernehmen, so dass die Figuren die gleiche Funktion, Autorität und Redekompetenz wie der Erzähler erhalten.«35 Umgekehrt bestärken die Figuren jedoch ebenso die Aussagen des Sprechers: Niemand anderes als die berühmten Kaiser Konstantin und Siegmund replizieren die Reformhoffnungen der ›Reformatio Sigismundi‹. Die Wiederholungen produzieren derart einen Stimmenkanon, in dem dieselben ›Wahrheiten‹ zyklisch wiederkehren und sich diejenigen, die Forderungen stellen, reziprok legitimieren: Die Figuren plausibilisieren die Aussagen des Sprechers, der Sprecher wiederum autorisiert die Figuren. Was diese Momente fiktionalisierter Ratgeberdialoge in einem Text leisten, der selbst als Ratgeber auftreten möchte, wird deutlich: Die ›Reformatio Sigismundi‹ demontiert in den eingelagerten Narrativen etablierte Wissensautoritäten und pluralisiert zeitgleich jene, die in ihren Ruf nach Reformen mit einstimmen. Die eingelagerten Erzählungen leisten also viel mehr, als nur »belebend« zu wirken und damit einer möglichen »Eintönigkeit« des Reformkatalogs vorzubeugen;36 im multivokalen Zusammenspiel von Figuren und Sprecher setzt sich der Text selbst als Deutungshoheit. Indem der Text dabei ausgerechnet den Außenstehenden zur Referenzfigur stilisiert, erinnert er an Siegmunds Auftritt auf dem Konstanzer Konzil – schließlich hat auch der Kaiser mit der Einberufung des Konzils seinen eigentlichen Kompetenzbereich übertreten und die Reform somit gleichsam von außen forciert. Auf Siegmunds Zeitgenossen hat sein Verhalten den denkbar größten Eindruck gemacht: »Man nannte ihn den ›advocatus universalis‹ der Kirche und erhoffte von ihm allein die Rettung aus den Wirren der Zeit. Den Vätern erschien er wie ein Engel. Konzilsdichter verglichen ihn mit Karl dem Großen, mit den Helden der griechischen Vorzeit und den ruhmreichen Gestalten alttestamentlicher Väter, Propheten, Richter und Könige.«37 Die ›Reformatio Sigismundi‹ macht sich ihrerseits diese Außenwirkung Siegmunds zu Nutze, indem sie wiederholt auf den Kaiser verweist: Mit dem Titel ›Reformatio Sigismundi‹ (»Reformation des Kaisers Siegmund«), der Behauptung, eine lateinische Gesetzesvorlage zu über-
34 Werner Wolf, ›Mise en abyme‹, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (5. Aufl., 2013), 528f. 35 Unzeitig/Miedema/Hundsnurscher 2011, 12. 36 Koller 1952, 152. 37 Buyken 1957, 113.
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setzen (RS N 88),38 und der abschließenden Vision vermittelt der Text deutlich den Eindruck, der Verfasser übertrage einen kaiserlichen Reformplan in die Volkssprache.39 Die Forschung hat diese Selbstsetzung jedoch als geschickt inszenierte Legitimationsstrategie enttarnt: Die Berufung auf den Kaiser soll den folgenden Reformentwurf mit kaiserlicher Präsenz weihen, entspricht aber nicht den historischen Tatsachen.40 Wenn der Text also in der Traumvision eine zweite Sprechinstanz fingiert, um durch den vermeintlichen Stimmwechsel den Sprecher des Haupttextes zu entlasten – hier fordert schließlich kein anonymer Konzilsteilnehmer, hier fordert der Herrscher selbst – ist letztlich das Gegenteil der Fall: Nicht der Kaiser inspiriert wesentliche Kritik- und Reformpunkte des Textes, der Text instrumentalisiert die Stimmhoheit des Kaisers. Die Erfolgsgeschichte dieser Strategie der Selbstlegitimation schlägt sich schließlich in der Rezeption nieder: Während der Verfasser anonym bleibt, gelangt sein Text zu einiger Berühmtheit und wird kurze Zeit darauf bereits als authentisches Reichsgesetz gehandelt. Sieben Handschriften der insgesamt fünf Fassungen gruppieren den Text mit dem als ›Reformatio Friderici‹ bezeichneten Landfrieden von 1442, drei Handschriften verbinden den Reformkatalog gar mit der Goldenen Bulle Karls IV.41 Als Kind der medialen Revolution des 15. Jahrhun38 Auch der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung stand auf dem Prüfstein: Die Quellenangabe galt den einen als real (Werner 1907, 740; Beer 1925, 207), den anderen als Inszenierung (Koehne 1903, 750; Joachimsen 1921, 42). Wie Koller hat zeigen können, bringt die ›Reformatio Sigismundi‹ wesentliche Argumentationspunkte der Reformschrift von Johannes Schele, so dass die Quellenberufung zumindest die Rezeptionsleistung markiert (Koller 1958, 427–43; ihm folgen Struve 1978, 78, Anm. 25 und Dümling 2017, 101). Damit bleibt die ›Reformatio Sigismundi‹ aber nichtsdestotrotz ein souveräner Text: »Darüber [über Scheles Reformtraktat, S.Q.] ging aber die R.S. weit hinaus, zumal sie den Text mit Anekdoten und hist. Exkursen auflockerte, so daß sie als eigenständiger, dt.sprachiger Traktat einzustufen ist [.]« (Heinrich Koller, ›Reformatio Sigismundi‹ [Art.], in: Lexikon des Mittelalters 7 (1994), 550f.; ähnlich auch Ders. 1989, 1071). Gerade in den Momenten fiktionalisierter Narration beweist der Text also seine Eigenständigkeit. 39 Dass sich der spätmittelalterliche Herrschaftsdiskurs in dieser Zweisprachigkeit aufspannt, zeigen die Textzeugnisse in Karina Kellermanns Beitrag noch deutlicher: Die Flugschriften des Publizisten Sebastian Brandt werden bewusst bilingual konzipiert und adressieren somit Gelehrten- und Laienpublikum gleichermaßen (s. Abschnitt 1, 193–195). 40 Koehne 1903, 750; Beer 1925, 214; Franz 1958, 962; Koller 1958, 424f.; Wiesflecker 1975, 203f.; Sabine Schmolinsky, ›Reformatio Sigismundi‹, in: Killy Literaturlexikon (2. Aufl., 2010), 469f., hier 469, Dümling 2017, 101. Beer relativiert dahingehend, dass über den Reformtraktat von Johannes Schele ein Bezug zur kaiserlichen Partei bestehe und der Titel somit keine reine Fiktion darstelle (Beer 1951, 58). 41 Zuletzt hat Sabine Schmolinsky noch einmal darauf hingewiesen, dass die zahlreichen Handschriften und Drucke »eine die Verbreitung anderer reichstheoret. Texte übersteigende Rezeption« bezeuge (Dies. 2010, 470). Boockmann argumentiert gegen die Überzeugung, die ›Reformatio Sigismundi‹ sei ein viel rezipierter Text; im Vergleich mit anderen Reformschriften der Zeit zeichnet er Überlieferungstraditionen nach (Ders. 1979, 520 und Ders. 1997, 385f.). Es soll hier weniger um die Frage gehen, inwiefern die ›Reformatio Sigismundi‹
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derts profitiert die ›Reformatio Sigismundi‹ darüber hinaus von den Vervielfältigungsmöglichkeiten des Buchdrucks und steigt derart zu einem vermeintlichen Paradetext frühreformatorischer Kampfschriften auf.42 So überrascht es nicht weiter, dass die protestantische Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts in der ›Reformatio Sigismundi‹ die Wurzeln der Reformation zu erkennen meinte, während die frühe DDR-Historiographie die Geburtsstunde der ›frühbürgerlichen Revolution‹ feierte.43 Vielleicht zieht die ›Reformatio Sigismundi‹ den historischen Siegmund aber nicht nur als Autorität heran, sondern verdankt ihm letzten Endes die programmatische Formel ›Rat von außen‹: Ebenso wie der Kaiser die Parameter des Herrschaftsdiskurses durch sein Auftreten in Konstanz verschiebt, setzt auch die ›Reformatio Sigismundi‹ wesentliche diskursive Impulse im Kontext des Basler Konzils. Symptom einer Umbruchsstimmung, schreibt sie diesen Umbruch doch gleichsam selbst mit, indem sie die Diskussion in die Volkssprache verlagert. Als erster deutschsprachiger Reformtext, als externer Kommentator einer internen Reformdiskussion, muss sie ihre Autorität gegenüber etablierten Macht- und Wissensautoritäten dabei erst behaupten.44 Dies gelingt ihr, wie es ihren Figuren gelingt: So wie nur der vertriebene Silvester das römische Reich unter Konstantin woll verorden (gut verordnen) kann, so verspricht auch die ›Reformatio Sigismundi‹ die verkundung der rechtenn ordenung (Verlautbarung der rechtmäßigen tatsächlich breitenwirksam auf die Reform(ation) eingewirkt hat, sondern um ihren Nachhall in der Geschichtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. 42 Vgl. Heinrich Koller, Untersuchungen zur ›Reformatio Sigismundi‹ I: Die Fassungen und Handschriften der ›Reformatio‹, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 13 (1957), 482–524; vgl. auch Boockmann 1979, 524 und Ders. 1997, 384f. 43 Die ›Reformatio Sigismundi‹ ist sowohl als genuin revolutionär (Koehne 1903, 742; Beer 1925, 221) wie auch als eindeutig reaktionär konservativ bewertet worden (Doren 1922/23; Lothar Graf zu Dohna, ›Reformatio Sigismundi‹. Beiträge zum Verständnis einer Reformschrift des fünfzehnten Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 4), Göttingen 1960). Die historisch eingefärbten Interpretationen erschweren das Textverständnis (Franz Irsigler, Die ›Kleinen‹ in der sogenannten ›Reformatio Sigismundi‹, in: Saeculum 27 (1976), 248–255, hier 248f.; Hiersemann 1982, 1f.; Boockmann 1997, 384– 386; Dümling 2017, 16–23). Boockmann möchte dafür sensibilisieren, zwischen Intention und Rezeption zu unterscheiden: Der Text mag anders rezipiert als konzipiert worden sein (Ders. 1979, 516). Bereits Franz differenziert, dass die ›Reformatio Sigismundi‹ »eigentlich reaktionär« sei, aber »durchaus revolutionär« gewirkt habe (Ders. 1958, 962). 44 Felix Bohlen diskutiert im vorliegenden Band Überlegungen des Diskurstransfers vor dem Hintergrund eines neuen Selbstbewusstseins antik chinesischer Eliteschichten, die ihr Recht auf Partizipation an Herrschaft dezidiert einfordern (›Resümee‹, 45–47). Dabei reflektiert er, inwiefern eingelagerte Exempla Strukturen des Rahmentextes spiegeln und somit eine Folie etablieren, die auf den Rezipienten einwirken soll (›Von der Notwendigkeit der Herrscherkritik: Fu Yue als Remonstrant im ›Guoyu‹‹, 30–35). Dominik Büschkens Überlegungen zur Handlungsfähigkeit (›agency‹) der Figuren (›Ratgeben als Handlungsfähigkeit‹, 117f.) lassen sich hier übertragen: Indem ein Text Meinungshoheit für sich beansprucht, erweitert er seinen Handlungsraum.
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Ordnung); so wie der junge Klosteranwärter im fingierten Dialog den hierarchisch überlegenen Abt für sein Fehlverhalten anprangert und Empfehlungen zur richtigen Lebensführung ausspricht, so protestiert und proklamiert auch die ›Reformatio Sigismundi‹ im Anblick der Basler Konzilsversammlung; so wie der Priesterkönig Friderich als Außenstehender die Reform erzwingen wird, so mobilisiert auch die ›Reformatio Sigismundi‹ zur gewaltsamen Umsetzung ihrer Reformforderungen. Die divergierenden Stilregister sind also nicht etwa Ausdruck eines »bunten, stilistisch ganz und gar uneinheitlichen Gewebe[s]«45, das Thea Buyken veranlasst hat, verschiedene Verfasser anzunehmen. Vielmehr bieten sie Einblicke in ein vielschichtiges Programm der Selbstlegitimation: Die ›Reformatio Sigismundi‹ historisiert, wenn sie zu argumentieren sucht, sie fiktionalisiert, wenn sie Fakten präsentieren möchte, sie lässt ihren Reformkatalog schließlich in einer phantasmagorischen Prophezeiung kulminieren, wenn doch gegenwartsbezogene Handlungsanleitungen ihr artikuliertes Ziel sind – und stabilisiert sich damit erfolgreich als Ratgeber von außen.
Literaturverzeichnis Quellen Reformation Kaiser Siegmunds, ed. Heinrich Koller (Monumenta Germaniae Historica 6), Hannover 1964.
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45 Buyken 1957, 97.
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Felix Bohlen, Vom Mauerstampfer zum Minister – Zur Darstellung der Ratgeberfigur Fu Yue im Spiegel antiker chinesischer Texte
Quellentext: ›Das Mandat an Fu Yue‹ (Fu Yue zhi ming 傅說之命), dat. ca. 5.–3. Jhd. v. Chr. Aus: Li Xueqin 李學勤 (ed.), Qinghua daxue cang Zhanguo zhujian (san) 清華大 學藏戰國竹簡(叁), Shanghai 2012, 121–131. Anmerkungen: Die präsentierte Translation der frühchinesischen Handschrift ›Das Mandat an Fu Yue‹ stellt m.W. den ersten Versuch einer vollständigen Übertragung in eine westliche Sprache dar.1 Im Interesse einer transdisziplinären Leserschaft soll die der Translation vorausgegangene paläographisch-philologische Grundlagenarbeit hier aber nicht in extenso dargelegt werden. Zentrales Anliegen ist es, den Lesenden eine zugängliche Quellenübersetzung an die Hand zu geben. Die Transkription folgt – mit nur wenigen punktuellen Modifikationen – der der Herausgeber. Tiefergestellte Nummern in eckigen Klammern [x] markieren das Ende der entsprechenden Bambusleiste. Unklare bzw. strittige Textpassagen sind mit (?) markiert.
Teil 01 惟殷王賜說于天,庸為失仲使人。王命厥百工向,以貨徇求說于邑人。惟 弼人 [1] 得說于傅巖,厥俾繃弓、紳關、辟矢。說方築城,縢降庸力,厥說 之狀、腕、 [2] 肩如椎。王廼訊說曰:「帝抑尔以畀余,抑非?」說廼曰: 1 Mein Dank gilt an dieser Stelle Thomas Crone und seinen wertvollen Hilfestellungen. Alle etwaigen Unsauberkeiten sind selbstredend die meinen.
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「惟帝以余畀尔=(尔,尔)左(又)執朕袂,尔右(又) [3] 稽=(稽 首)。」王曰:「亶然。」天廼命說伐失=仲=(失仲。失仲)是生子,生 二牡豕。失仲卜曰:「我其殺之」,「我其已 [4] ,勿=殺=(勿殺」。勿 殺)是吉。失仲違卜,乃殺一豕。說于圍伐失仲,一豕乃旋保以逝,廼 踐,邑 [5] 人皆從,一豕隨仲之自行,是為赦俘之戎。其惟說邑,在北海之 州,是惟圜土。說[6]來,自從事于殷,王用命說為公。[7] 傅說之命 [7verso] Als der König von Yin (i. e. Wu Ding) Yue vom Himmel2 geschenkt bekam, war dieser Bote des Shizhong. Der König befahl seinen Kunsthandwerkern, ein Abbild (des Yue) zu erstellen und mit Belohnungen nach Yue unter den Bewohnern der Nährstadt3 (von Shizhong) zu suchen. Ein Bogenschütze fand [1] Yue an den Klippen von Fu (Fuyan), und [der König] schenkte [ihm] geschnürte Sehnen, gebundene bespannte Bogen und Ritualpfeile (?). Yue war dabei, eine Mauer zu stampfen, kletterte hinauf und hinunter und rackerte sich ab, sodass seine Erscheinung, seine Handgelenke [2] und Schultern Hämmern glichen. Der König befragte Yue sodann: »Di4 hat dich mir gegeben, oder nicht?« Yue sagte darauf: »Als Di mich Euch schenkte, da grifft Ihr nach meinem Ärmel und machtet danach [3] einen Kotau [vor mir].«5 Der König sagte: »In der Tat!« Und der Himmel gab Yue sodann den Befehl, gegen Shizhong zu Felde zu ziehen. Zu jener Zeit hatte Shizhong Kinder gezeugt und zwei Eber bekommen.6 Shizhong fragte das Schildkrötenorakel: »Soll ich sie umbringen?«, »Soll ich einhalten [4] und [sie] 2 Der »Himmel« (tian 天) und »Di« 帝 ([Hohe] Gottheit) waren – vereinfacht gesagt – die wirkmächtigsten Gottheiten. Auf Grundlage der Shang-Orakelknochen wissen wir, das Di an der Spitze des Shang-Pantheons stand. Der Himmel als höchste Wirkmacht tritt erst mit der Zhou-Dynastie (ca. 1045 v. Chr.) in den Vordergrund (vgl. dazu Keightley 1999, 251–256). Dass hier beide Gottheiten vermischt werden, mag ein Anachronismus sein, der auf die Entstehungszeit zurückzuführen ist. 3 Ein Herrscher konnte einem verdienten Untertan eine sog. »Nährstadt« (yi 邑) zum Unterhalt verleihen. 4 Zu ›Di‹, vgl. vorangehende Anmerkung. 5 Hier wird wohl auf eine gemeinsame Traumszene angespielt, die beide erlebten; hierfür spricht die Reaktion des Königs im Anschluss. Die eigentliche Transkription zuo 左… you 右… (»Zur Linken… zur Rechten…«) macht im gegebenen Kontext wenig Sinn; eine you又… you又…Konstruktion scheint hier sinnvoller. Die Grapheme 左 und 右 entwickelten sich aus dem Graphem 又 (vgl. dazu auch Anmerkungen zur Etymologie in Axel Schuessler, ABC Etymological Dictionary of Old Chinese, Honolulu 2007, 581–582, 637). 6 Andere Philologen interpretieren hier, dass es sich wohl um Menschenkinder handeln mag, die äußere bzw. körperliche Erscheinungsmerkmale von Ebern haben oder von einem ›schweinischen‹, also verdorbenen Charakterwesen sind, vgl. bspw. Kommentare in Li Xueqin 2012, 123 (Nr. 15). Da der Text die Schweine aber ausdrücklich als mu 牡 (männlich) bezeichnet, mit einem Ausdruck, der nur auf Tiere und nicht auf Menschen angewandt wird, ist es offensichtlich, dass die Kinder in erster Linie als Schweine angesehen wurden. Das schließt aber augenscheinlich nicht aus, dass diese Schweine im Folgenden als Figuren mit anthropomorphen Zügen in Szene gesetzt werden.
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nicht umbringen?«. »Nicht umbringen« wurde positiv beschieden. Doch Shizhong widersetzte sich dem Orakel und brachte daraufhin ein Schwein um. Yue zog los, umzingelte Shizhong und attackierte ihn. Das andere Schwein machte kehrt, suchte Schutz und zog sich zurück. [Yue] rückte ein und alle Menschen der Nährstadt [5] schlossen sich an. Das andere Schwein folgte der Fluchtroute, die Shizhong selbst genommen hatte.7 Das war die Schlacht der ›Freigelassenen Kriegsgefangenen‹ (shefu). Dies wurde die Nährstadt des Yue. Sie befand sich in den Gefilden des Nordmeeres und war ein Gefangenenlager. Yue [6] kam (an den Hof), tat fortan seinen Dienst in Yin, und der König erteilte ihm ein Mandat und machte Yue zum Hohen Hofwürdenträger (gong)8. [7] Das Mandat an Fu Yue [7verso]
Teil 02 說來自傅巖,在殷。武丁朝于門,入在宗。王原比厥夢,曰:「汝來惟帝 命。」說 [1] 曰:「允若時。」武丁曰:「來格汝說,聽戒朕言,漸之于乃 心。若金,用惟汝作礪。古 [2] 我先王滅夏,燮強,捷蠢邦,惟庶相之力 勝,用孚自邇。敬之哉!啟乃心,日沃 [3] 朕心。若藥,如不瞑眩,越疾罔 瘳。朕畜汝,惟乃腹,非乃身。若天旱,汝作淫雨。 [4] 若津水,汝作舟。 汝惟茲說底之于乃心。且天出不祥,不徂遠,在厥落,汝克 [5] 宣見 視 四 方,乃俯視地。心毀(惰)惟備。敬之哉!用惟多德。且惟口起戎出好, 惟干戈 [6] 作疾,惟衣(哀)載病,惟干戈眚厥身。若抵不視,用傷,吉不 吉。余告汝若時,志之于乃心。」[7] 傅說之命[7verso] Yue kam von den Klippen von Fu und befand sich in Yin. Wu Ding lud zur Morgenaudienz am Palasttor, anschließend kehrte man in den Stammahnentempel ein. Der König betrachtete [Yue] und verglich ihn mit seiner Traumerscheinung und sagte: »Du bist auf Befehl des Di [zu mir] gekommen.« Yue [1] sagte: »So ist es in der Tat!« Wu Ding sagte: »Komm herbei, du, Yue! Höre meine Worte und nimm sie dir zu Warnung und lasse sie in dein Herz einfließen. Wie beim Eisen, so nehme ich dich zum Schleifstein.9 Früher, [2] da vernichtete unser 7 Auch hier wirkt die Handlung etwas ungeschliffen, aber im gegebenen Kontext muss es wohl der einzig verbliebene Schweine-Nachwuchs sein. 8 »Hoher Hofwürdenträger« (gong 公) ist ein ranghohes Hofamt, das sich durch eine besondere Nähe zum Herrscher auszeichnet, ohne dass die Kompetenz aber umrissen wäre. Die Hauptaufgabe eines Hohen Hofwürdenträgers scheint wohl darin zu liegen, dem Herrscher mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. 9 Dieser sprichwörtliche Ausdruck findet sich in ähnlicher Form im ›Xunzi‹ 荀子, 1.1.
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altvorderer König die Xia,10 vereinigte die Starken und besiegte die rebellierenden Länder. Es war ein Sieg der Kräfte der vielen Minister, weil er den Nahen vertraute. Gib Acht darauf ( jing zhi zai)11! Öffne dein Herz und erfülle das meine, Tag für Tag. [3] Es ist wie bei der Medizin: wenn sie keinen Schwindel und keine Benommenheit hervorruft, wird die Krankheit nicht geheilt.12 Ich mag dich wegen deines Schneids und nicht wegen deines Körpers. Wenn eine Dürre herrscht, sei du ein üppiger Regen. [4] Wenn wir einen Fluss queren wollen, so mögest du ein Boot sein. Du sollst an das Gesagte denken und es tief in deinem Herzen tragen! Sollte der Himmel Unheil hervorbringen, so gehe nicht weit weg, um seinen Ursprung zu untersuchen! Du kannst [5] die Vier Himmelsrichtungen (das Herrschaftsgebiet)13 überwachen, aber senke deinen Blick zu Boden und triff Vorkehrungen gegen ein nachlässiges Gemüt. Gib Obacht ( jing zhi zai)! Bediene dich deiner reich vorhandenen Tugend (de). Zudem ist es der Mund (i. e. ein unbedachtes Mundwerk), durch den Kriege entfacht werden und Schmach entsteht;14 es sind Schild und Lanze, [6] die Leid schaffen; es ist Trauer, die Qual bringt; es sind Schild und Lanze, die den Körper zerstören. Leistet man Widerstand, ohne [die Gründe] sichtbar zu machen, nimmt man Schaden. So wird Glückversprechendes zu Unglück. Das ist es, was ich dir mitzuteilen habe! Behalte es in deinem Herzen!« [7] Das Mandat an Fu Yue [7verso]
10 Nach antikchinesischem Geschichtsbild die Vorgängerdynastie der Shang/Yin-Herrscher. Demnach wurden die Xia 夏 und ihr letzter tyrannischer Herrscher Jie 桀 vom ShangDynastiegründer Tang 湯 besiegt. 11 Adhortativ-Konstruktion, vgl. Ausführungen im Haupttext des Beitrages. 12 Auch dies ist sprichwörtlich zu verstehen. Nebenwirkungen einer Medizin sind in diesem Sinne ein Zeichen der Wirksamkeit bzw. Heilung. Fu Yue wird damit sprichwörtlich gestattet, den ›Finger in die Wunde zu legen‹ – also unverblümte, ja gar ›schmerzhafte‹ Kritik am König zu üben. Im modernen Chinesisch gibt es das Sprichwort »Gute Medizin schmeckt bitter auf der Zunge« (liangyao kukou 良藥苦口), das eben diese Bedeutung hat. Es geht auf einen Ausspruch von Konfuzius in der klassischen Texttradition zurück: »Wirksame Medizin hinterlässt zwar einen bitteren Geschmack auf der Zunge (wörtl. »Mund«), hilft aber bei der [Heilung der] Krankheit.« 良藥苦於口利於病 (vgl. ›Shuoyuan‹ 說苑, 9.238). 13 In den Shang-Orakelknochen sind damit insb. die peripheren Herrschaftsgebiete gemeint, also Regionen an den Grenzen der eigenen Herrschaftszonen, mitunter auch solche, die nicht mehr in der eigenen Einflusssphäre standen, s. Keightley 1999, 269; ders., 2000, 66–72. 14 Auch hierfür finden sich spätere bzw. moderne Sprichwörter, die zum Ausdruck bringen, dass man seine Worte mit Bedacht wählen sollte (d.i. wei kou qi xiu 惟口起羞 bzw. huo cong kou chu 禍從口出).
Felix Bohlen, Vom Mauerstampfer zum Minister
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Teil 03 「…… [1] 員,經德配天,余罔有斁言。小臣罔俊在朕服,余惟命汝說融朕 命,余柔遠 [2] 能邇,以益視事,弼永延,作余一人。」王曰:「說,既亦 詣乃服,勿易俾越。如飛雀 [3] 罔畏離(羅),不惟鷹隼,廼弗虞民,厥其 禍亦羅于〓〓。」王曰:「說,汝毋忘曰:『余克享 [4] 于朕辟。』其又廼 司四方民丕克明,汝惟有萬壽在乃政,汝亦惟克顯天,恫瘝小 [5] 民,中乃 罰,汝亦惟有萬福〓=(業業)在乃服。」王曰:「說,晝如視日,夜如 視辰,時罔非乃 [6] 載。敬之哉!若賈,汝毋非貨如土戠石。」王曰: 「說,余既諟劼毖汝,使若玉冰,上下罔不我 [7] 儀。」王曰:「說,昔在 大戊克漸五祀,天章之用九德,弗易(賜)百姓。惟時大戊謙曰:『余不 克 [8] 辟萬民。余罔墜天休,式惟三德賜我,吾乃敷之于百姓。余惟弗雍 (供)天之嘏命。』」[9] 王曰:「說,毋獨乃心,敷之于朕政,欲汝其有 友勑朕命哉。」[10] 傅說之命[10verso] »… [1] yuan (?),15 folge der Tugend und erweise dich des Himmels würdig. Ich bin der Worte [an dich] nicht überdrüssig. Unter den Hofdienern gibt es keinen, der in seinem Dienst für mich herausragt. Ich bin es, der dich, Yue, beauftragt, meine Befehle deutlich zu machen (d. h. sie auszuführen)! Ich besänftige die Fernen [2] und stehe den mir Nahen bei, um die Aufsicht über die Dienste zu befördern und damit die Helfer mich, den einen Menschen (yu yi ren)16, dauerhaft unterstützen.« Der König sagte: »Yue, bring deiner Aufgabe auch Achtung entgegen; lasse es nicht leichtfertig zu Fehltritten kommen. Es ist wie bei einem frei umherfliegenden Spatz, [3] der sich nicht um Fangnetze kümmert: Er ist weder Adler noch Habicht, und wenn er sich vor den Menschen nicht hütet, wird er in einer Vogelfalle verunglücken.« (?) Der König sagte: »Yue, sage nicht (wu)17 achtlos: ›Ich vermag die Wohlbehandlung [4] durch meinen Herrn zu genießen.‹ Wenn du es zudem vermagst, die Menschen der Vier Himmelsrichtungen mit großer Klarsicht zu beherrschen, dann wird es so sein, dass du ein Leben lang in deinem Amt sein wirst. Wenn du es vermagst, dass dein Licht den Himmel erreicht, du dich für das mindere Volk [5] aufopferungsvoll quälst und du deine Strafen gerecht bemisst, dann werden dir ewiges Glück und Großtaten in deinem Dienst beschert.« Der König sagte: »Yue, so wie man am Tag die Sonne sehen kann und in der Nacht die Sterne, so soll deine [6] Haltung sein. Sei achtsam ( jing zhi zai)! Wie ein (guter) Kaufmann, so sollst du wertvolle Waren nicht geringschätzen wie Steine!« Der König sagte: »Yue, nun weise ich dich zurecht und ermahne dich, dass du danach 15 Hier ist die Leiste beschädigt. Der vorangehende Bambusstreifen fehlt. 16 Yu yi ren 余一人 ist eine Selbstzeichnung des Herrschers. 17 Prohibitionspartikel, vgl. Ausführungen im Hauptbeitrag.
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strebst, [so klar] wie Jade und Eis zu sein. Unter den Oberen und Unteren soll es niemanden geben, der mich nicht [7] zum Vorbild nimmt.« Der König sprach: »Yue, einst, als Da Wu18 es vermochte, die Fünf Opfer (wu si)19 darzubringen, offenbarte der Himmel ihm die Neun Tugenden ( jiu de)20. Doch er war nicht imstande, sie dem Volk zu schenken.« Daraufhin sagte Da Wu demütig: ›Ich vermag es nicht, [8] die zehntausend Völker zu beherrschen. Doch ich darf die Gnade des Himmels nicht verlieren und deshalb nehme ich mir die drei Tugenden zum Vorbild, die er mir geschenkt hat, und werde diese unter dem Volk verbreiten. Ich bin nicht in der Lage, das große Mandat des Himmels aufrechtzuerhalten.‹21 [9] Der König sagte: »Yue, lasse dein Herz nicht eigensinnig (du)22 sein, sondern verbreite es in meiner Regierung. Ich wünsche, dass du Gefährten erlangst, mit denen du mein Mandat festigst!« [10] Das Mandat an Fu Yue [10verso]
18 Da Wu 大戊 (alt. Schreibweise Tai Wu 太戊) war der siebte König der Shang (Wu Ding war der 21. König), vgl. die Herrscherlinie in Keightley 2000, 132–133. Es ist indes nicht ganz klar, auf welches Exemplum über seinen Vorfahren sich der König hier bezieht – in der Tradition findet sich kein entsprechendes Narrativ (die bekannteste Erzählung über Da/Tai Wu ist die Wundergeschichte vom Maulbeerbaum, der eines Tages plötzlich im Hof seines Palastes emporwuchs und von seinem Ratgeber als schlechtes Omen gedeutet wurde, siehe z. B. ›Shiji‹, 3.100). 19 Je nach Texttradition gibt es verschiedene Aussagen darüber, was die ›Fünf Opfer‹ 五祀 gewesen sein könnten, vgl. die Anmerkung in Li Xueqin 2012, 130 (Nr. 29). 20 Auch hier ist nicht klar, welche Tugenden konkret gemeint sind; zu Hinweisen in der Texttradition vgl. Anmerkungen in Li Xueqin 2012, 131 (Nr. 30). 21 Der Himmel ist die höchste Legitimationsinstanz: er verleiht würdigen Herrschern das sog. ›Himmelsmandat‹ (tian ming 天命) – kann es ihnen bei Unwürdigkeit und Untauglichkeit aber auch wieder entziehen. Historisch betrachtet kam dieses Legitimationsinstrument erst mit den Herrschern der Zhou-Dynastie zum Tragen (ca. 1045 v. Chr.); damit rechtfertigten sie ihren Feldzug gegen die Shang, deren Eroberung und ihre eigene Dynastie. Zum ›Mandat‹ vgl. Edward L. Shaughnessy, Western Zhou History, in: Michael Loewe/Edward L. Shaughnessy (edd.), The Cambridge History of Ancient China. From the Origins of Civilization to 221. B.C., Cambridge/New York/Melbourne 1999, 292–351, hier 313–315. Mit der »Gnade des Himmels« (tian xiu 天休) ist der Hulderweis mittels Segnungen o. ä. gemeint, womit die allgemeine Legitimität des Herrschers bzw. seiner Dynastie bestätigt wird. Die »Gnade zu verlieren« würde also bedeuten, das Wohlwollen des Himmels einzubüßen und unterzugehen. 22 Zu du 獨 als destruktiver »Eigensinn« vgl. auch das Schimpfwort dufu 獨夫 (»[rücksichtsloser] Alleinherrscher/Tyrann«) im ›Xunzi‹ 荀子, 10.275.
David Hamacher, »Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt«
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David Hamacher, »Mir stehe frei zu tun, was ein Seneca missbilligt« – Seneca als Ratgeber Neros in der römischen Tragödie ›Octavia‹
Quellentext: ›Octavia‹ (V. 377–592); lateinischer Text nach: L. Annaei Senecae Tragoediae, ed. Otto Zwierlein [Kapitälchen] (Oxford Classical Texts), Oxford 1986; deutsche Übersetzung nach: Seneca, Sämtliche Tragödien. 2 Bde., übers. u. erl. v. Theodor Thomann [Kapitälchen] (Die Bibliothek der Alten Welt. Römische Reihe), Zürich/Stuttgart 1961–1969. SENECA Quid, impotens Fortuna, fallaci mihi blandita uultu, sorte contentum mea alte extulisti, grauius ut ruerem edita receptus arce totque prospicerem metus? 380 melius latebam procul ab inuidiae malis remotus inter Corsici rupes maris, ubi liber animus et sui iuris mihi semper uacabat studia recolenti mea. O quam iuuabat, quo nihil maius parens 385 Natura genuit, operis immensi artifex, caelum intueri, solis et cursus sacros mundique motus, noctis alternas uices orbemque Phoebes, astra quam cingunt uaga, lateque fulgens aetheris magni decus; 390 qui si senescit, tantus in caecum chaos casurus iterum, tunc adest mundo dies supremus ille, qui premat genus impium caeli ruina, rursus ut stirpem nouam generet renascens melior, ut quondam tulit 395 iuuenis, tenente regna Saturno poli. Tunc illa uirgo, numinis magni dea, Iustitia, caelo missa cum sancta Fide terra regebat mitis humanum genus. non bella norant, non tubae fremitustruces, 400 non arma gentes, cingere assuerant suas muris nec urbes: peruium cunctis iter, communis usus omnium rerum fuit; et ipsa Tellus laeta fecundos sinus pandebat ultro, tam piis felix parens 405 et tuta alumnis. Alia sed suboles minus
SENECA Warum, unbändige Fortuna, mit trügerischer Miene mir schmeichelnd, hast du mich, der ich mit meinem Lose zufrieden, hoch erhoben? Daß ich aufgenommen in erhabener Burg um so schwerer stürze und so viele Ängste vor Augen habe? Besser lebte ich verborgen, fern von der Mißgunst Bosheit verbannt inmitten der Klippen des Korsischen Meeres, wo der Geist frei und Herr eigenen Rechtes mir zu meinem Forschen immer Muße ließ. Welche Lust war es, den Himmel zu betrachten, dem an Größe sich nichts vergleichen läßt, was Mutter Natur, einer gewaltigen Schöpfung Baumeisterin, hervorgebracht: der Sonne heiliges Gespann, des Alls Bewegung, der Nacht regelmäßige Wiederkehr, des Mondes Scheibe, welche die wandelnden Gestirne umgeben, und des großen Äthers weithin funkelnde Zier. Altert es, um in seiner ganzen Größe ins dunkle Chaos wiederum zu versinken, so bricht für die Welt jener letzte Tag an, der ein unfrommes Geschlecht begraben soll unter des Himmels Einsturz, daß sie – besser wiedergeboren – abermals ein neues Geschlecht erzeuge, so wie sie es einst hervorgebracht in ihrer Jugend, da Saturnus Herr des Himmels war. Damals regierte jene Jungfrau, eine Göttin von großer Gewalt, Justitia, vom Himmel gesandt mit der unverletzlichen Fides, auf Erden mild über das menschliche Geschlecht. Keine Kriege, nicht der Trompete trotziges Schmettern kannten die Völker, nicht Waffen, noch waren sie gewohnt, ihre Städte mit Mauern zu umgürten: offen stand allen der Durchgang, gemeinsam war jeglicher Güter Gebrauch; die Erde selbst breitete üppig ihren fruchtbaren Schoß aus, ungeheißen, ihren so frommen Geschöpfen eine glückliche und schützende Mutter. Aber andere, weniger
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conspecta mitis * * * * * * * Tertium sollers genus nouas ad artes extitit, sanctum tamen, mox inquietum quod sequi cursu feras auderet acres, fluctibus tectos graui 410 extrahere pisces rete uel calamo leui, decipere uolucres crate * * * tenere laqueo, premere subiectos iugo 412bis tauros feroces, uomere immunem prius sulcare terram, laesa quae fruges suas ******* interior, alte condidit sacro sinu. 415 Sed in parentis uiscera intrauit suae deterior aetas; eruit ferrum graue aurumque, saeuas mox et armauit manus; partita fines regna constituit, nouas exstruxit urbes, tecta defendit sua 420 aliena telis aut petit praedae imminens. neglecta terras fugit et mores feros hominum, cruenta caede pollutas manus Astraea uirgo, siderum magnum decus. cupido belli creuit atque auri fames 425 totum per orbem, maximum exortum est malum luxuria, pestis blanda, cui uires dedit roburque longum tempus atque error grauis. Collecta uitia per tot aetates diu in nos redundant: saeculo premimur graui, 430 quo scelera regnant, saeuit impietas furens, turpi libido Venere dominatur potens, luxuria uictrix orbis immensas opes iam pridem auaris manibus, ut perdat, rapit. Sed ecce, gressu fertur attonito Nero 435 trucique uultu. quid ferat mente horreo.
friedfertige Nachfahren traten auf; * * * * * * * ein drittes, kunstreiches Geschlecht erstand zu neuartigen Künsten, doch gottesfürchtig noch immer, bald darauf ein unruhiges, das im Lauf das flinke Wild zu verfolgen wagte, die flutbedeckten Fische mit schwerem Netz heranzuziehen oder leichter Angelrute, die Vögel zu täuschen mit Flechtwerk oder sie mit List in der Schlinge zu fangen * * * die Stiere eingespannt ins Joch zu zwingen, mit der Pflugschar die früher abgabenfreie Erde zu furchen, die verletzt ihre Früchte * * * * * * * tiefer innen in ihrem heiligen Schoße barg. Doch bis in seiner Mutter Eingeweide drang ein noch schlimmeres Zeitalter: es grub schweres Eisen aus und Gold, bewaffnete bald damit die grausamen Hände. Die Länder aufteilend errichtete es Reiche, erbaute neuartige Städte, es verteidigte seine Behausungen mit sonderbaren Waffen oder griff beutelüstern Fremde damit an. Mißachtet floh die jungfräuliche Astraea, der Gestirne große Zier, die Erde und die verwilderten Sitten der Menschen und ihre vom blutigen Morden befleckten Hände. Kriegslust wuchs und Hunger nach Gold über den ganzen Erdkreis hin; das größte Übel erstand, Üppigkeit, ein gleißnerisches Verderben, dem Kraft verlieh und Mark die lange Dauer und schwere Verblendung. Laster, durch so viele Zeitalter angesammelt, fluten auf uns zurück: ein schweres Jahrhundert lastet auf uns, in dem Verbrechen regieren, rasende Gesetzlosigkeit tobt, Wollust einer schändlichen Venus unverhohlen herrscht, Üppigkeit als Siegerin des Erdkreises unermeßliche Schätze mit ehedem schon gierigen Händen zusammenrafft, nur um sie zu verschleudern. Doch siehe, mit bestürztem Schritt eilt Nero herbei und drohender Miene. Mich schaudert beim Gedanken, was er im Schilde führe.
NERO Perage imperata: mitte, qui Plauti mihi Sullaeque caesi referat abscisum caput.
NERO Vollführe meine Befehle; entsende einen, der Plautus und Sulla niedermache und ihr abgeschlagenes Haupt mir überbringe.
PRAEFECTUS Iussa haud morabor: castra confestim petam.
PRÄFEKT Die Befehle werde ich nicht aufhalten, das Heerlager sogleich aufsuchen.
David Hamacher, »Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt«
Se. Nihil in propinquos temere constitui decet. 440 Ne. Iusto esse facile est cui uacat pectus metu. Se. Magnum timoris remedium clementia est. Ne. Extinguere hostem maxima est uirtus ducis. Se. Seruare ciues maior est patriae patri. Ne. Praecipere mitem conuenit pueris senem. 445 Se. Regenda magis est feruida adolescentia. Ne. Aetate in hac satis esse consilii reor. Se. Vt facta superi comprobent semper tua. Ne. Stulte uerebor, ipse cum faciam, deos. Se. Hoc plus uerere quod licet tantum tibi. 450 Ne. Fortuna nostra cuncta permittit mihi. Se. Crede obsequenti parcius: leuis est dea. Ne. Inertis est nescire quid liceat sibi.
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SENECA: Gegen die Nächsten unüberlegt vorzugehen schickt sich nicht. NERO: Gerecht zu sein fällt dem leicht, dessen Herz von Furcht frei ist. SENECA: Ein mächtiges Heilmittel gegen Furcht ist Milde. NERO: Den Feind auszutilgen ist des Führers größte Tugend. SENECA: Die größere für den Vater des Vaterlandes, Bürger zu bewahren. NERO: Für den milden Greis schickt sich, Knaben zu unterweisen. SENECA: Lenken eher soll man die feurige Jugend. NERO: In meinem Alter wohnt, glaube ich, Einsicht genug. SENECA: Sofern die Götter immer deine Taten billigen. NERO: Töricht wäre ich sie zu fürchten, wo ich doch selbst Götter mache. SENECA: Um so mehr fürchte sie, da du so mächtig bist. NERO: Fortuna erlaubt mir alles.
SENECA: Vertraue der Willfährigen mit um so größerer Vorsicht. Launisch ist die Glücksgöttin. NERO: Eines Schwächlings Art ist es, nicht zu wissen, was ihm zusteht. Se. Id facere laus est quod decet, non SENECA: Rühmlich ist zu tun, was sich ziemt, quod licet. nicht, was einem zusteht. Ne. Calcat iacentem uulgus. NERO: Mit Füßen tritt die Menge den Erniedrigten. Se. Inuisum opprimit. 455 SENECA: Den Verhaßten vernichtet sie Ne. Ferrum tuetur principem. NERO: Das Schwert schützt den Fürsten. Se. Melius fides. SENECA: Besser schützt Ergebenheit. Ne. Decet timeri Caesarem. NERO: Zittern soll man vor dem Caesar. Se. At plus diligi. SENECA: Doch eher ihn lieben. Ne. Metuant necesse est– NERO: Ihn zu fürchten tut not – Se. Quidquid exprimitur graue est. SENECA: Was erzwungen wird, beschwert. Ne. Iussisque nostris pareant. NERO: – und unsern Befehlen zu gehorchen. Se. Iusta impera. SENECA: Gebiete, was gerecht. Ne. Statuam ipse. NERO: Das werde ich selbst entscheiden. Se. Quae consensus efficiat SENECA: Was erst Zustimmung rechtskräftig rata. 460 machen soll. Ne. Destrictus ensis faciet. NERO: Das blanke Schwert wird es erwirken. Se. Hoc absit nefas. SENECA: Solcher Frevel sei fern. Ne. An patiar ultra sanguinem nostrum NERO: Soll ich denn noch länger dulden, daß peti, man nach meinem Leben trachte, soll ich mich inultus et contemptus ut subito ungerächt und verachtet plötzlich überwältigen opprimar? lassen? Das Exil vermochte nicht zu brechen die exilia non fregere summotos procul fernhin Verbannten, Plautus und Sulla, deren Plautum atque Sullam, pertinax quorum hartnäckige Verblendung zu meiner Ermordung
250 furor 465 armat ministros sceleris in caedem meam, absentium cum maneat etiam ingens fauor in urbe nostra, qui fouet spes exulum. Tollantur hostes ense suspecti mihi, inuisa coniunx pereat et carum sibi 470 fratrem sequatur. quidquid excelsum est cadat. Se. Pulcrum eminere est inter illustres uiros, consulere patriae, parcere afflictis, fera caede abstinere, tempus atque irae dare, orbi quietem, saeculo pacem suo. 475 haec summa uirtus, petitur hac caelum uia. sic ille patriae primus Augustus parens complexus astra est, colitur et templis deus. illum tamen Fortuna iactauit diu terra marique per graues belli uices, 480 hostes parentis donec oppressit sui: tibi numen incruenta summisit suum et dedit habenas imperi facili manu nutuque terras maria subiecit tuo; inuidia tristis, uicta consensu pio, 485 cessit; senatus, equitis accensus fauor; plebisque uotis atque iudicio patrum tu pacis auctor, generis humani arbiter electus orbem spiritu sacro regis patriae parens: quod nomen ut serues petit 490 suosque ciues Roma commendat tibi.
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Helfershelfer ihres Frevels bewaffnet, da ihnen noch in ihrer Abwesenheit ein ungeheurer Anhang bleibt in unserer Stadt, der die Hoffnungen der Verbannten hätschelt. Das Schwert beseitige mir verdächtige Feinde, die verhaßte Gattin komme um und folge dem ihr teuren Bruder. Was von hohem Rang ist, falle.
SENECA: Schön ist hervorzuragen unter erlauchten Männern, für das Land zu sorgen, die Bedrängten zu schonen, wilden Blutvergießens sich zu enthalten, seinem Zorn ein Maß zu geben, dem Erdkreis Ruhe, seinem Jahrhundert Frieden. Das ist die höchste Tugend, auf diesem Weg geht man zum Himmel ein. So errang sich der erste Vater des Vaterlandes, Augustus, die Gestirne und wird in den Tempeln als Gott verehrt. Ihn hat indes Fortuna lange hin- und hergeworfen zu Land und zu Wasser durch schwere Wechselfälle des Krieges, bis er seines Vaters Feinde niederwarf. Dir hat sie ohne Blutvergießen ihre Macht zu Füßen gelegt, dir der Herrschaft Zügel mit williger Hand gegeben und deinem Wink Länder und Meere unterworfen. Besiegt von frommer Zustimmung ist finstere Mißgunst gewichen; des Senates, des Ritterstandes Gunst ist für dich entbrannt und durch des Volkes Wünsche und der Väter Urteil zum Urheber des Friedens und zum Schiedsrichter des Menschengeschlechtes erwählt, lenkst du schon jetzt den Erdkreis mit heiligem Hauch, ein Vater des Vaterlandes: daß du diesen Namen bewahrest, bittet Rom und anvertraut dir seine Bürger. Ne. Munus deorum est, ipsa quod seruit NERO: Geschenk der Götter ist es, daß Rom selbst mir untertan und der Senat und daß mihi Furcht vor mir ihnen Bitten und unterwürfige Roma et senatus quodque ab inuitis Worte wider Willen entreißt. Bürger am Leben zu preces lassen, die für Fürsten und Vaterland gefährlich humilesque uoces exprimit nostri metus. sind, sich mit erlauchter Herkunft brüsten, seruare ciues principi et patriae welcher Wahnsinn ist das, wo doch in seinem graues, 495 Belieben steht, mit einem Wort die ihm claro tumentes genere quae dementia Verdächtigen sterben zu heißen? Brutus est, bewaffnete zur Ermordung des Führers, dem er die Rettung verdankte, seine Hände. Unbesiegt cum liceat una uoce suspectos sibi in der Schlacht, Bezwinger der Völker, Jupiter oft mori iubere? Brutus in caedem ducis, gleichgesetzt in den hohen Stufen seiner Ehren, a quo salutem tulerat, armauit manus: fand Caesar durch ein ruchloses Verbrechen von inuictus acie, gentium domitor, Ioui 500 Bürgern den Tod. Wieviel eigenes Blut hat nicht, so oft zerfleischt, Rom mit angesehen! Er, der aequatus altos saepe per honorum
David Hamacher, »Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt«
gradus Caesar nefando ciuium scelere occidit. Quantum cruoris Roma tum uidit sui, lacerata totiens! ille qui meruit pia uirtute caelum, diuus Augustus, uiros 505 quot interemit nobiles, iuuenes senes sparsos per orbem, cum suos mortis metu fugerent penates et trium ferrum ducum, tabula notante deditos tristi neci! exposita rostris capita caesorum patres 510 uidere maesti, flere nec licuit suos, non gemere dira tabe polluto foro, stillante sanie per putres uultus graui. Nec finis hic cruoris aut caedis stetit: pauere uolucres et feras saeuas diu 515 tristes Philippi, * * * * * * * hausit et Siculum mare classes uirosque saepe caedentes suos, concussus orbis uiribus magnis ducum. superatus acie puppibus Nilum petit fugae paratis, ipse periturus breui: 520 hausit cruorem incesta Romani ducis Aegyptus iterum, non leues umbras tegit. Illic sepultum est impie gestum diu ciuile bellum. condidit tandem suos iam fessus enses uictor hebetatos feris 525 uulneribus, et continuit imperium metus. armis fideque militis tutus fuit, pietate nati factus eximia deus, post fata consecratus et templis datus. Nos quoque manebunt astra, si saeuo prior 530 ense occuparo quidquid infestum est mihi dignaque nostram subole fundaro domum. Se. Implebit aulam stirpe caelesti tuam generata diuo, Claudiae gentis decus, sortita fratris more Iunonis toros. 535 Ne. Incesta genetrix detrahit generi fidem, animusque numquam coniugis iunctus mihi.
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durch seine fromme Tugend den Himmel verdiente, der göttliche Augustus, wie viele vornehme Männer ließ er beseitigen: Jünglinge, Greise verstreut über den Erdkreis, als sie aus Todesangst ihre Penaten fliehen wollten und das Schwert dreier Führer, da die Ächtungsliste sie einem traurigen Tode überantwortet hatte! Die auf der Rednerbühne zur Schau gestellten Häupter der Ermordeten sahen ihre Väter voller Trauer; und die Ihren zu beweinen war ihnen nicht erlaubt, noch zu seufzen, als von greulicher Verwesung das Forum besudelt ward, da gerinnender Wundeiter über die faulenden Gesichter troff. Und nicht blieb es bei diesem Ausgang von Bluttat oder Mord: Vögel und wilde Tiere lud lange Zeit das traurige Philippi zum Fraße, * * * * * * * und das Sizilische Meer verschlang Flotten und Männer, die oftmals ihre eigenen Leute erschlugen; erschüttert wurde die Erde von der Führer großen Streitkräften. Der in der Schlacht überwundene eilt nilaufwärts auf den zur Flucht bereiten Schiffen, um bald darauf selbst zu verderben. Getrunken hat abermals eines römischen Führers Blut das unkeusche Ägypten; jetzt bedeckt es ihre wesenlosen Schatten. Begraben wurde dort der lange Zeit gottlos geführte Bürgerkrieg. Endlich barg der schon ermattete Sieger sein Schwert, das stumpf geworden von grausamen Wunden, und seine Herrschaft hielt Furcht zusammen. Durch der Soldaten Waffen und Treue ward er beschützt, nach seinem Tode durch des Sohnes ausnehmende Liebe zum Gott gemacht, heiliggesprochen und zu den Tempeln erkoren. Auch mich werden die Gestirne erwarten, wenn ich mit grimmigem Schwert allem zuvorkomme, was mir feindlich ist, und auf würdige Nachkommenschaft unser Haus gründe.
SENECA: Beglücken wird deinen Hof mit einem himmlischen Sproß die von einem Gott Gezeugte, des Claudischen Geschlechtes Zier, die sich nach der Iuno Weise erloste ihres Bruders Lager. NERO: Die ehebrecherische Mutter macht ihre Abkunft fragwürdig, und nie hat sich der Gattin Herz dem meinen vermählt.
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Se. Teneris in annis haud satis clara est fides, pudore uictus cum tegit flammas amor. Ne. Hoc equidem et ipse credidi frustra diu, 540 manifesta quamuis pectore insociabili uultuque signa proderent odium mei, tandem quod ardens statuit ulcisci dolor – dignamque thalamis coniugem inueni meis genere atque forma, uicta cui cedet Venus 545 Iouisque coniunx et ferox armis dea. Se. Probitas fidesque coniugis, mores pudor placeant marito: sola perpetuo manent subiecta nulli mentis atque animi bona; florem decoris singuli carpunt dies. 550
SENECA: In zartem Alter offenbart sich eheliche Treue nicht genug, wenn von Scham besiegt die Liebe ihre Flammen verbirgt. NERO: Eben das habe auch ich selbst lange vergeblich geglaubt, wenngleich in ihrem unverträglichen Herzen und Antlitz offenkundige Anzeichen Haß gegen mich verrieten, den endlich glühende Erbitterung zu rächen beschloß. Und ich habe eine Gattin gefunden, würdig meiner Ehe durch Adel und Schönheit, vor der Venus besiegt zurückstehen müßte und Jupiters Gattin und die in Waffen kampfesfrohe Göttin.
Ne. Omnes in unam contulit laudes deus talemque nasci fata uoluerunt mihi. Se. Recedat a te (temere ne credas) Amor. Ne. Quem summouere fulminis dominus nequit, caeli tyrannum, saeua qui penetrat freta 555 Ditisque regna, detrahit superos polo? Se. Volucrem esse Amorem fingit immitem deum mortalis error, armat et telis manus arcuque sacras, instruit saeua face genitumque credit Venere, Vulcano satum: 560 uis magna mentis blandus atque animi calor Amor est; iuuenta gignitur, luxu otio nutritur inter laeta Fortunae bona. quem si fouere atque alere desistas, cadit breuique uires perdit extinctus suas. 565 Ne. Hanc esse uitae maximam causam reor, per quam uoluptas oritur; interitu caret, cum procreetur semper, humanum genus
NERO: Alle Vorzüge hat die Gottheit in einem einzigen Weibe versammelt, und daß ein solches mir geboren werde, hat das Schicksal gewollt. SENECA: Amor wird – vertraue ihm nicht unbesonnen – dich verlassen. NERO: Er, den der Herr des Blitzes nicht fernhalten kann, des Himmels Tyrann, der die tobenden Meere durchdringt, die Reiche des Dis, der die Götter vom Himmelspol herabsteigen macht? SENECA: Daß der beflügelte Amor ein unholder Gott sei, erdichtet der Sterblichen Wahn und bewaffnet mit Geschossen und Bogen seine heiligen Hände, versieht ihn mit grimmiger Fackel und glaubt, er sei von Venus geboren, von Vulkan gezeugt. Eine große Sinnenmacht und verführerische Herzensglut ist Amor; im Jugendalter ersteht er, Wohlleben, Muße nähren ihn inmitten üppiger Glücksgüter. Lässest du ab ihn zu hegen und zu pflegen, verfällt er und verliert in kurzer Zeit ausgelöscht seine Kraft.
SENECA: Redlichkeit und Treue der Gattin, Sitten und Keuschheit sollen ihrem Manne gefallen, sie allein haben bleibenden Bestand, sie, die von niemandem abhängigen Güter von Geist und Herz; der Schönheit Blüte zerpflückt jeder einzelne Tag.
NERO: Ihn, durch den die Lust entsteht, halte ich für allen Lebens Ursprung; Tod kennt er nicht, da ja das menschliche Geschlecht immer wieder dank Amor ersteht, der selbst die grimmigen wilden Tiere besänftigt. Dieser Gott trage mir die Hochzeitsfackeln voran und vereine durch sein Feuer Poppaea meinem Lager.
David Hamacher, »Mir stehe es frei zu tun, was ein Seneca missbilligt«
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Amore grato, qui truces mulcet feras. hic mihi iugales praeferat taedas deus 570 iungatque nostris igne Poppaeam toris. SENECA: Kaum kann es wohl des Volkes Se. Vix sustinere possit hos thalamos Schmerz ertragen, diesen Ehebund mit dolor anzusehen, noch ließe es seine unverbrüchliche uidere populi, sancta nec pietas sinat. Ergebenheit zu. Ne. Prohibebor unus facere quod NERO: Wird man einzig mich hindern zu tun, cunctis licet? was allen freihsteht? Se. Maiora populus semper a summo SENECA: Größeres fordert das Volk immer vom exigit. 575 Höchsten. Ne. Libet experiri, uiribus fractus meis NERO: Mich gelüstet zu erproben, ob gebrochen an cedat animis temere conceptus furor. von meiner Macht aus den Herzen weiche die blindlings entbrannte Leidenschaft. Se. Obsequere potius ciuibus placidus SENECA: Huldvoll willfahre eher deinen tuis. Mitbürgern. Ne. Male imperatur, cum regit uulgus NERO: Schlecht ist ein Regiment, lenkt die duces. Menge ihre Führer. Se. Nihil impetrare cum ualet, iuste SENECA: Vermag sie gütlich nichts zu erwirken, dolet. 580 kränkt es sie mit Recht. Ne. Exprimere ius est, ferre quod NERO: Ist es recht zu ertrotzen, was Bitten nicht nequeunt preces? einbringen können? Se. Negare durum est. SENECA: Sie abzuschlagen ist hart. Ne. Principem cogi nefas. NERO: Den Fürsten zu zwingen Frevel. Se. Remittat ipse. SENECA: Er übe selbst Verzicht. Ne. Fama sed uictum feret. NERO: Doch wird Nachrede ihn besiegt heißen. Se. Leuis atque uana. SENECA: Leichtfertig und eitel, wie sie ist. Ne. Sit licet, multos notat. NERO: Mag sie es sein, sie brandmarkt viele. Se. Excelsa metuit. SENECA: Das Erhabene fürchtet sie. Ne. Non minus carpit tamen. 585 NERO: Nichtsdestoweniger zerpflückt sie es doch. Se. Facile opprimetur. merita te diui SENECA: Leicht wird man sie ersticken. patris Stimmten dich doch ihres vergöttlichten Vaters aetasque frangat coniugis, probitas Verdienste und der Gattin Jugend um, ihre pudor. Redlichkeit, ihre Keuschheit! Ne. Desiste tandem, iam grauis nimium NERO: Laß endlich ab – schon wirst du mir allzu lästig –, so auf mich einzudringen; mir stehe frei mihi, zu tun, was ein Seneca mißbilligt. Ich meinerseits instare: liceat facere quod Seneca halte des Volkes Wünsche schon lange hin * * * * improbat. * * * da sie ein Pfand der Liebe und einen Teil et ipse populi uota iam pridem moror 590 meiner selbst im Leibe trägt. Warum bestimmen * * * * * * * cum portet utero pignus et wir nicht den nächsten Tag für die Vermählung? partem mei. quin destinamus proximum thalamis diem.
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3.
Anhang
Alheydis Plassmann, Wie ermahnt man einen König? Bischöfe als Ratgeber des Königs im 11. und 12. Jahrhundert in England und im römisch-deutschen Reich
Quellentext: Die Geschichte der Eichstätter Bischöfe des Anonymen Haserensis. Edition – Übersetzung – Kommentar, ed. Stefan Weinfurter (Eichstätter Studien. Neue Folge 24), Regensburg 1987, 79–95.
(22.) Habebant autem hi duo episcopi magnam inter se familiaritatem propter assiduam munerum missionem. Noster husones et serica uellera subtilesque pannos, quibus habundabat, mittere, ille econtra uinum optimum, cuius sibi magna copia, seniori autem nostro non parua erat penuria, retribuere. Ille nostrum interius, noster illum exterius procurabat, et sie munifica manus amicitiam mutuam confirmabat. Quodam autem autumpno missis noster muneribus solitis cum speratam uini remuneratio nem pendulus expectaret, sodes eius sollempniter iocari uolens, decem quidem carradas delicati uini misit, uerum urbane illum prius elusit. Premissus quippe nuntius eius saccos, quibus uellera ferebantur, musto impletos coram episcopo indignanter proiecit et, nulla salutatione premissa, »Ecce«, inquit, »dominus meus remisit uobis munuscula uestra sibi indigna, uobis necessaria.« Ad hec episcopus »Furcifer«, inquit, »tuus dominus non erat talibus donis dignus ideoque iuste remisit, que sue conditioni incongrua esse recognouit. Fatuus rex quid faceret ignorauit, cum tali talem episcopa tum dedit.« Tune legatus / stricto cultro saccos temere discidit et effuso musto episcopum in iram maximam prouocauit. Exclamauit enim uoce magna et dixit: »Filius meretricis, dominus tuus itane aperte ausus est michi illudere? Per sanctum Willibaldum, oculos tuos non auferes a me!« Interea, ut erat preordinatum, intrant ordinatim plaustra ducentia uinum. Turn uero legatus reuerenter accedens »Dominus meus«, inquit, »mandat uobis, domine, seruitium suum deuotum et omne bonum.«
22. Diese beiden Bischöfe [Megingaud von Eichstätt und Heinrich I. von Würzburg] standen im übrigen in enger freundschaftlicher Beziehung zueinander infolge eines regelmäßigen Geschenkaustausches. Der unsrige schickte Haufen seidige Pelze und feine Tücher mit denen er reich gesegnet war, jener gab dagegen besten Wein, von dem er große Mengen besaß, während unserem Herrn ziemlich daran mangelte. Jener versorgte den unsrigen mehr für das Innere, unserer jenen mehr für das Äußere, und so bekräftigte die freigebige Hand die gegenseitige Freundschaft. Als unserer wieder einmal im Herbst die üblichen Geschenke geschickt hatte und der erhofften Gegengabe an Wein erwartungsvoll entgegensah, da sandte sein Amtsbruder, der sich einen köstlichen Scherz erlauben wollte, zwar zehn Wagenladungen ausgesuchten Weines an ihn, hielt ihn aber vorher in witziger Weise zum besten. Sein vorausgeschickter Bote nämlich warf die Säcke, mit denen die Pelze transportiert wurden, angefüllt mit Most verachtungsvoll dem Bischof vor die Füße und sagte ohne irgendeinen Gruß: »Siehe, mein Herr hat Euch Eure bescheidenen Geschenke zurückgegeben, die seiner unwürdig sind und die Ihr dringend benötigt.« »Du Lump«, entgegnete dem der Bischof, »Dein Herr war solch edler Geschenke gar nicht wert und hat daher mit Recht das zurückgeschickt, von dem er erkannt hat, daß es seine Verhältnisse übersteigt. Der närrische König wußte nicht, was er tat, als er einem solchen Menschen ein derartiges Bistum übertrug.« Darauf schlitzte der Bote mit einem gezückten Messer ganz wahllos die
Alheydis Plassmann, Wie ermahnt man einen König?
Quem terribili ter intuitus episcopus dixit: »Eho, trifurcifer! Quis autem ille dominus tuus est? Totne dominos habes?« »Episcopus«, inquit, »est Wirzeburgensis et has decem carradas uini misit uobis.« Tune ille alacer et letabundus »Serione tu«, ait, »hec dicis, an iterum ludis? Credo, ut est ridendi splene chachinno, aquam misit pro uino.« Econtra legato optimum uinum esse affirmante, epicurus episcopus iam plane letissimus »Benedictus«, inquit, »domino Deo sodes meus dilectissimus, benedicta munera eius ! Reuera decus est Wirtze-burgensium presulum. Sapiens imperator nusquam melius collo care poterat hunc optimum episcopatum.« Tarn cito uituperatio illa uersa est in laudem, tarn cito ex tarn uili tarn insignis factus est episcopus. Hunc legatum nequaquam credas utcumque donatum. Sie homo erat; cum nuper maxime feruebat, paulo post tarn placidus ut ouis fiebat. Denique cum aliquando durius in aliquem seuiret inpransus, post mensam flebiliter se ipsum accusabat, dicens se propter uentris sui impatientiam innocuam sancti Willibaldi lacerasse familiam. Nec mirum, si hec uel subditis uel equalibus fecit, qui nec ipsi imperatori prouocatus pepercit.
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Säcke auf und reizte durch den herausgeflossenen Most den Bischof zu größtem Zorn. Der schrie nämlich mit lauter Stimme und rief: »Du Hurensohn, hat Dein Herr es wirklich gewagt, mich so offen zu verspotten? Beim heiligen Willibald, Du wirst Deine Augen nicht mehr haben, wenn Du von mir weggehst! »In der Zwischenzeit kamen, wie vorher angeordnet, der Reihe nach die Wagen an, die den Wein mit sich führten.« Da freilich trat der Bote ehrerbietig vor und sprach: »Oh Herr, mein Herr bestellt Euch seinen ergebenen Dienst und alles Gute«. Der Bischof blickte ihn finster an und fragte: »He, Du dreifacher Galgenstrick! Wer ist denn nun dieser Dein Herr? Hast Du so viele Herren?« »Der Bischof von Würzburg ist es«, antwortete dieser, »und er hat Euch diese zehn Wagenladungen voll Wein geschickt.« Da sprach jener freudig erregt und ausgelassen: »Meinst Du das im Ernst, oder spottest Du wieder? Ich glaube, um sich vor Lachen den Bauch zu halten, hat er Wasser statt Wein geschickt.« Als jedoch der Bote versicherte, es sei bester Wein, da schwärmte der lebenslustige Bischof, nun endlich aufs höchste beglückt: »Gepriesen bei Gott dem Herrn sei mein liebster Freund, gepriesen seine Geschenke! Wahrhaftig eine Zierde ist er unter den Würzburger Bischöfen. Der weise Kaiser konnte dieses vornehmste Bistum niemals besser besetzen.« So rasch war jene Schmähung in eine Lobrede verwandelt, so rasch aus dem so unwürdigen ein so glänzender Bischof geworden. Du würdest es gar nicht glauben, wie dieser Bote beschenkt worden ist. So ein Mensch war er; wenn er soeben noch aufs heftigste aufbrauste, wurde er kurz darauf so sanft wie ein Lamm. Wenn er am Ende gar, ohne gegessen zu haben, bisweilen jemanden ziemlich hart anfuhr, so klagte er sich nach der Mahlzeit unter Tränen selbst an und versicherte, nur wegen der Ungeduld seines Magens habe er die unschuldigen Leute des heiligen Willibald mißhandelt. Es ist freilich kein Wunder, daß er solches den Untergebenen oder Gleichgestellten zufügte, da er doch, wurde er herausgefordert, nicht einmal den Kaiser selbst verschonte.
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(23.) Beate in Christo memorie Heinricus imperator’, Bambergensis episcopatus institutor cum sollempnes tarn sibi quam aliis Judos exhibere uellet, mandauit huic episcopo nostro, suo uero propinquo in parte consan guineo, ut plenum sibi in uia Ratisponensi daret seruitium, archiepiscopo cuilibet nonnichil formidandum. Cui cum regius legatus singula tim, que danda essent, magnifice enumeraret tandemque ad inmensam uini mensuram uentum esset, »Pessime!«, inquit, »dominus tuus aperte insanit. Vnde deberem sibi tantum seruitium dare, qui nec memetipsum satis queo pascere? Ego quidem socius eius eram genere, sed ipse fecit rebus quasi pauperem parrochianum; et nunc regale poscit a me seruitium? Vnde sibi tot carradas uini? Ego quidem de uino nichil habeo nisi unam paruulam charra dam, quam dedit michi sodes meus diabolus Augustensis episcopus tantum ad sacrificium« – dicebat autem Brunonem, ipsius imperatoris germanum fratrem. »Per sanctum«, inquit, »Willibaldum, ne una quidem gutta huius uini intrabit in os domini tui!« Tandem cum deferuisset ira eius, pretiosos imperatori aliquot pannos misit et legato dixit: »Hoc uoluit dominus tuus, hoc habeat. Hoc est Eistetensium episcoporum potius quam plenum regibus dare seruitium.«
23. Als der Kaiser Heinrich [II.] seligen Andenkens in Christo, der Begründer des Bistums Bamberg, festliche Veranstaltungen für sich und andere abhalten wollte, befahl er diesem unserem Bischof, der im übrigen ein Blutsverwandter von ihm war, daß er ihm auf dem Weg nach Regensburg ein volles Servitium leiste, das sogar einen Erzbischof einigermaßen in Schrecken hatte versetzen müssen. Als ihm der königliche Bote im einzelnen großartig aufzählte, was alles geliefert werden müsse, und schließlich auf eine ungeheure Menge von Wein zu sprechen kam, da rief er: »Du übelster Bursche, Dein Herr hat offenbar den Verstand verloren! Wovon soll ich ein so großes Servitium für ihn aufbringen, der ich mich nicht einmal selbst ausreichend verpflegen kann? Ich bin ihm zwar von der Abstammung her eng verbunden, er aber hat mich durch seine Handlungen gleichsam zu einem armen Pfarrer gemacht, und nun fordert er von mir ein königliches Servitium? Woher soll ich so viele Wagenladungen mit Wein für ihn her schaffen? Ich besitze doch selbst nichts an Wein außer der einen bescheidenen Lieferung, die mir mein Amtsbruder, der Bischof von Augsburg, dieser Teufel, ausschließlich für die Meßfeier überlassen hat« – er meinte aber Bruno, den leiblichen Bruder des Kaisers selbst -. »Beim heiligen Willibald«, fuhr er fort, »nicht ein einziger Tropfen dieses Weins wird in den Mund Deines Herrn fließen!« Als sich sein Zorn endlich gelegt hatte, schickte er dem Kaiser einige wertvolle Tücher und erklärte dem Boten: »Dies wollte Dein Herr, dies soll er haben; das bedeutet für die Eichstätter Bischöfe mehr, als den Königen ein volles Servitium zu leisten.«
(24.) Quando ad curiam uenit, si uia lutosa erat, usque ad ipsam regalis cubiculi ianuam equitare solebat. Quod cum alii episcopi inconueniens esse dicerent, his uerbis incompescuit eos dicens: »O stulti, egone deberem propter inanes facetias uestras quasi uile mancipium luto aspergi? Quid michi equus caballus, si ad curiam uenirem uiator lutosus?« Transeunte cesare, cum alii
24. Wenn er an den Hof kam, pflegte er, wenn der Weg morastig war, bis unmittelbar vor die Türe des königlichen Gemaches zu reiten. Als die anderen Bischöfe fanden, dies gezieme sich nicht, brachte er sie mit folgenden Worten zum Schweigen: »lhr Dummköpfe, sollte ich mich etwa wegen Eurer hohlen Benimmregeln wie ein lumpiger Knecht mit Schmutz bespritzen?
Alheydis Plassmann, Wie ermahnt man einen König?
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episcopi debita reuerentia surgerent illeque resideret, ceteris hoc notantibus simpliciter se absoluebat, »Ego«, inquiens, »senior sum cognatus, et seniorem honorare tarn gentiles quam sacre iubent littere.« Multa scienter pretereo, quia et de aliis dicere et ad propositum redire debeo ideoque de nouissimis eius breuiter commemorare uolo.
Was nützt mir mein Reitpferd, wenn ich als verdreckter Wanderer an den Hof komme?« Wenn die anderen Bischöfe beim Vorbeigehen des Kaisers mit der gebührenden Ehrerbietung aufstanden, jener aber sitzenblieb und die übrigen dies tadelten, rechtfertigte er sein Verhalten ganz einfach, indem er erklärte: »Ich bin der ältere Verwandte, und den Älteren zu ehren, befehlen sowohl die Schriften der Heiden wie die der Kirche.« Vieles übergehe ich wissentlich, weil ich noch über anderes berichten und zu dem zurückkommen muß, was ich mir vorgenommen habe, und ich will deshalb nur noch kurz etwas über seine letzte Zeit erwähnen.
(25.) Christianissimus imperator Heinricus cum Babenbergensem episco patum regaliter ditatum consummare non posset, nisi a circumiacentibus diocesibus parrochie terminos redimeret, solus agonista noster, tarn mori bus quam genere fretus, uiriliter sibi restitit et ad uite usque finem iniquo concambio nullatenus acquiescere uoluit. Illo uero feliciter defuncto, Eistetensem episcopatum, ab initio usque tune a nobilibus et summis uiris habitum, ingeniosus imperator tune demum seruili persone addixit et Gunzoni cuidam, Babenbergensis ecclesie custodi, hoc ipsum ut strue ret, dedit. Sub hoc episcopo cum cesar propositi sui properus predictum concambium maturare uellet et nouus ille episcopus capellanorum ac militum suorum tune precipuorum consilio fretus constanter restitisset, iracundo admodum animo cesar fertur dixisse: »Gunzo, quid hoc audio de te? An ignoras, quia propterea episcopum te loci illius feci, ut, quia uoluntatem meam cum priore, utpote socio meo, perficere non poteram, tecum, qui eiusmodi es, sine dilatione perficiam? Caue, ne unquam tale quid audiam ex te, si uel episcopatum uel gratiam meam uelis retinere.« Quibus auditis, episcopus quidem obmutuit; clerus uero et militia in contradictione perstite runt adeo, ut abhominabile concambium potenter potius quam uoluntarie sit factum. Hinc est, quod unus de senioribus Babenbergensium fratrum in extremis positus hoc quasi legitimum sempiternum
25. Als der allerchristlichste Kaiser Heinrich die Gründung des königlich ausgestatteten Bistums Bamberg nur vollenden konnte, indem er von den umliegenden Diözesen Bistumsgebiete erwarb, hat sich allein unser Streiter Gottes, gestützt auf seinen Charakter und seine Herkunft, ihm standhaft widersetzt und wollte sich bis ans Lebensende in keiner Weise mit dem nachteiligen Tausch abfinden. Nachdem jener segensvoll gestorben war, da sprach der listige Kaiser das Bistum Eichstätt, das von den Anfängen bis zur damaligen Zeit von adligen und hervorragendsten Männern geleitet worden war, nun schließlich einer unfreien Person zu und übertrug es einem gewissen Gunzo, dem Kustos der Bamberger Domkirche, damit er das besagte Vorhaben ausführe. Als unter diesem Bischof der Kaiser, der es mit der Verwirklichung seines Planes eilig hatte, den genannten Tausch rasch zum Abschluß bringen wollte und jener neue Bischof, gestützt auf den Rat seiner Kapellane und seiner damals bedeutendsten Vasallen, beständig Widerstand leistete, soll der Kaiser zornentbrannt gesprochen haben: »Gunzo, was höre ich da von Dir? Weißt Du nicht, daß ich Dich nur deswegen zum Bischof jenes Ortes gemacht habe, weil ich meinen Willen bei Deinem Vorgänger, obgleich er mein Verwandter war, nicht durchsetzen konnte und damit ich mein Vorhaben mit Dir, der Du Dich nun genauso benimmst, ohne Verzögerung zur
258 futuris mandasse fertur generationibus, ut Eystetense concambium numquam destrui paterentur, Wirtzeburgensis uero mutationem non multum abnuerent, si ipsa episcopalis sedes in illa diocesi sita non fuisset. Propter hoc inlaudabile concambium idem episcopus fecit et aliud ecclesie nostre non mediocre dampnum. Nam quia uenationibus ultra modum deditus erat, regale curiam in Retia sitam, Nordelingen dictam, Ratisponensi episcopo pro uenatione quadam Stederach uocata prope Vngariam sita delegauit; de qua uenatione omnes post eum episcopi ne unius quidem oboli pretium habuerunt.
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Ausführung bringe? Hüte Dich, damit ich nie wieder so etwas von Dir höre, wenn Du das Bistum und meine Gnade behalten willst!« Als er dies vernommen hatte, fügte sich zwar der Bischof; der Klerus aber und die Vasallitat verharrten so hartnäckig im Widerstand, daß der verabscheuenswerte Tausch mehr unter Zwang als freiwillig zustandekam. Daher kommt es, daß einer der älteren Bamberger Brüder auf dem Sterbebett den künftigen Generationen dies gleichsam als ewiges Gesetz aufgetragen haben soll, es niemals zuzulassen, daß der Tausch mit Eichstätt rückgangig gemacht wird, aber um eine Veränderung des Würzburger Tausches nicht viel Aufheben zu machen, solange nur nicht der Bischofssitz selbst in jener Diözese zu liegen käme. Neben diesem unrühmlichen Tausch hat derselbe Bischof unserer Kirche noch anderen, nicht geringen Schaden zugefügt. Da er nämlich der Jagdleidenschaft über jedes Maß verfallen war, übertrug er den in Rätien gelegenen Königshof Nördlingen dem Bischof von Regensburg für ein Jagdgebiet namens Stöttera in der Nahe von Ungarn; aus dieser Jagd haben alle Bischöfe nach ihm nicht einmal den Wert eines halben Pfennigs gezogen.
Dominik Büschken, Geschichtschreibung als Ratschlag
4.
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Dominik Büschken, Geschichtsschreibung als Ratschlag. Robert von Gloucester als Ratgeber in der ›Historia Novella‹ und die ›Historia Novella‹ als guter Rat im englischen Thronstreit (1135–1153)
Quellentext: Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, ed. Edmund King, übers. Kenworth R. Potter (Oxford Medieval Texts), Oxford 1998, c. 19, 37. Gesta Stephani, ed. Kenworth R. Potter, Oxford 1976, c. 5 und 6, 12–15. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, Deutsche Übersetzung: c. 19, 37. Dominik Büschken Nomina testium, qui muti fuerunt, apponere fastidio, quia pene omnia ita perperam mutauit, quasi ad hoc tamen iurasset ut preuaricatorem sacramenti se regno toti ostenderet. Liceat enim michi, pace mansuetissimi hominis, uerum non occulere; qui, si legitime regnum ingressus fuisset, et in eo amministrando credulas Aures maliuolorum susurris non exhibuisset, parum ei profecto ad regiae personae decorem defuisset. Itaque sub eo aliquarum aecclesiarum thesauri direpti, possessiones terrarum laicis datae; aecclesiae clericorum alienis uenditae; episcopi capti et res suas abalienare coacti; abbatiae uel amicorum gratia uel relaxation debitorum indignis concessae. Sed haec non tam illi quam consiliariis eius ascribenda puto; qui persuadebant ei, numquam cum debere carere denariis dum monasteria essent referta thesauris.
19. Die Namen der Zeugen hinzuzufügen, die viele waren, wäre eine schwierige Aufgabe, denn er hat alles zum Schlechtesten gewandelt, gerade so, als ob er zu keinem anderen Zweck geschworen hätte, als dem gesamten Köngreich zu zeigen, dass er keinen Eid halten könne. Es steht mir zu, die Wahrheit nicht zu verbergen, wenn ich auch im Frieden mit einem sehr freundlichen Mann sein möchte. Wenn er das Königreich rechtmäßig erworben hätte und in der Verwaltung nicht denjeningen Vertrauen Geschenkt hätte, die ihm übelwollten, hätte es ihm an wenig gefehlt, das den königlichen Charakter ziert. Und so wurden unter ihm die Schätze einiger anderer Kirchen geplündert und ihr Grundbesitz an Laien übergeben. Kirchen, die Klerikern gehören, wurden an Fremde verkauft; Bischöfe wurden zu Gefangenen gemacht und gezwungen, ihr Eigentum zu veräußern; Abteien wurden aus freundschaftlicher Gunst oder um Schulden abzubauen, an unwürdige Personen übertragen. Aber ich denke, dass diese Dinge nicht ihm, sondern seinen Ratgebern zugerechnet werden sollten; die ihm einredeten, dass er kein Geld mangeln solle, wenn die Klöster voller Schätze seien.
Gesta Stephani, c. 5 und c. 6, 12–15.
Deutsche Übersetzung: Dominik Büschken
Talibus itaque sec! et aliis nonnullis (5) Deshalb, beeinflusst von diesen und ratiociniis, quae breuiandi causa praetereo, einigen anderen Argumenten, die ich um
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impulsus archiepiscopus, regem eum in Angliam et Normanniam, cum episcopis frequentique, qui intererat, clericatu, sacrauit et inunxit.
der Kürze willen übergehe, hat der Erzbischof, mit zahlreichen anderen Bischöfen und Geistlichen, ihn zum König über England und die Normandie gesalbt.
Quibus tandem cognitis, celebrique sermone per Angliam diuulgatis, omnes fere primi totius regni laete eum et ueneranter recepere, plurimisque ab eo muneribus donati, sed et terris amplificati, liberali cum iureiurando, praemisso hominio, eius sese seruitio ex toto manciparunt.
Nachdem dies bekannt geworden war und allgemein in England verbreitet worden war, nachdem viele von ihm mit Geschenken oder mit Ländereien bereichert worden waren, erkannten ihn die Großen des ganzen Reiches mit Freude und Respekt an und übergaben sich ihm zum vollständigen Dienst nach geleistetem Lehnsversprechen und in freiwilliger Eidesleistung.
(6) Affuit et inter alios Robertus comes Glaorniae, filius regis Henrici, sed nothus, uir probati ingenii laudabilisque prudentiae. Qui cum de regni susceptione, patre defuncto, ut fama erat, admoneretur, saniori praeuentus consilio nullatenus adquieuit; dicens aequius esse filio sororis suae, cui iustius competebat, regnum cedere, quam praesumptiue sibi usurpare. Hic itaque cum regiis mandatis et scriptis saepius ad se uenire commonitus tandem affuisset, gratiose et excellenter susceptus, quaecumque postulauit, exhibito regi hominio, fuit ad uotum assecutus; ipsoque postremo pacificato totum paene Angliae regnum fuit regem secutum.
[6] Es war dort auch unter anderen der Graf Robert von Gloucester anwesend, der Sohn König Heinrichs, ein Mann von bewährtem Talent und lobenswerter Klugheit, aber ein Bastard. Diesem wurde nach dem Tod des Vater, wie das Gerücht geht, geraten, das Reich an sich zu nehmen, aber durch vernünftigeren Rat davon abgehalten, pflichtete er dem keinesfalls bei; (der Rat) besagte, dass es gerechter sei, dem Sohne seiner Schwester, dem es gerechter zukäme, das Reich zu überlassen, als es sich selbst vorschnell anzueignen. Nachdem ihm häufig königliche Befehle geschrieben worden waren zu ihm zu kommen, erschien er endlich und wurde gnädig und vorzüglich empfangen, und was auch immer er verlangte, wurde ihm nach Leistung des Lehnseides zugesagt; nachdem er also befriedet worden war, war fast ganz England für den König gesichert.
Ulrike Becker, »Prudentia: Kritik, Rat und Tat in Krisenzeiten«
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Ulrike Becker, »Prudentia: Kritik, Rat und Tat in Krisenzeiten«
Quellenstelle: El libro de Calila e Dimna (1251). Nueva edición y estudio de los dos manuscritos castellanos, ed. Hans-Jörg Döhla, Zaragoza 2009, S. 251f., Manuskript A Übersetzung: Ulrike Becker (51a) Quando vio la madre del leon / que el leon non fablaua nada en_el pleito de Digna, callo_se / ella e dixo: ›Por ventura mienten contra el, e es saluo de / lo que_le aponen; (b) e el que se escusa delante de_los caualleros, / e non rrefiertan ninguna cosa de_lo que dize, semeja que es ver/dadero en_lo que dize, et callar a_las rrazones del contendor, / semeja conosçer la verdat que dize. (c) Et dizen los sabios que quien / calla, otorga.‹ (d) Desy levanto_se por sallir ende sañosa. (52a) Et / mando estonçes el leon que prendiesen a_Digna e que_le pusiesen / fierros. / Desy leuaron_lo a_la carçel. (b) E mando catar su pleito et fazer / sobre el pesquisa e que ge_l’ mostrasen. Et yogo Digna en la carçel, / e mando_lo guardar a_vn cauallero. (53a) {36v} Desy dixo la madre del leon a_su fijo: »NON SE PUEDE / ENCOBRIR MESTURA DE DIGNA E SU MAL FECHO EN TO/DAS LAS COSA, MAYOR MENTE EN FECHO DE SENÇEBA, / EL LEAL SYN CULPA. (b) Et ya me fue a_mi dicho deste falso min/ troso lo(s) que dizen del todos por vna boca, ca non es cosa que / se calle a_ninguno. (c) Desy faze_me_lo mas verdat sus menti/ ras e sus escusanças e sus saluas que son contra fechas sin / verdat. (d) Et sy tu lo oyes, anparar se_te_ha con rrazones fal/sas, et lo que a_mi dixo el fiel verdadero es la verdat; pues / sy quieres folgar del, non contiendas con_el e mata_lo.« ·
Als die Mutter des Löwen sah, dass der Löwe in der Auseinandersetzung zur Sache Dignas nichts äußerte, schwieg sie und sagte schließlich: »Es ist zu seinem Vorteil, dass sie nicht die Wahrheit gegen ihn aussagen, und es schützt ihn vor den Vorwürfen; und er, der sich vor den Rittern entschuldigt, und sie, die nichts entgegenhalten, lassen es so erscheinen, als sei es wahr, was er sagt. Und zu den Erklärungen des Gegners zu schweigen, sieht aus, als wisse man, dass es die Wahrheit ist, was er sagt. Und die Weisen sagen, wer schweigt, stimmt zu.« Dann stand sie auf und ging wütend weg. Sodann befahl der Löwe, dass sie Digna gefangen nehmen und in Ketten legen sollen. Daraufhin brachten sie ihn ins Gefängnis. Und er befahl, ihm den Prozess zu machen und eine Untersuchung durchzuführen und dass sie ihm alles aufzeigen sollten. Und Digna verblieb im Gefängnis und er befahl, ihn durch einen Ritter bewachen zu lassen. Daraufhin sagte die Mutter des Löwen zu ihrem Sohn: »Man kann Dignas Verrat und sein intrigantes schlechtes Handeln nicht umfänglich geheim halten, vor allem nicht im Hinblick auf Sençebar, den treuen und unschuldigen Vasallen. Und mir wurde ja schon über diesen falschen Lügner zugetragen, was alle wie aus einem Mund sagen, denn das ist keine Sache, die man irgendjemandem verschweigen kann. Und deshalb ist es für mich umso erwiesener, dass seine Lügen und seine Entschuldigungen und Ausflüchte weder den Tatsachen noch der Wahrheit entsprechen. Und wenn du ihn anhörst, wird er sich vor dir mit falschen Erklärungen schützen müssen, denn das, was mir der ehrliche Getreue sagte, ist die Wahrheit; also, wenn du ihn loswerden willst, dann setze
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(54a) Dixo / el leon: »Callate, que yo catare su pleito e lo pesquisare, ca es muy / sotil e muy artero e sabio e entendido; (b) et yo quiero ser bien / çierto de su pleito e non quiero pasar a_el rrauiosa mente nin / quiero mi daño en seguir voluntad de otro de que non se su ver/dat nin su mentira. (c) ET MUCHO AYNA PUEDE SER QUE ESTO SEA / POR ENBIDIA QUE LE AN, ET TEMO_ME DE_LO MATAR POR DICHO DELLOS, / CA AVRIA ENDE GRANT PECADO ET DAÑO. (d) Pues dime: ¿Quien es a/quel que te_lo dixo? Ca los omnes se_an enbidia vnos a_otros / e se mezclan et quieren pujar el vno mas qu’el otro en_las dig/nidades.« (55) Dixo la madre del leon: »El fiel verdadero que me con/to la estoria, es tu amigo el leon pardo, tu leal e puro / vasallo, que sabe tu poridad.«
Anhang
dich nicht weiter mit ihm auseinander und töte ihn.« Der Löwe sagte: »Halt den Mund, ich werde einen Prozess gegen ihn anstreben und dass man die Angelegenheit untersucht, denn er ist sehr gewitzt und weise und schlau; und ich will mir hinsichtlich der Untersuchung seiner Sache sehr sicher sein, und es nicht wütend angehen, noch möchte ich mir schaden, indem ich dem Wunsch eines anderen folge, von dem ich nicht weiß, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Und es könnte auch sehr wohl sein, dass dies aus Neid ihm gegenüber entstand, und ich fürchte mich davor, ihn aufgrund von deren Gerede zu töten, denn das wäre eine große Sünde und zöge Schaden nach sich. Also sag mir: Wer ist es, der es dir gesagt hat? Denn Menschen sind eifersüchtig aufeinander und mischen sich ein und jeder will immer mehr Ehrbeweise als die anderen erhalten.« Die Mutter des Löwen sagte: »Der verlässliche Getreue, der mir die Geschichte erzählt hat, ist dein Freund, der Leopard, dein loyaler und ehrlicher Vasalle, der die geheimsten deiner Angelegenheiten kennt.«
(56) Dixo el leon: »Asaz ay, et tu ve/ras lo que Der Löwe sagte: »Genug jetzt, und du wirst fare e lo que del mandare fazer, pues vete.« sehen, was ich tun werde und was ich in dieser Angelegenheit befehlen werde; also, nun geh.«
Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten
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Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten. Zwei Ratsszenen im Kontext des Sturzes König Harsas von Kaschmir ˙
Quellentext: Kalhanas Ra¯jataran˙gin¯ı 7.1386–1454 ˙ ˙ Textedition und Übersetzung von Walter Slaje, in: Harsa von Kaschmir. Ein ˙ politisches Sittengemälde aus dem indischen Mittelalter. Kalhanas Ra¯jataran˙gin¯ı ˙ ˙ (Buch 7) mit annotierter Übersetzung kritisch neu herausgegeben von Walter Slaje (Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz. Veröffentlichungen der Fächergruppenkommission für Außereuropäische Sprachen und Kulturen. Studien zur Indologie 4), Wiesbaden 2019, 226–242. Uccalasya ksane tasmin Hiranyapuram ¯ıyusah | ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ra¯jya¯bhisekam sambhu¯ya tatratya¯ bra¯hmana¯ daduh || 1386 ˙ ˙ ˙ ˙ [1386]
Zu dieser Zeit war Uccala nach Hiranyapura gekommen, [wo] die dort an˙ sässigen Brahmanen sich versammelten [und] ihn zum König weihten. nrpam atyantavivas´am prasan˙ge tatra mantrinah […]23 ˙ ˙ ˙ bhu¯ya¯msas santi tais sa¯rdham vraja tal Lohara¯calam || 1387 ˙ ˙ praja¯ eva tatas´ s´a¯ntotkantha¯ navanrpam prati | ˙˙ ˙ tva¯m a¯nesyanti nacira¯d dinair va¯ svayam esyasi || 1388 ˙ ˙ [1387-1388]
Die Minister [sagten] zu König [Harsa, der] bei diesem Anlaß seiner selbst ˙ überhaupt nicht mehr mächtig war: »[…] sind viele. Mit denen gehe in die Berge von Lohara. [Sobald] sich ihre Sehnsucht nach einem neuen Herrscher gelegt hat, werden die Untertanen Dich bald danach [wieder] selbst holen, oder Du kehrst nach einigen Tagen [eben] von allein [zurück].« so ’bhyadha¯d »avarodhastrı¯kos´asimha¯sana¯dy aham | ˙ asa¯ma¯nyam parityajya gantum sapadi notsahe« || 1389 ˙ [1389]
[Harsa] entgegnete: »Ich kann nicht im Nu aufbrechen [und all das] Un˙ vergleichliche zurücklassen, wie die Frauen [meines] Gynäzeums, [meine] Privatschatulle und der Thron es sind!«
23 An dieser Stelle ist der Text unvollständig überliefert, es fehlt das Ende der ersten und der Beginn der zweiten Vershälfte.
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punas te ’kathayann a¯ptau »ya¯nto ’dhya¯ruhya va¯jinah | ˙ prsthe vinyasya nesyanti kos´a¯ntahpurayositah || 1390 ˙ ˙˙ ˙ ˙ ˙ ˘ [1390]
Die wiederum äußerten sich hinsichtlich des Erhalts [der wertvollen Güter so]: »Mobile [Männer] zu Pferd werden [Dir Deine] Schatulle und die Haremsfrauen, [die] sie auf den Rücken [der Packtiere] geladen haben, [nach]bringen. s´vapa¯kı¯ka¯muko ’py a¯sı¯d yasmims tadaparo ’pi cet | ˙ simha¯sanam sama¯rohet ka¯bhima¯naksatis tatah« || 1391 ˙ ˙ ˙ ˙ [1391]
[Und] welche Würde würde [denn] aus dem [Grunde] verletzt, daß ein anderer als dieser [König Cakravarman] den Thron bestiege, der als Liebhaber sogar einer [unberührbaren] Hundekocherin auf ihm [gesessen hat]?« »a¯sta¯m etat param bru¯ta mantram« ity atha codita¯h | ˙ ˙ te pa¯rthivena bhu¯yo ’pi sasamrambham babha¯sire || 1392 ˙ ˙ [1392]
Als der König sie aufforderte: »Schluß damit, gebt mir besseren Rat!«, redeten sie erneut mit Ungestüm [auf ihn ein]: »ksatradharmam puraskrtya s´a¯sata¯m ksma¯m ksama¯bhuja¯m | ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ko dainyasya¯vaka¯s´as sya¯d a¯s´¯ır yesa¯m mrdhe vadhah || 1393 ˙ ˙ ˙ ˙ [1393]
»Welchen Anlaß zur Verzagtheit kann es für Könige geben, [die] unter Voranstellung [ihrer] Kriegerpflicht die Welt beherrschen [und] deren Hoffnung der Tod in der Schlacht ist? anudyogas´ ca lajja¯ ca bhayam dvaidham ca mantrina¯m | ˙ ˙ ˙ bhu¯bhuja¯m vyasanolla¯se s´atravo na tu gotrinah || 1394 ˙ ˙ ˙ [1394]
Trägheit, Schmach und Furcht sowie Dissens bei den Ministern – [das sind], wenn [sie] sich bei Fürsten als Laster zeigen, Feinde, aber keine Verwandten: ka¯ryam na pas´yed alasas svayam yo ˙ ˙ bhrtyesu vinyastasamastakrtyah | ˙ ˙ ˙ ˙ yastya¯s´rayasyeva vinastadrsteh ˙˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ pade pade tasya kilopagha¯tah || 1395 ˙
[1395]
Wer träge [ohne Energie] Die eignen Pflichten restlos fahren ließ [Und so auch] beim Gefolge nicht
Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten
Die Schuldigkeit von selbst erkennen kann, Verletzt sich wie ein Blinder, Der zur Stütze eines Stocks [bedarf], Bei jedem Schritt, auf jedem Tritt. »lajje ’ham asya svayama¯ttas´astrah ˙ svalpasya ´satroh kalayann avajña¯m« | ¯ evam kila¯dı¯rghamatir dada¯ti ˙ svayam pravrddhim trapaya¯ vimugdhah || 1396 ˙ ˙ ˙ [1396]
»Während ich die Schmach bedenke, [Die] dieser Winzling eines Widersachers [Mir zugefügt], empfinde ich Beschämung [Mich zu entleiben führe ich] den Dolch, Den ich von selbst ergriffen habe«. So sorgt ein Hohlkopf, Aus Scham des klaren Sinns beraubt, Von ganz alleine für Den Aufstieg [seines Gegenspielers]. ka¯lena ya¯ti krimita¯m mahendro mahendrabha¯vam krimir apy upaiti | ˙ ayam prathı¯ya¯n ayam aprathistha ˙˙ ity esa nistha¯nucito ’bhima¯nah || 1397 ˙ ˙ ˙˙ [1397]
Im Lauf der Zeiten wird Der Große Indra zum Gewürm. Doch auch Gewürm [wird einst] Zum Großen Indra werden. Das Hochgefühl, wenn einer größer ist, [Und das] des andren [erst], Wenn [diesen] niemand überragt, Das ist am Lebensende fehl am Platz. para¯bhava¯dha¯yi bhayam jigı¯soh ˙ ˙ ˙ sarva¯n˙gavaikalyahatatvam eva | yena¯bhiyuktas sa samastasampatpu¯rno ’pi vaikalyahatatvam eti || 1398 ˙ [1398]
Furcht, [die] eine Kränkung Von Seiten eines Friedensstörers schafft,
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Die ist schlechthin Ruin In [Form von] Schlaffheit, [Die] jedes Glied [des Furchtsamen erfaßt]. Wird [ jemand] von ihr heimgesucht, [So] fällt er [selbst] der Resignation anheim, [Und] sollte er von Wohlsein [nur so] strotzen. labdhasthitis sphı¯tavibhu¯tipa¯tram ˙ dı¯no ’bhiyokta¯ parapindavrttih | ˙˙ ˙ ˙ a¯dye katham na¯ma para¯bhavas sya¯d ˙ bhayam bhavec ceha na tatprabha¯vah || 1399 ˙ [1399]
[Der eine da] hat festen Halt gewonnen, Verdient in hohem Maße Überfluß des Wohlergehens. [Und der andere] Bejammernswerte [da] Legt sich ins Zeug und nährt sich Von den Brocken anderer – Wie könnte es bei Ersterem Zu einer Kränkung kommen? Und es geriete seine Macht Hier nicht [für irgend jemanden] Zur Furcht. ama¯tyavaimatyavas´ena nistha¯ ˙˙ drsta¯ na ka¯ryasya tanı¯yaso ’pi | ˙ ˙˙ vais´a¯kharajjor iva karsaka¯bhya¯m ˙ ˙ parya¯yayogena krte vikarse || 1400 ˙ ˙ [1400]
Man hat [bislang noch] nie Den Abschluß eines Werks, Und sei es noch so klein, gesehn, Wenn sich die Räte uneins waren. [Das wäre] wie wenn zwei das Seil des Rührstabs Verkehrtrum auseinanderziehen. samagras´akter ekena¯py a¯s´a¯kra¯ntasya bhu¯pateh | ˙ vairı¯ sarva¯n˙gahı¯no ’pi ra¯jyam a¯yus´ ca karsati || 1401 ˙ [1401]
Ein Widersacher, selbst wenn ihm alle [militärischen] Abteilungen fehlen, holt sich Reich und Leben eines allmächtigen Herrschers, wenn [dieser bloß] von der Hoffnung auf einen einzigen [Mann] beherrscht wird.
Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten
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yatra dvisas tatra ya¯hi kra¯nta¯m kra¯nta¯m ca medinı¯m | ˙ ˙ ˙ ma¯ tya¯ks¯ır acira¯d evam punar jayam ava¯psyasi || 1402 ˙ [1402]
Gehe dorthin, wo [Deine] Gegner sind! Gib Dein Land nicht auf, [das sie] durchquert und besetzt haben! So wirst Du schon bald wieder den Sieg erringen. vidhure ’pi vidhau ´su¯rasahasrapariva¯ritaih | ˙ patadbhir a¯have bhu¯paih ka¯py abhikhyopalabhyate || 1403 ¯ [1403]
Auch wenn [ihnen] das Schicksal ungünstig ist, wird Königen überirdischer Ruhm zuteil, wenn sie sich bedeckt von tausend tapferen Männern in die Schlacht stürzen. nrtyacchinnas´irodharoddhuranate jya¯la¯buvı¯na¯guna˙ ˙ ˙ ˙ prakva¯niny udayacchiva¯mukhas´ikhijva¯la¯pradı¯pa¯n˙kure | ˙ dhanya¯h ke ’py upalabhya vı¯ras´ayane s´a¯nta¯bhima¯najvarol¯ la¯ghas´la¯ghyas´arı¯rata¯m saphalitasnigdha¯s´isas´ s´erate || 1404 ˙ ˙ [1404]
Manche sind begünstigt. Denn die Hoffnungen, die sie begleiteten, Die haben sich für sie erfüllt. [Nun] ruhen sie [am Schlachtfeld] auf dem Lager der Heroen, Nachdem sie einen Ruhmeskörper angenommen haben, Der [für sie] Genesung ist, Weil das Fieber [ihres] Stolzes nachgelassen hat. Außer Rand und Band geraten, Tanzen Tänzer dort mit abgeschlagnen Hälsen Zum Klang der Saiten einer Flaschenkürbislaute, [Das heißt begleitet] von dem Klang von Bogensehnen. [Und] Lichtschein leuchtet dort Im Flammenkranz des Feuers [Der Scheiterhaufen] auf, Der [gleich] den Spitzen Des [hehren] Du¯rva¯-Grases ist. uda¯ttam ity antakrtyam sañcintya kitava¯ iva | ˙ ˙ ra¯jye bhajante dı¯vyantah ksatriya¯s tra¯sahı¯nata¯m« || 1405 ¯ ˙ [1405]
»Die allerletzte Tat [muß eine] außerordentliche [sein]!« – in diesem Gedanken verlieren Krieger [ jede] Furcht, da sie wie Spieler um das Reich spielen.«
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mantra¯ntara¯nuyokta¯ram tad apy utsrjya mantritam | ˙ ˙ parusam pra¯ptaka¯lam ca te nis´´svasya tam abruvan || 1406 ˙ ˙ [1406]
Nachdem [Harsa] auch diesen barschen, doch der Zeit entsprechenden Rat ˙ verworfen hatte, holten sie tief Luft [und] sagten zu ihm, [als] er weitere Ratschläge erfragte: »Utkarsavad asu¯ms tyaktum api s´aknosi san˙kate | ˙ ˙ ˙ ˙ anyatha¯nucitam kiñcit pra¯psyasy ahitacintitam« || 1407 ˙ [1407]
»In der [höchsten] Not kannst Du wie Utkarsa Dein Leben auch [selbst] ˙ aufgeben. Andernfalls wird Dir irgendetwas Ungebührliches widerfahren, [wie] Deine Feinde es sich ausgedacht haben.« sa ta¯n uva¯ca »svam hantum na s´akto ’ham tato mayi | ˙ ˙ ˙ bhavadbhir eva visame prahartavyam upasthite« || 1408 ˙ [1408]
Er sagte zu ihnen: »Ich bin nicht imstande, mich umzubringen. Daher müßt Ihr selbst, wenn ich in [solcher] Bedrängnis bin, [mich] niederstrecken.« giram ka¯purusasyeva klaibyagrastasya ta¯m prabhoh | ˙ ˙ ˙ saba¯spa¯s te ’nus´ocantah punar evam babha¯sire || 1409 ˙ ˙ ˘ [1409]
Diese Worte [ihres] Herrn beklagend als [kämen sie] von einem von Verzagtheit befallenen Feigling, sprachen sie erneut unter Tränen in dieser Weise: »pratı¯ka¯ra¯ya nas´ s´aktir na ced daivahataujasa¯m | pratyutaivamvidhe krtye prasareyuh kara¯h katham« || 1410 ¯ ¯ ˙ ˙ [1410]
»Wie könnten wir [unsere] Hände denn zu einer solchen Tat [gegen Dich] erheben, wenn uns die Fähigkeit [sogar] zu einer Maßnahme gegen [das drohende Unheil] fehlt, da das Geschick uns die Kraft genommen hat?«. pas´u¯n purusaru¯pa¯n sa nu¯nam bhu¯bhrt puposa ta¯n | ˙ ˙ ˙ duhkham nodakhanams tasya ye ta¯drg dainyam ¯ıyusah || 1411 ¯ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ [1411]
Gewiß, waren sie, für deren Unterhalt der König sorgte, [nichts als] Vieh in Menschengestalt, daß sie ihm [sein] Leiden nicht nahmen, als er in derartige Mutlosigkeit versunken war.
Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten
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yuga¯nta¯n api jı¯vitva¯ ka¯yas sa¯pa¯ya eva yah | ˙ tattya¯gama¯trasa¯dhye ’rthe dhig dainyam anujı¯vina¯m || 1412 [1412]
Schimpf und Schande über die Erbärmlichkeit von Untergebenen bei einer Angelegenheit, die allein durch die Hingabe des Körpers zu bewerkstelligen wäre. Selbst wenn er bis zum Ende des Äons lebte, [hätte er doch immer] nur mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen! yosito ’pi vis´anty agnim yam dhya¯tva¯ vismrtim vrajet | ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ bhartrsnehas sa pumso ’pi yasya ko ’nyas tato ’dhamah || 1413 ˙ ˙ ˙ [1413]
Wer sonst [stünde] tiefer als so jemand, bei dem, obschon ein Mann, die Liebe zu [seinem] Herrn in Vergessenheit gerät, dessen Frauen jedoch, gedenken sie seiner, sich ins Feuer stürzen? s´ailu¯sasyeva ye s´okabhayadainya¯divikriya¯h | ˙ ˙ bhartuh pas´yanti tair esa¯ bhu¯s satı¯rtha¯py apa¯vanı¯ || 1414 ˙ ˘ [1414]
Diejenigen, die Kummer, Furcht, Verzagtheit und anderen Veränderungen [ihres] Herrn zusehen, als wären [sie bloß von] einem Mimen [dargestellt], lassen die Welt, obgleich sie Wallfahrtsorte hat, [zurück] als eine Unwelt. ksutksa¯mas tanayo vadhu¯h paragrhapresya¯vasannas suhrd ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˘ dugdha¯ gaur as´ana¯dyabha¯vavivas´a¯ hamba¯ravodga¯rin¯ı | ˙ nispathyau pitara¯v adu¯ramaranau sva¯mı¯ dvisannirjito ˙ ˙ ˙ drsto yena param na tasya niraye bhoktavyam asty apriyam || 1415 ˙ ˙˙ ˙ [1415]
Der Sohn von Hunger ausgemergelt; Die Frau als Dienerin in eines andern Haus; Der Freund in Not geraten; Die Milchkuh läßt Gebrüll ertönen, Da sie aus Futter- und aus anderm Mangel Ihrer nicht mehr mächtig ist; Die Eltern krank [und] nah am Tode; Der Herr vom Feind besiegt – Wer das gesehen hat, für den Gibts in der Hölle nichts, Was zu erfahren schlimmer wär«. bhu¯yo ’pi ma¯nusapas´u¯n sa ta¯n nrpatir abravı¯t | ˙ ˙ uda¯ttakrtyo ’py a¯vis´ya bhu¯tair iva vimohitah || 1416 ˙ ˙
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[1416]
Obwohl er [früher] herausragende Taten [vollbracht hatte], war der Herrscher [nun] konfus geworden als seien Dämonen [in ihn] gefahren. Abermals sprach er zu diesem Vieh von Menschen: »etasmin pas´cime ka¯le bhuktam ra¯jyam yatha¯ maya¯ | ˙ ˙ ja¯ne vis´a¯lecchataya¯ tatha¯nyo nopabhoksyate || 1417 ˙
[1417]
»Ich weiß, daß kein anderer die Herrschaft [mehr] im vollen Umfang seine Wünsche so genießen wird, wie ich sie in dieser Endzeit ausgekostet habe. Yamah Kuberas´ caustha¯gre ra¯jña¯m tisthata ity asau | ¯ ˙ ˙˙ ˙˙ madekas´aranaiva¯bhu¯t khya¯tir asmin kalau yuge || 1418 ˙ [1418]
Die Auffassung, daß Yama, [der Gott des Todes], und Kubera, [der Gott des Reichtums], auf den Lippen der Herrscher wohnen, fand in diesem dunkelsten Äon [des Kali] ihre Bestätigung allein bei mir. RudrOpendraMahendra¯dya¯h praya¯ta¯ro yadadhvana¯ | ˘ upasthita¯ya¯m niyatau tatra martyasya ka¯s´ s´ucah || 1419 ˙ ˙ [1419]
Welchen Kummer [gibt es] für einen Sterblichen dort auf dem Wege, den [sogar] Rudra, Visnu, der mächtige Indra und andere [Götter] nehmen werden, ˙˙ hat das Schicksal sich genaht? kim tu du¯ye yad esa¯ bhu¯r bhu¯tva¯ kulavadhu¯r iva | ˙ ˙ maddosa¯d dhattacet¯ıva pra¯pta¯ prasabhabhogyata¯m || 1420 ˙ ˙˙ ˙ [1420]
Allerdings quält es mich, daß dieses Land, das [vorher] einer ehrbaren Frau geglichen hat, aufgrund meiner Verfehlung [nun] wie eine Marktsklavin gewaltsam genommen werden kann. itah prabhrti yah kas´cid ra¯jyasya¯sya gataujasah | ¯ ˙ ˙ ˘ cakrika¯ma¯trasa¯dhyatvam ja¯nann a¯s´a¯m karisyati || 1421 ˙ ˙ ˙ [1421]
Von nun an wird, wer auch immer sich auf Ausführbarkeit durch bloßes Ränkeschmieden versteht, seine Hoffnung auf dieses Reich setzen, dessen Stärke geschwunden ist. alaukike krte yad yat tad vı¯ksya phalavandhyata¯m | ˙ ˙ pra¯ptodayair alpasattvair darpa¯n nu¯nam hasisyate || 1422 ˙ ˙
Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten
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[1422]
Wenn auch immer bei einer außergewöhnlichen Tat ein Scheitern beobachtet worden ist, dann werden emporgekommene, feige Naturen sicherlich keck darüber lachen. ka¯rya¯rambhah phalolla¯sam a¯lokya pra¯yas´o janaih | ˙ ˘ ana¯nugunyaganana¯m kurva¯nair na vigarhyate || 1423 ˙ ˙ ˙ ˙ [1423]
In der Regel schätzen Leute eine Unternehmung [dann] als nicht gering ein, wenn sie sehen, daß sich Früchte zeigen, da sie Unvergleichlichkeit in Anschlag bringen. paksa¯ntako ’rir avalambanabhu¯s sa netram ˙ ˙ dugdhena yasya maranam dhiyi kair ivettham | ˙ ˙ pa¯ram gate mathanakarmani Mandara¯drer ˙ ˙ doso ’rpyate vigunahetuparı¯ksanena || 1424 ˙ ˙ ˙ ˙ [1424]
War das Quirlungswerk [des Milchmeers] von Erfolg gekrönt, Wer würde gleichsam [auch nur] in Gedanken Den Mandara, [das heißt] den Berg [als Quirlstab] Mit Fehlern überziehen Durch Forschung nach den Gründen Für [seine] Mangelhaftigkeit in dieser Weise: »Den Halt [dafür] bot [Indra], ein Widersacher, Der den Bergen ihre Flügel stutzte. Als Zugseil [diente Va¯suki], die [Schlange], Durch deren Gift man stirbt!«? s´a¯strasamdarbhavittve ’pi s´rı¯garbhatvam adars´ayam | ˙ janopajı¯vana¯rtham yat taj ja¯tam ja¯dyasiddhaye || 1425 ˙ ˙ ˙ [1425]
Trotzdem [ich] mich auf das Verfassen gelehrter Traktate verstand, machte ich [doch immer nur] die Wohlfahrt sichtbar, die [bereits] im Schoße [meiner Herrschaft ruhte]. Wenn sie dem Volk [schon] einen Lebensunterhalt bieten sollte, so geriet sie [mir selbst jedoch] zur Einfalt. Uccalena¯pi matkrtye hasta¯grocceyacetasa¯ | ˙ dars´itas´ya¯madas´anam karisyante vidambana¯h || 1426 ˙ ˙ ˙ ˙ [1426]
Auch Uccala, dessen Verstand mit Fingern aufzulesen ist, wird meinem Wirken [seinen] Spott angedeihen lassen [und] dabei seine schwarzen Zähne blecken.
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tato ’vama¯na¯n na tra¯sa¯t sampra¯pto ’dya vihastata¯m | samarthanecchur va¯ñcha¯mi mrtyum ¯ıdr´sam apy aham || 1427 ˙ ˙ [1427]
[Es ist] daher aufgrund der Schande, nicht aus Furcht, [daß] ich, der ich heute völlig ratlos geworden bin, im Wunsche nach Beilegung des Problems den Tod herbeisehne, [und sei er] auch ein solcher! svair eva sa hato no cet kas tasma¯d vasudha¯m haret | ˙ labdha¯m raksitum iccha¯mi khya¯tim etena hetuna¯ || 1428 ˙ ˙ [1428]
Aus dem Grunde, [daß], wenn jemand nicht direkt von seinen eigenen Leuten erschlagen wird, ihm wer? das Reich nehmen könnte, will ich [mir meinen] erworbenen Ruf erhalten. Mukta¯pı¯dah pura¯ ra¯ja¯ jvalitva¯ mu¯rdhni bhu¯bhuja¯m | ˙ ˘ ka¯rpanyapranayam pra¯pa labdharandhro virodhibhih || 1429 ˙ ˙ ˙ [1429]
[Auch] König Mukta¯pı¯da erstrahlte einst an der Spitze der Herrscher, [bis] er, ˙ [als seine] Feinde eine Schwachstelle bei ihm aufgespürt hatten, eine Wendung zu [entsetzlichem] Jammer erfuhr. sa hy uttara¯pathe na¯na¯pathasthagitasainikah | ˙ mita¯nugo ’hitai ruddhama¯rgo ’bhu¯d durgame ’dhvani || 1430 [1430]
Er nämlich hatte seine Soldaten in nördlicher Himmelsrichtung auf mannigfachen Wegen verborgen [zurückgelassen und] besaß [daher nur noch] begrenztes Gefolge. [Da] wurde ihm auf schwierigem Pfade der Weg von Feinden versperrt. tam S´alyo na¯ma sa¯magryavairalyavivas´am nrpah | ˙ ˙ ˙ ˙ banddhum pratijña¯m akarod va¯jilaksair yuto ’stabhih || 1431 ˙ ˙ ˙˙ Kaiser S´alya, der über 800.000 Pferde verfügte, kündigte an, den [Mukta¯pı¯da] ˙ gefangenzunehmen. [Dieser war] aufgrund des Mangels an allem Erforderlichen nicht [mehr] Herr seiner selbst. [1431]
sa sa¯mapramukhopa¯ya¯pa¯yadhya¯na¯vasannadhı¯h | ˙ Bhavasva¯myabhidham krtyam aprcchan mukhyamantrinam || 1432 ˙ ˙ ˙ ˙
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[1432]
Entmutigt von den Gedanken an den Ausgang beim [Gebrauch solcher] Mittel, bei denen Schlichtung die bevorzugte war, fragte er seinen Ersten Minister namens Bhavasva¯min was zu tun sein. asa¯dhya¯m so ’pi nirdhya¯ya vinipa¯tapratikriya¯m | ˙ nya¯yye nis´citya naiyatyam kartavye pratyuva¯ca tam || 1433 ˙ [1433]
Nachdem auch dieser erwogen hatte, daß keine Maßnahme gegen den Untergang mehr zu ergreifen sei, legte er das Erfordernis für angemessenes Handeln fest und sprach zu ihm: »upa¯yayuktipratyukte krtye kı¯rtyabhima¯nina¯m | ˙ nissambhramaiva pratibha¯ lobhena¯ksobhite hrdi || 1434 ˙ ˙
[1434]
»Bei einem Vorhaben, bei dem der Anwendung der [herkömmlichen] Mittel widerraten wird, [geht] denen ein völlig klarer Gedanke [auf], die stolz auf ihren Ruhm sind [und] deren Herz nicht aus Verlangen schwankt. krtyam krtyavido labdhaprasiddhipariraksanam | ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ sa¯mra¯jyopa¯rjanamukho vya¯pa¯ras tv a¯nusan˙gikah || 1435 ˙ ˙ [1435]
Für jemanden, der über Taten Bescheid weiß, ist eine Tat das Bewahren errungenen Ansehens. Demgegenüber ist eine Bemühung nachrangig, die [nur] auf Oberherrschaft zielt. gacchañ s´arı¯raviccheda¯d api bhasma¯vas´esata¯m | ˙ karpu¯ras saurabheneva jantuh khya¯tya¯numı¯yate || 1436 ¯ ˙ [1436]
Obwohl er aufgrund der Zersetzung [seines] Leibs zu einem Aschenrest wird, wird der Mensch [ ja doch] an seinem Ruhm wie Kampfer an [seinem] Wohlgeruch gemessen. s´a¯ntayor jı¯vitastha¯nam dvayam atyadbhutam dvayoh | ˙ ˙ ˙ anan˙gasya¯n˙gana¯pa¯n˙gas stotrjihva¯ yas´as´vinah || 1437 ˙ ˙
[1437]
Es gibt ein äußerst wunderbares Paar von Plätzen für diese [längst] vergangenen Beiden, [an denen] diese weiterleben: Für den körperlosen [Liebesgott ist der Platz] das Augenspiel von [schönen] Frauen, [und] für jemanden Berühmten die Zunge des Lobsängers.
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Anhang
khya¯tisamraksanam na¯ma jantoh kalpa¯ntarasthitih | ¯ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ vartane kı¯rtika¯yasya sampu¯rna¯h parama¯navah || 1438 ˙ ˘ ˙ ˙ [1438]
Die Wahrung [seines] Rufes nämlich ist der Fortbestand für einen Menschen in künftigen Äonen. Zur Aufrechterhaltung eines [physischen] Körpers für [solchen] Ruhm [aber dient] die Vollzahl von Atomen [der Elemente]. dhı¯rair vidhis´ ca nirdhyeyo virodhisv avadha¯nava¯n | ˙ yas tesa¯m unnatidhanadhvamsa¯ya yatate ’nvaham || 1439 ˙ ˙
[1439]
Energische Männer sollten über den Schöpfer nachdenken, der auf [seine] Widersacher achtet [und] täglich danach strebt, ihren Besitz [und damit ihren] Aufstieg zu Fall zu bringen: tun˙ga¯vapa¯tanahathavyasanı¯ vidha¯ta¯ ˙ svotpattipadmakulaje ’pi sarojasande | ˙ ˙˙ san˙kocini dvijapata¯v api s´uddhivandhye ma¯tan˙gahastapatanaih kurute ’vama¯nam || 1440 ¯
[1440]
In beharrlicher Versessenheit, Erhabenes zu Fall zu bringen, Bereitet Brahma¯ Schmach dem Dickicht voller Lotusblüten, Die sich zusammenziehn Durch Rüsselschläge [wildgewordner] Elefanten, Obwohl es [doch] dem edlen Lotusstamm entstammt, Dem [auch] er selbst entsprungen ist, [Und] in Bezug auf welches Sogar der [helle] Mond Den [hellen] Glanz verliert. ye hatha¯pa¯tinı¯m dha¯tur dhiyam khya¯tinipa¯tane | ˙ ˙ ˙ raksitum samupeksante taih kim na¯ma na raksitam || 1441 ¯ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ [1441]
Warum wachen [diejenigen] nicht über [ihre guten] Namen, die es unterlassen, sorgsam auf die gewaltaffine Absicht des Schöpfers zu achten, [der ihr] Ansehen ruinieren [möchte]? ja¯tih ksma¯bhrti vams´aja¯s´rayataya¯ khya¯tipratistha¯m ima¯m ¯ ˙ ˙ ˙ ˙˙ uddı¯pya¯nalam ujjhitasvavapusah ke ’py atra vetra¯n˙kura¯h | ˙ ˙ ¯ tra¯tum hanta vidanti ye, na vidhina¯ kruddhena prthvı¯bhrta¯m ˙ ˙ ˙ ˙ dva¯ri dva¯ssthakarair gata¯gatakhalı¯ka¯ra¯ni sampra¯pita¯h || 1442 ˙ ˙
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[1442]
Bestimmte Rohrstabsprösslinge, Die es verstehn, – merkt auf! –, Dem Fundament des guten Rufs, – Geburt am hohen Berg, [das heißt bei einem König] –, Den [sie] dadurch [genießen], Daß sie sich zum Geschlecht der Bambusstäbe [Beziehungsweise] derer zählen, [die edler Abkunft sind], Dauerhaften Halt zu geben, Die lassen ihre Leiber fahren Im Feuer, das [am Berg, vielmehr: für einen König Bei seinem Tod] entzündet wurde. [So] kann der wutentbrannte Schöpfer Sie nicht von Händen der am Tor Der Herrscher [aufgestellten] Wachen Zu Mißhandlungen gebrauchen lassen Von denen, die da kommen, die da gehn. bhoga¯n nirva¯nabhu¯yistha¯n ista¯n pra¯pta¯n avetya tat | ˙ ˙˙ ˙˙ pratistha¯sausthavatra¯ne samrabdhum deva sa¯mpratam || 1443 ˙ ˙ ˙ ˙˙ ˙˙ [1443]
Darum o Herrscher, hast Du erkannt, daß [all] die ersehnten Wonnen, die Dir zuteil geworden sind, zum größten Teil verflogen sind, ist es nun an der Zeit, sich daran zu machen, das feste Fundament [Deines Ansehens] mit Tüchtigkeit zu bewahren. dandaka¯lasaka¯khyasya tad rogasya¯s´uka¯rinah | ˙˙ ˙ ˙ pa¯rthiva¯kasmikottha¯nam misa¯d adya praka¯s´yata¯m || 1444 ˙
[1444]
Verbreite dementsprechend heute zum Schein das unerwartete Auftreten der schnell wirkenden [Durchfall]erkrankung namens Dandaka¯lasaka, o König. ˙˙ s´vo vakta¯smy atha kartavyam vya¯patpraksapanaksamam« | ˙ ˙ ˙ ˙ uktveti sa maha¯ma¯tyo nirgatya svagrha¯n aga¯t || 1445 ˙
[1445]
Morgen will ich [Dir] sodann mitteilen, [was] zu tun ist, damit das Unheil abgewendet werden kann.« Nach diesen Worten entfernte sich der Erste Minister [Bhavasva¯min und] begab sich zu seiner Behausung. dandaka¯lasakam dandadharo vyañjan misa¯t tatah | ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙ adhı¯ra iva cakranda luthan nisspandalocanah || 1446 ˙ ˙
276
Anhang
[1446]
Indem er zum Schein die Dandaka¯lasaka-[Erkrankung] an den Tag legte, ˙˙ jammerte der Fürst daraufhin wie entmutigt [und] wälzte sich mit starrem Blick [am Boden]. svedasamva¯hanasnehavamana¯dyair upakramaih | ˙ ˙ nis´s´aithilyavyatham tena mumu¯rsum tam jano ’vadat || 1447 ˙ ˙ ˙ ˙
[1447]
Weil sein Leiden durch Schwitzkuren, Einreibung, Fettmittel, Erbrechen und andere Anwendungen keine Linderung [erfuhr], sagten die Leute, er [läge] im Sterben. tato nis´citamrtyutvam patyuh kathayata¯ krtah | ¯ ˙ ˙ ˙ vahnipraves´o ’ma¯tyena krtajñatvanivedakah || 1448 ˙ ˙ [1448]
Mit der Behauptung, der Tod des Herrn sei [nun] gewiß, nahm sich der Minister sodann im Feuer das Leben als Ausdruck seiner Dankbarkeit. kartavyas´esam da¯ksinya¯d ana¯caksa¯nam agratah | ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ yuktyoktanisthura¯ca¯ram antas tusta¯va tam nrpah || 1449 ˙ ˙ ˙ ˙˙ ˙˙ [1449]
Der König pries ihn innerlich [für] sein grausames, [ihm] unter einem Vorwand mitgeteiltes Handeln, [sowie dafür, daß] er aus Zuvorkommenheit [das, was ihm jetzt auch selbst] zu tun bliebe, in [seiner] Gegenwart nicht direkt ausgesprochen hatte. »apraudhas sodhum udda¯ma¯m vyatha¯m asmı¯«ti va¯dina¯ | ˙ ˙ ˙ ra¯jña¯py analasa¯d deham tatas´ cakre ’bhima¯nina¯ || 1450 ˙ [1450]
Danach ließ der stolze König seinen Körper ebenfalls im Feuer aufgehen, indem er sagte, er sei nicht imstande, die grenzenlose Pein [länger] zu ertragen. tena pra¯na¯n upeksyaivam anyakhya¯ter manasvina¯ | ˙ ˙ u¯rdhva¯dhirohe sopa¯nam krtam na nijakı¯rtana¯t || 1451 ˙ ˙ ˙ [1451]
Der verständige [Minister, der] aus Gründen des Ansehens eines anderen in der [genannten] Weise [seines eigenen] Lebens nicht geachtet hatte, hat [sich] damit eine Stufenleiter zum Aufstieg nach ganz oben gebaut, [aber] keineswegs [deshalb], weil er sich selbst gerühmt hat. evam daivopanita¯na¯m akhya¯tı¯na¯m cikitsitam | ˙ ˙ svadhiya¯ma¯tyabuddhya¯ va¯ pa¯ram eti manasvina¯m» || 1452
Theresa Wilke, Zum Scheitern beraten
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[1452]
So erreicht die Heilung einer vom Schicksal herbeigeführten Schmach unter vernunftbegabten Wesen [ihr] letztes Ziel [entweder] durch eigenen Verstand oder durch die Geisteskraft der Räte.« ity uktva¯ virato »vams´abı¯jaraksa¯rtham a¯tmajah | ˙ ˙ ˙ Bhojo visrjyata¯m Kotam« evam u¯ce ’tha mantribhih || 1453 ˙ ˙ ˙ ˙ [1453]
Als er mit diesen Worten geendet hatte, redeten die Minister daraufhin folgendermaßen auf ihn ein: »Sende doch [Deinen] Sohn Bhoja in die Burg [von Lohara], damit der Same [Deines] Geschlechts bewahrt bleibe!« tam ra¯japutram prastha¯naman˙gala¯nte vinirgatam | ˙ punar vya¯vartaya¯m a¯sa dandana¯yakamohitah || 1454 ˙˙ ˙ [1454]
Der Prinz war am Ende des Aufbruchssegens [bereits] losgezogen, [da] ließ der vom Oberbefehlshaber [Sunna] irritierte [Harsa] ihn wieder umkehren. ˙
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7.
Anhang
Ann-Kathrin Deininger, Der Ratgeber, der lachte. Beratung und Kritik am Herrscher im ›Graf Rudolf‹
Die Ratsversammlung in Jerusalem – ›Graf Rudolf‹ (D42- γ50) Text: Graf Rudolf, ed. Peter F. Ganz (Philologische Studien und Quellen 19), Berlin 1964 (neuhochdeutsche Übersetzung A-K. Deininger). Kontext: Im Orient nimmt Graf Rudolf an einem Kriegszug gegen das muslimische Askalun teil. Während der christliche König Gilot mit seinen Truppen das Umland verwüstet, belagert Rudolf die Stadt. Angesichts der Übermacht der Christen greifen die Muslime auf den Rat Girabobes hin zu einer List: Sie stellen ihre Frauen in Rüstungen auf die Mauern, um Wehrhaftigkeit zu demonstrieren. Als Gilot Berichte über die hohe Anzahl an Verteidigern zugetragen werden, bricht er die Belagerung ab. Rudolf bleibt zurück und handelt mit Girabobe einen Waffenstillstand aus. Danach folgt er Gilot nach Jerusalem, wo er in großen Ehren empfangen wird. D42 45
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Do sie quamen zu Ierusalem d[er patriarche] von Bethlehem mit manigime cardinale sie gereiten sich [ze male] mit michelem vlize manichen vanen wize[n] beide bru[n unde golt]rot. der patriarche do gebot grozen unde cleinen allen gemeinen [daz sie] sungen gote ze eren unde enphingen die herren. do sie en[phan]gen waren, zu hant sie ir opher gaben deme himel[i]sche[n gote]. do quam des kuniges bote zu deme greven do san unde [hiez in] zu sime herren gan. er sprach ›du must biten, iz ist zu ve[rre, ich] wil dare riten.‹ er hiez ime brengen ein ravit, der gelie[f alse] ob die werlt wit al sin eigen were. dar uf saz der helet m[ere
Als sie nach Jerusalem kamen, kam ihnen der Patriarch von Bethlehem mit vielen Kardinälen beflissen mit vielen weißen, violetten und rot-goldenen Fahnen entgegengeritten. Der Patriarch befahl den Großen wie den Kleinen, allen zusammen, Gott zu ehren zu singen und die Herren zu empfangen. Als sie in Empfang genommen worden waren, brachten sie sogleich dem himmlischen Gott ihr Opfer. Darauf kam ein Bote des Königs sogleich zu dem Grafen, und befahl ihm, zu seinem Herren zu gehen. Rudolf antwortete: »Du musst dich etwas gedulden, es ist zu weit weg, ich will dorthin reiten«. Er ließ sich ein edles Pferd bringen, das so lief, als ob ihm die ganze weite Welt gehören würde. Darauf stieg der herrliche Held
Ann-Kathrin Deininger, Der Ratgeber, der lachte
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unde] reit vur den palas, dar der kunic uffe was. [Do en p]hinc man den herren mit michelen eren unde wisete en [zu der k]emenatin da der kunic zu rate saz mit sinen mannen. [do qu]am der helet gegangen, der helet stolz unde gemeit. al untat [was i]me leit. des minneten en die vrowen sva sie en mochten [schou]wen. des wart ime vil getougen, manic blic von den [ouge]n. sine gute luchten alse ein glas wan er ir aller spigel [was.] Vor den kunic er do ginc vil minnecliche er in enphinc; [er bat] in bi ime sizzen, er wiste vil groze wizze an deme kindeschen [helede.] sin gelaz was da vremede zu Ierusalem imme lande. dicke [er an i]me des bekante daz er zu rechte hovisch were. mit guteme [gebere] was er wider arme unde riche alle geliche. Der kunic [sprach] da zestunt ›Rudolf, dir ist wole kunt umme den keiser [vo]n Rome? svenne er trage die crone so hat er hogezite. sin [gesidel]e daz ist wite an dem velde uf geslagen. die ime daz [svert] vur tragen daz sin edele vursten. man saget ioch svene [in dur]ste so schenke ime ein riche kunic der is kreftic unde vrumic, [der tra]ge von ime die crone. so dienet man da schone den armen [unde den] richen harte herlichen. Daz sin tugentliche dinc. dise [mere] sagete ein jungelinc; so mich ir nie vor droz, nu bin ich [doch si]n genoz unde han lande genuc, sint immer mer hat min [mut a]lso wan here gestan,
279 und ritt vor den Palas, in dem sich der König aufhielt. Dort empfing man den Herren mit großer Ehrerbietung und wies ihn zu einem Raum, wo der König mit seinen Vasallen Rat hielt. Da kam der Held herbei, der stolze und herrliche Held. Jede Untat lag ihm fern. Deshalb liebten ihn die Damen, wo auch immer sie ihn erblicken konnten. Verhohlen warf man ihm So manchen Blick zu. Seine Güte leuchtete wie Glas er war ein Spiegel für sie alle. Er trat vor den König, der ihn freundschaftlich empfing; er bat ihn, sich neben ihn zu setzen, er kannte die große Weisheit des jungen Helden. Das Betragen, das er zeigte, war in Jerusalem unbekannt. Oft hatte der König aber an ihm erkannt, dass er sich äußerst vorbildlich benahm. Sein Verhalten war sowohl gegenüber den Armen als auch gegenüber den Mächtigen stets gleichermaßen höflich. Der König fragte dort sogleich: »Rudolf, dir ist der Kaiser von Rom gut bekannt? Wann immer er die Krone trägt, gibt er ein Fest. Die Sitzgelegenheiten, die er errichten lässt, erstreckten sich weit über das Feld. Edle Fürsten tragen ihm das Schwert voraus. Man erzählt, wann immer er Durst habe, so schenke ihm ein mächtiger König ein, der gewaltig und tapfer ist und der durch ihn, den Kaiser, die Krone trägt. So dient man dort den Armen und den Reichen auf sehr prächtige Weise. Das ist tugendhaft. Dies berichtete mir ein Jüngling. Nichts hat mich an dieser Erzählung je gestört, nur dass ich ihm doch ebenbürtig bin und über viele Länder herrsche. Seither habe ich stets nach einem solchen Fest gestrebt,
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ob ich hete einen man die mir daz [konde] gemachen.‹ do begonde der greve lachen unde duchte en [harte] gemelich. er sprach ›under windes tu is dich, daz ge[ruwe]t dich harte sere, edele kunic here, unde were din schade [harte] groz, wande keisers genoz ne wart noch nie nechein [gebor]n. din lant were allez virlorn. doch gebe ich dir guten rat: so sin hus tegeliches stat, mochtes tu daz ir cr[igen, so la] sine hogezit beliben, dan noch hetes tu miche[l ere, daz nie] nechein kunic mere so groze gewan.‹ den kun[ic des sere] wunder nam. Daz houbet er do nider sluc, also [der man] tut der vil sere denket. er wurdes gecrenket ob e[r ez nicht] vol brechte. doch was sin gedechte daz er iz vol b[ringen] wolde. er wiste wol daz er solde werben nach den [eren: daz] konde in wol geleren der greve da von Arraz, die [aller] tugende meister was. do bevalch der kunic here si[n lant unde] sine ere deme greven uffe sine truwe. er bat da[z er vir] nuwe wolde zer werlt sinen pris. ›du bist vol ku[men unde wis] aller vrumickeite. du salt mir bereite daz dien[est durch] minen willen, des gedanke ich dir mi[t minnen.‹] (D)er greve tet alser in bat. do gebot er [an der stat] den vogeden unde den schultheizen d[az mit] ageleize ir ieclich gewnne alser solde svaz so [er ichtes] wolde. sie taten alle alser sie hiez, ir nichein des nic[ht ne liez,]
wenn ich nur einen Mann hätte, der ein solches für mich ausrichten könnte.« Da lachte der Graf, denn es belustigte ihn sehr. Er sagte: »Wenn du dies unternimmst, wird dir das viel Kummer bereiten, edler Herr König, und dein Schaden wäre sehr groß. Denn einer, der dem Kaiser ebenbürtig wäre, der wurde noch nie geboren. Deine Länder wären alle verloren. Doch gebe ich dir guten Rat: Wenn du es erreichen könntest, dass es um dein Haus so bestellt ist, wie es bei seinem jeden Tag der Fall ist, kannst du auf das Fest auch verzichten. Dadurch erlangst du großes Ansehen, wie es nie zuvor ein König erlangte.« Den König verwunderte das sehr. Er senkte das Haupt, wie es der Mann tut, der scharf nachdenkt. Er wäre dadurch erniedrigt worden, wenn er es nicht vollbracht hätte. Aber er beabsichtigte dennoch, ein solches auszurichten. Er wusste genau, dass er nach ehrenvoller Herrschaft streben sollte: Darin konnte ihn der Graf von Arraz, der ein Meister aller Tugenden war, vorzüglich unterweisen. Da vertraute der stolze König sein Land und sein Ansehen der Treue des Grafen an. Er bat ihn, seinen Ruhm in der Welt zu erneuern. »Du bist vollkommen und weise und mit aller Tüchtigkeit versehen. Du sollst mir diesen Dienst nach meinem Willen leisten. Das danke ich dir mit meiner Freundschaft.« Der Graf tat, worum ihn der König gebeten hatte. Da befahl er sogleich den Vögten und Schultheißen, dass jeder von ihnen herbeischaffte, was auch immer er haben wollte. Sie folgten seinem Befehl, nicht einer von ihnen unterließ das,
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wande sie in alle vorchten. einen vullemunt er do [worchte] den eren in so kurzen tagen daz man dar immer [mach abe sagen.] (D)az gesidele hiez er machen wit. weder e no sit [also richez] nie ne wart. ich wene da nicht ne wart gespart [weder daz] silber noch daz golt rot. in alle die lant man gebot [sver ver]neme die mere daz der dare queme, der wurde wol en[phangen.]
281 denn sie fürchteten ihn alle. Er schuf ein Fundament für die Ehre in so kurzer Zeit, dass man davon heute immer noch erzählen kann. Er ließ einen großräumigen Festplatz herrichten. Weder früher noch später gab es einen so prächtigen. Ich glaube, da wurde weder Silber noch rotes Gold gespart. In allen Ländern ließ man vermelden, dass jeder, der sich dorthin aufmache, gut empfangen würde.
282
8.
Anhang
Karina Kellermann, Sebastian Brant als Wunderzeichendeuter, Publizist und königlicher Ratgeber. Der Meteoritenfall von Ensisheim (7. 11. 1492) und was der Humanist daraus macht
Quellentext: Sebastian Brant, Vom Donnerstein bei Ensisheim. 1492. Sebastian Brant, Von der Schlacht bei Salins. 1493.
Sebastian Brant, Vom Donnerstein bei Ensisheim, Flugblatt von 1492. Universitätsbibliothek Tübingen. Gesamtverzeichnis der Wiegendrucke Nr. 5020.
Karina Kellermann, Sebastian Brant
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Sebastian Brant, Von der Schlacht bei Salins, Flugblatt von 1493. Steiermärkische Landesbibliothek Graz. Gesamtverzeichnis der Wiegendrucke Nr. 5024.
284
9.
Anhang
Sophie Quander, Guter Rat kommt von außen. Belehrung durch Figur und Text anhand einer politischen Reformschrift des 15. Jahrhunderts
Quellentext: Reformation Kaiser Siegmunds, ed. Heinrich Koller (Monumenta Germaniae Historica 6), Hannover 1964. Übersetzung Sophie Quander.
1.
Konstantin und Silvester (RS N 246–248)
Dye keyser, einer nach dem andernn, regirten mit der ritterschaft biß das Constantinus keyser wart. Der wart aussetzig und sucht sich also, das er alle meyster beschickt, im zü raten, ob er gesunt mocht werden, als in einer nacht erschein ym sant Peter und sprach: ›Constantine, wiltu gesunt werden, so gang zu sant Siluester, dem babst, der macht dir ein bat, so wirstu gesunt!‹ Do der morgen kam, do wart im gach und schicket boten züm babst Siluester, der was in einer höl, wan es was groß durchechtigüng der heyligen cristenheyt; man sucht den babst und fand in und sichert in und kam Constantinus mit grosser begir zü Siluestro; er bat yn umb hilff und trost und sagt im dye verkundigung, als im sant Peter het gethan; do sprach sant Siluester: ›Du magst woll gesunt werden, wiltu gelauben an Ihesum Cristum, den einigen gots sun?‹ Er sprach, was er in hieß, wolt er gehorsam sein. Er / satzt im sechs tag zü fasten, an den sibenden tag wolt er im ein bad bereyten; also wart Constantinus getaufft und wart rein. Do viel er uff seine knye und riefft got an und ergab sich seins keyserthumß und gab allen gewalt sant Siluestro, er wer nit wirdig, zü heyssen ein keyser; als enpfing sant Siluester allen gewalt geystlich und weltlich und satzt Constantinum zü einem vicarien des weltlichen states und bot im das swert, als noch heutbetage geschicht, wan man einen keyser macht. Da saß sant Siluester und Constantinus züsamen und verordenten dy heyligen kyrchen und satzten XXIIII stuck der kyrchen, dye man halten solt pey der pene des todes; und als ein groß durchechter er was wider dye cristen, noch grosser was er wider dye, dye Cristum nit verjehen wolten. Do sprach Constantinus zü sant Siluester: ›Nu muß man schirmen setzen, das dye heyligen kyrchen schirmen habe und der glaübe.‹ Da wart erst recht dye ritterschaft verordent. Constantinus sprach: ›Mein vorfordernn haben gereiset woll mit der ritterschaft und sein woll bestanden; man sol es aber woll verorden.‹ […] Die Kaiser, einer nach dem anderen, regierten mit der Ritterschaft, bis Konstantin Kaiser wurde. Dieser wurde aussätzig und so ließ er an alle Meister um
Sophie Quander, Guter Rat kommt von außen
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Rat schicken, wie er genesen könne, als ihm in einer Nacht der Heilige Petrus erschien und sprach: ›Konstantin, wenn du genesen willst, so gehe zu dem Heiligen Silvester, dem Papst, der wird dir ein Bad bereiten, so wirst du gesund!‹ Als der Morgen anbrach, schickte er in großer Eile Boten zum Papst Silvester, der in einer Höhle war, da die heilige Christenheit zu dieser Zeit schwer verfolgt wurde; man suchte den Papst und fand ihn und gewährte ihm Schutz und begierig kam Konstantin zu Silvester; er bat ihn um Hilfe und Trost und wiederholte die Prophezeiung des Heiligen Petrus; darauf sprach der Heilige Silvester: »Du wirst vollkommen genesen, wenn du denn an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, glauben willst?« Er antwortete, dass er dem, was er ihn zu tun aufforderte, Folge leisten wolle. Er ließ ihn also sechs Tage fasten, am siebten Tage wollte er ihm ein Bad bereiten; auf diesem Wege wurde Konstantin getauft und gereinigt. Daraufhin fiel er auf die Knie und rief Gott an und ergab sich seiner Herrschaft und überantwortete alle Herrschergewalt dem Heiligen Silvester, da er nicht würdig sei, Kaiser genannt zu werden; also empfing der Heilige Silvester alle geistliche und weltliche Macht und setzte Konstantin als weltlichen Stellvertreter ein und reichte ihm das Schwert, wie es noch heutzutage geschieht, wenn man einen Kaiser krönt. Daraufhin setzten sich der Heilige Silvester und Konstantin zusammen und ordneten die heilige Kirche und richteten 24 Kirchen ein, die man unter Androhung der Todesstrafe in Stand halten sollte; und hatte er auch die Christen zuvor verfolgen lassen, so war er nun noch strenger gegen diejenigen, die sich nicht zu Christus bekennen wollten. Daraufhin sprach Konstantin zu dem Heiligen Silvester: »Nun soll man Schutzmaßnahmen einrichten, so dass die heilige Kirche und der Glaube geschützt werden.« Die Ritterschaft wurde daraufhin zum ersten Mal rechtmäßig in Stand gesetzt. Konstantin sprach: »Auch wenn meine Vorgänger mit der Ritterschaft bisher gute Kriege geführt haben und sie also soweit gut bestand, soll man sie nun richtig in Stand setzen.« […]
2.
Klosterbrüder im Dialog (RS N 124–126)
sehet an, wer in orden will komen, der muß herntlich sweren und globen drew dinck: reynigkeyt, das ist keusch leben, armüt und gehorsamkeyt; nü sehe mann, wye es gee; wolt yr horen eins, das do geschach? Wir haben einen jungen herrn gehabt in hoff zu Basel, den bat man in ein orden, heyst Gluniaxer, umb das der in den orden gieng, so verhieß man im ein brobstey zü Preusach vor der stat. Er sprach: ›Ich wolt gernn wyssen, was ewer orden wer, beweyset mich dye regeln, was zü thünn oder zü lassen sey und was ewer gepot sey!‹ sye gaben im dye regel, darinne fand er yr regel gepot und yr thunn und lassen, das hert und swer ist. Er versucht es einen monet; er kam
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Anhang
zumm brobst zü Basel und sprach: ›Ich konde ewer gepet eins tags in vier stunden nit außgerichtenn, ich wurde täupp; darzü habt yr swere gehorsamkeyt, ich mocht es nit volbringen!‹ der brobst antwurt im, er wer es nit alles verpunden zü halten und zü thünn als dye regel innehelt, man dispensirt mit im, das er es woll leichtiglichen hielt; der junge herr sprach: ›Ob ich nü in orden ginge, must ich nit sweren, in eweren orden zü halten?‹ do sprach der brobst: ›Ja!‹ do sprach der jung herre als ein weyserr man: ›Yr habt alle gesworenn in dye helle; solt ich ewer regel sweren zü got und das brechen, wye keme ich so erlich als ein rechter meyneydiger an got! ir nyessent alle gotsgabe zu ewiger verdampnuße und were ich herre uber euch, ich wolt euch ewerr regel leren halten oder yr mustent alle sterben und nit got also betriegen!‹ Bedenkt, wer in einen Orden eintreten möchte, der muss drei Dinge fest versprechen und geloben: Reinheit, das heißt keusch zu leben, Armut und Gehorsam; nun betrachte man, wie es gehe; wollt ihr von etwas hören, das vor einiger Zeit geschehen ist? Wir haben einen jungen Adligen am Hof zu Basel gehabt, den man in das Kluniazenserkloster St. Alban einzutreten bat; bei Eintritt in den Orden versprach man ihm eine Propstei vor der Stadt Breisach am Rhein. Er sprach: ›Ich möchte Eure Ordensregeln gern kennen und verstehen lernen, unterweist mich darin, was zu tun und was zu lassen und was genau Euer Gebot sei!‹ Sie überreichten ihm das Regelwerk, darin fand er ihre Ordensregeln und ihr Tun und Lassen, das hart und schwer ist. Er versuchte sich einen Monat lang darin; danach ging er zum Probst zu Basel und sprach: ›Ich konnte die Stundengebete viermal täglich nicht ausführen, ich bin ganz stumpfsinnig dabei geworden. Ihr verlangt unmöglichen Gehorsam, ich jedenfalls kann das nicht vollbringen!‹ Der Probst antwortete ihm, er sei nicht verpflichtet dazu, alle Regeln exakt einzuhalten, man dispensiere mit ihm, so dass er die Regeln leicht einhalten könne; der junge Adlige sprach: »Wenn ich nun in Euren Orden eintrete, müsste ich nicht geloben, Eure Ordensregel einzuhalten?« Darauf erwiderte der Probst: ›Ja!‹ Der junge Adlige erwiderte darauf einem weisen Mann vergleichbar: ›Ihr habt euch mit eurem Eidbruch alle zur Hölle verdammt; wenn ich Eurer Gelübde Gott gegenüber ablege und es dann breche, wie meineidig stünde ich dann vor Gott! Ihr habt den Nutzen aller Gaben Gottes und riskiert damit ewige Verdammnis, wäre ich Euer Herr, ich würde euch schon lehren, Euer Gelübde einzuhalten oder aber ihr müsstet sterben und Gott dadurch nicht mehr betrügen!‹
Sophie Quander, Guter Rat kommt von außen
3.
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Siegmunds Vision (RS N 330–336)
Nu ist zü mercken, wye es auffgestanden sey zum aller erstenn, das es gots manung sey, zü habenn einen ander stat und ein ordenung, dye dem cristenlichen stat zügehort. In dem namen gots, des herrn Ihesu Christi. Wir Sigmundt, unwirdig genant ein diener gots und ein merer des heyligen reiches, thün zü wyssen, was unns geoffenet ist worden in dem geist, des wir sere betrubt sein worden biß an unnser ende, das wir so clein sein vor dem angesicht gots. Auffgesetzt sein wir woll für ein heupt, wir sollen aber nit volbringen dye heyligen, seligen ordenung, als yr horen werdent mit kurtzen wortenn. Wir nemen es auff unnser sele, wir setzen es in dye warheyt Cristi unnd sprechen es bey der marter unsers herren Ihesu Christi: was wir hye offenen, das ist unns furkomen in dem jare, als man zalt XIIII jar und drew jare zü Vngernn zü Preßbürg uff dem auffertag an dem morgen, als der tagsternn aufftrang. Da kam ein stymme, dye rufft: ›Sigmundt, stant auff, bekenne got, berait einen wegk der gotlichen ordenung halb. Alles geschriben recht hat gebrechen an gerechtigkeyt. Du magst es aber nit volbringen, du bist woll ein wegbreyter deß, der nach dir komen soll. Er ist ein priester, durch den wirt got vil wurcken; er wirt genant Friderich von Lantnewen. Er wirt des reichs zeichen auffsetzen, er wirt sein zeichen furen neben dem reich zü der lincken seyten, er wirt furen ein creutz da mitten. Sein ere wirt reysenen forchtsamlich, es mag nyeman wyder yne; er bringet dye ordenung gots zü krafft; im werden herren und stet gehorsam; im wirt unrecht zü kestigen; got hat in versucht in manche wege, mit mancherley kommer; er ist alwegen funden in gedultigkeyt; got ist sein oppher genem.‹ Als wir nü diß hortten, da worden wir betrubt vom hertzen und worden hinderkomen, unns selbst zü erkennen, wer wir weren. Da wart unns ein bekentnüß, das wir einen wegk darzü bereiten solten; da gewonnen wir einen auffenthalten und ein leichterung. Von den tagen, als wir des reichs knecht und diener würden, stelten wir mit allen synnen darnach, das ein recht ordenung würde und dye bebst verordent worden, darnach wir ein concilie verordenn solten und verorden den stat der heyligen kyrchen, dadurch wir erbeiten und alle unsere vermogen in sichtagen und in suntheyt kost und leyden williglichen leyden und trügen, und gedachten, das concilie zü Costentzt wolte ein ordenung thünn, darumb es eins teyls angesetzt was. Aber alle geistliche heupter sein aller gotlicher ordenung wider. Das ist nü villeicht gut, man kumpt dester ee in ordenüng; ir gelympff wirt clein, got kann es woll orden. Also das es zü Costenitz nit sein mocht, da wart gen Pauey ein concilie gemacht; da wart aber nichtz nit verordent und wart da dannen geschlagen hin zü der Hohen Syn; dar komen da dye heupter universitas der schüler mit unnser botschafft, cardinal und bischoff mit bebstlicher gewalt; da wart aber nichtz nit
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Anhang
reformirt; da wart aber als vil angetragen dazümal, das mit gantzer einhellung ein concily gesworen und geordent wart gen Basel, das nemlich drew punckten gesetzt worden, das außzütragen bey hoher glubde. Nü mag es villeicht nit volendet werden, dann der stee dann ee auff, den got herein gemant hat. Der erst punckt, darumb das concilium geordent ist, das man den ketzerlichen glauben verstoren solt und underweysen, der ander umb frid zü ordenen in der welt, der trit umb gut ordenung der geystlichen und weltlichen; solt nu kein mittel darein / fallen, als dye geistlichen gernn thetten, dye das concilie gesworen hand und hülffen antragen; so sy nu horen, wye man reformiren will, so hencken sye yr eyde uff und yr glubde und kerent dem concilio den ars. Ir werdent balde inne, man findet sye. Darumb wann dye zeyt kömen, das yr vernement solch offenung, slag iglichen zü, lasset unns helffen dem, den alles unrecht leit ist, und lasset euch funden werden an dem rechten. wolt got, das wir den tag sehen solten, wir welten auch funden werden getrew cristen und mit dem priester tretten biß in den tot, als auch cristen billich thünn solten. […] Nun gilt es zu verstehen, wie es ursprünglich dazu gekommen ist, dass Gott dazu aufforderte, den aktuellen Zustand zu ändern und eine Ordnung in Stand zu setzen, die dem Christentum entspricht. Im Namen Gottes, des Herrn Jesu Christi. Wir Siegmund – nicht würdig, ein Diener Gottes und ein Vergrößerer des Heiligen Reichs genannt zu werden – geben bekannt, was unserem Geist offenbart worden ist, durch das wir bis an unser Ende sehr betrübt worden sind darüber, dass wir im Angesicht Gottes so klein sind. Wir sind zwar als Haupt an die Spitze berufen, aber wir werden die heilige, selige Ordnung nicht erfüllen, wie ihr in kurzen Worten hören werdet. Wir nehmen es auf unsere Seele, wir legen es in die Wahrheit Christi und bekennen es bei den Leiden unseres Herrn Jesu Christi: Was wir hier nun öffentlich bekannt geben, das hat sich in dem Jahr 1403 zugetragen, in Preßburg in Ungarn am frühen Morgen von Christi Himmelfahrt, als der Morgenstern aufging. Da kam eine Stimme, die rief: ›Siegmund, stehe auf, bekenne dich zu Gott, bereite der göttlichen Ordnung halber den Weg. Allem schriftlichen Recht fehlt es an Gerechtigkeit. Du selbst wirst es aber nicht vollbringen, du wirst demjenigen den Weg bereiten, der nach dir kommen wird. Er ist ein Priester, durch den Gott viel bewirken wird; er wird Friedrich Landerneuerer genannt. Er wird das Zeichen des Reiches anbringen, er wird sein Zeichen zur Linken neben dem Zeichen des Reichs führen, ein Kreuz wird er in der Mitte tragen. Seine Ehre wird gottesfürchtig herrschen, niemand wird sich ihm widersetzen können; er wird die Ordnung Gottes in Kraft setzen; ihm werden Fürsten und Städte gehorchen; er wird Unrecht bestrafen; Gott hat ihn auf so manchem Wege geprüft, mit mancherlei Kummer; er hat die Prüfung auf allen Wegen geduldig ertragen; Gott gefällt sein Opfer.‹
Sophie Quander, Guter Rat kommt von außen
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Als wir dies nun hörten, da wurden wir von Herzen betrübt und erschraken im Angesicht dieser Selbsterkenntnis. Es wurde uns schließlich offenbart, dass wir den Weg bereiten sollten; das tröstete und erleichterte uns. Von den Tagen an, als wir des Reiches Gehilfe und Diener wurden, trachteten wir mit allen Sinnen danach, eine rechtmäßige Ordnung einzuführen und das Papsttum wieder in Stand zu setzen, danach wollten wir ein Konzil anordnen und den Zustand der heiligen Kirche ordnen, danach strebten wir mit unserem ganzen Können und litten jeden Aufwand und jedes Leid in Krankheit und Gesundheit freiwillig, und dachten, das Konzil zu Konstanz wolle eine Ordnung einführen, weshalb es schließlich unter anderem angesetzt worden war. Aber alle geistlichen Häupter lehnen sich gegen die göttliche Ordnung auf. Das ist aber vielleicht sogar gut, so kommt man umso schneller zur Ordnung; sie verlieren an Berechtigung, Gott wird es gut verordnen. Da es also in Konstanz nicht passierte, wurde in Pavia ein Konzil abgehalten; da wurde aber auch nichts verordnet, so dass es erneut verschoben wurde auf das Konzil zu Siena; dorthin kamen nun die Universitätsgelehrten mit unserer Vollmacht, Kardinäle und Bischöfe mit päpstlicher Vollmacht; dort wurde aber wieder nichts reformiert; es wurde aber so vieles vorgetragen, dass einstimmig ein erneutes Konzil versichert und zu Basel angesetzt wurde, für welches drei Punkte festgesetzt wurden, die es unter hohem Eid auszutragen galt. Nun wird es vielleicht nicht vollendet werden, es sei denn derjenige erhebe sich, den Gott hierfür vorgesehen hat. Der erste Punkt, dessenthalben das Konzil angesetzt worden ist, ist es, den ketzerischen Glauben zu vernichten und zu belehren, der andere, Frieden in der Welt zu erlassen, der dritte, eine gute Ordnung des Geistlichen und Weltlichen einzuführen. Die Geistlichen, die das Konzil versichert und geholfen haben, es zu beantragen, hätten nun gern, dass keine Mittel darauf verwandt werden; sobald sie nun hören, wie man reformieren möchte, brechen sie ihren Eid und ihr Gelübde und kehren dem Konzil ihren Arsch zu. Ihr werdet ihrer bald gewahr werden, man findet sie. Sobald nun also die Zeit gekommen ist, dass ihr die Offenbarung vernehmen sollt, so schlage jedermann zu, lasst uns demjenigen helfen, den alles Unrecht bekümmert, und stellt euch auf die Seite des Rechts. Füge es Gott, dass wir den Tag sehen werden, so werden wir als treue Christen wahrgenommen, wenn wir mit dem Priester in den Tod gehen, wie es Christen rechtmäßig tun sollten. […]
290
Anhang
Quelleneditionen El libro de Calila e Dimna (1251). Nueva edición y estudio de los dos manuscritos castellanos, ed. Hans-Jörg Döhla, Zaragoza 2009. Die Geschichte der Eichstätter Bischöfe des Anonymen Haserensis. Edition – Übersetzung – Kommentar, ed. Stefan Weinfurter (Eichstätter Studien. Neue Folge 24, Regensburg 1987, 79–95. Gesta Stephani, ed. Kenworth R. Potter, Oxford 1976. Graf Rudolf, ed. Peter F. Ganz (Philologische Studien und Quellen 19), Berlin 1964. Kalhanas Ra¯jataran˙gin¯ı 7.1386–1454, ed. und übers. Walter Slaje, in: Harsa von Kaschmir. ˙ ˙ ˙ Ein politisches Sittengemälde aus dem indischen Mittelalter. Kalhanas Ra¯jataran˙gin¯ı ˙ ˙ (Buch 7) mit annotierter Übersetzung kritisch neu herausgegeben von Walter Slaje (Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz. Veröffentlichungen der Fächergruppenkommission für Außereuropäische Sprachen und Kulturen. Studien zur Indologie 4), Wiesbaden 2019, 226–242. Li Xueqin 李學勤 (ed.), Qinghua daxue cang Zhanguo zhujian (san) 清華大學藏戰國竹簡 (叁), Shanghai 2012, 121–131. Reformation Kaiser Siegmunds, ed. Heinrich Koller (Monumenta Germaniae Historica 6), Hannover 1964. Seneca, L. Annaei Senecae Tragoediae, ed. Otto Zwierlein (Oxford Classical Texts), Oxford/New York/Auckland et al. 1986. Seneca, Sämtliche Tragödien. 2 Bde., übers. u. erl. v. Theodor Thomann (Die Bibliothek der Alten Welt. Römische Reihe), Zürich/Stuttgart 1961–1969. Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, ed. Edmund King, übers. Kenworth R. Potter (Oxford Medieval Texts), Oxford 1998.
Literatur David N. Keightley, The Shang. China’s First Historical Dynasty, in: Michael Loewe/ Edward L. Shaughnessy (edd.), The Cambridge History of Ancient China. From the Origins of Civilization to 221. B.C., Cambridge/New York/Melbourne 1999, 232–291. David N. Keightley, The Ancestral Landscape. Time, Space, and Community in Late Shang China (ca. 1200–1045 B.C.) (China Research Monograph 53), Berkeley 2000. Axel Schuessler, ABC Etymological Dictionary of Old Chinese, Honolulu 2007.
Abbildungsverzeichnis
Cover:
Abbildung 1: Abbildung 2:
Ibn al-Muqaffa, Kalı¯la wa Dimna, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits. Arabe 3465, fol. 95v. Old English Hexateuch, British Library, Cotton MS Claudius B IV fol. 59r. Sebastian Brant, Vom Donnerstein bei Ensisheim, Flugblatt von 1492. Universitätsbibliothek Tübingen. Sebastian Brant, Von der Schlacht bei Salins, Flugblatt von 1493. Steiermärkische Landesbibliothek Graz. Wir danken der Steiermärkischen Landesbibliothek für das Digitalisat.
Autorenverzeichnis
Dr. Ulrike Becker SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Macht und Herrschaft in der novellistischen Weisheitsliteratur Kastiliens (1250–1350)« Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Klassische und Romanische Philologie Abteilung für Romanistik Poppelsdorfer Allee 24 53115 Bonn Telefon: +49 228-7354464 E-Mail: [email protected] Felix Bohlen M.A. SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Herrschaftssicherung durch Konsensorientierung: Die Institutionalisierung von Kritik in China von der Antike bis in die frühe Kaiserzeit« Ruhr-Universität Bochum Fakultät für Ostasienwissenschaften Sektion Sprache und Literatur Chinas 44780 Bochum Büro: Universitätsstraße 134, Raum 3.08 Telefon: +49 234 32-19856 Fax: +49 234 32-14265 E-Mail: [email protected]
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Autorenverzeichnis
Dominik Büschken M.A. SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Englische Königsherrschaft im Spiegel der Tyrannenschelte 1066– 1216« Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Geschichtswissenschaft Am Hofgarten 22 53113 Bonn Raum: 2.013 Telefon: +49 228 73-1922 E-Mail: [email protected] Dr. Ann-Kathrin Deininger SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Kaiser und Könige. Macht und Herrschaft im Reflexionsmedium deutschsprachiger Literatur des Mittelalters« Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft Poppelsdorfer Allee 24 53115 Bonn Telefon: +49-228-7354466 E-Mail: [email protected] David Hamacher M.A. SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Prekäre Divinität: sakrale Selbstdefinitionen des Kaisers in Rom im Konflikt konkurrierender Herrschaftsbegründungen« Institut für Geschichtswissenschaft Abteilung Alte Geschichte Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Poppelsdorfer Allee 24 53115 Bonn Telefon: +49 228-7354462 E-Mail: [email protected]
Autorenverzeichnis
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Prof. Dr. Karina Kellermann Apl. Professorin für Ältere Deutsche Philologie Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft Abteilung für Germanistische Mediävistik Am Hof 1d 53113 Bonn Raum: 2.051 Telefon: +49 228 73-9429 E-Mail: [email protected] PD Dr. Alheydis Plassmann Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Geschichtswissenschaft Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte Am Hofgarten 22 53113 Bonn Raum: 1.006 Telefon: +49 228 73-7502 E-Mail: [email protected] Sophie Quander M.A. SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Publizistische Zeitklagen: Invertierte Herrschaftsansprüche in deutschsprachigen Texten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit« Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft Abteilung für Germanistische Mediävistik Poppelsdorfer Allee 24 53115 Bonn Telefon: +49-228-7354473 E-Mail: [email protected]
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Autorenverzeichnis
Dr. Theresa Wilke SFB 1167 »Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive« Teilprojekt »Königsherrschaft im mittelalterlichen Kaschmir, dargestellt nach der Ra¯jataran˙gin¯ı des Kalhana« ˙ ˙ Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Institut für Orient- und Asienwissenschaften Abteilung für Südasienstudien Poppelsdorfer Allee 24 53115 Bonn Telefon: +49 228 73-54474 E-Mail: [email protected]
Ortsregister
Ägypten 254 Arabien 208f. Askalon / Askalun (Scalun) 175f., 178– 180, 182 Anm. 53, 184, 185 Anm 57, 187, 279
Ferrara 220 Flandern 206 Fu; Fu-Moor; Klippen von Fu 21, 22 mit Anm. 3, 25 Frankreich 203 Anm. 14, 206 Anm. 27
Bamberg 88 Anm. 22, 258–260 Basel 196, 198 Anm. 7, 202–204, 219f., 221 Anm. 5, 222 Anm. 6, 231, 286f., 289f. Bath (Treffen von) 112 Battenhein 198 Bethlehem 182 mit Anm. 53, 279 Brabant 206 Breisach am Rhein 227, 287 Bristol (Tower von) 116 Burgund 200f., 203 Anm. 14, 204, 205 mit Anm. 23, 206
Gloucester
Canterbury (Kathedrale) 127 Anm. 7 China 19, 21f. Chu 22 Anm. 2, 32–34, 37 Anm. 60 u. Anm. 61, 38 Anm. 63 Deutschland s. Heiliges Römisches Reich Eichstätt 88 mit Anm. 22, 260 England 17f., 23 Anm. 8, 81, 93, 95f., 102, 104–106, 108, 112, 114, 121, 151 Anm. 7, 256, 262 Ensisheim / Ensißhein (elsässisches Dorf) 195, 197 mit Anm. 5, 198–200, 206, 210, 213 mit Anm. 46, 214, 283
116
Heiliges Land 179, 207, 209 Heiliges Römisches Reich; Römisch-deutsches Reich 17f., 46 Anm. 87, 81, 84, 95f., 195, 197, 202, 204, 207, 210f., 219– 221, 232, 237, 239, 288–290 Hildesheim 97 Hiranyapura 150, 265 ˙ Iberische Halbinsel 125–127, 143 Indien 150, 152, 155 Iran 171 Jerusalem (auch Heilige Stadt) 169, 175 Anm. 28, 176 mit Anm. 37, 178, 181, 182 mit Anm. 53, 186 Anm. 62, 187–189, 209, 279f. Kampanien 54 Kaschmir 149–151, 152 mit Anm. 11 u. 12, 154 Anm. 24, 155, 157, 160 mit Anm. 50, 264 Köln 90 Konstanz (auch Konzil von) 220 mit Anm. 1, 231, 237, 239, 290 Korsika 60
298 Kuang
Ortsregister
39 Anm. 69
Landser (Gemeinde in Frankreich) 195, 210, 213 Anm. 46 Li-Berg 43 Lincoln (Schlacht von) 112 Lohara (Fürstentum) 154 mit Anm. 24, 156, 163–165, 265, 278 Lu (Land) 37 Anm. 59 u. 63, 39 Anm. 69 Lüttich 88, 90, 91 Mainz (Hoffest) 175 Anm. 28 Mandara (kosmischer Berg) 273 Normandie 105, 113, 262 Nördlingen 213 Anm. 46, 260 Nürnberg (Reichstag von) 175 Anm. 28 Österreich
201, 204, 206
Pandateria, Insel (heute Ventotene) Pavia (Konzil von) 231, 290 Peking 28 Anm. 30 Pharsalos (Schlacht von) 70 Philippi (Schlacht von) 71, 253 Pı¯r Pantsa¯l 154 Preßburg 230, 288
54
Qi 36 Anm. 59, 37 Anm. 59, 37 Anm. 63, 39 Anm. 68 Qin 37 Anm. 61, 38 Anm. 63, 39, 41 Regensburg
258
Reutlingen 203 Rom 58 Anm. 22, 60, 70, 94, 183, 233 Anm. 27, 253, 280 Sachsen 82, 83 Salins 195, 204, 206, 212, 213 Anm. 46, 283, 284 St. Alban (Kloster) 287 Siena (Konzil von) 231, 290 Sion (Berg) 209 S´rı¯nagara 150, 164 Stockbridge 113 Stöttera (Jagdgebiet) 261 Straßburg 173 Anm. 17, 196, 198 Anm. 7, 203, 209 mit Anm. 36, 214 Thann 213 Anm. 46 Thrakien 200 Tsinghua-Universität (Peking) 30, 44 Anm. 82, 45 Ungarn
28 Anm.
207, 261, 288
Wallingford (Vertrag von) 115 Westminster 106 Winchester (auch Konzil von) 113, 116 Anm. 64 Wu 39 Anm. 69 Würzburg 257f., 260 Yin 25, 32, 45 Anm. 84 Yu 37 Anm. 61, 38 Anm. 63
Personenregister
Adalbert, Erzbischof von Bremen 84, 85 Adam, biblisch 138 Anm. 59 Adam von Bremen, Chronist 84 Alfons X., König von Kastilien und León 124 mit Anm. 1, 125 Anm. 9, 126, 129, 134, 139, 140 Alfons XI., König von Kastilien und León 138 Albertanus von Brescia, Gelehrter 124, 125, 134 mit Anm. 39, 136–138 Albertus Magnus 126 Alexander der Große 170, 171 Anm. 17, 184, 207 Amadeus von Savoyen, Gegenpapst (Felix V.) 219 Amor 68, 252 Anantapa¯la, Minister 163 Anaxagoras, Philosoph 198 Ann, Ehefrau Richards II. von England 142 Anno II., Erzbischof von Köln 89 Anselm, Erzbischof von Canterbury 93, 94 mit Anm. 46, 95 Anselm von Lüttich 86 mit Anm. 27 Appolinart, Figur in ›Graf Rudolf‹ 174 Anm. 37, 188 Anm. 69 Agrippina Iulia, Agrippina (die Jüngere), Ehefrau des Claudius 59 Anm. 25, 60f., 70 Anm. 66 Arducius de Faucigny, Bischof von Genf 101 Aristoteles 125, 139 Astraea, Mythologie 248
Augustus, Gaius Octavius, Octavian 58, 66, 68 mit Anm. 60, 69 mit Anm. 64 u. 65, 71, 72 mit Anm. 74, 250f. Avantivarmans, König von Kashmir 149 Anm. 8 Baili Xi, Minister, später Eskorte für eine Prinzessin 37 mit Anm. 61 u. 63 Beda Venerabilis, Chronist 104 Anm. 24 Benno, Bischof von Osnabrück 89f., 95 Berenguela I. von Kastilien, Königin 142 Bergmann von Olpe, Johann, Verleger 194, 201f., 210 Anm. 41 Bernhard von Clairvaux, Abt 100 mit Anm. 5, 101 mit Anm. 10, 102 mit Anm. 11, 105–107, 116, 118, 226 Anm. 20 Bernward, Bischof von Hildesheim 95 Bhavasvamin (Erster Minister) 273, 275 Bhiksa¯cara, Königin von Kashmir 154, 161 ˙ mit Anm. 60 Bhoja, Sohn des Harsa 161, 163, 277 Boethius, Philosoph 137 Anm. 55 Brant, Sebastian, Publizist 18f., 193f., 195 mit Anm. 6, 196, 200–202, 205–207, 208 mit Anm. 37, 210, 211 mit Anm. 44, 212f., 232 Anm. 32, 235 Anm. 39, 282f. Britannicus, Sohn des Claudius 70 Anm. 66 Brunetto Latini, Staatsmann 125 Bruno, Bruder Kaiser Heinrichs II. 256 Bruno von Merseburg, Chronist 80f., 90 Brutus, Marcus Iunius Brutus Caepio 70, 250 Bucco, Bischof von Halberstadt 80f., 90
300 Burrus, Sextus Afranius Burrus 55 mit Anm. 10 Byrhtferth von Ramsey, Chronist 92 Caesar, Gaius Iulius Caesar 70 mit Anm. 70f., 249f. Cakravarman, König von Kashmir 153, 264 Canpaka, Minister 148, 150, 163 ˙ Cassiodor, Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus Senator 126, 137 Cassius Dio, Lucius Cassius Dio 57 Anm. 17 Chen Zhen, Schüler von Meister Meng 36 Cicero, Marcus Tullius Cicero 138 Claudius 54, 57 Anm. 17, 58, 60 mit Anm. 28, 66, 70 Anm. 66, 73 Cunneware, Figur in ›Parzival‹ 183 Anm. 61 Da Wu, alt. Tai Wu, König der Shang 246 mit Anm. 18 Di, chin. Gottheit 242 mit Anm. 2, 243 Didda¯, Königin von Kashmir 152 Anm. 24 Dimna (der Schakal) / Digna 127–132, 135, 261 Diotima, personifizierte Weisheit bei Plato 137 Anm. 55 Dietrich, Graf von Holland 86 Dunstan, Erzbischof von Canterbury 92 mit Anm. 40, 93 Eadmer, Chronist 93 mit Anm. 45, 94 Eadwig, König von England 92 mit Anm. 42 Eberhard, Erzbischof von Salzburg 95 Ecgwine, Bischof von Worcester 92 Ernst, Figur im ›Herzog Ernst‹ 188 Anm. 69 Eugen III., Papst 101 Anm. 10 Eugen IV., Papst 218 Faustus, Senator Faustus Cornelius Sulla Felix 55 Ferdinand IV., König von Kastilien und León 142
Personenregister
Fortuna 59 mit Anm. 24, 71 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 197 Friedrich II., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 134, 197, 231 Friedrich III., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 194 Anm. 3, 197, 212 Friedrich, Sagengestalt 220, 228, 230 Anm. 26, 231 mit Anm. 29, 233, 288 Friedrich, junger Adliger 219 Anm. 5, 231 Friedrich von Lantnaw, evtl. Autor der ›Reformatio Sigismundi‹ 231 Fu Hao / Hao, Gemahlin des Wu Ding 22 Anm. 4 Fu Yue, Minister 21, 22 mit Anm. 3, 23 mit Anm. 6, 24, 25 mit Anm. 19, 26 mit Anm. 23 u. 25, 27 mit Anm. 29, 28, 29 mit Anm. 35, 30 mit Anm. 36, 31–33, 35–37 mit Anm. 63, 38, 40, 41 mit Anm. 75, 42f., 44 mit Anm. 82 u. 83 u. 84, 45 mit Anm. 84 u. 85, 46, 67 Anm. 56, 108 Anm. 41, 158 Anm. 51, 176 Anm. 44, 222 Anm. 13, 228 Anm. 23, 233 Anm. 33, 236 Anm. 44, 241–243, 244 mit Anm. 12, 245f. Fulko von Anjou, König von Jerusalem 173 Geoffrey Chaucer, Dichter 125 Anm. 7, 142 Gilot, Figur in ›Graf Rudolf‹ 167, 170, 172, 174 Anm. 37, 176, 178, 179, 181, 182 mit Anm. 57, 183, 184 mit Anm. 62 u. 63, 186 mit Anm. 65, 187, 188 mit Anm. 69, 278 Girabobe, Figur in ›Graf Rudolf‹ 170, 174– 176, 179, 180 Anm. 51, 185f., 278 Goscelin von Saint-Bertin, Chronist 93 Gottfried V., Graf von Anjou 103 mit Anm. 20, 104 Greiyff, Michael, Verleger 201 Gundulf, Bischof von Rochester 93 Guan Yiwu / Meister Guan / Guan Zhong alias Guanzi, Minister 36 mit Anm. 59, 37 Anm. 63, 38, 39 Anm. 68 u. 69 Gunzo, Kustos der Bamberger Domkirche 257
Personenregister
Halap, fiktive Person in ›Graf Rudolf‹ 170, 172, 174–176, 177 Anm. 45, 187 Han Fei, Meister, Autor des ›Han Feizi‹ 38 mit Anm. 65, 39 mit Anm. 67 u. 68, 40 mit Anm. 72, 41 Harsa, König von Kashmir 147 mit Anm. 1, 148 mit Anm. 4, 149–155, 156 mit Anm. 41, 157f., 159 mit Anm. 55, 160, 161 mit Anm. 60, 162–165, 263, 268, 277 Helvia, Mutter Senecas 60 Anm. 30 Heinrich I., König von England 103 mit Anm. 15, 104, 107, 107 Anm. 35, 116, 260 Heinrich II., König von England 113 mit Anm. 61 Heinrich II., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 85f., 86 Anm. 22, 88f., 256, 257 Heinrich III., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 86–89 Heinrich IV., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 80f., 89 Heinrich V., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 103 Heinrich von Blois, Bischof von Winchester 110, 112, 114 Heinrich von Huntingdon, Chronist 107 Anm. 35 Heinrich, Bischof von Würzburg 254 Heribert, Erzbischof von Köln 88f. Himmel, chin. Gottheit 37, 242 mit Anm. 2, 246 mit Anm. 21 Hugh the Chanter, Chronist 93 Hugo von Le Puiset, bzw. von Jaffa, Adliger 173 Humbert de Silva Candida, Gelehrter 83 Anm. 14 Ibn al-Muqaffa, Gelehrter 126, 132, 141 Indra 156, 265, 270f. Irmschart, Königin in ›Willehalm‹ 171 Anm. 18 Iulia Livilla, Nichte des Claudius 60 Anm. 28 Iuno, röm. Göttin 67, 251 Iuppiter, röm. Gott 67
301 Jazube, Informant Dimnas 132 Jia Yi, Gelehrter 46 Jiao Ge, ehemaliger Diener vom letzten Shang-Herrscher 36 mit Anm. 58, 37 Anm. 63, 38 Jie, Xia-Herrscher 244 Anm. 10 Jocelin, Bischof von Soissons 101, 102 Anm. 11 Johannes XXIII., Gegenpapst 217 Johannes Schele, Bischof von Lübeck 235 Anm. 38 u. 40 Johannes von Salisbury, Bischof von Chartres 105 Anm. 27 Johannes von Worcester 102 Anm. 13 Johannes, literarische Figur 170 Anm. 16 Justitia 247 Kalas´a, König von Kashmir 149 Kalhana, Dichter 17, 147, 148 mit Anm. 3 u. 4, 149 mit Anm. 7 u. 8, 150 mit Anm. 10, 151, 153 mit Anm. 30, 154, 156f., 158 mit Anm. 50, 159 mit Anm. 52 u. 55, 161, 163–165, 263 Kali 270 Karl der Große, Kaiser 184, 234 Karl IV., Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 235 Karl VIII., König von Frankreich 200, 202, 203 Anm. 23, 205 Konstantin der Große, Kaiser 222, 223 mit Anm. 15, 224, 228, 230 mit Anm. 26, 232–234, 236, 284, 285 Ksemagupta, König von Kashmir 152 ˙ Anm. 24 Kubera, Gott des Reichtums 270 Lanfranc von Le Bec, Erzbischof von Canterbury 93 Lantbert von Deutz, Dichter 88 Leo IX., Papst = Bruno, Bischof von Toul 83 Lepidus Marcus Aemilius Lepidus 71 Liemar, Erzbischof von Bremen 84 Ling-König, König des Landes Chu 31–34 Louis, literarische Gestalt in ›Graf Rudolf‹ 185
302 Löwe, Herrscher im Fürstenspiegel ›Calila e Dimna‹ 124, 127f., 130–133, 261f. Löwenmutter / Mutter (des Löwen), Herrschermutter im Fürstenspiegel ›Calila e Dimna‹ 124, 128–135, 140, 261f. Lucius, Lucius Cornelius Balbus Minor 56 Anm. 15 Ludwig VII., König von Frankreich 101 Lysias, Brautwerber Philipps im ›Alexanderroman‹ 171 Anm. 17, 184 Marcus Antonius, röm. Politiker 71 Margaretha von Österreich, Herzogin 203 Anm. 23 Maria von Burgund, Ehefrau Maximilians I. 203 Anm. 23 Maria de Molina, Königin von Spanien 139, 142f. Martin V., Papst 218 Mathilda, Kaiserin des Römisch-deutschen Reiches, Regentin von England 99, 103 mit Anm. 19, 104f., 106 mit Anm. 28, 110f., 113, 114 mit Anm. 64, 115 mit Anm. 67, 116–118 Maximilian I., römisch-deutscher König, ab 1508 Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 193, 194 mit Anm. 3, 195 Anm. 5, 196f., 199, 200 mit Anm. 13, 201 mit Anm. 14, 202, 203 mit Anm. 23, 204 mit Anm. 27, 205 mit Anm. 30, 206 Anm. 32, 207f., 210, 211 mit Anm. 43, 212 mit Anm. 48 Mei Ze, Gelehrter 27 mit Anm. 26 Meng, Meister alt. Menzius; Eigenname Meng Ke 35, 36 mit Anm. 54, 38 Megingaud, Bischof von Eichstätt 85 mit Anm. 20, 86 mit Anm. 22 u. 23, 87, 254 Melibeus, Figur in ›Liber consolationis et consilii‹ 123f., 134–138, 142 Messalina, Ehefrau des Claudius 60 Anm. 28 Minerva 67 Mo Di, Meister Mo, Denker 42f., 44 mit Anm. 83 Molina, Tirso de siehe Téllez
Personenregister
Mu-Patriarch von Qin, Fürst von Qin 37 Anm. 61 Mukta¯pı¯da, Lalita¯ditya, Königin von ˙ Kashmir 147, 151, 158 mit Anm. 50, 159, 160f., 165, 272 Nero, Kaiser 18, 51–53, 54 mit Anm. 6, 55 mit Anm. 9 u. 10 u. 13, 56, 57 Anm. 17, 58 mit Anm. 19 u. 22, 59 Anm. 25, 60, 61, 62 mit Anm. 36, 63 mit Anm. 42, 64 mit Anm. 44, 65 mit Anm. 48 u. 49, 66f., 68 mit Anm. 60, 69, 70 mit Anm. 66, 71 mit Anm. 71, 72 mit Anm. 74, 73, 184 Anm. 63, 247–253 Ninus, mythischer Gründer der Stadt Ninive in Assyrien 223 Octavia, Tochter des Claudius, Ehefrau des Nero 51, 54 mit Anm. 6, 55 Anm. 10, 57f., 59 mit Anm. 25, 63 Anm. 41 u. 43, 66 mit Anm. 52, 67, 68 mit Anm. 60, 72f. Oda, Erzbischof von Canterbury 92 Anm. 42 Ofonius Tigellinus, Günstling Kaiser Neros 55 Onofrius, Sohn von Sebastian Brant 208 Anm. 37 Otto von Nordheim, Herzog von Bayern 80 Ovid, Publius Ovidius Naso 54 Anm. 7, 61 Anm. 34 Pedro Gómez Barroso, Bischof von Cartagena 123, 125 Pedro, Maestre Pedro 123, 125, 135, 137, 138 mit Anm. 59, 142 Petrus, Simon Petrus, Jünger Jesu 88, 223, 285 Philipp, Vater Alexanders 171 mit Anm. 17, 184 Plato 137 Anm. 55 Plinius, Gaius, Plinius Secundus Maior Polybios, Gaius Iulius Polybius, Berater Caligulas 60 Anm. 30
Personenregister
Poppaea Sabina, Ehefrau Neros 54, 55 Anm. 13, 63 Anm. 43, 66, 67 mit Anm. 58, 73, 252 Praya¯ga, Minister 163 Prudentia, Figur in ›Liber consolationis et consilii‹ 123f., 127–136, 137 mit Anm. 56, 138, 142 Prüss, Johannes, Verleger 201 Qi Huan-gong, Huan-Patriarch von Qi (ca. 7. Jhd. v. Chr.) 36 Anm. 59, 39 Anm. 68 Qu Yuan, Dichter 21 Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln 95 Renaud de Louhans, Dichter 125 Anm. 7 Richard II., König von England 142 Robert, Earl von Gloucester 18, 40 Anm. 74, 99, 100, 103 mit Anm. 18, 104 mit Anm. 23, 105–107, 109–112, 113 mit Anm. 62, 114–119, 223 Anm. 17, 259f. Robert, Bischof von Bath 102 Anm. 14 Roland, Figur in ›Rolandslied‹ 170 mit Anm. 16, 184 Rubellius Plautus, Adliger 55 Rudolf, Adliger 19, 149 Anm. 6, 167, 170, 172f. 174 mit Anm. 37, 176–181, 183 mit Anm. 60, 184f., 186 mit Anm. 65, 187, 188 mit Anm. 69, 206 Anm. 31, 278f. Rudra, vedischer Gott 270 Saladin, Sultan von Ägypten und Syrien 173 Anm. 28 Salomon, biblischer König Israels 135 Salya, Kaiser 272 Seneca der Jüngere, Lucius Annaeus 18, 51–53, 55, 56 mit Anm. 14 u. 16, 57 mit Anm. 17, 59 mit Anm. 25, 60 mit Anm. 27 u. 28 u. 29 u. 30, 61 mit Anm. 32 u. 33 u. 34, 62 mit Anm. 35 u. 36, 63 mit Anm. 42, 64, 65 mit Anm. 47 u. 48 u. 49, 66 mit Anm. 52, 67 mit Anm. 54 u. 55, 68 mit Anm. 60, 69 mit Anm. 64, 70 Anm. 66 u. 70, 71 mit Anm. 71–73, 128
303 Anm. 17, 137, 175 Anm. 40, 184 Anm. 64, 247, 249–253 Sençebar / Sensebar, Vasall 128, 130, 261 Shizhong, literarische Figur; Unterherrscher; Herr über Fu Yue 28, 242f. Shun, mythologischer Urkaiser; Nachfolger des Yao 36 mit Anm. 57, 37 Anm. 63, 43 Siegmund, Kaiser des Römisch-deutschen Reiches 217, 218 mit Anm. 1, 219–221, 228–230, 232–234, 236, 284, 287f. Silvester I., Papst 222, 223 mit Anm. 15, 224, 228, 230, 232f., 236, 284f. Sima Qian, Schreiber 24 Simhara¯ja von Lohara 152 Anm. 24 ˙ Stephan von Blois, König von England 40 Anm. 74, 99, 100, 102–105, 106 mit Anm. 32, 107–113, 114 mit Anm. 64, 115 mit Anm. 67, 116–118, 223 Anm. 17, 259 Sueton, Gaius Suetonius Tranquillus 54 Anm. 5 u. 6, 64 Anm. 44 Sunna, Oberbefehlshaber 277 S´u¯ra 149 Anm. 8 Sussala 147, 150, 154, 162 Tacitus, Publius Cornelius Tacitus 53 Anm. 5, 54 Anm. 5, 56 Anm. 16, 61, 63, 65 Anm. 48 u. 49 Tang, Herrscher / Shang-Dynastiegründer 40 mit Anm. 72, 244 Anm. 10 Téllez, Gabriel i. e. Tirso de Molina; Mönch u. spanischer Dramatiker 142f. Theobald, Erzbischof von Canterbury 110 Thomas von Aquin 126, 139 Anm. 64 Thomas Becket, Erzbischof von Canterbury 95, 125 Anm. 7 Tiberius 71 Trajan 55 Anm. 9 Tristan, Figur in ›Tristan-Romanen‹ 186 Anm. 65 Trump, Donald 167 mit Anm. 1, 168, 169 Uccala 147f., 150, 161 mit Anm. 60, 162, 263, 271 Urraca I. von León, Königin von Kastilien und Galicien 142 Utkarsas, König von Kashmir 157, 268 ˙
304 Vasuki, die Schlange 271 Venus 67, 248, 252 Vespasian, röm. Kaiser 58 mit Anm. 21 Victor II., Papst Gebhard von Eichstätt 86 Visnu 270 Wazo, Bischof von Lüttich 86f., 181 Anm. 55, 219 Anm. 4 Wei Jia, Vater von Shusun Ao 37 Anm. 63 Wen-König von Zhou 36 Anm. 58, 40 Wen-Patriarch von Jin 39 Anm. 68 Werner von Steußlingen, Erzbischof von Magdeburg 80 Wilhelm I. der Eroberer, König von England 104 Wilhelm II. Rufus, König von England 93 Wilhelm Aetheling, Sohn Heinrichs I. 103 Wilhelm von Malmesbury, Chronist 94 Anm. 46, 99 Anm. 1, 100, 102, 104, 104 Anm. 23 u. 24, 105, 106–108, 108 Anm. 41, 109–113, 114 mit Anm. 64, 115 Anm. 67, 116f., 117 Anm. 71, 118, 119, 259 Willibald, Heiliger 255f. Wolbodo, Bischof von Lüttich 88f. Wolfram von Eschenbach, Dichter 172, 183 Anm. 61
Personenregister
Wu Ding, König von Yin 21, 22 mit Anm. 3 u. 4, 23, 24, 25 mit Anm. 16, 26 mit Anm. 23, 28–30, 32–34, 41, 43, 44 mit Anm. 83, 45f., 228 Anm. 23, 242f., 246 Anm. 18 Wulfsige, Bischof von Sherborne 93 Xun, Meister
44 Anm. 82
Yama, Gott des Todes 270 Yao, mythologischer Urkaiser 36 Anm. 57, 37 Anm. 63, 43 Yi Yin, Ratgeber 40 mit Anm. 72 Yolante von Aragón, Königin von Aragón 142 Zhòu, letzter Shang-Herrscher 40 mit Anm. 73 Zhuang-König, König von Chu (reg. 613– 591 v. Chr.) 37 Anm. 60 Zi Xu, Würdenträger 39 Anm. 69 Zizhang, Herr von Bai, königlicher Würdenträger 31–34 Zu Ji, Ratgeber 22 mit Anm. 3 u. 5, 23 Anm. 6
Sachregister
Abbild 25, 32, 129, 242 Abendländisches Schisma / Alexandrinisches Schisma / Kirchenschisma 95, 217, 219 Abstammung, siehe genus 58 Anm. 21, 67, 256 Abwertung 45 Ächtungsliste 71 Adel 104, 252 Adnominatio 196 Adoption 113 Adressat / Adressatengruppen / Adressatenkreis 33f., 37, 46, 201, 210, 220 advocatus universalis 235 Affekt / Affekthandlung / Affektkontrolle / Affekttaten 61, 68, 128, 134, 170f., 185 Agonie 42 Ahn / Ahnengeist / Ahnenkult / Ahnenkultverehrung 22 Anm. 4, 23 Anm. 6 Akklamation 93 Akteur / Hauptakteur 102, 107, 110, 116, 119, 132, 164, 171 / 115, 117 Akzeptanz 70, 103, 131, 178, 180 Allegorese 200 Allegorisierung 136 Almosen 83, 89 alte Gesetze, siehe lex patria 111 Amt-: Amt / Amtskompetenz / Amtsträger / Amtsvergabe / Amtsinhaber / Amtseinsetzung, Amtsbezeichnung / Amtsbruder / Hofamt / Staatsamt 15, 17, 18, 20, 21, 25, 36, 37f., 43, 80f., 95, 99, 101, 111, 149, 150, 163, 207, 233, 245, 254, 256 Anarchie 102, 119
Anekdote / Ratgeberanekdote 31–33, 89, 112, 158, 160f., 165 Anerkennung 103, 104 Anführer / Führer 64, 71, 80f., 94, 104, 250f., 253 Anklagepunkte 88 Anmaßung 115, 130 Anrede 129, 178, 184 Ansehen 43f., 156, 158–160, 187, 203, 210, 273–276, 280 Ansprache 52, 81, 106, 220 Anspruch / Autoritätsanspruch / Herrschaftsanspruch / Thronanspruch 104, 116, 118, 154, 184, 217, 235, 260 Antagonismus / Antagonist 94, 172 Antipathien 104 Anweisung / Handlungsanweisung 30, 126, 194, 200, 220 Apotheose 218 Anm. 1 Argumentation / Argumentationsprogramm / Argumentationsstruktur 68, 129, 131, 171, 185, 225, 233 Astrologie / Astrologe 212f. Aufforderung, siehe Handlungsaufforderung / Rezeptionsaufforderung 17, 29, 34, 106, 129, 200, 205, 224f. Auflehnung 68 Aufruhr 147, 210 Aufstand 33, 73, 81 Aufstieg, siehe soziale Mobilität 25, 44, 46, 160, 186, 188, 210, 265, 274, 276 Auftrag / Auftraggeber, siehe Beauftragung 126, 140, 170, 172, 180, 264 Aufwertung 45, 46, 140
306 Auguren, siehe Mantiker 203 auriga virtutum, siehe Lenkerin der Tugenden 126 Ausbeutung 149 Aushandlungsprozess 235 Außenseiter / Außenstehender 94, 218, 228, 230, 232, 234f., 237 Autor-: Autor / Autorschaft / Autorsignatur 18, 28, 31, 47, 55–57, 61, 63, 83, 85, 87, 89, 107, 124f., 138, 195, 199, 201f., 211f., 222, 234 Autorisierung / Autorisierungsmanöver 128, 136 Autorität / Autoritätsanspruch / Autoritätsverlust 18, 62, 90, 100f., 104, 112, 128–132, 135, 208, 217, 219, 228, 230, 234, 237 auxilium et consilium, siehe consilium et auxilium auxiliatores, siehe Unterstützer 107 Beauftragung, siehe Auftraggeber 136 Beamtenapparat 212 Bedrohung 38, 66, 70, 208 Befähigung 15–17, 19f., 39, 99, 119 Befehl, siehe Mordbefehl / Befehlsgeber 28, 32, 63, 86, 242f., 245, 248f., 277, 280 Beförderung 28, 44 Befreiung 60 Beglaubigung / Beglaubigungsstrategien 18, 20, 60, 67, 149 Belehrung 217 Bequemlichkeit 38 Berufung 25, 60, 83, 178, 236 Bescheidenheitstopos 178, 230 Beschützer 156 Beschwerden 80 Besonnenheit, siehe templanza 134 Bestimmungsgewalt 32, 34 Bestrafung 87, 128, 131, 133, 141 Bewachung 114 Beweggrund 160 Bewertung 158, 213 Bewunderer / Bewunderung 57, 89 Bildung 15, 19, 83, 185
Sachregister
Bischofserhebung, siehe Erhebung 84, 91, 93 Bischofsgeschichtsschreibung, siehe Geschichtsschreibung 82 Bischofsgesta, siehe Gesta 82 Blutslinie / Blutsverwandter / Nahverwandter 43, 68 Bluttat / Blutvergießen 69, 70f., 250f. Bosheit 59, 247 Botschaft / Negativbotschaft 117, 198 Brahmanen 148–150, 152, 263 Brandrede 80, 90 Chaos 42 Charakter / charakterlich 101, 107, 108f., 111, 118f., 165, 257, 259 Charta, siehe Krönungscharta 106 Christen-: Christen / Christenheit / Christenverfolgung / Christentum 172, 177, 187, 209, 223, 229, 230, 232, 278, 285, 288f. clementia 61, 69, 70, 72, 88 colloquium, siehe Unterhaltungen 109 consensus, siehe Zustimmung 70 consilium et auxilium, siehe auxilium et consilium 80, 99, 118 correctio 16, 81, 91 credulus, siehe Leichtgläubigkeit 108 Darstellung-: Darstellungsabsicht / Darstellungsmodi / Darstellungszweck / Darstellungszusammenhang / Darstellungsweisen 81, 90, 136, 142, 230, 233 Defizit 90, 118, 139 Dekonstruktion 113, 115 Delegitimierung 119 dementia, siehe Wahnsinn 70, 250 Demut / Demutsgeste 91, 224, 230 Demütigung 87 Destabilisierung 33 Dialog-: Dialog, siehe Ratgeberdialog / Dialogform / Dialogforschung / Dialogmuster / Dialogpartien / Dialogpassage / Dialogpartner / Dialogsequenzen 19, 68, 127, 134, 136, 151, 179, 221f., 225–228, 233f., 237, 285
Sachregister
Dienst-: Dienst / Dienstanweisung / Dienstmann / Dienstherr / Königsdienst 28, 30, 32f., 36, 37, 38–42, 45, 83f., 86, 90f., 95, 101, 107, 174, 182, 243, 245, 255, 260, 280 Dissens 46, 155, 264 Druck-: Druck / Einblattdruck / Raubdruck / Buchdruck 193, 201–203, 211f. Dynastie, siehe Genealogie / Kaiserdynastie / Dynastiegründer 22, 57f., 66, 73, 152 Ehr-: Ehre / Ehrenplatz / Ehrentitel / Ehrerbietung / Ehrverlust 16, 111, 159f., 165, 175, 181, 186, 199, 200, 203, 206, 208, 250, 257, 279, 280f., 288 Eid / Eidbruch 80, 103, 106, 109, 116, 225f., 286 Eifersucht / eifersüchtig 128, 262 Eigenlob 168 Eigennutz / Eigennützigkeit / eigennützig / uneigennützig 16, 19, 101, 113, 117, 119, 149 Eigenschaft, siehe Beratereigenschaft / Herrschereigenschaft 124, 127, 133, 135, 137, 142, 175f. Eigenständigkeit / eigenständig 94, 114 Eignung 43, 67, 81, 119 Einfluss / Beeinflussung 16, 55, 65, 84, 92f., 95, 104, 113, 117, 132, 141 Einigkeit / Einstimmigkeit 151f., 164, 210 Einsetzung / Amtseinsetzung 149, 165 Elite-: Elite / Elitendiskurs / Elite(n)schicht, siehe Herrscherschicht / Ratgebereliten / Herrschaftseliten / Entscheidungseliten 24, 31, 34f., 38, 41, 45f., 170, 178, 211, 217, 220 Emotion / emotional 131, 135, 170f., 184, 220 Empfang 174, 180f., 186, 278 Empfehlen / Empfehlung / Empfehlungsschreiben / Handlungsempfehlung 101, 105, 113, 116, 119, 124, 131, 151, 162, 176, 177f., 185 210, 237 Entlastung 117 Entscheidung-: Entscheidung / Entscheidungseliten / Entscheidungsfähigkeit /
307 Entscheidungsgremium / Entscheidungsprozess / Entscheidungsträger / Entscheidungssituation 17, 34, 102, 107, 117, 124f., 128, 133, 140, 163, 220, 229, 233 Entschluss 54, 114, 163 Erbe / Erbland / Erbrecht 203–205 Erfolg / Erfolgsaussicht / Erfolgsgeschichte 39, 105, 111, 115f., 131f., 137, 201, 211, 235, 271 Erhebung, siehe Bischofserhebung 83f., 86 Erkennen / Erkenntnis / Erkennung / Selbsterkenntnis 109, 128–130, 133f. Erklärmuster / Erklärungsmuster 117, 132 Ermahnung / Ermahner, siehe Mahner 30, 81, 85–87, 89–91, 93f. Ermittlung 141 Ermordung, siehe Mord 55, 64, 249f. Erster unter Gleichen, siehe primus inter pares 69 Erster/Oberster Minister, siehe sarva¯dhika¯rin 150 Erwartung / Erwartungsdruck / Erwartungshaltungen 29, 41, 81f., 89, 95, 161, 186–188, 225, 229 Erzähl-: Erzählung / Erzählen / Erzähldynamik / Erzählebene / Erzählschemata / Erzählstimme / Erzählweise / Erzählstoff / Erzählstück / Erzählelement / Erzähler / Erzähler-Ich / Erzählinstanz / Erzählkontext / Erzählmotiv / Erzählmuster / Erzählsequenz / Erzählstruktur / Erzählvariante / Rahmenerzählung / Erzählstoffelemente / Klostererzählung 27–35, 37, 40f., 44–47, 81, 83, 87– 90, 92–94, 102, 109, 111, 116–118, 124, 126–129, 131, 141f., 151, 175f., 181f., 185f., 220–222, 224f., 227–234, 279 Erzieher, siehe Prinzenerzieher / ErzieherFigur 18, 55, 60f., 63, 65f., 71f. Erziehung 83, 95, 187 Ethik / ethische Tugend 64, 139 Exempel-Anekdote 33f., 45, 176 Exil / Exilierte 60, 61, 95, 249
308 fabula praetexta 52 facilitas mors, siehe gutes Wesen 109 Fähigkeit 22, 42, 72, 83, 99, 108, 114–118, 128, 138–140, 149, 178, 193, 213, 268 Falschheit 113 Fatum 61 Favorit 186, 188 Fehler 90, 92, 111, 118, 165, 271 Fehlverhalten 124, 237 Feind / Feindschaft / Staatsfeind 64, 70, 72, 116, 153, 156–162, 199, 203, 249, 250, 264, 268f., 272 Feldherr / Bürgerkriegsfeldherr / Feldzug 28, 72 Fest-: Fest / Festgebaren / Festplatz / Festtage / Festvorbereitungen / Festvorhaben / Festgelände / Versöhnungsfest / Friedensfest 170f., 174, 181f., 184, 186– 188 Feudalrecht 124 Fides, siehe Treue 61, 67, 247 Figur-: Figur / Figurenaussagen / Figurenbild / Figurenebene / Figurenkennzeichnung / Figurenkonstellation / Figurenpersonal / Figurenrede / Figurentypologie / Galionsfigur / Hauptfigur / Herrscherfigur / Ratgeberfigur / Ratgeber-Figur / Schlüsselfigur 16–18, 23, 25f., 28–34, 37, 40f., 43, 45f., 53, 55f., 59, 62f., 65, 85, 89, 94, 100, 102, 105–108, 111, 113f., 116–119, 136, 174–176, 188, 195 Flucht 111, 152, 154f., 162–164, 251 Flugblätter / Flugschriften 194, 201, 210– 212 Forderung / Reformforderung 43, 186, 220, 234, 237 Fortuna 59, 71, 247, 249f., 252 Forum / Foren (der Kritik) 126, 128, 130, 235 Frauenschelte, siehe Scheltrede 130, 135 Frauenlob 136 Freiheit 80, 108, 110, 112f. Freitod 21 Fremdscham 185
Sachregister
Freund / Freundschaft / Freundschaftsbund 57, 70, 128, 185, 203, 254f., 262, 269 Frevel 249, 250, 253 Frieden-, siehe Landfrieden: Frieden / Friedensfindung / Friedensangebot / Friedensschluss / Friedensstifter / Friedensvertrag / Friedenskönig / Friedensfest / Friedensstörer 61, 69, 110, 112, 116, 170, 174, 179, 180, 183, 185– 188, 230, 235, 250, 259f., 265, 289 Frömmigkeit 91, 94 Fügung 21, 93, 116, 200 Furcht, siehe metus 64, 71f., 133, 155f., 158, 209f., 248–251, 264–267, 269, 272 Fürsprecher 47, 66 Fürst-: Fürst / Fürstenopposition / Regionalfürst / Kirchenfürst / Kurfürst 17f., 21, 28, 32, 35, 39, 42, 70, 80, 94, 177–182, 185, 204, 211, 249, 250, 253, 264, 276, 279, 288 Fürstenspiegel 31, 61, 124–126, 140 Galionsfigur / Lichtgestalt 218f. Gattung / Gattungsbegriff / Gattungskonvention 52, 220, 222 Gebet 229 Gebot 223–226, 286 Gefahren 38, 137 Gefangennahme / Gefangenschaft 110– 112, 114, 116, 157, 159 Gefängnis / Gefängnismauern 43, 131, 261 Gefolg-: Gefolge, siehe mesnada / Gefolgschaft, siehe Getreue / Gefolgsleute / Gefolgsmann 107, 111–116, 130, 133, 162f., 174, 181, 264, 272 Gegenbild 172 Gegenpart / Gegenpartei 173f. Gegenrede 180 Gegenpapst 95, 217, 219 Gegenseite 116 Gegenspieler 80, 265 Gegner 70, 72, 81, 147, 155, 161f., 182, 198, 261, 267 Geheimabsprache / Geheimnis 31, 130
Sachregister
Gelehrte, gelehrt 150f., 194f., 198, 200, 206, 235, 271, 289 Geliebte 54, 92 Gelübde, siehe Mönchsgelübde 225–227, 229, 286, 289 Gemeinschaft 178, 230 Genderaspekt, siehe Geschlechteraspekt 19, 135f. Genealogie, siehe Dynastie 230 generositas 89 Genre / genretypisch / genre-beschränkt 18f., 45, 81f., 90, 195 Genugtuung 203 genus, siehe Abstammung 62, 67, 247f., 252 Gerechtigkeit 109–112, 116, 134, 203, 288 Gerechtigkeit, siehe Iustitia 61, 111, 250 Gerichtsbarkeit / Gerichtsverhandlung 128, 133 Gerücht 154, 260 Gesandter 125 Geschichte (i. S. v. Erzählung) 16, 22–26, 28–30, 33, 45f., 60, 89, 105, 117–119, 148, 151, 159, 160, 228 Geschichtsschreiber / Historiographie / historiographisch 54f. / 81, 90, 92, 100, 102, 117 Geschichtsschreibung, siehe Bischofsgeschichtsschreibung 82, 99, 104 Geschicklichkeit 90 Geschlecht (i. S. v. Familie) 62, 161, 247f., 251, 275, 277 Geschlecht (i. S. v. Frau/Mann) / Geschlechterfrage / Geschlechteraspekt, siehe Genderaspekt 103, 114, 132 Gesellschaft / Ständegesellschaft 92, 153, 156, 169 Gesellschaftsentwicklungen 46 Gesetz, siehe Reichsgesetz / Gesetzestext / Gesetzeskodex 111, 124, 140, 236 Gesetzesvorlage 235 Gesetzlosigkeit 128, 248 Gespräch-: Gespräch / Gesprächsszenen / Gesprächspartner(in) / Gesprächsverlauf / Gesprächsparteien / Gesprächssituation / Gesprächsteilnehmer / Ge-
309 sprächsschablone / Streitgespräch / Zwiegespräch / Beratungsgespräch 30– 32, 36, 53, 62–68, 73, 129, 132, 136, 148, 151, 158, 161, 164, 179, 181, 185, 188, 227f., 233 Gesta, siehe Bischofsgesta 79, 81–88, 90f., 93–95 Getreue, siehe Gefolgschaft 116, 261, 262 Gewalt / Herrschergewalt / Herrschaftsgewalt 70, 72, 128, 137, 224, 250, 285 Gewissen 93, 232 Glaube / Glaubwürdigkeit 106, 156, 224, 285, 290 Glück / Glücksrad / Glückssträhne / Glückversprechendes 163, 199f., 204f., 210, 244f. Goldene Bulle 236 Gott (christlicher) 93, 100, 113f., 177f., 180f., 199, 200, 203f., 206–210, 224, 226– 230, 232f., 255, 257, 278, 285f., 288f. Gottheiten (heidnische) / Götter / Götterpaar / Göttinnen 59, 67, 69, 70, 71, 156, 250–256, 270, 273 Große(n) (des Reiches), siehe los majores / los mejores 18, 80, 103f., 109, 111, 116, 128, 130f., 260 Großzügigkeit 110 Grundtugenden 101 Gunst 60 Anm. 28, 86, 88, 113, 250, 259 Günstlingswirtschaft 44 gutes Wesen, siehe facilitas mors 109 Gutmütigkeit 109 Gynäzeum 153, 263 Handeln / Herrscherhandeln / Ratgeberhandeln 14, 31, 33, 42f., 46, 67, 115, 119, 124, 128, 131, 133f., 137, 141, 160, 175, 178, 180, 186, 261, 273, 276 Handlung-: Handlung / Handlungsanleitung / Handlungsanweisung, siehe Anweisung / Handlungsaufforderung, siehe Aufforderung / Handlungsdruck / Handlungselemente / Handlungsempfehlung / Handlungsfähigkeit, siehe Fähigkeit / Handlungsmacht / Handlungsmaxime / Handlungsmuster /
310 Handlungsspielraum / Handlungsnotwendigkeit / Handlungsrichtschnur / Handlungsweise / Handlungskern / Handlungsabsichten / Verhandlung / Rahmenhandlung / Affekthandlung 17, 24, 25, 26, 28, 35, 40, 44f., 53, 59, 61, 66, 73, 85, 91, 95, 106, 117–119, 124, 126– 128, 131, 133, 140, 159, 170, 185f., 194, 200, 220f., 224, 230, 237, 256 Harem / Haremsfrau 141, 153f., 162, 264 Hausherr 130 Heer / Heerlager 156f., 159, 177, 200, 202, 248 Heiden / Heidenkönig 90, 172, 182, 205, 207, 257 Heilige 82, 88, 223f., 285 Heilsgeschichte 200 Held / Heldentum 186, 233, 235, 279 Herkunft 37, 44, 70, 250, 257 Herrschaftsanspruch 235 Herrschaftsantritt 60, 61 Herrschaftsauffassung 72 Herrschaftsausübung 32, 34 Herrschaftsbereich / Herrschaftsgebiet 224, 230, 244 Herrschaftsdiskurs 53, 234, 237 Herrschaftseliten, siehe Eliten 45 Herrschaftsführung 53, 68 Herrschaftsgeschehen 141 Herrschaftsgewalt 224 Herrschaftsideal 234 Herrschaftsinstitution 44 Herrschaftsordnung 36 Herrschaftspraktiken 34 Herrschaftssystem 38 Herrschaftsstruktur 118 Herrschaftsträger 14, 34, 40, 42–44, 170, 182, 234 Herrschaftsübernahme 71 Herrschaftsverbände 129 Herrschaftsverhältnis 183 Herrschaftsverständnis 17, 134 Herrschaftszeichen 182 Herrscherbild 230 Herrschereigenschaften 124 Herrscherfähigkeiten 140
Sachregister
Herrscherfigur 25, 31, 37, 41, 45, 230 Herrschergewalt 224, 285 Herrscherhof 35, 188 Herrscherideal 66, 73 Herrscherkritik 14, 16, 30, 32–34, 124, 171, 188, 235 Herrscherlob 207 Herrschermutter 128 Herrscherpersönlichkeit, siehe Persönlichkeit 233 Herrscherrat 207 Herrscherschicht, siehe Elitenschicht 46 Herrschersitz 186 Herrschertugend 16, 34, 39, 41, 69, 130, 139 Herrscherverhalten 33 Hierarchie / Ständehierarchie / Hierarchieverhältnis 18, 149, 224, 226 Himmelssohn (höchster Herrscher) 43 Himmelszeichen, siehe Zeichen 197, 201 Hirte / Seelenhirt / Oberhirt 80, 83, 87f. Hochmut, siehe superbia 6, 100, 115, 200 Hochverrat 158 Hochzeit / Hochzeitsfackeln 66, 73, 252 Hof-: Hof / Hofamt / Hofambiente / Hofdiener / Hofhaltung / Hofintrige / Hofschreiber / Hofwürdenträger / höfisch / Höfling / Hofzirkel 17, 21, 24f., 28f., 32, 38, 39, 43, 47, 60, 63, 65, 83–86, 88f., 91–93, 95, 125, 127, 152, 162, 172, 178, 182, 184–188, 207f., 211–213, 233, 243, 245, 251, 256, 286 Höflichkeit 183, 184 Holzschnitt 195f., 201f., 208 Humanist / Humanistenkreis 193–195, 198, 200, 208, 211, 282 Ideal 19, 52, 81f., 85, 105, 112, 156 Idealbild 19, 64, 70f., 139, 223 Idealgestalt 222, 231 Idealherrscher 34 idealisiert 32f., 41, 57, 91f., 109 Idealkonstellation 30 idealtypisch 16, 119 Idealvorstellung 101 Idealzustand 225
Sachregister
Idoneität 114–117 Illoyalität 113 Immunität 80 impietas, siehe Ruchlosigkeit 62, 248 Inadäquatheit 135 Informant 130–132 Informationsmedium, siehe Medium 132 Inkompetenz 17, 164 Insignien 182, 187 Inszenierung 87, 126, 228 Integrität 101, 149 Intentionen / Kritikintention 16f., 31, 41, 109, 131, 142 Interaktion 95 Interesse / Reichsinteresse 34, 84, 86, 100, 162, 169, 174, 207, 219 Intervention 83 Intrige / Hofintrige 16, 60 Invokation 180 Iustitia, siehe Gerechtigkeit 111 Ja-Sager 135 Jurist 194, 207, 213 Justiz 133 Kaiser-: Kaiser / Kaiserbiographie / Kaiserdynastie / Kaisergattin / Kaiserhof / Kaiserin / Kaiserpaar / Kaiserreich / Kaiserthron / Kaisertum / Kaiserzeit 25, 43, 52f., 55f., 58–73, 85–89, 170, 181f., 184–187, 197, 217–220, 223f., 228–230, 232–237, 255–257, 272, 279, 280, 284f. Kardinaltugend 124, 134 Karriere 60 Katastrophe 62, 103 Kategorie / Kategorisierung / Grundkategorien 11, 14, 16, 127 Kernkompetenz 138 Keuschheit, siehe pudor 67, 225, 252f. Kirchenfürst, siehe Fürst 94 Klage, siehe Zeitklage / Klagelied 21, 59, 61, 176, 235 Klarsicht (ming 明) 34, 39,
311 Klugheit, siehe Staatskunst / Phronesis, siehe nı¯ti-s´a¯stra) 40, 119, 124f., 134, 137, 140 Kollektiv 19f., 109, 151, 203, 223 Komet, siehe Meteorit / Kometenfall, siehe Meteoritenfall / Meteoriteneinschlag / Meteoriten-Flugblatt 193, 196–198, 200f., 204f., 208, 210–212, 282 Kommunikation-: Kommunikation / Kommunikationswissenschaften / Kommunikationsbedingungen / Kommunikationskonvention / Kommunikationsraum / Kommunikationsstrategien / Kommunikationssituation 52, 221f., 232–235 Kompetenz-: Kompetenz / Kernkompetenz / Redekompetenz / Kompetenzbereich 15, 39f., 43, 99, 100, 109, 138, 208, 213, 233–235 Konflikt / Konfliktpotenzial 90, 100, 103– 105, 107, 110–113, 117–119, 129, 150, 186–188, 217f., 233 Konfrontation 58, 68 König-: Königin / Königsdiener / Königsdienst / Königsfamilie / Königsgeschlecht / Königsherrschaft / Königshaus / Königshof, siehe Hof / Königsweihe 17–19, 21f., 25, 28–32, 42f., 45, 79–81, 83–87, 89–93, 95, 102f., 107–112, 114f., 124, 127–132, 140–142, 147–149, 151–161, 163–165, 170f., 177–188, 200f., 204, 207f., 210–212, 228, 230f., 233, 235, 237, 242–246, 254f., 260, 263f., 268, 272, 275f., 278f., 280 Konkurrenzsituation 129 Konsens 152, 180, 184 Konstellation-: Konstellation / Figurenkonstellation / Herrscher-RatgeberKonstellation / Idealkonstellation / Grundkonstellation 16–20, 30, 35, 45, 53, 64f., 99, 105, 111, 119, 136, 141, 228 Konsultation 31 Kontrahentin 135 Konzil-: Konzil / Konzilsdichter / Konzilsteilnehmer / Konzilsverhandlungen /
312 Konzilsversammlung 111, 217–219, 221, 229, 235, 237, 289 Kooperation 105, 201 Krankheit 29, 159, 230, 232, 244, 289 Krise / krisenreich 90, 124, 134, 138, 218 Kriterium, Kriterien / Antikriterien / Ausschlusskriterien 15, 18, 38, 43f., 127, 175f. Kritik-: Kritik, siehe Zeitkritik / Kritiksituation / Kritik-Aktionen / Kritiker / Kritikerin / Kritikintention / Kritikpunkt / Kritikmuster / Herrscherkritik / Selbstkritik) 11, 14, 16, 19, 30, 32–34, 41, 43f., 52, 80f., 84f., 87f., 90, 92, 94, 107f., 124, 126–128, 131–133, 135, 137, 139–142, 149, 151, 164, 167–169, 171, 176, 183f., 188, 213, 225–227, 229, 232, 235, 236 Kritisierungsprozess 133 Krone 105, 110, 114, 116, 171, 181f., 187, 197, 205, 209, 279 Kronprinz 161f. Krönungscharta, siehe Charta 106 Krönungsmahl 92 Kurfürst, siehe Fürst 211 Lachen / Gelächter 168–171, 183–185, 188, 257 Landfrieden, siehe Frieden 236 Laster 80, 92, 112, 248, 264 laudatio temporis acti 222 Laufbahn 83 Legat 110, 113 Legitimation 58, 224 Legitimationsstrategie 133, 236 Legitimierung / Delegitimierung 15, 119, 136 Legitimität 52 Lehrer / Universitätslehrer 52, 60, 65, 67f., 70f., 73, 194 Leichtgläubigkeit, siehe credulus 108 Leitfaden 42 Leittugend / Primärtugend 138f. Lenkerin der Tugenden, siehe auriga virtutum 126 lex patria, siehe alte Gesetze 111
Sachregister
libertas ecclesiae 80 libido, siehe Wollust 62, 248 Liebe 64, 71, 101f., 106 Liebhaber 153, 265 List 140, 179, 248, 278 Lösung 110, 112f., 119, 124, 152, 161, 165 Lösungsansatz / Lösungsvorschläge 42, 110, 164 Loyalität / Illoyalität 104, 111, 113, 116 luxuria, siehe Zügellosigkeit 62 Luxus 152 Macht 17, 20, 34, 46, 64, 66, 72, 112, 117, 133, 135, 141, 154, 170, 182f., 188, 224, 227, 253, 266, 285 Machtautorität 237 Machtausübung 141, 234 Machtdemonstration / Demonstration von Macht 170, 182, 187f. Machtdiskurs 53 Machterhalt 133, 141 Machtgefüge 104, 110 Machthaber 72f. Machthaberin 142 Machtkampf 217, 219 Machtpartizipation 46 Machtpartizipationsansprüche 46 Machtstellung 69 Machtübernahme 162 Machtverhältnis 136 Machtverlust 128, 133, 135, 148 Machtvorstellung 17 Mahn-Instanz 26, 30, 45 Mahner, siehe Ermahner 90, 92–94 Mahnschrift 15 Mahnung / Ermahnung 29f., 45, 81, 85, 87, 89–91, 93, 94, 165, 200, 204, 210 los majores / los mejores, siehe Große / die Großen 130 Mandat 26, 200, 243, 246, Manipulierbarkeit 110, 165 Mantiker, siehe Auguren 203 mantra, siehe Plan 149 Anm. 5, 160 mantrin, siehe Regierungsminister 149 Anm. 5 Medialität 15, 16, 22f.
313
Sachregister
Medium, siehe Informationsmedium / Medien 17, 19, 168, 193, 233 / 132 Mehrsprachigkeit, siehe Zweisprachigkeit 193, 195, 211f. Meineid / Meineidige / meineidig 226, 232, 286 Meinung / Meinungsverschiedenheiten / Meinungsbildner 80, 109, 151, 163, 194 Meister 35f., 38, 42, 223, 280, 284 Memoria 207 mesnada, siehe Gefolge 130 Messe 89 Metapher / Metaphorisierung 142, 155 Meteorit, siehe Komet / Meteoritenfall, siehe Kometenfall 193, 195, 198, 200, 204f., 208, 210–212, 282 metus, siehe Furcht 70, 247, 250f. Milde 61, 64, 69, 70, 72f., 91, 249 Minister-: Minister / Ministerialherzog / Ministerstab / Regierungsminister, siehe mantrin / gong 公 / sangong 三公 21, 25, 32, 42–44, 148–165, 241, 244, 263, 265, 273, 276, 277, Minnemotiv 172 Misere 108 Missachtung / Missbilligung 87, 106, 113, 117 Misserfolg 183 Missgunst 59, 247, 250 Mitregent 104 Mittelsmann / Mittlerin 132, 137 soziale Mobilität, siehe Aufstieg 46 Monarch 22, 26, 29, 33, 37, 39, 41 Monarchie / Monarchiekonzeption 134, 140 Mönchsgelübde, siehe Gelübde 225 Moral / Arbeitsmoral 34, 44, 89, 92, 140 Mord, siehe Ermordung 56, 71, 73, 157, 159f., 164f., 248, 251 Mordbefehl, siehe Befehl 64 Anm. 44, 66, 73 Motiv (i. S. v. Beweggrund) / Motivation 92, 101f., 106, 109, 112, 129, 137, 160 Mündlichkeit 221f. Muslime / muslimisch 170, 172, 174–177, 180, 187, 278
Mythos
61
Nachdenklichkeit 184 Nachfahren 248 Nachfolge-: Nachfolge, siehe Nachfolgeregelung / Nachfolger / Nachfolgerin 55, 60, 82, 84, 103, 218 Nachkomme / Nachkommenschaft 73, 161, 251 Nachlässigkeit 35, 38, 132, 226 Nachruhm 155, 158, 207 Nachteil 109, 183 Nähe (i. S. v. Herrschernähe) 15, 17–19, 119, 131, 186, 222 Narration / Historie 220, 233 Narrativ / Herrschernarrativ 25f., 46, 72, 107, 113, 117f., 234f. Negativbild / Negativbeispiel 34, 117 Negativfolie / Negativbotschaft / Negativschablone / negative Kontrastfolie 19f., 58, 116, 198 Neid / Neider 92, 186, 262 Nepotismus 44 Neuordnung 219 Nichtannahme 33 Niedergang 163 Niederlage 105, 151, 156, 158f., 203, 205 Niedertracht 60 nı¯ti-s´a¯stra, siehe Phronesis 140 Nobilität 69 Norm 141, 167, 170 Normüberschreitung 169, 184f. Notlage 164 Obedienz 95 Oberbefehlshaber 163f., 277 Oberflächlichkeit 109 Oberschicht 55, 72 Obrigkeit 219 Offenbarung 223, 229, 289 Offensive 131 öffentlicher Raum 53 Öffentlichkeit 19, 90, 170, 179, 185, 194f., 212 Omen 201 Opfergabe 181
314 Opponent 94 Opportunismus 149 Opposition / Fürstenopposition / Widerstand 81, 90, 94, 244, 257 Orakel / Schildkrötenorakel 28, 242f. Ordnung / Herrschaftsordnung / Weltordnung 35f., 42, 62, 90, 119, 136, 152, 184f., 208, 230, 288f. Palas 181, 186, 278 Palast / Palasthof / Palasttor 63, 161f., 243 Panegyricos 205f. Panegyrik 105 Partei / Gegenpartei 46, 102, 104f., 110f., 113, 116, 172f., 180, 203 Passivität 131 Patt 112 Penaten 71, 251 Performanz 16, 169 Performativität 222 Personalisierung 126, 142 Personifikation 47, 61, 137 Persönlichkeiten / Denkerpersönlichkeit / Herrscherpersönlichkeit 35, 37, 53, 233 Pflicht-: Pflicht / Sohnespflicht / Pflichtenheft 21, 71, 80, 83f., 90, 99, 118, 124, 131, 149, 155–157, 175–176, 206, 264 Philosoph / Naturphilosoph 35, 52, 57, 61f., 198 Physiognomik 44 pietas, siehe Sohnespflicht 71 Plan, siehe mantra / Planung / Reformplan 32, 34, 44, 137, 154, 160, 170, 183, 184, 187f., 201, 213, 219, 235, 257 Plünderer 162 Politik / Reichspolitik 92, 193, 213 Politiker 52, 62 Positives Bild / Positivbeispiel 34, 89 Potenz 154 Potenzial / Adaptionspotenzial 53, 63, 132, 136, 139, 142 Prachtentfaltung 187 Präfekt / Prätorianerpräfekten / praefectus 55, 63f., 248 Pragmatik 126, 200
Sachregister
pra¯ptaka¯la, siehe zeitgemäß / zweckmäßig 156 Prätendent, siehe Thronprätendent 58, 150, 152 Priesterkönig 220, 228, 231, 233, 237 Priesterstand 149 primatum, siehe Vorherrschaft 135 primus inter pares, siehe Erster unter Gleichen 69 princeps 58 Prinz / Prinzenerzieher, siehe Erzieher / Kronprinz 60, 112, 161–163, 277 Prinzipat / Prinzipatsgründer / Prinzipatssystem 52f., 57f., 68f. Privatsphäre / Privatleben / Privatmann 54, 63, 200 privat / im Privaten 17, 63, 128, 131f., 185, 188 probitas, siehe Redlichkeit 67, 252f. Prodigium, Prodigien / Prodigiendeuter / Prodigienmeister 194, 200, 206, 208, 213 Prognose, siehe Zukunftsprognose 212f. Programm 237 Propaganda / Mundpropaganda 119, 260 Prophet 194, 204, 212, 235 Prophezeiung, siehe Weissagung 31, 127, 200, 204f., 237, 285 Protagonist / Protagonistin 26, 59, 103, 128, 141, 143, 170–174, 176, 178, 225, 228, Prozess-: Prozess / Entscheidungsprozess / Prozessunterlagen / Prozessakte / Prozesstage 34, 88, 131–133, 136, 261f. Phronesis, siehe Klugheit 124f., 134 prudentia (als Tugend) 16, 105f., 109, 114, 116f., 123–126, 129f., 134, 136–142 Publikum / Laienpublikum 59, 62, 82, 88, 118, 195, 198, 201f., 211, 220 Publizist / Publizistik 194–196, 211–213 pudor, siehe Keuschheit 67 Qualifikation / Schlüsselqualifikation 42, 136, 138 Qualität 17, 100, 105, 115, 134, 149, 165, 175f., 181, 185f.
Sachregister
Rahmenerzählung 32–34 Rang 25, 163, 182, 184, 187, 252 Ränkespiele / Ränkeschmied 117, 149, 272 Ratio, siehe Vernunft / Rationalität 101, 177 / 18, 180, 185 Reaktion 91, 131, 135, 170f., 184f., 188, Rebell / Rebellion 81 Recht / Rechtsprechung / juris-prudencia 46, 59, 68, 80, 87, 130, 136, 140, 155, 200, 205, 209, 224, 229, 247, 253f., 288f. Rechtfertigung 81, 106, 116, 128 Redlichkeit, siehe probitas 61, 67 Referenzfigur 234 Reflexion / Selbstreflexion 137, 184, 186 Reformation 236 Nachfolgeregelung, siehe Nachfolge 113 Regent / Regentin / Regentschaft / Mitregent 100, 104, 106, 108, 111f., 114, 117f., 138, 142 Regieren, siehe daoshu 40, 43 Regierung 58, 246 Regierungsangelegenheiten / Regierungsinstrumente / Regierungsminister 25, 43 Regierungsantritt 55 Regierungsgeschäfte 42f., 139f. Regierungspraxis 141 Regierungszeit 22 Anm. 3, 172 Regionalfürst, siehe Fürst / Regionalherrscher 28, 35, 43 Regulierungsexperte / fajia 法家) 38 Reich s. Römisch-deutsches Reich Reichsgesetz, siehe Gesetz 236 Reichstag 210 Reichsversammlung 87 Reichtum / Wohlstand 43, 61, 187, 270 Remonstrant / Remonstration 30–34, 47 Repräsentant 205 Repräsentation / Herrschaftsrepräsentation 68, 169, 212 Reputation / Reputationsverlust 61, 135 Residenz 182 Respekt 86, 87, 91, 94, 105, 110f., 114, 149, 184, 185 Retorsion 67 rex sapiens 139
315 Rezeption-: Rezeption / Rezeptionsebene / Rezeptionsaufforderung, siehe Aufforderung / Rezeptionskollektiv / Rezeptionsbedingungen 18, 55, 58, 125, 139, 201, 211, 222, 225, 229, 236 Rezipient / Rezipientengruppen / Rezipientenkreis 33, 37, 59, 66, 72f., 174, 184, 186, 201, 212 Rhetorik 131 Richter 235 Richtschnur / Handlungsrichtschnur 33, 41, 95, 101f. Ritter-: Ritter / Ritterlichkeit / Ritterschaft / Ritterstand 113f., 177, 186, 223f., 261 284f. Ritual 152, 182f. Rivale 154 Rivalitäten 217 Rollenmodell 33 Ruchlosigkeit, siehe impietas 62 Rücksicht 112 Ruf 158–161, 193, 213, 272, 274f. Ruhm / Nachruhm / Ruhmeskörper 155, 158, 203, 207f., 267, 273f., 280 Ruin 84, 266 sabiduría, siehe Weisheit 139 sapiencia, siehe Weisheit 129 Sakrament 227 Salbung 87 sanus sententia, siehe vernünftigere Meinung 109 sapientia, siehe Weisheit 111 sarva¯dhika¯rin, siehe Erster/Oberster Minister 150 scelera, siehe Verbrechen 62, 248 Schaden 133, 137, 162, 244, 258, 262, 280 Scham 185, 252, 265 Schande 111, 158, 175, 269, 272 Scheitern 66, 110, 147, 154, 164f., 263, 271 Scheltrede, siehe Frauenschelte / Scheltworte 81, 205 Scherz 168, 254 Schicksal / Schicksalsgöttin / Schicksalsschläge 41, 54f., 57f., 59, 61f., 67–69,
316 73, 112, 151, 155, 160, 162, 252, 267, 270, 277 Schisma, siehe Abendländisches Schisma / Alexandrinisches Schisma / Kirchenschisma 218 Schlüsselbegriff 134 Schlüsselfigur 113 Schlüsselqualifikation 138 Schlüsselszene / Schlüsselstelle 126, 130 Schmach 40, 155, 160, 164, 203f., 244, 264f., 274, 277 Schuld / Mitschuld / Schuldigkeit 67, 118, 129, 265 Schuldbekenntnis 137 Schüler 36, 57, 63, 65, 67, 287 Schutz / Selbstschutz / Schutzmaßnahme 156, 226, 234, 245, 285f. Schwäche 68, 165, 183 Schweigen 25, 32, 131, 228, 256 Seelenheil / Seelenhirt 83, 91 Selbstbewusstsein 41, 46, 205, 211 Selbstreflexion / Selbstverständnis 70, 183f. Selbsteinschätzung 65, 70, 158, 185 Selbsterkenntnis 129f., 289 Selbstkritik 124, 127, 128 Selbstlegitimation / Selbstsetzung 222, 236f. Selbstlosigkeit 19, 112 Selbstmord / Selbsttötung / Suizid 56, 73, 157, 159f., 164f. Selbstreferenz 234 Selbstüberschätzung 183 Senat / Senatsbeschluss / Senatoren 55, 69f., 70, 72, 251 Sentenzen 64, 220 Sicherheit 130, 173 Sieg / Sieger / Schlachtensieg 58, 70f., 155, 157, 199, 201–205, 207, 244, 251, 267 sinnliche Lust, siehe voluptas 68 Sitten 67, 181, 184f., 248, 252 Sohnespflicht, siehe pietas 71 Soliloquium 59, 136 Sophia / Weisheit 125 Sorge / Besorgnis 37f., 80, 129, 199, 209 Sorglosigkeit / Leichtsinn 226
Sachregister
Spannungen 89, 218 Spezialwissen 181, 185 Sprachgewandtheit 222 Sprachkenntnisse 173 Sprachrohr 90, 234 Sprachstil 129 Sprecher / Reformsprecher 59, 163f., 178, 222, 225–227, 229–234, 236 Sprecherinstanz 132 Sprechhoheit / Sprechinstanz / Sprechsequenzen 228, 233, 236 Staat-: Staatsamt / Staatsfeind / Staatsmann / Staatsgötter / Staatsraison / Staatskunst, siehe Klugheit 36f., 69, 72, 131, 140 Stabilisierung 38 Stammahnentempel 29 Ständegesellschaft 153 Standeszuschreibung 174 Status / Prophetenstatus 80, 88, 90–92, 184, 187, 212, 227, 233 Stimmhoheit 236 Stoa 61, 64 Strafarbeiter 25 Strafe / Todesstrafe 157, 246, 285 Strategie / Strategieanpassung / Vermittlungsstrategie 45, 106, 130, 162, 222, 227 Streit / Streitigkeit 184, 219 Streitgespräch 53, 62f., 66, 73, 228 Streitkräfte 71, 251 Studium, Studien / Studienzeit 60, 139, 201 Sturz 147f., 152, 158, 161, 164, 263 superbia, siehe Hochmut 100, 183, 203 Superiorität 218 Sympathie / Sympathieträger 171, 184 Synode 218, 233 Szenario / Ausgangsszenario 73, 84, 94, 119, 128 Szene: Szene / Beratungsszene / Gesprächsszene, siehe Beratungsgespräch / Ratgeberszene / Schlüsselszene / Ratsszene / Redeszene / Einzelszene 16, 31, 52, 73, 110, 115, 126, 148f., 151f., 157, 160–165, 174, 176, 179f., 185f., 221f.
Sachregister
Talent 22, 149, 260 Talentierte 39 Tapferkeit 178, 206 Tatenlosigkeit 151 Tatsachenberichte 31 Teilnehmer / Gesprächsteilnehmer / Konzilsteilnehmer 151, 218–220, 236 templanza, siehe Besonnenheit 134 Tempeln 69, 71, 250f. Thesen 36, 46 Thron-: Thron / Thronanwärter / Thronfolger / Thronprätendent siehe Prätendent / Kaiserthron 25, 47, 58, 88, 93, 102f., 126, 148, 150, 152–154, 157, 162, 263, 264 Tierfabeln 126 Topo-: Topos / Topoi / Unfähigkeitstopos / Bescheidenheitstopoi 82f., 90–94, 136, 178, 230 Torheit (yu 愚) / Toren / Einfaltspinsel (yu) 39, 40 Traditionslinie, -quelle 24, 26, 30, 45 Trägheit 155, 264 Tragödie / Tragödiencorpus / Tragödiendichter 52–57, 59, 63, 66–68, 72f. Traktat / Traktatliteratur / Traktatform 124f., 273 Traum-: Traum / Traumberater / Traumerscheinung / Traumvision 25f., 32, 220, 228f., 235, 243 Treue, siehe fides 61, 67, 71, 158, 165, 199, 252, 280 Trost 124, 134, 285 Trugbild 71 Tüchtiger (xian 賢) 41–44 Tüchtigkeit 39f., 44, 275, 280 Tugend-: Tugend / Tugendkatalog / Tugendkraft / Tugendbild / Tugendhaftigkeit / Tugendquadriga / Herrschertugend / Grundtugend / Kardinaltugend / Verstandestugend / Leittugend / Primärtugend / Beratertugend 5, 16, 19, 32, 34, 39, 41, 64, 69, 71f., 82, 87–89, 91, 94, 101, 105f., 110–112, 114, 119, 124– 126, 130, 133f., 137–139, 142, 186f., 206, 244–246, 249–251, 280
317 Tumult 171 Tyrann-: Tyrann / Tyrannei / Tyrannis / Tyrannen-Natur / tyrannisch 32, 55, 59, 63, 67, 73, 147, 154, 252 Übeltäter 132 Überlegenheit 72, 156, 188 Überreaktionen 171 Überzeugung / Überzeugungsversuch / Überzeugungskraft 40, 46, 111 Unabhängigkeit 93 Unbestechlichkeit 91 Uneinigkeit 164 Unerfahrene 101 Unfähigkeit / Unfähigkeitstopos 108, 115, 118, 178 Ungerechtigkeit 108, 114, Unglück 89, 157, 244 Unheil 33, 157, 160, 244, 268, 275 Unkenntnis / Verkennen 132 Unrecht 58, 229, 288f. Unreinheit / Verunreinigung 153 Unschuldsbezeugung 131 Untauglichkeit 119 Untergang 38, 273 Untergebene 34, 170, 255, 269 Unterhaltungen, siehe colloquium 109 Unterherrscher 28 Unternehmen 205 Unterredung 39f. Unterstützer, siehe auxiliatores / Unterstützung 55, 90, 107, 117 Unterwerfung 159 Untreue 149 Untugenden 126 Unverständigen 178 Unzufriedenheit 154 Urkaiser 43 Urteil / Verurteilung 100, 128, 131 Usurpation 108 vagancia, siehe Zögern 132 Vasall 124, 129, 174, 181, 186, 257, 261f., 279 Vasallität 100, 258 Verbannung 54, 60
318 Verbote 45 Verbrechen, siehe scelera 62, 71, 108, 158, 248, 250 Verdacht / Verdächtige 70, 130, 250 Verfechter 47 Verfehlung 133, 155, 270 Vergehen 133, 153, 164, 165 Vergeltung 203 Verhalten-: Verhalten / Verhaltensmuster / Verhaltensvorgabe / Verhaltensweise / Verhaltenscodex / Fehlverhalten 81, 85, 88f., 94f., 124, 131f., 134f., 142, 175, 181, 185, 235, 237, 257, 279 Verhältnis-: Verhältnis / Verwandtschaftsverhältnis / Machtverhältnis / Herrschaftsverhältnis / Hierarchieverhältnis 18f., 24, 35, 46, 61, 65, 68, 84f., 91, 94, 101, 128f., 136, 149, 183, 224 Verhandlungen / Gerichtsverhandlung 112, 128, 161, 179 Verlautbarungen 213 Verlegenheit 154 Verlust-: Machtverlust / Vertrauensverlust / Reputationsverlust / Ehrverlust 133, 135, 148, 158, 159 Vermittlungsinstanz / Vermittlungsstrategie 227, 229f. Vernunft, siehe ratio 5, 101, 112 Verpflichtung 16, 19, 52, 80, 100, 106 Verrat / Hochverrat / Verräter 128, 160, 261 / 158 / 128–131, 133, 140f., 161 Verrohung 128 Versagen 154 Versammelten 177f. Versammlung / Reichsversammlung / Ratsversammlung / Konzilsversammlung 80, 87, 100, 128, 130–132, 170, 176, 178f., 180f., 185f., 188, 218, 278 / 237 Versäumnis 118 Verschwendung 107 Verschwiegenheit 135 Verschwörung 56 Versöhnungsfest 188 Versprechen 132 Verstand-: Verstand / Verstandestugend / Verstandesgaben / Sachverstand /seso /
Sachregister
sin 125, 129, 135, 139, 160, 178, 181f., 185, 193, 206f., 256, 271, 276 Verständnis-: Verständnis / Herrschaftsverständnis / Selbstverständnis / Begriffsverständnis 17, 33, 70, 104, 125, 134, 136, 139, 183f. Verstehen 129, 139, Verstoßene / Verstoßung 54, 66, 68, 112 Verteidigung 154 Vertrag / Friedensvertrag 113, 170 Vertrauen / Vertrautheit 175 / 185 Vertrauensverlust 133 Vertrauter / Vertrauten 111f., 128, 129, 149 Vertreter / Stellvertreter 35, 110, 169f., 178, 186, 226, 285 vernünftigere Meinung, siehe sanus sententia 109 Verwandter / Blutsverwandter / Nahverwandter 43, 64, 83, 86, 256f., 264 Verwandtschaft / Verwandtschafts-beziehung / Verwandtschaftsverhältnis 43f., 68, 128 vicarius 224 Vier Himmelsrichtungen; Vier Meere (der Welt); Vier Regionen (Herrschaftsgebiet) 32 Vision-: Vision / Visionsstimme / Traumvision / Schlussvision / Zukunftsvision 220f., 223, 228, 229, 232f., 235f., 287 Visualisierung 170, 182, 183 Visualität 196 Vogelschau 203 Vollstrecker 28 voluptas, siehe sinnliche Lust 68 Vorbild 36, 69, 81, 110, 173, 233, 246 Vorgänger 58, 82, 95, 224, 257, 285 Vorgehen / Vorgehensweise 55, 70, 106, 142, 156, 165 Vorhaben / Festvorhaben 64, 67, 187f., 203, 257, 273 Vorherrschaft, siehe primatum 135 Vorkaiserzeit 23f., 27, 35, 45f. Vorstellung-: Vorstellung / Machtvorstellung / Wunschvorstellung / Idealvor-
Sachregister
stellung / Ehrvorstellung 17, 57, 64, 68, 70, 100f., 118, 136, 155f., 165, 180 Vortäuschung 159 Vorwurf 68, 106f., 117, 130, 226, 261 Vulgata 231 Wahn 203, 252 Wahnsinn, siehe dementia 70, 250 Wahrheit 93f., 232, 234, 259, 261f., 288 Wahrnehmung 211 Warnung / jie 戒 29, 68, 73, 117, 131, 133, 155, 183f., 203, 243 Wehr 200 Wehrhaftigkeit 179, 278 Weiser 25, 41, 62, 200 Weisheit, siehe sabiduría / sheng 聖 / sapiencia / Schulweisheit 5, 14f., 39f., 101f., 105f., 113, 125, 129, 135, 139, 143, 260, 279 Weissagung, siehe Prophezeiung 204 Weitsicht 114 Welt-: Welt / Welteroberer / Weltgeschichte / Weltordnung / Weltzeitalter / Weltzyklus / Weltherrscher 43, 61f., 155, 159, 183, 205, 207, 247, 264, 269, 278, 280, 289 Werte / Erfahrungswerte 119, 131, 141f., 173 Wertebegriffe 67 Wichtigkeit 119 Widersacher 103, 155, 160, 265, 266, 271, 274 Widerspruch 63, 106, 118 Widerstand / Widerständigkeit 37, 68, 81, 204, 229, 233, 244, 257f. Widmung / Widmungsadresse 210f. Wille 34, 37, 68, 70, 93, 107, 152, 220, 250, 257, 280 Wirken 57, 65, 67, 71, 271 Wirksamkeit / Wirkung / Wirkkraft 201 / 68, 129, 186, 193, 198, 201, 213, 222 Wirkungsabsicht / Wirkabsicht 67, 221 Wissen-: Wissen / Wissensschatz / Wissensvorsprung / Wissensdiskurs / Wissensautorität / Wissensinstanz / Spezialwissen / Vorwissen 15, 18, 20, 61f.,
319 64, 73, 109, 115f., 129, 131, 137, 139, 141, 181, 185, 198, 208, 233f., 237 Wohlstand 43, 61 Wollust, siehe libido 62, 248 Wunder-: Wunder / Wundererscheinungen / Wunderdeutungen / Wunderzeichen / Wunderwerke / Wunderdeuter / Wunderwesen / Wunderdeutungsproduktion / Naturwunder / Wunderzeichendeuter 194, 196f., 208–211, 213, 255, 282 Würde 18, 25, 87, 111, 114, 153, 264 Würdenträger 22, 32, 42, 47, 180 Wut / Wutanfall 128, 171 Zeichen-: Zeichen / Vorzeichen / Zeichendeuter / Himmelszeichen / Wunderzeichen / Zeichencharakter 66, 87, 106, 163, 169, 184, 194, 197f., 200f., 205, 208, 209f., 212f., 217f., 288 Zeitgenossen 36, 41, 53, 55, 107, 116, 118, 158, 176, 213, 225, 233, 235 Zeitklage, siehe Klage 176, 235 Zeitkritik, siehe Kritik 225 Zeremoniell 182 Zeugenaussage 133 Zögern, siehe vagancia 132 Zölibat 220 Zorn / Zornreaktion 67, 69, 72, 80, 171, 184f., 250 Zügellosigkeit, siehe luxuria 62 Zukunftsbild 220 Zukunftsprognose, siehe Prognose 213 Zurschaustellung 182 Zurückweisung 169, 183 Zusammenkunft 63, 218 Zusammenspiel 94, 234 Zustimmung, siehe consensus 70, 93, 104, 178, 183, 249f. Zweckbündnis 103 Zweifel 62, 67, 80, 88, 130, 158 Zweisprachigkeit, siehe Mehrsprachigkeit / zweisprachig 195f., 211f. Zwiegespräch 129, 132