Die Figur des Enthusiasten in der amerikanischen Erzählliteratur [Reprint 2018 ed.] 9783110851595, 9783110110425


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German Pages 295 [296] Year 1988

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Antinomierkrise von 1636–1638
III. Die religiöse Erneuerung um 1740
IV. Fiktive Enthusiasten bei Brockden Brown und Hawthorne
V. Der Transzendentalismus
VI. Romane des Transzendentalismus: Brownson, Child, Judd
VII. Melvilles Kritik des transzendentalistischen Enthusiasten
VIII. Der säkularisierte Enthusiast: Hawthorne und Henry James
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Die Figur des Enthusiasten in der amerikanischen Erzählliteratur [Reprint 2018 ed.]
 9783110851595, 9783110110425

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Hans-Jürgen Weckermann Die Figur des Enthusiasten in der amerikanischen Erzählliteratur

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von

Stefan Sonderegger

90 (214)

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1988

Die Figur des Enthusiasten in der amerikanischen Erzählliteratur von

Hans-Jürgen Weckermann

w DE

G

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1988

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Anglistik der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster, gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig - p H 7, neutral)

CIP- Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Weckermann, Hans-Jürgen: Die Figur des Enthusiasten in der amerikanischen Erzählliteratur / von Hans-Jürgen Weckermann. - Berlin; New York: de Gruyter, 1988 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker; N.F.,90 = 214) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Habil.-Schr., 1985 ISBN 3-11-011042-3 NE: GT

ISSN 0481-3596 © 1988 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz: Dörlemann-Satz G m b H & Co. KG, Lemförde Druck: Rotaprint-Druck, W. Hildebrand, Berlin Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin Printed in Germany

Vorwort Alexis de Tocqueville nimmt an einer Stelle von Democracy in America seine Beobachtung religiöser Erneuerungsbewegungen und ihrer Begleiterscheinungen zum Anlaß für die generalisierende Feststellung: H e r e and there in the midst o f A m e r i c a n society you meet with men full o f a fanatical and almost wild spiritualism, which hardly exists in E u r o p e . F r o m time to time strange sects arise which endeavor to strike out extraordinary paths to eternal happiness. Religious insanity is very c o m m o n in the United States. ( B k . II, C h . 12)

Ohne daß der Begriff explizit genannt wird, spielt er mit dieser Äußerung auf den Typ des Enthusiasten an, der, wie in früheren Epochen, so auch im 19. Jahrhundert eine ständig wieder anzutreffende Facette im Mosaik amerikanischer Sekten und Konfessionen darstellt. In Gestalt der Anne Hutchinson begegnet der Figurentyp gleich zu Beginn der Kolonialisierung Neuenglands, und in der Enthusiasmus-Debatte zwischen Anhängern und Gegnern des "Great Awakening" kehren auf breiterer Front dieselben Konzepte am Ausklang der Kolonialzeit wieder. Wie in de Tocquevilles aufgeklärt-distanzierter Haltung gegenüber dieser Form von religiösem Fanatismus ist auch in den meisten anderen Äußerungen zum Phänomen des Enthusiasmus deutliche Skepsis gegenüber den vom Enthusiasten vertretenen Ansichten, der Grundlage ihres Zustandekommens und den Zielen seines von diesen Ansichten geprägten Wirkens vernehmbar. Fast immer nutzen die Repräsentanten der herrschenden Orthodoxie die ihnen zur Verfügung stehenden propagandistischen Mittel aus, um den Enthusiasten, neben der Charakterisierung mit weiteren negativen Eigenschaften, in die Rolle eines systemfeindlichen, die bestehende Gemeinschaft untergrabenden Außenseiters zu drängen. Diese Tatsache - daß es der etablierten Majorität in der Regel gelingt, ihr Bild des Enthusiasten durchzusetzen - hat sicherlich stark dazu beigetragen, daß die Figur von vornherein mit zahlreichen negativen Konnotationen belastet ist, die interessanterweise dem griechischen Ursprungswort keineswegs zu eigen waren. So bleibt den als Enthusiasten gescholtenen Zielscheiben der orthodoxen Kritik meist nichts anderes übrig, als die Anwendbarkeit des Begriffs auf sich selber weit von sich zu weisen - eine Reaktion, die jedoch implizit und oft genug auch explizit die grundsätzliche Akzeptierung der Merkmale, die einen typischen Enthusiasten kennzeichnen, beinhaltet und sich von

VI

Vorwort

der Sicht der Orthodoxie nur in der Frage unterscheidet, auf wen die von beiden Seiten gleichermaßen anerkannten Charakteristika tatsächlich zutreffen. Insofern läßt sich bei den des Enthusiasmus Bezichtigten wie bei ihren Kritikern ein weitgehender Konsens über die konstituierenden Merkmale des Enthusiasten beobachten. Diese Ubereinstimmung hinsichtlich der entscheidenden K o m p o nenten des typischen Enthusiasten macht sich die vorliegende Arbeit zunutze, um aus den regelmäßig wieder vorgetragenen Merkmalkatalogen diejenigen Charakteristika herauszufiltern, die über die Zeiten hinweg den allgemein akzeptierten Kern des Bildes vom Enthusiasten ausmachten. Dabei geht es nicht darum, eine Begriffsgeschichte solcher Wörter wie enthusiast, enthusiasm, enthusiastic(al) vorzulegen; das hat in recht anschaulicher Weise bereits Susie I. Tucker in Enthusiasm: A Study in Semantic Change (Cambridge, 1972) getan. Auch eine religiöspsychologische Typologie, ähnlich etwa, wie sie William James in The Varieties ofReligious Experience gibt, ist nicht angestrebt, auch wenn sich logischerweise manche der von James angeführten Merkmale extremer religiöser Ergriffenheit mit den Eigenschaften decken, die häufig dem Enthusiasten zugeschrieben werden. Schließlich unternimmt die Arbeit auch nicht den Versuch, das landläufige Bild vom Enthusiasten damit zu vergleichen, wie er sich selber sieht oder wie er "wirklich" ist - ein Unternehmen, zu dem man manche Anregung aus Geoffrey F. Nuttalls Behandlung der frühen Quäker in Studies in Christian Enthusiasm: Illustratedfrom Early Quakerism (Wallingford, Penn., 1948), ferner aus dem Buch von R . A. K n o x , Enthusiasm: A Chapter in the History of Religion (London, 1950), und in jüngster Zeit, mit besonderem Gewicht auf der amerikanischen Kolonialgeschichte, aus David S. Love-

joys Religious Enthusiasm in the New World: Heresy to Revolution (Cambridge, Mass., 1985) schöpfen könnte. Vielmehr ist meine Zielsetzung ideengeschichtlicher und literarhistorischer Natur. Angesichts des immer wieder zu beobachtenden Zusammenhangs von Religion und Literatur in den Vereinigten Staaten kann es nicht verwundern, daß die Figur des Enthusiasten, die an entscheidenden Punkten der kolonialen Geschichte Neuenglands in Erscheinung getreten war und, wie de Tocqueville für das 19. Jahrhundert bestätigt, im Zuge periodisch wiederkehrender Erneuerungsbewegungen als ein typischer Faktor des amerikanischen religiösen Lebens angesehen werden konnte, auch in die Literatur Einzug gehalten hat. Die Präsenz dieses in seinen wesentlichen Konturen fest umrissenen Figurentypus in der amerikanischen Literatur nachzuweisen und zu verfolgen, welch unterschiedliche Ausformungen er im Umkreis des Transzendentalismus und unter den Händen von Schriftstellern wie Brockden Brown, Hawthorne, Melville

Vorwort

VII

oder Henry James erfahren hat, ist das Ziel dieser Arbeit. Da jedoch schon Brockden Brown bei seiner Gestaltung des Titelhelden von Wieland, der am Anfang der Kette literarischer Porträts des Enthusiasten steht, auf eine lange Tradition zurückgreifen konnte, durch die ein bestimmtes Bild vom Enthusiasten fest im allgemeinen Bewußtsein verankert war und deshalb beim Leser vorausgesetzt werden durfte, dienen zwei Kapitel über die Antinomierkrise und das "Great Awakening" dazu, sowohl diese geistesgeschichtlichen Voraussetzungen zu skizzieren als auch anhand dieser historischen Beispiele die zentralen Konstituenten des Enthusiasmus-Bildes herauszukristallisieren, von denen spätere literarische Gestaltungen der Figur immer wieder ausgehen. Die nachfolgende Untersuchung des Enthusiasten in der Literatur zeichnet die Wandlungen und divergierenden Einschätzungen nach, denen die Figur von ihrem Ursprung im religiösen Kontext über ihre fortschreitende Säkularisierung bis hin zu modernen Formen von Pseudoreligiosität unterworfen war. Dabei erweist sich die Figur des Enthusiasten als wandlungsfähig und interessant genug, um von Autoren unterschiedlichster Orientierung als willkommenes Vehikel für die Verarbeitung ihrer zentralen Themen herangezogen zu werden. Offensichtlich ist der Enthusiast, ungeachtet seiner traditionellen Außenseiterposition und seiner Frontstellung gegen etablierte Institutionen religiöser wie auch weltlicher Art, ein derart integraler Bestandteil nicht nur amerikanischer Religion, sondern amerikanischer Gesellschaft schlechthin, daß er über die Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart seinen Platz im amerikanischen Bewußtsein und damit auch in der amerikanischen Literatur behaupten konnte. Amerika, so scheint es, ist der geeignete Ort für sein Bemühen, seine Visionen in die Tat umzusetzen, und die amerikanische Literatur das bevorzugte Medium, um seine Unternehmungen widerzuspiegeln. Folglich unterstreicht auch Knox in seiner Studie über die Geschichte des Enthusiasmus die enge Verbindung zwischen amerikanischer Kultur und dem Auftreten des Enthusiasten: "The American continent has more than once been the scene of such an adventure; in these days, it is the last refuge of the enthusiast" (S. 3). Insofern illustriert die folgende Darstellung am Beispiel des Enthusiasten gleichzeitig in einem weiteren Aspekt die engen Verbindungen von Gesellschaft, insbesondere Religion, und Literatur in den USA. Das Buch hat von manchen Anregungen und Hilfen profitiert, die ich während der Arbeit an ihm von verschiedener Seite und in vielfältiger Weise erhalten habe. Besonderen Dank schulde ich in dieser Hinsicht den Professoren Lothar Cerny, Horst Kruse, Kurt Tetzeli von Rosador, Robert C. Walton und vor allem Marvin Spevack. Münster, im Juni 1986 Hans-Jürgen Weckermann

Inhalt Vorwort I. Einleitung II. Die Antinomierkrise von 1636-1638

V 1 13

III. Die religiöse Erneuerung um 1740

41

Rückbesinnung auf die Ursprünge Enthusiastische Phänomene

41 54

IV. Fiktive Enthusiasten bei Brockden Brown und Hawthorne

94

Brockden Browns Wieland Hawthornes "The Gentie Boy" und "The Shaker Bridal"

94 121

V. Der Transzendentalismus

132

Die Kritik an der bestehenden Kirche Das transzendentalistische Enthusiasmus-Verständnis . . .

132 143

VI. Romane des Transzendentalismus: Brownson, Child,Judd

168

Brownsons Charles Elwood Childs Philotbea judds Margaret VII. Melvilles Kritik des transzendentalistischen Enthusiasten Der Enthusiast Pierre Das Scheitern des Enthusiasten VIII. Der säkularisierte Enthusiast: Hawthorne und Henry James Hawthornes Blithedale Romance James' The Bostonians Schluß

168 175 181 193 193 216 231 231 242 261

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Inhalt

Bibliographie

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Register

282

I. Einleitung Das zentrale religiöse Erlebnis im puritanischen Denken ist die "conVersion experience", die Erfahrung, durch Gottes Gnade vor der ewigen Verdammnis errettet und in den Kreis der Auserwählten aufgenommen zu sein, denen nach dem Tode Anteil an der göttlichen Herrlichkeit geschenkt wird. 1 Zahlreiche Berichte führender Kirchenmänner Englands und Neuenglands über den Augenblick, in dem sie selber Gewißheit über ihre eigene Berufung erlangten, betonen von der Frühzeit des Puritanismus an den hohen Stellenwert dieses persönlichen Erlebnisses. Zwar waren die noch nicht erweckten Mitglieder einer Gemeinde aufgefordert, sich durch Besinnung auf die menschliche Sündhaftigkeit in Reue und Demut zu üben, um so einen fruchtbaren Boden zu bereiten für den entscheidenden Moment der Ausgießung der göttlichen Gnade, und eine der wesentlichen Aufgaben des Geistlichen bestand darin, durch Unterweisung in der christlichen Lehre, Erläuterung und Auslegung der Bibelworte sowie das Anhalten zu einem christlichen Lebenswandel die Herzen der ihm Anvertrauten gewissermaßen zu sensibilisieren für den unbestimmten Zeitpunkt der Erwählung. Doch blieb bei allem verstärkten Gewicht, das dem Konzept der "preparation for salvation" im Laufe der Zeit besonders in Neuengland zugemessen wurde, 2 das eigentliche Konversionserlebnis letztlich doch immer nicht nur ein vom Menschen unbeeinflußbares, sondern auch ein zutiefst persönliches und privates Geschehen. Hier tritt Gott in direkten Kontakt zu jedem einzelnen Menschen, ohne die Vermittlung kirchlicher Institutionen, Sakramente oder Lehren. Offensichtlich ist dieses Element puritanischen Glaubens fest in der protestantischen Tradition verankert, jedem Menschen die Möglichkeit des unmittelba-

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2

Jerald C. Brauer, "Reflections on the Nature of English Puritanism," Church History, 23 (1954), 101; Alan Simpson, Puritanism in OldandNew England (Chicago, 1955), S. 2. Vgl. auch Perry Millers Abschnitt über "regeneration" in The New England Mind: The Seventeenth Century (New York, 1939), S. 25-34. Vgl. hierzu Perry Miller, " 'Preparation for Salvation' in Seventeenth-Century New England," Nature's Nation (Cambridge, Mass., 1967), S. 50-77, und Norman Pettit, The Heart Prepared: Grace and Conversion in Puritan Spiritual Life (New Haven, 1966), passim.

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Einleitung

ren Gesprächs mit seinem Schöpfer einzuräumen, ohne daß ein Kanon von Heiligen oder Angehörige der kirchlichen Hierarchie für ihn intervenieren oder Gottes Weisungen in eine ihm verständliche Sprache übersetzen müßten. 3 Im Rahmen des von den neuenglischen Kongregationalisten entwikkelten Konzepts einer "visible church", die sich idealerweise nur aus solchen Mitgliedern zusammensetzte, auf deren tatsächliche Erwählung durch Gott man schon hier auf Erden mit ausreichender Gewißheit bauen konnte, stellte sich dabei früh das Problem, wie solche Gewißheit angesichts der ganz und gar privaten Natur des Erweckungserlebnisses zu erreichen sei. Im wesentlichen beschränkten sich die Alternativen zur Lösung dieses Problems darauf, entweder bedingungslos einzugestehen, daß es dem Menschen verwehrt sei, das Herz seiner Mitmenschen zu ergründen, und daher einen christlichen Lebenswandel und ein öffentliches Bekenntnis zum Glauben als ausreichende Vorbedingungen für eine Kirchenmitgliedschaft zu akzeptieren oder aber darüber hinaus den Versuch zu unternehmen, eine zutiefst subjektive Erfahrung möglichst objektiv nachvollziehbar zu dokumentieren, indem man verbindlich eine Darstellung des Konversionserlebnisses forderte und diese dann durch gründliche Befragung des Kandidaten auf ihre Authentizität hin prüfte. Die erstere Methode impliziert, daß man auf die Erforschung subjektiver Bereiche vollkommen verzichtet mit der praktischen Folge, daß der Schritt zur vollen Kirchenmitgliedschaft jedem Gemeindemitglied relativ leicht gemacht wird. Die andere Methode dagegen macht die Aufnahme als vollwertiges Kirchenmitglied von einer recht umfangreichen Prüfung schwieriger, weil objektiv kaum faßbarer, Sachverhalte abhängig und stellt somit eine nicht unbeträchtliche Hürde dar, die vor der öffentlichen Anerkennung als "saint" erst noch überwunden werden muß. Die frühen Puritaner Neuenglands entschieden sich für den dornenreicheren Weg, 4 wenn auch von vornherein in dem Bewußtsein, daß dieser Versuch, ein subjektives Erlebnis auf eine möglichst objektive Ebene zu heben - wobei der veränderte

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4

James F. Maclear," 'The Heart of New England Rent': The Mystical Element in Early Puritan History," Mississippi Valley Historical Review, 42 (1956), 621-652, untersucht für den frühen Puritanismus besonders Neuenglands den "drive toward immediacy in religious experience" (624) und ordnet die Antinomier wie auch die Quäker in diese Strömung ein. Edmund S. Morgan hat die gesamte hier angesprochene Problematik in seinem Buch Visible Saints: The History of a Puritan Idea (New York, 1963) untersucht; zur Einführung der "tests of saving grace" um 1635 in Massachusetts siehe besonders sein drittes Kapitel.

Einleitung

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kirchliche Status dann ja auch vermehrte politische Rechte als Bürger nach sich zog - , im konkreten Einzelfall nahezu zwangsläufig ein gelegentliches Unbehagen hinterlassen mußte. Kritiker des Puritanismus erinnerten in diesem Zusammenhang stets daran, daß sowohl beim Erweckten als auch vor allem bei den Gemeindeälteren und Geistlichen, die über die Glaubhaftigkeit seiner Bekehrung zu befinden hatten, mit Fehleinschätzungen infolge genereller menschlicher Fehlbarkeit zu rechnen sei, und leiteten aus den zu beobachtenden Mängeln in der praktischen Durchführung schnell einen grundsätzlichen Angriff auf das dahinterstehende Konzept von der "visible church" ab. Wenn auch ein überzeugter Puritaner Neuenglands diese weitreichenden Folgerungen nicht teilen konnte, so mußte doch auch er - nach gebührender Betonung, daß bei entsprechender Sorgfalt die Fehlerquellen möglichst gering gehalten werden könnten - letztendlich zugestehen, daß es unmöglich sei, jeden Heuchler aus der Gemeinde der Auserwählten auszuschließen. Die ausgedehnte Diskussion über das Problem der Heuchelei oder über Fälle, in denen ein Gemeindemitglied durch eklatanten Rückfall in den Zustand tiefster Sündhaftigkeit die Echtheit seiner Erweckung nachträglich heftigen Zweifeln aussetzte, legt beredtes Zeugnis ab von der Ernsthaftigkeit, mit der die Puritaner sich diesem Problem stellten. 5 Dennoch hat es eine ganze Weile gedauert, bis der ursprüngliche idealistische Anspruch, eine Kirche zu sein, die sich in ihrer äußeren Erscheinungsform weitestgehend der unsichtbaren Gemeinschaft der tatsächlich von Gott Auserwählten annäherte, reduziert war zu der Forderung nach einem nurmehr formalen Bekenntnis des Glaubens von seiten der neu aufzunehmenden Gemeindemitglieder, und selbst als dieser Schritt dann vollzogen wurde, geschah dies, wie man mit einiger Berechtigung vermuten darf, wohl weniger, um endlich den alten Zwiespalt zwischen subjektivem Erleben und objektiver Uberprüfbarkeit zu beseitigen, als vielmehr, um durch die Senkung der Eingangsschwelle einer größeren Anzahl von Bürgern den Zugang zur vollen Kirchenmitgliedschaft zu gewähren. 6 Trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten, im Angesicht auch der Tatsache, daß sie gerade mit den praktischen Konsequenzen aus ihrer Idee einer auf Erden

5

6

Z.B. in Thomas Shepards The Parable of the Ten Virgins Opened and Applied, in The Works of Thomas Shepard, ed. John Adams Albro (Boston, 1853; repr. Hildesheim, 1971), II, 183-260. Das Problemfeld von "visible church" und Heuchelei wird bei Perry Miller, The New England Mind: From Colony to Province (Cambridge, Mass., 1953), S. 68-81, zusammenfassend dargestellt. Miller, The New England Mind: From Colony to Province, S. 82-92; Morgan, Visible Saints, S. 143-150; Pettit, The Heart Prepared, S. 200-207.

4

Einleitung

sichtbaren Kirche der Auserwählten ihren Gegnern Ansatzpunkte zur Kritik gewissermaßen frei Haus lieferten, haben die Puritaner Neuenglands also hartnäckig an ihrem Weg der Verbindung von innerem Erleben und dessen äußerer Manifestation festgehalten. Sie versuchten ganz offensichtlich einen mittleren Kurs zu steuern zwischen der Anerkennung reiner Subjektivität, verkörpert im nur persönlich erfahrbaren Konversionserlebnis, und dem Vertrauen auf objektiv faßbare Tatbestände wie der nach außen hin sichtbaren Gemeindezugehörigkeit und dem christlichen Lebenswandel, der von jedem Gläubigen, erst recht jedoch von jedem Erweckten, erwartet wurde. Dabei entspringt die Tendenz zur Verinnerlichung sicherlich einer ehrwürdigen protestantischen Tradition, deren Spitze sich zunächst gegen eine verkrustete katholische Kirchenstruktur mit ihrer streng gegliederten Hierarchie und ihren oft zu leeren Formeln erstarrten religiösen Riten richtete. Schon bald glaubten die Puritaner jedoch die gerade erst am Katholizismus bemängelten Fehlentwicklungen auch in der anglikanischen Staatskirche wiederzuentdecken, so daß dasselbe Prinzip, das die Protestanten zur Abkehr von der katholischen Kirche gezwungen hatte, nun auch die Puritaner in einen tiefen Gegensatz zur Kirche des englischen Mutterlandes brachte. Während also der allem Protestantismus zugrundeliegende Drang nach größerer Verinnerlichung der religiösen Erfahrung von Anfang an im Puritanismus stark ausgeprägt war, 7 bemühten sich die Puritaner andererseits doch, diese wichtige Kraft stets unter Kontrolle zu halten und sie nicht in puren Subjektivismus ausarten zu lassen. Bei allem, was sie von den Anglikanern trennte, wußten sie sich doch mit ihnen einig im Kampf gegen eine Position, die nach ihrer Meinung das subjektive Element überbewertete und dadurch der Willkür und dem Chaos in der Religion Tür und Tor öffnete:

7

Winthrop S. Hudson sieht in seinem Artikel "Mystical Religion in the Puritan Commonwealth," Journal of Religion, 28 (1948), 53, den Drang nach Verinnerlichung bis hin zu mystischen Tendenzen von Anfang an im Puritanismus angelegt: "The early impetus to mystical religion in Puritanism was rooted in an intense interest in practical piety, a religion of the heart as opposed to an intellectual faith. By the end of the sixteenth century, one element in the Puritan movement was moving in the direction of a pietistic emphasis on immediacy in religion, stressing direct communion with God, and characterized by an insistence upon personal experience. A distinction was made between outward profession and inward saving experience, between a historical faith and a justifying faith." Vgl. auch Simpson, Puritanism, S. 103 und passim, der den Enthusiasmus als eine zyklisch wiederkehrende Phase des Puritanismus betrachtet, und den Aufsatz von James F. Maclear, "'The Heart of New England Rent'."

Einleitung

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Consequently, even while fighting bitterly against each other, the Puritans and Anglicans stood shoulder to shoulder against what they called "enthusiasm." The leaders of the Puritan movement were trained at the universities, they were men of learning and scholars; no less than the Anglicans did they demand that religion be interpreted by study and logical exposition; they were both resolute against all pretences to immediate revelation, against all ignorant men who claimed to receive personal instructions from God. They agreed on the essential Christian contention that though God may govern the world, He is not the world itself, and that though He instills His grace into men, He does not deify them or unite them to Himself in one personality. He converses with men only through His revealed word, the Bible. His will is to be studied in the operation of His providence as exhibited in the workings of the natural world, but He delivers no new commands or special revelations to the inward consciousness of men. The larger unanimity of the Puritans and the Anglicans reveals itself whenever either of them was called upon to confront enthusiasm.8

Die Puritaner wandelten also stets auf einem schmalen Pfad zwischen der Verwirklichung größtmöglicher innerer Religionserfahrung und dem Bemühen, solche Innerlichkeit in die Kanäle objektiv nachprüfbarer Erkenntnisse zu leiten. 9 Angesichts dieser Gratwanderung kann es nicht verwundern, wenn sie sich dabei häufig auf beiden Seiten heftiger Angriffe erwehren mußten, da sie den einen in der Betonung der subjektiven Komponente bereits zu weit zu gehen und mit der Idee der "visible church" einen unmenschlichen Perfektionismus zu verfolgen schienen, wohingegen sie den anderen auf halbem Wege stehengeblieben zu sein schienen und daher der konservativen Partei zugerechnet wurden, die es zu bekämpfen galt. Dieses Schema ist typisch für die meisten religiösen Auseinandersetzungen auf amerikanischem Boden: Es gilt für die prekäre Lage der Puritaner zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als sie sich in der Antinomierkrise der Jahre 1636-163 8 gegen den Druck der englischen Staatskirche auf der einen und gegen die Bedrohung aus den Reihen um Anne Hutchinson auf der anderen Seite behaupten mußten; es gilt ähnlich wenig später schon wieder, als die Quäker Thesen vertraten, die vielen als eine Neuformulierung antinomischer Glaubenssätze erschienen; und es gilt auch noch im 19. Jahrhundert, als die Unitarier, selber, wie einst die Puritaner, eine Fortbildung aus einem in ihren Augen in Formalismus und Dogmatismus erstarrten Bekenntnis, dem der orthodoxen Kongregationalisten, ihrerseits wieder von den Transzendentalisten die Leblosigkeit ihrer Reli-

8 9

Perry Miller und Thomas H. Johnson, The Puritans (New York, 1938), S. 10. Brauer, "Reflections on the Nature of English Puritanism," 104. Perry Miller spricht in diesem Zusammenhang von ihrem Ziel einer "symmetrical union of heart and head without impairment of either" (The Puritans, S. 11).

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Einleitung

gionsausübung vorgehalten bekamen und diesen Angriff dann mit dem traditionellen Vorwurf der "newest form of infidelity" konterten, der schon immer allen Enthusiasten entgegengeschleudert wurde.10 Aufgrund der mittleren Position, die sie vertraten, sahen sich die Puritaner also schon früh in einen Zweifrontenkampf verwickelt zwischen solchen Bestrebungen unter ihren eigenen Mitgliedern, die das Prinzip der Verinnerlichung gern noch weiter getrieben hätten, und einer entgegengesetzten Strömung, die religiöse Erfahrungen soweit möglich an objektiv faßbaren Kriterien messen wollte. Die letztlich entscheidende objektive Instanz blieb dabei für den orthodoxen Puritaner immer das in der Bibel geoffenbarte Wort Gottes. Wer diese Autorität mißachtete, indem er außerhalb der Schrift oder gar in offenem Gegensatz zu ihr einen persönlichen Zugang zu Gott suchte und die auf diesem Wege gewonnenen Erkenntnisse den Lehren der Bibel an die Seite stellte oder sie gar höher einschätzte, der machte sich unweigerlich des Ketzertums schuldig. Genau diesen Fehler begingen aber nach Meinung der Puritaner die Anhänger jeglicher Form von Enthusiasmus, von denen sie sich daher so scharf wie möglich abgrenzten. In diesem Zusammenhang wurde zwangsläufig der Unterschied zwischen der auch von den Puritanern geforderten persönlichen Begegnung mit Gott im Konversionserlebnis und der Anerkennung von außergewöhnlichen persönlichen Offenbarungen Gottes an einen Menschen zu allen Zeiten stark betont. Nicht zufällig beklagt sich Charles Chauncy im einleitenden Brief von Enthusiasm Described and Caution'd against gegenüber James Davenport darüber, daß dessen Wirken dazu angetan sei, diesen entscheidenden Unterschied zu verwischen: But that, more especially, which satisfies me, as well as many others, that you are misled in the tho't of being sent by GOD, in an extraordinary manner, to this place, is, the mischief you are like to do h e r e . . . . Your manner in speaking, as well as what you say, seems rather calculated, at least at some times, to disturb the imagination, than inform the judgment-. And I am fully perswaded, you too often mistake the mechanical operations of violent voice and action, for impressions of another kind. Some are not without fear, least by your imprudencies, you should do much towards bringing conversion, the very name of it, into contempt.11

Dadurch, daß die Vorstellungskraft der Menschen, nicht in erster Linie ihr Verstand angesprochen wird - so argumentiert Chauncy - , entziehen sich die unter solchen Umständen gemachten Erfahrungen jeglichem

10

11

Zur Position der Unitarier vgl. Clarence H. Faust, "The Background of the Unitarian Opposition to Transcendentalism," MP, 35 (1938), 297-324. (Boston, 1742), S. ii.

Einleitung

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intersubjektiven Nachvollzug, lassen kein anderes Beurteilungsinstrument zu als die persönliche Erfahrung des Betroffenen. Bloße Einbildungen, Produkte einer überhitzten Phantasie, können so für authentische religiöse Erlebnisse ausgegeben werden. Damit wird eine wirksame Trennung zwischen echtem Konversionserlebnis und bloß eingebildeter göttlicher Ergriffenheit vereitelt. Der neue persönliche Gottesbezug äußert sich dann in dem Anspruch, auf außergewöhnliche Weise, d. h. abseits der normalen Wege zur Erkenntnis Gottes in seinem geoffenbarten Wort oder in den Phänomenen seiner Schöpfung, in Kommunikation mit Gott getreten zu sein und eine besondere Sendung von ihm erhalten zu haben. Wenn so erst einmal die Kontrollfunktion der Bibel beiseite geräumt ist und direkte Offenbarungen an jeden Menschen ergehen können, kann es nicht ausbleiben, daß der Versuch, zutiefst subjektive und von keiner Instanz mehr nachprüfbare Erfahrungen nach außen sichtbar zu machen, zu der Ausflucht führen muß, körperliche Besonderheiten im Zustand der Ergriffenheit als hinreichende Indizien für die Echtheit des religiösen Erlebnisses zu akzeptieren. Damit sind einige der wesendichen Vorwürfe genannt, die immer wieder gegen die Enthusiasten erhoben wurden. Die Kritik konzentriert sich dabei auf die für den Puritaner verdächtige Betonung des subjektiven und emotionalen Elements, das in der Chauncy-Passage im Stichwort "imagination" anklingt. Nicht erst seit der Aufklärung propagierten die Puritaner die leitende und kontrollierende Funktion, die dem Verstand zukam; eine gründliche Ausbildung in den Gesetzen der ramistischen Logik war seit jeher unverzichtbarer Bestandteil jedes Theologiestudiums und die Anwendung der so gewonnenen Fertigkeiten Grundlage jeder verantwortungsvollen Bibelexegese.12 Wenn nun die Enthusiasten in ihrer religiösen Praxis die Gewichte zugunsten der Beteiligung des Gefühls zu verschieben trachteten, subjektives Sendungsbewußtsein an die Stelle logischer Argumentation setzten und persönliche Offenbarungen über die aus der Bibelexegese abgeleiteten Lehrmeinungen stellten, so verließen sie damit nach Meinung der Puritaner den sicheren Boden des in der Bibel geoffenbarten Gotteswortes. In diesem Verständnis bezeichnet der Begriff Enthusiast jemanden, der die Prinzipien von Verinnerlichung und Unmittelbarkeit der Religionserfahrung zu einem solchen Extrem treibt, daß ihm aus religiösem Eifer geborene Vorstellungen und Einsichten notwendigerweise wie gottgegebene Inspirationen vorkommen. Wenn Gott sich jederzeit direkt an

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Dies zeigt Perry Miller, The New England Mind: The Seventeenth Century, S. 64-88 und 181-206. Vgl. auch Chauncy, Enthusiasm Described, S. 18-20.

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Einleitung

jeden M e n s c h e n w e n d e n kann, kann a u c h u m g e k e h r t jede Erkenntnis, die einem ernsthaft u m die Religion bemühten M e n s c h e n zufällt, unmittelbar v o n G o t t s t a m m e n . Diese Ausschaltung des kontrollierenden Verstandes erscheint C h a u n c y als die größte Gefahr und gleichzeitig als ein wesentliches M e r k m a l des typischen Enthusiasmus: But in nothing does the enthusiasm of these persons discover it self more, than in the disregard they express to the Dictates of reason. They are above the force of argument, beyond conviction from a calm and sober address to their understandings. As for them, they are distinguish'd persons; GOD himself speaks inwardly and immediately to their souls. "They see the light infused into their understandings, and cannot be mistaken; 'tis clear and visible there, like the light of bright sunshine; shews it self and needs no other proof but its own evidence. They feel the hand of GOD moving them within, and the impulses of his SPIRIT; and cannot be mistaken in what they feel. Thus they support themselves, and are sure reason hath nothing to do with what they see and feel. What they have a sensible experience of, admits no doubt, needs no probation". And in vain will you endeavour to convince such persons of any mistakes they are fallen into. They are certainly in theright,and know themselves to be so. They have the S P I R I T opening their understandings and revealing the truth to them. They believe only as he has taught them: and to suspect they are in the wrong is to do dishonour to the SPIRIT; 'tis to oppose his dictates, to set up their own wisdom in opposition to his, and shut their eyes against that light with which he has shined into their souls. They are not therefore capable of being argued with; you had as good reason with the wind.13 D i e gleiche Grundposition vertritt der unitarische Geistliche William Ellery C h a n n i n g n o c h i m J a h r e 1 8 1 9 in seiner Predigt anläßlich der Amtseinführung v o n R e v e r e n d J a r e d Sparks: The true inference from the almost endless errors which have darkened theology is, not that we are to neglect and disparage our powers, but to exert them more patiently, circumspectly, uprightly; the worst errors, after all, having sprung up in that church which proscribes reason, and demands from its members implicit faith. The most pernicious doctrines have been the growth of the darkest times, when the general credulity encouraged bad men and enthusiasts to broach their dreams and inventions, and to stifle the faint remonstrances of reason by the menaces of everlasting perdition. Say what we may, God has given us a rational nature, and will call us to account for it. We may let it sleep, but we do so at our peril. Revelation is addressed to us as rational beings.14

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Enthusiasm Described, S. 5. Chauncy zitiert dabei aus John Lockes An Essay Concerning Human Understanding, dem locus classicus, an dem die auf bloße subjektive Uberzeugung gegründete Selbstsicherheit des Enthusiasten mit der Forderung nach rationaler Prüfung jeglicher Anschauung konfrontiert wird (vgl. S. 700 in der Ausgabe von Peter H. Nidditch [Oxford, 1975]). "Unitarian Christianity: Discourse at the Ordination of the Rev. Jared Sparks, Baltimore, 1819," The Complete Works of William Ellery Channing (London, 1884), S. 280.

Einleitung

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Immer noch liefert der Enthusiasmus eines der wichtigsten Feindbilder für die Kirchen Neuenglands, umso mehr als nun die Unitarier, ähnlich wie unmittelbar nach ihrer Auswanderung die Puritaner, sich gegenüber den etablierten großen Glaubensgemeinschaften in einer Art Rechtfertigungszwang sehen und darlegen müssen, daß ihre eigene Kritik an der orthodoxen Kirche als eine Erneuerung und Rückbesinnung auf das eigentliche Wesen des Christentums, keinesfalls jedoch als ein radikaler Aufbruch zu den neuen Ufern etwa des Enthusiasmus zu interpretieren sei. So betont denn auch Channing in seiner Predigt, die später als die maßgebliche Formulierung unitarischer Glaubenssätze betrachtet wurde, geflissentlich die entscheidende Rolle, die dem Verstand im religiösen Bereich zukommt, und ordnet sich damit reibungslos in die lange Tradition neuenglischer Theologie ein. Wie den Puritanern früherer Jahrhunderte geht es ihm um die Bewahrung eines Gleichgewichts zwischen Gefühl und Verstand, zwischen rationaler Durchdringung theologischer Glaubenssätze und von Herzen kommender religiöser Begeisterung. Man braucht denn auch nicht lange zu suchen, um dem obigen Ausschnitt, dessen Betonung auf der rationalen Komponente liegt, einen anderen aus derselben Rede an die Seite stellen zu können, in dem den Emotionen ihr gebührender Platz zugewiesen wird, wenn auch in deutlicher Unterordnung unter die Kontrolle des Verstandes: We would not, by these remarks, be understood as wishing to exclude from religion warmth, and even transport. We honour and highly value true religious sensibility.... But we think that religious warmth is only to be valued when it springs naturally from an improved character, when it comes unforced, when it is the recompense of obedience, when it is the warmth of a mind which understands God by being like Him, and when, instead of disordering, it exalts the understanding, invigorates conscience, gives a pleasure to common duties, and is seen to exist in connection with cheerfulness, judiciousness, and a reasonable frame of mind.15

Die alten Frontlinien neuenglischer Theologie besitzen also bis ins 19. Jahrhundert hinein Gültigkeit. Den sogenannten Enthusiasten wird dabei übereinstimmend vorgeworfen, bei ihnen dominiere das Gefühl in ungebührlicher Weise über den Verstand und durch ihren Glauben an direkte Offenbarungen Gottes für jeden Menschen halte eine nicht mehr zu zügelnde Subjektivität Einzug in die Religion, die der Anarchie Tür und Tor öffne. Da es in erster Linie die Gegner des Enthusiasmus sind, die den Begriff verwenden, um damit aus ihrer Sicht ketzerische Sekten zu etikettieren, nimmt es nicht wunder, daß der Ausdruck schon früh mit den

15

Ibid., S. 287.

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eben umrissenen negativen Konnotationen belastet ist. Das Bewußtsein, daß der griechische Ursprung des Wortes einen durchaus positiven Tatbestand bezeichnete, nämlich das Ergriffensein eines Menschen von der göttlichen Gegenwart in ihm, blieb zwar immer erhalten, doch steht dem in den meisten Definitionsversuchen - aus offenkundigem propagandistischen Interesse - die Einengung des Begriffs auf seine negativen Aspekte entgegen. Charles Chauncy spiegelt allgemeinen orthodoxen Brauch wider, wenn er differenziert zwischen der positiven Grundbedeutung und dem jetzt vorherrschenden negativen Verständnis: The word, from it's Etymology, carries in it a good meaning, as signifying inspiration from GOD : in which sense, the prophets under the old testament, and the apostles under the new, might properly be called Enthusiasts. For they were under a divine influence, spake as moved by the H O L Y G H O S T , and did such things as can be accounted for in no way, but by recurring to an immediate extraordinary power, present with them. But the word is more commonly used in a bad sense, as intending an imaginary, not a real inspiration: according to which sense, the Enthusiast is one, who has a conceit of himself as a person favoured with the extraordinary presence of the Deity. He mistakes the workings of his own passions for divine communications, and fancies himself immediately inspired by the S P I R I T of G O D , when all the while, he is under no other influence than that of an over-heated imagination. 16

Chauncys Definition baut erkennbar auf der Behandlung des Enthusiasmus in Lockes Essay Concerning Human Understanding auf, einem Werk, aus dem er ja auch mehrfach in seiner eigenen Schrift zitiert. Dort werden die typischen Enthusiasten folgendermaßen beschrieben: whatever groundless Opinion comes to settle it self strongly upon their Fancies, is an Illumination from the Spirit of GOD, and presently of divine Authority: And whatsoever odd Action they find in themselves a strong Inclination to do, that impulse is concluded to be a call or direction from Heaven, and must be obeyed; 'tis a Commission from above, and they cannot err in executing it. This I take to be properly Enthusiasm, which though founded neither on Reason, nor Divine Revelation, but rising from the Conceits of a warmed or over-weening Brain, works yet, where it once gets footing, more powerfully on the Perswasions and Actions of Men, than either of those two, or both together: Men being most forwardly obedient to the impulses they receive from themselves.17

Spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, die ja in England im Gefolge der Revolutionswirren sowohl das erste Auftreten der Quäker als auch das Entstehen zahlreicher anderer radikaler puritanischer Sekten brachte, denen enthusiastische Tendenzen nachgesagt wurden, ist

16 17

Enthusiasm Described, S. 3. Locke, Essay Concerning Human Understanding, S. 699.

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die vornehmlich negative Auslegung des Begriffs im allgemeinen Bewußtsein anscheinend fest verankert. Dies bezeugen dort nicht nur Streitschriften, die ausdrücklich gegen den Enthusiasmus zu Felde ziehen, sondern auch die zeitgenössischen Wörterbücher, in denen zunehmend das subjektive und daher unzuverlässige Element betont wird bis hin zur expliziten Einstufung des Enthusiasmus als Fanatismus, der göttliche Offenbarungen nur vorgibt. 18 Schaut man noch kurz in das 19. Jahrhundert hinein, so findet man bei dem Engländer Isaac Taylor nun sogar das Bemühen, das Wort rigoros auf seine negative Bedeutung zu fixieren und jeden Versuch, die ursprünglichen positiven Konnotationen wiederzubeleben, als einen Akt moderner Sprachverdrehung hinzustellen: To apply an epithet which carries with it an idea of folly, of weakness, and of extravagance, to a vigorous mind, efficiently as well as ardently engaged in the pursuit of any substantial and important object, is not merely to misuse a word, but to introduce confusion among our notions, and to put contempt upon what is deserving of respect. Where there is no error of imagination, no misjudging of realities, no calculations which reason condemns, there is no enthusiasm, even though the soul may

18

Stellvertretend für frühe englische Traktate zu diesem Thema seien Meric Casaubon, Treatise Concerning Enthusiasme (London, 1655) und Henry More, Enthusiasmus Triumphatus (London, 1656) genannt. In frühen Wörterbüchern wie denen von John Florio, Queen Anna's New World of Words (1611; repr. Menston, 1968) oder Rändle Cotgrave, A Dictionarie of the French and English Tongues (1611; repr. Menston, 1968) herrscht noch eine völlig neutrale Beschreibung vor ("a Poetkall orpropheticall fury, a rauishment ofsenses from ahoue" bei Florio; "A rauishment of the spirit; diuine motion, or inspiration; poeticall furie" bei Cotgrave). Thomas Blounts Glossographia von 1656 (repr. Menston, 1969) definiert "enthusiasts" schon mit größerer Hervorhebung des subjektiven Faktors als "a Sect of people that thought themselves inspired, with a Divine spirit, and to have a clear sight of all things they beleeved, &c.", wobei seine Skepsis gegenüber ihren Anschauungen hörbar durchklingt. Negative Interpretationen des Begriffs legen dann Edward Phillips, The New World of English Words (1658; repr. Menston, 1969), Elisha Coles, An English Dictionary (1676; repr. Menston, 1971), John Kersey, A New English Dictionary (1702; repr. Menston, 1969) sowie Thomas Dyche und William Pardon im New General English Dictionary (1740; repr. Hildesheim, 1972) vor. Der Eintrag unter "enthusiasm" im letztgenannten Werk lautet: "a prophetick or poetick rage, spirit, or fury, which transports the mind, enflames and raises the imagination, and makes it think and express things extraordinary and suprizing; but the word is generally applied to those persons who pretend to have divine revelation, to support some monstrous, ridiculous, or absurd notions in religious matters, and thereby takes away both reason and revelation, and substitutes in the room thereof the groundless fancies, and obstinate result of self-willedness, by using extravagant gestures and words, pretending to things not only improbable, but also impossible." Zur Definition von Enthusiasmus in Wörterbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. auch Susie I. Tucker, Enthusiasm: A Study in Semantic Change (Cambridge, 1972), S. 15-17.

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be on fire with the velocity of its movement in pursuit of its chosen object. If once we abandon this distinction, language will want a term for a well-known and very common vice of the mind; and, from a wasteful perversion of phrases, we must be reduced to speak of qualities most noble and most base by the very same designation. If the objects which excite the ardour of the mind are substantial, and if the mode of pursuit be truly conducive to their attainment; if, in a word, all be real and genuine, then it is not one degree more, or even many degrees more, of intensity of feeling that can alter the character of the emotion. Enthusiasm is not a term of measurement, but of quality

So ergibt sich die Feststellung, daß der Begriff "enthusiasm" zumindest im religiösen Anwendungsbereich seit jeher mit starken negativen Konnotationen versehen war und daß sogar der Versuch unternommen wurde, ihn unter bewußter Aussparung anderer Auslegungsmöglichkeiten auf die Bezeichnung dieser negativen Aspekte zu fixieren. Unter diesen Vorzeichen wird übereinstimmend der Anspruch auf persönliche Eingebungen von Gott als das Produkt einer ausschweifenden Fantasie oder überhitzter Einbildungskraft abqualifiziert.

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Isaac Taylor, Natural History of Enthusiasm (London, 7 1834), S. 7.

II. Die Antinomierkrise von 1636-1638 Eben dieser Vorwurf, einen Enthusiasmus zu predigen, dessen Verankerung in bloßer Subjektivität jeder Form von Anarchie Vorschub leiste und in letzter Konsequenz auf ein Schreckensregime wie das der Wiedertäufer in Münster hinauslaufe, ist auch während der Antinomierkrise der Jahre 1636-1638 von Seiten der Geistlichkeit und der Regierung gegen Anne Hutchinson und ihre Anhänger erhoben worden; ja, wie die Prozeßberichte zeigen, führte letztendlich wohl nur Anne Hutchinsons eigene Darstellung über die Offenbarungen, die ihr zuteil geworden seien, zu dem harten Urteil ihrer Verbannung und Exkommunikation, nachdem alle vorhergegangenen Versuche, ihr ketzerische oder blasphemische Lehren nachzuweisen, aufgrund unzureichenden Beweismaterials oder durch die geschickte Verteidigung der Angeklagten im Sande verlaufen waren. 1 Selbst aus John Winthrops knappem Tagebucheintrag über den öffentlichen Prozeß gegen Anne Hutchinson geht diese Tatsache noch mit genügender Deutlichkeit hervor, obwohl Winthrop als einer der Hauptvertreter der Gegenpartei natürlich den für ihn unbefriedigenden Verlauf der Verhandlung bis zu der alles entscheidenden Wende allenfalls zwischen den Zeilen andeutet: The court also sent for Mrs. Hutchinson, and charged her with divers matters, as her keeping two public lectures every week in her house, whereto sixty or eighty persons did usually resort, and for reproaching most of the ministers (viz., all except Mr. Cotton) for not preaching a covenant of free grace, and that they had not the seal of the spirit, nor were able ministers of the New Testament; which were clearly proved against her, though she sought to shift it off. And, after many speeches to and fro, at last

1

So beurteilen den Prozeßverlauf auch Edmund S. Morgan, "The Case against Anne Hutchinson," NEQ, 10 (1937), 635-649, dort besonders S. 644-649, und David D. Hall in seiner Einleitung zu The Antinomian Controversy, 1636-1638: A Documentary History (Middletown, Conn., 1968), S. 10: "Her trial by the Court was nearly a disaster, for Mrs. Hutchinson made the various charges brought against her seem ridiculous. Not until she spoke of receiving revelations from God did the Court find an issue on which she could be banished from the colony." - Die von Hall herausgegebene Sammlung enthält alle relevanten Dokumente zur Antinomierkrise und ersetzt damit das bisherige Standardwerk von Charles Francis Adams, Antinomianism in the Colony of Massachusetts Bay, 1636-1638 (Boston, 1894). Im folgenden werden alle bei Hall abgedruckten Texte nach seiner Ausgabe zitiert.

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she was so full as she could not contain, but vented her revelations; amongst which this was one, that she had it revealed to her, that she should come into New England, and should here be persecuted, and that God would ruin us and our posterity, and the whole state, for the same. So the court proceeded and banished her.2

Nun war allerdings Anne Hutchinson keineswegs die einzige Person, die mit ihren Ansichten das Mißfallen der weltlichen und geistlichen Lenker von Massachusetts erregt hatte, und sie war wohl nicht einmal die zentrale Figur der theologischen Debatte jener Jahre, auch wenn sich im weiteren Verlauf der Kontroverse die Angriffe der Orthodoxen zunehmend auf sie als den angeblichen Anstifter aller im Umlauf befindlichen Irrlehren konzentrierten. Vielmehr deuten die Ergebnisse aller moderneren Untersuchungen, die sich mit der Antinomierkrise beschäftigen, übereinstimmend darauf hin, daß die Auseinandersetzung zunächst zwischen John Cotton, der den Posten des "teacher" an der Kirche in Boston innehatte, und seinen neuenglischen geistlichen Kollegen ausgetragen wurde. David D. Hall faßt diese Erkenntnis in der Einleitung zu seiner Sammlung von Dokumenten zur Antinomierkrise zusammen: In the traditional view of the Antinomian Controversy, Anne Hutchinson assumes the leading role as the chief antagonist of the orthodox party. But in the new documents, the major figure is John Cotton. Strictly speaking, he was not an Antinomian, yet the evidence gathered here clearly indicates that his differences of opinion with the other ministers in Massachusetts were at the heart of the Controversy.3

So ging es denn bei der ganzen Debatte zunächst auch gar nicht um die Frage persönlicher direkter Offenbarungen, sondern um das Problem, ob und wie der Mensch sich auf den Augenblick seiner Erweckung durch Gott vorbereiten könne oder, anders ausgedrückt, inwieweit

2

3

James Kendall Hosmer (ed.), Winthrops Journal "History of New England" 1630-1649 (New York, 1908; repr. 1966), I, 240. The Antinomian Controversy, S. 4. - Auch Norman Pettit, The Heart Prepared, S. 1 SOI S / , stellt Cotton in den Mittelpunkt seiner Behandlung dieses Problemkreises, nachdem zuvor Perry Miller in einem 1943 erstmals veröffentlichten Artikel den größeren Zusammenhang zum Konzept der "preparation for salvation" hergestellt hatte: " 'Preparation for Salvation' in Seventeenth-Century New England," in Nature's Nation, S. 50-77; vgl. auch The New England Mind: From Colony to Province, S. 56-64. Miller und Pettit sind die maßgeblichen Quellen für meine folgende knappe Zusammenfassung der damals geführten theologischen Diskussion. Hinzuzuziehen ist aber auch William K. B. Stoever, 'A Faire and Easie Way to Heaven': Covenant Theology and Antinomianism in Early Massachusetts (Middletown, Conn., 1978), der durch seine Einordnung des neuenglischen Antinomiertums in allgemeinere zeitgenössische Tendenzen auch in England eine nützliche Ergänzung zu Miller und Pettit bietet (besonders S. 34-80, 161-183).

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dem Menschen bei seiner Erwählung eine aktive Rolle zufalle. John Cotton vertrat in dieser Diskussion einen Standpunkt, der radikal Ernst machte mit Calvins Scheidung zwischen einem allmächtigen und gerechten Gott auf der einen Seite und der seit Adams Sündenfall von Grund auf verderbten Menschheit auf der anderen Seite, die keine Möglichkeit besitzt, sich aus eigener Kraft aus ihrer Schlechtigkeit zu befreien. Dementsprechend konnte es für Cotton bei der Konversion keine menschliche Beteiligung geben, da die Annahme eines solchen aktiven Parts des Menschen in seinen Augen die Allmacht Gottes geschmälert hätte. Er versteht das Konversionserlebnis als ein reines Ergriffenwerden des Menschen von einer höheren Macht, die nach ihrem eigenen unergründlichen Ratschluß den einen Menschen erwählt, den anderen nicht, ohne Rücksicht auf irgendwelche "Leistungen", die der Mensch zuvor erbracht hat: My plain meaning is; In case of Justification when the Spirit doth witness, and apply and seal that unto the Soul, it witnesseth without sight of any work of ours foregoing as any way preparing us thereunto: yea the witness thereof upon the only sight of Christs righteousnes imputed to us (not upon sight or work of any righteousnes of ours) is the cause of our faith, and the good works that follow it, not they of it.4

Weder ein christlicher Lebenswandel noch der Glaube, der nach übereinstimmender Auffassung der reformierten Kirche im "covenant of grace" die entscheidende Bedingung ist, an die Gottes Erlösungsversprechen geknüpft ist, dürfen den natürlichen Fähigkeiten des Menschen zugeschrieben und damit als sein Beitrag zur Erwählung angerechnet werden. Vielmehr wird beides für Cotton erst durch die Ausgießung des Heiligen Geistes im Konversionserlebnis ins Leben gerufen; vor seiner Erweckung verfügt der Mensch aufgrund seiner abgrundtiefen Schlechtigkeit gar nicht über die Fähigkeit, einen wirklich erlösenden Glauben zu entwickeln, und alles Bemühen um einen christlichen Lebenswandel sieht vor der tatsächlichen Erweckung in gefährlicher Weise danach aus, als hänge der Betreffende einem "covenant of works" an, d. h. als glaube er sich durch eigene Leistungen seine Erlösung sichern zu können, anstatt in Anerkennung seiner menschlichen Nichtigkeit und Schuld seine Hoffnung einzig und allein auf Gott zu bauen. 4

Aus "Mr. Cottons Rejoynder", einer Schrift, die John Cotton im Rahmen eines Meinungsaustausches mit den übrigen Geistlichen der Kolonie über sechzehn strittige Lehren verfaßte, die auf ihn zurückgeführt wurden; bei Hall, S. 87. Vgl. auch die Zusammenfassung der Ansichten Cottons in Larzer Ziff, The Career ofJohn Cotton: Puritanism and the American Experience (Princeton, N.J., 1962), S. 109; ferner Stoever, 'A Faire and Easie Way', S. 41-46.

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Gegenüber dieser Position Cottons hatten andere neuenglische Geistliche wie Hooker, Shepard oder Bulkeley, aufbauend auf Ansätzen bei älteren englischen Puritanern, der menschlichen Komponente größeres Gewicht eingeräumt und ein System von vorbereitenden Schritten ersonnen, mit deren Hilfe der Mensch zwar sicher nicht seine Erwekkung herbeiführen, aber doch gewisse Voraussetzungen schaffen konnte, um sie wahrscheinlicher zu machen und um seine Bereitschaft für den Fall ihres Zustandekommens zu bekunden. Diesen Theologen ging es vor allem darum, denjenigen Gläubigen Hilfen an die Hand zu geben, die sich bei allem aufrichtigen Streben nach Nähe zu Gott nicht über ihren eigenen Status klar werden konnten, da sie kein eindeutiges Erweckungserlebnis vorweisen konnten und so noch nicht mit Sicherheit wußten, ob sie zu den Erwählten gehörten oder nicht. Für solche bot das Konzept der "preparation" zum einen eine Bestärkung in ihren Bemühungen um einen christlichen Lebenswandel, zum anderen hielt es Zeichen bereit, von denen aus sie mit einiger Gewißheit auf ihre Erwählung rückschließen konnten. Gleichzeitig wurde durch dieses System von vorbereitenden Schritten das Konversionserlebnis von einem kurzen, überwältigenden Augenblick göttlicher Ergriffenheit, analog etwa zu der unvermittelten Bekehrung des Paulus auf seinem Weg nach Damaskus, ausgedehnt zu einem Prozeß, der sich durchaus über einen gewissen Zeitraum erstrecken und aufgrund seiner fein abgestuften Schritte fast unmerklich in den Zustand tatsächlicher Erwählung hinüberführen konnte. Zwar verbarg sich hinter diesem Verständnis von Konversion kein grundsätzlich neuer theologischer Gedanke beide Vorstellungen hatten von vornherein im Puritanismus ihren Platz, und für beide ließen sich auch entsprechende Vorbilder in der Bibel anführen - , doch beinhaltete das Konzept der "preparation" schon eine deutliche Akzentverschiebung mit dem Ziel, die für viele Menschen offensichtlich schwer zu lokalisierende Konversionserfahrung an konkreten Fakten aufzuhängen und darüber hinaus, sämtliche Gemeindemitglieder, Erweckte wie noch nicht Erweckte, durch die stärkere Betonung äußerlich nachprüfbarer religiöser Elemente vermehrt zu einer Lebensführung anzuhalten, wie man sie von einem "visible saint" erwarten durfte. Genau hier schieden sich die Wege von Cotton und seinen geistlichen Kollegen. Selbst Winthrop, der ansonsten dazu neigt, die Unterschiede zwischen Cottons Lehren und denjenigen der übrigen Geistlichen als möglichst geringfügig hinzustellen, damit nicht der Eindruck entsteht, als bewege sich einer der führenden Theologen Neuenglands hart am Abgrund der Ketzerei, muß auf die entscheidenden Diskrepanzen hinweisen, die ihren Ursprung in einer voneinander abweichenden Defini-

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tion der Rolle des Menschen vor und bei der Konversion haben. Zwar hätten sich die beiden Parteien, so geht aus einem Eintrag seines Tagebuches hervor, in zahlreichen Einzelheiten bereits so weit einander genähert, daß es schon besonderer theologischer Kenntnisse bedurfte, um die Unterschiede überhaupt noch ausmachen zu können - "so as, except men of good understanding, and such as knew the bottom of the tenets of those of the other party, few could see where the difference was" - , doch blieb der zentrale Streitpunkt von dieser Annäherung im Detail unberührt: The difference was, whether the first assurance be by an absolute promise always, and not by a conditional also, and whether a man could have any true assurance, without sight of some such work in his soul as no hypocrite could attain unto.5

In dem Gegensatz von "absolute promise" und "conditional promise" klingt die differierende Auffassung von der Konversion als einem Augenblick der totalen Neugestaltung des Menschen, einem radikalen Umschwung von äußerster Hilflosigkeit und Verderbnis hin zum Zustand der Erwählung, oder aber als einem allmählichen Übergang von der natürlichen Schlechtigkeit zur Gewißheit der Erlösung an, wobei die Tatsache, daß Gottes Versprechungen an Bedingungen geknüpft sein können, in sich schon die Annahme beinhaltet, daß der Mensch auch vor seiner endgültigen Erweckung gewisse rudimentäre Fähigkeiten besitzen muß, die ihm das Erfüllen der gestellten Bedingungen ermöglichen. 6 Ferner ging die Mehrheit der neuenglischen Geistlichen davon aus, daß auch ohne ein deutlich zu bezeichnendes Konversionserlebnis jemand sich als erwählt betrachten durfte, wenn seine ganze religiöse Einstellung und Lebensführung den Schluß nahelegten, daß er im Zustand der Verdammnis solche christlichen Tugenden wohl nicht an den Tag legen könnte. All diese Versuche, die Konversion, den Augenblick der "justification", zu zergliedern oder rückwirkend aus dem Lebenswandel des Kandidaten, seiner "sanctification", zu erschließen, lehnte Cotton ab. s 6

Journal, 1,216-217. Daß Cotton gerade solch eine Annahme, wie sie dem Konzept des "conditional promise" zugrundeliegt, ohne Einschränkung ablehnt, geht aus seiner Antwort auf die Frage hervor: " Whether there be any gracious conditions, or qualifications, in the soule before faith, of dépendance unto which, such promises are madef, in A Conference ... Held at Boston, bei Hall, S. 175-177. Vgl. auch Frage 8 aus den Sixteene Questions, die Cotton vorgelegt wurden, und seine Antwort darauf (Hall, S. 50-51 und 91-100). Der Streitpunkt wird ebenfalls behandelt unter den Irrlehren 38 und 48 in Winthrops A Short Story of the Rise, reign, and ruine of the Antinomians, Familists & Libertines (bei Hall, S. 229 und 232).

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Für ihn zählte allein die Erfahrung der Erweckung selbst; in ihr fielen für ihn alle die einzelnen Schritte, die bei seinen Kontrahenten unterschiedliche Phasen eines größeren Prozesses ausmachten, auf einen Schlag zusammen. 7 In diese Richtung zielten denn auch schon früh die Vorwürfe, die gegen Cotton erhoben wurden: Here also it farther appears. That whereas the great disputes of late have been, Whether Sanctification may be discerned by any properties in itself. Whether Justification may be seen in the evidence of faith. And whether Sanctification may be seen before Justification. All these have been in vain; and all are taken up in this one conclusion, That we can see neither Sanctification nor faith no nor Justification, before the witness of the Spirit; but all at once by it. And whereas it hath been wont to be argued thus, He that believeth shall be saved, He that is justified shall be saved, He that is sanctified shall be saved. Now it is thus, He that shall be saved is justified is sanctified hath faith.8

Cotton vollzog ein radikale Trennung zwischen dem sündigen und ohnmächtigen Menschen vor der Konversion und dem erweckten Gläubigen mit all den Fähigkeiten, die durch Gottes Geist nun in ihm zu neuem heilbringenden Leben erwacht waren. Alles, was der Mensch zu leisten imstande ist, vollbringt er laut Cotton nur durch den Heiligen Geist, der in der Konversion über ihn kommt; das bedeutet aber umgekehrt, daß alle Werke eines Menschen vor seiner Erwählung in den Augen Gottes nicht zählen. Ein derartiges Konversions- und Menschenverständnis - so lautete der Haupteinwand der orthodoxen Opposition - ebnete allerdings den Weg zu Konsequenzen, die kein Puritaner unwidersprochen hinnehmen konnte. Wenn die menschlichen Fähigkeiten, für sich genommen, tatsächlich so niedrig einzustufen waren, wie Cotton behauptete, und

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Vgl. Everett H. Emerson, John Cotton (New York, 1965), S. 87-88. Interesse verdient in diesem Zusammenhang der Versuch von Joe Lee Davis, "Mystical Versus Enthusiastic Sensibility," Journal of the History of Ideas, 4 (1943), 301-319, die Begriffe Mystizismus und Enthusiasmus voneinander abzugrenzen. Als Hauptdifferenzierungskriterium zieht er dabei den unterschiedlichen Weg heran, den Mystiker und Enthusiast gehen, um zur direkten Erfahrung Gottes zu gelangen. Demzufolge nähen sich der Mystiker der göttlichen Gegenwart auf einer Leiter methodisch aufeinander aufbauender Bewußtseinsstufen, wohingegen der Enthusiast eine plötzliche, vollkommene und alles auf einmal in sich begreifende Schau göttlichen Seins erfährt (hierzu besonders S. 301-307). Akzeptiert man diese Unterscheidung, so befand sich Cotton mit seiner starken Betonung des Zusammenfalls aller Teilaspekte im alles entscheidenden Konversionserlebnis tatsächlich bereits ein kleines Stück auf dem Wege fort vom eher mystisch angehauchten Vorbereitungsgradualismus seiner Kollegen hin zur enthusiastisch geprägten unvermittelten Gottschau seiner Anhängerin Anne Hutchinson. "The Eiders Reply", eine Entgegnung der Geistlichen auf Cottons Antwort zu den ihm vorgelegten sechzehn Fragen; bei Hall, S. 75.

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erst durch die Vereinigung mit Christus von Belang werden konnten, dann lag natürlich die Folgerung nahe, daß es sich für einen potentiellen Kandidaten gar nicht lohnte, in irgendeiner Weise auf seine Erweckung hinzuarbeiten, da ihm das bestenfalls nichts einbrachte, schlimmstenfalls sogar als ein sündiges Festhalten an einem "covenant of works" ausgelegt werden konnte. Alle Aktivität konnte und mußte nur von Gott ausgehen; der Mensch verharrte am besten in abwartender Passivität. 9 Ebenso gab es im Grunde auch keine Veranlassung, sich um die Erfüllung christlicher Pflichten zu bemühen, da letztendlich ja doch nicht diese über die Anerkennung vor Gott entschieden, sondern einzig die Tatsache, ob der Mensch durch den Heiligen Geist Anteil an der Vollkommenheit Christi erhalten hatte oder nicht. Dies galt ganz selbstverständlich vor der Konversion - kein Mensch konnte sein Leben von sich aus auf Gott ausrichten, bevor dieser ihn nicht zu sich gerufen hatte - , es galt aber in gewissem Maße auch noch für den erweckten Christen. Denn wenn tatsächlich allein die Vereinigung mit Christus in der Konversion über den Status des Betreffenden vor Gott bestimmte, dann war es genau genommen ganz unerheblich, inwieweit ein einmal Erwählter nach seiner Konversion noch in einen sündhaften Lebenswandel zurückfiel. Gottes Versprechungen an den Erwählten sind unwiderruflich - wie sonst sollte Gott allwissend sein, wenn er sich nachträglich korrigieren müßte? - , und sobald erst einmal die Gewißheit, wahrhaft erweckt zu sein, eingekehrt ist, können auch spätere, noch so schwerwiegende Verfehlungen weder an dem objektiven Tatbestand der Erwählung rütteln noch bei einem überzeugten Gläubigen seine subjektive Sicherheit über diesen Tatbestand nennenswert erschüttern. 10 Es versteht sich von selbst, daß solche Folgerungen, die allen Aufrufen zu einem Leben in Ausrichtung an Gottes Geboten den Boden entzogen, den heftigsten Protest der Geistlichkeit hervorrufen mußten und sogar die Besorgnis der staatlichen Organe erregten. Denn auch ohne die enge Verflechtung von Kirche und Staat, wie sie in den

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Cotton entwarf hierfür den Vergleich mit einem Ölgefäß: "In this union the soule Receyveth Christ, as an empty vessell receyveth oyle: but this receyving is not active, but passive." (Aus einem Disput mit Peter Bulkeley, bei Hall, S. 37; ähnlich auch in The Way of Congregational Churches Cleared [ London, 1648], S. 4Ü.) Dieser Vergleich fand sogar Eingang in Winthrops Tagebuch und wird dort zusammen mit anderen irrigen Meinungen erwähnt: "After, it was granted, that faith was before justification, but it was only passive, an empty vessel, etc." {Journal, I, 206). Vgl. die Debatte über Frage 6 aus den Cotton vorgelegten Sixteene Questions (bei Hall, S. 50, 65-66 und 88-90); ferner die Irrlehren 2 0 , 3 2 , 4 2 , 56 und die dritte "unsavoury speech" in der Short Story (Hall, S. 224, 227, 230, 234 und 245).

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jungen Kolonien Neuenglands herrschte, bedurfte es keiner übermäßigen Fantasie, um sich auszumalen, daß solche Thesen sehr rasch auch das geordnete Funktionieren des Gemeinwesens beeinträchtigen konnten. Von daher muß dem von Winthrop und seiner Partei immer wieder vorgebrachten Argument, die Gründe für die harten Urteile über Anne Hutchinson und ihre Anhänger seien nicht in puritanischer Intoleranz, sondern in politischen Erwägungen zu suchen, immerhin einige Glaubwürdigkeit zugebilligt werden. 11 Schließlich und vor allem aber deutet die Betonung des unmittelbaren Kontaktes zu Gott eine gedankliche Richtung an, der im weiteren Verlauf der Kontroverse entscheidende Bedeutung zukommen sollte. Dadurch, daß einzig das Konversionserlebnis über die tatsächliche Erwählung eines Kandidaten Aufschluß geben kann, wird das Gewicht von vornherein stark von der objektiv nachprüfbaren Seite der Lebensführung und der doktrinellen Unbedenklichkeit zu den Aspekten von Innerlichkeit und Subjektivität hin verlagert. Untermauert wird diese Tendenz noch dadurch, daß, wie gesehen, dem Menschen nur eine passive, rein rezeptive Rolle zugewiesen wird, die sich selbst nach seiner Erweckung nicht grundsätzlich ändert, da weiterhin dem Prinzip der Verinnerlichung und Intensivierung des Kontaktes zu Gott absoluter Vorrang gebührt. Alles zielt darauf ab, die Erfahrung persönlicher Gottesnähe zu fördern und in den Mittelpunkt religiösen Erlebens zu rücken. Die orthodoxen Kritiker dieser Linie sahen hier Ansatzpunkte zu einer Theorie der "immediate revelation", die den sicheren Boden des in der Bibel geoffenbarten Gotteswortes verließ. Schon in einem Briefwechsel vom Frühjahr 1636 zwischen John Cotton und Thomas Shepard klingt diese Gefahr an, wenn Shepard seinem Kollegen die besorgte Frage stellt: Whether this revelation of the spirit, is a thing beyond and above the w o o r d ; and whether tis safe so to say; because the spirit is not seperated from the woord but in it and is ever according to it. 12

Erstmals, wenn auch noch unausgesprochen, taucht hier das Gespenst des Enthusiasmus im Hintergrund auf, denn nichts anderes meint Shepards Frage nach einer Offenbarung, die dem Gläubigen unabhängig von der Schrift zuteilwerden kann. Für den orthodoxen Puritaner ist Gottes direkte Offenbarung an die Menschheit mit der Niederschrift

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Vgl. etwa T h o m a s Welds "Preface" zu Winthrops Short Story, bei Hall, S. 213-214 und 217. Hall, S. 26.

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des Neuen Testamentes abgeschlossen; alles weitere Ergründen göttlicher Ratschlüsse kann nur auf dem Wege des tieferen Verständnisses und der Auslegung dieses einmal geoffenbarten Wortes erfolgen.13 Wenn daher jemand behauptet, direkte Eingebungen von Gott erhalten zu haben, so drängt sich der Verdacht auf, er baue hier auf eine Quelle religiöser Erfahrung, die die Bibel beiseite schiebt oder gar geringschätzt. Eine möglichst innige Beziehung zu seinem Schöpfer ist sicherlich das legitime Ziel jedes Puritaners, zumal im Puritanismus seit je der erfahrungsbezogenen Komponente im religiösen Leben breiter Raum zugestanden wurde, doch muß das subjektive Erleben eingebunden bleiben in die aus der Bibel ableitbaren Modelle und Richtlinien. Von solcher Warte aus betrachtet, mußte John Cottons Antwort auf die oben formulierte Frage die Vertreter der Orthodoxie allerdings recht bedenklich anmuten: The word, and Revelation of the spirit, I suppose doe as much differ, as letter, and spirit. And therefore though I consent to you, that the spirit is not separated from the word, but in it, and ever according to it: yet above, and beyond the letter of the word it reacheth forth comfort, and Power to the soule, though not above the sence, and Intendment of the Word. 14

Zwar unterstreicht er die traditionelle Anschauung, daß nichts, was der Heilige Geist einem Gläubigen, zum Beispiel bei der Konversion, eingibt, über die Lehre der Schrift hinausgehen kann, doch klingt diese Beteuerung orthodoxen Dogmas ein wenig lahm nach der vorhergehenden vielsagenden Gegenüberstellung von bloßem Buchstaben und Geist. 15 Offensichtlich mißt Cotton der persönlichen Seite der Religionsausübung, vor allem der persönlichen Begegnung mit Gott in der Konversion, eine für das betreffende Subjekt weitaus höhere Bedeutung zu als den in der Bibel nachzulesenden Wahrheiten. Den übrigen Geistlichen schien solch eine Haltung jedoch bereits ein zu großer Schritt in Richtung auf die unautorisierten Offenbarungen der Enthusiasten zu sein, denn obwohl Cotton selber einer enthusiastischen Position gewiß fern stand, warnt ihn Shepard doch schon früh davor, daß andere weitergehende Schlüsse aus seinen Ansichten ziehen könnten, als ihm lieb sei, und daß auch der Verweis auf die unerläßliche Übereinstimmung mit der Bibel kein hinreichend sicheres Bollwerk gegen die Gefahr des Enthusiasmus sei: 13 14 15

Vgl. hierzu etwa die Widerlegung der Irrlehre 40 in der Short Story (Hall, S. 230). Hall, S. 30; ähnlich in A Treatise of the Covenant of Grace (London, 1671), S. 177-179. Daß Cotton mit dieser Differenzierung von Wort und Geist allerdings durchaus eine breitere Strömung im Puritanismus repräsentiert, zeigt Geoffrey F. Nuttall, The Holy Spirit in Puritan Faith and Experience (Oxford, 1946), S. 21-26.

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on thing more I doe with submission desire you not to [be] mistaken in; as if that the Familists doe not care for woord or ordinances but only the spirits motion; for I have bin with many of them and hence have met with many of there bookes; and I doe know thus much of them, that scarce any people honour woord and ordinances more, for they will professe that there they meet with the Spirit and there superlative raptures;... this I speake from the enforcement of my conscience, least under this colour of advancing woord together with the spirit, you may meet in time with some such members (though I know none nor judge any) as may doe your people and ministry hurt, before you know it; and thus I have plainly writ my hart unto you, being persuaded that in the spirit of meeknes, you will not thinke I have thus writ to begin or breed a quarrell; but to still and quiet those which are secredy begun and I feare will flame out unles they be quenched in time.16 Die weitere E n t w i c k l u n g dieser theologischen K o n t r o v e r s e bewies, wie recht die o r t h o d o x e Partei mit ihren Befürchtungen hatte, und auch C o t t o n selber m u ß t e a m E n d e eingestehen, daß er die möglichen Folgerungen aus seinen L e h r e n w o h l nicht genügend überschaut habe: It is true, my spirit had much cause to be humbled,... that my self should be so sleepy and invigilant, as that these (not Tares onely, but Bryers) should be sowen in our Field, and my self not discerne them, till sundry persons up and down the Countrey were leavened by them.17 N o c h w ä h r e n d des öffentlichen Prozesses hatte C o t t o n versucht, einer vorschnellen V e r d a m m u n g A n n e H u t c h i n s o n s entgegenzuwirken, ind e m er ihr Eselsbrücken z u einer weniger anstößigen F o r m u l i e r u n g ihrer Ansichten o d e r z u einem W i d e r r u f mit weniger drastischen p e r sönlichen K o n s e q u e n z e n baute. Selbst als das gefährliche T h e m a der direkten Offenbarungen z u r Sprache k a m , bei d e m nach übereinstimm e n d e r A n s c h a u u n g aller die A n t i n o m i e r ihr wahres Gesicht zeigen mußten, u n t e r n a h m C o t t o n n o c h einen letzten Versuch, A n n e H u t chinson v o r d e m entscheidenden Schritt in die Ketzerei z u bewahren, o b w o h l er d u r c h sein Verhalten das vorübergehende Mißtrauen J o h n Endicotts und das ausdrückliche Mißfallen T h o m a s D u d l e y s erregte. 1 8

16

17

18

Hall, S. 28-29. Ansichten, wie sie hier mit Cotton in Verbindung gebracht werden, mögen auch die in The Way of Congregational Churches Cleared (S. 53) referierte Meinung erklären, seine Lehren seien das trojanische Pferd gewesen, durch das die übrigen Irrlehren in Boston Fuß gefaßt hätten. The Way of Congregational Churches Cleared, S. 63. Vgl. ähnlich auch Winthrop, Journal, I, 284. "The Examination of Mrs. Anne Hutchinson at the Court at Newtown," in Hall, S. 340-343. Vgl. auch Stephen Foster, "New England and the Challenge of Heresy, 1630 to 1660: The Puritan Crisis in Transadantic Perspective," William and Mary Quarterly, 38 (1981), 644-645.

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Erst als Anne Hutchinsons Position durch ihr eindeutiges Bekenntnis zu ihren gottgesandten Eingebungen vollkommen unhaltbar geworden war, vollzog auch Cotton die uneingeschränkte Trennung von ihr und ihren Ansichten. Die Anführerin der Antinomierpartei hatte sich als Befürworterin eines hemmungslosen Enthusiasmus erwiesen; hierhin konnte und wollte ihr Cotton nicht mehr folgen. Ihr Enthusiasmus war also der Stolperstein, der Anne Hutchinson zu Fall brachte. In diesem Punkt ließ sie sicherlich die Lehren Cottons weit hinter sich, deren gedankliche Anstöße sie in wöchentlichen Predigtbesprechungen anderen, vornehmlich weiblichen Mitgliedern der Bostoner Gemeinde, zunächst sogar mit der wohlwollenden Duldung aller Kirchenverantwortlichen, auseinandergelegt hatte.19 Dennoch lassen die ihr vor Gericht zur Last gelegten Lehren, die schließlich in eine traditionell als Enthusiasmus bezeichnete Haltung einmündeten, ihren Ursprung im von Cotton propagierten Gedankengut zweifelsfrei erkennen. So wirft ihr Winthrop in der Short Story etwa vor, nachdem er unmittelbar vorher aufgezeigt hat, wie Anne Hutchinson sich durch das anerkennenswerte Bemühen um das körperliche und seelische Wohl ihrer Mitbürger in das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung eingeschlichen hatte: But when shee had thus prepared the way by such wholesome truths, then shee begins to set forth her own stuffe, and taught that no sanctification was any evidence of a good estate, except their justification were first cleared up to them by the immediate witnesse of the Spirit, and that to see any work of grace, (either faith or repentance, &c.) before this immediate witnesse, was a Covenant of works: whereupon many good soules, that had been of long approved godlinesse, were brought to renounce all the work of grace in them, and to wait for this immediate revelation: then sprung up also that opinion of the in-dwelling of the person of the Holy Ghost, and of union with Christ, and Justification before faith, and a denying of any gifts or graces, or inherent qualifications, and that Christ was all, did all, and that the soule remained alwayes as a dead Organ: and other of those grosse errours, which were condemned in the late Assembly, and whereof diverse had been quashed, by the publick Ministery; but the maine and bottom of all, which tended to quench all indevour, and to bring to a dependance upon an immediate witnesse of the Spirit, without sight of any gift or grace, this stuck fast.20

Viele Streitpunkte aus der Diskussion zwischen Cotton und seinen neuenglischen Kollegen tauchen hier als Anne Hutchinsons "own stuffe" wieder auf, so etwa die relative Geringschätzung der "sanctification" gegenüber der "justification", die Ablehnung jeglicher vorbereitenden 19 20

Vgl. Short Story, bei Hall, S. 263; auch Way of Congregational Churches Cleared, S. 51. Hall, S. 263-264.

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Schritte zugunsten eines alles in sich beschließenden Konversionserlebnisses oder auch die Zuschreibung aller wahrhaft erlösenden Fähigkeiten an die Gegenwart Gottes im Menschen, wohingegen der Mensch aus sich absolut nichts zu leisten imstande ist. Zurückgeführt werden alle diese einzelnen Glaubenssätze auf die überragende Bedeutung einer unmittelbaren Erfahrung Gottes. Anne Hutchinson macht Ernst mit der von Cotton vertretenen Deutung der Konversion und erhebt die hierin exemplarisch vorgeführte Begegnung mit Gott zum zentralen Dogma ihrer religiösen Anschauungen. Sie ist bereit, zu allen Folgerungen, die sich aus diesem Kern ableiten lassen, konsequent zu stehen, und begibt sich damit auf einen Weg, der zum Beispiel die völlige Passivität des Menschen bei seiner Erwählung in Kauf nimmt, einem christlichen Lebenswandel keine nennenswerte Bedeutung beimißt und Nähe zu Gott nicht bloß bildhaft, sondern ganz wörtlich als eine Vereinigung mit Christus oder dem von ihm gesandten Heiligen Geist versteht. Speziell die letztere Annahme macht es möglich, daß die in der Konversion erstmals erfahrene unmittelbare Begegnung mit Gott sich jederzeit wiederholen kann, sobald ein für alle Mal eine unauflösliche Beziehung zwischen Gott und Mensch hergestellt ist. Auch im weiteren Verlauf des Lebens kann und wird Gott sich direkt mit dem Menschen in Verbindung setzen, an dem er in der Konversion sein Interesse bekundet hat; der einmal gewonnene direkte Zugang steht auch weiterhin für unmittelbare Weisungen Gottes an sein Geschöpf offen. Der einzelne Gläubige gewinnt auf diese Weise nicht nur das für seine persönliche Religiosität ungemein wichtige Gefühl, von Gott angenommen zu sein, sondern er steht seinem Schöpfer trotz des riesigen Abgrunds, der zwischen sündigen Menschen und allmächtigem Gott klafft, auch nicht mehr so distanziert gegenüber, wie es aufgrund der diametral entgegengesetzten Ausgangspositionen natürlich erscheinen könnte. Die Erfahrung, daß Gott über alle trennenden Entfernungen hinweg jederzeit von ihm Besitz ergreifen kann, verleiht seiner Religionserfahrung eine Intimität und gleichzeitig auch Sicherheit, die ihn vollkommen unabhängig macht von äußeren Anstößen oder Kontrollen. Genau aus diesem Grunde sahen die orthodoxen Geistlichen Neuenglands in der Lehre von den direkten Offenbarungen den Hauptgegner, den es zu bekämpfen galt und der sich hinter der ganzen sonstigen theologischen Debatte nur ungenügend verbarg: 21

21

Vgl. Pettit, The Heart Prepared, S. 151; ferner David S. Lovejoy, Religious Enthusiasm in the New World: Heresy to Revolution (Cambridge, Mass., 1985), S. 75-77.

Die Antinomierkrise von 1636-1638 in the end wherefore is all this adoe, but that having a more cleanly way, to lay all opposed her, (being neere all the Elders and most of the faithfull Christians in Countrey) under a Covenant of workes, shee might with the more credit, disclose advance her master-piece of immediate revelations, under the faire pretence of Covenant of free Grace. 22

25 that this and the

Im Umfeld des gegen Anne Hutchinson angestrengten Prozesses kommt der mit dem Stichwort der direkten Offenbarungen angesprochene Vorwurf des Enthusiasmus ein erstes Mal bei der Widerlegung der Irrlehre 40 zum Vorschein: Error 40. There is a testimony of the Spirit, and voyce unto the Soule, meerely immediate, without any respect unto, or concurrence with the word. Confutation 40. This immediate revelation without concurrence with the word, doth not onely countenance but confirme that opinion of Enthusianisme, justly refused by all the Churches, as being contrary to the perfection of the Scriptures, and perfection of G o d s wisedome therein: That which is not revealed in the Scripture, (which is objectum adequation fidei) is not to be beleeved: but that there is any such revelation, without concurrence with the word, is no where revealed in the Scripture. 23

Hier wird der Glaube an direkte Eingebungen von Gott unter Umgehung der Heiligen Schrift praktisch als das entscheidende konstituierende Merkmal eines Enthusiasten angesehen und im selben Atemzug eben diese enthusiastische Position rigoros abgelehnt, weil sie implizit die Vollkommenheit des in der Bibel geoffenbarten Gotteswortes bestreitet, so als sei die Bibel nicht, wie jeder Puritaner glaubte, die letzte Instanz für alle noch so komplizierten Fragen religiöser Uberzeugung und Praxis. Mit seinen unmittelbaren Offenbarungen von Gott stand dem Enthusiasten ein Mittel religiöser Erfahrung zur Verfügung, das ihn nur noch direkt Gott unterstellte und unabhängig machte von den Weisungen kirchlicher Institutionen. Bei aller Gelehrsamkeit, die ein Geistlicher sich im Laufe seines theologischen Studiums angeeignet haben mochte, konnte auch er sich in den Augen eines Enthusiasten nicht auf ein tieferes Verständnis des Gotteswortes berufen, da auch ihm bestenfalls derselbe Weg der direkten Eingebung offenstand, der jedem anderen Menschen zugänglich war, den Gott einmal berufen hatte. 24 Und wenn die Möglichkeit direkter Offenbarungen erst einmal eingeräumt war, stand es einem allmächtigen Gott natürlich frei, auf diesem Wege auch solche Dinge kundzutun, die über den Rahmen des in der Bibel bereits Niedergelegten hinausgingen. Die Bibel verlor damit ihre

22 23

24

Winthrop, Short Story, bei Hall, S. 265. Ibid., S. 230. Vgl. auch in Ergänzung hierzu Irrlehre 71 mit ihrer Widerlegung (bei Hall, S. 238-239). Vgl. hierzu die Irrlehren 53 und 54 in Winthrops Short Story, bei Hall, S. 233-234.

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Funktion als letztlich maßgebliche Kontrollinstanz für sämtliche Fragen theologischer Theorie und Praxis und wurde nun zu einer Quelle religiöser Erbauung neben anderen, die sich, was den unmittelbaren und persönlichen Kontakt zur Gottheit anlangte, jedenfalls nicht mit den direkten Offenbarungen des Enthusiasten messen konnte. In ihr hatte eben der Buchstabe der göttlichen Gesetze seinen Niederschlag gefunden; richtig vom göttlichen Geist durchdrungen fühlte sich der Enthusiast jedoch erst dann, wenn Gott sich ihm auf noch unvermitteltere Weise näherte. Da sich für den Enthusiasten somit die entscheidenden religiösen Erfahrungen ausschließlich in sein Innenleben verlagert hatten, das dem Auge seiner Mitmenschen weitgehend verschlossen bleiben mußte, und da gleichzeitig die Bibel keine Handhabe mehr bot, diese Erfahrungen schlüssig zu überprüfen, stellte sich das Problem, wie dann festzustellen sei, ob solche enthusiastischen Eingebungen tatsächlich von Gott stammten oder etwa nur der Einbildung des Menschen entsprangen. Mit dieser Frage wurde denn auch Anne Hutchinson prompt konfrontiert, nachdem sie von einigen ihrer Eingebungen berichtet hatte: Mr. Nowell. H o w do you know that that was the spirit? Mrs. H. H o w did Abraham know that it was G o d that bid him offer his son, being a breach of the sixth commandment? Dep. Gov. By an immediate voice. Mrs. H. So to me by an immediate revelation. Dep. Gov. H o w ! an immediate revelation. Mrs. H. By the voice of his own spirit to my soul. 2 5

Es zeigt sich, daß, was für den Puritaner ein drängendes Problem darstellen mag, für den Enthusiasten gar keines ist. Anne Hutchinson kommt gar nicht auf den Gedanken, außerhalb ihrer Eingebungen nach einem Beweis für deren Authentizität zu suchen. Auch der Verweis auf Abraham ist ja nicht so sehr eine Berufung auf die Autorität der Bibel zur Untermauerung der Legitimität ihrer eigenen Offenbarungen wenn anderen authentische Offenbarungen zuteil wurden, so sagt das noch nichts über die Gültigkeit ihrer eigenen aus - als vielmehr eine Parallele, die deutlich machen soll, daß derartige Offenbarungen sich selber genügend als von Gott herrührend ausweisen und daher keiner äußeren Legitimation mehr bedürfen. Dem Enthusiasten ist die eigene innere Überzeugung, daß er das Wort Gottes vernommen habe, Beweis

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"The Examination of Mrs. Anne Hutchinson at the Court at Newtown," bei Hall, S. 337.

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genug, um anschließend sein Handeln dementsprechend einzurichten. Die Subjektivität solcher Uberzeugung braucht nicht weiter hinterfragt zu werden; die aus dieser Überzeugung gewonnene innere Sicherheit hält auch äußeren Anfechtungen stand: "But now having seen him which is invisible I fear not what man can do unto me." 26 Auf der Basis solcher inneren Gewißheit werden die göttlichen Eingebungen schließlich zur Richtschnur für alle bedeutsamen religiösen Entscheidungen, indem sie eine einzuschlagende Richtung festlegen oder Künftiges durch bindende Vorhersagen determinieren. 27 William Bartholomew, der auf demselben Schiff nach Neuengland gekommen war wie Anne Hutchinson, erinnerte sich an ein in dieser Hinsicht aufschlußreiches Gespräch mit ihr in London: I remember as we were once going through Paul's church yard she then was very inquisitive after revelations and said that she had never had any great thing done about her but it was revealed to her beforehand. (Mrs. H.) I say the same thing again.28

Mit diesem Eingeständnis waren für die Repräsentanten der Gerichtsbarkeit von Massachusetts die Würfel gefallen. Dadurch, daß Anne Hutchinson sich offen zu der bindenden Gültigkeit ihrer Offenbarungen bekannte und damit die Kontrollfunktion der Bibel außer Kraft setzte, schuf sie in den Augen der Orthodoxie die dogmatischen Voraussetzungen für einen Aufstand gegen jede etablierte Autorität und für ein Willkürregime, wie man es allenfalls mit den Vorfällen zur Zeit der Wiedertäuferherrschaft in Münster vergleichen konnte: Gover. Of all the revelations that ever I read of I never read the like ground laid as is tor this. The Enthusiasts and Anabaptists had never the like. Mr. Cotton. You know Sir, that their revelations broach new matters of faith and doctrine. Gover. So do these and what may they breed more if they be let alone. . . . Dep. Gov. These disturbances that have come among the Germans have been all grounded upon revelations, and so they that have vented them have stirred up their

26 27

28

Ibid., S. 338. Vgl. den im Kirchenprozeß gegen Anne Hutchinson erhobenen Vorwurf: "That her Revelations about futire Events are to be beleeved as well as Scripture because the same holy Ghost did indite both" (Hall, S. 352; ähnlich wiederholt S. 374-375). "Examination of Anne Hutchinson," bei Hall, S. 339. Weitere Belege für den Enthusiasmus Anne Hutchinsons und ihrer Anhänger finden sich in Edward Johnsons The Wonder-Working Providence of Sion's Saviour in New England (Johnson's WonderWorking Providence, 1628-1651, ed. J. Franklin Jameson [New York, 1910; repr. 1967], S. 128-129) und bei John Wheelwright (zitiert inj. F. Maclear, "Anne Hutchinson and the Mortalist Heresy," NEQ, 54 [1981], 101n.).

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hearers to take up arms against their prince and to cut the throats one of another, and these have been the fruits of them, and whether the devil may inspire the same into their hearts here I know not. 29

Wo uneingeschränkte Subjektivität im religiösen Erleben vorherrschte, wo das Individuum die für ihn verpflichtenden Gesetze aus seiner persönlichen Erfahrung ableitete und so den Regeln gesellschaftlichen und religiösen Zusammenlebens zumindest potentiell jede bindende Gewalt über sich absprach, dort konnte nach Ansicht der orthodoxen Puritaner nur ungehemmte Anarchie entstehen. Trotz der scheinbar viel unmittelbareren Verpflichtung auf Gott und die von ihm geoffenbarten Weisungen setzte sich hier für die Puritaner in Wirklichkeit der einzelne Mensch als das Maß aller Dinge, indem die unanfechtbare Entscheidungsinstanz in allen religiösen Fragen in das Innere jedes Einzelnen hineinverlegt wurde. Unter solchen Bedingungen erschien dem Puritaner ein geordnetes Funktionieren von Kirche und Gemeinwesen unvorstellbar. Daher empfand Gouverneur Winthrop es als ein Zeichen des Himmels, daß Anne Hutchinson sich in dieser kritischen Phase des Prozesses aus freien Stücken und mit aller wünschenswerten Deutlichkeit zu ihren Offenbarungen bekannt und damit ihren Enthusiasmus als den wahren Ursprung aller ihr zugeschriebenen Irrlehren zu erkennen gegeben hatte. So lieferte sie ihren Anklägern selbst den Verurteilungsgrund, nach dem sie so lange vergeblich gesucht hatten: I see a marvellous providence of God to bring things to this pass that they are. We have been hearkening about the trial of this thing and now the mercy of God by a providence hath answered our desires and made her to lay open her self and the ground of all these disturbances to be by revelations,... but all this while there is no use of the ministry of the word nor of any clear call of God by his word, but the ground work of her revelations is the immediate revelation of the spirit and not by the ministry of the word, and that is the means by which she hath very much abused the country that they shall look for revelations and are not bound to the ministry of the word, but God will teach them by immediate revelations and this hath been the ground of all these tumults and troubles, and I would that those were all cut off from us that trouble us, for this is the thing that hath been the root of all the mischief. Court. We all consent with you. Gov. Ey it is the most desperate enthusiasm in the world, for nothing but a word comes to her mind and then an application is made which is nothing to the purpose, and this is her revelations when it is impossible but that the word and spirit should speak the same thing.30

29 30

Hall, S. 342-343. Ibid., S. 341-342.

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Zu dem Hauptcharakteristikum jedes Enthusiasten, seiner Berufung auf unmittelbare Eingebungen von Gott, gesellen sich jedoch noch weitere Merkmale, die aus der Lehre von den direkten Offenbarungen ableitbar sind und deshalb in der Regel zusammen mit ihr auftreten. Hier wäre zunächst auf die geradezu unerschütterliche Selbstsicherheit des Enthusiasten hinzuweisen, die auch schon John Winthrop an Anne Hutchinson so stark auffiel, daß er es für wert befand, sie am Ende seiner Short Story in einer knappen Zusammenfassung unter die bemerkenswerteren Phänomene der ganzen Vorfälle einzureihen: " . . . her confident profession of her owne good estate, and the clearnesse and comfort of it, obtained in the same way of waiting for immediate Revelation which she held out to others."31 Erklärlicherweise bestand in dieser Gewißheit des Enthusiasten, unwiderruflich zu den von Gott Erwählten zu zählen, eine der Hauptattraktionen der Lehre für alle noch um ihre Berufung Ringenden. Während nämlich der orthodoxe Puritaner ständigen Zweifeln über seine tatsächliche Errettung unterworfen war und selbst, wenn er sich auf ein konkretes Konversionserlebnis berufen zu können glaubte, auch danach noch mit periodisch wiederkehrenden Verdunkelungen dieser einmal gewonnenen Gewißheit über den eigenen Status rechnen mußte, konnten den Enthusiasten aufgrund seines unmittelbaren Kontaktes zu Gott solche Bedenken nicht mehr plagen. Für den Puritaner waren der Zweifel und das unablässige Ringen mit der eigenen Unvollkommenheit das zuverlässigste Indiz, daß er sich auf einem gottwohlgefälligen Wege befand und nicht in Selbstgerechtigkeit verharrte. Umgekehrt erschien dem Enthusiasten gerade solche Unsicherheit als der deutlichste Beweis dafür, daß eine wirkliche Begegnung mit Gott noch nicht stattgefunden hatte, da ihr überwältigender Eindruck sonst alle störenden Zweifel beiseitegeschwemmt hätte. Sobald sich Gott ihm einmal persönlich geoffenbart hatte, durfte der Enthusiast sich fortan ungetrübter Freude über seine Erwählung hingeben: "After the revelation of the spirit, neither Devill nor sinne can make the soule to doubt." 32 Gerade diese subjektive Gewißheit über die eigene Erweckung schuf ja die Voraussetzungen für das Verhalten, das den Anhängern Anne Hutchinsons stets als ihr Antinomiertum, als ihre Mißachtung der im mosaischen Gesetzeskodex niedergelegten Normen, angekreidet wurde. Jemanden, den immer wieder Zweifel befallen, ob Gott sich seiner tatsächlich erbarmt hat, kann man leicht dazu bewegen, durch ver-

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Hall, S. 309. Irrlehre 32 aus Winthrops Short Story, bei Hall, S. 227.

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mehrte Anstrengungen auf dem Gebiete einer christlichen Lebensführung eine günstige Ausgangsposition für seine Anerkennung vor Gott zu schaffen. Doch wozu soll sich jemand noch um solche Äußerlichkeiten sorgen, wenn er bereits die innere Gewißheit besitzt, von Gott angenommen zu sein, und ihm dieses göttliche Versprechen auch nicht mehr genommen werden kann, ganz gleich was er sich noch zuschulden kommen läßt? So betrachtet, kann die subjektive Uberzeugung von der eigenen Erwählung tatsächlich der erste Schritt zur Abkehr von allen bindenden ethischen und religiösen Normen sein und in ein moralisches Chaos münden. Edward Johnson jedenfalls stellt diese Verbindung zwischen direkten Offenbarungen, subjektiver Gewißheit und moralischer Anarchie augenblicklich her, wenn er einen imaginären Neuankömmling in den Kolonien sofort mit einer Antinomierin zusammenführt, die ihn für ihre Anschauungen werben möchte: there was a little nimbled tongued Woman among them, who said she could bring me acquainted with one of her own Sex that would shew me a way, if I could attaine it, even Revelations, full of such ravishing joy that I should never have cause to be sorry for sinne, so long as I live, and as for her pan shee had attained it already: a company of legall Professors, quoth she, lie poring on the Law which Christ hath abolished, and when you breake it then you breake your joy, and now no way will serve your turne, but a deepe sorrow. 33

Die Attraktivität einer solchen Lehre nicht nur für Opportunisten, die eine Rechtfertigung für ihren lockeren Lebenswandel suchten, sondern auch für Menschen, denen ihr religiöses Heil ein echtes Herzensanliegen war, liegt auf der Hand. Hier wurde ihnen das Wechselbad von Hoffnung und Enttäuschung erspart, dem sonst kein Christ entkam, der einerseits sein Vertrauen auf Gottes Gnade gründete, andererseits sich ständig wieder irgendwelchen Versuchungen erliegen sah und so erkennen mußte, wie unwürdig der göttlichen Gnade er im Grunde war. Die Anschauungen Anne Hutchinsons dagegen hielten subjektive Sicherheit auch noch beim Rückfall in die Sünde bereit. Zwar konnte natürlich auch für den orthodoxen Puritaner die Sündhaftigkeit eines Menschen seine Erwählung durch Gott nicht rückgängig machen, doch bedeutete die Radikalität, mit der der Antinomier absolute Sicherheit aus reiner Subjektivität schöpfte, eine wesentliche Neuerung, die allem Streben des Menschen nach Vervollkommnung den Boden entzog. So wurde denn auch von den Antinomiern Passivität regelrecht zum Prinzip erhoben. Daß es für sie aufgrund der angeborenen Schlechtig-

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Wonder-Working Providence, S. 134. Zur Verbindung von Enthusiasmus und Antinomiertum allgemein siehe Lovejoy, Religious Enthusiasm, S. 36-38.

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keit des Menschen die einzig adäquate Verhaltensweise bis hin zur Konversion war, wurde bereits dargelegt.34 Hier konnte Anne Hutchinson mit vollem Recht behaupten, sie lehre nicht mehr, als durch Cottons Predigten gestützt werde, da auch er stets die Passivität des Menschen vor und bei seiner Erweckung hervorgehoben hatte und diese Haltung noch später in The Way of Congregational Churches C/iwreJbekräftigte. 35 Aber auch nach seiner Erweckung tat der Mensch in den Augen der Antinomier gut daran, keine eigenen Initiativen zu entwickeln, sondern sich ganz auf Gott zurückfallen zu lassen. John Wheelwright hatte dieser Anschauung in seiner Fasttagspredigt vom Januar 1637 anhand einer alttestamentlichen Parallele beredten Ausdruck verliehen: so (brethren) we may thinke to do great matters, and lye quietly and calmely, and let the enimyes of the Church do what they will, till the Lord stirr us up, the Judges stirred not, till the Spiritt of God came upon them, and then they did wonderfull things; so in some measure, we must looke for the Spirit of the Lord to come upon us, and then we shall do mighty things through the Lord, it is the Lord himselfe that must effect and do all.36

Dasselbe Gedankengut schlägt sich auch in mehreren Irrlehren nieder, die Winthrop zu Beginn seiner Short Story aufzählt: Errour 35. The efficacy of Christs death is to kill all activity of graces in his members, that he might act all in all. Error 43. The Spirit acts most in the Saints, when they indevour least. Error 59. A man may not bee exhorted to any duty, because hee hath no power to do it.37

Der übereinstimmende Tenor aller dieser Äußerungen ist, daß dem Menschen jegliche eigene Fähigkeit zu sinnvollem christlichen Handeln abgesprochen wird. Die Verantwortung für sein Tun ruht nicht so sehr in ihm selber als bei Christus und dem Heiligen Geist, die durch den Menschen wirken. Die Aufgabe des Menschen besteht bei dieser Rollenverteilung lediglich darin, durch größtmögliche Zurückhaltung des eigenen Willens den göttlichen Impulsen freien Lauf zu lassen, durch die völlige Hingabe des Ich an die Gottheit ein Gefäß für die Ausgießung 34

35 36 37

Vgl. oben S. 16-20. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Irrlehre 36, die die hoffnungslose Verderbtheit des Menschen betont: "All the activity of a beleever is to act to sinne" (Short Story, bei Hall, S. 228). Dort S. 41-42. Vgl. auch Pettit, The Heart Prepared, S. 136-137 und 154. "A Fast-Day Sermon," bei Hall, S. 167. Hall, S. 228,231 und 235. Zur Ergänzung ließen sich anführen die Irrlehren 14,15,26, 51 und 52 sowie die "unsavoury speeches" 7 und 9 (Hall, S. 223, 226, 233, 246 und 247).

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des Heiligen Geistes bereitzustellen, das umso mehr an göttlicher Kraft in sich aufnehmen kann, je mehr es von eigenen Antrieben entleert ist. 38 Für Bemühungen, den Menschen selber zu verbessern, gibt es bei dieser Ausgangslage wenig Veranlassung, denn schließlich kommt es nicht auf die äußerliche Schönheit des bergenden Gefäßes an, sondern auf die Menge und Wirksamkeit des dorthin strömenden göttlichen Einflusses. Alles, was vor den Augen des göttlichen Richters Gnade finden kann, muß zuerst von ihm selbst dem Menschen geschenkt worden sein, muß teilhaben an der eigenen göttlichen Vollkommenheit. Was dagegen rein menschlicher Anstrengung zu verdanken ist, bleibt notwendig mit irdischen Mängeln behaftet und ist daher vor Gott nicht anrechnungsfähig. Die Geistlichkeit hat angesichts solch radikaler Anschauungen einen schweren Stand. Solange die Bibel die oberste Richtschnur ist, an der sich alle orientieren, kommt dem Geistlichen die bedeutsame Funktion zu, dieses Wort Gottes den Menschen nahezubringen und seine in einer anderen Epoche wurzelnden, oft auch von schwer verständlichen bildhaften Ausdrücken geprägten Aussagen dem Laien mit Hilfe der Universitätsbildung zu erläutern, die der Geistliche sich im Laufe seines Studiums angeeignet hat. Wenn darüber hinaus von jedem Christen gefordert werden darf, daß er sich nach Kräften in seinem täglichen Leben um die Einhaltung von Gottes Geboten bemühen soll, so besteht eine weitere wichtige Aufgabe des Geistlichen darin, seiner Gemeinde die Pflichten eines Christen stets von neuem ans Herz zu legen und gewissenhaft über ihre Verrichtung zu wachen. Beide Aufgabenbereiche jedoch werden dem Geistlichen vom Enthusiasten aberkannt, da für ihn die zu ihrer Definition herangezogenen Voraussetzungen keine Gültigkeit besitzen. Einen Gläubigen zu einem christlichen Lebenswandel anzuhalten, ist nicht nur nutzlos, weil der Mensch ohnehin nicht imstande ist, Gottes Gebote aus eigener Kraft zu befolgen, sondern schließt auch noch die Gefahr ein, hierdurch einen "covenant of works" zu predigen und den Menschen zu selbstgerechtem Stolz auf die eigenen Leistungen zu ermuntern. 39 Genauso wenig aber kann der Geistliche aufgrund seiner besseren Ausbildung Anspruch auf eine besondere Position erheben. Für den Enthusiasten ist ja nämlich gar nicht mehr die Bibel die vornehmste Quelle religiösen Wissens, zu deren tieferem

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Siehe hierzu Perry Miller und Thomas H . Johnson (eds.), The Puritans, S. 766, Anm. 11; ferner Amy Schräger Lang, "The Antinomian-Strain in American Culture," Diss. New York, 1980, S. 3 5 - 3 7 . Vgl. etwa in Winthrops Short Story die Irrlehren 4 und 5, 9, 22, 33, 52 und 70 (Hall, S. 220, 221, 225, 227, 233 und 238).

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Verständnis er dann auf die Hilfe des theologisch versierten Geistlichen angewiesen wäre. Vielmehr steht dem Enthusiasten ja auf dem Wege über die direkten Offenbarungen ein viel unmittelbarerer Zugang zur Erkenntnis von Gottes Willen offen, so daß er unbesorgt auf die Früchte einer theologisch geschulten Bibelexegese verzichten kann. Gründlichkeit der Ausbildung und ein in langen Universitätsjahren angehäuftes theologisches Wissen haben keinen Einfluß auf das Ansehen eines Menschen vor Gott, und die von den Puritanern im Einklang mit der Mehrzahl der übrigen Protestanten vertretene Ansicht, daß bessere theologische Schulung in aller Regel auch zu vertiefter religiöser Erfahrung führe, stößt beim Enthusiasten auf unverhohlenes Mißtrauen.40 Trotz seiner Kenntnisse in Theologie und ramistischer Logik hat der Geistliche, was sein Verhältnis zu Gott angeht, in den Augen des Enthusiasten die gleiche Ausgangsposition wie jeder andere Mensch, und wie bei jedem anderen Menschen zählt letztendlich nur die Tatsache seiner Erwählung in einem aufrüttelnden Konversionserlebnis. Nur jemand, der auf diese Weise bereits den Geist Gottes erfahren hat, kann sich auf seine Nähe zu Gott berufen, um anderen in religiösen Fragen Rat oder Lehren zu erteilen. Selbst wenn er auf ein derartiges Konversionserlebnis verweisen kann, stellt ihn das jedoch nur auf dieselbe Stufe mit allen anderen Christen, denen gleiches zuteil wurde. So erklärt sich die extrem restriktive Definition der Rolle der Geistlichkeit von seiten der Antinomier wie auch umgekehrt das tiefe Unbehagen speziell der Geistlichen gegenüber den von Anne Hutchinson propagierten Thesen. Zwei von Winthrop in seiner Short Story angeführte Irrlehren halten den Standpunkt der Antinomier fest: Error 53. No Minister can teach one that is anoynted by the Spirit of Christ, more then hee knowes already uniesse it be in some circumstances. Error 54. No Minister can bee an instrument to convey more of Christ unto another, then hee by his own experience hath come unto.41

Einziger Maßstab ist für den Enthusiasten die persönliche religiöse Erfahrung; diese aber steht jedermann im gleichen Umfang offen. Ein besonderer Amtsbonus hingegen, der dem Geistlichen etwa aufgrund der von Christus gestifteten Position, die er bekleidet, zukäme, in weitgehender Unabhängigkeit von den speziellen Unzulänglichkeiten des jeweiligen konkreten Amtsinhabers, wird dem Geistlichen nicht eingeräumt.

40 41

Vgl. ibid., S. 229 (Irrlehre 39). Ibid., S. 233-234.

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Entsprechend diesen Grundanschauungen ging Anne Hutchinson mit den Geistlichen Neuenglands streng ins Gericht. Allein Cotton und Wheelwright konnten vor ihrem prüfenden Blick bestehen; die übrigen jedoch, allen voran John Wilson, den Pastor ihrer Heimatgemeinde Boston, der den Antinomiern ganz besonders ein Dorn im Auge war, verglich sie mit den Aposteln vor der Herabkunft des Heiligen Geistes am Pfingstfest, d. h. mit Predigern, deren Erwählung durch Gott noch nicht durch den Heiligen Geist besiegelt war und die deshalb solchen Gläubigen, die ihre Erweckung bereits erlebt hatten, keine Weisungen erteilen konnten. 42 Folglich verließ sie sich in Fragen des eigenen religiösen Status auch ausschließlich auf die an sie persönlich ergangenen Offenbarungen und kam ganz ohne geistlichen Beistand aus, ein Punkt, den Cotton allen anderen voranstellt, als er aufzählt, was an Anne Hutchinsons Verhalten schon früh seine Besorgnis erregt habe: [Three] things I told her, made her spirituall estate unclear to mee. 1. "That her Faith was not begotten nor (by her relation) scarce at any time strengthened, by publick Ministery, but by private Meditations, or Revelations onely." 43

Den gleichen Zusammenhang zwischen persönlichen Offenbarungen und der Ablehnung weiter Teile des neuenglischen Klerus stellt auch Edward Johnson in The Wonder-Working Providence her, wenn er in seiner typisch anschaulichen Art berichtet: and here these Sectaries had many prety knacks to delude withall, and especially to please the Femall Sex, they told of rare Revelations of things to come, from the spirit (as they say); it was onely devised to weaken the Word of the Lord in the mouth of his Ministers, and withall to put both ignorant and unlettered Men and Women, in a posture of Preaching to a multitude, that they might be praised for their able Tongue. Come along with me, sayes one of them, i'le bring you to a Woman that Preaches better Gospell then any of your black-coates that have been at the Ninneversity, a Woman of another kinde of spirit, who hath had many Revelations of things to come, and for my part, saith hee, I had rather hear such a one that speakes from the meere motion of the spirit, without any study at all, then any of your learned Scollers, although they may be fuller of Scripture (I) [ay] and admit they may speake by the helpe of the spirit, yet the other goes beyond them. 44

Dabei wird deutlich, daß nicht nur den Geistlichen jegliche Sonderstellung genommen werden soll, indem etwa vom Heiligen Geist erfüllte

42

43 44

Winthrop, Short Story, bei Hall, S. 269-271; "Examination of Mrs. Hutchinson," bei Hall, S. 318-325 und 333-335. Ein Beispiel für die besondere Antipathie der Antinomier gegen John Wilson berichtet Winthrop in seinem Journal, I, 204-205. Way of Congregational Churches Cleared, S. 52. S. 127.

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Laien ebenso gut oder gar besser das Wort Gottes verkünden können wie sie, sondern daß sich in weiterer Konsequenz aus der Lehre von den direkten Offenbarungen eine generelle bildungs- und wissenschaftsfeindliche Grundhaltung breitmacht, die Universitätswissen verächtlich belächelt, weil es sich ohnehin nicht mit den direkt von Gott herrührenden Einsichten messen kann. 45 In dieser Haltung setzt sich ein Impuls fort, der dem Protestantismus von Anfang an innegewohnt hatte und der hier nun allerdings auf die Spitze getrieben wird. Ging es den Reformern zunächst darum, die Macht des Papstes, der Bischöfe und anderer Organe der kirchlichen Hierarchie zugunsten einer gestärkten Position von Gottes geoffenbartem Wort, der Bibel, zu brechen, so tendierten die Enthusiasten dazu, auch die letzten Bastionen einer in ihren Augen elitären Denkweise niederzureißen, indem sie der gesamten Geistlichkeit keinerlei aus ihrer Bildung oder ihrem Amt ableitbare Privilegien zugestanden und stattdessen einzig die Unterscheidung zwischen Erweckten und Nicht-Erweckten gelten ließen. Nachdem sie der Bevormundung durch den Papst in Rom und durch die anglikanischen Bischöfe entronnen waren und mit der Wahl einer kongregationeilen Kirchenverfassung auch die Gefahr der Fremdbestimmung durch presbyterianische Kirchensynoden gebannt hatten, schien es diesen radikalen Puritanern nur folgerichtig, sich nun nicht gleich wieder unter das Patronat bibelkundiger Geistlicher zu begeben, die für sie das Wort Gottes auslegten, da sie auf diese Weise nur eine Abhängigkeit gegen eine andere eingetauscht hätten.46 Ein Abschnitt aus Johnsons WonderWorking Providence spiegelt die Argumentation der Enthusiasten in ihrer Frontstellung gegen geistliche Bevormundung wider: these Erronist... Cry out against a learned Presbitery, as the onely way to captivate liberty, and herein the transformed Devil came to shew his Homes, for why, his errors would not take where the people were followers of their seeing guids, and if it be well noted, here is the Masterpiece of all their knavery, the which comes in after this manner, The Lording Prelacy, Popes, Cardinalls, Bishops, Deanes, etc., were ordinarily brought up at the University to learning, and have most tyrannically abused it, usurping over the People of Christ, and exercised most inhumane and barbarous cruelty upon them; as also the Presbyterian Kirke by these Provinciall Classes, men of learning having robbed the particular Congregations of their just and lawfull priviledges, which Christ hath

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Vgl. Miller, The New England Mind: The Seventeenth Century, S. 73-88; Nuttall, Holy Spirit, S. 83-85; Lovejoy, Religious Enthusiasm, S. 41-43, 78-79. Vgl. Maclear," 'Heart of New England Rent'," 643-645, und Charles Francis Adams, The Antinomian Controversy, aus seinen Three Episodes in Massachusetts History herausgegeben von Emery Battis (New York, 1976), S. 21.

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purchased for them, Each Congregation of his being invested with full power to Administer all the Ordinances he hath ordained, in and toward their owne M e m b e r s ; . . . . . . This makes a very faire bottome for those to build upon, who would have the sluce of authority in the Officers of Christs Churches plucked up, that so their errors might flow in like a floud; And therefore they impannell a Jury of their own Sectaries to passe upon all such as put a higher esteem upon their Pastors and Teachers (in point of discerning the holy things of God) then upon other men, who returne in their Verdit as finding them guilty of the crime above expressed, either as party, or privy abetters unto them. 4 7

Von daher gewinnt die enthusiastische Strömung um Anne Hutchinson auch bemerkenswerte politische Züge. Denn offenkundig beinhaltet die Abkehr von der Autorität der Geistlichen eine starke Tendenz zur Demokratisierung kirchlicher Strukturen, indem der Zugang zum entscheidenden religiösen Erlebnis den in der Bibelexegese versierten Geistlichen aus der Hand genommen und dafür in die persönliche und unmittelbare Erfahrung jedes einzelnen, und sei es auch noch so einfachen, Menschen gelegt wird. 48 Damit erwächst dem ungeschulten Laien im religiösen Bereich ein ganz neues Selbstwertgefühl, ein Faktum, das seine Wirkung natürlich auch auf der politischen Ebene nicht verfehlen konnte, umso mehr, wenn Staat und Kirche so eng miteinander verbunden waren wie in Neuengland. Eben diese Gefahr nahm auch der Magistrat von Massachusetts wahr und hatte daher, als das Verbannungsurteil gegen Anne Hutchinson und die wichtigsten ihrer Anhänger ausgesprochen war, nichts Eiligeres zu tun, als alle, die sich zu denselben Ansichten bekannt hatten, umgehend zu entwaffnen, um so jede Möglichkeit einer politischen Umwälzung im Keim zu ersticken. 49 O b die Gefahr einer solchen Revolte ernsthaft bestanden hätte, ist dabei nur von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend bleibt, daß der Magistrat von Massachusetts mit der von den Enthusiasten betriebenen Unterhöhlung der Autorität der Geistlichkeit offensichtlich einen Stein ins Rollen kommen sah, der sehr schnell eine Lawine hätte auslösen können, und sich deshalb beizeiten zu Präventivmaßnahmen genötigt fühlte. Wem die Autorität der Geistlichen nichts mehr galt, dem war unter Umständen auch ein Angriff gegen weltliche Autoritäten zuzutrauen.

47 48

49

S. 130-131. Vgl. Davis, "Mystical Versus Enthusiastic Sensibility," 313 und 319; Hudson, "Mystical Religion in the Puritan Commonwealth," 55-56. Winthrop, Short Story, bei Hall, S. 279-, Journal, I, 240-241, 259 und 262. Vgl. die im Prozeß gegen Anne Hutchinson geäußerten Befürchtungen: Hall, S. 343.

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Völlig aus der Luft gegriffen mögen diese Befürchtungen nicht gewesen sein. Immerhin hatte sich, wie mehrere Kommentare beweisen, der spaltende Riß schon tief ins Gemeinwesen eingegraben und dabei auch vor den Familien nicht Halt gemacht. Den gefährlichen Zündstoff hatte hier besonders die Fasttagspredigt von John Wheelwright geliefert, for whereas before hee broached his opinions, there was a peaceable and comely order in all affaires in the Churches, and civill state, &c. now the difference which hee hath raised amongst men, by a false distinction of a Covenant of grace and a Covenant of works; whereby one party is looked at as friends to Christ, and the other as his enemies, &c. All things are turned upside down among us: As first, in the Church, hee that will not renounce his sanctification, and waite for an immediate revelation of the Spirit, cannot bee admitted, bee hee never so godly; hee that is already in the Church, that will not do the same, and acknowledge this new light, and say as they say, is presently noted, and underesteemed, as savouring of a Covenant of works: thence it spreads into the families, and sets divisions between husband and wife, and other relations there, till the weaker give place to the stronger, otherwise it turnes to open contention.50

Offensichtlich war der missionarische Eifer vieler Enthusiasten so groß, daß sie, sobald sie sich selbst in ihren Uberzeugungen gefestigt fühlten, augenblicklich auch ihre Freunde und Verwandten für ihre Sache einzunehmen trachteten. Da es sich jedoch in dieser Frage nicht um irgendeinen beliebigen Meinungsunterschied handelte, sondern in den Augen beider betroffenen Parteien nichts Geringeres als das persönliche Seelenheil auf dem Spiele stand,51 kann man sich vorstellen, wie erbittert dieser Streit selbst zwischen engsten Freunden und Verwandten ausgetragen wurde. Kompromisse oder Toleranz waren undenkbar, wo es um die grundsätzliche Entscheidung zwischen Erlösung und Verdammnis ging. Letztendlich waren die Enthusiasten, wenn sie mit ihren Bekehrungsbemühungen keinen Erfolg hatten, sogar gehalten, Ernst zu machen mit der radikalen Forderung Christi, wer ihm nachfolgen wolle, müsse auch bereit sein, Eltern und Geschwister dafür im Stich zu lassen. Für den überzeugten Christen hat die Sache absoluten Vorrang vor der Rücksichtnahme auf menschliche oder andere weltliche Bindungen. Wie Wheelwright in seiner Predigt darlegt, besteht in dieser ausschließlichen Ausrichtung auf Gott der hohe Anspruch, aber auch der zuverlässige Trost der christlichen Religion, da Christus den gläubigen Menschen nie enttäuschen wird, selbst wenn alle anderen ihn verlassen oder alle weltlichen Stützen ihm genommen werden: 50

51

Winthrop, Short Story, bei Hall, S. 253; vgl. ähnlich Thomas Welds "Preface" hierzu, S. 209. Ibid., S. 248: "the difference was still as wide as before, viz. as great as between heaven and hell."

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suppose those that are Gods children should loose their houses and lands and wives and freinds, and loose the acting of the guifts of grace, and loose the ordinances, yet they can never loose the Lord Jesus Christ, this is a great comfort to Gods people: suppose the saynts of God should be banished and deprived of all the ordinances of God, that were a hard case (in some respect) for we had better part with all, then the ordinances; but if the ordinances should be taken away, yet Christ cannot:... therefore let the saynts of God be incouraged though they should loose all they have, yet they being made one in Christ, and Christ dweling in their harts by faith, they may be persuaded nothing can seperate them from Christ.52

Im Extremfall kann diese Negierung aller weltlichen Bindungen bis zur Selbstverleugnung im Märtyrertod führen. Auch dazu muß der wahre Christ im Interesse der von ihm vertretenen Sache bereit sein, wie Wheelwright in derselben Predigt kurz zuvor erklärt: if we meane to keepe the Lord Jesus Christ, we must be willing to suffer any thing,... if we will overcome we must not love our lives, but be willing to be killed like sheepe; it is impossible to hold out the truth of God with externall peace and quietnes, if we will prevaile, if we be called, we must be willing to lay downe our lives, and shall overcome by so doing.53

Zwar verkündet er damit streng genommen nur gemeinsames christliches Gedankengut, das die orthodoxen Puritaner im Prinzip genauso anerkennen wie die Antinomier. Immerhin mahnt ja später auch John Cotton die Söhne Anne Hutchinsons, als sie ihre Mutter vor der Exkommunizierung zu bewahren versuchen, daß ihr eigenes und das Seelenheil ihrer Mutter Vorrang haben müßten vor dem, was ihnen ihre natürliche Zuneigung raten mag. 54 Dennoch setzt Wheelwrights Aufruf zur Selbstaufopferung und zur Bereitschaft, alles andere lieber aufzugeben als die Segnungen des wahren Glaubens, schon ein besonderes Zeichen angesichts der Situation, in der seine Worte zu sehen sind. Schließlich leben seine Gefolgsleute ja nicht in einer von Grund auf feindseligen Umgebung, sondern unter Menschen, mit denen sie bis vor kurzem noch das Schicksal gemeinsam erlittener Benachteiligungen aufgrund eben dieses Glaubens verband. Wenn er daher in seiner Predigt den Eindruck erweckt, als seien die orthodoxen Puritaner auf eine Stufe mit heidnischen Völkern zu stellen oder als wären sie regelrechte Antichristen, so fördert er damit bewußt eine weitere Polarisierung der Positionen, heizt die Atmosphäre noch zusätzlich an und legt den Grundstein für einen Fanatismus, der dem Magistrat durchaus staatsbe-

52

53 54

"Fast-Day Sermon," bei Hall, S. 172.

Ibid., S. 166.

"Trial of Anne Hutchinson," bei Hall, S. 357, 364-365, 369-370.

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drohend erscheinen konnte. Die Gefahr für das Gemeinwesen ging in dieser Hinsicht weniger von konkreten Anschauungen aus, die die Antinomier vertraten, als vielmehr von der unerbittlichen Radikalität, mit der sie ihre Ansichten durchzusetzen versuchten. Offensichdich sah der Magistrat von Massachusetts keine Möglichkeit mehr zu einer gütlichen Einigung mit Leuten, die für die Durchsetzung ihrer Ziele den Verlust alles weltlichen Besitzes, aller menschlichen Bindungen und notfalls sogar das Opfer ihres eigenen Lebens in Kauf zu nehmen bereit waren, und wählte daher den einzig verbliebenen Ausweg, nämlich sich durch das Verbannungsurteil von solchen Fanatikern zu trennen: therefore as the Apostle saith, I would they were cut off that trouble you; and as Cain, Hagar, and Ismael, were expelled as troublers of the families, (which were then as commonwealths) so justice requires, and the necessity of the peace cals for it, that such disturbers should be put out from among us, seeing it is one of their tenents, that it is not possible their opinions, and externall peace, can stand together; and that the difference betweene them and us is (as they say) as wide as between Heaven and Hell. 55

Mag man auch über die Art, wie der Prozeß speziell gegen Anne Hutchinson geführt wurde, und über die Strenge, mit der die orthodoxe Partei gegen ihre Gegner vorging, durchaus geteilter Meinung sein, so erweist sich doch das Verbannungsurteil gegen die führenden Antinomier in mancherlei Hinsicht als die konsequente Folgerung aus den von ihnen selbst propagierten Thesen. Mit ihrer Lehre von den unmittelbaren Offenbarungen betonten sie Subjektivität und persönliche Gotteserfahrung in solch einem Maße, daß die Verbindung von individueller Frömmigkeit zur Gemeinschaft einer sichtbaren Kirche zwangsläufig von recht lockerer Natur sein mußte, und zwar umso mehr, als die Bedeutung gemeinschaftsstiftender Amter und Vorstellungen, wie etwa die Rolle des für eine Gemeinde zuständigen Seelsorgers oder das von den Puritanern besonders gepflegte Konzept des Bundes mit Gott, auf den sich nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gemeinden und Staatswesen verpflichteten, proportional zum Zuwachs des subjektivindividuellen Faktors geschmälert wurde. Die in diesem Zusammenhang viel geübte Kritik an der etablierten Geistlichkeit als den Vertretern überpersonaler Normen mutete wie ein erster Schritt zur Revolte gegen jegliche das Individuum einengende Autorität an und sonderte die Enthusiasten aus der bestehenden Gesellschaft aus, weil hier potentiell mehr als rein religiöse Fragen berührt wurden. Natürlich war dies kein einseitiger Prozeß, der nur von den herrschenden Orthodoxen betrieben worden wäre; viel mehr noch distanzierten sich die Enthusiasten 55

Winthrop, Short Story, bei Hall, S. 254.

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selbst als rigorose Puristen von einer Kirche, die nach ihrer Meinung zu einem großen Teil aus Nicht-Erweckten bestand, aus Gläubigen also, die nach den strengen Maßstäben der Enthusiasten nicht der sichtbaren Kirche zugerechnet werden durften. Nimmt man dann noch hinzu, daß die von den Antinomiern gepredigte oder doch zumindest geduldete Passivität hinsichtlich eines von moralischen Normen geprägten Lebenswandels sowie ihre kompromißlose Bereitschaft, den einmal als richtig erkannten Prinzipien alle anderen Werte unterzuordnen, sicherlich ebenfalls keine stützenden Pfeiler eines Gemeinwesens sind, so wird die Außenseiterposition verständlich, die in der bei Winthrop genannten biblischen Parallele zu Hagar und Ishmael anklingt. Sowohl getragen vom Impetus der eigenen Anschauungen als auch gedrängt von der etablierten Orthodoxie, findet sich der Enthusiast nahezu zwangsläufig am Ende seiner Bemühungen im sozialen Abseits wieder, dessen drastischer Ausdruck in der Antinomierkrise das von den Regierenden von Massachusetts verhängte Verbannungsurteil ist.

III. Die religiöse Erneuerung um 1740 Rückbesinnung auf die Ursprünge Rund hundert Jahre durften die Puritaner Neuenglands glauben, mit ihrem rigorosen Vorgehen gegen die Anhänger Anne Hutchinsons ein Exempel statuiert zu haben, das alle künftigen potentiellen Enthusiasten von ähnlichen Bestrebungen abschrecken würde. Im Jahre 1743 jedoch sah sich Charles Chauncy genötigt, seiner Veröffentlichung Seasonable Thoughts on the State of Religion in New-England em Vorwort vorauszuschicken, das aus aktuellem Anlaß die Ereignisse der Antinomierkrise noch einmal aufgreift und dabei auch ausführlich aus Winthrops Short Story zitiert. Den Grund, warum Chauncy sich den zeitgenössischen Ereignissen vor der Folie der schon ein Jahrhundert zurückliegenden Vorfälle nähern möchte, gibt er in seinem Vorwort mit folgenden Worten an: I shall look back to the first Times of this Country, when there was the Prevalence of an erroneous, enthusiastic Spirit, beyond what has been known from that Day 'till the late Appearance, in some Places, in New-England: And I the rather chuse to insert here some brief Account of the religious State of Affairs in those Days, because of its surprising Agreement, in many Instances, with what has happened in these Times. 1

Zumindest in den Augen Chauncys sowie zahlreicher seiner Kollegen, die eine ähnliche Position vertraten wie er, ähnelte also die religiöse Situation in Neuengland kurz vor der Mitte des 18. Jahrhunderts in bedenklicher Weise wieder derjenigen, die das damals noch junge Massachusetts bis in seine Grundfesten erschüttert hatte. Ausgehend von dieser Behauptung, erfüllt die von Chauncy hergestellte historische Parallele somit den doppelten Zweck einer Warnung und eines Propagandamittels: Warnung an alle, denen das Wohl der Kirche am Herzen liegt, im Vergleich mit der Vergangenheit die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und den drohenden Folgen schon im Ansatz zu wehren; Propagandamittel insofern, als durch die Gleichsetzung der historischen und der aktuellen Ereignisse die Anschauungen der von Chauncy bekämpften Gegenpartei automatisch in die gedankliche Nachfolge der Antino1

(Boston, 1743), S. iii.

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mier und Enthusiasten des 17. Jahrhunderts gedrängt und dadurch natürlich in Mißkredit gebracht werden. Tatsächlich hatte sich im Verlauf der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vielerorts in Neuengland eine religiöse Strömung ausgebreitet, die von dem Bestreben gekennzeichnet war, den Anspruch und den Eifer der puritanischen Gründungsväter Wiederaufleben zu lassen. Schon die erste auf amerikanischem Boden aufgewachsene Generation von Puritanern hatte den Eindruck gewonnen, daß unter den harten Lebensbedingungen der Neuen Welt die Auseinandersetzung mit dem Boden, dem Wetter oder auch mit den Indianern, kurz: die Sorge um das leibliche Wohl, dem geistlichen Anliegen, um dessentwillen ihre Väter England verlassen hatten, den Rang abzulaufen drohte. Diese Befürchtung wurde immer wieder in Form traditioneller Klagereden artikuliert, in denen, besonders zu festlichen öffentlichen Anlässen wie etwa der Wahl eines neuen Magistrats, ein Vertreter der Geistlichkeit die bisherige Geschichte Neuenglands Revue passieren ließ, die im Augenblick besonders drängenden Probleme aufzählte und regelmäßig zu dem Schluß kam, daß im Vergleich zu den Anfängen die Bedeutung überzeugender Religiosität im allgemeinen Bewußtsein ständig gesunken sei und daß deswegen die jeweils gerade akuten Nöte als eine Warnung Gottes an sein nachlässiges Bundesvolk anzusehen seien.2 Die Einführung des sogenannten "halfway covenant" auf der Synode von 1662, demzufolge die Kinder von Getauften ihrerseits zur Taufe zugelassen wurden, selbst wenn ihre Eltern wegen eines fehlenden Konversionserlebnisses den Schritt zur vollen Kirchenmitgliedschaft nicht vollzogen hatten, markiert das offizielle Eingeständnis, daß die alten Ansprüche nicht länger aufrechterhalten werden konnten. Obwohl also die Klage über den Niedergang der Religion in Neuengland schon früh zu vernehmen ist und mit der Zeit geradezu ein institutionalisiertes Klischee wurde, häufen sich doch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Vorwürfe gegen den vorherrschenden Formalismus in der Religionsausübung in auffälligem Umfang. Diese Unzufriedenheit mit der zeitgenössischen religiösen Praxis, die an einzelnen Orten schon früher zu wenn auch kurzlebigen Erneuerungsbewegungen geführt hatte - am bekanntesten ist hier natürlich das Aufleben religiösen Interesses im Northampton der Jahre 1734-1735, über das Jonathan Edwards in A Faithful Narrative of the Surprising Work of God

2

Den Redetyp der "jeremiad" untersuchen Perry Miller in The New England Mind: From Colony to Province und Sacvan Bercovitch in The American Jeremiad (Madison, Wise., 1978).

Rückbesinnung auf die Ursprünge

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in the Conversion of Many Hundred Souls in Northampton berichtet sammelt und entzündet sich dann im Jahre 1740 mit dem Erscheinen von George Whitefield auf amerikanischem Boden. Seine anschließende Reise durch die Staaten der Ostküste, gefolgt von einem ähnlichen Unternehmen Gilbert Tennents, bildet den Anfang jener religiösen Bewegung nationalen Ausmaßes, die unter dem Stichwort "The Great Awakening" in die Geschichte der amerikanischen Kolonien eingegangen ist. Hier beginnen sich dann auch die letzten Unterschiede zwischen den vornehmlich kongregationalistisch orientierten Kirchen Neuenglands und den vorwiegend presbyterianisch organisierten mittleren Kolonien zu verwischen, da im Zentrum des Interesses nicht so sehr Fragen der unterschiedlichen Kirchenverfassung als vielmehr das allgemeinere Anliegen der Stärkung des religiösen Bewußtseins steht. Von daher versteht es sich, daß der Aufruf gegen eine in Äußerlichkeiten erstarrte, häufig mit dem Reizwort des Pharisäertums gebrandmarkte Religionsausübung in ganz ähnlich lautenden Formulierungen sowohl aus den mittleren Kolonien wie auch aus den Staaten Neuenglands erklingt. 3 Mit ganz konkretem Bezug auf die neuenglischen Verhältnisse, wie sie sich als Folge der Einführung des "halfway covenant" entwickelt haben, äußert diese Klage auch Jonathan Edwards, wobei er in bewährter typologischer Manier durch den Vergleich mit dem Volk Israel seiner Sicht der aktuellen Situation eine zusätzliche Dimension verleiht: In succeeding Generations [of Israel], as the People grew more corrupt, I suppose, their Covenanting or Swearing into the Name of the Lord degenerated into a Matter of meer Form and Ceremony; even as subscribing religious Articles seems to have done with the Church of England; and as, 'tis to be feared, owning the Covenant, as 'tis called, has too much done in New-England-, it being visibly a prevailing Custom for Persons to neglect this, 'till they come to be married, and then to do it for their Credit's Sake, and that their Children may be baptized. 4

Hier klingt die mittlerweile Tradition gewordene Auffassung vom allmählichen Verfall der religiösen Sitten Neuenglands wieder an; ja, durch die beiden Parallelen aus der näheren und ferneren Vergangenheit drückt sich beinahe so etwas wie ein Glaube an die historische Unvermeidbarkeit eines solchen Niedergangs aus, bedingt durch das aus 3

4

Siehe hierzu z. B. in der von Alan Heimert und Perry Miller herausgegebenen Sammlung The Great Awakening: Documents Illustrating the Crisis and Its Consequences (Indianapolis, 1967) die Seiten 68, 86, 155, 163, 189 und 448-450. An Humble Inquiry into the Rules of the Word of God, Concerning the Qualifications Requisite to a Compleat Standing and Full Communion in the Visible Christian Church (Boston, 1749), S. 36.

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menschlicher Sündhaftigkeit geborene Unvermögen, die im Bund mit Gott eingegangenen Verpflichtungen auch tatsächlich einzuhalten. Darüber hinaus jedoch spricht aus Edwards' Worten die konkrete Enttäuschung über die bloße Formelhaftigkeit, zu der der Brauch, den in der Kindestaufe geschlossenen Bund mit Gott im Erwachsenenalter bei vollem Bewußtsein der Implikationen zu erneuern, im Laufe der Zeit erstarrt ist. Soziale Erwägungen, d. h. das Bestreben, sich durch einen solchen Schritt gesellschaftliche Respektabilität zu sichern sowie den eigenen Kindern später ebenfalls den Zugang zu Ansehen und Einfluß offenzuhalten - was offensichtlich nur durch eine zumindest formale Gemeindezugehörigkeit gewährleistet war - , dominieren hier unverkennbar über das religiöse Anliegen, das eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte. Das Bekenntnis zum christlichen Glauben und zum Bund mit Gott, gestützt auf persönliche Uberzeugung und im Idealfall auf ein Erlebnis persönlich empfundener Gottesnähe, ist degeneriert zu einem reinen Lippenbekenntnis, in dem der Kandidat sich nicht mehr mit seinem Gelöbnis identifiziert und die rituellen Worte längst ihre Kraft, als Zeichen auf die dahinterstehende Idee zu verweisen, eingebüßt haben. Eben diese bittere Erkenntnis veranlaßte Edwards ja, in seiner eigenen Gemeinde in Northampton die Praxis der Zulassung zum Abendmahl zu überdenken, da ihm das traditionelle Bekenntnis keinen hinreichenden Aufschluß über die ernsthafte Gesinnung der Kandidaten zu geben schien, It being, at the same Time that the words are used, Their known & establish'd Principle, which They openly profess & proceed upon, that men may & ought to use these words & mean no such Thing, but something Else of a nature far inferiour, of which I think They have no distinct determinate notions, but something consistent with their knowing That They don't chuse God as their Chief Good, but love the world more than Him, and that They do not give Themselves up entirely to God, but make Reserves; and in short, knowing that they don't heartily consent to the Gospel Covenant but live still under the reigning Power of the Love of the World, and Enmity to God and Christ. So that the words of their publick Profession, according to Their openly established use, cease to be of the nature of any Profession of Gospel Faith & Repentance, or any proper Compliance with the Covenant; for 'tis their Profession that the words as used, mean no such Thing.5

5

Aus einem Brief von Edwards an seinen Salemer Kollegen Peter Clark vom 7. Mai 1750, veröffentlicht von George Peirce Clark in "An Unpublished Letter by Jonathan Edwards," NEQ, 29 (1956), 231. Schon bevor Edwards seine Humble Inquiry veröffentlichte, hatten auch andere Geistliche für die Wiedereinführung der Berichte über das Konversionserlebnis plädiert: siehe Jonathan Parsons, "Account of the Revival of Religion in the West Parish of Lyme," Christian History, 2 (1745), 122-123.

Rückbesinnung auf die Ursprünge

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Während nämlich Edwards und andere gleichgesinnte Geistliche sich bemühten, den vielerorts anzutreffenden Formalismus durch eine stärkere Rückbesinnung auf die inneren Grundlagen zu überwinden, herrschte allem Anschein nach unter weiten Teilen der Bevölkerung die genau entgegengesetzte Meinung vor, eine allzu engagierte Sorge um das eigene Seelenheil grenze wohl schon an das Pathologische und sei daher zu meiden.6 Solch eine Einstellung mag den starken rationalistischen Tendenzen der Aufklärung oder auch nur dem Wunsch nach größerer Bequemlichkeit zuzuschreiben sein, denn natürlich stellte die formale Erfüllung weniger, klar umrissener Bedingungen geringere Anforderungen an den Einzelnen, als sie etwa die Pflicht zur ständigen Gewissenserforschung beinhaltete. So oder so jedenfalls schien vielen Kritikern einer auf bloße Formen und Formeln reduzierten Religion die Zeit reif für eine Erneuerung im Geiste der von den puritanischen Gründungsvätern praktizierten Religiosität. Unter denjenigen traditionellen Lehren, die nach Ansicht der Befürworter einer solchen Erneuerung im Laufe der Zeit zu sehr ausgehöhlt oder vernachlässigt worden waren, nahm das Verständnis des Konversionserlebnisses einen vorderen Platz ein. Wie Edwards' Äußerung zu den landesüblichen Bekenntnisformeln bei der Aufnahme in die Abendmahlsgemeinschaft zeigt, erfüllten sie schon lange nicht mehr ihren ursprünglichen Sinn, ein kurzer, standardisierter Ausdruck der von dem Kandidaten persönlich gemachten Erfahrungen zu sein und somit zumindest die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlich erfolgten Konversion zu dokumentieren. Darüber hinaus bekundeten ohnehin weite Kreise der Bevölkerung gar kein echtes Interesse an ihrer Konversion, sondern begnügten sich mit der äußerlichen Kirchenmitgliedschaft, die ihnen als Getauften aufgrund des "halfway covenant" zugestanden wurde. Von daher mußte das Konzept einer sichtbaren Kirche der von Gott Erwählten endgültig als gescheitert gelten, wenn es nicht gelang, die Bedeutung eines persönlichen Konversionserlebnisses jedem Gläubigen neu ins Bewußtsein zu rücken. 7 Der traditionelle Mittelpunkt puritanischer Religionsausübung sollte wieder seinen angestammten

6

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Diese Auffassung referiert Samuel Blair in A Short and Faithful Narrative, Of the late Remarkable Revival of Religion (Philadelphia, 1744), in der von Richard L. Bushman herausgegebenen Sammlung The Great Awakening: Documents on the Revival of Religion, 1740-1745 (New York, 1970), S. 71; ähnlich Jonathan Edwards in seinem Vorwort zur Biografie Brainerds, zitiert bei Gail Thain Parker, "Jonathan Edwards and Melancholy," NEQ, 41 (1968), 194. C. C. Goen, "Introduction" zu Band 4 der Yale-Edition von The Works of Jonathan Edwards (New Haven, 1972), S. 14-15.

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Platz erhalten, der Authentizität persönlicher Gotteserfahrung wieder größere Beachtung geschenkt werden. Dieser Ansatz bei den Fundamenten puritanischen Glaubens implizierte natürlich gleichzeitig eine einschneidende Kritik an den bestehenden Praktiken: Wer sich für größere Authentizität des Konversionserlebnisses und seiner Dokumentation einsetzte, bezweifelte damit im Grunde die Glaubwürdigkeit derer, die sich mit weniger strengen Forderungen zufriedengaben, und rührte damit an die Grundlagen ihres Christseins. So erklärt sich die scharfe Gegensätzlichkeit, die sich augenblicklich zwischen "New Lights" - den Anhängern einer religiösen Erneuerung auf der Basis eines vertieften Konversionsverständnisses - und "Old Lights" - den Befürwortern der gewachsenen Praktiken - entwickelte. Gilbert Tennents berühmt gewordene Predigt The Danger of an Unconverted Ministry, die er erstmals 1740 hielt, verleiht diesem grundlegenden Unterschied in den Anschauungen der beiden Parteien nur in besonders krasser Form Ausdruck, indem dort mit rückhaltloser Deutlichkeit etablierten Geistlichen wie einfachen Gemeindemitgliedern die Nichtigkeit ihres verwässerten Christentums vorgehalten und im Gegensatz dazu die alles entscheidende Bedeutung eines aufrüttelnden Konversionserlebnisses betont wird. Nicht minder deutlich treten die tiefen Meinungsgegensätze in einem Brief von William Shurtleff an die Herausgeber der Christian History, einer Zeitschrift zur Propagierung der Fortschritte des "Awakening", zutage. In seinem Bericht über die Auswirkungen der religiösen Erneuerung in Portsmouth wirft er den Kritikern der Bewegung vor: But every one is cried out upon as uncharitable by some, who do not look upon all to be good Christians, and in a safe Estate, that profess to believe the Gospel, let their particular Belief and Practice be almost what it will: especially for any to deny that an external Conformity to the Precepts of it, is not sufficient to bring a Man to Heaven: To declare that Mens blameless Lives, and good Morals will not save them: that they may go a great Way, and do a great many Duties in Religion, and yet be but almost Christians, and finally miscarry: that what they do in Religion must spring from a vital Principle within: that they must be born of GOD, and be Partakers of his Image in this World, or they are unfit for Communion with him, and must necessarily fall short of Happiness in another World. This is condemn W by some as rash judging, and thought to be nothing better than enthusiastick Madness: whereas they are the Words ofTRUTH and SOBERNESS. 8

Natürlich ist es nicht so, als hätte das Konversionserlebnis in der Theologie der etablierten Geistlichkeit keine Rolle gespielt; auch bei

8

Christian History, 1 (1744), 391.

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ihnen datiert erst von hier an das Leben eines wahren Christen. Nicht umsonst spezifiziert Charles Chauncy zu Beginn seiner Seasonable Thoughts das Werk Gottes in Bezug auf den Menschen in eben diesem traditionellen Sinne: 'Tis in one Word, That Work of divine Grace, which is sometimes, called the NewCreation; sometimes the New-Birth; sometimes the Spirit's Renovation; sometimes Conversion, or as 'tis otherwise express'd, a being turned from Darkness to Light, and from the Power of Sin and Satan unto GOD,9

In der nominellen Bedeutung, die der Konversion seit jeher im Puritanismus zukam, waren sich Gegner und Förderer einer religiösen Neuorientierung auch in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch durchaus einig. Sobald es allerdings darum ging, Einzelaspekte der Konversion oder daraus abzuleitende Konsequenzen näher zu bestimmen, standen sich die Standpunkte bald unversöhnlich gegenüber. Bezeichnenderweise kehren in der Debatte, die sich daran entzündete, was denn nun verläßliche Kriterien für die Beurteilung der Echtheit eines Konversionserlebnisses seien, Stichworte und Anschauungen wieder, die schon zur Zeit der Antinomierkrise im Brennpunkt der Auseinandersetzung gestanden hatten. So ist es für Chauncy eine Selbstverständlichkeit, im Zusammenhang mit seiner Erörterung der Konversion gleich an erster Stelle einschränkend einfließen zu lassen: "First of all, There is ordinarily some Preparation in the Mind of Sinners, previous to it. . . . this Preparation of Mind, is not the Work of GOD in the special AND distinguishing Sense."10 Damit greift er die Position zur Vorbereitung auf die göttliche Gnade auf, die ein Jahrhundert zuvor von der Mehrzahl der neuenglischen Geistlichen im Gegensatz zu John Cotton und Anne Hutchinson vertreten worden war. Für ihn wie seinerzeit für Thomas Shepard gehört zur Konversion normalerweise - "ordinarily" - eine Vorbereitungsphase, in der der Mensch sich zu läutern versucht, dadurch seine Bereitschaft für den Empfang der göttlichen Gnade bekundet und vielleicht sogar, indem er der göttlichen Gnade ein möglichst anziehendes Gefäß anbietet, die Wahrscheinlichkeit erhöhen kann, daß Gott ihn dann auch tatsächlich auserwählt. So ist also mit dem Stichwort "preparation" das alte Problem der menschlichen Mitwirkung oder Einflußnahme auf den göttlichen Heilsprozeß erneut aufgeworfen, das schon in der Antinomierkrise die Gemüter bewegt hatte und seitdem, mit dem Reizwort "Arminianism" etikettiert, in regelmäßigen

9 10

S.5. Ibid., S. 5-6.

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Abständen in der theologischen Diskussion aufgetaucht war.11 Wenn Chauncy die Vorbereitungsphase zwar als notwendigen Teil der Konversion, andererseits aber nicht als das Werk Gottes im engeren Sinne bezeichnet, so läuft seine Definition, ganz in Ubereinstimmung mit der theologischen Betrachtungsweise, wie sie sich bis zu diesem Zeitpunkt in Neuengland entwickelt hat, darauf hinaus, daß er den Menschen auffordert, alles in seinen Kräften Stehende zu unternehmen, um seine Erwählung durch Gott wahrscheinlicher zu machen. Anders ausgedrückt, kann der Mensch laut Chauncy einen eigenen Beitrag zu seiner Errettung leisten, wie klein auch immer dieser Beitrag sein mag im Verhältnis zur unermeßlichen und letztlich immer noch völlig unverdienten Gnade Gottes. Samuel Quincy verleiht dieser Position expliziten Ausdruck und unterstützt sie mit dem häufig geäußerten Argument, nur so sei die Vorstellung von einem gütigen und gerechten Gott aufrechtzuerhalten: that Conversion, in any Instance, is the Effect of irresistable Power, does not at all appear; nay is contrary to the Nature of this great and mighty Change in the Hearts and Lives of Men, which is called Conversion, or the New Birth. For no one is made either very bad, or very good in an instant; Conversion is a progressive Work, and the Principles and Habits of Grace and Goodness, are not infused into us by Miracle, all at once; as the extraordinary Gifts of the Holy Ghost were bestow'd on the first Christians. This some seem to think, who speak of Conversion as an instantaneous Work; but this is not the Case of the ordinary Operations of God's Holy Spirit. He works upon us by way of rational Conviction, and the several Graces of Christianity are acquired by degrees; one Virtue is added to another, and we grow up to the Christian Life by insensible Gradations. And then, if we were wholly passive in the Work of Regeneration; it cou'd by no Means be fitly pressed upon us to convert and turn to God from our evil Ways; All Exhortations and Persuasions of this Nature, as there are many in Scripture, wou'd be a mere Mockery of Mankind, and to no Manner of Purpose, if Men had no Power to do any thing themselves; but depended intirely on irresistable Grace to effect their Conversion. And that God should punish Men notwithstanding for neglecting their Salvation; and not doing what was not in their Power; conveys so unworthy an Idea of God, as we should be far from entertaining. 12

Genau die Ansicht aber, die Quincy hier als völlig absurd beiseiteschieben möchte, wurde von vielen Anhängern des "Great Awakening" mit großem Nachdruck verfochten. Der anglikanische Bischof in South Carolina, Alexander Garden, faßt die Auffassung der meisten "New

11

12

Vgl. Alan Heimert, Religion and, the American Mind: From the Great Awakening to the Revolution (Cambridge, Mass., 1966), S. 54-55. "The Nature and Necessity of Regeneration," in Heimert, Great Awakening, S. 489.

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Lights" zur Konversion mit spürbarer Mißbilligung, aber doch zutreffend zusammen: They conceive and insist upon Regeneration, to be an immediate, instantaneous Work of the Holy Spirit, wrought inwardly on the Hearts or Souls of Men, critically at some certain Time, in some certain Place, and on some certain Occasion; and by which the whole Interiour is at once, in a Moment, illuminated and reformed; the Understanding open'd, the Will over-ruled, and all the Inclinations, Appetites and Passions, quite alter'd and turn'd from Evil to Good, from being corrupt and vicious, to being pure, virtuous and holy. Moreover they farther insist, that before we feel this great Work wrought within us, our Faith and good Works shall avail us nothing. 13

Die Parallelen zu der Position, die John Cotton hundert Jahre zuvor eingenommen hatte, liegen auf der Hand. Wieder handelt es sich bei diesem Verständnis von Konversion um ein einmaliges, überwältigendes Ereignis von meist relativ kurzer Dauer, bei dem, gleichsam von einem Augenblick zum andern, der Mensch von Grund auf erneuert wird. Da nicht ein allmählicher Prozeß stattfindet, der sich über einen längeren und nicht genau einzugrenzenden Zeitraum erstreckt, und da die Wucht der erlebten Eindrücke das Ereignis zu einem unvergeßlichen Wendepunkt macht, können Zeitpunkt und nähere Umstände seiner Konversion vom Gläubigen normalerweise ohne Schwierigkeiten angegeben werden. 14 Der Mensch hat keinen aktiven Anteil an diesem Vorgang; allein die Kraft des Heiligen Geistes vermag ihn aus größter Gottferne unvermittelt zu engster Gottnähe zu führen. Daher kommt auch die traditionelle kalvinistische Lehre wieder uneingeschränkt zu ihrem Recht, daß alles, was vor der Konversion liegt, für das Seelenheil des Menschen ohne Belang bleiben muß. Sucht man den Grund, warum diese alten kalvinistischen Grundpositionen plötzlich zu neuem Leben erweckt werden sollen, braucht man sich nur Jonathan Edwards' Bemerkungen über die allgemeine Praxis der Zulassung zur vollen Kirchenmitgliedschaft in Erinnerung zu rufen. Die Annahme, die Konversion sei ein allmählicher Prozeß, der von Seiten des Menschen zumindest vorbereitet, wenn nicht gar unterstützt werden könne, mußte zwangsläufig dazu führen, daß das Konversionserlebnis selbst kaum noch überprüfbar war - welcher Kandidat konnte schon sagen, wann der göttliche Einfluß erstmals zu wirken begonnen

13 14

Regeneration, and the Testimony of the Spirit, in Heimert, Great Awakening, S. 50. In diesem Punkt waren sich allerdings nicht alle Befürworter einer Erneuerung einig. Namentlich Jonathan Edwards übt hier, wie in der Frage der "assurance" überhaupt, große Zurückhaltung; vgl. Clark, " A n Unpublished Letter," 230.

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hatte und wann er endlich so stark angewachsen war, daß er sich als erwählt betrachten durfte? So fiel stattdessen der menschlichen Komponente, dem tadellosen Lebenswandel, immer größeres Gewicht zu mit der Konsequenz, daß schließlich alle Kandidaten, über die nichts Nachteiliges bekannt war, in die Kirche aufgenommen wurden, selbst wenn sie über ihre Konversion nichts Definitives aussagen konnten. Dieser Verwässerung der Vorstellung von göttlicher Erwählung zugunsten einer zunehmenden Betonung menschlicher Leistungen sollte durch die Herausstellung des von Grund auf erneuernden Charakters der Konversion entgegengewirkt werden. Göttliche Allmacht und menschliche Ohnmacht stehen sich nun wieder diametral gegenüber; die Konversion markiert einen derart radikalen Einschnitt, daß eine Kontinuität vom alten zum neuen Menschen kaum vorstellbar erscheint: "conversion is a great change, wherein old things are done away, and all things become new." 15 Herbeigeführt werden kann dieser Wandel einzig und allein von Gott, denn es handelt sich bei diesem Vorgang eben nicht um eine Veredelung von Anlagen, die jedem Menschen zumindest rudimentär mitgegeben wären und die er deshalb bis zu einem gewissen Maße selbständig bereits sensibilisieren könnte, sondern um das Einpflanzen völlig neuartiger Fähigkeiten, die sich in ihrem Wesen, nicht etwa nur in ihrem Grad, von den natürlichen Veranlagungen des Menschen unterscheiden: those gracious influences which the saints are subjects of, and the effects of God's Spirit which they experience, are entirely above nature, altogether of a different kind from anything that men find within themselves by nature, or only in the exercise of natural principles; and are things which no improvement of those qualifications, or principles that are natural, no advancing or exalting them to higher degrees, and no kind of composition of them, will ever bring men to; because they not only differ from what is natural, and from everything that natural men experience, in degree and circumstances; but also in kind; and are of a nature vastly more excellent.16

Damit muß der Gedanke eines eigenständigen Beitrags des Menschen zur Konversion ad acta gelegt werden, weil er zum einen dazu tendiert, die unüberbrückbare Kluft zwischen Gottes Allmacht und menschlicher Unvollkommenheit zu überspielen, zum andern die wesensmä-

15

16

Jonathan Edwards, A Faithful Narrative of the Surprising Work of God, in der YaleAusgabe seiner Werke, IV, 1 7 8 . - Sofern nicht ausdrücklich anders angegeben, werden die Werke von Jonathan Edwards im folgenden unter Nennung von Band und Seite nach dieser Ausgabe zitiert. Edwards, A Treatise Concerning Religious Affections, II, 205. Eine ganz ähnliche Aussage Edwards' findet sich in Perry Miller, "Jonathan Edwards on the Sense of the Heart," Harvard Theological Review, 41 (1948), 141.

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ßige Scheidung zwischen menschlicher Verderbtheit vor der Konversion und der Teilhabe an Christi Vollkommenheit in der Konversion nicht genügend berücksichtigt. Wer dennoch glaubt, durch die Übung christlicher Tugenden Ansprüche auf seine Erwählung durch Gott geltend machen zu können, setzt an die Stelle des Gnadenbundes, den Gott mit Abraham geschlossen hat, den alten Bund nach dem Gesetz, der für Adam vor dem Sündenfall galt und der nach dem Verlust der paradiesischen Vollkommenheit vom Menschen nicht mehr erfüllt werden kann: inasmuch as Pharisee-Teachers seek after Righteousness as it were by the Works of the Law themselves, they therefore do not distinguish, as they ought, between Law and Gospel'm their Discourses to others. They keep Driving, Driving, to Duty, Duty, under this Notion, That it will recommend natural Men to the Favour of GOD, or entitle them to the Promises of Grace and Salvation: And thus those blind Guides fix a deluded World upon the false Foundation of their own Righteousness; and so exclude them from the dear Redeemer. All the Doings of unconverted Men, not proceeding from the Principles of Faith, Love, and a new Nature, nor being directed to the divine Glory as their highest End, but flowing from, and tending to Self, as their Principle and End; are doubtless damnably Wicked in their Manner of Performance, and do deserve the Wrath and Curse of a Sin-avenging GOD; neither can any other Encouragement be justly given them, but this, That in the Way of Duty, there is a Peradventure or Probability of obtaining Mercy. 17

Auch diese polemische Inanspruchnahme des "covenant of grace" ausschließlich für die eigene Partei, während der anderen Seite ein Festhalten am "covenant of law" vorgeworfen wird, ist aus den Auseinandersetzungen um Anne Hutchinson bestens bekannt und hat hier wie dort den gleichen Hintergrund. Den Antinomiern des 17. Jahrhunderts wie auch den religiösen Erneuerern des 18. Jahrhunderts ging es darum, die Gefahr des Arminianismus zu bannen, die ihnen in einer zu großen Betonung des menschlichen Anteils an der Konversion zu bestehen schien.18 Deswegen hatten John Cotton und Anne Hutchin-

17

18

Gilbert Tennent, The Danger ofart Unconverted Ministry, inHeimert, Great Awakening, S. 79. Die zunehmende Gewichtung der menschlichen Komponente im frühen Puritanismus legt Conrad Wright, The Beginnings of Unitarianism in America (Boston, 1955; repr. Hamden, Conn., 1976), S. 9-27, dar. Gerald C. Goodwin, "The Myth of 'ArminianCalvinism' in Eighteenth-Century New England," NEQ, 41 (1968), 213-237, betont mit seiner Behauptung, daß es arminianische Tendenzen im Puritanismus selbst nicht gegeben habe, sondern diese Gefahr nur von außen, speziell von der anglikanischen Kirche, an ihn herangetragen worden sei, einseitig nur eine Komponente. In der Christian History z.B. berichten einige Geistliche offen über ihre eigenen Neigungen

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son sich dem Konzept der Vorbereitung auf die Konversion widersetzt, und aus demselben Grunde suchten die Anhänger des "Great Awakening" diese Anschauung, wenn nicht von neuem zur Debatte zu stellen, so doch durch die Betonung der Radikalität und Plötzlichkeit der Konversion zu unterlaufen. Der Akzent sollte wieder mehr auf dem Wirken Gottes, weniger auf menschlichen Leistungen liegen. Eine erste Konsequenz dieser Rückbesinnung auf Vorstellungen, die den frühen Puritanismus ausgezeichnet hatten, war die erneute uneingeschränkte Betonung der Allmacht Gottes, speziell auch im Hinblick auf die Lehre von der Prädestination, derzufolge es allein in das Belieben Gottes gestellt ist, welchen Menschen er zur Erlösung und welchen zur Verdammnis auserwählt. Jonathan Edwards' Erfahrungen mit der religiösen Erneuerung in seiner eigenen Gemeinde bestätigten ihm, daß die beste Vorbereitung auf die Erweckung darin bestand, die menschliche Sündhaftigkeit einzugestehen und das persönliche Seelenheil einzig der Gnade Gottes anheimzustellen: And whatever minister has a like occasion to deal with souls, in a flock under such circumstances, as this was in the last year, I can't but think he will soon find himself under a necessity greatly to insist upon it with them, that God is under no manner of obligation to shew mercy to any natural man, whose heart is not turned to God: and that a man can challenge nothing, either in absolute justice or by free promise, from anything he does before he has believed on Jesus Christ or has true repentance begun in h i m . . . . I think I have found that no discourses have been more remarkably blessed, than those in which the doctrine of God's absolute sovereignty with regard to the salvation of sinners, and his just liberty with regard to answering the prayers, or succeeding the pains of natural men, continuing such, have been insisted on. 19

Damit wird dem Menschen automatisch eine rein passive Rolle zugewiesen, wie sie ähnlich John Cotton in seiner Debatte mit den übrigen Geistlichen Neuenglands schon hundert Jahre zuvor beschrieben hatte. Hilflosigkeit und Ohnmacht, Schuld und Schlechtigkeit kennzeichnen den Menschen vor seiner Annahme durch Gott. Angesichts solch einer Ausgangssituation versteht es sich von selbst, daß der Mensch keinen eigenständigen Beitrag zu seiner Konversion beizusteuern vermag; jegliche Hoffnung kann sich nur an Gott, nicht jedoch am eigenen unvollkommenen Bemühen aufrichten.20 Dieser Tatsache trugen viele Geist-

19 20

zum Arminiertum sowie entsprechende Tendenzen in ihren Gemeinden: 1 (1744), 202-203; 2 (1745), 123-124. Faithful Narrative, IV, 167-168. Ibid., IV, 163-164. Vgl. ähnlich einen Brief Edwards' vom 30. Mai 1735 an Benjamin Colman,in Works, IV, 104; William Coopers Vorwort zu Edwards' The Distinguishing

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liehe, die den Bestrebungen des "Great Awakening" wohlgesonnen waren, dadurch Rechnung, daß sie den Glauben an Christi Erlösungswerk als einzig wirksame Bedingung für die persönliche Errettung vor der Verdammnis predigten und auf diese Weise den alten reformatorischen Grundsatz wiederzubeleben trachteten, daß nur der Glaube, nicht seine Werke, den Menschen retten können. Aus dem gleichen Grunde malten viele die menschliche Sündhaftigkeit mit den darauf wartenden Strafen der Verdammnis in den grellsten Farben, um so der Gefahr vorzubeugen, daß jemand sich zu sehr auf seine eigene Rechtschaffenheit verließ, statt allein auf Gott zu vertrauen.21 Bei ihren Gegnern stieß diese Praxis, die Strafen von Gottes Gericht möglichst drastisch vor Augen zu führen, jedoch auf scharfe Kritik und wurde gern mit dem Stichwort "preaching of terror" abqualifiziert. Sie befürchteten, daß ein solcher Predigtstil die Gläubigen nur verunsichere: Statt ihnen Halt zu geben, stürze er sie nur in abgrundtiefe Verzweiflung, da ihnen jede Hoffnung genommen werde, vor Gottes unerbittlichem Ratschluß bestehen zu können. Darüber hinaus würden so nur die Emotionen aufgepeitscht, jedoch keine soliden Überzeugungen geweckt, ein Vorwurf, der generell ständig gegen die religiöse Erneuerung und ihre Auswüchse erhoben wurde.22 Auf diese Einwände geht Jonathan Edwards in Some Thoughts Concerning the Present Revival of Religion in New-England ein, hält aber dennoch kompromißlos daran fest, daß aller Trost dem Menschen aus Christus, nicht aus eigenem Vermögen erwachsen muß: No comfort is to be administered to 'em, from anything in them, any of their qualifications, prayers or other performances, past, present or future; but ministers should, in such cases, strive to their utmost to take all such comforts from 'em, though it greatly increases their terror. A person that sees himself ready to sink into hell is ready to strive, some way or other, to lay God under some obligation to him; but he is to be beat off from everything of that nature, though it greatly increases his terror to see himself wholly destitute on every side, of any refuge, or anything of his own to lay hold of. 23

21

22

23

Marks of a Work of the Spirit of God, IV, 218; Alexander Garden, Regeneration, and the Testimony of the Spirit, in Heimert, Great Awakening, S. 51. Bekannte Beispiele für solche Predigtthemen sind Jonathan Edwards' Sinners in the Hands of an Angry God von 1741 und "Justification by Faith Alone", veröffentlicht in Discourses on Various Important Subjects, Nearly Concerning the Great Affair of the Soul's Eternal Salvation (Boston, 1738). Charles Chauncy widmet der Kritik an dem Predigtstil, bei dem die Schrecken des göttlichen Gerichts im Mittelpunkt stehen, in seinen Seasonable Thoughts einen längeren Abschnitt (S. 76-119). Works, IV, 391.

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Nur die illusionslose Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit und Ohnmacht kann den Menschen dazu bewegen, trügerische Hoffnungen zu begraben und sich vorbehaltlos der Gnade Gottes anzuvertrauen. Erst, wenn er weiß, daß eine Rettung aus eigener Kraft unmöglich ist, wird er bereit sein, sein Heil am rechten Ort zu suchen. Selbstentsagung - die Bescheidung mit der eigenen rein passiven Rolle, das geduldige Warten auf fremde Hilfe - ist somit die erste Voraussetzung für wahre Selbstfindung. Enthusiastische Phänomene Bis hierhin weist die theologische Debatte des 18. Jahrhunderts also schon einige interessante Parallelen zur Antinomierkrise des 17. Jahrhunderts auf, indem in beiden Fällen die Definition des Konversionserlebnisses im Brennpunkt steht und die Anhänger des "Great Awakening", wie die Antinomier vor ihnen, die menschliche Mitwirkung am Erwählungsprozeß grundsätzlich negieren. Auch die Kritik am Formalismus der etablierten Kirche, die Beanspruchung des "covenant of grace" für die eigene Seite, während den bestehenden Institutionen ein bloß äußerliches Einhalten von Regeln und Gesetzen vorgeworfen wird, findet sich hier wie dort gleichermaßen. Andererseits reichen diese Unterschiede in der theologischen Sichtweise wohl doch noch nicht aus, um die Leidenschaft und Verbitterung zu erklären, mit der die Auseinandersetzung um die religiöse Erneuerung mit zunehmender Dauer geführt wurde, denn so sehr die Reformer mit ihrer Kritik ans Grundsätzliche rührten, zielten ihre Bestrebungen doch eingestandenermaßen nur auf eine Wiederbelebung alter Tugenden und Lehren, die seit jeher im Puritanismus verankert gewesen und lediglich nach ihrer Meinung in Vergessenheit geraten waren. So betrachtet, war die Erneuerung des "Great Awakening" konservativer Natur. Es fehlte dieser im Prinzip konservativen Bewegung jedoch nicht an einer radikalen Spitze. Wie schon bei der Antinomierkrise kreiste die Debatte auch darum, wie der Begriff der "visible church" auszulegen sei, d.h. wie streng die Maßstäbe und wie groß die Gewißheit einer tatsächlichen Erwählung sein können, damit jemand in die Gemeinde aufgenommen werden darf, und wie schon Anne Hutchinson wurde auch manchen Erneuerern des 18. Jahrhunderts vorgehalten, ihr Kirchenideal sei zu exklusiv und perfektionistisch. Noch radikaler und daher noch gefährlicher erschienen den Vertretern der etablierten Kirchen jedoch andere Begleiterscheinungen des von den Befürwortern einer Erneuerung propagierten Konversionsverständnisses, und in diesem Punkt sahen sie denn auch die entscheidende Parallele zu den Vorkommnissen um

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Anne Hutchinson. Für die liberale Geistlichkeit nämlich, die dem Trend zu größerer menschlicher Einflußnahme auf die religiösen Prozesse gefolgt war, mündete die von der Gegenpartei vertretene Ansicht von menschlicher Passivität und göttlicher Allmacht in ein Konzept des Ergriffenwerdens ein, das alle Anzeichen eines traditionellen Enthusiasmus in sich barg: Let us a little consider what are the Peculiarities for which Enthusiasts are contemned and ridiculed by the rest of Mankind. Are not these some of them, viz. Violent Agitations of Body, falling down, heaving of the Breast, pretending to extraordinary Communications from the Spirit of God. - The Light within, Revelations, Trances, "depreciating the Word of God, and setting up the Light within, or some other Rule above it." These are some of their Peculiarities; and all these Things are among the uncommon Appearances that attend this Work, as every one must know that hath been much conversant where it hath been carried on. 24

Ganz abgesehen von den außergewöhnlichen körperlichen Phänomenen, auf die hier angespielt wird und die nicht selten auch von Anhängern des "Great Awakening" mit Mißtrauen beobachtet wurden, wird in dieser Darstellung der Konversion die unmittelbare Erfahrung Gottes, wie schon bei den Gefolgsleuten Anne Hutchinsons, wieder in bedenklicher Weise gleichgesetzt mit dem Glauben an direkte Offenbarungen, die jedem von Gott dazu ausersehenen Menschen zuteil werden können. 25 Damit droht aber erneut, wie es der traditionellen Vorstellung vom Enthusiasmus entspricht, subjektive Uberzeugung zum alleinigen Maßstab für die Wahrheit religiöser Anschauungen zu werden, da natürlich nur der Betroffene selbst über die Natur und Glaubhaftigkeit seiner Eingebungen urteilen kann. In diesem Sinne äußern sich in offenkundiger Anlehnung an Lockes Darstellung im Essay Concerning Human Understanding die Lehrenden von Harvard, als Whitefield, in ihren Augen der Begründer all dieser fehlgeleiteten Ansichten, im Jahre 1744 ein weiteres Mal amerikanischen Boden betritt: Now that we may speak clearly upon this Head, we mean by an Enthusiast, one that acts, either according to Dreams, or some sudden Impulses and Impressions upon his Mind, which he fondly imagines to be from the Spirit of God, perswading and inclining

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25

William Rand(?), A Letter to a Friend, Concerning the Late Religious Commotions in New-England (Boston, 1743), S. 38. Der wiederholte Ausdruck "the Light within "macht deutlich, daß an dieser Stelle vornehmlich an die Parallele zu Vorstellungen der Quäker gedacht ist. Eine gewisse Nähe zu Ansichten der Quäker wird verschiedentlich nahegelegt, um die Anschauungen der Erneuerer zu diskreditieren: vgl. Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 8 0 , 2 0 2 - 2 1 5 , 217. Umgekehrt bemüht sich Z.B.Jonathan Edwards, solche Assoziationen zu widerlegen: Works, IV, 189 und 313.

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him thereby to such and such Actions, tho' he hath no Proof that such Perswasions or Impressions are from the holy Spirit: For the perceiving a strong Impression upon our Minds, or a violent Inclination to do any Action, is a very different Thing from perceiving such Impressions to be from the Spirit of God moving upon the Heart: For our strong Faith and Belief, that such a Motion on the Mind comes from God, can never be any Proof of it; and if such Impulses and Impressions be not agreeable to our Reason, or to the Revelation of the Mind of God to us, in his Word, nothing can be more dangerous than conducting ourselves according to them; for otherwise, if we judge not of them by these Rules, they may as well be the Suggestions of the evil Spirit.26

Neben Whitefield traf diese typische Beschreibung eines Enthusiasten nach Meinung der etablierten Geistlichkeit vor allem auf James Davenport aus Southold, Rhode Island, zu. Sein Erscheinen in Boston war der äußere Anlaß für die Veröffentlichung von Chauncys Schrift Enthusiasm Described and Caution 'd against, deren Vorwort sich ausdrücklich an Davenport wendet und ihm den charakteristischen Irrtum eines Enthusiasten, das Verwechseln subjektiver Eindrücke mit göttlichen Offenbarungen, vorwirft. Tatsächlich legte gerade Davenport bei seinen Versammlungen ein derart exzentrisches Gebaren an den Tag - selbst vor einer öffentlichen Bücherverbrennung machte er nicht Halt - , daß sogar die Anhänger der religiösen Erneuerung seinen Übereifer eher als eine Belastung denn als Unterstützung ihrer Sache betrachteten und er selber sich im Jahre 1744 zu einer öffentlichen Entschuldigung und Rücknahme früherer Äußerungen genötigt sah. Zwischenzeitig hatten Gerichte in Hartford und Boston ihn sogar als nicht voll zurechnungsfähig eingestuft, damit der seit Beginn des 18. Jahrhunderts stark um sich greifenden Auffassung folgend, daß der Enthusiasmus eine religiös orientierte Form des Wahnsinns oder doch zumindest Folge der an den Wahnsinn grenzenden Krankheit der Melancholie sei. 27

26

27

The Testimony of the President, Professors, Tutors, and Hebrew Instructor of Harvard College, against George Whitefield, in Heimert, Great Awakening, S. 342. Konkret gegen Whitefield wird der Vorwurf des Enthusiasmus auf den Seiten 342-346 erhoben. Chauncy macht Davenport nochmals zum Ziel seiner Attacken in Seasonable Thoughts, S. 191-199. Eine knappe Zusammenfassung seines Wirkens mit den beiden Erklärungen, die ihn als nicht voll zurechnungsfähig ausweisen, gibt C. C. Goen, Revivalism and Separatism in New England, 1740-1800: Strict Congregationalists and Separate Baptists in the Great Awakening (New Haven, 1962), S. 2 0 - 2 7 . - Schon Robert Burton hatte in seiner Anatomy of Melancholy den Enthusiasmus als eine Form religiöser Melancholie behandelt. Bemerkungen über die Nähe des Enthusiasmus zur Melancholie oder zum Wahnsinn finden sich z. B. bei Chauncy, Enthusiasm Described, S. 3-7, Alexander Garden (in Heimert, Great Awakening, S. 49) und Samuel Blair (in Bushman, Great Awakening, S. 71); vgl. dazu auch Heimert, Religion and the American Mind, S. 177, sowie Parker, "Edwards and Melancholy," 203-204.

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Angesichts solcher Führer erschien es den Liberalen natürlich nur wie eine unausbleibliche Konsequenz, wenn auch die breite Masse religiöse Erweckung einzig im Gewand eines schrankenlosen Enthusiasmus erkennen und praktizieren konnte: the same Things are become prevalent among the common People, in one Place and another, all over the Land. After the Example of the Preachers they admire, they too commonly mistake the Motions of their own Minds for divine Suggestions, and look for those Communications from the HOLY SPIRIT, which are proper only to INSPIRED Persons. They talk not of the SPIRIT'S Influence in the Language good Christians have been us'd to; but more in the Strain of those, who, in the Apostles Days, were under his immediate, extraordinary Guidance. . . . And what is still of more dangerous Consequence, the Notions many entertain of the SPIRIT'S Influence are such, as reflect great Dishonour on the written Word.2S

In den geläufigen theologischen Termini der Zeit ausgedrückt, lag hier eine unzulässige Vermengung zweier sorgfältig zu trennender Wirkungsweisen des Heiligen Geistes vor. Die eine, als "ordinary work of the Spirit" oder "saving graces" bezeichnet, beinhaltete das mit der Konversion einsetzende neue religiöse Bewußtsein, das dem Gläubigen kraft des nun in ihm wohnenden Heiligen Geistes neue Einsichten in religiöse Wahrheiten erschloß, die ihm durchaus schon vorher als abstrakte Glaubenssätze bekannt gewesen sein mochten, die aber erst jetzt ihren konkreten Bezug auf ihn selber und damit ihre eigentliche Bedeutung enthüllten. Nur, wer in der Konversion diese Kraft des Heiligen Geistes erfahren hatte, durfte sich zu den Auserwählten Gottes zählen. Das andere Vermögen des Heiligen Geistes bestand darin, bei außergewöhnlichen Anlässen wenigen dazu ausersehenen Menschen auf dem Wege der Inspiration prophetische oder andere übernatürliche Gaben zu verleihen, wie dies zum Beispiel mit den Propheten des Alten Testaments oder zuletzt den Aposteln während der Frühzeit der christlichen Kirche geschehen war. Diese Wirkungsweise, als "extraordinary" bezeichnet, sagte nichts darüber aus, ob der Betroffene vor Gott Gnade gefunden hatte oder nicht, war in der Regel von begrenzter zeitlicher Dauer - im Gegensatz zum "gewöhnlichen" Wirken des Geistes in der Konversion, das anschließend nicht mehr völlig verebben konnte - und wurde üblicherweise auf die Zeit des Alten Testaments sowie die Tage der Apostel beschränkt. Nachdem das Christentum die Prüfungen seiner Anfänge erfolgreich überstanden hatte und das Wort

28

Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 216. Vgl. auch die ebenfalls Chauncy zugeschriebene anonyme Veröffentlichung A Letter from a Gentleman in Boston, to Mr. George Wishart, in Bushman, Great Awakening, S. 118-119.

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Die religiöse Erneuerung um 1740

Gottes im Neuen Testament allen Menschen zugänglich war, wäre es Vermessenheit, immer noch über das bereits geoffenbarte Wort hinausgehende Mitteilungen Gottes in Form von direkten Eingebungen zu erwarten.29 Der entscheidende Fehler vieler Menschen während der Erneuerungsbewegung des 18. Jahrhunderts bestand nun nach Ansicht ihrer Kritiker darin, daß sie entweder zu Unrecht die außergewöhnlichen Gaben des Heiligen Geistes höher einschätzten und daher mehr begehrten als die allgemeinen oder daß sie doch zumindest die außergewöhnlichen als selbstverständlichen Bestandteil der gewöhnlichen, d. h. jedes Konversionserlebnisses, ansahen. Vor diesem falschen Verständnis dessen, was der Heilige Geist bei der Konversion bewirkt, warnt Chauncy daher eindringlich: It does not lie in giving men private revelations, but in opening their minds to understand the publick ones contained in the scripture. It does not lie in sudden impulses and impressions, in immediate calls and extraordinary missions. Men mistake the business of the SPIRIT, if they understand by it such things as these. And 'tis, probably, from such unhappy mistakes, that they are at first betrayed into enthusiasm,}0

Während also die Befürworter der Erneuerung die Konversion wieder stärker in den Mittelpunkt rücken wollten, um durch die größere Betonung einer persönlichen religiösen Erfahrung der Gefahr eines toten Formalismus zu begegnen, sahen ihre Gegner in diesem Bestreben Ansätze zu einem Konzept von Gottnähe und -ergriffenheit, das auch den Empfang direkter Offenbarungen mit einschloß. Ihrer Meinung nach hielten zu viele Menschen die mit der Konversion erreichte Nähe zu Gott für einen Garant dafür, daß der nun vom Heiligen Geist erfüllte Mensch jederzeit wieder in persönlichen Mitteilungen von Gott angesprochen werden konnte. Ein logisches Resultat solch eines Glaubens war es dann natürlich, daß andere, weniger persönliche Wege der Kommunikation göttlichen Willens wie etwa über die Bibel rapide an Bedeutung verloren. Die wirklich maßgeblichen Weisungen erhielten die Anhänger solch einer Anschauung aus ihrem Inneren, durch unmittelbare Eingebungen Gottes. 29

30

Chauncy, Enthusiasm Described, S. 16; Seasonable Thoughts, S. 217. - Die gängige Unterscheidung von "ordinary" und "extraordinary Work of the Spirit" spielt, mit einem deutlichen Seitenblick auf den Enthusiasmus, auch bei Jonathan Edwards' Definition seines Kernbegriffs "sense of the heart" eine Rolle: Miller, "Sense of the Heart," 138-140. In England hatte schon George Hickes in The Spirit of Enthusiasm Exorcised (London, 2 1681), S. 4-8 und passim, seiner Attacke dieselbe Unterscheidung zugrundegelegt. Vgl. dazu ferner Nuttall, Holy Spirit, S. 28-29. Enthusiasm Described, S. 16-17.

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They are, in their own opinion, the special favourites of GOD, have more familiar converse with him than other good men, and receive immediate, extraordinary communications from him. The tho'ts, which suddenly rise up in their minds, they take for suggestions of the SPIRIT; their very fancies are divine illuminations; nor are they strongly inclin'd to any thing, but 'tis an impulse from GOD, a plain revelation of his will.31

Damit erwies sich in den Augen der liberalen Geistlichkeit ein zweites Ziel der religiösen Erneuerer als äußerst gefährlich. Das Bemühen, wieder mehr wahrhaft empfundene religiöse Innerlichkeit an die Stelle rein äußerlicher Pflichterfüllung im Sinne eines etablierten Moralkodex zu setzen, konnte sehr rasch dazu führen, daß alle Kriterien echten Christseins vom äußerlich nachprüfbaren Lebenswandel eines Menschen in sein nicht ausleuchtbares Inneres verlagert wurden; Subjektivität nahm den Platz objektiv ablesbarer Fakten ein. In diesem Bereich des Subjektiven war dann auch eine Scheidung zwischen göttlichen Offenbarungen und eingebildeten Fantasievorstellungen nicht mehr möglich, so daß einfach alles, was aus dem Inneren kam, als gottgegebene Inspiration angesehen werden konnte. Vor diesem Problem konnten auch Geistliche wie Jonathan Edwards, die den religiösen Erneuerungsbestrebungen im Prinzip positiv gegenüberstanden, ihre Augen nicht verschließen. Einerseits waren sie natürlich geneigt, den völlig neuartigen und beglückenden Charakter der bei der Konversion durchlebten Erfahrungen recht hoch zu veranschlagen, so daß ihnen Freudenkundgebungen der Betroffenen bis hin zu ekstatischen Visionen der himmlischen Herrlichkeit als durchaus plausible Folgen der neuen spirituellen Einsichten erschienen. Diese Uberzeugung spricht deutlich aus den authentischen Fallbeispielen, die Edwards als Beleg für seine Sicht der Erweckungsphänomene sowohl in seine Faithful Narrative wie auch in Some Thoughts Concerning the Present Revival of Religion einflicht.32 Augenblicke, in denen der Gläubige eine mystische Vereinigung mit Gott zu verspüren meint, sind demnach eine zwar nicht unabdingbare, aber durchaus mögliche Form der Kommunikation mit Gott. Daher wäre es für Edwards auch völlig verfehlt, solche Erlebnisse religiöser Verzückung von vornherein als die haltlosen Einbildungen eines Enthusiasten abzutun; ganz im Gegenteil beendet er seinen Bericht in Some Thoughts mit dem triumphierenden Ausruf: "Now if such things are enthusiasm, and the fruits of

31 32

Ibid., S. 4. Works, IV, 191-205 und 331-341. Das letztere Beispiel gibt die Erfahrungen seiner Frau wieder.

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a distempered brain, let my brain be evermore possessed of that happy distemper!"33 Andererseits war sich natürlich auch Jonathan Edwards bewußt, daß die Grenze zwischen ernstzunehmenden mystischen Erlebnissen und nur eingebildeten Inspirationen unter Umständen schwierig zu ziehen war, wie denn überhaupt das Problem vornehmlich darin bestand, sinnvoll zu unterscheiden zwischen dem, was auf natürliche Weise hinlänglich erklärt werden konnte, und solchen Dingen, bei deren Erklärung man auf übernatürlichen Einfluß zurückgreifen zu müssen glaubte. Hier konnte man nicht genug davor warnen, irgendwelchen Eindrücken und Vorstellungen zu viel Gewicht beizumessen und sie vorschnell als gottgesandt einzustufen. Noch vor der Veröffentlichung seiner Faithful Narrative weist Edwards in einem Brief an Benjamin Colman vom 30. Mai 1735 auf die hier gebotene und von ihm selber immer wieder gepredigte Zurückhaltung hin: Some indeed under great terrors of conscience have had impressions on their imaginations ; and also under the power of spiritual discoveries, they have had livelily impressed ideas of Christ shedding blood for sinners, his blood running from his veins, and of Christ in his glory in heaven and such like things, but they are always taught, and have been several times taught in public not to lay the weight of their hopes on such things and many have nothing of any such imaginations. There have been several persons that have had their natures overborne under strong convictions, have trembled, and han't been able to stand, they have had such a sense of divine wrath; but there are no new doctrines embraced, but people have been abundantly established in those that we account orthodox; there is no new way of worship affected.34

Immerhin war Edwards jedoch, bei aller Vorsicht, zu der er ständig mahnte, bereit, dem göttlichen Wirken größere Vielfalt und außergewöhnlichere Wege einzuräumen, als dies seine liberalen Gegner taten, für die sich in der Regel das Walten Gottes in der Benutzung natürlicher Hilfsmittel erschöpfte und die daher alles, was sich gegen eine natürliche Erklärung sperrte, stark beargwöhnten.35 Natürliche und übernatürliche Einflüsse konnten nach Edwards' Meinung durchaus gemeinsam auftreten, und die Tatsache, daß bei manchen Menschen das neue religiöse Bewußtsein ihre Vorstellungskraft zu ungewohnter Tätigkeit anregte, ließ in seinen Augen weder einen positiven noch einen negativen Schluß über die Echtheit der zugrundeliegenden religiösen Erfahrungen zu. Zwar durfte man auf keinen Fall jedes Bild, das die Fantasie

33 34 35

Ibid., IV, 341. Works, IV, 107-108. Vgl. ähnlich Faithful Narrative, IV, 188-189. Religious Affections, II, 138-142.

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in Momenten eines religiösen Hochgefühls heraufbeschwor, für das Werk göttlicher Eingebung halten, doch bedeutete umgekehrt die Anfälligkeit eines Menschen für solche imaginären Vorstellungen auch nicht, daß alle seine anderen religiösen Eindrücke notwendigerweise ebenfalls reine Fantasieprodukte seien.36 Kurz: Edwards versuchte, der Gefahr eingebildeter Inspirationen mit dem dahinterliegenden Schreckgespenst des Enthusiasmus dadurch zu begegnen, daß er jede Form von religiös motivierten Visionen als Akzidentia des Erweckungsprozesses klassifizierte, die dabei auftreten konnten oder auch nicht, die aber kein zuverlässiges Kriterium für die Prüfung der Authentizität des Erlebnisses darstellten. Trotz dieses Bemühens, die Frage der imaginären Vorstellungen oder Visionen aus dem Zentrum der Debatte herauszunehmen, um so der Gefahr des Enthusiasmus vorzubeugen, mußte aber auch Edwards eingestehen, daß viele Anhänger des "Great Awakening" gerade in diesem Punkt über das vertretbare Maß hinausschössen. And is it any wonder that they that never before had experience of the supernatural influence of the divine Spirit upon their souls, and never were instructed in the nature of these influences, don't so well know how to distinguish one extraordinary new impression from another, and so (to themselves insensibly) run into enthusiasm, taking every strong impulse or impression to be divine? 37

Zwar versucht Edwards auch für diese Verfehlungen Verständnis zu wecken, indem er die Unerfahrenheit der meisten Leute betont, doch ändert dieser mildernde Umstand nichts an der objektiven Feststellung, daß manche Anhänger der religiösen Erweckung die Grenze zum Enthusiasmus bereits überschritten hatten. Hier fehlt es an der nötigen Unterscheidung zwischen dem wahrhaft Spirituellen und dem bloß Imaginären, zwischen dem übernatürlichen Einfluß des göttlichen Geistes und dem ganz natürlichen Funktionieren der menschlichen Psyche. Vorstellungen, die sich ohne Schwierigkeiten als Produkte der menschlichen Fantasie erklären lassen, werfen nicht von vornherein ein schlechtes Licht auf etwa damit einhergehende religiöse Erfahrungen; die eigentliche Gefahr beginnt erst dort, wo solchen Phänomenen zu große oder gar die allein ausschlaggebende Bedeutung beigemessen wird: N o w it often comes to pass, that through persons not distinguishing the wheat from the chaff, and for want of watchfulness and humble jealousy of themselves, and laying great weight on the natural and imaginary part, and yielding to it and indulging of it, that part

36 37

Distinguishing Marks, IV, 235-238. Some Thoughts, IV, 321.

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grows and increases, and the spiritual part decreases; the Devil sets in and works in the corrupt part, and cherishes it to his utmost; till at length the experiences of some persons who began well, come to but little else but violent motions of carnal affections, with great heats of the imagination, and a great degree of enthusiasm, and swelling of spiritual pride; very much like some fruits which bud, blossom and kernel well, but afterwards are blasted with an excess of moisture; so that though the bulk is monstrously great, yet there is little else in it but what is useless and unwholesome. 38

Das untrügliche Werkzeug, mit dem alle Arten von Eingebungen geprüft werden mußten, ganz gleich ob man sie für natürlichen oder übernatürlichen Ursprungs hielt, war natürlich das geoffenbarte Wort Gottes, die Bibel. In dieser geheiligten protestantischen Anschauung waren sich Kritiker wie gewissenharte Anhänger der religiösen Erneuerung einig. "Fix it in your minds as a truth you will invariably abide by, that the bible is the grand test, by which every thing in religion is to be tried," ermahnt daher Chauncy in bewährter Manier die Adressaten von Enthusiasm Described and Caution'd against und schickt sich dann an darzulegen, wie die Verfechter des "Great Awakening", allen voran James Davenport, durch die Mißachtung dieser Maxime bewußt oder unbewußt dem Enthusiasmus Vorschub leisten.39 Ebenso weist Jonathan Edwards die Leser seiner Distinguishing Marks darauf hin, daß alles, was tatsächlich von Gott kommt, selbstverständlich dazu beitragen wird, die Achtung vor der Bibel zu verstärken, genauso wie auch die umgekehrte Beobachtung gilt: "And accordingly we see it to be common in enthusiasts, that they depreciate this written rule, and set up the light within, or some other rule above it." 40 So sehr also in der Theorie Übereinstimmung herrschte zwischen den feindlichen Lagern, so sehr war man sich uneins, wenn es darum ging, die aktuellen Ereignisse an diesem Lehrsatz zu messen. Während die Befürworter der religiösen Erneuerung, trotz einiger bedauernswerter Fehlentwicklungen, deren Existenz auch sie nicht leugneten, die Bewegung insgesamt doch guthießen, weil sie ihrer Meinung nach das allgemeine religiöse Bewußtsein und damit auch die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes vertiefte, sahen die Kritiker um Charles Chauncy nahezu überall, wo die Bewegung Fuß gefaßt hatte, die Symptome eines bibelverachtenden Subjektivismus und Antinomiertums: Instead of Persons having a greater Regard for the Scripture, it is notorious that their Esteem hath been drawn off from the Scripture, and they have substituted the 38

39 40

Ibid., IV, 467. Ein ähnliches Eingeständnis enthält Edwards' Brief an Thomas Prince vom 12. Dezember 1743 (in Works, IV, 550). S. 17. Vgl. dort auch S. iv-v, 2 und 7. Works, IV, 254.

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extraordinary Influences of the SPIRIT, which they have supposed themselves to be under, in the Room of the Scripture. And some have been led to a wild, extravagant, and mystical Interpretation of Scripture, which they say the SPIRIT of GOD reveals to them; and this they pretend to be as confident of as of their own Existence.41

Wie schon zu Zeiten der Antinomierkrise des 17. Jahrhunderts erblickten die Vertreter der liberalen Geistlichkeit in dem ganzen Disput über den Einfluß des Heiligen Geistes, in der Betonung persönlicher Gotteserfahrung, die unter dem altehrwürdigen Stichwort "experimental religion" die Begeisterung des frühen Puritanismus Wiederaufleben lassen sollte, nur das trojanische Pferd, mit dem in Wirklichkeit die Plage des Enthusiasmus in die Kirchen eingeschleppt wurde. In ihren Augen war es Anmaßung und hybride Selbstüberschätzung - "presumptuous Dependance on the blessed SPIRIT'*2 - , sich ständig auf keine geringere Autorität als die persönliche Vermittlung des Heiligen Geistes zu berufen, wo das Wort Gottes in der Bibel doch öffentlich an die ganze Menschheit ergangen war. Hinter dem Ziel, religiöse Überzeugungen wieder mehr zu verinnerlichen, verbarg sich nur die Geringschätzung des wichtigsten objektiven Hilfsmittels überhaupt, eben der Bibel: And what indeed is the Language of those inward Whispers, and extraordinary spiritual Motions, which so many pretend to in these Days, but that they are above the Scripture, as having a better and more safe Guide, even the SPIRIT himself? If Men will hastily judge themselves to be under the immediate Guidance of the SPIRIT, they will soon be ready to say, we feel the Hand of GOD moving us within, and the Impulses of his SPIRIT, and see and know that they are his, and need no other Proof of it but their own Perceptions; and when they are come to this Pass, they are got beyond the Reach of sober Argument; They'll despise all Applications to their Understanding: And if they retain any Regard to the Scripture, 'tis only in that Sense they fancy they are taught to understand it, by the immediate Direction of the SPIRIT ; . . . And having thus a Rule superior to the Bible, even the immediate Teaching of the Holy SPIRIT, they are prepared for whatever Delusions, a heated Imagination, or subtle Devil, may suggest to them under the Disguise of divine Communications; and this, in Opposition to the clearest Dictates of Reason, as well as the express Revelation of GOD.43

Wenn subjektive Uberzeugung erst einmal zum ausschlaggebenden Kriterium in religiösen Fragen geworden ist, dann können auf dieser Basis unter Umständen sogar neue Lehren propagiert werden, die jeder Grundlage in der Bibel entbehren. Jeder Christ braucht dann nur noch seiner inneren Stimme zu folgen, die ihm ganz persönlich den Willen 41

42 43

William Rand(?), Letter to a Friend, S. 31. Ähnlich Chauncy, Enthusiasm Described, S. 15. Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 256. Ibid., S. 266, 268-270.

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Gottes kundtut, und kein Außenstehender kann ihm beweisen, daß er irrt, oder ihm andere Vorschriften machen, da stets die vorgeblichen Inspirationen ein unangreifbares Bollwerk darstellen, hinter dem man sich als letzter Zuflucht verschanzen kann. Tatsächlich muß Jonathan Edwards zugeben, daß manche Anhänger der Erneuerungsbewegung diese gefährliche Anschauung vertreten haben: one erroneous principle, than which scarce any has proved more mischievous to the present glorious work of G o d , is a notion that 'tis God's manner now in these days to guide his saints, at least some that are more eminent, by inspiration, or immediate revelation; and to make known to 'em what shall come to pass hereafter, or what it is his will that they should do, by impressions that he by his Spirit makes upon their minds, either with or without texts of Scripture; whereby something is made known to them, that is not taught in the Scripture as the words lie in the Bible. By such a notion the Devil has a great door opened for him; and if once this opinion should come to be fully yielded to and established in the church of G o d , Satan would have opportunity thereby to set up himself as the guide and oracle of God's people, and to have his word regarded as their infallible rule, and so to lead 'em where he would, and to introduce what he pleased, and soon to bring the Bible into neglect and contempt. Late experience in some instances has shown that the tendency of this notion is to cause persons to esteem the Bible as a book that is in a great measure useless. This error will defend and support all errors. As long as a person has a notion that he is guided by immediate direction from heaven, it makes him incorrigible and impregnable in all his misconduct: for what signifies it for poor blind worms of the dust to go to argue with a man, and endeavor to convince him and correct him, that is guided by the immediate counsels and commands of the great Jehovah? 4 4

Damit räumt er im Grunde auch ein, daß Teile der Bewegung einem religiösen Enthusiasmus zu verfallen drohten. Denn wenn schon die Behauptung, direkte Offenbarungen von Gott zu erhalten, in der Gegenwart zumindest zweifelhaft, obwohl nicht prinzipiell zu widerlegen war, so wurde der Boden der Orthodoxie doch spätestens dann verlassen, wenn diese Eingebungen über die aus der Bibel ableitbaren Lehren hinausgingen. Der Heilige Geist flößte dem Gläubigen wohl ein neues Bewußtsein für die christlichen Wahrheiten ein, so daß der Mensch glauben konnte, von nun an vieles mit ganz neuen Augen zu sehen und anderes vielleicht überhaupt zum erstenmal richtig zu ermessen; aber neue Lehren, die in der Bibel noch gar nicht enthalten waren, vermittelte der Heilige Geist nicht. Wer solchen Ansichten anhing, machte sich des Enthusiasmus schuldig. 45 Nicht zufällig hatte ja schon John

44 45

Some Thoughts, IV, 432-433. Vgl. ganz ähnlich Distinguishing Marks, IV, 278. Zur Verbreitung neuer Lehren als Kennzeichen des Enthusiasmus siehe Edwards, Religious Affections, II, 278-288, und Miller, "Sense of the Heart," 139-140. Vgl.

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Cotton während des Prozesses gegen Anne Hutchinson den Gouverneur Winthrop auf diesen typischen Zug im traditionellen Bild des Enthusiasten hingewiesen - "You know Sir, that their revelations broach new matters of faith and doctrine" 4 6 um so Eingebungen im Einklang mit der Schrift von enthusiastischen Verirrungen abzugrenzen. Genau wie es damals für Anne Hutchinson keine Rettung mehr gab, als sie erklärte, konkrete Aufträge von Gott und Prophezeiungen über Zukünftiges erhalten zu haben, wurden jetzt natürlich auch Geistliche wie James Davenport des Enthusiasmus geziehen, wenn sie behaupteten, in ausdrücklichem Auftrag Gottes eine bestimmte Reise unternommen zu haben oder sich bei ihren Predigten ganz auf die Inspiration des Heiligen Geistes zu verlassen. 47 Solche Ansprüche mußten von Kritikern wie Anhängern des "Great Awakening" gleichermaßen zurückgewiesen werden, und gerade weil Chauncy und andere liberale Geistliche die neuen religiösen Bestrebungen generell vom Enthusiasmus durchdrungen sahen, war es für Edwards mehr als bloß eine lästige Pflicht, sich von solchen Erscheinungen, die er als beklagenswerte Entgleisungen einer ansonsten erfreulichen Entwicklung betrachtete, mit Entschiedenheit zu distanzieren. Mochten allerdings beide Parteien auch in der Beurteilung von Ausmaß und Bedeutung des enthusiastischen Anteils an den aktuellen religiösen Strömungen divergieren, so stimmten sie doch nach wie vor überein in der traditionellen Definition dessen, was als Enthusiasmus zu deklarieren sei. 48 Diese Feststellung gilt nicht nur für den zentralen Streitpunkt der unmittelbaren Offenbarungen, sondern auch für zahlreiche begleitende Phänomene, die in demselben Zusammenhang auch schon während der Antinomierkrise leidenschaftlich diskutiert worden waren. So brachte es das Konzept von den direkten Eingebungen des Heiligen Geistes nahezu zwangsläufig mit sich, daß Personen, die in unmittelbaren Kontakt mit Gott treten zu können glaubten, auf demselben direkten Wege auch Gewißheit über ihren Status als Erwählte gewannen. Für sie löste sich das alte puritanische Problem, wie man sich Sicherheit über den eigenen Stand vor Gott verschaffen könne, quasi von selber:

46 47

48

auch Davis, "Mystical Versus Enthusiastic Sensibility," 306, mit genereller Scheidung zwischen Mystikern und Enthusiasten auf dieser Grundlage sowie Clifford Davidson, "Jonathan Edwards and Mysticism," CLAJ, 11 (1967), 150-151. Hall, Antinomian Controversy, S. 342. Chauncy, Enthusiasm Described, S. i-ii; Seasonable Thoughts, S. 187; allgemein Edwards, Religious Affections, II, 279-281. Vgl. Edwin Scott Gaustad, The Great Awakening in New England (New York, 1957), S. 69, 95-96.

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Nagende Zweifel und eine ständige Selbstprüfung, die schnell selbstquälerische Züge annehmen konnte, waren ihnen fremd, da sie auf die unumstößliche Wahrheit direkter gottgesandter Inspiration bauen konnten: there are many that embrace this Notion, That Persons are not to pass a Judgment upon their State from any Thing that they find in themselves upon Self Examination. If Persons examine their own Hearts, and compare them with the Word of GOD, and then make a Judgment upon themselves according as they find their Hearts to agree or disagree with the Rules of GOD'S Word; this is a certain Mark of a Hypocrite; for every true Christian hath another sort of Evidence, viz. The immediate Suggestions of the SPIRIT who witnesseth to them that they are the Children of GOD : This, they say, comes like a Flash. And I have observed that such Persons are exceeding confident of their good Estate, and are very forward to let every Body know their Confidence. 49

Zwar hatte seit je im Puritanismus die Tendenz bestanden, Gewißheit darüber, daß man zu den Erwählten Gottes zählte, vornehmlich aus dem eigenen Inneren zu schöpfen. Noch Solomon Stoddard hatte, obwohl er als erster auf den Bericht über ein Konversionserlebnis verzichtet und jeden zum Abendmahl zugelassen hatte, dessen äußere Lebensführung moralisch einwandfrei schien, weiterhin auf der Notwendigkeit einer im Inneren begründeten und dort auch lebendig verspürten Uberzeugung bestanden: "There is no infallible Sign of Grace, but Grace. Grace is known only by intuition: All the External Effects of Grace may flow from other Causes." 50 Schließlich - so die übliche Argumentation - konnte auch ein Heuchler christliche Taten vollbringen; nicht in diesen Äußerlichkeiten, sondern in der dahinterstehenden Gesinnung unterschied er sich vom wahren Christen. Andererseits hatte gerade der Zwang, die eigene Seele ständig nach Zeichen der göttlichen Erwählung zu erforschen und sich nicht allein auf objektiv greifbare Fakten wie Taten christlicher Nächstenliebe verlassen zu können, zu der bei vielen Gläubigen anzutreffenden Verunsicherung geführt, ob sie sich denn nun als erwählt betrachten durften oder sich selbsttrügerischen Illusionen hingaben. Zum einen oder anderen Zeitpunkt seines Lebens konnte sich im Grunde kein Puritaner von solchen Zweifeln frei fühlen, und daher war die Gewißheit, vor Gott Gnade gefunden zu haben, ein recht seltenes und zudem manchen seelischen Schwankungen unterworfenes Geschenk. Ganz im Gegensatz dazu 49

50

William Rand(?), Letter to a Friend, S. 18-19. Vgl. ähnlich Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 123. In Bushman, Great Awakening, S. 14. Vgl. auch seine ebenfalls dort (S. 12) zu findende Äußerung: "If any be taught that frequently men are ignorant of the Time of their Conversion, that is not good Preaching."

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sahen nun aber viele Anhänger des "Great Awakening" die innere Sicherheit über die eigene Erwählung als selbstverständlichen Bestandteil der Konversion an und ließen sich in dieser Gewißheit durch nichts mehr erschüttern.51 Ja, manche gingen sogar noch weiter und folgerten umgekehrt, wenn jemand diese subjektive Gewißheit nicht vorweisen konnte, daß er das entscheidende Konversionserlebnis noch nicht gehabt hatte. Für sie war die persönliche Sicherheit über die eigene Erwählung notwendige Konsequenz unmittelbarer Gotteserfahrung und daher essentieller Bestandteil jeder Konversion. 52 Das kritische Niemandsland des Zweifels existierte für sie nicht; sie kannten nur die eindeutige Scheidung zwischen Erwählten - die sich dieser Tatsache auch selbst bewußt waren - und Nicht-Erwählten. Damit taten sie einen bedeutsamen Schritt über die etablierte puritanische Orthodoxie hinaus, einen Schritt im übrigen, den die Antinomier, wie manch andere Perfektionisten, vor ihnen ebenfalls bereits gewagt hatten. Natürlich hatte diese Anschauung unmittelbare Auswirkungen auf die Vorstellung von einer sichtbaren Kirche der Auserwählten. Wenn die Trennung zwischen erweckten Christen und solchen, an die der Ruf Gottes noch nicht ergangen war, so einfach fiel, mußte es möglich sein, die Kirchenmitgliedschaft rigoros auf diejenigen zu beschränken, an deren Erweckung kein Zweifel bestand, und auf diese Weise sichtbare und unsichtbare Kirche zur Deckung zu bringen.53 Von einem radikalen Perfektionismus dieser Prägung hatten sich die Puritaner seit ihren Anfängen scharf distanziert, sowohl weil sie sich der Vermessenheit bewußt waren, definitive Aussagen über den Seelenzustand eines anderen machen zu wollen, als auch weil ihnen die absolute subjektive Gewißheit des Betroffenen zu sehr nach einer Theorie der göttlichen Eingebungen roch. Dementsprechend hütet sich Jonathan Edwards von seinen frühesten Äußerungen an, den Eindruck zu erwecken, als zähle er Gewißheit über den eigenen Status zu den notwendigen Ergebnissen einer Konversion. 54 Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht

51

52

53 54

Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 135-136; Edwards, Faithful Narrative, IV, 179; Heimert, Great Awakening, S. 120-121, 510-512. Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 271-274; Bushman, Great Awakening, S. 99; Heimert, Great Awakening, S. 123. - Um Mißverständnissen vorzubeugen, sollte vielleicht angemerkt werden, daß natürlich nicht jeder, der Sicherheit über die eigene Erwählung für ein wesentliches Ergebnis der Konversion hielt, deswegen ein Enthusiast war; umgekehrt kamen aber keinem Enthusiasten Bedenken an seiner eigenen Erwählung. Heimert, Great Awakening, S. xlvii; Goen, Revivalism and Separatism, S. 36-38,44-48. Faithful Narrative, IV, 186; Brief an James Robe vom 12. Mai 1743, in Works, IV, 537; Humble Inquiry, S. 107-112.

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erwehren, daß sogar in seinem Umkreis die radikalen Ansichten zur Frage der persönlichen Gewißheit Fuß gefaßt hatten. Schon seine ersten Berichte über die religiöse Erneuerung in Northampton erwähnen, daß zahlreiche Personen, unter ihnen sein eigener Onkel, Selbstmordversuche unternahmen, weil sie offenbar die erstrebte Gewißheit über ihren Status vor Gott nicht erlangen konnten und in ihrer Verzweiflung durch den Freitod eine unwiderrufliche Entscheidung erzwingen wollten. 5 5 Offensichtlich war für diese Menschen Sicherheit über die eigene Erwählung notwendiger Bestandteil der Konversion, so daß sie die Fortdauer ihrer Ungewißheit nur als untrügliches Zeichen ihrer Verdammnis auslegen konnten. So hoffnungsvoll das Versprechen unumstößlicher Gewißheit also für alle klang, die vertrauensvoll ihrer Konversion entgegenschauten, so verheerende Folgen konnte es aber auch bei denen hervorrufen, die sich trotz aller Selbsterforschung noch nicht gerettet fühlten und deshalb allmählich der Auffassung zuneigten, daß ihre Namen nicht im Buch des Lebens niedergeschrieben waren. Bezeichnenderweise hatte schon J o h n Winthrop während der Antinomierkrise einen ganz ähnlichen Vorfall in seinem Tagebuch festgehalten: A woman of Boston congregation, having been in much trouble of mind about her spiritual estate, at length grew into utter desperation, and could not endure to hear of any comfort, etc., so as one day she took her little infant and threw it into a well, and then came into the house and said, now she was sure she should be damned, for she had drowned her child; but some, stepping presently forth, saved the child.56

Hier wie dort erwachsen also aus den gleichen Uberzeugungen die gleichen Früchte. So kann es auch nicht verwundern, daß manche Personen, die sich zu neuem christlichen Bewußtsein erweckt und ihre Erwählung durch Gott damit ein für alle Mal besiegelt glaubten, im Hochgefühl dieser beruhigenden Gewißheit der anschließenden Bestätigung ihres neuen Status durch ein Leben aktiver christlicher Tugendhaftigkeit keine große Aufmerksamkeit schenkten. Bei den Antinomiern des 17. Jahrhunderts hatte sich diese Tendenz in der Debatte um die unterschiedliche Gewichtung von "justification" und "sanctification" ausgedrückt, und die relativ geringe Rolle, die in ihrem Denken dem christlichen Lebenswandel zukam, hatte schließlich dazu geführt, daß ihre abweichenden Vorstellungen insgesamt unter dem Stichwort Antinomiertum subsumiert wurden. Eine gewisse Verwandtschaft mit dem gedanklichen Ansatz der Antinomier hatte die Erneuerung des 18. Jahrhunderts dadurch zu

55

56

Works, IV, 109-110,162-163,205-207. Vgl. dazu C. C. Goens "Introduction", IV, 47.

Journal, I, 230.

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erkennen gegeben, daß auch hier von vornherein das alte puritanische Konzept "justification by faith alone" im Mittelpunkt stand, d. h. daß dem Moment der "justification" das vornehmliche Interesse galt und daß einzig der Glaube, nicht die Werke eines Menschen die Bedingung für die Annahme durch Gott darstellte. Obwohl besonnene Geistliche wie Jonathan Edwards dieser auch von ihnen selbst energisch verfochtenen Ansicht stets die Mahnung zu einer christenwürdigen Lebensführung als Komplement an die Seite stellten, ja in der Art des anschließenden Lebenswandels erst die eigentliche Bewährungsprobe für die mit der Konversion einsetzende Erneuerung sahen, 57 fanden sich doch überall Leute, die die Betonung des Erweckungserlebnisses einseitig mißverstanden und sich in der einmal errungenen Gewißheit über die eigene Errettung durch nichts mehr beirren ließen: indeed there are innumerable instances of such as are apparently in a most senseless, careless, negligent, apostate, and every way unchristian and wicked frame, that yet, encouraged by this principle, do retain an exceeding strong confidence of their good state, and count that herein they do their duty and give much glory to God, under the notion of trusting G o d in the dark, and hoping against hope, and not trusting on their own righteousness; and they suppose it would show a legal spirit to do otherwise. 58

Für diesen Personenkreis war ihr christlicher Werdegang mit der Konversion abgeschlossen: Sobald sie keinen Zweifel an ihrer Erwählung mehr hegten, konnten sie den Rückfall in Nachlässigkeit und Sünde als Beweis für die unvermeidbare Unvollkommenheit menschlicher Natur gleichmütig hinnehmen, ohne deshalb gleich wieder um ihr Seelenheil fürchten zu müssen. Ihr Vertrauen auf die Gnade Gottes war so grenzenlos und demonstrativ, daß sie jeden Versuch, sich mit eigener Anstrengung aus der Verstrickung in die Sünde zu lösen, als eine anmaßende Überbewertung der eigenen Rechtschaffenheit und Beschneidung der göttlichen Allmacht angesehen hätten. Damit war die Erneuerungsbewegung mit ihrem Ziel, Religion wieder mehr als innerliche Erfahrung statt nur als äußerliche Pflichtübung zu interpretieren, bei ihren radikalsten Vertretern an diesem Punkt in das genau entgegengesetzte Extrem verfallen: Während früher ein äußerlicher Formalismus jede

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Siehe besonders Edwards' Behandlung des 12. Zeichens in Religious Affections, II, 383-461; ferner ibid., II, 340-341, 379-382; "Justification by Faith Alone", in Discourses on Various Important Subjects, S. 75-84. Brief von Edwards an Thomas Gillespie vom 4. September 1747, in Works, II, 480. Denselben Punkt nimmt Edwards im Brief vom 2. April 1750 noch einmal ausführlich auf (Works, II, 502-511). - Auch andere Anhänger des "Awakening" warnten davor, aus der Reaktion gegen einen latenten Arminianismus in das entgegengesetzte Extrem des Antinomiertums zu verfallen: Christian History, 1 (1744), 162, 170.

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echte Innerlichkeit erstickt hatte, drohte nun purer Subjektivismus alle Leitsätze zu relativieren und objektive Manifestationen des subjektiv Erfahrenen überflüssig zu machen. Wo solche radikalen Meinungen vorherrschten, konnte natürlich auch nur derjenige auf Aufnahme in die Gemeinde hoffen, der unter dem prüfenden Blick der bereits Erweckten eine ähnliche innere Erfahrung glaubhaft machen konnte. Entscheidendes Kriterium für die Zulassung eines Kandidaten war sein Herz, sein Seelenzustand, nicht sein Lebenswandel. Das Prinzip der Subjektivität wurde auf diese Weise noch gesteigert, denn subjektives Empfinden entschied nun nicht bloß über die Einschätzung der eigenen Person, vielmehr wurden an den eigenen subjektiven Erfahrungen jetzt auch die Erfahrungen anderer Menschen gemessen. Es liegt auf der Hand, daß ein erklärter Gegner des "Great Awakening" wie Charles Chauncy in dieser Praxis nur den verderblichen Hochmut erkennen konnte, daß einzelne Menschen sich zu Richtern über ihre Mitmenschen aufschwingen wollten, indem sie behaupteten, deren Innerstes zuverlässig beurteilen zu können: We have no way of judging but by what is outward and visible: Nor are we capable of judging any other way. And to leave this way, and go into that of judging from men's hearts; it tends to nothing, in the nature of things, but to destroy the peace of churches, and fill the world with contention and confusion. 59

Damit verkündet er die traditionelle Linie des orthodoxen Puritanismus, der auch zu Zeiten, als Berichte über ein Konversionserlebnis jedem potentiellen Gemeindemitglied abverlangt wurden, stets betont hatte, daß das Innere eines Menschen auf Erden letztlich verborgen bleibe und die Kirche lediglich gehalten sei, bei der Auswahl ihrer Angehörigen größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen. Daher hatte die oberste Maxime immer gelautet, ein wohlwollendes Urteil - "a charitable judgment" - zu fällen. Ganz im Gegensatz dazu wurde den radikalen Anhängern der religiösen Erneuerung nun vorgeworfen, ihre Haltung sei von exzessiver Kritik an ihren Mitmenschen geprägt und lasse jeglichen Geist christlicher Nächstenliebe vermissen. Wie schon in anderen Fällen scheut sich Edwards auch hier nicht, Fehlentwicklungen beim Namen zu nennen und sich von ihnen zu distanzieren: I have constandy born a full Testimony in Preaching, writing & conversation against the assuming & arrogance of such as set up Themselves to be discerners of mens Hearts, and have promoted separation, under a notion of setting up pure Churches. I have ever been an Enemy to all Pretences of knowing mens spiritual state, & other secret Things, not revealed in the word of God, or manifested by the Events of Providence, by any

59

Enthusiasm Described, S. v. Vgl. dort auch S. 10.

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supposed immediate Revelation, Impulse or Suggestion. . . . I have much disliked the Tyranny of /of/ Those who set up their own Experiences as a Rule to judge others by, and of such as insist on a particular account of the Time of Conversion, and of the order & method of their Experiences, in order to a cordial Embracing [of] Persons, who profess the main Principles or vertues wherein Godliness consists, & are of answerable conversation, in the arms of Charity as true Christians & Brethren in Christ.60

Seine Kritik wiegt umso schwerer, als er selber ja durchaus eine Wiedereinführung der Berichte über das Konversionserlebnis anstrebte, insofern also aus seinem Interesse an mehr Innerlichkeit und persönlicher Gotteserfahrung kein Hehl machte. Doch bemühte er sich hier wie überall, die freigewordenen Energien der religiösen Erneuerung in geordnete Bahnen zu lenken. Die unerschütterliche Gewißheit über die eigene Erwählung war für ihn ein wünschenswertes, aber keineswegs unabdingbares Ergebnis der Konversion; die Religiosität anderer mit den eigenen Erfahrungen zu vergleichen, war für ihn ein verzeihliches, aber nicht besonders kluges Vorgehen; und die persönlichen religiösen Erfahrungen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in aller Öffentlichkeit breitzutreten, war sicherlich nicht seine Vorstellung davon, wie ein Gläubiger seine Überzeugung, von Gott erwählt zu sein, bekunden sollte.61 In allen diesen Punkten ging es ihm darum, zu verhindern, daß subjektive Eindrücke absolut gesetzt wurden, daß jedes Individuum nur noch die seinem Innern entstammenden, selbstgeschaffenen Normen akzeptierte, daß Abgrenzung und Zersplitterung vorherrschten, wo Einigkeit in der Gemeinschaft hätte bestehen sollen. Zu solchen Aufrufen zur Mäßigung und Besonnenheit bestand Anlaß genug, drohten doch in manchen Gemeinden die unterschiedlichen Auffassungen über den Verlauf der religiösen Erneuerung einen tiefen Graben in die Reihen der Gläubigen oder auch zwischen Laien und Priesterschaft zu reißen. Wie schon während der Antinomierkrise flößte die Zuversicht, selber zu den Erwählten Gottes zu gehören und unter Umständen gar in unmittelbaren Offenbarungen direkt von Gott angesprochen zu werden, den Menschen ungeheures Selbstvertrauen und ein erhöhtes Selbstwertgefühl ein, das schnell in Stolz auf die eigene vornehme Position umschlagen konnte. Gerade daran entzündete sich ja der Vorwurf, die Erneuerung fördere einen Geist der Krittelei und Engherzigkeit. Betroffen von dieser Entwicklung waren nicht zuletzt die Geistlichen, von denen vielerorts jetzt ebenfalls eine glaubhafte Darstellung über die eigene Konversion verlangt wurde. Nur, wer 60 61

Clark, "Unpublished Letter," 229-230. Distinguishing Marks, IV, 283-287; Some Thoughts, Culloch vom 12. Mai 1743, in Works, IV, 541.

IV, 322; Brief an William Mc-

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persönlich den Ruf Gottes verspürt hatte, konnte andere sinnvoll darauf vorbereiten und gegebenenfalls beurteilen, ob sich jemand auf dem richtigen Wege befand oder nicht. Die bloße Unterweisung in den Lehren des Puritanismus reichte nicht aus, um Menschen zu Christus zu führen. Wichtiger als theoretische Kenntnisse war die unmittelbare Begegnung mit Gott; und wie sollte dazu jemand ermuntern, der das aufrüttelnde Erlebnis solch einer direkten Gotteserfahrung gar nicht kannte? Im Sinne dieser Argumentation wurde seit dem Beginn der Erneuerung vor der Gefahr einer unkonvertierten Geistlichkeit gewarnt und vielen Amtsträgern, die sich weigerten, über ihre Konversion Rechenschaft abzulegen, oder deren Darlegungen den radikalen Erneuerern unbefriedigend erschienen, vorgeworfen, sie predigten lediglich ein formalistisches Christentum. 62 Die etablierte Geistlichkeit sah hierin den Versuch, ihre Autorität zu untergraben und an die Stelle überlieferter Ordnungen, die durch das Bibelwort festgeschrieben waren, subjektive Willkür zu setzen. Folglich wehrten sie sich mit Nachdruck gegen die Neigung der " N e w Lights", den Inhaber eines geistlichen Amtes nicht mehr, wie es puritanischer Tradition entsprach, wegen des objektiven Faktums zu achten, daß er eine von Christus eingesetzte Funktion bekleidete, sondern ihn nur dann als wahren Hirten anzuerkennen, wenn er eine persönliche Gotteserfahrung dokumentieren konnte. 63 Schließlich leitete sich die Macht und Wirksamkeit einer geistlichen Tätigkeit aus der Sanktionierung des Amtes durch Christus, nicht aus den mehr oder minder großen Fähigkeiten seines jeweiligen Inhabers ab. Zudem war in ihren Augen das Abwägen der Leistungen dieses und jenes Geistlichen nur dazu angetan, einzelne Amtsträger in Verruf zu bringen, Vorurteile und Feindseligkeiten zu schüren und der Kirche insgesamt großen Schaden zuzufügen, und das alles womöglich noch unter dem Vorwand, durch Inspiration des Heiligen Geistes dazu veranlaßt worden zu sein: Now, whoever, under the pretence of being guided by the spirit, set up one minister in Opposition to another, glory in this minister to the throwing undue contempt on that, thereby obstructing his usefulness, and making way for strife and divisions, they are not really acted by the SPIRIT, whatever they may pretend. 64

62

63

64

Bekanntestes Beispiel ist Gilbert Tennents Predigt The Danger of an Unconverted Ministry, abgedruckt in Heimert, Great Awakening, S. 72-99. Als Darstellung desselben Phänomens aus anderer Sicht vgl. Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 140-178. Siehe hierzu die Kritik an Tennent auf der Synode von Philadelphia: bei Bushman, Great Awakening, S. 98-99; ferner Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 242-250. Chauncy, Enthusiasm Described, S. 8-9. Mit konkretem Bezug auf James Davenport wird dieselbe Kritik auf S. iii-iv vorgetragen.

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Eine konkrete Folge dieser häufig geübten Kritik an bestimmten Geistlichen, die sich nicht als von Gott erwählt ausweisen konnten, war, daß andere Prediger sich berechtigt fühlten, in solchen Gemeinden, wo die Religion offensichtlich darniederlag, gewissermaßen missionarisch tätig zu werden. Das Vorbild für solche herumreisenden Aktivitäten hatte George Whitefield mit seiner ersten Tour durch die Kolonien im Jahre 1740 geliefert, und seinem Beispiel waren bald so namhafte Verfechter des "Awakening" wie Gilbert Tennent und James Davenport gefolgt. Dabei setzten sich herumreisende Geistliche, die keine Bindung an eine eigene Gemeinde besaßen oder, soweit dies doch der Fall war, sich an anderen Orten dringender benötigt fühlten, allerdings über die tradierten puritanischen Vorstellungen zur Kirchenverfassung hinweg, denenzufolge ein Geistlicher und seine Gemeinde ein festes Bündnis vor Gott eingingen, das den Geistlichen erst eigentlich in sein Amt einführte und nur unter wenigen außergewöhnlichen Bedingungen von einer der Parteien gelöst werden durfte. So konnte denn Charles Chauncy den Grund für derart eklatante Verstöße gegen bestehende Regelungen auch nur wieder in der gemeinsamen Wurzel aller gegenwärtigen Übel sehen, dem Glauben an unmittelbare Offenbarungen, durch die sich manche Geistliche aufgerufen fühlten, ihren angestammten Platz zu verlassen und fremden Boden zu beackern: And what is the Language of this going into other Men's Parishes? Is it not obviously this? The settled Pastors are Men, not qualified for their Office, or not faithful in the Execution of it; They are either unfit to take the Care of Souls, or grossly negligent in doing their Duty to them: Or, the Language may be, we are Men of greater Gifts, superiour Holiness, more Acceptableness to GOD; or have been in an extraordinary Manner sent by him. Some of these Itinerants, 'tis evident, have travelled about the Country preaching, under the full Perswasion of an immediate Call from GOD: And as to most of them, it may be feared, the grand Excitement, at the Bottom, has been, an overfond Opinion of themselves, and an unchristian one of their Brethren. It has therefore been their Practice, too commonly, not only to boast of their own superior Goodness, wherever they have gone; but to insinuate suspicions against the fixed Pastors, if not to preach against them, and pray for them, as poor, carnal, unconvertedMen; yea, illiterate Exhorters, raw, weak young Men, or Lads, have too frequently taken upon them, openly to judge and censure their Ministers,65

Wie das Zitat zur Genüge verdeutlicht, bestand die Hauptgefahr dieser Praktiken darin, daß Unruhe und Zwietracht in die Gemeinden getra65

Seasonable Thoughts, S. 50-51. Zum allgemeinen Problem des "itinerant preaching" vgl. ibid., S. 36-76, und die Zusammenfassung bei Goen, Revivalism and Separatism, S. 9-12, 54-57. Auch Anhänger des "Awakening" beobachteten das Phänomen mit Unbehagen, wie The Testimony and Advice of an Assembly of Pastors of Churches in New-England vom 7. Juli 1743 beweist (abgedruckt in Christian History, 1 [1744], 163).

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gen und das Ansehen der eingesetzten Pastoren untergraben wurde. Die Gläubigen wurden zwar vielleicht aus ihrem Schlaf der Sicherheit gerissen, aber oft auch recht unverhohlen darauf hingewiesen, daß der Grund für die Laxheit ihrer religiösen Einstellung in der fehlenden Erweckung des für ihre Seelen zuständigen Geistlichen zu suchen sei. So war mit der Sorge um das eigene Seelenheil häufig die Minderung der Autorität der etablierten Geistlichkeit unmittelbar verknüpft. Tatsächlich mehrten sich überall im Lande die Zeugnisse, daß Gemeindemitglieder sich gegen den über sie eingesetzten Geistlichen auflehnten, weil er ihnen, je nach ihrer eigenen Parteinahme für oder gegen die aktuellen Bestrebungen, einem legalistischen Christentum verhaftet oder mit unorthodoxen neuen Lehren aufzuwarten schien. Die Folge war, daß in zunehmendem Maße Gläubige ihre angestammte Gemeinde verließen und ihre religiöse Unterweisung von dort bezogen, wo sie mehr ihren eigenen Vorstellungen entsprach. Insofern war die vom Klerus befürchtete Einbuße an Autorität wirklich eingetreten: Ob für oder gegen die religiöse Erneuerung eingestellt, irgendwie mußte sich jeder Laie ein eigenständiges Urteil über die Fragen der Zeit bilden, und angesichts der vom "Awakening" propagierten Forderung, wieder mehr eine auf das Individuum und seine Erfahrungen bezogene Religion zu verwirklichen, blieb es nicht aus, daß viele Menschen ihre persönliche Sicht von Religion, zu der sie sich vielleicht nach großen Mühen durchgerungen hatten, notfalls auch gegen ihren Gemeindegeistlichen aufrechterhielten.66 Erklärlicherweise war dieses neue Selbstvertrauen besonders ausgeprägt, wenn jemand sich im Gefolge eines Konversionserlebnisses Gott außergewöhnlich nah und frisch mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet fühlte. Dann mochte ihm wohl der Gedanke kommen, daß er, nicht minder als mancher Geistliche, der vielleicht nicht einmal gleiche Gottnähe ahnen ließ, dazu berufen sei, gestützt auf die Eingebungen des Heiligen Geistes das Evangelium zu verkünden. Zwar konnte der Geistliche eine gründliche Ausbildung in der Theologie zu seinen Gunsten vorweisen, doch was nutzten ihm theoretische Kenntnisse, wenn er allem Anschein nach Gott noch nicht persönlich erfahren hatte? Demgegenüber wußte sich ein vom Heiligen Geist erfüllter Enthusiast viel näher an der Quelle zu den ewigen Wahrheiten und weitaus deutlicher zu seiner Aufgabe berufen:

66

Die Folgen des "Great Awakening" für die verschiedenen Kongregationen unter dem speziellen Aspekt der gewachsenen Mobilität zwischen den Gemeinden sowie der Ausbildung zahlreicher neuer Gemeinden untersucht C. C. Goen in Revivalism and Separatism in New England, 1740-1800.

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And 'tis owing to such pretences as these, that encouragement has been given to the rise of such numbers of lay exhorters and teachers, in one place and another, all over the land. But if 'tis one of the things wrote by the apostle as the commandement O/GOD, that there should be officers in the church, an order of men to whom it should belong, as their proper, stated work, to exhort and teach, this cannot be the business of others: And if any who think themselves to be spiritual, are under impressions to take upon them this ministry, they may have reason to suspect, whether their impulses are any other than the workings of their own imaginations: And instead of being under any divine extraordinary influence, there are just grounds of fear, whether they are not acted from the vanity of their minds: Especially, if they are but beginners in religion; men of weak minds, babes in understanding; as is most commonly the case.67

Schon bei den Antinomiern hatte die Anschauung von den direkten Offenbarungen dazu geführt, daß Laien glaubten, auf theologische Bildung verzichten und doch die Bibelworte ebenso gut, wenn nicht besser als die etablierten Geistlichen interpretieren zu können. Menschliches Wissen schien damals wie auch jetzt wieder leicht entbehrlich, wenn ein direkter Zugang zu den göttlichen Wahrheiten offenstand. Es ist daher bezeichnend, daß Edwards ausdrücklich den Wert menschlicher Gelehrsamkeit hervorhebt, weil er natürlich auch die Wechselbeziehung zwischen Bildungsfeindlichkeit und dem Glauben an unmittelbare Inspirationen fürchtet. 68 Aus dem gleichen Grunde wendet er sich auch gegen die Praxis des Laienpredigens sowie gegen die Tendenz, bei der Berufung eines Geistlichen allein auf seinen religiösen Eifer zu achten und seine theologische Ausbildung vergleichsweise geringzuschätzen: The opening a door for the admission of unlearned men to the work of the ministry, though they should be persons of extraordinary experience, would on some accounts be especially prejudicial at such a day as this; because such persons, for want of an extensive knowledge, are oftentimes forward to lead others into those things which a people are in danger of at such a time, above all other times, viz. impulses, vain imaginations, superstition, indiscreet zeal, and such like extremes; instead of defending them from them, for which a people especially need a shepherd at such an extraordinary season.69

67 68

69

Chauncy, Enthusiasm Described, S. 12. A History of the Work of Redemption, in Heimert, Great Awakening, S. 23. Unter negativen Vorzeichen - als Klage, wie sehr Bildung in diesen Zeiten verachtet wird taucht der gleiche Zusammenhang in William Rand(?), The Late Religious Commotions in New-England Considered (Boston, 1743), S. 18, auf. Some Thoughts, IV, 457. Edwards' Stellungnahme zur Frage der theologischen Ausbildung findet sich auf den Seiten 456-457, die zur Frage der Laienprediger auf S. 483-488.

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Hier deutet sich die Gefahr eines Teufelskreises an, indem einerseits der Glaube, einen direkten Auftrag von Gott erhalten zu haben, Laien das Predigeramt ergreifen läßt und andererseits die mangelnde theologische Schulung eben dieser Laienprediger einem unkontrollierten Enthusiasmus unter ihren Hörern Vorschub leistet. Wer solchen Entwicklungen nicht von vornherein Einhalt gebietet, braucht sich nicht zu wundern, wenn alle geziemende Ordnung, das formale Gerüst, ohne das kein Gemeindeleben bei noch so großem religiösen Eifer gedeihen kann, unrettbar verlorengeht. Diesen Aspekt der äußeren Ordnung schienen viele fanatische Erneuerer bei ihrer Attacke auf den toten Formalismus früherer Jahre übersehen zu haben. Sowohl das offenherzige Zurschaustellen eigener religiöser Erfahrungen als auch der vielfach als anstößig empfundene Emotionalismus während religiöser Veranstaltungen, die respektlose öffentliche Kritik an der religiösen Einstellung von Mitbürgern und Geistlichen, ganz besonders aber die Unsitte, daß Laien sich in Aufgabenfelder drängten, die den bestallten Geistlichen vorbehalten waren, und daß übereifrige Geistliche und Laien durch die Lande zogen, um sich in die geistliche Betreuung fremder Gemeinden einzumischen - dies alles stellte einen eklatanten Widerspruch zu der ehrwürdigen puritanischen Maxime dar, daß jeder auf dem Posten, auf den Gott ihn berufen hatte, das Beste leisten und sich nicht fremde Aufgaben anmaßen solle.70 Jede Abweichung von diesem Prinzip drohte, zumindest in den Augen der Gegner der Erneuerung, privater Willkür und genereller Anarchie in der Kirche Tür und Tor zu öffnen. Was das Konzept von den unmittelbaren Offenbarungen auf geistiger Ebene bedeutete, nämlich einen jeder öffentlichen Kontrolle entzogenen Subjektivismus, das bedeuteten im Rahmen gesellschaftlicher und kirchlicher Institutionen die formalen Neuerungen, die sich während der Erweckungsbewegung durchzusetzen begannen. Auf allen Gebieten sahen sich die Vertreter der etablierten Ordnung in die Defensive gedrängt, befürchteten sie den radikalen Umsturz sittlicher, religiöser und gesellschaftlicher Normen. 7 1 Daß sich diese Ängste der konservativen Partei nicht nur auf den engeren kirchlichen Bereich erstreckten, sondern politische Belange mit einschlössen, zeigt zum Beispiel ein Traktat von Isaac Stiles mit dem Titel A Looking70

71

Chauncy, Enthusiasm Described, S. 11; Edwards, Some Thoughts, IV, 256. Einen konkreten Einzelfall solcher "Amtsanmaßung" berichtet Edwards schon in Faithful Narrative, IV, 207. Allgemein zum puritanischen Verständnis von "calling" vgl. die Darstellung von William Perkins in Edmund S. Morgan (ed.), Puritan Political Ideas, 1558-1794 (Indianapolis, 1965), S. 35-59. Vgl. die zeitgenössischen Kommentare bei Gaustad, Great Awakening, S. 31-32 und 66.

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Glass for Cbanglings, in dem nachgewiesen werden soll, daß Leuten, die in der Kirche für Unruhe sorgen, auch politische Umwälzungen zuzutrauen sind: "they are ever & anon for change of Government, and thence are raising a Dust, making a Bustle, and endeavouring to Overset the Government; to turn things topsy turvy and bring all into Confusion."72 Wie schon während der Antinomierkrise dienen die Wiedertäufer als willkommenes Schreckensbild, um den unauflöslichen Zusammenhang zwischen religiösem Enthusiasmus und politischem Willkürregime zu illustrieren: Who ever reads the History of the rise & progress of the Anabaptists in Germany in the Sixteenth Century, may have a taste of the bitter & fatal Fruits of being given to Change, and see to what a prodigious Bulk & Size Enthusiasm & Fanaticism may grow.73

Das vom Enthusiasmus geprägte Individuum fühlt sich unweigerlich durch die besondere Inspiration des Heiligen Geistes aus der Menge herausgehoben, glaubt in direktem Kontakt zu unverrückbaren Wahrheiten zu stehen, lehnt "faule" Kompromisse ab, da es von der Berechtigung der eigenen, letztlich auf göttliche Weisung zurückgehenden Position zutiefst überzeugt ist, und sperrt sich daher gegen jede bequeme Einordnung, geschweige denn Anpassung an die Gesellschaft. Stets ist es darauf bedacht, die individuelle Integrität zu wahren, subjektive, durch göttlichen Kontakt geheiligte Uberzeugungen nicht einem allgemeinen Konsens zu opfern. In den vornehmlich presbyterianischen mittleren Kolonien war der soziale Aspekt dieser zunächst religiös motivierten Haltung schon früher zutage getreten, da das Problem der Unterordnung unter die Autorität von Presbyterien und Synoden hier von Beginn des "Awakening" an eine große Rolle gespielt hatte. Was John Thomson mit Bezug auf die Frage der Kirchenverfassung den Anhängern Tennents entgegenhält, besitzt daher über die rein kirchliche Problematik hinaus auch im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang Gültigkeit: [It] is plain and evident that Presbteries and Synods, when regularly constituted, have no Authority at all, in our Brethrens Judgement, either over their Members or People; for first they say that their Determinations are not to be binding upon dissenting Members, which is to sap and overthrow the very Fundamental Laws of all Societies in the World: For how is it possible that any Society can stick together unless either all be Subject to the Authority of one, or the Minisority be concluded and determined by the Majority?74

72 73 74

In Heimert, Great Awakening, S. 311. Ibid., S. 319. The Government of the Church of Christ, in Heimert, Great Awakening, S. 113.

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Etablierte Autoritäten und soziale Notwendigkeiten werden dem Diktat subjektiver Überzeugungen untergeordnet; die private Erfahrung ist verbindlicher und höher einzuschätzen als die Geborgenheit in einer Gemeinschaft. Diese Tendenz findet sich dort noch gesteigert wieder, wo enthusiastische Strömungen sich bemerkbar machen, doch liegt sie der religiösen Erneuerung insgesamt zugrunde. Stets gilt das Augenmerk in erster Linie dem Subjekt als Einzelperson, erst danach seiner Einfügung in eine - religiöse oder soziale - Gemeinschaft. Ebenezer Frothingham formuliert diese Anschauung in bezeichnender Weise in seinen Articles of Faith and Practice, die die Haltung der neuenglischen Separatisten widerspiegeln: Thus if we rightly consider the Nature of Practice in Religion, on Obedience to God, we shall see an absolute Necessity for every Person to act singly, as in the Sight of God only; and this is the Way, under God, to bring the Saints all to worship God sociably, and yet have no Dependance one upon another.75

Damit übte die religiöse Erneuerungsbewegung des 18. Jahrhunderts, wie schon von verschiedenen Autoren bemerkt worden ist, einen starken demokratisierenden Einfluß aus: Its emphasis on individual responsibility ignored class and geographical boundaries; each man stood before God as a sinner in need of salvation, and each man was required to respond in personal terms. This made the whole movement essentially democratic, and gave a tremendous new importance to the common man. 76

Allerdings wurde diese Demokratisierung des geistigen Milieus erkauft durch eine starke Vereinzelung, die Kehrseite des durch die Bewegung geförderten Individualismus und Subjektivismus. Menschliche Bindungen, ob nun innerhalb einer größeren sozialen Gemeinschaft oder im engeren Kreis von Freunden und Familienangehörigen, mußten zurücktreten hinter der Konzentration auf das Ich und seine Stellung vor Gott. Natürlich entsprach dies vom Ansatz her durchaus der prinzipiellen christlichen Forderung, daß alle weltlichen Belange geringzuschätzen sind angesichts der überragenden Bedeutung eines auf Gott 75

76

In Heimert, Great Awakening, S. 457. Vgl. Heimerts Kommentar dazu, ibid., S. 442, und in Religion and the American Mind, S. 129. Daß die Erneuerung individualistische Tendenzen förderte und deshalb aller etablierten Autorität potentiell sehr kritisch gegenüberstand, zeigt besonders deutlich Jerald C. Brauer, "Puritanism, Revivalism, and the Revolution," Religion and the American Revolution, ed. Jerald C. Brauer (Philadelphia, 1976), S. 18-27. Goen, Revivalism and Separatism, S. 28. Vgl. im selben Sinne Eugene E. White, "Decline of the Great Awakening in New England: 1741 to 1746," NEQ, 24 (1951), 49-50; Heimert, Religion and the American Mind, S. 12; Armstrong, "Religious Enthusiasm and Separatism," 126.

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ausgerichteten Lebens, und daher vermerkt es Jonathan Edwards zunächst einmal mit Genugtuung, wenn Jugendliche, im Hochgefühl ihrer lebendig empfundenen Gottesnähe, getreu dem Bibelwort Christi bereit sind, sogar Vater und Mutter für die Schätze des Himmels zu verlassen.77 Andererseits drückt sich, wie auch Edwards einräumen muß, in derselben Haltung manchmal eine Neigung zu grundsätzlicher Weltverachtung aus, die eines wahren Christen nicht würdig ist. So sehr jedem Menschen die Sorge um sein Seelenheil und um die ewigen Dinge am Herzen liegen muß, darf das doch nicht dazu führen, daß ihm sub specie aeternitatis alles Irdische nur noch klein und verwerflich erscheint: And before I dismiss this head of the degenerating of experiences, I would mention one thing more that tends to it; and that is persons' aiming in their experience to go beyond the rule of God's Word, i. e. aiming at that which is indeed, in some respect, beyond the rule. Thus some persons have endeavored utterly to root out and abolish all natural affection, or any special affection or respect to their near relations, under a notion that no other love ought to be allowed but spiritual love, and that all other love is to be abolished as carnal, and that it becomes Christians to love none upon the account of anything else but the image of God; and that therefore love should go out to one and another only in that proportion in which the image of God is seen in them.78

Hier liegt die Gefahr eines perfektionistischen Fanatismus, der in seinem ausschließlichen Ringen um das Uberirdische alle natürlichen und menschlichen Züge an sich und anderen auslöschen möchte. Gottesliebe kann so zu Menschenverachtung führen, wenn die Menschen dem geforderten, unmenschlichen Standard nicht entsprechen, und das Trachten nach eigener Vervollkommnung vor Gott kann in eine von Stolz und Egozentrik gekennzeichnete Haltung münden, die den Mitmenschen gar nicht mehr oder vornehmlich in seinen Schwächen und Fehlern wahrnimmt. Dieser Gefahr ist der Enthusiast mit seinem ausgeprägten Erwähltheitsglauben besonders ausgeliefert, da er sich durch die in direkten Offenbarungen manifestierte Nähe zu Gott leicht allem Weltlichen entrückt fühlt.79 Kritiker der Erneuerungsbewegung leiteten auf eine derartige Einstellung die bereits angesprochene Tendenz zurück, Mitbürger wegen ihrer vermeintlich fehlenden Konversion in der Öffentlichkeit bloßzustellen, und registrierten allenthalben, daß durch

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Brief an Benjamin Colman vom 30. Mai 1735, Works, IV, 107; Faithful Narrative, IV, 181-182; Religious Affections, II, 100. Some Thoughts, IV, 469-470. Ein ausgesprochenes Bestreben, irdische Beschränkungen abzuwerfen, nennt Geoffrey F. Nuttall, Studies in Christian Enthusiasm: Illustrated from Early Quakerism (Wallingford, Penn., 1948), S. 47-48, als typischen Zug des Enthusiasten.

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diese Praxis Streit und Zwietracht nicht nur in die Gemeinden, sondern bis in die Familien hineingetragen wurden: this same Spirit has been generally propagated all over the Country, among the common People; insomuch, that I shall not exceed the literal Truth, when I say, that there never was a Time, since the Settlement o/New-England, wherein there was so much bitter and rash Judging; Parents condemning their Children, and Children their Parents; Husbands their Wives, and Wives their Husbands; Masters their Servants, and Servants their Masters; Ministers their People, and People their Ministers. Censoriousness, to a high Degree, is indeed the constant Appendage of this religions Commotion. Wherever it takes Place, the Subjects of it, too generally, are uncharitable to Neighbours, to Brethren of the same Community, to Relatives, to Ministers in an especial Manner; yea, to all the World that are not in their Way of thinking and speaking.8C

Angesichts der hohen Bedeutung, die im Puritanismus der Familie als Keimzelle der religiösen und staatlichen Gemeinschaft zugemessen wurde, 81 ist dies allerdings ein ganz gravierender Vorwurf. Wer in dieser kleinsten, aber wichtigsten sozialen Einheit Zwietracht sät, wird vor den größeren Gemeinschaften des Hauswesens und der Kirchengemeinde nicht Halt machen und, obwohl diese zusätzliche Folgerung von Chauncy nicht explizit genannt wird, auch den Staat als ganzes nicht verschonen. Für ihre Gegner führte die religiöse Erneuerungsbewegung durch ihre Betonung der Einzelperson in ihrem Verhältnis zu Gott und durch die damit einhergehende Vernachlässigung sozialer Bindungen aller Art zu einer unaufhaltsamen Zerstörung jeglicher zwischenmenschlichen Gemeinsamkeit. Dieses Bild konnten auch die Beteuerungen der Anhänger des "Awakening", mit der Einkehr des neuen christlichen Geistes in ihre Gemeinden seien dort alte Rivalitäten beigelegt und erbitterte Fehden begraben worden, nicht wesentlich zurechtrücken, denn als auch für sie unübersehbares Faktum stand am Ende der gesamten Bewegung die Tatsache, daß überall in den Kolonien neue Gemeinden von alten abgesplittert waren oder Teile einer Gemeinde sich einer anderen, manchmal gar einer anderen Sekte, angeschlossen hatten. Zwar unterstreicht dies noch einmal die neuen Freiheiten, die sich jeder einzelne auf religiösem Gebiet nun nehmen durfte, und markiert damit geistesgeschichtlich einen bedeutsamen Schritt in Richtung auf die allgemeine Demokratisierung, die sich bis zum Ende des Jahrhunderts in den Kolonien Bahn brechen sollte. Andererseits aber

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Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 168-170. Ganz ähnlich sind seine Bemerkungen in A Letter from a Gentleman in Boston, to Mr. George Wishart, bei Bushman, Great Awakening, S. 120. Vgl. Edmund S. Morgan, The Puritan Family: Religion and Domestic Relations in Seventeenth-Century New England {New York, rev. ed., 1966), S. 133-150.

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wirft es auch ein bezeichnendes Licht auf die Auflösung überkommener Bindungen, die der neue Individualismus mit sich brachte. Doch die aus religiösem Eifer geborene Geringschätzung alles Weltlichen drückte nicht nur dem sozialen Gefüge auf praktisch allen Ebenen seinen Stempel auf. Das gestiegene Bewußtsein für die Bedeutung des individuellen Subjekts vertrug sich durchaus mit der Bereitschaft, persönliche Interessen hintanzustellen, wenn es um die Mehrung der Ehre Gottes und die Förderung seiner Herrschaft auf Erden ging. Nicht wenige Menschen liebäugelten plötzlich mit dem Gedanken, um eines so hohen Zieles willen sogar das eigene Leben in die Waagschale zu werfen und noch darüber froh zu sein, eines solchen Opfers für wert befunden zu werden: "several have thought (though perhaps they might be deceived in it) that they could freely die for the salvation of any soul, of the meanest of mankind, of any Indian in the woods." 82 Zwar führt Edwards selber, noch ganz unter dem Eindruck der ungetrübten Aufbruchsstimmung des "Awakening" im Jahre 1735, seine Beobachtung zu diesem frühen Zeitpunkt auf den frisch erwachten Geist der Nächstenliebe zurück, der seine Gemeindemitglieder am liebsten die ganze Welt umarmen ließe. Aber der hier nur sehr verhalten anklingende Zweifel an der Tiefe des Gefühls ist einige Jahre später der ernüchternden Erkenntnis gewichen, daß bei manchen dieser selbsternannten Märtyrer wohl weniger die Liebe zum Mitmenschen und eigene Demut das Motiv bilden als vielmehr ein geschickt getarnter Hang zu Stolz und Selbstliebe, der sich in seinem scheinbaren Gegenteil verbirgt: The necessity of suffering persecution in order to being a true Christian, has undoubtedly by some been carried to an extreme, and the doctrine has been abused. It has been looked upon necessary to uphold a man's credit amongst others as a Christian, that he should be persecuted. I have heard it made an objection against the sincerity of particular persons that they were no more hated and reproached. And the manner of glorying in persecution, or the cross of Christ, has in some been very wrong, so as has had too much of an appearance of lifting up themselves in it, that they were very much hated and reviled, more than most, as an evidence of their excelling others in being good soldiers of Jesus Christ. 83

Die Sorge um das jenseitige Heil wächst sich aus zu rücksichtsloser Verachtung irdischer Belange einschließlich so natürlicher Triebe wie der Bewahrung des eigenen Lebens. Eine kaum verhohlene Märtyrer-

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83

Brief von Edwards an Colman vom 30. Mai 1735, Works, IV, 104. Das gleiche berichtet John Seccomb in The Christian History, 2 (1745), 19.

Some Thoughts, IV, 447.

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gesinnung, das Verlangen, für die persönlichen Überzeugungen zu leiden, wenn nicht gar zu sterben, kennzeichnet diese Variante eines religiösen Fanatismus. Dabei mag außer der Befriedigung, einer würdigen Sache auf diese Weise den höchstmöglichen Tribut zu zollen, auch eine latente Todessehnsucht mitspielen, die sich unter anderen Vorzeichen schon bei den Selbstmordkandidaten geäußert hatte, die durch ihre Tat endgültige Gewißheit über ihren Status vor Gott zu erhalten hofften: 84 In jedem Falle steht hinter dem Todeswunsch das Bestreben, irdische Beschränkungen so bald wie möglich hinter sich zu lassen und endlich die vollkommene Vereinigung mit Gott zu finden. Ein Satz bei Edwards könnte für die exklusive Jenseitsorientierung vieler Enthusiasten das Motto abgegeben haben: All who are truly religious are not of this world, they are strangers here, and belong to heaven; they are born from above, heaven is their native country, and the nature which they receive by this heavenly birth, is an heavenly nature, they receive an anointing from above; that principle of true religion which is in them, is a communication of the religion of heaven; their grace is the dawn of glory; and God fits them for that world by conforming them to it.85

Die Entwöhnung von weltlichen Begierden und Hinlenkung des gesamten Strebens auf die geistigen Freuden des Himmels, wie Edwards sich an einer parallelen Stelle in The Distinguishing Marks ausdrückt, 86 dürfen jedoch, obwohl sie oberstes Ziel jedes wahren Christen sind, nicht zur Vernachlässigung jener Aufgaben führen, die dem Menschen hier auf Erden übertragen sind. Gerade die Puritaner hatten immer großen Wert darauf gelegt, auch die Pflichten des Diesseits als ein Betätigungsfeld anzuerkennen, in dem der Christ sich zu bewähren habe. Dazu gehörte vor allem auch das gewissenhafte Ausfüllen der Position, auf die jeder Mensch nach göttlicher Vorsehung in seinem Beruf gestellt war. Hier das jeweils Beste zu leisten und die von Gott anvertrauten Talente nicht verkümmern zu lassen, war ebenso Teil christlicher Lebensführung wie regelmäßiges Beten oder der Besuch von Gottesdiensten. 87 Wenn daher im Verlauf der Erneuerung verschiedentlich die Klage ertönt, daß die Menschen über ihrer Vertiefung in religiöse Fragen und Tätigkeiten die alltäglichen Pflichten ihres Berufs völlig vergessen, so handelt es sich dabei um einen durchaus ernstzunehmenden Vorwurf. Chauncy sucht seiner Kritik an diesen Zuständen

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Vgl. oben S. 67-68. Religious Affections, II, 114. Works, IV, 253. Morgan, Puritan Political Ideas, S. 52-54.

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in Seasonable Thoughts dadurch zusätzliches Gewicht zu verleihen, daß er andere Theologen zu seiner Unterstützung heranzieht: The last Abuse I shall mention from this valuable Author is, "When the Passions are suffered to entrench upon other Duties either to GOD or Man, and withhold us from the proper Business of our Place and Station in the World. . . . This is the Case, when Persons find so much Sweetness in their religious Retirements, that they dwell there too many Hours of the Day, and neglect the Care of their Families, the Conduct of their Children and Servants, and other necessary Duties of Life, and let all Things run at Random in their Houshold, under the Excuse of Religion, and Converse with GOD."88

Die radikale Interpretation, die manche Enthusiasten der Forderung, das Leben auf Gott auszurichten, gaben, ist damit nur eine weitere Illustration für ihre jetzt schon in mehrfacher Hinsicht beobachtete Tendenz zu allgemeiner Weltverachtung. Für sie konnte alle irdische Unzulänglichkeit gar nicht schnell genug durch die himmlische Vollkommenheit abgelöst werden, von der sie in gelegentlichen ekstatischen Visionen durch Eingebungen des Heiligen Geistes einen flüchtigen Eindruck bekommen hatten. Latente Todessehnsucht war eine Form, die das übermächtige Verlangen nach Vereinigung mit Gott annehmen konnte. Eine andere bestand in der Annahme, die in der Bibel angekündigte Vollendung des Reiches Gottes auf Erden am Ende der Zeiten stehe unmittelbar bevor. Dieser Glaube liegt dem Enthusiasten generell am Herzen,89 da ja auch seine puristischen Vorstellungen von einer Kirche der Auserwählten und von Gott Inspirierten eine weitestmögliche Angleichung irdischer Gegebenheiten an den göttlichen Ratschluß zum Ziel haben. In der Verwandlung alles Irdischen bei der zweiten Herabkunft Christi findet diese Hoffnung auf Vervollkommnung ihre endgültige Verwirklichung. Im Rahmen des "Great Awakening" traf sich der Wunsch, daß die göttliche Herrlichkeit bald von der Welt Besitz ergreifen möge, mit der Neigung, die Schrecken des Jüngsten Gerichts in den düstersten Farben auszumalen, um Sünder drastisch von der Unhaltbarkeit ihrer Situation zu überzeugen. Das Augenmerk richtete sich also gleich aus zwei

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S. 421. Dieselbe Kritik trägt er in A Letter from a Gentleman in Boston vor (bei Bushman, Great Awakening, S. 118). Edwards gesteht die Vernachlässigung weltlicher Angelegenheiten ein, auch wenn er verständlicherweise eher den positiven Kern solch einer Haltung hervorhebt: Brief an Colman vom 30. 5. 1735, Works, IV, 103; Faithful Narrative, IV, 150. Im selben Tenor beschreibt John Seccomb die Verhältnisse in Harvard in The Christian History, 2 (1745), 18. Er wird schon in Burtons Anatomy of Melancholy mit dem Enthusiasten assoziiert (ed. Holbrook Jackson [London, 1932], III, 312, 370-371).

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Richtungen auf das Ende der Zeiten, und von beiden Gesichtspunkten her bestand Interesse daran, den entscheidenden Augenblick nicht in unerreichbare Ferne zu entrücken. Daher kann man - unabhängig von seiner persönlichen Wertung des Vorfalls, an der er keinen Zweifel läßt Chauncys Assoziierung von Enthusiasmus in der Form direkter Offenbarungen und dem Glauben an ein nahe bevorstehendes Weltengericht nur als folgerichtig betrachten, wenn er über James Davenport zu berichten weiß: Whatever you may think of your self, you have certainly a heated imagination. 'Tis too evident to be denied, that you too often take the motion of your own mind, for divine communications. A flagrant instance of this, you gave your hearers not long since, when you told them, it was impressed upon your mind, that the day of judgment was at the door, and you were as sure of it as of some things you then saw with your eyes. A thousand enthusiasts have deluded themselves and others with the same impression, looking upon it as a revelation from GOD.90

Daß auch Jonathan Edwards die geläufige Verbindung von Enthusiasmus und Weltengerichtsvision kennt, mag man aus seiner abwehrenden Haltung gegenüber diesbezüglichen Gerüchten erschließen: Der Glaube an ein nahe bevorstehendes Jüngstes Gericht hat die religiöse Entwicklung in seiner Gemeinde nicht beeinflußt.91 Mit diesem Dementi soll anscheinend sowohl unseriösen Spekulationen über das Ende der Welt als auch, auf diesem Wege, der Vermutung vorgebeugt werden, die Erweckung in Northampton trage enthusiastische Züge. Immerhin kann er aber den Fall eines Mannes aus der Nachbarschaft nicht übergehen, der sich von vermeintlichen Inspirationen dazu hinreißen ließ, als Laie die Aufgaben eines Geistlichen zu usurpieren: he was exceedingly rejoiced and elevated with this extraordinary work, so carried on in this part of the country; and was possessed with an opinion that it was the beginning of the glorious times of the church spoken of in Scripture: and had read it as the opinion of some divines, that there would be many in these times that should be endued with extraordinary gifts of the Holy Ghost, and had embraced the notion; though he had at first no apprehensions that any besides ministers would have such gifts. But he since exceedingly laments the dishonor he has done to God, and the wound he has given religion in it, and has lain low before God and man for it.92

Hier tritt erstmals ein anderer Aspekt des in der Offenbarung beschriebenen Weltenendes in den Vordergrund, nämlich das Millennium, die

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Enthusiasm Described, S. vi. Auf dasselbe Ereignis beziehen sich Zeugnisse bei Bushman, Great Awakening, S. 47, und Chauncy, Seasonable Thoughts, S. 97. Faithful Narrative, IV, 190. Ibid., IV, 207.

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tausend Jahre währende Herrschaft des Reiches Gottes, die am Ende der Zeiten stehen soll. Zu dem Zeitpunkt, da Edwards seine Faithful Narrative niederschreibt, weist er jeden Gedanken an das Millennium noch als enthusiastische Verirrung zurück, doch wenige Jahre später ergeht er sich, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Ausbreitung der Erneuerungsbewegung nach 1740, in Some Thoughts Concerning the Revival selber in ausgedehnten Spekulationen über Art und Nähe des zu erwartenden Millenniums. Dabei lokalisiert er bezeichnenderweise das Millennium vor dem großen Weltengericht, so daß es weniger den Beginn einer neuen Zeit als den krönenden Abschluß und das letztliche Ziel aller irdischen Geschichtsentwicklung markiert. 93 In ihm vollendet sich die Zeit; auf diesen Zustand der Vervollkommnung steuert die menschliche Historie zwangsläufig zu. Mit der vielversprechenden religiösen Erneuerung, die überall in Amerika einen allgemeinen Aufschwung an Frömmigkeit einzuleiten schien, sah nun Edwards den Beginn oder doch zumindest die ersten Vorboten des Millenniums heraufziehen: 'Tis not unlikely that this work of God's Spirit, that is so extraordinary and wonderful, is the dawning, or at least a prelude, of that glorious work of God, so often foretold in Scripture, which in the progress and issue of it, shall renew the world of mankind.... And there are many things that make it probable that this work will begin in America.94

Es folgt eine ausführliche Erörterung anhand von Bibelstellen und typologischen Schlußfolgerungen aus dem bisherigen Verlauf der menschlichen und speziell der Heilsgeschichte, die allesamt darauf hindeuten, daß das bevorstehende Millennium von Amerika, genauer noch von Neuengland, seinen Siegeszug über die ganze Erde antreten wird. Was mit dem ersten Kommen Christi in der Alten Welt seinen Anfang genommen hat, das wird sich in Vorbereitung seines zweiten Kommens in der Neuen Welt vollenden. Dieser Gedanke stellt, wie C. C. Goen dargelegt hat, 95 einen Meilenstein in der amerikanischen Geistesgeschichte dar: Nicht nur liefert er gewissermaßen das theologische Substrukt für das Konzept der "manifest destiny", sondern er bereitet auch den Boden für den historischen Optimismus, den Glauben an die Vervollkommnung des Menschen und die darauf aufbauenden utopi-

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Auf die Bedeutung dieser Tatsache hat zuerst C. C. Goen in "Jonathan Edwards: A New Departure in Eschatology," Church History, 28 (1959), 25-40, hingewiesen. Some Thoughts, IV, 353. "New Departure in Eschatology," 37-39; "Introduction" in Works, IV, 71-72. Mit Recht weist Bercovitch, The American Jeremiad, S. 94-109, daneben aber auch auf die gedankliche Kontinuität zu den Millenniumsvorstellungen des 17. Jahrhunderts hin.

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sehen Projekte, die in der weiteren Geschichte der Vereinigten Staaten immer wieder anzutreffen sind. Dieser in die Zukunft weisende Aspekt ist allerdings nur einer, unter dem Edwards' Hoffnung auf ein nahes Millennium betrachtet werden kann. Der andere, der in diesem Zusammenhang ebenso wichtig ist, verbindet ihn mit der Vergangenheit, mit der Tradition des Enthusiasmus, und erklärlicherweise zögert Charles Chauncy nicht, diese Verbindung aufzuzeigen und von diesem Ansatz her Edwards' Spekulationen zu kritisieren: And can any good End be answered in endeavouring, upon Evidence absolutely precarious, to instill into the Minds of People a Notion of the millennium State, as what is N o w going to be introduced; yea, and of AMERICA, as that Part of the World, which is pointed out in the Revelations of GOD for the Place, where this glorious Scene of Things, "will, probably, first begin?" And what Set of Men have ever yet appear'd in the Christian World, whose Imaginations have been thorowly warmed, but they have, at length, wrought themselves up to a full Assurance, that N o w was the Time for the Accomplishment of the Scriptures, and the Creation of the new Heavens, and the new Earths

Chauncys Frage hat natürlich rein rhetorischen Charakter, denn wie ihre Formulierung, so legt auch das ganze Umfeld, in das er seine Entgegnung auf Edwards' Thesen einordnet, den einzig möglichen Schluß nahe, daß Millenniumsvision und die unverantwortliche Lehre von den direkten Offenbarungen schon immer Hand in Hand gegangen sind. Der Enthusiast ist so stark auf unmittelbaren Kontakt zum Göttlichen ausgerichtet, daß er alles Irdische dafür aufgeben möchte und auch das Ende der irdischen Zeitrechnung geradezu herbeisehnt um der Vollendung willen, die alles Vergängliche dann erfahren wird. Zusammengenommen machten alle diese Anschauungen, die traditioneller Auffassung zufolge den Enthusiasmus konstituieren oder sich mit einiger Leichtigkeit daraus ableiten lassen, in den Augen der liberalen Geistlichkeit fast schon eine eigene Religion aus, die mit den orthodoxen Lehren des Puritanismus nur noch wenig gemein hatte. Als das tragende Fundament, auf das sich alle übrigen Verirrungen stützten und auf dem selbst die zentrale Lehre von den direkten Offenbarungen aufbaute, wurde dabei immer die übermäßige Betonung der Emotionen angeprangert: There is the Religion of the Understanding and Judgment, and Will, as well as of the Affections-, and if little Account is made of the former, while great Stress is laid upon the

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Seasonable Thoughts, S. 372-373, 374. Millenniumsvisionen werden schon vorher als typischer Zug eines Enthusiasten kritisiert auf S. 185-186.

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latter, it can't be but People should run into Disorders. "A meer passionate Religion lies very much expos'd to all the wild Temptations of Fancy and Enthusiasm:" Nor can it be too much guarded against.97

Die religiöse Erneuerung hatte von Anfang an großen Wert gelegt auf die affektive Anteilnahme des Christen an seiner Religion, auf eine von Herzen kommende Frömmigkeit und ein am eigenen Leibe erfahrenes Durchleben der Ängste des Sünders wie auch der Freude des Erlösten, weil nur so die allgegenwärtige Gefahr eines toten Formalismus und gedankenloser Pflichterfüllung gebannt werden konnte. Religiöse Fragen sollten wieder zu einer echten Herzensangelegenheit werden; sie sollten nicht nur als abstrakte Wahrheiten bekannt sein, sondern jeden einzelnen Menschen konkret in seiner ganzen Persönlichkeit anrühren: "True religion is an inward thing, a thing of the heart; it chiefly resides there, and consists in a right disposition and sanctified temper of the will and affections." 98 Daher wurde der affektiven Seite der menschlichen Natur wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt, denn nur, wenn jemand mit dem Herzen bei der Sache war und sich mit seinem ganzen Wesen von Gott ergriffen fühlte, konnte man hoffen, daß die frisch geweckten Überzeugungen auch von Dauer sein und sein weiteres Leben spürbar umformen würden. Einem rein intellektuellen Wissen um christliche Lehren und Aufgaben fehlte es am nötigen Engagement, an der leidenschaftlichen Parteinahme, die nur aus persönlicher Betroffenheit resultieren konnte. Aus solchen Erwägungen heraus konnte Josiah Smith mit vernehmlicher Spitze gegen die Kritiker der Bewegung von sich sagen: "And however derided by some, who set up and caress a system of rational religion, I hope to have always enthusiasm enough to maintain that the Spirit of God may be felt." 99 Freimütig bekennt er sich zu dem Vorwurf des Enthusiasmus, der der Erneuerung angehängt wird, indem er den Begriff positiv uminterpretiert als einen anderen Ausdruck für mit dem Herzen empfundene Religiosität. Im gleichen Sinne argumentiert Jonathan Edwards, daß eine Beteiligung der Affekte unerläßlich ist, wenn denn die Religion die Totalität des Menschen erfassen und seinem Leben eine neue Richtung weisen soll:

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Ibid., S. 422. Josiah Smith, A Sermon, on the Character, Preaching, &c. of the Rev. Mr. Whitefield, in Heimert, Great Awakening, S. 65. Ibid., S. 67. Derselbe Gegensatz von "doctrinal knowledge" und "feeling sense" in religiösen Angelegenheiten wird von Jonathan Dickinson in The True Scripture-Doctrine Concerning Some Important Points of Christian Faith herausgearbeitet (bei Bushman, Great Awakening, S. 77-84); vgl. ferner Samuel Finleys Letter to a Friend (ibid., S. 114).

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All will allow that true virtue or holiness has its seat chiefly in the heart, rather than in the head: it therefore follows from what has been said already, that it consists chiefly in holy affections. The things of religion take place in men's hearts, no further than they are affected with them. The informing of the understanding is all vain, any farther than it affects the heart; or, which is the same thing, has influence on the affections.100 Eine persönliche und entschiedene Parteinahme w i r d v o m Christen verlangt, getreu d e m C h r i s t u s w o r t , daß jeder M e n s c h sich für o d e r gegen ihn erklären müsse u n d es keinen l a u w a r m e n Mittelweg gebe. Dieses Stellung-Beziehen ist ein A k t , der v o n den Affekten gesteuert wird, und mit Blick auf dieses Ziel auf die Affekte der Z u h ö r e r einzuwirken, ist daher die v o r n e h m s t e Aufgabe des Geistlichen: Though as I said before, clearness of distinction and illustration, and strength of reason, and a good method, in the doctrinal handling of the truths of religion, is many ways needful and profitable, and not to be neglected, yet an increase in speculative knowledge in divinity is not what is so much needed by our people, as something else. Men may abound in this sort of light and have no heat: how much has there been of this sort of knowledge, in the Christian world, in this age? Was there ever an age wherein strength and penetration of reason, extent of learning, exactness of distinction, correctness of style, and clearness of expression, did so abound? And yet was there ever an age wherein there has been so little sense of the evil of sin, so little love to God, heavenlymindedness, and holiness of life, among the professors of the true religion? Our people don't so much need to have their heads stored, as to have their hearts touched; and they stand in the greatest need of that sort of preaching that has the greatest tendency to do this.101 Solche M a h n u n g e n zu stärkerer innerer Anteilnahme w u r d e n v o n den Kritikern der E r n e u e r u n g , vielfach allerdings a u c h v o n übereifrigen A n h ä n g e r n , als Aufrufe zur Emotionalisierung religiöser Prozesse mißverstanden, so als ginge es d a r u m , Gefühl u m jeden Preis zu d e m o n strieren, und als sei die Stärke des gezeigten Gefühls ein verläßlicher G r a d m e s s e r für Tiefe und Echtheit der zugrundeliegenden religiösen Vorgänge. Diese Interpretation beinhaltete die Gefahr, daß auch exzessiven Gefühlsäußerungen keine Schranken m e h r auferlegt w u r d e n und

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Some Thoughts, IV, 297-298. - Es ist hier nicht der Ort, um im einzelnen auf Edwards' Theorie von den "religious affections" einzugehen und auf den Mangel an Verständnis, den sie bei seinen Zeitgenossen gefunden hat. Obwohl die folgenden Bemerkungen das Hauptgewicht auf den affektiven Aspekt legen, um so die Verbindung zu zentralen Tendenzen der Erneuerungsbewegung zu verdeutlichen, soll damit nicht impliziert sein, Edwards habe einen vom Verstand völlig losgelösten Emotionalismus gepredigt. Eine nützliche Klarstellung seiner Terminologie und wertvolle Warnung vor rascher Simplifizierung enthält John E. Smiths "Introduction" zur Yale-Ausgabe von Edwards' Religious Affections (Works, II, 12-15). Some Thoughts, IV, 387-388.

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daß ganz natürliche Gefühlsaufwallungen, z.B. aufgrund eines leicht erregbaren Temperaments oder durch Ansteckung von der allgemeinen Woge der Begeisterung in einer gleichgestimmten Gruppe, für Effekte des übernatürlichen Einflusses des Heiligen Geistes gehalten wurden. Daher wies Charles Chauncy warnend darauf hin: Those, in my Opinion, do the greatest Dishonour to the blessed SPIRIT, and his Influence upon the Hearts of Sinners, in the Business of Conviction, who make no Distinction between those Fears that are the Effect of Truth duly imprest upon the Mind, and those that arise from an affrightned Imagination. . . . I am not against the Preaching of Terror, but whenever this is done, it ought to be in a Way that may enlighten the Mind, as well as alarm the Passions: And I am greatly mistaken, if this has been the Practice, among some Sort of Preachers, so much as it ought to be. And to this it may be owing, that Religion, of late, has been more a Commotion in the Passions, than a Change in the Temper of the Mind.102

Die liberale Geistlichkeit sah, ganz im Einklang mit der zeitgenössischen Strömung der Aufklärung, ihre oberste Aufgabe darin, der Religion durch eine verstandesmäßige Begründung eine solide Basis zu verschaffen. Gottes Offenbarungen in der Bibel richteten sich an den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, und es wäre daher absurd, dem Verstand nicht auch in allen religiösen Belangen den Vortritt zu lassen. "Make use of the Reason and Understanding GOD has given you. . . . Next to the Scripture, there is no greater enemy to enthusiasm, than reason,lautete ihr ständig wiederholter Wahlspruch. There is such a thing as real religion, let the conduct of men be what it will; and 'tis, in it's nature, a sober, calm, reasonable thing: Nor is it an objection of any weight against the sobriety or reasonableness of it, that there have been enthusiasts, who have acted as tho' it was a wild, imaginary business.104

Eben den hier angesprochenen Fehler begingen ihrer Meinung nach die Verfechter der religiösen Erneuerung, indem sie das Gefühl über den Verstand regieren ließen statt umgekehrt. Unter der Devise, es müsse mehr lebendige Religion praktiziert und inneres Erleben sichergestellt werden, wurde jede Gefühlsregung göttlichem Wirken zugeschrieben. Das Extrem, auf das solch eine Haltung hinauslief, war die Annahme, dem von Herzen kommenden Gefühl sei so sicher zu trauen wie einem göttlichen Orakel, während auf der anderen Seite der Verstand bekanntlich seit Adams Sündenfall brachliege und deshalb ein schlechter Ratgeber sei. Ein anonymer Artikel aus dem in Philadelphia erscheinen-

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Seasonable Thoughts, S. 108-109. Chauncy, Enthusiasm Described, S. 18. Ibid., S. 25.

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den General Magazine von 1741 beschreibt höchst anschaulich die Polarität von Verstand und Gefühl in der damaligen populären Debatte und vermittelt einen plastischen Eindruck davon, wie der Geist der Erneuerung sich seinen Gegnern darstellte: It abhors Reason, and is always for putting out her Eyes; but loves to reign Tyrant over the Passions, which it manages by Sounds and Nonsense. It is so blind itself that it walks by feeling; and yet sets up for an unerring Guide to all o t h e r s . . . . all that will not give away Scripture and Reason tamely, for its inward Feelings and Experiences, are proclaimed carnal Men, who cannot understand, but pervert the sacred Oracles. 105

Eine besonders beklagenswerte Folgeerscheinung dieses um sich greifenden Emotionalismus war die auffällige Zunahme körperlicher Extravaganzen im Verlaufe der Erneuerung wie etwa lautes Aufschreien, sei es vor Jammer oder Freude, plötzliche Bewußtlosigkeit und anfallartige Zuckungen, Trancezustände, während derer der Betroffene Visionen zu haben glaubte, und ähnliche Phänomene, die nervlicher und emotionaler Überbelastung entsprangen. Diesen Trend gesteht Jonathan Edwards ein, als er in einem Brief an Thomas Prince über den aktuellen Stand der Dinge in seiner Gemeinde berichtet und dabei abschließend einen Vergleich zieht zwischen dem Beginn der Erneuerung und ihrer späteren Entwicklung: But in the latter part of it, in the year 1742, it was otherwise: the work continued more pure till we were infected from abroad: our people hearing, and some of them seeing the work in other places, where there was a greater visible commotion than here, and the outward appearances were more extraordinary; were ready to think that the work in those places far excelled what was amongst us; and their eyes were dazzled with the high profession and great shew that some made who came hither from other places. That those people went so far beyond them in raptures and violent emotions of the affections, and a vehement zeal, and what they called boldness for Christ; our people were ready to think was owing to their far greater attainments in grace, and intimacy with heaven. 106

Allen Warnungen zum Trotz, die gerade Edwards immer wieder ausgesprochen hatte, daß weder die Stärke der zur Schau gestellten Affekte 105

In Heimert, Great Awakening, S. 149. - Als typischen Zug des Enthusiasten nennt diese Polarität auch Nuttall, Studies in Christian Enthusiasm, S. 46. 106 In Works, IV, 555. Zuvor (auf S. 549) hatte Edwards bereits festgestellt, daß die Erneuerung von 1740 deutlichere äußere Zeichen hervorgebracht habe als die von 1734-1735. Zwar wertet er dies dort überwiegend positiv, doch läßt sich auch aus der Beobachtung, daß die einzelnen Phasen bei der Konversion deutlicher zum Vorschein gekommen seien, ableiten, daß die Menschen zunehmenden Wert auf äußerliche Manifestationen legten, sich dabei wohl nicht selten vom Beispiel anderer inspirieren ließen und daß es so insgesamt zu einer Veräußerlichung und Standardisierung der Erfahrungen kam.

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noch überhaupt ihre äußerlichen Auswirkungen einen positiven oder negativen Schluß auf die Erwählung des Betroffenen zuließen, 107 neigten die Leute offensichtlich zusehends dazu, äußerliche Manifestationen innerer Regungen als notwendigen Bestandteil religiöser Erfahrungen zu betrachten. Für viele von ihnen war dies die logische Folgerung aus dem Gefühlsenthusiasmus, den die Erneuerung verschiedentlich hervorgerufen hatte. Wenn es darauf ankam, Religion wieder zu einem Herzensanliegen zu machen, das von den innersten Uberzeugungen eines Menschen getragen wurde, dann waren anscheinend die Regungen des Inneren wichtige Fingerzeige, die es unbedingt zu beachten galt. Soweit sie sich dann noch zusätzlich in körperlichen Phänomenen niederschlugen, war dies ein äußerlich sichtbarer, quasi objektivierter Beweis für das, was sonst nur dem betroffenen Subjekt aus innerer Erfahrung klar war. So verfielen manche radikalen Vertreter der religiösen Erneuerung am Ende zwar wieder in den Fehler, Äußerlichkeiten zu großes Gewicht beizumessen, obwohl die Bewegung ursprünglich gerade hiergegen zu Felde gezogen war, doch beruhte ihre Theorie von sichtbarer Religiosität und Gottesnähe mittlerweile auf einer völlig anderen Theologie: Den Formalismus äußerer Pflichterfüllung hatten sie durch den Enthusiasmus eines äußerlichen Emotionalismus ersetzt. Sicherlich darf man nicht deswegen, weil die religiöse Erneuerung manche Unbesonnenheiten und regelrechte Auswüchse mit sich brachte, die Bewegung in Bausch und Bogen verdammen, eine Haltung, von der Chauncy und eine Reihe gleichgesinnter Kollegen gelegentlich nicht weit entfernt zu sein scheinen; doch bleibt gewiß einzugestehen, wie dies ja Jonathan Edwards beispielsweise immer wieder tut, daß das löbliche Bemühen um Wärme und Lebendigkeit in der Religionsausübung nicht selten in hitziges Eiferertum umschlug, daß das Streben nach persönlicher Gotteserfahrung in einem spürbaren Konversionserlebnis verschiedentlich in einen enthusiastischen Glauben an direkte Offenbarungen überging und daß der Drang nach größerer Innerlichkeit vielfach in unkontrollierte Gefühlsschwärmerei und einen von allen gesellschaftlichen Bindungen losgelösten Subjektivismus ausartete. Von daher kann man sich vielleicht Chauncys Worten anschließen, der in einem seiner ruhigeren Momente die Erweckungsbewegung als solche durch-

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Die Belege sind zahlreich: z. B. Distinguishing Marks, IV, 229-234; Some Thoughts, IV, 298-306; Religious Affections, II, 127-135. Solange es allerdings nicht um den konkreten Einzelfall, sondern um generelle "statistische" Tendenzen geht, hält auch Edwards die Zunahme körperlicher Phänomene für ein immerhin wahrscheinliches Zeichen göttlichen Einflusses: Some Thoughts, IV, 399-400.

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aus von ihren Auswüchsen zu sondern weiß und zu dem insgesamt recht ausgewogenen Urteil gelangt: There is, I doubt not, a great deal of real, substantial religion in the land. The S P I R I T of GOD has wro't effectually on the hearts of many, from one time to another: And I make no question he has done so of late, in more numerous instances, it may be, than usual. But this, notwithstanding, there is, without dispute, a spirit of enthusiasm, appearing in one place and another. There are those, who make great pretences to the SPIRIT, who are carried away with their imaginations: And some, it may be, take themselves to be immediately and wonderfully conducted by him-, while they are led only by their own fancies.108

Angesichts dieses enthusiastischen Potentials, das in Teilen des "Great Awakening" zum Ausbruch kam, kann es nicht verwundern, daß zahlreiche begleitende Phänomene genau denen entsprechen, die schon während der Antinomierkrise den Dissidenten von ihren Gegnern ständig vorgeworfen wurden. Sie gehören offensichtlich, sei es auch nur als sekundäre Merkmale, zum enthusiastischen Arsenal, das sich entweder tatsächlich dort einstellt, wo enthusiastische Neigungen vorliegen, oder das automatisch dort postuliert wird, wo solche Neigungen jemandem nachgesagt werden. Abgesehen von den zentralen, konstituierenden Charakteristika - dem Glauben an unmittelbare Offenbarungen und einem starken, emotional gesteuerten Subjektivismus - finden sich hier stets wieder eine auf direktem Gotteskontakt basierende Selbstsicherheit in den eigenen Uberzeugungen, eine zunächst passive Grundhaltung, die der eigenen Leistungsfähigkeit wenig zutraut, sondern sich lieber von göttlichen Impulsen ergreifen und vorwärtstreiben läßt, eine an jenseitigen Idealen orientierte Weltverachtung sowie eine daraus geborene Opferbereitschaft, die mit dem Märtyrertod zumindest liebäugelt; ferner eine laute Kritik an der institutionalisierten, als lau oder korrupt empfundenen Kirche, davon ausgehend ein Aufbegehren gegen etablierte Autoritäten auf allen gesellschaftlichen Ebenen, nicht zuletzt gegen die Lenker des Gemeinwesens, und eine starke Betonung der Autonomie des Individuums gegenüber sozialen Bindungen und Zwängen, die sich politisch in Demokratisierungstendenzen, privat aber in einer durchaus elitären Absonderung von Andersdenkenden, in der Zerstörung persönlicher Bindungen und teils selbstgesuchter, teils aufgezwungener Isolierung äußert. Eine stattliche Anzahl dieser typischen Züge werden im Jahre 1781 in einer Deklaration der sogenannten "Strict Congregational Churches" noch einmal zusammengefaßt, als sie

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Enthusiasm Described, S. 26-27.

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sich an die unruhige Zeit ihrer separatistischen Anfänge im "Great Awakening" zurückerinnern: Many that appeared forward in the Separation fell into notorious, scandalous Sins: Others there were who ran into Errors and Extremes, in Matters of Religion; holding to an absolute Knowledge of the Brethren, upon an invisible Evidence, as they called it. Others there were that made Faith, Conscience, and GoodFeeling m Religion, their Rule of Duty, and did not pay that Honor to the revealed Will of God, in his Word, as they ought to have done. - . . . Some held that Ministers ought to have no previous Study before Preaching; but that they ought to have their Sermons immediately from God. Others there were that seemed to strike at the Foundation of Civil Government, to overthrow it entirely; and were for destroying human Learning, and even human reason itself, as useless in Religion; and were for introducing unqualified Persons into the Ministry, upon the Belief, that their Qualifications were in Heaven, and would be sent down when they needed them. 109

In anderer konkreter Realisierung, aber mit demselben Hintergrund und derselben Bedeutung werden die Charakteristika des Enthusiasten uns in den literarischen Produkten der folgenden Jahrhunderte wiederbegegnen.

109

Zitiert in Goen, Revivalism and Separatism, S. 182-183.

IV. Fiktive Enthusiasten bei Brockden Brown und Hawthorne Brockden Browns Wieland Mit seinem Essay Conceming Human Understanding hatte Locke, wie auf vielen anderen Gebieten, so auch im Bereich der Theologie das 18. Jahrhundert eingeläutet. Seine auf den Sinneswahrnehmungen basierende Epistemologie und seine Forderung, daß sich auch in der Religion jede Behauptung der Kontrolle des Verstandes zu unterwerfen habe und, sofern sie als Teil göttlicher Offenbarung den menschlichen Verstand übersteige, doch jedenfalls nicht in offensichtlichem Widerspruch zu diesem ebenfalls gottgegebenen Kontrollorgan stehen dürfe, hatte das Fundament gelegt für den Rationalismus, der sich als typisches Kennzeichen der Aufklärung in Europa wie auch in der Neuen Welt auszubreiten begann. Zwar wollte Locke, indem er den menschlichen Verstand zum alles entscheidenden Richter über den Wahrheitsgehalt einer Aussage erhob, damit keineswegs die Bibel als Gottes geoffenbartes Wort verdrängen, ja nicht einmal die Möglichkeit direkter Offenbarungen grundsätzlich ausschließen. Doch bestand er darauf, daß jede Aussage entweder durch unumstößliche Beweise vom Verstand als wahr erkannt werden müsse oder aber, wenn jemand sich auf göttliche Offenbarung berief, daß der Beweis über die göttliche Herkunft dieser Offenbarung anzutreten sei. Diese epistemologische Grundhaltung fand besonders auf amerikanischem Boden tiefen Nachhall bis in das 19. Jahrhundert hinein, so daß Locke nicht zu Unrecht als "Amerikas Philosoph" apostrophiert worden ist.1 Charles Chauncy und manch anderer Geistliche hatte sich in seiner Argumentation gegen die Erneuerungsbewegung von 1740 implizit oder auch ausdrücklich auf Lockes Zurückweisung eines vom Verstände losgelösten Enthusiasmus gestützt und solch eine Berufung auf den menschlichen Verstand genauso wenig wie Locke selbst als abträglich für eine geoffenbarte Religion empfunden. Mit dem Aufkommen des Deismus im Verlauf des

1

Merle Curti, "The Great Mr. Locke: America's Philosopher, 1783-1861," Huntington Library Bulletin, 11 (1937), 107-151.

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18. Jahrhunderts verlagerte sich das Gewicht jedoch zunehmend zugunsten der menschlichen, rationalen Komponente, bis schließlich für die Vertreter einer "natural religion" der Verstand zur Erkenntnis von Gottes Willen und zu einem moralischen Lebenswandel völlig ausreichte, somit jegliche göttliche Offenbarung überflüssig machte. In diesem allgemeinen geistigen Klima der Aufklärung, das geprägt war von der Lockeschen Epistemologie und deistischen Tendenzen in religiösen Fragen, schrieb Charles Brockden Brown unmittelbar vor der Jahrhundertwende seine Romane. Obwohl er einer alten Quäkerfamilie entstammte, waren die aufgeklärten Anschauungen der Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Am deutlichsten spricht diese Tatsache vielleicht aus einem Brief an seinen Bekannten Joseph Bringhurst vom 24. Oktober 1795, der einen Einblick gewährt in die Probleme, mit denen sich Brown in seinem Freundeskreis beschäftigte, und in die Haltung, die Brown selber zumindest zu diesem Zeitpunkt seines Lebens in gewissen religiösen Fragen einnahm. Brown leitet seine Stellungnahme zum etablierten Christentum in diesem Brief mit grundsätzlichen Erwägungen ein, die ihre Verwurzelung in Lockeschen Denkkategorien nicht verleugnen: If the moral precepts of Christ are good they are mine, because they are true, if bad nothing can induce me to esteem them good, and there can be no question about the propriety of endeavoring to exterminate pernicious and erronious doctrines, but that which, in truth, denominates any system of belief religious, and which probably makes a part of your end, relates to the authority of the law-maker and the sanction of the law. If Christ was no more than Pythagoras or Socrates, the acceptance of his doctrines, moral or metaphysical, must depend upon their intrinsic evidence, nor according to the common acceptation ofthat term, can his system be termed a Religion: but if he was of nearer kin than other men to the deity, and the effect of that relationship be, a readier submission to his injunctions, and if our compliance or non compliance with his instructions be rewarded or punished hereafter, the case is materially altered.2

Das ist genau die zweigeteilte Argumentation, mit der Locke an das Phänomen des Enthusiasmus herangeht: Entweder eine Aussage erweist sich aus inneren Gründen als stichhaltig, dann darf man sein Verhalten unbedenklich auf sie gründen, weil ihre Wahrheit auch ohne die Annahme einer göttlichen Offenbarung allein aufgrund rationaler Analyse genügend evident ist; oder aber eine Aussage läßt sich mit verstandesmäßigen Mitteln nicht überprüfen, dann stellt sich automa-

2

Bernard Rosenthal, "Introduction," Critical Essays on Charles Brockden Brown, ed. Bernard Rosenthal (Boston, 1981), S. 12.Der ganze Brief ist hier auf S. ll-16erstmals veröffentlicht.

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tisch die Frage nach der Glaubwürdigkeit dessen, auf den sie zurückgeführt wird. Im ersteren Falle bleibt die Angabe, erst durch göttliche Inspiration die Wahrheit erkannt zu haben, im Grunde irrelevant, da dieselbe Erkenntnis auch ohne göttliches Eingreifen hätte erlangt werden können. Im zweiten Fall dagegen bedarf es glaubhafter Beweise dafür, daß die betreffende Aussage göttlichen Ursprungs ist, da angesichts des Versagens des menschlichen Verstandes, ihren Wahrheitsgehalt zu ermitteln, nur die Rückführung auf Gott ihre Wahrheit zu gewährleisten vermag.3 Getreu dieser Scheidung erkennt auch Brown christliche Moralvorschriften als bindend an, wenn sein Verstand ihm ihre Gültigkeit aufgrund ihrer inneren Plausibilität bestätigt. Im anderen Falle jedoch sieht er sich gezwungen, nach ihrer göttlichen Beglaubigung zu forschen. Diese anfängliche Ubereinstimmung mit Locke entpuppt sich jedoch recht bald als rein äußerlich und weitgehend rhetorischer Natur, da Brown im weiteren Verlauf des Briefes die Möglichkeit göttlicher Sanktionierung prinzipiell ausschließt: It is not the rational business of men to settle what is the creed of Moses, of Christf,] of Mahometf,] of Confucius, of Pythagoras or Solon. It is indeed not without its use: it is, in a certain degree, properly the theme of historical curiosity, but the chief business is to ascertain the dictates of moral duty, by consulting his Understanding; and measuring the opinions of others, whatever may be their pretensions, by the standard of his own judgment. . . . I deny that religious sanctions are friendly to morality, I deny the superhuman Authority of any teacher: and a future retribution: were these affirmed by Jesus Christ or merely by you? It is indifferent: The truth is the same independently of any ones assertion or authority.4

Christus ist für ihn nur ein weiser Lehrer wie andere auch. Damit entfällt ein Element der ursprünglichen methodischen Alternative, und dem menschlichen Verstand bleibt es allein überlassen, in Eigenverantwortung über Wahrheit oder Unwahrheit einer Aussage zu befinden. "I should hurt you by uttering my real Sentiments on this strange concession of the necessity of revelation to enlighten our understanding or invigorate our fortitude,"5 sagt Brown gegen Ende des Briefes und macht damit aus seiner grundsätzlichen Abneigung gegen jede Art von geoffenbarter Religion kein Hehl. Einzig den Verstand läßt er als Richtschnur in allen moralischen Fragen gelten; darüber hinaus benötigt der Mensch keine weiteren göttlichen Anleitungen. Der Brief vereinigt also auf engem Raum gleichsam Anfang und Ende des 18. Jahrhunderts und

3 4 5

Essay Concerning Human Understanding, S. 700-705. In Rosenthal, "Introduction," S. 14. Ibid., S. 15.

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markiert anschaulich die theologische Entwicklung, die zwischenzeitlich stattgefunden hat: Von der zumindest formalen Nennung der Lockeschen Position zu Beginn schreitet er voran zu einer rein deistischen Anschauung, die von der Ausschaltung jeglicher übernatürlichen Einwirkung zugunsten der absoluten Vorherrschaft der Ratio gekennzeichnet ist. Browns Roman Wieland orthe Transformation exemplifiziert in mancherlei Hinsicht die hier abstrakt vorgetragenen Ansichten.6 Daß die Ereignisse, in deren Mittelpunkt die Titelfigur steht, einen authentischen Fall von religiösem Fanatismus zum Vorbild nehmen, wird von Brown selber in seiner Ankündigung angesprochen.7 Ganz abgesehen von Theodore Wieland selbst, an dem dieses Phänomen natürlich am deutlichsten in Erscheinung tritt, deuten auch zahlreiche andere Faktoren in dieselbe Richtung. Genauer gesagt, handelt es sich bei Browns Wieland um die erste fiktive Darstellung des Enthusiasmus und seiner Auswirkungen in der amerikanischen Literatur.8 Die Geschichte des älteren Wieland, die den Anfang von Claras Bericht bildet, dient offenkundig dazu, den Ton für die nachfolgenden Geschehnisse anzuschlagen, Künftiges bereits im voraus ahnen zu lassen und im besonderen die beiden Wieland-Kinder in eine ausgeprägte Familientradition mit enthusiastischen Neigungen einzuordnen. Die entscheidende Wende nimmt das Leben des Vaters, der ohnehin schon gelegentlich von melancholischen und depressiven Zuständen heimgesucht wurde, als er in einem Buch auf eine Darstellung der religiösen Anschauungen der Camisards stößt.9 Diese protestantische Sekte, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter der Bezeichnung "French Prophets" in England für einige Unruhe gesorgt hatte und wegen der von

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Diese Verbindung von Brief und Werk stellt schon Bernard Rosenthal in "The Voices of Wieland" Critical Essays on Charles Brockden Brown, S. 104-125, her. Charles Brockden Brown, Wieland or the Transformation; Memoirs of Corwin the Biloquist, ed. Sydney J. Krause, S. W. Reid und Alexander Cowie, Bicentennial Edition (Kent, 1977), S. 3. Seitenangaben zu Wieland beziehen sich auf diese Ausgabe und stehen im folgenden in Klammern hinter dem Zitat. Theodore Wieland und sein Vater werden kurz in die Tradition des Enthusiasmus eingeordnet bei Alan Axelrod, Charles Brockden Brown: An American Tale (Austin, Texas, 1983), S. 66-68. Unerklärlicherweise bezeichnet Axelrod ihre Form von Religiosität jedoch als fremdartig (S. 66) und für Amerika nicht sonderlich typisch (S. 68). Brown spricht zunächst von den Albigensern (S. 8), dann von den Camisards (S. 8 und 9). Obwohl es sich hier eigentlich um zwei unterschiedliche Sekten handelt, ist anzunehmen, daß Brown die Bezeichnungen für austauschbar hielt. Gemeint sind in jedem Falle die Camisards. Vgl. E. Bruce Kirkham, "A Note on Wieland " AN&Q, 5 (1966/7), 86-87.

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ihren Mitgliedern begangenen Ausschreitungen unter anderem auch in Shaftesburys Essay Concerning Enthusiasm erwähnt wird, galt auch in Amerika seit jeher als Inbegriff enthusiastischer Verirrung. 10 So war im Jahre 1742 wohl unter der Ägide Chauncys eine Schrift im Druck erschienen mit dem vielsagenden Titel: The Wonderful Narrative: or a

Faithful Account of the French Prophets, Their Agitations, Extasies, and Inspirations: to which Are Added, Several Other Remarkable Instances of Persons under the Influence of the Like Spirit, in Various Parts of the

World, Particularly in New-England. Das kaum verhüllte Ziel dieser Abhandlung war es natürlich, aus dem allseits bekannten Enthusiasmus dieser Sekte Kapital zu schlagen, um durch die Herausstellung vergleichbarer Phänomene im "Great Awakening" auch der zeitgenössischen Erneuerungsbewegung den Makel des Enthusiasmus anheften zu können. Indem Brown ausgerechnet dieser Sekte maßgeblichen Einfluß auf die religiöse Orientierung des älteren Wieland zumißt, charakterisiert er ihn hierdurch als einen potentiellen Enthusiasten. Und wie denn am typischen Enthusiasten immer wieder seine Engstirnigkeit gerügt wird, die Unbeirrbarkeit, mit der er an einmal gefaßten Meinungen festhält und neues Gedankengut entweder rundweg ablehnt oder durch gewaltsame Interpretation dem eigenen Gebäude einfügt, so heißt es auch über das Bibelstudium des älteren Wieland: His understanding had received a particular direction. All his reveries were fashioned in the same mould. His progress towards the formation of his creed was rapid. Every fact and sentiment in this book were viewed through a medium which the writings of the Camissard apostle had suggested. His constructions of the text were hasty, and formed on a narrow scale. Every thing was viewed in a disconnected position. One action and one precept were not employed to illustrate and restrict the meaning of another. (S. 9)

Von rationaler Analyse des Bibeltextes kann hier keine Rede sein. Einseitige Fixierung ersetzt ein gesundes Abwägen der Worte, vorschnelle Schlußfolgerungen verhindern ein adäquates Verständnis. So wie Chauncy einmal unterschieden hatte zwischen einer Religion des Verstandes und einer der Emotionen, 11 stehen sich auch hier die Notwendigkeit zu vernünftiger Abwägung und Wielands von den Affekten gesteuerter Enthusiasmus unversöhnlich gegenüber. "He was alternately agitated by fear and by ecstacy" (S. 9), beschreibt Brown Wielands unausgeglichenen Emotionalismus, der zwischen der Angst vor dem

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11

Zu den "French Prophets" als Enthusiasten vgl. R. A. Knox, Enthusiasm: A Chapter in the History of Religion (London, 1950), S. 356-371, und Lovejoy, Religious Enthusiasm, S. 168-170. Vgl. oben S. 86-87.

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göttlichen Zorn und überschäumender Freude über erfahrene Gottnähe schwankt. Angesichts all dieses typischen Rüstzeugs des Enthusiasten kann die Eröffnung nicht mehr überraschen, daß der ältere Wieland unmittelbare Offenbarungen von Gott zu erhalten glaubt: A command had been laid upon him, which he had delayed to perform. He felt as if a certain period of hesitation and reluctance had been allowed him, but that this period was passed. H e was no longer permitted to obey. The duty assigned to him was transferred, in consequence of his disobedience, to another, and all that remained was to endure the penalty. (S. 12-13)

Mit dem Enthusiasmus des älteren Wieland, der, zumindest einer möglichen Interpretation zufolge, in direktem Zusammenhang mit seinen mysteriösen Todesumständen steht, ist zwar der bedeutsamste und im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder aufgegriffene, keineswegs aber der einzige Faktor genannt, durch den Clara und Theodore in eine enthusiastische Familientradition eingebunden werden. Beachtung verdient immerhin auch die Tatsache, daß die Mutter als überzeugte Anhängerin der Lehren des Grafen von Zinzendorf, mithin als Mitglied der sogenannten "Moravian Brethren", vorgestellt wird. 12 Obwohl diese knappe Information ansonsten keine Rolle mehr spielt, hat Brown hier doch bezeichnenderweise wiederum eine Sekte ausgewählt, die im allgemeinen Bewußtsein gern mit enthusiastischen Neigungen assoziiert wurde. Das beweist zum Beispiel die Tatsache, daß Gilbert Tennent, während des "Great Awakening" einer der rührigsten Propagandisten der religiösen Erneuerung in den mittleren Kolonien und selber oft des Enthusiasmus bezichtigt, 1743 eine Predigtsammlung veröffentlichte, die ihn von dem Vorwurf des Enthusiasmus dadurch reinwaschen sollte, daß er sich von den "echten" Enthusiasten, den Gefolgsleuten des Grafen von Zinzendorf, scharf abgrenzte. 13 Insofern geht man wohl nicht fehl in der Vermutung, daß Brown auch in der Familie der Mutter den verborgenen Funken des Enthusiasmus weiterglimmen sah, zumal der Leser nachträglich noch erfährt, daß der Großvater mütterlicherseits seinem Leben ein plötzliches Ende bereitete, nachdem er die

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S. 12. - Einzig Michael T. Gilmore, "Calvinism and Gothicism: The Example of Brown's Wieland," Studies in the Novel, 9 (1977), 111, bezieht diese Tatsache in den enthusiastischen Hintergrund der Wieland-Familie ein. Gilbert Tennent, The Necessity ofHolding Fast the Truth Represented in Three Sermons on Rev. III.3. Preached at New-York, April 1742. With an Appendix, Relating to Errors Lately Vented by Some Moravians in Those Parts (Boston, 1743). Zur enthusiastischen Tradition der "Moravian Brethren" vgl. Knox, Enthusiasm, S. 389-421, und Lovejoy, Religious Enthusiasm, S. 162-168.

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Stimme seines verstorbenen Bruders vernommen zu haben glaubte. 14 Die Parallelen zwischen diesem Vorfall und dem geheimnisumwitterten Tod des älteren Wieland liegen auf der Hand, indem beide Personen als melancholisch charakterisiert werden, klaren Kopfes den Tod auf sich zukommen sehen und in beiden Fällen eine übernatürliche Stimme letztlich die Ursache der Katastrophe ist. Obwohl die religiöse Erziehung von Clara und Theodore, die ihnen anschließend unter der Obhut ihrer Tante zuteil wird, im wesentlichen an den Prinzipien einer "natural religion" ausgerichtet scheint, liegen die determinierenden Faktoren für ihr weiteres Leben doch nicht in diesen eher oberflächlichen Jugenderfahrungen, sondern in der tiefer wurzelnden Neigung, wie ihre Vorfahren einen unmittelbaren und oft emotional geprägten Zugang zum Ubernatürlichen zu suchen. 15 Diese Tendenz tritt im jüngeren Wieland offen zutage, aber auch Clara verrät, wenn auch mit weniger katastrophalen Folgen, eine ganz ähnliche Veranlagung. "Moral necessity, and calvinistic inspiration, were the props on which my brother thought proper to repose" (S. 25), charakterisiert Clara die Einstellung des jungen Wieland gleich zu Beginn ihrer Erzählung, wobei in dem Stichwort "inspiration" augenblicklich seine Suche nach direkter Kommunikation mit Gott Ausdruck findet. Als Carwin dann zum ersten Mal von seinen bauchrednerischen Fähigkeiten Gebrauch macht, ist Wieland aufgrund seiner ganzen Weltanschauung geradezu prädestiniert dazu, den für ihn unerklärlichen Stimmen einen übernatürlichen Ursprung unterzuschieben. Claras Beschreibung seiner Reaktion weist dabei auffällige Parallelen zu der Haltung auf, die sich der ältere Wieland nach seiner Lektüre der Camisard-Lehre angeeignet hatte: I said, this man is of an ardent and melancholy character. Those ideas which, in others, are casual or obscure, which are entertained in moments of abstraction and solitude, and easily escape when the scene is changed, have obtained an immoveable hold upon his m i n d . . . . All his actions and practical sentiments are linked with long and abstruse deductions from the system of divine government and the laws of our intellectual constitution. He is, in some respects, an enthusiast, but is fortified in his belief by innumerable arguments and subtilties. (S. 35)

14 15

S. 179. Zur deistischen Erziehung der Wielands vgl. S. 22 und die von mehreren Kritikern vermerkte Tatsache, daß die Kinder das Heiligtum ihres Vaters zu einem Musentempel profanieren. Dennoch muß der Ansicht von Larzer Ziff, "A Reading of Wieland," PMLA, 77 (1962), 54, widersprochen werden, Brown wende sich nicht gegen religiösen Fanatismus, da Wielands Erziehung frei von allem Sektierertum sei. Im Gegenteil steckt in beiden Kindern, wie die Beispiele aus den vorangegangenen Generationen nahelegen sollen, das vererbte Potential zum Enthusiasmus.

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Aus Wielands Verhalten sprechen das Eiferertum, die melancholische Grundstimmung, die Unbeirrbarkeit und manchmal wohl auch Engstirnigkeit in seinen Uberzeugungen, die schon seinen Vater ausgezeichnet hatten. Sein Glaube an übernatürliche Einflußnahme läßt ihn auch dort das Wirken göttlicher Mächte vermuten, wo Carwin, dem doch am ehesten daran gelegen sein müßte, solchen Glauben zu fördern, menschliche Machenschaften zu entdecken vermeint.16 Auch Wielands Plan, eine Abhandlung über den daimon des Sokrates zu verfassen, steht in unverkennbarer Beziehung zu seinem generellen Interesse an allem, was auf einen direkten Kontakt von göttlicher und menschlicher Sphäre hindeuten könnte.17 Diese Voreingenommenheit seines Denkens mit der Suche nach einem unmittelbaren Zugang zum göttlichen Willen gibt er selbst zu Beginn seines Prozesses unumwunden zu: "It is needless to say that God is the object of my supreme passion. I have cherished, in his presence, a single and upright heart. I have thirsted for the knowledge of his will. I have burnt with ardour to approve my faith and my obedience. "My days have been spent in searching for the revelation of that will." (S. 165) "I stretched forth my hands; I lifted my eyes, and exclaimed, O! that I might be admitted to thy presence; that mine were the supreme delight of knowing thy will, and of performing it! The blissful privilege of direct communication with thee, and of listening to the audible enunciation of thy pleasure! " . . . Would that a momentary emanation from thy glory would visit me! that some unambiguous token of thy presence would salute my senses!" (S. 166-167)

Inhalt und Form der Rede, der Wunsch nach unmittelbaren Offenbarungen wie auch die religiöse Leidenschaft, von der seine Worte in Syntax und Bildern getragen sind, kennzeichnen Wieland als den typischen Enthusiasten. Dreimal wird der Leser mehr oder weniger direkt Zeuge eines Augenblicks, in dem Wieland sich von Gott angesprochen fühlt: zum ersten Mal, als Wieland sich anschickt, die Ermordung seiner Angehörigen mit der Tötung Claras zu vollenden; des weiteren in Wielands Geständnis vor Gericht, als er den Moment schildert, da eine Stimme das Opfer seiner Frau von ihm fordert; und schließlich beim abschließenden Höhepunkt von Claras Bericht, als Wieland nach vorübergehenden Zweifeln an seiner Mission den Glauben an sich und an die göttliche Herkunft der von ihm gehörten Stimmen wiederfindet und einen erneuten Versuch unternimmt, seine Schwester zu töten.18 Im zuerst und im zuletzt geschilderten Fall ist Clara Zeugin des Vor16 17 18

S. 75. S. 48. S. 153-154, 167-168, 225-226.

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gangs, doch bleibt die entscheidende Offenbarung ihren Sinnen verborgen. Einzig die äußeren Symptome des inneren Vorgangs bieten sich ihren verständnislosen Blicken dar: His countenance suddenly became troubled. His hands were clasped with a force that left the print of his nails in his flesh. His eyes were fixed on my feet. His brain seemed to swell beyond its continent. He did not cease to breathe, but his breath was stifled into groans. .. . After a silence and a conflict which I could not interpret, he lifted his eyes to heaven, and in broken accents exclaimed, . . . (S. 153)

Das andere Mal ist es Wieland selbst, der ihr gegenüber die Exklusivität und Subjektivität seiner Offenbarungen betont: "I put up a prayer that my doubts should be removed. Thy eyes were shut, and thy ears sealed to the vision that answered my prayer" (S. 225). 19 Dieser Mangel an Überprüfbarkeit, der seit jeher die Offenbarungen des Enthusiasten ins Zwielicht rückte, weist sie von vornherein als die Einbildungen eines verwirrten Hirns aus, wenn man wie Brown grundsätzlich die Möglichkeit einer geoffenbarten Religion verneint und allein die Weisungen des menschlichen Verstandes anerkennt. In seinem Brief an Bringhurst hatte Brown diese Maxime so formuliert: "If the moral precepts of Christ are good they are mine, because they are true, if bad nothing can induce me to esteem them good." 20 Nicht göttliche Sanktionierung, sondern allein die Erkenntnis der Wahrheit und der moralischen Vertretbarkeit einer Handlung mit Hilfe des Verstandes dürfen das Vorgehen des Menschen bestimmen. In dieser Anschauung drükken sich nicht so sehr Zweifel an der Verläßlichkeit göttlicher Offenbarungen aus als vielmehr das Vertrauen auf die Selbstgenügsamkeit des menschlichen Verstandes: Direkte göttliche Einflußnahme auf innerweltliche Geschehnisse erübrigt sich, da der Verstand moralische Leitlinien ebenso zuverlässig an die Hand geben, notfalls auch falsche religiöse Vorschriften als unhaltbar endarven kann. Wielands Fehler besteht

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20

Da also zumindest zwei von Wielands Stimmen eindeutig seiner Einbildung entstammen, da ferner Carwin zweimal jede Verwicklung in die Morde leugnet (S. 196-198, 216), da sogar Clara, die in zunehmendem Maße Carwin für die Quelle allen Unheils hält, seinen Beteuerungen Glauben schenkt (S. 197) und da schließlich der Onkel als quasi objektiver Richter die Katastrophe vor allem Wielands Wahnvorstellungen zuschreibt (S. 239), entbehrt die auch in neuerer Zeit noch vertretene Ansicht, Carwin habe mit seiner Bauchrednerei Wieland zu den Morden veranlaßt, jeder Grundlage. Das betont zu Recht schon Fred Lewis Pattee in seiner Einleitung zu Wieland or the Transformation together with Memoirs of Carwin the Biloquist (New York, 1926), S. xl-xli. In Rosenthal, "Introduction," S. 12.

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nun offenkundig darin, daß er diese seine wichtigste Richtschnur in allen moralischen Fragen zu keinem Zeitpunkt zu Rate zieht. Nie kommt ihm der Gedanke, nach der Glaubwürdigkeit vermeintlich göttlicher Offenbarungen zu forschen, die von ihm die gnadenlose Durchführung schwerster Verbrechen verlangen und gewissermaßen sich selbst widersprechen, indem ein göttliches Geheiß ihn auffordert, ein anderes - nämlich das fünfte Gebot - zu verletzen. Auf eben diesen Gegensatz weist Brown selber aber in seinem Brief ausdrücklich hin: The deity is said to have commanded men, through the mouth of one prophet, to hate their enemies and to shed the blood of him by whom blood has been shed, and through the mouth of another, to love their enemies and benefit those by whom we are injured: now in my opinion hatred and killing are just or unjust and that of consequence it is, or is not our duty to hate and kill as if it had never been enjoined in one case or prohibited in the other, and that truth is immutable.21

Ebenso hätte auch Wieland die Glaubhaftigkeit seiner Stimmen nach der ihnen zugrundeliegenden Moral beurteilen müssen. Statt dessen beweist sein Verhalten jedoch, daß er seine Emotionen über den Verstand regieren statt umgekehrt den Verstand mäßigend auf seine Leidenschaften einwirken läßt. Schon nachdem die mysteriöse Stimme zum ersten Mal ertönt ist, können Pleyels Argumente Wielands vorgefaßte Meinung nicht erschüttern: "He did not believe that sober reasoning would convince his friend" (S. 34). Die Ermordung seiner Frau konnte Wieland, wie er selber erklärt, nur durchführen, indem er die Stimme seines Verstandes bewußt erstickte: "It was the scope of my efforts not to think; to keep up a conflict and uproar in my mind in which all order and distinctness should be lost; to escape from the sensations produced by her voice" (S. 169). Als Clara ihrem Bruder kurz nach der Ermordung von Frau und Kindern begegnet, bemerkt sie an ihm ein geradezu ekstatisches Hochgefühl, doch rasch verdüstert sich seine Miene im Kampf wilder Leidenschaften, als er den Auftrag zu vernehmen glaubt, nun auch noch seine Schwester umzubringen. 22 Ob von Freude oder Leid aufgewühlt, in jedem Extrem ist Wieland ein Opfer ungehemmter Emotionen. So offensichtlich fehlt ihm die Besonnenheit vernunftgemäßer Kontrolle, daß Clara nur der Schluß übrigbleibt, er habe den Verstand verloren, eine Vermutung, die sich später allerdings anders als hier von ihr angenommen bewahrheiten wird. Clara selber ist von dem Enthusiasmus, der ihren Bruder ins Verderben reißt, oft nur einen kleinen Schritt entfernt. Erst recht aber ist sie 21

Ibid., S. 14.

22

S. 152-153.

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alles andere als eine Verkörperung der Ratio und Sprachrohr des Autors. 23 Zwar gilt sie Pleyel als Inbegriff von Geist gepaart mit Schönheit, und auch Carwin wird sie als eine Frau geschildert, die selbst in außergewöhnlichen Situationen die nötige Ruhe für ein besonnenes Urteil bewahrt. 24 Doch zeigt jede neue unerwartete Wendung, mit der das Schicksal bzw. Carwin sie konfrontieren, eigentlich nur, daß sie zu diesem Ruf auf ziemlich dieselbe Art gekommen sein muß wie die Einwohner von Mark Twains Hadleyburg, nämlich durch das Fehlen jeglicher Versuchung. Auch ihre Selbsteinschätzung muß sie in dieser Hinsicht korrigieren: "Alas! nothing but subjection to danger, and exposure to temptation, can show us what we are. By this test was I now tried, and found to be cowardly and rash" (S. 222). Ursprünglich hatte sie geglaubt, daß Tugend sich unter der Leitung der Vernunft gegen jeden erdenklichen Angriff zur Wehr setzen könne: "I used to suppose that certain evils could never befall a being in possession of a sound mind; that true virtue supplies us with energy which vice can never resist" (S. 90-91). Als sie jedoch wenig später vor die Entscheidung gestellt wird, entweder in Notwehr ihren Angreifer zu töten oder durch Selbstmord der Verletzung ihrer Ehre zu entgehen, denkt sie keinen Augenblick lang an den Weg, der ihr bisher bei theoretischer Betrachtung immer als der allein vernünftige erschienen war, sondern ist unter dem Schock der aktuellen Gefahr ganz auf Selbstmord als den einzigen Ausweg fixiert.25 Andere Vorkommnisse bestätigen die Beobachtung, daß Clara zwar in der Theorie die Notwendigkeit verstandesmäßiger Kontrolle anerkennt, in aller Regel aber nicht imstande ist, diese abstrakt als richtig erkannte Maxime auch in die Praxis umzusetzen. Ihr Verhältnis zu Carwin beispielsweise ist von Anfang bis Ende ausschließlich von emotionalen Reaktionen bestimmt, die man entweder in psychologischer Deutung als Folge unbewußter sexueller Anziehung oder aus einem mehr metaphysischen Blickwinkel als die Faszination, die das Böse unbewußt auf sie ausübt, auslegen mag. Der bloße Klang seiner Stimme ruft, als Carwin erstmalig auf der Bildfläche erscheint, einen völlig unerklärlichen Tränenausbruch hervor: "It imparted to me an

23

24 25

Letzteres behauptet Michael D. Buder, "Charles Brockden Brown's Wieland: Method and Meaning," Studies in American Fiction, 4 (1976), 136-139. Claras geistige Nähe zum Enthusiasmus ihres Bruders betonen zu Recht William M. Manly, "The Importance of Point of View in Brockden Brown's Wieland," AL, 35 (1963/4), 315, und Rosenthal, "The Voices of Wieland," 107, 109, 112, 115-117. S. 121, 201-202. S. 97-98.

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emotion altogether involuntary and incontroulable" (S. 52). Den ganzen nächsten Tag brütet sie gedankenversunken über der Skizze seines Gesichts, die sie, der Eingebung des Augenblicks gehorchend, angefertigt hat, wobei der Sturm, der gleichzeitig vor ihrem Fenster tobt, in adäquater Weise ihren aufgewühlten Gemütszustand spiegelt. Noch nachdem sie Carwins vorgeblichen Plänen, sie zu vergewaltigen und zu ermorden, auf die Spur gekommen ist, kann sie sich der Aufforderung zu einem geheimen Treffen zu nächtlicher Stunde nicht entziehen, obwohl sie davon nur neuerliche Bedrohung gewärtigen muß: What was it that swayed me? I felt myself divested of the power to will contrary to the motives that determined me to seek his presence. My mind seemed to be split into separate parts, and these parts to have entered into furious and implacable contention. (S. 140)

Ebenso irrational hatte sie sich schon vorher verhalten, als sie zum zweiten Mal eine Stimme aus der Kammer neben ihrem Schlafzimmer vernahm. Aufgrund einer Assoziation mit dem Traum, in dem Wieland sie in einen Abgrund zu locken versuchte, ist sie davon überzeugt, daß ihr Bruder sich in der Kammer versteckt hält und auf Unheil sinnt. Trotz dieser Befürchtung und obwohl er anscheinend von innen die Tür zur Kammer verschlossen hält, ist sie gegen alle Vernunft fest entschlossen, den Eindringling zu stellen und sich so unnötiger Gefahr auszusetzen. Noch während sie so handelt, wird ihr aber die Unvernunft ihres Vorgehens durchaus bewußt: "Have I not said that my actions were dictated by phrenzy? My reason had forborne, for a time, to suggest or to sway my resolves. . . . Surely I was utterly bereft of understanding" (S. 88). Teilweise sind diese Gefühlsausbrüche, das ständige Hin- und Hergerissensein zwischen alternativen Entscheidungen, sicher damit zu erklären, daß Brown bei der Darstellung seiner Erzählerin, besonders in ihrem Verhältnis zu Carwin, auf traditionelle Schemata des sentimentalen Romans zurückgreift. Andererseits werden aber diese vorgefertigten Versatzstücke, derer sich Brown verschiedentlich bedient, dem Thema des Konfliktes von Verstand und Leidenschaft untergeordnet. Und in diesem Konflikt droht Claras Verstand immer wieder ihren Emotionen zu unterliegen. "Surely that passion is worthy to be abhorred which obscures our understanding, and urges us to the commission of injustice" (S. 82), übt Clara deutliche Selbstkritik, als sie Pley el in Gedanken schwere Vorwürfe macht, weil er eine Verabredung nicht eingehalten hat. Enttäuschte Liebe regt ihre Fantasie zu den wildesten Spekulationen an, und bloß vorgestellte Ereignisse haben eine ungeahnte Macht über ihren Gemütszustand:

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Thus was I distressed by opposite conjectures: thus was I tormented by phantoms of my own creation. It was not always thus. I cannot ascertain the date when my mind became the victim of this imbecility; perhaps it was coeval with the inroad of a fatal passion; a passion that will never rank me in the number of its eulogists; it was alone sufficient to the extermination of my peace: it was itself a plenteous source of calamity, and needed not the concurrence of other evils to take away the attractions of existence, and dig for me an untimely grave. (S. 83)

Hier wird ihre geistige Nähe zu Wieland gleich in mehreren Punkten deutlich. Zum einen verweisen die Schlußsätze des Zitats auf die Schwermut, der sich Clara seit geraumer Zeit hingibt und die der morbiden Melancholie ihres Vaters und ihres Bruders an die Seite zu stellen ist. Ferner gibt sie zu, daß ihr Verhalten schon seit einer Weile von der Hitzigkeit starker Emotionen, nicht mehr von der Besonnenheit kühler Überlegung gelenkt wird, ebenso wie auch Wieland bei aller Intellektualität seiner Interessen von vornherein als ein gefühlsbetonter Mensch geschildert wird. Vor allem aber läßt ihre ungezügelte Fantasie, notwendiges Produkt ihrer inneren Leidenschaftlichkeit, eine verdächtige Verwandtschaft mit Wielands Glauben erkennen, Gott wende sich mit direkten Mitteilungen an ihn. Hier wie dort bereitet die übermäßige Hingabe an das Gefühl den Boden für die Abkehr von den Fakten der Realität: Während Wieland eingebildete Stimmen vernimmt und diese Äußerungen seiner eigenen Psyche für objektive Phänomene der Außenwelt hält, reagiert Clara auf die Vorspiegelungen ihrer Fantasie so, als bestünde kein Zweifel an ihrer Realität. Beide büßen in entscheidenden Momenten die Fähigkeit ein, zwischen Einbildung und Wirklichkeit, zwischen subjektivem Empfinden und objektiver Tatsächlichkeit zu unterscheiden, weil beide dazu neigen, den Eingebungen ihres Inneren ungeprüft Glauben zu schenken und subjektive Uberzeugungen keiner rationalen Kontrolle mehr auszusetzen. 26 So ist es bezeichnend, daß Wieland, als er vorübergehend glaubt, Carwins Vortäuschungen zum Opfer gefallen zu sein, Trost sucht in der Gewißheit, daß er, wenn schon nicht objektiv richtig, so zumindest in bester subjektiver Uberzeugung handelte. Clara zeigt augenblicklich Verständnis für solch eine Haltung, da sie zu oft am eigenen Leibe erfahren hat, wie ohnmächtig der Verstand angesichts übermächtiger Emotionen ist: Infatuated wretch that I was! To set myself up as a model by which to judge of my heroic brother! My reason taught me that his conclusions were right; but conscious of

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Bei Clara ist auch der komplementäre Fall zu beobachten, daß Wirkliches ihr plötzlich unwirklich erscheint: S. 64-65, 147 und 154.

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the impotence of reason over my own conduct; conscious of my cowardly rashness and my criminal despair, I doubted whether any one could be stedfast and wise. (S. 225)

Traditioneller Auffassung zufolge ist dieser Emotionalismus der ideale Nährboden für die Ausbildung enthusiastischer Anschauungen. Charles Chauncy hatte in seinen Attacken gegen die Auswüchse des "Great Awakening" immer wieder auf diesen Zusammenhang hingewiesen, und schon vorher hatte Addison das gleiche getan, als er in einem Artikel des Spectator darauf hinwies, wie leicht Frömmigkeit sich in bodenlosen Enthusiasmus verwandeln kann, wenn Gefühle und Vorstellungen nicht mehr der Kontrolle des Verstandes unterliegen: There is not a more melancholy Object than a Man who has his Head turned with Religious Enthusiasm. . . . We may however learn this Lesson from it, that since Devotion it self (which one would be apt to think could not be too warm) may disorder the Mind, unless its Heats are tempered with Caution and Prudence, we should be particularly careful to keep our Reason as cool as possible, and to guard our selves in all Parts of Life against the Influence of Passion, Imagination, and Constitution. Devotion, when it does not lie under the check of Reason, is very apt to degenerate into Enthusiasm. 27

Tatsächlich kann sich Clara unter dem Eindruck von Carwins bauchrednerischen Aktivitäten nicht des Glaubens erwehren, daß sich hier göttliche Mächte direkt in irdische Angelegenheiten einschalten. Schon als Wieland von seiner ersten Begegnung mit der Stimme berichtet, drückt sich in Claras anschließenden Fragen ein Verlangen nach direktem Kontakt mit dem Göttlichen aus, das eine völlige Gleichgestimmtheit mit Wielands eigenem Suchen verrät: After a pause, which he seemed in no wise inclined to interrupt, I spoke to him - "How almost palpable is this dark; yet a ray from above would dispel it." "Ay," said Wieland, with fervor, "not only the physical, but moral night would be dispelled." "But why," said I, "must the Divine Will address its precepts to the eye?" He smiled significantly. "True," said he, "the understanding has other avenues." (S. 36)

Als sich dann wenig später ein ähnlicher Vorfall wiederholt, den nun neben Wieland auch der für seine Skepsis und Rationalität bekannte Pleyel bezeugen kann, sieht Clara keinen Grund mehr, in ihrer Deutung der mysteriösen Vorkommnisse Zurückhaltung zu üben: "Here were proofs of a sensible and intelligent existence, which could not be denied. Here was information obtained and imparted by means unquestionably super-human" (S. 45). Zwar beteuert sie im selben Atemzug, daß sie für märchenhafte Erzählungen über Geistererscheinungen und andere über-

27

The Spectator, ed. Donald F. Bond (Oxford, 1965), S. 288-289.

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natürliche Wesen stets nur ein verächtliches Lächeln übriggehabt habe, will also unterstreichen, wie frei sie von jeglichem Aberglauben ist; andererseits hindert diese vermeintliche Rationalität sie nicht, von nun an mit der Gegenwart einer Art Schutzengel zu rechnen, der sich immer dann warnend zu Wort meldet, wenn ihr Gefahr droht oder sie im Begriffe ist, etwas Unkluges zu unternehmen. 28 Zugegebenermaßen besteht hier noch ein kleiner Unterschied zur Position ihres Bruders, denn während er von der göttlichen Stimme anscheinend Weisungen jeder Art entgegenzunehmen bereit ist, sieht Clara in ihr lediglich einen Mahner zum Guten und Vernünftigen. Doch betont Bernard Rosenthal zu Recht den graduellen, nicht prinzipiellen Charakter dieses Unterschieds, wenn er sagt: "The man who will follow a 'good' voice of God rather than his own moral senses will be capable of following any voice." 29 Ebenso markiert die Tatsache, daß Clara niemals eingebildete Stimmen hört, sondern stets nur Carwins Bauchrednerei für die Mitteilungen eines göttlichen Wesens hält, lediglich einen graduellen Unterschied zum Enthusiasmus ihres Bruders. Sie benötigt immerhin einen konkreten äußeren Anstoß als Basis für ihren Glauben an direkte Kontakte zum übernatürlichen Bereich, ein Anstoß, der bei Wieland nur anfangs, bei den tödlichen Aufträgen aber nicht mehr vorliegt. Gelegentlich kommen Clara sogar Zweifel an ihrer Interpretation der Stimmen, doch kehrt sie letzten Endes immer wieder zu ihrer enthusiastischen Grundhaltung zurück: I now speak as if no remnant of doubt existed in my mind as to the supernal origin of these sounds; but this is owing to the imperfection of my language, for I only mean that the belief was more permanent, and visited more frequently my sober meditations than its opposite. (S. 148)

Selbst nachdem ihr Onkel sie darüber aufgeklärt hat, daß Wieland dem Wahnsinn verfallen ist und daher seine vorgeblichen Inspirationen sicher nicht göttlichen Ursprungs waren, klammert sie sich erst noch weiter an den Glauben an das Wirken übernatürlicher Mächte: The malignity of that influence which governed my brother had hitherto been no subject of doubt. His wife and children were destroyed; they had expired in agony and fear; yet was it indisputably certain that their murderer was criminal? He was acquitted at the tribunal of his own conscience; his behaviour at his trial and since, was faithfully reported to me; appearances were uniform; not for a moment did he lay aside the majesty of virtue; he repelled all invectives by appealing to the deity, and to the tenor of his past life; surely there was truth in this appeal: none but a command from heaven

28 29

Vgl. S. 87, 89, 94-95, 114, 148. "The Voices of Wieland; S. 109.

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could have swayed his will; and nothing but unerring proof of divine approbation could sustain his mind in its present elevation. (S. 181)

Diese Linie der Irrationalität im Gefolge von Claras enthusiastischen Anschauungen findet ihren Höhepunkt während der abschließenden Katastrophe. Obwohl Clara mittlerweile über Carwins bauchrednerische Talente Bescheid weiß, ja, obwohl sie ihn unmittelbar vorher selbst erst dazu aufgefordert hat, seine Fähigkeit zu ihrer Rettung vor den Mordplänen ihres Bruders einzusetzen, reagiert sie, als Carwins Stimme tatsächlich ein letztes Mal ertönt, ebenso emotional wie ihr Bruder und glaubt wie er einen kurzen Augenblick lang gegen jede Vernunft an eine neuerliche übernatürliche Erscheinung: I had no power to reason. In the career of my tempestuous thoughts, rent into pieces, as my mind was, by accumulating horrors, Carwin was unseen and unsuspected. I partook of Wieland's credulity, shook with his amazement, and panted with his awe. (S. 230)

Carwins letzte Verstellung beweist noch in der Desillusionierung, die sie bei Wieland bewirkt und die bei Clara eigentlich schon vorher stattgefunden hat, daß sich beide bis zum Schluß von ihrem Enthusiasmus nicht freimachen können. Wie Clara zutreffend bemerkt, hat Carwins Eröffnung auf Wieland vor allem deshalb eine so niederschmetternde Wirkung, weil er ihr als einem göttlichen Orakel ebenso viel Vertrauen schenkt wie allen früheren Offenbarungen, die durch diese Mitteilung nun entkräftet werden: "He reflected not that credit should be as reasonably denied to the last, as to any former intimation; that one might as justly be ascribed to erring or diseased senses as the other" (S. 230). So läßt Wieland von seinen Mordabsichten ab und richtet sich am Ende selbst, weil er nach wie vor göttlichen Stimmen unbedingten Gehorsam zollt. Und weniger drastisch, aber nicht viel anders vermutet Clara hinter Carwins Stimme sogar hier noch für einen Moment eine göttliche Macht, weil auch in ihr das Feuer des Enthusiasmus trotz aller rationalen Erklärungen, die ihr geboten werden, noch nicht völlig erloschen ist. Wie schon in den früheren Diskussionen um den Enthusiasmus beschränkt sich auch in Browns Wieland die Charakterisierung des Enthusiasten keineswegs auf den Glauben, unmittelbare Offenbarungen von Gott zu erhalten, und auf die Behauptung, diese vermeintlichen Inspirationen resultierten aus der ungezügelten Herrschaft der Affekte und der Einbildungskraft. So findet sich bei Wieland zum Beispiel die typische Selbstsicherheit, die dem Enthusiasten aus der subjektiven Überzeugung erwächst, Gottes geoffenbarten Willen zu befolgen, und die sich auch durch noch so großen äußeren Widerstand und Argu-

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mente menschlicher Logik nicht erschüttern läßt. Wielands Rede vor Gericht wird gerahmt von zwei Äußerungen, die seinen Richtern kategorisch das Recht absprechen, über die Strafbarkeit seiner Taten zu urteilen, da er sich ausschließlich einer höheren Instanz verantwortlich fühlt und die Maßstäbe menschlicher Vernunft und Moral ausdrücklich ablehnt: "You say that I am guilty. Impious and rash! thus to usurp the prerogatives of your Maker! to set up your bounded views and halting reason, as the measure of truth! "Thou, Omnipotent and Holy! Thou knowest that my actions were conformable to thy will. I know not what is crime; what actions are evil in their ultimate and comprehensive tendency or what are good. Thy knowledge, as thy power, is unlimited. I have taken thee for my guide, and cannot err. To the arms of thy protection, I entrust my safety. In the awards of thy justice, I confide for my recompense." (S. 176-177) 3 0

Nirgends macht Wieland einen Versuch, sich zu verteidigen. Der gegen ihn erhobenen Anklage entzieht er sich dadurch, daß er auf sein subjektives Unschuldsbewußtsein verweist und die Unangemessenheit überkommener Vorstellungen von Recht und Unrecht betont, wenn weltliche Gesetze durch göttliches Gebot außer Kraft gesetzt werden. Menschliche Vernunft tituliert er als "halting reason", die Außenseiterstellung zu seinen Mitmenschen nimmt er bereitwillig in Kauf, und jeden Gedanken an die eigene Fehlbarkeit weist er als absurd zurück. Schon über seinen Vater hatte es geheißen: "His own belief of rectitude was the foundation of his happiness" (S. 12). Hinter demselben Subjektivismus, einer felsenfesten Uberzeugung, die aus dem Inneren gespeist wird und äußere Bekräftigung leicht entbehren kann, verschanzt sich auch Wieland in seinem Prozeß. Daß diese Fixierung auf subjektive Innerlichkeit, die exklusive Betonung des Verhältnisses von einzelnem Individuum zu seinem Schöpfer eine sozialisationsfeindliche Kehrseite hat, geht, wie aus der früheren theologischen Debatte, so auch aus Browns fiktiver Darstellung des Enthusiasten hervor. Wieland gesteht selber ein, daß seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen grundsätzlich seiner religiösen Leidenschaft untergeordnet waren: " M y social sentiments were indebted to their alliance with devotion for all their value" (S. 166). Ständig gegenwärtiger Ausdruck dieser sozialen Isolierung ist die selbstgesuchte Abgeschiedenheit, in der die Wieland-Familie ihr Leben verbringt, begrenzt auf einen illustren Kreis von Eingeweihten, die sich gegenseitig Gesellschaft genug sind. Auch der ältere Wieland hütete sorgfältig diesen

30

Die Entsprechung am Anfang der Rede befindet sich auf S. 165.

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religiös fundierten Individualismus, indem er bei seinen Gesprächen mit Gott keinen Gefährten duldete: He allied himself with no sect, because he perfectly agreed with none. Social worship is that by which they are all distinguished; but this article found no place in his creed. He rigidly interpreted that precept which enjoins us, when we worship, to retire into solitude, and shut out every species of society. According to him devotion was not only a silent office, but must be performed alone. (S. 11)

Sogar familiäre Bande leiden unter der ausschließlichen Hinwendung zu Gott. Der ältere Wieland verläßt Frau und Kinder, als er den Ruf verspürt, die Indianer zum Christentum zu bekehren, und weder die Sorge um seine Familie noch der mangelnde Erfolg seiner Missionstätigkeit, nur die Befriedigung, seinen Auftrag erfüllt zu haben, kann ihn bewegen, nach Hause zurückzukehren. 31 Bei seinem Sohn nimmt dieselbe Haltung weitaus grausigere Züge an: Er tötet, um einer vermeintlich göttlichen Weisung Folge zu leisten, Frau und Kinder und unternimmt später weitere Versuche, die ihm nunmehr Nächststehenden, Clara und Pleyel, zu ermorden. Zwar fällt es ihm durchaus nicht leicht, die von ihm geforderten Opfer zu bringen, doch siegt der religiöse Eifer unweigerlich über alle menschlichen Erwägungen, wie sein Ausruf vor seinem ersten Anschlag auf Claras Leben bestätigt: "This is too much! Any victim but this, and thy will be done. Have I not sufficiently attested my faith and my obedience? She that is gone, they that have perished, were linked with my soul by ties which only thy command would have broken; but here is sanctity and excellence surpassing human. This workmanship is thine, and it cannot be thy will to heap it into ruins." Here suddenly unclasping his hands, he struck one of them against his forehead, and continued - "Wretch! who made thee quicksighted in the councils of thy Maker? Deliverance from mortal fetters is awarded to this being, and thou art the minister of this decree." (S. 153-154) 32

So rigoros betrachtet er das irdische Leben und menschliche Bindungen aus dem Blickwinkel der Ewigkeit, daß ihm der Tod wie eine willkommene Befreiung aus den Fesseln des vergänglichen Körpers vorkommt. Irdische Begrenzungen zu überwinden, ist sein oberstes Ziel. Daher stellt sich ihm der Mord an seiner Frau Catharine als ein Akt heroischer Selbstentsagung dar, bei dem alle niedrigen Leidenschaften im wahrsten Sinne des Wortes abgetötet wurden:

31 32

S. 10-11. Seine Reaktion ist dieselbe, als es darum geht, seine Frau zu töten: S. 168 und 171-172.

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"This was a moment of triumph. Thus had I successfully subdued the stubbornness of human passions: the victim which had been demanded was given: the deed was done past recal. "For a while I thus soared above frailty. I imagined I had set myself forever beyond the reach of selfishness." (S. 172)

In solchen Momenten glaubt er sich bereits der weltlichen Sphäre entrückt und mehr zu sein als ein bloßer Mensch. 33 In seinem fanatischen Enthusiasmus erkennt er neben der Verpflichtung auf Gottes Gebot keine weiteren Bindungen mehr an und besteht deshalb darauf, gerade das, was ihm auf Erden am liebsten ist, ausnahmslos zu vernichten. Nur so fühlt er sich sicher vor der Versuchung zur Selbstsucht.34 Außere Hindernisse, auf die er stößt, der Abscheu seiner Mitmenschen und das Entsetzen seiner einzigen noch verbliebenen Freunde bringen ihn nicht zur Vernunft, sondern spornen ihn geradezu an in seinem fehlgeleiteten Bestreben: He conceives himself to have reached a loftier degree of virtue, than any other human being. The merit of his sacrifice is only enhanced in the eyes of superior beings, by the detestation that pursues him here, and the sufferings to which he is condemned. The belief that even his sister has deserted him, and gone over to his enemies, adds to his sublimity of feelings, and his confidence in divine approbation and future recompense. (S. 186-187)

So gelangt Clara zu der schrecklichen Einsicht, daß Wieland ihr paradoxerweise gerade deswegen nach dem Leben trachtet, weil sie ihm so viel bedeutet, und daß er seine Tugendhaftigkeit einer übermenschlichen Prüfung unterziehen will, indem er diese Liebe, die letzte Konkurrenz für seine himmlische Liebe, zerstört: I was hunted to death, not by one whom my misconduct had exasperated, who was conscious of illicit motives, and who sought his end by circumvention and surprize; but by one who deemed himself commissioned for this act by heaven, who regarded this career of horror as the last refinement of virtue, whose implacability was proportioned to the reverence and love which he felt for me, and who was inaccessible to the fear of punishment and ignominy! In vain should I endeavour to stay his hand by urging the claims of a sister or friend: these were his only reasons for pursuing my destruction. Had I been a stranger to his blood; had I been the most worthless of human kind; my safety had not been endangered. (S. 189)

Jonathan Edwards hatte schon während des "Great Awakening" die Gefahr gesehen, daß Enthusiasten in ihrem radikalen Trachten nach 33 34

S. 173. Die Belege für diese Motivierung sind zahlreich: S. 173, 176, 188, 224, 231.

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Perfektionismus über die von der Bibel gesetzten Grenzen hinausschießen und neben ihrem religiösen Eifer keine menschlichen Bindungen mehr anerkennen könnten: Thus some persons have endeavored utterly to root out and abolish all natural affection, or any special affection or respect to their near relations, under a notion that no other love ought to be allowed but spiritual love, and that all other love is to be abolished as carnal.35

Genau diesem Rigorismus ist auch Wieland verfallen. Er verschreibt sich ganz seiner religiösen Manie: "All passions are base, all joys feeble, all energies malignant, which are not drawn from this source" (S. 166). Durch die Ermordung seiner Angehörigen möchte er sich und der Welt seine Selbstlosigkeit und Unabhängigkeit von allen irdischen Dingen demonstrieren. Dabei übersieht er allerdings, wie bedenkenlos er andere Menschen auf dem Altar seines persönlichen Verhältnisses zu Gott opfert, sie also als Werkzeuge seiner eigenen Vervollkommnung mißbraucht. Auf diesem Umwege erweist sich seine vermeintliche Selbstlosigkeit in Wahrheit als eine äußerst subtile Form des Egoismus und der Selbstglorifizierung, 36 ähnlich wie ja auch Edwards schon mit Sorge beobachtet hatte, daß manche Anhänger der Erneuerung miteinander darum wetteiferten, wer von ihnen die größten Verfolgungen um seines Glaubens willen zu erdulden habe, weil sie sich im Glanz des Märtyrertums sonnen wollten. 37 Dieselbe Opfergesinnung stellt auch Wieland zur Schau, sowohl wenn er zunächst vor der Tötung Catharines zurückschreckt und an ihrer Statt sich selbst als Opfer anbietet38 als auch wenn er, rückblickend auf die Summe seiner Verbrechen, sich glücklich schätzt, solcher Opfer für würdig befunden worden zu sein: "I thank thee, my father, for thy bounty; that thou didst not ask a less sacrifice than this; that thou placedst me in a condition to testify my submission to thy will!" (S. 165). Das Bedürfnis, durch Entbehrungen und wiederholte Opfer die eigene Rechtschaffenheit unter Beweis zu stellen, ist Teil einer für den Enthusiasten typischen allgemeinen Weltverachtung. Den Blick unbeirrt auf das Jenseits gerichtet, erscheinen ihm weltliche Belange unbedeutend und die Grenzen von Raum und Zeit lästig. 39 Er sehnt den Tod

35 36 37 38 39

Some Thoughts, IV, 469. Darauf weist John Cleman, "Ambiguous Evil: A Study of Villains and Heroes in Charles Brockden Brown's Major Novels," EAL, 10 (1975/6), 203, hin. Vgl. oben S. 81-82. Wieland, S. 168. S. 167.

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geradezu herbei, weil er dann endlich die Fesseln der Sterblichkeit abstreifen und zu seinem wahren Sein finden kann. Von daher darf es nicht verwundern, daß manchen Mitgliedern der Wieland-Familie ein ausgesprochenes Verlangen nach dem Tod anzumerken ist. Ein Onkel aus der mütterlichen Linie begeht Selbstmord, um wieder mit seinem verstorbenen Bruder vereint zu sein. Wieland selber hat sich zeitlebens mit dem Gedanken an den Tod vertraut gemacht, 40 empfindet das Jenseits als sein wahres Zuhause - "I have acted poorly my part in this world. . . . Shall I not do better in the next?" (S. 224) - und begeht schließlich Selbstmord nicht nur, um sich für seine Verbrechen zu richten und weil er mit der Schmach der Desillusionierung nicht weiterleben kann, sondern auch, weil er im Tod endlich Frieden zu finden hofft. Ebenso spielt Clara mit dem Gedanken an Selbstmord als einer Erlösung von den Übeln dieser Welt und begibt sich darüber hinaus gegen jede Vernunft in tödliche Gefahr, so als lege sie es geradezu darauf an, bei einer dieser Gelegenheiten den Tod zu finden. 41 An anderen Stellen gibt sie zu verstehen, daß sie ungeduldig auf den Tod wartet und alles Erdenkliche tut, ihn zu beschleunigen. 42 Dazu gehört nicht zuletzt ihre Einwilligung, die tragischen Ereignisse niederzuschreiben, denn sie zählt darauf, daß das erneute Durchleben ihres Unglücks sie den letzten Rest ihrer noch verbliebenen Kraft kosten wird: I would not have complied if it had not been a luxury thus to feast upon my woes. I have justly calculated upon my remnant of strength. When I lay down the pen the taper of life will expire: my existence will terminate with my tale. (S. 221)

Ungezügelte Hingabe an die Emotionen ist somit der Grund für Claras oft irrationale Handlungsweise im Roman, steht in direktem Zusammenhang mit ihren enthusiastischen Neigungen und ist auch das Motiv, dem wir ihren Bericht überhaupt nur verdanken. Es bedarf eines Feuers, das ihr Haus zerstört, und eines Onkels, der sie in der Art eines deus ex machina nach Frankreich mitnimmt, um sie dem logischen Ende, auf das alle diese Indizien hindeuten, dem von ihr selbst herbeigesehnten Tod, wider Erwarten und mit einiger Gewaltsamkeit zu entreißen. Nun steht Browns Wieland ja deutlich erkennbar in der Tradition der Gothic novel. In einer Spielart dieser literarischen Form erhalten Ereignisse, die zunächst Werke übernatürlicher Mächte zu sein scheinen, im

40 41

42

S. 2 2 - 2 3 . Selbstmordabsichten außen Clara auf S. 9 7 - 9 8 und 1 9 3 - 1 9 4 . Ihr selber unverständlich, setzt sie sich tödlicher Gefahr aus auf S. 8 7 - 8 8 (vgl. ihren Kommentar dazu, S. 94) und S. 140 (vgl. S. 144). S. 180 und 184.

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nachhinein doch noch eine rationale Erklärung.43 So geschieht es in Wieland mit den Stimmen, die auf Carwins Bauchrednerei zurückgeführt werden, und so geschieht es auch mit den tödlichen Aufträgen, die sich als Produkte von Wielands fortschreitendem Wahnsinn entpuppen. Insofern wird also sowohl Wielands wie auch Claras Enthusiasmus am Schluß der Boden entzogen, da Claras "göttliche" Einflüsterungen allesamt von Carwin stammen und da Wielands Stimmen, soweit sie nicht aus derselben Quelle herrühren, Halluzinationen seines verwirrten Geistes sind. Weit davon entfernt jedoch, bloß in mechanischer Weise der Forderung nach einer natürlichen Aufklärung für alle rätselhaften Vorkommnisse Genüge zu tun, erfüllt diese Auflösung in Wieland auch eine bedeutsame thematische Funktion. Dadurch nämlich, daß am Ende eine rationale Erklärung der mysteriösen Geschehnisse möglich ist, erweisen sich Claras und Wielands enthusiastische Neigungen als eklatante Verstöße gegen das Diktat der Vernunft, von dem sich beide in ihrem Handeln hätten leiten lassen sollen.44 Der Appell an den eigenen Verstand hätte, wie Brown in seinem Brief an Bringhurst darlegt, Wieland auf jeden Fall von den widersinnigen und unmoralischen Morden abhalten und ihn wie auch Clara gegenüber den Offenbarungen der Stimmen stutzig machen müssen. Schon Whittier hatte in einer Besprechung des Romans den Zusammenhang zwischen Wielands Enthusiasmus und seiner Geringschätzung der Vernunft hervorgehoben: Once possessed by the falsity... that, after bestowing upon us reason for our guidance, [God] makes it of no avail by interposing contradictory revelations and arbitrary commands, - there is nothing to prevent one of a melancholic and excitable temperament from excesses so horrible as almost to justify the old belief in demoniac obsession. 45

Unter dem gleichen Tenor verbindet Clara in der Moral, die sie an den Schluß ihres Berichts stellt, die allerdings nur unvollkommen ausgebildete Nebenhandlung mit den Ereignissen um die Wielands:

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44

45

Donald A. Ringe, American Gothic: Imagination and Reason in Nineteenth-Century Fiction (Lexington, Kentucky, 1982), S. 21-27, 30-35, nennt die Radcliffe-Schule und deutsche Werke als die Hauptvorbilder, von denen Brown sich hat beeinflussen lassen. Darauf weist schon Harry R. Warfei, "Charles Brockden Brown's German Sources," MLQ, 1 (1940), 363-365, hin, wenn er die Ubersetzung von Cajetan Tschinks Geisterseher als mögliche Quelle für Wieland vorschlägt. Unabhängig von der Frage direkter Beeinflussung, die sich anhand der recht allgemeinen formalen Parallelen wohl nicht definitiv klären läßt, sind die thematischen Anklänge speziell zu dem ÜbersetzerVorwort, aus dem Warfei Passagen zitiert, von großem Interesse. "Fanaticism," The Works ofjokn Greenleaf Whittier (New York, 1894), VII, 392.

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it will not escape your notice, that the evils of which Carwin and Maxwell were the authors, owed their existence to the errors of the sufferers. All efforts would have been ineffectual to subvert the happiness or shorten the existence of the Stuarts, if their own frailty had not seconded these efforts. If the lady had crushed her disastrous passion in the bud, and driven the seducer from her presence, when the tendency of his artifices was seen; if Stuart had not admitted the spirit of absurd revenge, we should not have had to deplore this catastrophe. If Wieland had framed juster notions of moral duty, and of the divine attributes; or if I had been gifted with ordinary equanimity or foresight, the double-tongued deceiver would have been baffled and repelled. (S. 244)

Hier wie dort verhindern dominierende Leidenschaften - ob nun Liebe, Rache, Enthusiasmus oder bloß der Verlust der Besonnenheit in kritischen Situationen - vernunftorientiertes Handeln. Statt dessen überlassen sich alle, Wieland und Clara eingeschlossen, der Führung ihrer Emotionen und verschreiben sich damit aus Browns Sicht dem Prinzip der Irrationalität. Diese Irrationalität, die in Claras Denken und Handeln mehrfach während ihrer Erzählung besonders plastisch vor Augen tritt, kulminiert in den enthusiastischen Anschauungen der Geschwister; wer konsequent den Rat seines Verstandes nicht beachtet oder erst gar nicht einholt, muß zwangsläufig ein Opfer seiner unkontrollierten Fantasie und Augenblickseingebungen werden. Brown wählt also Enthusiasten zu Hauptfiguren seines Werkes, weil sie ihm von seiner deistischen und rationalistischen Warte aus den Inbegriff der Abkehr von der Vernunft verkörpern. Aus demselben Grund erscheint es nur logisch, daß beider Anschauungen am Ende nicht nur jeder rationalen Grundlage entbehren, sondern offensichtlich bei beiden, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, in einer vererbten Veranlagung zum NX ahnsinn, dem sinnfälligen Ausdruck für die Niederlage des Verstandes, wurzeln. Mit der Verknüpfung von Enthusiasmus und Wahnsinn konnte Brown im übrigen auf eine lange gewachsene Tradition zurückgreifen. Schon Robert Burton hatte in seiner Anatomy of Melancholy in dem Abschnitt über religiöse Melancholie die Enthusiasten als Menschen hingestellt, die offensichtlich den Verstand verloren haben, und Locke griff später Burtons Charakterisierung auf, indem er Anfälligkeit für den Enthusiasmus vor allem dort entdeckte, wo Frömmigkeit sich mit einem melancholischen Temperament paart.46 Dementsprechend konstatiert Addison: "Enthusiasm has something in it of Madness." 47 Benjamin Rush, ein Arzt, der mit Browns Freund Elihu Hubbard Smith und Burton, Anatomy of Melancholy, III, 312-313, 344-345, 371; Locke, Essay Concerning Human Understanding, S. 699. 4" The Spectator, ed. Donald F. Bond, S. 289. 46

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von daher vermutlich auch mit Brown persönlich bekannt war, veröffentlichte 1812 in Philadelphia eine Abhandlung mit dem Titel Medical Inquiries and Observations, upon the Diseases of the Mind, in der eine spezielle Form geistiger Verwirrung mit Vorliebe religiösen Enthusiasten zugeschrieben wird. Sie .äußert sich seinen Beobachtungen zufolge namentlich in den folgenden Phänomenen: 1. In a belief that they are the peculiar favorites of heaven, and exclusively possessed of just opinions of the divine will, as revealed in the Scriptures. 2. That they see and converse with angels, and the departed spirits of their relations and friends. 3. That they are favored with visions, and the revelation of future events. And, 4. That they are exalted into beings of the highest order. 48

Alle hier genannten Punkte lassen sich leicht auf ein oder mehrere Mitglieder der Wieland-Familie anwenden. Wahnsinn und Enthusiasmus gehen bei Brown also eine unauflösliche Verbindung ein. Sie ergänzen sich nicht nur als natürlicher und quasi übernatürlicher Aspekt desselben Phänomens, sondern bedingen sich gegenseitig, indem der Wahnsinn die Ursache für den Enthusiasmus ist oder, bei umgekehrter Betrachtungsweise, enthusiastische, d. h. irrationale Anschauungen in letzter Konsequenz in den Wahnsinn münden. Den Ansatz zu diesem Wahnsinn und die Basis für den sich entwikkelnden Enthusiasmus bildet stets eine melancholische Grundstimmung. Sie kennzeichnet zeitlebens den älteren Wieland und verdichtet sich noch in den Tagen unmittelbar vor seinem Tode. 49 Daß sein Sohn dieses düstere Naturell von ihm geerbt hat, wird ausdrücklich betont; 50 vor allem beschäftigen Theodore wie seinen Vater über die Maßen Gedanken, die sich auf den Tod und das Jenseits richten: The future, either as anterior, or subsequent to death, was a scene that required some preparation and provision to be made for it. These positions we could not deny, but what distinguished him was a propensity to ruminate on these truths. The images that visited us were blithsome and gay, but those with which he was most familiar were of an opposite h u e . . . . The principal effect of this temper was visible in his features and tones. These, in general, bespoke a sort of thrilling melancholy. I scarcely ever knew him to laugh. (S. 22-23)

48

49 50

Zitiert in Arthur Kimball, Rational Fictions: A Study of Charles Brockden Brown (McMinnville, Oregon, 1968), S. 61-62. Wie Kimball zieht auch James E. Mulqueen das Werk von Rush als Hintergrund für Browns Darstellung des Wahnsinns heran: "The Plea for a Deistic Education in Charles Brockden Brown's Wieland " Ball State University Forum, 10, No. 2 (1969) 70-77. Wieland, S. 7 und 14. S. 23.

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Zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Erzählung fühlt sich Clara zwar noch unberührt von ähnlichen depressiven Momenten, doch kaum erscheint Carwin auf der Bildfläche, versinkt auch sie in unerklärliche Düsterkeit: Ohne ersichtlichen Grund muß sie an die Unbeständigkeit des Lebens und die Unentrinnbarkeit des Todes denken. Als später Pleyel eine Verabredung nicht einhält, spiegelt ihre Fantasie ihr, gefärbt von ihrer melancholischen Stimmung, augenblicklich Bilder seines gewaltsamen Todes vor. 51 Clara selber bleibt dieser plötzliche Wandel ihres Wesens nicht verborgen: From the death of my parents, till the commencement of this year, my life had been serene and blissful, beyond the ordinary portion of humanity; but, now, my bosom was corroded by anxiety. I was visited by dread of unknown dangers, and the future was a scene over which clouds rolled, and thunders muttered. I compared the cause with the effect, and they seemed disproportioned to each other. All unaware, and in a manner which I had no power to explain, I was pushed from my immoveable and lofty station, and cast upon a sea of troubles. (S. 69)

Die nachfolgenden Ereignisse tragen sicher dazu bei, ihren Hang zur Melancholie zu verstärken, doch trifft sie den eigentlichen Kern des Problems, wenn sie rückblickend sowohl ihre depressive Grundstimmung als auch die Niederschrift ihres Berichts, bei der sie all die schrecklichen Ereignisse noch ein zweites Mal durchlebt, auf einen abnormen Gemütszustand zurückführt: By a perverse constitution of mind, he was considered as my greatest enemy who sought to withdraw me from a scene which supplied eternal food to my melancholy, and kept my despair from languishing. (S. 235)

Offensichtlich machen sich in Claras Depressionen Anzeichen desselben Wahnsinns bemerkbar, der ihren Bruder völlig gefangen hält. Nicht umsonst nötigt ihr irrationales Verhalten vor der verschlossenen Kammertür, hinter der sie einen unbarmherzigen Mörder vermuten muß, ihr die bittere Selbsterkenntnis ab: "Surely I was utterly bereft of understanding" (S. 88). Erst recht fürchtet sie um ihren Verstand, als sie erfährt, daß die Stimmen, die ihren Bruder zum Mörder werden ließen, in Wirklichkeit die Einbildungen eines Wahnsinnigen waren. Denn wenn Wieland seine Veranlagung nicht meistern konnte, warum sollte sie sich in einer glücklicheren Lage befinden?

51

S. 54-55, 101.

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. . . had I not equal reason to tremble? What was my security against influences equally terrific and equally irresistable? . . . Was I not likewise transformed from rational and human into a creature of nameless and fearful attributes? Was I not transported to the brink of the same abyss? Ere a new day should come, my hands might be embrued in blood, and my remaining life be consigned to a dungeon and chains. (S. 179-180)

Wie Wielands Wahnsinn sich in bestialischen Morden und einem irrationalen Enthusiasmus äußerte, kurz in der Negierung all dessen, was einen vernünftigen und moralisch verantwortungsvollen Menschen ausmacht, so verspürt Clara in ihren eigenen enthusiastischen Neigungen und ihrem Hang zur Irrationalität die Gefahr einer ähnlichen Pervertierung. Diese Drohung, die schon des längeren unausgesprochen über ihr schwebt und die für Wieland mittlerweile bittere Wirklichkeit geworden ist, ist auch die Ursache dafür, daß Claras Weltsicht sich im Laufe des Romans einschneidend verändert. Wieland ist nicht der einzige, der einen tragischen Wandel vollzieht. Wie das letzte Zitat verdeutlicht, besteht die Gefahr eines entsprechenden Wandels für Clara im gleichen Maße, und die Handlung zeigt, daß Claras Ängste keineswegs grundlos sind. Beim alten Wieland wird ein ähnlicher Prozeß zumindest kurz angedeutet, und selbst der Rationalist Pleyel läßt sich von der allgemeinen Verwirrung so weit anstecken, daß er Clara, die er doch für ein Muster an Tugend hielt, aufgrund verschiedener Trugschlüsse einer entehrenden Liaison mit Carwin bezichtigt. Das anfängliche Bild des Friedens in nahezu paradiesischer Abgeschiedenheit und des unbekümmerten Glücks unter gleichgesinnten Seelen hat sich in sein genaues Gegenteil verkehrt; Ungewißheit, Leid und ein nicht näher zu bestimmendes Gefühl der Bedrohung beherrschen stattdessen die Szene. "Something whispered that the happiness we at present enjoyed was set on mutable foundations. Death must happen to all" (S. 54-55); "How had my ancient security vanished! That dwelling, which had hitherto been an inviolate asylum, was now beset with danger to my life" (S. 60); "The temple was the principal scene of our social enjoyments; yet the felicity that we tasted when assembled in this asylum, was but the gleam of a former sun-shine" (S. 76) - dies sind einige der Kommentare, die schon recht früh im Roman die künftige Entwicklung vorzeichnen. Zwar wird das Unheil, soweit es die Wieland-Familie selber betrifft, später in der Erbanlage zum Wahnsinn lokalisiert und durch diese wissenschaftliche Erklärung scheinbar seiner weiterreichenden, um nicht zu sagen: metaphysischen, Konnotationen beraubt. Doch da außer den Wielands auch Carwin - ob nun absichtlich oder mehr ungewollt, spielt dabei keine Rolle - und sogar Pleyel zusätzliches Unglück heraufbeschwören,

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wäre es verfehlt, die Katastrophe durch den Verweis auf den vererbten Wahnsinn in ihrer allgemeinen Aussage zu schmälern.52 Vielmehr kann man in der Veranlagung zum Wahnsinn, die in der Wieland-Familie immer wieder ausbricht, einen symbolischen Ausdruck für die generelle Neigung des Menschen zur Irrationalität, zu unvernünftigem und letztendlich daher auch unmoralischem Handeln sehen, das sich ohne eine solche Veranlagung, aber deswegen nicht minder deutlich in Carwins Intrigen und in der unbeabsichtigten Verleumdung Claras durch Pleyel manifestiert.53 Diese ernüchternde Einsicht in die Schattenseite des Menschen, die sich, wie der Wahnsinn in der Wieland-Familie, als Teil der menschlichen Natur ständig weiter fortpflanzt, ist als notwendige Ergänzung dem Deisten Brown und Advokaten einer auf der Vernunft basierenden Moral an die Seite zu stellen.54 Zwar ist die Vernunft für ihn in allen moralischen und religiösen Fragen die höchste Instanz, doch teilt Brown deswegen nicht den Zukunftsoptimismus und Glauben an menschliche Vervollkommnung, den manche Zeitgenossen aus dieser Anschauung ableiteten. Brown erkennt zu gut, daß die menschliche Natur immer wieder vom idealen Pfad der Vernunft abweicht; seine Verwurzelung im Gedankengut der Aufklärung versperrt ihm nicht den Blick auf die Realität. Deswegen ist es auch nur bedingt richtig, in Wielandeine Kritik von typischen Anschauungen der Aufklärung zu sehen.55 Die Gültigkeit von Sinneswahrnehmungen nach der Lockeschen Epistemologie wird auch durch Carwins Bauch52

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So urteilt allerdings William Hedges, "Charles Brockden Brown and the Culture of Contradictions," EAL, 9 (1974/5), 120, über Wielands enthusiastischen Wahnsinn: "the possibility of any social significance to his mania is abruptly canceled by the verdict that it is inherited." Daß Pleyels Fehlinterpretation des von Carwin fingierten Gesprächs in erster Linie seiner geweckten Eifersucht zuzuschreiben ist und somit das Thema der Irrationalität unterstreicht, geht sowohl aus Claras (S. 105-106, 117) als auch aus Carwins Bemerkungen (S. 211) hervor. Die Schlechtigkeit der menschlichen Natur arbeiten als Thema Larzer Ziff, "A Reading of Wieland," 53-54, und Marisa Bulgheroni, La tentazione della chimera: Charles Brockden Brown e le origini del romanzo americano (Rom, 1965), S. 150-168, heraus. Allgemeiner in der Gothic novel versucht den "kalvinistischen" Aspekt Joel Porte nachzuweisen in "In the Hands of an Angry God: Religious Terror in Gothic Fiction," The Gothic Imagination: Essays in Dark Romanticism, ed. G. R. Thompson (Pullman, Wash., 1974), S. 42-64 (zu 'Wieland-. S. 58-60). Interessanterweise bemerkt Perry Miller, "The Insecurity of Nature," Nature's Nation, S. 127-128, gerade um die Jahrhundertwende auch in liberalen theologischen Kreisen ein wieder anwachsendes Bewußtsein für menschliche Schlechtigkeit. Das tun Donald A. Ringe, Charles Brockden Brown (New York, 1966), S. 25-48, und Arthur Kimball, Rational Fictions, S. 49-79. Besonders Kimball betont gleichzeitig aber sehr gut das Thema der Irrationalität.

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rednertum nicht bestritten; ungültig sind einzig die Schlußfolgerungen, die die Figuren aus ihren Wahrnehmungen ziehen, da sie die Umstände nicht richtig überblicken. Ebenso stellt der vererbte Wahnsinn in der Wieland-Familie nicht etwa die Frage danach, was passiert, wenn ein verwirrtes Hirn reale nicht mehr von eingebildeten Sinneswahrnehmungen unterscheiden kann. Daß Wieland zum Gebrauch seines Verstandes durchaus imstande ist, zeigen gelegentliche Hinweise auf seine intellektuellen Fähigkeiten, und daß umgekehrt auch ein scharfer Denker wie Pleyel sich in fatale Sackgassen verrennen kann, beweist die Anfälligkeit jedes Menschen für unsolide Schlußfolgerungen, die mehr aus der Gewalt der Emotionen als aus der Befragung der Vernunft geboren sind. Die Autorität der Vernunft bleibt in Wieland also unangetastet; Kritik richtet sich nur dagegen, daß die Vernunft von allen Menschen zu wenig beachtet wird, und wohl auch gegen die optimistische Annahme, die Herrschaft der Vernunft werde die irrationalen Triebe im Menschen ein für allemal ersticken. Diese Hoffnung macht sich Brown nicht zueigen, wie das Schicksal aller Hauptfiguren in Wieland zeigt; vielmehr ist als Widerpart des Verstandes immer auch mit der Macht des Irrationalen zu rechnen. Diese Irrationalität, die in jedem Menschen vorhanden ist und die es einzudämmen gilt, repräsentieren in Wieland vor allem zwei untrennbar aneinander gekoppelte Symbole: der Wahnsinn und der Enthusiasmus. Hawthornes "The Gentie Boy" und "The Shaker Bridal" So wie Brown den Enthusiasten als willkommenes Symbol benutzt, um anhand eines extremen Beispiels die Gefahren irrationalen Verhaltens aufzuzeigen, mit denen in der einen oder anderen Form jeder Mensch konfrontiert wird, bedient sich auch Hawthorne dieser Figur, um mit ihrer Hilfe exemplarisch ein allgemeines Anliegen vorzutragen, das ihn seine gesamte literarische Karriere hindurch immer wieder beschäftigt hat. Ebenso wie Brown greift er dabei auf den natürlichen religiösen Hintergrund zurück, in dem der Enthusiast seinem Ursprung nach beheimatet ist, macht ihn dann jedoch zu einem Repräsentanten für generelle Möglichkeiten menschlichen Handelns, die nicht mehr allein auf den religiösen Bereich beschränkt sind. In der Geschichte "The Gentie Boy" geben die Quäkerverfolgungen im Neuengland des 17. Jahrhunderts die historische Folie ab, vor der sich die Darstellung des Enthusiasten entwickelt. Zu diesem Zweck ist der einleitende Abschnitt der Geschichte ganz darauf angelegt, die Quäker als eine religiöse Gemeinschaft mit starken enthusiastischen Tendenzen zu charakterisieren, so

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wie es dem traditionellen Bild des Quäkertums in puritanischer Sicht entsprach: "In the course of the year 1656, several of the people called Quakers, led, as they professed, by the inward movement of the spirit, made their appearance in New England." 56 Resultierend aus der Berufung auf direkte göttliche Mitteilungen, die ihnen den Titel "wandering enthusiasts" (IX, 68) einträgt, zeichnen sich die Anhänger der Sekte durch Subjektivismus und Unbeirrbarkeit in ihren Überzeugungen aus, Züge, die schon immer das Bild des Enthusiasten mitbestimmt hatten: The command of the spirit, inaudible except to the soul, and not to be controverted on grounds of human wisdom, was made a plea for most indecorous exhibitions, which, abstractedly considered, well deserved the moderate chastisement of the rod. (IX, 69)

Auch Verweise auf die starke emotionale Uberfrachtung solcher Religionsausübung fehlen nicht, wenn etwa ihr Enthusiasmus negativ von rationalen religiösen Anschauungen abgegrenzt und in seinen Exzessen nah an den Wahnsinn herangerückt wird. 57 Vor allem aber wird in den einleitenden Paragraphen mehrfach das geradezu masochistische Verlangen der frühen Quäker nach Verfolgung hervorgehoben, die Lust, für den eigenen Glauben zu leiden und, wenn möglich, die Geringschätzung alles Körperlichen und Weltlichen durch die Erlangung der Märtyrerkrone zu bekunden: 58 The fines, imprisonments, and stripes, liberally distributed by our pious forefathers; the popular antipathy, so strong that it endured nearly a hundred years after actual persecution had ceased, were attractions as powerful for the Quakers, as peace, honor, and reward, would have been for the worldly-minded. Every European vessel brought new cargoes of the sect, eager to testify against the oppression which they hoped to share. (IX, 68-69)

Mit Hilfe dieser knappen Andeutungen gelingt es Hawthorne, auf engem Raum beim Leser das vertraute Bild des Enthusiasten mit einigen seiner Hauptmerkmale hervorzurufen, wie es aus den theologischen Debatten früherer Jahrhunderte zur Genüge bekannt und von daher Teil der amerikanischen Geistesgeschichte geworden war. In der eigentlichen Geschichte konkretisieren sich die Züge, die Hawthorne hier einleitend als generelle Charakteristika der frühen

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Nathaniel Hawthorne, Twice-Told Tales, ed. William Charvat, Roy Harvey Pearce, Claude M. Simpson et al., Centenary Edition of the Works of Nathaniel Hawthorne (Columbus, Ohio, 1974), IX, 68. - Alle Werke Hawthornes werden im folgenden unter Angabe von Band und Seite nach der Centenary Edition zitiert. IX, 69. Vgl. Seymour L. Gross, "Hawthorne's Revision of 'The Gentle Boy'," AL, 26 (1954/5), 197.

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Quäker voranstellt, in Catharine, der Mutter des "gentle boy". 5 9 Wie eine Prophetin, die zu Umkehr und Buße mahnt, in schlichtes Sacktuch gekleidet und mit Asche demonstrativ auf ihrem Haupt, tritt sie eines Tages unter die versammelte puritanische Gemeinde. 6 0 Einer inneren Stimme gehorchend, ist sie in den Ort zurückgekehrt, wo ihr Mann seinen Glauben mit dem Leben bezahlte, und ebenso in göttlichem Auftrag nimmt sie sich das Recht heraus, als Laienprediger ihre religiösen Erfahrungen und ihre Deutung der Schrift neben die vorangegangene Predigt des Gemeindegeistlichen zu stellen. Ihre Rede beginnt sie als typische Enthusiastin erst, als sie sich von göttlichem Geist durchdrungen fühlt, denn nicht sie selber ist es, die hier spricht, sondern eine göttliche Stimme verschafft sich durch ihren Mund Gehör: "the voice hath had its utterance" (IX, 83), begründet sie am Schluß ihren Auftritt. Für den neutralen Beobachter allerdings klingt aus ihren Ausführungen trotz aller erstaunlichen Beredsamkeit nicht so sehr die Stimme göttlicher Inspiration als vielmehr die typischen Kennzeichen eines vom Enthusiasmus verwirrten Hirns, hitzige Emotionen und ungezügelte Einbildungskraft: Her discourse gave evidence of an imagination hopelessly entangled with her reason; it was a vague and incomprehensible rhapsody . . . She was naturally a woman of mighty passions, and hatred and revenge now wrapped themselves in the garb of piety. (IX, 81)

So wird deutlich, daß die Quäkerfrau, ungeachtet ihres offenkundigen religiösen Eifers, von allzu menschlichen Regungen wie Haß und Rachedurst nicht frei ist. Was sie für göttliche Eingebungen hält, entspringt oft ihrer eigenen überspannten Psyche, ob sie nun persönliche Leidenschaften mit göttlichem Antrieb verwechselt oder Vorspiegelungen der eigenen Fantasie als gottgesandte Visionen betrachtet. 61 Diese Feststellung entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da sich doch ihr ganzes Bestreben darauf konzentriert, alles rein Menschliche zu überwinden

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In die Tradition der Anne Hutchinson wird Catharine von Michael J. Colacurcio gestellt in "Footsteps of Anne Hutchinson: The Context of The Scarlet Letter," ELH, 39 (1972), 472-474. IX, 81. Zur Bewandtnis von Catharines Aussehen vgl. Nuttall, Holy Spirit, S. 26: "the early Quakers' practice of going through the streets 'as a sign' naked or in sackcloth, with face blacked, or with ashes or a pan full of fire and brimstone on their heads, is itself convincing evidence of the seriousness with which they read the Old Testament prophets. It was this seriousness, making them regard prophetic behaviour as a model for their own, which also made them so insistent that the same Spirit which was in the prophets, and in the writers of Scripture, was in themselves. This was their fundamental conviction." IX, 82 und 83-84.

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und in der ausschließlichen Hinwendung auf das Jenseits zu sublimieren. Ihre Verachtung irdischer Existenz spricht aus der Gelassenheit, mit der sie die Gefährdung ihres eigenen Lebens in Kauf nimmt und für ihren Sohn eine Erziehung in derselben Gesinnung fordert. 62 Nach dem Tode Ilbrahims verstärkt sich diese von Anfang an vorhandene Haltung zu einem regelrechten Märtyrerkomplex: Catharine's fanaticism had become wilder by the sundering of all human ties; and wherever a scourge was lifted, there was she to receive the blow; and whenever a dungeon was unbarred, thither she came, to cast herself upon the floor. (IX, 104)

Weniger dramatisch und demonstrativ, aber ebenso spürbar wirkt sich solche Diesseitsverachtung auch im Leben des Tobias Pearson aus, jenes Puritaners, der den verlassenen Ubrahim in sein Haus aufnimmt und später, abgestoßen von den Anfeindungen seiner Nachbarn, zum Quäkertum übertritt. Die unchristlichen Vorurteile seiner Umgebung liefern allerdings nur den äußeren Anlaß für seine Konversion; in Wirklichkeit bestand eine ihm selber unbewußte geistige Nähe zu den Anschauungen der Quäker schon seit geraumer Zeit. Das geht besonders aus seiner Darstellung hervor, wie er dazu kam, sich des Quäkerjungen anzunehmen: "his heart had prompted him, like the speaking of an inward voice, to take the little outcast home, and be kind unto him" (IX, 75). Mit dem Bekenntnis zum Quäkerglauben geht jedoch auch eine ungesunde Vernachlässigung aller weltlichen Interessen einher, so daß sein ganzer Hausstand bald von Armut gezeichnet ist, das Ergebnis eigener Fehler ebenso wie der Bigotterie der umwohnenden Puritaner: for the exaction of repeated fines, and his own neglect of temporal affairs, had greatly impoverished the owner. . . . his mind had dwelt too long among visionary thoughts, and his body had been worn by imprisonment and stripes. ( I X , 95)

Bevor Hawthorne die Geschichte für die Veröffentlichung in den TwiceTold Tales überarbeitete, trat Tobias' Angleichung an den Enthusiasmus der Quäker sogar noch deutlicher hervor. In der Version, die 1832 in der Zeitschrift The Token erschien, wurden nämlich sowohl seine Gefühlsbetontheit im Gegensatz zur Ausgeglichenheit seiner Frau - "her reason was as clear as her heart was tender" - als auch vor allem seine einseitige Fixierung auf die himmlische Sphäre zum Nachteil seiner weltlichen Verpflichtungen ausführlicher beschrieben. So heißt es in einer Passage, die in der Fassung der Twice-Told Tales nicht mehr enthalten ist:

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I X , 86. Vgl. die ausgesprochene Todessehnsucht des alten Mannes: I X , 100.

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At length, when the change in his belief was fully accomplished, the contest grew very terrible between the love of the world, in its thousand shapes, and the power which moved him to sacrifice all for the one pure faith; to quote his own words, subsequently uttered at a meeting of Friends, it was as if "Earth and Hell had garrisoned the fortress of his miserable soul, and Heaven came battering against it to storm the walls."63

Wie bei Tobias letztendlich der Himmel in diesem Kampf den Sieg davonträgt mit all den nachteiligen Folgen für die irdische Existenz seiner Familie, die sich aus dieser Einseitigkeit ergeben, so dominiert auch bei Catharine die Ausrichtung auf das zukünftige Leben in unzulässiger Weise über die Sorge um die Gegenwart. Dies ist der entscheidende Punkt, auf den Hawthornes gesamte Darstellung des Enthusiasten hinzielt. Fanatismus und Selbstentsagung des Enthusiasten, die sich in "heiligem" Eifer und bereitwilligem Opfergeist für eine Sache äußern, versagen kläglich, wenn sie sich am Mitmenschen, in Catharines Fall am eigenen Kind, bewähren sollen. Die Verachtung alles Irdischen und der menschlichen Natur, die die Quäker in Hawthornes Geschichte allesamt mit dem Martyrium liebäugeln läßt, drückt sich am krassesten im Abbruch der zwischenmenschlichen Bindungen aus, dessen sie sich dabei schuldig machen. 64 Der alte Quäker, der sich an Ilbrahims Todestag zufällig im Haus der Pearsons aufhält, versucht dem mit Gott hadernden Tobias Mut einzuflößen für den erneuten Schicksalsschlag, indem er ihm erzählt, daß er selber einmal das Sterbebett seiner Tochter verließ, um auf göttliches Geheiß in die Welt hinauszuziehen. Unbedingtes Gottvertrauen ließ ihn damals die menschliche Grausamkeit seines Handelns vergessen.65 Die Parallele zu Catharines Verhalten ihrem Kind gegenüber liegt auf der Hand. Auch sie empfängt eine vermeintlich göttliche Offenbarung, die ihr aufträgt, alle natürliche Zuneigung auf dem Altar ihrer religiösen Leidenschaft zu opfern: "The voice speaketh within me and saith, 'Leave thy child, Catharine, for his place is here, and go hence, for I have other work for thee. Break the bonds of natural affection, martyr thy love, and know that in all these things eternal wisdom hath its ends."' (IX, 87)

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Zitiert in Gross, "Revision of 'The Gentle Boy'," 207,206. Gross legt in seinem Artikel dar, wie die nachträglichen Änderungen dazu dienen, die Balance zwischen den Verfehlungen von Puritanern und Quäkern zu gewährleisten. Dieses typische Hawthorne-Thema sprechen auch G. Harrison Orians, "The Sources and Themes of Hawthorne's 'The Gentle Boy'," NEQ, 14 (1941), 675-676, und Gross, "Revision of 'The Gentle Boy'," 204, an. Vgl. ähnlich Terence Martin, Nathaniel Hawthorne (New York, 1965), S. 71-72. IX, 98-99.

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Widerstrebend, aber überzeugt von der Richtigkeit ihrer Handlungsweise, übergibt die leibliche Mutter ihr Kind den puritanischen Pflegeeltern. Ihre irdische Pilgerreise ist auf ein himmlisches Ziel fixiert, und das Kind wäre ihr auf diesem Weg nur eine Last oder gar eine gefährliche Ablenkung von ihrer eigentlichen Bestimmung. 66 Daher opfert sie es der Erreichung ihres vermeintlichen himmlischen Ziels und macht sich so mitschuldig an seinem Tod. Ilbrahim stirbt am Ende nicht nur, weil er den seelischen Schock, in der Liebe zu seinem puritanischen Altersgefährten enttäuscht worden zu sein, nicht verwinden kann, sondern auch, weil er zeitlebens die behütende Wärme seiner leiblichen Mutter entbehren mußte, ein Verlust, den ihm auch die wohlmeinende Fürsorge seiner Pflegemutter nicht ganz ersetzen kann. Catharine spürt selber diesen entscheidenden Mangel an menschlicher Wärme, wenn sie ihrem Sohn beim Wiedersehen in der Kirche gesteht: "My heart was withered; yea, dead with thee and with thy father" (IX, 84). Sie hat alle ihre Emotionen auf ihren enthusiastischen Eifer verschwendet, so daß für echtes zwischenmenschliches Gefühl kein Platz mehr bleibt. Als sie später an die Tür der Pearsons klopft, erscheint sie den Öffnenden bezeichnenderweise wie die Verkörperung winterlicher Eiseskälte und Verlassenheit: they had barely time to discern a figure, so white from head to foot with the drifted snow that it seemed like Winter's self, come in human shape to seek refuge from its own desolation. (IX, 100)67

Die Beziehungen zu anderen Personen in Hawthornes Werk, denen es an der nötigen Herzenswärme und damit an echter Menschlichkeit fehlt, sind zahlreich, ob man nun an Ethan Brand denkt, dessen Herz zu Stein wird, an den "Man of Adamant", bei dem sich ebenfalls der Abbruch aller menschlichen Beziehungen mit religiösem Fanatismus paart, oder an Roger Chillingworth, dessen Name bereits auf sein gefühlloses Spiel mit den Empfindungen seiner Mitmenschen hindeutet. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie um anderer, vermeintlich wichtigerer Interessen willen die in Hawthornes Augen vornehmste Aufgabe vernachlässigen, die einem Menschen im Leben gestellt wird: die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen aus einem Geist echten Mitge-

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So formuliert es zumindest der alte Quäker: IX, 101. Neal Frank Doubleday, Hawthome's Early Tales, a Critical Study (Durham, N. C., 1972), S. 167, weist darauf hin, daß Hawthorne den historischen Zeitpunkt des königlichen Dekrets, das die Quäkerverfolgungen beendet, vom September 1661 in den Winter verlegt. Man geht sicher nicht fehl in der Vermutung, daß er das tat, um Catharines symbolträchtigen Auftritt in Sturm und Schnee zu ermöglichen.

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fühls und herzlicher Brüderlichkeit. Von diesem Weg ist Catharine in eklatanter Weise abgewichen und hat so nicht nur menschliche Verpflichtungen, sondern in ihrem Kind auch gottgesandte Aufgaben vernachlässigt: "his mother [wandered] on a mistaken errand, neglectful of the holiest trust which can be committed to a woman" (IX, 95). In dieser Hinsicht kontrastiert sie aufs schärfste mit Dorothy Pearson, Ilbrahims Pflegemutter, die in ihrer von tiefer Menschlichkeit geprägten Frömmigkeit weiß, daß man den Anforderungen eines zukünftigen Lebens nur nachkommen kann, indem man die Verantwortung des Diesseits gewissenhaft und aus dem Geist christlicher Brüderlichkeit erfüllt: Her very aspect proved that she was blameless, so far as mortal could be so, in respect to God and man; while the enthusiast, in her robe of sackcloth and girdle of knotted cord, had as evidently violated the duties of the present life and the future, by fixing her attention wholly on the latter. The two females, as they held each a hand of Ilbrahim, formed a practical allegory; it was rational piety and unbridled fanaticism, contending for the empire of a young heart. (IX, 85)

Durch die Vernachlässigung des Diesseits wird der Enthusiast trotz all seines religiösen Eifers letztlich auch den Ansprüchen des Jenseits nicht gerecht. Beredter Ausdruck hierfür ist der Tod Ilbrahims, der gleichermaßen auf die Grausamkeit der Puritaner wie auf die mangelnde Zuwendung seiner fanatischen Mutter zurückzuführen ist. Als Kind von Quäkern, deren ganze Leidenschaft dem Jenseits gilt und die das irdische Leben geringschätzen, hat er von ihnen das emotional reagierende Wesen und die Unfähigkeit, sich in der Welt zurechtzufinden, geerbt.68 Zwar verkörpert er das geistige Prinzip, das auch dem enthusiastischen Streben als positiver Antrieb zugrundeliegt, doch bringt ihn gerade das in unversöhnlichen Gegensatz zu der unreinen Welt, die ihn umgibt: He was a sweet infant of the skies, that had strayed away from his home, and all the inhabitants of this miserable world closed up their impure hearts against him, drew back their earth-soiled garments from his touch, and said, 'We are holier than thou.' (IX, 79)

Wie der Schmetterling des "Artist of the Beautiful" 69 ist auch Ilbrahim aufgrund seiner himmlischen Natur in der irdischen Umgebung dem Tode geweiht, eine Tatsache, die gleich zu Anfang der Geschichte

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Vgl. IX, 77 für das Überwiegen des Gefühls über den Verstand und IX, 88-89 für seine emotionale Sensibilität und Lebensuntüchtigkeit. Die Parallele zu der späteren Geschichte drängt sich auf, wenn man den Satz liest: "Dorothy's acuteness taught her that severity would crush the spirit of the child, and she nurtured him with the gentle care of one who handles a butterfly" (IX, 89).

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unzweifelhaft darin zum Ausdruck kommt, daß der Junge, unter dem Galgen am Grabe seines Vaters sitzend, dreimal in ähnlichen Formulierungen wiederholt: "my home ist here" (IX, 72). Bei aller Unschuld, die ihn auszeichnet, und allem Leid, das ihm von einer ungerechten Welt widerfährt, ist er in vielerlei Hinsicht doch das typische Kind enthusiastischer Eltern: Er muß sterben, weil sein reines Wesen zu gut ist für diese Welt, aber auch, weil, wie in Catharines Enthusiasmus, die ausschließliche Hinrichtung auf die himmlische Sphäre notwendigerweise die Negierung irdischen Lebens und menschlicher Existenz beinhaltet. Ein kurzer Blick auf "The Shaker Bridal" mag Hawthornes Darstellung des Enthusiasten als eines Fanatikers, der der Welt den Rücken kehrt und sich durch die Mißachtung der Bande des Herzens außerhalb der menschlichen Gemeinschaft stellt, noch zusätzlich unterstreichen. Obwohl die Geschichte erst 1838 in der Zeitschrift The Token veröffentlicht wurde, ist sie doch sehr wahrscheinlich zusammen mit Hawthornes anderer Shaker-Geschichte, "The Canterbury Pilgrims", bald nach seinem Besuch einer Shaker-Siedlung im Jahre 1831, mithin auch in recht enger zeidicher Nachbarschaft zu "The Gentie Boy" entstanden.70 Wieder benutzt Hawthorne eine Sekte, die im allgemeinen Verständnis als enthusiastisch eingestuft wurde, um daran repräsentativ die Gefahren von Weltverachtung und der Verkümmerung zwischenmenschlicher Beziehungen zu illustrieren. Der sterbende Vorsteher der Siedlung hat einige befreundete Kollegen um sich versammelt, um gemeinsam mit ihnen seine Nachfolger, das Paar Adam und Martha, zu bestimmen: "Read their faces, I pray you, and say whether the inward movement of the spirit hath guided my choice aright" (IX, 420). Neben dem Glauben an direkte Offenbarungen wird einleitend auch sofort die Jenseitsorientierung der Shaker angesprochen, wenn es über den Tanz, der ihrer Sekte den Namen gab, heißt: "every step of [it] is believed to alienate the enthusiast from earth, and bear him onward to heavenly purity and bliss" (IX, 419). Wesentlicher Bestandteil dieser Weltverachtung ist die Abtötung jeder Form von natürlicher Zuneigung, um so menschliche Schwächen zu überwinden und ganz frei zu werden für die himmlische Liebe. Bei den anwesenden Shaker-Ältesten äußert sich das Zerreißen selbst der engsten menschlichen Bande übereinstimmend im 70

Die frühe Datierung der Geschichte ist unumstritten. Seymour L. Gross, "Hawthorne and the Shakers," AL, 29 (1957/8), 457-463, unterstützt die Annahme zusätzlich, indem er glaubhaft machen kann, daß die Lektüre von Thomas Browns Buch An Account of the People Called Shakers, das Hawthorne sich am 27. August 1831 aus dem Salem Athenaeum auslieh, seine Darstellung der Shaker entscheidend gefärbt hat.

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Verhältnis zu ihrer Familie, ob sie nun kein persönliches und herzliches Wort mehr mit Frau und Kindern wechseln oder sie unbarmherzig einem ungewissen Schicksal in der Welt überlassen oder aufgrund mangelnder Herzenswärme erst gar nicht imstande sind, irgendwelche tieferen Bindungen einzugehen.71 Welch unnatürliche Formen die Ausrottung jeglichen menschlichen Gefühls annehmen kann, verdeutlicht besonders ein Gerücht von offensichtlicher allegorischer Bedeutung, das sich um den sterbenden Vater Ephraim rankt: Tradition whispered, at the firesides of the village, that Mother Ann had been compelled to sear his heart of flesh with a red-hot iron, before it could be purified from earthly passions. (IX, 424)

Wie schon viele andere vor ihm ist auch Adam der Shaker-Gemeinde beigetreten, weil er sich hier Zuflucht vor dem Elend der Welt verspricht. Für die abgeschiedene Sicherheit der Shaker-Kolonie opfert er bereitwillig die lebenslange Zuneigung, die Martha ihm durch alle Wechselfälle des Lebens bis zu diesem Augenblick bewahrt hat. Zwar hält die Isolation der religiösen Gemeinschaft einen Frieden bereit, den die Welt draußen vor den Toren mit all den typischen Unwägbarkeiten irdischer Existenz nicht bieten kann, doch da dieser Frieden mit dem Verzicht auf jedes menschliche Gefühl erkauft wird, entpuppt er sich bei näherer Betrachtung als die Ruhe des Grabes: 72 "I came hither as a man might come to a tomb, willing to lie down in its gloom and coldness, for the sake of its peace and quiet. There was but one earthly affection in my breast, and it had grown calmer since my youth; so that I was satisfied to bring Martha to be my sister, in our new abode. We are brother and sister; nor would I have it otherwise." (IX, 423)

Leidtragende von Adams Lebensverneinung ist Martha, die Adam aus Liebe selbst noch in die Shaker-Siedlung gefolgt ist. Die unmenschliche Gefühlskälte in der Gemeinschaft hat ihrem Herzen jedoch alle Lebenskraft entzogen und sie noch zu Lebzeiten in eine totenähnliche Erscheinung verwandelt.73 Das Entsagungsgelöbnis, das ihr nun abverlangt wird, versetzt ihr den Todesstoß. Durch Adams Zurückweisung aller zwischenmenschlichen Gefühle fehlt ihrem Herzen die Wärme, die es zum Leben braucht:

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IX, 424; ähnlich: IX, 420-421. Dieser Kontrast von Außenwelt und Shaker-Gemeinde steht im Mittelpunkt der komplementären Geschichte "The Canterbury Pilgrims". IX, 420 und 423. Vgl. auch Gross, "Hawthorne and the Shakers," 459, und John Lauber, "Hawthorne's Shaker Tales," NCF, 18 (1963/4), 83.

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He, indeed, had withdrawn his hand from hers, and folded his arms with a sense of satisfied ambition. But paler and paler grew Martha by his side, till, like a corpse in its burial clothes, she sank down at the feet of her early lover; for, after many trials firmly borne, her heart could endure the weight of its desolate agony no longer. (IX, 425)

So exemplifiziert sich an Martha die menschen- und lebensfeindliche Haltung, die die besessenen Enthusiasten letztlich sogar auf die restlose Auslöschung der menschlichen Rasse hoffen läßt in einer pervertierten Vision von der Vollendung der Welt, bei der kein menschliches Wesen mehr übrig sein wird, um die endgültige Vernichtung von Sünde und Leid mitzuerleben. In "The Birthmark" muß Aylmer schmerzlich erfahren, daß menschliche Fehler und Unzulänglichkeiten nur auf Kosten des Lebens ausgemerzt werden können. Was für ihn jedoch leidvolle Erkenntnis seines idealistischen, wenn auch notwendig erfolglosen Bemühens ist, wird von den menschenverachtenden Enthusiasten ganz bewußt angestrebt: Perfektionismus auf Kosten des Menschen. "And a Hessing be upon your labors; so that the time may hasten on, when the mission of Mother Ann shall have wrought its full effect, - when children shall no more be born and die, and the last survivor of mortal race, some old and weary man like me, shall see the sun go down, never more to rise on a world of sin and sorrow!" (IX, 425)

Die Bilder des Enthusiasten in "The Gentle Boy" und in "The Shaker Bridal" gleichen sich also in vielen Details, namentlich darin, daß Hawthorne beide Male den Enthusiasten zum Inbegriff eines lebensverneinenden Rigorismus macht. Die Figur wird durch ihre selbstgewählte Isolation und das Zerschneiden aller menschlichen Bande zu einer wichtigen frühen Verkörperung eines ständig wiederkehrenden Hawthorneschen Themas. Wie zuvor schon Charles Brockden Brown in Wieland macht sich auch Hawthorne die vertraute Figur des Enthusiasten mit ihren tradierten Merkmalen zunutze, um mit ihrer Hilfe ganz persönliche thematische Aussagen zu illustrieren. Beide übernehmen dabei die negative Sicht, die früher in der theologischen Debatte von der etablierten puritanischen Kirche gegenüber jeder Form von Enthusiasmus vertreten worden war. So gelten die vermeintlichen göttlichen Offenbarungen bei Brown und Hawthorne als Wahnvorstellungen oder doch zumindest als die Fantasieprodukte eines überhitzten Hirns, werden also nicht als authentisch akzeptiert. Auch die jeweilige Herausstellung einiger sekundärer Merkmale des Enthusiasten, sei es der Irrationalität oder der lebensverneinenden Jenseitsorientierung, läßt sich auf Vorbilder in der theologischen Diskussion zurückverfolgen. Allerdings dient beiden Autoren der eigentliche theologische Kern, die Frage der Authentizität der angeblichen Offenbarungen, nur noch als Ausgangspunkt für ihre anders gelagerten Problemstellungen. Zwar siedeln beide

Hawthornes "The Gentle B o y " und "The Shaker Bridal"

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ihre Figuren in einem allgemeinen religiösen Umfeld an, das den Hintergrund für die Ausbildung enthusiastischer Anschauungen abgibt - bei Hawthorne durch das Quäkertum bzw. die Shaker-Sekte, bei Brown durch die Beziehungen zu den Camisards und den "Moravian Brethren" angedeutet - , doch bilden den eigentlichen Mittelpunkt der Behandlung jeweils durchaus weltliche Anliegen. Für Hawthornes Geschichten trifft das in noch größerem Maße zu als für Browns Wieland. Denn während die Frage der direkten Offenbarungen in Wieland angesichts von Browns deistischen Prämissen noch eine sehr enge thematische Beziehung zu dem übergreifenden Konflikt von Emotion und Vernunft aufweist, dienen die göttlichen Eingebungen bei Hawthorne nur noch als Motivation für die sträfliche Mißachtung menschlicher Bindungen, die im Zentrum von "The Gentie Boy" wie auch "The Shaker Bridal" steht. Gegenüber den theologischen Ursprüngen kündigt sich also in den frühesten fiktionalisierten Darstellungen des Enthusiasten trotz formaler Beibehaltung aller typisch religiösen Charakteristika eine Verlagerung der Gewichte hin zu den begleitenden, nicht ausschließlich im religiösen Bereich beheimateten Merkmalen an.

V. Der Transzendentalismus Die Kritik an der bestehenden Kirche It is time that this ill-suppressed murmur of all thoughtful men against the famine of our churches; this moaning of the heart because it is bereaved of the consolation, the hope, the grandeur, that come alone out of the culture of the moral nature; should be heard through the sleep of indolence, and over the din of routine. This great and perpetual office of the preacher is not discharged. 1

Diese Worte aus Emersons "Divinity School Address", mit der er im Juli 1838 die Lehrenden von Harvards theologischer Fakultät und darüber hinaus die meisten unitarischen Geistlichen Neuenglands vor den Kopf stieß, setzen nahtlos die Reihe jener Auseinandersetzungen fort, in denen Bürger Neuenglands gegen die vorherrschende religiöse Praxis einer etablierten Kirche aufbegehrten. Anne Hutchinson hatte die Geistlichen ihrer Zeit beschuldigt, sie legten mehr Wert auf die Äußerlichkeit eines christlichen Lebenswandels im Sinne eines "covenant of works" als auf die innere Erfahrung göttlicher Gegenwart und Gnade. Nicht viel anders hatte eines der wesentlichen Ziele des "Great Awakening" darin bestanden, einer in Formalismus erstarrenden Kirche durch die Besinnung auf größere Innerlichkeit zu neuem Leben zu verhelfen. Genau dieselben Stichworte tauchen nun auch bei Emerson wieder auf, wenn er seinen Zeitgenossen eine lasche religiöse Einstellung und den Geistlichen eine bloß routinemäßige Ausübung ihres Amtes vorwirft: Die eigentlichen inneren Bedürfnisse des Menschen können durch das gedankenlose Verharren in traditionsgebundenen Formen nicht befriedigt werden. Zwar unterscheiden sich die Inhalte, mit denen Emerson seine Zuhörer aus ihrer Trägheit aufrütteln möchte, deutlich von denen, mit denen man in früheren Jahrhunderten den Gläubigen ins Gewissen redete. Anne Hutchinson hatte vor allem die Schlechtigkeit und Ohnmacht des sündigen Menschen vor seiner Erwählung durch Gott betont, und aus einem verwandten Geist heraus 1

Ralph Waldo Emerson, "The Divinity School Address," The Collected Works of Ralph Waldo Emerson, ed. Alfred R. Ferguson, Robert E. Spiller, Joseph Slater et ed. (Cambridge, Mass., 1971- ), I, 85. Emersons Reden und Essays werden im folgenden nach dieser Ausgabe zitiert, soweit die entsprechenden Bände bereits vorliegen.

Die Kritik an der bestehenden Kirche

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war es das Bestreben vieler Prediger des "Great Awakening" gewesen, die Menschen durch den Verweis auf die Strafen der Verdammnis aus ihrer selbstzufriedenen Lethargie aufzuwecken. Demgegenüber versucht Emerson die Mißstände nicht mit Bildern des Schreckens, sondern der Zuversicht, nicht durch die Vergegenwärtigung menschlicher Nichtigkeit vor dem Angesicht Gottes, sondern durch die Betonung der gottähnlichen Natur des Menschen zu beheben: In how many churches, by how many prophets, tell me, is man made sensible that he is an infinite Soul; that the earth and heavens are passing into his mind; that he is drinking forever the soul of God? Where now sounds the persuasion, that by its very melody imparadises my heart, and so affirms its own origin in heaven? 2

In dieser einschneidenden Verschiebung der Akzente schlägt sich natürlich die theologische Entwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nieder, die durch die rapide Ausbreitung liberaler Auffassungen gekennzeichnet war. Auch wenn Emerson seine Kritik vornehmlich an die unitarischen Kreise richtet, in deren Mitte er selber aufgewachsen war, so baut er doch unverkennbar auf den Anschauungen von menschlicher Entscheidungsfreiheit und Christus' universellem Sühneopfer auf, die mit ihrer vorläufigen Kulmination im Unitariertum allenthalben eine optimistischere Sicht vom Menschen durchgesetzt hatten.3 Andererseits hindert ihn dieses neue Verständnis der Rolle und der Möglichkeiten des Menschen jedoch nicht, Klagen vorzutragen, die in verblüffender Weise an die Kritik zum Beispiel eines Gilbert Tennent erinnern, als dieser während des "Great Awakening" das fehlende Konversionserlebnis bei manchen seiner geistlichen Kollegen monierte. Wie die Anhänger des "Great Awakening" fordert Emerson, daß die Predigt des Geistlichen von persönlicher Erfahrung durchdrungen sein müsse, um wirken zu können, weil eine noch so gewissenhafte formale Pflichterfüllung nicht genüge: Whenever the pulpit is usurped by a formalist, then is the worshipper defrauded and disconsolate.... I once heard a preacher who sorely tempted me to say, I would go to church no m o r e . . . . A snowstorm was falling around us. The snowstorm was real; the preacher merely spectral; and the eye felt the sad contrast in looking at him, and then out of the window behind him, into the beautiful meteor of the snow. He had lived in vain. He had no one word intimating that he had laughed or wept, was married or in

2 3

Ibid. Die theologische Entwicklung zwischen dem "Great Awakening" und dem Aufkommen des Unitarismus beschreiben Joseph Haroutunian, Piety Versus Moralism: The Passing of the New England Theology (New York, 1932) und Wright, Beginnings of Unitarianism.

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Der Transzendentalismus

love, had been commended, or cheated, or chagrined. If he had ever lived and acted, we were none the wiser for it. The capital secret of his profession, namely, to convert life into truth, he had not learned. Not one fact in all his experience, had he yet imported into his doctrine.4

Zwar mag man geneigt sein, zunächst einmal den bedeutsamen Unterschieden mehr Beachtung zu schenken als den Parallelen. Der Verweis auf das Naturschauspiel mit der dahinterstehenden Vorstellung, daß in der Natur der göttliche Geist reiner durchscheine als im Leben der meisten Menschen, wie auch der allgemeinere Gedanke, daß jede Form von Leben von göttlichem Geist durchdrungen sei und deshalb die Erkenntnis ewiger Wahrheiten vermitteln könne, stellen sicherlich den Einbruch romantischer Naturmystik in die Gefilde der Theologie dar und sind daher zu einem früheren Zeitpunkt nicht denkbar. Doch sollte die Registrierung solcher neuartigen Ansichten nicht den Blick versperren auf diejenigen Formen und Inhalte, die sich daneben als traditionelle Elemente behaupten. Dazu gehört hier in erster Linie die starke Betonung persönlicher Erfahrung, der Fähigkeit, über die vorgetragenen Wahrheiten aus eigener, unmittelbarer Anschauung zu berichten. Dieser Aspekt ist offensichtlich ein später Reflex der alten puritanischen Forderung nach einem persönlichen Konversionserlebnis, das jeder Gläubige vorweisen müsse. So, wie erst vom Zeitpunkt der Konversion an das wahre Leben des Christen datiert und er bis dahin dem Tode verfallen bleibt, sieht auch Emerson das Leben des Geistlichen in seinem Beispiel als verfehlt an, solange dieser es nicht versteht, seine Lehren mit dem Feuer unmittelbarer Erfahrung zu veranschaulichen: "He had lived in vain. . . . If he had ever lived and acted, we were none the wiser for it." Bei aller doktrinellen Korrektheit dessen, was er in seiner Predigt sagt, geht ihm doch das ab, was Edwards mit dem Begriff "sense of the heart" bezeichnet hätte. Ein kalter und abstrakter Intellektualismus ersetzt die Wärme direkter Erfahrung: "it is still true, that tradition characterizes the preaching of this country; that it comes out of the memory, and not out of the soul." 5 Diesen bedauerlichen Mangel an persönlicher Anteilnahme, die Verbreitung religiöser Glaubenssätze in der Form abstrakter Wahrheiten, nicht jedoch als selbst erlebte Realität, führt Emerson auf die Annahme zurück, das Zeitalter der Offenbarungen sei unwiderruflich vorbei: "Men have come to speak of the revelation as somewhat long ago given

4 5

Emerson, Collected "Works, I, 85-86. Ibid., S. 87.

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and done, as if God were dead." 6 Schon Anne Hutchinson und die religiösen Erneuerer des 18. Jahrhunderts waren mit dieser traditionellen Lehrmeinung der Orthodoxen konfrontiert worden, wenn es darum ging, angebliche Offenbarungen Gottes als bloße Einbildungen zu entlarven.7 Der Bibel gebührt ungeteiltes Vertrauen; wer in der Gegenwart durch neuerliche Offenbarungen noch Zusätze oder Erläuterungen zu ihr erwartet, zweifelt in ketzerischer Weise an der Vollkommenheit von Gottes geoffenbartem Wort. Gerade gegen diese Ansicht setzt sich Emerson jedoch entschieden zur Wehr, da sie in ihrer ausschließlichen Berufung auf die Vergangenheit einen toten Formalismus begünstige und Religion zu einem historischen Faktum reduziere, statt lebendige Gegenwart in ihr zu erkennen: "It is the office of a true teacher to show us that God is, not was; that He speaketh, not spake." 8 So erklärt sich auch, warum es über der Frage der im Neuen Testament geschilderten Wundertaten Jesu zum endgültigen Bruch zwischen den orthodoxen Unitariern und denjenigen aufbegehrenden Denkern in ihren Reihen kommen mußte, die man gemeinhin als Transzendentalisten klassifizierte. Andrews Norton, einer der führenden Bibelgelehrten seiner Zeit, hatte im Jahre 1837 den ersten Band eines umfangreichen Werkes über die Authentizität der vier Evangelistenberichte veröffentlicht, um auf diese Weise dem christlichen Glauben eine möglichst objektive und wissenschaftliche Fundierung zu verschaffen. Hierin legte er nicht nur dar, daß die Evangelien zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit von den Männern verfaßt wurden, deren Namen sie tragen, sondern benutzte die dort überlieferten Wundertaten auch dazu, die göttliche Mission Jesu und damit die göttliche Sanktion der von ihm propagierten Lehren zu untermauern. Diese Argumentationskette, derzufolge die Richtigkeit christlichen Glaubens vom göttlichen Ursprung der zugrundeliegenden Anschauungen abhing und der göttliche Ursprung seinerseits durch die begleitenden Wunder ausgewiesen wurde, stieß bei den Transzendentalisten auf unverhohlene Ablehnung. In seiner Rezension von Nortons Abhandlung faßt Orestes Brownson die Meinungsunterschiede so zusammen: We are to believe the truths of Christianity, truths which infinitely concern us, solely because they were taught by Jesus Christ who, they tell us, was an authorized teacher from God; and that he was an authorized teacher from God, we can prove by miracles,

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7 8

Ibid., S. 84. Der gleiche Gedanke wird nochmals auf S. 89 angesprochen, ebenso auch in Orestes Brownsons Rezensions-Artikel "Norton on the Evidences of Christianity," Boston Quarterly Review, 2 (1839), 98. Vgl. oben S. 20-21 und 57-58. Collected Works, 1,89.

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Der Transzendentalismus

and by miracles only. Religious truth never springs up spontaneously in the human mind; there is no revelation made from God to the human soul; we can know nothing of religion but what is taught us from abroad, by an individual raised up and specially endowed with wisdom from on high to be our instructer. This individual we must hear and obey, because he speaks by divine authority. The fact, that he speaks from divine authority, no man of himself can know. There is no divinity in man to respond to and vouch for the divinity that speaks to him from without. Man has no inward power to recognise the voice of God spoken by the mouth of his inspired messengers. These messengers, when they come to us from God, must bring their credentials, sealed with God's seal; and God's seal is a miracle. Hence the vital importance of miracles.9

Die von Norton vertretene Haltung macht aus dem Christentum in den Augen der Transzendentalisten eine Angelegenheit der Vergangenheit, die durch historische Untersuchungen gestützt oder auch widerlegt werden kann, je nach dem, welches Urteil man über die Authentizität der in der Bibel berichteten Wunder fällt. Aus sich selbst ist die Wahrheit der christlichen Lehre nicht ersichtlich; erst gründliches Bibelstudium schafft laut Andrews Norton die Voraussetzung für ein wirklich fundiertes Bekenntnis zum Christentum: "Christianity with him is an historical fact, to be established by historical evidence alone." 10 So tritt hier auf anderer Ebene dieselbe Verhaftung in der Vergangenheit zum Vorschein, die schon Emerson beklagt hatte, als er anhand des Kontrastpaares von "memory" und "soul" den Predigtstil seiner Zeit dem ersteren Pol zugeordnet hatte. Die Kraft innerer Uberzeugungen wird geopfert zugunsten der äußerlichen Verankerung in ferner Vergangenheit; persönliche Erfahrung wird ersetzt durch fremdes Zeugnis. Den tieferen Grund für ein solches Vorgehen glaubten die Transzendentalisten in der Lockeschen Epistemologie zu erkennen, die, modifiziert durch Philosophen der schottischen "Common Sense School", im Neuengland des frühen 19. Jahrhunderts immer noch den Ton angab. Da dieser Theorie zufolge menschliches Wissen in erster Linie auf den Sinneswahrnehmungen basierte, bedurfte es zu einer schlüssigen Begründung religiöser Anschauungen ebenfalls einer Absicherung im Be-

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"Norton on the Evidences," 97. Entsprechend äußert sich auch George Ripley in The Latest Form of Infidelity Examined, in Perry Miller (ed.), The Transcendentalists: An Anthology (Cambridge, Mass., 1950), S. 215. Brownson greift den Punkt dann nochmals auf: The Transcendentalists, S. 244-245. Die Haltung der Unitarier zu den Wundern wird kurz dargestellt in Wright, Beginnings ofUnitarianism, S. 152-160. Eine nützliche Zusammenfassung der ganzen Kontroverse geben William R. Hutchison, The Transcendentalist Ministers: Church Reform in the New England Renaissance (New Haven, 1959), S. 52-97, und Charles Crowe, George Ripley: Transcendentalist and Utopian Socialist (Athens, Ga., 1967), S. 97-116. Brownson, "Norton on the Evidences," 88.

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reich der Sinneseindrücke. Diese Funktion erfüllten die Wundertaten Jesu, die, als Werke einer offenkundig übernatürlichen Macht an die menschlichen Sinne adressiert, gewissermaßen die Beglaubigung lieferten für die Lehren dessen, der sie wirkte. Hieraus ergab sich jedoch für die Transzendentalisten eine Folgerung, die sie nicht anzuerkennen bereit waren und die sie veranlaßte, Lockes Philosophie im ganzen zurückzuweisen, da sie die Entwicklung wahrer Religiosität verhindere. Das in ihrem Denken so zentrale Prinzip der Innerlichkeit und der persönlichen Erfahrung kam hierbei nämlich zwangsläufig zu kurz: Religion wurzelte nicht in der Uberzeugung unmittelbaren Erlebens, sondern in der Berufung auf eine fremde Autorität, nicht in der direkten Begegnung mit den göttlichen Wahrheiten, sondern im Verweis auf den Ausnahmestatus einer eigens zu diesem Zweck von Gott autorisierten Persönlichkeit. This philosophy necessarily disinherits the mass. It denies to man all inherent p o w e r of attaining to truth. In religion, if religion it admits, it refers us not to what w e feel and k n o w in ourselves, but to what was said or done in s o m e remote age, by s o m e special messenger f r o m G o d ; it refers us to s o m e authorized teacher, and c o m m a n d s us to receive our faith o n his w o r d , and to adhere to it o n peril of damnation. It therefore destroys all free action of the mind, all independent thought, all progress, and all living faith. 1 1

Mit deutlicher Sprache charakterisiert Brownson hier die Ansichten der Unitarier als antidemokratisch in ihrer Tendenz, weil für die Menschen der Jetztzeit keine Möglichkeit vorgesehen ist, sich aus eigener Anschauung von der Wahrheit christlicher Lehren zu überzeugen. Statt dessen werden sie gezwungen, sich auf die Autorität einer außergewöhnlichen historischen Gestalt zu verlassen, deren Glaubwürdigkeit ihrerseits von den mitgebrachten Machtbeweisen abhängt. Deren Authentizität jedoch erschließt sich, wie Brownson nicht zu bemerken versäumt, wiederum erst dem kundigen Bibelexegeten, so daß der sprichwörtliche einfache Mann gleich um zwei Stufen von der unmittelbaren Erfahrung religiöser Wahrheiten entfernt ist, indem er sowohl auf die Autorität Jesu als auch auf die eines Bibelgelehrten wie zum Beispiel eines Andrews Norton angewiesen ist. In solch einer Theologie verbirgt sich für Brownson eine elitäre Gesinnung, die das ehrwürdige protestantische Prinzip eines direkten Kontaktes jedes Individuums zu seinem Schöpfer durch die Einschaltung von Vermittlerstellen verleugnet: T h e democrat is not he w h o only believes in the people's capacity of being taught, and therefore graciously condescends to be their instructer; but he w h o believes that

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Ibid., 110.

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Der Transzendentalismus

Reason, the light which shines out from God's throne, shines into the heart of every man, and that truth lights her torch in the inner temple of every man's soul, whether patrician or plebeian, a shepherd or a philosopher, a Croesus or a beggar.12

Demgegenüber verstanden sich die Transzendentalisten als Advokaten wahrhaft demokratischer Gesinnung, indem ihr gedankliches System für jeden Menschen direkten Zugang zum Göttlichen bereithielt. Nicht zufällig leitet Emerson seine Essay-Veröffentlichungen mit den programmatischen Sätzen ein: There is one mind common to all individual men. Every man is an inlet to the same and to all of the same. He that is once admitted to the right of reason is made a freeman of the whole estate.13

Nicht minder als "The American Scholar" verraten diese Worte die Attitüde einer geistigen Unabhängigkeitserklärung. Zwar hatte schon das Aufkommen des Universalismus im 18. Jahrhundert mit den alten Unterschieden zwischen Erwählten und Nicht-Erwählten aufgeräumt und dadurch eine gewisse Demokratisierung in religiösen Dingen bewirkt. Doch, wie Brownsons Attacke gegen Norton zeigt, drohten nun ausgerechnet die liberalen Unitarier mit ihrer Berufung auf diese oder jene "Autorität" neue Abhängigkeiten und Ungleichheiten zu schaffen. Dieser Rückkehr zum Autoritätsdenken setzten die Transzendentalisten mit aller Leidenschaft ihre Deutung eines wahrhaft demokratischen Geistes entgegen. Mittelbarkeit nämlich führte in ihren Augen zum sicheren Tod aller Religiosität. "The faith that stands on authority is not faith. The reliance on authority, measures the decline of religion, the withdrawal of the soul." 14 Hier setzte auch die Kritik am bestehenden Christentum gleich welcher Prägung an. Wohin sie auch blickten, überall stießen die Transzendentalisten auf die versteinerten Formen der Vergangenheit, auf sinnentleerte Traditionen, kurz: auf die Beibehaltung des Herkömmlichen im Pochen auf die Autorität fremder Menschen und verflossener Jahrhunderte. Um zum wahren Christentum vorzudringen, mußten die Traditionen des etablierten Christentums überwunden werden, 12

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Ibid., 111. Denselben Vorwurf wiederholen Ripley und Brownson im weiteren Verlauf des Disputs mit Norton (in The Transcendentalists, S. 216 und 245-246). "History," Collected Works, II, 3. Enger auf den religiösen Bereich zugeschnitten findet sich derselbe Gedanke bei Theodore Parker, "The Divine Presence in Nature and in the Soul," The Dial, 1 (1840/1), 67. Emerson, "The Over-Soul," Collected Works, II, 174. Praktisch dieselben Worte hatte Emerson schon 1840 in seinem Vortrag über "Religion" innerhalb der Reihe "The Present Age" benutzt: The Early Lectures of Ralph Waldo Emerson, ed. Stephen E. Whicher, Robert E. Spiller und Wallace E. Williams (Cambridge, Mass., 1959-72), III, 282.

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denn echte, aus dem Inneren kommende Religiosität konnte sich nicht entfalten, wo Religion ausschließlich historisch begründet wurde. Diese Diskrepanz zwischen dem, was die Transzendentalisten gern abschätzig "historical Christianity" nannten, und der Zeitlosigkeit, die wahre Religion kennzeichnet, hatten George Ripley in seiner Predigt "Jesus Christ, the Same Yesterday, Today, and Forever" und Theodore Parker in A Discourse of the Transient and Permanent in Christianity ausführlich dargelegt. Bronson Aleott widmete demselben Sachverhalt eines seiner "Orphic Sayings". 15 Orestes Brownson, in mancher Hinsicht der radikalste unter den Transzendentalisten, ging in seiner Auflehnung gegen traditionelle Autoritäten sogar so weit, die Abschaffung der gesamten "Priesterkaste" zu fordern, weil sie im Laufe der Geschichte zu viele Privilegien an sich gerissen habe und erst nach ihrer Beseitigung mehr Freiheit für das Individuum in der Gesellschaft gewährleistet sei.16 Für welche Sache sie sich auch einsetzten, stets waren die Transzendentalisten bemüht, das Beharren auf der Vergangenheit durch Vertrauen in die Gegenwart, fremde Autorität durch eigene Uberzeugung, mittelbare Kenntnis durch unmittelbare Erfahrung zu ersetzen. "All inquiry into antiquity," sagt Emerson in seinem Essay "History", "is the desire to do away this wild, savage and preposterous There or Then, and introduce in its place the Here and the Now." 1 7 Dieser positiv verstandenen Ichbezogenheit müssen etablierte Autoritäten weichen. Aus der Tradition geschöpftes Wissen muß sich vor dem individuellen Urteil neu bestätigen, sonst verliert es nicht nur seine aktuelle Relevanz, sondern kann sich geradezu wie eine störende Mauer auswirken, die die persönliche Entwicklung behindert.18 So ist auch in der Religion der Hinweis darauf, was frühere Generationen für gut befunden haben, belanglos, solange die eigene Erfahrung nicht hinter diesen Traditionen steht: "If, therefore, a man claims to know and speak of God, and carries you backward to the phraseology of some old mouldered nation in another country, in another world, believe him not." 19 In scharfem Gegensatz nämlich zu den Unitariern hielten die Transzendentalisten das Zeitalter der Offenbarungen noch keineswegs für abgeschlossen. Wer glaubte, alle direkten Mitteilungen, die Gott der

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The Dial, 1 (1840/1), 360. Ripleys und Parkers Predigten sind abgedruckt in The Transcendentalists, S. 284-293, 260-283. "The Laboring Classes," Boston Quarterly Review, 3 (1840), 378-391. Collected Works, II, 7. In der ersten Ausgabe der Essays folgte noch der weiter zuspitzende Satz: "It is to banish the Not me, and supply the Me." Ibid., II, 6-7. "Self-Reliance," Collected Works, II, 38.

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Menschheit je zu machen gedachte, seien in der Bibel ein für allemal festgehalten, mußte seinen Glauben im wesentlichen auf dieses historische Dokument gründen und daher Argumenten, die auf Tradition und fremder Autorität basierten, notgedrungen relativ viel Platz einräumen. Damit wollten sich die Transzendentalisten jedoch unter keinen Umständen abfinden: The days of prophecy are not, as is commonly and vainly asserted, past. The generation of the prophets is not extinct; and while the earth, and the heavens, and man endure, the universe will have its revelations to make to every soul, that bows a pure ear to hear them. 20

Ausgerüstet mit Anleihen bei den verschiedensten idealistischen Philosophien - bei Kant, der ihnen vor allem durch Coleridge vermittelt wurde, bei zeitgenössischen deutschen Philosophen, beim Piatonismus und Neoplatonismus, bei dem französischen Eklektizisten Cousin, um nur die wichtigsten Quellen zu nennen, aus denen sie sich Bekräftigung für ihre eigenen Anschauungen besorgten21 - , vertraten sie in Abkehr vom Lockeschen Denkansatz die Auffassung, daß der Mensch a priori, unabhängig von den Sinneswahrnehmungen, direkten Zugang auch zu solchen Erkenntnissen habe, die die Sphäre der Sinneseindrücke überstiegen. Dem göttlichen Geist verwandt, war das hierfür zuständige innere Organ, mit unterschiedlichen Termini wie "Reason", "soul", "conscience", "moral sentiment" belegt und als solches streng von den fünf Sinnen und der Fähigkeit zu logischer Reflektion, dem Verstand, abgegrenzt, die maßgebliche Entscheidungsinstanz in allen Fragen geistiger Natur, sei es der Ästhetik, Moral oder speziell der Religion. . . . religion and morality rest not on the understanding, not on logical deductions, but on an interior sentiment. Here is an important recognition, - a recognition of two distinct orders of human faculties. This recognition is not always made by metaphysicians, but it never escapes popular language. It is found in the distinction between the head and

20

[Jonathan Saxton,] "Prophecy - Transcendentalism - Progress," The Dial, 2 (1841/2), 86.

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Zahlreiche dieser Quellen und Parallelen sind in Einzelstudien untersucht worden: Cameron Thompson, "John Locke and New England Transcendentalism," NEQ, 35 (1962), 435-457; Frank T. Thompson, "Emerson's Indebtedness to Coleridge," SP, 23 (1926), 55-76; Frank T. Thompson, "Emerson and Carlyle," SP, 24 (1927), 438-453; Merrell R. Davis, "Emerson's 'Reason' and the Scottish Philosophers," NEQ, 17 (1944), 209-228; J. Edward Schamberger, "The Influence of Dugald Stewart and Richard Price on Emerson's Concept of the 'Reason': A Reassessment," ESQ, 18 (1972), 179-183; René Wellek, "Emerson and German Philosophy," NEQ, 16 (1943), 41-62; René Wellek, "The Minor Transcendentalists and German Philosophy," NEQ, 15 (1942), 652-680; Stewart G. Brown, "Emerson's Platonism," NEQ, 18 (1945), 325-345; C. Hotson, "Emerson and the Swedenborgians," SP, 27 (1930), 517-545.

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the heart, the mind and the soul, the understanding and the affections, which obtains in all languages. . . . There belong to human nature, passions, emotions, sentiments, affections, of which, the understanding, properly so called, can take no account, which pay no deference to its ratiocinations, and even bid defiance to its laws.22

Mit diesem Instrument geistiger Erkenntnis glaubten die Transzendentalisten über ein Mittel zu verfügen, das es jedem Menschen ermöglichte, Religion wieder aus erster Hand zu erfahren, im ausschließlichen Vertrauen auf das eigene religiöse Empfinden, ohne Rückgriff auf fremde Zeichen und Autoritäten. Unmittelbarkeit war das vornehmste Kennzeichen, aber auch die unerläßliche Bedingung dieser inneren Stimme: "It is an intuition. It cannot be received at second hand." 23 Die Botschaften Gottes richteten sich nun wieder direkt an jedes einzelne Individuum ohne Rücksicht auf seine Stellung und Bildung. Der Umweg über die durch Wunder attestierte Mission Christi erübrigte sich, wenn jeder Mensch in seinem Inneren eine Instanz besaß, die ihm einen ganz persönlichen Zugang zu religiösen Wahrheiten eröffnete. As we observe the conditions of the body, we have nature on our side; as we observe the Law of the Soul, we have God on our side. He imparts truth to all men who observe these conditions; we have direct access to Him, through Reason, Conscience and the religious Sentiment, just as we have direct access to nature, through the eye, the ear, or the hand. Through these channels, and by means of a law, certain, regular and universal as gravitation, God inspires men, makes revelation of truth, for is not truth as much a phenomenon of God, as motion of matter? Therefore if God be omnipotent and omniactive, this inspiration is no miracle, but a regular mode of God's action on conscious spirit, as gravitation on unconscious matter. It is not a rare condescension of God, but a universal uplifting of man.24

Hier wird nicht nur das alte protestantische Prinzip des mittlerlosen Kontaktes zwischen jedem Menschen und seinem Schöpfer wiederbelebt - "we never are Christians as he was the Christ, until we worship, as Jesus did, with no mediator, with nothing between us and the Father of all," 25 sagt Parker an anderer Stelle - , sondern hier wird darüber hinaus, in pointierter Absetzung vom unitarischen Wunderverständnis, die

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Orestes Brownson, "Benjamin Constant on Religion," The Christian Examiner, 17 (1834), 70-71. Emerson, "Divinity School Address," Collected Works, I, 80. Theodore Parker, A Discourse of Matters Pertaining to Religion, in The Transcendentalists, S. 321. Ähnliche Definitionen religiöser Erkenntnis als göttlicher Inspiration finden sich zum Beispiel wieder bei Parker in The Dial, 1 (1840/1), 62-64; in Aleotts "Orphic Sayings" zum Stichwort "Revelation", The Dial, 1 (1840/1), 357, und in Emersons Vortrag "The Individual," Early Lectures, II, 181. Discourse of the Transient and Permanent, in The Transcendentalists, S. 278.

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Der Transzendentalismus

unmittelbare Kommunikation mit Gott als etwas ganz Natürliches, fast schon Alltägliches, angesehen, das im geistigen Bereich die Entsprechung darstellt zum normalen Funktionieren der Naturgesetze im Bereich der Materie. Jeder Mensch kann Mitteilungen des göttlichen Geistes empfangen, und so wird plötzlich jeder Mensch zu einem potentiellen Träger und Sprachrohr göttlicher Offenbarungen, zu einem inspirierten Propheten: The reason is God; it appears in us, therefore God appears in us. The light of reason, the light by which we see and know all that we do see and know, is truly the light of God. The voice of the spontaneous reason is the voice of God; those who speak by its authority, speak by the authority of God, and what they utter is a real revelation. 26

Dadurch, daß sie unterschiedslos jedem Menschen offenstehen, heben sich diese Inspirationen zwar von den seltenen und außergewöhnlichen Offenbarungen ab, mit denen Gott im Alten Testament und zuletzt zu Zeiten der Apostel wenige ausgewählte Einzelpersonen bedachte, die deswegen im allgemeinen Sprachgebrauch den Beinamen "Prophet" erhielten. Von ihrer Natur her besteht jedoch kein wesensmäßiger Unterschied zwischen den Offenbarungen von damals und denen von heute. Zu differenzieren ist lediglich im Grad der Erleuchtung insofern, als einzelne Individuen engeren Kontakt mit Gott pflegten als andere und deshalb besser befähigt sind, seine Mitteilungen entgegenzunehmen und zu verbreiten. Im eigentlichen Sinne des Wortes jedoch ist jeder Mensch ein Prophet, wenn man der transzendentalistischen Interpretation des Begriffs folgt: "the true significance of prophecy . . . is . . . the utterance of what is called in a modern system of philosophy, the Spontaneous Reason, the intuitions, the instincts of the soul." 2 7 Offenbarungen des göttlichen Geistes ergehen auch heutzutage noch an die Menschheit, und zwar nicht etwa an einzelne herausragende Individuen, die diese Botschaften stellvertretend empfangen und weiterleiten, sondern ganz persönlich an jeden einzelnen Menschen. Was die Bibel über Christus und die von ihm ausgehenden Lehren berichtet, verliert dadurch zwar nicht völlig seine Bedeutung, denn immerhin bleibt Jesus der vorbildliche Mensch, der beispielhaft vorgelebt hat, wie vollkommen man sich der göttlichen Stimme unterwerfen kann. Aber, wie schon bei Anne Hutchinson und den radikaleren Verfechtern des "Great Awakening", schimmert hier die Gefahr im Hintergrund auf -

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Orestes Brownson, "Cousin's Philosophy," The Christian Examiner, 21 (1836), 56. [Saxton,] "Prophecy - Transcendentalism - Progress," 86. Folglich spricht Emerson von "the spirit of prophecy which is innate in every man" ("The Over-Soul," Collected Works, II, 160).

Das transzendentalistische Enthusiasmus-Verständnis

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die im übrigen von den Transzendentalisten weniger als eine Gefahr denn als ein Gewinn an lebendiger Religiosität eingeschätzt wurde - , daß die Lehren der Bibel zugunsten privater Begegnungen mit dem Göttlichen hintangestellt werden könnten. Was bedarf es noch der Heiligen Schrift, wenn jedermann unmittelbar mit dem göttlichen Geist in Berührung kommen, gewissermaßen selber Teil des den ganzen Kosmos durchflutenden Geistes werden kann in einer Erfahrung, die die Offenbarung des Übernatürlichen mit seiner zumindest vorübergehenden Verschmelzung mit dem Ich verbindet? We distinguish the announcements of the soul, its manifestations of its own nature, by the term Revelation. ... this communication is an influx of the Divine mind into our mind. It is an ebb of the individual rivulet before the flowing surges of the sea of life.28

Hier findet nicht nur erneut der Glaube an direkte Offenbarungen des Göttlichen Ausdruck, auch die aus der Antinomierkrise bekannte Behauptung, daß in solchen Momenten der Begegnung das Göttliche vom Menschen Besitz ergreife und in ihm wohne, taucht wieder auf.29 Genau solch einen Augenblick schildert ja das berühmte Bild aus Emersons Nature: "I become a transparent eye-ball. I am nothing. I see all. The currents of the Universal Being circulate through me; I am part or particle of God." 30 Das transzendentalistische Enthusiasmus-Verständnis Die Art, wie die Begegnung zwischen dem Menschen und dem Göttlichen dargestellt wird, ruft fast zwangsläufig die Assoziation zum traditionellen Bild des Enthusiasten hervor, der ja ebenfalls unvermittelt von Gott angesprochen und ergriffen zu werden glaubt.31 Tatsächlich zieht

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Emerson, "The Over-Soul," Collected Works, II, 166; ähnlich II, 161. Emersons Anschauung von der Präsenz des Göttlichen im Menschen wird gut dargestellt von Stephen E. Whicher, Freedom and Fate: An Inner Life of Ralph Waldo Emerson (Philadelphia, 1953), S. 17-23. Vgl. oben S. 30-32. Collected Works, 1,10. Unter dem meines Erachtens nicht ganz zutreffenden Stichwort "Mystizismus" behandeln das Phänomen Harold Clarke Goddard, Studies in New England Transcendentalism (New York, 1908), S. 120-148; Henry Bamford Parkes, The Pragmatic Test: Essays in the History of Ideas (San Francisco, 1941), S. 45-47; Herwig Friedl, "Mysticism and Thinking in Ralph Waldo Emerson," Amerikastudien, 28 (1983), 33-46. Verbindungen zur enthusiastischen Tradition des Puritanismus erkennen dagegen Miller, "From Edwards to Emerson," Errand into the Wilderness (Cambridge, Mass.,

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Der Transzendentalismus

Emerson ausdrücklich diese Parallele, wenn er in "The Over-Soul" den Moment der Offenbarung näher beschreibt: By the necessity of our constitution, a certain enthusiasm attends the individual's consciousness of that divine presence. The character and duration of this enthusiasm varies with the state of the individual, from an extasy and trance and prophetic inspiration, - which is its rarer appearance, - to the faintest glow of virtuous emotion, in which form it warms, like our household fires, all the families and associations of men, and makes society possible. A certain tendency to insanity has always attended the opening of the religious sense in men, as if they had been "blasted with excess of light." The trances of Socrates, the "union" of Plotinus, the vision of Porphyry, the conversion of Paul, the aurora of Behmen, the convulsions of George Fox and his Quakers, the illumination of Swedenborg, are of this kind. What was in the case of these remarkable persons a ravishment, has, in innumerable instances in common life, been exhibited in less striking manner. Everywhere the history of religion betrays a tendency to enthusiasm. The rapture of the Moravian and Quietist; the opening of the internal sense of the Word, in the language of the New Jerusalem Church; the revival of the Calvinistic churches; the experiences of the Methodists, are varying forms of that shudder of awe and delight with which the individual soul always mingles with the universal soul. 32

Vieles, was seit jeher als typisch für den Enthusiasten gilt, wird hier genannt, angefangen von der starken Beteiligung der Emotionen an dem Vorgang über außergewöhnlichere Phänomene wie ekstatische Verzückung und prophetische Gaben bis hin zur Charakterisierung dieser Ausnahmezustände als einer Form des Wahnsinns. Die damit einhergehende Aufzählung von historischen Vorläufern und Parallelen nimmt sich in weiten Teilen aus wie eine Ahnengalerie des Enthusiasmus, denn Jakob Böhme und die "Moravians", George Fox und die Quäker, die periodisch wiederkehrenden Erneuerungsbestrebungen in den Kirchen Amerikas und die Methodisten standen allesamt in dem Ruf, enthusiastische Anschauungen zu fördern oder sich zumindest nicht klar genug davon abzugrenzen. Diese Tradition macht sich Emerson hier zu eigen, ein Akt, der auch im 19. Jahrhundert noch einer gewissen Kühnheit nicht entbehrte. Das entscheidende Merkmal, das das Schimpfwort des Enthusiasmus im Munde der Transzendentalisten zu einer Auszeichnung werden läßt, ist die Gewißheit, daß der Mensch in unmittelbaren Kontakt zu Gott treten und nach der so gewonnenen

32

1956), S. 189-190 (der aber trotzdem den Begriff "mystical" verwendet), und vor allem Whicher, Freedom and Fate, S. 179-180. Collected Works, II, 167. Ein mögliches Vorbild für diesen Abschnitt findet sich in Cousins Introduction to the History of Philosophy, zitiert in Kenneth Walter Cameron, Emerson the Essayist: An Outline of His Philosophical Development Through 1836 with Special Emphasis on the Sources and Interpretation of"Nature " (Raleigh, N . C . , 1945), I, 312-313.

Das transzendentalistische Enthusiasmus-Verständnis

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d i r e k t e n E r f a h r u n g göttlicher P r ä s e n z sein L e b e n ausrichten k a n n . A n d e r s a u s g e d r ü c k t , u n t e r n e h m e n sie einen n e u e n A n l a u f , die alten p u r i t a n i s c h e n Ideale v o n m e h r Innerlichkeit u n d U n m i t t e l b a r k e i t , das K o n z e p t d e r "experimental religion", z u v e r w i r k l i c h e n . 3 3 Im Unterschied jedoch zu der ursprünglichen puritanischen Auffassung, d a ß n u r die v o n G o t t E r w ä h l t e n i m K o n v e r s i o n s e r l e b n i s die u n m i t t e l b a r e G e g e n w a r t G o t t e s e r f a h r e n , steht die B e g e g n u n g mit d e m göttlichen G e i s t in d e n A u g e n d e r T r a n s z e n d e n t a l i s t e n grundsätzlich j e d e m M e n s c h e n o f f e n . S o k a n n a n s c h l i e ß e n d a u c h jeder M e n s c h , selbst w e n n es i h m s c h w e r f a l l e n mag, die a d ä q u a t e n W o r t e d a f ü r z u f i n d e n , v o n seinen E r f a h r u n g e n des G ö t t l i c h e n Z e u g n i s ablegen, ähnlich w i e f r ü h e r d e r E r w ä h l t e , sei es a u c h m ü h s a m n a c h W o r t e n r i n g e n d , d e m Geistlichen u n d d e r G e m e i n d e ü b e r seine K o n v e r s i o n berichtete u n d w i e w ä h r e n d des " G r e a t A w a k e n i n g " zahlreiche G l ä u b i g e - o f t z u m E n t s e t z e n d e r b e s o n n e n e r e n Geistlichen - i h r e p e r s ö n l i c h e n E r f a h r u n gen m i t G o t t in die Ö f f e n t l i c h k e i t t r u g e n . The moments in life when we give ourselves up to the inspirations of this [moral] sentiment, seem to be the only real life. The mind is then all light. These moments are the years of the mind; for, they are epochs from which we date. But they refuse to be recorded. Language halts after them in vain: he cannot paint them with his colors. Slowly, line by line, he can recall particular attributes that may serve to remind those who know them of their best experience, but they would never describe them to such as know them not. Yet are these moments not the privilege of any class of men: they come to all men. They are the foundation on which religion rests in the world. The forms, the books, which are called religions, are nothing but the monuments and landmarks men have erected to commemorate these moments, and to fix, if it were possible, their too volatile Spirit. This is the moment from which the pious Calvinist dates his conversion and spiritual peace. This is the moment which the Methodist, the Quaker, the Moravian, the Swedenborgian have indelibly marked on their memories, - giving reality to faith. The Bible would be quickly esteemed fabulous, but for this perpetual revelation of the Deity in the mind. 34

33

34

Auf diese Tradition greift, unter mehrfacher Bezugnahme auf Jonathan Edwards, Orestes Brownson zurück in "Norton on the Evidences of Christianity," 99-104. Die Entwicklungslinie von Edwards zum Transzendentalismus verfolgen Perry Miller, "From Edwards to Emerson," Errand into the Wilderness, S. 184-203, und Mason Lowance, Jr., "From Edwards to Emerson to Thoreau: A Revaluation," ATQ, 18 (1973), 3-12, dort besonders 3-5. Die Fortsetzung typisch protestantisch-puritanischer Prinzipien im Transzendentalismus ist oft vermerkt worden; siehe beispielsweise A. Robert Caponigri, "Brownson and Emerson: Nature and History," NEQ, 18 (1945), 368-369, und Wesley T. Mott, "Emerson and Antinomianism: The Legacy of the Sermons," AL, 50 (1978/9), 369-397. Emerson, "Holiness," Early Lectures, II, 345-346. Eine eng verwandte Passage findet sich bei Parker in The Dial, 1 (1840/1), 69. Auch Bronson Aleott spielt auf das

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Der Transzendentalismus

Deutlich lehnt sich Emersons Ausdrucksweise an übliche Wiedergaben des Konversionserlebnisses an: Die beliebte Lichtmetapher wird verwendet, der Gedanke, daß erst von jetzt an das wahre Leben beginnt, taucht auf, der Eindruck, daß die menschliche Sprache eigentlich nicht ausreicht, die Gegenwart des Göttlichen zu beschreiben, wird vermittelt, und auch die zum Beispiel bei Edwards immer wieder vermerkte Tatsache wird angesprochen, daß nur, wer bereits durch eine ähnliche Erfahrung für die Offenbarungen Gottes sensibilisiert worden ist, das nötige Rüstzeug besitzt, um die aufrüttelnde Wirkung und völlige Andersartigkeit eines solchen Erlebnisses zu begreifen. Andererseits nähert sich Emerson mit seiner abschließenden Gewichtung dieses Erlebnisses im Vergleich zur Bibel - daß nämlich die Schrift schnell zum toten Buchstaben werden könne, wenn persönliche Erfahrung ihr nicht ständig neues Leben einhaucht - bereits wieder in auffallender Weise Anschauungen, die von den Enthusiasten der Antinomierkrise und des "Great Awakening" verbreitet wurden. 35 Auch seine Aufforderung in der "Divinity School Address", daß jeder, der das Göttliche in sich selbst erfahren hat, als Priester und Botschafter des göttlichen Geistes in die Welt hinausziehen möge, läßt sich durchaus mit dem seinerzeit heftig kritisierten Phänomen vergleichen, daß zu Zeiten religiöser Erneuerung Laienprediger das Wirken Gottes verkündeten. So wie damals argumentiert wurde, daß die persönliche Begegnung mit Gott, nicht ein von Menschen verliehenes Amt den wahren Geistlichen ausmache, bedingen sich auch für Emerson Priesterfunktion und unmittelbare Erfahrung des Göttlichen gegenseitig: The man enamored of this excellency, becomes its priest or poet. The office is coeval with the world. But observe the condition, the spiritual limitation of the office. The spirit only can teach. Not any profane man, not any sensual, not any liar, not any slave can teach, but only he can give, who has; he only can create, who is. The man on whom the soul descends, through whom the soul speaks, alone can teach. Courage, piety, love, wisdom, can teach; and every man can open his door to these angels, and they shall bring him the gift of tongues. But the man who aims to speak as books enable, as synods use, as the fashion guides, and as interest commands, babbles. Let him hush.36

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Konversionserlebnis, auf zentrale puritanische Begriffe wie "regeneration" und "sanctification" an, wenn er davon spricht, daß Reform beim einzelnen Individuum ansetzen müsse: The Dial, 2 (1841/2), 434-435. Siehe oben S. 20-21 und 62-65. Vgl. ferner die entsprechende Haltung der Quäker, wie sie zum Beispiel bei Nuttall, Holy Spirit, S. 26, zitiert wird. Collected Works, I, 84.

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Die hier hergestellte Verbindung zwischen persönlicher Gotteserfahrung und der Aufgabe des "priest-prophet" im Emersonschen Sinne besitzt Gültigkeit, egal von welcher Seite man sich ihr nähert: Künder des Göttlichen kann nur sein, wer es aus eigener Erfahrung kennt; mit gleichem Recht aber kann und sollte sich jeder, der sich einmal vom Strom des göttlichen Geistes durchpulst fühlte, von nun an als Priester eben dieses göttlichen Geistes verstehen. 37 Die Verwandtschaft ihrer Ansichten mit dem Enthusiasmus wurde, wie schon verschiedentlich anklang, von den Transzendentalisten bemerkt und, soweit der Begriff nicht von vornherein mit negativen Konnotationen belastet wurde, auch durchaus akzeptiert. Sie selber jedenfalls betrachteten eine vom Enthusiasmus geprägte Haltung als Zeichen größtmöglicher Annäherung an das Göttliche und notwendige Grundlage aller idealistischen Bestrebungen. 38 Speziell bei Emerson äußert sich die Bewunderung für den Enthusiasten, der absolute Gewißheit aus seinem Innern schöpft und dadurch über allen äußeren Zwängen steht, in seiner immer wieder betonten Hochachtung vor dem Quäkertum und insbesondere vor George Fox, dem er ja 1835 einen Vortrag innerhalb seiner Reihe über wegweisende historische Persönlichkeiten widmete. 39 Rückhaltloser jedoch als alle anderen Transzendentalisten ergreift Bronson Aleott für den Enthusiasmus Partei. Sofort zu Beginn seiner "Orphic Sayings", die unter seinen Zeitgenossen eine

37

38

39

Vgl. Aleotts Tagebucheintrag vom Februar 1837, der sich gegen Channings Kritik an seinen religiösen Gesprächsabenden wendet: "Truly might I pause, were I not assured by an instinct more authentic than another's, however wise, that my doctrine is from heaven; and that, with my friend and brother, even Jesus, I am a meek and simple follower of the Divine Word within, which I must announce and interpret in the face of all obstacles. I must and shall speak as I feel. I shall preach the Gospel as it is revealed to my own soul" ( The Journals of Bronson Aleott, ed. Odell Shepard [Boston, 1938; repr. Port Washington, N.Y., 1966], S. 84). Siehe zum Beispiel die Tagebucheinträge vom 7. Januar 1835 und 22. Juni 1836 in The Journals and Miscellaneous Notehooks of Ralph Waldo Emerson, ed. William H. Gilman, Alfred R. Ferguson, Merrell R. Davis et al. (Cambridge, Mass., 1960-82), V, 5 und 180; die letztere Bemerkung wird in Nature (Collected Works, I, 43) aufgegriffen. Ferner: Early Lectures, I, 21, 168; II, 97. Schon Coleridge hatte Enthusiasmus wieder als ein positives Phänomen deuten wollen: "nothing great was ever achieved without enthusiasm" (zitiert in Cameron, Emerson the Essayist, I, 143), ein Satz, den Emerson in "Circles" wörtlich zitiert (Collected Works, II, 190). Zusätzlich zu den bereits genannten Stellen ließen sich hier Äußerungen Emersons in The Dial, 2 (1841/2), 383-384, sowie ein Tagebucheintrag vom 12. Februar 1834 (Journals and Miscellaneous Notehooks, IV, 263-264) anführen. Vgl. zu diesem Aspekt Frederick B. Tolles, "Emerson and Quakerism," AL, 10 (1938/9), 142-165.

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zweifelhafte Berühmtheit erlangen sollten, legt er sein persönliches Bekenntnis zum Enthusiasmus ab: Believe, youth, that your heart is an oracle; trust her instinctive auguries, obey her divine leadings; nor listen too fondly to the uncertain echoes of your head. The heart is the prophet of your soul, and ever fulfils her prophecies; reason is her historian; but for the prophecy the history would not be. Great is the heart: cherish her; she is big with the future, she forebodes renovations. Let the flame of enthusiasm fire alway your bosom. Enthusiasm is the glory and hope of the world. It is the life of sanctity and genius; it has wrought all miracles since the beginning of time. 40

Die besondere transzendentalistische Interpretation des Enthusiasmus tritt aus diesen Worten mit aller Deutlichkeit hervor. Stärker als je zuvor wird das Innere des Menschen zur eigentlichen Inspirationsquelle. Richteten sich auch bei früheren Enthusiasten die Offenbarungen Gottes ganz persönlich an einen einzelnen Menschen, so daß die Authentizität des Vorgangs von Außenstehenden im Grunde nicht überprüft werden konnte, so wurde doch immer eine außerhalb des Subjekts gelegene Quelle der tatsächlichen oder vermeintlichen Inspirationen postuliert. Lediglich die Gegner des Enthusiasmus argwöhnten seit jeher, daß all die vorgeblichen Einflüsterungen und Visionen allein der unkontrollierten Fantasie des Betroffenen entsprängen und ausschließlich im Reich bodenloser Subjektivität existierten. Bei den Transzendentalisten hat nun jedoch eine kaum verbrämte Verlagerung des göttlichen Orakels stattgefunden: Kein transzendenter Gott macht den Menschen mehr zum Rezipienten seiner Offenbarungen - wodurch dem Menschen quasi von außen etwas zu seinem bisherigen Wissen und Menschsein hinzugegeben wird - , sondern der göttliche Geist ist immanent, von Anfang an Teil menschlicher Natur, wenn auch erst in einem bestimmten Augenblick zum Leben erweckt; das Innerste des Menschen spricht also selbst mit göttlicher Stimme. Wenn Emerson in "Self-Reliance" sagt: We lie in the lap of immense intelligence, which makes us receivers of its truth and organs of its activity. When we discern justice, when we discern truth, we do nothing of ourselves, but allow a passage to its beams. . . . Its presence or its absence is all we can affirm,41

so scheint er damit zwar das traditionelle Bild zu bestätigen, daß der Enthusiast von einer außerhalb seiner selbst liegenden göttlichen Macht ergriffen und zum passiven Empfänger des von ihr ausgehenden Einflusses wird. Tatsächlich greift aber auch er, wie Aleott, zu Begriffen wie "Instinct" oder "Spontaneity", um den Nährboden der göttlichen Er40 41

The Dial, 1 (1840/1), 85. Collected Works, II, 37.

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kenntnisse zu lokalisieren. Mag es auch manchmal so scheinen, als beruhten die Eingebungen des göttlichen Geistes auf Ursachen, die von außen an den Menschen herantreten, so schlägt sich in solch einem Eindruck doch weniger ein realer Kausalnexus nieder als das unvollkommene Verständnis des Menschen für die im Kosmos waltenden Gesetze: For the sense of being which in calm hours rises, we know not how, in the soul, is not diverse from things, from space, from light, from time, from man, but one with them, and proceeds obviously from the same source whence their life and being also proceed. We first share the life by which things exist, and afterwards see them as appearances in nature, and forget that we have shared their cause.42

In Wirklichkeit ist das Göttliche im Menschen selbst beheimatet, und es bedarf allenfalls gelegentlicher Anstöße von außen, um es erneut zum Sprechen zu bewegen. Insofern unterscheidet sich auch die Passivität des Transzendentalisten, von der des öfteren die Rede ist, in bedeutsamen Nuancen von der ohnmächtigen Überwältigung des früheren Enthusiasten durch eine andersgeartete göttliche Macht. Diese Aussage gilt, obwohl die Ausdrucksweise, in der besonders Emerson das Ergriffenwerden beschreibt, dazu angetan ist, gerade die Identität mit den enthusiastischen Momenten göttlicher Offenbarung zu unterstreichen: It is an easy thing to say Spontaneity, - but not so easy to enter the dim infinity, which all spontaneous action implies. In all works, books, acts, manners, words, to which this sacred emphasis of Genius attaches, it is not mere man, but more than man that worketh. The energy is not a knack, a habit, a skill of practice, a working by a rule, nor any empirical skill whatever; it is not anything the man can handle and describe and communicate, can even do or not do, but always a power which overawes himself, always an enthusiasm not subject to his control, which takes him off his feet, draws him this way and that, and is the master, not the slave.43

Wie beim Enthusiasten ruht das Hauptaugenmerk auf der Ohnmacht des unwillkürlich Ergriffenen: Eine Macht, die sich der Kontrolle des Menschen entzieht, ergreift für eine Zeitlang förmlich von ihm Besitz und kontrolliert sein Denken und Handeln. Dank solcher Momente, da die Individualität in der Gegenwart des Göttlichen versank, vollbrach-

42 43

Ibid. Emerson, "Genius," Early Lectures, III, 70. Äußerungen, die in ähnlicher Weise eine rein rezeptive, passive Haltung beschreiben, sind zahlreich: siehe z.B. Collected Works, II, 37, 81-82,159-160,190,195; HI, 15-16. Die Tagebücher verweisen hier wieder auf die Parallele zum Quäkertum, z.B. Journals and Miscellaneous Notebooks, IV, 263-264; V, 6.

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ten große Menschen ihre hervorragendsten Leistungen, verwirklichten sie am vollkommensten ihr wahres Sein: Their success lay in their parallelism to the course of thought, which found in them an unobstructed channel; and the wonders of which they were the visible conductors, seemed to the eye their deed. Did the wires generate the galvanism? It is even true that there was less in them on which they could reflect, than in another; as the virtue of a pipe is to be smooth and hollow. 44

Fast bis in das Bild hinein gleichen sich die Beschreibungen enthusiastischer Passivität: Wo früher von dem Gefäß gesprochen wurde, in das sich der göttliche Geist ergießen müsse, da verwendet Emerson nun die etwas moderneren, aber eng verwandten Bilder vom elektrischen Draht und der Röhre. Der Rückgriff auf traditionelle Konzepte des Enthusiasmus reicht also offensichtlich bis ins Detail. Dennoch ist das Göttliche bei Emerson trotz aller Formulierungen, die etabliertes Gedankengut fortzuschreiben scheinen, nicht so sehr ein fremder Einfluß als eine wesensverwandte Größe, keine Macht, die sich dem Menschen von außen nähert, sondern eine, die, wenn auch oft unbemerkt, in seinem Innern wohnt: "within man is the soul of the whole." Dadurch verschmelzen Ergreifender und Ergriffener letzten Endes zu einer Einheit oder, wie Emerson es ausdrückt: "the act of seeing and the thing seen, the seer and the spectacle, the subject and the object, are one." 4 5 Hierin besteht der feine Unterschied zu früheren Vorstellungen des Enthusiasmus: Wenn Gott vom Menschen Besitz ergriff, verwandelte er die menschliche Natur durch die Macht seiner Gnade, hob sie auf eine wesensmäßig andere Ebene. Für den Transzendentalisten jedoch beinhaltet derselbe Vorgang die Erweckung und Bewußtwerdung einer göttlichen Natur, die latent im Menschen ständig vorhanden ist. Ihr Aufscheinen kann allerdings nicht erzwungen werden. Das Göttliche im Menschen ist kein Organ wie andere, über das der Mensch Verfügungsgewalt hätte. Vielmehr bleibt nichts anderes übrig, als geduldig abzuwarten, bis die innere Stimme sich von selbst zu Wort meldet. So verstanden, gehören Passivität und Geduld zu den wichtigsten Eigenschaften des Transzendentalisten. Wahre Selbstverwirklichung ist nur möglich, wenn man die Ausdauer besitzt abzuwarten, wenn man erst im wirklich Wesensgemäßen den Aufruf zum Handeln vernimmt. Das alte puritanische Konzept von der Berufung jedes Menschen gewinnt hier neues Leben, nur mit dem mittlerweile

44

45

Emerson, "Spiritual Laws," Collected Works, II, 79. Vgl. ferner Journals and Miscellaneous Notebooks, V, 95-96. "The Over-Soul," Collected Works, II, 160.

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vertrauten Unterschied, daß nicht Gott Berufung und Berufeines Menschen vorherbestimmt, sondern daß sich beides ebenso zwingend aus den immanenten Fähigkeiten des Einzelnen ergibt. Wozu die innere Stimme einen Menschen aufruft, darin erkennt er seine Berufung. 46 Bis dieser Ruf jedoch untrüglich erschallt, übt sich der weise Mensch in Geduld, wie es Emerson in einem fiktiven Zwiegespräch zwischen den Anhängern der neuen Lehren und der Welt eindrucksvoll schildert: We are miserable with inaction. We perish of rest and rust. We do not like your work. 'Then,' says the world, 'show me your own.' 'We have none.' 'What will you do, then?' cries the world. 'We will wait.' 'How long?' 'Until the Universe rises up and calls us to work.' 'But whilst you wait, you grow old and useless.' 'Be it so: I can sit in a corner and perish, (as you call it,) but I will not move until I have the highest command. If no call should come for years, for centuries, then I know that the want of the Universe is the attestation of faith by this my abstinence.47

Was das innere Orakel dem Menschen diktiert, verlangt also unbedingten Gehorsam wie ehedem eine göttliche Offenbarung. Zwar versucht Emerson dem naheliegenden Vorwurf purer Subjektivität zu begegnen, indem er das Göttliche im Menschen unauflöslich verkettet mit dem Geist, der den gesamten Kosmos beseelt, und es so auf eine höhere, nicht mehr nur im Subjekt verhaftete Ebene hebt. Die Eingebungen des Inneren sollen dadurch vom Geruch des Willkürlichen befreit werden und die Autorität einer übersubjektiven Kraft erhalten: "perception is not whimsical, but fatal." 48 Aber dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, da sich das subjektive Element immer wieder durchsetzt und sich trotz der Einbindung in generellere Prozesse letztendlich als die allein maßgebliche Konstante behauptet. So heißt es folgerichtig in Emersons eigener Beschreibung des Transzendentalisten: His thought, - that is the Universe. His experience inclines him to behold the procession of facts you call the world, as flowing perpetually outward from an invisible, unsounded centre in himself, centre alike of him and of them, and necessitating him to

46 47

48

Emerson, "Spiritual Laws," Collected Works, II, 82. "The Transcendentalist," Collected Works, I, 212. Vgl. ferner "Reforms," Early Lectures, III, 266. "Self-Reliance," Collected Works, II, 38.

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Der Transzendentalismus

regard all things as having a subjective or relative existence, relative to that aforesaid Unknown Centre of him.49

Ein bedeutsamer Aspekt des transzendentalistischen EnthusiasmusVerständnisses ist also die radikale Bejahung des subjektiven, oft geradezu egozentrischen Elements, das im Enthusiasmus potentiell schon immer angelegt war. Wo frühere Enthusiasten ihre Offenbarungen stets noch auf eine außerhalb des Ichs angesiedelte Macht zurückführten, selbst wenn diese Behauptung nicht objektiv nachzuweisen war, da lassen die Transzendentalisten diesen Anspruch nun gänzlich fallen und bekennen sich freimütig, ja sogar stolz zu dem Subjektivismus, den Kritiker den Enthusiasten schon immer vorgeworfen hatten. Die Aufwertung spontaner, unreflektierter Empfindungen, die sich in Parolen wie "obey thy heart" oder "Trust the instinct to the end" 50 manifestiert, rundet den Eindruck, daß der Transzendentalismus in vielerlei Hinsicht traditionellen Vorstellungen des Enthusiasmus verpflichtet ist, weiter ab. Vor allem bei Bronson Aleott ist der Lobpreis instinktiver Gefühle fast automatisch mit einer korrespondierenden Geringschätzung der rationalen Fähigkeiten verbunden. Wie in seinen Aphorismen zum Thema Enthusiasmus Kopf und Herz gegeneinander ausgespielt werden, so liegt dieselbe Polarisierung seinen Bemerkungen über "Instinct and Reason" zugrunde: Innocent, the soul is quick with instincts of unerring aim; then she knows by intuition what lapsed reason defines by laborious inference; her appetites and affections are direct and trustworthy. Reason is the left hand of instinct; it is tardy, awkward, but the right is ready and dextrous. By reasoning the soul strives to recover her lost intuitions; groping amidst the obscure darkness of sense, by means of the fingers of logic, for treasures present alway and available to the eye of conscience. Sinners must needs reason; saints behold.51

Die Anklänge der intuitiven Schau des Transzendentalisten an Jonathan Edwards' "sense of the heart" sind unüberhörbar, zumal hier in der Gegenüberstellung von Erwählten und Nicht-Erwählten, Schauenden und Nicht-Schauenden. Auch die Tatsache, daß den Affekten in diesem Zusammenhang die überragende Rolle zugemessen wird, unterstreicht, ungeachtet aller Unterschiede, die darüber nicht vergessen werden dürfen, die parallele Zielorientierung bei Edwards und den Transzendentalisten in ihren jeweiligen historischen Situationen. Wie Edwards seine Theorie

49

50 51

"The Transcendentalism" Collected Works, I, 203. Vgl. auch, neben zahlreichen anderen Stellen, "Spiritual Laws," ibid., II, 81-82. Emerson, "Self-Reliance," Collected Works, II, 47; "Intellect," ibid., II, 196. The Dial, 1 (1840/1), 88.

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von den religiösen Affekten als einen Beitrag zur Überwindung des stetig anwachsenden Rationalismus in der zeitgenössischen Kirche verstand, revoltieren auch die Transzendentalisten mit ihrer Betonung spontaner Empfindungen gegen den ihrer Meinung nach gefühlskalten und leblosen Rationalismus der Unitarier. Selbst William Ellery Channing, prominentester Unitarier seiner Zeit und gewissenhafter Mahner vor den Gefahren des Enthusiasmus, stellt das Defizit der Unitarier auf dem Gebiet tiefwurzelnder religiöser Gefühle nicht in Abrede: It is objected to Unitarian Christianity that it does not possess this heart-stirring energy; and if so, it will - and still more, it ought - to fall; for it does not suit the spirit of our times, nor the essential and abiding spirit of h u m a n nature. Men will prefer even a fanaticism which is in earnest, to a pretended rationality which leaves untouched all the great springs of the soul, which never lays a quickening hand o n our love and veneration, our awe and fear, our hope and joy. 52

Angesichts des durchaus vorhandenen Nachholbedarfs richtet sich das Bestreben der Transzendentalisten also zunächst einmal darauf, das verlorengegangene Gleichgewicht von Intellekt und Gefühl wiederherzustellen, indem sie darauf bestehen, daß in der Entwicklung eines vollwertigen Individuums auch den spontanen Empfindungen legitimerweise Vertrauen gebühre: we contend, that the sentiments are as worthy of reliance, as the understanding; that, to speak in popular language, the testimony of the heart is as legitimate, as that of the head. But we would not merely rely on this order of our faculties, which we call the sentiments. We would have them appealed to, as the most essential part of our nature. . . . We value man's whole nature; man's whole nature is essential. . . . But if we d o this, we shall find, that the sentiments, the feelings, are entitled to a much higher rank than it has been customary to assign them for the last century. 5 3

Zwar beteuern sie verschiedentlich, daß deshalb den rationalen Fähigkeiten ihr Rang keineswegs streitig gemacht werden soll, weil Gefühl und Verstand sich idealerweise in ihren Arbeitsfeldern ergänzen, nicht beeinträchtigen, 54 doch ergibt sich unter dem Strich oft ein spürbares Übergewicht zugunsten der nicht-rationalen Intuition. Aus der ständig wiederholten Behauptung, daß die gefühlsmäßige Intuition zeitliche

52

53 54

"The Demands of the Age on the Ministry: Discourse at the Ordination of the Rev. E. S. Gannett, Boston, 1824," Complete Works, S. 190-191. Zu diesem Vorwurf an die Adresse der Unitarier vgl. Goddard, Studies in New England Transcendentalism, S. 23-27. Brownson, "Constant on Religion," 71, 73. Z.B. Ripley, Discourses on the Philosophy of Religion und Specimens ofForeign Standard Literature, beide in The Transcendentalists, S. 133-134 und 297.

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Der Transzendentalismus

Priorität vor der Einschaltung des Verstandes habe, leitet sich mehr oder weniger explizit eine entsprechende Priorität in der Rangfolge ab. In seinem unveröffentlichten Manuskript Psyche, das Emerson teilweise vor der Abfassung von Nature studierte, verleiht Aleott dem allgemeinen Konsens unter den Transzendentalisten im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Gefühls pointierten Ausdruck: Ever doth the heart precede the head, and the first is the herald and prophet of the other. As in infancy and childhood the heart is the foreteller and seer of life's purposes and prospects, and the head becometh the co-worker to bring up the labour and carry out its completion; even so should it be in the days of adolescence, for then is the heart the same divine prophet. And woe to him who hath distrusted the prophecy and taken counsel of the blind and shortsighted head - which is but the humble interpreter and representative of the heart's purposes, but never the rival or predecessor! Whoso listeneth to the teachings of the heart shall become wise. He shall know of the doctrine, whether it be of God or of man, while he that seeketh to apprehend all by his head shall stumble and fall over the truths that his heart loveth and shall become a fool in very deed. 55

Es liegt auf der Hand, daß die auf Schritt und Tritt vorgetragene Aufforderung, der Mensch solle sich überall, wo es um letzte Wahrheiten geht, vor allem in den entscheidenden Fragen von Religion und Moral getrost der Führung seiner intuitiven Gefühle anvertrauen, leicht als ein Aufruf zu blindem Emotionalismus mißdeutet werden konnte, wie dies ja bereits den Anhängern des "Great Awakening" mit ihrer verwandten Position widerfahren war. Orestes Brownson nennt diese Gefahr denn auch prompt beim Namen: So far as Transcendentalism is understood to be the recognition in man of the capacity of knowing truth intuitively, or of attaining to a scientific knowledge of an order of existence transcending the reach of the senses, and of which we can have no sensible experience, we are Transcendentalists. But when it is understood to mean, that feeling is to be placed above reason, dreaming above reflection, and instinctive intimation above scientific exposition; in a word when it means the substitution of a lawless fancy for an enlightened understanding, as we apprehend it is understood in our neighborhood, by

55

Zitiert in Cameron, Emerson the Essayist, II, 114. Ähnlich äußert Aleott sich in The Dial, 2 (1841/2), 416-417. Emerson vertritt dieselbe Position: "Intellect," Collected Works, II, 195-196 - basierend auf einem Tagebucheintrag vom 21. Juli 1836 (Journals and Miscellaneous Notebooks, V, 186) - , und Journals and Miscellaneous Notehooks, IV, 292 (datiert 21. Mai 1834). Ein früher Rezensent von Emersons Nature, Francis Bowen, konstatierte demzufolge: "The distinguishing trait of the Transcendental philosophy, is the appeal which it makes from the authority of reason and argument to that of passion and feeling" (in Merton M. Sealts, Jr., und Alfred R. Ferguson, eds., Emerson's "Nature": Origin, Growth, Meaning [Carbondale, 111., 2 1979], S. 86).

Das transzendentalistische Enthusiasmus-Verständnis

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the majority of those who use it as a term of reproach, we must disown it, and deny that we are Transcendentalists.56

In erster Linie verwahrt er sich hier gegen Fehlinterpretationen, mit denen Kritiker die Ansichten der Transzendentalisten entstellen. Man geht aber vielleicht nicht fehl in der Vermutung, daß seine Worte wohl auch als eine Warnung an seine Mitstreiter gemeint sind, in der Betonung des Gefühls nicht über das Ziel hinauszuschießen. Immerhin hatte ja schon die religiöse Erneuerung des 18. Jahrhundens durch diesen Fehler viel von ihrem Ansehen und ihrer Wirkung eingebüßt. Die Gegner des Transzendentalismus sahen die neue Bewegung ohnehin von vornherein auf der Welle des Enthusiasmus schwimmen. Ein ansonsten durchaus wohlgesonnener englischer Rezensent der Werke Emersons kann 1840 sein Entsetzen nicht verbergen, als er auf die enthusiastische Position der Transzendentalisten zu sprechen kommt: What a battle field for enthusiasms would the world become, did men once believe that they are not speaking, but spoken from! What a range for every fancy-fuddled and passion-puzzled man to wander through, proclaiming his own Messias-ship, and abjuring all other divinity! What a premium on the worst, because wilful, ignorance, on the worst, because uneasy, idleness! What a discord of obstinate and irresponsible wills to drown the voice of conscience and opinion!57

Die altvertrauten Schreckgespenster der Subjektivität und Selbstglorifizierung, der Fantasievorspiegelungen, die als göttliche Eingebungen gelten, der Bildungsfeindlichkeit58 und der Anarchie auf moralischer und sozialer Ebene, die sich an die Theorie von den direkten Offenbarungen knüpfen, tauchen hier gebündelt wieder auf. Im Jahr zuvor hatten schon J. W. Alexander, Albert Dod und Charles Hodge, drei Professoren in Princeton, ihr Mißfallen an den neuen Lehren in ganz

56 57 58

In The Transcendentalists, S. 246. Zitiert in Cameron, Emerson the Essayist, I, 407. Den Vorwurf der Bildungsfeindlichkeit erhebt auch Andrews Norton (in The Transcendentalists, S. 193-194). Selbst der frühe Emerson sieht hierin eine der Hauptgefahren des Enthusiasmus, wie sein Tagebucheintrag vom 19. Januar 1823 beweist (Journals and Miscellaneous Notehooks, II, 84). Im Gegensatz zu Joel Porte, Emerson and Thoreau: Transcendentalists in Conflict (Middletown, Conn., 1966), S. 79, bin ich allerdings nicht der Meinung, daß sich später nur das Vokabular, nicht jedoch die Einstellung ändert. Zumindest während der 30er und frühen 40er Jahre wird der Enthusiasmus positiver beurteilt. Das beweist die Gegenüberstellung einer Passage aus "George Fox" (Early Lectures, I, 168) mit dem oben genannten Tagebucheintrag: In dem Vortrag deutet Emerson selbst die Abkehr des Enthusiasmus von traditioneller Bildung noch positiv. Zu einem ähnlichen Ergebnis, auch wenn er die Entwicklung eher bedauerlich findet, kommt übrigens auch J. A. Ward in "Emerson and 'The Educated Will': Notes on the Process of Conversion," ELH, 34 (1967), 495-517.

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ähnlich klingenden Tönen kundgetan. Nach einer kurzen und verständigen Vorstellung der wichtigsten transzendentalistischen Anschauungen haken auch sie beim Stichwort Enthusiasmus ein, um darzulegen, daß der Glaube an unmittelbare Offenbarungen für jedermann der Bibel zwangsläufig das Fundament entzieht. Folgerichtig können sie in Emersons "Divinity School Address" keinen einzigen Verweis auf die Heilige Schrift entdecken, statt dessen aber manche fragwürdigen Wahrheiten, die sich mit den Lehren der Bibel überhaupt nicht vertragen. 59 Nachdem sie der neuen Form des Enthusiasmus des weiteren das traditionelle Argument eines unüberprüfbaren Subjektivismus und kategorischer Unbelehrbarkeit entgegengeschleudert haben - " I t . . . imparts to them a knowledge which none others can attain . . . and makes them incommensurable with any standard of criticism but their own" - , gipfelt die Anschuldigung in dem Vorwurf, daß bei den Transzendentalisten die eigenen unkontrollierten Leidenschaften die Stelle Gottes einnehmen: it takes captive the imagination, and, a still more dangerous recommendation, it tends to lighten and remove the restraints of passion. It recognises no standard of right and wrong but the reason of man, and permits no appeal from the decisions of humanity to the authority of the one living and true God. While it retains the name of God, and does not, therefore, at once startle and shock the feelings like open atheism, it teaches its disciples to deify themselves and nature, and to look upon all phenomena alike, whether of the material universe or of the mind of man, as manifestations of the Deity. Every emotion of the heart is an acting forth of God, and every indulgence of a passion, however depraved, becomes an act of worship.60

Mit dem bekannten Vorwurf, daß der Enthusiasmus nur ein Vorwand sei, um den Leidenschaften ungehemmten Lauf zu lassen, verknüpft sich der Argwohn, daß hier in einer subtilen Form von Atheismus der Mensch sich selbst zum Maß aller Dinge setze. Dadurch, daß Gott in allen Erscheinungsformen des Universums präsent ist, verwischen sich in den Augen dieser Kritiker notwendige religiöse und ethische Abgrenzungen. Emersons Diktum "What your heart thinks great, is great. The soul's emphasis is always right" 61 mündet, so befürchten seine Gegner, allzu schnell in einen anarchischen Subjektivismus, bei dem jedes Individuum auf größtmöglicher Entfaltung des eigenen götdichen Potentials besteht, sowie in ein wertzersetzendes Antinomiertum, bei dem alles rechtens ist, was der individuellen charakterlichen Konstitution ent-

59

60 61

In The Transcendentalists, S. 236, 239.

Ibid., S. 237.

"Spiritual Laws," Collected Works, II, 84.

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spricht. Spielerisch gesteht Emerson selber die innere Logik solch einer Folgerung ein, wenn er in "Self-Reliance" provokativ die folgende Anekdote berichtet: I remember an answer which when quite young I was prompted to make to a valued adviser who was wont to importune me with the dear old doctrines of the church. On my saying, What have I to do with the sacredness of traditions, if I live wholly from within? my friend suggested - "But these impulses may be from below, not from above." I replied, "They do not seem to me to be such; but if I am the Devil's child, I will live then from the Devil." No law can be sacred to me but that of my nature. Good and bad are but names very readily transferable to that or this; the only right is what is after my constitution, the only wrong what is against it.62

Sicherlich ist diese Äußerung nicht als ein freimütiges Bekenntnis zum Antinomiertum zu verstehen. Schließlich bietet für Emerson die Einbindung der individuellen Seele in den allgegenwärtigen göttlichen Geist, von dem sie ein Teil ist, die Gewähr dafür, daß das Subjekt und damit auch das Subjektive letztlich in einer allgemeineren Objektivität aufgehoben wird. Wer allerdings diese zugrundeliegende Überzeugung nicht teilt, für den unterscheiden sich die Anschauungen der Transzendentalisten kaum noch von der radikalen Normverachtung des Antinomiers. 63 So erklärt sich auch das Entsetzen, das William Ellery Channing an den Tag legt, als Aleott ihm einmal die transzendentalistische These von der wesensmäßigen Identität der individuellen und der göttlichen Seele vorstellt: I attempted to show the identity of the human soul, in its diviner action, with God. At this he expressed great dislike, even horror. He felt that doctrines of this character undermined the very foundations of virtue, confounded the nature of good and evil, destroyed human responsibility, and demolished free will.64

Grund für die gelegentlich zu beobachtenden antinomischen Tendenzen des Enthusiasten ist der Absolutheitsanspruch, mit dem er seine intuitiven Erkenntnisse vorträgt. Nicht der Glaube des typischen Antinomiers - so auch Anne Hutchinsons - , daß den von Gott Erwählten auch spätere Fehltritte nicht mehr vom himmlischen Pfad abbringen

62

63

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Collected Works, II, 30; ähnlich in "Spiritual Laws," ibid., II, 82. Vgl. auch das Gedicht "I will not live out of me", das Emerson am 9. Oktober 1832 in sein Tagebuch eintrug (Journals and Miscellaneous Notebooks, IV, 47-48). "The populace think that your rejection of popular standards is a rejection of all standard, and mere antinomianism," sagt Emerson in "Self-Reliance" (Collected Works, II, 42). Vgl. auch "The Transcendentalism" Collected Works, I, 204. - Anklänge an antinomische Tendenzen entdeckt bei Emerson Joel Porte in Representative Man: Ralph Waldo Emerson in His Time (New York, 1979), S. 98-104. Journals of Bronson Alcott, S. 85.

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können, läßt für ihn Gut und Böse zu einer Sache von sekundärer Bedeutung werden, sondern das Vertrauen darauf, daß das, was seine innere Stimme ihm einflüstert, notwendig göttlichem Willen entspricht. In beiden Fällen ergibt sich jedoch aus der subjektiven Gewißheit, am Göttlichen teilzuhaben, leicht der gleichgültige Verzicht auf äußerliche Bestätigung anhand tradierter Maßstäbe. We know truth when we see it, let skeptic and scoffer say what they choose. Foolish people ask you, when you have spoken what they do not wish to hear, 'How do you know it is truth, and not an error of your own?' We know truth when we see it, from opinion, as we know when we are awake that we are awake. 65

Aus diesen Worten spricht dieselbe Selbstsicherheit, mit der Anne Hutchinson ihre Offenbarungen als gottgesandt akzeptierte und sich über die zweifelnden Fragen des Bostoner Magistrats nur wundern konnte. 66 Ja, bei genauerer Betrachtung erweist sich, daß die intuitive Schau des Transzendentalisten nicht nur ohne stützende Beweise von außen auskommt, sondern daß sie von ihrer Natur her im Grunde jegliche Überprüfbarkeit von außen negiert: We can explain to the understanding, none of the workings of the sentiments of the heart, none of the emotions, the affections of the soul. Indeed, we do not wish to explain them. We are not afraid of the mysterious. 67

Die persönliche Erfahrung des Göttlichen ist nicht mitteilbar; jeder Mensch ist unweigerlich auf seine eigene Erfahrung zurückgeworfen. 68 Hier zeigt der von den Transzendentalisten geförderte Individualismus sein Janusgesicht: Die Autarkie des Individuums resultiert in seiner Vereinzelung. Schon die enthusiastische Strömung im "Great Awakening" hatte vielerorts zur Zersplitterung bestehender Gemeinschaften geführt, da der Enthusiast, selbst wo er mit Gleichgesinnten neue Bindungen eingeht, letzten Endes doch größeren Wert legt auf die Zweisamkeit der Kommunikation mit Gott als auf die Eingliederung in eine menschliche Gemeinschaft. Eine ganz ähnliche Position nimmt besonders Emerson ein: "Each man, if he attempts to join himself to others, is on all sides cramped and diminished of his proportion; and the stricter the union, the smaller and the more pitiful he is." 6 9 Ganz abgesehen von den äußeren Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen

65

66 67 68 69

Emerson, "The Over-Soul," Collected Works, II, 166; ähnlich auch schon in Early Lectures, III, 16. Vgl. oben S. 26-27. Brownson, "Constant on Religion," 72. Emerson, "The Over-Soul," Collected Works, II, 160. " N e w England Reformers," Collected Works, III, 157.

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hatten, sind die kommunalen Reformprojekte von Brook Farm und Fruitlands zu einem Großteil sicher auch an der individualistischen Einstellung ihrer Teilnehmer gescheitert, die sich der Einfügung in gemeinschaftliche Programme auf Dauer widersetzten oder aus Furcht vor der Vereinnahmung das Experiment von vornherein nur aus wohlwollender Distanz beobachteten. Denn, wie Emerson es formuliert: "no society can ever be so large as one man."70 Der Individualismus und Subjektivismus des Transzendentalisten treibt ihn also fast unvermeidlich in eine gewisse Isolation. Zum großen Teil ist diese Vereinzelung selbstgewollt, geht es dem Transzendentalisten doch stets darum, dem Urteil seiner Intuition zu folgen und so seine persönliche Integrität zu wahren. Daraus ergibt sich nicht selten die überspitzte Konfrontation von autonomem Ich und etablierter Mehrheitsmeinung: "the great man is he who in the midst of the crowd keeps with perfect sweetness the independence of solitude."71 Thoreaus Walden-Experiment ist der entschlossene Versuch, durch die Aussonderung aller störenden Faktoren und durch die Besinnung auf das Ich ein Höchstmaß an Selbstverwirklichung zu erreichen. Aber auch die Tatsache, daß die Ziele des Transzendentalismus per definitionem idealistischer Natur waren, insofern als sie bewußt das rein Sinnliche und Phänomenale überstiegen, trug sicherlich zu einer gewissen Entfremdung von transzendentalistischem Individuum und der ihn umgebenden Gesellschaft bei. Ungeachtet alles konkreten Reformeifers, den führende Transzendentalisten auf den Gebieten von Religion, Erziehung, Kunst und Gesellschaft an den Tag legten, bestand doch immer die Gefahr, daß sie die bestehenden Erscheinungsformen der Gegenwart geringschätzten im Vergleich zu ihren idealen Vorstellungen davon, was sein könnte und einmal sein würde. George Ripley warnt ausdrücklich vor der typischen Neigung des Enthusiasten, das Diesseits über der Sorge um das Jenseits zu vernachlässigen: It is a most pernicious mistake, which leads men to suppose, that they must give up the interests of this world in order to prepare for another, instead of making their preparation for another, to consist in a faithful discharge of all the claims and trusts of

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71

Ibid., III, 156. Vgl. Emersons Begründung für seine Ablehnung, am Brook-Farm-Projekt teilzunehmen: "one man is a counterpoise to a city" (Journals and Miscellaneous Notebooks, VII, 408). - Es muß allerdings angemerkt werden, daß individualistische Tendenzen bei Emerson, Thoreau oder auch Aleott weitaus stärker zum Vorschein treten als etwa bei Ripley. Emerson, "Self-Reliance," Collected Works, II, 31. Vgl. ebenso "The American Scholar," ibid., 1,68-69, und Aleott, "Orphic Sayings," The Dial, 1 (1840/1), 355;Journals, S. 98.

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t h i s . . . . The enlightened Christian, who understands the spirit of his Master, and who is resolved to cultivate it, should not be confounded with the dreaming visionary, who in the fancied care for his soul, cares for nothing else; who is so absorbed in the contemplation of the Invisible as to lose sight of the important realities before his eyes; whose mystic speculations on heaven spoil him for the duties of earth, like the ancient philosopher, who, in gazing at the stars, fell into a pit. 72

Denker wie Emerson, zumindest in seinen früheren Essays, oder Bronson Aleott setzen sich über solch eine Warnung aber auch schon einmal hinweg. Die Schranken von Zeit und Raum, die Vordergründigkeit diesseitiger Erfahrung haben keinen Bestand vor dem Zugriff des Geistes, der auf das Ewige abzielt.73 Mag der Aufstieg ins Reich des Unendlichen auch nicht frei sein von Gefahren und Illusionen, so ist er in Aleotts Augen doch dem kleinmütigen Verharren im Irdischen unter allen Umständen vorzuziehen: H o w apt am I to ascend and lose sight of the things of sense, to climb the ladder to the topmost round and there reel with the giddy prospect stretching off into indistinctness and bewilderment. Am I caught in the net of a wildly-roving fancy, or do I rise on the wings of a celestial imagination whose shapes find no correspondence and refuse to stay pinioned to earth, but ascend to seek their realization in the infinite? Verily, an Ideal glitters in my spirit, and why should I tarnish its celestial lustre by trailing it through the slime of earth? 74

In diesem die Gegenwart transzendierenden Sinne interpretiert er auch die Gestalt des Reformers. Reform darf sich nicht darauf beschränken, an vorhandenen Mißständen herumzuoperieren, weil sie sich sonst allzu leicht durch ihre Beschäftigung mit den Phänomenen der Dingwelt selbst ins bloß Phänomenale verstrickt. Reformer, die den Namen wirklich verdienen, dürfen nie ihre über das Materielle hinausreichenden Ideale, die ewigen Wahrheiten, aus dem Blick verlieren: "Extant in time, they work for eternity; dwelling with men, they are with God." 75 Die Prägnanz der Gegenüberstellung läßt keinen Zweifel daran, wo für Aleott die eigentliche Heimat des Transzendentalisten ist: Zwar lebt er im diesseitigen Reich der Sinne, doch eine tiefere Wesensverwandtschaft verbindet ihn mit der Sphäre permanenter Wahrheiten. Diesem Bereich des Göttlichen sucht der Mensch sich in einer Art individualisierter Millenniumsvision zu nähern. Schon bei Jonathan Edwards war das Millennium in den Bereich menschlicher Historie 72 73 74 75

Discourses on the Philosophy of Religion, in The Transcendentalists, S. 134. Emerson, "The Over-Soul," Collected Works, II, 162-163. Tagebucheintrag vom 18. Oktober 1834, Journals, S. 45. Aleott, "Orphic Sayings," The Dial, 1 (1840/1), 351. Die Anklänge an die traditionelle puritanische Maxime "in the world but not of it" sind unüberhörbar.

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vorgerückt, indem es noch vor dem göttlichen Weltengericht den krönenden Abschluß diesseitiger Entwicklung markierte. Der entscheidende Anstoß zum Millennium ging jedoch bei ihm nach wie vor von Gott aus: Im Zuge einer weltumfassenden Erneuerungsbewegung etablierte der göttliche Geist das Reich Gottes auf Erden. Bei den Transzendentalisten nun ist diese prognostizierte Entwicklung gleich in doppelter Hinsicht in das Individuum hineinverlegt. Nicht so sehr eine nationale Erneuerung, getragen von breiten Massen der Bevölkerung, wird anvisiert, sondern das Individuum ist je für sich Träger der angestrebten Vervollkommnung. Zum anderen erwächst diese Vervollkommnung nicht aus äußerem Anstoß, sondern aus der ständig größere Kreise ziehenden Entfaltung der dem Menschen von vornherein mitgegebenen göttlichen Anlagen. Jesus ist hierfür das große Vorbild, da er die menschlichen Fähigkeiten exemplarisch zu gottgleichem Status emporgehoben hat: "One man was true to what is in you and me. H e saw that G o d incarnates himself in man, and evermore goes forth anew to take ossession of his world." 7 6 Solch einen Zustand ständiger Vervollommnung und deshalb zunehmender Vergöttlichung kann und sollte jeder Mensch anstreben:

E

Every soul feels at times her own possibility of becoming a God; she cannot rest in the human, she aspires after the Godlike. This instinctive tendency is an authentic augury of its own fulfilment. Men shall become Gods. Every act of admiration, prayer, praise, worship, desire, hope, implies and predicts the future apotheosis of the soul. 77

Mit rigorosem Optimismus sehen die Transzendentalisten die Vervollkommnung der Zeiten und des Menschen schon jetzt in jedem Individuum vonstatten gehen; der Millenniumsprozeß ist nicht nur individualisiert, er perpetuiert sich auch ständig. Aus dem Zusammenwirken der Einzelfaktoren resultiert dann in der Zukunft die völlige Neugestaltung der Erde, ein Millennium, das sich allerdings ein eingeschworener Unitarier wie Andrews Norton nur mit Grausen vorstellen kann: They announce themselves as the prophets and priests of a new future, in which all is to be changed, all old opinions done away, and all present forms of society abolished. But by what process this joyful revolution is to be effected we are not told; nor how human happiness and virtue is to be saved from the universal wreck, and regenerated in their Medea's caldron. 78

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77 78

Emerson, "Divinity School Address," Collected Works, I, 81. Vgl. Aleotts Tagebuch vom November 1837, Journals, S. 94. Alcott, "Orphic Sayings," The Dial, 1 (1840/1), 87. In The Transcendentalists, S. 194. Eine ideale Gesellschaft, das Werk menschlicher Reformen, als Königreich Gottes auf Erden entwirft Elizabeth Peabody in "A Glimpse of Christ's Idea of Society," The Dial, 2 (1841/2), 214-228.

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Die Zukunftsorientierung der Transzendentalisten, die sich in ihren utopischen Projekten ebenso äußert wie in ihrem Glauben an individuelle Vervollkommnung, kann schnell eine Distanz zum Materiellen und Diesseitigen mit sich bringen. Aleott kokettiert ein wenig mit der Polarisierung von Jetztzeit und visionärer Zukunft, wenn er in einem seiner "Orphic Sayings" behauptet: The saints are alone popular in heaven, not on earth; elect of God, they are spurned by the world. They hate their age, its applause, its awards, their own affections even, save as these unite them with justice, with valor, with God. Whoso loves father or mother, wife or child, houses or lands, pleasures or honors, or life, more than these, is an idolater, and worships idols of sense; his life is death; his love hate; his friends foes; his fame infamy.79

Uber die bereits vertraute Zurückweisung der irdischen Verhältnisse hinaus klingt hier auch wieder die von allen bisherigen EnthusiastenFiguren bekannte Einstellung an, daß notfalls sogar die Bindungen zu den engsten Angehörigen hinter dem Anspruch der inneren Stimme zurückstehen müssen. Mag dies bei den Transzendentalisten auch weniger eine ernstgemeinte Forderung sein als vielmehr eine bewußt stilisierte Pose, so bestätigt die Einnahme einer derartigen Pose doch fast mehr noch als das tatsächliche Vorhandensein einer solchen Haltung, wie fest die Verachtung irdischer Verpflichtungen zum etablierten Bild des Enthusiasten gehört. Auch Emerson macht von dem Topos Gebrauch, um die Radikalität zu unterstreichen, mit der das Göttliche im Menschen Gehorsam verlangt ohne Rücksicht auf zwischenmenschliche Beziehungen: Check this lying hospitality and lying affection. Live no longer to the expectation of these deceived and deceiving people with whom we converse. Say to them, O father, 0 mother, O wife, O brother, O friend, I have lived with you after appearances hitherto. Henceforward I am the truth's. Be it known unto you that henceforward I obey no law less than the eternal law. . . . I appeal from your customs. I must be myself. I cannot break myself any longer for you, or y o u . . . . I will so trust that what is deep is holy, that 1 will do strongly before the sun and moon whatever inly rejoices me, and the heart appoints.80

Natürlich erstreckt sich dieser Rigorismus nicht nur auf die Bindungen zu Freunden und Angehörigen; auch das eigene Schicksal wird dem 79

80

The Dial, 1 (1840/1), 352. Daß die Diskrepanz zwischen den praktischen Erfordernissen der Aktualität und den träumerischen Visionen einer utopischen Zukunft auch den Alltag manches Transzendentalisten bestimmen konnte, belegt vor allem Aleotts Tagebuch: siehe z. B. einige Eintragungen vom April und Mai 1834Journals, S. 41-43. "Self-Reliance," Collected Works, II, 41-42; ähnlich II, 30, und in "Compensation," ibid., II, 58-59.

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göttlichen Impuls untergeordnet. Emerson erkennt dieses typische Charakteristikum des Enthusiasten in den frühen Quäkern, deren verwandter Geisteshaltung er ja, wie bereits gesehen, verschiedentlich Lob zollt. Ganz ähnlich wie Hawthorne in der Einleitung zu "The Gentie Boy" berichtet er in dem Vortrag über "George Fox" von der merkwürdigen Tendenz der ersten Quäker auf amerikanischem Boden, die Verfolgung durch die Puritaner geradezu zu suchen, statt ihr auszuweichen, und knüpft daran die verallgemeinernde Feststellung: "There is in man an appetite for pain, a mysterious groping in certain states of enthusiasm to know the worst, 'to tread the floors of hell.' " 81 Diese generelle Beobachtung über die Sehnsucht des Enthusiasten nach Opfer und Märtyrertum wird von Orestes Brownson konkreter auf den Transzendentalisten bezogen, wenn er ganz ähnliche Eigenschaften als die edelsten Früchte konsequenten Horchens auf die Stimme der Intuition nennt. Selbstverleugnung um einer guten Sache willen und die Unterstützung idealistischer Anliegen mit der Festigkeit eines Märtyrers wachsen seiner Meinung nach einzig auf dem Boden intuitiver Empfindungen von Gerechtigkeit, Moral und Religion. Once awaken the sense of duty in a man, and it is infinitely stronger than his sense of interest. Men will see every thing dear to them die, see their children drop into the grave, have their own flesh torn off by inches, sooner than they will abandon duty . . . And what is the sense of duty, but another name for the spirit of self-denial, of self-sacrifice? 82

Nur, wer wie die Transzendentalisten annimmt, daß jeder Mensch das notwendige Organ für solch eine hochherzige Gesinnung besitzt, kann überhaupt ein optimistisches Bild von den natürlichen Fähigkeiten des Menschen entwerfen. Hier wie andernorts zeigt sich also der Versuch der Transzendentalisten, typische Merkmale des Enthusiasten, die im allgemeinen Verständnis eher mit negativen Vorzeichen versehen waren, positiv umzudeuten und sich zu eigen zu machen. Wie in ihrer Interpretation aus gefährlichem Gefühlsüberschwang intuitives Empfinden, aus ohnmächtiger Passivität das geduldige Abwarten des rechten Augenblicks, aus bedenklicher Subjektivität gesundes Selbstvertrauen, aus weltfremder Jenseitsorientierung der Glaube an die allmähliche Vervollkommnung des Menschen wird, so stellt sich für sie auch die Opferbereitschaft des Enthusiasten nicht als Zeichen seiner Weltverachtung, sondern als Manifestation des höchsten Idealismus dar, zu dem der Mensch fähig ist. 81 82

Early Lectures, 1 , 1 7 9 . "Constant on Religion," 75.

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Dennoch ist hier ansatzweise die besonders in den fiktiven Darstellungen von Brockden Brown und Hawthorne aufgezeigte Gefahr zu erkennen, daß auch der transzendentalistische Enthusiast sich unter Mißachtung seiner irdischen Verantwortung an ein jenseitiges Ideal verlieren könnte. Innerhalb seiner Vortragsreihe über Biografien berühmter Persönlichkeiten kommt Emerson am Beispiel Martin Luthers auf diese Gefahr zu sprechen. Nachdem er in Luthers Charakter einen ausgeprägten Zug zu einem - begrifflich allerdings recht weit gefaßten Enthusiasmus entdeckt hat, bemerkt er einschränkend: There is in Luther's character a very important element which qualified and ennobled this Enthusiasm. A man of his mighty heart and excessive Imagination is in danger of insanity, and, in such circumstances as he fell upon, of a Mohammedan fanaticism.83

Das typische Kennzeichen des schrankenlosen Enthusiasmus, eine überschäumende Fantasie, die bis zur geistigen Verwirrung führen kann, wird nur eingedämmt durch das auch von Hawthorne immer wieder propagierte Gleichgewicht von Kopf und Herz, Gefühl und Verstand: "The healing principle, the balance-wheel that kept these dangerous powers from extravagant motions was his warm social affections. His heart was in the right place." 8 4 Dieselbe Formel ist es auch, die in "Transcendental Wild Oats", Louisa May Aleotts fiktiver Verarbeitung des Fruitlands-Experimentes ihres Vaters, die gegen Ende des Projektes drohende Krise überwinden hilft. Ausgezogen sind die Reformer im Geiste der Pilgerväter, um wie einst ihre Vorfahren der Welt ein Zeichen zu setzen und Vorkämpfer zu sein für die geistige Erneuerung der Erde. 8 5 Allzu schnell werden sie jedoch von der Aktualität wieder eingeholt und müssen erkennen, daß sie der selbstgestellten Aufgabe nicht gewachsen sind: Idealistische Träume können praktische Notwendigkeiten nicht verdrängen. Als die Gruppe sich auflöst, ist nicht nur das Unternehmen gescheitert, sondern Abel Lamb, wie Aleott in der Darstellung seiner Tochter heißt, hat durch seinen visionären Rigorismus auch alle seine bisherigen Freunde entfremdet, so daß seine Familie dem finanziellen Ruin in völliger Isolation gegenübersteht. Angesichts des totalen Mißerfolgs erliegt der Vater der Verzweiflung und gibt sich einer trostlosen Apathie hin, die anscheinend nur noch vom Tod abgelöst werden kann. In dieser krisenhaften Zuspitzung rüttelt ihn jedoch unversehens ein Gedanke auf:

83 84 85

Early Lectures, I, 138. Ibid. In Louisa May Alcott, Silver Pitchers and Independence (New York, 1908), S. 96-98.

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"My faithful wife, my little girls, - they have not forsaken me, they are mine by ties that none can break. What right have I to leave them alone? What right to escape from the burden and the sorrow I have helped to bring? This duty remains to me, and I must do it manfully. For their sakes, the world will forgive me in time; for their sakes, God will sustain me now." Too feeble to rise, Abel groped for the food that always lay within his reach, and in the darkness and solitude of that memorable night ate and drank what was to him the bread and wine of a new communion, a new dedication of heart and life to the duties that were left him when the dreams fled.86

Wie der typische Fanatiker und Enthusiast läuft Abel Lamb Gefahr, seine Familie für seine Ideale aufzuopfern. Erst im letzten Augenblick besinnt er sich auf seine menschlichen Verpflichtungen. Mit der Bereitschaft, sie anzunehmen und gewissenhaft zu erfüllen, vollzieht er die Kehrtwendung zurück zum Diesseits, die ihm nicht nur das Leben, sondern auch seine moralische Integrität bewahrt. So endet die kurze Erzählung auf einer typisch Hawthorneschen Note; die Hinwendung zum Leben beinhaltet die Absage an den Enthusiasmus: "the exiles left their Eden and faced the world again." 87 In vielen seiner Äußerungen kann der Transzendentalismus also als eine Fortsetzung und Weiterentwicklung des geläufigen EnthusiasmusKonzeptes gedeutet werden. Das erschien nicht nur manchen Kritikern der Bewegung so, auch die Transzendentalisten selber griffen des öfteren auf das vertraute Bild des Enthusiasten zurück, sei es auch vorwiegend, um es im eigenen Sinne positiv umzuinterpretieren. An den entscheidenden Merkmalen der Figur ändert sich während dieses Prozesses wenig; verändert ist in erster Linie der Blickwinkel, aus dem die vertrauten Charakteristika betrachtet werden. Daß hier der Versuch gemacht wird, den Begriff des Enthusiasmus im Gegensatz zum eingebürgerten Verständnis mit positiven Konnotationen zu füllen, kann nicht verwundern angesichts der Tatsache, daß sich hier zum erstenmal in der Geschichte Neuenglands eine Gruppe aus den angesehensten Schichten zusammenfindet, die den Begriff zumindest implizit als eine zutreffende Charakterisierung ihrer Bestrebungen akzeptiert und gleichzeitig von ihrem sozialen und intellektuellen Hintergrund her über die Möglichkeiten verfügt, ihr eigenes Enthusiasmus-Verständnis offensiv zu vertreten. Die Anhänger Anne Hutchinsons, die teilweise ebenfalls einflußreiche Positionen im Boston ihrer Tage innehatten, waren zu einem solchen Unternehmen nicht in der Lage, weil sie sich selber gar

86 87

Ibid., S. 118. Ibid., S. 120.

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nicht als Enthusiasten, sondern als verkannte Wahrer der Orthodoxie einstuften. Ebenso wiesen die Anhänger des "Great Awakening" den Vorwurf des Enthusiasmus lieber prinzipiell von sich, als daß sie sich um eine Neuinterpretation bemühten. So blieb es den Transzendentalisten vorbehalten, das Konzept auf seine positiven Deutungsmöglichkeiten hin abzuklopfen. Natürlich muß hier einschränkend angefügt werden, daß sich nicht alle Transzendentalisten im gleichen Maße mit enthusiastischen Vorstellungen identifizieren konnten. Emerson und mehr noch Aleott neigten sicher mehr dazu als etwa Ripley oder Parker. Auch darf nicht übersehen werden, daß sich der eigentliche Höhepunkt transzendentalistischen Denkens und Einflusses auf nur rund eine Dekade, von den frühen dreißigern bis in die Mitte der vierziger Jahre, erstreckt. Ziemlich genau derselbe Zeitraum ist es allerdings auch, in dem Vorstellungen, die dem Enthusiasmus nahestehen, am ausgeprägtesten sind. Die Gründe hierfür sind in der individuellen Entwicklung der einzelnen Persönlichkeiten, gewiß auch im Verlauf der gesamten Bewegung zu suchen, die ja überwiegend aus unitarischem, d. h. Enthusiasmus-feindlichem Hintergrund hervorging und sich später, sofern sie ihre Wirkung nicht weitgehend einbüßte, zunehmend konkreten gesellschaftlichen Aufgabenstellungen, namentlich dem Feldzug gegen die Sklaverei, verschrieb. Insofern stellt die hier festgestellte Verwandtschaft zum Enthusiasmus nur eine Phase im Leben solcher Männer wie Emerson, Aleott, Ripley oder Brownson dar, eine Phase allerdings, die auf jeden Fall mit dem Höhepunkt der transzendentalistischen Bewegung und meistens wohl auch mit dem Höhepunkt in der Karriere ihrer Hauptvertreter zusammenfällt. Vielleicht ist hier die Vermutung erlaubt, daß der Transzendentalismus im selben Maße an Einfluß verlor, wie sein enthusiastischer Eifer und prophetisches Feuer in der Auseinandersetzung mit den Realitäten erloschen und, nicht anders als im Unitarismus zuvor, die revolutionäre Begeisterung des Aufbruchs sich in einer nüchterneren Stimmung und einer wachsenden Institutionalisierung der verschiedenen Aktivitäten verlor. Ungeachtet solcher Einschränkungen stellt der Transzendentalismus jedoch einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des Enthusiasmusbildes dar. Mehr noch als für den veränderten Blickwinkel, aus dem der Enthusiasmus gesehen wird, gilt das für die stillschweigenden Verschiebungen, die sich innerhalb des Konzeptes bemerkbar machen. Zwar ist der Transzendentalismus von seinem Ursprung her eine religiöse Bewegung, und dementsprechend äußern sich seine enthusiastischen Züge vor allem in der direkten Kommunikation zwischen dem Menschen und einer göttlichen Macht, auch wenn in der Art, wie diese göttliche Macht vorgestellt wird - ob, wie bei Ripley, eher traditionell

Das transzendentalistische Enthusiasmus-Verständnis

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als ein persönlicher Gott oder, wie bei Emerson, mit starken Neigungen zum Pantheismus - , selbst innerhalb der Transzendentalisten bedeutsame Unterschiede zu verzeichnen sind. Doch kann gar nicht genug betont werden, daß es sich bei dieser göttlichen Macht nicht mehr um Anne Hutchinsons oder Jonathan Edwards' Gott handelt, den in allen Belangen eine wesensmäßige Kluft vom Menschen trennt. Für die Transzendentalisten hat der Mensch teil am göttlichen Wesen, und diese Nähe von Gott und Mensch drückt sich am deutlichsten darin aus, daß das Göttliche in den Menschen hineinverlagert ist. Während der Enthusiast früher seine Offenbarungen von außen, von einer seinem eigenen Wesen fremden Macht erhielt, schöpft er sie jetzt aus seinem Inneren. Damit ist nicht nur ein extremer Grad an Subjektivismus erreicht, die Rolle des Menschen ist auch in ungeheurem Maße aufgewertet. Der Ausgangspunkt der enthusiastischen Offenbarungen ist internalisiert: Wo der Enthusiast früherer Tage ein Zwiegespräch zwischen sich und seinem Schöpfer annahm, sieht der Transzendentalist nur noch einen Dialog zwischen sich und seinem wahren Ich. Obwohl der religiöse Ursprung der Idee bei den Transzendentalisten noch klar zu erkennen ist und sie gern eine mit traditionellen religiösen Bildern arbeitende Sprache pflegen, haben sie mit der Verinnerlichung und Vermenschlichung des göttlichen Impulses bereits einen entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Verweltlichung des Enthusiasmus-Konzeptes getan.

VI. Romane des Transzendentalismus: Brownson, Child, Judd Brownsons Charles Elwood Obwohl die Transzendentalisten auch in der Literatur neue Wege aufzuzeigen versuchten, um den von ihnen propagierten Zielen adäquaten künstlerischen Ausdruck zu verschaffen und in den Vereinigten Staaten eine eigenständige nationale Literatur zu begründen, die sich mit den Äußerungen Europas messen konnte, beschränkte sich ihre Tätigkeit eigenartigerweise doch weitgehend auf die theoretische Formulierung ihrer Ziele - wie zum Beispiel in Emersons "The American Scholar" - , auf die Rezeption und Förderung geistesverwandter europäischer Literatur - wie zum Beispiel in Ripleys großangelegter Sammlung Specimens ofForeign Standard Liter ature - sowie auf Literaturkritik in Form von Rezensionen, die zum Beispiel in ihrer Zeitschrift The Dial erschienen. Zwar traten nahezu alle bedeutenderen Transzendentalisten mit Werken an die Öffentlichkeit, die ihre Herkunft aus dem Bereich der Predigt und der theologischen oder politischen Abhandlung zu erkennen geben, aus einem Bereich also, in dem puritanische Geistliche sich seit jeher betätigt hatten, doch fand unter den drei traditionellen Gattungen Roman, Drama und Lyrik lediglich die Lyrik nennenswerte Berücksichtigung bei ihrer eigenen literarischen Produktion. Darin tritt natürlich der religiöse Hintergrund sowohl in den Biografíen der meisten führenden Transzendentalisten als auch im Gedankengut der Bewegung insgesamt zum Vorschein, denn neben der Prosa-Abhandlung in Anlehnung an die Predigt war die Versdichtung schon seit den Tagen einer Anne Bradstreet, eines Michael Wigglesworth oder eines Edward Taylor der puritanischen Neigung zu Meditation und Reflektion am ehesten entgegengekommen. Besonders auf dem Gebiet der erzählenden Prosa, die doch seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in den USA einen bemerkenswerten Aufschwung erlebte, bleibt nur das nahezu völlige Fehlen transzendentalistischer Beiträge zu konstatieren. Die einzigen beiden Werke, die Anspruch darauf erheben können, als fiktionale Schöpfungen in geistiger Nähe zum Transzendentalismus angesehen zu werden, sind Lydia Maria Childs 1836 veröffentlichter Roman Philothea: A Romance und Sylvester Judds 1845 erschienener Bildungs-

Brownsons Charles Elwood

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roman Margaret: A Tale of the Real and the Ideal, Blight and Bloom

Selbst diese beiden Werke entstammen allerdings nur der Peripherie des Transzendentalismus, so daß man auf beide ausdehnen kann, was Streeter am Ende seiner Erörterung von Childs Philothea zugesteht: After reading the romance, one must admit, however, that this influence was largely a one-way affair. That is, although one cannot conceive of Philothea without Transcendentalism, one can conceive of Transcendentalism without Philothea}

Dem Kern des Transzendentalismus näher, dafür jedoch auch ein gutes Stück weiter entfernt von echter fiktionaler Durchgestaltung des Stoffes ist Orestes Brownsons Charles Elwood, or the Infidel Converted, ein Werk, das Brownson 1840 veröffentlichte, das er jedoch seiner eigenen Angabe zufolge zum größten Teil bereits 1834 verfaßte. 3 Wie das Vorwort verrät, ist sich Brownson selber über die Zwitterstellung seines Werkes zwischen fiktionaler Erzählung und religiösem Traktat durchaus im klaren: I do not send it forth as a work of an, and I have not studied to conform to the established laws of the species of composition to which it may seem to belong. It has the air of being a work of fiction; but it has been written in an earnest spirit for a serious purpose.4

Tatsächlich läßt sich kaum von einer richtiggehenden Handlung sprechen. Vielmehr dient ein dürftiges Handlungsgerüst, das die Glaubenszweifel eines Skeptikers, den daraus resultierenden Bruch mit seiner Verlobten sowie seine schließliche Wiedergewinnung christlicher Überzeugungen beschreibt, nur dazu, mehrere theologische Diskussionen mit Vertretern des orthodoxen Kalvinismus und eines liberalen Transzendentalismus an einem dünnen Faden aneinanderzureihen. Immerhin faßt das Werk jedoch die wichtigsten theologischen Positionen des Transzendentalismus in klarer und anschaulicher Weise zusammen und

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Judds Werk wurde schon immer in Beziehung zum Transzendentalismus gesehen und galt lange als einziges Exemplar der Spezies "transcendental novel". Seine Berührungspunkte mit dem Transzendentalismus legt Philip Judd Brockway, "Sylvester Judd: Novelist of Transcendentalism," NEQ, 13 (1940), 654-677, dar; vgl. auch Donald R. King, "Emerson's 'Divinity School Address' andjudd's Margaret," ESQ, 47 (1967), 3-7. Lydia Maria Childs Philothea wird von Robert E. Streeter, "Mrs. Child's 'Philothea': A Transcendentalist Novel?," NEQ, 16 (1943), 648-654, dem Transzendentalismus zugeordnet. "Mrs. Child's 'Philothea'," 654. "Charles Elwood Reviewed," The Works of Orestes A. Brownson, ed. Henry F. Brownson (Detroit, 1882-87), IV, 316. Charles Elwood, in Works, IV, 173. Stellenangaben aus Charles Elwood beziehen sich im folgenden auf diesen Text und stehen in Klammern hinter dem Zitat.

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verdient, wenn schon nicht wegen seiner literarischen Qualitäten, so zumindest aufgrund seines gedanklichen Inhalts eine kurze Behandlung, die über die bloße Suche nach autobiografischen Informationen hinausgeht.5 Aufbauend auf der Philosophie der französischen Eklektizisten Cousin und Constant, läßt das Werk die wichtigsten transzendentalistischen Anschauungen zur Religion Revue passieren und bekennt sich dabei auch zu jener Version des Enthusiasmus, die, wie oben gesehen, ein integraler Bestandteil des Transzendentalismus ist. Zunächst wird in zwei Gesprächen, die der Skeptiker Charles Elwood mit den orthodoxkalvinistischen Geistlichen Mr. Smith und Mr. Wilson führt, die Unhaltbarkeit der traditionellen Auffassung über die Rolle der Bibel als einzig verläßlicher Quelle göttlicher Offenbarung und die Lückenhaftigkeit aller herkömmlichen Gottesbeweise dargelegt. Besonders Mr. Smith benutzt ausführlich Argumente zur Rolle der Wunder in der Bibel, die genau der Position des Unitariers Andrews Norton entsprechen, und wie dieser beruft er sich ständig auf die Autorität fremden Zeugnisses.6 Schon hier gelingt es Elwood jedoch, die mangelnde logische Konsistenz dieser Haltung zu den Wunderberichten aufzuzeigen. Im weiteren Verlauf weitet sich seine Anschauung dann unter dem Einfluß transzendentalistischen Gedankenguts zu einer generellen Zurückweisung fremder Autoritäten und zu der Forderung nach Unmittelbarkeit religiöser Erfahrung aus.7 Den entscheidenden Anstoß in dieser Hinsicht erhält Elwood, als er der Predigt eines Mr. Morton beiwohnt, der am Beispiel des Apostels Paulus die Unverzichtbarkeit unmittelbaren religiösen Erlebens demonstriert: "the Gospel of Jesus Christ cannot be learned of men. . . . Every one should draw from the original fountain, take Jesus Christ and none other for his instructor" (IV, 258). Der Gang zu den ursprünglichen Quellen religiöser Erkenntnis meint aber nicht etwa die Konsultation der Bibel, sondern den direkten Weg zu Gott. Wie Mr. Morton in seiner Predigt betont, steht auch heute noch jedem Menschen der unmittelbare Zugang zu Gott offen, da göttliche Offenbarungen sich nicht in den Bibelworten erschöpfen:

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Darauf beschränkt sich Americo D. Lapati, Orestes A. Brownson (New York, 1965), S. 27-29. Allerdings wird er in dieser Sichtweise durch Brownsons eigene Äußerung bestärkt: "I am willing the public should take the book as an account which I have thought proper to give of my own former unbelief and present belief' (Charles Elwood, IV, 173). Charles Elwood, IV, 179-186. Charles Elwood, IV, 255-256.

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To say that God has discontinued his revelations to man, is only saying in other words, that all intercourse between him and us, is broken off; which is virtually saying that we are without God; at least that there is for us no living God, but only a God that was, but is not. A God that was but is not, is no God at all. (IV, 260)

Damit ist die Basis für den vertrauten transzendentalistischen Intuitionismus gelegt, jene Offenbarungen des Göttlichen, die dem Innern jedes einzelnen Menschen entspringen: They who deny to man all inherent capacity to know God, all immediate perception of spiritual truth, place man out of the condition of ever knowing any thing of God. Man can know only what he has a capacity to know. God may speak to him, and utter truths which he could not of himself have found out, but unless there be in him something which recognizes the voice of God, and bears witness for God, it is all in vain. If there be not this something in man, then can man receive no revelation from God. There must be a God within to recognize and vouch for the God who speaks to us from without. (IV, 187)

Den Nachweis zu führen, daß jeder Mensch in seinem Innern Anteil hat am göttlichen Geist und dadurch befähigt ist, göttliche Offenbarungen als solche zu erkennen und aufzunehmen, darauf zielen letztlich die Debatten, die in Charles Elwood geführt werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist Gott auch für den heutigen Menschen noch unmittelbar erlebbar; dann allerdings können immer noch göttliche Offenbarungen an jeden Menschen ergehen. Der Ursprung dieser Offenbarungen wird in das Innere des Menschen hineinverlegt. Mag auch die Wendung "the God who speaks to us from without" noch das traditionelle Bild von einer menschlichem Wesen fremden göttlichen Macht heraufbeschwören, so wird die göttliche Stimme durch ihre Identifizierung mit den Eingebungen spontaner Intuition in Wahrheit doch in den Menschen hineinprojiziert. Zwar übt der Mensch keine aktive Gewalt über dieses göttliche Organ aus, hat keine Kontrolle über die Tätigkeit seiner Intuition, doch ist sie nichtsdestoweniger Teil seines eigenen Wesens. Now the truths we affirm on the authority of the spontaneous activity of reason, we do not and cannot ascribe to ourselves. We are conscious that in the revelation of these truths we have taken no part. We have done nothing. We do not seem to ourselves to have any agency in the matter. We do not affirm what we affirm on our own authority. We therefore ascribe it to God, and call it inspiration, revelation. . . . It acts then by virtue of its divine energy, and its revelations are real revelations from God. (IV, 290)8

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Vgl. auch "Charles Elwood Reviewed," IV, 349, wo Brownson diese Position nochmals explizit referiert, um anschließend, in Modifizierung seiner früheren Haltung, in

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Die spontanen Offenbarungen der inneren Stimme sprechen mit göttlicher Autorität und stellen an Verläßlichkeit und Unmittelbarkeit das in einer langen Uberlieferung mit menschlichen Zutaten überzogene Bibelwort in den Schatten: They are more ultimate than the written word, and to them we may appeal even from the Bible, if there be occasion. It is this, sometimes termed the inward Christ, because a spiritual Christ, and not a corporeal, that judges the Bible, interprets the Bible and vouches for its truth. This is the Master, the Bible is merely the disciple. (IV, 262)

Da göttliche Offenbarung also vornehmlich aus der eigenen Intuition und erst in zweiter Linie aus der Bibel geschöpft werden kann, bedarf es keiner besonderen Ausbildung und Ordination, um das göttliche Wort zu verkünden. Die Berufung auf die Eingebung des göttlichen Geistes, die jeder Mensch in seinem Innern verspüren kann, reicht als Legitimation völlig aus, denn sie garantiert den Äußerungen des Individuums objektive Gültigkeit: whoso learns of Christ, of the inward Christ, has authority to teach. He may utter his words, whatever they may be, for they are not his words, but the Spirit's. If the Spirit bid him bear his testimony against the traditions of the elders, the usages of the churches, the lessons of the doctors, so be it; let him do it and fear nothing. He must needs speak as the Spirit giveth him utterance. (IV, 263) 9

Das Zitat zeigt, daß sich mit der Ausdehnung der Priesterfunktion auf jeden Christen, der die Stimme Gottes in sich vernimmt, nahezu zwangsläufig das zumindest potentielle Aufbegehren gegen etablierte kirchliche Autoritäten verbindet. Äußerungen der Amtskirche wie auch jedes Laienchristen werden am einzig gültigen Maßstab gemessen, ihrer Ubereinstimmung mit den Weisungen der göttlich inspirierten inneren Stimme. Bloße Berufung auf alte Traditionen und die Gelehrsamkeit vieler Jahrhunderte muß vor diesem unbestechlichen Richter verstummen. Damit ist die Entscheidung über religiöse Wahrheiten dem inneren Empfinden jedes einzelnen Menschen anvertraut, ein Punkt, der die radikale Demokratisierung religiöser Erfahrungen beinhaltet. In Worten, die phasenweise stark an Brownsons Kritik gegenüber Nortons elitärem Religionsverständnis erinnern, weist der Geistliche Mr. Morton auf die Parallele von religiös-philosophischen und politischen An-

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der spontanen Intuition den höchsten Ausdruck an Subjektivität zu entdecken. Damit nennt er ein weiteres typisches Charakteristikum des Enthusiasten. Vgl. IV, 257, mit ausdrücklicher Ablehnung einer förmlichen Priesterordination.

Brownsons Charles

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schauungen bei den Gegnern wie den Verfechtern dieser transzendentalistischen These hin.10 Nachdem so ein breites Fundament für den enthusiastischen Glauben an direkte Offenbarungen gelegt ist, kann es nicht verwundern, wenn mit dem Begriff selber auch die affektive Komponente eingeführt wird, die ja ein traditioneller Bestandteil des Enthusiasmus ist: this spontaneous activity of reason is always accompanied with a movement of the sensibility, with a great degree of enthusiasm. The prophet, therefore, always speaks in the language of enthusiasm. (IV, 290)

Hieraus leitet sich die im Transzendentalismus immer wieder anzutreffende Hochachtung vor dem intuitiven Gefühl ab: Die Empfindungen des Herzens sind ein zuverlässigerer Wegweiser zur Wahrheit und zur Erkenntnis des Göttlichen als die Logik des Verstandes.11 Bezeichnenderweise ist diese zentrale These transzendentalistischen Denkens eine der wenigen Aussagen, die in Charles Elwood nicht nur in einem der Dialoge abstrakt vorgetragen, sondern ansatzweise durch die spärliche Handlung veranschaulicht werden. Nachdem nämlich Elizabeth, die Verlobte Elwoods, mit gestärkter religiöser Überzeugung aus einer religiösen Erneuerung in ihrer Gemeinde hervorgegangen ist, versucht sie auch Charles von seiner skeptischen Haltung abzubringen, indem sie ihm ihre eigenen Erfahrungen vor Augen hält: "Within a few days I have felt as I never did before. God has manifested himself to me as he does not to the world. It must be so. I cannot mistake my feelings." "But they may mislead you." "And why more than your logic? May we not err by distrusting our feelings too much?" (IV, 215)

Tatsächlich ist Elwood einen Moment lang verunsichert und gesteht ein, daß ihn gerade die Welt der Gefühle schon immer ein unbestimmtes Verlangen nach Höherem, nach dem Unendlichen habe verspüren lassen. Auch wenn er seine Skepsis nicht sofort fallen läßt, beginnt ihm hier, im Gespräch über die Gefühle und mit der geliebten Person, doch von ferne der Gedanke an eine göttliche Instanz im Innern des Menschen aufzudämmern, der dann viel später von Mr. Morton rational fundiert wird. Deutlich zeigt Brownson die Möglichkeit auf, daß Elwoods mühsame und enttäuschungsreiche Suche nach Gott zu vermeiden gewesen wäre, wenn dem Gefühl, wie hier im Gespräch mit 10

11

Charles Elwood, IV, 292-295. Vgl. Brownsons Rezension "Norton on the Evidences" und ihre Behandlung oben S. 135-138.

Ibid., IV, 240-241.

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Elizabeth, größerer Einfluß zugestanden worden wäre. So jedoch bereitet das Erscheinen von Elizabeths Bruder der Unterhaltung ein abruptes Ende, und Elizabeth selber bricht anschließend ihre Beziehungen zu Elwood ab, weil der selbstgerechte Mr. Smith ihr den Umgang mit einem Atheisten verboten hat. Hatte sich Elwood den Zugang zur Religion zuvor schon selbst durch seine allzu rationale Denkweise erschwert, so reißt ihm durch die Auflösung der Verlobung nun die letzte Verbindung zur rettenden Welt des Gefühls ab: Er stürzt hinab auf den Tiefpunkt seiner religiösen und seelischen Krise, zumal er bald darauf mit dem Tod seiner alten Mutter einen weiteren schweren Verlust hinnehmen muß. Nach einer Periode der Unrast und Verzweiflung findet er, ohne sich dessen bewußt zu sein, zu sich selbst zurück, als er seine Kräfte dafür einsetzt, soziale Mißstände zu beheben und die Gesellschaft zu reformieren. Obwohl er die gedanklichen Grundlagen seiner uneigennützigen Handlungsweise noch nicht durchschaut, baut er implizit doch auf die Veranlagung des Menschen zu Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl, kurz: auf seine angeborenen moralischen Empfindungen. I had not then learned that the reformer is powerless save as he appeals to men's sense of duty. Show the people that they are bound by the eternal sanctions of duty to effect your reforms, make them feel that the God within commands them, and you may count on them to the last, to go with you to the battle-field, the dungeon, the scaffold, or the cross. (IV, 2 2 5 - 2 2 6 ) 1 2

Die Opferbereitschaft um einer hoch eingeschätzten Sache willen, die schon immer als Teil enthusiastischen Wesens galt, führt ihn so unmerklich auf den Pfad zurück, der später mit der expliziten Anerkennung der göttlichen Stimme im Innern des Menschen enden wird. Im Grunde genommen legt auch seine Verlobte Elizabeth, als sie ihre Liebe zu Charles ihrer religiösen Einstellung opfert, Zeugnis ab von derselben inneren Instanz des Menschen, nur daß sie aus einem Ubermaß an religiösem Eifer das Gleichgewicht zwischen Kopf und Herz aus dem Auge verliert: In her calm and rational moments, I do not believe Elizabeth would have come to the conclusion she did; but as she was wrought up to a state of pious exaltation, the idea of being able to achieve so great a victory over herself, as that of sacrificing her love on the altar of religion, operated as a powerful spell on her whole nature, and blinded her to every thing else. (IV, 210)

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Vgl. hiermit Brownsons ganz ähnliche Äußerung in "Constant on Religion," 75, zitiert oben auf S. 163.

Childs Philothea

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In ihrem Verhalten werden die Gefahren des Enthusiasmus angedeutet, die ja im Mittelpunkt von Brockden Browns Wieland und Hawthornes Enthusiasten-Geschichten stehen. Elizabeths religiöse Leidenschaft schießt über das Ziel hinaus, und im Exzeß liegt ihre Verfehlung. Anders als Brockden Brown und Hawthorne sieht Brownson jedoch in der enthusiastischen Einstellung an sich und der damit einhergehenden Märtyrergesinnung nicht von vornherein ein Übel. Das beweist nicht nur Elwoods Schicksal, der über den Opfergeist zum Frieden mit sich und Gott findet, das beweisen ebenso sehr die lobenden Worte, die der Leidtragende sogar noch für den übertriebenen Opfermut Elizabeths findet: "with a martyr-like spirit, she resolved to give me up. Blame her not. If she had not possessed a noble nature, such a sacrifice she had never resolved to make" (IV, 211).

Childs Philothea Lydia Maria Childs Verbindungen zum Transzendentalismus sind zwar nicht sehr eng, dafür jedoch recht zahlreich. Uber ihren Bruder Convers Francis, ein Mitglied des "Transcendental Club", kam sie mit Leuten wie William Ellery Channing, Emerson, Ripley und Margaret Füller in Kontakt. Darüber hinaus hatte sie die Schriften des Mystikers Emmanuel Swedenborg gelesen, eines Denkers also, der zeitweilig auch auf namhafte Transzendentalisten, nicht zuletzt Emerson, einen spürbaren Einfluß ausübte. An Carlyle, den neben Coleridge bedeutendsten englischen Repräsentanten transzendentalistischer Anschauungen, richtete sie am 7. April 1838 einen bewundernden Brief, in dem sie nicht nur ihrer Verehrung für seine Schriften Ausdruck verlieh, sondern auch die Gelegenheit wahrnahm, ihm ein Exemplar ihres Buches Philothea zu übersenden. 13 Aus dieser Tatsache geht bereits hervor, daß sie ihr Werk Philothea offensichlich von einem ähnlichen Geist durchdrungen fühlte, wie er aus Carlyles Schriften oder anderen transzendentalistischen Äußerungen sprach. Darauf weist auch das Vorwort zu Philothea hin. Die Scheidung zwischen aktueller Realität und ideeller Geisteswelt, die die einleitenden Bemerkungen durchzieht, lebt nicht nur von der Anspielung auf Mrs. Childs voraufgegangene Veröffentlichung The Frugal Housewife mit ihrer ganz und gar praxisbezogenen Orientierung, sondern bezieht

13

Rodger L. Tarr, "Emerson's Transcendentalism in L. M. Child's Letter to Carlyle,"

ESQ, 58 (1970), 112-115.

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auch traditionelle Grundlegungen der Gattung romance ein und betont den mystisch-idealistischen Charakter des vorliegenden Stoffes. Wenn es gleich in den ersten Worten an den Leser mit auffallender Emphase heißt "A few kindred spirits, prone to people space 'with life and mystical predominance,' will perceive a light within the Grecian Temple",14 so wird man in der Anspielung auf das Quäker-Konzept des "light within" einen frühen Hinweis auf die Lehre von der inneren Stimme, der göttlichen Intuition im Menschen, erkennen dürfen, die durch die Geschichte Philotheas illustriert werden soll. Immerhin spricht Mrs. Child ja auch in ihrem Brief an Carlyle von dem absoluten Vertrauen, das dem göttlichen Orakel in der menschlichen Seele gebührt, 15 und deutlicher noch formuliert sie ihren Glauben an die Intuition und das jedem Menschen angeborene Gefühl für religiöse Wahrheiten in einem späteren Brief an Lucy Osgood vom 11. Mai 1856: Most devoutly do I believe in the pervasive and ever-guiding Spirit of God; but I do not believe it was ever shut up within the covers of any book, or that it ever can be. Portions of it, or rather breathings of it, are in many books. The words of Christ seem to me full of it, as no other words are. But if we want truth, we must listen to the voice of God in the silence of our own souls, as he did.16

Innerhalb von Philothea, deren Handlung zur Zeit des peloponnesischen Krieges im perikleischen Athen spielt, wird der Glaube an das Göttliche im Menschen vornehmlich mit Hilfe der platonischen Ideenlehre vorgetragen. Die irdische Welt der Sinne ist ein entferntes Abbild der jenseitigen Sphäre des Geistigen, deren vollkommenere Harmonie sie gelegentlich für die gleichgestimmte Seele erahnen läßt. So kann in typisch transzendentalistischer Manier für den empfindsamen Menschen in Momenten der Stille die Natur zur Vermitderin einer Kommunikation zwischen dem Bereich des Göttlichen und der menschlichen Seele werden, wie dies Philothea gleich zu Beginn der Erzählung beim Anblick des Mondes verspürt: For a few moments Philothea stood in earnest silence, gazing upon the bright planet of evening - then, in a tone of deep enthusiasm, she exclaimed: "It is a night to feel the presence of the gods! Virgin sister of Phoebus, how calm thou art in thy glorious beauty! Thou art filling the world with music, silent to the ear, but audible to the heart! Phidias has embodied the unbreathing harmony in stone, and we worship the fair proportions

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15 16

Lydia Maria Child, Philothea: A Romance (Boston, 1836), S. vi. Ein moderner Nachdruck des Textes liegt in A7Q, 6 (1970), vor. Stellenangaben erfolgen anschließend im Text. Tarr, "Child's Letter to Carlyle," 113. Zitiert in William S. Osborne, Lydia Maria Child (Boston, 1980), S. 33.

Childs Philothea

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as an emanation from the gods. The birds feel it - and wonder at the tune that makes no noise. The whole earth is lulled by its influence." (S. II) 1 7

Doch ist dies nur ein - und zudem noch ein recht indirekter - Weg, die göttliche Gegenwart zu erfahren, besitzt doch jeder Mensch in sich eine Stimme, über die göttliche Weisungen ohne Einschaltung eines Vermittlers unmittelbar an ihn ergehen können: "Every human being has, like Socrates, an attendant spirit; and wise are they who obey its signals. If it does not always tell us what to do, it always cautions us what not to do" (S. 86). Dieser daimon des Sokrates, von dem Piatos Phaidros berichtet, wird offensichtlich gern der geistigen Ahnenreihe des Enthusiasmus zugerechnet, denn bei Brockden Brown plante Wieland ja bereits eine wissenschaftliche Abhandlung über dieses Phänomen, und auch Emerson erwähnt es in seinen Tagebüchern im Zusammenhang mit enthusiastischen Vorstellungen. 18 Daß die innere Stimme des Sokrates auch in Philothea als ein Vorläufer des transzendentalistischen Intuitionismus oder allgemeinen enthusiastischen Gedankenguts zu verstehen ist, belegt jenseits allen Zweifels eine Anmerkung zu der eben zitierten Stelle, in der Mrs. Child ihre Auslegung des platonischen Berichts über den daimon vorlegt: By these expressions, the philosopher probably did not mean conscience in the usual acceptation of that term; but rather the inward voice, as believed in by the Mystics, and by the Society of Friends. (S. 278)

Dementsprechend läßt sich auch Philothea bei all ihren Handlungen von der göttlichen Stimme in ihrem Inneren leiten: "I listen to the whisperings of the gods in the stillness of my own heart" (S. 30-31). Als die mondäne Aspasia, die Gattin des Perikles, sie überreden will, an einem ihrer ausschweifenden Feste teilzunehmen, begründet der alte Anaxagoras die Ablehnung seiner Enkelin mit dem Hinweis auf das Diktat der inneren Stimme: "My child must be guided by her own heart. The gods have there placed an oracle, which never misleads or perplexes those who listen to it" (S. 24). Zwar nimmt Philothea später auf Drängen ihrer Freunde die Einladung doch noch an, aber sie bereut es heftig, ihre Intuition mißachtet zu haben, nachdem sie erfahren hat, daß der lebenslustige Alkibiades das Fest nur nutzen wollte, um unter dem Deckmantel schmeichlerischer Artigkeiten die Chancen für ein Liebesabenteuer zu erkunden:

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18

Ähnliche Gedanken zur Rolle der Natur und zur Wahrnehmung des Göttlichen werden z.B. auf S. 37, 40, 46, 48-49, 52, 72, 150 und 217 angesprochen. Journals and Miscellaneous Notebooks, IV, 264. Zur Wieland-Stelle vgl. oben S. 101.

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"Was it for this purpose," she said, "that I was induced to yield my own sense of propriety to the solicitations of Pericles? It is ever thus, when we disobey the gods to please mortals." (S. 71)

Angesprochen auf den Mut, mit dem sie bei derselben Gelegenheit Aspasias Leugnung jeglicher Transzendenz entgegengetreten war, verweist sie auch hier auf eine innere Stimme, die sich ihrer Kontrolle entzieht: " 'Something within impelled me,' replied Philothea, reverently; 'I did not speak from myself" (S. 71). Der Weisung des intuitiven Gefühls gebührt also unbedingtes Vertrauen; diese transzendentalistische Version enthusiastischer Anschauungen steht im Mittelpunkt auch von Mrs. Childs Philothea. Intellektuelles Wissen und persönliche Erfahrung sind der Stimme des Herzens deutlich nachgeordnet.19 Damit ist ein Punkt berührt, der mit besonderer Deutlichkeit die gedankliche Stellung von Philothea im Verhältnis zum Enthusiasmus Emersonscher Prägung einerseits und der Darstellung des Enthusiasten, die Melville später in Pierre geben wird, andererseits veranschaulicht. Nachdem nämlich Eudora, die Jugendfreundin Philotheas, ihren guten Ruf und ihre Selbstachtung eingebüßt hat, weil sie sich auf eine kompromittierende nächtliche Verabredung mit Alkibiades einließ, kann sie sich im nachhinein nur wundern, wie ausgerechnet Philothea, die Unschuld und Reinheit in Person, die Durchtriebenheit dieses Schurken von Anfang an durchschauen konnte. Auf diese Frage hat Philothea die verblüffend einfache Antwort parat: Mortals, without the aid of experience, would always be aware of the presence of evil, if they sought to put away the love of it in their own hearts, and in silent obedience listened to the voice of their guiding spirit. Flowers feel the approach of storms, and birds need none to teach them the enmity of serpents. This knowledge is given to them as perpetually as the sunshine; and they receive it fully, because their little lives are all obedience and love. (S. 95)

Neben dem schon vertrauten Pochen auf die Stärke des instinktiven Gefühls tritt hier ein Optimismus zutage, der ganz auffallend an Thesen Emersons erinnert. Bekannt ist ja seine Behauptung aus dem Essay "Spiritual Laws", daß die Auseinandersetzung mit dem Problem des Bösen und der Erbsünde der eigentlichen Natur des Menschen zuwiderlaufe und gewissermaßen nur die Kinderkrankheiten der menschlichen Seele repräsentiere.20 Diese Ansicht ist eine logische Folgerung aus dem Glauben an die Göttlichkeit intuitiver Spontaneität, denn wenn die ursprünglichen und willensmäßiger Kontrolle entzogenen Impulse des

19 20

Der Vorrang des Fühlens über das Wissen wird auf S. 217 angesprochen. Collected Works, II, 7 7 - 7 8 .

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Menschen ihn dem göttlichen Geist am nächsten bringen, kann an diesem Kern menschlicher Natur, wo sich sein Potential gerade in der Passivität gegenüber dem göttlichen Einfluß am reichsten entfaltet, kein Platz sein für das Böse. Daher gelangt Emerson auch zu der Überzeugung, daß Tugend nicht in mühevoller Überwindung errungen werden muß, sondern idealerweise unangefochtenes Besitztum des Menschen ist: People represent virtue as a struggle, and take to themselves great airs upon their attainments, and the question is everywhere vexed, when a noble nature is commended, whether the man is not better who strives with temptation. But there is no merit in the matter. Either God is there, or he is not there. We love characters in proportion as they are impulsive and spontaneous. The less a man thinks or knows about his virtues, the better we like him.21

Tugend erwächst nicht aus bestandener Versuchung, sondern aus dem Nicht-Kennen der Versuchung. In ganz ähnlicher Weise ruht auch Philotheas Unschuld völlig ungefährdet in sich: Zwar nimmt sie das Böse um sich herum immerhin wahr, etwa in Gestalt der unsittlichen Annäherungsversuche des Alkibiades, doch wird ihre Tugendhaftigkeit dadurch nicht im geringsten auf die Probe gestellt, weil das Böse sie gar nicht tangiert. Die Intuition ist ihr eine unfehlbare Führerin. Es bedarf keiner Erfahrung des Bösen, um es als solches zu erkennen und abzuwehren; die Unschuld, weit davon entfernt, beim ersten Ansturm einer fremden bedrohlichen Macht zu zerbrechen, ist selbst ihr bester Schutzschild. Mit dem Loblied auf die Unschuld, die ohne alle Erfahrung auskommt, verbindet sich dann nicht unerwartet die romantische Verehrung des Kindes 22 sowie das Bedauern darüber, daß im Laufe eines Bewußtwerdungsprozesses allzu oft kindliche Naivität und Reinheit weltlicher Erfahrung weichen müssen: "That smiling twin of Innocence is ever present and visible while we are unconscious of its existence; but when in darkness and sorrow the soul asks where it has gone, a hollow voice, like the sound of autumn winds, echoes, 'Gone!'" Eudora sighed, as she answered, "It is even so. But I know not where you could have learned it; for you have ever seemed to live in a region above darkness and storms. Earth has left no shadow on your countenance. It expresses the same transparent innocence, the same mild love." (S. 184-185)23

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22 23

Ibid., II, 78. Genauso äußert sich Bronson Aleott zum Stichwort "Temptation": "Greater is he, who is above temptation, than he, who, being tempted, overcomes" ("Orphic Sayings," The Dial, 1 [1840/1], 88). Philothea, S. 32, 151, 166. Den Bewußtwerdungsprozeß beschreibt auch Emerson als einen Verlust an götdicher Unschuld: "Experience," Collected Works, III, 43; "Nature," ibid., III, 106.

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Die optimistische Sicht des Enthusiasmus, die Mrs. Child hier in Anlehnung an Gedanken Emersons vorträgt - daß das Vertrauen auf die Stimme spontaner Intuition ausreicht, um alle Klippen des Lebens sicher zu umschiffen steht natürlich in scharfem Gegensatz zu den ganz konträren Schlußfolgerungen, die schon Brockden Brown in Wieland zog und die noch drastischer Melville in Pierre aus einer vergleichbaren Ausgangslage ableiten wird. Auch Clara Wieland baute auf die Überzeugung, daß ihre Unschuld und Tugend ein uneinnehmbares Bollwerk gegen die Anfechtungen des Bösen sein werde und daß ihr in der Krise der Verstand einen vernünftigen Ausweg weisen werde. Beides erwies sich zu ihrem Leidwesen als eine trügerische Hoffnung. Gerade ihre vom Enthusiasmus geprägte Emotionalität trug nicht unwesentlich zu ihrem Verderben bei. In Melvilles Pierre ist die Ausgangssituation derjenigen Philotheas insofern noch verwandter, als die Weisungen der moralischen Instanz im Innern des Menschen durchaus gebilligt, die enthusiastische Grundhaltung prinzipiell also akzeptiert wird. Anders als in Philothea behauptet sich dort die Unschuld jedoch nicht siegreich gegenüber allen Gefährdungen im ungetrübten Vertrauen auf die Richtigkeit der Intuition. Vielmehr erweist sich paradiesische Unschuld dort recht bald als naive Unerfahrenheit, die nicht nur nicht imstande ist, sich selbst zu schützen, sondern im Gegenteil andere noch mit in den Untergang reißt und aufgrund dieses Scheiterns letztlich auch die Richtigkeit der ursprünglichen inneren Stimme in Zweifel zieht. Mit solchen Komplikationen muß Philothea noch nicht fertig werden; die Verläßlichkeit ihrer Intuition bleibt unangetastet. So erklärt sich unschwer, daß Philothea in den Augen ihrer Umwelt als inspiriert gilt, als eine Prophetin, die ständigen Kontakt mit der Welt des Göttlichen unterhält. 24 Doch tritt diese Gabe bei ihr nur deshalb so auffällig in Erscheinung, weil sie sich, im Gegensatz etwa zu Aspasia oder auch zu Eudora, so wenig wie möglich an die Welt verliert und dadurch dem göttlichen Einfluß einen größtmöglichen Wirkungsbereich eröffnet. Bei Beachtung derselben Regeln steht es jedem Menschen frei, wie sie ein Künder göttlicher Wahrheiten zu werden: "Every man can be elevated to a higher plane by quiescence of the will; and thus may become a prophet" (S. 150). Insofern stehen Philotheas Fähigkeiten durchaus im Emersonschen Sinne repräsentativ für das Potential, das in jedem Menschen angelegt ist und das bei ihr nur schon in besonderem Maße entwickelt ist. Die vertraute demokratische Tendenz, die häufig aus der

24

Philothea, S. 139, 142, 151, 153.

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Annahme einer jedermann zugänglichen direkten Gotterfahrung resultiert, macht sich hier bemerkbar ebenso wie die bekannte Forderung nach einer passiv-rezeptiven Haltung. Letztere wird auch noch einmal von Plato betont, wenn er feststellt: I am confirmed in my belief that no impelling truth is ever learned in this world; but that all is received directly from the Divine Ideal, flowing into the soul of man when his reason is obedient and still. (S. 203)

Am deutlichsten exemplifiziert diese Passivität Paralus, der Ehemann Philotheas. Neben Philothea selber ist er die zweite Person in der Geschichte, die eine ungebrochene Beziehung zur göttlichen Sphäre hat, nur daß seine Kommunikation mit dem Göttlichen sich nicht über intuitive Eingebungen, sondern über visionäre Traumgesichter vollzieht, die ihn während seines langen Siechtums nach einer Pesterkrankung heimsuchen. In seinen Träumen ist es ihm vergönnt, schon vor dem Tode seinen irdischen Leib zu verlassen und in den Bereich des Geistigen zurückzukehren, der die wahre Heimat der menschlichen Seele ist und zu dem sie sich zeitlebens hingezogen fühlt. 25 Alle Bemühungen, sein Leben zu retten, sind daher zum Scheitern verurteilt, und bald nach seinem Tode folgt Philothea ihm nach. Beide betrachten ihr irdisches Dasein nur als ein kurzes Zwischenspiel zwischen der göttlichen Herkunft der Seele und ihrer göttlichen Bestimmung. Wie allen Enthusiasten steht das Jenseits ihrem ganzen Denken und Fühlen näher als das Diesseits, so daß der Tod für sie weniger Ende als Anfang bedeutet. Judds Margaret "Voices," he added, "are calling me away." "I know that too," she rejoined; "I hear them." "An inward force propels my spirit from me." "Yes," said she, "I feel it." She bent over him, not as over a sick and dying man, but a convalescing angel. He seemed to her not to be wasting to skin and bones, but to spirit and life.26

Dieses Gespräch führen nun allerdings nicht mehr Paralus und Philothea, so sehr es ihrem Denken entsprechen würde, sondern Gottfried

25 26

Z.B. Philothea, S. 142-143, 176-177, 182, 191-192, 196. Sylvester Judd, Margaret: A Tale of the Real and the Ideal, Blight and Bloom (repr. Upper Saddle River, N. J., 1968), S. 71-72. Seitenangaben im Text beziehen sich im folgenden auf diese Ausgabe, die ein Nachdruck der einbändigen Bostoner Ausgabe von 1871 mit dem leicht revidierten Text von 1851 ist.

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Brückmann und Jane Girardeau, die Eltern der Margaret aus Sylvester Judds gleichnamigem Roman. Beide sehnen den Tod genauso sehr herbei wie die Hauptfiguren aus Mrs. Childs Philothea, und wie dort steht hinter ihrem Verlangen die Hoffnung, so bald wie möglich die eigentliche Heimat ihrer Seelen, das Reich des Geistigen und Unendlichen, zu erreichen: "how fade all earth scenes from my thought! I feel myself vanishing into the spirit-world" (S. 70), drückt Brückmann seine zunehmende Jenseitsorientierung aus, und seine Frau Jane, die erst durch ihn mit idealistischen Vorstellungen in Berührung gekommen ist und so ihre eigene, zuvor unartikulierte Sehnsucht nach Höherem verstehen gelernt hat, verzichtet aus gleichem Antrieb gern auf ein längeres Leben: "I will be absorbed with you into the Infinite" (S. 71). Auf diesem idealistischen Hintergrund, der sicher auch durch Brückmanns deutsche Abstammung nahegelegt werden soll, sind die angeborene Sehnsucht der jungen Margaret nach dem Unendlichen, ihre instinktive Orientierung an geistigen und sittlichen Normen von permanenter Gültigkeit und auch ihr intuitives religiöses Empfinden zu sehen. Dadurch, daß sie in vielerlei Hinsicht unter den denkbar ungünstigsten äußeren Bedingungen aufwächst - bei Pflegeeltern, die reichlich dem Alkohol zusprechen, über keinerlei Bildung verfügen, von der Hand in den Mund leben und selbst in ihrem hinterwäldlerischen Heimatdorf von den übrigen Bewohnern als nicht gesellschaftsfähige Außenseiter abgelehnt werden - , wird zweifelsfrei klargemacht, daß alle Vorzüge, die Margaret auszeichnen, ihrer eigenen Natur entspringen, jedenfalls ihr nicht durch Erziehung oder Umgebung eingepflanzt sein können. Das Einleitungskapitel des Romans bewegt sich bei der Beschreibung des Säuglings lange Zeit bewußt im Generellen, um auch auf diese Weise die Allgemeingültigkeit der beschriebenen Anlagen zu unterstreichen. Was über das Kind Margaret ausgesagt wird, ist Teil der menschlichen Natur und nicht bedingt durch Vererbung, Umgebung oder soziale Stellung: "It may be the heir of a throne, does it interest you? or of a milking-stool, do not despise it. It is a miracle of the All-working, it is endowed by the All-gifted" (S. 3). Zu dieser Wesensgleichheit menschlicher Natur, die im Kleinkind noch nicht durch Äußerlichkeiten zugedeckt ist, gehört nicht zuletzt ein angeborenes religiöses Empfinden: It will look after God, its Maker, by how many soever names he may be called; it will aspire to the Infinite, whether that Infinite be expressed in Bengalee or Arabic, English or Chinese; it will seek to know truth. (S. 4)

Bei der heranwachsenden Margaret tut sich das Sehnen nach Vereinigung mit dem Unendlichen in ihrer instinktiven Vorliebe für die unend-

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liehe Größe der Natur kund, zum Beispiel in dem ihr selber unerklärlichen Verlangen, sich von der Spitze eines Kliffs in den See nahe ihrer Behausung zu stürzen, oder in dem Wunsch, einen Berg zu erklimmen, der alle übrigen in der Umgebung überragt, oder auch in der geheimnisvollen Anziehung, die eines Tages ein tiefer Brunnenschacht auf sie ausübt, dessen Grund ihr einen zweiten Himmel zu offenbaren scheint.27 In solcher romantischen Naturmystik erkennt Mr. Evelyn, ihr Unterweiser in religiösen Dingen und künftiger Ehemann, die Regungen eines tiefen religiösen Gefühls: "You said you wanted to clamber up the blue mountain yonder, and are ready even to leave your pretty Pantheon for that acquisition. That is religion, even if you had not thought it" (S. 203). Damit befindet er sich natürlich in bester transzendentalistischer Gesellschaft, denn schon in Charles Elwood hatte es geheißen: "We crave the infinite, and this craving of the infinite, is under one of its aspects, the religious sentiment. . . . this sentiment is universal, eternal and indestructible."28 Von daher erweist sich die Naturnähe, in der Margaret ihre Jugend verbringt, als der einzige, aber bedeutsame Vorteil ihrer kümmerlichen und so gar nicht auf Höheres ausgerichteten Erziehung. Unter der Anleitung ihres älteren Bruders Chilion lernt sie die Flora und Fauna ihrer engeren Heimat aufs genaueste kennen und schätzen und übertrifft bald alle Dorfbewohner, den an Shakespeares Holofernes gemahnenden Lehrer Master Elliman und die geschäftstüchtige Wundarztwitwe Wright eingeschlossen, an Wissen über die Standorte seltener Blumen und wirksamer Heilkräuter. Weniger plausible Episoden, in denen Margaret sich erfolgreich mit der Wünschelrute auf Wassersuche begibt oder einmal sogar nach einem Wirbelsturm mit einer Bärenfamilie das Nachtlager teilt, sollen noch zusätzlich ihre enge Beziehung zur Natur unterstreichen. Auch die Legende, die sich spaßhaft um ihre ungeklärte Herkunft rankt, daß sie nämlich in einer Eichel geboren sei, fügt sich diesem Themenstrang ein. Doch ist die Nähe zur Natur nicht Selbstzweck, sondern dient, ganz transzendentalistischem Denken verpflichtet, in erster Linie dazu, ihr natürliches Streben nach allem Ideellen, nicht zuletzt nach Gott, zu fördern. Bevor Margaret in die Gedankenwelt des Christentums eingeführt wird, bevölkert sie aufgrund der klassischen Bildung, die Master Elliman ihr bruchstückweise zukommen läßt, ihre heimatliche Landschaft mit antiken Gottheiten und verleiht so ihrem instinktiven Bewußtsein göttlicher Präsenz in der

27 28

Margaret, S. 201, 203, 1 8 3 - 1 8 4 und 385. IV, 267. Ebenso "Charles Elwood Reviewed," IV, 334.

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Natur Ausdruck. 29 Beim Durchstreifen eines besonders alten Waldstücks beschleicht sie ein Gefühl der Ehrfurcht wie beim Betreten des Petersdoms. 30 Rückblickend kann ihr Mann feststellen, daß Margarets intimes Verhältnis zur Natur sie in idealer Weise auf die direkte Begegnung mit Gott in der Religion vorbereitet hat: When I first saw her, she was more purely in a state of nature than any civilized person I ever encountered. To this, partly, I attribute the power of the Gospel on her. Neither internal sin nor external evil had deformed or diseased her, and she was prepared, like a new-born babe, to breathe the atmosphere of Christ the moment she came in contact with it, and to drink the sincere milk of the word. (S. 378)31

Allerdings kann die Natur nur deshalb solch eine prägende Rolle spielen, weil in der Seele des Menschen ein verwandter Geist den Einflüssen antwortet, die, von der Natur ausgehend, auf die Sphäre des Spirituellen verweisen. Diese Erkenntnis macht sich auch Margaret zu eigen: all that is lies secretly coiled within our own breasts! All Beauty, I am persuaded, is within us; whatever comes to me I feel has had a pre-existence. I sometimes indeed doubt whether I give or receive. . . . In myself seems sometimes to reside an infant Universe. My soul is certainly pistillate, and the pollen of all things is borne to me. The spider builds his house from his own bowels. (S. 211)

Damit wird nicht nur der idealistischen Philosophie der a-priori-ldeen das Wort geredet, sondern die Begegnung mit dem Unendlichen und Göttlichen wird hierdurch auch wieder internalisiert zu einem Ereignis, das sich bei allem, was äußere Naturbetrachtung dazu beisteuern kann, letztlich doch im unmittelbaren Kontakt von menschlicher Seele und göttlichem Geist vollzieht. "The spider builds his house from his own bowels" ist das angemessene Bild für diesen Vorgang, bei dem die idealen Konzepte des menschlichen Geistes, der göttliche Teil des menschlichen Wesens, primär gesetzt werden und das gesamte Universum als eine Reflektion ursprünglicher geistiger Prinzipien angesehen wird. Der göttliche Geist in der menschlichen Seele kommuniziert mit dem göttlichen Geist, der das Universum durch waltet; alles ist in der menschlichen Seele bereits angelegt und bedarf allenfalls noch der Entfaltung: "The hierophancy that exists in all souls needed only to be awakened to make every one a practical interpreter of Nature" (S. 379). Orestes Brownson, der ja in den vierziger Jahren dem Transzendentalismus den Rücken kehrte, um sich dem Katholizismus anzuschließen, 29 30 31

Margaret, S. 202. In christliche Begriffe wird dasselbe Gefühl auf S. 208-209 gekleidet. S. 21. Margaret vertritt auf S. 385 eine ähnliche Auffassung. Uber die schon genannten Stellen hinaus siehe generell zur Rolle der Natur S. 35, 161, 192, 207-208, 392, 398.

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legt in einer Rezension von Judds Margaret den Finger auf eben diese Internalisierung als Grundlegung für den typisch transzendentalistischen Intuitionismus. Entsprechend seinem geänderten Standpunkt erscheint ihm mittlerweile jedoch eine Offenbarung, die der Mensch nach transzendentalistischer Manier quasi aus seinem eigenen Innern schöpfen kann, unverträglich mit dem wahren Christentum: we may dismiss the book, with sincere pity for him who wrote it, and a real prayer for his speedy restoration to the simple genus humanity, and for his conversion, through grace, to that Christianity which was given to men from above, and not, spider-like, spun out of his bowells. 32

Wohl kaum zufällig benutzt er dabei dasselbe Bild wie Judd, um darzulegen, wie sich in Margaret alle Religion aus dem intuitiven Empfinden des Menschen entwickelt. Beispiele dafür, daß sich im Ausdruck spontaner Empfindungen das Göttliche im Menschen Gehör verschafft, lassen sich in Margaret in verschiedener Form und unter verschiedenen Namen finden. Zum einen sind da wieder, wie schon in Philothea, die Träume, die Margaret einen direkten Kontakt mit Christus ermöglichen, noch bevor sie mit seinem Namen und überhaupt mit christlichen Vorstellungen bewußt etwas anzufangen weiß. 33 Daneben äußert sich die Stimme der Intuition in scheinbar nebensächlichen, aber bezeichnenden Kleinigkeiten, wenn Margaret etwa wiederholt den allgemein üblichen Genuß von Alkohol verweigert, ohne über ihre Ablehnung Rechenschaft ablegen zu können. 34 Eine Quäkerfamilie in der Nachbarschaft behandelt sie während eines Besuches besonders zuvorkommend, denn Margaret scheint ihnen vom Heiligen Geist inspiriert: they watched her with the interest approaching to awe of those who beheld in one what they described as the "inner workings of the spirit," and from whom they looked for some surprising evolutions. Their children were thrown continually in her way that they might catch the inspiration with which she seemed to be endowed. (S. 182)

Was bei Margaret als intuitives Gefühl und spontaner Impuls bezeichnet wird, trägt beim gutmütigen Deacon Ramsdill den Namen "nater", meint aber letzten Endes genau dasselbe, wie seine Definition des Betens beweist: "Praying, arter all, isn't a hard thing; it's n a t e r . . . . It is speaking out what is inside here, it is sort o' feeling up" (S. 283-284). Selbst die Stimme, die der kleine verkrüppelte Job im abendlichen Mondlicht, im 32 33 34

Zitiert in Vernon L. Parrington, American Dreams: A Study of American Utopias (New York, 2 1964), S. 29. Margaret, S. 6, 15, 28-29 und vor allem S. 1 0 4 - 1 1 0 . S. 25, 45.

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Murmeln des Baches, in den Blumen und dem Gesang der Zikaden beim Sonnenuntergang, aber auch in der Bibel und nicht zuletzt in seiner eigenen Brust zu vernehmen glaubt und der er den Namen "whippoorwill" gibt, ist Ausdruck derselben göttlichen Intuition in jedem Menschen. Als daher Margaret an einer Stelle ihre innere Überzeugung mit den Worten beteuert: "It confesses itself within me, that you are in earnest," kann der kleine Job prompt bestätigen: "That is Whippoorwill" und Mr. Evelyn, stellvertretend für Deacon Ramsdill, hinzufügen: "It is the voice of nature" (S. 197-198).35 Wo der Mensch über solch einen untrüglichen Zugang zur Wahrheit verfügt, hat traditionelle Gelehrsamkeit einen schweren Stand, besonders wenn sie in der lateinischen Sprache daherkommt und in das wenig anziehende Gewand einer spitzfindigen theologischen Terminologie gekleidet ist. William Ames' Medulla Sacrae Theologiae, die Master Elliman Margaret zur Befriedigung ihrer religiösen Fragen in die Hand gedrückt hat, bietet ihr daher keine Hilfe. Mr. Evelyn, der als Verfechter einer liberalen Theologie dem orthodoxen Kalvinismus ohnehin ablehnend gegenübersteht, kommentiert denn auch: "I see from your book you are exploring an abstruse subject through what some would regard an abstruse medium" (S. 193). Margaret selber formuliert die eher hinderliche Wirkung auf wahre Religiosität, die von manchem theologischen Werk ausgehen kann, in der Bemerkung: There is one pretty thing in it, the little boy with a girlish face in the frontispiece. He is holding up a big book before the door of some temple. Would the book would remove, then we could enter the mysterious place. (S. 195)

Mehr noch als gegen falsche Gelehrsamkeit wendet sich die Kritik jedoch gegen eine falsche Theologie, die mit einer verwirrenden Terminologie und unverständlichen Konzepten dem Menschen den Zugang zu Gott mehr versperrt als eröffnet. The hygeian gibberish of the Leech is not half so bad; nor that stupendous word, honorificability, he used to make me spell, half so unintelligible. It all runs of sin and sinners, the fall and recovery, justification and election, trinity and depravity, hell and damnation - they have an idiosyncrasy of phrases, just as the Free Masons have, and Tony, the Barber, and Joyce Dooly, the Fortune-teller have; then there are experiences and exercises, ah's and oh's, sighs and laments, as if we were about to be burned up and indeed they say we are, at least our family. (S. 198)

35

Zur Rolle des Gefuhls bei Margaret vgl. S. 9 1 , 1 9 9 - 2 0 0 , 213, 358. Zu Deacon Ramsdills "nater" siehe S. 179 und 281-282, zu Jobs "whippoorwill" S. 151 und 193.

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Ebenso sehr wie die Kernbegriffe kalvinistischer Theologie entziehen sich nach Judds Meinung auch manche der dahinterstehenden Konzepte rationaler Einsicht. Der Glaube an den menschlichen Sündenfall mit seinen Konsequenzen von menschlicher Verderbtheit und Christi Sühneopfer, an einen dreieinigen Gott, an die vorherbestimmte Erwählung einiger Menschen und die unrettbare Verdammung anderer - all diese Lehren der traditionellen Orthodoxie werden vom unitarischtranszendentalistischen Standpunkt teils durch die Handlung des Romans, teils durch Margarets intuitive Erkenntnisse, vor allem aber durch die Darlegungen des Mr. Evelyn, der bei seiner religiösen Unterweisung Margarets gleichzeitig als Sprachrohr des unitarischen Geistlichen Judd fungiert, angegriffen und als Verfälschungen der wahren christlichen Lehre bloßgestellt. Zusammengefaßt lassen sich die doktrinellen Verirrungen, die dem orthodoxen Kalvinismus vorgeworfen werden, auf den gemeinsamen Nenner bringen, daß sie auf dem einseitigen Konzept eines strafenden Richtergottes basieren und daher am Menschen vornehmlich seine mangelhafte Befolgung der göttlichen Gebote mit der dafür angedrohten Vergeltung in der Verdammnis betonen. 36 Hinzu kommt dann noch, daß die etablierte Kirche sich durch ihre Praktiken weitgehend selbst desavouiert, so etwa dadurch, daß Deacon Penrose in seinem Geschäft einen schwunghaften Rumhandel betreibt, daß der Gemeindegeistliche, Parson Welles, zu seinen besten Kunden zählt und daß Amtseinführungen von Geistlichen nicht minder als die berüchtigten lokalen Wehrübungen regelmäßig in ein allgemeines Gelage ausufern. 37 A m sinnfälligsten aber äußert sich die Unnatürlichkeit der herrschenden Orthodoxie darin, daß ein besorgter Bürger Margaret bei ihrem ersten Kirchenbesuch daran hindert, einen bunten Strauß wilder Blumen mit in die Kirche zu nehmen, da er der Würde des Sabbats nicht angemessen sei, und daß an diesem Tage speziell den Kindern alles Spielen und jede natürliche Gefühlsäußerung untersagt ist. So unterscheidet sich Margarets Zwiegespräch mit Gott in der freien Natur wohltuend von der steifen Formalität der Gemeindeandacht: She sat there alone, with no eye but God's to look upon her; he alone saw her face, her expression, in that still, warm, golden sun-setting; she sat as if for her the sun had gone down, and the sky unloosed its glory; she sat mute and undisturbed, as if she were the child-queen of this great pageant of Nature. (S. 103)

36 37

Margaret, S. 96-100, 105-110, 214-216, 266-267, 369. S. 196-197.

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Für die Dorfbewohner dagegen bedeutet die Abenddämmerung nur das langersehnte Ende eines trübseligen Tages, an dem sie in Unnatürlichkeit und Langeweile zu ersticken drohten: in the village, at the same moment, broke forth the first song of the day, and was indulged the first unembarrassed vision. When the last shimmer of blue light vanished from the top of the mountain beyond the river, whither tenscore eyes were turned, there exploded the long twenty-four hours' pent and swollen emotion of tenscore hearts and voices. "Sun's down!" "sun's down!" was the first unrestrained voice the children had uttered since the previous afternoon. This rang out in every family and echoed from house to house. The spell was broken, the tether cut, doors and gates flew open, and out the children dashed into the streets, to breathe a fresh feeling, clutch at the tantalizing and fast receding enjoyment, and give a minute's free play to hands, feet, and tongues. An avalanche of exuberant life seemed to have fallen from the glacier summits of the Sabbath, and scattered itself over the Green. (S. 103)

Die Kritik an der etablierten Kirche wie überhaupt an akzeptierten Autoritäten, die ein Kennzeichen des Transzendentalismus und des Enthusiasmus allgemein ist, mündet im dritten Teil von Judds Margaret in eine utopische Vision der erneuerten Kirche, die durchaus als eine in Reichweite gerückte und fast auf menschliches Maß reduzierte Ausformung der enthusiastischen Millenniumshoffnung angesehen werden kann. 38 Angekündigt wird die Utopie in Margarets Jugendtraum durch Jesus selber, der in Worten, die deutlich den Gedanken an Apokalypse und Millennium heraufbeschwören, Margaret zum Vollstrecker des göttlichen Willens auf Erden ernennt: "Margaret!" he continued, "to you it shall be given to know the mysteries of Heaven. But the end is not yet. Man shall rise against his fellow; and many shall perish. The Church has fallen. The Eve of Religion has again eaten the forbidden fruit. You shall be a co-worker with me in its second redemption." (S. 110)

Verwirklicht werden kann dieses Ideal einer christlichen Gesellschaft auf dem Wege, der auch den Transzendentalisten in ihren optimistischen Zukunftsträumen vorschwebte: durch die allmähliche Vervollkommnung des Individuums, durch die zunehmende Entfaltung des göttlichen Potentials, das in jedem Menschen steckt. Christus ist auf diesem Weg wieder das leuchtende Vorbild, denn sein Leben hat exemplarisch aufgezeigt, welchen Grad an Vollkommenheit ein wirklich gotterfüllter Mensch erreichen kann:

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Daß die Utopie eine Art säkularisierter Millenniumsvision ist, zeigt Ernest Lee Tuveson in Millennium and Utopia: A Study in the Background of the Idea of Progress (Berkeley/Los Angeles, 1949).

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Whatever he himself was he designed man to become. God sent him into the world, through Him to restore His own fallen image. He was made perfect, that through his perfection we might become perfect. (S. 224) 39

Die Erneuerung der Welt und die Herabkunft des Reiches Gottes auf Erden wird nicht als ein Umbruch von kosmischen Ausmaßen gedeutet, der am Ende der Zeiten einsetzt, sondern als ein individualisierter Prozeß stetiger Vervollkommnung, der sich ständig vollzieht. Aussagen in der Offenbarung des Johannes, die sich auf geschichtliche Vorgänge einer näheren oder ferneren Zukunft in einer jedenfalls erdumfassenden Dimension beziehen, werden allegorisch ausgelegt als Bilder für die Erneuerung jedes einzelnen Menschen aus dem Geiste wahren Christentums. Daraus ergeben sich die Individualisierung und Verinnerlichung der Millenniumsvision im transzendentalistischen Zukunftsoptimismus, der auf dem Glauben an die nahezu unbegrenzte menschliche Vervollkommnung beruht. Getreu dieser Interpretation des Millenniumsgedankens formuliert Mr. Evelyn die Pläne Christi für die Welt folgendermaßen: A splendid Ideal had he, which he called the Kingdom of Heaven; the reproduction of himself among men he spoke of as his coming again; the reappearance of Virtue and Peace, Truth and Righteousness, he described as the clouds of Heaven and Angels of God. . . . Such is the scheme of Redemption, so called; a scheme or plan, originating with God, executed by Christ, fostered by the Holy Spirit, energetic through human sympathies and affections; a method, as we are graphically told, 'of redeeming unto Christ a peculiar people, zealous of good works,' of instituting a 'Church without spot or blemish.' (S. 226) 40

Alle Zeichen deuten darauf hin, daß bei der Erneuerung der christlichen Kirche Neuengland eine entscheidende Rolle spielen wird. Dieser Gedanke, der die amerikanischen Puritaner seit je mit einem tiefen Sendungsbewußtsein erfüllte und der von Jonathan Edwards erstmals auf die Vorstellung eines nicht mehr fernen Millenniums übertragen

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Obwohl Judds Christus-Konzept beileibe nicht identisch ist mit dem Emersons oder Parkers, ist doch für die Christus-Figur in Margaret von Bedeutung, was Ursula Brumm in "The Figure of Christ in American Literature," PR, 24 (1957), 407-409, über die Vermenschlichung des Christusbildes im Transzendentalismus sagt. Ferner trifft aufJudds Christus - wie auch auf seine Margaret, die aufgrund ihrer Außenseiterposition, ihrer Jugend in ärmlichen Verhältnissen und ihrer Funktion bei der Reform von Menschen und Kirche manche christus-ähnlichen Züge trägt - Brumms Beobachtung zu: "In the middle of the nineteenth century we encounter him as the opponent of the Calvinist minister, God's representative in New England" (406). Die Funktion Christi und der Plan eines Königreiches Gottes auf Erden werden von Elizabeth Peabody in "A Glimpse of Christ's Idea of Society," besonders S. 222-223, ganz ähnlich wie bei Judd beschrieben. Vgl. auch oben S. 160-161.

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wurde, schlägt sich auch in Judds Margaret nieder. Seine Formulierung bildet den abschließenden Höhepunkt in Margarets religiöser Unterweisung durch Mr. Evelyn. An ein ausführliches Loblied auf Neuengland und seine demokratischen Institutionen, das in seiner positiven Wertung dessen, was es hier alles nicht gibt, wie ein Gegenbild zu Hawthornes und James' bekannten Klagen über das Fehlen literarisch verwertbarer Sujets anmutet, knüpft Margaret die naive Frage, ob denn dann die Neuengländer die besten Menschen der Welt seien. Mr. Evelyns selbstbewußte Antwort lautet: I think they might become such; or rather I think they might lead the august procession of the race to Human Perfectibility; that here might be revealed the Coming of the Day of the Lord, wherein the old Heavens of sin and error should be dissolved, and a New Heaven and New Earth be established wherein dwelleth righteousness. I see nothing to prevent our people reassuming the old Hyperionic type, rising head and shoulders to the clouds, crowding out Jupiter and Mars, being filled, as the Apostle says, with all the fulness of God, reaching the stature of perfect men in Christ Jesus, and reimpressing upon the world the lost image of its Maker. (S. 232)

Individuelle Vervollkommnung und christliche Millenniumsvision werden hier explizit miteinander verknüpft. Wissenschaftliche und industrielle Großtaten unterstreichen nur die Leistungsfähigkeit des Menschen in einer kuriosen, andererseits aber auch für die sogenannte "Protestant ethic" typischen Vermengung von geistigen und materiellen Werten: High Calculation, which is only the symbol of a higher Moral Sense, is even now at work; and they are ripping up the earth for a Canal from Worcester to Providence; and what shall next be done, who knows ? Only, if love lay at the heart of all things, thought and action, what might not be! (S. 233)

Vergleicht man die Millenniumsvision, wie sie hier zum Ausdruck kommt, mit derjenigen bei Jonathan Edwards, fällt die Säkularisierung des Konzeptes auf, die sich trotz des verwendeten religiösen Vokabulars und der Zentrierung der Idee auf Christus bemerkbar macht. Das belegt nicht nur der Verweis auf wissenschaftliche und industrielle Errungenschaften, die sich als materielle Zeugnisse der geistigen Fortentwicklung des Menschen an die Seite stellen, denn die zunehmende Beherrschung der Natur ist selbst wieder nur ein Indiz für die gestiegene Bedeutung der Rolle des Menschen bei der Heraufführung des Millenniums. Natürlich bedarf es, zumindest in dem religiösen Umfeld, das in Margaret dargestellt wird, und aufgrund der Tatsache, daß der Autor immerhin unitarischer Geistlicher ist, nach wie vor des göttlichen Geistes, der die Menschen zur Entfaltung ihrer größten Fähigkeiten beflügeln muß. Doch wenn diesem Faktum einmal nominell Rechnung getragen ist,

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verdichtet sich der Eindruck, daß die Leistungs- und Verbesserungsfähigkeit des Menschen wahrhaft titanische Ausmaße annehmen kann. Judd sieht offensichtlich im göttlichen Einfluß und in der gewachsenen Größe des Menschen keine konkurrierenden Faktoren, sondern das Zusammenspiel sich ergänzender Kräfte, so daß ihm die Zweischneidigkeit seines Vergleichs mit den Titanen gar nicht bewußt wird. Bei Melville wird sich zeigen, daß der "titanische" Mensch - bewußt oder unbewußt - zusammen mit Jupiter und Mars auch den christlichen Gott vom Thron stürzen könnte. Bei Judd bleibt menschliche Größe jedoch noch überall göttlichem Antrieb untergeordnet. Immerhin ist die Statur des Menschen aber so gewachsen, daß er sich anschicken kann, zur Neugestaltung der Erde aus eigener Kraft einen bedeutsamen Beitrag zu leisten. In Margaret geschieht das in Form des Mons-Christi-Projektes, dessen Beschreibung der dritte Teil des Romans gewidmet ist. Die utopische Gesellschaft, die hier auf Betreiben Margarets und ihres Mannes an der Stelle ihres Heimatdorfes entsteht, das bezeichnenderweise am Ende des zweiten Teils weitgehend einem verheerenden Waldbrand zum Opfer gefallen war, dient ohne Zweifel der Vorbereitung oder gar Einleitung des Millenniums. Diesen Eindruck gewinnt ein auf Besuch weilender Geistlicher - "He said he believed the Latter Days were come" (S. 370) - , und als einen Schritt zur Schaffung einer neuen Erde versteht Margaret selber ihr Unternehmen. 41 Ausstrahlend von dem Berg mit dem sprechenden Namen Möns Christi und dem weithin sichtbaren Kreuz auf seinem Gipfel, ergreift ein wunderbarer geistiger Wandel alle Umwohnenden, so daß sie sich unter der anspornenden Mithilfe Margarets äußerlich wie innerlich aus den Trümmern ihrer alten Existenz zu einem neuen, besseren Leben erheben, das den Geist des von Margaret und Mr. Evelyn repräsentierten Christentums atmet. 42 Alkohol, das größte Laster der Einwohner von Livingston, spielt nun keine Rolle mehr in ihrem Leben; die früher verarmte Gemeinde erfährt aufgrund ihrer neuentdeckten Tugenden auch wirtschaftlich einen ungeahnten Aufschwung. So zieht das Projekt ständig größere Kreise, auch ohne daß missionarischer Eifer entfaltet werden müßte. Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten zeigt sich bei einem Besuch beeindruckt von den Erfolgen - fast die höchste Sanktion, die man sich vorstellen kann. So endet Judds Roman auf einer Note des Zukunftsoptimismus: Das Beispiel von Margarets Livingston zeigt, daß Utopia schon in der

41 42

Margaret, S. 394. S. 345, 350-351, 372-375.

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Romane des Transzendentalismus: Brownson, Child, Judd

Gegenwart verwirklicht werden kann. Das Millennium liegt nicht mehr in unerreichbarer Ferne, und die Menschen selbst können es in die Hand nehmen, seine Ankunft zu beschleunigen. Ja, im neuenglischen Livingston hat es vielleicht sogar schon begonnen.

VII. Melvilles Kritik des transzendentalistischen Enthusiasten Der Enthusiast Pierre Melvilles Verhältnis zum Transzendentalismus war im höchsten Maße zwiespältig. Einerseits fühlte er sich wie Emerson gedrängt, die Erscheinungswelt nicht als letzte Realität zu akzeptieren, sondern sie in der Art von Carlyles Sartor Resartus und Emersons Nature als Symbol für dahinterstehende geistige Ideen zu verstehen, und schickte daher viele seiner Protagonisten, namentlich Taji, Ahab und Pierre, auf die Suche nach dem Absoluten und Ideellen, das sich hinter den dinglichen Phänomenen diesseitiger Existenz verbirgt. Andererseits hegte er ein unüberwindliches Mißtrauen gegen die Neigung, in der Verfolgung abstrakter Wahrheiten allzu leichtfertig die harten Fakten irdischen Daseins aus dem Auge zu verlieren oder sie gar als Dinge von letztlich nur sekundärer Bedeutung bewußt zu ignorieren - eine Neigung, der in seinen Augen Emerson zu gerne nachgab und vor der er am Beispiel von Ishmaels pantheistischen Träumereien im Mastkorb nachdrücklich warnte. Bei aller Sympathie für die unablässige Suche nach den geistigen Prinzipien hinter der dinglichen Welt teilte er nämlich nicht Emersons optimistische Zuversicht, daß dieses Bemühen, wenn es nur gründlich genug betrieben werde, unweigerlich von Erfolg gekrönt sein müsse, daß man, wenn Schale um Schale konkreter Dinglichkeit abgestreift wird, notwendigerweise auf den Kern einer abstrakten, allgemeingültigen Wahrheit stößt. Vielmehr gelangte Melville immer wieder zu der bitteren Einsicht, daß Wahrheit, sofern sie sich dem Zugriff des Menschen nicht ohnehin in ständig neue, entlegenere Bereiche entzieht, bestenfalls subjektiver Natur sein kann, wie besonders eindrucksvoll die unterschiedlichen Auslegungen des Bildes auf der Dublone in MobyDick illustrieren. Schlimmstenfalls allerdings - und auch dieser Gedanke war Melville, ganz im Gegensatz zu Emerson, nicht fremd mußte der Suchende sogar befürchten, daß das Allerheiligste demjenigen, der durch alle Hüllen und über alle Schranken hinweg bis hierhin vorgedrungen war, als sein wohlbehütetes Geheimnis nur ein blankes Nichts preisgab. Trotz der Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten der Suche nach absoluter Wahrheit, ungeachtet auch der Vergehen, die

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Figuren wie Taji, Ahab und Pierre sich in Verfolgung ihrer idealistischen Ziele zuschulden kommen lassen, kann der Suchende bei Melville jedoch immer der Anteilnahme des Autors gewiß sein, denn, wie es in Pierre anläßlich des Enceladus-Traumes heißt, auch im Streben nach dem Unmöglichen manifestiert sich der göttliche Funke in der menschlichen Natur. Bulkingtons Größe besteht darin, daß die Sicherheit des Landes ihn auf Dauer nicht befriedigen kann; daher zieht es ihn immer von neuem in die unerforschte Weite des Meeres hinaus, auch auf die Gefahr hin, daß er eines Tages von seiner Reise nicht mehr zurückkehren wird. Innerhalb dieses Spannungsfeldes von unermüdlicher Suche und unvermeidlichem Scheitern, von der Sehnsucht, hinter die Kulissen der Erscheinungswelt zu schauen, und der Skepsis, ob nicht gähnende Leere den Forschenden empfangen wird, muß sich bei Melville auch der Enthusiast zurechtfinden. Per defmitionem setzt der typische Enthusiast voraus, daß das irdische Erscheinungsbild der Dinge nicht die letzte Stufe der Realität verkörpert, daß irgendeine Form von göttlicher Transzendenz den wahren Grund des Seins ausmacht. Des weiteren behauptet er charakteristischerweise, daß dem Menschen zu diesem Reich des Transzendenten ein direkter Zugang offenstehe, so daß es möglich sei, in unmittelbaren Kontakt zum Göttlichen zu treten und göttlichen Willen aus erster Hand zu erfahren. Schon hier werden Berührungspunkte mit dem typischen Melville-Helden deutlich, stellt doch sowohl Tajis Suche nach Yillah in Mardials auch Ahabs Jagd auf den weißen Wal eben solch einen lebenslangen Versuch dar, die Maskenhaftigkeit und Mittelbarkeit irdischer Phänomene zu durchbrechen und die direkte Gegenwart des Göttlichen zu erreichen. Zumindest von der Intention her handelt es sich also schon bei diesen beiden Figuren um potentielle Enthusiasten, die deswegen auch so manches Merkmal aufweisen, das zum traditionellen Inventar dieses Figurentyps gehört. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang nur auf die Unbeirrbarkeit, mit der beide an dem einmal begonnenen Unternehmen gegen alle Widerstände und gegen die Weisungen der Vernunft festhalten; ferner darauf, daß speziell Ahabs Monomanie zunehmend in die Nähe des Wahnsinns gerückt wird; auf die exklusive Orientierung am Transzendenten auf Kosten irdischer Belange, die sich in Tajis konsequenter Bevorzugung Yillahs gegenüber der diesseitig-sinnlichen Hautia ausdrückt ebenso wie in Ahabs Fixierung auf das einzige Ziel Moby Dick, das ihn jeden anderen Walfang und damit den wirtschaftlichen Erfolg seiner Fahrt vernachlässigen läßt; nicht zuletzt auch auf die Geringschätzung zwischenmenschlicher Bindungen um des gewählten Zieles willen, so daß Taji zum Mörder an dem Priester Aleema und mitschuldig am Tod seiner Reise-

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gefährten Jarl und Samoa wird, schließlich auch auf die Gesellschaft seiner letzten verbliebenen Freunde verzichtet, während Ahab seiner Besessenheit ein friedliches Heim opfert, dem Schiff Rachel jede Hilfe bei der Bergung ihrer Vermißten verweigert, seine eigene Besatzung sehenden Auges ins Verderben treibt und generell die wechselseitige zwischenmenschliche Abhängigkeit verflucht. Letzten Endes allerdings bleibt sowohl Taji als auch Ahab die Erfüllung ihres enthusiastischen Strebens, das sei es auch nur subjektive Gefühl, direkten Kontakt zum Göttlichen hergestellt zu haben, verwehrt, ganz zu schweigen von dem weitergehenden Anspruch des traditionellen Enthusiasten, er handle in Übereinstimmung, wenn nicht gar in ausdrücklichem Auftrag einer transzendenten Instanz. Der letztere Gedanke liegt außerhalb des Gesichtsfeldes von Mardi, da Tajis Reise am Ende des Werkes, obwohl offenkundig zum Scheitern verurteilt, keineswegs abgeschlossen ist. Ahab hingegen hat von vornherein den Kontakt zum Transzendenten nicht aus einer Haltung bescheidener Erwartung, sondern der Herausforderung und Konfrontation heraus gesucht. Insofern legen beide Protagonisten zwar manche enthusiastische Tendenz an den Tag, aber das entscheidende Charakteristikum des typischen Enthusiasten, die Uberzeugung, Empfänger unmittelbarer göttlicher Weisungen zu sein, geht ihnen ab. Während Taji also dem göttlichen Prinzip in romantisch-idealistischem Streben ewig nachstellt, um es zu seinem Besitz zu machen, und Ahab es in rebellischem Aufbegehren zumindest zu einer offenen Gegenüberstellung zwingen will, damit es sich in seinem Wesen zu erkennen geben muß, geht einzig der junge Pierre fraglos von einer unproblematischen Harmonie von Gott, Mensch und Natur aus. 1 Die paradiesische Idylle der Welt von Saddle Meadows, in der er aufgewachsen ist, vermittelt ihm ein ungebrochenes Vertrauen in die Sinnhaftigkeit und Güte der kosmischen Ordnung und flößt ihm darüber hinaus die Zuversicht ein, daß es dem Menschen nicht schwerfallen kann, Gottes Willen zu erkennen und zu vollziehen, wo doch alles um ihn her von der Präsenz einer wohlmeinenden Gottheit zu künden scheint. Erweckt schon das Bild der Natur in Saddle Meadows den Eindruck einer Welt vor dem Sündenfall, so wird diese Tendenz noch verstärkt durch die Anwesenheit von Lucy Tartan, Pierres Verlobter, einem Wesen von geradezu überirdischer Reinheit, das auf Schritt und Tritt mit einem Engel verglichen wird und seine lichthafte Natur schon im Namen

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Vgl. Robert A. Kelly, "The Failure of Prophecy in Melville's Pierre," Christianity and Literature, 27 (1978), 19.

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verrät. "Thou art my heaven, Lucy; and here I lie thy shepherd-king, watching for new eye-stars to rise in thee," verknüpft Pierre religiöse und pastorale Anspielungen zu einem Bild des Glücks, das auf der vollkommenen Harmonie von göttlicher Fügung und menschlichem Willen beruht: "The audacious immortalities of divinest love are in me; and I now swear to thee all the immutable eternities of joyfulness, that ever woman dreamed of, in this dream-house of the earth. A god decrees to thee unchangeable felicity; and to me, the unchallenged possession of thee and them, for my inalienable fief."2

Auch die Vorstellung, die Pierre von seinem verstorbenen Vater hegt, unterstreicht die Eintracht von Gott und Mensch, die in der Welt von Saddle Meadows verwirklicht scheint. Nicht nur verehrt der Sohn den toten Vater wie einen Heiligen, indem er ihm in seinem Herzen einen Schrein einräumt und ihn zum Gegenstand regelmäßiger "Anbetung" macht. Auch das Bild Gottes wird gefärbt vom Andenken an seinen Vater, so daß sich das gesamte Gewölbe von Pierres religiösem Denken auf die Vollkommenheit seines verstorbenen Vaters stützt wie manche gotische Oratorien auf eine zentrale tragende Säule a niched pillar, deemed solid and eternal, and from whose top radiated all those innumerable sculptured scrolls and branches, which supported the entire one-pillared temple of his moral life; as in some beautiful gothic oratories, one central pillar, trunk-like, upholds the roof. In this shrine, in this niche of this pillar, stood the perfect marble form of his departed father; without blemish, unclouded, snow-white, and serene; Pierre's fond personification of perfect human goodness and v i r t u e . . . . Not to God had Pierre ever gone in his heart, unless by ascending the steps of that shrine, and so making it the vestibule of his abstractest religion. (S. 68)

Mag sich dieses Konstrukt unter dem Ansturm künftiger Ereignisse auch als äußerst zerbrechlich erweisen, so zeugt es doch davon, welch enge Verflechtung zwischen irdischer und himmlischer Sphäre im Bewußtsein Pierres existiert, solange er sich in der heilen Welt von Saddle Meadows geborgen weiß: Gott- und Vaterfigur scheinen miteinander zu verfließen. 3 2

3

Herman Melville, Pierre or The Ambiguities, ed. Harrison Hayford, Hershel Parker und G. Thomas Tanselle (Evanston, 1971), S. 36. Stellenangaben im Text beziehen sich im folgenden auf diesen Band in der Northwestern-Newberry Edition der Werke Melvilles. Neben der naheliegenden psychologischen Interpretation läßt dieses Faktum allerdings auch eine negative Auslegung zu: In der Vergötterung des Vaters und dem korrespondierenden anthropomorphen Gottesbild kann man ein weiteres Beispiel dafür sehen, wie Pierre konventionelle Beziehungen in ein zweideutiges Licht taucht. Ebenso macht er aus der Mutter eine Schwester, aus der Schwester seine Frau und aus der ihm eigentlich zugedachten Frau eine Kusine.

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Unter diesen Umständen kann es nicht verwundern, daß Pierres Weltanschauung zunächst von grenzenlosem Optimismus geprägt ist. Die harmonische Einheit von Gott, Mensch und Natur, die sich seinem Auge ringsum darbietet, wird zum Ausdruck eines weltumspannenden Siegeszuges der Liebe, die das Böse überall, wo es noch anzutreffen ist, unaufhaltsam zurückdrängt. "Oh, praised be the beauty of this earth, the beauty, and the bloom, and the mirthfulness thereof!" (S. 32), lautet der überschwengliche Refrain eines Hymnus in Prosa, der in seiner zweiten Hälfte gleichsam in ein Epithalamium auf die Hochzeit der Liebe mit der Erde einmündet: "All this Earth is Love's affianced; vainly the demon Principle howls to stay the banns. Why round her middle wears this world so rich a zone of torrid verdure, if she be not dressing for the final rites?" (S. 34). 4 Nichts kann diesen Blick durch die rosarote Brille trüben, da negative Aspekte schlichtweg ignoriert oder als kontrastierende Farbtupfer nur zur Belebung in ein allseits strahlendes Bild eingefügt werden. So vermittelt die Jugendbekanntschaft mit Charlie Millthorpe Pierre nicht etwa einen Eindruck von dem Elend, das die Kehrseite zu seinem eigenen unbeschwerten Leben bildet, sondern liefert in erster Linie die abwechslungsreichen Schattierungen, mit deren Hilfe ein ansonsten ganz auf Sonnenschein gestimmtes Bild erst voll zur Geltung kommt: not more picturesquely conspicuous is the dismantled thatch in a painted cottage of Gainsborough, than the time-tangled and want-thinned locks of a beggar, povertiresquely diversifying those snug little cabinet-pictures of the world, which, exquisitely varnished and framed, are hung up in the drawing-room minds of humane men of taste, and amiable philosophers of either the "Compensation," or "Optimist" school. They deny that any misery is in the world, except for the purpose of throwing the fine povertiresque element into its general picture. (S. 276-277)

Der Seitenhieb auf die Anhänger einer Philosophie des seichten Optimismus reiht den jungen Pierre unter solche Transzendentalisten ein, die wie Emerson in seinen frühen Essays das Elend in der Welt leugneten oder es allenfalls als die Projektion subjektiver Empfindungen erklärten, ihm jedenfalls jegliche eigenständige Existenz absprachen.5 Ebenso ist auch Pierre in seinem bisherigen Leben verfahren. Die

4 5

Vgl. auch Pierre, S. 60. Vgl. z.B. Emerson, "Divinity School Address," Collected Works, I, 78: "Good is positive. Evil is merely privative, not absolute. It is like cold, which is the privation of heat. All evil is so much death or nonentity"; oder die Stelle in "The Poet", die Melville später in seiner Ausgabe der Essays markierte: "the evils of the world are such only to the evil eye" (ibid., III, 11). Zu Melvilles Emerson-Kommentaren vgl. William Braswell, "Melville as a Critic of Emerson," AL, 9 (1937/8), 317-334, besonders 327-331.

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wohlbehütete Idylle des ländlichen Saddle Meadows hat ihn so wirksam gegen alle störenden Eindrücke abgeschirmt, daß er voller Uberzeugung von sich behaupten kann: "but thou, Grief! art still a ghoststory to me. I know thee not, - do half disbelieve in thee" (S. 41). Die Weisheit des biblischen Buches Ecclesiastes, die Melville Salomon zuschreibt und gern als Beispiel für die Einsicht in die Schattenseiten des Lebens anführt, hat Pierres kindliche Unschuld noch nicht gestreift.6 Folglich kann er in naiver Zuversicht ein Leben der Freude als das jedem Menschen verbürgte Recht fordern und sich den ganz andersgearteten Erkenntnissen, die ihm eine verständnisvolle Lektüre der Werke Dantes aufdrängen würde, absichtlich verschließen.7 Seine uneingeschränkt optimistische Weltsicht, resultierend aus der Abkapselung eines ländlichidyllischen Daseins ebenso wie aus der bewußten Negierung alles Bösen, weist ihn als genau solch einen unreifen Menschen aus, wie Melville ihn an einer programmatischen Stelle aus Moby-Dick beschreibt: that mortal man who hath more of joy than sorrow in him, that mortal man cannot be true - not true, or undeveloped. With books the same. The truest of all men was the Man of Sorrows, and the truest of all books is Solomon's, and Ecclesiastes is the fine hammered steel of woe. "All is vanity." ALL. This wilful world hath not got hold of unchristian Solomon's wisdom yet. 8

All das ändert sich jedoch schlagartig, sobald Pierre zum ersten Mal Isabel begegnet. Noch bevor er von ihrem Anspruch erfahren hat, die illegitime Tochter seines Vaters zu sein, drängt sich immer wieder ihr dunkles Gesicht, einer Vision gleich, in seine Erinnerung und macht ihn darauf aufmerksam, daß das Leben neben Licht und Freude, repräsentiert durch die blonde Lucy, auch Düsterkeit und Traurigkeit kennt. Allein Isabels mysteriöse Erscheinung genügt, ihn an der Richtigkeit seines bisherigen Weltbildes zweifeln zu lassen: "such faces, compounded so of hell and heaven, overthrow in us all foregone persuasions, and make us wondering children in this world again" (S. 43). Er sieht sich genötigt, geheiligte Uberzeugungen über Bord zu werfen, akzeptierte Dogmen seines Denkens zu hinterfragen und generell mehr Dinge zwischen Himmel und Erde für möglich zu halten, als seine Weisheit sich bisher träumen ließ:

6

7 8

S. 68-69. Vgl. auch Melvilles Brief an Hawthorne vom Juni 1851 in The Letters of Herman Melville, ed. Merrell R. Davis und William H. Gilman (New Haven, 1960), S. 130. Pierre, S. 41-42 und 54. Herman Melville, Moby-Dick, ed. Harrison Hayford und Hershel Parker (New York, 1967), S. 355.

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He felt that what he had always before considered the solid land of veritable reality, was now being audaciously encroached upon by bannered armies of hooded phantoms, disembarking in his soul, as from flotillas of specter-boats. (S. 49)

In dem Augenblick, da sich Isabel ihm als seine Schwester zu erkennen gibt, werden diese vagen Ahnungen dann zur unumstößlichen Gewißheit. Ihre Enthüllungen zeigen ihm nicht nur seinen Vater in einem zuvor nicht gekannten Licht, sondern konfrontieren ihn auch erstmalig direkt mit der Schlechtigkeit, die er bislang sorgsam aus seinem Weltbild ausgespart hatte. Der Vergleich, demzufolge auf dem Andenken seines Vaters Pierres gesamte Weltanschauung wie auf einer einzigen tragenden Säule ruhte, erweist sich jetzt als ebenso korrekt wie ominös, denn mit dem Zusammenbruch der zentralen Stütze fällt sofort Pierres ganzes Gedankengebäude in Trümmer. Eine Umwälzung geht in ihm vor, die sowohl seine Einstellung zur ihn umgebenden Welt grundsätzlich verändert als auch ihn selbst so einschneidend verwandelt, daß er sich bei einem Blick in den Spiegel kaum noch wiedererkennt. 9 Von nun an ist Pierre ein neuer Mensch, und dementsprechend sieht er auch die Welt mit anderen Augen. Man mag diesen Vorgang als eine Initiation bezeichnen und dabei auf zeitgenössische Parallelen bei Hawthornes " M y Kinsman, Major Molineux" und "Young Goodman Brown" oder auch in der jüngeren Literatur, etwa in Sherwood Andersons "I Want to Know W h y " oder Hemingways " M y Old Man", verweisen, wo sich ebenfalls eine Einweihung in das Böse, meist auch anhand neuer Einsichten in eine Vaterfigur, vollzieht. Andererseits läßt sich der Prozeß aber auch als eine säkularisierte Version des traditionellen Konversionserlebnisses verstehen, bei dem der alte in den neuen Menschen verwandelt wird. Solch eine Einschätzung wird unter anderem durch eine Passage wie die folgende nahegelegt: If it be the sacred province and - by the wisest, deemed - the inestimable compensation of the heavier woes, that they both purge the soul of gay-hearted errors and replenish it with a saddened truth; that holy office is not so much accomplished by any covertly inductive reasoning process, whose original motive is received from the particular affliction; as it is the magical effect of the admission into man's inmost spirit of a before unexperienced and wholly inexplicable element, which like electricity suddenly received into any sultry atmosphere of the dark, in all directions splits itself into nimble lances of purifying light; which at one and the same instant discharge all the air of sluggishness and inform it with an illuminating property; so that objects which before, in the uncertainty of the dark, assumed shadowy and romantic outlines, now are lighted up in their substantial realities; so that in these flashing revelations of grief's wonderful fire, we see all things as they are; and though, when the electric element is

9

Pierre, S. 87, 92 und 62.

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gone, the shadows once more descend, and the false outlines of objects again return; yet not with their former power to deceive; for now, even in the presence of the falsest aspects, we still retain the impressions of their immovable true ones, though, indeed, once more concealed. (S. 88)

Ausdrücke wie "sacred", "holy", "revelation", auch "purge" und "purify", sind durchaus dazu angetan, einen religiösen Hintergrund zu evozieren. Mehr noch als diese vereinzelten Wendungen erinnert jedoch die alles beherrschende Lichtmetaphorik an traditionelle Schilderungen des Konversationserlebnisses, wenn die Wahrheit des göttlichen Geistes mit dem Glanz eines übernatürlichen Lichts in die Seele des Menschen dringt und die Welt wie auch seine bisherigen religiösen Anschauungen für ihn in ein völlig neues Licht taucht. Auch Emerson hatte in seinen Essays auf dieses bekannte literarische Vorbild zurückgegriffen.10 Wie im traditionellen Verständnis die Konversion trotz aller hinführenden Schritte, die ihr den Weg ebnen können, letztlich ein plötzliches und überraschendes Ereignis ist, das vom Menschen nicht durch die Vertiefung in religiöse Texte erzwungen werden kann, überfällt auch Pierre die Erleuchtung unvermittelt und ohne die Hilfe des menschlichen Verstandes. Nichts Vorhergegangenes kann sich mit der neuartigen Erfahrung messen, ähnlich wie auch Jonathan Edwards stets betont hatte, daß dem Menschen in der Konversion quasi ein neuer Sinn hinzugegeben werde. Wo sonst die Wahrheit der geoffenbarten Religion in das Herz des Gläubigen Einzug hielt, da handelt es sich in Pierre profaner, aber durchaus verwandt um die Wahrheit über seinen Vater, seine Schwester und über die Realitäten des Lebens mit all ihren dunklen Aspekten, die seinem Blick bisher entgangen oder wie durch Scheuklappen ausgesperrt worden waren.11 Hier zeigt sich allerdings auch ein bedeutsamer Unterschied zur traditionellen Darstellung der Konversion: Während nämlich das geänderte Verhältnis zur Welt der Erscheinungen normalerweise wohl die Einsicht in ihre Bedingtheit angesichts der wirklichen geistigen Realitäten einschließt, nichtsdestoweniger aber die Schöpfung als göttliches Werk in neuem Glanz erstrahlen läßt, bewirkt bei Pierre dieselbe Einsicht in die Vordergründigkeit irdischer Phänomene nur einen desillusionierten Glauben an die trügerische Fassadenhaftigkeit alles Irdischen. Ja mehr noch, getreu der von Mel-

10 11

Vgl. oben S. 145-146. Der Rückgriff auf traditionelle Darstellungen des Konversionserlebnisses scheint mir eher erkennbar als eine Anspielung auf Piatos Höhlengleichnis, die Merton M. Sealts in Pursuing Melville 1940-1980 (Madison, Wise., 1982), S. 321, hier entdecken möchte. Ebenfalls als Kon versionserlebnis versteht die Begegnung mit Isabel James Duban, Melville's Major Fiction: Politics, Theology, and Imagination (DeKalb, 111., 1983), S. 179-180.

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ville für ein späteres Buch gewählten Überschrift "More Light, and the Gloom of That Light" verbreitet die Wahrheit, von der Pierre heimgesucht wird, nur Düsterkeit, da ihr Licht ausschließlich dunkle Objekte an den Tag bringt. So fragt sich Pierre zu Recht in Worten, die an Gloucester in Shakespeares King Lear oder auch an das Schicksal des blinden Ödipus gemahnen: "Doth Truth come in the dark, and steal on us, and rob us so, and then depart, deaf to all pursuing invocations? . . . Oh! falsely guided in the days of my Joy, am I now truly led in this night of my grief?" (S. 65). Zwar weist der Wandel des Weltbildes, den er durchmacht, alle äußeren Merkmale eines typischen Konversionserlebnisses auf, doch statt des göttlichen Lichts, das die Sündhaftigkeit des alten Adam vertreibt, wird ihm nur die Offenbarung der Schlechtigkeit der Welt zuteil: Ay, Pierre, now indeed art thou hurt with a wound, never to be completely healed but in heaven; for thee, the before undistrusted moral beauty of the world is forever fled; for thee, thy sacred father is no more a saint; all brightness hath gone from thy hills, and all peace from thy plains; and now, now, for the first time, Pierre, Truth rolls a black billow through thy soul! Ah, miserable thou, to whom Truth, in her first tides, bears nothing but wrecks! (S. 65)

Der Eindruck, daß die Charakterisierung Pierres auf Vorbilder im traditionellen religiösen Gedankengut zurückgreift - Vorbilder im übrigen, die, wie oben gesehen, auch im zeitgenössischen Transzendentalismus eine wichtige Rolle spielten - , verstärkt sich noch, als Pierres anschließender Entschluß, seiner Schwester Isabel zur Anerkennung vor der Welt zu verhelfen, durchgehend als die göttliche Eingebung des typischen Enthusiasten geschildert wird. Ganz abgesehen davon, daß Pierre immer wieder explizit als Enthusiast bezeichnet wird, faßt er auch selber die Aufgabe, sich Isabels anzunehmen, als eine Verpflichtung auf, die in Form einer unmißverständlichen göttlichen Weisung an ihn ergangen ist.12 Entsprechend dem Wandel im Bild des Enthusiasten, 12

Von den 35 Vorkommen der Worte "enthusiasm", "enthusiast" und "enthusiastic", die ich in Pierre gezählt habe, beziehen sich 18 direkt auf Pierre; weitere 6 stehen in generalisierenden Kontexten, die ebenfalls Pierres Situation verdeutlichen sollen; eine weitere Stelle meint Memnon, die mythische Parallele zu Pierre. - Die Forschung hat Pierres Enthusiasmus zwar meistens zur Kenntnis genommen, selten jedoch Näheres dazu zu sagen gehabt. Etwas genauer beschäftigt sich damit Henry A. Murray in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Werkes (New York, 1949), S. lx-lxii, lxxiv-lxxvi, wobei er jedoch das Hauptgewicht auf platonische Vorbilder legt und Enthusiasmus allzu eng mit Eros verkoppelt. Siehe ferner Murray Krieger, "Melville's 'Enthusiast': The Perversion of Innocence," The Tragic Vision: Variations on a Theme in Literary Interpretation (New York, 1960), S. 195-209; H. Bruce Franklin, The Wake of the Gods: Melville's Mythology (Stanford, Cal., 1963), S. 105-110; Kelly, "The Failure of

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den der Transzendentalismus herbeigeführt hatte, äußert sich die göttliche Stimme auf dem Wege der Intuition, die sich mit unfehlbarer Autorität im Innern des Menschen zu Wort meldet. Während Pierre Isabels Brief mit den folgenschweren Enthüllungen noch in Händen hält, unschlüssig, ob er das Schreiben, das ihm unter so ominösen Umständen zugestellt wurde, lesen soll oder nicht, wird sein innerer Entscheidungskampf schon als ein Disput zwischen gutem und bösem Engel dargestellt, wobei bezeichnenderweise - und angesichts der späteren Entwicklung nicht ohne Ironie - die himmlische Stimme dafür plädiert, die Nachricht zu lesen ohne Rücksicht auf etwaige Verwicklungen, die sich für ihn selber daraus ergeben könnten. 13 Desgleichen appelliert Isabel in ihrem Brief an Pierres göttlichen Impuls, der allein ihn dazu bewegen könne, sie als seine Schwester anzuerkennen, 14 und bekräftigt denselben Gedanken in einem späteren Gespräch nochmals mit den Worten: "God called thee, Pierre, not poor Bell" (S. 159). Zu der gleichen Uberzeugung gelangt auch Pierre, wenn er sich an der Schwelle seiner Entscheidung, Isabel für seine Frau auszugeben, vor Augen hält: That intense and indescribable longing, which her letter by its very incoherencies had best embodied, proceeded from no base, vain, or ordinary motive whatever; but was the unsuppressible and unmistakable cry of the godhead through her soul, commanding Pierre to fly to her, and do his highest and most glorious duty in the world. (S. 174)

Schon unmittelbar nach der Lektüre des Briefes hatte Pierre trotz der unangenehmen Erfahrungen, die er gerade mit den Eingebungen seines guten Engels gemacht hatte, den Weisungen seiner Intuition unbedingten Gehorsam gelobt: "Henceforth I will know nothing but Truth; glad Truth, or sad Truth; I will know what is, and do what my deepest angel dictates" (S. 65). Auch wenn die Stelle Gottes hier von dem abstrakten Konzept Wahrheit eingenommen wird, so tritt das typisch enthusiastische Verlangen nach unmittelbarem Kontakt zum Göttlichen und die Gewißheit, direkte Offenbarungen empfangen zu können, aus diesen Worten deutlich hervor: "Impregnations from high enthusiasms he had received" (S. 106). Folglich kommt es Pierre im Gegensatz etwa zu Hamlet, mit dessen Schicksal ihn manche Parallele verbindet, gar nicht

13 14

Prophecy," 18-22, dessen Terminus "prophet" eigentlich den Enthusiasten meint; und vor allem Duban, Melville's Major Fiction, S. 149-181, der in einem aufschlußreichen Kapitel Pierres Vertrauen auf die Intuition vor dem Hintergrund des Transzendentalismus untersucht. Pierre, S. 63. S. 64.

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in den Sinn, am göttlichen Ursprung seiner Mission zu zweifeln, da er sich in diesem Punkt uneingeschränkt auf seine Intuition und die spontane Inspiration des Augenblicks verläßt, getreu der transzendentalistischen Maxime, daß Spontaneität und Intuition Ausdruck des Göttlichen im Menschen sind: To a less enthusiastic heart than Pierre's the foremost question in respect to Isabel which would have presented itself, would have been, What must I do? But such a question never presented itself to Pierre; the spontaneous responsiveness of his being left no shadow of dubiousness as to the direct point he must aim at. . . . But without being entirely aware of it himself, Pierre was one of those spirits, which not in a determinate and sordid scrutiny of small pros and cons - but in an impulsive subservience to the god-like dictation of events themselves, find at length the surest solution of perplexities, and the brightest prerogative of command. And as for him, What must I do? was a question already answered by the inspiration of the difficulty itself. (S. 87-88) 15

Ebenso wie die ursprüngliche Bereitschaft, für Isabels Anerkennung zu sorgen, erscheint ihm später auch der Plan einer fiktiven Heirat als gottgesandter Ausweg aus dem Dilemma, sowohl die Schwester in die Familie einzugliedern als auch seine Eltern dabei nicht bloßzustellen. Zwar verspricht er sich kurzzeitig Rat und Hilfe von Reverend Falsgrave, doch als dieser einer eindeutigen Stellungnahme in Grundsatzfragen christlicher Ethik ausweicht, sieht Pierre ein, daß einzig der direkte Kontakt mit Gott, ohne Einschaltung kirchlicher Vermittlerstellen, sein Problem lösen kann: "a hint from heaven assures me now, that thou hast no earnest and world-disdaining counsel for me. I must seek it direct from God himself, who, I now know, never delegates his holiest admonishings" (S. 164). Im Vertrauen auf diese unfehlbare Quelle der Inspiration kann er Isabel, als er ihr sein Vorhaben mitteilt, versichern: "Pierre hath consulted heaven itself upon it, and heaven itself did not say Nay" (S. 192). So erweist sich Pierre also am entscheidenden Wendepunkt seines Lebens als ein typischer Enthusiast, der seine Handlungsweise mit einem untrüglichen himmlischen Mandat begründet. Hierin tritt ein bezeichnender Zwiespalt in seinem Denken zutage, der sich im Laufe der weiteren Entwicklung zu einer unüberbrückbaren Kluft ausweiten wird. Durch die plötzliche Offenbarung der moralischen Verfehlung seines Vaters und die damit zusammenhängende Einsicht in die Schattenseiten des Lebens sieht Pierre nämlich einerseits sein gesamtes bisheriges Weltbild, das auf einer harmonischen Einheit von Gott, Mensch

15

Auch an anderen Stellen wird immer wieder Wert darauf gelegt, daß Pierre aus göttlicher Inspiration handelt: vgl. S. 91, 107, 112, 205.

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und Natur basierte, in sich zusammenstürzen; andererseits tut er aber, indem er an seiner enthusiastischen Grundeinstellung festhält, so, als wäre nichts geschehen und als bestünde der unmittelbare Kontakt zwischen Gott und Mensch problemlos fort unabhängig von der Tatsache, daß die Bekanntschaft mit dem Bösen seinen jugendlichen Optimismus in Frage stellt. Anders ausgedrückt, ist Pierre zwar bereit, aufgrund der neu gewonnenen Einsichten seine Vorstellung von der Welt zu revidieren; er weigert sich aber beharrlich, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß von den Veränderungen auch sein Bild des Verhältnisses von Gott und Mensch betroffen sein könnte. Der gewandelten äußeren Welt begegnet er mit dem umso hartnäckigeren Festhalten an der Unwandelbarkeit seines inneren göttlichen Funkens. Trotz seines enttäuschten Aufbegehrens, als die neuen Enthüllungen ihm den Boden unter den Füßen zu entziehen drohen "If this night, which now wraps my soul, be genuine as that which now wraps this half of the world; then Fate, I have a choice quarrel with thee. Thou art a palterer and a cheat; thou hast lured me on through gay gardens to a gulf" (S. 65) - ,

findet er Trost in der ihm verbliebenen oder jetzt erst eigentlich hergestellten Bindung an die Wahrheit und die mit ihr assoziierte göttliche Macht. Der Glaube, Offenbarungen verborgener Wahrheiten erhalten zu haben und weiterhin erhalten zu können, von nun an gewissermaßen ein Enthusiast der Wahrheit zu sein, überdauert also den Zusammenbruch seines sonstigen Weltbildes und läßt ihn zunächst sogar vage auf eine Wiederherstellung der verlorenen Harmonie hoffen: Nor now, though profoundly sensible that his whole previous moral being was overturned, and that for him the fair structure of the world must, in some then unknown way, be entirely rebuilded again, from the lowermost corner stone up; nor now did Pierre torment himself with the thought of that last desolation; and how the desolate place was to be made flourishing again. He seemed to feel that in his deepest soul, lurked an indefinite but potential faith, which could rule in the interregnum of all hereditary beliefs, and circumstantial persuasions; not wholly, he felt, was his soul in anarchy. (S. 87)

Die Zuversicht, die sich hier trotz des umgebenden Chaos ausdrückt, stützt sich wie bei allen Enthusiasten, nicht zuletzt den zeitgenössischen Transzendentalisten, auf die sichere Intuition des Herzens, und so sucht auch Pierre in seiner Bedrängnis Zuflucht bei dieser unerschütterlichen Instanz: "The heart! the heart! 'tis God's anointed; let me pursue the heart!" (S. 91). Als er seine Mutter und Reverend Falsgrave in allgemein gehaltenen Formulierungen mit der Frage konfrontiert, wie man sich einer illegitimen Schwester gegenüber verhalten solle, gibt Mrs. Glendinning ihm den Rat: "Ask the world, Pierre, . . . and ask your own

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heart." Während Pierre den ersten Teil der Antwort stillschweigend übergeht, ist ihm der zweite Teil, ganz anders als von seiner Mutter beabsichtigt, wie aus der Seele gesprochen: " M y own heart? I will, Madam" (S. 101). Auch als ihn später Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns befallen, erstrecken sich diese nagenden Selbstzweifel nicht so sehr auf die Weisungen des Herzens als vielmehr auf die Zweckmäßigkeit der Schritte, die sein Verstand ihm eingibt, um den Auftrag des Herzens zu erfüllen: But this last distrust was not of the heart; for heaven itself, so he felt, had sanctified that with its blessing; but it was the distrust of his intellect, which in undisciplinedly espousing the manly enthusiast cause of his heart, seemed to cast a reproach upon that cause itself. (S. 167)

Als typischer Enthusiast betont Pierre also den Primat der intuitiven Emotionen über die verstandesmäßige Reflektion, 16 ebenso wie ja auch die Transzendentalisten aufgebrochen waren, dem Gefühl zur Gleichberechtigung neben dem Intellekt zu verhelfen, faktisch aber in vielen ihrer Äußerungen - etwa bei Brownson, Emerson und vor allem Aleott mit der Aufwertung des Gefühls auf Kosten des Verstandes geendet hatten. In einem Brief an Hawthorne vom Juni 1851 hatte sich Melville selber anläßlich seiner Lektüre von Hawthornes "Ethan Brand" den Standpunkt des Herzens zu eigen gemacht: I stand for the heart. To the dogs with the head! I had rather be a fool with a heart, than Jupiter Olympus with his head. The reason the mass of men fear God, and at bottom dislike Him, is because they rather distrust His heart, and fancy Him all brain like a watch. 17

In seiner Verzweiflung darüber, daß alle Fixpunkte seines bisher festgefügten Weltbildes ins Wanken geraten sind, sucht Pierre also Zuflucht in der Sicherheit eines gottgesandten Enthusiasmus, da er in der unmittelbaren Berufung auf Gott den einzigen ihm verbliebenen Halt verspürt. Nachdem alle anderen Brücken zur heilen Welt seiner Kindheit abgebrochen sind, erscheint ihm das Vertrauen in die göttliche Sanktionierung dessen, was seine innere Stimme ihm zu tun gebietet, wie ein letzter Rettungsanker in der aufgewühlten See seines künftigen Lebens:

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In Fortführung des Gegensatzes von Herz und Verstand wird aus seiner Gefühlsbetontheit auch seine mangelnde Voraussicht der praktischen Konsequenzen seines Tuns abgeleitet: S. 175-176. Ferner kommt die traditionelle Assoziation von Enthusiasmus und Wahnsinn an einigen Stellen zum Tragen: S. 171, 186-187, 308-309, 318-319. The Letters of Herman Melville, S. 129.

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"Guide me, gird me, guard me, this day, ye sovereign powers! Bind me in bonds I can not break; remove all sinister allurings from m e ; . . . to my life's muzzle, cram me with your own intent." (S. 106-107)

Tatsächlich hat es zunächst den Anschein, als würde Pierres Zuversicht, auf direkte göttliche Weisung hin zu handeln, mit der inneren Gewißheit und Unbeirrbarkeit belohnt, die das natürliche Produkt einer tiefen enthusiastischen Uberzeugung sind. Zwar muß er erfahren, daß ganz im Gegensatz zu den Offenbarungen traditioneller Enthusiasten, die nicht selten klärendes Licht auf religiöse Fragen werfen oder Einblicke in Gottes Heilsplan gestatten, ihn in erster Linie eine Einweihung in das Dunkel dieser Welt erwartet, doch verspricht er sich selbst von diesem Dunkel immerhin die Zerstörung trügerischer Illusionen und die Gewißheit der unverbrämten Wahrheit: "Thou Black Knight, that with visor down, thus confrontest me, and mockest at me; Lo! I strike through thy helm, and will see thy face, be it G o r g o n ! . . . From all idols, I tear all veils; henceforth I will see the hidden things; and live right out in my own hidden life! - Now I feel that nothing but Truth can move me so." (S. 65-66)

Alle Ungereimtheiten, die mit der Person seines Vaters verknüpft waren - die in den Kindheitserinnerungen an den unruhigen Tod des Vaters schlummerten, durch die Erzählungen seiner Tante über die Entstehung des Jugendporträts neu entfacht wurden und die Pierre nicht zuletzt im mysteriösen Lächeln auf eben diesem Porträt ständig entgegenstarrten - , all diese Rätsel geben ihr Geheimnis preis und weichen dem göttlichen Wissen, für dessen Vermittlung Isabels Brief nur das profane Werkzeug war: "swift as the first light that slides from the sun, Pierre saw all preceding ambiguities, all mysteries ripped open as if with a keen sword, and forth trooped thickening phantoms of an infinite gloom" (S. 85). Ebenso glaubt Pierre auch die Maskenhaftigkeit irdischer Erscheinungen ein für allemal zu durchschauen und verkündet mit bitterer, aber selbstsicherer Genugtuung sein Wissen um das wahre Wesen der Dinge: "Now I see that in his beauty a man is snared, and made stone-blind, as the worm within its silk. Welcome then be Ugliness and Poverty and Infamy, and all ye other crafty ministers of Truth, that beneath the hoods and rags of beggars hide yet the belts and crowns of k i n g s . . . . Oh, now I know the night, and comprehend the sorceries of the moon, and all the dark persuadings that have their birth in storms and winds. Oh, not long will Joy abide, when Truth doth come; nor Grief her laggard be." (S. 90-91)

Auch wenn die Enthüllungen schmerzen, findet er doch in der Uberzeugung des Enthusiasten, Zugang zur absoluten Wahrheit zu besitzen, ausreichende Bestätigung für den von ihm eingeschlagenen Weg.

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Allerdings hat diese Selbstsicherheit nicht lange Bestand. Von Anfang an wird die Person Isabels mit dunklen Geheimnissen assoziiert, die teils ihre eigene Existenz umgeben, teils von hier einen Schatten werfen auf die Sicht des Lebens überhaupt. Die zahlreichen ungeklärten Punkte in ihrem bisherigen Schicksal werden daher für Pierre, nachdem er ihre Geschichte gehört und sich vergebens um eine Aufhellung ihrer vagen Andeutungen bemüht hat, zum Sinnbild für die Unentwirrbarkeit des Lebens schlechthin: In her life there was an unraveled plot; and he felt that unraveled it would eternally remain to h i m . . . . He saw that human life doth truly come from that, which all men are agreed to call by the name of God; and that it partakes of the unravelable inscrutableness of God. (S. 141)

Auch die Gitarre hat in diesem symbolischen Zusammenhang ihren Platz, denn ihre Herkunft und die Bedeutung des Namenszuges in ihrem Inneren bleiben trotz aller Erklärungsversuche letztlich doch Gegenstand der Spekulation. Darüber hinaus beginnt das Instrument während Isabels Erzählung plötzlich wie von einer unsichtbaren Hand berührt zu klingen und unterstreicht durch dieses aus der Gothic novel übernommene Element noch zusätzlich den mysteriösen Charakter der von Isabel geschilderten Geschehnisse. In dem Refrain "Isabel and Mystery!" verdichten sich schließlich zur Begleitung der Gitarre alle um das dunkelhaarige Mädchen gruppierten Symbole zu einem Eingeständnis der Unerforschlichkeit des Universums. Angesichts dieser Erkenntnis muß Pierre seine anfängliche Hoffnung, daß die Zerstörung seines naiven Kindheitsglaubens ihm zumindest gestattet, von nun an den Dingen auf den Grund zu schauen, recht bald wieder begraben: the vague revelation was now in him, that the visible world, some of which before had seemed but too common and prosaic to him; and but too intelligible; he now vaguely felt, that all the world, and every misconceivedly common and prosaic thing in it, was steeped a million fathoms in a mysteriousness wholly hopeless of solution. (S. 128)

Anstelle der erhofften Offenbarung verborgener Wahrheiten beschert ihm seine enthusiastische Gefolgschaft in einer göttlichen Mission lediglich das enttäuschende Bewußtsein der verwirrenden Mehrdeutigkeit aller menschlichen Angelegenheiten. Dabei beginnen nicht nur irdische Anhaltspunkte, auf die bislang Verlaß schien, seinen Händen zu entgleiten, sondern der Himmel selbst, der wichtigste und einzige Rückhalt des Enthusiasten, scheint die schillernde Natur aller irdischen Phänomene auszunutzen, um seinen Schützling vollends in die Irre zu führen und ihn zum hilflos Suchenden in einem grimmigen Blindekuh-Spiel zu degradieren:

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In those Hyperborean regions, to which enthusiastic Truth, and Earnestness, and Independence, will invariably lead a mind fitted by nature for profound and fearless thought, all objects are seen in a dubious, uncertain, and refracting light. Viewed through that rarefied atmosphere the most immemorially admitted maxims of men begin to slide and fluctuate, and finally become wholly inverted; the very heavens themselves being not innocent of producing this confounding effect, since it is mostly in the heavens themselves that these wonderful mirages are exhibited. (S. 165)

So gewinnt Pierre im Laufe seiner Erfahrungen den Eindruck, daß der unmittelbare Zugang zur göttlichen Wahrheit, dessen er sich im Vertrauen auf den himmlischen Auftrag hinter all seinem Tun so sicher wähnte, wohl immer eine Illusion bleiben wird. Das Buch, an dem er nach seiner Ankunft in der Stadt arbeitet, um aus dem Verkaufserlös seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, entwickelt sich daraufhin zunehmend zu einem Versuch, die jüngsten Entdeckungen zu bewältigen, indem er sie in das fiktive Gewand einer autobiografisch gefärbten Erzählung kleidet. War er das Unternehmen anfangs noch mit dem ehrgeizigen Vorsatz angegangen, die Welt in seinem Buch mit einer schonungslosen Darstellung aller Wahrheiten zu konfrontieren, die seine Erlebnisse ihn gelehrt hatten - "I will gospelize the world anew, and show them deeper secrets than the Apocalypse!" (S. 273) - , so muß er schließlich von diesem Ziel abrücken, da er einsieht, daß alle Wahrheit bestenfalls doch nur subjektiv sein kann und sich dem Zugriff des Menschen beim Versuch, sie zu fixieren und verfügbar zu machen, auf immer entzieht: For the more and the more that he wrote, and the deeper and the deeper that he dived, Pierre saw the everlasting elusiveness of Truth; the universal lurking insincerity of even the greatest and purest written thoughts. Like knavish cards, the leaves of all great books were covertly packed. He was but packing one set the more; and that a very poor jaded set and pack indeed. (S. 339)

So fühlt sich Pierre am Ende von Gott selbst im Stich gelassen, da ihm vorenthalten bleibt, worauf bisher noch jeder Enthusiast zählen durfte: die zumindest subjektive Gewißheit, auf dem Wege über direkte Offenbarungen Zugang zur göttlichen Wahrheit zu besitzen. Pierre hingegen muß sich mit der paradoxen Wahrheit begnügen - und das ist die einzige, höchst desillusionierende Offenbarung, die ihm vergönnt ist - , daß für den Menschen die Wahrheit letztlich unerreichbar bleibt. Statt der Gewißheit des Enthusiasten, am Göttlichen Anteil zu haben, drängt sich ihm nur die Ungewißheit all dessen auf, was der Mensch zu ergründen sucht. Bis zu dieser Erkenntnis ist es jedoch ein langer Weg. An seinem Anfang steht neben der noch intakten Hoffnung, absolute Wahrheiten vermittelt zu bekommen, auch ein typisch enthusiastischer Perfektio-

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nismus, der sich in gewohnter Weise mit einer rigorosen Jenseitsorientierung verbindet und darüber alles Irdische geringschätzt. So ist sich Pierre von vornherein darüber im klaren, daß sein Entschluß, das Isabel widerfahrene Unrecht wiedergutzumachen, für ihn selber den Verlust seines Erbes und den Abstieg in Armut und Elend beinhalten wird. Wie die Welt sich zu seiner Entscheidung stellt, hat jedoch kein Gewicht, da Pierre ohnehin bemüht ist, alle weltlichen Begrenzungen von sich abzustreifen, ganz gleich, ob sie von außen die Entfaltung des göttlichen Impulses behindern oder Teil seiner eigenen menschlichen Natur sind: "May heaven new-string my soul, and confirm me in the Christ-like feeling I first felt. May I, in all my least shapeful thoughts still square myself by the inflexible rule of holy right" (S. 106). Mit seiner Rebellion gegen etablierte Konventionen zieht er sich unweigerlich die Feindschaft der bestehenden Gesellschaft zu. In dieser Konstellation zeigt sich natürlich die vertraute Frontstellung des Enthusiasten gegen erstarrte Autoritäten und Institutionen, wobei, parallel zu früheren Beispielen, auch die Amtskirche, hier in Gestalt des Reverend Falsgrave, in die Kritik einbezogen wird. Die Ablehnung wird durchaus von beiden Seiten geteilt: Einerseits ist die Orthodoxie, ob nun weltlicher oder kirchlicher Natur, immer darauf bedacht, denjenigen, der an den Grundfesten ihres Systems rüttelt, als Häretiker zu brandmarken und aus ihren Reihen zu verbannen. Diese Funktion erfüllt hier die demonstrative Verstoßung Pierres durch seine Mutter und seinen Cousin Glen wie auch, auf breiterer Ebene, das Außenseiterdasein der "Apostel" in ihrer verfallenen Kirche; denn über deren seltsame Bruderschaft kursieren in offensichtlicher Anspielung auf traditionelle Vorstellungen vom Enthusiasten die abenteuerlichsten Gerüchte: insensibly, [they] at last became organized in a peculiar society, which, though exceedingly inconspicuous, and hardly perceptible in its public demonstrations, was still secretly suspected to have some mysterious ulterior object, vaguely connected with the absolute overturning of Church and State, and the hasty and premature advance of some unknown great political and religious Millennium. (S. 269)

Andererseits wendet sich aber auch der Enthusiast in seinem Streben nach Gottnähe und persönlicher Vervollkommnung von der als trügerisch und schlecht erkannten Welt ab, um seine jenseitigen Ideale in individualistischer Isolierung von der befleckenden Welt zu verwirklichen. Folglich begibt sich Pierre vom ersten Augenblick seines enthusiastischen Entschlusses bis zu seiner letzten Sekunde in einer einsamen Gefängniszelle in eine Isolation von den übrigen Menschen, die er zum großen Teil freiwillig sucht. "This day I will forsake the censuses of men, and seek the suffrages of the god-like population of the trees,

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which now seem to me a nobler race than man" (S. 106) - mit diesen Worten stürzt Pierre in die Einsamkeit der Wälder von Saddle Meadows, und aus demselben Geiste heraus wählt er nachher für seine Spaziergänge in der Stadt das trübste Wetter und die finstersten und menschenleersten Gassen. Ausgestoßen von der Gesellschaft und isoliert in seiner einsamen Christusnachfolge, verliert Pierre jeden Kontakt zu seinen Mitmenschen, wie besonders deutlich wird, als er zwischen den zwei Passantenströmen einer belebten Straße hindurch dem tödlichen Treffen mit Glen zusteuert: Mixing with neither of these, Pierre stalked midway between. From his wild and fatal aspect, one way the people took the wall, the other way they took the curb. Unentangledly Pierre threaded all their host, though in its inmost heart. (S. 359)

Emersons Ideal des autonomen Ich, das noch in der größten Menschenmenge seine abgegrenzte Individualität bewahrt, scheint hier verwirklicht.18 Doch in Melvilles Kritik an solchem individualistischen Isolationismus kündet die Situation nicht von heiterer Gelassenheit, sondern ganz im Gegenteil von düsterer Verzweiflung. Schon bei früheren Enthusiasten-Figuren war die Verachtung des eigenen menschlichen Wesens und das daraus resultierende Bestreben, eine geradezu übermenschliche Vollkommenheit zu verwirklichen, spürbar gewesen, und dieselbe Tendenz klingt auch hier an, wenn Pierre Christus nacheifert und nur noch im Göttlichen und Unsterblichen etwas seinen Ambitionen Kongeniales entdeckt. Alle irdischen Erwägungen müssen hinter dem himmlischen Ziel zurückstehen; der Mensch versucht einen gottgleichen Status zu erreichen: There is a dark, mad mystery in some human hearts, which, sometimes, during the tyranny of a usurper mood, leads them to be all eagerness to cast off the most intense beloved bond, as a hindrance to the attainment of whatever transcendental object that usurper mood so tyrannically suggests. Then the beloved bond seems to hold us to no essential good; lifted to exalted mounts, we can dispense with all the vale; endearments we spurn; kisses are blisters to us; and forsaking the palpitating forms of mortal love, we emptily embrace the boundless and the unbodied air. We think we are not human; we become as immortal bachelors and gods. (S. 180)19

Tatsächlich sieht Isabel dieses Bestreben in Pierres selbstloser Hilfsbereitschaft ihr selbst gegenüber wie auch gegenüber der allseits ausgestoßenen Delly Ulver bereits weitgehend verwirklicht: 18 19

Vgl. oben S. 159. Auf einer mehr komischen Ebene wird derselbe Gegensatz von diesseitig-physischer Existenz und jenseitig-spirituellen Ambitionen anhand der "transcendental flesh-brush philosophy" exemplifiziert (Pierre, S. 297-301).

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"Thou art a visible token, Pierre, of the invisible angel-hoods, which in our darker hours we do sometimes distrust. The gospel of thy acts goes very far, my brother. Were all men like to thee, then were there no men at all, - mankind extinct in seraphim!" (S. 156)

In ihren Augen spricht aus Pierres Handlungsweise allein noch der göttliche Bestandteil der menschlichen Natur. Pierre hat es gewissermaßen verstanden, das der irdischen Existenz Verhaftete aus seinem Wesen herauszufiltern, und ist so schon auf Erden engelsgleich geworden. Mehr noch, die Redewendung von dem Evangelium, das Pierres Taten verkünden, läßt ihn geradezu als einen zweiten Christus erscheinen, eine Assoziation, die Pierre selber wenige Momente später ausdrücklich bestätigt, wenn er das kärgliche Essen, das die beiden teilen, als das wahrhafte Abendmahl bezeichnet. 20 "Thus, in the Enthusiast to Duty, the heaven-begotten Christ is born; and will not own a mortal parent, and spurns and rends all mortal bonds" (S. 106). Von daher ist Pierres Vorgehen natürlich genau mit jenen Chronometern zu vergleichen, die in der Abhandlung des Plotinus Plinlimmon den Versuch mancher Menschen versinnbildlichen sollen, sich auf Erden stets und ausschließlich an himmlischen Gesetzen zu orientieren. Wie die Schiffschronometer, einmal auf die Standardzeit von Greenwich eingestellt, diese Zeit an jedem Punkt der Erde anzeigen unabhängig davon, wie die augenblickliche Ortszeit lautet, so richtet sich auch die chronometrische Seele unter Mißachtung aller irdischen Gegebenheiten ausnahmslos nach dem himmlischen Maßstab, auf den sie geeicht wurde. Damit widerspricht sie zwar, ebenso wie die Standardzeit der Schiffschronometer, fast immer den augenblicklichen Erfordernissen und gilt in den Augen der Welt, die einem anderen Leitfaden folgt, als töricht, wenn nicht gar verrückt. Andererseits muß der Mensch ab und zu über seine lokale, irdische Begrenztheit hinausdenken, ebenso wie der Seemann gelegentlich auf seinen Schiffschronometer angewiesen ist, um aus dessen Angabe und dem Stand der Gestirne am Himmel den eigenen Standort bestimmen zu können. 2 1 Pierres enthusiastischer Rigorismus stellt in den Begriffen von Plinlimmons Schrift den widersinnigen und fatalen Versuch dar, himmlische Vorstellungen schon auf der

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S. 162. Vgl. auch die positiv aufrüttelnde Wirkung der Kabinenlampe in Father Mapples Predigt über die Jonas-Geschichte (Moby-Dick, S. 47): Obwohl die Lampe im Verhältnis zur schwankenden Welt der Kabine ständig schief zu hängen scheint, bleibt in Wirklichkeit allein sie immer im rechten Lot und verdeutlicht durch den konstanten Widerspruch zu den schiefen Achsen ihrer Umgebung die falsche Ausrichtung weltlicher Normen.

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Erde rückhaltlos durchzusetzen. Solch ein Unternehmen muß notwendigerweise den Widerstand aller irdischen Gegebenheiten heraufbeschwören - "he will but array all men's earthly time-keepers against him" (S. 212) - und kann wegen der zugrundeliegenden Mißachtung der Bedingtheit menschlicher Existenz nur in bedauernswerten Verirrungen und einer Art geistigem Selbstmord enden: almost invariably, with inferior beings, the absolute effort to live in this world according to the strict letter of the chronometricals is, somehow, apt to involve those inferior beings eventually in strange, unique follies and sins, unimagined b e f o r e . . . . What man who carries a heavenly soul in him, has not groaned to perceive, that unless he committed a sort of suicide as to the practical things of this world, he never can hope to regulate his earthly conduct by that same heavenly soul? (S. 213)

Wirklich behält Plinlimmon mit seiner Vorhersage Recht, denn Pierre begeht am Ende seines Lebensweges nicht nur ganz wörtlich Selbstmord, sondern hat sich bis dahin in seinem Verhältnis zu den Menschen seiner Umgebung bereits in einige jener absonderlichen Sünden verstrickt, auf die Plinlimmon anspielt, ganz abgesehen davon, daß sein Perfektionismus ihn noch zu Lebzeiten zu einer Abtötung aller menschlichen Interessen zugunsten seiner himmlischen Mission treibt. Damit ist nun allerdings nicht impliziert, daß umgekehrt Plinlimmons Standpunkt zuträfe, demzufolge Gott von den Menschen überhaupt nicht erwartet, daß sie sich an himmlischer Gesetzmäßigkeit orientieren: "for the mass of men, the highest abstract heavenly righteousness is not only impossible, but would be entirely out of place, and positively wrong in a world like this" (S. 213). Das Konzept der "virtuous expediency", das Plinlimmon dem enthusiastischen Rigorismus entgegenstellt, entpuppt sich nämlich, obwohl Plinlimmon dies bestreitet, allzu schnell als eine von Egoismus und Selbstgefälligkeit geprägte Lehre, in der das Verlangen nach persönlichem Wohlbefinden die moralische Richtschnur abgibt und ethische Verpflichtungen daran gemessen werden, ob sie für den Durchschnittsmenschen auf bequeme Weise zu erfüllen sind. 22 Auch Plinlimmons einleuchtende Maxime, daß himmlische Vorstellungen nicht auf irdische Verhältnisse angewandt werden dürfen, verliert viel von ihrer scheinbaren Vernünftig22

Man beachte etwa solch verräterische, relativierende und fast schon in sich widersprüchliche Wendungen wie "self-considerate generosity", "abstains from doing downright ill", "his convenient best", "his own mere instinct for his own every-day general well-being", "practicable virtue" auf den Seiten 214-215 (meine Hervorhebungen). Meine Sicht des Plinlimmon-Textes ist wesentlich geprägt von Brian Higgins' Aufsatz "Plinlimmon and the Pamphlet Again," Studies in the Novel, 4 (1972), 27-38, der Melvilles Absichten als satirisch versteht.

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keit, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Entscheidungen über Recht und Unrecht oder Gut und Böse nicht auf den Aspekt ihrer Praktikabilität oder ihres zählbaren Nutzens reduziert werden können. 23 Dadurch, daß Plinlimmon ein Leben nach den Gesetzen des Himmels erst im Himmel zuläßt, entzieht er dem christlichen Tugendkonzept jede Grundlage. Was die Menschen auf Erden nicht praktizieren sollen, werden sie im Himmel aus Mangel an Gelegenheit nicht mehr praktizieren können: A virtuous expediency, then, seems the highest desirable or attainable earthly excellence for the mass of men, and is the only earthly excellence that their Creator intended for them. When they go to heaven, it will be quite another thing. There, they can freely turn the left cheek, because there the right cheek will never be smitten. There they can freely give all to the poor, for there there will be no poor to give to. (S. 214)

So mag man Pierre manchen Fehler ankreiden, der dem typischen Enthusiasten allgemein vorgeworfen wurde, und vielleicht noch manchen obendrein, der sich aus Melvilles spezieller Darstellung des Enthusiasten ergibt, aber daß Pierre sich nicht an Plinlimmons Ratschläge hält, darf ihm gewiß nicht als Makel angerechnet werden. Das beweist nicht zuletzt der Enceladus-Mythos am Ende des Buches. Obwohl der Versuch des Giganten, den Olymp zu stürmen, wegen seiner Erdgebundenheit ewig zum Scheitern verurteilt ist, leitet Melville daraus doch keineswegs den Schluß ab, daß der Mensch sich mit seinen Begrenzungen abzufinden habe. Vielmehr gewinnt wie das Tausendschön am Fuße des Titanenberges auch das Verlangen nach dem Göttlichen ständig an Boden, und nur der wird dem erhabeneren Teil seiner menschlichen Natur gerecht, der sich trotz aller Rückschläge immer an seinem himmlischen Ursprung orientiert: For it is according to eternal fitness, that the precipitated Titan should still seek to regain his paternal birthright even by fierce escalade. Wherefore whoso storms the sky gives best proof he came from thither! But whatso crawls contented in the moat before that crystal fort, shows it was born within that slime, and there forever will abide. (S. 347)

Neben der Ausrichtung an jenseitigen Idealen steckt in Pierres göttlichem Streben allerdings auch ein gewisser Hang zu Stolz und Selbstüberhebung, der dem Enthusiasten seit jeher nachgesagt worden war. Die unbeirrbare Überzeugung, unmittelbar aus den Quellen der Weis-

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Higgins, "Plinlimmon and the Pamphlet Again," 31-35. Indem er das Land Serenia in Mardi zum Vergleich heranzieht, zeigt auch Tyrus Hillway in "Pierre, the Fool of Virtue," AL, 21 (1949/50), 202-203, daß Plinlimmons Behauptung, himmlische Normen seien gar nicht für irdische Verwirklichung konzipiert, von Melville nicht gutgeheißen wird.

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heit zu schöpfen und besondere Vergünstigungen gegenüber der Masse der Menschheit zu genießen, wurden ihm gern als ein Zeichen höchst unchristlichen Hochmuts ausgelegt sowie als der - bewußte oder unbewußte - Versuch, seinen Egoismus zur Richtschnur aller Dinge zu machen, indem er seine persönlichen Antriebe und Begierden durch die Postulierung ihres göttlichen Ursprungs zum absoluten Maßstab aufwertete. Von solchem Stolz kann man auch Pierre nicht ganz freisprechen, wie sowohl sein gelegentliches Aufbrausen gegen die Mächte, die sein Schicksal lenken, beweist als auch sein an Ahab gemahnendes Trachten nach größtmöglicher Unabhängigkeit von seinen Mitmenschen. 24 Selbst seine Christusnachfolge wird stellenweise von einem Subjektivismus geprägt, der dazu führt, daß persönliche Erkenntnisse absolut gesetzt werden. Im Zusammenhang mit seinem Plan, die eigenen neuen Einsichten in einem Buch aufzuarbeiten, schreckt Pierre nicht vor dem kühnen Versprechen zurück: "I will gospelize the world anew, and show them deeper secrets than the Apocalypse!" (S. 273). Angesichts des allgemeinen Enthusiasmus-Hintergrundes, vor dem sich die Charakterisierung Pierres vollzieht, läßt sich seine Ankündigung durchaus als eine Anspielung auf den traditionellen Vorwurf verstehen, der Enthusiast mißachte die Bibel und setze an ihre Stelle seine privaten Offenbarungen. Immerhin löst sich auch Pierre von akzeptiertem Dogma, indem er das konventionelle Weltbild der Gesellschaft, mit dem er selber groß geworden ist, über Bord wirft und aufgrund von Isabels Enthüllungen zu einer neuen, ungeschminkten Sicht der Realität vordringt. Damit jedoch nicht zufrieden, erhebt er seine eigenen Einsichten seinerseits zum Evangelium und beansprucht so für seine subjektiven Uberzeugungen absolute Gültigkeit. Den Inhalt seines ketzerischen Evangeliums bildet die Relativierung, wenn nicht gar die Aufhebung aller Werte: "Virtue and Vice are trash!" (S. 273) oder, wie Pierre kurz darauf etwas ausführlicher darlegt: "a nothing is the substance, it casts one shadow one way, and another the other way; and these two shadows cast from one nothing; these, seems to me, are Virtue and Vice" (S. 274). Mit derartigen Äußerungen nähert er sich in gefährlicher Weise jener antinomischen Position, die in der früheren theologischen Debatte vielen Enthusiasten als die logische Konsequenz ihrer Anschauungen ausgemalt worden war. Bei Anne Hutchinson war die Verquickung von Antinomiertum und dem Glauben, direkte Offenbarungen zu empfangen, besonders eng gewesen, aber auch während des "Great Awakening" befürchteten Gegner der 24

Siehe z.B. Pierre, S. 65-66, 107, 199 und 260-261.

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Erneuerungsbewegung, daß die subjektive Überzeugung, vom Heiligen Geist erfüllt zu sein, zur Nivellierung aller Moralvorschriften führen müsse, wenn erst einmal der Glaube um sich griffe, daß alle Exzesse, die die vermeintliche Erwählung durch Gott begleiteten, deshalb der göttlichen Sanktionierung gewiß sein dürften. 25 Darüber hinaus und vom Ansatz her noch grundsätzlicher stellte sich natürlich, wie gerade erst Emerson in "Self-Reliance" dokumentiert hatte, für jeden Enthusiasten die generelle Frage, ob seine Eingebungen oder Impulse einer göttlichen oder teuflischen Macht zuzuschreiben seien. Eine erste Ahnung dieses Problems überkommt Pierre schon recht früh, als er sich die vernichtenden Folgen einer offenen Anerkennung Isabels für das Glück seiner Mutter vergegenwärtigt: "And through Pierre's mind there then darted a baleful thought; how that the truth should not always be paraded; how that sometimes a lie is heavenly, and truth infernal" (S. 92). Die Vermengung von Himmel und Hölle, die sich hier bereits ankündigt, wird dann später dazu führen, daß Tugend und Laster wie ergänzende Aspekte ein und derselben Sache erscheinen, in ihrem tieferen Wesen praktisch nicht mehr unterscheidbar und so oder so von ihrer Substanz her ein Nichts. 26 Gegensätzliche Pole des etablierten Wertesystems fallen fast bis zur völligen Identität zusammen, so daß die Befolgung eines herkömmlichen moralischen Kodes müßig wird. Pierres Enthusiasmus resultiert also letztlich in einer Position, die dem Antinomiertum im Bild des traditionellen Enthusiasten entspricht, mit dem bezeichnenden Unterschied allerdings, daß der Antinomier sich über den Gesetzeskodex hinwegsetzen zu können glaubt, weil für ihn aus der Gewißheit der göttlichen Gnade heraus das Gesetz keine Bedeutung mehr hat, wohingegen für Pierre moralische Orientierungspunkte verschwimmen, weil auch sie von der generellen Ungewißheit über letzte Wahrheiten erfaßt werden. So ergeht es ihm wie manchen Forschern in der Arktis, deren Situation Melville zum Vergleich heranzieht, um in der Identität aller Himmelsrichtungen am Nordpol das Ineinanderfallen von Gegensätzen und den Verlust jeglicher Orientierung zu illustrieren: But the example of many minds forever lost, like undiscoverable Arctic explorers, amid those treacherous regions, warns us entirely away from them; and we learn that it is not for man to follow the trail of truth too far, since by so doing he entirely loses the

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Vgl. auch die Bemerkung in Isaac Taylors Natural History of Enthusiasm, S. 87-88: "A chronic intellectual enthusiasm, when it becomes the source of heresy, most frequently betakes itself to those exaggerations of Christian doctrine which pass under the general designation of Antinomianism." Vgl. Mary E. Dichmann, "Absolutism in Melville's Pierre" PMLA, 67 (1952), 710-713.

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directing compass of his mind; for arrived at the Pole, to whose barrenness only it points, there, the needle indifferently respects all points of the horizon alike. (S. 165)

Noch Pierres letzte Worte, die er im Gefängnis an Lucy und Isabel richtet, bezeugen die Unmöglichkeit, die Sphären von Himmel und Hölle sinnvoll zu trennen, und den resignierten Agnostizismus, auf den Pierre sich zurückzieht: "Away! - Good Angel and Bad Angel both! For Pierre is neuter now!" (S. 360). Die entscheidende Frage, mit der sich zuvor jeder Enthusiast konfrontiert sah, ob er nämlich seine Eingebungen Gott oder dem Teufel verdanke, läßt in Melvilles Welt der Ambiguitäten keine eindeutige Antwort mehr zu. Wo sonst mancher Enthusiast mit dem Gleichmut des Antinomiers bindende Gesetze ignorierte, stellt Melvilles Enthusiast mit Entsetzen fest, daß in seiner Welt keine verpflichtenden Normen mehr erkennbar sind. Das Scheitern des Enthusiasten Die Verunsicherung, die Pierre ergreift, reicht daher bis an die Wurzeln seines Enthusiasmus. Schon recht bald hatte er ja erfahren, daß seine anfängliche Hoffnung, ihm würden die verborgenen Geheimnisse der Welt geoffenbart, getrogen hatte, denn anstelle der Gewißheit gottgesandter Erkenntnisse stieß er überall nur auf das Mysterium unentwirrbarer Mehrdeutigkeiten. Angesichts der - zumindest für menschliche Wahrnehmung - zerfließenden Grenzen von Gut und Böse, Himmel und Hölle, wird nun allerdings sogar der göttliche Ursprung seiner Intuition und damit seines ganzen Handelns in Frage gestellt. Der traditionelle Enthusiast konnte sich bei allem, was er tat, selbst noch im Extrem antinomischer Gesetzesübertretung, auf das subjektive Bewußtsein seiner göttlichen Erwählung berufen und aus diesem Rückhalt ständig neue Kraft schöpfen. Pierre dagegen beginnt in zunehmendem Maße an sich selbst und an der Verläßlichkeit der Grundlagen, auf die er gebaut hat, zu zweifeln, da er an den Folgen seines Tuns auf Schritt und Tritt ablesen kann, wie unauflöslich Gut und Böse miteinander verwoben sind. Anders als der Priester, den Glaubenszweifel befielen, findet Pierre in einem Meer ohne Fixpunkte keinen Felsen, an den er sich klammern könnte: In the midst of a solemn cathedral, upon a cloudy Sunday afternoon, this priest was in the act of publicly administering the bread at the Holy Sacrament of the Supper, when the Evil O n e suddenly propounded to him the possibility of the mere moonshine of the Christian Religion. Just such now was the mood of Pierre; to him the Evil One propounded the possibility of the mere moonshine of all his self-renouncing Enthusiasm. The Evil O n e hooted at him, and called him a fool. But by instant and earnest

Das Scheitern des Enthusiasten

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prayer - closing his two eyes, with his two hands still holding the sacramental bread - the devout priest had vanquished the impious Devil. Not so with Pierre. The imperishable monument of his holy Catholic Church; the imperishable record of his Holy Bible; the imperishable intuition of the innate truth of Christianity; - these were the indestructible anchors which still held the priest to his firm Faith's rock, when the sudden storm raised by the Evil One assailed him. But Pierre - where could he find the Church, the monument, the Bible, which unequivocally said to him - "Go on; thou art in the Right; I endorse thee all over; go on." (S. 205)

Einflüsterungen des Teufels erscheinen genauso plausibel wie göttliche Inspirationen. Pierre jedenfalls verfügt über kein Mittel, die einen von den anderen zu scheiden. Als er daher in der Gemäldegalerie dem Porträt eines Unbekannten gegenübersteht, der, was die äußere Ähnlichkeit betrifft, ebenso gut wie der verstorbene Glendinning Isabels Vater hätte sein können, bestärkt diese äußere Erschütterung seines Gedankengebäudes nur die Tendenz zur Skepsis gegenüber den Fundamenten seines eigenen Enthusiasmus, die ihn innerlich schon des längeren bewegt. 27 Der wichtigste Grund jedoch, an der Lauterkeit und Berechtigung seiner enthusiastischen Überzeugungen zu zweifeln, stammt nicht daher, daß ihm die Offenbarung absoluter Wahrheiten versagt bleibt oder daß ihm wegen der zerfließenden Grenzen von Gut und Böse letztlich die Gewißheit seiner göttlichen Erwählung fehlt, sondern rührt von seinem ambivalenten Verhältnis zu seiner Schwester Isabel. Zusätzlich zu all den unentwirrbaren Geheimnissen, derer er sich nach und nach bewußt wird, muß Pierre feststellen, daß selbst eine scheinbar so selbstverständliche Beziehung wie die zwischen Bruder und Schwester den allgegenwärtigen Ambiguitäten unterworfen ist: "Fate had separated the brother and the sister, till to each other they somehow seemed so not at all" (S. 142). Ihr Verhältnis ist in einem seltsamen Niemandsland angesiedelt: zu fremd, als daß sie ungezwungen geschwisterliche Zuneigung empfinden könnten, und doch wieder zu nah, als daß sie die Zuneigung, die sie beide verspüren, als die Liebe von Mann und Frau zu interpretieren wagten. Angesichts dieser zumindest latent inzestuösen Situation rückt natürlich auch Pierres Entschluß, Isabel als seine Frau auszugeben, in das allgemeine Zwielicht von Gut und Böse, von dem, wie es scheint, alle Handlungen des Menschen notwendigerweise umgeben sind: "If to follow Virtue to her uttermost vista, where common souls never go; if by that I take hold on hell, and the uttermost virtue, after all, prove but a betraying pander to the

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Pierre, S. 353-354.

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monstrousest vice, - then close in and crush me, ye stony walls, and into one gulf let all things tumble together!" (S. 273)

Selbst auf den zuverlässigsten Rückhalt des Enthusiasten transzendentalistischer Prägung, die göttliche Stimme seiner Intuition, kann Pierre nicht mehr uneingeschränkt bauen. Wenn der Enthusiast bei Emerson oder Aleott den spontanen Eingebungen seiner inneren Stimme folgte oder, anders ausgedrückt, den Weisungen seines Herzens gehorchte, konnte er sicher sein, sich im Einklang mit dem göttlichen Willen zu befinden. "The soul's emphasis is always right," 2 8 lautete einer von Emersons apodiktischen Sätzen, der kategorisch die Möglichkeit ausschloß, daß dem ins Innere des Menschen verlagerten göttlichen Orakel jemals ein Fehler unterlaufen könnte. Aus demselben Geist heraus hatte sich ja auch Pierre zum Gefolgsmann des Herzens erklärt und hieraus seine göttliche Mission abgeleitet. Nun aber dämmert ihm die ernüchternde Einsicht, daß das Herz neben der göttlichen Stimme auch höchst irdische Leidenschaften beherbergt, daß der Pfad der Tugend aus wenig tugendhaften Motiven eingeschlagen werden und sich hinter Selbstlosigkeit äußerste Selbstsucht verbergen kann. Anfangs, in der feudalen Welt von Saddle Meadows, gefällt sich Pierre noch in der Pose eines aufrechten Ritters, der im Dienste einer guten Sache oder für seine Herzensdame selbstlos sein Leben riskiert: "ten thousand mailed thoughts of heroicness started up in Pierre's soul, and glared round for some insulted good cause to defend" (S. 14). In diesem Verlangen manifestiert sich sowohl der chevalereske Hintergrund, vor dem die ganzen frühen Ereignisse von Pierres Leben spielen, als auch das typisch amerikanische Bestreben, der Größe der Pioniergeneration - hier verkörpert in den militärischen Leistungen des Großvaters und Urgroßvaters - unter den schrumpfenden Bedingungen einer veränderten Zeit nachzueifern. Insbesondere konzentriert sich Pierres Drang, seinen heldenhaften Opfermut unter Beweis zu stellen, noch bevor er etwas von Isabels Existenz gehört hat, im Gedanken an eine Schwester:" ' O h , had my father but had a daughter!' cried Pierre; 'some one whom I might love, and protect, and fight for, if need be. It must be a glorious thing to engage in a mortal quarrel on a sweet sister's behalf!'" (S. 7). Dementsprechend gibt es für ihn kein Zögern, als Isabel sich ihm in ihrem Brief zu erkennen gibt: In Wendungen, die fast wörtlich seine alte Sehnsucht aufgreifen, erklärt Pierre seine Bereitschaft, von nun an Isabel zu beschützen und für ihre Rechte zu streiten. 29 Damit erhält er

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29

"Spiritual Laws," Collected Works, II, 84. Pierre, S. 66.

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nicht nur die erwünschte Gelegenheit, seine ritterlichen Ambitionen in die Tat umzusetzen, sondern - was in dem hier erörterten Zusammenhang von größerer Bedeutung ist - damit legt er auch den Opfermut des typischen Enthusiasten an den Tag, indem er bei der Erfüllung einer göttlichen Mission sein Leben in die Waagschale wirft. Wie das Beispiel Anne Hutchinsons und des "Great Awakening" lehrt, hatten Enthusiasten seit je ihrem eigenen Leben geringeren Wert als ihren Anschauungen beigemessen und, wenn es ihrer Sache förderlich zu sein schien, oft mit der Möglichkeit des Martyriums kokettiert. Auch Hawthornes "Gentie Boy" spiegelt in der Todesverachtung der Quäkerfrau dieses traditionelle Charakteristikum. In seiner Natural History of Enthusiasm hatte Isaac Taylor daher die übertriebene Selbsterniedrigung des Enthusiasten mit wahrer christlicher Demut kontrastiert: Genuine humility would shake the whole towering structure of this enthusiastic pietism; and, therefore, in the place of Christian humbleness of mind, there are cherished certain ineffable notions of self-annihilation, and self-renunciation, and we know not what other attempts at metaphysical suicide. 30

Ebenso schließt Pierres Idee, für die Rechte seiner Schwester einzutreten, von vornherein den Gedanken eines Kampfes auf Leben und Tod in sich ein. Vollkommen rückt die Absicht, sich selber in Befolgung eines göttlichen Auftrags zu opfern, in den Vordergrund, als Pierre, um Isabel die ihr zustehende Anerkennung zu verschaffen, auf den Ausweg einer fiktiven Heirat verfällt, ein Schritt von, wie es heißt, außergewöhnlicher Selbstentsagung.31 Dadurch verzichtet Pierre nicht nur augenblicklich auf Lucy sowie alle Vorteile, die Ansehen und Vermögen ihm eröffnen, sondern nimmt darüber hinaus in Kauf, daß er zeitlebens unverheiratet bleiben muß und in den Augen der Welt mit dem treulosen Bruch eines Heiratsversprechens und der Schmach eines entehrten Namens gebrandmarkt ist.32 All dies erscheint ihm jedoch leichter zu ertragen, als seiner Mutter das öffentliche Eingeständnis der Jugend verfehlung ihres Mannes zuzumuten. He considered that by an inscrutable decree, which it was but foolishness to try to evade, or shun, or deny existence to, since he felt it so profoundly pressing on his inmost soul; the family of the Glendinnings was imperiously called upon to offer up a victim to the gods of woe; one grand victim at the least; and that grand victim must be his mother, or himself. (S. 178-179)

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S. 35. Pierre, S. 172-173. Auch Lucy betrachtet seine Handlungsweise später als einen engelsgleichen Opfergang: S. 309. S. 175-176.

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So beschließt er, sich selbst auf dem Altar seines Enthusiasmus zu opfern, um in der Nachfolge Christi Sühne zu leisten für die Verfehlung seines Vaters, andererseits aber auch jener unbewußten Todessehnsucht nachzugeben, die Isaac Taylor an der oben zitierten Stelle als Charakteristikum des Enthusiasten anführt und die ja auch Plinlimmon meint, wenn er die idealistische Jenseitsorientierung als eine Art Selbstmord im Hinblick auf alle praktischen Belange dieser Erde bezeichnet.33 Nun hatte ja allerdings das Beispiel früherer Enthusiasten gelehrt, daß sich ihre Verachtung irdischer Interessen meist nicht in rücksichtsloser Selbstaufopferung erschöpft, sondern in der Regel gerade die engsten Bindungen zu Freunden und Familie mit einbegreift. Schon Jonathan Edwards sah sich zu der Warnung genötigt, himmlische Liebe zeige sich nicht in der absichtlichen Vernachlässigung aller zwischenmenschlichen Beziehungen. Doch sowohl Brockden Browns Wieland als auch Ilbrahims Mutter in "The Gentie Boy" und Adam in "The Shaker Bridal" suchten ihre Entwöhnung von allem Weltlichen dadurch voranzutreiben, daß sie gerade die Menschen, die ihrem Herzen am nächsten standen, aufopferten zugunsten ihrer himmlischen Ziele. Ob gewollt oder nicht, sieht sich auch Pierre mit dieser unausweichlichen Konsequenz seines Handelns konfrontiert. There is an inevitable keen cruelty in the loftier heroism. It is not heroism only to stand unflinched ourselves in the hour of suffering; but it is heroism to stand unflinched both at our own and at some loved one's united suffering; a united suffering, which we could put an instant period to, if we would but renounce the glorious cause for which ourselves do bleed, and see our most loved one b l e e d . . . . So Pierre turned round and tied Lucy to the same stake which must hold himself, for he too plainly saw, that it could not be, but that both their hearts must burn. (S. 178) 34

Seine Verlobte wird in Pierres Zukunftsplänen durch die abstrakte Größe x ersetzt und auf diese Weise von einem menschlichen Wesen zu einem manipulierbaren Faktor erniedrigt.35 Um seine enthusiastische Mission durchführen zu können, nimmt er es, wenn auch schweren Herzens, in Kauf, daß zunächst einmal Lucys Glück zerstört werden muß, und ist letztlich auch verantwortlich für ihren Tod.

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S. 213. Ähnlich sind auch Pierres Bemühungen als Autor jenseits- und nicht publikumsorientiert: "Lo! he is fitting himself for the highest life, by thinning his blood and collapsing his heart. He is learning how to live, by rehearsing the part of death" (S. 304-305). Derselbe Gedanke, daß Lucy seinem Enthusiasmus geopfert werden muß, wird auf S. 105 und 183 wiederholt. Pierre, S. 181.

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Auch die zweite Bindung seiner Jugend, die an seine Mutter, löst Pierre in Erfüllung seines göttlichen Auftrags. Zwar ist die Fiktion seiner Heirat mit Isabel dazu bestimmt, seiner Mutter die schlimmste Erschütterung zu ersparen, aber die Enttäuschung über Pierres vermeintlich unstandesgemäße Liaison schafft doch eine unüberbrückbare Kluft zwischen Mutter und Sohn; "but this then seemed to him part of the unavoidable vast price of his enthusiastic virtue" (S. 173). Angefangen von der Erkenntnis, daß Mrs. Glendinning ein Geschöpf ihrer aristokratischen Vergangenheit ist und daher für Pierres Mißachtung aller weltlichen Konventionen kein Verständnis aufbringen wird, über die Feststellung, daß die vertraute Anrede "Bruder" und "Schwester", die zuvor zwischen ihnen üblich war, ihnen plötzlich nicht mehr über die Lippen geht, bis hin zur Enterbung Pierres und dem Tod der Mutter in geistiger Umnachtung bewirkt Pierres bedingungsloses Festhalten an dem, was er für seine gottgesandte Pflicht hält, den heillosen Bruch einer Beziehung, die sich vorher gerade durch ihre vollkommene Harmonie und fast schon unnormale Intimität ausgezeichnet hatte. Doch hier wie auch in seinem Verhältnis zu Lucy sieht Pierre es als oberstes Gebot an, alle persönlichen Erwägungen seiner göttlichen Mission uneingeschränkt unterzuordnen und in bester Enthusiastentradition die Selbstlosigkeit seiner Motive durch das erbarmungslose Zerschneiden der engsten menschlichen Bindungen zu demonstrieren: divinely dedicated as he felt himself to be; with divine commands upon him to befriend and champion Isabel, through all conceivable contingencies of Time and Chance; how could he insure himself against the insidious inroads of self-interest, and hold intact all his unselfish magnanimities, if once he should permit the distracting thought of Lucy to dispute with Isabel's the pervading possession of his soul? And if - though but unconsciously as yet - he was almost superhumanly prepared to make a sacrifice of all objects dearest to him, and cut himself away from his last hopes of common happiness, should they cross his grand enthusiast resolution; - if this was so with him; then, how light as gossamer, and thinner and more impalpable than airiest threads of gauze, did he hold all common conventional regardings; - his hereditary duty to his mother, his pledged worldly faith and honor to the hand and seal of his affiancement? (S. 106)

Indem er alle bloß menschlichen Regungen in sich erstickt, hofft Pierre sich seiner himmlischen Aufgabe würdig zu erweisen und bestätigt so erneut die exklusive Jenseitsorientierung des typischen Enthusiasten. Daher betrachtet er auch sein Eintreten für Isabel zunächst allein aus einem himmlischen Blickwinkel. Ihre menschliche Natur sucht er zu ignorieren, um so seine Hilfe zu einem Akt reiner und gänzlich unirdischer Selbstlosigkeit zu sublimieren: "therefore, to him, Isabel wholly soared out of the realms of mortalness, and for him became transfigured

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in the highest heaven of uncorrupted Love" (S. 142). Ebenso werden die Gefühle, die er für sie empfindet, ganz bewußt aus der Sphäre des bloß Irdischen herausgehoben, als illustrierten sie bereits in dieser Welt jene ideale christliche Caritas, die in ihrer Vollendung erst dem Jenseits vorbehalten ist: "we will love with the pure and perfect love of angel to an angel" (S. 154). Isabel unterstützt ihren Bruder noch in der körperlosen, rein spirituellen Sicht ihrer Beziehung, indem sie die Geschlechtslosigkeit zum bestimmenden Prinzip ihres Verhältnisses erklärt: "I am called woman, and thou, man, Pierre; but there is neither man nor woman about it. Why should I not speak out to thee? There is no sex in our immaculateness" (S. 149). Gerade in der Uberwindung des Sexualtriebes zeigt sich, wie ansatzweise schon aus Hawthornes "Shaker Bridal" hervorgeht, für den Enthusiasten oft in exemplarischer Weise, wie weit er in der Entfremdung von allem Irdischen bereits fortgeschritten und menschliche Beschränkungen hinter sich zu lassen imstande ist.36 Insofern knüpft Pierres Versuch einer gewissermaßen körperlosen Sicht Isabels nahtlos an den Bruch seines Verlöbnisses mit Lucy wie auch an das Zerwürfnis mit seiner Mutter an, denn in beiden Fällen wurden auch dort menschliche Beziehungen einem abstrakten, von menschlicher Substanz gereinigten Ideal, eben dem enthusiastischen Auftrag, geopfert. 37 Mit Bestürzung muß Pierre jedoch feststellen, wie rasch ihn das Diesseits wieder einholt. Schon Jonathan Edwards hatte während des "Great Awakening" warnend auf die Vermengung himmlischer und höchst irdischer Impulse hingewiesen, gegen die kein Mensch gefeit ist, und dabei besonders die Rolle der natürlichen Instinkte betont: The things, of all which there is frequently some mixture with gracious experiences, yea, with very great and high experiences, are these three: human, or natural affection and passion; impressions on the imagination; and a degree of self-righteousness or spiritual pride. There is very often with that which is spiritual a great mixture of that affection or passion which arises from natural principles: so that nature has a very great hand in those vehement motions and flights of the passions that appear. And so love to the brethren may by degrees come to little else but fondness and zeal for a party; yea, through a mixture of a natural love to the opposite sex, may degenerate more and more, till it issues in that which is criminal and gross.38

Genau diese Erfahrung muß nun auch Pierre machen: So sehr der jugendlich-unschuldige Mensch und seine ursprüngliche Spontaneität 36 37 38

Nuttall, Studies in Christian Enthusiasm, S. 65-66, belegt dies anhand von Beispielen aus der frühen Quäker-Geschichte. Vgl. Krieger, "Melville's 'Enthusiast'," S. 203-204. Some Thoughts, in Works, IV, 459 und 468.

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von der Nähe zum Göttlichen künden, so unweigerlich geht die Reinheit des himmlischen Quells durch den ständigen Kontakt mit weltlichen Dingen auf die Dauer verloren. 39 Schon seine selbstlose Entscheidung, sich Isabels anzunehmen, ist, wie Pierre nicht leugnen kann, beträchtlich durch die äußerliche Attraktivität seiner Schwester beeinflußt worden. 4 0 Vollends wird sich Pierre dann über die Ambiguität seiner Motive klar, als er Isabel seinen Plan mitteilt, sie als seine Frau auszugeben. Zwar beteuert er zunächst noch die ausschließlich himmlische Zielsetzung dieses wohlmeinenden Betrugs - "we both reach up alike to a glorious ideal!" (S. 192) - , doch in dem Moment, da er ihr sein Vorhaben ins O h r flüstert, kommt eine Veränderung über beide, die deutlicher als alle Worte sagt, daß offensichtlich Isabels sexuelle Anziehung seinen himmlischen Enthusiasmus beflügelt und ihn unbewußt wohl auch bei der Wahl seiner Mittel gelenkt hat: The girl moved not; was done with all her tremblings; leaned closer to him, with an inexpressible strangeness of an intense love, new and inexplicable. Over the face of Pierre there shot a terrible self-revelation; he imprinted repeated burning kisses upon her; pressed hard her hand; would not let go her sweet and awful passiveness. Then they changed; they coiled together, and entangledly stood mute. (S. 192)

Statt der christlichen caritas, von der er sein Handeln bestimmt glaubte, entdeckt er nun Eros als einen wesentlichen Faktor in seiner Motivation. Dadurch gesellt sich zu den zahlreichen Ambiguitäten der Außenwelt, auf die ihn sein Bruch mit allen geheiligten Konventionen der Gesellschaft bereits gestoßen haue, außerdem noch der Zweifel an der Intaktheit seiner inneren Welt, dem letzten Rettungsanker, der ihm im Chaos seiner zerbröckelnden Weltanschauung anfangs noch geblieben war. 41 Selbst wenn die Phänomene der Außenwelt dem Betrachter nur eine trügerische Fassade darboten, hatte nämlich Pierre zunächst doch Halt in der Gewißheit des Enthusiasten gefunden, unmittelbar von göttlichem Geist durchdrungen zu sein und unter Umgehung irdischer Mittelbarkeit direkten Zugang zur transzendenten Realität zu besitzen. Jetzt jedoch ist auch dieses Vertrauen erschüttert, denn plötzlich kann sich Pierre gar nicht mehr so sicher sein, ob tatsächlich seine Intuition mit der Autorität einer göttlichen Stimme den Anstoß zu seinem Handeln gab oder ob nicht vielmehr höchst irdische und egoistische Begierden

39 40 41

Pierre, S. 108. S. 107. Auf die Zweisträngigkeit in Pierres Entwicklung, den Verlust äußerer und innerer Fixpunkte, weist zu Recht Robert Milder, "Melville's 'Intentions' in Pierre," Studies in the Navel, 6 (1974), 190-191, hin.

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aus seinem Inneren sprechen. Folglich, so schießt es ihm durch den Sinn, zollen auch Lucy und seine Mutter vielleicht weniger den notwendigen Tribut an seinen kompromißlosen Enthusiasmus, als daß sie unschuldige Opfer seines menschen verachtenden Egoismus sind: "Lo! I leave corpses wherever I go!" groaned Pierre to himself- "Can then my conduct be right ? Lo! by my conduct I seem threatened by the possibility of a sin anomalous and accursed, so anomalous, it may well be the one for which Scripture says, there is never forgiveness. Corpses behind me, and the last sin before, how then can my conduct be right?" (S. 206)

Die unfehlbare Intuition des Transzendentalisten, das in das Innere des Menschen verlagerte Orakel, das mit absoluter göttlicher Autorität ausgestattet ist, hat für Pierre den Status einer bindenden und zuverlässigen himmlischen Instanz verloren. Wie bittere Erfahrung ihn lehrt, übermittelt die Stimme des Herzens nicht nur göttliche Weisungen, sondern ist im gleichen Maße auch Sprachrohr menschlicher Leidenschaften.42 Die Erkenntnis, die dem Enceladus-Mythos zugrundeliegt, macht auch vor Pierres Enthusiasmus nicht Halt: Göttliches und Menschliches sind in allen Handlungen so unauflöslich ineinander verwoben, daß zumindest für das menschliche Auge keine Trennung möglich ist. Bei allem himmlischen Streben bleibt der Mensch doch zum überwiegenden Teil der Erde verhaftet. Damit wird Pierres Enthusiasmus in den allgemeinen Strudel der Ambiguitäten hineingerissen, der zuvor schon sein ganzes sonstiges Weltbild erfaßt hatte. Die edlen Antriebe, aus denen heraus er Isabel beizustehen gedachte, bekommen nun den üblen Beigeschmack, lediglich Projektionen seines unbewußten inzestuösen Verlangens zu sein; statt der vermeintlichen göttlichen Inspirationen findet er nur die selbstbetrügerische Vergötterung egoistischer Wünsche. 43 Der Vorwurf eines solch extremen Subjektivismus ist grundsätzlich nicht neu, denn schon immer hatte die Orthodoxie dem Enthusiasten vorgeworfen, er versuche subjektive Uberzeugungen oder - schlimmer noch - puren Egoismus zur allgemeinverbindlichen Norm aufzuwerten, indem er für seine persönlichen Ansichten und Wünsche göttliche Sanktion postuliere. Neu an Melvilles Darstellung des Enthusiasten ist jedoch die Radikalität, mit der er die Relativierung der göttlichen

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Vgl. Franklin, Wake of the Gods, S. 105, und Duban, Melville's Major Fiction, S. 166-171. Vgl. Duban, Melville 's Major Fiction, S. 166, und allgemeiner Milton R. Stern, The Fine Hammered Steel of Herman Melville (Urbana, 111., 1957), S. 16: "In brief, the lure is an external objectification of the quester's own predisposition."

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Inspiration auf alle Bereiche ausdehnt, und vor allem auch die Tatsache, daß hier erstmalig den Enthusiasten selber Zweifel an der objektiven Richtigkeit seiner Eingebungen befallen. Wurde bisher der Einwand des Subjektivismus immer nur von den Gegnern des Enthusiasmus geäußert, also von außen an den Enthusiasten herangetragen - wodurch es dem Angegriffenen leicht fiel, sich auf die Beweiskraft seines inneren Zeugnisses zurückzuziehen - , so nimmt die Erschütterung bei Melville vom Innern des Enthusiasten selbst ihren Ausgang, das heißt, ausgerechnet von dort, wo frühere Figuren ihr uneinnehmbares Bollwerk wußten. Dieses Refugium einer selbstsicheren Innerlichkeit, der Rückzug auf eine unerschütterliche subjektive Gewißheit, bleibt Pierre versagt. So entschließt er sich letzten Endes, den einmal eingeschlagenen Weg mit der Konsequenz der Verzweiflung fortzusetzen, ganz gleich, ob Hölle oder Himmel, enthusiastischer Opfermut oder sexuelle Leidenschaft ihn dabei vorwärtstreiben. "I am Pierre, and thou Isabel, wide brother and sister in the common humanity, - no more. For the rest, let the gods look after their own combustibles. If they have put powder-casks in me - let them look to it! let them look to it! Ah! now I catch glimpses, and seem to half-see, somehow, that the uttermost ideal of moral perfection in man is wide of the mark." (S. 273)

Angesichts der ernüchternden Einsicht in die Unzulänglichkeit all seines Strebens und die Fragwürdigkeit seiner Motive weist Pierre jede weitere Verantwortung für sein Tun von sich. Er fühlt sich nur noch als Spielball höherer Mächte, die Spaß mit seinen edelsten Absichten treiben und sie erbarmungslos in den Schmutz ziehen. Darüber, daß ihm seine Selbstlosigkeit in den Augen der Welt nur Verachtung und Spott eintragen würde, hatte er sich von Anfang an keine Illusionen gemacht; schließlich war es ja schon immer das vorherbestimmte Los des Enthusiasten gewesen, daß er sich mit seinem subjektiven Individualismus in Gegensatz zur übrigen Gesellschaft brachte und sich mit seiner Kritik an traditionellen Normen und etablierten Institutionen die Feindschaft der herrschenden Orthodoxie zuzog. Pierres Schicksal gewinnt jedoch seine besondere Tragik dadurch, daß er nach eigenem Empfinden durch die Befolgung eines göttlichen Auftrags nicht nur gegen menschliches, sondern auch gegen göttliches Gebot verstoßen hat oder, drastischer formuliert, daß Gott seinen Enthusiasmus nur benutzt hat, um ihn in die Falle seiner menschlichen Leidenschaften tappen zu lassen. Jedenfalls drängt sich Pierre in der Gefängniszelle der bittere Eindruck auf, daß er, ganz im Gegensatz zum biblischen Versprechen, zusammen mit seinem irdischen auch sein himmlisches Leben verspielt hat:

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"Had I been heartless now, disowned, and spurningly portioned off the girl at Saddle Meadows, then had I been happy through a long life on earth, and perchance through a long eternity in heaven! Now, 'tis merely hell in both worlds." (S. 360)

So verabschiedet sich der düpierte Enthusiast von Lucy und Isabel mit dem Eingeständnis seines Scheiterns: "the fool of Truth, the fool of Virtue, the fool of Fate, now quits ye forever!" (S. 358). Daß Melvilles Pierre in zahlreichen Passagen am zeitgenössischen Transzendentalismus Kritik übt, ist schon seit langem erkannt worden, ob nun vereinzelte Anspielungen auf "Muggletonian Scots and Yankees" zum Beweis herangezogen, der bekannte Gegensatz von Emersons optimistischem und Melvilles eher pessimistischem Weltbild als Hintergrund für Pierres entsprechenden Wandel angeführt oder Plinlimmon als fiktives Porträt Emersons und die "Apostel" als lebensuntüchtige Anhänger einer transzendentalistischen Philosophie angesehen wurden. Ohne auf die Berechtigung einzelner konkreter Identifikationen eingehen zu wollen, dürfte jedoch nach allem, was bisher gesagt wurde, auf der Hand liegen, daß die größte Nähe zum Transzendentalismus sicher in der Figur des Enthusiasten selber zu finden ist. Denn indem Pierre sich bedingungslos auf die Weisungen seiner Intuition verläßt, weil er überzeugt ist, daß aus ihr die Stimme Gottes spricht, und indem er alle erdenklichen Opfer bringt, um das zu erfüllen, was er für seine moralische Pflicht erachtet, hält er sich buchstabengetreu an die zentralen Maximen aller namhaften Transzendentalisten, die immer wieder betont hatten, daß der Mensch nur seinem Instinkt zu folgen brauche, um am Göttlichen teilzuhaben, und daß die himmlische Natur des Menschen sich am vollkommensten in der selbstlosen Erfüllung einer gottgesandten Pflicht manifestiere. 44 Genau, wie es Emerson, Aleott und andere ständig propagiert hatten, gehorcht Pierre in blindem Vertrauen den Eingebungen seines Herzens und nimmt dabei in Kauf, um einer heiligen Sache willen von der Welt verkannt und von den ihm Nahestehenden getrennt zu werden. Der typische Transzendentalist, wie er beispielsweise Emerson vorschwebte, wurde für die Entfremdung von der Gesellschaft reichlich entlohnt durch das Bewußtsein, zu den wahren Realitäten des Lebens vorgedrungen zu sein, am allgegenwärtigen göttlichen Geist spürbaren Anteil zu besitzen und aufgrund 44

Vgl. oben S. 152-155 und 163. Auf einer ähnlichen Linie, wenn auch nicht im größeren Rahmen des Enthusiasmus, sieht die Parallelen zwischen Pierre und dem Transzendentalismus James Duban in Melville's Major Fiction, S. 149-181. Manche seiner Ergebnisse decken sich in erfreulicher Weise mit den meinen, auch wenn mir einige der konkreten Beziehungen, die er herstellt - so etwa die zur Kontroverse über die Wunder zwischen Unitariern und Transzendentalisten überzogen erscheinen.

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dessen unerschütterlich in sich selbst zu ruhen. Dies alles - und darin liegt natürlich Melvilles radikale Kritik am Transzendentalismus - ist Pierre nicht vergönnt. Vielmehr verrennt er sich stattdessen in die typischen Schwächen, die dem Enthusiasten schon immer vorgeworfen wurden, und muß noch einige zusätzliche Nackenschläge hinnehmen, die sich aus Melvilles persönlicher Sicht des Enthusiasmus ergeben. Die Gefahren des Antinomiertums, eines bodenlosen Subjektivismus und einer kompromißlosen Jenseitsorientierung, die menschliche Bindungen geringschätzt, treten, wie bei früheren Enthusiasten, so auch bei Pierre mit genügender Deutlichkeit in Erscheinung. Dabei erfährt besonders das Moment des Subjektivismus in Pierres inzestuöser Liebe zu Isabel eine drastische Zuspitzung, da die vermeintliche göttliche Inspiration sich ganz oder teilweise als die raffinierte, wenn auch unbewußte Tarnung teuflischer Leidenschaften entpuppt. Die transzendentalistische Behauptung, daß das Herz des Menschen überraschende Offenbarungen bereithält, bekommt bei Melville einen bemerkenswerten psychologischen Aspekt, indem das Innere neben der Quelle göttlicher Impulse auch zum Sitz des Unbewußten wird und durch diesen Zwitterstatus in ein ambivalentes Zwielicht getaucht wird. Mehr und anders als von Emerson beabsichtigt, wird das Innere des Menschen dadurch zum Ausgangspunkt ungeahnter und manchmal wohl auch unwillkommener Erkenntnisse. Menschliche Triebe und göttliche Antriebe bilden dabei, wie das Beispiel Pierres belegt, meist eine unheilige Allianz, die für den optimistischen Intuitionismus transzendentalistischer Prägung keinen Platz mehr läßt. Wenn man schon mit Emerson behauptet "the evils of the world are such only to the evil eye" - ein Versuch, die Existenz des Bösen zu relativieren, der bei Melville ohnehin keine Gnade fand 4 5 - , so sollte man wenigstens tief genug in das Auge des Menschen hineinschauen, um neben dem Göttlichen, das auch Melville dort nicht leugnete, ein gehöriges Potential an negativen Tendenzen zu entdecken. Insofern begeht der Enthusiast bei Melville aus naiver Fehleinschätzung der eigenen Psyche den schwerwiegenden Fehler, als rein göttlich zu interpretieren, was in Wirklichkeit deutliche Spuren des allzu Menschlichen trägt. Der Einsicht, vor der Emerson zurückscheute, wich Melville, wenn auch schweren Herzens, nicht aus, hierin den kompromißlosen Protagonisten seiner Werke vergleichbar: Save me from being bound to Truth, liege lord, as I am now. How shall I steal yet further into Pierre, and show how this heavenly fire was helped to be contained in him,

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"The Poet," Collected Works, III, 11. Für Melvilles Kommentar zu dieser Stelle siehe Braswell, "Melville as a Critic of Emerson," 330.

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by mere contingent things, and things that he knew not. But I shall follow the endless, winding way, - the flowing river in the cave of man; careless whither I be led, reckless where I land. . . . Ah, if man were wholly made in heaven, why catch we hell-glimpses ? W h y in the noblest marble pillar that stands beneath the all-comprising vault, ever should we descry the sinister vein? (S. 1 0 7 - 1 0 8 )

Solche desillusionierenden Erkenntnisse lassen sich mit dem Erwähltheitsglauben und der göttlichen Zuversicht des Enthusiasten nicht mehr vereinbaren. Der Enthusiast scheitert, weil die Offenbarungen, die ihm zuteil werden, das Fundament seines Enthusiasmus, die Göttlichkeit seines inneren Impulses, untergraben. Aber noch von einer anderen Seite erwachsen dem Enthusiasten bei Melville Probleme, mit denen frühere Figuren nicht konfrontiert wurden. Die charakteristische Zuversicht, durch den unmittelbaren Kontakt zu Gott Zugang zu ewigen Wahrheiten zu besitzen und sich für die Auseinandersetzung mit der Welt ständig von neuem des göttlichen Schutzes vergewissern zu können, zerbricht bei Pierre nach der anfänglichen Begeisterung über die himmlische Mission ziemlich bald an den unnachgiebigen Fakten der irdischen Realität. Statt auf die Klarheit göttlicher Offenbarungen stößt Pierre allenthalben auf die Düsterkeit undurchdringlicher Ambiguitäten, von denen anscheinend jede Form irdischer Existenz eingehüllt ist. Der Zugang zu letzten Wahrheiten, den er sich von seinem Enthusiasmus erhofft hatte, wird ihm ein ums andere Mal durch verwirrende Geheimnisse verstellt, die, sofern sie sich überhaupt ergründen lassen, anschließend nur den Blick auf eine neue Flucht von Geheimnissen freigeben: far as any geologist has yet gone down into the world, it is found to consist of nothing but surface stratified on surface. To its axis, the world being nothing but superinduced superficies. By vast pains we mine into the pyramid; by horrible gropings we come to the central room; with joy we espy the sarcophagus; but we lift the lid - and no body is there! - appallingly vacant as vast is the soul of a man! (S. 285)

In diesem Labyrinth fühlt sich der Enthusiast schließlich von Gott selbst im Stich gelassen, ausgerechnet jenes Rückhalts beraubt, mit dessen Hilfe er normalerweise alle Gefährdungen und Anfechtungen sicher überstand, da er jederzeit seines himmlischen Auftrags und seines himmlischen Lohnes gewiß sein durfte. That hour of the life of a man when first the help of humanity fails him, and he learns that in his obscurity and indigence humanity holds him a dog and no man: that hour is a hard one, but not the hardest. There is still another hour which follows, when he learns that in his infinite comparative minuteness and abjectness, the gods do likewise despise him, and own him not of their clan. Divinity and humanity then are equally willing that

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he should starve in the street for all that either will do for him. N o w cruel father and mother have both let go his hand, and the little soul-toddler, now you shall hear his shriek and his wail, and often his fall. When at Saddle Meadows, Pierre had wavered and trembled in those first wretched hours ensuing upon the receipt of Isabel's letter; then humanity had let go the hand of Pierre, and therefore his cry; but when at last inured to this, Pierre was seated at his book, willing that humanity should desert him, so long as he thought he felt a far higher support; then, ere long, he began to feel the utter loss of that other support, too; ay, even the paternal gods themselves did now desert Pierre; the toddler was toddling entirely alone, and not without shrieks. (S. 296)

In den entscheidenden Momenten zeitweiliger Verunsicherung, von denen manchmal auch der Enthusiast nicht verschont bleibt, vernimmt Pierre nämlich keine göttliche Stimme, die ihm erneut die Richtigkeit seines Tuns bestätigen würde. Statt dessen antwortet seinen bangen Fragen nur kosmisches Schweigen. Silence is the general consecration of the universe. Silence is the invisible laying on of the Divine Pontiff's hands upon the world. Silence is at once the most harmless and the most awful thing in all nature. It speaks of the Reserved Forces of Fate. Silence is the only Voice of our God. (S. 204)

So wird seinem Enthusiasmus noch von einer zweiten Seite her der Boden entzogen. Gerade die Uberzeugung, in direkten Kontakt mit Gott treten zu können und von ihm mit außergewöhnlichen Offenbarungen bedacht zu werden, haue dem traditionellen Enthusiasten ja seine Ausnahmestellung verschafft. Nun muß Pierre jedoch in totalem Widerspruch zu dieser Tradition erfahren, daß die Welt ihm ihre Geheimnisse nicht preisgibt und daß der Glaube, die Stimme Gottes hören zu können, einer frommen Selbsttäuschung entspringt. Hereupon then in the soul of the enthusiast youth two armies come to the shock; and unless he prove recreant, or unless he prove gullible, or unless he can find the talismanic secret, to reconcile this world with his own soul, then there is no peace for him, no slightest truce for him in this life. N o w without doubt this Talismanic Secret has never yet been found; and in the nature of human things it seems as though it never can be. Certain philosophers have time and again pretended to have found it; but if they do not in the end discover their own delusion, other people soon discover it for themselves, and so those philosophers and their vain philosophy are let glide away into practical oblivion. Plato, and Spinoza, and Goethe, and many more belong to this guild of self-impostors, with a preposterous rabble of Muggletonian Scots and Yankees, whose vile brogue still the more bestreaks the stripedness of their Greek or German Neoplatonical originals. That profound Silence, that only Voice of our God, which I before spoke of; from that divine thing without a name, those impostor philosophers pretend somehow to have got an answer; which is as absurd, as though they should say they had got water out of stone; for how can a man get a Voice out of Silence? (S. 208)

230

Melvilles Kritik des transzendentalistischen Enthusiasten

Mit der Anspielung auf Carlyle und Emerson sowie einige ihrer transzendentalistischen Vorbilder gibt Melville die Hauptzielrichtung seines Angriffs deutlich zu erkennen. Pierre ist seine radikale Kritik an der zeitgenössischen Variante des Enthusiasmus, dem transzendentalistischen Intuitionismus. Der Weg seines Helden zeigt auf, zu welchen absonderlichen Verirrungen die rückhaltlose Hingabe an die Eingebungen des Herzens führen und an welchen Klippen, die die optimistische Philosophie der Transzendentalisten schlichtweg ignoriert, der ahnungslose Enthusiast zerschellen kann.

VIII. Der säkularisierte Enthusiast: Hawthorne und Henry James Hawthornes Blithedale

Romance

Im gleichen Jahr wie Melvilles Pierre erschien auch Hawthornes The Blithedale Romance im Druck. Beide Werke sind durch eine Reihe von Parallelen miteinander verbunden, die wohl nicht zuletzt auf dem intensiven Gedankenaustausch beruhen, den Melville und Hawthorne in den vorhergehenden Monaten gepflegt hatten, während sie in relativ geringer Entfernung voneinander ihren Wohnsitz hatten. So greift Hawthorne in der Blithedale Romance noch offensichtlicher, als es Melville in Pierre tut, auf den zeitgenössischen Hintergrund des Transzendentalismus zurück, indem er seine Figuren ein soziales Experiment betreiben läßt, das, ohne ein getreues Abbild der Realität sein zu wollen, doch vielerorts von den Erinnerungen an seinen eigenen kurzen Aufenthalt in Brook Farm inspiriert ist. Ebenso wie Melvilles Pierre stellt Hawthornes Werk das Scheitern idealistischer Aspirationen an den rauhen Fakten der Wirklichkeit und vor allen Dingen an den menschlichen Unzulänglichkeiten der Reformer selbst dar. In der Person des Philanthropen Hollingsworth entwirft Hawthorne dabei noch einmal ein wenn auch im Vergleich zu Melvilles Pierre weniger detailliertes Bild des Enthusiasten, das Züge seiner frühen religiösen Fanatiker mit Eigenschaften des "unpardonable sinner" in sich vereinigt. Anders als bei den bisher erörterten Enthusiasten erstreckt sich Hollingsworths Mission nicht auf den religiösen, sondern auf den gesellschaftlichen Sektor: Mit der Errichtung eines Zentrums zur Resozialisierung Straffälliger möchte er einen Beitrag zur allgemeinen Erneuerung der Gesellschaft leisten. Der Schritt vom religiösen zum sozialen Reformer ist jedoch nicht weit; das beweist die enge Verquikkung beider Interessen bei nahezu allen führenden Transzendentalisten und die Tatsache, daß eine vom Ansatz her religiös motivierte Bewegung wie der Transzendentalismus neben zahlreichen anderen gesellschaftspolitisch relevanten Impulsen auch die beiden kommunitären Projekte von Brook Farm und Fruitlands hervorgebracht hat. Schon 1835, in seinem Vortrag über George Fox, hatte Emerson die Sozialreform als eine selbstverständliche Facette in das Bild des religiösen

232

Der säkularisierte Enthusiast: Hawthorne und Henry James

Enthusiasten eingeordnet: "the religionist is by necessity a reformer. He is at once an idealist seeking ever to accommodate the shows of things to the desires of the mind, and a realist putting ever a thing for a form." 1 Natürlich waren die Transzendentalisten keineswegs die einzigen, bei denen religiöser Eifer mit Bestrebungen um eine gesellschaftliche Erneuerung Hand in Hand ging. Gerade das 19. Jahrhundert erlebte ja in den U S A eine unübersehbare Fülle von verschiedensten Experimenten gemeinschaftlichen Zusammenlebens, die zwar meistens sehr kurzlebig waren, dennoch aber in der Summe ihrer Bemühungen ein beredtes Zeugnis davon ablegen, wie weit der Reformgedanke im Lande verbreitet und wie groß die Hoffnung war, durch das leuchtende Beispiel einer exemplarischen Kleingesellschaft die Welt dem Ziel eines von Menschen geschaffenen Paradieses auf Erden einen entscheidenden Schritt näherzubringen. Viele dieser Projekte fußten auf religiösem Boden und versuchten die Wogen der Begeisterung, die seit dem Beginn des Jahrhunderts in Form von regelmäßig wiederkehrenden "Awakenings" breite Bevölkerungsschichten erfaßten, für ihre konkreten Zwecke zu kanalisieren und in der engen Gemeinschaft Gleichgesinnter vor einem allzu frühen Verebben zu bewahren. Insofern setzt sich der Gedanke der religiösen Erneuerung konsequent in den diversen kommunitären Experimenten des 19. Jahrhunderts fort, wobei allerdings zunehmend das religiöse hinter dem sozialen Engagement zurücktritt und insofern eine Verlagerung des Interesses vom Jenseits zum Diesseits, vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch zum Verhältnis der Menschen untereinander, von der Veränderung des persönlichen Status vor Gott zur Neugestaltung gesellschaftlicher Zustände stattfindet.2 Das transzendentalistische Projekt von Brook Farm markiert in dieser Hinsicht eine bedeutsame Stufe, und das nicht nur, weil es immerhin sechs Jahre Bestand hatte und weil einige der führenden Denker seiner Zeit durch

1 2

Early Lectures, I, 168. Zusätzlich zu dem schon erwähnten Buch von Tuveson über Millennium and Utopia, das die generellen Entwicklungslinien der Säkularisierung vom Millennium zur sozialen Utopie nachzeichnet, ist hier auf den Aufsatz von John W . Chandler, "The Communitarian Quest for Perfection," A Miscellany of American Christianity: Essays in Honor of H. Shelton Smith, ed. Stuart C. Henry (Durham, N. C., 1963), S. 4 8 - 7 9 (bes. S. 58-70), zu verweisen, wo am Beispiel der Shaker und des Oneida-Projektes die gedankliche Kontinuität zwischen "revivalism" und kommunitären Experimenten nachgewiesen wird. Im selben Sinne hatte sich schon John Humphrey Noyes in History of American Socialisms (Philadelphia, 1870; repr. New York, 1966), S. 190, geäußert: "the successful religious Communities, silent and unconspicuous as they are, have been, after all, the specie-basis of the entire socialistic movement of modern times."

Hawthornes Blithedale Romance

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aktive Teilnahme oder zumindest moralische Unterstützung damit assoziiert waren. Vielmehr illustriert es mit seinem Wandel von den transzendentaüstischen Anfängen zur fourieristischen Spätphase in nuce den allgemeinen Wandel vom religiösen zum sozialistischen Experiment, von der Vervollkommnung des Individuums zur Verbesserung der sozialen Bedingungen. Brook Farm schaut also gewissermaßen, in beide Richtungen, indem es sowohl die Verbindungen zur religiösen Orientierung der Vergangenheit erkennen als auch die Entwicklung zu den sozialen Bestrebungen der nachfolgenden Jahrzehnte ahnen läßt.3 In einer Art Pilotartikel, den Elizabeth Peabody dem eigentlichen Bericht über das Programm von Brook Farm vorausschickte, wird die Zwitterstellung von Brook Farm bereits deutlich, indem dort die christliche Millenniumsvision als Idealziel einer von Menschen gesteuerten Optimierung gesellschaftlicher Verhältnisse angepeilt wird: the kingdom of Heaven, as i: lay in the clear spirit of Jesus of Nazareth, is rising again upon vision. Nay, this kingdom begins to be seen not only in religious ecstasy, in moral vision, but in the light of common sense, and the human understanding. Social science begins to verify the prophecy of poetry. 4

Dem Menschen fällt jetzt eine aktive Rolle bei der Herbeiführung des Millenniums zu, und sein Hauptaugenmerk beginnt sich von der Sorge um das eigene Seelenheil nach dem Tode zur Sorge um das Gemeinwohl in diesem Leben zu verschieben. Trotz solcher gravierender Veränderungen liegen die Parallelen zum Glauben früherer Enthusiasten an ein nicht mehr fernes Millennium jedoch auf der Hand. Der Bericht über eine Predigt, die William Henry Channing in Brook Farm hielt, zeigt, daß die Projektteilnehmer selber sich auch nach der Umwandlung des Unternehmens in eine fourieristische Phalanx durchaus in diese Tradition einordneten. Neben dem Verweis auf zeitgenössische perfek-

3

4

Aus einem benachbarten Blickwinkel bescheinigt Taylor Stoehr der Blithedale Romance einen Ubergangsstatus in Hawthorne's Mad Scientists: Pseudoscience and Social Science in Nineteenth-Century Life and Letters (Hamden, Conn., 1978), S. 251-275. Das ideengeschichtliche Umfeld von Brook Farm als Vorbild für die Blithedale Romance stellt Hans-Joachim Lang dar in " The Blithedale Romance: A History of Ideas Approach," Literatur und Sprache der Vereinigten Staaten, ed. Hans Helmcke, Klaus Lubbers und Renate Schmidt-von-Bardeleben (Heidelberg, 1969), S. 88-106, hier besonders S. 102-105. "A Glimpse of Christ's Idea of Society," 218. Vgl. auch ihre Bemerkung {ibid., 227), die überall emporschießenden kommunitären Projekte seien Embryos eines künftigen Reiches Gottes auf Erden, und oben (S. 188-192) die Behandlung vonjudds Margaret, wo sich ebenfalls schon eine solche Verquickung religiöser und sozialer Interessen andeutete.

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tionistische Experimente wird nämlich eine Ahnenreihe aus enthusiastischen Sekten aufgestellt: Mr. Channing spoke to us on devotedness to the cause; the necessity of entire self-surrender; of entire obedience to the will of God. He compared our work with others that have demanded sacrifice; that of the crusaders, that of the religious brotherhoods and sisterhoods. As the crusaders sacrificed so much to restore the tomb of the buried Lord, how much more ought we to sacrifice, whose work it is to restore the whole earth that it may become the dwelling place of the living L o r d ! . . . He compared us too with the Quakers, who see God only in the inner light,... with the Methodists, who seek to be in a state of rapture in their sacred meetings, whereas we should maintain in daily life, in every deed, on all occasions, a feeling of religious fervor; with the perfectionists, who are, he says, the only sane religious people, as they believe in perfection, and their aim is one with ours. Why should we, how dare we tolerate ourselves or one another in sin?5

Ein Produkt dieser historischen Entwicklung ist auch Hollingsworth in Hawthornes Blithedale Romance. Seine Besessenheit von der Idee einer Reform des Strafgefangenenvollzugs muß als seine spezielle Version eines profanen, an der Welt orientierten Enthusiasmus angesehen werden. Obwohl seine Zielsetzung also ausschließlich weltlicher Natur ist, verraten jedoch manche Bilder und Anspielungen in seinem Umfeld die Herkunft des Figurentyps aus dem religiösen Bereich. So fließt der Gedanke, daß das Unternehmen Blithedale den Beginn des Millenniums auf Erden vorbereiten soll, wie selbstverständlich in die Hoffnungen aller Teilnehmer an dem Experiment ein.6 Auch die Tradition der Pilgerväter wird verschiedentlich heraufbeschworen, um eine Parallele herzustellen zwischen der religiös motivierten Trennung der alten Puritaner von einer als korrupt empfundenen Staatskirche und dem ganz ähnlichen Versuch der Blithedale-Gruppe, durch die Abkapselung von einer kapitalistischen Gesellschaft auf gewissermaßen jungfräulichem Boden einen radikalen Neuanfang zu wagen.7 Hollingsworth selber,

5

6

1

Amy L. Reed (ed.), Lettersfrom Brook Farm, 1844-1847, by Marianne Dwight (Poughkeepsie, N. Y., 1928), S. 144-145. Daß die Ubergänge zwischen weltlichen und religiösen Reformprojekten dabei fließend waren, gerade auch im Hinblick auf die Vorstellung eines nahen Millenniums, betont David E. Smith, "Millenarian Scholarship in America," ^ Q , 17 (1965), 543-546. The Blithedale Romance, III, 24 und 63. - Stellenangaben nach der Centenary Edition finden sich im folgenden wieder in Klammern hinter dem jeweiligen Zitat. Ibid., III, 13 und 117. Implizit wird die puritanische Idee einer beispielhaften Mustergesellschaft - nach dem Motto "a City on a Hill" - noch auf III, 19 und 25 angesprochen. Generell zur amerikanischen Literaturtradition der Loslösung von einer bestehenden Gesellschaft mit dem Versuch eines Neuanfangs vgl. A. N. Raul, The American Vision: Actual and Ideal Society in Nineteenth-Century Fiction (New Häven, 1963), S. 52-53,

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der ansonsten den Träumen seiner Gefährten sehr reserviert gegenübersteht und Blithedale offensichtlich nur als bequemes Sprungbrett für die Verwirklichung seiner eigenen Visionen ausnutzen möchte, stimmt jedenfalls in der Beanspruchung des puritanischen Vorbildes mit den übrigen Idealisten überein: "I offer my edifice as a spectacle to the world . . . that it may take example and build many another like it. Therefore I mean to set it on the open hill-side" (III, 80). Im Lichte dieser unmißverständlichen Anspielung auf Winthrops " A Model of Christian Charity" erscheint auch Hollingsworths Interesse an der kriminellen Psyche, das in seinem philanthropischen Anliegen zum Ausdruck kommt, wie eine moderne, profanere Ausprägung des kalvinistischen Glaubens an die natürliche Verderbtheit der menschlichen Seele.8 Wenn es daher über Hollingsworth halb ernst, halb im Scherz heißt, man könne nur dadurch seine ungeteilte Aufmerksamkeit gewinnen, daß man schwere Schuld auf sich lade,9 erweist er sich als ein Verwandter solcher Puritaner, die wie der Reverend Hooper aus "The Minister's Black Veil", die Titelfigur aus "Young Goodman Brown" oder auch Ethan Brand eine geradezu morbide Versenkung in die menschliche Schlechtigkeit an den Tag legen. In der Manier des typischen Enthusiasten hält er seine Reformpläne für eine himmlische Mission, die ein Engel Gottes ihm eingegeben hat, und dieser heiligen Sache mit allen Kräften zu dienen, betrachtet er als seine priesterliche Aufgabe. 10 Die Tradition der selbsternannten Laienprediger des "Great Awakening", die in der Uberzeugung, vom Heiligen Geist erfüllt zu sein, die Sache Gottes zu ihrer eigenen machten, geht in diesen neuen Enthusiastentyp ebenso ein wie die transzendentalistische Auffassung, jeder einzelne Mensch sei ein potentieller Prophet des Göttlichen. So ersteht der Enthusiast im Gewand einer neuen Zeit als Apostel dieser oder jener Reformbestrebung wieder auf, um der Gesellschaft ein weltliches Heil zu verkünden. Folgerichtig nennt Zenobia Hollingsworth ausdrücklich einen Enthusiasten, indem sie auf seine Inspiration durch eine heilige Sache verweist, und nimmt ihn als solchen gegen den traditionellen Vorwurf der Engstirnigkeit in Schutz: "Blind enthusiasm, absorption in one idea, I grant, is generally ridiculous, and must be fatal to the respectability of an ordinary man; it requires a very high and powerful

8 9 10

66-67 and passim; zu Blithedale als einer Fortsetzung der puritanischen Tradition: S. 196-199. Kaul, The American Vision, S. 207. Blithedale Romance, III, 22 und 140. Ibid., III, 55 und 70. Coverdale sieht Hollingsworths wahre Berufung in der Funktion des Priesters: III, 43.

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character, to make it otherwise. But a great man - as, perhaps, you do not know attains his normal condition only through the inspiration of one great idea. As a friend of Mr. Hollingsworth, and, at the same time, a calm observer, I must tell you that he seems to me such a man." (Ill, 166)

Nicht von ungefähr wird ja auch mehrfach betont, daß Hollingsworth von seiner Veranlagung her mit einer eher emotionalen Natur ausgestattet ist, bei der das Herz über den Intellekt dominiert. Coverdale erfährt dies während seiner Krankheit am eigenen Leibe, als Hollingsworth sich in rührender Weise um ihn kümmert. 11 Allgemeiner und mit Hilfe von Polaritäten, die aus der früheren Enthusiasmus-Debatte bestens vertraut sind, formuliert Zenobia diesen Eindruck, wenn sie beschreibt, wie Hollingsworth auf sie wirkt: "And what a man he is! Yet not so much an intellectual man, I should say, as a great heart; at least, he moved me more deeply than I think myself capable of being moved, except by the stroke of a true, strong heart against my own." (Ill, 21)

Allerdings macht Hollingsworth von der menschlichen Wärme und der Begeisterungsfähigkeit, die sein Naturell auszeichnen, den falschen Gebrauch, indem er beides ohne Einschränkungen seinen ehrgeizigen Reformplänen unterordnet. Nachträglich steigt daher in Coverdale der Verdacht auf, Hollingsworth habe sich vielleicht nur deswegen so intensiv um ihn gekümmert, um ihn anschließend als Helfer für sein persönliches Reformprojekt zu verpflichten. 12 Alles menschliche Mitgefühl, dessen er in reichem Maße fähig ist, bleibt so bloß Episode oder dient, schlimmer noch, in durchaus berechnender Weise lediglich als Mittel dem alles vereinnahmenden Zweck: But, by-and-by, you missed the tenderness of yesterday, and grew drearily conscious that Hollingsworth had a closer friend than ever you could be. And this friend was the cold, spectral monster which he had himself conjured up, and on which he was wasting all the warmth of his heart, and of which, at last - as these men of a mighty purpose so invariably do - he had grown to be the bond-slave. It was his philanthropic theory! . . . He had taught his benevolence to pour its warm tide exclusively through one channel; so that there was nothing to spare for other great manifestations of love to man, nor scarcely for the nutriment of individual attachments, unless they could minister, in some way, to the terrible egotism which he mistook for an angel of God. (HI, 55)

Hier zeigt sich die Radikalität und Einseitigkeit des fanatischen Enthusiasten: Überzeugt, in göttlichem Auftrag zu handeln, verschließt er sich allen Appellen zu gewissenhafter Abwägung fremder Belange und 11 12

Ibid., III, 55. Ibid., III, 57.

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schiebt konkurrierende Interessen bedenkenlos beiseite im Vertrauen auf die überragende Bedeutung des von ihm vertretenen Anliegens. Akzeptierte moralische Grundsätze verlieren für ihn den Wert einer gültigen Norm, da er in dem Bewußtsein lebt, für ein höheres moralisches Prinzip zu kämpfen, das entweder direkt von Gott sanktioniert ist oder - im Zuge des allmählichen Schwindens solcher religiösen Bezüge während des 19. Jahrhunderts - zumindest in seinen Augen aufgrund inhärenter Qualitäten die Mißachtung der bestehenden gesellschaftlichen und moralischen Normen rechtfertigt. So kommt Coverdale zu dem Schluß: "the besetting sin of a philanthropist, it appears to me, is apt to be a moral obliquity. His sense of honor ceases to be the sense of other honorable men. At some point of his course - 1 know not exactly when nor where - he is tempted to palter with the right, and can scarcely forbear persuading himself that the importance of his public ends renders it allowable to throw aside his private conscience." (Ill, 132)

Die unbeirrbare Hingabe an das einmal für richtig Erkannte, die Unzugänglichkeit für fremde Argumente und die Selbstgerechtigkeit, mit der Hollingsworth sich über die Gefühle und legitimen Rechte anderer hinwegsetzt, weil er glaubt, höhere Ansprüche geltend machen zu können, finden ihren allegorischen Ausdruck im Bild des Mannes aus Eisen, 13 der seine weltverbesserischen Absichten mit der gleichen unbeugsamen Härte vorantreibt, wie er in seinem früheren Beruf das Eisen schmiedete. "I have hammered thought out of iron, after heating the iron in my heart!" (Ill, 68), beschreibt Hollingsworth selber die Parallelität seiner körperlichen und geistigen Aktivitäten und warnt an einer anderen Stelle mit bemerkenswerter Selbsterkenntnis Coverdale vor einer verhängnisvollen Fehleinschätzung seines Wesens: "I should rather say, that the most marked trait in my character is an inflexible severity of purpose. Mortal man has no right to be so inflexible, as it is my nature and necessity to be!" (Ill, 43). Sein Bekenntnis zu wahrhaft unmenschlicher Zielstrebigkeit und Härte in der Verfolgung seiner Pläne schwankt zwischen dem Eingeständnis eigener Verfehlungen und einem unterschwelligen, typisch enthusiastischen Stolz darauf, menschliche Begrenzungen hinter sich gelassen zu haben. Bezeichnenderweise nämlich wirkt seine Äußerung weniger wie ein Ausdruck des Bedauerns als wie die Feststellung einer unabänderlichen Tatsache und berechtigt in keinem Falle zu der Hoffnung, er werde auch nur den Versuch unternehmen, sich zu wandeln. Trotz der Besessenheit von seinen humanitären Ideen, die ihn widersinnigerweise in der Verfolgung 13

Ibid., III, 28.

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seines speziellen Projekts alle menschliche Rücksichtnahme vergessen lassen, beweist die wiederholte Betonung seines emotionellen Wesens, ob er sich nun fürsorglich eines Kranken und eines verlassenen Mädchens annimmt oder im Schmelzofen seines Herzens Pläne zur Verbesserung der Welt schmiedet, daß Hollingsworths Schuld nicht auf einem grundsätzlichen Mangel an menschlicher Anteilnahme, sondern auf einer fehlgeleiteten Leidenschaft beruht. 14 Statt die Wärme seines Herzens in zwischenmenschliche Bindungen zu investieren und so die Erde aus dem Geist der Liebe zu erneuern, verschwendet er sein Engagement ausschließlich an eine abstrakte Idee. Hierin gleicht er Brockden Browns Wieland und Melvilles Pierre, die ebenfalls dem Dienst an einer heiligen Sache das Glück ihrer Angehörigen opfern, oder auch der Quäkerfrau aus "The Gentie Boy", mit der ihn überdies das bezeichnende symbolische Motiv eines Auftritts inmitten eines Schneesturms verbindet. 15 So faßt Zenobia ihre Enttäuschung über die Einseitigkeit von Hollingsworths emotionalem Engagement in dem Satz zusammen: "a great and rich heart has been ruined in your breast" (III, 219). Obwohl Blithedale seiner Konzeption nach ein Gemeinschaftsprojekt ist, bei dem der intakte Zusammenhalt innerhalb der Gruppe wesentlich über Erfolg oder Mißerfolg des ganzen Unternehmens entscheidet, nimmt Hollingsworth von Anfang an eine Haltung kühler Distanz ein, die ihn als einen gelegentlich sogar recht abweisenden Einzelgänger erscheinen läßt. I began to discern that he had come among us, actuated by no real sympathy with our feelings and our hopes, but chiefly because we were estranging ourselves from the world, with which his lonely and exclusive object in life had already put him at odds (III, 54-55), 1 6

bemerkt Coverdale schon zu einem frühen Zeitpunkt. Ahnlich wie frühere Enthusiasten eine Neigung zu individualistischer Vereinzelung 14

15

16

Allerdings könnte man ihm - wie beim typischen Enthusiasten häufig geschehen einen mangelhaft ausgebildeten Intellekt vorwerfen und sich dabei auf Coverdales Einschätzung berufen (III, 55-56). Vgl. die Behandlung Hollingsworths als eines "enthusiastic reformer" bei Darrel Abel, "Hawthorne's Skepticism About Social Reform: With Especial Reference to The Blithedale Romance," University of Kansas City Review, 19 (1953), 181-184, oder auch in Richard Harter Fogle, Hawthorne's Fiction: The Light and the Dark (Norman, Okla., 1964), S. 178-182. Vgl. Blithedale Romance, III, 26 - "There, sure enough, stood Hollingsworth, his shaggy great-coat all covered with snow; so that he looked quite as much like a polar bear as a modern philanthropist" - mit "The Gentle Boy", IX, 100: "they had barely time to discern a figure, so white from head to foot with the drifted snow that it seemed like Winter's self, come in human shape to seek refuge from its own desolation." Vgl. auch Blithedale Romance, III, 36.

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an den Tag gelegt hatten und sich stets allein ihren Eingebungen, nicht aber irgendeiner alten oder neu zu gründenden Gemeinschaft verpflichtet wußten, besteht auch für Hollingsworth die Hauptattraktion von Blithedale in der Absonderung und Entfremdung von der Welt, weil er hier die Möglichkeit sieht, ungestörter als in der Außenwelt mit ihrem Netz von gesellschaftlichen Bindungen seinem individuellen Traum nachzuhängen. Paradoxerweise reizt ihn also an Blithedale gerade nicht das kommunitäre Experiment einer idealen Gemeinschaft, sondern die relative Isolation von anderen Menschen. Die Vernachlässigung zwischenmenschlicher Beziehungen zugunsten eines isolierenden Sendungsbewußtseins, das Menschen und Dinge rücksichtslos vereinnahmt, trägt besonders im Verhältnis zu einzelnen Teilnehmern des Projekts verhängnisvolle Früchte. So schreckt Hollingsworth nicht davor zurück, die ihm angetragene Zuneigung der beiden weiblichen Hauptfiguren und das Vertrauen Coverdales für seine persönlichen Interessen auszunutzen. Als Coverdale sich weigert, seinem Projekt beizutreten, kündigt Hollingsworth ihm prompt die Freundschaft auf. Zenobia steht seinem Herzen nahe, solange sie über das nötige Vermögen verfügt, um seine Pläne großzügig zu unterstützen. Offensichtlich handelt sie mit seinem Wissen und Einverständnis, als sie die hilflose Priscilla wieder in die Klauen des finsteren Westervelt ausliefert. Die Bereitschaft, andere Menschen um der Förderung eigener Ziele willen zu manipulieren - ein Charakterzug, der Hollingsworth in gefährliche Nähe zur Hawthorneschen Figur des "unpardonable sinner" rückt - , hält Zenobia ihm denn auch bei der entscheidenden Konfrontation als seine größte Verfehlung vor: "But, foremost, and blackest of your sins, you stifled down your inmost consciousness! - you did a deadly wrong to your own heart! - you were ready to sacrifice this girl, whom, if God ever visibly showed a purpose, He put into your charge, and through whom He was striving to redeem you!" (Ill, 218)

Ebenso bleibt es zumindest in der Schwebe, ob Hollingsworth Priscilla schließlich doch aus ihrer Abhängigkeit von Westervelt errettet, weil seine Liebe über die kalte Berechnung den Sieg davonträgt oder weil er zwischenzeitig erfahren hat, daß das Vermögen rechtmäßig Priscilla zufallen wird. Dem Blithedale-Unternehmen insgesamt hatte er sich ja ohnehin nur angeschlossen, um die Gemeinschaft bei erstbester Gelegenheit zur Aufbautruppe seines eigenen anders orientierten Vorhabens umzufunktionieren. So manifestiert sich in seinem Verhalten gegenüber der Gruppe wie auch gegenüber einzelnen Personen die typische Geringschätzung zwischenmenschlicher Beziehungen, die den Enthusiasten schon in allen früheren Darstellungen gekennzeichnet hatte, da er

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sich einzig - und hier mit geradezu unmenschlicher Radikalität - dem Dienst an seinem vermeintlich göttlichen Auftrag verpflichtet fühlt: They have an idol, to which they consecrate themselves high-priest, and deem it holy work to offer sacrifices of whatever is most precious, and never once seem to suspect so cunning has the Devil been with them - that this false deity, in whose iron features, immitigable to all the rest of mankind, they see only benignity and love, is but a spectrum of the very priest himself, projected upon the surrounding darkness. And the higher and purer the original object, and the more unselfishly it may have been taken up, the slighter is the probability that they can be led to recognize the process, by which godlike benevolence has been debased into all-devouring egotism. (Ill, 70-71)

Andere vertraute Aspekte des Enthusiasten, die sich als feste Bestandteile des Figurentyps etabliert haben, ergänzen das Bild, so etwa sein ungezügelter Subjektivismus, infolge dessen die jeweilige göttliche Mission sich bei unvoreingenommener Betrachtung nur als die unbewußte Projektion seiner eigenen Wünsche und Veranlagungen entpuppt. Melville widmete ja zur gleichen Zeit in Pierre gerade der Behandlung dieses Momentes breiten Raum. Auch die grenzenlose Opferbereitschaft, die selbst vor dem, was dem Enthusiasten auf Erden am teuersten ist, nicht haltmacht, klingt in dem obigen Zitat an. Als Hollingsworth Coverdale für seine Ziele zu gewinnen sucht, weiß er seinem Vorhaben daher kein höheres Lob auszusprechen, als daß man sogar freudig den Märtyrertod dafür sterben könne: "It offers you . . . a purpose in life, worthy of the extremest self-devotion - worthy of martyrdom, should God so order it!" (Ill, 133). Schließlich legt die geradezu monomanische Besessenheit, mit der Hollingsworth seine Pläne unter Ausschluß aller sonstigen Rücksichten verfolgt, sogar den Verdacht des Wahnsinns nahe. "It is my private opinion," sagt Coverdale, "that, at this period of his life, Hollingsworth was fast going mad" (III, 56). Damit ist die Brücke zu einem der ältesten Vorwürfe an die Adresse des Enthusiasten geschlagen, denn schon während des "Great Awakening" hatte diese These die körperlichen und emotionalen Extravaganzen mancher Ergriffener begleitet. Brockden Brown hatte Enthusiasmus und Wahnsinn in Wieland, zu einem einzigen thematischen Komplex zusammengeschweißt, und auch in Pierre gibt es gelegentliche Andeutungen, daß der Held unter dem seelischen Druck seiner anspruchsvollen Aufgabe zusammenbrechen könnte. Zwar entgeht Hollingsworth letztlich dem hier angekündigten Schicksal, doch sind seine kindliche Abhängigkeit von Priscilla und seine chronische Melancholie, die Coverdale bei der letzten Begegnung mit ihm beobachtet, nur einen kleinen Schritt von der ursprünglichen Prophezeiung entfernt. In alledem wird die Gefahr sichtbar, daß das Bemühen, Übermenschliches zu vollbringen, leicht in sein Gegenteil umschlagen kann, so daß

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der Eiferer am Ende gar seine Menschlichkeit aufs Spiel setzt. Pierre hatte zu seinem Entsetzen erfahren, wie unauflöslich göttliche und teuflische Impulse ineinander verschlungen sein können, so daß die Befolgung einer himmlischen Mission unversehens wie ein bloßer Vorwand für die Befriedigung niedriger Triebe erscheint. Ganz ähnlich sieht Coverdale auch Hollingsworths Enthusiasmus am Scheideweg: "I see in Hollingsworth an exemplification of the most awful truth in Bunyan's book of such; - from the very gate of Heaven, there is a by-way to the pit!" (Ill, 243). Die Berechtigung zu solch einem Urteil ergibt sich aus dem Egoismus, der Hollingsworth in vielen seiner Handlungen leitet. Auch frühere Enthusiasten hatten sich sagen lassen müssen, daß sie ihre Eingebungen entweder bewußt fingierten, um persönliche Vorstellungen, ausgestattet mit angeblich göttlicher Autorität, verwirklichen zu können, oder daß sie private Wünsche zumindest unbewußt in ihre vermeintlichen Offenbarungen und Visionen hineinprojizierten. So oder so erklärten sie damit den Menschen zum Maß aller Dinge, erhoben sie das Ego zum Gott. Melvilles Pierre führt besonders eindringlich vor Augen, wie schnell und unmerklich sich der Übergang von himmlischer zu selbstsüchtiger Motivation vollziehen kann. Ebenso mündet auch bei Hollingsworth der Subjektivismus des Enthusiasten, dem die selbstgezeugten Eingebungen seines Innern als einzig verpflichtende N o r m gelten, in einen schrankenlosen Egoismus. Das humanitäre Anliegen ergreift derart von seiner Person Besitz, daß Mensch und philanthropisches Projekt zu einer Einheit verschmelzen. 17 Der Dienst an der Sache entwickelt sich in fortschreitendem Maße zum Dienst am Ich. Auf diesen Ursprung führt Zenobia denn auch Hollingsworths ganzes Handeln zurück, bevor sie sich für immer von ihm verabschiedet: "It is all self! . . . Nothing else; nothing but self, self, self! The fiend, I doubt not, has made his choicest mirth of you, these seven years past, and especially in the mad summer which we have spent together.... Self, self, self! You have embodied yourself in a project. You are a better masquerader than the witches and gipsies yonder; for your disguise is a self-deception." (Ill, 218)

Hier nähert sich der Enthusiast der Hawthorneschen Figur des "unpardonable sinner". Zwar versündigen sich Personen wie Roger Chillingworth oder Ethan Brand durch ein Ubermaß an kaltblütig berechnendem Intellekt, indem sie ihre Mitmenschen aus kühler Distanz, ohne die Wärme innerer Anteilnahme, beobachten, ihre Psyche mit wissenschaftlicher Akribie sezieren und sie schließlich aus intellektuel17

Blithedale Romance, III, 70.

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ler Neugier wie Marionetten manipulieren. Demgegenüber beruht Hollingsworths Ungleichgewicht von Herz und Verstand genau umgekehrt auf einem Zuviel an rational nicht kontrollierter Leidenschaft, die deswegen in die falschen Kanäle fließt und einer menschenverachtenden Einseitigkeit verfällt. Trotz dieser entgegengesetzten Ausgangspunkte treffen sich beide Extreme jedoch in vielen ihrer Konsequenzen, namentlich in der wechselseitigen Abhängigkeit von Subjekt und Objekt von Manipulator und seinem Opfer, von Enthusiast und seinem Anliegen - , in dem alles beherrschenden Egoismus und in der daraus resultierenden Bereitschaft, andere Menschen als Werkzeug für das Erreichen der eigenen Ziele zu mißbrauchen. Im Anfangsstadium des Blithedale-Unternehmens befragt Coverdale Hollingsworth einmal nach seiner Meinung über die Lehren Fouriers. Schon nach einer kurzen Unterhaltung bricht der Philanthrop das Gespräch mit einem vernichtenden Urteil über seinen Reformkollegen ab: "I never will forgive this fellow! He has committed the Unpardonable Sin! For what more monstrous iniquity could the Devil himself contrive, than to choose the selfish principle - the principle of all human wrong, the very blackness of man's heart, the portion of ourselves which we shudder at, and which it is the whole aim of spiritual discipline to eradicate - to choose it as the master-workman of his system?" (Ill, 53)

Mag Hollingsworth sich auch einbilden, daß seinem eigenen Projekt, anders als dem des Franzosen, selbstlose humanitäre Motive zugrundelägen, und daher, wiederum im Gegensatz zu Fourier, implizit eine göttliche Sendung für sich in Anspruch nehmen,18 so spricht er doch in Wirklichkeit mit seinem Urteil über Fourier nichtsahnend auch das Urteil über sich selbst. Erst im allerletzten Augenblick kommt er zur Besinnung, aufgerüttelt durch den Selbstmord Zenobias, und erkennt, in welche Schuld er sich bereits verstrickt hat. Ein seelisches Wrack, aufrechtgehalten nur noch von der fürsorgenden Liebe Priscillas, schwört er seinen weltverbesserischen Plänen ab in der typisch Hawthorneschen Einsicht, daß wahre Reform zuerst im eigenen Herzen ansetzen muß. James' The Bostonians Zenobia, die Frauenrechtlerin unter den Bewohnern von Blithedale, äußert an einer Stelle ihre Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Rolle der Frau in der Gesellschaft. An die Behauptung, daß auch der Modeberuf der Schriftstellerin ihr nur ein begrenztes Betätigungsfeld eröffne, 18

Ibid., III, 54.

James'

The Bostoniani

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knüpft sie dabei ihre Prophezeiung der eigentlichen Bestimmung der Frau: "the pen is not for woman. Her power is too natural and immediate. It is with the living voice, alone, that she can compel the world to recognize the light of her intellect and the depth of her heart!" (Ill, 120)

Uber zwanzig Jahre vor der Abfassung der Blithedale Romance hatte Hawthorne eine biografische Skizze der Anne Hutchinson bereits dazu benutzt, um anhand eines einleitenden Vergleichs von Vergangenheit und Gegenwart mit eigener Stimme und daher mit spürbar anderer Wertung genau dasselbe Zukunftsbild zu entwerfen: there are portentous indications, changes gradually taking place in the habits and feelings of the gentle sex, which seem to threaten our posterity with many of those public women, whereof one was a burden too grievous for our fathers. The press, however, is now the medium through which feminine ambition chiefly manifests itself; and we will not anticipate the period (trusting to be gone hence ere it arrive) when fair orators shall be as numerous as the fair authors of our own day. 1 9

Diese Vision - angesichts des Tenors der Passage sollte man wohl eher sagen: diese Schreckensvision - ist in Henry James' Roman The Bostonians in Erfüllung gegangen. Verena Tarrant setzt mit ihrem Eintreten für die Rechte der Frau die durch Zenobia repräsentierte thematische Linie fort und realisiert gleichzeitig in ihrem öffentlichen Auftreten als Rednerin die bei Hawthorne gemachte Prophezeiung, eben diese Rolle werde das logische Resultat der wachsenden Beteiligung der Frau am öffentlichen und politischen Leben sein. Daß Henry James solch eine Entwicklung ebenfalls mit dem Entsetzen des Konservativen beobachtete, weil er in der Beseitigung alter Rollenschemata ein Symptom für die Auflösung festgefügter Ordnungssysteme und im öffentlichen Engagement der Frau ein Anzeichen für den Zusammenbruch jeglicher Privatsphäre erblickte, stellt nur eine unter vielen thematischen wie formalen Parallelen dar, die sich zwischen Hawthornes Blithedale Romance und James' Bostonians ziehen lassen.20 So verwandelt sich Haw-

19

20

"Mrs. Hutchinson," The Complete 'Writings of Nathaniel Hawthorne (Boston, 1903), XVII, 1. Die Beziehungen zwischen den beiden Werken erstmals untersucht hat Marius Bewley, "James's Debt to Hawthorne (I): 'The Blithedale Romance' and 'The Bostonians'," Scrutiny, 16 (1949), 1 7 8 - 1 9 5 . Seine Ergebnisse sind dann wesentlich vertieft worden in zwei Aufsätzen von Robert Emmet Long, "The Society and the Masks: The Blithedale Romance and The Bostonians," NCF, 19 (1964/5), 1 0 5 - 1 2 2 , und "Transformations: The Blithedale Romance to Howells and James," AL, 47 (1975/6), 5 5 2 - 5 7 1 . In überarbeiteter Form sind beide Aufsätze auch Bestandteil von Longs Buch The Great

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thornes Westervelt, der Mesmerist als Seelenmanipulator, in den Spiritisten und quacksalbernden Handaufleger Selah Tarrant. Hollingsworths reaktionäre Ansichten zur Rolle der Frau und seine Funktion als Retter eines unschuldigen Mädchens gehen in die Gestaltung des erzkonservativen Südstaatlers Basil Ransom ein. Den Part der leidenschaftlichen Feministin übernimmt Olive Chancellor von Hawthornes Zenobia, während sie in ihrem scheuen und verklemmten Wesen eher an Priscilla erinnert. Umgekehrt ähnelt Verena Zenobia aufgrund ihrer Attraktivität, Offenheit und natürlichen Lebendigkeit, die durch gewisse artifizielle Züge nur noch unterstrichen wird, wohingegen sie in ihrer Abhängigkeit von einer besitzergreifenden stärkeren Persönlichkeit das Vorbild Priscillas erkennen läßt. Wenn James seiner eigenen Aussage zufolge die typisch amerikanische Qualität seines Sujets in der aktuellen Situation der Frau und der Geschlechtslosigkeit der zeitgenössischen Gesellschaft sah, so finden sich Ansätze zu einer derartigen Einschätzung auch schon bei Hawthorne, der am Beispiel der zerbrechlichen Priscilla mehrfach die Körperlosigkeit neuenglischer Frauen beklagt. 21 Auch der Konflikt zwischen dem weltverbesserischen Anliegen des Reformers und seinen - vielleicht unbewußten - persönlichen Wünschen, der in Blithedale alle Hauptfiguren ergreift und schließlich das Scheitern des Experiments zur Folge hat, taucht in The Bostonians wieder auf, sei es in der Heuchelei der Burrages, der einträglichen Vermarktung der Bewegung durch Matthias Pardon oder in der ambivalenten Beziehung Olives zu Verena. Nicht zuletzt führt auch eine direkte Verbindung vom Vorbild Blithedales, Brook Farm mit seinem transzendentalistischen Ambiente, zu der Mischung aus Spiritismus, Feminismus und Abolitionismus, die den zeitgenössischen Hintergrund für die Bostonians abgibt. John Humphrey Noyes, der Gründer des Oneida-Projektes, eines erstaunlich langlebigen kommunitären Unternehmens im Stile von Brook Farm, schlägt in seiner History of American Socialisms die Brücke von Brook Farm zum Spiritismus eines Selah Tarrant:

21

Succession: Henry James and the Legacy of Hawthorne (Pittsburgh, 1979), S. 117-157. Vgl. auch Martha Banta, Henry James and the Occult: The Great Extension (Bloomington, Ind., 1972), S. 89-100, und Howard Kerr, Mediums, and Spirit-Rappers, and Roaring Radicals: Spiritualism in American Literature, 1850-1900 (Urbana, III., 1972), S. 211-219. James' Aussage über The Bostonians findet sich in F. O. Matthiessen und Kenneth B. Murdock (eds.), The Notebooks of Henry James (New York, 1947), S. 47; Hawthornes Kommentar zur neuenglischen Frau in The Blithedale Romance, III, 17, 95, 197.

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The entire historical sequence which seems to be established by the facts now before us, may be stated thus: Unitarianism produced Transcendentalism; Transcendentalism produced Brook Farm; Brook Farm married and propagated Fourierism; Fourierism had Swedenborgianism for its religion; and Swedenborgianism led the way to Modern Spiritualism.22

Dieselbe historische Entwicklung läßt auch James in manchen Details anklingen. Selah Tarrant beispielsweise hatte, bevor er sich dem Spiritismus zuwandte, eine gewisse Zeitspanne in der "Cayuga community" verbracht, einem durchsichtigen Pseudonym für Noyes' Oneida-Projekt. Mrs. Tarrant legt größten Wert auf ihre Herkunft aus den besten neuenglischen Abolitionistenkreisen und betont daher bei jeder Gelegenheit, daß sie die Tochter des angesehenen Abraham Greenstreet ist. Für James dienen diese Verweise jedoch nicht nur zur Erstellung einer historischen Ahnenreihe, die die modernen Reformströmungen mit ihren Ursprüngen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts verknüpft. Vielmehr führt er gleichzeitig den Niedergang des alten Idealismus vor Augen: Der kommunitäre Reformeifer in Cayuga scheint sich in zweifelhaften Experimenten mit freier Liebe zu erschöpfen, das transzendentalistische Plädoyer für den Primat des Geistes über die Materie verflacht zu billigen spiritistischen Spektakeln, und die Abolitionistentochter hat keine Hemmungen, ihre eigene Tochter gegen eine monatliche Leibrente zu "verkaufen". In der Gestalt der Miss Birdseye verdichten sich alle Anspielungen auf eine versinkende Zeit hochsinnigen Reformgeistes, und wehmütig muß die Nachfolgegeneration erkennen, daß die entbehrungsreichen und gerade deshalb so ruhmvollen Tage des Aufbruchs sich dem Ende zuneigen: it Struck Miss Chancellor (more especially) that this frumpy little missionary was the last link in a tradition, and that when she should be called away the heroic age of New England life - the age of plain living and high thinking, of pure ideals and earnest effort, of moral passion and noble experiment - would effectually be closed. It was the perennial freshness of Miss Birdseye's faith that had had such a contagion for these modern maidens, the unquenched flame of her transcendentalism, the simplicity of her vision, the way in which, in spite of mistakes, deceptions, the changing fashions of reform, which make the remedies of a previous generation look as ridiculous as their bonnets, the only thing that was still actual for her was the elevation of the species by the reading of Emerson and the fréquentation of Tremont Temple.23

Als daher die liebenswerte alte Dame in Marmion stirbt, einem ehemaligen Seehafen bezeichnenderweise, der selbst überall vom Niedergang 22 23

S. 550. Henry James, The Bostonians (New York, 1956), S. 183. Stellenverweise im Text beziehen sich im folgenden auf diese Ausgabe.

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gezeichnet ist und jetzt nur noch in einer Art Dornröschenschlaf dahindämmert, beschleicht Verena wie auch den gar nicht reformbewußten Basil Ransom das Gefühl, das Ende einer Epoche miterlebt zu haben, die mit Miss Birdseyes Tod unwiederbringbar verloren ist.24 An die Stelle der rührenden, aber ineffizienten Selbstlosigkeit ihrer Generation sind die nüchterne Professionalität einer Mrs. Farrinder und die selbstdarstellerische Scharlatanerie eines Selah Tarrant getreten, an die Stelle von Miss Birdseyes individualistischem Einsatz an den verschiedensten Reformfronten die wohlorganisierte Zielstrebigkeit einer Olive Chancellor und die publicityträchtige Kommerzialisierung des feministischen Anliegens durch Leute wie Matthias Pardon. Mit der Verarbeitung und Abwandlung mancher Themen und Motive aus der Blithedale Romance kleidet James also nicht nur den Hawthorneschen Reformer in das Gewand seiner eigenen Zeit, sondern kommentiert auch den fortschreitenden moralischen Niedergang des Reformgedankens, wie er sich einer späteren Generation präsentiert. Der Eindruck, daß der Idealismus der vorausgegangenen Generation in verbissener Interessenpolitik erstickt oder in seichte Zurschaustellung abgleitet, färbt auch auf das Bild des Enthusiasten ab. In The Bostonians verkörpert Verena Tarrant diesen Typ unter den von Hawthornes Blithedale Romance vertrauten Vorzeichen einer zunehmenden Säkularisierung der Figur, so daß gesellschaftliche oder politische Reformen - hier der Kampf für die Rechte der Frau - den Platz einnehmen, der früher religiösen Anliegen vorbehalten war. Trotzdem läßt gerade Verena Tarrants Hintergrund, vor allem in Form der mesmeristischen und spiritistischen Talente ihres Vaters, die Verbindung des modernen sozialen Enthusiasten zu seinen religiösen Vorläufern noch gut erkennen. Daß James diese Tradition bei der Gestaltung Verenas bewußt im Auge hatte, geht aus einer Beschreibung des geplanten Romans hervor, in der er Reformhintergrund und pseudoreligiöse Prätentionen nebeneinanderstellt: The heroine is a very clever and "gifted" young woman, associated by birth and circumstances with a circle immersed in these [feminist] views and in every sort of new agitation, daughter of old abolitionists, spiritualists, transcendentalists, etc. . . . They

24

Ibid., S. 408. Marmions verfallene Werften als symbolischer Hintergrund für Miss Birdseyes Todesstunde werden auf S. 363 beschrieben. Vgl. hierzu David Howard, "The Bostonians," The Air of Reality: New Essays on Henry James, ed. John Goode (London, 1972), S. 61.

James' The Bostonians

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[sc. her family and friends] cherish her, as a kind of apostle and redeemer. She is very pleasing ro look upon, and her gift for speaking is a kind of inspiration.25

Die Tatsache, daß Verena bei ihren ersten Auftritten als Rednerin für die Frauenrechtsbewegung auf die mesmeristischen Kräfte ihres Vaters angewiesen ist, um wundersamen Eingebungen ihre Stimme leihen zu können, parodiert offensichtlich den Anspruch früherer Enthusiasten, übernatürliche Offenbarungen erhalten zu haben. 26 Selah Tarrants erläuternde Worte, als Verena bei Miss Birdseye eine Kostprobe ihres Könnens ablegen soll, machen deutlich, daß der Anspruch göttlicher Inspiration sich lediglich von der religiösen auf die pseudoreligiöse Ebene des Spiritismus verlagert hat: This gentleman seemed to respond to an irresistible appeal; he looked round at the company with all his teeth, and said that these flattering allusions were not so embarrassing as they might otherwise be, inasmuch as any success that he and his daughter might have had was so thoroughly impersonal: he insisted on that word. They had just heard her say, "It is not me, mother," and he and Mrs. Tarrant and the girl herself were all equally aware it was not she. It was some power outside - it seemed to flow through her; he couldn't pretend to say why his daughter should be called, more than any one else. But it seemed as if she was called. When he just calmed her down by laying his hand on her a few moments, it seemed to come. . . . She had long followed with sympathy the movement for the liberation of her sex from every sort of bondage; it had been her principal interest even as a child..., and now the inspiration, if he might call it so, seemed just to flow in that channel. The voice that spoke from her lips seemed to want to take that form. It didn't seem as if it could take any other. She let it come out just as it would - she didn't pretend to have any control. (S. 55-56) 2 7

Neben dem Nachdruck auf der übernatürlichen Herkunft der Stimme und der besonderen Berufung, die Verena dadurch zuteil wird, fällt besonders die wiederholte Versicherung auf, daß das Mädchen selber keinerlei Kontrolle über Inhalt und Zeitpunkt der Eingebungen ausüben kann, sondern in völliger Passivität abwarten muß, bis der göttliche Geist sich zu melden geruht. "It will come, my good child, it will

25

26

27

The Notebooks ofHenry James, S. 46. Schon Orestes Brownson hatte eine Verbindung zwischen Spiritismus und Frauenrechtsbewegung postuliert; darauf weisen Russell M. und Clare R. Goldfarb, Spiritualism and Nineteenth-Century Letters (Rutherford, N. J., 1978), S. 64-65, hin. Vgl. Marcia Jacobson, "Popular Fiction and Henry James's Unpopular Bostonians," MP, 73 (1975/6), 273: "Verena's gift of inspirational speaking and her talk of a world infused with love seem an absurd reduction of Emerson's infusion by the Spirit." Die Zwitterstellung des Spiritismus zwischen Religion und Wissenschaft stellt Banta James and the Occult, S. 9-17, dar. Daß Verena gleichsam überirdische Inspirationen empfängt, wird mehrfach betont: S. 47, 53-55, 80-81, 132, 144.

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come. Just let it work - just let it gather. The spirit, you know; you've got to let the spirit come out when it will" (S. 60), beruhigt Selah Tarrant seine Tochter. Damit erweckt er den Anschein, als würde Verena von den Eingebungen ebenso ohne eigenes Zutun überwältigt wie der religiöse Enthusiast von der plötzlichen Offenbarung Gottes, und trägt mit diesem Effekt nicht unwesentlich dazu bei, die Mysteriosität des ganzen Vorgangs zu verstärken. Daß auf der anderen Seite der göttliche Geist prompt auf Selah Tarrants mesmeristische Beschwörungen reagiert, ist zwar bei genauerer Betrachtung ein kleiner Schönheitsfehler in dem angestrebten Gesamteindruck, tut aber dem von ihm inszenierten Schauspiel keinen Abbruch. Zur einstudierten Pose der Passivität gehört auch die Beteuerung, daß es ihm und Verena nicht eile, ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu treten: If Verena had anything suggestive to contribute to the social problem, the opportunity would come - that was part of their faith. They couldn't reach out for it and try and push their way; if they were wanted, their hour would strike; if they were not, they would just keep still and let others press forward who seemed to be called. If they were called, they would know it; and if they weren't, they could just hold on to each other as they had always done. (S. 115)

In dem selbstbewußten Abwarten, bis seine Stunde geschlagen hat, ähnelt Tarrants Pose auffällig der Einstellung, die Emerson in "The Transcendentalist" in einem fiktiven Dialog mit dem Zeitgeist dem Transzendentalisten attestiert.28 Erinnerungen an frühere Enthusiasten werden ebenfalls lebendig, wenn Olive sich gern einreden möchte, daß Verenas Talent eine außerordentliche Gabe des Himmels sei, "fresh from the hand of Omnipotence" (S. 118), wie sie es an einer Stelle formuliert, jedenfalls vollkommen unbefleckt von der erniedrigenden Vulgarität ihrer Eltern: "it had dropped straight from heaven, without filtering through her parents, whom Miss Chancellor decidedly did not fancy" (S. 84). Verena selber leistet diesem Gedanken weiteren Vorschub, indem sie sich auf Olives Frage, woher sie so eine lebhafte Vorstellung vom jahrhundertelangen Leiden der Frau habe, mit Jeanne d'Arc vergleicht, natürlich mit der spielerischen Implikation, daß sie wie jene direkte Offenbarungen Gottes empfangen habe: "she looked at the moment as if, like Joan, she might have had visits from the saints" (S. 86). 29 So wird Verena mit der Aura umgeben, Apostel oder Prophetin einer himmlischen Mission zu sein, und als Olive am Ende befürchtet, Ransom könne Verena ihrem ge28 29

Zitiert oben auf S. 151. Der Vergleich mit Jeanne d'Arc wird noch zweimal wieder aufgegriffen: S. 123 und 147.

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meinsamen Anliegen entfremden, verwendet sie mit Bedacht religiöse Begriffe, um die teuflische Perversität seiner Versuchung auszumalen: It was not tenderness that moved him - it was devilish malignity; tenderness would be incapable of requiring the horrible sacrifice that he was not ashamed to ask, of requiring her to commit perjury and blasphemy, to desert a work, an interest, with which her very heart-strings were interlaced, to give the lie to her whole young past, to her purest, holiest ambitions. (S. 390) 30

Ebenso wie Hollingsworth seinen Enthusiasmus einem weltlichen Projekt zugewandt hatte, illustriert also auch die Frauenrechtlerin Verena den Typ des säkularisierten Enthusiasten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der statt der Erneuerung des Ich und der Kirche die Reform gesellschaftlicher Zustände betreibt: "Verena was thoroughly interested in their great undertaking; she saw it in the light of an active, enthusiastic faith" (S. 170). Diese Klassifizierung wird zusätzlich durch ihre ausgeprägte Vorstellungskraft und vor allem die Betonung der emotionalen gegenüber der rationalen Komponente ihres Wesens unterstrichen. Verena was not abstract; she seemed to have lived in imagination through all the ages. Verena said she ¿«/think she had a certain amount of imagination; she supposed she couldn't be so effective on the platform if she hadn't a rich fancy. (S. 86)

Aufgrund dieser Tatsache herrscht in dem Gespann Olive-Verena eine strikte Aufgabenteilung vor: Während Verena bei der Vorbereitung der Reden für den Gefühlsbereich verantwortlich zeichnet, kümmert sich Olive um die statistischen Daten und den logischen Aufbau. 31 Für Anhänger wie Gegner ihrer Bewegung strahlt Verena Spontaneität und

30

31

Ausdrücke wie "apostleship", "priesthood" oder "prophetess" fallen z.B. auf den Seiten 60, 139, 228 und 275. Verena fühlt sich im Dienst einer heiligen Sache (S. 108, 158, 171), die Olive ihrerseits als einen Kreuzzug (S. 37,160) und Basil recht ironisch als "the religion of humanity" (S. 20) bezeichnet. Die religiöse Bildersprache um die Feministinnen untersucht auch Long, "Society and the Masks," 109-111. Neben anderen möglichen Titeln hatte James überdies erwogen, seinen Roman The Revealer zu nennen (Notebooks of Henry James, S. 67). Auf den religiösen Hintergrund stößt man außerdem, wenn man, wie dies Lyall H. Powers in Henry James and the Naturalist Movement (East Lansing, Mich., 1971), S. 53-58, tut, die verschiedenen literarischen Vorbilder für den Roman betrachtet. Neben der bereits genannten Blithedale Romance spielen hier Howells' The Undiscovered Country (1880) und Daudets L'evangeliste (1883) eine wichtige Rolle. In beiden Werken ist es eine religiöse Bewegung - bei Howells die Shaker, bei Daudet der Fanatismus der Madame Autheman - , die die Heldin ihrem wahren Glück zu entreißen droht. Auch in dieser Hinsicht hat Olive Chancellors Frauenrechtsbewegung also literarische Ahnen aus dem religiösen Bereich. The Bostonians, S. 160.

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warme Herzlichkeit aus. So ist es sicher nicht zufällig eine enge emotionale Bindung, die sie zunächst der Frauenrechtsbewegung in Gestalt Olives zuführt und dann durch das Eingreifen Basils wieder entreißt. Doch spielen die Gefühle nicht nur in Verenas Naturell eine herausragende Rolle, sondern sie macht sich darüber hinaus in ihren Reden zu einer Fürsprecherin des Herzens schlechthin. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Basil Ransom ihre Vorträge nicht vorurteilslos anhört, entbehrt doch seine Kritik, daß die Reden wohlformulierte Gemeinplätze aneinanderreihen, statt durch zwingende Argumente zu bestechen, nicht der Wahrheit. James selber verweist in einem auktoriellen Kommentar auf Verenas Vertrautheit mit der Rhetorik der Affekte. 32 Tatsächlich beruft sie sich in ihren Vorträgen vornehmlich auf das Gefühl, sei es ihr eigenes oder das der Frauen generell oder das des angesprochenen Publikums: "Why shouldn't tenderness come in? Why should our women's hearts be so full of it, and all so wasted and withered, while armies and prisons and helpless miseries grow greater all the while? I am only a girl, a simple American girl, and of course I haven't seen much, and there is a great deal of life that I don't know anything about. But there are some things I feel - it seems to me as if I had been born to feel them; they are in my ears in the stillness of the night and before my face in the visions of the darkness." (S. 63)

Anknüpfend an eine wohletablierte Tradition, die unter dem Eindruck des Transzendentalismus wieder neuen Aufschwung erhalten hatte, plädiert sie dafür, den Eingebungen des Herzens vermehrte Anerkennung zu verschaffen. Garanten dafür sind in ihren Augen die Frauen, und schon deshalb kann keine Gesellschaft es sich leisten, den Frauen ihren rechtmäßigen Platz im öffentlichen Leben vorzuenthalten: "The meat and wine, the gold and silver," Verena went on, "are simply the suppressed and wasted force, the precious sovereign remedy, of which society insanely deprives itself - the genius, the intelligence, the inspiration of women. It is dying, inch by inch, in the midst of old superstitions which it invokes in vain, and yet it has the elixir of life in its hands. Let it drink but a draught, and it will bloom once more; it will be refreshed, radiant; it will find its youth again. The heart, the heart is cold, and nothing but the touch of woman can warm it, make it act. We are the Heart of humanity, and let us have the courage to insist on i t ! . . . If [men] had the same quick sight as women, if they had the intelligence of the heart, the world would be very different now." (S. 272-273)

Im Anschluß an diesen Aufruf entwirft Verena in vagen Umrissen das Idealbild einer vom Herzen, d. h. von der Frau geprägten Gesellschaft, in der unter der uneingeschränkten Herrschaft mitmenschlicher Ge-

32

Ibid., S. 392.

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fühle das Paradies auf Erden verwirklicht werden kann. 3 3 U m dieses edlen Zieles willen betreiben die Frauen ihren Feldzug gegen die dominierende Männergesellschaft mit ihren verbrieften Rechten und eingefahrenen Konventionen; dafür lehnen sie sich gegen etablierte Autoritäten auf und sind bereit, in bewährter Enthusiastenmanier die höchsten Opfer zu bringen. Für Verena besteht das erste Opfer, als sie sich Olive und der Frauenrechtsbewegung verschreibt, darin, daß sie auf das Amüsement und den äußeren Glanz weltlicher Vergnügungen weitgehend verzichten muß. Zwar gesteht Olive ihr in Anbetracht der vielbeschworenen "Entwicklungsphase", die Verena ihres Erachtens gerade durchläuft, gelegentlichen Kontakt mit jungen Männern und vereinzelte Ausflüge in die feine Gesellschaft zu, nimmt sie sogar zu einem längeren Aufenthalt nach Europa mit, doch basieren all diese Unternehmungen auf der stillschweigenden Übereinkunft, daß Verena die Welt und die Männer kennenlernen soll, um ihnen später aus voller Uberzeugung für immer Lebewohl zu sagen. In dem Bewußtsein, ihr Leben einer heiligen Sache geweiht zu haben, lehnt Verena daher Einladungen der Burrages in deren exklusiven New Yorker Zirkel ab. 34 Aus dem gleichen Geist heraus verschmäht sie das Angebot des Matthias Pardon, mit seiner Protektion eine glanzvollere und aufsehenerregendere Vortragstournee zu absolvieren, als Olive ihr sie bieten kann oder will: she had given one long, fixed, wistful look, through the door he opened, at the bright tumult of the world, and then had turned away, solely for her friend's sake, to an austerer probation and a purer effort; solely for her friend's, that is, and that of the whole enslaved sisterhood. (S. 149)

Auch wenn immer wieder betont wird, Verena tendiere von Natur aus dazu, anderen gefällig zu sein, fallen ihr derartige Opfer gewiß nicht leicht, widersprechen sie doch ihrer tiefverwurzelten Sehnsucht nach gesellschaftlicher Unterhaltung und kultivierter Atmosphäre. "Verena was fond of human intercourse; she was essentially a sociable creature; she liked to shine and smile and talk and listen" (S. 172), muß selbst Olive einräumen, und noch deutlicher weist Mrs. Burrage im Gespräch mit Olive auf die gefährliche Einseitigkeit hin, die der Verzicht auf selbst die harmlosesten Vergnügungen beinhaltet: "Don't you think it's a good deal to expect that, young, pretty, attractive, clever, charming as she is, you should be able to keep her always, to exclude other affections, to

33

34

Ibid., S. 273-274; ähnlich auf S. 63, auch wenn dort der Tenor der Rede nur kurz paraphrasiert wird. Ibid., S. 158 und 290.

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cut off a whole side of life, to defend her against dangers - if you call them dangers - to which every young woman who is not positively repulsive is exposed?" (S. 320)35

Dennoch fühlt sich Verena, solange sie unter dem Einfluß Olives steht, dazu berufen, dem Beispiel früherer Enthusiasten zu folgen und der Welt zu entsagen, um so mit allen ihren Kräften ihrer eigentlichen Bestimmung zur Verfügung zu stehen, der himmlischen Mission, für die Rechte der Frau zu streiten. Die Weichen für diese Entscheidung werden gestellt, kaum daß die Bekanntschaft zwischen Olive und Verena begonnen hat. Als Olive ihrer neuen Freundin nämlich den Satz aus Goethes Faust vorträgt: "Entsagen sollst du, sollst entsagen!" (S. 87),

erklärt sich Verena augenblicklich mit der für sie typischen Leichtherzigkeit zu einem solchen Opfer bereit. 36 Diese globale Zusage erneuert sie zu einem späteren Zeitpunkt mit großer Leidenschaft, als Olive an der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu zweifeln scheint: "I thought you had discovered by this time that I am serious; that I have dedicated my life; that there is something unspeakably dear to m e . . . . it is strange of you to doubt of me, to suppose I am not more wedded to all our old dreams than ever. I told you the first time I saw you that I could renounce, and knowing better today, perhaps, what that means, I am ready to say it again. That I can, that I will! Why, Olive Chancellor," Verena cried, panting, a moment, with her eloquence, and with the rush of a culminating idea, "haven't you discovered by this time that I have renounced?" (S. 308)

Neben dem Verzicht auf zahlreiche Annehmlichkeiten des Lebens bedeutet dieses Gelöbnis vor allem, daß Verena um der ihr übertragenen Aufgabe willen auch die persönlichen Bindungen an Freunde und Angehörige hintanstellen muß. In dem Begriffspaar ausgedrückt, das Olives Sichtweise charakterisiert, heißt das, daß sie auch so persönliche Angelegenheiten wie die Kontakte zu ihr nahestehenden Menschen aus einem unpersönlichen, von ihrem öffentlichen Anliegen diktierten Blickwinkel betrachten muß, obwohl solch eine distanzierte und abstrahierende Haltung ihrem ganzen Wesen zuwiderläuft. James' Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft zielt ja gerade auf die heillose Vermengung von privatem und öffentlichem Bereich unter dem nivellierenden Einfluß einer Demokratie: Während Leute wie der taktlose Reporter Matthias Pardon die Grenzen der Privatsphäre im Interesse einer neu35 36

Vgl. ferner The Bostonians, S. 110, 121-122, 339. Interessant und ein weiterer Beleg für den religiösen Hintergrund bei James' Gestaltung der Feministinnen ist die Feststellung, daß sein Bruder William James später bei seiner Untersuchung religiöser Grundhaltungen in The Varieties ofReligious Experience (New York, 1952), S. 51, dasselbe Goethe-Zitat mit der Bemerkung verknüpft: "In the religious life . . . surrender and sacrifice are positively espoused: even unnecessary givings-up are added in order that the happiness may increase."

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gierigen Öffentlichkeit unbekümmert verletzen, drängen umgekehrt Frauen aus ihrem angestammten privaten Bereich zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit und verstärken so noch die beunruhigende Durchdringung und Grenzverwischung privater und öffentlicher Zonen. Ein markanter Ausdruck des schwindenden Gefühls für jegliche Privatsphäre ist Olives Gewohnheit, die Beziehungen zu ihren Mitmenschen, namentlich zu Männern, von einer depersonalisierten, generalisierenden Warte aus zu regeln. 37 Zwar kann sich Verena solch eine Einstellung letztlich nicht aneignen, doch ist sie als typischer Enthusiast immerhin bereit, persönliche Bindungen ihrem Sendungsbewußtsein zu opfern. Aus diesem Grunde läßt sie sich von Olive überreden, Heim und Eltern zu verlassen. Mehr jedoch als die Loslösung von der Familie impliziert Verenas Entsagungsversprechen von vornherein den Verzicht auf eine Heirat, auf die persönlichste aller Beziehungen zwischen zwei Menschen. Olive selber ist unverheiratet mit der Selbstverständlichkeit eines Naturgesetzes - "Olive Chancellor was unmarried by every implication of her being. She was a spinster as Shelley was a lyric poet, or as the month of August is sultry" (S. 18) und vor ihr hatte Miss Birdseye sich so in humanitären Projekten aufgezehrt, daß für Empfindungen einer persönlicheren Art kein Platz mehr blieb. " . . . your name will be sacred to us, and that will teach us singleness and devotion" (S. 412), spielt Verena beim Tod der alten Dame auf die Verbindung zwischen dem Dienst an der Sache und einem priesterlichen Zölibat an. Im selben Licht sieht auch Olive das Leben der Reformerinnen: "You know what I think - that there is something noble done when one makes a sacrifice for a great good. Priests - when they were real priests - never married, and what you and I dream of doing demands of us a kind of priesthood." (S. 139)

Für Verena fällt die Entscheidung hierüber in einer symbolträchtigen Szene, als Olive während einer klirrend kalten Winternacht ihre junge Freundin bittet, der Wärme zwischenmenschlicher Beziehungen abzuschwören, und zum Zeichen, daß sie sie für sich und die Frauenrechtsbewegung vereinnahmt, das Mädchen in ihren weiten Mantel hüllt. 38 Von diesem Zeitpunkt an ist nach dem Willen Olives Verenas Schicksal vorgezeichnet: "Sacredly, brightly single she would remain; her only espousals would be at the altar of a great cause" (S. 172).

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Olives unpersönlicher Standpunkt wird auf S. 10,22,111,114 und 164 angesprochen Gleiches gilt übrigens auch für Miss Birdseye (S. 28) - , Verenas gegensätzliche Sicht auf S. 90 und 294. The Bostonians, S. 134-136.

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Bis zu dem entscheidenden Wendepunkt, da Basil sie am Start einer vielversprechenden öffentlichen Karriere für die Privatsphäre einer bescheidenen Ehe "rettet", weist die Charakterisierung Verenas also eine Reihe bedeutsamer Gemeinsamkeiten mit der Darstellung früherer Enthusiasten auf. Uber diese Parallelen hinaus markiert James' Behandlung der Figur jedoch einen weiteren Schritt in einer Entwicklung, die man als die innere Aushöhlung des Enthusiasten bezeichnen könnte. Die Selbstsicherheit und der Auserwähltheitsglaube, die frühere Repräsentanten des Typs auszeichneten, können sich nicht mehr unangefochten gegen die Kritik anderer und auch gegen die eigenen inneren Zweifel behaupten. Frühe Ausprägungen des Typs wie Brockden Browns Wieland, Hawthornes Quäkerin Catharine und der Shaker Adam schaffen sich in der subjektiven Gewißheit ihrer göttlichen Sendung ohnehin ihre eigenen Gesetze und akzeptieren daher die etablierten Maßstäbe von Recht und Moral nicht. Andere Figuren wie Childs Philothea oder Judds Margaret verspüren in jeder Faser ihres Wesens solch eine tiefe Harmonie mit den Gesetzen des Kosmos, daß es gar keinen Ansatzpunkt für Zweifel oder Kritik gibt. Demgegenüber muß Hollingsworth bei aller Selbstgerechtigkeit, die er lange Zeit zur Schau stellt, am Schluß seine verhängnisvolle Verirrung eingestehen, eine Einsicht von so niederschmetternder Wirkung, daß sie ihn als einen gebrochenen Mann zurückläßt. Noch radikaler wird Pierre von Zweifeln an der Richtigkeit seines Handelns geplagt, und die Unmöglichkeit, zwischen himmlischen Offenbarungen und egoistischen Begierden zu unterscheiden, treibt ihn schließlich zu Mord und Selbstmord. Unter weniger dramatischen Umständen, dafür mit umso größerer Skepsis wird das Sendungsbewußtsein des Enthusiasten bei James unter die Lupe genommen. Zwar redet sich auch Verena ein, die Rechte der Frauen seien ihr ein Herzensanliegen, bis sie von ihrer eigenen Berufung restlos überzeugt scheint. Insofern erfüllt sie äußerlich ein traditionelles Kriterium des Enthusiasten. Andererseits umgibt James ihr Auftreten von Anfang an mit einer Aura des Künstlichen und Theatralischen, die ihren Reden die Glätte einstudierter Phrasen und den von ihr propagierten Anschauungen einen recht hohlen Klang verleiht. Gepaart mit ihrer natürlichen Spontaneität ergibt das zwar eine in Basils Augen höchst reizvolle Mischung aus Unschuld und Raffinement, doch ändert das nichts an dem dominierenden Eindruck, daß der Zuhörer Zeuge eines perfekten Schauspiels wird. She had expressed herseif, from the first word she uttered, with a promptness and assurance which gave almost the impression of a lesson rehearsed in advance. And yet there was a stränge spontaneity in her manner, and an air of artless enthusiasm, of personal purity. If she was theatrical, she was naturally theatrical (S. 53),

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heißt es daher bei ihrem Auftritt in Miss Birdseyes Wohnung. Die Schmierenkomödie von Selah Tarrants übersinnlicher Einflußnahme verstärkt diesen Eindruck natürlich noch beträchtlich. Aber selbst nachdem der Vater sich von der Bühne zurückgezogen hat, wird Verenas weiteres Agieren in Bildern beschrieben, die dem Theaterbereich entlehnt sind: She proceeded slowly, cautiously, as if she were listening for the prompter, catching, one by one, certain phrases that were whispered to her a great distance off, behind the scenes of the world. Then memory, or inspiration, returned to her, and presently she was in possession of her part. She played it with extraordinary simplicity and grace. • (S. 60-61)

Mit den aufdringlichen Farben ihrer Kleider erinnert sie Olive, Basil und Mrs. Luna in seltener Einmütigkeit an eine Seiltänzerin, Wahrsagerin oder im günstigsten Fall an eine Primadonna. 39 Die Trennung von den •marktschreierischen Methoden ihres Vaters unter der Ägide Olives beweist nur, daß an die Stelle des Anspruchs, Träger übernatürlicher Botschaften zu sein, das gezielte Ringen um zugkräftige Schlagworte getreten ist. Der Eindruck, daß Verena sich in einer perfekt beherrschten Rolle zur Unterhaltung - nicht etwa zur Belehrung - einem weniger aufgeschlossenen als neugierigen Publikum präsentiert, bleibt jedoch unvermindert bestehen, als sie vor dem Mittwochsclub der Mrs. Burrage spricht: there was no table in front of her, and she had no notes in her hand, but stood there like an actress before the footlights, or a singer spinning vocal sounds to a silver thread.. . . at the end of a few moments Basil Ransom became aware that he was watching her in very much the same excited way as if she had been performing, high above his head, on the trapeze. . . . He had read, of old, of the improvisatrice of Italy, and this was a chastened, modern, American version of the type, a New England Corinna, with a mission instead of a lyre. (S. 269-270)

Auf diese Weise gerät Verenas geplante Vortragskarriere zunehmend in den Geruch, daß sie weniger in der Art früherer Laienprediger als weltlicher Enthusiast mit einer quasi-prophetischen Sendung durch die Lande reist als vielmehr in der Art professioneller Sängerinnen oder Schauspielerinnen das Unterhaltungsbedürfnis einer neugierigen Öffentlichkeit stillt.40 Tatsächlich beeindrucken ihre Reden auch gar nicht durch ihren Inhalt, sondern durch die engagierte Vortragsweise und vor allem durch das attraktive Äußere der Vortragenden selber: 39

40

The Bostonians,

Ibid., S. 328.

S. 80, 229 und 264-265.

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The effect was not in what she s a i d . . . but in the picture and figure of the half-bedizened damsel . . . the argument, the doctrine, had absolutely nothing to do with it. . . . she didn't mean it, she didn't know what she meant, she had been stuffed with this trash by her father, and she was neither more nor less willing to say it than to say anything else; for the necessity of her nature was not to make converts to a ridiculous cause, but to emit those charming notes of her voice, to stand in those free young attitudes, to shake her braided locks like a naiad rising from the waves, to please every one who came near her, and to be happy that she pleased. I know not whether Ransom was aware of the bearings of this interpretation, which attributed to Miss Tarrant a singular hollowness of character; he contented himself with believing that she was as innocent as she was lovely, and with regarding her as a vocalist of exquisite faculty, condemned to sing bad music. (S. 61-62) Z u diesem Ergebnis gelangen neben d e m zugegebenermaßen voreingen o m m e n e n Basil auch Matthias P a r d o n , der Verena deshalb anbietet, sie als J o u r n a l i s t u n d M a n a g e r w e r b e w i r k s a m z u v e r m a r k t e n , u n d M r s . Burrage, die Verena als ausgefallene A t t r a k t i o n den so gar nicht revolutionären D a m e n ihres Mittwochsclubs präsentiert. Basil hat daher v o l l k o m m e n recht, w e n n er sich bei d e m letzteren A n l a ß vergegenwärtigt, daß O l i v e o d e r M r s . L u n a mit denselben Thesen sicher nicht dasselbe A u f s e h e n erregen w ü r d e n . Basil Ransom made his reflections on the crazy character of the age in which such a performance as that was treated as an intellectual effort, a contribution to a question The idea that she was brilliant, that she counted as a factor only because the public mind was in a muddle, was not an humiliation but a delight to him; it was a proof that her apostleship was all nonsense, the most passing of fashions, the veriest of delusions, and that she was meant for something divinely different - for privacy, for him, for love. (S. 274-275) 41 A b g e s e h e n v o n d e m vernichtenden Zeugnis, das J a m e s der zeitgenössischen demokratischen Gesellschaft ausstellt, die offensichtlich bereit ist, jeden Schwindel über sich ergehen zu lassen, w e n n er n u r i h r e m A m ü sement dient, w i r d damit natürlich auch d e m traditionellen Sendungsanspruch des Enthusiasten der Todesstoß versetzt. D i e ursprünglich göttliche H e r k u n f t der enthusiastischen O f f e n b a r u n g e n verliert sich im spiritistischen H o k u s p o k u s des Selah Tarrant, der einst überwältigende Erkenntnisgehalt der Eingebungen s c h r u m p f t z u r absoluten Bedeutungslosigkeit neben der g e w i n n e n d e n Erscheinung der v o r t r a g e n d e n

41

Noch drastischer fallt Basils Urteil über Verenas "Botschaft" und eine Gesellschaft, in der Nachfrage nach einem solchen Artikel besteht, an einer anderen Stelle (S. 328) aus: "fluent, pretty, third-rate palaver, conscious or unconscious perfected humbug; the stupid, gregarious, gullible public, the enlightened democracy of his native land, could swallow unlimited draughts of it."

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Person, so daß es im Grunde gleichgültig wird, worüber Verena spricht, solange sie nur mit ihrer entzückenden Stimme das Publikum fasziniert. Von der inneren Stärke des Enthusiasten, die sich auf die Gewißheit gründete, absolute Wahrheiten zu verkünden, ist nurmehr der formale äußere Schein geblieben; in Wirklichkeit sind die Inhalte seines Evangeliums austauschbar geworden, da der äußere Rahmen, die Form der Präsentation, den zu vermittelnden Inhalt an Bedeutung längst überflügelt hat. So kann Verena am Ende eine totale Kehrtwendung in ihren Anschauungen vollziehen, allem abschwören, das sie bisher für heilig hielt, und sich zu allem bekennen, was sie zuvor entrüstet abgelehnt hatte. Der Tag mit Basil Ransom im New Yorker Central Park, so glaubt sie, hat ihr plötzlich die Augen für ihre wahre Berufung geöffnet und sie mit fliegenden Fahnen zum Feind überlaufen lassen: the words he had spoken to her there about her genuine vocation, as distinguished from the hollow and factitious ideal with which her family and her association with Olive Chancellor had saddled her - these words, the most effective and penetrating he had uttered, had sunk into her soul and worked and fermented there. She had come at last to believe them, and that was the alteration, the transformation. They had kindled a light in which she saw herself afresh and, strange to say, liked herself better than in the old exaggerated glamour of the lecture-lamps. . . . She was to burn everything she had adored; she was to adore everything she had burned. . . . It was simply that the truth had changed sides; that radiant image began to look at her from Basil Ransom's expressive eyes. She loved, she was in love - she felt it in every throb of her being. Instead of being constituted by nature for entertaining that sentiment in an exceptionally small degree (which had been the implication of her whole crusade, the warrant for her offer of old to Olive to renounce), she was framed, apparently, to allow it the largest range, the highest intensity. It was always passion, in fact; but now the object was other. (S. 396)

Die Vorbehaltlosigkeit, mit der Verena auf die neue Position einschwenkt, steht in schroffem Gegensatz zur Festigkeit, ja oft Engstirnigkeit des traditionellen Enthusiasten in den einmal gewonnenen Uberzeugungen. Das emotionale Engagement ist zwar geblieben, doch die Inhalte lassen sich anscheinend ohne größere Probleme in ihr Gegenteil verkehren. Die Gewissensbisse, die Verena bei ihrer Fahnenflucht empfindet, rühren denn auch kaum von dem Bedauern, daß sie die Frauenrechtsbewegung im Stich läßt, sondern von dem Bewußtsein, welchen Schmerz und welche Demütigung ihre Entscheidung Olive zufügen wird. Dadurch wird klar, daß Verenas Eintreten für das Anliegen der Frauen im Grunde nie auf sachlich begründeten Überzeugungen beruhte; vielmehr hat sie sich vom Anfang bis zum Ende stets in naiver Gutgläubigkeit dem Einfluß einer stärkeren Persönlichkeit ausgeliefert.

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Hierin zeigt sich ein weiterer Aspekt in James' Aushöhlung der Figur des traditionellen Enthusiasten: Statt unbeirrt der Stimme göttlicher Offenbarungen zu folgen, wird James' Enthusiastin zum manipulierbaren Medium im Kräftespiel anderer Figuren. Selah Tarrants mesmeristischer Zauber am Beginn von Verenas Karriere, bei dem sie ganz wörtlich als willenloses Medium fungiert, schlägt in dieser Hinsicht den Grundton für ihre gesamte folgende Entwicklung an. Olive verzichtet zwar, als sie Verenas Vater in der Aufgabe des spiritus rector ablöst, auf sein theatralisches Beiwerk, doch ergreift sie deswegen nicht minder vollständig von Verena Besitz. 42 Und trotz der weltanschaulichen Kluft, die Basil und Olive voneinander trennt, gleichen sich ihre Positionen im Verhältnis zu Verena in geradezu verblüffender Weise. Wie Olive zuvor faßt auch Basil den festen Vorsatz, von Verena Besitz zu ergreifen,43 und die Parallele zwischen der Szene am Ende des Romans, als Basil Verena in die Kapuze ihres Mantels hüllt, um sie bei der Flucht vor den Blicken der Öffentlichkeit zu schützen, und jener früheren Szene des Entsagungsversprechens, als Olive ihren eigenen Mantel schützend und besitzergreifend über Verena wirft, dürfte kaum zufällig sein. Auch wenn man die Gedanken, die Basil vor Verenas Auftritt bei Mrs. Burrage bewegen, einmal näher betrachtet, findet man darin wenig, das Olive bei früheren Gelegenheiten nicht genauso empfunden hat: she had queer, bad lecture-blood in her veins, and a comically false idea of the aptitude of little girls for conducting movements; but her enthusiasm was of the purest, her illusions had a fragrance, and so far as the mania for producing herself personally was concerned, it had been distilled into her by people who worked her for ends which to Basil Ransom could only appear insane. She was a touching, ingenuous victim, unconscious of the pernicious forces which were hurrying her to her ruin. With this idea of ruin there had already associated itself in the young man's mind, the idea - a good deal more dim and incomplete - of rescue; and it was the disposition to confirm himself in the view that her charm was her own, and her fallacies, her absurdity, a mere reflection of unlucky circumstance, that led him to make an effort to behold her in the position in which he could least bear to think of her. Such a glimpse was all that was

42

43

Daß Olives Verhältnis zu Verena auf einem durchaus egoistischen Besitzstreben, nicht frei von sexuellen Untertönen, basiert, beweisen zahlreiche Stellen: S. 80-82,111,113, 119, 135, 140-141, 265, 294. Zum Thema des Besitzens und der Besessenheit in The Bostonians vgl. Banta,James and the Occult, S. 96-100; Howard D. Pearce, "Witchcraft Imagery and Allusion in James's Bostonians, "Studies in the Novel, 6 (1974), 236-247; Judith Fryer, The Faces of Eve: Women in the Nineteenth Century American Novel (New York, 1976), S. 143-152, und Susan Wolstenholme, "Possession and Personality: Spiritualism in The Bostonians,"AL, 49 (1977/8), 580-591. The Bostonians, S. 327, 359 und 457.

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wanted to prove to him that she was a person for whom he might open an unlimited credit of tender compassion. He expected to suffer - to suffer deliciously. (S. 253-254)

Wie seine Kusine früher das vulgäre Spektakel von Selah Tarrants Darbietungen verabscheut hatte, fühlt sich Basil von dem ganzen Rummel um die Frauenrechtsbewegung angewidert. Dabei entdeckt er in sich sogar eine Fähigkeit zu leiden, die Olives ausgeprägten Martyriumssehnsüchten und bewußten Selbstquälereien nur in der Intensität, nicht jedoch in der Neigung, am eigenen Leiden Gefallen zu finden, nachsteht. Übereinstimmend mit Olive sieht er Verena einem schlechten Einfluß ausgesetzt. Er erkennt ihre Manipulierbarkeit für fremde Interessen, bescheinigt ihr aber trotz des erniedrigenden Umfelds die Reinheit und Unschuld eines nichtsahnenden Opfers. So reift in ihm, ebenso wie zuvor schon in Olive, der Entschluß, Verena aus den Fängen ihrer Verführer zu erretten: he at least wanted to take her up - to keep his hand upon her as long as he could. Verena had had no such sensation since the first day she went in to see Olive Chancellor, when she felt herself plucked from the earth and borne aloft. (S. 327) 4 4

Um dieses Zieles willen scheut er sich ebenso wenig wie Olive vor ihm, von Verena schmerzliche Opfer zu verlangen: den Verzicht auf ihre öffentliche Tätigkeit und vor allem natürlich den Abbruch ihres engen Verhältnisses zu Olive. Angesichts dessen haben seine Worte, als er Verena in New York zu einem Tagesausflug in den Central Park einlädt, Bedeutung über den konkreten Anlaß hinaus: "I would give anything just to detach you a little from your ties, your belongings, and feel for an hour or two, as if - as if - " And he paused. "As if what?" she asked, very seriously. "As if there were no such person as Mr. Burrage - as Miss Chancellor - in the whole place." (S. 330)

All das macht deutlich, daß Verenas Entscheidung für Basil und gegen Olive, sofern denn ihr passives Abwarten, bis Basil sie "entführt", überhaupt als ihre eigene Entscheidung bezeichnet werden kann, keinen grundsätzlichen Wandel ihrer Lage herbeiführt. Sie fällt lediglich von einem Extrem, das eine radikale Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse befürwortete, in das genau entgegengesetzte, einen reaktionären Konservativismus. Ansonsten bleibt sie jedoch ihrem typischen Verhaltensmuster treu, sich gutwillig der Füh-

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Vgl. mit Basils oben zitierten Gedanken insbesondere Olives Überlegungen auf S. 83-85, wo dieselben Punkte, oft sogar mit wörtlichen Anklängen, wiederkehren.

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rung einer stärkeren Persönlichkeit anzuvertrauen. 45 Das Motiv der Rettung des hilflosen Mädchens durch einen ritterlichen Märchenprinz wird von James also unter höchst ironischen Vorzeichen verwendet, und die Schlußsätze des Romans mit ihrem Hinweis auf Verenas Tränen vermitteln keineswegs den Eindruck ungetrübten Glücks. Solch eine Parodierung literarischer Motive - zu der man auch die Tatsache hinzuzählen kann, daß in The Bostonians der Südstaatler das Mädchen aus dem Norden zu seiner Position bekehrt statt umgekehrt, wie es in vielen Romanzen nach dem Bürgerkrieg propagiert wurde 46 - liegt offensichtlich auch James' Gestaltung des Enthusiasten zugrunde. Selah Tarrants mesmeristischer Hokuspokus legt hierfür das Fundament, und Verena streift bis zum Schluß ihr schauspielerisches, posierendes Erbe nicht ganz ab. Die tiefsten Überzeugungen des Enthusiasten, die auf göttlichen Offenbarungen beruhen, verflachen bei ihr zu perfekt einstudierten und brillant vorgetragenen Phrasen; der Inhalt ihrer Botschaft macht auf die Zuhörer weniger Eindruck als das attraktive Äußere der Rednerin und ihr publikumswirksames Auftreten. Überdies ist der Enthusiast nicht mehr der in sich selbst ruhende Pol früherer Jahre, der es kraft seiner gottgesandten Eingebungen notfalls mit dem Widerspruch der ganzen Welt aufzunehmen wagt und dessen Subjektivismus durch keine äußere Kritik zu erschüttern ist, sondern ein leicht zu manipulierendes, willfähriges Werkzeug in den Händen willensstarker und zielbewußter Persönlichkeiten. Statt himmlische Inspirationen weiterzugeben, reproduziert Verena nur die Klischees und Floskeln, die erst ihr Vater und später Olive ihr eingeflüstert haben. Zwar tut sie das nicht in dem Bewußtsein oder aus der Absicht des Täuschens - sie redet sich selber ein, an das zu glauben, was sie predigt - , doch ändert dieser mildernde Umstand nichts daran, daß in der Gestalt der Verena Tarrant vom Enthusiasten früherer Tage nur noch eine äußerlich bezaubernde, aber innerlich weitgehend ausgehöhlte Fassade übriggeblieben ist.

45

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Vgl. Wolstenholme, "Possession and Personality," 581-582. - Unbewußt gesteht Basil selber ein, daß seine Ziele sich nicht wesentlich von denen seiner Vorgänger unterscheiden, wenn er sich auf S. 346 selber als drittes Glied in die Kette aus Selah Tarrant und Olive Chancellor einreiht. Darauf weist Marcia Jacobson, "Populär Fiction and James's Unpopulär Bostonians 269-274, hin.

Schluß

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Schluß Verschiedene Romane des 20. Jahrhunderts machen deutlich, daß die Figur des Enthusiasten bis heute im literarischen Schaffen Amerikas lebendig geblieben ist. Sinclair Lewis' Beschreibung von Sharon Falconer in seinem Roman Elmer Gantry kann in mancher Hinsicht als eine satirisch überspitzte Fortführung von Attributen und Tendenzen gedeutet werden, die in James' Verena Tarrant und der Gestaltung ihrer Umgebung bereits angelegt waren. Billige Sensationshascherei und betrügerische Scheinheiligkeit markieren hier einen Tiefpunkt in der Darstellung des Enthusiasten, der in der Person der Sharon Falconer zu einem professionellen Schwindler degeneriert ist. Der Titelheld aus Saul Bellows Henderson the Rain King fühlt sich von einer inneren Stimme vorwärts getrieben, zeichnet sich in positiver wie negativer Hinsicht durch eine sehr emotionelle Natur aus und knüpft in manchen seiner Haltungen an Positionen an, wie sie aus dem Transzendentalismus vertraut sind. Für William Styrons The Confessions ofNat Turner waren wesentliche enthusiastische Züge des Protagonisten durch die maßgebliche Quelle, den von Thomas Gray festgehaltenen Bericht des historischen Nat Turner, schon vorgegeben. Styron baut auf diesem Fundament auf und entwirft in seinem Roman das Bild eines Revolutionärs, der mit seinem Aufstand den Weg für einen neuen Himmel und eine neue Erde bereiten will, dabei aber zu spät bemerkt, daß er, wie andere Enthusiasten vor ihm, persönliche Bindungen und Liebe auf dem Altar seines Anliegens geopfert hat. In Alison Lünes Roman Imaginary Friends schließlich empfängt der Enthusiast seine Inspiration weder aus dem eigenen Inneren noch von einer transzendenten Macht, sondern vermeintlich von außerirdischen Lebewesen, die einer im Vergleich zum Menschen höheren, mehr vergeistigten Seinsstufe angehören. Damit steht die Figur des Enthusiasten an der Schwelle zur science-fictionLiteratur. Unbeschadet dessen drängt sich allerdings auch hier, wie gelegentlich schon in früheren Werken, der Verdacht auf, daß der Gott des Enthusiasten lediglich eine Projektion seines eigenen Ego ist. Die wesentlichen Charakteristika des Figurentyps haben sich auch in seinen jüngeren literarischen Repräsentanten erhalten, selbst wenn äußerlich verschiedenartigste Anpassungen an die veränderten Modalitäten einer modernen Zeit stattgefunden haben. Das Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten reicht dabei vom Rückgriff auf die ursprüngliche Verankerung im religiösen Bereich - wie in Styrons Nat Turnerund, mit satirischer Verzerrung, in Lewis' Elmer Gantry - über die Verwendung einer internalisierten und häufig psychologisch begründeten quasigöttlichen Stimme - wie in Bellows Henderson mit seiner Anlehnung an

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transzendentalistische Vorbilder - bis an die Schwelle der science-fiction heran, wenn in Alison Luries Imaginary Friends außerirdische Wesen den Platz Gottes einnehmen. Fast immer - nur der Transzendentalismus mit seinem Umfeld bildet hier eine Ausnahme - setzt sich das seit dem frühen Puritanismus vorherrschende negative Enthusiasmusbild der regierenden Orthodoxie durch, insofern als im Gefühlsüberschwang, im individualistischen Außenseitertum, in der Rebellion gegen das Etablissement, in der Geringschätzung zwischenmenschlicher Bindungen, im Subjektivismus des Enthusiasten vornehmlich ein destruktives Potential gesehen wird, das wegen seiner Neigung zu unerschütterlicher Irrationalität eine beträchtliche Gefahr für das Funktionieren der existierenden Gesellschaft, vielleicht sogar für gesellschaftliches Zusammenleben überhaupt, darstellt. Durch seine starke Jenseitsorientierung, seinen Hang zum Perfektionismus und die Mißachtung menschlicher Bedingtheiten scheint der Enthusiast nicht für ein Leben in dieser Welt geschaffen, da die Rücksichtnahme auf menschliche Schwächen und das Schließen von Kompromissen mit der aktuellen Realität nicht seinem Naturell entsprechen. Einzig die Transzendentalisten haben geglaubt, den Individualismus und Utopismus des Enthusiasten für die ihnen vorschwebende bessere Gesellschaft nutzbar machen zu können. Bezeichnenderweise ist aber gerade ihren Hauptvertretern immer wieder ein realitätsferner Optimismus und eine Vernachlässigung des gesellschaftlichen zugunsten des individuellen Aspekts vorgeworfen worden. So steht der Enthusiast, eigentlich immer im Konflikt mit der bestehenden Gesellschaft, ja mit gesellschaftlichen Konventionen überhaupt. Hierin und in seiner Irrationalität liegen wohl die entscheidenden Gründe für seine überwiegend negative Einschätzung, denn im Gegensatz zu anderen Außenseitertypen der amerikanischen Literatur, die ebenfalls Kritik an der Gesellschaft üben und aus ihr ausbrechen, ist der Subjektivismus des Enthusiasten nicht einmal potentiell gemeinschaftsstiftend. Die einzige Gemeinschaft, die der Enthusiast gelten läßt, ist der utopische Perfektionismus eines künftigen Millenniums. So werden in der Figur des Enthusiasten, sei es auch meist in der Ablehnung dessen, wofür er steht, zentrale Fragen der amerikanischen Literatur thematisiert, wie etwa der Konflikt von Ratio und Irrationalität, das Verhältnis des Individuums zu Gott, zu seinen Mitmenschen und zur Gesellschaft sowie die alte Hoffnung auf ein zukünftiges, vielleicht von amerikanischem Boden ausgehendes Millennium. Als eine Figur, die mit den puritanischen Anfängen des amerikanischen Denkens eng verwachsen ist, die den gern als typisch amerikanisch angesehenen Individualismus auf die Spitze treibt, bis er sich keiner existierenden oder potentiellen menschlichen Gemeinschaft mehr ver-

Schluß

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pflichtet weiß, und die häufig das Konzept der "manifest destiny" ihren millennistischen Zukunftsvisionen zugrundelegt, weist sie vielfache Bezüge zu langgehegten Ideen der amerikanischen Geistesgeschichte auf. Wenn der Enthusiast dennoch, wie gesehen, fast überall ein Außenseiter bleibt und seine Position kaum einmal gesellschaftlich nutzbringend verwertet werden kann, so liegt das vor allem sicher daran, daß er selbst ein Extremist ist und das Ausgleichen von Extremen nicht in seiner Natur liegt. Mit seinem einseitigen Rigorismus und seiner kompromißlosen Radikalität steht er abseits des seit den puritanischen Anfängen stets gesuchten Weges der Mitte.

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Register Addison, Joseph: 107, 116 Albigenser: 97n. Aleott, Amos Bronson: 139, 147-148, 152, 154, 157, 159n„ 160, 162, 164, 166,205,218, 226; "Orphic Sayings", 139, 147, 162; Psyche, 154 Aleott, Louisa May: 164; "Transcendental Wild Oats", 164-165 Alexander, J. W.: 155 Ames, William: 186; Medulla Sacrae Theologiae, 186 Anderson, Sherwood: 199; "I Want to Know Why", 199 Antinomier(krise): 2n., 5,13-40, 41, 47, 51, 54, 63, 65, 67, 68, 71, 75, 77, 92, 143, 146 Arminianismus: 47, 51

Channing, William Ellery: 8,9,153,157, 175 Channing, William Henry: 233 Chauncy, Charles: 6,7, 8,10,41,47,48, 53n., 56, 58, 62,65, 70, 73, 80, 82, 84, 86, 89, 91, 94, 98, 107; Enthusiasm Described and Caution'd against, 6, 56, 62; Seasonable Thoughts on the State of Religion in New-England, 41,47,53n., 83 Child, Lydia Maria: 168, 169, 175, 176, 177, 178, 180, 182, 254; The Frugal Housewife, 175; Philothea, 168, 169, 175-181, 182, 185, 254 Christian History, The: 46 Clemens, Samuel Langhorne: 104 Coleridge, Samuel Taylor: 140, 147n., 175 Colman, Benjamin: 60 Constant, Benjamin: 170 Cotton, John: 14-18, 20-24, 31, 34, 38, 47,49, 51,52, 65; The Way of Congregational Churches Cleared, 22n., 31 Cousin, Victor: 140, 170 "covenant of grace": 13, 15, 25, 37, 51, 54 "covenant of works": 15, 19, 23, 24, 32, 37, 51, 132

Bartholomew, William: 27 Bellow, Saul: 261; Henderson the Rain King, 261 Böhme, Jakob: 144 Bradstreet, Anne: 168 Bringhurst, Joseph: 95, 102, 115 Brook Farm: 159, 231-234, 244 Brown, Charles Brockden: 95-97, 98, 99, 102, 103, 109, 110, 114, 115, 116, 117,120,121,130-131,164,175,177, 180, 220, 238, 240, 254; Wieland, 97-121, 130-131, 175, 180, 220, 238, 240, 254 Brownson, Orestes Augustus: 135-138, 139,154,163,166,169,172,173,175, 184,205,247n.; Charles Elwood, 169175, 183 Bulkeley, Peter: 16 Burton, Robert: 56n„ 83n„ 116; The Anatomy of Melancholy, 56n., 83n., 116

Dante Alighieri: 198 Daudet, Alphonse: 249n.; L'evangeliste, 249n. Davenport, James: 6,56,62,65,72n., 73, 84 Deismus: 94,95,97,100n., 116,120,131 Dial, The: 168 Dod, Alben Baldwin: 155 Dudley, Thomas: 22

Calvin, Johann: 15 Camisards: 97-98, 100, 131 Carlyle, Thomas: 175, 176, 193, 230; Sartor Resartus, 193

Edwards, Jonathan: 42-45, 49, 52, 53, 55n., 58n., 59-62, 64, 65, 67, 69, 70, 75, 79, 81, 82, 83n„ 84-87, 90-91, 112, 113, 134, 145n., 146, 152, 160,

Register 167,189,190,200,220,222; Discourses on Various Important Subjects, 53n.; The Distinguishing Marks of a Work of the Spirit of Cod, 62, 82; A Faithful Narrative of the Surprising Work of God, 42, 59, 60, 85; An Humble Inquiry into the Rules of the Word of God, 44n.; Sinners in the Hands of an Angry God, 53n.; Some Thoughts Concerning the Present Revival of Religion, 53, 59, 85 Emerson, Ralph Waldo: 132-135, 136, 138,139,143,144,146-151,154,155, 156,157,158,159,160,162-164,166, 167, 168, 175, 177, 178-180, 189n„ 193, 197, 200, 205, 210, 215, 218, 226-227, 230, 231, 248; "The American Scholar", 138, 168; "The Divinity School Address", 132-135, 146, 156; Essays, 200; "George Fox", 163; "History", 138-139; Nature, 143,154,193; "The Over-Soul", 144; "Self-Reliance", 148, 157, 215; "Spiritual Laws", 178179; "The Transcendentalist", 248 Endicott, John: 22 Enthusiasmus: Definitionen, 9-12; direkte Offenbarungen, 6-7, 14, 20-28, 55-65, 99, 100-102, 106-109, 122123,128,141-149,170-172,177-178, 185-186, 201-204, 246-247; Verhältnis zur Bibel, 6-7,20-22,25-26,57-58, 62-65, 134-135, 139-140, 142-143, 146, 172, 214; Passivität, 19, 30-32, 40,52-54,149-151,181,247-248; Betonung der Gefühle, 7-9, 53, 86-91, 98,103-107,115-116,122, 144,152156,173-174,178-179,204-205,217218,222-224,236,238,242,249-251; außergewöhnliche körperliche Phänomene, 7, 55, 90-91, 144; Geistesverwirrung, 56,116-121,144,164,205n., 240; Subjektivismus, 4-7, 9, 11, 13, 20, 26-28, 59, 70-71, 106, 110, 151152,156,184-185,214,224-225,227, 240; Selbstsicherheit, 26-27, 29-30, 65-68, 69, 109-110, 158, 206, 237, 257; Antinomismus, 29, 62, 68-70, 156-157,214-216; Millenniumserwartung, 83-86, 160-161, 188-192, 232234; Weltverachtung, 82-83,92,111114,124-125,127-130,159-160,181182, 209-213, 221-222; Opferbereit-

283

schaft, 38-39, 81-82, 111-113, 122, 124,129,163,174-175,218-220,240, 251-252; Mißachtung menschlicher Bindungen, 37, 78-81,111-113,125130,162,165,220-221,239-240,252253; Laienprediger, 34-35,74-76,123, 146-147,172,235,255 ; Bildungsfeindlichkeit, 35, 74-75, 155; Auflehnung gegen Autoritäten, 27, 32-36, 39, 71-78, 132-134, 139, 172, 186-188, 209; demokratisierende Tendenzen, 36, 78, 80, 137-138, 172, 180; Individualismus, 78, 81, 110-111,158-159, 209-210,238-239 Erweckung(serlebnis): s. Konversion Fourier, Charles: 242 Fourierismus: 233 Fox, George: 144, 147, 231 Francis, Convers: 175 "French Prophets": s. Camisards Frothingham, Ebenezer: 78; Articles of Faith and Practice, 78 Fruitlands: 159, 164, 231 Fuller, Margaret: 175 Garden, Alexander: 48 Goen, C. C.: 85 Goethe,Johann Wolfgang von: 252; Faust, 252 Gray, Thomas: 261 "Great Awakening": 43, 46, 48, 52, 53, 54-93,98,99,107,112,132,133,142, 145,146,154,158,166,214,219,222, 235, 240 "halfway covenant": 42, 43, 45 Hall, David D.: 14 Hawthorne, Nathaniel: 121, 122, 124, 125,126,128,130-131,163,164,165, 175,190,205,219,222,231,234,241, 242,243,244,246,254; "The Artist of the Beautiful", 127; "The Birthmark", 130; The Blithedale Romance, 231, 234-244,246, 249,254; "The Canterbury Pilgrims", 128, 129n.; "Ethan Brand", 126, 205, 235, 241; "The Gentle Boy", 121-128, 130-131, 163, 219,220,238,254; "The Man of Adamant", 126; "The Minister's Black Veil",235; The Scarlet Letter, 126,241;

284

Register

"The Shaker Bridal", 128-131, 220, 222, 254; "My Kinsman, Major Molineux", 199; Twice-Told Tales, 124; "Young Goodman Brown", 199,235 Hemingway, Ernest: 199; "My Old Man", 199 Hickes, George: 58n.; The Spirit of Enthusiasm Exorcised, 58n. Hodge, Charles: 155 Hooker, Thomas: 16 Howells, William Dean: 249n.; The Undiscovered Country, 249n. Hutchinson, Anne: 5, 13, 14, 18n., 20, 22-31, 33, 34, 36, 38, 39, 41, 47, 51, 54, 55, 65, 123n., 132, 135, 142, 157, 158, 165,167,214,219, 243 James, Henry: 190, 243, 244, 245, 246, 250,252,254,256,258,260,261; The Bostonians, 243-260, 261 James, William: 252n.; The Varieties of Religious Experience, 252n. Johnson, Edward: 30, 34, 35; The Wonder-Working Providence of Sion's Saviour in New England, 34, 35 Judd, Sylvester: 168,182,185,187,189n., 190, 191, 233n„ 254; Margaret, 169, 181-192, 233n„ 254 "justification": 15, 17-18, 23, 68, 69 Kant, Immanuel: 140 Kongregationalismus: 2, 5, 35, 43 Konversion(serlebnis): 1-4, 6-7, 15-19, 23-24, 29, 31, 45-52, 54, 57-58, 91, 134, 145-146, 199-201 Lewis, Sinclair: 261; Elmer Gantry, 261 Locke, John: 8n., 10, 55, 94-97, 116, 120,136,137,140; An Essay Concerning Human Understanding, 8n., 10, 55, 94 Lurie, Alison: 261, 262; Imaginary Friends, 261, 262 Luther, Martin: 164 "manifest destiny": 85, 263 Melville, Herman: 178, 180, 191, 193194,198,200,205,213,215,224,225, 226-228, 230, 231, 238, 240, 241; Mardi, 193-195; Moby-Dick, 193-195,

198,211n., 214; Pierre, 178, 180, 193230, 231,238,240, 241,254 Methodismus: 144 "Moravian Brethren": 99, 131, 144 Mystizismus: 4n., 18n., 59, 60, 65n., 143n. "natural religion": 95, 100 Neoplatonismus: 140 Norton, Andrews: 135-138, 161, 170, 172 Noyes, John Humphrey: 244, 245; History of American Socialisms, 244 Oneida: 232n„ 244, 245 Osgood, Lucy: 176 Pantheismus: 167 Parker, Theodore: 139, 141, 166,189n.; A Discourse of the Transient and Permanent in Christianity, 139 Peabody, Elizabeth Palmer: 233 Plato: 177, 200n„ 201n.; Phaidros, 177 Platonismus: 140, 176 "preparation for salvation": 1,14-18,23, 47-48,52 Presbyterianismus: 35, 43, 77 Prince, Thomas: 90 Quaker: 2n., 5, 10, 55n., 121-127, 131, 144, 147, 149n., 163, 176, 185, 222n. Quincy, Samuel: 48 Ripley, George: 139, 159,166,168,175; "Jesus Christ, the Same Yesterday, Today, and Forever", 139; Specimens of Foreign Standard Literature, 168 Rosenthal, Bernard: 108 Rush, Benjamin: 116; Medical Inquiries and Observations, upon the Diseases of the Mind, 117 "sanctification": 17-18,23,37,68,146n. Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, third Earl of: 98; Essay Concerning Enthusiasm, 98 Shaker: 128-131, 232n., 249n. Shakespeare, William: 201; Hamlet, 202; King Lear, 201 Shepard, Thomas: 16, 20, 21, 47 Shurtleff, William: 46

Register Smith, Elihu Hubbard: 116 Smith, Josiah: 87 Sokrates: 101,177 Sophokles: 201; Odipus, 201 Sparks, Jared: 8 Spectator, The: 107 Stiles, Isaac: 76; A Looking-Glass for Changlings, 76 Stoddard, Solomon: 66 Streeter, Robert E.: 169 Styron, William: 261; The Confessions of Nat Turner, 261 Swedenborg, Emanuel: 175 Taylor, Edward: 168 Taylor, Isaac: 11,219, 220; Natural History of Enthusiasm, 219 Tennent, Gilbert: 43,46,72n., 73,77,99, 133; The Danger of an Unconverted Ministry, 46, 72n. Thomson, John: 77 Thoreau, Henry David: 159 Token, The: 124, 128 "Transcendental Club": 175 Transzendentalismus: 5, 132-192, 193, 197,201,202,203,204,205,226-227, 230-234,235,244,245,248,250,261, 262

Tschink, Cajetan: 115n.; Der her, 115n. Turner, Nat: 261

285 Geisterse-

Unitarismus: 5, 8, 9, 132, 133,135, 137, 138,139,141,153,161,166,170,187, 190, 226n. Universalismus: 138 "visible church": 2, 3, 5, 40, 45, 54, 67 Wheelwright, John: 31, 34, 37, 38 Whitefield, George: 43, 55, 56, 73 Whittier, John Greenleaf: 115 Wiedertäufer: 13, 27, 77 Wigglesworth, Michael: 168 Wilson, John: 34 Winthrop, John: 13,16,19n.,20, 23,28, 29,31,33,40,41,65, 68,235 Journal, 13, 17, 19n„ 68; "A Model of Christian Charity", 235; A Short Story of the Rise, reign, and mine of the Antinomians, 23, 29,31,33,41 Wonderful Narrative, The: 98 Zinzendorf, Graf Nikolaus Ludwig von: 99

QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR SPRACH- UND KULTURGESCHICHTE DER GERMANISCHEN VÖLKER STEFAN NIENHAUS

Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende Altenberg - Hofmannsthal - Polgar Groß-Oktav. XII, 259 Seiten. 1986. Ganzleinen D M 124,ISBN 3 11 010626 4 (N.F. Band 85/209)

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