Die Entstehung von Goethes Werken in Dokumenten: Band 5 Fastnachtsspiel - Faust 9783110567861, 9783110562859

The famous standard work of Goethe research based on all accessible materials ‑ letters, diary entries and so on ‑ recon

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German Pages 870 Year 2017

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INHALTSÜBERSICHT
VORWORT
ABKÜRZUNGS- UND SIGLENVERZEICHNIS
ZUR BENUTZUNG
Ein Fastnachtsspiel, auch wohl zu tragiren nach Ostern, vom Pater Brey, dem falschen Propheten
[Faust. Frühe Fassung]
Faust. Ein Fragment
Faust. Eine Tragödie
[Zu Faust] Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]
[Zu Faust] Helena klassisch–romantische Phantasmagorie
Faust. Der Tragödie Zweiter Theil.
[Zu Faust] Zwei Teufelchen und Amor
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Die Entstehung von Goethes Werken in Dokumenten: Band 5 Fastnachtsspiel - Faust
 9783110567861, 9783110562859

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MOMME MOMMSEN DIE ENTSTEHUNG VON GOETHES WERKEN BAND V Begonnen am I N S T I T U T F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E U N D L I T E R AT U R D E R DEUTSCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN fortgeführt und herausgegeben von K AT H A R I N A M O M M S E N unter den Auspizien der M O M M S E N F O U N D AT I O N F O R T H E A D VA N C E M E N T OF GOETHE RESEARCH

P R O J E K T B E R AT U N G U N D G E S C H Ä F T S F Ü H R U N G David Pike Geschäftsführender Direktor der Mommsen Foundation

BANDBEARBEITER Uwe Hentschel

DIE ENTSTEHUNG VON GOETHES WERKEN IN DOKUMENTEN

Begründet von MOMME MOMMSEN Fortgeführt und herausgegeben von K AT H A R I N A M O M M S E N

BAND V FASTNACHTSSPIEL ⎯ FAUST

2017 WA LT E R D E G R U Y T E R

¯ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 978-3-11-056285-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056786-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-056633-8 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Printed in Germany Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com

I N H A LT S Ü B E R S I C H T Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungs- und Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Zur Benutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII 327. Ein Fastnachtsspiel, auch wohl zu tragiren nach Ostern, vom Pater Brey, dem falschen Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Faulthiere und die Dickhäutigen abgebildet, beschrieben und verglichen, von Dr. E. d’Alton siehe: D’Alton: Die Faulthiere und die Dickhäutigen. Faust, französische Prachtausgabe siehe: Stapfer 328. [Faust. Frühe Fassung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329. Faust. Ein Fragment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330. Faust. Eine Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331. [Zu Faust] Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung] . . . . . . . . . . . 332. [Zu Faust] Helena klassisch–romantische Phantasmagorie . . . . . . . . . . . . Faust. Trage´die de Mr. de Goethe, traduite en Franc¸ois par Mr. Stapfer, orne´e de XVII dessins par Mr. De Lacroix siehe: Stapfer 333. Faust. Der Tragödie Zweiter Theil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334. [Zu Faust] Zwei Teufelchen und Amor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VORWORT Die bisherigen EGW-Bände waren aufgrund der alphabetischen Titelfolge unsrer Dokumentation jeweils einer Vielzahl von dichterischen, autobiographischen und wissenschaftlichen Werken Goethes gewidmet. Dagegen gilt dieser Band der Entstehung von nur zwei dramatischen Schöpfungen: dem Fastnachtsspiel des 24jährigen Dichters und seinem ihn quasi durchs ganze Leben begleitenden Faust. Die Anfänge unserer Bemühungen um diesen Band gehen über ein halbes Jahrhundert zurück, als Momme Mommsen im Jahr 1950 durch die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Ost) den Auftrag erhielt, zusammen mit Katharina Mommsen Goethes Schaffensprozeß an sämtlichen Werken (mit Ausnahme der Lyrik) durch Zusammenstellung der darauf bezüglichen Zeugnisse zu erhellen. Um diese Aufgabe beim Faust zu bewältigen, knüpften wir zunächst an die verdienstvolle Sammlung Goethe über seine Dichtungen von H. G. Gräf an.1) Darüber hinaus gelang es uns schon damals, trotz Goethes weitgehendem Schweigen gerade über den Faust, eine erstaunliche Menge direkter und indirekter Zeugnisse zu diesem Werk zu ermitteln. Aber weder die EGW insgesamt noch die Frühform dieses auf Faust bezüglichen Bandes standen unter einem guten Stern, da kurz nach der Veröffentlichung der ersten beiden EGW-Bände im Akademie-Verlag 1958, die ein erfreulich positives Echo hervorriefen, die Mommsens genötigt wurden, die Arbeit an der EGW aufzugeben, weil die 1961 errichtete Berliner Mauer sie von Goethes Weimar und allen dort gehüteten Handschriften trennte. Bis dahin waren unsere gemeinsamen Vorarbeiten schon weit gediehen; Momme Mommsen hatte chronologische Zeugnisse zu über tausend Goetheschen Werken gesammelt und mit ausführlichen Notizen versehen, wie diese in die EGW eingearbeitet werden sollten. Grundsätzlich bestand die EGW schon damals als ein bis zum Abschluss durchdachtes Gesamtprojekt, das auf weit über ein Dutzend Bände konzipiert war. Mit Abbruch dieses wissenschaftlichen Projekts im Jahr 1961 erlebte Momme Mommsen zum zweiten Mal eine berufliche Katastrophe, nachdem die Nazis, gleich nach ihrer Machtergreifung 1933, seiner erfolgreich begonnenen Karriere als Orchesterdirigent, aufgrund seiner Wei-

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) Vgl. die Würdigung Gräfs in Momme Mommsens Einleitung im ersten Bd der EGW S. XIIIff.

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VORWORT

gerung in die NSDAP einzutreten, ein jähes Ende bereitet hatten, – eine unsäglich bittere Lebenserfahrung. Indessen bewahrten wir die bis 1961 gesammelten Vorarbeiten sorgfältig auf, die in einem sehr umfangreichen und vielverzweigten Zeugnismaterial zu Goethes Schaffen bestanden, zumal zu seinem monumentalen Faust, der Momme Mommsen ganz besonders am Herzen lag. Als endlich gegen Ende des Jahrhunderts die Fortsetzung des Projekts aufgrund der deutschen Wiedervereinigung erneut möglich wurde, starb Momme Mommsen kurz danach am 1. Januar 2001. Zur Weiterführung des Projekts 2000–2001 waren allerdings nach einem so langen Zeitraum jüngere Helfer nötig.2) Zunächst mussten die maschinenschriftlichen Vorarbeiten der Mommsens durch Schreibkräfte in Weimar in elektronische Druckvorlagen konvertiert werden. Dabei erfolgte fatalerweise gerade bei dem voluminösen Material zum Faust ein niemals aufgeklärtes Mißgeschick, als der ganze Kasten mit den darauf bezüglichen Artikeln auf Nimmerwiedersehn in Weimar verschwand. Danach dauerte es unverhältnismässig lange, um das auf so mysteriöse Weise abhanden gekommene Material wieder herzustellen. Trotz wiederholter Versuche, in Frankfurt, Göttingen und anderwärts geeignete wissenschaftliche Mitarbeiter zu finden, die den Faust-Band wieder erarbeiten sollten, und obwohl es nicht an Bewerbern fehlte, führte doch ihre mangelnde Kompetenz zu unbrauchbaren Resultaten und Enttäuschungen. Erst als 2010 Uwe Hentschel hinzutrat, kam die Arbeit wieder in Gang. Im Laufe der folgenden Jahre sorgte er mit wissenschaftlicher Akribie bis zuletzt für zahlreiche Ergänzungen, Komplettheit und genaue Darbietung der Zeugnisse. Dabei legten wir besonderes Gewicht darauf, die frühen Goethe-Philologen des 19. Jahrhunderts bei Namen zu nennen, auf deren Schultern die nachfolgenden Generationen standen, die sich allzu oft, bis in unsere Zeit hinein, frühere Forschungsergebnisse in Form stillschweigender Übernahmen zunutze gemacht hatten. Dieser wenig rühmlichen Tradition des Verschweigens der Urheber wirkt die EGW nun durch Synopsen von ca. 200 Jahren Faust-Forschung entgegen. Beim Durchkämmen der Sekundärliteratur assistierte Philipp Restetzki ab Mitte 2013 bis Ende 2015. Den kundigen Helferinnen vom Weimarer Goethe-und-Schiller-Archiv Ulrike Bischof, Ariane Ludwig und Elke Richter gebührt unser Dank für freundliche Auskünfte, Handschriftenbeschaffung und Unterstützung beim Entziffern. Wie schon bei früheren Bänden ist die Perfektion des Schriftbilds den professionellen Leistungen des Setzers Thomas Ziegler geschuldet. Die Herausgeberin leitete sowohl die Vorbereitungen als auch die Durchführung des ganzen Bandes und ist für dessen Gesamtinhalt und die erläuternden Anmerkungen verantwortlich.

2 ) Über die Wiederaufnahme der EGW s. K. Mommsens darauf bezüglichen Aufsatz im GoetheJahrbuch 2016.

VORWORT

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Unser Ziel war es, die über sechs Jahrzehnte umfassende Entstehungsgeschichte des Faust durch Zeugnisse so komplett wie nur irgend möglich zu belegen. Es galt zu zeigen, wie schon der junge Goethe in Frankfurt die ersten Szenen des dem Volksbuch nahen frühen Faust schrieb, denen er fast zwölf Jahre lang nichts hinzufügte. Erst in Italien dichtete er eine weitere Szene und nach der Rückkehr noch einiges, bis 1790 Faust. Ein Fragment in der Ausgabe der Gesammelten Schriften erscheinen konnte. Als Fünfzigjähriger verfaßte Goethe dann Faust. Eine Tragödie, doch veröffentlichte er das Werk erst mit annähernd sechzig Jahren. Dagegen ist Faust. Der Tragödie Zweiter Teil eine Schöpfung, die den Eingebungen des Dichters erst auf seiner höchsten Altersstufe beschieden war. Der schier unfaßbar lange Wachstumsprozeß des Faust frappierte sogar den Autor selber. Nicht nur bezweifelte er gelegentlich, ob er je damit fertig werden würde, sondern er mokierte sich auch zwischendurch darüber, nun schon sechzig Jahre lang der dreitausendjährigen Helena nachzuschleichen. Gegen Ende seines Lebens konstatierte er dann nur noch lapidar, es sei »keine Kleinigkeit, das, was man im zwanzigsten Jahr concipirt hat, im 82. außer sich darzustellen.« Tatsächlich gibt es innerhalb der gesamten Weltliteratur kein Werk, das von seinem Dichter einem so langen Entstehungsprozeß unterworfen wurde wie Faust durch Goethe. Zum besseren Verständnis dieses Werks sind die Entstehungszeugnisse geradezu unentbehrlich, weil Goethes poetisches Schaffen stets von Anlässen und Anregungen bestimmt war, die er ins Bedeutungsvolle zu steigern wusste. Zumal beim Faust, der keineswegs ›im luftleeren Raum‹ entstand, erscheinen derartige Anregungen als Aufgipfelung und Verdichtung des Lebensprozesses. Viel Erlebtes und Erlittenes ist von früher Jugend an in diese, sein ganzes Leben begleitende Schöpfung eingegangen. Sie wäre auch undenkbar ohne sein Studium der Alchemie, Theologie, Metaphysik, Biologie, Meteorologie, Geologie Physik, Wolkenkunde usw. Nicht minder gingen die politischen und militärischen Zeitströmungen und Erfahrungen Goethes als Staatsmann, die er miterfasste, in dieses Werk ein. Die hier in einem Umfang wie nie zuvor zusammengestellten Zeugnisse geben überzeugende Einblicke in den spannenden Schaffensprozeß, dadurch dass sie die Bedingungen beleuchten, unter denen diese enigmatische Schöpfung entstand. Durch das Licht, das sie auf das Opus und seinen Schöpfer werfen, ermöglichen sie vielerlei unvermutete Aufschlüsse. Zum Beispiel weisen sie auf den ungeheuren Ehrgeiz des jungen Goethe hin, der, als er Faust konzipierte, mit dem höchsten aller Dichter, Homer, in Konkurrenz treten wollte. Dieser war ihm mit dem tapfersten aller Männer, Achill, und dem klügsten aller Männer, Odysseus, zuvorgekommen, so dass, aus Goethes Perspektive, ihm daraufhin nichts als — Frauen übrig blieben. Deren Verherrlichung widmete er sich tatsächlich stärker als irgendein anderer Dichter. So im ersten Teil des Faust durch die, im Volksbuch gar nicht vorhandene, von Goethe erfundene, unsäglich anrührende Gestalt der Margarethe; im zweiten Teil durch die von vorne-

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VORWORT

herein vorgesehene schöne Helena in ihrer Unvergleichlichkeit. Doch Goethes Wettstreit mit Homer erklärt auch indirekt, warum er seinen Faust mit einem derart interessanten Charakter ausstattete, dass er den Vergleich mit Homers Helden keineswegs zu scheuen braucht. Kein Wunder wenn Faust, den Zeugnissen zufolge, Goethe selber einen so hohen »Respekt« abnötigte wie keine seiner übrigen Dichtungen. Die Besonderheit, dass Goethe sich von der Gestalt des Faust gar nicht loszulösen vermochte, scheint den Zeugnissen nach mit einer Art »Dunckelheit und Zaudern« zusammenzuhängen, über die er »nicht Herr werden« konnte. In Übereinstimmung mit der Unmöglichkeit, sich von diesem Lebensbegleiter zu trennen, deuten andere Zeugnisse darauf hin, dass Goethes Zeitgenossen ihn mit seinem Faust identifizierten. Doch sahen sie ihn auch als Mephistopheles an, schon weil er nicht selten als Mephisto sprach. Offenbar ist er beide Lebensgefährten nie losgeworden. Das Gesamt der Zeugnisse verdeutlicht, dass Goethe den Faust in all seiner Gegensätzlichkeit, so wie er ihn lebte, auch schrieb, um damit der Welt die Summe seiner Lebenseindrücke und ein gültiges Andenken seiner selbst zu hinterlassen. Palo Alto im Juni 2017

Katharina Mommsen

ABKÜRZUNGS- UND SIGLENVERZEICHNIS A = Goethe’s Werke. Bd 1–13. Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1806–10. AA-DuW = Goethe. Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Historisch-kritische Ausgabe bearb. von Siegfried Scheibe. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Akademie-Ausgabe]. Bd 1: Text. Berlin 1970. Bd 2: Überlieferung, Variantenverzeichnis und Paralipomena. Berlin 1974. AA Ergänzungsband 3 = Werke Goethes. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter der Leitung von Ernst Grumach. [Akademie-Ausgabe]. Erg.-Bd 3: Urfaust – Faust, ein Fragment – Faust, der Tragödie erster Theil (Paralleldruck). Bearb. von Ernst Grumach u. Inge Jensen. Berlin 1958. AA-Faust = Werke Goethes. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter der Leitung von Ernst Grumach. [Akademie-Ausgabe]. Bd 1: Urfaust; Faust, ein Fragment. Bearb. von Ernst Grumach. Bd 2: Faust. Der Tragödie erster Theil. Bearb. von Ernst Grumach u. Inge Jensen. Berlin 1954–58. AA-Jugendwerke = Werke Goethes. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter der Leitung von Ernst Grumach. [Akademie-Ausgabe]. Jugendwerke. 3 Bde. Bearb. von Hanna Fischer-Lamberg. Berlin 1953–56. AA-SL = Goethe. Schriften zur Literatur. Historisch-Kritische Ausgabe. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (ab Bd 3: Hsg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR) Bearb. von Edith Nahler u. a. 7 Bde. Berlin 1970–82. Alt 1908 = Goethes Faust. In sämtlichen Fassungen, mit den Bruchstücken und Entwürfen des Nachlasses. Mit Einleitung und Anmerkungen von Carl Alt. Berlin o. J (= 1908). ALZ = Allgemeine Litteratur-Zeitung. Hsg. von Christian Gottfried Schütz. Jena 1785–1803 (ab 1804: Halle); s. auch JALZ. Anderegg 2011 = Johannes Anderegg: Transformationen. Über Himmlisches und Teuflisches in Goethes Faust. Bielefeld 2011 Arens 1982 = Hans Arens: Kommentar zu Goethes Faust I. Heidelberg 1982. Atkins 1953 = Stuart Atkins: Goethe, Caldero ´n, and Faust: Der Tragödie zweiter Teil. In: Germanic Review 28 (1953) 83–99. Abdruck wieder in: S. A.: Essays on Goethe. Ed. by Jane K. Brown u. Thomas P. Saine. Columbia 1995, 259–76. Atkins 1995 = Stuart Atkins: Essays on Goethe. Ed. by Jane K. Brown and Thomas P. Saine. Columbia 1995. Atkins 2002 = Stuart Atkins: Renaissance and Baroque Elements in Goethe’s Faust: Illustrative Analogues. In: Goethe Yearbook 11 (2002) 1–26. Aus der Jenaer Bibliothek = Entleihung aus der Universitätsbibliothek in Jena; zitiert nach → Bulling.

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Aus der Jenaer Schloßbibliothek = Entleihung aus der Schloßbibliothek in Jena; zitiert nach → Bulling. Aus der Weimarer Bibliothek = Entleihung aus der Herzoglichen (Großherzoglichen) Bibliothek in Weimar; zitiert nach → Keudell. B = Goethe’s Werke. Bd 1–20. Stuttgart u. Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1815–19. Bartscherer 1911 = Agnes Bartscherer: Paracelsus, Paracelsisten und Goethes Faust. Eine Quellenstudie. Dortmund 1911. Bartscherer 1912 = Agnes Bartscherer: Magie und Zauberei im ersten Teil von Goethes Faust. In: A. B.: Zur Kenntnis des jungen Goethe. Drei Abhandlungen. Dortmund 1912, 1–108. Baumgart 1893 = Hermann Baumgart: Goethes Faust als einheitliche Dichtung erläutert. Bd 1. Königsberg 1893. Baumgartner 1886 = Alexander Baumgartner: Göthe. Sein Leben und seine Werke. Bd 3: Deutschlands Nothjahre, der alte Göthe, Faust. Zweite, verm. u. verb. Auflage. Freiburg i. Br. 1886. Bayer 1869 = Joseph Bayer: Von Gottsched bis Schiller. Vorträge über die classische Zeit des deutschen Drama’s. 2. mit Zusätzen u. Erg. vers. Ausg. Bd 2. Prag 1869. Beck-Gronemeyer = Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe (Hamburger Klopstock-Ausgabe). Begr. von Adolf Beck u. a. Hsg. von Horst Gronemeyer u. a. Berlin, New York 1974 flg. Behn 1923 = Hermann Behn: Der Erstdruck von Goethes Faust-Fragment. In: Zeitschrift für Bücherfreunde 15 (1923), Heft 2, 41–48. Berend I–IV = Jean Pauls sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 4 Abteilungen. Zu Lebzeiten des Dichters erschienene Werke. Hsg. v. Eduard Berend. Berlin u. a. 1927 flg. Berger 1888 = Arnold E. Berger: Werther, Faust und die Anfänge des Wilhelm Meister. In: Nord und Süd 47 (1888) 353–77. Berlioz = Hector Berlioz: Literarische Werke. Erste Gesamtausgabe. 10 Bde. Hsg. von F. Weingartner. Leipzig 1903–1912. Bettine v. Arnim FA = Bettine von Arnim: Werke und Briefe in vier Bänden. Hsg. v. Walter Schmitz u. Sibylle v. Steinsdorff. Frankfurt 1986–2004. Beutler 1940 = Goethe. Faust und Urfaust. Erl. von Ernst Beutler. 2., erw. Aufl. Leipzig o. J. (= 1940). Beutler 1941 = Ernst Beutler: Die Kindsmörderin, in: E. B.: Essays um Goethe. Leipzig 1941, 98–114. Beutler 1947 = Ernst Beutler: Der König in Thule und die Dichtungen von der Lorelay. Ein Essay. Zürich o. J. (= 1947). BG = Goethe: Begegnungen und Gespräche. Begr. von Ernst Grumach und Renate Grumach. Hsg. von Renate Grumach. Bd 1flg. Berlin 1965 flg. Biedermann 1877 = Karl Biedermann: Zur Entwicklungsgeschichte der Goethe’schen Faustdichtung. In: Nord und Süd 3 (1877) 228–50. Biedermann 1879 = Gustav Woldemar v. Biedermann: Goethe-Forschungen. Frankfurt a. M. 1879. Biedermann 1899 = Gustav Woldemar v. Biedermann: Goethe-Forschungen. Anderweitige Folge. Frankfurt a. M. 1899. Bielschowsky 1909 = Albert Bielschowsky: Goethe. Sein Leben und seine Werke. In zwei Bänden. Bd 2. 17. Aufl. München 1909. Binder 1944 = Wolfgang Binder: Goethes Faust. Die Scene ,Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist‘. Gießen 1944.

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Binder 1968 = Wolfgang Binder: Goethes klassische Faust-Konzeption. [1968]. In: Aufsätze zu Goethes Faust I. Hsg. von Werner Keller. Darmstadt 1974, 106–50. Birkner = Das Leben und Sterben der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt. Nach den Prozeßakten der Kaiserlichen Freien Reichsstadt Frankfurt am Main, den sogenannten Criminalia 1771, dargestellt von Siegfried Birkner. Frankfurt a. M. 1973. Bischoff 1901 = Erich Bischoff: Erläuterungen zu Goethes Faust. Teil 1. Leipzig o. J. (= 1901). Bode = Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen. Zusammengestellt von Wilhelm Bode. Quellennachweis, Textrevision und Register: Regine Otto. Anmerkungen: Paul-Gerhard Wenzlaff. Bd 1: 1749–1793; Bd 2: 1794–1816; Bd. 3: 1817–1832. Berlin u. Weimar 1979. Boenigk 1914 = Otto v. Boenigk: Das Urbild von Goethes Gretchen. Greifswald 1914. Bogeng 1958 = Gustav Adolf Erich Bogeng: Erstdruck, Erstausgabe, Erstauflage. In: Börsenblatt 14 (1958), Nr. 94, 1505–13. Böhm 1949 = Wilhelm Böhm: Goethes Faust in neuer Deutung. Ein Kommentar für unsere Zeit. Köln 1949. Bohnenkamp = Anne Bohnenkamp: „… das Hauptgeschäft nicht außer Augen lassend“. Die Paralipomena zu Goethes Faust. Frankfurt a. M. u. Leipzig 1994. Boissere´e = Sulpiz Boissere´e. [Hsg. von Mathilde Boissere´e.] 2 Bde. [Bd 2: Briefwechsel mit Goethe.] Stuttgart 1862. Boissere´e – Weitz = Sulpiz Boissere´e.Tagebücher. Im Auftrag der Stadt Köln hsg. von Hans-J. Weitz. [Bd] I. 1808 – 1823. [Bd] II. 1823–1834. Darmstadt 1978 u. 1981. Borgards 2012 = Roland Borgards: Meer Tier Mensch. Anthropogenetisches Nicht-Wissen in Okens Entstehung des ersten Menschen und Goethes Faust II. In: Literatur und Nicht-Wissen. Historische Konstellationen 1730 – 1930. Hsg. Michael Bies und Michael Gamper. Zürich u. Berlin 2012, 149–67. Boyesen 1881 = Hjalmar Hjorth Boyesen: Kommentar zu Goethe’s Faust. Mit einem ausführlichen alphabetischen Wörterbuch von Erläuterungen. Leipzig o. J. (= 1881). Boyle 1981 = Nicholas Boyle: The Politics of Faust II: another look at the stratum of 1831. In: Publications of the English Goethe Society 52 (1981/82) 4–43. Br = Goethes Werke. Hsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 4. Abtheilung: Briefe. Bd 1–50. Weimar, Hermann Böhlau. 1887–1912; ergänzt durch: Nachträge und Register zur IV. Abteilung: Briefe. Hsg. von Paul Raabe. 3 Bde (= Br 51–53). München 1990; als Zitatgrundlage sukzessive ersetzt durch → GB Brandes 1922 = Georg Brandes: Goethe. 3. Aufl. Berlin 1922. Braun = Goethe im Urtheile seiner Zeitgenossen. Zeitungskritiken, Berichte, Notizen, Goethe und seine Werke betreffend, aus den Jahren 1773–1786 (1787–1801. 1802–1812), gesammelt und hsg. von Julius W. Braun. Eine Ergänzung zu allen Ausgaben von Goethes Werken. Berlin 1883–85. (= Schiller und Goethe im Urtheile ihrer Zeitgenossen ... Zweite Abtheilung: Goethe. Bd 1–3.) Nachdruck: Hildesheim 1969. Braunbehrens = J. F Reichardt – J. W. Goethe: Briefwechsel. Hsg. und kommentiert von Volkmar Braunbehrens u. a. Weimar 2002. Briefe an Tieck = Briefe an Ludwig Tieck. Erläutert u. hsg. von Karl v. Holtei. 4 Bde. Breslau 1864. Briefe aus dem Elternhaus = Johann Caspar Goethe, Cornelia Goethe, Catharina Elisabeth Goethe. Briefe aus dem Elternhaus. Hsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli. Zürich 1960. Bronner 1891 = Ferdinand Bronner: Zu Goethes Faust. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 23 (1891) 290–92. Brüggen – Sudhof = Friedrich Heinrich Jacobi. Briefwechsel. Gesamtausgabe. Hsg. von Michael Brüggen u. Siegfried Sudhof. Stuttgart – Bad Cannstatt 1981 flg.

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Bruinier 1898 = Johannes Weygardus Bruinier: Der ursprüngliche Plan von Goethe’s Faust und seine Geschichte. In: Allgemeine Zeitung 1898. Beilage 136 u. 137. Buchwald 1955 = Reinhard Buchwald: Führer durch Goethes Faustdichtung. Erklärung des Werkes und Geschichte seiner Entstehung. 4., neubearb Aufl. Stuttgart 1955. Bulling = Goethe als Erneuerer und Benutzer der jenaischen Bibliotheken. Von Karl Bulling. Gedenkgabe der Universitätsbibliothek Jena zu Goethes 100. Todestag. Jena 1932. (Claves Jenenses. Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Jena. Hsg. von Theodor Lockemann. H. 2.) [Reprint Leipzig 1982; zusammengeb. mit Keudell]. Burdach: Faust und Moses = Konrad Burdach: Faust und Moses. In: Sitzungsberichte d. Königlich Preuß. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1912, 358–403, 627–59, 736–89. Burdach 1926 = Konrad Burdach: Die Disputationsszene und die Grundidee in Goethes Faust. In: Euphorion 27 (1926) 1–69. Burdach 1932 = Konrad Burdach: Das religiöse Problem in Goethes Faust. In: Euphorion 33 (1932) 3–83. Burger 1942 = Heinz Otto Burger: Motiv, Konzeption, Idee – das Kräftespiel in der Entwicklung von Goethes Faust. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literatur und Geistesgeschichte 20 (1942) 17–64. Burkhardt I = Das Repertoite des Weimarischen Theaters unter Goethes Leitung 1791–1817. Bearbeitet und hsg. von C. A. H. Burckhardt. Hamburg u. Leipzig 1891 (Theatergeschichtliche Forschungen. Hsg. von Berthold Litzmann. I. ) Burkhardt II = C. A. H. Burkhardt: Zur Kenntniß der Goethe-Handschriften. II. Chronologisches Verzeichniß der Dictat-Arbeiten und Reinschriften. Wien 1899. (Beilage zum XIV. Bande der Chronik des Wiener Goethe-Vereins. Nr. 7.8.) Burkhardt III = Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller. Hsg. von C. A. H. Burkhardt. 3. Verm. und verb. Auflage. Stuttgart u. Berlin [1904]. (Cotta’sche Handbibliothek. [Nr. 85].) Burwick 2007 = Faustus. From the German of Goethe. Translated by Samuel Taylor Coleridge. Edited by Frederick Burwick and James C. McKusick. Oxford 2007. C1 = Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien. [Taschenausgabe.] 60 Bde und Registerbd. Stuttgart u. Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1827–42. [Bd 1–40: 1827–30. Bd 41–55: 1832–34. Registerbd: 1835. Bd 56–60: 1842. – Bd 41–60 unter dem Haupttitel: Nachgelassene Werke.] C3 = Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. [Parallelausgabe zu C1 in Oktavformat.] Bd 1–40: 1827–30. Bd 41–55: 1833–34. Registerbd wie bei C1. Bd 56–60: 1842. – Bd 41–60 unter dem Haupttitel: Nachgelassene Werke. Caroline = Caroline. Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hsg. von Erich Schmidt. Bd 1.2. Leipzig 1913. CG = Corpus der Goethezeichnungen. Hsg. von Gerhard Femmel u. a. Bd. I–VII (in zehn). Leipzig 1958–73 (2. Aufl. München 1972–81). Charl. Schiller-Knebel = Briefe von Schillers Gattin an einen vertrauten Freund. Hsg. v. Heinrich Düntzer. Leipzig 1856. Charlotte Schiller = Charlotte Schiller und ihre Freunde. [Hsg. von L. Urlichs.] Bd 1–3. Stuttgart 1860–65. ChronWGV = Chronik des Wiener Goethe-Vereins. Bd 1–63. Wien 1886–1959. Cle´ry = Fre´de´ric Soret. Conversation avec Goethe. Documents pre´sente´s par A. Robinet de Cle´ry. Edition originale. Paris 1932. Collin 1896 = Joseph Collin: Goethes Faust in seiner ältesten Gestalt. Untersuchungen. Frankfurt a. M. 1896.

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Collin 1920 = Joseph Collin: Zur Mummenschanz-Szene in Goethes Faust. In: Aufsätze zur Sprach- und Literaturgeschichte. Fs. für W. Braune. Dortmund 1920, 360–400 Cramer 1843 = Salomo Cramer: Zur Klassischen Walpurgisnacht im zweiten Theile des Goethe’schen Faust. Zürich 1843. Creizenach 1881 = Wilhelm Creizenach: Die Bühnengeschichte des Goethe’schen Faust. Frankfurt a. M. o. J. (= 1881). Creizenach 1887 = Wilhelm Creizenach: Wilhelm Scherer über die Entstehungsgeschichte von Goethes Faust. Ein Beitrag zur Geschichte des literarischen Humbugs. In: Grenzboten 46,2 (1887) 624–36. D = Druckangaben, am Kopf der einzelnen Artikel. D1 = Faust. Eine Tragödie. von Goethe. Tübingen. in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1808. D2 = Faust. Eine Tragödie von Goethe. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1816. Daunicht = Richard Daunicht: Lessing im Gespräch. Berichte und Urteile von Freunden und Zeitgenossen. München 1971. Daur 1950 = Albert Daur: Faust und der Teufel. Eine Darstellung nach Goethes dichterischem Wort. Heidelberg 1950. Delp 1942 = Wilhelmina G. Delp: The earth spirit in Faust. In: Modern Language Review 37 (1942) 193–97. Denecke 1911 = Arthur Denecke: Goethe und Plautus. In: Literarisches Echo 14 (1911/12) 1034–40. Deneke 1909 = Otto Deneke: Goethes Schriften bei Göschen 1787–1790. Göttingen 1909. Deutsche Revue = Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart. Hsg. von Richard Fleischer. Breslau 1875 flg. [In Jg. XI (1886) 1. 2. 4. Quartal und Jg. XII (1887) 1. 3. 4. Quartal: Aus den Tagebüchern Riemers, des vertrauten Freundes von Goethe. Mitgeteilt von Robert Keil.] Deycks 1855 = Ferdinand Deycks: Goethe’s Faust. Andeutungen über Sinn und Zusammenhang des 1. und 2. Theils der Tragödie. 2., stark verm. u. verb. Ausgabe. Frankfurt a. M. 1855. Düntzer 1854; 1857; 1905 = Heinrich Düntzer: Goethe’s Faust. Erster und zweiter Theil. Zum erstenmal vollständig erläutert. 2. wohlfeile Ausgabe. Leipzig 1854; 2., vermehrte u. verbesserte Auflage. Leipzig 1857; 7. Auflage. Leipzig o. J. (=1905). Düntzer 1859 = Goethes Faust. Erl. von Heinrich Düntzer. Jena 1859 (Erläuterungen zu den deutschen Klassikern. Abt. 1, Bd 12). Düntzer 1861 = Heinrich Düntzer: Würdigung des goetheschen Faust, seiner neuesten Kritiker und Erklärer. Leipzig 1861. Düntzer 1880 = Heinrich Düntzer: Die vorgeblich erste, prosaische Fassung von Goethes Faust. In: Schnorrs Archiv 9 (1880) 529–51. Düntzer 1882 = Goethe: Faust. Hsg. von Heinrich Düntzer. Stuttgart 1882. Düntzer 1885 = Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Von Johann Peter Eckermann. Sechste Auflage. Mit einleitender Abhandlung und Anmerkungen von Heinrich Düntzer. 3 Theile. Leipzig 1885. Düntzer 1888 = Heinrich Düntzer: Der Fund der ältesten Faustscenen. In: Die Gegenwart 33,11 (1888) 166–69 Düntzer 1891 = Heinrich Düntzer: Zur Goetheforschung. Neue Beiträge. Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien 1891. Düntzer 1901 = Heinrich Düntzer: Der böse Geist hinter Gretchen in der Domscene des ersten Teiles des Faust. In: Zeitschrift für deutschen Unterricht 15 (1901) 386–90.

XVI

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Düsel 1894 = Friedrich Düsel: Die Kerkerscene in Goethes Faust. In: Zeitschrift für deutsche Sprache 7 (1894) 408–15, 457–65; 8 (1895) 75–77. DuW = Dichtung und Wahrheit. E = Kurzangaben über Entstehungszeit, am Kopf der einzelnen Artikel Ebering 1934 = Goethe’s Faust. Hsg. u. erl. von Emil Ebering. Berlin 1934. ED = Erstdruck. egh = eigenhändig. EGW = Mommsen: Die Entstehung von Goethes Werken in Dokumenten. Bd 1flg. Berlin 1958 flg. Eibl 2000 = Karl Eibl: Das monumentale Ich. Wege zu Goethes Faust. Frankfurt u. Leipzig 2000. Einem – Pohrt = Römische Briefe an Johann Pohrt. 1793–1798. Hsg. von Herbert v. Einem. Berlin 1944. Enders 1905 = Carl Enders: Die Katastrophe in Goethes Faust. Dortmund 1905. Endres 1949 = Goethe: Faust. Eine Tragödie. Erl. von Franz Carl Endres. Basel o. J. (= 1949). Engel 1910 = Eduard Engel: Goethe. Der Mann und das Werk. Mit 12 Handschriften. 9. Aufl. Berlin 1910. Enslin = Adolph Enslin: Die ersten Theateraufführungen des Goethe`schen Faust. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters. Berlin u. Altenburg 1880. Entl. = Bibliotheksentleihung. E. Schmidt 1887 = W 14. Weimar 1887. E. Schmidt 1894; 1915 = Goethes Faust in ursprünglicher Gestalt nach der Göchhausenschen Abschrift hsg. von Erich Schmidt. 3. Abdr. Weimar 1894; 8. Abdr. Weimar 1915. E. Schmidt 1902 = Goethes Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe. Bd 14: Faust II. Mit Einleitungen und Anmerkungen von Erich Schmidt. Stuttgart u. Berlin 1902. E. Schmidt 1903 = Goethes Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe. Bd. 13: Faust I. Mit Einleitung und Anmerkungen von Erich Schmidt. Stuttgart u. Berlin o. J. (= 1903) Ex. = Exemplar. FA = J. W. Goethe. Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. [Frankfurter Ausgabe]. Hsg. von Friedmar Apel u. a. 40 Bde. in 2. Abt. Frankfurt a. M. 1985–99. [Bd 40: das Register zum Gesamtwerk. 2 Teilbde. Hsg. von Christoph Michel. Frankfurt a. M. 2013] Faber du Faur 1949 = Curt von Faber du Faur: Der Erstdruck des Faustfragments. In: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur XLI (1949) 1–18. Fairley 1947 = Barker Fairley: A study of Goethe. Oxford 1947. FBA = Frankfurter Brentano-Ausgabe: Clemens Brentano. Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Veranstaltet von Freien Deutschen Hochstift. Hsg. von Jürgen Behrens u. a. Stuttgart 1975 flg. Fambach = Goethe und seiner Kritiker. Die wesentlichern Rezensionen aus der periodischen Literatur seiner Zeit, begleitet von Goethes eigenen und seiner Freunde Äußerungen zu deren Gehalt. In Einzeldarstellungen, mit einem Anhang: Bibliographie der Goethe-Kritik bis zu Goethes Tod. Von Oscar Fambach. Düsseldorf 1953 (Berlin 1955). FDH = Freies Deutsches Hochstift. Frankfurt a. M. Fehling – Schiller = Briefe an Cotta. Hsg. von Maria Fehling. 3 Bde. Stuttgart u. a. 1925–34. Feilchenfeldt – Schweikert – Steiner = Rahel Varnhagen. Gesammelte Werke. Hsg. von Konrad Feilchenfeldt, Uwe Schweikert u. Rahel E. Steiner. München 1983. Femmel 1980 = Goethes Graphiksammlung. Die Franzosen. Katalog und Zeugnisse. Bearb. von Gerhard Femmel. Leipzig 1980.

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XVII

Fester 1933 = Richard Fester: Eros in Goethes Faust. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Jg. 1933. Heft 8. München 1933. FGM = Frankfurter Goethe-Museum Flaischlen 1921 = Cäsar Flaischlen: Der König in Thule. In: Preußische Jahrbücher 183 (1921) 14–20. Fichte GA = Johann Gottlieb Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hsg. von Reinhard Lauth. 42 Bde. Stuttgart. Bad Cannstatt 1962–2012. Finke = Briefe an Friedrich Schlegel. Hsg. von Heinrich Finke. Köln 1917. Fischer 1877 = Kuno Fischer: Goethe’s Faust. Über Entstehung und Composition des Faust. In: Deutsche Rundschau 13 (1877) 54–98, 251–85. Fischer 1899 = Kuno Fischer: Über die Einheit des Goetheschen Faust. In: Die Woche 3 (1899) 1173–74. Fischer 1902 = Kuno Fischer: Goethes Szenologie im Faust. In: Nord und Süd 101 (1902) 22–31. Fischer 1913 = Goethes Faust. Hsg. von Victor Michels. 4 Bde. Bd 2: Kuno Fischer: Entstehung, Idee und Komposition des Goetheschen Faust. 7. Aufl. Heidelberg o. J. (= 1913). Fischer-Lamberg 1955 = Renate Fischer–Lamberg: Untersuchungen zur Chronologie von Faust II 2 und 3. Diss. (Masch.) Berlin 1955. Fischer-Lamberg 1957 = Hanna Fischer-Lamberg: Zur Datierung der ältesten Szenen des Urfaust. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 76 (1957) 379–406. F. J. Schneider 1949 = Ferdinand Josef Schneider: Goethes Satyros und der Urfaust. Halle 1949. Floeck = Briefe des Dichters Friedrich Ludwig Zacharias Werner. Mit einer Einführung hsg. von Oswald Floeck. 2 Bde. München 1914. Frederking 1911 = Arthur Frederking: Mephistos Monolog und die beiden Wetten in Goethes Faust. In: Zeitschrift für deutschen Unterricht 25 (1911) 525–38. Friedrich 1932 = Goethes Faust. Mit einem Faust-Wörterbuch. Erl. von Theodor Friedrich. Leipzig 1932. Friedrich 1963 = Theodor Friedrich: Goethes Faust erläutert. Neu durchges. u. mit einer Faustbibliographie von Siegried Scheibe. 4. Aufl. Leipzig 1963. Froitzheim 1889 = Johann Froitzheim: Goethe und Heinrich Leopold Wagner. Ein Wort der Kritik an unsere Goethe-Forscher. Straßburg 1889. Frommann = Das Frommannsche Haus und seine Freunde. Von F. J. Frommann. 2., verm. Aufl. Jena 1872. Fuerst 1950 = Norbert Fuerst: The Pentalogy of Goethe’s Faust. In: Goethe. Bicentennial Studies by Members oft he Faculty of Indiana University. Edited by H. J. Meeson Bloomington. Indiana 1950, 237–325. Fuhrmans = Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Briefe und Dokumente. Hsg. von Horst Fuhrmans. 3 Bde. Bonn 1962–75. Fuhrmans – Lohrer = Schelling und Cotta. Briefwechsel 1803–1849. Hsg. v. Horst Fuhrmans u. Liselotte Lohrer. Stuttgart 1965. Furst 1897 = Clyde B. Furst: The Walpurgisnacht in the Chronology of Goethe’s Faust. In: Modern Language Review 12 (1897) 164–70. G = Johann Wolfgang (v.) Goethe. GA = Johann Wolfgang Goethe Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. 24 Bde. Nebst 3 Erg.-Bde. Hsg. von Ernst Beutler. Zürich u. Stuttgart 1948–71.

XVIII

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Gaier 1984 = Ulrich Gaier: Nachwirkungen Oetingers in G`s Faust. In: Pietismus und Neuzeit 10 (1984) 90–123. Gaier 1989 = Ulrich Gaier: Goethes Faust-Dichtungen. Ein Kommentar. Bd. 1: Urfaust. Stuttgart 1989. Gaier 1999 = Goethe: Faust-Dichtungen. Bd. 2: Kommentar I. Von Ulrich Gaier. Stuttgart 1999. Gaier 2002 = Ulrich Gaier: Kommentar zu Goethes Faust. Stuttgart 2002. Gaier 2012 = Ulrich Gaier: Lesarten von Goethes Faust. Eggingen 2012. GB = Johann Wolfgang Goethe – Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar hsg. von Georg Kurscheidt, Norbert Oellers u. Elke Richter. Berlin 2008 flg. G – Cotta = Goethe und Cotta. Briefwechsel 1797–1832. Textkritische und kommentierte Ausgabe in drei Bänden [in 4]. Hsg. von Dorothea Kuhn. Stuttgart 1979–83. gD = unter gleichem Datum. Gelzer 1983 = Thomas Gelzer: Aristophanes in der Klassischen Walpurgisnacht. In: J. W. Goethe – Fünf Studien zum Werk. Hsg. von Anselm Maler. Frankfurt a. M., Bern, New York 1983, 50–84. Genton = Goethes Straßburger Promotion. Zum 200. Jahrestag der Disputation am 6. August 1771. Urkunden und Kommentare. Hsg. von Elisabeth Genton. Basel 1971. Gerber = Adolf Gerber: Additonal remarks on the evolution of the Classical Walpurgis-Night and the scene in Hades. In: Americana Germanica 3 (1899/1900) 212–18. Gerlach – Sternke = Karl August Böttiger. Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche in Klassischen Weimar. Hsg. von Klaus Gerlach und Rene´ Sternke. 3. Aufl. Berlin 1998. GG = Goethes Gespräche. Eine Sammlung … auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann ergänzt und hsg. von Wolfgang Herwig. Bd 1–5 (in 6). Zürich u. Stuttgart (Bd 1–3), Zürich u. München (Bd 4–5) 1965–87. G – Göttling = Briefwechsel zwischen Goethe und K. Göttling in den Jahre 1824–1831. Hsg. u. m. e. Vorwort begleitet von Kuno Fischer. Zweite Ausg. Heidelberg 1889. GHb = Goethe-Handbuch. Hsg. von Julius Zeitler. 3 Bde. Stuttgart 1916–18. G – Humboldt = Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt. Hsg. von Ludwig Geiger. Berlin 1909. Gilbert 1895 = Walther Gilbert: Kritische Erörterungen zu Goethes Faust. In: Neue Jahrbücher für Philosophie und Pädagogik 152 (1895) 27–54. G – Jacobi = Briefwechsel zwischen Goethe und Friedrich Heinrich Jacobi. Hsg. von Max Jacobi. Leipzig 1846. GJb = Goethe-Jahrbuch. Weimar 1880 flg. [Generalsigle mit durchgehender Jahreszählung anstelle der bisherigen Siglierung und Zählung nach Serien. Umfaßt folgende Serien: 1. GoetheJahrbuch. Hsg. von Ludwig Geiger. Bd 1–34 und 3 Registerbde. Frankfurt a.M. 1880–1913. 2. Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft. Im Auftrage des Vorstandes hsg. von Hans Gerhard Gräf (Bd 10 flg. von Max Hecker). Bd 1–21 und 1 Registerbd. Weimar 1914–35. 1936. 3. Goethe. Vierteljahresschrift (Bd 3 flg. Viermonatsschrift) der Goethe-Gesellschaft. Neue Folge des Jahrbuchs. Unter Mitw. von … hsg. von Hans Wahl. (Bd 10 flg. Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft. Im Auftrage des Vorstands hsg. von Hans Wahl; Bd 11 von Hans Wahl und Andreas B. Wachsmuth; Bd 12 flg. von Andreas B. Wachsmuth.) Bd 1–9. Weimar 1936–44. 4. Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft. Bd 10–30. Weimar 1947–1968. 5. Goethe-Jahrbuch (Zählung nach der Gesamtfolge). Weimar 1969 flg.] G – Knebel = Briefwechsel zwischen Goethe und [Carl Ludwig von] Knebel 1774–1832. [Hsg. von Gottschalk Eduard Guhrauer.] Bd 1. 2. Leipzig 1851. GMD = Goethe-Museum Düsseldorf.

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XIX

G. Müller 1933 = Günther Müller: Die organische Seele im Faust I. In: Euphorion 34 (1933) 153–94. G. Müller 1955 = Günther Müller: Kleine Goethebiographie. 3., stark überarb. Auflage. Bonn 1955. GNM= Goethe Nationalmuseum. Weimar Gollwitzer 1968 = Gerhard Gollwitzer: Die Geisterwelt ist nicht verschlossen. Swedenborgs Schau in Goethes Faust. Stuttgart 1968. Götting = Franz Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater. In: Nassauische Annalen. Wiesbaden 64 (1953) 23–69. Gräf II = Goethe über seine Dichtungen … von Hans Gerhard Gräf. Zweiter Theil: Die dramatischen Dichtungen. Bd 1–4. Frankfurt a.M. 1903–1908 [Reprint Darmstadt 1967]. Graffunder 1891 = P. Graffunder: Der Erdgeist und Mephistopheles in Goethes Faust. In: Preußische Jahrbücher 68 (1891) H. 5, 700–25. Gramsch 1949 = Alfred Gramsch: Goethes Faust. Einführung und Deutung. Braunschweig, Berlin, Hamburg 1949. Grave = Johannes Grave: Der „ideale Kunstkörper“. Johann Wolfgang Goethe als Sammler von Druckgraphiken und Zeichnungen. Göttingen 2006. G – Reinhard = Goethe und [Carl Friedrich Graf] Reinhard: Briefwechsel in den Jahren 1807–1832. Mit einer Vorrede des Kanzlers Friedrich von Müller. Wiesbaden 1957. Grenzboten = Die Grenzboten. (ab 1871 mit dem Untertitel) Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst. Hsg. von Gustav Freytag (ab 1851 u. ab 1867), Julian Schmidt (bis 1861) u. a. Leipzig 1842–1922. G – Rochlitz = Goethe Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz. Hsg. von Woldemar Frhr. v. Biedermann. Leipzig 1887. GSA = Goethe- und Schiller-Archiv. Weimar. G – Schultz = Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrath [Christoph Friedrich Ludwig] Schultz. Hsg. u. eingel. von Heinrich Düntzer. Neue Ausgabe. Leipzig 1856. GT = Johann Wolfgang Goethe. Tagebücher. Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik hsg. von Jochen Golz unter Mitarbeit von Wolfgang Albrecht, Andreas Döhler u. Edith Zehm. Stuttgart. Weimar 1998 flg. Grosche = Stefan Grosche: „Zarten Seelen ist gar viel gegönnt“. Naturwissenschaft und Kunst im Briefwechsel zwischen C. G. Carus und Goethe. Mit Beiträgen von Jutta Müller-Tamm. Göttingen 2001. Gwinner 1892 = Wilhelm Gwinner: Goethes Faustidee. Nach der ursprünglichen Conception aufgedeckt und nachgewiesen. Frankfurt a. M. 1892. H = Handschrift (im krit. Apparat; sonst: Hs./Hss.). HAAB = Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar. HA – BaG = Briefe an Goethe. Hamburger Ausgabe. Hsg. von Karl Robert Mandelkow. Bd 1–2. [3. Aufl.] Hamburg 1988. Habersaat = Sigrid Habersaat: Verteidigung der Aufklärung. Friedrich Nicolai in religiösen und politischen Debatten. Teil 2: Editionsband. Friedrich Nicolai (1733–1811) in Korrespondenz mit Johann Georg Zimmermann (1728–1795) und Christian Friedrich von Blanckenburg (1744–1796). Edition und Kommentar. Würzburg 2001. Hagen = Die Drucke von Goethes Werken. Bearb. von Waltraud Hagen. 2., durchges. Aufl. Berlin 1983. Hagen 1956 = Waltraut Hagen: Die Drucke von Goethes Faustfragment 1790. In: Gedenkschrift für Ferdinand Josef Schneider (1879–1954). Hsg. von Karl Bischoff. Weimar 1956, 222–40.

XX

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Harnack 1888 = Otto Harnack: Über die Entstehung des Faust. In: Nordische Rundschau 7 (1888) 343–55. Harnack 1891 = Otto Harnack: Beiträge zur Chronologie der Faustparalipomena. In: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 4 (1891) 169–73. Harnack 1902 = Goethes Werke. Unter Mitwirkung mehrerer Fachgelehrter hsg. von Karl Heinemann. Bd. 5: Faust. Paralipomena zu Faust. Bearb. von Otto Harnack. Leipzig o. J. (= 1902). Hatfield 1901 = James Taft Hatfield: A Note on the Prison-Scene in Goethe’s Faust. In: Publications oft he Modern Language Association 16 (1901) 117–22. Haubold = Arndt Haubold: Karl Friedrich Göschel (1784–1861). Ein sächsisch-preußisches Lebensbild des Literaten, Juristen, Philosophen, Theologen zwischen Goethezeit und Bismarckära. Bielefeld 1989. Hauri 1910 = Johannes Hauri: Goethes Faust. Fünfzehn Vorträge. Berlin-Zehlendorf 1910. Hederich 1770 = Benjamin Hederich: Gründliches mythologisches Lexicon … Leipzig 1770. Hefele 1946 = Hermann Hefele: Goethes Faust. 3. Aufl. Stuttgart 1946. Heffner 1954 = Roe-Merrill Secrist Heffner, Helmut Rehder, William F. Twaddell: Goethe’s Faust Introduction Part 1: Text and Notes. Boston 1954. Heimann 1926 = Boris Heimann: Die Erdgeistszene im Urfaust als lyrisches Monodrama. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 14 (1926) 110–26. Heitmu ˝ ller = Aus dem Goethehause. Briefe Friedr. Wilh. Riemers an die Familie Frommann i. Jena. (1803–1824.) Nach den Originalen hsg. von Ferdinand Heitmu ˝ller. Stuttgart 1892. Henkel 1879 = Hermann Henkel: Zu den Terzinen im zweiten Theil von Goethes Faust. In: Archiv für Litteraturgeschichte 8 (1879) 164–66. Henning = Faust-Bibliographie. Bearbeitet von Hans Henning. III Teile in 5 Bden. Berlin u. Weimar 1966–1976. Henning 1983 = Hans Henning: Goethes Shakespeare-Rezeption, namentlich im Faust. In: Shakespeare Jahrbuch 119 (1983) 49–65. Herder Briefe = Johann Gottfried Herder: Briefe. Gesamtausgabe. 1763–1803. Bearb. von Wilhelm Dobbek und Günter Arnold. Bd 1–9. Weimar 1977–88; Bd 10: Register; Bd 11: Kommentar zu Bd 1–3; Bd 12: Kommentar zu Bd 4–5. 2005. Hering 1952 = Robert Hering: Wilhelm Meister und Faust und ihre Gestaltung im Zeichen der Gottesidee. Frankfurt a. M. 1952. Herwig 2004 = Malte Herwig: Intertextuelle Irrlichter. Das Meeresleuchten in der Klassischen Walpurgisnacht. In: Oxford German Studies 33 (2004) 71–93. Hertz 1915 = Gottfried Wilhelm Herz: Der Schluß der ,Klassischen Walpurgisnacht‘. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 7 (1915) H. 6, 281–300. Hertz 1930 = Gottfried Wilhelm Hertz: Zu Goethes römischen Faustplan. In: Euphorion 31 (1930) 383–427. Hertz 1931 = Gottfried Wilhelm Hertz: Natur und Geist in Goethes Faust. Frankfurt a. M. 1931. Hertz 1932 = Gottfried Wilhelm Hertz: Zur Entstehungsgeschichte von Faust II, Akt 5. In: Euphorion 33 (1932) 244–77. Heuer 1932 = Otto Heuer: Das Werden der Faustdichtung. Neue Forschungen. Recklinghausen o. J. (= 1932) Heuermann = Goethe in meinem Leben: Erinnerungen und Betrachtungen von Bernhard Rudolf Abeken. Nebst weiteren Mitteilungen über Goethe, Schiller, Wieland und ihre Zeit aus Abekens Nachlaß hsg. von Adolf Heuermann. Weimar 1904. Heuser = Therese Huber: Briefe. Hsg. von Magdalene Heuser. Tübingen 1999 flg.

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XXI

Hirzel = Salomon Hirzel: Neues Verzeichniß einer Goethe-Bibliothek. Leipzig 1862. Hist. krit. Faust = Faust. Historisch-kritische Edition. Hsg. v. Anne Bohnenkamp, Silke Henke u. Fotis Jannidis unter Mitarbeit von Gerrit Brüning, Katrin Henzel, Christoph Leijser, Gregor Middell, Dietmar Pravida, Thorsten Vitt u. Moritz Wissenbach. Frankfurt a. Main, Weimar, Würzburg 2016. [Beta 2 Version der Online-Ausgabe] Hoffmann 1889 = Paul Hoffmann: Das Flohlied in Goethes Faust. In: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 2 (1889) 160. Hoffmeister = Briefe von und an Hegel. 4 Bde. Hsg. von Johannes Hoffmeister und Friedhelm Nicolin. 3. Aufl. Hamburg 1969–81. Hohlfeld 1920 = Alexander Rudolf Hohlfeld: Pact and Wager in Goethe’s Faust. In: Modern Philology 18 (1920/21) 513–36. H. Schneider 1929 = Hermann Schneider: Zwei kleine Studien zum Faustvers. In: Lore Gminder: Der einsilbige Takt in der neuhochdeutschen Dichtung. Stuttgart 1929, 113–24. H. Schneider 1949 = Hermann Schneider: Urfaust? Eine Studie. Tübingen 1949. Hs./Hss./hs = Handschrift(en) / handschriftlich. Huther 1887 = August Huther: Die verschiedenen Pläne im ersten Theile von Goethes Faust. Über die Entstehung und Composition des Gedichtes. Ein Versuch. Cottbus 1887. Huther 1889 = August Huther: Herder im Faust. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 21 (1889) 329–35. H. v. Müller 1941 = Hans von Müller: Der erste Druck von Goethes Faustfragment. Die Geschichte eines Problems in den Jahren 1862–1932. In: Zentralblatt für Buchwesen 58 (1941) 46–50. Inv.-Nr. = Inventar-Nummer. Ital. Reise = Goethe: Italienische Reise. I. – III. Teil. JA = Goethes Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 40 Bänden. In Verbindung mit ... hsg. von Eduard von der Hellen u. a. Stuttgart u. Berlin 1902–12. Jacoby 1911 = Günther Jacoby: Herder als Faust. Eine Untersuchung. Leipzig 1911. Jaeger 1949 = Hans Jaeger: The Wald und Höhle Monologue in Faust. In: Monatshefte 41 (1949) 395–404. Jaeger 2014 = Michael Jaeger: Wanderers Verstummen, Goethes Schweigen, Fausts Tragödie Oder: Die große Transformation der Welt. Würzburg 2014. JALZ = Jenaische Allgemeine Litteratur-Zeitung. Hsg. von H. C. A. Eichstädt. Jena 1804–32; s. auch ALZ. Jasinki = Madame de Stae¨l. Correspondance ge´ne´rale. Text ´etabliet pre´sente´ par Be´atrice W. Jasinki. Paris 1960 flg. JbFDH = Jahrbuch des Freien deutschen Hochstifts. JbSK = Jahrbuch der Sammlung Kippenberg. [Hsg. von Anton Kippenberg.] Bd 1–10. Leipzig 1921–35 [Neue Folge, 4 Bde: 1963, 1970, 1974, 1983]. JbWGV = Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins. Bd. 64–103. Wien 1960–1999. Jensen 1965 = Inge Jensen: Zu acht Versen aus dem Walpurgisnachtstraum: Entstehung und Datierung. In: I. J., Waltraud Hagen, Helmut Praschek u. Siegfried Scheibe: Goethe-Studien. Berlin 1965, 63–78. Jensen 1968 = Inge Jensen: Zum Chor der Gärtnerinnen in der Mummenschanz-Szene von Faust II. In: Studien zur Goethezeit. Festschrift für Lieselotte Blumenthal. Hsg. von Helmut Holtzhauer und Bernhard Zeller. Weimar 1968, 165–77. JG2 = Der junge Goethe. Neue Ausgabe in 6 Bdn besorgt durch Max Morris. Leipzig 1909–12.

XXII

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JG3 = Der junge Goethe. Neu bearbeitete Ausgabe. Hsg. von Hanna Fischer-Lamberg. Bd 1–5. Berlin 1963–73. Registerband. Bearb. von Hanna Fischer-Lamberg und Renate Grumach. Berlin 1974. J. Müller 1969 = Joachim Müller: Prolog und Epilog zu Goethes Faustdichtung. [1969]. In: Aufsätze zu Goethes Faust I. Hsg. von Werner Keller. Darmstadt 1974, 215–46. Joos 1947 = Martin Joos: Just how dusty was the Urfaust. In: Monatshefte für den deutschen Unterricht 39 (1947) 277–84. Jostes 1896 = Friedrich Jostes: Die Einführung des Mephistopheles in Goethes Faust. In: Euphorion 3 (1896) 390–407; 739–58. J. Schmidt 1877 = Julian Schmidt: Goethes Faust. Ein Versuch. In: Preußische Jahrbücher 39 (1877) 360–97. J. Schmidt 1884 = Julian Schmidt: Wieder einmal der Faust. In: Preußische Jahrbücher 53 (1884) 551–65. J. Schmidt 1999 = Jochen Schmidt: Goethes Faust, erster und zweiter Teil. Grundlagen. Werk. Wirkung. München 1999. KA = Ueber Kunst und Alterthum. Von Goethe. Bd 1–6. Stuttgart, in der Cotta’schen Buchhandlung. 1816–32. Kanz = Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck. Briefwechsel mit Johann Wolfgang von Goethe nebst ergänzenden Schreiben. Bearb. von Kai Torsten Kanz. Halle 2003. Karsten 1896 = Gustav E. Karsten: Fauststudien. In: Philologische Studien. Festgabe für Eduard Sievers. Halle 1896, 294–313. Kasten = Goethes Bremer Freund Dr. Nicolaus Meyer. Briefwechsel mit Goethe und dem Weimarer Kreise. Im Auftrage des Goethe- u. Schiller- Archivs hsg. von Hans Kasten. Bremen 1926. Kehrli = Jakob Otto Kehrli: Die Lithographien von Goethes Faust von Euge`ne Delacroix, Bern 1949. Keudell = Goethe als Benutzer der Weimarer Bibliothek. Ein Verzeichnis der von ihm entliehenen Werke. Bearb. von Elise von Keudell. Hsg. mit einem Vorwort von Werner Deetjen. Weimar 1931 [Nachdruck Leipzig 1982; beigebunden: Karl Bulling: Goethe als Erneuerer und Benutzer der jenaischen Bibliotheken. Jena 1932]. KFSA = Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hsg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von JeanJacques Anstett und Hans Eichner. Paderborn u. a. 1958 flg. Kletke = Kunst und Leben. Aus Friedrich Förster’s Nachlaß. Hsg. von Hermann Kletke. Berlin 1873. Knebel – Henriette = Aus Karl Ludwig von Knebels Briefwechsel mit seiner Schwester Henriette (1774–1813). Ein Beitrag zur deutschen Hof- und Litteraturgeschichte. Hsg. von Heinrich Düntzer. Jena 1858. Knebels Nachlaß II = Zur deutschen Literatur und Geschichte. Ungedruckte Briefe aus Knebels Nachlaß. Hsg. von Heinrich Düntzer. 2 Bde. Nürnberg 1858. Koch 1895 = Max Koch: Zur Entstehungszeit zweier Faustmonologe. In: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte 8 (1895) 125–31. Koch 1897 = Max Koch: Neue Goethe- und Schiller-Literatur. In: Berichte des freien deutschen Hochstifts 13 (1897) 179f. Kögel 1888 = Rudolf Kögel: Kleinigkeiten zu Goethe. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte 1 (1888) 52–64. Kögel 1889 = Rudolf Kögel: Der vorweimarische Faust. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte 2 (1889) 545–62.

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XXIII

Körner – Wieneke = August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hsg. von Josef Körner und Ernst Wieneke. Leipzig 1926. Köster = Die Briefe der Frau Rath Goethe. Gesammelt u. hsg. von Albert Köster. 2 Bde. 4. Aufl. Leipzig 1908. Köster 1894 = Albert Köster: [Rez.] Hermann Baumgart: Goethes Faust als einheitliche Dichtung erläutert. Königsberg 1893. In: Anzeiger für deutsches Altertum 20 (1894) 167–74. Köster 1924 = Albert Köster: Faust, eine Weltdichtung. München 1924. Köstlin 1860 = Karl Köstlin: Goethes Faust, seine Kritiker und Ausleger. Tübingen 1860. Kreyßig 1866 = Friedrich Kreyßig: Vorlesungen über Goethe’s Faust. Berlin 1866. Krogmann 1929 = Willy Krogmann: Zum Ursprung der Gretchentragödie. In: Germanischromanische Monatsschrift 17 (1929) 193–204. Krogmann 1932a = Willy Krogmann: Goethes Ballade Es war ein König in Thule. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 87 (1932) 161–66. Krogmann 1932b = Willy Krogmann: Zur zeitlichen Bestimmung der Faust-Konzeption. In: Neophilologische Mitteilungen 33 (1932) 121–30. Krogmann 1933 = Willy Krogmann: Goethes Urfaust. Berlin 1933. Krumpelmann 1926 = John T. Krumpelmann: Goethe’s Faust. In: Modern Languages Notes 41 (1926) 107–14. Kühnemann 1930 = Eugen Kühnemann: Goethe. Bd 1. Leipzig 1930. KWN = Klassische Walpurgisnacht LA= Goethe. Die Schriften zur Naturwissenschaft. Vollständige mit Erläuterungen versehene Ausgabe im Auftrage der Deutschen Akademie der Naturforscher (Leopoldina), begr. v. K. Lothar Wolf u. Wilhelm Troll, hsg. von Dorothea Kuhn u. Wolf von Engelhardt. Weimar 1947 flg. Landeck = Ulrich Landeck: Der fünfte Akt von Goethes Faust II. Kommentierte kritische Ausgabe. Zürich u. München 1981. Latham 1912 = Albert G. Latham: Goethes Faust. Parts I and II. Bd. 2. London 1912. Leitzmann = Briefe von Wilhelm von Humboldt an Friedrich Heinrich Jacobi. Hsg. von Albert Leitzmann. Halle 1892. Lenz = Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Briefe in drei Bänden. Hsg. von Sigrid Damm. München und Wien 1987. Leuschner = Johann Heinrich Merck. Briefwechsel. Hsg. von Ulrike Leuschner in Verbindung mit Julia Bohnengel, Yvonne Hoffmann und Ame´lie Krebs. 5 Bde. Göttingen 2007. Leutbecher 1838 = Johann Leutbecher: Ueber den Faust von Göthe. Eine Schrift zum Verständniß dieser Dichtung nach ihren beiden Theilen für alle Freunde und Verehrer des großen Dichters. Nürnberg 1838. Liebmann 1898 = James Alexander Liebmann: Goethe’s Faust, an Essay compiled from Various Sources and Authorities. In: Transactions of the Royal Society of Literature of the United Kingdom. II. Series. Vol. 19. London 1898, 107–50. Litzmann 1904 = Berthold Litzmann: Goethes Faust. Eine Einführung. 2. Aufl. Berlin 1904. Loeper 1870 I/II = Faust. Eine Tragödie von Goethe. Mit Einleitung und erklärenden Anmerkungen von Gustav v. Loeper. Erster und zweiter Theil. Berlin o. J. (= 1870). (= Hempels Ausg. Theil 12 u. 13) Loeper 1879 I/II = Faust. Eine Tragödie von Goethe. Mit Einleitung und erklärenden Anmerkungen von Gustav v. Loeper. Zweite Bearbeitung. Erster und zweiter Theil. Berlin 1879. (= Hempels Ausg. Theil 12 u. 13) Luther 1839 = Carl August Friedrich Luther: Göthe’s Faust. Erläuternde Abhandlungen über Sinn und Zusammenhang des ersten und zweiten Theils der Tragödie. In: C. A. F. L.: Iris. Neueste Schriften für Geist und Herz. Eine Festgabe für Gebildete. Hamburg 1839, 89–231.

XXIV

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MA = Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens [Münchner Ausgabe]. Hsg. von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder u. Edith Zehm. 20 Bde. München 1985–99 [Bd 21: Register sämtlicher Werke. Bearb. von Gisela Fichtl. München 1998]. Maas 1912 = Ernst Maas: Goethe und die Antike. Berlin, Stuttgart, Leipzig 1912. Mahl = Bernd Mahl: Goethes Faust auf der Bühne (1806–1998). Fragment – Ideologiestück – Spieltext. Stuttgart u. Weimar 1998. Maier 1952 = Hans Albert Maier: Goethes Phantasiearbeit am Fauststoff im Jahre 1771. In: Publications of the Modern Language Association 67 (1952) 125–47. Maier 1953 = Hans Albert Maier: Goethes Gretchen-Mythos. In: Monatshefte 45 (1953) 401–418. Mandelkow 1 = Goethe im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Goethes in Deutschland. Teil I 1773ÈA;– 1832. Hsg., eingel. u. komm. von Karl Robert Mandelkow. München 1975. Marbach 1881 = Goethes Faust. Erster und zweiter Theil erklärt von Oswald Marbach. Stuttgart 1881. Marchand = Byron`s Letters and Journals. Ed. By Leslie A. Marchand. 12 vols. London 1973–82. – Supplementary volume. Newark 1994. Marquart 2009 = Lea Marquart: Goethes Faust in Frankreich. Studien zur dramatischen Rezeption im 19. Jahrhundert. Heidelberg 2009. Martini 1932 = Wolfgang Martini: Die Technik der Jugenddramen Goethes. Ein Beitrag zur Psychologie der Entwicklung des Dichters. Weimar 1932. Matz 1914 = Walther Matz: Die Entstehung der Walpurgisnacht. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Beziehungen zwischen Goethe und Lichtenberg. In: Zeitschrift für deutschen Unterricht 28 (1914) 334–42. Mason 1967 = Eudo Colecestra Mason: Goethe’s Faust: Its genesis and purport. Berkeley 1967. Mayer 1889 = F. Arnold Mayer: Zu Goethes Faust: Makrokosmos und Erdgeist. In: Zeitschrift für das österreichische Gymnasium 40 (1889) 296–98. Meier = Christian August Vulpius. Eine Korrespondenz zur Kulturgeschichte der Goethezeit. Hsg. von Andreas Meier. 2 Bde. Berlin 2003. Meier 1990 = Andreas Meier: Faustlibretti. Geschichte des Fauststoffs auf der europäischen Musikbühne nebst einer lexikalischen Bibliographie der Faustvertonungen. Frankfurt a. M. 1990. Meier – Hollmer = Johann Gottfried Herder: Italienische Reise. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen 1788–1789. Hsg. von Albert Meier und Heide Hollmer. München 1988. Mendelssohn = Sebastian Hensel: Die Familie Mendelssohn. Nach Briefen und Tagebüchern. 3 Bde. Berlin 1879. Meyer 1847 = Eduard Meyer: Studien zu Goethe’s Faust. Altona u. Leipzig 1847. Meyer 1895/1905 = Richard M. Meyer: Goethe. Bd 1. Berlin 1895. Bd 2. 3. verm. Aufl. Berlin 1905. Meyer – Benfey 1923 = Heinrich Meyer-Benfey: Die Entstehung des Urfaust. In: Preußische Jahrbücher 192 (1923) 279–312. Meyer – Benfey 1924 = Heinrich Meyer-Benfey: Die Kerker-Szene in Goethes Faust. In: Zeitschrift für Deutschkunde 38 (1924) 364–70. Meyer v. Waldeck 1885 = Friedrich Meyer v. Waldeck: Faust-Studien. In: Archiv für Litteraturgeschichte 13 (1885) 233–39. Michels 1921 = Victor Michels: Das Motiv des Schlaftrunks im Urfaust. In: Funde und Forschungen. Eine Festgabe für Julius Wahle. Leipzig 1921, 63–71.

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Michelsen 1994 = Peter Michelsen: Geschichtlichkeit und Gegenwart. Festschrift für Hans Dietrich Irmscher zum 65. Geburtstag. Hsg. von Hans Esselborn und Werner Keller, Köln u. Weimar 1994, 138–58. Milchsack 1922 = Gustav Milchsack: Gesammelte Aufsätze über Buchkunst und Buchdruck, Doppeldrucke, Faustbuch und Faustsage, sowie über neue Handschriften von Tischreden Luthers u. Dicta Melanchthonis; Nach dessen Tode im Druck abgeschlossen v. Wilhelm Brandes u. Paul Zimmermann. Wolfenbüttel 1922. Minor 1901 I/II = Jakob Minor: Goethes Faust. Entstehungsgeschichte und Erklärung. 2 Bde. Stuttgart 1901. Minor 1912 = Jakob Minor: Mephistopheles als Diener des Erdgeists? In: Deutsche Revue 37,3 (1912) 313–21. Minor/Sauer 1880 = Jakob Minor und August Sauer: Studien zur Goethe-Philologie. Wien 1880. Mittheilungen = Mittheilungen über Goethe. Aus mündlichen und schriftlichen, gedruckten und ungedruckten Quellen. Von Friedrich Wilhelm Riemer. 2 Bde. Berlin 1841. Mommsen 1953 = Momme Mommsen: Zur Entstehung und Datierung einiger Faustscenen um 1800. In: Euphorion 47 (1953) 295–330. Mommsen 1968 = Katharina Mommsen: Natur- und Fabelreich in Faust II. Berlin 1968. Mommsen 1989 = Katharina Mommsen: Faust II als politisches Vermächtnis des Staatsmannes Goethe. In: JbFDH 1989, 1–36. Mommsen 2006 = Katharina Mommsen: Goethe und 1001 Nacht. Mit einem Vorw. von KarlJosef Kuschel. Bonn 2006 [Aktualisierter reprografischer Nachdruck der ersten Ausg. Berlin 1960]. Mommsen 2010 = Katharina Mommsen: Kein Rettungsmittel als die Liebe. Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen. Mit einem Nachwort von Ute Maack. Göttingen 2010. Mommsen 2012 = Katharina Mommsen: Goethe und der Alte Fritz. Leipzig 2012. Morgenblatt = Morgenblatt für gebildete Stände. Jg. 1–59. Im Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. Stuttgart u. Tübingen 1807–65. Morris 1902 I/II = Max Morris: Goethe-Studien. 2 Bde. 2. Veränderte Auflage. Berlin 1902. Ms./Mss. = Manuskript(e). Musik zu Faust = Beate Agnes Schmidt: Musik in Goethes Faust. Dramaturgie, Rezeption und Aufführungspraxis. Sinzig 2006. N = Goethe’s neue Schriften. 7 Bde. Berlin. Bei Johann Friedrich Unger. 1792–1800. Nagel 1949 = Bert Nagel: Einführung in Goethes Faust mit Wort-Sachkommentar zu beiden Teilen der Dichtung. Oberursel o. J (= 1949). Neubert = Franz Neubert: Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Leipzig 1932. Niejahr 1894 = Johannes Niejahr: Goethes Helena. In: Euphorion 1 (1894) 81–109. Niejahr 1897 = Johannes Niejahr: Kritische Untersuchungen zu Goethes Faust. In: Euphorion 4 (1897) 272–87; 489–508. Nollendorfs 1967 = Valters Nollendorfs: Der Streit um den Urfaust. The Hague und Paris 1967. Norman = Henry Crabb Robinson and Goethe. By Frederick Normann. Part I./II. London 1930/31 [Reprint London 1966]. Norton = Correspondence between Goethe and Carlyle. Ed. by Charles Eliot Norton. London 1887. NS = Goethes Werke. Hsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 2. Abtheilung: Naturwissenschaftliche Schriften. 13 Bde (13 Bde in 14). Weimar, Hermann Böhlau. 1890–1906.

XXVI

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Oettingen 1880 I/II = Alexander v. Oettingen: Goethes Faust. 2 Theile. Text und Erläuterungen in Vorlesungen. Erlangen 1880. Overbeck = Friedrich Overbeck. Sein Leben und Schaffen. Nach seinen Briefen und andern Documenten des handschriftlichen Nachlasses geschildert von Margaret Howitt. Hsg. von Franz Binder. 2 Bde. Freiburg i. Br. 1886. P = Paralipomenon, Paralipomena Pange = Mme de Stae¨l: De l’Allemagne. Nouvelle ´edition publie´e d’apre`s les manuscrits et les ´editions originales avec des variantes, une introduction, des notices et des notes par la Comtesse Jean de Pange avec le concours de Mlle Balaye´. Bde. I–V. Paris 1958–60. Petsch 1903 = Robert Petsch: Vorträge über Goethes Faust. Würzburg 1903. Petsch 1922 = Robert Petsch: Neue Beiträge zur Erklärung des Urfaust. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 10 (1922) 138–50, 203–13. Petsch 1925 = Robert Petsch: Die Walpurgisnacht in Goethes Faust. In: R. P.: Gehalt und Form. Dortmund 1925, 366–87. Petsch 1926 V = Goethe. Werke. Festausgabe. Hsg. von Robert Petsch. Bd. 5: Faust. Bearb. von Robert Petsch. Leipzig o. J. (= 1926). Petsch 1941 = Robert Petsch: Einführung in Goethes Faust. Hamburg o. J. (= 1941). Petzsch 1952 = Hans Petzsch: War Christoph Wilhelm Hufeland das zeitgenössische und reale Vorbild für J. W. v. Goethe bei der Formgebung des Arzt/Vater – Arzt/Sohn-Motives in der Scene Vor dem Thor des Faust I. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2 (1952) 49–58. Pniower 1888 = Otto Pniower: Goethes Werke – Goethes Faust in ursprünglicher Gestalt. In: Deutsche Litteraturzeitung 9 (1888) 1215–19. Pniower 1889 = Otto Pniower: Zwei Probleme des Urfaust. In: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 2 (1889) 146–53. Pniower 1890 = Otto Pniower: Ein literarisches Jubiläum. In: Deutsches Wochenblatt 3 (1890) 271–75. Pniower 1891 = Otto Pniower: Die Schülerscene im Urfaust. In: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 4 (1891) 317–35. Pniower 1892 = Otto Pniower: Einige Faustparalipomena Goethes. In: Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte 5 (1892) 408–30. Pniower 1899 = Goethes Faust. Zeugnisse und Excurse zu seiner Entstehungsgeschichte. Von Otto Pniower. Berlin 1899. Pohl 1906 = Joseph Pohl: Die drei Zauberstücke in der Szene Auerbachs Keller und ihr Vorkommen in der Faustsage. In: Kaiserlich-Königliches Staatsgymnasium Eger. Jahresbericht. Eger 1906, 3–25. Polak 1923 = Le´on Polak: Entstehung der Scene Wald und Höhle in Goethes Faust. In: Neophilologus 8 (1923) 94–109. Pollmer = Friedrich Wilhelm Riemer. Mitteilungen über Goethe. Aufgrund der Ausgabe von 1841 und des handschriftlichen Nachlasses hsg. von Arthur Pollmer. Leipzig 1921. Preiswerk 1927 = Rudolf Preiswerk: Zum Gesang der Erzengel in Goethes Faust. In: Euphorion 28 (1927) 54–75. Proescholdt = Catherine Waltraud Proescholdt-Obermann: Goethe and his British Critics. The Reception of Goethe’s Works in British Periodicals, 1779 to 1855. Frankfurt a. M. 1992. Prowe 1870 = Adolf Prowe: Der Grundgedanke des Goetheschen Faust. Festschrift zur 50jährigen Stiftungsfeier der höheren Töchterschule. In: Jahresbericht über die städtischen Töchterschulen zu Thorn. Bd 12. Thorn 1869/70, 3–38.

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XXVII

Q = Goethe’s poetische und prosaische Werke in Zwei Bänden (zu je 2 Abtheilungen). Stuttgart u. Tübingen. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1836–37 [Quartausgabe]. QuZ 1 = Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken. Teil 1: Gesamtausgaben bis 1822. Bearb. von Waltraud Hagen unter Mitarbeit von Edith Nahler. Berlin 1966. QuZ 2 = Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken. Teil 2: Die Ausgabe letzter Hand. Bearb. von Waltraud Hagen. Berlin 1982. QuZ 3 = Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken. Teil 3: Die nachgelassenen Werke und die Quartausgabe. Bearb. Von Edith Nahler und Horst Nahler. Berlin 1986. QuZ 4 = Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken. Teil 4: Die Einzeldrucke. Bearbeitet von Inge Jensen. Berlin 1984. RA = Briefe an Goethe. Gesamtausgabe in Regestform. [Regest-Ausgabe]. Hsg. von Karl-Heinz Hahn. Redaktor Irmtraut Schmid [ab Bd 5.2: Hsg. von der Stiftung Weimarer Klassik u. Kunstsammlungen. Goethe- und Schiller-Archiv. Bearb. von Manfred Koltes, Ulrike Bischof und Sabine Schäfer]. Weimar 1980 flg. Reich 1968 = Helgard Reich: Die Entstehung der ersten fünf Szenen des Goetheschen Urfaust. München 1968. Reinhardt = Karl Reinhardt: Die klassische Walpurgisnacht. Entstehung und Bedeutung. [1945] In: Interpretationen. Hsg. von Jost Schillemeit. Frankfurt a. M. 1965, 102–46. Rez. = Rezension(en). Richter 1949 = Werner Richter: Urfaust oder Ururfaust? Zwei Studien zur Erforschung des Urfaust. In: Monatshefte 41 (1949) 329–49 u. 42 (1950) 166–77. Rickert 1932 = Heinrich Rickert: Goethes Faust. Die dramatische Einheit der Dichtung. Tübingen 1932. Riegel = Herman Riegel: Peter Cornelius. Festschrift zu des großen Künstlers hundertstem Geburtstage, 23. September 1883. Berlin 1883. Robertson 1900 = John G. Robertson: The oldest scenes in Goethe’s Faust. In: Modern Languages Notes 15 (1900) 270–79. Roethe 1920 = Gustav Roethe: Die Entstehung des Urfaust. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften vom 24. Juni 1920. Philosophisch-historische Klasse. Nr. 32. Berlin 1920, S. 642–78. Rölleke 1998 = Heinz Rölleke: Sie ist die Erste nicht und Geschehn ist leider nun geschehn. Zu zwei Sentenzen in Goethes Faust-Dichtung. In: Euphorion 92 (1998) 125–34. Rölleke 2009 = Heinz Rölleke: „Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist“. Quellen und Studien zu Goethes Faust. Trier 2009. Roos 1952 = Carl Roos: Faust und die Zikade. Das Faustsymbol. In: Euphorion 46 (1952) 31–47. Rößler 1888 = Konstantin Rößler: Der Dresdener Faustfund und die Entstehung des Faust. In: Preußische Jahrbücher 61 (1888) 592–610. Rößler 1902 = Konstantin Rößler: Die Entstehung des Faust. In: Ausgewählte Aufsätze. Hsg. von Walter Rößler. Berlin 1902, 112–158. Rs = Rückseite Rüdiger 1964 = Horst Rüdiger: Weltliteratur in Goethes Helena. In: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 8 (1964) 172–198. Ruppert = Goethes Bibliothek. Katalog. Bearb. von Hans Ruppert. Weimar 1958. S = Goethe’s Schriften. Bd 1–8. Leipzig, bey Georg Joachim Göschen. 1787–90. S3 = J. W. Goethens Schriften. Bd 1–4. Berlin. Bei Christian Friedrich Himburg. 1779.

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Sanders = The collected letters of Thomas and Jane Welsh Carlyle. Duke-Edinburgh edition. General Editor Charles Richard Sanders. Durham, North Carolina 1970 flg. Sanford = Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August. Mit Einleitung, Kommentar und Register hsg. von Gerlinde Ulm Sanford. 2 Bde. Weimar 2005. Sarauw 1917 = Christian Sarauw: Die Entstehungsgeschichte des Goethischen Faust. Kopenhagen 1917. Sarauw 1925 = Christian Sarauw: Zur Faustchronologie. Kopenhagen 1925. Saupe 1856 = Ernst Julius Saupe: Goethe’s Faust. Leipzig 1856. Schaafs 1912 = Georg Schaafs: Faustmiszellen. In: Modern Language Notes 27 (1912) 37–42. Schadewaldt = Wolfgang Schadewaldt: Zur Entstehung der Elfenszene im 2. Teil des Faust. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 29 (1955) 227–36. Scheibe 1958 = Siegfried Scheibe: Die Chronologie von Goethes Faust I im Lichte der Forschung seit Wilhelm Scherer, Diss. Leipzig 1958. Scheibe 1965 = Siegfried Scheibe: Zur Entstehungsgeschichte der Walpurgisnacht im Faust I. In: S. S., Inge Jensen, Waltraud Hagen, Helmut Praschek: Goethe-Studien. Berlin 1965, 7–61. Scheithauer 1957 = Lothar J. Scheithauer u. Theodor Friedrich: Goethes Faust erläutert. Mit einem Faust-Wörterbuch und einer Faust-Bibliographie. 4. umgearb. u. erw. Auflage. Leipzig o. J. (= 1957). Schelling = Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Werke. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hsg. von Manfred Schröter. München 1927 flg. Schelling – AA = Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hsg. von Jörg Jantzen, Thomas Buchheim, Wilhelm G. Jacobs und Siegbert Peetz. Ca. 80 Bde. in drei Abt. Stuttgart. 1976 flg. (Reihe I: Werke, II: Nachlaß, III: Briefe). Scherer 1879 = Wilhelm Scherer: Aus Goethes Frühzeit. Bruchstücke eines Commentars zum jungen Goethe. Straßburg 1879. Scherer 1884 = Wilhelm Scherer: Studien über Goethe. In: Deutsche Rundschau 10 (1884) 240–55. Scherer 1886/1900 = Wilhelm Scherer: Aufsätze über Goethe. Berlin 1886. 2. Aufl. Berlin 1900. Schillemeit 1986 = Jost Schillemeit: Das Vorspiel auf dem Theater zu Goethes Faust. Entstehungszusammenhänge und Folgerungen für sein Verständnis. In: Euphorion 80 (1986) 149–66. Schillemeit 1987 = Jost Schillemeit: Faustparalipomenon 164a. Aus der Arbeit Goethes an der Helena-Dichtung. In: Textkritik und Interpretation. Festschrift für Karl Konrad Polheim zum 60. Geburtstag. Hsg. von Heimo Reinitzer. Bern, Frankfurt a. M., New York u. Paris 1987, 229–52. Schillemeit 1987a = Jost Schillemeit: Satyrspiel und tragische Tetralogien. Zum Kontext eines philologischen Themas beim späten Goethe. In: Formen innerliterarischer Rezeption. Hsg. von Wilfried Floeck, Dieter Steland, Horst Turk. Wiesbaden 1987, 303–18 Schillemeit 1988 = Jost Schillemeit: Goethe und Radziwill. In: „Daß eine Nation die andere verstehen möge ...“. Literarische und kulturelle Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Polen. Hsg. von Norbert Honsza und Hans-Gert Roloff. Amsterdam 1988, 639–62. Schillemeit 1996 = Jost Schillemeit: Rez. zu: Bohnenkamp. In: Arbitrium 14 (1996) 362–65. Schings 2011 = Hans-Jürgen Schings: Zustimmung zur Welt. Goethe-Studien. Würzburg 2011. Schlegel – Briefe = Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. 2 Bde. Zürich, Leipzig u. Wien 1930.

ABKÜRZUNGS- UND SIGLENVERZEICHNIS

XXIX

Schmid 1937 = Günther Schmid: Goethe, Thüringer Laboranten und ein Faustsagenfragment. Halle 1937. Schnetger 1858 = Alexander Schnetger: Der zweite Theil des Goethe’schen Faust. Jena 1858. Scholz 1892 = Paul Scholz: Karl Ernst Schubarth. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts. In: Königliches Gymnasium zu Hirschberg in Schlesien. Ostern 1892. Hirschberg i. Schl. 1892. Schöne 1982 = Albrecht Schöne: Satanskult: Walpurgisnacht. In: A. S.: Götterzeichen Liebeszauber Satanskult. München 1982, 107–29. Schreyer 1881= Hermann Schreyer: Goethe’s Faust als einheitliche Dichtung erläutert und verteidigt. Halle 1881. SchrGG = Schriften der Goethe-Gesellschaft. Im Auftrage des Vorstandes hsg. von Erich Schmidt [u.a.]. Bd 1 flg. Weimar 1885 flg. Schröer 1879 = Karl Julius Schröer: Die Entstehung von Goethe’s Faust. In: Westermann’s Jahrbuch der Illustrirten Deutsche Monatshefte 46 (1879) 607–23. Schröer 1880 = Karl Julius Schröer: Literarische Unterhaltungen. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1 (1880), Nr. 15, 225–29. Schröer 1881 I/II = Faust von Goethe. Mit Einleitung und fortlaufender Erklärung hsg. von Karl Julius Schröer. 2 Theile. Heilbronn 1881. Schröer 1892/1896 = Faust von Goethe. Mit Einleitung und fortlaufender Erklärung von Karl Julius Schröer. Erster und Zweiter Theil. Dritte, durchaus revidierte Auflage. Leipzig 1892 und 1896. Schröer 1907 = Karl Julius Schröer: Faust. Mit Einleitung und fortlaufender Erklärung. Theil 1. 5. Auflage. Leipzig 1907. Schröter 1992 = Goethe: Rede zum Shakespeare-Tag 1771. Mit einem Essay v. Klaus Schröter. Hamburg 1992. Schuchard 1926/27 = Gottlieb Carl Ludolf Schuchard: Die ältesten Teile des Urfaust. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 51 (1926) 465–75; 52 (1927) 346–78. Schuchard 1935 = Gottlieb Carl Ludolf Schuchard: Julirevolution, St. Simonismus und die Faustpartien von 1831. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 60 (1935) 240–74 u. 362–84. Schuchardt = Goethe`s Kunstsammlungen. Beschrieben von [Joh.] Chr[istian] Schuchardt. Th. 1–3. Jena 1848–49. Schulte-Strathaus 1940 = Ernst Schulte-Strathaus: Goethes Faust-Fragment 1790. Eine buchkundliche Untersuchung. Zürich, München u. Berlin 1940. Schulz 1971 = Carl Ludwig Ikens Briefe an Goethe (1817–1830). In: Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 15 (1971) 105–207. Seuffert 1882 = Goethe: Faust. Ein Fragment. Hsg. von Bernhard Seuffert. Heilbronn u. Leipzig 1882. Seuffert 1891 = Bernhard Seuffert: Die älteste Scene im Faust. In: Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte 4 (1891) 339–42. Seybold = Die Werke der Philostrate. Aus dem Griech. übers. von David Christoph Seybold. 2 Bde. Lemgo 1776–77. Sign. = Signatur. SLUB Dresden = Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. SNA = Schillers Werke. Nationalausgabe. 1940 begr. von Julius Petersen. Fortgef. von Lieselotte Blumenthal, Benno von Wiese, Siegfried Seidel. Hsg. im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik u. des Schiller-Nationalmuseums in Marbach von Norbert Oellers. Weimar 1943 flg. (= Schiller Nationalausgabe)

XXX

ABKÜRZUNGS- UND SIGLENVERZEICHNIS

Spieß 1929 = Heinrich Spieß: Kritik einer neuen Urfaust-Hypothese und Verwandtes. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 54 (1929) 97–110. Spitta 1889 = Philipp Spitta: Die älteste Faustoper und Goethes Stellung zur Musik. In: Deutsche Rundschau 15 (1889) 376–97. Stawell/Dickinson 1928 = F. Melian Stawell/G. Lowes Dickinson: Goethe & Faust. An Interpretation. With Passages newly translated into English Verses. London 1928. Steig III = Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm. Bearb. von Reinhold Steig. Stuttgart 1904. (Achim von Arnim und die ihm nahe standen. Hsg. von Reinhold Steig und Herman Grimm. Dritter Band). Stiller 1891 = Otto Stiller: Goethes Entwürfe zum Faust. Programm des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster. Berlin 1891. Storck 1914 = Willy F. Storck: Goethes Faust und die Bildende Kunst. Berlin 1914. Strehlke 1891 = Paralipomena zu Goethe’s Faust. Entwürfe, Skizzen, Vorarbeiten und Fragmente geordnet und erläutert von Fr.[iedrich] Strehlke. Stuttgart, Leipzig, Berlin u. Wien 1891. Strodtmann = Briefe von und an Gottfried August Bürger’s und anderen, meist handschriftlichen Quellen hsg. von Adolf Strodtmann. 3 Bde. Berlin 1874. Sydow = Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen. Hsg. von Anna von Sydow. 7 Bde. Berlin 1906–16. Taylor 1882 = Goethe`s Faust. Erster und zweiter Theil. Erläuterungen und Bemerkungen dazu [von] Bayard Taylor. Uebers. von Marie Hansen-Taylor. Leipzig 1882. Tgb = Goethes Werke. Hsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 3. Abtheilung: Tagebücher. Bd 1–15 (15 Bde in 16). Weimar, Hermann Böhlau. 1887–1919; als Zitatgrundlage bis 1820 ersetzt durch → GT. Tille = Alexander Tille: Goethes Faust auf der deutschen Bühne. In: Zeitschrift für Bücherfreunde 5 (1901/1902) Heft 1, 12–25. TM = Der teutsche Merkur. Hsg. von Christoph Martin Wieland. Weimar 1773–89. Traumann 1902 = Ernst Traumann: Wald und Höhle. Eine Fauststudie. Heidelberg 1902. Traumann 1909 = Ernst Traumann: Goethes ursprünglicher Faust-Plan. In: E. T.: Zu Goethes Leben und Werken. Berlin 1909, 41–61. Traumann 1913 = Ernst Traumann: Goethes Faust. Nach Entstehung und Inhalt erklärt. Bd 1: Der Tragödie erster Theil. München 1913. Trendelenburg 1922 = Goethes Faust. Erklärt von Adolf Trendelenburg. Teil 1: Der Tragödie erster Teil. Berlin und Leipzig 1922. Trevelyan 1949 = Humphrey Trevelyan: Goethe und die Griechen. Eine Monographie. Hamburg 1949. Trunz 1949 = Goethes Faust. In: Goethes Werk. Hamburger Ausgabe. Bd 3: Hsg. und erl. von Erich Trunz. Hamburg 1949. TuJ = Goethe: Tag- und Jahres-Hefte als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse. Türck 1917 = Hermann Türck: Faust – Hamlet – Christus. Berlin u. Leipzig o. J. (= 1917). Türck 1921 = Hermann Türck: Goethe und sein Faust. Leipzig o. J. (= 1921). u. d. T. = unter dem Titel. Unger = Johann Friedrich Unger im Verkehr mit Goethe und Schiller. Briefe und Nachrichten. Mit einer einleitenden Übersicht ... von Flodoard Frhr. v. Biedermann. Berlin 1927. Unterhaltungen = Kanzler [Friedrich] v. Müller. Unterhaltungen mit Goethe. Krit. Ausg. besorgt von Ernst Grumach. Weimar 1956. v. = Vers(e).

ABKÜRZUNGS- UND SIGLENVERZEICHNIS

XXXI

Var = Variante Vs = Vorderseite Rs = Rückseite Verf. = Verfasser(in). Vie ¨tor 1950 = Karl Vie¨tor: Der junge Goethe. Neue Ausg. München 1950. Vischer = Barthold Georg Niebuhr: Briefe. Neue Folge. 1816–1830. Hsg. von Eduard Vischer. Bde 1–4. Bern u. München 1981–84. Vischer 1875 = Friedrich Theodor Vischer: Goethe’s Faust. Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts. Stuttgart 1875. Vogel 1898 = Theodor Vogel: Über das Vorspiel auf dem Theater zu Goethes Faust. In: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur 1 (1898) 669–74. Voigt 1866 = Goethe’s Faust. Gemeinfaßlich dargest. von Julius Voigt. Berlin 1866. W = Goethes Werke. Hsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 1. Abtheilung: Werke. Bd 1–55 (55 Bde in 63). Weimar, Hermann Böhlau. 1887–1918. Wegner = Wolfgang Wegner: Die Faustdarstellung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Amsterdam 1962. Weiße 1837 = Christian Hermann Weiße: Kritik und Erläuterung des Goethe’schen Faust. Nebst einem Anhange zur sittlichen Beurtheilung Goethes. Leipzig 1837. Weitz – Boissere´e = Sulpiz Boissere´e. Tagebücher 1808–1854. Im Auftrag der Stadt Köln hsg. von Hans-J. Weitz. 4 Bde u. Registerbd. Darmstadt 1978–96. Weitz – Willemer = Marianne und Johann Jakob Willemer. Briefwechsel mit Goethe. Hsg. von Hans-J. Weitz. Frankfurt a. M. 1965. Weltrich 1888 = Richard Weltrich: Goethes Faust in der Göchhausenschen Abschrift. In: Magazin für die Literatur des In- und Auslandes 57 (1888) 216–19, 253–56, 291–95, 327–31, 479–83, 541–46, 560–66, 589–92, 608–48. Wendling 1927 = Emil Wendling: Der Ur-Ur-Faust von 1772. Ein Wiederherstellungsversuch. In: Staatsanzeiger für Württemberg. Besondere Beilage 1927, Nr. 9, 233–48. Wennig 1924 = Erich Wennig: Einige Bemerkungen zur Szene Auerbachs Keller in Goethes Urfaust. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 12 (1924) 193–201. Wieland BriefeAA = Christoph Martin Wieland. Briefwechsel. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenchaften zu Berlin. Bde 1–20. Berlin 1963–2007. W.K.F. = Weimarische Kunstfreunde. (In der Zs. Propyläen als Gruppenname eingeführte Chiffre, mit der Goethe, H. Meyer, Schiller u. a. ihre klassizistischen Beiträge unterzeichneten. Später wurden F. W. Riemer und C. L. Fernow gleichfalls einbezogen.) Witkowski 1894 = Georg Witkowski: Die Walpurgisnacht im ersten Teile von Goethes Faust. Leipzig 1894. Witkowski 1906 = Goethes Faust. Bd 2: Kommentar und Erläuterungen von Georg Witkowski. Leipzig 1906. Witkowski 1950 = Goethes Faust. Bd 2: Kommentar und Erläuterungen von Georg Witkowski. 10., unveränderte Aufl. Leiden 1950. Wolff 1907 = Der junge Goethe. Goethes Gedichte in ihrer geschichtlichen Entwicklung hsg. und erl. von Eugen Wolff. Oldenburg und Leipzig o. J. (=1907). Wolff 1951 = Hans M. Wolff: Goethes Weg zur Humanität. Bern 1951. Wolzogen = Literarischer Nachlaß der Frau Caroline von Wolzogen. Bd 1.2. 2. Aufl. Leipzig 1867. Wood 1912 = Henry Wood: Fauststudien. Ein Beitrag zum Verständnis Goethes in seiner Dichtung. Berlin 1912.

XXXII

ABKÜRZUNGS- UND SIGLENVERZEICHNIS

Woyte 1955 = Oswald Woyte: Erläuterungen zu Goethes Faust. Neu bearbeitet. Hollfeld 1955. Z = Zeugnis(se). Zehn Jahre = Fre´de´ric Soret. Zehn Jahre bei Goethe. Erinnerungen an Weimars klassische Zeit 1822–1832. Aus Sorets handschriftlichem Nachlaß, seinen Tagebüchern und seinem Briefwechsel zum erstenmal zusammengestellt, übersetzt und erläutert von H. H. Houben. Leipzig 1929. Zs./Zss. = Zeitschrift(en).

ZUR BENUTZUNG 1. Reihenfolge der Artikel Die einzelnen Artikel erscheinen in alphabetischer Folge unter den in der Weimarer Ausgabe, für die Naturwissenschaftlichen Schriften in der Leopoldina angesetzten Titeln. Ordnungswort ist das erste Wort innerhalb des Werktitels, das nicht Artikel oder Präposition ist. Ausnahmen: a) Bei Schriften, die das Werk eines Dritten zum Gegenstand haben (Rezensionen, Übersetzungen, Bearbeitungen u. dgl.), wird dessen Name Ordnungswort, nicht das Werk. b) Bei Satztiteln und bei Titeln mit nicht umkehrbarer syntaktischer Folge ist schon das erste Wort Ordnungswort, auch wenn es Artikel oder Präposition ist (Beispiel: „Das Unternehmen wird entschuldigt“). Widmungsartige Titel werden wie Satztitel behandelt (Beispiel: „An Seine Majestät den König von Bayern“). c) Als besondere Gruppen erscheinen unter Sammeltitel: Maskenzüge; Theaterreden; Rezensionen in den Frankfurter gelehrten Anzeigen; Übersetzungen (Sonderband).

2. Aufbau der Artikel Die einzelnen Artikel gliedern sich in die drei Abteilungen: E (= Kurzangaben über die Entstehungszeit); D (= Druckangaben); Z (= Zeugnisse). Fehlt bei einem Artikel eine der drei Abteilungen (E, D oder Z), so konnten innerhalb derselben keine Angaben gemacht werden.

3. Druckbesonderheiten a) Petitdruck wird verwendet: in E zur Vorführung tabellarischer Angaben; in D für alle Angaben; in Z für Sekundärzeugnisse. In Petitdruck und runden Klammern erscheinen in Z: Datierungsvermerke von Goethe, Schreiberrechnungen, Vermerke über Bibliotheksentleihungen und Verweise. b) Kursivschrift wird verwendet zur Kennzeichnung von Zitaten innerhalb der Anmerkungen.1) Werktitel werden kursiviert, wenn sie im syntaktischen Zusammenhang erscheinen. Unterstreichungen innerhalb von Zeugnissen werden durch Sperrung wiedergegeben. c) Wenn im Original eines Textzitates deutsche und lateinische Buchstaben abwechseln, werden die lateinischen Buchstaben durch eine besondere Drucktype gekennzeichnet.

XXXIV

ZUR BENUTZUNG

4 . Z i t a t e o h n e Q u e l l e n a n g a b e n : a u s G o e t h e s Ta g e b ü c h e r n Zum Zweck der Raumersparnis erscheinen Zitate aus Goethes Tagebüchern (in Z) ohne Angabe der Quelle. Sie sind durch diese Besonderheit auch von den übrigen Zeugnisarten leicht zu unterscheiden. Zu den verwendeten Ausgaben s. unten Nr. 8.

5. Ortsangaben und Personen Aus Gründen der Raumersparnis erscheinen Zitate aus Goethes Tagebüchern und Briefen, die in Weimar verfaßt wurden, ohne Angabe des Ortes. Doch wird die Ortsangabe für Weimar hinzugefügt, wenn das letzte vorhergehende Goethesche Zeugnis von einem anderen Ort stammt. – Biographische Daten zu Personen bietet das Online-Personenverzeichnis auf der EGW-Website: http://goethe-egw.org

6 . A n g a b e d e r Ta g e s z e i t Berichten Zitate aus Goethes Tagebüchern von Vorgängen, die sich innerhalb der ersten Tageshälfte zutrugen, so wird aus Gründen der Raumersparnis die Tageszeit nicht besonders vermerkt. In den übrigen Fällen wird die Angabe [Nachmittags] oder [Abends] hinzugefügt.

7. Zeichenerklärung ... [ ]

Auslassung innerhalb eines Zitates. Herausgeber-Zusätze innerhalb eines Zitates sind in eckige Klammern eingeschlossen. Eckige Klammern bei Datumsangaben am Rande weisen auf einen Unsicherheitsfaktor in der Datierung des betreffenden Zeugnisses hin. ? Ein hochgestelltes Fragezeichen vor einem Zeugnis bedeutet: Beziehung zweifelhaft. − − Zwei Striche am Rand bedeuten: Zeugnis ohne Datierung; bei Zeugnissen aus Goethes Werken: nähere Angaben über die Entstehungszeit des hier beginnenden Zeugnisses finden sich im Artikel zu dem Werk, aus dem das Zeugnis stammt. * In Goethes Agenda Zeichen für: als erledigt gestrichen. In den Postsendungs-Listen der Weimarer Ausgabe Zeichen für: Packet. „ “ Anführungszeichen werden innerhalb des eigenen Textes (in Verweisen und Anmerkungen) nur verwendet, um Titel von Einzelartikeln der EGW zu kennzeichnen. Ein vertikaler Strich verweist auf Zeilenwechsel in der Vorlage.

8. Editorische Notiz Goethes Werke, Tagebücher und Briefe werden grundsätzlich nach der Weimarer Ausgabe zitiert. Die II. Abteilung der Weimarer Ausgabe (NS) ist inzwischen vollständig durch die Leopoldina (LA) ersetzt. Die Weimarer historisch-kritischen Ausgaben der Tagebücher (GT) und der Briefe Goethes (GB) lösen die Abteilungen III (Tgb) und IV (Br) schrittweise ab und werden verwendet, soweit sie vorliegen. Dichtung und Wahrheit wird zitiert nach der historisch-kritischen Ausgabe von S. Scheibe (AA-DuW).

Ein Fastnachtsspiel, auch wohl zu tragiren nach Ostern, vom Pater Brey, dem falschen Propheten1)

E D

1773 vermutl. vor Mai 1. oder 2.2) Neueröfnetes moralisch-politisches Puppenspiel. Leipzig und Frankfurt 1774, 61−96 (Ein Fastnachtsspiel, auch wohl zu tragieren nach Ostern, vom P a t e r B r e y dem falschen Propheten. Zu Lehr Nutz und Kurzweil gemeiner Cristenheit insonders Frauen und Jungfrauen zum goldnen Spiegel). − S 8 (1789) 67−90.3) − A 8 (1808) 273−89. − B 9 (1817) 289−305.4) − C1 13 (1828) 57−74.5) − W 16, 57−73. − AA-Jugendwerke 1, 251−67. − JG3 3, 161−74. − FA I 4, 267−77. − MA 1.1, 539−48.

Z ⎯

⎯ ⎯

1769 − 1775 ⎯ Tag- und Jahres-Hefte6) (W 35, 4f.): Inzwischen geschehen kühnere

Griffe in die tiefere Menschheit; es entsteht ein leidenschaftlicher Widerwille gegen mißleitende, beschränkte Theorien; man widersetzt sich dem Anpreisen falscher Muster. Alles dieses und was daraus folgt, war tief und wahr empfunden, oft aber einseitig und ungerecht ausgesprochen . . . d i e P u p p e n s p i e l e . . . sind in diesem Sinne zu beurtheilen . . . ⎯ Summarische Jahresfolge Goethe’scher Schriften7) (W 42.1, 82): Von 1769 bis 1775 [:] . . . die Puppenspiele . . . ⎯ Ouvrages poe´tiques de Goethe8) (W 53, 208): de 1769 jusq. 1775 Mainte petite production comique et satyrique.

1

) Satire in der Hans Sachs−Tradition, puppenspielartiges Welttheater. Die Figuren spielen auf G’s Freundeskreis an: Merck/Würzkrämer, Herder/Hauptmann, Caroline Herder/Leonora, F. M. Leuchsenring/Pater Brey. Hierzu W. Scherer GJb 1880, 101−08. − Das von Herzen Hochzeit machen zum Finale (W 16, 73) wird von der neueren Forschung mit Verweis auf den biograph. Hintergrund übereinstimmend anlaßbezogen gedeutet (FA I 4, 758f.; MA 1.1, 952f.): das Spiel wurde vermutl. zum Polterabend, 1. Mai, oder zur Hochzeit des Brautpaares Herder am 2. Mai 1773 aufgeführt. 2 ) Für die Datierung gibt es keine Zeugnisse, lediglich spielbezogene inhaltliche Argumente, s. Anm. 1. 3 ) Weil S 8 kein Register hat, wies schon Gräf II 1, 426 darauf hin, daß es nicht sicher ist, ob G im Zweitdruck das Fastnachtsspiel, das hier neben dem Prolog zu Bahrdt erschien, noch wie im ED als Bestandteil des Puppenspiels auffasste; G’s Freunde betrachteten es jedenfalls als separate Dichtung (s. unten Z). 4 ) Das Register faßt Pater Brey u. Satyros als Gruppe u. d. T. Fastnachtsspiel zusammen, was in der Druckeinrichtung nicht zum Ausdruck kommt (so bereits Gräf II 1, 426). 5 ) Entsprechend B 9 (1817); s. die vorige Anm. 6 ) Entstanden 1819. 7 ) Verfaßt 1819 März. 8 ) Verfaßt 1823 Aug 21.

2

FASTNACHTSSPIEL

1772 − 1775

1772 − 1775 ⎯

⎯ (s. „Das Jahrmarkts-Fest zu Plundersweilern“: DuW Buch 13 gD)

1773 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 131) (AA-DuW 1, 464): Merck, zugleich

kalt und unruhig, hatte nicht lange jene Briefwechsel mit angehört,2) als er über die Dinge von denen die Rede war, so wie über die Personen und ihre Verhältnisse, gar manchen schalkhaften Einfall laut werden ließ, mir aber im Stillen die wunderlichsten Dinge eröffnete, die eigentlich darunter verborgen seyn sollten. Von politischen Geheimnissen war zwar keineswegs die Rede, auch nicht von irgend etwas, das einen gewissen Zusammenhang gehabt hätte; er machte mich nur auf Menschen aufmerksam, die, ohne sonderliche Talente, mit einem gewissen Geschick, sich persönlichen Einfluß zu verschaffen wissen, und durch die Bekanntschaft mit vielen, aus sich selbst etwas zu bilden suchen; und von dieser Zeit an hatte ich Gelegenheit, dergleichen mehr zu bemerken. Da solche Personen gewöhnlich den Ort verändern, und als Reisende bald hier bald da eintreffen, so kommt ihnen die Gunst der Neuheit zu Gute, die man ihnen nicht beneiden noch verkümmern sollte: denn es ist dieses eine herkömmliche Sache, die jeder Reisende zu seinem Vortheil, jeder Bleibende zu seinem Nachtheil öfters erfahren hat. Dem sei nun wie ihm wolle, genug wir nährten von jener Zeit an eine gewisse unruhige, ja neidische Aufmerksamkeit auf dergleichen Leute, die auf ihre eigne Hand hin und wieder zogen, sich in jeder Stadt vor Anker legten, und wenigstens in einigen Familien Einfluß zu gewinnen suchten. Einen zarten und weichen dieser Zunftgenossen habe ich im P a t e r B r e y ,3) einen andern, tüchtigern und derbern, in einem künftig mitzutheilenden Fastnachtsspiele, das den Titel führt: S a t y r o s , o d e r d e r v e r g ö t t e r t e Wa l d t e u f e l ; wo nicht mit Billigkeit, doch wenigstens mit gutem Humor dargestellt. März 29. (s. „Das Jahrmarkts-Fest zu Plundersweilern“: Caroline Herder an Herder gD)

1

) Verfaßt 1813 März. ) Empfindsame Korrespondenzen, die in kleiner Gesellschaft vorgelesen wurden. 3 ) Zwar stellt G in der kurz vorher gegebenen DuW-Schilderung Leuchsenrings (AADuW 1, 460f.) keinen Bezug zur Gestalt des Pater Brey her, doch F. H. Jacobi bezeugt, daß Leuchsenring G zum Pater Brey anregte. Vgl. unten 5. Dez 1785: Jacobi an Kleuker, 1786 Apr 27.: Jacobi an Garve u. Sept 23.: Jacobi an Schlosser; dazu die von Caroline Herder übermittelte G-Äußerung bzgl. menschlicher Modelle 13. Febr 1789: Caroline Herder an Herder. Zu Problemen mit Leuchsenring im einstigen Freundeskreis vgl. auch 16. März 1772: Merck an Sophie La Roche (Leuschner 1, 309). 2

1773 Dez

FASTNACHTSSPIEL

3

9. [Düsseldorf] Helene Elisabeth Jacobi an G (Brüggen − Sudhof I 1, 200): Pater Brey ruht sicher und wohlverwahrt in meinem Secretair, und soll mir noch eins zu lachen machen . . .

1773 − 1775 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 181) (AA-DuW 1, 594f.): Um einen Bo-

den zu finden worauf man poetisch fußen um ein Element zu entdekken in dem man freysinnig athmen könnte, war man einige Jahrhunderte zurückgegangen wo sich aus einem chaotischen Zustande ernste Tüchtigkeiten glänzend hervorthaten und so befreundete man sich auch mit der Dichtkunst jener Zeiten[.] Die Minnesänger lagen zu weit von uns ab, die Sprache hätte man erst studiren müssen und das war nicht unsre Sache wir wollten leben und nicht lernen. Hans Sachs, der wirklich meisterliche Dichter, lag uns am nächsten; ein wahres Talent, freylich nicht wie jene Ritter und Hofmänn[er], sondern ein schlichter Bürger, wie wir uns auch zu seyn rühmten. Ein didactischer Realism sagt[e] uns zu, und wir benutzten den leichten Rhytmus, den sich bequem anbietenden Reim bey manchen Gelegenheiten. Es schien diese Art so bequem zur Poesie des Tages und deren bedurften wir jede Stunde (Spatium ca 20 Zeilen) Wenn nun bedeutende Werke, wie manche der schon gemeldeten, welche eine jahrelange ja eine lebenslängliche Aufmerksamkeit und Arbeit erforderten, auf so verwegenem Grunde, bey leichtsinnigen Anlässen mehr oder weniger aufgebaut wurden, so kann man sich denken, wie freventlich mitunter andere vorübergehende Productionen sich gestalteten, z. B. die poetischen Episteln, Parabeln und Invectiven aller Formen, womit wir fortfuhren uns innerlich zu bekriegen und nach aussen Händel zu suchen. Außer dem schon abgedruckten ist nur Weniges davon übrig; es mag erhalten bleiben, kurze Notizen mögen Ursprung und Absicht denkenden Männern etwas deutlicher enthüllen. Tiefer Eindringende, denen diese Dinge künftig zu Gesicht kommen, werden doch geneigt bemerken daß allen solchen Excentricitäten ein redliches Bestreben zu Grunde lag. Aufrichtiges Wollen streitet mit Anmaßung[,] Natur gegen Herkömmlichkeiten, Talent gegen Formen, Genie mit sich selbst, Kraft gegen Weichlichkeit, unentwickeltes Tüchtiges gegen entfaltete Mittelmäßigkeit, so daß man jenes ganze Betragen als ein Vorpostengefecht ansehen kann, das auf eine Kriegserklärung folgt und eine gewaltsame Fehde verkündigt. Denn genau besehen, so ist der Kampf in diesen funfzig Jahren noch nicht ausgekämpft, er setzt sich noch immer fort, nur in einer höhern Region. 1

) Verfaßt 1831 März/Sept.

4 ⎯

FASTNACHTSSPIEL

1773–1775

⎯ Schema zu Dichtung und Wahrheit Buch 181) (AA-DuW 2, 591): Ge-

heimes Archiv, wunderlicher Productionen . . . Invectiven und Widerstreit im Innern.2)

1774 Mai 17. [Düsseldorf] W. Heinse an Gleim (Bode 1, 56f.): Goethe hat ein Drama gegen ihn [Herder] geschrieben, welches desto besser ist [als dessen Singspiel Brutus], und besser ist als sein „Götter, Helden und Wieland“ . . . [Sommer] (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: L. J. F. Höpfner an C. F. Nicolai gD) Juni 23. [Hannover] J. G. Zimmermann an Lavater (BG 1, 260): Seitdem ich von Bückeburg zurück bin, sah ich hier einen sehr liebenswürdigen Reisenden, der mir sagte, daß Doctor Göthe (Dein Freund) gegen Herder (seinen Herzensfreund) und gegen die (überaus liebenswürdige) Madame Herder eine Farce mit nächstem werde drucken lassen, in welcher beyde aufs äußerte durchgezogen seyen . . . Nun bitte ich Dich, mit aller möglichen Behutsamkeit dieses abzuwenden, und Göthen zu beschwören, daß er dieses Manuscript verbrenne. Mir deucht, eine so edle Reue sollte einen so großen Geist, wie Göthe unstreitig ist, nichts kosten. 27. [Frankfurt] Lavater Tagebuch (BG 1, 259): Von Leüchsenring . . . Goethe rezitierte auswendig mit der Natürlichsten kräftigsten Declamation Satyre auf verschiedne . . . Er suchte die Satyren u. fand sie nicht. Juli

26. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: C. F. Nicolai an L. J. F. Höpfner gD)

Aug 28. [Darmstadt] Merck an C. F. Nicolai (Leuschner 1, 493f.): Keine Pasquillen [Personalsatiren] sollen Sie weiter nicht von ihm [G] sehn . . . Die Pasquinaden die er gemacht hat, sind aus unserm Cirkel in Darmstadt, u. alle Personen sind gottlob so unberührt, u. unbedeutend, daß sie niemand erkennen würde. Sept (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: an Johanna Fahlmer gD) [Ende] Okt 17. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: J. M. Miller an den Bund gD) 21. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: Wieland an F. H. Jacobi gD) Nov

⎯ (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: C. H. Schmid gD) 6. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: F. H. Jacobi an G gD) [15.] [Altona, anonym. Rez.] Neueröfnetes, moralisch-politisches Puppenspiel. Leipzig und Frankfurt, 1774. In: Reichs-Postreuter, 15. Nov 1774 (Braun 1, 57f.): Es sind dieser Puppenspiele vier . . . ein F a s t n a c h t s s p i e l , a u c h w o h l z u t r a g i e r e n n a c h O s t e r n , vom Pater Bray, dem falschen Propheten: Sämmtlich in Knittelversen. Es sieht in diesen Puppenspielen gerade so aus, wie in den jetzigen ernsthaften Dramatischen Stücken, und wir möchten sie fast für eine Satire auf den jetzigen Geschmack halten. Wir wollen nur eine Stelle aus dem letzten anführen, die unsre Leser überzeugen wird, daß wir wohl eben nicht so sehr unrecht haben.3) Ist es nicht wahr? Siehts nicht in den meisten jetzigen Dramen, wie in des Hauptmanns Haushaltung, aus. Die 1

) Verfaßt 1816 Dez. ) Vgl. ähnlich lautend ein Paralip. zu DuW Buch 18 vom 16. Sept 1831 (AA-DuW 2, 654). 3 ) Folgt Zitat aus dem ersten Dialog zwischen Pfaff und Hauptmann; v. 174−205. 2

1774

FASTNACHTSSPIEL

5

Verfasser derselben sind zum Theil, man giebt es gern zu, reich an Genie, in ihren Stücken viel einzelne Schönheiten, aber es fehlt ihnen an Klugheit, das alles zu guberniren. Man nennt einen dieser neuern Dramatischen Schriftsteller, als den Verfasser dieser Puppenspiele. Ist es wahr, so hat er, ohne diese Absicht zu haben, die feinste Satire auf sich selbst gemacht.

Nov 19. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: J. K. Deinet an C. F. Nicolai) 27. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: H. P. Sturz an Klopstock)

1775 ⎯ ⎯

⎯ (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: C. F. Nicolai, Rez.) ⎯ [Halle] G. B. Schirach: Neueröfnetes moralisch-politisches Puppenspiel. In: Magazin der deutschen Critik, Bd 4, Theil 1 (Braun 1, 169−72):1) Das dritte Stück ist: ein F a s t n a c h t s s p i e l . . . Hier ist die Einmischung der Priester in alle Geschäfte, und ihre unter dem Schirm der Reformation oftmalige Betrügerey, ganz gut gezeichnet, besonders in der neuen Ordnung welche der Pfaffe in den Laden des Gewürzhändlers nach dem Alphabete machet, aber daß dieser Priester zu einer Heerde Schweine geführt wird, um sie zu reformiren, das ist wieder aus der eigenthümlichen Schublade des Genies dieses Verfassers. Noch eine einzige Probe von diesem Gedichte, und dann kein Wort weiter. Der Hauptmann sagt zum Pfaffen. [Folgt v. 175−185]2) Wie gesagt, kein Wort weiter.

Jan

19. [Hannover] J. G. Zimmermann an Ch. v. Stein (GG 1, 129f.): Un ´etranger qui a passe´ dernie`rement chez moi a fait de Monsieur Goethe le portrait suivant: „Er ist 24 Jahre alt; ist Rechtsgelehrter, guter Advokat, Kenner und Leser der Alten, besonders der Griechen; Dichter und Schriftsteller; Orthodox . . . Heterodox . . . Possentreiber . . . kurz, er ist ein großes Genie, aber ein furchtbarer Mensch.“ [20.] [Hamburg, anonyme Rez. zu:] Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel. Leipzig und Frankfurt. 1774. In: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 20. Jan 1775 (Braun 1, 71): Diese Knittelverse (insonderheit das Stück, das vom Pater B r e y handelt,) enthalten viel Laune, viele komische Einfälle.3)

Nov

7. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: C. F. Nicolai an I. Iselin gD)

1785 Dez

5. [Düsseldorf] F. H. Jacobi an J. F. Kleuker (Brüggen − Sudhof I 4, 269): Göthe hat ihn [Leuchsenring], als P a t e r B r e y , in dem Puppen- oder Fastnachts-Spiele dieses Nahmens nach dem Leben geschildert. Folgende 4 Verse daraus fallen mir gerade ein [152−55]: Er will überall Berg und Thal vergleichen; alles Rauhe mit Gyps und Kalk bestreichen; um dann zu mahlen auf das weis, sein Gesicht, oder seinen Steiß. 1

) Zum Vorausgehenden s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“ gD. ) Hauptmanns Vorstellung: Ich bin ein reicher Edelmann . . . Ich fürcht’, es kommt der jüngste Tag; 3 ) Zum Nachfolgenden s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“ gD. 2

6

FASTNACHTSSPIEL

1785

Zu der Zeit da Göthe dieß Pasquill schrieb, hatte L. [Leuchsenring] die Grille einen geheimen Orden der Empfindsamkeit zu stiften. Er reiste mit einer ganzen Bibliothek von Brieftaschen herum, warb überall neue Gemeinsglieder an, und setzte die unbekanntesten Personen miteinander in Correspondenz. − Ein Mann von ungemein viel Kopf war er immer; aber dabey ein solcher Grillenfänger, daß er seine eigene Sachen, und die Sachen aller derer die sich mit ihm einließen, immer verdarb; selbst in die größten Verlegenheiten gerieth, und andere ohne alle Schonung mit sich hineinzog. − Alles erwogen, bin ich geneigter ihn für eine ganz eigene Art von Schwärmer, als für einen Schurken zu halten. Nach vielen seiner Thaten zu urtheilen, wäre er das letzte . . . Der Mann auf den die vorhin aus Göthes Puppenspiele angeführten 4 Verse paßten, mußte nothwendig, besonders der 2 letzten wegen, ganz ungemein zu Nikolai und seinen Genoßen paßen.

1786 Apr 27. [Düsseldorf] F. H. Jacobi an C. Garve (Brüggen − Sudhof I 5, 171): Eben diesen Leuchsenring lernte ich vor ohngefähr 18. Jahren kennen, da er sich als Unterhofmeister mit dem Erbprinzen von Darmstadt in Leiden aufhielt. Er ist ein Mann von sehr vielem Geiste, aber beständig mit einer oder der andern Grille bis zur Schwärmerey behaftet. Damahls wollte er selbst einen geheimen Orden − der Empfindsamkeit stiften; lebte und webte in Correspondenzen; und war immer mit Brieftaschen bepackt, aus denen er vorlas. Ich war ihm viel zu muthwillig; und er brach ein paar Mahl mit mir, weil ich ihm Unkraut unter seinen Waitzen säete, und vornehmlich mit Weibern lieber scherzte, als phantasierte. Dennoch hat er sich länger mit mir als mit irgend einem andern von seinen Freunden vertragen. Herder, den er auch zu Leiden hatte kennen lernen, brach bald darauf zu Darmstadt mit ihm auf immer. Bey dieser Gelegenheit schrieb Goethe „das Fastnachtsspiel vom P a t e r B r e y , dem falschen Propheten“, worinn Leuchsenring zwar in einer etwas unsaubern Manier, aber doch nach dem Leben auf das treuste geschildert ist. So viele Menschen ich kenne, die sich mit ihm eingelaßen haben, so viele reden auch von ihm nicht anders als von einem sehr schlechten Suject. Ich habe vielleicht mehr Grund wie Einer, über ihn zu klagen, und meine Geschichte mit ihm, die einen Zeitraum von 8. Jahren einnimmt, läßt sich schlechterdings auf keine Art erzählen, die ihn nicht zum Schurken machte. Dennoch kann ich mich noch immer nicht entschließen, ihn dafür zu halten, weil ich Eigenschaften an ihm wahrgenommen habe, neben denen ein hoher Grad von Narrheit, aber schwerlich entschloßene Niederträchtigkeit bestehen kann. Seit 10. Jahren bin ich außer aller Verbindung mit ihm. Doch hat er im Jahre 78. noch einmahl an mich geschrieben, und einen letzten Versuch gewagt, mich von neuem zu gewinnen. Der Mann, der in folgenden vier Versen, als Pater Brey, auf das vollkommenste geschildert ist; Er will überall Berg und Thal vergleichen, Alles Rauhe mit Gips und Kalch verstreichen, Um dann zu mahlen auf das Weiß Sein Gesicht oder seinen St – Dieser Mann konnte nicht anders als ganz unendlich zu den Berliner Reformatoren paßen, und die eifrigsten Novizen unter ihnen bilden. Juni Juli

(s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: an F. J. Bertuch u. G. J. Göschen 28.1) gD)

6. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Charlotte v. Stein gD)

1

) Datierung nach Gräf II 1, 102; Br 7, 234 datiert: Ende Juni.

1786 Sept

FASTNACHTSSPIEL

7

2. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Carl August u. an G. J. Göschen gD) 23. [Pempelfort] F. H. Jacobi an J. G. Schlosser (Brüggen − Sudhof I 5, 353): Das Publikum muß wißen, daß er [Leuchsenring] der P a t e r B r e y ist, und sein ganzes Leben durch, nichts als Stänkereyen angerichtet hat.

1787 Jan 13. Febr 2. 6.

}

Juni 8. Aug 11.

}

(s. „Werke, Ausgabe S“: an Ph. Chr. Kayser u. an Ch. v. Stein gD)

(s. „Werke, Ausgabe S“: an Ch. v. Stein u. an Carl August gD)

Okt 1., 5. u. 24. (s. „Werke, Ausgabe S“: an C. F. Schnauß, Ital. Reise u. an J. C. Kestner gD)

1788 Jan 25. März 21. Apr 5. Juli 15. Aug

}

(s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen gD)

9. [Weimar] Schreiberrechnung (Burkhardt II 5): Vogel liquidiert für Abschrift des „Puppenspieles“ . . . 12.

Sept 1., 2. od. 3. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Ch. v. Stein, an G. J. Göschen, an Herder gD) 3. (s. „Werke, Ausgabe S“: G. J. Göschen an F. J. Bertuch gD) 19., 22. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Anna Amalia, an Herder gD) 24. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: an G. J. Göschen gD) 28. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: an G. J. Göschen gD) Okt 9., 25. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen u. an Knebel gD) Dez

8. An G. J. Göschen (Br 18, 34): Ich habe die Bogen F. G. H. meines

achten Bandes vor einiger Zeit in duplo erhalten, die vorhergehenden aber sind nicht angekommen. Haben Sie die Güte sich zu erkundigen wo sie geblieben sind.1) Zugleich überschicke ich den Überrest des Manuscripts und ersuche Sie um Nachricht des Empfangs wie auch um Auskunft wegen obenstehenden Puncktes. 15. An G. J. Göschen (Br 18, 35): Die Aushänge Bogen biß M sind angelangt, haben Sie die Güte von Zeit zu Zeit die übrigen zu senden.

1

) Das Fastnachtsspiel umfaßt die Bogen E u. F.

8

FASTNACHTSSPIEL

1788

Dez 27. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen, an Herder gD)

1789 Jan

16. [Weimar] Caroline Herder an Herder (Meier − Hollmer 310): Goethens Gedichte [in Ausg. S 8] sind noch nicht ganz fertig [gedruckt]; ich habe sie [als Aushängebogen] 2 Tage gehabt aber gleich wieder zurück geschickt − es war ein Stachel für mich drinnen; der P. Brei ist nach dem Plundersweiller Jahr.[markt] vorgedruckt es hat mir sehr weh gethan daß ers nicht weggelassen hat. ich kann in den nächsten 4 Wochen nicht mit ihm leben; er ist mir fatal.

Jan Ende (s. „Werke, Ausgabe S“: an H. Meyer gD) Febr

2. (s. „Werke, Ausgabe S“: an F. H. Jacobi, F. L. v. Stolberg gD) 13. [Weimar] Caroline Herder an Herder (BG 3, 272): Mit Goethe habe ich mich am Montage [9. Febr] über die Leonore im Pater Brey ausgesprochen. Ich frug ihn, ob ich diese Person so ganz gewesen wäre? Bei Leibe nicht! sagte er; ich solle nicht so deuten. Der Dichter nehme nur so viel von einem Individuum, als notwendig sei, seinem Gegenstand Leben und Wahrheit zu geben; das übrige hole er ja aus sich selbst, aus dem Eindruck der lebenden Welt. Und da sprach er gar viel Schönes und Wahres darüber1) . . . Kurz, ich war völlig befriedigt, da ich mir ihn so ganz als Dichter denke. Er nimmt und verarbeitet in sich aus dem A l l d e r N a t u r (wie es [K. Ph.] Moritz nennt), in das ich auch gehöre, und alle andre Verhältnisse sind dem Dichter untergeordnet. Das sehe ich jetzt deutlich, und ich sehe ihn täglich mehr in seinem eigentlichen Licht. Er ist eben ein glücklich Begünstigter von der Natur.

März 2. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Herder gD) 7. [Rom] Herder an Caroline Herder (Herder Briefe 6, 122): Goethens Gedichte sind hier angekommen . . . es sind unglaublich schöne Stücke darunter; alles aber, wie es da ist, hätte er nicht sollen drucken laßen. Nicht nur, daß er den Kritikern das Maul darüber aufreißt, sondern auch weil die jugendlichen Fratzen u. Späße doch niemals recht für den Druck sind. Was du, gutes Herz, zu seiner Entschuldigung sagst, reicht meinem Gefühl nicht zu. Hole der Henker den Gott, um den alles rings umher eine Fratze sein soll, die er nach seinem Gefallen brauchet; oder gelinder zu sagen, ich drücke mich weg von dem großen Künstler, dem einzigen rückstrahlenden All im All der Natur, der auch seine Freunde und was ihm vorkommt bloß als Papier ansieht, auf welches er schreibt, oder als Farbe des Paletts, mit dem er malet. Apr 17. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Anna Amalia gD)

1794 Juni

7. [Gotha] Caroline Böhmer an F. L. W. Meyer (Caroline 1, 342): Vasthi und Esther2) [von F. W. Gotter] sollen gedruckt werden. Nichts von Racine! Vielmehr hat Göthens Fastnachtspiel die erste Idee dazu gegeben.

1

) Das Folgende s. in „Torquato Tasso“: Caroline Herder an Herder gD. ) Die stolze Vasthi & Esther, erschienen in F. W. Gotter: Schauspiele. Leipzig 1795, vgl GJb 1890, 20.

2

1804

FASTNACHTSSPIEL

9

1804 Nov 30. [Frankfurt] Katharina Elisabeth Goethe an G (Briefe aus dem Elternhaus 824): . . . ja es kommt noch zu weilen der fall − daß ich wie der Pater Brey die Wand glatt mache um mein Gesicht − oder meinen Steiß drauf zu mahlen . . .

1805 Mai

1. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: an Cotta [Inhaltsplan für Ausg. A] gD)

1806 Febr 24. März 1. Apr 27. Aug 18. Okt 24., 27.

}

(s. „Werke, Ausgabe A“: TuJ, Tgb, an Cotta gD)

1807 Aug 30. Dez 16.

}

(s. „Werke, Ausgabe A“: an Cotta, an Zelter gD)

1808 Aug

7. (s. „Werke, Ausgabe A“: Tgb gD)

1811 ⎯

⎯ A. W. Schlegel: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. Vorlesungen . . . Zweyter Theil. Zweyte Abtheilung. Heidelberg 1811 (Mandelkow 1,282): Weit früher [vor Triumph der Empfindsamkeit] hatte sich Goethe in einigen Schwänken und Fastnachtspielen ganz die Manier unsers wackern Hans Sachs zu eigen gemacht.

1812 Nov 12. [Jena] An Cotta (Br 23, 132ff.): [Beilage.] Über die neue Ausgabe von Goethes Werken . . . A c h t e r B a n d . . . Fastnachtsspiel.

10

FASTNACHTSSPIEL

1815

1815 Febr 20. An Cotta (Br 25, 200f.): Inhalts-Verzeichniß

der zwanzig Bände Goethischer Werke [Ausg. B] 9 . B a n d . . . P a t e r B r e y .

1816 März 25. Apr 19. Mai 11.

}

(s. „Werke, Ausgabe B“: TuJ, an Cotta, Tgb gD)

1822 ⎯

⎯ J. St. Zauper: Studien über Goethe. Als Nachtrag zur deutschen Poetik aus Goethe. Wien 1822, 73: P a t e r B r e y . So sollte eigentlich das deutsche Lustspiel behandelt werden, wie im Pater Brey als Fastnachtspiel; wenn manche Lagen im menschlichen alltäglichen Leben, oder Erfahrungen durch Handlung zu einem kleinen dramatischen Ganzen mit Laune und Humor verarbeitet werden. Auch hier ist der Natur das Stück so tief entnommen, daß der Leser oder Zuschauer mit eben solchen Leuten umgegangen zu seyn, erinnert wird.

1823 Febr 25. Amalie v. Voigt: Das weimarische Liebhaber-Theater unter Göthe. In: Zeitung für die elegante Welt, 25. Febr 1823, 315 (BG 3, 40): Im Humoristischen war er aber unübertrefflich, wie a l l e Urtheilsfähige versicherten, wie sein Anderson, mehrere Rollen in des Hans Sachs Fastnachtsspielen, Hamann und der Marktschreier im Jahrmarkte von Plundersweiler u.s.w. bewiesen . . . Apr 22. A. Müllner [Rez.] Ein ganz frisch schön Trauerspiel von Pater Brey, dem falschen Propheten in der zweyten Potenz. Ans Licht gezogen durch Karl Immermann . . . Münster . . . 1823. In: Literatur-Blatt Nr. 32 v. 22. Apr 1823, 126: Nicht alle enthusiastischen Verehrer Göthe’s sind in seinen Werken gehörig belesen, am wenigsten die Maulenthusiasten, deren Name Legion ist. Gar mancher Leser, selbst unter denjenigen, welche den g a n z e n Göthe in ihrem Bücherschrank stehen haben, dürfte daher G ö t h e ’s Pater Brey, welcher im 9ten Bande (Cotta’sche Buchh. 1817.) steht, entweder gar nicht oder nur dem Namen nach kennen. Es ist ein Fastnachtsspiel, welches die Geißel der Satyre auf biderbe, altdeutschthümliche Weise über dem Rücken der pfäffischen, liebelöffelnden Frömmeley schwingt . . . Karl Immermann . . . hat diesen Pater Brey travestirt . . .

1825 Mai 20. An Cotta (G−Cotta 2, 128): [Beilage, Plan zur Anordnung der Vollständigen Ausgabe letzter Hand] . . . X. . . . Mannigfaltiges in Scherz und Ernst. . . . Fastnachtsspiel.1) 1

) Gleichlautend in den Planungsentwürfen; s. Paralip. 4 u. 5 (W 42.1, 460 u. 468).

1826

FASTNACHTSSPIEL

11

1826 Jan Ende/ Anzeige von Goethe’s sämmtlichen Werken, vollständige Ausgabe letzFebr 5. ter Hand (W 42.1, 111): X. S y m b o l i s c h - h u m o r i s t i s c h e D a r s t e l -

l u n g e n . . . Fastnachtsspiel . . .

1827 Jan 27. Febr 17., 18. u. 19. März 12. Apr 4.

}

(s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an S. Boissere´e u. Tgb gD)

Sept 17. (s. „Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel“: an die Cottaische Buchhandlung u. 18. gD)

1828 Juni 28. Okt 20. Nov 8.

}

(s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb u. an Göttling gD)

1829 Febr 9. u. 14. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Göttling u. Tgb gD) Nov

8. [Nachmittags] Wir [G mit Riemer] gingen die Dramas von 1773 und

74 durch . . .

12

[Faust. Frühe Fassung]1)

E

17722) − 17753) Chronologische Übersicht 4

1753 − 1768 ) Begegnung mit dem Puppenspiel vom Doctor Faust5), prägende Lektüre u. a. Volksbücher, Anreiz des eigenen Erfindungs- und Darstellungsvermögens6), Theaterleidenschaft führt zu weiteren dramatischen

1

) Titelbezeichnung für die frühste überlieferte Textstufe des Faust in der durch das Hoffräulein Louise von Göchhausen (1752−1807) angefertigten Abschrift. E. Schmidt, der 1887 die Abschrift aus ihrem Nachlaß in Dresden entdeckte, meinte (Einl. LXXIV): Obwohl sie das Faustfragment nur zu eigenem stillem Ergetzen abschrieb, wollte sie jedes Goethische Wortbild genau festhalten und corrigirte nachträglich kleine Abweichungen. Wann zw. G’s Ankunft in Weimar Nov 1775 u. 1786 die Abschrift entstand, weiß man nicht. Keineswegs ist sie identisch mit dem Urkodex, wie lange vermutet wurde, so 1887 von E. Schmidt in W 14, 252 u. 1894, Einl. XII, Weltrich 1888, 217, Graffunder 1891, 723, Harnack 1902, 11, Minor 1901 I 246, Traumann 1913, 74, Trendelenburg 1922, 17f., Meyer-Benfey 1923, 280, Heuer 1932, 5, Krogmann 1933, 31, Trunz 1949, 634, Pravida JbFDH 2015, 79, sondern dessen Teil- bzw. Lesefassung gemäß Pniower 1888, 1218f. sowie 1916 460, Kögel 1889, 545f., Litzmann 1904, 68f., Engel 1910, 171f., Martini 1932, 88. Nach heutigem Stand eine bearbeitete Version des Urkodex; dazu ausführlich Grumach GJb 1954, 135−42 u. Nollendorfs 1967, 17−36. Faust in ursprünglicher Gestalt u. Urfaust (E. Schmidt in der Einl.) sind demnach unzutreffende Bezeichnungen. Dazu Scheibe GJb 1970, 70f., Sauder MA 1.2, 747f. u. Schöne FA I 7.2, 81−83 u. 467. − Welche Vorlage L. v. Göchhausens Abschrift zugrunde lag, ist ungeklärt. E. Schmidt 1915 XII meint, sie entstand vor 1777 im Konnex der Faust-Übersendung an G’s Mutter (s. 30. Jan 1778: Petersen an Nicolai). In die frühste Weimarer Zeit, Winter 1775/76, datieren sie auch Pniower 1899, 20, Minor 1901, 12, Enders 1905, 80, Trunz 1949, 467, GA 5, 709, FA I 7.2, 81 (erst 1776 oder eher 1777); Scheibe GJb 1970, 69: 1777/78; Düntzer 1888, 166−69 u. 1891, 332 zufolge kurz nach 1781 auf der Basis einer nicht mehr nachweisbaren Kopie, die G damals anfertigen ließ. Diese Festlegung verwarf E. Schmidt GJb 1889, 299. Kögel 1888, 59 datierte die Abschrift auf 1782 wegen ED des König von Thule-Liedes, widerrief die These 1889, 545−62; weitere Diskussion Minor 1901 I 142f., Wolff 1907, 571ff., Pniower 1899, 29 sowie 1916 II 365, Krogmann 1932a, 166, Joos 1947, 284 u. Nollendorfs 1967, 36−40 (s. E-Rubrik König von Thule). 2 ) Vager Hinweis auf 1772 in DuW Buch 12; s. dort. 3 ) Louise von Göchhausens Abschrift nach Nov 1775; weitere Arbeit an Faust vor Italienreise 1786 nicht belegt. 4 ) Durch Z nicht belegte Vermutungen, das Konzept zum Faust sei in Leipzig (1765−1768) entstanden, so u. a. Boenigk 1914, 28, der dort die Gretchen-Tragödie vorgebildet sah, u. Schuchardt 1926, 473 wegen Einwirkung des Gottschedschen Knittelverses. 5 ) Erwähnung des Puppenspiels vom Doctor Faust in Wilhelm Meisters theatralische Sendung, Buch 1 u. 30. Juni 1754: Liber domesticus von G’s Vater mit der Rechnung für das Puppentheater, s. dort m. Anm. − Aufführungen des Puppenspiels vom Doktor Faust in Frankfurt nachweisbar in den Jahren 1756 u. 1757, vgl. Faust-Spiele der Wanderbühnen. Hsg. v. Günter Mahal. Knittlingen 1988, 79. 6 ) s. 1753[?]: DuW Buch 1 u. 1756: DuW Buch 2.

FAUST. FRÜHE FASSUNG

13

Versuchen,1) erste Jugendliebe in Frankfurt: ein Gretchen,2) Universitätserfahrungen: Professoren u. Studenten in Leipzig, Auerbachs Keller,3) Knittelvers-Praxis.4) 1769 − 1770 Konzeptionelle Phase5) Beschäftigung mit mystisch-kabbalistischer Magie.6) Quellen: 1771 Okt 8. − 1772 Jan 14.: Kindsmordprozeß von Susanna Margaretha Brandt7) 1773: Beschäftigung mit Hans Sachs (Knittelvers)8) u. Spinoza9) 1771 − 1775: Entstehung mehrerer Szenen10) 1

) s. 1759: DuW Buch 3. ) s. unten S. 28f. 1763/64: DuW Buch 5. 3 ) s. 18. Okt 1766: an Cornelia Goethe, 16. Okt 1767: an Behrisch u. [März/Apr] 1768: Förster, Aus der Jugendzeit. 4 ) s. 1766: DuW Buch 7; 16. Okt 1767: an Behrisch u. 14. Nov 1816: an Zelter. − Zum Knittelvers unter entstehungsgeschichtlichem Aspekt Nollendorfs 1967, 131−41. 5 ) Zu 1769 s. 1. Juni 1831: an Zelter (Faust . . . im zwanzigsten Jahre konzipiert) u. Q 1.2 [Inhaltsverzeichnis, Zeile 11]. − Den konzeptionellen Beginn datieren auf die Frankfurter Zeit 1768−1770 u. a. Luther 1839, 105, Vischer 1875, 1 (vielleicht schon 1769), Loeper 1879 I, V wegen der für das Stück wichtigen theosophischen Studien in diesem Jahr; Taylor 1882, 345 nach der Rückkehr aus Leipzig; Bartscherer 1912, 14, Traumann 1913, 36, Schuchard 1927, 349ff., Stawell/Dickinson 1928, 31, Grumach GJb 1952/53, 105, Scheibe 1958, 62f., Nollendorfs 1967, 290 u. Reich 1968, 36 (oder schon in Leipzig). Vermutung späterer Faustkonzeption. − 1770: Burdach 1932, 34. − 1770/1772: Eibl 2000, 27. − 1771: Maier 1952, 125−47 u. a. auf den Gerichtsfall Susanne Margarethe Brandt verweisend, kritisch dazu Scheibe 1958, 70f., der aber auch 1771/72 nennt (80), mutmaßend, daß hier zuerst die Prosaszene Trüber Tag entstand; in die Straßburger Zeit datieren Leutbecher 1838, 204, Beutler JbFDH 1936, 618 u. Fischer-Lamberg 1957, 379−82. − 1772: E. Schmidt 1903, IX, Reich 1968, 20: im Frühjahr. − 1773: Krogmann 1932b, 129 zufolge führt das 1773 gesehene Puppenspiel (s. 14. Apr 1773, an Kestner) zur Konzeption, zudem 1933, 49 Hinweis auf Juni/Juli 1773: Gotter an G (s. dort); kritisch dazu Scheibe 1958, 73. 6 ) Vgl. hierzu 1769: DuW Buch 8, Febr 13.: an Friederike Oeser m. Anm., 1770 Mai 11.: an Langer u. Aug 26.: an Susanna v. Klettenberg. 7 ) Vgl. hierzu 1771 − 1772: DuW Buch 4 u. 8. Okt 1771 sowie 14. Jan 1772: Criminalia. 8 ) s. unten (S. 49) 26. Apr 1773: Stammbucheintrag. 9 ) s. unten (S. 49) 7. Mai 1773: an Höpfner. 10 ) Wann G von der Konzeption zur ersten Niederschrift gelangte, ist ungewiß. Vermutungen − 1766: Schuchardt 1926, 465−75 mit Schülerszene, ähnlich Heuer 1932, 8. u. Krogmann 1933, 36. − 1769: Schröer 1881 I, XLVI, Taylor 1882, 345. − 1770: Voigt 1866, 8. − 1772: Baumgart 1893, 66, Bielschowsky 1909, 576, Wendling 1927, 233−48, Beutler 1941, 98−114, Fischer-Lamberg 1957, 406 (Herbst 1772) u. JG3 5, 466. − 1773: Meyer 1847, 46, Vischer 1875, 1 (u. 1774); aufgrund der Angabe in Ital. Reise 1. März 1788 (vor funfzehn Jahren, W 32, 288) u. wegen Knittelvers-Praxis u. a. Robertson 1900, 270−79, Litzmann 1904, 66, Fischer 1902, 22−31, Witkowski 1906, 2

14

FAUST. FRÜHE FASSUNG

1772: Faust war schon vorgeruckt1) 1774: Der Faust entstand mit meinem Werther2) 1775: Hab an Faust viel geschrieben3) − Sept/Okt intensive Arbeit4) 1776 − 1786 Rezitation u. Bearbeitungen 1777 Dez 1.: Sendung eines Faust-Ms. an G’s Mutter nach Frankfurt Zur Entstehung einzelner Szenen und Vers-partien:5)

Nacht (1−248) [Szene 1, Monolog] Faust Hab nun ach die Philosophey. . . (1−129)6) [Szene 2, Dialog] Geist Wer ruft mir! Faust Schröckliches Gesicht! . . . (130−164)7) 61, Engel 1910, 239, Hauri 1910, 32, Meyer-Benfey 1923, 284 u. 293, Petsch 1926 V 28, Stawell/Dickinson 1928, 267f. u. Vie¨tor 1950, 183 (evtl. schon 1771, ebd. 187). − 1773 − 1775: Für Bräuning-Octavio JbFDH 1962, 9 Herbst 1774, einige Szenen schon Herbst 1773, Redaktion Herbst 1775; Mason 1967, 77; Gaier 1989, 49 zw. Sommer 1773 u. Ende 1775. − 1774: Gestützt zumeist auf Aussagen Außenstehender u. spätere Z, so Eckermann 10. Febr 1829 (s. dort): Saupe 1856, 8, Düntzer 1857, 74, Minor 1901 I 5, E. Schmidt 1903 IX, Petsch 1903, 19, Türck 1921, 93, Köster 1924, 13, Spieß GJb 1935, 107 u. Bräuning-Oktavio JbFDH 1962, 10 Aug/Sept. Vgl. weiter unten Anm. 7. 1 ) Zu G’s auf 1772 hinweisende Aussage s. unten S. 46f. in DuW Buch 12. 2 ) s. unten 10. Febr 1829: Eckermann Gespräch. 3 ) s. unten 7. Okt 1775: an Merck. 4 ) s. unten 1775 Sept 17.: an Auguste Gräfin Stolberg u. [Okt 7.]: an Merck. 5 ) Die Szenen ergeben ein disparates entstehungsgeschichtliches Bild. Einige Interpreten sehen in ihnen den Urkeim der Dichtung u. datieren sie besonders früh (Weiße 1837, 79f., Düntzer 1880, 550, Huther 1887, 4f., Witkowski 1906, 202, Spieß 1929, 105−10, Krogmann 1933, 156−59, Burger 1942, 29, andere setzen ihre Entstehung mit oder nach den Gretchenszenen an (Roethe 1920, 660−62, Petsch 1922, 207−22, Fischer-Lamberg 1957, 389), zudem existiert die Auffassung, daß die v. 1−164 nicht einheitlich u. deshalb zu verschiedenen Zeiten entstanden seien (s. Scheibe 1958, 258−67), eine Ansicht, der aber auch vehement widersprochen wird (s. ebd. 267−71). Sz. 3 wird zumeist als direkte Fortsetzung des Monologs angesehen u. ähnlich datiert (s. ebd. 283−89). 6 ) Zur entstehungsgeschichtlichen Forschung s. nächste Anm. 7 ) 1769: v. 1−12 u. 21−32 für Schuchardt 1926, 376 im Zsh. mit dem Faust-Plan entstanden. − 1769 − vor 1771: Huther 1887, 329−35 datiert 1−75 ins Jahr 1769, die nachfolgenden von anderer Geisteshaltung, somit später, jedoch vor dem Zusammentreffen mit Merck verfaßt. − 1769 − 1772: nach Scheibe 1958, 283 1769 konzipiert, Niederschrift von 1−32 1771 u. 1772, wohl auch der Rest des ersten Monologs. − 1769 − 1775: Schröer 1879, 610, mit Bezug zum Brief 13. Febr 1769: an Friederike Oeser (s. dort), der jedoch (ebd. 619) eine allmähliche Ausbildung der Szene annimmt. − 1770 − 1771: Mayer 1889, 298 u. Bielschowsky 1909, 576 (86ff. beruhten auf Herders Ältester Urkunde); für H. Schneider 1949, 24−33 entstanden nur 1−32 in Straßburg nach Faust-Aufführung; gegen Straßburger Entstehungszeit Fischer-Lamberg 1957, 381−83. − 1771: Schröter 1992, 56 unter Hinweis auf die Beschäftigung mit

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[Szene 3, Dialog] Faust O Todt! ich kenns das ist mein Famulus . . . (165−248)1)

Shakespeare im Sommer 1771. − 1772: für Berger 1888, 316 Monolog ein Ergebnis der Wertherzeit, so auch Beutler 1940, 535, der bei v. 41 Anlehnung an die OssianDichtung bemerkt u. zur Begründung Werthers Brief vom 11. Okt 1772 anführt; Traumann 1909, 45 betont Einfluß Swedenborgs, dessen Schriften G im Frühj. 1772 studierte; Burdach 1932, 34 (1. Monolog), Hering 1952, 60 sieht Berührungspunkte zw. Satyros-Text u. Erdgeistszene; H. Schneider 1949, 77: Erdgeistszene nach Jan; Zsh. zw. Satyros u. Monolog: F. J. Schneider 1949, 25 u. Fischer-Lamberg 1957, 404. − 1772 Sommer − 1773 Herbst: Morris 1902 I 13−41 aufgrund des Swedenborg-Einflusses u. auf die Wagnerszene verweisend, die auf Okt 1773 datiert wird. − 1772 Herbst − 1773 Ende Frühj.: Fischer-Lamberg 1957, 379−406 mit ausführlicher Begründung (fünf Kriterien, s. ebd). − 1772/73 Winter: Fischer-Lamberg 1957, 398 zum Monolog, sieht Zsh. zu G’s Erkenntnispessimismus in dieser Zeit; nach Gaier 1999, 80 nur 354−605 entstanden, 598−601 später hinzugefügt, vermutl. 1798 auch Ergänzung von 606−807. − 1773: Düntzer 1880, 549f. (Monolog); Taylor 1882, 230 (Monolog); Scherer 1900, 321, als G sich für Hans Sachs u. Knittelverse begeisterte, so auch schon Schröer 1892 LXXXII, der den Monolog bereits für Dez 1772 ansetzt; Traumann 1913, 55f. sieht in der Erdgeistsequenz Einflüsse von Wielands Wahl des Herkules (TM Aug 1773): Abschluß Ende 1773; Roethe 1920, 661−64 an Scherer anknüpfend, mit weiteren Begründungen (ebd., 667f.), so auch Meyer-Benfey 1923, 294, der Untersuchungen zur Metrik anstellt; Krogmann 1933, 103f.; JG3 5, 469 Verweis auf Einfluß von Herder (insb. 1−93), Swedenborg u. Hans Sachs. − 1773 − 1774: Weltrich 1888, 565 mit Hinweis auf metrische Besonderheiten; Niehjahr 1897, 274 v. 1−32 entstanden parallel zu Epistel An Gotter (1773) oder Dine´e zu Coblenz (1774), da Ähnlichkeit in Metrik u. Reim; Heimann 1926, 110−26, melodramatische Tendenz ausmachend, datiert Vorentwurf 1773 u. Ausführung 1774. − 1773 − 1774 Sept: Düntzer 1880, 529−51 Hauptteil 1773, auf Herders Älteste Urkunde hinweisend. − 1773 nach Frühj.: v. 1−32 für Beutler JbFDH 1936, 622; 1940 XII; 1950, 707 bestimmend G’s Ringen um die metrische Form im Wettstreit mit Merck. − 1773 Sommer − 1773 Herbst: F. J. Schneider 1949, 6f. u. Scheithauer 1957, 179 mit Bezug auf Brief vom 11. Mai 1820: an Zelter (s. dort); Friedrich 1963, 182 v. 1−44 mit Hinweis auf Satyros u. Prometheus-Fragment, v. 1−32 denkbar etwa ab 1771; Nollendorfs 1967, 255. − 1773 Frühj./Sommer − 1775 Herbst: Spieß GJb 1935, 63−107 zerlegt die Szene, zunächst Scherer folgend, in 1−64, dann metrische Aspekte anführend, in 65−164, kritisch bedacht von Scheibe 1958, 276. − 1774: Bayer JbFDH 1869, 334f., Prowe 1870, 34, J. Schmidt 1877, 554, Collin 1896, 84ff. sieht Zsh. zum Werther, den Pniower 1899, 6 nicht zugibt. − 1774 Frühj.: Jacoby GJb 1880, 203 v. 101ff. mit Bezug auf Werther-Brief vom 18. Aug; Düntzer 1857, 74 (März); Pniower 1899, 7f. sieht für v. 72ff. Zsh. mit Herders Ältester Urkunde. − 1774 Sept: Saupe 1856, 12. − 1774 − 1775: Boyesen 1881, 15f. u. Liebmann 1898, 109; Mason 1967, 113 Monolog vor 1775. − 1775: Roethe 1920, 667ff.; diesem weitestgehend folgend Petsch 1926 V 636, Friedrich 1939, 171, Burger 1942, 30 u. Woyte 1955, 22. 1 ) 1771 Ende − 1772 Anf.: Robertson 1900, 270−79; Reich 1968, 71 Arbeit an der Szene zu Beginn des Jahres. − 1772 Herbst − 1773 Frühj.: Fischer-Lamberg 1957, 379−406 sieht Verbindung zum Monolog, datiert mit ähnlichen Begründungen. − 1773: Beutler GA 5, 707 entsprechend der Datierung Monolog. − 1773 Sommer − 1773 Herbst: Friedrich 1963, 182 v. 245−48 mit Hinweis auf Satyros u. PrometheusFragment. − 1773 Okt: Morris 1902, 34 u. 236 mit Hinweis auf Götter, Helden und Wieland, wo sich das Bild Wagners findet; Reich 1968, 119. − 1774: Düntzer 1854, 76 u. 1891, 139 entsprechend der Datierung Monolog, Collin 1896, 122 im Ergebnis der

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Am Brunnen Gretgen und Liesgen mit Krügen (1236−1277)1) Zwinger In der Mauerhöle ein Andachts Bild . . . Gretgen Ach neige . . . (1278−1310)2) Dom Exequien der Mutter Gretgens Gretgen alle Verwandte . . . Böser Geist (1311−1371)3) Nacht Vor Gretgens Haus Valentin Soldat Gretgens Bruder (1372−1397, 1398−1435)4) 1

) 1773: Huther 1887, 58, Petsch 1926 V 654 im Übergang von Prosa zum Knittelvers. − 1772/73 Winter − 1774: Gaier 1999, 431 Entstehung im Kontext von Straße I, Knittelvers deutet auf 1773/74. − 1773 − 1774: Roethe 1920, 664 u. Gaier 1999, 431 wegen Knittelversen. − 1774 − 1775: Collin 1896, 223. − 1774 Ende: Pniower GHb I 36f., Krogmann 1933, 159 u. Spieß GJb 1935, 79. − 1775: Taylor 1882, 296, Düntzer 1891, 164 (im Sommer). 2 ) 1773: Huther 1887, 58, Roethe 1920, 658, kritisch dazu Michels 1921, 65. − 1774 − 1775: Gaier 1999, 435 aufgrund des Kontaktes zu dem kath. Geistlichen D. F. Dumeiz, so schon vorher JG3 4, 323 u. 5, 481. − 1775: Taylor 1882, 284 (Frühj.), Michels 1921, 68f., Meyer-Benfey 1923, 307, Petsch 1926 V 654, Krogmann 1933, 159 u. Beutler JbFDH 1936, 683 aufgrund von Motivvergleich (Madonna). − 1775 Sommer: Düntzer 1891, 164 mit Bezug auf G an Auguste zu Stolberg, 17. Sept 1775 (s. dort); für Spieß GJb 1935, 88 nach Rückkehr aus der Schweiz u. im Zsh. der Trennung von Lili Schönemann entstanden. − 1775 Okt: Jacoby GJb 1880, 186ff. u. Froitzheim 1889, 53 mit Beleg 11. Okt 1775: an Sophie v. La Roche (GB 2.1, 221f.), den er mit 1278−86 in Zsh. bringt, auch Hinweis auf Claudine von Villa Bella-Parallele mit W 38, 1795–24; ihm folgen in Datierung u. Begründung Froitzheim 1889, 53 (zudem G an Merck, 7. Okt 1775 anführend, s. dort), Schröer 1892, 237, Wolff 1907, 217, Traumann 1913, 72 u. E. Schmidt 1915 XXXVIII; an die Claudine-Parallele knüpft Collin 1896, 226 an, auch Vergleich mit Erwin und Elmire. 3 ) 1773: Pniower 1899, 6f. sieht Verwandtschaft mit letzten Auftritt im Satyros u. dem Concerto dramatico, so auch Traumann 1913, 71 u. Roethe 1920, 658. − 1774 − 1775: Gaier 1999, 447 wie Zwinger wegen Mittelalterbezug. − 1775: Meyer-Benfey 1923, 307, Petsch 1926 V 154 u. Krogmann 1933, 159. − 1775 Sommer: Düntzer 1891, 164, Michels 1921, 68, Spieß GJb 1935, 85f. aufgrund formaler u. stilistischer Erwägungen; Kettner 1888, 230ff. mit Hinweis auf Wielands Kantate Serafina (TM 1775), dagegen Pniower 1899, 293 u. E. Schmidt 1915 LII. − 1775 Herbst: Froitzheim 1889, 53 u. Collin 1896, 226f., Michels 1921, 68f. (frühestens Spätsommer 1775). − 1776 März 25.: Für 1311−21 Warnecke GJb 1911, 181 wegen Brief gleichen Datums an Ch. v. Stein (Br 3, 45f.) mit Anklängen an den Wortlaut der Sequenz, dagegen Schaafs 1912, 40f. 4 ) 1771: Schuchardt 1926, 361 setzt mehrere Teile (z.B. Valentins Monolog) in die Straßburger Zeit. − 1773 − 1774: Für Roethe 1920, 663 zumindest Valentins Monolog entstanden; Petsch 1925, 324 Begründung: Aufnahme des Knittelverses; mit anderen Gründen (enger Zsh. zu 879−924 u. der Sz. Kerker) auch JG3 5, 482; Beutler JbFDH 1936, 622 v. 1−32 kaum vor Frühling 1773. − 1774: JG2 6, 547f.: nicht vor dem Frühling; v. 1398−435 Sommer 1775. − 1775: Jacoby GJb 1880, 197 mit Hinweis auf Claudine (W 38, 131, v. 21−26); so auch Traumann 1913, 74, der außerdem auf Balandrino im Pater Brey verweist; Friedrich 1963, 213: v. 1407−31 vermutlich 1775. 1775 Sommer: Saupe 1856, 14 (Aug/Sept), Meyer-Benfey 1923, 307 sieht Verbindung zu G’s Schweizreise (Alpenweltbild in der Szene); ebenso Spieß GJb 1935, 88f. − 1775 Sommer/Herbst: Düntzer 1891, 164f. (nach 27. Sept 1775), E. Schmidt 1915 XXXVIII, Sarauw 1925, 12, Heuer 1932, 56 u. Daur 1950, 107.

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Mephistopheles. Student Ich bin alhier erst kurze Zeit. . . (249−444)1) Auerbachs Keller in Leipzig Zeche lustiger Gesellen (445−452, Prosa 1−196)2) Auseinandersetzungen mit Klopstock u. Herder entstanden, verweist auch auf Zsh. mit G’s Satiren, Traumann 1913, 66 u. Heimann 1926, 125. − 1774 − 1775 Anf.: Kögel 1889, 550: v. 205f. mit Bezug auf Br an Johanna Fahlmer, 15. Nov 1774 (GB 2.1, 136); Köster GJb 1897, 9 stützt Anmerkungen Collins u. erweitert sie um Hinweis auf G’s Brief 22. Dez 1774: an Sophie von La Roche (GB 2.1, 149). − 1774 − 1775: Boyesen 1881, 15f., Liebmann 1898, 103 u. Roethe 1920, 672. − 1774 Sept: Prowe 1870, 34. − 1774 Okt: Düntzer 1891, 139. − 1775: Jacoby GJb 1880, 198 Vergleich v. 202 mit ähnlicher Stelle aus Claudine; nach Huther 1889, 329−35 ein Hinweis auf Herders Thesen in Provinzblätter (1774); Minor 1901 I 9 aufgrund des Nicolai-Briefs an Zimmermann vom 15. Apr 1775 (s. dort); auch Friedrich 1939, 98 u. Scheithauer 1957, 179 plädieren für 1775: Vervollständigung (Faust I, 98−601) als Brücke zum Osterspaziergang erst um 1800. − 1775 Aug−Sept: Saupe 1856, 13, Spieß GJb 1935, 90ff. mit vielen Belegen, u. a. Briefe 7. Okt 1775: an Merck u. 15. Jan 1776: Merck an Nicolai (s. dort). 1 ) 1765: Reich 1968, 87f.: v. 311−18 entstanden nach Br 20. Okt 1765, an J. J. Riese (GB 2.1, 18f.). − 1766 Frühj./1770−1771: Seuffert 1891, 339−42 Anfänge in Leipzig; ihm folgt Schuchardt 1926, 465−75, den Keim der Faust-Dichtung vermutend, v. 279ff. verweisen auf Käthchen Schönkopf, ein 2. Teil, vor allem nach v. 395 in Straßburger Zeit entstanden, so auch H. Schneider 1929, 113−24; Krogmann 1929, 193−204 setzt 249−394 in die Leipziger Zeit, Burger 1942, 29f. nur 250−333, so auch Heuer 1932, 19 u. Scheibe 1958, 383f., für diesen als Studentenposse entstanden, zunächst ohne Bezug zum Faust, weitere Bearbeitung später (ab 1772); auch FA I 7.2, 846f. für frühe Entstehung. − 1771 Winter − 1772 Herbst/1775: Pniower 1891, 317−35 geht von Zweiteilung aus, Zäsur v. 333, kritisch dazu Reich 1968, 104−9; Teilung auch bei Seuffert 1891, 339−42 (Zäsur v. 395); Teil 1 unter Heranziehung der Epistel an Merck markiert (Nachweis der Knittelverse), Teil 2 am Ende des Frankfurter Aufenthalts mit Hinweis auf Brief 19. Jan 1776: Merck an Nicolai (s. dort); desgleichen Robertson 1900, 277 u. Pniower GHb III 303f. − 1772: Traumann 1909, 45 u. Endres 1949, 77; Reich 1968, 71 zu Beginn des Jahres ab v. 333. − 1773: Huther 1887, 27, Beutler GA 5, 707 wegen Beschäftigung mit Knittelversen von Hans Sachs; Müller 1933, 146 im Zsh. mit Satyros; Schröer 1907, 320 mit Verweis auf v. 442 in Verbindung mit Brief an J. C. Kestner, 26. Jan. 1773 (GB 2.1, 615−22); Arens 1982, 167f. − 1773 − 1774: Collin 1896, 153, Roethe 1920, 662f. (nur 250−394) u. Petsch 1925, 324. − 1773 Frühj./Sommer − 1775 Herbst: Spieß GJb 1935, 63−107 zunächst 250−333, 1775 dann 334−95 u. Schlußteil wie Pniower GHb III 303f.; für Weltrich 1888, 565 zw. 1773 u. 1775 entstanden, so auch Nollendorfs 1967, 263 vermutl. 1773 bis v. 394 geschrieben. − 1774: Collin 1896, 158f., ihm folgend E. Schmidt 1915, XLIIff. − 1775 Aug/Sept: Saupe 1856, 13. 2 ) Viele divergierende Datierungsvorschläge. Für einige Interpreten ist grundlegend G an Auguste zu Stolberg vom 14.−17. Sept 1775, andere plädieren für Entstehungszeitpunkte vor 1775. − 1766 − 1768: Enders 1905, 76f., Wennig 1924, 197f. u. Daur 1950, 405; für Schuchardt 1926, 349 sowie 373 nur 54−79 u. 128−202, Veränderungen u. Zusätze 1775; gegen diese frühe Ansetzung u. a. Krogmann 1933, 41. − 1769: Heuer 1932, 7. − 1770 − 1771: Martini 1932, 89, Minor/Sauer 1880, 73−75, Petsch 1925, 320f. u. 1926 V 651. − 1771 − 1772: Pniower 1889, 86f. u. F. J. Schneider 1949, 79, kritisch dazu Reich 1968, 96f. − 1772: Traumann 1909, 46, aufgrund von Mercks Schilderung des Gießener Studentenlebens; Nollendorfs 1967, 240: spätestens Anf. 1773. − 1772 − 1773: JG3 5, 475 wegen des großen Prosaanteils. − 1773−1774:

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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Es war ein Ratt im Keller Nest . . . (25−48)1) Es war einmal ein König . . . (97−122)2) Land Strase Ein Kreuz am Weege . . . (453−456)3) Strase Faust, Margarethe vorübergehend . . . (457−529)4) Roethe 1920, 662 u. 666. − 1773 − 1775: Wendling 1927, 233−48, da Knittelverse erst ab 1773; Anfangsverse u. Lieder später datiert; Huther 1887, 44 wegen Verbindung zu Merck 1773, das Rattenlied 1775. − 1774: Hoffmann 1889, 160 Flohlied mit Hinweis auf J. F. D. Schubarts 1774 erschienene Fabel Der Hahn und der Adler; beipflichtend Collin 1896, 164f. u. Petsch 1922, 149; kritisch dazu Minor 1901 I 119f.; Walheim ChronWGV 1946, 44: nach 1773. − 1775 Sept: mit Hinweis auf G an Auguste zu Stolberg, 17. Sept 1775 (s. dort), Düntzer 1854, 77f. u. 1857, 263, Saupe 1856, 13, Loeper 1879 VII, Scherer 1879, 96, Oettingen 1880 I 173, Jacoby GJb 1880, 186, Weltrich 1888, 565, Graffunder 1891, 724, Schröer 1892, 134, Collin 1896, 169, Minor 1901 I 6f., Rößler 1902, 149, Gräf II 2, 19f., Pohl 1906, 3, JG2 6, 540, Traumann 1913, 97, Fischer 1913 II 26, E. Schmidt 1915, XLVI u. XXXVIII, Roethe 1920, 662, Meyer-Benfey 1923, 298 u. 307f., Stawell/Dickinson 1928, 267, Kühnemann 1930, 130, Krogmann 1933, 157f., Spiess GJb 1935, 104, Hefele 1946, 24, Woyte 1955, 13, Jaeger 2014, 170. − gegen diese Festlegung aufgrund des Briefes: Robertson 1900, 270−79, Harnack 1902, 516, Enders 1905, 76f., Witkowski 1906, 235f., JG2 6, 540 u. Heuer 1932, 20f.; zumindest nicht zwingend für Engel 1910, 246 u. Trendelenburg 1922, 16, auch Scheibe 1958, 407f. votiert für Entstehung lange vor 1775, ohne konkrete Festlegung; für Gaier 1999, 275 spätestens 1775 beendet (Satire auf Nicolai). 1 ) Die Interpreten, die G’s Brief an Auguste zu Stolberg für die Datierung der Szene anführen, setzen auch die Entstehung des Liedes auf Sept 1775; andere akzeptieren die das Lied betreffende Festlegung, vermuten aber dessen spätere Einarbeitung in die Szene, was auch für die sich auf das Lied beziehenden Partien des Gesprächs angenommen wird. Zur ersten Gruppe s. oben Sept 1775, zur zweiten: Huther 1887, 44, Harnack 1902, 533, Wolff 1907, 262, Traumann 1909, 46, Engel 1910, 178, Fischer 1913 II 42f., Traumann 1913, 66 u. 97, Pniower GHb III 179, Roethe 1920, 662, MeyerBenfey 1923, 307f., Wennig 1924, 193, Petsch 1925, 319, Wendling 1927, 238, Krogmann 1933, 157f., Friedrich 1939, 184, Beutler 1947, 25, Scheithauer 1957, 196, Reich 1968, 100f., Arens 1982, 216.; gegen frühe Ansetzung Kühnemann 1930, 130 u. Heuer 1932, 21, letzterer aufgrund von Widersprüchen zw. Lied u. Brief; 2 ) Neben der Festlegung auf 1775 (s. oben) noch 2 weitere Datierungen: 1773: Walheim ChronWGV 1941, 21f. terminus a quo aufgrund inhaltlicher Gemeinsamkeiten mit der Lebensbeschreibung Herrn Götzens von Berlichingen, die G im Frühj. 1773 benutzte; Spieß GJb 1935, 67. − 1774: Saupe 1856, 171 (1. Hälfte), Hoffmann 1889, 160 wegen Schubarts im Apr 1774 erschienener Fabel Der Hahn und der Adler; zu dieser Parallele auch Collin 1896, 164f., E. Schmidt 1903 XLIV, Traumann 1913, 97, Roethe 1920, 662 u. 666, Meyer-Benfey 1923, 317, Petsch 1922, 149; 1926 V 652, Wennig 1924, 194 u. Reich 1968, 98f. (zw. Apr 1774 u. Okt 1775); Bedenken gegen den Vergleich von Minor 1901 I 119f., Scheibe 1958, 412 u. JG3 5, 476. 3 ) Als Hs P21 überliefert, bisher nicht plausibel datierbar, so auch Nollendorfs 1967, 266. − 1773 1. Hälfte: Spiess GJb 1935, 90. − 1774: Traumann 1913, 67 wegen Nähe zum Ewigen Juden, ebenso Kühnemann 1930, 192; auch Walheim ChronWGV 1940, 8f., auf P 69 u. P84 verweisend. − 1775: Roethe 1920, 667 wegen Reim u. Metrik. 4 ) Aufgrund nur weniger Indizien stark divergierende Datierungen. − 1766 − 1767: Schuchardt 1926, 353f. weist hin auf G’s Übersetzung von Corneilles Lügner u. Brief vom 7. Nov 1767: an Behrisch (GB 1.1, 109f.); auch von FA I 7.2, 862 angeführt im Vergleich zu 492−96. − 1769 − 1775: Schröer 1892 LXXXI. − 1772/73 Winter −

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

Abend Ein kleines reinliches Zimmer (530−656)1) Es war ein König in Tule. . .(611−634)2) Allee Faust in Gedanken . . . Mephistopheles (657−718)3) Nachbarinn Haus Marthe Gott verzeihs meinem lieben Mann . . . (719−878)4) Faust. Mephistopheles Faust Wie ist’s? Wills fördern . . . (879−924)5)

1774: Gaier 1999, 319 Beginn mit Hinweis auf Knittelverspraxis in Jahrmarktsfest zu Plundersweilern, Ein Fastnachtsspiel vom Pater Brey u. Satyros. − 1773: Für Spieß GJb 1935, 79 aufgrund der Briefe vom 15. Sept 1773: an Kestner (GB 2.1, 40−42) u. 6. Nov 1773: Helene Elisabeth Jacobi an G (G−Jacobi 10). − 1773 − 1774: Roethe 1920, 664 u. JG3 5, 477, weil allgemeiner Konsens [!]. 1774: Düntzer 1882, 114 (Herbst); Collin 1896, 205. − 1774 − 1775: Boyesen 1881, 16. − 1775 Anf.: Für Düntzer 1854, 276 u. Schröer 1892,169 im Nexus der Beziehung zu Lili Schönemann entstanden; Saupe 1856, 14: Febr/März; Taylor 1882, 284 (Frühj.). 1 ) 1766 − 1767/1774: Schuchardt 1926, 474 zunächst 530−36 (Vergleich mit Triumph der Tugend 2. Erzählung), andere Teile im Umfeld des Werther entstanden. − 1772/73 Winter − 1774: Gaier 1999, 336 Entstehung im Kontext von Straße I. − 1773 − 1774: Roethe 1920, 664 mit Hinweis auf G’s Beschäftigung mit Hans Sachs. − 1773 Herbst: Nollendorfs 1967, 272. − 1774: Jacoby GJb 1880, 191, Schröer 1881 LXXI, Collin 1896, 205, Krogmann 1933, 159 u. Heuer 1932, 47 mit Hinweis auf eine spätere Überarbeitung. − 1774 − 1775: Boyesen 1881, 16. − 1775: Beutler 1947, 26, der v. 538 mit W 53, 19ff. vergleicht, kritisch dazu Richter 1949, 336; Saupe 1856, 14: Febr/März; Taylor 1882, 284 (Frühj.) 2 ) Datiert meist im Kontext der Szene; doch da das Lied in 3 verschiedenen Fassungen vorliegt, gilt auch von Faust getrennte Entstehung als möglich. − 1773: Meyer 1847, 77. − 1774: Bischoff 1901, 57 u. Harnack 1902, 535. − 1774 − 1775: Boyesen 1881, 15f. u. Liebmann 1898, 109. − 1774 März: Schröer 1892, 179. − 1774 Mai: Flaischlen 1921, 14−20 im Zsh. der Geburt von Lotte Kestners erstem Kind. − 1774 Sommer: Saupe 1856, 14 vor Juli; Taylor 1882, 286 (Juli); Witkowski 1906, 248, Wolff 1907, 162, Alt 1908, 101, Pniower GHb II 365, Wolff GHb I 143, Roethe 1920, 673, Trendelenburg 1922, 346, Heuer 1931, 47, Krogmann 1932a, 161−66, Krogmann 1933, 21 u. 159, Friedrich 1939, 188, Beutler 1946, 232 (zw. 18. u. 24. Juli) u. 1947, 14ff., Müller 1948, 70, Scheithauer 1957, 201 u. FA 7.2, 295: wohl auf Goethes Rheinreise 1774 verfaßt. 3 ) 1766 − 1767: Schuchardt 1926, 474 vor allem 666−86 u. 698−715. − 1769 − 1775: Schröer 1892 LXXXI. − 1772/73 Winter − 1774: Gaier 1999, 354 Entstehung im Kontext von Straße I. − 1773: Spieß GJb 1935, 76. − 1774: Collin 1896, 205. − 1774 − 1775: Boyesen 1881, 16. − 1775: Roethe 1920, 672f. − 1775 Frühj.: Düntzer 1854, 284; Saupe 1856, 14: Febr/März; Taylor 1882, 284. 4 ) 1766 − 1767: Schuchardt 1926, 367 nur 720−77. − 1772/73 Winter − 1774: Gaier 1999, 358 Entstehung im Kontext von Straße I. − 1773 − 1775: Für Roethe 1920, 663 u. 672f. sowie JG3 5, 478 1773 terminus post quem, da Einfluß von Hans Sachs; MA 1.2, 758: nach 1773. − 1774: Walheim ChronWGV 1947, 44, Collin 1896, 205 mit Hinweis auf G’s Brief vom 26. Apr 1774: an Lavater, so auch Krogmann 1933, 159. − 1775 Frühj.: Düntzer 1854, 285; Saupe 1856, 14: Febr/März; Taylor 1882, 284. 5 ) 1772: Rölleke 1998, 125. − 1772/73 Winter − 1774: Gaier 1999, 365 Entstehung im Kontext von Straße I; JG3 5, 479: Vermutung 1773/74. − 1774: Collin 1896, 205. − 1775: Taylor 1882, 347, Roethe 1920, 672f. − 1775 Anf.: Düntzer 1854, 290; Saupe 1856, 14: Febr/März; Taylor 1882, 284.

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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Garten Margrete an Faustens Arm. Marthe mit Mephistopheles ... (925−1053)1) Ein Gartenhäusgen Margrete mit Herz klopfen herrein . . . (1054−1065)2) Gretgens Stube Gretgen am Spinn rocken allein Meine Ruh ist hin . . . (1066−1105)3) Marthens Garten Margrete, Faust Gretgen Sag mir doch Heinrich! (1106−1235)4)

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) 1773 − 1774: Gaier 1999, 374, doch später 1029−42; MA 1.2, 758: nach 1773 − 1773 Frühj.: JG3 5, 479 verweist auf Fastnachtsspiel vom Pater Brey, dagegen Gaier 1999, 374. − 1774: Collin 1896, 205 mit Hinweis auf Ewigen Juden; Meyer v. Waldeck GJb 1886, 286 im Zsh. mit Satyros (W 16, 89, v. 212−19). − 1774 − 1775: Jacoby GJb 1880, 196 sieht Parallele zu Künstlers Erdewallen (W 11, 148, v. 69f.), entstanden 17. Juli 1774, abgeschlossen Sept 1775. − 1775: Saupe 1856, 14 (Febr/März); Düntzer 1854, 292; Taylor 1882, 284 (Frühj.); Pniower GJb 1892, 181ff. datiert im Kontext von G an Merck, 7. Okt 1775, auf Herbst, so auch Pniower GHb I 651. 2 ) 1766 − 1767: für Schuchardt 1926, 474 nur 1060−65. − 1774: Collin 1896, 203; Meyer v. Waldeck GJb 1886, 286 mit Anlehnung an Satyros (W 16, 88, v. 194f.). − 1775 Frühj.: Taylor 1882, 284. 3 ) 1773: Roethe 1920, 658. − 1773 Spätherbst: Gaier 1999, 407 in der Planungsphase von Erwin und Elmire. − 1773 − 1774: JG3 5, 480 mit Hinweis auf Egmont u. Shakespeare-Einfluß. − 1775: Saupe 1856, 14 Febr/März, Scherer 1879, 96 mit Bezug auf F. L. v. Stolbergs Lied in der Abwesenheit (1775); Schröer 1881 LXXI; Scherer 1886, 308, Düntzer 1891, 163: spätestens Jan/Febr; Michels 1921, 68f., Petsch 1926 V 654, Collin 1896, 206f. mit Verweis auf G’s Singspiele. − 1775 Frühj.: Taylor 1882, 284. − 1775 Sommer: Meyer-Benfey 1923, 304. − 1775 Herbst: Bronner 1891, 291f. mit Verweis auf G an Auguste Gräfin zu Stolberg, 17. Sept 1775 (s. dort) u. das Hohelied; Pniower GJb 1892, 181ff. datiert Okt, zur Begründung G an Merck, 7. Okt 1775 (s. dort), so auch Wolff 1907, 666, Traumann 1913, 72, E. Schmidt 1915 XXXV u. Michels 1921, 71. 4 ) Sehr unterschiedliche Datierungen u. Begründungen; der Entstehungszeitpunkt bleibt vage. 1771: Heuer 1931, 53−55 mit biographischem Bezug. − 1772: Roethe 1920, 656f. − 1772 − 1773: Mertens GJb 1888, 236−38, Michels 1921, 68, Burdach 1932, 13, Burger 1942, 30, Morris 1902, 97f. (Nähe zum Prometheus-Plan) u. Scheibe 1958, 483f. − 1773 − 1774: Enders 1905, 87 mit Verweis auf Schluß des Satyros u. Brief vom 11. Mai 1820: an Zelter (s. dort), kritisch zum Briefhinweis Scheibe 1958, 479; für Satyros-Zsh. auch Meyer v. Waldeck GJb 1886, 286. − 1774: Huther 1887, 55−58 mit Bezug auf G’s Brief an Lavater u. Pfenniger, 26. Apr 1774 (GB 2.1, 83−85), v. 1130ff. zeigen Parallele zu Lavaters Physiognomischen Fragmenten. − 1774 Herbst: Collin 1896, 214−18, der u. a. Lavaters Bekehrungsversuche anführt; JG3 5, 480 frühestens zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf religiöse Äußerungen Lavaters, Datierung auch bei Gaier 1999, 411. − 1775 Anf.: Saupe 1856, 14 (Febr/März); Jacoby GJb 1880, 202 u. Minor GJb 1887, 232, anführend G an Auguste zu Stolberg, 26. Jan 1775 (s. dort); Krogmann 1933, 159 mit Verweis auf F. Müllers Ballade Das braune Fräulein. − 1775 Juni: Taylor 1882, 284 (Frühj.), Spieß GJb 1935, 82−84. − 1775 Sommer: Düntzer 1891, 164. − 1775 Herbst: Pniower GJb 1892, 181−83 mit Berufung auf das Hohelied, so auch Traumann 1913, 72; FA I 7.2, 890 nach Sept, vielleicht auch schon in Weimar, 1229−33 mit Hinweis auf Lavater bereits Herbst 1774.

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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Faust, Mephistopheles Faust Im Elend! Verzweifelnd! . . . (Prosa 1−60)1) Nacht. Offen Feld Faust, Mephistopheles auf schwarzen Pferden . . . (1436−1442)2) Kerker Faust mit einem Bund Schlüssel . . . Es fasst mich . . . Margarethe (Prosa 1−107)3) 1

) Aufgrund der Zeugnisse vermuten mehrere Interpreten die ersten Monate von 1772 als Entstehungszeit der Szene, scheuen aber präzise Datumsangaben. Die vage Festlegung sehr alt ziehen heran: Vischer 1875, 9f., Fischer 1877, 264, Creizenach 1887, 626, Weltrich 1888, 564, Kögel 1889, 549, Baumgart 1893, 118, E. Schmidt 1903, 341, Hauri 1910, 249, Petsch 1926 V 654, Krogmann 1928, 29, Kühnemann 1930, 163, Delp 1941, 193, Burger 1942, 20, Böhm 1949, 103 u. Heffner 1954, 416; auch ohne genaue Datierung, doch in die Nähe des Götz von Berlichingen rückend Scherer 1879, 79f., Loeper 1879 XVIII, Bischoff 1901, 77 u. Petsch 1925, 317. − 1771 − 1772: mit Hinweis auf Götz Schröer 1892 CV u. 291f., Enders 1905, 79, Traumann 1913, 432, Roethe 1920, 655, Schuchardt 1926, 371, Maier 1952, 129 u. Arens 1982, 434. − 1772: Schröer 1881 LXVI, Scheithauer 1957, 228, Gaier 1989, 427 u. Rölleke 1998, 125. − 1772 Jan − Mai: Beutler JbFDH 1936, 622 aufgrund des Frankfurter Kindsmordprozeßes der Susanne Margarethe Brandt, auch Beutler 1940, XLI u. 1950, 706, dem sich H. Schneider 1949, 70, kritisch dazu Richter 1949, 343; Fischer-Lamberg 1957, 388f. u. J. Müller 1969, 215, FA I 7.2, 369 u. 903 wieder mit Bezug auf Beutler. − 1772 Frühj.: Traumann 1909, 44 mit Verweis u. a. auf Wanderers Sturmlied u. das Ende der Friederike Brion-Liasion. − 1772 Anf. − Mitte: Scheibe 1958, 543 u. Nollendorfs 1967, 226. − 1772 Sommer: Wendling 1927, 242 mit Verweis auf Götz u. Lessings Emilia Galotti. − 1773: Heuer 1932, 58 sieht Zsh. mit dem überarbeiteten Götz. − 1774: Taylor 1882, 329. − 1774 Spätherbst: Spieß GJb 1935, 80. − 1774 − 1775: Daur 1950, 121. − 1775: Loeper 1870, XVII; für Collin 1896, 245f. erst nach Auerbachs Keller entstanden (Wechsel von Vers zu Prosa) im Zsh. mit G’s Schweizer Reise, ebd. 236; so auch Meyer-Benfey 1923, 308, Heuer 1931, Krogmann 1933, 159 u. Wolff 1951, 146. 2 ) Ohne genaue Festlegung gehen einige Forscher von recht früher Entstehung aus: Petsch 1881, 654 u. Bischoff 1901, 78. − 1769 − 1775: Schröer 1892 LXXXI. − 1771 − 1772: Roethe 1920, 656 (im Zsh. mit Götz) u. Schuchardt 1926, 371. − 1772: Nollendorfs 1967, 227; Friedrich 1963, 104: mit Bezug auf Beutler 1941, 98−114 um den 14. Januar 1772 niedergeschrieben. − 1772 − 1773: JG3 5, 483 Shakespeares Einfluß betonend. − 1772 − 1775: MA 6.1, 1046. − 1773: Mit Hinweis auf Bürgers Ballade Lenore Harnack 1902, 547, E. Schmidt 1903, 342, Alt 1908, 109 u. Wendling 1927, 235, gegen diesen Zsh. Roethe 1920, 656. − 1773 − 1775: Weltrich 1888, 565. − 1773 Herbst − 1774 Frühj.: Enders 1905, 55f. zw. Bürgers Lenore u. Wagners Kenntnis des Faust-Planes. − 1774 Herbst: Spiess GJb 1935, 63−65 u. 80. − 1775: Collin 1896, 245−48 im Zsh. mit Trüber Tag. − 1775 Okt: Düntzer 1891, 165. 3 ) Für frühe Datierung, ohne genauere Festlegung, plädieren Scherer 1879, 82, Creizenach 1887, 627, Weltrich 1888, 560, Hauri 1910, 252, Petsch 1926 V 654, Burger 1942, 30 u. Endres 1949, 287. − 1769 − 1775: Schröer 1892, 619. − 1771 − 1772: Roethe 1920, 656 u. Schuchardt 1926, 371. − 1772: Roethe 1920, 656 u. 1947, 24 im Zsh. mit G’s Aufenthalt in Wetzlar; für Beutler JbFDH 1936, 684f., Schneider 1949, 65f., Müller 1955, 59, Fischer-Lamberg 1957, 388f., Nollendorfs 1967, 227 u. MA 6.1, 1047 nach Abschluß des Brandt-Prozesses, so auch FA I 7.2, 909. − 1772 Jan: H. Schneider 1949, 65. − 1772 Sommer: Wendling 1927, 235 u. 244 mit Hinweis auf Götz. − 1773 − 1775: Schröer 1892 LXXVII u. 298, Düsel 1894, 408 u. Enders 1905,

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FAUST. FRÜHE FASSUNG Der König von Thule. (Aus Göthens D. Faust.) In: Siegmund von Seckendorff: Volksund andere Lieder, mit Begleitung des Forte piano, in Musik gesetzt. Sammlung 3. Dessau 1782, S. 6−9. − Faust in ursprünglicher Gestalt nach der Göchhausenschen Abschrift hsg. v. Erich Schmidt. Weimar 1887, 1−110.1) − JG2 5, 361−445.2) − AAFaust 1, 1−149.3) − AA-Ergänzungsband 3, 18−258. − JG3 5, 272−350. − MA 1.2, 134−88. − FA I 7.1, 467−539.

1753 [?] ⎯ Wilhelm Meisters theatralische Sendung. Buch 14) (W 51, 4f.): [Bene-

dikt Meister überrascht seine Mutter bei Weihnachtsvorbereitungen] . . . da nun denn der Mann eine Anzahl spannenlanger, artig gekleideter Puppen [auf dem Tisch] erblickte, die in schöner Ordnung, die beweglichen Drähte an den Köpfen befestigt, neben einander lagen und nur den Geist zu erwarten schienen, der sie aus ihrer Unthätigkeit regen sollte. Was gibt denn das, Mutter? sagte Meister. − Einen heiligen

56−75 mit Bezug auf Bürgers Lenore, Götz, Clavigo u. die Wahnsinnszene in Wagners Kindermörderin; Enders mit Hinweis auf das Machandelbaum-Märchen aus dem Brief vom Ende Febr 1774: an Sophie v. La Roche (GB 2.1, 78), dagegen Krogmann 1933, 158. − 1774 Frühj.: Enders 1905, 64: Clavigo- Nähe u. Anspielung auf’s Machandelbaum-Märchen, G an Sophie v. La Roche, ca. Ende Febr 1774 (GB 2.1, 78), dagegen Krogmann 1933, 158. − 1774 Herbst: Spiess GJb 1935, 80. − 1775: Huther 1887, 61, Stiller 1891, 4, Fischer 1913 II 28 u. E. Schmidt 1915 XXXVII auf Wagners Kindermörderin verweisend; Wolff 1951, 146 ohne Begründung. − 1775 Anf.: für Krogmann 1933, 158 im Zsh. mit Maler Müllers Ballade Das braune Fräulein kurz nach dem 5. Febr; Litzmann 1904, 79 (spätestens). − 1775 Herbst: Kögel 1889 558, Düntzer 1891, 165, Koch 1897, 174, Düntzer 1901, 390, Hatfield 1901, 122, der Parallele sieht von 94f. zu einer Egmont-Quelle u. von 1f. zu G an F. L. v. Stolberg, 26. Okt 1775 (GB 2.1, 223f.); Collin 1896, 258 u. Meyer-Benfey 1924, 368 mit Verweis auf die Kerkerszene in Claudine, dagegen Petsch 1926 V 725. 1 ) Von G nie zum Druck bestimmt. Von E. Schmidt, Einl. XII, als Urfaust bezeichnet. Ebd. LXXIIIf.: Die Göchhausensche Handschrift, ohne Titel, wird hier in einem buchstabentreuen Rohdruck reproducirt, der die Eigenthümlichkeiten der Interpunction und Orthographie, auch die nicht streng durchgeführten Zwischenstriche am Scenenende wie ein Facsimile wiedergiebt . . . frauenzimmerliche Versehen . . . habe ich stillschweigend ausgebessert [!].− Weitere Drucke: Berlin 1888, Berlin 1893, Weimar 1894, 7. Abdruck Weimar 1909. 2 ) Wie schon E. Schmidt 1894 XXXVII meinte Morris, JG2 6, 531, Göchhausen habe das Manuskript sich zu eigenem Genusse abgeschrieben. Für diesen Abdruck hat Max Hecker die Göchhausensche Abschrift verglichen, die Rechtschreibung nach G’s Brauch geregelt, wozu eine leichte Retouche genügte, und die sehr spärliche Interpunktion verschieden ergänzt. Sein Versuch, G’s Rechtschreibung wieder einzuführen, ging in Bd 12 der Welt-Goethe-Ausgabe (Leipzig 1932) ein. 3 ) Faksimiledruck auf 93 ungezählten Seiten im Anschluß an den Paralleldruck von Urfaust und Faust. Ein Fragment. 4 ) Verfaßt Febr 1777. − Zur Frage, ob diesem erdichteten Passus das Erlebnis eines zu Weihnachten 1753 von der Großmutter väterlicherseits geschenkten Puppentheaters zugrunde lag, wie DuW Buch 1 nahelegt, vgl. die beiden folgenden Z m. Anm.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

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Christ vor deine Kinder! antwortete die Alte . . . ich bin Großmutter und weiß, was ich zu thun habe . . . ich habe ihnen Puppen geputzt und habe ihnen eine Komödie zurechte gemacht, Kinder müssen Komödien haben und Puppen. Es war euch auch in eurer Jugend so, ihr habt mich um manchen Batzen gebracht, um den Doctor Faust1) und das Mohrenballett zu sehen. ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 12) (AA-DuW 1, 17; 32f.): Gewöhnlich hielten wir uns in allen unsern Freystunden zur Großmutter, in deren geräumigem Wohnzimmer wir hinlänglich Platz zu unsern Spielen fanden . . . An einem Weihnachtsabende jedoch setzte sie allen ihren Wohlthaten die Krone auf, indem sie uns ein Puppenspiel vorstellen ließ, und so in dem alten Hause eine neue Welt erschuf. Dieses unerwartete Schauspiel zog die jungen Gemüther mit Gewalt an sich; besonders auf den Knaben machte es einen sehr starken Eindruck, der in eine große langdauernde Wirkung nachklang. Die kleine Bühne mit ihrem stummen Personal, die man uns anfangs nur vorgezeigt hatte, nachher aber zu eigner Uebung und dramatischer Belebung übergab, mußte uns Kindern um so viel werther seyn, als es das letzte Vermächtniß unserer guten Großmutter war, die bald darauf [März 1754] . . . unseren Augen . . . für immer durch den Tod entrissen wurde . . . [32f.:] Man hatte zu der Zeit noch keine Bibliotheken für Kinder veranstaltet. Die Alten hatten selbst noch kindliche Gesinnungen, und fanden es bequem, ihre eigene Bildung der Nachkommenschaft mitzutheilen. Außer dem Orbis pictus des Amos Comenius kam uns kein Buch dieser Art in die Hände;3) aber die große Folio-Bibel, mit Kupfern von Merian ward häufig 1

) Im späteren Bericht von DuW Buch 1 über das Weihnachtsgeschenk der Großmutter verschwieg G das Puppenspiel von Doctor Faust. Doch besteht in der Faust-Forschung kaum Zweifel, daß G erstmals durch das Puppentheater im Elternhaus in früher Kindheit mit dem Faust-Stoff in Berührung kam. − Aufführungen des Faust-Puppenspiels durch wandernde Marionetten-Theater sind für G’s Frankfurer Kindheit u. Straßburger Studienzeit bezeugt. So wird er das Puppenspiel auch auf der öffentlichen Bühne gesehen haben. − Einen Eindruck von der Gestalt, in der G dem Faust-Stoff im Puppenspiel begegnete, vermittelt Simrocks Version von 1846; vgl. Doktor Johannes Faust. Puppenspiel in vier Aufzügen hergestellt von Karl Simrock. Mit dem Text des Ulmer Puppenspiels. Hsg. v. Günther Mahal. Stuttgart 1991. − Zum Weg des Faust-Stoffs von der Historia Von D. Johann Fausten (1587) über Marlowes Tragicall History of D. Faustus (um 1590) bis zum volkstümlichen Puppenspiel vgl. Gerd Eversberg: Doctor Johann Faust. Die dramatische Gestaltung der Faustsage von Marlowes Doktor Faustus bis zum Puppenspiel. Diss. Köln 1988. − M. Morris (JG2 6, 533): Von Marlowe über die Puppenspiele zu Goethe hat sich die Tradition fortgepflanzt, das Faustdrama mit einem Monolog zu eröffnen, in dem Faust verächtlich die Fakultäten mustert. Daß Goethe erstaunlich viele Motive aus Joh. Spieß’ Historia von D. Johann Fausten von 1587 übernommen und freilich jeweils einer Umprägung unterzogen hat, betont noch Anderegg 2011, 39 mit Beispielen, die z. T. über Faust. Frühe Fassung hinausgehen. 2 ) Verfaßt 1811; was G schildert, lag also über ein halbes Jahrhundert zurück. 3 ) Orbus pictus besagt: ein gemaltes, sichtbares Abbild der geordneten Schöpfung. Es

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

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von uns durchblättert;1) Gottfrieds Chronik, mit Kupfern desselben Meisters, belehrte uns von den merkwürdigsten Fällen der Weltgeschichte2) . . . Nun sollte mir auch noch eine reichlichere Aerndte bevorstehn, indem ich an eine Masse Schriften gerieth, die zwar in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht vortrefflich genannt werden können, deren Inhalt jedoch uns manches Verdienst voriger Zeiten in einer unschuldigen Weise näher bringt. Der Verlag oder vielmehr die Fabrik jener Bücher, welche in der folgenden Zeit, unter dem Titel: Volksschriften, Volksbücher, bekannt und sogar berühmt geworden, war in Frankfurt selbst, und sie wurden, wegen des großen Abgangs, mit stehenden Lettern auf das schrecklichste Löschpapier fast unleserlich gedruckt. Wir

war das einzige ,Kinderbuch‘, dessen sich G erinnerte u. womit er in DuW die Reihe seiner frühsten Lektüre eröffnete: Comenius, Johann Amos: Orbis sensualium pictus quadrilinguis emendatus. Hoc est: omnium fundamentalium in mundo rerum et in vita actionum pictura et nomenclatura. Germanica, Latina, Italica et Gallica. Noribergae: Joh. Andr. Endter 1757. Dt. Titel: Die sichtbare Welt. Das ist aller vornemsten WeltDinge und Lebens-Verrichtungen Vorbildung und Benahmung. − Auf die besondere Bedeutung des Comenius für den Knaben G als Schöpfungsgeschichte für Kinder u. zugleich Latein-Übungsbuch deutet auch der Dialog zwischen ihm u. seinem Freund Maximilian in den Labores Juveniles von 1757 hin, woraus auch hervorgeht, daß er die viersprachige Ausg. verwendete. (JG3 1, 12−14): Colloquium Wolfgang et Maximilian W[olfgang]. . . Wilstu etwa des Comenii seine sichtbare Welt aufschlagen und ein Paar Capitel mit mir wiederholen. W. Visne forsan mecum Comenii orbem sensualium pictum evolvere et par numerorum repetere. M[aximilian]. Auch diesen nichts wens auch die erneüerte Viersprächige wäre. M. Nequidem hunc quamvis renovatus ac quadrilinguis esset. − Comenius vermittelte aus pansophischer Geisteshaltung in Bild u. Wort Grundanschauungen des Weltganzen als ein von den konkreten Dingen des Alltags bis zu den Gestirnen des Alls von höchster Hand Geordnetes. Mensch (=Mikrokosmos), All (=Makrokosmos) u. Heilswahrheit (=Heilige Schrift) sind von Gott einander harmonisch zugeordnet. Das frühe Erlebnis einer auch das vielgestufte Reich der Natur umfassenden lebendigen Totalität gab G’s ethischer u. weltanschaulich-religiöser Haltung entscheidende Prägungen. Man denke an das im Zeichen des Makrokosmos gesehene Bild (94f.): Wie alles sich zum Ganzen webt Eins in dem andern würckt und lebt. Oder an die bezeichnenden, dem Erdgeist geltenden Worte (157f.): Der du die weite Welt umschweiffst, Geschäfftger Geist, wie nah fühl ich mich dir. Von jenem Orbis Pictus der Frühstufe führte über die gleichfalls in der Jugendzeit beginnende Rezeption des neuplatonischen Ideengutes u. Spinoza ein Weg bis zu Faust II. − Vgl. Annelise Domnick: Der Orbis Pictus des Amos Coenius als Grundlektüre des jungen Goethe. In: JbWGV 1965, 159−79. 1 ) Die Basis für G’s hervorragende Kenntnis der Bibel wurde schon in früher Kindheit gelegt; s. dazu Edith Anna Kunz (Hsg.): Goethe und die Bibel. Stuttgart 2005 u. Anderegg 2011, 40f.: Goethe war, wie man weiß, ein hervorragender Kenner der Bibel . . . Seine Kenntnisse religiösen Schrifttums waren nicht auf die kanonischen Bücher beschränkt, und er war mit religiösen Traditionen ebenso vertraut wie mit den theologischen Problemen und den religiösen Diskursen seiner Zeit. 2 ) Das Werk hatte noch wichtige Auswirkungen auf Faust II, u. a. auf Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal . . . zur Mummenschanz: das Motiv der Brand-Katastrophe beim Maskenfest am Hof eines Herrschers, der, als ’Wilder Mann’ verkleidet, durch eine ins Gesicht gehaltene Fackel in Lebensgefahr gerät.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

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Kinder hatten also das Glück, diese schätzbaren Ueberreste der Mittelzeit auf einem Tischchen vor der Hausthüre eines Büchertrödlers täglich zu finden, und sie uns für ein paar Kreuzer zuzueignen . . . alles stand uns zu Diensten, sobald uns gelüstete nach diesen Werken, anstatt nach irgend einer Näscherey zu greifen. Der größte Vortheil dabey war, daß wenn wir ein solches Heft zerlesen oder sonst beschädigt hatten, es bald wieder angeschafft und aufs neue verschlungen werden konnte.1)

1754 Juni 30. [Frankfurt] Joh. Kaspar Goethe, Liber domesticus (GA 10, 899): Wincklero juveni pro theatro et puppi comoedis 4fl. 30Kr. und actori socio pro labore et repraesentatione 34 Kr.2)

1756 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 23) (AA-DuW 1, 45f.): Man hielt uns

Kinder [nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges] mehr als bisher zu Hause, und suchte uns auf mancherley Weise zu beschäftigen und zu unterhalten. Zu solchem Ende hatte man das von der Großmutter hinterlassene Puppenspiel wieder aufgestellt, und zwar dergestalt eingerichtet, daß die Zuschauer in meinem Giebelzimmer sitzen, die spielenden und dirigirenden Personen aber, so wie das Theater selbst vom 1

) G verschweigt hier den Titel des für ihn wichtigsten, auf diese Weise früh kennengelernten Volksbuchs, die H i s t o r i a v o n D . J o h a n n F a u s t e n (1587), der er erstaunlich viele Motive nicht nur des ersten, sondern auch des zweiten Teils der Tragödie entnahm, auch wenn er sie jeweils einer Umprägung unterzog (Anderegg 2011, 39): Fausts ,Pakt‘ mit Mephisto beispielsweise, Fausts Verjüngung, Mephistos wechselnde Gestalt und seine Zaubereien und sogar die Erscheinung Helenas, aber auch scheinbar Nebensächliches, wie die Thematisierung der Pest (1024−55), die in Marlowes ,Doctor Faustus‘ zu einem Bild für die Hölle auf Erden wird. Und schon im Faustbuch finden sich Anspielungen auf König David, auf das ,Buch Hiob‘ und auf den ,Brief an die Epheser‘ (10090−94), auf biblische Texte also, die als Teil des intertextuellen Netzwerks für die Anlage von Goethes Faust bestimmend sind. 2 ) Dazu E. Beutler GA 10, 899: Also vom jungen Winckler hat der Vater das Theater gekauft und einem Gehilfen bei der ersten Vorführung noch 34 Kreuzer gezahlt. Und das am 30. Juni, nachdem die Großmutter am 28. März [1754] begraben worden war. Sind wir hier an einer Stelle, wo bewußte Komposition sich als Dichtung in die Wahrheit schiebt? War es um auf die etwas blasse Gestalt der Großmutter Cornelia noch ein besonderes, freundlich bedeutsames Licht fallen zu lassen? Jedenfalls, mit diesem Puppentheater und dem Tod der Großmutter Cornelia schließt der erste Abschnitt des Ersten Buches. Dagegen vermutet R. Steiger, daß es sich hier nicht um eine Neuanschaffung, sondern um Instandsetzungsarbeiten des alten, von der Großmutter besorgten Puppenspiels handelt; vgl. Goethes Leben von Tag zu Tag. Bd 1. Zürich 1982, 30. 3 ) Verfaßt 1811.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

1756

Proscenium an, in einem Nebenzimmer Platz und Raum fanden . . . Wir hatten das ursprüngliche Hauptdrama, worauf die Puppengesellschaft eigentlich eingerichtet war, auswendig gelernt, und führten es anfangs auch ausschließlich auf; allein dieß ermüdete uns bald, wir veränderten die Garderobe, die Decorationen, und wagten uns an verschiedene Stücke, die freylich für einen so kleinen Schauplatz zu weitläuftig waren. Ob wir uns nun gleich durch diese Anmaßung dasjenige was wir wirklich hätten leisten können, verkümmerten und zuletzt gar zerstörten; so hat doch diese kindliche Unterhaltung und Beschäftigung auf sehr mannigfaltige Weise bey mir das Erfindungs- und Darstellungsvermögen, die Einbildungskraft und eine gewisse Technik geübt und befördert, wie es vielleicht auf keinem andern Wege, in so kurzer Zeit, in einem so engen Raume, mit so wenigem Aufwand hätte geschehen können.

1759 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 31) (AA-DuW 1, 73−75; 79; 91f.):

[73−75:] Der Neujahrstag 1759 kam heran . . . Durchmärsche der Franzosen ereigneten sich öfters . . . man quartierte bey uns den KönigsLieutenant [ein] . . . Graf T h o r a n e 2) . . . betrug sich musterhaft . . . [79:] Aber dieses war alles nur wenig gegen den Vortheil, den mir das Theater brachte. Von meinem Großvater hatte ich ein Freybillet erhalten, dessen ich mich . . . täglich bediente.3) Hier saß ich nun im Parterre vor einer fremden Bühne, und paßte um so mehr auf Bewegung, mimischen und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder nichts von dem verstand was da oben gesprochen wurde . . . Von der Comödie verstand ich am wenigsten . . . Die Tragödie kam seltner vor, und der gemessene Schritt, das Tactartige der Alexandriner, das Allgemeine des Ausdrucks machten sie mir in jedem Sinne faßlicher . . . [91f.:] Meine Leidenschaft zu dem französischen Theater wuchs mit jeder Vorstellung; ich versäumte keinen Abend . . . von der würdigsten Tragödie bis zum leichtfertigsten Nachspiel war mir alles vor Augen und Geist vorbeygegangen . . . einige halb mythologische, halb allegorische Stücke . . . gefielen

1

) Verfaßt 1811. − Die hier geschilderten Anfänge von G als Theaterdichter waren wichtige Voraussetzungen zu Faust. Frühe Fassung, auch wenn sie keine Hinweise auf Faust enthalten. 2 ) Franc¸ois de The´as Comte de Thoranc (1719−1794) logierte bis 30. Mai 1761 in G’s Elternhaus. 3 ) Diese Gelegenheit, schon in ganz jungen Jahren mit der Bühne vertraut zu werden, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen für die frühe Entwicklung von G’s dramatischen Neigungen u. Fähigkeiten.

1759

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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sehr . . . so hatte ich bald ein solches Stückchen in meiner Phantasie zusammengestellt.1) Febr 16. [Berlin, Ps. Fll. = Lessing:] Briefe, die neueste Litteratur betreffend. Siebzehnter Brief. Den 16. Februar 1759 (Lessing: Werke u. Briefe in zwölf Bden: Bd 4. Hsg. von Gunter E. Grimm. Frankfurt 1997, 499f.):2) . . . Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen . . . sind wahre Verschlimmerungen . . . Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen . . . ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei . . . Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmercken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen . . . Wenn man die Meisterstücke des Shakespear . . . unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganze andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden . . . Daß aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläuftig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen: Doctor Faust hat eine Menge Scenen, die nur ein Shakespearisches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doctor Faust! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiß ungemein viel großes liegt . . . Hier ist er! Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Beschwörungen; es erscheinen derselben sieben; und nun fängt sich die dritte Scene des zweyten Aufzugs

1

) Folgt Schilderung eigener erster Versuche als dramatischer Dichter, die er dem Sohn einer frz. Schauspielerfamilie in Frankfurt vorlegte, der ihn mit den drei Einheiten des Aristoteles u. anderen Forderungen der frz. Bühne konfrontierte, auf die Engländer schalt, die Deutschen verachtete u. den ca. 11-jährigen G mit dieser theoretischen Salbaderey des vorigen Jahrhunderts so quälte, dass er das Kind mit dem Bade ausschüttete und den ganzen Plunder desto entschiedener von sich warf. Diese frühen Erfahrungen sind als Voraussetzungen für G’s Faustkonzeption nicht zu unterschätzen. 2 ) Wann G von Lessings Hochschätzung des Faust-Stoffes u. Plan eines Faust-Trauerspiels erfuhr, ist ebenso ungewiß wie die davon ausgehende Wirkung. Zweifellos machte Lessings schärfster Anriff gegen Gottsched damals viel von sich reden u. vermutl. war G als Leipziger Student voll informiert, als er, selbst in Opposition zu Gottsched stehend, Lessing mit Minna von Barnhelm als glänzendes Meteor am dt. Theaterhimmel erlebte (Eckermann Gespräch, 27. März 1831, FA II 12, 475). Vgl. E. Schmidt: Zur Vorgeschichte des Goethe’schen Faust. In: GJb 1881, 69−71: I. Lessings Faust. Dort werden Z aus den Jahren 1755 bis 1767 angeführt, die Lessings Beschäftigung mit Faust-Plänen bezeugen; u. a. 8. Juli 1758: Lessing an Gleim: Ehstens werde ich meinen Doctor Faust hier spielen lassen. Kommen Sie doch geschwind nach Berlin damit Sie ihn sehen können. − 21. Sept 1767: Lessing an seinen Bruder Karl Gotthelf: Er arbeite aus allen Kräften am Faust und wolle ihn im Winter spielen lassen. − Gerüchte darüber erreichten G nachweislich spätstens seit 1774; s. 15./17. Okt 1774: Boie an Gerstenberg u. 16. Okt 1776: J. H. F. Müller. Dass dabei agonale Gefühle ins Spiel kamen, ist zu vermuten, aber von Seiten G’s nicht durch Z zu belegen. − Siehe auch R. Petsch: Lessings und Goethes Faust. In: GJb 1907, 105−10 u. H. Henning: Lessings FaustPläne und −Fragmente. In: Vierhundert Jahre Faust. Rückblick u. Analyse. Hsg. v. P. Boerner u. Sidney Johnsen. Tübingen 1989, 79−90.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

1759

an. Faust und sieben Geister1) Was sagen Sie zu dieser Scene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Scenen hätte? Ich auch!

1763 − 1764 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 52) (AA-DuW 1, 139; 141f.): [139:] Für

alle Vögel giebt es Lockspeisen, und jeder Mensch wird auf seine eigene Art geleitet und verleitet . . . Indessen wurde ich auf eine völlig unerwartete Weise in Verhältnisse verwickelt, die mich ganz nahe an große Gefahr, und wenigstens für eine Zeit lang in Verlegenheit und Noth brachten. Mein früheres gutes Verhältniß zu jenem Knaben, den ich oben Pylades genannt, hatte sich bis in’s Jünglingsalter fortgesetzt . . . [141f.:] Kurze Zeit darauf wurde ich durch meinen Freund dringend eingeladen, an einem Abendfeste jener Gesellschaft Theil zu nehmen . . . Gewiß, ich brachte einen verdrießlichen Abend hin, wenn nicht eine unerwartete Erscheinung mich wieder belebt hätte . . . Als es . . . an Wein gebrach, rief einer nach der Magd; allein statt derselben trat ein Mädchen herein, von ungemeiner, und wenn man sie in ihrer Umgebung sah, von unglaublicher Schönheit. − „Was verlangt Ihr? sagte sie, nachdem sie auf eine freundliche Weise guten Abend geboten: die Magd ist krank und zu Bette. Kann ich Euch dienen?“ − Es fehlt an Wein, sagte der eine. Wenn du uns ein paar Flaschen holtest, so wäre es sehr hübsch. − Thu es, Gretchen, sagte der Andre; es ist ja nur ein Katzensprung. − „Warum nicht!“ versetzte sie, nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rückseite fast noch zierlicher. Das Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmuthig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen, und man konnte der ganzen Gestalt um so ruhiger folgen, als die Aufmerksamkeit nicht mehr durch die stillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein angezogen und gefesselt wurde. Ich machte den Gesellen Vorwürfe, daß sie das Kind in der Nacht allein ausschickten; sie lachten mich aus, und ich war bald getröstet, als sie schon wiederkam: denn der Schenkwirth wohnte nur über die Straße. − Setze dich dafür auch zu uns, sagte der eine. Sie that es, aber leider kam sie nicht neben mich. Sie trank ein Glas auf 1

) Bei der im folgenden von Lessing mitgeteilten Szene, in der Faust den Teufel, der so schnell ist wie der Übergang vom Guten zum Bösen, wählt, handelt es sich um eins der zwei erhaltenen Bruchstücke von Lessings eigenem Faust-Projekt, das ihn seit 1755 beschäftigte, alle anderen Vorarbeiten gingen verloren; vgl. die hist.-krit. Lessing-Ausg. von Lachmann-Muncker. Bd 3. Stuttgart 1887, 380−90. 2 ) Verfaßt 1811. − Inwieweit G’s Schilderung seiner ersten Liebe zu der unschuldigen Namensgeberin des Gretchen im Faust u. der fatalen Folgen auf Dichtung oder Wahrheit beruht, ist ungeklärt.

1763 − 1764

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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unsre Gesundheit und entfernte sich bald, indem sie uns rieth, nicht gar lange beysammen zu bleiben und überhaupt nicht so laut zu werden: denn die Mutter wolle sich eben zu Bette legen. Es war nicht ihre Mutter, sondern die unserer Wirthe. Die Gestalt dieses Mädchens verfolgte mich von dem Augenblick an auf allen Wegen und Stegen: es war der erste bleibende Eindruck, den ein weibliches Wesen auf mich gemacht hatte; und da ich einen Vorwand sie im Hause zu sehen weder finden konnte, noch suchen mochte, ging ich ihr zu Liebe in die Kirche und hatte bald ausgespürt wo sie saß; und so konnte ich während des langen protestantischen Gottesdienstes mich wohl satt an ihr sehen. Beym Herausgehen getraute ich mich nicht sie anzureden, noch weniger sie zu begleiten, und war schon seelig, wenn sie mich bemerkt und gegen einen Gruß genickt zu haben schien.1) Doch ich sollte das Glück mich ihr zu nähern nicht lange entbehren . . .2)

1765 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit. Buch 73) (AA-DuW 1, 220): Man gab uns

[Studenten in Leipzig] G o t t s c h e d s kritische Dichtkunst in die Hände . . . sie überlieferte von allen Dichtungsarten eine historische Kenntniß, so wie vom Rhythmus und den verschiedenen Bewegungen desselben4) ... 1

) Einige Kommentare, so Schröer 1881, 155f.; Düntzer 1885, 53f.; Huther 1887, 47; Türck 1921, 26; Petsch 1926 V 654, Maier 1953, 401−18, weisen darauf hin, daß auch Faust sein Gretchen vor der Kirche sieht u. daß die Worte Beym Herausgehen an die berühmten Verse der Frühen Fassung denken lassen: Mein schönes Fräulein darf ichs wagen Mein Arm und Geleit ihr anzutragen (457f.), die G kaum verändert ins Fragment (1790) u. in Faust I (1808) aufgenommen. Doch vermuten einige Interpreten, daß in diesem Fall eher die Faust-Dichtung auf die Erzählung in DuW eingewirkt habe als das Erlebnis selber; z. B. Scherer 1886, 29−31. − Vgl. zur Problematik auch W. Krogmann: Der Name ,Margarethe‘ in Goethes Faust. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 55 (1930) 361−79. 2 ) Weiter schildert G (AA-DuW 1, 143): Gretchen saß am Fenster und spann; was wieder an die Szene der Frühen Fassung erinnert: Gretgens Stube Gretgen am Spinn rocken allein [vor 1067]. Hierfür gilt gleichfalls das in der vorigen Anm. Gesagte. − Im Kontext der in DuW Buch 5 geschilderten Beziehung zu dem Frankfurter Gretchen heißt es (AA-DuW 1, 142): So mystificirte ich mich selbst, indem ich meinte einen andern zum Besten zu haben, und es sollte mir daraus noch manche Freude und manches Ungemach entspringen. Daß G auch die DuW-Leser mystifizierte, ist nicht auszuschließen. 3 ) Verfaßt 1811. 4 ) Gottscheds Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen . . . Leipzig 1730, 2 1737, 31742, 41751. In welcher Aufl. G das Werk kennenlernte, ist unbekannt; doch alle enthalten im 5. Hauptstück § 19 Gottscheds Polemik gegen das entartete Märchen von D. Fausten, das lange genug den Pöbel belustigt habe. Auch begegnete G hier dem für seine frühe Faust-Dichtung charakteristischen Knittelvers, der im Besonderen Theil Kap. Von Sinn- und Scherzgedichten behandelt u. am Beispiel von Gottscheds Auf den Geburtstag Herrn M. Joh. Friedrich Mayens, demonstriert wird.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

1766

1766 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 71) (AA-DuW 1, 224f.): Unsern Besuch

bey Gottsched [Ostern 1766] darf ich nicht übergehen . . .Wir [J. G. Schlosser u. G] ließen uns melden. Der Bediente führte uns in ein großes Zimmer, indem er sagte, der Herr werde gleich kommen . . .Wir traten hinein zu einer sonderbaren Scene: denn in dem Augenblick trat Gottsched, der große breite riesenhafte Mann, in einem gründamastnen, mit rothem Tafft gefütterten Schlafrock zur entgegengesetzten Thüre herein; aber sein ungeheures Haupt war kahl und ohne Bedekkung. Dafür sollte jedoch sogleich gesorgt seyn: denn der Bediente sprang mit einer großen Allongeperücke auf der Hand (die Locken fielen bis an den Ellenbogen) zu einer Seitenthüre herein und reichte den Hauptschmuck seinem Herrn mit erschrockner Gebärde. Gottsched, ohne den mindesten Verdruß zu äußern, hob mit der linken Hand die Perücke von dem Arme des Dieners, und indem er sie sehr geschickt auf den Kopf schwang, gab er mit seiner rechten Tatze dem armen Menschen eine Ohrfeige, so daß dieser, wie es im Lustspiel zu geschehen pflegt, sich zur Thüre hinaus wirbelte, worauf der ansehnliche Altvater uns ganz gravitätisch zu sitzen nöthigte und einen ziemlich langen Discours mit gutem Anstand durchführte.2) Okt 18. [Leipzig] An Cornelia Goethe (GB 1.1, 69): Nichtsdestoweniger lebe ich so vergnügt und ruhig als möglich, ich habe einen Freund an dem Hofmeister des Grafen von Lindenau [E. W. Behrisch], der aus eben den Ursachen wie ich, aus der grosen Welt entfernt worden ist. Wir trösten uns mit einander, indem wir in unserm Auerbachs Hofe, dem Besitztume des Grafen, wie in einer Burg, von allen Menschen abgesondert sitzen, und ohne Misantropische Philosophen zu seyn, über die Leipziger lachen, und wehe ihnen, wenn wir einmahl unversehns aus unserem Schloß, auf sie, mit mächtiger Hand, einen Ausfall tuhn.3)

1

) Verfaßt 1811. ) Dieses Erlebnis mit einem hochangesehenen Professor betrachtet die Faust-Forschung (zuletzt FA 7.2, 847) als Anregung zur Regieanweisung in Frühe Fassung (FA 7.1, 477, vor v. 249): Mephistopheles im Schlafrock eine grose Perrücke auf. Student. 3 ) G’s Freund Behrisch wohnte in Auerbachs Hof, dem größten Handelshof in Leipzig, dessen Mitinhaber sein Dienstherr, der Graf von Lindenau war. Außer ca. 100 Verkaufsgewölben im Erdgeschoß, befand sich im Untergeschoß Auerbachs Weinkeller, der als Lokalität in Faust einging. 2

1767

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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1767 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 71) (AA-DuW 1, 254): Geraume Zeit her-

nach [Ende Aug 1767] trat [C. A.] Clodius mit seinem M e d o n 2) hervor, dessen Weisheit, Großmuth und Tugend wir unendlich lächerlich fanden . . . Ich machte gleich Abends, als wir zusammen in unser Weinhaus kamen, einen Prolog in Knittelversen . . . Okt 16. [Leipzig] An Behrisch (GB 1.1, 100): . . . Meynst du denn, ich konnte mir einbilden daß du fort bist [Abreise Behrischs am 13. Okt 1767]. Das hab ich mir noch gar nicht gesagt. Ich komme zwar nicht mehr in Auerbachshof, wo ich sonst alle Tage lag, und das sollte doch eine merckliche Aenderung in meinen Umständen machen . . .3) Nov 7. [Leipzig] An Behrisch (GB 1.1, 110): Ich habe dir viel über meinen Seelen Zustand zu schreiben, nur jetzt nicht, die Zeit ist zu kurz . . . Ich binn bey Fritzgen [gemeinsame Bekannte] gewesen, die ganz eingezogen geworden ist. So sittsam, so tugendhaft. Ich wette sie verliebt sich in mich, wenn ich noch etlichemal herauskomme, faute de quelque chose de mieux. Sie ist abscheulich erber, e r b e r im eigentlichen Verstande.4) Kein nackend Hälsgen mehr, nicht mehr ohne Schnürbrust [Korsett], daß es mir ordentlich lächerlich tuht. Sie ist manchmal Sontags alleine / zu Hause. Vierzehn Tage Vorbereitung und so ein Sontag, sollten die Erberkeit, von dem Schlosse wegjagen, und wenn zehen solche Injenieurs, zehen solche halbejahre an der Befestigung gearbeitet hätten. Würcklich A.5) hat sie etwas besser gemacht das muß ich ihm nachsagen. Könnte ich’s aber nur ungestraft tuhn und stünden im Brühle6) nicht manche Nägel und Stricke parat, wann man so was erführe, so würde ich die affaire des teufels übernehmen, und das gute Werck zu nichte machen. Kennst Du mich in diesem Tone Behrisch? Es 1

) Verfaßt 1811. ) Medon oder die Rache des Weisen: Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Frankfurt/Leipzig 1768. − Uraufführung in Leipzig wahrscheinlich 24. Aug 1767. G’s dadurch angeregter Prolog blieb nicht erhalten, doch belegt die Aussage, daß G schon damals Knittelverse dichtete. 3 ) Das Z deutet auf die Wichtigkeit der Lokalität des Auerbachshof in G’s Leipziger Studentenzeit. Gräf II 2, 10f. verweist auf die Bilder in Auerbachs Keller, die Faust unter den zechenden Studenten und den Fassritt darstellten, s. Neubert 26. 4 ) Dazu GB 1.2,181: ,Erber‘ (von mhd. ˆerbære) für lat. honestus: ehrenhaft, ehrbar (Grimm 3, 53); noch im ausgehenden 18. Jh. mit einem kurzen e ausgesprochen (Adelung 1, 1649). − In seiner ursprüngl. Bedeutung »Ehre verdienen, werth geehret zu werden 〈. . .〉 noch bis ins 14. Jh. ein Titel, den selbst Könige und Fürsten zu führen sich nicht schämten.« (Ebd., 1648) 5 ) B. C. Avenarius, geb. 1739, der nach abgeschlossenem Theologiestudium als Hofmeister eines hannoverschen Adligen mit diesem an der Univ. immatrikuliert war u. zum Leipziger Freundeskreis gehörte (GB 1.2,180). 6 ) Das Gasthaus der Familie Schönkopf lag im Brühl (DuW Buch 7, AA-DuW 2, 223). 2

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ist der Ton eines siegenden jungen Herrn. Und der Ton, und ich zusammen! Es ist komisch. Aber ohne zu schwören ich unterstehe mich schon ein Mädgen zu verf− wie Teufel soll ich’s nennen.1)

1768 [März/Apr] [Dresden] F. Förster, Aus der Jugendzeit2) (Kletke 102): In meinem Reisetagebuche aus jener Zeit finde ich nachstehende Aufzeichnung: „Was mir Frau Körner Appellationsrätin3) in Loschwitz (Mai 1809) über ihre erste Bekanntschaft mit Goethe mitgetheilt hat.“ . . . „Es war,“ erzählte die Freundin, „wenn ich mich recht erinnere, im Jahre 1764, als mein Vater Nürnberg verließ und . . . nach Leipzig zog . . . Der Vater arbeitete vornehmlich kleine Vignetten für den Verlagsbuchhändler Breitkopf; auch durch Unterricht hatte er Verdienst. Von seinen Schülern der eifrigste, zugleich aber zu allerhand munteren Streichen der aufgelegteste, war der, später so berühmt gewordene Goethe, damals Student der Rechte, sechzehn Jahr alt . . . Wenn der Vater in später Nachmittagsstunde noch fleißig bei der Arbeit saß, trieb ihn der junge Freund an, frühzeitig Feierabend zu machen . . . so ließ doch der muntre Student nicht los und entführte uns den Vater zu Schönkopfs oder nach Auerbachs Keller, wo in lustiger Gesellschaft die Studien zu den Studentenscenen des Faust entstanden sind.“ [Nov Die Mitschuldigen, ein Lustspiel in Einem Ackte. Eilfter Auftritt (JG3 Mitte] 1, 342): (Söller mit Angst und Carickatur von Furcht): Was gab’s!

Weh dir! Vielleicht in wenig Augenblicken! − Gieb deine Stirne Preiss, parier nur deinen Rücken. Vielleicht ist’s raus! O weh! Ach, wüsst ihr wie mir’s grausst. Es wird mir siedend heis! So war’s dem Docktor Faust Nicht halb zu Muth; nicht halb war’s so Richard dem Dritten! Höll’ da! Der Galgen da! Der Hahnrey in der Mitten!4)

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⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 85) (AA-DuW 1, 284−86; 291−93): . . .6)

Um den Glauben an die Möglichkeit eines solchen Universalmittels zu 1

) Womöglich Indiz für zeitnahe Entstehung von Faust. Frühe Fassung (FA 7.1 494, v. 463): Sie ist so sitt und tugendreich u. (FA 7.1, 495, v. 494ff.): Hätt ich nur sieben Tage Ruh Braucht keinen Teufel nicht dazu So ein Geschöpfgen zu verführen. Oder späteres Selbstzitat? 2 ) Verfaßt 1809 Mai. − Aus der Jugendzeit: Jugenderinnerungen von F. Förster, unverändert dessen Nachlaß von H. Kletke entnommen und als Teil I der Nachlaßedition Kunst und Leben (1873) veröffentlicht. Weiteres Z für die Bedeutung von ,Auerbachs Keller‘ in G’s Leipziger Studentenzeit. 3 ) Anna Maria Jacobine Körner, genannt Minna, Tochter des Kupferstecher J. M. Stock in Leipzig. 4 ) Beleg für gedankliche Beschäftigung mit der Gestalt des Doktor Faust. Daß dessen Erwähnung für einen keimenden Faustplan zeuge, bezweifelt allerdings E. Schmidt (GJb 1881, 69). 5 ) Verfaßt 1811. 6 ) Nach Rückkehr aus Leipzig während G’s langwieriger Krankheit im Elternhaus.

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erregen und zu stärken, hatte der Arzt [J. F. Metz] seinen Patienten [u. a. G], wo er nur einige Empfänglichkeit fand, gewisse mystische chemisch-alchemische Bücher empfohlen, und zu verstehen gegeben, daß man durch eignes Studium derselben gar wohl dahin gelangen könne, jenes Kleinod sich selbst zu erwerben; welches um so nothwendiger sey, als die Bereitung sich sowohl aus physischen, als besonders aus moralischen Gründen nicht wohl überliefern lasse, ja daß man, um jenes große Werk einzusehen, hervorzubringen und zu benutzen, die Geheimnisse der Natur im Zusammenhang kennen müsse, weil es nichts Einzelnes sondern etwas Universelles sey . . . Meine Freundinn [Susanna v. Klettenberg] hatte auf diese lockenden Worte gehorcht . . . Sie hatte schon ins Geheim We l l i n g s Opus mago-cabalisticum studirt, wobey sie jedoch, weil der Autor das Licht was er mittheilt sogleich wieder selbst verfinstert und aufhebt, sich nach einem Freunde umsah, der ihr in diesem Wechsel von Licht und Finsterniß Gesellschaft leistete. Es bedurfte nur einer geringen Anregung, um auch mir diese Krankheit zu inoculiren. Ich schaffte das Werk an,1) das, wie alle Schriften dieser Art, seinen Stammbaum in gerader Linie bis zur Neuplatonischen Schule verfolgen konnte.2) Meine vorzüglichste Bemühung an diesem Buche war, die dunklen Hinweisungen, wo der Verfasser von einer Stelle auf die andere deutet, und dadurch das was er verbirgt, zu enthüllen verspricht, aufs genauste zu bemerken und am Rande die Seitenzahlen solcher sich einander aufklären sollenden Stellen zu bezeichnen.3) Aber auch so blieb das Buch noch dunkel und unverständlich genug; außer daß man sich zuletzt in eine gewisse Terminologie hineinstudirte, und indem man mit derselben nach eignem Belieben gebahrte, etwas wo nicht zu verstehen, doch wenigstens zu sagen glaubte.4) Gedachtes Werk erwähnt seiner Vorgänger mit vielen Ehren, 1

) G erwarb die mit der 1. Aufl. von 1735 textgleiche 2. Aufl.: Herrn Georgii von Welling Opus mago-cabbalisticum et theosophicum . . . Frankfurt u. Leipzig 1760 u. übernahm das Werk 1793 aus der Bibliothek des Vaters in seine eigene Bibliothek (Ruppert Nr. 3192). − E. Grumach sah in der Kosmogonie, die Welling in Von dem Fall des Lucifers, und der darauff entstandenen Scheidung oder Schöpffung der gantzen Welt (T. I, Kap. 5) entwickelt, die geistige Grundlage des ältesten Faust-Plans von 1769/70, der die Konzeption der Eingangsszene Nacht u. auch schon die Grundmotive von Prolog und Epilog enthält. Im Gegensatz zu M. Morris u. a. meinte er, daß Makrokosmosschau u. Erdgeistszene sich im Rahmen des Wellingschen Systems bewegten, daß sie als nicht nur benachbarte, sondern innerlich zusammenhängende Teile . . . auf Welling und Helmont zurückgehen, auf den Goethe durch Welling gekommen ist. (Grumach, GJb 1952/53, 105). 2 ) Wellings Dreiteilung (T. I vom Salz, T. II vom Schwefel, T. III vom Merkur) folgt Paracelsus, stützt sich dabei auf viele, in einem langen Register aufgezählte Bibelsprüche u. geht anderseits in der Lehre von den die Elemente beseelenden Geistern auf die Neuplatoniker u. noch weiter zurück. 3 ) G’s Ex. weist 27 egh Verweise auf 15 Seiten auf; s. Grumach, GJb 1952/53, 82. 4 ) Erlebnisse dieser Art gespiegelt in Frühe Fassung (381−84): Meph. zum Schüler: . . .

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und wir wurden daher angeregt jene Quellen selbst aufzusuchen. Wir wendeten uns nun an die Werke des T h e o p h r a s t u s P a r a c e l s u s 1) und B a s i l i u s Va l e n t i n u s ; 2) nicht weniger an H e l m o n t , 3 ) S t a r k e y 4) und andere, deren mehr oder weniger auf Natur und Einbildung Da seht daß ihr tiefsinnig fasst, / Was in des Menschen Hirn nicht passt, / Für was drein geht und nicht drein geht, /Ein prächtig Wort zu Diensten steht . . . 1 ) G benutzte vermutl. die von Johannes Huser veranstaltete 2. verm. dt. Ausgabe: Aureoli Philippi Theophrasti Bombasts von Hohenheim Paracelsi . . . Opera . . . Teil I u. II. Straßburg 1616. − Notizen u. Exzerpte in den Ephemerides vom Jan 1770 bezeugen für Teil I bis S. 574 die Lektüre von: 1) Das Buch Paragranum . . . in welchem die vier columnae, als nemlich philosophia, astronomia, alchimia und virtus, darauf er seine medicin fundiret, beschriben werden; 2) Labyrinthus medicorum errantium; 3) De pestilitate; 4) De Podagris, et suis speciebus, et morbis annexis u. 5) Das Buch von den Tartarischen Kranckheiten. − Agnes Bartscherer zufolge erhielt G die entscheidende Anregung für seine Neufassung der Faustgestalt durch Leben u. Werk des Paracelsus. Von der vollständigen Lektüre der 2600 Folioseiten umfassenden Huser-Sammlung ausgehend, stellte Bartscherer die These auf, dass der Magus, Kabbalist und Mystiker Faust innerlich ein zweiter Paracelsus sei, dass G mithin seinen Faust dem Paracelsus nachgestaltet habe: Paracelsus . . . kam dadurch Faust besonders nahe, daß sich in seinen Werken eine Quelle für die Eingangspartie des ersten Monologs und andere wichtige Stellen fand. (A. Bartscherer: Paracelsus, Paracelsisten und Goethes Faust. Eine Quellenstudie. Dortmund 1911, 180; 283; 60). 2 ) Fiktiver Autor einer beträchtlichen Anzahl bis heute nicht sicher identifizierter alchemistischer Schriften, deren Hsg. Johann Thölde (ca.1560−ca.1624) vermutl. zugleich der Autor war. − Spezifische Auswirkungen der Lektüre auf Faust bisher nicht nachgewiesen. 3 ) Durch Graffunder 1891, 704f. als Helmont-Lektüre verifiziert, Werk des Franciscus Mercurius van Helmont: Paradoxal Discourse, oder: Ungemeine Meynungen von dem Macrocosmo und Microcosmo . . . Auß dem Englischen in die Hochteutsche Sprache übersetzet. Hamburg 1691. − F. M. van Helmont (1614−1698) war der Sohn von Joan (Johannes) Baptista van Helmont, des bedeutendsten Schülers von Paracelsus. − Im 1. Kap. Von den Lichtern deß Himmels des Makrokosmos-Buchs fand G das Bildmaterial, mit dem er die Makrokosmus-Schau (v. 94−100) gestalten konnte: 18. Fr.[age] . . . was für Mittel sind denn übrig / durch welche die himmlischen Lichter sich selber so auswircken können . . . / daß sie ohne Verlierung ihres eigenen Wesens und ohne Hinderung die gebührende Vollkommenheit der Natur . . . zugleich wircken mögen / so wol zur zu ihrer selbst-Verherrlichung als dieser untern Welt? − A.[ntwort] Dieser Weg ist kein ander / kann auch kein ander seyn / als welcher durch die Jacobs Leiter vorgestellet worden: Denn gleicher weise wie auff derselben die Engel Gottes auff und nieder steigen / also steigen die wesentlichen lebendigen Kräffte oder geistlichen Leiber der himmlischen Lichter unabläßlich von oben herab durch die ætherische Lufft zu dieser untern Welt / als von dem Haupt zu den Füssen; und hernach / wann sie ihre Außwirckung vollbracht / so steigen sie zu ihren eigenen Nutz und Verbesserung wieder von unten auffwerts zu dem Haupt . . . Und dieses Auff- und Niedersteigen der himmlischen Kräffte / und die stetige Verbesserung und Verherrlichung / die daran hanget / und davon herkommt / wehret und beharret ohn Unterlaß / und muß nothwendig also thun. (S. 20f.) − G kannte aus des Vaters Bibliothek bildl. Darstellungen der Jacobsleiter (Genesis 28, 12), der Merian-Bibel u. der Historien−Kinder−Bet− und Bilder−Bibel des Abraham Kyburz. 4 ) Als Hauptwerke von George Starkey (Ps. Eirenäus Philalethes) gelten: The Marrow of Alchemy (1654) u. Introitus Apertus ad occlusum regis palatium (1667). − G kann auch dt. Übersetzungen benutzt haben: Kern der Alchymie . . . Leipzig 1685 u. Der vortreff-

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beruhende Lehren und Vorschriften wir einzusehen und zu befolgen suchten. Mir wollte besonders die Aurea Catena Homeri1) gefallen, wodurch die Natur, wenn auch vielleicht auf phantastische Weise, in einer schönen Verknüpfung dargestellt wird; und so verwendeten wir theils einzeln, theils zusammen, viele Zeit an diese Seltsamkeiten, und brachten die Abende eines langen Winters, während dessen ich die Stube hüten mußte, sehr vergnügt zu, indem wir zu Dreyen, meine Mutter mit eingeschlossen, uns an diesen Geheimnissen mehr ergetzten, als die Offenbarung derselben hätte thun können. Mir war indeß noch eine sehr harte Prüfung vorbereitet . . . daß ich unter großen Beängstigungen das Leben zu verlieren glaubte und keine angewandten Mittel weiter etwas fruchten wollten. In diesen letzten Nöthen zwang meine bedrängte Mutter mit dem größten Ungestüm den verlegnen Arzt, mit seiner Universal-Medicin hervorzurücken; nach langem Widerstande eilte er tief in der Nacht nach Hause und kam mit einem Gläschen crystallisirten trocknen Salzes zurück, welches in Wasser aufgelöst von dem Patienten verschluckt wurde und einen entschieden alcalischen Geschmack hatte. Das Salz war kaum genommen, so zeigte sich eine Erleichterung des Zustandes, und von dem Augenblick an nahm die Krankheit eine Wendung, die stufenweise zur Besserung führte. Ich darf nicht sagen, wie sehr dieses den Glauben an unsern Arzt, und den Fleiß uns eines solchen Schatzes theilhaftig zu machen, stärkte und erhöhte. Meine Freundinn [Klettenberg] . . . hatte schon früher angefangen, sich einen kleinen Windofen, Kolben und Retorten von mäßiger Größe anzuschaffen, und operirte nach Wellingischen Fingerzeigen und nach bedeutenden Winken des Arztes und Meisters, besonders auf Eisen, in welchem die heilsamsten Kräfte verborgen seyn sollten, wenn man es aufzuschließen wisse, und weil in allen uns bekannten Schriften das Luftsalz, welches herbeygezogen werden mußte, eine große Rolle spielte; so wurden zu diesen Operationen Alcalien erfordert, welche indem sie an der Luft zerfließen sich mit jenen überirdischen Dingen verbinden und zuletzt ein geheimnißvolles treffliches Mittelsalz2) per se hervorbringen sollten . . . [291−93:] Umständlich genug ist zwar schon

liche Tractat und Hauptschlüssel aller Hermetischen Schiften . . . Nürnberg 1676. − Spezifische Auswirkungen der Starkey-Lektüre auf Faust bisher nicht nachgewiesen. 1 ) Hinweis auf Lektüre der Aurea Catena Homeri. Oder: Eine Beschreibung Von dem Ursprung Der Natur und natürlichen Dingen . . . Frankfurt u. Leipzig 1723. − Schon im Titel knüpft der mutmaßliche Autor, der österr. Arzt u. Rosenkreuzer Anton Joseph Kirchweger, seine Kosmogonie an die philosophische Tradition des Neuplatonismus an, die unter Berufung auf die Goldene Kette der Ilias (VIII, 18−27) den mysteriösen Zusammenhang des Weltalls innerhalb einer hierarchisch gestuften Weltordnung deutete. − Die schöne Verknüpfung prägt mit der Vorstellung des Ab- und Aufsteigens auf der Jacobsleiter die bildliche Vorstellung vom Makrokosmos. 2 ) Das Mittelsalz enthält weder Säure noch Alkali.

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die Erzählung von dem was mich in diesen Tagen berührt, aufgeregt und beschäftigt; allein ich muß demohngeachtet wieder zu jenem Interesse zurückkehren, das mir die übersinnlichen Dinge eingeflößt hatten, von denen ich ein für allemal, in sofern es möglich wäre, mir einen Begriff zu bilden unternahm. Einen großen Einfluß erfuhr ich dabey von einem wichtigen Buche, das mir in die Hände gerieth, es war A r n o l d s Kirchen- und Ketzergeschichte.1) Dieser Mann ist nicht ein bloß reflectirender Historiker, sondern zugleich fromm und fühlend. Seine Gesinnungen stimmten sehr zu den meinigen, und was mich an seinem Werk besonders ergetzte war, daß ich von manchen Ketzern, die man mir bisher als toll und gottlos vorgestellt hatte, einen vortheilhaftern Begriff erhielt. Der Geist des Widerspruchs und die Lust zum Paradoxen steckt in uns allen. Ich studirte fleißig die verschiedenen Meynungen, und da ich oft genug hatte sagen hören, jeder Mensch habe am Ende doch seine eigene Religion; so kam mir nichts natürlicher vor, als daß ich mir auch meine eigene bilden könne, und dieses that ich mit vieler Behaglichkeit.2) Der neue Platonismus lag zum Grunde; das Hermetische, Mystische, Cabbalistische gab auch seinen Beytrag her, und so erbaute ich mir eine Welt, die seltsam genug aussah. Ich mochte mir wohl eine Gottheit vorstellen, die sich von Ewigkeit her selbst producirt; da sich aber Production nicht ohne Mannigfaltigkeit denken läßt, so mußte sie sich nothwendig sogleich als ein Zweytes erscheinen, welches wir unter dem Namen des Sohns anerkennen; diese beyden mußten nun den Act des Hervorbringens fortsetzen, und erschienen sich selbst wieder im Dritten, welches nun eben so 1

) Gottfried Arnolds Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie, Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688. Frankfurt 1725, in des Vaters Bibliothek; vgl. Götting 37. − Arnold zeigt das wahre christliche Leben und die Tradition der Kirche überhaupt nur bei den Ketzern, bei der Hierarchie und in der offiziellen Kirche dagegen nur das Antichristliche. (G. v. Loeper, zit. bei R. M. Meyer, JA 23, 315). Das Werk trug wesentlich zu G’s krit. Einstellung gegenüber der christl. Kirchengeschichte bei, die die Frühe Fassung u. a. in der Schmuckkästchen-Episode zeigt.(vgl. v. 685−702: Die Mutter lies einen Pfaffen kommen; / Der hatte kaum den Spas vernommen, / Lies sich den Anblick wohl behagen / Er sprach: ach kristlich so gesinnt! / Wer überwindet der gewint. / Die Kirche hat einen guten Magen. / Hatt ganze Länder aufgefressen / Und doch noch nie sich übergessen. / Die Kirch allein meine Lieben Frauen / Kann ungerechtes Gut verdauen.) − Auch die Gnadenlosigkeit, mit der sich die ,GretchenTragödie‘ vollzieht, zeigt G’s durch Arnold geweckte Kritik an der Institution Kirche. −Von manchen Ketzern gibt Arnold dagegen einen vortheilhafteren Begriff vor allem in den letzten Büchern: Von Theophrasto Paracelso und denen übrigen so genannten Enthusiasten (16. Buch, 22. Kap.; 2. Teil, S. 309−25) u. Von denen Atheisten wie auch denen so genannten Naturalisten/Deisten und Latitudinariis in diesem seculo (17. Buch, 16. Kap., 2. Teil, S. 572−88). Dieser Einführung in des Paracelsus Leben u. Werk begegnete G ebenso wie dem Spinoza- Porträt im Atheisten-Kap. (§§ 37−45). 2 ) Burdach: Faust und Moses 780 zufolge darf man das Z der in DuW Buch 8 mitgeteilten Jugendmythologie nicht in den Wind schlagen, will man das Problem des Erdgeistes ergründen.

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bestehend lebendig und ewig als das Ganze war. Hiermit war jedoch der Kreis der Gottheit geschlossen, und es wäre ihnen selbst nicht möglich gewesen, abermals ein ihnen völlig Gleiches hervorzubringen. Da jedoch der Productionstrieb immer fortging, so erschufen sie ein Viertes, das aber schon in sich einen Widerspruch hegte, indem es, wie sie, unbedingt und doch zugleich in ihnen enthalten und durch sie begränzt seyn sollte. Dieses war nun Lucifer, welchem von nun an die ganze Schöpfungskraft übertragen war, und von dem alles übrige Seyn ausgehen sollte. Er bewies sogleich seine unendliche Thätigkeit, indem er die sämmtlichen Engel erschuf, alle wieder nach seinem Gleichniß, unbedingt, aber in ihm enthalten und durch ihn begränzt. Umgeben von einer solchen Glorie vergaß er seines höhern Ursprungs und glaubte ihn in sich selbst zu finden, und aus diesem ersten Undank entsprang alles was uns nicht mit dem Sinne und den Absichten der Gottheit übereinzustimmen scheint. Jemehr er sich nun in sich selbst concentrirte, je unwohler mußte es ihm werden, so wie allen den Geistern, denen er die süße Erhebung zu ihrem Ursprunge verkümmerte. Und so ereignete sich das, was unter der Form des Abfalls der Engel bezeichnet wird. Ein Theil derselben concentrirte sich mit Lucifer, der andere wendete sich wieder gegen seinen Ursprung. Aus dieser Concentration der ganzen Schöpfung, denn sie war von Lucifer ausgegangen und mußte ihm folgen, entsprang nun1) alles das, was wir unter der Gestalt der Materie gewahr werden, was wir uns als schwer, fest und finster vorstellen, welches aber, indem es wenn auch nicht unmittelbar, doch durch Filiation vom göttlichen Wesen herstammt, eben so unbedingt mächtig und ewig ist, als der Vater und die Großältern. Da nun das ganze Unheil, wenn wir es so nennen dürfen, bloß durch die einseitige Richtung Lucifers entstand; so fehlte freylich dieser Schöpfung die bessere Hälfte: denn alles was durch Concentration gewonnen wird, besaß sie, aber es fehlte ihr alles was durch Expansion allein bewirkt werden kann; und so hätte die sämmtliche Schöpfung durch immerwährende Concentration sich selbst aufreiben, sich mit ihrem Vater Lucifer vernichten und alle ihre Ansprüche an eine gleiche Ewigkeit mit der Gottheit verlieren können. Diesem Zustand sahen die Elohim eine Weile zu, und sie hatten die Wahl jene Aeonen abzuwarten, in welcher das Feld wieder rein geworden und ihnen Raum zu einer neuen Schöpfung 1

) Zum Folgenden vgl. Burdach: Faust und Moses 780: Die Grundvoraussetzung der Erdgeistkonzeption und zugleich der Konzeption des Mephistopheles bleibt jener Satz der Jugendmythologie: daß ›alles das, was wir unter der Gestalt der Materie gewahr werden, was wir uns als schwer, fest und f i n s t e r vorstellen, wenn auch nicht unmittelbar, doch durch F i l i a t i o n , v o m g ö t t l i c h e n We s e n h e r s t a m m t .‹ Dabei muß aber immer wieder mit allerstärkstem Nachdruck hervorgehoben werden, nirgends ist bisher der Ausdruck Erdgeist als Name für den Geist des elementarischen Lebens des Erdplaneten nachgewiesen als bei H e r d e r .

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geblieben wäre, oder ob sie in das Gegenwärtige eingreifen und dem Mangel nach ihrer Unendlichkeit zu Hülfe kommen wollten. Sie erwählten nun das letztere, und supplirten durch ihren bloßen Willen in einem Augenblick den ganzen Mangel, den der Erfolg von Lucifers Beginnen an sich trug. Sie gaben dem unendlichen Seyn die Fähigkeit sich auszudehnen, sich gegen sie zu bewegen; der eigentliche Puls des Lebens war wieder hergestellt und Lucifer selbst konnte sich dieser Einwirkung nicht entziehen. Dieses ist die Epoche, wo dasjenige hervortrat, was wir als Licht kennen, und wo dasjenige begann, was wir mit dem Worte Schöpfung zu bezeichnen pflegen. So sehr sich auch nun diese durch die immer fortwirkende Lebenskraft der Elohim stufenweise vermannigfaltigte; so fehlte es doch an einem Wesen, welches die ursprüngliche Verbindung mit der Gottheit wiederherzustellen geschickt wäre, und so wurde der Mensch hervorgebracht, der in allem der Gottheit ähnlich, ja gleich seyn sollte, sich aber freylich dadurch abermals in dem Falle Lucifers befand, zugleich unbedingt und beschränkt zu seyn, und da dieser Widerspruch durch alle Categorieen des Daseyns sich an ihm manifestiren und ein vollkommenes Bewußtseyn so wie ein entschiedener Wille seine Zustände begleiten sollte; so war voraus zu sehen, daß er zugleich das Vollkommenste und Unvollkommenste, das glücklichste und unglücklichste Geschöpf werden müsse. Es währte nicht lange, so spielte er auch völlig die Rolle des Lucifer. Die Absonderung vom Wohlthäter ist der eigentliche Undank, und so ward jener Abfall zum zweytenmal eminent, obgleich die ganze Schöpfung nichts ist und nichts war, als ein Abfallen und Zurückkehren zum Ursprünglichen. Man sieht leicht, wie hier die Erlösung nicht allein von Ewigkeit her beschlossen, sondern als ewig nothwendig gedacht wird, ja daß sie durch die ganze Zeit des Werdens und Seyns sich immer wieder erneuern muß. Nichts ist in diesem Sinne natürlicher, als daß die Gottheit selbst die Gestalt des Menschen annimmt, die sie sich zu einer Hülle schon vorbereitet hatte, und daß sie die Schicksale desselben auf kurze Zeit theilt, um durch diese Verähnlichung das Erfreuliche zu erhöhen und das Schmerzliche zu mildern. Die Geschichte aller Religionen und Philosophieen lehrt uns, daß diese große, den Menschen unentbehrliche Wahrheit von verschiedenen Nationen in verschiedenen Zeiten auf mancherley Weise, ja in seltsamen Fabeln und Bildern der Beschränktheit gemäß überliefert worden; genug wenn nur anerkannt wird, daß wir uns in einem Zustande befinden, der, wenn er uns auch niederzuziehen und zu drücken scheint, dennoch Gelegenheit giebt, ja zur Pflicht macht, uns zu erheben und die Absichten der Gottheit dadurch zu erfüllen, daß wir, indem wir von einer Seite uns zu verselbsten genöthiget sind, von der andern in regelmäßigen Pulsen uns zu entselbstigen nicht versäumen.1) 1

) Grumach (GJb 1952/53) meint, dass die eigene Religion, die aus spätester Perspek-

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Febr 13. [Frankfurt] An Friederike Oeser (GB 1.1, 159−66): . . . Zwey Jahre bey-

nahe, binn ich in Ihrem Hause herumgegangen,1) und ich habe Sie fast so selten gesehen, als ein Nachtforschender Magus einen Alraun pfeifen hört2) . . . Meine Gegenwärtige Lebensart ist der Philosophie gewiedmet. Eingesperrt, allein, Circkel Papier, Feder und Dinte, und zwey Bücher, mein ganzes Rüstzeug.3) Und auf diesem einfachen Weege, komme ich in Erkenntniß der Wahrheit, offt so weit, und weiter, als andre mit ihrer Bibliothekarwissenschafft.4) Ein groser Gelehrter, ist selten ein grosser Philosoph, und wer mit Mühe viel Bücher durchblättert hat, verachtet das leichte einfältige Buch der Natur; und es ist doch nichts wahr als was einfältig ist; freylich eine schlechte Rekommendation für die wahre Weisheit.5) tive, im 8. Buch von Dichtung und Wahrheit dargestellt wird, die Basis für die Urkonzeption des Faust gewesen sei. Die auf Welling zurückgehende merkwürdige LuciferTheosophie bilde die Gedankenschicht, auf der das ganze Faustgebäude ruht (82), auch wenn der nur einmal im ,Urfaust‘-Vers 527 auftauchende Name Lucifer schon im Fragment getilgt ist. − Für Grumach behalten die Grundgedanken der Wellingschen Kosmogonie (87) für die gesamte Arbeit am Faust ihre Gültigkeit. Dabei berücksichtigt er nicht einen unterdrückten Text, der vermutl. Buch 8 abschließen sollte u. auf Distanzierung deutet: Die Elemente dieses wunderlichen Glaubensbekenntnißes sind nicht schwer aufzufinden und ich wüßte am Zusammenstellen und Verknüpfen derselben kaum etwas Eigenthümliches zu bemerken. Indeßen beschäftigte mich die Bearbeitung solcher gestaltlosen Vorstellungen einige Zeit lang indem ich sie, durch eine Art mathematischer Symbolick, nach Weise meiner Vorgänger zu versinnlichen strebte, und die unorganischen Wesen, mit denen ich mich mehr alchymisch als chymisch beschäftigte, dadurch zu begeisten trachtete, wie denn dergleichen Beschäftigungen gar wohl der Winterjahreszeit und einem kranken Zustande gemäß waren. Ich enthalte mich hier aller Bemerkungen darüber um so mehr, da ich späterhin werde bekennen müssen, wie ich durch mancherley andere ähnliche Vorstellungsarten hindurch gegangen, nur so viel sage ich, daß man dieser Lehre, besonders von vorne herein, die peinliche Bemühungen ansieht, aus dem Vollkommenen das Unvollkommene, aus dem Licht die Finsterniß, aus der Thätigkeit den Widerstand aus dem Guten das Böse entwickeln zu wollen. (AA-DuW 2, 562f.) Die wenigen aus der Frühzeit überlieferten Z lassen kein so folgerichtiges u. geschlossenes Denkgebäude erkennen, wie G es später am Ende von DuW Buch 8 präsentiert. 1 ) Seit G im Herbst 1766 Privatschüler ihres Vaters A. F. Oeser geworden war und dadurch auch Zutritt zu den Wohnräumen der Familie in der Pleißenburg erhalten hatte. 2 ) Die Erwähnungen von ,Nachtforschendem Magus’ u. ,Alraun’ betrachtete schon Gräf II 2, 11 im Kontext des ,Magus‘ Faust als Indiz für G’s damalige Lektüre mystischalchemistischer Werke. Vgl. GB 1. 2, 256. − Schon in G’s Briefgedicht für Friederike Oeser vom 6. Nov 1768, ist von ,Alraunen’ die Rede (GB 1.1, 139): . . . Kann man was traurigers erfahren? / Am Körper alt, und jung an Jahren, Halb siech, und halb gesund zu seyn? / Das giebt so melanchol’sche Laune, / Und ihre Pein / Würd’ ich nicht los, und hätt’ ich sechs Alraune. . . 3 ) Zu zwey Bücher vermutet GB 1.2, 261f. aufgrund von DuW Buch 8 (s. oben S. 33 ff.): Wellings Opus mago-cabbalisticum u. die Aurea Catena Homeri, die G im Winter 1768/69 gemeinsam mit Susanna v. Klettenberg intensiv beschäftigt hatten. 4 ) Im Hinblick auf das später in DuW bezeugte Bemühen, sich in der Nachfolge von Welling selbst in mathematischer Symbolik (AA-DuW 2, 562) zu versuchen? 5 ) Daß G hier zur Erkenntniß der Wahrheit statt auf viel Bücher, auf das Buch der Natur

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1769 − 1775 ⎯



⎯ Tag- und Jahres-Hefte1) (W 35, 4f.): Inzwischen geschehen kühnere

Griffe in die tiefere Menschheit; es entsteht ein leidenschaftlicher Widerwille gegen mißleitende, beschränkte Theorien; man widersetzt sich dem Anpreisen falscher Muster. Alles dieses und was daraus folgt, war tief und wahr empfunden, oft aber einseitig und ungerecht ausgesprochen. Nachfolgende Productionen: F a u s t , d i e P u p p e n s p i e l e , P r o l o g z u B a h r d t sind in diesem Sinne zu beurtheilen. ⎯ Summarische Jahresfolge Goethe’scher Schriften2) (AA-SL 3, 342): Von 1769 bis 1775. Faust.

⎯ ⎯ 3) Goethe’s poetische und prosaische Werke in Zwei Bänden (Q 1. 2,

Verzeichnis des Inhalts, Zeile 11): Faust, erster Theil. 1769−1808.4)

1770 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 95) (AA-DuW 1, 295f.):6) „Das Herz wird

ferner öfters zum Vortheil verschiedener, besonders geselliger und feiner Tugenden gerührt und, die zarteren Empfindungen werden in ihm erregt und entwickelt werden. Besonders werden sich viele Züge eindrücken, welche dem jungen Leser eine Einsicht in den verborgenern Winkel des menschlichen Herzens und seiner Leidenschaften geben, eine Kenntniß, die mehr als alles Latein und Griechisch werth ist, und von welcher Ovid ein gar vortrefflicher Meister war.“7) . . . Diese besetzt, ähnelt Fausts Sichbegnügen mit einem einzigen Buch beim Aufbruch in die Natur (Frühe Fassung, 65−67): Flieh! Auf! hinaus in’s weite Land! / Und dies geheimnissvolle Buch / Von Nostradamus eigner Hand / Ist dir das nicht Geleit genug?. 1 ) Verfaßt 1819. 2 ) Verfaßt 1819. 3 ) Auf die Jahre 1769 bis 1808 bezüglich. 4 ) Die Jahreszahlen im Inhaltsverzeichnis der 1836/37 von Eckermann u. Riemer hsg. Auswahl-Ausgabe Q stimmen nicht ganz überein mit der von Chr. Th. Musculus zusammengestellten Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften im Anhang der Ausg. Q; s. unten 1773−1774: Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften. Schon Gräf II 2, 11 warnt vor dem nicht fehlerfreien, aber stets zu beachtenden Verzeichniss des Inhalts der Werke Q. 5 ) Verfaßt 1811. 6 ) Zur Kennzeichnung der Lebensepoche vorm Aufbruch nach Straßburg leitet Buch 9 mit einem (nicht genauen) Zitat aus der Allgemeinen deutschen Bibliothek (1765, St. 1, 129f.) ein, das von dem Göttinger Philologen C. G. Heyne stammte, was G nicht wußte. Es handelt sich um eine Rez. von J. G. Lindners Lehrreicher Zeitvertreib, oder die Ovidianischen Verwandlungen (Leipzig 1764); vgl. auch R. M. Meyer in JA 23, 317. 7 ) Ehrung des auch für das Faust-Projekt wichtigen röm. Dichters O v i d . − Das Zitat in DuW Buch 9 lautet weiter: Aber dieß ist es noch nicht, warum man eigentlich der Jugend die alten Dichter und also auch den Ovid in die Hände giebt. Wir haben von

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deutende Stelle, welche sich in der allgemeinen deutschen Bibliothek vorfand, war nicht die einzige in ihrer Art. Von gar vielen Seiten her offenbarten sich ähnliche Grundsätze und gleiche Gesinnungen. Sie machten auf uns rege Jünglinge sehr großen Eindruck . . . Die Philosophie mit ihren abstrusen Forderungen war beseitigt, die alten Sprachen, deren Erlernung mit so viel Mühseligkeit verknüft ist, sah man in den Hintergrund gerückt, die Compendien, über deren Zulänglichkeit uns Hamlet schon ein bedenkliches Wort ins Ohr geraunt hatte,1) wurden immer verdächtiger, man wies uns auf die Betrachtung eines bewegten Lebens hin, das wir so gerne führten, und auf die Kenntniß der Leidenschaften, die wir in unserem Busen theils empfanden, theils ahndeten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und Würdiges vorkommen mußten, weil sie der Hauptgegenstand unserer Studien seyn sollten, und die Kenntniß derselben als das vorzüglichste Bildungsmittel unserer Geisteskräfte angerühmt ward. Überdieß war eine solche Denkweise meiner eignen Ueberzeugung, ja meinem poetischen Thun und Treiben ganz angemessen.2) Mai 11. [Straßburg] An E. Th. Langer (GB 1.1, 193): Und dann, such ich unter der Hand, mir eine kleine Literarische Kenntniss d e r grosen Bücher zu verschaffen, die der gelehrte Pöbel theils bewundert, theils verachtet, und beydes weil er sie nicht versteht; deren Geheimnisse aber zu ergründen nur ein Pekulium für den empfindsamen Weisen ist. Lieber Langer, es ist doch würcklich eine Freude wenn man iung ist und die Insuffizienz des grössten Theils der Gelehrsamkeit eingesehen hat, noch auf so einen Schatz zu stosen.3) dem gütigen Schöpfer eine Menge Seelenkräfte, welchen man ihre gehörige Cultur, und zwar in den ersten Jahren gleich, zu geben nicht verabsäumen muß, und die man doch weder mit Logik noch Metaphysik, Latein oder Griechisch cultiviren kann: wir haben eine Einbildungskraft, der wir, wofern sie sich nicht der ersten besten Vorstellungen selbst bemächtigen soll, die schicklichsten und schönsten Bilder vorlegen und dadurch das Gemüth gewöhnen und üben müssen, das Schöne überall und in der Natur selbst, unter seinen bestimmten, wahren und auch in den feineren Zügen zu erkennen und zu lieben. Wir haben eine Menge Begriffe und allgemeine Kenntnisse nöthig, sowohl für die Wissenschaften als für das tägliche Leben, die sich in keinem Compendio erlernen lassen. Unsere Empfindungen, Neigungen, Leidenschaften sollen mit Vortheil entwickelt und gereiniget werden.“ (AA-DuW 1, 295). 1 ) Shakespeare, Hamlet I 5 über die ,Schulweisheit‘: »Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, / Als eure Schulweisheit sich träumt.« 2 ) In Analogie zu Fausts 1. Monolog, Frühe Fassung, Eingangszene Nacht u. der anschließenden Wagner-Szene thematisiert G hier die Unzulänglichkeit der Schulweisheit u. abstruser Foderungen der Philosophie zugunsten der Betrachtung bewegten Lebens u. Kenntniß der Leidenschaften. 3 ) G’s anhaltende Wertschätzung der hermetischen Literatur deutet auf innerliche Beschäftigung mit dergleichen Beschwörungen hin, wie die Frühe Fassung sie gestalten sollte.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

1770

Aug 26. [Straßburg] An Susanna v. Klettenberg (GB 1.1, 202): . . . die Chymie

ist noch immer meine heimlich Geliebte.1)

1770 − 1771 ⎯



⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 102) (AA-DuW 1, 343f.): Ehe ich nun

von jenem für mich so bedeutenden und folgereichen Verhältnisse zu Herdern [zw. Sept 1770 u. Apr 1771 in Straßburg] den Blick hinwegwende, finde ich noch einiges nachzubringen. Es war nichts natürlicher, als daß ich nach und nach in Mittheilung dessen, was bisher zu meiner Bildung beygetragen, besonders aber solcher Dinge, die mich noch in dem Augenblicke ernstlich beschäftigten, gegen Herdern immer karger und karger ward. Er hatte mir den Spaß an so manchem, was ich früher geliebt, verdorben . . . Am sorgfältigsten verbarg ich ihm das Interesse an gewissen Gegenständen, die sich bey mir eingewurzelt hatten und sich nach und nach zu poetischen Gestalten ausbilden wollten. Es war G ö t z von Berlichingen und F a u s t . . . Die bedeutende Puppenspielfabel3) des andern klang und summte gar vieltönig in mir wieder. Auch ich hatte mich in allem Wissen umhergetrieben und war früh genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen worden. Ich hatte es auch im Leben auf allerley Weise versucht, und war immer unbefriedigter und gequälter zurückgekommen.4) Nun trug ich diese Dinge, so wie manche andre, mit mir herum und ergetzte mich daran in einsamen Stunden, ohne jedoch etwas davon aufzuschreiben. Am meisten aber verbarg ich vor Herdern meine mystisch-cabbalistische Chemie und was sich darauf bezog, ob ich mich gleich noch sehr gern heimlich beschäftigte, sie consequenter auszubilden, als man sie mir überliefert hatte.5) ⎯ Dichtung und Wahrheit. Schema zum Straßburger Aufenthalt6) (AADuW 2, 528):

1

) Ein Z für G’s fortwährendes Interesse an den thematisch u. atmosphärisch für die Frühe Fassung wichtigen ,mystisch-cabbalistischen‘ chemischen Experimenten; vgl. 1769: DuW Buch 8, 1770−1771: DuW Buch 10 u. 13. Mai 1809: Riemer Tagebuch. 2 ) Verfaßt 1812. 3 ) Auf das Puppenspiel verwies G im Hinblick auf Helena wieder am 22. Okt 1826: an W. v. Humboldt. − In Straßburg hat G wohl auch Doctor Faust als Theater- u. Puppenspiel gesehen (s. Gräf II 2, 11f.). 4 ) Hinweis auf Parallelen zu Faust, vor allem im großen Anfangsmonolog der Frühen Fassung. 5 ) Aus der Distanz nachträgliche Bestätigung, dass G sich in Straßburg weiterhin mit Hermetik beschäftigte u. vermutl. mit den Beschwörungen der Eingangsszene Nacht befaßt war. 6 ) Verfaßt 1811.

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Liederlicher Tanzboden. Uebung daselbst im Drehen und Walzen Unendliche Zerstreuung. Acouchement Vorbild zum Schüler in Faust1) Fortsetzung der übrigen Natur- und Medizinischen Studien. Andringen der französischen Literatur. Disputation. ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 112) (AA-DuW 1, 408): Und so wirkte in unserer Straßburger Societät Shakspeare, übersetzt und im Original, stückweise und im Ganzen, stellen- und auszugsweise, dergestalt, daß, wie man bibelfeste Männer hat, wir uns nach und nach in Shakspeare befestigten, die Tugenden und Mängel seiner Zeit, mit denen er uns bekannt macht, in unseren Gesprächen nachbildeten, an seinen Quibbles [Wortspielen] die größte Freude hatten, und durch Uebersetzung derselben, ja durch originalen Muthwillen mit ihm wetteiferten.3)

{





⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 114) (AA-DuW 1, 399f.): Schon früher

und wiederholt auf die Natur gewiesen, wollten wir daher nichts gelten lassen als Wahrheit und Aufrichtigkeit des Gefühls, und der rasche derbe Ausdruck desselben. Freundschaft, Liebe, Brüderschaft, Trägt die sich nicht von selber vor?5) war Loosung und Feldgeschrey, woran sich 1

) Vgl. in Frühe Fassung (249−445): Student; erst im Fragment als Schüler bezeichnet. ) Verfaßt 1812. 3 ) Ohne Shakespeare wäre auch G’s Faust nicht denkbar. Schon in Leipzig führte G die Lektüre der zweibändigen Anthologie von W. Dodds Beauties of Shakespeare (London 1751) zu einer der schönsten Epochen meines Lebens (DuW Buch 11). 1762−1766 kam Wielands Shakespeare-Übersetzung hinzu (s. ebd.). Doch erst der Austausch mit Herder u. Lenz in Straßburg löste den großen Enthusiasmus (ebd.) aus u. damit die Absage an Aristoteles’ Dramendoktrin. (Vgl. 1771 erste Fassung des Shakespeare-Aufsatzes, 1773; 1771 erste Niederschriften von Lenz Anmerkungen übers Theater, 1774; G’s Rede Zum Shakespears Tag, W 37, 127−35). G’s dramatisches Schaffen in den frühen siebziger Jahren stand ganz im Zeichen dieser Shakespeare-Faszination (s. „Geschichte Gottfriedens“, EGW 6, 514−27 u. „Götz von Berlichingen“, EGW 6, 746−94), so daß Einflüsse auf Faust Frühe Fassung sicher sind, speziell in der Gretchen-Handlung (s. vor allem Henning 1983, 60−62 Vergleich mit Ophelia-Szenen im Hamlet): − Abend: Gaier 2012, 787. − Gretgens Stube: Henning 1983, 61 u. JG3 5, 480 mit Bezug zum Spinnradmotiv in Hamlet (IV 5). − Nacht. Offen Feld: Witkowski 1906, 280, J. Schmidt 1999, 206f., JG3 5, 483 u. Gaier 2002, 126 mit Hinweis auf die schwarzen Pferde bzw. die Hexen in Macbeth. − Nacht. Vor Gretgens Haus: Henning 1983, 61 u. Gaier 2002, 106 den Namen Valentin habe G dem Lied Ophelias (Tomorrow is Saint Valentin’s day, Hamlet, IV, 5) entnommen. − Kerker: Henning 1983, 60f. u. J. Schmidt 1999, 206f. Vergleich mit Ophelias Tod in Hamlet. 4 ) Verfaßt 1812 Okt−Dez. 5 ) Vgl. Frühe Fassung v. 197−200: Und Freundschaft, Liebe, Brüderschafft, / Trägt die sich nicht von selber vor. / Und wenns euch Ernst ist was zu sagen / Ists nöthig Worten nachzujagen. 2

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die Glieder unserer kleinen academischen Horde zu erkennen und zu erquicken pflegten. Diese Maxime lag zum Grunde allen unsern geselligen Gelagen, bey welchen uns denn freylich manchen Abend Vetter Michel in seiner wohlbekannten Deutschheit zu besuchen nicht verfehlte.

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⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 41) (AA-DuW 1, 127f.): So wurde ich

denn als junger Bewohner einer großen Stadt von einem Gegenstand zum andern hin und wieder geworfen, und es fehlte mitten in der bürgerlichen Ruhe und Sicherheit nicht an gräßlichen Auftritten . . . bald setzte ein entdecktes großes Verbrechen, dessen Untersuchung und Bestrafung die Stadt auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten Zeugen von verschiedenen Executionen seyn . . .2) 1

) Verfaßt 1811. ) Frankfurt zu nennen, vermied G absichtlich. − In G’s Jugend gab es dort zwei Hinrichtungen von Kindsmörderinnen: 1758 die der Anna Maria Fröhlich, 1772 die der Susanna Margaretha Brandt. Deren Schicksal war das entdeckte große Verbrechen, dessen Untersuchung und Bestrafung die Stadt auf viele Wochen in Unruhe setzte. Seit E. Beutlers Der Frankfurter Faust (1936/40) gilt als erwiesen, dass G sich hier auf die 25jährige Susanna Margaretha Brandt bezog. Beutler ermittelte, dass ein Bruder von ihr Soldat war, dass der Haftbefehl u. der Steckbrief, die zu ihrer Festnahme führten, vom Schreiber beim Kriegszeugamt, Joh. Heinr. Thym, stammten, der vorher neun Jahre lang Hauslehrer von G u. seiner Schwester Cornelia gewesen war und dass eine Abschrift aus den Akten des Brandt-Prozesses sich in der Bibliothek von G’s Vaters befand, die von der Hand des auch für G’s Anwaltskanzlei tätigen Schreibers Johann Wilhelm Liebholdt stammte. Diese Abschrift, als Nr. 33 in Band XIX der Verordnungen der Stadt Frankfurt, enthält auf 8 Seiten den Sektionsbericht Die Öfnung des Kindes der Susana Margaretha Brandin vom 3. Aug 1771. Sie schließt mit der Anmerkung: Diese Susanna Margaretha Brandtin wurde hier auf Dienstag den 14. Jänner 1772 auf dem Platz an der Röhre ohnfern der Hauptwache mit dem Schwerdt hingerichtet. − Das Schafott war ca. 200 m von G’s Elternhaus entfernt. Aufgrund der Protokolle hatte G genaue Kenntnis des Prozesses von den ersten Verhören am 4. Aug 1771 bis zur Urteilsbestätigung am 9. Jan 1772. − Aktiv am Prozeß beteiligt, waren G’s Verwandte mütterlicherseits: der Syndikus Dr. Georg Wilh. Lindheimer u. der Senator Joh. Jost Textor, sein Oheim, der ihm auch die ersten Fälle zur Ausübung der Anwaltschaft in Frankfurt zugewiesen hatte, außerdem G’s Freund u. künftiger Schwager Dr. Joh. Georg Schlosser. Der erste Arzt, der sich der Angeklagten annahm, war derselbe Dr. Metz, von dem G in DuW Buch 8 berichtet, er habe ihn durch ein alchimistisches Pulver geheilt. Der zweite Arzt, der während des Prozesses helfend zu Rate gezogen wurde, war Dr. Burggrave, Hausarzt der Familie Goethe. Der letzte Seelsorger, der auch das Blutgerüst mitbestieg, war der Pfarrer Joh. Jakob Willemer, Oheim des mit G u. seiner Mutter nah befreundeten gleichnamigen Neffen. − Vgl. Goethes Gretchen. Das Leben und Sterben der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt. Nach den Prozeßakten dargestellt v. Siegfried Birkner. Frankfurt/M 1973 u. den vollständigen Abdruck aller Prozeßakten in: Das Frankfurter Gretchen. Der Prozeß gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt. Hsg. v. Rebekka Habermas in Verbindung mit Tanja Hommen. München 1999.

2

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1771 Aug

6. [Straßburg] Matricula Studiosorum Iuris II, 632. No. 2255 (Genton 13): die 6. Aug. Dissertationem Inauguralem Positiones Juris exhibentem cum applausu defendit Dominus Joh. Wolfgang Goethe. Moeno-Francofurtanus; cui mox datur Testimonium Licentiae.1)

⎯ [Frankfurt] Criminalia. Prozeßakte Susanna Margaretha Brandt (Birkner 24): [Befragung der Schwester Maria Ursula Koenig] durch die Senatoren Siegner u. Lindheimer . . . sie [Susanna Margaretha Brandt] sollte ihr [Maria Ursula Koenig] doch um Gottes willen gestehen, ob sie schwanger seye, es hätte ja nichts zu sagen, sie wäre nicht die erste, und würde auch nicht die letzte seyn . . . [Befragung der Magd Anna Margaretha Seyfried2)] . . . sie . . . habe . . . der Inquisitin nachmahlen zu Gemüthe geführet, kein Geheimniß von ihrer Schwangerschaft zu machen, mit dem Anfügen, sie wäre ja nicht die erste, und würde auch nicht die letzte seyn3) . . . Okt

8. [Frankfurt] Criminalia. Prozeßakte Susanna Margaretha Brandt (Birkner 51): Der Satan habe sie verblendet und ihr gleichsam das Maul zugehalten [. . .]. Sie könne nicht läugnen, daß [. . .] der Satan ihr in den Sinn gegeben habe, daß sie in dem großen Hauß leicht heimlich gebähren, das Kind umbringen, verbergen und vorgeben könne, daß sie ihre Ordinaire wieder bekommen.4) 14. Zum Schäkespears Tag (JG3 2, 83−85):5) Dieses Leben . . . ist für unsre

Seele viel zu kurz, Zeuge, dass ieder Mensch, der geringste wie der höchste, der unfähigste wie der würdigste, eher alles müd wird, als zu leben, und dass keiner sein Ziel erreicht, wornach er so sehnlich ausging − denn wenn es einem auf seinem Gange auch noch so lang

1

) Zu G’s Promotion an der Juristischen Fakultät der Universität Straßburg s. „[Dissertation II] Positiones Juris“ gD, EGW 3, 83ff. These LV der Positiones Juris, die G an diesem Tag verteidigte, um damit zum Lizentiat der Rechte zu promovieren, lautete: An foemina partum recenter editum trucidans capite plectenda sit? quaestio est inter Doctores controversa. (W 37, 117−25; JG3 2, 54−58). Unmittelbar vor Rückkehr nach Frankfurt am 9. Aug hatte G sich demnach mit dem Problem des Kindsmords befaßt, zum gleichen Zeitpunk als dort die Verhöre der Susanna Margaretha Brandt begannen, die vom 4. Aug−13. Okt 1771 dauerten u. die Stadt auf viele Wochen in Unruhe versetzten. 2 ) Angestellte im Wirtshaus, wo Susanna Margaretha Brandt das Kind zur Welt brachte. 3 ) Die im Verhörprotokoll der Maria Ursula König geb. Brandt wiederkehrende Wendung benutzt in der Sz. Faust. Mephistopheles als Replik auf Fausts Vorhaltungen. Mephisto: Sie ist die erste nicht! (Prosa Zeile 12). Nach Rölleke ist der Ausruf Sie ist die erste nicht! eine weitverbreitete Redewendung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (H. Rölleke: Quellen u. Studien zu Goethes Faust. Trier 2009, 62); Jacoby GJb 1884, 312f. verweist auf Clavigo: . . . sie ist nicht das erste verlass’ne Mädchen (W 11, 5223f.), so auch Huther 1887, 59ff. u. Witkowski: Das Leben Goethes. Berlin 1932, 142. 4 ) Vgl. Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben! (3362) − s. auch Schöne 1982, 179−84, der mit Verweis auf P50 vermutet, dass G zu einem frühen Zeitpunkt Gretchen, vom Teufel zum Kindesmord überredet, vor das Hochgericht der Hexenverfolger stellen wollte. 5 ) E. Beutler wies darauf hin, dass G’s Erschütterung durch das tragische Schicksal der Susanna Margaretha Brandt, deren Verhör auf dem Römer zwei Tage vorher, am 12. Okt, beendet war, noch in der Shakespeare-Rede spürbar ist.

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

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glückt, fällt er doch endlich, und offt im Angesicht des gehofften Zwecks, in eine Grube, die ihm Gott weis wer, gegraben hat, und wird für nichts gerechnet. Für nichts gerechnet! Ich! Der ich mir alles binn, da ich alles nur durch mich kenne! So ruft ieder, der sich fühlt . . . Wir ehren heute das Andencken des grössten Wandrers, und thun uns dadurch selbst eine Ehre an. Von Verdiensten die wir zu schätzen wissen, haben wir den Keim in uns . . . noch zur Zeit habe ich wenig über Schäckespearen gedacht; geahndet, empfunden wenns hoch kam . . . Die erste Seite die ich in ihm las, machte mich auf Zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stücke fertig war, stund ich wie ein blindgebohrner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenckt. Ich erkannte, ich fühlte auf’s lebhaffteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert . . . Ich zweifelte keinen Augenblick dem regelmäsigen Theater zu entsagen. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäsig ängstlich, die Einheiten der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unsrer Einbildungskrafft. Ich sprang in die freye Lufft, und fühlte erst dass ich Hände und Füsse hatte . . . ich rufe Natur! Natur! nichts so Natur als Schäkespears Menschen . . . Er wetteiferte mit dem Prometheus, bildete ihm Zug vor Zug seine Menschen nach, nur in C o l o s s a l i s c h e r G r ö s s e . . . und dann belebte er sie alle mit dem Hauch s e i n e s Geistes, e r redet aus allen, und man erkennt ihre Verwandtschafft . . . das was wir bös nennen, ist nur die andre Seite vom Guten, die so nothwendig zu seiner Existenz, und in das Ganze gehört, als Zona torrida brennen, und Lapland einfrieren muss, dass es einen gemäsigten Himmelsstrich gebe. Er führt uns durch die ganze Welt . . .1)

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⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 122) (AA-DuW 1, 420):3)Wie sehr dieser

Kreis mich belebte und förderte, wäre nicht auszusprechen. Man hörte gern die Vorlesung meiner gefertigten oder angefangenen Arbeiten, man munterte mich auf, wenn ich offen und umständlich erzählte, was ich eben vorhatte, und schalt mich, wenn ich bey jedem neuen Anlaß das Früherbegonnene zurücksetzte. F a u s t war schon vorgeruckt, G o e t z v o n B e r l i c h i n g e n baute sich nach und nach in meinem Geiste zusammen, das Studium des funfzehnten und sechzehnten Jahr1

) Der Wortlaut läßt vermuten, dass G eine Faust-Tragödie im Geiste Shakespears in sich bewegte. 2 ) Verfaßt 1813. 3 ) Betr. G’s Besuche Ende Febr/Anf. März, April u. Mai 1772 der Empfindsamen um Merck in Darmstadt.

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hunderts beschäftigte mich, und jenes [Straßburger] Münstergebäude hatte einen sehr ernsten Eindruck in mir zurückgelassen, der als Hintergrund zu solchen Dichtungen gar wohl dastehn konnte. Jan

14. [Frankfurt] Criminalia. Prozeßakte Susanna Margaretha Brandt (Birkner 108f.):1) Nach einer kleinen Verweilung erschiene ebenfalls Herr Rathschreiber Dr. Claudi, da dann gedachter Brandin das Todes-Urteil durch ersagten Herrn Rathschreiber in meiner und des Nachrichter Hofmann nebst seiner Söhne Gegenwart gleich nach 6 Uhr laut und deutlich vorgelesen − sodann der Staab von mir mit folgenden Worten gebrochen worden: Auf Befehl Eines HochEdlen Raths breche ich euch, Brandin, also hiermit den Staab, und übergebe euch dem Nachrichter Hofmann, daß er das Urteil auf die vorgeschriebene Art vollziehen möge . . . Um halb zehen erschiene der Stöcker und zeigte an, daß währendem Läuten der Vater-Unser Glock in der Barfüßer Kirche die Sturm Glocke zum ersten − eine viertel Stunde hernach zum zweyten − und abermal nach Verlauf einer viertel Stunde zum dritten mal durch ihn angeschlagen worden, auf welche Anzeige dann alles zum Ausführen veranstaltet . . .2)

Nov

3. [Frankfurt, Rez.] Lavater: Aussichten in die Ewigkeit, in Briefen an

Zimmermann. Dritter u. letzter Band. Zürich 1773. In: Frankfurter gelehrte Anzeigen Nr. 88 v. 3. Nov 17723) (W 37, 257; 261): [257:] Wie deutlich sieht man nicht in dem zwölften Briefe, dem letzten des zweiten Bandes, eine Seele, die, von Speculation über K e i m und O r g a n i s a t i o n ermüdet, sich mit der Hoffnung letzt, die Abgründe des K e i m s dereinst zu durchschauen, die Geheimnisse der O r g a n i s a t i o n zu erkennen, und vielleicht einmal da als M e i s t e r Hand mit anzulegen, wovon ihr jetzt die ersten Erkenntnißlinien nur schwebend vordämmern; eine Seele, die in dem großen Traum von We l t a l l , S o n n e n d o n n e r n und P l a n e t e n r o l l e n verloren, sich über das Irdische hinauf entzückt, Erden mit dem Fuß auf die Seiten stößt, tausend Welten mit einem Finger leitet und dann wieder in den Leib versetzt, für die m i k r o m e g i s c h e n Gesichte,4) A n a l o g i e i n u n s e r n K r ä f t e n , B e w e i s s t e l l e n i n d e r B i b e l aufklaubt.5) [261:] . . . Wir wünschen ihm [Lavater] Glück zu seiner Unternehmung [einem geplanten Gedicht über die Ewigkeit] . . . Dazu wünschen wir ihm innige Gemeinschaft mit dem gewürdigten Seher unserer Zeiten,6) rings um den die 1

) Bericht des Obrist-Richters Johannes Raab über den Verlauf der Exekution. ) Todesurteil u. Hinrichtung vergegenwärtigt G, der vermutl. der Exekution beiwohnte, in Gretchens Ausruf: Die Glocke ruft! − Krack das Stäbgen bricht! − / Es zuckt in iedem Nacken die Schärfe die nach meinem zuckt! − Die Glocke hör. (Prosa 91−94). 3 ) Zur Rez. s. auch EGW 6, 112. 4 ) Vorstellungen vom Mikro- und Makrokosmos; mit Anspielung auf Voltaires Le Microme´gas. 5 ) Mit starkem Bezug auf die Beschwörungssequenz v. 77−106, Hinweis durch FischerLamberg 1957, 396−98, auch in Bezug auf G’s Swedenborg-Begeisterung; Reich 1968, 118: Es ist nicht zu leugnen, daß zwischen der Rezension und den Beschwörungsteilen des ,Urfaust‘ Wechselbeziehungen bestehen, und zwar dürfte die Abhandlung das Primäre sein. 6 ) Gemeint ist der schwedische, universal gebildete Naturforscher u. Theosoph Emanuel 2

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Freude des Himmels war, zu dem Geister durch alle Sinnen und Glieder sprachen, in dessen Busen die Engel wohnten: dessen Herrlichkeit umleuchte ihn, wenn’s möglich ist, durchglühe ihn, daß er einmal Seligkeit fühle, und ahne, was sei das Lallen der Propheten, wenn αρρητα ρηματα [ungesagte Worte] den Geist füllen! von S w e d e n b o r g (1688−1772), ein Erfinder auf naturwissenschaftl. u. technischem Gebiet, der seit 1736 mit hellseherischen Gaben ausgestattet u. visionären Erlebnissen ausgesetzt war. Morris u. andern Forschern zufolge hat Swedenborg G’s Faust stark beeinflußt (Weis GJb 1882, 349−51, Morris 1899, 491−510, Wachsmuth GJb 1943, 98−115, Gollwitzer 1968, 27−37). G kannte Swedenborgs Hauptwerk, die Arcana Cœlestia, quæ in Scriptura Sacra, seu Verbo Domini sunt detecta, vermutl. nur in Auszügen. Seine Arcana-Kenntnisse stammten, wie Gaier 1984, 101f. zeigte, aus einer kommentierten Übers. von Abschnitten des 1. Teils: Swedenborgs und anderer Irrdische und himmlische Philosophie Zur Prüfung des Besten ans Licht gestellt von Friedrich Christoph Oetinger . . . Frankfurt u. Leipzig 1765. Oetingers Werk stand G in der Bibliothek des Vaters zur Verfügung (Götting 39). Eine Abschrift aus dem Nachlaß des Frl. v. Klettenberg von Oetingers Von dem Himmel und der himmlischen Freude (= Arcana Coelestia. P. 1, Nr. 449−59) läßt vermuten, daß G’s Vertrautheit mit Swedenborg in die Klettenberg-Epoche 1768/69 zurückreicht. Wie ernst man Swedenborg damals in G‘s Umkreis nahm, zeigt die väterliche Bibliothek, die noch weitere Werke von u. über Swedenborg enthielt: E. Swedenborg: Von den Erdkörpern der Planeten und des gestirnten Himmels Einwohnern, aus d. Lat. v. Fr. Chr. Oetinger. Ansbach 1771, Götting 39; F. C. Oetinger: Swedenborgs und anderer Irrdische und Himmlische Philosophie. Th. 1. 2. Frankfurt u. Leipzig 1765, Götting 39 u. Ruppert Nr. 3185; [F. C. Oetinger]: Beurtheilungen der wichtigen Lehre von dem Zustand nach dem Tod und der damit verbundenen Lehre des berühmten Emanuel Swedenborgs. 1771 [Sondertitel] Schwedische Urkunden von dem Assessor Swedenborg welche auf dem Schwedischen Reichstag den 13. Junii 1771 werden zur Entscheidung kommen. [o.O.] 1771, Götting 39. − Die Formulierung vom gewürdigten Seher unserer Zeiten in der Rez. der Frankfurter gelehrten Anzeigen scheint auf Oetingers Übersetzungswerk zu basieren, dessen Register zu Schwedenborg verzeichnet: ein Philos. Mathematicus in Schweden, wurde durch die Barmhertzigkeit des Herrn ein Seher unserer Zeit [!], dergleichen Samuel ehemal war (I 247). − Oetingers Swedenborg-Übers. bestellte G wiederum [1. od. 9. Juli 1776]: an Steinauer (s. dort). − Nach Morris 1902 ist Swedenborg die geistige Erfahrung, die die Anfänge der Faust-Dichtung geradezu beherrscht (33). Swedenborg habe es G ermöglicht, den Teufel und den Teufelspakt mythengerecht und zugleich modern darzustellen (13): Er [G] wollte die überkommenen rohen Vorstellungen vom Teufelswesen in die schwungvolleren und umfassenderen Anschauungen des Swedenborgschen Geisteruniversum überleiten und so dem Fauststoffe eine neue Grundlage bereiten. (20) Morris stützt seine These von der Swedenborgisierung des Fauststoffes (21), durch die Fausts Bund mit dem Teufel zur Verbindung eines Menschen mit der Geisterwelt (22) wird, auf ,Urfaust‘-Verse, bei denen er eine Inspiration durch die Arcana nachwies: Und wenn Natur dich unterweist / Dann geht die Seelenkrafft dir auf / Wie spricht ein Geist zum andern Geist. / Umsonst daß trocknes Sinnen hier / Die heilgen Zeichen dir erklärt / Ihr schwebt ihr Geister neben mir / Antwortet mir wenn ihr mich hört . . . Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht: / »Die Geister Welt ist nicht verschlossen / Dein Sinn ist zu, Dein Herz ist todt / Auf bade Schüler unverdrossen / Die irrdsche Brust im Morgenroth«. . . Geist Du hast mich mächtig angezogen / An meiner Sphäre lang gesogen, Und nun − . . . Faust Soll ich dir Flammenbildung weichen! − Zur Bedeutung von Swedenborgs Arcana für die Frühe Fassung Sz. Nacht vgl. im einzelnen Morris 1902, 14−28; Grumach GJb 1953, 92−94 gegen die Ansicht, die Konzeption des Erdgeists gehe auf Swedenborg zurück.

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1773 Apr 26. [Darmstadt] Stammbucheintrag für Johann Jakob Heß1) (JG3 3, 80): Da

Mai

erschien ihm auff ein zeyt Der Teuffel in Menschlicher gstalt Jüdisch gekleyd, herrlich und alt Als wer er Mose der Prophet Den Gott zu ihm geschicket hett. Hans Sachs. Zum Andenken Goethe.2) 7. [Frankfurt] An L. J. F. Höpfner (GB 2.1, 27): Ihren Spinoza hat mir M.[erck] geben. Ich darf ihn doch ein wenig behalten? Ich will nur sehn wie weit ich dem Menschen in seinen Schachten und Erdgängen nachkomme.3) 1

) J. J. Heß war ein Schweizer reform. Theologe u. exeget. Schriftsteller, Verf. von Geschichte der drei letzten Lebensjahre Jesu (3 Bde, Zürich 1768−72) und Geschichte der Israeliten vor den Zeiten Jesu (12 Bde, Münster 1776−88). G hatte ihn als Verwandten von Caroline Flachslands Vormund u. Schwager Andreas Peter Heß in Darmstadt kennengelernt. Der Stammbucheintrag läßt vermuten, daß G mit ihm über den für seine Faust-Konzeption besonders wichtigen Moses gesprochen hatte. 2 ) Zitat aus der Historie Der teufel erscheint den juden in Creta in der gestalt Mose, von G entnommen aus: Sehr Herrliche, Schöne vnd Warhaffte Gedicht Geistlich vnd Weltlich allerley art . . . Buch 4. Kempten 1616, 250. − Erstes sicheres Z für G’s Bekanntschaft mit Hans Sachs, dem Meister des für die Frühe Fassung so wichtigen Knittelverses, s. auch oben 1767: DuW Buch 7. 3 ) Erstes sicheres Z für G’s Beschäftigung mit Spinoza. Er las ihn in den Opera Posthuma, nach Spinozas Tod (21. Febr 1677) hsg. von dessen Amsterdamer Freunden im lat. Text 1677 u. in holländ. Übers. Anfang 1678. Die Opera Posthuma, die sofort (25. Juni 1678) einem offiziellen Staatsverbot unterlagen, enthielten als Kernstück die Ethik, den unvollendeten Politisch-Theologischen Traktat, die Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes u. einen Teil des Briefwechsels. − Im Kontext der Begegnung mit F. H. Jacobi vom Juli 1774 schreibt G in DuW Buch 14 zu Spinoza: Glücklicher Weise hatte ich . . . in mich das Daseyn und die Denkweise eines außerordentlichen Mannes aufgenommen, zwar nur unvollständig und wie auf Raub, aber ich empfand davon doch schon bedeutende Wirkungen. Dieser Geist, der so entschieden auf mich wirkte, und der auf meine ganze Denkweise so großen Einfluß haben sollte, war S p i n o z a . (AA-DuW 1, 514f.) − Die Selbsteinschätzung vom großen Einfluß, den Spinoza auf die eigene Denkweise noch haben sollte, besitzt Gültigkeit für die gesamte Arbeit am Faust. In der Frühen Fassung kommt der geistige Anschluß an Spinoza vor allem zum Ausdruck: 1) in der Darstellung des Erdgeists, die als Personifikation der Natura naturans des Spinoza gesehen werden kann, Sz. Nacht: (149−57) Geist: In Lebensfluthen im Thatensturm / Wall ich auf und ab / Webe hin und her / Geburt und Grab / Ein ewges Meer / Ein wechselnd Weben / Ein glühend Leben! / So schaff ich am sausenden Webstul der Zeit / Und würke der Gottheit lebendiges Kleid. − 2) im Religionsgespräch der Sz. Marthens Garten [1123−50], wo Faust der um sein Seelenheil besorgten Geliebten seine Auffassung von Gott als deus sive natura begreiflich zu machen sucht: Wer darf ihn nennen? / Und wer bekennen / Ich glaub ihn! / Wer empfinden? / Und sich unterwinden / Zu sagen ich glaub ihn nicht! / Der Allumfasser / Der Allerhalter / Fasst und erhält er nicht / Dich, mich, sich selbst! / Wölbt sich der Himmel nicht dadroben / Liegt die Erde nicht hierunten fest / Und steigen hüben und drüben / Ewige Sterne nicht herauf! / Schau ich nicht Aug in Auge dir! / Und drängt nicht alles / Nach Haupt und Herzen dir / Und webt in ewigem Geheimniß / Unsichtbaar Sichtbaar neben dir, / Erfüll davon dein Herz so gros es ist / Und wenn du ganz in dem Gefühle

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Dichtung und Wahrheit Buch 161) (AA-DuW 1, 554): Ich erinnerte mich noch gar wohl welche Beruhigung und Klarheit über mich gekommen als ich einst die nachgelassenen Werke jenes merkwürdigen Mannes [Spinoza] durchblätterte.2) [Juni [Frankfurt] An J. C. Kestner (GB 2.1, 32): Heute Nacht hat mirs von etwa 12.] Lotten wunderlich geträumt . . . Und so träum ich denn und gängle durchs Leben, führe garstige Prozesse schreibe Dramata,3) und Romanen und dergleichen. [Mai]

Juni/Juli [Gotha] F. W. Gotter an G (GB 2.2, 86): . . . Du nächstens im Merkurius Wirst finden was von meiner Mus’, Und wünschete von Herzensgrund Daß dir der Dreck gefallen kunnt. Schick mir dafür den DoKtor Faust, Sobald Dein Kopf ihn ausgebraust.4) Okt 18. [Frankfurt] An Johanna Fahlmer (GB 2.1, 47): Einer schöner neuer

Plan hat sich in meinr Seele aufgewickelt zu einem grosen Drama.5) Nov

6. [Düsseldorf] Helene Jacobi an G (GB 2.2, 135): Hr. Doct. Göthe Lobesan . . . wenn ich wieder nach F[rank]furt komme, so bin ich schlank, rasch, munter, u kann hübsch ohne Hr. Doctors Arm gehen.6)

seelig bist, / Nenn das dann wie du willst, / Nenns Glük! Herz! Liebe! Gott! / Ich habe keinen Nahmen / Dafür. Gefühl ist alles / Nahme Schal und Rauch / Umnebelnd Himmels Glut. − Zum Versuch, das Bild des Erdgeists mit dem Spinoza-Gedicht des Kardinal des Bernis in Verbindung zu bringen s. Carl Roos: Zur ,Quellen‘-Frage der Erdgeistszene und zur Spinoza-Frage. In: GJb 1930, 183−208. − Weiter zu Spinoza s. 1774 Apr 26.: an Pfenninger u. Juni 28.: Lavaters Tagebuch. 1 ) Verfaßt 1813. 2 ) Zu Spinozas Bedeutung für G’s Faust-Konzeption vgl. Hans-Jürgen Schings: Philosoph des Klassischen. Spuren Spinozas in Goethes Werk. In: Ders.: Zustimmung zur Welt. Goethe-Studien. Würzburg 2011, 297−311 u. Carl Roos: Zur ,Quellen‘-Frage der Erdgeistszene und zur Spinoza-Frage. Ein prinzipieller Versuch. In: GJb 1930, 183−208. 3 ) Zugleich schickte G ein Ex. des kurz zuvor erschienenen Götz von Berlichingen. Mit dem Plural Dramata könnten gemeint sein Satyros, Prometheus oder auch Faust. 4 ) Mit seinem Briefgedicht, dessen letzte Verse hier wiedergegeben sind, beantwortete Gotter ein nicht erhalten gebliebenes Briefgedicht G’s vom Juni 1773, das die Übersendung der Buchausgabe des Götz begleitete (GB 2.1, 33f.). Möglicherweise hatte G dort den Faust als dramatisches Projekt erwähnt. Doch wird Gotter schon in Wetzlar von G’s Faust-Plan erfahren haben, denn über das dortige Zusammentreffen berichtet DuW Buch 12 (AA-DuW 3, 441): . . . als ich daher meine Frankfurter und Darmstädter Umgebung vermißte, war es mir höchst lieb, Gottern gefunden zu haben, der sich mit aufrichtiger Neigung an mich schloß . . . Wir brachten viele vergnügte Stunden zusammen zu, in denen wir uns wechselseitig unsere Kenntnisse, Vorsätze und Neigungen mitheilten. 5 ) Vermutl. Mahomet oder Faust, vielleicht auch schon Egmont. 6 ) Anspielung auf die in G’s näherem Freundeskreis schon bekannte Sz. Strase (Frühe Fassung 458−61): Faust. Mein schönes Fräulein darf ichs wagen / Mein Arm und Geleit ihr anzutragen./ Margarethe Bin weder Fräulein weder schön / Kann ohngeleit nach Hause gehn. Helene Jacobi diktierte die Zeilen noch vom Kindbett aus an die gemeinsame ,Tante‘ Johanna Fahlmer.

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Dez 25. [Frankfurt] An J. C. u. Charlotte Kestner (GB 2.1, 64): Ich bin auch

Zeit her fleisig gewest hab viele kleine Sachen gearbeitet . . . auch einige ansehnlichere Stücke in Grund gelegt, und nun wird drüber studirt.

1773 − 1774 ⎯

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften (Q 2.2, 659): 1773 − 1774. Schreibt . . . die ältesten Scenen des Faust.1)

1774 Jan – Juli [Frankfurt] Die Leiden des jungen Werthers (JG3 4, 136f.):2) Ein gutes

junges Geschöpf, das in dem engen Kreise häuslicher Beschäftigungen, wöchentlicher bestimmter Arbeit so herangewachsen war, das weiter keine Aussicht von Vergnügen kannte, als etwa Sonntags in einem nach und nach zusammengeschafften Puzze mit ihres gleichen um die Stadt spazieren zu gehen, vielleicht alle hohe Feste einmal zu tanzen, und übrigens mit aller Lebhaftigkeit des herzlichsten Antheils manche Stunde über den Anlas eines Gezänkes, einer üblen Nachrede, mit einer Nachbarin zu verplaudern; deren feurige Natur fühlt nun endlich innere Bedürfnisse, die durch die Schmeicheleyen der Männer vermehrt werden, all ihre vorige Freuden werden ihr nach und nach unschmakhaft, bis sie endlich einen Menschen antrifft, zu dem ein unbekanntes Gefühl sie unwiderstehlich hinreißt, auf den sie nun all ihre Hofnungen wirft, die Welt rings um sich vergißt, nach ihm, dem Einzigen. Durch die leere Vergnügen einer unbeständigen Eitelkeit nicht verdorben, zieht ihr Verlangen grad nach dem Zwecke: Sie will die Seinige werden, sie will in ewiger Verbindung all das Glück antreffen, das ihr mangelt, die Vereinigung aller Freuden geniessen, nach denen sie sich sehnte. Wiederholtes Versprechen, das ihr die Gewißheit aller Hoffnungen versiegelt, kühne Liebkosungen, die ihre Begierde vermehren, umfangen ganz ihre Seele, sie schwebt in einem dumpfen Bewußtseyn, in

1

) Musculus behauptet in einer Fußnote seiner Chronologie, gesicherte Entstehungsdaten zu liefern: Etwaige Abweichungen der Jahreszahlen in den Inhaltsverzeichnissen sind nach d i e s e r Chronologie, wobei Goethe’s Tagebücher zum Grunde gelegt worden, zu berichtigen. (Q 2.2, 659); s. dagegen oben 1769−1808: Goethe’s poetische und prosaische Werke in Zwei Bänden. 2 ) E. Schmidt gab in der Einl. Zu Goethes Faust in ursprünglicher Gestalt 1894 den Hinweis: Die Gretchen-Tragödie ist dem jungen Dichter als Ganzes aufgegangen, wie 1774 sein Werther, als er mit dem gelassenen Freund über die pedantische Grausamkeit der Gesetze hadert . . . Aber sichere Schlüsse auf die Chronologie giebt diese Parallele nicht an die Hand. (XLVI); vgl. unten 10. Febr 1829: Eckermann Gespräch.

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einem Vorgefühl aller Freuden, sie ist bis auf den höchsten Grad gespannt, wo sie endlich ihre Arme ausstrekt, all ihre Wünsche zu umfassen − und ihr Geliebter verläßt sie − Erstarrt, ohne Sinne steht sie vor einem Abgrunde, und alles ist Finsterniß um sie her, keine Aussicht, kein Trost, keine Ahndung, denn der hat sie verlassen, in dem sie allein ihr Daseyn fühlte. Sie sieht nicht die weite Welt, die vor ihr liegt, nicht die Vielen, die ihr den Verlust ersezzen könnten, sie fühlt sich allein, verlassen von aller Welt, − und blind, in die Enge gepreßt von der entsetzlichen Noth ihres Herzens stürzt sie sich hinunter, um in einem rings umfangenden Tode all ihre Quaalen zu erstikken. − Sieh, Albert, das ist die Geschichte so manches Menschen . . . Die Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der verworrenen und widersprechenden Kräfte, und der Mensch muß sterben. . . ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 141) (AA-DuW 1, 513f.): C ö l l n war der Ort, wo das Alterthum eine solche unzuberechnende Wirkung auf mich ausüben konnte. Die Ruine des Doms (denn ein nichtfertiges Werk ist einem zerstörten gleich) erregte die von Straßburg her gewohnten Gefühle . . . In Gesellschaft [mit J. G. Jacobi, F. H. Jacobi u. W. Heinse] bewunderte ich zwar diese merkwürdigen Hallen und Pfeiler, aber einsam versenkte ich mich in dieses, mitten in seiner Erschaffung, fern von der Vollendung schon erstarrte Weltgebäude, immer mismuthig. Hier war abermals ein ungeheuerer Gedanke nicht zur Ausführung gekommen! . . . In diesen mehr drückenden als herzerhebenden Augenblicken ahndete ich nicht, daß mich das zarteste und schönste Gefühl so ganz nah erwartete. Man führte mich in J a p p a c h s Wohnung [Haus der Familie Jabach in Köln], wo mir das was ich sonst nur innerlich zu bilden pflegte, wirklich und sinnlich entgegentrat. Die Familie mochte längst ausgestorben seyn, aber in dem Untergeschoß, das an einen Garten stieß, fanden wir nichts verändert . . . Was nun aber die hiedurch wundersam aufgeregten Empfindungen überschwenglich vermehrte und vollendete, war ein großes Familiengemälde über dem Camin. Der ehemalige reiche Inhaber dieser Wohnung [E. Jabach] saß mit seiner Frau, von Kindern umgeben, abgebildet: alle gegenwärtig, frisch und lebendig wie von gestern, ja von heute, und doch waren sie schon alle vorübergegangen . . . Wie ich, überwältigt von diesen Eindrücken, mich verhielt und benahm, wüßte ich nicht zu sagen. Der tiefste Grund meiner menschlichen Anlagen und dichterischen Fähigkeiten ward durch die unendliche Herzensbewegung aufgedeckt, und alles Gute und Liebevolle was in meinem Gemüthe lag, mochte sich aufschließen und hervorbrechen: denn von dem Augenblick an ward ich, ohne weitere Untersuchung und Verhandlung, der Neigung, des Vertrauens jener

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) Mit Bezug auf 1774; verfaßt 1813.

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vorzüglichen Männer für mein Leben theilhaft. In Gefolg von diesem Seelen- und Geistesverein, wo alles was in einem Jeden lebte zur Sprache kam, erbot ich mich, meine neusten und liebsten Balladen zu recitiren. Der König von Thule,1) und „Es war ein Buhle frech genung“2) thaten gute Wirkung, und ich trug sie um so gemüthlicher vor, als meine Gedichte mir noch ans Herz geknüpft waren, und nur selten über die Lippen kamen.3) Apr 26. [Frankfurt] An J. C. Pfenninger (GB 2.1, 84): Und so ist das Wort der Menschen mir Wort Gottes . . . Und mit inniger Seele Fall ich dem Bruder um den Hals Moses! Prophet! Evangelist! Apostel, Spinoza4) oder Maciavell. Juni 1. [Frankfurt] An G. F. E. Schönborn (GB 2.1, 96): Noch einige Plane zu grosen Dramas hab ich erfunden,5) das heisst das interessante detail dazu in der Natur gefunden und in meinem Herzen. 28. [Frankfurt − Ems] Lavaters Tagebuch (BG 1, 263f.): G o e t h e erzählte mir viel von Spinosa u. seinen Schriften. Er behauptet, Keiner hätte sich über die Gottheit dem Heiland so ähnlich ausgedrückt wie Er. Alle neüern Deisten haben übrigens nur ihn ausspolirt [ausgeplündert]. Er sey ein aüßerst gerechter, aufrichtiger, armer Mann gewesen. Homo temperatissimus . . . Er habe die Prophezeyungen bestritten, u. sey selbst ein Prophet gewesen. Er habe die unwahrscheinlichsten Staatsveränderungen vorhergesagt . . . Sein Briefwechsel sey das interessanteste Buch, was man in der Welt von Aufrichtigkeit Menschenliebe lesen könne.6) Sept [Zürich] Lavater an G (SchrGG 16, 40): [Bitte um] F a u s t − ein par Stellen draus −7) 15.−17. Okt

1. [Zürich] Lavater an G (SchrGG 16, 43): Fausten − u. Werther − erwarten wir mit Tage zählen.

[Mitte] [Frankfurt] An Johanna Fahlmer (GB 2.1, 132): Ich habe sonst wohl

noch allerlei guts, sizze aber wieder drachenartig drüber.8)

1

) W 1, 171. − Vermutl. Entstehung auf der Lahn- u. Rhein-Fahrt (26. Juni − 24. Juli 1774) während des Aufenthalts in den Uferstädten. − Zum ED s. unten Z 1782. 2 ) Im ED von DuW die Lesart Es war ein Bube frech genung. − Entstehung wie beim König von Thule; ED im Singspiel Claudine von Villa Bella (W 11, 248f.); in die Gedichtsammlungen u. d. T. Der untreue Knabe aufgenommen (W 1, 165f.). 3 ) Die Rezitation fand am 24. Juli 1774 im Kölner Gasthaus Zum heiligen Geist statt, wie J. G. Jacobi im Tagebuch u. F. H. Jacobi im Brief an G vom 28. Dez 1812 (BG 1, 282−84) bezeugen. 4 ) Zur Bedeutung Spinozas für Faust s. oben 7. Mai 1773: an Höpfner. 5 ) Faust. Frühe Fassung? Mahomet, Prometheus, Egmont? so schon Gräf II 2, 14 u. Fischer-Lamberg in JG3 4, 335; GB 2.2, 266: Cäsar, Mahomet, Faust. ? 6 ) Lavater referiert Äußerungen G’s während der gemeinsamen Reise von Frankfurt nach Ems. 7 ) Nach Gesprächen über Faust auf der gemeinsamen Reise bat Lavater um Zusendung von Stellen draus, gleichzeitig bat er um Werther. 8 ) Nach Gräf II 2, 15 Bezug auch auf Faust möglich.

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Okt 15. [Frankfurt] H. Chr. Boie Reisetagebuch (BG 1, 298): Einen vortreflichen schönen Tag gehabt! Einen ganzen Tag allein, ungestört mit Göthen zugebracht, mit Göthen, dessen Herz so groß und edel wie sein Geist ist! Beschreiben kann ich den Tag nicht! . . . Göthe ist ein Mann ungefähr von Voßens Figur, aber etwas feiner gebaut, sehr blaß, Geist im Gesichte und besonders in dem hellen braunen Auge. Er hat mir viel vorlesen müßen, ganz und Fragment, und in allem ist der originale Ton, eigne Kraft, und bey allem sonderbaren, unkorrekten, alles mit dem Stempel des Genies geprägt. Sein Dr. Faust ist fast fertig,1) und scheint mir das größte und eigenthümlichste von Allem. [15./17.] [Göttingen] H. Chr. Boie an H. W. v. Gerstenberg (BG 1, 298): Goethe hat mir den Aufenthalt in Frankfurt [15. u. 17. Okt 1774] zum angenehmsten der ganzen Reise gemacht. Sie haben doch schon seinen Werther gelesen? Sonst eilen Sie gleich dazu. Der Faust ist fertig. Wenn Lessing doch seinen auch gäbe! Sie haben sich sicher nicht getroffen. Nov

6. [Darmstadt] G. W. Petersen an C. F. Nicolai (Grenzboten 70 [1911] I 558): Wie man sagt, so arbeitet Göthe an einem neuen Schauspiel: Doctor Faust.

[Dez [Frankfurt] Über Knebel. Bericht eines Verwandten (BG 1, 303): In Frankfurt suchte er 11.–16.] [Knebel] Goethe auf, dessen persönliche Bekanntschaft er lange gewünscht hatte, und ward dadurch die Veranlassung, daß Goethe mit dem nachmaligen Großherzog von Weimar bekannt wurde. Merkwürdig ist, daß ihm Goethe schon damals eine der letzten Scenen des „Faust“2) vorlas (1774) und die ersten Scenen gar noch nicht vorhanden waren.3) [Dez] 23. [Karlsruhe] Knebel an F. J. Bertuch (BG 1, 308f.): Von Wieland werden Sie erfahren können, daß ich Goethe’s Bekanntschaft [vom 11.−16. Dez 1774 in Frankfurt u. Mainz] gemacht habe, und das ich etwas enthusiastisch von ihm denke. Ich kann mir nicht helfen, aber ich schwöre es, Ihr Alle, die Ihr Kopf und Herz habt, Ihr würdet so von ihm denken, wenn Ihr ihn kennen solltet. Dieß bleibt mir immer eine der außerordentlichsten Erscheinungen meines Lebens . . . So viel von Goethe! Aber lange noch das geringste. Die ernsthafte Seite seines Geistes ist sehr ehrwürdig. Ich habe einen Haufen Fragmente von ihm, unter andern zu einem Doctor Faust, wo ganz ausnehmend herrliche Scenen sind. Er zieht die Manuskripte aus allen Winkeln seines Zimmers hervor. 28. [Frankfurt] An Knebel (GB 2.1, 152): Geben Sie meine Sachen nur ⎯

nicht aus Händen.4) ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 145) (AA-DuW 1, 496): Vorübergehend will ich . . . noch eines guten Gesellen gedenken, der, obgleich von keinen außerordentlichen Gaben, doch auch mitzählte. Er hieß Wa g 1

) Dieser Eindruck entstand, weil G vermutl. gesprächsweise und namentlich beim Vortrag die Lücken durch Andeutung oder genaueren Bericht ergänzte (E. Schmidt 1894, XXXI). Nach Gräf II 2, 15 hat G Boie auch von der damals wohl noch nicht fertigen Szene Vor dem Thor einen Eindruck vermittelt; so Boie in einem nicht mehr nachweisbaren Brief, auf den C. Rößler 1883 hinweist: Im Jahre 1866 . . . fand ich in einer norddeutschen Zeitung, ohne ihn aufzubewahren, einen irgendwo bis dahin verborgenen Brief Boies mitgeteilt. Darin schreibt Boie über die Szene des Osterspazierganges, die er in Frankfurt von Goethe vorlesen gehört . . . (BG 1, 298). 2 ) Gemeint wohl eine der Prosaszenen Trüber Tag. Feld, Nacht. Offen Feld oder Kerker. 3 ) Dagegen spricht Knebels Mitteilung, daß er den Anfang der ersten Scene aus Göthens Docktor Faust abgeschrieben habe; s. unten 11. Jan 1775: Knebel an F. H. v. Einsiedel. 4 ) s. oben 23. Dez 1774: Knebel an Bertuch. 5 ) Betr. 1774−1775; verfaßt 1813.

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n e r , erst ein Glied der Straßburger, dann der Frankfurter Gesellschaft; nicht ohne Geist, Talent und Unterricht. Er zeigte sich als ein Strebender, und so war er willkommen. Auch hielt er treulich an mir, und weil ich aus allem was ich vorhatte kein Geheimniß machte, so erzählte ich ihm wie andern meine Absicht mit Faust, besonders die Catastrophe von Gretchen. Er faßte das Sujet auf, und benutzte es für ein Trauerspiel, d i e K i n d e s m ö r d e r i n n .1) Es war das erste Mal, daß mir Jemand etwas von meinen Vorsätzen wegschnappte; es verdroß mich, ohne daß ich’s ihm nachgetragen hätte. Ich habe dergleichen Gedankenraub und Vorwegnahmen nachher noch oft genug erlebt, und hatte mich, bey meinem Zaudern und Beschwätzen so manches Vorgesetzten und Eingebildeten, nicht mit Recht zu beschweren.

1775 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1775. Hsg. von H. A. O. Reichard (Verzeichniß der jetzt lebenden deutschen Schriftsteller und Tonkünstler, die für das Theater gearbeitet haben), S. 115: Göthe Johann Wolfgang, D. der Rechte, Verschiedene ungedruckte Schauspiele: Soll an einem ,Doctor Faust’ und einem Trauerspiel ,Julius Caesar’ arbeiten.



⎯ Dichtung und Wahrheit. Biographisches Schema zu 17752) (AA-DuW 2,



462): Antagonism Der Dichter verwandelt das Leben in ein Bild Die Menge will das Bild wieder zu Stoff erniedrigen Wirklichkeits Wesen Graf Thun3) Faust ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 184) (AA-DuW 1, 594; 597; 599; 601f.): [594:] Hans Sachs, der wirklich meisterliche Dichter, lag uns am näch1

) Die Kindermörderin. Ein Trauerspiel, im Sommer 1776 in Leipzig anonym erschienen; Motivübernahmen aus den Gretchen-Szenen (Verführung, Schlaftrunk, Tod der Mutter, Flucht, Ermordung des Kindes, Wahnsinn); zum Vergleich der Stücke s. auch Froitzheim 1889, 35–59. 2 ) Verfaßt 1809. 3 ) Franz Joseph Graf Thun (1743−1811) Mitglied der Asiatischen Brüder, glaubte zw. 1766 u. 1778 mit einem persönlichen Schutzgeist (spiritus familiaris), dem vor Jahrhunderten verstorbenen Kabbalisten Gablidone, in Verbindung zu stehen, vermittelt durch einen Mann, der sich Magnanephton oder der Rechner nannte. Im Juli 1781, drei Jahre nach dem Tod des Rechners, reiste Graf Thun zu Lavater nach Zürich, um ein Protokoll seiner Erlebnisse zu geben. Lavater schrieb Ende Aug 1781 das Protokoll u. übermittelte es G am 8. Sept 1781, nachdem er in einem Brief vom 16. Aug 1781 die Geistergeschichte schon angekündigt hatte (SchrGG 16, 191); G’s krit. Stellungnahme im Brief an Lavater vom 14. Nov 1781, wo er Thun als betrogenen Laffen bezeichnet. 1787 erfolgte ohne Lavaters Wissen die Publikation Lavaters Protokoll über den Spiritus Familiaris Gablidone. − In der Rückschau stellte G wohl Graf Thun u. Faust nebeneinander, weil beide meinten, die Geisterwelt sei ihnen nicht verschlossen (443). Doch bezeichnen G’s Stichworte auch das Trennende zw. dem Bild des Dichters u. dem erniedrigenden Wirklichkeits Wesen, für das Graf Thun beispielhaft war. 4 ) Verfaßt 1830 Nov 18.−23.

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sten; ein wahres Talent . . . ein schlichter Bürger, wie wir uns auch zu seyn rühmten . . . wir benutzten den leichten Rhytmus, den sich bequem anbietenden Reim bey manchen Gelegenheiten. Es schien diese Art so bequem zur Poesie des Tages und deren bedurften wir jede Stunde. (Spatium ca 20 Zeilen) Wenn nun bedeutende Werke, . . . welche eine jahrelange ja eine lebenslängliche Aufmerksamkeit und Arbeit erforderten,1) auf so verwegenem Grunde, bey leichtsinnigen Anlässen mehr oder weniger aufgebaut wurden, so kann man sich denken, wie freventlich mitunter andere vorübergehende Productionen sich gestalteten2) . . . [597:] Um diese Zeit meldeten sich die Grafen Stollberg an die auf einer Schweitzerreise begriffen bey uns einsprechen wollten . . . Die Gebrüder kamen an, Baron Haugwitz mit ihnen . . . [599:] . . . im Augenblicke . . . schien mir . . . ein solcher Ruf [der Stolberge, sie in die Schweiz zu begleiten] willkommen . . . In wenigen Stunden war ich mit meinen lustigen Gefährten in Darmstadt . . . Ich brachte . . . meine Zeit bey Merk zu, welcher meine vorgenommene Reise mephistophelisch querblickend ansah3) und meine Gefährten mit schonungsloser Verständigkeit zu schildern wußte . . . [601f.:] . . . [wir] eilten . . . nach Karlsruhe getrost und heiter, um uns zutraulich und sorglos in einen neuen Kreis zu begeben. Wir fanden Klopstock daselbst,4) welcher seine alte sittliche Herrschaft über die ihn so hoch verehrenden Schüler gar anständig ausübte, dem ich denn auch mich gern unterwarf, so daß ich, mit den andern nach Hof gebeten, mich für einen Neuling ganz leidlich mag betragen haben . . . Einige besondere Gespräche mit Klopstock erregten gegen ihn, bey der Freundlichkeit die er mir erwies, Offenheit und Vertrauen; ich theilte ihm die neusten Scenen des Faust mit, die er wohl aufzunehmen schien, sie auch wie ich nachher vernahm, gegen andere Personen mit entschiedenem Beyfall, der sonst nicht leicht in seiner Art war, beehrt und die Vollendung des Stücks gewünscht hatte. Jan

11. [Straßburg] Knebel an F. H. v. Einsiedel (GJb 1928, 80): Um Ihnen noch den Inbegriff von meiner und unser aller Weißheit mitzutheilen, so hab’ ich Ihnen den Anfang der

1

) Versteckter Hinweis auf Arbeit am Faust in Knittelversen. ) Das Folgende s. in „Hanswursts Hochzeit“ gD; EGW 7, 99. 3 ) Zu Merck als ,Mephistopheles‘; vgl. 1779 Okt 10.: Forster an Jacobi; Okt 25.: Jacobi an Forster; Nov 2.: Forster an Jacobi; 12. Nov 1796: Wieland an Böttiger u. 27. März 1831: Eckermann. 4 ) Klopstock hielt sich auf Einladung des Markgrafen K. F. v. Baden von Okt 1774 bis März 1775 in Karlsruhe auf. Als G mit seiner Reisegesellschaft am 17. Mai 1775 dort eintraf, war Klopstock schon abgereist. Die weiter unten erwähnte Vorlesung der Faust-Szenen kann daher nicht in Karlsruhe stattgefunden haben, sondern eher in Frankfurt, wo Klopstock im Sept 1774 auf dem Hinweg u. im März 1775 auf dem Rückweg von Karlsruhe Station machte, vermutl. war es auf der Rückreise. 2

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ersten Scene aus Göthens Docktor Faust abgeschrieben, den Sie sogleich Wieland mittheilen müssen, und ihm dabey den besten Kuß von mir auf die Wange drücken.

Jan

13. [Frankfurt] An Knebel (GB 2.1, 157): Ich bitte Sie gar sehr um ein

Wort von Ihnen und um meine Sachen.1) Febr 13. [Frankfurt] An Auguste Gräfin zu Stolberg (GB 2.1, 164): . . . nun giebts noch einen [G] . . . der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Gefühle der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige Gewürze des Lebens in mancherley Dramas2) . . . nach seiner Maase auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde was er machte? [März 8.?] [Offenbach] An Auguste Gräfin zu Stolberg (GB 2.1, 170): . . . O wenn ich iezt nicht dramas schriebe ich ging zu Grund.3) Apr 15. [Berlin] C. F. Nicolai an J. G. Zimmermann (Habersaat 85f.): Ihr Beyfall [zu Nicolais Freuden des jungen Werthers], und der Beyfall verständiger Männer, die so wie Sie denken, ist, was ich gewünscht habe. Denn daß Göthe Feuer und Flamme speyen würde wuste ich voraus. Diese Herren die das Faustrecht gern einführen wollen, thun es nur, um nach Belieben Faustschläge und Ribbenstöße austheilen zu können, wenn sie lustig sind. Wider sie selbst aber soll das Faustrecht nicht gelten. Ich befürchte auch, daß sie, bey aller ihrem Genie, so wenig Stärke des Geistes haben, daß sie nur von einem geringen Fingertipp zu wanken anfangen . . . Man droht von Fr[ank]f[ur]t aus mit mehrerm. Unter andern, daß G ö t h e mich, in seinem D o c t o r F a u s t , wie ich leibte und lebte aufstellen wollte.4) Auch das wird mich gar nicht aus der Fassung bringen, sondern wenn die Komödie aufgeführt wird, setze ich mich vorn an. Ich traue mich, mich neben jedes Bild zu stellen, das man von mir macht, es gleiche mir nun oder nicht. Mai

15 [Augsburg] Deutsche Chronik. Hsg. v. C. F. D. Schubart, 39. St. v. 15. May 1775, 310: L e s s i n g hat in W i e n alles Merkwürdige mit seinem tiefen Forschgeiste besehen, und an die Schauspieldirection sein vortrefliches Traurspiel D. F a u s t verhandelt. Wer die meisterhafte Scene dieses Traurspiels in dem ersten Theile der Literaturbriefe gelesen hat,5) den wird’s, wie mich, gelüsten, dieß große Stück bald ganz lesen zu können. *Im Gothaischen Theateralmanach steht: Göthe arbeite auch an einem D. F a u s t . 6 )

Juni 15. [Zürchersee] Tagebuch der Schweizreise 1775 (GT 1.1, 3): Ohne Wein

kan’ uns auf Erden Nimmer wie dreyhundert werden Ohne Wein u. ohne Weiber Hohl der Teufel unsre Leiber.7) 1

) s. oben 28. Dez 1774: an Knebel. Die Faust-Mss. gab Knebel wohl bald zurück, denn sie lagen wieder vor, als F. H. Jacobi im Jan 1775 in Frankfurt eintraf; s. 12. Apr 1791: F. H. Jacobi an G („Faust. Ein Fragment“, S. 96). 2 ) Neben Stella u. Erwin und Elmire ist auch an Faust zu denken. 3 ) Erwin und Elmire? Stella? Faust? Düntzer 1857, 75 vermutet Faust. 4 ) Es geschah in den Proktophantasmist-Versen von Faust. Eine Tragödie, Walpurgisnacht (4144ff.). Zu dem frühen Hinweis auf Nicolai s. Pniower 1899, 11f., Kossmann GJb 1908, 169f., Krogmann 1933, 119−128 u. Nollendorfs 1967, 70f. 5 ) s. oben 16. Febr 1759: Briefe, die neueste Litteratur betreffend. 6 ) s. oben (S. 55) 1775: Theater-Kalender. 7 ) Vermutl. mit Bezug auf: Uns ist gar kannibalisch wohl / Als wie fünfhundert Säuen! (v. 174f.), s. GT 1.2, 377. − Reich 1968, 102 faßt zusammen: So wurde . . . in der Forschung fast durchweg angenommen, daß beide Stellen voneinander abhängig seien.

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Juni 15. [Zürich] J. J. Bodmer an W. Schinz (BG 1, 341f.): Hr. Lav.[ater] hat Göthen und die Grafen Stolberg. Ich habe auch Göthen bei Lav. einen Besuch gemacht . . . Hr. Lav. hat Göthen eine vortheilhafte opinion von mir gemacht, die ich noch nicht verdorben habe. Er ist mit meiner Munterkeit am besten zufrieden. Er hat Brutus und Cassius für niederträchtig erklärt, weil sie den Cäsar ex insidiis, von hinten, um das Leben gebracht haben. Ich sagte, dass Cäsar sein Leben durch nichts anderes gethan, als die Republik, seine Mutter, getödtet, und die meiste Zeit durch falsche Wege. Cicero ist nach ihm ein blöder Mann, weil er nicht Cato war. Es ist sonderbar, dass ein Deutscher, der die Unterthänigkeit mit der äussersten Unempfindlichkeit erduldet, solche Ideale von Unerschrockenheit hat. Ist nicht Wehrter der blödeste, feigherzig[st]e Mann? Aber es scheint, der Verf. halte die Feigheit, welche den Schmerzen der Liebe durch den Tod entflieht, für Stärke der Seele. Man sagt, Göthe wolle bey uns an einem Trauerspiel vom Dr. Faustus arbeiten. Eine Farc¸e lässt sich von einem Schwindelkopf leicht daraus machen. Sept 17. [Offenbach] An Auguste Gräfin zu Stolberg (GB 2.1, 215f.): Nachts

zehen. − Ist der Tag leidlich u. stumpf herumgegangen, da ich aufstund war mirs gut, ich machte eine Scene an meinem Faust.1) Vergängelte eine paar Stunden. Verliebelte ein paar mit einem Mädgen davon dir die Brüder erzählen mögen, das ein seltsames Geschöpf ist. Ass in einer Gesellschaft ein Duzzend guter Jungens, so grad wie sie Gott erschaffen hat. Fuhr auf dem Wasser selbst auf und nieder, ich hab die Grille selbst fahren zu lernen. Spielt ein Paar Stunden Pharao und vertraumte ein Paar mit guten Menschen. Und nun sizz ich dir gute Nacht zu sagen. Mir wars in all dem wie einer Ratte die Gift gefressen hat, sie lauft in alle Löcher, schlürpft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Essbare das ihr in Weeg kommt und ihr innerstes glüht von unauslöschlich verderblichem Feuer. [22.–27.] [Bonn] A. W. Schlegel an A. Hayward 31. Dez 18322) (Festschrift zur Begrüßung des fünften Allgemeinen Deutschen Neuphilologentages zu Berlin. Hsg. von Julius Zupitza. Berlin 1892, 84): Je doute qu’une traduction en prose puisse donner une ide´e juste de Faust. Le poe`te a employe´ la plus grande varie´te´ dans les mesures, et toujours d’une manie`re caracte´ristique. Il y a une ´etonnante flexibilite´, et un naturel parfait dans le dialogue, malgre´ la geˆne de la rime. Je vous invite `a lire ce que j’ai dit la` dessus dans mon cours de litte´rature dramatique. Ce poe`me, de`s son origine, ´etait condamne´ `a ne rester qu’un fragment. Mais quoiqu’on juge de l’ensemble, les de´tails sont admirables. Ceci me rappelle une anecdote que je tiens du ce´le`bre me´decin Zimmermann, fort lie´ avec Goethe dans sa jeunesse. Faust avait ´ete´ annonce´ de bonne heure, et l’on s’attendait alors `a le voir paraıˆtre prochainement. Zimmermann, se trouvant `a Weimar

Unentschieden bleibt, ob Entstehungszeugnis oder Selbstzitat. Zu ersterem neigen E. Schmidt 1894, XLVI, Minor 1901, 120, Petsch 1926 V 652, zu letzterem Pniower 1889, 146−48; einen Zsh. bestreiten Krogmann 1933, 157 u. JG2 6, 540f. 1 ) Erste direkte Erwähnung des Faust; Scene meist als Auerbachs Keller gedeutet wegen des folgenden Vergleichs mit einer Ratte die Gift gefressen hat, der an das neu Lied (Frühe Fassung Prosa Zeile 24) des Frosch erinnert. − Deutung nicht zwingend, vgl. Gräf II 2, 19f. u. Forschungsgeschichte in der E-Rubrik S. 17. 2 ) Antwort auf Bitte um Worterklärungen für: Faust. A Dramatic Poem. Transl. into English prose, with remarks on former translations, and notes, by A.[braham] H.[ayward]. London 1833.

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[richtig: Frankfurt], demanda `a son ami des nouvelles de cette composition. Goethe apporta un sac, rempli de petits chiffons de papier. Il le vida sur la table et dit: Voila` mon Faust! [Sept 22.–27.] [Anonym = A. W. Rehberg:] Goethe und sein Jahrhundert. Jena 1835, 85f.: Wenn man Goethes Schriften mit der Aufmerksamkeit, die einem der ersten Schriftsteller der Nation gebührt, lieset, und sie mit einander vergleicht, so wird man immerfort daran erinnert, daß das Gedicht, welches den Titel Faust führt, stückweise gemacht ist; mit den mannichfachsten Intentionen, und in den verschiedensten Stimmungen. Dabei sind die einzelnen Theile nur zuletzt sehr ungeschickt zu einem Ganzen verbunden. Nachdem der Dichter mehreremale angefangen, den Faden fallen lassen, und wieder aufgenommen hatte, zeigte er seinem damaligen Freunde [J. G.] Zimmermann1) einen Haufen Papiere, mit den Worten: da ist mein Faust.

[Okt 7.] [Frankfurt] An Merck (GB 2.1, 221): Reit doch noch einmal herüber

[nach Frankfurt] ehe ich [nach Weimar] gehe. Ich bin leidlich. Hab an Faust viel geschrieben.2) 7. [Leipzig] C. F. Weiße an J. P. Uz (Morgenblatt Nr. 296 v. 11. December 1840, 1183): Lessing war über Goethes und Kompanie Haupt- und Staataktionen3) sehr aufgebracht und schwur das deutsche Drama zu rächen. Er hatte gehört, daß Goethe einen Doktor Faust liefern will, und tritt er ihm da in Weg, so müßte ich ihn sehr verkennen, wenn er nicht Wort halten sollte4) . . . [Mitte] [Frankfurt] Dichtung und Wahrheit Buch 20 (AA-DuW 1, 644): . . .

nachdem ich überall Abschied genommen und den Tag meiner Abreise verkündet, sodann aber eilig eingepackt und dabey meiner ungedruckten Schriften5) nicht vergessen, erwartete ich die Stunde, die den gedachten Freund im neuen Wagen herbeyführen und mich in eine neue Gegend, in neue Verhältnisse bringen sollte. 18. [Frankfurt] An Bürger (GB 2.1, 223): Ich hab allerley geschrieben,6) das dir eine gute Stunde machen soll. 24. [Berlin] A. Mylius an Merck (Leuschner 1, 599): . . . da er [G] nun für diese vielleicht kleine und nicht sehr intereßante Piec¸e [Stella] 20 # [Dukaten] bekommt, so wird das folgende Stück 50 # [Dukaten] und D. Faust vielleicht 100. Louisd’or gelten sollen; das ist aber wieder die Natur der Sache und nicht auszuhalten, und ich thue von gantzem Herzen Verzicht darauf. Mich wundert übrigens daß der Herr D. Göthe die Buchhändler so quälen will da er wie ich immer gehört habe, solches aus öconomischen Gründen nicht nöthig hat. Soll es also vielleicht Ruhm seyn daß ihm seine Mste so theuer sind bezahlt worden? Dr. Faust wäre mir für einen proportionirlichen Preiß freylich lieber [als Stella] gewesen.7) 1

) Vom 22. bis 27. Sept 1775 G’s Gast in Frankfurt; s. 15. Jan 1776: Zimmermann an Reich. 2 ) Über den entstehungsgeschichtlichen Zsh. der Übersetzung von Salomons Hohem Lied mit Vers-Sequenzen in der Sz. Garten s. Forschungsgeschichte unter der E-Rubrik S. 19 Anm. 4 letzter Satz. 3 ) Vermutl. Götz von Berlichingen. 4 ) s. oben 16. Febr 1759: Briefe m. Anm u. [15./17. Okt] 1774: Boie an Gerstenberg. 5 ) Vor allem Faust. 6 ) Vielleicht auch Faust gemeint. 7 ) Stella ließ G durch Merck dem Berliner Buchhändler Mylius zum Druck anbieten. Daß sich das Angebot auch auf Faust erstreckte, ist zu bezweifeln.

60 Dez

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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6. [Dessau] F. L. v. Stolberg an Henriette v. Bernstorff (Behrens 65): Auf dieser Reise hat mir, außer der Schweiz, und freilich auch Hamburg ausgenommen, kein Ort so gefallen, wie Weimar1) . . . Den Vormittag waren wir entweder bei Göthe oder Wieland, oder ritten mit dem Herzog auf die Jagd oder spazieren . . . Einen Nachmittag las Göthe seinen halbfertigen Faust2) vor. Ein herrliches Stück. Die Herzoginnen waren gewaltig gerührt bei einigen Scenen. 9. [Wien] T. P. v. Gebler an C. F. Nicolai (Aus dem Josephinischen Wien. Geblers und Nicolais Briefwechsel während der Jahre 1771–1786. Hsg. v. Richard Maria Werner. Berlin 1888, 74): Den G ö t h i s c h e n Doktor Faust bin ich begierig zu sehn, es wird gewiß eine sonderbare Erscheinung seyn.

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Jan

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1776. Hsg. von H. A. O. Reichard (Verzeichniß der jetzt lebenden deutschen Schriftsteller und Tonkünstler, die für das Theater gearbeitet haben), S. 115: Göthe Johann Wolfgang, D. der Rechte, Verschiedene ungedruckte Schauspiele: Soll an einem ,Doctor Faust‘ und einem Tauerspiel ,Julius Caesar‘ arbeiten. [Weimar] Wieland, An Psyche3) (TM, Jan 1776, 18): . . . Auf einmal stand in unsrer Mitten Ein Zaubrer! [G] . . . Ein schöner Hexenmeister es war, Mit einem schwarzen Augenpaar, Zaubernden Augen voll Götterblicken Gleich mächtig zu töten und zu entzücken. So trat er unter uns, herrlich und hehr . . . O welche Gesichte, welche Szenen Hieß er vor unsern Augen entstehn! Wir wähnten nicht, zu hören, zu sehn; Wir sahn! Wer malt wie er? So schön, Und immer ohne zu verschönen! So wunderbarlich wahr! So neu Und dennoch Zug vor Zug so treu? Doch wie, was sag ich malen? Er schafft, Mit wahrer mächtiger Schöpferkraft Erschafft er Menschen; sie atmen, sie streben! In ihren innersten Fasern ist Leben! Und jedes so ganz es selbst, so rein! Könnte nie etwas anders sein! Ist immer echter Mensch der Natur, Nie Hirngespinst, nie Karikatur, Nie kahles Gerippe von Schulmoral, Nie überspanntes Ideal! O Psyche, warum ist unser Glück Hienieden nur immer ein Augenblick? In seeligem Taumel genoß ich ihn kaum, Weg war der zauberische Traum! Und ich − wie weit von dir verschlagen! In einem alten Rumpelwagen, Nicht mehr durch luftger Wolken Höh Leichtschwebend von Amors Tauben getragen, Gezogen durch ungebahnten Schnee, Vom Nebel gebeizt, vom Frost gezwickt, Und immer weiter − dir entrückt! Zwar saß in diesen Fährlichkeiten Mir unser Zaubrer [G] noch zur Seiten; Doch wenig half izt ihm und mir Sein N o s t r a d a m u s ! 4) Er konnt’, ums Leben, Nur nicht den Pferden Flügel geben! 1

) Die Brüder Stolberg hielten sich vom 29. Nov bis 3. Dez 1775 in Weimar auf. ) Vgl. oben 15. Okt 1774: Boie Reisetagebuch. Zu der doppeldeutigen Formulierung halbfertig s. Gräf II 2, 33. 3 ) Im Anschluß an G’s u. Wielands Besuch vom 1.−3. Jan 1776 auf Schloß Stedten bei Erfurt, wo sie bei Auguste Gräfin v. Keller u. deren Töchtern zu Gast waren, entstand das der Freifrau Julie v. Bechtolsheim geb. Gräfin v. Keller (Psyche) gewidmete, 170 v. umfassende Gedicht, aus dem hervorgeht, dass Goethe aus eigenen Werken, vor allem dem Faust vorgetragen hatte. 4 ) Anspielung auf die ,Urfaust‘-Szene Nacht In einem hochgewölbten engen gothischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulten . . .. Flieh! Auf hinaus in’s weite Land! Und dies geheimnisvolle Buch Von Nostradamus eigner Hand Ist dir das nicht Geleit genug? − Weitere Anspielungen Wielands auf Textstellen des ,Urfaust‘ s. 26. Jan 1776: Wieland an Merck; 20. Jan 1779: Wieland an Sophie v. La Roche u. 3. Jan 1785: Wieland an Merck. 2

1776 Jan

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6. [Weimar] F. H. v. Einsiedel, Schreiben eines Politikers an die Gesellschaft am 6. Januar 17761) (BG 1, 396): [v. 102−26]: Dem Ausbund aller [G] dort von Weiten Möcht’ ich auch ein Süpplein zubereiten . . . Mit seinen Schriften unsinnsvoll Macht er die halbe Welt itzt toll, Schreibt n’ Buch von ein’m albern Tropf, Der heiler Haut sich schießt vorn Kopf: Meynt Wunder was er ausgedacht, Wenn ihr einem Mädel Herzweh macht. Paradirt sich drauf als Doctor Faust, Daß’m Teufel selber vor ihm graußt. Mir könnt’ er all gut seyn im Ganzen, (Thät mich hinter meinen Damm verschanzen) Aber wär ich der Herr im Land Würd’ er, und all sein Zeugs verbannt. 19. [Darmstadt] Merck an C. F. Nicolai (Leuschner 1, 612): Sein Faust ist . . . ein Werk,2) das mit der G r ö s t e n Tr e u e der Natur abgestohlen ist, u. die Stella wie Clavigo sind aufrichtig nichts weiter als N e b e n s t u n d e n . Ich erstaune so offt ich Ein neu Stük zu Fausten zu sehen bekomme,3) wie der Kerl zusehends wächst, und Dinge macht, die ohne den grossen Glauben an sich selbst, und dem damit verbundnen Muthwillen ohnmöglich wären. D i e s a l l e s w a s I h n a n g e h t S u b R o s a . 25. [Hannover] J. G. Zimmermann an Ph. E. Reich (FDH; Sign. 1197): Wenn Herr Göthe noch in Leipzig ist,4) so umarmen Sie ihn in meinem Namen . . . Mich würde es sehr freuen wenn Sie . . . sein Verleger geworden wären. Sein Doctor Faust ist ein Werk für a l l e Menschen in Deutschland. Er hat mir einige Fragmente davon in Frankfurt5) vorgelesen die mich bald entzückten, und dann wieder bald halb todt lachen machten. 26. [Weimar] Wieland an Merck (Leuschner 1, 617): Den Altfranken und der ganzen F a m i l i e v o n R i p p a c h 6) zum besten . . . erklären Sie doch . . . was Sie bey den BücherRubriken Vo r t r e f l i c h . G u t , m i t t e l m ä ß i g g e d a c h t haben wollen.

Febr 18. (s. „Egmont“: v. Byern an Knebel gD, EGW 3, 188) März 8. [Darmstadt] Merck an J. M. R. Lenz (Leuschner 1, 628): Von Goethen hab’ ich allerley hübsche u. gute Sachen . . . Eine schöne Zeichnung von Krause [G. M. Kraus] hab’ ich auch wo er sizt, u. den Faust vorließt, der Herzog u. alle andre um ihn herum.7) 14. [Augsburg] Teutsche Chronik. Hsg. v. C. F. D. Schubart, 22. St. v. 14. März 1776 (MA 1.2, 741): Wir Teutsche haben nächstens drei ’Doktor Faust’ zu erwarten: von Goethe, Lessing, und Maler Müller. Wollen sehen, wen Gott annimmt, und welchen der Teufel holt! 1

) Unter dem Namen Mephistopheles charakterisiert Einsiedel scherzhaft in 147 Versen Mitglieder der Weimarer Gesellschaft. 2 ) Die Schlüsselstellung, die dem Faust im Werk des jungen G eingeräumt wird, bezeugt Merck, indem er G in einem Briefgedicht an Wieland vom 10. Juni 1776 (richtig wohl: 19. Mai 1776) als Doktor Faust (Wieland BriefeAA 5, 513) bezeichnet, zur Datierung Wieland BriefeAA 6.3, 1551. 3 ) Letztes persönliches Zusammentreffen mit G wohl im Sept 1775; vgl. Düntzer 1899, 27 u. Pravida JbFDH 2015, 9f. 4 ) G in Leipzig vom 25. März bis 3. Apr 1776. Umgang mit Reich, der Lavaters Physiognomische Fragmente verlegte. 5 ) Zimmermann war vom 22. bis 27. Sept 1775 Gast G’s im Frankfurter Haus am Hirschgraben. 6 ) Hans Arsch von Rippach, Spottfigur im 18. Jh.; womöglich Anspielung auf ,Urfaust‘ Auerbachs Keller (ab Prosa Zeile 66): Frosch Ich will ,en die Würme schon aus der Nase ziehn, wo sie herkommen! − Ist der Weeg von Rippach herüber so schlimm, dass ihr so tief in die Nacht habt reisen müssen. Faust Wir kommen den Weeg nit Frosch Ich meinte etwa ihr hättet bey den berühmten Hans drüben zu Mittag gespeißt. Faust Ich kenn ihn nicht. /: die andern lachen:/; s. auch unten 3. Jan 1785: Wieland an Merck. 7 ) Wohl ein Blatt aus der Graphiksammlung des Hess. Landesmuseum Darmstadt, Sign. HZ 310.

62 Apr

FAUST. FRÜHE FASSUNG

1776

7. [Hannover] J. G. Zimmermann an Ph. E. Reich (GJb 1890, 267f.): Ich freue mich herzlich dass Goethe bei Ihnen ist . . . Wenn Sie hexen können, so hexen Sie ihm doch seinen Doctor Faust heraus. Noch hat Deutschland kein solches Werk gesehen.

Mai 23. [Straßburg] J. G. Röderer an J. M. R. Lenz (Lenz 3, 451): Laß Dich erbitten mir Verzeichnisse von Deinen und Herrn D. Göthens neuen Stücken zu schicken . . . Ist Dr. Faust fertig gedruckt? [Juni Anf.]1) F. L. v. Stolberg an Unbekannt (Janssen 1, 70f.): Göthe ist nicht bloß ein Genie, sondern er hat auch ein wahrhaft gutes Herz, aber es ergriff mich ein Grausen, als er mir an einem der letzten Tage meiner Anwesenheit in Weimar2) von Riesengeistern sprach, die sich auch den ewigen geoffenbarten Wahrheiten nicht beugen. Dieser unbeugsame Trotz wird, wenn er in ihm weiter wuchert, auch sein Herz kalt machen. Armer Erdenwurm! Sich den ewigen geoffenbarten Wahrheiten nicht beugen, gleichsam rechten wollen mit Gott! [Juli 1. [Weimar] An Chr. W. Steinauer (GB 3.1, 84): Lieber Steinauer. Kaufod. 9.] fen Sie mir doch. S c h w e d e n b o r g s Himlische Philosophie verglichen

pp Das Buch ist in Octav Teutsch von Prälat Ottingern [Oetinger] ausgegeben . . .3) Aug

8. [Straßburg] J. G. Röderer an J. M. R. Lenz (Lenz 3, 491): Vor 14 Tagen hab ich [J. K.] Pfenniger bei mir gehabt und bin mit ihm samt [J. L.] Blessig und [H. L.] Wagner nach Emmendingen wo wir Lavater antrafen u. 2 Tage sehr vergnügt bei einander blieben. Hr. Hofrat und seine Frau grüßen Dich herzlich, Du hättest wieder dabei sein sollen als sie uns alte Romanzen sang und besonders die aus dem Faust.4)

Okt 16. [Berlin] J. H. F. Müller (Daunicht 389): Mittwoch den 16ten gab Döb[be]lin das hier sehr beliebte Tr a u e r s p i e l : E l f r i d e 5) . . . [J. J.] E n g e l kam zu mir in die Loge, und begleitete mich zuletzt nach Hause. Er erzählte mir, daß L e s s i n g seinen D o k t o r F a u s t sicher herausgeben würde, sobald G** mit seinem erschiene; daß er gesagt hätte: meinen F a u s t − holt der Teufel, aber ich will G** seinen holen!6) − E n g e l versicherte, daß, was er davon gehört hätte, F a u s t , L e s s i n g s M e i s t e r s t ü c k s e y n würde. 1

) J. Janssen, der den Stolbergschen Familiennachlaß nutzen konnte, nennt für diesen nur teilweise wiedergegebenen Brief weder Ort noch Adressaten u. teilt lediglich mit, daß der Brief ungefähr gleichzeitig wie der Brief an Klopstock vom 8. Juni 1776 geschrieben wurde. 2 ) F. L. v. Stolberg war vom 29. Nov bis 3. Dez 1775 in Weimar; s. oben 6. Dez 1775: F. L. v. Stolberg an Henriette v. Bernstorff. 3 ) Oetingers Übersetzung aus Swedenborgs Arcana coelestia: Swedenborgs und anderer Irrdische und himmlische Philosophie, zur Prüfung des Besten ans Licht gestellt von Friedrich Christoph Oetinger. Frankfurt u. Leipzig 1765. − GB 3.2A 332 vermutet, G’s erneutes Interesse an Swedenborg sei durch die Vorstellung einer Seelenwanderung begründet, mit der G sich die Macht erklärte, die diese Frau [Charlotte v. Stein] über mich hat (etwa Mitte Apr 1776, an Wieland, GB 3.1, 55). 4 ) Gemeint: Es war ein König in Tule. − Herr Hofrat und seine Frau waren G’s Schwager J. G. Schlosser, Oberamtmann des Großherzogs von Baden in Emmingen u. G’s Schwester Cornelia. 5 ) F. J. Bertuch: Elfride. Trauerspiel in drey Aufzügen. Weimar 1775. 6 ) Vgl. auch F. Münters Tagebuch-Notiz nach einem Gespräch mit J. J. Engel am 1. Sept 1782 in Berlin: Lessing habe gesagt. Genie und Hundsvott mir gleich, beides erwidre ich mit einer Orfeige. Lessings Wahrheits voll[er] Charakter. er wartete auf Göthens Faust. um s[einen] Herauszugeben. (Daunicht 386).

1776

FAUST. FRÜHE FASSUNG

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[Nov 17./ [Weimar] An Herder (GB 3.1, 119): . . . hier noch . . . ein Puppenspiel 26.] von mir1) . . . Nov 19. An Ch. v. Stein (GB 3.1, 117): . . . zugleich schick ich . . . Schwedenod 20.2) borg3) Dez

8. [Potsdam] K. W. v. Byern an Knebel (Knebels Nachlaß II 1, 62): In Berlin hatte ich unter andern einen Discurs mit Himburg, der mir versicherte, Goethe und sein Busenfreund, der Herzog, führten das ausschweifendste Leben von der Welt; wir würden auch wohl nichts mehr von ihm zu hoffen haben, weil er sich den ganzen Tag in Branntwein besöffe. D o c t o r F a u s t sei zwar fertig; Lessing warte nur darauf, um seinen F a u s t auch herauszugeben.

1777 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1777. Hsg. v. H. A. O. Reichard (Verzeichniß der jetzt lebenden deutschen Schriftsteller und Tonkünstler, die für das Theater gearbeitet haben), 146: G ö t h e Johann Wolfgang, D. der Rechte und geh. Leg. Rath zu Weimar. Verschiedene ungedrukte Schauspiele, Doktor Faust, Julius Cäsar, die Vogelwiese etc.4)

Mai 11. [Basel] C. G. Küttner an F. J. Bertuch (GJb 1881, 394): Von Göethens Faust hab’ ich nichts wieder gehört, seit ich [im Frühj. 1776] von Weimar weg bin; ich wünschte wohl einige Nachricht davon. Dez

1. [Weimar] Rechnungsbuch Nov−Dez 17775) (GSA 34/I,5,4 Bl. 7): P.[aket] mit Faust a. Fr. R.[at] G.[oethe]6) 1. [Weimar] Postsendungen (Br 3, 320): [An] Frau Rath Goethe, mit

Faust.

1

) Vielleicht das 1774 erschiene Neueröfnete moralisch-politische Puppenspiel oder das 1776 im TM veröffentlichte Knittelversgedicht Erklärung eines alten Holzschnittes, vorstellend Hans Sachens Poetische Sendung. Nach GB 3.1, A 432 wäre auch denkbar, daß G ein Manuskript aus der frühen Fassung des ,Faust‘ schickte, aus dem Goethe 1776 wiederholt vorlas. 2 ) Datierung nach GB 3.2, A 425f. 3 ) Arcana coelestia, übersetzt von Oetinger. Eine übermütige Anspielung auf Swedenborg gegenüber Ch. v. Stein am 2. Dez 1777 (GB 3.1, 178): Weege mit unter! Im Dreckigen Jerusalem Schwedenborgs ists nicht gröber. − Zu Swedenborg s. oben: 3. Nov 1772: Rez. mit Anm. 4 ) Die aus G’s Gothaer Freundeskreis stammenden, nun Jahr für Jahr wiederholten öffentl. Hinweise auf noch ungedrukte Schauspiele, konnte G, der sich in Weimar seit 1776 zugunsten des Herzogs Carl August fast nur administrativen Aufgaben hingegeben hatte, als Rat auffassen, erneut seine poetischen Kräfte zur Vollendung angefangener Werke, in erster Linie Faust, zu aktivieren. 5 ) Der hs. Titel auf dem Heft lautet Ausgabebüchlein vom 9ten November 1777. 6 ) G wird das Paket mit Faust an seine Mutter, das am Montag, den 1. Dez, abging, kurz vor Antritt der Harzreise (29. Nov 1777) bereitgestellt haben.

64

FAUST. FRÜHE FASSUNG

1778

1778 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1778. Hsg. v. H. A. O. Reichard (Verzeichniß der jetzt lebenden deutschen Schriftsteller und Tonkünstler, die für das Theater gearbeitet haben), S. 109: Göthe Johann Wolfgang, D. der Rechte und geh. Leg. Rath zu Weimar. Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘. . .1)



⎯ Mahler Müller: Fausts Leben dramatisirt. Theil 1. Mannheim 1778, 9: Leßing und Göthe arbeiten beide an einem Faust − ich wußt es nicht, damals noch nicht, da dis Ding zum Niederschreiben mir interessant wurde.2)



⎯ Bibliothek der Romane. Hsg. v. H. A. O. Reichard. Berlin 1778, 82: . . . Göthens Faust ist noch ganz Handschrift; die Romanze und einige andre Lieder darinn sind von dem Herrn Kammerherrn von *** zu Weimar in Musik gesetzt.3)

Jan

30. [Darmstadt] G. W. Petersen an C. F. Nicolai (Die Grenzboten 70 [1911] I 613): Göthe hat das Manuscript von seinem Doctor Faust seiner Mutter in Frankfurt geschickt [1. Dez 1777], die es, wie ein Heiligtum, verwahret. Einige Göthe-Freunde, die zu Frankfurt darin geblättert haben, können verschiedene Sachen darin nicht genug preisen.

1779 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1779. Hsg. von H. A. O. Reichard . . . S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . . Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘ . . .4)

Jan

20. [Weimar] Wieland an Sophie v. La Roche (Wieland BriefeAA 7.1, 157): Nun, da ich einmal wieder dazu gekommen bin, einen kleinen freundschaftlichen Schnickschnack mit Ihnen haben zu können − auf was angenehmeres! Denn, ein Politisch Lied, ein garstig Lied! Stehts irgendwo in Göthens Doctor Faust5) − und seitdem der Kurfürst von Bayern tod ist . . . seitdem kommt mich beym blossen Wort Politik ein Grausen an.

Apr 10. (s. „Faust. Ein Fragment“: [Anonyme Rez.:] Fausts Leben, dramatisirt vom Mahler Müller gD, S. 76.) Okt 25. [Düsseldorf, Pempelfort] F. H. Jacobi an G. Forster (Brüggen − Sudhof I 2, 118f.): Der Ausdruck Mephistopheles, dessen Sie sich bedienen,6) bringt mich auf die Vermuthung, daß ich Ihnen wohl mündlich davon gesagt habe;7) denn wir pflegten ihn [Merck] so zu nennen, weil Goethe, obgleich sein Freund, ihn unter diesen Nahmen im Faust geschildert hat. [Nov 11.] (s. „Faust. Ein Fragment“: Briefe aus der Schweiz gD, S. 76.)

1

) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. ) s. auch oben 14. März 1776: Teutsche Chronik. 3 ) Zielt auf Kompositionen wie König von Thule des Kammerherrn K. F. S. v. Seckendorff. 4 ) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. 5 ) Anspielung auf die ,Urfaust‘ Szene Auerbachs Keller Prosa Zeile 9. 6 ) Vgl. G. Forster an F. H. Jacobi 10. Okt 1779: Jede Zeile von Ihnen ist mir . . . schätzbar, die Mephistophileße mögen krächzen was sie wollen. (I 2, 113). 7 ) Vgl. G. Forster an F. H. Jacobi 2. Nov 1779: Das Wort [Mephistopheles als Bezeichnung für Merck] war mir auch sonst . . . bekannt und daher brauchte ich es in meinem Vorigen Briefe; nicht daß Sie mir etwas von diesem bösen Geiste erzählt hätten. (I 2, 122) 2

1780

FAUST. FRÜHE FASSUNG

65

1780 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1780. Hsg. von H. A. O. Reichard . . . S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . .. Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘ . . .1)

Mai 14. (s. „Faust. Ein Fragment“: an J. C. Kestner gD, S. 76.) Juli 17. [Weimar] Carl August an Knebel (BG 2, 252): Die Gothaner [Herzog Ernst II, Herzogin u. Prinz August] haben uns ganzer acht Tage [seit 10. Juli] gefaßt minus etliche Stunden. Ich habe mich gut mit ihnen verhalten, und war so vertraulich, als es ihre Natur erlaubt. Goethe las gestern Abend dem Herzog, seinem Bruder und mir, während daß unten soupirt wurde, auf meiner Stube den „Faust“ vor. Es schlug doch ziemlich alles bei ihnen richtig an. 25. [Kopenhagen] C. H. Esmarch, Gespräch mit H. C. Boie (A. Langguth: Christian Hieronymus Esmarch und der Göttinger Dichterbund. Nach neuen Quellen aus Esmarchs handschriftlichem Nachlaß. Berlin 1903, 142f.:) Er arbeitet lange an seinem Doctor Faust, ein erhabenes Gedicht in Knittelversen, in welches er alle seine Menschenkenntnis einpfropfen will.2)

1781 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1781. Hsg. von H. A. O. Reichard . . . S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . . Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘ . . .3)

Nov 14. An Lavater (Br 5, 214): Arbeiten und Zerstreuungen haben mich abge-

halten dir für den überschikten Gablidon4) zu danken, welcher mir eine wunderbare Erscheinung gewesen ist . . . Ich bin geneigter als iemand noch eine Welt außer der Sichtbaren zu glauben und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar mein eigenes beschränktes Selbst zu einem Schwedenborgischen Geisteruniversum erweitert zu fühlen.5) Alsdenn mag ich aber gern, daß das alberne und ekelhafte menschli1

) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. ) Nach Kahl JbFDH 2007, 60: Ein Nachhall des Frankfurter Gesprächs; vgl. oben [15./17. Okt] 1774: Boie an H. W. v. Gerstenberg. 3 ) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. 4 ) Das G zugeschickte Manuskript Lavaters nicht in G’s Bibliothek, auch im GSA nicht nachweisbar. Überliefert ist nur die ohne Lavaters Wissen und Zustimmung erfolgte Publikation: Lavaters Protokoll über den Spiritus Familiaris Gablidone. Mit Beylagen und einem Kupfer. Frankfurth/Leipzig [= Wien] 1787. − Zur Sachlage s. oben 1775: Dichtung und Wahrheit. Biographisches Schema zu 1775. 5 ) Morris betrachtete diese Äusserung als Beleg dafür, dass G das Geisteruniversum Swedenborgs als Dichtung (35) auffaße, als Poesie, die aus dem Reiche der Erfahrung hinausdeutet (36). Nach Überwindung seines Swedenborgianismus (36) schon in den ersten Weimarer Jahren habe G deshalb kein Problem gehabt, die fremden und längst erledigten Anschauungen (38) im hohen Alter bei der Darstellung von Fausts Verklärung erneut zu verwenden; zur Übernahme von Swedenborgs Vorstellungen in Faust. Der Tragödie zweiter Theil Sz. Bergschluchten vgl. Morris 1902, 38ff. 2

66

FAUST. FRÜHE FASSUNG

1781

cher Exkremente durch eine feine Gärung abgesondert und der reinlichste Zustand in den wir versezt werden können, empfunden werde.

1782 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1782. Hsg. von H. A. O. Reichard . . . S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . .Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘ . . .1)



⎯ Volks- und andere Lieder, mit Begleitung des Forte piano, in Musik gesetzt von Siegmund Freyherrn von Seckendorff. Dritte Sammlung. Dessau 1782, S. 6: Der König von Thule Abentheuerlich Sostenuto Es war ein König in Thule, Ein goldnen Becher er hätt Empfangen von seiner Buhle Auf ihrem Todesbett. Den Becher hätt er lieber, Trank draus bey jedem Schmauß. Die Augen giengen ihm über, So oft er trank daraus. Und als er kam zu sterben, Zählt er sein’ Stätt’ und Reich, Gönnt alles seinen Erben, Den Becher nicht zugleich. Am hohen Königsmaale, Die Ritter um ihn her, Im alten Vätersaale Auf seinem Schloß am Meer. Da saß der alte Zecher, Trank lezte Lebensglut Und warf den heiligen Becher Hinunter in die Fluth. Er sah ihn sinken und trinken Und stürzen tief ins Meer. Die Augen thäten ihm sinken, Trank keinen Tropfen mehr. aus Göthens D. Faust.2)

Febr 10. An Ch. v. Stein (Br 5, 259f.): . . . gestern . . . beym Thee und Abendes-

sen [bei Herzogin Luise] . . . ging alles recht gut. Herder sagte Wielanden einmal etwas unartiges und dieser erwiederte was grobes . . . Der Herzog schmiss die schöne Vestale um und es sprang ein Finger ab, die Herzoginn betrug sich gar himmlich schön dabey. Übrigens war man vergnügt und gut, mir raunte Mephistopheles einige Anmerckungen Leise zu, und ich lies mir den Punsch schmecken. Juni 30.3) Wilhelm Meisters theatralische Sendung Buch II 2 (W 51, 109): . . . bei meiner Untersuchung über das Drama . . . bin ich sorgfältiger als jemals, aufzusuchen, was nachdenkende Menschen darüber geschrieben haben. Sogar habe ich neulich eine Übersetzung von des Aristoteles Poetik gelesen4). . . Unterdessen hab’ ich mir vortreffliche Stellen dar1

) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. ) ED des König von Thule. − Der Hinweis auf Faust als Quelle wird wohl kaum ohne G’s Wissen u. Zustimmung erfolgt sein. − Dem ED steht eine undatierte Abschrift von Luise v. Göchhausen u. d. T. Romanze nahe (GSA 24/15, 1 Bl. 19); eine zweite findet sich im Nachlaß Herders (Staatsbibliothek zu Berlin − Sammlung Preuß. Kulturbesitz, Nachlaß Herder, Kapsel XXXII: 9). − Ob der von Seckendorff oder der von L. v. Göchhausen überlieferte Text dem König von Thule entspricht, den G am 24. Juli 1774 in Köln vortrug, muß offen bleiben, ebenso die Frage, in welchem zeitlichen Verhältnis die beiden Fassungen stehen; zur Forschung s. E-Rubrik S. 18. − Weitere Fassungen des König von Thule bringen die Göchhausensche Abschrift des ,Urfaust‘ sowie Faust. Ein Fragment u. Faust. Der Tragödie erster Theil. 3 ) Am 30. Juni 1782 hatte G einem Brief an Ch. v. Stein zufolge Wilhelm Meisters zweites Buch im ganzen zu Stande (Br 5, 353). Der hier zitierte Passus wird als autobiographisches Z des Faust-Dichters gewertet. 4 ) Daß Goethe, als er Faust schuf, auch Aristoteles’ Poetik vor Augen hatte, ist schon im Hinblick auf die interessanteste u. originellste Figur des Stücks, Mephistopheles, so gut wie sicher, weil Aristoteles zufolge eine absolut böse Gestalt, ohne jedes dramati2

1782

FAUST. FRÜHE FASSUNG

67

aus gemerkt und sie nach meiner Art zusammengesetzt, ausgelegt und commentirt

1783 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1783. Hsg. von H. A. O. Reichard . . .. S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . . Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘. . .1)

1784 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1784. Hsg. von H. A. O. Reichard . . .. S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . . Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘. . .2)

1785 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1785. Hsg. von H. A. O. Reichard . . .. S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . . Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘. . .3)

Jan

3. [Weimar] Wieland an Merck (Wieland BriefeAA 8.1, 361): Es ist unmöglich, menschliches Gefühl zu haben, und über die lumpichte Art, wie die Welt heutzutage von Kindsköpfen, Gecken, Schlafmützen, Tollbrägen, Donquischotten, und Hans A . v . R i p p a c h 4) regiert wird, nicht selbst zum Narren zu werden.

sche Interesse ist, da sie keine Katharsis bewirkt. Durch die besseren Eigenschaften, die G dem Teufel beigab, legitimierte er ihn als dramaturgische Person u. machte ihn bühnenfähig. (Vgl. Harald Weinrich: Der zivilisierte Teufel. In: Interpreting Goethe’s Faust Today. Columbia 1994, 61−67). Wann G die Poetik mit Gewinn für den Faust las, ist offen. Frühe Beschäftigung mit Aristoteles’ Poetik erwähnt DuW Buch 3 (W 26, 169; AA-DuW 1, 93) u. DuW Buch 6 (W 27, 12; AA-DuW 1, 186). Der junge G fand in des Vaters Bibliothek Michael Conrad Curtius: Aristoteles Dichtkunst ins Deutsche übers., mit Anm. u. bes. Abhandlungen versehen. Hannover 1753. Daß er sie schon um 1767 kennenlernte, wenn auch noch ohne rechtes Verständnis, schreibt G am 6. Mai 1797 an Schiller: Ich bin sehr erfreut daß wir grade zur rechten Stunde den Aristoteles aufgeschlagen haben . . . ich erinnere mich recht gut daß ich vor dreyßig Jahren diese Übersetzung gelesen. (Br 12, 117); vgl. G’s positive Bewertung im Brief an Schiller, 29. Apr 1797: Ich habe die Dichtkunst des Aristoteles wieder, mit dem größten Vergnügen, durchgelesen, es ist eine schöne Sache um den Verstand in seiner höchsten Erscheinung. Es ist sehr merkwürdig wie sich Aristoteles blos an die Erfahrung hält ... (Br 13, 106). 1 ) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. 2 ) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. 3 ) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. 4 ) Anspielung auf Auerbachs Keller in Frühe Fassung Prosa Zeile 65 u. 70?, s. oben 26. Jan 1776: Wieland an Merck.

68

FAUST. FRÜHE FASSUNG

1786

1786 ⎯

⎯ [Gotha] Theater-Kalender, auf das Jahr 1786. Hsg. von H. A. O. Reichard . . .. S. XXX: G ö t h e Johann Wolfgang . . . Verschiedene ungedrukte Schauspiele, ,Doctor Faust‘. . .1)

Aug 22. [Karlsbad] An Ch. v. Stein (GB 6.1, 227): Ich lese alle Abende vor.2) Okt 14. [Rehburg] Molly v. Grävemeyer an Caroline v. Beulwitz (BG 3, 70f.): Die Pesteln [Luise v. Pestel] hat Ihnen wahrscheinlich unsern Lebenslauf in Carlsbad nach Ihrer Abreise berichtet. Göthe hat viel [zw. dem 27. Juli u. 1. Sept] vorgelesen, unter andern Doktor Faust und so schön, daß meine beiden Freundinnen Lenthiery [Aloysia Gräfin v. Lanthieri] und Fräulein [Amalie v. d.] Asseburg mich recht bedauerten, es nicht gehört zu haben, ich bedauerte mich damals schon selbst darum und noch hinten nach jedes mahl, wenn ich dran dencke. So sehr ich das Anhängen `a la Reiscka hasse, so verdrießt es mich doch mich nicht einmahl mit unbescheidener Bitte zugedrängt zu haben, denn bey dialogirten Stücken ist es von vorzüglichem Wehrt, sie von dem Autor selbst lösen zu hören.

1791 Apr 12. (s. „Faust. Ein Fragment“: F. H. Jacobi an G gD, S. 96)

1796 Nov 12. [Weimar] Aufzeichnung Wielands für Böttiger am 12. Nov 1796 (Gerlach − Sternke 42): „Merk war mit Göthen schon früh Compan und Lebebruder geweßen, ohngeachtet er ohngefähr 6 Jahr älter war. Er hatte einst seine Frau in flagranti mit einem Liebhaber ergriffen, und zweifelte daher an der Echtheit seiner Kinder. Weil er sich nun selbst actäonisirt wußte, bezweifelte er auch die Treue der übrigen Weiber und streuete überal, wo er Eheglück fand, Saamen der Zwietracht aus. Ueberhaupt fand er eine teuflische Lust darinnen, Leute, die sich glücklich fühlten, auf die linke Seite aufmerksam zu machen, und ihr Glück zu stören. Ihn hat daher auch Göthe zum Original des Mephistopheles in seinem Faust (dieß ist Göthe selbst) genommen, und mehrere Szenen sind wirkliche Begebenheiten, die er mit Merk erlebt hatte z. B. die Szene in Auerbachs Hof und das Liedchen vom Floh. Schade nur, daß dieser Faust, so wie wir ihn jetzt in seinen Werken [Ausg. S] haben, ein aus frühern und spätern Arbeiten zusammengeflicktes Lappenwerk ist (so wie auch der Wilhelm Meister), und daß die interessantesten Wollustscenen (z. B. im Gefängnisse, wo Faust so wüthend wird, daß er selbst den Mephistopheles erschreckt) unterdrückt worden sind.“3)

1

) Vgl. oben S. 63 Anm. 4. ) G’s Karlsbader Faust-Lesungen bezeugt durch M. v. Grävemeyer; s. 14. Okt 1786. 3 ) Signiert: Wieland, d 12ten Novembr 1796. − Wieland war in der ersten Weimarer Zeit eng mit G verbunden, so kann ihm genaue Kenntnis des damaligen Faust-Bestandes zugetraut werden. Seine von Böttiger überlieferte Äußerung gilt als wichtigste Stütze für die Auffassung, das ursprüngliche Manuskript habe mehr Szenen als Faust. Frühe Fassung u. Faust. Ein Fragment umfaßt; hierzu Grumach GJb 1954, 135−38; FischerLamberg 1957, 379−406 u. Nollendorfs 1967, 46−49. − Zu den im Fragment 1790 unterdrückten Szenen gehören: Land-Strasse, Valentins Monolog in Nacht. Vor Gret2

1797

FAUST. FRÜHE FASSUNG

69

1797 Dez 25. [Oßmanstädt] Wieland an H. Geßner (Wieland BriefeAA 14.1, 144): Was sagen eure Staats klugen Köpfe zu dem plötzlichen Ruckmarsch der Kaiserlichen ins Bayerische u Salzburgische, und zur Besitznehmung der Franzosen von Mainz? Wahrscheinlich kündigt uns dies eine große, doch hoffentlich unblutige Umwälzung der deutschen Reichsverfassung an. Göthe sang schon vor 25 Jahren, Das liebe heil’ge Römsche Reich Wie hängts nur noch zusammen!1) Diese Verwunderung war schon damahls sehr natürlich; und desto weniger hat man sich also zu verwundern daß es nun nicht länger zusammenhangen will, sondern wie ein aufgelöster Besen aus einander fällt.

1808 Nov 19. [Erfurt] W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt (Sydow 3, 23): Vieles von dem Neuen im Faust ist uralt. Die letzte Szene2) ist 30 Jahre alt, aber es hatte nie ein Sterblicher sie gesehn.

1809 Mai 13. [Weimar] Riemer Tagebuch (Deutsche Revue 12.1, 18): Bei Goethe . . . Als wir allein, erzählte Goethe seine Laboranten- und alchemischen Studien im 22. Jahre.3)

1816 Nov 14. [Weimar] An Zelter (Br 27, 233): Die Leser und Meiner,4) die mir dein

letzter Brief vorführt, mögen zu den Gesellen in Auerbachs Hof gehören, von denen Mephistopheles schon vor 50 Jahren gesagt hat: alles spüren die Kerle nur nicht den Teufel und wenn er ihnen noch so nah ist.5) Auch hier merken sie nicht, daß sie mit dem Regenwurm, der so glatt hinunter zu gehen scheint, einen Angel verschlucken der ihnen zu schaffen machen wird. Das Büchlein wird sie noch manche Zeit im Bauche grimmen. chens Haus u. die nach der Sz. Dom folgenden; zu den Annahmen, welche Szene mit im Gefängnisse gemeint sein könnte, s. Gräf II 2, 34. 1 ) Anspielung auf Auerbachs Keller in Frühe Fassung Prosa Zeile 7f. − Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation trat de facto am 6. Aug 1806 ein, als Kaiser Franz II. infolge der Eroberungen Napoleons die römisch-deutsche Kaiserwürde niederlegte. 2 ) Gemeint Sz. Kerker. 3 ) s. oben 1769: DuW Buch 8; 26. Aug 1770: an Susanna v. Klettenberg; 1770−1771: DuW Buch 10. 4 ) Die ihre Meinungen über G’s Ital. Reise äußernden Kritiker, welche Zelter im Brief vom 8. Nov 1816 zitiert hatte. 5 ) Anspielung auf Auerbachs Keller: Merks! den Teufel vermuthen die Kerls nie so nah er ihnen immer ist. (Zeile 63)

70

FAUST. FRÜHE FASSUNG

1820

1820 Mai 11. [Karlsbad] An Zelter (Br 33, 28): Da wir aber einmal von alten, ob-

gleich nicht veralteten Dingen sprechen, so will ich die Frage thun: ob du den S a t y r o s , wie er in meinen Werken steht,1) mit Aufmerksamkeit gelesen hast? Er fällt mir ein, da er eben, ganz gleichzeitig mit diesem Prometheus, in der Erinnerung vor mir aufersteht, wie du gleich fühlen wirst, sobald du ihn mit Intention betrachtest. Ich enthalte mich aller Vergleichung; nur bemerke daß auch ein wichtiger Theils des F a u s t in diese Zeit fällt.2)

1823 Aug 21. Ouvrages poe ´tiques de Goethe (W 53, 208): . . . de 1769 jusq. 1775 . . .

F a u s t , tableau hasarde´ du monde et des mœurs, en forme dramatique.

1825 Febr 25. [Weimar, abends] Für mich Betrachtungen über das Jahr 1775, beson-

ders Faust.3)

1826 ⎯

⎯ Œuvres dramatiques de Goethe4) (übersetzt von G; W 41.2, 184f.):

Hier betrachtet nun der wohlwollende Recensent [J. J. Ampe`re] das körperliche und sittliche Mißgeschick und die daraus entstandene Hypochondrie eines jungen Mannes, die sich hart und niedrig in den M i t s c h u l d i g e n , edler und freier im Werther, tiefer aber, bedeutender und weitausgreifender im F a u s t manifestirt: „Die Unbilden, welche der ersten Liebe des Dichters folgten, hatten ihn in düstere Niedergeschlagenheit geworfen, welche noch durch eine epidemische Melancholie vermehrt ward, damals unter der deutschen Jugend durch

1

) Im Sommer 1773 entstanden, ED B 7 (1817). − Zu den Übereinstimmungen zwischen dem Schöpfungsmythos in Akt IV u. der Makrokosmos-Szene s. Scherer 1879a 73f., F. J. Schneider 1949, 26f., Fischer-Lamberg 1957, 404 u. Reich 1968, 120−23. 2 ) Nach Pniower 1899, 6f. kann die Sz. Dom gemeint sein; Meyer-Benfey 1923, 279−312 u. Schneider 1949, 24f. verweisen auf die Eingangsszenen des Faust bis zum Auftritt Wagners (v. 1−168). 3 ) Im Hinblick auf die Fortsetzung von DuW. 4 ) U.d.T. Histoire du the´a ˆtre de Goethe rezensierte Jean Jacques Ampe`re die Œuvres dramatiques de J. W. Goethe, deren Bd 4 Faust I enthielt. Einen Auszug dieser Rez. veröffentlichte G auf Deutsch in KA V 3 (1826) 131−45 u. VI 1 (1827) 94−111; zur Entstehung s. „Œuvres dramatiques de Goethe“.

1826

FAUST. FRÜHE FASSUNG

71

Verbreitung Shakespeare’s veranlaßt. Eine schwere Krankheit trat noch zu dieser verdrießlichen Sinnesart hinzu, woraus sie vielleicht entstanden war. Der Jüngling verbrachte mehrere Jahre in solchen Leiden, wie die ersten Fehlrechnungen des Lebens, die Schwankungen einer Seele, die sich selbst sucht, gar oft einer glühenden Einbildungskraft zu fühlen geben, ehe sie für ihre Thätigkeit den Zweck gefunden hat, der ihr gemäß ist. Bald aufgeregt, bald entmuthigt, vom Mysticismus sich zum Zweifel wendend, wandelbar in seinen Studien, seine Neigungen selbst zerstörend, gereizt durch die Gesellschaft, erdrückt durch die Einsamkeit, weder Energie fühlend zu leben noch zu sterben: so war er in eine schwarze Traurigkeit gefallen, einen schmerzlichen Zustand, aus dem er sich erst durch die Darstellung des Werther befreite, und der ihm den ersten Gedanken an Faust eingab.“ Febr 18. An C. F. P. v. Martius (GJb 2002, 196): Andere Prämissen geben andere Schlußfolgen, das bin ich seit funfzig Jahren gar oft gewahr worden. Jüngere, die sich an meinem Faust bildeten haben schon andere Gesinnungen als ich der ihn schrieb.

1829 März 10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 304): Über die ersten Anfänge des Faust. „Der Faust entstand mit meinem Werther; ich brachte ihn im Jahre 1775 mit nach Weimar. Ich hatte ihn auf Postpapier geschrieben und nichts daran gestrichen; denn ich hütete mich, eine Zeile niederzuschreiben, die nicht gut war und die nicht bestehen konnte.“

1831 März 2. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 455f.): Heute bei Goethe zu Tisch, kam das Gespräch bald wieder auf das Dämonische, und er fügte zu dessen näherer Bezeichnung noch Folgendes hinzu. „Das Dämonische,“ sagte er, „ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.“−. . . Hat nicht auch, sagte ich, der Mephistopheles dämonische Züge? „Nein,“ sagte Goethe; „der Mephistopheles ist ein viel zu negatives Wesen; das Dämonische aber äussert sich in einer durchaus positiven Thatkraft.“ 27. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 475): Er [G] erzählte mir . . . einige Anekdoten von Merck . . . „Merck und ich, fuhr Goethe fort, waren immer mit einander wie Faust und Mephistopheles. So moquierte er sich über einen Brief meines Vaters aus Italien, worin dieser sich über die schlechte Lebensweise, das ungewohnte Essen, den schweren Wein und die Muskitos beklagte, und er konnte ihm nicht verzeihen, daß in dem herrlichen Lande und der prächtigen Umgebung, ihn so kleine Dinge wie Essen, Trinken und Fliegen hätten inkommodieren können.“ „Alle solche Neckereien gingen bei Merck unstreitig aus dem Fundament einer hohen Kultur hervor; allein da er nicht produktiv war, sondern im Gegenteil eine entschieden negative Richtung hatte, so war er immer weniger zum Lobe bereit als zum Tadel, und er suchte unwillkürlich alles hervor, um solchem Kitzel zu genügen.“

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FAUST. FRÜHE FASSUNG

1831

Apr 24. [Leipzig] F. Soret an G (Zehn Jahre 533f.): Wir [F. Soret, J. Fr. Rochlitz u. L. F. v. Froriep] kamen soeben aus Auerbachs Keller; der Wirt verdankt dem „Faust“ seinen ganzen Ruf und, was noch schwerer wiegt, sein Vermögen; eigentlich sollte er von seinen Einkünften so und so viel jährlich an Ew. Exzellenz abgeben. Die fremden und einheimischen Studenten fühlen sich erst als richtige Studenten, wenn sie Auerbachs Keller besucht haben; viele von ihnen, glaube ich, könnten ein Unterrichtsstündchen bei Mephisto sehr wohl gebrauchen, sie halten sich für Genies, weil sie in einem Keller kneipten, in dem Goethe eingekehrt ist und den Goethe unsterblich gemacht hat. Juni

1. An Zelter (Br 48, 205f.):1) Es ist keine Kleinigkeit, das, was man im

Dez

1. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an W.v. Humboldt gD, S. 819f.)

zwanzigsten Jahre concipirt hat, im 82. außer sich darzustellen . . .

1832 März 17. An W. v. Humboldt (Br 49, 282): . . . Es sind über sechzig Jahre, daß

die Conception des Faust bey mir jugendlich von vorne herein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag.2)

Faust. Ein Fragment.3)

E

1788 Febr/1790 Jan Chronologische Übersicht 1788 Febr Febr 24. − März 1. 1789 Nov 2. 1790 Jan 10. 1

Wiederaufnahme der Arbeit Plan zu Faust; eine neue Scene ausgeführt.4) Abschluß des Ms.5) (hinter Fausten ist ein Strich gemacht)6) Absendung des Druckms. (Faust abgeschickt)7)

) Das Vorausgehende u. Folgende s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“ gD, S. 806. 2 ) von vorne herein bedeutet hier nicht im zeitlichen Sinne, die Konzeption des Faust sei G von Anfang an klar gewesen, sondern ist, wie A. Fresenius gezeigt hat, räumlich zu verstehen. Genaueres dazu s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“ gD, S. 823 f. mit Anm. 1, wo auch der vorausgehende und noch folgende Text des Briefes an Humboldt wiedergegeben wird. 3 ) In den ED Faust. Ein Fragment (Berlin 1790) gingen viele Szenen u. Vorarbeiten aus Faust. Frühe Fassung ein, die ergänzt u. durch neu hinzukommende Verspartien bereichert wurden. 4 ) Vgl. unten 1. März 1788: Ital. Reise; vermutl. die Sz. Hexenküche, s. auch unten den Abriß zur Forschungsgeschichte. 5 ) Vermutl. zw. 25. Okt u. 2. Nov 1789, s. unten 5. Nov 1789: an Carl August. 6 ) Vgl. unten 2. Nov 1789: an Reichardt. 7 ) Vgl. unten 10. Jan 1790: Notizen.

FAUST. EIN FRAGMENT

73

Zur Entstehung einzelner Szenen und Vers-partien:

Nacht Faust Habe nun, ach! Philosophie . . . (1−248)1) Faust. Mephistopheles Faust Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist . . . (249−551)2) Auerbachs Keller in Leipzig Zeche lustiger Gesellen (552−815)3) Hexenküche (816−1067)4) 1

) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 14 f. 2 ) Die Verspartien 347−62, 357−82, 389−442 u. 480−529 schon in Faust. Frühe Fassung (s. dort 249−64, 333−40, 341−94 u. 395−444). Zur Datierung s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 16 ff. − Von der älteren Forschung zumeist in die Frankfurter oder nachitalienische Zeit verlegt, neuere Arbeiten verweisen auf den Reise-Brief vom 1. März 1788. − 1773/1774: Schröer 1892, 117 aufgrund der Swedenborg-Einflüsse um v. 253 u. Parallelen zu Prometheus u. zu Künstlers Abendlied; besonders für 1774 werden weitere Zeugnisse beigebracht von Jacoby GJb 1880, 194 mit Bezug auf G an Jacobi 31. Aug 1774 (GB 2.1, 124) u. den Werther-Brief vom 22. Mai. − 1774 Dez: Meyer 1895, 353, ähnlich Kögel 1889, 545−62, der v. 321−29 ins Jahr 1789 verlegt. − 1774/1775: Pniower 1889, 146−53 aufgrund der poetischen Epistel von Merck vom 5. Dez 1774 (Parallelstellen zw. den Epistel-v. 5−8, 21−24 u. den Fragment-v. 253−60, 308−11), so auch Roethe 1920, 650. − 1775: Düntzer 1861, 39 v. 330−46; Saupe 1856, 13 v. 330−46 u. 530−51 Aug/Sept. − 1782: Schröer 1881, 120 v. 544−51 mit Verweis auf Erfindung der Ballonfahrt durch die Brüder Montgolfier. − 1788: Weltrich 1888, 565, Rößler 1888, Pniower 1891, 319, Kögel 1889, 553, der auf das Motiv des Zaubermantels hinweist (Ital. Reise, 11. Aug 1787), so auch Minor 1901 I 315; 607f., Morris GJb 1901, 165, Alt 1908 XXVII, Hauri 1910, 199f., Fairley 1947, 185 u. Binder 1968, 60. − 1788 Ende Febr: aufgrund Ital. Reise, 1. März (s. dort) Harnack 1888, 349, Friedrich 1939, 181, Petsch 1941, 46, Burger 1942, 38, Müller 1955, 113, Scheithauer 1957, 192 u. Gaier 1999, 231; Litzmann 1904, 209 u. 218, Sarauw 1917, 7 sowie Roos 1952, 35 vor allem v. 330−46, auch Gaier 1999, 231. − 1789: Harnack 1888, 67, Düntzer 1891, 170, Stiller 1891, 6, Frederking 1911, 526, Pniower GHb III 484 u. Stawall 1928, 264; Minor 1901 I 316f. grenzt ein zw. Juli u. 18. Sept 1789, als G wohl Knebel die Szene vorlas; für Krogmann 1932b, 121 die letzte Arbeit am Fragment. 3 ) Übernahme von 552−59 der Frühen Fassung (445−52) u. Übertragung der Prosa(1−196) in Versfassung (560−815). Zur Datierung s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 18. 4 ) Aufgrund günstiger Zeugnislage − Brief vom 1. März 1788 − kaum Datierungsdifferenzen: 1786 − 1788: Schröer 1879, 619, Collin 1896, 51, Gräf II 2, 38, Polak 1923, 104, Stawell/Dickinson 1928, 98, Schmid 1937, 21 mit Hinweis auf Brief vom 4. Aug 1787: an Ch. v. Stein (s. unten) u. 10. Apr 1829: Gespräch Eckermann (s. unten). − 1788 Ende Febr: aufgrund Ital. Reise, 1. März (s. dort), Meyer 1847, 73, Köstlin 1860, 27, Vischer 1875, 2, Biedermann 1877, 236, Loeper 1879 IX, Oettingen 1880, 185, Boyesen 1881, 45, Creizenach 1881, 9f., Meyer v. Waldeck 1885, 244, Rößler 1888, 600, Weltrich 1888, 256 u. 563, Düntzer 1888, 168, Kögel 1889, 548, Stiller 1891, 5, Schröer 1892 LXXII u. 152, Gwinner 1892, 62, Baumgart 1893, 83, Meyer 1895 350, Furst 1897, 164, Vogel 1898, 673, Minor 1901 I 286, 534, E. Schmidt 1903, 305, Witkowski 1906, 239, Alt 1908, 100, Traumann 1909, 57, Bielschowsky 1909, 520, Hauri 1910, 168, Engel 1910, 526, Minor 1912, 314, Wood 1912, 57f., Fischer 1913 II 38, Pniower GHb II 163f., Trendelenburg 1922, 30, Brandes 1922,

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FAUST. EIN FRAGMENT

Strasse Faust. Margarethe vorüber gehend (1068−1140)1) Abend Ein kleines reinliches Zimmer (1141−1267)2) Spatziergang Faust in Gedanken . . . Mephistopheles (1268−1327)3) Der Nachbarinn Haus Marthe allein Gott verzeih’s meinem lieben Mann . . . (1328−1487)4) Strasse Faust. Mephistopheles (1488−1535)5) Garten Margarethe an Faustens Arm. Marthe mit Mephistopheles ... (1536−1664)6) Ein Gartenhäuschen Margarethe springt herein . . . (1665−1676)7) Grethchens Stube Grethchen am Spinnrade allein Meine Ruh’ ist hin . . . (1677−1716)8) Marthens Garten Margarethe. Faust Margarethe Versprich mir, Heinrich! (1717−1846)9) Am Brunnen Grethchen und Lieschen mit Krügen (1847−1888)10) Wald und Höhle Faust allein . . . Mephistopheles tritt auf . . . (1889−2044) [Monolog Faust] Faust allein Erhabner Geist, du gabst mir. . . (1889−1922).11)

274, Köster 1924, 17, Petsch 1926 V 652, Kühnemann 1930, 328, Krogmann 1933, 160, Friedrich 1939, 195, Burger 1942, 33, Hefele 1946, 59, Endres 1949, 151, Gramsch 1949, 47, Trunz 1949, 513, Beutler 1950, 711, Buchwald 1955, 284, Woyte 1955, 14, Müller 1955, 114, Scheithauer 1957, 197 u. Scheibe 1958, 130. − 1788 März/Apr: Deycks 1855, 42 (März), Saupe 1856, 13 (März) Scherer 1879, 104, Taylor 1882, 243 (März), Pniower 1899, 32f., Alt 1908 XXVII, Fischer 1913 III 136, MA 6.1, 1013, Gaier 1999, 290 u. FA I 7.2, 281 (wohl im Frühjahr). 1 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 17 mit Anm. 4. 2 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 18 f. 3 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19. 4 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19 f. 5 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19. 6 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19. 7 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19. 8 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19. 9 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 19. 10 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 20. 11 ) Die Partie wie die gesamte, auf Vorarbeiten aus Faust. Frühe Fassung aufgebaute Szene, ist nicht zuverlässig datierbar. Die Entstehungshypothesen variieren stark; die

FAUST. EIN FRAGMENT

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[Dialog Mephisto − Faust] Mephistopheles Habt ihr nun bald das Leben . . . (1923−2044).1) Zwinger In der Mauerhöhle ein Andachtsbild . . . Grethchen Ach neige . . . (2045−2077)2) Dom Amt, Orgel und Gesang Grethchen unter vielem Volke . . . Böser Geist (2078−2135)3)

Mehrzahl der Philologen vertritt die Ansicht, der Monolog sei während bzw. nach der Italienreise entstanden. − 1770 − 1771: Rößler 1902, 153 verweist auf das Gedicht Der Wanderer. − 1777: Traumann 1902, 30f. u. 1913, 131 sieht insb. für v. 1889−1911 Parallelen zur Harzreise im Winter u. Briefen 7., 10. u. 11. Dez 1777: an Ch. v. Stein, dagegen u. a. Pniower GHb III 519. − 1783 − 1784: Koch 1895, 126f., der die Datierung später jedoch relativiert. − 1784 − 1786: J. Schmidt 1884, 560 sieht Zsh. zu G’s Spinoza-Studien. − 1787: Stiller 1891, 5 u. Binder 1944, 76. − 1787 − 1789: MA 6.1, 1022 differenziert nicht zw. den Teilszenen. − 1787 Frühj.: Stawell/Dickinson 1928, 279 leitet Datierung ab aus den Briefen vom 12. Dez 1786: an Carl August (s. unten), 10. Juli 1786 u. 2. Febr 1787: an Ch. v. Stein. − 1788: Zur Grundlage dient der Brief aus Rom vom 1. März 1788 (s. dort) bei Scherer 1879, 103, Creizenach 1881, 11f., Düntzer 1891, 173, Gilbert 1895, 45, Niejahr 1897, 509, Harnack 1902, 537, Minor 1912, 314, Fischer 1913 III 228, E. Schmidt 1915 LXII, Burdach 1926, 13, Hänsel ChronWGV 1929, 11, Fester 1933, 8, Friedrich 1939, 190, Delp 1942, 193, Müller 1955, 114 u. Scheithauer 1957, 204; Meyer v. Waldeck GJb 1886, 286, der auch auf Anklänge aus dem Satyros verweist (W 16, 88, v. 192f.); Meyer 1895, 350 sieht einen Einfluß von Herders Text Gott. − 1788 Jan: Baumgart 1893, 140f. − 1788 − 1789: Saupe 1856, 14; Hertz 1930, 416 teilt den Monolog in zwei Teile: v. 1889−1911 mit röm. Chararakter, der Rest in Weimar entstanden, so schon Loeper 1879 IXf., Düntzer 1882, 548; Weltrich 1888, 562, Minor 1901, 354 u. Pniower GHb III 517−19. 1 ) Ausgegangen wird zumeist von einer frühen Datierung der bereits in der Frühen Fassung befindlichen Bestandteile der Szene, die spätestens 1789 zusammengefügt, ergänzt u. redaktionell bearbeitet wurden. − 1773: Huther 1887, 51 sieht in v. 1944−49 eine Nähe zum Osterspaziergang u. Parallelen zum Satyros. − 1775 Sommer: Zsh. mit G’s 1. Schweiz-Reise bemerken Collin 1896, 236, E. Schmidt 1915 XXXVIII, Petsch 1925, 326 u. Walheim ChronWGV 1950, 17. − 1787 − 1789: MA 6.1, 1022 differenziert nicht zw. den Teilszenen. − 1788: Mit Bezug auf G’s Brief vom 1. März 1788 aus Rom (W 32, 288ff.) Köstlin 1860, 26, Scherer 1879, 104, Schreyer 1881, 396, Graffunder 1891, 708, Harnack 1888, 349, Düntzer 1888, 168, Pniower 1890, 272, Schröer 1892 LXXII, Witkowski 1906 255, Bielschowsky 1909, 580, Brandes 1922, 275, Polak 1923, 102, Köster 1924, 17, Stawell/Dickinson 1928, 44, Kühnemann 1930, 323, Krogmann 1933, 160, Beutler 1940, 551, Burger 1942, 33, Hefele 1946, 53, Jaeger 1949, 401 u. Gramsch 1949, 49. − 1788 − 1789: Creizenach 1887, 633, Weltrich 1888, 563, Rößler 1888, 606, Düntzer 1891, 191, Vogel 1898, 673, Alt 1908 XXVII, Binder 1944, 112 u. Trunz 1949, 517. 2 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 20. 3 ) Aus Faust. Frühe Fassung übernommen u. überarb. Zur Datierung s. dort E-Rubrik, S. 20.

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D

FAUST. EIN FRAGMENT S 7 (1790) 1−168.1) − Faust. Ein Fragment. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig, bey Göschen, 1790, 1−168.2) − Faust ein Fragment in der ursprünglichen Gestalt neu hsg. von Wilhelm Ludwig Holland. Freiburg i. B. u. Tübingen 1882, 1−168. − Faust. Ein Fragment. Hsg. von Bernhard Seuffert. Heilbronn und Leipzig 1882, 1−89. − AA-Faust 1, 1−134. − AA-Ergänzungsband 3, 18−201. − MA 3.1, 521−87.

Z

1779

Apr 10. [Berlin, anonyme Rez.] Fausts Leben, dramatisirt vom Mahler Müller. Erster Theil. Mannheim bey C. F. Schwan. 1779. In: Litteratur- und Theater-Zeitung Nr. XV v. 10. April 1779, 237: . . . der Göthesche [Faust], den das Publikum erwarten sollte, würde doch den Müllerschen hinter sich lassen. Herr Müller sage, was er will, Göthe ist sein Vorbild. Und so viel Nachahmer dieser gefunden, so wenig scheinen sie sein Gutes zu erreichen; sie übertreffen ihn aber an dem Fehlerhaften, in dem Immer neu, groß, kraftvoll und erhaben seyn wollenden. [Nov 11.] [Münster] Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung. Münster, den 11.

Abends 6 Uhr (W 19, 286): . . . wenn ich mich nur einige Monate an so einem Orte inne halten könnte und müßte, so würden alle meine angefangenen Dramen eins nach dem andern aus Noth fertig.

1780 Mai 14. [Weimar] An J. C. Kestner (Br 4, 221): Geschrieben liegt noch viel, fast

noch einmal so viel als gedruckt, Plane hab ich auch genug, zur Ausführung aber fehlt mir Sammlung und lange Weile.3)

1

) Seit 1862 ist bekannt (Hirzel 29), daß das Werk in zwei verschiedenen Drucken erschien, wobei die Bogen A−E, U u. X identisch sind, F−T sich jedoch voneinander unterscheiden. Der eine Druck bringt die v. 3531ff. auf S. 144 u. 145; der andere nur auf S. 145. Seuffert 1882 X−XII, E. Schmidt 1887, 249f., Deneke 1909, 18−20, Faber du Faur 1949, 1−18, Bogeng 1958, 1505−13 u. a. favorisieren die erste Variante als Erstdruck, die zweite stelle eine nachträgliche Korrektur der Verswiederholung dar. Milchsack 1922, 138−40, Behn 1923, 41−48, Schulte-Strathaus 1940, 20f. u. Müller 1941, 46−48 sehen wiederum in der korrigierten Fassung den Erstdruck; so auch Hagen 1956, 238f., die mit Bezug auf Göschens Brief an G vom 20. Jan 1790 (s. dort) glaubt, daß die Drucke aufgrund einer Auflagenteilung entstanden sind. Borghardt JbFDH 1972, 36−58, der die Verfahren der Vorgänger kritisch bewertet (49−56), vergleicht die Kolumnentitel (45−49) mit dem Ergebnis, daß dem Druck ohne Verswiederholung die Priorität zukomme; zu den Varianten s. auch Hagen 11f. 2 ) Sonderdruck aus S 7 mit den entsprechenden zwei Varianten, s. auch Hagen 138. 3 ) Vorher erwähnt G die ihn am Dichten hindernden Haupttätigkeiten: Ausser meiner Geheimeraths Stelle, hab ich noch die Direcktion des Kriegs Departemens und des Wegebaus mit denen dazu bestimmten Kassen. Ordnung, Präzision, Geschwindigkeit sind Eigenschaften von denen ich täglich etwas zu erwerben suche.

1782

FAUST. EIN FRAGMENT

77

1782 Febr 10. An Ch. v. Stein (Br 5, 259f.): . . . gestern . . . beym Thee und Abendes-

sen [bei Herzogin Luise] . . . ging alles recht gut. Herder sagte Wielanden einmal etwas unartiges und dieser erwiederte was grobes . . . Der Herzog schmiss die schöne Vestale um und es sprang ein Finger ab, die Herzoginn betrug sich gar himmlich schön dabey. Übrigens war man vergnügt und gut, mir raunte Mephistopheles einige Anmerckungen Leise zu, und ich lies mir den Punsch schmecken.

1786 Febr 19. An Christiane Gräfin Brühl (GB 6.1, 167.): Notre Duc [Carl August]

est revenu de Berlin toutafait content, il a vu Darbes et il a ete´ tres content du peintre et de ses peintures. On me dit que ce Maitre coquin cache tres bien son pied fourchu, qu’il con/trefait le sage, le complaisant, le modeste, enfin qu’il plait a tout le monde. A ces traits je reconnois mon admirable Mephistophele.1) März 10. An Christiane Gräfin Brühl (GB 6.1, 177): . . . La veste . . . ce beau present . . . Les graces on preside´ a ce travail, diroit notre cher Wieland et j’entends en meme tems Mephistophele s’ecrier: voila de ce Firlefanz enchanteur qui me fait sauter et rire!2) Juni [28. od. 29.] [Weimar] F. J. Bertuch im Auftrag G’s an G. J. Göschen (GB 6.1, 207): Sie erhalten . . . eine Vertheilung meiner sämmtlichen Arbei-

1

) Übers. (GB 6.2, 402): Unser Herzog ist hochzufrieden aus Berlin zurückgekehrt, er hat Darbres gesehen und war von dem Maler und seinen Gemälden sehr angetan. Man sagt mir, dass dieser gerissene Meister seinen gespaltenen Fuß gut verbirgt, dass er den Weisen, den Gefälligen, den Bescheidenen spielt, um jedermann zu gefallen. An diesen Zügen erkenne ich meinen famosen Mephistopheles. − Den namhaften dän. Porträtmaler J. F. A. Darbes (1745−1810) kannte G seit dem gemeinsamen Aufenthalt in Karlsbad, wo dieser sich in Begleitung der gräflichen Familie v. Brühl vom 14. Juni bis 14. Aug 1785 aufgehalten u. zur fröhlichen Geselligkeit wesentlich beigetragen hatte. Am 18. Aug 1785 berichtete G an Ch. v. Stein: Darbes hat uns noch viel Spas gemacht. (Br 7, 77) Mit den Brühls u. deren 13-jährigen Sohn, dem künftigen General-Intendanten des Berliner Theaters, der sogar Faust aufführte, stand G in freundschaftlicher Verbindung. Sie kannten Faust. Frühe Fassung, soweit G sie ihnen vorgelesen hatte. Der Name Mephistopheles für Darbes scheint in Karlsbad aufgekommen zu sein; nach seiner Abreise unterzeichnete Darbes einen Brief an die Brühls aus Berlin auch so (s. GJb 1890, 124). − Gräf II 2, 37 erklärt für möglich, daß Darbes einzelne Züge zur Charakteristik Mephistos beigetragen habe. 2 ) Übers. (GB 6. 2, 423): . . . die Weste . . . dieses schöne Geschenk . . . Die Grazien haben bei dieser Arbeit gewaltet, würde unser teurer Wieland sagen, und ich höre zugleich Mephistopheles ausrufen: So ein bezaubernder Firlefanz, der mich hüpfen und lachen lässt. − Wiederum spielt G auf Darbes an, der ihn an seinen Mephistopheles erinnerte u. womöglich weitere Züge beisteuerte; s. die vorige Anm.

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FAUST. EIN FRAGMENT

1786

ten in acht Bänden [Ausg. S] . . . S i e b e n t e r B a n d . . . Faust, ein Fragment . . .1) Juli

6. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Ch. v. Stein gD)

[ca. 15.] (s. „Werke, Ausgabe S“: Verlagsanzeige gD) Sept

2. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen u. an Carl August gD) 5. [Regensburg] Vom Carlsbad hatte ich nur einen Mantelsack und Dachs-

ranzen mitgenommen, und für meine Garderobe wäre es überflüssig, da ich aber soviel Bücher und Papiere mit habe,2) so war es zu beschwerlich. 8. Auf dem Brenner, Ital. Reise (W 30, 24f.): Ich hatte nach Karlsbad meine sämmtlichen Schriften mitgenommen, um die von Göschen zu besorgende Ausgabe schließlich zusammen zu stellen . . . Die Feier meines Geburtstages bestand hauptsächlich darin, daß ich mehrere Gedichte erhielt, im Namen meiner unternommennen aber vernachlässigten Arbeiten, worin sich jedes nach seiner Art über mein Verfahren beklagte.3) Okt

1. (s. „Werke, Ausgabe S“: Originalvertrag zw. G u. G. J. Göschen gD)

Dez 12. [Rom] An Carl August (GB 7.1, 51): . . .4) Nun soll es über die andern

Sachen, endlich auch über Faust hergehn. Da ich mir vornahm meine Fragmente drucken zu lassen, hielt ich mich für todt, wie froh will ich seyn, wenn ich mich durch Vollendung des angefangnen wieder als Lebendig legitimiren kann. 16. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Carl August gD)

1787 [Jan]

Jan

Tabelle zur Übersicht des 1. und 2. Aufenthalts in Rom5) (P39 zur Ital. Reise; W 32, 483): [1787] Januar . . . Poetische Arb. [:] . . . Egm. Tasso Faust. 13. (s. „Werke. Ausgabe S“: an Ph. Chr. Kayser u. an Ph. Seidel gD) 20. [Rom] An Ch. v. Stein (GB 7.1, 94): Ich habe Hoffnung Egmont, Taßo,

Faust zu endigen . . . Febr

2. (s. „Werke. Ausgabe S“: an Ch. v. Stein gD)

1

) Zum unmittelbar Nachfolgenden s. „Werke, Ausgabe S“ gD. ) U.a. Iphigenie, Egmont, Tasso u. Faust 3 ) So wurde G mit Klagen über den unvollendeten Faust aufgezogen. 4 ) Das Vorausgehende s. in „Iphigenie auf Tauris“: an Carl August gD. 5 ) Entstanden 1814/1815. 2

1787

FAUST. EIN FRAGMENT

79

Febr 6. (s. „Werke. Ausgabe S“: an Ph. Chr. Kayser gD) vor 16. (s. „Werke, Ausgabe S“: Erklärung an das Publicum gD) 20. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen gD) Mai 29. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Carl August gD) Juni

8. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Ch. v. Stein gD)

Juli 29./ [Rom] An Ch. v. Stein?2) (GB 7.1, 169): . . .3) Wir haben die famose Aug 18.1) Hexen Epoche in der Geschichte, die m i r psychologisch noch lange

nicht erklärt ist, diese hat mich aufmercksam und mir alles wunderbare verdächtig gemacht. Wie mir die Hexen beym Magnetismus einfallen, ist eine etwas weite Ideen Association, die ich auf diesem Blättchen nicht ausführen kann4) . . . Gestern, nach Sonnenuntergang (man mag früher wegen der Hitze nicht ausgehn) war ich in der Villa Borghese. Aug 11. [Rom] An Carl August (GB 7.1, 164): . . .5) ich hoffe . . . biß Ostern Faust ausgearbeitet zu haben, welches mir nur in dieser Abgeschiedenheit möglich wird . . . Daß ich meine älteren Sachen fertig arbeite, dient mir erstaunend. Es ist eine Rekapitulation meines Lebens und meiner Kunst, und indem ich gezwungen bin, mich und meine jetzige Denckart, meine neuere Manier, nach meiner ersten zurückzubilden, das was ich nur entworfen hatte nun auszuführen; so lern’ ich mich selbst und meine Engen und Weiten recht kennen. Hätte ich die alten Sachen stehen und liegen laßen, ich würde niemals soweit gekommen seyn, als ich jetzt zu reichen hoffe. [11.] Ital. Reise. Zweyter Römischer Aufenthalt. Rom, den 11. August 1787 (W 32, 57): Ich werde oft schreiben und den Winter durch immer im Geiste unter euch sein. Tasso kommt nach dem neuen Jahre. Faust soll auf seinem Mantel als Courier meine Ankunft melden.6) Ich habe alsdann eine Hauptepoche zurückgelegt, rein geendigt, und kann wieder anfangen und eingreifen, wo es nöthig ist.

1

) Datierung nach GB 7.2, 376f. ) Brieffragment ohne Adressat u. Datum, von G nicht in die Ital. Reise aufgenommen. ) Unmittelbar vorher: Bey meiner Rückreise durch die Schweiz werde ich auf den Magnetismus achten, die Sache ist weder ganz leer, noch ganz Betrug. Nur die Menschen die sich bisher damit abgegeben sind mir verdächtig. Marktschreyer, große Herren und Propheten lauter Menschen die gerne viel mit Wenigem thun, gerne oben an sind pp. 4 ) Da G selber Eckermann 1829 erzählte, die Szene Hexenküche sei im Garten der Villa Borghese entstanden, konnte der Hexen u. Villa Borghese erwähnende Briefpassus zu der Meinung verführen, als habe G die Hexenküche schon um diese Zeit gedichtet. Zu deren vermuteter Datierung: 24. Febr − 1. März 1788 s. 1. März 1788 m. Anm. u. 10. Apr 1829.: Eckermann sowie die Forschungsgeschichte in der E-Rubrik. 5 ) Das Vorausgehende s. in „Egmont“: an Carl August gD; EGW 3, 196. 6 ) Vgl. Faust. Ein Fragment 544f.: wir breiten nur den Mantel aus, Der soll uns durch die Lüfte tragen. 2 3

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FAUST. EIN FRAGMENT

1787

Aug 15. [Rom] An G. J. Göschen (GB 7.1, 168): . . .1) Sobald der fünfte Band

abgegangen ist, mache ich mich an Taßo, Faust soll schließen. Okt

1. (s. „Werke, Ausgabe S“: an C. F. Schnauß? gD) [5.] (s. „Werke, Ausgabe S“: Ital. Reise. Zweyter Römischer Aufenthalt gD) [12.] [Castel Gandolfo] Zweyter Römischer Aufenthalt, Castel Gandolfo, den

12. Oktober 1787 An Herder (W 32, 113): . . . zuerst den lebhaftesten Dank für die Ideen. Sie sind mir als das liebenswertheste Evangelium gekommen, und die interessantesten Studien meines Lebens laufen alle da zusammen.2) 24. (s. „Werke, Ausgabe S“: an J. C. Kestner gD) 27. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen gD) [Nov 3.] Ital. Reise. Zweyter Römischer Aufenthalt. Rom, den 3. November

1787 (W 32, 136): . . .3) Nun liegen noch so zwei Steine vor mir: Faust und Tasso. Da die barmherzigen Götter mir die Strafe des Sisyphus auf die Zukunft erlassen zu haben scheinen, hoffe ich auch diese Klumpen den Berg hinauf zu bringen. Bin ich einmal damit oben, dann soll es auf’s neue angehn, und ich will mein Möglichstes thun euren Beifall zu verdienen . . . 29. [Weimar] Herder an J. F. v. Racknitz (Herder Briefe 5, 250): Unser Göthe befindet sich in Italien vortreflich . . . An seinen Werken arbeitet er fleißig4) . . . Nun liegen noch Faust und Taßo vor ihm, u. er wird sich auch dieser Bürde rühmlich entladen. Dez

8. [Rom] An Carl August (GB 7.1, 217): . . .5) An Faust gehe ich ganz

zuletzt, wenn ich alles andre hinter mir habe. Um das Stück zu vollenden, werd ich mich sonderbar zusammennehmen müßen. Ich muß einen magischen Kreis um mich ziehen, wozu mir das günstige Glück eine eigne Stäte bereiten möge.

1788 ⎯

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften6) (Q 2.2, 660): Plan zu einer weiteren Ausarbeitung des Faust, und einige Scenen davon geschrieben. Die Scene der Hexenküche im Garten Borghese ausgeführt.

1

) Das Vorausgehende s. in „Egmont“: an Göschen gD; EGW 3, 197. ) G las im Okt den dritten Teil von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, deren 15. Buch die Humanitätslehre enthielt. Was der Menschheit zugeteilt ist (249) nimmt das titanische Ich in sich auf. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Egmont“: Ital. Reise gD; EGW 3, 199. 4 ) Das unmittelbar Folgende s. in „Egmont“: Herder an Racknitz gD; EGW 3, 201. 5 ) Das Vorausgehende s. in „Claudine von Villa Bella [II]“: an Carl August gD; EGW 2, 206. 6 ) Zusammengestellt 1837 Okt/Nov von Chr.Th. Musculus, beraten von Eckermann. 2

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[Jan 10.] Ital. Reise. Zweyter Römischer Aufenthalt. Rom, den 10. Januar (W 32,

210): . . .1) Wenn es mit Fertigung meiner Schriften unter gleichen Constellationen fortgeht, so muß ich mich im Laufe dieses Jahres in eine Prinzessin verlieben, um den Tasso, ich muß mich dem Teufel ergeben, um den Faust schreiben zu können, ob ich mir gleich zu beiden wenig Lust fühle. Denn bisher ist’s so gegangen2). . . Das heißt doch ein v o r n e h m e r R ö m e r , wie Herder sagt, und ich finde es recht lustig, eine Endursache der Handlungen und Begebenheiten zu werden, welche gar nicht auf mich gerichtet sind. Das darf man Glück nennen. Also die Prinzessin und den Teufel wollen wir in Geduld abwarten. 25. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Carl August gD) Febr

9. [Rom] An G. J. Göschen (GB 7.1, 244): . . .3) Die schwerste Arbeit die

mir bevorsteht ist Faust. Doch eins nach dem andern. 16. [Rom] An Carl August (GB 7.1, 248) . . .4) Nun steht mir fast nichts als der Hügel Tasso und der Berg Faustus vor der Nase. Ich werde weder Tag noch Nacht ruhen biß beyde fertig sind. Ich habe zu beyden eine sonderbare Neigung und neuerdings wunderbare Aussichten und Hoffnungen. Alle diese Recapitulationen alter Ideen, diese Bearbeitung solcher Gegenstände, von denen ich auf immer getrennt zu seyn glaubte, zu denen ich fast mit keiner Ahndung hinreichte, machen mir große Freude. Dieses Summa Summarum meines Lebens giebt mir Muth und Freude, wieder ein neues Blat zu eröffnen. [März] Schema zur Ital. Reise5) (W 32, 465): [1788] . . . März [:] . . . Faust spukt indessen. Schema zur Ital. Reise6) (W 32, 467): [1788] . . . März [:] . . . Die drey letzten Bände überdacht. Faust und Tasso kommen zur Sprache. Tabelle zur Übersicht des 1. und 2. Aufenthalts in Rom7) (W 32, 487): [1788] März . . . Poetische Arb. [:] . . . Faust. [1.] Ital. Reise. Zweyter Römischer Aufenthalt. Rom, den 1. März 1788 (W 32, 288f.): Ich habe den Muth gehabt, meine drei letzten Bände [6−8 der Schriften] auf einmal zu überdenken, und ich weiß nun genau, was ich machen will; gebe nun der Himmel Stimmung und Glück es zu machen. Es war eine reichhaltige Woche,8) die mir in der Erinnerung 1

) Über seine durch Rom veranlaßte Präokkupation mit dem Zeichnen der menschlichen Gestalt. 2 ) Das Folgende s. in „Egmont“: Ital. Reise gD; EGW 3, 203. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Die Fischerin“: an Göschen gD; EGW 6, 17. 4 ) Das Vorausgehende s. in „Claudine von Villa Bella [II]“: an Carl August gD; EGW 2, 210. 5 ) Entstanden 1828/29. 6 ) Entstanden 1828/29. 7 ) Verfaßt 1820 Febr. 8 ) Vom Sonntag den 24. Febr − Sonnabend den 1. März 1788.

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wie ein Monat vorkommt. Zuerst ward der Plan zu Faust gemacht,1) und ich hoffe, diese Operation soll mir geglückt sein. Natürlich ist es ein ander Ding, das Stück jetzt oder vor funfzehn Jahren ausschreiben, ich denke, es soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt glaube den Faden wieder gefunden zu haben.2) Auch was den Ton des Ganzen betrifft, bin ich getröstet; ich habe schon eine neue Scene ausgeführt,3) und wenn ich das Papier räuchre, so dächt’ ich, sollte sie mir niemand aus den alten herausfinden. Da ich durch die lange Ruhe und Abgeschiedenheit ganz auf das Niveau meiner eignen Existenz zurückgebracht bin, so ist es merkwürdig, wie sehr ich mir gleiche und wie wenig mein Innres durch Jahre und Begebenheiten gelitten hat. Das alte Manuscript macht mir manchmal zu denken, wenn ich es vor mir sehe. Es ist noch das erste, ja in den Hauptscenen gleich so ohne Concept hingeschrieben, nun ist es so gelb von der Zeit, so vergriffen (die Lagen waren nie geheftet), so mürbe und an den Rändern zerstoßen, daß es wirklich wie das Fragment eines alten Codex aussieht, so daß ich, wie ich damals in eine frühere Welt mich mit Sinnen und 1

) Dieser Plan ist nicht überliefert, hat daher Vermutungen aller Art veranlaßt. Während Matz GJb 1920, 47, Burdach 1926, 19 mit Hinweis auf P11, Hertz 1930, 395 u. Burger 1942, 17−64 die Ansicht vertraten, der Faust-Plan habe sich durch den ItalienAufenthalt entscheidend gewandelt, nahmen Kögel 1889, 545−62, Gwinner 1892, 58, Gräf II 2, 41; Maier 1952, 137 u. Scheibe 1958, 145 an, daß es sich bei Plan u. Operation in erster Linie um Ergänzungen u. Ajustierungen der alten Konzeption handelte. Huther 1887, 18−20 u. Traumann 1902, 3 betonten, daß die Anknüpfung an das Vorhandene zugleich eine Weiterentwicklung der Konzeption einschloß. 2 ) Minor 1901 I 285 u. Gräf II 2, 42 folgerten daraus, daß G schon früher Versuche gemacht habe, den Faden wieder zu finden, es ihm aber erst jetzt gelang bzw. daß er ’glaubte‘, es sei ihm gelungen. Was unter Faden zu verstehen sei, hinge mit der nächsten hier zu behandelnden Frage nach der neuen Scene zusammen, die G nach Wiederauffindung des Fadens schrieb. Gräf betont, wenn G sage, er denke das Stück solle nichts dabei verlieren, daß er die Arbeit erst nach 15jähriger Unterbrechung wieder aufnehme, um sie auszuschreiben, u. wenn er diese Zuversicht besonders auf das Wiederfinden des verlorenen Fadens gründe, so sei klar, daß das nichts verlieren sich auf den inneren Bau u. die Folgerichtigkeit des Ganzen beziehe, dem G gleich darauf den Ton des Ganzen entgegensetze. 3 ) Daß die neue Scene erst in der letzten reichhaltige[n] Woche (24. Febr − 1. März) gedichtet wurde, die G wie ein Monat vorkommt, ergibt sich aus dem Wort Zuerst u. dem übrigen Zusammenhang. Um welche neue Scene es sich handelt, ist strittig. Außer der Hexenküche kommt in der Sz. Wald und Höhle noch das auf Fausts Monolog folgende Zwiegespräch mit Mephisto in Betracht, nicht der erst im späteren Verlauf der Italienreise entstandene Monolog selbst (vgl. auch Gräf II 2, 43). Für die Hexenküche spricht die von Eckermann überlieferte Äußerung G’s vom 10 April 1829 (s. dort), die Hexenscene des Faust sei im Garten Borghese gedichtet; mündliche Überlieferung lag auch der von Chr.Th. Musculus erstellten Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften (Q 2.2, 660) zugrunde: 1788. . . . Plan zu einer weiteren Ausarbeitung des Faust, und einige Scenen davon geschrieben. Die Scene der Hexenküche im Garten Borghese ausgeführt. Weitere Dokumente stützen diese Datierung nicht. Zur Forschungsgeschichte s. auch E-Rubrik.

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Ahnden versetzte, mich jetzt in eine selbst gelebte Vorzeit wieder versetzen muß. [März 7.] Tageregister zur Ital. Reise. 7. März 17881) (W 32, 480): Faust kommt zur Sprache. 17. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Carl August gD) 21. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen gD) 28. [Rom] An Carl August (GB 7.1, 264): Lila ist fertig. Jery auch, meine

Apr

kleinen Gedichte sind bald zusammengeschrieben, so bliebe mir für den nächsten Winter, die Ausarbeitung Fausts übrig, zu dem ich eine ganz besondre Neigung fühle. Möge ich nur halb so reüssiren, als ich wünsche und hoffe. 5. [Rom] An F. J. Bertuch (GB 7.1, 266): Das Gedicht auf Miedings Tod hätte ich mit Freuden in der Pandora gesehen, wenn nicht meine Absicht wäre Michael [29. Sept 1788] den s e c h s t e n und a c h t e n Band herauszugeben und Ostern [1789] mit dem s i e b e n t e n - , welcher den Faust und also die große Girandel2) enthält zu schließen. 5. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen gD)

[Juni Notiz, auf den historischen Faust bezüglich3) (W 14, 292): Schola Drui2. Hälfte] dica Faustus Scholasticus vagans. Murr 699.4) Juli [Paris] F. M. Baron v. Grimm an J. F. Reiffenstein (Bode 1, 356): Er [G] ist vielleicht [Mitte] von dem ganzen gegenwärtigen Menschengeschlecht derjenige, der am meisten Genie hat.5) Schade aber ist es, daß er in den mehresten Fällen seine Werke unfertig beläßt. Ich weiß nicht, ob er Euch seinen „Dr. Faust“ vorgelesen und dessen Plan mitgeteilt hat. Wenn dieses Werk ausgeführt wäre, so wäre es meines Erachtens die erstaunlichste Produktion, die es geben würde.

1

) Verfaßt 1814 Juni 1. Hälfte. ) Hauptteil eines zu Ehren von St. Peter u. Paul auf der Engelsburg abgebrannten großen Feuerwerks. 3 ) In einem von G auf der Rückreise von Rom nach Weimar benutzten Notizheft. 4 ) Die durch Gedanken an den eigenen Faust veranlaßte Eintragung stammt aus Christoph Gottlieb von Murr: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in des H. R. Reichs freyen Stadt Nürnberg und auf der hohen Schule zu Altdorf. Nebst einem chronologischen Verzeichnisse der von Deutschen, insonderheit von Nürnbergern, erfundenen Künste vom XIII. Jh. bis auf jetzige Zeiten. Nürnberg 1778, S. 699, wo aus einer lat. Quelle zum historischen Faust zitiert wird: Ex illa schola (Druidica) prodierung, quos vulgo Scholasticos vagantes nominaban, inter quos Faustus quidam, non ita pridem mortuus, mire celebratur. Vielleicht wurde G durch die Quelle inspiriert, Mephisto als fahrenden Schüler einzuführen (Faust I, v. 1324; s. auch W 14, 291f.). − G erwarb das Buch in Ulm, wo er auf der Rückreise aus Italien um den 10. Juni 1788 herum Station machte. Es befindet sich in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 3999). 5 ) Seit Herbst 1781 war G mit dem weltläufigen, 1771 nobilitierten Schriftsteller, Diplomaten u. Philosophen F. M. Grimm bekannt, der u. a. durch seine Correspondance litte´raire im Haushalt des Herzogs Friedrich III. von Sachsen-Gotha-Altenburg intellektuellen Glanz ausstrahlte. Am Gothaer Hof hatte er G aus seinen Faust-Mss. vorlesen hören. 2

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15. (s. „Werke, Ausgabe S“: an G. J. Göschen gD) 21. [Weimar] An F. H. Jacobi (Br 9, 4): . . .1) Jetzt bin ich an Tasso, Faust

soll eine Winterarbeit werden . . . [Juli [Rom] J. F. Reiffenstein an G (GSA 28/1041 Bl. 59f.): Apropos von Dero Wercken: Hr. Ende] [F. M. Baron] v. Grimm schreibt mir in seinem letzten [Brief aus Paris Mitte Juli 1788] unter anderm folgendes von Ihrem Dr. Faust davon Dero Bescheidenheit uns nichts zu erwähnen beliebet, vermuthlich aus freundschaftlicher Oeconomie, damit wir allmählich mit einem fröhlichen Genuße beseeliget und nicht auf einmahl mit zu vielem Nectar und Ambrosia2) überladen werden solten. Hier ist die erwehnte Stelle „J’aurois bien volu me trouver entre Vous et Madame Angelica [Kauffmann] en face de Mr. de Göthe quand il Vous faisoit ses lectures. C’est peut etre de toute la Generation actuelle l’homme qui a le plus de Ge´nie. C’est dommage quil laisse nous la pluspart de Ses ouvrages non acheve`s. Je ne scais sil Vous a lu son Dr. Faust, et sil Vous en dit le plan. Si cet ouvrage e´toit execute´ comme il l’a concu et comme il e´toit en etat de le faire ce seroit je pense la plus e´tonnante production qui existeroit.“ Diesen Dr. Faust und so viel anderes Liebes

und Gutes haben wir also noch zu genießen bey Dero Wills Gott baldigen Wiederkunft zu den Ihrigen in Rom, ernähren Sie uns doch bald mit dieser Hofnung !

Sept 2 od. 3. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Herder gD) 21. [Rom] Angelica Kauffmann an G (Angelica Kauffmann. Gesammelte Briefe. Hsg., kommentiert u. mit einem Nachwort versehen von Waltraud Maierhofer. Lengwil am Bodensee 2001, 120): Ich höre Tasso ist schon weit gekommen, so auch ein anderes werck von dem sie mier nichts gesagt haben.3) Okt

9. An G. J. Göschen (Br 18, 32): Für das Kupfer zum 7ten Band sorge ich

auch ingl. für die Vignette.4) [Dez 1788/Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. Fünfter und letzter Theil von Karl FriedJan1789]5)rich Klischnig.6) Berlin 1794, 210f.: Wenn er [Moritz] seine Kräfte durch anhaltendes Arbeiten erschöpft hatte, und sein Thätigkeitstrieb abgestumpft war, so erhohlte er sich durch eine Reise nach Weimar, und in dem freundschaftlichen Umgange mit G ö t h e gestärkt an Seel und Leib kehrte er dann zu seinen Beschäftigungen mit neuer Lebenslust zurück. Göthens Werke waren ihm Meisterstücke . . . seinen F a u s t hatte er entstehn sehn. Aus dem F a u s t erinnerte er sich noch einiger Szenen, die bei der nachmaligen Herausgabe nicht mit abgedruckt worden sind. So sagt z. B. Mephistopheles, Fausts dienstbarer Geist: Sie meinen, wenn sie Te u f e l sagen, Da sagen sie was Rechts. Mich darf man nicht auf’s Gewissen fragen, Ich schäme mich meines Geschlechts. Faust frägt ihn, indem sie vor einem Kreuze vorbeigehn. Mephisto hast

1

) Das Vorausgehende s. in „Egmont“: an F. H. Jacobi gD; EGW 3, 206. ) Nach Gräf II 2, 47 auf Bd 5 der Ausg. S zu beziehen. 3 ) Auf Faust bezüglich; daß G an dem Werk, über das er in Rom geschwiegen hatte, arbeitete, erfuhr die G nahestehende Malerin nun außer durch Reiffenstein auch durch Herder, der sie am 19. Sept, dem Tag seiner Ankunft in Rom, besucht hatte. 4 ) Das Kupfer zum 7ten Band: Faust im Studierzimmer, ein am Fenster erscheinendes magisches Zeichen betrachtend, nach Rembrandt von Lips; Abb. in Wegner 41; die Vignette: Bätely verbindet dem Jery die Hand, von Lips. 5 ) Moritz weilte, von Rom kommend, vom 4. Dez 1788 bis 1. Febr 1789 bei G in Weimar. 6 ) Untertitel: Erinnerungen aus den zehn letzten Lebensjahren meines Freundes Anton Reiser. Als ein Beitrag zur Lebensgeschichte des Herrn Hofrath Moritz. 2

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Du Eil? Was schlägst vorm Kreuz die Augen nieder? Und dieser antwortet: Ich weiß es wohl, es ist ein Vorurtheil; Allein es ist mir ’mal zuwider.1)

1789 März 21. [Rom] J. H. Lips an G (SchrGG 5, 155f.): Von den andern Kupfergen zu Ihren Werken [u. a. für Faust. Ein Fragment u. Jery und Bätely in Bd 7] habe ich noch nichts angefangen, weil Sie mir keine Zeit darzu bestimmten, sondern es meiner Gelegenheit nach und nach zu machen überließen. Ich werde aber jetz zwischen meiner übrigen Arbeit davon anfangen, damit Sie nicht zu lange darauf warten müßen. [vor Agenda-Liste (Tgb 2, 323): Für das nächste Jahr. Juni 24.] 90. . . . Faust2) Juli

von Joh. 89 − Joh.

4. An Knebel (Br 9, 137): In meiner Stille bin ich ganz zufrieden, ich

habe mir auf ein Jahr Arbeit schon bestimmt, wir werden sehn wieweit wir kommen. 5. An Carl August (Br 9, 138f.): . . .3) Faust will ich als Fragment geben aus mehr als einer Ursache. Davon mündlich.4) Aug

3. [Eisenach] Carl August an Anna Amalia (BG 3, 300): Göthe ist mit mir hier . . . „Tasso“ ist fertig, ein grosses Kunststück; ich bin neugierig, wie es Ihnen gefallen wird. „Faust“ kömmt auch ehstens ans Licht.

Sept

9. An G. J. Göschen (Br 18, 39): Der siebente [Bd der Ausg. S] soll bald

folgen. Herr Lips, den ich täglich erwarte, wird wohl die Vignette noch selbst stechen können. Auch können die neuen Kupfer zu meinen Schriften seine erste Arbeit seyn. 18. [Jena] Knebel an Luise v. Imhoff (BG 3, 312): Heute hat mir Göthe die ersten Scenen seines Fausts vorgelesen, so wie sie zum Drucke bereit liegen, und das hat mich sehr ergözt. Okt 16. [Rom] J. F. Reiffenstein an G (BG 3, 165): Lassen Sie sich von Ihrem löblichen Vorsatze das heilige . . . Rom nächstens zu besuchen und uns mit Vorlesung Ihres in Tivoli [zw. 11. u. 23. Juni 1787] vorgekost[et]en Tasso dem Faust pp . . . zu beglücken . . . nicht abhalten. 18. An J. F. Reichardt (Braunbehrens 105): Der Druck des Tasso ist durch

einen Calender verspätet worden, ich bin nun an Faust . . .

1

) Klischnig teilt mit geringen Abweichungen P6 u. die Sz. Land Strase (454−57) aus Faust. Frühe Fassung mit, die G nicht in die Druckfassungen aufnahm (P21). − Moritz kann die zitierten Texte schon in Rom, aber auch bei seinem letzten Besuch in Weimar kennengelernt haben. − Für P6 ist terminus ante quem das Veröffentlichungsjahr 1794. − Zu P6 u. P21 vgl. Bohnenkamp 103−06. 2 ) Das als erledigt durchgestrichene Wort Faust steht auf der linken Spalte der Liste in Z. 4. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Torquato Tasso“: an Carl August gD. 4 ) G fuhr am 23. Juli 1789 nach Wilhelmsthal, wo sich Carl August aufhielt; am 17. Aug kehrten sie zusammen nach Weimar zurück.

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Okt 18. An Herzogin Anna Amalia (Br 9, 156): Ich zweifle nicht daß Ew.

Nov

Durchl. nach dero glücklichen Rückkunft [aus Italien] auch solchen prächtigen Schauspielen beyzuwohnen geruhen werden, welche auf Stoppelfeldern, mit berittnen und gewafneten Ackteurs vorgestellt werden und wo man den Brocken im Hintergrunde sieht. 2. An J. F. Reichardt (Br 9,159): . . .1) hinter Fausten ist ein Strich gemacht.2) Für dießmal mag er so hingehen. 5. An Carl August (Br 9, 160): Ich bin wohl und fleißig gewesen.3) Faust ist fragmentirt, das heißt in seiner Art für dießmal abgetan. Mittelsdorf schreibt ihn ab.4) Ein wunderlicher Concept ist ihm wohl nie vorgelegt worden. Es ist recht eigen alle diese Tollheiten von eben der Hand zu sehen, welche uns sonst nur: Ve s t e , l i e b e g e t r e u e 5) vorzulegen gewohnt ist. Nun wünsche ich daß Ihnen das Stückwerck noch einmal einen guten Abend machen möge. 10. [Weimar] Sophie v. Schardt an C. A. v. Seckendorff (GJb 1904, 76): Goethe est presque enterre´ pour finir le 6 et 7me volume de ses œuvres, il me dit qu’il se rendrait plus sociable `a pre´sent. [15.] [Weimar] Herder an Knebel6) (Herder Briefe 4, 109): Morgen am Abend laßen bei uns sich hinter der Kirche Faustus Teufel zur Lehr böser Verruchter sehn Oder hören vielmehr; sei auch von der heiligen Anzahl, oder willst Du etwa selbst Mephistophiles seyn? Ich bitte aber es weiter niemanden zu sagen, weil der Zauberer [G] nur einen kleinen Kreis will. Vale, ein Wörtlein Antwort, ob es Ihnen recht ist. 16. [Weimar] Knebel Tagebuch (GSA 54/366): Nachher [Abends] bey Herder, wo Göthe den Faust vorgelesen. daselbst supirt. 20. An Carl August (Br 9, 163): Vom Faust schickte ich etwas, wenn ich

mir nicht vorbehielte einen der ersten Abende nach Ihrer Rückkehr [am 28. Nov], Sie, Ihre Frau Gemahlinn, und wen Sie sonst berufen mögen, vorlesend damit zu bewirten. Dez

3. [Weimar] Knebel Tagebuch (GSA 54/366): Abend bey Göthe, Faust vorgelesen. Coadjutor [v. Dalberg], Herzog, Herder, Wi[e]land, Wedel pp supirt. 10. (s. „Werke, Ausgabe S“: an J. F. Reichardt gD) 10. [Weimar] J. H. Lips an G. J. Göschen (QuZ 2.1, 181f.): . . .7) die Vignette zum siebenten Band ist fertig, und das Titelkupfer in Arbeit.8) 1

) Das Vorausgehende s. in „Der Groß-Cophta“: an Reichardt gD; EGW 6, 863f. ) Auch wörtl. zutreffend; Faust. Ein Fragment schließt (2135) mit einem Gedankenstrich. 3 ) Meint wohl seit der Abreise Carl Augusts am 25. Okt 1789. 4 ) Burkhardts Vermerk unter Febr 1790: Mittelsdorf liquidiert für die Abschrift des ,Faust‘ (Burkhardt II 5; im GSA kein hs. Beleg nachweisbar). 5 ) Veste und Hochgelahrte Räthe, liebe Getreue = Eingangsformel amtlicher Schreiben am Weimarer Hof. 6 ) Undatierte briefliche Einladung. − Da Knebels Tagebuch die Lesung für den 16. Nov 1789 bezeugt, muß die Einladung kurz vorher geschrieben worden sein. 7 ) Das Vorausgehende s. in „Lila“: Lips an Göschen gD. 8 ) s. oben 21. März 1789: Lips an G. 2

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Dez 14. (s. „Werke, Ausgabe S“: an Anna Amalia gD)

17901) [Jan 10.] Notizen2) (GSA 27/50,1 Bl. 1; Tgb 2, 1): Faust abgeschickt.3) 10. Briefverzeichnis (Br 9, 393): Januar

10. [nach] Leipzig [an] Göschen

den Faust. 20. [Leipzig] G. J. Göschen an G (QuZ 2.1, 183): Der Faust ist schon in der Druckerey. Ich laße um Dero Wunsch zu erfüllen nur vors erst so viel abdrucken als ich in der Ostermeße brauche4) und sehe ein 50 Thaler nicht an um den 7ten Band noch einmal setzen zu laßen. Der Satz hält nicht auf; sondern der Druck. Ohne diese Einschränkungen deßelben wäre es unmöglich Ihren Willen zu thun. So aber soll der 7te Theil zur Ostermeße fertig sein; so wie ich denn immer gern bereit bin Ihre Befehle zu befolgen, welche sie u n m i t t e l b a r ertheilen. 23. Briefverzeichnis

(Br 9, 393): Januar 23. [nach] Leipzig [an] Göschen.5) [Betr ] Anzahl der Exemplare. Febr 6. An Carl August (Br 9, 173): Die meiste Zeit des vergangnen Monats habe ich auf dieses Geschäfte verwendet.6) Auserdem noch Fausten und das Botanikon7) in Buchhändlers Hände geliefert. 14. [Leipzig] G. J. Göschen an G (QuZ 2.1, 184): Hierbey habe ich die Ehre Denselben die vorgeschriebene Anzahl [Freiexemplare] des 6 Bandes zu übersenden. Des 7ten Bandes 1 bis 3er Bogen erfolgen ebenfals mit. Der Faust wird 10 Bogen. 20. [Leipzig] G. J. Göschen an F. J. Bertuch (QuZ 2.1, 185): Der 7te Theil von Göthe wird zur Meße gewiß fertig und dann können wir erst recht operiren und in Rezension und polit. Zeitungen trommeln. Dann wäre denn auch dieser Druck von den Schultern und meine Außichten werden eine schönere Gestalt gewinnen. 28. An J. F. Reichardt (Br 9, 181): Faust kommt Ostern und wird auch

Ihnen [als Komponisten] manches zu thun geben. März 3. An G. J. Göschen (Br 30, 47): Hier übersende ich den Überrest des

Manuscripts [zu Bd 7] . . . H. Lips wird Titelkupfer und Vignette beylegen. Lassen Sie mir von beyden einige Abdrücke machen. Leider sind die Vignetten des sechsten Bandes wenigstens in den Exemplaren

1

) Auffallenderweise erwähnt G in den TuJ zu 1790 die Publikation von Faust. Ein Fragment nicht, obwohl er sonst in der autobiogr. Rückschau die wichtigen literarischen Werke anführt. 2 ) Nach GT 2.2, 417 auf GSA 27/50,1 Bl. 1 nicht als Tgb-Eintragung, sondern Notizen aller Art. 3 ) Druckvorlage für Faust. Ein Fragment u. Begleitbrief nicht erhalten geblieben. 4 ) Begleitbrief nicht erhalten; G muß darin auf Erscheinen zur Ostermesse 1790 gedrungen haben. 5 ) Brief nicht überliefert. 6 ) Auf den geplanten Wiederaufbau des 1774 abgebrannten Weimarer Schlosses. 7 ) Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären.

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die ich erhalten habe, sehr übel und schmutzig gedruckt. Schärfen Sie doch dem Kupferdrucker ein daß es beym siebenten Bande nicht wieder geschehe. Ich verreise auf einige Zeit, also senden Sie mir nichts und schreiben Sie mir auch nicht. Die Exemplare des siebenten Bandes, wenn sie fertig sind, senden Sie mir in der Zahl und Art wie des sechsten.1) März 3. Briefverzeichnis (Br 9, 393): [Nach Leipzig an] Göschen Meine Mspte und 2 Platten. 3. An F. H. Jacobi (Br 9, 183): Meine Lage ist glücklich, wie sie ein Mensch verlangen kann. Dieses Jahr habe ich mich durch manches durchgearbeitet. Die zwey letzten Bände meiner Schriften werdet ihr Ostern haben, nehmt vorlieb. Mir ist diese Epoche wichtig, ich habe damit manches abgethan.2) Apr 7. (s. „Werke, Ausgabe S“: G. J. Göschen an F. J. Bertuch gD) [Mitte Apr] (s. „Werke, Ausgabe S“: Verlagsanzeige gD) Apr 15. [Rudolstadt] Schiller an G. J. Göschen (SNA 26, 14): Ich wünschte gar sehr, den Faust von Göthen zu lesen, vielleicht sind schon Bogen davon gedruckt, und ich verspreche Ihnen, daß Sie nicht aus meinen Händen kommen sollen, wenn Sie nur sie communiciren wollen. Mai 16. [Erfurt] Caroline v. Dacheröden an W. v. Humboldt (Sydow 1, 144): Lies doch den Faust von Goethe, das Gretchen ist ein ganz neuer weiblicher Charakter, so lieb, so innig und wahr. [Zitat Fragment 1705−8] Sag Dir das Lied aus meiner innersten Seele. 24. [Berlin od. Tegel] W. v. Humboldt an Caroline v. Dacheröden (Sydow 1, 150): Wohl ist’s ein ganz neuer Charakter, Gretchens in Goethens Faust. Diese Naivität und fromme Unschuld! Und in dem Ausdruck diese Natur und Wahrheit. Die Art, wie sie sich ihm erklärt, wie sie ihm den Kuß zurückgibt, ist über jede Beschreibung meisterhaft. Und auf der andern Seite Faust. Dies Große, Allumfassende, diese Gabe, die ganze Natur mit seinen Gefühlen zu verweben, ist doch nur bei Goethe in der Stärke und Schönheit geschildert. Der ewig rege Drang nach Wahrheit und Erkenntnis, das enthusiastische Gefühl für moralischen Adel, die unaufhörliche Gegenwart unerreichbar schöner Ideale, die Fülle und Seligkeit, die daraus auf der einen Seite, und die Empfindung eigener Armseligkeit, die auf der anderen entspringt, sind so ganz wahr im Faust gezeichnet. Überall sieht man in ihm den hohen, über die Grenzen der Menschheit hinausstrebenden Geist, der in der Menschheit jeden mehr als menschlichen Funken auffaßt und sich von der Höhe emporschwingt. Gretchens Charakter ist durchaus entzückend und oft ihr Ausdruck rührend; wie sie gar nicht begreifen kann, was Faust an ihr findet, wie sie ihre Arbeit im Hause, die Genauigkeit der Mutter, die Wartung ihrer kleinen Schwester erzählt . . . Wenn nur das Ganze nicht so buntscheckicht wäre. Aber von vornherein sind fatale Szenen, hie und da freilich schön, aber auch so undelikat und roh. Die niedliche Szene der ersten Zusammenkunft Gretchens und Fausts wird einem durch die Marthe ewig verdorben. Goethe hätte sie nicht sollen einander begegnend spazieren gehen lassen. Denn so oft ich nun lese, was Grete sagt, seh ich schon im Geiste immer wieder die unausstehliche Marthe auf sie zukommen. So periodisch wechselt sich das ab. Dein Lied, meine Ruh ist hin, weiß ich auswendig. O! es ist mir wie aus der Seele gesprochen. 1 2

) s. oben 23. Jan 1789: Briefverzeichnis. ) Hier ist besonders an Faust zu denken.

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Mai 28. [Jena] Schiller an G. J. Göschen (SNA 26, 24): Meinen besten Dank liebster Freund für Ihr Andenken, und für die überschickten Bücher1). . . Juni

7. [Mainz] L. F. Huber an C. G. Körner2) (L. F. Huber’s Sämtliche Werke seit dem Jahre 1802. Erster Theil. Tübingen 1806, 388f.): Ich habe den Faust gelesen. Es ist ein tolles unbefriedigendes Gemengsel, aber freilich voll von Schönheiten, die ganz einzig sind. Im Lesen, und wenn man fertig ist, fallen verschiedne Stellen auf, in welchen man verborgenen Sinn ahnet, und die auf eine Art von hoher philosophischen Idee des Ganzen zu deuten scheinen. Aber ich glaube, daß man sich am Ende irrt, und Göthe scheint im Gange der Geschichte und im Ganzen der plumpen Pöbelmoral, die an sich in der Tradition liegt, getreu geblieben zu seyn; Faust ergiebt sich dem Teufel, der ihn liederlich macht und am Ende holt. Auf Sinnlichkeit scheint das ganze Gewicht gelegt zu seyn. Das Edlere im Faust liegt abgerissen da, und hängt nicht einmal mit jenem zusammen; auch appuyirt Mephistophiles auf nichts anders, selbst in ernsthaften Stellen, die beim ersten Anblick was höheres zu bedeuten scheinen, wie z. B. die: Verachte nur Kenntniß und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft usw. [Fragment 330f.] Der erste Monolog des Fausts hat vielleicht für die Initiierten verborgnen Sinn, der mir entgeht. Gretchen ist allerliebst, ihre religiöse Scene mit Faust rührend und schaudernd, wie ich weniges kenne. 12. [Nürnberg] Knebel Tagebuch (BG 3, 346): Abends in . . . [Bürgermeister Holzschuhers] Garten Faust gelesen. 20. [Tegel] W. v. Humboldt an F. H. Jacobi (Leitzmann 34): Von Göthe muss ich Ihnen noch ein Wort sagen . . . Es ist mir doch immer, als wär er unser einziger Dichter. Sein Tasso, und einige Stellen in Faust haben mich aufs neue darin bestärkt. 21. Briefverzeichnis (Br 9, 394): Juni

21. [Brief nach] Leipzig [an]

Göschen. Den 7. Theil abzusenden.3) 25. [Leipzig] G. J. Göschen an G (QuZ 2.1, 190f.): Ew. Hochwohlgebohrnen hab ich die Ehre hierbey den 7ten Band Ihrer Werke in nehmlicher Anzahl als die vorigen zu überreichen. 28. [Mainz] L. F. Huber an C. G. Körner (L. F. Huber’s Sämtliche Werke seit dem Jahre 1802. Erster Theil. Tübingen 1806, 389−91): Was du am Faust liebst, verkenne ich nicht; aber ich meyne nur, daß in Mephistophiles’ Plan nichts andres zu liegen scheint, als die Sinnlichkeit zum Werkzeug von Fausts Verderben zu machen, und das fällt um so mehr auf, je mehr in Faust selbst liegt. Oder meynte es Göthe so daß der Teufel, der höhere Geist selbst, einen Menschen von Fausts Gehalt nicht faßte, misverstand? Das scheint doch nicht. Vielmehr verachtet, persiflirt Mephistophiles alles Geistige in dem Menschen, alle Empfindung, weil ihm anschaulich ist, daß alles das sich in der Materie, in den Sinnen verliert. Daß dem kraftvollen Genie das abstrakte Denken nicht genügt, giebt er ja für den Keim seines Verderbens an, jedes andre platonische, geistige Bedürfniß im Faust sieht er als maskirte Sinnlichkeit an − und er, der Teufel, muß es doch am besten wissen. Von der Seite scheint mir also Göthe ganz der pöbelhaften Idee vom Teufel und Menschen gefolgt zu seyn, − und er hat am Ende wohlgethan, denn es kam auf Darstellung an, so gut wie bei einem Sujet aus der Mythologie oder dem heroischen Zeitalter Griechenlands, bei der man auch nur die für die poetisch-sinnliche Darstellung interessantesten Seiten auffaßt, nicht sich bemüht, den moralischen oder philosophischen Gehalt der Idee, die zum Grunde liegt, zu berichtigen. Nur sind diese

1

) s. oben 15. Apr 1790: Schiller an Göschen. ) Therese Huber als Hsg. nennt Körners Namen nicht, spricht nur von Briefen an einen Freund. 3 ) Brief nicht überliefert. 2

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Ideen uns durch Entfernung und Associationen schon veredelt, ehe sie der Dichter gebraucht; jene sehen wir plump und platt, und die bald edle, bald piquante, und immer geistvolle Form, in die sie der Dichter kleidet, macht eine Art von Täuschung, die uns verführt, etwas andres, tiefer liegendes, darunter zu suchen. Mephistophiles sieht Obscönität im Platonismus des Menschen, der höhere Blick des bösen Geistes ist konsequente, unbestechliche Faunenweisheit − Daß Göthe darum den menschlichen hohen Wert Fausts nicht vernachläßigte, trotz der Verachtung, der ihn im Mephistophiles aussetzte, ihn doch con amore warm und erhaben ausmalte, macht seinem Genie Ehre. Aber es ist p e i n l i c h ! das Peinliche löst sich dann freilich am Ende in höhere Bewunderung des Dichters auf, deine beliebte e r h a b e n e R u h e hält am Ende hier auch her, man sieht im Dichter den Herrn seines Stoffs, seiner Welt, den h ö c h s t e n Blick, der ü b e r dem Teufel und dem Menschen schwebt, den frei spielenden Geist, der, nirgends durch u n z e i t i g e Wahrheit − also nicht mehr Wahrheit − beschränkt, jede relative Wahrheit der Imagination ungescheut auffaßt und erschöpft. Und gerade dies − ich wiederhole es über den Faust mit verdoppelter Ehrfurcht − hat unter allen Dichtern der Welt Göthe allein g a n z vermocht. Es ist die reinste, konsequenteste Imagination, ewig unvermischt mit seiner eignen Individualität: das großmüthigste, freieste, unbedingteste Opfer, das je der Muse und dem Genius gebracht wurde.

Juni 29. [Dresden] C. G. Körner an Schiller (SNA 34.1, 18): Funk1) sagt mir daß Du mit dem Faust nicht zufrieden bist. Freylich find’ ich auch Ungleichheiten darin, und gewiß sind die einzelnen Scenen zu sehr verschiednen Zeiten gemacht. Aber mich freut doch vieles, besonders die Hauptidee, daß Faust durch C h a r a c k t e r immer eine höhere Art von Wesen bleibt, als Mephistopheles, wenngleich dieser ihm an Vorrath von Ideen, an Erfahrung, an Gewandtheit überlegen ist. Dieß könnte zwar auch oft mehr ausgeführt seyn, und der Bänkelsängerton den G o e t h e gewählt hat verleitet ihn nicht selten zu Plattheiten, die das Werk verunstalten. Juli

1. An Carl August (Br 9, 212): Da mein letzter Band [7] nunmehr ge-

druckt ist scheine ich mir erst ein freyer Mensch, in der letzten Zeit druckte dieses Unternehmen doch zu starck auf mich.2) 9. An Knebel (Br 9, 213): Meinen Faust und das botanische Werckchen [Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären] wirst du erhalten haben, mit jenem habe ich die fast so mühsame als genialische Arbeit meiner Schriften geendigt, mit diesem fange ich eine neue Laufbahn an, in welcher ich nicht ohne manche Beschwerlichkeit wandeln werde. 11. [Weimar] Knebel an Herder (BG 3, 351): Von Goethe habe ich diesen Morgen den Faust erhalten . . . 12. [Weimar] J. H. Lips an G. J. Göschen (QuZ 2.1, 192): Nun muß ich Sie noch fragen, wie ich mich wegen den Octav Plättchen von D. Faust . . . zu verhalten habe, ob ich mich an Göthe halten muß, und es mit Ihnen abzumachen habe?3) 30. [C. F. D. Schubart:] Litteratur. In: Chronik. Hsg. v. C. F. D. Schubart. Nr. 61 v. 30sten Julius 1790, 524f.: Unter die geistvollsten Produkte der lezten Messe gehört gewiß 1) G ö t h e s F a u s t − womit er die Sammlung seiner poetischen Schriften beschlossen hat. Manche Leser werden sich noch erinnern, daß sich vor mehr dann zehn Jahren einige unsrer treflichsten Dramatiker dies schauerliche Thema zum Ziel gesezt haben. L e s s i n g , Maler M ü l l e r , legten uns damals ihre Arbeiten vor. Wer unter den Streitern 1

) K. W. F. von Funck, sächs. Rittmeister u. historischer Schriftsteller. ) s. oben 3. März 1790: an F. H. Jacobi. 3 ) s. oben 9. Okt 1788: an Göschen. 2

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den Dank verdient habe, kann, wie mich dünkt, nun nicht mehr zweifelhaft seyn. Derselbe Kopf, der uns in seiner I p h i g e n i e und seinem Ta s s o ein Muster von Eleganz und griechischer Korrektheit geliefert hat, verläßt hier gleichsam die Blüthenhaine Italiens, und pflanzt eine nordische Eiche vor uns hin, in deren gigantischem Wipfel der Sturm bald orgelt, bald schmeichelnde Feenlüfte spielen, und deren gewaltige Wurzeln ein ganzes Huf Landes umklammern. F a u s t will hier die Schranken des menschlichen Willens durchbrechen; sein Wahrheitsdurst ruft höhere Geister zu Hülfe. − Aber sein Blik kann ihre Nähe nicht ertragen; Mephistofeles, ein Dämon der Hölle, nuzt die Gelegenheit, und beschließt, Fausts grose Seele in die Pfüze der Sinnlichkeit zu versenken. Unter den Mitteln, die er vorkehrt, seinen Entwurf durchzusezen, kommen Situationen vor, die mit denen im M a c b e t h wetteifern. − Der Köder der L i e b e schlägt endlich an; aber Fausts hoher Karakter haftet nicht am T h i e r i s c h e n dieser Leidenschaft, entscheidet in kurzem für eine feinere und geistigere Liebe, − und der Dämon hat sich betrogen sc. Ueberall liegt hier eine Anwendbarkeit und ein S i n n in Gesinnung, Ausdruk, und Situationen, daß ihn ein geübtes Auge in dem zartesten Pinselstrich erkennen wird. Die Versart in Reimen paßt zum Gegenstande, wie die Fabel zum Zwek. Ueberall ist auch hier G ö t h e ’ s leichte, unbefangene Kunstmanier unverkennbar. − Wenn er, wie er kürzlich äusserte, seinen F a u s t im gleichen Tone und mit wachsenden Interesse bis dahin fortsezt, wo der Teufel in eigener Person seinen Helden holt; so dürfen wir unsrer Litteratur zu einem der lautersten und originellsten Genieprodukte Glük wünschen, dessen sich je ein Volk rühmen konnte.

Juli 30. [Anonyme Rez.] Göthe’s Schriften. Siebenter Band. Leipzig 1790. In: Neue nürnberu. Aug 3. gische gelehrte Zeitung. LXI. St. Freytag den 30. Juli 1790, S. 475−482 u. LXII. St., Dienstag den 3. Aug. 1790, S. 483−487 (Braun 2, 81f.): Deutschlands grosser Dichter, der in seiner Iphigenia die Feinheit des griechischen Geschmacks so wie die Regelmässigkeit der griechischen Kunst vollkommen zu erreichen wußte, gibt uns in diesem Theile ein Meisterstück in einer ganz andern Manier, das aber so unverkennbare, große Züge des Genie’s trägt, daß, wenn Göthe auch sonst nichts geschrieben hätte, dieses allein seinem Namen Unsterblichkeit verschaffen würde. Es ist dasselbige F a u s t , ein Fragment. Er nahm die bekannte Volkssage, so wie sie vor ihm lag, und blies diesem rohen Erdenklos einen lebendigen Odem des Geistes ein, der nun, wie ein Sonnenstral auf der gekräuselten Wasserfläche, in und auf demselbigen webet und zückt. Die Form ist einfach, und größtentheils unpolirt. Es sind abgerissene, fragmentarische Scenen, die aber dennoch ein Ganzes bilden, indem der aufmerksame Leser den knüpfenden Faden leicht finden kann. Die Verse sind gereimt, oft scheinen sie in meistersängerischen Holzschuhen einherzustolpern, und oft erheben sie sich im pindarischen Flug. Wer nur etwas in das Innere hineinzublicken vermag, der wird über die Schätze der tiefgeschöpften Lebensweisheit, über die zauberische Darstellungskraft, die Lebhaftigkeit der Phantasie, und besonders über die große Kunst, Gedanken und Empfindungen zu versinnlichen (und wer dieß Drama aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, der wird wohl den Schlüssel zu dem geistigen Sinn desselbigen gefunden haben), bewundern, und gestehen müssen: „hier ist der deutsche Shakespeare.“ [folgt Inhaltsangabe] Soweit diese Fragmente, die nur ein Theil eines weit grösseren Ganzen sind. Wenn je die Erwartung des Publikums auf die Fortsetzung eines Geistesproduktes gespannt war, so muß sie es auf die Fortsetzung des gegenwärtigen seyn. Sept

3. [Salzburg, anonyme Rez.] Göthe’s Schriften. Acht Bände. Leipzig 1787−1790. In: Oberdeutsche, allgemeine Litteraturzeitung. 3. Jg. CV. St., Freytag den 3. Sept. 1790, Sp. 442−447 (Braun 2, 84f.): S i e b e n t e r B a n d . − In diesem Bande finden wir . . . das Meisterwerk F a u s t , dessen Erscheinung wir schon lange begierig entgegen sahen, das aber leider! auch noch immer Fragment ist. Dieses Werk, bald in gereimten, bald in ungereimten Versen geschrieben ist eines von denen, in welchen wir des Verf. Originalität, Kunst und Darstellungskraft so vieler heterogener Dinge äußerst bewundern müssen. Wir lassen uns, indem wir es lesen, auf dem Sonnenwagen der Phantasie des

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Verf. so unbemerkt forttragen, daß wir glauben, in jener Welt zu leben, und zu weben; daß wir unwillig uns nur zu bald am Scheidewege von dem Dichter trennen, und daß wir, weil wir uns dieser lieben Gesellschaft noch gar nicht entäußern können, lieber den Weg noch einmahl antreten, und uns doch wieder zu bald am Ziele sehen. Es wird wohl schwerlich jemanden, der sich in die Scenen gehörig zu versetzen weiß, genügen, F a u s t e n nur einmahl zu lesen, und wer es versteht, sich an des Verf. Ideen anzuschmiegen, der wird den Reitz der Wiedererweckung derselben nicht sogleich fahren lassen; wird noch einmahl, und noch einmahl nach dem Zaubergemählde greifen, und seine Phantasie an der Quelle der individuellen Schönheiten laben. Wir können das den Lesern nicht anschaulicher machen, als wenn wir sie ersuchen, das Werk selbst in die Hände zu nehmen, um sich zu überzeugen, wenn sie, versteht sich! zu überzeugen sind. Eine von den frappantesten Scenen ist die Schlußscene. Man stelle sich das Innere eines antiken Doms recht lebhaft vor, sehe in demselben ein halbverzweifelndes, bethendes Mädchen, das Faustens Liebesforderungen Gehör gab; höre den feyerlichen Orgelton bey dem Chore und lese: − [Zitat Fragment 2078−98] Nach Lesung des Ganzen haben wir noch den Wunsch übrig: Ach! daß doch F a u s t kein F r a g m e n t wäre!

Sept 25. [A. W. Schlegel: Rez.] Göthe’s Schriften. Siebenter Band. Leipzig 1790. In: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen. 1790. Bd. 3, 154. St. vom 25. Sept 1790, S. 1547−49 (Mandelkow 1, 111f.): F a u s t , e i n F r a g m e n t . Der Sinn dieser dramatischen Dichtung liegt zu tief, ist zu umfassend, und, da das Stück nur Fragment ist, zugleich zu wenig entwickelt, als daß nicht zu befürchten wäre, ein großer Teil der Leser werde ihn übersehen und sich nur bei Nebenwerken verweilen. Faust, wie Goethe die Volkssage nach seinem Zwecke erhöht und erweitert hat, ist ein Mensch, für dessen Verstand die Wissenschaft, für dessen ungestümes Herz sittlich gemäßigter Genuß zu eng ist . . . [folgt Inhaltsangabe] Dies alles ist hinreißend dargestellt und nach Goethes Art mit einer Art von Sorglosigkeit und doch mit der treuesten Wahrheit hingeworfen. Allein weiter führt uns der Dichter nicht. Fausts Schicksal ist zwar in gewisser Rücksicht längst entschieden: der Weg, den er einmal betreten hat, führt unvermeidlich zum Verderben. Aber wird dies sich bloß auf seinen äußeren Zustand oder auch auf den innern Menschen erstrecken? Wird er sich selbst treu bleiben und auch bei seinem letzten Fall noch menschliches Mitleid verdienen, weil er mit großen Anlagen menschlich fiel? Oder wird der verworfene Geist, dem er sich übergeben hat, ihn dahin bringen, selbst Erfinder von Bosheit, selbst Teufel zu werden? − Diese Frage bleibt noch unaufgelöst. Wie die Anlage dieses Schauspiels einzig ist (denn es läßt sich durchaus mit keinem von Goethes eignen noch irgendeines andern Dichters dramatischen Produkten vergleichen), so ist’s auch die Behandlung. Es herrscht hier kein Hauptton, keine Manier, keine allgemeine Norm, nach der sich der einzelne Gedanke fügen und umbilden muß. Nur das e i n e Gesetz scheint sich der Dichter gemacht zu haben, dem freiesten Gange seines Geistes zu folgen. Daher die plötzlichen Übergänge von populärer Einfalt zu philosophischem Tiefsinn, von geheimnisvollen magischen Orakeln zu Sprüchen des gemeinen Menschenverstandes, vom Erhabenen zum Burlesken. Auch in der Versifikation findet man ebenso mannigfaltigen Wechsel; bald Hans Sachsens Versart, bald gereimte Zeilen von allen Maßen und Längen; hier und da auch regellose lyrische Rhythmen. Diejenige Politur des Versbaues, die ein Werk des mechanischen Fleißes ist, vermißt man in vielen Stellen; Energie und Ausdruck nirgends. Es zeigt sich auch hier ein überlegener Geist, der manche Vorsicht vernachlässigen darf und doch sein Ziel nicht verfehlt. 26. [Breslau] F. v. Schuckmann an J. F. Reichardt (BG 3, 358): Sein Studium scheint jetzt Kant, und auf seinem Wege in eigener Manier, der M e n s c h zu sein. Das sieht man auch klar in Faust und Tasso, und ich habe manche vortreffliche Dinge von ihm gehört,1) die da zu stehen verdienten. 1

) G hatte sich vom 10.−26. Aug 1790 in Breslau aufgehalten.

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Okt 15. [Mainz] L. F. Huber an C. G. Körner (L. F. Huber’s Sämtliche Werke seit dem Jahre 1802. Erster Theil. Tübingen 1806, 397f.): Daß du in seiner Philosophie den Grund zu seiner Unerreichbarkeit als Dichter findest, mag wohl eine kleine Vermengung seyn. Bildung und Ruhe fehlten im Werther, in Göz und in Faust (der doch zum Theil aus jenen früheren Epochen ist) aber diese glückliche Dichterorganisation, die jeden so verschiednen Stoff ergriff und sich mit ihm amalgamirte, die ist schon in jenen Werken. Und in dieser lag wohl eher der Grund, daß er jetzt dies System [Kants Kritik der Urteilskraft] erwähnet hat, als umgekehrt.

1790/1791 1790/91 W. Heinse, Aufzeichnungen (W. Heinse: Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass. Hsg. v. M. Bernauer [u. a.]. Bd 2 München [u. a.] 2003, 369f.): Faust. Ein Fragment. Gewiß Fragment! Denn es ist nichts von Plan zu einem Ganzen zu sehen. Oder doch sollt es vielmehr so heißen: Ideen ohne Zusammenhang zu einem Faust. Verschiedenes ist vortreffliche Darstellung der Natur; und das beste: die Scenen mit Margarethen, welche auch die Hälfte ausmachen. Verführung eines unschuldigen Mädchens, und deren Angst mit der Frucht der Liebe unterm Herzen, und gewißermaaßen Kirchenbuße. Wenn man kein Ganzes machen will, und nur einzelne Scenen darstellen: ist es weit leichter die Natur zu treffen. Uebrigens merkt man, wo Göthens erstes Jugendfeuer noch ist, und wo er neuerdings hinzugeflickt hat. Die Hexen und Studentenscenen thun wenig Wirkung. Diese Kraftgeniestreiche sind jetzt schon alle durchgepeitscht, und kommen zwanzig Jahre zu spät. Schwadronieren, und hier und da kräftiger Sinn. Licht in einer düstern Rumpelkammer. −−−−−− Den Teufel spürt das Völkchen nie Und wenn er sie beym Kragen hätte. [660f.] −−−−−− Man kann nicht stets das Fremde meiden, Das gute liegt uns oft so fern. Ein ächter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, Doch ihre Weine trinkt er gern. [749−52] −−−−−− Uns ist ganz kannibalisch wohl, Als wie fünfhundert Säuen. [772f.] −−−−−− So schwätzt und lehrt man ungestört, Wer will sich mit den Narrn befassen? Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.[1026−29] −−−− Es war ein König in Thule [1222−45] Ist ganz vortrefflich, und das schönste. –––––– Die Kirche hat einen guten Magen, hat ganze Länder aufgegessen, Und doch noch nie sich übergessen; Die Kirch allein, meine liebe Frauen, kann ungerechtes Gut verdauen. [1299−1303] –––––– Das ist ein allgemeiner Brauch, Ein Jud und König kann es auch. [1304f.] –––––– Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben. [1386]

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–––––– Ists nicht ein Mann, seys derweil ein Galan. Es ist eine der größten der Himmelsgaben, So ein lieb Ding im Arm zu haben. [1409ff.] −−−−−− Wär ich nun jetzt an eurem Platze Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze. [1452ff.] −−−−−−− Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält Als alle Weisheit dieser Welt. [1542f.] −−−−−−− Margarethe ist das beste im Ganzen, ganz nach der Natur. − Du holdes Himmelsangesicht! Meine Ruh ist hin [1677−1716] − vortreflich Lied −−−−−−− Die Scene über Religion göttlich. Aber wie Faust so sprechen kann, unbegreifl. sagens aller Orten Alle Herzen unter dem himmlischen Tage. [1765f.]

Es

−−−−−−− Der Mensch, den du da bey dir hast, Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt: Er hat mir in meinem Leben So nichts einen Stich ins Herz gegeben, Als des Menschen widrig Gesicht − [1774−78] Kömmt er einmal zur Thür herein, Sieht er immer so spöttisch drein Und halb ergrimmt, Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimt. Es steht ihm an der Stirn geschrieben, Daß er nicht mag eine Seele lieben. [1788−93] (Göttlich schön!) −−−−−−− Die Mädels sind doch sehr interessiert, Ob einer fromm u schlicht nach altem Brauch. Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch. [1828ff.] −−−−−−− Lieschen auch treflich. Der klare Neid. Margarethe ist das beste im Ganzen. Faust Widerspruch durchaus. Mephistopheles mehr verführerischer boshafter Geselle als Teufel, ein Carlos im Beaumarchais. Aus allen diesen Scenen ließ sich kein Ganzes machen. Die Hexenscenen sind das schlechteste, unter dem mittelmäßigen. Die Knittelverse oft ganz vortrefliche Poesie in Kernsprache; sie schicken sich wirklich am besten zu Originaldeutschen Scenen. Göthe hats drucken lassen, weil doch um vieles Schade war, daß es sollte verloren gehen; er konnts anderswo nicht brauchen. Alles war ohne Plan gemacht, oder gewiß nur in einer äußerst dunkeln Idee von Plan.

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⎯ [Weimar] Charlotte v. Schiller an C. G. Körner1) (BG 4, 76): Als Schiller nach Jena kam hatte er die ersten Jahre gar kein verkehr mit Goethe, ich weiß selbst daß ich einmal auf einen Spaziergang ihm fand wo er mich sehr nach Schiller fragte, sich freute als ich ihm sagte wie glücklich uns sein Faust machte.

1

) Undatiert, verfaßt wohl am 6. Juli 1810.

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⎯ [Leipzig, anonyme Rez.] Göthes Schriften, Bd 6, 7 u. 8. (Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Bd 42.2, 1791, S. 189−91): . . . Doctor Faust, ein Fragment betitelt, ist eigentlich eine Hand voll Scenen aus einem Ganzen, dessen Erscheinung das Publikum, dem Ansehn nach, vergebens erwartet hat. In dieses Ganze gefügt, würde wahrscheinlich manche Scene eine genauere Beziehung bekommen haben, welche jetzt einzeln zu stehn scheint; und manches würde vielleicht weggefallen seyn, das wie ein Baustein herbey geführt worden, weil man nicht wußte, ob es nicht noch künftig zu brauchen sey. Jetzt scheinen uns freylich manche Scenen räthselhaft, manche durchaus unverdaulich zu seyn. Keine einzige zwar ist ganz von glücklichen Blicken leer; aber die Wirkung derselben wird nicht selten durch die dunkle, unverständliche und uncorrecte Sprache gehemmt. Mehr als eine Scene ist meisterhaft angelegt, mehrere sind treflich mit einander verbunden; so daß man in dieser letztern Operation Göthens Geist ganz vorzüglich wieder erkennt. Ein Beyspiel einer solchen glücklichen Verbindung ist sogleich die erste und zweyte Scene. Nichts war fähiger, Fausts hochfliegenden Genius zu charakterisiren, als der Contrast, welcher aus der Zusammenstellung des Mannes, der alle menschliche Kenntniß errungen zu haben glaubt, und unbändig nach denen strebt, die über die Faßungskraft des eingeschränkten Geistes hinaus gehn, mit seinem Schüler entsteht, der die Ergründung eines einzigen Zweiges der Wissenschaften für das non plus ultra menschlicher Kräfte hält. So ist auch die Intrigue mit Gretchen, welche Fausten ganz zum Buben macht, meisterhaft geführt. Sie ist ohne Zweifel das interessanteste Stück des ganzen Fragments, und sie würde einen Anspruch auf Vollendung haben, wenn das abgeschnitten würde, was die Delikatesse eines jeden Lesers beleidigen muß, und auch selbst in dem Hans-sachsichen Stile mißfällt, dessen sich der Verfasser in diesem Stücke bedient hat − Nein! Plumpheit, wenn auch noch so energisch, kann niemals poetisch seyn. Ausdrücke und Handlungen, wie sie in der an sich schon widrigen Hexenscene, bey dem Studentengelage in Auerbachshof, und noch an andern Stellen vorkommen, können nur den Pöbel vergnügen, der keinen Witz kennt, als der sich um schmutzige Bilder herum dreht, und in ungesitteten Ausdrücken herrscht. Ist denn das deutsche Publikum so gar weniger Achtung werth? Ist denn vor seinen Augen sogar das jenige anständig, was sich ein ehrbarer Mensch in keiner Gesellschaft, ja nicht einmal vor sich alleine erlaubt? − Licensen dieser Art werden kaum durch die größten Schönheiten gut gemacht. Selbst das Schöne wird widerlich, wenn es so genau mit dem Häßlichen gepaart und in dasselbe verschlungen erscheint. Daß die Scene zwischen Mephistopheles und dem Schüler, in welcher die Thorheiten des gewöhnlichen Studiengangs mit starken Farben und einer überraschenden Wahrheit geschildert werden; die Scene zwischen Faust und Margarethen im Garten, und die letzte im Dom, unter die schönsten Stücke dieses Fragments gehören, ist schon von andern Kunstrichtern angemerkt worden. Hauptsächlich ist die letzte Scene von unbeschreiblicher poetischer Kraft. Die Heiligkeit des Ortes, das lateinische Bußlied, der Gemüthszustand des von ihrem Gewissen gefolterten Mädchens, das wir ehmals unschuldig und glücklich kannten, alles das wirkt zur Hervorbringung jener Düsternheit zusammen, welche das Gefühl des Erhabenen unvermeidlich erzeugt. Eine einzige solche Scene ist mehr werth, als zehn Hexenscenen, und sie söhnt uns mit dem Dichter aus, der den Geschmack und die Delikatesse seiner Leser in dem Verlaufe des Stücks so häufig beleidigt.

März 10. An J. C. Kestner (Br 9, 246): Hier ist mein achter [?] Band.1) Da ich

ein so böser Correspondente bin ist mir wenigstens das ein Trost auf diese Weise mich mit entfernten Freunden zu unterhalten. 1

) Bd 8 war bereits 1789 erschienen.

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Apr 12. [Pempelfort] F. H. Jacobi an G (Brüggen − Sudhof I 9, 31): Von Faust kannte ich beynah schon alles, u eben deßwegen hat er doppelt u dreyfach auf mich gewirckt. Wie ich vor 16 Jahren fühlte, u wie ich jetzt fühle, das wurde Eins.1) Und was alles dazu kam, magst du dir vorstellen, wenn du kannst u willst.

1792 ⎯

⎯ [J. J. Eschenburg: Rez.] Goethes Schriften. 1.−8. Bd. Leipzig 1787−1789. In: Allgemeine deutsche Bibliothek. Kiel 1792, Bd 110, 2. St., S. 311−329 (Braun 2, 141f.): Im s i e b e n t e n Bande, zuerst: F a u s t , ein Fragment. Es scheint fast schon in seiner Anlage nur zum Fragment bestimmt gewesen zu seyn; denn ein zusammenhängendes Ganzes hätte sich daraus, selbst von solch einer Meisterhand, bey dieser Anlage wohl schwerlich bilden lassen. Roh und wild ist alles hingeworfen; starke und auffallende Züge wechseln mit manchen, doch allzu sorglos unbearbeitet gelassenen, ab; man sieht aber bald, daß es so seyn sollte; und wer ist berechtigt, dem Eigensinn und dem Umherstreifen des phantasiereichen Dichters Gesetze vorzuschreiben? Bey dem allen indeß gestehen wir offenherzig, daß uns die Unvollständigkeit des gegenwärtigen Fragments weniger schmerze, als die leider! nicht mehr mögliche Vollendung des L e s s i n g s c h e n Bruchstücks eines ähnlichen Schauspiels. Nicht, als ob wir das, was hier der Eine Dichter unvollendet gab, mit dem weit kleinern, aber wahrlich sehr reichhaltigen Bruchstücke des andern, auf jenes Kosten vergleichen wollten. Der ganze Gesichtspunkt, die ganze Manier beyder Arbeiten sind allzu verschieden, und würden es auch in der vollendeten Ausführung geblieben seyn. Auch hätte die Vollendung des Einen gewiß das Daseyn des andern nicht entbehrlich gemacht.

Apr 12. [Göttingen] C. G. Heyne an G. Forster (Bode 1, 435): In seinem „Faust“ sind schöne Stellen; aber nebenher kommen Dinge, die nur der in die Welt schicken konnte, der alle andere neben sich für Schafsköpfe ansah. [Aug] ⎯ [Ellrich] C. H. Schmid: Ueber die verschiedenen poetischen Behandlungen der Nationallegende vom Doctor Faust in deutscher Sprache. In: Journal von und für Deutschland 9 (1792), 8. St., S. 668f.: Im siebenten Bande von den Schriften des Herrn von Göthe, Leipzig 1790, erschien − leider nur − ein Fragment des schon lange her von diesem Dichter, erwarteten Schauspiels: Faust, in Versen in Hans Sachsens Manier, die bey uns die Stelle der vers marotiques vertritt, und die man sehr plump, Knittelverse genennt hat, mit eingestreuten Gesängen. Leider hat das deutsche Publikum nach langer Erwartung nur einzelne abgerissene Scenen, und, wie es scheint, nur den kleinsten Theil des Ganzen erhalten. Ausser der ersten Geisterbeschwörung, die Faust vornimmt, und ausser der Scene, wo er allerley Weine durch eine Oefnung, die er mit dem Bohrer in den Tisch macht, herausspringen läßt, ist nichts in diesem Fragmente aus alten Legenden benutzt. Man ist ungewiß, ob man den Dichter mehr in der Feyerlichkeit der Geisterscene, oder in der Karikaturzeichnung der Trunkenbolde bewundern soll. Von ganz eigner Erfindung des Verfassers sind zwey sehr hervorstechende Episoden, erstlich die Erfindung einer Hexenküche, in welcher ächte Schakspearsche Imagination herrscht, und sodann (welches den größten Theil der Fragmente) ein Beyspiel unter so vielen, wie Faust im Taumel von unaufhörlichen Geniessungen der sinnlichen Liebe kein Mittel scheut, seine Begierde zu befriedigen, die Geschichte von einem unschuldigen Mädchen, das durch ihn verführt wird. Die Naivität der Unschuld, die Natur in den Empfindungen der Liebe, die Künste der Verführung, die Gewissensangst der Ge-

1

) Jacobi weilte Jan und dann noch einmal Ende Febr/Anf. März 1775 in Frankfurt; in dieser Zeit hatte er vermutl. Teile des Faust kennengelernt.

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fallenen können nicht wahrer geschildert werden, als hier geschehen ist. Zu dem Entschluss, sich der Magie zu ergeben, wird nach des Dichters Voraussetzung Faust durch einen unersättlichen Durst nach Kenntnissen bewogen. Nachdem er alle Theile der menschlichen Gelehrsamkeit durchgegangen, ohne befriedigt zu werden, (welches Gelegenheit giebt, die Eitelkeit des gelehrten Wissens zu beschreiben) wendet er sich endlich zu einer geheimen Weisheit, von der er hofft, daß sie ihn über den Menschen erheben soll. Kein Dichter vermag so sehr unter der Miene des Groteskekomischen grosse Ideen und lehrreiche Wahrheiten zu sagen, keiner ist so überraschend durch die Originalität seiner Satyre.

[Nov]

[Leipzig] F. Schlegel an A. W. Schlegel (KFSA III 23, 68): Der Werther, Götz, Faust, Iphigenie und einige lyrische Stücke sind der Anfang eines großen Mannes − es ist aber ein Höfling draus geworden. Aber auch in diesen ist Wahrheit zu sehr Absicht, peinlich gelernte Wissenschaft, nicht angebohrnes Wesen.

[9.] [Jena, L. F. Huber: Rez.] Goethe’s Schriften. I−VIII Band. Leipzig 1787−1790. In: Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 294 vom 9. Nov 1792, Sp.285f.: Gegen über diesem fast bis zur Uebertreibung vollendeten Gemälde mag der seltsame Torso, F a u s t , stehen. Hier hat der Dichter in dem ganzen Reichthum der Gothischen Legende, vom bloss Kindischen bis zum Erhabensten, geschwelgt; Shakespearische Phantasie, treuherzige Abentheuerlichkeit, Swiftische Satire, Gruppen von Ostade und von Michel-Angelo, Empfindung, Scherz Grösse, alles dieses wechselt hier so grell und doch durch jenen Instinct von Harmonie so verbunden neben einander ab, als wenn es die große Natur selbst wäre, die man nicht ergründen, nicht bestimmen kann, und der jeder bloss, seiner Organisation gemäss, Gefühle und Ideen abgewinnt. Die kühne phantastische Zusammenstellung eines bösen Geistes und eines ausserordentlichen Menschen ist, ohne den geringsten Zusatz von Philosophiren oder Raisonniren, ohne die mindeste Nachhilfe von Seiten des Vf., durch das blosse Geheimnis der Darstellung, hier so erreicht, dass sie den tiefsinnigsten Geist beschäftigen, und der kindlichsten, unbefangensten Imagination fasslich und anziehend seyn muss. Zugleich ist, und zwar in Knittelversen, ein weibliches Geschöpf geschildert, ein albernes alltägliches Gänschen, das n u r durch einfache Natur, durch Unschuld und Weiblichkeit, die Züge bald einer Madonna, bald einer Magdalena, erhält, und mit jenem unglücklichen Opfer seiner erhabenen Triebe in e i n e n Abgrund gestürzt, die tragischen Empfindungen der Rührung und des Schreckens in vollster Maasse erweckt. Aber dies alles, so wie der ganze Faust, liegt ausser aller Theorie, und ist das unerklärliche Eigenthum des Genies.

1793 Nov 13. [Leipzig] F. Schlegel an A. W. Schlegel (KFSA III 23, 155f.): Ich durchlief so eben die Recensionen der Allg.[emeinen] Litt.[eratur-] Zeit.[ung] im Fache der schönen Wissenschaften seit den lezten vier Jahren . . . Für die beste halte ich Hubers R.[ezension] von Göthe’s Schriften . . . die Rechtfertigung seiner vermeyntlichen Unsittlichkeit im Werther, Stella, Faust ist mir dunkel scheint aber unbedeutend. Den Faust beschreibt er vielleicht wahr, aber mit sehr bunten Farben: da findet er Raphaelsche und Ostadische und wieder Michel-Angelo’sche Gemählde, Schakesparesche Phantasie, und Swiftische Satire; in Gretchen sieht er bald Madonna und bald Magdalena. Ist das nicht fühllos und armseelig, ein erhabnes Gedicht so zu beschreiben? Er sage, was es ist, für ihn und für das Verhältniß, für welches er es beurtheilt, und wenn er kann, wie es wurde.

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FAUST. EIN FRAGMENT

1794

1794 Nov 29. (s. „Faust. Ein Tragödie“: Schiller an G gD, S. 146)

1795 ⎯

⎯ Schiller: Ueber naive und sentimentalische Dichtung (SNA 20, 460): . . . selbst in seinem neuesten R o m a n [Wilhelm Meisters Lehrjahre] stellt sich, so wie in jenem ersten [Die Leiden des jungen Werthers], der poetisirende Geist dem nüchternen Gemeinsinn, das Ideale dem Wirklichen, die subjective Vorstellungsweise der objectiven − − aber mit welcher Verschiedenheit ! entgegen: sogar im F a u s t treffen wir den nehmlichen Gegensatz, freylich, wie auch der Stoff dieß erforderte, auf beiden Seiten sehr vergröbert und materialisirt, wieder an . . .

Juli

7. [Karlsbad] Friederike Brun Tagebuch (BG 4, 158): Abends brachte mir die brave Goechhausen den Goethe . . . Dies der Schöpfer des Ta s s o , des Egmonts, und der Iphigenia, des Werthers und Götz, des Faust, und ach der Sänger jener herzempörenden und herzstillenden, jener sanft einlullenden und aufschreckenden Lieder? Ich sah nur den Verfasser des W i l h e l m M e i s t e r diesen Abend, und auch d e r ist aller Ehren wert. − Da faßte mich bei einem Gedanken, aus dem der seinige zurück strahlte, plötzlich sein Flammenauge, und ich sahe Faust’s Schöpfer. 12. [Karlsbad] Friederike Brun, Tagebuch (BG 4, 159; 161): Heute sah er zuweilen leibhaftig aus wie sein Faust. Bald glaubte ich ihn auf dem Faß zu sehen, und dann glaubte ich wieder der Gottseibeiuns würde ihn auf der Stelle holen . . . Nachmittags auf dem Ball . . . Wir redeten über das große unerschöpfliche Sujet „den Menschen“ . . . ich mag’s nicht mehr abschreiben und skelettiren was er mit lebendigem Feuergeist gesagt und von sich offenbart. Nur so viel, es ist unmöglich u n m a a ß g e b l i c h e r und anspruchsloser zu sein, − ach, seine Forderungen sind nur zu eingeschränkt, nur wenige Worte über das Leiden, das er erduldet, ehe er nach und nach dahingekommen, wo er nun sei. „ E s w a r g r ä ß l i c h o f t ,“ und wie er sein Wesen in hohem Grade dem Publikum mitgetheilt, „aber mit großen Lücken,“ wie die zwischen der Iphigenie, dem Tasso und Faust. Alle seine neuen Produkte lagen 18 − 15 − 10 Jahre da.

Okt

⎯ [Mailand] F. v. Matthisson an K. V. v. Bonstetten (F. v. Matthisson: Sämtliche Werke. Bd 5. Wien 1817, 242):1) Während sich dichtgedrängte Volkshaufen, die von allen Seiten herbeyströmten, zu einem feyerlichen Hochamte [in der Kirche Santa Maria della Grazie] nach und nach in Reihe und Glied ordneten, las ich die Scene in G o e t h e ’s Faust, wo der böse Geist hinter Margarethens Kirchstuhl tritt, und ihr mit glühendem Griffel den gräßlichen Richterspruch der Verdammniß in die verzweifelnde Brust gräbt, indeß von der Orgel jener furchtbare Chor des Weltgerichts herniederbraust: Dies irae, dies illa Solvet saeculum in favilla. [2099f.] Mir war, als hätte ich die unerreichbare Meisterscene noch niemahls gelesen, mit so tieferschütternder Gewalt wurde mein Inneres hier davon ergriffen. 26. [Königsberg] E. T. A. Hoffmann an T. G. v. Hippel (E. T. A. Hoffmann: Briefwechsel. Hsg. v. F. Schnapp. Bd 1. München 1967, 68): Meine kleinen Conzerte dauern noch fort, und neulich legt’ ich den Anfang eines Motetts von eigner Composition auf − aber den Text dazu wirst Du schwerlich rathen − er ist aus Goethe’s Faust − Judex ille cum

1

) Zur Sz. D o m Amt, Orgel und Gesang (3776−834), die Matthisson aus Faust. Ein Fragment kannte.

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sedebit pp1) die Worte des Mädchens sind begleitende Recitativ − das Judex pp vollstimmig, meinte J., (so wie ichs nehmlich aufgeschrieben habe, eine Strophe bloß mit Posaunen Fagotts und Hoboen und dann erst fugenmäßig die Orgel und andre Stimmen) müßte eine schauervolle Wirkung thun. − Wohnt ich an einem katholischen Ort, so ließ ich die Rezitative weg, komponirte ein paar Fugen dazu, und hätte dann Hoffnung es in der Kirche aufführen zu hören.

Dez 19. [Königsberg] E. T. A. Hoffmann an T. G. v. Hippel (E. T. A. Hoffmann: Briefwechsel. Hsg. v. F. Schnapp. Bd 1. München 1967, 73): Alle meine Lieblingsarbeiten liegen unvollendet − ich habe nicht den Muth, die Stimmung sie fortzusetzen. Meine Fantasie ist erschlafft, und mein Geist erliegt unter dem Druck meiner widrigen Verhältnisse. − Sogar meine Compositionen bleiben unvollendet − ich bin nicht im Stande mich in den Geist des Anfanges zu versetzen − Wie glücklich war ich, als ich das Motett Judex ille cum pp zu componiren anfing − es ist fertig bis auf die Fuge, die erst angefangen ist, und das SchlußChor − Wir wollten es auf Weynachten singen, aber es ist mir nicht möglich es fertig zu machen.

1796 ⎯

⎯ A. W. Schlegel: Göthe. Ein Fragment. In: Deutschland, ein Journal. Berlin 1796, Bd 1, 258: Der Charakter der aesthetischen Bildung unsres Zeitalters und unsrer Nazion verräth sich selbst durch ein merkwürdiges und großes Symptom. G o e t h e n s Poesie ist die Morgenröthe ächter Kunst und reiner Schönheit. − Die sinnliche Stärke, welche ein Zeitalter, ein Volk mit sich fortreißt, war der kleinste Vorzug, mit dem schon der Jüngling auftrat. Der philosophische Gehalt, die charakteristische Wahrheit seiner spätern Werke durfte mit dem unerschöpflichen Reichthum des Shakespeare verglichen werden. Ja wenn der F a u s t vollendet wäre, so würde er wahrscheinlich den Hamlet, das Meisterstück des Engländers, mit welchem er gleichen Zweck zu haben scheint, weit übertreffen. Was dort nur Schicksal, Begebenheit − Schwäche ist, das ist hier Gemüth, Handlung − Kraft. Hamlets Stimmung und Richtung nemlich ist ein Resultat seiner äußern Lage; Fausts ähnliche Richtung ursprünglicher Charakter. − Die Vielseitigkeit des darstellenden Vermögens dieses Dichters ist so grenzenlos, daß man ihn den P r o t e u s unter den Künstlern nennen und diesem Meergotte gleichstellen könnte . . .

Apr 12. [Rom] A. L. Hirt an G (GSA 28/13 Bl. 161): Wir hören hier so viel von Ihrem Faust, und Wilhelm Meister, daß Sie uns die Bitte nicht verargen werden, dieselben doch nicht vergessen [bei einer weiteren Italien-Reise] mitzubringen. Mad. Angelika [Kauffmann] hat den erstern nie erhalten. Aug

3. [Karlsbad] Marianne v. Eybenberg2) an G (GSA 28/306 St. 9): . . . wenn ich so unter ihnen [den Karlsbader Badegästen] bin, ruft es mir laut zu, was die artigen Thierchen in Faust sagen „die hohe Kraft der Wißenschaft etc. etc. besonders das „und wer nicht denkt bekömmt sie geschenkt“3) nehmen Sie es nicht übel daß ich Ihnen immer den Goethe citire, ich kann einmahl nicht anders, ich habe wohl noch manches so hin und wieder gelesen, aber es fällt mir nichts davon ein − − −

1

) Sz. Dom. Amt, Orgel, Gesang (Chor 2114ff.: Iudex ergo cum sedebit. . .) ) Nach ihrer heimlichen Heirat 1797 mit Prinz Heinrich XIV. von Reuß-Greiz führte Marianne Meyer diesen Namen. 3 ) Zitat aus Faust. Ein Fragment 1030f. u. 1033f. − M. Meyer ersetzt in 1034 Dem wird durch bekömmt. 2

100 Okt

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7. [Rom] C. L. Fernow an J. Pohrt (Einem − Pohrt 147f.): Wenn es Dir möglich ist . . . so suche mir . . . Göthe’s Faust zu verschaffen . . . den Faust möchten wir alle gern haben, vor allem Carstens, der ihn noch nie gelesen hat.1)

Dez 31. [Rom] C. L. Fernow an J. Pohrt (Einem − Pohrt 173): Der Faust ist ganz in meinen Händen u. ich hab’ ihn noch denselben Abend mit Carstens zum erstenmahl in aller Herzensandacht genossen. Auch er dankt dir recht herzlich für deine Mühe, wodurch du ihm das Vergnügen verschafft hast dies ihm bis dahin unbekannte Produkt der Göthischen Muse kennen zu lernen.

1797 ⎯

⎯ F. Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie (KFSA I 1, 223; 260): Wenn aber auch die Kraft nicht unterliegt, so bringt es wenig Gewinn. Wie ein Mann von großem Gemüte [Faust], dem es aber an Übereinstimmung fehlt, bei dem Dichter [Goethe] von sich selbst sagt: ,So tauml’ ich von Begierde zu Genuß, Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde’ (v. 1921f.)2) . . . wenn der Faust vollendet wäre, so würde er wahrscheinlich den Hamlet, das Meisterstück des Engländers, mit welchem er gleichen Zweck zu haben scheint, weit übertreffen. Was dort nur Schicksal, Begebenheit − Schwäche ist, das ist hier Gemüt, Handlung − Kraft. Hamlets Stimmung und Richtung nämlich ist ein Resultat seiner äußern Lage; Fausts ähnliche Richtung ist ursprünglich Charakter.

Juni 24. [Rom] C. L. Fernow an J. Pohrt (Einem − Pohrt 251): Göthe wird, wie Meyer zuletzt nach Rom geschrieben hat, diesen Herbst in Gesellschaft der beyden v. Humboldts hierher kommen.3) Ich bin neugierig, zu sehen, wie ihm die Arbeiten von Carstens gefallen werden4) und ob Er ihm wird Gerechtigkeit wiederfahren lassen, Ich habe zu Göthe’s Sinn für bildende Kunst ein gewisses günstiges Vorurtheil u. er scheint mir darin von den meisten andern Dichtern eine Ausnahme zu machen, die gewöhnlich in einem Kunstwerk nur ihre Phantasien sehen. [Nov 18./ [Hamburg] F. G. Klopstock, Epigramme, 138 (Beck − Gronemeyer II 45): Was man Dez 6.]5) erzählt von Doctor Faust / Ist weiter nichts als Lug der Möncherey: / Die Dichtung, die vor uns in wilden Dramen braust, / Wie Windsbraut saust, / Von Doctor Faust, / Ist, bey den Alten! lediglich / Kraftmänniglich / Verwünscht Geschrey / Der traurigen Genieerey.6)

1

) Von Asmus Jakob Carstens existiert eine Zeichnung Faust in der Hexenküche (1796); Faust-Sammlung der HAAB, Sign. F gr 8052 [a] (28). − Neubert 240 zufolge kam das Blatt durch Fernow nach Weimar; 1806 erwarb G für das Weimarer Schloßmuseum eine Durchzeichnung; s. Schuchardt I, 261, Nr. 290; Abb. in Neubert 90. 2 ) Patsch JbFDH 2015, 86: Mit dem Hinweis auf die Gespaltenheit der Faust-Gestalt, die nach einer umgreifenden Lösung verlangt, hat Schlegel die Philosophen auf die Spur gebracht. 3 ) Wegen der politisch-militärischen Unruhen in Italien kamen G u. die Humboldts nicht nach Rom. 4 ) Ein Urteil G’s aus dem Jahr 1825 ist überliefert. Carstens sei ein Genius, mit dem man so gern die neue Epoche deutscher Kunst beginnt, denn er habe sich vor allem an die Dichter und Denker des klassischen Altertums gehalten. (E. J. Förster, Aus der Jugendzeit, GG 3.1, 859). 5 ) Beck − Gronemeyer II 281 zufolge terminus ante quem für Klopstocks Epigramm in dieser Fassung. 6 ) Böttiger besaß von Klopstock eine Reinschrift des Epigramms ohne Überschrift, er

1798

FAUST. EIN FRAGMENT

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1798 [Herbst] Fichte: Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung1) (Fichte GA I 5, 356): Zwei vortreffliche Dichter haben dieses GlaubensBekenntniß des verständigen, und guten Menschen unnachahmlich schön ausgedrückt. „Wer darf sagen, lässt der eine [Goethe] eine seiner Personen reden, wer darf sagen, Ich glaub an Gott? Wer darf ihn nennen (Begriff und Wort für ihn suchen) Und bekennen, Ich glaub’ ihn? [/]Wer empfinden, Und sich unterwinden Zu sagen, ich glaub ihn nicht? Der Allumfasser (nachdem man ihn nämlich erst durch moralischen Sinn, nicht etwa durch theoretische Speculation ergriffen hat, und die Welt schon als den Schauplatz moralischer Wesen betrachtet) Der Allerhalter, Fasst und erhält er nicht Dich, mich, sich selbst? Wölbt sich der Himmel nicht da droben? Liegt die Erde nicht hier unten fest? Und steigen freundlich blickend Ewige Sterne nicht hier auf? Schau ich nicht Aug’ in Auge dir, Und dringt nicht alles Nach Haupt und Herzen dir, Und webt in ewigem Geheimniß Unsichtbar sichtbar neben dir? Erfüll davon dein Herz, so groß es ist, Und wenn du ganz in dem Gefühle seelig bist, Nenn es dann, wie du willst, Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen Dafür. Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut.2) Okt 15. [Jena] Schiller an Iffland (SNA 29, 290): Das Vorspiel [zum Wallenstein] ist in kurzen gereimten Versen, etwa wie Göthes Puppenspiel und sein Faust.

1799 [März/ [Jena] Auguste Böhmer3) an F. Schlegel u. Tieck (Caroline 1, 532f.): Ihr seht, ich bin Apr] entzezlich toll, Das macht, ich habe Faust gelesen, Da fuhr in mich sein tolles Wesen. Nov 18. [Jena] Dorothea Veit an Rahel Levin (BG 4, 536): Goethe habe ich gesehen! und nicht blos gesehen; er ist mit mir und den beiden Schlegel’s wohl eine gute halbe Stunde spazieren gegangen [am 13. Nov 1799] . . . Ewig schade ist es, dass er so korpulent wird; das verdirbt einem ein wenig die Imagination! Wie er so neben mir her ging und freundlich redete, da verglich ich seine Person mit allen seinen Werken, die mir von ihm in der Eil einfielen, und da habe ich gefunden, dass er dem ,Meister‘ und dem meinte, es sei 1795 entstanden; s. Minerva 1816, 353, wo Böttiger es erstmals veröffentlichte unter der (nachträglichen) Überschrift Der alte und neue Faust. Klopstock, der 1803 starb, hatte Szenen aus Faust. Frühe Fassung kennengelernt, als er G 1774 u. 1775 begegnete u. DuW Buch 18 zufolge, positiv beurteilt (s. AA-DuW 1, 602). Sein Epigramm kann sich außer auf G’s Faust. Ein Fragment auch beziehen auf J. H. Schinks Prolog zu einem dramatischen Gedichte: Doktor Faust und Fausts Bund mit der Hölle (Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks, 1795, Bd 2, St. Nov; 1796, Bd 2, St. Juli) evtl. auch auf F. M. Klingers Roman Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt von 1791. 1 ) ED in: Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten. Hg. von Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Immanuel Niethammer der Philosophie Doctoren, und Professoren zu Jena. Bd. VIII, Heft 1. Herbst 1798. S. 1 − 20. 2 ) Fichte zitiert hier aus dem Fragment, 1790 S. 137−39 die Verse, die später in der Sz. Marthens Garten die Zählung 3433−58 erhielten. − Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund Patsch JbFDH 2015, 88−92. 3 ) Tochter Carolines aus ihrer ersten Ehe mit dem 1788 verstorbenen Clausthaler Amtsund Bergarzt Johann Franz Wilhelm Böhmer.

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,Hermann‘ am meisten ähnlich sieht. Am allerwenigsten konnte ich aber den ,Faust‘ in ihm finden.

1800 ⎯

⎯ L. Tieck: Der neue Herkules am Scheidewege. In: Poetisches Journal. Hsg. v. L. Tieck. Jena 1800, St. 1, 150: Doch bist du allzusehr verdrossen, Und steckst voll dummer ird’scher Possen, So steck die Nas’ in ein gutes Buch, So wirst Du wieder gesund und klug, Da schau von unserm deutschen Mann Das Gedicht von Faust mal wieder an, Da liegt für dich noch manch Verständniß, Wovon viel Hundert nicht haben Kenntniß ...



⎯ Fichte: Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen1) (Fichte GA I 6, 358): Dem Dichter [G], von dem ich rede, war es gegeben, zwei verschiedene Epochen der menschlichen Cultur mit allen ihren Abstufungen auszumessen. er nahm sein Zeitalter bei der letztern Stufe auf, um es bei der ersten niederzusetzen. Aber sein Genius überflog, wie es seyn musste, den langsamen Gang desselben. Er bildete, wie jeder wahre Künstler soll, sein Publicum selbst, arbeitete für die NachWelt, und wenn unser Geschlecht höher steigt, so ist es nicht ohne sein Zuthun.2)



⎯ A. W. Schlegel: Gespräch über die Poesie. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Bd 3. St. 2. Berlin 1800, 174: Ich überlasse es . . . Eurem eignen Urtheil, ob Ihr etwa den Faust wegen der altdeutschen Form, welche der naiven Kraft und dem nachdrücklichen Witz einer männlichen Poesie so günstig ist, wegen des Hanges zum Tragischen, und wegen andrer Spuren und Verwandtschaften zu jener ersten Manier [des Götz von Berlichingen] zählen wollt. Gewiß aber ist es, daß dieses große Bruchstück nicht bloß wie die benannten drey Werke3) den Charakter einer Stufe repräsentirt, sondern den ganzen Geist des Dichters offenbart, wie seitdem nicht wieder . . .

Sept

1. [Dresden] H. Steffens an Schelling (Schelling-AA III 2.1, 224): Ich hatte früh Göthe gekannt4) und könnte seinen Faust auswendig . . .5)

1

) Einsendung Fichtes für die Horen; Schiller nahm den Aufsatz nicht auf, ließ ihn jedoch vor der Rücksendung kopieren (GSA 83/124); er erschien später in Fichtes Philosophischem Journal (Bd IX, 3. u. 4. Heft. Jena u. Leipzig 1800, 199−232 u. 291−305), jedoch unter Auslassung des Faust-Bezuges. 2 ) Anm. Fichtes: Faust scheint mir den Uebergang zu bilden von der lezten Stimmung zur erstern; und im ganzen Künstlerlaufe des Dichters scheint dieses Stück mir nicht so zersplittert und so Fragment, als manche glauben. Ich sehe im Geist Faust nach seinem mislungenen Herumtreiben nach aussen in sich selbst einkehren, da den Frieden finden, den er außer sich vergeblich suchte, und durch die Prüfung geläutert nach den Gesetzen einer wundervollen und doch natürlichen Metempsychose ihn in der Iphigenia wieder hervorgehen. 3 ) Ebd.: Für die erste Periode nenne ich den Götz von Berlichingen; Tasso ist es für die zweite und für die dritte Hermann und Dorothea. 4 ) Zu einem ersten persönlichen Zusammentreffen kam es erst am 11. Febr 1799 in Jena (s. Tgb). 5 ) Steffens erinnert sich später an seinen Aufenthalt in Jena: Meine genaue Bekanntschaft mit Göthe’s Schriften hatte in der Schlegel’schen Familie einiges Aufsehen gemacht. Man wünschte einst zu hören, wie Göthe sich in dem Munde eines Nordländers ausnehmen würde. Ich wurde aufgefordert, einen Theil von Faust, wie er damals in dem

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1801 März 16. [Weimar] J. D. Falk an W. Körte (BG 5, 121): Dieser Mann [G] beherbergt eine Welt in seinem Busen. Nur wer ihn aus der Nähe kennen darf, entdeckt, was für Gegensätze, was für Spannungen in ihm auf- und abwogen. Auf der einen Seite sein hochfliegendes künstlerisches und sittliches Streben. Das ist der Dichter, der die Iphigenie, den Tasso, den Doktor Faust (leider erst in dem Fragment) geschaffen hat. Jedoch auf der anderen Seite: was für eine sarkastische Laune, was für Satire, was für ein Humor! Nicht wahr, Du merkst, daß ich hierbei an Faustens Reisebegleiter, den Mephistopheles denke. Aber was das Erstaunenswerte an ihm ist, was mich schon bei meinem ersten Besuche vor sieben Jahren an ihm überrascht hat: Goethe hat gar nichts von dem an sich, was man sich so gemeinhin bei uns Deutschen unter einem Dichter vorstellt, nichts Weichliches, Gefühlvolles, Schwächliches. Vielmehr ist er ein fester, kerniger Mann, der die Tat, das Handeln liebt. Wenn der große Brite Shakespeare in seinem Hamlet . . . uns aufzeigt, daß durch das Denken die Tat gelähmt wird: bei Goethe sind diese beiden entgegengesetzten Seelenkräfte in der glücklichsten Harmonie vereint. Okt 29. [Wien] H. Schmidt an G (SchrGG 18, 12): Ihnen verdank’ ich die weise Lehre, von deren Wahrheit jeder neue Tag ein neuer Beweiß ist, daß nur durch das äußere Leben das innere Leben erregt wird, nicht durch gefühlloses Spekuliren, was des Lebens Mark nur aus trocknet. − Fausts blühende lebendige Weißheit liegt immer vor mir! Wohl mir, daß ich durch sie ergriffen werde.

1802 Sommer [Jena] Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (Schelling 3, 330; 347f.): Bei den Deutschen hat es . . . mit dem pragmatischen Geist in der Regel die Bewandtniß, wie bei dem Famulus in Goethes Faust: „Was sie den Geist der Zeiten nennen, ist ihr eigner Geist, worin die Zeiten sich bespiegeln.“1) . . . Nicht nur für das Handeln gibt es ein Schicksal: auch dem Wissen steht das An-sich des Universums und der Natur als eine unbedingte Nothwendigkeit vor, und wenn, nach dem Ausspruch eines Alten, der tapfere Mann im Kampf mit dem Verhältnis ein Schauspiel ist, auf das selbst die Gottheit mit Lust herabsieht, so ist das Ringen des Geistes nach der Anschauung der ursprünglichen Natur und des ewigen Innern ihrer Erscheinungen ein nicht minder erhebender Anblick. Wie in der Tragödie der Streit weder dadurch, daß die Nothwendigkeit, noch dadurch, daß die Freiheit unterliegt, sondern allein durch die Erhebung der einen zur vollkommenen Gleichheit mit der andern wahrhaft gelöst wird: so kann auch der Geist aus jenem Kampf mit der Natur allein dadurch versöhnt heraustreten, daß sie für ihn zur vollkommenen Indifferenz mit ihm selbst und zum Idealen sich verklärt. An jenen Widerstreit, der aus unbefriedigter Begier nach Erkenntnis der Dinge entspringt, hat der Dichter seine Erfindungen in dem eigentümlichen Ge-

ersten Fragment erschienen war, vorzulesen. Das Buch war nicht gleich zu finden, und ich recitirte den ersten Monolog aus dem Kopfe. Ich fragte, ob ich noch weiter gehen sollte, und hätte in der That den größten Theil des Fragments ohne Hülfe des Buchs hersagen können. (Henrich Steffens: Was ich erlebte. Aus der Erinnerung niedergeschrieben. Bd 4. Breslau 1841, 94). 1 ) Schelling kritisiert den zeitgenössischen empirischen Pragmatismus, indem er sich auf die v. 224−26 bezieht, in denen sich Faust gegen das geistlose Quellenstudium Wagners ausspricht: Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln.

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dicht der Deutschen geknüpft und einen ewig frischen Quell der Begeisterung geöffnet, der allein zureichend war, die Wissenschaft zu dieser Zeit zu verjüngen und den Hauch eines neuen Lebens über sie zu verbreiten. Wer in das Heiligthum der Natur eindringen will, nähre sich mit diesen Tönen einer höheren Welt und fange in früher Jugend die Kraft in sich, die wie in dichten Lichtstrahlen von diesem Gedicht ausgeht und das Innerste der Welt bewegt.1)

1802/03 [Jena] Schelling: Vorlesungen über Philosophie der Kunst. In: Schelling: Sämmtliche [Winter] Werke. Abt. 1, Bd 5, Stuttgart u. Augsburg 1859, 446; 731−33: [446:] Soweit man ,Goethes Faust’ aus dem Fragment, das davon vorhanden ist, beurtheilen kann, so ist dieses Gedicht nichts andres als die innerste, reinste Essenz unseres Zeitalters: Stoff und Form geschaffen aus dem, was die ganze Zeit in sich schloß, und selbst dem, womit sie schwanger war und noch ist. Daher ist es ein wahrhaft mythologisches Gedicht zu nennen . . . [731−33:] Im Uebergang von der Tragödie der Neueren2) zur Komödie ist es ohne Zweifel am schicklichsten, des größten Gedichts der Deutschen, des F a u s t von Goethe, zu erwähnen. Es ist aber schwer, das Urtheil über den Geist des Ganzen aus dem, was wir davon besitzen, überzeugend genug zu begründen. So möchte der gewöhnlichen Ansicht davon die Behauptung sehr auffallend seyn, daß dieses Gedicht seiner Intention nach bei weitem mehr aristophanisch als tragisch ist. Ich begnüge mich daher, den allgemeinsten Gesichtspunkt für dieses Gedicht, soweit ich ihn einzusehen glaube, anzugeben. Es gibt nicht nur ein Schicksal für das Handeln; auch dem W i s s e n des Individuums als Individuum steht das An-sich des Universums und der Natur als eine unüberwindliche Nothwendigkeit vor . . . Die aufgehobene Harmonie kann sich hier nach zwei Seiten ausdrücken, und der Streit einen gedoppelten Ausweg suchen. Der Ausgangspunkt ist der unbefriedigte Durst, das Innere der Dinge zu schauen und als Subjekt zu genießen, und die erste Richtung die, die unersättliche Begier außer dem Ziel und Maß der Vernunft durch Schwärmerei zu stillen, wie es in der Stelle des Faust ausgesprochen ist: Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Laß nur in Blend- und Zauberwerken, So hab’ ich dich schon unbedingt. [330−34] Der andere Ausweg des unbefriedigten Strebens ist der, sich in die Welt zu stürzen, der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen. Auch in dieser Richtung ist der Ausgang entschieden; auch hier nämlich ist es ewig unmöglich, als Endliches des Unendlichen theilhaftig zu werden; welches in den Worten ausgesprochen ist: Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben, Der ungebändigt immer vorwärts dringt, Und dessen übereiltes Streben Der Erde Freuden überspringt. Den schlepp’ ich durch das wilde Leben, Durch flache Unbedeutenheit, Und seiner Unersättlichkeit Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben, Er wird Erquickung sich umsonst erflehn. [335−40; 342−44] In Goethes Faust sind diese beiden Richtungen dargestellt oder vielmehr unmittelbar vereinigt, so daß aus der einen zugleich die andere entspringt. Des Dramatischen wegen mußte das Uebergewicht auf die andere Richtung, die Begegnung eines solchen Geistes mit der Welt, gelegt werden. Soweit wir das Gedicht übersehen, erkennen wir deutlich, daß Faust in dieser Richtung durch das höchste Tragische gehen soll. Aber die heitere Anlage des Ganzen schon im ersten Wurf, die Wahrheit des mißleiteten Bestrebens, die Aechtheit des Verlangens nach dem höchsten Leben läßt schon erwarten, daß der Widerstreit sich in einer höheren Instanz l ö s e n werde, und Faust in höhere Sphären erhoben vollendet werde. In diesem Betracht hat dieses Gedicht, so fremd dieß scheinen möge, eine wahrhaft Dantesche Bedeutung, obgleich es weit mehr Komödie und mehr in poetischem Sinn göttlich ist, als das Werk des Dante. Das wilde Leben, in welches sich Faust stürzt, wird für ihn nach einer nothwendigen Folge zur Hölle. Die erste Reinigung von Qualen des Wissens und

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) Zu Schellings Faust-Rezeption s. Patsch JbFDH 2015, 96−111. ) Schelling hatte sich viel mit Shakespeare beschäftigt.

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der falschen Imagination wird nach der heiteren Absicht des Ganzen in einer Einweihung in die Principien der Teufelei, als der eigentlichen Grundlage der besonnenen Ansicht der Welt, bestehen müssen, wie die Vollendung darin, daß er durch Erhebung über sich selbst und das Unwesentliche das Wesentliche schaut und genießen lernt. Schon dieses Wenige, was sich über die Natur des Gedichts zum Theil mehr ahnden als wissen läßt, zeigt, daß es ein ganz und in jeder Beziehung originelles, nur sich selbst vergleichbares, in sich selbst ruhendes Werk sey. Die Art des Schicksals ist e i n z i g und wäre eine neue Erfindung zu nennen, wenn sie nicht gewissermaßen in deutscher Art gegeben, und daher auch durch die mythologische Person des Faust ursprünglich repräsentirt wäre. Durch diesen eigenthümlichen Widerstreit, der im Wissen beginnt, hat das Gedicht seine wissenschaftliche Seite bekommen, so daß, wenn irgend ein Poem philosophisch heißen kann, dieses Prädikat Goethes Faust allein zugelegt werden muß. Der herrliche Geist, der mit der Kraft des außerordentlichen Dichters den Tiefsinn des Philosophen vereint, hat in diesem Gedicht einen ewig frischen Quell der Wissenschaft geöffnet, der allein hinreichend war, die Wissenschaft in dieser Zeit zu verjüngen, die Frischheit eines neuen Lebens über sie zu verbreiten.1)

1803 − 1804 ⎯ ⎯ ) [Berlin] A. W. Schlegel: Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst. Dritter Teil. Heilbronn 1884, 154: Goethe, der so manches zuerst angeregt, hat auch das Andenken des Faust wieder auferweckt, (Denn mit dem Lessing’schen Faust ist es, wie sich leicht zeigen läßt, nie rechter Ernst gewesen) und die eigentümlichsten Anschauungen seines Genius und seines Lebens in diese Dichtung konzentriert. Faust ist einer seiner frühesten Jugendgedanken gewesen, und noch immer ist er mit der Vollendung desselben beschäftigt. Bis jetzt steht das mitgeteilte Fragment wie ein unaufgelöstes Rätsel da, welches man bewundern muß, ohne die Absichten des Dichters ganz überschauen zu können. So viel leuchtet ein, daß die Darstellung geflissentlich nicht historisch ist, daß außer den großen Abweichungen von den Umständen der Geschichte sehr vielfältig die neuere Zeit in Gedanken, Kenntnissen und Sitten angebracht ist. Man darf also das Gedicht auch keinesweges aus diesem Gesichtspunkte, als einen Faust nämlich, beurteilen. Es ist dies nur Vehikel, und das Ganze Goethe’s Geist selbst in einer erhabnen und fast nicht zu erschöpfenden Offenbarung. 2

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⎯ [Schelling:] Über Dante in philosophischer Beziehung. In: Kritisches Journal der Philosophie (Schelling 3, 576): Dante ist . . . urbildlich, da er ausgesprochen hat, was der moderne Dichter zu thun hat, um das Ganze der Geschichte und Bildung seiner Zeit, den einzigen mythologischen Stoff, der ihm vorliegt, in einem poetischen Ganzen niederzulegen. [. . .] Das einzige deutsche Gedicht von universeller Anlage knüpft die äußersten Enden in dem Streben der Zeit durch die ganz eigenthümliche Erfindung einer partiellen Mythologie, die Gestalt des Faust, auf ähnliche Weise zusammen, obgleich es in bei weitem mehr Aristophanischer Bedeutung Komödie und in anderm mehr poetischem Sinne göttlich heißen kann, als das Gedicht des Dante. 1

) Zur rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung von Schellings Analyse s. Rüdiger Scholz: Goethes Faust in der wissenschaftlichen Interpretation von Schelling und Hegel bis heute. 2. überarb. u. erweiterte Auflage. Rheinfelden u. Berlin 1993, 12−16. 2 ) Aus 1803 u. 1804 in Berlin gehaltenen Vorlesungen.

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Apr 20. [Strachwitz] Ch. v. Stein an Charlotte v. Schiller (Charlotte Schiller 2, 343): . . . es war Fausts Mephistopheles . . . den ich recht andächtig den ganzen Weg durch gelesen, und nur dann und wann in Rousseaus Reverien [Les Reˆveries du promeneur solitaire] gesehen hatte, weil der Druck sehr klein war.

1804 ⎯

⎯ F. Horn: Andeutungen für Freunde der Poesie. Leipzig, Züllichau u. Freistadt 1804, 32−35: Goethes Mephistopheles ist weder romantisch, noch fantastisch, sondern rein naiv; aber gerade so und nicht anders durfte er auch, nach der ganzen Anlage des herrlichen Werkes, von dem wir leider nur einen Torso besitzen, gezeichnet werden. Auch konnte dieser Faust nur von einem solchen Teufel, wie er hier gegeben ist, mit sich fortgezogen werden. Es ist ein Satan von sanguinischen Charakter, ein angenehmer Gesellschafter, der auch bei den Damen zuweilen Glück macht, voll Witz und Laune, die nicht eben um ein Ziel verlegen ist. Zuweilen versucht er auch eine kleine pikante Unanständigkeit, aber er verweilt nicht lange dabei, und so kann man sie ihm ja wohl einigermaßen zu gute halten. − Marthe wenigstens ist nicht kalt geblieben gegen seine Liebenswürdigkeit, mit süßer Offenheit vertraut sie ihm die keimende Passion, und veranlaßt so das herrliche humoristische Gespräch, das vielleicht noch immer einzig ist in unsrer Literatur. − Nur Margarethens reinere Weiblichkeit durchschauet den Arglistigen, beleidigt schon durch sein bloßes Nahen, durch die seltsame Tücke in seinem Gesicht. Fausts Antwort: „Es muß auch solche Käuze geben“ [Fragment 1786] wirft auf seine reifende Indolenz, die Frivolität, die Frivolität in der zu fürchtenden Erschöpfung, das hellste Licht, und schon aus diesen Worten könnte man vielleicht seinen nothwendigen Untergang schließen, wenn man auch sonst nicht schon darüber einig wäre. Die gute Laune, die fast rücksichtslose Behaglichkeit, mit der sich dieser Mephistopheles giebt, läßt uns zuweilen wol gar an seiner besondern Ruchlosigkeit zweifeln, und macht uns geneigt, ihn nur für einen ziemlich mäßigen Schelm zu halten, dem es mit dem Bösen kein rechter Ernst ist, das man sich nun einmal sehr ernsthaft zu denken pflegt. Aber schon die tiefe Besonnenheit, mit der er den Plan zu Fausts Verführung anlegt . . . − diese Klarheit der Ansicht, die ihn bei seinem Werke leitet, entfernt jeden Zweifel über seine entschiedene Tendenz, Schaden zu stiften. Er hat eben keinen Vortheil davon, sondern er liebt beinahe das Unmoralische aus reiner Liebe zum Unmoralischen, und daß er diese Gesinnung auch außer sich zu verbreiten sucht, geschieht fast nur aus Scherz − der aber bei dem Menschen, der einmal im ernsthaften Leben lebt, notwendig hoher Ernst werden muß − oder auch zum Theil, um sich die Zeit zu vertreiben, die ihm das Anschauen seiner eignen Persönlichkeit nicht immer angenehm verkürzen dürfte. Es ist eine bestimmte Individualität in diesem Teufel, − (auch wäre ein Satan im Allgemeinen wahrlich das widerwärtigste Ding, das man sich nur imaginiren könnte) − eine tiefe charakteristische Bedeutsamkeit, bei der indeß die Beziehung auf das Nationelle nicht hervortreten kann. Ein durchaus „Deutscher“ Teufel fehlt uns mithin noch gänzlich, und es wäre wahrscheinlich eine ächte Bereicherung unsrer Literatur, wenn man uns mit einem solchen beschenken könnte.

[Jan 29.] [Weimar] Böttiger Tagebuch (Gerlach − Sternke 364): Ich mußte ihr [Anna Louise Germaine Baronne de Stae¨l-Holstein] Göthes Faust erklären. Als wir zu der Stelle kamen, wo der Floh ein Minister wird [Fragment 706], lachte sie laut auf und fand es durchaus unbegreiflich, daß eine ganze Nation dieß bedeutend und geistreich finden könnte.1) 1

) Beschäftigung mit dem Faust in Weimar zw. 14. Dez 1803 u. Anf. März 1804, neben Faust. Ein Fragment kannte sie wohl auch die hs. am Weimarer Hofe herumgereichte Frühe Fassung; s. nachfolgendes Z.

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Febr 12. [Weimar] Benjamin Constant:1) Journal intime (pre´ce´de´ du „Cahier rouge“ et de „Adol´ tablissement du texte introduction et notes par Jean Mistler. Monaco 1946, phe“). E 160: Relu le Faust de Goethe. C’est une de´rision de l’espe`ce humaine et de tous les gens de science. Les Allemands y trouvent une profondeur inouı¨e, quant `a moi je trouve que cela vaut moins que Candide; c’est tout aussi immoral, aride et desse´chant, et il y a moins de le´ge`rete´, moins de plaisanteries inge´nieuses et beaucoup plus de mauvais gou ˆt.2) [28. od. [Weimar] Madame de Stae¨l, Journal sur l’Allemagne3) (Pange I 330; 332): − Faust. Il y später] a dans Goethe une sorte d’immoralite´ foncie`re qui l’enveloppe d’un mysticisme, et a ainsi un air plus philosophique, plus sombre et plus poe´tique. Notre immoralite´ n’est point de ce genre, mais celle de Goethe est plus dangereuse pour les Allemands qui ne rec¸oivent rien qu’en syste`me . . . [332:] − Que l’immoralite´ se´duit les Allemands comme spirituelle et le´ge`re, comme la plaisanterie franc¸aise. − L’immoralite´ satanique se´duit Goethe comme poe´tique, comme profondeur. − Dans Faust, le morceau sur la religion, avec Marguerite. − Epigrammes de Venise. − Dans Faust [illisible] the´ologie. Mai 18. [Berlin, R. L.: Rez.] Johann Faust: Dramatische Phantasie, nach einer Sage des sechszehnten Jahrhunderts. Von Joh. Fr. Schink; zwei Theile, 1804. In: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz Nr. 99 v. 18. Mai 1804, 394: Wenn ich Göthens Faust nenne: wer ist so sehr Fremdling in der Deutschen Litteratur, daß ihm nicht sogleich eine treffliche Stelle voll tiefgeschöpfter und doch witziggesagter Wahrheit, einfiele, oder eine Scene voll Naivität und Menschenkenntniß, oder wenigstens Margarethens reizende Romanze, der König von Thule. Man sieht, ich bin weit entfernt, die Vorzüge dieses trefflichen Fragments zu verkennen: aber − lächerlich kommt es mir vor, wenn ich bedauren hörte, daß es kein Fragment ist, oder gar behaupten, Göthe werde seinen Faust vollenden, er hab’ ihn schon, als Manuscript, vollendet. Göthe kann einen a n d e r n Faust schreiben, er kann zu dem vorhandenen Fragment noch zweitausenden Scenen hinzufügen, aber es vollenden, ein künsterisch-schönes Ganzes daraus bilden, das, behaupte ich, kann er nicht, − ist überhaupt unmöglich. Dies Fragment ist der ernste Scherz eines großen, starken Geistes, auf jener Stufe der Fortbildung, wo die Illusionen der Phantasie, in Rücksicht auf das wirkliche Leben, ihm entschwunden sind, und ihm die Wirklichkeit um ihn her, plötzlich fade und schaal erscheint . . . Faust ist ein charakterloser, grübelnder Schwärmer, Mephistopheles ein sehr lahmer, schwachathmiger Teufel, der nicht recht weiß, was er will; die übrigen, selbst Margaretha nicht ausgenommen, sind die alltäglichsten Geschöpfe von der Welt, von dem Verfasser, ich wiederhole es, mit unübertrefflicher Wahrheit und großem Witz genialisch − aber nur planlos, hingetändelt.

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) Begleiter Frau von Stae¨ls auf ihrer Deutschlandreise. ) [Übers.:] Nochmals den „Faust“ Goethes gelesen. Er bedeutet Verhöhnung des Menschengeschlechts und aller Gelehrten. Die Deutschen finden darin unerhörte Tiefe. Was mich betrifft, bin ich der Ansicht, daß er weniger wert ist als „Candide“. Er ist genau so unmoralisch, trocken und dürftig, aber weniger gefällig und geistreich und viel geschmackloser. (B. Constant: Reise durch die deutsche Kultur. Ein französisches Tagebuch. Hg. v. Fritz Schwarz. Potsdam 1919, 14). 3 ) Das erstmals 1958 veröffentlichte, nur wenige Seiten umfassende Ms. Journal sur l’Allemagne enthält in dem Visite chez Goethe Sur la traduction du Peˆcheur überschriebenen Abschnitt unmittelbar nach den Gesprächen mit G vom 23. u. 26. Jan sowie 16. u. 28. Febr 1804 aufgezeichnete Notizen; zwei davon beziehen sich auf Faust. − Zur weiteren Beschäftigung von Madame de Stae¨l mit Faust s. „Faust. Eine Tragödie“: 1808 Juni 6. u. Juli 12., Madame de Stae¨l an M. O’Donnell, S. 198 u. 204 u. Marquart: 2009, 69−74. 2

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Juni 19. [Leipzig] A. Klingemann: Ueber die neuesten Werke der schönen Literatur. Zweiter Brief. In: Zeitung für die elegante Welt. Nr. 73 v. 19. Juni 1804, 579: Es leidet keinen Zweifel, daß die Legende vom Faust einen höchst poetischen Stoff darbietet. G ö t h e hat sie so aufgefaßt, und er offenbart in seinem Faust die tiefste kräftigste Natur, wie sie nur der kühnste Geist anzuschauen wagen darf. Vollendet ist diese N a t u r in jedem Momente, und dies veranlaßte einen seynwollenden Kritiker − ich weiß nicht ob er seine Seichtigkeit hinter den Buchstaben −dt, R. L. oder A−s, versteckt − zu der albernen Verwechselung, als ob auch Göthe sein G e d i c h t nicht vollenden könne!1) Okt 10. [Weimar] H. Voß d. J. an C. W. F. Solger (BG 5, 522): Ich habe Göthe einmal über seinen Faust, ein andermal über den Göz v. Berlich. reden hören. Er fühlte die Größe dieser Stücke mit unendlicher Seelenerhebung. Aber wahrhaftig, er dachte nicht daran, daß sein Individuum der Verfaßer sei, was ihn begeisterte war die Idee, die jenen Stücken zu Grunde liegt, und ihm galt es in dem Augenblicke völlig gleich, in wessen Gehirne sie entsprungen sei.

1805 Nov 29. [München, anonyme Rez.] Fragmente über Litteratur und Kunst. 1. F a u s t . In: Aurora, eine Zeitschrift aus dem südlichen Deutschland, 2. Jg., Nr. 141 vom 29. Nov 1805, 561f.: Es gibt nicht leicht einen so schönen dramatischen Stoff, wie die bekannte Legende vom F a u s t . Woher kommts, daß beinahe keine einzige Bearbeitung, so oft deren versucht worden, geglückt ist? . . . Zwar schien ein glücklicher Genius den größten Dichter unserer Zeit, so wie den scharfsinnigsten, mit allen Vorzügen einer gründlichen Kritik ausgerüsteten Denker für diesen Stoff zu begeistern. Aber wenn auch der Torso, den G ö t h e aufstellte, das innerste Wesen seiner schöpferischen Kraft ausspricht, und ewig unerreicht dasteht, so ist es doch nur Torso − und wird er ihn wohl noch vollenden? Kann er es in dem nähmlichen Geiste, wie er es begonnen hat? Denn die Wunderschöpfungen dieses Genius sind zwar ewig, wie er selbst, aber sie sind auch lebendige Repräsentanten der Bildungs-Perioden, welche sein Geist auf seiner herrlichen Bahn durchwandelt hat. In jeder strebte er sich dem Höchsten anzuschließen − aber unendlich mannigfaltig sind die Wege, auf denen er dazu gelangte − und trüge auch jedes einzelne Glied des künftig vollendeten Werkes das Meistersiegel, so würde doch die Gediegenheit des ersten Gußes fehlen. Den, der es versteht, brauche ich nur an die Contraste zu erinnern, welche die einzeln hinzugekommenen, an sich vortrefflichen Scenen der neuen Bearbeitung des G ö z von Berlichingen mit den alten treuherzigen Formen darbieten, die uns in dem ursprünglichen Werke so treulich ansprachen. Doch vielleicht trügt das Gerücht nicht, daß der Dichter seinen Faust schon längst vollendet hat, und für die Bekanntmachung nur einen günstigen Augenblick abwartet. ⎯ ⎯ 2) [Weimar] Riemer Gesprächsnotizen (BG 6, 638): Erste Recension von Faust − verbrannt.

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) s. vorheriges Z. ) Zw. 1805 u. 1808 in der Vorbereitungszeit der Ausg. A geschrieben.

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1806 [Jan-März] [Dresden] A. H. Müller: Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur, gehalten zu Dresden, im Winter 1806. Dresden 1806. Zehnte Vorlesung, 174f.: Funfzehn Jahre später [nach dem Erscheinen des Werthers], nachdem in der Brust des Dichters schon manche Versöhnung vollzogen, die unmittelbare Zwietracht befriedigt und der innre Widerstreit der Neigung und der Pflicht längst in höhere Welträume gezogen ist, da ein weiterer Kampfplatz sich für die Kriegeslust des Dichters aufgethan, da die oft wieder aufgegriffenen Wunden, die das erste Werk geschlagen, endlich übernarbt, und der Tumult der deutschen Jugend gestillt ist − erschien der Faust: Aus jener Zeit, wo der Untergang der Germanischen Welt zuerst sichtbar, die Geisterspaltung der letzten Jahrhunderte entschieden wurde, in die Gegenwart herbeygebracht. Die Zeiten haben sich gewandt, die Wissenschaft ist am Ende: F a u s t , unbefriedigt in seiner klösterlichen Zelle, ruft mit steinebewegenden Tönen die Geister um einen Tropfen Erfrischung an. Der Teufel nimmt sich seiner an, und führt ihn ein in das grüne, volle, üppige Leben; und wie er neben ihm steht, regt sich tief im Innern des F a u s t ein andrer oder vielmehr derselbe Teufel. Beide einander entgegenwirkend zerstören den göttlichen Menschen, locken mit dem himmlichen Geiste seiner Augen die paradiesische Unschuld der jungfräulichen Seele, die es je einem Dichter zu sehen und darzustellen vergönnt war, in den Untergang, den sie bereiten, hinein: und unter Orgeltönen, die den kommenden Richter und Rächer verkündigen, und dem hinrasenden F a u s t schauerlich nachrufen, schliesst sich das wundervolle Fragment.1) [Frühj.]

[Berlin] F. v. Matthisson Tagebuch (F. v. Matthisson: Schriften. Bd 8. Zürich 1829, 44f.): In Betrachtung seines noch so jugendlichen Alters mußten des Kronprinzen Talente zum Zeichnen in der That vielversprechend genannt werden . . . Er beschenkte mich mit einigen seiner phantasiereichen Skizzen zum Andenken, die, als Belege meiner gerechten Belobung, sorgfältig von mir aufbewahrt werden. Eine darunter schildert Hexenscenen der Walpurgisnacht, und eine andere den Doktor Faust, im Zauberkreise seiner Geister beschwörend, die über ihm, in den abentheuerlichsten und seltsamsten Gestalten, auf Nebelstreifen herbeyschweben.2)

[Aug 19.] [Jena] H. Luden: Rückblicke in mein Leben. Aus dem Nachlasse. Jena 1847, 6−8; 21−74; 75f.; 78−81; 88−90; 100f.):3) [6−8:] Nach Goethe’s Tode ward ich vielfach angegangen, mündlich und schriftlich . . . Von einigen Freunden . . ., welchen ich mein Zusammentreffen mit Goethe erzählt hatte, ward ich aufgefordert, ja gedrängt, die Erzählung zu Papier zu bringen und drucken zu lassen. Aber wie hätte ich mich entschließen können, die Masse der Schriften und Schriftchen noch durch einen unbedeutenden Beitrag zu vermehren? Wie mich entschließen können, zwischen „die Unbedingten“ auf beiden Seiten zu treten, und meine Stimme zu erheben zwischen den anbetenden Verehrern und den frechen Verkleinerern? Vor einigen Tagen aber fiel mir zufällig ein Heft der Hallischen Jahrbücher4) in die Hände. Ich blickte hinein und fand eine Abhandlung oder eine Gesammt-Recension, welche durch mehre Blätter hindurch 1

) Abdruck des Kapitels auch unter dem Titel Charakteristik einiger Götheschen Werke in: Abend-Zeitung Nr. 34 v. 26. Apr 1806, 134f. G hat die Vorlesungen laut Tgb am 25. Apr 1806 erhalten. Eine zweite, überarbeite Aufl. erschien bereits ein Jahr darauf (Dresden 1807). 2 ) Nicht nachweisbar. 3 ) Geschrieben 2. Halbj. 1839 auf der Grundlage eines Gesprächsprotokolls, das unmittelbar nach dem 19. Aug 1806 angefertigt wurde. 4 ) Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst 2 (1839) Nr. 62 vom 13. März 1839 mit einer Sammelrez. von F. Th. Vischer; vgl zur Rez. Henning II 2, Nr. 6173 u. zu den rezensierten Arbeiten Henning II 2, Nr. 2875, 2882, 2885, 2236.

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lief, und die Überschrift hatte: Literatur über Faust. Eine zweite Überschrift lautete: Zweite Reihe. Die erste Reihe war also schon abgethan, und die dritte Reihe war vielleicht noch zurück. Die zweite Reihe aber enthielt, wie der Verfasser im Anfange sagte, die Schriften von fünf Hegelianern. Ich habe die Abhandlung nicht gelesen; ein Blick bewies mir, daß in den fünf Schriften immer die alte Leier angestimmt war, daß sie in einer Weise geschrieben waren, die nur den Eingeweiheten zusagen kann. Aber als Zeugniß darf ich sie wohl betrachten, daß Faust noch immer die größte Theilnahme erregt, und daß man sich noch immer abmühet, den eigentlichen Sinn dieses Gedichtes zu ergründen. Deßwegen will ich hier mein Verhältniß zu Goethe erzählen, in der Hoffnung, daß es noch einiges Interesse haben werde. Denn gerade über den Faust habe ich mit Goethe ein Gespräch geführt, als ich kaum die Ehre gehabt hatte, ihm bekannt zu werden;1) und die Wendung, welche dieses Gespräch nahm, und unläugbar durch meine Schuld nahm, oder vielmehr durch meine jugendliche Unbefangenheit, ist eine der Ursachen des geringen Verkehres gewesen, der zwischen Goethe und mir Statt gefunden hat. Allerdings ist seitdem ein ganzes Menschen-Alter verlaufen; aber das Gespräch über den Faust habe ich sogleich aufgeschrieben, und an das, was diesem Gespräche voraufging oder nachfolgte, bin ich wohl tausend Male erinnert worden; auch habe ich Alles von Zeit zu Zeit einem Freunde mitgetheilt. Deßwegen steht Manches noch so frisch in meinem Gedächtnisse, als hätte es gestern Statt gefunden, und Goethe selbst steht mir, mit allen seinen Mienen und Bewegungen so lebendig vor der Seele, als erblickte ich ihn in diesem Augenblick. Selbst der Ton seiner Stimme ist nicht verklungen in meinen Ohren . . . [21−74:] Goethe empfing mich ungemein heiter und freundlich, lobte meine Pünktlichkeit und erinnerte sich mit Vergnügen an den gestrigen Abend.2) Alsdann ging er ans Fenster. „Es ist ein schöner Tag,“ sagte er, „warm bei bedecktem Himmel. Ich denke, wir gehen in den Garten.“ Wir gingen und wandelten auf und ab, kreuz und quer, und ließen uns auch von Zeit zu Zeit etwas nieder. Er fragte mich zuvörderst über die Städte, in welchen ich mich in den letzten Jahren aufgehalten hatte, über Göttingen und über Berlin. Über Göttingen nicht viel; denn er kannte die Anstalten und Einrichtungen selbst genau; unter den gelehrten Männern schien ihn eigentlich nur Blumenbach zu interessiren, und mit Blumenbach war ich nur sehr wenig bekannt geworden. Mehr über Berlin. Er erkundigte sich nach Menschen und Dingen. Ich vermochte über das Meiste Auskunft zu geben: denn ich war mit den bedeutendsten Männern, die damals in Berlin lebten, das Militair ausgenommen, entweder in Verkehr oder doch in Berührung gewesen. Goethe schien mit meiner Auffassung der Dinge und mit meinen Urtheilen über die Menschen keinesweges unzufrieden zu sein. Er hörte mich ruhig an, ließ zuweilen ein beifälliges Hm! Hm! vernehmen und sprach sich auch wohl zustimmend aus, bald erläuternd, bald bestätigend. Damals hatte ich die Gewohnheit, meine ausgesprochenen Ansichten, Meinungen oder Urtheile mit einem tüchtigen Worte aus dem Faust zu bekräftigen; eine Gewohnheit, der ich nicht gänzlich entsagt habe bis diesen Tag. Ich muß aber bemerken, daß hier nur von dem alten Faust die Rede ist, von dem Fragmente, das sich noch nicht für eine Tragödie gab. Ob schon im J. 1806 eine Ausgabe mit neuen Zusätzen erschienen war, weiß ich nicht; ich selbst kannte nur den Faust, wie er im 7. Bande von Goethe’s Schriften, Leipzig bei Göschen 1790, zu finden ist. Als ich nun einige Male diesen Faust angeführt hatte, sagte Goethe, den bisherigen Gang des Gespräches abbrechend: „Sie scheinen sehr belesen im Faust. Hat das wunderliche Gedicht auch Sie so stark angezogen?“ Ich glaube, Ew. Excellenz, ich würde den Faust vom Anfange bis zum Ende her recitiren können; nur die tolle Wirthschaft in der Hexenküche dürfte 1

) H. Luden war zusammen mit C. W. Hufeland von Göttingen nach Jena gekommen u. hatte G auf einer Abendgesellschaft bei Knebel am 10. Aug kennengelernt (vgl. Tgb). Dort erhielt er von G eine Einladung zu einem Besuch, die er am 19. Aug wahrnahm. 2 ) Luden verlegt die Abendgesellschaft irrtümlich auf den Vortag seines Besuchs.

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mich in einige Verwirrung bringen. „Wo und wie haben Sie die Bekanntschaft gemacht? Doch wohl in Berlin; denn in Göttingen bekümmert man sich wohl nicht viel um den tractatum de Fausto.“ So arg, Ew. Excellenz, ist die Philisterei denn doch in Göttingen nicht. Und ich habe wirklich in Göttingen viel Interesse für den Faust gefunden. Ich selbst hatte ihn aber schon vor acht Jahren, als ich in Bremen auf der Schule war, gelesen, aber freilich damals nicht mit sehr großer Theilnahme. Ich hatte nämlich als Knabe in meinem Geburtsorte [Loxstedt] ein Puppenspiel gesehen, der Erzzauberer Dr. Faust genannt. Das Ding mochte schlecht genug sein, ergötzte oder ergriff mich jedoch unbeschreiblich. Bald nachher fiel mir das bekannte Volksbuch, das in Cöln, denke ich, gedruckt ist, in die Hände, und regte meine Phantasie gewaltig an. Als mir daher in Bremen, etwa im J. 1797 oder 1798, der Goethe’sche Faust vor die Augen kam, griff ich mit beiden Händen zu, fand aber meinen alten Faust nicht wieder. Indeß las ich fleißig in demselben; viele Reime, Kernsprüche enthaltend, blieben mir im Gedächtnisse hängen, und ich warf diesen und jenen häufig in ein Gespräch hinein, oft zu rechter, zuweilen wohl auch zu unrechter Zeit, niemals jedoch verfehlten sie ihre Wirkung auf meine jungen Genossen. Während meines Aufenthaltes in Göttingen, vom J. 1799 an, kamen einige Studirende aus Jena nach dieser Universität. Es waren zum Theil schon reifere Jünglinge. Einige waren Fichte’s Zuhörer gewesen; viele hatten Schelling gehört und die Schlegel; auf Alle hatte das damalige philosophische und ästhetische Treiben in Jena eingewirkt, und das Theater in Weimar hatten sie nur so oft versäumt, als der leere Beutel Einsprache that. Mehrere von diesen jungen Männern wurden mir befreundet; unter ihnen ein Dr. Winkelmann. „Winkelmann?“ Ja, Ew. Excellenz; Winkelmann aus Braunschweig, ein Verwandter des berühmten Winkelmann.1) Es war eine große, derbe Gestalt. Aber auf dem unbehülflichen Rumpf saß ein sehr schöner Kopf. „Ich glaube ihn gesehen und auch einige Worte mit ihm gesprochen zu haben.“ Er rühmte und freuete sich dieser Ehre. − Da nun mein häufiges Berufen auf den Faust zunächst die Veranlassung zu unserer näheren Bekanntschaft gegeben hatte, so wurde der Faust gar oft der Gegenstand unserer Gespräche, unserer Discussionen und Disputationen. „Wie so? wie kam es denn unter ihnen zu Disputationen?“ Meine Freunde hatten den Kopf voll von allerlei Ansichten und Ideen, die mir nicht immer recht klar und faßlich waren, sprachen dieselben in Worten aus, die mir oft wunderlich vorkamen, schienen aber doch so viel bei diesen Worten zu denken, daß sie unser Einen halb vornehm, halb mitleidig anblickten, so daß man nicht umhin konnte, ein Mal heraus zu fahren und den Selbstseligen entgegen zu treten. „Ich kenne Das; aber was brachten sie denn über den Faust vor, diese Philosophen?“ Genau, Ew. Excellenz, wüßte ich Das in der That nicht mehr zu sagen; auch würde ich es vor Ihnen nicht ohne einige Befangenheit aussprechen können. „Sagen Sie es nur immer ganz unbefangen. Es würde mir doch interessant sein, zu hören, wie von den jungen Leuten die Ideen ihrer Lehrer aufgefaßt werden. Denn diese Ideen waren es doch wohl im Grunde, welche sie sich in ihrem Kopf und auf ihre Weise zurecht gelegt hatten.“ Ohne Zweifel. Es waren aber lauter „hohe Intuitionen.“ Es waren mystische Worte, die aus dem Ungeheuern hervor zu kommen und an das Ungeheuere gerichtet zu sein schienen. Sie verwarfen meine Auffassung des Einzelnen im Faust, welchem ich den Sinn gab, der in den Worten liegt, und behaupteten, man müsse sich zu der Anschauung des Geistes erheben, aus welchem das Einzelne hervorgegangen sei. In der Anschauung dieses Geistes aber erkenne man und müsse man erkennen, daß dieses Fragment, Faust genannt, ein Bruchstück aus einer großen, erhabenen, ja göttlichen Tragödie sei. In dieser Tragödie, wenn sie einst vollendet erscheine, werde der Geist der ganzen Weltgeschichte dargestellet sein; sie werde ein wahres Abbild des Lebens der Menschheit sein, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassend. In Faust sei 1

) Stephan August Winckelmann (1780–1806) Mediziner, Physiologe, 1802/03 Privatdozent in Göttingen, 1803 Arzt in Braunschweig.

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die Menschheit idealisirt; er sei der Repräsentant der Menschheit. Bei seinem Auftritt in dem Fragmente habe er sich schon von dem Unendlichen, oder dem Absoluten, nicht nur losgerissen, sondern er sei auch schon von dem Gefühle des Unglückes dieser Losreißung durchdrungen. In ihm sei die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung erwacht. Aus dieser Sehnsucht sei sein Durst nach Wissen und Erkennen hervorgegangen; er habe in demselben nach allen Seiten ausgegriffen, und alle Wissenschaften „durchaus mit heißem Bemühn studirt“ [freies Zitat Fragment 4]. Aber er habe das Unendliche nicht zu erkennen vermocht: denn das Unendliche sei nicht zu erkennen, sondern es müsse angeschauet und gelebt werden. Deßwegen habe er Zweifel gegen all sein Wissen gefaßt, und all sein Erkennen für Nichts geachtet. Er sei in Verzweifelung gerathen, und habe diese Verzweifelung in sinnlichen Genüssen zu betäuben gesucht, ohne jemals das Streben nach dem Unendlichen aufzugeben. So sei er verirrt, so zu Schlechtigkeiten und Verbrechen gekommen, zu welchen Mephistopheles, die Personification des bösen Princips, ihm gerathen, ihn verleitet und unterstützt habe. Auf diesem Wege der Verirrung, den übrigens Faust stets richtig erkenne, wandele derselbe noch, wo das Fragment abbricht; „er taumele noch von Begierde zu Genuß, und verschmachte noch im Genuß vor Begierde.“ [freies Zitat Fragment 1921f.] Aber schon ekele ihm „vor dem Gefährten, obgleich er denselben nicht mehr entbehren könne.“ [freies Zitat Fragment 1915f.] Aber er sei schon zu dem Gefühle gekommen, daß dieser Gefährte „ihn kalt und frech vor ihm selbst erniedrige.“ [freies Zitat Fragment 1916f.] Das sei ein Beweis, daß er bald zurück kehren werde zu der Wahrheit, zu dem Unendlichen, und daß er alsdann dieses Unendliche nicht mehr zu erkennen suchen, sondern daß er es anschauen, daß er es leben, und durch dieses Leben des Unendlichen oder im Unendlichen selig sein werde. Das sei der Gang der Menschheit, das der Geist der Weltgeschichte. − In diesen oder ähnlichen Worten, welche mir ungefähr dasselbe zu bedeuten schienen, theilten meine Freunde ihre Jenaische Weisheit mit; und dieselben Phrasen habe ich später auch in Berlin häufig genug anhören müssen. „Haben Sie Schlegel’s Vorlesungen beigewohnt?“1) Nein, Ew. Excellenz. Ich habe nur ein Paar Male hospitirt. Überhaupt bin ich in Berlin nur Fichte’s Zuhörer gewesen, und auch nur in den wissenschaftlichen Vorträgen, nicht in den populären. „Sie scheinen also nicht viel auf Schlegel zu halten, oder sind wohl selbst ein Gegner?“ Keinesweges. Ich verehre Schlegel’s Verdienste um die teutsche Literatur auf das Höchste, und bin ihm selbst große Dankbarkeit schuldig; denn ich habe Manches von ihm gelernt und bin, was ich noch höher anschlage, oftmals mächtig durch ihn angeregt worden zum Lernen und Denken. Seinen Vorträgen aber konnte ich nicht wohl beiwohnen, weil sie für die Ordnung meiner Zeit unbequem fielen. Auch bedurfte ich des Zuhörens kaum; denn mein Freund Kohlrausch2) schrieb fleißig und verständig nach und erstattete mir immer getreulich Bericht zu gegenseitiger Besprechung. Und endlich muß ich auch gestehen, daß ich lieber las, was Schlegel geschrieben hatte, als anhörte, was er sagte. Seine Persönlichkeit hatte für mich etwas Störendes. Übrigens habe ich bei den Worten, daß ich in Berlin dieselben Phrasen hätte anhören müssen, die ich in Göttingen angehört hatte, durchaus nicht an Schlegel gedacht. „Aber Sie haben nicht bloß angehört, sondern Sie haben disputirt.“ Nur in Göttingen mit meinen jungen Freunden. In Berlin habe ich die Redensarten nur angehört, habe zugestimmt und zuweilen etwa gelacht. „Gelacht?“ Versteht sich, in mich hinein. „Aber eben damit haben Sie stillschweigend das Disputiren fortgesetzt. Sie sind nicht zu der Meinung Ihrer Gegner übergegangen, sondern in der Opposition geblieben. Sie haben Ihre Argumente also fortwährend für stark genug gehalten, um die Gegner aus dem Felde zu schlagen. Darf man denn die Gründe nicht kennen, mit welchen Sie gestritten haben?“ In der That, 1

) August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst in Berlin 1801−1804. 2 ) Christian Heinrich Kohlrausch (1780–1826) Mediziner.

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Ew. Excellenz, würde ich kaum im Stande sein, vor Ihnen diese Gründe auszusprechen. Sie waren gar verschieden, heute andere, als gestern, wie der Augenblick sie eingab. Auch waren sie von sehr verschiedener Art. „Es würde mich doch interessiren, sie kennen zu lernen, wenigstens in der Hauptsache. Auch scheint mir billig, da Sie so gütig gewesen sind, die Meinungen des einen Theiles mitzutheilen, die entgegenstehenden Meinungen auszusprechen. Und thun Sie Das nur mit völliger Unbefangenheit; vergessen Sie, daß der Dichter des Faust mit Ihnen spricht.“ Meine Freunde aus Jena waren natürlich sämmtlich große Philosophen. Ich war im ersten Jahre meines Universitätslebens nicht eben zum Studium der Philosophie angeregt; denn die Lehrer in Göttingen, Buhle1) und Bouterwek2), verstanden es, bei aller Gelehrsamkeit, keinesweges, für dasselbe zu begeistern. Jene Freunde nöthigten mich zu diesem Studium, und ich stürzte mich hinein mit dem feurigsten Eifer. Ich studirte die Schriften von Kant und Fichte, auch Alles, was von Schelling und Hegel ausging; und las Alles, was die Schlegel schrieben und Diejenigen, die auf deren Seite standen, wie z. B. die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders [von J. H. Wackenroder, 1797] und vieles Andere. Aber zugleich pflegte ich meine alte Liebe für die Geschichte, und Thibaut3) hatte mich durch seinen anmuthigen Vortrag für die Mathematik gewonnen. So kam es denn, daß ich durch die Intuitionen nicht geblendet wurde, daß ich verlangte, ein Begriff müsse bei dem Worte sein, daß ich Worte verwarf, welche sich einstellten, wenn Begriffe fehlten, wie trefflich sich auch mit denselben streiten ließ. Wir disputirten über alle Gegenstände der Philosophie, zuweilen ich allein gegen Mehrere, zuweilen unterstützt von göttingischen Freunden, besonders von einem herrlichen Jüngling Ebers aus Hannover, einem tüchtigen Philologen, Wolf’s Schüler, mit welchem ich den Plato las. Unser Streit wurde zuweilen so heftig, daß wir die Freundschaft aufkündigten und grimmig aus einander liefen; aber am folgenden oder am dritten Tage suchten wir uns wieder auf und wandelten mit einander auf der alten Bahn, als wäre Nichts vorgefallen. Bei diesen Disputationen kamen wir denn auch oft auf den Faust zurück, und ich holte bald dieses, bald jenes Geschütz aus meinem Arsenal hervor, um den Bau meiner Freunde zu beschießen. „Das ist recht hübsch. Ich hätte kaum geglaubt, daß man es in dieser Weise in Göttingen getrieben habe. Ihre übrigen Disputationen würden uns zuweit führen; was Sie aber gegen die Ansichten Ihrer Freunde vom Faust vorgebracht haben, wäre ich wohl begierig, der Hauptsache nach, zu erfahren. Gelang es Ihnen, den Feind mit Ihrem Geschütz aus dem Felde zu. treiben?“ Nein, Ew. Excellenz; aber ich habe ihn doch zuweilen in seinem Lager stark beunruhigt. Mehr war nicht zu gewinnen. Denn, wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge, behält’s gewiß. Man verwarf meine argumenta ad hominem, und wandte sich mit der Behauptung hinweg, ich stecke noch in der Sphäre des gemeinen Menschen-Verstandes, und man könne nur mit Dem ordentlich disputiren, der sich zu der Höhe der wahren Philosophie erhoben habe. Das mußte ich mir denn wohl gefallen lassen und abwarten, ob der Streit wieder anfangen würde. Gewöhnlich dauerte es nicht lange. „Nun, so fahren Sie doch eine oder die andere Ihrer Batterien vor, damit man ihre Stärke und Tragweite erkenne.“ Wenn Ew. Excellenz es wollen, so gehorche ich dem wiederholten Befehl; ich muß aber um Nachsicht und zu erwägen bitten, daß ich Student war. Auch können natürlich nur ein Paar Beispiele gegeben werden. „Ganz Recht, ganz Recht. Geben Sie nur.“ Meine Freunde hatten, wie gesagt, behauptet: der Faust sei oder werde sein eine divina tragoedia, in welcher der Geist der ganzen Welt1

) Johann Gottlieb Buhle (1763–1821) Jurist, Philosoph u. Philologe, 1787 Professor in Göttingen. 2 ) Friedrich Ludewig Bouterwek (1766–1828) Jurist, seit 1789 als Privatdozent für Geschichte in Göttingen, 1796 Professor für Beredsamkeit. 3 ) Bernhard Friedrich Thibaut (1775–1832) Mathematiker, seit 1797 Privatdozent in Göttingen, 1805 Professor für Philosophie.

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geschichte dargestellt, in welcher das ganze Leben der Menschheit sei, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassend. Dieser Behauptung stellte ich den Begriff der Tragödie entgegen, wie derselbe von alten und neuen Philosophen bestimmt worden, und behauptete alsdann, eine Darstellung der Weltgeschichte könne unmöglich eine Tragödie sein. Allerdings gab ich gern zu, daß der bis jetzt geltende Begriff von Tragödie zu eng sein möge. Wie es früher dramatische Dichtungen einer gewissen Gattung gegeben habe, ehe man den Namen Tragödie gefunden und mit demselben jene Gattung bezeichnet habe: so könnten wohl neue Dichtungen nöthigen, den Begriff der Tragödie zu erweitern. Wie man ihn aber auch fassen möge: so lange es ein Begriff bleibe, eine bestimmte Dichtungsgattung umfassend, so lange dieser Gattung andere Gattungen gegenüber ständen, so lange könne und dürfe die Weltgeschichte nicht als Tragödie bearbeitet werden, und eben so wenig als Komödie oder als Schäferspiel. Denn die Weltgeschichte sei, der Idee nach, Alles, und Tragödien und Komödien seien kleine Theile derselben. Auch scheine mir die Einschränkung, daß es nicht die Weltgeschichte sei, die dargestellt werde, sondern der Geist der Weltgeschichte, oder, wie auch gesagt worden, der Geist der Menschheit, nicht weiter zu führen. Denn leiblich erscheine der Geist der Menschheit doch nicht in dem Fragmente, und werde auch nicht in dem vollendeten Faust leiblich erscheinen können, um in eigener Person zu tragiren. Auch begriffe ich nicht, mit wem der Geist der Menschheit, falls er in Person erschiene, tragiren sollte; ich begriffe nicht, wen man diesem Geiste gegenüber oder an die Seite stellen könnte. Ich fürchtete daher, demselben werde Nichts übrig bleiben, als endlose Monologen zu halten, oder sich einsam in der freien Luft zu ergehen. Und wie denn der Geist der Menschheit, wie er sich in der Weltgeschichte offenbare, gedacht werden könne. Wir sprächen zwar von einer Geschichte der Menschheit, und von einem Geiste der Geschichte der Menschheit und philosophirten über die Menschheit und ihre Geschichte: aber wir bezögen diese Ausdrücke doch nur auf die Vergangenheit. Von der Zukunft, die sie auch in die göttliche Tragödie hinein ziehen wollten, gelte noch immer Horazens Wort: futuri temporis exitum caliginosa nocte premit Deus [Gott drängt den Ausgang künftiger Zeit in undurchsichtige Nacht]. Die Vergangenheit aber, soweit wir dieselbe geschichtlich zu erkennen vermögen, sei sehr kurz, und doch abstrahirten wir aus ihr allein das Leben der Menschheit, indem wir aus dem eigenen Geiste und den eigenen Gefühlen hinzuthäten, was uns nöthig oder wünschenswerth zu sein scheine. Es wäre nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, und ich glaubte, wir müßten es wünschen, daß unsere Nachkommen nach 10,000 Jahren die Weltgeschichte ganz anders auffaßten, als wir, und in ihr, wenn nicht einen ganz anderen Geist, doch denselben Geist viel klarer, deutlicher und bestimmter erkennen würden; es wäre möglich, daß sie Alles, worin wir es so herrlich weit gebracht zu haben glaubten, nur als Anfänge, als kindische Versuche betrachteten und all unsere Weisheit als knabenhafte Thorheit. „Hm! Hm!“ − (dem Laute nach halb beifällig und halb zweifelnd.) − Eben deßwegen hielte ich nicht für denkbar, daß irgend einem Menschen der ungeheuere Gedanke in den Kopf kommen könne, das Leben der Menschheit, wenn nicht für das Theater, doch jedes Falles in dramatischer Weise, zu bearbeiten; und am Wenigsten könnte ich mir Dieses von dem Dichter des Faust vorstellen, in dessen übrigen Schöpfungen, z. B. in meinen Lieblings-Gedichten, der Iphigenia und dem Torquato Tasso, Alles so hell und lauter erscheine, so wahr, menschlich und schön, so scharf und gerundet. Dieses letzte Argument ward aber auf eine Weise schnöde verworfen, welche ich, da ich ein Mal in das Schwatzen hinein gekommen bin, nicht unberührt lassen möchte, weil sie am Besten zeigen kann, wie es in den Köpfen einiger meiner Freunde aussah. „Nun, ich bin begierig.“ Meine Freunde gaben zu, daß der Dichter des Faust den Gedanken gar nicht gehabt haben möge, ja vielleicht einen ganz anderen, aber sie behaupteten, daß er diesen Gedanken dennoch gegen sein Wissen und seinen Willen dem Gedichte zum Grunde gelegt und die ganze Dichtung mit demselben durchdrungen habe. Sie sahen nämlich die dichtende Kraft oder den Dichtergeist als eine unabhängige, freiwirkende Gewalt an, welche den Menschen, den man den Dichter zu nen-

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nen pflegt, nöthige zu dichten und so zu dichten, wie er eben dichtet. Sie nahmen an, die Dichtung dringe aus dem s. g. Dichter hervor, wie etwa der Quell aus dem Felsen. Wie alte Theologen sich die Inspiration dachten, als habe der heilige Geist den heiligen Schriftstellern die Hand geführt, damit sie eben schreiben mußten, was sie geschrieben haben, kein Jota zu viel und kein Jota zu wenig: so dachten sie sich den Dichtergeist wie eine mystische Macht, die den Menschen, in welchem sie wohnt oder welchen sie erfaßt, nur als Werkzeug gebraucht, um sich in der Weise vor der Welt zu bewähren, in der sie sich eben bewähren will. Rhythmus, Metrum, Reim, Alles ist nicht Werk des dichtenden Menschen, sondern die Wirkung des dichterischen Geistes, welchem der Mensch nicht zu widerstehen vermöge, er möge sich stellen, wie er wolle. „So? Ei, das ist ja ganz charmant.“ Meine Gegenbemerkungen, z. B., daß zwar Gott, nach einem alten Sprichworte, seine Gaben wunderbar vertheile und seinen Freunden Vieles im Schlafe gebe, daß ich aber doch, wie hoch ich auch den Dichter ehre, nicht umhin könne, nur Einen Geist anzunehmen, der sich zwar im Dichter anders offenbare, als im Bildhauer, im Redner, im Geschichtschreiber, der aber doch immer derselbe bleibe; daß ferner die Dichter gerade bei ihren schönsten Werken tüchtige Vorstudien zu machen gehabt hätten, und namentlich der Dichter des Faust für den Götz, für die Iphigenia, für den Tasso, ja daß sich fast alle Gedichte entweder auf Selbst-Erlebtes oder auf Überliefertes bezögen, und daß das Studium wie das Erleben bei dem Dichter ganz auf dieselbe Weise vorgehe, wie bei anderen Menschen; daß manche Dichter sich Jahre lang mit Entwürfen zu dichterischen Schöpfungen herum getragen, und diese Entwürfe, zuerst ganz im Allgemeinen aufgefaßt, nach und nach schärfer gestaltet, selbst verändert, auch wohl Winke und Belehrung von kritischen Freunden erhalten und befolgt hätten, ehe sie zu der Ausführung geschritten; daß sie auch die Darstellung selbst nicht selten, überarbeiteten, um den Stoff zu reinigen und die Form zu verbessern: die verschiedenen Ausgaben gäben Zeugnisse; daß viele Dichter die Musen um Beistand angeflehet, viele über die Hindernisse geklagt hätten, welche ihnen die Sprache in den Weg lege, und daß es daher offenbar sei, auch der Dichter habe seine Werkstatt und er empfinde bei der Arbeit dieselben Geburtswehen, an welchen andere Sterbliche zu leiden hätten − „Da haben Sie wohl Recht.“ − diese Gegenbemerkungen wurden als unphilosophisch, prosaisch und gemein zurück gewiesen. Und um mich vollends von der Nichtigkeit derselben zu überzeugen, wurde z. B. folgende Anekdote erzählt. Ew. Excellenz wären ein Mal in einem lebhaften Gespräche verwickelt gewesen. Sie hätten an einem Tische gesessen, auf welchem Ihr rechter Arm geruht habe. Während des Gespräches hätten Sie eine Bleifeder ergriffen und ein Stück Papier, Beides mechanisch; denn Sie hätten gar nicht hingesehen. Sie hätten angefangen zu zeichnen, die Augen abgewendet und das Gespräch ununterbrochen fortsetzend. Am Ende hätte sich ergeben, daß Sie eine recht schöne Landschaft gezeichnet; und darüber seien Sie höchst verwundert gewesen; denn Sie hätten gar nicht gewußt, daß Sie die Bleifeder in der Hand gehalten, vielweniger, daß Sie gemalt hätten, so habe die dichterische oder die schaffende Kraft in Ihnen sich Ihrer Hand als bloßen Werkzeugs bedient: denn sie habe sich offenbaren müssen, diese Kraft, und habe sich in diesem Augenblicke nicht anders offenbaren können. „So?“ Ein zweites Beispiel. Meine Freunde behaupteten, Faust sei, oder, solle sein, der Repräsentant der Menschheit und Mephistopheles das personificirte Böse. Ich leugnete Beides. Was Faust sein solle, sagte ich, oder was er einst sein werde, wenn die ganze Tragödie vollendet sei, lasse ich auf sich beruhen. Aber in dem Fragment sei er offenbar nicht Repräsentant der Menschheit, sondern ein Einzelner. Neben ihm erschienen ja auch andere Menschen, wie der ehrliche Wagner, die tapferen Burschen, Frosch, Brander, Siebel und Consorten, die lüsterne Frau Marthe und das wunderliebliche Gretchen, welche sämmtlich doch auch zur Menschheit gehörten und, so zu sagen, einen Theil der Menschheit in sich trügen, wenn auch nur einen sehr kleinen. Wollte man aber den Faust etwa einen Repräsentanten der Menschheit nennen, wie ein Gesandter der Repräsentant eines Reiches oder eines Volkes sei, oder ein Deputirter im englischen Parlamente der Repräsentant einer Grafschaft, einer

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Stadt, eines Fleckens: so fürchtete ich, es würde ihm nicht möglich sein, seinen Vollmachts-Brief vorzuzeigen. Auch sei es doch sonderbar, daß das Böse, welches sich im Leben der Menschheit finden möge, hier als Person neben dem Repräsentanten der Menschheit, als gehorsamer Diener, herlaufe und dergleichen mehr. „Alles Dieses läßt sich hören; es sind jedoch nur Negationen, was Sie vorbringen, oder vorgebracht haben, die nicht weiter führen. Indem Sie aber die Ansichten Anderer von dem Faust zu widerlegen suchten und zu diesem Zweck den Faust abermals und abermals lesen mußten, sind Sie ohne Zweifel zu einer eigenen Ansicht von dem wunderlichen Gedicht gekommen, die solchen Gründen, als Sie aufgestellt haben, zu widerstehen im Stande ist. Wollen Sie nicht wenigstens zum Schlusse unserer Unterhaltung diese Ansicht, die Sie selbst aus der Lectüre des Faust gewonnen haben, mittheilen?“ In der That, Ew. Excellenz, habe ich wohl Versuche gemacht, die Idee, welche der Dichter darzustellen unternommen habe, aufzufinden, und aus derselben das Einzelne in dem Gedichte zu erklären; es hat auch wohl Augenblicke, vielleicht Stunden und Tage gegeben, in welchen ich an die Richtigkeit dieser Idee geglaubt habe. Aber sie ist mir immer wieder, wie man zu sagen pflegt, unter den Händen zerronnen, und mein Glaube ist verschwunden. Daher, wie ich alles Streiten längst aufgegeben habe, so habe ich auch aller Grübelei entsagt. Ich freue mich Dessen, was wir haben, nehme es, wie es vorliegt, und überlasse Anderen zu ergründen, was vielleicht unergründlich ist. „Wie ist denn Das möglich?“ Ich lese die einzelnen Scenen, und oft, und mache das Büchlein immer mit neuer Lust wieder auf. Des gelehrten Doctors Selbstpeinigung, die allerdings bei einem Manne von 54 Jahre etwas auffallend ist − „Warum geben Sie ihm denn grade 54 Jahre?“ Auf und ab. Da Faust sich durch den Hexentrank 30 Jahre vom Leibe schaffen, und doch wohl, weil er nach gewissen Genüssen lüstern ist, nicht als unreifer Bursche erscheinen will, so dächte ich, 54 Jahre wären ungefahr ein angemessenes Alter. „Nun, ich habe Sie unterbrochen; fahren Sie doch fort.“ Des Doctors Selbstpeinigung erregt mein Mitleid und macht mich besorgt für den Mann; seine weisen Lehren gewinnen meinen Beifall, sein Streben nach tieferer Erkenntniß meine Achtung, sein Gebet im Walde greift tief in meine Brust, und sein Gespräch mit Gretchen über Religion spricht lebendig zu meinem Herzen. Bei allen diesen Vorgängen nehme ich ihn, wie er eben erscheint, und suche weder den eitlen Hans in der Hexenküche, noch den groben Gesellen im Verkehre mit Mephistopheles, oder den arglistigen Verführer der Margaretha mit ihm, in jenen Vorgängen, in Übereinstimmung zu bringen. Und auf dieselbe Weise fasse ich die übrigen Personen, wie sie sich eben geben, jedes ihrer Worte in dem einfachen Sinne nehmend, den sie in der Sprache haben. „Ja; so mögen denn die Orakelsprüche, Sentimentalitäten, Schelmereien, Spitzbübereien und Schweinereien auch ihr Interesse haben. Aber es ist ein kleinliches, ein zerhacktes Interesse. Ein höheres Interesse hat doch der Faust, die Idee, welche den Dichter beseelt hat, und welche das Einzelne des Gedichtes zum Ganzen verknüpft, für das Einzelne Gesetz ist und dem Einzelnen seine Bedeutung giebt.“ Darüber könnte freilich der Dichter den besten Aufschluß geben. „Mit diesem Aufschlußgeben wäre die ganze Herrlichkeit des Dichters dahin. Der Dichter soll doch nicht sein eigener Erklärer sein und seine Dichtung in alltägliche Prosa fein zerlegen; damit würde er aufhören Dichter zu sein. Der Dichter stellt seine Schöpfung in die Welt hinaus; es ist die Sache des Lesers, des Ästhetikers, des Kritikers, zu untersuchen, was er mit seiner Schöpfung gewollt hat.“ Ich gebe dieses Alles sehr gern zu, Ew. Excellenz; aber mir scheint doch auch, daß es dem Leser oder Kritiker unmöglich sein werde, die Idee der ganzen Schöpfung anders, als aus der ganzen Schöpfung zu gewinnen. „Aber wir erkennen doch im Torso den Herkules.“ In tantum, Ew. Excellenz. Wir erkennen in dem schön bearbeiteten colossalen Block, den ich leider nicht gesehen habe, daß derselbe der Rumpf einer colossalen Statue gewesen sein müsse, und wir sind, so zu sagen, stillschweigend übereingekommen, in dieser Statue den Herkules zu sehen, weil wir sie sonst nicht unterzubringen wissen. Wenn aber irgend ein Zauberer die Statue wieder herstellte und ihr den Torso ohne Fuge und Naht einverleibte: so würde sich

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doch vielleicht zeigen, daß selbst Winkelmann sich geirrt habe, und daß der Torso nicht einem sitzenden Herkules, den Kopf auf die Hand gestützt und das Auge zum Himmel gerichtet, angehöret habe. Ich sage, das wäre möglich. „Soll ich etwa an Statt des Torso die Löwenklaue nennen?“ Wenn uns eine abgeschnittene Klaue dargeboten würde, also ein Fragment eines Löwen, so würden wir gewiß erkennen, daß es eine Löwenklaue sei, aber ich fürchte, den Löwen, von welchem sie abgeschnitten ist, würden wir nimmermehr erkennen. Und wenn das Geschlecht der Löwen ausgestorben wäre, und die abgeschnittene Klaue würde einem großen Kenner der Natur vor die Augen gelegt, so würde er gewiß sogleich behaupten, es sei die Tatze eines großen und starken Thieres, etwa aus dem Katzengeschlechte; ob er aber aus dieser Tatze den Löwen, wie er leibt und lebt, zu construiren im Stande sein würde, scheint mir weniger gewiß. So halte ich für unmöglich, daß Jemand den Faust zu lesen vermöchte, ohne den großen und gewaltigen Dichtergeist zu erkennen, der, ich möchte sagen, in jeder Zeile wehet und wirkt, einen Dichtergeist, der das Heiligste durchdrungen und das Gemeinste ins Auge gefaßt hat, ohne von demselben besudelt oder nur berührt zu werden. Aber für unmöglich halte ich, aus dem Fragment einen ganzen Faust zu construiren, oder in dem Fragment eine Idee aufzufinden, aus welcher die vorliegenden Scenen eben sowohl erklärt werden könnten, als was noch an einem Ganzen fehlen mag. „Und dennoch hat man allgemein einen Mittelpunkt gesucht, aus welchem heraus das Einzelne, sich gegenseitig ergänzend, erwachsen sei und ferner erwachsen könnte. Und große Gelehrte und geistreiche Männer haben es nicht für zu gering gehalten, sich nach diesem Mittelpunkt umzusehen.“ Das zeugt jedes Falles für das allgemeine Bedürfniß eines solchen Mittelpunktes. „Was hat denn aber dieses Bedürfniß erzeugt? Doch ohne Zweifel das Fragment selbst. Das Einzelne, das Ihnen zu genügen scheint, hat Andere nicht befriedigt, und doch haben sie das Büchlein nicht hinweg geworfen, sondern sie haben es festgehalten, oder es von Neuem und abermals wieder in die Hand genommen. Es muß also doch Etwas in dem Büchlein sein und durch das Büchlein hindurch gehen, das auf den Mittelpunkt hinweist, auf die Idee, die in Allem und Jedem hervortritt.“ Ich habe nicht gerade gesagt, Ew. Excellenz, wenigstens hätte ich nicht sagen sollen, daß mir das Einzelne genüge, sondern ich habe nur sagen wollen, daß ich mich des Vorhandenen freue, und daß ich das tiefere Forschen darum aufgegeben habe, weil meine Versuche mißlungen wären, und weil mir auch die Versuche Anderer mißlungen zu sein schienen. Und dann gestehe ich auch, daß die beständige Erneuerung dieser Versuche, den Mittelpunkt oder die Grund-Idee des Faust aufzufinden, nicht gerade so zu erklären sein dürfte, wie Ew. Excellenz sie zu erklären geruhet haben. „Wie wollten Sie dieselbe denn anders erklären, als aus der poetischen Richtung des Einzelnen, welche auf einen nothwendigen Zusammenhang, also auf einen Mittelpunkt, auf eine Grund-Idee hinweist überall?“ Das könnte vielleicht auf mehr als eine Weise geschehen. Wenn aber Ew. Excellenz mir verstatten wollen, nur Eins anzuführen, das mitgewirkt haben könnte zu diesem allgemeinen Eifer in der Erklärung des Faust, so möchte ich mir fast erlauben, mit Worten aus dem Faust zu sprechen, wenn es auch Hexen- und Teufelsworte sind: Aus Eins mach’ Zehn, Und Zwei laß gehn, Und Drei mach’ gleich, So bist du reich. Und Neun ist Eins, Und Zehn ist keins. [Fragment 1004−07, 1013f.] „Wie gehört dieses Hexen-Einmal-Eins hierher? Was wollen Sie damit sagen?“ Mit anderen Worten: − ein vollkommner Widerspruch Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für Thoren. Und je geheimnißvoller der Widerspruch ist und je rascher sich ein Widerspruch an den anderen drängt, als sollten sie sich gegenseitig, wie ergänzen, so erklären oder auflösen, desto stärker und allgemeiner, denke ich, muß das Verlangen werden, wenn der gemeine Ausdruck verstattet ist, dahinter zu kommen. „Im Allgemeinen möchte in dieser Bemerkung immer einige Wahrheit sein. Auf den besonderen Fall aber angewandt, scheinen Sie die große Theilnahme, welche der Faust gefunden hat, nicht dem Werke selbst, nicht der Macht der Poesie zuzuschreiben, sondern einem mystischen Etwas, das hinter dem Faust liegt; die Leser werden nicht angezogen durch Das, was ihnen dargeboten

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ist, sondern durch Etwas, was sie zu suchen veranlaßt werden, und was sie niemals zu finden vermögen.“ So ist es nicht gemeint, Ew. Excellenz. Ich habe ja von mir selbst gesagt, daß ich mich des Gegebenen herzlich erfreue, und ich hätte hinzusetzen können, daß ich des Faust erst recht froh geworden bin, seitdem ich mich entschlossen habe, das Einzelne zu genießen, und das Suchen nach einer Grund-Idee, nach einem Mittelpunkt, wodurch mir der Genuß verkümmert worden war, gänzlich aufzugeben. Es ist aber eben die Macht der Poesie, welche das ergriffene Gemüth überwältigt, und den klügelnden Verstand anreizt, noch einen tieferen Sinn in den Worten und Darstellungen zu vermuthen: er weiß sonst den Eindruck nicht zu erklären, denn er ist eben nicht poetisch, der Verstand. Würden ihm die Widersprüche in schlichter Prosa dargeboten, oder in Reimen ohne Poesie, so würde er die Widersprüche ohne Weiteres, als unvernünftig, zur Seite schieben. „Also abermals die Widersprüche? Wollten Sie nicht die Güte haben, den einen oder den anderen dieser Widersprüche etwas näher zu bezeichnen, an welchen Sie Anstoß genommen haben, oder welche Ihnen so geheimnißvoll zu sein scheinen, daß Kluge und Thoren sich zu der Auflösung aufgefordert fühlen?“ Hätte ich ahnen können, daß mir die Ehre zu Theil werden würde, mit Ew. Excellenz diesen Morgen ein solches Gespräch zu führen: so würde ich den Faust ein Mal wieder durchgelesen haben, um Alles frisch und lebendig aufzufassen. Denn es ist mir in der letzten Zeit so Mancherlei durch den Kopf gegangen, daß Eins und das Andere im Faust doch zurück getreten ist. Und deßwegen, und weil ich ohnehin doch nur wenig werde vorbringen können, will ich den ganzen wunderlichen Hexenspuk übergehen, obwohl derselbe, als dem Glauben einer früheren Zeit angehörend, mit der Welt, in welcher wir leben, in einem schneidenden Widerspruch steht. Und auch die GeisterErscheinungen will ich übergehen, die nicht minder jenes Geheimnißvolle an sich haben, das die Seele stachelt. Selbst den prächtigen Gesellen Mephistopheles will ich nicht anführen, obwohl er wohl Stoff zu mancher Bemerkung darböte. Dieser Teufel ist so stark von der Cultur beleckt worden, daß er ein recht behaglicher Gesellschafter zu sein scheint, sehr verschieden von dem alten Teufel, der wie ein brüllender Löwe herum lief und die Menschen zu verschlingen suchte. Nur die Atmosphäre wird durch ihn, nach Gretchens Bemerkung, etwas schwül gemacht, trotz seines freiherrlichen Benehmens. Da er aber nicht Ein Teufel aus vielen ist, sondern da er sich selbst den Teufel nennt und den Gruß der Seinigen als Junker Satan annimmt, so muß man erstaunen, daß der Fürst der Finsterniß sich soweit herab läßt, den Diener eines so unholden Herrn zu machen; man muß sich wundern, daß er sein großes Reich so lange verlassen kann, um sich um die Seele eines pedantischen Magisters zu bewerben, und man kommt zu dem Schlusse, daß, wenn der Teufel sich so viele Mühe um jede Seele geben muß, die Hölle unmöglich stark bevölkert sein kann. Doch dieses sind nur Einfälle des Augenblickes; ich komme auf den Helden, auf Faust selbst. Faust ist, wie mir scheint, am Besten von dem Dichter selbst bezeichnet worden. Mephistopheles nennt ihn einen „übersinnlichen, sinnlichen Freier,“ allerdings nur in Beziehung auf Gretchen; aber es ist wahr in Beziehung auf Alles, um das er sich bewirbt, warnach er strebt. In ihm sind unverkennbar zwei Seelen − „Hm!“ − Diese beiden Seelen, zusammengewachsene Zwillinge, befinden sich mit einander in einem unausgleichbaren Kampfe. Die eine, der göttlichen Natur im Menschen entsprechend, strebt dahin, woher sie stammt, nach dem Göttlichen, nach Wahrheit, Erkenntniß, Licht; die andere, die thierische Natur im Menschen, treibt zu jeglichem sinnlichen Genuß. Das ist nun, meine ich, nichts Unerhörtes; derselbe Kampf findet sich mehr oder minder, verschieden gestaltet und geführt, in dem Leben eines jeden Menschen. Das Abweichende und Widersprechende ist aber, daß sonst die thierische Natur wohl in der Jugend von Zeit zu Zeit den Sieg gewinnt, in späteren Jahren aber von der göttlichen überwunden wird, daß in Faust hingegen die göttliche Natur ein halbes Jahrhundert vorherrschend gewesen ist, und daß alsdann die thierische alle Gewalt dergestalt ausübt, daß er, der alternde Mann mit erkünstelter Jugend, oder vielmehr mit einer Hexen-Jugend, daß Er taumelt von Begierde zu Genuß, Und im Genuß verschmachtet vor Begierde. [freies Zitat Fragment 1921f.] Und

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nur von Zeit zu Zeit erinnern seine Worte, im Widerspruche mit seinen Handlungen, daran, daß einst ein höherer Geist in ihm gelebt und gewirkt hat. Im wirklichen Leben ist das üppige Alter widerwärtig, und ein lockerer Greis eine häßliche Erscheinung. Den Faust macht nur die Poesie erträglich. Das ist der erste Widerspruch. Und andere drängen sich hervor. Faust tritt auf, nachdem er schon Philosophie, Juristerei, Medicin und Theologie mit heißem Bemühen studirt hat. Nun macht er die Entdeckung, daß wir Nichts wissen können; aber zugleich auch die Entdeckung, daß er weder Gut noch Geld, noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt hat. Darum mag er so nicht länger leben. Aber er weiß auch recht gut, warum sein Herz Sich bang in seinem Busen klemmt, Warum ein unerklärter Schmerz Ihm alle Lebensregung hemmt. Denn er antwortet selbst: Statt der lebendigen Natur, Da Gott die Menschen schuf hinein, Umgiebt in Rauch und Moder nur Mich Thiergeripp und Todtenbein. [freies Zitat Fragment 57−64] Auch verschreibt er sich sogleich ein Recipe: Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land! − Denn wenn Natur Dich unterweist, Dann geht die Seelenkraft Dir auf. [freies Zitat Fragment 65, 71f.] An Statt aber der eigenen Vorschrift zu folgen, an Statt sich von allem Wissensqualm zu entladen und in die Natur hinaus zu gehen, ergreift er „das Buch von Nostradamus eigner Hand“ [freies Zitat Fragment 66f.] und fängt an die Geister zu beschwören. Die Erscheinung bringt ihm nur Schauer, Demüthigung, Verwirrung. In der Fülle der Gesichte aber wird er gestört durch den ehrlichen Wagner, den trocknen Schleicher. Und wie schön und menschlich weiß er, der Mann der Verzweifelung, „des unerklärten Schmerzes,“ der unendlichen Sehnsucht, wie schön und menschlich weiß er den redlichen Forscher an die einzige Quelle zu verweisen, aus welcher allein der Mensch sein heiligstes Bedürfniß befriedigen kann. Das Pergament ist das der heil’ge Bronnen, Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt? Erquickung hast Du nicht gewonnen, Wenn sie Dir nicht aus eigner Seele quillt. [Fragment 213−16] Er aber verläßt diese Quelle und ergiebt sich dem Teufel. Bei seiner ersten Erscheinung mit Mephistopheles spricht er noch eine Sprache, die seines früheren Strebens würdig ist. Er stellt seine Forderungen so hoch, daß man, wenn er auf die Erfüllung bestände, selbst die Ergebung an den Teufel verzeihen, daß man begreiflich finden würde, wie er geglaubt habe, um einen solchen Preis dürfe und müsse er selbst seine Seele verkaufen. Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist, Will ich in meinem innern Selbst genießen, Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen, Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen. [Fragment 249−52] Diese Worte erregen hohe Erwartung. Sie eröffnen die Aussicht auf Großes, Gewaltiges, Erhabenes. Mephistopheles aber hat den Mann schon durchschauet: das beweiset die schnöde und höhnische Weisheit, welche er dem Manne zu predigen wagt, der alle Wissenschaften studirt hat. Und wenn Faust ihm auch noch ein Mal mit einem scheinbar-entschiedenen: „ich will!“ [Fragment 264] entgegentritt, so läßt er sich nicht irre machen. Und bald hat er die Freude zu sehen, daß der Held Vernunft und Wissenschaft vergißt oder verräth, daß er mit der feigen Frage: Wie fangen wir das an? [Fragment 313] allem Willen entsagt, daß derselbe sich mit der Antwort begnügt: Wir gehen eben fort. [Fragment 313] Deßwegen höhnt ihn Mephistopheles denn auch noch: Den schlepp’ ich durch das wilde Leben, Durch flache Unbedeutenheit, Er soll mir zappeln, starren, kleben. [Fragment 339−41] Er setzt hinzu, als hätte er die Entdeckung gemacht, daß es kaum der Mühe werth gewesen, sich um diese arme Seele zu bewerben, weil sie ihm doch nicht entgangen sein würde: Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben, Er müßte doch zu Grunde gehn. Und in der That: welchen Gewinn hat denn Faust, der so Großes erstrebte, so Großes wollte, aus dem Bunde mit dem Teufel gezogen? Er hat mit Hülfe desselben ein junges, liebes, unschuldiges Mädchen verführt; das ist Alles. Und für diesen Zweck sind die aufgewandten Mittel etwas groß. Denn ein solches Bubenstück ist schon Manchem gelungen, ohne daß er einen Bund mit dem Teufel geschlossen, einen Hexentrank verschlungen oder Geschenke der Hölle angewendet hätte, um dem armen Kinde die Augen zu verblenden. Ist es daher zu verwundern, daß so Viele, unbefriedigt von einem solchen Resultate, sich gleichsam

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von der Handlung losreißen, eine hohe Idee hinter derselben suchen, jede Scene, ja jedes Wort symbolisch nehmen, und es nach der Idee des Ganzen erklären oder deuten? „Alles, was Sie da vorbringen, kann Nichts gelten. In der Poesie giebt es keine Widersprüche. Diese sind nur in der wirklichen Welt, nicht in der Welt der Poesie. Was der Dichter schafft, das muß genommen werden, wie er es geschaffen hat. So wie er seine Welt gemacht hat, so ist sie. Was der poetische Geist erzeugt, muß von einem poetischen Gemüth empfangen werden. Ein kaltes Analysiren zerstört die Poesie und bringt keine Wirklichkeit hervor. Es bleiben nur Scherben übrig, die zu Nichts dienen und nur incommodiren.“ Eben deßwegen habe ich alles Räsonniren verworfen, und nehme die Handlung rein und lauter, wie sie dargestellt, und jedes Wort, wie es gesprochen worden ist. „Aber Sie nehmen nur immer die einzelnen Scenen, Sprüche, Wörter, und wollen von dem Ganzen Nichts wissen.“ Weil es dem Dichter nicht gefallen hat, uns ein Ganzes zu geben. Wir haben ja nur Bruchstücke. „Aber eben weil es Bruchstücke sind, müssen sie ja zu einem Ganzen gehören, und im Ganzen poetisch aufgefaßt werden.“ Ich gestehe, daß dazu eine größere poetische Empfänglichkeit gehören würde, als deren ich mich rühmen kann. Sollte es dem Dichter gefallen, ein Mal das Ganze vorzulegen, so werde ich gewiß versuchen, dieses Ganze in mich aufzunehmen, und die Idee zu erkennen, von welcher er bei seiner Schöpfung ausgegangen ist. Nur würde es mir sehr wehe thun, wenn irgend Etwas von diesem Fragmente, das mir so wohl bekannt und so lieb geworden ist, in dem Ganzen verloren ginge. „Wie könnten aber diese Bruchstücke in einem Ganzen verloren gehen, aus welchem sie herausgenommen sind? Sie werden in demselben als organische Theile erscheinen und erst ihre wahre Bedeutung erhalten.“ Diese Äußerung Ew. Excellenz scheint zu beweisen, daß das Ganze schon wirklich vorhanden ist. Alsdann würde ich mich unendlich freuen, wenn es bald erschiene, und durch die Erscheinung würde auch allem Streit ein Ende gemacht werden. „Es ist vorhanden, noch nicht Alles geschrieben, aber gedichtet. − Nun? Sie schweigen? Sie sehen mich ungläubig an?“ Wie könnte ich wagen, den Worten Ew. Excellenz meinen Glauben zu versagen? Ich bin nur überrascht, und muß beschämt meinen Irrthum und meine Schwäche bekennen. „Wie so? – Beichten Sie ein Mal.“ Da Ew. Excellenz die Gnade gehabt haben, mir so lange geneigtest zuzuhören, daß ich selbst betreten bin über Alles, was ich zu sagen mir erlaubt habe, so will ich denn auch ehrlich bekennen, daß ich wirklich oft, weil ich es glaubte, auch behauptet habe: dieses so genannte Fragment gehöre keinesweges einem Ganzen an, aus welchem es als Bruchstücke, gleichsam zur Probe mitgetheilt wäre, und sei auch nicht im Geist eines Ganzen gedichtet; ja es sei kein dramatisches Werk, möge man es eine Tragödie nennen oder anders, das irgend eine Idee, irgend einen Gedanken, abgerundet und vollendet darstellen und zur Anschauung bringen solle, − es sei kein solches dramatisches Werk möglich, in welches diese Bruchstücke dergestalt eingefugt werden könnten, daß sie als organische Theile des Ganzen, ergänzend und ergänzt, erscheinen könnten. AIlerdings könnten noch viele Scenen hinzugefügt werden, im Anfang, am Ende, in der Mitte; diese Scenen würden ohne Zweifel von demselben hohen Dichtergeiste Zeugniß geben, der uns aus dem gegenwärtigen Faust so gewaltig anspräche; auch möchten sie durch die Namen Faust, Mephistopheles, Gretchen, Wagner mit dem vorliegenden Fragment in Verbindung gebracht werden können und uns bekannte Gestalten zeigen; aber sie würden immer nur an die Handlungen des Fragmentes und an einander gereihet sein, und niemals würde ein Ganzes entstehen, das sich, wie von Innen heraus, wie organisch gebildet, darstellte. Die Gründe, auf welche ich diese Behauptung stützte, liegen in Dem, was ich früher gesagt habe, und mir schien die Behauptung auf diesen Gründen allerdings ziemlich festzustehen. Nach dem aber, was Ew. Excellenz so eben zu versichern die Gnade gehabt haben, muß ich allerdings einräumen, daß ich im Irrthume gewesen bin; aber Sie werden mir auch gewiß verzeihen, wenn ich bekenne, daß ich nur durch die Erscheinung des ganzen Faust selbst von meinem Irrthum völlig geheilt werden kann. „Es ist Ihnen nicht zu verargen, daß Sie sehen und nicht glauben wollen. Wie aber haben Sie sich denn die Entstehung des

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Faust gedacht? Habe ich Sie recht verstanden, so sind Sie der Meinung gewesen, und sind noch der Meinung, daß der Dichter gar nicht gewußt hat, was er wollte, als er die Dichtung begann, sondern daß er auf das Gerathewohl, daß er in das Blaue hinein gedichtet und sich nur des Namens Faust wie einer Schnur bedient habe, um die einzelnen Perlen aufzuziehen und vor der Zerstreuung zu bewahren.“ Es bleibt mir nur übrig, Ew. Excellenz einfach und kurz zu erzählen, wie mir durch häufiges Lesen des Faust die Sache erschienen ist. Der Dichter kannte die Sage vom Faust; wohl auch ein Puppenspiel. Zugleich ward er, vielleicht sehr früh, veranlaßt, sich in Schriften, die Magie, Alchymie und andere geheime Wissenschaften betreffend, umzusehen. Hierauf kam er als Student nach Leipzig und sah in Auerbachs Keller das alte Bild, auf welchem, wie mir erzählt worden ist, Faust auf einem Fasse reitend den Keller verläßt. Dieses Bild ergötzte ihn bei seinen Kenntnissen des Faust. Nun mag ein wildes Studentengelag in Auerbachs Keller hinzu gekommen sein, von welchem der Dichter Zeuge war, von welchem er jedes Falles unterrichtet wurde. So ward er veranlaßt, einen Scherz zu machen, das Gelag und Fausts Erscheinung im Keller zu verbinden und Theils wahr und Theils ergötzlich darzustellen. Die Scene in Auerbachs Keller schien mir zu allererst geschrieben zu sein. Sie ist so frisch, so lebendig, so jugendlich, so burschikos, daß ich geschworen haben würde, sie sei in Leipzig von dem Dichter-Studiosus geschrieben oder gedichtet worden. Die zweite Scene, die nach dem Auftritte im Keller gedichtet worden, schien mir der Auftritt zwischen dem Schüler und Mephistopheles. Diese Scene ist gleichfalls so frisch, so lebendig und wahr, daß sie nur aus der unmittelbaren Anschauung des Lebens und Treibens auf der Universität, wie es gewesen, wie es wohl hier und dort auch noch ist, hervorgegangen sein muß. Hat man die Universität nur einige Jahre verlassen, so denkt man kaum noch an das Collegium logicum und an die rastlose Heftschreiberei des Trosses der Studirenden. Das Gespräch mit dem Schüler aber konnte Faust nicht führen; nur Mephistapheles durfte solche höhnende Bezeichnungen der Wissenschaften aussprechen. Um daher den Schüler mit dem Mephistopheles zusammen zu bringen, war die Scene zwischen diesem und Faust nothwendig, welche jenem Gespräche vorausgeht. Diese schien mir daher als die dritte der Dichtung, nach der Zeit berechnet. Und nun sind die übrigen nach und nach entstanden, so wie irgend ein Vorgang im Leben den Dichter reizte oder beschäftigte. So mag die Verführung eines Mädchens Veranlassung zu der Schöpfung der lieben, unschuldigen und unglücklichen Margarethe gegeben haben, die ich, trotz ihrer garstigen und rauhen Hände, von welchen sie selbst spricht, schön nennen würde, wenn man sich auf des Doctors Geschmack verlassen könnte; in diesem Doctor aber regt sich, seit er den Hexentrank verschlungen hat, Cupido und springt hin und wieder, und des Mephistopheles schnödes Wort: Du siehst mit diesem Trank im Leibe Bald Helenen in jedem Weibe, [Fragment 1066f.] schreckt zurück. Und um aus dem alten Pedanten einen Galan zu machen, der um Margaretha mit Glück freien durfte, war die Hexenküche nothwendig; und um Margaretha ins Garn zu locken, mußte die Nachbarin Martha herein gezogen werden. Zuletzt von Allem schien mir der Monolog gedichtet zu sein, mit welchem Faust das Fragment eröffnet. Der Hans Lüderlich sollte zu Ehren gebracht; es sollte ihm ein Empfehlungsschreiben an die Welt mitgegeben werden, damit man ihn zuließe, auch in honnete Gesellschaft. „Nun, nun, das ist auch eine Meinung, und eine Meinung, die schon bestritten, vielleicht schon widerlegt ist. Sie gebe Stoff zu neuen Gesprächen oder zur Fortsetzung des gegenwärtigen. Wir wollen indeß für dieses Mal abbrechen, und den Gegenstand nicht wieder aufnehmen, bis die ganze Tragödie vorliegt.“ − So weit habe ich Goethe’s Unterhaltung mit mir, wenige Tage nach derselben, aufgeschrieben, und hier nur Einiges, im Besondern einzelne Namen, ausgelassen, und einige Sätze abgekürzt. Als jetzt eine kleine Pause entstand und ich Goethe’n bestimmter ins Angesicht schauete, kam mir vor, als ob seine Züge weniger freundlich seien, als früher. Zwar hatte ich auch während des Gespräches zuweilen bemerkt, daß seine Augen stark hin und her rollten; aber das war auch am vorigen Abende bei der heitersten Stimmung der Fall gewesen, und darum hatte ich

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weder auf dieses Rollen, noch auf eine Veränderung der Stimme zum Kurzen und Scharfen hin, geachtet. Jetzt fiel mir sein Gesicht etwas auf, und diese Bemerkung brachte eine kleine Unruhe in mir hervor. Als er nach einigen Augenblicken von Neuem das Wort nahm, zeigte sein Gesicht abermals eine große Freundlichkeit, aber es war derselben ein Zug beigemischt, den ich weder jetzt zu benennen weiß, noch damals zu deuten wußte. Indeß sammelte ich mich und faßte den Entschluß, mich in keiner Weise verblüffen zu lassen, überall bescheiden nachzugeben, aber auch jedes Falles auf dem Wege fortzuwandeln, den ich ein Mal eingeschlagen hatte, oder vielmehr, auf den ich, ohne zu wissen wie, gerathen war. Und bald nach dem Beginne des Gespräches kam mir vor, als habe er die Absicht, mich ein Wenig zu necken, um zu versuchen, ob ich fest und wie fest ich im Sattel säße. Das schien mir aus den Wendungen seiner Fragen und Einwürfe hervor zu gehen, welche letztere mir zuweilen etwas wehe thaten, mir, einem jungen Manne, der ich, wie ich wohl sagen darf, begeistert war für meinen neuen Beruf, und große Dinge erwartete von meiner künftigen akademischen Wirksamkeit. Goethe begann: „Ja, wir haben lange geplaudert. Und doch sind wir noch gar nicht auf Das gekommen, worüber ich mich mit Ihnen zu unterhalten gedachte, auf Ihr eigenes Vorhaben, auf Ihr Thun und Treiben. Sie wollen also − Geschichte lehren? wollen ein − Historiker werden? oder vielmehr sind ein − Historiker?“ Meine Absicht ist allerdings, einen Versuch zu machen, Geschichte zu lehren. Ob es mir gelingen werde, Theilnahme zu finden oder zu erregen, ist eine andere Frage. Übrigens würde das eine unverzeihliche Anmaßung sein, wenn ich sagen wollte, ich sei ein Historiker; dagegen leugne ich nicht, daß es mein heißester Wunsch ist, einst diesen hohen Namen zu verdienen. Und an Fleiß und Anstrengung soll es gewiß nicht fehlen. Der Erfolg liegt in Gottes Hand. „Warum sollte das Lehren der Geschichte Ihnen nicht gelingen? Sie haben eine reine, wohlklingende Stimme und gute Manieren; Sie werden gut erzählen und das Erzählen ist leicht. Und wer hört nicht gern guten Erzählungen zu? Das Kind liebt es, sich ,was erzählen zu lassen, und der Greis hat noch dieselbe Lust oder dieselbe Schwachheit, gleichviel. Und warum wollten Sie sich gegen den „hohen“ Namen eines Historikers sperren? Ein Jeder, der sich mit der Historia beschäftigt, ist ein Historicus.“ Die Worte Ew. Excellenz sind eben nicht sehr ermunternd für einen jungen Mann, der entschlossen ist, sein Leben der Geschichte zu widmen, der Forschung, dem Lehren, der Darstellung. „Warum nicht? Ich dächte, ich hätte einen heiteren Glanz auf diese heilige Dreieinigkeit geworfen.“ Eine Erzählung, welcher Jung und Alt ein geneigtes Ohr leiht, die Erzählung einer Anekdote nämlich, mag leicht sein; und doch giebt es nicht viele Menschen, die eine Anekdote gut zu erzählen wissen. Die Erzählung großer und complicirter Ereignisse und Begebenheiten hingegen, wie sie im Leben der Völker und Staaten vorkommen, hat denn doch wohl einige Schwierigkeiten, die nicht oft überwunden werden. Wenigstens wüßte ich nicht, daß es viele große Lehrer der Geschichte gegeben hätte, d. h. solche Lehrer, welche die Gegenstände der Geschichte klar und anschaulich zu entwickeln und ein lebendiges Interesse in ihren Zuhörern zu erregen und zu erhalten verstanden hätten. Und alsdann ist ja auch die bloße Beschreibung geschichtlicher Dinge oder die bloße Erzählung der Begebenheiten nicht die Hauptsache bei dem Lehren der Geschichte: es soll vielmehr durch die Erzählung der Sinn und die Bedeutung der Begebenheiten erkennbar gemacht werden. Was aber das Studium der Geschichte betrifft, so ist dasselbe, weil das Feld unermeßlich ist, gewiß das schwierigste von allen Studien. „Zu dieser Meinung sind Sie wohl zunächst gekommen, weil Sie sich am Meisten mit der Geschichte beschäftigt haben. Wäre Mephistopheles gegenwärtig, so würde er etwa folgenden Knittelreim pathetisch herdeclamiren: So war es schon in meinen Tagen: Ein Jeder schlägt gar hoch sich an, Und, würdest Du sie Alle fragen, Das Wichtigste hat Er gethan. Es lastet schwer die schwere Last, Die selber Du zu tragen hast, Und ob ein Andrer ächz’t und keucht, Für Dich ist seine Bürde leicht*.“1) Ganz unwahr mag der Spruch 1

) Dem Sternchen * ist hinzugefügt: (*Diese Verse sind wohl nicht ganz richtig, obgleich

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nicht sein; und vielleicht hält darum z. B. jeder Philosoph seine eigenen Gedanken für die richtigsten, ja sein eigenes System für das einzig wahre, weil er Beides nur mit großer Mühe zu Tage gefördert hat, während er fremde Gedanken bequem vom Blatte ablieset. In Beziehung auf die Geschichte indeß bin ich doch der Meinung des guten Wagner, daß schon die Mittel schwer zu erwerben sind, womit man zu den Quellen steigt, und weiß gar wohl, daß die Zahl dieser Quellen, zu welchen man steigen muß, nicht gering ist. „Es ist doch auch viel vorgearbeitet, viel gethan. Die meisten Quellen sind längst durchforscht; was sie an reiner Fluth enthielten, ist ausgeschöpft; nur trübes Wasser zurück geblieben.“ Es wäre aber doch möglich, daß die Forscher das Wasser auch zuweilen getrübt hätten, und daß man, würde dasselbe abgeklärt, neue Entdeckungen machen würde. Auch dürfte noch manche Quelle nicht durchforscht und ausgebeutet sein. „Und wenn Sie nun auch alle Quellen zu klären und zu durchforschen vermöchten: was würden Sie finden? Nichts Anderes, als eine große Wahrheit, die längst entdeckt ist, und deren Bestätigung man nicht weit zu suchen braucht; die Wahrheit nämlich, daß es zu allen Zeiten und in allen Ländern miserabel gewesen ist. Die Menschen haben sich stets geängstigt und geplagt; sie haben sich unter einander gequält und gemartert; sie haben sich und Anderen das bischen Leben sauer gemacht, und die Schönheit der Welt und die Süßigkeit des Daseins, welche die schöne Welt ihnen darbietet, weder zu achten noch zu genießen vermocht. Nur Wenigen ist es bequem und erfreulich geworden. Die Meisten haben wohl, wenn sie das Leben eine Zeit lang mitgemacht hatten, lieber hinausscheiden, als von Neuem beginnen mögen. Was ihnen noch etwa einige Anhänglichkeit an das Leben gab oder giebt, das war und ist die Furcht vor dem Sterben. So ist es; so ist es gewesen; so wird es wohl auch bleiben. Das ist nun einmal das Loos der Menschen. Was brauchen wir weiter Zeugniß.“ Ich sah Goethe an; er machte ein sehr ernstes Gesicht. Dennoch antwortete ich halb lachend: Ich kann unmöglich glauben, daß Dieses Ew. Excellenz eigene Meinung sei. Mir kommt vor, Mephistopheles habe abermals gesprochen. (Goethe lächelte.) Wenn auch viele Menschen in alten und neuen Zeiten so gelebt haben mögen, so ist deßwegen ein solches Leben noch nicht das Loos der Menschen, und das Loos der Menschen ist auch nicht das Schicksal der Menschheit. „Die Menschheit? Das ist ein Abstractum. Es hat von jeher nur Menschen gegeben und wird nur Menschen geben.“ Das Wort bezeichnet, denke ich, den Menschengeist, wie derselbe sich in dem gesammten Leben der Menschen entwickelt und offenbart. Das Abstractum muß daher von dem Leben der Menschen abstrahirt werden. Im Leben der einzelnen Menschen kann das Wesen und der Geist nicht erkannt werden, weil es unübersehbar ist. Es ist nur zu erkennen im Leben der Völker, in den gesellschaftlichen Verhältnissen der Menschen. Wer den Geist eines Volkes erkennt, wie derselbe sich in dem Leben des Volkes gezeigt hat, der hat das Wesen des Lebens aller Menschen erkannt, die zu diesem Volke gehörten. Und der Gesammtgeist aller Völker ist die Menschheit. „Es ist mit den Völkern, wie mit den Menschen. Die Völker bestehen ja aus Menschen. Auch sie treten ins Leben, wie die Menschen, treiben’s, etwas länger in gleich wunderlicher Weise, und sterben gleichfalls entweder eines gewaltsamen Todes, oder eines Todes vor Alter und Gebrechlichkeit. Die Gesammtnoth und die Gesammtplage der Menschen ist eben die Noth und die Plage der Völker.“ Aber, wie Menschen späteren Menschen, so lassen Völker späteren Völkern Etwas zurück, das nicht mit ihnen stirbt. „Sie lassen Etwas zurück? Freilich. Mephistopheles würde vielleicht in seiner Weise sagen: Was Völker sterbend hinterlassen, Das ist ein bleicher Schattenschlag. Du siehst ihn wohl; ihn zu erfassen, Läufst Du vergeblich Nacht und Tag. [1806. Mephisto spricht, W 5.1, 44] ich sie oft ins Gedächtniß zurück gerufen habe. Nur den Reim glaube ich als ächt bezeichnen zu können, und den Sinn gewiß.) Die hier zitierten Verse fanden sich in G’s Nachlaß u. wurden 1893 in W 5.1, 43 veröffentlicht unter der Überschrift 1806. Mephistopheles spricht:

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Und vielleicht setzte er gutmüthig warnend hinzu, der Schalk: Wer immerdar nach Schatten greift, Kann stets nur leere Luft erlangen; Wer Schatten stets auf Schatten häuft, Sieht endlich sich von düstrer Nacht umfangen.“ [1806. Mephisto spricht, W 5.1, 44] Der Schatten, den ein Volk wirft, es mag blühen oder zu Grunde gehen, fällt zurück, nicht vorwärts; er fällt auf die früheren Völker und nicht auf uns, die späteren Enkel, oder wir müßten uns freiwillig und einfältig zugleich hineinstellen. Was uns ein Volk hinterläßt, wenn es nicht überhaupt ohne Nachlaß verscheidet, ist der Geist seines Lebens. Wir müssen uns nur bemühen, die Erbschaft gehörig zu würdigen und zu benutzen, und uns nicht mit dem Inventario begnügen. Wir müssen die Geschichte des Volkes studiren, und was sie zeigt, verwenden. Denn die Geschichte eines Volkes ist das Leben des Volkes. „Die Geschichte eines Volkes, das Leben des Volkes? Das ist kühn. Wie wenig enthält auch die ausführlichste Geschichte, gegen das Leben eines Volkes gehalten? Und von dem Wenigen, wie Weniges ist wahr? Und von dem Wahren, ist irgend Etwas über allen Zweifel hinaus? Bleibt nicht vielmehr Alles ungewiß, das Größte wie das Geringste? Daher scheint doch das Wort von Faust festzustehen: Die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln?“ [Fragment 222f.] Gewiß, Ew. Excellenz, so weit hat der Dichter vollkommen Recht; er würde aber Unrecht gehabt haben, wenn er hinzu gesetzt hätte, daß auch nur eins dieser sieben Siegel unlösbar wäre. „Lösbar sind sie vielleicht; es fehlt aber das Instrument, sie zu sprengen.“ Ich möchte doch glauben, daß dieses Instrument nicht fehle. Wir vermögen sogar an jedes geschichtliche Werk, an jede Überlieferung einen dreifachen Hebel anzulegen: die Kenntniß der Zeit, die jener Zeit vorausgegangen ist, von welcher die Überlieferung berichtet, die Kenntniß der Zeit, die jener Zeit nachfolgte und gleichsam ein Product derselben gewesen, und endlich die Wahrheit, die jede Überlieferung Theils durch ihr bloßes Dasein, Theils durch ihre Eigenthümlichkeiten, der Ansicht, der Auffassung, der Darstellung, in sich trägt. Der Stützpunkt für jeden dieser Hebel ist die menschliche Natur, das Gewicht der eigene Geist des Forschers. „Ihre Ausdrücke erinnern mich daran, daß Sie vorhin sagten, Sie wären von Thibaut für die Mathematik gewonnen worden. Haben Sie sich mit dieser Wissenschaft viel beschäftigt?“ Einige Jahre hindurch, nach Zeit und Umständen, ziemlich viel. Ich habe sogar selbst ein mathematisches Buch geschrieben, das ich bald, wie einen verlorenen Sohn, in die Welt hinein laufen zu lassen gedenke.1) „Um so mehr wundert mich, daß Sie diese erste aller Wissenschaften, in welcher Alles Gewißheit und Wahrheit ist, verlassen haben, um sich auf der Bahn der Geschichte zu versuchen, die bei jedem Schritte schwankt, und in einer Arbeit zu verharren, in welcher Sie, selbst mit drei Hebeln, Nichts zu Tage fördern werden, das Ihnen nicht streitig gemacht werden könnte. Gewiß hat Johannes Müller Sie zu dieser Veränderung bestimmt.“ Johannes Müller2) hat allerdings einen großen Einfluß auf mich gehabt. Er hat mich schneller zum Entschlusse gebracht. Aber auch ohne ihn würde ich mich für die Geschichte entschieden haben. Ich habe schon die Ehre gehabt, Ew. Excellenz zu sagen, daß die Geschichte meine erste Liebe gewesen sei, und die erste Liebe hält fest. Auch haben meine Verhältnisse mir nicht verstattet, mich z. B. durch die Beobachtung der Wunderwerke des Himmels zu ergötzen oder zu erbauen, oder nur auf der Erde mich einer bedeutenden Anwendung meiner theoretischen Kenntnisse zu erfreuen; und bei dem beständigen Verkehren mit Zahlen, Buchstaben und Figuren ist mir, ich muß es gestehen, begegnet, was Mephistopheles dem Schüler bei seiner Gottähnlichkeit weissagt: es ist mir bei aller Wahrheit und Gewißheit recht herzlich bange geworden. „Giebt denn Ihnen die Geschichte, bei aller Ungewißheit, mehr Befriedigung als die Wahrheit der Mathematik?“ Freilich. Die Geschichte ist gleich befriedigend für den Geist und das Herz, für den Verstand und 1

) Nicht nachweisbar. ) Johannes v. Müller (1752–1809) schweiz. Historiker. Luden lernte ihn1804 in Berlin bei Hufeland kennen.

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das Gemüth, und zugleich regt sie die Phantasie allgewaltig auf und treibt, wie zum Denken, so zum Dichten. Auch wüßte ich nicht, warum eine geschichtliche Wahrheit weniger wahr sein sollte, als eine mathematische. „Gewiß; nur kommt es darauf an, die Wahrheit herauszubringen. Könnte man die geschichtliche Wahrheit demonstriren, wie die mathematische, so wäre aller Unterschied verschwunden; so lange man Das nicht kann, so lange wird wohl ein Unterschied bleiben, nicht zwischen Dem, was wirklich wahr ist, sondern zwischen Dem, was hier als wahr demonstrirt, dort als wahr angenommen wird.“ Was wirklich Geschichte ist, das ist auch wirklich wahr. „Aber nicht Alles ist wirklich geschehen, was uns als Geschichte dargeboten wird, und was wirklich geschehen, Das ist nicht so geschehen, wie es dargeboten: wird, und was so geschehen ist, das ist nur ein Geringes von Dem, was überhaupt geschehen ist. − Sie wissen ohne Zweifel, warum Sir Walter Raleigh1) seine Geschichte nicht fortgesetzt, sondern das Manuscript ins Feuer geworfen hat?“ O, ja, Ew. Excellenz. Er that es, wie die Anekdote sagt − „Er sagt es selbst.“ Das hab’ ich nicht gewußt; denn ich muß bekennen, daß ich noch Nichts von Sir Walter gelesen habe. Dieser also warf die Handschrift ins Feuer, weil er Augenzeuge eines Vorganges gewesen war, den andere Augenzeugen, abweichend von einander, auch ganz anders erzählten, als er denselben selbst wahrgenommen hatte. „Das ist uns Anderen wohl auch schon ebenso gegangen, und es wird in früheren Tagen nicht anders gewesen sein.“ Mich wundert nur, daß Sir Walter eine besondere Erfahrung nöthig gehabt hat, um die Entdeckung zu machen, daß verschiedene Menschen jeden Gegenstand verschieden auffassen. Schon das alte Sprichwort: Duo quum faciunt idem [Wenn zwei dasselbe tun . . .], welches doch gewiß eben so wohl vom Anschauen und Erzählen, als vom Handeln gilt, hätte ihm ja die große Wahrheit lehren können, und das Lesen mehrer Geschichtschreiber, welche denselben Gegenstand darstellen, hätte dieselbe bestätigen mögen. Also, meine ich, hätte er sein Werk niemals anfangen, oder er hätte es auch fortsetzen sollen. „Sir Walter wußte gewiß längst, was wir Alle wissen; er war aber in dem alten Schlendrian fortgegangen. Jetzt nun, als er den Vorfall vor seiner Wohnung mit eigenen Augen angesehen und alsdann die verschiedenen, abweichenden unwahren Erzählungen vernahm; jetzt trat ihm plötzlich der Gedanke, daß es keine Wahrheit in der Geschichte gebe, in die Seele, und sogleich faßte er in seinem Unmuth den Entschluß, nicht ferner mitzuwirken zur Erhaltung und Verbreitung des Truges, nicht ferner seinen Zeitgenossen von der Welt der Vergangenheit ein falsches, ein lügenhaftes Bild vorzuhalten.“ Er muß aber doch, wie mir scheint, eine wunderliche Vorstellung von der Wahrheit der Geschichte gehabt haben. Denn es versteht sich ja von selbst, daß der Historiker von den Begebenheiten und Ereignissen früherer Zeiten nichts Anderes wissen kann, als was uns überliefert worden ist. Wenn er Dieses redlich erforscht und ehrlich wieder giebt, so, denk’ ich, ist er alles Truges frei. „Aber der Trug bleibt. Er ist nicht Urheber der Lüge, aber der Verbreiter; nicht der Dieb, aber der Hehler. Die Lüge fällt nur auf euere so genannte Quellen-Schriftsteller zurück.“ Wenn diese Schriftsteller ehrlich und redlich aufgezeichnet haben, was sie wahrnahmen oder was zu ihrer Kenntniß kam, so sind sie eben so frei von Lug und Trug. Sie konnten nicht mehr geben, als sie hatten. „Die Lüge bleibt immer; sie ist nur abermals zurück geworfen, und zurück geworfen auf die Sache selbst; und wir bekommen stets ein unwahres, ein verzerrtes, ein schiefes und falsches Bild von der früheren Welt. Und besser wäre doch wohl, sich gar nicht um die Vergangenheit zu bekümmern, als falsche, also unnütze und verwirrende Vorstellungen von derselben mit uns herum zu tragen. Dadurch werden wir nur verführt, auch die Welt, in welcher wir leben, falsch aufzufassen, und verkehrt in ihr und auf sie zu wirken.“ Das wäre, wenn es so wäre, gewiß sehr schlimm; aber es würde auch zu dem Loose der Menschen gehören, und wir würden genöthigt sein, es zu tragen. Aber so ist 1

) Walter Raleigh (1552/54−1618) engl. Seefahrer u. Schriftsteller; es erschien nur Bd 1 der History of the World (1614).

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es nicht. Die Abweichungen in den Erzählungen sind keineswegs sofort als falsche Angaben zu bezeichnen; sie entstehen vielmehr meistens daraus, daß der Eine etwas Anderes von dem Vorgange aufgefaßt hat, als der Andere. Manches liegt auch in den Worten. Über den Ursprung und den Zusammenhang mögen Irrthümer vorkommen, weil weder jener noch dieser in die Augen fallen, sondern aus allgemeinen Notizen, aus Gerüchten, aus Vermuthungen erschlossen werden müssen. Zuweilen täuschen auch die Sinne, nach der Stellung des Zeugen: Dieser hält für schwarz, was dem Anderen als blau vorkommt und was dem Dritten als grün erscheint. Über die eigentliche Thatsache aber, über Das, was zunächst unser Interesse erregen muß, und was für spätere Ereignisse von der größten Bedeutung ist, weil es dieselben erzeugt oder bedingt, pflegen die verschiedenen Zeugen nicht von einander abzuweichen. Napoleons Bülletin mag etwas ganz Anderes enthalten, als die österreichischen und russischen Berichte, und die Erzählungen der Officiere und Soldaten in den verschiedenen Heeren mögen vom Bülletin und von den Berichten abweichen: über die Thatsachen, die entscheidend sind und, weil sie entscheidend sind, der Geschichte angehören, über die Thatsachen, daß am 2. December 1805 eine Schlacht zwischen dem französisch-teutschen und dem russisch-österreichischen Heer bei Austerlitz Statt gefunden, daß die Franzosen den Sieg gewonnen, daß die Russen sich nach Schlesien zurück gezogen, daß der Kaiser Franz hierauf im französischen Lager mit Napoleon eine Unterredung gehabt habe, daß hierauf zuerst ein Waffenstillstand und weiter ein Friede zu Preßburg abgeschlossen worden − über diese Thatsachen sind alle Nachrichten eben so einig, als die Bedingungen des Friedens außer allem Zweifel stehen. Und so möchte ich gleichfalls glauben, daß selbst wegen des Ereignisses vor Raleighs Wohnung die übrigen Augenzeugen mit ihm selbst und unter einander in Vielem übereingestimmt haben: Ort, Zeit, Parteien (Falls es Parteien gab), Ausgang und Folgen sind ohne Zweifel von Allen auf gleiche Weise angegeben. Nun will ich zwar keinesweges behaupten, daß die übrigen Erscheinungen, welche bei einem Ereigniß, z. B. bei der Schlacht von Austerlitz vorkamen, ohne Bedeutung wären, und daß man deßwegen die Verschiedenheit der Angaben über dieselben auf sich beruhen lassen könnte; aber einen festen Anhalt gewähren doch jene Thatsachen unleugbar. Sie sind die Knochen, das Gerippe des Körpers, in einem besonderen Falle der Begebenheit, überhaupt der Geschichte. Die verschiedenen Angaben über die übrigen Erscheinungen, unter welchen und in welchen jene feststehenden Thatsachen Statt fanden, hat der Historiker zuerst kritisch auf ihren wahren Werth zurück zu führen; er hat sie unter einander und mit den Thatsachen zu vergleichen; er hat sie, nach seinen Kenntnissen von der Lage und der Natur der Länder, von der Stellung der Völker zu einander, von der früheren und späteren Geschichte, von dem inneren Zustande der Staaten, von den Charakteren und den Gesinnungen der handelnden Menschen zu prüfen und alsdann wird die Ungewißheit verschwinden, und Dasjenige wird als die Wahrheit herausstellen, was er als geeignet zu Nerven, Fasern, Muskeln, Mark und Haut für jenes Gerippe erkennt, um dasselbe mit schaffendem Geist und künstlerischer Hand als einen lebendigen Leib hinzustellen. „Das wird freilich eine große Operation sein; aber was der Historiker nach solcher Plage für Wahrheit hält, ist immer nur für ihn, ist nur subjective Wahrheit; unbestreitbare, objective Wahrheit ist es nicht.“ Fichte beantwortete die Frage des Pilatus: was ist Wahrheit? − ein Mal mit folgenden Worten: Wahrheit ist, was nothwendig so gedacht werden muß, wie es gedacht ist; was schlechthin nicht anders gedacht werden kann. „Nämlich von Fichte oder von mir. Also hat ein Jeder seine eigene Wahrheit. Die mathematische Wahrheit aber ist für Alle dieselbe.“ Fichte erläuterte seinen Satz mit mathematischen Beispielen. Zwei, zwei Male gesetzt, sei vier, weil es unmöglich sei, die Sache anders zu denken, sobald man nur wisse, was zwei und was vier. Er habe, sagte er, das Lachen nicht lassen können, als ihm zum ersten Male demonstrirt worden sei, daß vier Einheiten, nicht mehr getrennt, sondern vereint gedacht, eben vier seien: denn das, habe er gemeint, verstehe sich ja von selbst und könne gar nicht anders gedacht werden. Und so würde Alles, was nicht anders gedacht werden könne, nothwendig allgemein als

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Wahrheit erkannt werden, sobald es nur allgemein verstanden würde. „Da eben liegt es. Der Unterschied ist, daß die Mathematik jeden Menschen zwingen kann, anzuerkennen, daß alle rechte Winkel gleich sind; daß Sie hingegen in historischen Dingen mich niemals zwingen können, Ihrer Meinung zu sein.“ Nein, aber ich glaube doch, daß ich Jeden von der Wahrheit zu überzeugen im Stande sein würde, der nicht etwa entschlossen wäre, sich nicht überzeugen zu lassen. Und das scheint mir ein Vorzug. Der Mathematiker zwingt die Menschen, die Wahrheit seiner Sätze anzunehmen; er unterwirft die Geister einem gewissen Fatalismus, bei welchem keine Freiheit der Entschließung möglich ist. Der Historiker läßt die Geister frei; er wendet sich an den ganzen Menschen, an Verstand, Herz und Gemüth, und will nur die freie Überzeugung gewinnen. „Man braucht wahrlich nicht den Widerspruch zu seinem Grundsatze gemacht zu haben, um den Gang der Dinge anders zu denken, als sie uns überliefert oder von irgend einem Historiker dargestellt worden sind oder dargestellt werden können. Und so lange dieses der Fall ist, so lange wird es verstattet sein, die Geschichte des Irrthums zu zeihen, und ihre Überlieferungen als falsch anzusehen.“ Es leidet gar keinen Zweifel, daß auch der gelehrteste, redlichste, scharfsinnigste und geistreichste Historiker in Irrthümer verfallen kann, ja daß er in Irrthümer verfallen muß, weil auch er seinen Theil von dem allgemeinen Loose der Menschen zu tragen hat. Das ist aber auch kein Unglück. Lessing verbat sich ja die Wahrheit. Er hielt das Suchen nach Wahrheit dem Menschen für zuträglicher, als die Wahrheit selbst. Wenn, sagt er irgendwo, der liebe Gott vor mich hinträte und zu mir spräche, „in der rechten Hand halte ich die Wahrheit, in der linken den Irrthum; Lessing, wähle“: so würde ich antworten: Vater, die Wahrheit ist für Dich, laß mir den Irrthum.1) Und wenn nun auch ein Historiker in seinem redlichen Irrthume das Geschehene anders darstellt, als es geschehen ist: welcher Schaden ist zu fürchten? Das Geschehene wird dadurch nicht ungeschehen, daß ein Historiker es übergeht; es wird dadurch nicht verändert, weder in seinem Ursprunge, noch in seinem Wesen oder in seinen Folgen, daß ein Historiker es unrichtig ableitet, unrichtig verlaufen und unrichtig wirken läßt; sondern es behält in der Vergangenheit die Stelle, die es gehabt, nimmt den Raum ein, den es ausgefüllt, und kann den Einfluß auf die spätere Zeit nicht verlieren, den es ein Mal ausgeübt hat. Auch werden die Überlieferungen, welche ein Historiker unrichtig gedeutet und unrichtig benutzt hat, nicht zerstört, sondern sie liegen unverletzt für und für vor der Welt. Also kann ein anderer Historiker die Geschichte von Neuem bearbeiten und die Irrthümer des ersten berichtigen; und sollte er selbst in neue Irrthümer verfallen, so mag ein dritter hinzutreten, Beide zurecht weisen und die Wahrheit herstellen, die er erkannt zu haben glaubt. Auf solche Weise kommt Leben in das Studium der Geschichte, Leben in die Geschichtschreibung, und der Geist findet Gelegenheit sich zu üben und zu versuchen, desto öfter, je zahlreicher und je abweichender die Überlieferungen und die Bearbeitungen sind. Überlieferungen hingegen, wie Sir Walter Raleigh sie gewollt zu haben scheint, nämlich eine vollkommene Übereinstimmung aller Zeugen nicht nur über die Haupt-Thatsachen, sondern auch über alle Umstände, über alle Erscheinungen, unter welchen die Thatsachen geschehen sind, würde den Tod in das Studium und in die Geschichtschreibung bringen, selbst wenn ihr Zeugniß eben so vollständig als einstimmig wäre. Wir hätten alsdann an Einer Überlieferung vollkommen genug, und die seelenvollste Wissenschaft würde zu einem langweiligen Gedächtnißkram hinab sinken, zu einer drückenden Masse von Namen, Zahlen und Notizen. Ein Gips-Abdruck, von einer Leiche genommen, hat gewiß die größte Ähnlichkeit mit dem Bau des Gesichtes des Hingeschiedenen; aber es ist eine seelenlose Larve, die uns nimmer das Bild des Mannes gewähren wird, wie er dagestanden hat voll von Leben und Kraft. Viel lieber will ich die Büste besitzen, welche der Künstler mit freiem Geist und freier Hand geschaffen hat, um den Charakter des Mannes, seinen Geist und seinen Willen, ja sein 1

) Ungenau zitiert aus: Theologische Streitschriften. Duplik I, 1778.

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ganzes Leben und Sein hinein zu legen; und es verdrießt mich nicht, daß etwa das Wärzchen fehlt, das jene Larve getreulich aufgenommen hat. So will ich auch in der Geschichtschreibung nicht die nackte, todte, aber treue Wirklichkeit, sondern eine lebensvolle, farbenreiche Welt, welche die unzweifelhaften Thatsachen unverkürzt und unentstellt darbietet, aber mit poetischem Geist aufgefaßt und mit künstlerischer Hand ausgearbeitet. „Sie machen also den Historiker zum Dichter.“ Da ich selbst noch Nichts in der Geschichte geleistet habe, Ew. Excellenz, so darf ich ja wohl meine Meinung aussprechen; denn ich rede nicht pro domo mea. Ich glaube wirklich, daß Geschichte nicht würdig geschrieben werden könne, ohne eine wahre ποιησις,, und daß Niemand ein Historiker sein könne, im schönsten Sinne des Wortes, dem die schöpferische oder dichterische Kraft fehlt. Denn er muß ja die Welt der Vergangenheit vor Augen haben, in welcher die Ereignisse Statt fanden, die er darstellen will, und die er nur in der Anschauung dieser Welt darstellen und in ihrer ganzen und ächten Bedeutung darstellen kann. Diese Welt aber wird ihm nicht zur Anschauung dargeboten, sondern er muß sie schaffen, um sie anschauen zu können. „Wenn man auch Dieses zugäbe, so würde doch ein großer Unterschied zwischen dem Dichter und dem Historiker bleiben. Der Dichter schafft seine Welt frei, nach seiner eigenen Idee, und darum kann er sie vollkommen und vollendet hinstellen; der Historiker ist gebunden: denn er muß seine Welt so aufbauen, daß die sämmtlichen Bruchstücke hinein passen, welche die Geschichte auf uns gebracht hat. Deßwegen wird er niemals ein vollkommenes Werk liefern können, sondern immer wird die Mühe des Suchens, des Sammelns, des Flickens und Leimens sichtbar bleiben.“ Um so größer ist die Aufgabe des Historikers, um so schwieriger seine Arbeit, um so mehr verdient ein gelungenes geschichtliches Werk Dank, Ehre und Preis, ein weniger gelungenes Nachsicht und Schonung. Auch darf nicht übersehen werden, daß der Dichter nur seine eigene Idee, so tief und groß, als die Kraft seines Geistes sie zu fassen vermag, darzustellen sucht, der Historiker aber die Idee Gottes, wie sie sich im Leben der Menschen offenbart hat. „Am Ende steht Ihnen der Historiker über dem Dichter.“ Ja nicht, Ew. Excellenz. Ich kann mich überhaupt mit der Stufenleiter, auf welche man die Geister zu stellen pflegt, nicht recht vertragen, und möchte glauben, daß die Bahnen des Geistes nicht unter einander gebaut sind, sondern neben einander fortlaufen. Jedes Falles glaube ich, daß Derjenige, der Tüchtiges in der Geschichte leistet, Niemandem seine Stelle zu beneiden brauche. „Wenn ich nun aber aus Ihren Bemerkungen über geschichtliche Forschung und Geschichtschreibung das Resultat ziehe, so scheint doch, mit Schillers Worten, der langen Rede kurzer Sinn zu sein, daß Faust Recht habe: Was man den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln.“ [Fragment 224ff.] Mit diesem classischen Spruche bin ich vollkommen einverstanden. Wenn uns aber die Herren Geist geben und wäre es auch der eigene, und wenn sie uns in diesem Geiste das Spiegelbild der Zeiten zeigen, so können wir, denke ich, einiger Maßen zufrieden sein. „Aber nun doch noch Eine Frage. Was wollen Sie denn zuletzt mit Ihrer Geschichte, mit allen diesen historischen Wahrheiten, Irrthümern, Dichtungen? Welches ist das endliche Ziel Ihrer Studien und Ihrer Bestrebungen?“ Das ist eine große Frage, Ew. Excellenz, die eine weitläufige Antwort nothwendig macht. In der Kürze wüßte ich sie in der That nicht besser zu beantworten als mit Fausts Worten: − Was der ganzen Menschheit zugetheilt ist, Will ich in meinem innern Selbst erkennen. [Fragment 249f.] „Genießen, wollen Sie sagen.“ Ew. Excellenz halten’s zu Gnaden; ich möchte doch bei dem Erkennen bleiben, und mich mit dem Genusse begnügen, den etwa das Erkennen abwirft. Das Erkannte aber möchte ich alsdann durch Lehre und Schrift mittheilen. Übrigens darf ich wohl nicht hinzufügen, daß ich natürlich nur von meinem Wunsch und Willen gesprochen habe; das Vollbringen liegt nur zum kleinsten Theil in des Menschen Hand. Aber in magnis voluisse sat est. [Es genügt, das Große gewollt zu haben.] „Ja, ja. Wir haben nunmehr Stoff zu vielen künftigen Unterhaltungen. Aber es ist schon weit am Tage; wir müssen’s dießmal unterbrechen.“ Indem ich nun meine Entlassung zu nehmen gedachte, sagte ich unge-

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fähr folgende Worte: Ich kann nicht aussprechen, mit welchen Gefühlen ich von Ew. Excellenz scheide. Der gestrige Abend hatte mir die Brust mit der heitersten Freude angefüllt, und mit dieser Freude trat ich diesen Morgen bei Ihnen ein. Im Laufe des Gespräches aber ist ein Schatten in diese reine Heiterkeit gefallen, dem ich nicht auszuweichen vermocht habe, und der mich jetzt, da ich Ew. Excellenz verlassen soll, etwas stark zu incommodiren anfangt. „Wie so, Lieber? Was ist denn Das?“ Seit ich die Vocation nach Jena angenommen hatte, hat mich der Gedanke begleitet, daß mir nun auch das Glück beschieden sein möchte, nach welchem ich mich schon lange gesehnt hatte, das Glück, in die Nähe Ew. Excellenz zu kommen, Sie zu sehen, Sie zu sprechen. Und doch vermochte ich die Erfüllung dieses Wunsches nicht ohne große Ängstlichkeit zu denken. Zu meiner Sehnsucht mischte sich, bei meiner Verehrung und Bewunderung des Fürsten der Dichter, ich möchte sagen, eine heilige Scheu. Ich fürchtete, daß ich, wenn mir ein Mal die Ehre zu Theil werden möchte, Ew. Excellenz vorgestellt zu werden, wie ein Berauschter vor Ihnen erscheinen möchte, unbehülflich, hölzern, verwirrt, tölpelhaft. Der gestrige Abend hat mich nun über alle Verlegenheit rasch und glücklich hinweg gerissen; aber ich fürchte, er hat mich zuweit hinweg gerissen; ich fürchte, daß ich heute gesprochen habe, wie ich nicht hätte sprechen sollen. Ich bin aber in die Rednerei hinein gekommen, ich weiß selbst nicht wie. Ich habe wohl gefühlt, daß ich nicht hätte hinein kommen sollen; da ich aber ein Mal hinein gekommen war, so vermochte ich mich nicht wieder hinaus zu finden. Was ich Irriges gesagt haben mag, das werden Ew. Excellenz gewiß nicht beachtet haben; aber ich bitte so unterthänig als herzlich, mir auch zu Gnaden zu halten, was etwa Ungebührliches und Ungehöriges vorgekommen ist. „Ei, lieber Herr Professor, seien Sie darüber ganz ruhig. Wir haben unter vier Augen gesprochen, im Ernst und im Scherz, und ich wüßte nicht, was wir, Einer dem Anderen, vorzuwerfen oder übel zu nehmen hätten. Unser Gespräch hat mich interessirt und unterhalten, sonst würde es wohl auch nicht so lange gedauert haben. Ich habe in Ihnen einen jungen Mann kennen gelernt, der klar sehen will, der sich nicht durch hohle Worte verwirren und nicht durch Blendwerke irre führen läßt. Sie streben eifrig nach Wahrheit, ohne der Poesie entfremdet zu sein; selbst ihre täuschenden Gebilde mögen Sie wohl leiden. Das ist löblich und gut. In Ihrem wissenschaftlichen Treiben sind Sie auch auf gutem, auf dem rechten Wege. Fahren Sie fort, in der Geschichte zu leben und kühn in die vergangenen Zeiten zu schauen, ungestört von den Wirrungen der Gegenwart. Forschen Sie mit Anstrengung aller Kräfte in den Jahrbüchern der Völker; theilen Sie ehrlich und redlich mit, ohne alle Nebenabsicht, was Sie durch Ihre Forschung als wahr erkannt zu haben glauben, in Wort und Schrift; in Ihrer Darstellung aber machen Sie sich frei von jedem Vorbilde, und geben Sie namentlich jede Hämmerung und Verrenkung auf, die an Johannes Müller, der selbst nur ein Nachahmer von Tacitus ist, erinnern könnte; überhaupt fröhnen Sie nicht der Geschmacklosigkeit der Zeit und verachten Sie die Weisheit, die in den s. g. literärischen Blättern altklug verkündigt zu werden pflegt. Schreiben Sie vielmehr klar und einfach, ohne Scheu vor einem poetischen Anflug, und ziehen Sie eine bequeme Entwickelung der geschraubten Kürze vor, die man schlagend zu nennen und hoch zu bewundern pflegt. Sie werden späteren Geschlechtern gefallen, wenn Sie auch den Tadel Ihrer Zeitgenossen zu erdulden haben sollten. Jedes Falles hoffe ich von Ihrer Anstellung in Jena Gutes für Sie selbst und für die Universität. Und nun (mir die Hand reichend) leben Sie recht wohl. Auf baldiges Wiedersehen.“ . . . [75f.:] Als ich Goethe verlassen hatte, blieb ich den ganzen Tag hindurch in einer wunderlichen Stimmung. Es war etwas Unheimliches und Unruhiges in mir, und ich sah nicht mit Heiterkeit, nicht mit Zufriedenheit auf den Morgen zurück. Ich ärgerte mich über mich selbst, daß ich mir erlaubt hatte, vor einem solchen Mann über sein eigenes Werk so offen und freimüthig zu sprechen, und zwar über ein Werk, das in der Welt als das Tiefsinnigste, das jemals geschrieben worden, anerkannt zu werden schien. Wie er selbst über das Werk denken oder vielmehr gedacht haben, was er bei der Abfassung beabsichtigt, was er nach und nach hinein gelegt haben mochte, war freilich ungewiß,

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und vielleicht wußte er es selbst nicht mehr: jeden Falles wurde der Faust in der Welt mit der höchsten Bewunderung angestaunt und des Lobpreisens war kein Ende. Diese Feier konnte nicht ohne Wirkung auf Goethe geblieben sein. Er hätte sich, meinte ich, zuverlässig dadurch selbst überzeugt, daß er, wie er sich selbst ausdrückte, im Faust nicht eine wunderliche, sondern eine wunderbare Dichtung geliefert habe, und daß in dieser Dichtung wirklich ein tieferer Sinn liege, als er selbst hinein zu legen beabsichtigt hatte. Nothwendig müßte es ihm angenehm sein, daß sich so viele, und auch gelehrte und geistreiche Männer mit dem Faust beschäftigten und sich jegliche Mühe gaben, daß Gedicht nicht nur im Ganzen dem Erhabensten gleich zu deuten, das je der menschliche Geist gedichtet und gedacht hat, sondern auch an jedem Reim so lange herum zu klauben, bis er ihnen als eine hohe Offenbarung erscheint. Und deßwegen könnte es, wie mir schien, nicht anders sein: was ich gesagt hatte, müßte ihm wie ein greller Mißton in die Ohren geklungen und ihn gestört haben in der seligen Behaglichkeit, in welche er durch den Zauber überschwenglicher Schmeichelei hinein gerathen sei. Deßwegen war ich ärgerlich über mich selbst, sehr ärgerlich, weil ich solche verletzende Worte gegen einen Mann gesprochen hatte, für welchen meine Brust voll war von Verehrung und Bewunderung. Aber ich war auch ärgerlich über Goethe. Wenn ich den ganzen Gang des Gesprächs überdachte, so konnte ich nicht umhin, auf Goethe den größten Theil der Schuld zu werfen, daß dasselbe eine solche Wendung genommen hatte. Er hatte mich ja zu meinen Äußerungen verlockt, ja fast gezwungen. Ohne sein Drängen würde ich mich nimmer so weit eingelassen haben. Und in dem zweiten Theile des Gespräches, über die Geschichte, hatte er es, wie mir in meinem Unmuthe vorkam, darauf angelegt, seinen Unmuth an mir auszulassen, mich zu verwirren, mir wehe zu thun . . . [78−81:] Am andern Morgen um 6 Uhr saßen wir [Luden u. C. W. Hufeland] im Wagen und rollten [zu einem Ausflug nach Dornburg] bei dem schönsten Wetter dahin. Auf dieser Fahrt nun fragte Hufeland mich, wie ich denn gestern mit Goethe ausgekommen sei? . . . Hierauf erzählte ich Hufelanden den Inhalt, den Gang und das Ende meiner Gespräche mit Goethe. Natürlich konnte Dieses nur im Allgemeinen geschehen . . . Am Ende . . . sagte er [Hufeland] ungefähr folgende Worte: „Über die Sachen können wir hier nicht verhandeln; Zeit und Ort machen es unmöglich. Ich gestehe Ihnen aber, daß ich wünsche, Sie möchten ein solches Gespräch mit Goethe nicht geführt haben. Ich fürchte, sie haben einen falschen Schritt gethan. Es ist immer ein kitzliches Ding, mit einem Autor über seine eigenen Werke zu sprechen, wenn man sich nicht etwa weitere Belehrung erbitten will . . . Und Goethe, gewiß der Erste der Dichter, ist nur an Bewunderung, ja an Anbetung gewöhnt. Sie haben daher sehr unvorsichtig gehandelt, daß Sie ihm widersprochen, daß Sie über die Bewunderer seines Faust fast ein wenig spöttisch gesprochen, und dem erhabenen Gedichte einen so gewöhnlichen Ursprung gegeben haben. Es ist ja fast zum Gelegenheits-Gedichte gemacht worden, und diese Gattung der Poesie pflegt man am Tiefsten zu stellen.“ Aber, mein Gott, ich habe ja nur eine Hypothese über die Entstehung des Gedichts ausgesprochen, und den tiefen Geist, die ächte und erhabene Poesie in dem Gedichte gern, willig, wiederholt, mit Freude und Bewunderung anerkannt. „Aber Sie haben diesen tiefen Geist, diese ächte Poesie nur im Einzelnen anerkannt und nicht im Ganzen; auch haben Sie, wenn ich Sie anders recht verstanden habe, behauptet, es sei unmöglich, dieses Einzelne, das uns gegeben ist, zu einem Ganzen zu machen, weil sich überall Widersprüche fänden, die sich nicht ausgleichen ließen, diese selbst Goethe auszugleichen außer Stande sei.“ Habe ich denn Unrecht mit dieser Behauptung? Ich glaube, nein. „Ob Sie recht haben oder Unrecht mit Ihrer Behauptung, will ich durchaus nicht entscheiden; vielleicht wird sich dieselbe bestätigen, vielleicht wird sie zu Schanden werden, wenn Goethe den Faust vollendet und die ganze Tragödie vollendet vorlegt. Ich meine aber, Sie haben Unrecht gehabt, eine solche Behauptung vor ihm auszusprechen.“ . . . [Knebel über Ludens Gespräch mit G, 88−90:] Dem da drüben [G] aber, dem ist ganz recht geschehen, daß ihm ein Mal eine freie Meinung ausgesprochen wird, gleichviel ob sie richtig war oder nicht. Er hört sonst nur Schmeicheleien; Sie

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haben ihm nicht eben geschmeichelt . . . Eins könnte ihn überrascht haben. Sie haben vielleicht nicht ganz Unrecht mit Ihrer Conjectur über die Entstehung des Faust. Ich glaube fast, und nicht aus schlechten Gründen, Ihre Vermuthung könnte so ziemlich richtig sein. Vielleicht könnte ihn verdrossen haben, daß Sie ihm auf die Spur gekommen sind, ich will sagen, daß Sie . . .. geglaubt haben, ihm auf der Spur zu sein . . . [100f.:] Ich befand mich mit Griesbach1) allein in seinem Garten . . . Alsdann sagte Griesbach: „a` propos, Hufeland hat mir gesagt, daß Sie auch Goethe’n bei Knebel bekannt geworden sind, und auf eine lustige Weise“? − Das ist wahr, erwiederte ich, aber die Weise hat am andern Morgen eine Wendung genommen, die mir eben nicht lustig vorkam. − Und nun mußte ich erzählen. Griesbach hörte ruhig zu. „Ich sehe in dem Allen nichts Bedenkliches,“ sagte er. „Warum hätten Sie, selbst dem Autor ins Angesicht, nicht Ihre Meinung über sein Opus sagen sollen? . . . Übrigens,“ fuhr er fort, „ist Hufeland’s Rath, daß Sie die Unterredung zu Papier bringen sollten, recht gut; seinen Wunsch hingegen, daß Sie ihm dieselbe schicken möchten, dürfen Sie nicht erfüllen. Sie kennen Hufeland so gut als ich und vielleicht besser. Er ist ein vortrefflicher Mann, aber bei seiner Gutmüthigkeit hat er nicht immer die gehörige Vorsicht. Er wäre wohl im Stande, das Gespräch selbst an seinen Freund Kotzebue zu geben, der ja, soviel ich weiß, in Berlin ist, und Kotzebue wäre im Stande, es in seinem Freimühtigen abdrucken zu lassen. Und alsdann könnte das Übel ärger werden.“ Wir verabredeten, daß ich das Gespräch ihm, Griesbach, zur Durchsicht geben sollte. Das geschah. Griesbach gab es mir nicht zurück, und ich mochte, als ich aus Jena abreisen wollte, es nicht zurück fordern. Dadurch ist es der Zerstörung entgangen. Erst etwa zu Ostern 1807 habe ich es wieder erhalten.

Aug 19. [Jena] An C. G. Voigt (Br 19, 177): Professor Luden ist heute eine

Stunde bey mir gewesen.2) äußere Dinge, die auf ihn verlegen machen, die mir Ew. Excellenz vertraulich Betrachtung anders finde.

Er gefällt mir sehr wohl. Es sind aber schon eindringen, seine gute Natur verwirren und beym ersten Anblick nicht gefallen und die mittheile, wenn ich sie nicht bey näherer

1807 ⎯ ⎯ 3) Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 61952, 262: Insofern es [das Selbstbewußtsein] aus der sittlichen Substanz und dem ruhigen Dasein des Denkens zu seinem Fürsichsein sich erhoben, so hat es das Gesetz der Sitte und des Daseins, die Kenntnisse der Beobachtung und die Theorie als einen grauen, eben verschwindenden Schatten hinter sich; denn dies ich vielmehr ein Wissen von einem solchen, dessen Fürsichsein und Wirklichkeit eine andere als die des Selbstbewußtseins ist. Es ist in es [das Selbstbewußtsein] statt des himmlisch scheinenden Geistes der Allgemeinheit des Wissens und Tuns, worin die Empfindung und der Genuß der Einzelheit schweigt, der Erdgeist gefahren, dem das Sein nur, welches die Wirklichkeit des einzelnen Bewußtseins ist, als die wahre Wirklichkeit gilt. Es verachtet Verstand und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Gaben4) − hat dem Teufel sich ergeben und

1

) Johann Jakob Griesbach (1745−1812), Theologe in Jena. ) Auch G’s Jenaer Tgb vom 19. Aug 1806 vermerkt: Besuch von Prof. Luden. 3 ) 1807 erschien Hegels Phänomenologie des Geistes 4 ) Verachte nur Vernunft und Wissenschaft Des Menschen allerhöchste Kraft (Fragment v. 330f.). 2

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muß zu Grunde gehn.1) Es stürzt also ins Leben und bringt die reine Individualität, in welcher es auftritt, zur Ausführung.2)

Apr 28. [Potsdam] E. T. A. Hoffmann an E. Hitzig (E. T. A. Hoffmann: Briefwechsel. Hsg. v. F. Schnapp. Bd 1. München 1967, 207): Sagen sie [Zacharias] W[erner], . . . daß er, wenn ich erst einigen Ruf haben werde, mir den Faust machen wird; wenn er es auch nicht thun will, so mag ich doch die LieblingsIdee3) nicht aufgeben, in dem ich in mancher Stunde schon am Clavier für den Faust komponire − Gewisse Fantasien werden nehmlich von einer gewissen unbekannten Stimme die ich sehr deutlich höre so rubrizirt: für den Faust!

1808 Mai 18. [Amsterdam] B. G. Niebuhr an A. Moltke (B. G. Niebuhr: Lebensnachrichten. Bd 2. Hamburg 1838, 64): Weißt Du wohl, was von allen Dingen mir hier am meisten fehlt! Ein Goethe, wäre es auch nur sein Faust: mein Katechismus, der Inbegriff meiner Überzeugungen und Gefühle; denn was nicht darin, im Fragment steht, würde dastehen, wenn er vollendet wäre. Hundertmal habe ich daran gedacht, ihn vollenden zu wollen, aber die Kräfte sind dem Willen nicht gemäß. Nov 26. [Erfurt] W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt (Sydow 3, 29): Was Goethen betrifft, so ist nicht zu leugnen, daß er nicht gerade das beste seines Genius während seines italienischen Aufenthalts aussprach. Es mag freilich sein, daß er nicht lange genug dort war, aber − wir sprachen noch selbst . . . mit ihm davon − Werther, Egmont, Faust wären nie, auch von ihm, in Italien entstanden. Es ist wohl möglich, daß Werke, die aus vollkommener Harmonie des Geistes in sich und mit der Natur hervorgehen, nur noch in der Kunst, nicht mehr in der Poesie möglich sind, und ein energischer und doch wohltätiger Zwiespalt kann in schönen Himmelsstrichen kaum gedacht werden, da die Unvollkommenheit, die im Norden nur die physische Natur trifft, und den Menschen als Unglück drückt, in jenen auf ihn, als Schwäche oder als Schuld zurückfällt.

1815 März 1. [Karlsruhe] M. v. Schenkendorf an G (Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte [19] 1986, 103f.): Da erschien, wie ein frischer Quell in der Wüste, die deutsche Trilogie, Goetz, Egmont, Faust. Diese Gedichte sind mir oft wie der Frühglockenton vorgekommen, welcher das Wiedererwachen unserer alten Dichtkunst, und die damit gewis zusammenhängende Bewegung der zwei lezten Jahre vorausverkündiget hat.

1816 [Juni

[Weimar] J. D. Falk, Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Leipzig 30.] 1832, 92)4): „Dreißig Jahre haben sie sich nun fast mit den Besenstielen des Blocks1

) Und hätt’ er [Faust] sich auch nicht dem Teufel übergeben, / Er müßte doch zu Grunde gehn! (Fragment v. 345f.). 2 ) Nach Hegel veranschaulicht Faust in seiner konkreten Erscheinung die dialektische Bewegung des absoluten Geistes hin zu seiner Identität. − Zu Hegels Faust-Rezeption s. Patsch JbFDH 2015, 111−20. 3 ) s. oben 26. Okt 1795: Hoffmann an Hippel. 4 ) Geschrieben 1824 Anf.

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berges und den Katzengesprächen in der Hexenküche, die im ,Faust‘ vorkommen, herumgeplagt, und es hat mit dem Interpretiren und dem Allegorisiren dieses dramatischhumoristischen Unsinns nie so recht fortgewollt. Wahrlich, man sollte sich in seiner Jugend öfter den Spaß machen und ihnen solche Brocken, wie den Brocken hinwerfen.“

1826 Febr 18. (s. „Faust. Frühe Fassung“: an Martius gD, S. 71) [Juli/ Heine: Reisebilder. Theil 2. Hamburg 1827, 56f.: . . . mir [kam] vor der Kirchenthüre Sept]1) die Stelle aus Goethes Faust in den Kopf . . ., wo dieser mit dem Mephistopheles bey einem Kreuze vorübergeht und ihn fragt: Mephisto, hast du Eil? Was schlägst vor’m Kreuz die Augen nieder? Und worauf Mephistopheles antwortet: Ich weiß es wohl, es ist ein Vorurtheil; Allein es ist mir mahl zuwider. Diese Verse sind, so viel ich weiß, in keiner Ausgabe des Fausts gedruckt, und bloß der sel. Hofrath Moritz, der sie aus Goethes Manuscript kannte, theilt sie mit in seinem „Philipp Reiser“2) . . .

1827 März 28. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 583): „Es gibt aber in seinem Buche3) nicht wenige Stellen, bei denen der Gedanke nicht rückt und fortschreitet und wobei sich die dunkle Sprache immer auf demselbigen Fleck und immer in demselbigen Kreise bewegt, völlig so, wie das Einmaleins der Hexe in meinem Faust.“ Dez

4. An Zelter (Br 43, 197): Deine Correspondentin aus Sanssouci4) mag

ein liebenswürdiges Mädchen seyn, eine wahre Deutsche ist sie zugleich. Diese Nation weiß durchaus nichts zurechtzulegen, durchaus stolpern sie über Strohhalmen. Du hast die Frage [nach der Autorschaft eines Xenions] sehr umständlich, freundlich und vernünftig beantwortet; man kann es auch geradehin als einen Zufall betrachten, der bey Freunden, die soviel herüber- und hinüberwirken, gar leicht vorkommen konnte. Eben so quälen sie sich und mich mit den Weissagungen des Bakis, früher mit dem Hexen-Einmaleins und so manchem andern Unsinn, den man dem schlichten Menschenverstande anzueignen gedenkt. Suchten sie doch die psychisch-sittlich-ästhetischen Räthsel, die in meinen Werken mit freygebigen Händen ausgestreut sind, sich anzueignen und sich ihre Lebensräthsel dadurch aufzuklären!

1

) Reisebild Die Nordsee, während Heines Aufenthalt auf der Insel Norderney zwischen Juli u. Sept 1826 entstanden, erschienen im Apr 1827. 2 ) s. oben [Dez 1788/Jan 1789]: Anton Reiser. 3 ) H. F. W. Hinrichs: Das Wesen der antiken Tragödie, in ästhetischen Vorlesungen durchgeführt . . . Halle 1827; laut Tgb am 15. März erhalten u. gelesen; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 691). 4 ) Eine ehemalige Schülerin Zelters.

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1829

1829 Apr 10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 351f.): Nachdem Friedrich den Tisch abgeräumt hatte, ließ Goethe sich einen kleinen Plan von Rom vorlegen . . . Goethe zeigte mir sodann auch auf diesem Grundriß die merkwürdigsten Gebäude und Plätze. „Dies, sagte er, ist der Farnesische Garten. „War es nicht hier, sagte ich, wo Sie die Hexenszene des Faust geschrieben? „Nein, sagte er, das war im Garten Borghese.“

1830 Jan

31. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 689f.): Wir sprachen über die verschiedenen Ausgaben seiner Werke . . . Seine frühesten Werke hat Goethe, wie er uns sagte, alle mit eigener Hand geschrieben . . . Gedichte und flüchtig notierte Pläne finden sich von seiner eigenen Hand.

Sept ⎯ W. v. Humboldt [Rez.] Goethe’s Werke. Neun und zwanzigster Band. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1829. In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Stuttgart und Tübingen, Nro. 45−47, von Sept 1830 (Fambach 368ff.): Die Göschensche Ausgabe seiner Schriften war bei seiner Abreise [13. März 1790 von Jena zur Abholung Anna Amalias in Venedig] eben im Druck begriffen, und er verlor sie die ganze Reise hindurch nicht aus den Augen . . . von dem funfzehn Jahre früher [1775] angefangenen Faust wurde nicht bloss der Plan zu Ende gebracht, sondern auch eine Scene ausgeführt . . .

Faust. Eine Tragödie1)

E

1795 − 1806 Chronologische Übersicht 1795 Jan 11.−23. od. März 29. − Mai 2.: vermutl. Planungen für eine Fortsetzung 1797 Juni 5.: Oberons Goldene Hochzeit2) Juni 23.: Ausführliches Schema zum Faust Juni 24.−27.: Zueignung an Faust Juni 25.−27: vermutl. Vorspiel auf dem Theater und/oder Prolog im Himmel Juni Ende − 1798 Mai Anf.: sporadische Beschäftigung3)

1

) Die auf den unvollständigen ED Faust. Ein Fragment (Berlin 1790) folgende Buchveröffentlichung (Tübingen 1808), in die zahlreiche von früher her vorhandene Szenen u. Vorarbeiten eingingen, nun zur Komplettieruung des Fragments ergänzt u. bereichert durch neu hinzugekommende Verspartien. Der Zwischentitel Der Tragödie Erster Theil (auf S. 25, anschließend an den Prolog im Himmel) weist bereits auf einen künftigen zweiten Teil der Tragödie hin.. 2 ) Später erweitert zu Sz. Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit (4223−398). 3 ) s. 23. Juni 1797/5. Mai 1798: P10, 26 u. 50 sowie H Sz. Dom.

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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1798 Apr 9.: Faust wieder vorgenommen −11. u. 14.−21.: Faust hat diese Tage immer zugenommen1) Mai Anf.: Umwandlung der Prosa-Sz. Kerker in Vers-Fassung2) Aug/Sept vermutl. Vorspiel auf dem Theater 3) ? 1799 Febr 7.−28. Sept 18.−19. 1800 Apr 11., 13.−15., 16. (vermutl. Sz. Studirzimmer), 17.−19., 21.−24. Mai 22. Aug 1.: einen kleinen Knoten in Faust gelöst4) ? Sept 4.−5.5) Nov 2.−5.: Arbeit an Sz. Walpurgisnacht 6); 6.−8. Dez: Entwürfe zur Sz. Walpurgisnacht 7) 1801 Febr 7. − Apr 7.8) 1806 März 24.: Für mich letzte Szene; März/Apr: Abschluß u. Endredaktion9) Apr 25.: letztes Arrangement zum Druk. Zur Datierung einzelner Szenen

Zueignung Ihr naht euch wieder . . . (1−32)10) 1797 Juni 24. 1

) An Charlotte Schiller, 21. Apr 1798 (s. dort); woran G arbeitete, ist nicht bekannt. ) Vgl. unten Z zu 5. Mai 1798: an Schiller m. Anm. u. „Faust. Frühe Fassung“: E-Rubrik, S. 21. 3 ) s. unten die Z vom Aug u. Sept 1798 mit Anmerkungen. 4 ) Es läßt sich nicht entscheiden, ob G hier auf Helena oder Faust I Bezug nimmt, vgl. unten 1. Aug 1800: an Schiller m. Anm. 5 ) Vielleicht auch Arbeit an Helena. 6 ) Unter Einbeziehung von P50, s. unten: 22. Juni 1797 − 5. Mai 1798; Hs datiert (5. Nov) mit 3867−911, vielleicht auch bis 916. 7 ) H P27−29 u. 38−40. − Jan 1801: Unterbrechung der Arbeiten, da G schwer erkrankt. 8 ) Vor allem Arbeit an Sz. Walpurgisnacht (s. auch März/Apr?: P22, 24, 31, 48), zeitweise auch an Sz. Vor dem Thor. 9 ) s. zu Sz. Kerker insb. März 3., 21., 24., 25., 28.−29.; zur sog. Valentin-Szene (3620−775) Ende März/Anf. Apr; Apr 1., 4. (Walpurgisnacht mit R.[iemer] geendigt), 13. (Schluss von Faust 1 Theil), 21.−22. 10 ) Datierung auf 1797 fast einmütig, zumeist 24. Juni (begründet durch 1797 Juni 22. u. 24.: an Schiller; Juni 24.: Tgb; 1797 Chronologie). − 1788: Vischer 1875, 6, Baumgart 1893, 168 u. 172, Hehn GJb 1895, 107. − 1797: Cramer 1843, 9, Meyer 1847, 53, Dycks 1855, 52, Fischer 1877, 94, Schröer 1879, 618 u. 1881 XLVII, Boyesen 1881, 16, Marbach 1881, 19, Weltrich 1888, 565, Bischoff 1901, 12 u. 22, Hauri 1910, 38, Stawell 1928, 51, Petsch 1941, 53, Endres 1949, 8 u. 13, Walheim 1954, 33. − 1797 Sommer: Beutler 1940, 529 u. Heffner 1954, 326. − 1797 Juni: Loeper 1870, 186, Vischer 1875, 6 u. 1879 XVI, Taylor 1882, 223 sowie Niejahr GJb1899, 156. − 1797 Juni 23: Nagel 1949, 12. − 1797 Juni 24.: Düntzer 1857, 86 u. 1882, XXIII; Stiller 1891, 8, Vogel 1898, 669, Bruinier 1898, 136, Pniower 1899, 56, Minor 2

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

Vorspiel auf dem Theater Director, Theaterdichter, Lustige Person (33−242)1) ? 1797 Juni 25.−27.; ?1798 Aug/Sept. Prolog im Himmel (243−353)2)

Der Herr, die himmlischen Heerscharen . . .

1901 II 5, Harnack 1902, 519, Alt 1902, 122, E. Schmidt 1903, 364, Litzmann 1904, 99, Witkowski 1906, 189, Alt 1908 XXIV, Bielschowsky 1909, 582, Engel 1910, 794, Burdach: Faust u. Moses 381, Wood 1912, 3, Fischer 1913 II 62, Sarauw 1917, 34, Pniower GHb III 618, Trendelenburg 1922, 135, Alt GJb 1922, 49, Petsch 1926 V 632, Kühnemann 1930 416 u. 425, Fester 1933, 12, Ebering 1934, 5, Friedrich 1939, 137, Trunz 1949, 491, Gramsch 1949, 69, Daur 1950, 57, Fuerst 1950, 243, Grumach GJb 1952/53, 71, Mommsen 1953, 296, Woyte 1955, 15, Scheithauer 1957, 13, Friedrich 1963, 14, MA 6.1, 994, Gaier 1999, 17 u. FA 7.2, 149. − 1797 Juli 1: Prove 1870, 35. 1 ) Datierung vorwiegend 1797 u. 1798. − 1795 Ende/1796 Anf.: Seidlin 1952, 314 mit Verweis auf ähnliche Gedanken in Wilhelm Meisters Lehrjahren (Buch 2, Kap.2) und Xenien, vermutet sogar Konzeption als Vorspiel für Mozarts Zauberflöte (Aufführung 1794 in Weimar), dagegen Mommsen 1953, 301. − 1795 − 1800: Gaier 1999, 22. − 1797: Biedermann 1879, 54, Baumgartner 1886, 364 u. Pniower 1892, 413. − 1797 Juni: Düntzer 1854, 87, Loeper 1870 XV, Fischer 1877, 94, Loeper 1879 XVI, Schröer 1879 LXXXI, Schröer 1881, 6, Weltrich 1888, 565, Stiller 1891, 8, Litzmann 1904, 110, Gräf II 2, 63 konkretisiert vorsichtig mit Hinweis auf Tgb 24. Juni 1797¸ Engel 1910, 532, Fischer 1913 II 66, Alt GJb 1922, 49, Kühnemann 1930, 427, Friedrich 1939, 167, Petsch 1941, 52, Grumach GJb 1952/53, 63−107, auf dessen Ausführungen gestützt Michelsen 1994, 139ff. u. Woyte 1955, 16; auch Harnack 1902, 519: Abschluß der Szene spätestens 1799, so auch Vogel 1898, 669 mit Festlegung auf 9. Aug 1799: Tgb; Wood 1912, 4 läßt den Zeitpunkt des Abschlußes offen. Alt 1902, 122 sieht Parallelen zw. 89−103 u. 27. Juni 1797: an Schiller (s. dort). − 1797 Sommer/Spätsommer: MA 6.1, 995. − 1797 − 1798 Frühj.: Scheithauer 1957, 173 u. Scheibe 1958, 234. − 1797 Ende − 1798 Anf.: Karsten 1896, 303, Schmidt 1903, 266, Denecke 1911, 60, Witkowski 1906, 190; Datierungen, die Petsch 1926 V 632 u. Mommsen 1953, 295−311 nicht überzeugen, gegen Schmidt insbesondere Sarauw 1925, 76f. − 1797 − 1800: Vischer 1875, 21, Hauri 1910, 5, Trendelenburg 1922, 139, Baumgart 1893, 172 u. Trunz 1949, 493. − 1798: Bayer 1869, 338; Taylor 1882, 224 um 1798 ohne Begründung; Mommsen 1953, 295−311, aufgrund sprachlicher u. auf Weimar bzgl. Aspekte (Wiedereröffnung des Hoftheaters); für 218−21 Ende Aug 1798 als terminus post quem. − 1798 Apr: Sarauw 1917, 37f.; 1925 76 mit Bezug auf Br an Charlotte Schiller vom 21. Apr 1798 (s. dort), was Petsch 1926 V 632 nicht überzeugt. − 1798 Mitte Aug − Mitte Sept: Schillemeit 1986, 149−66 (unter Berufung auf Mommsen 1953) für Wiedereröffnung des Weimarer Theaters im Sommer 1798 geschaffen, vgl. 14. Aug 1798: an Kirms; für FA 7.2, 155 zweites Halbj. − 1798 − 1800: Stawell 1928, 64. − 1800: Aufgrund des Einflusses von Tiecks Stück Der neue Herkules am Scheidewege, das G Juli 1800 kennenlernte: Pniower GHb III 501; E. Schmidt 1915 XXXII vermutet, G habe dieses 1797 entstandene Stück bereits in der Hs gekannt od. vorlesen hören; Beutler 1940, 529 u. Nagel 1949, 18 (um 1800). − 1802: Traumann 1913, 173ff., ohne Zustimmung zu finden. 2 ) Zumeist datiert 1797, mit Verfeinerungen der Szene in den Folgejahren; so mit unterschiedlichen Argumenten Cramer 1843, 9, Düntzer 1854, 87, Voigt 1866, 25, Taylor 1882, 226, Scherer 1884, 254f., Weltrich 1888, 565, Stiller 1891, 8, Vogel

FAUST. EINE TRAGÖDIE ?

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1797 Juni 25.−27.

Nacht Faust Habe nun, ach! Philosophie (354−807)1) 1898, 669, Harnack 1902, 520, Litzmann 1904, 110, Traumann 1909, 36, Hauri 1910, 54, Engel 1910, 796, Fischer 1913 II 62, Pniower GHb I 146 u. Beutler 1940 XLIII. − 1944, 50, ohne überzeugende Begründung, Vischer 1875, 6, Fischer 1877, 94, Schröer 1879, 619, Schröer 1881 LXXX, Boyesen 1881, 84, Bischoff 1901, 12, Fischer 1899, 1174, Fischer 1902, 22, Grumach GJb 1952/53, 63−107 mit ausführlichem Kommentar, davor schon u. eingehend Pniower 1923, 169−81. − 1797 − 1798: Für Preiswerk 1927, 74f. Epilog 1797 entworfen, partiell erst 1798 fertig; andere Forscher schwanken zw. 1797 u. 1798, so Minor 1901 II 283, Jacoby 1911, 455, E. Schmidt 1915, 270, Trendelenburg 1922, 94 u. Buchwald 1955, 295; Scheibe 1958, 253 nennt beide Jahre. − 1797 − 1800: Matz GJb 1920, 45 mit großer Wahrscheinlichkeit 1797 (Anregung durch Lessings Faust-Fragment); Heffner 1954, 39 Arbeit über den gesamten Zeitraum hinweg; für Düntzer 1882 XXVIII Endredaktion erst 1800. − 1797 Juni − 1800: Daur 1950, 14 Abschluß erst um 1800; Scheithauer 1957, 176 mit Verweis auf Grumach GJb 1952/53, 67ff. − 1797 Juni 26: Düntzer 1857, 86 (Ende Juni), Loeper 1879 XVI, Pniower 1923, 174 mit Hinweis 26. Juni 1797: Schiller an G (s. dort); begründeter Widerspruch durch Scheibe 1958, 244. − 1798: Dycks 1855, 56, Bayer 1869, 338; Minor 1901 II 283, Roethe 1920, 648. − 1798 Juli: ohne Beweis Rickert 1932, 65, Endres 1949, 9 u. G. Müller 1955, 154. − 1798 − 1800: Heffner 1954, 48. − 1799: mit Verweis auf 9. Aug 1799: Tgb Witkowski 1894, 21, Hehn GJb 1895, 116, Alt 1902, 112−20 u. Burghold GJb 1913, 116. − 1799 Herbst − 1800 Apr: Mommsen 1953, 295−330 lyr. Teil im Herbst 1799 (u. a. G’s Beschäftigung mit Miltons Paradise Lost), dialogische Sequenz Apr 1800 (Übernahme des Wortes Schalk von F. Schlegel aus Gespräch über Poesie); kritisch dazu Scheibe 1958, 249f. − 1800: Hehn GJb 1895, 117, Alt 1909 XXXII, Sarauw 1917, 55 u. Petsch 1926 V 634 mit Verweis auf 1. Studierzimmerszene (im Apr 1800 entstanden); um 1800 datieren auch Trunz 1949, 493, Roos 1952, 31−47, Woyte 1955, 30 u. MA 6.1, 996f. mit Hinweis, Konzeption gehöre schon zum frühesten Entwurf (1769−70), Begründung mit Eckermann 18. Jan 1825 (s. dort), selbe Datierung auch Gaier 1999, 42 mit Hinweis auf Druckangebot Cottas u. P 5; FA 7.2, 162 vermutl. um 1800. − 1800 − 1801: Witkowski 1906, 196, Hohlfeld 1920, 115, Beutler 1940, 530, Delp 1942, 199 u. Nagel 1949, 26. 1 ) v. 354−605 Übernahme und Überarbeitung aus Faust. Ein Fragment. Zur Datierung s. „Faust. Frühe Fassung“ E-Rubrik, S. 14. − Zur Datierung 2. Faustmonolog (606−807) 1773: Bartscherer 1911, 288 Abschnitte des Szenenteils zur Jugenddichtung gehörend, hierin Schröer 1881 LXII u. Huther 1887, 41 folgend. − 1774: Köstlin 1860, 36 sieht Anklänge an Werther, Ablehnung der Werther-Parallele durch Düntzer 1861, 30; für Berger 1888, 360 u. Meyer 1895, 358 allgemein in der Wertherzeit entstanden, so auch noch für Wolff 1951, 155. − 1789: für Düntzer 1857, 190 teilweise 1789, abgeschlossen zw. 1797 u. 1800. − 1796: Pniower 1899, 50 mit Verweis auf Schinks Doctor Fausts Bund aus dem selben Jahr, kritisch dazu Trendelenburg 1922, 191. − 1797: Petsch 1941, 58 zu den ältesten Teilen der Neudichtung gehörend. − 1797 Juni: Düntzer 1905, 96. − 1797 − 1798: Baumgart 1893, 154. − 1797 − 1800: Düntzer 1854, 182 vielleicht auch teilweise 1789 verfaßt; Witkowski 1906, 202 nach 1797. − 1797 − 1801: Scherer 1886, 321. − 1798: Niejahr GJb 1899, 169, der aber das Motiv des Selbstmordes für alt hält, so auch Alt 1902, 122 u. GJb 1922, 48f.; Stawell/ Dickinson 1928, 78 u. Scheibe 1958, 298f.: Frühj. 1798 u. Petzsch 1952, 51 etwa 1798; Traumann 1913, 249: Osterchor am 2. Ostertag; Friedrich 1963, 183: v. 606−807 wahrscheinlich 1798. − 1798 − 1799: Saupe 1856, 12 u. Meyer 1895, 350. − 1800: Taylor 1882, 298; unspezifisch auf die Jahrhundertwende bezogen Har-

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

Vor dem Thor Spaziergänger aller Art ziehen hinaus (808−1177)1) Der Schäfer putzte sich zum Tanz . . . (949−980)2) nack 1902, 122; Weltrich 1888, 565; G. Müller 1955, 155 u. Graffunder 1891, 703. − 1801 Frühj.: Prowe 1870, 35 (März 21.−25.), Fischer 1913 II 74f., Minor 1901 II 14; Sarauw 1917, 54; Hertz 1930, 425; Burdach 1932, 7f. mit Hinweis auf G’ Krankheit u. Daur 1950, 397 doch nur die Osterchöre. 1 ) Einige Forscher gehen davon aus, dass Teile der Szene schon in den 70er Jahren entstanden oder konzipiert wurden; andere datieren auf die Jahre zw. 1797 u. 1801. Dass G in beiden Zeiträumen an der Szene gearbeitet hat, ist anzunehmen (Scheibe 1958, 327). − 1769 − 1770: Huther 1887, 18 vor allem für die Abschnitte, in denen Mephistopheles nicht erscheint (Figur erst nach der Bekanntschaft mit Merck entwikkelt), spätere Wiederaufnahme der Arbeit nicht ausgeschlossen. − 1770 − 1775: Schröer 1879, 619. − 1770: Brunnhofer GJb 1886, 242f., da Beschäftigung mit G. Bruno Lehrgedicht De Immenso et Innumerabilibus Liber (1591), Buch IV Kap. III, v. 13−20 zeigt Parallelen zu 1074−83; so auch Huther 1887, 17. − 1774: Biedermann 1899, 58 verweist auf Zsh. von v. 1112 mit einer Stelle in Wielands Wahl des Herkules (TM, Aug); für Kögel 1889, 545−62 spätestens im Herbst abgeschlossen (u. a. Bezüge zu Volkszenen im Egmont, zum russ.-türk. Krieg, der 1774 endete (v. 862), u. vor allem zum Frankfurter Lokalkolorit), nicht zur frühen Datierung passen 903−05 u. 1118−76; Loeper 1879 LI u. Harnack 1902, 525 sehen wie Kögel einen Konnex zw. Entstehung der Sequenz u. Kriegsende; auf G’s Heimatstadt verweisen auch Loeper 1879 XVII, Jostes 1896, 392, Fischer 1913 II 24f. u. Bartscherer 1911, 255, für den Osterspaziergang erst zw. 1797 u. 1801 entstand, u. Petsch 1926 V 644; gegen das Argument Graffunder 1881, 719, Niejahr GJb 1899, 169, Harnack 1902, 525, Engel 1910, 816, Schmidt 1915 LXVII u. Endres (1949) 57. − 1775: Datierungsgrundlage 3. Aug 1775: an Auguste Gräfin zu Stolberg (GB 2.1, 203ff.); zitiert auch von Köstlin 1860, 19, Bayer 1869, 335, Prowe 1870, 34 bis v. 1321, Loeper 1879 XVII, Jacoby GJb 1880, 186, Berger 1888, 361, Schröer 1892, 63 u. 1907, 235 (vermutl. Aug), Meyer 1895, 359 u. 1905, 534, Fischer 1913 II 24f., Endres 1949, 57; gegen das Heranziehen der Briefstelle Niejahr GJb 1899, 155−95, Engel 1910, 816 u. Heuer 1932, 97f.; Düntzer 1854, 200 datiert nur v. 903−1067 in das Jahr; Saupe 1856, 12 ab v. 949; Schröer 1881, 65; Berger 1888, 353−77 sieht nur Skizze, Vollendung später; dagegen auch Heuer 1932, 97; Graffunder 1881, 719 stellt Verbindung zur Schweizreise her. − 1797: Huther 1887, 84; Stiller 1891, 9 verweist auf 22. Aug 1797: an Schiller (s. dort) und G’s Besuch in Frankfurt. − 1797 Sommer: Saupe 1856, 12 ab v. 949 Aug/Sept; Jacoby GJb 1880, 186 (Aug); Köster 1894, 172f. − 1797 − 1800: Beutler 1940, 541. − 1797 − 1801: Baumgart 1893, 89 u. Witkowski 1906, 213. − 1798: Harnack 1902, 525. − 1798 − 1799: Saupe 1856, 12 bis v. 948. − 1798 − 1801: Friedrich 1939, 176; ihm folgend Scheithauer 1957, 187, auch Petsch 1926 V 643f. mit Schlußredaktion 1801; Pniower GJb 1895, 149−77 1798 terminus a quo, endgültiger Abschluß Jan 1801, so auch Pniower GHb III 499; Datierung schließen sich an Alt GJb 1922, 50 u. Hertz 1931, 88, letzterer verweist auf G’s Krankheit u. Genesung 1801 (Verbindung zum Osterspaziergang), so auch Hänsel ChronWGV 1929, 11, selbe Datierung bei Gaier 1999, 177, der hier satirische Widerlegung von Schillers kulturphilosophischem Epigramm Das Tor sieht. − 1798 Frühj.: Stiller 1891, 9 verweist auf Br vom 11. Apr 1798 (s. dort); Düntzer 1905, 103 mit zwei Briefen zur Begründung: 1798 Apr 11. u. 21.: an Schiller (s. dort) u. Charlotte Schiller (s. dort); Arbeit am Osterspaziergang erfolgte zw. 9. u. 11. Apr (insb. 808−1021), Schlußredaktion wohl später; Traumann 1913, 153 sieht G’s Reise 1797 als Moment der Anregung, auch Bezug zu Hermann und Dorothea (ebd. 250), Vollendung der Sz. Febr 1801 (ebd. 108); auch Mommsen 1953, 323−30 orientiert auf 1798 mit Hinweis auf 18. Apr 1798: an Charlotte Schiller

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Studirzimmer Faust mit dem Pudel hereintretend (1178−1529)1) ? 1800 Apr 16. (s. dort) u. Parallelen zum Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (Vergleich der Volksszenen). − 1800: Weltrich 1888, 565, Trunz 1949, 503 u. G. Müller 1955, 155; für Niejahr GJb 1899, 155−95 u. Brandes 1922, 434f.: Endredaktion, Teile schon in den siebziger Jahren oder 1797 entstanden. − 1800 Apr: Loeper 1879 XVII verweist auf 16. Apr 1800: an Schiller (s. dort), hier Hinweis auf Sequenz Beschwörung des Pudels; Fischer 1913 III 75 (Frühj.). − 1800 Apr − 1801 Frühj.: Morris 1902 I 50 wie Loeper 1879 XVII, jedoch mit zusätzlichem Verweis auf Pfitzers Faustbuch (s. unten 18. Febr 1801: Buchentleihung). − 1801: Wegen G’s Lektüre von Pfitzers Faustbuchs Scherer 1884, 254, Petsch ChrWGV 1906, 14 u. Brandes 1922, 118, aber Datierung nur für 1084−95; E. Schmidt 1903, 285 für v. 862 Hinweis auf Türkenkriege (Febr 1801 las G Türkisches), zugleich Einarbeitung älterer Ansätze; Meyer 1895, 359, Bischoff 1901, 11f., Minor 1901 II 14, Gräf II 2, 105, Sarauw 1917, 55, Fester 1933, 21, Mathäi GJb 1945, 67, Endres 1949, 57 u. Woyte 1955, 14 auf 1801 beschränkt; Petzsch 1952, 51 verweist noch auf Arztmotiv (G’s Hufeland-Kontakt); FA 7.2, 230 Schlußredaktion früherer Aufzeichnungen. − 1801 Febr: für Gräf II 2, 105 wahrscheinlich u. Sarauw 1917, 55, so auch MA 6.1, 1002 (unter Benutzung älterer Ansätze). 2 ) Von einigen Interpreten gesondert behandelt, meist im Zsh. mit Wilhelm Meister datiert, dort in Buch 2 Kap. 11 von Philine vorgetragen; frühere Datierung wird kaum erwogen. − 1783: Nach H. Schneider 1912, 286 Hinweis auf Wilhelm Meisters theatralische Sendung (IV 13); Datierung auch bei Schröer 1892, 70, Minor 1901 II, 135 u. Fischer 1913 III 34. − 1795: Taylor 1882, 243 u. Trendelenburg 1922, 214 mit Verweis auf endgültige Ausarbeitung von Wilhelm Meisters Lehrjahren (II 11); E. Schmidt 1903, 285: vielleicht auch schon 1783. − 1800: Für Pniower GJb 1914, 99−110 Umarbeitung u. Eingliederung (Lied war nicht für Faust bestimmt); Scheibe 1958, 330f. zustimmend, wenngleich Entstehung auf 1797 – 1800 ausdehnend; vgl. unten 1794 Dez 10.: an Schiller m. Anm. 1 ) Datiert zumeist um die Jahrhundertwende, unter Hinweis auf 16. Apr 1800: an Schiller (s. dort). − 1768 − 1769: Bartscherer 1912, 1−108 mit Parallelen zu Shakespeares Sturm; kritisch dazu Scheibe 1958, 334f. − 1769 − 1775: Schröer 1879, 619 u. 1892 LXII. − 1774: Huther 1887, 88f. vermutet, G nutze Bahrdts Übersetzung einer Bibelstelle, später weitere Arbeit an der Szene. − 1775: Graffunder 1881, 720 an Bibelübersetzung angelehnt (Herders Erläuterungen zum Neuen Testament), so auch Jacoby 1911, 222−24. − 1775 Aug/Sept: Saupe 1856, 13 bis v. 1223 ohne die Zwischenrede an den Pudel; für Düntzer 1905, 77 zumindest bruchstückhaft entworfen. − 1796: Pniower 1899, 50 ausgreifend auf die neunziger Jahre, Bezug zu Schinks Faust. − 1797 − 1801: Baumgartner 1886, 364. − 1798 − 1799: Saupe 1856, 13 ab v. 1224 bis zum Ende inkl. der Zwischenreden an den Pudel, Meyer 1895, 356, so auch Mommsen 1953, 325−27, vor allem Geisterchor (1472−96) im Herbst 1799 (G’s Milton-Rezeption), Eingangsmonolog im Frühj. 1798 entstanden, u. a. Verweis auf 28. Apr 1798: an Schiller (s. dort). − 1800: Grundlage der Datierung 16. Apr. 1800: an Schiller (s. dort); Befürworter dieser Festlegung: Loeper 1870 XVII, Weltrich 1888, 565, Stiller 1891, 9, Harnack 1902, 527, Minor 1901 II 155, E. Schmidt 1903, 288, Litzmann 1904, 102 (Apr: Beschwörungsszene), Gräf 1904, 92, Witkowski 1906, 218, Fischer 1913 II 73 u. 75, Traumann 1913, 274, Sarauw 1917, 55, Alt GJb 1922, 48, Pniower 1923, 178, Friedrich 1939, 178, Endres 1949, 9, Fuerst 1950, 249, Mommsen 1953, 322 (Beschwörungsszene: 11.−24. Apr), Scheithauer 1957, 189, Scheibe 1958, 341, Friedrich 1963, 195; Mason 1967, 311 (Apr) u. Gaier 1999, 196. − 1800 − 1801: Morris 1902, 50 begründet mit 16. Apr 1800: an Schiller (s. dort), zudem

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

Studirzimmer Faust. Mephistopheles (1530−1867) . . . Ein Schüler tritt auf (1868−2072)1) Auerbachs Keller in Leipzig Zeche lustiger Gesellen (2073−2336)2) Hexenküche (2337−2604)3) Strasse Faust. Margarete vorüber gehend (2605−2618) . . . Mephistopheles tritt auf (2619−2677)4) Abend Ein kleines reinliches Zimmer Margarete . . . Mephistopheles. Faust (2678−2804)5) Es war ein König in Thule (2759−2782) Spaziergang Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles (2805−2864)6) Der Nacharin Haus Marthe allein . . . Margarete kommt . . . Mephistopheles tritt auf (2865−3024)7) Strasse Faust. Mephistopheles (3025−3072)8) Garten Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles (3073−3204)9) Beschäftigung mit Faustbuch von Pfitzer 1801; Hinweis darauf bereits von Scherer 1884, 254; Datierung auch von Woyte 1955, 14 u. 32. − 1801: Bischoff 1901, 12, Minor 1901 II 14 u. Schreyer GJb 1885, 316−20, dieser mit Hinweis auf Gedicht Zum neuen Jahr (Bezug zum Gesang der Geister, 1447−1505), so auch Wood 1912, 51−54. 1 ) Faust. Ein Fragment enthielt bereits große Teile der Szene, angefangen von Faust: Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist (1770−2072, entsprechend den Fragment-Versen 249−551), unter Verwendung von Partien aus Faust. Frühe Fassung (dort Verszählung 249−64; 333−444). Zur Datierung der Ausgangsszene s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 16. Zu den v. 1530−1769 1799: Binder 1968, 58 (frühestens). − 1800: Saupe 1856, 13, Meyer 1895, 356. − 1801 Frühj: Fischer 1913 III 75 u. Sarauw 1917, 55. 2 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 73 Anm. 3. 3 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 73 Anm. 4. 4 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74. 5 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74. 6 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74 Anm. 3. 7 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74 Anm. 4. 8 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74 Anm. 5. 9 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 74 Anm. 6. Zur späteren Überarbeitung der Sz. Garten s. 11. Apr 1814: an Fürst Radziwill.

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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Ein Gartenhäuschen Margarete . . . Faust kommt . . . Mephistopheles klopft an (3205−3216)1) Wald und Höhle Faust allein (3217−3251) . . . Mephistopheles tritt auf (3252−3373)2) Gretchens Stube Gretchen am Spinnrade allein Meine Ruh’ ist hin . . . (3374−3413)3) Marthens Garten Margarete. Faust (3413−3520) . . . Mephistopheles tritt auf (3521−3543)4) Am Brunnen Gretchen und Lieschen mit Krügen (3544−3586)5) Zwinger In der Mauerhöhle ein Andachtsbild ... Gretchen Ach neige . . . (3587−3619)6) Nacht Strasse vor Gretchens Thüre pheles (3620−3775)7) 1

Valentin ... Faust. Mephisto-

) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74. 2 ) In Faust. Ein Fragment stand diese Szene anschließend an die Sz. Am Brunnen; zur Datierung s. dort Sz. Wald und Höhle, E-Rubrik, S. 74. 3 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74. 4 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74 Anm. 9. 5 ) Aus Faust. Ein Fragment übernommen u. überarbeitet; zur Datierung s. dort, E-Rubrik, S. 74 Anm. 10. 6 ) In Faust. Ein Fragment stand diese Szene anschließend an die Sz. Wald und Höhle. Zur Datierung s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, Sz. Zwinger, S. 20 Anm. 2. 7 ) Die komplizierte Überlieferungsgeschichte erbrachte zahlreiche sehr unterschiedliche Datierungsansätze. Schon 1775 entstanden vermutl. die Frühe-Faust-Sequenzen 3260−645 (Valentins Monolog, 1372−97) u. 3650−59 (Teil des Dialogs Faust u. Mephisto, 1398−1407); zur Forschungsgeschichte s. „Faust. Frühe Fassung“, S. 20 Anm. 4, der Rest 1800/1801, letzte Überarbeitung erfolgte wohl 1806 bei der Endredaktion. − 1800: Kreyßig 1866, 113; Prowe 1870, 35 v. 3660−775 Okt 1800; Vischer 1875, 11, Loeper 1879 XVII, Schröer 1880, 225 u. 1892, 239, Vischer 1881, 5, Taylor 1882, 298, Weltrich 1888, 561 (Ergänzung u. Umdichtung der alten Szene), Stiller 1891, 10, Schröer 1892, 239, Pniower 1899, 78f., Minor 1901 II 214, Alt GJb1922, 50 u. Fischer 1913 III 284, der an anderer Stelle, 1912 II 75, auch 1798 nennt, als Begründung wird angeführt hs. Hinweis (W 14, 278); zu diesem Datierungsvorschlag auch Scheibe 1958, 502; Loeper 1879 XVIIf. u. Minor 1901 II 13 nennt 1. Aug 1800: an Schiller (s. dort); ohne Begründung, aber wohl in Kenntnis der gemachten Vorschläge: Düntzer 1857, 91 (Winter 1800), Jacoby GJb 1884, 313, Huther 1887, 97, Schmidt 1903, 324, Pniower GHb III 464, Friedrich 1939, 98, Endres 1949, 227, Woyte 1955, 14, Scheithauer 1957, 208 u. Mason 1967, 311 mit Abschluß 1806. − 1800 − 1801: Schröer 1879, 619 u. Traumann 1909, 38; MA 6.1, 981 u. Bohnenkamp 99 (Valentinszene). − 1801 Febr − Apr: Kühnemann 1930, 425 im Zeitraum der Walpurgisnacht-Entstehung. − 1806: Gilbert 1895, 31, Niejahr GJb 1899, 156, Minor 1901 II 17 Revision der Vorlage mit Bezug auf Tgb-Eintrag 29. März 1806, so auch Scheibe 1965, 51, MA 6.1, 1027 u. Gaier 1999, 441.

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

1806 März Ende/Apr Anf.: Abschluß und Redaktion: Faust. Scenen vom Valentin ppp (29. März)1)

Dom Amt, Orgel und Gesang Gretchen unter vielem Volke . . . Böser Geist (3776−3834)2) Walpurgisnacht Harzgebirg Gegend von Schierke und Elend (3835−4222)3) 1800 Nov 2.−5.: 3867−3911, vielleicht noch bis 3912−3916 (Nov 6.−8.?)

1

) Zur Sz. Nacht s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 20 Anm. 4. Sie enthielt schon Valentins Monolog (1372−97 = 3620−45) u. einen Teil des Dialogs zw. Faust u. Mephisto (1398−407 = 3650−59). − Zur Überarbeitung aus Faust. Ein Fragment s. S. 72– 75. 2 ) Faust. Ein Fragment enthielt diese Szene, dort anschließend an die Sz. Zwinger. Zur Datierung s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, Sz. Dom, S. 20. 3 ) Übereinstimmung in der Szenen-Datierung, da durch Hs bezeugt: Nov 1800 – Febr 1801. – Frühere Pläne und Bruchstücke werden für möglich gehalten; 1806 Abschluß. − 1775 Jan−Apr: Krogmann 1933, 127: Plan. − 1777: Schmidt 1903, 328 unter dem Eindruck der Brockenbesteigung. − 1788: Fischer 1913 II 51f. Planung im Zsh. mit der Sz. Hexenküche. − 1797: Kippenberg GJb 1943, 4 zumindest bereits Konzept, Verweis auf Schema vom 23. Juni 1797 (s. unten). − 1797 − 1801: Nach Scheibe 1965, 7−61 Beginn der Niederschrift der Szene wahrscheinlich Ende 1797 (Auftritt Satans auf dem Brockengipfel); 3867−916 (oder nur bis 911) am 5. Nov 1800, bis v. 3916 am 6. Nov (ebd.,16ff.), dann Abbruch, Aufnahme erst wieder im Febr. 1801; 3956−4015/4021 u. 4021−95, zwei, vom Duktus her unterschiedliche Komplexe, wohl nicht zum obigen Zeitpunkt geschrieben, Vermutungen über die Entstehungszeit ebd. 18f., krit. zu diesen Datierungen Schöne 1982, 191−201. − 1797 − 1806: Trendelenburg 1922, 425, Trunz 1949, 522 u. Gaier 1999, 451−54 (erste Konzeption Dez 1797; weitere Planungen Sommer 1799, Ausarbeitung Ende 1800 bis Febr 1801, letzte Ergänzungen 1806). − 1798 Frühj.: Fischer 1913 II 75. − 1798 − 1800: Meyer 1905, 462. − 1799 Ende − 1800: Morris 1902, 54−96 sieht Parallelen zu Charpentiers Von den Lagerstätten der Erze (Lektüre G’s Dez 1799 bis Jan 1800) u. Miltons Verlorenem Paradies, so auch Stiller 1891, 10, Alt 1902, 112, Schmidt 1903, 328 u. Stawell 1928, 109. − 1799 − 1806: Stiller 1891, 10, Schmidt 1903, 328, Pniower GHb III 520, Friedrich 1939, 195 u. Scheithauer 1957, 210. − 1800: Vischer 1875 LXI, Matz 1914, 334−42 führt Tgb vom 7. Jan 1800 an (Einfluß von Lichtenberg). − 1800 Ende − 1801 Anf.: Loeper 1879 XVIII, Düntzer 1882, 172, Huther 1887, 97, Weltrich 1888, 524, Schröer 1892 LXXXI u. 256, Baumgart 1893, 332, Witkowski 1894, 15f., Furst 1897, 166, Vogel 1898, 273, Minor 1901 II 13 u. 239, Harnack 1902, 543, Gräf 1904, 101, Witkowski 1906, 266, Bielschowsky 1909, 583, Hauri 1910, 249, Traumann 1913, 38, Fischer 1913 III 296, Sarauw 1917, 54, Alt GJb 1922, 48ff., Kühnemann 1930, 425, Rickert 1932, 263, Burger 1942, 52f., Kippenberg GJb 1943, 4, Endres 1949, 9 u. 240, Woyte 1955, 14, Scheibe 1958, 527f., 1965, 7−61, MA 6.1, 981 u. Bohnenkamp 99 nach G’s hss. Datierungen (5. Nov 1800, 8. u. 9. Febr 1801); Krumpelmann 1926, 107−14 mit Bezug auf Sage über Klostergründung auf Montserrat, was G durch W. v. Humboldt erfuhr. − 1806: Redaktionelle Arbeit, belegt durch Tgb: 3. u. 4. Apr 1806, so Traumann 1913, 168; für Niejahr GJb 1899, 156 u. Minor 1901 II 17 Beleg für weitreichendere Beschäftigung; für Harnack 1902, 545 Entstehung Schlußverse 4209−22.

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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Dez1) 1801 Febr 7., 8.: 3936−3955, 9.: 3917−3935, vermutl. auch 10.−14., 16.−19., 21.−23., 26., März 7.−12. 1806 Apr 3.−4.: Vollendung u. Redaktion

Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit. (4223−4398)2) – 1797 ?Juni 5. Trüber Tag Feld Faust. Mephistopheles (1−63 Prosa)3) Nacht Offen Feld Faust Mephistopheles, auf schwarzen Pferden . . . (4399−4404)4) Kerker Faust mit einem Bund Schlüssel . . . (4405−4612)5)

D

G l o c k e n k l a n g und C h o r g e s a n g . 6) (Neue Szene aus G o e t h e ’ s Tragödie F a u s t , welche in der Fortsetzung der sämmtlichen Goethischen Werke auf der Ostermessen erscheinen wird.). In: Morgenblatt Nr. 84 v. 7. Apr 1808, 333f. − Noch eine neue Szene aus G o e t h e ’ s F a u s t . 7 ) I n : Morgenblatt Nr. 89 v. 13. Apr 1808, 353f. − Eine dritte Szene aus G o e t h e ’ s F a u s t . 8 ) I n : Morgenblatt Nr. 108 v. 5. Mai 1808, 429f. − A 8 (1808) 1−234.9) − B 9 (1817) 1−234.10) − C1 12 (1828) 1−247. − Q 1.2, 178−80

1

) s. unten S. 175 f. m. Anm. ) 1797, da bezeugt: Loeper 1870 XVI, Vischer 1875, 9, Schröer 1892, LXXXI, Witkowski 1894, 14, Meyer 1895, 356, Pniower 1899, 53, Niejahr GJb 1899, 156, Minor 1901 II 9, Harnack 1902, 543, Schmidt 1903, 335, Düntzer 1905, 204, Witkowski 1906, 274, Engel 1910, 531, Trendelenburg 1922, 451, Rickert 1932, 293, Friedrich 1939, 198, Woyte 1955, 65, Gaier 1999, 484; Scheithauer 1957, 214 sieht Zsh. zur Xenien-Dichtung, Hinweis auch auf 20. Dez 1797: an Schiller (s. dort) u. auf Operette von Wranitzky Oberon, König der Elfen (1796 in Weimar aufgeführt). − 1798: Endres 1949, 9 ohne Begründung. 3 ) Zur Datierung der Sz. Trüber Tag. Feld s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 21: Faust, Mephistopheles (Prosa 1−60). G verwendete weitestgehend diese Prosaszene, ohne sie umzuarbeiten, wie er vorübergehend (vgl. 5. Mai 1798: an Schiller) geplant zu haben scheint. 4 ) Zur Datierung der Sz. Nacht. Offen Feld s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 21. G verwendete die ganze frühere Szene, ohne Änderungen an ihr vorzunehmen. 5 ) Zur Datierung der Sz. Kerker s. „Faust. Frühe Fassung“, E-Rubrik, S. 21. Auf der Grundlage der früheren Szene schuf G die umfangreichere Schluß-Szene. − 1798 Frühj.: Düsel 1894, 408, Traumann 1913, 436, Sarauw 1917, 38 sowie 1925, 67, Meyer-Benfey 1924, 368, Arens 1982, 448: Versfassung mit Bezug auf Br an Schiller, 5. Mai 1798 (s. dort). 6 ) Sz. Nacht ( 737−807): C h o r d e r E n g e l . Christ ist erstanden! . . .. 7 ) Sz. Vor dem Thor (1011−177): Wa g n e r . Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann. . . 8 ) Prosasz. Trüber Tag. Feld. Faust . Im Elend! Verzweifelnd! . . . 9 ) Aus A 8: Faust. Eine Tragödie. Von Goethe. Tübingen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1808, 1−309, nach Hagen 162: D1. 10 ) Aus B 9: Faust. Eine Tragödie von Goethe. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1816, nach Hagen 162: D2. 2

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FAUST. EINE TRAGÖDIE (Paralipomena)1). − W 14, 1−238; 254−313 (Lesarten u. Paralipomena). − Loeper 1870 I 1−150. − MA 6.1, 535−673. − FA I 7.1, 9−199. − Hist. krit. Faust.2)

Parerga 1) Bearbeitung der Sz. Gartenhäuschen Compositionen zu Göthe’s Faust vom Fürsten Anton Radziwill. Berlin 1835, 173−83. − Loeper 1870 I 163f. − W 14, 319f. − MA 6.1, 1069f. − Bohnenkamp 257−59. − FA 7.1, 588−90. 2) 6 Verse (zw. 1739 u. 1740) u. 4 Verse (nach 2072) für einen Geister-Chor zu Sz. Studirzimmer II Compositionen zu Göthe’s Faust vom Fürsten Anton Radziwill. Berlin 1835, 98−103 u. 104−10. − Loeper 1870 I 163. − W 14, 317f. − MA 6.1, 1071. − Bohnenkamp 260f. − FA 7.1, 590 3) 12 Verse zur Sz. Nacht für eine geplante Faust-Aufführung in Weimar (Einschub zw. v. 629 u. 686)3) W 14, 321. − MA 6.1, 1073. − Bohnenkamp 262. − FA 7.1, 591. 4) Zwei Chöre für die erste Aufführung in Weimar am 29. Aug 1829 (6 Verse nach 1740 u. 10 Verse Engel-Chor, Abschluß Sz. Kerker).4) Gräf II 2, 499. − MA 6.1, 1073f. − Bohnenkamp 264. − FA 7.1, 591f.

Deutschsprachige Erstaufführungen 1819 1820 1829 1829

1

Mai 24. in Berlin [Nacht u. Studirzimmer I]5) März 29. in Breslau [Studirzimmer]6) Jan 19. in Braunschweig7) Juni 8. in Hannover8)

) Erstmals dort veröffentlichte P zu Faust I − z.T. in verstümmelter Form: unter der Überschrift Faust’s Studirzimmer P9 u. P10; unter Disputation u.Auditorium P11, P12, P17, P20; unter Walpurgisnacht P33, P44, P40, P48, P50; unter Landstraße P21,P6 u. unter Freies Feld P38, P67, P4, P68, P81; zum Problem der Walpurgisnacht-Paralipomena s.29. Dez 1834: Eckermann an F. v. Müller u. 30. Mai 1836: Riemer an F. v. Müller. 2 ) Textgrundlage A 8. 3 ) s. unten [Mai] 1815: H Faust’s Monolog m. Anm. 4 ) s. unten 1829 Aug 12.: Tgb m. Anm. u. [Juli/Aug]: K. Eberwein, Die Musik zum Goethe’schen Faust. 5 ) Nichtöffentliche Aufführung in Monbijou, dazu F. Ulbrich: Radzivills Privataufführungen von Goethes Faust in Berlin. Ein Abschnitt aus der Bühnengeschichte des Goetheschen Faust. In: Studien zur Literaturgeschichte. Leipzig 1912, 193−220 u. Mahl 11; s. zur Generalprobe 21. Mai 1819: A. v. Goethe Tgb u. an G; zur Aufführung 24. Mai: A. v. Goethe Tgb u. an G sowie Gubitz: Korrespondenz-Nachrichten, 26. Mai: Graf Brühl an G. 6 ) Tille 19. 7 ) Enslin 36f., Mahl 16−20 u. U. Parenth: Wie Goethes Faust auf die Bühne kam. Braunschweig 1986; s. 1829 Jan 19.: Bericht, 20.: Klingemann an G. 8 ) Enslin 41; s. 8. Juni 1829: Nachrichten.

FAUST. EINE TRAGÖDIE 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1830 1830 1830 1831 1832

145

Aug 23. in Bremen1) Aug 27. in Frankfurt2) Aug 27. in Dresden3) Aug 28. in Leipzig4) Aug 29. in Weimar5) Nov 13. in Magdeburg6) Jan 21. in Breslau7) März 21. in Nürnberg8) Apr 12. in München9) Juni 29. in Hamburg10) März 2. in Stuttgart11)

1791 Juni

1. [Weimar] An F. H. Jacobi (Br 9. 271): . . .

Will ich die Blumen des frühen, die Früchte des späteren Jahres, Will ich was reizt und entzückt, will ich was sättigt und nährt. Will ich den Himmel die Erde mit Einem Namen begreifen; Nenn ich S a k o n t a l a dich und so ist alles gesagt.12) 1

) Theaterzettel GSA 25/W 1401, s. 1829 Aug 23.: Notizen u. 28.: Iken an G. mit Anm. 2 ) Faust Tragödie von Göthe. In fünf Fragmenten für die Bühne arrangiert von Julius Weidner Regisseur des Schauspiels. Zur Feier von Göthe’s Geburtstag. am 27ten August 1829; s. auch H. Henning: Das Regiebuch zur Frankfurter Faust-Inszenierung von 1829. In: Marginalien 17 (1964) 36−41; s. unten Z vom 27. Aug 1829 zur Frankfurter Aufführung sowie 25. Sept: Mariane v. Willemer an G. 3 ) Enslin 41, Mahl 21−25 u. H. Brandt: Goethes Faust auf der kgl. Sächsischen Hofbühne zu Dresden. Berlin 1921; Theaterzettel GSA 25/W 1402; s. unten Z vom 1829 Aug 27. zur Dresdner Aufführung u. 30.: L. Tieck an G. 4 ) Königl. Sächs. Hoftheater zu Leipzig. Freytag, den 28sten August, 1829. Prolog, zur achtzigjährigen Geburts-Feier Göthe’s, gedichtet von L[udwig] Tieck, gesprochen von Madame Schmidt. Hierauf Zum Erstenmale: Faust, Tragödie in fünf Abtheilungen von Göthe, für die Bühne eingerichtet von L[udwig] Tieck. Leipzig 28.8.1829 1 Bl. (Henning Nr. 6485); Mahl 26f.; Theaterzettel GSA 25/W 1403; s. unten Z vom 1829 Aug 28. zur Leipziger Aufführung u. 29.: Rochlitz an G sowie 2. Sept: an Rochlitz u. 12.: Rochlitz an G. 5 ) Enslin 48−52 u. Mahl 27−31; Theaterzettel GSA 25/W 1404, s. unten Z vom 29. Aug 1829. 6 ) Creizenach 41. 7 ) W. Russo: Goethes Faust auf den Berliner Bühnen. Berlin 1924, 3. 8 ) Creizenach IV; Theaterzettel GSA 25/W 1405; s. 21. März 1830: Correspondenz. 9 ) Enslin 52; s. unten alle Z vom 12. Apr 1830. 10 ) Creizenach 41; s. 9. Juli 1831: Nachrichten. 11 ) Creizenach 42. 12 ) Zum Vorspiel auf dem Theater (33−242) wurde G durch den Prolog des ind. Schauspiels angeregt. Vgl. Düntzer 1859, 53f.: in der von Goethe sehr geschätzten S a k o n t a l a des indischen Dichters Kalida ˆsa tritt im Vorspiele der Theaterdirektor auf, welcher eine Schauspielerin herausruft, den Namen des aufzuführenden Stückes nennt und an seinem Vermögen, den Zuschauern zu genügen, zweifelt, dann von der Schauspielerin ein

146 Juli

FAUST. EINE TRAGÖDIE

1791

4. An G. J. Göschen (Br 9, 277): Meine ersteren [Schriften] habe ich nicht

ausser Augen gelassen und korrigire ein Exemplar wie es mir die Zeit erlaubt, um von meiner Seite bereit zu seyn wenn eine neue Ausgabe für nöthig oder räthlich gehalten würde.

1792 Juni 25. An Georg Forster (Br 9, 313): Sakontala kommt auch mit Danke zu-

rück,1) was Herder darüber gesagt2) werden Sie mit Vergnügen gelesen haben.

1794 ?

Sept 20. [Weimar] Schiller an Charlotte Schiller (SNA 27, 49): Sonst sprachen wir sehr viel von seinen [G’s] und meinen Sachen, von anzufangenden und angefangenen Trauerspielen u. dgl.3)

Nov 29. [Jena] Schiller an G (SNA 27, 95): Aber mit nicht weniger Verlangen [als Wilhelm Meisters Lehrjahre] würde ich die Bruchstücke von Ihrem Faust, die noch nicht gedruckt sind, lesen, denn ich gestehe Ihnen, daß mir das, was ich von diesem Stücke gelesen, der Torso des Herkules ist4). Es herrscht in diesen Scenen eine Kraft und eine Fülle des Genies, die den besten Meister unverkennbar zeigt, und ich möchte diese große und kühne Natur, die darinn athmet, so weit als möglich verfolgen.

Lied singen läßt, die zuletzt ihn mit der Versicherung tröstet, das eben angekündigte Stück werde ohne Zweifel gefallen. − G’s Epigramm drückt spontane Begeisterung für Sakontala oder der entscheidende Ring aus, als Forster ihm das Drama a. d. 5. Jh. in seiner noch ungedruckten Übers. nach dem Engl. des William Jones zusandte; es war die erste zuverlässige dt. Bearb. eines repräsentativen Werks der Sanskrit-Literatur. Den Wortlaut s. in Georg Forsters Werke. Sämtl. Schriften, Tagebücher, Briefe, bearb. von Gerhard Steiner. Bd 7: Kleine Schriften zu Kunst und Literatur. Hsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1963. 1 ) Laut Georg Forsters Postbuch hatte G von ihm die engl. Übers. des Orientalisten Sir William Jones ausgeliehen, des engl. Richters am Supreme Court in Kalkutta u. Gründers der Asiatic Society of Bengal zum Studium der indischen Kultur, der das Drama mit Hilfe eines Brahmanen aus Sanskrit u. Prakrit zunächst ins Lat. (Kalkutta 1789), dann ins Engl. (London 1790) übertragen hatte. 2 ) Herders enthusiastischer Rez. Über ein morgenländisches Drama. In: Zerstreute Blätter, 4. Sammlung (1792) Bd 16, 84−106 war G’s Epigramm (s. Juni 1.: an Jacobi ) als Motto vorangestellt. 3 ) Gräf II 2, 55 weist darauf hin, daß außer Faust noch Nausikaa in Betracht kommt. 4 ) Anspielung auf J. J. Winckelmanns Beschreibung des antiken Torso im Belvedere zu Rom: Der erste Anblick wird dir vielleicht nichts, als einen ungeformten Stein sehen lassen: vermagst du aber in die Geheimniße der Kunst einzudringen, so wirst du ein Wunder derselben erblicken, wenn du dieses Werk mit einem ruhigen Auge betrachtest. Alsdenn wird dir Herkules wie mitten in allen seinen Unternehmungen erscheinen, und der Held und der Gott werden in diesem Stücke zugleich sichtbar werden. (In: Bibliothek

1794 Dez

FAUST. EINE TRAGÖDIE

147

2. An Schiller (Br 10, 209): Von Faust kann ich jetzt nichts mittheilen,

ich wage nicht das Packet aufzuschnüren das ihn gefangen hält. Ich könnte nicht abschreiben ohne auszuarbeiten und dazu fühle ich mir keinen Muth. Kann mich künftig etwas dazu vermögen; so ist es gewiß Ihre Theilnahme.1) 10. An Schiller (Br 10, 213): Behalten Sie das erste Buch [Wilhelm Meisters Lehrjahre] solange Sie wollen, indeß kommt das zweyte2). . .

1795 Jan

2. [Jena] Schiller an G (SNA 27, 114): Möchten Sie uns doch einige Scenen aus dem Faust noch zu hören geben. Frau von Kalb, die etwas davon wußte, hat mich neuerdings äuserst begierig darnach gemacht3), und ich wüßte nicht, was mir in der ganzen dichterischen Welt jetzt mehr Freude machen könnte.

der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 5 [1759] 35). − Winckelmanns enthusiastische Schilderung des Herkules-Torsos wirkte mächtig auf das gebildete Europa, ganz speziell auf Schiller; vgl. Mommsen 2010, 17, 171f. u. 288−90. 1 ) s. unten 17. Aug 1795: an Schiller. 2 ) Zur Sz. Vor dem Thor Der Schäfer putzte sich zum Tanz . . . (949−80). − In Buch 2, Kap. 11 von Wilhelm Meisters Lehrjahre heißt es, nachdem das erste Auftreten des Harfners geschildert u. von Liedern u. Romanzen, die er singt, die Rede ist: »Kannst Du die Melodie, Alter«, rief Philine, »Der Schäfer putzte sich zum Tanz?« »O ja«, versetzte er. Wenn Sie das Lied singen und aufführen wollen, an mir soll es nicht fehlen.« Philine stand auf und hielt sich fertig. Der Alte begann die Melodie, und sie sang ein Lied, das wir unsern Lesern nicht mittheilen können, weil sie es vielleicht abgeschmackt oder wohl gar unanständig finden können.« − Hierzu bemerkt Pniower 1899, 39f.: Aus diesen Worten geht unzweifelhaft hervor, dass, als sie niedergeschrieben wurden, das in der Scene »Vor dem Thor« von den Bauern gesungene Lied bereits gedichtet war. Es fragt sich aber, wann sie niedergeschrieben wurden und ob, als es geschah, das Lied schon für den Faust bestimmt war und ob aus diesem Grunde seine Mitteilung unterblieb. Die erste Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil der Wilhelm Meister in den neunziger Jahren einer gründlichen Umarbeitung unterzogen wurde, bei der eine neue Büchereinteilung durchgeführt ward. Wenn also Goethe Frau von Stein am 30. August 1782 mitteilt: »Das zweite Buch W. M. ist balde fertig«, so ist damit keineswegs das heutige zweite Buch gemeint. . . Ebenso schwer ist die zweite Frage zu beantworten, ob das Lied deshalb nicht mitgeteilt wurde, weil es von vornherein für den Faust bestimmt war. Gewiss kann der Grund, der für die Unterlassung der Mitteilung angegeben wird, ein vorgewendeter sein und der wahre der, dass der Dichter ein Stück nicht mitteilen wollte, das innerhalb eines anderen Rahmens Platz finden sollte. . . Übrigens kommt der Dichter auf die Gründe, die ihn angeblich veranlassten, das Lied den Lesern vorzuenthalten, noch einmal im Dialog zurück, indem er Wilhelm nach dem Abgang des Harfners zu Philinen sagen lässt: »Ich kann . . . in Ihrem Leibgesange weder ein dichterisches noch sittliches Verdienst finden.« 3 ) Charlotte v. Kalb war Ende Dez 1794 in Jena. Was sie von ungedruckten Scenen aus dem Faust wußte u. Schiller mitteilte, kann sie nur bei Begegnungen mit G vor Dez 1794 erfahren haben, denn sie war, wie G am 23. Dez 1794 an Schiller schrieb, dießmal leider nur in der Ferne an mir vorbeygegangen (Br 10, 216). − Minor I 246f. vermutete, es habe sich bei den ungedruckten Szenen gehandelt um die letzten drei

148 Juli

FAUST. EINE TRAGÖDIE

1795

17. [Tegel] W. v. Humboldt an Schiller (SNA 35, 249): Für die ausführliche Nachricht von G ö t h e n s Faust1) meinen herzlichen Dank. Der Plan ist ungeheuer, schade nur, daß er ebendarum wohl nur Plan bleiben wird.

Aug 17. An Schiller (Br 10, 285f.): Soviel ich übersehe könnte ich folgendes

[für die Horen] leisten: . . . Nov. u. Dec. Ankündigung von Cellini, und wenn es möglich wäre etwas von Faust. Mit diesem letzten geht mirs wie mit einem Pulver, das sich aus seiner Auflösung nun einmal niedergesetzt hat; so lange Sie dran rütteln, scheint es sich wieder zu vereinigen, sobald ich wieder für mich bin setzt es sich nach und nach zu Boden.2) 17. [Jena] Schiller an G (SNA 28, 28): Mit der Ausführung deßen, was Sie für die restirenden Monate in die Horen versprechen werden Sie mir große Freude machen, und noch einmal wiederhohle ich meine Fürbitte wegen Faust. Laßen Sie es auch nur eine Scene von 2 oder 3 Seiten seyn.3) 21. [Jena] Schiller an W. v. Humboldt (SNA 28, 32): Göthe giebt für die Horen dieses Jahr noch . . . (wie er schreibt, doch sehr bedingungsweise) etwas aus dem Faust.4) 28. [Tegel] W. v. Humboldt an Schiller (SNA 36, 320): G ö t h e n s noch in diesem Jahr zu erwartende Beiträge sind, den Titeln nach zu urtheilen, auch wenn der Faust nicht kommt, doch immer sehr brauchbar. Sept

7. [Jena] Schiller an Cotta (SNA 28, 47): . . . vielleicht kann ich ihn [G] noch bereden, einige ungedruckte Scenen aus dem Faust [in die Horen] zu geben. Dieß ist indessen noch eine zweifelhafte Sache.

1796 ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte5) (W 35, 63): Bei dem unablässigen Thun und

Treiben was zwischen uns [G u. Schiller] stattfand, bei der entschiedenen Lust das Theater kräftig zu beleben, ward ich angeregt den Faust wieder hervorzunehmen; allein was ich auch that, ich entfernte ihn mehr vom Theater als daß ich ihn herangebracht hätte.

Scenen des Urfaust und den Monolog Valentins, die Goethe nicht in das Fragment aufgenommen hatte. − Ob G’s Vorlesung sich inhaltlich deckte mit dem, was Charlotte v. Kalb, gemäß H. Düntzers Überlieferung, dem Sohn Fichtes, Immanuel Hermann v. Fichte, über ein Gespräch zw. Mephistopheles u. dem Baccalaureus berichtete, das G erst im Faust II 6786−800 verwendete, war Pniower 1899, 41 zweifelhaft; siehe unten S. 595. 〈Faust II Anm. 81〉. 1 ) Wohl in Schillers nicht überliefertem Brief an W. v. Humboldt vom 6. Juli 1795. G scheint Schiller bei seinen Jena-Aufenthalten (11. bis 23. Jan od. 29. März bis 2. Mai) seinen Plan des Faust entwickelt zu haben. 2 ) Vgl. dagegen oben 2. Dez 1794: an Schiller. 3 ) Vgl. das nächste Z u. unten 7. Sept: Schiller an Cotta; doch erfüllte sich Schillers Hoffnung nicht. 4 ) In den Horen erschien nichts aus dem Faust. 5 ) Verfaßt 1820.

1796 ⎯

FAUST. EINE TRAGÖDIE

149

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften1) (Q 2. 2, 660): 1796 . . . Auch am Faust einiges gethan.2)

[Juli/Aug?] Xenien (W 5.1, 244): S c h i n k s F a u s t .

Faust hat sich leider schon oft in Deutschland dem Teufel ergeben, Doch so prosaisch noch nie schloß er den schrecklichen Bund.3) 7. („Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Schiller gD, S. 608)

Dez

1797 ⎯

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften4) (Q 2. 2, 660): Das Schema zum Faust vervollständigt, so wie Oberon’s und Titania’s goldene Hochzeit, die Zueignung und den Prolog geschrieben.5) 5. [Jena] Nach Tische Oberons Goldene Hochzeit.6)

Juni ?

15. [Jena, abends] . . . Aussicht auf die nächsten Arbeiten. 22. [Weimar] An Schiller7) (Br 12, 167f.): Da es höchst nöthig ist daß ich

mir, in meinem jetzigen unruhigen Zustande,8) etwas zu thun gebe, so habe ich mich entschlossen, an meinen Faust zu gehen und ihn, wo nicht zu vollenden, doch wenigstens um ein gutes Theil weiter zu bringen, indem ich das was gedruckt ist [Faust. Ein Fragment, 1790], wieder auflöse und, mit dem was schon fertig9) oder erfunden ist, in gros1

) Von Chr. Th. Musculus posthum zusammengestellt als Beilage zur Ausg. Q 2.2. ) Musculus stützte sich wohl auf TuJ 1796, da es keine entspr. Belege für 1796 gibt. Dazu schon Düntzer in: Goethes Faust. Erster Theil. Erläutert von Heinrich Düntzer. Zweite, neu durchges. Aufl. Leipzig 1859, 27: Unzuverlässig ist die Angabe in der ›Chronologie‹ . . . Wahrscheinlich steht die Angabe ein Jahr zu spät . . . unter dem Jahr 1796: ›Auch am Faust einiges gethan.‹ 3 ) J. F. Schink hatte 1796 im Juli-Heft des Berlinischen Archivs der Zeit und des Geschmacks (70−84) den dramatischen Entwurf Doctor Fausts Bund mit der Hölle, ein kleines Ganzes aus einem grössern veröffentlicht. − G wird das Bruchstück aus Interesse am Faust-Stoff gelesen und unmittelbar danach das Xenion verfaßt haben; die Schlußworte den schrecklichen Bund wörtlich bei Schink (84). 4 ) Als Beilage zur Ausg. Q 2.2 posthum zusammengestellt von Chr. Th. Musculus. 5 ) Ob Musculus mit Prolog das Vorspiel auf dem Theater od. den Prolog im Himmel oder beides meint, ist unklar. 6 ) Satire als Fortsetzung der Xenien zum Musen-Almanach für das Jahr 1798 bestimmt, doch von Schiller nicht aufgenommen; vgl. unten 2. Okt 1797: an Schiller. − Später stark erweitert unter dem Titel Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit in Faust I (4223−398) eingefügt; s. unten 20. Dez 1797: an Schiller u. 24. März 1800: Schiller an G. 7 ) G’s Tgb vom 22. Juni bestätigt: [Nach] Jena [an] H.[of-]R.[at] Schiller Nachricht weg.[en] Faust. 8 ) Vor dem durch die frz. Revolutionstruppen verhinderten Aufbruch nach Italien bzw. in die Schweiz. 9 ) So die vom Fragment-Druck 1790 ausgeschlossenen Prosa-Szenen. Max Koch: Neue Goethe- und Schiller-Literatur. In. Berichte des Freien Deutschen Hochstifts 14 (1898) 385; Bruinier 1898, 136; Engel 1910, 794 beziehen diese grosse Massen auf P1. 2

150

FAUST. EINE TRAGÖDIE

1797

se Massen disponire, und so die Ausführung des Plans, der eigentlich nur eine Idee ist, näher vorbereite. Nun habe ich eben diese Idee1) und deren Darstellung wieder vorgenommen und bin mit mir selbst ziemlich einig. Nun wünschte ich aber daß Sie die Güte hätten die Sache einmal, in schlafloser Nacht, durchzudenken, mir die Forderungen, die Sie an das Ganze machen würden, vorzulegen und so mir meine eignen Träume, als ein wahrer Prophet, zu erzählen und zu deuten. Da die verschiednen Theile dieses Gedichts, in Absicht auf die Stimmung, verschieden behandelt werden können, wenn sie sich nur dem Geist und Ton des Ganzen subordiniren, da übrigens die ganze Arbeit subjectiv ist, so kann ich in einzelnen Momenten daran arbeiten und so bin ich auch jetzt etwas zu leisten im Stande. Unser Balladenstudium hat mich wieder auf diesen Dunst- und Nebelweg gebracht,2) und die Umstände rathen mir, in mehr als in Einem Sinne, eine Zeit lang darauf herum zu irren. Juni 23. Ausführlicheres Schema zum Faust.3) 23. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 86f.): Ihr Entschluß an den Faust zu gehen4) ist mir in der That überraschend, besonders jetzt, da Sie Sich zu einer Reise nach Italien gürten. Aber ich hab es einmal für immer aufgegeben, Sie mit der gewöhnlichen Logik zu meßen, und bin also im Voraus überzeugt, daß Ihr Genius sich vollkommen gut aus der Sache ziehen wird. Ihre Aufforderung an mich, Ihnen meine Erwartungen und Desideria mitzutheilen ist nicht leicht zu erfüllen; aber soviel ich kann, will ich Ihren Faden aufzufinden suchen, und wenn das auch nicht geht, so will ich mir einbilden, als ob ich die Fragmente von Faust zufällig fände, und solche auszuführen hätte. Soviel bemerke ich hier nur, daß der Faust, das Stück nämlich, bei aller seiner dichterischen Individualität die Foderung an eine Symbolische Bedeutsamkeit nicht ganz von sich weisen kann, wie auch wahrscheinlich Ihre eigene Idee ist. Die Duplicität der menschlichen Natur und das verunglückte Bestreben das Göttliche und das Physische im Menschen zu vereinigen verliert man nicht aus den Augen, und weil die Fabel ins Grelle und Form-

1

) Auffälligerweise spricht G hier von einer Idee; vgl. dagegen unten 6. Mai 1827: zu Eckermann. 2 ) Erst kurz zuvor hatte G Die Braut von Corinth, Der Gott und die Bajadere, Der Schatzgräber u. Der Zauberlehrling gedichtet. 3 ) Nicht überliefert. Doch Funktion u. Bedeutung des nicht rekonstruierbaren Schemas ergeben sich aus Brief- u. Tgb-Zeugnissen vom Juni 1797 bis Mai 1798. Für die Gesamtplanung skizzierte G die Ausarbeitung des Faust bis zum Schluß als einteiliges Drama. Um sich das noch zu Leistende vor Augen zu stellen, verschaffte er sich zunächst Übersicht über Gedrucktes u. Ungedrucktes. Gesichert ist ein Umfang von 30 Komplexen, die vermutl. erst nachträglich numeriert wurden. G’s Bezifferung (ad plus Schema-Nr.) bezog Faust-Hss. bis Mitte 1800 auf dies Schema. Danach verzichtete er auf ad-Nummern. Inwieweit er damit die Gültigkeit des Schemas von 1797 ganz oder teilweise aufhob, ist nicht mehr feststellbar. Die Bezifferungen lassen z. T. noch die Beziehung zu einzelnen Faust-Hss. erkennen. Ob die Komplexe durch Detailschemata für einzelne Szenen schon untergliedert waren, ist nicht klar. − Zum Faust-Schema: Castle ChronWGV 1911, 64−72, Grumach GJb 1952/53, 63−107, Schulze GJb 1970, 72−90 u. GJb 1972, 256−60 sowie Scheibe GJb 1972, 235−55. 4 ) s. oben 22. Juni: An Schiller.

1797

FAUST. EINE TRAGÖDIE

151

lose geht und gehen muß, so will man nicht bei dem Gegenstand stille stehen, sondern von ihm zu Ideen geleitet werden. Kurz, die Anfoderungen an den Faust sind zugleich philosophisch und poetisch, und Sie mögen sich wenden wie Sie wollen, so wird Ihnen die Natur des Gegenstandes eine philosophische Behandlung auflegen, und die Einbildungskraft wird sich zum Dienst einer Vernunftidee bequemen müssen. Aber ich sage Ihnen damit schwerlich etwas neues, denn Sie haben diese Foderung in dem, was bereits da ist, schon in hohem Grad zu befriedigen angefangen. Wenn Sie jetzt wirklich an den Faust gehen, so zweifle ich auch nicht mehr an seiner völligen Ausführung, welches mich sehr erfreut.

[Juni 23./1798 Mai 5.]1) H P10 (Bohnenkamp 120−22): [P39] Ich wäre nicht so arm an Witz Wär ich nicht gar so arm an Reimen.2)− [P33] Wie man nach Norden weiter kommt Da nehmen Rus und Hexen zu.3) − [P44] Musick nur her und wärs ein Dudelsack Wir haben wie manche edle Gesellen Viel apetit u. wenig Geschmack.4) − [P34] Leuchtende Finger des Meph.5) − [P35] Ihr Leben ist ein bloser Zeitvertreib Zwey lange Beine keinen Leib Sie kiken den Unfug den sie jüngst in Deutsch angestiftet6) − [P97] Das Leben ist ein episches Gedicht Es hat wohl einen Anfang u ein Ende Allein ein ganzes ist es nicht.7) − [P19] Die Wahrheit zu ergründen Spannt ihr vergebens euer blöd Gesicht Das Wahre wäre leicht zu finden Doch eben das genügt euch nicht.8)

1

) Datierung des Sammelblatts H P10 mit Gedankensplittern zu etwaiger Verwendung im Faust, Bohnenkamp 123 zufolge, wohl aus der Zeit der Neuordnung der Faust-Hss., d. h. die darauf befindlichen Textfragmente stammen vermutl. aus der neuen Arbeitsphase zw. Juni 1797 u. 5. Mai 98, als G den Abschluß der Abschrift Schiller mitteilte (s. dort). 2 ) Der satirische Zweizeiler, der in H P27 wieder begegnet, war möglicherweise auf H P10 für die Walpurgisnacht vorgesehen. 3 ) Auf dem Weg zur Walpurgisnacht. Vgl. P50, 140f., wo es um die Rückkehr geht: Dem Ruß den Hexen zu entgehen Muß unser Wimpel südwärts wehen. Vgl. Scheibe 1965, 58. 4 ) Von Morris 1902 I 80) auf die geplanten Satansszenen der Walpurgisnacht bezogen zusammen mit P43 (Was an dem Lumpenpack mich noch am meisten freut / Ist daß es wechselsweis von Herzen sich verachtet). G verwendete sie erst im Jan 1827 als nachträglich eingefügte Verse zum Walpurgisnachtstraum (4339−42). Vgl. Jensen 1965, 63−78. − Bohnenkamp 123 zufolge wurde P44 wahrscheinlich nachträglich auf dem Sammelblatt niedergeschrieben, desgleichen P34 u. P35. 5 ) Die schon von Morris vorgenommene Korrektur der Lesung E. Schmidts (›Finger‹ statt ›Figur‹) führte Bohnenkamp 124 zufolge auf die richtige Spur, nämlich den für die Walpurgisnachtszene wichtigen Titelholzschnitt ohne Urhebervermerk, Bloks Bergs Verrichtung unterschrieben, dem ein Kupferstich von Matthäus Merian d. Ält. nach einer Handzeichnung des Nürnberger Malers Michael Herr zugrundeliegt, auf dem eine den Hexenreigen anführende Figur (der Satan) mit flammenden Fingern dargestellt ist. Vgl. dazu Morris 1902 I 70. − Daß G nicht nur den Titelholzschnitt nutzte u. kannte, sondern auch den zugrunde liegenden Kupferstich nach Michael Herr, halten Witkowski 1894, 36; Morris 1902 I 121f. u. Schöne 1982, 122ff. für wahrscheinlich, s. auch unten Dez 1800: H P22 m. Anm. 6 ) Mit Bezug auf G’s u. Schillers, hier als Insekten aufgefaßten Xenien, die erst im endgültigen Walpurgisnachstraum so auftreten (4303−05): X e n i e n . Als Insekten sind wir da, / Mit kleinen scharfen Scheren / Satan, unsern Herrn Papa / Nach Würden zu verehren; vgl. Morris 1902 I 78f. 7 ) Variante von 3 Versen der Abkündigung (zum Faust) P97. 8 ) Verbindung zu Faust II Kaiserhofszene wie P61: Die bloße Wahrheit ist ein simpel Ding / Die jeder leicht begreifen kann / Allein sie scheint euch zu gering / Und sie

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

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H P50 (Bohnenkamp 139−49):2)ad 17. I Gipfel Nacht Feuer Koloss. nächste Umgebung Massen, Gruppen. Rede [Bl. 4, S. 3:] Satan. Die Böcke zur rechten, Die Ziegen zur lincken Die Ziegen sie riechen Die Bocke sie stincken Und wenn auch die Bokke Noch stinckiger wären So kann doch die Ziege Des Bocks nicht entbehren. Chor. Aufs Angesicht nieder Verehret den Herrn Er lehret die Völcker Und lehret sie gern Vernehmet die Worte Er zeigt euch die Spur Des ewigen Lebens Der tiefsten Natur . . ..3) [Juni 23./H P26 (Bohnenkamp 133f.):4) ad 16 e. Mephisto. Der junge Herr 1798 [Faust] ist freylich schwer zu führen Doch als erfahrner Gouverneur Mai 5.] [Erzieher] Weiß ich den Wildfang zu regieren Und afficirt [reizt] mich auch nichts mehr Ich laß ihn so in seinen Lüsten wandeln Mag ich Juni 23./1798 Mai 5.]1)

befriedigt nicht den Wundermann / Drum wollt ihr daß man euch betrüge. . . − P71: Und wenn du ganz was falsches perorirt / Dann glauben sie was rechts zu hören. − P72: Mit diesen Menschen umzugehn / Ist warlich keine große Last / Sie werden dich recht gut verstehen / Wenn du sie nur zum besten hast. − P73: Wenn du sie nicht zum besten hast / So werden sie dich nie für gut u redlich halten. 1 ) Anhaltspunkte zur Datierung des Arbeitsmundums P50 zw. 23. Juni 1797 u. 5. Mai 1798 ergeben sich Bohnenkamp 150f. zufolge aus der Papiersorte u. den Positionsnummern ad 17. u. ad 17a (zur Kennzeichnung der Walpurgisnacht); sie beziehen sich auf das bezifferte Faust-Schema vom 23. Juni 1797; vgl. dazu auch 5. Mai 1798: an Schiller. 2 ) Das 8-blättrige Quartheft enthält teils in ausgeführten Versen, teils schematisiert, eine von G nicht in die gedruckte Szene aufgenommene frühe Fassung der Walpurgisnacht, deren Positions-Nr., gemäß dem Schema vom 23. Juni 1797, die 17 war, anschließend an die Dom-Szene (ad 16f). − Szenarien gliedern den ausgeführten Teil in 3 Abschnitte: Auf Gipfel Nacht folgt die Satansmesse (Zeile 7−95), in der Satan selbst als Prediger, ein Chor, eine Stimme u. Mephisto im Dialog mit einem jungen Mädchen zu Wort kommen. Einzelne Audienzen führen vor, wie ein Demokrat dem Satan huldigt u. dabei des Teufels Arsch so überschwenglich lobt, daß dieser ihn zur Belohnung mit Millionen seelen beleiht (Zeile 100−30). Die vielleicht schon Ende 1797 entstandenen Verse zeigen, daß die Sz. Walpurgisnacht ursprünglich mit dem Satans-Auftritt auf dem Brockengipfel beginnen sollte. Auf Satans Reden folgt mindestens eine Audienz des Satans. Danach ziehen die Hexen heim, Faust u. Mephisto reiten an einer Hochgerichts erscheinung vorüber, wo ein Blutchor gesungen wird (Zeile 175−90) der auch Gretchens Geschick andeutet. − Bohnenkamp 150−57 informiert eingehend über die Hypothesen zu der von G nicht kanonisierten Fassung der Szene, deren Plan u. a. Valentin, Pniower, Morris, Witkowski, Hecker, Buchwald, Rickert, Scheibe u. Schöne kommentiert haben. 3 ) Die folgenden Nachlaßstücke zur Walpurgisnacht Bl. 4, S. 3 v. bis Bl. 8, S. 11 v. siehe in Bohnenkamp 140−49. 4 ) Scheibe 1965, 53 zufolge wurde P26 im Sommer 1797 aus alten Beständen von Geist kopiert. Die Signatur ad 16 e. oben rechts, vermutl. von G’s Hand, bezieht sich auf das bezifferte Faust-Schema vom 23. Juni 1797. Das damit bezeichnete Fragment ist in Papier u. Beschriftung typisch für die 1797/ 1798 von Geist angefertigten Abschriften. Bohnenkamp 134: Als folgende Szene war die Szene ›Dom‹ vorgesehen; sie trägt die Signatur »ad 16f.« . . . Über die vorausgehenden Bruchstücke innerhalb der Nr. 16, wie auch über die vorausgehenden Nummern selbst, läßt sich nur spekulieren. Als Möglichkeit schlug W 14, 295 vor die Einordnung: Zwischen Valentin- und Blocksbergscene?

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doch auch nach meinen Lüsten handeln Ich rede viel und laß ihn immer gehn Ist ja ein allzudummer Streich geschehn Dann muß ich meine Weisheit zeigen Dann wird er bey den Haarn herausgeführt Doch giebt man gleich, indem manns reparirt, Gelegenheit zu neuen dummen Streichen1) [Juni 23./H Dom-Sz. (Bohnenkamp 135−38): ad 16 f.3) Dom; Amt, Orgel und 1798 Gesang. −− Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter GretMai 5.]2) chen. [Es folgen die Verse 3776−834]4) Juni 24. Zueignung an Faust5) . . . Nachmittag weiter an Faust.6) 24.

Z u e i g n u n g .7 ) Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch’ ich wohl, euch diessmal fest zu halten? Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu! Nun gut, so mögt ihr walten, Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert. Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf; 1

) Bohnenkamp 133f. argumentiert für frühe Entstehung: älter als der Walpurgisnachtsplan u. daß mit dem ’allzudummen Streich‘ wohl das tödliche Duell mit Gretchens Bruder Valentin gemeint sei; Gelegenheit zu neuen dummen Streichen biete die Teilnahme an der Walpurgisnacht. 2 ) Zur Datierung Bohnenkamp 138. 3 ) Die Signatur ad 16 f. zeigt an, die Dom-Sz. sollte zw. P26 ad 16 e. (s. das vorige Z) u. ad 16 g. positioniert werden. Die durch die gemeinsame Nr. 16 des Schemas angedeutete inhaltliche Verbindung ist ungeklärt (Bohnenkamp 138; Scheibe 1965, 52f.). 4 ) Geists Abschrift der Dom-Sz. aus Faust. Ein Fragment. Dazu W 14, 279 u. Bohnenkamp 138: Diese Aufzeichnung der Szene ›Dom‹ gehört zu den aus der Phase der Neuordnung 1797/98 überlieferten Abschriften . . . Hier zur Übersicht über den alten Bestand aufgenommen, der die Arbeitsphase 1797/98 und das damals angelegte Nummernschema dokumentiert. 5 ) Die 4 Strophen (1−32) Zueignung (Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten. . .) s. das nächste Z. Zur Datierung dieser Stanzendichtung vgl. oben S. 135 f. Anm. 10 u. unten S. 140 Anm. 3. Juni 1808: an C. F. v. Reinhard, wo G die Zueignung als schon sehr alt bezeichnet. 6 ) Gräf II 2, 63 vermutet, mit weiter an Faust könne das Vorspiel auf dem Theater (W 14, 15f.) gemeint sein, doch räumt er ein: Genau lässt sich die Entstehungszeit des ’Vorspiels‘ nicht bestimmen, es kann sehr wohl auch erst in den folgenden Jahren gedichtet sein . . . Zur Datierung des Vorspiels vgl. oben Anm. 14 u. „Hoftheater zu Weimar“: 14. Aug 1798: an F. Kirms; EGW 7, 401 m. Anm. 1 u. unten [Aug−Sept 1798]: Vorspiel auf dem Theater. 7 ) Hier zitiert, anschließend an Gräf II 2, 62f., nach W 14, 5f.

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Gleich einer alten halbverklungnen Sage Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrinthisch irren Lauf, Und nennt die Guten, die um schöne Stunden Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden. Sie hören nicht die folgenden Gesänge, Die Seelen, denen ich die ersten sang; Zerstoben ist das freundliche Gedränge, Verklungen ach! der erste Widerklang. Mein Leid1) ertönt der unbekannten Menge, Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang, Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet, Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet. Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen Nach jenem stillen ernsten Geisterreich, Es schwebet nun in unbestimmten Tönen Mein lispelnd Lied, der Aeolsharfe gleich, Ein Schauer fasst mich, Thräne folgt den Thränen, Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich; Was ich besitze, seh’ ich wie im Weiten, Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten. Juni 24. An Schiller (Br 12, 168f.): Dank für Ihre ersten Worte2) über den wieder auflebenden Faust. Wir werden wohl in der Ansicht dieses Werkes nicht variiren, doch giebt’s gleich einen ganz andern Muth zur Arbeit, wenn man seine Gedanken und Vorsätze auch von außen bezeichnet sieht, und Ihre Theilnahme ist in mehr als Einem Sinne fruchtbar. Daß ich jetzt dieses Werk angegriffen habe ist eigentlich eine Klugheitssache, denn da ich bey Meyers Gesundheitsumständen noch immer erwarten muß einen nordischen Winter zuzubringen, so mag ich, durch Unmuth über fehlgeschlagene Hoffnung [auf Italien], weder mir noch meinen Freunden lästig seyn und bereite mir einen Rückzug in diese Symbol-, Ideen- und Nebelwelt mit Lust und Liebe vor. Ich werde nur vorerst die großen erfundenen und halb bearbeiteten Massen3) zu en1

) Die Lesung Leid in allen von G selbst veranstalteten Ausgaben. Das Druckfehlerverzeichnis der ersten Ausgabe zeigt von Riemers Hand die von dort in spätere Drucke eindringende Lesart Lied, für die Düntzer 1859, 54, 1879, 60, 1882, 67f., Pniower 1899, 113f. u. einige ihm folgende Faust-Forscher bis zu Schöne FA 7.2, 154 plädieren; dagegen u. a. Loeper 1870, 169 u. E. Schmidt 1887, 254. − Zur Forschung s. R. Nutt-Kofoth: Leid oder Lied oder Was ist Goethes Faust? In: JbFDH 2009, 147−58. 2 ) s. oben 23. Juni: Schiller an G. 3 ) s. oben 22. Juni: an Schiller.

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den und mit dem was gedruckt ist zusammen zu stellen suchen, und das so lange treiben bis sich der Kreis selbst erschöpft. Juni 26. An Faust.1) 26. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 88f.): Den Faust habe ich nun wieder gelesen [Faust. Ein Fragment] und mir schwindelt ordentlich vor der Auflösung. Dieß ist indeß sehr natürlich, denn die Sache beruht auf einer Anschauung und solang man die nicht hat, muß ein selbst nicht so reicher Stoff den Verstand in Verlegenheit setzen. Was mich daran ängstigt ist, daß mir der Faust seiner Anlage nach auch eine Totalität der Materie nach zu erfodern scheint, wenn am Ende die Idee ausgeführt erscheinen soll, und für eine so hoch aufquellende Masse finde ich keinen poetischen Reif, der sie zusammenhält. Nun, Sie werden sich schon zu helfen wissen.2) Zum Beyspiel, es gehörte sich meines Bedünkens, daß der Faust in das handelnde Leben geführt werde, und welches Stück Sie auch aus dieser Masse erwählen, so scheint es mir immer durch seine Natur eine zu große Umständlichkeit und Breite zu erfodern. In Rücksicht auf die Behandlung finde ich die große Schwierigkeit zwischen dem Spaß und dem Ernst glücklich durchzukommen, Verstand und Vernunft scheinen mir in diesem Stoff auf Tod und Leben miteinander zu ringen. Bei der jetzigen fragmentarischen Gestalt des Fausts fühlt man dieses sehr aber man verweißt die Erwartung auf das entwickelte Ganze. Der Teufel behält durch seinen Realism vor dem Verstand, und der Faust vor dem Herzen recht. Zuweilen aber scheinen sie ihre Rollen zu tauschen und der Teufel nimmt die Vernunft gegen den Faust in Schutz. Eine Schwierigkeit finde ich auch darinn, daß der Teufel durch seinen Character, der realistisch ist, seine Existenz, die idealistisch ist aufhebt. Die Vernunft nur kann ihn glauben, und der Verstand nur kann ihn so wie er da ist, gelten lassen und begreifen. Ich bin überhaupt sehr erwartend, wie die Volksfabel sich dem philosophischen Theil des Ganzen anschmiegen wird. 27. An Faust.3) 27. An Schiller (Br 12, 169f.): Ihre Bemerkungen zu Faust [vom 26. Juni]

waren mir sehr erfreulich. Sie treffen, wie es natürlich war, mit meinen Vorsätzen und Planen recht gut zusammen, nur daß ich mir’s bey dieser barbarischen Composition bequemer mache und die höchsten Forderungen mehr zu berühren als zu erfüllen denke. So werden wohl Verstand und Vernunft, wie zwey Klopffechter, sich grimmig herumschlagen, um Abends zusammen freundschaftlich auszuruhen. Ich werde sorgen daß die Theile anmuthig und unterhaltend sind und etwas denken lassen, bey dem Ganzen, das immer ein Fragment bleiben wird, mag mir die neue Theorie des epischen Gedichts zu statten kommen4) . . . Leben Sie recht wohl und fahren Sie fleißig fort Ihren Almanach 1

) Vermutl. Arbeit am Vorspiel auf dem Theater od. Prolog im Himmel bzw. an beidem. ) Pniower 1923, 169−74 glaubt, G habe nach Erhalt des Briefes, den poetischen Reif, nämlich den Prolog im Himmel, verfaßt; für Preiswerk 1827, 74 eine sehr einleuchtende Vermutung. − Zu den Entstehungsvermutungen der Sz. s. E-Rubrik, S. 136f. m. Anm. 2. 3 ) Vermutl. Arbeit am Vorspiel auf dem Theater od. Prolog im Himmel bzw. an beidem. 4 ) Mehrere Monate lang Gesprächsgegenstand zwischen G u. Schiller. Zu dem hier angesprochenen Zusammenhang von Werkteil u. Werkganzem schreibt Schiller: Es wird mir aus allem, was Sie sagen, immer klarer, daß die Selbstständigkeit seiner Theile einen Hauptcharakter des epischen Gedichtes ausmacht. (21. Apr 1797: Schiller an G, SNA 29, 66). 2

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auszustatten. Da ich durch meinen Faust bey dem Reimwesen gehalten werde, so werde ich gewiß auch noch einiges liefern1) . . . Juni 29. An Carl August (Br 12, 173): Die Ungewißheit, in der ich gegenwärtig vor meiner Abreise [dem erhofften Aufbruch nach Italien] schwebe, ist ein peinlicher Zustand, ich habe manches zu ordnen und einzurichten, dabey ich um die übrigen Stunden zu nutzen den wundersamen Entschluß gefaßt habe meinen Faust wieder vorzunehmen, eine Arbeit die sich zu einer verworrenen Stimmung recht gut paßt. 30. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 93): Ich wünschte daß die zwey leidlich heiteren Tage [29. u. 30. Juni], die wir wieder genoßen haben bey Ihnen fruchtbarer gewesen seyn möchten als bey mir. Meine Krämpfe regten sich seit einigen Tagen wieder stärker, und ließen mich nicht schlafen. Ich wollte an den Faust denken, aber der Teufel in Natura wollte den poetischen nicht aufkommen lassen. Juli

1. An Schiller (Br 12, 179): Meinen Faust habe ich, in Absicht auf Sche-

ma und Übersicht, in der Geschwindigkeit recht vorgeschoben, doch hat die deutliche Baukunst2) die Luftphantome bald wieder verscheucht. Es käme jetzt nur auf einen ruhigen Monat an, so sollte das Werk zu männiglicher Verwunderung und Entsetzen, wie eine große Schwammfamilie aus der Erde wachsen.3) Sollte aus meiner Reise nichts werden,4) so habe ich auf diese Possen mein einziges Vertrauen gesetzt. Ich lasse jetzt das Gedruckte wieder abschreiben und zwar in seine Theile getrennt, da denn das neue desto besser mit dem alten zusammen wachsen kann. 4. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 95): Ich wünsche morgen von Ihnen zu hören, daß der Faust vorgerückt ist. 5. An Schiller (Br 12, 181f.): Faust ist die Zeit [seit 27. Juni] zurückge-

legt worden, die nordischen Phantome sind durch die südlichen Reminiscenzen5) auf einige Zeit zurückgedrängt worden, doch habe ich 1

) Zum Musen-Almanach für das Jahr 1798 lieferte G nichts mehr außer dem Zauberlehrling. 2 ) Auf Baukunst war G durch den Besuch des ihm von Rom her bekannten Kunstforschers A. L. Hirt gelenkt worden, der wiederholt in G’s Tgb auftaucht, so am 30. Juni: Unterredung mit Hirt über seine Architecktonische Arbeiten. Mit ihm im römischen Haus; vgl auch „Über Aloys Hirt“, EGW 7, 357−60. Gräf II 2, 68 weist darauf hin, daß G sich in diesen Tagen nicht nur mit der Baukunst Italiens beschäftigte, wovon er Schiller im gleichen Briefe mitteilt, sondern auch mit Baudenkmälern Portugals und Dalmatiens. 3 ) Gräf vermutet, daß G zu diesem humoristischen Vergleich durch die bei dem regnerischen Wetter reichlich gedeihenden Pilze veranlaßt wurde, von denen der Freund ihm eine Portion zugesendet hatte, da G am 28. Juni an Schiller schreibt (Br 12, 172): Für die Schwämme dancke schönstens. 4 ) Am 30. Juli brach G in die Schweiz auf, von wo er eigentlich mit H. Meyer weiter nach Italien wollte; doch änderte er seine Absicht und kehrte am 20. Nov 1797 nach Weimar zurück. 5 ) Gespräche mit dem nach vieljährigem Italienaufenthalt zurückgekehrten Kunstkenner A. L. Hirt.

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das Ganze als Schema und Übersicht sehr umständlich durchgeführt.1) Juli 7. An H. Meyer (Br 12, 185): Ich . . . arbeitete ohne Trieb und Behaglichkeit bloss um mich zu zerstreuen.2) 3 17. ) [Frankfurt] An Schiller (Br 12, 247): . . . ich gestehe Ihnen, dass ich lieber gerad nach Hause zurückgekehrt wäre, um, aus meinem Innersten Phantome jeder Art4) hervorzuarbeiten, als dass ich mich noch einmal, wie sonst (da mir das Aufzählen nun einmal nicht gegeben ist) mit der millionenfachen Hydra der Empirie herumgeschlagen hätte5). . . Aug 22. [Frankfurt]6) An Schiller (Br 12, 261): Ein paar poetische Stoffe bin ich schon [auf der Reise] gewahr worden, die ich in einem feinen Herzen aufbewahren werde, und dann kann man niemals im ersten Augenblick wissen was sich aus der rohen Erfahrung in der Folgezeit noch als wahrer Gehalt aussondert. Bey allem dem leugne ich nicht daß mich mehrmals eine Sehnsucht nach dem Saalgrunde wieder anwandelt und, würde ich heute dahin versetzt, so würde ich gleich, ohne irgend einen Rückblick, etwa meinen Faust oder sonst ein poetisches Werk anfangen können.7) 31. [Tegel] W. v. Humboldt an Schiller (SNA 35, 320): Göthens noch in diesem Jahr zu erwartende Beiträge [für die Horen] sind, den Titeln nach zu urtheilen, auch wenn der Faust nicht kommt,8) doch immer sehr brauchbar. Sept

1. [Weimar] Böttiger an G (GSA 28/19 Bl. 526): Aus guten Gründen hielt ich den ehrlichen Unger für den schicklichsten Herausgeber auch der ersten prächtigen Ausgabe des Faust.9) Auch hatte ich mich in meinen Erwartungen keineswegs betrogen. Er ist 1

) Von Schema und Übersicht war schon am 1. Juli gegenüber Schiller die Rede (s. dort) ) Daß diese Äußerung besonders auf Faust zu beziehen ist, zeigt Gräf II 2, 69 durch Hinweis auf Juni 29. an Carl August: Die Ungewißheit . . . meiner Abreise . . . ein peinlicher Zustand . . . Faust . . . eine Arbeit die sich zu einer verworrenen Stimmung recht gut paßt. Am 30. Juli reiste G von Weimar fort. 3 ) Das Briefkonzept datiert 16. Aug; ab 3. Aug befand G sich in seiner Vaterstadt Frankfurt. 4 ) Bezügl. auf Faust hatte G am 5. Juli an Schiller (s. dort) von nordischen Phantomen geschrieben. 5 ) G strebte ein Bild aller Zustände der durchreisten Gegenden an, das Handel, Gewerbe, Künste, Politik, Geographie, Bodenbau, Sitten u. Gebräuche umfaßte, die er systematisch registrierte. Erst nach G’s Tod stellte Eckermann daraus die Reise in die Schweiz 1797 zusammen. 6 ) Nach 3-wöchigem Aufenthalt in Frankfurt reiste G am 25. Aug weiter über Darmstadt, Heidelberg, Heilbronn, Ludwigsburg nach Stuttgart (29. Aug −7. Sept), Tübingen (7.−16. Sept), Schaffhausen (17. Sept), was ihn zum Terzinenmonolog Faust II Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend 4679−727 anregte. 7 ) Diese Passage auch in der von Eckermann für den Druck eingerichteten Reise in die Schweiz 1797 mit geringen stilistischen Änderungen unter Frankfurt, den 15. August 1797 (W 34.1, 237f.). 8 ) s. oben 21. Aug 1796: Schiller an Humboldt u. 28. Aug: Humboldt an Schiller. 9 ) Zu einer vom Verleger Unger erhofften Prachtausgabe des Faust s. unten 10. Okt 2

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bereit, alles zu leisten, was uns irgend ein anderer seiner Collegen leisten kann, und dabei doch die zweite Ausgabe in den Werken [Ausg. N] aufs neue eben so zu honoriren, als alles vorhergehende: Besonders leuchtete ihm auch die chalcographische Ausstattung ein, wobei er sich sehr glücklich schätzen würde, wenn Meier [H. Meyer] diesen Theil übernehmen wollte. Er will durchaus nichts sparen, und hat, wie ich nun als Augenzeuge versichern kann, in seinen Cassen und Officinen alles nöthige Zeug dazu. Bis jetzt ist nun die Sache dahin gediehen, daß ich Sie bitten solle, ihm die Erstlinge des Werkes zu überlassen, und ihm dann Nachricht von dem Erfolg meiner Bemühungen geben werde. Es ist also für Sie völlig res integra und überhaupt alles das strengste Geheimniß. Sollten Sie aber Lust haben, müßte ich mir bald um des ehrlichen Mannes willen, der noch viele andere Unternehmungen in der Hand hat, einige Winke erbitten.

Sept 16. [Weimar] Böttiger an Klopstock (Beck − Gronemeyer IX 1, 159): Göthe arbeitet in Steffa am Zürchersee jetzt an seinem Faust. Vorübungen dazu sind seine Braut zu Corinth, und mehrere Romanzen im neuen schillerschen Musenalmanach. Okt

2. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 140): Endlich erhalten Sie den Almanach [Musen-Almanach für 1798] vollendet . . . Oberons goldne Hochzeit1) finden Sie nicht in der Sammlung, aus zwey Gründen ließ ich sie weg. Erstlich dachte ich würde es gut seyn, wenn wir aus diesem Almanach schlechterdings alle Stacheln wegließen [im Unterschied zum Xenien-Almanach 1797] und eine recht fromme Mine machten, und dann wollte ich nicht, daß die goldne Hochzeit, die noch so vielen Stoff zu einer größern Ausführung giebt, mit so wenig Strophen abgethan würde. Wir besitzen in ihr einen Schatz für das nächste Jahr, der sich noch sehr weit ausspinnen läßt.2) 10. [Leipzig] J. F. Unger an Böttiger (Unger 83): Wenn H. v. Goethe wieder in Weimar ist, werde ich wohl das nähere erfahren;3) auch werde ich von Berlin an ihn schreiben, und wenn Sie nicht wollen, des Fausts gar nicht erwähnen. Ist und kann mir mein so sehr verehrter Goethe darum abtrünnig werden, weil ein anderer Buchhändler ihn 4 Wochen bewirtet hat4), nun so sage ich weiter nichts dazu. Nur glaube ich, daß dies ein jeder andre, der auch kein Buchhändler gewesen wäre, mit Freuden und ohne alles andre Interesse getan haben würde, wenn so ein lieber großer Mann hätte bei ihm einkehren wollen. Genug hiervon; ich warte die Sache geduldig ab. 1797: Unger an Böttiger u. [Mitte Okt] 1799: Unger an G. Unter den Verlegern war Unger der eigentliche Experte für Holzschnitte; doch neigte G, nicht zuletzt unter Schillers Einfluß, immer mehr Cotta als Verleger des Faust zu. Daß G sich noch nicht festlegen wollte, zeigt auch ein Briefkonzept vom 3. März 1797 an Unger: Aus Ihrem Briefe, mein werthester Herr Unger, habe ich mit Vergnügen gesehen daß Sie bald wieder einen Band meiner Schriften zu drucken wünschen. Ich habe eine Arbeit liegen die beynahe so viel Masse machen möchte; da ich aber vorher noch einige kleinere Sachen, auf einem andern Weg, in’s Publikum zu bringen gedenke, so möchte wohl noch einige Zeit hingehen ehe die Reihe an jene Arbeit käme, sobald als ich hierzu eine nähere Hoffnung habe, werde ich Sie sogleich davon benachrichtigen. (Br 12, 58f.) − Dieses Konzept wurde Br 12, 405 zufolge nicht abgeschickt. Zu Ungers Hoffnung, den Faust zu verlegen s. unten 10. Okt 1797: Unger an Böttiger; zur Frage von Holzschnitten oder sonstigen Illustrationen für Faust s. unten 1799 [Mitte Okt]: Unger an G; Nov 4.: an Unger. − Zu Schillers Bemühung den Faust für Cotta zu gewinnen s. unten 1798 Apr 27.: Schiller an G m. Anm. u. Apr 28.: an Schiller. 1 ) s. oben 5. Juni 1797: Tgb. 2 ) s. unten 20. Dez 1797: an Schiller; dort auch Näheres über die spätere Verwendung. 3 ) s. oben 1. Sept 1797: Böttiger an G hinsichtlich Ungers Eignung als Verleger des Faust. 4 ) G war vom 6. bis 11. Sept 1797 bei Cotta in Tübingen zu Gast gewesen.

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6. [Weimar] An Schiller (Br 12, 372): Halten Sie sich ja zu Ihrem Wal-

lenstein, ich werde wohl zunächst an meinen Faust gehen, theils um diesen Tragelaphen1) los zu werden, theils um mich zu einer höhern und reinern Stimmung, vielleicht zum Tell [-Epos], vorzubereiten. 6. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 10. Nov 1798 − : Franciscus, Erasmus: Neu-polierter Geschicht-, Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völker, fürnemlich der Sineser, Japaner, Indostaner, Javaner . . . und theils anderer Nationen mehr . . . Dem Schaubegierigen Leser dargestellt. Nürnberg 1670.)2) 8. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 164f.): Es ist wohl nicht übel, daß Sie zwischen Ihr erstes [Hermann und Dorothea] und zweites Epos [Tell-Projekt] den Faust einschieben.3) Sie schwellen dadurch den poetischen Strom, und erregen sich ein ungeduldiges Verlangen nach der neuen reinen Production, welches schon die halbe Stimmung ist. Der Faust, wenn Sie ihn nun durchgearbeitet, läßt Sie auch sicherlich nicht so, wie Sie zu ihm kommen, er übt und schärft irgend eine neue Kraft in Ihnen und so kommen Sie reicher und feuriger zu Ihrem neuen Werke. 20. An Schiller (Br 12, 380): Oberons goldne Hochzeit haben Sie mit gu-

tem Bedachte weggelassen,4) sie ist die Zeit über nur um das doppelte an Versen gewachsen und ich sollte meinen im Faust müßte sie am besten ihren Platz finden5) 25.6) An A. L. Hirt (Konzept; Br 13, 46): Ihre letzten Aufsätze über Laokoon habe ich noch nicht gesehen. Verzeihen Sie wenn ich über diese schwierige Materie mich sobald nicht äußern kann, ich bin für den Moment himmelweit von solchen reinen und edlen Gegenständen entfernt, indem ich meinen Faust zu endigen, mich aber auch zugleich 1

) grch. ›Bockhirsch‹, als Gleichnis für ein Gemisch widerstrebender Teile u. verschiedener Stilarten. 2 ) Umfangreicher Sammelband (1550 S.) über Sitten u. Gebräuche fremder Völker. Buch I Kap. XVIII. Die fahrende Unholdinn (S. 125−39) enthält eine kurze Geschichte des Hexenwesens. Auf mögl. Anregung zur Walpurgisnacht verweist Witkowski 1894, 27f. zu 3855: Im Höllischen Proteus des Francisci fand G, daß die Irrlichter zwar aus natürlichen Ursachen entstehen, unter ihnen aber manchmal Betrug und Tücken des Satans verborgen stecke.. Sie gäben bisweilen, gleichsam als wie eine menschliche Stimme, ein Geheul und Gewinsel von sich. Das Streitgespräch eines Jesuitenpaters mit einem chines. Götzenpfaffen in Buch I Kap. XI 41−60 Die ungeschickten Schluß-Künstler erregte G’s besonderes Interesse; über dessen Beziehung zu P11 (Disputation) in W 14, 29115–21 nach Morris 1902 I 44–47, Gräf II 2, 73; Bohnenkamp 230; s. auch unten 3. Jan 1798: an Schiller m. Anm. 3 ) Schon am 22. Juni hatte G dem Freund geschrieben, er wolle wieder an den Faust gehen, danach erwähnte G gegenüber Schiller Faust noch 1797 Juni 27., Juli 1. u. 5., Aug 17. u. 22. u. schließlich Dez 6. 4 ) s. oben 2. Okt 1797: Schiller an G. Die Satire hatte G erst zum Musen-Almanach 1798 bestimmt. 5 ) G fügte Oberons goldne Hochzeit als Intermezzo [Zwischenspiel] der Walpurgisnacht, u. d. T. Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit (4223−398) in Faust I ein. 6 ) Datum des Konzepts. − Die Reinschrift (nicht überliefert) wurde erst am 30. Jan 1798 abgeschickt.

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von aller nordischen Barbarey loszusagen wünsche.1) Dez 25. [Jena] Schiller an C. G. Körner (SNA 29, 174): Göthen erwarte ich in 8 Tagen hier,2) wo er eine Zeitlang bleiben und wahrscheinlich den F a u s t vollenden wird. 25. [Dresden] C. G. Körner an Schiller (SNA 37.1, 209): Auf Göthens Faust freue ich mich sehr. Ich habe ihn immer um Mittheilung der ungedruckten Fragmente bitten wollen, aber es nicht gewagt. 26. [Siebeneichen b. Meißen] Novalis an F. Schlegel (KFSA 24, 70): Göthe hat einen Prometheus vor − und den Faust.3)

1798 ⎯

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften4) (Q 2. 2, 660): Faust fortgesetzt.

Jan

2. An Knebel (Br 13, 2f.): Seit meinem Hierseyn5) habe ich mehr einiges

vorbereitet als etwas gethan, in dieser Jahrszeit bin ich ohnedies nicht zu viel Gutem aufgelegt und die Reise hatte mich besonders zerstreut . . . Ich will nun nach und nach wieder an irgend eine Arbeit, denn wenn ein Jahr nicht leer verlaufen soll so muß man beyzeiten anfangen. Ich denke den Faust zuerst vorzunehmen, und zu gleicher Zeit meine physikalischen und naturhistorischen Arbeiten fortzusetzen. Wie weit wir kommen muß die Folge zeigen. 3. An Schiller (Br 13, 4): Sie erhalten alsdann6) auch eine Abschrift7) eines alten Gesprächs zwischen einem Chinesischen Gelehrten und ei1

) Aufgrund dieser Briefstelle hielt E. Schmidt GJb 1888, 82f. (Epilog zum Faust) die Entstehung von Abschied (Am Ende bin ich nun des Trauerspieles. . .), P98 (W 15.1, 344f.), schon im Winter 1797/98 für möglich, während Alt 1909, 603 für Mai 1798 plädierte, Pniower 1899, 71 u. Gräf II 2, 88−90 für 1800. Bohnenkamp 213f. zeigt auf, warum die beiden ad 30 signierten Schlußgedichte: Abkündigung (P97) u. Abschied (P98) wahrscheinlich 1798 entstanden u. daß G deren Aufnahme ins numerierte Schema als Abschluß der ganzen Dichtung vorsah, solange die Vollendung des ganzen Faust ihm noch in näherer Zukunft möglich schien. Das Nummernschema gab G nach der Zweiteilung auf. 2 ) G kam erst 20. März 1798 für 2 Wochen nach Jena u. nicht vor Apr zur Weiterarbeit am Faust. 3 ) Novalis Informationen stammten vermutl. von Schillers Freund C. G. Körner in Dresden. G’s Dramatisches Fragment Prometheus datierte vom Sommer 1772; 1795 plante G Die Befreiung des Prometheus, nahm sie Ende März 1797 wieder auf; deren Bruchstücke s. W 11, 331−34; zur Entstehung s. EGW 1, 198f. 4 ) Zusammengestellt durch Chr. Th. Musculus im Jahr 1837. 5 ) Am 20. Nov 1797 war G aus der Schweiz zurückgekehrt. 6 ) s. das folgende Z. 7 ) Die von G’s Schreiber Geist angefertigte Abschrift der Erzählung Die ungeschickte Schlußkünstler (GSA 28/1051) aus dem Neu-polirten Geschicht- Kunst- und Sitten-Spiegel von Erasmus Franciscus (s. oben 6. Dez 1797: Bibliotheksentleihung); abgedruckt in SNA 37.2, 277ff. − Womöglich bot P11 mit der Passage F. Gegenfrage wo der schaffende Spiegel sey (Bohnenkamp 228) eine Anregung für den geplanten Disputationsactus; vgl. unten [3. od. 4.] Apr 1801: an Schiller.

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Jan

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nem Jesuiten, in welchem jener sich als ein schaffender Idealist1), dieser als ein völliger Reinholdianer zeigt.2) Dieser Fund hat mich unglaublich amüsirt und mir eine gute Idee von dem Scharfsinn der Chineser gegeben. 6. An Schiller (Br 13, 9f.): Hier schicke ich die angekündigte philosophische Unterredung. Der Chineser würde mir noch besser gefallen, wenn er die Gluthpfanne ergriffen und sie seinem Gegner mit diesen Worten überreicht hätte: „Ja, i c h e r s c h a f f e s i e , da nimm sie zu deinem Gebrauch!“ Ich möchte wissen was der Jesuite hierauf geantwortet hätte. 12. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 187): Das metaphysische Gespräch des Paters mit dem Chinesen hat mich sehr unterhalten und es nimmt sich in der gothischen Sprache besonders wohl aus3) . . . Wo haben Sie dieß schöne Morceau aufgefunden? Es wäre ein Spaß, es abdrucken zu laßen mit einer leisen Anwendung auf unsere neuesten Philosophen. 13. An Schiller (Br 13, 21): Das tolle philosophische Gespräch ist aus des

E r a s m u s F r a n c i s c i neupolirtem Geschichts-, Kunst- und Sittenspiegel, einem abgeschmackten Buche, das aber manchen für uns brauchbaren Stoff enthält.4) Febr 3. An Schiller (Br 13, 52): Sodann5) denke ich etwas ernsthafter an meinen Faust6) und sehe mich auf diesem Weg schon für das ganze Jahr beschäftigt, besonders da wir doch immer einen Monat auf den [Musen]Almanach [für 1799] rechnen müssen. Durch die Verschiedenheit dieser Vorsätze komme ich in den Stand jede Stunde zu nutzen.

1

) Dazu SNA 37.2, 276: Möglicherweise denkt Goethe an den Idealismus Fichtes. Mit dessen ›Wissenschaftslehre‹ hatte er sich gemeinsam mit Schiller im März 1797 beschäftigt. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß er hier Schelling im Sinn hat, der in der ›Einleitung‹ zu seinen ›Ideen zu einer Philosophie der Natur‹ eine solche Position in etwa vertritt. 2 ) K. L. Reinhold, ein strikter Kantianer, war Fichtes Vorgänger als Prof. der Philosophie in Jena, ehe er 1794 nach Kiel ging. − Bei Francisci geht es darum, die Behauptung des chinesischen Götzenpfaffen, der Mensch könne ebenso wie der HimmelsHerr Wirklichkeit schaffen, ad absurdum zu führen. Die ihn an die neueren akademischen Debatten erinnernde Thematik interessierte G, worauf schon Morris 1902 I 44−47 u. E. Schmidt 1903, 292f. hinwiesen, auch im Hinblick auf eine damals noch geplante Disputations-Szene zw. Faust u. Mephisto, die P11 ausführlich skizziert (Bohnenkamp 226−53). 3 ) Schillers Antwort aufs vorige Z. 4 ) G’s Antwort aufs vorige Z; zur Entleihung des für die Sz. Walpurgisnacht genutzten Werks s. oben 6. Dez 1797. 5 ) Nach Erwähnung der künftigen Farbenlehre u. dem Plan etwa ein halb Dutzend Märchen und Geschichten . . . als den zweyten Theil der Unterhaltungen meiner Ausgewanderten zu bearbeiten. 6 ) Erst am 9. Apr erwähnt G’s Tgb wieder Beschäftigung mit Faust.

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Febr 21. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“ an Schiller gD, S. 615 f.) ?

März 23. [Jena] Mittag zu Schiller . . . über Episches und Dramatisches.1) ?

?

Apr

28. [Jena] Mittags bey Schiller Fortsetzung über das Tragische und Epische. 3. [Jena] Mittag zu Schiller, wo viel über die neuen epischen und tragi9. 10. 11. 11.

schen Unternehmungen gehandelt wurde. [Weimar] Faust wieder vorgenommen.2) Früh Faust. Faust. An Schiller (Br 13, 113): Damit mir die nächsten vier Wochen die ich doch hier zubringen werde3) nicht ungenutzt verstreichen, habe ich gleich den Faust vorgenommen und finde Ihre Bemerkung richtig: daß die Stimmung des Frühlings lyrisch ist,4) welches mir bey dem rhapsodischen Drama sehr zu Gute kommt.5)

11. [Tübingen] Cotta an Schiller (SNA 37.1, 276): Diß zusammen genommen, macht mich etwas ängstlich bei dieser Unternemung6), die ich doch wegen des Verhältnisses mit Herrn v Goethe für keinen Preis aus der Hand lassen möchte, und die gewis einzig in ihrer Art ausfallen wird. Ganz beruhigt würde ich daher seyn wenn Sie den Herrn GeheimenRat bestimmen könnten, daß er mir zugleich die Zusicherung für seine künftige Produkte gäbe, zB Faust p.7) 14. An Charlotte Schiller (Br 13, 115f.): Vielmals Dank sey Ihnen gesagt

daß Sie mich zum Schluß der Woche nicht einer Nachricht haben wollen mangeln lassen, ob ich gleich wünschte von Schillers Gesundheit

1

) Vermutl. vorwiegend gattungstheoretische Erörterungen, so auch betreffend die nächsten beiden Z. 2 ) Welche Szenen G vom 9. bis 21. Apr bearbeitete, ist unbekannt; Gräf II 2, 74 vermutet, daß die Lücke zw. v. 605 u. 1770 ausgefüllt wurde; denkbar wäre auch Arbeit an Teil 2, Akt 5; zu den Vermutungen vgl. auch Düntzer 1882 XXIV, Witkowski 1894, 14 u. Niejahr GJb 1899, 170f. 3 ) Wegen des Weimarer Schloßbaus u. a. Abhaltungen kam G erst 51/2 Wochen später nach Jena. 4 ) Wohl mündliche Äußerung Schillers während G’s Aufenthalt in Jena vom 20. März bis 6. Apr. 5 ) Zu G’s Schaffen im Apr 98 meint Witkowski 1950, 80: die Frühlingsstimmung sei G bei diesem rhapsodischen Drama zugute gekommen, wobei nicht ohne weiteres die beiden Frühlingsschilderungen des Osterspaziergangs und der Walpurgisnacht gemeint zu sein brauchen . . . Die Hauptarbeit . . . mag zunächst der weiteren Ausbildung des Planes und der Ordnung des Vorhandenen gedient haben. 6 ) Betr. Schillers Angebot an Cotta vom 23. März 1798: Göthe und Meier wollen ein gemeinschaftliches Werk über ihre Kunsterfahrungen in einer Suite von kleinen Bändchen herausgeben, und diesen Verlagsartikel kann ich Ihnen anbieten. (SNA 29, 222). − Aus dem Vorhaben entstanden Die Propyläen. 7 ) Eine solche Zusicherung ist nicht bekannt; doch seit den Propyläen, die dem Verleger geschäftlichen Mißerfolg eintrugen, erschienen die meisten Einzelwerke G’s, wie auch die Werkausgaben, bei Cotta in Tübingen: seit 1806 Goethe’s Werke; 1808 als Bd 8: Faust I.

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Apr 14. 15. 18. 18. 19.

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das bessere zu hören.1) Vor die schöne Homerische Welt2) ist gleichfalls ein Vorhang gezogen und die nordischen Gestalten, Faust und Compagnie, haben sich eingeschlichen. Das wenige was ich an dieser Arbeit gegenwärthig thun kann fördert immer mehr als man denkt, indem der kleinste Theil, der zur Masse hinzugefügt wird, die Stimmung zum folgenden sehr bedeutend vermehrt. Gegen Abend verschiednes an Faust. Beschäftigung an Faust3) . . . An Faust. An Charlotte Schiller (Br 13, 121): Faust rückt alle Tage wenigstens um ein Dutzend Verse. An Faust.

20. [Jena] Charlotte Schiller an G (SNA 29, 568): Wenn nur der Faust vorrückt, so ist es doch tröstlich. Wenn auch die Helden [der Achilleis] ruhen. 21. An Faust. 21. An Charlotte Schiller (Br 13, 123): Faust hat diese Tage immer zuge-

nommen;4) so wenig es ist, bleibt es eine gute Vorbereitung und Vorbedeutung. Was mich so lange Jahre abgehalten hat wieder daran zu gehen war die Schwierigkeit den alten geronnenen Stoff wieder ins Schmelzen zu bringen. Ich habe nun auf Cellinische Weise ein Schock zinnerne Teller und eine Portion hartes trocknes Holz dran gewendet und hoffe nun das Werk gehörig im Fluß zu erhalten.5) 24. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 226): Zu den Fortschritten im Faust wünsche ich Glück. Diese theatralischen Zerstreuungen sollen Sie, denk ich, eher darin fördern als stören.6) 27. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 228): Ich sende Ihnen hier Cottas Antwort auf meine Anfrage7) wegen der zu verlegenden kleinen Abhandlungen8) p. Es ist ihm [Cotta], wie

1

) Während Schillers fieberhaftem Katarrh vom 11.−23. Apr schrieb seine Frau drei Briefe an G. 2 ) G war seit Ende 1797 viel mit der Ilias beschäftigt u. dichtete an der Achilleis, s. EGW 1, 4f. 3 ) Nach Gräf II 2, 75 wohl auch am 16. u. 17. Apr Beschäftigung mit Faust. 4 ) Wohl auch am 20. Apr Arbeit am Faust, wenn auch Tgb darüber schweigt. 5 ) Vgl. Cellini Buch 4 Kap. 6 (W 44, 210−12). − Das nämliche Gleichnis auf die Arbeit an Des Epimenides Erwachen angewandt; s. Z zu „Benvenuto Cellini“ 17. Apr 1815: an Zelter, EGW 2, 152; zur unterschiedlichen Deutung des Bildes Loeper 1879 XVI, Düntzer 1899, 36, Minor 1901 II 10 u. Morris 1902 I 14. 6 ) Ifflands 2. Gastspiel am Weimarer Hoftheater vom 24. Apr bis 4. Mai 1798.− Mommsen 1953, 302−06 zufolge stand Iffland durch sein Gastspiel mit sehr großer Wahrscheinlichkeit für die Figur der Lustigen Person im Vorspiel auf dem Theater Pate. 7 ) Cottas ostensibler Brief vom 10. Apr 1798 (SNA 37.1, 274f.) auf Schillers Anfrage vom 28. März 1798 (SNA 29, 222f.), s. auch oben 11. Apr 1798: Cotta an Schiller. 8 ) Aufsätze über Laokoon, die Niobe usw., die schließlich in die Propyläen eingegangen sind.

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Sie sehen, zuviel daran gelegen etwas von Ihnen zum Verlag zu bekommen, als daß er seine Desideria und Wünsche bei diesem Werke ganz offen hätte heraussagen sollen. Soviel aber zeigt sich, daß er bei dem überwiegenden kunstwißenschaftlichen Innhalt ein zu eingeschränktes Publikum fürchtet, und deßwegen einen mehr allgemeinen Inhalt wünscht. Ich kann ihm darinn als Buchhändler gar nicht Unrecht geben; da aber auf der andern Seite von dem Plane des Werks nichts erlassen werden kann, so wäre mein Vorschlag, Ihm die Expectanz auf Ihr nächstes poetisches Werk, etwa den Faust zu geben, oder es ihm lieber gleich zu veraccordieren. Wenn ich bei dieser Gelegenheit einen Vorschlag zu thun hätte, so würde ich . . . für den Bogen vom Faust A c h t Louisdors zu fodern rathen. Wenn Sie aber denken daß Unger [Verleger von G’s Neuen Schriften] oder Vieweg [Verleger von Hermann und Dorothea] beßer bezahlen, so kann Cotta es auch, und ich erwarte nur, daß Sie ein Geboth thun, so will ich es Cotta, der jetzt in Leipzig ist sogleich melden.

Apr 27. [Dresden] C. G. Körner an Schiller (SNA 37.1, 282): Was macht Göthe? Ist er wirklich mit Vollendung des Faust beschäftigt? 28. An Schiller (Br 13, 125f.): Für Cottas Erklärung1) danke ich, doch

halte ichs für besser, ehe man sich bestimmt, ein paar Bände Manuscript [Abhandlungen zur Kunst] völlig fertig zu haben . . . Ebenso will ich meinen Faust auch fertig machen, der seiner nordischen Natur nach ein ungeheures nordisches Publikum finden muß. Freund Meyer wird es auch für keinen Raub achten zu dieser barbarischen Production Zeichnungen zu verfertigen. Wir haben den Gedanken die Umrisse auf graubraun Papier drucken zu lassen und sie alsdenn auszutuschen und mit dem Pinsel aufzuhöhen, eine Operation die vielleicht nirgends so gut und wolfeil als hier gemacht werden könnte. Es sollen bald einige Versuche der Art zum Vorschein kommen.2) Mai

1. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 231): Cotta wird vermuthlich in 10 Tagen hieher kommen. Vielleicht schickt es sich, dass Sie dann schon hier sind;3) es wäre doch gut, wenn Sie ihn wenigstens hörten und sich Vorschläge machen liessen. Er hat den besten Willen und an Kräften fehlt es ihm keineswegs, etwas Bedeutendes zu unternehmen. 5. An Schiller (Br 13, 136f.): Meinen Faust habe ich um ein gutes weiter

gebracht. Das alte noch vorräthige höchst confuse Manuscript4) ist abgeschrieben und die Theile sind in abgesonderten Lagen, nach den Nummern eines ausführlichen Schemas5) hinter einander gelegt. Nun kann ich jeden Augenblick die Stimmung nutzen, um einzelne Theile weiter auszuführen und das ganze früher oder später zusammen zu stellen. Ein sehr sonderbarer Fall erscheint dabey: Einige tragische 1

) s. oben 11. Apr 1798: Cotta an Schiller. ) Von Meyer sind keine Zeichnungen zum Faust überliefert; später verzichtete G auf Illustrationen; s. unten 1805 Nov 12.: Cottas Vorschläge u. 25.: an Cotta. Zum Thema Holzschnitte vgl. 10. Okt 1797: Unger an Böttiger; 1799 [Mitte Okt]: Unger an G; Nov 4.: an Unger. 3 ) Cotta, der nur am 17. Mai in Jena war, begegnete G nicht, da dieser dort erst am 20. Mai eintraf. 4 ) s. „Faust. Ein Fragment“, Z vom 5. Nov 1789: an Carl August, S. 86. 5 ) s. oben 23. Juni 1797: Tgb. 2

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Scenen waren in Prosa geschrieben,1) sie sind durch ihre Natürlichkeit und Stärke, in Verhältnis gegen das andere, ganz unerträglich. Ich suche sie deswegen gegenwärtig in Reime zu bringen,2) da denn die Idee wie durch einen Flor durchscheint, die unmittelbare Wirkung des ungeheuern Stoffes aber gedämpft wird. Mai

8. [Jena] Schiller an G (SNA 29, 234): Ich gratuliere Ihnen zu dem fortgerückten Faust. Sobald Sie bei diesem Stoff nur erst bestimmt wißen, was noch daran zu thun ist, so ist er so gut als gemacht, denn mir schien immer das u n b e g r e n z b a r e das schwürigste dabey zu seyn. Ihre neuliche Bemerkung, daß die Ausführung einiger tragischer Scenen in Prosa so gewaltsam angreifend ausgefallen bestätigt eine ältere Erfahrung die Sie bei der Mariane im Meister [Buch 7, Kap. 8; W 23, 91−104] gemacht haben, wo gleichfalls der pure Realism in einer pathetischen Situation so heftig wirkt, und einen nicht poetischen Ernst hervorbringt; denn nach meinen Begriffen gehört es zum Wesen der Poesie, daß in ihr Ernst und Spiel immer verbunden seyen . . . Ich freue mich nicht wenig auf Ihr Hierseyn,3) wo hoffe ich vieles zur Sprache kommen und sich weiter entwickeln soll. 12. An Schiller (Br 13, 141f.): Es war nicht uninteressant mich einige Tage

Juni Juli

mit der Zauberflöte abzugeben . . . Da ich nur handelnd denken kann, so habe ich dabey wieder recht artige Erfahrungen gemacht, die sich sowohl auf mein Subject als aufs Drama überhaupt, auf die Oper besonders und am besondersten auf das Stück beziehen.4) 7. [Jena] Gegen Abend zu Schiller; über Faust. 11. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 10. Nov 1798 − [Meyfart, Mattaeus]: Christliche Erinnerung / An Gewaltige Regenten / vnd Gewissenhaffte Praedicanten / wie das abschewliche Laster der Hexerey mit Ernst außzurotten / aber in Verfolgung desselbigen auff Cantzeln vnd in Gerichtsheusern sehr bescheidentlich zu handeln sey / Vorlengsten aus hochdringenden Vrsachen gestellet von Johanne Matthaeo Meyfarten / der heiligen Schrifft Doctorn, vnd damals des Fürstlichen Casimirianischen Gymnasij zu Coburg verordneten Directorn, Aber jetzunder bey der vhralten vnd erenwerten Universitet zu Erfurt Professorn. Erfurt und Schleusingen 1635.)5)

Aug 14. [Jena] An F. Kirms (Br 13, 250f.): Eine Art von Vorspiel und dialogir-

ten Prolog [zur Eröffnung des renovierten Theaters] will ich wohl machen6). . . [Über architektonische Verbesserungen des Zuschauerraums]

1

) Die Schlußszenen von Faust. Frühe Fassung: Faust. Mephistopheles (später: Trüber Tag), Nacht u. Kerker. 2 ) Nur die Sz. Kerker verwandelte G in Verse. 3 ) G hielt sich vom 20. bis 31. Mai u. vom 4. bis 21. Juni 1798 in Jena auf. 4 ) Mommsen 1953, 301ff. zufolge haben gleichzeitige Reflexionen über Theaterbelange ihre Spuren im Vorspiel auf dem Theater hinterlassen. Hier scheinen die beim Opernschaffen gemachten Erfahrungen über die Elemente für das Drama überhaupt G zu der Partie des Vorspiels mit inspiriert zu haben, bei der man an die Zauberflöte zu denken veranlaßt wird. Vgl. unten S. 31[?Aug − Sept] Vorspiel auf dem Theater v. 231–40. 5 ) Schon Pniower 1899, 66 wies hin auf diese frühe Schrift über Hexenprozesse, die G zweifellos im Hinblick auf P50 zur Erarbeitung der Walpurgisnacht-Szene u. GretchenTragödie entlieh; erneute Ausleihe 23. Febr 1801 (s. dort). 6 ) Das Vorspiel, das G damals zur Wiedereröffnung des umgebauten Weimarer Hofhea-

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. . . ich hoffe . . . das Publikum selbst wird fühlen, was an Anstand, Artigkeit und Bequemlichkeit gewonnen ist . . . Sie werden sehen, wenn Alles zusammen kommt, was es für einen schönen Anblick machen wird und wie gern sich die geputzten Leute drinne produciren werden.1) Aug 25. (s. „Hoftheater zu Weimar“ : an Schiller gD, EGW 7, 401f.)2) [?AugVorspiel auf dem Theater4) (W 14, 15f.): D i r e c t o r . . . . Sept3)] [218] Was hilft es viel von Stimmung reden?

[231]

Dem Zaudernden erscheint sie nie. Gebt ihr euch einmal für Poeten, So commandirt die Poesie Euch ist bekannt was wir bedürfen, Wir wollen stark Getränke schlürfen; Nun braut mir unverzüglich dran5). . . Ihr wißt auf unsern deutschen Bühnen

ters am 12. Okt 1798 im Sinn hatte, war vermutl. das Vorspiel auf dem Theater, in dem G aufgrund eigener Erfahrungen als Theaterdirektor, Schauspieler u. Dichter deren Verhältnis zu Bühne u. Publikum ironisch darstellt. Obwohl G’s Phantasie damals stark mit Faust beschäftigt war, schuf er doch ein so allgemein gültiges Vorspiel, daß es auch andere Bühnenwerke einleiten konnte. Im Aug-Sept 1798 stand noch nicht fest, mit welchem Stück das Hoftheater wieder eröffnet werden würde. Doch verwendete G sein Vorspiel dann doch nicht, sobald seine Hoffnung auf rechtzeitige Fertigstellung von Schillers Wallensteins Lager sich erfüllte. Dadurch veranlaßte, regte er Schiller zu einem speziell auf Wallenstein bezüglichen Prolog an, der dem Freund noch höhere Ehre einbringen sollte, wobei G selbst zum rechtzeitigen Gelingen von Wallensteins Lager u. Schillers Prolog entscheidend beitrug. (s. „Hoftheater zu Weimar“ EGW 7, 391−403, „Prolog zu Wallensteins Lager“ [Theaterreden]); „Eröffnung des Weimarischen Theaters“ EGW 4, 170−74). Zur Forschungsgeschichte vom Vorspiel auf dem Theater s. oben die E-Rubrik; vgl. auch Schillemeit 1986, 149− 66 u. FA I 7.2, 155. 1 ) Vgl. Vorspiel auf dem Theater (119f.) D i r e c t o r : . . . Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten / Und spielen ohne Gage mit. . . 2 ) Als Theaterdirektor versichert G: es soll deswegen auch recht artig werden, weil von gewissen Plätzen aus das Publikum sich wechselsweise selbst sieht (an Schiller, 25. Aug 1798, Br 13, 258); vgl. auch die vorige Anm. Solche Anklänge ans Vorspiel auf dem Theater lassen vermuten, daß G es in dieser Zeit konzipierte und zunächst zur Wiedereröffnung des Weimarer Hoftheaters bestimmte. 3 ) Datierungshypothesen zum Vorspiel auf dem Theater s. oben S. 136 m. Anm. 1. 4 ) Gräf II 2, 63f.: Eigentlich hätte das ganze ’Vorspiel’ hier [in Goethe ueber seine Dichtungen] aufgenommen werden müssen, denn die allgemeinen Auseinandersetzungen über das Verhältnis zwischen Dichter, Bühne und Publikum seien durchwebt mit Bemerkungen, die sich unmittelbar auf die Faust-Dichtung beziehen lassen. Als Beispiel führt er die obige Textpassage 222f., 231−42 an; darüber hinaus noch 99: Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken u. 170−73: In bunten Bildern wenig Klarheit, / Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit, / So wird der beste Trank gebraut., / Der alle Welt erquickt und auferbaut. 5 ) Vgl. hierzu 2. Sept 1798: Jean Paul an C. Otto m. Anm.

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[240]

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Probirt ein jeder was er mag; Drum schonet mir an diesem Tag Prospecte nicht und nicht Maschinen. Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht, Die Sterne dürfet ihr verschwenden An Wasser, Feuer, Felsenwänden, An Thier und Vögeln fehlt es nicht. So schreitet in dem engen Breterhaus Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,1) Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Sept

2. [Weimar] Jean Paul an C. Otto (Berend III 3, 94): . . . ich war auch bei Goethe, der mich mit ganz stärkerer Verbindlichkeit und Freundlichkeit aufnahm . . . Er wird nach 4 Monaten den Faust volenden; er sagt, „er könne 6 Monate seine Arbeit voraussagen, weil er sich zu einer solchen Stimmung der Stimmung durch geistliche und liebliche Diätetik vorbereite.“2) Okt 15. (s. „Faust. Ein Fragment“: Schiller an Iffland gD, S. 101.) Dez

6. [Tübingen] Cotta an Schiller (SNA 38.1, 13): [Post scriptum] Hat Göthe seinen Faust nicht geendet?3) Gedenken Sie doch meiner stets bei ihm.

1

) Vgl. hierzu 12. Mai 1798: an Schiller m. Anm. − Bühneneffekte wie diese zeigt der von G geplante Zweite Teil der Zauberflöte, mit dem er sich im Mai 1798 erneut beschäftigte. Darin hätte er ausstattungsmäßig das Schikanedersche Libretto noch überboten; z.B. singt die Königin in der 1. Szene: Strömet, Kometen, / Am Himmel hernieder! / Wandelnde Flammen / Begegnet euch wieder. / Leuchtet der hohen / Befriedigten Wuth! Hierauf Monostatos und das Chor: Siehe! Kometen / Sie steigen hernieder, /Wandelnde Flammen / Begegnen sich wieder / Und von den Polen / Erhebt sich die Gluth. Weitere Beispiele in Mommsen 1953, 300. 2 ) Mommsen 1953, 297−99, sieht einen Zusammenhang mit der Jean-Paul-Begegnung vom Aug 1798 zum Vorspiel auf dem Theater (218−24): D i r e c t o r . Was hilft es viel von Stimmung reden?. . . − Von Stimmung zum Dichten bzw. deren Mangel war in G’s Briefwechsel mit Schiller in dieser Zeit ungewöhnlich viel die Rede. Oft ging es um die Frage, die G im Brief an Schiller vom 6. Sept 1798 aufwirft (Br 13, 268f.): Aber woher die S t i m m u n g nehmen!?!? Um dann fortzufahren: Denn da hat mir neulich Freund Richter ganz andere Lichter aufgesteckt, indem er mich versicherte . . ., daß es mit der Stimmung Narrenspossen seyen, er brauche nur Caffe zu trinken, um, so grade von heiler Haut, Sachen zu schreiben worüber die Christenheit sich entzücke. Dieses und seine fernere Versichrung: daß alles k ö r p e r l i c h sey, lassen Sie uns künftig zu Herzen nehmen, da wir denn das Duplum und Triplum von Productionen wohl an das Tageslicht fördern werden. Dazu Schillers bezeichnendes Echo (7. Sept 1798): Jetzt muss ich eilen, den kleinen Rest der guten JahrsZeit und meines Gartenauffenthalts für den Wallenstein zu benutzen, ,denn wenn ich meine Liebesscenen nicht schon fertig in die Stadt bringe, so möchte mir der Winter keine Stimmung dazu geben, da ich einmal nicht so glücklich bin, meine Begeisterung im Kaffe [!] zu finden. (SNA 29, 275) 3 ) Cotta hatte Schiller am 17. Mai 1798 in Jena gesprochen u. dabei den Eindruck gewonnen, daß Faust bald vollendet sei. Schillers Antwort: 16. Dez 1798; G’s Auskunft s. 2. Jan 1799.

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Dez 16. [Jena] Schiller an Cotta (SNA 30, 13): Göthe hat an seinem Faust noch viel Arbeit eh er fertig wird. Ich bin oft hinter ihm her, ihn zu beendigen und seine Absicht ist wenigstens, daß dieses nächsten Sommer geschehen soll. Es wird freilich eine kostbare Unternehmung seyn. Das Werk ist weitläuftig 20−30 Bogen gewiß, es sollen Kupfer dazu kommen,1) und er rechnet auf ein derbes Honorar. Es ist aber auch ein ungeheurer Absatz zu erwarten. Es wird gar keine Frage seyn, daß er Ihnen das Werk in Verlag giebt, wenn Ihnen die Bedingungen recht sind, denn er meint es sehr gut mit Ihnen. 18. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 46): Einige Ihrer Stuttgarter Verehrer glauben die Erscheinung des „Faust’s“ nahe − dörfte ich mir schmeicheln, daß Sie mich auch mit diesem Verlag beehrten? 20. [Weimar] An Schiller (Br 12, 380): Oberons goldne Hochzeit haben Sie

mit gutem Bedachte weggelassen,2) sie ist die Zeit über nur um das doppelte an Versen gewachsen und ich sollte meinen im Faust müßte sie am besten ihren Platz finden [4223−398].3)

1799 ⎯

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften4) (Q 2. 2, 600): Den Faust wieder vorgenommen.

Jan

2. An Cotta (Br 14, 1): Mein Faust ist zwar im vorigen Jahr ziemlich

vorgerückt, doch wüßt ich bey diesem Hexenproducte die Zeit der Reife nicht voraus zu sagen. Wenn die Hoffnung näher rückt sollen Sie davon hören. [Febr 7.] Agenda in Jena vom. 7. Jan. [gemeint: Febr] an . . . Faust5). Mai

⎯ [Berlin] Friedrich Nicolai: Beispiel einer Erscheinung mehrerer Phantasmen; nebst einigen erläuternden Anmerkungen. Vorgelesen in der K.[öniglichen] Akademie der Wissenschaften zu Berlin, d. 28. Hornung 1799, in: Neue Berlinische Monatsschrift 1 (1799), 327; 339f.:6) Ich sah . . . bei vollem Verstande, und . . . sogar in voller Gemüthsruhe, beinahe zwei Monate lang fast beständig, und zwar unwillkürlich, eine Menge menschlicher und anderer Gestalten, ich hörte sogar ihre Stimmen . . . da dieser Zu-

1

) s. oben 28. Apr 1798: an Schiller. − Später verzichtete G auf Illustrationen zum Faust. ) s. oben 2. Okt 1797: Schiller an G. 3 ) Sollte als Intermezzo in die Walpurgisnacht eingefügt werden, da jedoch die dem Zwischenspiel folgenden Szenen (vgl. P48, W 14, 305: Nach dem Intermezz) unterblieben, bricht die Sz. Walpurgisnacht mit dem Spiel Oberons und Titanias Hochzeit unvermittelt ab. 4 ) Zusammengestellt 1837 durch Chr. Th. Musculus. Dazu Düntzer 1859, 27: Unzuverlässig ist die Angabe in der ›Chronologie‹ hinter Goethes Werken, wonach im Jahre 1799 ›Faust wieder vorgenommen worden‹ sein soll, während unter dem vorigen desselben gar nicht gedacht ist. Wahrscheinlich steht die Angabe ein Jahr zu spät, was gleichfalls von der andern unter dem Jahr 1796 gilt: ›Auch am Faust einiges gethan.‹ 5 ) G war vom 7. bis 28. Febr 1799 in Jena, wo er auch am Faust weiterarbeiten wollte. 6 ) Veranlassung zur Gestalt des Proktophantasmisten (4144−75) der Walpurgisnacht. 2

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stand merklich zunahm, und mich oft ganze Tage lang, und auch Nachts wann ich aufwachte, die Gestalten nicht verließen, verschiedne Arzeneien gebraucht, und endlich ward beliebt wieder Blutigel an den After zu setzen . . . Dies geschah den 20. April [1791] Vormittags um elf Uhr. Ich war mit dem Wundarzte allein; aber während der Operazion wimmelte das Zimmer von menschlichen Gestalten aller Art, die sich durcheinander drängten. Dieses dauerte ununterbrochen fort, bis ungefähr um halb fünf Uhr, gerade wieder um die Zeit der anfangenden Verdauung. Da bemerkte ich, daß die Gestalten anfingen sich langsamer zu bewegen . . . Ungefähr um acht Uhr war gar nichts von den Gestalten mehr da. Nie habe ich wieder dergleichen gesehn.1)

Juli

9. [Jena] Schiller an G (SNA 30, 69f.): Ich bin begierig zu erfahren, was Sie in Absicht auf die Propylæen [nach dem schlechten Absatz] beschließen werden . . . Wenn Sie etwas aus dem Faust hineinrückten, so würde es viel gute Folgen haben.2) 28. Miltons verlohrnes Paradies.3) 29. (s. „Werke, Ausgabe A“: Cotta an G gD) 31. An Schiller (Br 14, 138f.; 141): Das verlorne Paradies, das ich diese

Aug

Tage zufällig in die Hand nahm, hat mir zu wunderbaren Betrachtungen Anlaß gegeben4) . . . Ob die Einsamkeit des Ilmthals5) zu dem Einzigen was Noth ist6) viel helfen wird, muß die Zeit lehren. 3. An Schiller (Br 14, 142): Miltons verlornes Paradies, das ich Nachmittags lese, giebt mir zu vielen Betrachtungen Stoff, die ich Ihnen bald mitzutheilen wünsche. 10. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 16. Okt 1799 − : Zachariae, Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 6−9. o. O. 1764)7)

1

) G könnte auch durch C. W. Hufeland von dem Vorfall gehört haben, den dieser unter der Überschrift Sonderbare Geistererscheinung in dem von ihm hsg. Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst dokumentiert. Ohne Nicolai zu nennen, wird auch hier von der Anlegung von Blutigeln an den Mastdarm gesprochen mit dem Erfolg, daß danach nie wieder eine Spur von solchen Visionen zu bemerken gewesen sei. (6 [1798] 4. St., 905−07). − Witkowski 1906, 271 verweist außerdem auf Ludwig Tiecks Vision Das Jüngste Gericht (1799), wo Nicolai mit den Blutegeln am Hintern erscheint und auf zweitausend Jahre verurteilt wird, von den Teufeln immer Spaß anzuhören, ohne ein Wort zu sprechen. Da Tieck bis Mitte Juli 1800 in Jena lebte und wiederholt G seine Arbeiten vorlas, könnte G auch die ›Vision‹ damals kennen gelernt haben; daß sie ihm für die Walpurgisnacht und speziell für diese Stelle Anregungen gab, ist sehr möglich. − Zur vermutl. Einwirkung Tiecks auf 4155 der Walpurgisnacht vgl. unten zu 23. Sept 1799. 2 ) Aus dem Faust gab G nichts in die Propyläen. 3 ) Morris 1902 I 83−85 verwies auf deutliche Parallelen zw. dem 1. Gesang von Miltons Verlorenen Paradies in der Übers. von Zachariae u. dem Faust-Schema P48; s. unten März/Apr 1801 m. Anm. − Harnack 1891, 171 u. Pniower 1899, 67 bemerkten, daß, wenn Morris’ Annahme zutrifft, die Entwürfe der Satansszenen nicht früher als Dez 1797 niedergeschrieben sein könnten. Vgl. Bohnenkamp 177−79; zur Forschungsgeschichte s. E-Rubrik, S. 134 ff. 4 ) s. oben 28. Juli 1799: Tgb. 5 ) Vom 31. Juli bis 15. Sept wohnte G in seinem Gartenhaus im Park. 6 ) Könnte auch die Beschäftigung mit Faust meinen. 7 ) Das Verlohrne Paradies. In: Poetische Schriften von Fr. W. Zachariae. Braunschweig

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

1799

Aug 13. (s. „Werke, Ausgabe N“: J. F. Unger an G gD) Sept 18. [Jena] Früh. Faust vorgenommen. 19. [Jena] Weniges an Faust. 22. [Jena] An Cotta (Br 14, 189f.): Was . . . diejenigen größeren Arbeiten

betrifft, sowohl epischer als dramatischer Form die mich gegenwärtig beschäftigen,1) so habe ich über dieselben völlig freye Hand, und, ob man gleich für die Zukunft, wegen so mancher eintretenden Zufälligkeiten, nichts versprechen soll, so glaube ich doch in mehreren Rücksichten die Zusage schuldig zu seyn: daß ich Ihnen, wie etwas zur Reife gedeiht, davon Nachricht geben, Ihre Gedanken vernehmen und, unter gleichen Bedingungen, Ihnen den Vorzug gern zugestehen werde. Dieses war bey mir schon früher ein stiller Vorsaz, den mir Ihr Charackter und Ihre Handelsweise abnöthigten eh mir die letzten Ereignisse [Verhandlungen über die Propyläen] noch mehr Verbindlichkeit gegen Sie auferlegten. 23. [Jena] Nach Tische mit Schiller spaziren gefahren. Über Tiecks Z e r b i n 2) . . . [Okt [Leipzig] J. F. Unger an G (Unger 106f.): Ich überreiche Ihnen verehrungswürdiger Mitte] Herr Geheimerath eine kleine Spielerei von Holzschnitt, die ich zur Stempelung meiner Kalender für die Zukunft brauchen will. Ihre gütige Nachsicht bei meiner Arbeit macht mich so dreist, Ihnen auch eine so große Kleinigkeit zu übersenden. − Die neuern Holzschneider in England haben in mir große Lust erregt, ein Gedicht in groß 8 − oder Quart prächtig zu drukken, und solches mit 6 oder 8 großen Holzschnitten zu versehen. Ach, wenn Sie doch dieser große Dichter wären, der hierzu geneigt wäre! − Sie erwähnten vor einiger Zeit daß Sie den Faust herausgeben würden. Schickt sich mein vorzuhabendes Unternehmen dazu?3)

[1764]. 6. Bd (Gesänge 1−3), 7. Bd (Gesänge 4−6), 8. Bd (Gesänge 7−9) u. 9. Bd (Gesänge 10−12). 1 ) Neben Faust, Achilleis, die Übersetzung von Voltaires Mahomet, vielleicht auch schon Die Natürliche Tochter. 2 ) Prinz Zerbino; auf dessen 4. Akt, in dem Nicolai als M ü l l e r dem Helden lang und breit seine M ü h l e beschreibt, verweist Witkowski 1950, 275 zu 4155 der Walpurgisnacht-Sz. 3 ) Unger fährt fort: Und wäre es nicht zu große Vermessenheit von mir, daß meine Arbeiten neben den Ihrigen stünden. Allein da Sie schon öfter das Schicksal hatten, da Ihre Schriften mit sehr mittelmäßigen Verzierungen vermischt wurden, so wäre dies zwar wohl ein Trost für mich, daß meine Bitte vielleicht gewährt würde, wenn ich mir nicht vorgesagt hätte, daß mein möglichster Fleiß dazu aufgewandt werden sollte, u. daß ich alles leisten wollte, um keine Schande davon zu tragen. Es versteht sich von selbst, daß Erfindung und Zeichnung alle nach Ihrem Sinn u. Angabe gemacht würden, u. daß wohl einige Jahre verstreichen könnten, ehe meine Arbeit vollendet wäre, u. die immer so lange liegen bliebe, bis Sie den Text endigen könnten. − Fänden sie meine Idee ausführbar, so wäre noch keine Arbeit von mir mit solcher Freude u. so vielem Kunstgefühl unternommen.− G’s Antwort s. 4. Nov 1799. Zur Idee, den Faust mit großen Holzschnitten zu versehen, vgl. unten 1805 Sept 30.: an Cotta; Nov 12.: Cotta an G; 25.: an Cotta.

1799 Nov

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4. [Weimar] An J. F. Unger (Br 14, 213): An eine größere Arbeit darf ich

vorerst nicht denken und möchte nicht eher ein Werk zusagen als bis es auch wirklich fertig wäre. Dez 27. Charpentier. Über die Lager stätte der Erzte1)

1800 Jan

2. An F. H. Jacobi (Br 15, 5f.): Von poetischen Ideen und Planen liegt

manches vor mir, es kommt auf gut Glück an, ob und wie bald etwas davon zur Ausführung gedeiht. 9. [Wörlitz] F. v. Matthisson an G (GSA 28/28 Bl.19): Meine reinsten und höchsten Gefühle danke ich Ihnen und den Griechen. Noch keinem Musenwerke habe ich mit heisserem Verlangen entgegengesehen, als dem vollendeten Faust. Möge er bald erscheinen! März 24. [Weimar] Schiller an Cotta (SNA 30, 146): Nun noch einen guten Rath. Ich fürchte, Göthe läßt seinen Faust, an dem schon so viel gemacht ist, ganz liegen, wenn er nicht von aussen und durch anlockende Offerten veranlaßt wird, sich noch einmal an diese große Arbeit zu machen und sie zu vollenden. Der Faust wird, wie er mir sagte, wenn er vollendet ist zwey beträchtliche Bände, über 2 Alphabethe betragen. Er rechnet freilich auf einen großen Profit, weil er weiß, daß man in Deutschland auf dieses Werk sehr gespannt ist. Sie können ihn, das bin ich überzeugt, durch glänzende Anerbietungen dahin bringen, dieses Werk in diesem Sommer auszuarbeiten. Berechnen Sie Sich nun mit sich selbst, wieviel Sie glauben, an so eine Unternehmung wagen zu können und schreiben alsdann an ihn. Er fodert nicht gern und läßt sich lieber Vorschläge thun, auch accordiert er lieber ins Ganze als Bogenweiß. 24. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 147): Da Sie, wie Sie gestern sagten, die noch ungedruckte Elegie [Herrmann und Dorothea], welche soviel persönliche Beziehung auf Sie selbst hat, mit abdrucken laßen und mit diesen geselligen und gefälligen Theaterreden schließen wollen, so möchte ich um so weniger rathen, das Publicum durch die abgerißne Erscheinung des Fragments aus dem Faust, von Oberons Hochzeit, scheu und irre zu machen. Ueberlegen Sie es wenigstens noch einmal, ob es nicht beßer ist, es bei dem gutmüthigen Ton zu laßen, der in dem Ganzen der Sammlung einmal herrscht.2) Apr

4. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 64f.): Wahrscheinlich haben Euer Excellenz während des Winters den Faust seiner Vollendung nahe gebracht; die Gnade, welche mir Hochdieselbe stets bezeugen, entschuldigt gewis auch den Wunsch, dises seltene Produkt verlegen zu dörfen, und die unterthänige Bitte disen Wunsch gnädig zu realisiren. Ohne einen Maasstab für seine Ausdehnung zu haben, als einem der Daten, worauf leider wir Buchhändler gewöhnlich Rüksicht nemen müssen, ist es freilich schwer irgend einen Vorschlag zu machen, indessen wenn ich mir schmeicheln dörfte, daß Hochdieselbe in mich dasjenige Zutrauen sezen möchten, welches ich zu verdienen glaube

1

) Johann Friedrich Wilhelm Charpentier: Beobachtungen über die Lagerstätte der Erze hauptsächlich aus den sächsischen Gebirgen. Leipzig 1799; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 4460). Nach Morris 1902 I 56 eine Quelle für Sz. Walpurgisnacht. Lektüre auch am 28., 29. u. 31. Dez nachweisbar. 2 ) G muß im Gespräch mit Schiller die Absicht geäußert haben, Oberons Hochzeit in Bd 7 seiner neuen Schriften [N] aufzunehmen. Er befolgte dann Schillers Rat u. hielt die an Shakespeares Sommernachtstraum anschließende Zeitsatire zurück.

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

1800

und nach diesem annemen würden, daß jeder Vorschlag für mich nur Norm dessen, was ich gleichsam für die Unternemung zale, keineswegs aber gänzliche Entrichtung meiner Schuldigkeit seye und daß ich dise erst nach dem Erfolg als redlicher Mann abmesse, so möchte ich es wohl wagen, Hochdenenselben f 4000 ReichsGeld anzubieten in der schmeichelhaften Hofnung, Sie werden dises Anerbieten ganz so ansehen, wie es gemacht wird und wie ich es im Eingang offen und redlich angab.1)

Apr

7. [Tübingen] Cotta an Schiller (SNA 38.1, 242): In meinem leztern habe ich schändlich vergessen Ihnen, schätzbarster Freund, mein Anerbieten an Göthe zu melden, da mich die Post ereilte. Es sind f 4000 die ich als Grundhonorar offerirte, mit dem Zusaz, daß ich über die Grösse des Ganzen nicht urtheilen könne und daß ich mir schmeichele, er kenne mich von der Seite, daß, wenn der Erfolg der Erwartung entspreche ich jene Summe blos als erstes Anerbieten sehe und mich für verbunden halte nach der günstigen Aufname meine weitere Schuld abzutragen. Haben Sie nun die Freundschaft und Güte, bei Göthe den Commentator und Stellvertreter zu machen. 11. Brief von Cotta [vom 24. März].

Faust angesehen.

11. An Schiller (Br 15, 56): Ich habe einen Brief von ihm [Cotta] über

F a u s t , den Sie mir wahrscheinlich zugezogen haben.2) Wofür ich aber danken muß. Denn wirklich habe ich auf diese Veranlassung das Werk heute vorgenommen und durchdacht.3) 13.,14.,15. Faust. 16. Weniges Faust.4) 16. An Schiller (Br 15, 58): Der Teufel den ich beschwöre gebärdet sich sehr wunderlich.5) 17.,18.,19.,21.,22.,23.,24. Faust. Mai 22. Früh . . . einiges an Faust. Juli

23. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 159): Ich wünsche gute Faustische Erscheinungen. 26. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 175): Irgend ein Spiritus familiaris hat mir geoffenbart, daß Sie den Tancred [von Voltaire] übersetzen, denn ich habe es, ehe ich Ihren Brief erhielt, als bekannt angenommen. Für unsre theatralischen Zwecke ist das Unternehmen gewiß sehr förderlich, ob ich gleich herzlich wünsche, daß der Faust es verdrängen möchte.

1

) Dorothea Kuhn erläutert (G-Cotta 3/1, 142): Die Summe von 4000 Gulden (etwa 2400 Taler, 60 Taler pro Bogen, wenn man von einem Umfang von 40 Bogen und von Goethes Kurs: 1 Gulden = 0,59 Taler ausgeht . . .dazu das Versprechen, bei Erfolg weiteres Honorar zuzulegen − ein Verfahren, das sich bei Cotta häufig findet und wodurch auch Schiller zu hohen Honoraren kam − regte Goethe tatsächlich zur Weiterarbeit an. 2 ) s. oben 24. März 1800: Schiller an Cotta. 3 ) Für Pniower GJb 1924, 143; Daur 1950, 384 u. Grumach GJb 1952/53, 74 Entstehung von P1. 4 ) Vermutl. Sz. Studirzimmer (1178−324), vgl. nachfolgendes Z. 5 ) Mit der Sz. Vor dem Thor der Pudelbeschwörung (1178−1529) in Verbindung gebracht seit Loeper 1870, XVII (s. oben E-Rubrik). Auch Bohnenkamp 240 nimmt an, daß G damit wahrscheinlich im Apr 1800 beschäftigt gewesen sei. Allerdings lasse sich daraus nicht eine sichere Datierung gewinnen für P16: Als Pudel als Gespenst u als Scholasticus Ich habe dich als Pudel doch am liebsten.

1800 Juli

Aug

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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28. [Weimar] Schiller an C. G. Körner (SNA 30, 181): Auf das Hexenwesen [bei der Jungfrau von Orleans] werde ich mich nur wenig einlassen, und soweit ich es brauche, hoffe ich mit meiner eignen Phantasie auszureichen. In Schriften findet man beinah gar nichts, was nur irgend poetisch wäre, auch Goethe sagte mir, daß er zu seinem Faust gar keinen Trost in Büchern gefunden hätte. 1. [Jena] An Faust.1) 1. [Jena] An Schiller (Br 15, 95): Gestern habe ich einiges Geschäftsähn-

liche besorgt, und heute einen kleinen Knoten im Faust gelöst.2) Könnte ich von jetzt an noch 14 Tage hier bleiben, so sollte es damit ein ander Aussehen gewinnen; allein ich bilde mir leider ein in Weimar nöthig zu seyn und opfere dieser Einbildung meinen lebhaftesten Wunsch auf. 2. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 183): Ich freue mich aus Ihrem Brief Ihre baldige Zurückkunft zu vernehmen und wünsche Glück, daß Sie Ihre Zeit so gut angewandt haben, auch daß an den Faust gedacht worden ist. So verliere ich die Hofnung nicht, daß dieses Jahr noch ein großer Schritt darinn geschehen wird. 4. Früh nach Weimar Abends zurück [aus Dornburg]. Einiges über Sept

Faust3) . . . 5. [Jena]4) Einiges an Faust.5) 5. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 194f.): Ich hoffe, Sie haben Sich in Ihrer Einsamkeit [in Jena] nun bald wieder gefunden, und erwarte in Ihrem morgenden Brief schon zu lesen, daß etwas produziert worden ist . . . Ueber den Wallenstein [den Verkauf betreffend] giebt mir Cotta ganz gute Nachrichten . . . Daß sich das Publicum auch durch einen theuren Preiß nicht vom Kaufen abschrecken läßt, ist für Ihren Faust ein sehr gutes Omen: hier kann Cotta sogleich eine Auflage von 6 biß 8000 Exemplarien wagen. 16. [Jena] An Cotta (Br 15, 107f.): Ihre freundliche Einladung6) ist freylich

reizend genug; aber ich werde mich wohl einige Jahre vor allem hüten müssen, was mich so sehr zerstreuen kann, wenn ich mit ein Paar Arbeiten fertig werden will, die mir nun fast wie lästige Gespenster erscheinen, es ist der Faust und die Farbenlehre, an beyden ist so viel vorgearbeitet daß ich nur Zeit zusammen geizen muß um sie los zu werden.7) 1

) Vgl. das nächste Z. ) Den Knoten bezogen Vischer 1875 XVII, Minor 1901 II 13 u. Traumann 1913, 164 auf die Valentinszene [3620−775], deren Hs. eine von fremder Hand stammende Jahresangabe 1800 trägt; doch entstand diese Sz. erst im Frühj. 1806, s. Scheibe 1965, 50f. Naheliegender ist die Vermutung von Düntzer 1857, 89, der Knoten bezöge sich auf den Helena-Teil, so noch MA 8.2, 569; doch läßt sich G’s Beschäftigung mit Helena erst ab Sept nachweisen; unentschieden Gräf II 2, 93. 3 ) Eindeutige Zuordnung nicht möglich, vielleicht dichtete G auch an Helena. 4 ) Vom 3. Sept bis 4. Okt 1800 hielt G sich in Jena auf. 5 ) Eindeutige Zuordnung nicht möglich, vielleicht dichtete G auch an Helena. 6 ) Cotta hatte G in seinem Brief vom 5. Sept 1800 angeboten, ihn Ostern 1801 auf der Rückreise von Leipzig mit nach Tübingen zu nehmen, von wo er zu einer neuen Schweizerreise aufbrechen könnte. 7 ) Im Konzept: um sie wo nicht zu vollenden doch wenigstens fertig zu machen (Br 15, 326). 2

174

FAUST. EINE TRAGÖDIE

1800

Sept 27. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 72f.): Werden zu Ihren beiden neusten Producten [Faust u. Farbenlehre] keine Kupfer zu liefern seyn? Zu Faust hatten Sie einmal bestimmt,1) und da möchte ich freilich wünschen, daß die Zeichnungen bald in geschickte Hände zum Stechen kommen könten, weil die gute Kupferstecher langsam arbeiten. Aber disen höllischen und himlischen, Producten mus ja selbst der Verleger beinahe gram werden, wenn sie Hochdieselbe von einer kleinen Reise von einigen Monaten abhalten. Okt 17. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 73): Mit Faust hoffe ich werden Hochdieselbe bald so weit seyn, daß man für den Druk des ersten Theils sorgen könte: würden Sie daher nicht erlauben, daß eine vorläufige Anzeige davon bekant gemacht werden dörfte? Nov

2. [Weimar] Früh an Faust . . . nachmittag an Faust fortgefahren.2) 3. Früh an Faust. 3. [Weimar] An Knebel (Br 15, 136): In poeticis ist auch einiges gethan worden. An Faust habe ich verschiedentlich gearbeitet und es scheint immer möglicher daß ich ihn noch werde vollenden können, so wunderbar und schwer die Aufgabe ist.3) 4. Früh [an Faust?]4) 5. An Faust. 5. (H Walpurgisnacht Bl. 2 datiert: d. 5. Nov 18005)).

6., 7. An Faust. 8. Früh Faust. 17. [Jena] An Cotta (Br 15, 145): Was den Faust betrifft, so ergeht es mir

damit wie es uns oft bey Reisen geht daß sich die Gegenstände weiter zu entfernen scheinen je weiter man vorrückt. Es ist zwar dieses halbe Jahr über manches und nicht unbedeutendes geschehen; ich sehe aber noch nicht daß sich eine erfreuliche Vollendung so bald hoffen läßt.

1

) s. oben 28. Apr 1798: an Schiller. ) An der Sz. Walpurgisnacht, die in P50 schon teilweise ausgearbeitet war; s. oben [22. Juni 1797 − 5. Mai 1798]: H P50. − Für die erneute Arbeit an der Szene legte G eine neue Hs. an. Auf Bl. 1 trug G’s Schreiber Geist zwischen 2. u. 4. Nov 1800 die Verse 3835−66 ein. 3 ) Knebels Antwort am 20. Nov 1800. 4 ) Lückenhafter Tgb-Vermerk, der nach Gräf II 2, 101 Arbeit am Faust nicht ausschließt; so auch GT II 1, 392 m. Anm.: Früh] Arbeit am »Faust«? (GT II 2, 737). 5 ) Dazu Pniower 1899, 77: Die in Berlin aufbewahrte Niederschrift der Verse 3871−4208 der Walpurgisnachtsszene (11 oben von G mit Blei 2−12 numerierte Blätter) enthält am Ende des zweiten Blattes hinter 3922 (Die sich mehren, die sich blähen.) links unten von Goethe selbst mit Bleistift geschrieben das Datum dieses Tages. Pniower 1899, 78 u. Gräf II 2, 2 zufolge, bezieht sich die Datierung auf 3867−911, die G im Anschluß an Geist auf Bl. 1 u. 2 eintrug; s. oben 2. Nov 1800: Tgb − Ob die Datierung auch noch für 3912−16 auf Bl. 3 gilt, deren Text nach 3916 Wie seltsam wittert unvermittelt abbricht u. mit neuem Duktus fortgeführt wird, ist ungewiß. Bei der Walpurgisnacht-Hs. von 1800 handelt es sich um eine frische dichterische Ausführung nach älteren Entwürfen (Pniower 1899, 79). − G nahm die Arbeit an der Sz. Walpurgisnacht erneut Anf. Febr 1801 auf (s. dort). 2

1800

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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Nov 20. [Ilmenau] Knebel an G (G−Knebel 1, 253): Zum Faust wünsch ich recht herzlich Glück. Dieses Niederländische Süjet ist wahrlich Deines Pinsels werth. Dez 11. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 219): Sie wollen uns die Schöpfung von Heidn [Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung] verschaffen, wie Sie schreiben, und vorhin sagte mir der Capellmeister Cranz, von Ihrentwegen, daß ich sie schaffen möchte, und zwar durch den Hrn. Coadjutor [v. Dalberg]¸ man wolle sogleich einen Expressen mit diesem Brief abschicken. Ich schrieb diesen Brief auf der Stelle und erwarte nun den Expressen, der ihn abhohlen soll.1) 16. [Jena] NB. Erasmus Francisci Höllischer Proteus. Beckers bezauberter

Welt.2) 24. [Jena] Baptista Porta magia naturalis.3) 24. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 224): Sie haben nun doch dieses verfloßene Jahr sich im dramatischen aller Art4) produktiv gezeigt und können mit sich zufrieden seyn. ⎯ ⎯ 5) [Weimar] Falk, Notizbuch (BG 5, 96): An seinem Faust behauptete er, köne er blos in den glücklichsten Stimmungen arbeiten. Den Prolog dazu hat er fertig. Es komt ein Engel darin vor, der Mephistopheles, vom [unleserlich] Drama glaub’ ich. Mitunter treibt er dann aber wieder ganz andre Dinge − Dies . . . sind alles Resultate einer Abendgesellschaft mit Wieland, Bertuch u. Meyer u s w . 1

) Zur Bedeutung von Haydns Schöpfung für den Prolog im Himmel vgl. Erich Schondorfer: Die drei Erzengel in Goethes Faust und in Josef Haydns Schöpfung. Musica Divina XXV/5 (1937) 91−94; auch Jean-Charles Margotton: Les Oratorios de Haydn et ´ tudes Germaniques 22 (1992) 63−77 vermutet l’esprit de l’Aufklärung. Cahiers d’E (ebd. 72) eine Inspiration des Prologs im Himmel durch Haydns Oratorium. Georg Feder schließlich beschreibt im Kapitel Die ,Schöpfung‘ im klassischen Weimar in seinem Buch Joseph Haydn. Die Schöpfung (Kassel 1999) die Weimarer Aufführung des Oratoriums am 1. Januar 1801 und weist auf die formale Übereinstimmung zwischen dem Gesang der drei Erzengel im Prolog im Himmel und dem Erzengel-Terzett Nr. 18 (19) in der Schöpfung hin (180ff.) − die in Miltons Verlorenem Paradies, auf das man üblicherweise als Quelle hinweist, kein Vorbild hat. Als terminus post quem käme für die Entstehung des Prologs dann frühestens Jan 1801 infrage; s. auch Borchmeyer: G’s Faust musikalisch betrachtet. In: Eine Art Symbolik fürs Ohr. J. W. v. Goethe. Lyrik u. Musik. Hsg. v. H. Jung. Frankfurt 2002, 99, Musik zu Faust 148 u. Schings 2011, 439−41. 2 ) Für noch fehlende Faust-Partien vorgemerkte Lektüre; s. unten 14. Febr 1801: aus der Weimarer Bibliothek. − Zum Prolog im Himmel 243f. zitiert Witkowski 1906, 97 aus Balthasar Bekkers Bezauberte Welt (Amsterdam 1693 I 58): Alle Sternen und Himmels-Kräyse haben Seele, Erkäntnüß, Verstand, Leben und Währung; und kennen den, durch dessen Wort die Welt gemacht ist. Ein jegliches derselben rühmt und verherrlichet seinen Schöpfer nach jedes Würde und Fürtrefflichkeit, wie die Engel thun. I, 98: Die Morgensterne, die mit einander fröhlich singen. 3 ) Für Faust vorgemerkte Lektüre. − Die Magia naturalis des Giambattista della Porta gibt es in zwei Fassungen: eine in vier Büchern (ED 1558) und eine auf 20 Bücher vermehrte (ED 1597), beide in der Weimarer u. Jenaer Bibliothek vorhanden; auf welche Fassung G sich hier bezieht, ist ungeklärt. Witkowski 1894, 23 machte darauf aufmerksam, daß G diesen Werken Motive für die Sz. Walpurgisnacht entnahm; s. auch Schöne 1982, 137. 4 ) Neben dem Voltaireschen Mahomet u. Tancred vor allem Faust. 5 ) Genauere Datierung der Notiz als zw. 1797 u. 1800 ist nicht möglich. Falk lebte seit Nov 1797 in Weimar. Der Prolog im Himmel in seiner jetzigen Form wurde jedoch erst nach 1800 vollendet.

176 ?

Dez1)

FAUST. EINE TRAGÖDIE

1800

H P27 (Bohnenkamp 159f.):2) . . . [6] Juncker der böse Feind . . . [15] Und kommen Margrethen ins Teufels nahmen an . . . [21] Fahrt auf den Blocksberg . . . P38 (Bohnenkamp 161): Bestünde nur die Weisheit mit der Jugend Und Republicken ohne Tugend So wär die Welt dem höchsten Ziele nahl P39 (Bohnenkamp 161): Ich wäre nicht so arm an Wiz Wär ich nur nicht so arm an Reimen. P40 (Bohnenkamp 161): Der liebe Sanger Von Hameln auch mein alter Freund Der Vielbeliebte Rattenfänger, Wie geht Rattenfang[er] von Hameln mein Herr! Befinde mich recht wohl zu dien[en] Ich bin ein wohl genahrter Mann Patron von zwolf Philantropinen Daneben Schreibe ein[e] Kinder Bibliothek Wegen Papiernher Flügel bekant Sieht euch auch hier ein jeder an Ein Paar Löcher sind hinein gebrant Daß haben die verfluchten Xenien gethan. Mus.[aget] Ich folge Als Musen anzuführen.3)

Dez4) [?] H P28 (Bohnenkamp 166f.): [linke Spalte:] Jüngster Tag. Praeadamiten. wilde Mensch Ungethüm [rechte Spalte:] Praetorii übrige.5)

1

Grausam

) Äußere Anhaltspunkte für eine Datierung fehlen. Morris nimmt die Entstehung von P27 − P29 in den letzten Monaten des Jahres 1800 an; so zitiert bei Bohnenkamp 162 u. 166: ab Winter 1800 sowie FA 7.2, 942. 2 ) Egh. undatierte Lektüreexzerpte für die geplante Walpurgisnacht (hier nur Wiedergabe einzelner Stichworte von G’s insgesamt 50 Zeilen) aus: Carpzovs Practica Nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium (Wittenberg 1635 u.ö.), deren 2. Ausg. von 1646 in der Jenaer Bibl. u. 3. Ausg. von 1665 in der Weimarer Bibl. vorhanden war. Obwohl keine Ausleihe bezeugt ist, beweisen die Exzerpte G’s Kenntnis; dazu schon E. Schmidt (W 14, 297), Strehlke 1891, 28 u. Witkowski 1894, 68−72; am gründlichsten Bohnenkamp 162ff. Allerdings hat G von den dortigen auf Inquisition u. Hexenwesen bezüglichen Motiven u. sprachl. Wendungen weder in der Walpurgisnacht noch sonst direkten Gebrauch gemacht. 3 ) P38, P39 u. P40 sind Entwürfe in der Nachfolge der Xenien, die G vermutl. für die satirischen Teile der Walpurgisnacht verwenden wollte. Sicher bezeugt ist die Beziehung zur Walpurgisnacht beim Rattenfänger von Hameln in P40; s. dazu [März/Apr 1801]: P31/48. 4 ) Zur Datierung Bohnenkamp 166: Auch dieses Blatt ist mit einiger Wahrscheinlichkeit zu den Vorarbeiten für die Ausführung der Walpurgisnachtsszene ab Winter 1800 zu rechnen. 5 ) Dazu Bohnenkamp 166: für die hier notierten Stichworte hat bereits Erich Schmidt auf die Vorrede des ›Anthropodemus Plutonicus‹ des Praetorius hingewiesen. − Es handelt sich um: Anthropodemus Plutonicus. Das ist Eine Neue Weltbeschreibung Von allerley Wunderbahren Menschen; Als da seyn Die 1. Alpmännergen Schröteln Nachtmähren. 2. Bergmännerlein Wichtelin Unter-Jrrdische. 3. Chymische Menschen Wettermännlein. 4. Drachenkinder Elben. 5. Erbildete Menschen Seulleute. 6. Feuermänner Jrrwische Tückebolde. 7. Gestorbene Leute Wütendes Heer. 8. Haußmänner Kobolde Gütgen. 9. Indianische Abentheur. 10. Kielkröpfe Wechselbälge. 11. Luftleute Windmenschen. 12. Mondleute Seleniten. 13. Nixen Syrenen. 14. Oceänische oder Seemänner. 15. Pflanzleute Alraunen. 16. Qval- oder Verdammte Menschen. 17. Riesen Hünen. 18. Steinmänner. 19. Thierleute Bestialische Weerwölfe. 20. Verwündschte Leute. 21. Waldmänner Satyren. 22. Zwerge Dümeken. Auctore M. Johanne P r a e t o r i o , Zetlinga-Palaeo-Marchita, P. L. C. Magdeburg 1666. − Die neue Welt-beschreibung von allerley wunderbahren Menschen, der Praetorius 1667 noch einen 2. Teil folgen ließ, ist in der Erstausg. in der Weimarer Bibliothek. Ausleihung durch G ist nicht bezeugt, aber anzunehmen, da die Exzerpte aus der Vorrede stammen. − Der Eintrag der rechten Spalte bezeugt G’s Interesse an den übrigen Werken des Praetorius.

1800

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Dez1) [?] H P29 (Bohnenkamp 168ff.):2) . . . Träume. Alp. Nahmen zu brauchen . . . Nachtraben saugen an Kindern Rothe Maus aus dem Munde . . .

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⎯ Tag- und Jahres-Hefte3) (W 35, 87; 91): Zu Anfang des Jahrs überfiel

mich eine grimmige Krankheit . . . als . . . ich in einen Zustand geriet, der mir die Besinnung raubte . . . am 7. Februar regte sich in mir die productive Ungeduld, ich nahm den Faust wieder vor und führte stellenweise dasjenige aus, was in Zeichnung und Umriß schon längst vor mir lag.4)

Wohl vor allem zur Lektüre vorgemerkt: Blockes-Berges Verrichtung Oder Ausführlicher Geographischer Bericht / von den hohen trefflich alt- und berühmten BlockesBerge: ingleichen von der Hexenfahrt und Zauber-Sabbathe so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland Jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurgis Nachte anstellen sollen. Aus vielen Autoribus abgefasset und mit schönen Raritäten angeschmücket sampt zugehörigen Figuren von M. Johanne Praetorio, Poetaˆ Laureato ˆ Casareo ˆ. Nebenst einen Appendice vom Blockes-Berge wie auch des Alten Reinsteins und der Baumans Höle am Hartz. Leipzig/Frankfurt 1668. − Die Erstausg. von 1668 ist in der Weimarer Bibliothek; daß G sie benutzt hat, ist naheliegend, da die BlockesBerges Verrichtung eine Hauptquelle zur Walpurgisnacht ist, auch wenn G sie nirgends erwähnt u. keine Ausleihe bezeugt ist. Schon das Szenarium zur Walpurgisnacht geht in wesentlichen Zügen zurück auf eine Darstellung des Hexensabbats auf dem Brocken, die der Blockes-Berges Verrichtung als Titelholzschnitt beigegeben ist; vgl. dazu Schöne 1982, 122−24, 147 − Dem Titelholzschnitt ohne Urhebervermerk, Bloks Bergs Verrichtung unterschrieben, liegt Matthäus Merians d. Ält. Kupferstich nach einer Handzeichnung des Nürnberger Malers Michael Herr zugrunde. Nachgebildet ist die linke Bildhälfte des Kupferstichs. − Der 1626 im Merian-Atelier in Frankfurt hsg. Kupferstich ist in zwei Flugblatt-Versionen bekannt, als Zauberey überschrieben mit lat. Hexametern von Joh. Ludwig Gottfried (um 1584−1633) u. als Eigentlicher Entwurf und Abbildung des gottlosen und verfluchten Zauber Festes mit dt. Versen von Johannes Klaj (1535−1593), s. Abb. 4 u. 5 in FA 7.2. Da Praetorius in der Blockes-Berges Verrichtung S. 316f. die Verse von Klaj zitiert, wird die 2. Version als Vorlage gedient haben. − G kannte und nutzte den Titelholzschnitt. Daß er auch den zugrunde liegenden Kupferstich nach Michael Herr kannte, halten Witkowski 1894, 36, Morris 1902 I 121f., Schöne 1982, 122ff. für wahrscheinlich. 1 ) Datierung ca. Winter 1800. 2 ) Zur Sz. Walpurgisnacht 4179. − Egh. undatierte Lektürenotizen aus Praetorius’ Anthropodemus Plutonicus von 1666; s. S. 173, Anm. 2. Die Exzerpte stammen aus der Vorrede, dem 1. Kapitel Von den Alpmännrigen u. dem Anf. des 2. Kap. Von den Bergmännrigen; Nachweise bei Bohnenkamp 169f. − G brach die Lektüre, wie er selber vermerkt, p. 86 ab. − Das Motiv aus Praetorius S. 43: einer Magd kreucht . . . zum offnen Maule herauß ein rothes Mäuselein verwendete G in Walpurgisnacht 4179. 3 ) Verfaßt 1823. 4 ) Dazu Pniower 1899, 80, unter Hinweis auf GJb 1895, 160ff. die Feststellung: dass der Dichter zunächst die Walpurgisnacht wieder vornahm. Dass weiterhin zu den »Stellen«, die er ausführte, die Sz. »Vor dem Thor« gehörte. . .

178 Jan

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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3. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 7. Febr 1804 − :1) ΞενοϕωÄ ντος ε λληνικωÄ ν ι στοριωÄ ν βιë βλια ζ’. Acc. Henr. Bodwelli chronologia Xenophontea. 1703.; 2) Xenophon sämtliche Schriften a.d. Griech. übers. von August Christian Borhek. T.1.2. Lemgo 1778– 80.)1) 6. [Weimar] Das Uebel war nicht besser und befand mich deßhalb meist

im Bette.2) 7. /12. [Weimar] J. I. Gerning, Tagebuch (BG 5, 104): Göthe hat 8 Tage lang phantasirt u. Verse an Christus vorgesagt; es war ein Art Gehirn u. Eingeweide Krankheit. 7. /12. [Weimar] Riemer, Mittheilungen 1, 121 (BG 5, 104): Vor allem aber würde höchst bedeutsam seyn, jene a n C h r i s t u s gerichtete Apostrophe, in seiner schweren Krankheit zu Anfang des Jahres 1801, wo er, nach seiner Gattin Zeugnisse, das sie wiederholt ablegte, wenn das Gespräch auf diese Epoche seines Lebens kam, von Schmerz übermannt in Fieberphantasien, mit wahrhafter Begeisterung, in die beweglichsten herzergreifendsten Reden an den Erlöser ausgebrochen sey. Sie bedauerte nur, daß damals Niemand daran denken können, diese aufzuzeichnen; es würde mehr als alles Andere beurkunden, was in seiner Seele für christlich-religiöse Gesinnungen gelegen . . . ohne Heuchelei und Rückhalt. . . Febr

5. An J. F. Reichardt (Br 15, 177): Auch hatte ich Zeit und Gelegenheit

[während der Krankheit] in den vergangenen vierzehn Tagen mir manche von den Fäden zu vergegenwärtigen, die mich ans Leben, an Ge-

1

) Mögliche Einwirkung auf die Sz. Vor dem Thor 1112ff.: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust Die eine will sich von der andern trennen . . . wies Düntzer 1859, 76 nach, doch auch darauf, daß G sich wohl zufällig derselben Worte, wie Wieland, bedient, der 1773 seinen zwischen Tugend u. Wollust schwankenden Herkules sagen läßt: Zwei Seelen kämpfen in meiner Brust. Von zwei Seelen, einer guten und einer bösen, spricht Wieland auch sonst nach Xenophons Vorgang, wie auch Rousseau in der Heloise. − Pniower zitiert (GJb 1895, 165f.) aus Borheks Übers. von Xenophons Cyropaedie VI 1: Nachdem Araspes, der sich vor Kyros gerühmt hatte, stärker als die Liebe zu sein, dann aber von heftigster Neigung zu Panthea, die er zu bewachen hat, ergriffen, von Kyros gefragt wird: »Wirst Du auch die schöne Panthea verlassen können? Ja, sagte Araspes, ich habe zwey Seelen, mein Kyros. Diese Philosophie habe ich dem gottlosen Sophisten Eros zu danken. Denn wenn ich nur eine einzige Seele hätte, wie könnte sie zugleich tugendhaft und lasterhaft sein, zugleich lobenswürdige und schändliche Thaten lieben, und zu einerley Zeit etwas wollen und auch nicht wollen? Ich muss also offenbar zwey Seelen haben, und wenn die tugendhafte Seele die Oberhand hat, so handle ich auch tugendhaft; hat aber die böse Seele die Oberhand, so begehe ich unanständige Thaten.« Pniower weist aber zugleich darauf hin, daß G 1795 − also 2 Jahre vor der Wiederaufnahme des Faust − in der vorletzten Erzählung der ’Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten’, einen von egoistischen Trieben und zugleich von edlen Regungen erfüllten Jüngling [schildert]. Er beschreibt die widersprechenden Eigenschaften seines Charakters und fährt dann fort [W 18, 192]: »Man sieht hieraus leicht, dass diejenigen, die mit ihm umgingen, oft, um seine Handlungen zu erklären, zu der Hypothese ihre Zuflucht nehmen mussten, dass der junge Mann wohl zwei Seelen haben möchte.« 2 ) G war lebensgefährlich erkrankt an einem seit Mitte Dez verschleppten Katarrh, begleitet von hohem Fieber u. einer Gesichtsrose, die beim Übergreifen aufs Augenlid eine Geschwulst am linken Auge verursachte u. sich auf die Schleimhäute des gesamten Mund- u. Rachenraumes gelegt hatte, was heftige Hustenkrämpfe u. Erstickungsanfälle hervorrief; vgl. Nager: G’s dritte Todeskrise (28ff.).

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schäfte, an Wissenschaft und Kunst knüpfen. Keiner ist abgerissen wie es scheint, die Combination geht wie vor Alters fort, und die Production scheint auch in einem Winkel zu lauren, um mich vielleicht bald durch ihre Wirkungen zu erfreuen. Febr 7. Früh einige Beschäfftigung mit Faust.1) 8. . . . früh an Faust.2) 8. (H Walpurgisnacht Bl. 4 am Ende datiert: d. 8. Febr. 1801.)3) 9. Abends an Faust.4) 9. (H Walpurgisnacht Bl. 3 am Ende datiert: d. 9 Febr. 1801)5) 9. An Schiller (Br 15, 178): Arbeiten möcht’ und könnte ich wohl, be-

sonders auch Ihnen zur Freude, wenn nicht mein zerrißner Zustand6) mir fast alle Hoffnung und zugleich den Muth benähme. 1

) s. oben 1801: TuJ. − G dichtete nun vor allem an der Sz. Walpurgisnacht, doch auch an der Sz. Vor dem Thor, wie schon Pniower GJb 1895, 161−63 anhand von G’s Lektüre nachweisen konnte. 2 ) Auf die Walpurgisnacht weist G’s egh. Datierung: d. 8. Febr. 1801 hin nach 3955: Strömt ein wütender Zaubergesang! Vgl. das nächste Z. 3 ) Zur Sz. Walpurgisnacht 3936−55. Das Blatt (abgebildet in FA 7.1, Abb. 13) enthält die Verse: Faust. [:] Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft! Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken! Meph.. [:] Du mußt des Felsens alte Rippen packen, Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft. Ein Nebel verdichtet die Nacht. Höre, wie’s durch die Wälder kracht! Aufgescheucht fliegen die Eulen. Hör’, es splittern die Säulen Ewig grüner Paläste. Girren und Brechen der Äste! Der Stämme mächtiges Dröhnen! Der Wurzeln Knarren und Gähnen! Im fürchterlich verworrenen Falle Über einander krachen sie alle, Und durch die übertrümmerten Klüfte Zischen und heulen die Lüfte. Hörst du Stimmen in der Höhe? In der Ferne, in der Nähe? Ja, den ganzen Berg entlang Strömt ein wütender Zaubergesang! 4 ) Auf Walpurgisnacht verweist G’s egh. Datierung am Ende der ersten Seite von Bl. 3 nach 3935: Ich spüre schon die ungestümen Gäste. 5 ) Zur Sz. Walpurgisnacht 3916−35 nachträglich in H Walpurgisnacht eingefügt Bl. 3 mit: Faust. [:] Wie seltsam glimmert durch die Gründe Ein Morgenrötlich trüber Schein! Und selbst bis in die tiefen Schlünde Des Abgrunds wittert er hinein. Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden, Hier leuchtet Gluth aus Dunst und Flor, Dann schleicht sie wie ein zarter Faden, Dann bricht sie wie ein Quell hervor. Hier schlingt sie eine ganze Strecke, Mit hundert Adern, sich durch’s Thal, Und hier in der gedrängten Ecke Vereinzelt sie sich auf einmal. Da sprühen Funken in der Nähe, Wie ausgestreuter goldner Sand. Doch schau! In ihrer ganzen Höhe Entzündet sich die Felsenwand. Meph. [:] Erleuchtet nicht zu diesem Feste Herr Mammon prächtig den Palast? Ein Glück daß du’s gesehen hast; Ich spüre schon die ungestümen Gäste. − G korrigierte den am 5. Nov 1800 mitten im Text abgebrochenen v. 3916 Wie seltsam wittert u. vervollständigte ihn zu Wie seltsam glimmert durch die Gründe. Gleichzeitig fügte er 3917−35 hinzu. − Weitere Datierungen enthält H Walpurgisnacht nicht, doch führte G diese Hs. wohl den ganzen Febr 1801 hindurch fort, vermutl. bis Bl. 9, das auf der Rs nur 4114−17 enthält u. danach ca. 18 Verse Spatium, was auf einen Einschnitt in der Arbeit hinzudeuten scheint. 6 ) Nach schwerer Erkrankung litt G noch immer an einer Entzündung des linken Auges, Nierenkoliken, Gichtanfällen, Obstipation u. F. Nager 28–33 zufolge: Gebresten noch und noch.

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9. [Weimar] Schiller an G (SNA 31, 8): . . . schriftlich guten Abend . . . Mögen Sie Sich immer mehr und mehr erhohlen,1) und das Mscrpt vom Faust auf Ihrem Tische nicht müßig liegen!

10., 11. Früh an Faust.2) 12. Früh Faust.3) 13. Faust.4) 14. früh Faust.5) 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 1. Juni 1804 − : Francisci, Erasmus: Der höllische Proteus od. tausendkünstiger Vorsteller . . . Nürnberg 1708.)6) 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Mai 1801 − : Bekker, Balthasar: Die bezauberte Welt od. eine gründliche Untersuchung des allgemeinen Aberglaubens . . . A. d. Holl. nach d. letzten vom Autore verm. Ed. in die deutsche Sprache übers. Amsterdam 1693.)7) 15. Erasmus Francisci.8) 16. Faust.9) 17., 18. Früh Faust.10) 18. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Mai 1801 − : 1) Widmann, Georg Rudolf: Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des viel berüchtigten Ertz-Schwarzkünstlers D. Johannis Fausti . . . vermehrt durch Joh. Nicolaum Pfitzerum11) . . . Nürnberg 1674. − 2) [Schelhorn, J. G. :] Amoenitates literariae quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdota & rariora opuscula exhibentur. T. 5. Francoforti & Lipsiae 1726.12) 1

) G war zwar nicht mehr bettlägrig, aber doch noch sehr schonungsbedürftig. ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 3 ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 4 ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 5 ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 6 ) Witkowski 1894, 18−20 wies auf möglich Einwirkungen hin: Sz. Vor dem Thor (1126f.), Sz. Studirzimmer I (1516f.), Studirzimmer II (1530f.), Sz. Walpurgisnacht (3855f., 3961, 4001, 4119f., 4204) u. P50 (Z 4f. u 171). 7 ) Zur Sz. Vor dem Thor 1118−30 wies Pniower GJb 1895, 162–65 auf mögl. Einwirkung von Bekkers Bezauberter Welt hin: Sie [die Manichäer] halten gar dafür, daß jeder Mensch zwo Seelen habe, deren eine allezeit wider die andere streite. So auch E. Schmidt 1903, 271, Witkowski 1906, 217, Witkowski 1950, 207, FA 7.2, 240f. u. Atkins 2002, 4. − Witkowski 1894, 21f. sieht Einfluß auf Sz. Prolog im Himmel 344 u. Vor dem Thor 1112f.. 8 ) s. die Entleihung vom Tag zuvor. 9 ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 10 ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 11 ) Zur Sz. Vor dem Thor 1118ff. wiesen Scherer 1884, 254 u. Witkowski 1894, 20ff. Einwirkung durch Pfizers Faustbuch nach, was Pniower GJb 1895, 161ff. bestätigte, so auch E. Schmidt W 14, 296ff., Petsch ChrWGV 1906, 14; Brandes 1922, 118; Einwirkung auf den Schluß der Sz. 1145−47 mit dem schwarzen Pudel durch Pfizer T. 1, Cap. 21 wies Düntzer 1859, 7 nach: Bei Widman treffen wir auch auf Fausts schwarzen zottigen Hund Prästigiar (Zauberer). Schon in frühern Berichten über Faust, bei Melanchthon und dem protestantischen Theologen Gast, finden wir Fausts Hund, welcher der Teufel selbst gewesen, wie so viele Zauberer vom Teufel in Hundsgestalt begleitet werden. Pfizers Faustbuch war auch wichtig für die Sz. Walpurgisnacht. 12 ) [Johann Conrad Dürr:] Epistola de Johanne Fausto. In: Amoenitates literariae, quibus 2

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− 3) Neumann, Joh. Georg: Disquisitio historica de Fausto praestigiatore . . . [Wittenberg 1683.] )1)

Früh Faust.2) 23. Faust. )

Febr 19.,21.,22.

3

23. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Mai 1801 − : 1) Remigius, Nicolaus: Daemonolatria od. Beschreibung von Zauberern u. Zauberinnen . . . T. 1. 2. Hamburg 1693, [Titel von T. 2:] Der bösen Geister u. Gespenster wunderseltsame Historie . . . Hamburg o. J.)4) − 2) Magica, d. i. Wunderbarliche Historie von Gespenstern u. mancherlei Erscheinungen d. Geister . . . in lat. Sprache zus. getragen. Itzo aber . . . in d. deutschen Sprache . . . gebracht. Eisleben o. J. )5) − 3) Meyfart, Mattaeus: Christliche Erinnerung an gewaltige Regenten . . . wie das abscheuliche Laster der Hexerei . . . auszurotten . . . sey . . . Erfurt u. Schleusingen 1635.)6) 26. Früh Faust.7) März 2. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 13. Juni 1801 − : Petri G o l d s c h m i d s Pastoris Sterupensis: Höllischer Morpheus, welcher kund wird durch die . . . Erscheinungen derer Gespenster u. Poltergeister . . . Daraus nicht allein erwiesen wird daß Gespenster seyn was sie seyn und zu welchem Ende dieselbigen erscheinen Wider die vorige und heutige Atheisten Naturalisten und Namentlich D. Beckern in der Bezauberten Welt etc. Aus allen aber des Teuffels List Tücke Gewalt heimliche Nachstellungen und Betrug handgreiflich kan ersehen und erkandt werden. Hamburg 1698.)8) 7. Früh Faust.9)

variae observationes, Scripta item quædam anecdota & rariora Opuscula exhibentur. Tomus Quintus [hsg. v. J. G. Schelhornius]. Frankfurt/Leipzig 1726, S. 50−80. 1 ) Disquisitio historica de Fausto Praestigiatore quam in alma hac Leucorea publico examini committunt M. Joh. Georg Neumann et Carol. Christianus Kirchner, Autor respondens [o. O., o. J. ]. − Die öffentliche Verteidigung der 12 Paragraphen umfassenden disquisitio fand am 23. Mai 1683 in Wittenberg statt. 2 ) Vermutl. mit Bezug zur Sz. Walpurgisnacht. 3 ) Vermutl. mit Bezug zur Sz. Walpurgisnacht. 4 ) Für die Sz. Walpurgisnacht entliehen. Gräf II 2, 107 zufolge erhielt G zugleich mit der Entleihung von Nicolai R e m i g i i Daemonolatria die an den 2. Teil angehängten Titel: Wunder−seltzame Historien Von des Teuffels Hinterlist . . . Mit einem Anhange. Von falschen . . . Gespenstischen Begebenheiten. Hamburg 1693 . . . wozu gehört Johannis B o d i n i . . . Daemonomania, Oder ausführliche Erzehlung des wütenden Teuffels . . . − Jean Bodin: De la De´monomanie des Sorciers. Lyon 1598 war G schon aus des Vaters Bibliothek bekannt (Götting 39 unter Occulta). − Der Lothringer Kleriker Nicolas Remi (1554−1600) veröffentlichte 1595 in lat. Sprache Daemonolatriae libri tres; die dt. Übersetzung wurde durch Hexen- u. Gespenstergeschichten erweitert, darunter die Geschichte von Faust u. Wagner (I 520−23). 5 ) Zur Sz. Walpurgisnacht entliehene Sammlung von Gespenstergeschichten. 6 ) Zu Anregungen für die Sz. Walpurgisnacht wiederholt ausgeliehen; s. oben 25. Juli 1798. 7 ) Vermutl. an der Sz. Walpurgisnacht gedichtet. 8 ) Gegen B. Bekker gerichtete Verteidigung des Teufels- u. Hexenglauben; entl. zur Walpurgisnacht. 9 ) Vermutl. mit Bezug zur Sz. Walpurgisnacht.

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März 8. An Faust.1) 9. Früh an Faust.2) 10. Früh Faust.3) 10. [Jena] Schiller an G (SNA 31, 14): Vielleicht sind Sie mitten unter Ihren Weimarischen Zerstreuungen productiver als ich in meiner Einsamkeit [des Gartenhauses in Jena], welches ich Ihnen herzlich wünsche. 11. An Schiller (Br 15, 197): Mit meinem Faust geht es sachte fort. Wenn

ich auch täglich nur wenig mache, so suche ich mir doch den Sinn und den Antheil daran zu erhalten. 11. u. 12. Früh Faust.4) 14. An Schiller (Br 15, 198): Zuvörderst wünsche von Herzen Glück, daß die Arbeit [an der Jungfrau von Orleans] gut von statten geht, ich habe an Faust auch einiges gethan und so rückt man denn immer, obgleich langsam, weiter. 16. [Jena] Schiller an G (SNA 31, 19): Viel Glück zu den Fortschritten im Faust, auf den die hiesigen Philosophen [u. a. Schelling] ganz unaussprechlich gespannt sind. 16. (s. „Faust. Ein Fragment“: J. D. Falk an W. Körte gD, S. 103) 18. An Schiller (Br 15, 200): Keinen eigentlichen Stillstand an Faust habe

ich noch nicht gemacht, aber mitunter nur schwache Fortschritte. Da die Philosophen auf diese Arbeit neugierig sind,5) habe ich mich freylich zusammen zu nehmen. 21. An Schiller (Br 15, 202): Faust hat noch keinen völligen Stillstand erlitten. 28. An Sara v. Grotthus (Br 15, 205): Da ich kein fleißiger Correspondent bin, . . . so bleibt mir nichts übrig, als desto fleißiger an einigen Arbeiten zu sein, welche, früher oder später, denen, die mir wohlwollen, einiges Vergnügen machen können. [?März/ P22 (Bohnenkamp 174):7) Faust Meph M. F[aust:] Umgekehrte Richtung der Jugend Apr]6) M. Gegen Roheit. F. Widerspricht. Jugend Elasticität, der Theilnahme fehlend. Vortheile der Roheit. u. Abgeschmacktheit. M. Vorschlag. Geschichte des Trancks. 1

) Vermutl. gedichtet an der Sz. Walpurgisnacht. ) Vermutl. mit Bezug zur Sz. Walpurgisnacht. 3 ) Vermutl. mit Bezug zur Sz. Walpurgisnacht. 4 ) Vermutl. mit Bezug zur Sz. Walpurgisnacht. 5 ) s. oben 14. März 1801: Schiller an G. 6 ) Hypothetische Datierung aufgrund des Walpurgisnacht-Zusammenhangs mit P50, s. oben [23. Juni 1797/5. Mai 1798]. Nach Bohnenkamp 176 aufgrund von Papier u. Blätterformat aus der Arbeitsphase 1797ff.; Harnack 1891, 171 datiert den Entwurf schon auf ca. 1788, Pniower 1892, 419 setzt ihn 1797 an; Witkowski 1894, 14 nimmt Dez 1797 als terminus post quem an; Morris 1902 I 160 betrachtet 1808 als Entstehungsjahr; Scheibe 1965, 42f. u. 58 zufolge: erst nach Winter 1800/1801. 7 ) P22 skizziert ein Gespräch zw. Faust und Mephisto über die Roheit der Jugend, das vermutl. der Sz. Hexenküche eingefügt werden u. diese vorbereiten sollte; vgl. Bohnenkamp 177. 2

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P24 (Bohnenkamp 174):1) Kleine Reichsst.[adt] Das anmuthige beschränckte des bürgerlichen Zustands. Kirchgang Neugetauftes Kind Hochzeit. P31 (Bohnenkamp 175):2) Aufmunterung zu Walp[urgis] Nacht3) −− Daselbst.4) Frauen über die Stücke. Männer über das L’hombre. Rattenfänger von Hameln. Hexe aus der Küche.5) −− P48 (Bohnenkamp 175f.): Nach dem Intermezz6) Einsamkeit, Oede Trompeten Stöße Blitze, Donner von oben. Feuersäulen, Rauch Qualm.7) Fels der daraus hervorragt. Ist der Satan. Großes Volck umher. Versaumniß Mittel durchzudringen. Schaden. Geschrey Lied. Sie stehen im nächsten Kreise. Man kanns für Hitze kaum aushalten. Wer zunächst im Kreise steht. St Satans Rede Präsentationen. pp. Beleihungen. [Spatium] Mitternacht. Versincken der Erscheinung Volckan. Unordentliches Auseinanderströmen. Brechen u. Stürmen.8)

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) P24 skizziert wohl zur Vorbereitung auf die Gretchenhandlung eine ihre Sphäre bezeichnende Sz. 2 ) P31 u. die hier folgende P48, in W als zwei unterschiedliche P aufgefaßt, bilden jedoch als Schema eine Einheit. Gegenüber früheren Rekonstruktionsversuchen zur Walpurgisnacht (Harnack, Pniower, Witkowski, Morris) nimmt Scheibe 1965, 41−43 an, daß P31 u. P48 erst nach der zumeist im Winter 1800/1801 entstandenen Walpurgisnacht-Sammelhandschrift P50 entstanden sind. 3 ) Da eine zur Blocksbergfahrt aufmunternde Szene nicht überliefert ist, vermutet Scheibe 1965, 39, sie sei nie gedichtet worden, während Morris 1902 I 92 den Szenenanfang 3835−934 für die Aufmunterung hält. 4 ) Bezieht sich vermutl. auf die Walpurgisnacht u. einige dort noch einzufügende Personen. Detailliertere Erläuterungen bietet Bohnenkamp 178f. 5 ) Da weder die Hexe aus der Küche noch der Rattenfänger in der endgültigen Sz. Walpurgisnacht auftreten, verweist Scheibe 1965, 40 auf den Rattenfänger in P40 u. zieht daraus den Schluß, vorliegendes Schema sei frühstens Ende 1800 entstanden. So auch Bohnenkamp 178; dort weitere Details. − Zu 4124 vermerkt Witkowski 1906, 270: Die alte Hexe kann, da Mephistopheles sie zum Tanz führt, seine alte Freundin aus der Küche sein; wenigstens wollte Goethe diese hier wieder auftreten lassen. 6 ) Intermezz bedeutet hier, Bohnenkamp 178 zufolge, die geplante Satansmesse; auf die Handlung danach beziehen sich die folgenden Skizzen. 7 ) Morris 1902 I 84−86 verwies auf deutliche Parallelen im 1. Gesang von Miltons Paradise Lost, dessen Lektüre G am 28. Juli (Tgb), 31. Juli u. 3. Aug 1799 an Schiller erwähnt. Zachariaes Übers. entlieh G vom 10. Aug 1799 (s. dort) bis 16. Okt 1799. Die von Morris aufgezeigte Ähnlichkeit mit P48 bezieht sich auf: Einsamkeit, Oede Trompeten Stöße Blitze, Donner von oben. Feuersäulen, Rauch Qualm. Fels der daraus hervorragt. Ist der Satan. Großes Volck umher . . . Man kanns für Hitze kaum aushalten. Im Vergleich dazu Miltons Verlohrnes Paradies in der Übersetzung von Zachariae: . . . wobei das brennende Clima, Rund um mit Feuer umwölbt, mit heftger Gewalt auf ihn zuschlug, Aber doch hilt er [der Satan] es aus. (Zachariae: Poetische Schriften. Bd 6. Braunschweig [1764], 43). − Zu P50, 195: Auf glühndem Boden; vgl. dazu die Milton-Übersetzung: So ging er [Satan] Schwer gestützet darauf, um über den glühenden Boden Seine wankenden Schritte zu leiten. (Ebd., 43). − Schöne 1982, 150−52 zitiert als Urmodell Miltons u. G’s: 2. Mose 19, 16−18. 8 ) Bohnenkamp 176−79 informiert darüber, wie Harnack, Pniower, Morris, Scheibe, Witkowski u. Schöne P22, P24, P31 u. P48 interpretieren, deren Verhältnis zueinander dennoch nicht zweifelsfrei zu bestimmen ist. Doch ergibt sich aus Scheibes Rekonstruktion 1965, 41−43 u. Bohnenkamp 178 zum Zeitpunkt des vorläufigen Abbruchs der Arbeit am Faust Anf. Apr 1801für die Sz. Walpurgisnacht aus P50, P31 u. P48: Auf die Aufmunterung zu Walpurgisnacht folgt die eigentliche Sz. Walpurgisnacht, wie sie

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

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Apr [3. [Oberroßla]2) An Schiller (Br 15, 214): An Faust ist in der Zeit auch od. 4.]1) etwas geschehen. Ich hoffe daß bald in der großen Lücke nur der Dis-

putationsactus3) fehlen soll, welcher denn freylich als ein eigenes Werk anzusehen ist und aus dem Stegreife nicht entstehen wird.4) 4. [Oberroßla] Früh Faust. 7. [Oberroßla] Faust. [Apr]5) – H P11 (Bohnenkamp 226−286)): Disputation. . . . Der Studenten . . . Wagner als Opponent . . . Recktor zum Pedell Die Pedellen die Ruhe gebieten Fahrender Scholasticus tritt auf. Schilt die Versammlung Chor der Studenten . . . Schilt den Respondenten Bescheiden dieser lehnts ab. Faust nimmts auf Schilt sein Schwadronir[en] Verlangt daß er articuli[re] Meph. thuts fällt aber gleich ins Lob des Vagirens und der daraus entstehend[en] Erfahrung7) Chor, halb F[aust:] Ungünstige Schilderung des Vaganten Chor halb. M[ephisto:] Kenntnisse die dem Schulweisen fehlen F[aust:] γνωϑι σεαυ-

heute vorliegt, mit der Wanderung Fausts u. Mephistos, dem Herannahen der Hexenschwärme, dem Gespräch mit den vier alten Herren bis hin zum Gespräch mit der Trödelhexe (3835−4117). Abweichend von der endgültigen Fassung geraten dann Faust u. Mephisto in einen Menschenstrudel, der sie nach oben zieht. An die als Intermezzo die Handlung unterbrechende Aufführung von Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldene Hochzeit, schließt sich als Höhepunkt auf dem Gipfel des Brockens die Satansszene an. Die Stichworte des P48 Satans Rede Präsentationen. pp Beleihungen nehmen Bezug auf im P50 schon Ausgeführtes u. bezeugen, daß eine Satansszene noch 1801 geplant war. Nach dem Versincken der Erscheinung des Satan erfolgt ein Unordentliches Auseinanderströmen (P48) der Hexen. Auch Faust u. Mephisto reiten vom Brocken weg. Dabei geraten sie in eine in P50 ebenfalls schon teilweise ausgeführte Hochgerichtserscheinung, wo Faust Gretchens Schicksal erfährt u. nun alles daransetzt, sie zu retten. 1 ) Datierung nach Gräf II 2, 110ff. u. SNA 39.2, 146f. 2 ) G mußte am 25. März zu dem im Juni 1798 erworbenen Gut nach Oberroßla in der Nähe Apoldas fahren, nachdem ein Defizit durch Verschulden des Pächters entstanden war, der nach wiederholter Klageerhebung u. Aufhebung des Pachtvertrags am 28. Apr 1801 des Guts verwiesen u. durch einen neuen Pächter ersetzt werden mußte. Da die leidigen Gutsangelegenheiten mehr Zeit als geplant in Anspruch nahmen, kehrte G erst am 15. Apr nach Weimar zurück. 3 ) Zum Disputationsactus s. unten [Apr ] P11 das Schema zur Disputationsszene m. Anm. 4 ) Entsteht auch später nicht, zu Vorarbeiten s. P11 u. 12 (W 14, 290−92). 5 ) Datierung, um die sich schon Morris 1902 I 50 bemühte, begründet Bohnenkamp 229 durch Briefentwurf. 6 ) Egh Schema zum geplanten Disputationsactus, der Karikatur eines gelehrten Streitgesprächs, hier nur auszugsweise nach Bohnenkamp wiedergegeben. Es sollte wohl zw. den beiden Studirzimmer-Szenen eingefügt werden, um die große Lücke vollständig zu schließen; s. oben 3. Apr 1801: an Schiller. Morris 1902 I 44−47 nahm Anregung durch Erasmus Franciscus Neu-polirten Geschicht- Kunst- und Sittenspiegel an; s. oben 6. Dez 1797: Bibliotheksentleihung m. Anm. u. 6. Jan 1798: an Schiller über das Streitgespräch zw. einem Chinesen u. einem Jesuiten. 7 ) Zu E r f a h r u n g − Bohnenkamp 233: Mephisto tritt als Befürworter der Erfahrungswissenschaft, der Empirie, auf und wendet sich gegen die (rationalistische) ›Schulweisheit‹; zu L o b d e s Va g i r e n s : Gegenüber dem ›Stubengelehrten‹ preist Mephisto das unbestimmt-ziellose Umherschweifen eines fahrenden ›Scholasticus‹.

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τον, im schon[en] Sinne.1) Fordert den Gegner auf Fragen aus der Erfahrung vorzulegen. Die F. alle beantworten wolle. M[ephisto:] Gletscher2) Bolog. Feuer3) Charibdis Fata Morg.4) Thier Mensch F[aust:] Gegenfrage wo der schaffende Spiegel5) sey M[ephisto:] Compliment die Antwort einandermal F[aust:] Schluß Abdanckung Majorität Minorität der Zuhör[er] als Chor. [Spatium] Wagners Sorge die Geister mögten sprechen was der Mensch zu sich zu sagen glaubte6)

Apr 27. [Weimar] Schiller an C. G. Körner (SNA 31, 31): Göthe ist wieder ganz hergestellt und hat indeßen vieles an seinem Faust gethan, der aber noch immer als eine unerschöpfliche Arbeit vor ihm liegt, denn dem Plan nach ist das was gedruckt ist nur höchstens der Vierte Theil des Ganzen, und was seitdem fertig geworden, beträgt noch nicht soviel als das Gedruckte. Mai 22. [Dresden] C. G. Körner an Schiller (SNA 39.1, 72): Bei Göthen erhalte unser Andenken. Es würde mich sehr freuen, etwas von seinem Faust zu sehen. Okt 27. [Tübingen] Cotta an Schiller (SNA 39.1, 121): Ist Göthe für mich ganz tod?7) Dez 10. [Weimar] Schiller an Cotta (SNA 31, 76f.): Sie fragen mich nach Göthen und seinen Arbeiten. Er hat aber leider seit seiner Krankheit gar nichts mehr gearbeitet und macht auch keine Anstalten dazu. Bei den treflichsten Planen und Vorarbeiten die er hat, fürchte ich dennoch daß nichts mehr zu Stande kommen wird, wenn nicht eine große Veränderung mit ihm vorgeht. Er ist zu wenig Herr über seine Stimmung, seine Schwerfälligkeit macht ihn unschlüssig und über den vielen Liebhaber Beschäftigungen, die er sich mit Wißenschaftlichen Dingen macht, zerstreut er sich zu sehr. Beinahe verzweifle ich daran, daß er seinen Faust noch vollenden wird.

1

) Inschrift des Heiligtums in Delphi: Erkenne dich selbst. Hierzu zitiert Bohnenkamp 234 G’s krit. Stellungnahme, wonach ihm von jeher die große und so bedeutend klingende Aufgabe: e r k e n n e d i c h s e l b s t , immer verdächtig vorkam. . . (1823 in NS 11,59). Entweder sei Fausts Position nicht mit G’s identisch oder der Zusatz im schönen Sinne deute auf eine positive Veränderung der Maxime, entsprechend einer briefliche Äußerung: H a n d l e b e s o n n e n , ist die praktische Seite von: E r k e n n e d i c h s e l b s t (an Rochlitz, 23. Nov 1829; Br 46, 167). 2 ) G l e t s c h e r faszinierten G seit seiner Reise in die Schweiz im Okt/Nov 1779. 3 ) B o l o g . F e u e r − Burdach 1926, 33 weist auf G’s wiederholte Beschäftigung mit dem bei Bologna vorkommenden, im Dunkel leuchtenden Kalkspat, der G wegen seiner auserordentlichen specifischen Schweere gegen den übrigen Gyps merkckwürdig war (an Knebel, Rom 17. Nov 1786; GB 7.1, 30). 4 ) C h a r i b d i s (sagenhaftes Meerungeheuer bzw. gefährliche Strudel bei Messina) weist, wie Burdach 1926, 38f. zeigt, ebenso wie F a t a M o r g a n a auf merckwürdige Naturerscheinungen, die G in Süditalien begegnet waren. Ausführlicher Bohnenkamp 235. 5 ) S p i e g e l − Morris 1902 I 46 verweist dazu auf das philosophische Gespräch aus Franciscus’ Sitten-Spiegel, wo der Jesuit den idealistischen Chinesen fragt: Schauet, in diesem Spiegel hier siehet man der Sonnen und des Mondes Bild, so man ihn recht dagegen stellt; wer sollte aber so stumpfsinnig wohl sein und sprechen, der Spiegel könne den Mond und die Sonne schaffen. − Bohnenkamp 235 führt darüber hinaus zahlreiche Beispiele zur Spiegelmetapher an. 6 ) Morris 1902 I 47 verweist dazu auf das philosoph. Gespräch aus Franciscus’ SittenSpiegel, in dem der Jesuit sagt: so werdet ihr spüren, dass dasjenige, so sie jetzt vorbringen, nicht aus ihrem eigenen Hirn, sondern vielmehr aus des Satans Eingaben herkommen, der ihnen solches hat eingeblasen. 7 ) Letzte Mitteilung zum Faust erhielt Cotta am 17. Nov 1800, s. dort.

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

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Dez 17. [Weimar] An J. Fr. Rochlitz (Br 15, 298): Von Faust kann ich nur so

viel sagen:1) daß in den letzten Zeiten wohl manches daran gearbeitet worden; in wie fern er sich aber seiner Vollendung, oder auch nur seiner Beendigung nahen dürfte, wüßte ich wirklich nicht zu sagen.

1802 Febr 20. [Weimar] Schiller an G (SNA 31, 106): Vielleicht führt sie der Bücherstaub, mit dem poetischen Geist geschwängert, auch zu dem alten gespenstischen Doctor zurück und wenn das geschieht so wollen wir Büttners Manen dafür seegnen.2) März 4. [Jena] Caroline Schlegel an A. W. Schlegel (Caroline 2, 311): Goethe und Schiller sollen sehr eingenommen von dem guten Zelter seyn.3) G. hat ihm, wie es scheint, etwas vom Faust mitgetheilt4) und ihm neue Sachen [Gedichte] zu componiren gegeben, die aber nicht zum Vorschein kommen sollen.5) Mai 18. [Weimar] Schiller an Cotta (SNA 31, 135): Vielleicht könnten Sie aber alle diese Risicos nicht achten, in der Hofnung, sich auf einmal an dem G o e t h i s c h e n F a u s t für alle Verluste zu entschädigen. Aber außerdem, daß es zweifelhaft ist, ob er dieses Gedicht je vollendet, so können Sie Sich darauf verlaßen, daß er es Ihnen, der vorhergehenden Verhältniße und von Ihnen aufgeopferten Summen [für die Propyläen] ungeachtet, nicht wohlfeiler verkaufen wird, als irgend einem andern Verleger, und seine Foderungen werden groß seyn. Juni

9. [Weimar] Schiller an G (SNA 31, 140): Ich gratuliere zu der glücklichen Entbindung des Werks [Vorspiel Was wir bringen] und freue mich auf die Mittheilung deßelben. Sie sehen bei dieser Gelegenheit, wie viel die Nothwendigkeit bei Ihnen vermag, und sollten dieses Mittel auch bei andern Werken anwenden, es würde sich gewiß eben so gut bewähren.

Aug 28. [Wien] Marianne v. Eybenberg an G (SchrGG 18, 142): . . . nun haben Sie mir schon seit lange nichts gesandt − warum? ich verdiene es doch, wann ich einst es verdiente, itzt nicht minder! laßen Sie mich doch erfahren was Sie itzt beschäftiget, und wann der Faust erscheinen wird von dem ich so viel hörte, daß ich wie die Kinder rufe, mehr, mehr! Überhaupt bin ich unersättlich, wann es darauf ankömmt, etwas von Ihnen zu sehen oder zu hören.

1

) Rochlitz’ Brief, auf den G sich bezieht, ist nicht überliefert; Gräf II 2, 114 vermutet, daß der wohl nach der Vollendung des Faust sich erkundigende Rochlitz das wohl in Erinnerung an Gespräche tat, die im Vorjahr stattgefunden haben konnten, als G ihn am 6., 7. u. 9. Mai 1800 in Leipzig sah. 2 ) G war in Jena mit der Ordnung der immensen Bibliothek des verstorbenen C. W. Büttner beschäftigt. 3 ) Zelter war 24. − 28. Febr 1802 erstmals bei G in Weimar; s. auch unten 17. Mai 1807: Zelter an G. 4 ) s. unten 17. Mai 1807: Zelter an G. 5 ) MA 20.3, 129 vermutet, daß Zelter neue Kompositionen von Gedichten G’s zu dieser ersten persönlichen Begegnung mitgebracht hatte.

1803

FAUST. EINE TRAGÖDIE

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1803 Juni Was wir bringen. Vorspiel bei Eröffnung des neuen Schauspielhauses zu 6./11. Lauchstädt. Zehnter Auftritt1) (W 13. 1, 60−62): R e i s e n d e r : Beliebt

. . . Ihnen . . . den Ort zu verändern, in die Luft zu steigen, an einem . . . würdigern Platze sich niederzulassen? . . . Von Luftballonen haben Sie neuerer Zeit viel gehört. Herren und Frauen sind damit aufgestiegen. Ferner aus ältern Zeiten ist die wahrhafte Geschichte von Fausts Mantel jedem bekannt. Aus diesen beiden Versuchen werden wir einen dritten bilden . . . Aug 29. (s. „Werke, Ausgabe A“: an Zelter gD) Okt 31. Abends bey Schiller Tell. Faust. Philosophica.

1804 Okt

2. Erster Entwurf G’s für ein Angebot an Cotta über eine neue Gesamt-

ausgabe (QuZ 2.1, 379): Faust wird abermals als Fragment erscheinen, was er denn auch wohl mehr oder weniger immer bleiben wird. 10. [Weimar] H. Voß d. J. an C. W. F. Solger (QuZ 2.1, 380f.): Göthe ist jetzt mit der neuen Ausgabe seiner gesamten Werke [A] beschäftigt . . . Wir haben bei dieser Gelegenheit Hoffnung, daß der ganze Faust erscheint, Göthe wird ihn jetzt schwerlich als Fragment drucken lassen, besonders da er so manchmal die Empfindung im Herzen nährt, daß man jetzt eilen müsse, bevor die ewige Nacht eintritt.2) 16. [Weimar] Schiller an Cotta (SNA 32, 165): Goethe denkt jetzt an eine Herausgabe seiner sämmtlichen Schriften in einer Hand-Ausgabe [Ausg. A] . . . Einige ungedruckte Sachen aus seiner frühern Jugend sind darunter, auch denkt er vom Faust soviel dazu zu geben als er fertig hat, wenn er auch nicht dazu käme ihn ganz zu vollenden. 22. [Weimar] C. A. Vulpius an N. Meyer (Kasten 154): Dass Goethe nie wieder etwas Poetisches schreiben wolle, glaube ich auch nicht, und zwar desswegen, weil er eben etwas wieder unter der Feder hat; seinen ,Faust‘ wird er auch vollenden.

1805 Mai

1. An Cotta (Br 19, 13−15): Unterzeichneter hat die Absicht, seine Schrif-

ten neu herauszugeben . . . Zu vertheilen wären in zwölf Bände folgende Werke, ungefähr folgender Maßen: . . . X. Faust. Fragment, u m d i e H ä l f t e v e r m e h r t .3 ) 1

) Gräf II 2, 115 führt der Vollständigkeit wegen die während dieser Tage entstandenen Verse des Reisenden an, die an Faust erinnern. 2 ) H. Voß lebte seit 1804 in Weimar als Lehrer am Gymnasium u. war häufig Gast in G’s Haus. 3 ) Faust. Fragment, um die Hälfte vermehrt, bedeutet Gräf II 2, 117 zufolge: die Hälfte

188 Juni

FAUST. EINE TRAGÖDIE

1805

5. [Rom] W. v. Humboldt an G (G−Humboldt 191; 195): Ich freute mich kaum Ihres Briefes [vom 3. Mai 1805]1), mein innig geliebter Freund, als ich durch Fernow die schreckliche Nachricht von Schillers Tode empfing . . . Daß der arme Schiller auch Ihren Faust nun nie vollendet sieht. 14. (s. „Werke, Ausgabe A“: an Cotta gD)

Juli

5. (s. „Werke, Ausgabe A“: Cotta an G gD) 5. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 122): Dörfte ich meine Bitte wegen des DamenCal. nicht wiederholen: solte aus Faust sich nichts passendes finden?2)

Aug 26. (s. „Werke, Ausgabe A“: Verlagsanzeige Cotta gD) Sept 30. An Cotta (Br 19, 65f.): Was ich in den vierten Band [von Ausg. A]

bringe, darüber bin mit mir selbst noch nicht einig. Ist es mir einigermaßen möglich; so tret ich gleich mit Faust hervor. Er und die übrigen Holzschnittartigen3) Späße machen ein gutes Ganze und würden bey der ersten Lieferung gleich ein lebhaftes Interesse erregen. Bezeichnen Sie mir den letzten Termin, wann Sie das Manuscript vom vierten Bande haben müssen, damit ich einigermaßen meinen Überschlag machen kann. [nach [Würzburg] Schelling an G (Fuhrmans 3, 285): Mit welcher Freude auch uns die AnSept] kündigung Ihrer Werke4), besonders aber des ergänzten Faust und der Achilleis erfüllt hat, will ich nicht sagen, da sich dieß versteht. Okt 14. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 32f.): Wenn ich an die angekündigte Fortsetzung des F a u s t denke, schlägt mir das Herz hoch vor Freuden. Ich habe es mir immer als unmöglich gedacht, daß gerade dies Gedicht nach mehrjähriger Pause und in späteren männlichen Jahren fortgesetzt werden k ö n n e . Aber was ist Ihrem Genius unmöglich! 30. [Weimar] H. Voß d. J. an K. W. F. Solger (BG 5, 664): Übrigens ist Göthe jezt mit der Ausgabe seiner sämtlichen Werke beschäftigt, von der Ostern die erste Lieferung erscheint. In dieser wird auch der Faust erweitert erscheinen, aber doch noch ein Fragment bleiben. Nov 12. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 132): Wegen der Holzschnitte zu Faust5) wünschte ich bald möglich die Zeichnungen − denn ich werde das Stechen selbst doch in Berlin von Gubiz [F. W. Gubitz] müssen ausführen lassen und diser Künstler will Zeit haben. des jetzt Erscheinenden ist ungedruckt, d. h. die Dichtung ist jetzt doppelt so lang wie im ersten Druck, was auch beinahe genau zutrifft (1790: 2137 Verse, 1808: 4259 Verse, zu denen noch die 353 Verse der ›Zueignung‹, des ‹Vorspiels‹ und des ›Prologs‹, sowie die 81 Zeilen Prosa kommen.) − Zum Fragment-Charakter auch des Faust in der neuen Werkausgabe, vgl. unten 24. Febr 1806: an Cotta u. TuJ 1806. 1 ) Nicht überliefert. 2 ) Ins Taschenbuch für Damen auf 1806 gab G den Epilog zu Schillers Glocke, aber nichts aus Faust. 3 ) Dazu Gräf II 2, 117f.: Die Bezeichnung ›holzschnittartig‹ braucht Goethe hier gewiss auch mit im Sinne von: derbtüchtig, kernhaft, gesund, volksthümlich (gleich den Holzschnitten Albrecht Dürers). 4 ) Cottas Verlagsanzeige im Intelligenzblatt der JALZ v. 26. Aug 1805; s. „Werke, Ausgabe A“ gD. 5 ) Cotta scheint Holzschnittartige Späße, s. oben 30. Sept 1805: an Cotta, mißdeutet zu haben, was auch im Hinblick auf den Brief vom 28. Apr 1798 an Schiller nahelag, wo

1805

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Nov 25. [Jena] An Cotta (Br 19, 77): Den Faust, dächt’ ich, gäben wir ohne

Holzschnitte1) und Bildwerk. Es ist so schwer, daß etwas geleistet werde, was dem Sinne und dem Tone nach zu einem Gedicht passt. Kupfer und Poesie parodiren sich gewöhnlich wechselsweise. Ich denke, der Hexenmeister soll sich allein durchhelfen. 29. [München, anonym]: Fragmente über Litteratur und Kunst. I. Faust. In: Aurora. Zeitschrift aus dem südlichen Deutschland Nr. 141 v. 29. Nov 1805, 561: . . . wenn auch der Torso, den G ö t h e aufstellte, das innerste Wesen seiner schöpferischen Kraft ausspricht, und ewig unerreicht dasteht, so ist es doch nur Torso − und wird er ihn wohl noch vollenden? Kann er es in dem nähmlichen Geiste, wie er es begonnen hat? Denn die Wunderschöpfungen dieses Genius sind zwar ewig, wie er selbst, aber sie sind doch lebendige Repräsentanten der Bildungs-Perioden, welche sein Geist auf seiner herrlichen Bahn durchwandelt hat. Wie jeder strebte er sich dem Höchsten anzuschließen − aber unendlich mannigfaltig sind die Wege, auf denen er dazu gelangte − und trüge auch jedes einzelne Glied des künftig vollendeten Werkes das Meistersiegel, so würde doch die Gediegenheit des ersten Gußes fehlen. Den, der es versteht, brauche ich nur an die Contraste zu erinnern, welche die einzeln hinzugekommenen, an sich vortrefflichen Scenen der neuen Bearbeitung des G ö z v o n B e r l i c h i n g e n mit den alten treuherzigen Formen darbieten, die uns in dem ursprünglichen Werke so treulich ansprachen. Doch vielleicht trügt das Gerücht nicht, daß der Dichter seinen Faust schon längst vollendet hat, und für die Bekanntmachung nur einen günstigen Augenblick abwartet.

1806 ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte2) (W 35, 247): Die projectirte neue Ausgabe

meiner Werke nöthigte mich sie sämmtlich wieder durchzugehen, und ich widmete jeder einzelnen Production die gehörige Aufmerksamkeit, ob ich gleich bei meinem alten Vorsatze blieb nichts eigentlich umzuschreiben, oder auf einen hohen Grad zu verändern. Die zwei Abtheilungen der Elegien wie sie noch vorliegen, wurden eingerichtet und Faust in seiner jetzigen Gestalt fragmentarisch behandelt. ⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften3) (Q 2. 2, 601): Den ersten Theil des Faust abgeschlossen. Jan 2.4) Des Knaben Wunderhorn (W 40, 337−59): . . . über zweihundert Ge-

dichte aus den drei letzten Jahrhunderten . . . Wir übernehmen das unG noch daran dachte, Freund Meyer könne zu dieser barbarischen Production Zeichnungen verfertigen. Auch Unger hatte Illustrationsvorschläge gemacht; vgl. 10. Okt 1797: Unger an Böttiger; 1799 Mitte Okt: Unger an G; Nov 4.: an Unger. 1 ) s. das vorige Z. 2 ) Verfaßt 1825 Febr/März. 3 ) Postum erarbeitet von G’s Mitarbeitern, den Hsg. Riemer u. Eckermann, im Okt/Nov1837. 4 ) An diesem Tag schrieb G laut Tgb (Wunderhorn) die in Frage stehende Rez. der im Herbst 1805 erschienenen, G gewidmeten Sammlung Alte deutsche Lieder, hsg. von A. v. Arnim u. C. Brentano.

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terhaltende Geschäft, sie alle der Reihe nach, so wie es uns der Augenblick eingibt, zu charakterisiren . . . Rattenfänger von Hameln1) (44.) Zuckt auf’s Bänkelsängerische, aber nicht unfein . . . Diebsstellung. (75.) Holzschnittartig, sehr gut2) . . . Lindenschmied. (125.) Von dem Reiterhaften, Holzschnittartigen die allerbeste Sorte . . . Doctor Faust. (214.) Tiefe und gründliche Motive, könnten vielleicht besser dargestellt sein. Febr 24. [Weimar] An Cotta (Br 19, 106): Der vierte Band der ersten Lieferung [Ausg. A] soll auch in wenigen Tagen fertig seyn; doch laß ich ihn bey mir liegen, bis Sie ihn verlangen. Er wird den Faust enthalten,3) insofern dieser jetzt mittheilbar ist . . . 24. (s. „Werke, Ausgabe A“: Tgb gD) März 1. (s. „Werke, Ausgabe A“: Tgb gD) 3. Mit R.[iemer] uber Faust und verwandt.4) 8. (s. „Werke, Ausgabe A“: Tgb gD) 12. (s. „Werke, Ausgabe A“: Tgb gD) 21. Faust angefangen durchzugehen mit Riemer . . . Sehr schöner Tag. 24. Faust mit Riemer. Fur mich letzte Scene 25., 28. Faust mit Riemer.5) 29. Faust. Scenen vom Valentin ppp6) [März Ende/Apr Anf.] (H der Sz. Nacht. Straße vor Gretchens Türe 3620−775)7) 1

) Vgl. die Erwähnung des Rattenfänger von Hameln in P40 u. P31 zur Sz. Walpurgisnacht. 2 ) Zu Holzschnittartigen Späßen in Bezug auf Faust s. oben 30. Sept 1805: an Cotta. 3 ) Es handelt sich um Bd 4 [8] von Ausg. A, in den Faust zusammen mit dem Fastnachtspiel vom Pater Brey aufgenommen wurde. (Von Ende Sept 1805 bis Mai oder Juni 1806 wollte G noch diesen Band als den vierten der ersten Lieferung einordnen.) 4 ) Gräf II 2, 119 ergänzt Verwandtes u. erläutert: man könnte auch ergänzen ›verwandte Gegenstände‹, das Richtige wird aber wohl sein: ›verwandte Dichtungen‹, d. h. die übrigen ›holzschnittartigen Spässe‹ [vgl. oben 30. Sept 1805: an Cotta], um deren Anordnung in Band 4 [8] es sich hier handeln wird, wie am 1. u. 8. März 1806 (Tgb). 5 ) Zum Tgb-Eintrag 24., 25. od. 28. März gehört vermutlich Riemers undatierte Angabe (Mittheilungen 1, 149): die erste Scene nach dem Walpurgisnachttraum Tr ü b e r Ta g . F e l d habe er eines Morgens, fast unmittelbar nach der Conception, auf G’s Dictat hin niedergeschrieben. Diese zeitliche Zuordnung schon bei Pniower 1899, 89 u. Gräf II 2, 120, bestätigt durch Scheibe 1965, 54. 6 ) Zur Valentin-Sz. (3620−775) vermutet schon Pniower 1899, 79, G habe sie an diesem Tage abgeschlossen, so auch Minor 1901 II 17 Revision der Vorlage mit Bezug auf Tgb-Eintrag 29. März 1806, gleichfalls Scheibe 1965, 51, MA 6.1, 1027 u. Gaier 1999, 441. 7 ) G’s Hs. der sog. Valentin-Szene wurde datierbar auf Ende März/Anf. Apr 1806 durch die Tgb-Einträge u. den Zsh. mit den letzten Arbeiten zur Sz. Walpurgisnacht (s. dazu 3. Apr 1806: Tgb). − Aus Frühe Fassung wurde Valentins Monolog (1372−78 = 3620−45) u. ein Teil des Dialogs zw. Faust u. Mephisto (1398−407 = 3650−59) übernommen. (Zu irrigen Datierungsversuchen vgl. W 14, 278).

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1. Faust mit Riemer 3. Walpurgis Nacht mit R.[iemer]1) 4. Walpurgisnacht mit. R.[iemer] geendigt 13. Schluss von Faust 1 Theil 21. Faust mit Riemer letzte Revision 22. Faust nochmals für mich durchgegangen 23. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 128): Auf die neuen Bände Ihrer Schriften freue ich mich mehr, als wenn ich sie noch gar nicht kennete, ob ich gleich so manches erwarte das ich noch nicht kenne. Wie steht es denn mit den Supplementen zum Faust?2) und kommen etwa diese gleich mit zum Vorschein? Es harren viele darauf und ich hungere darnach. 25. Faust letztes Arrangement zum Druk . . . Cotta.3) 27. An Cotta (Br 19, 128): Zugleich wünschte zu erfahren ob ich das Ma-

nuscript zum 4. Bande [= Bd 8] nach Leipzig senden; oder es hier behalten soll um es Ihnen bey Ihrer Rückreise zuzustellen; welches letzte mir soviel lieber wäre, da es mir ausser der Sicherheit noch die Hoffnung gewährte Sie wiederzusehen.4) Juli

23. [Rom] W. v. Humboldt an Caroline v. Wolzogen (BG 5, 300): Man sagt hier, daß sein Faust jetzt gedruckt wird. Er hat indeß wohl nicht mehr daran gemacht, als er uns in Weimar vorlas?5)

1

) Über G’s fallengelassene umfangreiche Walpurgisnacht−Pläne orientiert Bohnenkamp: P50 (S. 139−49), P31 u. P48 (S. 175f.), P46 (S. 115), P32 (S. 180), P33, P34, P35 u. P44 (S. 120), P36 u. P37 (S. 113), P38 (S. 121), P39 u. P40 (S. 161), P41 (S. 196), P42 (S. 130), P43 (S. 128), P45 (S. 115), P47 (S. 243). − P48 sowie der in H Walpurgisnacht vorliegende Plan der Szene wurde vermutl. erst bei Herstellung des Druckmanuskripts im Frühj. 1806 grundlegend geändert; 4118−208 der Blätter 10 Vs bis 12 Rs stellen wohl eine letzte große, erst 1806 vorgenommene Einfügung in H Walpurgisnacht dar, vgl. E-Rubrik, Forschungsgeschichte. Infolge der Änderung bricht nun unvermittelt die Bewegung nach oben (4116) ab, womit der alte Teil von H Walpurgisnacht schloß u. worauf Intermezzo u. Satansszene folgen sollten: Es erscheint Lilith, Adams erste Frau (4119); Faust greift sich eine junge schöne u. Mephisto eine alte Hexe zum Tanz, der durch Zwischenrufe des Proktophantasmisten gestört wird; Faust läßt das schöne Mädchen fahren, weil ein rotes Mäuschen ihr aus dem Munde (4179) sprang, u. bemerkt dann eine Erscheinung, die ihn an Gretchen u. ihr Schicksal erinnert; s. oben [März/Apr 1801?]: H P22. − Warum G den Plan änderte, die Satansszene als Höhepunkt der Walpurgisnacht tilgte u. die ursprünglich breit dargestellte Hexensabbath−Sinnlichkeit im ausgeführten letzten Teil stark abschwächte, läßt sich nur vermuten, da Aussagen darüber fehlen. 2 ) Supplementen = erweitert und überarb. nach Faust. Ein Fragment (1790). 3 ) Cotta hielt sich auf der Durchreise nach Leipzig in Weimar auf. 4 ) Das Ms. nahm Cotta Anf. Mai 1806 nach Tübingen mit; Druckvorlagen sind nicht überliefert. 5 ) Die Vorlesung fand wohl statt, als W. v. Humboldt am 21. Sept 1802 bei G zu Gast war; Tgb 3, 64.

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1806

Aug 17. [Weimar] Wieland an A. K. F. Streckfuß (Wieland BriefeAA 17.1, 108): Es gehört ein ganz ausserordentliches Talent dazu, in unserer Sprache ein Gedicht in s c h ö n e n Ottave rime nach Italienischer Art [Stanze] zu machen; ich kenne (einen kleinen Versuch von G ö t h e ausgenommen) niemand als S c h i l l e r , dem vollkommen schöne und untadeliche Stanzen dieser Art gelungen sind. 18. [Jena] An Cotta (Br 19, 175): Der vierte [= Bd 8 der Ausg. A], worin

Faust befindlich, ist schon in Ihren Händen.1) 19. [Jena] Beilage zur Paketsendung an Cotta (Br 19, 506): A c h t e r B a n d . Herrn Cotta in Weimar übergeben. Faust. Puppenspiel pp. Jena d. 19. Aug. 1806.2) [19.] (s. „Faust. Ein Fragment“: H. Luden, Rückblicke in mein Leben gD, S. 109–31) Okt 20. [Weimar] An Cotta (Br 19, 205): Wir leben! unser Haus blieb von

Plünderung und Brand, wie durch ein Wunder verschont3) . . . Der Kaiser [Napoleon] ist angekommen am 15. October 1806 . . . Meine größte Sorge in diesen schrecklichen Stunden war für meine Papiere und sie war nicht ohne Grund; denn in andern Häusern haben die Plünderer besonders Papiere durcheinander geworfen, zerstreut und verderbt . . . 24. u. 26. (s. „Werke, Ausgabe A“: an Cotta gD) 27. An Cotta4) (Br 19, 512f.): [Beilage] Achter Band.

Faust und Zube-

hör. Ist schon in Herrn Cotta’s Händen.5) Dez

2. [Stuttgart] F. Haug an F. v. Matthisson (F. v. Matthisson: Literarischer Nachlaß nebst einer Auswahl von Briefen seiner Freunde. Bd 2. Berlin 1832, 144f.): C o t t a gibt mit dem Jahre 1807 ein „Morgenblatt für gebildete Stände“ heraus . . . Von G o e t h e ’ s Faust wird in den ersten Blättern ein Vorschmack gegeben werden.6)

1807 Mai

7. An Zelter (Br 19, 323): Ich freue mich zum Voraus auf den Spaß, den

Ihnen der fortgesetzte Faust machen wird. Es sind Dinge darin, die Ihnen auch von musikalischer Seite interessant seyn werden.7) 17. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 154): Auf den Faust freue ich mich gar sehr, wie ich mich über das wenige gefreut habe, das Sie mir in Weimar vorgelesen haben.8)

1

) s. nachfolgendes Z u. oben 27. Apr: an Cotta. ) Erstes Z für Zuordnung des Faust I zu Bd 8, die G zw. 20. Juni u. 18. Aug 1806 beschlossen hat. 3 ) Plünderung und Brandschatzung Weimars nach der Schlacht bei Jena. 4 ) Nicht abgesandt. 5 ) s. oben 18. Aug: an Cotta mit Anm. 6 ) Vgl. oben die D-Rubrik u. unten 1808 Apr 7. u 13. sowie Mai 5. 7 ) Zelter konnte G’s Hoffnung auf Vertonungen zum Faust nicht erfüllen. 8 ) s. oben 4. März 1802: Caroline Schlegel an A. W. Schlegel. 2

1807

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193

Aug 30. (s. „Werke, Ausgabe A“: an Cotta gD) Okt 6. [Frankfurt] Elisabeth Goethe an G (Briefe aus dem Elternhaus 867): Auf den Blocksberg verlange ich sehr − dieser Ausdruck war nichts nutz − man könte glauben ich wartete mit Schmertzen auf den I ten May − also auf die Beschreibung deines Blocksberg warte ich; so wars beßer gesagt. Nov

6. Abends bey der regierenden Herzoginn. Vorlesung eines Theils von

Faust. Zugegen waren der Herzog, die Frauen von Henkel [Eleonore Maximiliane Ottilie Henckel von Donnersmarck], Stein [Charlotte von] und [Johanna Marianne von] Wedel. 10. Abends bey der regierenden Herzoginn einen Theil von Faust vorgelesen. 11. [Weimar] Ch. v. Stein an Fritz v. Stein (BG 6, 368f.): Gestern Abend war ich bey der Herzogin, Goethe hatt neue Scenen in seinen Faust gemacht und las sie vor, sie werden in 6 Wochen ohngefähr gedruckt erscheinen es ist ein sehr genialisches Stück und mit Wahrheit sagt er in der Vorrede daß er einen vom Himmel bis zur Hölle führt,1) es sind jetz öffterer Vorlesung vom Goethe in einen sehr kleinen Cirkel bey der Herzogin [Luise], die Erbprinzeß [Maria Pawlowna], Prinzeß Caroline, die zwey Oberhofmeisterin und ich, selten Herrns. 17. [Jena] an Dr. Hofrath Schöne in Hildesheim das Trauerspiel Faust.2) Dez 16. (s. „Werke, Ausgabe A“: an Zelter gD) 31. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 169): Von Faust gedenke ich doch auch einen besonderen Abdruck [Ausg. D1] zu machen?3)

18084) ⎯

⎯ [Leipzig] Dr. Faust (Mit einer Abbildung der Scene, wie Faust auf einem Weinfasse aus Auerbachs Keller geritten kommt.) In: Museum des Wundervollen oder Magazin des Außerordentlichen in der Natur, Kunst und im Menschenleben. Hsg. v. J. A. Bergk u.

1

) Vorspiel auf dem Theater, Schlußvers (242): Vom Himmel durch die Welt zur Hölle. ) Rücksendung des von C. C. L. Schöne mit einem nicht überlieferten Brief an G gesendeten Dramas Faust: Eine romantische Tragödie (Berlin 1809). In der Vorrede erklärt er Shakespeare, Schiller und Goethe zu seinen Vorbildern, die den Lorbeer errangen, der Jahrhunderte an ihrer Stirne grünen wird. 3 ) Einzeldruck aus dem revidierten Satz des Bd 8 von Ausg. A (Hagen Nr. 310). 4 ) Auffallend ist G’s Schweigen über das Erscheinen von Faust. Eine Tragödie in den TuJ 1808. Es mag damit zusammenhängen, daß das literarische Leben damals in Deutschland fast erloschen war als Folge der kriegerischen Zerrüttung des Landes mit allen der Bevölkerung auferlegten Entbehrungen, Hungersnöten, Zensurmaßnahmen durch die Besatzung etc. Seit der Frz. Revolution, den Koalitionskriegen gegen Frankreich 1792−97, 1799−1802 u. 1805, den Siegen Napoleons bei Ulm u. Austerlitz, war es 1806 zu weiteren europäischen Kriegen gekommen, zur Errichtung des Rheinbunds, dem Ende des Römischen Reichs Deutscher Nation, der verheerenden preuß. Niederlage bei Jena u. Auerstedt, dem Marsch frz. Truppen nach Berlin, der Kontinentalsperre u. 1807 zur Flucht des preuß. Königs von Königsberg nach Memel, zum Sieg Napoleons bei Friedland u. zur Vernichtung der Großmachtstellung Preußens. 1808 mußten selbst Weimarer Truppen an Napoleons Kriegen in Tirol, Spanien u. Portugal teilneh2

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1808

F. G. Baumgärtner 8 (1808) St. 1, 85; 87: Dr. Fausts Name ist im Munde des Volks und der gebildetsten Männer; derselbe hat vorzüglich für die Letztern wieder Interesse durch Göthes Faust . . . Vorzüglich wird Auerbachs Hof in Leipzig, der jetzt dem Baron von Pfister gehört, als ein Schauplatz angesehen, wo Faust ein magisches Kunststück ausgeübt haben soll. In diesem Hause ist ein Keller, der auf die grimmaische Gasse herausgeht, und den jetzt Hr. Mainoni inne hat. In diesem Keller befinden sich zwei Gemählde an der Wand, welche zwei Scenen aus Fausts Leben darstellen, die er in demselben aufgeführt haben soll, und welche von dem Abmiether immer unverletzt erhalten werden müssen. Die eine Abbildung legen wir hier bei.1) Sie stellt das Schauspiel vor, wie Faust auf einem Weinfasse aus dem Keller geritten kommt, worüber alles in das größte Erstaunen geräth. Die Abbildung führt folgende Unterschrift: Doktor Faustus zu dieser Frist Aus Auerbachs Keller geritten ist Auf einem Faß mit Wein geschwint, Welches gesehen viel Mutterkind; Solches durch seine subtilne Kunst hat gethan Und des Teufels Lohn empfangen davon 1525 Was die Veranlassung zu diesem Gemählde gegeben hat, darüber wird mancherlei gefabelt, aber nichts Gewisses dargebracht. In G ö t h e s Faust ist auch eine Scene in Auerbachs Keller, worin Altmayer sagt: Ich hab’ ihn selbst hinaus zur Kellerthüre Auf einem Fasse reiten sehn.2)

[1808]

Jan

[J. F. Reichardt:] Briefe eines reisenden Nordländers. Geschrieben in den Jahren 1807 bis 1809. Hsg. v. J. F. Reichardt. Köln 1812, 156f.: Ein ächt geniales Geschöpf [Bettine Brentano]! . . . Wenigstens kann ein so rein poetisches Naturgeschöpf Göthe’s eigne Natur reiner auffassen, als alle wohlbestalten Magister. Zum Darstellen gehört freilich noch manches andere; doch hat sie auch noch manches andere. Sie komponirt jetzt en attendant auch Göthe’s Faust, trotz Eurem Prinzen R a d z i v i l , und singt mit ihrer rohen Naturkehle, bisweilen wohl mit Männerkraft, zu ihrer Guitarre.

15. [Jena] Abends bey Fr.[ommanns] Faust gelesen.

[Jan nach [Frankfurt] Bettine Brentano an G (Bettine v. Arnim FA 2, 587): Hier in Fr[ankfurt] ist Mitte] es schmuzig kalt naß ungesund verucht und abscheulich, und kein guter Kristenmensch bleibt gerne hier. Ich bin in Compositionen von Faust versunken gestern schrieb ich das Lied „Ach neige du schmerzenreiche“3) − ich meine es müßte gut sein denn es hat mich innig gerührt − wenn es fertig ist will ich Dir schicken − O wie viel hast Du nicht für mich gethan noch eh Du etwas von mir wußtest Du tröstest mich über viel was ich begehr und nicht erlange, O wie bist Du gut . . .

men, von denen ein Großteil durch Hunger u. Seuchen umkam, − insgesamt eine Situation, wie sie nicht ungünstiger fürs Entstehen u. Erscheinen eines großen Werks der Weltliteratur hätte sein können. Doch 1808 war auch das Jahr, als Napoleon auf der Höhe seiner Macht in Erfurt Goethe als Dichter ehrte wie noch kein Herrscher zuvor. 1 ) Abb. zw. 86 u. 87. − Das zweite Gemälde zeigt Faust, mit Studenten in Auerbachs Keller zechend. Zu den Bildern Ernst Kroker: Doctor Faust und Auerbachs Keller. Leipzig 1903, Nachstiche der wohl um 1625 entstandenen Gemälde in FA 7.2, Abb. 1. 2 ) Sz. Auerbachs Keller (2329f.) 3 ) Zur Sz. Zwinger (3587−619). Erste Vertonung zum Faust (GSA 32/75); vgl. Renate Moering: Johann Wolfgang Goethes »Ach neige, du Schmerzenreiche. . .« in: Bettine Brentanos Vertonung. Ein unbekanntes Autograph im Goethe- und Schiller-Archiv. In: Bettine von Arnim (1785–1859). Goethe-Vertonungen für Singstimme und Klavier. Ach neige, du Schmerzenreiche O schaudre nicht Herbstgefühl Wanderers Nachtlied Suleika An Luna. Hsg. v. Renate Moering u. Reinhard Schmiedel. Kassel 1999, S. 3ff. − Zu Bettines Faust-Kompositionen s. unten 28. Aug 1809: W. Grimm an J. Grimm u. 26. Febr 1810: A. v. Arnim an B. Brentano.

1808 Jan

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24. [Weimar] An Cotta (Br 51, 228): Wenn Sie das Fragment von Faust

auch einzeln wollen drucken lassen, so habe ich nichts dagegen [Ausg. D1].1) Je weiter es ausgesät wird, desto besser ist es. Febr 19. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 172): Das Teufelskind, Faust, möchte ich wol durch einen genialischen Künstler mit einigen Kunstscenen verzieren lassen. Es ist etwas Göttlichs, was Sie der Welt damit schenken. Ich war bei dem Lesen in allen meinen geistigen und physischen Berührungen erschüttert. März 18. [Kassel] C. Brentano an A. v. Arnim (FBA 32, 52): Bitte ja Göthen um Beiträge [für die Zeitung für Einsiedler], er schlägt dir sie nicht ab, etwa um eine Stelle des ungedruckten F a u s t − die Bettine [v. Brentano] um einige Compositionen ihres Faust.2) 26. [Weimar] Riemer Tagebuch (BG 6, 441): Bei Goethe Briefe und Theatersachen. Über Tisch von Cotta’s Spekulation mit Faust. [31.] An Cotta (Br 51, 233): Den Faust, wenn Sie ihn auch einzeln drucken,

möchte ich nicht mit Kupfern begleitet sehen, wenn sie auch noch so gut wären.3) Sie beschränken die Einbildungskraft des Lesers, die ich ganz frey erhalten möchte. Apr

7. [Stuttgart/Tübingen] Morgenblatt Nr. 84 v. 7. Apr 1808, 333f.): G l o c k e n k l a n g und C h o r g e s a n g . (Neue Szene aus G o e t h e ’ s Tragödie F a u s t , welche in der Fortsetzung der sämmtlichen Goethischen Werke auf der Ostermessen erscheinen wird.)4) 13. [Stuttgart/Tübingen] Morgenblatt Nr. 89 v. 13. Apr 1808, 353f.: Noch eine neue Szene aus G o e t h e ’ s F a u s t 5 ) 14. [Tübingen] Cotta an G (G−Cotta 1, 175): Faust lasse ich also ohne Kupfer6) − für dißmal wäre es ohne diß zu spät − denn heute sind alle 8 Theile [Bde 5−12 von Ausg. A] ausgesezt, um in etlichen Tagen die Meßreise anzutretten. Es ist eine grosse Arbeit, die ich dißmal zu Tage förderte. 19. [Falkenlust bei Bonn] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 60): Da Sie den Großpapa [J. A. H. Reimarus] kennen, so mögen Sie auch aus der Großmama Briefen folgende Stelle hören: „Den Prolog zum neuen Faust [Zueignung] mußte ich für Dich und Karln abschreiben; er ist zu schön, und ein Himmelsfunken drinnen, den ich bisher in Goethes Gemüt nicht fand, ein weiches, inniges Gefühl, ein Zusammenhang mit abgeschiednen Freunden, der in dem Himmel von Goethes Geiste nie fehlen konnte, wenn er auch zuweilen durch Erddünste verdeckt ward. Jetzt sieht man die reine Bläue von Liebe und Freundschaft durch, und dies tut so wohl. Diese Zeit erzieht ihre Menschen; was im Glück schlummernd lag, wird schmerzhaft wach durch Leiden.“7) − Dieses Urteil der Mutter haben meine Rührung und meiner Frau Tränen bekräftigt. 1

) s. oben 31. Dez 1807: Cotta an G. ) Zu den Kompositionen s. oben nach Mitte Jan 1808: Bettina Brentano an G. − Die Zeitung für Einsiedler enthält keine Faust-Beiträge. 3 ) s. oben 12. Nov 1805 u. 19. Febr 1808: Cotta an G sowie 25. Nov 1805: an Cotta. Vgl. dagegen Cottas Wunsch gegenüber Böttiger, er möge Kügelgen zu vier Faust-Illustrationen veranlassen, unten 22. Juli 1808: Cotta an Böttiger m. Anm. 4 ) Es folgt: Sz. Nacht ( 737−807): C h o r d e r E n g e l . Christ ist erstanden! . . .. 5 ) Es folgt: Sz. Vor dem Thor (1011−177): Wa g n e r . Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann. . . 6 ) s. oben 31. März 1808: an Cotta. 7 ) Briefauszug von Christine Sophie Louise Reimarus an ihre seit 1796 mit C. F. v. Reinhard verheiratete Tochter Christine Friederike. − G’s Antwort s. unten 22. Juni 1808. 2

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1808

Apr 20. An Zelter (Br 20, 48f.): Noch immer habe ich nichts von meinen

Druckschriften zu schicken. Den ersten Bogen von Faust1) lege ich bey; weiter ist mir noch nichts davon zugekommen. Lassen Sie ihn, ich bitte, Niemand sehen und schicken mir ihn mit den Noten2) zurück; denn sonst wird mir ein Exemplar defect. Mai 1.3) [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 176): Die Zueignung4) hat mir unendliche Freude gemacht. Heute vor 12 Jahren war mein Hochzeittag und heute habe ich diese Zueignung schon unzählige Male gelesen, es hat mir den tiefsten Grund aufgeregt, es hat mir Trost und Mut gegeben. Unter den Liedern des Hn. Eberwein, die anbei nebst dem 1 Bogen des Faust zurück erfolgen . . . 3. An Zelter (Br 20, 57): Den 12. May gehe ich von hier weg [nach

Karlsbad] . . . Schicken Sie aber doch die Eberweinischen Gesänge, den Bogen von Faust,5) unter meiner Adresse hierher. Mein Haus Büreau besorgt das weitere . . . Kommen auch die acht Bände meiner Werke nach meiner Abreise an, so ist doch bestellt, daß Sie solche gleich erhalten. [3. od. 4.] An Knebel (Br 20, 58): Durch die Tagesblätter cursiren schon Stellen von Faust.6) Hier hast du einen Bogen, den du behalten kannst. Ich freue mich, daß dieses Stückwerk bald nicht mehr so ganz zerstückt vor dir erscheinen wird. 5. [Tübingen] Morgenblatt Nr. 108 v. 5. Mai 1808, 429f.: Eine dritte Szene aus G o e the’s Faust.7) 7. [Weimar] Riemer Tagebuch (BG 6, 474): Kam [P. A.] Wolff und zeichnete. Den Faust vorgelesen. 9. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 187f.): Mein letzter Brief ist gestern mit dem ersten Bogen des Faust . . . an Sie abgegangen, er kann Sie also noch in Weimar antreffen.8) [18.] [Tübingen, anonyme Rez.:] Goethe’s Werke VIII. Band. Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1808. In: Morgenblatt Nr. 119 v. 18. Mai 1808, 473f.: Die größte Aufmerksamkeit indeß in diesem Bande erregt wohl F a u s t , den G o e t h e in derselben Form schon auch in derselben Periode zu bearbeiten anfing, wovon jedoch erst 1791 im vierten Bande der bey G o e s c h e n erschienenen Sammlung der Schriften unsers Verf. das berühmte bedeutende Fragment, als organischer Theil des großen Ganzen, wozu dem Publikum Hoffnung gemacht wurde, erschien.9) Wenn je in einem Werke G o e t h e ’ s universeller Genius sich am reichsten entfaltete, am bedeutendsten aussprach, auf’s vielgewandteste offenbarte, so war es hier; und bald nach Erscheinung 1

) Bogen 1 von Bd 8 der Ausg. A mit Titelblatt, Zueignung u. Vorspiel auf dem Theater. ) Liedkompositionen von C. Eberwein. 3 ) Am 8. Mai von Berlin abgegangen. 4 ) Zueignung (1−32): Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten . . . 5 ) s. oben Apr 20.: an Zelter; Mai 1.: Zelter an G u. unten Mai 9.: Zelter an G. 6 ) Vorabdrucke im Morgenblatt, s. oben Apr 7. u. 13. sowie unten 5. Mai 1808, möglicherweise auch Nachdrucke in anderen Blättern. − Von wem die Auswahl im Morgenblatt stammt, ist ungeklärt. 7 ) Es folgt die Prosaszene Trüber Tag. Feld. Faust. Im Elend! Verzweifelnd!. . . 8 ) s. oben 3. Mai 1808: an Zelter. 9 ) Faust. Ein Fragment erschien 1790 in Bd 7 der Schriften. 2

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jenes Fragmentes war es auch nur beynahe Eine Stimme unter den Literatoren, daß im F a u s t die Gesammtkraft des großen Dichters sich in den mannichfaltigsten Ausstrahlungen in Einem vereinten bezaubernden Spiele kund gethan hätte. In der That, möchte man sagen, ist dieser zauberische Proteus der Kunst in diesem Produkte nach allen seinen Gestalten, die er uns in andern seiner herrlichen Bildungen mehr vereinzelt vorführt, zu erkennen und zu erfassen. Um so mehr ist man jetzt auf die beträchtlichen Zusätze, die es in dieser neuen Ausgabe erhalten hat, mit Recht begierig. Wenn schon das Werk auch jetzt noch nicht geschlossen genannt werden kann, so hat es doch solche Erweiterungen nach Anfang, Mitte und Ende erhalten, daß es gewißermaßen als eine neue Kunsterscheinung sich vor unsern Augen enthüllt, und als ein umfangreicheres, nach seinen Theilen und seiner ganzen Struktur mehr in einander greifendes Ganzes, als ein Zauberpallast dasteht, der vollendet in sich, hinweisend zwar auf einen zweyten, wenn auch dieser uns für immer sollte entzogen bleiben, dennoch, da er uns ihn errathen läßt, für sich selbst unsre ganze Bewunderung fesselt. In wiefern diese reichhaltigen Zusätze, vollkommen zusagend unsern Erwartungen, unterstützend, belebend, von neuen Seiten erklärend das Ganze, den F a u s t selbst nun, das Vollkommene also nicht nur zu einem noch Vollkommenern steigern, sondern eben dadurch eine Bereicherung der Kunst zu nennen seyen, dies umständlicher darzuthun, würde hier zu weit führen. − Einen köstlichen Vorschmack von Proben einzelner neuen Scenen, nach den verschiedenen Situationen in verschiedenem Tone gestimmt − überhaupt wird man die ganze Tonleiter der Empfindungen von den zartesten leisesten Anklängen an bis zu den höchsten, schauerlich-gräßlich-feyerlich-ernst-erhabenen in diesem einzigen Drama finden können − hat das Morgenblatt bereits geliefert. Nur auf einige der Hauptmomente der glücklichen Erweiterungen machen wir hier aufmerksam. Durch den P r o l o g i m H i m m e l , der auf die Z u e i g n u n g und das Vo r s p i e l a u f d e m T h e a t e r , welche beyde ebenfalls neu hinzugekommen sind, folgt, gewinnt dies Drama nun einen Karakter hoher Bedeutsamkeit, und wir erhalten zugleich hier, als in einer vorangehenden Exposition einen nicht undeutlichen Fingerzeig auf die ganze Tendenz sowohl, als auch auf die weitere Folge, die der Inhalt seyn durfte des zweyten Theils der Tragödie, (denn das hier gelieferte Ganze kündigt sich nach diesem Prolog bestimmt an, als: „der Tragödie erster Theil“). Die Scene selbst mahnt an die bekannte Scene im Hiob. Wie dort Satan als der Ankläger Hiobs unter den Heiligen, die den Thron Gottes umgeben, erscheint, so hier Mephistopheles. Nur daß der ganze Zuschnitt weniger orientalisch als nordisch, wie billig, ist. Auf die Frage des Herrn an den Mephistopheles: „Kennst du den Faust?“ antwortet dieser: Den Doktor? [Es folgt Zitat 299−317]. Das Drama selbst beginnt wie in der ersten Ausgabe. Aber gleich nach der ersten Scene, die bis auf ein Paar Zusätze in Wa g n e r s letzter Rede an F a u s t unverändert geblieben ist, hebt nach dem erschütternden Monologe, der F a u s t ’ s verzweiflungsvollen Zustand nach jener ersten Erscheinung, und den vernichtenden Eindruck, den des Geistes Wort auf ihn gemacht hatte: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“ [v. 512f.] unübertrefflich schildert, eine neue Folge von Scenen an, die v. S. 37 − 84 sich fortzieht, wo dann im Dialoge zwischen M e p h i s t o p h e l e s und F a u s t die Rede gerade wieder in die fragmentarisch abgebrochene der ersten Ausgabe: − − − − „Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist“ [Fragment v. 249/1770] ausfüllend eingreift. Diese herrlichen Scenen, unter denen besonders die auf dem Studirzimmer, als F a u s t mit dem Pudel erscheint, an Keckheit der Phantasie wenige, oder keine ihres Gleichen haben dürfte, ergänzen nicht nur das, was nach dem Fragmente ergänzt werden mußte, meisterhaft, sie bereiten auch das Folgende der Handlung vortrefflich vor; eben so, wie die neue Scene S. 182 − 189, als der Soldat Valentin, Gretchens Bruder, auftritt, und indem er die Ehre seiner Schwester rächen will, von Faust erstochen wird − eine Scene, die zwischen die beyden, G r e t c h e n v o r e i n e m A n d a c h t s b i l d e , und G r e t c h e n i n d e r D o m k i r c h e , S. 126 − 128 . . . jetzt eingeschaltet ist, den schauervollen Schluß, der auf das Intermezzo Wa l p u r g i s n a c h t t r a u m folgt, weil F a u s t Gretchen aus dem Thurme befreyen will, aufs glücklichste motivirt.

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[Mai 25.] [Tübingen, anonyme Rez.:] Goethe’s Werke XII. Band. Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1808. In: Morgenblatt Nr. 125 v. 25. Mai 1808, 498f.: [Anmerkung am Ende der Anzeige] Noch erwähnen wir, daß F a u s t in einem niedlichen Taschenbuch-Formate auch besonders ist herausgegeben worden.1) Diese treffliche romantische Tragödie verdiente diese Auszeichnung vorzüglich, da sie, in den weitesten Kreisen des Lebens sich bewegend und alle Gefühle des Menschen ansprechend, von der weitgreifendsten Sensation seyn muß. − Zwischen zwey Welten spielend, der übersinnlichen und der sinnlichen − ihr leitendes Princip selbst übersinnlich-sinnliche Schwärmerey − schildert sie uns unübertrefflich den Sturz eines gewaltigen Geistes, der eben darum fallen mußte, weil er sich vermaß, über die Schranken endlicher Natur hinaus zu schreiten, und die zwey entgegengesetzten Enden des Sinnlichen und Übersinnlichen vereinigen wollte; der aber groß fällt, und, in seinen Ruin ein liebenswürdiges weibliches Geschöpf und eine harmlose Familie mit sich ziehend, dennoch, wo er uns auch abstößt, durch die treue Anhänglichkeit an eben diese kindliche weibliche Natur, wie durch seinen übrigen hohen Sinn unwiderstehlich uns wieder anzieht. Juni

2. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 1, 327): Hr. Cotta ist wieder so artig gewesen, mir den Rest Deiner sämmtlichen Werke zu überschicken. Ich habe sie sogleich zum Buchbinder geschickt, vorher mich aber noch, mit unaussprechlichem Ergötzen, ein wenig mit der Wa l p u r g i s - N a c h t bekannt gemacht. Ich konnte sie in ein paar Tagen nicht aus dem Kopf bringen. 6. [Dresden] Germaine de Stae¨l an M. O’Donnell (Jasinski 6, 447): Je donne `a Fre´de´ric Schlegel, qui part dans quatre jours, un paquet pour vous qui contient . . . Faust2) termine´ tout `a l’heure par Gœthe, ouvrage, dit-on, tre`s original, et les lettres de Winkelmann publie´es et commente´es par Goethe . . . Re´pondez-moi tout de suite `a Weimar `a cette lettre3). 6. [München] Schelling an Cotta (Fuhrmans − Lohrer 34): Recht leid ist mir, daß im neuen Faust die berühmte Stelle, die ihn [Böttiger] angeht, nicht gedruckt worden.4) 12. [Göttingen] Therese Huber an P. Usteri (GJb 1897, 124): Wie däucht Ihnen Goethes Faust, soweit er nun da ist? nicht als Drama, nicht als geregeltes Kunstwerk, aber als Frucht eines Geistes? ist da nicht Kunst und Natur erschöpft? ist nicht das Weh und das Glück des Menschen darin erschöpft? 14. [Weimar] Charlotte v. Schiller an G (GJb 1883, 255f.): − dann möchte ich Ihnen etwas über den Faust sagen, denn bis im October [Rückkehr aus Karlsbad] ist es noch so lange hin! Ich möchte es Ihnen sagen können, wie mich die Zueignung ergriffen hat, aber Sie verstehen was ich dabey fühlen muss. auch ohne worte. So lebendig, tief hat mich dieser Zauberton gerührt, und bewegt! Nur diese Strophen allein sind Einzig, gross und Schön. wie einem nun dieses Reiche, Ganze, erquickt und belebt, da das Einzelne so einwirckt. Es ist eine Unendliche Welt der Gefühle und Ansichten. Dass Sie das auszusprechen den willen hatten dafür muss man Ihnen danken, denn dass Sie so vieles in sich haben dafür muss man den Göttern danken, welche wirkung thut der Chorgesang, in diesem Moment, wo Faust die Schaale ergreift! wie ist der Anfang prächtig und wundervoll, und wie ist das Wesen des Dichters ausgesprochen. Der Bruder Gretchens thut mir auch eine grosse Wirkung. Aber auf das was mich unbeschreib-

1

) vgl. Henning II. 1, Nr. 463. ) A. Götze behauptet, Mme de Stae¨l habe Faust I, ohne ihn selber gelesen zu haben, an F. Schlegel weitergegeben; s. dazu unten [14./16. Mai 1814]: Mme de Stae¨l, De l’Allemagne. 3 ) Madame de Stae¨l traf am 9. Juni 1808 in Weimar ein u. blieb dort bis zum 19. Juni 1808. 4 ) Ungeklärt. 2

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lich gerührt hat, muss ich mit zu erst kommen ob es gleich das Ende ist. Diese lezte Scene mit Faust u Gretchen, ist von der tiefsten, tiefsten Rührung, wie schmerzt einem das holde Wesen in ihren wahnsinn! wie ist dieses gefunden, wie sie nun nach dem verbrechen das Gefühl ihrer seeligsten liebe verlohren hat, wie Faust ihr kalt und fremd ist! − wie sie nun in seinen und des bösen Freundes Gewalt ist, und auf einmal ihr reines wesen diese Gewalt besiegt u. M. sagt, sie ist gerichtet; da wird einem das Herz wieder leicht. Das Volkslied von dem vögelchen ist so fürchterlich schön an dieser Stelle. − Ich konnte mich gar nicht wieder beruhigen über diese Scene. Ich möchte Ihnen wieder für alles aufs neue danken, denn es ist ein Zauber in dieser Dichtung, der einem auch so tausendfach ergreift, als die Ansichten unendlich sind. Die walpurgisnacht ist auch prächtig und die Freunde stehen am rechten plaz. Ehe ich aufhören muss von Faust zu sprechen, will ich auch zugleich unsrer geliebten Prinzess gedenken, die mir es recht ans Herz gelegt hat, Ihnen zu sagen welchen Eindruck ihr dies alles gab.1)

Juni 14. [Hamburg] C. D. Ebeling an F. Nicolai (Bode 2, 392): Was sagen Sie zu dem unverschämten „Faust“? Warum haben wir keine „Literaturbriefe“ [von Lessing] mehr! Müßten Zeitungsartikel nicht so kurz sein, daher man alle Beweise schuldig bleiben muß, so machte ich mich in einer Zeitung darüber her. Wie wenig gehalten und fest ist Fausts Charakter gezeichnet! Wie ein elender Hanswurst sein Mephistopheles! Gegen einige glückliche, kraftvolle Szenen, gegen Gretchens Lied und dergleichen (fast alles in alten, schon gedruckten) wieviel alltägliches, gemeines Geschwätz und Reimerei! Wär’s der Mühe wert, sich dem Teufel zu ergeben, um ein Studentengelag der Art zu sehen und diese Hexenszenen, die den faden Faust gar nicht langweilen! Nun vollends das Intermezzo, dann die pöbelhaften Zoten . . . Sollte nicht irgendwo ein Mann von Kraft aufstehen und sich diesem Goethischen Unwesen widersetzen? Vielleicht wäre es Ihnen eine Erholung, und wer könnte es besser! Wenn doch Lessing seinen „Faust“ vollendet hätte! Ich ehre mir seinen Teufel und seinen Faust, in der einzigen Szene, die wir haben. 16. [?] [Weimar] Wieland an J. F. v. Retzer (Wieland BriefeAA 17.1, 371f.): Haben Sie unter den Novitäten der letzten Buchhändlermesse auch Eine der allermerkwürdigsten, die neue sehr vermehrte, veränderte und beynahe ganz umgeschaffene Ausgabe des Göthischen Doktor Faust schon gesehen? Sie macht unter dem Titel: Faust, eine Tragödie von Göthe, einen Band der bey Cotta herauskommenden s ä m m t l i c h e n We r k e dieses Dichters (dem das griechische Beywort οë πα νυ [der Einzige] ganz vorzüglicherweise zukommt) aus; ist aber auch a parte in einem kleineren Taschenformat zu haben. Auch das, wir jetzt von dieser barokgenialischen Tragödie wie noch keine war, und keine jemals seyn wird, erhalten haben, ist nur der erste Theil derselben, und der delphische Apollo2) mag wissen, wie viele Theile noch folgen sollen. Ich bin begierig zu wissen, welche Sensation dieses excentrische Geniewerk zu Wien macht, und besonders wie Ihnen die Wallburgis-Nacht auf dem Blocksberge gefallen wird, worin unser Musaget mit dem berühmten Höllen-Breughel3) an diabolischer Schöpfungskraft, und mit Aristophanes an pöbelhafter Unflätherey um den Preis zu ringen scheint. Was wird Herr Thomas West zu dieser in jedem Betracht erstaunlichen Erscheinung sagen?4) Und was 1

) s. unten 16. Aug 1808: an Charlotte v. Schiller. ) Orakel des Apollon Pythios in Delphi. 3 ) Pieter Breughel d. J. (1564−1638) aus der berühmten ndl. Maler-Familie, wurde ›Höllen-Brueghel‹ genannt, weil er mit Vorliebe Teufel-, Hexen- u. Räuber-Szenen malte. 4 ) Wieland BriefeAA 17.2, 283 erläutert: Thomas West . . . Pseudonym von Joseph Schreyvogel. In dem von ihm hrsg. „Sonntagsblatt, oder Unterhaltungen“ erschien dazu: „Zweytes Schreiben des Herrn Augustin Sicher an den Herausgeber„(Jg 2, Bd 3, 1808, Nr. 93, S. 84–88). Der Text lag uns nicht vor. 2

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wird sich der neue Prometheus1) für lustige Kontorsionen geben, um uns weiß zu machen: daß dieser Faust das Non plus ultra des menschlichen Geistes, und das Göttlichst- Menschlichste und Teuflichste aller Dichterwerke sey? Man muß gestehen: daß wir in unsern Tagen Dinge erleben, wovon vor 25 Jahren noch kein Mensch sich nur die Möglichkeit hätte träumen lassen. Vous voyez qu’a` present il n’y a qu’a` o s e r , pour etre su ˆr de re´ussir. Bey allem dem befürchte ich, unser Freund Goethe hat sich selbst durch dieses Wagestück mehr geschadet, als ihm sein ärgster Feind jemals schaden könnte, und sein Ve r l e g e r wird der einzige seyn, der sich wohl dabey befinden wird.

˘

Juni 19. [Weimar] Böttiger an J. Fr. Rochlitz (GJb 1883, 326): Ich werde nicht satt, Goethes unverstümmelten Faust zu lesen. Geht es Ihnen auch so? Glauben Sie, dass noch etwas zurück sei? Ich nicht. [19.] [Weimar, anonym] Frau von Stael. An den Herausgeber der Zeitung für die elegante Welt. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 106 v. 4. Juli 1808, 845: Weimar den 19ten Juny. Morgen wird Frau v. Stael über Gotha und Frankfurt auf ihren Sitz in die Schweiz zurückgehn. Sie fand bei ihrem dießmaligen kurzen Aufenthalt hier freilich vieles verändert, und in dem Kreise, der sie hier vor fünf Jahren umgab, manche unersetzliche Lücke. Besonders beklagte sie G ö t h e s Abwesenheit, der schon seit einigen Wochen nach Carlsbad . . . zurückgekehrt ist, und mit dem sie, wie sie mehrmals versicherte, gern über seinen Faust manches besprochen und manchen Zweifel selbst zu sehn gewünscht hätte. 22. [Karlsbad] An C. F. v. Reinhard (Br 20, 95): Daß die Stanzen der Zu-

eignung meines Faust vorläufig gut gewirkt,2) ist mir sehr angenehm zu hören; doch muß ich zur Steuer der Wahrheit und zu Ehren meines, wenn ich nicht irre, ziemlich verkannten Inneren, versichern, daß diese Strophen sehr alt sind3) und ihre Entstehung keineswegs den Tribulationen der Zeit verdanken, mit denen ich mich auf eine lustigere Weise abzufinden pflege. Soviel habe ich überhaupt bey meinem Lebensgange bemerken können, daß das Publicum nicht immer weiß wie es mit den Gedichten, sehr selten aber, wie es mit dem Dichter dran ist. Ja ich läugne nicht, daß, weil ich dieses sehr früh gewahr wurde, es mir von jeher Spaß gemacht, Versteckens zu spielen. 22. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an Böttiger (GJb 1897, 149f.): Goethes Faust ist allerdings4) eine wahre und köstliche Bereicherung der deutschen Literatur. Eine Welt bewegt sich hier im Spiegel einer echt poetischen Seele vor uns. Nur das Intermezzo5) gegen den Schluß des Ganzen scheint mir, aller hübschen Einfälle ungeachtet, Goethes oder wenigstens dieses Platzes unwerth, zu geschweigen, daß man die meisten Beziehungen desselben nach wenigen Jahren nicht einmal mehr verstehen wird. Auch zerreißt es die tragischen Scenen viel zu sehr und, bei seiner Länge, sogar widrig. Ob noch mehr zurückgeblieben? Ich glaube ja! theils aus einigen frühern Aeußerungen Goethes gegen mich6), die auf das jetzt Hinzugekommene nicht recht passen, theils weil Faust hier 1

) Die Zs. Prometheus, hsg. von Leo v. Seckendorf u. Joseph Ludwig Stoll (Wien 1808), von der insgesamt nur sechs Hefte erschienen, enthielt keine Rezension von G’s Faust. 2 ) s. oben Apr 19. 1808: C. F. v. Reinhard an G. 3 ) Zur Datierung der Zueignung s. oben E-Rubrik, S. 135 f. 4 ) s. oben 19. Juni 1808: Böttiger an Rochlitz. 5 ) Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit Intermezzo (4223−395) 6 ) Wegen der frühern Aeußerungen, die Gräf II 2, 92f. zufolge, mündlich getan worden

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doch nur durch eine Stufe hinauf- oder vielmehr hinabgeführt wird; theils weil Gretchen doch nur im ganzen Werk als Episode erscheinen darf, wäre dies aber das Ganze, viel zu sehr herausgehoben wird.

Juni 24. [Köln] Dorothea Schlegel an F. Schlegel (Bode 2, 395f. ): Wir haben Goethes „Faust“ hier, und ich habe ihn auch schon gelesen. Es sind viele neue Sachen darin; doch hängt es bei alledem nicht mehr zusammen als auch das erste; es sind nur noch mehrere Fragmente. Die Walpurgisnacht ist zwar ausgelassen genug; doch dünkt sie mich nicht so leicht phantastisch und so bedeutend genialisch wie die Szene mit den Katzen und der Hexe. Das Bedeutende in der Walpurgisnacht ist störend, als ob es Persönlichkeit wäre; der Nicolai1) etc. ist auch wirklich dort mal `a propos. Das Verhältnis des Menschen zum Bösen ist, meine ich, auch gar nicht klar und bestimmt genug dargestellt; denn mich dünkt, bei einer solchen besonnenen Überlegenheit des Menschen kann das Böse nicht siegen. Fausts Monolog über die ersten Worte des Evangeliums Johannes: „Im Anfang“ etc2). ist zwar recht schön; aber Caldero ´n hat in seinem Monolog über denselben Gegenstand (die erste Szene in „Los dos Amantes del Cielo“) viel mehr Tiefe und Reichtum. Ergreifenderes aber und so bis ins Tiefste erschütternd habe ich nie etwas gelesen als die letzte Szene von Gretchen im Gefängnis. In dieser Szene glaube ich ganz Caldero ´ns Geist wehen zu fühlen, aber doch ganz deutsch, so daß es jedes deutsche Gemüt erschüttern muß; sie ist romantisch-tragisch im allerhöchsten Sinn . . . Es wird mir aber doch klar bei diesem „Faust“, daß Goethe wohl nicht so glücklich ist, als man in den Werken seiner mittlern Zeit ihn wohl halten möchte. Es ist doch eine rechte Bitterkeit darin trotz der anscheinenden Lustigkeit. 24. [Göttingen] Therese Huber an K. L. Reinhold (GJb 1903, 93): Die neuen Theile des F a u s t e s haben mir ein unbegränztes Vergnügen gemacht. Die Ruhe in dem Prolog3), die Klarheit, der Muthwille, der Uebermuth − und die Erschöpfung des Schrecklichen in den letzten Scenen − diese letzten Zeilen halte ich allein für neuerdings gedichtet, − das Warum liegt in meinem Gefühl. Ich las ihn am 3 Jun. ein paar lieben Menschen und Emilen vor, Nachts auf einem Berg an der Donau in einem einsamen Gartenhäuschen, bei einem ungeheuern Gewitter, das in einer großen Weite keinen höhern Gegenstand hatte wie unser kleines Dach. Um halb 2 Uhr gingen wir nach Hause, und obschon ichs zum zweiten mal las, war mir der Kopf doch so voll, daß ich nicht wußte ob ich nicht auch vom Bloxberg kam. 25. [Karlsbad, abends] Bey Ziegesars . . . Anfang vom Faust vorgelesen.4) 25. [Karlsbad] Riemer Tagebuch (BG 6, 493): . . . bei Ziegesars abgestiegen. Thee. Las Goethe noch die Stanzen [der Zueignung], Vorspiel und Prolog von Faust vor. 27. [Karlsbad] Abends bei Ziegesars im Faust gelesen.

sein müssen, da G’s Briefe an Rochlitz nichts der Art enthalten, verweist Gräf auf G’s Zusammentreffen mit Rochlitz in Leipzig am 6., 7. u. 9 Mai 1800, s. dort; da könne er Andeutungen über die Fortsetzung des Faust gemacht haben. Doch stütze sich Rochlitzs Annahme einer Fortsetzung wohl auch auf den Unter-Titel Der Tragödie erster Theil, der einen zweiten Theil erwarten ließ. 1 ) F. Nicolai als Proktophantasmist in der Walpurgisnacht (4144−47; 4158−63; 4165−71). 2 ) Sz. Studirzimmer (1224−37): Im Anfang war das Wo r t ! . . . 3 ) Prolog im Himmel (243−353) 4 ) G las die Zueignung, das Vorspiel auf dem Theater u. den Prolog im Himmel; s. die nächsten Z.

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Juni 28. [Karlsbad] Abends [Vorlesung aus] Faust. 29. [Karlsbad] Bey Ziegesars . . . Abends im Concert von Seidler. Später

noch einige Scenen aus Faust gelesen. 30. [Karlsbad] Abends mit den Frauenzimmern zu Frau Severin . . . Abends

nachher noch Faust. 30. [Wien] J. L. Stoll an G (SchrGG 18, 59): Seit einigen Tagen ist Friedrich Schlegel bey uns; er wohnt bey Mad. Bernhardi, wo sich ein Kreis von ächt religiösen Gemüthern zusammen gefunden; die nach ü b e r m e n s c h l i c h e r S e e l i g k e i t schmachten, weils mit der Menschlichen nicht recht fort will. Jede kräftige Speise, als irdisch, wiedersteht ihnen. Der Neue Faust hat eine sämmtliche indigestion bey Ihnen bewirkt. Juni 30./ [Weimar] Wieland an Böttiger (Wieland BriefeAA 17.1, 375): Das Unbegreifliche an Juli 1. dem heurigen Meßcatalogus ist für mich nicht die ungeheure Menge von B u c h m a c h e r n , sondern daß es ausser Cotta in Tübingen, (den das M o r g e n b l a t und Göthe’s D . F a u s t noch über dem Wasser erhält) noch einen einzigen Verleger in dem ehmaligen Deutschland giebt.1) − A propos, wie hat Ihnen die Wa l l p u r g i s n a c h t unsers K ö n i g s d e r G e n i e n gefallen, der, nicht zufrieden der Welt gezeigt zu haben, daß er, nach Belieben, Michel-Angelo, Rafae¨l, Corregio und Titian, auch Dürer und Rembrand, seyn kann, sich und uns nun auch den Spaß macht, zu zeigen, daß er, sobald er will, auch ein zweyter H ö l l e n - B r e u g e l seyn könne?2) Juli

⎯ Verlagsanzeige Cottas3) (QuZ 2.1, 42): In der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Tübingen sind zur Ostermesse 1808 erschienen . . . G o e t h e ’ s Werke 2te, 3te Lieferung in 8 Bänden . . . Neuigkeiten: . . . Goethe, Faust, brosch[iert] 2 fl. 24 kr. ⎯ [Anonyme Rez.4)] Göthe’s Werke.5) (Journal des Luxus und der Moden. Julius 1808, 479f.; 482; 484f.; 487−90): Band 8 [Ausg. A] enthält unstreitig den größten und schönsten Reichthum − F a u s t , um die Hälfte vermehrt. Sie haben den Götheschen Faust schon nach dem Fragmente, das wir vorher besaßen, für eins der höchsten und schönsten Erzeugnisse des menschlichen Geistes gehalten, und fanden sich, wie ich auch, stets dabei wie von Zauber befangen, in welcher Bezauberung es uns oft vorkam, als ob entweder jener Faust kein Fragment sey, oder als ob er, um desto vollkommener zu seyn, eben ein solches Fragment seyn müsse. Diesen Zauber hat nun der Dichter selbst gelöst, und ich kann mir denken, daß Sie eben so begierig seyn werden, als ich war, zu erfahren, wie es jetzt darum stehe. Voran geht eine Zueignung in Stanzen . . . Ein Vo r s p i e l folgt zwischen dem Director, Theaterdichter und der lustigen Person, und dies Vorspiel gehört zu dem Gelungensten, was Göthe in dieser Art gedichtet hat. Sie wissen selbst, daß es nur Wenigen gelingt, seinen Spott, leichten Scherz, Tiefgedachtes und Zartempfundenes so zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen, als ihm . . . Dem Vorspiel folgt ein Prolog im Himmel . . . Die Tr a g ö d i e nun selbst hat zwei Theile. Der Anfang ist ganz wie in dem Fragment, nach der Scene mit Wagner aber ist Mehreres eingeschaltet . . . [482:] Wie erfreulich ist es, ihm unter das Gewühl der Spaziergänger vor das Thor zu folgen! Sie kennen Göthe’s Gabe, die innerste Eigen1

) Wegen der verheerenden Auswirkungen der Napoleonischen Kriege; zur Zeitsituation vgl. oben Anm. zur Jahreszahl 1808. 2 ) Zum Nachfolgenden s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“, S. 630. 3 ) Beigelegt zum Morgenblatt (Nr. 160 v. 5. Juli 1808). 4 ) Die Rez. ist in G’s Bibliothek vorhanden (Ruppert Nr. 1930), vermutl. zugesandt von dem Naumburger Verf. Carl Friedrich Göschel (1784−1862), einem Juristen u. philosoph. Schriftsteller, der weiterhin über G’s Faust publizierte; s. 2. Febr 1824: Göschel an G u. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“ 6. März 1831: Göschel an G, S. 799 f. 5 ) Rez. in Gestalt eines an eine Freundin gerichteten Briefs.

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thümlichkeit der Dinge, Menschen, Stände, Alter leicht aufzufassen, und in wenigen kecken, aber kräftig-wahren Zügen charakteristisch darzustellen, und auch in dieser Scene hat er sich darin als ein Meister bewiesen . . . [484f.:] Meisterhaft hat . . . G ö t h e dieses Grausen [d. i. das Auftreten von Mephisto in der Sz. Studirzimmer I] durch leicht phantastische Behandlung gemildert, denn wie das Böse sich nicht eben gleich auch als das Schreckliche ankündigt, das ja wohl nicht verlocken würde, so läßt es der Dichter auch nur wie im Spiel sich gleichsam einschleichen . . . Jetzt folgen Scenen, die schon das Fragment enthielt, zwischen Faust und Mephistopheles, jenem und dem Schüler, in Auerbachs Keller, in der Hexenküche, zwischen Faust, Margarethe und der Nachbarin Frau Marthe, in Wald und Höhle, in Gretchens Stube, Marthens Garten, am Brunnen, im Zwinger. Hier erst [meint in der Sz. Nacht] tritt erst wieder eine neue Person ein, der Soldat Valentin, Bruder von Gretchen, dem liebenswürdigsten Geschöpf, das je die Phantasie eines Dichters schuf, voll süßer Unbefangenheit, holder Hingebung, reizender Naivetät, frommer Kindlichkeit . . . Hierauf die bekannte schrecklichschöne Scene im Dom, womit das Fragment schloß. Jetzt führt uns der Dichter nach ihr in der Walpurgisnacht auf den Brocken; und wer wissen will, wie man das Phantastische in der Poesie behandeln müsse, der komme hieher und lerne . . . [487−90:] Gewiß, man eilt schnell über das an sich vortreffliche, ich möchte sagen aristophanische, Intermezzo: Wa l p u r g i s n a c h t s t r a u m o d e r O b e r o n ’ s u n d T i t a n i a ’ s g o l d n e H o c h z e i t , ein Gewebe von Sinngedichten, leicht und lustig wie Wolkengebild, nicht aber, wie so manche andre, leer an Bedeutung für den Verständigen, hinweg, um wieder zu Gretchen zu kommen. Auf dem Felde [Sz. Tüber Tag. Feld], wo Faust es weiß, das süße Geschöpf sey in Verzweiflung, offenbart sich in Mephistopheles die Teufelsnatur zum ersten Male s c h r e c k l i c h . . . Und nun kommen wir in den Kerker. − Was soll ich Ihnen hier von Gretchens Wahnsinn, von Fausts Stimmung, von ihrem Hülfeflehen, seinem Drang zu retten, von der möglichen Unmöglichkeit bei immer steigender Gefahr, kurz von der ganzen unübertrefflichen Situation sagen? − Ich werde mich wohl hüten, darüber Geschwätz zu treiben. Lesen, fühlen Sie selbst, und wenn Ihre ganze Seele erschüttert ist, bekennen Sie, daß G ö t h e durch diese einzige Scene die Unsterblichkeit verdient habe. Und der Schluß . . . [es folgen 4597−610] Wie ist Ihnen bei diesem Schlusse? − Ich − schweige jetzt. Viel wollte ich Ihnen schreiben, sagen, − ich kann nicht! − Ein andermal von diesem Faust, dem vollendeten, aber nicht beendigten, denn mehr als der erste Theil der Tragödie ist nicht gegeben. Wie gesagt aber, ein andermal hievon . . . Ueber F a u s t schreibe ich Ihnen indeß wieder, sobald Sie ihn selbst gelesen haben. Ich habe so viel darüber zu sagen, daß mir das heute Gesagte wie Nichts vorkommt. Juli 6. [Jena] Johanna Frommann an G (GSA 28/51 Bl. 49): Dienstags haben wir eine Lesegesellschaft errichtet, meine Mutter, meine Schwestern, Frl. Rumohr und ich, die wurde mit Hermann und Dorothea eingeweiht . . . Den Faust haben wir schon lange gelesen, nicht im Stande so lange zu warten bis Ihre gütige Sendung mir zukam, für die ich den wärmsten Dank sage! Noch sind die herrlichen Bogen beim Buchbinder der ihnen von aussen eine tüchtige Haltung geben soll, denn die erste Auflage ist `a la lettre in Stücken gelesen. Auch diese hoff ich noch durch eine abermals neue ersetzt zu sehn. [8.] [Schwyz, anonym] Briefe aus einer Reise durch die Schweiz und einen großen Theil Frankreichs. Fünfter Brief. Schwyz, den 8. Juli. In: Morgenblatt Nr. 240 v. 6. Okt 1808, 958: Ich las im Wirthshause Goethe’s vollendeten Faust, und freute mich innig, dieses Sehnen aus den dumpfen Mauern auf die Wege und an die Felsen hin, das mich so oft zwischen düsterm Gemäuer mit tiefer Melancholie umdämmert hatte, nun auf den heiligen Höhen, der Götter liebster Behausung, nahe bey alle den herrlichen Szenen, wornach sich das Herz, das sie einmal empfunden hat, immer heimlich sehnt, mit neu geöffneter Seele wieder zu lesen und durchzufühlen. Wie herrlich tönte da der Gesang der Erzengel,1) wie lieblich empfand der Busen alle zarten Gefühle des Dichters mit, 1

) Im Prolog im Himmel (243−70)

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wie ruhig und mit innerer Behaglichkeit konnte ich auf den armen Faust niederblicken, dem doch jeder strebende und begehrende Mensch zuweilen auch im Schrecklichen und in der Beängstigung des innern Vorwurfes gleicht!

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9. [Heidelberg, anonyme Anm. zu] Von der Mahandel Bohm. Ein Kindermährchen in der Hamburger Volkssprache, nacherz. v. Ph. D. Runge. In: Zeitung für Einsiedler Nr. 29 v. 9. Juli 1808, 229: Wir machen mit dieser Erzählung am liebsten den Anfang der aus verschiedenen Gegenden erhaltenen, theils eigenthümlichen Wunderbarkeit und Häuslichkeit wegen, theils auch um in Göthes neuem Faust (letzte Scene) einige in Clärchen [Gretchen] wiedererwachten alten Verse [4412−20] zu kommentieren. 12. [Heidelberg] Z. Werner an G (Floeck 2, 133f.): In Leipzig verbrachte ich die letzte Meßwoche und laß . . . die mir von Cotta geschenkte neue Dodez-Ausgabe des Faust. Vergebens suche ich Worte das schmerzlichseelige Gefühl zu bezeichnen das mich von der herzzerreissenden elegischen Vorrede an bis zu dem über der Graußnacht des Todes und der Hölle triumphirenden Empyräum der Schlußscene durchströhmte. Soviel ist gewiß: ein armer dramatischer Dichterteufel wie ich, müßte aus Verzweiflung über die Harmonie, die unerreichbare, dieses göttlichen Weltenalls Faust genannt, des Teufels werden, wenn er nicht, wie ich, das Glück hätte, den Herrn der Heerscharen, (der sich hier selbst portraitirt hat) und dessen Milde und Gnade zu kennen. Nein! Welchem von Helios Riesenwerken auch die Unsterblichkeit den ersten Preis einräumen möge, in Seiner glanzvollen Eigenthümlichkeit strahlt Er im Faust, und wenn aus einer allgemeinen literarischen Sündfluth auch nur die Scene mit dem Pudel1), nur der Ritt Faustens und seines Begleiters am Hochgericht vorbey2), übrig bliebe, sie wären hinreichend der Nachwelt das Gestirn erkennen zu lassen, dessen Lichterguß selbst den Orion Shakespear überstrahlt! 12. [Coppet] Germaine de Stae¨l an M. O’Donnell (Jasinski 6, 481): Je conc¸ois l’impression que vous a fait[e] Faust, mais c’est une production singulie`re. C’est, si vous le voulez, la litte´rature du cauchemar, mais il y a une connaissance du mauvais principe, de l’ironie, du persiflage fe´roce tout `a fait extraordinaire. J’ai vu `a Leipzig un libraire allemand d’une lenteur, d’une nisaiserie inconcevable; le pauvre homme n’aurait ni su ni pu faire du mal `a un chat. He´ bien, cet homme ´etait ravi de Me´phistophe´le`s; il se frottait les mains de joie de ce que son compatriote avait si bien peint le diable; il espe´rait qu’il lui en reviendrait un peu de malice pour son usage particulier. 13. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 191f.): Die letzten acht Bände Ihrer Schriften sind den 5ten dieses angelangt.3) Für die glückliche Wiederherstellung des Teufels in der moralischen Welt danke ich kühnlich im Namen aller guten Patrioten. Das ist denn doch ein Kerl der sich zeigen läßt: „der Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“4)− Nun wir den alten Schelm wieder haben, wollen wir ihm den Drudenfuß etwas sorgfältiger ziehn, damit er uns nicht so leicht mehr davon laufen soll. Ich habe mich Fürstlich ergetzt an den neuen Zusätzen, verstehe aber noch nicht alles; Gewaltsam erschüttert durch und durch, hat mich die Brockenszene. Der Anblick des unglücklichen Gretchens hat mich fast Trostlos gemacht. So leicht es angedeutet ist, so ungeheuer ist die Wirkung. Über manches Neue im Faust das ich nun schon so oft gelesen habe, werden Sie mir wohl nähern Aufschluß geben. z. E. das Intermezzo, doch will ich erst das ganze Gedicht noch einmal lesen.

1

) Sz. Studirzimmer ab 1185. ) Sz. Nacht. Offen Feld (4399−404). 3 ) s. oben 3. Mai 1808: an Zelter. 4 ) Mephistopheles-Zitat 1336 aus der Sz. Studirzimmer. 2

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22. [Stuttgart] Cotta an Böttiger (G-Cotta 3.1, 253): Lassen Sie Kügelchen 4 Scenen aus Faust entwerfen? Wir wollen dann sehen, zu was wir sie verwenden.1) 24. [Teplitz] F. v. Gentz an Böttiger (Briefe von u. an F. v. Gentz. Hsg. v. F. C. Wittichen. Bd 1. Berlin u. München 1909, 299): Der Faust ist, wie Sie sagen . . .2) 28. [Karlsbad] zu F.[rau Marianne] v. Eibenberg. Faust.

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3. [Karlsbad] An Silvie v. Ziegesar (Br 20, 127): Abends war ich viel mit

Fr. [Marianne] v. Eibenberg . . . Ich lernte die Töchter der Herzoginn von Curland, erst später ihre Hoffräulein [Dorothea v. Knabenau und Frl. v. Rounecke] kennen. Ihr selbst wartete ich erst gestern auf, sie verreist Morgen frühe. Alle waren sehr freundlich und anmuthig; zutraulich, gefällig, gnädig, und wie man die erwünschten Stufen des Wohlwollens bezeichnen mag. Ich habe dagegen durch allerley Gespräch und Vorlesen3) mich möglichst danckbar erwiesen. 3. [Karlsbad] Abends bei der Herzogin von Curland. 7. (s. „Werke, Ausgabe A“: Tgb gD) 11. [Weimar] B. R. Abeken an K. C. F. Krause (GSA 01/158 St. 2): Wie oft habe ich mich nach euch gesehnt, da ich den neuen Faust gelesen hatte, und die Achilleis! − Habt ihr die noch mit einander gelesen? − Ist euer Gespräch wol auf Muthmaßungen gekommen, wie Göthe den Faust zu endigen gedenke? Wenn ich die erste Ausgabe [das Fragment von 1790] las, so kam mir’s vor, als ob der Faust, wie in der alten Volksgeschichte, wirklich des Teufels Beute würde. Nun muß ich aus dem Prolog [im Himmel] entnehmen, der Teufel werde am Ende doch der Betrogene u. Faust ihm nur für diese Welt übergeben seyn. Doch reichen meine Gedanken nicht so weit hinauf, um Fausts Rettung zu erdenken. Durch einen Spruch, wie den, durch den Gretchen so herrlich gerettet wird, kann sie ihm doch nicht zu Theil werden. − Theile mir doch mit, wenn ihr etwas darüber geredet habt. Man hat mich versichern wollen, Göthe werde den Faust nicht ganz vollenden. Doch hat er noch einiges, was dazu gehört, und nicht gedruckt ist. − Unendlich herrlich dünkt mir der Prolog. Die Verherrlichung Gottes durch die Wunder der Natur im Gegensatz gegen den verneinenden Geist und die genauere Characterisierung des Mephistopheles. − Erinnerst Du dich wol des 1 ten Kap. im Buch Hiob? − Wie herrlich hat Göthe diese Erzählung übertragen! − Und ist auch die Zueignung nicht rührend gewesen? u. die Worte: „das strenge Herz, es fühlt sich mild u. weich“[30]? u. die Klage um die Verstorbenen aus dem schönen früheren Bunde? − Gott gebe dem alten Herrn Gesundheit u. Freude in seinem Alter. Er befin-

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) Dazu Dorothea Kuhn (G−Cotta 3.1, 253): Offenbar gelang das nicht sogleich; es gibt Faust-Exemplare, in denen vier Kupfer von dem jungen Buchhändler Christian Friedrich Osiander zu finden sind (vgl. CA Osiander, Briefe und Hirschberg 1907, S. 174f. mit Abb.). Sie sind so kläglich ausgefallen, daß man nur hoffen kann, Goethe habe sie nicht zu sehen bekommen. Zu G’s Einspruch gegen Illustrationen vgl. oben 31. März 1808: an Cotta m. Anm. − D. Kuhn erinnert auch daran: 1809 als der Bildnis- und Historienmaler F.G. Kügelgen Goethe in Weimar porträtierte, war nochmals von den vier Faustszenen die Rede, die Cotta erhalten sollte, aber auch zu dieser Zeit kam der Plan nicht zur Ausführung (vgl. Böttiger an Cotta, 10. März 1809; Cotta-Archiv: Böttiger Briefe). 2 ) s. oben 19. Juni 1808: Böttiger an Rochlitz u. 1809: Böttiger: Faust. 3 ) s. oben 25. Juni 1808: Tgb; außer an Faust ist auch an Pandora od. Torquato Tasso zu denken.

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det sich, wie ich höre, im Bade wohl u. wird noch einige Monathe dort verweilen. Er ist mit großen Planen weggereist. Ich sprach neulich mit einer genauen Freundin von Göthe, der er sich gern u. häufig mittheilt.1) Sie erzählte unter anderm, Göthe habe für einige Geschöpfe seiner Fantasie eine gewisse Vorliebe. Die liebsten unter allen seyn ihm Klärchen, Gretchen u. Mignon.

Aug 12. [Karlsbad] An Marianne v. Eybenberg (Br 20, 137): Den Abend vor

ihrer [der Herzogin von Curlands] Abreise war ich noch dort, las Einiges vor . . .2) [16.] [Karlsbad] An Charlotte v. Schiller (Br 20, 142): Vor meiner Abreise von Carlsbad muß ich Ihnen theuerste Freundinn, noch meinen lebhaften Dank sagen für den freundlichen Brief, den ich kurz nach meiner Ankunft erhielt und der mich seit der Zeit, in einsamen Stunden, manchmal gar heiter angeblickt hat.3) Wie schätzenswerth ist es nicht zu erfahren, daß die wenigen Resultate unsres Lebens, die auf dem Papier mit gedruckten Lettern stehn bleiben, unsern Freunden wirklich etwas sind, unser Andenken erneuern und an die Stelle der Gegenwart treten. Haben Sie recht vielen Dank daß Sie Ihre Empfindungen und Gesinnungen so treu und kräftig aussprechen mögen. Nicht jedermann vermags und unter den vermögenden sind nicht alle so wohlthtätig. 18. [Göttingen] Therese Huber an E. v. Herder (GJb 1897, 124): Ich las gestern Faust − mir wird’s immer wahrscheinlicher, daß in Goethe die Idee liegt, Faust aus Mephistopheles Banden frei zu machen. Es scheint mir in des Herrn Gespräch mit Meph. zu liegen.4) 20. [Bayreuth] Jean Paul an Cotta (Berend III 5, 229): Beinahe hätt’ ich meinen herzlichen Dank für Ihre Bücher-Gaben vergessen. Wie würde zu anderer Zeit der Neo-Shakespeare Faust die Zeit erschüttern und durchblitzen!5) Sept

4. [Tübingen] A. Oehlenschläger an G (Breve fra og til Adam Oehlenschläger. Hsg. v. H. A. Paludan u. a. 5 Bde. Kopenhagen 1945−1950, Bd 3, 161): O wie hat mich der erhabne F a u s t und der göttergleiche A c h i l l e s gefreut und begeistert. 18. [Göttingen] Therese Heyne an Böttiger (GJb 1897, 124f.): Wie gütig war es von Ihnen bei einer der schönsten Erscheinungen unsrer Litteratur an mich zu denken − Sie sprachen mir von Goethes neuem Faust. Alles was Sie sagen unterschreibe ich mit vollem Herzen. Mir wars, indem ichs las, wie es Noah sein mogte in seiner Arche da er den Regenbogen sah: So lebt der alte Gott noch! Der Geist, der den Faust schuf, kann also noch unter den Menschen wandeln. Mir däucht: die reichen Zusäze selbst, müssen aus ganz verschiedenen Zeiten sein, und ich kann das Gedicht noch nicht für beendigt halten. Lächeln Sie nicht! ich glaube aber Faust besiegt noch das Böse − es sind einige Winke in dem Gedicht selbst, besonders im Gespräch zwischen Mephistofles und d e m

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) Gemeint ist wohl Charlotte v. Schiller. Abeken war seit Apr 1808 Hauslehrer ihrer Kinder. 2 ) s. oben 3. Aug 1808: an Silvie v. Ziegesar u. Tgb. 3 ) s. oben 14. Juni 1808: Charlotte v. Schiller an G; doch hatte G den Brief nicht kurz nach seiner bereits am 15. Mai erfolgten Ankunft in Karlsbad, sondern erst nach Mitte Juni erhalten. 4 ) Prolog im Himmel (299−329) 5 ) zu anderer Zeit − vgl. oben S. 193 Anm. 4 zur Jahreszahl 1808.

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H e r r n , die mich das ahnden lassen.1) Allein wie darf ich mich daran wagen über ein solches Werk mehr wie meine Freude zu äußern? Ich werde durch so eine Schöpfung im eigentlichen Verstande glücklicher. Es ist nicht nur das Gedicht; es ist des Menschen Geist der da gemahlt wird, es der welcher dichtet, und von dem Geist zum Urquell der Geister, hebt sich mein Gemüth so leicht − und welcher Weg kann nicht leichter sein als dieser?

[Okt] ⎯ (s. „Werke, Ausgabe A“: Verlagsanzeige Cottas gD) Okt ⎯ [Anonym] Fliegende Blätter aus dem Portefeuille eines Reisenden im Junius und Julius 1808. In: Journal des Luxus und der Moden 23 (1808) Okt, 705: Der geniale Beethoven hat die Idee, Göthe’s Faust zu komponiren, sobald er jemand gefunden haben wird, der ihn für das Theater bearbeitet. Daß er vor vielen Anderen großen Beruf dazu hat, ist wohl gar nicht zu zweifeln, und wir dürfen uns gewiß auf ein tief und wahr empfundenes Product seines Geistes Hoffnung machen.2) 8./14. [Weimar] J. C. S. Morgenstern (BG 6, 568): In Morgenstunden blätterte ich und las ich in der Neuen Ausgabe von Goethes Werken . . . Im 8. Bande [der Ausg. A] ist der nun vollendete Faust, in welchem ich las, der Epilog zu Schillers Glocke und die Geheimnisse; vor letzteren ist jetzt die Zueignung, die sonst an der Spitze der Werke stand, vorgesetzt und ohne Abschnitt, als gehörte sie dazu. Ich fragte Goethe selbst darum in Weimar, ob dies etwa ein zufälliges Versehen. Er schien das doch zu verneinen. Meines Bedünkens wäre aber die Zueignung besser an der Spitze der Werke geblieben. 10. [Frankfurt/Oder] J. B. L. de Lemarquand an J. D. Falk (GSA 15/ IX,1 Bl. 19.22): mon ami, je suis arrive´ hier assez tard `a Frankfort et bien fatigue´; j’ai constamment marche´ dans la boue souvent meˆme dans la bourbe et il a tant neige´ que j’en ai presque perdu les yeux. Je n’ai pourtant pas neglige´ mon docteur Faust; j’e´tais parti de Weymar pique´ du pyrronisme de vos dames, de vos messieurs, et surtout du sourire Sardonique de notre cher pre´sident qui, parce qu’il a les jambes courtes, pense que personne ne peut s u i v r e Monsieur Goethe; je me suis en consequence mis `a examiner tre`s serieusement si, en ge´ne´ral, je ne pourrais pas traduire Vers par vers et je me fais convaincu que cela n’est point du tout impossible. Voici quelques ´echantillons de ce que j’ai de´ja` ´ebauche´. Page 163) voyez les deux vers qui commencent par: Wer fertig ist [182f.] je traduis: Je ne vois rien `a faire avec un homme fait; l’adolescent pour nous est un ˆetre parfait. Le mot adolescence pris ici dans le sens figure´ rend fort bien le Werdender [183]; une femme dit C’est un adolescent, en parlant d’un jeune homme `a f a i r e Page 15, aux deux premiers Vers Wer ruft [148f.] etc. comment l’individu, sans personnalite´, prend−il part au concert de la socie´te´. Le mot s a n s signifie ici d e p o u i l l ´e d e ; nous l’employons quelque fois en ce sens: aureste j’ai des doutes sur ces deux Vers et je vous prie de demander `a Mr Goethe si j’ai saisi `a peu pre`s sa pense´e. Page 9 les quatre premiers vers [33−36] Vous qui m’avez cent fois aide´ dans mes besoins, Vous, de mes embarras, compagnons et temoins, chez un peuple Allemand, dites, que dois−je attendre du me´tier de´licat qu’ici j’ose entreprendre. Page 5 les premiers vers [1−5]

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) Für aufmerksame Leser hatte G derartige Winke im Text verborgen. ) s. unten 29. Aug 1814: Loeben an Kerner u. Max Unger: Ein Faustopernplan Beethovens und Goethes. Regensburg 1952. − Zu einer Faust-Musik Beethovens ist es nicht gekommen. Zu Lebzeiten erschienen ist allein: L. v. Beethoven: Aus Göthe’s Faust. Es war einmal ein König (2207ff.). Gesang mit Begleitung des Pianoforte in Musik gesetzt. Op. 75, Nr. 3. In: Sechs Gesaenge mit Begleitung des Pianoforte in Musik gesetzt. Leipzig 1810, 14−17 [2. Aufl. 1815; 3. Aufl. 1819; 4. Aufl. 1827]. 3 ) Lemarquand benutzte für seine Übersetzung die Einzelausgabe von Faust. Eine Tragödie (Hagen Nr. 310). − Von den vier im Brief mitgeteilten Übersetzungsproben stammen die ersten drei aus dem Vorspiel auf dem Theater u. die vierte aus der Zueignung. 2

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Vous Vous representez, phantastiques images qu’autrefois j’apperc¸us dans de mouvans nuages; enfin `a Vous fixer pourrai−je parvenir? Mon Cœur en sent−il bien l’impe´rieux de´sir? Vous me pressez, he´ bien, je ce`de `a vos amorces etc. en lisant tous ces Vers rappelez vous bien mon cher Falk que ce ne sont encore que des exquisses, aureste ce serait une vraie folie que de vouloir toujours ˆetre aussi concis que l’original; de deux vers j’en fais trois quelquefois quatre quand j’y suis force´ par la difficulte´ de la rime et surtout par le besoin de developper la pense´e. Voici un exemple de ce que je veux vous dire Page 13. Vers 9, 10, 11 [113−117] L’un, sortant, bien bourre´, d’une table opulante, nous apporte l’ennui dans sa teˆte pesante; l’autre, et Voila` le pis, vient farci de journaux, et juge, en perroquet, les ouvrages nouveaux. En voila` assez mon ami pour donner `a Mr Goethe et `a vous une ide´e du ton ge´ne´ral de ma traduction dites−moi l’un et l’autre Votre avis sur ces essais je sens que s’il m’est favorable cela me mettra des Mephistopheles d a n s l e Ve n t r e .

Okt 16. [Dresden] Varnhagen v. Ense an Rahel Varnhagen (Feilchenfeldt – Schweikert − Steiner 4, 75f.): Du hast recht, daß Du den Goethe so liebst, meine theure Rahel ich finde Einen Geist in Dir und ihn, seine Jugendzeit besonders ist eine Nachbarin von Dir. Seit einigen Tagen les’ ich viel hin und wieder in dem einen Band, den ich bei mir habe, und worin der „Faust“ steht dabei fühl’ ich mich noch am nächsten zu Dir hingeschleppt, und sehe in Deines Wesens Gegenwart hinüber, fast wie durch Deine Briefe! Nov 16. J. D. Falk, Nachlaß (GSA 15/NZ 19 107, 5, 1): L e m a r q u a n d Novbr. 1808. Gestern d. 15. Abend traf Lemarquand wieder in Weimar ein. Wir lasen den ganzen Abend zusammen Faust. Die Fortschritte die Lemarquand im Deutschen, innerhalb 6 bis 7 Monathen gemacht, sind erstaunlich. Im Prolog wa[r]en Ihm die Worte „Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen Das Abendroth im ernsten Sinne glühn? [150f.] undeutlich. Ich bemerkte ihm, daß der Dichter die Termes Physiques und Morales hier verwechselte, um anzudeuten, wie der Dichter die hohen N a t u r e r s c h e i n u n g e n verkläre − − z. B. S t u r m − A b e n droth zum Sturm der Leidenschaft, Untergang eines Heldendaseyns − Auch die Stelle war ihm dunkel: „Aber ist der Streit vorbey, Das golden ist mir lieber! [4229f.] − Da es doch simpel heißt: „Wenn 50 Jahr vorbey sind, feyert man die goldene Hochzeit. − Aber wenn Zank und Streit in der Ehe vorbey sind, die goldene Zeit ist mir noch lieber. − Lemarquand war unzufrieden mit den Berlinern, daß Sie ihm diese Stelle nicht hätten erklären können. Er nannte mir selbst Einige, die er darum befragt. Ich sagte, das liege daran, weil er bloß unverheyrathete, junge Leute gefragt: er hätte sich an Ehemänner wenden sollen − − − Auch über den Gesichtspunkt des Faust war er mit sich vollkommen in Richtigkeit. Er nannte Faust un Homme de Genie, der im Vertrauen große Schätze zu haben, sich ernst mit den Wissenschaften beschäfftigt, bald darauf aber seine Täuschung gewahr wird. − Wenn er sec [trocken], wie ein Buch, oder sein Famulus Wagner, dem dies Papier über Alles geht: so würde er, wie sein Vater mit Bierkanne die Menschheit beglücken. Er beschließt nun die andere Seite der Welt zu fassen, und in eine J o u i s s a n c e der Sinne sich für das Stückwerk des Wissens zu entschädigen: − aber auch hier gibt’s Rückfalle (Recidive) z. B. wo M e p h i s t o p h e l e s , wenn er in den Felsen und Einöden den Naturgeist anbetet, und gleich einer Kröte Thau schlürft, zur J o u i s s a n c e zurückruft − − − bringst die Begier zu Ihrem schönen Leib Schon wieder vor die halbverrückten Sinne“ [3328] − Die Moral ist die, daß jede Dispropozion sey es für das I n t e l l e c t u e l l e , oder für das P h y s i s c h e zum Teufel führt: Wa g n e r z. B. der trockene Schleicher führt so gut zum Teufel, wie F a u s t . Die Scene, wo der Mephistophiles den Methodisten macht, und den jungen Menschen über die A r k a n a der 4 Fakultäten zustimmt, nach seiner Art, zeigt ganz deutlich, daß man auf mehr als eine Art, mit dem Teufel einen Contract machen und zum Teufel fahren kann − − − So bleibt am Schluß des Werks wenn Faust mit dem D o c t e u r verschwindet, das große Princip zurück „Was Leib und Seele zusammenhält ist eine zugleich physische und zugleich intellekturelle Cultur − − −. L e m a r q u a n d gab einige Sachen so, daß es G ö t h e n selbst großes Vergnügen machte,

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z. B. Das ist der = = = = = = = Art mit Hexen umzugehen − C’est la Manie`re sorcieres − Das ist die Art der Hexen zu behexen.

Nov 19. [Erfurt] W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt (Sydow 3, 22f.): Seinen [G’s] Faust hatte ich hier [in Erfurt], noch ehe ich nach Weimar ging,1) gelesen. Er hat vier an niemand gerichtete Zueignungsstrophen, die ich Dir, weil sie in der Tat wunderschön sind, in Abschrift zuschicke. Darauf kommt ein Vorspiel und ein Prolog. In diesem unterhalten sich die Erzengel, Gott der Vater und Mephistopheles, der die Szene mit den Worten beschließt [350−53]: Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern, Und hüte mich, mit ihm zu brechen, Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen. Dann folgt das Stück. In diesem sind nicht bloß hinten Szenen angehängt, sondern auch in der Mitte eingeschaltet, wie z.B. die, welche er uns vorlas. Ausgelassen ist, soviel ich ohne Vergleichung bemerkt habe, nichts. Es sind himmlische neue Szenen, vor allem die letzte, wo Gretchen als Kindermörderin im Kerker sitzt, Faust sie mit Mephistopheles zu retten kommt, sie aber solche Hilfe ausschlägt, durch eine Stimme von oben von der Verdammnis gerettet wird, Mephisto aber mit Faust abfährt. Gegen das Ende ist eine Blocksbergszene und ein Marionettenspiel daselbst, die füglich hätten wegbleiben können, wo wieder die Xenien [4303], Nicolai2) und sogar Tegel [4161] vorkommen . . . Vieles von dem Neuen im Faust ist uralt. Die letzte Szene ist 30 Jahre alt, aber es hatte nie ein Sterblicher sie gesehn. Goethe hat auch noch mehr Szenen, die ein andermal werden eingeschaltet werden. 22. [Paris] Z. Werner an G (Floeck 2, 159): Ich bitte Ew. Excellenz mir nicht zu antworten, da ich Sie eher zu sehen hoffe, als Ihre Antwort hier ankommen könnte. − Ich bemerke nur noch, daß mich der Apoll von Belvedere, die Pallas und der Laokoon fast zermalmt haben und daß ich diese Heiligen anbete, so wie Raphaels himmlische Jardinie´re3), die Ew. Excellenz zu der Margarethe im Faust gesessen zu haben scheint, so ähnlich ist sie ihr. 24. [Weimar] Besuch von Le Marcaud [Lemarquand] mit Falk. Gespräch

über Faust und deutsche und französ. Literatur. 25. Abends Mr. LeMarquaud und Legat. R. Falk Unterhaltung über Faust, von dem er sehr geistreich dem [!] Prolog vom Theater ins Französische übersetzte. 25. [Weimar] Riemer Tagebuch (BG 6, 595): Um 5 Uhr Le Marquand und Falk. Der erste las seine Übersetzung von G. Faust vor: war sehr in den Sinn penetrirt. Hin und wiedergesprochen. [ca. 25.] [Weimar] Henriette v. Knebel an Knebel (BG 6, 596): Denke nur, daß hier ein Franzos Lemarcand ist, der sonst in Erfurt war, der den „Doctor Faust“ ins Französische übersetzt. Er geht nach Spanien und will aber immer von Zeit zu Zeit einen Bogen von seiner Uebersetzung schicken, daß dieser [G] ihn korrigiren soll. Wir [Prinzessin Caroline u. Henriette v. Knebel] haben den Goethe noch nicht darüber gesprochen, sind aber neugierig, was er zu diesem Feldzug sagt. Es soll schon ein ganzes Stück davon fertig sein. 27. Abends bey Mad. Schopenhauer. Discurs mit Herrn LeMarquaud und

Falk über französ. Literatur, ihr Verhältniß zu sich selbst und zur Deutschen. 1

) W. v. Humboldt war am 17. u. 18. Nov 1808 in Weimar. Besuch bei G am Abend des 17. Nov. 2 ) F. Nicolai als Proktophantasmist, s. insb. 4172−75. 3 ) Belle Jardinie`re (Marienbild, 1507).

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Nov 29. Brief an Cotta concipirt. Gegen 11 zu Prinzeß Caroline . . . Verschie-

denes über LeMarquaud und sonstigs Verhältniß der Franzos. zu den Deutschen. [Dez 2.] An Cotta (Konzept; Br 20, 227): Diese Tage ist bey uns eine höchst merkwürdige Erscheinung vorübergegangen. Mr. Lemarquand, an dem wir schon, als er französischer Commissär in Erfurt war, einen uneigennützigen, ehrliebenden und geistreichen Mann kennen lernen, hat sich die letzte Zeit in Berlin aufgehalten und ohne sonderliche Kenntniß des Deutschen sich an den Faust dergestalt attachirt, daß er mir ihn theilweise, das Buch vor sich habend, sehr frey und anmuthig in Prosa übersetzte. Die dunklen Stellen fühlt und kennt er auch alle und hat über manche Erklärung verlangt und erhalten. Einige Stellen hat er schon poetisch übersetzt, sehr heiter und glücklich. Ich kannte schon früher kleinere poetische Sachen von ihm die sehr gelenk und elegant sind. Den Sinn des ganzen sowohl als der einzelnen Charaktere und Situationen hat er vollkommen durchdrungen. Ich wünschte mir viel solche deutsche Leser. Nun arbeitet er das Einzelne durch und will nicht ruhen bis er das Ganze zu einer genießbaren französischen Production umgearbeitet hat.1) Er wird während seiner Arbeit mit uns beständig conferiren und das Resultat wird immer höchst merkwürdig seyn, weil der französische und deutsche Geist vielleicht niemals einen so wunderbaren Wettstreit eingegangen sind. Bey dieser Gelegenheit habe ich zum erstenmal die kleine Edition des Faust2) gesehen. Auf obige Bedingungen3) wünschte ich gleichfalls ein halb Dutzend Exemplare. 2. [Dresden] G. H. Schubert an G (GSA 28/831 St. 4): Ich habe diesen Sommer den Faust gelesen. Einen solchen tiefen, zerreißenden und erhebenden Eindruck, hat auf mich noch nie ein Buch gemacht, und ich halte dieses Werk über alle die von Menschenhänden gemacht sind. Es ist in mir bey diesem Lesen rege geworden, was ich nicht in mir wußte. 14. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 7): Vertrauliches Urteil über Vossens Charackter als Mensch, der sich erst später so versteinert habe. Angrif [im Morgenblatt Nr. 283/84 v. 25. und 26. Nov 1808] gegen G[oethes] Recension des Wunderhorns [JALZ 1806 Nr. 18] . Dafür woll er ihn auch noch einst auf den Blocksberg citiren [Faust P47]. 17. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 1, 190): Was Sie mir über Mr Le Marquants Übersetzung des Fausts ins Französische [am 2. Dez] gnädig mittheilten, ist äußerst interessant. Könte ich durch Hochdero Vermittlung nicht einige Bruchstücke zur Mittheilung im Morgenblatt erhalten?4) 1

) Lemarquand scheint sein Vorhaben nicht ausgeführt zu haben, da von seiner Faust−Übersetzung später nicht mehr die Rede ist. 2 ) Aus dem revidierten Satz von Bd 8 der Ausg. A hergestellte Einzelausgabe von Faust. Eine Tragödie; zu dieser Einzelausgabe, von G auch der kleine Faust u. der besondere Abdruck Fausts benannt, s. unten 14. Okt 1811: an Cotta. 3 ) Cotta soll sie ihm debitieren. 4 ) Abdruck nicht nachweisbar.

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Dez 23. (s. „Werke, Ausgabe A“: Cottasche Buchhandlung an G gD) 24. [Dresden] Helene v. Kügelgen an F. G. v. Kügelgen (Helene Marie v. Kügelgen. Ein Lebensbild in Briefen. Hsg. v. A. u. E. v. Kügelgen. Stuttgart 101950, 123): Ich liebe ihn [G] wahrlich, ob ich gleich nicht zweifle, daß er den Mephistopheles persönlich kennt, den er so treu gemalt hat, und daß er den Faust in hoher Person gespielt hat auf des Lebens Theater. 30. [Genf] Germaine de Stae¨l an Sophie v. Schardt (Jasinski 6, 574): Je continue mon ouvrage sur l’Allemagne. J’ai traduit en prose le tiers de Faust.

1809 Jan

⎯ Vo l a n d 1) ein nordischer kunstlicher Schmied. Daher Vo l a n d . der

Teufel, Vo l a n d i n e teuflich Weib. Meister H ä m m e r l e i n item. 2. Jean Paul: Bittschrift an den im Jahre 1809 uns alle regierenden Planeten Merkurius. In: Morgenblatt Nr. 1 v. 2. Jan 1809, 3: Es erschien . . . im Druck ein Shakespear posthumus, der aber ungeachtet seiner Kolossen-Gestalt doch von den aufgewickelten hohen Fahnen des Krieges so verhüllt wurde, daß man ihn nicht ganz sehen und anbeten konnte; von G o e t h e ’ s F a u s t ist die Rede, dessen Höllenfahrt eine LesersHimmelfahrt ist . . . Schreiber dieses wünscht nichts so sehnlich, als diesen F a u s t , es sey teilweise oder ganz, in seine Werke unbemerkt hineinzustehlen und einzuschwärzen (so daß man den Diebes-Daumen für seinen Schreib-Daumen hielte), blos um jetzt im Frieden für ein solches Werk unbeschreiblich vergöttert zu werden. 13. Abends bey Legationsrath Falk, Thee und chinesisches Schatten-

spiel.2) [13.] [Weimar] B. R. Abeken, Goethe in meinem Leben3) (GG 2, 413): Falk . . . der damals immer seltsame Dinge im Kopf hatte und in die Gesellschaft Geistreiches zu bringen bemüht war, ließ, um eine große, bei ihm versammelte zu unterhalten, in einem selbsterfundenen Chinesischen Schattenspiel Szenen aus Goethes Faust darstellen, wozu hinter dem die Schattenbilder aufnehmenden Vorhange von ihm und einer damals reisenden Virtuosin, Fräulein [Therese] von Winkel, aus dem Gedichte deklamiert wurde. Da kam es mir [Falk] nun äußerst komisch vor, wie diese aus schwarzem Papier geschnittenen, fingerlangen Püppchen, die Gretchen, Valentin, Faust und Mephistopheles vorstellen sollten, vor Goethes Augen sich hin und her bewegten. Er sah das ganz ruhig an; am andern Tage [14. Juli] sagte er zu Frau von Schiller, „es sei ihm vorgekommen, als ob er schon hundert Jahre tot gewesen.“

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) Aus der Edda Sämundar (Ältere Edda), die G, wie Tgb 14. Jan 1809 bezeugt, als Abschrift vorlag. Der Name Voland, Held der altnord. Sage, mhd. vaˆlant, böser Geist, Teufel, Unhold, auch Hämmerlein, ist Bezeichnung für den Teufel; G besaß eine Ausg. der Edda aus dem Jahre 1787 (Ruppert Nr. 770); vgl. „Edda. Studien“ EGW 3,157−71. − In 4023 der Sz. Walpurgisnacht verbindet G, wie bereits Praetorius, den Teufelsnamen Voland mit der Bezeichnung Juncker. 2 ) s. das nächste Z. 3 ) Geschrieben vor 1866.

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[Jan nach [Landshut] C. Brentano an G (FBA 32, 127): Neulich laß ich hier in einer Gesellschaft 19.] einiges aus dem Faust vor, und mir fiel wunderlich auf, daß die meisten um den eigentlichen Zweck fragten, ein alter Mann aber sein groses Vergnügen nur mit der Milderung bezeigte, daß Wieland doch beßer referire, waß er bei den alten Gelesen. Jan

20. [Weimar] Riemer Tagebuch (Deutsche Revue 12.1, 12): Zu Mad. Schopenhauer, wo Wolffs und Kügelgen waren, und Werner . . . Nach Tische las Werner aus Faust vor,1) den Mephistopheles etc. sehr gut, vortrefflich sogar.

[Jan ?]

Febr

[Weimar] F. G. v. Kügelgen an seine Frau (GG 2, 414): Überhaupt kannst Du Dir kaum denken, wie offen und freundlich hier alle mir begegnen, besonders aber Goethe und Wieland2) . . . Besonders aufgeklärt bin ich nun über das sogenannte Heidentum und die Irreligion der Weimaraner, die, in der Nähe gesehen, weit heiliger dasteht, als alle die Afterkatholiken und Antiprotestanten mit ihrem verruchten Wesen. Wieland ist ein frommer, gottergebener Mann, und Goethes Ansichten über die Gottheit sind ebenso erhaben, als er selbst kräftig in seiner Menschenhülle dasteht. Dies war mir nicht neu; denn ich kenne ja seinen Faust. Du hattest ganz recht, wenn Du sagtest, Goethe würde dieses Werkes Vollendung uns nicht schuldig bleiben. Wie sehr freue ich mich, nach unendlichen Labyrinthen, durch welche der Teufel den armen Faust noch führen wird, diesen am Ende doch als Sieger zu sehen! − So triumphiert die Menschheit über das Böse, so Michael, der den Satan in den Abgrund fördert!

7. [Tübingen] Varnhagen v. Ense an Rahel Varnhagen (Feilchenfeldt – Schweikert − Steiner 4, 283): Einen Faust hat der arme Schelm [J. Baggesen] gemacht, einen politischen Faust,3) der viel aus Goethe parodiren soll und auch an dessen Faust sich insofern anschließen, als der Held nicht der alte Faust, sondern dessen mit Gretchen gezeugter Sohn ist. 25. [Weimar] C. Bertuch Tagebuch (GSA 06/3069): Nachmittag 3 Uhr zu Goethe, wo er eben gespeißt hatte . . . Dann kam [Zacharias] Werner, wo Goethe höchst gemüthlich über seinen Faust sprach, bey Gelegenheit daß ich den von Baggesen4) nannte. − Es wäre eine alte Frazze der Faust, die jeder nach seiner Art zu behandeln suche. − Er Goethe habe vor kurzem, da er alle Mspte in Säcke habe, auch seinen F a u s t S a c k wieder vorgefunden. Da habe er viele hübsche Späße u. Scenen noch gefunden . . .5)

März 21. [Weimar] Caroline Herder an Jean Paul (Berend IV 6, 25): Was Sie über den Triumph des dramatischen Dichters sagen, ist ein edles Wort der Wahrheit, so wie das in dem Neujahrswunsch über den vergötterten Faust.6)

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) G nach Tgb wohl nicht anwesend, dort ist nur vermerkt: Gegen Abend Werner. ) Der Porträt- u. Historienmaler hielt sich Dez 1808/Jan 1809 in Weimar auf, vor allem um G u. Wieland zu porträtiren, was Gelegenheit zu ausführlicxhen Gesprächen gab. 3 ) J. I. Baggesen: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Ein dramatisches Gedicht in drei Abtheilungen. ED erst in: J. I. Baggesen: Poetische Werke in deutscher Sprache. Hsg. v. C. A. Baggesen. Th. 3. Leipzig 1836, S. 1−362; vgl. Henning III Nr. 1719. − Vorher schon in seinem Almanach Der Karfunkel oder Klingklingel-Almanach. Ein Taschenbuch für vollendete Romantiker und angehende Mystiker (Stuttgart 1810) brachte Baggesen mehrfach Andeutungen auf seine Faust- Parodie unter; vgl. auch 26. Dez 1808: J. H. Voß an Cotta u. 4. Febr 1809: H. Voß d. J. an Cotta (Fehling − Schiller 1, 305 u. 310). Vgl. auch Leif Ludwig Albertsen: Baggesens „Parthenaı¨s“ und „Faust“. In: Nerthus. Nordisch-deutsche Beiträge 1 (1964) 123−37. 4 ) s. vorhergehendes Z mit Anm. 5 ) Zum Nachfolgenden s. „Faust. Der Tragödie zweiter Theil“ gD, S. 632 f. 6 ) s. oben 2. Jan: Jean Paul. 2

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5. Abends zu Leg. Rath Falk, wo große Gesellschaft war. Als das Schat-

tenspiel anfing, ging ich weg und zur Frau von Stein, wo Fr. von Schiller war.1) ⎯

5. [Weimar] Riemer Tagebuch (GMD, KK 3773): Abends bei Falk ombres [Schattenspiele]. ⎯ [Leipzig] Böttiger [Rez.:] Faust; eine Tragödie von G ö t h e 2 ) . (Bibliothek der redenden und bildenden Künste. Leipzig 1809. Bd 6, St. 2, 315f.; 318f.; 322; 327f.): Der itzige Herr Geheimderath v o n G ö t h e zu Weimar . . . kam auf den Einfall, das auszuführen, was Lessing unausführbar gefunden hatte. Es blieb indeß auch nur bey einem Bruchstück, das er in die Sammlung seiner 1790 bey Göschen gedruckten S c h r i f t e n aufnahm . . . Der hohe poetische Werth dieses Fragments veranlaßte wahrscheinlich viele seiner Freunde, ihn wiederholt aufzufodern, doch dieses Fragment zu ergänzen. Freylich überlegten diese Freunde nicht, daß sie etwas Unmögliches foderten, da der Stoff widersinnig ist: indeß verdanken wir ihnen ein Werk, von dem man wohl sagen kann, es ist das Höchste, wenn auch mitunter das Bizarreste, was der Genius der deutschen Dichtkunst hervorgebracht hat. Freylich ist es, wie der Dichter auch selbst sagt, (in dem Vorspiel S. 12) kein G a n z e s ; höchst charakteristisch nennt er es: „ein R a g o u t .“ Wir wollen dessen Bestandtheile untersuchen. [Folgt Inhaltsangabe mit einzelnen Stellungnahmen; zum Prolog im Himmel; 318f.: ] Dieß soll denn nun eine Einleitung zu der darauf folgenden Tragödie seyn. Ist denn aber Mephistophel blos ein Schalk, wie ein Spaßmacher an der Tafel Jupiters? Er ist ja Teufel, Verführer der Menschen: wie kann also d e r H e r r , der Schöpfer und Vater der Menschen, zu ihm sagen: „Ich habe deines gleichen nie gehaßt!“ [337] . . . Wie ekelhaft, daß Faust die Natur bey ihren Brüsten fassen will? Diese Brüste verwandeln sich in Quellen, und an diesen hängt Himmel und Erde . . . Da ein Dichter, wie Göthe, solche Verse in die Ausgabe seiner Werke von letzter Hand aufnimmt; darf man sich wohl wundern, wenn die Franzosen den Deutschen Ungeschmack zum Vorwurf machen? . . . [322:] Ganz vortrefflich sind die . . . Scenen im Kerker. Shakespear’s Genius hat nichts Rührenderes hervorgebracht . . . [327f.:] Der Schluß befriedigt nicht; er ist zu abgebrochen. Margarethe wird durch denselben zur Hauptperson erhoben. Aber der einfache, anspruchslose, und doch die feinsten Gefühle ergreifende Ton in dieser Scene, so wie die Phantasie und Menschenkenntniß, die erfodert ward, sie zu schreiben, erregen die innigste Bewunderung für das Genie des Verfassers. Wie Göthe hat kein andrer deutscher Dichter das menschliche Herz ergründet. Hat er aber auch das Problem gelöst: warum Faust sich dem Teufel ergab? Wir zweifeln. Sein Faust ist uns zu sehr noch Student. Da es mit seinem Streben, die Natur zu ergründen, nicht recht fort will, verfällt er darauf, durch Magie mit den Höllengeistern Bekanntschaft zu machen, um durch sie seinen Zweck zu erreichen: So weit alles recht gut! Aber warum wählt er sich einzig den Geist der Sinnlichkeit zum Vertrauten? Wie niedrig! War es nicht besser, wenn er sich aus überspanntem Ehrgeitz dem Teufel ergab? Wenn er herrschen, alles neu einrichten wollte? Auch die alte deutsche Haupt- und Staatsaction, Doctor Faust betittelt, konnte den Verfasser leiten, diesen Weg einzuschlagen, um seinem Helden mehr Achtung zu verschaffen. Wer hingegen muß nicht einen Menschen verachten, der übernatürliche Kräfte bloß dazu vergeudet, um ein armes unschuldiges Bürgermädchen zu verführen? Ueberhaupt begreifen wir nicht, warum Herr von Göthe so gern Menschen mit Löschpapier-Seelen, wie sein Clavigo, sein Egmont, sein Faust, sein Karl Meister, zum Hauptgegenstand seiner Darstellungen des menschlichen Treibens und Denkens wählt? Der Held einer Geschichte oder eines Drama’s muß doch Charakter mit Kopf verbinden . . . Was in den Göthe-

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) Vermutl. erneutes Schattenspiel nach G’s Faust, s. oben 13. Jan 1809: Tgb. ) Doppelrezension von G’s Faust I u. von Karl Schönes Faust, eine romantische Tragödie.

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schen Dichtungen anzieht, ist die Wahrheit der Empfindungen und der ihnen entsprechende Ausdruck: aber die Anlage derselben ist zu wenig überdacht. Man kann wetten, daß z. B. im Faust Herr von Göthe schon die meisten Scenen aufs Papier geschrieben hatte, bevor er bestimmt wußte, wie sein Stück enden sollte. Erst während der Arbeit suchte er nach einem Ausgang. So wenig wir geneigt wären, Diderots Theorie des Drama zu der unsrigen zu machen; so hat Diderot doch unstreitig darin Recht, wenn er verlangt, der dramatische Dichter solle nicht eher an den Dialog denken, solle nicht eher irgend eine Scene dialogiren, bis er sich einen vollständigen Plan entworfen habe, bis er wisse, wie eine Scene auf die andere folgen solle, und mit welcher Rede das Stück schließen werde: denn diese müsse er immer im Auge behalten.

[Juni [Weimar] J. D. Falk, Erste Niederschrift Besuchsbericht (GMD Falk-Nachlaß: IV 7: Goe30.]1) the, Sign.: 0): Göthe Ein Vormittag bey Göthen 1809 Ein Sommerbesuch im Garten, als Ka[a]z da war, und er [G] saß und Landschaften zeichnete − Da sitzt das Ungeheuer in weiten Ermeln da und lacht mich aus das ich so ein alter Esel bin − ich lebe nicht für den Tag − Wenn ichs nur erlebte, daß die Deutschen − die Ihr ein Uebel [?] nent mich auch um so ein hundert Jahr verfluchte − das könte m[ir] den grössten Spaß machen − Sie loben den Faust − hab ich was [zu] Dank gemacht? Ich verfluche die Iphigenie und den Tasso, weil sie ihn loben − Wenn der Dich[t]er von den Tasso weiß[?] da [daß?] man das Fligen kann, und ein Besenstiel da ist und doch zu Fuß auf den alten Zauberberg hinauf will − wie der Teufel − es freut mich, wenn es euch doch gefellt − man sollte sich öfters solche Speße machen − Und wenn man erst im Himmel dazu komt − ein Sack voll Faust − nach 100 Jahren − Es ist toll − Wenn sie erst sehen werden, wie es dem Teufel so gut geht im Himel − da verfluchen sie mich ganz . . . [30.] [Weimar] J. D. Falk, Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Leipzig 1832, 88−94:2) „Da sitzt das Ungethüm mit langen Aermeln da und bohrt mir Esel, daß ich noch so ein alter Narr bin und mich über die Welt ärgere − als ob ich nicht wüßte, wie es mit ihr bestellt, und daß Alles in und auf ihr mit D.[reck] versiegelt ist!“ Mit diesen Worten empfing mich Goethe, als ich eines Nachmittags im August in seinen Garten trat und ihn in einer weißen Sommerweste unter den grünen Bäumen auf einem schattigen Rasenplätzchen fand. Es war Freitag . . . „Ja, wenn ich es nur je dahin bringen könnte, daß ich ein Werk verfaßte − aber ich bin zu alt dazu − daß die Deutschen mich so ein funfzig oder hundert Jahre hintereinander recht gründlich verwünschten und aller Orten und Enden mir nichts als Übles nachsagten; das sollte mich außer Maßen ergötzen. Es müßte ein prächtiges Product seyn, was solche Effekte bei einem von Natur völlig gleichgültigen Publicum wie das unsere hervorbrächte . . . Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zu Danke gemacht! Vollends, wenn mein Walpurgissack nach meinem Tode sich einmal eröffnen und alle bis dahin verschlossenen stygischen Plagegeister, wie sie mich geplagt, so auch zur Plage für andere wieder loslassen sollte; oder wenn sie in der Fortsetzung von „Faust“ etwa zufällig an die Stelle kämen, wo der Teufel selbst Gnad’ und Erbarmen vor Gott findet; das, denke ich doch, vergeben sie mir sobald nicht! Dreißig Jahre haben sie sich nun fast mit den Besenstielen des Blocksberges und den Katzengesprächen in der Hexenküche, die im „Faust“ vorkommen, herumgeplagt, und es hat mit dem Interpretiren und dem Allegorisiren dieses dramatisch-humoristischen Unsinns nie so recht fortgewollt. Wahrlich, man sollte sich in seiner Jugend öfter den Spaß machen und ihnen solche Brocken, wie den Brocken hinwerfen. Nahm doch selbst

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) Die Niederschrift verzeichnet nur Sommer 1809 als Gesprächsdatum, doch läßt sich aus der Anwesenheit des Landschaftsmalers Kaaz der 30. Juni 1809 folgern, vgl. TgbEintrag: Nach Tische Portefeuilles mit Kaaz durchgesehen . . . Nachher gezeichnet im Garten. Abends Legat. Rath Falk. 2 ) Verfaßt Anf. 1824.

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die geistreiche Frau v. Stael es übel, daß ich in dem Engelgesang, Gott Vater gegenüber, den Teufel so gutmüthig gehalten hätte, sie wollte ihn durchaus grimmiger.1) Was soll es nun werden, wenn sie ihm auf einer noch höhern Staffel und vielleicht gar einmal im Himmel wieder begegnet?“ „Um Verzeihung,“ nahm ich hier das Wort; „Sie sprachen vorhin von einem Walpurgissack? Es ist das erste Wort, was ich heute darüber aus Ihrem Munde höre. Darf ich wissen, was es mit demselben eigentlich für ein Bewenden hat?“ − „Der Walpurgissack,“ gab mir hierauf Goethe mit dem angenommenen feierlichen Ernste eines Höllenrichters zur Antwort, „ist eine Art infernalischem Schlauch, Behältniß, Sack, oder wie Ihr’s sonst nennen wollt, ursprünglich zur Aufnahme einiger Gedichte bestimmt, die auf Hexenscenen im „Faust“, wo nicht auf dem Blocksberg selbst, einen nähern Bezug hatten. Nach diesem, wie es zu gehen pflegt, erweiterte sich diese Bestimmung ungefähr, sowie die Hölle auch von Anfang herin nur Einen Aufenthalt hatte, späterhin aber die Limbusse und das Fegefeuer als Unterabtheilungen in sich aufnahm. Jedes Papier, das in meinen Walpurgissack herunterfällt, fällt in die Hölle; und aus der Hölle, wie Ihr wißt, gibt es keine Erlösung. Ja, wenn es mir einmal einfällt, wozu ich eben heute nicht übel gelaunt bin, und ich nehme mich selbst beim Schopf und werfe mich in den Walpurgissack: bei meinem Eid, was da unten steckt, das steckt unten, und kommt nicht wieder an den Tag, und wenn ich es selbst wäre! So streng, sollt Ihr wissen, halte ich über meinen Walpurgissack und die höllische Constitution, die ich ihm gegeben habe. Es brennt da unten ein unverlöschlisches Fegefeuer, was, wenn es um sich greift, weder Freund noch Feind verschont. Ich wenigstens will Niemand rathen, ihm allzunahe zu kommen. Ich fürchte mich selbst davor!“

[Juni [Weimar] J. D. Falk, Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Leipzig 30.?] 1832, 94−96:2) Eine Probe aus diesem Walpurgissacke und zugleich des Goethe’schen Humors sei die in dem gedruckten „Faust“ unterdrückte Szene, welche hier mitgeteilt werden soll. Es wird nämlich dem Faust, weil er die ganze Welt kennen lernen will, vom Mephistopheles unter Anderm auch der Antrag gemacht, beim Kaiser um eine Audienz nachzusuchen. Es ist gerade Krönungszeit. Faust und Mephistopheles kommen glücklich nach Frankfurt. Nun sollen sie gemeldet werden. Faust will nicht daran, weil er nicht weiß, was er dem Kaiser sagen, oder wovon er sich mit ihm unterhalten soll. Mephistopheles aber heißt ihn guten Muthes seyn; er wolle ihm schon zu gehöriger Zeit an die Hand gehn, ihn, wo die Unterhaltung stocke, unterstützen und, im Fall es gar nicht fort wolle, mit dem Gespräche zugleich auch seine Person übernehmen, so daß der Kaiser gar nicht inne zu werden brauche, mit wem er eigentlich gesprochen oder nicht gesprochen habe. So läßt sich denn Faust zuletzt den Vorschlag gefallen. Beide gehen ins Audienzzimmer und werden auch wirklich vorgelassen. Faust seinerseits, um sich dieser Gnade werth zu machen, nimmt Alles, was irgend von Geist und Kenntniß in seinem Kopfe ist, zusammen und spricht von den erhabensten Gegenständen. Sein Feuer indessen wärmt nur ihn; den Kaiser selbst läßt es kalt. Er gähnt einmal über das andere und steht sogar auf dem Punkte, die ganze Unterhaltung abzubrechen. Dies wird Mephistopheles noch zur rechten Zeit gewahr und kommt dem armen Faust versprochnermaßen zu Hülfe. Er nimmt zu dem Ende dessen Gestalt an und steht mit Mantel, Koller und Kragen, den Degen an seiner Seite, leibhaftig wie Faust vor dem Kaiser da. Nun setzt er das Gespräch genau da fort, wo Faust geendigt hatte; nur mit einem ganz andern und weit glänzenderm Erfolge. Er raisonnirt nämlich, schwadronirt und radotirt so links und rechts, so kreuz und quer, so in die Welt hinein und aus der Welt heraus, daß der Kaiser vor Erstaunen ganz außer sich geräth und die umstehenden

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) Vermutl. Äußerung aus dem Jahre 1808, als sich Frau von Stae¨l in Abwesenheit G’s in Weimar aufhielt, vgl. Gräf II 2, 226. 2 ) Verfaßt Anf. 1824.

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Herren von seinem Hofe versichert, das sei ein grundgelehrter Mann, dem möchte er wol tage- und wochenlang zuhören, ohne jemals müde zu werden. Anfang sei es ihm freilich nicht recht von Statten gegangen, aber nach diesem, und wie er gehörig in Fluß gekommen, da lasse sich kaum etwas Prächtigeres denken, als die Art, wie er Alles so kurz, und doch zugleich so zierlich und gründlich vortrage. Er als Kaiser müsse bekennen, einen solchen Schatz von Gedanken, Menschenkenntniß und tiefen Erfahrungen nie in einer Person, selbst nicht bei den weisesten von seinen Räthen, vereinigt gefunden zu haben. Ob der Kaiser mit diesem Lobe zugleich den Vorschlag verbindet, daß Faust-Mephistopheles in seine Dienste treten, oder die Stelle eines dirigirenden Ministers annehmen soll, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich aber hat Faust einen solchen Antrag aus guten Gründen abgelehnt.

[Juli]

[Paris] Charles Vanderbourg, Du Docteur Faust, de son Histoire prodigieuse et lamentable, du Roman de Klinger et de la Trage´die de Goe¨the, qui portent son nom (Mercure de France. Paris 1809. Tome 37. No 418, 241−46 u. No 419, 280−90; 285; 287f.): Sans partager l’enthousiasme aveugle des contemporains de M. Goe¨the pour leur poe¨te favori, nous lui avons toujours rendu justice. Il de´buta dans la carrie`re par deux chef−d’œuvres: les Souffrance du jeune Werther, et Goe¨tz de Berlichingen. Il a donne´ plusieurs autres ouvrages ou ` l’on reconnaıˆt, malgre´ leur bizarrerie et leurs de´fauts, l’empreinte de son ge´nie; tels sont le roman de Willhelm Meister, les trage´die d’Iphige´nie et du Tasse, le poe¨me d’Hermann et Dorothe´e . . . Mais il est d’autres productions de cet auteur fameux qu’on pardonnerait `a peine au poe¨te le plus me´diocre; tels sont le Grand Cophte et la Fille naturelle, remarquables, l’un par sa platitude, l’autre par l’ennui mortel de son galimatias. Malheureusement pour M. Goe¨the, ces ouvrages si peu dignes de lui, n’ont ´ete´ ni moins admire´s, ni moins loue´s que ses chef−d’œuvres. Plus malheureusement encore, il s’est forme´ autour de lui et `a l’abri de sa re´putation, une ´ecole me´taphysique et poe´tique qui voudrait ramener la philosophie aux reˆveries de l’illumine´ Jacob Boe¨hm et la prose `a la naı¨vete´ du moyen ˆage. Nous sommes loin de penser que M. Goe¨the adopte se´rieusement leurs extravagances, mais les hommages qui lui rendent les chefs de la secte l’obligent ne´cessairement d’y compatir; et l’engouement du public pour toutes ses productions, l’a engage´ plus d’une fois `a encourager ses pre´tendus disciples par son exemple. Il a cru qu’il n’y perdrait rien aupre`s du commun des lecteurs, et qu’il y gagnerait tout aupre`s des nouveaux critiques. La tentation devenait tre`s-forte en traitant le sujet de Faust; un magicien du quinzie`me sie`cle! On ne pouvait gue`re choisir un he´ros de trage´die plus propre `a de´biter du galimatias philosophique et mystique, ni une ´epoque plus favorable `a mettre en jeu tout le merveilleux de la sorcellerie, `a renouveler toutes ces absurdite´s de nos anciens myste`res . . . ou des actes sacramentaux des Espagnols . . ... M. Goe¨the aura-t-il ce´de´ `a cette pente funeste? aura-t-il consulte´ son bon ou son mauvais ge´nie? Voila` les questions que nous nous sommes faites en aprrenant que son Faustetait acheve´. C’est `a regret qu’apre`s l’avoir lu nous nous voyons oblige´s de dire que c’est l’auteur du Grand Cophte, de la Fille naturelle, qui s’y fait reconnaıˆtre et non celui de Goe¨tz et de Werther. Nous ne nous amuseront point `a critiquer la forme de cet ouvrage. La forme n’est rien en Allemagne et c’est pour l’Allemagne que M. Goe¨the l’a compose´. Sa trage´die est forte de quatre `a cinq mille vers; l’unite´ de tems ni celle de lieu n’y sont observe´es; il serait impossible de la jouer: mais tout cela n’est rien pour les admirateurs du poe¨te. Leur avi est que si Goe¨the intitule son Faust Trage´die, et que cet ouvrage ne s’accorde pas avec les ide´es que l’on se faisait de la trage´die avant lui, c’est `a ces ide´es `a changer et non `a Goe¨the `a mutiler un de ses chef−d’œuvres. Il est ´ecrit en vers de toutes mesures, le plus souvent en rimes croise´es, quelquefois en stances, en chansons, et l’on y remarque deux sce`nes en prose. Cette bigarrure nous serait insupportable; mais pourquoi nos voisins ne s’y plairaient-ils pas au dix-neuvie`me sie`cle, puisque les Anglais la tole´raient sous la reine Elisabeth? Ne sait-on pas qu’aujourd’hui, pour que l’art fasse des proge`s, il faut qu’il recule? Ces progre`s `a reculons sont sensibles `a plus d’un ´egard dans la

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nouvelle trage´die de M. Goe¨the . . . nous pardonnerions nous-meˆmes de bon cœur `a un poe¨te allemand cette reculade de l’art, si elle donnait un plus libre essor au ge´nie; si, par exemple, M. Goe¨the avait conc¸u le sujet de Faust d’une manie`re plus sublime que M. de Klinger, s’il en avait tire´ de plus beaux effets, de plus grands re´sultats, s’il en eu ˆt fait naıˆtre des pense´es plus profondes, des ´emotions plus vives, de plus sentimens. Malheureusement c’est tout le contraire.1). . . Apre`s avoir de´veloppe´ la conception mesquine et extravagante de cet ouvrage, apre`s en avoir indique´ la tendance irre´ligieuse, les de´tails pue´riles et degou ˆtans, il est de notre devoir de rendre justice aux beaute´s, peu nombreuses, il est vrai, qu’il renferme. La sce`ne de la prison entre Faust et Marguerite serait un chef-d’œuvre, si l’on comprenait quelque chose au de´nouement. Celle ou ` Valentin mourant accuse sa sœur, rappelle Shakespear, et par son effet tragique et par le cynisme des expressions . . . En attendant, qu’il nous soit permis de terminer cet article en exprimant nos vifs regrets de voir la litte´rature allemande de nos jours prendre une direction si extravagante. Comment une nation qui a produit Lessing et Sulzer, qui posse´dait encore il y a peu d’anne´es Gleim et Klopstock, et pour qui Wieland, Jacobi, les deux comtes de Stollberg et l’infatigable Voss ´ecrivent encore, comment, dis-je, se laisse-t-elle entraıˆner aux reˆveries des Schlegel, de Tiecke et de leurs pareils? Pourquoi faut-il que le gou ˆt de ses critiques et des poe¨tes se tourne en folie au moment ou ` elle pouvait se flatter de rivaliser dans cette carie`re avec ses voisins?

Juli

7. [Leipzig] H. K.: Schöne Literatur. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 134 v. 7. Juli 1809, 1070: Die alte Volkssage von Doktor Faust ist vielfältig in der deutschen Literatur, besonders in neuern Zeiten bearbeitet worden, und in der That sie bietet dem Dichter einen überaus reichen und großen Stoff dar. Das Bestreben eines feurigen Geistes, das Tiefste zu erforschen, das Höchste zu erringen, führt ihn über die Schranken der Menschheit hinaus, und in ein Labyrinth, wo unaussprechliches Elend und gewisses Verderben sein Loos ist. G ö t h e und K l i n g e r haben diesen Gegenstand bearbeitet, der letztere in einem Roman,2) wo die Aufgabe mit p h i l o s o p h i s c h e r Konsequenz gelöst ist, der erstere in einem Drama, das zwar unvollendet, aber voll ergreifender Gewalt ist und durch l y r i s c h e Schönheiten entzückt, über welchen man vergißt, daß der so herrlich angelegte Charakter des Faust nicht gehalten wurde. Außer diesen haben wir noch viele Fauste, excentrische Versuche jugendlicher Phantasie, wo der Teufel überall eine Rolle spielt und die er auch alle richtig geholt hat. Jetzt ist in der Sanderschen Buchhandlung in Berlin, F a u s t , e i n e r o m a n t i s c h e Tr a g ö d i e , von D. K a r l S c h ö n e , erschienen,3) die wohl unter allen das schwächste Produkt ist. 20. An J. Fr. Rochlitz (Br 21, 5): Dürfte ich Sie wohl um die Composition

des Königs von Thule ersuchen.4) 30. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 100): Meine Musik zum K ö n i g i n T h u l e 5) lege ich bey. Sie will ganz einfach, ohne alle Abweichung, aber bestimmt und feyerlich vorgetragen seyn. Aug 15. [Königsberg] W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt (Sydow 3, 217f.): Gestern waren wir wieder alle, aber in großer Gesellschaft, zusammen beim Kronprinzen [Friedrich Wilhelm v. Preußen], wo Radziwill einen von ihm komponierten Marsch mit Chören 1

) Es folgt ein Vergleich von Klingers Roman mit G’s Tragödie, durchweg zu G’s Ungunsten. 2 ) F. M. Klinger: Fausts Leben,Thaten und Höllenfahrt in fünf Büchern. St. Petersburg 1791. 3 ) s. oben 17. Nov 1807: Tgb. 4 ) Zu Sz. Abend (2759−82). 5 ) J. Fr. Rochlitz’ Vertonung Der König in Thule als Klavierauszug in: Allgemeine Musikalische Zeitung 12 (1809) Nr. 2 [Beilage Nr 1, If.].

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aus dem Faust:1) ›Burgen mit tönenden Zinnen‹2) usw. aufführen ließ. Die Musik war nicht sehr schön. Manchmal aber komponiert er sehr hübsch. ›Neige du Schmerzenreiche‹3), ist ihm wirklich in sehr hohem Grade gelungen.

Aug 27. [Rudolstadt] Charlotte v. Schiller an G (GJb 1883, 260): . . . der Faust war auch unser Begleiter [auf der Reise nach Schwarzburg], u weil ich jedes Wort von Ihnen gern wieder vernehme, so möchte ich sagen, dass ich mich mehr daran ergözte als an Schulzens Predigt, wenn er aus dem Faust las.4) 28. [Halle] W. Grimm an J. Grimm (Briefwechsel zw. Jacob u. Wilhelm Grimm aus der Jugendzeit. Hsg. v. Herman Grimm u. Gustav Hinrichs. Weimar 1881, 156f.): Bettine [Brentano] componirt den ganzen Tag an dem Faust und hat zu der Musik eine solche Leidenschaft, daß sie, wie sie spricht, dadurch eine der Verrücktheit nahe gerückte Person ist. Alle Instrumente gehen ihr nicht tief genug, und sie setzt für alle.5) Sept 15. [Königsberg, anonym] Aus Königsberg. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 184 v. 15. Sept 1809, 1472: In einem Conzerte, welches jüngst der Fürst Radzivil den Königlichen Herrschaften gab, zeichneten sich unter mehrern seiner Compositionen besonders die, einiger Szenen aus G ö t h e ’ s Faust aus.6) Möchte es dem erhabenen Tonsetzer gefallen, sie der musikalischen Welt mitzutheilen, sie würde sich eines Meisterwerkes mehr zu erfreuen haben. Okt

4. [Bayreuth] Jean Paul an F. H. Jacobi (Berend III 6, 57): Deine Frage über Goethens Faust begehrt zur Antwort − ein Büchlein. Die poetische Kraftfülle darin begeistert mich. Ich weiß wohl, deine Frage meint mehr die philosophische als ästhetische Schätzung. Eigentlich ist’s gegen die Titanen-Frechheit geschrieben, die er sehr leicht in seinem − Spiegel, wenigstens sonst, finden konnte. Aber vor der Vollendung des Werks ist kein gerechtes Urtheil möglich. Daß ihn der Teufel nur dann holen solle, wenn er einmal wahrhaft befriedigt und seelig wäre, für diesen schweren Punkt gibt’s mir keine Auflösung als die, daß er sich bekehrte und sein hungriges Herz durch den Himmel stillte − und dann käme der Teufel! 5. [Königsberg] B. G. Niebuhr an Dore Hensler (Die Briefe Barthold Georg Niebuhrs. Bd 2. Hsg. v. D. Gerhard u. W. Norvin. Berlin 1929, 51): Einen Mitbewunderer des Faust habe ich an Fürst Radzivil gefunden, und seine Bewunderung bleibt nicht so unfruchtbar wie die meinige. Er hat sehr erschütternde Compositionen aller sangbaren Stellen gesetzt: doch kann ich mich noch nicht gewöhnen Gretchens Lied am Spinnrad7) für 1

) Erster Hinweis auf Faust-Vertonungen des aus einem poln. Fürstengeschlecht stammenden, mit einer Nichte Friedrichs d. Gr., Prinzessin Luise v. Preußen, verheirateten Anton H. Radziwill (1755−1833), der schon bald nach Erscheinen von Faust I begann, singbare Partien zu komponieren. Neben seinen Verwaltungsaufgaben u. Amtsgeschäften betätigte sich der dem preuß. Hof Nahestehende im Musik-Bereich als Cellist, Sänger, Komponist u. Mäzen Chopins u. Beethovens. Ab 1815 war er preuß. Statthalter in Posen, der sich im Frühj. auf dem Wiener Kongreß für die poln. Ansprüche einsetzte, womit er Humboldts Unwillen erregte. Näheres in: Schillemeit 1988, 639−62. 2 ) Burgen mit hohen Mauern und Zinnen . . . (884−902) der Sz. Vor dem Thor. − Zelters Kritik daran bei den späteren Proben in Berlin s. unten 31. März 1816. 3 ) Ach neige, Du Schmerzenreiche . . . (3587−616) der Sz. Zwinger. − F. Schubert komponierte im Aug 1814 dieselbe Szene. 4 ) Vermutl. Johannes Karl Hartwig Schulze (1786−1869), Gymnasialprofessor in Weimar. 5 ) Zu Bettine Brentanos Faust-Kompositionen s. oben [Mitte Jan] 1808: Bettine Brentano an G u. unten 26. Febr 1810: A. v. Arnim an Bettine Brentano. 6 ) Zu Radziwills Faust-Kompositionen s. oben 15. Aug 1809: W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt. 7 ) Meine Ruh’ ist hin . . . (3374−413) aus der Sz. Gretchens Stube.

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große Musik passend zu finden. Das heißt: eine höchst einfache wäre mir lieber. Ich freue mich seines feinen Sinns für jede Schönheit, obgleich er kein Deutscher ist. Ich möchte wissen, ob Villers den Faust wirklich bona fide faßt und liebt?1) Vanderbourg hat etwas sehr Gehaltloses darüber geschrieben.2)

Nov

5. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 115): Unser wackerer [C. L.] S t i e g l i t z , mein treuer Freund, hat − blos um Ihnen Einiges in seiner Kunst nachzusprechen, und ohne den geringsten weitern Gebrauch zu beabsichtigen − eine Reihe Zeichnungen nach ihrem F a u s t verfertigt.3) Einige sind wol zu sehr modernisirt, andere aber scheinen mir wirklich im Sinn des unsterblichen Werks zu seyn. 20. An J. Fr. Rochlitz (Br 21, 138): Theilte wohl Ihr Freund [Stieglitz]

etwas von seinen Zeichnungen nach Faust auf kurze Zeit mit; so würde es mir und manchem unsrer kleinen Gesellschaft zu großem Vergnügen gereichen.4)

1810 ⎯

⎯ F. L. Jahn: Deutsches Volksthum. Lübeck 1810, 391: Was ich vom Faust weiß, habe ich zuerst von Goethe gelernt, dem d e u t s c h e s t e n Dichter.

[Jan [Rom] Caroline v. Humboldt an G (GJb 1895, 47f.):5) [Caroline] . . . fühlt sich . . . vor 27.] gedrängt, den tiefen Eindruck, welchen sie durch den erst vor Kurzem erschienenen Theil des Faust empfangen, dem Dichter zu bekennen. Die Zueignung ist es, bei der sie länger verweilt, um in rührenden, leider nur stückweise erhaltenen Sätzen auszuführen, wie die Verse »das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich« [30] − und »mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen nach jenem stillen ernsten Geisterreich« [25f.] sie gelehrt haben, sich tiefer in Goethes Seele hineinzufühlen. Febr

3. [Leipzig] C. L. Stieglitz an G (GSA 28/ 53 Bl. 11f.): Es hat der H[err] Hofrath Rochlitz mir gesagt, daß Euer Excell[enz] meine Zeichnungen aus dem Faust zu sehen wünschten.6) In der Ueberzeugung, daß Sie mich nicht falsch beurtheilen und mich nicht für anmaßlich halten werden, als ob ich auf diese Dinge einen Wert setzte, übergebe ich Ihnen dieselben, mit der Bitte, mich wegen Anordnung und Ausführung, vorzüglich aber wegen der Figuren nicht zu streng zu beurtheilen. Je mehr ich Ihren Faust las, je mehr fühlte ich [mich] von seinen mannigfaltigen Schönheiten angezogen, und ich ließ mich verführen, diese Zeichnungen zu entwerfen, blos um das mir wieder zu geben, was ich beym öfteren Lesen empfand.

1

) Betr. Charles de Villers (1765−1815) des bekannten Vermittlers zw. dt. u. frz. Geist, Vorwort zu De l’Allemagne par Mme la Baronne de Stae¨l-Holstein. Nouvelle ´edition pre´ce´de´e d’une introduction par M r Charles de Villers et enrichie du texte original des morceaux traduits. Paris et Leipsic 1814 oder die Leipziger Ausg., die zusätzlich eine Einführung von Ch. de Villers (S. XXVII−LXIV) enthält. 2 ) C. de Vanderbourg: Du docteur Fau ˆst, de son Histoire prodigieuse et lamentable, du Roman Klinger et de la Trage´die de Goe¨the, qui porte son nom. In: Mercure de France 37 (1809) 241−46, 280−88; s. oben [Juli] 1809: Rez. 3 ) Insgesamt 13 Sepiazeichnungen, s. nächstes Z; Zeichnungen im Kupferstichkabinett Dresden. 4 ) Zu Stieglitz’ Faust-Zeichnungen s. 1810 Febr 3.: Stieglitz an G; Febr 7.: Tgb; Febr 18.: Tgb u. an Stieglitz. 5 ) Der Brief ist hier nur fragmentarisch überliefert. 6 ) s. oben 20. Nov 1809: an Rochlitz.

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7. Abends allein. Die Zeichnungen aus Faust von Stieglitz.1) 18. An C. L. Stieglitz (Konzept; Br 21, 189):2) Ew. Wohlgebornen

sende mit dem lebhaftesten Danke die mir anvertrauten Zeichnungen zurück.3) Sie haben mir und mehreren Freunden sehr viel Vergnügen und Unterhaltung gewährt. Dem Dichter kann nichts angenehmeres begegnen, als wenn er auf eine so bedeutende Weise erfährt, daß ihm die Einbildungskraft des Lesers entgegen arbeite. Da Ew. Wohlgebornen von der Landschaft, vom Local, von der Umgebung ausgehen und die Personen als Staffage behandeln; so entspringt daraus eine neue Art von Poesie, die, ohne die frühere nachahmen zu wollen, sich mit ihr in Rapport setzt und das Gedichtete von einer neuen Seite darstellt. Nehmen Sie daher nochmals meinen aufrichtigen Dank.

19. [Göttingen] Therese Huber an J. G. Reinhard (Heuser 4, 63): Der Mensch der sich uns offenbarte von Götz von Berlichingen bis zu den Sonetten die noch nicht gedruckt werden dürfen, ist eine Stral der Gottheit vor deren Urquell ich meine Knie dankend beuge. Sonst weiß ich vom Geheimrath Göthe manches Gutes, und der Geheimrath Göthe weis von den Menschen manches Schlechte. Im Mephistofles hätte er sich wohl zur einen Hälfte recht deutlich geschildert, und solcher Mephistofles Stunden ist sich wohl mancher wache Mensch b e w u ß t . B e w u ß t − denn unbewußt möchten sie den braven Menschen verunzieren. 26. [Berlin] A. v. Arnim an Bettine Brentano (Bode 2, 462): Deine Lust und Deine [kompositorische] Arbeit am „Faust“ sei Dir gesegnet.4) März 14. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 229): Fürst Radziwil . . . gibt sich nicht wenig Mühe Ihre Verse in Musik zu setzen und ist wirklich für einen Ausländer glücklich genug manchmal den rechten Ton zu treffen.5) [Apr] ⎯ [London, anonyme Rez.6)] Faust, &c.; i. e. Faustus a Tragedy, by Goethe. 16mo. pp. 312. Tubingen. 1808 (The Monthly Review; or, Literary Journal: by several hands. London. Vol. LXII. For April 1810, 492;495): In what degree Goethe has availed him-

1

) s. oben Febr 3.: Stieglitz an G sowie unten 18.: Tgb u. an Stieglitz. ) G’s Tgb vermerkt am 18. Febr: [Brief an] Dockt. Stiegl.[itz] Leipzig mit den Faustischen Zeichnungen. 3 ) s. oben. Febr 3.: Stieglitz an G u. Febr 18.: Tgb. 4 ) Zu Bettine Brentanos Faust-Vertonungen s. oben [Mitte Jan] 1808: Bettine Brentano an G; 28. Aug 1809: W. Grimm an J. Grimm. 5 ) Den Osterchor Christ ist erstanden! . . . (737−61, 785−807) der Sz. Nacht in des Fürsten Radziwill Vertonung führte Zelter 1810 öffentl. an der Sing-Akademie zu Berlin auf, vermutl. zu Ostern. (P. Wackernagel, Rückschau auf denkwürdige Aufführungen aus vergangener Zeit. In: Hollert (Hsg): Sing-Akademie zu Berlin. Fs. z. 175jährigen Bestehen. Berlin 1966, S. 30.) − Zu Radziwills frühsten Faust-Kompositionen s. oben 1809 Aug 15.: W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt m. Anm., Sept 15: Aus Königsberg m. Anm., Okt. 5.: Niebuhr an Dore Hensler, unten Dez 1810 [um Weihnachten]: Bettine Brentano an A. v. Arnim, 1814: TuJ m. Anm.; vgl. auch Schillemeit 1988, 639−62 u. Musik zu Faust 203−29: A. v. Radziwill: Compositionen zu Göthe’s Faust (1808–1832) Entstehungs- und Aufführungsgeschichte. Weitere Literatur s. in „Zwei Teufelchen und Amor“, S. 834–38. 6 ) Identifiziert als William Taylor of Norwich (1765−1836); s. Näheres bei Proescholdt 108ff. 2

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self of the antient mystery in the composition of the comic tragedy before us, we know not; probably, he has adhered very closely to the general disposition of the scenes and incidents, but has almost wholly re-written the dialogue. At least, this would be the most plausible and charitable way of accounting for the uncouth though fanciful mixture of farce and tragedy, of profaneness and morality, of vulgarity and beauty, of obscenity and feeling, which alternately checquer this wild production of the insanity, shall we say, or of the genius, of its celebrated author? Who can avoid laughter on reading this wanton competitor of Aristophanes; − who can refrain from grief on receiving such impure trash from the Goethe who, in his Iphigenia in Tauris1), had approached nearest of all the moderns to becoming the rival of Sophocles? A short analysis of the piece will give some idea of its extravagance: but its faults are too offensive and its beauties too peculiar to be properly displayed in translation. [Folgt kurze Inhaltsangabe] On the whole, the absurdities of this piece are so numerous, the obscenities are so frequent, the profaneness is so gross, and the beauties are so exclusively adapted for German relish, that we cannot conscientiously recommend its importation, and still less the translation of it, to our English students of German literature.

Apr 28. [Wien] J. F. v. Retzer an Wieland (Wieland BriefeAA 18.1, 113): Mit dem jungen Stoll2) war ich bisher . . . nicht . . . glüklich, er verließ muthwillig die Stelle bey dem Hoftheater . . . und nachdem er die unglükliche Nachahmung von Goethens Faust: die Schnecken ein Hochzeitspiel vollendet hatte, ergrief ihn die fixe Idee, mit Teufels Gewalt, Professor in Göttingen oder an einer andern Universität des Königreichs Westphalen zu werden . . . [Mai 1.?] [Berlin]3) Sing-Akademie (P. Wackernagel: Rückschau auf denkwürdige Aufführungen aus vergangener Zeit. In: W. Bollert (Hsg.): Sing-Akademie zu Berlin. Festschrift zum 175jährigen Bestehen. Berlin 1966, 30): Über eine Tonschöpfung besonderer Art muß hier ausführlicher gesprochen werden, da sie eng mit der Geschichte der Sing-Akademie verbunden ist. Fürst Anton von Radziwill war von jeher ein eifriger Freund und Förderer unseres Institutes. Die Akademie hat ihn zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt. Der kunstbegeistete Dilettant arbeitete über zwei Jahrzehnte lang an dem großen Vorhaben, eine Musik zu Goethes Faust zu schreiben . . . Die Sing-Akademie hatte bereits 1810 den Osterchor zum Vortrag gebracht.4) 30. [Bremen] Iffland an B. A. Weber (Musik zu Faust 92): Sie wünschen, daß ich an Goethe schreibe daß er seinen Faust in eine Oper wandle. Zweifeln Sie nicht und nie an meinem Willen, für Sie, für Ihr Talent und die Kunst. Aber erstens, ist es sehr schwer, von dem Herrn Staatsminister, Freiherrn von Goethe Excellenz, eine Oper zu begehren! Seinen Faust in eine Oper umgewandelt! Dann weiß ich nicht, ob wir im Stande sein würden, das Honorar welches uns auferlegt werden dürfte, leisten zu können. Ob Sie wegen der Bedürfnisse des Komponisten, mit ihm sich einigen können, ist eine dritte Frage. 1

) W. Taylor hatte 1793 eine Übersetzung der Iphigenie herausgegeben. ) Joseph Ludwig Stoll (1778–1815) Schriftsteller in Wien; Stoll hatte G über die Aufnahme des Faust in Wien informiert; vgl. oben 30. Juni 1808: Stoll an G. 3 ) Zu Sz. Nacht (737−807): Glockenklang und Chorgesang. Chor der Engel . Christ ist erstanden! 4 ) Diese Aufführung erwähnt auch Gottfried Eberle: 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin. »Ein Kunstverein für die heilige Muse«. Berlin 1991, 111, 147; gleichfalls GJb 2005, 317; nur in Musik zu Faust 206 Anm. 765 wird Zweifel erhoben: Diese Aufführung wird zwar häufig erwähnt, in keinem Fall hingegen belegt, auch nicht von Andreas Meyer-Hanno, Georg Abraham Schneider und seine Stellung im Musikleben Berlins, Berlin 1965, S. 104. 2

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3. [Bremen] Iffland an F. Kirms (Musik zu Faust 92): . . .1) Im Gefühl für den Dichter, hatte Hr. [Kapellmeister B. A.] Weber mich gefragt, ob Hr. von Göthe wohl seinen Faust, so viel das Theater gestattet, zur Oper zu bilden, geneigt sein würde. Es scheint mir, man dürfe diesen Antrag nicht wohl an ihn wagen . . . Ich unterstehe mich nicht, diese Frage an Ihn zu thun. Da wende ich mich denn an Sie, ob Sie,2) der Sie Herren von Göthe so lange kennen und verehren, einen Weg wißen, diese Sache in Erfahrung zu bringen. Ich darf nicht erst versichern, daß, was Sie von einem Manuscript in meine Hände bringen würden, wie ein Heiligthum darin gehalten, und binnen acht Tagen vom Empfang an, wieder in den Ihrigen sein würde. Wäre die Sache zu Stande zu bringen, so würde Hr. Weber dann auf etliche Tage nach Weimar kommen, um seine Ansicht und den Willen des Dichters in Verein zu bringen.3) [Juni/ [Berlin] K. A. Varnhagen v. Ense, Tagebuch vom 28. Juni 1843 (GG 2, 575): . . .5) Aug- Goethe sagte einmal zu Rühle: „Ich heidnisch? Nun, ich habe doch Gretchen hinrichSept]?4) ten und Ottilien verhungern lassen, ist denn das den Leuten nicht christlich genug? was wollen sie noch Christlicheres?“ Juni

Juni 20. [Wien] F. Grillparzer Tagebuch (F. Grillparzer: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Bd 4. Hsg. v. P. Frank u. K. Pörnbacher. München 1965, 254f.): Ich las „Fausten“. Er frappierte mich, meine Seele war seltsam bewegt, doch wagte ich kein Urteil zu fällen, da dieses Drama so unermeßlich von der als einzig gut gedachten Form meines infallibeln Schillers ganz abwich, und wohl auch hauptsächlich, weil [G.] A[ltmütter], dessen Urteil ich schätzte, ihm beinahe allen Wert abgesprochen hatte. Doch eine zweite Lesung war hinreichend, alle Vorurteile zu zerstören. Fausts schwermütige und doch kraftvolle Züge, Margarethens reine, himmlische Engelsgestalt gleiteten am meinem trunkenen Auge vorüber; der kühne, interessante Mann, in dem ich so oft mich selbst wiederfand oder doch wiederzufinden glaubte, setzte meine Phantasie in Flammen, riß meine Seele auf immer von Schillers rohen, grotesken Skizzen weg und entschied meine Liebe für Goethen. 21. [Dresden] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/650 St. 1): Die beygehenden sechs Zeichnungen6), welche H. Professor Zelter zu überbringen gütigst auf sich genommen hat,7) sind die Arbeit eines Euer Excellenz bereits bekannten Kunstliebhabers, der sich dank1

) Das Vorausgehende s. in „Der Zauberflöte Zweiter Theil“: Iffland an Kirms gD. ) Franz Kirms (1750–1826) war als Jurist in herzogl. Diensten ein für die Verwaltung der Hofkapelle u. des Hoftheaters zuständiger Kammerrat, der mit dem für das Kunstfach verantwortlichen G die Theaterintendanz teilte. 3 ) Die Anfrage blieb unbeantwortet, s. unten 4. Juli 1810: Kirms an Iffland. 4 ) Begegnungen G’s mit J. J. O. A. Rühle v. Lilienstern im Jahr 1810 bezeugt durch Tgb11. u. 12. Juni in Karlsbad, 8., 11., 15., 21., 22. u. 23. Aug in Teplitz u. 17., 20. u. 24. Sept in Dresden. 5 ) Das Vorausgehende s. in „Die Wahlverwandtschaften“ gD. 6 ) Die originalen Sepiazeichnungen zum Faust I von Ludwig Gottfried Carl Nauwerck (1772−1855), die G vorlagen, sind verschollen. Es waren die Blätter: Vorspiel auf dem Theater, Prolog im Himmel, Faust und der Erdgeist, Osterspaziergang, Hexenküche u. Blocksberg. Nauwerck veröffentlichte u. d. T. Darstellungen zu Göthes Faust von 1826 bis 1831 seine Zeichnungen als Lithographien. Weitere fünf Zeichnungen sind bis 1823 entstanden; die ganze Folge zu drei Lieferungen (12 Blätter) erschien zw. 1826 u. 1830; Rez. der 1. Lieferung in KA VI 1, 155−57, der 2. in KA VI 2, 428f.; die 1830 erschienene 3. Lieferung wurde nicht rezensiert; Abdruck aller 12 Bilder bei Neubert 118−122; s. auch Alfred Bergmann: Goethe und Nauwerck. In: JbSK 1926, 306−17. 7 ) s. unten 30. Juni 1810: Zelter an G; auf seiner Reise nach Teplitz hatte Zelter in Dresden den Maler Nauwerck besucht u. von diesem eine Mappe mit Zeichnungen zu G’s Faust erhalten, um sie an G weiterzugeben. Nachdem Zelter am 22. Juni in Teplitz 2

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bar der Nachsicht erinnert, womit frühere Versuche von seiner Hand von Euer Excellenz aufgenommen wurden.1) Ich würde es kaum gewagt haben meine Versuche dem Dichter des göttlichen Faust selbst vor die Augen zu bringen, wenn mir nicht das Urtheil mehrerer Kunstfreunde und insbesondre die ausdrückliche Aufforderung des trefflichen H. v. Kügelchen [Kügelgen] dazu den Muth gegeben hätte. Das erste Blatt, welches die drey scenischen Personen Director, Dichter und die lustige Person, hinter dem Vorhang, vorstellt, sollte, mit der gehörigen Inschrift auf dem Vorhange, als Titelblatt dienen,2) und ihm sollten 10 oder 12 Scenen aus den Tausenden dieses so ausgezeichnet plastischen Gedichtes folgen, in ähnlicher Manier wie die beygehnden und mit einer Verzierung, wie die Audienz des Mephistopheles vor dem Herrgott davon eine Probe giebt.3) Mögte die Ansicht meiner Darstellungen Euer Excellenz nur einen kleinen Theil des Genußes gewähren, den mir die Erfindung und Ausführung derselben verschafft haben und höchst schmeichelhaft wäre es mir wenn Sie darin Spuren fänden, daß ich kein ganz unwürdiger Genießer Ihrer unermeßlich reichen Dichtung sey, oder − was ich jedoch kaum zu hoffen wage − wenn etwas darunter wäre, welches Euer Excellenz bey der zu erwartenden Cottaischen Ausgabe brauchbar finden sollten.4) Da mein leider nur einwöchentlicher Aufenthalt unter den Kunstschätzen Dresdens nun in kurzem geendigt seyn wird und ich bald in meinen Wohnort [Ratzeburg] zurückkehre, so werde ich hoffentlich dort Muße finden, noch mehrere Blätter zum Faust auszuführen, die, wenn Euer Excellenz es der Mühe werth halten, wiederum Ihrer Prüfung zu Befehl stehen sollen.5)

Juni 30. [Teplitz] Zelter an G (MA 20.1, 235f.): Ich nehme die Gelegenheit durch Herrn Kaufmann aus Dresden6), Ihnen beigehendes Portefeuille mit 6 Zeichnungen zu Ihrem Faust zu senden, welche ich Ihnen von Seiten des H. Kammersekretair Nauwer[c]k aus Ratzeburg übergeben soll7) . . . Ich habe Herrn Nauwerck zu fragen vergessen, ob er Ihnen schon bekannt ist. Die Zeichnungen soll ich nach Berlin wieder zurück bringen und bis dahin in Ihre Verwahrung geben. Juli

4. [Karlsbad] Sendung der Nauwer[c]kschen Zeichnungen und Briefe von

Zelter. 4. [Karlsbad] An Zelter (Br 21, 344): Die Zeichnungen von Herrn Nau-

wer[c]k haben mir sehr viel Vergnügen gemacht; ich behalte sie einstweilen bey mir. Mehr sage ich heute nicht. 4. [Weimar] F. Kirms an Iffland (Musik zu Faust 92): Auf die Idee den Faust dramatisch zu bearbeiten,8) hat er [G] mir nicht geantwortet.

eingetroffen war, gab er die Mappe dem Dresdner Musikinstrumentenbauer F. Kaufmann, der nach Karlsbad reiste, wo er am 3. Juli eintraf u. G die Zeichnungen übergab; s. unten 4. Juli: Tgb. 1 ) Nauwerck hatte bereits Bilder zu den Preisausschreiben der W.K.F. 1800−1803 u. 1805 eingesandt. 2 ) Abb. s. Neubert 118. 3 ) Abb. Prolog im Himmel s. Neubert 118. 4 ) Nicht erfolgt. 5 ) Zu Nauwercks Faust-Zeichnungen s. unten 1810 Juni 30.; Zelter an G; Juli 4.; Tgb u. an Zelter; 30.: an A. v. Goethe. 6 ) Friedrich Kaufmann (1785−1866), Musikinstrumentenmacher aus Dresden. 7 ) s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G m. Anm. 8 ) s. oben 3. Juni 1810: Iffland an Kirms.

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8. [Karlsbad, nachmittags] Zeichnung von Nauwerk. 9. [Bukowan] Bettine Brentano an A. Bihler (Bettine v. Arnim FA 4, 125): Er [L. v. Beethoven] kam diese letzten Tage, die ich noch in Wien zubrachte, alle Abend zu mir, gab mir Lieder von Goethe, die er componirt hatte1) . . . 16. [Weimar] Wieland an Böttiger (Wieland BriefeAA 18.1, 160):2) . . . Sein [G’s] Ruhm steht nun einmal fest gegründet; w i r w i s s e n daß er k a n n w a s er will; aber wir haben ihm durch unsre gar zu schafmäßige oder vielmehr asininische Zufriedenheit mit jedem Futter, das er uns vorwirft, endlich eine Verachtung eingeflößt, wovon er in seiner neuesten Ausgabe des Doktor Fausts eine so überschwängliche Probe gegeben hat, daß man sich über nichts mehr verwundern sollte was er uns zumuthet3) . . . Daß der K n o t e n des Stücks [Die Wahlverwandtschaften] sich aus einem eckelhaften D o p p e l t e n E h e b r u c h i n d e r I m a g i n a t i o n , veranlaßt durch eine alltägliche Ehstandsscene entspinnt u. verwickelt, ist allenfalls des Dichters der Wallpurgisnacht auf dem Blocksberg, aber schwerlich des Dichters des Werthers, der Iphigenie und des Tasso würdig . . . 30. [Karlsbad] An A. v. Goethe (Br 30, 150): Unter die angenehmen Dinge,

die mir hier begegnet sind, gehört auch, daß Herr Nauwerk aus Ratzeburg, von dessen Zeichnungen bey unsern Ausstellungen du dich wohl noch etwas erinnerst, 6 Blätter Gegenstände aus Faust gesendet hat.4) Es sind sehr gute Sachen darunter; leider muß ich sie unmittelbar wieder zurückschicken. Okt

9. [Weimar] Charlotte v. Schiller an Prinzessin Caroline v. Sachsen-Weimar (Charlotte Schiller 1, 549): Ich bin mit unserem Meister in einer Stunde hier angekommen. . . Er war auch in Dresden und bei der Herzogin von Curland. Er hat viele Zeichnungen aus Faust [von Nauwerck] und Götz [von Pforr] mitgebracht.

Nov 13. [Weimar] Mittags allein.5) Ueber die Aufführung von Faust.6) 13. [Weimar] Riemer Tagebuch (Deutsche Revue 12, 4, 1887, 46): Mittags mit G. allein . . . Über die Aufführung und Besetzung von Faust.7) 16. An Cotta (Br 30, 160f.): Recht interessante und geistreiche Umrisse zu

Faust von Retzsch habe ich [am 20. Sept bei einem Atelierbesuch] in Dresden gesehen.8) Wenn er sie ebenso auf die Platten bringt, so wird es ein gar erfreuliches Heft geben.9) Auch hat Herr Nauwerck in Rat1

) Wohl u. a. das Lied Es war einmal ein König, Der hatt’ einen großen Floh . . . (2211−38) aus der Sz. Auerbachs Keller in Leipzig. 2 ) Das Vorausgehende s. in „Die Wahlverwandtschaften“: Wieland an Böttiger gD. 3 ) Das Folgende s. in „Die Wahlverwandtschaften“: Wieland an Böttiger gD. 4 ) s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G. 5 ) Christine war mit Caroline Ulrich nach Jena gefahren; G war allein mit Riemer. 6 ) Tischgespräch mit Riemer, das erstmals den Plan bezeugt, Faust I auf die Weimarer Bühne zu bringen. Vgl. dazu 18. Nov: an Zelter. Doch kam es erst im Herbst 1812 zu konkreten Vorarbeiten für eine Aufführung; s. unten 20. Okt 1812: Tgb. 7 ) Vgl. Riemer, Mittheilungen 2, 715: Mittags. Ueber die Aufführung und Besetzung von Faust . . . Beides wurde nachher von mir und [P. A.] Wolff noch näher verabredet und das Taschenexemplar danach eingerichtet, wenigstens zum Teil. 8 ) Erste Begegnung mit den Umrißzeichnungen zum Faust des Dresdner Malers, Zeichners und Radierers Friedrich August Moritz Retzsch (1779−1857). 9 ) Die Umrisse zu Goethe’s Faust erschienen erst 1816 in 26 Kupfern bei Cotta.

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zeburg ein halb Dutzend meist ausgeführte Zeichnungen zu Faust geliefert,1) die besonders in Betrachtung, daß sie von einem Liebhaber herrühren, bewundernswürdig sind. Nov 16. An L. G. C. Nauwerck2) (Konzept; Br 21, 416): Ew. Wohlgeboren haben mir diesen Sommer eine sehr angenehme Überraschung gegönnt, indem Sie mir die wohlgerathenen Zeichnungen [am 21. Juni] nach Carlsbad übersandten. Ich konnte mich nicht von ihnen trennen, weil ich sie nothwendig meinen und Ihren weimarischen Freunden vorlegen mußte. Auch unterwegs schon haben sie viel Vergnügen gemacht, und mehr als einmal bin ich gefragt worden, ob sie verkäuflich seyen. Erlauben Sie jetzt, daß ich sie noch bis etwa gegen das Neujahr behalte, und daß wir, in dem gewöhnlichen Jahres Programm der jenaischen allgemeinen L. Zeitung, ein gutes Wort darüber aussprechen.3) Unser Kupferstecher Herr [J. C. E.] Müller ist von Dresden aus auf diese Zeichnungen aufmerksam gemacht worden, und übertrüge wohl eine und die andere auf die Platte;4) allein es ist dabey bedenklich, daß gerade das Verdienstlichste Ihrer Zeichnung so außerordentlich zart ist, daß es kaum noch einmal und besonders mit einer andern Technik hergestellt werden könnte. 18. An Zelter (Br 21, 419): Schließlich melde, daß uns ein seltsames Unternehmen bevorsteht, nämlich den Faust aufzuführen,5) wie er ist, insofern es nur einigermaßen möglich werden will. Möchten Sie uns wohl mit einiger Musik beystehen; besonders bey dem Ostergesang6) und dem Einschläferungslied: Schwindet ihr dunklen Wölbungen droben.7) 23. An Ch. v. Stein (Br 21, 422): Indessen sende ich mehrere Umrisse zu G ö t z einen zu F a u s t 8) an denen ich Freude und meiner zu gedencken bitte. Dez

2. [Dresden] H. L. Verlohren an G (GSA 28/934 St. 3): . . . mir gütigst ertheilten Auftrag9) habe ich zu befolgen nicht ermangelt, Herr Retzsch welcher sich Hoch Denenselben zu Gnaden empfiehlet, radirt die von ihm gefertigten Zeichnungen anjetzo und sobald er diese Arbeit geendiget hat, wird er die Blatten an den Buchhändler Cotta zum 1

) s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G. ) Die Absendung bestätigt das Tgb vom 17. Nov: Briefe . . . an Hn Cammer Secretär Nauwerk nach Ratzeburg. 3 ) Das geschah nicht. 4 ) Es erfolgte nicht. 5 ) s. oben 13. Nov 1810: Tgb u. Riemer Tagebuch u. Mittheilungen. Das Unternehmen wurde zunächst aufgeschoben u. schließlich ganz aufgegeben. 6 ) Zur Sz. Nacht (737ff.): Christ ist erstanden!. . . Zelter gelang es nicht, G’s Wunsch zu erfüllen. 1810 führte er Radziwills Vertonung des Ostergesangs in der Berliner Singakademie auf. 7 ) Zur Sz. Studirzimmer (1447−505). Zelter gelang die Vertonung nicht; s. unten 16. Febr 1811: Zelter an G. 8 ) von Nauwerck , vermutl. Szene aus Auerbachs Keller 9 ) Schreiben, vermutl. vom 17. Nov 1810, nicht überliefert, s. Tgb 4, 1677f. 2

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Verkauf der Abdrücke überschicken,1) sollten aber Dieselben dennoch wünschen die Zeichnungen zu sehen, so will er solche gerne Denenselben auf einige Tage überschikken und ich erwarte deshalb Dero Befehle.2)

Dez 14. [Ratzeburg ] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/53 Bl. 99f.): Nicht schöner hätten mir die versuchten Vorstellungen einiger Scenen des Faust belohnt werden können, als durch den mir über Alles schmeichelhaften Beyfall des von mir so hochverehrten Verfaßers. Euer Excellenz Schreiben3) hat mich sehr glücklich gemacht. Mir ist − si magnis parva componere licet4) − wie Tasso, als die verehrten Hände sein Haupt mit dem schönen Lorbeer schmückten5), und ich habe alle Ursache, mir recht ernstlich die tausend Mängel und Schwächen meiner Arbeit ins Gedächtniß zu rufen, um mich nicht von der scharfen Gränzlinie einer gerechten und bescheidenen Selbstschätzung zu verirren. Wie überreichlich vergilt dieser Beyfall mein kleines Künstlerverdienst! War doch die Lust nach jenen Bildern des herrlichen Gedichts zu schaffen und zu bilden, schon ein so schöner reicher Genuß. Aber wenn auch diese meine[r] Ansicht dem Künstler nie fremd seyn sollte, so wird er doch selten in dem glücklichen Falle seyn, sich nicht durch andre Beziehungen von niederer Art befangen zu sehen. Dies ist auch mein Fall, und ich bekenne, daß ein zeitlicher Vortheil, den ich nach den Aeußerungen Euer Excellenz vielleicht von meinen Arbeiten hoffen darf, mir in meiner Lage wünschenswerth erscheint. Sollte sich ein Käufer dazu finden, so würde ich sie recht gern abstosen. Auf die Aeußerung dieses Wunsches gegen Hn. Schnorr in Leipzig war derselbe, auf meine Bitte, so gütig für die 6 Blätter einen Preis zu bestimmen. Er rieth mir, für jedes derselben 7 Louisdor zu fordern. Da ich aber kaum hoffen darf, sie in jeziger Zeit so hoch auszubringen, so wäre ich auch schon mit 5 Louisdor, für jedes Blatt, zufrieden. Würde mir zugleich noch die Ehre zu Theil, die Zeichnungen durch den Grabstichel vervielfältigt zu sehen, so wäre das um so erfreulicher für mich, und bey der gütigen Versicherung Euer Excellenz, daß die hochverdiente Firma W. K. F. [Weimarer Kunst-Freunde] in dem Programm der Jen. Lit. Zeit. meine Versuche ihrer Aufmerksamkeit würdigen will, mögte das Unternehmen vielleicht nicht fruchtlos bleiben. Es ist wahr, daß die Kupferstecher, zumal entfernt von dem Zeichner, ihm oft gar ärgerlich mitspielen, (wie ich dies selbst noch kürzlich erfahren habe,) indeß eignete sich dieses Unternehmen, seines Umfanges wegen, nur für einen der Besseren, und bey dem mögte ich vielleicht auf einer Seite wieder gewinnen, was er mir auf der andern nähme. Dem sey aber wie ihm wolle; ich lasse die Zeichnungen gern in Euer Excellenz Händen, so lange wie es Ihnen gefällig, oder überhaupt in Weimar, und wenn etwa − wenn Euer Excellenz sie nicht länger haben wollten − der wackere H. Landkammerrath [K.] Bertuch sie bis auf eine schickliche Gelegenheit in Verwahrung nehmen will, so wird dies für meinen Wunsch immer vortheilhafter seyn, als wenn ich sie in meinem von Kunstsinn so ganz entblößten Winckel bey mir liegen lasse . . . Nach Beendigung dieses Stücks [Der entfliehende Dädalus] denke ich die Scene in Auerbachs Keller auf eine ähnliche Art zu behandeln . . . 17. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 1, 220): Daß Euer Excellenz mit Retsch [Retzsch] Umrissen so zufrieden sind, habe ich mit Vergnügen vernommen;6) von Nauwerk habe ich auch einzelne Zeichnungen gesehen, die als Liebhaber Arbeit gewiß Bewundrung verdienen, nur weiß ich nicht, ob die Ausführung nicht zu schwierig seyn würde.

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) M. Retzsch: Umrisse zu Goethes Faust. Stuttgart/Tübingen 1816. ) Antwort, vermutl. vom 2. Jan 1811, nicht überliefert, s. Tgb 4, 1766f.. 3 ) s. oben 16. Nov 1810: an Nauwerck. 4 ) Vergil Georgica (IV, 176), dt. Wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf. 5 ) In G’s Torquato Tasso I 3, 471−502. 6 ) s. oben 16. Nov 1810: an Cotta. 2

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Dez 18. [Ratzeburg] L. G. C. Nauwerck an F. J. Bertuch (GJb 1881, 412): Hr. GehR. v. Goethe hat die Güte gehabt, meinen Zeichnungen zum Faust seinen Beifall zu bezeugen und schreibt mir, dass er in dem Jahresprogramm der Jen. Lit. Ztg. etwas darüber sagen wolle.1) Auf seine Auesserung, dass er mehrmals befragt sey, ob sie käuflich seyen, habe ich ihm geantwortet,2) dass ich sie recht gern einem Käufer überlassen würde und da ich nicht hoffen dürfte den Preis, den unser Schnorr dafür bestimmte, nämlich 7 Louisd’or für das Blatt, jetzt zu bekommen, so würde ich sie auch für 5 Louisd’or das Stück weggeben. Zugleich nahm ich mir die Erlaubniss, ihn zu ersuchen, wenn er die Zeichnungen nicht länger bey sich behalten wollte, solche Ihnen zuzustellen, weil ich sie lieber in Weimar wissen, als hier bey mir haben möchte, wo ich so wenig Aussicht habe, sie anzubringen. Wäre es Ihnen also, mein würdiger Freund, nicht zuwider, so möchte ich Sie bitten, auf den Fall, dass Hr. GehR. v. Goethe Ihnen selbige zustellen sollte, sie vor der Hand in Verwahrung zu nehmen und sie gelegentlich Kunstfreunden zu zeigen. [Dez um Weihnachten] [Berlin] Bettine Brentano an G (Bettine v. Arnim FA 2, 712): Ich habe des Fürsten Razivil [Radziwill] seine Musik aus dem Faust gehört3) das Lied vom Schäfer4) ist so einzig lebendig, darstellend, kurz alle Löbliche Eichenschaften besizend, daß es gewiß nimmer mehr so trefflich kann nachgemacht werden, denn das Chor: Drinnen sizt einer gefangen,5)− es geht einem durch Marck und Bein daß es ein Mensch so durchdrungne Imagination konnte haben. Das Chor der Geister wo Faust einschlummert6) ist auch von ihm componiert, sehr schön aber etwas Polnisch accenttuirt und muß so leicht vorgetragen werden wie fliegende Spinnweb in den Sommerabenden.7) Dez 27. [Drackendorf bei Jena] Pauline Gotter an Schelling (GG 2, 587f.): Er [G] hat von Dresden aus Compositionen zu seinem Faust erhalten, mit denen er sehr zufrieden ist, die Hexenküche und den Spaziergang vorstellend.8)

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⎯ Tag- und Jahres-Hefte9) (W 36, 66): Ferner hatte derselbe [S. Boisse-

re´e] Federzeichnungen, nach dem Gedichte: d i e N i b e l u n g e n [irrtümlich statt F a u s t ], von Cornelius10) mitgebracht, deren alterthümlich tapferen Sinn, mit unglaublich technischer Fertigkeit ausgesprochen, man höchlich bewundern mußte. Als Nachklang jener früheren Weimarischen Kunstausstellung, in Gefolg guter daraus sich herleiten1

) s. oben 16. Nov 1810: an Nauwerck. ) s. oben 14. Dez 1810: Nauwerck an G. ) Zu Radziwills Faust-Vertonungen s. oben 1809 Aug 15.: W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt; Sept 15.: Zeitung für die elegante Welt; Okt 5.: Niebuhr an Dora Hensler; 14. März 1810: Zelter an G m. Anm. 4 ) Der Schäfer putzte sich zum Tanz . . . (949−80) der Sz. Vor dem Thor. 5 ) Drinnen gefangen ist einer! . . . (1259−70) der Sz. Studirzimmer. 6 ) Schwindet ihr dunkeln Wölbungen droben! . . . (1446−505) der Sz. Studirzimmer. 7 ) Stilistisch überarbeitet aufgenommen in Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde (FA 2, 400) 8 ) Betr. vermutl. die Illustrationen von Nauwerck, s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G. 9 ) Verfaßt 1825 Apr. 10 ) s. unten 3. Mai 1811: Tgb. 2 3

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der Verhältnisse mit lebenden Künstlern, ward gar manches eingesendet. Der verdienstvolle N a u w e r c k zu Ratzeburg schickte Zeichnungen und Gemählde;1) des allzufrüh abgeschiedenen Landschaftsmahlers K a a z hinterlassene Zeichnungen wurden vorgelegt. Prinzeß Caroline von Mecklenburg . . . verschaffte sich von beiden eine Auswahl.2) ⎯

⎯ [Heidelberg] A. W. v. Schlegel: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. Vorlesungen von August Wilhelm Schlegel. Zweyter Theil. Zweyte Abteilung. Heidelberg 1811, 401−04 (Mandelkow 1, 282): Der jugendlichen Epoche gehört sein früh entworfner, aber erst spät erschienener ,Faust‘ an, der auch in seiner neuesten Gestalt immer noch ein Bruchstück ist, und in dessen Natur es vielleicht lag, immer ein Bruchstück bleiben zu müssen. Es ist schwer zu sagen, ob man mehr zu der Höhe hinanstaunt, die der Dichter oft darin erschwingt, oder mehr an den Tiefen schwindelt, die sich vor unsern Blicken auftun. Aber hier ist nicht der Ort, dieses labyrinthische und grenzenlose Werk, Goethes eigentümlichste Schöpfung, überhaupt zu würdigen; wir haben es nur in dramatischer Hinsicht zu betrachten. Die wundervolle Volkssage von Faust ist ein sehr theatralischer Stoff, und das Marionettenspiel, woraus Goethe nach Lessing3) den ersten Gedanken zu einem Schauspiel hergenommen, entspricht dieser Erwartung selbst noch in den verstümmelten Auftritten und dürftigen Worten, womit es von unwissenden Puppenspielern vorgetragen wird. Goethes Darstellung, die sich in einigen Punkten genau an die Überlieferung hält, in andern aber sie gänzlich verläßt, geht nach allen Richtungen absichtlich über die Dimensionen der Schaubühne hinaus. Viele Szenen sind stehende Schilderungen von Fausts innern Zuständen und Stimmungen, Entwikkelungen seiner Gedanken über die Unzulänglichkeit des menschlichen Wissens und über das unbefriedigende Los der Menschheit in langen Monologen oder Gesprächen; andre Auftritte, wiewohl an sich äußerst geistreich und bedeutsam, haben den Schein der Zufälligkeit für den Gang der Handlung; viele sehr theatralisch gedachte sind nur flüchtig skizziert; es sind rhapsodische Bruchstücke ohne Anfang und Schluß, worin uns der Dichter einen überraschenden Anblick gönnt, und dann plötzlich wieder den Vorhang fallen läßt, da in einem dramatischen Gedicht, welches auf der Bühne mit sich fortreißen soll, die einzelnen Teile nach dem Bilde des Ganzen gegliedert sein müssen, so daß man sagen kann, jede Szene habe ihre Exposition, ihre Verwickelung und Auflösung. Einige Szenen, voll von der höchsten dramatischen Kraft und von zerreißendem Pathos, z. B. die Ermordung Valentins, und Gretchen und Faust im Kerker, beweisen, daß dem Dichter die populare Wirkung auch zu Gebote stand, und daß er sie nur umfassenderen Absichten aufgeopfert hat. Er fordert oft die Einbildungskraft der Leser auf, ja er nötigt sie, seinen fliehenden Gruppen zum Hintergrunde unermeßliche bewegliche Gemälde zu geben, die keine theatralische Kunst vor die Augen zu bringen vermag. Um Goethes ,Faust‘ aufzuführen, müßte man Fausts Zauberstab und Be-

1

) s. unten 1811 Apr 13. u. 30.: Nauwerck an G u. Tgb; zu den früheren s. oben 1810 Juni 21. u. Juli 4.: Nauwerck an G u. Tgb. 2 ) Vgl. die Lesart der Stelle in H2a: Als Nachklang früherer Kunstausstellungen wird gar manches gesendet. Der verdienstvolle Nauwerk zu Ratzeburg schickt Zeichnungen und Gemälde. Prinzeß Caroline von Mecklenburg acquirirt seine Zeichnungen zu Faust, ingleichen Kaazens hinterlassene Zeichnungen. Des Cornelius Faustische Blätter werden bewundert. (W 36, 402) 3 ) [Anm. Schlegels:] Lessing hat die einzige Szene seines Entwurfs, die er mitteilt, nämlich wie Faust die bösen Geister zitiert, um den schnellsten zu seinem Dienst zu wählen, geradezu aus dem alten Stück entlehnt, welches den schönen Titel führt ,Infelix prudentia oder Doctor Johannes Faustus’. Schon Marlowe hatte in England einen Faust gedichtet, der aber leider in Dodsley’s Sammlung nicht wieder abgedruckt ist.

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schwörungsformeln besitzen.1) Bei solcher Unfähigkeit zur äußern Darstellung ist dennoch aus dem seltsamen Werke erstaunlich viel für die dramatische Kunst sowohl in der Anlage als Ausführung zu lernen. In einem vermutlich spät hinzugedichteten Prologe erklärt der Dichter, warum er, seinem Genius treu, sich nicht den Forderungen eines gemischten Haufens von Zuschauern fügen könne, und schreibt gewissermaßen dem Theater einen Scheidebrief.



⎯ Grillparzer: Notiz. In: Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Vollständige Ausgabe in 16 Bden. Hsg. v. Moritz Becker. Bd 10: Dramatische Fragmente aus der Jugendzeit. Leipzig o. J. [1917] 179: Meines Wissens hat noch niemand einen jungen Menschen beim Erwachen der Leidenschaft geschildert . . . ich habe mir einst vorgenommen, ein solches Bild in einer projektierten Fortsetzung von Goethes Faust zu zeichnen, aber der Plan ruht mit vielen anderen.2)

Jan

20. [Dresden] H. L. Verlohren an G (GSA 28/934 St. 4): Herr Retzsch empfiehlt sich Ew. Excellenz zu Gnaden, er würde sehr gerne Hoch Denenselben Proba Abdrucke seiner Zeichnungen oder wenn das Gantze vollendet ist, ein Exemplar überschicken, allein da Hr. Cotta das gantze Werck übernommen, so würde es ihm lieber seyn, wenn HochDieselben Sich an besagten Hrn. Cotta wegen eines Exemplars zu wenden die Güte haben wollten. Ich habe einige Abdrucke seiner Zeichnungen gesehen, sie scheinen mir sehr vollkommen.3) 22. [Frankfurt] S. Boissere´e Tagebücher (Weitz − Boissere´e 1, 59): Montags abends kamen wir nach Frankfurt, hier fanden wir . . . Cornelius, der mir seine Zeichnungen zum ,Faust‘ an G[oethe] mitgab.

Febr [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 245f.): Die eigentliche Ursache aber, warum ich so 16.−20. lange nicht geschrieben, ist: ich wollte Ihnen gleich das Verlangte für den Faust senden und hatte auch gleich angefangen wie ich Ihren Brief [vom 18. Nov 1810] erhalten hatte, da traten verdrießliche Dinge ein, die Sache mußte liegen bleiben und liegt noch. Sie werden sich daher die Musik anderweitig besorgen lassen müssen, ich kanns jetzt nicht machen indem eine aneinanderhängende Zeit dazu gehört; auch müßte ich mich mündlich mit Ihnen darüber besprechen, denn die Sache ist keine kleinigkeit sobald sie ins Ganze passen soll: das muß man machen [,] alles Andere kommt von den Göttern. Ihr Unternehmen ist aber so schön als kühn. Der Fürst Radziwil will in der Zeit der Aufführung bei Ihnen eintreffen.4) [20.] [Rom, anonym] Kunst-Nachrichten (A.[us] Briefen v. Rom, d. 20. Febr. 1811). In: Intelligenzblatt der JALZ Nr. 25 v. 13. Apr 1811, 195: Die Brüder Riepenhausen werden bald das Leben Karls des Grossen und eine Sammlung von 14 Blättern zum Leben des D. Faust nach Goethe herausgeben.5) Sie haben nie ein Werk mit mehr Liebe und gründlichem Fleisse behandelt, als besonders das letzte. Die fertig gewordenen Blätter haben in Rom allgemeinen Beyfall erhalten. 28. An Zelter (Br 22, 47f.): Daß Sie ablehnen die Musik zum F a u s t zu

componiren, kann ich Ihnen nicht verargen. Mein Antrag war etwas leichtsinnig, wie das Unternehmen selbst. Das mag denn auch noch ein Jahr lang ruhen; denn ich habe durch die Bemühung, welche mir die 1

) Erste Privataufführung einzelner Szenen am 24. Mai 1819 in Schloß Monbijou; erste öffentliche Inszenierung am 19. Jan 1829 in Braunschweig. 2 ) Es existiert eine kleine Szenenskizze aus dem Jahre 1814, ebd. 177−79. 3 ) Zum Zusammenhang s. oben 2. Dez 1810: Verlohren an G. 4 ) Die Begegnung kam nicht zustande, wohl weil es zu keiner Aufführung kam. Radziwill besuchte G zusammen mit Carl Graf Brühl erst am 25. Nov 1813. 5 ) Unpubliziert, s. unten 1811 Apr 22.: Böttiger u. Sept 2.: Schlosser an G m. Anm.

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Vorstellung des standhaften Prinzen [von Caldero ´n] gemacht,1) ziemlich die Luft erschöpft, die man zu solchen Dingen mitbringen muß. [März 5.] [Dresden] N.: Die Kunstausstellung in Dresden, am Friedrichstage, den 5. März 1811. In: Journal des Luxus und der Moden 26 (1811), Juni, 374f.: H. N ä c k e [Naeke] hat nach Göthe’s Faust die Gartenscene in Oel gemalt, wo Gretchen von einer Sternblume die Blätter für sich murmelnd abrupft. Faust hält sie mit der Rechten umfaßt, und erlauscht eben das verrätherische Wörtchen des Spiels: er liebt mich; − er liebt mich nicht. − In kleiner Entfernung geht die Nachbarin Frau Marthe, von Mephistopheles geführt, vorüber. Sie sehen, l.[ieber] F.[reund], die Aufgabe ist schwer. Hier hat kein Vorgänger die Bahn gebrochen; und doch ist die Lösung so glücklich, daß man fühlt: es muß im Wesentlichen so und kann nicht anders seyn! Erfindung, Zeichnung, Ausführung und das überaus liebliche Colorit geben diesem kleinen Gemälde einen gleich großen Werth; selbst die einfache Gartenpartie, das Gras, der durftende Strauch, die Blumen, welche fröhlich zu den Füßen des Mädchen aufblühen, hat der fleißige Künstler mit aller Zartheit und Frische der Natur, − doch vielleicht mit etwas zuviel Licht, − begabt. Auch die Gewänder sind im Kostüm der Zeit, nach dem Charakter der Personen, gut gewählt; vorzüglich steht die Hauptfigur, das Mädchen, in der Farbe der Unschuld herrlich drapirt, in der Mitte des Ganzen, und beim Mephistopheles ist selbst die Hahnenfeder bezeichnend. Der linke Fuß desselben wird nicht sichtbar; dagegen ist der rechte mit seiner falschen Wade keck und stutzermäßig weit vorgestreckt. Vielleicht könnten die Formen hier und da, besonders im Faust, aus einem kräftigern Helldunkel mehr hervortreten: doch dies wird bei der Wahrheit und Poesie des Ganzen kaum bemerkt.2) Der Schöpfer des Faust kann allein entscheiden, ob der Genius seines berühmten Torso den Künstler begeistert hat. Ich glaube es . . . Der Frau Marthe sieht man die Freude an, daß sie endlich die Gewißheit vom Tode ihres von ihr gegangenen Mannes erhalten hat. Sie hofft an dem fremden Gesellen eine Eroberung zu machen . . . Im Faust zeichnet sich deutlich die stolze hohe Gestalt, welche der Schönheit Tugendreichthum zu sich niederbeugt: doch ist seine Physiognomie mehr sinnlich weich . . . als sinnlichkeck und nach dem Unmöglichen dürstend.3) 18. Nach Tische Beinitz,4) der die Faustischen Zeichnungen [von Nau-

werck] einramte.5) 18. [Weimar] Riemer Tagebuch (BG 8, 37): Nach Tische Beini[t]z, der die Fauste einrahmte. [30.] [Dresden, anonym] Allgemeine Zeitung Nr. 99 v. 9. Apr 1811, 396: Dresden, 30. März . . . Die öffentliche Kunstausstellung für das Jahr 1811 in den Gartensälen des Brühlischen Palais an der Elbe dauert noch, und zieht wie gewöhnlich viele Zuschauer, auch aus den umliegenden Gegenden, herbei . . . Ein kleines Bild eines hofnungsvollen

1

) Das Stück wurde erstmals am 30. Jan 1811 in Weimar aufgeführt. ) [Anm. des Verf.:] Auch nehme ich diese Bemerkung zurück, seit ich das Bild ein zweites Mal in dem günstigern Lichte des Vormittags gesehen habe. 3 ) Ölgemälde Faust und Gretchen von Gustav Heinrich Naeke (1786−1835); verschollen. Als Radierung von Karl August Schwerdgeburth im Urania-Taschenbuch für die Damen auf das Jahr 1815; die Tuschzeichnung im Goethe-Museum Düsseldorf Inv. Nr. NW 174/1957, s. Goethe in seiner Zeit. Katalog der ständigen Ausstellung. Hsg. v. Volkmar Hansen, Düsseldorf 1993, Nr. X, 34 mit Abb. − Zwei weitere Lithographien, Scene auf der Strasse u. Scene im Zwinger, im genannten Taschenbuch; abgebildet auch in Neubert 92f. 4 ) Weimarer Glasermeister Johann Ernst Wilhelm Beinitz (1751−1813). 5 ) s. oben 4. Juli 1810: an Zelter. 2

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Künstlers, N ä k e , die Scene aus Göthe’s Faust, wo Gretchen mit Faust im Garten spazierengeht, und an den Ringelblumen ihre Liebe erforscht, erhält durch die Einfachheit und Wahrheit der Komposition und das Gemüthliche, welches über das kleine Bild ausgegossen ist, gleichfalls großen Beifall.1)

Apr 13. [Ratzeburg] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/55 Bl. 96): Mit den Darstellungen zum Faust fahre ich fort, und habe jezt die Scene in Auerbachs Keller beendigt.2) Auch diese nehme ich mir die Erlaubniß Euer Excellenz hirmit, gleich den früheren vorzulegen. Gebe mir nur der Himmel Muße und Ruhe um ungestört fortarbeiten zu können. 20. [Frankfurt] J. F. H. Schlosser an G (BG 8, 57): Dieser [S. Boissere´e] wird Ihnen Zeichnungen zu Ihrem Faust, von dem Düsseldorfer Cornelius, mitbringen welche, was ich gewiß glaube, Ihnen Freude machen sollen.3) 22. [Jena] Knebel an Henriette v. Knebel (Knebel − Henriette 534): Goethe hat von einem Herrn Nauwerck aus Ratzeburg 6 Zeichnungen in Sepia, ziemlich groß, aus seinem „Faust“ erhalten.4) Mehr Erfindung, Zierlichkeit, Verstand und Laune habe ich in dieser Art nicht wohl gesehen. Ich konnt’ es gar nicht satt kriegen, sie anzusehen; denn immer sieht man was Neues darin. Von dem Blocksberg ist die Zeichnung so reich, so geistreich, ingeniös und toll, daß sie dem poetischen Original fast nichts nachgibt.5) Ein toller Teufelskerl, mitunter die närrischsten Ideen, auch höchst zierliche Figuren. Die Teufel wissen sich nicht toll genug zu betragen, und heften unter anderm, wie in unsern Litteraturzeitungen, den Apollo ans Kreuz. Ich wollte nur, ich hätte das Bild vor mir, um Dir mehr davon sagen zu können. So ist auch die Hexenküche ganz trefflich und voll Sinn. Die erste Unterredung des Mephistopheles mit unserm Herrgott. Dieser sitzt im Himmel, mit allen seinen Heiligen und Heerscharen umgeben. Mephistopheles erhebt sich wie ein Reise mit halber Gestalt, frechem Antlitz und untergestütztem Arm von der Erde, doch hält er sich die eine Hand vor das Auge, um von dem hohen Glanz nicht allzu sehr geblendet zu werden. Das Zierlichste ist wohl die Promenade, wo Faust und Wagner spazieren gehen. Doch wer kann Dinge dieser Art beschreiben? sie müssen gesehen werden.6) Der Verfasser ist Kammersekretär in Ratzeburg, und bietet seine herrlichen Zeichnungen für 200 Thaler an. 22. [Dresden] Böttiger: Bilder nach Wieland, Göthe und Schiller. In der Dresdner Ausstellung. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 80 v. 22. Apr 1811, 635−37: Ganz nahe bei diesen Bildern [zu Wielands Agathon] hängt diesmal ein Gemälde von Herrn N ä k e . Faust und Gretchen nach G ö t h e ’s Faust.7) Es ist ein Lieblingsstück der diesmaligen Ausstellung . . . Die Szene ist hinter Marthens Haus im Garten, in dem Augenblick, wo sie die Sternblumen pflückt und das Blumenorakel befragt. Faust ihr zur Seite oder vielmehr halb ihrem Rücken, sich traulich anschmiegend, hat die Hand auf ihre Schulter gelegt, und sieht liebestrunken dem süßen Minnespiel zu. Im Hintergrunde an der Gartenmauer lustwandelt Frau Marthe mit Mephistopheles. Ein eigener Liebreiz ist über Gretchens ganz in weißen gekleidete Figur gerade dadurch ausgegossen, daß ihr der geistreiche Maler so wohl in der Stellung, als in der Drappirung etwas geradlinigtes, alterthümliches, ja einfältiges in besserm Sinne des Worts gegeben hat, etwa, wie es in Holbeins und seiner Zeitgenossen weiblichen Figuren antreffen . . . Der schaden-

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) s. oben [5. März] 1811: Kunstausstellung. ) s. oben 14. Dez 1810: Nauwerck an G; Abb. in Neubert 120. 3 ) s. oben 22. Jan: Boissere´e Tagebuch. 4 ) s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G. 5 ) Abb. in Neubert 122. 6 ) Abb. in Neubert 120 (Hexenküche), 118 (Prolog im Himmel) u. 119 (Vor dem Thor). 7 ) Gemälde verschollen; Lithographie von C. A. Schwerdtgeburth in Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1815; abgebildet auch in Neubert 93. 2

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frohe, spitznasige, spitzsinnige Teufelsphysiognome mit der rothen Schauben, im rothen Wams, an der Seite der manntollen, kuppelnden Frau Martha, ist freilich etwas in die Caricatur gezogen, doch ohne alle w i d r i g e Uebertreibung und im vollkommensten Gegensatz. Das Verdienstliche dieses gelungenen Bildes ist das Geschlossene und sich selbst vollkommen aussprechende der Handlung . . . Dichter und Maler begegnen sich hier in einerlei Gegenstand, aber ein jeder bleibt dem Gesetz seiner Kunst treu und gewärtig. Ohnstreitig wird Näke diesem lieblichen, mit so verdientem Beifall aufgenommenen Bilde bald ein Seitenstück geben, wodurch sich das Verhältniß beider Personen noch rein menschlicher ausdrücken, und ganz unabhängig von den Worten des Dichters in eine Art von Cyclus bringen ließe. Wir würden dazu die Szene auf der Straße vorschlagen, wo Grethe auf dem Kirchwege von Faust zuerst angeredet wird. Göthe’s Faust beschäftigte zugleich mehrere Künstler von ganz verschiedenen Talenten und Fertigkeiten. Die Brüder [J. und F.] R i e p e n h a u s e n in Rom haben ihre Zeichnung darnach in 14 Blättern vollendet.1) Ein Dresdner Künstler von dem entschiedensten Talent von der fruchtbarsten Einbildungskraft, Näkes ehemaliger Mitschüler bei Professor G r a s s i , M o r i t z R e t [ z ] s c h , . . . radirt in diesem Augenblick eine Reihe von Darstellungen nach Göthe’s Faust,2) von seiner eigenen reichen Erfindung, womit Göthe selbst, als ihm die Zeichnungen vorgelegt wurden, zufrieden gewesen sein soll.3) Ein dritter Versuch, Göthe’s Faust in einen Bildercyclus zu bringen, wurde von einem einsichtsvollen Kunstfreund, der auch als ausübender Künstler sich zeigen darf, dem Sekretair N a u w e r k in Ratzeburg4), F e r n o w s wackerm Freunde, gemacht. Auch dieser wird hoffentlich bald in Kupferstichen bekannt gemacht werden . . . Auch in einer vor kurzem in Wien erschienenen Sammlung vom Umrissen zu Göthe’s Werken5), sind zwei Blätter Darstellungen aus dem Faust gewidmet. Sie sind beide aus der Schlußszene des Ganzen genommen, wo Faust kommt um Margarethen aus dem Kerker zu befreien, und die eine, wo Faust die wahnsinnige Büßerin vom Stroh emporrichtet und ihre Fesseln gefallen sind, während der Versucher hinten zur Eile mahnt, hat wirklich etwas von dem Geiste empfangen, der im Gedichte waltet und ergreift.

Apr 26. [Frankfurt] I. J. v. Gerning an G (GSA 28/55 Bl. 105): Am Tage dieses Briefs wird auch dort [in Weimar] H. B o i s s e r ´e e von Cölln mit seinen treffl. Zeich[nungen] und denen des H C o r n e l i u s von Ihrem F a u s t , bey Ihnen eintreffen.6) Heil und Freude dazu! 29. [Aschaffenburg] P. Cornelius an S. Boissere´e (Boissere´e 1, 111): Ich bin in Sorgen, daß mein Brief an Herrn v. Goethe etwas spät eintreffen wird,7) woran ich aber nicht Schuld bin . . . Ich erwarte und hoffe, daß durch Eure Vermittlung doch nichts dabei versäumt werde. − Was ich noch beizufügen für nöthig finde, ist, daß Ihr S. E. Herrn v. Goethe die Bemerkung macht, daß ich gesonnen sey, das Werk in zwei Lieferungen, jede zu zwölf Blättern, heraus zu geben, wovon ich die erste noch in meinem Vaterlande, die andere aber während meines Aufenthalts in Italien zu vollenden gedenke.8) 1

) Die Brüder Riepenhausen planten einen Zyklus von 12 bzw. 14 Blättern. Außer dem Tafelbild Gretchen findet den Schmuck ist nur Fausts erste Begegnung mit Margarete in zwei Vorzeichnungen u. einer Lithographie überliefert, vgl. Giesen 1998, 29f., Neubert 92 u. Zwischen Antike, Klassizismus und Romantik. Die Künstlerfamilie Riepenhausen [Katalog]. Mainz 2001, 99 Abb. 5. 2 ) s. oben 2. Dez 1810: Verlohren an G. 3 ) s. oben 16. Nov 1810: an Cotta. 4 ) s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G m. Anm. 5 ) Vermutl. Abb. aus: Umrisse von Göthe’s Werken von K. H. Rahl u. V. R. Grüner. Zu jeder Ausgabe brauchbar. 17 Blätter. Wien o. J. 6 ) Boissere´e kam erst Anf. Mai nach Weimar; s. auch oben 20. Apr: Schlosser an G. 7 ) Boissere´e erhielt den Brief nicht mehr vor seiner Abreise nach Weimar, wo er am 2./3. Mai eintraf; das Schreiben ist nicht überliefert. 8 ) S. Boissere´e überbrachte im Auftrag von Peter Cornelius (1783−1867) die ersten 5

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Apr 29. [Aschaffenburg] C. J. H. Windischmann an G (GSA 28/55 Bl. 110): . . . Zürnen Sie nicht, daß ich Sie so bald darauf wieder durch meine Gegenwart belästige: aber ich darf Ihnen das gute doch nicht zurückhalten, welches ich Ihnen jezt zu geben vermag u die Äusserung der tiefsten Verehrung für Sie von einem Künstler [P. Cornelius], der auf alle Weiße diesen Namen verdient. Der wackere Mann ist mit einem Freunde [C. Xeller] (beide hegen eine in unserer Zeit seltne Freundschaft des wahren Vertrauens in wechselseitiger Erhebung zu einander) gegenwärtig hier; hatten zu verkehren mit unserem Großherzog und blieb sodann einige Tage in meiner Gesellschaft. Sie kennen ihn nun schon aus den Zeichnungen zum Faust, die ich leider! nicht mehr gesehen . . . Beiliegendes Schreiben1) des H. Cornelius habe ich ihm entreißen müssen, weil es sonst nicht fertig geworden wäre. 30. [Nachmittags] Kam . . . eine Zeichnung von Nauwerk [die 7. zu Auer-

bachs Keller] an.2) Mai

3. [Weimar] S. Boissere´e an M. Boissere´e (Boissere´e 1, 111f.) : Ich komme eben von Goethe . . . er lud mich auf morgen zu Tisch . . . Ich kündigte ihm Cornelius Zeichnungen an,3) das gefiel ihm, ich schickte sie ihm nach Tisch; ich wollte ihm nur mit ein paar Worten sagen, daß sie in altdeutschem Styl seyen, aber er wurde abgerufen. 3. Herr v. Boisseret von Cöln . . . FederZeichnungen zum Faust von Cor-

nelis welche Boisseret mitgebracht. 4. [Weimar] Riemer Tagebuch (BG 8, 59): Früh bei Goethe . . . Mittags speiste Herr Boissere´e aus Köln, Herr von [F.] Oliva aus Wien, [F.] Haide und Hofr. Meyer mit. Der erste hatte Zeichnungen zu Faust von Cornelius aus Köln mitgebracht. 4. [Weimar] S. Boissere´e Tagebücher (Weitz − Boissere´e 1, 61): am Samstag [4. Mai] war ich bei ihm zu Tisch . . . ich hatte ihm unterdes die Zeichnungen von Cornelius geschickt, diese fand ich nun aufgelegt vor, Meyer = Göthe ging im Zimmer herum und lobte recht vom Herzen − der Hofrat konnte nur kümmerlich kalten Tadel einwerfen. 6. [Weimar] S. Boissere´e an M. Boissere´e (Boissere´e 1, 113): Vorgestern, als ich eintrat, hatte er die Zeichnungen von Cornelius vor sich. Da sehen Sie einmal, Meyer, sagte er zu diesem, der auch herein kam, die alten Zeiten stehen leibhaftig wieder auf! Der alte kritliche Fuchs [H. Meyer] murmelte, er mußte der Arbeit Beifall geben, konnte aber den Tadel über das auch angenommene Fehlerhafte in der altdeutschen Zeichnung nicht verbeißen. Goethe gab das zu, ließ es aber als ganz unbedeutend liegen, und lobte mehr, als ich erwartet hatte. Sogar der Blocksberg gefiel ihm; die Bewegung des Arms, wo Faust ihn der Gretchen bietet, und die Scene in Auerbachs Keller nannte er besonders gute Einfälle.4) Vor der Technik hatte Meyer alle Achtung, freute sich, daß der junge Mann sich so herauf gearbeitet habe. Ich gab zu verstehen, daß Cornelius

Federzeichnungen in grauer Tusche eines am Ende insgesamt 12 Blätter umfassenden Faust-Zyklus: Auerbachs Keller, Der Spaziergang im Garten, Szene am Ausgang der Kirche, Der Gang nach dem Brocken u. Die Erscheinung am Rabenstein; zur späteren Kupferstichausgabe s. unten 6. Mai 1817: an Kräuter; zu den Faust-Zeichnungen von P. Cornelius s. Ausstellungskatalog: Peter Cornelius. Zeichnungen zu Goethes Faust aus der Graphischen Sammlung. Frankfurt 1991. 1 ) Nicht überliefert. 2 ) s. oben 13. Apr 1811: Nauwerck an G. 3 ) s. oben 29. Apr 1811: Cornelius an S. Boissere´e. 4 ) Walpurgis-Nacht. Der Gang nach dem Brocken [nach Gräf II 2, 186: eine Skizze]; Scene am Ausgang der Kirche. Faust bietet Gretchen den Arm u. Auerbachs Keller; Abb. der Lithographien in Neubert 101, 99 u. 98.

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sich über seinen Beifall doppelt freuen würde, weil er bei dem schlechten Licht, worein sich manche Nachahmer des Altdeutschen gesetzt, gefürchtet, diese Art allein würde ihm schon nachtheilig seyn. Gäbe aber nun Goethe etwas dergleichen Lob, so wäre das um so mehr werth, weil man dabey von der höchsten Unbefangenheit überzeugt sey, und daher könne er auch mit um so besserem Nachdruck und Erfolg die wirklichen Fehler rügen.

Mai

8. An C. F. v. Reinhard (Br 22, 84): Boissere ´e hat mir ein halb Dutzend

Federzeichnungen1) von einem jungen Mann Namens Cornelius, der sonst in Düsseldorf lebte, und sich jetzt in Frankfurt aufhält, und mit dem ich früher durch unsere Ausstellungen bekannt geworden, mitgebracht, die wirklich verwundersam sind.2) Es sind Scenen nach meinem Faust gebildet. Nun hat sich dieser junge Mann ganz in die alte deutsche Art und Weise vertieft, die denn zu den Faustischen Zuständen ganz gut passt, und hat sehr geistreiche gutgedachte, ja oft unübertrefflich glückliche Einfälle zu Tage gefördert, und es ist sehr wahrscheinlich, daß er es noch weiter bringen wird, wenn er nur erst die Stufen gewahr werden kann, die noch über ihm liegen. 8. An P. Cornelius (Br 22, 87f.): Die von Herrn Boissere ´e mir [am 3. Mai] überbrachten Zeichnungen haben mir auf eine sehr angenehme Weise dargethan, welche Fortschritte Sie, mein werther Herr Cornelius, gemacht, seitdem ich nichts von Ihren Arbeiten gesehen. Die Momente sind gut gewählt, und die Darstellung derselben glücklich gedacht, und die geistreiche Behandlung sowohl im Ganzen als Einzelnen muß Bewunderung erregen. Da Sie sich in eine Welt versetzt haben, die Sie nie mit Augen gesehen, sondern mit der Sie nur durch Nachbildungen aus früherer Zeit bekannt geworden, so ist es sehr merkwürdig, wie Sie sich darin so einheimisch finden, nicht allein was das Costüm und sonstige Äußerlichkeiten betrifft, sondern auch der Denkweise nach; und es ist keine Frage, daß Sie, je länger Sie auf diesem Wege fortfahren, sich in diesem Elemente immer freyer bewegen werden. Nur vor einem Nachtheile nehmen Sie sich in Acht: die deutsche Kunstwelt des 16. Jahrhunderts, die Ihren Arbeiten als eine zweyte Naturwelt zum Grunde liegt, kann in sich nicht für vollkommen gehalten werden. Sie ging ihrer Entwicklung entgegen, die sie aber niemals, so wie es der transalpinischen glückte, völlig erreicht hat. Indem Sie also Ihren Wahrheitssinn immer gewähren lassen; so üben Sie zugleich an den vollkommensten Dingen der alten und neuen Kunst den 1

) Boissere´e spricht von nur fünf Zeichnungen, vgl. unten 31. Juli 1811: Boissere´e an F. Schlegel; Gräf II 2, 186 nennt sechs: Das Vorspiel auf dem Theater, mit des Malers Zueignung an den Dichter; Ostern-Nachmittag. Vor dem Thore; Scene in Auerbachs Keller zu Leipzig; Scene am Ausgang der Kirche. Faust bietet Gretchen den Arm; Der Spaziergang im Garten u. Nachtstück. Strasse vor Gretchens Thüre; Abb. der Lithographien in Neubert 96−100; 2 ) s. oben 3. Mai 1811: Tgb.

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Sinn für Großheit und Schönheit, für welchen die trefflichsten Anlagen sich in Ihren gegenwärtigen Zeichnungen schon deutlich zeigen. Zunächst würde ich Ihnen rathen, die Ihnen gewiß schon bekannten Steinabdrücke des in München befindlichen Erbauungsbuches1) so fleißig als möglich zu studiren, weil, nach meiner Überzeugung, Albrecht Dürer sich nirgends so frey, so geistreich, groß und schön bewiesen, als in diesen gleichsam extemporirten Blättern. Lassen Sie die gleichzeitigen Italiäner, nach welchen Sie trefflichste Kupferstiche in jeder einigermaßen bedeutenden Sammlung finden, sich empfohlen seyn; und so werden sich Sinn und Gefühl immer glücklich entwickeln, und Sie werden im Großen und Schönen das Bedeutende und Natürliche mit Bequemlichkeit auflösen und Darstellen. Daß die Reinlichkeit und Leichtigkeit Ihrer Feder und die große Gewandtheit im Technischen die Bewunderung aller derer erregt, welche Ihre Blätter sehen, darf ich wohl kaum erwähnen. Fahren Sie fort auf diesem Wege alle Liebhaber zu erfreuen, mich aber besonders, der ich durch meine Dichtung Sie angeregt, Ihre Einbildungskraft in diese Regionen hinzuwenden und darin so musterhaft zu verharren. Herrn Boissere´es Neigung, die Gebäude jener würdigen Zeit herzustellen und uns vor Augen zu bringen, trifft so schön mit Ihrer Sinnesart zusammen, daß es mich höchlich freuen muß, die Bemühungen dieses verdienten jungen Mannes zugleich mit den Ihrigen in meinem Hause zu besitzen. Wie Ihnen Ihre Blätter wieder zukommen sollen, werde ich mit Herrn Boissere´e abreden. Mai

8. [Weimar] S. Boissere´e Tagebücher (Weitz − Boissere´e 1, 62): Am M i t t w o c h [8. Mai] fand ich ihn [G] morgens im Garten, wir sprachen über Cornelius, über daß er ihm geschrieben und Dürers Randzeichnungen empfohlen usw. 8. An L. G. C. Nauwerck (Br 22, 90): Ihren Auerbachs Keller habe ich mit

Vergnügen zu seinen Geschwistern2) versammelt. Sie finden durchaus viel Beyfall und ich denke es wird sich doch wohl auch ein Käufer finden. 10. [Weimar] S. Boissere´e an J. B. Bertram (Boissere´e 1, 117f.): Am Mittwoch fand ich ihn [G] Morgens im Garten, wir sprachen über Cornelius, er hatte ihm [am 8. Mai] geschrieben und ihn recht gelobt, ihm aber zu verstehen gegeben, daß er bei altdeutschem Geist, Tracht u. s. w. mehr Freiheit in der Behandlung selber wünsche und hatte ihn an Dürers Gebetbuch verweisen. Er fragte, ob ich dem nicht Beifall gäbe. Du kannst denken, daß das ganz willig geschah, ich aber meinen Tadel über vieles andere von Dürer bündig hinzufügte.

1

) Randzeichnungen Dürers zum Gebetbuch Kaisers Maximulian I. [Augsburg 1514/15], vgl. H. Meyers Aufsatz über Albrecht Dürer’s christlich-mythologische Handzeichnungen (JALZ 1808, Nr. 67), zum Anteil G’s W 48, 249 u. EGW 3, 143−49. 2 ) s. oben 21. Juni 1810: Nauwerck an G sowie 1811 Apr 13. u. 30.: Nauwerck an G u. Tgb.

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Mai 11. [Weimar] S. Boissere´e Tagebuch (BG 8, 68f.): Am Samstag mußte ich alle Zeichnungen bei Hof zeigen . . . die Zeichnungen von Cornelius kamen zuletzt an die Reihe, und nun strömten endlich auch die armen Hofdamen herzu aus dem Vorzimmer . . . 14. [Dresden] G. H. Naeke an G (GSA 28/55 Bl. 123): Ew. Excellenz bitte ich um Verzeihung wegen meiner Kühnheit, wenn ich Hochdenenselben einen Versuch, eine Scene aus Faust in einem Gemälde darzustellen,1) vorlege, zu welchem Schritt der sehnliche Wunsch über dieses Wagstück hochderen Urtheil, das mir über alles schätzbar sein wird, zu vernehmen, mich allein verleitet hat.2) 15. [Jena] Knebel an Henriette v. Knebel (Knebel − Henriette 542): Noch sagte er [G] mir, er habe die 6 schönen Zeichnungen des ratzeburgers Nauwercks [zu Faust] zurückbehalten, und zwar aus Spekulation für den Künstler. Dieser verlange für das Stück 25 Thaler sächsisch, also für alle zusammen 150 Thaler.3) Vielleicht möge es unsrer Prinzeß [Caroline] einmal anständig sein, sie zu nehmen. 15. [Weimar] S. Boissere´e an M. Boissere´e (Boissere´e 1, 123): Cornelius’ Zeichnungen, die den Beschluß gemacht,4) hatten allgemein gefallen, ich benutzte dies, um den Alten [G] wegen einem öffentlichen Urtheil anzugehen, welches mir doch mit der Hauptzweck war, worauf Cornelius es angelegt. Ich liess den alten Herrn das Gewicht seines Einflusses fühlen, und wie er dadurch den jungen Mann, der nach Italien gehen wolle, unterstützen könne. „Ja, warum nicht?“ war die Antwort. „Zeigen Sie nun erstmal die Blätter in Leipzig [auf der Messe], vielleicht findet sich ein Verleger,5) und ich will meinerseits auch gern etwas dafür thun.“ 17. [Rom] F. u. J. Riepenhausen an Cotta (Elisabeth Schröter: Die Maler F. u. J. Riepenhausen. Mit einem Anhang unveröffentlichter Briefe zw. 1805 u. 1816. In: Johann Dominicus Fiorillo. Kunstgeschichte und die romantische Bewegung um 1800. Hsg. v. Antje Middeldorf Kosegarten. Göttingen 1997, 257): Wir componiren jetzt 12 Zeichnungen in 4.0 zu Göthe’s Faust. Sie sind hinlänglich ausgeführt − Würden Sie geneigt sein sie in Ihren Verlag zu nehmen?6) 20. [Leipzig] L. Puttrich an G (GSA 28/55 Bl. 124): Als mir während meines neulichen Aufenthalts in Dresden mein Freund Näke das Gemälde, Faust und Gretchen, eigenthümlich überließ, hatten wir zugleich den glücklichen Gedanken, Ew. Excellenz dieses Bild zur Prüfung vorzulegen. Diesen Beweiß unserer Ehrerbietung glaubten wir dem Schöpfer der Idee, der den Künstler zur Ausführung seines lieblichen Werkes begeisterte, schuldig zu seyn, und bitten gehorsamst, ihn gnädig aufzunehmen. Die diesjährige Kunstausstellung dauerte länger, als gewöhnlich, wir konnten also nicht sogleich unsern Plan ausführen, sondern wir mußten ihre Beendigung abwarten. Eben war das Bild bei mir angelangt und sollte mit der nächsten Post abgehen, als Herr LCR. [Landkammerrat K.] Bertuch und Herr [J.] Rabe [Raabe], die mich besuchten, mir Ew. Excellenz Abreise ins Bad kund machten, und Näke und mir also die Freude, wenigstens für den Augenblick, verdarben. Dahero sehe ich mich genöthigt, Ihnen vorläufig nur Näkes Brief zu überreichen;7) ich behalte mir aber, mit Ihrer gnädigen Genehmi-

1

) s. oben [5. März] 1811: Kunstausstellung m. Anm. ) Naekes Brief ist beigefügt dem Schreiben von L. Puttrich, dem Besitzer des Ölgemäldes, an G; s. unten 20. Mai 1811. 3 ) Am 22. Apr 1811 (Knebel an Henriette v. Knebel) hieß es noch, Nauwerck wolle die Zeichnungen für 200 Thaler verkaufen. 4 ) Bei einer Ausstellung von Boissere´es architektonischen Rissen u. Zeichnungen am Weimarer Hof. 5 ) s. unten 17. Juni 1811: S. Boissere´e an G. 6 ) Die Zeichnungen blieben unveröffentlicht. 7 ) s. oben 14. Mai 1811: Naeke an G. 2

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gung vor, nach Ihrer Rückkehr mein Vorhaben auszuführen.1) Erlauben es mir Zeit und Umstände, so bin ich vielleicht so frei, Ihnen persönlich das Bild vorzustellen; denn schon längst war es mein Wunsch, Weimar wieder einmal zu besuchen. Noch mehr wird derselbe durch die Hoffnung belebt, Ihnen alsdann selbst die hohe Verehrung und Ergebenheit bezeigen zu dürfen . . .

Mai 24. [Dresden] S. Boissere´e an J. B. Bertram (Bode 2, 516): Goethe mahnt mich in manchen Stücken an den Faust, nur daß umgekehrt bei ihm das Leben von der leichten, sinnlichen, genußreichen Seite anfing und nun erst aus Ermüdung und Verzweiflung gleichsam zum Grübeln und Tiefsinnen überschlägt . . . Es käme nur darauf an, daß er das r e c h t e G r ü b e l n u n d F o r s c h e n ergriffe, so wie es beim Faust darauf ankam, daß er das rechte und nicht das f a l s c h e , s c h l e c h t e Leben ergriff, um in sich selbst zu Einigkeit und Frieden zu gelangen. Juni

5. [Heidelberg] Amalie v. Helwig an F. Baron de la Motte Fouque´ (Briefe an Friedrich Baron de la Motte Fouque´. Hsg. v. Albertine Baronin de la Motte Fouque´. Berlin 1848, 97): . . . es lebt . . . in Frankfurt ein junger Künstler [P. Cornelius], der, im deutschen alten Styl ganz eingeweyht, so vortreffliche als geistreiche Zeichnungen macht; kürzlich vollendete er einige Scenen aus Göthes Faust, welcher dieser so vortrefflich gefunden, daß er sein Urtheil darüber dem Publikum mittheilen will − was wahrscheinlich nächstens geschieht. 5. [Leipzig, anonyme Rez.] Zelter’s sämmtliche Lieder, Balladen und Romanzen für das Pianoforte, 1. Heft. In: Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 23 v. 5. Juni 1811, 390: Der herzinnigliche Monolog Clärchens [Gretchens], in Göthe’s Faust: Meine Ruh etc. als dramatische Scene genommen und ausgeführt, macht den Beschluss. Niemand kann das ernste Studium des Dichters, die Sorgsamkeit in der Ausbildung der Musik, und das Lebendige im Ausdruck mancher Zeile verkennen: aber das Ganze will bey Rec., und bey allen, die er darüber sich äussern gehört, nicht recht ansprechen. Ihm scheint der Grund darin zu liegen, dass die so höchst einfachen, natürlichen Worte, die aber ganz Seele sind, wenn sie ja gesungen werden sollten, (was aber ganz gegen Rec.s Meinung ist,) ebenfalls höchst einfach, leicht, gleichsam blos in natürlichen Lauten einer innig bewegten Seele, und keineswegs so schwer und künstlich genommen werden mussten − schwer und künstlich, nicht für den Ausführenden, sondern in der Erfindung, und noch mehr in der Anordnung der ganzen Musik, besonders auch des reichlichen Accompagnements. Da Rec. so das Ganze nicht glücklich ergriffen scheint, will er übergehen, was er gegen manches Einzelne einzuwenden hätte. Das Stück bleibt jedoch achtungswerth, wenn man es auch nicht recht lieb gewinnen kann. 17. [Dresden] S. Boissere´e an G (Boissere´e 1, 11f.): Auch für die Zeichnungen von Cornelius zeigte er [Cotta] keine Aufmerksamkeit, und er hatte nichts einzuwenden, als ich sagte, daß Reimer in Berlin sein kleines geschichtliches Werk2) . . . übernehmen wolle. Derselbe Reimer äußerte mir ebenfalls sehr große Lust zu den Darstellungen aus dem Faust, nur verlangt er nothwendig einen Text dazu, damit das Werk den Anstrich eines Buches gewänne, ohne dieß könne er als Buchhändler es nicht gehörig verkaufen. Er ging in seinem lustigen Sinn so weit, zu wünschen, daß Sie selbst einige Blätter zu den Bildern schreiben möchten, und es macht mir Spaß, Ihnen diesen kuriosen Einfall mitzutheilen. An Cornelius habe ich zugleich mit Ihrem Brief3) wegen dieser Aussichten geschrieben; ich glaube, daß er dergleichen auch schon in Frankfurt hat, und es steht wohl nur bei Ihnen, die Sache durch ein öffentliches Wort zur Ausführung zu bringen.

1

) s. unten 5. Apr 1812: Tgb. ) Das Werk erschien nicht bei Reimer in Berlin. 3 ) s. oben 8. Mai 1811: an Cornelius. 2

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Juni 25. [Karlsbad] Nachher zu Frau von der Recke. Vorgelesen aus dem Faust

und der Pandora. 25. [Karlsbad] Riemer Tagebuch (GG 2, 667): Mit Goethe und den Frauen zu Frau von [der] Recke . . . Goethe las vor aus dem Faust. 26. [Karlsbad] An S. Boissere ´e (Br 22, 121): Wie dem guten Cornelius zu

helfen sey,1) sehe ich nicht so deutlich. Wie hoch schlägt er seine Zeichnungen ab? und wenn sich kein Verleger dazu findet, um welchen Preis würde er sie an Liebhaber verlassen?

Juli

29. [Frankfurt] P. Cornelius an J. F. Wenner (Goethes Faust. Der Tragödie erster Teil mit Zeichnungen von Peter Cornelius. Eingeleitet von Alfred Kuhn. Berlin 1920, XIII): Herr Boissere´e von Cöln benachrichtigte mich am 8. Juni, daß er Ihnen meine Zeichnungen zu Goethes Faust gezeigt, und daß Sie dabei den Wunsch geäußert hätten, die Bedingungen zu kennen, unter welchen ich sie einem Verleger abtreten würde. Bevor ich Ihrem Wunsche Genüge leiste, habe ich das Vergnügen, Ihnen die sehr gute Aufnahme meiner Zeichnungen von Goethe mitzuteilen, dessen Stimme für oder gegen einen Gegenstand der Art einem Verleger keineswegs gleichgültig sein kann. Nebst beiliegender Kopie seines Schreibens an mich2) habe ich Ihnen auch noch seine gegen Herrn Boissere´e getane Erklärung, meiner Unternehmung öffentlich ein gutes Wort zu reden, mitzuteilen. Hier folgen nun die Bedingungen, unter welchen ich Ihnen mit Vergnügen meine Zeichnungen abtreten werde. E r s t e n s wünsche ich, daß das Werk Herrn von Goethe dediziert werde. Z w e i t e n s , daß mit dem Kupferstecher desselben eine solche Übereinkunft getroffen würde, die mich in den Stand setzte, über die Behandlung der zu stechenden Blätter frei mit ihm zu reden. D r i t t e n s verlange ich für diesen Cyklus, der aus 12 Blättern bestehen wird, ein Honorar von 100 Louisd’or, den Louisd’or zu 11 Fl.rhein. Auch erbiete ich mich, (wenn Sie darauf bestehen) einen Text zu meinen Blättern zu liefern; wovon ich aber im ganzen abrate, weil das Gedicht die Zeichnungen am besten kommentiert. V i e r t e n s wünsche ich bis Ende August, wo ich zum wenigsten 9 Blätter fertig haben werde, das Honorar fürs Ganze zu erhalten; indem ich gesonnen bin, den drei letzten, wozu ich die bedeutendsten Situationen wählen werde, in Rom die höchst mögliche Vollendung zu geben, weil die dortigen Umgebungen am besten geeignet sind, einen Künstler zu begeistern. Finden Sie diese Bedingungen annehmlich, so wird es mir großes Vergnügen gewähren, mit Ihnen zu einem Unternehmen in Verbindung zu treten, daß uns durch unseren beiderseitigen Anteil auf die angenehmste Art näher bringen könnte. Übrigens habe ich noch zu bemerken, daß die Ehre und der gute Fortgang dieses Werkes mir näher am Herzen liegen, als jeder äußere Vorteil. Und jeder Kenner wird finden, daß meine Bedingungen mich nur dürftig schadlos halten, nicht aber meine große Mühe und meine Studien bei diesem Werk belohnen. Die befriedigendste Belohnung werde ich nur in dem Beifall meines Vaterlandes und der guten Wirkung meines Strebens finden. In der sichern Erwartung, aufs Baldigste eine bestimmte Antwort zu erhalten, empfiehlt sich Ew. Ergebenster Diener Cornelius. 1. [Frankfurt] P. Cornelius an G (HA-BaG 2, 90f.): Den 7. Juni übersandte mir Herr Boissere´e Ihr geehrtes, für mich so aufmunterndes Schreiben [vom 8. Mai 1811]. Während seiner gutgemeinten Zögerung hatte ich alle Hoffnung aufgegeben, nur einigermaßen den mir so unschätzbaren Beifall Ew. Exzellenz verdient zu haben, der mir bei einem so schweren Unternehmen die einzige und größte Aufmunterung sein konnte. Denn obschon ich mir selbst sagen durfte, daß diese Blätter zum wenigsten zarte und 1 2

) s. oben 17. Juni 1811: Boissere´e an G. ) s. oben 8. Mai 1811: an Cornelius.

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schwache, aber doch lebendige Schößlinge desjenigen Lebenskeimes sind, den Ew. Exzellenz mit reichen Händen in alle bessern und gesunden Herzen unsrer Nation ausgestreut haben, so fühle ich doch mit wahrer Demut, daß sie noch eines freundlichen und warmen Himmels, sowie einer schützenden und stützenden Hand bedürfen, wenn sie nur einigermaßen die würdigen Dienerinnen und Begleiterinnen von Dero Dichtungen dürften genannt werden. So also nichts mehr hoffend und tief bekümmert für meine Sache, die mit meinem innersten Leben so tief verwebt ist, überraschte mich so herrlich Ihr gütiges und belehrendes Schreiben. Es gab mir auf die schönste Weise meinen Glauben an mich selbst wieder, und ich fühle nun, daß ich alles Gute, was Ew. Exzellenz mir für die Zukunft zutrauen, durch dieses Zutrauen gewinnen und mit Lust und Liebe ausüben werde. Dero Lehren, meine fernern Studien betreffend, sind Aussprüche meiner eignen tiefsten Überzeugung. Albrecht Dürers Randzeichnungen habe ich von dem Tage an, da ich mein Werk begann, in meiner Werkstätte. Damals, da ich das Wesen dieser Kunstgattung zu ergründen strebte, schien es mir nötig, in einer Zeit, wo man so gerne alle Höhen und Tiefen ausgleichen möchte, nicht im mindesten mit dieser schlechten Seite unsers Zeitgeistes zu kapitulieren, sondern ihm streng und mit offener Stirn den Krieg anzukündigen, zumal da Ew. Exzellenz dieses in der Poesie mit dem besten Erfolg getan und uns die herrlichsten Blüten der Menschheit aller Zeiten auf’s reinste vorgeführt. Nun aber, da ich selbst nach Dero Urteil nicht bloß bei der Äußerlichkeit jener Zeit stehen geblieben bin, kann ich schon freier ans Werk gehen; und Ew. Exzellenz haben mir auf’s klarste gezeigt, wie ich diese Gattung noch tiefer begründen und doch mit ihr mehr Hoheit und Schönheit erreichen soll. Daß ich Dero Wort in seinem wahren Sinn gefaßt, und daß es auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen, werden meine künftigen Arbeiten hoffentlich besser als alle diese dürftigen Worte sagen. Ist das Glück mir günstig, so gehe ich diesen Herbst nach Italien. Dort werde ich den „Faust“ vollenden . . . Da Sie von Jugend auf alles bessere Leben in mir aufgeregt und ich jede eigentliche Kunstkraft Ew. Exzellenz zu danken habe, so erlauben Hochdieselben, daß ich meine Empfindungen darüber öffentlich vor dem gesamten Vaterlande erklären darf. Ich bitte nämlich um die Gunst, dieses mein schwaches erstes Produkt Ew. Exzellenz dedizieren zu dürfen. Ich würde dieses nicht gewagt haben, hätte es nicht durch Dero gütigen Beifall in meinen Augen um so vieles gewonnen.

Juli [Frankfurt] J. F. H. Schlosser an G (GSA 30/19 Bl. 101): Sehr grosse Freude haben Ew. [Anf.] Exellenz in dieser letzten Zeit bei meinem wackern Freund H. Cornelius, durch die gütigen Zeilen [vom 8. Mai] erregt, mit welchen Sie denselben Ihrer Theilnahme an seinem schönen Unternehmen, so aufmunternd u. so herzlich versicherten. Erlauben Sie mir, der ich an dem Unternehmen, so wie an der Person des wackern Mannes, herzlichen Antheil nehme, auch meiner Freude über die Aufnahme auszudrücken, welche die Arbeiten desselben bei Ihnen gefunden haben. 3. [Jena] Knebel an Henriette v. Knebel (Knebel − Henriette 551f.): Ich sagte ihm [G], daß die Prinzessin [Caroline] die Zeichnungen des ratzeburgers Künstlers [Nauwerck] wohl aufnehmen würde. Er fand einen Augenblick Anstand, der Prinzessin Kosten dadurch zu verursachen, doch glaubte er nachher, sie könnten in keine besseren Hände kommen, zumal da der Künstler ein mecklenburger Landskind, und es ihn desto mehr erfreuen würde, seine Arbeiten in den Händen seiner Fürstin zu wissen. Allerdings verdient der geschickte und sorgfältige Künstler alle Aufmunterung. Goethe will also die Zeichnungen absenden, sobald er nach Weimar zurückkommt. 4. [Frankfurt] P. Cornelius an G (Konzept; HA-BaG 2, 90f.): Den 7. Juni übersandte mir Herr Boissere´e Ihr geehrtes, für mich so aufmunterndes Schreiben [vom 8. Mai] . . . Daß ich Dero Wort in seinem wahren Sinn gefaßt, und daß es auf keinen unfruchtbaren Boden gefallen, werden meine künftigen Arbeiten hoffentlich besser als alle diese dürftigen Worte sagen. Ist das Glück mir günstig, so gehe ich diesen Herbst nach Italien. Dort werde ich den „Faust“ vollenden . . . Ich bitte . . . um die Gunst, dieses mein schwaches erstes Produkt Ew. Exzellenz dedizieren zu dürfen.

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5. [Jena] Knebel an Erbprinzessin Caroline v. Mecklenburg-Schwerin (GSA 54/324 St. 3): Er [G] wird die Zeichnungen aus dem F a u s t des Kammersekretär N a u w e r c k in Ratzeburg bei seiner Rückkehr nach W.[eimar]1) übersenden, und empfiehlt diesen geschickten Künstler, der ein Freund unsers seligen F e r n o w war, Euer Durchlaucht. 10. [Jena] An J. F. H. Schlosser (Br 22, 130): Herrn Cornelius danken Sie

für seinen Brief und sagen ihm, daß mir jedes Zeichen seiner Neigung und seines Andenkens willkommen seyn wird. Ich hätte gewünscht, er wäre persönlich dabey gewesen, um zu erfahren wie gut seine Zeichnungen aufgenommen worden. Ich habe mich in dem Briefe [vom 8. Mai] an ihn nur mäßig ausgedrückt, wie man im Schreiben billig thun soll; ich wünschte aber, wie gesagt, daß er sich in der Gegenwart des Enthusiasmus hätte erfreuen können, den seine Arbeiten erregt haben. 13. [Jena] Knebel an W. Blomberg (Knebels Nachlaß II 2, 126): Was hat Goethe z. B. nicht für Wahrheiten in seinem F a u s t gesagt! Aber die Menschen lesen das Büchlein mit Lust, verstehen es, oder verstehen es auch nicht; doch bleibt immer ein Eindruck zurück, der das Gemüth lenkt, der Wahrheit nachzuforschen. Was aber von Anfang nicht leicht und ergötzlich ist, sondern sich blos verhüllt, wer mag sich die Mühe nehmen, diesem nachzustellen? 29. [Köln] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 15): In Frankfurt habe ich den Cornelius fröhlich und guter Dinge gefunden. Ihr Beifall und die Aussicht, die ich ihm mit Reimer in Berlin eröffnet,2) hat hingereicht, den Buchhändler Wenner in Frankfurt zur Unternehmung des Werks zu bewegen. Cornelius sieht sich dadurch im Stande, seine Reise nach Italien auszuführen. Er vollendet vorher noch drei Zeichnungen, eine: „Gretchen in der Kirche,“ ist schon fertig,3) die andere: „Gretchen vor der Mater dolorosa,“ wird es bald,4) dann folgt die dritte: „Gretchen bei Faust in der Laube.“5) Im September geht er mit einem braven, jungen Kupferstecher [F. Ruscheweyh], der die Blätter unter seinen Augen stechen soll,6) nach Rom. Nun das Werk erscheint,7) werden Sie doch gelegentlich der Welt Ihr Urtheil darüber mittheilen mögen? Es ist natürlich mit darauf gerechnet worden, da ich bei Ueberschickung Ihres Briefes an Cornelius geschrieben hatte, daß Sie sich dazu geneigt geäußert hätten.8) Ueber den neuen Beweis Ihrer Güte durch die Anfrage des Verkaufs der Blätter, war er sehr gerührt und bat mich, Ihnen dafür auf’s wärmste zu danken. 30. [Weimar] Charlotte v. Schiller an Erbprinzessin Caroline v. Mecklenburg-Schwerin (BG 8, 116): Karoline [v. Wolzogen] und ich sollen zu ihm [G] kommen und die Zeichnungen aus dem Faust [von Nauwerck] sehen, die, wie ich höre, meine allergnädigste Prinzeß sich aneignen will.9) 1

) G hielt sich bis zum 27. Juli 1811 in Jena auf. ) s. oben 17. Juni 1811: Boissere´e an G. 3 ) Szene im Dom; Abb. der Lithographie Neubert 101. 4 ) Gretchen im Klosterhofe knieend vor der Mater dolorosa; Abb. der Lithographie Neubert 100. 5 ) Nicht ausgeführt. 6 ) Ruscheweyh führte alle Stiche aus, mit Ausnahme des Blattes Vor dem Thor, das erst 1825 von J. C. Thaeter gestochen wurde. 7 ) P. Cornelius: XI. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1816−17 u. P. Cornelius: XII. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1827; s. Stephan Seeliger: Zur Editionsgeschichte der Faust-Bilder von Peter Cornelius. In: Aus dem Antiquariat 1988, Heft 7, 277−83. 8 ) G ging auf dieses Ansinnen nicht ein. 9 ) Besichtigung erfolgte vermutl. am 2. Aug 1811; das Tgb vermerkt: Abends Frau von Stein, Wolzogen, Schiller und Egloffstein. 2

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31. [Köln] S. Boissere´e an F. Schlegel (Finke 54) : Außer meinen eigenen Sachen zeigte ich dem Alten [G] in Weimar [am 3. Mai] fünf Zeichnungen zum Faust, die mir der junge Cornelius von Düsseldorf (nun seit zwei Jahren in Frankfurt), an ihn mitgegeben, ganz in alter Art streng und bestimmt und fleißig ausgeführt wie Zeichnungen von Meister Dürer, dabei mit vielem Geist und Leben; auch diese gefielen ihm, ja, über alle Erwartung! − und er hat dem Cornelius [am 8. Mai] einen so aufmunternden rühmlichen Brief darüber geschrieben, daß der Buchhändler Wenner dadurch veranlaßt worden, das Werk zu unternehmen.1) Es werden vor der Hand zwölf solcher Vorstellungen aus dem Faust erscheinen. Cornelius sieht sich auf diese Weise im Stande, seine Reise nach Italien anzutreten. Er geht mit dem Kupferstecher [F. Ruscheweyh], der die Blätter ausführen soll, schon im September dahin. Vorher vollendet er noch drei Blätter, wovon ich letzthin in Frankfurt schon eins gesehen. Philipp [Veit] wird Ihnen wahrscheinlich von diesen wie von mehreren andern Bildern zum Faust von andern Künstlern erzählt haben. Diese vielfache Wirkung des Fausts auf die junge Künstlerwelt behagt dem Alten, so daß er mir sagte: „Ja, der Faust scheint ja die Menschen zu beleben; das könnte mich fast bewegen, vor allen anderen poetischen Arbeiten noch zuerst diese wieder zu ergreifen.“ Bei einer andern Gelegenheit sprach er zu mir: „Es giebt Leute, die da sagen, ich verstehe nichts und halte nichts vom Christenthum. Was Teufel wollen die Menschen? Haben die denn meinen Faust nicht gelesen?“

[Aug] ⎯ [Frankfurt] Helmine v. Che´zy: Über Kornelius’ Zeichnungen zum Faust. (Bruchstück aus einem Briefe.).2) In: Miszellen für die neueste Weltkunde 5 (1811), Nr. 80 v. 5. Okt 1811, 317; 319: Noch ganz ergriffen von einer selten-schönen Anschauung3) eile ich, sie in der Erinnerung noch einmal mit Dir zu genießen. Wenn ein so reich begabter und in den Jünglingsjahren schon zur Virtuosität gediehener Künstler, wie K o r n e l i u s , den Weg, den jetzt mancher Künstler aus Überzeugung wählt, auch einschlägt, und zwar auf eine eigenthümliche Weise, so läßt sich von neuen viel für die Kunst hoffen. Dieser Weg ist der, den A l b r e c h t D ü r e r , und auch herrliche alte Niederländer, gegangen sind: Darstellungen im religiösen symbolischen Geiste und im Kostüm des Mittelalters. Hier allein noch herrscht ächt karakteristischer Styl; dies ist die einzige Form, in welcher noch die ganze Lebendigkeit einer schönen inneren Erzeugung in voller Kraft ausgehaucht werden . . . In wie fern Kornelius diesen Styl und Geist ganz rein in sich aufgenommen und so, daß er nirgend in Manier ausartet, steht mir zu beurtheilen nicht zu. Ein Reiz, wie der, welcher in diesen Zeichnungen waltet, besticht gar leicht das Auge, indem er das Herz rührt, weil er aus einer reinen Quelle des Schönheitssinnes entfließt. Wie in einem köstlichen Brillianten, der von allen Seiten Licht und Farbe schöner und reicher wiederstrahlt, weil er alles in sich konzentriert: so ist auch in diesen Kompositionen die Lebensansicht auf das gehaltvollste und wärmste aufgefaßt. In manchen dieser Gestalten entfaltet sich der Reichtum und die Blüthe des Lebens. Es sind solche, die nur einmal gesehen werden dürfen, um stets in uns lebendig zu sein; bei denen auf einmal hell zum Bewußtsein hervortritt, was dunkel im Innersten schlief; die bloß abspiegeln, was eine reine Seele in sich selbst als das köstlichste trägt. [Folgend Beschreibung der Zeichnungen Auerbachs Keller, Erste Begegnung, Marthes Garten, Fahrt zum Brocken, Gretchen in der Kirche, Rabenstein, Skizze zur Mater Dolorosa] So lebendig reich und kraftvoll als diese Scenen selbst in der

1

) s. oben 1811 Mai 8. u. Juni 29.: an Cornelius u. P. Cornelius an Wenner. ) Karl Simon: Die erste Besprechung der Corneliusschen Zeichnungen zum Faust. In: Monatshefte für Kunstwissenschaft 1921, 266−68. 3 ) Die zeitweilig in Aschaffenburg lebende Frau v. Che´zy hatte die Zeichnungen bei Windischmann gesehen; s. oben 29. Apr 1811: Windischmann an G. Zum Sachverhalt auch Helmina v. Che´zy: Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben von H. v. Che´zy. Theil 2. Leipzig 1858, 26f. 2

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Dichtung stehen werden sie auch in diesen Versinnlichungen leben, und fortdauernd anregen, freuen und beleben.

Aug

2. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 41): . . . so melde ich Dir anjetzt, daß ich Briefe von Mecklenburg erhalten, in welchen Du freundlich ersucht wirst, die Faustinischen Zeichnungen [von Nauwerck] an die Prinzeß [Caroline v. Mecklenburg-Schwerin] abgehen zu lassen.1) 14. [Weimar] An Erbprinzessin Caroline von Mecklenburg-Schwerin (Kon-

zept; Br 22, 144f.):2) Ew. Durchlaucht hat unser Knebel Nachricht gegeben von einigen durch meinen Faust veranlaßten Zeichnungen [von Nauwerck]. Sie sind wirklich geistreich und lobenswerth, und mir ist es sehr angenehm zu hören, daß Ew. Durchlaucht sie zu besitzen wünschen. Sie werden Ihnen gewiß Vergnügen machen und auch der Gesellschaft eine angenehme Unterhaltung geben. Doppelt angenehm wird es mir seyn sie in Ew. Durchlaucht Händen zu wissen, da der Zeichner das Glück hat sich zu den Ihrigen rechnen zu dürfen. Es ist der Kammer-Secretär Nauwerck aus Ratzeburg, derselbe welcher in Fernow’s Leben als ein Jugendfreund vorkommt3) der bey einem angebornen Talent für Malerey nicht so glücklich war Italien jemals zu betreten, sich aber auf eine unablässige und fleißige Weise weiter ausgebildet hat, als man von einem Liebhaber erwarten sollte. Es sind sieben Stück: 1.) Der Prolog auf dem Theater. 2.) Das Vorspiel im Himmel. 3.) Faust und der Erdgeist. 4.) Der Spaziergang am Ostertage. 5.) Die Hexenküche. 6.) Auerbachs Keller. 7.) Der Blocksberg. Er hat eine jede dieser Zeichnungen zu 25 Thaler Sächsisch angeschlagen und sie sind es im Durchschnitt wohl werth, da einige von außerordentlichem Detail und der zartesten Ausführung sind. Wollten also Ew. Durchlaucht die 175 Thaler gedachtem Manne übermachen lassen, so wird er sehr glücklich seyn zu erfahren, daß sein Fleiß und Talent von seiner Fürstinn anerkannt und gebilligt worden. [14.] An L. G. C. Nauwerck (Konzept; Br 22, 146):4) Die Scene in Auerbachs Keller ist bey mir glücklich angekommen5) und ich habe sie zu den übrigen Zeichnungen hinzugefügt, an die sie sich sowohl in Erfindung als Ausführung recht gut anschließt. Die Erbprinzeß von Mecklenburg Schwerin geborne Prinzeß von Weimar hat durch hiesige Freunde [Knebels] davon gehört, und als man ihr zugleich meldete, daß diese Blätter verkäuflich seyen, sie zu besitzen verlangt. Ich habe daher alle 1

) s. oben 1811 Juli 3.: Knebel an Henriette v. Knebel u. 5.: Knebel an Caroline v. Mecklenburg-Schwerin. 2 ) G’s Tgb vermerkt am 14. Aug: [An] Erbprinzess von Mecklenb. Nauwercks Zeichnungen Ludwigslust. 3 ) C. L. Fernow’s Leben. Hsg. v. Johanna Schopenhauer. Tübingen 1810. Zur Freundschaft zw. Fernow u. Nauwerck 37ff. 4 ) G’s Tgb vermerkt am 14. Aug: [An] Cammersec. Nauwerck. Nachricht Ratzeburg. 5 ) s. oben 1811 Apr 13. u. Mai 8.: Naumarck an G u. an Nauwerck.

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7 zusammengepackt und abgesendet. Das Stück habe ich zu 25 Thaler Sächsisch angeschlagen, welches wenn ich mich recht erinnere, mit Ihrer Forderung übereintrifft: denn Ihre Briefe habe ich gerade nicht bey der Hand.1) Es wird Ihnen gewiß angenehm seyn, diese Blätter in den Händen Ihrer Fürstinn zu wissen. Aug 16. [Ludwigslust] Henriette v. Knebel an Knebel (Knebel − Henriette 561f.): Unsre gute Prinzeß [Caroline] ist gar artig in Erfindungen, um auch einem engern Leben Reiz zu geben. So malt sie jetzt das Titelkupfer vom „Faust“, nur vergrößert, transparent zu einem Lichtschirm. Dazu hat sie eine zierliche Einfassung gewählt, und das Ganze wird allerliebst. Der Faust ist wirklich meisterhaft gerathen.2) 24. An Knebel (Br 22, 155): An die Prinzeß sind die Zeichnungen zum

Faust [von Nauwerck] abgegangen.3) Ich wünsche daß sie Beyfall erhalten mögen. 28. [Jena] Knebel an Henriette v. Knebel (Knebel − Henriette 563): Den Faust von der Prinzessin [Caroline] möcht’ ich wohl sehen.4) Zeichne mir ihn nur ein wenig durchs Papier ab. Es ist jetzt recht die Zeit, daß man sich mit Hexenmeistern befassen möchte. Aber den Mephistopheles soll sie nicht malen; den hat Nauwerck, wie mich däucht, ziemlich gut getroffen. 28. [Leipzig, anonyme Rez.] Sechs Gesänge mit Begl. des Pianoforte, in Musik gesetzt − − v. L. van Beethoven. In: Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 35 v. 28. Aug 1811, 994f.: Nr. 3 enthält die saubere Romanze, womit Mephistopheles in Göthe’s Faust die platten Bursche in Auerbachs Keller foppt: die Geschichte des großen Flohs. Dies einzige Stück, wie es Hr. v. B.[eethoven] hier aufgefasst und von der ersten bis zur letzten Note festgehalten hat, ist mehr werth, als ganze Bände mittelmässiger, und in ihrer Mittelmässigkeit untadelhafter Lieder. Man muss sich dabey die ganze wilde Scene und ihre Absicht, auch die geniale Teufeley und Laune des Rhapsoden denken: es steckt das wirklich alles in der abenteuerlichen, burlesken, aus schwerfällig gemüthlicher Antiquität und ganz moderner Malerei . . . zusammengesetzten Musik. Wer es so zu verstehen und gleichsam auszukosten versteht, wird wohl Rec. Recht geben, wenn er behauptet: das hätte niemand so zu treffen vermocht, als ein Künstler, eben wie B.[eethoven], und auch dieser nur in sehr glücklicher, und ganz eigen gelauneter Stunde. 29. Capellmeister Müller trug mir einige der Radziwillschen Compositio-

nen vor.5) Sept

2. [Castello bei Rom] C. F. Schlosser an G (GJb 1929, 48f.): Diesem sonderbaren Unwesen [der Altdeutschheit] sezzen sich sehr anmuthig und geistreich meine näheren Freunde, die Brüder Riepenhausen, entgegen . . . Unter dem lezten, was sie gemacht haben, ist eine Composition Ihres Sängers . . . Ausserdem arbeiten sie an 12 Vorstellungen aus dem Faust, von welchen 2, Gretchen wie Faust ihr an der Kirche begegnet, der Teufel sie zu ihm treibt, und ihr guter Engel über ihr schaudert; die andere, der Tod Valentins, sehr glüklich gelungen sind. Das lezte ist, was den Effekt in der Com-

1

) s. oben 14. Dez 1810: Nauwerck an G. ) Nicht nachweisbar. 3 ) s. oben 2. Aug 1811: Knebel an G. 4 ) s. oben 16. Aug 1811: Henriette v. Knebel an Knebel. 5 ) Daß G Faust-Kompositionen des Fürsten Radziwill hörte, ist hier erstmals bezeugt; August Eberhard Müller (1767−1817) war seit 1809 Kapellmeister in Weimar. 2

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1811

position angeht, besonders lobenswerth, und versezzt in eine Welt. Wie oft haben wir zusammen gewünscht, sie Ihnen einen Augenblik vorlegen zu können.1)

Sept

5. [Ludwigslust] Erbprinzessin Caroline von Mecklenburg-Schwerin an Charlotte v. Schiller (Charlotte Schiller 1, 595f.): Gestern Abend sind nicht die Fäuste [Zeichnungen von Nauwerck] angelangt,2) aber die Hiobspost, daß in Lüneburg die Douaniers sich eines Pakets an mich bemächtigt haben, und ich zweifle nicht, daß dieses meine Fäuste sind. Nun wird heute mein Brief an den Meister [G],3) anstatt mit süßen Worten, mit bittern angefüllt werden, daß er nicht für seine Kunstwerke den sicheren Weg über Leipzig und Berlin gewählt hat, sondern den höchst unsicheren durch das französische Reich. 6. [Ratzeburg] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/56 Bl. 194): Mitten unter den Trauergestalten, die mich hier umgeben, da die neue Organisation des Elbdepartements auch unser Inselstädtchen ergreift . . ., erfreute mich Euer Excellenz geehrtes Schreiben vom 10 v. M. auf das Ueberraschendste. Ihnen allein danke ich die Aufmerksamkeit, welche meine Versuche bey einigen Personen erregt haben, deren Beyfall auch die Besten ehrt, und ich bezeuge Euer Excellenz um so aufrichtiger meine innige Erkenntlichkeit, als die Ehre, welche jezt meinen Faustischen Darstellungen zu Theil wird, mir, ich gestehe es, einen höchst schmeichelhaften Preis meinen Bestrebungen gewährte . . . Ich habe jezt wieder zwey Scenen zum Faust entworfen. Diejenige wo Margarethe neben Faust im Garten das Blumenorakel befragt, und der Moment, wo Margarethe ihrer Mutter Sohn vor ihrem Hause sterbend findet.4) Die lezte Darstellung ist schon in der Originalzeichnung angelegt und jezt in Arbeit. Ich werde mir die Erlaubniß nehmen, sie, sobald ich Nachricht von der Ankunft der ersten 7 Zeichnungen in Schwerin erhalte, zu vollenden und ebenfalls Ihrer Durchlaucht diese Fortsetzung vorzulegen, wenn die Prinzeß meine Arbeit Ihres Beyfalls würdigt und sie behalten will. 10. [Heidelberg] L. Roeck an F. Overbeck (Overbeck 1, 184): Der Ueberbringer dieses Briefes ist ein junger Maler, Cornelius aus Düsseldorf. Ich lernte ihn hier durch seine Zeichnungen kennen,5) die er zu Göthes Faust entwarf, und in Rom will stechen lassen; es leuchtet viel Genie und Kunstbildung aus diesen Produkten hervor, und die Art wie der Maler den Geist des Faust und der ganzen genialen Dichtung auffaßte, spricht sich aufs lieblichste und ergreifendste in seinen Zeichnungen aus, und beweiset zugleich neben der Kunstfertigkeit viel für den innern Sinn des Meisters. 16. [Heidelberg] Amalie v. Imhoff an F. v. Stein (Briefe von Amalie v. Imhoff an ihren Vetter F. v. Stein. Berlin 1911, 73f.]: Vielleicht haben Sie von der herrlichen Bearbeitung von Göthes Faust [durch Cornelius] gehört welche durch Boißere´e an diesen geschikt wurden und dessen unbedingten Beyfall erhalten hat . . . Sein Gretgen in Fausts Zeichnungen hat die Verhältnisse einer Venus mit züchtiger Tracht des deutschen Bürgermädgens − Faust steht kräftig und herrlich da, die Umgebungen gehören durchaus in jene Zeit − lassen Sie sich doch von Göthe selbst etwas davon erzählen, ich bin stolz mich in meinen [sic] Urtheil auf ihn berufen zu können.

1

) Vom Faust-Projekt der Brüder J. u. F. Riepenhausen sind lediglich 2 Szenen überliefert: 1) Fausts erste Begegnung mit Gretchen in 2 Vorzeichnungen u. als Kreidelithographie von E. Emminger, die 1827 in Stuttgart bei der G. Eberschen Kunsthandlung erschien; Abb. in Neubert 92. − 2) Gretchen findet den Schmuck als Ölgemälde; vgl. Giese 29−35; Abb. in: Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum. Katalog der Gemälde. Bearb. v. Sabine Michaelis. Tübingen 1982, Nr. 190. − Zum Faust−Projekt s. auch unten 18. Juli 1814: F. u. J. Riepenhausen an G u. 8. Apr 1828: Tgb. 2 ) s. oben 14. Aug 1811: an die Erbprinzessin Caroline von Mecklenburg-Schwerin. 3 ) Nicht überliefert. 4 ) Abb. Garten u. Nacht in Neubert 121. 5 ) Abb. in Neubert 96−102.

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Sept 20. [Ludwigslust] Henriette v. Knebel an Knebel (Knebel − Henriette 567): Prinzeß [Caroline] nahm gestern ein kleines Frühstück bei uns ein. Sie ließ die nauwerckschen Bilder bringen, damit wir sie ruhig bei Tage besehen konnten, und es gefiel uns manches davon sehr gut. Vorzüglich ergötzt sich die Prinzeß an der Promenade, davon die Landschaft, die nahe Stadt sowohl als die Figuren außerordentlich lebendig sind. Man sieht nicht allein die Jahrszeit, sondern auch die Stunde vom Nachmittag, in der die Leute spazieren gehen. Der Erdgeist, der dem Faust in seinem Laboratorium erscheint, ist auch recht schön und verständig. Der Blocksberg machte uns viel Spaß, und Prinzeß hat großes Vergnügen an den schönen Zeichnungen.1) 22. Eberwein, Molke und Ulrich zur Probe der Radziwilschen Stücke.2) vor Nov [Weimar] Erbprinz Georg von Mecklenburg-Strelitz an Friederike Prinzessin zu Solms 20. (Abschrift, BG 8, 143): Nein, Du glaubst nicht was ich wieder von Neuem vor eine passion für den Mann (G) bekommen habe. Wie ich so mit ihm auf und nieder gieng am Morgen, sah u: fühlte ich ordentlich wie der Faust in der hohen Stirne gekreißt, u: wie die Inspirationen ihn mit Seeligkeit u: Jammer erfüllten, bis er vollendet hervorsprang wie die Minerva aus Jupiters Stirn. 25. [Rom] F. Overbeck an J. Sutter (Overbeck 1, 215): Vor Kurzem [Mitte Okt] ist hier ein Deutscher Namens C o r n e l i u s angekommen,3) dessen meisterhaft ausgeführte Federzeichnungen zu Göthe’s Faust hier viel Aufsehen erregen. Dez 29. [Weimar] J. D. Falk an Christine v. Reitzenstein (BG 5, 491): Nun traf es sich, daß Mechanicus Geißelbrecht mit seinen Marionetten nach Weimar kam und die Erlaubniß zum Spielen erhielt. An einem Sonntag [vermutl. am Montag, dem 7. Mai 1804] wurde der Faust (nach der uralten Bearbeitung der Fabel, aus welcher selbst Goethe geschöpft hat) gegeben, und Göthe ging mit mir zusammen hinein.4)

1812 ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte5) (W 36, 75): [P. A.] Wolff und Riemer machten

einen Plan zur Aufführung des Faust, wodurch der Dichter verleitet ward mit diesem Gegenstand sich abermals zu beschäftigen, manche Zwischenscenen zu bedenken, ja sogar Decorationen und sonstiges Erforderniß zu entwerfen. ⎯

⎯ Kinder- u. Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm. Berlin 1812, XXIX: In einer Stelle von Göthes Faust S. 225 [v. 4412−20], wozu unser Märchen [vom Machan-

1

) Abb. Vor dem Thor, Nacht u. Walpurgisnacht in Neubert 119, 118 u. 122. ) Carl Eberwein, Carl Moltke u. Eduard Ulrich studierten die Faust-Vertonungen ein, die Ende Aug 1811 vorlagen: der Osterchor Christ ist erstanden (797−807), das Schäferlied aus der Sz. Vor dem Thor (949−80), der Chor der Geister Drinnen gefangen ist einer! (1259−70) u. der Chor Schwinde, ihr dunkeln Wölbungen droben! (1447−1505); zudem Burgen mit hohen Mauern und Zinnen . . . (884−902) der Sz. Vor dem Thor; Ach neige, Du Schmerzensreiche . . . (3587−616) der Sz. Zwinger, zu Sz. Nacht (737−807): Glockenklang und Chorgesang. Chor der Engel . Christ ist erstanden! 3 ) s. oben 10. Sept 1811: Roeck an Overbeck. 4 ) Gerd Eversberg: Das Marionettenspiel vom Doktor Faust. Georg Geißelbrecht und seine Faust-Version um 1800. Göttingen 2012. 5 ) Verfaßt 1825 Mai 6. 2

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delbaum, aufgezeichnet von P. O. Runge] den Commentar liefert, und die der Dichter unstreitig aus altem Hörensagen aufnahm, lautet es so: meine Mutter die Hur . . . [Jan 2.] [Weimar, H. Meyer] Ausstellung von Gemälden und Zeichnungen. Weimar am 2. Januar 1812. In: Journal des Luxus und der Moden 27 (1812), Febr, 113ff.: Freundlich gesinnte Künstler, wie auch Besitzer von Kunstwerken, haben verschiedene Gemälde und Zeichnungen hierher gesendet, welche unsern Fürstlichen Personen und nachher auf einige Tage allen übrigen Kunstliebhabern zur Ansicht aufgestellt wurden. Ist gleich diese Schaustellung nicht sehr zahlreich gewesen, so war sie doch merkwürdig . . . Von Herrn N ä c k e [Naeke] sahe man . . . mit Oelfarben gemalt: Figuren von ungefähr 11/2 Fuße Höhe; die Scene aus G ö t h e ’s Faust, wo G r e t c h e n d i e S t e r n b l u m e z e r p f l ü c k t ;1) Faust in ritterlicher Kleidung steht hinter dem Mädchen, das er mit dem rechten Arme umfaßt und ihm Liebesworte einzuflüstern scheint; in einiger Entfernung zieht Mephistopheles mit Frau Marthe am Arm vorüber, das liebende Paar beobachtend. Im Hintergrunde erhebt sich die Stadtmauer und hinter derselben Dach und Thurm einer Kirche. Vorn ist das Bild reich an Büschen, Gras und Blumen geschmückt; Alles mit löblicher Sorgfalt ausgeführt. In der ganzen Darstellung liegt etwas sehr Einnehmendes; die Stellungen der Figuren sind natürlich, die Köpfe belebt, das Colorit frisch und kräftig, die Falten überhaupt von gutem Geschmack, mit einem Worte, der noch junge Künstler verräth für alle − zum vorzüglichen Maler erforderlichen Stücke − die entschiedensten Anlagen, und wenn man dieses Gemälde mit einem anderen, früher von ihm ausgeführten, vergleichen will, . . . so sind seine raschen, und zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden Fortschritte sehr auffallend. 8. [Weimar] C. Bertuch an Böttiger (BG 8, 179): Dr. Puttrich ein Kunstfreund aus Leipzig brachte uns vorige Woche das liebliche Gretchen von Näke [Naeke], deßen Besitzer er ist.2) – Es wurde bey Meyer ausgestellt, u. gefiel allgemein. Ich war gerade mit Göthe da, u. er äußerte sich gut darüber. Kleinere Mängel, wie die etwas starken langfingerichen Hände Gretchens übersah man des übrigen Gelungenen wegen. 10. [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 235f.): Gleich als ich in Rom ankam, erkundigte ich mich nach allen geschickten Kupferstechern, besonders aber nach den deutschen. Von Diesen war nur einer da, der so viel Geschicklichkeit besaß, zur Noth diese Zeichnungen passabel zu stechen; was aber (die) Italiener anbetrifft, so riethen mir Alle, die die Sache kennen und es gut damit meinen, sie keinen solchen anzuvertrauen, denn diese Leute haben eine solche infame Arroganz, daß sie den Raphael zu idealisiren pflegen. Wie würde es erst meinem armen Fäustlein ergehen. Uebrigens hat keiner das Talent und die Geschicklichkeit, die unser Schulz3) besitzt, der dabei das geduldigste und lenkbarste Gemüth hat, das zu erdenken ist. Und so wäre m e i n e Stimme ganz für ihn; zum wenigsten wäre mein Rath, ihn die vorzüglichsten Blätter stechen zu lassen. Wie dies zu machen, werden Sie am besten wissen. Kann Schulz hierher kommen oder soll ich die Blätter nebst den nöthigen Veränderungen durch eine Gelegenheit schicken? damit nur einmal angefangen wird. Barth4) können Sie auch zu einigen Blättern gebrauchen. Ich werde ihn dann schon gehörig zu stimmen suchen; er würde zum Beispiel den Gang nach dem Blocksberg sehr gut machen, weil dies Blatt viel Ton hat. Wir können denjenigen Kupferstecher, wovon ich oben sprach, auf keinen Fall vor dem Herbst zu unsrer Disposition haben, weil er ein Bild von Domenichino sticht. Was aber die Zeichnungen der Riepenhausen zum Faust betrifft,5) so muß das 1

) s. oben [5. März] 1811: Kunstausstellung m. Anm. u. Mai 14.: Naeke an G. ) s. oben 20. Mai 1811: Puttrich an G. 3 ) Der Kupferstecher Schulz konnte nicht ermittelt werden. Die Blätter wurden später von F. Ruscheweyh gestochen. 4 ) Carl Barth (1787−1853), seit 1805 Kupferstecher in Stuttgart; wird nicht zu dem Projekt herangezogen. 5 ) s. oben 2. Nov 1811: Schlosser an G. 2

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

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entweder ein Spaß oder ein blindes Manöver gewesen sein, denn ich weiß von nichts als von einem Oelbild, welches zwar ein Faust, aber nichts weniger als der Goethe’sche und noch weniger sein Gretchen ist. Außerdem sollen sie noch eine ausgeführte Skizze gemacht haben, welche sie mir aber nicht zeigen wollen.1) Daß aber diese Arbeiten vortrefflich sind, versteht sich von selbst. Doch darf ich Ihnen mein Wort geben, daß sie keinen Faust herausgeben werden, weil sie außer der Liebe, die sie für mich haben, auch die Klugheit besitzen, kein bedeutendes Werk zu liefern, das ein getheiltes Interesse haben könnte. Und so haben wir in dieser Sache eine ganz freie und gute Bahn, und täglich werde ich für den guten Gang dieser Sache ruhiger, besonders wenn im Stechen nichts versäumt und gespart wird. − Nun noch ein ähnliches Wort über eine ähnliche Sache, da ich einen großen Sprung für den Kupferstecher voraus bin, und ich fühle, daß mein Leben im Steigen und mein Talent auf dem Punkte steht, wo es das Fundament zum ganzen Lebensgebäude gleichsam legen soll. So habe ich, im Vertrauen auf Ihr Vertrauen zu mir, den Grund zu einem zweiten Werk [Zeichnungen zum Nibelungenlied] schon wirklich gelegt . . . Daß Ihr Faust nicht allein nichts darunter leiden, sondern gewinnen soll, gebe ich Ihnen mein Wort.

Jan[11.?]2) [Leipzig] F. A. Brockhaus an G. H. Naeke (BG 8, 186f.): Goethe war mit Ihren ersten beiden Zeichnungen3) sehr zufrieden, und er hat mir aufgetragen, Ihnen seinen Dank zu bezeugen. Ihr erstes Bild, das Puttrich gekauft,4) war auch in Weimar, und Schwerdgeburth hatten den Vorsatz, solches in großem Format in Kupfer zu stechen. Er wird aber wahrscheinlich diese Idee aufgeben . . .5) Febr

1. An J. F. H. Schlosser (Br 22, 257): Von Ihrem Herrn Bruder in Rom

habe ich durch Reisende das Beste vernommen, sowie auch, daß unser gute Corneli [P. Cornelius] und seine Arbeiten viel Sensation gemacht.6) Apr

4. [Rom] C. F. Schlosser an G (GSA 28/810 St. 3): Unter denen, die täglich Ihrer gedenken, ist Cornelius, dem von Jugend auf Gutes von Ihnen widerfahren. Er weiß daß ich diese paar Worte schreibe, und schließt sich ihnen von Herzen an. Ausser den Compositionen von Faust, in denen er fortfahren wird, hat er die Nibelungen,7) die diesen Winter durch Rom entzükt haben, darzustellen unternommen. 5. Abends bey Frau Hofräthin Schoppenhauer. Ueber Shakespeare und

Calderon, Zeichnungen aus Faust von Neke [Naeke]8). [Aug [Rom] F. Müller an Baron F. v. Eckstein (Entwurf; F. Müller: Werke u. Briefe. Hsg. v. um 26.] R. Paulus u. G. Sauder. Teil 2. Heidelberg 1998, 622): Herrn Cornelius kenne ich sehr wohl, und habe seine Zeichnungen über Göthes Faust gesehen, worinnen mann seine Anlage und Geschicklichkeit genugsam erkennet.

1

) Vermutl. die Zeichnung Faust begegnet Margarethe vor der Kirche, Abb. der Lithographie Neubert 92. 2 ) Datiert nach BG 8, 186. 3 ) Wahrscheinlich Handzeichnungen der auch in Öl ausgeführten Garten− u. der Zwingerszene; Abb. der Lithographien in Neubert 93. 4 ) Faust und Gretchen; s. oben 20. Mai 1811: Puttrich an G. 5 ) Radierung von K. A. Schwerdgeburth im Urania-Taschenbuch für die Damen auf das Jahr 1815. 6 ) s. nachfolgendes Z. 7 ) s. oben 10. Jan 1812: Cornelius an Wenner. 8 ) s. oben Jan Ende 1812: Brockhaus an Naeke.

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FAUST. EINE TRAGÖDIE

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Okt 17. An Knebel (Br 23, 115): Einsiedel hat den w u n d e r v o l l e n M a g u s 1)

übersetzt. Es ist das Sujet vom Doctor Faust mit einer unglaublichen Großheit behandelt. [Okt Ende/ (H Schema einer Bühneneinrichtung von Faust. Eine Tragödie durch TagebucheinNov] träge datierbar: Ende Okt/Nov 1812)2) Okt 18. [Weimar] Riemer Tagebuch (JbSK 3, 45): Mittags bei Wolffs gegessen; die Abteilung von Faust durchgesprochen. 20. Mittag H.[err] u Mdme Wolf. Nach Tische über Faust [Aufführung]. 23. [Weimar] Riemer Tagebuch (JbSK 3, 45): Besuch von Wolff, wegen Faust gesprochen. 30. Mittags Professor Riemer. Nach Tische Herr Wolf. Unterredung über

die Aufführung von Faust. Nov

4. Am Faust redigirt.3) 4. [Weimar] P. A. Wolff an Ungenannt (GMD, KK 4743): . . . ich arbeite jetzt mit allem Fleiß an Göthens Faust, ich hab ihn dazu bewogen, daß er diesen Winter aufgeführt werden soll, und da hat er mir denn übertragen ihn für’s Theater einzurichten, freilich muß er selbst alles dabei thun, was noch zugefügt werden soll, aber es ist schon eine schwierige Aufgabe, dieses Stück, so wie wir es haben, abzutheilen, die Scenen aneinander zu fügen, und es darstellbar zu machen, weil ein so großer Aufwand von Maschinerie, Dekoration, und Mechanik dazu erfordert wird, größtentheils ist alles bereits erfunden, und gezeichnet und im Januar hoffe ich es zur Darstellung zu bringen. Ich werde die Rolle des Mephistopheles geben. 12. (s. „Werke. Ausgabe B“: an Cotta gD) 29. [Weimar] P. A. Wolff an H. Blümner (Didaskalien 39): Einen großen Theil meiner Zeit habe ich mit Goethe’s Faust zugebracht. G. hatte mir die Commission gegeben ihm einen Vorschlag zu thun, unter welcher Gestalt sich die vorhandenen Scenen in Verbindung auf der Bühne darstellen ließen, da habe ich mir nun lange den Kopf zerbrochen: aber ich werde es doch dahin bringen, daß wir den Faust diesen Winter aufführen. Sie werden selbst leicht einsehen, daß es eine Riesenarbeit ist, denn bei jeder Scene gibt es etwas zu überwinden, und die mechanischen und optischen Erfindungen, so dazu erfordert werden, sind beschwerlich und unentbehrlich, dem ungeachtet habe ich ihm einen Plan, mit dem er zufrieden war, vorgelegt, und er arbeitet

1

) El magico prodigioso von Caldero ´n. Zum Zusammenhang s. Jane K Brown: Der wundertätige Magus. Faust in der Renaissance. In: Dies.: Ironie und Objektivität. Aufsätze zu Goethe. Würzburg 1999, 107−17. 2 ) Das in Beratungen mit G entstandene Schema für eine Bühneneinrichtung (W 14, 314−17 ) von P. A. Wolffs Hand teilt Faust in 5 Akte u. diese wiederum in Szenen auf. Links u. rechts am Rand egh. Zusätze G’s; Zahlen am linken Rand, jeweils vor einem Schauplatzwechsel, markieren wohl unterschiedl. Bühnenbilder. Die Einträge NB. [nota bene] u. Seitenzahlen am rechten Rand verweisen wohl auf gesonderte Regieblätter zu den vorgesehenen Musikeinlagen oder geplanten Zusatzszenen. Auf eine solche scheint der Randeintrag Kleine Teufel zu deuten. Diese nicht überlieferte Szene, die zw. Studirzimmer II u. Auerbachs Keller eingeschoben werden sollte, ist offenbar, wie Gräf II 2, 212f. vermutet, identisch mit der neuen Szene, von der F. v. Matthisson nach einem Besuch bei G im Apr 1815 berichtet; s. unten nach 17. Apr 1815: F. v. Matthisson, Erinnerungen. 3 ) Wahrscheinlich Hinweis auf die Arbeit an der Bühneneinrichtung.

1812

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nun an der Ausführung. − Er war nicht dazu zu bringen, es selbst vom Anfange zu übernehmen. Er sagte: Legen Sie mir nur etwas vor die Augen, wie Sie es wünschen und glauben daß es möglich ist, und falle es auch noch so toll aus, wenn ich nur etwas vor mir habe, ich will dann schon daran bessern.

Nov 30. Nach Tische H[err] Wolf. Über Verschiednes, besonders über die Dez

Schwierigkeiten der Aufführung von Faust. 1. [Nachmittags] Mit August Gespräch über die Aufführung von Faust. 5. [Weimar] P. A. Wolff an H. Blümner (Didaskalien 39): Mit dem Faust ist es diesen Winter nichts geworden, Goethe hat immerwährend fortgekränkelt.

1813 Jan

20. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: F. H. v. d. Hagen an G gD, S. 643)

Febr 10. [Wien] T. Körner an die Seinigen (T. Körner’s Leben und Briefwechsel. Nebst Mittheilungen über die Familie Körner. Hsg. v. A. Wolff. Berlin 1858, 274): Spohr ist als Concertmeister und Operndirector am Theater an der Wien angestellt worden. Eine treffliche Acquisition. Er bittet mich sehr um eine große Oper . . . E r hat die Idee des Faust,1) und wenn es nicht zu verwegen ist, so möchte ich ihm wohl beistimmen. 15. [Dresden] C. G. Körner an T. Körner (T. Körner’s Leben und Briefwechsel. Nebst Mittheilungen über die Familie Körner. Hsg. v. A. Wolff. Berlin 1858, 275): Faust, als Oper, will mir noch gar nicht recht in den Kopf. Einzelne Scenen in dem Goetheschen geben wohl Stoff genug zu musikalischen Gemälden, aber für ein musikalisches Ganze müßte der Stoff ganz anders − vielleicht weit populärer und roher − behandelt werden, was einem Dichter nicht zuzumuthen ist. März 1. [Leipzig, anonym] Johann Wolfgang von Göthe. (Aus dem nächstens erscheinenden dritten Bande des Conversations-Lexicons). In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 43 v. 1. März 1813, 341: Im Faust, der alles in sich vereinigt, was Göthe’s Genius Großes und Herrliches vermag, hatte er den Gipfel seiner Vollendung erreicht. Es darf nicht verwundern, von diesen Werken keine s c h n e l l e Wirkung zu sehen; aber sie blieb nicht aus und wurzelte tief, denn in Aesthetik und Sitten fing man nachher an, auf Idealität zu dringen; der Schmetterling brach aus der Raupe hervor. Mai 15. [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 239f.): Ein Blatt von unserm Faust ist hier in Arbeit2) und wird von einem gewissen Ruscheweyh gestochen; es ist schon sehr voran gerückt, und die Arbeit gefällt mir bis dahin recht sehr gut, und wünsche, daß dieser Mann alle übrigen machte. Er konnte erst vor einigen Tagen den Preis dieser Arbeit bestimmen, weil ihm solche ganz neu war; nun verlangt er 20 Louisd’or. Ich weiß nicht, ob es zuviel (ist); mir scheint’s nicht, weil viel Arbeit und von einer besondern Art, die den Kupferstechern sehr schwierig ist.

1

) Louis Spohr: Romantische Oper in zwei Aufzügen, von Josef Carl Bernhard. Wien 1814; u. a. am 1. Sept 1816 durch Carl Maria von Weber in Prag; nur die Blocksbergszene basiert auf G’s Faust; Rez. in: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Nov 1822, 669f. − Spohr komponierte auch das Lied Gretchen (Meine Ruh’ ist hin; 3374ff.). In: L. Spohr: Sechs Deutsche Lieder mit Begleitung des Piano-Forte in Musik gesetzt. Op. 25. Wien 1809, 4−6. Zur Oper s. auch H. J. Kreutzer: Faust. Mythos und Musik. München 2003, 28−45. 2 ) s. oben 10. Jan 1812: Cornelius an Wenner.

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1813

Juli

13. [Orvieto] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 241): Sollten Sie etwan mein Schreiben, das ich ohngefähr vor 2 Monaten absandte,1) nicht erhalten haben, so will ich dessen Inhalt (sofern es nöthig) in kurzem wiederholen. Das Erste ist, daß nun endlich ein Blatt zu unserm Faust fertig und zwar so gelungen ist, daß Sie mir die Verzögerung vergeben werden, wenn Sie die Arbeit sehen. Es ist der Gang auf den Brocken, mit möglichster Treue, Sauberkeit und Geist gearbeitet.2) Ich selbst freue mich wie ein Kind. Jetzt hat er das zweite Blatt in Arbeit, was nach seinem Versprechen noch besser werden soll. Er verlangt ein Honorar von 20 Carolin. Ich weiß nicht, ob es zu theuer (ist). Auf jeden Fall wünschte ich, daß Sie ihm so bald als möglich diese Summe schickten. Da er eine zweite Platte angefangen, können Sie ja noch immer mit ihm handeln, wenn Sie den Preis zu hoch finden . . . Ich möchte es fürs Wohl der Sache in jeder Hinsicht, daß dieser brave junge Künstler das ganze Werk stäche.

Sept

1. [Orvieto] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 243f.): Dieses ist das dritte Mal, daß ich Ihnen in einer Angelegenheit schreibe,3) die Ihnen und mir doch gleich wichtig sein muß . . . Lassen Sie sich darum die kleine Mühe nicht verdrießen und schreiben Sie mir doch mit umgehender Post, ob Sie mit meinem Verfahren in Hinsicht des Stechers zufrieden sind, ob ich soll weiter arbeiten lassen oder nicht, und schicken Sie mir doch vor allem andern einen Credit von 20 Louisdors, denn dieser Mann ist in der größten Noth und ich selber bin nicht im Stande, jetzt ihm zu helfen.

Okt 20. [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 246f.): Mit unserm Faust geht’s gut und gehörig rasch von Statten. Er [Ruscheweyh] hat die zweite Platte ebenfalls fertig, nämlich den Spaziergang im Garten, und ist jetzt an Auerbach’s Keller.4) Ein Reisender wird Ihnen Abdrücke von Paris aus schicken. Sie werden auch sein Schreiben erhalten haben, worin er Ihnen Zeit und Preis bestimmte. Er erwartet darüber sobald als möglich eine Antwort, und ich bitte ebenfalls recht sehr darum. Nov 25. (s. „Zwei Teufelchen und Amor“: Tgb gD, S. 834.)

1814 ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte5) (W 36, 88): Der Besuch des Fürsten R a d z i -

w i l l [am 1. Apr] erregte gleichfalls eine schwer zu befriedigende Sehnsucht; seine genialische uns glücklich mit fortreißende Composition zu Faust ließ uns doch nur entfernte Hoffnung sehen, das seltsame Stück auf das Theater zu bringen.6) 1

) s. oben 15. Mai 1813: Cornelius an Wenner. ) Abb. in Neubert 101. ) s. oben 1813 Mai 15. u. Juli 13. 4 ) Abb. in Neubert 98f. 5 ) Verfaßt Febr 1819. 6 ) Seit Erscheinen von Faust I hatte Radziwill an seinen Faust-Vertonungen gearbeitet.Vgl. dazu den Artikel Radziwill in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart Bd 10 (1962) Sp.1859: . . . nachdem Zelter abgelehnt hatte und K. Eberwein in Weimar nicht weiterkam, an einer Faustmusik. 1810 sang die Singakad. Tle. daraus; ein Jahr später ließ sich Goethe einiges daraus vortragen . . . 1816 begannen auf Anregung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Palais Radziwill die Lese- und Musikproben für die erstmalige (Privat-) Auff. ausgewählter Szenen aus Goethes Dichtung, die aber erst 1819, wahrscheinlich am 24. Mai, wiederholt am 10. Juni, im Palais Monbijou unter Beteiligung des Hofes zustande kam . . . Am 24. Mai des folgenden Jahres wurde das Ganze, 2 3

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Apr

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10. [Frankfurt] A. v. Goethe an G (Sanford 1, 126): Ich bringe Ihnen . . . auch die Abdrücke von den Corneliusischen Faustischen Zeichnungen welche in Rom gestochen worden1) und alle Tage hier erwartet werden. 1. (s. „Zwei Teufelchen und Amor“: Tgb u. Riemer Tagebuch gD, S. 834) 2. (s. „Zwei Teufelchen und Amor“: an Knebel gD, S. 835)

4. (s. „Zwei Teufelchen und Amor“: Tgb gD, S. 835) [4./11.] (s. „Zwei Teufelchen und Amor“: H gD, S. 835) 11. (s. „Zwei Teufelchen und Amor“: an Fürst Radziwill gD, S. 835) [Apr 4./ (Hs. der Sz. Ein Gartenhäuschen):3) 11.]2)

um einiges vermehrt, nochmals gegeben. Radziwill arbeitete an seinem Werk . . . bis zu seinem Tode [1833] weiter. Von fremder Hand ergänzt, erklang das Werk erstmalig öffentl. in der Berliner Singakad. und erlebte bis 1888 25 Wiederholungen. Auch diente es, durch Lindpaintnersche Stücke vermehrt, als Akzidenzmusik zur ersten öffentl. Berliner Auff. des Faust 1838 − Vgl. auch Werner Bollert (Hsg.): Sing-Akademie zu Berlin. Festschrift zum 175jährigen Bestehen. Berlin 1966, 30; Gottfried Eberle: 200 Jahre Sing-Akademie zu Berlin. »Ein Kunstverein für die heilige Muse.« Berlin 1991, 111 u. 147. 1 ) Zu den Faust-Zeichnungen von P. Cornelius s. oben 1811 Apr 26.: Gerning an G; 29.: Cornelius an Boissere´e; Mai 3.: Tgb; 4.: Boissere´e: Tgb; 6.: S. Boissere´e an M. Boissere´e; 8.: An Graf Reinhard, an Cornelius, Boissere´e Tgb; 1813 Apr 4: Schlosser an G; Mai 15., Juli 13., Sept 1., Okt 20.: P. Cornelius an Wenner; unten 1814 Juni 13.: Schlosser an G; Mai 24.: Cornelius an Wenner. 2 ) Die Datierung der Hs. ergibt sich aus G’s Tgb vom 4. Apr u. G’s Brief an Radziwill vom 11. Apr 1814, dem sie beigelegt war. Sie befindet sich jetzt im Familienarchiv Radziwill zu Warschau. 3 ) Die Szene [3204−10] verwandelte G hier in ein Gesangsquartett (Wackernagel 30), eine Umwandlung der Gartenhäuschenszene zwischen Faust, Gretchen, Marthe und Mephisto in eine typische Opernszene von etwas größerem Umfang, mit sich verschlingenden Solo-und Duettpartien. (Schillemeit 1988, 646) Herman Grimm, der die Hs. noch bei dem Enkel Ferdinand Fürst Radziwill in Berlin sah, veröffentlichte sie erstmals in: Brief Goethe’s an den Fürsten Radziwill. (Preußische Jahrbücher 35 [1875] 1−5) u. kommentiert ebd.: Wenn man diese im kühlen Operncanzleistyl abgefaßte Umbildung der so lebendigen Scene mit dem Originale vergleicht, sollte man für unmöglich halten, Goethe habe den reizenden Strom seiner eignen Dichtung in so hart geschnittene Eisblöcke verwandeln können. Indessen bedenken wir, Goethe trug den Inhalt seiner Dichtungen so lebendig in der Seele, daß ihr Ausdruck in Worten, selbst wenn er ihm am herrlichsten gelungen war, dennoch für ihn eine über alle festen Formeln erhabene Berechtigung blieb. Er glaubte sein Eigenthum jeden Tag anders gewandt und anders accentuirt neu mittheilen zu dürfen . . . Goethe war der Herr und seine Werke hatten sich jederzeit seinem Willen zu fügen. Sobald er die Composition des Faust als Oratorium ins Auge faßt, stellt sich seinem Geiste eine Gestalt dar, für deren Gebrauch er ihn in die bequemsten entsprechenden Worte bringt. Goethe war 1814 ein anderer als 1774. Es war ihm gleichgültig, ob litterar-historische Betrachtung ihm später vorwerfen könne, seine Dichtung in gewissem Sinne zerstört und willkürlich anders aufgebaut zu haben. Er that auch hier und was ihm beliebte . . . Heute ist diese Herrschaft überwunden. Wir haben ihm gegenüber unsere Unbefangenheit wieder gewonnen und lassen nur gelten was uns zusagt. Und so sind wir im Rechte, diese Veränderung seiner Faustscene nur noch als ein seltsames Symptom der Entwicklung des großen Dichters aufzufassen: als ein Zeichen seiner inneren Freiheit und des höheren idealen Lebens, mit dem seine Dich-

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Ein Gartenhäuschen Margarete springt herein, steckt sich hinter die Thür, hält die Fingerspitzen an die Lippen, und guckt durch die Ritze.

Margarete. Er kommt! Er kommt so schnell, Er wird mich fragen. Da draußen ist’s so hell − Ich kann’s nicht sagen Faust kommt. Ach Schelm, so neckst du mich! Willst du’s nicht sagen? Ich lieb’ ich liebe dich! Sollt ich nicht fragen? Margarete. Was soll denn aber daß? Warum verfolgst du mich= Faust. Ich will kein ander Was, Ich will nur dich! Margarete. Verlangst du noch einmal Was du genommen? − Komm an mein Herz! Du bist Du bist willkommen! Faust. O welchen süßen Schatz Hab ich genommen! So sei denn Herz an Herz Sich doch willkommen! Marthe und Mephistopheles außen. Kluge Frau und kluger Freund Kennen solche Flammen; Bis der Herr es redlich meint, Laßt sie nicht beisammen. Faust. Wer da?

tungen in ihm und mit ihm sich fortbildeten, alternd mit ihm selber gleichsam. 31. Dec. 1874.

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Mephistopheles. Gut Freund! Faust. Ein Thier! Mephistopheles mit Marthe hereintretend. Nun endlich, so gefällst du mir! Mephistopheles und Marthe. Wer Gelegenheit gegeben Der soll leben; Wer Gelegenheit benommen, Schlecht willkommen! Margarete und Faust. Sag wer hat es uns gegeben Dieses Leben? Niemals wird es uns genommen Dies Willkommen. [Apr Ende [Weimar] Luise Friederike v. Niebecker an A. v. Goethe (GSA 28/65 Bl. 555): Ich wage od. Mai] es nicht Ihren Herrn Vater wieder zu bemühen, daher verzeihen Sie mir wenn ich Ihnen noch eine Bitte vorlege; die Kupfer von Homer [von W. Tischbein] folgen mit dem gehorsamsten Dank zurück, u darf ich wohl um etwas anderes bitten, der junge [G. v.] Reutern sehnt sich unaussprechlich nach Weiteren; er hat die Figuren des Faust u Gretchen gar hübsch u nett gezeichnet, u mögte gern noch so etwas liebliches schauen als dieß liebe Bild [von Naeke?]; können u wollen Sie gütigst sich bei Ihrem Herrn Vater für uns verwenden. Mai 13. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 1. Juli 1814 −: De l’Allemagne par Mme la Baronne de Stae¨l-Holstein. Nouvelle ´edition pre´ce´de´e d’une introduction par Mr Charles de Villers et enrichie du texte original des morceaux traduits. T. 1−4. Paris et Leipsic 1814)1) 14. [Nachmittags] Stael Allemagne. 15. v. Stael L’Allemagne . . . [Nachmittags] v. Stael Allemagne. 16. v. Stael. [14./16.]2) Mme de Stae¨l, De l’Allemagne: Seconde Partie. Chapitre XXIII. Faust3) (Pange III, 70−76; 122−29): Voila` le premier mot qui a fourni `a Goethe l’e´tonnant ouvrage dont je

1

) Die bei Vieweg in Braunschweig gedruckte Ausg. des Verlegers Brockhaus folgt dem Text der Pariser Ausg. vom Mai 1814, die auf die Londoner Ausg. vom Okt 1813 zurückgeht. Die Leipziger Ausg. enthält zusätzlich Ch. de Villers Einführung (S. XXVII−LXIV) mit übers. Stellen im Original. 2 ) Vermutlich las G 14./16. Mai in Mme de Stae¨ls seine Werke behandelnden Seconde Partie: Kap. XXI. Goetz de Berlichingen, et le Comte d’Egmont; Kap. XXII. Iphige´nie en Tauride, Torquato Tasso. etc. u. Kap. XXIII. Faust. − Graf C.F.v. Reinhard hatte ihm schon am 6. Dez 1811 ein Fragment, aus dem Schiffbruch Varia der Schrift von Madame de Stae¨l über Deutschland übermittelt (G−Reinhard 171). Das Fragment im Bestand des GSA (35/ II,9,1) enthält aus der Seconde Partie nur eine Abschrift der Kap.

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vais essayer de donner l’ide´e. Certes, il ne faut y chercher ni le gou ˆt, ni la mesure, ni l’art qui choisit et termine; mais si l’imagination pouvoit se figurer un chaos intellectuel tel que l’on a souvent de´crit le chaos mate´riel, le Faust de Goethe devroit avoir ´ete´ compose´ `a cette ´epoque. On ne sauroit aller au-dela` en fait de hardiesse de pense´e, et le souvenir qui reste de cet ´ecrit tient toujours un peu de vertige. Le diable est le he´ros de cette pie`ce; l’auteur ne l’a point conc¸u comme un fanto ˆme hideux, tel qu’on a coutume de le repre´senter aux enfants; il en a fait, si l’on peut s’exprimer ainsi, le me´chant par excellence, aupre`s duquel tous les me´chants . . . ne sont que des novices, `a peine dignes d’eˆtre les serviteurs de Me´phistophe´le`s. (C’est le nom du de´mon qui se fait l’ami de Faust.) Goethe a voulu montrer dans ce personnage, re´el et phantastique tout `a la fois, la plus ame`re plaisanterie que le de´dain puisse inspirer, et ne´anmoins une audace gaiete´ qui amuse. Il y a dans les discours de Me´phistophe´le`s une ironie infernale qui porte sur la cre´ation toute entie`re, et juge l’univers comme un mauvais livre dont le diable se fait le censeur. Me´phistophe´le`s de´joue l’esprit lui-meˆme, comme le plus grand des ridicules, quand il fait prendre un inte´reˆt se´rieux `a quoi que ce soit au monde, et surtout quand il nous donne de la confiance en nos propres forces. C’est une chose singulie`re que la me´chancete´ supreˆme et la sagesse divine s’accordent en ceci; qu’elles reconnoissent ´egalement l’une et l’autre le vide et la foiblesse de tout ce qui existe sur la terre: mais l’une ne proclame cette ve´rite´ que pour de´gou ˆter du bien, et l’autre que pour ´elever au-dessus du mal. S’il n’y avoit dans la pie`ce de Faust que de la plaisanterie piquante et philosophique, on pourroit trouver dans plusieurs ´ecrits de Voltaire un genre d’esprit analogue; mais on sent dans cette pie`ce une imagination d’une toute autre nature. Ce n’est pas seulement le monde moral tel qu’il est qu’on y voit ane´anti, mais c’est l’enfer qui est mis `a sa place. Il y a une puissance de sorcellerie, une poe´sie du mauvais principe, un enivrement du mal, un ´egarement de la pense´es qui font frissonner, rire et pleurer tout `a la fois. Il semble que, pour un moment, le gouvernement de la terre soit entre les mains du de´mon. Vous tremblez parce qu’il est impitoyable, vous riez parce qu’il humilie tous les amours-propres satisfaits, vous pleurez parce que la nature humaine, ainsi vue des profondeurs de l’enfers, inspire une pitie´ douloureuse. Milton a fait Satan plus grand que l’homme; Michel-Ange et Le Dante lui ont donne´ les traits hideux de l’animal combine´s avec la figure humaine. Le Me´phistophe´le`s de Goethe est un diable civilise´. Il manie avec art cette moquerie le´ge`re en apparence qui peut si bien s’accorder avec une grande profondeur de perversite´, il traite de niaiserie ou d’affectation tout ce qui est sensible; sa figure est me´chante, basse et fausse; il a de la gaucherie sans timidite´, du de´dains sans fierte´, quelque chose de doucereux aupre`s des femmes, parce que, dans cette seule circonstance, il a besoin de tromper pour se´duire: et ce qu’il entend par se´duire, c’est servir les passions d’un autre, car il ne peut meˆme faire semblant d’aimer. C’est la seule dissimulation qui lui soit impossible. Le caracte`re de Me´phistophe´le`s suppose une ine´puisable connoissance de la socie´te´, de la nature et du merveilleux. C’est le cochemar de l’esprit que cette pie`ce de Faust, mais un cochemar qui double sa force. On y trouve la re´ve´lation diabolique de l’incre´dulite´, de celle qui s’applique `a tout ce qu’il peut y avoir de bon dans ce monde; et peut-eˆtre cette re´ve´lation seroit-elle dangereuse, si les circonstances amene´es par les perfides intentions de Me´phistophe´le`s n’inspiroient pas de l’horreur pour son arrogant langage, et ne faisoient pas connoıˆtre la sce´le´ratesse qu’il renferme. Faust rassemble dans son caracte`re toutes les foiblesses de l’humanite´: de´sir de savoir et fatigue du travail; besoin de succe`s, satie´te´ de plaisir. C’est un parfait mode`le de l’eˆtre changeant et mobile dont les sentiments sont plus ´ephe´me`res encore que la courte vie dont il se plaint. Faust a plus d’ambition que de VII. Goethe u. XIII. De la poe´sie allemande; vgl. GT 4.2, 1359. ) Geschrieben im 2. Halbjahr 1808; s. oben 30. Dez 1808: Mme de Stae¨l an Sophie v. Schardt.

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force; et cette agitation inte´rieure le re´volte contre la nature, et le fait recourir `a tous les sortile`ges pour ´echapper aux conditions dures, mais ne´cessaires, impose´es `a l’homme mortel. [Folgt ausführliche Analyse mit eingeflochtenen Szenen in Prosaübersetzung, die dem frz. Publikum eine erste Vorstellung von G’s Faust vermitteln soll.] . . . [122−27:] La pie`ce est interrompue apre`s ces mots. L’intention de l’auteur est sans doute que Marguerite pe´risse, et que Dieu lui pardonne; que la vie de Faust soit sauve´e, mais que son ˆame soit perdue. Il faut supple´er par l’imagination au charme qu’une tre`s-belle poe´sie doit ajouter aux sce`nes que j’ai essaye´ de traduire; il y a toujours dans l’art de la versification un genre de me´rite reconnu de tout le monde, et qui est inde´pendant du sujet auquel il est applique´. Dans la pie`ce de Faust le rhythme change suivant la situation, et la varie´te´ brillante qui en re´sulte est admirable. La langue allemande pre´sente un plus grand nombre de combinaisons que la no ˆtre, et Goethe semble les avoir toutes employe´es pour exprimer, avec les sons comme avec les images, la singulie`re exaltation d’ironie et d’enthousiasme, de tristesse et de gaiete´ qui l’a porte´ `a composer cet ouvrage. Il seroit ve´ritablement trop naı¨f de supposer qu’un tel homme ne sache pas toutes les fautes de gou ˆt qu’on peut reprocher `a sa pie`ce; mais il est curieux de connoıˆtre les motifs qui l’ont de´termine´ `a les y laisser ou pluto ˆt `a les y mettre. Goethe ne s’est astreint dans cet ouvrage `a aucun genre; ce n’est ni une trage´die, ni un roman. L’auteur a voulu abjurer dans cette composition toute manie`re sobre de penser et d’e´crire: on y trouveroit quelques rapports avec Aristophane, si des traits du pathe´tique de Shakespear n’y me´loient des beaute´s d’un tout autre genre. Faust ´etonne, ´emeut, attendrit; mais il ne laisse pas une douce impression dans l’aˆme. Quoique la pre´somption et le vice y soient cruellement punis, on ne sent pas dans cette punition une main bienfaisante; on diroit que le mauvais principe dirige lui-meˆme la vengeance contre le crime qu’il fait commettre, et le remords, tel qu’il est peint dans cette pie`ce, semble venir de l’enfer aussi-bien que la faute. La croyance aux mauvais esprits se retrouve dans un grand nombre de poe´sies allemandes; la nature du Nord s’accorde assez bien avec cette terreur; il est donc beaucoup moins ridicule en Allemagne, que cela ne le seroit en France, de se servir du diable dans les fictions. A ne conside´rer toutes ces ide´es que sous le rapport litte´raire, il est certain que notre imagination se figure quelque chose qui re´pond `a l’ide´e d’un mauvais ge´nie, soit dans le cœur humain, soit dans la nature: l’homme fait quelquefois du mal d’une manie`re pour ainsi dire de´sinte´resse´e, sans but et meˆme contre son but, et seulement pour satisfaire une certaine ˆaprete´ inte´rieure qui donne le besoin de nuire. Il y avoit `a co ˆte´ des divinite´s du paganisme d’autres divinite´s de la race des Titans, qui repre´sentoient les forces re´volte´es de la nature; et dans le christianisme on diroit que les mauvais penchants de l’aˆme sont personnifie´s sous la forme des de´mons. Il est impossible de lire Faust sans qu’il excite la pense´e de mille manie`res diffe´rentes: on se querelle avec l’auteur, on l’accuse, on le justifie; mais il fait re´fle´chir sur tout, et, pour emprunter le langage d’un savant naı¨f du moyen ˆage, sur quelque chose de plus que tout . . . Les critiques dont un tel ouvrage doit ˆetre l’objet sont faciles `a pre´voir d’avance, ou pluto ˆt c’est le genre meˆme de cet ouvrage qui peut encourir la censure plus encore que la manie`re dont il est traite´; car une telle composition doit ˆetre juge´e comme un reˆve; et si le bon gou ˆt veilloit toujours `a la porte d’ivoire des songes pour les obliger `a prendre la forme convenue, rarement ils frapperoient l’imagination. La pie`ce de Faust cependant n’est certes pas un bon mode`le. Soit qu’elle puisse ˆetre conside´re´e comme l’œuvre du de´lire de l’esprit ou de la satie´te´ de la raison, il est `a de´sirer que de telles productions ne se renouvellent pas; mais quand un ge´nie tel que celui de Goethe s’affranchit de toutes les entraves, la foule de ses pense´es est si grande, que de toutes parts elles de´passent et renversent les bornes de l’art.1) 1

) Alfred Götze meint, weil im Faust-Kapitel die Sz. Zueignung, Vorspiel auf dem Theater u. Prolog im Himmel unerwähnt bleiben u. die Sz. Wald und Höhle sowie der

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Frip. [= Jean Paul, Rez. von] De l’Allemagne par Mme la Baronne de Stae¨l-Holstein. (1814.)1) In: Heidelberger Jahrbücher (Berend I 16, 298−328): . . . [298:] Unserer Verfasserin . . . gewährte das Glück ihres Umgangs mit den größten deutschen Dichtern . . . und Weimar, der Brennpunkt der deutschen Dichtkunst, konnte ihr so viel sein als Paris einem deutschen Rezensenten der Pariser Poesie . . . [299f.:] so ist sie die Schutzgöttin der höhern Empfindungen in der Liebe . . . Daher ihre einseitige Erzürnung über Göthens Faust . . . [304−06:] Kurz, die französische Menschheit treibt und trägt in den Kunstwerken nichts als Fürsten, Helden und Adel, kein Bei- und Unterwerk vom Volk . . . Diesen Stammbaum, ohne welchen der französische Parnaß niemand aufnimmt, scheint auch Frau von Stael zu fodern und − nach ihren ungünstigen Urtheilen − zu vermissen in Vossens Luise sammt Idyllen, in Göthens Dorothea, in Meister und Faust. Es ist zu wenig Hof darin . . . Nach so langen Vorbereitungen wird der Leser leicht den Schluß erwarten, daß die Verf. die gewünschte Mittlerin zwischen uns und Frankreich ist . . . Aber gerade das Gegentheil behauptet Rezensent. Er muß überhaupt die Franzosen bedauern, welchen sie durch ihre entmannenden Auszüge und Uebersetzungen aus dem Deutschen eine Regelmäßigkeit von uns weismacht, wovon kein Wort wahr und keine Spur in uns ist. Sie fängt z.B. bei dem Faust mit der Stelle an: „C’est `a nous de nous plonger dans le tumulte de l’activite´, dans ces vagues ´eternelles de la vie, que la naissance et la mort ´ele`vent et pre´cipitent, repoussent et rame`nent; nous sommes faits pour travailler `a l’œuvre que Dieu nous commande, et dont le temps accomplit la traˆme. Mais toi, qui ne peux concevoir que toi-meˆme, toi, qui trembles en approfondissant ta destine´e, et que mon souffle fait tressaillir, laisse-moi, ne me rappelle plus.“ Wie soll nun ein Franzose, der vielleicht solcher stiller Stellen wegen zu deutscher Sprache sich entschließt, nur von weitem errathen, daß, bevor die Stelle urbar gemacht worden, folgendes Unkraut darauf gewuchert [Nacht-Sz.501–513]: Der Geist. In Lebensfluthen, im Thatensturm Wall’ ich auf und ab, Webe hin und her! Geburt und Grab Ein ewiges Meer, Ein wechselnd Weben, Ein glühend Leben, So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Valentin-Auftritt nicht wie in Faust I, sondern in der Reihenfolge der Sz. des Fragments u. des ,Urfaust‘ plaziert sind, das Kapitel sei nach dem Text des Fragments u. des ,Urfaust‘ erarbeitet u. nicht nach der Ausg. von 1808. Doch setzt Mme de Stae¨ls Faust-Kapitel Kenntnis von Faust I voraus, da es längere Passagen aus dem 2. Teil der Sz. Nacht enthält, von der Sz. Walpurgisnacht u. vom Intermezzo berichtet u. den im Faust Frühe Fassung noch fehlenden Vers 3720 der Valentin-Szene übersetzt. Götze begründet seine Behauptung damit, daß Mme de Stae¨l den Prolog im Himmel ganz übergeht u. auch die Sz. Studirzimmer nur kurz erwähnt; vgl. A. Götze: Goethes Faust und Madame de Stae¨l. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Braunschweig 119 (1967) H. 3, 184−91. − F. Förster überliefert ein Gespräch vom Aug 1831, in dem G zum Faust-Kapitel Stellung nimmt. Sehr zweifelhaft erscheint dort die wiedergegebene Kritik an Übersetzungen von Mme de Stae¨l, der von ihr nicht begangene Fehler angelastet werden; s. dazu unten [1831Aug 4./25.]: Förster, Erinnerungen. 1 ) De l’Allemagne zuerst 1810 in Paris erschienen, sofort beschlagnahmt u. fast restlos vernichtet, dann 1813 in London u. 1814 bei Hitzig in Berlin gedruckt. Letztere Ausg. lag Jean Paul vor.

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Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. Faust. Der du die weite Welt umschweif’st Geschäft’ger Geist, wie nah’ fühl’ ich mich dir! Der Geist. Du gleichst dem Geist den du begreifst, Nicht mir! So ist der ganze Auszug; auch die kleinste brennende Farbe ist ausgebleicht, so wie Riesenklumpen und Gruppen, z.B. die Walpurgisnacht, gar herausgeschnitten. − − . . . [320f.:] Ist eine Uebersetzung ein verkehrter bleicher Nebenregenbogen der ursprünglichen Farbenpracht: so ist ihre eigene und überhaupt eine französische des Faust nur eine graue kalte Nebensonne der Götheschen Sonne im Löwen. Zuweilen gibt sie statt der verblichenen Uebersetzung eine ganz neue Rede; z.B. (T. III. p. 137) läßt sie den Teufel von Faust sagen: „Cet homme ne sera jamais qu’a` demi pervers, et c’est en vain qu’il se flatte de parvenir `a l’eˆtre entie`rement.“ In der Urschrift (S. 114) steht kein Wort davon, sondern blos die lange gute, ganz andere Stelle [Studirzimmer-Sz.1851]: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft etc.“ Daß wichtige Auslassungen leichte Uebersetzungen in ihrem Werke verhüten, ist recht gut für das Göthesche. Dieses, gleich Dante’s göttlicher Komödie, teufliche Trauerspiel, in welchem ganze geistige Welten spielen und fallen, hat sie zu einem Lieberoman ausgezogen und eingezogen. Von diesem einzig und letzten Zodiakalschein, den der untergegangene Shakespeare über Deutschland aufgerichtet, von diesem Faust wünscht Frau Verf. recht sehr (S. 160), daß dergleichen nicht wieder oder gar mehre geschrieben werden −; denn (S. 127): „il ne faut y chercher ni le gou ˆt, ni la mesure, ni l’art qui choisit et qui termine; mais si l’imagination pouvait se figurer un chaos intellectuel, tel qu’on a souvent de´crit le chaos mate´riel, le Faust de Goethe devrait avoir ´ete´ compose´ `a cette ´epoque.“ −. . .

Mai 24. [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 248f.): Es hat mir Ihr Entschluß, den Faust in zwei Lieferungen herauszugeben,1) die größte Freude gewährt. Es ist jetzt meines Erachtens gerade an der Zeit, und meine Ahnungen (die mich selten täuschen) versprechen mir die schönsten Resultate . . . Sie werden sich, werthester Freund, erinnern, daß von einer Zeichnung unsres Werks an Goethe immer die Rede war, und bitte, mir dieselbe zuzugestehen2) . . . Ruscheweyh hat die Platte von Auerbach’s Keller fertig; sie ist meisterlich gelungen. Die mit den Pferden [Nacht, offen Feld] ist auch ihrer Vollendung nahe.3) Er ist sehr fleißig und arbeitet mit der größten Liebe. Es ist ein Glück, diesen Menschen zu dieser Arbeit gefunden zu haben. Wenn es mit Ihrer Ansicht, werthester Freund, zusammentrifft, so wäre es mir lieb, wenn die Scene in der Kirche ebenfalls zur ersten Lieferung könnte gefügt werden, weil sie eine Seite ausspricht, die ich gerne in Berührung bringen möchte.4) 29. [Berka] F. v. Müller Mitteilungen (Unterhaltungen 12): Seine Unzufriedenheit über der Frau von Stae¨l Urtheile über seine Werke brach lebhaft hervor . . . Die Stae¨l habe alle seine, Goethes, Productionen abgerissen und isolirt betrachtet, ohne Ahnung ihres inneren Zusammenhangs, ihrer Genesis.

1

) Wenner entschied sich im Sommer 1816, alle fertigen Platten in einer Lieferung herauszugeben. 2 ) Entwurf der Zueignung liegt einem Brief an Wenner vom 27. März 1815 bei, s. Riegel 255f. 3 ) Abb. in Neubert 98 u. 102. 4 ) Szene im Dom findet sich erst in der 2. Lieferung; Abb. in Neubert 101.

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Mai 31. [Leipzig, anonym, ohne Titel] Zeitung für die elegante Welt Nr. 107 v. 31. Mai 1814, 855: Die beiliegende Komposition auf der bekannten G ö t h e schen Romanze: d e r K ö n i g v o n Tu l e , hat einen jungen Deutschen zu Dorpat, J o h a n n G o t t l i e b D i e t r i c h , zum Verfasser, und wird als eine Probe aus dessen G e s ä n g e n , a u s G ö t h e ’ s F a u s t 1 ) , welche noch ungedruckt sind, und für welche der Verfasser sich einen Verleger wünscht, unsern Lesern mitgetheilt. Wir glauben, sie werde auf ihren Beifall rechnen dürfen. Juni 13. [Frankfurt] C. F. Schlosser an G (GSA 28/810 St. 6): Ich erinnere mich nicht, ob ich Ihnen geschrieben habe, daß zwei gestochene Blätter [von Ruscheweyh], aus den Zeichnungen zum Faust [von Cornelius], der Spaziergang in der Nachbarinn Garten und Fausts Fahrt auf den Blocksberg, bey uns angekommen sind.2) 30. [Nachmittags] Die Zeichnungen von Faust kommen an.3) Juli

1. [Weimar] Riemer Tagebuch (JbSK 3, 69): Abends zu G., wo Zelter. Die Zeichnungen von Retzsch zum Faust besehen, die reizend. 18. [Rom] F. und J. Riepenhausen an G (GSA 28/64 Bl. 381f.): Unter anderen Gegenständen, welche wir aus Ihren Werken entlehnt haben, hat uns besonders derjenige aus Fausts Leben, wie er dem Gretchen zum erstenmal begegnet, viel Freude bey der Ausführung desselben gemacht. Dieses Gemählde4) ist gegenwärtig auf dem Wege nach Deutschland und für einen Edelmann in Werl, im Herzogthum Westphalen, bestimmt. Nichts würde unseren Fleiß und Liebe womit wir diese Scene ausgeführt mehr belohnt haben als wenn Sie es mit Ihrem Beyfalle beehrt hätten weshalb es uns sehr schmerzlich war unsere Arbeit Ihren Augen nicht darbieten zu können.

Aug 29. [Radmeritz] O. H. v. Loeben an J. Kerner (J. Kerner: Briefwechsel mit seinen Freunden. Bd 1. Hsg. v. T. Kerner. Stuttgart/Leipzig 1897, 392): Wissen Sie auch,5) daß unser Meister [G] ein Drama für den 18. Oktober [Des Epimenides Erwachen] schreibt? Ich träume davon! Und daß Beethoven ihn veranlaßt hat, seinen Faust für die Musik zu gestalten?6) Nov 2. [München, anonym] Almanachs-Literatur (Fortsetzung.) Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1815. Mit 9 Kupfern, darstellend Scenen aus Göthe’s Faust, Egmont und Tasso. Leipzig, Brokhaus. In: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände Nr. 87 v. 2. Nov 1814, 690−92: Der Verfasser des Kommentars zu den Kupfern, die dieses Taschenbuch schmücken, hat ganz Recht, wenn er sagt, eine Erklärung derselben sey wenigstens z w e y d e u t i g ; für den, welcher nur einen Blick auf das Titelkupfer, (Faust mit Gretchen in dem Garten der Nachbarin Marthe) wirft, geht eine Welt von Gefühlen auf, die nicht ausgesprochen werden können noch sollen. Es geht einem, indem man diese Bilder schaut, wie nach der Lektüre dieser göttlichen Dichtung − man verstummt, versinkt in das Nachempfinden all’ der Herrlichkeiten und das Wort, das man darüber spricht, profanirt das heilige Gefühl, das uns begeistert . . . Wohl uns, wenn der sinnige

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) Nicht nachweisbar. ) Abb. in Neubert 99 u. 101. 3 ) Zeichnungen von M. Retzsch. Begleitschreiben nicht überliefert, ebenfalls kein Brief G’s an Retzsch. − G hatte bei seinem Aufenthalt in Dresden (2. Hälfte Sept 1810) Entwurfszeichnungen zum Faust von Retzsch gesehen u. ihn dazu angeregt, sie als Umrißzeichnungen auszuführen. Diese Zeichnungen erhielt er nun im Original u. später im Druck; s. unten 1816 Okt 16.: Cotta an G; Abb. in Neubert 103−12. 4 ) s. oben 2. Sept 1811: Schlosser an G; Abb. in Neubert 92. 5 ) Loeben verbrachte den Winter 1813/14 in Weimar. 6 ) G u. Beethoven waren sich im Sommer 1812 in Teplitz u. Karlsbad begegnet; s. auch oben Okt 1808: Fliegende Blätter. 2

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Leser an den Umrissen, die wir zu geben vermögen, beyde: den Dichter und den bildenden Künstler, erkennt. Das Titelkupfer stellt, wie schon gesagt, Gretchen mit Faust in Marthens Garten vor, wie sie die prophetische Sternblume zupft. Erwartungsvoll steht hinter ihr, sie mit der Rechten umfassend, Faust, und schaut auf die niedlichen Finger, wie sie die Blätter zierlich fassen. Gretchen, ein holdes Bild der reinsten Liebe steht da, angethan mit allem Glanze der höchsten Schönheit. Süß lächelnd treibt sie ihr deutungsvolles Spiel; es ist keine Unruhe über das Resultat in ihr sichtbar; sie ist so überzeugt von dem, was ihr Herz wünscht! − Minder ruhig ist Faust; das innere Behagen, die glühende Liebeslust, mit der Geliebten in einer so erfreulichen Lage zu seyn, leuchtet zugleich mit der Aufmerksamkeit, die er auf das Spiel wendet, aus seinen Zügen. Es liegt eine Sinnlichkeit in der Beugung seines Körpers, in seinen Augen, die erschreckt. − Höhnisch lächelnd blickt Mephistopheles im Hintergrunde auf das Paar; die an seinem Arme wandelnde Martha, mit einer Art gutmüthiger Freude, die die Lust des Bösen mehr heraushebt und charakterisirt. Das ganze Bild ist an Zusammenstellung, Zeichnung und Ausführung eines der vorzüglichsten, die uns zu Gesichte gekommen. Ihm gleich erscheint uns das zweyte, eigentlich das erste, aus Faust. Gretchen, von der Kirche kommend, geht mit niedergeschlagenen Augen, nicht achtend der Menge des Marktplatzes nach Hause. Der Unschuld süßer Frieden, der Tugend erhabene Würde leuchten aus den schönen Zügen . . . Im Hintergrunde lauscht wieder der Böse mit inniger Schadenfreude über das Gelingen seines boshaften Anschlags. − Obgleich hier die zu starken Schattenmassen der Harmonie des Bildes Eintrag thun, so findet man im Einzelnen dennoch die Ausführung vortrefflich. Vorzügliches Lob verdienen Gretchens und Mephistopheles Gestalten. Weniger spricht uns die Darstellung Gretchens vor dem Bilde der Mater dolorosa im Zwinger an. Auch hier sind die starken Schlagschatten vorhanden und stören bedeutender als auf dem ersten Bilde. Wir hätten gewünscht, das Ganze in einer andern Beleuchtung zu sehen. Das Licht hätte mehr von oben her auf das Antlitz der betenden Margaretha fallen sollen, die übrigens, rechnet man den gerügten Fehler ab, wirklich wohlgelungen und von viel Ausdruck ist. − Diese drey Kupfer zu Faust sind von N a k e [Naeke] gezeichnet und von S c h w e r t h g e b u r t h gestochen.1)

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⎯ [K. L. v. Woltmann:] Memoiren des Freiherrn von S − a. Prag/Leipzig 1815, 43f.: Der Dichter [G] hat nichts geschaffen, wo sein Genie so viel transcendentale Kraft, so viel Umfang und solche Tiefe zeigte, als in dieser nordisch-romantischen Dichtung; und die Form ist diesem Gehalte durchaus angemessen. Daß auch ihr die letzte Feile in Diction und Vers fehlt, diesen Mangel könnte man selbst als eine Nothwendigkeit ihrer Natur betrachten; und so darf man sie mit noch reinerem Gewissen, als Tasso und Iphigenie, ein klassisches Werk preisen.

Febr 20. (s. „Werke, Ausgabe B“: an Cotta gD) März 1. (s. „Egmont“: M. v. Schenkendorf an G gD, EGW 3, 234) 24. [Würzburg] F. F. K. Graf Giech an G (GSA 28/66 Bl. 151): Professor [J. J.] Wagner, welcher nun von Heidelberg wieder nach Würzburg als Lehrer der Philosophie gekommen ist, ist mit seinen geistreichen Schriften in Teutschland weniger bekannt, als es zur Ehre und zum Frommen der teutschen Nazion billig seyn sollte. Daher beförderte ich mit meinen Vetter, dem Grafen von Rechteren und noch einigen academischen Freunden, die wir freundlich diesen trefflichen Mann in Heidelberg während unserer

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) Abb. der drei Lithographien auch in Neubert 92f.

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academischen Laufbahn daselbst verehren konnten, dieses Buch [Der Staat, Ruppert Nr. 2881] zum Drucke, um geistreiche Männern Teutschlands damit vertraut zu machen. Und wem unter diesen gebührt es am ersten als dem einzigen Dichter Teutschlands, dessen F a u s t Wagner über Alles so hoch stellt?1)

Apr 12. [Berlin] Carl Graf Brühl an G (GSA 25/XX,12A Bl. 136): Sollten Sie ja den vortrefflichen Gedanken realisiren, den Faust theatralisch zu bearbeiten,2) so könnte ich Ihnen jezt durch Herrn Devrient mit einem ganz vortrefflichen Mephistopheles unter die Arme greifen, so wie dieser Herr Devrient überhaupt eine ganz vorzüglich gute Eroberung ist, welche wir gemacht haben. [nach17.]3) [Weimar] F. v. Matthisson Erinnerungen (GG 2, 1005):4) Die zwei letzten Teile von der Trilogie5) des F a u s t sind nur erst in der Anlage und in einzelnen Szenen vorhanden. Die theatralische Darstellung des ersten Teils ist wirklich im Werke. Das Kostum Gottvaters gilt für eine Aufgabe von gar seltsamer und schwieriger Natur. Das Ganze muß aber schon, auf den ersten Blick, sich als ein mißliches und abenteuerliches Beginnen ankündigen. Mephistopheles soll Herrn Wolff und Faust Herrn Oels zugeteilt werden. Aus welcher Zauberwolke wird aber eine Margarethe auf die Bretter treten? Der Dichter hat noch eine neue Szene6) eingelegt, die keiner der trefflichsten des großen Meisterwerks nachsteht. Mephistopheles entsteigt dem Schlunde der Hölle, gefolgt von einer Schar schwarzer Teufelchen, die ihn anfangs brutmäßig umwimmeln, sodann aber, einer nach dem andern, mündliche Verhaltensregeln erhalten, und nun als Missionäre über den Erdball ausgesandt werden. Mai

1. An Carl Graf Brühl (Br 25, 293f.): Zur Acquisition des Herrn Devrient

wünsche Glück, ich habe sehr viel Gutes von ihm gehört.7) An Faust wird schon seit einigen Jahren probirt, es hat aber noch nicht gelingen wollen. Er steht gar zu weit von theatralischer Vorstellung ab. Man müßte vieles aufopfern, das aber auf andere Weise zu ersetzen, dazu hat Geist und Humor nicht hinreichen wollen. Jedoch darf ich nicht verhehlen, daß wir im Begriff stehn eine Probe zu machen, und zwar folgendermaßen: Ich habe die beyden ersten großen Monologe von Faust in’s Engere gezogen, und überdieß die Scene zwischen ihm und Wagner herausgeworfen, so, daß vom Anfang: H a b e n u n , a c h ! P h i l o s o p h i e p p . bis zu den Schlußworten des Chors: E u c h i s t d e r M e i s t e r n a h , E u c h i s t e r d a ! das Monodram in einem fortgeht, und nur durch die Erscheinung des Geistes unterbrochen wird.8) Die

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) Zum Beispiel in der Schrift Ideen zu einer allgemeinen Mythologie der alten Welt (Frankfurt 1808), wo es heißt: Göthe’s ganzer Faust ist anders nichts, als eine Seele, deren Geist sich in der Unendlichkeit dieser Stufe verliert. (S. 18). 2 ) Mitteilung wohl von dem Fürsten Radziwill. 3 ) Datierung nach Gräf II 2, 212. 4 ) Gräf II 2, 212: Dass Matthisson das Folgende aus Goethes eigenem Munde vernahm, wird von jenem zwar nicht ausdrücklich gesagt, doch muss man es nach dem Zusammenhang der Erzählung notwendig so verstehen. 5 ) Trilogie von Gräf mit Fragezeichen versehen; ob damit Faust I, das Helena-Zwischenspiel u. der zu erwartende Faust II gemeint sind, ist ungewiß. 6 ) Wohl Zusatzszene Kleine Teufel, s. oben 4. Nov 1812: Tgb u. Anm. 7 ) s. oben 12. Apr 1815: Carl Graf Brühl. 8 ) s. unten [Mai 1815]: H Faust’s Monolog.

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Absicht ist, Fausten mit seltner musicalischer Begleitung recitiren zu lassen, die Annäherung und Erscheinung des Geistes wird melodramatisch behandelt, das Schlußchor melodisch, woraus denn ein kleines Stück entsteht, welches etwa über eine halbe Stunde dauern mag. Unserm Oels ist die Rolle des Faust zugedacht; wie es gelingt, werde anzuzeigen nicht verfehlen. Vielleicht daß sich hieran noch einige andere Scenen schließen, und wer weiß, wohin es führen kann! Mai 14. [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 257f.): Sie werden wohl, verehrtester Freund, in München meinen Brief [vom 27. März 1815] mit der Dedikation vorgefunden haben . . . Ich habe eine Zeichnung zu deren Verzierung fertig, und Alle sagen, daß sie mit dem Titelblatt von gleichem Werth sei. Man sieht auf derselben in der Mitte die Schaubühne, wo sich die Schauspieler zur Vorstellung des Faust anschicken. Gretchen macht Toilette, die Frau Martha hält ihr den Spiegel, der Faust geht mit sehr ernsthafter Gebärde, die Rolle in der Hand, über die Bühne, der Wagner und das Irrlicht gehen im Hintergrunde derselben im Gespräch vertieft. Mephisto guckt hinter dem Vorhange ins Parterre und scheint eine Art von Intermezzo mit dem Publiko zu halten, der Engel Gabriel zieht die Versenkung auf, woraus die Hexe, der Theatermeister, mehrere Teufel und Larven sich hervordrängen. Zur Rechten des Anschauers hinter der Bühne sitzt der Dichter umgeben vom Schauspieldirektor, der lustigen Person und dem Maler, und arbeitet an der Fortsetzung des Faust. Zur Linken sitzt das gebildete Publikum mit hohen Augenbrauen und möchte gerne erstaunen. Dieses und vieles Andre ist umgeben und verflochten mit allerlei Laub- (und) Blumen-Zügen, − Thier- und Groteskenwerk im Style des Titelblatts, aber Alles zum wenigsten um die Hälfte kleiner, welches (von) mir, um es einigermaßen zierlich zu machen, viel Aufmerksamkeit erforderte1) . . . Sind Sie noch immer gesonnen, bis zum Herbst den Faust heraus zu geben? Ruscheweyh hat bis dahin noch kein Geld von mir annehmen wollen.2) 17. [Nachmittags] Faust Monodram.3) [Mai] ⎯ (H Faust’s Monolog durch Briefsendung u. Tagebucheintrag datierbar: Mai 1815.)4) ⎯ (H des Einschubs Hier soll ich bangen durch Briefsendung u. Tagebucheintrag datierbar: Mai 1815)5) Mai 20. [Rom] F. Müller an F. Glöckle (F. Müller: Briefwechsel. Krit. Ausg. Hsg. v. Rolf Paulus u. Gerhard Sauder. Bd 2. Heidelberg 1998, 716): Cornelius arbeitet an der Herausgabe von den Scenen nach Göthes Faust fleißig fort, das erste Heft davon muß durch Ruscheweijh gestochen nächstens zu Frankfurt a/m. bey Herrn Wähner ans Licht tretten.6) So wacker die Zeichnungen auch sind die er von diesem Werk bereits in Deutschland verfertigt,7) so übertreffen die, welche er hier vollendet jene doch bey weitem; 1

) Abb. in Neubert 96. ) s. oben 1813 Sept 1. u. Okt 20.: Cornelius an Wenner. 3 ) Arbeit an der Fassung für eine Teilinszenierung; s. oben 1. Mai 1815: an Carl Graf Brühl. 4 ) H enthält die Bearbeitung der Sz. Nacht für eine Aufführung als Melodram, die nicht zustande kam, weil Eberwein die zugesagte Vertonung nicht leisten konnte. G faßte, die Unterredung mit Wagner streichend, die beiden Monologteile zusammen. Nach Ins ungewisse Menschenlos (629) fügte er 12 neue Verse hinzu; vgl. dazu im einzelnen: Wolfgang Schimpf: Faust als Melodrama? Überlegungen zu einer Bühnenfassung von 1815. In: Euphorion 81 (1987) 347−52 u. Musik zu Faust 99−102. 5 ) H enthält die 12 neuen Verse, aus H Faust’s Monolog wörtlich abgeschrieben. 6 ) P. Cornelius: XI. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1816−17. 7 ) s. oben 29. Apr 1811: P. Cornelius an S. Boissere´e m. Anm. 2

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man merkt Ihnen, ohne daß der Ausdruck noch das Charakteristische hiebey eingebüßet, die reinere u. höhere Schule an.

Mai 31. (s. „Werke, Ausgabe B“: W. Reichel an Cotta gD) [Frühj./ [Weimar] C. Eberwein, Die Musik zum Goetheschen Faust1) (GG 2, 1204f.): [P. A.] Herbst] Wolff war es, welcher im Jahr 1816 [1815] zuerst den Gedanken anregte bei Goethe, den Faust teilweise [als Monodrama] für die Bühne einzurichten.2) „Ich werde damit“, sagte Goethe zu mir, „in der Weise verfahren, wie die Franzosen sich auszudrücken pflegen;“ − hier gebrauchte er ein französisches Wort, das er gleich hinterher so übersetzte: „Ich werde gleich einer Maus an dem Gedichte nagen und nach und nach ein Ganzes daraus fertigen.“ Die erste Abteilung sollte vom Faustschen Monolog bis zum Eintritte des Osterfestes reichen. Oels erhielt die Faustrolle, Graff sollte den Erdgeist spielen, Gretchen und Mephisto waren dem Künstlerpaare Wolff bestimmt. Der Famulus kam meines Wissens nicht zum Vorschein. Mir aber übertrug Goethe die Komposition mit dem Wunsche, daß ich diese Abteilung mit derselben Diskretion und Umsicht melodramatisch behandeln möchte, wie das mir bei der Komposition der Proserpina . . . gelungen sei. In einem Garderobenzimmer des Theatergebäudes hielt er die erste Leseprobe. Er schloß dabei meistenteils die Augen, wie er’s zu tun pflegte, wann er einem Vortrage mit gespannter Aufmerksamkeit folgte. Ich meinerseits war glücklich durch den Auftrag meines mir hochverehrten Meisters und Beschützers. Ich war eifrig bemüht, dem ehrenvollen Vertrauen würdig zu entsprechen. Indes, so leicht mir die Musik zur Proserpina geworden war, so schwer wurde es mir jetzt, derselben zu Faust eine des Gedichts würdige Gestalt zu geben, so daß der Eindruck jenes erhöht würde und der Laie durch’s Gefühl, welches die Musik erweckt, die hohe Bedeutung desselben ahnen könnte, die er mit dem Verstande zu erfassen nicht vermag. Elende Wortmalerei hätte dem Gedichte nur nachteilig werden können, und solche Sünde wollte und konnte ich nicht auf mich laden. Dessenohngeachtet arbeitete ich mit Fleiß fort, um dem Gedichte eine der Musik günstige Seite abzugewinnen. Vergebens. Ich litt Tantalusqualen. Sie mußten abgeworfen werden. Ich begab mich zu Goethe. Er empfing mich in seinem Garten mit jener liebenswürdigen Freundlichkeit, die seinen Untergebenen gegenüber ihm eigen war und immer so wohltätig auf diese wirkte. Auf- und abwandelnd mit ihm in den breiten Gartenwegen, meldete ich ihm, daß ich wohl die Ostergesänge zu Faust beendigt hätte, daß aber die melodramatische Komposition durchaus nicht gelingen wolle. Die Musik wirksam eintreten zu lassen, sie fortzuführen und zu schließen, dazu scheine mir das Gedicht nicht geeignet. Goethe frug: „Ist denn das für das Melodram kein günstiger Moment, wo Faust das Buch des Nostradamus aufschlägt?“ − Allein ich hatte mich nun einmal so sehr in dem Gedanken verbissen, daß es geratener sei, die Musik schweigen zu lassen; darum verharrte ich in vorgefaßter Meinung. Goethe entließ mich; doch habe ich weder damals, noch später bemerken können, daß ihn meine Weigerung, seinem Willen mich zu fügen, verletzt hatte.3) Juli 29./ [München, F. v. Spaun]: Protestation gegen die Staelische Apotheose des Göthischen Aug 5. Faustus.4) In: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände Nr. 55 v. 29. Juli 1815, 442−44, Nr. 56 v. 5. Aug 1815, 452: . . . habe mich entschlossen, eine Kritik des Göthischen Meisterwerks, seiner Tragödie Faustus, drucken zu lassen, in der Hoffnung dadurch zu 1

) Geschrieben 1853. ) Eberwein bringt unterschiedliche Ansätze aus verschiedener Zeit unzulässig zusammen: Die von Wolff angeregten Inszenierungsversuche fallen in die Jahre 1810 u. 1812. Sie hatten eine Aufführung des ganzen Faust I zum Ziel. Erst mit dem Monodram 1815 wurde eine Teilinszenierung ins Auge gefaßt. 3 ) s. unten 8. Juni 1816: an Zelter. 4 ) Auch in: Vermischte Schriften. Theil 2. München 1822, 159−226; kritische Stellungsnahme hierzu in der Zft. Eos Nr 36 v. 3. März 1824, 143f. 2

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bewirken, daß doch wenigstens einige Leser von der Cantagion des schlechten Geschmackes werden gerettet, und dahin gebracht werden mögen, nicht bloße Nachbeter der niederteutschen Immortalitäts-Krämer zu seyn, sondern die Augen zu öffnen, Selbstdenker und Selbstrichter zu werden. Die Tragödie des Faustus ist, so versichern uns seine Ruhmstrompeter, was den Italienern die Comedia divina ist, nur in einer weit höheren Categorie . . . Doch sieht man wohl, daß das so verschwenderisch gespendete Lob nicht vom Herzen fließt, und von der Selbsttäuschung des Lobredners herrühre. Rezensenten, denen es damit Ernst ist, begnügen sich nicht im Allgemeinen Blumen mit voller Hand auszustreuen, sie gehen ins Detail, und führen die schönsten Stellen des Gedichts als Belege ihres Kunstrichter-Urtheiles an. Nicht so die Lobredner des Faustus. Die Frau von Stael, welche mit äusserster Anstrengung in ihr französisches Trompetchen stößt, wagt es nicht, auch nur eine Stelle wörtlich zu übersetzen; weil sie wahrscheinlich fürchtete, daß die Belege das Widerspiel von dem beweisen würden, was sie behauptet . . . Alle . . . Wehen unserer gesetzlosen deutschen Litteratur kannte ich, als ich den Faustus zu Handen nahm. Ich war vorbereitet eine romantische Schöpfung nach dem neuesten Geschmacke zu finden. Allein was ich fand, übertraf meine Erwartung, und ich hatte nicht sobald den Prolog im Himmel gelesen, als ich dieses Meiserwerk unter den Tisch warf . . . Unter der Menge von Bravorufern mag zwar meine Stimme verhallen, doch genügt mir mein Möglichstes gethan zu haben; und gelingt es mir auch nur einen Leser zu bekehren, und von der Anbetung dieses Ungeheuers zurückzubringen, so soll mich meine undankbare Mühe nicht gereuen [Folgend Nr. 58 v. 19. Aug 1815, 464−70; Nr. 59 v. 26. Aug 1815, 471−78 & Nr. 61 v. 9. Sept 1815, 589−91 Szenenkritik].

Aug

2. [Wiesbaden] S. Boissere´e Tagebücher (Weitz − Boissere´e 1, 224): Mittags b e i G o e t h e . . . Vom Dom-Werk, von Cornelius, dessen ,Faust‘ sehr schön von Ruschweih [Ruscheweyh] gestochen er bekommen, soll gesprochen werden . . .1) 3. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: S. Boissere´e Tagebücher gD, S. 645f.) 4. (s. „West-östlicher Divan“: S. Boissere´e Tagebücher gD)

Sept 20. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: S. Boissere´e Tagebücher gD, S. 646.) [Okt] ⎯ [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 1, 282): Euer Excellenz habe ich die Gnade die Abdruke der 26 von Retsch [Retzsch] zum Faust gezeichneten und gestochenen Kupfer zu senden.2) Solten sie Hochdero Beifall so weit erhalten, daß Sie einen Commentar dazu geben wollten, so würde mich dieß unendlich erfreuen.3) Okt 27. [Heidelberg] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 71f.): Ich habe vergessen Sie zu fragen,4) was Sie wegen jener Blätter zum Faust [von Cornelius/Ruscheweyh] zu thun gesinnt sind? Sie sprachen in Wiesbaden,5) als wollten Sie ein Gedicht dazu schreiben,6) wäre das Ihr Ernst, so würden Sie den Künstler und Buchhändler sehr glücklich machen, man müßte ihnen dann aber einen Wink davon geben, damit sie sich mit der Ihnen [von Cornelius] zugedachten Dedication darnach richten könnten. 31. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 1, 282): Darf ich mir schmeicheln, daß Euer Excellenz die Umrisse von Retsch [Retzsch] zu Faust mit einigen Worten begleiten werden?

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) s. oben 16. Nov 1810: an Cotta u. 20. Jan 1811: Verlohren an G. ) s. oben 30. Juni 1814: Tgb m. Anm. − Cotta bereitete ein Ausgabe von Retzsch’ Umrissen vor; die 1816 erschien; s. unten: 16. Okt 1816: Cotta an G. 3 ) s. unten 6. Dez 1815: an Cotta; zur wiederholten Nachfrage unten 31. Okt 1815: Cotta an G. 4 ) Letztes Zusammentreffen 9. Okt 1815. 5 ) s. oben 2. Aug. 1815: Boissere´e Tagebücher. 6 ) Von G nicht ausgeführt. 2

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[Okt/ Kunst und Alterthum am Rhein und Main (W 34.1, 120): Herr We n Nov] n e r , auf seiner Reise nach Rom, erwies thätigen Antheil an den dor-

tigen deutschen Künstlern, förderte die Herren Riepenhausen, Overbeck und Cornelius, und übernahm den Verlag der von diesem in Federzeichnungen dargestellten Scenen aus Faust.1) Sie sind von Ferdinand R u s c h e w e y h mit großer Liebe und Genauigkeit gestochen, wie sich Liebhaber an den Probedrücken überzeugen können. Nov 11. [Heidelberg] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 80f.): Auf meine Frage wegen dem Faust von Cornelius haben Sie mir nichts erwiedert,2) ich bitte, sagen Sie mir in Ihrem nächsten Brief, was Sie deßhalb zu thun oder zu lassen gesonnen sind. 27. Agenda (Tgb 5, 307): [an] Cotta . . . Faust3) 27. Agenda (Tgb 5, 307): [ Sendung ] Dez

nach Heidelb[erg]. . . . Wegen Faust.4) 6. An Cotta (Br 26, 176): An den F a u s t [den erbetenen Commentar zu Retzsch] habe ich gedacht und hoffe etwas liefern zu können, doch würde es etwa nur ein Blatt seyn, welches man als Dedication hinter den Titel entweder gedruckt oder gestochen einheften könnte.5)

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⎯ Tag- und Jahres-Hefte6) (W 36, 104): Von Berlin erfreuten mich trans-

parente Gemählde nach meinem Hans Sachs [Erklärung eines alten Holzschnittes vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung]. Denn wie mich früher Nachbildung der älteren treulich ernsten charakteristischen Dichtkunst lange Zeit ergötzt hatte, so war mir es angenehm sie wieder als vermittelnd gegen neuere Künstler auftreten zu sehen. Zeichnungen zum Faust von C o r n e l i u s und R e t z s c h wirkten in ihrer Art das Ähnliche: denn ob man gleich eine vergangene Vorstellungsweise weder zurückrufen kann noch soll, so ist es doch löblich sich historisch praktisch an ihr zu üben und durch neuere Kunst das Andenken einer älteren aufzufrischen, damit man, ihre Verdienste erkennend, sich alsdann um so lieber zu freieren Regionen erhebe. [Anf. 1816?]7) 1

) Zum Verlagsangebot s. oben 29. Juni 1811: Cornelius an Wenner. ) s. oben 27. Okt 1815: Boissere´e an G. 3 ) Als erledigt gestrichen. 4 ) Vermutl. beabsichtigte, aber dann unterlassene Antwort auf Boissere´es Anfragen wegen der Faust-Illustrationen von Cornelius, s. oben 1815 Okt 27. u. Nov 11.: Boissere´e an G. 5 ) Von G nicht ausgeführter Vorsatz. 6 ) Verfaßt 1823 Juli 17. 7 ) Vermutete Datierung von Gräf II 2, 218, doch sind konkrete Veranlassung u. Entstehungsdatum unbekannt; in Betracht kommen: 1808, 1811 u. 1816. Textgrundlage 2

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Zahme Xenien VII 257−264 (W 5.1, 102; W 5.2, 259): Da loben sie den Faust Und was noch sunsten In meinen Schriften brau’st Zu ihren Gunsten; Das alte Mick und Mack1) Das freut sie sehr; Es meint das Lumpenpack, Man wär’s nicht mehr! Febr

1. [Berlin] Zelter Tagebuch (SchrGG 44, 263): Bei Radziwill.2) [2.] [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 260f.): Was nun unsre Angelegenheiten anbelangt,3) so wird Ihnen Ruscheweyh schon gesagt haben, daß Alles, was zur ersten Lieferung gehört, und nebstdem die Scene vom Tode Valentin’s, fertig und Ihres Winks gewärtig ist. Was die letzte Platte anbetrifft, so ist dieselbe über alle Maßen schön und rein ausgefallen, und unser Ruscheweyh sichert sich durch dieses Werk allein, für immer eine Stelle unter den Besten seiner Kunst. Sie können denken, werthester Freund, welche Freude mir das macht, und wie sehr ich wünsche, daß diese Platte in die erste Lieferung mit aufgenommen würde, wofür etwa die Reise nach dem Brocken oder Gretchen’s Ohnmacht in der Kirche für die zweite Lieferung aufgehoben werden könnte. Eben so sehr lege ich’s Ihnen an (das) Herz, diese nun fertige erste Lieferung so schnell als möglich ins Publikum zu bringen . . . 8. An C. L. v. Woltmann (Br 26, 252): Die Anzeige einer neuen Ausgabe

meiner Schriften [B] wird auch zu Ihnen gelangen . . . Übrigens will die Klugheit und die Liebe zum Frieden, daß ich ein Bändchen Paralipomena und so manches andre vor der Hand secretire, welches alles, nach meinem seligen Hintritt, Ihnen empfohlen seyn soll.4) 18. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 399−401): Unsere Königl. Prinzen [Friedrich Wilhelm von Preußen u. Karl von Mecklenburg-Strelitz] haben den heroischen Entschluß gefaßt Deinen Faust unter sich aufzuführen und darzustellen, wie er leibt und lebt. Die Anstalten dazu sind so ins Große projektiert daß ich fürchte es wird nichts daraus, wie wir denn noch keinen Ort haben, wohin wir sein Haupt legen wollen. Auch ich habe die

eine Abschrift von K.A. Varnhagen im GSA 25/VIII, 2,25. Vgl. Aus Varnhagens Nachlass. Briefe von Staegemann, Metternich, Heine u. B. v. Arnim. Leipzig 1865, 27: Brief des preuß. Diplomaten F A. Staegemann an Varnhagen vom 17. März 1816, in dem er die Spottverse zitiert mit der Bemerkung: Goethe hat bei Gelegenheit der ihm bekannt gewordenen Verfeindungen und Verunglimpfungen der Herrn Schlegel und Consorten schon vor einiger Zeit diverse Verse gemacht, wovon ich einige Strophen behalten, Zelter besitze das Ganze. (Vgl. auch Goethe und Staegemann in: GJb 1906, 265f.) E.v.d. Hellen vermutet (JA 4, 302), 1808, ähnlich MA 9, 1088: vermutlich im Zusammenhang mit Friedrich Schlegels Rezension von Goethes Gedichten in den Heidelberger Jahrbüchern von 1808. 1 ) D. Hölscher-Lohmeyer (MA 9, 1088) erklärt Mick und Mack: frz. Mic-mac ›Mischmasch‹. 2 ) Vermutl. Singprobe für geplante Faust-Aufführung. 3 ) s. oben 24. Mai 1814: Cornelius an Wenner. 4 ) Bezugnahme auf den Inhalt des sog. Walpurgisnachtssacks.

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Rolle des Schauspieldirektors [im Vorspiel auf dem Theater] übernommen die ich denn mit möglichster Würde und Klarheit auszuspinnen gedenke. Über die Zusätze die Du dem Fürsten Radziwill im Mskpt gesandt hast1) ist man hoch erfreut und der Kronprinz lebt und webt wie ich höre im Faust, der ihn, wie ich ihn kenne wohl anziehn kann. Mephistopheles wird vom Prinzen Carl von Mecklenburg gegeben . . . Bei dieser Gelegenheit will ich doch erinnern, daß der Wiener Nachdruck Deiner Werke,2) wegen Mangels, hier anfängt um sich zu greifen. Die Buchhändler verkaufen ihn meines Wissens zwar nicht, aber Bücherjuden und Trödler verbreiten ihn und Cotta wird also wohl tun diese neue Ausgabe [B] zu beschleunigen, wenn er nicht Schaden leiden will. Auch die vorhin genannte Aufführung des Faust trägt dazu bei, daß jeder seinen Faust entweder sucht oder sich den ersten kauft der ihm angeboten wird. Nach einem mäßigen Überschlag den ich so eben machte kann der Schade den bloß diese Gelegenheit hervorbringt in 500 Exemplaren bestehn.

Febr 26. An Cotta (Br 26, 272): Auch stehe hier ein Auszug eines Briefs aus

Berlin, in welchem man mir meldet, daß die Königlichen Prinzen den Entschluß gefaßt haben, den Faust unter sich aufzuführen und darzustellen in seiner ganzen Ausdehnung. Hierauf schreibt der Freund: [Zitat aus Zelters Brief an G vom 18. Febr 1817 Bei dieser Gelegenheit bis bestehn]. [März]⎯ [Rom] P. Cornelius an J. F. Wenner (Riegel 262f.): Sie werden nun wohl, werthester Freund, meine Antwort auf Ihr Schreiben vom 9. Dezember in Händen haben,3) und da Sie darin den Wunsch der baldigen Herausgabe des Faust’s so dringend geäußert sehen werden, so können Sie sich meine Freude denken, als ich aus Ihrem letzten Schreiben ersehe, daß dieses bis Ostern geschehen sollte. Eben so erfreulich ist es mir, den Auftritt in Auerbach’s Keller noch einmal vornehmen zu dürfen, indem dieses Blatt mich nie befriedigen wollte4) . . . Nebst den gewünschten Abdrücken des Titel- und Dedikationskupfers5) habe ich Ihnen ein Schreiben an Goethe beigelegt, ebenso Ruscheweyh.6) Ich habe es unversiegelt gelassen, damit Sie und die liebe Mdme. Wenner solches durchsehen, und im Falle sich etwas darin befände, so sich nicht zu diesem unserm Zwecke eignet, eine andre Abschrift, etwa von der Hand unsrer lieben Kranken, die, wie mir scheint, einige Aehnlichkeit mit meiner Handschrift hat, zu besorgen und alles nach Gutdünken zu ändern und wegzulassen. Was nun den Ueberschlag der zweiten Lieferung des Faust’s anbetrifft, so werden Sie sich noch erinnern, daß wir die Berechnung hier schon machten, und (daß diese) darauf hinaus kam, daß sie von gleichem Umfang mit der ersten sein wird. Indessen bleibt zu erwägen, daß die beiden Platten mit der Schrift doch weniger kosten, als wenn es zwei ausgeführte Darstellungen wären, und daß die Scene in Auerbach’s Keller noch einmal soll vorgenommen werden. Daraus können Sie nun wohl Ihren Ueberschlag machen. Ich habe die Vorstellung in Arbeit, wo sich Faust unter den Bauern befindet.7) Sonst ist nichts weiter vorgenommen worden . . .

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) s. „Zwei Teufelchen und Amor“ 11. Apr 1814: an Fürst Radziwill, S. 835. ) Nachdruck Aa, dessen Bd 1 (Wien 1810) den Faust enthält. 3 ) s. oben 2. Febr 1816: Cornelius an Wenner. 4 ) Abb. in Neubert 98. 5 ) Abb. in Neubert 96. 6 ) Beide nicht überliefert. 7 ) Sz. Vor dem Thor, Abb. in Neubert 97. 2

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März 3. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 2, 11): Wäre es nicht möglich, den Band, worinnen Faust vorkommt, also den 9ten vor den andern zum Druk zu erhalten, damit wir auch hiebei der Gefahr [des Nachdrucks] einigermassen steuern. 24.–31. [Berlin] Zelter Tagebuch (SchrGG 44, 263): Brief an Goethe wegen des ersten Akts vom „Faust“. 25. An Cotta (Br 26, 307): Der 9. Band, Faust und Consorten enthaltend,

folgt bald. 31. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 406−08): Nach mehrern Musikproben mit dem Orchester und dem Singchore ist denn gestern Abend auch eine Lese Probe gewesen mit Musik dazwischen.1) Prinz Carl von Mecklenburg hat den Mephistopheles und der Schauspieler Lemm einstweilen den Faust gelesen. Die Probe war bei F. Radziwill in seinem Familienkreise . . . Fürs erste wurden nur Szenen heut gelesen worin Faust allein und Mephisto vorkommen. Prinz Carl liest diesen Charakter so daß wenig zu wünschen übrig bleibt . . . Der Effekt des Gedichts auf fast lauter junge Zuhörer denen alles fremd und neu war, ist höchst merkwürdig und sie können sich nicht genug wundern, daß das alles gedruckt steht. Sie gehn hin und sehn ins Buch, obs denn wirklich so dasteht. Daß es wahr ist fühlen alle und es ist als ob sie sich erkundigten, ob die Wahrheit wahr ist. Der Komponist hat manches zur Verwunderung getroffen. Was gefehlt ist besteht darinne, daß er wie alle angehenden Artisten in Nebendingen Hauptsächlich ist. Christ ist erstanden [792−807]: Gut und fortschreitend gegeben wiewohl nicht kirchlich genug. Orgel- Chor und Glockenartiges wird sich jedoch noch herstellen lassen. Da er keinen Begriff von dem Innern der äußeren Kunst hat, so sucht er im Fernen was ihm vor den Füßen liegt. Einer hat ihm eine Glocke angeboten die er auch nutzen will; es fehlt ihm jedoch nicht an Geschmack, ich lasse ihn dies versuchen und er kommt gewiß davon zurück. Spaziergänger vor dem Tore [808−902]: Im Ganzen gut, doch im Einzelnen bleibt er in Kleinigkeiten stecken. Der Bettler singt wie ein Bettler und das Orchester agiert fürstlich. Bei den Soldaten hat er sich denn ganz losgelassen und nicht bedacht daß es spazierende und nicht marschierende Soldaten sind. Doch ist nichts langweilig und hat dabei noch immer Geschmack die Oberhand. Der Schäfer putzte sich zum Tanz [949−80]: allerliebst und pastorell aber nicht ephemer genug. Drinnen gefangen ist Einer [1259−70]: unverbesserlich!, doch hätte die ganze Beschwörung drinnen, auch Musik bedurft wiewohl sie beim bloßen lesen schon wirksam war. Das Aufschwellen des Untiers, das Nebelartige, Schwefelartige bis zum Hervortreten der vollen ausgewachsnen Gestalt läßt sich ganz gut in Musik bringen und das mit den ganz ordinairen Mitteln. Die Erklärung des Mefisto über sein eigentliches Wesen war von der allgemeinsten Wirkung; alles verstummte; ohne es vielleicht zu verstehen wurde es begriffen. S c h w i n d e t , i h r d u n k e l n [1447−505]: Wahrhaft künstlerisch; ich wüßte nicht wie mans besser machen wollte. Die Rattenbeschwörung aber ist, was man tüchtig nennt. Die Letztere ist sechsmal probiert und in den Pausen erst abgerundet worden. Ich fand es gemäß daß Faust durch den Abgang des Mephisto. wie durch einen elektrischen Schlag nicht bloß erwachte sondern erweckt würde. Die Fagotts haben, durch einen tiefen kurzen Ton die Sache zur allgemeinen Belustigung natürlich gemacht daß nur der Geruch fehlte. We h , w e h ! D u h a s t s i e z e r s t ö r t [1607−09]: anfänglich etwas zu schwer, doch die Vorspiegelung des Schlaraffenlebens von den Worten an: N e u e n L e b e n s l a u f b e g i n n e [1622f.] recht gut und neukünstlerisch getroffen. Das Stück soll in drei Teilen gegeben werden. Mit Auerbachs Keller fängt der zweite Teil an, der zunächst soll probiert werden und ich werde fortfahren darnach zu berichten.

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) s. oben 18. Febr 1816: Cotta an G.

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[Apr] ⎯ [Berlin] Nachrichten. Uebersicht des April. In: Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 20 v. 15. Mai 1816, 331: Der Fürst Radziwill hat kürzlich die Chöre zu Göthe’s Faust vortrefflich komponirt. Sie wurden in einer Gesellschaft bey dem Fürsten in diesem Monate zwischen dem Vorlesen des Textes von Mitgliedern der Singakademie sehr brav ausgeführt, und machten eine herrliche Wirkung. Apr

2. [Berlin] Fürstin Radziwill an ? (Luise v. Preußen. Fürstin Anton Radziwill. Fünfundvierzig Jahre aus meinem Leben (1770–1815). Hsg. v. Fürstin Radziwill. Braunschweig 1912, 315): Eine Komposition meines Mannes, nämlich der von ihm in Musik gesetzte „Faust“ von Goethe, hat mir große Freude verursacht. Sie kommt mir geradezu genial vor und ich darf zu meiner Freude sagen, daß Künstler und Kenner meine Ansicht teilen. Ich stehe ganz unter dem Eindruck dieses Musikwerks, und da ich meine Gefühle nicht zu zeigen vermag, ahnt der gute Anton [v. Radziwill] gar nicht, in welchem Grade er mich durch die aus seiner Eingebung entsprungenen Klänge bewegt hat. 7. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 413): Gestern war die erste Leseprobe vom Faust [richtig: die zweite Leseprobe], zu der sich wie wir eben beginnen wollten der ganze junge Hof ansagen ließ. Da ich den Anfang zu lesen hatte so fügte sichs daß wir uns dadurch nicht stören ließen . . . Die Sache ging wie unter so gemischten Kreise eine erste Probe sein mag und ich werde mich wohl nach und nach hervor tun müssen Fluß in die Sache zu bringen wenn kein anderer es tun will. Die lustige Person eine gräfliche [A. E. F. W. Graf v. Voß] schien das Gedicht noch gar nicht zu kennen. Nach der Probe entschuldigte er sein schlechtes Lesen gegen mich worauf er ein Compliment erwartete. Ich sagte: das Lesen würde nicht gefehlt haben und ich fürchtete daß es am Buchstabieren gelegen hätte worauf er ein Paar Kalbsaugen machte. Den Poeten hat Gr. Brühl ganz ordentlich dargestellt. Der Schauspieler [F. W.] Lemm hat sich gebessert und kam nach und nach hinein in seine Rolle [als Faust]. Prinz Carl [Carl Friedrich August, Herzog v. Mecklenburg-Strelitz] jedoch hat sich verschlimmert und fiel in den Predigerton [als Mephisto]. Als wir mit dem ersten Akt zu Ende waren kam unvermutet der König [Friedrich Wilhelm III. von Preußen] . . . Nun wurde der ganze Ite Akt wiederholt und der K.[önig] der nach alter Art anfänglich gehalten und zurück war hielt über zwei Stunden still, wurde freundlich gesprächig und wahrhaft liebens würdig . . . Künftigen Sonnabend [13. Apr] ist die letzte Probe denn Radziwill reiset mit seiner Familie nach Posen.1) Da bleibt nun die Sache wieder liegen bis in den Dzember. 14. An Zelter (Br 26, 338f.): Der Faust mag euch noch in künftigen Mo-

naten manche confuse Stunden bereiten. Wenn du fortfährst so grob zu seyn, wie gegen die unlustige gräfliche Person,2) so wirst du schon was zu Wege bringen; das geist- und sorgenlose Wesen der Menschen ist in solchen Fällen gar häufig. Der unglaubliche Dünkel in den die jungen Leute jetzt hineinwachsen, wird sich in einigen Jahren zu den größten Narrheiten manifestieren. 19. 9. Band meiner Werke [Ausg. B]3) corrigirt. [Mai] ⎯ [Frankfurt] C. Xeller an C. Barth (E. Förster: P. Cornelius. Ein Gedenkbuch. Theil 1. Berlin 1874, 170): Von Cornelius sind vorige Woche die drei letzten Platten: Valentins Tod, die Dedication und das Titelblatt angekommen.4) Wie groß die Freude über diese Arbeit bei mir und allen seinen Freunden war, ist nicht zu sagen.

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) Radziwill war seit 1815 preuß. Statthalter in Posen. ) s. oben 7. Apr: Zelter an G. 3 ) Enthält S. 1−234 Faust I. 4 ) s. oben März 1816: Cornelius an Wenner; Abb. in Neubert 96 u. 100. 2

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9. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 427): Als die erste Zusammenkunft über die Idee der Aufführung des Faust, gehalten ward, lud man mich ordentlich ein. Prinzen, Fürsten, Grafen und Herrn waren gegenwärtig. Ich verhielt mich still bis es an mich kam. Mein erstes Verlangen war: Austeilung der Rollen welche bald vollendet war. Nun hatte kein Mensch ein eigenes Exemplar. Es ward herumgeschickt. Die meisten Buchhändler hatten selber keins. Es wurde zusammen geborgt, das Gedicht war allen ,unbekannt‘, denn auch den Artisten war es was Neues. Bei einer andern Gelegenheit ließ ich die Anmerkung fallen: daß ein Fürst einer fremden Nation [Radziwill] ein schöneres deutsch spräche als wir alle und uns zu erst durch so viel Fleiß und Dauer und Liebe mit unsern eigenen Schätzen bekannt mache. 11. Paquet an Cotta nach Stuttgart, 9. Band meiner Werke [Ausg. B]. 13. [Berlin] Zelter an K. Eberwein (JbSK 8, 217f.): Warum ich Sie in vollem Ernste beneide, das ist, nicht an Ihrer Stelle in Weimar gewesen zu sein, als Ihnen der Geh. Rat von Goethe die Szenen des „Faust“ zu komponieren aufgetragen hat. Das Glück, unter den Augen eines solchen Dichters und in der Nähe eines so disponiblen Theaters wie das Ihrige ein Stück zu arbeiten, stelle ich mir als das Höchste vor, das einem Komponisten werden kann. Noch nie hat es kein Komponist in der Welt genossen und kommt vielleicht in der Geschichte der Kunst gar nicht wieder vor, um so mehr, da Sie mir schreiben, daß der Geh. Rat den Plan hatte, nach und nach den ganzen „Faust“ auf diese Weise auf die Welt zu bringen. Denn der „Faust“, so wie er jetzt ist, wird wohl niemals ganz vollendet werden und ein Fragment bleiben. Die Welt wird dadurch eines offenbaren Schatzes beraubt. Was mich betrifft, so würde ich die Arbeit augenblicklich übernehmen, die Musik möchte geraten oder nicht, um nur das Gedicht vollendet zu sehn, wenn ich nur drei Monate in Weimar sein könnte. 21. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 2, 15): Euer Excellenz benachrichtige ich, daß zu meiner grossen Freude so eben der 9te Band mit Hochdero AvisBrief vom 11− [Mai] eingegangen ist.

Juni

1. [Weimar] Charlotte v. Schiller an Knebel (Charl. Schiller − Knebel 281f.): Ich bin sehr begierig, den spanischen „Faust“ [Calderons El ma ´gico prodigioso,1663] zu lesen, von dem meine Schwester mir viel erzählte schon, die ihn im Original gelesen. So wie unser deutscher „Faust“ wird wol in keiner Nation uns ein solcher Meteor erscheinen; denn es ist einzig, wie Goethe seinen Reichthum darin aussprach, die Gefühle einer Natur, die das Höchste erfassen will und, von der sichtbaren Welt mit ihrer Tiefe in die unsichtbare schreitend, allen lebhaften Wünschen und Phantasien sich hingibt. Ich habe neulich einen ganzen Abend daraus vorgelesen, und es war mir, als in der „Zueignung“ steht, zu Muthe: Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der Euren Zug umwittert. [7f.] 3. An Cotta (Br 27, 44): Für die baldige Nachricht,1) der 9. Band sey

angekommen, danke zum schönsten. 8. An Zelter (Br 27, 51f.): Eberwein wies mir deinen Brief vor,2) auch der

hat mir viele Freude gemacht. Des jungen Mannes [Carl E.] Talent kennst du, es ist ein geerbtes, äußeres und mit nichts gefüttert, weder mit Charakter, noch Liebe, weder mit Gefühl noch Geschmack. Deswegen klebt’s mit Lust an der Erde und begreift nicht warum es sich nicht vom Boden heben kann . . . Was ich mit Faust vorhatte sollte er 1 2

) s. oben 21. Mai: Cotta an G. ) s. oben 13. Mai 1816: Zelter an Eberwein.

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nicht begreifen, aber er sollte mir folgen und meinen Willen thun, dann hätte er gesehn was es heiße. Diese Menschenrace, die, bey so manchen Vorzügen, des eigentlichen Besten ermangelt, begreift nicht warum es mit ihr nicht rücken will; nun suchen sie es durch Intrigue zu erreichen und Augenblicks verletzen sie, durch Dünkel und Ungeschicklichkeit, den erworbenen Gönner und so zerstiebt das Mährchen, ja sie sind rückwärts statt vorwärts gegangen.1) Juni 16. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 437): Künftigen Montag [wohl 24. Juni] haben wir wieder eine Probe vom Faust. Meine Prophezeiung scheint eintreffen zu wollen: wir rücken nicht fort.2) Der gute Komponist [Fürst Radziwill] gefällt sich in dem was da ist, ja was neben her ist so sehr, daß sich die Idee des Ganzen in eine Übersättigung des Einzelnen verquellt. 27. [Berlin] P. A. Wolff an G (GSA 28/1003): Einen schönen Abend hatte ich vor einiger Zeit [am 30. März 1816] bei Fürst Radziwill, wo der Faust gelesen wurde von seiner Musik begleitet; obgleich ich den Genuß nicht rein empfinden konnte, da ich unvorbereitet zu Lesung des Faust’s genöthigt wurde, so muß ich doch in das Urtheil aller die solche schon öfter gehört haben einstimmen, und sie ganz herrlich preißen. Prinz Carl von Meklenburg laß abwechselnd den Wagner und Mephistofeles mit mir; lezteren hat er wirklich recht tief studiert, und überraschte mich auf angenehme Weiße. Es ist das wirklich ganz eigen und schön, wie diese Fausts Gesellschaft sich hier gebildet hat, die aus den vorzüglichsten Menschen von Berlin besteht. Der Fürst wünschte daß wir es scenenweiße auf die Bühne brächten, u würde zu diesem Behuf ein kleines Theater in seinem Hotel bauen lassen, er sprach deßhalb mit mir, und ich dächte, daß in dieser Hinsicht das beste wäre nur mit e i n e r Scene anzufangen, und zwar mit der ersten, ich frage deßhalb bei Ew. Excellenz an, ob Sie wohl geneigt wären, mir die Zeichnungen zukommen zu lassen, bei deren Entstehung ich zum Theil das Glück hatte gegenwärtig zu sein.3) Es war auch die Absicht von Ew. Excellenz damals, daß bei dem Erscheinen des Geistes alles Geräthe in Fausts Zimmer, oder vielmehr die Zeichen darauf transparent sein sollten; ich würde für jede Andeutung unendlich dankbar sein, Ew. Excellenz biethen ja so gern die Hand wenn etwas mit Geist und Fleiß ausgeführt wird, u hier ist der Fall wo ich glaube, daß etwas recht Ordentliches zu stande kommen soll. Aug 21. [Frankfurt] J. F. Wenner an G4) (GSA 28/71 Bl. 367): Ew. Excellenz nehme ich mir die Freiheit, drey neue Blätter von Cornelius Bildern zum Faust vorzulegen, von denen ich, als Sie mich mit Ihrem Besuch [im Sept 1815] beglückten, noch keine Abdrucke besaß. Herr Dr. Friedländer, der eben aus Italien zurückkehrte, wird Ihnen solche bey seiner Durchreise durch Weimar, überreichen.5) Die 3 Blätter und 5 von den sechsen, welche Hochdieselben bereits im Stiche kennen6), solten die Lieferung ausmachen, welche ich, als Hälfte des Ganzen nunmehr ins Publikum geben werde, sobald der dritte Versuch der Kupferdruckerey die Abdrucke, wie ich jezt hoffe, zu meiner Zufriedenheit liefert.7) Die beifolgenden Proben8) legen nur die Erfindung, aber nicht die Ausführung 1

) s. oben [Frühj./Herbst 1815]: Eberwein, Die Musik zum Goetheschen Faust. ) s. oben 9. Mai 1816: Zelter an G. 3 ) Vermutl. Dekorationsentwürfe zur 1. Szene, die bereits 1812 entstanden waren, s. oben 4. Nov 1812: Wolff an Ungenannt. 4 ) Übergeben durch Dr. Friedländer aus Königsberg. 5 ) s. unten 2. Sept 1816: Voigt an G. 6 ) s. oben 3. Mai 1811: Tgb. 7 ) s. unten 7. Mai 1817: an Kräuter. 8 ) Das Verzeichnis des Portefeuille No. I., 1820 von Theodor Kräuter angefertigt, führt auf: 11.−13. Drei Probedrücke von Corneliussens Faust (GSA 30/ 352); vgl. Grave 547. 2

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des Kupferstechers [Ruscheweyh] rein und kräftig genug dar, wie es ein Römischer Abdruck thut, den ich von jeder Platte erhalten habe, und als Muster und Bedingung für die, welche ich machen laße, bewahren muß. Das Blatt v.[on] Auerbachs Keller werde ich nun nicht ausgeben, weil es den übrigen zu sehr nachsteht, sondern die Platte cassiren. Cornelius aber will diese Scene in einer andern Zeichnung darstellen.1) Möchten diese Blätter aus meiner liebsten Unternehmung Ihnen einiges Vergnügen gewähren.

Aug 29. [Weimar] H. Meyer an G (SchrGG 34, 372): Ein aus Rom kommender D r . Friedlaender hat, wie ich höre, Zeichnungen von Cornelius an Sie mitgebracht, Gegenstände aus Faust.2) Ich habe denselben zwar noch nicht gesehen, allein das vielzüngige Gerücht hat mir die Sache bereits zu Ohren gebracht. 30. [Weimar] F. Th. Kräuter an G (GSA 28/71 Bl. 344f.): Ew. Excellenz erwartet bey Ihrer Rückkunft manch Neues und Schönes, was hoffentlich angenehm überraschen wird; wenn ich es nur lassen könnte nichts davon zu verrathen: Herr Wenner in Frankfurt schickte nämlich wohlgepackt und verwahrt vom Faust die ersten drey Platten, das Titelblatt, die Dedication und die erste Scene.3) Mehr sag ich nicht davon. Sept

2. [Weimar] C. G. v. Voigt an G (SchrGG 56, 250): Dr. Friedländer aus Königsberg hat Ew. Exzellenz Blätter zu Faust [von Cornelius] mitgebracht. Er kam unmittelbar aus Rom, wo er fast 2 Jahre sich aufgehalten. Er bedauerte unendlich, Ew. Exzellenz zu verfehlen.4) 14. [Nachmittags] Kupfer von Cornelius Faust.5) 25. [Weimar] Charlotte v. Schiller an Knebel (Charl. Schiller − Knebel 301f.): Gestern hatten wir einen recht freundlichen Abend gehabt bei Goethe . . . Goethe war heiter und mittheilend und zeigte uns Kupferstiche aus „Faust“, die ein Maler Cornelius aus Rom gesendet.6) Die Scene, wo Valentin auf der Straße erstochen gefunden wird und Faust mit Mephistopheles entflieht, Gretchen mit einem tiefen Schmerz zurücksinkt in der Frau Marthe Arm, einzelne Gruppen auf der Straße entstehen und neugierig ohne Theilnahme stehen bleiben, dies Alles ist mit der alterthümlichen nationellen Umgebung ausgedrückt. Mir ist der Ausruf dabei im Innern erschallt, wie Valentin sich nicht Bruder nennen will und ausruft: „Deiner Mutter Sohn!“ Schöneres und Angemesseneres dieser Situation, die das ganze Schicksal der unglücklichen Schwester ausdrückt, konnte nicht gesagt werden.7) Ich bin so mit „Faust“ verwebt, daß ich alle Stellen erkenne und auch auf jede Lebenssituation andre passende Sprüche daraus anwende, daß mir die leiseste Anregung gleich das Ganze nahe bringt.8) Ich glaube, so lebten die Griechen in der „Ilias“, und so genießt man auch die Poesie, wenn sie sich ins Leben verflicht. 25. [Jena] Charlotte v. Schiller an Knebel (Charlotte Schiller 3, 368): Ich wünschte wohl des Malers Cornelius Zeichnungen aus Goethes Faust zu sehen. Es ist ein geschickter Künstler, und er hat gewiß die interessantesten Punkte gewählt. Es ist seltsam, wie dieser Faust insbesondere alle Malernaturen an sich zieht.

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) Abb. Neubert 98. ) s. oben 21. Aug: Wenner an G u. unten 2. Sept: Voigt an G. 3 ) s. oben 21. Aug 1816: Wenner an G. 4 ) G weilte in Bad Tennstedt. 5 ) s. oben 21. Aug 1816: Wenner an G. 6 ) s. oben 21. Aug 1816: Wenner an G. 7 ) Blatt 6, Valentins Tod darstellend, Abb. bei Neubert 100. 8 ) s. auch oben 1. Juni 1816: Charlotte v. Schiller an Knebel. 2

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Okt 13. [Frankfurt] C. F. Schlosser an G (GSA 28/810 St. 17): Unter den kleinen unausweichlichen Beschwerden die mir in den nächsten Wochen drohen, ist eine Bitte Wenners, für die nun vollendete erste Lieferung des Faust von Cornelius eine in den etwaigen Standpunkt rükkende Anzeige zu machen. Ich möchte dieses theils den ehrenwerthen Künstler, theils Wenners nicht abschlagen, der wenigstens einen sehr lebhaften Eifer für Kunstverlag zeigt, wiewohl eine Würdigung, die eigentlich Lob, seyn soll keine erbauliche Aufgabe ist. Ich denke Sie heiter darstellend, mit einigen allgemeinen Ansichten und Bemerkungen durchwoben zu schreiben. Sollten Sie an den Bättern, die Sie, wie Wenner sagt, bereits besizzen,1) genug theilnehmen, und mir mit einigen Worten den Ihnen angenehmsten Gesichtspunkt zu bezeichnen, so würden mir dieses sehr werth seyn. Das liebste für mich ist mir, daß ich den Faust dabey aufs neue von grundaus durchdenken werde. Bey dem Abdrukke dieser Blätter findet sich eine seltsame Schwierigkeit, für welche Sie oder die Kunstkenner in Ihrer Nähe vieleicht Rath wissen. Man kann nemlich durchaus keine Abdrükke gewinnen, die an Saft und Schwärze den römischen gleich kommen, doch sind diese in Rom wo Gmelia [W. F. Gmelin] mit Frankfuther Schwarz gedrukt. Wenner hat Schwarz aus Paris kommen lassen, aber es bleibt blass und kann die Kraft nicht erreichen. Stünde Ihrer Erfahrung darüber eine Anweisung zu Gebote, so würden Sie den Freund aus einer lebhaften Verlegenheit ziehen, er trägt mir auf dringend darum zu bitten.2) 16. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 2, 28): Euer Excellenz habe ich die Ehre einige Ex der Umrisse von Retsch [Retzsch]3) zum gnädigen Angedenken zu übersenden. Im Meßkatalog längst angezeigt . . . konnte ich sie [auf eine Einleitung von G wartend] nicht länger zurükbehalten und bat Mad. Huber um einen kurzen Commentar, der so ausgefallen ist, daß er auch Ihren Beifall erhalten wird.4) 18. [Stuttgart] Cottasche Buchhandlung an G (G−Cotta 2, 28): Se Excellenz Herr Minister von Goethe in Weimar erhalten 12 Göthe Faust, in Umrissen von Retsch.5) 24. [Stuttgart/Tübingen, anonym6)] Bemerkungen über Goethe’s Faust. Vo r r e d e aus Veranlassung der trefflichen U m r i s s e z u G o e t h e ’ s F a u s t , gezeichnet von Retsch die so eben in der J . G . C o t t a ’schen Buchhandlung die Presse verlassen. In: Morgenblatt Nr. 256 v. 24. Okt 1816, 1022: Der Künstler scheint, wie ein geistvoller Uebersetzer es thut, das Werk n o c h e i n m a l g e m a c h t zu haben, so innig hat die Schöpfung seines Griffels dem Geist seines Dichters angeeignet. So wie in G o e t h e ’s Gedicht der Muthwillen stets überbrausende Fröhlichkeit, der Cynismus trotzige Kraft ist, niemals Wollust und Sinnenweide; eben so beleidigt des Künstlers Darstellung nie das sittliche Auge! Ueberall tritt die Wahrheit unter den möglichen Bedingnissen der Schönheit auf; überall ist Anmuth oder Ernst obwaltend, wie übersprudelnd auch die Phantasie in abenteuerlichen Einzelnheiten ihr Spiel treibt. Die Momente derselben sind mit so scharfer Auswahl getroffen, daß diese Bilder allein die innre Geschichte des ganzen Gedichts vor’s Auge führen. Sie zeugen für den moralischen Sinn des Künstlers, denn sie geben zu keiner Zweydeutigkeit Anlaß . . . So viel wir uns bildlicher Darstellungen zu neuern Dichterwerken entsinnen, hatte kein andrer Dichter die Befriedigung, sein Geistes-Werk also verstanden und aufmerksam beachtet zu sehn. Dieses ist in den Aus1

) s. oben 21. Aug 1816: Wenner an G. ) Antwort ist nicht nachweisbar. 3 ) [26] Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Retsch [sic] Stuttgart und Tübingen, in der J.G. Cotta’schen Buchhandlung. 1816. 12 S. [Einleitung von Therese Huber], Zitate aus der zweiten Auflage von Cottas Faust-Ausgabe 1816; 2. Aufl. der Umrisse 1820 (Henning Nr. 5391 u. 5392), Abb. in Neubert 103−12. 4 ) s. oben 30. Juni 1814: Tgb. 5 ) G benutzte die Exemplare zu Geschenkzwecken; s. unten 18. Nov 1820: an Hüttner. 6 ) Verfasserin vermutl. Therese Huber. 2

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füllungen besonders bemerkbar. Die treue Wiederholung der Details in jedem Lokal, Fausts Studierstube, bey Frau Schwertlein, bey Margarethe, macht uns heimlich und enthält eine Art Biographie ihrer Inhaber. [Folgend einzelne Bildbeschreibungen].

Okt 28. Retzsch Umrisse zu Faust angekommen. 30. An Cotta (Br 27, 210f.):1) Dabey vermelde daß die wohlgerathenen

Kupfer zu Faust glücklich angelangt sind, wofür Ew. Wohlgeb. verbindlichsten Dank abstatte. Auch hat Madame Huber sich recht wohl und zart gehalten.2) 30. [Frankfurt] J. G. Radlof an G (GSA 28/715 St. 2): . . . in mancher Hauptstadt unseres so viel gepriesenen Südens, blüht die Literatur des Vaterlandes nicht reizender, als, wie ich sie im Münchner Gesellschaftsblatte geschildert.3) Ein dortiger Akademiker, d. h. ein wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften, der Mathemathiker und Freyher von S p a u n − glaublich vom Oberrhein gebürtig − . . . besudelte darauf, in demselben Blatte Ihren Faust – arg-knabenhaft, blos um s e i n e r Lesewelt zu beweisen, sie verliere Nichts daran.4) Nov

7. Mittag für uns. Die Umrisse [von Retzsch] zu Faust. 8. [An] Geheime Rath Willemer mit Fausts Umrissen. 8. An J. J. v. Willemer (Br 27, 227): Von der vorigen Sendung [Weinsen-

dung von Willemer] war noch ein Individuum übrig geblieben, welches wir gar sorgfältig aufbewahrten und solches als ein Heckemännchen5) sehr verehrlich behandelten. Indessen wurden aber allerley heidnische, ja noch schlimmere Handlungen vorgenommen, um ähnlichen Genuß zu erlangen, wie beykommende Figur6) andeutet. Die angebohrten Tische jedoch wollten keine Erquickung geben. [nach 8.] [Frankfurt] Mariane u. J. J. v. Willemer an G (Waitz − Willemer 50f.): [Marianne:] Das gute Gretchen ist glücklich . . . angekommen und hat als Geschenk des verehrten Freundes das Interesse noch erhöht, das sie bei jedesmaliger Erscheinung erweckt; ja selbst Mephistopheles mußte sich gefallen lassen, den heitersten Eindruck zu machen, obschon er gerade in diesen Blättern recht teuflisch aussieht. Viele darunter gefallen mir weit besser als die von Cornelius über denselben Gegenstand, sie scheinen mir menschlicher, wahrer gedacht und dem Gedichte angemeßner; doch hat auch Cornelius vieles

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) G’s Tgb vermerkt am 30. Okt: An Cotta in Stuttgart. (. . . gemeldete Ankunft der Umrisse zu Faust). 2 ) s. oben 16. Okt 1816: Cotta an G; anonym abgedruckt auch im Morgenblatt Nr. 256 v. 24. Okt 1816. 3 ) Die teutsche Literatur zu Krähwinkel. In: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände Nr. 4 v. 14. Jan 1815, 27−31; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 729). 4 ) Protestation gegen die Staelische Apotheose des Goethischen Faustus. In: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände Nr. 55 v. 29. Juli 1815, 440−46; Nr. 56 v. 5. Aug 1815, 451−54; Nr. 58 v. 19. Aug 1815, 464−70; Nr. 59 v. 26. Aug 1815, 471−78; Nr. 61 v. 9. Sept 1815, 589−91; s. oben 29. Juli/5. Aug 1815: Protestation. 5 ) Im Volksglauben verbreitete Vorstellung von einem kleinen Kobold, der seinem Besitzer Geld verschafft. 6 ) G übersandte ein Ex. der ihm von Cotta geschenkten Umrisse zu Goethe’s Faust. Mit der beykommenden Figur ist Tafel Nr. 5 mit Auerbachs Keller gemeint, Abb. in Neubert 105.

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vorzüglich dargestellt, und das Blatt mit dem Irrlicht und die Szene am Rabenstein1) [Sz. Nacht. Offen Feld] sind ihm vorzüglich gelungen . . . [Jakob v. W.:] Den herzlichsten Dank für das schöne Geschenk. Faust wird noch lange den Künstlern Stoff nachweisen, so wie den Philosophen.

Nov 14. (s. „Faust. Frühe Fassung“: an Zelter gD, S. 69) [Nov]2)

[Weimar] H. Meyer und G: Neu-deutsche religios-patriotische Kunst3) (W 49.1, 44f.): Gleichem Zuge [zur alten deutschen Kunst] folgend, wendeten sich nun auch unter den Mahlern mehrere von religiosen Gegenständen zu solchen, die irgend einigen Bezug auf vaterländische Geschichte oder Dichtung hatten, und älteres Costüm zuließen . . . Am allermeisten muß . . . Faust angezogen haben: denn wir könnten ein langes Register von Kunstwerken liefern die aus demselben geschöpft worden. Unter die besten und hier anzuführen würdigsten gehören drei Scenen, Faust mit Gretchen darstellend; zwei ausführlich gezeichnet, die dritte größer in Öl gemahlt, von Näcke [Naeke] aus Dresden.4) Ebendaselbst hat ein anderer Künstler, Retzsch, eine über das ganze Gedicht sich erstreckende Folge von sechs und zwanzig Blättern eigenhändig radirter Umrisse zu Stande gebracht. Viele Stücke aus dieser Folge sind als geistreiche Compositionen zu loben, alle empfehlen sich durch angemessenen Ausdruck und Charakter der Figuren.5) Doch das Bedeutendste in solcher Art von Darstellungen hat vor ganz kurzer Zeit Cornelius geliefert, ein niederrheinischer Maler von ungemeinen Anlagen, der, seit einigen Jahren in Rom sich aufhaltend, unter den Bekennern des neu-alterthümlichen Geschmacks als einer der Häuptlinge angesehen wird.6) Von seinen erwähnten Darstellungen aus Faust, welche als Folge ebenfalls das ganze Gedicht umfassen sollen, wird ehestens eine Abtheilung, von R u s c h e w e y zierlich radirt, im Publicum erscheinen; sie enthalten reichere Compositionen als Retzschs Blätter und der Künstler scheint darin Dürern sich zum Vorbild genommen zu haben.7)

Nov 16. [Rom] F. H. v. d. Hagen: Briefe in die Heimat aus Deutschland, der Schweiz und Italien. Bd 1. Dresden 1818, 297: Früher hat Cornelius 8 Blätter zu Goethe’s F a u s t gemacht, die ich hier zuerst alle gesehen habe: auch diese sind ganz außerordentlich, und besonders wieder das Titelblatt, auf dem der Hauptinhalt zusammengedrängt ist und wirklich gedichtet ist. Sie werden jetzo in Deutschland herauskommen, gestochen von einem hiesigen trefflichen Künstler R u s c h w e i h aus Mecklenburg, der eben noch über das schöne Blatt, Gretchen vor der Mater dolorosa, recht freundschaftlich arbeitet und vollkommen alles durch den Grabstichel wiedergibt, was Cornelius mit der Feder vorzeichnet . . .8) Dez

7. An J. J. v. Willemer (Konzept; Br 27, 258): Für . . . die gute Aufnahme

meiner Höllengäste danke zum verbindlichsten.9)

1

) Abb. in Neubert 100. ) Der Aufsatz ging am 26. Nov 1816 in die Druckerei; vgl. an Frommann gD (Br 27, 244); zur Entstehung s. „Neu-deutsche religios-patriotische Kunst“. 3 ) ED des Aufsatzes in KA I 2 (1817) 5−62. 4 ) Betr. Faust und Gretchen sowie Auf der Strasse u. Im Zwinger; abgebildet in Neubert 92f. 5 ) Retzsch’ Umrisse in Neubert 103−12. 6 ) FA I 20, 868: Nach Pforrs Tod war Cornelius − neben Overbeck − eines der führenden Mitglieder des ,Lukasbundes‘ in Rom. 7 ) Cornelius’ Bilder zu Goethe’s Faust in Neubert 96−102; zum Hinweis auf Dürer s. oben 8. Mai 1811: an Cornelius. 8 ) Beide Abb. in Neubert 96 u. 100. 9 ) s. oben nach 9. Nov. 1816: Marianne u. J. J. v. Willemer an G. 2

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Dez 21. [Rom] B. G. Niebuhr an F. C. v. Savigny (B. G. Niebuhr: Lebensnachrichten. Bd 2. Hamburg 1838, 260): Der Faust von Cornelius ist sehr erhaben. 24. [Rom] B. G. Niebuhr an Dora Hensler (B. G. Niebuhr: Lebensnachrichten. Bd 2. Hamburg 1838, 263): Cornelius kennst Du aus den Zeichnungen zu den Nibelungen. Ohne Vergleich ansprechender sind die bereits gestochenen zum Faust. Cornelius hat sich ganz und gar selbst gebildet. Sein Sinn in der Kunst geht ganz in die Tiefe und auf das Einfältige und Große.

1817 Jan

⎯ Verlagsanzeige Cottas (QuZ 2.1, 542): Im Laufe des Jahrs sind in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart und Tübingen erschienen: . . . Goethe von, Faust, eine Tragödie. 12. geb[un]d[en]. Neue Auflage. 2. fl. 24 kr.1) 13. [Weimar, anonym] Zeitung der Ereigniße und Ansichten. Weimar. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Bl. 8 v. 13. Jan 1817, 32: Man hat gegründete Hoffnung, daß Goethe seinen F a u s t bearbeiten und denselben ehestens auf die Bühne bringen wird. Das ist gewiß ein neuer Hebel für die dramatische Kunst, die wirklich eines solchen bedarf. 22. [Rom] B. G. Niebuhr an A. Nicolovius (B. G. Niebuhr: Lebensnachrichten. Bd 2. Hamburg 1838, 275): Cornelius Faust2) haben Sie wohl noch nicht gesehen? Er hat, oder wird Ihre Erwartung weit übertreffen.

Febr 16. [Rom] B. G. Niebuhr an F. C. v. Savigny (B. G. Niebuhr: Lebensnachrichten. Bd 2. Hamburg 1838, 292): Cornelius ist ein inniger Enthusiast für Goethe: vielleicht keiner mehr, wenigstens hat Goethe keinen inspirirt wie ihn.3) Apr 28. [Jena] An F. Th. Kräuter (Br 28, 74f.): Wenn Sie die dritte Lieferung

meiner Werke4) auspacken und zu den übrigen bringen, wird es löblich seyn. Senden Sie mir ein Exemplar auf Schreibpapier damit mein hiesiges Exemplar voll werde. 29. B. A. Weber: Musikalische Akademie. In: Königl. privilegierte Berlinische Zeitung (Vossische Zeitung) Nr. 51 v. 29. Apr 1817, unpagn.: Mittwoch den 30sten April, am Bußtage, wird der Unterzeichnete im Concert-Saale des Königlichen Schauspielhauses folgende Musikstücke aufführen: . . . Zweiter Theil, Scenen aus Göthes Faust, nach den Kompositionen eines hiesigen hohen Kunstliebhabers: 1) Faust’s Monolog, gesprochen von Herrn Wo l f f mit dem Oster-Chorgesang: „Christus ist erstanden.“ 2) Chor der Geister, welche Faust in denSchlaf singen: „Schwindet ihr dunkeln Wölbungen!“ 3) Duett zwischen Faust und Gretchen, aus der Scene im Garten, wie letztere die Sternblumen zerpflückt, gesungen von Herrn und Demoiselle J o h a n n a E u n i k e . . . [30.] [Berlin] Korrespondenz und Notizen. Aus Berlin, vom April und Mai. (Verspätet.). In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 142 v. 24. Juli 1817, 1151: Am Bußtage (30. Apr.) ersetzte ein vom königl. Ersten Kapellmeister B. A. Weber veranstaltetes großes Kon-

1

) Einzelausgabe aus dem Satz von Ausg. B Bd 9 in einer Auflage von 1500 Ex. ) P. Cornelius: Bilder zu Goethe’s Faust. Zwei Hefte zu je vier Blatt. Gestochen von F. Ruscheweyh. Frankfurt 1816. 3 ) Mit Bezug auf des P. Cornelius Faust-Illustrationen; s. das vorige Z mit Anm. 4 ) Bde 9−12 der Ausg. B mit Faust in Bd 9. − Kräuter hatte G die Ankunft am 25. Apr 1817 gemeldet. 2

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zert das gewöhnliche Schauspiel . . . Im zweiten [Teil] (obschon nicht zur Stimmung des Tages passend) wurden drei Fragmente aus G ö t h e ’s Faust, mit glühender phantasiereicher Komposition des Fürsten R a d z i v i l vorgetragen und mit vollem Beifall des vollen Saals aufgenommen. Besonders war der Geister Chor von großer, herrlicher Wirkung.

[Apr 30.] [Berlin] Nachrichten. Berlin. Uebersicht des Aprils. In: Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 20 v. 14. Mai 1817, 349: Den 30sten gab Hr. Kapellm. Weber eine musikal. Akademie . . . Der 2te Theil gab Scenen aus Göthe’s Faust, nach der Composition eines hiesigen hohen Kunstliebhabers (des Fürsten Radziwil). Auf den von Hrn. Wolf gesprochenen Monolog folgte der Oster- Chorgesang der Engel: Christ ist erstanden etc. [737ff.], und die in den folgenden Monolog eingewebten Chöre der Weiber, Engel und Jünger, unter denen besonders der Chor der Jünger sehr gefiel: Hat der Begrabene etc. [785ff.] Dann folgten das Duett zwischen Faust und Margarethe aus der Scene im Garten [3176−93], wie letztere die Sternblume zerpflückt, gesungen von Hrn. u. Dem. Eunike, und der Chor der Geister, die Faust in den Schlaf singen: Schwindet ihr dunkeln Wölbungen etc. Auch dieser fand allgemeinen Beyfall. [30.] [Berlin, anonym] Zeitung der Ereignisse und Ansichten. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz Bl. 75 v. 7. Mai 1817, 300: Berlin. Am 30sten April gab Hr. Kapellmeister B. A. We b e r eine musikalische Akademie, welche überall einsichtsvolle Wahl bezeugte . . . Szenen aus „Göthe’s Faust,“ mit den Kompositionen eines hohen Kunstliebhabers, sind, auch in der Musik, überaus genial, zart gedacht und behandelt und mit dem dichterischen Meisterwerke in vertraulichem Einklange, was viel, aber nicht zuviel sagt. Nur den ätherischen Zauber des Gedichts kann hier die Musik zusammenfassen wollen, sie ist nicht für die Sinne, nur für die Seele, nicht für Alle, wohl aber für Auserwählte gefühlt und gefunden, erscheint nirgend gesucht, sondern ist ein Weben und Träumen in den Klängen und Blüthen der Unschuldwelt, wieder entdeckt, gepflegt und festgehalten vom Verstande. [30.] Eine Gesellschaft von Kunstfreunden. Großes Concert. In: Königl. privilegierte Berlinische Zeitung (Vossische Zeitung) Nr. 55 v. 8. Mai 1817, unpagn.: . . . so sey es . . . erlaubt, den Beschluß dieser Anzeige . . . vorzüglich nur den genialen Compositionen „eines hiesigen h o h e n K u n s t l i e b h a b e r s “ zu widmen, mit denen sich der zweite Theil des Concerts eröffnete. Es waren drei Fragmente aus G ö t h e n ’s Faust: D i e O s t e r g e s ä n g e , mit den dazu gehörigen (von Herrn Wo l f f vortrefflich gesprochenen) Monologen. Der Chor der Engel in E-Dur hat den Ausdruck des frohesten Jubels, der sich am Schlusse der edelsten Kirchenmusik nähert, doch ohne wirklich Kirchengesang zu werden. Die Chöre der Weiber und der Jünger zeigen den hohen Komponisten als denkenden Künstler und Meister . . . 2) C h o r d e r G e i s t e r . Wer sich auch nur einigermaßen auf musikalische Poesie und Composition versteht, muß den „hohen Kunstliebhaber“ bewundern, daß er die äußerst schwierige Aufgabe, diesen Chor in Musik zu setzen, so glücklich zu lösen gewußt hat. Von der 11ten Zeile an hat die Poesie acht und vierzigmal hintereinander, ohne alle Auswechselung, Verse von nachstehendem Sylbenmaaß: −oo, −o; ja, solcher kurzen Verse folgen 12 und 13 aufeinander, ehe der Sinn einer Periode zu Ende ist! Und doch hat der Komponist nicht nur alle Monotonie vermieden, sondern diesen Geistergesang sogar durch große Mannichfaltigkeit, und echt humoristische Züge in der reichen Instrumental-Begleitung, z.B. bei der Stelle: Und das Geflügel schlürfet sich Wonne sc. [1484f.] sehr unterhaltend und anziehend zu machen gewußt! 3) Das dritte Fragment ist eine Stelle, die der Dichter eigentlich nur gesprochen haben will, von der aber dem „hohen Kunstliebhaber“ sein feines, durch gründliche Kunstkenntniß noch geschärftes Gefühl sehr richtig gesagt hat, daß sie sich ganz zu einem Duett der beiden sprechenden Personen eigne. So genial dieser Gedanke war, so gelungen ist auch die Ausführung desselben in einem wahrhaft neuen und originellen Kunstwerke. Hätte der Referent nur Raum, alle Schönheiten dieses Duetts zu entwickeln oder auch nur auf sie hinzudeuten!

1817 Mai

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6. [Jena] An F. Th. Kräuter (Br 28, 83): . . . wünsche Folgendes zu erhal-

ten . . . 2) Die Kupfer zu Faust.1) 7. [Weimar] F. Th. Kräuter an G (GSA 28/74 Bl. 295): . . . erhalten hiebey alles Verlangte. 10. [Weimar, anonym] Zeitung der Ereignisse und Ansichten. Weimar. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Bl. 77 v. 10. Mai 1817, 308: Weimar. Eine der größten Neuigkeiten unserer Stadt ist, daß G o e t h e , des leidigen Theaterwesens und Unwesens müde, die Direktion des Theaters niedergelegt hat . . . Die Bearbeitung seines Faust für’s Theater, wird freilich in’s Stocken gerathen . . . 26. [Bremen] C. L. Iken an G (Schulz 1971, 114): Ich kann mich nicht enthalten, schließlich noch unser aller Freude über die Erscheinung der Umrisse zum Faust von Retsch zu bezeugen,2) die so sehr gelungen sind und der Kunst noch manchen neuen Freund zuführen werden. Ebenso sehr über die Ankündigung der großen Kupfer zum Faust von Cornelius in Rom . . . [nach] [Brocken] A. Klingemann: Kunst und Natur. Blätter aus meinem Reisetagebuche. Bd 1. 7. Juni Braunschweig 1819, 20; 22f.: Als Kaiser Carl der Große das Christenthum mit Feuer und Schwert in Deutschland einführte, wurden diese dicken Waldungen ohne Zweifel ein Zufluchtsort für die heimlichen Anhänger des Heidenthums, welche hier verborgen ihre alten gottesdienstlichen Gebräuche ausübten, und vielleicht dabei, in der Vermummung grotesker Larven, die sich nähernden Neugierigen zurückschreckten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist hierin auch der Ursprung jener alten Volkssage von der Walpurgis Nacht und dem Hexentanze auf dem Blocksberge (wie der Brocken auch noch benannt wird) aufzusuchen, welche Göthe in seinem Faust auf eine höchst originelle Weise benutzt hat. [Zitat 3876−905] Hier kündigt sich das toll-lustige Hexengewimmel ganz so an, wie es in Prätorii Blocksbergs-Verrichtung (Leipzig 1669) weiter nachgewiesen wird3) . . . Da Faust mit seinen zwei Aepfeln, wonach es ihn gelüstet [4128−31], sich schon stark in die sinnliche Galanterie verstiegen hatte, so mußte freilich der Teufel noch einen stärkern Nachdruck folgen lassen [4136−39], und die Hexe eine handgreiflichere Antwort [4140−43], als die dortige Brockenschöne in ihrem: [Zitat 4132−35] Si licet parva componere magnis, so bemerke ich bei dieser Gelegenheit über meinen Faust, insofern derselbe doch nun einmal auf der Bühne sich Plaz gemacht hat, daß es mir nie in den Sinn gekommen ist, hinsichtlich dieses Vorwurfs mit Göthe in die Schranken treten zu wollen. Göthes Faust ist das aufgeschlagene Buch des Makrokosmus, er enthält ein Weltall im Kleinen und der Dichter berührt abwechselnd darin, das Höchste, wie − das Gemeinste . . . Mein Faust4) beschränkt sich dagegen bescheiden auf die engen Grenzen des Dramatischen allein, und ich behandelte den Gegenstand in dieser Rücksicht als Vo l k s s a g e für die H a n d l u n g , keinesweges aber als eine p h i l o s o p h i s c h e Aufgabe für die h ö h e r e A b s t r a c t i o n . . . Daß der Charakter des Faust für die B ü h n e ü b r i gens gedrängter aufgefaßt werden mußte, wie der für G ö t h e s A b s i c h t , liegt deutlich am Tage . . .

1

) Die erste Ausgabe der Bilder zu Goethe’s Faust von P. Cornelius, gestochen von F[erdinand] Ruscheweyh, 1816 in Frankfurt durch Friedrich Wenner als Mappenwerk ohne Text herausgegeben, umfaßte 8 Blätter in zwei Lieferungen zu je 4 Blättern. 2 ) Die Umrisse zu Goethe’s Faust waren 1816 in 26 Kupfern bei Cotta erschienen. 3 ) Eine Hauptquelle, auch wenn G sie nirgends erwähnt u. keine Ausleihe bezeugt ist. 4 ) E. A. Klingemann: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig u. Altenburg 1815; Abdruck des II. Aktes bereits in der Zeitung für die elegante Welt 68 (1811), Sp. 537−41. Zur Verbreitung des Stückes s. Musik zum Faust 355−59.

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Juni 21. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 186): Ich, meines Theils, glaubte ihnen [den Brüdern Schnorr v. Carolsfeld], ihren Talenten, Neigungen und Geschicklichkeiten angemessen, zur Fortbildung ihres Innern und zu Gegenständen für ihre Darstellungen, nichts Besseres empfehlen zu können, nichts dringender empfehlen zu müssen, als − für geistliche Compositionen, unmittelbar die Bibel und nur die Bibel, für andere geschichtliche Darstellungen, Ihren G ö t z v o n B e r l i c h i n g e n und F a u s t . Ich habe schon einige Zeichnungen, besonders des ältern Bruders [Ludwig Ferdinand], nach diesen Ihren Werken gesehen, die voll Charakter und auch sonst beyfallswürdig sind, merkt man ihnen auch noch an, der Künstler sey in dieser durch poetischen Geist verklärten Geschichte noch nicht ganz zu Hause. Der ältere S.[Schnorr v. Carolsfeld] gehet eben daran, nach meinem Rath, die drey Hauptscenen des Faust, die Wendepunkte seines innern und äußern Lebens, groß; und der jüngere [Julius Veit Hans], nach eigener Wahl, von ihm schön entworfene Scenen aus dem Leben Jesu, etwas kleiner in Oel auszuführen.1) 26. [Weimar] An J. Fr. Rochlitz (Br 28, 147f.): Wie sehr freut mich, daß

die Hoffnung der Weimarischen Kunstfreunde auf lebendige Mitwirkung gleichdenkender Männer so schön erfüllt wird. Von dem Mitgetheilten2) werde mit Vorsicht späterhin Gebrauch machen, denn es möchte gut seyn vor der Hand zuzusehen wie jene Aeußerung3) im Publikum wirkt und wo man am schicklichsten nachhilft. 30. [Leipzig] J. Hillebrand: Ueber die Kupferblätter zu Göthes Faust, gezeichnet von P. Cornelius, gestochen von Roscheweyh, verlegt von Wenner in Frankfurt a. M. 1817. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 125 v. 30. Juni 1817, 1009f.; 1013): . . . wir gestehen gern, daß der Verherrlicher des F a u s t in unserm Urtheile, welches aber nach Gefühl und Geschmack nur i n d i v i d u e l l ausgesprochen werden soll, die e r s t e Stelle einnimmt. Es ist eine erfreuliche Empfindung, wenn man sieht, wie hier die s i n n l i c h e Kunst (man erlaube uns diesen Ausdruck) alle Macht der Genialität aufbietet, um die g e i s t i g e in anschaulichen Formen in ein mehr irdisches Leben hinzuzaubern . . . Die größte Kunst unsers Meisters zeigt sich übrigens darin, daß er die Idee des Dichters rein auffaßte, und wie zum S c h a u e n darstellte. [Folgend Beschreibung der Kupfer] Neben dem Allen muß noch gerühmt werden die Kunst und Besonnenheit, welche der Künstler in der Zeichnung des K l e i n e n , des A p p a r a t s und der N e b e n p a r t i e n bewiesen hat. So z. B. die Stube der M a r t h e , das Geräth darin − welche Wahl, welche Zusammenstellung, welche Natur! − Hernach der D o m , welch’ echt g o t h i s c h e r Styl spricht darin sich aus!4) − Auch verdient des Herrn Roscheweyh Bemühen die rühmliche Erwähnung. Fast überall herrscht Klarheit, Geschmeidigkeit und Freiheit in seinem Stiche. Kurz, das Ganze ist von der Art, daß es den beiden Künstlern, wie dem kühnen Verleger, gleiche Ehre, gleichen Ruhm im ganzen Vaterlande erwerben muß, und würdig ist, in jeder noch so trefflichen Kunstsammlung und Bibliothek aufgenommen zu werden. Juli

8. [Jena, nachmittags] Coudrai brachte die Corneliussischen Bilder von

Faust . . . Zu Knebel. Die Kupferstiche vorgewiesen.

1

) Bei Neubert 117 abgebildet: Studierzimmerszene u. Gretchen im Kerker. ) s. vorausgehendes Z. 3 ) Meyers Aufsatz über Neu-deutsche religiös-patriotische Kunst. 4 ) Federzeichnung Gretchen in der Kammer, Abb. 39 in Wegner 53 u. Lithographie Gretchen im Klosterhofe knieend vor der Mater dolorosa, Abb. in Neubert 100. 2

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Aug 15. [Bremen] C. L. Iken an G (Schulz 1971, 126): Die im Werther enthaltenen Fragmente aus Ossian, das Ideal aller Übersetzungen, zeigen dies [die Überlegenheit von Prosa gegenüber jambischer Rede, bes. bei Übersetzungen] ebenfalls, so wie die Prosastellen im Goetheschen Faust . . . 22. [Weimar] H. Meyer an L. Vogel (Overbeck 1, 367f.): Sie nehmen sich mit solcher Herzlichkeit und guter Art ihres Overbeck’s und Cornelius’ an, daß ich Sie darum nur mehr lieben und achten muß. Aber habe ich den genannten Künstlern irgend Leides gethan? Ich wüßte nicht . . . Sind Cornelius und Overbeck von mir [in der Schrift Neudeutsche religios-patriotische Kunst] angeführt worden,1) so ist solches geschehen, weil der Gegenstand forderte, ihrer zu gedenken, keineswegs um ihnen Böses nachzusagen, auch glaube ich, sie seien mit Achtung behandelt worden, denn ich kenne keinen von Person, ehre aber ihre Talente. Von Cornelius habe ich etwa 6−8 Federzeichnungen zu Faust und etwa 4 zu dem Nibelungen-Lied gesehen, außerdem die 3 radirten Blätter, welche zu der Folge von Dr. Faust gehören, und nach diesen Werken ist von ihm geurtheilt. Sehen Sie einmal das Titelblatt zu Faust an, und Sie werden in den Schreibezügen, in der Figur des wilden Mannes sc. leicht das nicht zur Nachahmung zu empfehlende des Albrecht Dürer’s nachgeahmt entdecken, in dem Blatt, wo Gretchen in Ohnmacht sinkt und der Bruder erstochen liegt, sind Köpfe, wie Golz2) gemacht hat, und obgleich es ein Nachtstück mit Laternen ist, doch keine Wirkung von Licht und Schatten.3) Eben darum klagen sie in Frankfurt, sie könnten diese Platten nicht abdrucken, weil keine Druckerschwärze schwarz genug zu finden sei, und meinen, es liege an der Farbe. Sept 18. [Wien] L. F. Schnorr v. Carolsfeld an J. Fr. Rochlitz (GSA 28/75 Bl. 607): Es ist sehr erfreulich zu sehen und zu hören wie denn nun die Wiener auch mehr in Masse anfangen die Werke des unsterblichen Göthe zu lesen und besser zu schätzen, und zu ahnden, welcher Genuß ihnen bevorsteht wenn sie sie auch nach und nach ganz verstehen werden, jemehr man zum Bewußtseyn seiner selbst gelangt jemehr Schönheiten entwickeln sich in diesen Werken von dem Herzen was sich selber kennt und die sanften Anklänge, durch schon selbst Empfundenes erzeugt, werden immer verständlicher und dadurch genußreicher, im Faust liegen Schätze verborgen die wohl selber noch gehoben werden mögen indem die Bedingung so oft fehlt. Mein großes Gemählde, welches eine Scene aus diesem unsterblichen Werke festhält,4) gewahrt mir . . . einen unendlichen Genuß; − wenn ich Ihnen sagen könnte, wie sehr ich fühle was ich gewagt habe! Wenn ich würde sagen müssen: Du kannst nicht mehr: Du mußt fertig seyn −, wenn ich mit etwas fertig zu seyn und verbessert zu haben glaube, so ists mir doch als wäre ich nur auf eine etwas höhere Sprosse getreten um mich immer mehr und mehr zu überzeugen, daß die Leiter die mir der Schöpfer mitgab zwar ein Ende ihrer Länge hat die Aussicht aber auf derselben ins Ewige geht. Haben Sie alle den innigsten Dank für die so wohlthuende Theilnahme und für die Liebevollen Hände die Sie uns reichen den Himmel näher hinan zu steigen, und das kann wahrhaft erfreuen und alle Schwierigkeiten die Zunder zerstieben was guten Menschen reinen Genuß gewährt und ihm Seelen mit Unendlichen erfüllt – ja die Kunst ist unendlich wie die Seelen aus denen sie quillt und zu denen sie geht!! 26. [Berlin] J. G. Schadow an G (GSA 28/75 Bl. 601): In unseren Künstlerverein wurden vorgestern die Blätter von Cornelius u. Ruscheweih ausgelegt der Faust Scenen enthaltend. Es ist doch Manches gar schöne, u nimmt bei Betrachtung dermassen ein daß 1

) s. oben Nov 1816: H. Meyer, Neu-deutsche religios-patriotische Kunst. ) Hendrik Goltzius (1558−1616/17), ndl. Maler, Kupferstecher u. Formschneider. 3 ) Abb. Titelblatt u. Nachtstück. Strasse vor Gretchens Thüre in Neubert 96 u. 100. 4 ) Faust und Mephisto (im Studierzimmer), 3,06m : 2,47m; gestochen v. C. Rahl. In: Goethe: Werke. Bd 9. Wien u. Stuttgart 1817, S. 1; Abb. in Neubert 117. 2

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die Critik schweigt. Insbesondere schienen mir die beiden Blatt, auf welchen die Figuren am kleinsten sind, die einnehmendsten. Unter den Grösseren kommen freilich Difformitäten und Unverhältnisse vor; Immer aber ist das Talent sichtbar u. das Gantze zu loben.

Okt 12. [Venedig] Byron an J. Murray (Marchand 5, 268): [Defending his originality in Manfred] I never read ⎯ & do not know that I ever saw ⎯ the „Faustus of Marlow“ and had & have no Dramatic works by me in English ⎯ except the recent things you sent me; ⎯ but I heard Mr. Lewis translate verbally some scenes of Goethe’s Faust (which were some good & some bad) last Summer ⎯ which is all I know of the history of that magical personage . . . 13. An Knebel (Br 28, 277f.): Die wunderbarste Erscheinung war mir diese

Tage das Trauerspiel Manfred von Byron,1) das mir ein junger Amerikaner [T. Lyman] zum Geschenk brachte.2) Dieser seltsam geistreiche Dichter hat meinen Faust in sich aufgenommen und für seine Hypochondrie die seltsamste Nahrung daraus gesogen. Er hat alle Motive auf seine Weise benutzt, so daß keins mehr dasselbige ist, und gerade deshalb kann ich seinen Geist nicht genug bewundern. Diese Umbildung ist so aus dem Ganzen, daß man darüber und über die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit mit dem Original höchst interessante Vorlesungen halten könnte; wobey ich freilich nicht läugne, daß einem die düstre Gluth einer grenzenlosen reichen Verzweiflung denn doch am Ende lästig wird. Doch ist der Verdruß, den man empfindet, immer mit Bewunderung und Hochachtung verknüpft.3) Sobald unsere für diesen Mann passionirten Frauen4) das Werk verschlungen, soll es dir auch zu Theil werden. 20. [Venedig] G. Ticknor Tagebuch (GJb 1884, 223): Lord Byron erzählte mir beiläufig, dass M. G. Lewis ihm Goethes Faust aus dem Stegreife übersetzt habe, und dies erklärt die Aehnlichkeit zwischen jener Dichtung und „Manfred“, für welche ich vorher keinen Grund finden konnte, da ich wusste, dass er kein Deutsch verstand. 23. [Venedig] Byron an J. Murray (Marchand 5, 270): [Defending his originality in Manfred] . . . It is odd that they should say . . . that it was taken from Marlow’s Faustus which I never read ⎯ nor saw. ⎯ An American [G. Ticknor] who came . . . from Germany ⎯ told Mr. Hobhouse that Manfred was taken from Goethe’s Faust. ⎯ The devil may take both the Faustus’s, German and English ⎯ I have taken neither. Nov 13. [Jena] Knebel an Charlotte v. Schiller (Charlotte Schiller 3, 382): Goethe ist . . . seit einigen Tagen wieder bei uns und besucht uns täglich. Der Hauptgegenstand unsrer Unterhaltungen war meist − außerdem was die Zeit so reichlich mit sich bringt − Lord Byron’s Manfred. Goethe hat es mitgebracht und übersetzt daran − was e r eigentlich

1

) Manfred, a dramatic poem. By Lord Byron. London 1817 mit der hs. Widmung For His Excellency the Minister Von Goethe with the highest respect of His Excellencys most faithful Servant Theodore Lyman of Boston − United States of America; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1493). − Manfred war am 16. Juni 1817 erschienen. 2 ) Erhalten am 11. Okt; Tgb-Eintrag: Nachts Manfred, Tragedy by Byron. 3 ) Bis hierher nahezu wörtliche Übernahme in den Aufsatz Manfred, a dramatic Poem by Lord Byron (W 41.1, 1894−19). 4 ) Ottilie v. Goethe, deren Schwester u. Freundinnen.

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nur geschickt zu Stande bringen möchte. Es ist ein gewaltiger Geist in dem Stück − man möchte fast sagen ein Uebergeist − denn er bändigt die Geister, die ihm häufig in dem Stück erscheinen, und um deren willen das Ganze da zu sein scheint. Man kann nicht zweifeln, daß Lord Byron eine Notiz von Goethe’s Faust gehabt habe, und aus diesem Geist scheint sein Werk entsprungen zu sein. Aber statt daß Goethe das Innere, Gewaltige nach Außen wendet, treibt es der englische Dichter von Außen nach Innen und sucht seine Hölle in sich auf.

Nov 19. [Berlin] A. v. Arnim: Vorrede. In: Doktor Faustus. Tragödie von Christoph Marlowe. Aus dem Englischen übersetzt von Wilhelm Müller. Berlin 1818, XXf.: Dieser ungeheure Mangel, bei dem eben so ungeheuren Hochmuthe, dessen die Wissenschaften unserer Zeit in genialer Ausbildung sich schuldig machten, zeugte in G ö t h e ’ s umfassender Anschauung seinen F a u s t , ihm fehlt alles und doch ist er gegen Gott und Teufel, gegen Liebchen und Schüler, ja sogar gegen sich selbst h o f f ä r t i g ; die alte Fabel wird ihm zu einem Kleide seiner Gedanken von verderblichen Vorzügen in ihm und das Faktum mit dem Teufel, und das Teufelholen, was im Volksschauspiele die Hauptsache, tritt hier, wie ein begleitendes Aeußere gegen den gewaltsamen Sturz und die Kämpfe im Innern zurück. Je weiter das Lüsten nach Wissenschaft sich verbreitet, je höher der Hochmuth der Einzelnen wächst, die etwas geleistet zu meinen glauben, und sich dann vergöttern, je mehr Entbehrung die Wissenschaft fordert, je mehr sich der Genuss in der Wissenschaft ausbreitet, je tiefer wird die ernste Wahrheit von Göthe’s Faust gefühlt werden, und schon beeifern sich Musik und Zeichnung das aus ihm darzustellen, was eigentlich nur Nebensache ist, während die Kunst des Wortes, die S c h a u s p i e l k u n s t , in ihrer Zerstreuung noch immer mit Blindheit an seinem Wesentlichen vorübergeht, das sie allein darzustellen vermag. 26. [Weimar] Charlotte v. Schiller an Caroline v. Wolzogen (Charlotte Schiller 1, 397): Suche dir ja Manfred von Byron zu verschaffen, ich habe nur einen Auszug noch. Es ist aber wunderbar schön, groß und schrecklich zugleich. Soviel von Faust ist darin, und doch wieder so eine lebhaftere menschliche Regung . . . Dez

9. [Jena] Knebel an Charlotte v. Schiller (Charlotte Schiller 3, 385): Byron’s Manfred, Calderon’s Magico [El ma ´gico prodigioso, 1663]; und Goethe’s Faust sind eigentlich nicht in Parallele zu setzen. Letzterer hat wohl zum Manfred eine Idee gegeben − aber wie verschieden doch in der Ausführung − und vom Calderon ist fast gar nichts zu vergleichen. Goethe’s Faust ist eine große Welt- und Menschenansicht, Manfred eine tiefe Geisteransicht, und Calderon eine Liebesgeschichte, mit etwas metaphysischem Geschwätz und Zauberwerk vermischt.

1818 Febr 11. [Leipzig, anonym] Kurze Anzeigen. Osterfeyer. Worte aus Göthe’s Faust. Gesang, mit Begleit. eines Positivs oder Pianoforte. Musik von P. Grönland. In: Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 6 v. 11. Febr 1818, 119f.: Nach kurzer, angemessener, wenn auch sonst nicht ausgezeichneter Einleitung, findet man hier die Chöre jener herrlichen Scene am Ostermorgen, würdig, einfach und mit gründlicher Kunst, vier- und mehrstimmig, nach Art der alten Kirchenhymnen behandelt. März 27. [Leipzig ] E. Schubarth an G (GSA 28/78 Bl. 168): Excellenz, Verzeihen Sie einem jungen Menschen, der dem Drange, an Sie zu schreiben, nicht länger widerstehen kann. Seitdem der Verleger mir angezeigt, daß er den jugendlichen Versuch einer Beurtheilung Ihrer Werke1) an Sie gelangen hat laßen,2) befinde ich mich in einer 1

) Zur Beurtheilung Göthe’s, von Schubarth. Breslau 1818. Die Schubarth zufolge im

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Unruhe und Verlegenheit, deren ich nicht Meister zu werden vermag. Es war nicht mein Entschluß Ew. Excellenz jene Schrift überreichen zu laßen. − Nicht irgend ein Dünkel hat mir diese Entschließung verwehrt, nein, Scheu war es, die mir so zu thun eingab. Doch da nun von andern ausgeführt worden, was ich mir nicht erlauben mochte, überlege ich, ob es nicht thörichtes Bedenken sei, ferner in einer Entfernung von Demjenigen zu beharren, Den ich so hoch verehre, Der mir die reinsten Freuden des Lebens gewähret; und dem ich fast das ganze Bewußtsein über die Welt verdanke, indem ich an Ihm zu dem Schönsten, was ich bekenne, mich herangebildet? Freilich du fürchtest, daß Ihm mißfallen haben möchte, was du gethan hast; fürchtest, daß Ihn die Verwegenheit erzürnt haben könnte, mit der du an die Deutung desjenigen dich gewagt, was noch keinem aller mitlebenden Erwachsenen gelungen ist, und was Er Selbst zu vollbringen endlich sich entschloßen hat. Doch liebt er die Jugend − gestehe es dir nur, was du weist − und Selber Seiner Jugend voll, bedenkt er gewiß, welcher Nachsicht der Jüngling bedürfe wie immer, so besonders zu diesen Zeiten, wo die Verworrenheit streitender, hadernder Partheien der Jugend reine Entwicklung nicht begünstigt. Und so habe ich mir zuletzt ein Herz gefaßt, Ew. Excellenz in gegenwärtigem Schreiben mit der Bitte um einen Ausspruch anzugehen, ob in Ihren Augen jenes jugendliche Unternehmen einige Entschuldigung findet und sein Urheber den Trost schöpfen dürfte, nicht alles verfehlt zu haben, wenn auch nicht alles als haltbare Meinung sich zu bewähren im Stande ist.

Apr

2. [Jena] An E. Schubarth (Konzept; Br 29, 121): Ihr Büchlein, mein

Werthester, das Sie mir anmelden, ist noch nicht zu mir gekommen; Freunde jedoch sprachen günstig davon, ohne mich im Besonderen aufzuklären. Da Sie nun in einer Art von Sorge zu seyn scheinen wie ich es aufnehmen könnte; so halte ich für Pflicht Sie durchaus zu beruhigen. [nach 9.] [Weimar] Amalie Henriette Caroline v. Voigt an G (GSA 28/78 Bl. 227): Ew. Excellenz werden gütigst verzeihen, daß ich so spät erst die mir gütigst geliehenen Bücher zurücksende . . . Manfred scheint mir alle Vorzüge und Mängel der Byronschen Muse in sich zu vereinen; soviel ichs nämlich so schlichthin zu beurtheilen vermag. Vermuthlich würde mich aber das Zerrissene und Grelle in diesem Erzeugniß des genialen Dichters nicht so grob gedünkt haben, wenn Manfred mich nicht an Faust erinnert hätte, der ja beweißt daß auch das Schreckliche mit der Anmuth sich vereinen lasse, und der wahrhafte Kenner überall Harmonie zu erhalten wisse.

Sommer 1817 verfaßte Schrift enthält: 1) Vorwort, S. V−X; 2) Ueber Werthers Leiden, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Faust, die Wahlverwandtschaften, Pandora und Torquato Tasso, S. 11−30; 3) Anhang [über Mephistopheles], S. 31−38; 4) Selbstbeurtheilung, S. 39−45; 5) Anmerkungen und Belege, S. 46−140; Das Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, 33 (1818) 400−17 enthält ein Supplement u. d. T. Nachträge über Göthe’s Faust. − Mit Schubarth setzt der erste wissenschaftliche Versuch ein, Goethes „Faust“ seinem ganzen Umfange nach, soweit er jeweilig vorlag, zu erklären. Er ist sonach der eigentliche Begründer der Faustphilologie, und zwar der philosophisch-allegorischen geworden, die die Faustdichtung unbefangen, d. h. unkritisch hinnahm. (Hans Titze: Die philosophische Periode der deutschen Faustforschung (1817−1839). Ein Beitrag zur Entwicklung der deutschen Faustphilologie. Greifswald 1916, 33); vgl. auch A. R. Hohlfeld: Karl Ernst Schubarth und die Anfaänge der Fausterklärung. In: A. R. Hohlfeld: Fifty years with Goethe 1901−1951. Medison 1953, 29−60. 2 ) Zu diesem Zeitpunkt hatte G das Werk noch nicht erhalten; vgl. nachfolgendes Z.

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Apr 10. [Leipzig, anonyme Rez.] Umrisse zu Göthe’s Faust, gezeichnet von Ret[z]sch. Stuttgard u. Tübingen, in der Cottaischen Buchhandlung. 1816. In: Leipziger Literatur-Zeitung Nr. 91 v. 10. Apr 1818, 724−26.: Wohl wenige Werke der Dichtkunst, der Deutschen, wie der Ausländer, tragen so reichen Stoff für die Kunst des Zeichners und Mahlers in sich, als Göthe’s Faust, das eigenthümlichste Werk der Deutschen und des Dichters, das gleich einem mächtigen Dom altdeutscher Baukunst emporstrebt und indem es den Geist durchdringt, auch das Herz erhebt . . . Wie sollte der fühlende Künstler ein solches Werk vorübergehn, ohn von ihm ergriffen zu werden? . . . Der Künstler der vor uns liegenden Blätter hat brav gearbeitet, ob wir wohl glauben, dass er nicht allen Gnüge leisten wird. Man kann die Ausstellung machen, dass unter der bedeutenden Anzahl Bilder, einige den Gegenstand nicht ganz bestimmt darstellen und in Rücksicht auf Faust und seine Umgebungen nicht genug ausgezeichnet sind, sondern auch auf andere ähnliche Handlungen passen, wie das vierte Blatt, wo Faust dem Teufel sich verschreibt, das achte Blatt, Faust’s erste Zusammenkunft mit Gretchen, das neunte Blatt, Margarethens Selbstgepräch über Faust, die hier überdiess zu jung und schön vorgestellt ist, das elfte Blatt, Gretchen den gefundenen Schmuck betrachtend, das funfzehnte Blatt, Gretchens Hingebung an Faust. Auf dem zweyten Blatte, Wagner und Faust den schwarzen Pudel zuerst erblickend, sollte Wagner, nach dem Gespräch mit Faust zu urtheilen, eine mehr unterthänige Stellung haben und beyde sollten sich auf einer Anhöhe befinden. Auch ist hier der Hund kein Pudel, was er doch seyn soll. Das dritte Blatt gibt Faust in seinem Zimmer, in dem Augenblicke, wo der Pudel sich verwandelt, und hier möchte Faust wohl zu gleichgültig, zu wenig ergriffen von der Verwandlung erscheinen. Gretchen von der Mater dolorosa, auf dem siebzehnten Blatte, ist zu theatralisch gestellt, ihrer Zartheit nach müsste sie, meinen wir, mit mehr Innigkeit die Blumen darreichen. In der Kirche auf dem achtzehnten Blatte, verliert sich Gretchen zu sehr unter die übrigen Betenden. Auf dem letzten Blatte, die letzte Scene aus Faust, scheint uns Gretchen verfehlt und man sieht in ihr nicht die Arme, Verführte, die, von schrecklichen Bildern geängstigt, sich Gottes Gericht übergibt.1) Nicht um zu tadeln, geben wir diese Bemerkungen, aber wir glauben, dass sie auch andern beyfallen. Wir dürfen aber auch nicht unbemerkt lassen, dass mehrere dieser Darstellungen gut gearbeitet sind, und mit wohlgeordneter Zusammenstellung richtige Zeichnung und Ausdruck vereinen, auch findet sich da, wo der Künstler von der Phantasie hingerissen werden konnte, bey der Hexenküche, und der Blocksbergsscene, keine Uebertreibung. Bey grossen Zusammenstellungen wird freylich dadurch, dass die Zeichnungen nur in Umrissen gegeben sind, manches nicht ganz deutlich und bey vielen geht die Wirkung verloren, worauf es berechnet ist, und die, ausgeführt, bedeutende Bilder geben würden. Um den beygefügten Text nicht zu übergehn, gedenken wir nur, dass darin die Stellen des Gedichtes ausgezogen sind, welche die Zeichnungen erklären. Mai

1. [Jena] An S. Boissere ´e (Br 29, 159): Das Schicksal indem es mir die

Anordnung der akademischen Bibliothek überwies scheint sich wegen des Faustischen Monologs und jener frevelhaften Geringschätzung alles Wissens rächen zu wollen. Wir müssen suchen auch hier durchzukommen. Bey Gelegenheit von Faust fällt mir ein zu fragen: ist Ihnen denn wohl das Trauerspiel Manfred von Lord B y r o n in die Hände gerathen? für mich war es höchst merkwürdig zu sehen wie er meinen Faust kennt und nach seiner eigenen Weise hypochondrisch misanthropisch umarbeitet. Wenn ich zugleich versichere daß ein außerordentlicher Geist, großes Talent, Durchdringen der Welt und Selbstbe1

) Die einzelnen Zeichnungen s. in Neubert 103−12.

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wußtsein darin waltet, so wird man, wollte man mir auch gerade zu nicht glauben, doch auf dieses Produkt aufmerksam werden. Mai 18. [Frankfurt] F. Schlegel an Dorothea Schlegel (Der Briefwechsel Friedrich und Dorothea Schlegels 1818–1820 während Dorotheas Aufenthalt in Rom. Hsg. v. Heinrich Finke. München 1923, 36): Wilhelm [A. W. Schlegel] sah auch die Zeichnungen zum Faust von Cornelius zum erstenmal,1) und war über die Maßen davon eingenommen, sich in großen Lobeserhebungen ergießend. 20. [Berlin] A. v. Arnim an G (SchrGG 14, 155): Ew. Excellenz übersende ich die Übersetzung des altenglischen Faust in Auftrag des abwesenden Übersetzers2). Die Richtung aller neueren europäischen Kunstbildung zur Vorzeit hat auch dieses Denkmahl vorshakespearischer Kunst in England wieder ans Licht gefördert. Da es die wahrscheinliche Quelle des deutschen Volksschauspiels ist, so spricht es uns nicht fremdartig an, aber freilich ists Grandioser im Ernst, auch leuchten einige der Sterne darin, die bey der Geburt Shakespeares schienen und die im Puppentheater allmälig untergingen. Eine Frage wirft sich dabey auf, woher es gekommen, daß Shakespeare, der so viele ältere Komödien neu bearbeitete, nicht auch den Faust sich aneignete? Der Stoff scheint ihm nicht fern zu liegen. Hatte Marlowe damals noch zu viel Ruhm, war das Stück allzu bekannt und gleichsam abgenutzt? Das alles konnte ich in der Vorrede nicht berühren, ohne die Grenzen zu überschreiten. Juni 10. [Jena] Zur Beurtheilung Goethe’s von Schubarth, Breslau.3) 11. [Jena] D.[oktor] Faust von Marlowe.4) 23. [Jena] An Ottilien das Heft von Schubart.5) 23. [Leipzig] E. Schubarth an G (GSA 28/829 St. 1): Gnädigster Herr! Ich fürchte zwar fast, daß mein früheres Schreiben an Ew. Excellenz [vom 27. März 1818] das Mißfallen Ew. Excellenz erregt hat. Nichtsdestoweniger finde ich mich gedrungen, mir die Freiheit nochmals zu nehmen, Ew. Excellenz durch gegenwärtiges Schreiben ein kleines Manuskript vorzulegen. Was mich zu solchem Schritte veranlaßt, ist das unüberwindliche Verlangen über einen Gegenstand ins Klare zu kommen, von dem ich mir mit aller Anstrengung nicht die Einsicht zu verschaffen im Stande bin, ob ich auf rechtem Wege dabei wandele, oder dem größten Irrthum preißgegeben bin. Ich wüßte nämlich nicht zu sagen, nachdem ich zur Lesung der dichterischen und wißenschaftlichen Werke Ew. Excellenz gelangt, wie es gekommen, daß ich unaufhaltsam fortgerißen worden bin, und mein ganzes Sinnen und Denken, bald bewußt sich hierauf gerichtet, bald unbewußt von dem Entferntesten darauf hingelenkt worden. Wenn ich bei meinem unüberwindlichen Triebe nach vielen Seiten mich auszubreiten während des zweijährigen Aufenthalts an der Breslauer Universität mich in den verschiedensten wissenschaftlichen Regionen herumbewegte, Philosophisches, Theologisches, Naturwissenschaftli-

1

) P. Cornelius: Bilder zu Goethe’s Faust. Zwei Hefte zu je vier Blatt. Gestochen von F. Ruscheweyh. Frankfurt 1816. 2 ) Doktor Faustus. Tragödie von Christoph Marlowe. Aus dem Engl. übers. von Wilhelm Müller. Mit einer Vorrede von Ludwig Achim von Arnim. Nebst einem Steindr. Berlin 1818; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1510). 3 ) Ob G die Schrift vom Verleger J. Max in Breslau erhalten, oder sich selbst besorgt hatte, ist ungeklärt; ein Begleitschreiben liegt nicht vor. Doch belegt eine Rechnung, daß G kurz vor seiner Abreise nach Karlsbad die Schrift damals käuflich erwarb; s. unten 20. Juli 1818. 4 ) s. oben 20. Mai 1818: Arnim an G. 5 ) Dank für den Empfang am 24. Juni (GSA 28/78 Bl. 385f.; RA 8 Nr. 355).

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ches, Geschichtliches aller Art und zunächst auf antikes und deutsches Alterthum Bezügliches hintereinander abwechselnd ergriff, und nach meinem Vermögen zu verarbeiten suchte, so war der Schluß, daß ich die aus diesen mannichfachen Bemühungen gewonnenen Ergebniße auf irgend eine Art mit der Denk- und Gesinnungsweise, die mir aus Ew. Excellenz Werken nach meiner Faßungskraft entgegentrat, in Verbindung brachte. Hierbei verfuhr ich auf die leidenschaftlichste Weise, so daß ich unter meinen Bekannten und Freunden mir manchen Widerspruch, ja von geliebten älteren Personen offenen Tadel zuzog. Dies trieb mich zuletzt, so gut ich es vermochte, jenes bekannte Büchelchen über die Hauptwerke Ew. Excellenz abzufaßen, um mir nicht nur selbst eine Rechenschaft des Beabsichtigten zu geben, sondern auch meine Widersacher wo möglich zu widerlegen . . . [Beilage] Ueber die Teufelsvorstellung im Mittelalter1) Durch Göthe’s Faust ist die Teufelsvorstellung des Mittelalters wieder zu Ehren gebracht, indem es in der Absicht des Faust zu sein scheint, den Grund jener Erscheinung aufzudecken, deren Wirkungen das Mittelalter recht gut kannte, und in der bekannten abstrusen Weise bezeichnete. Daß nämlich der Teufel der Widersacher des Menschen sei, der unaufhörlich bemüht ist, die von Gott vorgezeichnete Ordnung auf alle Weise zu unterbrechen, daß er den Menschen unter lügnerischen, ein Höheres versprechenden Täuschungen und Blendwerken beständig verführen und aus dem gewohnten Gleise herauslocken mag, kurz daß er der Urquell von allem Uebel, Widrigen und Bösen ist, was dem Menschen begegnen kann, dies lag in der Vorstellung vom Teufel des Mittelalters. Es dachte sich ihn als einen gefallenen Engel des Lichts, der von seiner vorigen höchsten Erkenntniß des Wahren und Rechten unaufhörlich den Gebrauch mache, sie zum Verkehrten, zum Verderben, zum Unheil anzuwenden, und die Gottheit, obwohl unendlich mächtiger als er, laße ihn walten, indem sie sich seiner als eines Strafwerkzeuges bediene, diejenigen geschaffenen Naturen durch ihn züchtigen zu lassen, die von ihrer gottgegebenen, gottvorgeschriebenen Ordnung abweichen. Sie verfallen nämlich durch diese Abweichung unbedingt in des Teufels Macht. Das nordische Phantom des frühern Glaubens, seinen Grund und Ursprung, hat nun G ö t h e dadurch aufgehellt, indem ihm durch anhaltende, meist naturwissenschaftliche Beobachtungen der Gegensatz eines S t r e b e n d e n und eines H e m m e n d e n als die Grundbedingung und Grundform aller Phänomene der erscheinenden Welt, wodurch dieselben wo nicht werden, doch ihre Gestalt, ihr Leben erhalten und fördern, klar geworden ist. Ich mag aus der Farbenlehre die hierher gehörige Stelle abschreiben. [Zitat aus Zur Farbenlehre. Didaktischer Theil Ausg. A, Bd 20 (1812) XIff. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht bis benutzen mag.]2) Und so ist im F a u s t diese Sprache, diese Symbolik als Gleichniß, als nahverwandter Ausdruck, als unmittelbar passendes Wort in jenem wunderlichen symbolischen Wesen M e p h i s t o p h e l e s für die höchsten Fälle der Erscheinungswelt gebraucht, indem sie nämlich hier nicht bloß wie in den Stellen zur F a r b e n l e h r e , auf die p h y s i s c h e Welt der Körper eingeschränkt und zunächst von dieser gebraucht ist, sondern für die s i t t l i c h e Welt der Menschen in höherem Umfange und größerer Ausdehnung angewandt wird. Auch hier nämlich bewegt sich alles Leben gleichfalls um jene Gegensätze eines Strebenden und Widerstrebenden, Vordringenden und Mäßigenden, und auf diese Weise erhält es sich, pflanzt es sich fort, wie es entsteht und vergeht, wenn es diesen heterogenen Elementen seiner Existenz und ihrer Urform des Gegensatzes sich entzieht, und einseitig in eines dieser Elemente, wie in eine Richtung des ursprünglichen Gegensatzes hineingeräth. Schon 1

) Den Aufsatz Ueber die Teufelsvorstellung im Mittelalter nahm Schubarth 1820 in Bd 2 der Neuausgabe von Zur Beurtheilung Goethe’s auf; s. unten 21. Aug 1820: Tgb; er erschien auch im Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode (34) 1819, Jan, 8−16; hier zusammen mit der Studie Gegenstände, welche die Darstellung im Faust bedingen (16−25). 2 ) Vgl. LA I 4, 4.

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in der Farbenlehre heißt es: [Zitat aus Zur Farbenlehre. Didaktischer Theil Ausg. A, Bd 20 (1812) X Eben so entdeckt sich bis Verhältnisse offenbart]1) Hier haben wir doch wohl bereits in diesen physischen Elementen für die sittliche Welt jenen Gegensatz von Ve r n u n f t und N i c h t v e r n u n f t − oder auf höhern Stufen als U n v e r n u n f t zu bezeichnen − eingeleitet, wodurch dieselbe sich, sein Dasein für die physische Welt kund gibt und äußert in jenen Effecten vom l e i d e n s c h a f t l i c h s t e n S c h r e i bis zum s a n f t e s t e n Wo r t e d e r Ve r n u n f t . Und so bezeichnet auch gleich von vorn herein F a u s t selbst das ganze Wesen des M e p h i s t o p h e l e s in dem angedeuteten Sinne in folgenden Worten: [Zitat 1379−83] In diesen Worten ist M e p h i s t o p h e l e s als die ungleiche gegenwiegende Kraft im Universum bezeichnet,2) wie er denn selbst diesen Character bestimmt ausspricht in jenen Worten: [Zitat 1338] Vollends aber können wir, indem Mephistopheles in jenem Wirken in „Stürmen, Schütteln, Brand“, in jenem Walten im „Trockenen, Feuchten, Kalten“ unzweideutig als jener für die physische Welt geltende Gegensatz nach ihrem Leben des ewigen Aus- und Einathmens, des Zusammenziehens und Ausdehnens genugsam sich angibt, die ganze Terminologie der F a r b e n l e h r e heranziehen, und indem wir sie von dem höchsten physischen Gipfel, für den sie in der F a r b e n l e h r e angewandt ist, für eine höhere Sphäre fortsetzen, das Wesen des Mephistopheles in seinem gesammten weiteren Umfange dergestalt bezeichnen: Er ist nämlich jenes Minus, jenes Abstoßende, jenes Widerstrebende, Zurückhaltende von den untersten gröbern Erscheinungen der physischen Welt bis zu jenem höchsten geistigen Gipfel derselben, wo er als der Gegensatz von N i c h t l i c h t mit dem L i c h t , demselben entgegenwirkend durch Vermischung und Durchdringung in den verschiedensten Graden, jene unendliche Pracht der Farbenwelt erzeugt, in welcher sich die physische Welt in ihrer Macht und Gewalt dem verwandten Organ, dem höchsten Organ, was sie erschaffen, an die Menschenwelt aber überliefert hat, und in dieser besitzt, offenbart. Dann aber springt er, verwandelt, von diesem höchsten geistigen Gipfel der physischen Welt in die zunächst anstoßende, noch höhere sittliche Welt des Menschen hinüber, und wirkt hier unter der neuen Form als Gegensatz von N i c h t v e r n u n f t von einem Untersten bis zu einem Höchsten, eine unendlich mannichfache Stufenfolge durchschreitend, gleichwie er früher in der physischen Welt durch unzählige Formen bis zur höchsten derselben gesteigert, als N i c h t l i c h t jene unendlich mannichfachen Phänomene der Farbenwelt hervorrief und entschied. Und wie er hier in einer Stufenleiter jene wundersamen zarten Farbenphänomene vom höchsten Schmelz der Farbe bis zum niederträchtigsten Grau gewirkt hat, und noch wirkt, so ist er auf dieselbe Weise in noch unendlicherer größerer Mannichfaltigkeit und Abstufung als die entgegenwirkende Grundbedingung, als die von der einen Seite bewegende Kraft, der Urheber von den schönsten, reinsten, allerklarsten Erscheinungen der sittlichen Welt bis zu den schmutzigsten, niederträchtigsten, dunkelsten und abgeschmacktesten derselben. Das W i e dieser Stufenfolge darzustellen ist die Aufgabe der gesammten übrigen Ausführung des F a u s t , und seiner mannichfaltigen Scenen, und es ist von dem Verfasser des Gegenwärtigen an einem andern Ort bereits darauf hingewiesen worden. 1) So sei es denn hier nur erlaubt unsere Leser auf einen Commentar von G ö t h e selbst zu verweisen, aus dem sie sich weiteren Rath erhohlen mögen. Ich meine nämlich jene gereimten Distichen, die unter der Ueberschrift : G o t t , G e m ü t h u n d We l t in der neuen Ausgabe G ö t h e s c h e r Werke hinzugekommen sind. [W 2, 313–20] Wie man hier Göthe’s gesammte theologische, philosophische, naturwissenschaftliche Ansicht 2), soweit sie sich aus steigenden Verhältnissen der physischen Welt nach und 1

) Vgl. LA I 4, 3. ) Über Schubarths Sicht auf Mephistopheles schreibt Scholz 1892, 3: In dem Teufel erblickt er nur die Zuchtrute, welche die „menschliche Halbheit“ bestrafen und die „sittliche Ganzheit“ herbeiführen soll, so daß Teufel und Engel in dem großen Haushalt Gottes zu einer wunderbaren Harmonie zusammenstimmen.

2

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nach entwickeln läßt, bis zu jenem höchsten überweltlichen und übermenschlichen Gipfel, den der Mensch von vorn herein sogleich unbedingt ahndet, und wo der Beschluß von allem liegt, heraufgebracht und mit ihm verbunden findet; so stehe für K u n d i g e die Bemerkung hier, daß ich glaube, wofern mich nicht alles täuscht − so wie S h a k e s p e a r e nach G ö t h e ’ s Analyse die antike Welt mit der modernen auf eine überschwängliche Weise in ihrer höchsten sittlichen Ansicht verknüpft hat − so habe Göthe jenes antiker Gesinnung mehr gemäße S p i n o z i s t i s c h e System mit dem der modernen Denkweise ebenso besonders zusagenden T h e i s m u s auf das überraschendste vereinigt, und jenes nach aller bisherigen Philosophie unmöglich Scheinende auf einem ganz eigenen Wege zum erstenmal geleistet. Zu dem Ende sage ich noch, daß wenn man jenes reimzeilige Distichen-Gedicht durchläuft, man den modernen Theismus als Gipfel an die Spitze gestellt, das andere entgegengesetzte System der Nothwendigkeit, des Gesetzlichen, des in Maaßen und Schranken Gehaltenen als Basis, als Natur, als die Welt behandelt, und seine widerstrebenden Seiten und Pole, unter der physischen Formel von Licht und Nichtlicht auf ihrem höchsten Gipfel bezeichnet, am Schluß des Gedichts, und hier zugleich in der Bedeutung als am Ende der Welt und Natur, friedlich auseinander gehalten und geschlichtet finden wird. Wodurch denn dies Ende dem Anfange verwandt wird, wo die hehre, große, volle übermächtige Einheit, die nichts Kämpfendes, Widerstrebendes duldet, unerkannt und unbegreiflich in unerschöpftlicher Weise waltet, und alles hebt und trägt, und zu sich heranfordert, wie sie allem dem Ursprung gab. Und so ist denn die Welt an den Himmel, die Natur an die Gottheit, das Viele an das Eine, das Endliche an das Unendliche geschloßen und gereiht und befestigt. Anmerkungen. 1. b e r e i t s h i n g e w i e s e n w o r d e n . ) In der kleinen Schrift: Z u r B e u r t h e i l u n g G ö t h e ’ s , und in einem Aufsatz, erst neulich an die Redaction des M o r g e n b l a t t s abgesandt, und welcher N a c h t r ä g e über den F a u s t enthält1) . . . 2) t h e o l o g i s c h e , p h i l o s o p h i s c h e , n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e A n s i c h t . . . Leipzig den 20ten Juni 1818. [Formal als Anmerkungen zum Text behandeln

Juli

⎯ [Weimar] Schubarth: Nachträge über Göthe’s Faust. In: Journal des Luxus und der Moden 33 (1818), Juli, 400f.: Indem ich alles, in dem Versuch zur Beurtheilung Göthe’s über den Faust Niedergeschriebene2) nochmals durchlaufe, muß ich mir bekennen, wie Vieles noch hinzuzufügen bleibt, ehe der Plan dieses unermeßlichen Drama nur einigermaßen vollständig enthüllt seyn wird. Mögen die folgenden Nachträge den bereits Beigebrachten zu einer Ergänzung dienen . . . 8. [Weimar] An E. Schubarth (Br 29, 227ff.): Ihre beiden Briefe [vom 27.

März u. 23. Juni 1818], mein Werthester, habe wohl erhalten und in der Zwischenzeit Ihr Heft gelesen, da ich denn Ursache finde, mich für den Antheil, den Sie mir und meinen Arbeiten gegönnt, dankbar zu erzeigen. Dieses wüßte ich vorerst nicht besser zu thun als daß ich . . . Sie ersuche, auf dem Wege, den Sie eingeschlagen, standhaft zu verharren . . . Verharren Sie bey’m Studium meines Nachlasses: dieß rathe ich, nicht weil er von mir ist, sondern weil Sie darin einen Complex besitzen von Gefühlen, Gedanken, Erfahrungen und Resultaten, die auf einander hinweisen, wie Sie schon selbst so freundlich und einsichtig dargestellt haben . . . Freilich weiß ich wohl, daß Sie mit der Welt in Widerspruch stehen, die auf dem großen Jahrmarkt des Tages Zeit und Kräfte verzettelt; deswegen thäte man wohl, zu schweigen und für sich 1 2

) Nicht ermittelt. ) Zur Beurtheilung Göthe’s, von Schubarth. Breslau 1818.

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fortzuhandeln, wenn Mittheilung zum Leben und Wachsen nicht so höchst nöthig wäre. [Juli]

Juli

[Jena] Eine Goethe-Erinnerung, aufgezeichnet von L. v. Schroeder (GG III/I, 124, Nr. 4714): Moritz Seebeck . . . lebte − wie er mir erzählte − als Knabe mit seinem Bruder zusammen in Pension bei dem alten Major Knebel . . . Nicht selten kam Goethe zum Besuch zu Knebel, und wenn es des Abends geschah, dann war den beiden Knaben erlaubt, auch nach dem Abendessen noch sitzen zu bleiben und . . . der Unterhaltung Goethes zu lauschen . . . «Einstmals» − so erzählte nun Seebeck weiter − «war ich auf kurze Zeit nach Nürnberg verreist gewesen, und als dann Goethe das nächste Mal wieder zu Knebel kam, wendete er sich an mich mit der Frage: ‹Nun, was bringen Sie uns denn Neues aus Nürnberg?› ‹Neues gerade nichts, Excellenz›, erwiderte ich, ‹aber ein Altes, was vielleicht doch nicht ganz ohne Interesse ist. Ich habe in Nürnberg bei zwei Freunden gewohnt. Der eine heißt Faust und der andere Teufel, und ich kann berichten, daß sich die beiden im besten Einvernehmen miteinander befinden.› Als Goethe das hörte, da lächelte er, sah mich ganz besonders freundlich an, streichelte mich mit der Hand mehrmals von der Schulter an über den Arm herunter, und sagte sichtlich angenehm berührt: ‹Hübsch, hübsch, hüsch!›» Des alten Seebeck Augen strahlten, wie er diese Worte Goethes in dessen Tonfall wiederholte und mir dabei den Arm von der Schulter herunter streichelte, so wie einst Goethe ihn gestreichelt hatte.

20. [Jena] Sammelrechnung der Buchhandlung Croeker in Jena vom 26. Okt 1819 (GSA 34/ XXX, 3, 1 Bl. 298): 1818 Juli 20 Schubarth Beurtheilung Goethes für 16 gr.

Aug 10. [Karlsbad] Nach Tische F a u s t . Abends Vorlesung bey Fürst Jos.[ef]

Sch.[warzenberg]. Herbst/Frühj. 1819 [Bonn] A. W. Schlegel: Geschichte der Deutschen Sprache und Poesie. Vorlesungen, gehalten an der Universität Bonn seit dem Wintersemester 1818/19. Hsg. v. Josef Körner. Berlin 1913, 161: Vo l k s b ü c h e r . Verachtung, worein sie im 18ten Jahrhundert gesunken waren. Vergeblicher Versuch unanstößige, lehrhafte Bücher zu substituiren. − Goethe giebt den ersten Anstoß durch seinen F a u s t . Okt 21. [Weimar] Paq.[uet] an Grafen Paar nach Wien (. . . auch einige ge-

schriebene Blätter von Schubarth).1) [21.] An J. B. Graf v. Paar (Konzept; Br 29, 315): Da ich bey unsern leider nur allzu kurzen Verhandlungen [vom 2.−16. Aug in Karlsbad] bemerken konnte, daß du manchen Aufschluß über meine oft diplomatischen Dichtungen verlangtest womit ich nicht allsogleich zu Handen war, so sende ich einige schriftliche Äußerungen des jungen Mannes [Schubarth], der auf eine eigensinnige Weise sich mit meinen Productionen beschäftigt und dessen Bemerkungen wenn sie auch nicht immer

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) Aus des Grafen Paar Brief an G vom 6. Jan 1819 geht hervor, daß es sich um Schubarths Aufsatz Gegenstände, welche die Darstellung im Faust bedingen handelt. − Zum Jahr 1818 existieren im GSA Schubarths Briefe an G vom 27. März, 23. Juni u. 11. Dez; doch muß Schubarth, wie der Brief des Grafen Paar nahelegt, etwa Sept/Okt 1818 noch einen Brief mit dem o. g. Aufsatz geschickt haben. Beides ging offenbar ohne Bitte um Rücksendung nach Wien u. ist daher nicht im GSA. Der Aufsatz ist abgedruckt in Bd 2 der Neuausgabe von Zur Beurtheilung Goethe’s; s. unten 21. Aug 1820: Tgb.

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buchstäblich zu nehmen sind, doch immer aufklärend und aufregend schätzbar bleiben.1) Nov 17./ Bei Allerhöchster Anwesenheit Ihro Majestät der Kaiserin Mutter Maria Dez 15. Feodorowna in Weimar Maskenzug (W 16, 239f.; 285−87): Das Personal von F a u s t gibt Anlaß zu einem umgekehrten Menächmenspiel.2) Hier sind nicht Zwei, die man für Einen halten muß, sondern Ein Mann, der im Zweiten nicht wieder zu erkennen ist. F a u s t als D o c t o r , begleitet von Wa g n e r ; F a u s t als R i t t e r , G r e t c h e n geleitend. Die Z a u b e r i n , die das Wunder geleistet, mit glühendem Becher, tritt zwischen beiden Paaren auf. M e p h i s t o p h e l e s verläßt M a r t h e n , um seine Gesellschaft selbst zu exponiren. Er deutet auf eine zweite Erscheinung. Zum Zeugniß, daß dieß alles in heiterer gewohnter Welt vorgehe, ist noch frische J u g e n d damaliger Zeiten vorgeführt . . . F a u s t . M e p h i s t o p h e l e s tritt vor. Wie wag’ ich’s nur bei solcher Fackeln Schimmer! Man sagt mir nach ich sei ein böser Geist, Doch glaubt es nicht! Fürwahr ich bin nicht schlimmer Als mancher der sich hoch-fürtrefflich preis’t. Verstellung sagt man sei ein großes Laster, Doch von Verstellung leben wir; Drum bin ich hier, ich hoffe nicht verhaßter Als andre jene, vor und hinter mir. Der kommt mit langem, der mit kurzem Barte Und drunter liegt ein glattes Kinn, Ein Sultan und ein Bauer gleich von Arte Verstellen sich zu herrlichstem Gewinn Euch zu gefallen. So, den Kreis zu füllen, Komm’ ich als böser Geist mit bestem Willen. Denn böser Wille, Widerspenstigkeit, Verwirrung Der besten Sache fährdet nicht die Welt, Wenn scharfes Aug’ des Herrschers die Verirrung Stets unter sich, in kräft’ger Leitung hält; Und wir besonders können sicher hausen, Wir spüren nichts; denn alles ist dadraußen. Nun hab’ ich mancherlei zu sagen, Es klingt beinah wie ein Gedicht; Betheur’ ich’s auch, am Ende glaubt Ihr’s nicht, So muß ich’s denn wie vieles andre wagen. Hier steht ein Mann, ihr seht’s ihm an, In Wissenschaften hat er g’nug gethan, Wie dieses Vieleck das er trägt Beweis’t, er habe sich auf vielerlei gelegt. Doch da er Kenntniß g’nug erworben, Ist er der Welt fast abgestorben. Auch ist, um resolut zu handeln, Mit heiterm Angesicht zu wandeln, Sein Äußres nicht von rechter Art, Zu lang der Rock, zu kraus der Bart; Und sein Geselle wohlbedächtig Steckt in den Büchern übernächtig. Das hat der gute Mann gefühlt Und sich in die Magie gewühlt. Mit Cirkeln und Fünfwinkelzeichen Wollt’ er Unendliches erreichen, Er quälte sich in Kreis und Ring, Da fühlt’ er daß es auch nicht ging. Gequält wär’ er sein Lebelang; Da 1

) Zur Beurtheilung Göthe’s, von Schubarth. Breslau 1818 oder die Nachträge über Goethes ,Faust‘ als Manuskript, s. auch unten 6. Jan 1819: an Graf v. Paar. 2 ) Menächmen (grch.), in einem Lustspiel des Plautus Name zweier zum Verwechseln ähnlichen Brüder, daher soviel wie Zwillinge, Ebenbilder.

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fand er mich auf seinem Gang. Ich macht’ ihm deutlich, daß das Leben, Zum Leben eigentlich gegeben, Nicht sollt’ in Grillen, Phantasien und Spintisirerei entfliehen. So lang man lebt, sei man lebendig! Das fand mein Doctor ganz verständig, Ließ alsobald sich wohlgefallen Mit mir den neuen Weg zu wallen. Der führt’ uns nun zu andern Künsten, Die gute Dame war zu Diensten. An einem Becher Feuergluth That er sich eilig was zu gut. In einem Wink, eh man’s versah, Stand er nun freilich anders da; Vom alten Herrn ist keine Spur; Das ist derselbe, glaubt es nur. Und wenn Euch dieß ein Wunder deucht, Das Übrige ward alles leicht. Ihr seht den Ritter, den Baron Mit einem schönen Kinde schon. Und so gefällt es meinem Sinn, Der Zauberin und der Nachbarin. Ich hoffe selbst auf Eure Gunst! Im Alter Jugendkraft entzünden, Das schönste Kind dem treuen Freund verbinden, Das ist gewiß nicht schwarze Kunst. Dez11./15. [Leipzig] E. Schubarth an G (GSA 28/830 Bl. 1; 7; 10): Ew. Excellenz scheinen in der Antwort [vom 8. Juli 1818], welche Sie die Geneigtheit mir zu ertheilen gehabt, die Opposition nicht zu mißbilligen, in der ich mich nach manchen Seiten gegen Zeit und Welt befinde. Der Drang zu möglichster Klarheit über das zu gelangen, was ich lebhaft fühle, läßt mich nicht ruhen. Möge daher Ew. Excellenz wohlwollend in folgender Beilage etwas empfangen, wo ich einer Herzensangelegenheit so gut mich zu entledigen suche, als ich der Malen nur kann . . . [Beilage]1) P. Cornelius Darstellungen aus Goethe’s Faust von Ruschewegh.2) Ich habe Cornelius Darstellungen aus Goethe’s Faust radirt von Ruschewegh gesehen. Ich muß aber gestehen, daß ich durch diese Blätter wenig befriedigt worden bin. Soll ich meine Meinung ganz aufrichtig sagen; so möchte ich das Ganze eine sehr hübsche Parodie nennen. Freilich habe ich von Kunstleistungen der Art noch wenig gesehen, und ich bescheide mich sehr gern, daß ich es eigentlich nicht verstehe. Aber demohngeachtet will ich nicht verschweigen, daß ich es anders erwartete. Gleich dasjenige Blatt, was aus dem Prolog entnommen ist; was enthält es? Ist es denn eine Versinnbildlichung des Goetheschen Prolog und seines Inhalts? Keineswegs! − Wir haben hier einen Gott Vater auf einem Regenbogen sitzend; das gute und böse Prinzip säulenförmig zur Rechten und Linken aufgestellt, so daß einem gleich das Kecke u. s. w. einfallen muß. Und der alte Herr oben − fast mit einem Ziegenbart − nimmt sich recht analog dazu aus. In Albrecht Dürers Zeit mochte das trefflich und lobenswürdig genug gewesen sein: denn man kann historisch begreifen, warum es so sein mußte und nicht anders sein konnte. Aber wenn man Goethes Faust in die Hand nimmt, so sieht man durchaus nicht, warum das jetzt auch noch sein müßte. Denn hier ist von alle dem auch gar nichts enthalten, nichts von den beiden Säulen mit dem possierlichen Alten, der auf dem Regenbogen duckserartig sitzt. Es soll gewiß nicht Geringschätzung gegen Dürer und seine Zeit aussprechen, wenn ich meine, wofern ihm vergönnt wäre plötzlich aufzuwachen, und den Goetheschen Faust in bildliche Darstellungen zu bringen, daß er seine alte gute Kunst bei solchem Anlaß uns ganz anders zeigen würde, und ich setze hierzu auch nicht die

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) Entspricht weitestgehend dem Aufsatz Ueber P[eter] Cornelius Darstellungen aus [J. W.] Goethe’s Faust, radirt von [Ferdinand] Ruscheweyh, abgedruckt im Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode (März 1819, 133−46). Die Hs. (GSA 28/830 Bl. 7−10) ist auf den 15. Dez 1818 datiert. 2 ) P. Cornelius: Bilder zu Goethe’s Faust. Zwei Hefte zu je vier Blatt. Gestochen von F. Ruscheweyh. Frankfurt 1816.

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geringste Schmälerung seiner innern Antriebe, seines tüchtigen und frommen Willens voraus . . .1) [Schubarth entwickelt im folgenden ausführlich eigene Vorstellungen zur Bildgestaltung.] . . . Cornelius Mephistopheles ist demnach alle Mal kein Goethescher Mephisto. Ja er ist wie heut die Wissenschaft steht, und wie die Welt vor und aufgerollt und aufgewickelt ist, gar nichts, eine Frazze, ein Unding; und es braucht fürwahr jemand nicht nach Rom zu laufen, um eine solche Carikatur nach Deutschland rüber zu schicken als Erfolg seines tiefen Bemühens. Fast ebenso verfehlt und noch mehr wie Mephisto ist Faust selbst. Am widerlichsten ist das alte Kostüm. Faust, der Goethesche Faust ist das Produkt des 18en und 19en Jahrhunderts. Er ist das Resultat der Kultur dieser J a h r h u n d e r t e und eines Genius, der das Glück oder Unglück hatte, durch die Halbheiten seiner Zeit sich durcharbeiten zu müßen. Wir m ü ß e n a l s o diesem Faust durchaus sein modernes Wesen u seine moderne Art a n s e h e n . Ist nun dieser Faust in Albrecht Dürers Zeit rein unmöglich, so ist es eigentlich nur tolle Willkühr ihn im Kostüm dieser Zeit zu zeigen, u höchstens kann eine muthwillige Parodie sich so etwas erlauben. Es mag freilich schwer sein das moderne Kostüm sich für die Kunst zu bereiten, allein was dem gewöhnlichen Menschen billig erlaßen wird, davon kann dem Talent, dem Genie kein T i t e l c h e n [=Tüttelchen. Diminutiv zu Tüttel=Pünktchen] nachgelaßen werden. Oder man spreche das Urte[i]l nur geradezu: hier sei kein Talent, kein Genie. Woher hat denn Dürer sein Kostüm genommen? Etwa von 3 Jahrhunderten rückwärts? Hat Shakespeare etwa, um an ein anderes Beispiel zu gehen, seine großen, herrlichen Schauspiele schon in den Novellen vor sich gefunden? Und der Griechische Aeschylus fand der etwa seine Tragödien schon bei Thespis und Phrynichos? Es heißt: Gebt ihr euch einmal für Poeten, So kommandirt die Poesie. [220f.] Ich sage das, um darzuthun, wie das wahre Talent und Genie aus einer ganz geringen Gegenwart alle Mal das Höchste hervorzubringen im Stande ist und seine Natur u Bestimmung eben dadurch bewährt. Es ist stets die Unkraft, ja die Verruchtheit und Dumpfheit, welche bei dem Nächsten alle Mal rathlos, zweifelnd u am Ende verzweifelnd ist, u zu Fernem, Entlegnem phantastisch ausschweift u Güter an sich reißt, die sie nicht erarbeitet. Und so sage ich denn: Gebt ihr euch für Mahler, Zeichner, darstellende Künstler, so seid es aus Euch selbst, geht nicht nach Rom oder achtet Dürers Kunst so niedrig, daß sie nur ein Ding zum Nachahmen sei, wenn ihr gerade nicht mehr u nicht Besseres könnt, als aus der Flöte eines andern zu pfeifen, um euch die Mühe zu ersparen, die eigene wohl zu schnitzen. Oder bekennt sonst, ihr habt gar kein Geschick zur Kunst. Die Kunst ist nicht die Menschheit. Die leztere war eher als jene, übersteht u dauert fort als tüchtige Menschheit, wo auch gar keine Kunst ist, u nie zu werden vermag. Leipzig den 15en December 1818.

Dez 14. Abschrift einiger Rollen [des Maskenzugs], unter andern von Faust.2) [18.] [Weimar] Rückblicke auf den Maskenzug in Weimar. In: Morgenblatt Nr. 103 v. 30. Apr 1819, 409f.: Das Morgenblatt nimmt im Nachfolgenden aus den nächstens in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Stuttgart erscheinenden: Festgedichte. Weimar 18. December 1818,3) die Rede auf, mit welcher Mephistopheles aus dem Faust seine Erscheinung in dem Maskenzuge begleitete. Faust. Mephistopheles tritt vor.

Wie wag’ ich’s nur bei solcher Fackeln Schimmer! Man sagt mir nach ich sey ein böser Geist,

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) Abb. des Titelblatts in Neubert 96. ) s. das nächste Z mit den auf Faust bezügl. Strophen zum Maskenzug vom 18. Dez 1818. 3 ) Zum ED s. W 16, 469. 2

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Doch glaubt es nicht! Fürwahr ich bin nicht schlimmer Als mancher der sich hoch fürtrefflich preis’t. Verstellung sagt man sei ein großes Laster, Doch von Verstellung leben wir; Drum bin ich hier, ich hoffe nicht verhasster Als andre jene, vor und hinter mir. Der kommt mit langem, der mit kurzem Barte Und drunter liegt ein glattes Kinn, Ein Sultan und ein Bauer gleich von Arte Verstellen sich zu herrlichstem Gewinn Euch zu gefallen. So, den Kreis zu füllen, Komm’ ich als böser Geist mit bestem Willen. Denn böser Wille, Widerspenstigkeit, Verrwirrung Der besten Sache fährdet nicht die Welt, Wenn scharfes Aug’ des Herrschers die Verirrung Stets unter sich, in kräft’ger Leitung hält; Und wir besonders können sicher hausen, Wir spüren nichts: denn alles ist dadraußen. Nun hab’ ich mancherley zu sagen, Es klingt beynah wie ein Gedicht; Betheur’ ich’s auch, am Ende glaubt ihr’s nicht, So muß ich’s denn wie vieles andere wagen. Hier steht ein Mann, ihr seht’s ihm an, In Wissenschaften hat er g’nug gethan, Wie dieses Vieleck das er trägt Beweist, er habe sich auf vielerley gelegt, Doch da er Kenntniß g’nug erworben, Ist er der Welt fast abgestorben. Auch ist, um resolut zu handeln, Mit heiterm Angesicht zu wandeln, Sein Aeußeres nicht von rechter Art, Zu lang der Rock, zu kraus der Bart; Und sein Geselle wohlbedächtig Steckt in den Büchern übernächtig. Das hat der gute Mann gefühlt Und sich in die Magie gewühlt. Mit Zirkeln und Fünfwinkelzeichen Wollt’ er Unendliches erreichen, Er quälte sich in Kreis und Ring, Da fühlt’ er, daß es auch nicht ging.

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Gequält wär’ er sein Lebelang; Da fand er mich auf seinem Gang. Ich macht’ ihm deutlich, daß das Leben Zum Leben eigentlich gegeben, Nicht sollt’ in Grillen, Phantasien Und Spintisirerey entfliehen. So lang man lebt, sey man lebendig! Das fand mein Doktor ganz verständig, Ließ alsobald sich wohlgefallen Mit mir den neuen Weg zu wallen. Der führt uns nun zu andern Künsten, Die gute Dame war zu Diensten. An einem Becher Feuerglut That er sich eilig was zu gut. In einem Wink, eh man’s versah, Stand er nun freylich anders da; Vom alten Herrn ist keine Spur; Das ist derselbe, glaubt es nur. Und wenn euch dieß ein Wunder däucht, Das Uebrige ward alles leicht. Ihr seht den Ritter, den Baron Mit einem schönen Kinde schon. Und so gefällt es meinem Sinn, Der Zauberinn und der Nachbarinn. Ich hoffe selbst auf eure Gunst! Im Alter Jugendkraft entzünden. Das schönste Kind dem treusten Freund verbinden, Das ist gewiß nicht schwarze Kunst.

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6. [Wien] J. B. Graf v. Paar an G (SchrGG 17, 143): Ich erwarte unsern kleinen Mathematiker [Anton Prokesch] hier, um mit ihm Schubarts Ansichten über Deine Werke, oder vielmehr über Dich selbst, mit aller Aufmerksamkeit zu lesen, wodurch wir uns, Deinem Geiste uns nähernd, ein herrliches Fest bereiten wollen . . . In der mir [von G] zugesandten Kiste fand sich eine Schrift von Schubart: Gegenstände welche die Darstellung im Faust bedingen, nebst einem Brief an Dich.1) Da beyde vermuthlich zufällig hinein gekommen seyn mögen, so erwarte ich Deine Anordnung, ob ich sie etwa zurücksenden soll.

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) s. oben 21. Okt 1818: Tgb u. an Graf v. Paar.

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11. [Jena] Knebel an Charlotte v. Schiller (Charlotte Schiller 3, 401): Ich glaube nicht, daß Goethe nach Berlin gehen dürfte, um da die Fastnachtsspiele anzuordnen. Auch glaube ich nicht, daß er gerade die Aufführung von F a u s t für Prinzen und Prinzessinnen gut und anständig finden möchte. Das Vortreffliche darin verstehen sie ja nicht einmal, und zum Abenteuerlichen sind sie nur zu sehr geneigt.

Jan 29./ [Wien, anonym] Schnorrs Faust.1) In: Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Febr 1. Kriegskunst Nr. 13/14 v. 20. Jan/1. Febr 1819, 50; 54: Die Bühne dieser ausgezeichneten Schöpfung, (sie mißt 9 Schuhe 9 Zoll Höhe, 7 Schuh 11 Zoll Breite, die Figuren sind lebensgroß) ist der Anordnung in G o e t h e ’s Riesenarbeit vollkommen gemäß. [Ausführliche Beschreibung von Schnorrs Gemälde Studierzimmerszene] Altdeutsch ist das Bild, und dass es e i n r e i n e s A b b i l d s e i n e r Z e i t ist, muß ihm als entschiedenes Verdienst zugerechnet werden . . . Es war ein k ü h n e r Gedanke, in diesem Faust, die große Epidemie der hoffentlich vorübergegangenen Zeit bildlich anzudeuten: den dünkelhaften F a n a t i s m u s d e s Ve r s t a n d e s und seine undankbare E m a n c i p a t i o n v o m H e r z e n ! − Mephistopheles ist das sprechende Bildniß des Verstandes, der sich eigenmächtig, über Glauben, Liebe und Hoffnung großjährig erklärt hat! . . . Dieser Faust repräsentirt . . . den P r o t e s t a n t i s m u s in der K u n s t . Es ist daher zugleich ein Bild der Wa r n u n g vom tiefsten Sinn und vom zartesten Gefühl. Er bezeichnet den We n d e p u n c t , von dem eine vielfach hinsterbende Kunst, einem frischen, heiligen, echt nationalen L e b e n wieder entgegentritt!! Febr 20. [Wien, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. Wien. Februar. In: Morgenblatt Nr. 44 v. 20. Febr 1819, 175: Seit langer Zeit zog kein Gemählde die öffentliche Theilnahme so sehr auf sich, als: der M e p h i s t o p h e l e s b e s c h w ö r e n d e F a u s t 2) durch [L. F.] Schnorr [v. Carolsfeld], Sohn des Akademie-Direktors [J. V. Schnorr v. Carolsfeld] in Leipzig und Bruder des liebenswürdigen Künstlers [J. Schnorr v. Carolsfeld] in Rom. März (s. „Werke, Ausgabe B“: Summarische Jahresfolge Goethescher Schriften gD) 1./5. 18. J. C. F. Schneider: Chronologisches Verzeichnis meiner musikalischen Compositionen von 1810 an bis Ende März 1819 (Musik zu Faust 289): Choere zu Göthes Faust.3) Apr 16. Schubarts letzte Sendung4) Mai 21. [Berlin] A. v. Goethe an G (Sanford 1, 408f.): Gegen 1/2 7 Uhr Abends gingen Ottilie[,] Zelter u. seine Tochter zu Radziwils wohin wir zu einer Probe der Faustischen Scenen eingeladen worden waren . . . Es war eine sehr zahlreiche Gesellschaft sowohl von Zuhörern als Theilnehmenden, da ein ganzes Orchester und ein Theil der Singacademie theilnahm. Folgende Scenen wurden aufgeführt.5) 1./ Das Soldatenchor [884−902] mit der Composition von Radziwil sehr schön ausgeführt 2/ Der Monolog von Faust, Erscheinung des Erdgeistes, Gespräch mit Wagner [354−601]. Gesprochen

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) Unter dem Titel Mephistopheles durch Faust beschworen. Gemälde von Goethe’s Tragödie von Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld wieder abgedruckt in: Kunstblatt (Morgenblatt) Nr. 56 v. 13. Juli 1820, 221−24. 2 ) Faust und Mephisto (im Studierzimmer), s. oben 18. Sept 1817: Schnorr v. Carolsfeld an Rochlitz; Abb. der Lithographie Neubert 117. 3 ) Im Zusammenhang mit der Teilaufführung des Faust am 4. Nov 1819 in Leipzig. 4 ) Schubarth hatte seinem Brief vom 12. Apr (GSA 28/829 St. 4) ein Manuskript beigelegt, eine Inhaltsübersicht mit zum Teil bereits ausgearbeiteten Textstücken. Dabei handelte es sich um Auszüge aus der geplanten erweiterten Ausgabe Zur Beurtheilung Goethes; zur fertiggestellten Druckvorlage s. unten 3.−27. Okt: Schubarth an G. 5 ) Vgl. hierzu auch Compositionen zu Göthe’s Faust vom Fürsten Anton Radziwill. Partitur. Berlin 1835, auch GSA 32/1365.

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von [P. A.] Wolf. 3/ Monolog vom Faust wo er den Gift nehmen will, gespr. von Wolf alles mit Musikbegleitung. Besonders schöner Effect des Chors „ C h r i s t i s t e r s t a n d e n “ 4/ Die Scenen von Faust und Gretchen wie sie Blume zupft, als Duett behandelt, gesungen von [J. F.] Eunicke u. seiner Tochter [Johanna Christiana Friederika Eunicke] 5/ Scene wo Faust den Pudel mitbringt und so lange beschwört bis der Mephistopheles erscheint, welchen letzten der Herzog Karl von Mecklenburg ganz vortreffl[ich] sprach. 6/ Gretchen wie sie singt „ O n e i g e d u S c h m e r z e n s r e i c h e “ [3587−619] vortreffl[ich] vorgetragen von Madam [Pauline Anna] M i l d e r [ - H a u p t m a n n ] Der Fürst [Radziwill] ist ganz Leben dabey und man sieht daß er nichts andres treibt und thut als sich den Faust ganz zu eigen zu machen.1) Diese Probe dauerte bis 10 Uhr.

Mai 21. [Berlin] A. v. Goethe Tagebuch (A. v. Goethe: Wir waren sehr heiter. Reisetagebuch 1819. Hsg. v. Gabriele Radecke. Berlin 2007, 90): Ottilie kam 3/4 5 Uhr, zog sich auch an u. wir fuhren mit Zelters um 6 Uhr zu Radziwils . . . Es war Probe von denjenigen Scenen aus Faust welche Fürst Radziwil componirt hat, als: 1.) das Soldatenchor [884−902], 2. Duett zwischen Faust u. Gretchen im Garten mit dem Blumenspiel, [J. F.] Eunicke Faust Dell. [Johanna Christiana Friederika] Eunicke Gretchen. 3) Gretchens Gebet [3587−619], Mad. [Pauline Anna] Milder[-Hauptmann] das Gretchen. 4) Fausts großer Monolog [P. A.] Wolf Faust ergreifender Chor: Christ ist erstanden. 5) Scene mit dem Pudel pp. Es dauerte − 10 dann Suppe − 1/2 12. 24. [Berlin] Carl Graf Brühl an A. v. Goethe (GSA 37/XII, 4): . . . soll ich noch im Nahmen der Prinzen welche am heutigen Abend das Fest in Monbijou geben, benachrichtigen, daß obgleich Ew Hochwohlgebohren Sr Majestät dem Könige nicht vorgestellt sind, Sie danach dem Schauspiele . . . b e y w o h n e n m ö c h t e n . − Wenn es die Gelegenheit nur einigermaßen herbeyführt, und Ew Hochwohlgebohren es wünschen, so wird der Fürst Radziwill Gelegenheit nehmen Sie dem Könige dort vorzustellen. 24. [Berlin] A. v. Goethe an G (Sanford 1, 411f.): Am Abend wurde von den P r i n z e n [Friedrich Carl Alexander u. Heinrich Albrecht v. Preußen] in M o n b i j o u der Geburtstag der Fürstin [Luise] Radziwil gefeyert und zu diesem Zweck 2 Scenen aus dem Faust auf einem sehr hübsch eingerichteten Theaterchen gegeben. Es war die Scene wo der Faust den großen Monolog hält, der Erdgeist erscheint und endl[ich] Wagner stört und mit dem Chor Christ ist erstanden schließt, die Decoration von Fausts Zimmer war sehr gut gemalt, die Erscheinung des Erdgeistes wozu man I h r Bild bester Vater durchs Fenster collossal erscheinen lies, machte einen großen Eindruck2) überhaupt spielte Wolf den Faust herrlich. Die zweite Scene war die wo Faust den Pudel mitbringt welcher sich endl[ich] in den Mephistopheles verwandelt, der Herzog Carl von Meklenburg spielte ihn ganz unübertreffl[ich]. Die Compositionen von Radciwil waren sehr gelungen und machen einen angenehmen Eindruck. 3. Mündlich mehr davon. 24. [Berlin] A. v. Goethe Tagebuch (A. v. Goethe: Wir waren sehr heiter. Reisetagebuch 1819. Hsg. v. Gabriele Radecke. Berlin 2007, 92f.; 95): Früh erhielten wir [Ottilie u. A. v. Goethe] zwey Einladungskarten von den Prinzen zu dem Fest − Abends 6 Uhr − in Monbijou welches zum Geburtstage der Fürstin Radciwill gegeben wurde und wo einige Scenen aus dem Faust gegeben werden sollten . . . um 6 Uhr den Abend fuhr Zelter Ottilie u. ich nach Monbijou. Es war hier der ganze Hof versammelt und nachdem The begann das Schauspiel. Herzog Karl von Meklenburg hielt einen sehr gut auf diese

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) s. oben 1816 Febr 18., März 31., Apr 7., Mai 9., Juni 16.: Zelter an G sowie Juni 27.: Wolff an G. 2 ) Der Erdgeist. Von Carl Zimmermann. In: Szenen aus Goethes Faust in acht lithographierten Bildern nach der Angabe des Fürsten Anton Radziwill zu seinen Kompositionen des Faust. Berlin o. J. [1835].

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Gelegenheit selbst verfaßten Prolog, und es wurden sodan folgende 2 Scenen aus dem Faust mit der Composition des Fürsten Radziwil gegeben. 1) Großer Monolog des Faust bis dahin wo Wagner ihn stört, Scene mit Wagner, als Erdgeist erschien das Brustbild des Vaters 2) Scen mit dem Pudel Verwandl: desselben in den fahrenden Scholasten Faust schläft ein, die Ratte kommt, Schluß. Der Herzog Karl spielte den Mephistopheles ganz vortreffl. u. Wolf den Faust einzig, das ganze kleine Theater war sehr gut decorirt und das Zimmer Fausts wirklich ganz im Character der Dichtung.

[Mai 24.] [Berlin] Gräfin Elise von Bernstorff Aufzeichnungen (Elise von Bernstorff: Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Berlin 1899, 277): Im Frühjahr 18181) erlebte ich daselbst die erste Vorstellung des durch den Fürsten in Musik gesetzten Faust. Die Musik ward von dem besten Orchester aufgeführt, die Arien wurden von den Theatersängern und −sängerinnen hinter dem Vorhang gesungen, und die Dialoge, zum Theil unter Musikbegleitung, gesprochen von der Stich, dem Grafen Voß, dem Schauspieler Wolff und dem Herzog Karl von Mecklenburg, der seine Sache vortrefflich machte, so daß das Ganze ein wahres Meisterstück bildete und eine einzig originelle und interessante Vorstellung abgab. [24.] [Berlin] F. W. Gubitz: Korrespondenz-Nachrichten. In: Morgenblatt Nr. 159 v. 5. Juli 1819, 636: Am 24. May hatte der Fürst R a d z i w i l l zur Geburts-Feyer seiner Gemahlinn, im Theater des Lustschlosses Monbijou eine Aufführung mehrerer Scenen aus G o e t h e ’s „Faust“ veranlasst, zu denen der kunstliebende Fürst selbst Musik dichtete, welche anerkannt durch Gemüthlichkeit und Charakteristik sich auszeichnet. Der König und sämmtliche fürstliche Personen waren zugegen und die Ausführung wird als gelungen geschildert. Der königliche Schauspieler, H r . Wo l f f , sprach den „ F a u s t “, Graf Vo ß den „ Wa g n e r “; Prinz K a r l v o n M e k l e n b u r g den „ M e p h i s t o p h e l e s “ und Graf B r ü h l den „ E r d g e i s t “. [24.] [Berlin] P. A. Wolff an Böttiger (Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte Nr. 22 v. 2. März 1889, 278): In den kurz vergangenen Wochen habe ich mich einzig mit der Aufführung zweier Scenen aus Goethe’s Faust beschäftigt, welche von der größten Wirkung waren, und mir eine Auszeichnung gewährten, wie sie noch wenigen Schauspielern mag wiederfahren sein. Unser Fürst Radziwill hat sich bereits seit 10 Jahren mit der musicalischen Composition des Faustes beschäftigt, und zwar auf so geniale Weise, daß Goethe selbst und alle Musikkenner darüber entzückt sind; zum Geburtsfeste seiner Gemahlin [am 24. Mai], ist ein eigenes kleines Theater in Monbijou erbaut worden, wo 2 Scenen da von [Nacht u. Studirzimmer I] dargestellt wurden, der Herzog Carl von Mecklenburg Königl. Hoheit, Bruder unserer verstorbenen Königin [Luise], gab den Mephistofeles, ein Graf von Voß den Wagner, Graf Brühl den Erdgeist, und ich den Faust. Die Zuschauer bestanden aus den hiesigen sämmtlichen höchsten Herrschaften und einigen ausgezeichneten Männern, und die Wirkung war so begeisternd, daß es über alle Beschreibung geht; mir ward die Ehre, von den höchsten Herrschaften selbst nach dem Falle des Vorhangs vorgerufen zu werden, und aller ersinnlichen Gnade zu genießen, ich glaube nicht, daß ein ähnliches Hervorrufen schon statt gefunden, denn die es thaten, waren lauter fürstliche Häupter, und was mich am meisten erfreut, es geschah aus reinem Enthusiasmus. Sie werden wahrscheinlich ausführlichere Nachrichten hierüber erhalten, meine Bescheidenheit erlaubt mir nicht Ihnen es näher zu beschreiben. 26. [Berlin] Carl Graf Brühl an G (GSA 28/82 Bl. 155f.): Ihr Sohn wird Ihnen wahrscheinlich schon schriftlich erzählt haben,2) wie die Aufführung einiger Scenen aus Faust gelungen ist, und wird die näheren und ausführlicheren Umstände Ihnen mündlich

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) Gedächtnisfehler statt 1819; s. auch Musik zu Faust 209. ) s. oben 21. Mai u. 24. Mai 1819: A. v. Goethe an G.

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melden; − ich füge also über das wirklich gelungene dieses Versuchs nichts weiter hinzu. − Jezt hat die Fürstin Radzivil beschloßen, Ihrem Manne die Freude zu geben, am 13ten Juny, als am Geburtstage des Fürsten eine Wiederholung des schon gegebenen zu veranstalten.1) Da ich auch bei diesem kleinen Theater als Director und Impressario in Angustie angestellt bin, so liegt mir ob, diese Vorstellung möglichst vollkommen zu machen. − Sie werden erfahren haben, daß der Fürst den Gedanken gehabt hat, die Erscheinung des Erdgeists durch Phantasmagorie zu bewirken, und daß er den Erdgeist unter Ihren Gesichtszügen hat darstellen lassen. Inwiefern diese Idee gut oder nicht gut ist, wage ich nicht zu entscheiden; der Zweck war aber in sofern verfehlt, daß die ganze Erscheinung nichts schreckliches, sondern eher etwas erfreuliches hatte, und gleichwohl Faust zu sagen hat „Schreckliches Gesicht“. Bei der Wiederholung, welche zu dem Geburtstage veranstaltet wird, wünschte ich wohl der Sache etwas näher zu rücken und bitte Sie daher inständigst, mich nur mit wenigen Worten wissen zu lassen, wie Sie Sich die Erscheinung des Erdgeistes denken. Um Ihnen eine anschauliche Idee von der kleinen Bühne selbst zu geben, auf welcher die Vorstellung statt findet, lege ich Ihnen hier die Zeichnung der Decoration bei.2) Es sind gar keine Coulissen gemacht worden, sondern das Theater ist durch fünf mehr oder weniger breite oder schmale Wände abgeschloßen, und gleichfalls mit einem verschloßenen Plafond versehen, so daß also das Ganze vollkommen einem Zimmer ähnlich ist. Durch das hintere Fenster, welches transparent gemalt ist, zeigt sich nicht allein der vorgeschriebene Mondschein, sondern auch die Erscheinung des Erdgeistes, von dem man aber nur den coloßalen Kopf sah, welcher eine Höhe von 4 Fuß einnahm. Mit Ungeduld sehe ich Ihrer gütigen Entscheidung entgegen, um die Erscheinung mehr in Ihrem Sinne darstellen zu können.

Juni

2. An Carl Graf Brühl (Br 31, 162−64):3) Vor allen Dingen also, theuer-

ster und geliebter Freund, meinen besten und schönsten Dank für die gütige und ehrenvolle Auufnahme meiner Kinder. Sie sind, wie ihre Schreiben vermelden, in ihrem Aufenthalt zu Berlin glücklich und selig. Mögen Sie des Fürsten Radziwill Durchlaucht gleichfalls meinen verbindlichen Dank abtragen für die Gnade, die er ihnen erwiesen, und für die Gunst, die er gegen den alten Hexenmeister fortsetzt. Mein Sohn weiß mir nicht Gutes genug von der doppelten Aufführung zu schreiben.4) Von mündlicher Ausführlichkeit erwarte ich noch manches Erfreuliche. Nun zu Ihrer Anfrage mit Zurücksendung der Zeichnung. Diese Darstellung des Erdgeistes stimmt im Ganzen mit meiner Absicht überein. Daß er durch’s Fenster hereinsieht, ist gespensterhaft genug. Rembrandt hat diesen Gedanken auf einem radirten Blatte sehr schön benutzt.5) Als wir uns hier [1810 u. 1812] auch einmal vornahmen, 1

) Zur Aufführungswiederholung Rüdiger Wartusch: Neue Spuren der ersten Aufführungen von Szenen aus dem Faust. In: GJb 1996, 309−13. 2 ) Zur Erscheinung des Erdgeistes s. oben 24. Mai 1819: A. v. Goethe an G m. Anm. 3 ) G’s Tgb vermerkt am 2. Juni: [An] Herrn Grafen Brühl, wegen Aufführung des Fausts, nach Berlin. 4 ) s. oben 1819 Mai 21. u. 24.: A. v. Goethe an G m. Anm. 5 ) Rembrandts Radierung B 270, gilt seit dem 18. Jh. zumeist als Faust; ein Druck des Rembrandt-Blattes in G’s Besitz (Schuchardt I 177, Nr. 322); von Lips seitenverkehrt nachgebildet als Titelkupfer für S 7; Abb. von Rembrandts Der Magier (um 1652) u. Lips Lithographie in Wegner 19 u. 41. − s. auch A. Trendelenburg: Rembrandts Faust und Goethe. Berlin 1925.

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dieses Stück anzugreifen und vorzubereiten, war mein Gedanke gleichfalls nur, einen colossalen Kopf und Brusttheil transparent vorzustellen, und ich dachte, dabei die bekannte Büste Jupiters zu Grunde zu legen, da die Worte: s c h r e c k l i c h e s G e s i c h t auf die Empfindung des Schauenden, der vor einer solchen Erscheinung allerdings erschrecken kann, eben sowohl als auf die Gestalt selbst bezogen werden konnten; auch überhaupt hier nichts Fratzenhaftes oder Widerliches erscheinen dürfte. Wie man etwa durch flammenartiges Haar und Bart sich dem modernen gespensterhaften Begriff einigermaßen zu nähern hätte, darüber waren wir selbst noch nicht einig; einem klugen Künstler gelingt vielleicht eine, der Sache recht gemäße, Erfindung.1) Übrigens darf ich mich in diesem Sinne sehr geschmeichelt fühlen, daß man mir bei so guter Gelegenheit, in so ansehnlicher, schöner Gesellschaft diese wichtige Rolle vorläufig übertragen wollen. Schon nach den Briefen meines Sohnes bewundere ich, was für Faust geschehen und geschieht. Nur mit solcher Genialität und Vorliebe konnte das Geschäft glücklich angegriffen werden. Wolff wird erzählen können, wie und wo wir stecken geblieben.2) Und doch, wenn das Ganze einmal durchgearbeitet ist, bringen Sie es wohl durch Ihre unternehmende Sorgfalt zur öffentlichen Erscheinung. Auch wird Ihr hergestelltes Theater gewiß eine neue Epoche der deutschen Bühne eröffnen und zu manchem Guten Gelegenheit geben und nöthigen. Hiebei will ich ein gewisses unangenehmes Gefühl bekennen, das mich überrascht, und nicht läugnen, daß es mir leid thut, nicht wieder in Ihrer Gesellschaft noch einmal von vorne anzufangen! Juni

2. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 562): Von Aufführung zweier Szenen des Faust werden Dir die Kinder weit und breit zu erzählen wissen. Es war doch ein Anfang und am besten Willen hats nicht gefehlt. 14. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 210): Solte nicht auch Ihr F a u s t , mit Hinweglassung gewisser Theile einiger Scenen, verschiedenen kleinen Accomodationen, und zweckmäßiger Vorrichtung, angeordnet werden können, um an zwey Abenden, zum Entzücken der Besten, Hinstaunen der Schlechtesten, und vielfachen Vortheil der zwischen innen Stehenden, theatralisch aufgeführt zu werden? Meine Meynung ist das immer gewesen: jetzt3) genaues Erwägen sie zur Überzeugung erhoben. Für mich sollte dabey ein Fest seyn, wiese eine unternehmende Direction einen tüchtigen Componisten an mich, daß er die Musik (die bey dem Ganzen eine wichtige Rolle spielen, und für den Director zugleich die Opernnarren locken müßte) genau so schriebe, wie ich sie ihm, Satz für Satz angeben wolte, und wie sie, wenigstens zu Scenen, wie am Ostermorgen, in der Hölle, auf dem Blocksberg, etwas werden solte, das in seiner Art schlechterdings noch gar nicht vorhanden wäre; wo es dann nur am Meister läge, würde es nicht so etwas in seinem Gehalt.4) 1

) s. unten 12. Dez 1828: an W. Zahn; Hinweis durch Gräf II 2, 260 auf die Zeichnung von Carl Zimmermann Der Erdgeist, Abb. in Neubert 129. 2 ) s. unten 25. Juni 1819: Tgb. 3 ) Nach Lektüre der Bühnenbearbeitungen von Götz und Stella. 4 ) Keine Reaktion G’s darauf.

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Juni 25. Schauspieler [P.A.] Wolff von Berlin. Mit demselben Theatralia, beson-

ders auf Faust bezüglich, durchgesprochen. Mittags derselbe und Prof. Riemer. Blieben lange zusammen. 27. Einiges zu Faust für Fürst Radzivil.1) 28. [Jena] Johanna Frommann an F. J. Frommann (Frommann 162): Zelter, wie er denn oft ein Stündchen allein bei uns saß,2) erzählte uns früher von der Aufführung einzelner Stücke aus dem Faust beim Fürsten Radziwil. Zelter hat den Theaterdirector gemacht, Wolff den Faust, Herzog Karl von Meklenburg den Mephistopheles so vortrefflich, daß kein andrer ihn besser machen könnte, in einer Scene die Euneke das Gretchen, in einer andern die Milder-Hauptmann. Beim Erscheinen des Erdgeistes entwickelt sich Goethes colossale Büste aus dem Nebel, verschwindet aber gleich wieder. Juli

4. An Regisseur [P.A.] Wolff nach Berlin mit Ergänzungen zu Faust.3) 4. An P. A. Wolff (Konzept; Br 31, 209): Nochmals das Vergnügen, Sie

wieder gesehen und gesprochen zu haben,4) ausdrückend, sende das Verlangte, mit der Bitte mich meinen hohen Gönnern und Freunden bestens zu empfehlen; zugleich mit Versicherung daß ich jederzeit bereit bin jenen löblichen, mir so ehrenvollen Zweck nach Kräften zu befördern. Schreiben Sie mir nur immer gefälligst was man wünscht. 11. An Carl August (Konzept; Br 31, 224): . . . vermelde: daß meine Kinder, bey einem fünfwöchentlichen Aufenthalt in Berlin, sehr wohl und freundlich behandelt wurden. Man gab ihnen Gelegenheit, alles zu sehen, und bey der Vorstellung einiger Scenen aus dem Fürst Radziwillischen Faust in Monbijou zugelassen, wurden sie Ihro Majestät dem König und sämmtlicher Familie vorgestellt. 18. [Berlin] P. A. Wolff an G (GSA 28/83 Bl. 251): Bei meiner gestrigen Ankunft hatte ich die unbeschreibliche Freude HochDero gnädige Zeilen [vom 4. Juli] zu finden, und wäre Fürst Radziwill nicht bereits nach Posen abgereisst, ich hätte Sr. Durchlaucht auf der Stelle mit dem herrlichen Geister Chor die angenehmste Überraschung gemacht, welches nun aber durch die heut abgehende Post geschieht. Der Chor ist ganz für den Zweck unserer Vorstellung geeignet, genau so viel als wir brauchten, und das gegenseitige Parieren der Unsichtbaren, ob Faust schreiben wird oder nicht, eine unschätzbare Nuance für diese Scene. Wie soll ich Ew. Excellenz danken? würde mir nur das Glück Hochdenselben durch eine gelungene Vorstellung Ihres Wundergedichts eine frohe Stunde zu bereiten, wir erfreuen uns auch keinen Faustabend ohne dem herzlichen Wunsch Ew. Excellenz möchten ein Zeuge des erhabenen Glücks sein, dessen wir genießen, und wovon wir Ew. Excellenz als Schöpfer verehren und lieben. So darf ich nun auch hoffen, daß diesem Chore, auch jene von Ew. Excellenz intentirte zu Fausts Mo1

) Zwei Geisterchöre für die Paktszene zur Vertonung durch Fürst Radziwill (W 14, 318); s. Bohnenkamp 1994, 260f. − Der erste Chor (8 V.) sollte, wie die von G notierten Anschlußverse zeigen, zw. 1739 u. 1740 u. der zweite (4 V.) nach 2072 eingefügt werden. Ob die Chöre wie die übrigen Zusatztexte für Radziwill schon 1814 oder erst Juni 1819 entstanden, muß offenbleiben. 2 ) Zelter weilte vom 14.−16. u. 21.−23. Mai sowie vom 22.−27. Juni in Weimar u. zeitweise auch in Jena. 3 ) s. oben 27. Juni: Tgb m. Anm. 4 ) s. oben 25. Juni: Tgb.

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nolog folgen werden. − Nochmals danke ich für den herrlichen mir unvergeßlichen Tag [25. Juni] den mir Ew. Excellenz schenken und das theure Andenken mit der freundlichsten Inschrift. Ich habe mir alles über Faust gesprochene genau wiederholt um es in der Folge in Anwendung zu bringen, und bitte wenn Ew. Excellenz gelegentlich zu einer oder der andern Scene einen leichten Entwurf mit Worten oder Umrissen machen sollten, mir es gütigst zukommen zu lassen, weil es für mich von unbeschreiblichen Werth und Nutzen sein wird.

Juli

30. [Tegel] W. v. Humboldt an seine Frau (Sydow 6, 581f.): Da man nach altem Gebrauch bei ihm [G] immer zu Abend essen muß, so war beim Essen [am 26. Juli] sein Sohn, seine Schwiegertochter und deren Schwester . . . Die Kinder waren entzückt über Berlin, wo sie gewesen waren, und lobten alles. Ich höre hier [in Berlin], daß man sie sehr fetiert hat. Allein einen ordentlichen Schreck hat man der jungen Frau beigebracht. Als die Szenen aus Faust in Monbijou gegeben worden sind, hat man sie und ihren Mann hingebeten, und wie der Erdgeist erscheint, diesen, und zwar wie?, erscheinen lassen. Einen kolossalen, hell erleuchteten Kopf Goethes selbst in leibhafter Ähnlichkeit. Es soll um so schrecklicher ausgesehen haben, weil man deutlich gesehen hat, daß es nur ein Kopf war, der nun wie vom Rumpf getrennt erschien. 31. [Nachmittags] Prolog zum Faust von Herzog Carl von Mecklenburg.1)

[Aug 27.] [Frankfurt, Guido:] Ueber die Feyer des siebenzigsten Geburtsfestes Goethe’s, in seiner Vaterstadt, Frankfurt am Mayn. In: Morgenblatt Nr. 213 v. 6. Sept 1819, 849f.: Die Vorfeyer des Tages hielt das Museum am 27sten des Abends . . . Herr C l e m e n s 2) sprach über Goethen, als Schriftsteller, und deklamirte den K ö n i g v o n T h u l e , und den A n f a n g d e s F a u s t . Okt [Leipzig] E. Schubarth an G (GSA 28/829 St. 7): [3. Okt:] Mögen Ew. Excellenz mit 3.–27. einigem Wohlgefallen das Bemühen betrachten, das ich einem jeden Kreise Ihres Schaffens und Wirkens zuzuwenden gesucht, indem ich Ew. Excellenz die neue Ueberarbeitung des Ersten Versuchs über Ihre größeren Dichtwerke im Manuskript zusende.3) Ich bemerke, daß wenn Vieles, ja das Meiste aus der ersten Arbeit stehen geblieben, dies nicht deswegen geschehen; weil ich es etwa für die Verbesserung und Umbildung ganz und gar nicht bedürftig hielte, sondern es ist vielmehr zur Erinnerung des Orts, der Region geblieben, aus der ich herangekommen. So habe ich den Widerspruch aller der Stellen gegen Wissen und Wissenschaft, ja die mit Vorliebe Shakespeares versuchte Parallele stehen gelaßen. In einer zweyten Abtheilung wird angezeigt werden, wie ich das Verhältniß gegenwärtig erblicke. Die hinzugekommene Vorerinnerung aber wird einstweilen schon einen Begriff im Voraus geben können . . . [27. Okt:] Indem ich nun auf diese Arbeit soweit sie gegenwärtig fertig ist, zurückblicke, sehe ich wohl, daß ich ziemlich heftig und mit starkem Widerspruch nach außen versehen bin, und mir erlaubt habe über manches hart und stark abzusprechen . . . Und so erbitte ich mir daher von Ew. Excellenz alle Nachsicht für das Dünkelhafte mancher Aeußerungen, indem ein gewisser Dünkel zugleich mit allem Widerspruch stets verknüpft ist . . . Möchten doch Ew. Excellenz uns nur den vierten Theil Ihrer Selbstbekenntnisse [DuW], von dem die Anzeige Goethescher Werke im Morgenblatt schon vor 3 Jahren gesprochen,4) 1

) Darsteller des Mephistopheles in der von Radziwill veranstalteten Aufführung. Bei dem Prolog handelt es sich nach GT VII 2, 769 vermutl. um den im Nachlaß von Brühl überlieferten, s. GJb 1996, 312. 2 ) Vermutl. Aloysius Clemens (1792−1869), Arzt u. Publizist, ab 1816 in Frankfurt. 3 ) Der 1. Bd einer geplanten Neuausgabe von Zur Beurtheilung Göthe’s in 2 Bdn. Gegenüber der EA von 1818 änderte Schubarth den Text, bis auf stilistische Korrekturen kaum, erweiterte aber die Anmerkungen und Belege sehr, so daß sie im Druck statt der ursprünglichen 140 S. nunmehr 365 S. umfaßt. 4 ) Über die neue Ausgabe der Goethe’schen Werke. In: Morgenblatt, Nr. 101 v. 26. Apr 1816, W 41.1, 98.

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nicht länger vorenthalten. Denn über Faust und Mephistopheles, über Wilhelm Meisters Lehrjahre ist es doch besser Sie selbst zu vernehmen als daß von außen her irgend einer sich darüber verbreite. Denn dieser wird immer nur den Antheil seinerseits auszudrücken vermögen nicht aber was die eigentliche Absicht des Urhebers war, und wie sie bey ihm sich erzeugte und erzeugen mußte. Dieses Lebendige, alles Berührende und Anregende wird dem draußen Stehenden, der doch mehr oder weniger seiner eigenen abweichenden Sinnesart folgen muß, immer entgehen. Und so wünschte ich nichts mehr als wenn ich durch meinen Versuch Ew. Excellenz veranlaßen könnte, die Räthsel und manche hohe Probleme selbst zu lösen, denen wir bey bestem Willen doch wohl immer nur bis zum Wahrscheinlichen uns nähern werden. Denn ich gestehe, alles was ich bisher z. B. über Faust und Mephistopheles vorgebracht habe und in der zweyten Abtheilung noch vorzubringen gedenke, befriedigt mich immer noch nicht. Immer fürchte ich noch einer Täuschung unterworfen zu seyn, und etwas als Ew. Excellenz angehörig auszusprechen, was doch nicht das Ihrige ist.

[Nov]1)

[G, Rez.] M a n f r e d , a dramatic Poem by L o r d B y r o n . London 1817 (W 41.1, 189)2): Eine wunderbare, mich nah berührende Erscheinung war mir das Trauerspiel M a n f r e d von Byron. Dieser seltsame geistreiche Dichter hat meinen Faust in sich aufgenommen und hypochondrisch die seltsamste Nahrung daraus gesogen. Er hat die seinen Zwecken zusagenden Motive auf eigne Weise benutzt, so daß keins mehr dasselbige ist, und gerade deßhalb kann ich seinen Geist nicht genugsam bewundern. Diese Umbildung ist so aus dem Ganzen, daß man darüber und über die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit mit dem Vorbild höchst interessante Vorlesungen halten könnte; wobei ich freilich nicht läugne, daß uns die düstere Gluth einer gränzenlosen reichen Verzweiflung am Ende lästig wird. Doch ist der Verdruß, den man empfindet, immer mit Bewunderung und Hochachtung verknüpft.3)

[Nov]

[Anonym] Carl Ernst Schubarth über Goethe. In: Morgenblatt. Intelligenz-Blatt Nr. 50, 197: Seitdem G o e t h e in seiner Schrift: U e b e r K u n s t u n d A l t e r t h u m , B . I I . H e f t I . S . 1 4 5 u.s.w. sich entschieden f ü r die Schrift: Z u r B e u r t h e i l u n g G o e t h e ’ s v o n S c h u b a r t h . . . erklärt und die Tüchtigkeit derselben anerkannt hat, so ist und bleibt sie nun wohl ein nothwendiger und unentbehrlicher Anhang zu dessen Schriften, und um so mehr von großer Bedeutsamkeit, als darin die G o e t h e ’schen Werke, sowol im Verhältniß zu einander, als in der Zeit, in der sie geschrieben, so wie auch in sich selbst, zum erstenmal mit Tiefe und Gründlichkeit gewürdigt sind. Und da G o e t h e in seinen Werken, sein Zeitalter, wie noch keiner vor ihm, in so hoher Klarheit repräsentirt, so gewinnt auch obige Beurtheilung, als geistreicher Beytrag zum richtigen Auffassen und Verstehen der Zeit, doppelt an Wichtigkeit.

Nov

3. [Nachmittags] Sendung von Karl Ernst Schubart,4) Beschäftigung mit

derselben.

1

) Vgl. Tgb vom 26. Nov 1819: Manfred mundirt. ) ED KA II 2 (1820) 186−92, W 41.1, 189−93; zur Entstehung, Okt/Nov 1817, s. EGW 1, 554−58. 3 ) Fast wörtliche Übereinstimmung mit dem Brief an Knebel vom 13. Okt 1817; s. dort. 4 ) Brief vom 3.−27. Okt 1819 u. Bd 1 der Neuausgabe im Ms. 2

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4. Die Schubart.[hsche] Sendung gelesen. 6. Schubarts Mittheilungen. 13. An E. Schubarth (Br 32, 95): Ihre angenehme Sendung kam gerade zu

einer Zeit, wo ich derselben die gebührende Aufmerksamkeit widmen konnte; demohngeachtet wird mir eine wiederholte Lesung nach dem Druck erfreulich und aufregend seyn.

1820 ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte1) (W 36, 169; 178): Die Kupfer zum Faust, von

R e t z s c h gezeichnet, erschienen im Nachstich zu London, höchst reinlich und genau2) . . . Mich besuchte Ernst S c h u b a r t h [vom 24. bis 28. Sept in Jena], dessen persönliche Bekanntschaft mir höchst angenehm war. Die Neigung, womit er meine Arbeiten umfaßt hatte, mußte mir ihn lieb und werth machen, seine sinnige Gegenwart lehrte mich ihn noch höher schätzen.3) Jan

23. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 591): Fürst Radziwill ist von Posen zurück, doch habe ich auch diesen noch nicht gesehen, die Versuche mit seinem Faust werden uns aber schon zusammen führen.4) 28. [London] J. C. Hüttner an G (GSA 28/434 Bl. 30): Inliegendes gedrucktes Blatt5) nimmt sich der hiesige Buchhändler Bothe die Freyheit überreichen zu lassen.

1

) Geschrieben 1825 Apr 25./27. ) Retsch’s Series of twenty-six outlines illustrative of Goethe’s Tragedy of Faust, engraved from the originals by Henry Moses. And an analysis of the tragedy. London 1820; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1918) u. Extracts from Göthe’s Tragedy of Faustus, explanatory of the plates, by Retsch, intended to illustrate the work; translated By George Soane A. B. Author of ’The Innkeepers’s Daughter’ − ’Falls of Clyde’ − ’The Bohemian’, &c. &c. &c. London 1820; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1825). 3 ) 1820 erschien: Zur Beurtheilung Goethe’s mit Beziehung auf verwandte Litteratur und Kunst. Zweyter Band. 2. verm. Aufl. Breslau 1820. S. 9−47 Nachträge über Goethe’s Faust. 4 ) Erste Proben am 20. u. 21. Mai 1820. 5 ) Nicht überliefert. − Vermutl. Verlagsanzeige von: Extracts from Göthe’s Tragedy of Faustus, explanatory of the plates, by Retsch [sic], intended to illustrate the work; translated By George Soane A. B. Author of ’The Innkeepers’s Daughter’ − ’Falls of Clyde’ − ’The Bohemian’, &c. &c. &c. London 1820. − in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1825), sofort nach Erscheinen Anf. Febr 1820 von Bohte erhalten, s. unten 6. März 1820: an Hüttner u. 3. Juni 1822: Bohte an G. − Erste englischspr. Ausg. des Faust, besorgt durch den in London ansässigen dt. Verleger Johann Heinrich Bothe: 26 FaustZeichnungen aus der Cotta-Ausg. Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Retsch [sic] Stuttgart und Tübingen, in der J.G. Cotta’schen Buchhandlung 1816 [2. Aufl. 1820], begleitet jeweils mit einem kurzen Text von George Soane, einer kurzen Erläuterung des Inhalts u. 30 übersetzten Faust-Versen; vgl. Wiederabdruck in: Burwick 2007, 145−50. − Wiedergabe des Vorworts von Soane s. unten [Anf. Febr 1820]. 2

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[Febr [London] G. Soane, Preface (Extracts from Göthe’s Tragedy of Faustus, explanatory of Anf.] the plates, by Ret[z]sch, intended to illustrate the work; translated By George Soane. London 1820, 3): Göthe’s Tragedy of Faustus is the most singular, and perhaps the most original, production of modern genius. It is true the fable had already been used for the Drama by our nervous Marlowe, but the poets differ widely in their manner of developping it. The originality of Göthe is more particulary evident in his Demon. From Marlowe down to the time of Milton, the fiend was clothed in attributes of disgust and horror; with Milton he was a fallen angel: darkness hovered round his head, but the principle of light remained unquenched within him. Göthe gives to him the external attributes of man: the demon is shown only in his mind; − doubt is the very essence of his being. It is not the purpose here to enter into an analysis of this extraordinary work; for the occasion it is sufficient to state, that, in his native land, Göthe is considered next to Homer and the more immortal Shakspeare. The Germans affirm, and perhaps truly, that there are only three creative poets; amongst which Göthe, though last, is not the least. The plates, intended to illustrate Faustus, have been highly praised by men, themselves the subjects of the highest praise . . . The Translator neither seeks nor desires credit; his task has been a simple one: that of selecting from the Tragedy the passages most appropriate to the Plates, and adding to them so much of the story as would render the whole intelligible. He has differed from the German analyst in the choice of his quotations, and has preferred selecting for himself from the Play, to translating extracts that were sometimes too brief, and sometimes too long, for the purpose. The additional explanation in italics, unnecessary perhaps to the German reader, is of no little importance to those unacquainted with German literature. [Es folgen auf 26 Tafeln die Faust-Zeichnungen nach der Ausg. bei Cotta von 1816 Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Ret[z]sch mit dem Begleittext von G. Soane.] März 6. An J. C. Hüttner (Konzept; Br 32, 181): [Bitte] nicht weniger dem

Buchhändler Herrn Bohte gelegentlich zu danken. Die kleinen Kupfer zu Faust [von Retzsch], welche derselbe in England bekannt machen will, sind wirklich geistreich und geben einen guten Begriff vom Charakter des Gedichtes.1) [Apr] ⎯ [Weimar, anonym] Musik. Uebersicht neuer Musikalien. In: Journal des Luxus und der Moden 35 (1820), April, 217; 220: In dem Kunst- und Industrie-Comptoir von Ernst Heinrich Georg Christiani, sind verschiedene neue Musikstücke von Bedeutung erschienen . . . Gretchen (Ach neige, du Schmerzenreiche) aus Faust, von Göthe. In Musik gesetzt für eine Sopranstimme, mit Begleitung des Pianoforte von Bernh. Klein. Tonart A moll, C Tact. − Mit Ueberlegung hat der Componist das Gedicht auch musikalisch in 2 Haupttheile zerlegt; der erste das Gebet zur mater dolorosa, der zweite, die überwallende Empfindung Gretchens (bei den Worten: w o h i n i c h i m m e r g e h e u. s. w. eintretend), welche zum höchsten Grade gesteigert, wieder in das Gebet zurück sinkt: ach neige u. s. w. Diese Eintheilung, welche der Dichter nicht so scharf angeben konnte als der Componist, bringt in den sonst vielleicht etwas zu langen Gesang eine leidenschaftliche Abwechselung, die die außerordentlich schöne und tief rührende Melodie, auf den Eingangs- und Schlußzeilen des Gedichts desto angreifender hervortreten läßt. 1

) Bezieht sich auf Extracts from Göthe’s Tragedy of Faustus, explanatory of the plates, by Ret[z]sch, intended to illustrate that work; translated By George Soane A.B.. . . London: H. Bohte 1820. In G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1825) Zu der hier erwähnten Übers. von G. Soane vgl. unten 3. Juni 1822: Bohte an G; dazu Leonard L. Mackall: Soane’s Faust Translation im Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Bd XCII (1904) Heft 3/4.

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Mai 10. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/87 Bl. 203): Nachdem endlich nach mancherley unangenehmen Verzögerungen der erste Band zur Beurtheilung Goethe’s in der neuen Ausgabe1) fertig geworden, beeile ich mich Ew. Excellenz denselben zu gnädiger Aufnahme zu übersenden. Der zweyte Band wird hoffentlich in spätestens sechs Wochen diesem Vorgänger folgen können. 16. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 605): Den 24 wird der vorjährige Geburtstag [der Fürstin Luise Radziwill] wieder gefeiert und der Faust wieder los gelassen.2) Es wäre doch gut wenn Du dem Spaße ein wenig näher wärest und solltest Du Dich auch nur über unsere Freude daran freuen. 19. [Mainhill] Th. Carlyle an M. Allen (Sanders 1, 250f.) Since my return to Annandale, I have chiefly been occupied with strolling about the fields, revolving most dreamy thoughts − which the fardarting and impetuous character of Faust, delineated in Goe¨the’s play of that name, did not by any means tend to express.3) 21. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 605−07): Zuerst also von gestern d. i. von der ersten Probe des Faust von der ich nicht viel mehr zu sagen weiß als daß die heutige besser ausfallen wird. Die neuen Chöre: wird er schreiben? und der Abfahrts-Chor4) gingen, trotz des spillerigen Styls zum ersten Male nicht zu schlecht. Der Dilettant kann sich nicht verleugnen in dem er alles auf die Spitze stellt und gar zu viel ausdrücken will. Dem ist nun nicht zu helfen weil ihm schon dies so viel Arbeit macht daß er froh ist nur Einmal davon zu sein. Mit einem Chore von unserer Zucht [Zelters Singakademie] wird ihm der Schaden gar nicht merklich, kommt er aber endlich damit auf ein wirkliches Theater, so werden sie es ihm wohl bei bringen. Ferner wurde die Szene mit dem Schmuckkästchen in Gretchens Stube [2783−85] zum I Male gegeben und zwar nicht ohne einige Affektation von Mad. [Auguste] Stich, welche mäßig gesprochen um die Hälfte zu viel tat. Das aber wird sich geben, denn sie ist eine Person mit der man über solche Dinge noch wohl reden darf. Das Zimmer war von Schinkel ausnehmend hübsch angeordnet wenn es auch etwas kleiner hätte sein können. Das Fenster mit den Blumen, der Spiegelpfeiler, der Schrank, der Tisch mit seiner Decke, das Rädchen, das Bett, das Bild der Schmerzensmutter das Kruzifix und s. w. waren so heiter und naiv aufgestellt daß eben aus diesem Grunde ein hochtragisches Gretchen nicht zu Hause erschien.5) Die Musik geht durch die ganze Szene ununterbrochen fort und hat die hübschesten Sachen in sich, ist aber eben deswegen störend weil zuviel ausgedrückt worden worunter das Auf und Abwallen und der Fluß der Reden leidet. Am wunderwürdigsten macht sich die Szene mit der Ratte [1512−14], sie ist in der Tat schauerlich und durchaus nicht kleinlich, wiewohl sie vom Mephisto [Prinz v. Mecklenburg-Strelitz] nicht einmal so gut gespielt wird als manches Andere. Übigens hat der Spaß nur von 6 Uhr an bis nach Mitternacht gewährt. Heut denk ich sollen wir leichter abkommen, wenn nicht die Unzahl der Anordner den Brei in die Länge zieht. Die Herzogin von Cumberland6) mit ihren beiden Gemahlen7) war zugegen und hat sich mit Genuß und 1

) Zur Beurtheilung Goethe’s, mit Beziehung auf verwandte Litteratur und Kunst. Von Schubarth. Erster Band. Zweyte, vermehrte Aufl.. Breslau 1820. In G’s Bibliothek nur Bd 1 (Ruppert Nr. 1949); Rez. in Jahrbücher der Literatur 18 (1822) u. 19 (1822), 247−80 u. 231−314. 2 ) s. oben 24. Mai 1819: A. v. Goethe an G. 3 ) s. unten 24. Juni 1824: Carlyle an G. 4 ) W 14, 3181−9 als erweiternde Variante zu v. 1739f. u. W 14, 31810–13 nach v. 2072 einzufügen, s. oben 4. Juli 1819: Tgb. 5 ) Gretchens Zimmer, nach einem Aquarell von F. Schinkel, abgebildet in Neubert 134. 6 ) Friederike v. Mecklenburg-Strelitz, seit 1815 Herzogin v. Cumberland. 7 ) Ernst August Herzog v. Cumberland u. vermutl. Prinz Wilhelm v. Preußen, Bruder von König Friedrich Wilhelm III.

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wie es schien um Deinetwillen alle Reprisen einer ersten Probe gefallen lassen. Sie sagt mir so viel Schönes und Gutes von Dir, kurz sie ist so verliebt in Dich daß ich statt Hände, Finger, Mund und Augen nur lauter Ohren brauchte um alles aufzufassen . . . Was mir bei diesen Gelegenheiten zu einem Partikelchen Ironie verhilft, sind die Enden wobei dies Werk aufgefaßt wird. Manchmal möchte man laut auflachen wenn man die Bewunderung dessen vernimmt, womit gerade sie sich selbst meinen ohne sich zu erkennen. Die Einzigen die dabei Unrat merken sind der König [Friedrich Wilhelm III.], die alte Gräfin [Laura v.] Brühl und einige alte Damen, die sich von dem Schwefelgeruch in ihren eignen Kammern nicht ganz behaglich in Rapport gesetzt finden.

Mai 25. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 608−10): Die Szene wo Faust mit dem Pudel in sein Zimmer tritt [1178ff.], ist in der Tat zu loben, wie sie hier durch Musik gehoben ist. So ist gleichfalls die Stelle wo Gretchen vor dem Spiegel sich den Schmuck anlegt [2796ff.] allerliebst idealisch, wie sich Eitelkeit zufällig der Unschuld naht und gastlich und huldreich empfangen wird. Der schöne Hals ist nicht mehr bloß schön, er ist genießlich geworden. Gestern als den 24 d. am Geburtstage der Fürstin Radziwil ist endlich unser Faust glatt und rund vom Stapel gelaufen. Der König war so zufrieden mit uns daß ich sein Lob aus seinem Munde honigsüß vernommen habe und hinterher wohl sagen mag daß ich selber zufrieden war. Was ich nächstdem nun noch für Dich zu bemerken finde besteht in der Anerkennung des Ganzen. Die Sensation unserer ersten Versuche, seit zehn Jahren1) hatte bis heut einen Bittergeschmack, der in Einzelheiten und Worten seinen Grund hatte. Einige konnten darüber nicht wegkommen, bissen die Lippen und konnten nicht begreifen wie man öffentlich nennen könne was sie sich genug schuldig wissen. Daher mußten [als anstößig empfundene] Worte mit Andern vertauscht und vertuscht werden. Nun fangen sie schon an, die rechten Worte zu vermissen und eine Dame ließ sich gestern vernehmen: da man so viel sage; so sei nicht zu begreifen, wie man nicht Alles sage was geschrieben steht . . . nun wollen sie alles wissen und alles haben, indem sie ihn [Faust] alle lesen und wieder lesen . . . Wenn Radziwils Komposition auch gar kein eigenes Verdienst hätte, so würde man ihm das zugestehen müssen: dies bisher im dicksten Schatten verborgen gewesene Gedicht ans Licht zu bringen, was jeder indem er es gelesen und durch empfunden, glaubte seinem Nachbarn vorenthalten zu müssen; ich wüßte wenigstens keinen andern der Herz und Unschuld genug gehabt hätte Solchen Leuten solche Gerichte vorzusetzen, wodurch sie nun erst deutsch lernen . . . Denkst Du Dir nun den Kreis dazu in dem dies alles vorgeht: Einen gebornen Prinzen [v. Mecklenburg-Strelitz] als tüchtigen Mephisto, unsern ersten Schauspieler als Faust [P. A. Wolff], unsere erste Schauspielerin [Auguste Stich] als Gretchen, einen Fürsten [Radziwill] als Komponisten, einen würklich guten König als ersten Zuhörer mit seinen jüngsten Kindern und dem ganzen Hofe, eine Kapelle2) der ersten Art, wie man sie findet und endlich einen Singchor3) von unsern besten Stimmen . . . und dies alles angeführt vom Königl. Generalintendanten aller Schauspiele der Residenz [Carl Graf Brühl] der den Maschinenmeister, den Dirigenten, den Souffleur macht; in der Residenz, in einem Königl. Schlosse; so sollst Du mir den Wunsch nicht schlimm heißen, Dich unter uns gewünscht zu haben. 26. [Berlin] P. A. Wolff an Carl Graf Brühl (GJb 1996, 313): Es gewährt mir große Freude und Beruhigung, daß Sie verehrter Herr Graf mit meiner Vorstellung des Faust’s [am 24. Mai] zufrieden gewesen sind . . . Juni

3. [Mainhill] Th. Caryle an E. Irving (Sanders 1, 254f.): With respect to Goethe’s Faust − if I were at your side you should hear of nothing else for many hours; and sorry am I that your brows will suddenly contract − if I give free scope to my notions even by this 1

) s. oben 14. März 1810: Zelter an G. ) Königliche Hofkapelle unter Leitung v. Bernhard Anselm Weber. 3 ) Mitglieder der Berliner Singakademie. 2

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imperfect vehicle. I wish Goethe were my countryman, I wish − O, how I wish − he were my friend. It is not for his masterly conception of human nature − from the heroes of classical story down to the blackguards of a Leipsic alehouse − that I admire him above all others; his profound sentiment of beauty, his most brilliant delineations of all its varieties − his gayety of head and melancholy of heart, open all the floodgates of my sympathy. Faust is a wonderful tragedy. I doubt if even Shakespeare with all his powers had sadness enough in his nature to understand the arid and withered feelings of a passionate spirit, worn out by excessive studies and the want of all enjoyment; to delineate the chaos of his thoughts when the secrets of nature are bared before him; to depict his terrible volition and the bitter mockery of the demon gives scope to that volition. All this and much more is done by Goethe; and but for his speaking cats and a good deal besides of a like stamp, I should be an unexcepting admirer of the execution. Upon the whole, I advise you strongly to persist in German. These people have some muscle in their frames.

Juni

3. [Mainhill] Th. Carlyle an J. Fergusson (Sanders 1, 258): I will not criticise Goe¨the’s Faust − but I will tell you that I love and admire the Author. My other books have closed their weary lips − leave them to repose! 6./7. [Jena] An Zelter (Br 33, 55): Was soll ich aber nun zu eurer Fausti-

schen Darstellung sagen?1) Die treue Relation, die ich dir verdanke, versetzt mich ganz klar in die wunderlichste Region. Die Poesie ist doch wirklich eine Klapperschlange, in deren Rachen man sich mit widerwilligem Willen stürzt. Wenn ihr freylich wie bisher zusammenhaltet, so muß es das seltsamste Werk seyn, werden und bleiben, was die Welt gesehen hat. 7. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 616f.): Vorigen Montag abend [5. Juni] ward ich gerufen, einer Leseprobe beizuwohnen um über die Stücke des Faust welche bis jetzt noch nicht vorgewesen sind Eins zu werden. Die Probe war beim Gr. Brühl: Prinz Carl v. Mecklenb. F. Radziwil, Mad. Stich und Wolf lasen, und die Sachen gingen so gut daß auch Mad. Stich sich von ihrer frühern Spannung recht hübsch zum Gretchen herabgelassen hatte, die sie an einigen Stellen in der Tat schön sprach. Der Stein des Anstoßes bestand nun abermalen darin, Surrogate für anstößige Stellen zu finden um nicht so wohl den jüngsten weiblichen Personen des Hofes als ihren alten Hüterinnen ohne Ärgernis zu erscheinen. Es ward vorgeschlagen Dich selbst zu bitten solche Stellen abzuändern, wogegen ich anführte, daß jede mitredende Person gar wohl im Stande sein würde durch Auslassung oder Veränderung einzelner Worte nach seinem Gefühl von Schicklichkeit Anstößiges zu verhüten. Prinz Carl trat dieser Meinung bei und was nun geschehen wird mag geschehn. Heut Abend wird im Monbijou der Faust von Zuletzt [24. Mai], noch einmal wiederholt, wahrscheinlich um Spontini2), der vorige Woche hier angekommen ist, damit zu bewirten. 7. [Ravenna] Byron an J. Murray (Marchand 7, 113): Enclosed in something which will interest you − (to wit) the opinion of the Greatest man of Germany − perhaps of Europe − upon one of the great men of your advertisement − . . . in short − a critique of Goethe’s upon Manfred. − There is the original − Mr. Hoppner’s translation, and an Italian one − keep them all in your archives − for the opinions of such a man as Goethe whether favourable or not are always interesting − and this is moreover favourable. −

1

) s. oben 1820 Mai 21. u. 25.: Zelter an G. ) Gaspare Luigi Pacifico (1774−1851), ital.-frz. Komponist, seit 1820 Generalmusikdirektor in Berlin.

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His Faust I never read − for I don’t know German − but Matthew Monk Lewis in 1816 in Coligny translated most of it to me viva voce − & I was naturally much struck with it; − but it was the Staubach & the Jungfrau − and something else − much more than Faustus that made me write Manfred. − − The first Scene however & that of Faustus are very similar.

Juni 14. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 620): F. Radziwil geht nun wieder in seine Statthalterschaft [nach Posen] und unsere Faustiade [Proben u. Aufführungen] ruht nun wieder um langsam nachzubrodeln. Ich selber habe dabei nichts zu tun, als daß mir dann und wann ein Wort vergönnt ist, wenn ich nicht noch zuletzt daran komme, die rote Feder zu bewegen um einige Flatschen [Fetzen] wegzustreichen. Denn da alles einzeln entsteht, so ist es kein Wunder wenn sich manches vereinzelt. 15. [Hannover] Eckermann an Unbekannt (Konzept, Aus Goethes Lebenskreise. J. P. Ekkermanns Nachlaß. Hsg. v. F. Tewes. Bd 1. Berlin 1905, 235): Nirgend ist die Sprache vollkommener gewählt als in G ö t h e n s Faust, der einem Park mit den verschiedensten Bäumen gleicht, deren jeder von einer eigenthümlichen Rinde umgeben ist. 24. [Jena, abends] Schubarts zweyte Ausgabe über meine Schriften.1) Juli

4. [Jena] Nachts Schubards Ansichten über meine Schriften. 4. [London] J. C. Hüttner an G (GSA 28/88 Bl. 312): Die beykommenden Umrisse zu Faust2) sind unterschriebenem für Se. Exc. Hn Geh Rath von Goethe zur Besorgung von dem Buchhändler Boosey übergeben worden. 5. [Jena, abends] Schubard zu Ende gelesen. 9. [Jena] An E. Schubarth (Br 33, 99−101): Ihre liebe Sendung vom 10.

May begrüßte mich bey meiner Rückkehr aus Carlsbad, zu Anfang Juni . . . so hab ich seit mehreren Abenden und Nächten mich Ihrem freundlich gesinnten Werk überlassen. Da geht es mir denn wunderlich genug, denn, als wenn ich durch einen Doppelspath hindurchsähe, werd ich zwey Bilder meiner Persönlichkeit gewahr, die ich kaum zu unter1

) Lektüre von Bd 1 der Neuausgabe von Zur Beurtheilung Goethe’s, s. oben 10. Mai 1820: Schubarth an G u. unten 9. Juli 1820: an Schubarth. 2 ) Übersendung von Teil (Part) 1 von: [Haupttitel:] Retsch’s Series of twenty-six outlines illustrative of Goethe’s Tragedy of Faust, engraved from the originals by Henry Moses. And an analysis of the tragedy. London 1820; [Untertitel:] An Analysis of Goethe’s Tragedy of Faust, in illustrations of Retsch’s series of outlines, engraved from the originals by Henry Moses. London 1820. − Die Sendung erhielt G am 29. Juli 1820; Teil (Part) 2 wurde von Hüttner am 22. Aug 1820 an G abgeschickt; das ganze Werk in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1918 u. 1947). − Das Konkurrenzunternehmen des Verlegers Boosey bringt die Umrisse von Retzsch nicht wie Bohte im Original, sondern im Oktavformat, nachgestochen von H. Moses, gewährt aber dem Text des Faust einen viel größeren Raum. In der Analysis, die 60 Seiten umfaßt, wird nach einer kurzen Introduction der ganze Faust I vorgestellt. − Die Analysis ist wiederabgedruckt in: Burwick 2007, 181−217; teilweise Wiedergabe s. unten [29. Juli 1820]. − Im Sept 1821 veröffentlichte Boosey unter dem Titel Faustus: From the German of Goethe eine neue Ausgabe der Nachstiche von Moses. Ihr war, von einer kurzen Introduction eingeleitet, wiederum anonym eine neue Übersetzung vom Faust in Blankversen u. in Prosa beigegeben; Rez. in: The London Review, and Literary Journal 80 (1821), October, 362−69. − Zum Verf. der neuen Übersetzung s. oben 4. Sept 1820: an A. v. Goethe. − Die neue Ausgabe wurde G nicht zugesandt.

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scheiden weiß, welches das ursprüngliche und welches das abgeleitete sey. Für jenes mögen meine Werke, für dieses ihre Auslegung gelten. Ich danke Ihnen gegenwärtig nur mit wenigen Worten: manchmal war ich aufgeregt, bey einzelnen Stellen meinen motivirten Beyfall aufzuschreiben; allein das führt zu weit . . . Nehmen Sie also meine Beystimmung im Ganzen freundlich auf; denn nicht allein coincidirt das Meiste mit meiner eigensten Vorstellung, sondern auch da, wo Sie an mir auszusetzen haben, würde sich mit wenigen Worten eine Gleichförmigkeit herstellen . . . indem Sie, genau besehen, mit der Majorität Ihrer Zeitgenossen zu meinen Gunsten controvertiren, so haben Sie den schlimmen Stand, mit aller Einfalt abstrus zu seyn, indessen andere sich phrasenhaft bequem abzufinden wissen. Wie viel Dank ich Ihrer Bemühung schuldig bin, werden Sie selbst immer mehr ermessen, je mehr Ihnen, bey Ihrer Neigung zu mir, nach und nach im letzten Detail deutlich wird, wie ich mein Leben aufgeben mußte, um zu seyn, wie ich den Augenblick aufgeben mußte, um nach Jahren des Guten zu genießen, was der Mensch so gern täglich von Hand zu Mund nehmen möchte, der Zustimmung mein ich, des Beyfalls. Lassen Sie sich nicht entgehen, daß Mitlebende, von den verschiedensten Richtungen, unter sich Todfeinde, darin conspirirten, meine lebendige Wirkung im Augenblicke zu lähmen. Ich habe dabey nichts verloren, und meine jüngeren und künftigen Freunde auch nichts; ich ward, in mich zurückgedrängt, immer intensiver, und so hab ich mich bis an den heutigen Tag gewöhnt, nur vorzuarbeiten, unbesorgt wie und wo das wirken könne. Hieraus werden Sie leicht ermessen, daß ich Ihren zweyten Theil mit Ungeduld erwarte, damit er mich noch ganz von dem Interesse des ersten warm finde. Juli

14. [Wien] S.: Zeitung der Ereignisse und Ansichten. Wien. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 113. Bl. v. 14. Juli 1820, 495f: Mit dem Beginn des Monats Mai wurde die Kunst-Ausstellung geöffnet . . . Unter den Gemälden strahlt des Malers [L. F.] Schnorr von Karlsfeld [Carolsfeld] „Faust“ hervor.1) Er nannte das Bild „nach Goethe“; dagegen hat man aber viel ein zu wenden. Goethe’s „Faust“ lacht lustig empor, als er den Scholasten vor sich stehen sieht, der anfangs zum Elephanten schwoll; Schnorrs „Faust“ zwingt nur gewaltsam das ungeheure Entsetzen, welches der finstere Gast um sich verbreitet, aber sein Auge bändigt sich selber und jenen Höllenschatten. Goethe’s „Mephistopheles“ hat sich den Balg eines pedantischen bissigen Gelehrten umgehangen; in Schnorrs „Mephistopheles“ ringt die Hölle mit dem Himmel, das ist nicht Mensch, kein Engel, kein Teufel, und dennoch furchtbar alles zusammen. Eine kritische Zerlegung aller Schönheiten würde zu weit führen; doch sey es gesagt: daß auch die Nebensachen des Gemäldes mit einem Fleiß ausgeführt sind, dessen man jetzt so selten ansichtig wird. Schnorr hat sich damit bleibenden Ruhm gesichert.

1

) s. oben 18. Sept 1817: Schnorr v. Carolsfeld an Rochlitz; Abb. der Lithographie in Neubert 117.

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21. [St. Petersburg] H. K. E. v. Köhler an G (GSA 28/88 Bl. 375.380): Als ich Ew. Excellenz, am letzten Abende [4. März] den ich in Weimar zubrachte, meine gehorsamste Aufwartung machte,1) hatte ich das Glück von Ihrer Güte ein grünes Blatt zwischen Papierblätter gelegt zu erhalten. Die Dicke des Umschlages berechtigte mich noch etwas dabei zu vermuthen. Jedoch versparte ich die Freude das Packet zu öfnen, bis zu meiner Ankunft in Petersburg. Bei Eröfnung aber desselben, ward ich auf die angenehmste Art überrascht, indem ich darinnen die schönen Umrisse zum Faust,2) und das Meisterstük Herrmann und Dorothea fand. Erlauben daher Ew. Excellenz Ihnen für dieses köstliche Geschenk ganz gehorsamst zu danken.3) 24. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/829 St. 9): Dießmal muß ich insbesondere Ew. Excellenz meine dankbare Gesinnung an den Tag legen über die Art, wie Sie Sich wohlwollend und liebevoll über meine Arbeit äußern.4) Dieser Beyfall ist es, der mich erhebt und erquickt: denn leider muß ich bekennen, daß ich durch die Isolirtheit, in der ich mich bisher größtentheils befunden, in dem Falle gewesen bin, meinem Bestreben mehr auf Gut Glück mich hinzugeben, als daß ein sicheres und behagliches Gefühl dabey stattgefunden hätte, ich wandelte für mich u. andere auf einer rechten Bahn. Daher dann wohl ein gewisser Trübsinn, eine gewisse Schwerfälligkeit sich in dem Geleisteten unverkennbar zu äußern. Endlich möchte jenes Bruchstückartige daher zu erklären seyn, daß ich bey Mangel an äußerer Fülle, die mich wieder gesammelt hätte, in dem grenzenlosen innern Gebiet um so mehr mich verzetteln mußte. Denn die Innenwelt des Menschen in allen Richtungen geistiger und sinnlicher Art ist es, deren Betrachtung mich am meisten von jeder fortgezogen. Daher habe fast keinem Werk von Ew. Excellenz so viel und eine so lange Aufmerksamkeit gewidmet als dem F a u s t , wo die verwickelten Irrgänge des Menschen, weniger insofern sie aus Seyn, Leben und Handeln, als Schauen, Betrachten, Wahrnehmen und Spiegeln dargelegt sind. Dieses Werk mußte mich um so mehr beschäftigen, als es nach oben und unten zu um alle die Räthsel des menschlichen Daseyns und seine sonderbarsten Verknüpfungen und jene Uebergänge von Hohem zu Niedrigen, Geistigen u Sinnlichen, Ungemeinem u Abgeschmacktem sich ganz herumdreht. Freylich war es denn anfangs nur der Stoff u Inhalt, der mich zunächst anzog, ehe ich mich zu dem eigentlichen Gehalte durcharbeitete, ja ehe ich das Mildernde u Erfreuliche der ganzen Behandlung endlich wahrnehmen konnte. Daher ist denn selbst in meiner neuesten weitern Ausführung über dieses Werk, wie sie der zweyte Band darlegen wird, vorzüglich nur der Gehalt abermals wieder hervorgehoben, und ich sehe wohl, daß ich über Manches noch gegenwärtig nur so hindämmere. Und fraglich gehört auch wohl eine größere Erfahrenheit im Können u Nichtvermögen, im Vermessen und Ergattern des Lebens, als ich gegenwärtig besitze, um die höchste Kraft des Menschen und seine unmittelbar dabey befindliche Schwäche in dem Wechsel von Wollen und Sollen, Erheben und Sinken nach Geist u Sinn ganz zu begreifen, wie es das unaufhörliche Hauptthema des Werks ist. Erfreulicher und behaglicher tritt mir jedoch jetzt im Ganzen wenigstens immer mehr die Richtung entgegen, durch die in diesem Labyrinth zuletzt doch noch auf einen glücklichen Ausgang hingewiesen ist. Ich meine nicht so wohl das, was der H e r r im Prolog über das Menschenbestreben u die Auflösung seiner Verworrenheit äußert, als daß M e p h i s t o p h e l e s in seiner Ungeheuerlichkeit als entschiedener Widerspruch u Widersacher doch nur mehr ein heiteres Behagen als Widerwillen abnöthigt, und daß

1

) Vgl. G’s Tgb vom 4. März 1819: Abends Dr. Nöhden, Staatsrath von Köhler . . . blieben zu Tische. 2 ) Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Ret[z]sch. Stuttgart/Tübingen 1820. 3 ) G erwartete von Heinrich Karl Ernst v. Köhler (1765−1838), dem Direktor des Antikenkabinetts in St. Petersburg, Schwefelabgüsse antiker Kunstwerke. 4 ) s. oben 9. Juli: an Schubarth.

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wir seine Existenz billigen müßen, selbst in ihrer nachtheiligsten Wirkung, und zwar um alles jenes Höhern u Edlern willen, zu dem der Mensch berufen ist. So glaube ich denn jetzt erst auf dem Punkte zu stehen, wo bey weiterer u fernerer Betrachtung dieser Production und aller ähnlichen ein Genuß für mich entspringen wird. Denn bisher mußte ich über die Wahrheiten und Nichtwahrheiten solcher Arbeiten mich erst ins Reine zu setzen trachten. Sollte ich daher mit einem dritten Bande der Versuche über Ew. Excellenz noch fortfahren, wie es der Vorsatz u Plan ist, so würde ich ein ganz abweichendes Verfahren einschlagen und mit Beseitigung alles auf Gehalt und Inhalt Bezüglichen mich auf Hervorhebung der eigentlichen Behandlung d. i. des Poetischen u Aesthetischen werfen. Denn durch den Stoff, die großen Wahrheiten, den tiefen Gehalt, den ein Gedicht enthält, wird es noch nicht zum Gedicht. Durch alles dieses gehört es noch einer Sphäre, die man vielleicht mit Recht im Ganzen u im besten Sinne die prosaische nennen kann, an. Ich habe mir daher bey einem Gesammtüberblick des Geleisteten zuletzt nicht verhehlen können, daß die durchgeführte Auslegung prosaischer Art sey, u prosaischen d. i. in dem Conflikt zwischen Wahrem u Unwahren noch begriffenen Lesern eigentlich willkommener seyn werde, als solchen, die hierüber hinaus, in der Poesie die Poesie über Gehalt, Stoff u Inhalt hinaus fordern. Dieses Bekenntniß abzulegen halte ich für wichtig, als ich glaube einer neuen Epoche des Lebens und dadurch einer bedeutend veränderten Ansicht der Dinge mich zu nähern . . . Der dritte Band dürfte von dieser Denk- und Gesinnungsweise mehreres an den Tag legen, während der zweyte wohl schon in Manchem als eine Einleitung dazu genommen werden kann. Ich wünsche nur, daß dieser zweyte Band in einem eben so günstigen Lichte Ew. Excellenz erscheinen möge, als Sie dem ersten Ihren Beyfall schenken mochten. Ich bedaure nur, daß man von Leipzig aus Ew. Excellenz diesen zweyten Band, allwo das Ganze gedruckt worden, nicht schon zugesandt hat. Doch ist vielleicht derselbe schon gegenwärtig Ihnen zu Händen.

Juli

26. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/ 829 St. 10; 1): Genehmigen es Ew. Excellenz, daß ich zugleich als Fortsetzung und Andeutung meiner fernern Bemühungen über den Faust noch eine kleine Beylage diesem Brief beygebe. Es ist nur ein vorläufiger Entwurf, der, indem die Tage und Nächte rollen, vielleicht sein volleres Wachsthum gewinnt. [Beilage] Andeutung einer Auslegung des Faust von einem mehr ästhetischen Gesichtspunkte P r o l o g i m H i m m e l Nachdem wir über Richtung und Sinn dieser Dichtung weiter nichts mehr zu sagen haben, bewundern wir sofort die ästhetische Anordnung dieses kleinen dichterischen Ganzen. Von himmlischen, reinen, klaren Geistern werden wir zur Betrachtung eines unermeßlichen Weltwesens in seiner vollen hohen Schönheit und Herrlichkeit hingeleitet, wie es allein dem Blicke von oben her nur erscheinen mag. Die Majestät des Gegenstandes jedoch ist zu groß, als daß die Anschauung darauf dauernd verweilen könnte. Wir werden also sogleich auf ein Anderes, Geringeres, das sich als Theil von jenem darstellt hingewiesen, welches jedoch seiner besondern Natur wegen, wodurch es jenem Ersten ähnlich, dann aber wieder fern und als entwickelter Art sich darstellt, nicht weniger der Aufmerksamkeit werth sich empfiehlt. Immer aber ist doch nur alle Betrachtung von außen, wir empfinden uns in einer gewißen Entfernung. Es ist ein Standpunkt, wobey unser Boden, wenn wir schauen und wahrnehmen sollen, fehlt. Da werden wir durch jenen sonderbaren Gesellen, der durch seinen Widerspruch alles, was so eben als bewunderungswürdig vor uns stand, zu beseitigen sucht, mit einmal rasch auf den Punkt hingeführt, wo wir uns selbst begegnen und treffen. Und hier angelangt, müßen wir dem Gesellen seines Schalksstreichs wegen sogleich recht geben: denn diese Sonnen, diese Welten sind doch wohl zu glorreich für uns, die wir zu irdisch ferne sind, und nur vorübergehend jenen Harmonien der Sphären zu horchen vermögen. Aber freylich jener Schalk will uns am Ende in jenem herrlichen Ganzen gar nicht gelten laßen. Er scheint ein solcher Kenner unserer Natur, dem was tadelnswerth an uns durchaus nicht entgehen kann. Wie mild und erhebend ist es nun, daß der größere Urheber aller dieser schönen Welten, dieser

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Geister, die das Hohe wie das Niedrige einzusehen, zu faßen vermögen, des dunkelen, trüben, schwachen Menschen sich endlich annimmt, und auf ein Geschick hinzudeuten scheint, dem diese Schwäche doch nur als seine eigenste Größe und Wahrheit zum Grunde liegen soll. Deßhalb wird jene Wette, die der seiner Einsicht verbundene Geselle anbietet, nicht zurückgewiesen, sondern ihm erklärt, daß er gerade durch diese seine Art, durch die er sich zur Opposition gegen den Menschen aufgefordert findet, unvermeidlich wirken müße, eben was schwach am Menschen sey, zu befestigen. So endet diese Darstellung mit einem heitern Humor: denn wenn der Anfang auf ein unbedingt Hohes und Schönes hinwies, dann durch ein Mittleres jenes hohe Bewundern gemäßigt wurde, endlich gar herabgezogen zu werden drohte, so wird uns durch eine abermalige ironische Behandlung jenes Herabziehenden, wodurch es selbst wieder erhöht wird, die heiterste Auskunft über alles gegeben, was je ungehörig und zweifelhaft in diesem werthen Ganzen erscheinen könnte. D e r Tr a g ö d i e e r s t e r T h e i l . Nach der ästhetischen Idee des Faust scheint es dem Urheber desselben darum zu thun gewesen zu sein, in seine Produktion die größte Mannichfaltigkeit zu legen: eine Mannichfaltigkeit, die durch das Gesetz des Contrastes vorzugsweise bedingt und belebt werden sollte. Man halte in diesem Sinne die verschiedenen Scenen gegeneinander, und man wird die Abstände deutlich fühlen. Versetzen wir uns auf einmal aus dem Studierzimmer, wo Faust die Geister citirt, auf jenen Spaziergang vor dem Thor, den Tanz unter der Linde, so wird der Abfall dessen, was hier und dort erscheint, jedem auch dem stumpfesten Sinne einleuchtend sein müssen. Desgleichen erinnern wir an jene Exotenscenen und dann Gretchen im Kerker. Dieses Contrastliche im Faust, das wir als Gesetz der äußern Anordnung wahrnehmen, deutet jedoch abermals auf ein höheres inneres Gesetz. Indem nämlich alle jene Scenen als kleine für sich bestehende Ganze genommen werden können, wobey es dem innern Sinn derselben nach auf eine völlige Abgeschloßenheit und Begrenzung abgesehen ist, offenbart sich hieran die ganze Idee der Produktion, der innere Geist, aus dem sie entsprungen ist. Dieser nämlich ist, auf einen Reichthum verschiedenartiger menschlicher Zustände hinzudeuten, die einzeln genommen sich entweder als so behaglich, interessant, hoch und bedeutend, oder als so schwankend, ungewiß, trüb, niedrig darstellen, daß das Individuum, welches sich davon ergriffen findet, in den Wahn geräth, nichts gehe darüber oder drunter hinaus. Und doch sind es nur einzelne Abschnitte, kleine Parthien aus dem Gesammtkreise dessen, worauf in Freude und Leid, Trug und Wahrheit, Glück und Unglück die menschliche Natur überhaupt gewiesen ist. Und so beruht denn das ergötzliche Einwirken des Mephistopheles eben hierin, indem er einen solchen geschloßenen Kreis einseitiger, einzelner Erfahrungen, Stimmungen, Wünsche, Gefühle durchbricht, und zwar indem er als ein neues, ungekanntes, ein Beßeres, Höheres versprechendes Element sich hervorthut, oder als ein solcher, welcher die Sicherheit, Gewißheit, Zuverläßigkeit in allen bisher erworbenen Begriffen aufhebt. Verdeutliche man sich in dieser Hinsicht die hohe geistige Gluth, in der wir Faust in dem engen Raume seines Studierzimmers finden. Eine ganze Welt steigt aus den tiefen Räumen seines Geistes hervor: ein ganzes Universum, eine ganze Natur mit ihren Geistern breitet sich vor ihm und uns aus. Hier ist ein Gefühl, eine Empfindung, die kaum an irgend etwas anderes als wirklich und vorhanden noch zu denken erlaubt. Und doch ist dieser Zustand nicht der einzige, dessen unsere Natur fähig, ja er kann nach der eigenthümlichsten Beschaffenheit dieser nicht ununterbrochen dauern. Und so tritt denn schon, für Faust unerklärlich, eine geistige Ebbe ein, die durch ihre Räthselhaftigkeit ihn zum höchsten Trübsinn, ja zur Verzweiflung stimmt. Treten nun aber hierzu noch unvermeidlich die Wirkungen des anderen Poles unserer Natur sogleich ein, indem diese zwischen einer unaufhaltsamen geistigen und sinnlichen Diastole und Systole wogt, so wird eben das rasche, plötzliche Eindringen des sinnlichen Elements, des vorhandenen Wirklichen, inwiefern ein so hoher, mächtiger Bezug nach demselben im Menschen eben so stark vorhanden, an unseren Faust zum Mephistopheles um so entschiedener, als dadurch jene geistige Sinnesart völlig aufgehoben, und zuletzt doch in diesem entgegengesetz-

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ten Extrem kein Halt, kein Stillstand, keine befriedigende Dauer gedenkbar, und abermals möglich und erreichbar. Diese Beschaffenheit des Werkes aber von Gegenüberstellungen, welche einander theils aufzuheben, theils zu ergänzen bestimmt sind, hat es dem Dichter möglich gemacht uns bald auf die reinsten, erhabensten Gipfel zu stellen, bald in Abgründe zu versetzen, die unausfüllbar erscheinen, und durch einen Wechsel von Licht und Finsterniß, Hohem und Tiefem, Ernstem und Frazzenhaftem, Ungemeinem und Geringem uns durchzuführen, der seines Gleichen in keiner anderen dichterischen Composition hat und eben deßhalb wohl so anzieht, weil unserer Betrachtung, unserer Anschauung kein Stillstand gegönnt ist, sondern wir unaufhaltsam zu einem Anderem auf- und angeregt werden.1) Ist es nun der Sinn des Faust, selbst ästhetisch unser Behagen, unsere Lust des Schauens in Nichts aufzulösen, an der Grenzenlosigkeit der Darstellung zergehen zu laßen, wie es sein innerer Sinn ist, uns zum Geständniß einer gewißen Nichtigkeit unseres Selbst bei höchster Kraft und Fähigkeit zu Gunsten der Natur und des Alls und alles dessen, was eigentlicher Gegenstand unserer höchsten geistigen Wahrnehmung und sinnlichen Faßung werden und seyn könnte, hinzudrängen: so sey es noch zum Beschluß erlaubt auf eine ganz entgegengesetzte Behandlung eines Reichthums von menschlichen Zuständen, wie sie in Wilhelm Meisters Lehrjahren statt findet, hinzuweisen. Hier ist der Sinn der innern und äußern Anordnung kein solcher, unser Gefühl der innern und äußern Wahrnehmung und unserer Fähigkeit an einem Unendlichen zu paralysiren. Sondern der entgegengesetzte Sinn einer vollkommenen Bemächtigung und Befriedigung waltet vor. Daher ist das durchgreifende Gesetz dieser Composition, ihrer Anordnung, ihrer inneren Wahrheit nicht G e g e n ü b e r s t e l l u n g sondern S t e i g e r u n g , die von den untersten Stufen zu einem höchsten, angenehmen, würdigen Gipfel der vollsten Befriedigung führt.

Juli

29. [Jena] Schreiben von Hüttner [aus London] mit Fausts Kupfern2) . . .

Nachts für mich die Sendungen angesehen . . . [29.] [Anonym3)] An Analysis of Goethe’s tragedy of Faust. Introduction. In: Retsch’s Series of twenty-six outlines illustrative of Goethe’s Tragedy of Faust, engraved from the originals by Henry Moses. London 1820, 1−3: The Faust of Goethe is perhaps the most original work of German poesy, and one for which his contemporaries are greatly indebted to him. Would you warn the young man who enters upon society, freed from the controul of the school or the superintendance of the tutor − would you point out to him all the dangers to which he will be exposed in the world − you need only give him Goethe’s Faust, and desire him to read and reflect. The aged, grown grey in years, instead of detailing the results of their experience, will point to the book and say, it comprises all these things. It displays the whole story, discovers the whole abyss of the human heart; it unfolds its most secret recesses − its enjoyments − its cloyed surfeits − and its frivolous wiles, with their direful consequences. As a moral instructor, it ranks the Cyropaedia of Xenophon, and the Telemachus of Fenelon. Faust does not repres-

1

) Scholz 1892, 2 referiert Schubarths Verständnis des Faust und des Mephistopheles, wie es sich 1820 im T. 2 von Zur Beurtheilung Goethes zeigt: Nicht die gewöhnliche Ansicht vom Teufel bringe der Dichter im Drama vor, sondern er kehre das Verhältnis um und zeige uns nicht einen Störer der rechten von Gott eingesetzten Ordnung der Welt, sondern er bringe eine Figur auf die Bühne, die sich in wütendem und doch ohnmächtigen Aerger fast verzehre, weil Faust die Anmaßung gehabt hat, die Rechte seiner Verwandtschaft mit der göttlichen Natur geltend zu machen. 2 ) s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 3 ) Zum Verfasser der Analysis s. unten 19. Aug 1820: Boosey & Sons an Hüttner. − Burwick 2007, 177 hält den aus Berlin stammenden Hugenotten Daniel Boileau für den Verfasser. Die Zuweisung beruht auf Indizien. Sichere Belege liegen nicht vor.

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ent man as at the time of the Persian prince; not man, as the poet’s fancy formed him, for the instruction of a King of the Bourbon race, nor yet the crafty courtier, or worldling, taught by Lord Chesterfield’s Letters, deliberately to weigh all his actions between pleasure in one scale, and punishment in the other. Faust represents man as he is, in every age, clime, and country; the creature which is a riddle to itself, an enigma, the solution of which has baffled alike the ingenuity of ancient and modern philosphers. This creature „MAN,“ youth may learn justly to appreciate from Goethe’s work, and to separate with just discrimination those parts of his exuberant substance, by the nice line which devides good and evil; and thus form within his breast a Temple of the Deity. Let youth detect the Demon within himself, in order to yield to GOD the sway over his heart, for it appears to us, that the easiest clue to the moral part of this didactic fiction is, to consider Faust and Mephistopheles as one person, represented symbolically, only in a two-fold shape. With respect to the Plates, the artist appears to have acted the part of an ingenious translator, so as it were to renex the work itself, by most intimately adapting his Plates to the very genius of the author. Truth is conspicuous throughout, under all possible forms of beaty, and though fancy may play (in some Plates) in extravagant variety, correctness and propriety are preserved. The scenes are so well selected, that the Plates will afford a connected view of the whole drama. [Im Folgenden Lob einzelner Umrisse von Retzsch] We shall now proceed to the Analysis of the Book itself, without which the Plates would only stimulate without gratifying the appetite, and as the chief object of the Translator has been unimpaired, and to render as faithfully as possible the conception of the Author, it is hoped that any little inaccuracies of style will meet with the reader’s kind indulgence. [Im Folgenden wird der ganze Faust I Szene für Szene im Wechsel von Inhaltsangabe und wörtlicher Prosaübersetzung vorgestellt.] ?

Juli 30. [Jena, nachmittags] Knebel mit mir nach Hause die verschiedenen an-

gekommenen Kunstwercke betrachtend.1) 30. [Jena] An J. C. Hüttner (Konzept; Br 33, 137): Für die überschickten Kupfer2) nach Faust haben Sie die Gefälligkeit in meinem Namen dem freundlichen Herr Boosey zu danken. Ich bin verlangend auch die Folge zu sehen, besonders des Textes. Könnt ich erfahren, wer der Verfasser ist, so würde es mir angenehm seyn. 31. [Anonym] Vermischte Notizen. In: Kunstblatt (Morgenblatt) Nr. 61 v. 31. Juli 1820, 244: Die 1816 im Verlag der Cotta’schen Buchhandlung erschienen Umrisse zu Goethe’s Faust von Ret[z]sch sind in London von Henry Moses nachgestochen worden. Die erste Abtheilung von 12 Blättern wurde im Juni d. J. ausgegeben (Preiß 7 Sh. 6 D.), die zweyte von 14 Blättern war auf den Anfang Juli angekündigt.3) Die Erklärung in gleichem Format wird auch einzeln verkauft (Pr. 3 Sh.) − Im Verlag bey Booßey und Söhnen, und bey Rodwell und Martin. Aug

1. [London] J. H. Bothe an G4) (GSA 28/88 Bl. 362f.): Ew: Wohlgeboren! Erlaube mir das Vergnügen beikommend heute erschienenes London Magazine5) zu überreichen, in 1

) s. oben 29. Juli 1820: Tgb. ) s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 3 ) s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 4 ) ED in: Frederick Burwick: An orphic tale: Goethe’s Faust translated by Coleridge. In: International Faust studies: adaption, reception, translation. Hsg. v. Lorna Fitzsimmons. London 2008, 140f. 5 ) The London Magazine. London. Vol. II, N° VIII. August, 1820, 121−239; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 370). 2

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der Hoffnung, daß der in diesen Hefte enthaltne erste Abhandlung1) Ew: Wohlgeboren Intreße und Vergnügen gewähren wird. Der Redeakteur [sic!] dieses Journals ist mein Freund John Scott Esq. bekannt wegen verschiedner achtungswerthen literärischer Produkten − wie z. B. Paris visited etc. etc. Soviel mir bekannt ist ihm dieser Aufsatz so wie auch der 4te in diesem Magazine, „Description of certain Frescoes″, von einem Freunde eingesandt, der gegenwärtig in Italien und dessen Bekanntschaft er vor zwey Jahren auf einer Reise in erwähnten Lande gemacht. Unter der fortschreitenden Cultivierung der deutschen Literatur in diesem Lande ist man seit einiger Zeit besonders aufmerksam auf Ew. Wohlgeboren Faust geworden − wozu die herlichen Umrisse von Retsch2) vieles beigetragen. Eine andre Abhandlung mit Auszügen von merkwürdigen Stellen mit Uebersetzung erschien in Blackwoods Edinburg Magazine untern 1ten vorigen Monathes3) − und vernehme mit Vergnügen, daß der hiesige Dichter Coleridge an einer gänzlichen Uebersetzung dieses dramat: Gedichte arbeitet.4) In Edinburgh besonders ist man sehr aufmerksam auf die deutsche Literatur. Unter den Titel Horae Germanicae erscheinen in vorerwähnten Journale von Zeit zu Zeit Abhandlungen und Uebersetzungen der vorzüglichsten dramatischen Dichter, − so finde in heute erschie[ne]nes Journal eine Abhandlung über Müllners König Yngurd, ohne Zweifel von der Feder meines Edinburgh Freundes St. P. Gilles Esq. dortiger Advocat. − Auch liefre fortwährend unsere intressantesten literärischen Novitäten an Sir Walter Scott in Edinburgh Da der kleine Aufsatz in gegenwärtigen Journale betitelt ,Mr. Ebert und Mr. Dibdin’ erstere Freunde in Dresden so wie auch H. Buchhändler Brockhaus in Leipzig sehr interessiren − so wage die Bitte Ew: Wohlgeboren zu bemühen nach eigner Durchsicht diese Herren eine Dur[ch]sicht dieses Journals gütigst zu vergönnen.5) Ich habe die Ehre mich zu unterzeichnen mit der größten Hochachtung Ew: Wohlgeboren ganz ergebens[ter] H. Bohte.

Aug

⎯ [Weimar, G.:] Göthe’s Faust in England. In: Beilage zum literarischen Wochenblatt Bd VI, Nr. 49 v. Aug 1820: Wahrscheinlich hat die bei Gelegenheit von L. Byrons Manfred geschehene Erwähnung des Faust v. Göthe einen Mitarbeiter am Edinburgh Magazine veranlaßt, eben jetzt [Ausg. Juni 1820] eine ausführlichere, mit übersetzten Proben belegte, Analyse dieses letztern Werks zu liefern . . . indessen zeigt die hier angegebene Auswahl der vollständig und meistens im Versmaße und Reimspiel des Originals wiedergegebnen Theile, daß der Berichterstatter sich seine Aufgabe nicht leicht machen wollte, und daß er es mit dem Werke unsers Göthe eben so wie mit dem engl. Publicum gut meinte; so wie die rühmliche Erwähnung der von der Fr. v. Stael in der Allemagne gegebnen französischen Proben aus dem Faust gewiß von Bescheidenheit

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) Goethe and his Faustus (125−42) von George Croly bzw. Crowley (1780−1860); zur Abhandlung s. Proescholdt 138f. − G wird diese Abhandlung wahrscheinlich gelesen haben. 2 ) s. oben 28. Jan 1820: Hüttner an G u. Anm. 3 ) Blackwood’s Edinburgh Magazine. Edinburgh/ London. Vol. VII. N° XXXIX. June 1820, 235−58: Horae Germanicae. N° V. The Faustus of Goethe; s. unten [Aug/Sept 1820] teilweise Wiedergabe. − Die Juni-Nummer der Zeitschrift befindet sich in der Weimarer Bibliothek. − Ausführliche Inhaltsangabe von John Gibson Lockhart mit der Wiedergabe von ganzen Szenen in engl. Übersetzung. Sie stammt von John Anster, der 1835 eine vollständige Übersetzung von Faust I veröffentlichte. − S. auch H. W. Nordmeyer: Zu Goethes „Faust“ in England − J. G. Lockhart. In: The Journal of English and Germanic Philology 17 (1918) 198−213. 4 ) s. dazu unten 4. Sept 1820: an A. v. Goethe. 5 ) G schickte das englische Journal-Stück, wie gewünscht, am 14. Aug 1820 an Brockhaus nach Leipzig u. erhielt es von dort am 26. Aug 1820 zurück; s. Tgb 7, 208 u. 213.

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zeugt, wenn man auch die verhältnißmäßig geringere Schwierigkeit, die der englische Uebersetzer zu überwinden hat, wie billig, in Anschlag bringt.

[Aug/Sept] [London, anonyme Rez.1)] Goethe and his Faustus (The London Magazine. Vol. II. N° VIII. August 1820, 133−135; 141f.):2) The Faustus of Goethe is, from the beginning, a prey to sad and severe passions − vanity, weariness, − and a proud and intemperate curiosity, which renders him ambitious to unveil, by the sole force of his own mind, those secrets of his nature and of the universe, which we have been denied permission to penetrate. This curiosity leads him to cherish a painful metaphysical scepticism; which state of mind is generally but one stage removed from that of moral scepticism. In fact, the vain-glorious Faustus has lost, under the effect of these feelings, that elevation of soul, which study, even if in some measure erroneously conducted, has nevertheless a tendency to produce. Rather than renounce the applauses of the vulgar, he renounces candour and sincerity, − deceiving his admirers by putting-off on them, as legitimate, certain arts and speculations, the emptiness or deception of which he had himself ascertained. Thus the miserable man became reduced to live in a state of perpetual contradiction to himself − a circumstance which, more perhaps than any other, renders an individual inclined to all evil. To Faustus, in this state, appears Mephistopheles, an evil spirit, whom he has conjured up. In the character of this demon, the poet has delineated, with exquisite genius, the ideal of perversity and depravity. What distinguishes Mephistopheles from other inventions of a similar cast is, that his perversity does not take its rise from passions of monstrous, but sublime violence, as in the Satan of Paradise Lost, − nor in the mischievous inclinations, coupled with ignorance and bestial abjections, as the Caliban of Shakespeare; − but that he is what may be termed the superlative personified of that vice and depravity to which civilized man approaches, in the abuse of that high developement of the intellectual faculties, which takes place in the last most advanced stages of civilization. To the diabolical tendencies and intentions of Mephistopheles, is found united that sort of complacency in error which defiles a great part of moral and social science. It would appear that his mind was infatuated with this failing: that all his ideas were under the influence of certain sophisms, which the wicked subtlety of human wit opposes to the voice of human conscience, and which we sometimes find passing in the world as the aphorisms of reason, the maxims of an undeceiving philosophy. Mephistopheles vituperates the generous passions and feelings − sympathy, kindness, self-denial, − as things contrary to his nature − and he mocks them as absurdities. He has no need to hate that he may hurt; he feels absolute pleasure in the ruin and affliction of beings, who, in other respects, are indifferent to him. Mephistopheles is incapable of courage; and in this, too, he is totally different from the Satan of Milton: − he is also incapable of regrets, and here he differs equally from the just-named grand creation, who thinks of the past with bitter hate and desire of revenge, − and from the Abbadon of Klopstock, who earnestly covets his ancient angelic purity, of which, in his fallen state, he knows the inestimable value, without possessing the power or hope of restauration. Mephistopheles is a flatterer, and a liar: − but there is one false pretension which he dare not make. He is prohibited from using the language of the tenderest of passions. Wearing the form of a galant cavalier, he compliments the women on their beauty, &c.; but the magic words, „I love you,“ must never pass his infernal lips. In this way our distinguished author, not only composes his demon of all that is worst in the moral world, but also deprives him of every modification of character that could in any way,

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) Identifiziert als Reverend George Croly bzw. Crowley (1780−1860); s. Näheres bei Proescholdt 138f. 2 ) Im Vorangehenden gibt G. Croly einen Überblick auf G’s Leben und Werk u. die Bearbeitungen des Fauststoffs vor G.

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and to any degree, awaken in the breast of the reader that species of admiration which some of the greatest villains have been known to inspire − for villainy has within itself, but too often, ingredients of the sublime. Goethe’s demon is the image of the despicable and the depraved, coupled with mischievous power. Become the companion of Faustus, the spirit commences his infernal work by deriding the insufficiencies of human knowledge, and exaggeration its frivolity. The philosopher, already discontented with his contemplative life, and with his want of power to issue from the intolerable state of intellectual uncertainty, readily falls into a complete disgust with solitary and laborious studies. Mephistopheles plunges him into sensuality; this soon paves the way to crime, and from crime the road is short and direct to desperation. This progress is not unlike that of the Monk, in the famous Romance of Lewis. Ambrosio proceeds from the excesses of fantastical contemplation to the most horrible enormities, through the intermediate indulgence of sensuality, fermented in his veins by the arts of hell. This personage, however, is in many respects dissimilar from Goethe’s Faustus; and whether we consider the incidents of their respective histories, or the conception of their respectives characters, we must admit that each is entitled to the praise due to originality of invention. Goethe has, as yet, published but one, the first part of his Faustus; having had originally the intention of writing a Trilogia: but this first part forms a whole by itself, and fully displays the dominating idea which has governed him in the conception of his work. We have seen what this dominating idea is, and we have seen the characterizing features of the two principal personages of the drama; − it only remains to give our readers some notions of the manner in which the poet has realized his conception. To do this will be no unpleasant task to us, for it will lead us to go over again the fine verses of this dramatic poem; but we fear there will be some difficulty in transporting the interest of the piece into description of it; − for, to say the truth, it appears to us that the numerous and transcendant beauties of this work, do not consist either in the quality, or continued importance of the actions of the personages; or in the art with which these are inwoven together; or in the nature of the plot, or its progressive development. Its power and brilliancy − and it has much of both − are rather constituted by the truth and richness of the sentiments suggested by the characters and the situations, expressed and illustrated by means of new images, always evident − with wonderful ease as well as variety of style, and a rythmical harmony full of effect; − in the frank boldness of the touch with which are depicted the most secret phenomena of the mind; − in the keenness and perspicacity of the moral views, which, extending themselves over creation, converts it, as it were, into a vast satire. But these touching sentiments, this fine representation of intellectual phenomena, this elevated regard thrown over the world and over society, are likely to escape in analysing the naked conduct of the fable; or, to hinder them from so doing, it would be necessary to make the analysis equal to a translation of the whole. This, unfortunately, we cannot do, consistently with the plan of our publication; we therefore beg the reader, who may be acquainted with the original, to pardon us the numerous omissions which he will find in the following account, to which we are constrained; and we also intreat that they, who may have no previous knowledge of Goethe’s Tragedy, will bear in view what we have now said, and not estimate the total value of the production by a bare sketch, in which it will necessarily be divested of all rich ornaments. Yet we confess that the last request seems to us almost unnecessarily; for surely what we have already said on the important originality of the characters of Faustus and Mephistopheles, is sufficient to impress with esteem for this wild but sublime composition of the German poet. [Folgt ausführliche Inhaltsangabe] Besides, the formalities of critcism would be very illapplied to a production that is evidently conceived and executed in a spirit of bold experiment, and determined liberty. The Faustus is a wild composition, it may be said − a chaos, − but it is a chaos in which the qualities of genius, and the power of a robust, ardent, and sublime imagination are mingled in rich disorder; − where we find all the elements of the grandest thoughts, and the most touching sensations. We might

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easily pass literary censure on the work, and justify it on established and even reasonable principles: we are sure that, in so doing, we should please the stiff, the precise, the formal, and the dull, − but liberal consciences in such matters would find our criticism very malapropos, or rather ridiculous. Such would ask us, if it was not likely that the poet knew all these objections as well as ourselves, and had made up his mind to despise them. There is no appearance that Goethe wrote this dramatic poem with an idea of its ever being represented on the theatre. He seems only to have had in view the gratifications of free and solitary imaginations, and musing intellects: − in short, like Lord Byron in his Manfred, the German writer designs his tragedy only for perusal. The analogy that exists between these two dramas, has suggested this allusion to our noble poet. Yet we are far from joining some of the traducers of Lord Byron in calling his work a mere copy. Such an accusation, the offspring of envy and malignity, scarcely stands in need of refutation; not to mention many of the reasons against it, we may observe, that the combination made by the English poet of two moral phenomena − viz. the power of remorse, and self contempt for experiencing it, − is one perfectly new, the honour of which is solely due to Lord Byron. Further, it is exemplified in original situations, and treated with much novelty of thought and sublimity of feeling. Whatever may have been the effect of the German drama on the mind of Lord Byron, Manfred may justly claim the title of a grand and independent conception.

[Aug/Sept] [Edinburgh, anonyme Rez.1)] Horae Germanicae. No V. The Faustus of Goethe. In: Blackwood’s Edinburgh Magazine. Vol. VII. No XXXIX. June 1820, 235f.: The Drama, of which we are about to give some account, defies the critic more than any work we have ever met, and yet, few things that we have read have produced on us an impression more immediate or more likely to be permanent. The mysterious relation between our world and that of spirits has afforded in all ages a foundation for works of the highest poetical interest; no other works of fiction, indeed, have a firmer basis of reality in the depths of the human mind. They bring back to it its obscure longings − they give a form to its most inward hopes and apprehensions − to the thoughts, which we scarcely dare to shape into words − and they connect the terrors and eagerness of believing childhood with the wildest and most daring speculations into which we can venture, concerning our nature and our destiny. The subject of the drama before us is the old story of Faustus. Convinced of the vanity of study − of the impossibility of attaining precise knowledge on any subject of human inquiry − he applies himself to magic − commands the presence of different orders of spirits − sells his soul to the devil − abandons himself to the indulgence of his passions − and remains still distracted by the same restlessness of mind that first led him to forbidden studies − still dissatisfied while he attains the object of every new desire. Even while he is rejoicing in his new knowledge − even while he endeavours to justify to himself his apostacy from Heaven − he is felt to be the slave of a mean degraded being, whom he despises − of a heartless cunning and deriding devil. To express our feeling of some of the peculiar merits of this drama, would be in some degree to invite from our readers the charge of presumption against our translation. Though we admit the objection, yet it is scarce possible to avoid saying a few words on the subject. Goethe seems to us to have conveyed the most lofty conceptions of the nature of man, and those beings with whom we are connected for good or evil, in language rich yet simple − dignified yet familiar − and in parts of the work, we almost believe, while we are listening, in the magical effects attributed to sound. Nothing that we know in our language can give any idea of the charm we allude to, but a few of the most inspired passages of Coleridge; often, while engaged in our present task, have we thought of Kubla Khan and Christabel, and

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) Identifiziert als John Anster (1793−1867); s. Näheres bei Burwick 2007, 225f. − Anster gab 1835 die erste vollständige Übersetzung von Faust I heraus.

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felt an idle regret that we could not have the enjoyment of reading the passages which we most admired in the German tragedy, shadowed out in the rich mystical numbers of our own great poet, which often affect the heart and car like a spell.1)

Aug 19. [London] Boosey & Sons an J. C. Hüttner (GSA 28/89 Bl. 415)2): We consider ourselves much indebted to you for having transmitted a copy of the outlines to Faust with the Analysis to Mr de Goethe, and feel ourselves gratified by the notion he has been pleased to take of them. The author or rather compiler of the Analysis, is a German in humble circumstances, a man of no little ability, and possessing a very considerable knowledge of the English language.3) The Analysis is merely a literal translation of a portion of the tragedy to explain the outlines, and if it has any merit it is its closeness to the Original. To have attempted more would have been presumption, and doubtless would not have succeeded. Mr Huttner must be well aware of the difficulties of giving a free translation of the whole of the incomparable tragedy, it would require a translation possessing a thorough knowledge of both languages, a poet, besides other requisites to do it the justice it deserves . . . PS. Perhaps it may be gratifying to Mr de Goethe to know, that in consequence of the extensive sale of the outlines in this country, great curiosity has been excited respecting the tragedy, and of course has had a great sale lately. 21. [Jena] Abends Schubarth zweyter Theil.4) 22. [Jena] Schubarths zweyten Band, weiter gelesen. 22. [Jena] An E. Schubarth (Br 33, 169):5) Indem ich Ihnen nur mit We-

nigem, mein Werthester, für das erbauliche Vergnügen Dank sage, welches mir Ihr zweyter Theil gewährte. 22. [Leipzig] F. A. Brockhaus an G (GSA 28/88 Bl. 389): Ew. Excellenz erlauben mir Ihnen . . . die beiden neuesten Lieferungen des ehemaligen von Kotzebueschen literarischen Wochenblatts zu überreichen und Dieselben namentlich auf die Beilage zu Nr 49, einen Bericht über die in England bereits versuchte metrische Uebersetzung des Faust enthaltend, aufmerksam machen zu dürfen.6) Ueber das, was in London Magazine über desselbe Werk gesagt wird, soll in literarischen Wochenblatt ebenfalls Bericht gegeben 1

) Folgt ausführliches Referat zu Faust I mit übersetzten Versen u. Überleitungen in Prosa. 2 ) Beigefügt zu Hüttners Brief an G vom 22. Aug 1820. 3 ) s. oben [29. Juli 1820]: An Analysis of Goethe’s Tragedy of Faust. 4 ) Mit Schreiben vom 5. Aug 1820 (GSA 28/88 Bl. 376) erhielt G von der Leipziger Buchhandlung Joh. Ambrosius Barth im Auftrag des Vf. Bd 2 der Neuausgabe, enthaltend: 1) Schreiben von Goethe [vom 8. Juli 1818], statt Vorworts, 3−8; 2) Nachträge über Goethe’s Faust [schon in: Journal für Litteratur, Kunst, Luxus und Mode 33 (1818) Juli, 400–17], 9−47; 3) Bemerkungen über den ersten Band von Goethes Kunst und Alterthum, 48−147; 4) Ueber Poesie und Critik unserer Tage, 148−200; 5) Aesthetische Aphorismen, 201−426; 6) Nibelungen, 426−64; 7) Ueber Goethes Werther, Meister, Faust und die Wahlverwandtschaften, 465−71; 8) Ueber die Teufelsvorstellung im Mittelalter [schon Beilage zum Brief an G vom 23. Juni 1818], 472−90; 9) Gegenstände, welche die Darstellung im Faust bedingen, 491−503; 10) Ueber die Maxime der Darstellung sittlicher und unsittlicher Gegenstände in der Kunst und Dichtung, 503−08; 11) Etwas über den Grundsatz der Universalität neuerer Critik, 508−11; 12) Ueber die natürliche Tochter, 512−20; 13) Entschuldigung, 521f. 5 ) G’s Tgb vermerkt am 22. Aug: [Brief] An Schubarth nach Breslau, Empfang des 2 n Theils . . . 6 ) s. oben Aug 1820: Göthe’s Faust in England.

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werden,1) und ich werde nicht verfehlen die Nummern worin dieser Bericht wird enthalten seyn, Ew. Excellenz zu übersenden.

Aug 22. [London] J. C. Hüttner an G (GSA 28/89 Bl. 414): Die Buchhändler Boosey & Comp. finden sich sehr geschmeichelt, daß Sr. Excell[enz] der Herr Geheime Rath von Goethe mit den Kupfern zu Faust und der Beschreibung derselben nicht unzufrieden sind, und haben die Ehre hierbey den Beschluß2) davon ergebenst zu übersenden. Dieses Haus hat an Unterschriebenen den hier beigelegten Brief geschickt, woraus Sr. Excellenz etwas über den Anonymus ersehen werden, welcher die Erklärungen übersetzt hat. 26. [Berlin] A. Müllner an P. A. Wolff (Max Martersteig: Pius Alexander Wolff. Ein biographischer Beitrag zur Theater- u. Literaturgeschichte. Leipzig 1879, 254): Ist es gegründet, daß Sie Göthe’s Faust auf die öffentliche Bühne bringen wollen? Sie würden dadurch u. a. den Engländer Blackwood Lügen strafen, welcher bei Gelegenheit seiner Analyse meiner Schuld3) behauptet, daß der Faust durchaus unaufführbar sey. Er sagt übrigens von diesem Ihrem jetzigen Lieblingsstücke viel Lesenswerthes, und darum citire ich Ihnen die Stelle: B l a c k w o o d ’ s E d i n b u r g h M a g a z i n e M o n . N o v . 1 8 1 9 [ S . 1 2 1 − 3 6 ] . Aufsatz: T h e g u i l t e t c . :4) In einem späteren Hefte finden Sie auch eine vollständige Uebersetzung meines Wahn’s S. 398,5) wenn Sie ihn etwan in B.[erlin] Englisch auf die Bühne bringen wollen, wo er dann gewiß gefällt; weil man ihn nicht versteht. Sept

4. [Jena] An A. v. Goethe (Br 33, 200f.): Aus England meldet man Fol-

gendes, welches die Mama [Schwiegermutter Henriette v. Pogwisch] wohl dolmetschen wird: Perhaps it may be gratifying to Mr. de Goethe to know, that in Consequence of the extensive Sale of the Outlines in this Country, great Curiosity has been excited respecting the tragedy, and of course has had a great Sale lately.6) Colleridge übersetzt das

Stück.7) Sie werden es nach ihrer Weise wahrscheinlich umgemodelt bald auf’s Theater bringen. Der jetzige Hexenprozeß läßt sich wohl auch nur auf dem Blocksberge abthun . . . NB. Die Outlines sind die Kopien der faustischen Umrisse nach Ret[z]sch. 14. [Jena] An E. Schubarth (Br 33, 222): Ich habe mich diese Tage her mit Ihrem zweyten Bande beschäftigt8) und bin Ihnen dabey viel näher gekommen, ja ich darf sicher versprechen, daß irgend eine obwaltende oder hervortretende Differenz sehr leicht werde beseitigt seyn. 1

) Nicht nachweisbar. ) s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. ) Adolph Müllner: Die Schuld. Leipzig 1816. 4 ) Guilt; or, the Anniversary (A Tragedy, from the German of Adolphus Müllner &c.). 5 ) The Twenty-Ninth of February. In: Blackwood’s Edinburgh Magazine. Jan 1820, 398−409. 6 ) Auszug aus dem Brief von Boosey & Sons an Hüttner; s. oben 19. Aug 1820. 7 ) Von J. H. Bohte stammende Information; s. oben 1. Aug 1820: Bohte an G. − Die der Ausg. der Outlines im Verlag Boosey & Sons beigegebene Übers. stammt vermutl. von Samuel Taylor Coleridge, entsprechend G’s Mitteilung vom 4. Sept 1820, Coleridge übersetze den Faust. Stichhaltige Nachweise dafür erbringen Frederick Burwick & James C. McKusick in einer Neuausg. der Übersetzung (Oxford 2007); zu Coleridge als Faust-Übersetzer s. auch unten 31. Aug 1829: Robinson an G. 8 ) s. oben 21. Aug 1820: Tgb. 2 3

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Sept 22. [Jena] An J. C. Hüttner (Konzept; Br 33, 247): Wollten Sie nicht die

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Gefälligkeit haben, mir zu sagen, wie ich Miß Dawe1) eine Artigkeit erzeigen könnte; vielleicht wären ihr die Original-Radirungen von Retzsch zu meinem Faust angenehm,2) da doch die Copien jetzt in England so viel Aufsehen machen. Diese Originale werden dadurch merkwürdiger, weil man gewisse Veränderungen bei der Copie beliebte, welche zu denken geben. [Jena] Kam [E.] Schubarth an von Breslau,3) und blieb zu Tische . . . Unterhaltung mit Schubarth, welcher zu Knebel fuhr, Abends wieder kam das Gespräch fortzusetzen. [Jena] Dr. Schubarth; allgemeine und besondere Verhandlung mit ihm. Spatzieren gefahren bis Winzerle.4) Zusammen gegessen, und wie früher conversirt . . . Schubarth Mittags zu Tische. Ausführliche Verhandlung über mehrere bedeutende Gegenstände. Bis Abends 6 Uhr . . . [Jena] An H. Meyer (Br 33, 256): Schubarth ist bey mir, ein sehr merkwürdiger Mensch, von dem wir uns noch mannichfaltig werden zu unterhalten haben, denn er hält auf eine wunderbare Weise fest an dem, was wir auch für recht und gut halten. [Jena] Bey Zeiten mit Dr. Schubarth ausgefahren . . . Schubarth zu Tische. Fernere Verhandlung über die litterarischen sittlichen und theologischen Gegenstände; Bis gegen Abend. [Jena] Schubarth. fortgesetzte gestrige Unterhaltung über das fragmentarische des Faust, und zu wünschende Vollendung . . . [Jena] Dr. Schubarth; fortgesetzte Unterhaltung über Motive der bildenden Kunst. Religioses, Philosophisches, Politisches . . . [Nachmittags] Abschied.

Okt [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/829 St. 13): Ew. Excellenz vermelde ich, daß wir 17./18. nach einer Fahrth von acht Tagen glücklich wieder zurückgekehrt sind . . . Indeßen überdenke ich alles, was Ew. Excellenz mir [während des Aufenthalts in Jena zw. dem 24. u. 28. Sept] mitzutheilen die Gnade hatten Und da habe ich nicht laßen können, den Faust abermals vorzunehmen und ihn in Absicht auf seine Motive durchzugehen. Ich darf mir wohl nicht ganz unglückliche Erfolge versprechen. Um nur einiges deßhalb zu sagen, so nehme ich an, in der Z u e i g n u n g solle uns das Werk, wie es unter den Händen des Dichters seinem Abschluß entgegengeführt wird, sichtbar werden. Es treten alsdann im Vorspiel der Dichter, der seine Arbeit so weit vollbracht, daß sie nun auf dem Wege der scenischen Darstellung der letzten Vollendung theilhaftig werden wird, um so an die Welt als ganz fertiges Ganze sich zu überliefern, es treffen sag’ ich, hier der Dichter, der Theaterdirektor, dieser als Repräsentant eben dessen, was durch

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) Schwester des Porträtmalers Georg Dawe, der G 1819 porträtiert hatte u. bald darauf nach St. Petersburg berufen wurde. G kannte nur den Porträtstich von Dawes Schwager Thomas Wright. 2 ) Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Ret[z]sch. Stuttgart/Tübingen 1816. 3 ) Zusammen mit dem Bruder Heinrich; sie blieben bis zum 28. Sept. 4 ) Südlich von Weimar gelegenes Dorf Winzerla.

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scenische Anordnung und Zuthat dem seinem Inhalte nach bereits fertigen Werke, noch beygegeben werden muß, mit der lustigen Person zusammen, die ihrerseits vom Rechte des Antheils der gegenwärtig versammelten Menge den von ihrem rohen Beyfall für sein höchstes Bestreben alles fürchtenden Dichter zu überzeugen und zu beschwichtigen sucht. Und so stelle ich mir eine Ansicht auf der wirklichen Bühne, von einem Theater, auf der einen Seite die Zuschauer, dann in einem Theil des Bühnenlokals, etwa in der Garderobe, eben jene drey benannten Personen in lezten Geschäften zur eben bevorstehenden Aufführung bestrebt, der Theaterdirektor eintretend vom lezten Anordnen und Vorbereiten alles Scenischen und auf Maschinerie Bezüglichen, der Dichter als Faust für die ersten Scenen sich kostumirend, und die lustige Person als Mephistopheles schon gekleidet. Was bleibt nach allem diesem noch übrig, als daß wir nach solchen Vorbereitungen, nachdem wir mit dem Dichter vorerst in seiner Stube gewesen, wo er sein Werk zu vollenden sich alle Momente wieder vergegenwärtigt hatte; alsdann auf der Scene bey den Anstalten zur Aufführung gegenwärtig waren, als daß nun die eigentliche Aufführung des Aufzuführenden vor sich gehe. So sind wir denn im P r o l o g , wie von selbst, mit dem das Stück anhebt! Ich wünschte Ew. Excellenz hätten die Gnade, Ihre Zu- oder Abstimmung zu dieser meiner Vorstellungsart positiv geradehin, nicht bloß im Allgemeinen auszusprechen. Darf ich erst hierin glauben auf rechtem Wege zu wandeln, dann werde ich um die Erlaubniß bitten, das was ich ferner noch gefunden mitzutheilen, um von Ew. Excellenz zu erfahren, ob es so richtig sey. Ich stehe jedoch nicht dafür, daß ich alsdann auch Ew. Excellenz mit den lebhaftesten Bitten bestürme, doch ja die Fortsetzung des Fausts uns nicht vorzuenthalten, sey es auch, daß Ew. Excellenz nur den bloßen Entwurf, aber diesen vollständig und anschaulich vorgezeichnet, uns mitzutheilen belieben wollten. Ich für meinen Theil würde für den Augenblick schon befriedigt seyn, wenn ich nur die Schlußworte des Mephistopheles aus dem zweyten Theil wüßte. Mir scheint der Knoten dergestalt geschürzt zu seyn, daß, indem Mephistopheles seine Wette gewinnt, Faust zugleich der Klarheit entgegengeführt seyn muß. Nämlich eben deshalb ist ja Faust gleich vom Anfange so unbefriedigt, daß er verzweifelt, weil er das Rechte, was er fühlt, nirgends zu treffen wähnt. Als er nun dem Mephisto sich in die Arme wirft, ist dieser im ganzen ersten vorliegenden Theil beschäftigt, dieses Gefühl eines Rechten noch mehr zu schärfen bis zur Angst des Gewißens, indem er Faust in das von demselben bisher bloß empfundene, vorgestellte Falsche, durch That und Handlung, durch die Ermordung Valentins und Gretchens Verderbung real hineinbringt. Durch dieses hervorgebrachte reale Unrecht hebt, oder erschüttert er wenigstens die ganze ideirte Parthie von Uebeln auf, deren Vorstellung aus der Unbefriedigung einiger leidenschaftlichen auf ein geistiges Interesse gerichteten Wünsche, die Faust für das Ganze der menschlichen Natur zu erklären geneigt war, in ihm sich erzeugt hatte, ohne daß er real weder in sich noch in der Welt u Menschheit ein Uebeles bis dahin gewirkt hätte. Da nun aber Faust bloß von seinen ideirten Uebeln erhitzt sich dem Mephisto in die Arme wirft, den Trieb zum Wahren u Guten aber immer in sich behält, indem er aus einem überfliegenden Unmuth des Wahnes kein Wahres u Gutes mehr erreichen zu können, weil er auf den vorgestellten und dargebotenen Wegen es nicht fand, sich dem Falschen bloß überläßt; so folgt von selbst, daß in der eingegangenen Wette Mephisto den Faust nicht dadurch zum Aussprechen des: Werd ich zum Augenblick sagen: Verweile doch! du bist so schön! wird bringen können, daß er ihn in neue Abgeschmacktheiten ferner bloß bringt (wie im ersten Theil, wo er es bewirkt, indem er Faust zu einem realen Unrecht u Uebel hinführt, daß dieser wohl über seine bisherigen ideirten Uebel zweifelhaft werden muß) sondern er muß ihm gerade das vermißte Wahre u Rechte als vorhanden u wirklich vorführen. Um so unwiderstehlicher aber wird dies wirken müßen, als in der Befreiung von dem ideirten Uebel durch das begangene reale Unrecht alle Einleitungen dazu getroffen sind, indem durch die Gegenwirkung des realen Uebels gegen das ideirte zugleich das von ihm frühzeitig abhängig ideirte Wahre aufgehoben ist. Wenn also Mephistopheles nur durch die Vorführung eines Wahren die Wette gewinnen kann,

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womit jedoch dieser zugleich in die Klarheit geführt ist; so ist zugleich jene andere Wette, die der Herr angenommen, unverloren, indem der Herr verkündigt hatte: Wenn er mir [jetzt] auch nur verworren dient; So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen. [308f.] Denn kann Mephistopheles die Wette gegen Faust nur gewinnen, daß er aus ihm das obige Wort hervorlockt, kann er dieses Wort aber nur bey einem Wahren, Aechten der Natur der Sache nach Fausten entlocken, so ist ja Faust auf dem Punkte zugleich, indem er jenes Wahre erkennt, und sein Dauern d. i. seinen Bestand ausspricht, wo er seyn soll. Mithin hat sich auch jenes Wort des Herrn erfüllt, daß alle Verworrenheiten sich auflösen würden. Mephistopheles also stellt eine Verneinung dar, die bloß so lange wahr und wirksam als ein Uebeles bleibt, als eine falsche, erfundene Verneinung im Menschen vorhanden. In demselben Augenblick aber auch, wo diese falsche Verneinung durch jene natürliche, nothwendige in ihrer Gegenwirkung aufgehoben worden, hört sie selbst für den Menschen gefährlich wirksam zu seyn auf, u löst sich in sich selbst: denn sie weist dann sogleich auf das Wahre. Und so liegt eigentlich dem Prolog und ganzen Faust schon die Maxime aus Meisters Lehrjahren in ihrer größten Anwendung zum Grunde, daß das Irren nur durch den Irrthum aufgehoben werden könne, das eingebildete, gewollte Uebel, nur durch das wirkliche, aufgenötigte zu heilen sey. Dies ist also der Grundgedanke: Jedem wirklichen Uebel, setzt sich sogleich ein ebenso wirkliches Wahre gegenüber. Diese beyden jedoch können nicht miteinander streiten. Wohl aber muß das eingebildete Uebel sogleich mit dem wirklichen in Berührung und Anstoß kommen, gleich wie sein ihm zur Seite stehendes eingebildete Wahre sogleich mit dem wirklichen Wahren in Conflict geräht. Vermag nun aber das wirkliche Uebel das eingebildete zu verneinen, so ist auch mithin das ihm zur Seite stehende eingebildete Wahre aufgehoben, und der ächte ursprüngliche Stand ist hergestellt, worauf das wirklich Wahre u Gute neben dem wirklich falschen u bösen friedlich nebeneinander bestehen. Nun geht Faust von einem eingebildeten Uebel aus, dem ein eingebildetes Wahres zur Seite steht, und gibt sich dadurch dem wirklichen Uebel preis. Indem dieses leztere nun das eingebildete Uebel wirklich niederkämpft, wird der wahre Zustand enthüllt; in demselben Moment aber scheidet auch jenes reale Uebel (dessen Repräsentant Mephistopheles) in seine ursprüngliche Lage zurück. Und so ist auch im Prolog Mephistopheles nicht als Bekämpfer der wirklichen, ächten Venunft aufgeführt, sondern der Scheinvernunft, und nicht des Zustandes ächter Thätigkeit u Willens, sondern falscher Thätigkeit, d. i. Unthätigkeit u falschen Wollens. Und er wird vom Herrn auf diesen mittleren Zustand des Strebens d. i. wo der Mensch zwischen dem Wahren u Guten, Falschen und Bösen mitten innen steht, beschränkt. Denn außer dem gilt bloß der Zustand, den das Wort des Herrn bezeichnet: Doch ihr die ächten Göttersöhne, Erfreut euch der lebendig reinen Schöne. u. s. w. Wenn also dieß das Grundmotiv ist, wodurch das Werk sich in Gang setzt, ausschreitet, und wieder in sich selbst zurückkehrt und sich abschließt, so haben wir in dem e r s t e n T h e i l die Bahn nur halb vollendet d. i. es sind die Mittel u Schritte gezeigt, wodurch der ideirte Zustand des Wahren und Falschen an Faust aufzuheben ist; wodurch aber jener ideirte Zustand ganz aufhört, und der ächte Zustand hergestellt wird, diese Entwicklung, dieser Gang u Schluß scheint den Inhalt des z w e y t e n T h e i l s zu machen. Ich komme nochmals auf das Vo r s p i e l zurück, in Beziehung auf dessen Inhalt ich folgenden Gedanken als die Grundlage halte: Niemand mehr als gerade der dramatische Dichter kommt in den Fall, sein Werk, das er vielleicht nach den höchsten Absichten der Kunst ausgearbeitet, der rohen Gewalt des Augenblicks zu überliefern. Schon dadurch, daß sein Werk der äußern Darstellung, um ganz ausgeführt zu seyn, bedarf, ist er genöthigt es fremden Händen zu überlaßen, es zu veräußern. Und doch ist es die höchste Eigenschaft der Poesie lebend zu seyn, und als das Lebendigste, gleich auf der Stelle Wirksame, jeder Gegenwart, sie sey welche sie wolle, sich anzuschließen. Auch darf sie eben hierdurch, wodurch sie sich als eine von allen Absichten einer Kunst unabhängige Eigenschaft hervorthut, immer sicher rechnen, eine unfehlbare Wirkung selbst auf die Rohen und Ungebildeten zu machen, indem sie, wenn auch nicht als

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Kunst wirkend, als heiter anregendes und stimmendes Wesen ihre Kraft nicht verleugnen wird. So wäre uns also das ganze Wesen der Poesie selbst in Absicht sowohl auf den höchsten Kunstzweck, wodurch sie sich auf sich selbst und die höchsten Erforderniße in dieser Hinsicht, und gerade deßhalb oft nur auf ihre eigenen Urheber beschränkt, geschildert, als auch jene andere Eigenschaft bemerkt, der nächsten unmittelbaren, selbst rohen Gegenwart zu gehören, indem sie immer, wenn auch als weiter nichts, doch immer als eine heitere, jedermann durch eine höhere Selbsttäuschung angenehm aufregende Erscheinung unabweislich sich bewähren wird. Dieser Grundgedanke wird in den Wechselreden des Theaterdirektors, des Dichters, der lustigen Person entwickelt, indem der Theaterdirektor den nächsten unabweislich hervordrängenden und als solchen rohen Moment des Bedürfnißes darlegt, der Dichter im höchsten Kunstgefühle und Bewußtsein seiner Absichten das Werk von sich nicht lösen kann, wie es denn von diesen Seiten nie von ihm abzulösen ist, die lustige Person aber den erquicklichen Aether u Geist der Poesie als allgegenwärtige und durchdringende Eigenschaft bezeichnet, die sich selbst da, wo es außerhalb aller Grenzen der Kunst ist, in zerstückten, halben Anregungen wirksam erweist. Noch eine Vorstellung drängt sich mir hierbey auf: Der rohe Moment ist uns oft die Veranlaßung, wenn wir mit Geist ihm uns nahen, einen Vortheil aus ihm zu ziehen, den wir sonst nicht so leicht erreicht haben würden. So ist der geschilderte miserabele Zustand des Theaters, wo zuletzt nur durch die Masse etwas zu erreichen, Grund, daß eine solche Arbeit wie die Tragödie Faust, in deren Wesen eine verwandte Stückform gleichfalls gegeben, am leichtesten und wirksamsten selbst für die Gegenwart zu entwickeln ist. Ich müßte mich sehr irren, wenn der Dichter, indem er das Vorspiel dichtete, bey Erwägung der Lage des Theaters im damaligen Augenblick nicht unwillkührlich an dessen Anfänge in früherer Zeit erinnert worden wäre; wodurch er seiner Jugendepoche entgegengeführt wurde, in der das Theater eben dem Puppenspiel, der Marionette u der hiermit genau verbundenen Stückform, wie seiner Wiege, kaum sich entwunden hatte, und höheren Forderungen zueilte. Diese Ansicht rechtfertigt sich wenigstens durch den Inhalt der Z u e i g n u n g und wird durch denselben begründet, indem wir in der Zueignung mit Absicht daran erinnert werden, daß der Anfang, der erste Entwurf der vorzulegenden Arbeit in die frühste Epoche fällt; auf welche Epoche der Dichter endlich aus ganz veränderten Lebenszuständen sich zurückgeführt sieht; wovon der äußere Zeitanlaß aus der sich auflösenden Beschaffenheit des deutschen Theaters im Vorspiel, auf die oben entwickelte Weise, uns angegeben, und so der Sinn u Inhalt der Zueignung vollständiger entwickelt wird. Dieser in solchem Sinne dargelegte Inhalt des Vorspiels und der Zueignung, wo uns der Dichter damit bekannt machen will, wie der erste Entwurf der gegenwärtigen Arbeit der frühsten Epoche gehört, den er nun glücklich genug ist bey der neuesten Beschaffenheit des deutschen Theaters, freylich bloß durch einen Rückschritt desselben, wieder aufzunehmen, bringt sich nun mit dem andern Theile des Inhalts von selbst in Verbindung, wo dennoch der Dichter vor hat, dem Gehalte und höchsten Kunstsinne nach ein Werk hervorzubringen, welches keineswegs in jenem Rückschritt des Zeitgeschmacks enthalten sey, sondern, indem es den allgemeinen Wirkungen der Poesie nach, die auf Gegenwart gerichtet sind, den Zeitgenoßen nicht vorenthalten bleiben, auch sich durch seine Stückform ihrem Geschmack annähern darf, so soll es dennoch eine Arbeit seyn, die von den höchsten Kunst- und Geisteserfordernißen aus selbst vor der untadeligsten Nachwelt bestehen dürfe. Und hieran schließt sich nun jenes bereits oben zuerst entwickelte äußere Motiv zugleich an, indem angenommen wurde, daß schon von der Zueignung aus die scenische Darstellung beabsicht[igt] sey, die im Vorspiel selbst zur Darstellung gebracht wird, indem wir das Theater, die Zuschauer u die Anordnungen der scenischen Aufführung hier alle vorfinden: Und so sind uns sämmtliche Bedingungen von außen und innen vorgeführt, denen der d r a m a t i s c h e D i c h t e r unterworfen ist, die er zu bedenken hat, um sich seinem Ziele zu nähern: Zeit und Verhältniße, Einflüße verderbten Geschmacks, theatralische Ausführung, höhere Anforderungen u Zwecke der Kunst und allgemeine sogleich an-

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regende Eigenschaften der Poesie. Wie nun alles dieses, was als Bedingung vorausgeht, ehe der dramatische Dichter am Ende zu seyn glauben darf, zulezt als Motiv selbst benutzt ist, um uns an das eigentliche aufzuführende Stück selbst heranzubringen, ist bereits ausgesprochen worden. Und hiervon scheint abermals das höhere Motiv zu seyn, daß der Dichter voraussah, man werde zwar allenfalls sich entschließen sein Werk zu lesen, vielleicht auch zu studiren, aber darzustellen werde man es nicht wagen. Um nun dennoch aber immer lebendig zu erhalten, selbst dem bloßen Leser, daß ein dramatisches Kunstwerk und ein Gedicht nur durch den hinzutretenden Antheil der Zeitgenoßen ganz lebendig u wirksam werde, so hat der Dichter diesen Antheil wenigstens noch hinzudichten mögen, da er keine Aussichten hatte, ihn wirklich zu erhalten. Es ist also die Absicht eines Werkes ausgesprochen, das sich in jeder Hinsicht abschließt, was ein Werk ist u bleibt, wenn es auch kein wirkliches Theater dafür u wahre Theilnehmer gibt. So sind wenigstens diese Erforderniße in ihm selber angedeutet, wenn sie auch wirklich mangeln sollten! [Beilage] Ueberblick der Motive der Zueignung und des Vorspiels in Goethe’s Faust I Aeußeres Motiv. Z u e i g n u n g Wir treffen den Dichter zuerst in seinem Arbeitszimmer, sehen ihn sein früh begonnenes Werk vornehmen, sich Lage, Zustände, Stimmung, Absicht vergegenwärtigen, und alsdann fortfahren. Vo r s p i e l . Das Werk ist fertig. Es ist ein dramatisches Werk, das als solches vor aller andern Poesie des Antheils einer versammelten Menge und der Mitwirkung einer andern Kunst, der des Schauspielers, sich nicht entschlagen kann, um sich in jeder Hinsicht als ganz abzuschließen. Wir erhalten demnach hier das ganze Theater vorgeführt: versammelte, der Aufführung gewärtige Zuschauer, die Bühne selbst angedeutet in Vorkehrung u Einrichtung aller Anstalten zur erfolgenden Aufführung. Der Theaterdirektor, der Dichter, die lustige Person in bezüglicher Wechselrede auf sämmtliche auszuführenden Absichten gerichtet. II. Innere Motive. Zue i g n u n g . Indem der Dichter, um sich für die Fortsetzung seines Werks günstig und gemäß zu stimmen, die Gegenwart mit allen ihren Erwerbnißen vergessen muß, deutet er bereits auf einen Gegenstand, für dessen Faßlichkeit er durch eine anschließende Entäußerung unserer gehegten Vorstellungsarten, Meinungen u Ansichten sich allein verbürgen mag. Vo r s p i e l . Nicht allein indeßen für den Inhalt ist unsere Enthaltung von eigenwilligen Vorstellungsweisen erforderlich und genügend, sondern wir haben uns über die vielleicht eben so sehr abweichende Form u durchgeführte Behandlung gleichfalls nicht zu verwundern. Folgende Bedingungen wirken hier eben so sehr für als gegen einander, die das Seltsame aufzuklären vermögen: Durch den rückgeschrittenen Zeitgeschmack sah sich der Dichter in den Stand gesetzt, ein Werk wieder vorzunehmen, das er in Plan u Ausführung in einer Epoche begonnen hatte, wo der deutsche dramatische Dichter seiner Willkühr und Erfindung ohne höhere Kunst und höheren Geschmack so ziemlich allein überlaßen war. Jenes Werk seiner Form wie innersten Natur nach in einer anscheinenden Unregelmäßigkeit sich bewegend, dürfte vielleicht deßhalb als ganz an die vorherrschende Richtung des neuesten Zeitgeschmacks sich anschließend betrachtet u beurtheilt werden. Allein mit welcher Gunst es auch von diesen Seiten dem Zeitalter sich annähern mag, so entzieht es sich ihm doch nicht weniger, indem neben u in dieser Form ein höchstes Kunstziel dergestalt durchgeführt ist, daß der Urheber wohl nur auf die allgemeine Wirkung seines Werks, insofern es poetischer Natur überhaupt ist, rechnen wird können. Wird nun deßhalb aber Inhalt u höchste Behandlung um so mehr verborgen bleiben, als die Erwartung in der sich hervorthuenden Unähnlichkeit von allem Aehnlichen zurückgewiesen wird, so darf der Dichter ferner auch auf die scenischen Zuthaten, wodurch ein dramatisches Werk der Poesie allein ganz zu vollenden, nicht rechnen. Dieses Mangelnde zu ergänzen, wird uns der ganze Moment selbst, wie jedes dramatische Werk, wenn es auch bereits aus den Händen des Dichters fertig hervorgegangen, einer anderweitigen äußern Darstellung u äußern Antheils nochmals bedürfe, dichterisch herangeführt. Und so schließt sich denn das angegebene äußere Motiv von selbst an die innern Motive an. Breslau, den 20en Oktober 1820.

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Okt 23. [London, anonym] Bemerkungen eines Reisenden über London im September d. J. In: Morgenblatt Nr. 254 v. 23. Okt 1820, 1018: Bey den Herren Boosey und Söhnen, unweit der Königlichen Börse, welche einen ziemlichen Vorrath von ausländischen, besonders deutschen Büchern, Kupferstichen und Musikalien haben, sah ich einen sehr gelungenen Nachstich der schönen Umrisse von R e t s c h zu Goethe’s Faust durch M o s e s .1) Obgleich dies freylich dem deutschen Verleger [Cotta] nicht angenehm seyn kann, so befördert es doch dessen Vortheil vielleicht auf eine andere Art, weil die Engländer, durch diese Umrisse auf Goethe’s Faust aufmerksam gemacht, an diesem Werke außerordentlichen Geschmack finden und es stark im Originale lesen, welches denn ganz natürlich den Wunsch erregt, alle Werke von Goethe kennen zu lernen. Mittlerweile höre ich, daß Boosey und Söhne für diejenigen, welche kein Deutsch verstehen, den Faust durch den bekannten Dichter Coleridge,2) welcher sich viele Jahre in Deutschland aufgehalten hat, ins Englische übersetzen lassen. Nov

3. [Jena] An E. Schubarth (Br 34, 4f.): Ihre reichliche Sendung,3) mein

werther Freund, hat mich sehr gefreut, und ich genieße die Frucht eines persönlichen Zusammenseyns; wie Sie sich’s denken, ist mir alles vollkommen klar. Mit Ihren Blättern bin ich dergestalt zufrieden, daß ich wünschte, sie wären gedruckt, ohne irgend eine Abänderung.4) Haben Sie keine Copie, so schicke ich eine, denn wer weiß, ob es gelänge, Sich zum zweytenmal von Grund aus so entschieden auszudrükken. Was Sie von Zueignung und Vorspiel sagen, ist untadelig; rührend aber waren mir Ihre Conjecturen über den zweyten Theil des Faust und über die Auflösung. Daß man sich dem Ideellen nähern und zuletzt darin sich entfalten werde, haben Sie ganz richtig gefühlt; allein meine Behandlung mußte ihren eignen Weg nehmen: und es giebt noch manche herrliche, reale und phantastische Irrthümer auf Erden, in welchen der arme Mensch sich edler würdiger, höher, als im ersten, gemeinen Theile geschieht, verlieren dürfte. Durch diese sollte unser Freund Faust sich auch durchwürgen. In der Einsamkeit der Jugend hätte ich’s aus Ahnung geleistet, am hellen Tage der Welt säh es wie ein Pasquill aus. Auch den Ausgang haben Sie richtig gefühlt. − Mephistopheles darf seine Wette nur halb gewinnen, und wenn die halbe Schuld auf Faust ruhen bleibt, so tritt das Begnadigungs-Recht des alten Herrn sogleich herein, zum heitersten Schluß des Ganzen. Sie haben mich hierüber wieder so lebhaft denken machen, daß ich’s, Ihnen zu Liebe, noch schreiben wollte. Mehr sage ich nicht.5) 1

) s. oben 1820 Juli 4: Hüttner an G u. 31.: Vermischte Notizen. ) Faustus: From the German of Goethe. London 1821; s. hierzu oben 1820 Aug 1.: Bothe an G u. Sept 4.: an A. v. Goethe. 3 ) Brief vom 17./18. Okt 1820 mit Beilage Ueberblick der Motive der Zueignung und des Vorspiels in Goethe’s Faust 4 ) Schubarth kam G’s Wunsch nicht nach; in seiner Zs. Palaeophron und Neoterpe veröffentlichte er 1823 einen völlig neu ausgearbeiteten Aufsatz Ueber die Zueignung und das Vorspiel zu Goethe’s Faust; s. unten 25. Nov 1820 u. 29. Apr 1823: Schubarth an G. 5 ) E. Schubarths Erwiderung s. unten Nov 20. 2

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4. [Jena/Weimar] Unterwegs Schubarts Betrachtungen über Faust durch-

gedacht. 15. [Ansbach] Elisa Benckher an G (GSA 28/185 St.1): Das viele Große, Schöne und Gute, was Sie durch Ihre vortreffliche Schriften bewürckten und bezweckten, wird Jahrhunderte fort in Seegen blühen, ich will unter so vielem nur eines bemerken, es kann gewiß kein junges Mädchen eine Beudte des Verführens werden, die mit Nachdenken Margarethes rolle in Faust ließt – ihr Charakter ist so wahr so rein nach der Natur gezeichnet – daß jedes Unschuldige Mädgen sich selbst zu erblicken glauben muß. Meine gute Tochter hat sich noch nie von einen Herrn nach Hause führen lassen – und wird deswegen von ihren Freundinnen oft getadelt und verlaezt, aber sie glaubt so oft Männern zu folgen die Faust gleichen, und Mephistopheles die Menge. Das sie lieber es darauf wagen will eine alte Zeugfrau zu werden weil auch überdieß sie mit Margaretha sagen muß „Am Gold drängt Am Gold hängt alles, ach wir Armen!“[2802ff.] 15. [Stuttgart] W. Reichel an Cotta (QuZ 2.1, 580): In der ersten Hälfte von 1816 druckten wir 1500.1) 18. An J. C. Hüttner (Konzept; Br 34, 18): Empfehlen Sie mich Miß Dawe

zum besten und überreichen ihr dankbar die Original-Radirungen [von Retzsch] zu Faust.2) 18. [Weimar] Charlotte v. Schiller an Knebel (Charl. Schiller − Knebel 511f.): Ich habe auch diesen Herbst den Töchtern den „Faust“ vorgelesen; natürlich that ich es selbst; denn ich möchte nicht, daß sie Alles läsen. Aber ich habe ihn recht wieder genossen und durch das lebendige Auffassen der jungen reinen Gemüther mitgenossen. 20.3) [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/830 Bl. 58f.; 66f.): Wenn ich Zeilen von der Hand Ew. Excellenz unterzeichnet empfange4), ist mir, als ob ein höherer Lichtstrahl in meine trübe Welt fiele. Mag es auch nur einen Augenblick ganz licht um mich seyn, so lange ich lese, doch fühle ich mich beglückt, daß ich mir sagen kann: so ist doch Einer der Sterblichen . . . der was er wollte, vermochte, und was er richtig fühlte, schön und vollendet durfte, und immer noch kann. Denn wir übrigen Armen quälen uns mit unzulänglichen Kräften um das was wir nicht erreichen werden. Wir quälen uns elender, je schönerer, besserer ist, was wir wünschen, und doch nicht erlangen können . . . Faust quälte sich, weil es im Innern ihm sich versagt hatte, und er wähnte den Irrthum des eigenen Busens den Irrthum der Welt. Ihn zu heilen bedurfte es nichts weiter, als den gewähnten Irrthum ihn als wirklichen auskosten zu laßen. Wurde ihm dann die heitere Seite der Welt nach jener trüben auch als wirklich und wahr vorhanden gezeigt, so mocht er seinem Gott es zuletzt nur abbitten, daß er das Produkt seiner kranken Einbildung für jene Welt nahm! . . . Was will ich [Schubarth] denn von mir selbst? Sind mir denn Welt u Menschheit und Natur Schanddinge Gottes? − Auch dann nicht, wenn sie im bedürftigen Augenblick mich im Stiche laßen! Denn ich weiß rückwärts [in der Vergangenheit] lag die Welt gar oft schon schön und groß entfaltet! Aber dieses Wissen von Rückwärts und der gegenwärtig widerspänstige Moment knüpfen dennoch den Knoten so unheilvoll, als wüßte ich nicht, daß die Unterlage der Welt Vernunft und ihr Schmuck der Glanz eines göttlichen Urlichts sey! [Beilage] Z u m F a u s t . P r o l o g i m H i m m e l . Sondern wir alle Nebenbeziehungen auf Aufführung, Antheil des Publikums, Streben des Dichters im Vo r s p i e l aus, so bleibt uns als das eigentliche Grundverhält-

1

) Einzelausgabe von Faust aus dem umbrochenen Satz von Bd 9 der Ausg. B. ) s. oben 22. Sept 1820: an Hüttner. 3 ) In Br 34, 336 irrtümlich als Brief vom 26. Nov 1820 geführt. 4 ) s. oben G’s Brief vom 3. Nov 1820. 2

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niß folgendes Dreyfache zurück: ein G e m e i n e s zuerst, dem sich als zweytes ein E d l e s schroff gegenüber stellt, und zum dritten ein Lustiges, das sich mit den beyden frühern in Verbindung zu setzen weiß, indem es den Ernst des Edlern zu mildern sucht, und die völlige Unbrauchkarkeit des Gemeinen durch seine wunderliche, seltsame Wirkung abwenden möchte. Ich will nunmehr versuchen den Prolog zu entwickeln. Zuerst haben wir auch hier wieder ein Dreyfaches ins Auge zu faßen: die E n g e l , M e p h i s t o p h e l e s , den H e r r n . Was die Engel wollen, spricht sich sogleich entschieden und rein aus, und wir finden uns zu ihren Gedanken und Aeßerungen sogleich hingezogen: hier ist die wahre Lichtseite auch äußerer Natur mächtig getroffen. Aber mit Mephistopheles gerathen wir schon alsbald ins Stocken. Was will er denn? und was soll er überhaupt sein? Ihm scheint es nicht zu munden, daß die Engel das Lob der Welt soeben ausgesprochen, auf ein unendlich Schönes, Vollkommenes, aber eben so unergründlich Tiefes hindeutend! Er scheint das Ding sorgfältiger ins Auge gefaßt zu haben, und besser zu wissen: Und nun solls der arme Mensch gar seyn, den er ertappt, welcher ihm zum Beweise der Richtigkeit seiner Vorstellungsart und seiner Behauptungen dienen muß. Der Patron läßt sich nun schon aufs Allgemeine gar nicht ein: mit dem Besondern und am Besondern hofft er die gepriesene Vortrefflichkeit der Welt wieder zu raisonniren. Zum Unglück müßen Gabriel und Michael bereits das Vorhandenseyn eines Doppelten, Wechselnden, Schwankenden, Licht und Finsterniß, am Allgemeinen selbst eingestanden haben, nachdem Raphael bloß das Einfache, ewig Gleiche als allgemeine Eigenschaft des Daseyns hervorgehoben hatte. Aber das Ding wird noch seltsamer, indem der Herr den Widerspruch des Wichts sogar einer Antwort, seinen schlechten Spaß einer Erwiederung werth findet. Zwar ist er ganz und gar nicht überrascht von der seltsamen Einwendung, sondern er überrascht uns, indem er es als bloße Kleinigkeit in der Frage bezeichnet: Hast du mir weiter nichts zu sagen? Kommst du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht? [293ff.] Und nun läßt er es sich gar gefallen, beynahe als könnte es ihm Vergnügen machen, indem sich Mephistopheles erbietet an Faust, diesem Trefflichsten aller Sterblichen, dem Erstgeborenen der Erde, all jenes behauptete Schlimme zu erweisen! „Du hast es wohl richtig getroffen, er dient mir jetzt nur verworren! In dieser Weise hast du ganz recht, mein Püppchen! Thue nur, wie es dir beliebt. Ich hindere es nicht nur, sondern erlaub es sogar!“ Dieß ist doch eigentlich nur der ganze Sinn der noch so sehr gehaltenen Erwiederungsrede. Dem armen Menschen, wie wird es ihm nur ergehen, da der Herr selbst sein Recht nicht wahrnimmt, sondern sein Unrecht des Teufels Frevel zu Gunsten zuschreibt. Also hätten jene himmlischen Schaaren, deren Fürsten wir mit Entzücken horchten, doch nur gewähnt, einen blendenden Schein für das Wahre hingenommen! Doch im selbigen [unleserliches Wort], in dem der Herr den Teufel beschieden, spricht er zu den Engeln das hohe Wort, das sie als die ächten Göttersöhne allein bezeichnet: Doch ihr, − − − − − − −, Erfreut euch der lebendig reinen Schöne! Das Werdende, das ewig wirkt und lebt, Umfass’ euch mit der Liebe holden Schranken, Und was in schwankender Erscheinung schwebt, Befestigt mit dauernden Gedanken. [344−49] Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich. Und Mephistopheles, der allein zurückbleibt, scheint zu fühlen, wenn ihm ein gar zu unbedingtes Recht zugestanden würde, es würde ihm selbst nicht taugen. Werfen wir nochmals einen Blick auf alles Gesagte zurück, so haben wir zuerst eine große Lichterscheinung. Sie löst sich auf, ein Dunkeles tritt an ihre Stelle, schaut von oben, vom höchsten Orte sogar begünstigt, indem es seinen Widerspruch, der eine Vertreibung jenes Lichten ist, geltend macht. Doch während er nun an der Reihe allein zu seyn scheint, wird auf jene Lichterscheinung wieder zurück gewiesen, und ihr der höchste Rang und Werth eingeräumt. So viel aus dem Inhalte, um zur Betrachtung der Behandlung überzugehen. Hier müssen wir die allmählige Vorbereitung, die allmähligen Uebergänge von einem zum andern hauptsächlich bewundern. R a p h a e l verkündet ein Allgemeines, aber dieses nur als ein einfaches, zwar lebendiges u bewegtes, doch in sich ungetheiltes. G a b r i e l bleibt gleichfalls noch immer allgemein! Aber schon weist er auf ein Allge-

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meines, das nicht mehr als ein einfaches, lebendes, bewegtes, sondern als ein doppeltes in jeder Hinsicht in sich besteht. M i c h a e l läßt sich noch mehr angelegen seyn, jenes doppelte hervorzuheben. Er ist auf dem Punkte bereits, wo er allgemein zu seyn aufhören müßte, wenn er im geringsten weiter ginge! Und hier tritt endlich M e p h i s t o p h e l e s ganz rein hervor, das Besondere, das Abgesonderte verkündigend. Michael bezeichnet es noch im Verbande als Wechselwirkung: hier wird eine Trennung und als ihr Grund, ihre Ursache das Daseyn des Menschen angegeben. Mephistopheles verharrt so sehr in seiner Absonderung, und als Gegenwirkung, daß er es umzukehren droht, und den Zwiespalt ebenso als Weltphänomen aufzustellen, wie Raphael den Einklang als solchen verkündigt hatte. Da äußert sich endlich in dem entscheidenden und würdigen Augenblick der H e r r , alle Partheyen vor sich fordernd, und das Gleichgewicht herstellend! Von Mephistopheles begann die Störung: Er verweist diesem zunächst die Unruhe des gestörten Verhältnißes. Als Mephisto nun dem Menschen die Schuld zuschreibt: sucht der Herr ihn zu bedeuten, indem er sich über seine Absichten mit dem Menschen, dessen eigenthümliche Natur und Stellung erklärt, nach der nun unregelmäßige Begegnung wohl im Einzelnen, und zwar durch den Menschen veranlaßt, unvermeidlich sey, doch läge es im Menschen auch schon, daß er von solchen Verwirrnißen sich zum Gegentheil erheben werde. Mephistopheles, aufgeregt, beharrt leidenschaftlich bey der Vernichtung des Menschen. Und der Herr, um den Ungestümen los zu werden, gibt ihm die Freyheit den Menschen wegzuschaffen, wenn er es v e r m ö g e . Doch um jeglicher Mißdeutung vorzubeugen, spricht er sofort die Gesetzmäßigkeit des Wirkens der Engel aus, und ermuntert sie in ihrer eigensten, durch Mephistopheles Widerspruch unterbrochenen Weise, ferner unaufhaltsam fortzufahren. Und so schwebt der Herr über allen diesen einzelnen, abwechselnden, verschiedenartigen Elementen, ihr Wirken so als Gegenwirken bezeichnend, jedem Widerspruch begegnend, und so den Kreis des Ganzen, der Einheit umschreibend, innerhalb deßen sie vorhanden sind. Wie aber sollen wir die Weisheit des Dichters hinreichend bewundern, der erst nach den Engeln und dann nach dem Teufel den Herrn heranführt! Denn denken wir uns ein Wirkendes noch so allgemein und vortheilhaft, und ein Gegenwirkendes noch so abgesondert und widerstrebend: werden wir uns nicht immer ein noch Höheres denken müssen, indem jenes Allgemeine und Vortheilhafte etwas in diesen Eigenschaften verliert, und jenes abgesondert Gegenwirkende, das uns belästigt, gewinnt? Und indem w i r es freylich nicht zu einigen vermögen, sondern nur immer das Uebergewicht E i n e r Seite hervorzubringen im Stande sind, bezeichnen wir ja eben dadurch die A l l seitigkeit jenes Werkes, das eben dadurch, weil es nicht einseitig weder in Wirkungen noch Gegenwirkungen, im Guten u Bösen ist, G o t t mit Recht vor uns gewinnt, und als solcher, als Erhalter, als Ordner der Welt u ihres mannichfachen, im Einzelnen oft zwieträchtigen Wesens, gepriesen, verehrt und angebetet wird. Wenn der Prolog im Ganzen dieselben Elemente, wie das Vorspiel, enthält, nämlich Prolog Engel Mephistopheles Herr

= = =

Vo r s p i e l Dichter Direktor Lustige Person

so sind diese Gegensätze im Prolog gerade so i d e e l l sich gegenübergestellt, als sie im Vorspiel r e a l vorgeführt werden. Und so ist denn ihre Auflösung durch die l u s t i g e P e r s o n gleichfalls so r e a l eingeleitet, als im Prolog durch den H e r r n ihre i d e e l l e Auflösung als lezte, höchste eingeleitet ist. (Fortsetzung ein andermal) Breslau den 23en November 1820.

Nov 25. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/830 Bl. 68)1): Ew. Excellenz äußern, Sie sähen das, was ich in meinem vorgehenden Schreiben [Beilage vom 20. Okt 1820] über 1

) Der Brief vom 25. Nov u. der folgende vom 2. Dez 1820 mit Beilage wurden, wie die

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Zueignung und Vorspiel gesagt, am liebsten gedruckt.1) Eine Abschrift von dem ganzen Briefe hat sich mein treuer Stubengefährte nehmen mögen, dem ich die Beförderung desselben zur Post, während einer mehrtägigen Abwesenheit von Breslau, aufgetragen hatte. Ich bedürfte also keiner Abschrift. Sollte indeßen wohl das ganze Schreiben unverändert abgedruckt werden? Und wo? − Ich bekenne, das Ganze scheint mir doch etwas zu nebulistisch abgefaßt zu sein. Ueberhaupt bin ich deßhalb mit meinen ganzen Scripturen unzufrieden, und ich werde mich wohl auch lange nicht entschließen können, wieder etwas drucken zu laßen. Es ist alles zu undeutlich, allgemein, lauter Reflexion und Begriff, kein Gefühl, Handlung und Darstellung. Ich sehe auch nicht ein, wie es besser werden soll. In dieser widerkäuenden und ausgekochten Welt, in der man dermalen lebt, muß man mit aufgewärmten Gerichten fast überall vorlieb nehmen. Dazu kommt bey mir ein gewisses übergartes Wesen, das sich alle die höchsten Probleme der Welt nur sittlich u moralisch in Gedanken lösen mag. Es ist physische Schwäche, und ich gestehe, das Ding ist mir auf die länge lästig, und kommt mir schaal und unschmackhaft, ja langweilig und gemein vor. Wenn ich daher früher den Mephistopheles nun lieb hatte, weil er den Wunderlichkeiten Dreister in den Weg trat, die ich nicht begreifen konnte, und ich mir ihn als ein ganz subjektives Wahnwesen, dessen andere objektive Seite gar kein Teufel sey, gern vorstellte, so kehre ich es um, und suche mich von seiner objektiven Realität als Teufel und Satan recht zu durchdringen. Es ist bloße Erbärmlichkeit und unsere Schwäche, auf nichts als zu großes Behagen in träumerischer Ruhe gestellt, die den Teufel gern aus unserer Welt vertreiben möchte, weil wir wohl fühlen, daß er diesem matten, siechen, weichlichen und doch mit sich selbst höchst zufriedenen Wesen immer einmal einen Streich spielen, und es unsanft betten wird. Mit unserer wahren höhern Natur hat dieser Teufel doch nichts zu schaffen, so wenig als sie mit ihm, und beyde verhalten sich ganz friedlich gegeneinander.

Dez

2. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/830, Bl. 69−72): . . . Ich hatte den K a u f m a n n v o n Ve n e d i g beendigt. Es war Abend geworden. Ich kauerte mich in einen Winkel zusammen, und konnte mich an den Schalkstreichen der Porgia, die ich mir nochmals hervorrief, recht inniglich ergötzen. Da trat auf einmal F a u s t mit allen seinen Bildern vor meine Seele. Scene vor Scene schwebte an mir vorüber. Und ich wüßte nicht zu beschreiben, welchen unaussprechlichen Antheil das letzte Ereigniß dießmal in mir erregte: Sollte die Geliebte für den Freund wirklich auf immer und immer verloren seyn? Und wo mag wohl Mephistopheles den Armen herumführen, um die tiefgeschlagenen Wunden, wenn auch nicht zu heilen, doch vernarben zu machen? Was es aber auch sey, womit er Ihn sänftigt, sey es durch gauklerischen Scherz voll Anmuth und Lieblichkeit mit einem glücklichen Gewahrwerden lassen der Kraft, des Frohsinns, des Gewinnens, des Gelingens, der Lust und Fülle in Andern: etwas muß es auf jeden Fall seyn, wodurch der Freund von jenem trüben Starren auf die gelindere Vergleichung seiner Selbst u des Verwandten still und heimlich hingeleitet wird, was sich ihm ebenfalls dargeboten, wenn nicht Leidenschaft, Haß und ungestümes Ergreifen ihn auf ewig davor zurückgestoßen hätten! Ihm bleibt die Sehnsucht, und sie regt sich mächtiger, ja weniger erhofft und nach allem Vorgefallenen hoffen kann und darf. Denn die Geliebte, die er so schmählich verlassen, da er sie befreyen sollte, sie wandelt wohl auf dieser Erde nicht mehr. Der treue Busen hauchte unter Henkershänden sein Leben aus. Aber ist es wirklich, ist es wahr? Das Unglaubliche, das für unmöglich gehaltene geschieht. Der Freund findet, wo er es nicht dachte, da er sich eben ganz andern Scherz erwartete, mit einem Male die verlorne Freundin verändert, erhöht, daneben das Kind! Er weiß nicht, ob er wacht oder träumt, ist oder nicht ist. „Sie ist es! ruft er

fehlenden Anreden nahelegen, zusammen mit dem Schreiben vom 20. Nov mit Beilage in einer einzigen Sendung zur Post gegeben. 1 ) s. oben 3. Nov 1820: an E. Schubarth.

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endlich aus, und will auf sie zueilen, um sich ihr ewig wiederhinzugeben. Doch nein! Das kann er nicht. Nur Vergebung will er flehen und Reue stammeln. Da ergreift Mephistopheles ihn mit gewaltiger Faust, wie ein ehernes Schicksal teuflischer als je anzuschauen, und ruft: „Bedenke Mensch, es gilt Zeit u Ewigkeit diesem Beginnen!“− „Laß es immer die Ewigkeit vergelten, erwiedert Faust. Nimm immer sie hin, die ich doch nicht verdiene. Allein dieser Augenblick, dieser einzige, wo ich die Wahrheit des Besessenen wieder erringe, sey es auch nur als Büßender in nie empfundenen Gefühle der Reue, er bey mein, er verwirkend und diese nicht, wie alles was ich bisher hoffte ohne es doch je zu ergreifen! Zu den Füßen dieser Heiligen will ich flehen, in ihr liebes Antlitz schauen, ob sie mir vergeben, ob noch irgend eine Regung – Ja, um der Wonne, des Trosts dieser einzigen, letzten, reinen, seeligen Augenblicke, Teufel, will ich, muß es denn so seyn, gern allen deinen nächsten Schrecknissen angehören!“ Er stürzt hin, und Mephistopheles blickt grimmig seiner Beute nach, die er trotz ihres augenblicklichen Entrinnens doch noch wieder zu erlangen zählt. Da erbebt es im Grunde, und aus Höhen senkt sich eine Lichterscheinung mit machtvollem Rufe! Es sind drey himmlische Gestalten, die Faust, die Freundin und das Kind schirmend umgeben. Wir wissen nicht, wie es geschieht, doch wir sind am urersten Platze wieder! Die Sonne scheint nach wie vor, die Erde dreht sich in ihrer schauerlichen Pracht fort, die Erzengel und Mepistopheles stehen wieder am Thron des Höchsten, und Faust am Ziel begnadigt, und eben so allen Widersachern vergebend, schaut aus reiner Höhe, in den schwülen Tag des Lebens hinein, und erkennt nunmehr die labyrinthischen Irrgänge als nothwendige sogar, um zum höchsten Geschicke zu gelangen, dessen er jetzt theilhaftig ist. Z u g a b e z u r R e c h t f e r t i g u n g v o r s t e h e n d e r M u t h m a ß u n g , ü b e r d e n A u s g a n g u n d S c h l u ß d e s z w e y t e n T h e i l s . I Im ersten Theil, als Faust entflieht, wird von oben Gretchens Rettung ausgesprochen. Es ist daher garnicht unwahrscheinlich und unmöglich, daß Gretchen im zweyten Theile nochmals auf die angedeutete Weise auftrete. Sie ist auch nicht Kindesmörderin. Sie verschuldet bloß den Tod von Mutter und Bruder, ohne Hand dabey anzulegen. Aber als die schmerzlich Gebärende erwacht, findet sie ihr Kind nirgends. Der gräßlichste Verdacht entsteht in ihr, wie sie sich selbst hierauf dem größten Verdachte gewiß giebt. Sie wird wahnsinnig, angeklagt und eingesperrt. Faust hat das Gefängniß offen gelassen und seit jener Lossprechung von oben steht sie unter höchstem Schutz. Wenn wir nun Mephistopheles und seinen Dämonen eine so ungeheure Macht zuschreiben, warum nicht auch jenen bessern Mächten, den Erzengeln u den mit ihnen vereinten Schaaren, daß sie dem unschuldigen Leiden wenigstens beistehen werden. Sie sind ja nicht müßig eingeleitet. Schon im Prolog wird ihre Vertheilung angekündigt, und in der ersten Szene deuten sie leise, aus der Ferne Faust umschwebend, auf geheimnißvolle Lösung aller Bedrängnisse. Gretchen also erscheint unter ihren Schutz gestellt, wenn sie zuletzt den Geliebten, überraschend, wiederfindet. Mephistopheles ist über dieses wundersame Zusammentreffen ebenfalls überrascht. Wahrscheinlich ist er es gewesen, der es zu veranstalten gesucht, daß die arme Erwachende durch das Fehlen ihres Kindes vom Schauplatz für immer entfernt bleiben sollte. Doch er verliert in gegenwärtigem, entscheidenden Moment keineswegs die Besinnung, sondern sucht den Vorgang zu seinem Vortheil, ja als von ihm herbeigeführt, zu benutzen. Hier trifft es sich nun, daß Faust wirklich dem Augenblick verweilen wünschen muß. Dadurch aber erfüllt sich die omonöse Wette. Mephistopheles gewinnt sie freylich mehr durch ein momentanes Imponiren, als durch seine Künste, indem er fremdes Wirken zu seinen Zwecken zu leiten sucht. Man kann ihm den kleinen Querstrich und die Verrechnung wohl gönnen, um so mehr, als der Uebermüthige allen Zufällen, u allem, was als Ereignung einer entgegengesetzten Ordnung der Dinge sich ankündigt, vollkommen gewachsen zu seyn sich vermessen hatte. Hat er doch schon früher bewiesen, daß er bey seinem eigensten Wesen und in seiner eigensten Manier sich verwickeln könne. Wir erinnern an den Pudel, der unvorsichtig ins Zimmer sprang, und nur durch die gefällige Hülfe einer Ratte als Teufel wieder befreit wurde. Um so mehr tritt nun die Dazwischenkunft höherer Mächte als gegrün-

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det ein, die sich zueignen, was sie vorbereitet. Auch sie nehmen an Faust Antheil, freylich nicht auf jene auf und zudringliche Art, wie Mephistopheles, der durch That unmittelbare Ueberredung zu seinen Zwecken zu gelangen sucht. Im höchsten entscheidenden Augenblicke des Lebens gehen sie vielmehr am Menschen nur vorüber, erwartend, ob er sie erwählen werde. So erschienen sie Faust bereits zweymal. Aus der Ferne kündigten sie sich in jenem Chorgesang an; vernehmlicher, näher läßt sich ihre Stimme bey der vorgesetzten Befreiung Gretchens hören. Ietzo beim dritten, letzten Male, wo sie es mehr als je als eine ganz zufällige Ereignung geschehen lassen, daß Faust die von ihnen bewahrte Geliebte wiederfindet u erblickt; ja es verstatten, daß Mephistopheles sich den ganzen Vorgang zuschreibe: eilen sie nur dann herbey, wie die bessere Natur Faustens den Sieg entschieden davon getragen in der schrecklichen Wahl, die Wahrheit des einzigen Augenblicks mit allen Schrecknissen der Ewigkeit büßen zu wollen! Und so tritt das Begnadigungsrecht des Herrn mit einigem Recht wohl ein, als Faust wirklich eine Reue u Preisgebung seiner, bei freylich nicht ganz zu dämpfenden Wünschen, ausgesprochen hat, die auf vollendete Besserung hoffen lassen darf. Eben desshalb aber müßen wir es zugleich zugeben, daß sein bisheriger Widersacher auch nicht vom Schauplatz ganz entfernt wird. Er hat freylich nicht ganz recht, aber auch nicht ganz unrecht. Faust mag ihn nur recht beschauen, beschauen, und bedenken: wozu es nützt, wenn wir selbstisch uns durch eignes Wähnen und Ungedulden erst verwirrt, daß uns ein wirkliches Uebel, als schreckliche, außer uns befindliche Wahrheit packt, um es uns zu verweisen, daß wir mit dem Uebel, sey es als Vorsatz, als Gedanke, als Vorstellung nur, ein Recht zu spielen haben! Wollen wir uns aber an dem durchaus und vollendet Guten erfreuen, was uns jene beyden doch nicht gewähren, so wenden wir uns mit um so größerer Befriedigung zu Gretchen, der bey großem Unglück u Leiden, willentlich wenigstens nichts Verkehrtes u Böses zugeschrieben werden darf, ja wir ergänzen, was auch ihr fehlen dürfte, durch des Chor der Seeligen u der rein Himmlischen.1)

[Dez Hell und Dunkel im Auge bleibend (LA I 8, 188)2): Hell und Dunkel, 2. Hälfte] welche, eins oder das andere, auf das Augen wirkend, sogleich ihren

Gegensatz fordern, stehn vor allem voran. Ein dunkler Gegenstand, sobald er sich entfernt, hinterläßt dem Auge die Nötigung dieselbe Form hell zu sehen. In Scherz und Ernst führen wir eine Stelle aus Faust an, welche hierher bezüglich ist. Faust und Wagner auf dem Felde, gegen Abend, spazierend bemerken einen Pudel. [Folgt Zitat: 1147−57] Vorstehendes war schon lange, aus dichterischer Ahnung und nur im halben Bewußtsein geschrieben, als, bei gemäßigtem Licht, vor meinem Fenster auf der Straße, ein schwarzer Pudel vorbei lief, der einen hellen Lichtschein nach sich zog: das undeutliche, im Auge gebliebene Bild seiner vorübereilenden Gestalt. Solche Erscheinungen sind um desto angenehm-überraschender, als sie gerade, wenn wir unser Auge bewußtlos hingeben, am lebhaftesten und schönsten sich anmelden.

1

) Das Folgende s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Teil“, 2. Dez 1820: E. Schubart an G; S. 661 ff. 2 ) ED als Abschnitt 1 des Aufsatzes Physiologe Farben in: Zur Naturwissenschaft überhaupt, besonders zur Morphologie I 4 (1822) 257f.

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Dez 26. [London] M. M. Dawe an J. C. Hüttner (GSA 28/92 Bl. 110): Miss Dawe presents her compliments to Mr Hutner, she thanks him for the present from Mr. de Goethe,1) to whom she begs him to express her grateful acknowledgements. It is a present, that she most highly values, as illustrating with so much feeling, and talent, the very interesting tragedy intitled Faust, but which shall always esteem much more, as a mark of attention from Mr. de Goethe, whom she has ever been taught to think of with admiration, and to whom she is indebted for some of the greatest delights, that the power of Genius, and humain imagination, can to afford. Miss Dawe would have had the pleasure of answering Mr Hutners polite note sooner, but till now she has not had one moments leisure.

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⎯ J. St. Zauper: Grundzüge zu einer deutschen theoretisch-praktischen Poetik, aus Göthe’s Werken entwickelt. Wien 1821, 128f.: Göthe hat durch die Wahl des Götz und des Faust so recht eigentlich in das Leben der Deutschen gegriffen, wie es uns anweht, wenn wir alte deutsche Bücher, Gemählde und Kupferstiche betrachten, ein je ne’sais quoi, das uns durch ihn erst deutlich wird. Weitere Eigenschaften der Handlung sind Wichtigkeit und Vollständigkeit; unter letzterer verstehe ich eine höhere, in so fern die Handlung Totalität hat, d. h. ein verständliches Ganzes bildet. In Faust findet sich dieses Ganze, ungeachtet er ein Fragment ist . . .2)



⎯ Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (Hegel: Werke in zwanzig Bden. Red. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel. Bd 7. Frankfurt 1971, 19): Mit dem einfachen Hausmittel, auf das Gefühl das zu stellen, was die und zwar mehrtausendjährige Arbeit der Vernunft und ihres Verstandes ist, ist freilich alle die Mühe der von dem denkenden Begriffe geleiteten Vernunfteinsicht und Erkenntnis erspart. Mephistopheles bei Goethe − eine gute Autorität − sagt darüber ungefähr, was ich auch sonst angeführt: Verachte nur Verstand und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Gaben − so hast dem Teufel dich ergeben und mußt zugrunde gehen.3)

1821 ⎯ [J. F. W. Pustkuchen-Glanzow:] Wilhelm Meisters Wanderjahre. Quedlinburg und Leipzig 1821, 234−38: ,Er [G] nahm den einst unvollendet gelassenen Faust wieder vor. Früher, da er den Götz arbeitete, hatte er auch die gleichzeitige Sage kennen gelernt. Es läßt sich ihr allerdings ein bedeutender Sinn abgewinnen, und darum haben vor und nach Göthen manche andere Schriftsteller sie ebenfalls behandelt. Sie diente den frühern Jahrhunderten als Vorbild des menschlichen Vorwitzes, der die ewigen Schranken seiner Natur nicht ehrt. Göthe gab sich an die Behandlung des Ganzen, und die ursprünglich ersten Scenen scheinen zu zeigen, daß ihm der Sinn der Erzählung einleuchtete. Zwar ist die Critik alles menschlichen Wissens, die Faust ausspricht, nicht sowohl die eines Mannes, der wie Alexander, in Indien an den Gränzen steht und nach dem Unmöglichen langt, als die eines Studenten, der über seine Professoren spaßt; indeß that sie den Bedürfnissen der Meisten ein Genüge. Im Fortgange aber schlug die Be-

1

) s. oben 18. Nov 1820: an Hüttner. ) Aphoristische Anmerkungen zum Faust auch in J. St. Zauper: Studien über Goethe. Als Nachtrag zur deutschen Poetik aus Goethe. Wien 1822, 68ff. 3 ) Hegel kontaminiert, ungenau zitierend, zwei Verssequenzen aus Studirzimmer II.: Verachte nur Vernunft und Wissenschaft / Des Menschen allerhöchste Kraft (1851f.) u. Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben / Er müßte doch zu Grunde gehen! (1866f.). 2

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handlung den Weg aller Götheschen Poesie ein. Der ungeheure Frevler, der alle Verhältnisse niedertrat, alle Regeln höhnte und als ein Riesengeist selbst den Teufel an wilder Kraft überbot, dieser furchtbare Mensch, in welchem der gezähmte Tieger wieder aus den Schranken bricht, der nach der Volkssage mehrere Länder mit seinen Gräueln füllt − er wird bei unserm Dichter ein Held, wie alle seine Helden. Ein Liebeshandel wird angesponnen, wie es tausend giebt, aus der italiänischen Gräfin der alten Erzählung wird ein gutmüthiges, aber beschränktes Bürgermädchen nach der Weise der Klärchen im Egmont; ein Liebhaber wird umgebracht, und so geht Alles den marklosen Gang eines bürgerlichen Trauerspiels. Der Dichter hatte das selbst gefühlt und das Fragment weggeworfen. Jetzt aber schien es ihm brauchbar, um seine Bewunderer auf eine nicht sehr mühsame Art zufrieden zu stellen. Er that ihnen den Gefallen, das Fragment ein wenig zu runden; es kam ein Prolog voran, der nach der Einleitung des Buches Hiob copirt ist, vermuthlich, weil der Dichter sich nicht anders zu helfen wußte. Der Gegensatz dieses Prologs mit dem früheren Fragmente ist schreiend für jeden, der nur Gefühl hat. Offenbar hatte der Dichter selbst den Sinn der Sage vergessen, und war dem Faust darin gleich geworden, daß er keine Scheidewand zwischen dem Heiligen und Profanen mehr kannte. Indeß hinderte dieses seine Bewunderer nicht, diesen Faust nun als das Bild des menschlichen Lebens anzupreisen, eine Behauptung, die jedem Besonnenen verrückt erscheinen muß. Ein Aeschylus hätte diesen deutschen Prometheus, ein Dante diesen von der Hölle bewaffneten Gottes-Feind, ein Shakspeare dieses alle Gesetze als Schranken hassende Ungeheuer an Kraft bearbeiten müssen, um den tiefen Sinn, welchen die Erzählung wirklich hat, in der Anlage des Ganzen, wie der einzelnen Theile auszuprägen.’ ,Hiermit aber,’ fuhr der Hauptmann fort, ,scheint mir die Zeit, wo Göthe mit Glück in den vorherrschenden Grundton des Geschmacks einstimmte, abgelaufen. Er hatte sich im Faust nur accommodirt . . .

Jan

3. [Weimar] C. W. Lieber1) an H. Meyer (GSA 28/92 Bl.19): Würden Ew. Wohlgebohren wohl die Güte haben und Sr. Excellenz folgende Bitte vortragen womit mich Schwerdtgeburth2), Holdermann3) inclusive, der beiden Vorsteher der Harmoniegesellschaft beauftragt haben; ob nahmlich Sr. Excellenz es gnädigst erlaube daß künftigen Sontag über 8 Tage im Locale der Harmonie die Tableaux vom Faust gegeben werden dürften? − Und ob Ew. Excellenz wohl die Gnade hätten uns den Cornelius von der Bibliothek zukommen zu laßen, da nach Holdermanns u. Schwerdtgeburths Meynung No. 8. 18. u. 20. auch Ret[z]sches Contouren4) wegbleiben u nach Cornelius5) gemacht werden sollen; um diese 3 Contouren durchbausen zu können welche Arbeit ich jetzt vielleicht am besten machen könnte . . . 5. An J. C. Hüttner (Konzept; Br 34, 68): Ich bedaure gar sehr, daß Sie

und Miß Dawe einen Augenblick wegen der Kupfer, die mir so viel Freude gemacht haben, in Sorgen seyn konnten. Wahrscheinlich ist nun auch meine Sendung vom 20. November in Ihren Händen6) und erhält mein Andenken bey der wohlwollenden Freundin. 12./13. An E. Schubarth (Br 34, 95): Da ich in den letzten Monaten des vorigen Jahrs nicht dazu gelangen konnte, Ihnen, mein theurer junger 1

) Carl Wilhelm Lieber (1791−1861), Maler u. Zeichner in Weimar. ) Carl August Schwerdgeburth (1785–1878), Kupferstecher in Weimar. 3 ) Carl Wilhelm Holdermann (1785–1852), Schauspieler u. Theatermaler in Weimar. 4 ) Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Ret[z]sch. Stuttgart u. Tübingen 1816. 5 ) P. Cornelius: XI. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1816−17. 6 ) G’s Brief datierte vom 18. Nov; vgl. oben 26. Dez 1820 den Dankbrief M. Dawes an Hüttner. 2

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Freund, für die reichhaltigen Sendungen1) zu danken, so will ich wenigstens nicht weit in’s neue Jahr hinein zaudern, sondern sogleich versichern, daß es mir sehr angenehm sey, wenn Sie ihre Unterhaltungen aus der Ferne fortsetzen wollen. Da wir einmal bey persönlicher Unterhaltung den Grund zum besten Verständniß gelegt; so wird es denn eher möglich, auch von weitem sich über Gegenstände zu erklären, die bey ihrer Bedeutsamkeit einer klaren Darstellung sich sonst entziehen möchten. Sie haben mich durch Ihre Blätter wieder mannichfaltig angeregt. Jan

15. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 41): Ich erwähnte [E.] S c h u b a r t s schöner Äußerungen über das ideale Maaß jeder menschlichen Anlage, gelegentlich seines Aufsatzes über Faust;2) Goethe nahm Gelegenheit mir dessen lezten Brief [vom 6. Jan 1821] zu zeigen, − wie ungern ich auch − sezte Er hinzu − Briefe vorzeige. 30. Abends O. B. D. Coudray welcher von den Tableaux im Alexanderhofe

erzählte.3) Febr

9. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 45): Darauf ward von den Tableaux aus Faust erzählt, die eine hiesige Gesellschaft unter Liebers, Holdermanns und Schwerdtgeburts Direction dermalen von Zeit zu Zeit im Alexanderhof darstelle.4) 11. Nachts Hofr. Meyer und Professor Riemer.5) 11. [Weimar] Riemer Tagebücher (GG 3.1, 240): Abends bei Goethe . . . Die englischen Nachstiche von Retzschs Faust [von Henry Moses].6)

Mai 10. [Berlin] Carl Graf Brühl an G (GSA 28/93 Bl. 153): Sämtliche Prinzen und Prinzessinen tragen mir nochmals auf Sie recht dringend zu bitten, doch ja die Einladung [zur Einweihung des Schauspielhauses] anzunehmen, und alle mit Ihrer Gegenwart zu erfreuen. der Fürst Radzivill hofft Ihnen eine Vorstellung des Faust geben zu können.7) 19. [Rom] Auszug eines Briefes aus Rom. Fortsetzung. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz Nr. 80 v. 19. Mai 1821, 374: Ich weiß nicht, ob Du schon Gelegenheit gehabt hast, die berühmten Zeichnungen von Goethe’s „Faust“ zu sehen,8) welche doch hier und da − wie solches häufig der Fall ist − durch die Arbeit des Kupferstechers verloren haben.

1

) Briefe vom 20. Nov mit Beilage sowie 25. Nov u. 2. Dez 1820 mit Beilage. ) Bezug auf: Der Mensch besitzt einen gewissen Inbegriff von Anlagen, die dazu bestimmt sind, den Umkreis seiner Natur zu bilden. Ueber jede dieser Anlagen schwebt auf ideelle Weise ein gewisses Maaß, welches die Gränze bezeichnet, innerhalb deren die ächte Wirksamkeit jeder Anlage Statt findet. (Nachträge über Goethe’s Faust. In: Zur Beurtheilung Goethe’s . . . Breslau 21820, Bd 2, 12). 3 ) s. oben 3. Jan 1821: Lieber an H. Meyer. 4 ) s. oben 3. Jan 1821: Lieber an H. Meyer. 5 ) s. nachfolgendes Z. 6 ) s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 7 ) Mit Hinweis auf sein Alter lehnte G die Einladung am 12. Mai 1821 ab, s. Br 34, 226ff. 8 ) P. Cornelius: Bilder zu Goethe’s Faust. Zwei Hefte zu je vier Blatt. Gestochen von F. Ruscheweyh. Frankfurt 1816 u. P. Cornelius: Bilder zu Goethe’s Faust. Zwei Blatt. Gestochen von F. Ruscheweyh. Frankfurt 1817. 2

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5. [London] J. C. Hüttner an G (GSA 28/94 Bl. 243f.): Soane arbeitet fort am „Faust“.1) 22. [Weimar] R. P. Gillies (GG 3.1, 259): I then endeavoured to speak of the singular influence that „Faust“ and „Wilhelm Meister“ had exercised on English authors; of Lord Byron’s debt to the former in „Manfred“, and so forth; but to this his [G’s] answers were in a tone of perfect indifference. He cared not a straw about praise, and was inaccessible to flattery. 25. [Löbichau] C. G. Körner an G (GJb 1883, 308): In des Fürsten Radziwill Compositionen zum Faust2) würden Sie häufig die Genialität eines Dilettanten finden, dem es nur an dem Vermögen fehlt, seine Ideen befriedigend auszuführen.

Juli

3. (s. „Goethe zu Howard’s Ehren“: J. C. Hüttner an G gD, EGW 6, 616) 22. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: C. C. L. Schöne an G gD, S. 666 f.)

⎯ [Dresden, anonym] Über die Dresdner Kunstausstellung im August 1821. In: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode Nr. 119 v. 4. Okt 1821, 1007: Vortrefflich ist die kleinere Landschaft, welche eine Scene aus Goethe’s Faust darstellt: Faust und Wagner kehren Abends nach der Stadt zurück, der schwarze Pudel mit den feurigen Augen begleitet sie; der Abendhimmel ist herrlich gemahlt; im Purpurschimmer sank die Sonne, sanftleuchtend steht die kleine Mondsichel über der Stadt, deren gothische Domkirche man durch den Dunst deutlich erblickt. Dieß Bildchen ist eines Meisters würdig.3) Sept 10. [Berlin] P. A. Wolff an G (GJb 2005, 320): Sr Durchlaucht der Fürst Radziwill trugen mir auf, Ew Excellenz in ihrem Namen nachstehende Bitte vorzutragen. Bey der schnellen Abreiße Sr Durchlaucht und dem hastigen Einpacken des Kamerdieners ist die Scene aus dem Faust zwischen den kleinen Teufeln und dem schlafenden Amor, mit der darauf folgenden [Gartenhäuschen] welche Ew. Excellenz dem Fürsten zur Composition eingerichtet haben,4) verlegt worden, und da Sr Durchlaucht während ihres jetzigen Aufenthaltes in Posen sich mit Vorbereitungen zu der Scenendarstellung des Fausts für künftigen Winter beschäftigen, und diese beyden Manuscripte unentbehrlich sind, so würden Ew. Excellenz den Fürsten sehr verbinden, wenn Hochdieselben die Gnade hätten mir dieser beyden Scenen Abschrift zukommen zu lassen, damit ich sie ungesäumt nach Posen senden könnte. Aug

23. [Jena] An P. A. Wolff (Br 35, 94f.): Ihr lieber Brief [vom 10. Sept],

mein Werthester, hat mich bey meiner Rückkehr aus den böhmischen Bädern freundlich empfangen, und es freut mich immer, wenn ich dem Kreise, woher mir soviel Angenehmes kam und kommt, irgend etwas Gefälliges erwidern kann. Empfehlen Sie mich daher schönstens dem durchlauchtigsten fürstlichen Paare bey Übersendung inliegender Abschriften. Okt

2. [Mainhill] Th. Caryle an Th. Murray (Sanders 1, 385): A few days ago I received a parcel from your exalted Bibliopolist. He gave me . . . a copy of somebody’s translation of Faustus by Goethe − „for criticism.“5) 1

) s. oben [Anf. Febr] 1820: Soane, Preface. ) Compositionen zu Göthe’s Faust vom Fürsten Anton Radziwill. Partitur. Berlin 1835. 3 ) Vor dem Thor von C. G. Carus; Abb. in Neubert 123. 4 ) s. oben 11. Apr 1814: an Radziwill. 5 ) Zugeschickt wurde Faustus: From the German of Goethe. London 1821, eine neue Ausgabe der Outlines des Verlags Boosey and Sons mit einem neuen Begleittext. Er enthält eine Teilübersetzung von Faust in Blankversen zusammen mit überleitenden Inhaltsangaben in Prosa; s. zur 1. Ausg. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 2

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3. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: C. C. L. Schöne an G gD, S. 666f.) 14. [Jena] An Zelter (Br 35, 141): Begegnest du [in Berlin] einem Carl

Ernst Schubarth, von Breslau, so sey ihm freundlich in meine Seele; er hat über meinen Faust geschrieben.1) Nov

1. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/829 St. 22): Könnte ich meine Bitte in dieser Hinsicht als gewichtig genug halten, so würde ich dringend ersuchen, ja Ew. Excellenz geradezu darum bestürmen, daß Sie uns eine . . . Auslegung über den F a u s t geben, dieses Werk, das, mit der Pandora, so wie es jetzt da liegt, zu den räthselhaftesten und schwerst verständlichen Productionen Ew. Excellenz gehört. Ich bin in diesen Tagen recht sehr wieder aufgefordert worden, und zwar aus einem ganz anderen Gebiet her, an dieses einzige und seltsame Werk zu denken. Schleiermachers Christlicher Glaube ist nämlich erschienen.2) Der gute Mann ist denn darin auch auf den Teufel gerathen, und indem er ihn Gott gegenüber stellt, hat er freylich sehr leicht ihn weg zu disputiren.3) Daran der Teufel den Grillen und Anmaßungen des Menschen tüchtig und rechtschaffen gegenüberzustellen, daran denkt er nicht, obwohl er selbst zu den verneinenden Naturen gehört, die da berufen sind, ihre Gesellschaft zu versammeln, und sich mit ihr zur Ruhe zu bringen. Es würde nicht ungemäß seyn, dem Zeitalter den Glauben an den Teufel etwas zurückzurufen, damit es nicht, indem es zu leichtsinnig vom Teufel sich befreit hält, um so gewißer einteufele. Die Sache bey u an einer Dogmatik zur Sprache zu bringen möchte nicht rathsam seyn. Unverfänglicher, und die reinen Perlen nicht betrübend, dürfte an einem Gedicht sich der Gegenstand verhandeln lassen. Und sonst wünsche ich mir selbst, die Zeiten von Fausts Zaubermantel wären noch da, oder zu wiederholen. Zu dem Gebrauch, den ich von ihm machte, gehörte zunächst, daß ich manchmal durch die Lüfte zu Ew. Excellenz eilte.

14. [Berlin] W. H. von Schilling an G (GSA 28/95 Bl. 469): Von allen Ihren Schöpfungen hat mich keine gewaltiger berührt, als die Tragödie: Faust; seit lange beschäftigte mich der Gedanke, sie meinem Vaterlande [Rußland] in einer Ubersetzung mitzutheilen: scheint auch die Idee vermessen, ein Nationalgedicht dieser Art zu dislociren, so ist vielleicht anderseits die Fülle und Bildsamkeit der russischen Sprache im Stande den Wunsch zu rechtfertigen. Ich habe die Ausführung begonnen, und zwar − um an dem Heterogensten meine Kraft zu prüfen, − mit der Szene in Auerbachs Keller. Freunde, beider Sprachen mächtig, ermunterten mich zur Fortsetzung: nun erfahre ich gelegentlich von Herrn Professor Hegel, daß Sie den Faust noch um mehrere − bis jetzt ungedruckte − Szenen bereichert haben; und von dem doppelten Wunsche beseelt, dies herrliche Werk in seinem ganzen Umfange zu kennen, und den Meinen zu verpflanzen; unternehme ich es, Ew. Excellenz um die Mittheilung derselben ganz ergebenst zu bitten; insofern dies – auch bedingungsweise − mit Ihren übrigen Absichten vereinbar wäre.4) Dez 3. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an C. C. L. Schöne gD, S. 667 f.) 3. (s. „Notice sur la vie et les ouvrages par Albert Stapfer“: A. Stapfer an G gD) 18. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 302): Gestern fand ich in einem meiner beliebten englischen Journale5), bei Gelegenheit der von H. Moses nachgestochenen Umrisse des 1

) s. oben 27. März 1818 u. 10. Mai 1820: E. Schubarth an G mit Anm. ) Friedrich Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. 2 Bde. Berlin 1821/22. 3 ) Vgl. die Abschnitte vom Teufel (Bd 1, 218−33) u. von der Sünde (Bd 2, 56−60; 114−16). 4 ) Antwort nicht überliefert. 5 ) Möglich die Aufsätze Faustus: from the German of Goethe in: The European Maga2

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Hrn. Retsch nach dem Faust,1) ein Urtheil über das Gedicht selbst, das mich nicht wenig erfreute, zumal da es von einem Engländer kommt. Dez 19. [Wien] Dorothea Schlegel an P. Veit. In: Alexander Strasoldo-Graffemberg: Ludwig Ferdinand Schnorr v. Carolsfeld. Diss. Bonn 1986, 235: L. Schnorr hat sein großes Bild ,Faust und Mephisto’2) für 1200 Scudi an den Kaiser verkauft.3) 29. [Haddington] J. B. Welsh an Th. Carlyle (Sanders 1, 421): When you have finished your review of Faustus4) . . .

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⎯ [Wien, anonym:] Ueber die neuere dramatische Literatur. In: Jahrbücher der Literatur 20 (1822), Bd 4, 165: . . . Faust, obgleich ein nicht zu vollendendes Fragment, für jetzt noch immer der Höhe- und Glanzpunkt unserer dramatischen Literatur, spricht eigentlich das innere Uebel, woran das Jahrhundert leidet, die Zerfallniß nämlich des Innern dieser merkwürdigen Generation, den Zwiespalt zwischen Idee und Realität so vollendet aus, daß dieser Zwiespalt der Grundstoff des Werks selbst geworden; der Dichter aber, der über diesem Streite in wahrer Kunsterhabenheit seinen Standpunkt gewann, wußte diesen herbsten Gegenstand, ohne ihm als mitleidende Person zu unterliegen, mit einer bis dahin in deutscher Kunst unbekannten Stärke der Seele aufzufassen, und hinzustellen. ⎯ ⎯ Grillparzer: [Notiz.] Faust. 1822. In: Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Vollständige Ausgabe in 16 Bden. Hsg. v. Moritz Becker. Bd 10: Dramatische Fragmente aus der Jugendzeit. Leipzig o. J. [1917] 179f: Ich hatte, es sind wohl jetzt schon zehn Jahre,5) die Idee, Goethes Faust fortzusetzen und bis zum Ende zu führen. Ich erinnere mich von meinem damaligen Ideengange nur noch so viel, daß ich nach Gretchens entsetzlicher Katastrophe Fausten in sich zurückkehren und finden lassen wollte, worin er es versehen, worin eigentlich das Glück besteht: in Selbstbegrenzung und Seelenfrieden . . . Das Ganze gäbe ein eigenes Stück, bei dem das Goethische vorausgesetzt würde. Febr 5. [Dresden] C. G. Carus an G (Grosche 21): Damit nun aber auch die zarte Schwester der Wißenschaft, die Kunst, bey dieser Sendung nicht fehle, füge ich ferner meine Briefe über Landschaftsmalerey6) ihr an . . . Ja, um das Wort durch die That zu beleben, habe ich dafür gesorgt daß vier meiner landschaftlichen Bilder vorsichtig eingepackt, gleichzeitig an Ew. Excellenz abgingen . . . Rücksichtlich der Bilder endlich erinnere ich nur daß das grössere . . . die Scene aus dem F a u s t 7) sey, von der ich mündlich8) Ew. Excellenz gesprochen. zine. London 80 (1821) S. 362−69 u. Mr. Soane in: The London Magazine. London 4 (1821) Nr. 24, S. 657f.; vgl. Henning II Nr. 7017f. 1 ) Retsch’s Series of twenty-six outlines illustrative of Goethe’s Tragedy of Faust, engraved from the originals by Henry Moses. And an analysis of the tragedy. London 1820. 2 ) s. oben 20. Febr 1819: Korrespondenz-Nachrichten; Abb. in Neubert 117. 3 ) Sichern Nachrichten zufolge hat Sr. Majestät der Kaiser dieses Bild gekauft, und zwar, wie man eben jetzt sagt, für 2600 fl. Conventionsgeld (Kunst-Blatt Nr. 94 v. 22. Nov 1821, 376). 4 ) s. unten [Apr] 1822: Th. Carlyle, Faustus. 5 ) s. oben 1811: Notiz. 6 ) G erhielt ein Manuskript; ED der Briefe u. d. T. Neun Briefe über Landschaftsmalerei, geschrieben in den Jahren 1815−1824. Zuvor ein Brief von Goethe als Einleitung. Zum Beginn d. J. 1831 hsg. v. C. G. Carus. Leipzig 1831; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2397). 7 ) Gemälde Vor dem Thor; Abb. in Neubert 123. 8 ) Treffen am 21. Juli 1821 im Tgb vermerkt.

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Febr

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5. [Berlin] E. Schubarth an G (GSA 28/830 St. 30): Ich sollte wohl eigentlich Anstand nehmen die Ergänzungsblätter über Faust Ew. Excellenz zuzusenden, da ich mich zum Theil in manchem anders besonnen habe. Doch ist keine Zeit mehr es von mir zu geben. 11. [Weimar, nachmittags] Sendung von Carus aus Dresden.1) 13. Gegen Abend Hofrath Meyer, die Gemälde von Carus besehen.

geneigte Sendung2) hat mir und den sämmtlichen Kunst- und Naturfreunden große Freude gemacht; fürwahr! Sie vereinigen so viel Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten, deren innigst lebendige Verbindung theilnehmendes Bewundern erregt. Von allem jedoch nächstens umständlicher . . .3) 22. Abends Professor Riemer. Brief und Sendung von Carus. 18. An C. G. Carus (Br 35, 275): Ew. Wohlgeboren

[März]

[Edinburgh] Th. Carlyle an Hodgkin (Sanders 2, 58f.): I do not say that Byron took the idea (of the wicked and clever remarks in „Don Juan“) from Mephistopheles; it is unhappily easy for many a one to find such ideas nearer home if he is blackguard enough to indulge in them. I only meant to say that Byron might have found his fundamental conception realised already in Goethe’s play. The Diable Boiteux (of Le Sage) is a very pretty little fellow but no devil, rather a smirking little French Abbe´.

März 8. [Weimar] Riemer an G (GSA 28/96 Bl. 75): Nachdem ich Ew. Excellenz geneigte Anfrage wegen dieses Abends zuzusagen die Ehre gehabt hatte, wird mir zu der heutigen Darstellung d e r S c e n e n a u s F a u s t , welche die Künstler Schwerdtgeburth, Lieber u Holdermann in der Harmonie Gesellschaft veranstalten,4) ein Billet zugestellt. Ich habe von diesen Tableaus sehr viel Ruhmens gehört und kann nicht läugnen, daß ich sie ebenfalls gern zu sehen wünschte, um somehr als ich mich erinnere von Ew Excellenz selbst darum befragt worden zu seyn. Sollten demnach Ew Excellenz meinen Wunsch genehmigen so würde ich hiermit gehorsamst um die Erlaubnis bitten, diesen Vorstellungen, die sobald nicht wieder für das exoterische Publicum gegeben werden dürften, beywohnen zu können; und zugleich um die Vergünstigung, wonach Ew. Exellenz belieben, entweder M o r g e n A b e n d b i s 8 U h r , o d e r U e b e r m o r g e n , die heutige Abendunterhaltung mit einem neuen Stoff vermehrt, einbringen zu dürfen. 20. (s. „Götz von Berlichingen . . . Schauspiel“: J. St. Zauper an G gD, EGW 6, 790) [Apr]

[Edinburgh] Th. Carlyle, Faustus: from the German of Goethe. London. Boosey and Sons.18215) (The New Edinburgh Review. April, 1822. Vol. II., No 4, Sp. 318ff.; 321; 326, 331): Goethe is likely to figure in after ages, as one of the most remarkable characters of his time; and posterity will derive from this tragedy their most lively impressions, both of his peculiar excellencies and defects. Faust was conceived while its author was passing from youth to settled manhood, − a period of inquietude in every life, − frequently, as in his case, of a darkness and despondency but too well suited to furnish ideas for such a work. It was executed when long culture and varied experience had ripened his powers; and under a splendour of reputation, which admitted the most

1

) s. oben 5. Febr 1822: Carus an G. ) s. oben 5. Febr 1822: Carus an G. 3 ) s. unten 20. Apr 1822: an Carus. 4 ) s. oben 3. Jan 1821: C. W. Lieber an H. Meyer. 5 ) Zu verstehen als Rez. der neuen Ausg. der Outlines des Verlags Boosey and Sons; s. oben 2. Okt 1821: Carlyle an Murray. − G’s Kenntnis des Aufsatzes ist anzunehmen, aber nicht belegt. 2

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confident, even careless exertion of them: its object is to delineate whatever is wildest and most mysterious in the heart and the intellect of man; and its chief materials are drawn from the heart and the intellect of the writer. In perusing it, accordingly, we seem to behold the troubled chaos of his own early woes, and doubts, and wanderings, − illuminated in part, and reduced to form, by succeeding speculations of calmer nature, − and pourtrayed by a finished master, in all its original vividness, without its original disorder. In studying the scenes of Faust, we incessantly discover marks of that singular union of enthusiasm with derision; of volatility with strength and fervour; of impetuous passion, now breaking out in fiery indignation, now in melting tenderness, now in withering sarcasm, with an overflowing gaiety, now only sportive and full of the richest humour, but grotesque to the very borders of absurdity, or beyond them, − which appears to belong exclusively to Goethe. In Faust too, we trace the subtle and restless understanding, which, at one period or another of its history, has penetrated into almost every subject of human thought; the sparkling fancy, and, as a necessary consequence, the boundless command of language and illusion − to clothe and illustrate, as if by enchantment, all the conceptions of a most capricious, though lofty and powerful imagination. Qualities so exquisite have long placed Goethe at the head of German poets; and given him a kind of literary autocracy in his own country, to which nothing with us bears any resemblance. Unlimited power is said to injure the possessor of it; and here, as in more important instances, it has produced its natural effect. Goethe has suffered, as well as profited, by the want of criticism; and traces of his having written for a much too indulgent public, are visible in Faust no less than trances of his wonderfull genius. There is a want of unity in the general plan of the work, and there are numerous sins against taste in the execution of it. We dot not allude to any of the three superannuated unities of Aristotle, or the French school: but there is not in Faust that unity of interest, which we are taught to expect in every work of fiction. The end has too slight a connection with the beginning, the parts with each other: and the general effect is more than once entirely suspended by the insertion of certain incoherent scenes, which it would not be easy to admire anywhere; and nowhere − it might seem at first view − more difficult than here. They resemble the disjecta membra of wit and satire, much more than wit and satire themselves; and though not without some gleams of meaning independently of the local and ephemeral topics to which they refer, they are given out in so raw a state of preparation as would undoubtedly expose them to very brief and harsh treatment from any critic but a German one. It were unfair, however, to deny that this strange mixture of pathos, and horror, and drollery, acquires, on reflection, a secondary beauty, sufficient to cancel much of its original rudeness and apparent incongruity. Faust is not constructed on the common dramatic principles, or at all adapted for theatrical representation. It seems to aim at holding up not only a picture of the fortunes and feelings of a single character, or group of characters; but at the same time, a vague emblem of the real vortex of human life; and in this point of view, its heterogeneous composition and abrupt variations, even its occasional extravagance, have a subordinate propriety, as significant of the vast, and confused, and ever-changing object, which the whole in some degree is meant to shadow forth . . .1) Goethe’s conception, both of Faust and Mephistophiles, bears not only far more relation to the habits of a refined and intellectual age, but is also far more ingenious and poetical in itself. The introduction of magic is but accessory to the main result: it is intended merely to serve as the means of illustrating certain feelings, and unfolding certain propensities, which exist in the mind, independently of magic; and the belief we are required to give it is of the most loose and transient nature. Indeed, if we can only conceive that an assemblage like his dramatis personæ, so discordant, and so strangely related to each other, has been formed by any means, the 1

) Es folgt ein Vergleich mit der Tragical History of Doctor Faustus von Marlowe.

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author appears to care little whether we believe in it at all; and throughout the play, glimmering indications frequently become visible of the ridicule with which the characters themselves, whatever they profess in public, inwardly regard the whole subject of diablerie in all its branches. Nor does Faust’s misery, at any period of his history, spring from so common a source as the dread of his future doom; „this sun shines on all his sorrows,“ and it would hardly alleviate them perceptibly, if the hereafter were to be for him an everlasting blank. Mephistophiles, too, is a much more curious personage than formerly. „The progress of improvement,“ as he himself observes, „has been so considerable of late, that it has extended even to the devil − the northern phantom with horns, and tail, and claws, being no longer visible upon earth.“ He is a moral, not a physical devil; and the attributes of his character harmonize with the rest of the intellectual machinery by which Goethe undertakes to work upon our feelings. It is machinery of a much finer and more complex sort than that employed by Marlow; the management of it is infinitely more difficult; but the effect which he makes it produce is also much more ennobling, and reaches much farther into the mysteries of our nature . . . [Folgt Analyse einzelner Szenen.] Except the character of Faust himself, that of his new associate is by far the most striking and original in the whole of this wonderful drama. Mephistophiles is not the common devil of poetry, but one much more adapted to his functions. It is evident that he was a devil from the first and can be nothing else. He is emphatically „The Denver:“ he fears nothing, complains of nothing, hopes for nothing. Magnanimity, devotion, affection, all that can sweeten or embellish existence, he looks upon as childish mummery. His powerful intellect enables him to understand all those sentiments and their modes of acting upon men: but the idea of them excites no pleasure in his mind; and he regards all their manifestations as the most weak and ridiculous anility . . . He cares for the suffrage of no one − irony is the only tone in which he speaks of all things; and the universe itself appears in his eyes little better than a huge puppet-show, and its whole history a paltry farce, in which there is nothing to excite any feeling but derision from a rational thinker . . . In many respects Mephistophiles resembles some French philosophe of the last century. There is the perfection of intellectual faculties with a total absence of the moral; the extreme of fanciful pleasantry and acute thought, with the extreme of arid selfishness and contemptuous apathy. Upon all those passions and emotions which men are ennobled by experiencing, he reasons with the keen sagacity and easy disdain of the most accomplished cynic . . . The work, of which we have traced this brief and imperfect sketch, is undoubtedly one of the most singular that have ever appeared in Europe. We scarcely know under what class to arrange it, or how to mark out its rank in the scale of literary dignity. As a mere drama, its faults are many; and its beauties, though of a high order, are not of the highest. There is no plot sufficient to create dramatic interest; and though many scenes are of great power, and many situations of high tragical effect, they hang too loosely together to constitute a perfect work of this class. Perhaps the most striking peculiarity of the whole performance is the wonderful versatility of talent which it implies. To group together the wicked scornful malignity of Mephistophiles with the pastoral innocence of Margaret, the chaotic gaiety of the Brocken, and the impetuous enthusiasm of Faust, was a task which few could have meditated, and none but Goethe could have accomplished. It presupposes a union of poetical and philosophical powers, such as have rarely met together in the history of mind.

Apr/Juni [Wien, anonyme Rez.] C. E. Schubarth: Zur Beurtheilung Goethe’s mit Beziehung auf verwandte Litteratur und Kunst. 2 Bde. 2. verm. Aufl. Breslau 1820. In: Jahrbücher der Literatur 18 (1822), April. May. Juny, 266−70: Der Gehalt des F a u s t weicht, wie die Form der Durchführung, so sehr von allem Gewohnten ab, daß hier gelegentlich nur so weit die Rede davon seyn kann, als die Schubarth’sche Auffassung zum Widerspruche zwingt . . . F a u s t möchte das Universum individualisiren und die Stelle des gesuchten Individuums mit seiner Persönlichkeit ausfüllen; das scheint das Thema der Tragödie in

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der weitesten Bedeutung zu seyn. Jede engere Begränzung, sollte sie auch auf den ersten Blick mehr zusagen, würde der titanenmäßigen Natur des F a u s t widersprechen . . . Das Zurückstoßen jeder nur mittelbaren Gemeinschaft, das Verschmähen jeder natürlichen Gränze, das Auflehnen gegen jedes bestimmte Gesetz, mit einem Worte, das versuchte Ueberspringen seiner selbst und jedes Endlichen, um das unendliche Wesen aller Dinge im Schwunge unwiderstehlich an sich zu reißen: das ist das Verkehrte, Zerrüttende, Ungeheure in der Tendenz des F a u s t . . . Unter dem angegebenen Gesichtspunkte ist auch nicht, wie S c h u b a r t h meint, die Vernunft, überhaupt die Fülle der Wissenskraft der einzige Hebel der unmöglichen Annäherung, sondern nur das natürlichste Werkzeug, der flammenden chaotischen Gährung in reißenden Stößen und Wirbeln Raum zu geben. Das sinnliche Princip ist im F a u s t von allem Anfang an so übermächtig als das geistige; er stürzt sich nicht erst in Folge seines unbefriedigten Erkenntnißtriebes in alle Taumel des Genusses, er trägt vielmehr den tiefwühlenden Stachel desselben ursprünglich in der tobenden Brust . . . Wenn diese Ansicht die richtige ist, so darf die Haupttendenz des Göthe’schen F a u s t , wie unser Verfasser thut, schwerlich dahin bestimmt werden (S. 150), „das philosophische, nach der Erkenntniß des Weltganzen hinstrebende Wissen als unsittlich und unmenschlich darzuthun.“ Vielmehr geht der letzte Zweck wohl nur darauf aus, in wie weit die Poesie Zwecke haben mag, an einem außerordentlich ausgerüsteten Individuum unserer Gattung anschaulich nachzuweisen, daß die mannigfaltigsten und umfassendsten Kräfte ihr Ziel verfehlen und in sich untergehen, wenn sie die menschenmögliche und erlaubte Vereinigung mit dem Universum anders zu Stande bringen wollen, als durch ebenmäßige Ausbildung, wahres Gleichgewicht, gesetzliche Einheit innerhalb ihrer natürlichen Gränzen . . . Die Beziehung der Wa l p u r g i s n a c h t und des Wa l p u r g i s n a c h t s t r a u m e s hat S c h u b a r t h gut hervorgehoben; nur tritt er bey der Gelegenheit dem billig einschränkenden Urtheile A u g u s t W i l h e l m S c h l e g e l s über das Dramaturgische im F a u s t 1) auf die ungezogenste Art zu nahe . . . Der Verfasser weiß von dem Teufel mehr Gutes zu sagen als von den berühmtesten deutschen Schriftstellern zusammen genommen, mit Ausnahme des einzigen G ö t h e , unter dessen Flügeln er gern, wenn auch nur als blinder Passagier, die Reise zur Unsterblichkeit mitmachen möchte.

[Apr]

[Edinburgh] Th. Carlyle an Dr. Poole2) (Sanders 2, 76):3) Carlyle replies to the criticism of a Mr. Hodgkin on his article on Goethe’s Faust (published in April 1822 [New] Edinburgh Review). He comments at length on Goethe and on his own studies of German literature; contrasts Mephistopheles and Byron’s Don Juan, and analyzes Le Diable Boiteux. Tells Poole to make any changes in the article which he wishes; he is extremely busy and scarcely has time to reread the manuscript.

Apr 13. Gräfin Julie Egloffstein, die Bilder von Carus gesehen . . . [Nachmittags]

Maler [H. C.] Kolbe besah die Arbeiten von Carus.4) 18. Recension von Hofrath Meyer, über Carus Gemälde.5) 20. An C. G. Carus (Br 36, 23):6) Ew. Wohlgeboren die angenehmen Bilder zurücksendend, füge auch zugleich den schriftlichen Aufsatz hin1

) s. oben 1811: A. W. Schlegel: Ueber dramatische Kunst und Litteratur. ) Editor der Zeitschrift The New Edinburgh Review. 3 ) Inhaltsangabe des nicht vorliegenden Briefs nach einem Verkaufskatalog von 1963. 4 ) s. oben 5. Febr 1822: Carus an G. 5 ) Die Rez. Carus Gemälde erschien in KA IV 1 (1823) 48−51; darin Ausführungen zum Gemälde Faust und Wagner; s. das drittnächste Z. 6 ) G’s Tgb vermerkt am 21. Apr: Emballirter Kasten an Carus, mit Gemälden, ingleichen Packet mit Manuscript über Landschaftsmalerey, nach Dresden. 2

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zu;1) beide stehen in dem reinsten Bezug und deuten auf ein zartes gefühlvolles Gemüth, das in sich selbst einen wahren haltbaren Grund gefunden hat. Die hiesigen Kunstfreunde wallfahrteten fleißig zu dieser lieblichen Erscheinung und eigneten sämmtlich mit Behagen und Zufriedenheit jeder sich das Seinige zu. Haben Sie daher sehr vielen Dank für die Mittheilung, wobey ich nur wünsche, daß die zarten Arbeiten wieder glücklich zu Ihnen gelangen mögen, worüber mir gefällige Nachricht erbitte. Apr 25. An C. G. Carus (Br 36, 29): Der ich in Hoffnung, daß sowohl Gemählde als Manuscript glücklich angekommen, mich bestens empfehle . . . [Mai/ [H. Meyer:] Carus Gemälde. I. Faust und Wagner. In: KA IV 1 (1823) 48f.: Der VorJuni]2) dergrund, wo man die beyden Figuren und den unfern vorüberlaufenden Hund sieht, ist eine wenig bewachsene etwas kahle Höhe; im tieferen Mittelgrund liegt im Duft und bereits anfangender Dämmerung die Stadt, weiterhin erheben sich ferne und fernere Berge im Schimmer der Abendröthe. Die Luft warm, glühend, treibt einzelne bunte Wölkchen, über denen mit noch mattem Lichte der Mond steht. Dämmerung darzustellen ist allemal eine der schwersten Aufgaben für den Landschaftsmaler; um so mehr ist zu verwundern, wie es einem zwar hochbegabten, doch die Kunst nicht einzig und ausschließlich obliegenden Manne so befriedigend gelingen konnte. Das Ganze thut eine sanfte angenehme Wirkung; die Farbentöne der verschiedenen Gründe sind warm, harmonisch, der Natur nachgebildet; die Luft verdient vorzüglich großes Lob, indem der rothe Dunst der Berge sehr schön und angenehm in den goldnen Schein, den die schon verschwundene Sonne am Horizont verbreitet, und dieser wieder allmählich im Himmelsblau stirbt.3) [Mai 2.] Vorschlag zu einer vollständigen Ausgabe zu Goethe’s Nachlaß von ihm

selbst entworfen (Tgb 8, 370): P a r a l i p o m e n a . . . Zu Faust.4) 12. [Dresden] C. G. Carus an G (Grosche 26): Die Nachsicht übrigens mit welcher Ew. Excellenz sowohl als die Weimarischen Kunstfreunde meine Bilder aufgenommen haben erkenne ich dankbar an,5) und hätte ich noch eine Bitte hierüber zu thun, so wäre es namentlich über den Faust der mich lange beschäftigt hat einige belehrende Winke zu erhalten.6) 18. [Heidelberg] H. F. W. Hinrichs an G (GSA 28/415 St.1): . . . nehme mir die Freiheit, hiemit ein Exemplar meiner ersten jugendlichen Arbeit zu übersenden7) . . . Zugleich empfangen Ew. Excellenz meinen innigsten Dank für die vielfache Belehrung, die mir Ew. Excellenz Werke im Allgemeinen gewährt haben, aber insbesondere für die durch den Faust sich mir dargebotene Gelegenheit, meine Vorlesungen, welche ich im vorigen

1

) s. oben 5. Febr 1822: Carus an G. ) Zur Datierung: G am 8. Juni 1822 an C. G. Carus: Es steht darüber [über Carus Gemälde] ein Aufsatz [von H. Meyer], für Kunst und Alterthum bestimmt, schon auf dem Papiere. (Br 36, 55). 3 ) Lithographie nach dem Gemälde in Neubert 123. 4 ) G zählte zu den Paralipomena auch die neue Szene Zwey Teufelchen und Amor; s. unten 2. Sept 1822: Tgb u. „Zwey Teufelchen und Amor“, S. 834–37. 5 ) s. oben 20. Apr: an Carus. 6 ) G ging darauf nicht ein. 7 ) Hinrichs Buch: Die Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft. Heidelberg 1822, in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2669). 2

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Winter vor einer großen Anzahl Zuhörer gehalten habe, nun baldigst herausgeben zu können.1) Wenigstens gedenke ich in einigen Monaten die gedruckten Aushängebogen der ersten Abtheilung derselben schon überschicken zu dürfen. Mit der gehorsamsten Bitte, mir die richtige Ueberlieferung dieser in einigen wenigen Zeilen baldmöglichst gefällig melden zu wollen . . .2)

Juni

3. [Weimar] J. H. Bohte an G (GSA 28/97 Bl. 152): Der Buchhändler Bothe aus London hat die Ehre auf seiner Rückreise von Leipzig Sr. Excellenz Herrn Geheimen Hofrath von Göthe . . . zu überreichen . . . die fertigen Bogen einer bei ihm veranstalteten Uebersetzung Ew Excellensen’s „Faust“3) . . .. Bedauert dabei außerordentlich nicht die Ehre einer persönlichen Aufwartung genoßen zu haben4) um noch einige andre Bemerkungen wegen dieser Uebersetzung, von der Feder des Herrn Soane, beifügen zu können. 5. [Jena] Kommt von Weimar eine Sendung englischer Bücher.5) 8. [Jena] Studierte . . . Fausts Englische Uebersetzung [von G. Soane].6) 10. [Weimar] An C. F. v. Reinhard (Br 36, 61): In England hat ein Herr

Soane meinen Faust bewundernswürdig verstanden und dessen Eigenthümlichkeiten mit den Eigenthümlichkeiten seiner Sprache und den Forderungen seiner Nation in Harmonie zu bringen gewußt;7) ich besitze die ersten Bogen mit nebengedrucktem Original.8) Überhaupt will mir bedünken, daß die Nationen sich unter einander mehr als je verstehen lernen; die Mißverständnisse scheinen nur innerhalb des eigenen Körpers einer jeden zu liegen. 1

) Der Druck verzögerte sich; s. unten 10. März 1824: Hinrichs an G. ) Geschah am 10. Juni 1822 (Br 36, 62): Sie erhalten, mein Werthester, Ihrem Wunsche gemäß hiedurch die Nachricht: das überschickte Buch sey glücklich angekommen. Unseres würdigen Hegels Vorwort habe sogleich mit größtem Antheil gelesen . . . fernerer Mittheilung entgegen sehend ... − Die ersten beiden Faust-Vorlesungen erhielt G von Hinrichs Anfang Juli 1822 (s. dort). 3 ) George Soanes Übers., in einem aus 32 S. bestehenden Pp. ohne Titel u. Impressum von der Zueignung bis Sz. Nacht v. 575 (Ruppert Nr. 1916). − ED der Übersetzung durch Leonard L. Mackall, Soane’s Faust translation now first published, from the unique advance sheets sent to Goethe in 1822. In: Archiv f. d. Studium der neueren Spr. u. Lit. 12 (1904) 280−93; Wiederabdruck in Burwick 2007, 151−64. − Zu Soane’s Faust-Übers. vgl. D. Boileau, A few remarks on Mr. Hayward’s english prose translation of Goethe’s Faust, with additional observations on the difficulty of translating German works in general. London 1834, 19: Mr. George Soane had been induced by the late German bookseller Bohte to attempt a poetical translation of Goethe’s Faust, the first sheets of which are sent to Goethe, who greatly approved of the translation, and Mr. Soane had done one− third of the work, when the death of the bookseller Bohte, and unpleasant family affairs which deprived Mr. Soane of the serenity of mind necessary for such a task, made him relinquish an undertaking which would have exhibited alike his poetical powers and his perfect knowledge of the language of Germany. 4 ) G war vom 26. Mai bis 7. Juni in Jena. 5 ) s. das vorige und das folgende Z. 6 ) s. oben 3. Juni 1822: Bothe an G. 7 ) Soanes einfühlsame Faustus Dedication veranlaßte G, sie 1823 in KuA IV 2 zu publizieren (s. dort). 8 ) Zweisprachige Ausg.: linksspaltig der dt. Text nach der Ausgabe von 1817 (B 9), rechtspaltig die engl. Vers-Übersetzung von George Soane. (Ruppert Nr. 1916). 2

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[Juli [Heidelberg] H. F. W. Hinrichs an G (GSA 28/415 St. 2): Auch treffe ich in der nun Anf.] zum Druck bestimmten Ausarbeitung [der Faust-Vorlesungen],1) wie es häufig zu geschehen pflegt, auf mancherlei Schwierigkeiten, welche zu überwinden sind, und die mir gesetzte Frist zur Vollendung des Ganzen nothwendig verlängern. Jedoch bin ich überzeugt, daß Ew. Excellenz aus diesen beiden ersten Vorlesungen2) die Art und Weise ersehen können, wie ich meinen Gegenstand zu behandeln und auszuführen gedenke. Wie in diesen ersten Vorlesungen, werde ich mich in allen andern stets an den Fortgang der Tragoedie halten, und die Vernünftigkeit desselben durch den Gedanken darzuthun mich bemühen. Aber eben diese Nothwendigkeit des Gedankens ist mir die Gewißheit, daß der Tragoedie zweiter Theil nicht ausbleiben kann, weil der bis jetzt erst erschienene erste Theil derselben von Seiten des Faust mit der Entzweiung endet, und darum die Versöhnung eine nothwendige Forderung bleibt. Ein Urtheil von Ew. Excellenz über diesen meinen in den Vorlesungen auszuführenden Gedanken überhaupt wäre mir umsomehr willkommen, als ich durchaus denselben Ew. Excellenz Tragoedie zu verdanken habe. Sobald ich im Stande seyn werde, wenigstens die erste Abtheilung dieser Vorlesungen gedruckt übersenden zu können, soll es meine erste Angelegenheit seyn, dieselben an Ew. Excellenz zu befördern.3) Juli 12. [Heidelberg] H. Voß an B. R. Abeken (Gräf II 2, 286f.): . . . ein Dr. Hinrichs hier4) lässt Vorlesungen über den ’Faust’, die er im vorigen Winter im Jeverschen Dialect gehalten, bei Groos drucken.5) Er hat sich bei Goethe die Erlaubniss erbeten, sie ihm dediciren zu dürfen.6) Goethe hat ihm mit umgehender Post freundlich geantwortet,7) sich aber doch erst eine Probe ausgebeten. Von [J. W.] Roux weiss ich das, der mir erzählte mehrere Collegen seien eifersüchtig, die Goethe um das selbe gebeten, und keine Antwort erhalten. Diese Vorlesungen sollen heillos dummes Zeug enthalten. Aug

2. [Eger] S. Grüner Gespräch (QuZ 2.1, 581f.): Goethe besah meine Bibliothek, hielt sich einige Zeit bei meinen französischen und englischen Werken auf, nahm manchen Band heraus, um die Auflage zu besehen; endlich nahm er auch einen Band von seinen Werken. Es war der erste Theil, betitelt: „Theater von Goethe,“ enthaltend: Faust, die Laune des Verliebten und die natürliche Tochter, Wien, gedruckt bei Anton Strauß, 1810, in Commission bei Geistinger.8) Da es ein Nachdruck war, befürchtete ich, Goethe werde sich etwas bitter äußern. Er aber betrachtete die Umrisse, die statt der Kupferstiche beigegeben waren,9) und sagte, nachdem er noch einige Bände angesehen 1

) s. oben 18. Mai 1822 u. unten 10. März 1824: Hinrichs an G. ) Die beiden ersten Faust-Vorlesungen können die Einleitung enthalten haben, deren schon länger zurückliegende Kenntnis G dem Verf. am 13. Apr 1824 (s. dort) versichert. 3 ) s. das nächste Z m. Anm. 4 ) Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (1794−1861) hatte im WS 1821/22 als Privatdozent der Philosophie in Heidelberg Faust-Vorlesungen gehalten, wechselte dann als Professor nach Breslau u. bald darauf nach Halle. − Am 18. Mai 1822 hatte er G sein Buch Die Religion im innern Verhältnisse zur Philosophie gesendet, der es am 10 Juni 1822 (Br 36, 62) dankend quittiert, die Lektüre des Vorworts von Hegel bestätigt u. mit der Versicherung, fernerer Mittheilung entgegen sehend, das Beste wünschend, geschlossen. Gräf II 2, 287 zufolge, bezieht sich Voß’ Brief an Abeken auf dieses Schreiben G’s an Hinrichs. Zum weiteren Verlauf s. unten 13. Apr 1824: an Hinrichs u. 24. Febr 1825: Tgb. 5 ) Zum Titel s. unten: 24. Febr 1825: Tgb u. Anm. 6 ) s. unten 10. März 1824: Hinrichs an G. 7 ) s. unten 13. Apr 1824: an Hinrichs. 8 ) 16 Bde; 1−6: Theater von Goethe; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1799). 9 ) Umriß zu Bd 1 zeigt die Schlußszene von Faust I, gezeichnet von Grüner u. gestochen von Rahl; Abb. in Neubert 93. 2

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hatte, daß diese Auflage unter die guten zu zählen sei, − ohne eine Miene zu machen, daß der Nachdruck ihm unangenehm wäre.

Aug 22. [Baden] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 218) : Ob wohl Ihr Faust übersetzt ist oder wird? Für Frankreich scheint mir das Unternehmen etwas schwierig, und da bei uns gegenwärtig die Parteisucht alles in ihre Wirbel zieht, so möchten Sie als Romantiker einen harten Stand haben. Mephistopheles wird ohne Gnade für einen Liberalen gelten, und doch sind, dünkt mich, eben jetzt bei uns die verneinenden Geister nicht die Liberalen. Verwandter ist, nach Sinn und Sprache dem in diesem Werke wohnenden Geiste der englische; dennoch wäre ich sehr neugierig zu erfahren, wie der Uebersetzer ihn dargestellt habe.1) [Sommer]2) [Weimar] Kräuter, Repertorium über die Goethesche Repositur3) (Tgb 8, 371f.) : Paralipomena. Drey Kapseln 4° oblig. a. Occasionis . . . b. . . . Zu Faust.4) Sept

2. Kräuters Repertorium über meine sämmtlichen Werke, Schriften und

litterarischen Vorrath. [Herbst] [Berlin] Amalie v. Helwig, Ueber die Ausstellung in Berlin [Herbst 1822]. In: Morgenblatt. Kunstblatt Nr. 66 v. 18. Aug 1823, 262: Derselbe Künstler [K. F. Schulz aus Berlin] stellte in zwey geistvollen Sepia-Zeichnungen, von eigener Composition, Faust’s Studierstube und die Hexenküche uns vor Augen − in der ersten tritt eben Mephistopheles als fahrender Schüler hinter dem Ofen hervor − die zweyte läßt uns diesen mit seinem artigen Lieblingsgeschlecht, den Meerkatzen, am Kaminfeuer beschäftigt sehen, indeß Faust im ersten überraschten Anschauen verloren, vor dem Zauberspiegel steht, welcher ihm Gretchens jugendliche Reize zeigt.5) Okt 5. [Leipzig, anonym] Göthe. In: Literarisches Conversations-Blatt Nr. 230 v. 5. Okt 1822, 920: Daß der Faust ein Thema, allseitig wie das Leben selbst, darböte, und daß mehrere Perioden aus dem Leben Göthe’s sich in dieser Dichtung berührten, haben schon andere geurtheilt. Die Wiederaufnahme jenes Thema in einem bewegten Gemüthszustand erklärt sich daher leicht, und der Dichter selbst gesteht sie in der dem Gedicht vorangestellten Zueignung ein, indem er die schwankenden Gestalten wieder hervorruft, die sich einst seinem trüben Blick gezeigt, indem er sich abermals jugendlich erschüttert bekennt, und indem er beginnt, des Lebens labyrinthisch irren Lauf zu wiederholen . . . Man thut . . . Unrecht, wenn man die Tragödie Faust für eine Erweiterung des Fragment dieses Namens und für weiter nichts ansieht. Sie gleicht vielmehr einer Verwandlung desselben. Im Fragment liegen die unersättlichen Triebe des Doctors Reinheit der Natur und fromme Unschuld gegenüber. Der Tragödie ist vom Anbeginn an ein Zusaz religiöser Heiligkeit beigegeben. Des Fragmentes Schluß erscheint zwar milder. Aber wenn dieser Schluß auch das Herz weniger zerreißt, so liegen doch gerade

1

) s. oben 10. Juni 1822: an C. F. v. Reinhard. ) Datierung nach G an Cotta, 8. Sept 1822 (Br 36, 159): Es ist diesen Sommer in meiner Abwesenheit eine Repositur zusammengestellt worden, worin alles enthalten ist was jemals Gedrucktes und Ungedrucktes von Werken, Schriften, Arbeiten und Vorarbeiten von mir ausging . . . alle Fragmente und was mehr ist . . . Mit dieser Anordnung und mit einem vollständigen Verzeichniß ward ich bey meiner Rückkehr überrascht, und ich verhandele nun mit meinen ältern und jüngeren Freunden, wie davon Gebrauch zu machen seyn möchte und wie, wenn ich auch abgerufen würde, doch nichts verloren seyn dürfte. . . 3 ) Das Verzeichnis, das Kräuter G nach dessen Rückkehr aus Böhmen vorlegte, ist in dieser ersten Fassung nicht erhalten; eine spätere findet sich in Tgb 8, 371f. 4 ) Ordnungsmaßnahme u. a. zur Übersicht über die Paralipomena Zu Faust. 5 ) Zeichnungen nicht nachweisbar. 2

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deshalb diejenigen beiden Gegensätze, auf welchen die Anlage des Ganzen hauptsächlich beruht, am Schluß ungleich ferner auseinander. Faust, der in den letzten Szenen des Fragments wieder bei mondhellen Nächten auf den Höhen der Berge wandelt, entläßt uns eigentlich mit nicht mehr, denn einem leisen Hoffnungsschimmer. Ganz anders in der Tragödie. Margarethe, bevor sie gerichtet worden, graut vor Faust, und was Mephistopheles als ein Gericht betrachtet, das über sie gehalten wird, erklärt eine Stimme von oben für ihre Rettung, ganz wie in allen Völkergeschichten wirklich einst alle Gerichte Versöhnungen oder Expiationen waren. Nun mag Mephistopheles auch mit dem von ihm angegriffenen Faust verschwinden; der geretteten Margarethe graut nicht mehr vor ihrem Verführer, sondern sie ruft ihm ihr Heinrich nach. Die Betrachtung über das tiefsinnige und vieldeutige Gedicht muß sich auf die Heraushebung jener beiden Züge beschränken. Der Leser ist gerade deshalb von dem zerreißenden Schluß mehr ergriffen, weil die beiden Gegensätze sich um vieles näher gerückt sind. Und darauf gerade kommt es an.

Nov 30. [Berlin] Die Kunst-Ausstellung zu Berlin. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz. 191. Blatt v. 30. Nov 1822, 920: Zwei Zeichnungen, nach Goethe’s Faust: Die Hexenküche und Faust’s Studierstube, Mephistopheles als fahrender Schüler hinter dem Ofen hervor tretend, von Friedrich Schulz, sind voller Leben in der Darstellung und der Gegenstand darin mit treflichem Humor aufgefaßt.1) Dez

5. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: C. C. L. Schöne an G gD, S. 677.) 23. Die Dedication des englischen Fausts abgeschrieben.2)



⎯ Ueber Kunst und Alterthum. Von Goethe. Stuttgart 1823. IV 2,77f.:3) Faustus. Dedication. Ye wav’ring images are near again, As once ye visited, my gloomy mind! And may I hold you? Is my heart as then To Fancy’s high imaginings inclin’d? Ye crowd around me! Well then, as ye wind From clouds and darkness be your power seen; My bosom swells with youthful fire, refin’d By the sweet breath, that where your train has been Still leaves a magic odour fresh o’er all the scene.

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) s. oben Herbst 1822: Helwig. ) Teil der von G hochgeschätzten Übers. von G. Soane, die der Verleger Bohte ihm am 3. Juni 1822 geschickt hatte und die G nun zur Veröffentlichung in KuA IV 2 bestimmte; s. das nächste Z. 3 ) Durch die Wiedergabe von Soane’s engl. Übertragung der Zueignung in KuA drückt G seine Hochschätzung für die Übers. aus. Sie erinnerte ihn wohl an Byron, da Soane die Childe Harold-Strophe verwendete. Dazu Leonard L. Mackall: So far as the meter is concerned, Soane might have followed the original more closely. He convertet the ottava rima of the Dedication into Spenserian stanzas. Diese in England sehr populäre Form ging auf den Renaissance Dichter Spenser zurück, der sie in der epischen Dichtung The Faerie Queen eingeführt hatte. G scheint gegen die Form keine Einwände gehabt zu haben, da er schrieb, Soane habe seinen Faust bewundernswürdig verstanden und dessen Eigenthümlichkeiten mit den Eigenthümlichkeiten seiner Sprache und den Forderungen seiner Nation in Harmonie zu bringen gewußt. (10. Juni 1822: an C. F. v. Reinhard). 2

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With you arise the joys of time gone by, And many a lovely shadow flits along; First love and friendship in dim forms are nigh Like some half-living, half-forgotten song; The sorrows of my youth around me throng, Grief treads again life’s labyrinthine ways And tells me of the friends whom Fortune’s wrong Has robb’d of many, many happy days And torn from me to plunge into the night’s dark maze. They hear me not, those kindred souls, for whom In youth I sang: bu´rst is that circle gay Which round me once in friendship us’d to bloom, The echo of those times has died away: And now to stranger ears is pour’d my lay, To those whose praises, when they loudest sound, But make me sad; the partners of my May Who in their old friend’s verse had pleasure found, Live not, or live dispersed upon some far off ground. The aspiration for the world of shades Revives within me, and my strain Now swells to joy − now into sadness fades, Like Aeol’s harp − I shudder; and again Tears coursing tears adown my old cheeks rain; My heart relents with feelings long unknown; The present is to me unreal, vain: Distant is all that now I call my own; The past again is real, and the past alone.

1823 1823/26 Hegel: Vorlesungen zur Ästhetik. In: Hegel: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe. Bd 14: Vorlesungen über die Ästhetik. Dritter Bd. Stuttgart 1928, 564: . . . will ich nur an die absolute philosophische Tragödie, an Goethe’s Faust erinnern, in welcher einer Seits die Befriedigungslosigkeit in der Wissenschaft, anderer Seits die Lebendigkeit des Weltlebens und irdischen Genusses, überhaupt die tragisch versuchte Vermittlung des subjektiven Wissens und Strebens mit dem Absoluten, in seinem Wesen und seiner Erscheinung, eine Weite des Inhalts giebt, wie sie in ein und demselben Werke zu umfassen zuvor kein anderer dramatischer Dichter gewagt hat.1) 1823

Karl Immermann: Brief an einen Freund über die falschen Wanderjahre Wilhelm Meisters. Münster 1823, 36: Daß unser falscher Meister [J. F. W. Pustkuchen-Glanzow] auch den F a u s t nicht verstehen würde, war zu erwarten.2) Er tadelt daran das Puppenspielartige, Burleske, und faßt nicht, daß Goethe auch hier durch sein feines Gefühl 1

) Ob das Zitat wirklich von Hegel stammt, wird in der Forschung angezweifelt; es findet sich in keiner der überlieferten Vorlesungsnachschriften, s. A. Gethmann-Siefert u. B. Stemmrich-Köhler: Faust. Die ,absolute philosophische Tragödie’ und die ,gesellschaftliche Artigkeit’ des West-Östlichen Divan. Zu Editionsproblemen der Ästhetikvorlesungen. In: Hegel-Studien 18 (1983) 28−44. 2 ) s. oben 1821: Pustkuchen-Glanzow: Wilhelm Meisters Wanderjahre.

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richtig geleitet worden ist. Der Gegenstand jener Tragödie − die offene Empörung des Geschöpfs gegen den Schöpfer − ist so entsetzlich, daß nur die scherzhafte Form sie innerhalb der Grenzen des Schönen noch festhalten kann. Wäre sie in erhabner, pathetischer Form gedichtet, so würde sie statt Behagen Pein hervorbringen, und unerträglich werden.

Jan

18. [Paris] A. Stapfer an G (GSA 28/878)1) : Monsieur, si je n’e´tais intime´ment convaincu de l’insuffisance de mes efforts, conviction qui m’est commune avec mes collaborateurs, j’aurais pu interpre´ter votre silence en bonne part, et le prendre pour une approbation pure et simple de la traduction dont j’ai de´ja` eu l’honneur de vous adresser deux volumes : j’aurais pu l’interpre´ter ´egalement en sens contraire, et croire de deux choses l’une, ou que nos fautes vous ont paru trop nombreuses pour en dresser la liste, ou que vous avez ´ete´ trop poli pour nous l’envoyer. Mais comme, en vous la soumettant : nous ´etions bien ´eloigne´s d’attendre autre chose de votre complaisance qu’une critique tre`s ge´ne´rale, ou tout au plus, l’indication des fautes les plus grossie`res, de celles qui vous auraient saute´ aux yeux `a une premie`re lecture ; il me reste seulement `a supposer que le troisie`me tome (premier de la souscription) et la lettre que l’accompagnait ne vous sont point parvenus, ou bien que, pour vous mettre `a meˆme de re´pondre sur l’ouvrage d’une manie`re positive, vous en attendez la fin. Dans cette dernie`re supposition, qui est la seule probable, je ne puis, moi, que perdre `a l’envoi que je vous fais : car j’en suis venu `a Faust, et certes Faust est de toutes vos œuvres la plus originale, pourtant la moins traduisible. Longtems j’avais reculer devant une lutte qui passe mes forces de si loin : mais une fois m’y ´etant engage´, j’ai du ˆ la soutenir jusqu’au bout ; et maintenaint qu’elle est termine´e, si je n’en sors pas vainqueur, quelque chose me dit pourtant que je n’ai pas tout-a`-fait succombe´. Que cet aveu, d’une franchise trop nue peut-eˆtre, n’enchaine pas la vo ˆtre: si ma traduction est mauvaise, dites le moi cru ˆment, et surtout ne me dites pas le contraire. Je suis jeune, ma plume s’essaie, elle doit errer. Tout ce que j’ose espe´rer est donc moins un ´eloge d’avoir bien fait, qu’un encouragement `a faire mieux, qui me donnaˆt `a penser que tout n’est pas mal. Et de quelle part que de la vo ˆtre, Monsieur, cet encouragement ne pourrait-il ˆetre `a la fois plus utile et plus honorable ? Pour que vous sachiez pre´cise´ment sur quelles bases asseoir le jugement que vous porterez de mon travail, je prendrai la liberte´ de vous indiquer, avant de finir, en quel sens je prends cette fidelite´ que tous les traducteurs reconnaissent pour leur unique re`gle, et que chacun d’eux de´finit `a sa manie`re. C’est, selon moi, l’art de rendre en des termes ´equivalens la pense´e de l’auteur qu’on traduit, ou mieux, de n’employer jamais les meˆmes termes qu’aux cas ou ` dans les deux langues ils seraient exactement de meˆme valeur. En s’attachant trop `a la lettre, il me semble qu’on perdrait de vue l’esprit, et qu’en voulant reproduire avec trop de scrupule toutes les nuances d’expression on risquerait de laisser ´echapper les nuances d’ide´es, bien autrement importantes. Voila` l’e´cueil que j’ai cherche´, par dessus toutes choses, `a ´eviter. Pour y parvenir, il m’aurait fallu, en quelque sorte, repenser votre ouvrage : c’est donc ou ` j’ai vise´, m’identifiant avec lui autant

1

) Begleitbrief zur Sendung von: Oeuvres dramatiques de J. W. Goethe, traduites de l’allemand, pre´ce´de´es d’une notice biographique et litte´raire sur Goethe. Bd 4. Paris 1823; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1805). − Die von Albert (frz. Fre´de´ric Albert Alexandre) Stapfer (1802−1892) besorgte erste vollständige frz. Übersetzung von G’s dramatischen Werken begann im Nov 1821 mit Bd 3, am 11. Jan 1823 erschien Bd 4, der S. 1−231 u. d. T. Faust, Trage´die die erste vollst. frz. Übers. von Faust I enthielt. Davor S. III−VI: Avertissement du Traducteur, signiert Albert S***. Im Appendice (S. 235−63) umfangreiche Anm. − Wie schon bei den Bden 3 u. 2 reagierte G nicht auf die Sendung; erst im Juni 1826 erfolgte ein unerwartetes Zeichen der Anerkennung; s. unten 26. Mai 1826: an Weyland.

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qu’il m’a ´ete´ possible, et m’e´fforc¸ant de dire, moins encore ce que vous avet dit en Allemand que ce que vous eussiez dit en franc¸ais. Ainsi, dans le cours de la pie`ce, j’ai pu faire plus d’un contresens particulier sur vos phrases ; mais si je n’en ai point fait un ge´ne´ral sur votre style, j’ai atteint mon but. Rousseau adressait ce langage au public, en fesant paraıˆtre un fragment de´figure´ de Tacite ; je vous repe`te la meˆme chose, `a vous, Monsieur, qui ˆetes non le Tacite allemand, mais plus que cela. Fasse le ciel que j’aie mieux re´ussi que lui ! Serez-vous assez indulgant, Monsieur, pour excuser ce long verbiage en le rejetant sur le plaisir que j’e´prouve `a m’entretenir avec l’homme du monde pour qui je me sens la plus haute admiration, et pour agre´er l’assurance du profond respect, avec le quel j’ai l’honneur d’eˆtre, Monsieur, Votre tre`shumble et tre`s-obe´issant serviteur Albert Stapfer Paris le 18 janvier 1823 rue des jeuneurs 4

Jan

31. An C. G. Carus (Br 36, 293): Beykommendes neustes Heft von Kunst

und Alterthum [IV 1]1) fordert mich auf, auch wieder einmal an Ew. Wohlgeboren Wort und Gruß gelangen zu lassen; da ich denn zuvörderst den Wunsch ausspreche, daß die Gedanken der Weimarischen Kunstfreunde über die höchst schätzbaren Bilder auch Ihr eigenes Gefühl ansprechen mögen. Febr ⎯ Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 9, 324) : Œuvres dramatiques de J. W. Goethe. Tom. IV. Paris 1823 . . . Verehrer [:] Durch die Verlagshandlung. März ⎯ [Paris] J. H. de Saur & L. de Saint-Ge´nies. Des Hommes Ce´le`bres de France au dixhuitie`me sie`cle, et de l’e´tat de la litte´rature et des arts `a la meˆme ´epoque. Par M. Goe¨the: traduit de l’allemand. Paris 1823, 5 u. 262) . . . Notice abre´ge´e sur la vie et les ouvrages de M.Goe¨the . . .. [5:]: L’homme ce´le`bre . . . est conside´re´ comme le plus grand ´ecrivain que l’Allemagne ait vu naıˆtre . . . [26f.:] . . . et l’e´crivain `a qui l’on doit ces gracieuses pastorales est aussi l’auteur de Faust, de ce drame original et terrible, qui semble, parmi les compositions the´ˆatrales, ce que le bizarre et sublime poe¨me du Dante est parmi les productions de la muse ´epique. Ce drame de Faust, l’un des plus beaux titres de son auteur `a une renomme´e durable . . . n’en est point de plus diame´tralement oppose´ au genre de nos auteurs: nous sommes aussi ´etrangers `a ses beaute´s qu’a` ses de´fauts. Sur notre the´ˆatre, graˆce `a l’observation des re`gles classiques, les ´eve´nements sont naturels et vraisemblables; mais ce qui est trop souvent faux, force´, appreˆte´, sans naturel, sans ve´rite´ locale, ce sont les mœurs et les sentiments des personnages. Au contraire, dans le drame don’t nous parlons, les ´eve´nements sont les plus hors de la nature, la composition la plus ´etrange qu’on puisse imaginer. L’ami du he´ros est un de´mon sous une forme humaine (Me´phistophe´le`s); il me`ne Faust `a un sabbat de sorcie`res; des diables et des anges prennent part `a l’action, et `a la fin l’esprit de l’abıˆme emporte Faust au fond des enfers. Mais dans cet amas de fictions incroyables, ce qui est naturel, ce sont les sentiments des personnages: le dialogue est saisissant de ve´rite´. Y a-t-il rien dans tous les poe`tes anciens ou modernes qui soit d’une naı¨vete´ plus de´chirante que les sce`nes de l’infortune´e Marguerite?3) 15. Wesselhöfts Druckerey, zur Fortsetzung von Kunst und Alterthum [IV

2] . . . Faustus Dedication.4) 1

) Enthält die Rez. Carus Gemälde von H. Meyer in KA IV 1 (1823) 48f.; darin Ausführungen zum Gemälde Faust und Wagner, s. oben [Mai/Juni] 1822: Carus Gemälde. 2 ) Am 11. Apr sandte Graf Reinhard G dies Werk; Bücher-Vermehrungsliste Apr (Tgb 9, 325). 3 ) Das Folgende s. in „Helena. . . Zwischenspiel“: gD, S. 512. 4 ) s. oben 23. Dez 1822: Tgb.

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[Apr Anf.] [Wien] L. v. Beethoven an A. Bihler (L. v. Beethoven: Konversationshefte. Bd 3/28. Hsg. v. K.-H. Köhler u. a. Leipzig 1983, 148): . . . ich schreibe nur das nicht, was ich am liebsten möchte, sondern des Geldes wegen, was ich brauche, Es ist deswegen nicht gesagt, daß ich bloß ums Geld schreibe − ist diese Periode vorbey, so hoffe ich endlich zu schreiben, was mir u. der Kunst das höchste ist − Faust1) . . . Apr

5. 5. Revisionsbogen von Kunst und Alterthum [IV 2] von Jena.2) 13. [Weimar] F. Soret (Cle´ry 17): Soire´e en teˆte-a`-teˆte avec Goethe, la conversation roule essentiellement sur la litte´rature, sur Lord Byron, sur Sardanapal, Werner, etc., puis sur Faust dont il parle souvent et volontiers . . . Il le conside`re comme la source ou ` Byron a puise´ l’ide´e de Manfred. Goethe trouve des progre`s dramatiques dans les deux dernie`res trage´dies; il y est moins terrible et moins misanthrope.3) 29. [Berlin] E. Schubarth an G (GSA 28/102 Bl. 152): Ich habe die Ehre vorbemeldeter Maßen4) Ew. Excellenz ein besseres vollständiges Exemplar von Palaeophron und Neoterpe5) gehorsamst zu übersenden. Ich empfehle nochmals das ganze Unternehmen einer gnädigen und huldvollen Aufnahme.

[Apr [Magdeburg] K. Rosenkranz: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig 1878, 148: [W.] Ende] Volk hatte sich den Faust gekauft, eine auf schlechtem Papier mit lateinischen Lettern schlecht gedruckte Originalausgabe von 1809 in Duodez. Kurz zuvor, ehe er nach Göttingen abging, borgte er sie mir Ende April 1823, nachdem er mir Wunderdinge von dem Gedicht mitgetheilt hatte. Ich brachte zwei Tage hinter einander an der Lectüre zu, die mich, wie auf Flügeln, in eine neue Welt erhob. Ohne, daß ich ein Bewußtsein darüber gehabt hätte, ergriff mich die Situation, von welcher Faust ausgeht, die Verzweiflung des Idealismus, dessen Magie Geister beschwört, und der Uebergang von hier zum Realismus der Wirklichkeit, wie sie einmal ist, auf das Tiefste. Hier schlugen Worte an mein Ohr, die mich ermuthigten, durch äußerste Entzweiung hindurch Versöhnung zu hoffen. Von hier ab habe ich, wie man weiter sehen wird, der ganzen Faustliteratur eine stete Aufmerksamkeit zugewendet.6) Mai

1. [Nachmittags] Paläophron und Neoterpe von Schubarth.7) 27. [Abends] Herrn Genast Retzschens Faust für Herrn Dr Küstner in

Leipzig.8) Juni 12. [Neustrelitz] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/102 Bl. 189−91): Wenn die Länge der Zeit, in welcher eine künstlerische Arbeit entsteht, für ihren Werth, Gehalt und Reife Gewähr leistete, so würde ich mit mehr Zuversicht Euer Excellenz den beygehenden

1

) Wort von fremder Hand, vermutl. von A. Schindler (1795−1864), nachgetragen. ) Darin Faustus. Dedication. 3 ) Vgl. Eckermann Gespräche 13. Apr 1823 (FA II 12, 515). 4 ) Nach Tgb vom 14. Apr 1823 hatte G bereits einen Brief u. die Aushängebogen A−K der Schrift erhalten. 5 ) Palaeophron und Neoterpe. Eine Schrift in zwanglosen Heften ästhetisch-kritischen Inhalts, bezüglich auf Kunst und Sitte, Religion und Wissenschaft. Hsg. v. K. E. Schubarth. Erstes Stück. Berlin 1823. − Darin (123−36) Schubarths Aufsatz Ueber die Zueignung und das Vorspiel zu Goethe’s Faust. − Die insgesamt 3 Hefte der kurzlebigen Zs. sind in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 325). 6 ) K. Rosenkranz: Geistlich Nachspiel zur Tragödie Faust. Leipzig 1831. − Hierzu s. H. Tietze: Die philosophische Periode der deutschen Faustforschung (1817−1839). Greifswald 1916, 123−28. 7 ) s. oben 29. Apr 1823: E. Schubarth an G. 8 ) Zum Geschenk; zur Ausg. s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G u. Anm. 2

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Versuch einer lithographischen Ausführung der Ihnen früher vorgelegten Darstellungen zum Faust1) darbieten; aber nicht immer wird gut, was lange währt. Die gütige Nachsicht jedoch, womit Euer Excellenz in früherer Zeit diese und ähnliche Bestrebungen, welche ich im Gebiet der Kunst gewagt, aufzunehmen geruheten, giebt mir die Hoffnung, daß ich mehr dem mildern Blick des freundlichen Beschützers und Pflegers aller treuen Kunstliebe, als dem strengen Maaß des ernsten Kunstrichters begegnen werde. Mit lebhaftem Dankgefühl erkenne ich die mein Erwarten weit übersteigende Aufmerksamkeit, derer Euer Excellenz meine ersten Handzeichnungen zum Faust vor mehrern Jahren würdigten;2) die Beförderung derselben in die Hände der verewigten Erbgroßherzogin von Schwerin,3) und die schmeichelhafte Aufforderung, diese Blätter dem Publikum durch die Radirnadel bekannt zu machen.4) Im Bewußtseyn der mir mangelnden Kunstfertigkeit im Kupferäzen und Radiren . . . konnte ich diese Unternehmung nicht wagen . . . Mit dem Verfahren des Steindruck war ich noch weniger . . . bekannt. Indeß lernte ich nach und nach diese Arbeit näher kennen, und die Erzählungen von Künstlern, endlich auch vor einigen Jahren der Besuch in der Hamburgischen Steindruckerey, gaben mir den Muth, mich in dieser höchst belohnenden Künstübung zu versuchen . . . In diesem Frühjahr nun habe ich die erste im Probedruck hier beygehende Zeichnung vollendet. Erlauben mir Euer Excellenz, dieses Blatt [zum Vorspiel auf dem Theater],5) so wie die 11 andern, welche, wenn es mir gestattet ist, ihm folgen werden, Ihnen öffentlich weihen zu dürfen

Juni 21. Abends Prof. Riemer . . . Des Nauwerkischen Faust erste Platte betrach-

tet.6) Juli

21. [London, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. London. Ende Juni. In: Morgenblatt Nr. 173 v. 21. Juli 1823, 692: . . . in wenigen Tagen erwartet man eine Uebersetzung von Goethens Faust und Schillers Lied von der Glocke, von Lord Gower.7) Alles dieses ist ermunternd, und die Zeit dürfte wohl bald kommen, wo die Engländer einsehen werden, daß es in der deutschen Literatur noch etwas Besseres gebe, als Kotzebue’sche Empfindsamkeit.

Sept 12. Goethe’s Faust in einer französischen Uebersetzung. In: Literatur-Blatt Nr. 73 v. 12. Sept 1823, 290f.: Entfernter aber als . . . es S c h i l l e r s gesammte Werke von dem Geschmack der Franzosen sind, steht ihnen wohl G o e t h e in deutscher wie in persönlicher Individualität; und am allermeisten entfernt die genialste Schöpfung dieses Meisters: sein F a u s t . Dennoch ist auch dieses Werk ganz kürzlich in einer französischen Uebersetzung erschienen,8) und wir dürfen sie wohl, als den Gipfel aller jener löblichen Bemühungen, näher betrachten, ohne jedoch ihre Wirkung zu berücksichtigen, welche der Zeit und sogar dem Widerstande anheim fällt, den diese, aller Konvention Trotz bietende, Dichtung nothwendigerweise in Frankreich finden muß. Wenn man die Vorrede des Uebersetzers liest, die eben so kurz und flach, als das deutsche,

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) s. oben 21. Juni 1810 u. 13. Apr 1811: Nauwerck an G. ) s. oben 16. Nov 1810 u. 8. Mai 1811: an Nauwerck. 3 ) s. oben 14. Aug 1811: an Nauwerck. 4 ) Schreiben nicht überliefert. 5 ) Abb. des Titelblattes in Neubert 118. 6 ) Probedruck der ersten Steinzeichnung, darstellend das Vorspiel auf dem Theater, s. oben 12. Juni 1823: Nauwerck an G; Abb. in Neubert 118. 7 ) Faust, a drama by Goethe. And Schiller’s Song oft he Bell. Translated by Lord Francis Leveson Gower. London 1823; Rez. in: British Critic 20 (1823) 156−71, Blackwood’s Edinburgh Magazine 14 (1823) 35−39 u. The American Monthly Magazine 1 (1824) 383; s. auch unten 12. Apr 1825: Gower an G. 8 ) s. oben 18. Jan 1823: Stapfer an G. 2

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zwey Bände dicke Buch eines Herrn Schubarth über den Goetheschen Faust1) breit und bodenlos ist, so gewinnt man die Ueberzeugung, daß es nur die schönen Einzelnheiten des Originals waren, die den Franzosen zu dieser Uebersetzung anreizten, und daß er sich keinesweges zur Uebersicht des Ganzen emporschwang . . . Daß der prosaische Theil seiner Uebersetzung das Vorbild durchaus nicht erreicht., ja keine Vorstellung davon gibt, gesteht er selbst ein . . . Aber der in Versen übertragene Theil derselben ist mit so lobenswerthem Fleiße, mit so wahrhafter Liebe und oft mit so großer Treue gearbeitet, daß wir uns nicht versagen können, Einiges davon auszuziehen, damit das Werk seinen Meister lobe.

Sept 21. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 328): Da meine Kräfte eben nicht sehr produktiv sind, so übe ich sie zuweilen noch an Uebersetzungen, wozu mir hie und da die mitgetheilten englischen Journale Materie geben. Ich finde, daß der freie Geist der Engländer ihnen einen Humor zuläßt, mit dem sie das Scherzhafte und Komische mit dem tiefsten Sinne zuweilen verbinden können. Dieses ist es auch, was Deinen Faust so anzüglich macht, was aber sonst unter uns so selten ist. Okt

4. [Nachmittags] Graf Reinhard und Canzler von Müller. Dazu Oberbau-

director Coudray. Zeichnungen zu Faust von Retzsch.2) 29. [London, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. London, 5. Oktober. In: Morgenblatt Nr. 259 v. 29. Oktober 1823, 1036: Der Faust des großen Dichters hat bis jetzt noch keinen würdigen Übersetzer gefunden; die poetische Uebertragung, welcher unser geschäzter Landsmann, Herr B o t h e in seinem Verlage ankündigt, ist, besonderer Ursachen wegen, nicht fortgesezt worden; die wenigen Bogen, welche Ref. las, lassen es sehr bedauern, daß dieses Unternehmen scheiterte.3) 30. [Frankfurt] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 239): . . . Sie haben das ganze menschliche Leben mit Himmel und Hölle im Faust dichterisch bewältigt, warum nicht auch die französische Revolution? Dez

3. [Paris] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 360−62): Ueberhaupt aber ist seit mehreren Wochen hier ganz besonders viel die Rede von Ihnen, die Uebersetzung des Faust4), des Götz [von G. de Baer. Paris 1822] und Ihrer Denkwürdigkeiten [DuW − von Aubert de Vitry. Paris 1823], welche hintereinander erschienen, gaben die Veranlassung dazu . . . Mir ist bei diesen Bestrebungen wunderlich zu Muthe, denn je mehr mich auch die Verehrung freut, welche das französische Publikum Ihrem Genie beweist, desto mehr verdrießt es mich, daß die größten Schönheiten Ihrer Dichtung in der Uebersetzung verloren gehen. Ich habe noch nie in so hohem Grade empfunden, wie wenig phantasiereich und gemüthvoll die französische Sprache ist, als jetzt, wo ich diese Ueberset-

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) C. E. Schubarth: Zur Beurtheilung Goethe’s mit Beziehung auf verwandte Litteratur und Kunst. 2 Bde. 2. verm. Aufl. Breslau 1820; Rez. in Jahrbücher der Literatur 18 (1822) u. 19 (1822) 247−80 u. 231−314, in der gleich zu Beginn dessen interpretatorische Leistung herausgestellt wird: Unter den kritischen Versuchen und Arbeiten der letztern Zeit auf dem Gebiete der Aesthetik hat kaum eine andere Erscheinung die Aufmerksamkeit des größern gebildeten Publikums lebhafter beschäftiget, als diese neueste Charakteristik Göthe’s und seiner Werke.(247); zu Schubarths Platz in der Goethephilologie s. oben 27. März 1818 m. Anm. 2 ) Zur Ausgabe s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G u. Anm. 3 ) s. oben 3. Juni 1822: Bothe an G. 4 ) 1823 erschienen zwei Übersetzungen: 1) von Albert Stapfer in: Oeuvres dramatiques de J. W. Goe¨the, traduites de l’allemand, pre´ce´de´es d’une notice biographique et litte´raire. Tome IV. Paris 1823, 1−231; 2) von Louis Clair Beaupoil de Saint-Aulaire in : Chefs-d’oeuvres du the´ˆatre allemand. Tome I. Paris 1823, 1−220.

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zungen lese. Am besten nehmen sich noch die Denkwürdigkeiten aus, aber leider sind sie nicht in die geschicktesten Hände gefallen. Hätte Graf St. Aulaire sie statt des Faust übersetzt, so würde das Buch so vollkommen als möglich geworden seyn. Wenigstens scheint mir dieser noch am meisten fähig, in Ihre Denkweise einzudringen; er hat zwar den Faust nicht immer verstanden, wie das besonders ein paar bedenkliche Stellen beweisen, jedoch einmal die Unzulänglichkeit des französischen Geistes und der französischen Sprache für die Uebertragung deutscher Poesie zugegeben, so ist, was dieser Mann geleistet, einer hohen Achtung werth. Auch hat er eine biographische Notiz von Adolph L.*1) und eine Erklärung seiner bei der Uebersetzung befolgten Grundsätze voraus geschickt, welche der Einleitung, die Herr Aubert de Vitry zu den Denkwürdigkeiten gegeben, weit vorzuziehen sind. Den schönsten Beweis indessen von empfänglichen Sinn und Gemüth fand ich in der anonymen Notiz über Faust von Frau v. St. Aulaire. Ich muß gestehen, daß mich dieser kleine Aufsatz, den ich mit Vorurtheil aufschlug, mehr als alles andere befriedigt hat . . . Unter den Lächerlichkeiten, die bei diese[n] Uebersetzung[en] vorkommen, schien mir besonders beherzigenswerth, daß . . . St. Aulaire in der Blocksbergscene lauter Anspielungen auf politische und literarische Verhältnisse des Weimarer Hofs vermuthet. Les Allemands meˆmes conviennent que la Sce`ne suivante est incompre´hensible parce qu’elle fourmille d’illusions et de circonstances politiques et litte´raires de la cour de Weimar, a` l’e´poque ou` Goethe e´crivait son ouvrage.

Was wird Serenissimus dazu sagen? Dez (s. „[Diderot IV] Rameau’s Neffe“: an S. Boissere´e gD, EGW 3, 39) 12./13.

23. [Berlin] Fürst A. v. Radziwill an P. Cornelius (E. Förster: Peter Cornelius. Ein Gedenkbuch. Berlin 1874. Bd 1, 306): Der Platz zu der Zeichnung, die ich mir als Titelblatt zum ,Faust‘2) bei Ew. Wohlgeboren ausgebeten habe, ist leer geblieben und es freut mich ungemein, daß Sie Ihr gütiges Versprechen nicht vergessen haben. Die Form und Größe der Zeichnungen werden Sie hoffentlich noch haben. Die Idee war: Göthe an seinem Schreibepulte beim Schein der Lampe und um ihn her als Aureole die Gestalten seines unsterblichen Gedichts, wie im Nebelscheine, nach den Worten seiner Zueignung: ,Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten’. Göthe soll in dem Alter vorgestellt werden, das er hatte, als er seinen ,Faust‘ zum zweiten Male vornahm. − Die Zeichnung wünschte ich mir, wie die Zimmermannschen3) sind − die Federzeichnung in Sepia, wenn Sie es nicht anders vorziehen.4)

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) Vielleicht Adolphe Franc¸ois Loe`ve-Veimars (1799−1854), Übersetzer u. Diplomat. ) Die Zeichnung findet sich mit vier weiteren in der 1820 datierten hs. Partitur der Oper Faust von Fürst Radziwill (Nationalmuseum Warschau, Inv. Nr. Dokum. 1222). Druck in: Scenen aus Goethe’s Faust in acht lithographierten Bildern nach Angabe des Fürsten Anton Radziwill zu seinen Compositionen des Faust . . . Berlin 1835 (Titelblatt). Abb. der Lithographie Neubert 129. Zum Sachverhalt s. Anna Kozak: Faust oder die Melancholie des Dichters. Die Zeichnungen zum 1. Heft der hs. Partitur zur Oper Faust von Antoni Radziwill. In: IDEA. Jb. der Hamburger Kunsthalle V (1986) 95−109. 3 ) Karl Zimmermann (1796−1820) hat die vier anderen Zeichnungen zum Faust angefertigt; sie behandeln die Sz. Nacht: 1) zu v. Das ist deine Welt, das heißt eine Welt; 2) zu v. War es ein Gott, der dieses Zeichen schrieb? 3) zu v. Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton, zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde? 4) ohne Verstitel: Faust hört die Osterglocken. Abb. in: IDEA. Jb. der Hamburger Kunsthalle V (1986) 106, Nr. 15−18. 4 ) Anm. von E. Förster, dem Biographen u. Mitarbeiter von Cornelius: Die Ausführung dieses Auftrags wurde [J.] Götzenberger übertragen, der ihm unter Oberleitung des Meisters mit großer Geschicklichkeit nachkam. (Ebd., 307). Ist von der Forschung bestätigt worden. 2

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1824 ⎯ ⎯ 1) F. Horn: Die Poesie und Beredsamkeit der Deutschen. Bd 3. Berlin 1824, 242: G o e t h e gab im Faust den ganzen Kern der Geschichte der innern Menschheit, weshalb wir dieses Werk als das einzige betrachten, welches mit dem Hamlet verglichen werden kann. Diese Dramen, nebst dem ihnen gegenüberstehenden Don Juan, enthalten die reinsten Elemente des neuern Dramas, indem hier die Muse der Poesie selbst das moderne Weltgericht gehalten zu haben scheint. Faust zeigt uns, daß das Wesen der Menschheit nur auf dem Unbegreiflichen ruht, weshalb auch alles Begreifliche und Begriffene (wer begreift m e h r als Faust und Mephistopheles?) ihm keinen vollendeten Frieden geben kann, während die Mystik der Hölle, ironisch genug, doch einige Beschwichtigung bietet. (S. die Hexenscenen und einiges auf dem Blocksberge vorfallende.) Wo nun Befriedigung ist − in religiöser Demuth und Heiterkeit − das weiß er nicht und will er nicht wissen. − So glauben wir schon durch diese Andeutung gezeigt zu haben, wie im Hintergrunde die höchste Beruhigung walte, die aber nur durch klare religiöse Anschauung, die einzige Quelle ewiger Poesie, gegeben werden könne. Febr

2. [Naumburg] C. F. Göschel an G (Haubold 173f.)2): Ew. Excellenz wagt ein Unbekannter einen schriftstellerischen Versuch, deßen Inhalt und Gegenstand zum großen Theile Sie selbst sind, ehrerbietig zu überreichen. Schon durch diesen seinen schweren Inhalt wird der leichte Versuch zu einem Wagstücke; er wird dieses mehr durch die Form, indem die Schrift sogleich nach ihrer Entstehung, und unmittelbar, so wie sie entstanden ist, dem Publikum vorgelegt wird; aber noch größer ist die Kühnheit, eben diese Schrift, nachdem sie gedruckt, nachdem sie inmittelst dem Verfasser selbst wieder Gegenstand geworden, in welchem er sich kaum wieder erkannt, und weder Ihnen, noch sich genug gethan zu haben glaubt, − demohnerachtet Ew. Excellenz unmittelbar darzubringen. Gleichwohl habe ich das Geringere nur gewagt, um das Größere wagen zu können . . .. Hierzu kommt, daß das Verlangen, die vieljährige still gehegte Verehrung laut zu bekennen, in gleichem Verhältniße mit dem vorrückenden Verständnisse Ihrer Schriften, gewachsen ist, so daß ich demselben kaum noch zu widerstreben vermag . . . Auf jeden Fall ist anjetzo nach langem Zaudern der Schritt geschehen, nach dem ich längst Verlangen getragen habe. Meine kleine Schrift liegt vor Hochdenenselben, und nun habe ich weiter keinen Wunsch, als auf irgendeinem Wege Hochderoselben Urtheil über mich oder zunächst über den unvollständigen Abdruck meiner selbst vernehmen zu können . . . Wenn übrigens Ew. Excellenz ich Rechenschaft ablegen sollte, wie ich zu dem gewählten Stoffe gekommen, so wäre zu berühren, wie die Sagen von Faust und von dem ewigen Juden in allen Perioden meines Lebens den wunderbarsten und verschiedenartigsten Reiz auf mich ausgeübt . . . Aber ob auch hierinn die Veranlaßung zu dieser vorläufigen Schrift zu finden seyn möchte, so ist doch ihr eigenster Zweck der

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) Die Vorrede ist datiert: Berlin, am 4. März, 1824. (IV) ) Begleitbrief zur Übersendung von: [Carl Friedrich Göschel]: Ueber Göthe’s Faust und dessen Fortsetzung. Nebst einem Anhange von dem ewigen Juden. Leipzig 1824; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1928). Abschnitte: Ueber die Sage von Faust im Allgemeinen (5−34); Ueber Göthe’s Faust (35−154); Ueber Schöne’s Faust (155−210), Rez. in Literatur-Blatt Nr. 39 v. 17. Mai 1825, 153−56, Leipziger Literatur-Zeitung Nr. 12 u. 13 v. 13. u. 14. Jan 1825, 89−99 u. F. Th. Vischer: Kritische Gänge. Bd 2. Tübingen 1844, 148−76. − Folge- u. Erweiterungsschrift: Herolds Stimme zu Göthe’s Faust, ersten und zweiten Theils, mit besonderer Beziehung auf die Schlußscene des ersten Theils. Leipzig 1831, Rez. F. Th. Vischer: Kritische Gänge. Bd 2. Tübingen 1844, 177−79, s. Faust. Der Tragödie Zweiter Theil, 6. März 1831: C. F. Göschel an G, S. 799. Siehe auch H. Tietze: Die philosophische Periode der deutschen Faustforschung (1817−1839). Greifswald 1916, 48−95.

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Dichter, welcher theils in Ausführungen theils in Andeutungen jenen Sagen wieder Leben und höchste Bedeutung gegeben hat. Diesen Dichter als dasjenige Individuum anzuerkennen, in welchem sich alle Bestrebungen, ja die Dimensionen der Zeit concentriren, in welchem die Zeit selbst culminirt, ist gegenwärtig ziemlich geläufig geworden, obwohl selten zum Verständniß gekommen. Dagegen scheint es noch nicht genug anerkannt zu sein, daß auch die Philosophie auf ihrem gegenwärtig errungenen Standpuncte in demselben Meister ihren Brennpunct gefunden hat, so wie denn namentlich Schubarth,1) wenn auch übrigens sein würdiges Streben vor Ew. Excellenz Gunst gefunden, gerade in dieser, mithin in der höchsten Beziehung seines Helden so wenig als jene Philosophie zur Zeit verstanden haben möchte. Schubarths Held ist auch mein Held, aber ich finde in diesem meinen gefeyerten Helden die Naturphilosophie in ihrer höchsten Qualität, nehmlich als Poesie wieder. Diese Poesie, diese Dichtung und Wahrheit möchte ich in demselben Sinne Naturpoesie nennen, in welchem jene Philosophie Naturphilosophie genannt worden ist.

Febr

5. Sendung . . . von Oberlandesgerichtsrath Göschel aus Naumburg . . .

Abends . . . Las Über Goethe’s Faust, Leipzig 1824. [5.] Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 9, 334): Über Goethe’s Faust und dessen Fortsetzung. Leipzig 1824 Von Göschel, dem Verfasser. 20. E. Delacroix: Tagebuch. In: Journal (1822−1857). Tome I. Paris 2009, 120:2) Toutes le fois que je revois les gravures du Faust,3) je me sens saisi de l’envie de faire une toute nouvelle peinture, qui consisterait `a calquer pour ainsi dire la nature.4) 26. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 97f.): Wenn Eure Exzellenz behaupten, sagte ich . . ., daß dem Dichter die Welt angeboren sei, so haben Sie wohl nur die Welt des Innern dabei im Sinne, aber nicht die empirische Welt der Erscheinung und Konvenienz; und wenn also dem Dichter eine wahre Darstellung derselben gelingen soll, so muß doch wohl die Erforschung des Wirklichen hinzukommen? „Allerdings, erwiderte Goethe, es ist so. − Die Region der Liebe, des Hasses, der Hoffnung, der Verzweiflung und wie die Zustände und Leidenschaften der Seele heißen, ist dem Dichter angeboren und ihre Darstellung gelingt ihm. Es ist aber nicht angeboren: wie man Gericht hält, oder wie man im Parlament oder bei einer Kaiserkrönung verfährt, und um nicht gegen die Wahrheit solcher Dinge zu verstoßen, muß der Dichter sie aus Erfahrung oder Überlieferung sich aneignen. So konnte ich im Faust den düstern Zustand des Lebensüberdrusses im Helden, so wie die Liebesempfindungen Gretchens recht gut durch Antizipation in meiner Macht haben; allein um z. B. zu sagen: Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe Des späten Monds mit feuchter Glut heran [3851f.], bedurfte es einiger Beobachtung der Natur.“ Es ist aber, sagte ich, im ganzen Faust keine Zeile, die nicht von sorgfältiger Durchforschung der Welt und des Lebens unverkennbare Spuren trüge, und man wird keineswegs erinnert, als sei Ihnen das alles, ohne die

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) s. oben 27. März 1818, 10. Mai 1820 u. 29. Apr 1823: E. Schubarth an G u. Anm. ) [Übers.:] Allemal, wenn ich die Gravüren zu Faust wiedersehe, bekomme ich Lust, eine ganz neue Malerei zu versuchen, eine Malerei, die sich bestrebt, die Natur sozusagen durchzupausen. 3 ) M. Retzsch: Umrisse zu Goethes Faust. Stuttgart/Tübingen 1816 bzw. Retsch’s Series of twenty-six outlines illustrative of Goethe’s Tragedy of Faust, engraved from the originals by Henry Moses. And an analysis of the tragedy. London 1820. 4 ) Faust, trage´die de M. de Goethe, traduite en franc¸ais par M. Albert Stapfer, Orne´e d’un Portrait de l’Auteur, et de dix-sept dessins compose´s d’apre`s les principales sce´nes de l’ouvrage et exe´cute´s sur pierre par M. Euge`ne Delacroix. Paris 1828; s. unten 22. März 1828: Tgb. 2

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reichste Erfahrung, nur so geschenkt worden. „Mag sein, antwortete Goethe, allein hätte ich nicht die Welt durch Antizipation bereits in mir getragen, ich wäre mit sehenden Augen blind geblieben und alle Erforschung und Erfahrung wäre nichts gewesen als ein ganz totes vergebliches Bemühen. Das Licht ist da und die Farben umgeben uns; allein trügen wir kein Licht und keine Farben im eigenen Auge, so würden wir auch außer uns dergleichen nicht wahrnehmen.“

März 10. [Breslau] H. F. W. Hinrichs an G (GSA 28/415 St. 3): Ew. Excellenz nehme mir die Freiheit, mit gehorsamster Bitte lästig zu fallen, indem ich mir schmeichle, daß ich von der Erfüllung derselben mich schon im voraus überzeugt halten darf. Nun erst habe ich nemlich meine Vorlesungen über Ew. Excellenz Faust, von welchen ich noch von Heidelberg aus die Einleitung im Manuscript1) zu übersenden die Ehre hatte, zum Druck beendiget. Diese Arbeit wähnte ich viel schneller zu vollenden, als es leider geschehen ist; aber ich hoffe auch, daß ich meiner gewiß nicht leichten Aufgabe, nemlich die Tragoedie aus dem allgemein geistigen Bewußtseyn der Welt vermittelst der Nothwendigkeit des Gedankens als der Freiheit selber, sich gestalten zu laßen, so viel als ich nur immer vermag, der Tragoedie würdig, Genüge geleistet habe. Denn ich finde alle Erklärung aller Kunst nicht nur überflüssig, sondern selbst ungereimt, wenn dieselbe nicht im Reiche des Gedankens wiedergeboren wird, und daraus ihre vernünftige Vorstellung als ihr Wesen und ihre Wahrheit sich als nothwendig ergiebt. In diesem Sinne habe ich den Vorlesungen eine wißenschaftliche Vorerinnerung über Kunstbeurtheilung vermittelst der Fortbildung der philosophischen Wißenschaft vorangeschickt, so daß die Tragoedie mit den Vorlesungen vereint sich als das organische Reich des geistigen Lebens überhaupt darstellt, und in dieser geistigen Lebendigkeit beide nemlich die Tragoedie und die Vorlesungen in vermittelnder Einheit sich gegenseitig hervorbringen, gestalten, und vollenden. Die erste Bitte ist: diese meine Arbeit Ew. Excellenz, vereint mit Hegel und Daub, im Sinne der Zueignung der Tragoedie und der Vorlesungen, zueignen zu dürfen. Denn Poesie, Philosophie und Theologie ist der bewegende Inhalt derselben. Die zweite betrifft die Anforderung eines Verlages aus Berlin nemlich daß Ew. Excellenz meiner Arbeit geneigt beipflichten wolle und sich zur Verlagsübernahme derselben zu verstehen sollte deshalb eine Anfrage an Ew. Excellenz ergehen, so bitte ich gehorsamst, dieselbe mit Geneigtheit zu beantworten, wozu die übersandte Einleitung Ew. Excellenz Veranlaßung geben möge, indem ich baldiger und geneigter Antwort entgegensehe. Ew. Excellenz innigst verehrender Dr. Hinrichs, Professor der Philosophie an der Universität zu Breslau.2) Apr

⎯ [Paris, anonym] Paris, April 1824. Lithographie. In: Kunst-Blatt Nr. 39 v. 13. Mai 1824, 154f.: Goethe’s Faust ist eine sehr ungewöhnliche und sonderbare Produktion. In Deutschland bewundert, Frankreich kritisirt, wird sie überall als ein merkwürdiges Denkmal geistiger Kraft gelten . . . Die Lobeserhebungen der Frau von Stae¨l,3) die Auszüge, die sie mit vieler Gewandtheit und Talent daraus gemacht, haben die Neugierde gereizt, den Geist angeregt, aber dennoch die Bewunderung für eine, den in Frankreich hergebrachten Ideen so fremde Composition, keine Teilnehmer erwerben können . . . Goethes Tragödie war wohl geeignet, die Einbildungskraft der Künstler zu ergreifen und zu befruchten. Zween deutsche Maler haben Compositionen aus Faust

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) Im GSA ist kein Ms. einer Einleitung nachweisbar, doch handelte es sich vermutl. um den Anf. von Hinrichs Faust-Vorlesungen − Kapitel, die der Verf. mit Begleitbrief vom Anf. Juli 1822 (s. dort) an G geschickt hatte. G versichert jedenfalls in seinem konzilianten Brief an Hinrichs vom 13. Apr 1824 (s. dort), er habe sich ihm bey näherer Ansicht Ihrer E i n l e i t u n g schon früher verpflichtet [gefühlt] und spreche dieß gern ganz unbewunden aus. 2 ) G’s Antwort s. unten 13. Apr 1824: an Hinrichs. 3 ) s. oben [14./16. Mai 1814]: Mme de Stae¨l, De l’Allemagne.

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bekannt gemacht. Der eine, Hr. C o r n e l i u s ,1) zeigt Erhabenheit der Gedanken, Neigung zum Styl, und die Wissenschaft, die von allem diesem Gebrauch zu machen weiß. Es ist ein Mann von sehr großem Talent; ich spreche dieß gern in seinem Vaterland aus, wie ich es schon in Frankreich gethan habe, wo sein Werk sehr selten seyn muß, da ich nur ein einziges Exemplar in Paris kenne. Der andere ist der Hr. Retzsch, Maler in Dresden.2) Mit einer lebhaften und reichen Einbildungskraft begabt, hat er so zu sagen, das ganze Gedicht wiedergegeben, wovon Hr. Cornelius nur einige Gemälde, aber mit einer Kraft und Erhabenheit entworfen hatte, die ihn über Hrn. Retzsch sezt. Indessen hat des Leztern Werk eine viel größere Verbreitung erhalten. Nachdem es in Deutschland erschienen war, ist es in England von Hrn. M o s e s nachgestochen worden3) und erscheint nun auch in Paris ziemlich treu lithographirt.4) Diese Ausgabe, deren Preis von 12 Fr. äußerst mäßig ist, wurde so schnell abgesezt, als man erwarten konnte, wenn man einerseits Hrn. Retzsch’s Talent, und die Beschaffenheit des Werks, das ihn begeistert hatte, und andererseits den Ruhm des Schriftstellers erwägt, dem am Ende doch das Hauptverdienst angehört.

Apr 13. An H. F. W. Hinrichs (Konzept; Br 38, 106f.): Ew. Wohlgeboren

freundliche Zuschrift [vom 10. März 1824] kann ich nur auf’s dankbarste beantworten, denn was möchte dem Dichter Angenehmeres begegnen, als daß er, der seine Anlagen und Plane zwar nach Kräften überlegt, die Ausführung aber doch einem unbewußten und unberechenbaren Triebe hingeben muß; was kann ihm mehr gegründete Sicherheit verleihen als wenn er von dem Philosophen vernimmt, daß seine Productionen, auch vor dem Richterstuhl der Vernunft gelten können. In diesem Sinne fühlte ich mich bey näherer Ansicht Ihrer E i n l e i t u n g schon früher verpflichtet und spreche dieß gern ganz unbewunden aus, wenn es zur Förderniß Ihres Unternehmens beytragen kann. Da Sie mir nun, durch die Arbeit selbst, eine so wohlwollende Theilnahme schon erwiesen haben, darf ich nicht ablehnen wenn Sie öffentlich auch noch besonders aussprechen daß Sie mit Zutrauen und Aufmerksamkeit meiner gedenken, es geschieht in Gesellschaft trefflicher verehrter Männer und ich muß mich dadurch höchlich geehrt fühlen. 16. [J. V.] Adrian: Literarische Nachrichten. In: Literatur-Blatt Nr. 31 v. 16. Apr 1824, 124: [Anmerkung] Hr. Soane hat nur einen kleinen Theil des Faust übersezt; daß Goethe mit der Uebertragung zufrieden ist, beweist, daß er die Zueignung in seiner Zeitschrift Kunst und Alterthum abdrucken ließ.5) 19. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 112): Der größte Philologe unserer Zeit, Friedrich August Wolf aus Berlin, ist hier . . . Goethe gab ihm zu Ehren heute ein Diner, wobei von Weimarischen Freunden: General-Superintendent Röhr, Kanzler v. Müller, Oberbaudirektor Coudray, Professor Riemer und Hofrath Rehbein außer mir anwesend 1

) P. Cornelius: XI. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1816−17. ) M. Retzsch: Umrisse zu Goethes Faust. Stuttgart/Tübingen 1816. 3 ) Retsch’s Series of twenty-six outlines illustrative of Goethe’s Tragedy of Faust, engraved from the originals by Henry Moses. And an analysis of the tragedy. London 1820; s. auch oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 4 ) Ein Nachstich der Umrisse erschien 1823 bei Audot in Paris. 5 ) Vgl. oben 1822: Ueber Kunst und Alterthum m. Anm. 2

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waren Über Tisch ging es äußerst heiter zu; Wolf gab manchen geistreichen Einfall zum Besten; Goethe, in der anmutigsten Laune, spielte immer den Gegner. „Ich kann mit Wolf nicht anders auskommen, sagte Goethe mir später, als daß ich immer als Mephistopheles gegen ihn agiere. Auch geht er sonst mit seinen inneren Schätzen nicht hervor.“

Mai 23. [Homburg] Albertine v. Boguslawska1) an W. v. Boguslawska2) (GJb 1900, 285): Er [G] erwähnte dann [während eines Gesprächs am 18. Mai 1824 in Weimar] Berlin, die Winter-Unterhaltungen, natürlich auch das Theater, worauf ich erwidern mußte, daß wir das Beste doch gerade aus Weimar hätten, nämlich die Wolff’s,3) und er nahm es freundlich auf, als ich auf Wolff’s Vorstellung des „Faust“4) [in Berlin] kam und ihm sagte, daß ich demselben die Bekanntschaft dieses seines Werkes verdanke. [Juni] ⎯ [Daub, Rez.] Ueber Göthe’s Faust und dessen Fortsetzung. Nebst einem Anhange von dem ewigen Juden. Leipzig b. Hartmann 1824. In: Jahrbücher der Theologie und theologischer Nachrichten. Hsg. v. F. H. C. Schwarz. Bd 1. Frankfurt 1824, 349−51; 371: Die Anzeige dieses Buchs gehört, wie sein Inhalt zeigt, für die Jahrbücher auch − der theologischen Literatur . . . Faust hat, in Göthe’s Gedicht, allem, der Hoffnung, dem Glauben, auch der höchsten Liebeshuld und vor allem der Geduld geflucht, aber der Liebe nicht . . . Die Vernichtung der Liebe wäre auch die des Glaubens und der Hoffnung, denn beide sind nur, was sie sind, als durch sie mit einander vermittelte, und eben so wäre die Vernichtung des Glaubens und der Hoffnung zugleich die der Liebe, denn diese ist nur, was sie ist, als ihre Mittlerin . . . [371:] Ref. hat aus dem inhaltsreichen Buche die Hauptstellen, welche auf die Wissenschaft und auf das, was sie für den Glauben und für die Liebe ist, sich beziehen, im Auszuge, und, des ihm unbekannten Vfs. Erlaubniß voraussetzend, in einem solchen Zusammenhange eingeschaltet, daß dadurch die Leser der Annalen mögen veranlaßt werden, das Buch selbst zu Hand zu nehmen und durchzustudiren, wo ihnen dann, wenn er sie nicht längst schon befallen hat, der Ekel an der Art, wie besonders jetzt die Theologie behandelt zu werden pflegt, . . . von selbst kommen wird. Juni

5. [Neustrelitz] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/107 Bl. 139−41): Ein rundes Jahr ist verflossen, seit ich das erste Blatt meiner lithographischen Zeichnungen zum Faust Euer Excellenz vorzulegen mir erlaubte.5) Meine Absicht, mit diesen Arbeiten ununterbrochen fortzufahren ist aber, ohne mein Verschulden, unerfüllt geblieben. Erst zu Anfang des vorigjährigen Herbstes erhielt ich, nach meiner vergeblichen Anforderung, den zweiten Stein, worauf ich sogleich die 2te Zeichnung − zum Prolog im Himmel6) − begann. Ich hoffte nun Weihnachten vor.[igen] Jahres die Probedrucke zu erhalten, aber statt derer erhielt ich erst im Winter dieses Jahres einen neuen Stein, worauf ich nun, ohne durch jene Probedrücke die nöthige Belehrung über den Erfolg meiner Arbeit erhalten zu haben, die 3te Zeichnung − die Erscheinung des Erdgeistes − begann. Ich nehme mir die Erlaubnis, sie Euer Excellenz hiermit in einem mit dem Pinsel ergänzten Abdruck, den ich erst in diesen Tagen erhalten, vorzulegen. Endlich hatte ich auch Abdrücke der 2ten Zeichnung bekommen, aber beide sind sie nicht nach Wunsch ausgefallen; sey es nun, daß ich mit zu fester und magerer Kreide gearbeitet, 1

) Albertine v. Boguslawska (1801−1852), Hofdame bei der Prinzessin Wilhelm v. Preußen. 2 ) Wilhelm v. Boguslawska (1803−1874), Bruder der Hofdame. 3 ) P. A. u. Amalie Wolff, langjjährige Schauspieler in Weimar, waren 1816 zur Königl. Bühne in Berlin übergewechselt. 4 ) Albertine v. Boguslawska hatte einer Aufführung des Faust bei Radziwill beigewohnt, s. oben 6./7. Juni 1820: Zelter an G. 5 ) s. oben 12. Juni 1823: Nauwerck an G. 6 ) Abb. in Neubert 118.

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oder meine Behandlung nicht kräftig genug gewesen war. Beigehend erfolgt ein Exemplar dieses misglückten Blattes, woraus wenigstens die Composition beurtheilen läßt. Es blieb nicht anders übrig, als die Arbeit ganz von neuem zu beginnen, und jetzt ist diese verbesserte Auflage so weit beendigt, daß ich sie in einigen Tagen zum Druck werde absenden können, aber hoffentlich diesmal besser gelingen wird. Auch macht man mir Hoffnung, daß künftig der Druck schneller von Statten gehen werde, da die Steindruckerey in Hamburg sich noch mit einer neue Presse versehen habe. Ob meine Leistungen Ew. Excellenz Beifall, und die gewagte Zueignung Ihre Genehmigung erhalten werde, muß ich erwarten; doch habe ich die Hoffnung darauf nicht ganz aufgegeben, da wenigstens meine ersten minder correcten Handzeichnungen dieser Darstellungen Euer Excellenz nicht misfielen, und Hochdieselben damals mich zu einer Bearbeitung dieser Blätter für das Publicum aufzufordern die Güte hatten. Da nun auch anderweitig durch ähnliche aufmunternde Beurtheilungen von Künstlern und Liebhabern mein freilich gerechtes Mistrauen in meine Kunstfertigkeit, wenn nicht gänzlich beseitigt, doch wenigstens überwogen worden, so bin ich bis jetzt meinem Vorsatze treu geblieben, die ganze Reihe der 12 Darstellungen zum Faust zu lithographiren, und, wenn sich das Publicum der Unternehmung günstig bezeigt, herauszugeben;1) vorausgesetzt, daß ich einen Verleger finde. Noch kürzlich habe ich die Gelegenheit gehabt, das Urtheil eines geachteten Künstlers über meine Faustischen Zeichnungen zu befragen, wodurch mein Muth wenigstens nicht niedergeschlagen worden.

Juni 14. Sendung von . . . Nauwerck aus Neustrelitz2). 24. [London] Th. Carlyle an G (Norton 2):3) Four years ago, when I read your Faust among the mountains of my native Scotland, I could not but fancy I might one day see you, and pour out before you, as before a Father, the woes and wanderings of a heart whose mysteries you seemed so thoroughly to comprehend, and could so beautifully represent. The hope of meeting you is still among my dreams. Many saints have been expunged from my literary Calendar since I first knew you; but your name still stands there, in characters more bright than ever. That your life may be long, long spared, for the solace and instruction of this and future generations is the earnest prayer of, Sir, your most devoted servant, Thomas Carlyle. Aug 14. [Berlin] Fürst A. v. Radziwill an P. Cornelius (E. Förster: Peter Cornelius. Ein Gedenkbuch. Berlin 1874. Bd 1, 343): Sie haben sich wieder als ein ächter fühlender und denkender Künstler bewährt in der vortrefflichen Zeichnung, die sie mir geschickt haben . . . Ich habe das schöne Titelblatt hier und zeige es allen Ihren Kunstgenossen und Verehrern, die es nach Verdienst loben und schätzen und ihre Freude mit mir theilen, daß Sie den Gefeierten an Kritikern und Fortsetzern gerochen haben.4) Sept 10. Abends und zum Nachtessen Herr [P. A.] Wolff, die Herren Coudray,

[H.] Meyer, Riemer und Eckermann. Über Theater, besonders auch die Radziwillschen Vorstellungen von Faust.5) Mit Bedauern der Unterbrechung derselben.

1

) Ludwig Gottfried Carl Nauwerck: Darstellungen zu Göthe’s Faust. XII Bl. Hamburg 1826−1830. 2 ) Die neuen Lithographien Prolog im Himmel u. Erscheinung des Erdgeists; s. oben 5. Juni 1824 u. 12. Juni 1823: L. Nauwerck an G; Abb. in Neubert 118. 3 ) Das Vorangehende s. in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“: Th. Carlyle an G gD. 4 ) s. oben 23. Dez 1823: Radziwill an Cornelius m. Anm. 5 ) s. oben 1820 Mai 21. u. Juni 6./7.: Zelter an G.

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Sept 10. [Weimar] Riemer Tagebuch (BG 14, 478): Abends mit [P. A.] Wolff bei Goethe . . . Wolff erzählte allerliebst die Geschichte der Aufführung des Faust bei Fürst Radziwill. [Okt 2.] (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: M. Heine, Erinnerungen gD, S. 683) Nov 18. Abends . . . Rolle mit Steindruck [zu Faust] von Nauwerck.1) [Nov/Dez] Thomas Medwin, Journal of the Conversations of Lord Byron2) (London 21824, 210ff.): „,The Germans’, said he [Byron], ,and I believe Goethe himself, consider that I have taken great liberties with ,Faust’. All I know of that drama is from a sorry French translation, from an occasional reading or two into English of parts of it by Monk Lewis when at Diodati, and from the Hartz mountain-scene, that Shelley versified from the other day. Nothing I envy him so much as to be able to read that astonishing production in the original. As to originality, Goethe has too much sense to pretend that he is not under obligations to authors, ancient and modern; − who is not? You tell me the plot is almost entirely Calderons. The feˆte, the scholar, the argument about the Logos, the selling himself to the fiend, and afterwards denying his power; his disgiose of the plumed cavalier; the enchanted mirror, − are all from Cyprian. That magico prodigioso must be worth reading, and nobody seems to know any thing about it but you and Shelley. Then the vision is not unlike that of Marlowes, in his ,Faustus’. The bed-scene is form ,Cymbeline’; the song or serenade, a translation of Ophelias, in ,Hamlet’; and, more than all, the prologue is from Job, which is the first drama in the world, and perhaps the oldest poem. I had an idea of writing a ,Job’, but I found it too sublime. There is no poetry to be compared with it.’ I told him that Japhets soliloquy in ,Heaven and Earth’ and address to the mountains of Caucasus strongly ,Fausts’. ,I shall have commentators enough by and by’, said he, ,to dissect my thoughts, and find owners for them.’“ Dez 17. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 128): . . .3) [G:] Wie viel zu gedultig läßt er [Byron] sich Plagiate vorwerfen . . . Gehört nicht alles, was die Vor- und MitWelt geleistet, Ihm de jure an? . . . Nur durch Aneignung fremder Schätze entsteht ein Großes. Hab’ ich nicht auch im Mephistofeles den Hiob4) und ein Shakespearisches Lied5) mir angeeignet?

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⎯ [K. Rosenkranz über] H. F. W. Hinrichs: Aesthetische Vorlesungen über Goethe’s Faust als Beitrag zu Anerkennung wissenschaftlicher Kunstbeurtheilung. Halle 1825. In: K. Rosenkranz: Von Magdeburg bis Königsberg. Leipzig 1878, 284f.: Den Begriff der

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) Weitere Sendung von Lithographien, s. oben 5. Juni 1824: Nauwerck an G. ) Conversations erschienen am 23. Okt 1824 in einer einbändigen Quartausg., fast gleichzeitig second edition u. new edition als einbändige Oktavausg.; weitere Ausgaben in Originalsprache im Nov 1824 in Paris bei Galignani u. Baudry; second edition u. die zweibändigen Pariser Ausg. in der Weimarer Bibliothek. − G las die Conversations vermutl. in frz. Übersetzung (25. Nov 1824: Tgb); zwei Übertragungen (von A. Pichot bei Lavocat u. von A. T. Davesie`s de Ponte`s bei Pillet) waren 1824 in Paris erschienen; letztere in der Weimarer Bibliothek, wohl von G gelesen. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: F. v. Müller gD, S. 684. 4 ) Sz. Prolog im Himmel, vgl. unten 18. Jan 1825: Eckermann Gespräch. 5 ) Das moralisch Lied (3682−97) in der Sz. Nacht. Straße vor Gretchens Türe nach Ophelias Lied vom gefallenen Mädchen in Hamlet IV 5. 2

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christlichen Religion als der absoluten entwickelte Hinrichs in einem Buche, dessen Titel diesen Inhalt zunächst nicht erwarten ließ. Dies waren seine ästhetischen Vorlesungen über Göthe’s Faust,1) die er 1825 „als einen Versuch zur Anerkennung wissenschaftlicher Kunstbeurtheilung“ herausgab. Sie waren der Anfang einer Richtung in der Hegel’schen Schule, welche die allgemeine geistige Bedeutung des Inhalts eines Kunstwerks in übertriebener Weise zu bevorzugen, als die der höchsten Norm ästhetischer Betrachtung geltend machen wollte. Hinrichs drückte dies auch so aus, daß die Kunst den Gedanken in der Form der sinnlichen Vorstellung darstellen und die Kunstkritik daher aus dem Element der Vorstellung auf den in ihr enthaltenen Gedanken zurückgehen müsse. Hieraus sollte dann die Einheit von Inhalt und Form begriffen werden . . . Hinrichs entwickelte sehr gut den Proceß der Entzweiung sowie der Versöhnung des menschlichen Geistes mit dem göttlichen. Gott Vater mit den Engeln im Vorspiel, Faust, Mephisto, Gretchen, die Walpurgisnacht geben ihm den Anhalt, die Hauptpunkte der christlichen Dogmatik philosophisch zu erörtern.2) Das Pathos von Faust, Mephisto und Gretchen wurde phänomenologisch abgeleitet . . .

Jan

10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 133f.): Goethe fragte darauf Herrn H. [Hutton], was er von deutscher Literatur gelesen habe. Ich habe den Egmont gelesen, antwortete dieser, und habe an dem Buche so viele Freude gehabt, daß ich dreimal zu ihm zurückgekehrt bin. So auch hat Torquato Tasso mir vielen Genuß gewährt. Jetzt lese ich den Faust, ich finde aber, daß er ein wenig schwer ist. Goethe lachte bei diesen letzten Worten. „Freilich, sagte er, würde ich Ihnen zum Faust noch nicht geraten haben. Es ist ein tolles Zeug und geht über alle gewöhnlichen Empfindungen hinaus. Aber da Sie es von selbst getan haben, ohne mich zu fragen, so mögen Sie sehen wie Sie durchkommen. Faust ist ein so seltsames Individuum, daß nur wenige Menschen seine inneren Zustände nachempfinden können. So der Charakter des Mephistopheles ist durch die Ironie und als lebendiges Resultat einer großen Weltbetrachtung wieder etwas sehr Schweres. Doch sehen Sie zu, was für Lichter sich Ihnen dabei auftun. 18. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 139f.): . . . Mir sind daher, nahm ich das Wort, immer die Gelehrten höchst seltsam vorgekommen, welche die Meinung zu haben scheinen, das Dichten geschehe nicht vom Leben zum Gedicht, sondern vom Buche zum Gedicht. Sie sagen immer: das hat er dort her und das dort! − Finden sie z. B. beim Shakspeare Stellen, die bei den Alten auch vorkommen, so soll er es auch von den Alten haben! . . . Wie wunderlich! Als ob man nach solchen Dingen so weit zu gehen brauchte, und als ob man dergleichen nicht täglich vor Augen hätte und empfände und ausspräche! „Ach, sagte Goethe, das ist höchst lächerlich!“ So auch, fuhr ich fort, zeigt selbst Lord Byron sich nicht klüger, wenn er Ihren Faust zerstückelt und der Meinung ist, als hätten Sie dieses hier her und jenes dort. „Ich habe, sagte Goethe, alle jene von Lord Byron angeführten Herrlichkeiten3) größtenteils nicht einmal gelesen, viel weniger habe ich daran gedacht, als ich den Faust machte. Aber Lord Byron ist nur groß wenn er dichtet, sobald er reflektiert, ist er ein Kind. So weiß er sich auch gegen dergleichen ihn selbst betreffende unverständige Angriffe seiner eigenen Nation nicht zu helfen; er hätte sich stärker dagegen ausdrücken sollen. Was da ist mein! Hätte er sagen sollen, und ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche genommen, das ist gleichviel, es kam bloß darauf an, daß ich es recht gebrauchte! . . . Lord Byrons verwandelter Teufel [im letzten dramatischen Werk The Deformed Transformed] ist ein fortgesetzter Mephistopheles, und das ist recht! Hätte er aus origineller

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) Gehalten im Wintersemester 1821/22 in Heidelberg, s. auch oben 1824 März 10.: Hinrichs an G u. Apr 13.: an Hinrichs. 2 ) Vgl. auch Rosenkranz’ eigene Auseinandersetzung mit dem Faust-Stoff: K. Rosenkranz: Geistlich Nachspiel zur Tragödie Faust. Leipzig 1831. 3 ) s. oben [Nov/Dez 1824]: Thomas Medwin, Conservations of Lord Byron.

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Grille ausweichen wollen, er hätte es schlechter machen müssen. So singt mein Mephistopheles ein Lied von Shakspeare, und warum sollte er das nicht?1) Warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakspeare eben recht war und eben das sagte, was es sollte? Hat daher auch die Exposition meines Faust mit der des Hiob einige Ähnlichkeit,2) so ist das wiederum ganz recht und ich bin deswegen eher zu loben als zu tadeln.“

Febr 24. Abends . . . [Lektüre von] Professor Hinrichs zu Halle Commentar über

Faust.3) Apr 12. [London] F. L. Gower an G (GSA 28/112 Bl. 115): The author of an attempt at a translation of Faust ventures to hope that the great author of that drama will honour by his acceptance the volumes which accompany this letter4). He was prevented from paying this tribute of respect sooner by his reluctance to place under the immediate observation of the poet whose work he had endeavoured to translate, several unpardonable errors which appear in the first edition5). He trusts in the indulgence of that poet for those faults which still remain, for many missions, and still more for its general insuffiency to give a faint idea of the original. The consolation of the translator is that even if he has completely failed, no one could have completely succeded. The translator hopes that in the course of the approaching summer he may be enabled to make a journey on the Continent with the sole object of visiting Weimar & the great inhabitant of that city6), for whom he feels that admiration of which the accompanying volumes are an imperfect but sincere testimony. With wishes for the long continuance of a life so valuable to literature & mankind he begs leave to subscribe himself. The sincere admirer of Goethe Francis Leveson Gower.

1

) Anspielung auf die Nähe von Faust, v. 3682ff. (Was machst Du mir Vor Liebchens Tür) zu Hamlet IV 5 (Tomorrow is Saint Valentine’s day). 2 ) Vgl. Prolog im Himmel mit Hiob 1, 6−12. 3 ) Aesthetische Vorlesungen über Göthe’s Faust: als Beitrag zur Anerkennung wissenschaftlicher Kunstbeurtheilung hsg. v. Dr. H. F. W. Hinrichs, ordentlichem Professor der Philosophie an der Universität zu Halle. Halle 1825; mit gedruckter Widmung Zugeeignet im Sinne der Tragödie und der Vorlesungen Goethe, Hegel, Daub; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1935); Rez. in Literatur-Blatt Nr. 53 v. 5. Juli 1825, 211f., Zeitung für die elegante Welt Nr. 122 v. 25. Juni 1825, 973, Hermes oder Kritisches Jahrbuch der Literatur 26 (1826), 357−62, im Ergänzungsbl. der JALZ 1834, Nr. 1, 1f. u. F. Th. Vischer: Kritische Gänge. Bd 2. Tübingen 1844, 179−84, s. oben 10. März 1824: Hinrichs an G u. 13. Apr 1824: an Hinrichs. − Siehe auch H. Tietze: Die philosophische Periode der deutschen Faustforschung (1817−1839). Greifswald 1916, 95−108. 4 ) Faust: a Drama by Göthe. With translations form the German. By Lord Francis Leveson Gower. Second edition. In 2 vol. London 1825; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1824); Rez. von J. G. Lockhart in: The Quarterly Review 34 (1826) 136−53. − Zur Faust-Übersetzung des jungen Lord Francis Leveson−Gower (1800−1857), der sich nach 1833 Francis Egerton, 1st Earl of Ellesmere nannte, s. unten 1. Juli 1825: an Ottilie v. Goethe; 1829 Jan 31.: Robinson an G; [Aug 13.−18.]: Robinson, Reminiscences; Dez 26. Tgb; 1830 Nov 15.: Carlyle an G; Dez 6.: Eckermann an Carlyle; 1831 Jan 20.: Carlyle an Napier u. 22.: Carlyle an G. − Eine Antwort G’s an Lord Gower ist nicht überliefert. G scheint sich nicht bedankt zu haben. 5 ) Faust. A Drama. And Schiller’s Song of the Bell. Translated by Francis Leveson Gower. London 1823; vgl. Henning II Nr. 874. 6 ) Besuch fand statt am 21. Juli 1826; vgl. Tgb 10, 220.

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Apr 28. [Paris] Victor Cousin, Seconde visite `a Goethe (Le Globe V 26, 2. Juni 1827, 134): Je lui demandai ses commissions pour Paris, ou ` l’on commenc¸ait `a s’inte´resser `a l’Allemagne, ou ` l’on traduisait Schiller et lui. Je voulais l’amener `a me parler de l’e`tat de la litte´rature en France, et prendre ses conseils; mais voici tout ce qu’il me dit: − „Oui, je le sais; mais je n’ai pas lu ces traductions. Comme je vous disait, je dois me tenir en ´equilibre, et me refuser `a des lectures qui me plairaient. Dans ma jeunesse, je me livrais `a tout ce qui m’inte´ressait; maintenant il faut que je m’abstienne, et me borne `a quelques objets.“ − “ On a traduit Faust litte´ralement? Je le conc¸ois pourtant. Pour s’ame´liorer, la langue franc¸aise n’a besoin seulement que de reculer de quelques sie`cles, et de revenir `a Marot . . . Oui, la langue de Marot . . . Il faut prendre quelques liberte´s; peu `a peu on s’y habitue.“ Comme je vis que je n’en pourrais tirer davantage sur la France, je changeai de sujet. Mai

⎯ Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 10, 298): Faust a drama by Goethe,

übersetzt von Gower. London 1825. 2 Vol. Vom Übersetzer. 11. [Abends] Sendung aus London von Gower, Übersetzung von Faust. In derselben gelesen. 13. Englischen Faust [Übers. von Gower] an Frau [Henriette Freifrau] von Pogwisch. 28. (s. Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand: an C. W. Göttling gD) [29.] [London, anonym] Korrespondenz-Nachrichten, London, 29. Mai. In: Morgenblatt Nr. 149 v. 23. Juni 1825, 595: Der längst versprochene Faust in Drury-Lane1) ist endlich [am 16. Mai] auf die Bretter gebracht worden, und zwar mit Glück, welches jedoch mehr dem Dekorationsmaler und Machinisten (welche beyde das höchste Lob für ihre dabey bewiesene Geschicklichkeit verdienen) als den Fabrikanten oder vielmehr Zusammensetzern des Stücks, Hrn. Soane und Terry. Die ernsthaften Scenen und Gespräche aus dem Stücke gehören unserem Goethe, und einige drollige, die es enthält, sind von der Art, daß sie niemand den Dramaturgen streitig machen wird. 31. Vergleichungen zweyer Übersetzungen von Faust.2) Juni

1. An Ottilie v. Goethe (Br 39, 210): Lord G o w e r s Ü b e r s e t z u n g ist

eigentlich eine völlige Umbildung, vom Original blieb fast gar nichts übrig, deshalb er auch soviel auslassen mußte,3) worüber er nach seiner Weise nicht Herr werden konnte. Die frühere Übersetzung [von George Soane], von der wir nur den Anfang [v. 1−576] haben, ist weit mehr zu billigen; der Mann hält sich, bey gutem Verständniß, sehr wacker an den Text und quält sich nicht mit Rhythmus und Reimen. Juli

13. [Augsburg] E. Jerrmann an G (GSA 28/113 Bl. 163f.): . . .4) das Vorspiel zum Faust führe uns an die Küsten der Barbaren. Nur zwei Hindernisse sind noch zu besiegen, und die kann allein Ew. Excellenz Huld und Gnade lösen. Das Erste hebt Ew. Excellenz 1

) Im Theatre Royal. ) von George Soane u. F. L. Gower; zur Übersetzung von Soane s. oben 3. Juni 1820: Bothe an G. 3 ) Auslassungen betr. z. B. Prolog im Himmel, Hexenküche, Walpurgisnacht u. Nacht. Offen Feld. 4 ) Das Vorausgehende s. in „Iphigenie auf Tauris“ E Jerrmann an G gD. − Der Schauspieler Eduard Jerrmann leitete 1825 für kurze Zeit als Regisseur das Augsburger Stadttheater, wo er seine Tätigkeit am 18. Sept 1825 mit G’s Iphigenie u. einem bearbeiteten Vorspiel auf dem Theater eröffnen wollte. − G’s Antwort s. im nächsten Z. 2

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gütige Erlaubniss auf, das zweite, wenige Züge jener Meisterhand, die das Ganze so glorreich formte, und allein fähig ist, die Vereinigung zweier so heterogener Massen, würdig zu vollenden, und der erstaunten Menge Wahrheiten vorzuführen, die sie ernste und tiefe Blicke in das Wesen ihrer Kunstneigung thun lassen, ohne sie zu verletzen. In dieser Hinsicht zittere ich vornehmlich vor der ersten, leider! so aus dem Leben gegriffenen Schilderung des Publikums. „Beseht die Gönner in der Nähe, Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.“ [123f.] pp Doch wozu Sie noch mit Worten belästigen? Meine Bitte ist ausgesprochen; wer dürfte noch eine Ansicht wagen, wenn Göthe nach der Feder greift! Erfüllen Ew. Excellenz meine gewagte, unterthänige Bitte, so haben dieselben einen Menschen glücklich gemacht . . .

Juli An E. Jerrmann (Konzept; Br 39, 257f.): Ew. Wohlgeboren danke 22. [?] zuförderst für das mir bewiesene Vertrauen; darf jedoch nicht verheh-

len daß ich es für eine schwierige Sache halte, das Vorspiel zu Faust in ein Vorspiel zur Eröffnung eines neuen Theater-Unternehmens zu verwandeln. Es müßte beynahe umgeschrieben werden, wenn es so höflich, artig und einnehmend einem Publicum gebracht werden sollte als es jetzt trotzig und unfreundlich ist, wie man es allenfalls dem Leser, nicht aber dem Zuschauer bieten darf. Sollte man jedoch diese Umwandlung unternehmen, so dürften Sie nach meiner Einsicht Iphigenie nicht darauf folgen lassen, sondern ein recht heiteres und lustiges Personen- und Abwechselungsreiches Stück dazu wählen, Iphigenien aber in ihrer ganz ruhigen Erscheinung für sich einige Zeit darauf folgen lassen. Leider kann man, da bey dem Theater alles von augenblicklichen Umständen abhängt, nicht wohl einen passenden und auslangenden Rath geben. Deswegen ich meinen guten Willen auf dieses wenige beschränken . . . kann. 22. [An] Herrn Regisseur Eßlair, wegen eines Vorspiels, München.1) 29. [Koblenz] C. Brentano an J. Görres (FBA 35, 108): Sie [Bettine v. Arnim] hat den Traum aus dem Faust [v. 1447−1505] mit merkwürdiger Kunst und einer zerstörenden Anstrengung gezeichnet . . . Aug 26. Mittag Hofrath Meyer und Eckermann. Letzterer hatte eine englische

Übersetzung der Zueignung des Faust [von John Heavyside] überbracht.2) Okt 13. [Weimar] J. W. Hoffmann an G (G−Cotta 3.2, 133): Göthes Faust neue Ausgabe kostet 1 rt. 10gr.! Löschpapier!3)

1

) Br 39, 375 zufolge ist der an E. Jerrmann gerichtete Brief gleichen Datums gemeint, den G an den Regisseur des Münchener Hoftheaters adressierte, bei dem Jerrmann einige Gastrollen gegeben hatte, die ihm den Ruf nach Augsburg als Theater-Sekretär u. Regisseur eingetragen hatten. 2 ) s. unten 8. Jan 1826: Heavyside an G. 3 ) Der Neuen Auflage liegt ein Ex. des Einzeldrucks von 1821 zugrunde (vgl. Hagen Nr. 320); zur Entstehung des Drucks s. QuZ 4, 462−65. − Der Weimarer Buchhändler u. Kommissionsrat, der als Bewerber um G’s Ausg. letzter Hand ein Konkurrent Cottas war, machte G auf den Einzeldruck des im Sept ausgelieferten Faust von 1825 aufmerksam. In seiner im Alter verfaßten Familienchronik behauptete Hoffmann: Im Ver-

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[Nov 6.] [Weimar] E. J. Förster, Aus der Jugendzeit1) (GG 3.1, 836): Am Morgen des 6. . . . meldete ich mich . . . bei Goethe an und erhielt die Einladung, um zwölf bei ihm zu sein2) . . . Mit einer namenlosen Empfindung, gemischt aus höchster Freude und hochgesteigerter Angst . . . trat ich in das große Empfangszimmer. Wußte ich doch, daß der erhabene Dichter des „Faust“ zugleich der kühle Beurteiler des Corneliusschen „Faust“ war, der ihn mit dem von Retzsch,3) ja fast mit dem von Delacroix4) auf eine und dieselbe Stufe gestellt. [9.] [Weimar] E. J. Förster, Aus der Jugendzeit (GG 3.1, 859f.): Er [G] lenkte zuerst das Gespräch auf [den Maler A. J.] Carstens, und als ich das Entzücken nicht zurückhielt, das mir seine Zeichnungen eingeflößt, sagte er: „Es geht alles seinen geordneten Gang, und so war es gewiß von guter Vorbedeutung, daß dieser Genius, mit dem man so gern die neue Epoche deutscher Kunst beginnt, sich vor allen an die Dichter und Denker des klassischen Altertums gehalten hat.“ − „Das hat ihn auch“, fiel der Hofrat [Meyer] ein, „vor der unglückseligen Nachahmung der altdeutschen Manier bewahrt, die seine Nachfolger sich zur angelegentlichen Pflicht gemacht haben.“ − „Und doch“, bemerkte ich, „ward er angefeindet wie seine Nachfolger, ja, er blieb fast unbekannt im Vaterlande, und erst Cornelius wußte das Herz des Volkes zu treffen, indem er ihm den ,Faust’ vor Augen stellte.“ − Goethe nahm die Bemerkung sichtbar wohlgefällig auf, doch fügte er hinzu, Cornelius habe recht getan, die in seinem Faust gebrauchten, der altdeutschen Kunst entlehnten Formen zu verlassen, um sich freier bei seinen jetzigen mythologischen Aufgaben bewegen zu können. − Da Cornelius sich selbst einmal gegen mich dahin geäußert, daß der Stil durch den Gegenstand der Darstellung bedingt sei, und daß er Faust und Nibelungen auch jetzt in keiner andern Ausdrucksweise wiedergeben würde, als früher, so teilte ich diese Äußerung mit . . . „Es ist ein Unterschied [zwischen dichtender und bildender Kunst]“, bemerkte Goethe, „doch muß ich hier Cornelius beistimmen, denn ich hätte Iphigenie und Tasso nicht im Stil von Faust und Götz schreiben können − so wenig, als umgekehrt.“ 20. An Cotta (Br 40, 135): . . .5) eine besondere neue Ausgabe von Faust, in

der J. G. Cottaischen Buchhandlung 1825, [wird] hier in Weimar für 1 rh. 10 Groschen verkauft6) . . . Mögen Sie uns besonders aufklären wie es mit diesem neuen Abdruck gemeint sey? So werden Sie uns sehr beruhigen, denn wir dürfen nicht leugnen daß uns diese Erscheinung ganz unerwartet gewesen.7)

folge unsers Gesprächs frug ich ihn, ob er die damals erschienene neue Auflage seines Faust schon empfangen habe? Etwas aufgeregt frug er mich, ob denn eine neue Auflage erschienen sey, er wisse nichts von einer solchen? Ich erwiederte ihm, daß ich eine solche schon seit 6 Wochen empfangen hätte. Senden Sie mir, fiel er sogleich noch aufgeregter ein, sogleich ein Exemplar. Cotta hat mir nichts von einer neuen Auflage geschrieben.(QuZ 2, 269). Vgl. dazu unten 20. Nov 1825: an Cotta. 1 ) Fragment gebliebene Autobiographie von Ernst Joachim Förster, des jüngeren Bruders von Friedrich Christoph Förster, entstanden von 1881 bis 1885. 2 ) Vermerkt im Tgb 10, 122: Förster. 3 ) s. oben 1816: TuJ. 4 ) Gedächtnisfehler; G lernte die Werke von Delacroix erst 1826 kennen. 5 ) Das Vorausgehende s. in „Werke, Ausgabe letzter Hand“: an Cotta gD. 6 ) J. W. Hoffmann hatte G auf die Faust-Ausgabe aufmerksam gemacht; s. oben 13. Okt. 7 ) Cotta hatte G nichts von dem Einzeldruck wissen lassen u. ihm keine Belegexemplare geschickt.

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Nov 30. [Stuttgart] Cotta an G und A. v. Goethe (G−Cotta 2.1, 144f.): Da . . . der Verleger sämtlicher Werke immerhin auch den Verkauff der einzelnen hat, wenn nichts besondres dagegen mit andern Verlegern besteht, so ist es begreifflich, daß ich das gleiche Verhältniß wie bei den frühern Verträgen voraussezte. Sie halten diesen Verkauff von hoher Bedeutung, allein da er sich nur für diejenigen vom Verleger der sämtlichen Werke erzielen läßt, wovon das Verlags Recht nicht besonders honorirt wurde . . . so beschränkt er sich vorzüglich auf die Gedichte Faust Herrmann und Dorothe wovon nach meinen Inventarien jährlich bei 150, 300 und 200 Ex. abgegangen sind, wovon der Ertrag nach Abzug der Druk und andern Kosten etwa zu rt 400 zu schätzen ist − Hievon mögen auf den Faust bei 250 rt fallen − den meine Handlung zu 1 rt netto ansezt und in der Buchhändler Zahlung also 23 gr erhält, 3 gr gehen p Ex auf Einband, Emb.; 2 gr auf Druk und Papier, 2 gr mögen Fracht, Verlust, Zinsen anzunemen seyn, also der reine Ertrag pp 16 gr. Die Aufklärung, welche Sie über den neuen Abdruk verlangen, ist folgende: In einer, wie die meinige, geordneten Handlung wird genaue Inventur gehalten und aus dieser nach dem Wahrscheinlichkeits-Calcul ermessen, wann eine Auflage abgesezt seyn kan. Ist es ein gangbarer Artikel, so wird nicht die Zeit abgewartet, bis die Auflage erschöpft ist, sondern geraume Zeit vorher mit dem Druk begonnen . . . So war es auch mit Faust der schon Jahr und Tag begonnen wurde und den ich auch beginnen konnte, da ich nach dem frühern Vertrag das Vorzugsrecht vor jedem andern Verlegerr bei gleichen Bedingungen geniesse und mir wohl bewußt war, daß ich auf diese eingehen würde − Die unbedingte Annahme Ihrer Punctation hat diß auch von meiner Seite bewiesen, daher die Zahl 1825 auch auf dem Titel steht, was ja leicht hätte beim Alten gelassen werden können, wenn in meiner HandlungsWeise etwas möglich wäre, was den Schein nur der Unredlichkeit begründen könte . . .

1826 ⎯

⎯ Anzeige von Goethe’s sämmtlichen Werken, vollständige Ausgabe letz-

ter Hand (W 42.1, 111): [Bd] X.: S y m b o l i s c h - h u m o r i s t i s c h e D a r s t e l l u n g e n : Faust . . .1) ⎯ Viana: Schillers und Göthes Leben nebst kritischer Würdigung ihrer Schriften. Bd 2. Dinkelsbühl 1826, 123: Der jugendlichen Epoche seines Lebens gehört sein früh entworfener, aber erst spät erschienener Faust an, der auch in seiner neuesten Gestalt immer noch ein Bruchstück ist, und in dessen Natur es vielleicht lag, immer ein Bruchstück bleiben zu müssen. Es ist schwer zu sagen, ob man mehr zu der Höhe hinanstaunt, die der Dichter oft darin erschwingt, oder mehr an den Tiefen schwindelt, die sich vor unseren Blicken aufthun.2) Jan

8. [Weimar] J. Heavyside an G (Jensen 1965, 74f.): Allow me to request your acceptance of the enclosed attempt at translation, in which I have done my utmost to retain the f o r m without losing the s p i r i t of the Original. − I elected this fairy scene a t p r e s e n t , because I could avail myself of the kind assistance of Dr. Eckermann in surmounting difficulties, which there present themselves, perfectly insurmountable to any unassisted foreigner. − Still there are passages and allusions, which, I must confess, my very limited acquaintance with German literature & traditions &. C. does not allow me satisfactorily to understand. − If you accept this essay, as a tribute offered by admi-

1

) Gleichlautend P4 u. P5 vom Jan 1825 in W 42.1, 460; 468: Neue Ausgabe . . . Faust; Faust I erschien schließlich in C1 12 (1828) 1−247. 2 ) S. 123−47: Paraphrasierung des Textes mit zahlreichen Vers-Beispielen.

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ration to Merit, it is for me honor and reward enough; but if it should be the means of leading you into a conversation upon the subject with my friend Dr. Eckermann, and eventually of throwing light upon what to me, from the very nature of the subject, still appears obscure, the liberty which is now assumed with diffidence, will long be recollected with delight by Your Excellency’s Most humble Servant John Heavyside.1)

Jan

10. Heavyside, Übersetzung des Walpurgisnachtstraum. [10.] (H1 des Walpurgisnachtstraum mit 4335 u. 4337f. durch engl. Übersetzung, Briefkonzept u. Adresse datierbar: 10. Jan 1826)2)

[10./13.] (H2 des Walpurgisnachtstraum mit 4335−42 durch engl. Übersetzung u. Briefkonzept datierbar: 10./13. Jan 1826)3) Febr 16. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 174): „Ich [G] tat einen glücklichen Griff mit meinem Götz von Berlichingen; das war doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; und es war schon etwas damit zu machen.“ „Beim Werther und Faust mußte ich dagegen wieder in meinen eigenen Busen greifen, denn das Überlieferte war nicht weit her. Das Teufels- und Hexen-Wesen machte ich nur einmal; ich war froh, mein nordisches Erbteil verzehrt zu haben und wandte mich zu den Tischen der Griechen. Hätte ich aber so deutlich gewußt, wie viel Vortreffliches seit Jahrhunderten und Jahrtausenden da ist, ich hätte keine Zeile geschrieben, sondern etwas anderes getan.“ März 26. Herr Matt[h]isson, eine Stelle aus Faust [Osterspaziergang] vorle-

send.4) 26. [Weimar] F. v. Matthisson Tagebuch (F. v. Matthisson: Schriften. Bd 8. Zürich 1829, 19): Ueber den im F a u s t geschilderten Ostermorgen kam es bald zur Sprache und da fuhr es mir plötzlich durch den Sinn, den Urheber dieser einzig-schönen Schilderung um die Erlaubniß des Vortragens zu bitten. Er ließ mich gern gewähren und schien mit dem Lesen zufrieden. „Sie haben gelesen, als wenn Sie es selbst gemacht hätten“, war seine Aeußerung darüber. 29. [Weimar] F. v. Müller an C. F. v. Reinhard (ChronWGV 1908, 23): Vorgestern und gestern war Matthisson bey uns und schied sehr vergnügt, da er am Hofe, bei Goethe und von einem gewählten literarischen Kreise sehr ausgezeichnet wurde. Er ist der beste Vorleser, den ich je gehört. Am Ostertage gerade laß er Goethen seinen Ostermorgen aus Faust vor. 30. [Wörlitz] F. v. Matthisson an J. K. L. Schorn (GG 3.2, 27): Ich las ihm [G] am Ostermorgen seine herrliche Schilderung des Ostermorgens aus dem Faust vor. Er schien mit meinem Vortrag zufrieden und sagte: Sie haben gelesen, als wenn Sie es selbst gemacht hätten.

1

) Begleitbrief zur Übersendung von Walpurgisnight’s Dream or The golden Weddingday of Oberon & Titania an Interlude (GSA 25/XVII 3, 5b). − Der Engländer John Heavyside, der sich als Erzieher in Weimar aufhielt, übersetzte auch die Zueignung u. den Prolog im Himmel. 2 ) H1 des Walpurgisnachtstraum enthält den 1. Entwurf der Tanzmeister-Strophe (4335, 4337f.), noch ohne Sprecherangabe. 3 ) H1, unmittelbar auf H2 folgend, enthält vollständig die Strophen des Tanzmeisters u. des Fidelers (4335−42), ebenfalls noch ohne Sprecherangabe; einzige nachträgliche Ergänzung, die G im mehrfach unverändert gedruckten Faust I vornahm. Nach v. 4334 eingeschoben, erstmals 1828 in C1 12 veröffentlicht. 4 ) s. unten 1826 März 30.: Matthisson an Schorn u. Apr 18.: Matthisson an Haug.

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Apr 17. [Berlin, anonym] Zeitung der Ereignisse und Ansichten. Berlin. In: Der Gesellschafter. Blätter für Geist und Herz, 61. Bl. v. 17. April 1826, 307f.: Holtei’s Vorlesungen wurden für diesmal am 7. April mit Goethe’s Faust geschlossen. Es war, wegen der bedeutend vermehrten Anzahl der Zuhörer, nöthig geworden, ein anderes Lokale zu wählen, und der zierliche Jagorsche Saal nahm den großen Kreis der Freunde und Freundinnen der Dichtkunst auf. Der Vorleser, von Goethe’s Meisterwerk begeistert, leitete es in dieser Stimmung durch einige ansprechende Verse ein und trug es dann vor mit inniger Kraft und lebensvoller Unterscheidung der poetischen Gestalten. 18. [Wörlitz] F. v. Matthisson an F. Haug (GG 3.2, 27f.): Ganz wie vor zwei Jahren, ohne die leichteste Veränderung in Blick, Gang oder Organ, fand ich [am 26. März] Goethe. Nur war er freundlicher und weniger feierlich als damals. Über den im Faust geschilderten Ostermorgen kam es bald zur Sprache, und da fuhr es mir plötzlich durch den Sinn, den Urheber dieser einzig-schönen Schilderung um die Erlaubnis des Vortragens zu bitten. Er ließ mich gern gewähren und schien mit dem Lesen zufrieden. „Sie haben gelesen, als wenn Sie es selbst gemacht hätten“, war seine Äußerung darüber.1) Mai

8. Studien zur Weltliteratur (AA−SL 2, 241): E n g l a n d

. . . Verschiedene Versuche, Faust zu übersetzen.2) Andere, deren Namen nachzusehen. Kupfer von Retsch zu Faust nachgestochen.3) Lord Byrons Antheil Aueßerungen desselben4) Stellen aus seinen Werken Sein Antheil wahrscheinlich durch Lewis und Shelley angeregt,5) jedoch nur im Allgemeinsten. Im [Lücke]6) finden sich Spuren von Faust. 26. An P. C. Weyland (Br 41, 43) : In Paris bitte . . . sodann Herrn Stapfer, dem treuen Übersetzer meiner dramatischen Werke, beykommende Medaille als wohlgemeyntes Andenken zu überliefern.7)

Juni

6. [Stuttgart] P. v. Lindpaintner an L. Spohr (P. v. Lindpaintner: Briefe. Gesamtausgabe. Hsg. v. R. Nägele. Göttingen 2001, 113): Ich hoffe nun bald Faust geben zu dürfen,8) der wie ich höre in München auch eben einstudiert wird.9)

[Juli/ [J. J. Ampe`re, Rez.] Œuvres dramatique de Goethe (übers. von G; W Dez] 41.2, 190−92):10) Nun gibt es aber ein Werk unsres Dichters, nicht nur

1

) s. oben 26. März 1826: Matthisson Tagebuch. ) A. Brandl (GJb 1899, 30) vermutet, daß G hier an Coleridge u. Shelley denkt, vielleicht auch an Lord Leveson Gower. Doch wußte G auch von G. Soane’s u. J. Heavside’s Übersetzungsversuchen. 3 ) s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G u. Anm. 4 ) s. oben Nov/Dez 1824: Medwin, Journal of the Conversations of Lord Byron. 5 ) s. oben 1817 Okt 12 u. 20.: Byron an J. Murray u. G. Ticknor Tagebuch. 6 ) Vermutl. Byrons Drama Manfred od. The Deformed Transformed einzusetzen. 7 ) Goethe-Portätmedaille, 1824 von Antoine Bovy (1795−1877) gefertigt, von P. C. Weyland Anf. Juni 1826 nach Paris mitgenommen u. durch W. v. Humboldt überreicht; zu Stapfers Übersetzung s. „Notice sur la vie et les ouvrages de Goethe par Albert Stapfer“. 8 ) Uraufführung in Stuttgart 2. März 1832. Zur Stuttgarter Einrichtung des Faust s. Musik im Faust 383−416. 9 ) Uraufführung in München 12. Apr 1830. 10 ) ED KA VI 1 (1827) 99−103. − Gegenüber Eckermann bemerkt G am 3. Mai 1827 über Ampe`res Rez: . . . über den ,Faust‘ äußerte er sich nicht weniger geistreich [als zum Tasso], indem er nicht bloß das düstere, unbefriedigte Streben der Hauptfigur, sondern 2

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keinem sonst vorhandenen vergleichbar, sondern auch abgesondert von seinen eigenen zu betrachten. Es ist der Faust, die seltsame tiefe Schöpfung, das wunderliche Drama, in welchem die Wesen jedes Ranges vortreten: vom Gott des Himmels bis zu den Geistern der Finsterniß, von dem Menschen bis zum Thiere und tiefer bis zu jenen ungestalteten Geschöpfen, welche, wie Shakespeare’s C a l i b a n ,1) nur der Einbildungskraft des Dichters ihr scheußliches Dasein verdanken konnten. Über dieses sonderbare Werk wäre gar sehr viel zu sagen; man findet der Reihe nach Musterstücke jeder Schreibart: von dem derbsten Possenspiel bis zur erhabensten lyrischen Dichtung; man findet die Schilderungen aller menschlichen Gefühle, von den widerwärtigsten bis zu den zärtlichsten, von den düstersten bis zu den allersüßesten. Indem ich mich aber von dem historischen Standpunct, auf welchen ich mich beschränke, nicht entfernen darf und nur die Person des Dichters in seinen Werken suchen mag, so begnüge ich mich, den Faust als den vollkommensten Ausdruck anzusehen, welchen der Dichter von sich selbst gegeben hat. Ja, dieser Faust, den er in seiner Jugend erfaßte, im reifen Alter vollbrachte, dessen Vorstellung er mit sich durch alle die Aufregungen seines Lebens trug, wie C a m o e n s sein Gedicht durch die Wogen mit sich führte:2) dieser Faust enthält ihn ganz. Die Leidenschaft des Wissens und die Marter des Zweifels, hatten sie nicht seine jungen Jahre geängstigt? Woher kam ihm der Gedanke, sich in ein übernatürliches Reich zu flüchten, an unsichtbare Mächte sich zu berufen, die ihn eine Zeitlang in die Träume der Illuminaten stürzten und die ihn sogar eine Religion erfinden machten? Diese Ironie des M e p h i s t o p h e l e s , der mit der Schwäche und den Begierden des Menschen ein so frevles Spiel treibt, ist dieß nicht die verachtende spottende Seite des Dichtergeistes, ein Hang zum Verdrießlichsein, der sich bis in die frühesten Jahre seines Lebens aufspüren läßt, ein herber Sauerteig, für immer in eine starke Seele durch frühzeitigen Überdruß geworfen? Die Person des Faust besonders, des Mannes, dessen brennendes unermüdetes Herz weder des Glückes ermangeln noch solches genießen kann, der sich unbedingt hingibt und sich mit Mißtrauen beobachtet, der Enthusiasmus der Leidenschaft und die Muthlosigkeit der Verzweiflung verbindet, ist dieß nicht eine beredte Offenbarung des geheimsten und erregtesten Theiles der Seele des Dichters? Und nun, das Bild seines innern Lebens zu vollenden, hat er die allerliebste Figur M a r g a r e t e n s hinzugestellt, ein erhöhtes Andenken eines jungen

auch den Hohn und die herbe Ironie des Mephistopheles als Teile meines eigenen Wesens bezeichnet. (FA II 12, 607). 1 ) Figur aus Shakespeares The Tempest (1611). 2 ) Epos Os Lusı´adas (Die Lusiaden, 1572) von Luı´s Vaz de Camo ˜es, in dem berichtet wird, daß der Vf. das Manuskript bei einem Schiffbruch aus dem Mekong retten mußte.

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Juli

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19. 20. 21.

Sept 15.

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Mädchens, von der er mit vierzehn Jahren geliebt zu sein glaubte, deren Bild ihn immer umschwebte und jeder seiner Heldinnen einige Züge mitgetheilt hat. Dieß himmlische Hingeben eines naiven, frommen und zärtlichen Herzens contrastirt bewundernswürdig mit der sinnlichen und düstern Ausspannung des Liebhabers, den in der Mitte seiner Liebesträume die Phantome seiner Einbildungskraft und der Überdruß seiner Gedanken verfolgen, mit diesen Leiden einer Seele, die zerknirscht, aber nicht ausgelöscht wird, die gepeinigt ist von dem unbezwinglichen Bedürfniß des Glücks und dem bittern Gefühl, wie schwer es sei, es zu empfangen und zu verleihen. [Nachmittags] Shelleys Übersetzung aus Faust1). [Nachmittags] Shelleys nachgelassene Werke.2) [Abends] Lord Gower besuchte mich bey seiner Durchreise von Petersburg.3) Abends Fürst Pückler von Muskau.

15. [Weimar] Fürst H. L. v. Pückler-Muskau, Briefe eines Verstorbenen (GG 3.2,74): Von Lord Byron redete er [G] . . . mit vieler Liebe, fast wie ein Vater von seinem Sohne, was meinem hohen Enthusiasmus für diesen großen Dichter sehr wohl tat. Er widersprach unter andern auch der albernen Behauptung, daß Manfred eine Nachbetung seines Faust sei, doch sei es ihm allerdings als etwas Interessantes aufgefallen, sagte er, daß Byron unbewußt sich derselben Maske des Mephistopheles wie er bedient habe, obgleich freilich Byron sie ganz anders spielen lasse. Er bedauerte es sehr, den Lord nie persönlich kennen gelernt zu haben, und er tadelte streng, und gewiß mit dem höchsten Rechte, die englische Nation, daß sie ihren großen Landsmann so kleinlich beurteile und im allgemeinen so wenig verstanden habe. Doch hierüber hat sich Goethe so genügend und schön öffentlich ausgesprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen brauche.4) Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des Faust auf einem Privattheater zu Berlin, mit Musik vom Fürsten Radziwill und lobte den ergreifenden Effekt einiger Teile dieser Darstellung.5) „Nun“, sagte Goethe gravitätisch, „es ist ein eigenes Unternehmen, aber alle Ansichten und Versuche sind zu ehren.“ Sept 28./ [Berlin, Rez.] A. B. M.[arx]: Neun Gesänge zu Göthe’s Faust, für Stimme und PianoOkt 5. forte gesetzt von Justus Amadeus Lecerf. In: Berliner allgemeine musikalische Zeitung Nr. 39 v. 28. Sept 1825 u. Nr. 40 v. 5. Okt 1825, 309; 322: Wer Göthe’sche Gedichte, und namentlich aus Faust, zu komponiren unternimmt, von dem läßt sich erwarten, dass er etwas Höheres beabsichtigt, als einen inhaltlosen, modischen Ohrenkitzel; er muss selbst höhern Ideen zugänglich sein und seine Kunst in einer höhern Sphäre walten lassen wollen; sonst würden jene Gedichte ihn eher zurückscheuchen, als anziehen. So bekundet sich uns Herr Lecerf schon durch den Gegenstand seiner Komposi1

) Scenes from the Faust of Goethe, aus dem Nachlaß veröffentlicht in: Percy Bysshe Shelley: Posthumous Poems. Ed. by Mary W. Shelley. London 1824, S. 393−415. − Shelley übersetzte die Szenen Prolog im Himmel (= Prologue in Heaven) u. Walpurgisnacht (= May−Day Night); s. auch unten 31. Jan 1829: Robinson an G. 2 ) s. vorausgehendes Z; Shelley war am 8. Juli 1822 verstorben. 3 ) Vermutl. Austausch über dessen Faust-Übersetzung; s. oben 25. Apr 1825: Gower an G u. Anm. 4 ) [Goethe’ Beitrag zum Andenken Lord Byrons], W 42.1, 100−04, EGW 6, 620−85. 5 ) s. oben 21. Mai 1820: Zelter an G.

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tionen als einen für das Höhere Empfänglichen und Strebenden; er lässt eine Bildung in sich vermuthen, die vielen Komponisten, nach der Wahl ihrer Gedichte zu urtheilen, mangeln muss und ohne die man in unserm Zeitalter nicht hoffen darf, etwas zu gelten und etwas zu leisten . . . Allein diese schätzenswerthe Bildung, wie sie auch zu löblichen Unternehmungen anregt und vor unwürdigen bewahrt, ist darum noch nicht hinreichend, Kunstschöpfungen gelingen zu lassen. Es ist eine himmelweite Kluft zwischen einem verständigen und gemüthvollen Erkennen des Guten und dem Hervorbringen des Schönen. Jenes kann einseitig und dabei recht fruchtbringend erfolgen; man kann z.B. den Gedankeninhalt des Faust verständig erfassen, kann sich den Karakter und die Verhältnisse der darin erscheinenden Personen psychologisch auseinandersetzen und seine Empfindung an der Vorstellung jener Zustände erwärmen. Auf diesem Wege kann viel erworben und geleistet werden. Wer aber solch einseitiges Erfassen eines Gedichtes für den Weg zu seiner Komposition, das Interesse an demselben für den vollwichtigen Beruf zu seiner musikalischen Wiedererschaffung ansähe, der würde nach jeder Richtung hin das Unzulängliche solchen Unternehmens gewahren lassen. Dies scheint uns der Fall bei Herrn Lecerfs vorliegenden Kompositionen zu sein; die Achtung, die man ihm als gebildetem, für das Höchste empfänglichem, Manne zollen muss macht dem Ref. die genauere Durchforschung seiner vorliegenden Leistungen zur angenehmen Pflicht. [Folgend zu den einzelnen Kompositionen] So viel nun auch nach Ref. Ansichtweise an den vorliegenden Kompositionen auszusetzen ist, so darf doch das Streben des Komponisten, etwas Solides zu leisten, nicht verkannt werden und man muss ihm nur wünschen, dass er sich bei künftigen Kompositionen nicht an einer, blos verständigen Erkenntniss vom Gehalte des Gedichts betrügen lässt, sondern sich geistig und sinnlich − sein ganzes Wesen mit dem ganzen Wesen des Gedichts erfüllt.

[Okt] ⎯ [Berlin, anonym] Kunstausstellung in Berlin 1826. In: Nr. 37 v. 7. Mai 1827, 146: Das Gemälde aus Goethe’s Faust, am Schlusse, wie Mephistopheles den Faust abruft und dieser Gretchen aus dem Gefängnisse entführen will, von Th. Hildebrandt, einem Schüler Schadow’s, verdient ganz das Lob, das schon der Zeichnung dazu bey der Schadow’schen Ausstellung ertheilt worden, und übertrifft das frühere Bild von Faust und Mephistopheles in der Höhle.1) Okt 5. [Paris, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. In: Morgenblatt Nr. 238 v. 5. Okt 1826, 952: Unsere Belletristen und Künstler, die nun endlich eingesehen haben, welche wichtige Ernte sie in der deutschen Literatur finden können, geben uns von Zeit zu Zeit die Proben ihrer Auswahl. Ein sehr schönes, ganz neu aufgestelltes Gemälde ist ein Faust nebst Margaretha aus Goethen; der Maler ist Herr [A.] Colin; die Bilder sind vortrefflich gerathen, die Margaretha scheint aus dem Pinsel des Alban auf die Leinwand geflossen zu seyn, eine süße, wollüstige und doch fromme Gestalt.2) Auch eine unserer jungen Virtuosinnen, eine Dem. Louise B.3) hat die lezte Scene des Faust zu Musikscenen eingerichtet, und die Musik selber komponirt; die Begleitung ist für das Piano geschrieben. 16. [Paris] Cle´mentine Cuvier an G (GJb 1902, 60f.): Monsieur Coudray vous dira mieux que je ne pourrais le faire moi meˆme combien votre lettre m’a rendue heureuse et fie`re . . . en recevant quelques lignes dicte´es par vous, et quand ces lignes sont aussi pleines de bonte´ et de bienveillance que celles que vous avez bien voulu m’adresser4) . . . Si je 1

) Nicht nachweisbar. ) Nicht nachweisbar. 3 ) Nicht nachweisbar. 4 ) Bezieht sich auf ein von S. Boissere´e für Cuviers jüngste Tochter Clementine erbetenes Geschenk-Autograph mit Versen vom 6. Apr 1826, die zu Faust II Akt V Sz. [6] Grablegung 11699–709 bestimmt u. für Mlle. Cuvier nur etwas variiert waren (Rosen, ihr blendenden . . .) s. S. 695 m. Anm. 2. 2

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rencontrais un nouveau Me´phistopheles qui me proposaˆt de me transporter `a Weimar je conclurais bien volontier un pacte avec lui. Ne pourriez-vous pas nous en envoyer un? Il me semble que celui que vous avez cre´´e est si naturel et si vrai, qu’il doit re´ellement exister quelque part. J’espe`re encore, que sans ˆetre oblige´e de recourir `a ce mauvais ge´nie, j’aurai enfin le bonheur de vous voir. C’est la` un de mes plus doux reˆves, et le jour ou ` il viendra `a se realiser sera aussi un des plus beaux de ma vie.1)

Okt 22. [Berlin] A. Nicolovius an G (GSA 28/120 Bl. 346): Gönnen Sie . . . dem bescheidenen und gewiß viel versprechenden jungen Maler Hildebrandt, welcher mit Schadow nach Düsseldorf geht, eine Minute Sie zu sehen! Seine [F. T. Hildebrandts] Verehrung Ihres Faustes hat er, durch zwei recht brave Compositionen dazu in Oehl, an den Tag gelegt . . .2) 30. Zwey junge Maler von Berlin, Hildebrandt und Hübner.3). Nov

8. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 179): Goethe sprach heute abermals4) mit Bewunderung über Lord Byron. „Ich habe, sagte er, seinen Deformed Transformed5) wieder gelesen und muß sagen, daß sein Talent mir immer größer vorkommt. Sein Teufel ist aus meinem Mephistopheles hervorgegangen, aber es ist keine Nachahmung, es ist alles durchaus originell und neu, und alles knapp, tüchtig und geistreich. Es ist keine Stelle darin, die schwach wäre, nicht so viel Platz, um den Knopf einer Nadel hinzusetzen, wo man nicht auf Erfindung und Geist träfe. Ihm ist nichts im Wege als das Hypochondrische und Negative und er wäre so groß wie Shakespeare und die Alten.“ Ich wunderte mich. „Ja, sagte Goethe, Sie können es mir glauben, ich habe ihn von neuem studiert und muß ihm dies immer mehr zugestehen.“ 8. [Braunschweig, anonym] Byron, empfindlich über Göthe. In: Mitternachtblatt für gebildete Stände Nr. 136 v. 8. Nov 1826, 543f.: Bei der Anzeige einer Dämons-Tragödie B y r o n s sagte derselbe [G] in seinem Journal, Kunst und Alterthum [II 2 (1820) 186−92], unter andern: „Mein Faust ist in den Dichter eingedrungen,“6) und nun hatten die deutschen Göthocoraxe nichts angelegentlicher zu thun, als in Byrons Dä1

) Übers.: Herr Coudray wird Ihnen besser als ich es selber könnte, sagen wie glücklich und stolz mich Ihr Brief gemacht hat. . .von Ihnen diktierte Zeilen zu empfangen, Zeilen, voller Güte und Wohlwollen, wie Sie sie an mich haben adressieren wollen . . . Sollte ich einem neuen Mephistopheles begegnen, der mir den Vorschlag machte, mich nach Weimar zu transportieren, so würde ich nur zu gerne in diesen Pakt mit ihm einwilligen. Könnten Sie nicht einen solchen an mich entsenden? Es scheint mir, daß der, den Sie geschaffen haben so natürlich und so wahr ist, daß er tatsächlich irgendwo existieren müßte. Doch hoffe ich noch, daß ich ohne auf dieses böse Genie rekurrieren zu müssen, das Glück haben werde, sie einmal zu sehen. Es ist einer meiner süßesten Träume, und der Tag, an dem er sich realisiert, wird auch einer der schönsten meines Lebens sein. − Dieser Wunsch blieb unerfüllt; Clementine Cuvier starb 1828 im Alter von 22 Jahren, ohne nach Weimar gekommen zu sein. 2 ) Empfehlungsschreiben für die Maler T. Hildebrandt u. J. Hübner, s. nachfolgendes Z. − Nach Gräf II 2, 352: Faust in der Höhle u. Gretchen im Kerker; vermutl. auf der Berliner Kunstausstellung 1824 u. 1826 gezeigt, verschollen; s. oben [Okt]: Kunstausstellung. 3 ) Ferdinand Theodor Hildebrandt (1804−1874) u. Julius Hübner (1806−1882), Maler aus der Künstlerwerkstatt Schadows. 4 ) s. oben 18. Jan 1825: Eckermann Gespräche. 5 ) Byrons letztes unvollendet gebliebenes Drama. 6 ) Wörtlich heißt es in der Rez. G’s zu Byrons Manfred: Dieser seltsame geistreiche Dichter hat meinen Faust in sich aufgenommen und hypochondrisch die seltsamste Nahrung daraus gesogen. (W 41.1., 189), s. auch oben Jan/Febr 1820: Manfred.

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mons-Dramen Reminiscenzen oder gar Plagiate aus Göthe’s Faust zu entdecken. Es scheint, daß Byron von dem G ö t h e ’ s c h e n : Das ist m e i n Donner! und von dem Nachhall dieses Wortes in Deutschland, Kenntniß bekommen; und wenn er gleich, soviel ich weiß, bei Lebzeiten nicht ö f f e n t l i c h dagegen gesprochen hat, so läßt doch eine Stelle in Thomas Medwins Conversations of Lord Byron in the years 1821 and 1822, London: printed for Henry Colburn 1824. Seite 210 ff. vermuthen, daß er davon wenig erbaut, ja sogar ein Bischen empfindlich darüber gewesen ist.1) . . . Wollen die Götheschreier nicht ihre Stimme erheben gegen diese, ihrem Meister angethane Unbill? In Hinsicht des Magus von Calderon [El ma ´gico prodigioso, 1663] ist der Vorwurf der Entlehnung, welchen Byrons Referenten Göthe’n gemacht haben sollen, offenbar ungerecht.2) Das genannte Drama Calderons kann sich an Reichthum der Gedanken und der Weltansichten mit Göthe’s Faust durchaus nicht messen, und neben Göthe’s Mephistopheles ist der Teufel des spanischen Dichters ein a r m e r , wenn nicht gar ein d u m m e r Teufel.

Nov

9. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 370): Deine Schriften erfreuen uns täglich, und noch kürzlich habe ich in einem englischen Journale eine Anzeige Deiner Werke − und vorzüglich des Fausts gefunden, die mich wegen ihres scharfsinnigen Urtheils sehr erfreut hat. 18. [Berlin, anonym] Die Berliner Kunstausstellung. In: Der Gesellschafter. Blätter für Geist und Herz, 184. Bl. v. 18. Nov 1826, 928: Nr. 218: Moment aus der letzten Scene von Goethes „Faust“, von Theodor Hildebrandt.3) Der sehr talentvolle junge Künstler hat in diesem Bilde, besonders hinsichtlich der Beleuchtung und Färbung, sehr Verdienstliches geleistet, mit der Composition können wir uns nicht unbedingt befreunden. 20. [Berlin, anonym] Die Berliner Kunstausstellung. In: Der Gesellschafter. Blätter für Geist und Herz. 185. Bl. v. 20. Nov 1826, 936: Nr. 384 u. 385: Zwei Scenen aus Goethe’s „Faust“, v. J. Kirchhoff. Die Darstellung der letzten Scene zeichnet sich besonders vortheilhaft aus in der Art, wie der Künstler den Gegenstand genommen hat; hinsichtlich der Composition ist hier Trefliches geleistet, auch die Behandlung gut, doch könnte die Lichtgebung in der Farbe mehr durchgeführt seyn.4) Nr. 386: Faust und Mephistopheles bei’m Hochgericht, ist eine meisterhafte Zeichnung. 23. [Berlin] Sp. A.: Ueber die Kunstausstellung im Attelier des Professor S c h a d o w von seinen und seinen Schülern Arbeiten. In: Kunst-Blatt Nr. 94 v. 23. Nov 1826, 375: 4. Herr Hildebran[d]t . . . Zeichnung: Schlußscene aus G o e t h e ’ s F a u s t . Faust von Mephistopheles abgerufen, sucht Gretchen dringend mit sich fortzuziehen. Sehr lebhaft in den Bewegungen. Der Ausdruck der Verzweiflung in Gretchens Gesicht ist wohl gelungen.5) 27. [Nachmittags] Nachher Herr Oberbaudirector Coudray. Ein gemischtes

Portefeuille meist lithographirter Blätter vorlegend.6)

1

) Es folgt die Übersetzung der Quelle, s. oben Nov/Dez 1824: Medwin: Journal. ) Vgl. hierzu oben: 17. Okt 1812: Tgb u. 9. Dez 1817: Knebel an Charlotte v. Schiller. 3 ) Nicht nachweisbar; s. oben 27. Okt: Nicolovius an G m. Anm. 4 ) Nachweisbar Lithographie Vor der Kirche; Abb. in Wegner 64. 5 ) Nicht nachweisbar; s. oben 27. Okt: Nicolovius an G m. Anm. 6 ) C. W. Coudray (1775–1845), aus Paris kommend mit einer Mappe lithographierter Blätter, darunter zwei Probedrucke Faust-Illustrationen von E. Delacroix (1798–1863), Nacht. Offen Feld u. Auerbachs Keller (Schuchardt I 200, Nr. 57), bestimmt für eine separate Faust-Ausg. in der Übers. von Stapfer. Die seit Nov 1826 angekündigte Einzelausg. erschien erst am 16. Febr 1828 als Gemeinschaftswerk der Verlage Sautelet u. 2

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[nach Nov Aus dem Französischen des Globe2) (W 42.1, 233f.): . . .3) B e m e r 27.]1) k u n g d e s Ü b e r s e t z e r s [G].

. . . Freilich muß es dem Dichter [G] erlaubt sein, auch aus einem solchen Element [dem Teufels- und Hexenwesen] Stoff zu seinen Schöpfungen zu nehmen, welches Recht er sich auf keine Weise wird verkümmern lassen. Und so haben denn auch jene freisinnigen Männer, uns zu Vortheil und Vergnügen, solchen Talenten die Bahn eröffnet, welche man sonst völlig zurückgedrängt, vielleicht vernichtet hätte. Daher fügt sich denn, daß die S t a p f e r i s c h e Übersetzung meines Faust neu abgedruckt und, von lithographirten Blättern begleitet, nächstens erscheinen wird.4) Mit dieser Arbeit ist Herr D e l a c r o i x beschäftigt, ein Künstler, dem man ein entschiedenes Talent nicht abläugnet, dessen wilde Art jedoch, womit er davon Gebrauch macht, das Ungestüm seiner Conceptionen, das Getümmel seiner Compositionen, die Gewaltsamkeit der Stellungen und die Rohheit des Colorits keineswegs billigen will. Deßhalb aber ist er eben der Mann, sich in den Faust zu versenken und wahrscheinlich Bilder hervorzubringen, an die niemand hätte denken können. Zwei Probedrucke liegen vor uns, die auf das Weitere begierig machen. Der eine davon stellt die auf Zauberpferden in der Nacht am Hochgericht vorbeistürmenden Gesellen dar, wo bei aller der entsetzlichen Eile Fausts ungestüme neugierige Frage und eine ruhig-abweisende Antwort des Bösen gar wohl ausgedrückt sind; der andere, wo der in Auerbachs Keller auf

Motte; s. weitere Z zu dieser Ausg. in: „Faust, trage´die de Monsieur de Goethe, traduite en franc¸ais par Monsieur Stapfer, orne´e de XVII dessins par Monsieur Delacroix“. − A. Götze: Goethes Begegnung mit den Faust-Illustrationen von Delacroix. In: Philobiblon 14 (1970) 40−48. 1 ) Datierung ergibt sich aus dem vorherigen Z; Zeitpunkt der Vorlage des Portefeuille ist der terminus post quem für die Neufassung der Bemerkung des Uebersetzers, in der G den bisherigen Text bearbeitete u. um Hinweise auf Delacroix’ Probedrucke erweiterte. 2 ) ED KA VI 1 (1827) 59−68, W 42.1, 228−34. 3 ) Vorausgeht in KA VI 1 (1827) 59−65 (W 42.1, 228−32) G’s Übersetzung eines am 8. Febr 1825 im Globe Nr. 66 erschienenen Aufsatzes, der die Aufforderung enthält, Mythologie, Hexerei, Feerei u. dgl. auf alten nationalen Aberglauben gegründete Eigenarten anderer Literaturen ohne Vorurtheil zu betrachten ... ein Erzeugniß des menschlichen Geistes, wie G o e t h e ’ s F a u s t kann ihm nicht entgehen. Gibt es nicht viele Menschen, welche bei dem Gedanken eines Bündnisses mit dem Teufel gefühllos werden für die Schönheiten dieser erhabenen Production? Sie begreifen nicht, wie man über eine solche Unwahrscheinlichkeit hinauskommen könne . . . Glücklicherweise jedoch werden diese Gesinnungen nicht durchgehen; und wie bequem es auch sein mag, dem betretenen Pfade zu folgen, ohne rechts und links zu sehen, so finden wir uns doch in einem Jahrhundert, wo der Blick umsichtig und klar genug werden muß, um über die Gränze zu dringen, welche von der Gewöhnung gezogen worden. Ja, dann werden wir des Guten uns bemächtigen, wo wir es finden und unter welcher Gestalt es sich darstellt. (W 42.1, 228f.; 231f.) − Rez. des Artikels in: Berliner-Conversations-Blatt Nr. 110 v. 5. Juni 1827, 437 u. Literatur-Blatt Nr. 54 v. 6. Juli 1827, 214. 4 ) s. unten 22. März/25. Mai 1828: Faust, Trage´die.

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den Boden strömende Höllenwein flammend aufschlägt und eine sehr charakteristisch bewegte Gesellschaft von unten mit ängstlichen Lichtern und Widerscheinen sichtbar macht. 1) Beide Blätter sind zwar bloß flüchtige Skizzen, etwas roh behandelt, aber voll Geist, Ausdruck und auf gewaltigen Effect angelegt.2) Wahrscheinlich gelingen dem Künstler die übrigen wilden, ahnungsvollen und seltsamen Situationen gleichfalls, und wenn er sich dem Zartern auf irgend eine Weise zu fügen versteht, so haben wir ein wundersames, in jenes paradoxe Gedicht harmonisch eingreifende Kunstwerk nächstens zu erwarten. Nov 29. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 180−83): Lord Byrons Deformed Transformed hatte ich nun auch3) gelesen und sprach mit Goethe darüber nach Tisch. „Nicht wahr? sagte er, die ersten Szenen sind groß und zwar poetisch groß. Das Übrige, wo es auseinander und zur Belagerung Roms geht, will ich nicht als poetisch rühmen, allein man muß gestehen, daß es geistreich ist.“ Im höchsten Grade, sagte ich; aber es ist keine Kunst geistreich zu sein, wenn man vor nichts Respekt hat. Goethe lachte. „Sie haben nicht ganz Unrecht, sagte er; man muß freilich zugeben, daß der Poet mehr sagt als man möchte; er sagt die Wahrheit, allein es wird einem nicht wohl dabei und man sähe lieber, daß er den Mund hielt. Es gibt Dinge in der Welt, die der Dichter besser überhüllet als aufdeckt; doch dies ist eben Byrons Charakter und man würde ihn vernichten, wenn man ihn anders wollte.“ Ja, sagte ich, im höchsten Grade geistreich ist er. Wie trefflich ist z.B. die Stelle: The Devil speaks truth much oftener than he’s deemed, He hath an ignorant audience. „Das ist freilich eben so groß und frei als mein Mephistopheles irgend etwas gesagt hat.“ „Da wir vom Mephistopheles reden, fuhr Goethe fort, so will ich Ihnen doch etwas zeigen, was Coudray von Paris mitgebracht hat.4) Was sagen Sie dazu?“ Er legte mir einen Steindruck vor, die Szenen darstellend, wo Faust und Mephistopheles, um Gretchen aus dem Kerker zu befreien, in der Nacht auf zwei Pferden an einem Hochgerichte vorbeisausen. Faust reitet ein schwarzes, das im gestrecktesten Galopp ausgreift und sich, so wie sein Reiter, vor den Gespenstern unter dem Galgen zu fürchten scheint. Sie reiten so schnell, daß Faust Mühe hat sich zu halten; die stark entgegen wirkende Luft hat seine Mütze entführt, die, von dem Sturmriemen am Halse gehalten, weit hinter ihm herfliegt. Er hat sein furchtsam fragendes Gesicht dem Mephistopheles zugewendet und lauscht auf dessen Worte. Dieser sitzt ruhig, unangefochten, wie ein höheres Wesen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht vonnöten, denn schon sein Wollen bewegt ihn in der gewünschtesten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er einmal reitend gedacht werden muß; und da genügte es ihm, ein bloß noch in der Haut zusammenhängendes Gerippe vom ersten besten Anger aufzuraffen. Es ist heller Farbe und scheint in der Dunkelheit der Nacht zu phosphoreszieren. Es ist weder gezügelt noch gesattelt, es geht ohne das. Der überirdische Reiter sitzt leicht und nachlässig im Gespräch zu Faust gewendet; das entgegenwirkende Element der Luft ist für ihn nicht da, er wie sein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar bewegt. Wir hatten an dieser geistreichen Komposition große Freude. „Da muß man doch gestehen, sagte Goethe, daß man es sich selbst nicht so vollkommen gedacht hat. Hier haben Sie ein anderes Blatt, was sagen Sie zu diesem! −“ Die wilde Trink-Szene in

1

) Dieser Absatz geht nach FA I 22, 1146 vermutl. auf H. Meyer zurück, s. unten 3. Jan 1827: an H. Meyer. 2 ) Abb. 24 u. 13 in Kehrli. 3 ) s. oben 8. Nov 1826: Eckermann, Gespräche. 4 ) s. oben 27. Nov. 1826: Tgb.

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Auerbachs Keller sah ich dargestellt, und zwar, als Quintessenz des Ganzen, den bedeutendsten Moment, wo der verschüttete Wein als Flamme auflodert und die Bestialität der Trinkenden sich auf die verschiedenste Weise kund gibt. Alles ist Leidenschaft und Bewegung und nur Mephistopheles bleibt in der gewohnten heiteren Ruhe. Das wilde Fluchen und Schreien und das gezuckte Messer des ihm zunächst Stehenden sind ihm nichts. Er hat sich auf eine Tischecke gesetzt und baumelt mit den Beinen; sein aufgehobener Finger ist genug, um Flamme und Leidenschaft zu dämpfen. Jemehr man dieses treffliche Bild betrachtete, destomehr fand man den großen Verstand des Künstlers, der keine Figur der andern gleich machte und in jeder eine andere Stufe der Handlung darstellte.1) „Herr Delacroix, sagte Goethe, ist ein großes Talent, das gerade am Faust die rechte Nahrung gefunden hat. Die Franzosen tadeln an ihm seine Wildheit, allein hier kommt sie ihm recht zu Statten. Er wird, wie man hofft, den ganzen Faust durchführen, und ich freue mich besonders auf die Hexenküche und die Brokkenszenen. Man sieht ihm an, daß er das Leben recht durchgemacht hat, wozu ihm denn eine Stadt wie Paris die beste Gelegenheit geboten.“ Ich machte bemerklich, daß solche Bilder zum besseren Verstehen des Gedichts sehr viel beitrügen. „Das ist keine Frage, sagte Goethe, denn die vollkommnere Einbildungskraft eines solchen Künstlers zwingt uns, die Situationen so gut zu denken, wie er sie selber gedacht hat. Und wenn ich nun gestehen muß, daß Herr Delacroix meine eigene Vorstellung bei Szenen übertroffen hat, die ich selber gemacht habe, um wie viel mehr werden nicht die Leser alles lebendig und über ihre Imagination hinausgehend finden!“

Nov 30. [Nachmittags] Wir besahen die vor Kurzem angekommenen Kupfer und

lithographirten Blätter.2) Dez 10. An S. Boissere ´e (Br 41, 252): Möchten Sie wohl nun einige Aufträge an Herrn v. Cotta übernehmen? . . . 3) Wäre es freundlich, wenn Herr v. Cotta mein opus supererogationis [überpflichtiges Werk], wie ich die Helena wohl nennen darf, mit einem Dutzend Exemplaren des neuesten Faust3) honorirte. Ich wünschte sie auf feines Papier, ungeheftet und ungebunden. Gegen gränzenlose Gefälligkeiten von allen Seiten weiß ich kaum mit kleinen Attentionen mich dankbar zu erweisen. Ein sauber gebundenes Exemplar von Faust ist schon so eine Art von Gabe. 23. [Stuttgart] Cottasche Buchhandlung an G (G−Cotta 2, 189): Herr Minister von Goethe in Weimar erhält 12 Göthe Faust Drukpapier roh −−− (Auf besserem Papier sind keine Ex gedrukt worden. Rest. 1 Göthe Faust. Pariser Nachdruck mit unserer Firma4). 28. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 458f.): Ich habe, verehrtester Freund, Ihre Aufträge an Herrn v. Cotta sogleich bestellt . . .

1

) Abb. 24 u. 13 in Kehrli. ) s. oben 7. Nov 1826: Tgb m. Anm. 3 ) Cotta hatte 1825 eine neue Einzelausgabe vom Faust (Hagen Nr. 320) herausgebracht, ohne G davon zu informieren u. ihm Belegexemplare zuzusenden. G war von dieser Einzelausgabe durch den Buchhändler Hoffmann unterrichtet worden; s. oben 1826 Okt 13: Hoffmann an G; Nov 20: an Cotta sowie 30.: Cotta an G u. A. v. Goethe. 4 ) Vgl. Hagen Nr. 318. 2

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3. An H. Meyer (Br 42, 4):1) Hiebey sende die zwey Fauste nochmals,2)

mit Bitte, das Minimum was zu ihrem Lobe gesagt werden kann mit wenigen Worten auszudrücken; ich wünsche es nur als Nachsatz zu einer Anzeige dieser neuen Ausgabe.3) 6. [Nachmittags] Herrn Frommann d. J. 5. Bogen.4) 13. [Klagenfurt] Altes und Neues. In: Carinthia. Zeitschrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung Nr. 2 v. 13. Jan 1827, 12: Jetzt macht man in Frankreich nicht allein auf deutsche Werke aufmerksam, sondern man setzt schon Bekanntschaft mit denselben voraus. So hat der Maler [A.] Colin Goethe’s Faust nebst der Margarethe in einem schönen Gemälde zur Schau gestellt, und eine junge Virtuosin die letzte Scene des Faust zu Musikscenen eingerichtet und die Musik dazu selbst componirt, mit Begleitung für das Piano.5) 26. An Cotta (Br 42, 25): Die zugesagten Exemplare Faust erwarte mit

Vergnügen; auf den Pariser Nachdruck bin ich neugierig.6) Auch bereiten sie dort eine neue Ausgabe der französischen Übersetzung Stapfers,7) begleitet von lithographirten Blättern von de la Croix. Zwey Probedrücke liegen vor,8) die wild und geistreich genug sind. [Febr/ [W.K.F. = H. Meyer u. G]: Darstellungen zu Goethes Faust, von Ludwig Nauwerk, I. März] Heft in 4 Blättern. Hamburger Steindruck9) (FA I 22, 369): Herr Nauwerk, den die Weimarischen Kunstfreunde schon lange als ihnen wohlgesinnt kennen und schätzen,10) hat in den vier Blättern, welche hier angezeigt werden sollen,11) Geist und gebildeten Geschmack bewiesen. Das erste Blatt, den Titel des Werks und die Dedication an Goethe enthaltend, bezieht sich auf das Vorspiel. Man sieht das Theater, der Director spricht, die lustige Person antwortet, der Dichter an seine Harfe gelehnt, scheint zuzuhören. Neugierige Zuschauer schieben den Theater-Vorhang etwas auf die Seite, ungeduldig zu sehen und zu hören was vorgestellt werden soll. Auf dem zweyten 1

) G’s Tgb vermerkt am 3. Jan: [Brief] An Hofrath Meyer, die Pariser zwey Zeichnungen zu Faust. 2 ) Die beiden Probedrucke von Delacroix Nacht. Offen Feld u. Auerbachs Keller; Abb. 24 u. 13 in Kehrli. 3 ) Vermutl. letzter Absatz zu Bemerkungen des Übersetzers innerhalb des KA-Artikels Aus dem Französischen des Globe (KA VI 1 [1827] 68, W 42.1, 234); s. oben [nach 27. Nov] 1826: Aus dem Französischen des Globe. 4 ) Rücksendung des Korrekturbogens 5 für KA VI 1 [1827], der auf 65−68 die Bemerkungen des Übersetzers aus dem Artikel Aus dem Französischen des Globe; s. oben: [nach 27. Nov] 1826. 5 ) s. oben 5. Okt 1826: Korrespondenz-Nachrichten. 6 ) s. oben 23. Dez 1826: Cottasche Buchhandlung an G. 7 ) s. unten 22. März/25. Mai 1828: Faust, Trage´die. 8 ) s. oben 27. Nov 1826: Tgb. 9 ) ED KA VI 1 (1827) 155−57. 10 ) Schon 1810 erhielt G sechs Zeichnungen Nauwerks zum Faust, s. 16. Nov 1810: an Nauwerk. 11 ) Die erste Lieferung von Nauwercks Lithographien erschien 1826; zur zweiten s. unten 11. Juni 1828: Nauwerck an G, die dritte Lieferung wurde 1830 veröffentlicht; jede enthielt vier Blätter.

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Blatt [Prolog im Himmel] erscheint der Herr auf Wolken, umgeben von himmlischen Heerscharen; Mephistopheles sieht aus der Tiefe hinauf, geblendet vom ausströmenden Glanz der Herrlichkeit. Auf dem dritten Blatt [Faust und der Erdgeist] sieht man Faust am Studiertische sitzen, umgeben von Büchern und Instrumenten; die colossale Gestalt des Erdgeists steigt herauf, schön, wundervoll; Faust fährt in Entsetzen zurück. Das vierte Blatt dieser Lieferung stellt die Scene der Spaziergänger vor dem Thore dar; die Mannigfaltigkeit von Alter, Stand und Charakter, das Lebendige und Geistreiche in diesem Blatt gereicht dem Herrn Nauwerk zu Ehre und vergütet reichlich einige wenig erhebliche Unrichtigkeiten der Zeichnung. Auf dem Titel ist Hamburger Steindruck angezeigt; man darf also Zartes und Kräftiges erwarten, findet sich auch in solcher Erwartung keineswegs getäuscht. Das zuletzt erwähnte Blatt ist auch als Steindruck das vorzüglichste des Hefts.1)

März 3. Nebenstehendes: Herrn Frommann, den Revisionsbogen 10 von Kunst

und Alterthum [VI 1].2) 9. Kamen die gewünschten Exemplare von Faust.3) 12. (s. „[Hinrichs:] Das Wesen der antiken Tragödie“: Hinrichs an G gD, EGW 7, 352f.) 15./31.4) Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]5) (W 41.2, 290): Fausts

Charakter, auf der Höhe, wohin die neue Ausbildung aus dem alten rohen Volksmährchen denselben hervorgehoben hat, stellt einen Mann dar, welcher, in den allgemeinen Erdeschranken sich ungeduldig und unbehaglich fühlend, den Besitz des höchsten Wissens, den Genuß der schönsten Güter für unzulänglich achtet, seine Sehnsucht auch nur im mindesten zu befriedigen, einen Geist, welcher deßhalb, nach allen Seiten hin sich wendend, immer unglücklicher zurückkehrt. Diese Gesinnung ist dem modernen Wesen so analog, daß mehrere gute Köpfe die Lösung einer solchen Aufgabe zu unternehmen sich gedrungen fühlten. Die Art, wie ich mich dabei benommen, hat sich Beifall erworben; vorzügliche Männer haben darüber gedacht und meinen Text commentirt, welches ich dankbar anerkannte. 28. (s. „Faust. Ein Fragment“: Eckermann Gespräche gD, S. 133) 30. An C. F. v. Reinhard (Br 42, 111): Nun erwarten wir auch die neue

Ausgabe des Faust mit Lithographien von Delacroix,6) davon einige wundersame Probedrücke zu uns gekommen sind.7) Und so wirkt unser alter Sauerteig immer fort auf neues Backwerk, das wir uns denn wohl mögen gefallen lassen; und da einmal das Einbringen der deutschen Literatur, das sonst so hoch verpönt war, in Frankreich kein Hinderniß 1

) Abb. in Neubert 118f. ) Auf Bogen 10 Meyers u. G’s Besprechung von Nauwercks Bildern, s. vorausgehendes Z. 3 ) s. oben 10. Dez. 1826: an S. Boissere´e. 4 ) Zur Datierung s. S. 486. 5 ) ED KA VI 1 (1827) 200−03; zur Entstehung s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“, S. 483. 6 ) s. unten 22. März 1828: Tgb u. Faust. 7 ) s. oben 27. Nov 1826: Tgb u. Anm. 2

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Apr

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findet, so mögen sie denn auch die guten und schlimmen Wirkungen unsrer Productionen, die wir selbst durchgenossen und durchgelitten haben, hinterdrein nachgenießen und erdulden. 3. An A. Stapfer (Konzept; Br 42, 118):1) Zu dem e r s t e n Theil des Faust, den Sie gefällig übersetzt haben,2) kommt gegenwärtig n i c h t s hinzu, er bleibt in sich rein abgeschlossen.3)

[Anf.Mai] [London] T. M. v. Holst an den Vater (JbWGV 1962, 76): I am painting a large Historical picture at present ( n o a g r e a b l e n e w s ) the subject of which is A Dream after Reading Goethes Walpurgisnacht . . .4) Mai

6. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 615f.): Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! − Sie machen sich durch ihre tiefe Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer, als billig. − Ei! So habt doch endlich einmal die Courage, E u c h d e n E i n d r ü c k e n h i n z u g e b e n , Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht abstrakter Gedanke und Idee wäre!“ „Da kommen sie und fragen: welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? − Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! − Vo m H i m m e l d u r c h d i e We l t z u r H ö l l e [ 2 4 2 ] , das wäre zur Not etwas; aber das ist keine Idee, sondern der Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus schweren Verirrungen immerfort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sei, das ist zwar ein wirksamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es ist keine I d e e , die dem Ganzen und jeder einzelnen Szene im Besondern zu Grunde liegt. Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!“ „Es war im Ganzen, fuhr Goethe fort, nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, daß Andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen.“ 9. An Hegel (Br 42, 179): Die Bemühungen, welche dieser junge Mann

[Schubarth] erst meinem Faust5) und nachher der griechischen Literatur gewidmet, mußten mich für ihn interessiren . . . 26. [Kronberg] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 371f.): Die Stapfersche Übersetzung Ihres Faust ist mir . . . noch nicht zugekommen;6) und eben von dieser erwart ich a p r i o r i das Beste, das deutsche und französische Bildung in der Familie und in den 1

) G’s Tgb vermerkt am 3. Apr: [An] Herrn Albert Stapfer nach Paris, seine Anfrage wegen Faust beantwortet; zum Schreiben Stapfers s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ 28. März 1827, S. 378. 2 ) s. oben 18. Jan 1823: A. Stapfer an G m. Anm. 3 ) Zum Nachfolgenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ gD, S. 557f. 4 ) Abb. des Gemäldes in JbWGV 1962, nach S. 80. − Zu den Faust-Illustrationen des Malers Theodor Matthias von Holst s. Schiff JbWGV 1962, 74−88. 5 ) Zur betr. Publikation Schubarths s. oben 29. Apr 1823: E. Schubarth an G. 6 ) Das Werk erschien erst am 16. Febr 1828.

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Gesellschaftsverhältnissen des jungen Manns und folglich auch ohne Zweifel in seinem eignen Geiste zusammentreffen. Delacroix’ Manier in seinen Gemälden schildern französische Blätter, wie Sie die seiner Zeichnungen schildern.1) Mehr hierüber, wenn ich sie erst vor Augen habe.

Juli

20. [Anonym] Göthe’s Faust in England. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 167 v. 20. Juli 1827, 667: Shelley gab einige Bruchstücke aus Faust,2) und Lord Gower übersetzte das ganze Drama, von welchem im vorigen Jahre die zweite Auflage in zwei Bänden zu London erschienen ist.3) Um den deutschen, der englischen Sprache kundigen Lesern dieser Blätter eine Probe zu geben, wie Lord Gower übersetzte, gibt Ref. hier ein Bruchstück aus seiner Uebertragung.

Aug 26. [Nachmittags] Es hatten sich die englischen Kupfer zu Faust4) nicht

weniger die Papiere zur römischen Reise gefunden. Betrachtungen über dieselben. 31. [Stuttgart] Cottasche Buchhandlung an G (G−Cotta 2, 214): Euer Excellenz haben wir hiemit die Ehre mitzutheilen, daß uns die Grau’sche Buchhandlung in Bayreuth die Anzeige macht,5) daß von Goethe’s Faust in der Anzeige nichts enthalten seye, und daß besagte Buchhandlung zugleich anfragt, ob diese Tragödie vielleicht in den am Ende der Ankündigung angedeuteten Supplement Bänden erscheine? Um nun solche hierüber verständigen zu können, sind wir so frey, Hochdieselben um nähere Auskunft dieserwegen zu bitten. Sept 17. An die Cottaische Buchhandlung (Br 43, 61): Ew. Wohlgeboren

Anfrage erwidere sogleich mit Folgendem: Die Vermuthung, daß Faust nicht im Laufe der angezeigten Bände herauskommen werde, ist dadurch entstanden, wie ich auf beyliegenden Blättchen bemerke, daß zwischen F a u s t und P u p p e n s p i e l das Komma fehlt. Sie werden also die Gefälligkeit haben, der anfragenden Handlung zu erwidern: daß nicht allein der erste Theil des Faust wie er bekannt ist in der nächsten Lieferung zum Vorschein kommen werde, sondern daß ich auch geneigt sey, den Anfang des zweyten Theils unmittelbar in demselben Bande folgen zu lassen, wodurch ich das Publicum nicht wenig zu verbinden glaube. [Beilage. Gedruckte Anzeige. Darin:]6) X. S y m b o l i s c h - h u m o r i s t i s c h e D a r s t e l l u n g e n : Faust Puppenspiel . . .7)

18. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Cotta u. an Reichel gD, S. 729f.) Nov

6. [Augsburg, anonym] Allgemeine Zeitung Nr. 310 v. 6. Nov 1827, 1238: Doktor Faust, wie ihn einst die Marionettenbuden auf den deutschen Jahrmärkten gaben, wird seit 1

) s. oben [nach 27. Nov 1826]: Aus dem Französischen des Globe. ) Scenes from the Faust of Goethe, aus dem Nachlaß veröffentlicht in: Percy Bysshe Shelley: Posthumous Poems. Ed. by Mary W. Shelley. London 1824, S. 393−415. − Shelley übersetzte die Szenen Prolog im Himmel (= Prologue in Heaven) u. Walpurgisnacht (= May−Day Night). 3 ) Faust: a Drama by Göthe. With translations form the German. By Lord Francis Leveson Gower. Second edition. In 2 vol. London 1825. 4 ) Von Henry Moses; s. oben 4. Juli 1820: Hüttner an G. 5 ) Die Anzeige ist nicht überliefert. 6 ) Hinweis auf die Beilage G−Cotta 2, 215. 7 ) Zwischen Faust und Puppenspiel hat G mit Bleistift ein Komma gesetzt. 2

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einigen Tagen hier [in Paris am 27. Okt] auf dem The´aˆtre des nouveaute´s aufgeführt. Der französische Umarbeiter hat aus Goethe’s genialem Werke ein Vaudeville gemacht, die Namen der Personen von ihm entlehnt, und eine Musik dazu durch einen Hrn. Beancourt zusammen stoppeln lassen.1) Hingegen ist dabei von Maschinen und Dekorationen Alles angebracht, was nur irgend ein Zauberspiel erfordert. Aber in ein solches Mittelding zwischen Melodram, Singspiel und Drama konnte natürlich keine einzige von den herzzerreißenden Scenen des Urwerks übertragen werden . . .

Nov 10. [Paris, anonym] Ein Franzose über Goethe’s Faust. Vom Ufer der Loire. Oktob. 1827. In: Morgenblatt Nr. 270 v. 10. Nov 1827, 1078: Dieß ist meiner Meynung nach der Grundgedanke in Faust, es ist die Geschichte der Welt im Kleinen. Der Idealismus ist personifizirt in dem unruhigen, unglücklichen Philosophen, der, wie er selbst sagt, sich baden möchte in Fluten himmlichen Lichtes, und immer sehen muß, wie die Fluten sich vor ihm zurückziehen. Der Materialismus konnte keinen würdigeren Sprecher finden als den Teufel, und alle die Figuren aus dem gemeinen Leben, die hin- und wiedergehen, machen das Gemälde vollständig. 11. [Paris, anonym] Goethe’s Faust auf dem Theater in Paris. In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen Nr. 224 v. 11. Nov 1827, 893f.: . . . erfahren wir, daß Hr. L a u r e n t , Director des englischen und italienischen Theaters im Saale F a v a r t den Plan gefaßt hat, künftigen Sommer auch d e u t s c h e Tr a u e r s p i e l e und O p e r n auf seiner Bühne aufführen zu lassen; und es wird versichert, das Pariser Publicum erwarte diese neue Unterhaltung mit großem Verlangen. Bis es dazu kommt, hat man vermuthlich um die erste Ungeduld zu stillen, G o e t h e ’ s F a u s t nachgeahmt und auf dem Theater der Neuheiten [The´ˆatre des Nouveaute´s am 27. Okt] aufgeführt. Hr. T h e a u l o n [de Lambert] ist der Verfasser des dreiactigen Machwerks,2) worin man vergebens nach den Schönheiten des Goetheschen Meisterstücks suchen würde . . . Eine so schmähliche Entstellung wird, wir hoffen es mit Zuversicht, Goethes herrliches Werk in Deutschland nicht erleiden. Nicht für die Bühne geschrieben, darf es ebensowenig in einer sogenannten Bearbeitung profanirt werden. 13. [Anonym] Ein Franzose über Goethe’s Faust. Beschluß. In: Morgenblatt Nr. 272 v. 13. Nov 1827, 1085f.: Sie werden vielleicht denken, ich sey von der Germanomanie angesteckt. Die Bewunderung, die ich Faust zolle, macht mich indessen nicht blind für seine Fehler. So, gestehe ich, konnte ich aus der Walpurgisnacht . . . nie klug werden. Ob diese Szene, wie Frau von Stae¨l meynt, eine Parodie von Macbeths Hexen ist, weiß ich nicht; auf jeden Fall geht sie über meine Begriffe, und, wenn ich zu wählen habe, will ich die Schuld davon lieber auf Goethe werfen als auf mich . . . In Faust ist zu viel Poesie und Lebensweisheit, Licht und Tiefe, als daß man nicht über einige Flecken wegsehen sollte; es ist ein Werk, das einem ein halbes Jahr lang zu denken geben kann, so viele Gefühle regt es auf, so viele Ideen weckt es. Dez

1. Kamen die Kupfer zu Faust von Cornelius von Frankfurt an.3)

[Dez 1. [Weimar] Förster Gespräch (Kunst und Leben. Aus Friedrich Förster’s Nachlaß. Hsg. v. od. 1828 Hermann Kletke. Berlin 1873, 37f.): Nach Verlauf von vielen Jahren fand ich VeranAnf.] lassung, Goethe dieses nächtliche Abenteuer [über eine junge hingerichtete Mörderin] zu erzählen. Er hatte eben die von Cornelius gezeichneten, ihm gewidmeten Illustrationen zum ,Faust‘ erhalten, unter denen sich ja eine ähnliche Scene gezeichnet findet. [Folgt Inhalt der Sz. Nacht. Offen Feld] Ich erlaubte mir (es war vielleicht 1822)4) 1

) Faust. Drame lyrique en trois actes par M. E. The´aulon. La musique ´ete´ arrange´e par M. Be´ancourt, chef d’orchestre du the´atre. Paris 1827. 2 ) s. oben 6. Nov: Allgemeine Zeitung m. Anm. 3 ) P. Cornelius: XII. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1827. 4 ) Hier irrt Förster. ˘

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gegen die Darstellung von Cornelius die Bemerkung, dass er unmöglich die tiefe Bedeutung der Dichtung hier verstanden habe. Der Dichter, so schien es mir, habe wohl im Sinne gehabt, den Rabenstein, auf welchem am nächstfolgenden Tage Gretchen ihr Haupt auf den Block legen sollte, durch blumenstreuende Engel weihen zu lassen. Statt dessen gibt uns Cornelius einen Teufels- und Hexenspuk, womit Mephistopheles Faust belügen und betrügen will und desshalb mit: „Vorbei! vorbei!“ eiligst mit ihm davon reitet. − „Mich haben“, bemerkte Goethe, „die beiden vortrefflich galoppirenden Reiter auf den schnaubenden Rossen so in Anspruch genommen, dass ich die Scene auf dem Rabensteine noch nicht mit Bedacht angesehen habe; Sie mögen wohl das Richtige getroffen haben.“1)

Dez

4. (s. „Faust. Ein Fragment“: an Zelter gD, S. 133) 17. [Berlin] C. v. Holtei an G (GJb 1917, 176f.): Ew. Excellenz haben mich mit einer durch Herrn Canzler von Müller an mich ergangenen Frage ermuthigt, Denselben über den Erfolg meiner letzten öffentlichen Vorträge gehorsamst Bericht abzustatten. Am 30. November las ich F a u s t , vor einem überfüllten Saale. Das höchst aufmerksame, ausgewählte Publicum bewies trotz der fast unerträglichen Hitze bis zum Schlusse die gespannteste Theilnahme, und ich darf sagen, daß ich niemals besser gelesen habe. Mein Bestreben steigert sich zur Begeisterung, und ich empfing die Lobsprüche bedeutender Männer und geistreicher Frauen.

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2. [Weimar] A. B. Granville: St. Petersburgh. A Journal of Travels to and from that capital. Bd 2. London 1828 (FA II 10, 575f.): At half past ten precisely, Goethe made his appearance in one of his classically decorated withdrawing rooms, into which I had been but the moment before introduced . . . He conversed in French, and occasionally in English, particularly when desirous to make me understand the force of his observations on some recent translations of one or two of his works into that language. Faustus was one for these. The translation, by the present noble Secretary for Ireland,2) of that singular dramatic composition, which for beauty of style, and ingenuity of contrivance, leaves the old play of the same name by Marlowe far behind, seemed not to have given satisfaction to the veteran author. He observed to me, that most assuredly it was not a translation, but an imitation, of what he had written. „Whole sentences of the original“, added he, „have been omitted, and chasms left in the translation, where the most affecting passages should have been inserted to complete the picture. There were probably difficulties in the original which the noble translator might not be able to overcome; few foreigners, indeed, can boast of such mastery of our prodigal idiom, as to be able to convey its meaning with equal richness of expression, and strength of conception, in their own native language; but, in the case of the translation to which I allude, that excuse for imperfection does not exist in many of the parts which Lord Francis Gower has thought proper to omit. No doubt, the choice of expressions in the English translation, the versification, and talent displayed in what is original composition of his lordship’s own well-gifted mind, may be deserving of his countrymen’s applause; but it is as the author of Faustus travesti, and not as the translator of Goethe’s Faustus, that the popular applause has been obtained.“

1

) Zur Darstellung s. Abb. in Neubert 102. ) Faust, a drama by Goethe. And Schiller’s Song oft he Bell. Translated by Lord Francis Leveson Gower. London 1823; s. oben 1825 Apr 12: Gower an G u. Juni 1.: an Ottilie v. Goethe.

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10. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 526): Der XII. Band [C1 12], darin der Faust, ist begonnen, und wird bereits am vierten Bogen gesezt. Der erste Theil des Faust wird etwa gegen 16 Bogen geben, die in circa 3 Wochen ausgesezt seyn werden . . . 11. [Augsburg] W. Reichel an Cotta (QuZ 2, 527f.): Ich sende heute den ersten Bogen von Goethe XII. Band [C1 12] zur Corr[ektur] an Hrn. D. Kolb. In diesem Bande beginnt der Faust. Dabei nun ist mir eingefallen, ob nicht vielleicht 1000 oder 1500 besondere Abdrucke des Faust gemacht werden sollen? Es sind bei uns noch 472 vorräthig.1) 1500 geben etwa durchs ganze durch gerechnet 11/2 Tag Arbeit für die große Maschine, und da der Zweite Theil angehängt wird, so wird man künftig wohl den Faust kaufen mit dem Zweiten Theil, und der erste wird liegen bleiben. Sogar auf Velinpapier sollte eine Anzahl gedruckt werden, ich glaube daß sie Abgang fänden, natürlich muß die Norm „Goethes Werke“ hinweg und ein eigner Titel dazu.2)

Febr

1. [Nachmittags] Sodann Herr Canzler von Müller. Verhandlung wegen 8. 9. 10. 12.

der Vorlesungen des Herrn von Holtei.3) War Abends Vorlesung von Faust [durch C. v. Holtei]. Mein Sohn sprach mit vielem Lob von der gestrigen Vorlesung. [Abends] Herr Landesdirections-Rath Töpfer. Angenehme Unterhaltung über die Holteischen Vorlesungen. Um 12 Uhr Prinzeß Auguste und Umgebung. Zeigte ihr einige lithographische Arbeiten, sodann auch Corneliusens Faust vor.4)

13. [Weimar] F. v. Müller an Knebel (Unterhaltungen 344): Holtei hat uns den F a u s t ganz vortreflich am lezten Freitag [8. Febr 1828] gelesen und wird ihn in 10−12 Tagen wiederholen. 14. [Weimar] F. v. Müller an C. F. v. Reinhard (Unterhaltungen 344f.): Herr von Holtei aus Berlin erfreut und bereichert uns seit 14. Tagen mit seinen dramatischen Vorlesungen. Dienstags und Freitags Abend. Den F a u s t hat er uns ganz vortrefflich vorgetragen und wird ihn, allgemeinem Wunsche zufolge, nochmals im großen Stadthaussaale, mit Musikchören, repetiren. Helena, Sardanapal, Graf Carmagnola etc. werden auch an die Reihe kommen. Goethe intereßirt sich ungemein für diese Vorlesungen, obschon er nur durch unsere Berichte davon Kenntniß erhält. 28. An Zelter (Br 43, 291): Unser Vorleser [Holtei] macht seine Sache gut;

ich habe ihn bey mir einmal zu Tisch gesehen [am 9. Febr 1828], wo er als angenehmer Gesellschafter erschien. Es sey mit ihm wie es will, er bringt eine gewisse allgemeine geistige Anregung in unseren Kreisen hervor. Ein wirklich gebildetes Publicum muß doch einmal Stand halten, hören, was es sonst nicht vernähme, und gewinnt dadurch ein neues Ingrediens zu seinem Stadt-, Hof- und Engländerklatsch. 28. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Teil“: W. Reichel an Cotta gD, S. 747) 1

) Von dem 1825 erschienenen Einzeldruck von Faust I; vgl. Hagen Nr. 320. ) Ein Einzeldruck von Faust I aus den Bogen von C1 12 erschien erst 1830; vgl. Hagen Nr. 322. 3 ) Carl von Holtei, seit Frühj. 1825 Regisseur u. Theaterdichter am Königstädtischen Theater in Berlin, dort auch als Rezitator gefeiert, gab zw. 5. Febr u. 18. März 1828 im Weimarer Stadthaussaal eine Reihe von Dramenvorlesungen. 4 ) Prinzeß Auguste war die künftige deutsche Kaiserin; s. oben 1. Dez. 1827: Tgb. 2

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März 2. Zu Mittag Landesdirections-Rath Töpfer. Mannigfaltige Gespräche über

. . . die Vorlesung von Holtei . . . [Nachmittags] Auch Holteis Vorlesung. [Frühj.]

?

[Berlin] L. Tieck: [Vorrede zu] Gesammelte Schriften, von J. M. R. Lenz. Hsg. v. L. Tieck. Erster Band. Berlin 1828 (Mandelkow 1, 408): . . . der tiefsinnige ,Faust‘: große Szenen, Entwickelung des Gemüts, aber keine Handlung im strengeren Sinne. Indessen hätte dieser Vorwurf wohl nie ein eigentliches Drama werden können, auch wenn der Dichter ihn beendigt hätte.

März 17. Mittag Dr. Eckermann . . . Auch über Holteis Vorlesungen . . . ?

19. Mein Sohn über die gestrige gelungene Vorlesung Holteis . . . 22. Kam die Prachtausgabe von Faust von Paris . . . Abends betrachtete ich

die Übersetzung von Faust und die lithographirten Bilder.1) Nahm auch die kleine Übersetzung von Ge´rard dazu.2) 22. [Weimar] F. Soret Tagebuch (Zehn Jahre 225): Goethe erhielt heute die französische Übersetzung seines „Faust“ mit den Lithographien von Delacroix. [März 22./Faust, Trage ´die de Mr. de Goethe, traduite en Franc¸ais par Mr. S t a p Mai 25.] f e r , orne ´e de XVII dessins par Mr. D e L a c r o i x 3) (W 41.2, 339−41):

Wenn ich [G] die französische Übersetzung meines Faust in einer Prachtausgabe vor mir liegen sehe, so werd’ ich erinnert an jene Zeit, wo dieses Werk ersonnen, verfaßt und mit ganz eignen Gefühlen niedergeschrieben worden. Den Beifall, den es nah und fern gefunden und der sich nunmehr auch in typographischer Vollendung ausweis’t, mag es wohl der seltenen Eigenschaft schuldig sein, daß es für immer die Entwicklungsperiode eines Menschengeistes festhält, der von allem, was die Menschheit peinigt, auch gequält, von allem, was sie beunruhigt, auch ergriffen, in dem, was sie verabscheut, gleichfalls befangen und durch das, was sie wünscht, auch beseligt worden. Sehr entfernt sind solche Zustände gegenwärtig von dem Dichter, auch die Welt hat gewissermaßen ganz andere Kämpfe zu bestehen; indessen bleibt doch meistens der Menschenzustand in Freud’ und Leid sich gleich, und der Letztgeborne wird immer noch Ursache finden, sich nach demjenigen umzusehen was vor ihm genossen und gelitten worden, um sich einigermaßen in das zu schicken, was auch ihm bereitet wird. Ist nun

1

) Faust, trage´die de M. de Goethe, traduite en franc¸ais par M. Albert Stapfer, Orne´e d’un Portrait de l’Auteur, et de dix-sept dessins compose´s d’apre`s les principales sce´nes de l’ouvrage et exe´cute´s sur pierre par M. Euge`ne Delacroix. Paris 1828, in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1826). 2 ) Faust, trage´die de Goe¨the, nouvelle traduction comple`te, en prose et en vers, par Ge´rard. Paris 1828; nicht in G’s Bibliothek, wahrscheinlich zugänglich gemacht durch die Frz. Lesegesellschaft der Henriette von Pogwisch; klein meint 8o in Unterschied zu groß 2o der Stapfer-Ausg. − Rez. in Literatur-Blatt Nr. 56 u. 57 v. 11. Juli u. 15. Juli 1828, 221−24; 225f. sowie Mitternachtblatt für gebildete Stände Nr. 176 v. 4. Nov 1828, 704. 3 ) ED KA VI 2 (1828) 387−91.

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jenes Gedicht seiner Natur nach in einem düstern Element empfangen, spielt es auf einem zwar mannichfaltigen, jedoch bänglichen Schauplatz, so nimmt es sich in der französischen, alles erheiternden, der Betrachtung, dem Verstande entgegenkommenden Sprache schon um vieles klarer und absichtlicher aus. Seh’ ich nun gar ein Folioformat, Papier, Lettern, Druck, Einband, alles ohne Ausnahme bis zum Vollkommnen gesteigert, so verschwindet mir beinahe der Eindruck, den das Werk sonst auch alsdann noch auf mich ausübte, wenn ich es nach geraumer Zeit wieder einmal vor mich nahm, um mich von dessen Dasein und Eigenschaften zu vergewissern. Dabei ist aber Eins besonders merkwürdig, daß ein bildender Künstler sich mit dieser Production in ihrem ersten Sinne dergestalt befreundet, daß er alles ursprünglich Düstere in ihr eben so aufgefaßt und einen unruhig strebenden Helden mit gleicher Unruhe des Griffels begleitet hat. Herr Delacroix, ein Mahler von unläugbarem Talent, der jedoch, wie es uns Älteren von Jüngeren öfters zu geschehen pflegt, den Pariser Kunstfreunden und Kennern viel zu schaffen macht, weil sie weder seine Verdienste läugnen, noch einer gewissen wilden Behandlungsart mit Beifall begegnen können, Herr Delacroix scheint hier in einem wunderlichen Erzeugniß zwischen Himmel und Erde, Möglichem und Unmöglichem, Rohstem und Zartestem, und zwischen welchen Gegensätzen noch weiter Phantasie ihr verwegnes Spiel treiben mag, sich heimathlich gefühlt und wie in dem Seinigen ergangen zu haben. Dadurch wird denn jener Prachtglanz wieder gedämpft, der Geist vom klaren Buchstaben in eine düstere Welt geführt und die uralte Empfindung einer mährchenhaften Erzählung wieder aufgeregt. Ein Weiteres getrauen wir uns nicht zu sagen, einem jeden Beschauer dieses bedeutenden Werks mehr oder weniger den unsrigen analoge Empfindungen zutrauend und gleiche Befriedigung wünschend. März 23. [Nachmittags?] Herr Oberbaudirector Coudray. Betrachteten zusammen den französischen Faust,1) überlegten was zu erwidern sey. 24. [Weimar] F. v. Müller an C. F. v. Reinhard (Unterhaltungen 345): Goethes Faust ist [am 22. März] in zwey kostbaren Prachtexemplaren für den Grosherzog und Goethe von Paris zum Geschenk angelangt. Die Übersetzung [von Stapfer] gefällt, doch hält Goethe die von Girodet [Ge´rard] noch vorzüglicher.2) Mit den Bildern von La Croix [Delacroix] kann man nur zum Theil zufrieden sein, manche sind doch gar zu wild und grell, ja verzeichnet, auch durchgehends zu düster gehalten. Einzelne aber sind genial komponirt.3)

1

) s. oben 22. März 1828: Tgb. ) Zur Beurteilung der Übersetzung von Ge´rard de Nerval s. unten 3. Jan 1830: Ekkermann, Gespräche sowie anonyme Rez. in Literatur-Blatt Nr. 56 u. 57 v. 11. Juli u. 15. Juli 1828, 221−24; 225f. 3 ) Abb. in Kehrli. 2

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März 30. Abends Landesdirections-Rath Töpfer, welcher sich über die Holtei-

schen Vorlesungen . . . gar einsichtig vernehmen ließ. [März [Weimar] Förster Gespräch (Kunst und Leben. Aus Friedrich Förster’s Nachlaß. Hsg. Ende]1) v. Hermann Kletke. Berlin 1873, 217): Ich suchte das Gespräch . . . auf die Bearbeitung des Faust für die Bühne zu leiten, und Goethe stimmte meiner Ansicht bei, dass die großen Dramen und Tragödien in alter wie in neuerer und neuester Zeit nur durch die Vorstellungen auf der Bühne zu allgemeinem Verständniß und allgemeiner Anerkennung gelangt wären. „Aber eben die B e a r b e i t u n g “, bemerkte Goethe, „das ist der schwierige Punkt, zumal bei einem Drama wie der Faust, bei welchem der Dichter von Haus aus gar nicht an eine Aufführung auf der Bühne gedacht hat. Apr 2.

[Weimar] Espe´rance Sylvestre an Eckermann (Bonstettiana. Briefkorrespondenzen Karl Viktor v. Bonstettens und seines Kreises 1753−1832. Ergänzungsband Sylvestriana. Teilband 1: 1818−1828. Hsg. v. Doris u. Peter Walser-Wilhelm. Göttingen 2014, 421): J’ai la` sous les yeux les gravures de Faust par [Euge`ne] DelaCroix.2) Je ne suis point contente de ces lithographies. On diroit que le peintre n’a vu que le co ˆte´ diabolique du Drame qu’il a ainsi converti en Satyre. Göthe ist nicht so einseitig in seinen Schöpfungen − Entre nous Je crois qu’il est reserve´ aux Anglais, plus profonde´ment sensibles et plus naturels que les Franc¸ais de nous donner une bonne traduction de Faust en gravures; on fera bien des essais, avant d’arriver `a la perfection dans ce genre, il faudra un peintre poe¨te [. . .] Göthe, qui ait [. . .] quelqu’une des qualite´s du Grand poe¨te qui peint [. . .] seine neben menschen sentient et peuvent `a peine esquisser −. Delacroix est Grotesque quand il veut ˆetre tragique et grossier quand il cherche le naturel.3)

[Apr 4.] [Wien] Carl Gustav Carus: Reise durch Deutschland, Italien und die Schweiz im Jahre 1828. Leipzig 1835. Bd 1, 19: [In der Kaiserlichen Gemäldegallerie] Viel ernster und strenger ist der Faust [von L. F. Schnorr v. Carolsfeld] behandelt.4) Das große, kräftig gemalte Bild versetzt uns in des Faust magisches Zimmer, die Lampenflamme weht, Mephisto tritt vom Ofen gegen den in Spannung zurückgelehnten Faust heran, elektrische Funken sprühen ihm die alchymistischen Werkzeuge entgegen und in wunderlichen Gestalten drängt sich der alte Hausrath über einander. Am wenigsten befriedigt der Ausdruck psychischer Individualität der Gestalten selbst. 8. Prinzeß Auguste mit Umgebung. Hofrath Meyer gegenwärtig . . . Rie-

penhausens Faust5) vorgewiesen. 1

) Datierung nach Gräf II 2, 441. ) s. oben 22. März: Tgb. m. Anm. 3 ) Übersetzung: Ich habe da die Faust-Lithographien von Delacroix unter den Augen, und bin keineswegs zufrieden damit. Man könnte meinen der Künstler habe nur die diabolische Seite des Dramas gesehen und dieses dadurch in eine Satyre verwandelt. „Göthe ist nicht so einseitig in seinen Schöpfungen“. Unter uns, ich glaube es ist den Engländern vorbehalten uns eine gute bildnerische Übersetzung von Faust zu geben, sie empfinden eindringlicher als die Franzosen und sind natürlicher; es bedarf vieler Versuche bis man in dieser Darstellung Vollkommenheit erreicht; es müsste ein Dichtermaler sein mit gewissen Eigenschaften die dem Grossen Poeten eigen sind, welcher malt was „seine neben menschen“ empfinden und kaum zu skizzieren vermögen −. Delacroix ist grotesk wenn er tragisch sein will, und roh wenn er um Natürlichkeit ringt. 4 ) Faust und Mephisto, s. oben 14. Juli 1820: Zeitung der Ereignisse; Abb. in Neubert 117. 5 ) Möglicherweise Fausts erste Begegnung mit Gretchen, 1827 als Lithographie erschienen; s. oben 2. Sept 1811: C. F. Schlosser an G; Abb. in Neubert 92. 2

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Apr

8. [Berlin] C. v. Holtei an A. v. Goethe (GSA 37/XI, 1, Bl. 2): Gestern hat die s c h i e d s r i c h t e r l i c h e K o m m i s s i o n endlich die wichtige Entscheidung von sich gegeben, daß dem Königstädtischen Theater, nicht länger mehr durch gräfliche Mucken und sträflichen Neid untersagt werden darf, Trauerspiele u dramatische Gedichte, in Melodramen umgeschaffen, zu spielen. Jubel über Jubel! Es beginnt eine neue Aera. Und zum 28ten August beginne ich mit einem F a u s t , der so viel Göthe in sich haben soll, daß das Hoftheater vor Aerger eine ganz blassgelbe Couleur kriegen muß, wodurch das Anstreichen erspart werden kann!

Mai

9. [Abends] Nachher mit Hofrath Meyer über Delacroix.1) 14. [Berlin] C. v. Holtei an A. v. Goethe (GSA 37/XI, 1, 2): Ich m u ß Faust, als Melodrama herausbringen und es muß eine Feier [anläßlich von G’s Geburtstag am 28. Aug] werden, von der Deutschland redet[.] Die Elemente dazu haben wir. Dürfte ich dem Fürsten Radziwill trauen − daß er nicht zu hoftheaterlich gesinnt wäre − so würde ich seine musikalische Hülfe in Anspruch nehmen[.] Aber ich fürchte, er hält es mit Brühl und wenn der lange vorher weiß, worauf es abgesehen ist, so macht er uns einen gräflichen Querstrich.2) Auf jeden Fall schick’ ich Ihnen den Entwurf meines Scenariums und Sie müssen ihn dann Ihrem Vater mittheilen. Nur wenn ich auf den Zettel setzen lassen darf: mit des Meisters Genehmigung nur dann kann ich meinen ehrlichen Namen, zu solch ungeheurem Wagstück hergeben.

[Mai [Stuttgart, H. Meyer:] A e u ß e r u n g e n e i n e s K u n s t f r e u n d e s . In: KA VI 2 (1828) 2. Hälfte] 390f.: Die lithographischen Blätter womit Herr De Lacroix die französische Uebersetzung des Faust ausgestattet, sind zwar nicht so zart und glatt vollendet als man von den bessern neuern Erzeugnissen der Art zu erwarten pflegt, sondern Entwürfe eines kunstfertigen Malers, mit sicherer Hand und breiter Kreide hingezeichnet. Wenn bey mehreren strenge Richtigkeit der Umrisse vermißt wird, so darf man mit dem Künstler darüber nicht rechten, eben weil sich seine Blätter nur als Entwürfe darstellen; hingegen läßt sich allen ohne Ausnahmen nachrühmen, daß sie kräftig und mit Geist behandelt sind. Manche verdienen auch der glücklichen Erfindung wegen Beyfall. So ist z. B. das Blatt wo Faust sinnend in seinem Studierzimmer steht, in reicher Umgebung von allerley Geräth, einen vor ihm auf dem Tisch liegenden Schädel betrachtend, an und für sich, auch ohne weitere Beziehung auf das Gedicht, ein sinnvolles gut und malerisch angeordnetes Bild.3) Ein anderes Blatt, Faust und Wagner darstellend wie sie bey sinkender Abendsonne heimkehren, der schwarze Pudel hinter ihnen herschweift, dünkt uns sehr glücklich aufgefaßt und könnte, wohl ausgeführt, ein Bild von ganz vortrefflicher Wirkung werden.4) − Die Scene in Auerbachs Keller, wo der auf die Erde verschüttete Wein zur Flamme wird, ist ganz phantastisch, so bewegt dargestellt als dieser Gegenstand es verlangt, und eignete sich deßhalb zu einem Gemälde vom frappantesten Effect.5) − Marthe und Margarethe, freudig und verwundert den Schmuck betrachtend, und Mephistopheles, der tiefe Referenzen ziehend zu ihnen hereintritt, würde, gehörig ausgeführt, gewiß ein sehr niedliches Bild geben.6) − Vorzüglich geistreich endlich, wiewohl weniger Bild als die genannten, scheinet das Blatt gerathen, wo

1

) s. oben 22. März 1828: Tgb; vermutl. Hinweis auf die Entstehung von H. Meyers Aeußerungen eines Kunstfreundes in KA VI 2 (1828) 390f., s. unten 2. Hälfte Mai: Aeußerungen. 2 ) Zu den Auseinandersetzungem mit dem Hoftheater s. oben 8. Apr 1828: Holtei an A. v. Goethe. 3 ) Faust in der Studierstube; Abb. 8 in Kehrli. 4 ) Faust, Wagner und der Pudel, Abb. 10 in Kehrli. 5 ) Mephisto in Auerbachs Keller, Abb. 13 in Kehrli. 6 ) Mephisto stellt sich bei Marthe vor, Abb. 15 in Kehrli.

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Mephistopheles und Faust auf Zauberpferden am Hochgericht vorübersausen. Das Feuer, der Geist, der Ausdruck, womit der Künstler diese wilde Scene dargestellt, wird zuverlässig den Beyfall der Kenner und Kunstrichter erhalten.1) Will man diese Blätter mit den Versuchen deutscher Künstler, Scenen aus Faust zu bearbeiten, vergleichen, so können sie mit Ehren neben einander stehen. Ein Deutscher [Cornelius] jedoch hat alles durchgängig ernster genommen, die Figuren mit mehr Sorgfalt und wissenschaftlicher gezeichnet;2) einem andern [Retzsch], der mehr auf cyklische Folge der Bilder achtet, mag es gelungen seyn die Charaktere mit mehrerer Stetigkeit durch die ganze Reihe durchzuführen.3)

[Mai 25./ [Weimar] R. Margraff, Zur Erinnerung an Joseph Stieler und seine Zeit5) (GG 3.2, Juli 6.]4) 319f.): „Die bildende Kunst“, bemerkte er [G], „muß durch die Sinne des Gesichts empfangen werden; sie ist folglich durch die technischen Vollkommenheiten bedingt und ohne Zeichnung und Kolorit, Schatten und Licht gar nicht denkbar. Ich schätze wegen letzterem die Engländer sehr.“ „Ich halte diese Vorzüge“, fuhr er fort, „höher als einen glücklichen Gedanken, der, wenn er dem Auge nicht gehörig vorgestellt wird, nur der Poesie angehört.“ Als Goethe diese Aussprüche tat, hatte er die von ihm stets nur kurzweg „altdeutsch“ benannte Schule im Auge, an deren Spitze Cornelius stand, und er geriet in göttlichen Zorn, als Stieler,6) der aufrichtige und warme Verehrer dieser Schule und ihrer geistreichen Häupter, das Achtungswerte der neuen Bestrebungen in Schutz nahm und hervorhob, daß diese Männer schon als junge Leute ein echtes Ziel darin erblickt und ihnen Zeit und Mühe zum Opfer gebracht hätten . . . Vergebens war Stielers Bemühen, den Weimarer Olymp in seiner festgewurzelten Überzeugung zu erschüttern. Goethe kannte die neueren Leistungen nur unvollkommen; für das aber, was er von ihnen kannte, besaß er das nötige Verständnis nicht; sonst wäre es unmöglich gewesen, dem Stielerschen Lobe des Faust von Cornelius das Bekenntnis entgegenzusetzen: „Ich mag darum (nämlich weil es ihm an der technischen Vollkommenheit fehle) Cornelius’ Faust nicht leiden; es tritt nicht auseinander, er ist mir zu altdeutsch. Dieses Gedicht hat man so oft darzustellen gesucht, ich halte aber dafür, daß es wenig für die bildende Kunst geeignet ist, weil es zu poetisch ist. Retzsch hat mehr das wirklich bildlich Darzustellende ergriffen.“7) Juni [Berlin] C. v. Holtei an A. v. Goethe (GJb 1917, 188−90): Ich habe die Bearbeitung des Anf.8) Faust, worüber ich Ihnen schon früher Andeutungen machte, ganz vollendet; ich habe sie einsichtigen, strengen Freunden, den Directoren und den betreffenden Schauspielern mitgetheilt und die Satisfaction erlebt, daß alles vereint in ein Entzücken ausbrach. Von seiten der Bühnengerechtigkeit, der Aufführbarkeit ist gar kein Einwand mehr zu machen. Anders würde es vielleicht um die geistige Auffassung, die Zusammendrängung des ungeheuren Gedichts in e i n e n Rahmen stehen. − Darüber müßt Ihr entscheiden. Mein Manuscript geht nach Weimar, sobald S i e sich, im Namen Ihres Vaters über den nachfolgenden Fragepunct entschieden gegen mich ausgesprochen haben. Die Concession des Theaters will − (und die Eigenthümlichkeit des Gedichts

1

) Faust und Mephisto auf dem Weg zum Hexensabbat, Abb. 21 in Kehrli. ) Abb. in Neubert 96−102. 3 ) Abb. in Neubert 103−12. 4 ) Im Auftrag König Ludwigs von Bayern war J. Stiehler vom 25. Mai bis 6. Juli 1828 in Weimar, um G zu porträtieren. 5 ) Verfaßt 1858. 6 ) Joseph Karl Stieler (1781−1858), von 1820 bis 1855 Hofmaler des bayer. Königs, vor allem Porträts, 1828 G-Bildnis. 7 ) Retzsch’ Umrisse s. in Neubert 103−12 u. Cornelius’ Bilder zu Goethe’s Faust ebd. 96−102. 8 ) C. v. Holtei datiert selbst an irgend einem Tage des Junii 1828. 2

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gestattet es) − daß es Melodrama genannt werde. Wird es Seiner Excellenz genehm seyn, daß E b e r w e i n von uns den Auftrag dazu bekomme? Sobald Sie sich bejahend darüber ausgesprochen, sende ich Ihnen das Buch, und von Ihnen mag es Eberwein empfangen. Denken Sie sich, wenn wir am 28ten August zur F e i e r d e s G e b u r t s t a g e s − G ö t h e s F a u s t aufführen! Denken Sie sich das Aufsehn in Deutschland! Denken Sie sich den Antheil und Jubel der hiesigen Freunde! Wir können alles herrlich besetzen . . . Doch ich will davon nicht schwatzen. Ich müßte mich sonst in ein Scenarium einlassen und das würde zu weit führen. Nur vorläufig folgende Übersicht: Des weltberufenen Erz- und Schwarzkünstlers Dr. Faust Pactum mit der Hölle Melodrama mit Gesang, in 3 Acten und einem Vorspiel, nach Goethe (und mit dessen Erlaubniß) für die Bühne eingerichtet. Vorspiel: Faust, Wagner, dann die Scene mit Phiole und Kelch bis zu den Osterchören. E r s t e r A k t . Spaziergang. B a u e r n c h o r . − Pudel. 2 t e S c e n e : S t u d i r z i m m e r . Beschwörung. Mephisto; Verschreibung. (Wie bei meiner Vorlesung, beide Teufelsscenen in eine gezogen.) 3 t e S c e n e : A u e r b a c h s K e l l e r . Faust u Mephisto reiten auf den Stückfässern davon. Z w e i t e r A k t . In diesen Akt habe ich Faustens Verhältniß zu Margarethen, vom Augenblick der Bekanntschaft an bis zum Schlaftrunk für die Mutter, zusammengestellt. Arrangement, Decoration u Scenerie geben nach dem Urtheil der Theaterkenner ein genügendes Bild und reizendes Ganze. Die Hexenküche wird von Faust u Mephisto nur in ihren Wirkungen, aber mit des Dichters eigensten Worten erwähnt. D r i t t e r A k t . Scene: am B r u n n e n ; im Hintergrund ein Altar. Margarethe in Trauer um die Mutter. Ach neige p b ö s e r G e i s t p (Sie g e h t i n ’ s H a u s . ) Va l e n t i n . ( v e r b i r g t sich.) F a u s t , M e p h i s t o , der ihn mit Gewalt herbeischleppt. Die schlagendsten Stellen aus dem Auftritt i n d e r H ö h l e sind hier benutzt. Gesang. Valentins Kampf u Tod. M a r g a r e t h e , deutet durch eine, mit Musik begleitete u erklärte Pantomime, den Kindermord an. 2te Scene: K u r z e r d ü s t r e r Wa l d . F a u s t . M e p h i s t o : „Im Elend, gefangen“ pp 3te Scene: K e r k e r . S c h l u ß . Die Schauspieler toben vor Entzücken. Da ich mein Manuscript noch nicht hergegeben habe und nicht hergeben will, eh’ es in Weimar approbirt worden, so rennen sie mit dem gedruckten Faust herum und lernen und rasen. Es ist, als wäre der Teufel in sie gefahren. Je tiefer ich in dies Wesen meiner Bearbeitung eindrang, desto unbegreiflicher schien es mir, daß man sie nicht schon lange vorher gemacht. Sie liegt so nahe! Lassen Sie mich nicht im Stiche, August. Sorgen Sie zuerst für eine Entscheidung des Meisters, wegen der Composition durch Eberwein. Und dann, wenn Sie das Manuscript haben, verschaffen Sie mir die Zustimmung. Es ist nicht für mich, daß ich handle. M e i n Name bleibt aus dem Spiele. Es ist um die Ehre Berlins und einer jugendlich strebenden Bühne zu tun, die sich selbst ehren, wenn sie auf diese Weise Lorbeeren in den Fest-Kranz des größten Deutschen schlingen. Daß die Vorstellung würdig, feurig, glänzend ausgestaltet, siegreich aufgenommen seyn wird, dafür verbürge ich mich Ihnen mit m e i n e r Ehre!

[Juni [Weimar] A. v. Goethe an C. v. Holtei1) (Br 44, 398): Theurer Freund! Ich habe soca. 10.] gleich Ihren letzten Brief2) hinsichtlich der Aufführung des Faust meinem Vater vorgelegt. Er ist mit der Idee sowohl, als mit der Art wie sie ausgeführt werden soll, zufrieden, und ist auch der Meinung, daß dem Herrn Musikdirektor Eberwein die Fertigung der Musik übertragen werde. Senden Sie also, sobald als möglich das arrangirte Manuscript an mich. Sollte Vater dann noch etwas wünschen, so schreiben wir einander darüber. Entschuldigen Sie die Eil’ dieser Zeilen, ich wollte keinen Augenblick verlieren, Ihnen in einer Sache zu antworten, welches so allgemeines Interesse hat.

1

) Dieser Brief von A. v. Goethe an C. v. Holtei aus dem Jahr 1828 ist nicht überliefert u. demnach nicht genau zu datieren. Er ist wiedergegeben nach dem Abdruck in Holteis Erinnerungen Vierzig Jahre (Bd 5. Breslau 1845, 91). 2 ) s. oben Anf. Juni 1828: Holtei an A. v. Goethe.

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Juni 11. [Neustrelitz] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/129 Bl. 328): Im Vertrauen auf das von Euer Excellenz durch eine so lange Reihe von Jahren mir bewiesene gnädige Wohlwollen, wage ich es, Hochdenselben das 2te Heft der Ihnen bekannten Zeichnungen zum Faust1), durch H. Hofrath Meyer, ehrerbietigst mit der Bitte vorzulegen, dieselbe, mit der alten Nachsicht gegen die Unvollkommenheiten meiner Leistungen, gütigst anzunehmen, da ich mich gern überreden mögte, daß in diesen späteren Versuchen wenigstens einige Fortschritte zum Besseren bemerklich seyn dürften. Zugleich bezeuge ich meinen innigsten Dank, daß die so schmeichelhafte Erwähnung des 1ten Hefts dieser Zeichnungen in dem vorletzten Heft für Kunst u. Alterthum [VI 1, 155−57] eine Stelle finden durfte. Unter sehr erfreulichen Umständen empfing ich jene Anzeige grade vor einem Jahr, da der verehrte Zelter, in dessen Hause ich damals nebst meiner Frau, mehrere Tage nach einander solch schöne Stunden verlebt, − mir die aufmunternden Worte, welche H. Hofrath Meyer über meine Arbeit ausgesprochen, freundlich theilnehmend, in Gegenwart H. Frommans aus Jena, mittheilte2) . . . Schließlich erlaube ich mir noch, Ewr. Excellenz um die Genehmigung zu bitten, daß auch des 2ten Hefts meiner Lithographierungen mit ein paar freundlichen Worten in dem nächsten Stücke von Kunst u. Alterth. gedacht werde;3) wodurch es mir dann, wenn ich lebe, wohl gelingen mögte, auch das 3te letzte Heft, mit dessen erstem Blatt ich bereits zur Hälfte fertig bin, erscheinen zu lassen.4) 13. [Berlin] C. v. Holtei an A. v. Goethe (GJb 1917, 191): Sie haben mir, mein geliebter Freund, durch Ihre Vermittelung und durch die schriftliche Nachricht davon eine ungemeine Freude bereitet.5) In diesen Tagen noch wird ein sauberes Manuscript meiner Bearbeitung an Sie abgehen. Was der Herr darin geändert haben will, brauchen Sie mir dann nur brieflich zu bezeichnen. Ein Hin- und Herschicken des Manuscripts ist deshalb nicht nöthig. Viel kann es nicht seyn, aus dem einfachen Grunde, daß in [dem] ganzen Buche nicht zwanzig Zeilen von mir sind. Ich habe, selbst zu verbindenden Mittelsätzen gewaltsam zusammengezogner Stellen, immer Göthe’sche Worte genommen. Das Manuskript wird übrigens so eingerichtet, daß an den Rändern Platz zu Seitenbemerkungen vorhanden ist. 14. [Berlin] Carl Graf Brühl an G (GSA 28/129 Bl. 311f.): Als ich von meinem Könige und Herrn berufen wurde, das Amt eines General-Intendanten Seiner Schauspiele zu übernehmen, war mein Stolz darauf gerichtet, zu Ihren Werken, verehrtester Herr und Minister, welche die Bühne gab, auch noch diejenigen auf dieselbe zu bringen, die ihr fehlten. Das nächste Augenmerk war auf Ihr unsterbliches Gedicht: Faust gerichtet, und ich wandte mich an den Meister, − später, als Prinz Radzivil die Musik dazu componirt,6) und wir hier vor dem Königlichen Hofe und einem Kreise von geistreichen Menschen einzelne Scenen in’s dramatische Leben riefen, woran selbst ein erlauchter Fürst Antheil nahm7) − und noch vor einigen Jahren . . . erwiederte ich diese

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) Das 2. Heft enthält die Lithographien: V Studierzimmer, Beschwörung des Pudels; VI Auerbachs Keller; VII Hexenküche u. VIII Margarete mit Faust im Garten, Abb. in Neubert 119ff. 2 ) s. oben Febr 1827: H. Meyer, Darstellungen zu Goethes Faust. 3 ) s. unten 14./25. Juni 1828: Nauwerck, Bilder zu Faust. 4 ) Die dritte Lieferung erscheint 1830; s. unten 27. März 1831: Nauwerck an G. Das erste Blatt heißt Nacht. Gretchen und das Volk beim sterbenden Valentin; Abb. in Neubert 121. 5 ) s. oben ca. 10. Juni 1828: A. v. Goethe an Holtei. 6 ) Compositionen zu Göthe’s Faust vom Fürsten Anton Radziwill. Partitur. Berlin 1835. 7 ) s. oben 1816 März 31., Apr 7., Mai 9., Juni 16., 1820 Mai 21., 25., Juni 7.: Zelter an G; 27. Juni 1816 u. 18. Juli 1819: Wolff an G; 1816 Mai 21. u. 24.: A. v. Goethe an G; 2. Juni 1819: an Carl Graf Brühl.

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Bitte,1) − aber immer ward ich auf die Folgezeit freundlich hingewiesen,2) und so harrte ich bis jetzt voll froher Hoffnung. Seit einiger Zeit verbreitet sich das Gerücht, Sie hätten die Bearbeitung Ihres Faust der Königsstädter Bühne in melodramatischer Form übergeben.3) − Diese Nachricht, wovon ich aus Gründen, die ich so eben anzuführen mir erlaubte, nicht glauben kann, hat mich indeß so erschreckt, daß Sie es mir gewiß verzeihen werden, wenn ich die Bitten, welche ich so oft ausgesprochen, nun wieder erneue, und um ein freundliches beruhigendes Wort bitte. Die Bretter, über welche Iphigenia, Tasso, Götz und Clavigo schritten, auf welchen die Gebilde Shakespeare’s verkörpert wurden, sind gewiß allein nur würdig, auch Ihren Faust aufzunehmen, und wenn ich von allem Trefflichen, was unsre Bühne zu bieten vermag, nur an den Mimen Devrient erinnere, so liegt in ihm die Bürgschaft für das Gelingen der Rolle des Mephistopheles in einem Grade, wie sie in Deutschland wohl nicht wieder gelößt werden dürfte. Bei all der Liebe, die Sie, verehrtester Herr und Minister, stets meinen Bemühungen geschenkt, glaube ich gewiß auch diesmal nicht vergeblich gebeten zu haben.4)

[Juni [Nauwerck, Bilder zu Faust]6) (W 49.1, 344f.): Vor wenigen Seiten 14./25.]5) waren wir veranlaßt, von drei wackern Künstlern zu reden, welche, von

unserm Faust aufgeregt, ihr Talent gar verschiedentlich offenbaren wollen.7) Hier aber nehmen wir Gelegenheit, ihre Namen als Zeugnisse einer ehrenvollen Theilnahme zusammen auszusprechen. Es sind die Herren C o r n e l i u s , R e t z s c h und D e l a c r o i x , denen ein Vierter, Herr N a u w e r c k aus Neustrelitz, mit einem zweiten Hefte seiner gleichmäßigen Darstellungen freundlich sich zugesellt. Wir haben schon in dem vorigen Stücke, [KA VI 1] Seite 155 u.f., seiner in Ehren gedacht und können von dem gegenwärtigen Hefte versichern, daß hier sowohl im Kräftigen als im Mahlerischen, wie auch an deutlicher Ausführung gewonnen worden, auch der Ausdruck lebendiger und geistvoller sei.8) So ward uns denn diese Sendung zur Veranlassung, obgemeldete sämmtliche Bemühungen sowie einzelne Arbeiten, als von den Herren N ä k e und [L. F.] S c h n o r r ,9) vor uns aufzulegen und mit einander zu vergleichen, wodurch denn das Verhältniß eines jeden be-

1

) s. oben 12. Apr 1815 u. 26. Mai 1819: Carl Graf Brühl an G. ) s. insb. oben 2. Juni 1819: an Carl Graf Brühl. 3 ) Holtei hatte am 15. Juni der Intendanz der Kngl. Schauspiele erklärt, am 28. Aug am Königstädter Theater das Melodrama Des weltberufenen Erz- und Schwarz-Künstlers Doctor Faust Pactum mit der Hölle aufführen zu wollen. Der Antrag wurde bereits am 16. Juni von Carl Graf Brühl abschlägig beantwortet, da an diesem Theater die Aufführung von Tragödien verboten sei; s. auch oben 8. Apr 1828: Holtei an A. v. Goethe. 4 ) Eine Antwort G’s auf diesen Brief ist nicht überliefert; sie erübrigte sich wahrscheinlich durch die Rückgabe von Holteis Faust-Bearbeitung u. den abschlägigen Bescheid; s. unten 28. Juni 1828: Tgb u. A. v. Goethe an Holtei. 5 ) Zur Datierung s. unten 25. Juni: an H. Meyer. 6 ) ED KA VI 2 (1828) 428f.; Titel findet sich nur im Inhaltsverzeichnis. 7 ) H. Meyers Besprechung der Faust-Illustrationen von E. Delacroix im selben Heft: Aeusserungen eines Kunstfreundes (KA VI 2 [1828] 390f.). 8 ) Mit Bezug auf die zweite Lieferung. 9 ) Abb. der zwei Illustrationen zur Sz. Walpurgisnacht in Neubert 110. 2

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sondern Talentes zu dem Gedicht, sodann aber auch zu seinen Mitkünstlern sich hervorthut. Juni 18. [Berlin] Fanny Mendelssohn an A. Klingemann (Mendelssohn 1, 193f.) . . . nun hören Sie eine Nachricht, die mich so lange zu lachen gemacht hat, als ich sie nicht glaubte: Holtey hat Goethe’s Faust für das Königstädter Theater bearbeitet. H.[err] Rösicke:1) Mephistopheles. Es ist wahr! − Wenn Sie ausgestaunt haben, will ich weiter erzählen. Goethe in seiner jetzigen recht königlichen und weisen Milde und Erhabenheit hat selbst seine Einwilligung gegeben. Ich behaupte, er habe Holtey’s Antrag nach seiner Weise freundlich in den Bart brummend gesagt: „Nu − nu −“ und hierauf habe Holtey entzückt seine Hand ergriffen und mit Enthusiasmus geschrieen: „Ich verstehe Sie und danke Ihnen“ − und siehe da, der alte König war zu stolz, das absichtliche Missverständnis zu heben, denn er dachte: „Bringt Ihr mich wohin Ihr wollt, herunterbringen könnt Ihr mich nicht und aufbringen auch nicht mehr, bringt mich also auf’s Königstädter Theater.“ O Spott der Hölle! Ironie des Schicksals!! 19. [Berlin] C. v. Holtei an A. v. Goethe (GJb 1917, 192f.): Schon hatte ich bedauert, das Manuscript des F a u s t eben jetzt abgesendet zu haben, doch ein sehr freundlicher Brief Eckermanns2) . . . beruhigt mich in so fern, als er mir meldet, daß Ihr Vater die Trauerpost [vom Tod Carl Augusts am 14. Juni] mit Fassung empfangen. Vielleicht ist gerade nun eine Zerstreuung, wie die Betrachtung meines kühnen Wagstücks sie darbietet, an ihrem Platze. Ich habe noch etwas nachzuholen, was durch meine Schuld in der Abschrift vergessen worden ist. Im dritten Acte werden Sie finden, daß Margarethe nach Valentins Tode und Fausts Flucht mit einer (von Musik begleiteten Pantomime, welche den Entschluß des Kindermordes (schon im halben Wahnsinn) bezeichnet, abgeht. Unmittelbar daran reiht sich die Scene zwischen Mephisto und Faust im Walde. Das ist aber nicht möglich, weil der Zuschauer beim besten Willen einen solchen Zeitsprung nicht machen kann, wenn ihm nicht wenigstens symbolisch über den Graben geholfen wird. Deshalb: sobald Margarethe die Bühne verlassen hat, geht die Musik in ein anders Leben über. Die Decoration wechselt in einen düstern Wald, und nun schweben, nachdem sich die Hinterwand geöffnet, allegorisch und phantasmagorisch d i e Gestalten aus den B l o c k b e r g s c e n e n vorüber, welche sich ohne Worte am klarsten bezeichnen lassen. Die trefflichen Scizzen von Retzsch müssen dabei zu Hülfe kommen.3) Denken Sie sich das bunte Gewimmel, einem Traume ähnlich, von wilder, taumelnder Musik begleitet! Dadurch wird alles Zeitmaß aufgehoben, und wenn nun Faust mit Mephisto erscheint, so paßt die Stelle: „. . . wiegst mich in abgeschmackte Zerstreuungen“ p ganz vortrefflich. Weiter hab’ ich nichts mehr zu erinnern, als meinen Versuch Ihrer Nachsicht und Freundschaft zu empfehlen und mich Ihrem Vater zu Füßen zu legen. 25. An H. Meyer (Br 44, 154): . . . vermelde nur mit wenigem: daß ich so

eben beschäftigt bin, das neuste Heft von Kunst und Alterthum [VI 2] abzuschließen. Es findet sich gerade noch ein Räumchen, um ein freundliches Wort über Nauwercks neues Heft zu sagen, auch hab ich darüber schon ein Blatt dictirt welches mitheile.4)

1

) Karl Eduard Rösike (1798−1837), von 1824 bis 1832 Schauspieler am Königstädtischen Theater. 2 ) Nicht nachweisbar. 3 ) Retzsch’ Umrisse, abgebildet in Neubert 103−12. 4 ) s. oben [14./25. Juni] 1828: Nauwerck, Bilder zu Faust.

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[Juni 25.] [Weimar] H. Meyer an G (SchrGG 35, 160): Das mir übersendete Blatt habe ich mit Vergnügen mehrmals durchgelesen und finde solches so zweckmäßig und von Seite der Form so gerundet, daß ich nicht wagen möchte, ein einzig Wort einzuschalten. Darum habe ich 1) an den Rand geschrieben, wo im letzerschienenen Heft von Kunst und Alterthum Freund Nauwercks ersten vier Blätter gedacht ist,1) und 2) auf dem beyliegenden Blatt mit wenigen Zeilen geschrieben, was allenfalls zu Gunsten des anzuzeigenden zweyten Hefts von Nauwercks Faust mit gutem Gewissen gesagt werden könnte. Aufrichtig gesprochen: ich glaube nicht, daß Sie in Ihren Aufsatz aus dem meinigen viel werden aufnehmen können. 27. [Berlin, anonym] Neues und Neuestes aus Berlin. In: Dresdner Morgen-Zeitung Nr. 117 v. 27. Juni 1828, 931: Großes Erstaunen hat natürlich bei Vielen die seit wenigen Tagen verbreitete Kunde: daß G o e t h e s e i n e n F a u s t a u f d e r K ö n i g s t ä d t i s c h e n B ü h n e , n e u b e a r b e i t e t , e r s c h e i n e n l a s s e n w o l l e , erregt. Viele haben es bezweifelt, und d o c h i s t e s s o u n d i s t b e r e i t s d i e e r s t e D a r s t e l l u n g a u f d e n 28. August (an Goethes Geburtstag) angesetzt worden. 28. [An] Herrn von Holtei nach Berlin Manuscript [der Faust-Bearbeitung]

zurück. [28.] [Weimar] A. v. Goethe an C. v. Holtei2) (Konzept; GSA 29/42): Lassen Sie mich, mein Werthester, in einer bedeutenden Angelegenheit offen zu Werke gehen. Schon der früher eingesendete Entwurf ließ befürchten,3) daß die Redaction des Faust nicht nach Wunsch gelingen werde, dieses bestätigt sich leider durch das eingesendete vollständige Exemplar.4) Wir finden gar manches Bedeutende und Wirksame gestrichen, auch einen Theil des Beybehaltenen so behandelt, daß es unsern Beyfall nicht gewinnen kann. Das Manuscript folgt daher zurück und Sie werden unsere Ansichten aus der Ferne freundlich aufnehmen; Sie haben Ihr Publicum im Auge und hierauf gründet sich wohl Ihre Redaction, weshalb Ihnen denn auch völlige Freyheit bleibt nach Ueberzeugung zu handeln, nur läßt mein Vater bemerken, daß unter diesen Umständen, weder von seiner Einwilligung, noch von seiner Mitwirkung die Rede seyn dürfe. Da Sie meine Gesinnungen kennen, so werden Sie empfinden daß ich Gegenwärtiges ungern schreibe; doch kann ich hier nicht ausweichen indem meine Ansicht mit der des Vaters und Dr. Eckermanns übereinstimmt. Juli

1. Nebenstehendes ausgefertigt: [Brief A. v. Goethes an] Herrn von Hol-

tei, nebst einem Packet nach Berlin. 8. [Berlin] Notizen. Mancherley. In: Der Sammler Nr. 82 v. 8. Juli 1828, 328: Am 27. August (Goethe’s Geburtstag) wird auf dem Königstädter-Theater in Berlin Goethe’s „Faust“ von C. von Holtey tramatisch bearbeitet, aufgeführt werden. 28. [Wilhelmsthal] F. Soret an G (Zehn Jahre 257): In Frankreich ist eine neue Faustübersetzung erschienen, mit zehn Stichen und einer kritischen Abhandlung über das Original;5) mein Bruder will sie mir für Ew. Excellenz schicken, ich habe sofort zugegriffen, und sobald ich das Buch erhalte, geht es an Sie ab. 1

) Rez. der 1. Lieferung in KA VI 1 (1827) 155−57, s. oben Febr/März 1827: Darstellungen. 2 ) Unter dem Konzept von Johns Hand ist durch A. v. Goethe verzeichnet: Mundirt und exped. den 1st July 28. Abdruck des Briefs mit geringfügigen Abweichungen in Br 44, 416f. − Holtei erhielt das Schreiben erst im Aug: Ihr Brief ist mir ziemlich lange nachgelaufen und hat mich erst hier [in Breslau] erwischt. (an A. v. Goethe, 26. Aug 1828, GJb 1817, 193) 3 ) s. oben Anf. Juni 1828: Holtei an A. v. Goethe. 4 ) s. oben 19. Juni 1828: Holtei an A. v. Goethe. 5 ) Es handelt sich vermutl um: Faust, trage´die de Goe¨the, nouvelle traduction com-

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1. [Berlin, anonym] Berliner Conversation . . . Göthes Faust. In: Berliner ConversationsBlatt für Poesie, Literatur und Kritik Nr. 149 v. 1. Aug 1828, 590: Die polemische Unterhaltung in den Theaterkreisen dreht sich viel um die projectirte Aufführung des Göetheschen Faust auf dem Königstädtischen Theater.1) Der Gedanke gehört, so wie die Bearbeitung, Herrn v. Holtei an. Er hat sogar des Dichters Beistimmung dazu erlangt. Dem Gerücht nach wird aber dem Theater die Befugniß der Aufführung dieses Stückes bestritten, weil es nicht in dessen Ressort gehöre . . . Dies ist aber bei dem Streite nicht der richtige Standpunkt. Es handelt sich doch darum, wo das große tiefe Gedicht wirksamer eindringen werde, auf dem Hof- oder auf dem Königstädtischen Theater? Man kann mit Sicherheit annehmen, daß letzteres der rechte Ort sei. Auf dem Königl. würde ein gebildeter Kreis, der das Gedicht zum Theil auswendig kennt, eine zum Theil kunstreiche Darstellung bewundern, aber die Bewunderung würde kalt bleiben. Es würde nicht mehr bezweckt, als was schon da ist. Auf dem Königstädtischen Theater bliebe vielleicht manche Seite schwach, manches würde nicht so genial heraustreten, aber die Poesie und Wahrheit des ganzen Gedichtes spräche zu einer bewegten, grossen Masse, und unser greiser Dichterfürst hätte vielleicht am Abende seines schönen Lebens die hohe Freude, daß seine am tiefsten gedachte, am reichsten, wärmsten ausgeführte Dichtung, daß ein Drama, auf welches die Nation stolz ist, und um das uns der Ausländer zu beneiden anfängt, daß sein Faust wieder zum Volke zurückkehrte, aus dessen Marionettenspielen er hervorgewachsen ist. Hier handelt es sich um die gute Sache und nicht um Privilegien und Vorrechte. Es ist kein Zweifel, daß, wenn man erst von dieser Seite ans Werk geht, alle Hindernisse schwinden werden. 12. [Berlin, anonym] Berliner Conversation. In: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik Nr. 157 v. 12. Aug 1828, 622: Um den Genuß, Göthes Faust auf dem Theater zu sehen, ist Berlin gebracht. Der Dichter selbst, ist wie man aus Weimar vernehmen will, dazwischen getreten. Als der Greis von dem Einspruch gehört, der hier gegen die Aufführung eingelegt worden,2) hat er seine Einwilligung zurückgenommen.3) Was sollte er den stillen Frieden seiner letzten Tage durch einen Streit sich trüben lassen, der wenig an die Ehrfurcht erinnert, welche man gegen seinen Genius in unserer Stadt geltend zu machen sucht. 20. [Frankfurt, anonym] Miscellen. In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen Nr. 167 v. 20. Aug 1828, 667: G o e t h e ’ s F a u s t , von H o l t e y bearbeitet, sollte in Berlin auf’s Theater kommen (Goethe war es zufrieden), aber man konnte nicht einig werden, zu welchem G e n r e er gehöre und da in der Hauptstadt an der Spree die zwei Bühnen ihr G e n r e - P r i v i l e g i e n haben, so entstand Disput . . . und die Aufführung unterbleibt nun ganz. Goethe selbst ist, wie man aus Weimar schreibt, dazwischen getreten. Als der Greis von dem Einspruch hörte, der gemacht worden, nahm er seine Zustimmung zurück.4)

Sept 12. [Berlin] Fanny Mendelssohn an A. Klingemann (Mendelssohn 1, 195): „− − A propos Königstadt etsch!5) Herr Klingemann, ich schabe Ihnen Rübchen mit dem Finger, Goethe hat sich den Faust verbeten und es ist nicht mehr davon die Rede.

ple`te, en prose et en vers, par Ge´rard. Paris 1828; nicht in G’s Bibliothek; s. oben 22. März 1828: Tgb m. Anm. 1 ) Zu dem Vorgang s. oben 1828 Mai 14., Juni Anf., 13. u. 19.: Holtei an A. v. Goethe; Juni 14. u. 28.: Carl Graf Brühl an G u. A. v. Goethe an Holtei. 2 ) Hierzu s. oben 14. Juni 1828: Carl Graf Brühl an G mit Anm. 3 ) Zur Absage G’s vgl. oben 28. Juli 1828: A. v. Goethe an Holtei. 4 ) Zu den wahren Gründen s. oben [28. Juni]: A. v. Goethe an Holtei. 5 ) s. oben 18. Juni 1828: Fanny Mendelssohn an Klingemann.

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Sept 16. [Grenoble] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 15): Wir [H. Berlioz u. sein Cousin A. Robert] werden Hamlet und Faust zusammen lesen, Shakespeare und Goethe, die stummen Zeugen meiner Qualen, die mein ganzes Leben beeinflußt haben. Kommen Sie! o kommen Sie! Niemand hat hier Verständnis für solch eine Fülle von Genie. Die Sonne blendet sie. Man findet das hier nur bizarr. Vorgestern habe ich auf einer Wagenfahrt die Ballade vom König von Thule in gotischem Stil geschrieben,1) ich werde sie Ihnen geben, damit Sie sie in Ihrem Faust anbringen, wenn Sie einen haben. 16. [Leipzig, anonyme Rez. zu] Minerva. Taschenbuch für das Jahr 1829. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 182 v. 16. Sept. 1828, 1451: Die Kupfer stellen diesmal Scenen aus Göthe’s Faust dar und verdienen alles Lob, vornehmlich ist das letztere mit der Unterschrift: S i e i s t g e r e t t e t , sehr edel gedacht und ausgeführt.2) 26. [Weimar] Johanna Schopenhauer an C. v. Holtei (Johanna Schopenhauer. Briefe an Karl v. Holtei. Leipzig 1870, 21; 24f.): Ihren „Faust“ erwarte ich mit Sehnsucht. Aber ich sage es Ihnen im Voraus: ich werde eine strenge Richterin sein, eben weil ich Sie lieb habe . . . Der „Faust“, höre ich, ist durch den Einfluß des Grafen Brühl verdrängt worden? Vielleicht war es gut. Die Aufführung war ein Wagestück, zu dessen Gelingen vielleicht größere Kräfte gehören, als Ihr Lieblingstheater aufzubieten hat . . . Noch einen guten Rath, lieber Holtei! Ich meine, daß S i e I h r e n „Faust“, der ganz gut sein mag, nicht eher zur Aufführung bringen, bis hier Alles entschieden ist. Ich fürchte nämlich, Sie könnten sich sonst einen mächtigen Feind machen. Der alte Herr ist zuweilen wunderlich. Sind Sie erst Ihrer Sache gewiß, so thun Sie, was Sie wollen. [Okt−Nov [Braunschweig] W. Marr: Wie Goethe’s Faust auf die Bühne kam. In: Die Gartenlaube Ende] 1875, 694f.): Es war am 31. October im Jahre 1828.3) Man gab im Hoftheater ein Stück, welches den Titel führte: „Faust. Dramatische Legende in fünf Acten“. Der Theaterzettel nannte den Namen des Autors nicht. Der Verfasser war der um die deutsche Bühne hochverdiente Dr. August Klingemann,4) der damalige Director des herzoglich braunschweigischen Hoftheaters. Das Stück selbst, welches Klingemann’s dramatischen Werken zu lesen ist, darf allerdings keinen Anspruch auf genialen, poetischen Schwung machen, aber es ist eine recht gute und geschickt praktische „Zauberkomödie“ und fand den Beifall des braunschweigischer Publicums, vor Allem den Serenissimi [Herzog Karl II.] Der Herzog war überhaupt, was man „ein Theatermann“ zu nennen pflegt. Oft sah man ihn während der Vorstellungen auf der Bühne, hinter den Coulissen, wo er das Spiel der Darsteller mit heftigen Bewegungen begleitete . . . An jenem Abende des 31. Octobers 1828 kam Karl enthusiastisch auf Klingemann zugeeilt, klopfte ihm auf die Schulter und rief in seiner kurz abstoßenden Weise: „Bravo! − Bravo, alter Herr! − Haben Sie gut gemacht!“ Klingemann verbeugte sich ehrerbietigst. „Ja!“ fuhr der Herzog fort, „famoses Stück! − Mich prächtig amüsirt! Gut gemacht, alter Herr!“ Worauf Klingemann: „Durchlaucht, es ist kein Goethe’scher Faust.“ „Goethe? Goethe?“ fragte Serenissimus, „hat Goethe auch einen Faust geschrieben? Müssen mal geben!“ Klingemann prallte zurück. „Durchlaucht, der Faust von Goethe ist allerdings eine dramatische Dichtung, aber nicht für die Bühne geschrieben.“ „Warum nicht? Was meinen Sie, [H.] Marr? Marr zuckte die 1

) Le Roi de Thule´. Chanson gothique; unveröffentlicht. ) Kerker von J. H. Ramberg, gestochen von C. A. Schwerdgeburth; Abb. in Neubert 127. 3 ) Datierung unsicher, vgl nachfolgendes Z. Zum Sachverhalt ganz ähnlich E. Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Bd 2. Hsg. v. Rolf Kabel u. a. Berlin 1967, 138f. 4 ) Klingemanns Faust, bereits 1811 vollendet u. in Leipzig uraufgeführt, fand nach dem Erstdruck 1815 weite Verbreitung auf dt. Bühnen; der Text enthält auch Paraphrasen aus G’s Text, s. Musik zu Faust, 355−59. 2

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Achseln und bestätigte die Meinung Klingemann’s. „Wollen den Faust von Goethe geben,“ nahm der Herzog wieder das Wort. „Aber Durchlaucht, „stammelte Klingemann, „halten zu Gnaden, die ganze Anlage dieser großartigen Dichtung −“ Der Herzog war ärgerlich über den Widerspruch, den er fand, und unterbrach den Sprecher heftig: „Ich sage Ihnen, wollen Goethe’s Faust geben. Mir morgen das Buch schicken! Will’s selbst lesen.“ Damit rannte der Herzog fort, fuhr in sein Schloß und ließ den verblüfften Director stehen. „Grundgütiger Himmel!“ − es war dies Klingemann’s Lieblingsausruf − stöhnte der Director, nachdem der Herzog fort war. „Das wird eine schöne Geschichte werden. Was meinen Sie, Marr?“ Schicken Sie ihm das Buch, Herr Director! Wahrscheinlich liest er es gar nicht und hat die Sache bis morgen längst vergessen.“ „Wenn er es nicht liest, dann setzt er erst recht seinen Kopf auf. Ich wollte, er läse es wenigstens. Es ist ja rein unmöglich −“ „Unmöglich“ meinte Marr, „ist es nun gerade nicht, aber wie ist das Gedicht für die Bühne zusammenzustreichen, wie werden die Scenen zu arrangieren sein? Und wie wird das Publicum es aufnehmen? Man sprach über das Faustthema noch lange hin und her, und am anderen Morgen, bevor noch der Herzog das Bett verlassen hatte, war der Theil von Goethe’s Werken, welcher den „Faust“ enthält, im herzoglichen Schlosse Schon um elf Uhr brachte ein herzoglicher Lakai das Buch zurück. Es war mit der Randbemerkung versehen: „Wird aufgeführt. Karl.“ Mit dem üblichen „Grundgütiger Himmel!“ stürzte Klingemann in Marr’s Wohnung und theilte diesem den herzoglichen Kunstukas mit. Marr, der sich inzwischen mit dem Gedanken an die Darstellung bereits vertraut gemacht, hatte die Besetzung schon entworfen. Den Faust sollte [E.] Schütz geben . . . Marr würde den Mephisto spielen, Frau [Wilhelmine] Berger, eine vortreffliche tragische Liebhaberin, das Gretchen etc. So gratulirte Marr Klingemann zu dem Ereigniß und zu dem Ruhme, der Bearbeiter des Goethe’schen Faust zu werden. Der ängstliche Klingemann aber zitterte noch immer vor dem Wagniß. Er schrieb an Goethe nach Weimar einen unterwürfigen ausführlichen Brief, in welchem er Seiner Excellenz den Willen des Herzogs mittheilte, aber hinzufügte, er, Klingemann, könne aus Pietät und Verehrung vor dem Dichter die Sache nicht vorsichtig genug anfassen und ersuche deshalb Excellenz von Goethe um seine gütigen Winke und Andeutungen, wie das Werk in seinem, des Dichters, Sinne darzustellen sein dürfte . . . Nach beinahe vierzehn Tagen erst traf die Antwort Goethe’s ein; der Brief, den wir selbst seiner Zeit gelesen haben, ist leider verlegt worden. Er lautete übrigens fast wörtlich: „Euer Wohlgeboren! Die Antwort auf Ihr Schreiben vom 4. November, daß meine Werke im Druck erschienen und Gemeingut des Publicums geworden sind. Ich füge hinzu, daß ich mich seit langer Zeit gar nicht mehr um das Theater bekümmere, machen Sie daher mit meinem ,Faust‘, was Sie wollen! von Goethe.“ Diese kalt ablehnende Zugeknöpftheit Goethe’s erregte unter den Mitgliedern des herzoglichen Hoftheaters einen wahren Sturm der Entrüstung, und es wurden in der Hitze sogar Vorschläge gemacht, die sich der öffentlichen Wiedergabe entziehen. − In dieser verletzenden Weise von Goethe abgewiesen, machts sich Klingemann auf eigene Hand an’s Werk und stellte die treffliche Bearbeitung des „Faust“ her . . .

[Okt] ⎯ [Braunschweig] A. Klingemann an K. G. T. Winkler [=Th. Hell] (Braunschweigisches Magazin 1924. Nr. 30/2, Sp. 23): Auf dem Hoftheater wird jetzt hier Göthe’s Faust in allen seinen dramatischen Momenten bis zum Tode Gretchens für die Darstellung und zwar ohne Beimischung fremdartiger Zusätze, einstudirt.1) Die Composition besorgt ein hiesiger Tonsetzer [Bäseke od. G. Wiedebein],2) und ich habe mich der gesammten

1

) Uraufführung 19. Jan 1829. − R. Daunicht: August Klingemanns Inszenierung von Goethes Faust I. Teil. Zur ersten Berufstheater-Aufführung des Stücks am 19. Januar 1829 in Braunschweig. In: Braunschweigisches Jb. 61 (1980), 69. 2 ) Die infrage kommenden Komponisten ermittelt in Musik zu Faust 296.

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Anordnung unterzogen, weil das Unternehmen mir ehrend erscheint. Zu seiner Zeit mehr darüber, auch bin ich bereit dann Partitur und Text mitzutheilen. Wollen Sie den Inhalt dieser Notiz . . . in der [Dresdner] Abendzeitung vorläufig mittheilen, so habe ich insofern nichts einzuwenden,1) als ich Göthe’s ächten Faust unverfälscht intendire, indeß das Berliner Theater der Königstadt es auf ein Melodramen Spielwerk dabei abgesehen haben.

Okt

2. W. Baron v. Wimpfen: Bemerkungen über den jetzigen Zustand der Malerey in Frankreich. In: Kunst-Blatt Nr. 79 v. 2. Okt 1828, 313: Herr Delacroix, welchen man als das Haupt der Schule der Romantiker ansehen kann, hat auch einen Faust in seinem Studierzimmer, wie ihm der Dämon in menschlicher Gestalt erscheint, skizzirt2) (denn so sehe ich das Bild an) und eine Reihe von Darstellungen aus jenem Gedichte zu einer vollständigen Uebersetzung von Stapfer geliefert3) und ich glaube, daß es dem Meister dort vollkommen gelungen ist, das angebliche „vague“ in unserer Poesie und Romantik durch ein vollständiges vague in Form, Behandlung und Ausdruck wieder zu geben. Man möchte jedesmal über die Figuren schreiben: Das ist Mephistopheles, das ist Faust, das ist ein Ungeheuer, das ist ein Pudel u.s.w. [29.] [Paris, anonym] Correspondenz-Nachrichten. Aus Paris. Im November 1828. In: Abendzeitung. Dresden Nr. 284 v. 26. Nov 1828, 1136: F a u s t 4) ist nun endlich [am 29. Okt] in der Porte St. Martin gegeben und dieses Theater von neuem damit eröffnet worden. Nur die Hauptzüge des Göthe’schen Werkes sind beibehalten, aber sonst in dem Fortgange der Handlung selbst und besonders in der Entwickelung, so wie in der Haltung des Ganzen ist nichts von dem Meisterwerke geblieben, das sich auch freilich auf einer französischen Bühne sonderbar genug ausgenommen haben müßte. Trotz der unbeschreiblichen Pracht der letzten Scene, welche zugleich Himmel und Hölle, als die Wendepunkte von Margarethens und Faust’s Schicksale darstellt, ließen sich doch am Ende einige Zischer hören und man konnte nur mit Mühe die Herren Antony [Be´raud] und Lefebre als Autoren nennen. Es steht jedoch zu erwarten, daß jene Mißwollenden bei der nächsten Vorstellung verschwinden werden und das Stück noch lange jener Bühne reiche Einnahmen zu bereiten geeignet sey.

[Nov 1.] [Braunschweig, K. G. T. Winkler] Correspondenz-Nachrichten.5) Aus Braunschweig. Am 1. November 1828. In: Abendzeitung. Dresden Nr. 276 v. 17. Nov 1828, 1104: Auf dem hiesigen Hoftheater wird jetzt G ö t h e ’ s F a u s t , in allen seinen dramatischen Momenten, bis zum Tode Gretchens, für die Darstellung und zwar ohne Beimischung fremdartiger Zusätze redigirt, einstudirt. Die Composition besorgt ein dortiger Tonsetzer und der durch vielfache dramatische Arbeiten dafür als der rechte Mann bewährte Director Dr. Aug. K l i n g e m a n n hat sich der gesammten Anordnung unterzogen, weil das Unternehmen ihm ehrenvoll erschien. Mit Vergnügen sieht man hier also die Intention, Göthe’s ä c h t e n Faust u n v e r f ä l s c h t auf die Bühne zu bringen . . .6)

1

) s. unten 1. Nov 1828: Correspondenz-Nachrichten. ) Abb. 11 in Kehrli. 3 ) Faust, trage´die de M. de Goethe, traduite en franc¸ais par M. Albert Stapfer, Orne´e d’un Portrait de l’Auteur, et de dix-sept dessins compose´s d’apre`s les principales sce´nes de l’ouvrage et exe´cute´s sur pierre par M. Euge`ne Delacroix. Paris 1828. 4 ) Faust, drame en trois actes, Imite´ de Goethe, Par M. Anthony Be´raud, et*** [JeanToussaint Merle u. Charles Nodier], Musique de M. Al. Piccini, ballet de M. Coraly, de´cors de M. Lefe`vre. Repre´sente´ pour la premie`re fois, `a Paris, sur le The´atre de la Porte-Saint-Martin, le 29 ocotbre 1828. − Zum Text s. Marquart 2009, 225−28. 5 ) Vermutl. eingerückt von Winkler, nach Klingemanns Text. 6 ) Aufführung am 19. Jan 1829. 2

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4. [Wolfenbüttel, anonym] Ge´rards Faust-Verdeutschung. In: Mitternachtblatt für gebildete Stände Nr. 176 v. 4. Nov 1828, 704: Göthe’s Faust ist von Neuem in das Französische übersetzt worden durch Herrn Ge´rard (Paris bei Dondey-Dupre´, 1828),1) und zwar nicht mit Auslassungen (wie durch Saint-Aulaire)2), sondern vollständig, und im Durchschnitt nicht übel. 10. [Paris] C. F. v. Reinhard an F. v. Müller (ChronWGV 1909, 37):3) Es ist der Göthe’sche Faust, es ist Gretchen, es ist Mephistopheles, Martha, aber travestirt, materialisirt, auf Erde und Hölle beschränkt, alles geistige verwischt. Es sind aber kraus durcheinandergeworfen alle Szenen des Originals, der Gang im Garten, der feurige Wein, aber in einer Bauernschenke, der Kerker, die Hexen-Szene, selbst der Blocksberg. Gretchens Kammer, Mephistopheles Larve sind treu nach den Ret[z]schischen Zeichnungen.4) Dieser hat die Lache beibehalten, aber es ist wilde Hohnlache, im übrigen ein katholischer Teufel. Faustens Vertrag wird rechtskräftig beim ersten Verbrechen. Gretchen ist keine Kindermörderin, aber sie vergiftet die Mutter durch einen Schlaftrunk, den ihr Faust zum sichern rendez-vous verabreicht, und wo der Teufel die Dose verstärkt. Dafür wird sie gefoltert und von der Folter zurückgebracht, sieht man sie mit Entsezen auf ihrem Stroh sich krümmen, an den Fesseln zerren, von Schmerz wahnsinnig auf die gezwikten Stellen deuten. Marthe hat sich verkleidet, kommt sie zu retten; Faust tritt ein, verkennt sie und sticht sie nieder. So verstreicht die Frist; Gretchen kann und will nicht, und der Henker kommt sie abzuholen. Drausen hat man schon vorher das Blutgerüst und die Menge gesehn die auf sie warten. Kaum ist sie hinaus, so steigt eine Wolke nieder und wieder empor, und man erblickt oben das Paradis im bengalischem Feuer, und Gretchen die vor der Jungfrau kniet, unten die Hölle, und Faust zwischen den Teufeln und Flammen in bekannter Manier. Dafür mehr als zwanzig Decorationen, viele brilliant und überraschend. Die Gazette und quotidienne [Tageszeitungen] haben Ärgernis genommen; selbst noch in dieser vierten Vorstellung vernam ich einige f r o m m e siflets. Im übrigen wird das Stück sich bezahlt machen; für den Haufen felt es nicht an Interesse; für mich lag es im Kontrast. Wie Gretchen vor dem Marienbild kniet, steigt der Teufel aus der Erde auf einem ungeheuern Piedestal, aus Ungeheuern und Schlangen erbaut und donnert ihr von dieser Höhe herab Flüche zu. − So theatralisirt man hier zu Lande den bösen Geist der ins Ohr flüstert. Noch mus ich eines Walzers gedenken zwischen Mephist. und Martha der wirklich genialisch ist. Der Teufel hat sie inne wie der Magnetiseur die magnesirte; mit entsetzlicher Gewalt folgt sie seinen Gesten im schnell wechselnden Ausdruck bald der sinnlichsten hingebendsten Wollust bald des furchtbarsten Schreckens und der schmerzlichsten Pein. 12. H. Berlioz an Vicomte Sosthe`ne de la Rochefoucault (Faust in der Musik, hg. v. Karl Theens [Teil II] Faust in Kantaten, Oratorien, symphonischen Dichtungen und symphonischen Kantaten v. Hermann Fähnrich. Stuttgart 1978, 27): J’ai mis en musique la plus grande partie des poe´sies du drame de Goethe, j’ai la teˆte pleine de Faust, et si la nature m’a doue´ de quelque imagination, je crois qu’il m’est impossible de rencontrer un sujet sur lequel elle puisse se rencontrer avec plus d’avantages. 12. Neue französische Uebersetzung des „Faust“. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 260 v. 12. Nov 1828, 1040: In der kurzen Zeit, seitdem die Franzosen Bekanntschaft mit unserm „Faust“ gemacht haben, sind unter ihnen 3 verschiedene Uebersetzungen dieses noch von der Frau von Stae¨l für unübersetzbar gehaltenen Meisterwerks 1

) s. oben 22. März 1828: Tgb. ) Faust-Übertragung von Louis Clair Beaupoil de Saint-Aulaire in : Chefs-d’oeuvres du the´ˆatre allemand. Tome I. Paris 1823, 1−220. 3 ) Über die Aufführung Fausts im The´atre de la porte S. Martin zu Paris, 8. Nov. 1828. − Zu deren Uraufführung s. oben [29. Okt] 1828: Correspondenz-Nachrichten. 4 ) Abb. in Neubert 103−12. 2

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der deutschen Muse erschienen: ein Beweis, wie mit der zunehmenden Bekanntschaft der fremden Literaturen in Frankreich auch die anschmiegende Fähigkeit ihrer Sprachformen für die Uebersetzung derselben wächst. Außer der Uebersetzung, welche St. Aulaire in der „Collection des chefs d’oeuvres des the´at. e´trang.“ vom „Faust“ − ziemlich unbefriedigend − geliefert,1) hat Albert Stapfer (ein junger Berner) in den „Oeuvres dram. De Goethe“ eine Uebertragung des „Faust“ geliefert,2) welche alle Diejenigen, die an der Möglichkeit, dies hohe Werk würdig ins Französische zu übertragen, zweifelten, stutzig zu machen geeignet ist. Der junge Uebersetzer hat hier in der That die fast unbesiegbar scheinenden Schwierigkeiten einer solchen Arbeit mit erstaunendem Glücke überwunden und in einzelnen Theilen seines Werks, besonders in denen, die gerade für am unübersetzbarsten gehalten wurden, gezeigt, wie viel mehr das französische Idiom zu leisten vermöge, wenn es alle seine zum Theil vergessenen Schatzkammern öffne, als Halbkenner so lange glauben wollten. Er hat den dramatischen Theil prosaisch wiedergegeben; der französische Vers ward hierfür völlig unbrauchbar; nur die lyrische Hälfte des Gedichts erscheint in Versen, und mit Recht. Diesen Grundsatz für das Formelle der Uebertragung hat auch der neueste Uebersetzer des „Faust“, Ge´rard, in der bei Dupre´ 1828 herausgegebenen Uebersetzung angenommen.3) Seine Arbeit steht jedoch der Stapfer’schen an Präcision, der St. Aulaire’schen an Eleganz nach, und in den gelungensten Stellen kommt er der erstgenannten nur nahe. ˘

Nov 19. [Weimar] F. v. Müller an C. F. v. Reinhard (ChronWGV 1909, 37): Ihr lieber, innhaltlicher Brief4), Verehrter Freund! hat mich vorgestern ungemein erfreut; ich habe ihn sogleich Goethen mitgetheilt5) und wir haben beyde ein wahres Fest der Freundschaft und Theilnahme gefeyert, da wir uns so lange nach Briefen von Ihnen gesehnt hatten. Goethe kann nicht genug die klare, ruhige Anschaulichkeit bewundern, die Sie, mitten in einem so bewegten Leben, der Schilderung des Faust zu geben gewußt haben und ist Ihnen dafür h ö c h s t d a n k b a r . Ich mußte ihm die ganze Stelle Ihres Briefes sogleich ausschreiben laßen.6) 19. An F. v. Müller (Br 45, 58f.): . . . übersende hiebey Verschiedenes in

Hoffnung baldiger mündlichen Unterhaltung . . . 2) Des Herrn Grafen Reinhard so merkwürdigen als liebenswürdigen Brief.7) 19. Gegen Abend Herr Canzler von Müller . . . [Gespräch über] das letzte Schreiben von Herrn Grafen Reinhard aus Paris.8)

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) Louis Clair Beaupoil de Saint-Aulaire in : Chefs-d’oeuvres du the´ˆatre allemand. Tome I. Paris 1823, 1−220. 2 ) Albert Stapfer in: Œuvres dramatiques de J. W. Goe¨the, traduites de l’allemand, pre´ce´de´es d’une notice biographique et litte´raire. Tome IV. Paris 1823, 1−231. 3 ) Faust, trage´die de Goe¨the, nouvelle traduction comple`te, en prose et en vers, par Ge´rard. Paris 1828. 4 ) Der Originalbrief vom 10. Nov 1828 ist nicht erhalten geblieben, nur die auf die Faust- Aufführung bezügliche Abschrift. 5 ) G’s Tgb vom 16. Nov 1828 vermerkt: Bedeutendes Schreiben des Grafen Reinhard an Müller; s. oben 10. Nov 1828: C.F.v. Reinhard an F. v. Müller. 6 ) Eine Abschrift dieses Auszugs legte G auch seinem Brief an Zelter vom 6. Jan 1829 bei (s. dort). 7 ) Betr. den am 16. Nov zur Abschrift zurückgebliebenen Brief Reinhards an Müller vom 10. Nov. 8 ) D.h. über Reinhard zur Faust-Aufführung vom 8. Nov in Paris am 10. Nov an F. v. Müller (s.dort).

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Nov 21. [Frankfurt, anonym] Miscellen. In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen Nr. 232 v. 21. Nov 1828, 928: T h e a t e r s p e c u l a t i o n . Goethe’s Faust, französisch zugestutzt, hat dem Director des Theaters de la Porte St. Martin zu Paris in 11 Vorstellungen über 37,000 Fr. eingebracht.1) Warum hat man bis jetzt versäumt, dieses Werk auch für die deutsche Bühne zu a r r a n g i e r e n ? Scheut man etwa mit Goethe so umzuspringen, wie mit Shakespeare? [2.Hälfte] [Weimar] K. J. Schröer, Faust von Goethe. Einleitung. Die ersten Aufführungen von Goethes Faust (Heilbronn 1881, Erster Theil, LXXXff.): Ich hatte nun wiederholt aus dem Munde unseres liebenswürdigen großen Darstellers [J. K. A.] Laroche erzählen gehört von jenen ersten Faustvorstellungen in Weimar und Goethes Antheil daran,2) von dem bisher nichts bekannt war, auch in dem Büchlein von Enslin3) nichts erwähnt wird. Diese Mittheilungen Laroches schrieb ich nieder mit seiner Zustimmung und theilte ihm die Blätter mit. Er fand sie in voller Uebereinstimmung mit seinen Erinnerungen4) . . . Es war im Winter vom Jahre 1828 auf 1829 − vermuthlich noch 1828 v o r 12. December − als der K a n z l e r v o n M ü l l e r mit den Freunden R i e m e r , E c k e r m a n n und L a r o c h e einen Besuch bei Goethe machte. Sie kamen mit der Mittheilung, d a ß s i e e i n e F a u s t a u f f ü h r u n g auf der Weimarer Bühne beschlossen hätten. Es war dies bisher noch von keiner Bühne versucht worden. In B r a u n s c h w e i g beabsichtigte man unter der Direction K l i n g e m a n n s , der selbst ein volksbeliebtes Spectakelstück Faust auf die Bühne gebracht hatte,5) auf den Wunsch des Herzogs Karl,6) eine Darstellung und kam damit auch den 18. Januar 1829 [recte 19. Jan] Weimar zuvor. Bald darauf hieß es T i e c k i n D r e s d e n wolle hinter Braunschweig nicht zurückbleiben, sowie denn auch wirklich den 27. August 1829 daselbst eine Faustaufführung stattfand, der eine andere in Leipzig den 28. August auf dem Fuße folgte. Sehr möglich, daß das Gerücht von der beabsichtigten Darstellung in Braunschweig auch in Weimar den Gedanken anregte. Man war nun natürlich sehr gespannt, wie Goethe die Mittheilung dieses Vorhabens aufnehmen werde? Herr von Müller brachte die Sache ruhig vor, wobei er aber, wie erwähnt, unter anderm sich des Ausdrucks bedient zu haben scheint „man habe beschlossen −“. Darüber fuhr Goethe auf wie von einer Bremse gestochen. Im höchsten Unmuth brach er in heftigen Reden aus, von denen nur der wesentliche Inhalt ohngefähr wiedergegeben werden kann. „Glaubt man denn daß ich, wenn ich gewollt hätte, nicht selbst den Faust auf die Bühne bringen konnte? − Ist es billig, über meine Werke zu verfügen, ohne zu fragen, was ich selbst damit vorhabe? − Bin ich denn nicht mehr am Leben? − B e s c h l o s s e n h a t m a n ? Man hat demnach b e s c h l o s s e n ohne mich auch nur zu fragen!“ Voll Majestät in seinem Zorn ging er bei diesen Worten im Zimmer auf und ab. Die Freunde befanden sich in der peinlichsten Lage. Es ging damit aber doch den Weg, wie so manches Andre, das anfangs auf seinen Widerspruch stieß und schließlich doch durchgeführt wurde. Goethe machte sich mit dem Gedanken vertraut und äußerte denn endlich eines Tages gegen seine vermittelnde Schwiegertochter Ottilie: „Wenn man denn durchaus den Faust zur Darstellung bringen will, so soll er mindestens nicht so zur

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) s. oben 1828 [Okt 29.]: Korrespondenz-Nachrichten u. Nov 10.: C. F. v. Reinhard an F.v.Müller. 2 ) Johann Karl August Laroche (1794−1884), zw. 1823 u. 1833 Schauspieler in Weimar. 3 ) Adolph Enslin: Die ersten Theater-Aufführungen des Goethe’schen Faust. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters. Berlin 1880. 4 ) Anmerkungen von Schröer: Das Folgende ist meine erwähnte Aufzeichnung nach Laroches mündlichen Mittheilungen. (I, LXXXI). 5 ) E. A. Klingemann: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig u. Altenburg 1815. 6 ) s. oben [Okt−Ende Nov]: Marr.

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Darstellung kommen, wie s i e sich ihn etwa denken, sondern s o wie i c h ihn haben will! −“ Dies muß schon vor dem 12. December gewesen sein,1) den wir schon oben als den vermuthlichen Zeitpunkt annahmen v o r dem die Absicht in Weimar auftauchte den Faust zur Aufführung zu bringen. Um diese Zeit muß sich nämlich der Dichter bereits mit dem Gedanken einer Faustdarstellung befreundet haben und schon mit den Einzelheiten der Ausführung im Geiste beschäftigt gewesen sein, denn er schrieb den 12. December an den Maler W i l h e l m Z a h n wegen einer Vorrichtung, die bei der Fürst Radziwillschen Aufführung in Berlin 1820 in Verwendung gekommen war. Daß er deshalb gerade jetzt, den 12. December 1828 schrieb, scheint denn doch in Zusammenhang zu stehn mit der Aufführung, die um die Zeit in Weimar beschlossen wurde. − Wir müssen die betreffende Briefstelle mittheilen, da sie für die Darstellung nach Goethes Anordnung wichtig ist.2) ?

Nov 23. Nach Tische Ottilie, die Theaterangelegenheiten vortragend.

Dez

2. Abends Prof. Riemer. Die Bedenklichkeiten bey Aufführung des Faust

besprechend. 9. [Craigenputtock] Th. Carlyle an Eckermann (Sanders 4, 428f.): The third Lieferung of his Works and the K. u. A. [Kunst und Alterthum] I have looked over but must not speak of till next time . . . Faust I have yet found time only to read once. 12. An W. Zahn (Br 45, 80): Da Sie gefälligst kleine Aufträge auszuführen

sich erboten haben, so wollt ich Sie um Folgendes ersuchen: Fürst Radziwill, welcher verschiedene Privataufführungen einiger Scenen meines Faust begünstigte, ließ die Erscheinung des Geistes in der ersten Scene [Nacht] auf eine phantasmagorische Weise vorstellen,3) daß nämlich, bey verdunkeltem Theater, auf eine im Hintergrund aufgespannte Leinwand, von hinten her, erst ein kleiner, dann sich immer vergrößernder lichter Kopf geworfen wurde, welcher daher sich immer zu nähern und immer weiter hervorzutreten schien. Dieses Kunststück ward offenbar durch eine Art Laterna magica hervorgebracht. Könnten Sie baldigst erfahren: wer jenen Apparat verfertigt, ob man einen gleichen erlangen könnte, und was man allenfalls dafür entrichten müßte? Das vorzustellende Bild würde man von hier aus dem Künstler hinsenden.4) 21. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 683−85): Ich hatte in voriger Nacht einen wunderlichen Traum, den ich diesen Abend Goethen erzählte und den er sehr artig fand. Ich sah mich nämlich in einer fremden Stadt, in einer breiten Straße gegen Südost, wo ich mit einer Menge Menschen stand und den Himmel betrachtete, der wie mit leisen Dünsten bedeckt schien und im hellsten Gelb leuchtete. Jedermann war erwartungsvoll, was sich ereignen würde, als sich zwei feurige Punkte bildeten, die gleich Meteorsteinen mit Krachen vor uns niederfuhren, nicht weit von der Stelle, wo wir standen. Man eilte hin, um zu sehen, was herabgekommen war, und siehe! es trat

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) Evtl. am 23. Nov; vgl. Tgb: Nach Tische Ottilie, die Theaterangelegenheiten vortragend. 2 ) Schröer zitiert G’s Brief an W. Zahn vom 12. Dez 1828; s. unten gD. 3 ) s. oben 1819 Mai 26: Carl Graf Brühl an G u. Juni 2.: an Carl Graf Brühl. 4 ) Die Anfrage zur Laterna magica steht offenkundig im Zusammenhang mit der geplanten Faust-Aufführung in Weimar; s. auch unten 5. Sept 1829: an Färber.

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mir entgegen: F a u s t und M e p h i s t o p h e l e s . Ich war erfreut-verwundert, und gesellte mich zu ihnen, als zu Bekannten, und ging neben ihnen her in heiterer Unterhaltung, indem wir um die nächste Straßenecke bogen. Was wir sprachen, ist mir nicht geblieben; doch der Eindruck ihres körperlichen Wesens war so eigenen Art, daß er mir vollkommen deutlich und nicht leicht zu vergessen ist. Beide waren jünger, als man sie gewöhnlich zu denken pflegt, und zwar mochte Mephistopheles ein und zwanzig Jahre sein, wenn Faust sieben und zwanzig haben konnte. Ersterer erschien durchaus vornehm, heiter und frei; er schritt so leicht einher, wie man sich etwa den Merkur denkt. Sein Gesicht war schön, ohne bösartig [zu sein], und man hätte nicht erkennen mögen, daß es der Teufel sei, wenn nicht von seiner jugendlichen Stirn zwei zierliche Hörner sich erhoben und seitwärts gebogen hätten, so wie wohl ein schöner Haarwuchs sich erhebt und zu beiden Seiten umbiegt. Als Faust im Gehen sein Gesicht redend mir zuwandte, war ich erstaunt über den eigenartigen Ausdruck. Die edelste Sittlichkeit und Herzensgüte sprach aus jedem Zuge, als das Vorwaltende, Ursprüngliche seiner Natur. Man sah ihm an, als wären alle menschlichen Freuden, Leiden und Gedanken, trotz seiner Jugend, bereits durch seine Seele gegangen, so durchgearbeitet war sein Gesicht! Er war ein wenig blaß und so anziehend, daß man sich nicht satt an ihm sehen konnte; ich suchte mir seine Züge einzuprägen, um sie zu zeichnen. Faust ging rechts, Mephistopheles zwischen uns Beiden, und es ist mir der Eindruck geblieben, wie Faust sein schönes eigenartiges Gesicht herumwandte, um mit Mephistopheles oder mit mir zu reden. Wir gingen durch die Straßen, und die Menge verlief sich, ohne weiter auf uns zu achten.

Dez 26. [Berlin] C. v. Holtei an A. v. Goethe (GJb 1917, 199): Was sagen Sie dazu, daß man in Braunschweig eine Bearbeitung des Faust geben will?1) Ich fürchte, sie wird noch schlechter seyn als die meinige. − Ich habe nun, um mein Wort gegen Ihren Herrn Vater zu lösen und von der hiesigen Direction mein zweites Manuskript2) herauszukriegen, eine ganz verfluchte Arbeit machen müssen, nämlich ein Melodrama F a u s t 3 ) , zum Theil nach dem alten Puppenspiel, schreiben. Wie ich mich da gewunden und gedreht habe, muß einen Regenwurm erbarmen, der es doch auch versteht. − Das Winden und Drehen nämlich. 28. [Berlin] W. Zahn an G (GSA 28/133 Bl. 4f.): Gleich nach Empfang Dero gnädigen Schreiben [vom 12. Dez] erkundigte ich mich bei den Personen, welche bei Aufführung des Faust bei Fürst Radziwill waren gegenwärtig gewesen, von denen erfuhr ich daß der Theatermeister H. Werner die Decoration dazu besorgt hat, welcher mir nun Alles umständlich mitgetheilt: Die Erscheinung der Geister wurde durch eine gewöhnliche Laterna Magika (welche Fürst Radziwill selbst besitzt, die ich auch würde in Augenschein genommen haben, wenn Fürst Radziwill nicht abwesend wäre) hervorgebracht, von hinten her auf eine aufgespannte saubere feine weiße Wachs-Taffet. Der Kopf war auf ein sehr fein geschliffenes Glas blos mit einer Farbe gemalt; wurde anfangs schwach beleuchtet und immer stärker beim Vergrößern des Kopfes, welches vermöge einer leicht beweglichen am Lichte angebrachten Schraube geschah.

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) s. oben Okt 1828: Klingemann an Winkler. ) Das nach Weimar geschickte u. dann zurückgegebene Manuskript seiner Faust-Bearbeitung hatte Holtei aus Ärger über die Ablehnung vernichtet. Ein zweites Manuskript war im Königstädtischen Theater verwahrt verblieben. 3 ) Carl v. Holtei: Dr. Johannes Faust. Melodrama in drei Akten. (Henning III Nr. 511); Uraufführung am 10. Jan 1829, s. dazu unten 15. Jan 1829: Berlinische Nachrichten. 2

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⎯ Karl Rosenkranz: Ueber Calderon’s Tragödie vom wunderthätigen Magus. Ein Beitrag zum Verständniß der Faustischen Fabel. Halle u. Leipzig 1829, 65−67: Die tiefste Erfassung der alten Fabel, und damit doch zugleich eine Concentration unseres ganzen gegenwärtigen Lebens nach allen seinen Elementen in einer eben so mannigfachen, als bestimmten Anschauung ist die Tragödie Faust von G ö t h e . Ich will über dieselbe hier nur bemerken, daß die Hölle sich nicht für sich gegen den Faust verschwört . . ., sondern daß der Herr des Himmels und der Erde selbst es ist, der den Schalk, ihn zu versuchen, von sich entläßt, wodurch ein ganz anderer Zug in die Tragödie kommt, die nothwendige Rückkehr des Faust aus der Höllenfahrt zum Himmel von vorn herein motivirend, und so der christlichen Weltvorstellung der aus der Freiheit hervorgegangenen Entzweiung und Versöhnung entsprechend. Der Göthesche Faust hebt da an, wo der Calderonsche aufhört. Wie Cyprianus durch die Philosophie dem polytheistischen Volksglauben sich entfremdete und ihm seines Wesens sich gewiß zu sein aufhörte, so entzieht das Denken den schon innerhalb der christlichen Kirche, in welche der Heide erst übergeht, gebornen Faust dem Glauben der Gemeine und zertrümmert ihm die schöne Welt der farbigen Vorstellung. Er hat nur die Gewißheit seiner selbst, welche ihn in die Genießung der lustigen Welt nach Verzweiflung am Frieden durch die gegenwartleere Wissenschaft hinüberzieht. Wenn Cyprianus die Magie erst durch den Dämon erlernt, so hat Faust dieselbe schon durch eigenes Mühen erworben und gebietet der Hölle selbst, und wenn ferner Cyprianus erst nach und nach erfährt, mit wem eigentlich von ihm der Vertrag geschlossen worden, so kennt Faust im fahrenden Scholasten, der ihm nicht vom Meer zugespült wird, sondern den er als einen Pudel mit in sein Zimmer nimmt, den Teufel sehr wohl und deshalb auch durchaus die Gefährlichkeit eines Vertrages mit ihm.

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6. Nebenstehendes ausgefertigt . . . [An] Herrn Professor Zelter, einige

Mittheilungen . . . Reinhards Relation von dem Pariser Faust.1) 6. An Zelter (Br 45, 109): Wünsche . . . einige Unterhaltung . . . von dem Beygelegten.2) 9. [Braunschweig] A. Klingemann: Einige Andeutungen über Göthe’s Faust; in Beziehung auf eine bevorstehende Darstellung dieses Gedichts auf dem Herzogl. Hoftheater zu Braunschweig. In: Intelligenz-Blatt Nr. 2 zum Mitternachtblatt für gebildete Stände Nr. 6 v. 9. Jan 1829, 6−8: Stellen wir nun den Versuch an, in dem Gedichte, wie es jetzt vor uns liegt, das Undarstellbare von dem Darstellbaren zu trennen, so wird der einleitende, wahrscheinlich erst später hinzugefügte Prolog im Himmel, wo Mephisto dem Herrn eine Wette über die Verführung des Faust anzutragen wagt, der Hexensabbath auf dem Blocksberge, das Intermezzo des Walpurgisnachttraums und der Ritt am Rabensteine vorüber, ganz wegfallen, überdies aber auch manches in der Oekonomie des Stücks ausgeglichen, manche für die Bühne zu lange Ausdehnung in den reflectirenden Monologen und hin und wieder einige zu starke Derbheit im Ausdrucke, ausgemerzt werden müssen . . . Der erste Theil des Göthe’schen Faust durchläuft, nach den oben bemerkten Ausmerzungen, die Periode seiner Verzweiflung an Gott der Welt und allem Wissen, seine darauf erfolgenden Verbindung mit dem, ihn vergarnenden, ver-

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) s. oben 10. Nov 1828: C. F. v. Reinhard an F. v. Müller. ) Auszug aus C. F. v. Reinhard an F. v. Müller, 10. Nov 1828 mit dem Bericht über die Pariser Aufführung eines Faust-Melodrams vom 8. Nov 1828: Über die Aufführung Fausts im the´atre de la porte S. Martin zu Paris, 8. Nov 1828. Vgl. oben 10. Nov 1828: C. F. v. Reinhard an F. v. Müller.

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neinenden Geiste; dessen vergebliche Versuche, ihn in die Tiefe des gemeinen Sinnenlebens hinabzuziehn; welche durch G r e t c h e n s Erscheinen einen höhern Ansichtspunkt gewinnen und den Faust zu mehrfachen Freveln verleiten, durch die er in der Kastrophe, bei dem Untergange des durch ihn vernichteten, schuldlosen Wesens, bis zur Verzweiflung gebracht wird; weshalb man auch den wesentlichen Inhalt dieses Theils: „ d i e Tr a g ö d i e v o n F a u s t u n d G r e t c h e n “ nennen mögte − ein Schauspiel so ergreifender Art, daß sich ihm nicht leicht ein anderes an die Seite stellen dürfte, wie denn die letzten Scenen im Kerker und Margarethens Wahnsinn Alles überbieten, was die tragische Poesie in ähnlicher Weise geliefert hat. − Soviel sich auch über Göthe’s reiches und tiefsinniges Werk noch sagen ließe, so begnüge ich mich doch, um den Raum nicht zu überschreiten, hier nur mit den nachfolgenden Andeutungen über die Hauptcharaktere desselben zum Behuf ihrer Darstellung auf der Bühne . . . [Im Folgenden über Faust, Gretchen u. Mephistopheles.] Hinsichtlich des Aeußern der Characteristik und Gestaltung, sind besonders d i e U m r i s s e z u m F a u s t v o n R e t z s c h ,1) den betheiligten Künstlern zum Studium empfohlen. R a m b e r g (Minerva für das Jahr 1828) hat den, für seine zunächstliegende Intention nicht unpassenden Einfall gehabt, den Inhalt des G e s a n g e s d e r D ä m o n e n , wodurch sie den Faust in einen üppigen Traum von den Reizen des Lebens einlullen, p l a s t i s c h z u b e h a n d e l n . Die Faunische Frechheit, welche aus dem Bilde hervorschielt, abgerechnet, ist diese Weise auch für die Bühne anschaulicher, als unverständlich verhallender Gesang, und wir haben sie deshalb vorgezogen. Daß dem Faust übrigens keine wirklichen Amoretten ihre Reize enthüllen, wird schon an sich durch die Fledermausflügel der verkappten Satanisken klar gemacht.2) Wenn nun aber alles Andere im Sinne und Worte dem Göthe’schen Originalwerke für die Darstellung nichts Falsches und Unschickliches (etwa in der Weise des auf dem Theater der porte St. Martin zu Paris gegebenen Melodrama’s)3) untergeschoben worden ist, so dürfen wir dem Bühnenerfolge des Stücks auch um so ruhiger entgegensehen, als es jeden Falles eine c l a s s i s c h e Gabe ist, die wir bringen.

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10. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1183f.): Wie weit es aber mit der Aufklärung in der Hauptstadt Frankreichs gekommen davon gibt dieser Faust Zeugnis4) . . . Wozu denn 20 Theater in Einer Stadt und eine Akademie daneben wenn solch ein Zeug und gar nichts Besseres an Tag kommt und dabei von Fortschritten gesprochen wird? . . . Schon im ersten St. von K.[unst] u. A.[lterthum] VI Bandes5) hast Du dich liebenswürdig über den Faust ausgesprochen, was kein Franzose verstehen kann da sie alle Fabrikanten sind. 15. [Berlin, anonym] Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen − Spenersche Zeitung Nr. 5 v. 15. Jan 1829: K ö n i g s t ä d t i s c h e s T h e a t e r . F a u s t , Melodram von K . v . H o l t e i . Seit G ö t h e durch seine Bearbeitung zuerst diesen Stoff

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) Erstdruck: Stuttgart u. Tübingen 1816. ) Klingemanns Regieeinfall, den Gesang der Geister (1447−1505) durch ein Tanzballett von satanischen Wesen zu ersetzen, war inspiriert durch Rambergs 3. Faust-Blatt; vgl. dazu auch die Weimarer Bühnenfassung: Auf v. 1446 folgt im Textbuch die Bemerkung Allegorischer Tanz (von Satanisken als Amoretten mit Fledermausflügeln, unter welchen Faust einschläft), zu der wiederum, vielleicht auf G’s Anregung hin, angemerkt wurde Siehe das Rambergische Kupfer in der Minerva 1828, mit den nöthigen Modificationen; s. auch unten 25. März 1829: an Riemer. 3 ) s. oben 1828 Okt 29.: Correspondenz-Nachrichten u. Nov 10.: Reinhard an F. v. Müller. 4 ) s. oben 6. Jan 1829: an Zelter. 5 ) Innerhalb der Übers. einer Rez von J. J. Ampe`re über G’s Oeuvres dramatique (KA VI 1 [1827], 100−103; W 41.2, 190−92). 2

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berühmt gemacht, ist derselbe von Berufenen und Unberufenen vielfältig erwogen und besprochen worden, was jedoch meistens nur zu einer unsäglichen Verwirrung in den Meinungen und Ansichten geführt hat. Allen Partheien zu genügen, war schon deshalb nicht möglich, weil einige wohl schwerlich selbst wissen, was sie wollen. Hr. v. Holtei hat uns nach dem alten P u p p e n s p i e l e , dem Vo l k s b u c h e und G ö t h e ’ s D r a m a ein großes Melodram geschaffen. Wenn wir auch zugeben wollen, daß Manches in diesem großen Gebilde nur schwach und gewöhnlich ist, und daß das Ganze, des berühmten Namen ungeachtet, nicht eine solche Lebensfrische wie Lenore1) ahtmet, so enthält das Stück doch auch manches Ausgezeichnete.2) Das Schwächste ist wohl der Schluß, in welchem sogar ein Widerspruch liegt, denn wie kann Faust, der sich soeben noch dem Teufel mit klaren Worten und klarer Besinnung hingiebt, e r l ö s t werden? Die Exposition, welche die Ve r f ü h r u n g enthält, bot dem Dichter unstreitig große Schwierigkeiten. Göthe wählte hier das Wahrste, den Monolog: seine Dichtung war aber nicht für die Darstellung geschrieben, und mit einem fast ganz monologen ersten Akt würde H. v. H.[oltei] kein Publikum gefesselt haben; er suchte daher in einiger neugeschaffenen Handlung Hülfe, aber dadurch ist nun das innere Leben fast ganz verschwunden, und es kommen gleich Anfangs mehrere Sachen vor, welche zu eilig und wohl nicht ganz zu rechtfertigen sind. Auch der Mord ist zu früh eingeleitet: bei Göthe hat er eine weit natürlichere Stelle. − Die Hauptpersonen, welche uns vorgeführt werden, sind 1) F a u s t , der Mann an welchem der Volksglaube anschaulich gemacht werden soll, daß das gar zu viel Wissen, „nur mit dem Teufel zugehen könne“; er ist der Göthe’sche und Puppenspiel-Faust, welcher in seinem Drange das Wesen der Dinge, d. h. die Gottheit zu erkennen, Philosophie, Juristerei, Medicin und Theologi durchaus studirte mit heißem Bemühn, und doch nicht erfuhr, was er wissen wollte, der endlich im Durste nach Weisheit, Seele und Seeligkeit daran setzte. 2) H e l e n a . Durch das große Studium der alten, besonders griechischen Bücher, welche nach dem Volksglauben die weisesten sind, hat Faust das ganze Griechenland in sich aufgenommen, die Griechheit sich angeeignet. Diese Griechheit wird nun personificirt und zwar in jener schönsten Erscheinung der alten Hellenenwelt, in der Helena, um welche einst aller Nachkommen Deukalions in Bewegung geriethen. Da nun die alten Griechen Heiden waren, die Heidengötter und Heroen nach altem Christenglauben aber der Hölle angehören, so erscheint auch die schöne Helena dem Faust als ein höllisches Gespenst. Der Teufel sagt im H. Melodram, − e r habe sie aus der Hölle gerufen, natürlicher möchte es nach dem eben Gesagten seyn, wenn sie Faust durch eigne Macht heraufbeschworen hätte. 3) Ein unschuldiges Mädchen, von Göthe zuerst G r e t c h e n genannt, welche den Faust zuerst sinnlich anregt. Als Verführte büßt sie ihr Vergehen durch den Tod, wie es Faust büßen muß, daß er sich an ihr versündigte. 4) Der Teufel unter dem Namen M e p h i s t o p h e l e s , das personificirte böse Princip. − Aus diesen vier Personen sieht man wie volksthümlich der ganze Stoff ist. Es kommen noch 2 Personen hinzu, nämlich ein alter Famulus des Faust, Wa g n e r , welcher im Puppenspiel zum Kasperl wird, und ein böses altes Weib, Göthe’s M a r t h a . Auch diese beiden Figuren hat Hr. v. H. glücklich benutzt. Die Personen, welche nun außerdem noch bei Göthe und v. Holtei vorkommen, sind mehr oder minder nothwendige Triebräder der Handlung und für das Ganze ohne besondere Bedeutung. Wenn Hr. v. H. uns auch die Verführung und Erlösung Faust’s nicht ganz befriedigend geschildert hat, so gelang ihm doch die dazwischen liegende Handlung, das Leben Faust’s in seinem Probejahr. Es ist uns des Raums wegen unmöglich hier auf alles Einzelne einzugehen, mit wenigen Ausnahmen sind aber der zweite und dritte Akt sehr gut gearbeitet. Die Gerichtsscene im 4. Akt ist, auch in ihrer Verkürzung, durchaus überflüssig und ohne Wirkung: wir rathen, sie ganz wegzulassen. 1

) Karl v. Holtei: Lenore. Vaterländisches Schauspiel mit Gesang in drei Abtheilungen. Berlin 1829. 2 ) Uraufführung am 10. Jan 1829.

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Die Darstellung in den beiden ersten Aufführungen war recht brav . . . Die Decorationen sind schon an und für sich sehenwerth; die magischen Erscheinungen machen Hrn. Gropius alle Ehre, und der Zusammensturz von Wittenberg schließt das Stück sehr imposant.

Jan

16. [Weimar] Johanna Schopenhauer an C. v. Holtei (Johanna Schopenhauer. Briefe an Karl v. Holtei. Leipzig 1870, 40): Der Alte ist eben der Alte, gesund und heiter. Was er zur Erscheinung Ihres Melodramas „Faust“ gesagt haben mag,1) weiß ich noch nicht; aber die Erklärung, die ich in den Zeitungen las,2) daß jenes zu der früheren scenischen Einrichtung der Goethe’schen Dichtung in keinem Bezug stehe, hat als sehr zweckmäßig mir gefallen. 17. [Berlin] G.: Königstädter Theater. Dr. Faust von K. v. Holtey. In: Berliner allgemeine musikalische Zeitung Nr. 3 v. 17. Jan 1829, 24: In der jetzt aufgeführten Dichtung des Herrn v. Holtey ist . . . Faust nicht ganz der kräftige Mann, sondern mehr ein Diener des Mephistopheles; denn er frägt diesen fast immer um Erlaubniss, dies oder jenes thun zu dürfen; statt dass er sein Herr sein und ihm befehlen wollte. Margarethe ist vom Herrn v. Holtey edler gehalten, es ist der am besten im Stücke ausgeführte Karakter; fast ganz falsch ist Mephistopheles gezeichnet . . . Die Sprache ist im ganzen Stücke sehr edel und poetisch. Wohl zu wünschen wäre, dass Herr v. Holtey das Stück noch einmal überarbeitet, wodurch es leicht ein Lieblingsstück des Publikums werden könnte. Die Musik zum Stücke ist, wie fast alle Musik zu Melodramen, nicht kalt nicht warm. H.[err] C. Blum3) hat viel bessere Sachen geschrieben. − Die Aufführung, als erste genommen, war im Ganzen recht gut und wird in den folgenden Aufführungen besser werden. 18. An Zelter (Br 45, 132): In diesen Betrachtungen will ich nicht weiter

fortfahren, sondern um eine treue Schilderung des v. Holteischen Faust [Melodrama Dr. Johannes Faust] bitten, wie er einem wohldenkenden wohlmeynenden Freunde vorkommt. In der Zeitung [Spenersche Zeitung vom 15. Jan 1829] erkenn ich meinen alten Theaterfreund nicht mehr; bald ein Schonen und Schwanken, bald ein gebotener Enthusiasmus. [19.] [Braunschweig] N.: Bericht über die Darstellung des Faust von Göthe, auf der Hofbühne zu Braunschweig. In: Abendzeitung. Dresden Nr. 24. v. 28. Januar 1829, 96: Mit gespannter Erwartung sah unser kunstsinniges Publikum der Aufführung des G ö t h e ’schen F a u s t entgegen, die nun am 19. Januar d. J. bei gedrängt vollen Hause statt fand, und mit inniger Freude verkünden wir, daß der Erfolg glänzend war. Wie nichtig ist die Behauptung, eine Aufführung des Gedichts sey unmöglich, wir prophezeyhen mit voller Ueberzeugung, daß Göthe’s Meisterwerk noch viele hundert Darstellungen erleben wird. Ehe wir zu einer Bemerkung der Darstellung schreiten, sey dem würdigen General-Director Klingemann unser Dank gebracht, daß er mit wahrer Selbstverleugnung uns diesen Hochgenuß verschafft hat . . . [Im Folgenden zu einzelnen Darstellern.] Gerne möchten wir genauer in’s Detail gegangen seyn, der große Stoff wäre dessen wohl würdig, doch fürchten wir den Raum zu überschreiten, und fügen nur noch die Bemerkung bei, daß auch die Scenerie sehr zu loben und Alles mit vieler

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) s. oben 1828 Mai 14., Juni Anf., 13. u. 19.: Holtei an A. v. Goethe; Juni 14. u. 28.: Carl Graf Brühl an G u. A. v. Goethe an Holtei. 2 ) Vgl. oben die Kritiken von 1828 Aug 1., 12. u. 20. 3 ) Karl Blume (um 1786−1844), Schauspieler, Sänger, Dramatiker u. Komponist in Berlin.

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Einsicht geordnet war. Auch hat es uns angenehm überrascht, daß wir stets, und ohne steif und vorbereitet zu erscheinen, die Tableau’s der Umrisse von Retzsch wieder erkannten,1) worin besonders Hr. Schütz seine Figur treu aufgefaßt hatte. Nach dem, was bereits über das Gelungene der Darstellung gesagt wurde, ist es nicht anders als natürlich, daß der Beifall stürmisch war und die Herren Schütz [als Faust] und [H.] Marr [als Mephisto], nebst Mad. Berger [als Gretchen] gerufen wurden, eine Ehre, die bei uns selten ist. Wir schließen mit der Bemerkung, daß unsere Hofbühne stolz darauf seyn kann, mit so glänzendem Erfolg Göthe’s Meisterwerk zuerst zur Darstellung gebracht zu haben.2)

[Jan 20.] [Braunschweig] A. Klingemann an G (Braunschweigisches Magazin. 1929, Nr. 4, Sp. 51): Hochwohlgeborener Herr Geheimrath, Gnädiger Herr! Wenn ich es wagte, Ew. Excellenz Faust [am 19. Jan] auf die Bühne zu bringen, so wird das unterthänig angelegte Programm3) mich mindestens vor dem Vorwurfe vertreten, durch irgend eine verwegene und tadelnswürdige Beimischung dieses mächtigste Originalwerk deutscher Art und Kunst verletzt zu haben. Gestern war die Darstellung auf dem Herzogl. Hoftheater hieselbst, und sie entsprach in ihrem Erfolge den gespanntesten Erwartungen so sehr, daß am Schlusse die drei Darsteller der Hauptrollen einstimmig hervorgerufen wurden. Unter ihnen zeichnete sich Marr als Mephistopheles aus, und ich bezweifle, daß von den jetzigen deutschen Schauspielern ein anderer ihm den Preis darin streitig machen mögte. Alle übrigen Theilnehmenden Darsteller erkannten aber nicht minder die Ehre, die ihnen an diesem Abende zu Theile geworden war, indes wirkte bei ihnen ein gewisser Eifer zur rühmlichen Vollendung des Ganzen. Habe ich demungeachtet vielleicht nach Ew. Excellenz Ansicht etwas zu Dreistes gewagt, so möge mich meine Absicht und der gelungene Erfolg in Schutze nehmen und mir ein verzeihendes Wort bei Ihnen einwirken!4) Jan/Aug [Dresden, anonym5)] Einige Andeutungen über die bevorstehende Darstellung des Göthe’schen Faust. Dresden 1829, 3f.; 13f.; 43: Es hat sich seit einigen Tagen unter unserm theaterliebenden Publikum die frohe Nachricht verbreitet, daß Göthe’s Faust nächstens auf der hiesigen Bühne zur Darstellung kommen soll. Ein kühner, ja fast verwegener Versuch, und doch auch wieder ein so schönes, beifallswürdiges Unternehmen, daß der deutsche Freund der Kunst kaum weiß, ob er sich mehr der Besorgniß oder der Hoffnung hingeben soll . . . Eine Darstellung des Faust auf der Bühne hat man früher so ziemlich allgemein für unausführbar gehalten; in unsern Tagen, nachdem vielleicht einzelne Bemühungen in engern Gesellschaftskreisen theilweise nicht ganz mißlungen sind,6) und den Muth gesteigert haben, ist Faust’s Geist endlich auch auf dem bretternen Gerüst der Scene öffentlich beschworen worden7) . . . Unter allen Erzeugnissen der göthe’schen Muse ist keines, worin er den Reichthum und die Tiefe seines schaffenden Genius so glänzend offenbart hätte, als in seinem Faust . . . [13f.:] Mit dem Faust sind alle Freunde der deutschen Literatur bekannt, sogar vertraut, wenn

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) Umrisse zu Goethes Faust (Stuttgart u. Tübingen 1816); Abb. s. Neubert 103−12. ) Zur Aufführung Richard Daunicht: August Klingemanns Inszenierung von Goethes Faust 1. Teil. Zur ersten Berufstheater-Aufführung des Stückes am 19. Januar 1829 in Braunschweig. In: Braunschweigisches Jb. 61 (1980) 55−74. 3 ) Zur Beilage s. oben 9. Jan 1829: Klingemann, Einige Andeutungen über Göthe’s Faust. 4 ) Klingemann fügte noch einen Theaterzettel der Aufführung bei; GSA 28/486. 5 ) Nach Karl Engel: Bibliotheca Faustiana. Oldenburg 1885, 302 war der Verf. Ferdinand Philippi. 6 ) Vermutl. Hinweis auf die nichtöffentlichen Aufführungen in Berlin, s. oben 24. Mai 1819: Carl Graf Brühl an A. v. Goethe und A. v. Goethe an G. 7 ) Braunschweig 19. Jan 1829. 2

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wir das Wort in seiner oberflächlichen, hergebrachten Bedeutung nehmen, wie es unter vertrauten Freunden Mode ist; mehrere haben sich auch wohl ein Urtheil über die Tendenz des Ganzen und einzelner Situationen und Charaktere abgezogen, viele wissen ihn zum Theil auswendig. [Folgend ausführlich zu den Darstellungsproblemen, 43:] Hiermit wären denn die wesentlichen Punkte berührt, die bei der Aufführung die größten Schwierigkeiten erregen dürften. Die Walpurgisnacht und der Walpurgisnachtstraum schließen jede Darstellung aus, wenn man sie nicht unverantwortlich verstümmeln will; für den dramatischen Fortschritt der Dichtung können sie ohne sonderlichen Nachtheil fehlen . . .

Jan [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1192f.): Freitag. Du hast mir kein leichtes Pensum 23./24. aufgegeben.1) Der Holteische Faust ist kein anderer als Dein Faust in bescheidene vier Akte gehüllt die ihm noch so viel zu weit sind daß man nichts als Falten bemerkt unter welchen es an allem fehlt was einem Körper angehören könnte. Ein vollständiges Vacuum; Volksmelodrama genannt. Es war die dritte Vorstellung und das Haus 2/3 leer. Fausts Magie besteht darin daß er dem Herzog von Parma lebende Bilder zaubert. Der Dienstphilosoph des Herzogs findet solche Magie etwas verbraucht und wie ers beweisen will kriegt er die − Maulsperre. Mephistophel ist ein ganz abgeschmackter dummer Teufel spricht das erbärmlichste Zeug und schreit so sehr daß man den Unsichtbaren in ganz Wittenberg hört. Gretchen spricht in langen Schilleraden; des Nachtwächters Tochter und Fausts Dienstmagd. Das arme Mädgen weiß nicht wo sie allen Atem hernehmen soll die langen Reden abzuhalten die ihr wie Bandwürmer abgehn. Helena erscheint erst en domino und dann als Griechin und hält sich bis ans Ende auf um den geliebten Faust vom christlichen Teufel zu erlösen. Wagner, Einheizer und Knappe des Faust, der einfältigste Dummerjahn spielt den Humoristen. Das Ganze ist von unerträglicher Langerweile und die 4 Akte, worin schon sehr viel gestrichen ist währen noch immer vier volle Stunden. Von meiner Seite kann ich überhaupt nichts weiter sagen da mir fast jedes Wort des Stücks lange Weile gemacht hat. Nun habe aber Aufträge gegeben Dich voll zu befriedigen und ich denke Du sollst dann genug haben.2) Das Ende ist: Faust wird von einem Teufel entsetzlich gezaust um zur Hölle abgeholt zu werden. Da tut sich die Hinterwand auf. Es erscheint ein erleuchtetes Kreuz und daneben das gerichtete und nun selige Gretchen wie der Teufel das sieht läßt er los und den Faust am Boden liegen. Sonnabend. 24. Jan. Zu umstehendem grauenhaften Possenspiele macht nun das Orchester Musik, die manchmal ganz kurios eintritt und wieder losläßt. Das Publikum sitzt und sperrt das Maul auf und keiner weiß was ihm geschieht. 28. Nachricht von dem in Braunschweig aufgeführten Faust durch Klinge-

mann [am 20. Jan] mitgetheilt. 30. [Weimar] Eckermann an Auguste Kladzig (JbSK 1924, 108f.): In den letzten Tagen hat Goethe sich einigemal nach Ihnen erkundigt, welches ich Ihnen sagen muß. Er erzählte mir nämlich, daß der Faust in Braunschweig auf die Bühne gebracht worden, und zeigte mir einen Brief von Klingemann, worin dieser schrieb, mit wie großem Beyfall das Stück aufgenommen und wie die drey Hauptfiguren, der Faust, der Mephistopheles und das Gretchen, nach der Vorstellung herausgerufen worden.3) Da das Stück sich nun über alle deutschen Bühnen verbreiten wird und wir es auch hier hoffentlich bald sehen

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) Mit G’s Bitte vom 18. Jan 1829 (s. dort) um eine treue Schilderung des von Holeischen Faust. 2 ) Zelter, vielleicht im Gefühl zu scharf kritisiert zu haben, ließ noch andere Urteile einholen; vgl. die gleichfalls sehr negative Krtik des Malers Samuel Rösel unten 30. Jan 1830: Rösel an Zelter. 3 ) s. oben 20. Jan 1829: Klingemann an G.

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werden, so sprachen wir über die Besetzung. [K. v.] La Roche gaben wir den Mephistopheles und freuten uns, daß dieser bedeutende Künstler eine neue Gelegenheit fände, sein Studium und Talent auf eine Rolle zu verwenden, die ihm zu Entwicklung seiner Kräfte die reichsten Anlässe giebt und die er mehr als einmal spielen wird. Über Faust und Gretchen waren wir nicht entschieden. „Es ist zu schade, sagte Goethe, daß die Kladzig als K ü n s t l e r i n nicht ausgebildet genug ist, sie ist schön, sie hat den Wuchs, sie hat die Jugend, das wäre ein Gretchen!“ Ja sagte ich, es ist schade! − Ich sagte keine Silbe weiter, aber in meinem Innern wirkten Goethes Worte fort,1) und ich freute mich, daß er Ihrer gedachte.

Jan

30. [Berlin] S. Rösel an Zelter (MA 20.3, 985f.): Da habe ich nun endlich das Holteysche Fäustchen gesehen u. gehört! − Augen und Ohren tun mir noch gar weh davon . . . Das nenne ich mir doch ein mixtum compositum von dünner Teufelei und flacher Frömmelei! Sackerment! bald möchte ich fluchen! aber ’st! ne! − fromm sein! nicht fluchen! − Zwar enthält auch dies Fäustchen manches Neue und Wahre; wäre das Wahre nur neu, oder das Neue wahr und gut . . . Unser guter v. Holtey hätte besser getan sein ganzes Machwerk auf das uralte Volkslied zu bauen . . ., ohne allen den bekannt gewordenen Fäusten irgend einen Finger oder ein Glied zu entwenden, viel weniger dem eigentlichen Faust vom Vater Göthe! . . . kurz und gut! an dem ganzen Holteyschen Faust ist nicht viel, wird auch kein Glück beim Volke machen, für welches er doch gemacht ist.

31. [London] H. C. Robinson an G (Norman 1, 101): Recently Des Voeux and Carlyle have brought other of your greater works before our public − and with love and zeal and industry combined, I trust they will succedd in effectually redeeming rather our literature than your name from the disgrace of such publications as . . . Lord Leveson Gower’s Faustus2) . . . I perceive, from your Kunst und Alterthum, that you are not altogether regardless of the progress which your works are making in foreign countries. Yet I do not find any notice of the splendid fragments from Faust by Shelley3), Lord Byron’s friend, a man of unquestionable genius, the perverse misdirection of whose powers and early death are alike lamentable. Coleridge, too, the only living poet of acknowledged genius, who is also a good German scholar, attempted Faust, but shrunk from it in despair.4) Such an abandonment, and such a performance as we have had, force to one’s recollection the line − ’For fools rush in where angels fear to tread.’ [Febr 1.] [Berlin, anonym] Correspondenz-Nachrichten. Berlin, 1. Februar 1829. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 37 v. 13. Febr 1829, 147: Man beabsichtigte, Göthe’s „Faust“ in einer Bearbeitung von Karl v. Holtei, die Göthe selbst gesehen und gebilligt haben sollte, auf die königstädtische Bühne zu bringen. Das königliche Theater, das strenge darauf wacht, daß seine Rivalin jenseits der Spree sein Privilegium nicht überschreite, erklärte aber, „Faust“ sei eine Tragödie, und ein paar Takte eingelegter Musik könnten ihn noch nicht zum Melodram machen. Wegen dieses Einspruchs wurde die Entscheidung der schiedsrichterlichen Commission anheimgestellt. Hierauf soll aber Göthe die Hrn. v. Holtei ertheilte Einwilligung zur Aufführung des Melodrams zurückgenommen haben.5) Hr. v. Holtei verfiel jetzt darauf, die Sage von Faust selbst als Melodram zu behandeln. So entstand sein Melodram: „Dr. Johann Faust, oder der wunderthätige Magus des Nordens“, der gegenwärtig auf dem königstädtischen Theater Zugstück ist. Der Verf. ließ vorher bekanntmachen, daß dies keine Bearbeitung des 1

) Eckermann hatte die Schauspielerin bereits 1826 kennengelernt u. sich in sie verliebt. 2 ) s. auch unten [13.− 18. Aug 1829]: Robinson, Reminisences. 3 ) s. oben 19. Juli 1826: Tgb. 4 ) s. oben 4. Aug 1820: an A. v. Goethe. 5 ) Dazu s. oben [28. Juni] 1828: A. v. Goethe an Holtei.

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Göthe’schen „Faust“, sondern ein eignes Product sein solle, das auf dem Volksbuch und auf dem Puppenspiel basire. Allein auch der Göthe’sche „Faust“ hat Ingredienzien hergeben müssen; woher hätte sonst der Verf. seine Margarethe, die Faust verführt, und die dann als Kindesmörderin hingerichtet wird. Weder im Volksbuch noch im Puppenspiel findet sich eine Spur davon.

Febr

2. [Dresden] Theater-Anzeige. In: Abend-Zeitung Nr. 28 v. 2. Febr 1829, 112: F a u s t , von Göthe, Tragödie in 6 Akten; für die Darstellung redigirt. Von diesem Stücke, welches auf dem Hoftheater zu Braunschweig so eben [am 19. Jan] mit dem entschiedensten Erfolge auf die Bühne gebracht wurde, ist das genau eingerichtete Buch, nebst der dazu gehörigen Partitur in corecten Abschriften, gegen ein an die dortige Direction portofrei einzusendendes Aequivalent von 5 Friedrichsd’or zu erhalten.1) 2. [Paris] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 18f.): Ich habe immer noch gewartet . . ., daß meine Partitur zum Faust vollständig fertig sein würde, um Ihnen zu schreiben und sie Ihnen zu widmen. Aber das Werk hat eine weit größere Ausdehnung gewonnen, als ich geglaubt hatte, der Stich ist noch nicht beendet und ich kann nicht länger mit meinem Schreiben an Sie warten . . . Seit langer Zeit schon geht mir eine symphonische Darstellung der Faustsage im Kopfe herum. Wenn die dereinst erscheinen wird, so soll sie die ganze musikalische Welt in Schrecken und Erstaunen versetzen.2) 3. [Weimar] Eckermann an Auguste Kladzig (JbSK 1924, 112−14): Der Darstellung des Faust kommt es sehr zu Gute, daß die bildende Kunst dem Theater vorgearbeitet hat. Fast alle Scenen des Faust sind bereits durch geschickte Maler dargestellt worden; wodurch denn das Körperliche der Hauptcharactere, so wie ihre Anzüge und der umgebende Ort und Hintergrund, speciell und deutlich vor die Sinne gebracht ist, so daß vom Decorationsmaler bis zum Theaterschneider niemand sich in Ungewißheit befinden kann was er zu thun habe. Die Umriße von Retzsch3) sind weltberühmt; Ramberg4) hat auch vieles gemacht; so wie zuletzt in Paris ein höchst begabtes, aber etwas wildes Talent, Herr De la croix, zu genialen Zeichnungen im Faust reiche Nahrung gefunden hat.5) In allen drey Künstlern sehen wir nun, wie sie sich den Faust, den Mephistopheles und das Gretchen gedacht haben. Letztere erscheint überall als ein junges schlankes [Mädchen], das Ihnen nicht unähnlich ist. Die [Umrisse] von Retzsch sind vielleicht das Edelste und sicherste woran man sich zu halten hätte.6) Ich will suchen sie zu bekommen und sie Ihnen zur Ansicht senden. Was die Redaction des Stückes für die Bühne betrifft so habe ich aus Klingemanns Bericht7) so viel ersehen, daß alle undarstellbaren, für die Imagination geschriebenen Scenen weggelaßen sind. Diese wä1

) Der neue Intendant des Weimarer Theaters Freiherr Carl Emil Spiegel von und zu Pickelsheim erwarb im März 1829 auf die Anzeige hin ein Exemplar von Buch u. Partitur. Das Braunschweiger Buch bildete die Grundlage für die Weimarer Bühnenfassung; s. unten 25. März 1829: an Riemer u. [Juli/Aug 1829]: Eberwein, Die Musik zum Goethe’schen Faust. 2 ) H. Berlioz: Huit sce`nes de Faust. Trage´die de Goethe Traduites par Ge´rard. Paris 1829. 3 ) ED: Stuttgart u. Tübingen 1816; Abb. in Neubert 103−12. 4 ) Johann Heinrich Rambergs vermutl. schon 1825/26 angefertigte 17 Entwürfe zum Faust, als Kupferstiche 1828 u. 1829 in der Minerva erschienen; vgl. Henning II 2.2, Nr. 5383 u. 5385; Abb. in Johann Heinrich Ramberg: Galerie zu Goethes Faust. Acht Kupferstiche, hsg. v. Richard Brill. Hannover 1946. 5 ) Faust, trage´die de Monsieur de Goethe, traduite en franc¸ais par Monsieur Stapfer, orne´e de XVII dessins par Monsieur Delacroix“ Paris: Motte et Sautelet 1828; Abb. auch in Kehrli. 6 ) ED: Stuttgart u. Tübingen 1816; Abb. in Neubert 103−12. 7 ) s. oben 9. Jan 1829: Klingemann, Einige Andeutungen über Göthe’s Faust.

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ren vorzüglich: der Prolog im Himmel, die Brocken-Scenen und das Reiten am Hochgericht vorüber. An Faust’s Monologen ist vieles gekürzt, so wie mancher zu kühne Ausdruck weggelaßen ist. Das wilde Lied zu Anfang der Kerkerscene wovon Sie sagten, gründet sich auf ein altes Volksmärchen das Ihnen vielleicht nicht unbekannt ist. Eine böse Stiefmutter schlachtet einen Knaben und setzt ihn gekocht seinem Vater, der, unwißend, ihn verzehrt und die Knochen liegen läßt. Diese Knochen sammelt das Schwesterchen und verbirgt sie unter einem Wacholderstrauch, wo dann ein Vogel daraus wird, der umherfliegt und das Verbrechen der bösen Stiefmutter singt. [Zitat 4412−20] Nicht wahr? jetzt ist Ihnen das Lied vollkommen deutlich und Sie sehen daraus daß Goethe auch im Wahnsinn seiner Personen einige Realität hat. Es wird mir lieb seyn, wenn ich Ihnen über diese oder jene Dunkelheit des Faust ferneren Aufschluß geben kann, und wenn Sie auch, wider meinen Wunsch und Hoffen, nicht zur Rolle des Gretchen kommen sollten,1) so sollen Sie doch über diese Rolle wie über das Stück besser unterrichtet seyn wie irgend eine andere in Weimar.

Febr

9. [Berlin, anonym] Correspondenz und Notizen. Aus Berlin. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 29 v. 9. Febr 1829, 231: Unter den Neuigkeiten des Repertoirs dieser Bühne [der Königstädtischen], welche Aufsehen gemacht haben, nenne ich eine Bearbeitung des Doctor Johannes Faustus, von Holtey. Man hat zum Theil sehr hart über dieses Werk geurtheilt, zumeist aber aus dem wohl nicht richtig angenommenen Standpuncte, daß man es stets in Parallele mit dem Göthe’schen Faust setzen wollte. 12. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 306): „Das Schwache ist ein Charakterzug unsers Jahrhunderts. Ich habe die Hypothese, daß es in Deutschland eine Folge der Anstrengung ist, die Franzosen los zu werden. Maler, Naturforscher, Bildhauer, Musiker, Poeten, es ist, mit wenigen Ausnahmen, alles schwach, und in der Masse steht es nicht besser.“ Doch sagte ich, gebe ich die Hoffnung nicht auf, zum Faust eine passende Musik kommen zu sehen. „Es ist ganz unmöglich, sagte Goethe. Das Abstoßende, Widerwärtige, Furchtbare, was sie stellenweise enthalten müßte, ist der Zeit zuwider. Die Musik müßte im Charakter des Don Juan sein; M o z a r t hätte den Faust komponieren müssen. M e y e r - B e e r 2) wäre vielleicht dazu fähig, allein der wird sich auf so etwas nicht einlassen; er ist zu sehr mit italienischen Theatern verflochten.“ 17. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 309f.): „Lavater war ein herzlich guter Mann, allein er war gewaltigen Täuschungen unterworfen, und die ganz strenge Wahrheit war nicht seine Sache; er belog sich und andere. Es kam zwischen mir und ihm deshalb zum völligen Bruch. Zuletzt habe ich ihn noch in Zürich gesehen, ohne von ihm gesehen zu werden. Verkleidet ging ich in einer Allee, ich sah ihn auf mich zukommen, ich bog außerhalb, er ging an mir vorüber und kannte mich nicht. Sein Gang war wie der eines Kranichs, weswegen er auf dem Blocksberg als Kranich vorkommt [4319−26].“ 19. [Weimar] F. Soret an G (Zehn Jahre 297f.): Anbei der interessante Aufsatz von Klingemann3) mit vielem Dank zurück. Ich las ihn, mit dem „Faust“ daneben, um eine klarere Vorstellung davon zu gewinnen, welche Wirkung das Stück trotz der Kürzungen erzielen kann, und bin mehr und mehr überzeugt, daß sie [bei der Aufführung in Braunschweig am 19. Jan] immer noch gewaltig gewesen sein muß. Doch meine ich, von der Hexenküche hätte man den Teil beibehalten sollen,4) der die im Äußern und 1

) s. oben 30. Jan: Eckermann an Auguste Kladzig. ) Zu Giacomo Meyerbeer als Wunschkomponist s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: 29. Jan 1827, Eckermann Gespäch, S. 551f. 3 ) s. oben 9. Jan 1829: Klingemann, Einige Andeutungen über Göthe’s Faust. 4 ) [Anmerkung Sorets:] Beim nochmaligen Lesen des Theaterzettels sehe ich, daß Klingemann doch einiges von der Hexenküchenszene beibehalten haben muß; ich möchte nur wissen, ob er auch die Tiere, die Geister usw. hat erscheinen lassen. 2

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im Charakter Fausts sich vollziehende Wandlung dem Zuschauer besser verständlich machen würde; wenn Ew. Exzellenz hier eingreifen wollten, besäße unser Theater in Weimar einen Schatz, der alle in Frankreich und Berlin gewagten Nachahmungen verscheuchen würde. Einige Zeilen über Holteis „Faust“ stehen in Nr. 33 der „Blätter für literarische Unterhaltung“.1) Haben Exzellenz sie gelesen? Holtei war nicht so einsichtig wie Klingemann; die Hauptaufgabe war, das Originalwerk zu respektieren. Einen guten Mephisto haben wir hier in Weimar schon (Laroche); wäre Oels mindestens zehn Jahre jünger, so wäre er ein glänzender Faust nach dem Verjüngungstrank; aber auch so wie er ist würde dieser Künstler die Rolle nicht verderben, er spielt den Egmont noch vortrefflich, und der muß etwa so alt sein wie der verjüngte Faust. Schwieriger allerdings wird es sein, ein gutes Gretchen zu finden; wenn sich Fräulein Kladzig ordentlich dahintersetzt, würde sie wohl damit zurechtkommen; lange Routine auf den Brettern hat sie zwar noch nicht, aber gerade das schützt sie mehr als eine andere vor der T h e a t e r s c h a b l o n e , die für ein Gretchen tödlich wäre; sie hätte den Zauber der Einfachheit und Unschuld, der ihr bisher auch im täglichen Leben eigen ist.2) Verzeihen Sie bitte, wenn ich Sie mit Fragen behellige, die mich eigentlich nichts angehen; ich möchte eben gar zu gern den „Faust“ hier dargestellt sehen; aber damit hält meine Feder still, ich fürchte, daß Sie davon nichts mehr hören wollen.3)

Febr 19. [Weimar] Johanna Schopenhauer an C. v. Holtei (GG 3.2, 391): Ihren Brief an August [v. Goethe] habe ich gelesen und dann besorgt.4) Daß Sie sich die Mühe gegeben, die Erscheinung Ihres Meldodramas „Faust“ gewissermaßen zu erklären, ist ein neuer Beweis Ihrer Herzensgüte. Sie hätten, nach der Art, wie der alte Herr sich in der Sache benommen, es kaum nötig gehabt. Aber der alte Herr ist achtzig Jahre alt, und da ist es kein Wunder, daß er oft kaum begreift, wie andere sich unterstehen können, auch existieren zu wollen. Adele [Schopenhauer], die er zuweilen zu einem Diner t ˆe t e - `a t ˆe t e einladet, war eben [am 16. Februar] bei ihm, als ein Brief ankam, der über Ihren Faust aburteilte.5) Was darin stand, wollte sie nicht beichten, doch so viel ist gewiß, daß es Ihnen schlecht ergangen ist, und daß der Alte seine Freude daran hatte. Also, machen Sie sich nur darauf gefaßt, ihn, wenn Sie wieder herkommen, ein wenig unzugänglicher zu finden als früher. 25. [Weimar] F. Soret an Eckermann (Zehn Jahre 301): Sie haben mir Ihr Leid geklagt, lieber Doktor; auch mich hat das Theaterfieber ergriffen, und „Faust“ verfolgt mich bis in meine Träume; keiner von uns beiden wird ruhen, ehe er nicht eine Darstellung des Werkes gesehen hat. Stellen sie sich nur vor, welch gewaltige Wirkung sie in Weimar machen müßte, hier, wo wir das Glück haben Goethe zu besitzen, wo Goethe selbst die Aufführung leiten, die Rollen einstudieren und die Szenen so anordnen könnte, damit möglichst wenig verloren geht; mit einem Wort, man könnte sagen: das ist der einzig richtige Faust, kein ohne Zustimmung des Verfassers eingerichtetes Stück! [Folgen Sorets eigene dramaturgische Vorschläge.] . . . Sollten Sie Ihren Faust anders einteilen als ich, so sagen Sie mir darüber ein Wort oder besser noch: schreiben Sie mir Ihren Plan.6) März 23. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 321): Wir sprachen von Schillers Briefen und dem Leben, das sie mit einander geführt, und wie sie sich täglich zu gegenseitigen Arbeiten gehetzt und getrieben. Auch an dem Faust, sagte ich, schien Schiller ein 1

) Richtig Nr. 37, s. oben [1. Febr] 1829: Correspondenznachrichten. ) Zur Rolle der Gretchen s. auch oben 30. Jan 1829: Eckermann an Auguste Kladzig. 3 ) Im Original in Frz.; Übersetzung von H. H. Houben. 4 ) Vermutl. Br 26. Dez 1828: Holtei an A. v. Goethe, s. dort. 5 ) Beilage zu Zelters Brief an G vom 31. Jan/14. Febr s. oben 30 Jan 1829: Rösler an Zelter. 6 ) Nicht bekannt. 2

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großes Interesse zu nehmen; es ist hübsch wie er Sie treibt, und sehr liebenswürdig wie er sich durch seine Idee verleiten läßt, selber am Faust fortzuerfinden. Ich habe dabei bemerkt, daß etwas Voreilendes in seiner Natur lag. „Sie haben Recht, sagte Goethe, er war so, wie alle Menschen, die zu sehr von der Idee ausgehen.“

März 23. [Paris] F. Hiller an Eckermann (MA 20.3, 1007): Ein guter Freund von mir, ein junger talentvoller Komponist namens Berlioz hat 8 Szenen aus Faust, leider in der französischen Übersetzung [von Ge´rard de Nerval], in Musik gesetzt. Er wird Göthen ein Exemplar senden.1) Sie würden ein gutes Werk stiften wenn Sie zu einigen Zeilen von Göthe an ihn beitrügen. Es würde den jungen Mann der für Goethe berauscht ist, glücklich machen. 24. [Abends] Professor Riemer. Wir gingen einige Concepte durch, be-

sprachen die nächste Aufführung von Faust nach der Redaction von Klingemann.2) 25. An Riemer (Br 45, 206): Hiebey das Manuscript3) zurück. Einiges kann ohne den Sinn zu stören ausgelassen werden, anderes mit wenigen Federstrichen zurecht gerückt. An einigem seh ich das Bedenken nicht ein. Wollen Sie nun vorerst das Auffallende rectificiren, so sprechen wir wohl noch einmal über das Problematische. 25. [Weimar] Eckermann an Auguste Kladzig (ChronWGV 11, 48): An Faust habe ich jetzt alles Interesse verloren, und es ist mir fast gleichgiltig, was daraus wird. Ich zweifle, daß das wahrhaft Große und Geistreiche des Gedichts auf den Brettern zur Erscheinung komme.4) 27. [Abends] Nachher Professor Riemer . . . Er legte hernach noch einige

nothgedrungene Emendationen des Klingemannischen Faust5) zu heiterer Beurtheilung vor. 28. An Zelter (Br 45, 220): Unser Theater hat seinen ganz guten Fortgang . . . Meinen Faust wollen sie auch geben, dabey verhalt ich mich passiv,6) um nicht zu sagen leidend. Doch überhaupt darf mir für dieses Stück nicht bange seyn . . ., da es Herzog Bernhard, in Obercarolina, bey einem Indianer gefunden hat.7) 1

) s. unten 10. Apr 1829: Berlioz an G. ) s. oben 20. Jan 1829: Klingemann an G. 3 ) Das käuflich erworbene Braunschweiger Textbuch, aus dem der Text für die Weimarer Faust-Aufführung vom 29. Aug 1829 hergestellt wurde. Riemer leistete vermutl. die Hauptarbeit, Eckermann u. der Regisseur Durand waren beteiligt; das Soufflierbuch der Weimarer Bühnenfassung Faust. Tragödie von Göthe in sechs Abtheilungen für die Bühne redigirt befindet sich im Archiv des Nationaltheaters Weimar; Gräf II 2, 487−93 gibt eine genaue Beschreibung der Bühnenfassung. 4 ) Die Äußerung ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß Auguste Kladzig nicht die Rolle der Margarethe übernahm. 5 ) s. oben 20. Jan 1829: Klingemann an G. 6 ) Trotzdem nahm G Einfluß auf die Inszenierung (Einstudieren der Rollen, Kostüme, Musik); im Textbuch finden sich Anmerkungen G’s, s. Gräf II 2, 487−94. 7 ) Hier irrt G oder bezieht sich auf eine mündliche Unterredung. In dem Reisebericht Reise des Herzogs Bernhard durch Nord-Amerika in den Jahren 1825 und 1826 (Hsg. v. Heinrich Luden. Theil 1. Weimar 1828, 247) ist nur von einem alten Franzosen die 2

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6. [Berlin, anonym] Französische Literatur. Prachtausgabe von Göthes Faust von Herrn Stapfer. In: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik Nr. 68 v. 6. Apr 1829, 270f.: Die schon früher1) von uns erwähnte Uebersetzung des Götheschen Faust von Herrn Stapfer ist jetzt in einer neuen Prachtausgabe in groß Folio mit Göthes Bildniß und 17 von Herrn de la Croix lithographirten Blättern bei Motte und Sautelet in Paris erschienen.2) Was die Uebersetzung betrifft, so hat sich Göthe selbst schon bei ihrer ersten Erscheinung günstig darüber ausgesprochen. Der Uebersetzer hat eine Menge Schwierigkeiten dadurch umgangen, daß er, mit Ausnahme der eingeflochtenen Lieder und des Prologs im Himmel das ganze Trauerspiel in Prosa übersetzt. Um die Franzosen mit dem Inhalt des Stücks bekannt zu machen, mag diese Art der Uebertragung allerdings ausreichen, auch für die komischen Scenen, z. B. in Auerbachs Keller, mag sie genügen, allein für den tieferen Ernst und den Geist der Dichtung überhaupt, kann diese Herabstimmung zur Prosa nicht ausreichen . . . 9. [Paris] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 22): Ich schicke Ihnen „Faust“3) der dem Herrn de la Rochefoucault4) gewidmet ist . . . 10. [Paris] H. Berlioz an G (HA−BaG 2, 506): Monseigneur Depuis quelques anne´es Faust ´etant devenu ma lecture habituelle, `a force de me´diter cet ´etonnant ouvrage, (quoique je ne puisse le voir qu’a travers les brouillards de la traduction [von Ge´rard de Nerval]) il a fini par ope´rer sur mon esprit un espe`ce de charme; des ide´es musicales se sont grouppe´es dans ma teˆte autour de vos ide´es poe´tiques et bien-que fermement re´solu de jamais unir mes faibles accords a vos accens sublimes, peu a peu la se´duction a ´ete´ si forte, le charme si violent, que la musique de plusieurs sce`nes s’est trouve´e faite presque a mon insc¸u. Je viens de publier ma partition et quelque indigne qu’elle soit de vous ˆetre pre´sente´e, je prends aujourd’hui la liberte´ de vous en faire hommage. Je suis bien convaincu que vous avez rec¸u de´ja un tre`s grand nombre de compositions en tout genre inspire´es par le prodigieux poe¨me; j’ai donc tout lieu de craindre qu’en arrivant apre`s tant d’autres, je ne fasse que vous importuner. Mais dans l’atmosphe`re de gloire ou ` vous vivez, si des suffrages obscurs ne peuvent vous toucher, du moins j’espe`re que vous pardonnerez a un jeune compositeur qui le cœur gonfle´ et l’imagination enflamme´e par votre ge´nie, n’a pu retenir un cri d’admiration.5) [14.] [Weimar] M. v. Gagern, Besuch in Weimar (FA II 11, 109): Als mein Vater im April 1829 mich als einen Göttinger Studenten auf einer Reise nach Berlin mitnahm und in Weimar Goethe vorstellte, kam es zu folgendem Dreiergespräch: Goethe: Und was hat denn der junge Herr studiert? Ich: Zur Rechtsgelehrtheit kann ich mich schwer bequemen! Goethe: Ich will es Ihnen dann denn auch nicht übel nehmen! Man kann aber nebenher auch andere Liebhabereien verfolgen, wie ich deren mehrere habe. Rede, von dem der Vf. schreibt: Dieser alte Mann besitzt ein seltenes Sprachtalent und hat eine große Vorliebe für die deutsche Sprache. Göthe’s Faust ist sein Lieblingswerk in dieser Sprache; und da sich unser Geschmack hier begegnete, so unterhielten wir uns lange über den Faust und recitirten wechselsweise unsere Lieblingsstellen. 1 ) Erwähnt in: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik Nr. 109 v. 2. Juni 1827, 433. 2 ) Faust, trage´die de M. de Goethe, traduite en franc¸ais par M. Albert Stapfer, Orne´e d’un Portrait de l’Auteur, et de dix-sept dessins compose´s d’apre`s les principales sce´nes de l’ouvrage et exe´cute´s sur pierre par M. Euge`ne Delacroix. Paris 1828. 3 ) s. oben 2. Febr: Berlioz an Ferrand. 4 ) Franc¸ois de La Rochefoucauld (1613–1680), frz. Moralist. 5 ) Begleitbrief zur Übersendung von zwei Ex. von: Huit Sce`nes de Faust Trage´die de Goethe Traduites par Ge´rard. Musique De´die´e `a Monsieur le Vicomte de Larochefoucauld . . . u. compose´ par Hector Berlioz Grande Partition. Paris 1829; ein Ex. der Partitur in G’s Notensammlung (GSA 32/99)

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Vater: War das eben nicht ein Anklang an den Faust? O! Sie müssen gestehen, daß Sie dem Teufel darin doch eine gar zu schöne Rolle zugeteilt haben. − Darauf Goethe mit merkwürdig ernstem Blick aus seinen unvergeßlich schönen braunen Augen: „Ja, es i s t etwas von der Hölle darin!“

Apr 28. An Zelter (Br 45, 259): Ein Franzose [H. Berlioz] hat acht Stellen

meines Faust componirt und mir die sehr schön gestochene Partitur zugeschickt;1) ich möchte dir sie wohl senden, um ein freundliches Wort darüber zu hören.2) Mai 23. [Weimar] Eckermann an F. Hiller (J. P. Eckermann: Sein Leben für Goethe; nach seinen neu aufgefundenen Tagebüchern und Briefen. Dargestellt von H. H. Houben. Teil 1. Leipzig 1925, 380): Die Musik Ihres Freundes [H. Berlioz] zu Faust kam bald nach Ihrem Briefe3) an. Goethe zeigte mir gleich das Heft und suchte die Noten mit den Augen zu lesen. Er hatte den lebhaften Wunsch, es vorgetragen zu hören. Ein sehr schön geschriebener Brief des Herrn B.[erlioz] war beigefügt,4) den Goethe mir gleichfalls zu lesen gab, und dessen gebildeter höchst zarter Ton uns gemeinschaftliche Freude machte. Er wird Herrn B.[erlioz] gewiß antworten, wenn er es nicht schon gethan hat. Juni

3. [Paris] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 23−25): „Faust“5) findet hier bei den Künstlern den größten Erfolg; [A. G. L.] Onslow kam eines Morgens und machte mich durch sein begeistertes Lob ganz beschämt; Meyerbeer hat von Baden aus an [den Verleger] Schlesinger geschrieben, um ihn um ein Exemplar zu bitten. Urban, [H.] Che´lard und viele andre der bedeutendsten Künstler von der Ope´ra haben sich Exemplare verschafft, und jeden Abend beglückwünscht man mich aufs neue. Aber am meisten hat mich Onslows Begeisterung überrascht . . . er hat mich versichert, daß er nichts Originelleres kenne als „ F a u s t “ . . . Ich bin dabei, ein Konzert für Anfang Dezember vorzubereiten, in welchem ich „ F a u s t “ mit zwei großen Orchestern zu Gehör bringen will . . . [8.] [Hannover, anonym] Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften. Correspondenz-Nachrichten. Hannöver’sche Chronik. In: Abend-Zeitung Nr. 213 v. 5. Sept 1829, 852: . . . Eine Novität schenkte man uns, die Alles in Bewegung setzte: am 8. Juni nämlich ging Göthe’s F a u s t über unsere Bühne. Die Gestalten dieses berühmten Gedichts auf der Bühne zu sehen, das alle Tiefen der Lebensweisheit durchschreitet und mit starker Meisterhand und höchster Seelenkunde die Falten des Menschenherzens aufblättert und durchleuchtet, mußte die Erwartung spannen, die Neugier anlokken . . . Der Circus war gedrängt voll, Alle warteten mit angehaltenem Athem auf die Oeffnung des Vorhanges. Doch schon in der ersten gedehnten Scene verlor sich die anfängliche Kirchhofstille; man hörte Flistern der nebeneinander Sitzenden, hier räusperte sich ein ehrlicher Bürger, dort hüstelte ein unruhiges Dämchen; die Unbehaglichkeit und Unbefriedigung gab sich deutlich kund, wenn auch die Galerie die Lieder der Sauf-Compagnie im Leipziger Keller mit brüllendem Gelächter accompagnirte, und erst der letzte Akt, die treffliche Scene im Gefängniß, dieses Meisterstück psychologischer Gefühl-Poesie, fesselte die allgemeine Aufmerksamkeit wieder und schien Ersatz zu geben. − − − Betreff der Bearbeitung hätten wir von dem bühnenkundigen Herrn Klin-

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) s. oben 10. Apr 1829: Berlioz an G. ) s. unten 5. Juli 1829: Zelter an G. 3 ) s. oben 23. März 1829: Hiller an Eckermann. 4 ) s. oben 10. Apr 1829: Berlioz an G. 5 ) H. Berlioz: Huit sce`nes de Faust. Trage´die de Goe¨the.Traduites par Ge´rard de Nerval. Paris 1829. 2

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gemann mehr erwartet. Er hat nur verschnitten und versetzt, freilich wäre es auch ein Wagestück gewesen, das Product eines Göthe b e - und v e r a r b e i t e n zu wollen. Bühnenrecht kann man diesen Faust keinesweges nennen, die raisonnirenden Scenen sind zu lang, und in des Teufels, der Kupplerin, ja selbst in Gretchens Munde blieben zweideutige, fast zotige Worte, die nie von der Bühne erklingen sollten . . . Die Aufführung war lobenswürdig; man fühlte, das sämmtliche Darsteller die Größe und Schwierigkeit der Aufgabe empfunden hatten, daß die Schönheit des Gedichts, die Fülle der Sprache sie entzündet hatte.

Juni 11. An Zelter (Br 45, 288): Von Faust hab ich noch ein Exemplar, des-

wegen dir dieses erb- und eigenthümlich gewidmet sey. Dagegen wirst du aber die Freundlichkeit haben, mir ein Zelterisches Wort über dieses Werk [von Berlioz] zu sagen1) und mich über die im Anschauen so wunderlichen Noten-Figuren nach deiner Weise zu beruhigen. 15. [Paris] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 27): .. ich erwarte täglich Goethes Antwort; der mir sagen ließ, daß er mir schreiben werde,2) es aber bisher noch nicht getan hat. Gott! mit welcher Ungeduld erwarte ich diesen Brief!3) 21. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1244): Gewisse Leute können ihre Geistesgegenwart und ihren Anteil nur durch lautes Husten, Schnauben, Krächzen und Ausspeien zu verstehn geben; von diesen Einer scheint Herr Hector Berlioz zu sein. Der Schwefelgeruch des Mephisto zieht ihn an, nun muß er niesen und prusten daß sich alle Instrumente im Orchester regen und spuken − nur am Faust rührt sich kein Haar. Übrigens habe Dank für die Sendung; es findet sich wohl Gelegenheit bei einem Vortrage Gebrauch zu machen von einem Abseß, einer Abgeburt welche aus greulichem Inzeste entsteht. Der Rinald des guten Winter hat dagegen noch immer eine Menschengestalt die einem Tenor aufgepaßt ist; davon ist man aber jetzt schon wieder so weit entfernt wie jene sogenannte Tonkunstelei von der Musik. Überall setzen sie über, das heißen sie Übersetzen. Dieser borstige Ausfall möge Dir sagen daß Dein Brief vom 11. d. der am 17 von Weimar abgegangen ist so eben angekommen ist. [Juli/Aug] K. Eberwein, Die Musik zum Goethe’schen Faust (Europa, Nr. 43 vom 26. Mai 1853, 339ff.): Wolf [P. A. Wolff] ging [1816] nach Berlin. Der Wegzug dieses Künstlers und manche andere Umstände, durch welche Goethe’n die oberste Instanz des Großherzoglichen Theaters verleidet wurde, ließen Faust ruhen viele Jahre, bis 1829 Klingemann in Braunschweig denselben zum ersten Male auf die deutsche Bühne brachte. Obermarschall und Indentant des Theaters, Freiherr von Spiegel, ließ Klingemann’s Arrangement sammt der Musik kommen. Geh. Hofrath Riemer und Regisseur Durand beriethen über das Werk. Mir wurde der musikalische Theil zur Einsicht und Prüfung vorgelegt. Die Musik war mager, ich mochte sie nicht anempfehlen. Daraufhin erhielt ich den Auftrag, eine andere Musik zum Werke zu liefern.4) Freudig nahm ich jenen an und suchten den ersten Act nach Goethe’s Idee auszuführen. Monate verstrichen, ohne daß ein ersprießliches Resultat zum Vorschein gekommen wäre. Und doch drängte die

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) s. bereits oben 28. Apr 1829: an Zelter. ) s. oben 23. Mai 1829: Eckermann an Hiller. 3 ) G beantwortete Berlioz’ Schreiben nicht, verfolgte aber dessen Unternehmungen weiter. In einem undatierten Schreiben, wohl an Zelter gerichtet, heißt es: Es ist mir angenehm, wenn du den G l o b e fleißig liesest denn er kann auf manches hindeuten. Herr Berlioz hat ein großes Concert gegeben und seine Teufeleyen, wie es scheint, mit großer Energie vorgetragen. Es ist interessant zu sehen wie sie ihn schonend und hoffnungsvoll behandeln. (Br 50, 122). 4 ) Zu Eberweins Faust-Komposition s. Musik zu Faust 309−48. 2

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Zeit; denn bis zum 28. August, wo Faust zu Goethe’s Geburtstagsfeier über die Weimarische Bühne schreiten sollte, waren nur noch vier Wochen übrig. − Da in Sonntagsfrühe zog ich mich einst mit meinem unfügsamen Freunde in ein von meiner Familie entferntes Zimmer zurück. Die Glocken riefen die Frommen zum Tempel des Herrn. Die Sonne warf freundlich wohlthätige Strahlen in mein Zimmer. Ich fühlt, ich war in behaglicher Künstlerstimmung. Siehe da bildeten sich, mir unbewußt, die Worte des Erdgeistes: In Lebensfluthen, im Thatensturm Wall’ ich auf und ab, Wehe hin und her! [501−03] u. s. s. zur Melodie. Ich erfaßte sie. Ich prüfte vorwärts und rückwärts alle Worte, die der Dichter dem Erdgeiste in den Mund legt. Ich gewann die Überzeugung, daß Besseres zum Gesange nicht erfunden werden könnte. Ja, der singende Erdgeist mitten unter wunderbarer Gewalt der Instrumente mußte Faust gegenüber eine imponirende, erhabene Stellung einnehmen. So mußte sich’s der Dichter gedacht haben. Endlich war aber auf diesem Wege auch der Übergang vom Melodram zum Gesange als eine ganz natürlicher, folgerichtiger gefunden und das Ganze erhielt somit eine kunstgemäße Gestalt. Binnen zwei Stunden war die Musik von dem Momente an, wo Faust das Buch des Nostradamus aufschlägt bis zum Verschwinden des Erdgeistes entworfen. Glücklich, sie nach Goethe’s Absicht und Willen ausgeführt zu haben, eilte ich zu Durand, ihm die frohe Mär zu verkünden. Er knurrte, − dieser Ausdruck ist charakteristisch für ihn bei solchen Gelegenheiten − daß ich mit der Composition noch nicht weiter vorgerückt sei. Er hielt mir die Kürze der Zeit vor, die uns noch übrig bliebe bis zum Tage der Vorstellung. Auch konnte er sich Anfangs nicht mit der Idee befreunden, daß der Erdgeist singend auftreten solle. Es wurde daher für den Nachmittag eine Stunde anberaumt, wo wir am Piano die Scene probirten. Gar bald schwanden seine Zweifel. Und noch nach einem Verlaufe von 22 Jahren, wo auch meine Musik unter die Hände des negirenden Geistes der Neuzeit gerieht, und sich eine Opposition gegen dieselbe bemerkbar machte, hat er immerdar für mich gekämpft und ein günstiges Urtheil über meine Compostionen gefällt. Die Ostergesänge wurden mit Durand’s Hilfe so eingerichtet, daß die heiligfrommen Gefühle, welche sie in Faust’s Seele wieder erwecken, auch vom Zuhörer innerlich mit durchlebt werden könnten, ohne daß der Repräsentant des Faust dadurch zu kurz käme, und in den Schatten gestellt würde. Deshalb sahen wir uns genöthigt, den Chor der Frauen und den dritten Chor der Engel zu überspringen. Damit aber der Effect des letztern nicht verloren ginge, componirte ich ihn für das Orchester, welches nach den Worten: „Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!“ [784] fortissime eintritt. Denn in die Engelkunde: „Christ ist erstanden!“ [797] − stimmt ja ein die ganze Christenheit. Der Umfang des Gedichts scheint für e i n e Vorstellung fast zu groß zu sein. Ich schrieb zur Eröffnung eine kurze, der Würde des Inhalts entsprechende Einleitung. Die Musik zur zweiten Abtheilung beginnt mit zwei eintönigen Posaunenstößen. Sie bezeichnen die Stunde wo die kirchliche Sonntagsfeier zu Ende ist, und lebensfrohes Volk zu Fuß, zu Roß und Wagen nun hinausströmt durch die geöffneten Thore, um sich im Freien zu erlustigen. Sodann ertönt unter leierartiger Begleitung der Gesang des Bettlers [852−59], der im Stücke ausgelassen ist. Doch noch während der Dauer desselben hört man, wie ein Flötist und später ein Hornist ihre Künste produciren. Hieran knüpfen sich Neckereien, welche von den Violinen ausgeführt werden. Durch rapide Tanzmusik, welche mit Wagner’s Worten: „Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben“ [945] − harmonirt, werden jene unterbrochen. Schmachtende Liebe durfte nicht vergessen werden. Allmählig nehmen die Neckereien einen ernstern Charakter an und verlieren sich endlich ganz. Den Schluß bildet die Melodie zu Goethe’s Liede: „Donnerstag nach Belvedere,“ [Die Lustigen von Weimar, W 1, 151] componirt von meiner verehrungswürdigen Schülerin, der Gräfin Caroline von Egloffstein. Fräulein Engels, später an Durand verheirathet, hat es oft mit verdientem Beifalle zur Gitarre gesungen im Goethe’schen Hause. Riemer und Durand hatten das Faustgedicht in acht Abtheilungen gebracht, wahrscheinlich in der Absicht, dem Publicum nicht mit einem Male des Guten zuviel zuzumuthen, sondern ihm mehr Ruhepuncte zum Nachdenken zu gewähren, als sonst geschieht. Als

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Goethe auf dem Theaterzettel diese Eintheilung gewahrte, rief er aus: „Na, Die haben Courage!“− Dadurch, daß jene Pausen durch eine dem Gedichte entsprechende Musik ausgefüllt werden, tritt das ganze musikalische Element in ein noch innigeres Band mit jenem. Und so nimmt die Musik eine ungewöhnlich hohe Stellung selbst in der Tragödie ein, die ihr der Dichter schon angewiesen hatte im Jahr 1816. Darum trug ich denn auch keine Bedenken, die im Faust verwebten Lieder mit Orchesterbegleitung zu componiren. Ihr Charakter bedingte es. Beethoven in der Composition zu Egmont gab mir ja ein nachahmungswürdiges Beispiel. Überhaupt kommen mir die Klänge begleitender Instrumente im Orchester wie sympathisirende Geister des Gesanges vor. Sie leiten ihn ein, sie heben, tragen und schließen ihn und weder an Ort noch an Zeit gebunden, sind sie deshalb in jeder Gattung des Schauspiels anwendbar. Sobald als meine Composition bis zum zweiten Acte vorgeschritten war, trieb es mich zu Goethe. Ich meldete ihm daß es mir jetzt gelungen sei, im ersten Acte die gewünschte melodramatische Behandlung eintreten zu lassen. So werde der Erdgeist, indem er singend auftrete, in jeder Beziehung einen Gegensatz zu Faust bilden. Goethe genehmigte nicht nur meine ganze Auffassung, sondern versprach auch, er wolle mir noch einige Zusätze schicken, die ich auch bald erhielt.1) Der eine wird da gesungen, wo Faust im Begriff ist, den Contract mit Mephisto abzuschließen; der andere kommt am Schluß der Vorstellung vor. In der Domscene sind die vom Dichter ursprünglich eingeflochtenen lateinischen Sätze aus der Mitte der Seelenmesse entlehnt. So aber erscheint das Amt, als schon begonnen, in musikalischer Hinsicht wenigstens wie ein Körper ohne Kopf. Um dieser fragmentarischen Form nachzuhelfen, componirte ich zur Eröffnung dieser Scene die Anfangsworte der Trauermesse: Requiem aeternam dona eis, Domine! [Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr] Während derselben drängen sich Theilnehmende von der Seite in den Dom und Margarethe tritt auf. Nach Margarethens Worten: „Heinrich, mir graut vor Dir!“ [4610] − ertönen Posaunen und später sämmtliche Instrumente, um die grauenvolle Handlung des weltlichen Gerichts anzukündigen. Ein Gesang der Engel, wie Goethe ihn mir eingehändigt hat, gibt dem Ganzen die erforderliche Abrundung.

Juli

19. Musikdirektor Eberwein, wegen der ersten Scene von Faust und deren

Composition sich besprechend. Aug Anf.−[Frankfurt] J. Weidner: Das Regiebuch zur Frankfurter Faust-Inszenierung von 18292) 27. (Marginalien 17 [1964] 38f.): Anfang August’s 1829 ward mir plötzlich der ehrende Auftrag, eine Festvorstellung für Göthe’s Geburtsfeier zu veranstalten. Nach reiflichem Bedenken unternahm ich es, Faust für die Scene zu bearbeiten; der Plan fand Aufmunterung und Anerkennung bey meinen Oberen. Es galt einer Festvorstellung. Das mußte bey der Ausschmückung berücksichtigt werden. Bey der Kürze der Zeit war ich zufrieden, daß der wackere Dekorations-Maler Meiller [J. Meiler] Eine neue Dekoration: die alte Ansicht Frankfurts, versprach und trefflich ausführte. Die anderen Dekorationen mußten demnach aus den besten des Vorraths gewählt und ihre Zahl beschränkt werden. − Darum blieb die Hexenküche weg; − darum wurden die gehäuften Verwandlungen des vierten Fragments übergangen. Die Rollen wurden ausgeschrieben und vertheilt; aber bis zur Vorstellung waren keine vierzehn Tage mehr. Der wackere Löwe, sehr gewissenhaft in Erlernung seiner Rollen, erklärte daß es ihm unmöglich sey, in der gegebnen kurzen Frist die starke Rolle des Faust zu liefern. Ich mußte mit ihm capituliren, und kürzte seine Scenen, wie die blauen Streich-Linien beweisen. Mit Lust und Liebe wurden die Proben gehalten und ich gedenke noch jetzt, mit dankbarer

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) s. unten 12. Aug 1829: Tgb. ) Hs in der Anna-Amalia-Bibliothek Weimar, Sign. N 21180. Die Blätter 3 u. 4 enthalten als Vorrede die Geschichte der Frankfurter Inszenierung, geschrieben vermutl. 1834.

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Freude, des regen Eifers, der alle Mitglieder beseelte. Die Vorstellung fand bey überfülltem Hause statt. Wer die herrlichen Übergänge sah, mit denen die unübertreffliche Lindner von Auftritt zu Auftritt, in Seelenmalerey vorschritt, vermißte gewiß keine Verwandlung der Scene, die ihm nur das schöne Spiel unterbrochen hätte. Löwe als Faust schloß sich der Lindner würdig an. Rotmmayer lieferte als Valentin ein großes Charakterbild. In edler Begeisterung wetteiferten Alle − Alle ohne Ausnahme − die Darstellung zu einer festlichen zu erheben. Das Publicum war enthusiasmirt, und wurde nicht müde, Beifall zu spenden.

Aug

3. Herr Musikdirector Eberwein wegen des Faust. 4. [Nachmittags] Kam Oberbaudirector Coudray, Fräulein Jacobi und Pro-

5. 7. 8. 12.

fessor Riemer . . . Mit dem Dritten behandelte ich nachher einiges auf Faust Bezügliche. Eberwein, wegen Faust einiges zu besprechen. [Abends] Später Professor Riemer . . . Sodann einige Berathung und Verabredung wegen Faust. Herr Regisseur Durand mir einige Desideranda zu Faust vortragend. [An] Herrn Musikdirector Eberwein, Stellen zu Faust1) . . . Director Eberwein, einiges besprechend und erinnernd.

13.2) [Weimar] H. C. Robinson, Diary (Norman 2, 7f.): I reminded Goethe of my first introduction to him [20. Nov 1801], of which he could have no recollection. On the other hand, his strong memory of what deserves to be remembered excited my envy. On my mentioning Marlowe’s Faust he burst out into exclamations of wonder: ’Wie gross ist alles angelegt!’ He said he had some thought of translating it. He gave an account of the story to Frau [Ottilie] von Goethe. He was fully aware that Shakespeare stood by no means alone in that age. He reverted again to Lord Byron. Knebel had shown me a lithographed MS. to Goethe, which was sent by Byron. It was a sketch of a dedication of Sardanapalus which being approved of by Goethe, was sent back, and Frau von Goethe says, appeared before the second edition. It certainly is not before the new edition, nor I believe before the pirated German and French editions. I will try to get a copy. Goethe conceded to me that there is not character in Lord Byron, and that the idea of selling one’s soul in order to gratify such an appetite as Manfred’s is not poetical, but he praised the death of Manfred, after the devil could not carry him away, as very fine. I was glad to find that Goethe particularly admires Byron’s Heaven and Hell, and the first two acts of the Deformed Transformed. These are precisely my favourites. [13./18.] [Weimar] H. C. Robinson, Reminiscenses3) (Norman 2, 8f.): I cannot pretend to set down our conversations in the order in which they occurred. On my return from Jena, I was more aware than before that Goethe was grown old. Perhaps because he did not

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) Zwei zusätzliche Chöre für die Weimarer Aufführung, nach der Partitur Faust von Goethe. Entreactes und Gesänge von C. Eberwein wiedergegeben bei Bohnenkamp 264. − Der erste Chor, der den Abschluß von Pakt und Wette begleitet, ist eine Umarbeitung des Geisterchors, den G schon für die Aufführung des Fürsten Radziwill gedichtet hatte. Der zweite Chor, ein Chor der Engel, bestätigt, auf Gretchens Hilferuf antwortend, die Rettung von oben. 2 ) Henry Crabb Robinson traf während seines Aufenthalts in Weimar vom 13. bis 18. Aug 1829 täglich mit G zusammen. 3 ) Geschrieben 1852.

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exert himself so much. His expression of feeling was, however, constantly tender and kind. He was alive to his reputation in England and apparently mortified at the poor account I gave of Lord Leveson Gower’s translation of Faust − though I did not choose to tell him that this noble translator, as an apology, said he did it as an exercise while learning the language! On my informing him that he had not ventured to translate the Prologue in Heaven he seemed surprised1). „Wieso? Das ist ganz unschuldig. The idea is in Job.“ He did not perceive that that was the aggravation, not the excuse . . . This, and indeed I believe every evening, Lord Byron was the subject of his praise. The complete edition of Lord Byron’s works including the Life by Moore contains a statement of the connection between Goethe and Byron, principally in the Life. At the time of my interview with Goethe the Life was actually under the biographer’s hands. Goethe was by no means indifferent to the account which was to be given to the World of that connection and was desirious of contributing all in his power to its completeness. For that purpose he put into my hands the lithographic dedication to Sardanapalus to himself and all the original papers which has passed between them. He permitted me to take them to the hotel with me liberty to do with them what I liked. In other words, I was to copy them and I added to my copies such recollections as I was then able to supply of Goethe’s remarks on Byron. These filled a very closely written folio-letter. On my return to England I enquired of Mr. Murray to whom I sent the letter whether he had received it. At first he said he had, and that it had come too late to be of use − then he said that Moore had had it, but seeing Moore at Sam Roger’s he assured me that he had never heard of it . . . I had the courage to confess my inability to relish the serious poems of Byron, and to intimate my dissatisfaction with the comparison generally made between Manfred and Faust. „Faust,“ I said, „had nothing left but to sell his soul to the Devil when he had exhausted all the resources of Science in vain, but it is a poor reason, his passion for Astarte. He smiled and said: „Das ist wahr.“ But then he fell back on the indomitable spirit of Manfred. Even at the last he was not conquered. Power in all its forms Goethe had respect for. This he had in common with Carlyle, and the impudence of Byron’s satire he felt and enjoyed . . . When I denied that Manfred deserved to be compared with Faust − a comparison which Byron himself disclaims − I pointed out the Deformed Transformed as being really an imitation. I was pleased to find that Goethe especially praised this piece.’

Aug 14. Sodann Professor Riemer . . . Mit Letzterem den Abend zugebracht . . .

Auch wegen dem Fortschreiten der Proben von Faust gesprochen. 15. [Weimar] H. C. Robinson, Diary (Norman 2, 17): We soon quitted engraving for poetry. And on my saying I had been reading the Vision of Judgment to Knebel, he astonished me by the minute kwowledge of that and of other of Lord Byron’s works. By the bye, I have been annoyed by Goethe’s intense love of Byron: but consoled by my at least preferring his favourites. But I cannot concur in his love of Manfred. He conceded to me, however, that the imitation of Faust in Manfred was not judicious. 18. Um 1 Uhr Professor Riemer . . . Auch wurden einige Theatralia be-

sprochen. 22. [Frankfurt] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 312): Im Theater sollen gewählte Scenen aus Ihren Schauspielen gegeben werden, auch einige aus Faust.2)

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) G gab sich offenbar nur überrascht; denn bei der eigenen Leküre wird er das Fehlen des Prologs im Himmel selbst schon bemerkt haben; s. oben 11. Mai 1825: Tgb. 2 ) Aufführung am 27. Aug.

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[Aug 23.] [Bremen, anonym] Notizen. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 177 v. 10. Sept 1829, 1416: F a u s t , von G ö t h e , wurde zum ersten Male in Bremen am 23sten August „zur Wiedereröffnung der Bühne“ gegeben, wie auf dem Zettel beigefügt stand . . . Die Darstellung gefiel sehr, trotz einiger Fehler, und obgleich sie nicht so vollkommen war, wie in Hannover und Braunschweig. [27.] [Dresden] L. Tieck: Prolog zur Aufführung von Göthes Faust an Göthe’s Geburtstage (L. Tieck: Gedichte. Neue Ausgabe. Berlin 1841, 585f.): . . . Doch wie ? − Der Faust der kühnste Traum des Mächt’gen? Darf dies Gerüst, mit Mängeln, Fehlern, Schwächen, Sich diesen starken Riesenwerks ermächtgen? Wird nicht der kleine Raum zusammen brechen? − Kein Raum genügt dem unermeßnen Werke, Und keine, keine Kraft wiegt des Titanen Stärke: Und keinem Sterblichen wird es gelingen Das vieldeutsame Lied zum Schluß zu singen, Daß es Fragment, als Räthsel und Ruine, In MondscheinDämmer um so größer schiene. Und also soll auch uns der Tadel meiden, Was frech erscheinen dürfte, ist bescheiden, Weil Bruchstück vom Fragmente zu beleben Wir ängstlich uns und dankbar nur bestreben. So nehmt es an, und unser Müh’n ist nicht verloren; Denn heut vor achtzig Jahren ward geboren Der Sangefürst, deß Siegeswagen Ihn ruhmgekrönt durch jedes Land getragen: Und daß auch wir ihm huld’gen und ihm danken, Drum öffnen heut zum Wag’stück sich die Schranken Daß ihr, Verehrte, heut sein liebend denket, Drum wird herein in enge Bahn gelenket Der Katarakt, deß Donnerstimmen sonst wohl nimmer tönten: Wie wir so ehren möchten ihn, den Ruhmgekrönten, So adeln wir uns Alle, auch die ungeschmückten Hallen (Wo zuweilen schwache Lieder fallen) Daß wir an diesem Feiertag es wagen, Das Riesenbild herein zu tragen, Dieß mag die That erklären und entschuld’gen, Daß wir durch Kühnheit diesem kühnen Meister huld’gen. [27.]1) [Dresden] F. Chopin an seine Familie (F. Chopin: Briefe. Hsg. v. Krystyna Kobylan ´ ska. Berlin 1983, 65): Ich komme aus dem Faust zurück. Vor halb fünf an mußte man vor dem Theater warten; die Vorstellung währte von sechs bis elf. Devrient, den ich bereits in Berlin gesehen hatte, spielte den Faust. Heute gerade feierte man hier den achtzigsten Geburtstag Goethes. Eine fürchterliche, aber große Phantasie. Obwohl das nicht die Oper Spohrs [Faust, 1813] war, wurden in den Zwischenakten Stellen daraus gespielt. [27.] [Dresden] C. G. Carus: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. Nach der zweibändigen Originalausgabe von 1865/66 neu herausgegeben von Elmar Jansen. Bd 1. Weimar 1966, 495f.: So zum Beispiel erregte es mich im hohen Grade, Goethes „Faust“ jetzt zum erstenmal auf der Bühne zu sehen. Ich schrieb zwar damals über den Schauspieler, welcher die Titelrolle gab: Armseliger Faust, ich kenne dich nicht mehr [2720]; und von welchem andern hätte ich späterhin nicht mehr oder weniger immer dasselbe wieder sagen müssen, da nun einmal überhaupt kein Geist aus diesen Regionen solcher Aufgabe gewachsen sein kann und wird, aber in dem Ganzen lag an jenem Abend doch eine große Begeisterung! Es war aber Goethes achtzigster Geburtstag, der Dichter selbst lebte noch, Tieck hatte die Veranlassung zur Aufführung gegeben und dafür einen schönen, von innerlicher Erwärmung diktierten Prolog geschrieben. Das Publikum verhielt sich durchaus anerkennend und lebendig, kurz, es gab doch die Erscheinung jenes Fleischwerdens der Dichtung, was eben nur von der Bühne gewährt werden kann, und in diesem Sinne fühlte dann auch ich mich dadurch gehoben und erfrischt.

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) Der Brief ist auf den 25./26. Aug datiert; da die Aufführung erst am 27. Aug stattfand, muß es sich um einen Datumsfehler handeln.

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[Aug27./29.] [Dresden, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. Dresden, September. In: Morgenblatt Nr. 226 u. 227 v. 21. u. 22. Sept 1829, 904; 908: Die Aufführung des „Faust“ von Göthe am 27. und 29. des vorigen Monats hat Epoche in den Annalen des hiesigen Theater gemacht. Lange habe ich keinen so lebhaften Antheil des Publikums an irgend einer dramatischen Leistung bemerkt, als an dieser, und lange vorher und noch lange nachher war das allgemeine Gespräch nur von ihr. Klingemann in Braunschweig, welcher dieses ungeheure Werk bereits im Frühjahr dieses Jahres [am 19. Jan] nach einer von ihm versuchten Bearbeitung auf der dortigen Bühne aufführen ließ, gab damit wohl auch zugleich wieder die erste Anregung zu Verfolgung der Idee, daß es doch möglich sey, diesen unsterblichen Torso von der Bühne aus betrachten zu lassen. Hannover [am 8. Juni] folgte nach, hier aber, in Leipzig und in Weimar faßte man den sehr passenden Gedanken auf, dieses Werk am achtzigsten Geburtstag seines Dichters darzustellen. Die diesige und Leipziger Bearbeitung ist von Tieck ausgegangen; doch kann man es nicht eigentlich Bearbeitung nennen, denn es ist weder etwas hinzugekommen noch verändert, noch auch nur scenisch etwas versetzt worden sondern das Werk nur hie und da abgekürzt, das für die Bühne sich durchaus nicht Eignende hinweggelassen und in der Scenerie Einiges anders angeodnet worden. Und so geschah es auch mit Recht; denn es müßte ein zweyter Göthe seyn der den Faust eigentlich Bühnengerecht gestalten wollte. Es ist gut, wenn das, was nur Bruchstück ist, auch als solches erscheint und sich dadurch gleich selbst der Standpunkt feststellt, aus welchem er angesehen werden muß. Dieß hat auch Tieck in dem Prologe, den er zur Geburtstagsfeyer Göthe’s schrieb sehr gut entwickelt, und diese Dichtung leitet sehr passend das Ganze ein . . . Zu weitläuftig würde mein Bericht werden, wollte ich mit kritischem Auge in die Einzelnheiten der Darstellung des Faust selbst mich versenken, da so unendlich reicher und anziehender Stoff dazu vorliegt. Es genüge hier, die Hauptcharaktere flüchtig zu berühren . . . Nach alle dem kann man der obern Behörde wie den Darstellern selbst nur herzlichen Dank bringen für ein so kühnes und so gut gelungenes Unternehmen. [27.] [Dresden, anonym] Correspondenz und Notizen. Aus Dresden. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 198 v. 9. Okt 1829, 1583f.: Zu Göthe’s Geburtsfeier ward Faust gegeben,1) und unser Publicum, an dieser Aufführung den lebhaftesten Antheil nehmend, glich schon mehrere Tage vor der Vorstellung dem frommen, von den verschiedenartigsten Gefühlen bewegten Aeneas des Virgil. „Wir werden Faust, dieses tiefsinnigste Werk unsers großen Dichters, sehen!“ sagte man. Die süße Scene zwischen Faust und Gretchen, bis jetzt nur des Lesers stille Freude, Gegenstand der bildenden Kunst, wird sich vor unserm Auge gestalten, Philosophie und Magie werden zu uns sprechen, der Teufel selbst, in zierlichster Gestalt und dennoch fürchterlich, uns erscheinen. Wie Manches, mit einer Leichtigkeit, Wahrheit und Treue, die nur Göthe’n eigen sind, geschrieben, wird uns durch die Kraft dieser Treue und Wahrheit treffen, erschüttern, ergehen: Faust’s Wort von der quellenden Thräne, der König von Thule, Mephistopheles und der Schüler, Mephistopheles und Marthe, Gretchens Klage! „Aber wie steht es mit dem Scenischen?“ fuhr man fort. „Läßt sich die bunte Phantasienwelt in den engen Raum der Bühne drängen? Wie wird − streicht man auch die Brockenscene − Teufelsküche, Hexe und Meerkatze erscheinen, und der Pudel sich dehnen?“ Ueber diese Zweifel konnten unsere Maschinenmeister lächeln. Im Faust wechselt die Scene durchaus nicht so oft wie in Shakespeare’s historischen Stücken, welche in dieser Hinsicht ungleich schwerer darzustellen sind. Wir besitzen ein Kinderballet, wie könnte es uns an Meerkätzchen fehlen? Seit der Zauberflöte gebührt Deutschlands Theatern der Ruhm, reich an T h i e r e n zu seyn. In unsern Opern dehnen sich Rosen mächtig aus, warum nicht auch Pudel? In scenischer Hinsicht waren also alle Schwierigkeiten leicht zu beseitigen. Andere Zweifel wurden leiser mitgetheilt und gingen tiefer in das Werk

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) Die Vorstellung wurde aufgrund des begeisterten Zuspruchs am 29. Aug wiederholt.

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selbst ein: Göthe hat, so lange das Theater zu Weimar unter seiner dichterischen Leitung stand, den Faust nie auf die Bühne gebracht. Göthe, in geistiger Klarheit ruhig waltend, muß dazu seine Gründe gehabt haben. Ist das Werk nicht Fragment? Faust für das Drama zu contemplativ? Sind seine Monologe für die Darstellung nicht zu lang, und wer möchte wieder auch nur einen der vielen herrlichen Gedanken verlieren? Ein B ü h n e n werk erforderte bis jetzt eine in sich abgeschlossene Handlung, raschen Gang der Begebenheit, Thatkraft der Hauptperson. − So zweifelten Manche. Aber auch über diese Bedenken des kritischen Geistes siegte am Tage der Vorstellung das schöne Gefühl, Göthe’s achtzigsten Geburtstag durch erste Darstellung durch erste Darstellung seines reichhaltigen Werks feiern zu können. Wie Faust selbst eine freie und kühne Phantasie ist, so setzte sich auch das Publicum, im Schwunge seiner Begeisterung, über alle aristotelischen Formen diesmal hinweg und huldigte dem Dichtergeiste . . .

[Aug 27.] [Frankfurt, anonym] Frankfurter Volksbühne. Am 27. Aug. Zur Feier des Geburtstages G ö t h e ’s, am Vorabende desselben: F ü n f F r a g m e n t e a u s F a u s t , nebst Prolog und Epilog. In: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität Nr. 248 v. 5. Sept 1829, unpagn.: Mit den aus F a u s t gewählten Fragmenten1) war Ref. nur theilweise zufrieden. Das erste [Nacht] begann mit dem großen Monolog des Faust . . . Etwas weniger Deklamation und Sentimentalität im Vortrage wäre in der Leistung unsers braven Künstlers allerdings zu wünschen gewesen. Wie schwierig ist aber die Darstellung des Faust und wie wenige Künstler werden wir finden, die diesen Charakter, der alle Schwachheiten der menschlichen Natur, das Streben nach Wissenschaft und die Ermüdung bei der Arbeit, die Nothwendigkeit des Erfolgs und die Sättigung im Vergnügen, in sich vereiniget? . . . Im zweiten Fragment [Vor dem Thor-Studierzimmer] war der Spaziergang vor den Thoren Frankfurts verlegt worden. Durch die Ansicht unserer Vaterstadt; wie sie sich vormals producirte, wurden wir auf diese Weise recht angenehm überrascht . . . Das dritte Fragment [Auerbachs Keller] gab uns die Scene in Auerbachs Keller in Leipzig. Die Wahl derselben kann Ref. unmöglich billigen und durch sie ehrte man den Dichtergreis gewiß nicht. So jauchzend und jubelnd man diese Scenen auch aufnahm, so widrig muß dennoch der Eindruck gewesen seyn, den sie auf jeden gebildeten Sinn gemacht haben . . . Die Scenen im vierten [Straße-Gartenhäuschen-Gretchens Stube-Marthens Garten] und fünften Fragmente [Zwinger-Nacht-Trüber Tag, Feld-Kerker] waren kunterbunt durcheinandergeworfen, und dadurch für den, der sich mit Göthe’s Dichtung vertraut gemacht hatte, von sehr geschwächter Wirkung. Warum hat man die unbeschreiblich schöne D o m s c e n e nicht auf die Bühne zu bringen gesucht? Sie wäre des Dichters viel würdiger, als jene Kellerscene gewesen . . . Wir können die Wa h l d e r F r a g m e n t e aus Goethe’s Faust aus verschiedenen Gründen nicht gut heißen. Zuerst bietet die Darstellung des Faust der unbesiegbaren Hindernisse so viele, daß sie auch der geschickteste Regisseur, wenn ihm nicht, neben Umsicht und Geschmack, alle erdenklichen Mittel zu Gebote stehen, nicht überwinden wird. Der Beifall der Masse soll uns nicht irre leiten. Diese weiß die Gegenstände nicht zu würdigen, die in Faust besprochen werden, und die überhaupt auf keine Volksbühne gehören.2) [27.] [Braunschweig, anonym] Stadttheater zu Frankfurt a. M. In: Mitternachtblatt für gebildete Stände Nr. 154 v. 25. Sept 1829, 616: Den 27ten August wurde zur Vorfeier des 81ten Geburtstages unseres würdigen Veteranen Göthe, gegeben: . . . fünf Fragmente aus „ F a u s t “. Die Anordnung des Ganzen war zu loben . . . Das Haus war gefüllt.

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) Zur Entstehung des von Julius Weidner eingerichteten Schauspiels s. dessen Regieund Soufflierbuch (HAAB, F 7693) u. H. Henning: Das Regiebuch zur Frankfurter Faust-Inszenierung von 1829. In: Marginalien 17 (1964) 38f. 2 ) Zu den Faust-Aufführungen in Frankfurt s. W. Pfeiffer-Belli: Die Dramen Goethes auf dem Theater seiner Vaterstadt 1775 bis 1832. Frankfurt 1929, 123−41.

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[Aug 27.] [Anonym] Neuigkeiten. Correspondenz-Nachricht aus Dresden. In: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur und geselliges Leben Nr. 116 v. 26. September 1829, 473f.: Wie Ihnen bereits bekannt seyn wird, ist an G ö t h e s 80. Geburtstage dessen „Faust“ auf hiesigem hiesigem Hoftheater aufgeführt worden, und dadurch dem deutschen Dichterkönige, welchen wir noch das Glück haben in rüstiger Kraft unter uns zu sehen, eine gerechte Huldigung dargebracht worden. Nachdem dieß Stück bereits wiederholt, ist es vor ein Paar Tagen verbothen worden. Man schreibt dieß besonders Folgendem zu. Dieß Drama ist allerdings vom Dichter nicht für die Darstellung bestimmt, weßhalb auch K l i n g e m a n n eine Einrichtung für die Bühne fertigte, welche G ö t h e s Beyfall fand, und in Weimar und an mehreren Orten zur Darstellung erwählt wurde. Weniger behagte sie unserem Dramaturgen T i e k und er unterzog sich deßhalb einer neuen Einrichtung. Man irrt sich jedoch sehr, wenn man sich hierbey eine mit Mühe, Fleiß, Scharfsinn und Kenntniß der Bühne gemachte Bearbeitung denkt, welche den allerdings für die Bühne zu großen Stoff des „Faust“, der ein Bild des ganzen Lebens enthält, in theatralische Grenzen concentrirt, die Scenen bühnengerecht zusammenfügt und manches beseitigt, was für den Leser ganz an seinem Platz und unentbehrlich ist, aber nicht für den Zuschauer im Theater sich eignet. T i e k machte es sich viel leichter, wohl zu leicht und ließ das Ganze bis auf einige Worte und Scenen, als z. B. die auf dem Blocksberge, unverändert. So mußte das Gedicht für die Aufführung nicht nur etwas scenisch losgerissenes erhalten, sondern es mußte auch bey der Schilderung des sinnlich-geistigen Faust manches als anstößig erscheinen. Dieß mag wohl hier einen Grund zum Verboth gegeben haben, während an andern Orten das Stück nach der K l i n g e m a n n schen Bearbeitung durchaus nicht verletzte. Auch auf dem neu errichteten zweyten Hoftheater zu Leipzig wurde das Stück bey derselben Gelegenheit [am 28. Aug] gegeben und wenn auch die Darstellung minder gelungen als auf dem Theater der Residenz mag gewesen seyn . . ., so wurde doch das Stück noch wärmer al in Dresden aufgenommen, und dem Dichtergreis ein dreymahliges Lebehoch gebracht. Natürlich trifft auch das Leipziger Theater das Verboth, indem alle für das erste Hoftheater der Residenz getroffenen Verfügungen und Anordnungen auch auf das ihm untergeordnete in Leipzig sich erstrecken. 28. [Dresden] Carl Graf Brühl an L. Tieck (Briefe an Tieck 1, 110): Erlauben Sie mir werther Herr Hofrath, Ihnen hier meinen aufrichtigen Glückwunsch über die gestrige so glückliche gelungene Darstellung des Faust, vorzüglich aber über den schönen Prolog1) auszusprechen, mit welchem Sie uns beschenkt haben. − Er ist mir in jedem Sinne vortrefflich erschienen, und ich fühle mich gedrungen Sie um Erlaubniß zu bitten, ihn abschreiben zu dürffen in sofern er nicht etwa im Druck erscheint. − Ich habe nicht allein den Wunsch ihn für mich zu besitzen sondern möchte ihn auch gern dem Herzog Carl von Meklenburg schicken, welchem ich Bericht erstatten will über alles was ich gestern gesehen und gehört. − Die Einrichtung des ganzen schien mir höchst gelungen und das Spiel der Mitwirkenden, fast in allen Stücken, s e h r l o b e n s w e r t h . Auch die scenirte Einrichtung leistete alles, was auf einem so kleinen Theater zu fordern ist. Verzeyhen Sie mir meine bescheidene Frage; − werden Sie nicht hie und da noch, den Stift ansetzen? War die letzte Scene nicht zu lang − so vortrefflich sie auch gespielt wurde?! Verzeyhen Sie werther Herr Hofrath diese bescheidenen Fragen, und genehmigen Sie die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung und freundlichen Ergebenheit . . . [28.] [Anonym] Buntes aus der Theaterwelt. In: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur und geselliges Leben Nr. 117 v. 29. September 1829, 478: An G ö t h e ’s letztem Geburtstage hatte T i e k für das Leipziger Theater einen Prolog gedichtet, der der Vorstellung des „Faust“ voranging. Dieses war mit Einsicht in 5. Ab-

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) Abdruck s. oben (S. 421) 27. Aug 1829: Prolog.

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theilungen eingerichtet, und wenig weggelassen, außer am Schluße. Das Haus war überfüllt, und obgleich es über 4 Stunden spielte, so entfernten sich doch nur wenige vor dem Ende. Der Beyfall war sehr lebhaft, und Faust, Mephistopheles und Gretchen wurden gerufen. Nach dem Prologe ward dem Dichtergreise ein dreymahliges donnerndes Vivat gebracht. Die Hauptsache war das Erscheinen des Pudels in Faust’s Zimmer und das Aufschwellen desselben zu einer riesigen Größe. Einen so großen Pudel hat man noch auf seinem Theater gesehen, und gewiß wird er sich lange auf jedem Repertoire erhalten.

[Aug 28.] [Leipzig, anonym] Correspondenz und Notizen. Aus Leipzig. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 171 v. 1. Sept 1829, 1366f.: Auch bei uns wurde am 28sten Aug. d. J. G ö t h e ’s achtzigster Geburtstag auf eine des großen Dichters würdige Weise gefeiert, indem sein F a u s t , von T i e c k für die Bühne eingerichtet, zur Aufführung kam. Der Vorstellung ging ein von T i e c k gedichteter und von M a d . S c h m i d t gesprochener Prolog voraus, worauf von den höchst zahlreich versammelten Zuschauern dem Allverehrten ein dreimaliges Lebehoch dargebracht wurde. Die Vorstellung selbst konnte man eine sehr wohl gelungene nennen, wenn man bedenkt, wie viel dazu gehört, ein solches Werk zur Anschauung und zum innigen Verständniß eines gemischten Publicums zu bringen . . . Man bemerkte . . . unter den Zuschauern die innigste Theilnahme an dem erhabenen Werke, welche nicht ermattete, obgleich die Darstellung über vier Stunden dauerte. [28.] [Leipzig] Alpin: Die Feier des achtzigsten Geburtstags Göthe’s auf dem Theater zu Leipzig, am 28sten August 1829. In: Mitternachtblatt für gebildete Stände Nr. 150 v. 18. Sept 1829, 598ff.: Wie sonderbar! Vor vielen Jahren schon rief Göthe seinen Faust in’s Leben und niemand wagte es, er selbst nicht, dieses Riesen-Gebild durch die Darstellung zu lebendiger Anschauung zu bringen, allwärts fürchtete man, es würden die Bretter, die die Welt bedeuten, diesen Giganten nicht tragen können! Der neuesten Zeit war es aufbehalten, dies Wagstück zu vollführen, schon schritt er, geleitet von dem Bühnenkundigen Klingemann, im vorigen Jahr [am 19. Jan 1829] über die Braunschweigische Hofbühne, irren wir nicht, mit gutem Erfolg, und, wie wir hörten und selbst erlebten, feierten in den jüngst verflossenen Tagen die Bühnen zu Dresden [27. Aug], Leipzig [28. Aug] und Weimar [29. Aug] mit ihm würdig des greisen Dichters achtzigstes Wiegenfest, und daß es gelang, daß er die Geister der Hörer und Schauer mächtig hob und bewegte, des waren wir Zeuge in den der Kunst geweihten Hallen der blühenden Lindenstadt, dies vernahmen wir aus sicherer Quelle vom herrlichen ElbFlorenz her; für beide Bühnen hatte ihn Tieck höchst zweckmäßig, und durch wenige von den scenischen Verhältnissen und sittlicher Nothwendigkeit gebotene Auslassungen, eingerichtet, und währte auch die Vorstellung für einen gewöhnlichen TheaterAbend fast zu lang, von 6 bis nahe 11 Uhr, so verließ doch die äußerst zahlreiche Versammlung das Haus, wie es schien, sehr befriedigt. Ein großer Beweis also, daß die Bretter es tragen können, daß die Menge es fassen kann dieses Riesengebild! Und doch glauben wir aus der Darstellung selbst das Resultat ziehen zu müssen, daß das colossale Fragment mit seiner grellen Farbenmischung, mit seiner allzu offnen Ausstellung der Sünde nicht heimisch auf der Bühne werden kann. Das soll es aber auch nicht, für ein Zug- und Kassenstück steht es viel zu hoch . . . [Folgend zu den einzelnen Darstellern] . . . die scenische Einrichtung, die Werke des Decorateurs und Maschinisten verdienen lobender Erwähnung, uns aber ward ein unvergeßlicher Genuß durch Schauung dieses Riesen-Werks bereitet. [28.] [Leipzig, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. Leipzig, September. In: Morgenblatt Nr. 229 v. 24. Sept 1829, 916: Am 28. August ward hier, zur Feyer des einundachtzigsten [?] Geburtsfestes Göthe’s, dessen „Faust“, nach Tiecks Einrichtung für die Bühne, aufgeführt. Diese Einrichtung bestand größtentheils im Weglassen ganzer Scenen oder einzelner Stellen, unter andern der beyden Prologe, der Scene mit den Bauern unter der Linde, der auf dem Harzgebirge und des Walpurgisnachtstraumes, der Scene am

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Brunnen zwischen Gretchen und Lieschen und der in der Nacht, wo Faust und Mephistopheles auf schwarzen Pferden daherbrausen. So war denn das Ganze das Fragment eines Fragments, es war noch größere, d. h. noch mehr gefallene Ruine, als wir sie, vom Dichter selbst in die geheimnißvolle Mondnacht hingezaubert, im Gedichte vor uns erblicken. Hier nun sahen wir diese Ruine im künstlichen Lampenlichte der Bühne, wie in ein Prokrustesbett eingeengt, nur um zu zerstörter. Freylich würde der gewaltige Katarakt das Brettergerüst zersprengen; aber − mußte man überhaupt diesen Katarakt zum Bache umgestalten, der ruhig in angewiesenen Bahnen über Steinchen dahinrieselt? Der Einrichter selbst scheint auch das Wagniß recht gut erkannt zu haben; aber gerade er sollte es nicht allein erkennen, er gerade sollte es ganz unterlassen, Göthe’s Faust auf die Bühne zu bringen . . . Durch die Einzwängung in den engen Raum der Bühne wurde jene Welt zerstört, und gerade denen, welche diese bunte, zauberische Welt schon näher kannten, mußte die Zerstörung nur desto schmerzlicher seyn, und wie klein dagegen mochte die Schöpfung denen, welchen sie noch neu war, vorkommen! . . . dieß alles kann den, der es mit dem Gedicht und dem Dichter redlich und aufrichtig meynt, der das Meisterwerk selbst kennt und liebt, in der Meynung nur um so mehr bestärken, daß Faust, wie er nicht für die Bühne bestimmt gewesen ist, so auch nicht auf sie gehöre.

[Aug 28.] [Leipzig] C. H.: Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften. Correspondenz-Nachrichten. Aus Leipzig. Am 31. August 1829. In: Abend-Zeitung Nr. 215 u. 216 v. 8. u. 9. Sept 1829, 860; 864: Noch bevor mein Correspondenten-Termin abgelaufen ist, beeile ich mich, Ihren Lesern von einer außerordentlichen theatralischen Erscheinung Nachricht zu geben. Wir wohnten nämlich am 28. d. M., als am Geburtstage unsers nun achtzigjährigen Dichter-Nestors G ö t h e , bei zum Erdrücken vollem Hause, einer Aufführung vom Faust, Tragödie in 5 Akten von Göthe, für die Bühne eingerichtet von L. Tieck, bei. Viele Freunde aus der Umgebung strömten zu dem festlichen Abende herbei; eine Stunde vor Anbeginn der Vorstellung war das Haus schon angefüllt mit feierlich Bewegten, mit einer festlich geschmückten, gebildeten Versammlung. Ein Prolog von L. Tieck, welchen Mad. S c h m i d t in einer bekränzten Säulenhalle, vor der Büste des Unsterblichen stehend, mit Begeisterung vortrug, eröffnete das Schauspiel. Als der Vorhang fiel, erhob sich donnernder Applaus und ein dreifaches Lebehoch unter Trompeten- und Paukenklang des Orchesters erschallte dem ehrwürdigen Greise. Noch fünf Minuten nachher dauerte der Applaus von Logen und Balcons, und es war ein ergreifender Moment, zu sehen, wie die Versammlung sichtbarlich ergriffen war, wie die Begeisterung in allen Augen glänzte, Jedes strebte, jubelnd den Ehrentag des Erhabenen zu grüßen; es war ein ergreifendes, gewaltiges Gefühl, zu wissen, daß in diesem Momente gleiche Begeisterung durch das ganze weite Deutschland erschallt . . . Die Vorstellung dauerte von 6 bis beinahe halb 11 Uhr, und wie sich der Effect immer steigerte, so waren doch Zuschauer wie Darsteller, trotz der gewaltigen Hitze, ausdauernd und es folgte k e i n e E r s c h ö p f u n g in der Begeisterung . . . [Folgend zu den einzelnen Darstellern] Das Arrangement war gut; nur konnte die Hexenküche noch etwas fantastischer ausgestattet seyn; die Schlußgruppe imponirte und versinnlichte, wenn sie auch nicht geneigt war, das Fragment abzuschließen, doch den Verlauf der Catastrophe. Unter einem Bravorufen, wie ich es auf diesen Bretern selten erlebt habe, fiel der Vorhang . . . 28. [Bremen] C. L. Iken an G (Schulz 1971, 203): Um Ihnen eine angenehme Nachricht zu bringen und zugleich noch ein geringes Zeichen meiner Aufmerksamkeit beizufügen, bin ich so frei, die Ankündigung von der Aufführung Ihrer Tragödie „Faust“ am 23. August auf der Bühne Bremens beizulegen,1) die den Beweis geben mag, daß außer mir

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) Faust. Tragödie in 6 Akten von Göthe für die Bühne redigirt; Theaterzettel GSA 25/1401.

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auch noch recht viele meiner Landsleute Ihrer eingedenk und mit Liebe zugethan sind. Die sehr zahlreich besuchte Aufführung erhielt allgemeinen Beifall.

Aug 29. Abends allein. Aufführung von Faust im Theater. 29./30. [Weimar] Amalie v. Voigt an L. Tieck (Letters to and from Ludwig Tieck and his circle. Collected and edited by P. Matenko, E. H. Zeydel and B. M. Masche. Chapel Hill 1967, 146−49): Goethe freut sich Ihres Andenkens und Ihrer Bühnengerechtmachung des Fausts, die sicherlich mit seinen Ansichten übereinstimmen würde, Sie würden gewiß nicht Gott den Herrn persönlich auf die Bretter bringen . . . Heute wird das hiesige Theater, welches Sommerferien gehabt, mit Faust eröffnet. Riemer hat ihn unter Goethes Anleitung zurecht gemacht, und mit einem Schluß versehen, mit dem man noch geheim thut. Sie sollen ihn aber noch erfahren, denn wenngleich ich selbst der Vorstellung nicht beiwohne, hab ich doch meine Leute, die mir berichten. Ich mag mir die Ansicht Gretchens, wie sie in meiner Phantasie lebt, nicht verderben, ihre hiesige Repräsentantin hat dazu nur ein Erforderniß − Jugend! d. 30 sten. Wie wenig wissen doch die meisten Leute, was sie sehen! Die Seltenheit eines guten Urtheils fällt mir noch weniger auf, aber jenes hätt ich kaum erwartet. Unter den 6 Personen, die ich heute bei dem schlechten Wetter gesehen, hatte ein Knabe noch am besten gesehen, und doch gaben sich die übrigen die Miene, als kennten sie Faust fast auswendig. Vorher schon erfuhr ich, daß man die Musik zu dem Klingemannschen Faust, gleich dieser Bearbeitung verworfen, und der hiesige Musikdirector Eberwein nun dazu componirt, wovon ich mir wenig versprach, denn sie sollte nicht etwa blos Gefühle und Gedanken, nein Handlungen ausdrücken, Spatzierengehn, Wagen und Pferde-Gerassel u.s.w. und in jedem Zwischenact der sogenannten 8 Abtheilungen immer voraussagen, was zu erwarten stehe. Faust hat vieles, von der Musik begleitet, gesprochen, der Erdgeist sang, und die Lieder sind denn auch alle abgekrächzt worden, was besonders von Mll. Lorzing gilt, die das Gretchen noch ärger verpfuscht haben mag, als ich mir eingebildet. Sie hat das moderne Dämchen sogar im Aeußern nicht verläugnen können, kein Mützchen aufgesetzt, sondern dicke Locken vorgebunden, und die Flechten a ` la Giraffe aufgesteckt. Am La Roche Mephistopheles wurde die wiederkehrende Gebehrde getadelt mit der Hand, die Harlekin mit der Pritsche vornimmt. Wagners erstes Gespräch mit Faust ist weggefallen, desgleichen das erste Geisterchor, die Hexenscene war gekürzt, die Thiere blieben weg, desgl. der Blocksberg und was sich darauf bezieht; zuletzt hat man die Höllenrosse an dem Gitter stehen, und eine Erscheinung über Goethen schweben sehen, drei Figuren, von denen meine Berichterstatter nicht wußten, was sie zu bedeuten hatten. Theatralischen Effekt scheint die Vorstellung nicht gemacht zu haben. Sollte nicht eine überflüssige Abschrift Ihres Prologs sich vorfinden, und diese etwa gelegentlich mir zukommen können?1) Das klingt freilich unbescheiden, aber um solchen Genuß setzt man sich schon einer schlimmen Nachrede aus . . . Die Figuren sind Engel gewesen, die dem „Ist gerettet“ noch einige Worte zugefügt haben. 29. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 326−30): Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß das hiesige Stadttheater nach zehnjährigem Bestand an der Fettgeschwulst glänzender Dekorationen, kostbarer Kleider u. dgl. vor Jahr und Tag erstickt und seit einem Monate eine für Leipzig vom König errichtete Bühne in Wirksamkeit getreten ist. Dieser, sowie dem Dresdner Hoftheater, stehet, was das Wissenschaftliche anlangt, Ludwig Tieck vor, und da diesem in Dresden durch Hofrücksichten u. dgl. die Hände gebunden sind: so ist er nun destomehr um Leipzig bemüht, so daß die Gesellschaft, ohngeachtet ihre Talente nur mittelmäßig sind, durch regen Fleiß bey guter Leitung in so kurzer Zeit schon manches wahrhaft Achtbare geleistet hat. Nun hatte Tieck schon längst im

1

) s. oben (S. 421) [27. Aug]: Tieck, Prolog.

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Stillen die Idee gehegt; Ihren Faust − so weit es irgend thunlich, wie er ist, nur mit Abkürzungen, wo sie für die Bühne und ihr Publicum ihm unumgänglich nöthig schienen, hier in Leipzig aufführen zu lassen: aber nach seiner bequem-schweigsamen und wenigstens für diesen Fall klüglichen Methode erfuhr es Niemand, bis jetzt, wo die Idee zur Feyer Ihres Geburtsfestes zu Stande kommen sollte und zu Stande kam. Tieck hatte zum Prolog eine Theaterrede gedichtet,1) die wohl bedacht und sehr gut ausgedrückt war, auch von der Schauspielerin, die durch angemessene Vorrichtung der Bühne mit Ihrer Büste pp unterstützt wurde, gut gesprochen ward. Sie erschien als Muse; hatte würdige, dem Zweck gemäße Worte zu sagen über sie selbst in Ihren Dichtungen überhaupt, dann über den Faust und was zur Vorbereitung auf seine Darstellung erforderlich schien, und endlich über den Tag. Die Rede ward mit größtem Antheil aufgenommen: als aber zum Schluß die Rednerin sich Ihrem Bilde nahete, und der Vorhang fiel, da brachte das zum Ersticken angefüllte Haus „dem großen Dichter Europa’s“ ein sehr feyerliches, dreymaliges Lebehoch dar, überlaut, ganz einmüthig. − Das Werk selbst war, ohngefähr in der ersten Hälfte, sehr wenig, weit von vorn herein fast gar nicht verkürzt: dann allerdings beträchtlich mehr, nicht sowohl durch Zusammenziehen, als durch Auslassen. (Gleichwohl dauerte die Vorstellung von 6 Uhr bis 101/2.) Der Antheil blieb der lebendigste und ward zuweilen bey der jungen Welt selbst übermäßig und tumultuarisch. −Von der allergrößten T h e a t e r -Wirkung (denn von Anderm zu sprechen, wäre ganz überflüßig) war von vorn herein und ziemlich weit fort Alles, Alles, was Faust selbst über sein Inneres ausspricht; die ganze Scene am Ostermorgen; das Quartett im Garten der Nachbarin, und die letzten Scenen mit Gretchen. (Das Ende wurde, nach dem feyerlichen Ausruf: Sie ist gerichtet! Gewissermaßen pantomimisch angedeutet. Nämlich so: Das Theater ist in der Mitte in zwey Gewölbe getheilt. Durch die Zwischenthür tritt Faust ein, und bleibt bey ihr. Jetzt nun Schluß, wo Mephistopheles in das zweite Gewölbe tritt und von Gretchen durch die offene Thür erblickt wird, ergreift Entsetzen und Abscheu sie doppelt. Sie stürzt zurück für todt auf’s Strohlager; Mephisto reißt Fausten durch die Thür in’s zweyte Gewölbe, und in diesem Augenblick erfüllt sich das erste mit weißem, das zweyte mit rothem chinesischem Feuer; ein Engel mit der Palme schwebt in jenem langsam hernieder: in diesem schwillt Mephistopheles in die Höhe, steht jubilirend da, und Faust stürzt zu Boden:) − Das ganze war mit größtem Fleiß eingelernt und eingeübt. Man hätte, schien es, ohne Souffleur spielen können. Zum Glück besitzt die Gesellschaft einen ausgezeichnet schönen, dabey fast colossalen jungen Mann (aus Wien) mit gewaltiger Stimme und Kraft, richtigem Takt und viel Geübtheit, für den Faust; und einen kalt-eintönigen, (sonst trocken-komischen) gleichfalls jungen und gescheidten Mann, für den Mephistopheles. Beyde wußten durchgehend, was hier zu sagen und zu thun ist; Beyde boten alle Kräfte auf, es zu erfüllen: und wenn sie dies auch nicht immer erreichten, so bleiben sie doch stets beym Rechten. Gretchen war einem jungen, anmuthigen Mädchen zugetheilt. Auch sie wußte, was sie sollte; sie wollte es auch treulich: aber die reine Einfalt der Natur ist allen Bühnen so fremd geworden, daß ihr nur Einzelnes sehr gut gelang, damit aber das Ganze nur um so zerstückter und absichtlicher herauskam: obgleich das Publicum, gleichfalls nur an Komödianten-Natur gewöhnt, dies Gretchen trefflich fand. − Daß Scenen, wie die, in Auerbachs Keller, (der ganz nach der Wahrheit gemalt und angeordnet war,) in der Hölle, (wo das Maschinenwesen höchst präcise einschnappte,) u. dgl. − daß diese, sag’ ich, das Ihrige thaten, brauche ich kaum zu erwähnen. Aber, gleichsam unter vier Augen zu bemerken will ich doch nicht unterlassen, da es für unsere Zeit und Jugend bezeichnend ist − daß die Scene zwischen Mephisto und dem Schüler Todtenstille erregte und offenbar tief, aber in einer, der beabsichtigten entgegengesetzten Weise eingriff, und in gleichem Sinn viele giftige Sarkasmen über Staat, Kirche höheres geistiges Leben pp mit kurzem, scharf und prall hervorbrechendem 1

) s. oben (S. 421) [27. Aug]: Tieck, Prolog.

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Jubel vom Parterre aufgenommen wurden, als spräche sie ein Gott, und nicht der Teufel. − Nehmen Sie fürlieb mit diesem Wenigen, was sich so notizenhaft hinwerfen ließ. Über Bedeutenderes ließe sich doch nur mündlich sprechen.

[Aug 29.] [Weimar] Nachrichten. Weimar, den 31sten December 1829. In: Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 7 v. 17. Febr 1830, 106f.: Vom Ende Juni bis Ende August war das Hoftheater geschlossen. Am 29sten August wurde es mit „Faust“ von Göthe, mit Musik von C. Eberwein wieder eröffnet . . . Zu Faust, von Göthe, hat Hr. Musikdir. Eberwein Ouverture, sieben Zwischenmusiken, Lieder, Chöre u. a. m. geschrieben. Einige Zwischenact-Musiken fanden Beyfall, und der Choral „Christ ist erstanden“ so wie die kleinen Sätze aus dem Requiem sind von guter Wirkung.1) [29.] [Weimar] E. F. Genast: Aus dem Tagebuch eines alten Schauspielers. Leipzig 1862. Bd 2, 277f.: Zu Goethe’s Geburtstag wurde das Theater in Weimar mit „Faust“ wieder eröffnet. Er selbst hatte sich um die Bühnenbearbeitung seines Werkes nicht weiter bekümmert, als daß er sich mit der Klingemann’schen einverstanden erklärt und Riemer Machtvollkommenheit zu einigen Abänderungen übertragen hatte. Laroche war . . . ein ganz vortrefflicher Mephisto, die Schülerscene gab er unnachahmlich schön. Sehr brav war Durand als Faust, nicht minder Fräulein Lortzing als Gretchen, die in ihrer schlichten Natürlichkeit, die sie auch in der Wahnsinnsscene beibehielt, außerordentlich wirkte. Eberwein hatte eine sehr sinnige, ansprechende Musik dazu geschrieben. 29. [Weimar] A. E. Odyniec an J. Korsak (Zwei Polen in Weimar. Ein Beitrag zur Goetheliteratur aus polnischen Briefen übers. u. eingel. v. F. T. Bratranek. Wien 1870, 99−102; 109−14): So viel Neues erfuhr ich heute Morgens über ihn [G] von H o l t e i , so vielerlei Gedanken drängen sich in meinen Kopf nach der heutigen Vorstellung des F a u s t ; und das Alles wird gebunden und geeinigt durch das, was ich aus seinem Munde vernahm, daß ich fühle, wie mich etwas von der Verehrung im allgemeinen gewaltsam zu seiner Analyse fortdrängt . . . Ich will Dir nicht den Sauerteig meines Denkens mittheilen, da ich nicht sicher weiß, was sich daraus zuletzt abklären wird. Aber ich muß Dir alles erzählen, wodurch diese Gährung heute in mir geweckt wurde, der Eindruck, den es auf Dich machen wird und über den mir zu schreiben Du nicht vergessen darffst, wird bei mir zu Hefen oder Hopfen werden, d. h. wird mittelst Deiner Brauerei den Abgang des Bieres oder einen Spiritus befördern. Denn A d a m [Mikkiewicz] will mir wie zum Possen in dieser Hinsicht nicht hilfreich sein; er sagt weder ja noch nein. Und schon der Faust muß ihm, wie ich heute sah, manche Nuß zum Aufknacken geben. Denn kaum waren wir aus dem Theater draußen, so fragte ich ihn gleich: „Was nun?“ Er hörte es aber nicht oder wollte es nicht hören, − genug, er sagte kein Wort. Ich konnte mich aber nicht halten und begann mich auszusprechen. Auf dem ganzen Wege vom Theater zur Soire´e hörte er zwar zu, blieb aber stumm, wie eine Mauer. Das verwirrte mich ein wenig und kühlte meinen Eifer ab. Und als ihn G o e t h e fragte, welchen Eindruck er vom F a u s t auf der Bühne, für die er doch nicht geschrieben wurde, erhalten habe, erging er sich zwar über einzelne Scenen, erwähnte aber des Ganzen mit keinem Worte. Und G o e t h e mochte darüber wohl betroffen sein; denn er sah ihn mit durchdringendem Blicke an, als erwarte er noch etwas und fragte nicht weiter. Auch mich haben einzelne Scenen ungemein interessirt. So lachte ich zum Bersten über die Liebeleien zwischen M e p h i s t o p h e l e s und M a r t h a ; und die Scene F a u s t s mit G r e t c h e n im Kerker erschütterte mich so sehr, daß ich trotz alles Schämens und mächtigen Bemühens (ich war nämlich in der Loge bei den Hrn. [C. G. K.] Vo g e l ) nicht im Stande war, nicht nur die Thränen, sondern was noch schlimmer war, ein lautes Schluchzen zurückzuhalten, was sich mir zum Aerger gewaltsam aus der Brust vordrängte. Frau R o s a [Ehefrau von C. G. K. Vogel] hatte nichts Angelegentli1

) Bühnenmanuskript GSA 25/XIX, 4. Zu Carl Eberweins Kompositionen s. Musik zu Faust 309−48.

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cheres, als es bei der Soire´e G o e t h e sogleich zu erzählen, was mir ein solches dankbares Anblicken und Lächeln und zuletzt ein Gespräch (zwar nicht über den F a u s t , sondern über das Klima bei uns und in Italien, über den Einfluß, den das Klima auf ihn einst übte und auf jeden Ankömmling aus dem Norden üben muß) verschaffte, dessen Freundlichkeit und Güte nicht wenig zu der gegenwärtigen Gährung meines Denkens beiträgt. Ich fühle nämlich in meinem Herzen eine besondere Dankbarkeit gegen ihn und zürne doch über F a u s t wegen G r e t c h e n s und über ihn wegen F a u s t , daß ich ihn nicht so lieben kann, wie ich möchte und ihn sogar noch gestern liebte . . . Und was soll ich Dir nun noch über den F a u s t sagen? Ich fürchte, Du möchtest von mir denken, ich wolle mit der Hacke auf die Sonne losgehen. Ich erinnere mich, wie oft wir in Bewunderung seiner überströmten. Wir lasen aber nur immer einzelne Scenen oder Stellen, und auch jetzt noch sage ich, daß, vom poetischen Standpunkte angeschaut, jede Scene unübertrefflich ist. Doch ist etwas wie vom heutigen Tischgespräche dabei. In allen einzelnen Gedanken und Behauptungen scheint man die Wahrheit zu fühlen. Nur daß ich, wie aus dem ganzen Verlaufe des Gespräches, so auch aus der Bühnenvorstellung des F a u s t zum erstenmale den Gesammtgedanken erkannte und erfaßte, − und das machte auf mich den unangenehmsten Eindruck; denn ich frage vor allem mich selber: Was ist das? Satire? Ironie? Verhöhnung? und wessen? Nur der deutschen Schulweisheit und leeren Burschikosität? Oder der ewigen Moralgesetze und Wahrheiten der ganzen Menschheit, ihrer Gefühle und Vorstellungen, ihrer Traditionen und Bestrebungen? Denn F a u s t ist nicht blos eine Person, sondern das Symbol einer Idee. Diese Intention ist erkennbar, was ist aber seine Tendenz? Er suchte die Weisheit und geriet in die Verzweiflung; er suchte das Glück und geriet in das Verbrechen. Freilich führt dabei der Teufel den Reigen. Wo aber ist, − wenn auch nicht im Helden selbst, so doch in irgend eines Anderen Herzen oder Gewissen, − auch nur ein Gedanke, ein Gefühl, ein Wort von einem anderen Wege zu finden, auf welchem der nach Weisheit Strebende die Wahrheit und Ruhe finden könnte, auf welchem die Liebe zur Tugend und die Tugend dann zur Ruhe und zum Glücke führen möchte? F a u s t verschreibt dem Teufel seine Seele, wenn er ihm einen Augenblick verschafft, dessen Verweilen er herbeisehnen würde. Und wo ist auch nur eine Hindeutung, wo und wie ein solcher Augenblick gefunden werden könnte? was dem Herzen diese Befriedigung brächte? Warum warnt der Dichter den Zuschauer nirgends vor dem falschen Wege, auf welchem F a u s t wandelt? Du wirst sagen, daß jeder Zuschauer das von selbst gewahr werde, und daß eben darin die Vollkommenheit des Drama und seines Schöpfers liege. Einverstanden! Aber was soll der Zuschauer von dem Schöpfer des Dramas selber denken? Was will er? Was denkt und glaubt er? Gibt es irgend einen andern Weg, oder gibt es keinen solchen für die Menschheit? Soll jeder Mensch wie Faust, soll die ganze Menschlichkeit wie Gretchen nur ein Spielball und Opfer des Teufels sein? Denn wenn der Teufel so offen wirksam ist, warum ist auch nicht ein Schatten des Vorüberflugs, kein Flügelschlag ihres Schutzengels zu gewahren? Daß sie selbst in der Verzweiflung betet, das kann auch nur die Bedeutung haben, daß sie dem allgemeinen Vorurtheile huldigt, das sie zwar in gutem Glauben theilt, das ihr aber keine Kraft, keinen Schutz verleiht. Und in der letzten Scene, diese Stimme von oben, − man weiß nicht wessen? − welche auf den Triumphausruf Mephistos: „Sie ist gerichtet“, mit Bestimmtheit entgegnet: „Sie ist gerettet“, diese Stimme klingt so wunderbar, wie ein abgerissener Ton, der mit keinem vorangehenden verbunden ist, und von dem man nicht weiß, woher er stammt. Wer richtet sie denn? wer rettet sie? wenn weder eines Richters noch eines Erretters, von keinem Gerichte und Leben nach dem Tode im ganzen Stück auch nur eine Erwähnung geschah? Und spricht es nicht Faust in seinem Gretchen abgelegten Credo ausdrücklichst aus, daß Gott nur ein Gefühl sei, das der Mensch aus der Natur schöpfen solle, und daß jeder Name, − daher auch jede Persönlichkeit − nur ein leerer Schall, ein schwarzer Rauch sei, der ihm das Himmelslicht umnachtet? Und dann, was bedeutet jene letzte Scene? ist sie nur ein Mittel für den Kunsteffect? oder ein letztes Wort des Rätsels, als welches dann das ganze Drama bestehen bleibt? Denn aus jener von oben

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rufenden Stimme kann man, wenn man will, eine ganze Reihe von Gedanken heraus hören, wie etwa: „Es gibt eine andere Welt und ein Gericht, Belohnung und Strafe, Unsterblichkeit und Ewigkeit. Darauf vergessend oder nicht achtend, aus Stolz nach der Weisheit strebend, gerietst du in Verzweiflung und in die Macht des bösen Geistes. Darauf vergessend oder nicht achtend, suchtest im Sinnenrausche, gerietst du selber in’s Verbrechen und zogst ein Wesen mit, welches aus Liebe dir, wie du niemandem, glaubte. Und siehe, es ist doch gerettet! Und wer war der Retter? Ihr Schmerz, ihre Reue, ihre Buße!“ Alles das kann man in diese Stimme hineinlegen und aus ihr vernehmen1) . . . Unterdessen hat das Werk, wie es heute dasteht, obwohl ein Meisterwerk der Kunst, auf mich, ich wiederhole es, einen traurigen und unangenehmen Eindruck gemacht, und zwar namentlich darum, daß darin der getaufte Mensch nur durch den Teufel und seine Werke zu der Einsicht gelangt, es müsse doch auch einen Gott in der Welt geben; um nicht von dem gedruckten Prologe zu sprechen, in welchem die Art der Einführung seiner Person und der Ton der Unterredung mit M e p h i s t o beinahe an Lästerung anstreift . . . wenn der Faust selber ursprünglich polnisch geschrieben wäre, so könnte man auch darauf einen Eid ablegen, daß er uns nicht so am Herzen läge, wie wir ihn heute auf das Lob der Deutschen hin gelesen oder ungelesen, preisen . . . So ist denn auch der Faust für uns eine deutsche Predigt. Wir beziehen ihn nicht auf uns, aber wir bilden uns nach ihm . . . nachdem wir uns niedergelegt hatten, löste sich endlich die Zunge A d a m ’s über den F a u s t . . . Es begann mit meinen Erwägungen. A d a m widerlegt die Einwürfe von meinem Gesichtspunkte aus nicht; er entschuldigt nur G o e t h e , indem man bei ihm niemals jene aggressiven antireligiösen Tendenzen finde, welche bei anderen Schriftstellern des vorigen Jahrhundertes sich so sehr hervordrängen; es sei bei ihm nur eine Gleichgiltigkeit gegen die religiösen Grundlagen vorhanden.

[Aug [Weimar] C. v. Holtei, Vierzig Jahre. Breslau 1845. Bd 5, 141f.: Die Aufführung des 29./30.] F a u s t anlangend, fand dieselbe in a c h t Akten und in einer seltsam gestellten Anordnung statt. Manches von dem, was ich in meiner (verschmähten) Bearbeitung2) weggelassen, und weglassen zu d ü r f e n , ja zu m ü s s e n gemeint, war stehen geblieben und machte, wie ich’s vorausgesehen, auf den Brettern k e i n e oder eine verfehlte Wirkung. Manches aber, was mir wichtig, ja unentbehrlich scheint, war gestrichen. So zum Beispiel Fausts erstes Gespräch mit Wagner, welches seine Stellung zur gelehrten Welt bezeichnet; dann jene Worte des alten Bauern, und was darauf folgt, wodurch sein Verhältnis als praktischer Arzt und die daraus entspringenden skeptischen Zweifel angedeutet werden sollen. Und dergleichen mehr! In den Liebesscenen war denn auch richtig das ewige Hin- und Hergelaufe, was jede Einheit theatralischer Sammlung zerreißt, ungeändert verblieben. Kurz es war halt eben nichts g e t h a n , sondern nur gestrichen, und ich hatte den Muth, meine Kritik der Excellenz deutsch und ehrlich in den Bart zu werfen; auch nicht zu verschweigen, daß ich meine Umarbeitung für ungleich dramatischer, konzentrierter, besser und wirksamer hielte. Worauf denn ein: „Ihr junges Volk versteht es freilich viel besser!“, doch sondern Groll, und zum Schluß das obligate“ „Nun, nun, das ist ja schön!“ lächelnd erfolgte. [29./30.] C. v. Holtei: Damals, in Weimar. V. Goethe’s achtzigster Geburtstag (Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Leipzig 1869, Heft 6, 676−89): Wir betraten das Schauspielhaus a n d i e s e m Abende denn doch wunderbar gestimmt. Viele der zum Feste anwesenden Fremden, unter denen Ausländer aller Zungen, hegten sanguinische Erwartungen. Ich meinestheils hielt mich im Voraus überzeugt, daß wenig davon in Erfüllung gehen dürfte. Mich schreckte schon zurück, was ich von der „Bearbeitung“

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) Zum Nachfolgenden s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: A. E. Odyniec an J. Korsak gD. 2 ) Zur Ablehnung s. oben 28. Juni 1828: A. v. Goethe an Holtei.

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vernommen, welche, obwol unter des Dichters Aufsicht und Obhut, von Riemer und Eckermann zubereitet, die schwierigste Aufgabe keineswegs löste: aus der gewaltigsten, umfassendsten poetischen Conception ein Theaterstück zuzuschneiden und dramatisch bühnengerecht zu machen! . . . In den „Vierzig Jahren“ hab’ ich mich an geeigneter Stelle geäußert über die zum Jubelfeste in Weimar gegebene Bearbeitung des Faust.1) Von der Darstellung hab’ ich geschwiegen, weil ich Rücksicht auf einige beim Erscheinen jener Memoiren noch lebende Mitspieler nahm. Diese sind nun auch von der Bühne des Lebens abgetreten, und ich brauche nicht mehr zu unterdrücken, daß die Aufführung, was die Hauptperson angeht, ganz unbefriedigend weit hinter den bescheidensten Ansprüchen zurückblieb2) . . . L a R o c h e hat mir den Teufel zu Danke gespielt, wie vor ihm und nach ihm Niemand. Wer Goethe’s Faust − und zwar lange zuvor, eh’ man ihn auf die Breter zerrte − öffentlich vorgelesen, wie ich, dem konnte unmöglich die Schwierigkeit entgehen, diesen „Geist, der verneint“ und zwar „schalkhaft“, diesen H a u c h des Bösen, welches wider Willen Gutes schafft, diese sublimste Schöpfung gesammter Poesie aller Zeiten, sinnlich zu v e r k ö r p e r n . Ich hatte mir niemals recht vorstellen können, wie es zu machen sei, daß der äußeren Erscheinung ihr Recht geschähe, und daß dabei die höhere geistige Zaubermacht geschont, daß sie nicht in den Staub des Materialismus herabgezogen werde? Sehr berühmte Schauspieler haben das Experiment versucht, sind vom Beifall der Menge belohnt so weit gegangen, Mephisto’s eigener Erklärung vom „längst vertriebenen nordischen Phantom“ [das nordische Phantom, v. 2497] entgegen, ein s o l c h e s gerade vorzuführen. Sie haben geschnurrt, geprustet, gemauzt, pferdefüßig gehinkt (Wunder noch, daß sie nicht Hörner sich aufstülpten!), haben Grimassen gemacht, Gesichter geschnitten zum Kinder schrecken, so, daß Faust wahrlich keine Ursache mehr hatte, Gretchen einen „ahnungsvollen Engel“ [3494] zu nennen, wegen ihrer unerklärlichen Abneigung gegen seinen Freund. La Roche hingegen wendete von solchen abscheulichen, übelriechenden Hausmittelchen und Mixturen nichts an. Er hielt streng die Weisung inne, die im Gedicht vorliegt, und blieb durchweg der humoristisch-regierende, witzig-spöttelnde, lustigzweifelnde, listig-spähende G e i s t . Im Einklang damit standen seine Geberden, sein vornehm-freies Betragen, seine meisterlich-schlichte Rede, worin weder stark betont, noch wichtig herausgehoben, noch effecthascherisch gedehnt, sondern immer flüssig, eindringlich, verständlich und nach Hamlet’s Vorschrift: „leicht von der Zunge weg“ gesprochen wurde. Sein Mephistopheles war kein Teufel von Fleisch und Bein, der herumläuft wie der brüllende Löwe und sieht, welchen er verschlingt. Es war eine symbolische Erscheinung, die auf der Höhe des Gedichts stand. Ja, daß ich’s gerade heraus sage: eine Erscheinung, die vielleicht eben so wenig auf die r e a l e Bühne gehörte, als das Gedicht selbst. In d i e s e m Falle der größte Ruhm für den Schauspieler, der die Dichtung über die laute Wirkung stellte. Und so waren wir, David gleich mir, wundersam von diesem Theaterabend − quand meˆme! Ich hielt mich an La Roche, Jener an seine schöne Jungfrau vom Blute der Napoleoniden. Doch zog ich nächsten Tages den Kürzern gegen ihn. Denn sein Entzücken erfreute sich Goethe’s kennerhafter Billigung, während meine Angriffe gegen den Zuschnitt der achtactigen Bearbeitung durch ein lächelndes: „Nun, Ihr junges Volk versteht das freilich besser!“ zurückgeschlagen wurden. Ach, ich höre ihn noch, sehe ihn noch, wie er das mild-scheltend sagte.

[Aug [Weimar] K. J. Schröer, Faust von Goethe. Einleitung. Die ersten Aufführungen von 29./30.] Goethes Faust. Heilbronn 1881, Erster Theil, LXXX; LXXXIIIf.: Ich hatte nun wiederholt aus dem Munde unseres liebenswürdigen großen Darstellers Laroche erzählen ge-

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) s. vorausgehendes Z. ) Zur Rollenauffassung des Mephisto s. unten [29./30. Aug 1829]: Schröer, Faust von Goethe.

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hört von jenen ersten Faustvorstellungen in Weimar und Goethes Antheil daran, von dem bisher nichts bekannt war, auch in dem Büchlein von Enslin1) nichts erwähnt wird. Diese Mittheilungen Laroches schrieb ich nieder mit seiner Zustimmung und theilte ihm die Blätter mit. Er fand sie in voller Uebereinstimmung mit seinen Erinnerungen . . . Laroche erinnert sich, daß bei der ersten Faustdarstellung e i n R i e s e n a n t l i t z f a s t d e n g a n z e n H i n t e r g r u n d e r f ü l l t e 2) und daß diese Darstellung des Erdgeistes dann auch auf die der Wiener Hofburg überging. − Die Worte des Erdgeists wurden aber nach einer Composition K a r l E b e r w e i n s , wie Laroche erzählt, g e s u n g e n . 3) Nachdem denn Goethe erklärt hatte, daß er gegen eine Faustaufführung nichts weiter einwenden wolle, daß er aber wünsche, daß sie in s e i n e m S i n n vorgenommen werde, ließ er vorerst eine Gesellschaft von Freunden und Mitgliedern der Bühne sich in seinem Hause versammeln, denen e r d e n g a n z e n e r s t e n T h e i l d e s F a u s t v o r l a s . Wahrscheinlich doch wol mit den Weglassungen, die bei der Aufführung notwendig eintreten mußten; denn daß er Alles bis auf den Walpurgisnachtstraum gelesen haben sollte, wird nicht anzunehmen sein. Laroche rühmt heute noch den hinreißenden Vortrag des Dichters und den gewaltigen Eindruck den die Dichtung machte. Fausts Rolle deklamirte er im Baß eines ältern Mannes bis zu der Stelle, wo er den Verjüngungstrank trinkt in der Hexenküche. − Von den Worten Fausts an 2246f.: Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen! Das Frauenbild war gar zu schön! führte der Dichter die Rolle bis ans Ende durch „ i n k l a n g v o l l s t e m J ü n g l i n g s t e n o r “. − Laroche spricht noch mit Begeisterung von der Schönheit und Gewalt der Stimme Goethes. − Einer andern Einzelheit erinnert er sich noch. − In der Schülerscene ließ der Dichter nach den Worten des Schülers: „Fast möchte’ ich nun Theologie studiren“, eine Pause eintreten. In derselben zog er, Mephistopheles darstellend, das Haupt ganz in den Schultern ein, indem er hämisch, mit lauerndem Blick und breitem Grisen erwiederte 1630: I c h w ü n s c h t e n i c h t e u c h i r r e z u f ü h r e n . D i e R o l l e des Mephistopheles studirte er dann dem Schauspieler Laroche so s o r g f ä l t i g e i n , d a ß d i e s e r z u s a g e n p f l e g t : „In der Rolle des Mephistopheles, wie ich sie gebe, ist jede Gebärde, jeder Schritt, jede Grimasse, jedes Wort von Goethe; an der ganzen Rolle ist nicht soviel mein Eigenthum als Platz hat unter dem Nagel!“ − Diese Worte hörte ich fast gleichlautend wiederholt aus dem Munde des verehrten Künstlers. Laroches Darstellung des Mephistopheles war berühmt. So kam denn die erste Aufführung des Faust in Weimar zu Stande. Sie fand statt den 29. August 1829. Goethe selbst wohnte der Darstellung nicht bei. Er ließ sich darüber von den Seinigen Bericht erstatten. Jetzt erst verstehn wir die Worte Goethes an Rochlitz in Leipzig, wo die erste Faustaufführung, wie bemerkt, gleichfalls 1829 stattfand und zwar hier den 28. August, an des Dichters 80. Geburtstag. Rochlitz hatte aus Leipzig darüber an Goethe geschrieben4) und dieser antwortete ihm den 2. September unter anderm Folgendes: „Es ist wunderlich genug daß diese seltsame Frucht erst jetzo gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat man ihn gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen und nicht ohne meine Billigung der Art und Weise wie man sich dabey benommen.“ Nach einer weiteren Mittheilung von Rochlitz [am 12. Sept] schreibt er den 29. September unter anderm zurück: „Bey meiner vieljährigen Theaterverwaltung hab ich eine solche oft verlangte ja dringend geforderte Vorstellung niemals begünstigt und sie auch jetzt am Orte im eigentlichen Sinne nur geschehen lassen.“ − − Das Vorhaben 1810 war demnach offenbar nur ein vorübergehender Einfall, auf den er schon ganz vergessen hatte oder, was wahrscheinlicher ist, der nie soweit Festigkeit 1

) Adolph Enslin: Die ersten Theater-Aufführungen des Goethe’schen Faust. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters. Berlin 1880. 2 ) s. dazu oben 2. Juni 1819: an Carl Graf Brühl. 3 ) s. oben [Juli/Aug 1829]: Eberwein, Die Musik zum Goethe’schen Faust. 4 ) s. oben 29. Aug: Rochlitz an G.

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gewonnen hatte, daß er bis zu einer versuchten „Begünstigung“ einer Aufführung gereift wäre. − Bezeichnend ist daß er auf die Rolle des Mephistopheles so großen Werth legte, daß er sie bis ins Einzelne Laroche einstudirte. − Auf meine schriftliche Frage an Laroche: ob Goethe denn auch mit den Darstellern der andern Rollen sich die Mühe genommen sie ihnen einzustudiren, antwortete mir dieser 9. August 1880 aus Gmunden: „Nachdem Goethe endlich seine Einwilligung zur Aufführung des Faust gegeben, die Scenenfolge und was er melodramatisch wünschte angeführt, hat er sich meines Wissens mit den Darstellern der andern Rollen n i c h t b e f a ß t , höchstens durch Ekkermann einige Winke geben lassen.“1)

[Aug 29.] [Weimar, anonym] Correspondenz und Notizen. Aus Weimar, den 13. Septbr. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 189 v. 26. Sept 1829, 1510f.: G ö t h e ’s Geburtstag ist diesmal in doppelter Weise: im engen, auserlesenen Kreise der hiesigen Dichter, denen sich unter andern Holtei von Berlin und mehrere ausländische Künstler . . . zugesellt hatten, öffentlich aber durch die Aufführung seines Faust auf unserer Bühne − am 29sten August − gefeiert werden. Daß das Meisterwerk von der glänzenden Festversammlung mit großem, allgemeinem Beifalle aufgenommen worden ist, bedarf kaum der Versicherung. Die verständige Klingemann’sche Anordnung war zum Grunde gelegt worden . . . 30. [Dresden] L. Tieck an G (SchrGG 13, 309f.): Ew. Excellenz bin ich so dreist, beikommendes Gedicht [den Prolog]2) zu übersenden, welches nur schwach die Verehrung und Liebe ausdrückt, die seit meiner frühesten Jugend mich durch das Leben begleitet haben. Seit man in Braunschweig versucht hat, den Faust zu geben, war es mein Wunsch, daß die hiesige Bühne mit der Darstellung dieses Gedichtes Ihren Geburtstag feierlich begehn sollte. Alle Freunde der Götheschen Muse, die sich seit einigen Jahren hier in Dresden ansehnlich vermehrt haben, die Fremden und die jungen Prinzen und Prinzessinnen des Hauses waren zugegen, alle gespannt und nachher von den Wundern dieses einzigen Werkes hingerissen und begeistert. Seit ich hier bin, habe ich wenigstens noch niemals einen so lauten und anhaltenden Applaus erlebt. Jeder Schauspieler gab sich die größte Mühe, denn alle waren von dem Gefühl durchdrungen, welche wichtige Aufgabe sie zu lösen hatten und an welchem feierlichen Tage sie die goldenen Worte des grossen Meisters zu sprechen hatten. Ich bin so frei, Ihnen den Zettul der Aufführung bei zu legen.3) Vor allen verdiente Gretchen ein unbedingtes Lob; sie war die reine edle Natur selbst, und in der lezten Scene furchtbar und erschütternd. Nächst ihr Mephistopheles vortreflich, und Faust, vorzüglich in der ersten Hälfte, sehr zu loben. Wir haben am Sonnabend das Gedicht zum zweitenmal, bei eben so vollem Hause, aufführen können, und es ist erfreulich wahrzunehmen, wie viele Verehrer der grosse Dichter versammelt . . . Nehmen Sie, Verehrtester, Alles was ich und das Theater hier bei dieser Festlichkeit haben thun können, mit Nachsicht und Milde auf. 31. [Weimar] E. v. Simson Tagebuch (E. v. Simon: Erinnerungen aus seinem Leben zusammengestellt v. B. v. Simon. Leipzig 1900, 40): Er [G] war froh gestimmt durch eine Aufmerksamkeit, die ihm die Leipziger Bühne durch Uebersendung eines einfachen Blumenkranzes gemacht hatte, der sich dort über dem Anschlagzettel des ,Faust‘ von unbekannter Hand gefunden hatte. Sept

1. [Abends] Später Herr Professor Riemer . . . Sodann über die Aufführung

[vom 29. Aug in Weimar] und was noch daran zu desideriren gesprochen. 1

) Unter dem Titel La Roche und die erste ,Faust‘-Aufführung in Weimar ist obiges Z abgedruckt in: Neue Freie Presse. Wien, Nr. 5829 vom 19. Nov 1880. 2 ) s. oben 27. Aug 1829: Tieck, Prolog. 3 ) Theaterzettel: GSA 25/W 1403.

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2. An J. Fr. Rochlitz (Br 46, 68f.): Nun aber verpflichteten Dank für die

ausführliche Kenntniß, die Sie mir von der Aufführung Fausts geben.1) Es ist wunderlich genug daß diese seltsame Frucht erst jetzo gleichsam vom Baume fällt. Auch hier hat man ihn [am 29. Aug] gegeben, ohne meine Anregung, aber nicht wider meinen Willen und nicht ohne Billigung der Art und Weise wie man sich dabey benommen. Mögen Sie mir die Folge der Scenen wie man sie dort beliebt gelegentlich wissen lassen, so geschieht mir ein Gefalle; denn es ist immer wichtig zu beobachten wie man es angegriffen um das quasi Unmögliche, zum Trutz aller Schwierigkeiten, möglich zu machen. Liebenswürdig ist es von den Deutschen daß sie das Werk nicht zu entstellen brauchten um es von dem Theater herab erdulden zu können. Die Franzosen mußten es umbilden und an die Sauce nach starkes Gewürz und scharfe Ingredienzien verschwenden. Nach der Kenntniß, die uns davon gegeben ist, kann man begreifen wie das Machwerk dort große Wirkung thun mußte.2) 5. An J. M. Färber (Konzept; Br 46, 76): Der Museums-Schreiber Färber erhält hiedurch den Auftrag, die in dem physikalischen Museum befindliche große Laterna magica, mit der dazu gehörigen Linse und Lampe, durch die Botenfrau herüber zu senden; sodann von den gemalten Gläsern nur wenige hinzufügen.3) [5.] [Frankfurt, anonym] Frankfurter Volksbühne. Am 5. September. F r a g m e n t e a u s F a u s t , v o n G ö t h e . In: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität Nr. 256 v. 13. Sept 1829, unpagn.: Die Wiederholung der Fragmente aus Faust4) war lobenswerth . . . Diejenigen, welche Göthe’s Faust nicht kennen, müssen durch die Art und Weise, wie jene Fragmente auf unserer Bühne zusammengestellt sind, unbefriedigt bleiben . . . Diejenigen, welche mit der Tragödie bekannt sind, werden freilich auch aus den verstümmelten Theilen die Meisterhand erkennen, aber sie werden gewiß bedauern, daß man sie nicht mit kräftigerem Kitt zu verbinden verstand. Und wirklich vernehmen wir, daß unsere Direktion damit umgeht, Goethe’s Faust auf eine würdigere Weise dem Publikum vorzuführen5) . . . Daß es Göthe beim Dichten seines Faust nicht eingefallen ist, diesen für die Bühne zu bestimmen, kann man mit Gewißheit annehmen. [5.] [München/Leipzig] Das Inland. Ein Tagblatt für das öffentliche Leben in Deutschland, mit vorzüglicher Rücksicht auf Bayern. Nr. 258 v. 15. Sept 1829, 1038: Sachsen. Leipzig am 5. Sept. Auf hiesiger Bühne sollte Morgen „Faust“ zum zweyten Male gegeben werden; es ist aber aus Dresden ein Gegenbefehl gekommen. Die Ansichten und Sitten des Publikums und der Höfe waren zur Zeit, als Göthe seinen Faust schrieb, anders, als jetzt, und da Sitte und katholische Religion in diesem Drama eine etwas derbe Behand-

1

) s. oben 29. Aug 1829: Rochlitz an G. ) Zur Aufführung in Paris s. oben 1828 [Okt 29.]: Correspondenz-Nachrichten u. Nov 10.: Reinhard an F. v. Müller. 3 ) Zum Laterna magica-Verfahren s. oben 12. Dez 1828: an W. Zahn. 4 ) Vgl. oben 27. Aug: Frankfurter Volksbühne. 5 ) Eine weitere Aufführung für 31. Okt wurde in der Zs. Didaskalia Nr. 303 v. 30. Okt angezeigt. 2

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lung erfahren, was man wohl in Dresden mag gefühlt haben; so wird es jetzt, bey dem leider bekannten Antagonismus der beyden Religionstheile in Sachsen, eine Partey geben, welche der katholischen Geistlichkeit die Verbannung des Faust’s von der Bühne zu schreiben wird.

[Sept 5.] [Frankfurt] Frankfurter Volksbühne. Am 5. September. Fragmente aus Faust, von Göthe, in 5 Abtheilungen, nebst Vorspiel . . . In: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität Nr. 256 v. 13. Sept 1829, unpagn.: Diejenigen, welche Göthe’s Faust nicht kennen, müssen durch die Art und Weise, wie jene Fragmente auf unsrer Bühne zusammengestellt sind,1) unbefriedigt bleiben, wenn sie sich nicht gerade mit den Knalleffekten des feuerspeienden Holzwerks, mit den bestialischen Ratten- und Flohliedern, mit den vorkommenden Derbheiten und Obscönitäten, oder mit der Ansicht unsrer Vaterstadt und dem Soldatenliede begnügen wollen. Diejenigen, welche mit der Tragödie bekannt sind, werden freilich auch aus den verstümmelten Theilen die Meisterhand erkennen, aber sie werden gewiß bedauern, daß man sie nicht mit kräftigerem Kitt zu verbinden verstand. 9. An L. Tieck (Br 46, 80f.): Die freundliche Theilnahme die Sie nachher

dem Gelingen meiner Arbeiten gegönnt . . . ist mir nicht unbemerkt geblieben; so daß ein endliches Wiedersehen die frühsten wohlwollenden Gesinnungen freundlichst erneuen mußte. Nunmehr erhalt ich durch die Aufführung von Faust und die demselben vorgeschickten gewogenen Worte die angenehmste Versicherung auf’s neue.2) 12. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 334ff.): Ew. Ecellenz für alle Ihre freundlichen Worte vom 2ten d. dankend, enthalte ich mich diesmal jedes Andern außer der Beantwortung Ihrer Frage, nach der Folge der Scenen des F a u s t bei der hiesigen Aufführung. Ich bin nämlich eben im Zuge jener, Ihnen gemeldeten Arbeit, die ich mir, nichts weniger als leicht, mache, um doch auch selbst Etwas daran zu haben, und von welcher ich mich, wenigstens bis auf einen gewissen Punct gelangt, nicht gern zerstreuen möchte. Ich nehme an: Faust liegt Ihnen zur Hand und ich brauche bloß zu registriren. Das „Vorspiel“ blieb weg. „Faust allein“ − wurde unverkürzt gegeben. (Der Geist erscheint nicht: nur seine Stimme wird vernommen.) „Faust und Wagner“: unverkürzt; desgleichen Alles, was sich anschließt. „Vor dem Thore“: wenig Einzelnes weggelassen. „Faust und Wagner“, unverkürzt. „Studirzimmer“: Faust, unverkürzt. Die „Geister auf dem Gange“ blieben weg. „Faust und Mephistopheles“: unverkürzt. (Statt des Geistergesanges, unter dem Faust entschläft, bloß ferne Musik mit Blasinstrumenten und reizender Guirlandentanz von Kindern; sonst unverkürzt; die folgende Scene angeschlossen, desgleichen, bis auf einige Zeilen.) „Schüler“, dann Faust unverkürzt. „Keller“: mäßig abgekürzt (z. B. die Ratte blieb weg: der Floh nicht, doch wurde er nur gesprochen, nicht gesungen abgefertigt, um leichter über ihn hin zu kommen, oder auch, weil der Schauspieler eigentlich kein Sänger ist. „Hexenküche“: mehr abgekürzt; Alles aber mit einer Art grotesken Anstandes vorgestellt. „Abend“, „Spaziergang“, „Nachbarin Haus“, „Straße“, „Garten“, „Gartenhäuschen“: Alles, wies beim Dichter. „Wald“: um wenige Zeilen gekürzt. „Gretchens Stube“ und „Marthens Garten“: unverkürzt. „Am Brunnen blieb weg. Das billige ich nicht. Einige Zeilen konnten weggelassen werden. „Zwinger“: unverkürzt. „Nacht“: desgleichen. „Dom“: leider mußte, der Verhältniße wegen, eben diese Hauptscene am allermeisten leiden; so daß sie um all’ ihre Hoheit und Kraft kam. Man sahe bloß im Hintergrunde das Äußere der erleuch-

1

) Bericht auch in Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung Nr. 256 v. 13. Sept 1829; zur Erstaufführung s. oben 27. Aug 1829: Frankfurter Volksbühne. 2 ) s. oben 30. Aug 1829: Tieck an G.

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teten Kirche und hörte die Gesänge aus ihr, ohne sie zu verstehen pp. Auf dem Vorplatz kommen Manche aus der Kirche, Andere gehen hinein, Gretchen, unter den letztern, wagt nicht, sie zu betreten: sie nimmt nur vorn und allein im Geiste an der heiligen Handlung Theil. Was der böse Geist ihr zuzischelt, ist − mit den nöthigen kleinen Änderungen − ihr selbst zugetheilt, als in ihr aufsteigend; was psychologisch recht gut; aber nicht für die Sinne ist. „Walpurgisnacht“ und „Intermezzo“: blieben weg. „Feld“: unverkürzt. „Nacht“: blieb weg. „Kerker“: unverkürzt. Schluß: wie ich schon gemeldet habe. Leid thut es, hinzusetzen zu müssen, daß, was ich besorgt, nur allzubald in Erfüllung gegangen ist. Die Rohheit und Frechheit, womit die Studenten gewisse Dinge, wie ich neulich angeführt, aufgenommen, hat vom Minister, Grafen Einsiedel in Dresden, ein Schreiben veranlaßt, nach welchem jene Vorstellung nicht wiederholt werden soll − bis auf Weiteres; was aber heißen wird: wenigstens auf lange Zeit. So richtet Rohheit und Gemeinheit alle bessern Freuden sich selbst und Andern zu Grunde.

Sept 14. [Dresden/Leipzig] Miscellen. Faust, in Kursachsen verboten. In: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik Nr. 179 v. 14. Sept 1829, 708: Göthes Faust, fast wie ihn der Dichter geschaffen, ist, wie bekannt, auf vielen Bühnen dargestellt worden. Ein Problem ist gelöst, die Verehrung für den achtzigjährigen Autor gab der Deutschen Kraft und Entschluß. Wo kommt ein neues Problem? Das Stück wird plötzlich in Sachsen (d. h. Dresden und Leipzig) verboten. 15. [Weimar] Zelter Tagebuch (SchrGG 44, 288): . . . Begegnung mit dem Musikdirektor Eberwein. Er will mich seine Partitur des Goethischen „Faust“ sehen lassen. 17. [Weimar]1) Zelter an G (MA 20.2, 1264): Das beigehende Blättchen aus meinem Tagebuche2) möge Dir berichten daß ich so eben Eberweins Partitur des Faust angesehen habe. 17. [Berlin] Zelter Tagebuch (SchrGG 44, 289f.): Musikdirektor Eberwein hatte mir gestern seine Komposition zum „Faust“ gesandt, die heute morgens durchgesehn wurde. Die Partitur besteht in einer Intrade, in Zwischenakten, in Liedern und melodramatischen Begleitungssätzen. Das ist alles gut und nicht gut; es hilft nicht und so schadet es; es ist zuviel zu einem Viel und nicht genug an sich selbst; ein Halbes zu einem Ganzen, das in jedem Fragmente ganz ist, wie e i n Teil eines gesunden Körpers; kurz, es ist ein Übriges, eine Perücke zu einem wohlbehaarten Kopfe, und so weiter. So sind auch die Lieder weder paßlich zum Stücke, noch als gute Einzelheiten herauszunehmen. Sie sind hineingekünstelt und an sich nicht lyrisch. Der schlechteste Operntext könnte dem Komponisten mehr gelungen sein. Fürst Radziwill hat einzelne Szenen herauskomponiert, da jede an sich ein kleineres Ganze ist, und das schiene mir das Rechte zu sein, wenn ein Komponist Hand an den „Faust“ legen will. Da schadet es denn dem ganzen Drama nicht, das Stoff genug zu mehrern Opern enthält. Wenn ich jung genug wäre und das Zeug dazu hätte, so glaubte ich aus dem „Faust“ eine Suite von Opern zu machen und in jede derselben den echten Text wörtlich einlegen zu können. Das Wenigste wäre eine Trilogie, wo nicht zwei dergleichen; ja, es steckt ein ganzen Komponistenleben darin [im Faust], ein unergründliches Konvolut von Empfindungen, die alle lyrischer Natur sind. Das Gespräch mit Wagner, die Katechisation des Schülers und dergleichen mehr würde aber Mozarts Ironie erfordern. 25. [Frankfurt] Mariane v. Willemer an G (Weitz − Willemer 218): Bei unsrer Ankunft in Frankfurt war noch alles begeistert über die Feier des 28. Augusts, und es war mir sehr lieb, als man kurz darauf die Szenen aus Faust widerholte.3) Es war manches recht 1

) Zelter war vom 14. bis 21. Sept 1829 in Weimar. ) Nicht erhalten. Wahrscheinlich Abschrift von Zelters Tagebucheintrag vom 17. Sept 1829 mit einer Beurteilung von Eberweins Komposition zur Faust-Aufführung. 3 ) Aufführung von Auszügen: Faust Tragödie von Göthe. In fünf Fragmenten für die 2

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gelungen, und der Wille war gut; am gefälligsten hinsichtlich der Szenerie war der Ostersonntag behandelt, die Durchsicht aus dem Walde, wie etwa auf dem St. Wendelsweg nach dem alten Frankfurt, war recht hübsch;1) auch die sprechenden Personen gut und verständig geordnet und das Soldatenlied wurde sehr gut gesungen. Faust und Gretchen! Wer darf sie spielen, und sagen: das sind sie! Mephisto konnte noch gelten. Valentin war sehr gut, und die Gesellen in Auerbachs Keller auch. Doch das werden Sie wohl alles schon wissen . . .

Sept 26. [Berlin] A. B. Marx [Rez. zu]: Huit Sce`nes de Faust, trage´die de Goethe, traduites par Gerhard, compose´es par Hector Berlioz. In: Berliner allgemeine musikalische Zeitung Nr. 39 v. 26. Sept 1829, 305:2) Schwerlich ist je eine Partitur von einem Franzosen geschrieben worden, wie die vorliegende. Mit dem einem Franzosen bisher ungehörten Vorsatz, aus Faust, aus dem romantischen, vom Dichter selbst nicht für die Bühne bestimmten Drama, Scenen zu komponiren − unbekümmert um ihre äusserliche Brauchbarkeit für Oper oder Konzert: mit diesem Vorsatz scheint dem Komponisten auch die Kraft gekommen, über das Herkommen fast in jeder Beziehung hinauszugehen; ja, auch jede ökonomische Betrachtung von der Hand zu weisen. Unbedenklich besetzt er ein Orchester mit Harmonika, doppelten Harfen, mehrfachen Violoncells u n d Kontrabässen, englischen Hörnern neben allen gewöhnlichen Instrumenten, bildet Doppelchöre, kombinirt zwei oder drei Taktarten in den verschiednen Chören übereinander, und mischt diese Farben einer reichen Palette so frei, oft so kühn, dass man eher einen Schüler Beethovens als des Conervatoire in ihm vermuthen sollte. 27. [Weimar] F. v. Matthisson Tagebuch (F. v. Matthisson: Literarischer Nachlaß nebst einer Auswahl von Briefen an seine Freunde. Bd 1. Berlin 1832, 97): Beym Schauspieler Oels, der nun auch merklich altert. Wir sprachen viel über die hiesige Vorstellung von Goethe’s Faust. 29. An J. Fr. Rochlitz (Br 46, 88): Den allerschönsten Dank, theuerster

Mann, für die gefällig mitgetheilte Nachricht wie es meinem redigirten Faust vor und nach der Aufführung ergangen.3) Bey meiner vieljährigen Theaterverwaltung hab ich eine solche oft verlangte ja dringend geforderte Vorstellung niemals begünstigt und sie auch jetzt am Orte im

Bühne arrangiert von Julius Weidner Regisseur des Schauspiels. Zur Feier von Göthe’s Geburtstag. am 27ten August 1829. 1 ) Nach Beutler 1940, 541 habe G in der Sz. Vor dem Thor Hinweise auf die Umgebung Frankfurts geben wollen: Danach wäre das Jägerhaus (v. 809) das Forsthaus bei Sachsenhausen, die Mühle (v. 810) die Gerbermühle, Burgdorf (v. 814) das Dorf Bergen, die rauhen Berge (v. 907) der Taunus. 2 ) Über die Wirkung der Rez. schreibt Berlioz später in seinen Me´moires: Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, einige [Teile aus der Übersetzung des Faust durch G. de Nerval] in Musik zu setzen; und kaum hatte ich diese schwierige Aufgabe zu Ende geführt, als ich, ohne eine Note meiner Partitur gehört zu haben, die Dummheit beging, sie drucken zu lassen . . . und zwar auf meine Kosten. Einige Exemplare dieses Werkes, das unter dem Titel ,Acht Szenen aus Faust’ in Paris erschienen war, verbreiteten sich auf diese Weise. Eins davon fiel M. Marx in die Hände, dem berühmten Kritiker und Theoretiker aus Berlin, der die Güte hatte, mir einen wohlwollenden Brief zu schreiben. Diese unerhoffte, aus Deutschland kommende Ermutigung machte mir, wie man sich denken kann, große Freude; sie vermochte mich jedoch nicht lange über die zahlreichen und groben Fehler der Komposition hinwegzutäuschen . . . (H. Berlioz: Memoiren. Aus dem Franz. von Elly Elle´s. Hsg. von Wolf Rosenberg. Königstein/Ts 1985, 96f.). 3 ) s. oben 12. Sept 1829: Rochlitz an G.

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eigentlichsten Sinne nur geschehen lassen. Was man auch übrigens von der Aufführung halten mag, so geht doch besonders aus der in Leipzig die alte Wahrheit: man solle den Teufel nicht an die Wand mahlen, auf’s deutlichste hervor. Okt

3. [Paris] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 33): Meyerbeer ist soeben aus Wien zurückgekommen; am Tage nach seiner Ankunft hat er mir durch Schlesinger seine Hochachtung wegen „Faust“ ausdrücken lassen.1) 12. [Leipzig] J. G. v. Quandt an L. Tieck (Briefe an Tieck 3, 82f.): . . . noch vieles habe ich Ihnen zu sagen und zu danken. So auch die Abschrift des Prologs zum Faust2) und die Aufführung des Fausts selbst. Doch hievon mündlich ein Mehreres und für jetzt nur so viel; daß der Prolog als ein Wort zur rechten Zeit und am rechten Orte, nicht nur auf die große und schwerfällige Masse des Volks die rechte Wirkung belehrend hervorbrachte, sondern auch dem mit Göthe vertrauten und begeisterten Verehrer ward das Innigste und Tiefste dieses gewaltigen Dichters, mit seiner kräftigen und sonnigen äußern Erscheinung, in einer umfassenden Anschauung, vor die Seele geführt . . . Bey einigen Mängeln im Einzelnen, war die Aufführung doch sehr gelungen, denn die Hand, welche alle Figuren lenkte und führte, hielt das Ganze kräftig zusammen und hielt es empor. Sowohl die Folgsamkeit mehrerer Talente als auch der Zuschauer, muß sie sehr gefreut gefreut und für große Anstrengungen belohnt haben. Nur der Teufel schien Ihnen nicht gefolgt zu haben und trug seinen Pferdefuß zu sehr zur Schau und obwohl dieser Geist mich bisweilen störte, so ergreift mich doch das Ganze allmächtig und eine solche Wirkung von der Bühne habe ich fast noch nie erfahren. Immer hat sonst der Faust beym Lesen eine tiefe Schwermuth zurückgelassen; so war es aber nicht, nachdem ich die Darstellung gesehn hatte . . . Nun wurde es mir bey der Darstellung recht klar, daß Gretchen in Fausts Armen unabänderlich zermalmt, daß sie in diesem Riesenkampfe eines Geistes, wie Faust ringt, untergehen muß und darum trat auch die Fassung über ihr Schicksal ein. Auch ist es, als wenn durch die ungeheuren Leiden, Liebe, Reue, Wahnsinn, in der letzten Scene alle Schuld abgebüßt und durch den letzten Schmerzensschrey: Heinrich! Heinrich! die Seele alle Qualen ausstieße, und sich von ihnen und dem Leben befreyt und gerettet losrisse, wodurch eine Versöhnung eintritt, die allen Schmerz hinter sich liegen und keinen übrig läßt. Der Faust selbst aber führt eine solche Kraft in und mit sich, daß diese auf den Zuschauer überströmt und ihn aufrecht erhält. 12. [Leipzig] Merkur. Mittheilungen aus Vorräthen der Heimath und der Fremde, für Wissenschaft, Kunst und Leben Nr. 123 v. 12. Okt 1829, 495: Hübsch moderiert und castigiert [von T. Hell], wird Faust nun wieder aufgeführt. Gerade einundzwanzig Tage ist er mit dem Bann belegt gewesen,3) da erbarmte sich seiner ein mitleidiger Genius, sprach ihn von aller Schuld frei und gestattete ihm am 20. September wieder über die Bretter zu wandeln, die er am 28 August zum ersten Male mit so vielem Ruhme betreten hatte. Er verdankt dies, hören wir, besonders den Vorstellungen, die Herr Remie4) zu seinen Gunsten getan hat. 16. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an G (G−Rochlitz 341): Schon nach zehn Tagen durfte das Werk [Faust auf der Leipziger Bühne] wieder vorgestellt werden und ist seitdem es öfters worden.5) Wenig einzelne Stellen (zusammengezählt, 21 Verse) müssen weggelassen werden: sonst ist nichts gestört worden. 1

) s. oben (S. 415) 3. Juni 1829: Berlioz an Ferrand. ) s. oben (S. 421) 27. Aug 1829: Tieck, Prolog. 3 ) s. oben (S. 437) 14. Sept 1829: Miszellen. 4 ) Clemens Remie (1796–1854), Direktor des Leipziger Stadttheaters. 5 ) Zum Zusammenhang s. oben 12. Sept 1829: Rochlitz an G. 2

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Okt 30. [Paris] H. Berlioz an H. Ferrand (Berlioz 3, 34): Das Sextett aus dem „Faust“ geht zum Entzücken, meine Sylphen sind bezaubert.1) 31. [Dresden, anonym] Korrespondenz-Nachrichten. Dresden, Oktober. In: Morgenblatt Nr. 261 v. 31. Okt 1829, 1044: Das Gerücht, daß die Aufführung des Goetheschen Fausts auf der diesigen, wie auf der Leipziger königlichen Bühne auf höheren Befehl verboten worden sey, hat sich durch wiederholte Darstellungen dieses Meisterwerks selbst widerlegt.2) Nov

1. Graf Redern, Intendant des Berliner Theaters. Aufklärung über die dor-

tigen Verhältnisse. Vortheile und Schwierigkeiten des Geschäfts.3) 2. [Leipzig, anonym] Correspondenz und Notizen. Aus Leipzig. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 215 v. 2. Nov 1829, 1720: Göthe’s Faust auf der Bühne zu sehen, hätte man noch vor kurzer Zeit für etwas Unmögliches gehalten . . . Der Versuch ist nun gemacht worden; die Veranlassung gab des gefeierten Dichtergreises Geburtstag; in Dresden, Leipzig und Weimar wurde er angestellt, und der Erfolg übertraf die Erwartung der Ungläubigen. Zwar mußte auch bei diesem großen Werke bei der Aufführung manches hinweggelassen werden, was zum Verständnisse des Ganzen gehört, oder was den sinnigen Lesern lieb geworden war; indessen wurde durch eine solche Aufführung das Riesenwerk dem großen Publicum dennoch näher gebracht; vieles wirkte, was auch an einer solchen Aufführung im einzelnen auszusetzen seyn mochte, mit verstärkter Kraft auf den Zuschauer, und selbst das Wesentliche dessen, was bei der Darstellung weg blieb, wurde dem mit diesem Werke vertrauten Geiste erst recht klar. Dies ist der Fall mit den Hexenscenen, die das sich Verlieren Faust’s in dem Naturleben so kühn schildern, und durch deren Weglassung das Liebesverhältniß Faust’s zu Gretchen als eine zweite Hälfte erscheint, in welcher die weitaustrebende Handlung nun ausläuft, da dieselbe den ersten Theil des uns vorliegenden Faust enthält. Wie viel überhaupt von diesem Wegschneiden bei der hiesigen Darstellung auf Rechnung T i e c k ’s kommt, konnte man nicht wissen, da bei der zweiten Aufführung [am 20. Sept], welcher wir beiwohnten, noch von einer andern Hand [T. Hell] Verkürzungen vorgenommen worden waren.4) Die theatralische Einrichtung am Schlusse, sie mag herrühren von wem sie wolle, daß nämlich ein Genius mit der Palme über Gretchen schwebend im blauen, Mephistopheles über dem auf dem Boden liegenden Faust erhöht im rothen Feuer erschien, konnten wir als opernhaft nicht billigen. − Die Darstellung selbst trug im ganzen einen würdigen Charakter und verrieth ernste Vorbereitungen. 6. Professor Riemer entschuldigte sich auf heute Abend wegen der Probe

von Faust.5) 6. [Jena] C. W. Göttling an G (GSA 28/138): Ew. Excellenz nehme mir die Freiheit hierbey eine Abschrift des Faust’schen Höllenzwanges6) zu übersenden, die mir ein

1

) Concert de sylphes. Sextuor (1447ff.) ) Vgl. hierzu oben 1829 Okt 12. u. 16.: Merkur, Mittheilungen u. Rochlitz an G. 3 ) Betr. die Aufführung eines gekürzten Faust in Berlin. 4 ) Vgl. oben 16. Okt 1829: Rochlitz an G. 5 ) Für die Aufführung am 7. Nov 1829 in Weimar. 6 ) Abschrift von: Praxis Cabulae Nigrae Doctoris Johannis Faustii Magi Celeberrimi. − Johannis Faustii Magia Naturalis Et Innaturali; oder unerforschlicher Höllen-Zwang, das ist Miracul-Kunst u. Wunderbuch wodurch ich die höllischen Geister habe bezwungen, daß sie in allen meinen Willen vollbringen haben müßen. Gedruckt Passau Ao. 1612 (Henning I Nr. 3176). − Das angeblich 1612 in Passau entstandene u. von Faust selbst stammende Werk ist in Wahrheit eine um 1750 hergestellte Fälschung. 2

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Herr von Kleefeld zum Ankauf für unsere Bibliothek übergeben hat. Er hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich ihm versprach die Abschrift an Ew. Excellenz zu schicken, „welche Kenner und Liebhaber seyen“ und gewiß wenigstens den niedrigsten Preis von zehn Thalern dafür anwenden würden. Die Copie scheint mir darin etwas eigenes zu haben, daß sie von einem Passauer Abdruck von 1612 gemacht ist, da die gewöhnlichen von 1805 sind. Ew. Excellenz überlasse ich es nun gänzlich, ob Dieselben uns diesen Höllenzwang von eigenthümlichen Geruche zuwenden wollen oder befehlen, daß er dem Unterhändler, welcher versichert, daß das Buche einer armen Familie gehöre, wieder zugestellt werden soll.1)

Nov

7. Abends Faust . . . Die Enkel kamen nach dem 3. Acte, erzählten und

urtheilten nach ihrer Art. Nach geendigtem Stück Friedrich2), der gleichfalls referirte. [Nov]

Nov

[Weimar, anonym] Korrespondenz. Weimar im November. In: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität Nr. 324 v. 20. Nov 1829, unpagn.: Faust ist vor wenigen Tagen wieder gegeben worden; ich muß jedoch in dieser Hinsicht den hiesigen Berichterstattern anderer belletristischer Blätter beipflichten, daß der Beifall über dieses Stück höchst getheilt, ja mehr noch getheilt gewesen ist, als es seit langer Zeit mit irgend einer Tragödie der Fall war und daß sie wahrscheinlich aus mancherlei Ursachen, zu deren Erläuterung dieser Bericht keinen Raum bietet, niemals das hiesige Publicum [in Frankfurt] ansprechen wird. 7. [Leipzig, anonym] Nachrichten aus dem Gebiete der Künst und Wissenschaften. Correspondenz-Nachrichten. Aus Leipzig. In: Abend-Zeitung Nr 267 v. 7. Nov 1829, 1068: F a u s t , von Göthe, ging später mit Ve r k ü r z u n g e n 3) noch einige Mal über die Bühne; doch schien namentlich das Meßpublikum, das Spektakel erwartet hatte, weniger von den Herrlichkeiten der Dichtung ergriffen.

10. [Berlin] Zelter an G (MA 22.2, 1277): Vor einiger Zeit [21. Juni] schrieb ich Dir über die Musik des Hrn Berlioz zu Deinem Faust. Nun lege die Berl. Musik. Zeitung bei4) die in der Regel ziemlich halb und halbhalb ist, nur der Verleger ist mehr als ganz: ein halber Christ und ein Ganzer Jude. 14. [Warschau] F. Chopin an T. Woyciechowski (F. Chopin: Briefe. Hsg. v. K. Kobylan ´ ska. Berlin 1983, 71f.): . . . wie er [A. v. Radziwill] die Musik liebt, das weißt Du ja, − er zeigte mir seinen Faust, und ich fand viele Dinge, die so gut durchdacht, sogar genial waren, wie ich sie vom Statthalter [von Posen] nie erwartet hätte. Unter anderem ist darin eine Szene, in der Mephistopheles das Gretchen in Versuchung führt, indem er auf der Gitarre spielt und vor ihrem Hause singt, und zugleich hört man den Chorgesang aus der nahen Kirche; dieser Kontrast erzeugt in der Exekution einen großen Effekt; auf dem Papier sieht man den kunstvoll komponierten Gesang oder vielmehr das teufliche Akkompagnement zu einem sehr ernsten Choral. 15. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1282): Das schöne Wort Faustus [lat. der Glückliche ], Fauste, Faust hat von Dir aus eine so ominose Bedeutung erhalten, daß Dir Recht geschieht bei Leib und Leben noch die Folgen davon zu erfahren. So höre denn: Gestern Abend habe die große Oper Faust, von J. C. Bernard und Spohr5) zum ersten Mal von Anfang bis zu Ende gesehn und abgehört. 1

) Zur Entscheidung s. unten 24. Nov 1829: an Göttling. ) G’s Bedienter Friedrich Krause. 3 ) s. oben 2. Sept 1829: Korrespondenz. 4 ) Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung Nr. 39 v. 26. Sept 1829 mit einer Rez. von A. B. Marx über die Huit Sce`nes de Faust von H. Berlioz; dazu s. oben: 26. Sept. 5 ) Faust: Romantische Oper in zwey Aufzügen; für das k. k. priv. Theater an der Wien von J.[oseph] C.[arl] Bernard. In Musik gesetzt von Ludwig Spohr. Wien 1814; Urauf2

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Nov 15. [Berlin] D. Friedlaender an Zelter (MA 20.2, 1284f.)1): Mein wackrer Freund . . . sein Sie auch: mein Lehrer. Woher der Name: Mephistofeles für den schadenfrohen Dämon? Orientalisch ist er nicht. Wie denn die Dämonologie der Juden sich erst nach dem Exil gebildet; die Mosaisten wissen von keinem Engel noch von einem Teufel. Was wir Engel nennen heißt in der Ursprache: Bote Gottes, und Satan heißt: Widersacher, Ankläger, oft auch nur: Hindernis − Späterhin als sie wahrscheinlich mit der chaldaisch-zoroasterischen Religion die Amschaspands u Izeds, im Gegensatz der Dews kennen lernten, bekamen die guten Geisterwesen bedeutende Namen: Gabriel, Raphal: Gottesstärke, Gottes Heilkraft u. s. w. die Bösen: asmodi, Samael. chaldaische Benennungen, welche letztere schon cabbalistische Begriffe enthalten, und daher schwerer zu erklären sind. Doch was maß ich, armer Schüler, mir an? Sagen Sie mir, teuerer Lehrer! Was Mephistofeles ist, und damit gut. − Ich vermute daß der ebengenannte Namen aus dem Mittelalter, mit der Geschichte des Fausts entstanden ist, Sie werden mich verbinden, wenn Sie mir nachwiesen, wo ich diese Volkssage beschrieben finde. 16. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1285f.): Wenn auch S. Mephistophelische Existenz nach Amt und Stand von mir anerkannt und respektiert sind so wüßte ich doch über Dero antikes Geschlechtsregister nichts zu offenbaren . . . So bitte ich denn Dich alter Herr mir aus der gelehrten Not zu helfen dagegen ich mich einmal wieder mit langweiligen Berichten über eine Oper die von Teufeln wimmelt revangieren kann . . . Der alte Friedländer . . . ist in orientalischen Dingen mein gefälliger Lehrer und naher Nachbar. Am Sonnabend nach der Oper [Faust von Spohr/ Bernard] erzählte ich ihm was ich gesehn und gehört und Du hierbei geschrieben findest.2) 19. Abschrift aus Fausts Höllenzwang zu Beantwortung einer Frage. 20. An Zelter (Br 46, 157−59): Läßt man sich in historische und etymo-

logische Untersuchungen ein, so gelangt man meistens immerfort in’s Ungewissere. Woher der Name Mephistopheles entstanden wüßte ich direct nicht zu beantworten; beyliegende Blätter3) jedoch mögen die Vermuthung des Freundes bestätigen, welche demselben gleichzeitigphantastischen Ursprung mit der Faustischen Legende gibt; nur dürfen wir sie nicht wohl in’s Mittelalter setzen: der Ursprung scheint in’s sechzehnte und die Ausbildung in’s siebzehnte Jahrhundert zu gehören. Die protestantischen Teufelsbeschwörer hatten den kirchlichen Bann nicht unmittelbar zu befürchten, und es gab destomehr Cophtas welche die Albernheit, Unbehülflichkeit und leidenschaftliche Begierde der Menschen zu nutzen wußten; denn freylich wäre es leichter durch einige gezogene Charaktere und unsinniges Gemurmel reich zu werden, als im Schweiße seines Angesichts das tägliche Brot zu essen. Haben wir doch noch vor Kurzem im Neustädter Kreis ein dergleichen Nest führung 1816 in Prag. − Das Libretto fußt vor allem auf F. M. Klingers Roman Fausts Leben,Thaten und Höllenfahrt in fünf Büchern von 1791. − Rez. der Erstaufführung in Berlin vom 14. Nov 1829 in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung Nr. 50 v. 16. Dez 1829, 827−29. 1 ) Originalbrief von D. Friedlaender an Zelter, mit anschließenden Bemerkungen vom 16. Nov 1829 auf demselben Briefbogen von Zelter an G gesandt. 2 ) Zelter an G, 15. Nov 1829. 3 ) Auszug (Kap. 1 u. 2) aus dem von Göttling übermittelten Faust’schen Höllenzwang; s. oben 6. Nov 1829: Göttling an G.

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von Schatzgräbern ausgehoben und damit ein Dutzend solcher Wunderschriften, deren aber keine an Werth jenem Codex gleicht aus welchem beyliegender Auszug gemacht ist. Soviel vorläufig mit meinem freundlichsten Worte an Herrn Friedländer . . . Alle gute Geister in Gefolg so vieler Höllischen . . . [Beilage.]1) Die römische Kirche behandelte von jeher Ketzer und Teufelsbanner als gleichlautend und belegte sie beiderseits mit dem strengsten Bann, so wie alles was Wahrsagerey und Zeichendeutung heißen konnte. Mit dem Wachsthum der Kenntnisse, der nähern Einsicht in die Wirkung der Natur scheint aber auch das Bestreben nach wunderbaren geheimnißvollen Kräften zugenommen zu haben. Der Protestantismus befreyte die Menschen von aller Furcht vor kirchlichen Strafen; das Studentenwesen wurde freyer, gab Gelegenheit zu frechen und liederlichen Streichen; und so scheint sich, in der Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, dieses Teufels- und Zauberwesen methodischer hervorgethan zu haben, da es bisher nur unter dem verworrenen Pöbel gehaust hatte. Die Geschichte von Faust wurde nach Wittenberg verlegt, also in das Herz des Protestantismus, und gewiß von Protestanten selbst; denn es ist in allen den dahin gehörigen Schriften keine pfäffische Bigotterie zu spüren, die sich nie verläugnen läßt. Um die hohe Würde des Mephistopheles anschaulich zu machen liegt ein Auszug abschriftlich bey einer Stelle von Fausts Höllenzwang. Dieses höchst merkwürdige Werk des raisonnirtesten Unsinns soll, nachdem es lange in Abschriften umhergelaufen, Passau 1612 gedruckt worden seyn. Weder ich noch meine Freunde haben ein solches Original gesehen, aber wir besitzen eine höchst reinliche vollständige Abschrift, der Hand und übrigen Umständen nach etwa aus der Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. [Beilage:]2) Auszug aus einer Abschrift von ,Fausts Höllenzwang’: Der erste Theil dieses Buchs handelt von der Nigramantia oder Cabula nigra wie auch von Magia naturali, et innaturali − Cap. I. Handelt von der Eintheilung derer Geister und ihren Namen auch was sie denen Menschen helfen können. Damit du lieber Nachfolger nun wissest, deren Geister ihre Regierung und Eintheilung in ihre höllische Chöre und Fürstenthümer, so will ich dich solches hiermit nacheinander lehren und zeigen als in diesem Capitel ihre Nahmen im folgenden Capitul aber ihre Eintheilung in ihre Chöre und Fürstenthümer. Nadanniel* ist der Geist, der verstoßen ist von Gott. * wird sonst genannt Lucifer, auch Bludohn auch Beelzebub. Es seyn auch unter dem 1

) In Br irrtümlich als Beilage bezeichnet. − Seine Antwort auf Friedländers Frage ließ G in Fortsetzung seines Briefs an Zelter durch Schuchardt auf dem gleichen Bogen abschreiben; im Konzept steht dieser Teil an erster Stelle. 2 ) Auszug von Schuchardts Hand im GMD, Wiedergabe nach MA 20.3, 1059ff.

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gantzen höllischen Heer 7. Churfüsten, als Lucifer, Marbuel, Ariel, Aciel, Barbiel, Mephistophiel, Apadiel. Aber unter diese 7. Churfürsten werden wieder gezehlt 4. Großfürsten, als Lucifer, Ariel, Aciel und Marbuel. Es seyn auch unter den höllischen Heere 7. Falsgrafen, welche heißen: Ahisdophiel, Camniel, Padiel Cora-, } Alle diese sind sehr mächtige Diel, Osphadiel, Adadiel, Caphiel. } Geister in dem höllischen Heere. Es seyn auch in dem höllischen Heere 7. kleine Grafen, welche heißen: Radiel, Dirachiel, Paradiel, Amodiel, *Ischscabadiel, **Jazariel, Casadiel. *Ischscabadiel ist ein HochmuthsGeist. **Jazariel bringt den Menschen hervor alle Stammgeister welche außerhalb dem Freuden Paradieß in Lüfften schweben. Es seyn auch unter dem höllischen Heere 7. Baronen welche heißen: 1. Germiciel ist ein starker Lufftgeist. 2. Adiel ist ein starker Feuer Geist. 3. Craffiel, ist ein starker Krieges Geist 4. Paradiel, 5. Assardiel, 6. Kniedadiel, 7. Amniel. Es sind auch unter dem höllischen Heere 7. adeliche Geister, welche heißen: 1. Amudiel 2. Kiriel, dieses sind zwei starke Feuer Geister. 3. Bethnael**** 4. Geliel 5. Requiel 6. Aprinaelis 7. Tagriel. ****Diese letztern viere, als 4. 5. 6. 7. sind kleine Feuer Geister, und werden unter das höllische Heer gezehlt. Es sind auch unter dem höllischen Heere 7. bürgerliche Geister, welche heißen: 1. Alhemiel 2. Amnixiel 3. Egibiel 4. Adriel, diese 4 sind auch aus dem höllischen Heere. 5. Azeruel, 6. Ergediel, 7. Abdicuel. Diese 3 sind Feuer Geister. Es sind auch in dem höllischen Heere 7. Bauer-Geister, welche also heißen: 1. Aceruel 2. Amediel. Diese 2 sind Feuer-Geister. 3. Coradiel 4. Sumnidiel 5. Coachtiel. Diese 3 sind Lufftgeister. 6. Kirotiel 7. Apactiel. Diese 2 sind aus dem höllischen Heere. Es sind auch unter dem höllischen Heere 7 kluge Geister, diese sind die allergeschwindesten und das Haupt unter dem höllischen Heere, und können zu allen Künsten gebraucht werden, wie man sie nur haben will. 1. Mephistophiel 2. Barbiel 3. Marbuel 4. Ariel 5. Aciel 6. Apadiel 7. Camniel. Es sind auch 7 tumme Geister, welche große Macht haben auch in vielen Künsten erfahren, aber dabey sehr tumm sind; diese machen auch gerne Pacta oder Bündnisse mit denen Menschen, dahero kann man leichte wieder von sie kommen, durch viele Künste, und diese heißen: 1. Padiel 2. Cafphiel, 3. Paradiel 4. Casdiel, 5. Kniedatiel 6. Amniel 7. Tagriel. Es finden sich auch 4 freye Geister, welche heißen wie folget: 1. Asmodiel, ist der Haupt- und Mordgeist 2. Discerdiel, der Zankgeist 3. Amodiel, ist der Huren Geist 4. Damniel, ist der Diebes Geist (ein Lufftgeist.) Diese 4 Freye Geister gehören auch unter das höllische Heer. Nadanniel ist der gebundene und von Gott verstoßene Geist. Cap. II Handelt von der Eintheilung aller Geister in die Chöre der Fürsten. Alle höllische Heer-Geister gehören unter den Nadanniel oder Lucifer, auch Beelzebub genannt. Alle Feuer-Geister gehören unter den Ariel. Alle Erd- und Lufftgesiter ge-

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hören unter den Marbuel. Alle kleine Grafen und Barones gehören unter den Aciel. Alle Fallsgrafen gehören unter den Barbiel, und Unter die sieben Fallsgrafen gehören die 7. adeliche Geister. Unter dem Mephistophiel gehöret Amudiel, denn NB. Mephistophiel ist statt des Lucifers über alle Geister gesetzt. Unter den 7. kleinen Grafen stehen die 7. adelichen Geister, wie sie nach der Reyhe stehen, denn wie die 7. adeliche nach der Reyhe stehen, so stehen auch die 7. bürgerliche nach der Reyhe wieder. Unter den 7 adeliche stehen die 7. bürgerliche nach der Reyhe, wie die adelichen nach der Reyhe stehen. Unter die 7 bürgerliche gehören die 7 bäuerliche nach der Reyhe wie die 7 bürgerliche. Unter die 7 bäuerliche gehören die 7. Kluge Geister nach der Reyhe, wie die bürgerliche nach der Reyhe stehen, und Unter den 7. Klugen Geistern gehören die 7. tumme Geister nach der Reyhe, wie die Klugen nach der Reyhe stehen, also stehen auch die Tummen nach der Reyhe. Nov 21. [An] Herrn Professor Zelter in Berlin, auf Anfrage Herrn Friedländers einiges Magische. 24. An C. W. Göttling (Konzept; Br 46, 172):1) Auch folgen anbey 10 Thaler Courant für das Exemplar: F a u s t s H ö l l e n z w a n g , wogegen inliegende Quittung unterzeichnet zurück erbitte.2) Ich habe dieses seltsame Werk zu der übrigen bedeutenden Sammlung verwandten Unsinns auf hiesige Bibliothek niedergelegt; vor einigen Jahren wurde ein ganzes Nest dieser Art im Neustädtischen bey einer Gesellschaft von Schatzgräbern entdeckt . . .3) Dez 12. An Zelter (Br 46, 182): Seit der Zeit daß ich dir die wichtige Einsicht in den Staatskalender der Hölle gegeben, ist mir manches Gute von außen gekommen und hat sich aus dem Innern auch einiges Behagliche entwickelt . . . Deine Relation von Spohns Oper4) gibt einen neuen Beweis: daß, wenn schon die Poesie in völlige Nullität sich auflöst, der Musikus doch dabey seine Rechnung finden, eine Darstellung befriedigen, ja theilweise sogar entzücken kann.5) 18. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1294): Alle wahre Musik kann nur mental sein und wirken; was drüber ist hat schon Lykurg verboten und mit Recht, denn es ist vom Übel. Trotz dieses strengen Gesetzgebers laß’ ich mir jedoch die Orgel nicht nehmen weil sie mir von Jugend an bis heut das tiefste Gewissen wie ein ernsthafter Beichtiger aufregt, wie Du es längst im Faust ganz unwillkürlich dargestellt hast. Die Szene [Dom] wirkt 1

) G’s Tgb am 25. Nov: [An] Herrn Professor Göttling, . . . 10 Thaler für Fausts Höllenzwang. 2 ) Zur Anschaffung s. oben 6. Nov: Göttling an G. 3 ) Beilage: Q u i t t u n g . Zehen Thaler Courant für ein Exemplar von Fausts Höllenzwang, sauber geschrieben, 1 Band in 4°, Copie des Passauer Drucks von 1612, an großherzogliche weimarische Bibliothek abgegeben, erhalten zu haben bescheinige. 4 ) s. oben 15. Nov 1829: Zelter an G. 5 ) Das Folgende s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“, an Zelter, 16. Dez, S. 765.

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zermalmend an ihrem Orte und wenn keiner weiß womit?, so weiß ichs und habe die ganze Kirche vor Augen.

Dez 26. London Magazine 1826, von meiner Tochter [Schwiegertochter Ottilie]

mitgetheilt, enthaltend eine Recension von Lord Gowers Übersetzung des Faust.1) 29. [Hirschberg] E. Schubarth an G (GSA 28/829): Mehrere hiesige Litteraturfreunde haben im Verlauf des Sommers dem Faust Ew. Excellenz ihre Aufmerksamkeit zugewandt, wozu sie theils eigener Antrieb bewog, theils aber auch die neuerlichen Aufführungen des Werks auf unseren deutschen Bühnen mit anregten. Nun fanden sie aber gar bald mehrfaltige Hindernisse im Verständniß, welche sie weggeräumt wünschten, und sie wandten ihre Bitten freundlich an mich, ich möchte doch dabei die Rolle eines Erklärers, Auslegers übernehmen. Obschon ich früher mit dem Faust, wie mit Ew. Excellenz Poesien überhaupt, mich eifrigst beschäftigt hatte: so überraschte mich doch dieser Antrag nicht wenig, und setzte mich gewissermaßen in Verlegenheit, weil ich seit Jahren diese Art von Beschäftigung aufgegeben und daher mit sämmtlichen neuern Leistungen Ew. Excellenz in dieser Beziehung, und namentlich den Fortsetzungen des Faust, ganz außer Bekanntschaft gekommen war. Indessen mochten sich jene Freunde dadurch nicht zurückweisen lassen, sie drangen nur lebhafter in mich, die Sache ward weiter besprochen, verbreitet und zuletzt stadtkundig. Und so konnte ich endlich nicht ausweichen, statt höchstens den bloßen Glossator und Interlocutor bei einer etwaigen Lesung des Faust abzugeben, wie ich mir es anfangs dachte, förmliche Vorlesungen vor dem gebildeten Theile der Einwohner unserer Stadt zu halten. Indem ich mich nun hierbei eines sehr lebhaften Antheils und Beifalls erfreue, wie die Zahl meiner Zuhörer beweisen kann, die sich über 100 beläuft, was für einen Ort, der noch nicht 7000 Einwohner zählt, gewiß sehr viel ist: so hat die Sache die fernere Wendung genommen, daß sogar der Druck dieser Vorlesungen beschlossen ist.2) Damit nun dieß Ew. Excellenz nicht überraschen möge, wenn Sie vielleicht in einem 20 Bogen starken Octavbande über kurz oder lang eines Ihrer Lebensprobleme behandelt und die davon versuchte Auflösung dem ganzen deutschen Publikum vorgelegt sehen: so habe ich Ew. Excellenz durch Gegenwärtiges davon vorläufig Kunde geben mögen. Um Sie aber auch in Stand zu setzen, näher zu beurtheilen, wie ich die Sache im einzelnen angegriffen: so folgt in der Anlage ein Bruchstück aus der sechsten Vorlesung, den Commentar zur vierten Scene des ersten Theils der Tragödie oder zum zweiten Wiederscheinen des Mephistopheles enthaltend. Ein anderes Fragment findet sich in dem dießjährigen Berliner Conversations−Blatt No. 224ff. mitgetheilt, welches aus der dritten Vorlesung den Anfang der Auslegung des Prolog im Himmel vorlegt.3) Möchten diese Dinge Ew. Excellenz nicht unangenehm seyn, und vor allem das dabei von mir beobachtete Verfahren sich einiges Beifalls Ew. Excellenz zu erfreuen haben.4)

1

) Lord F. L. Gower’s Faust. In: The London Magazine. New Series 6 (1826) Nr. 22 (Okt) 164−73. 2 ) Ueber Goethe’s Faust. Vorlesungen von Dr. K. E. Schubarth. Berlin 1830; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1950). − Rez. von W. Menzel im Literatur-Blatt Nr. 29 v. 16. März 1832, 113−15 u. Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 68 v. 9. März 1831, 297f. u. Nr. 69 v. 10. März 1831, 301f. 3 ) Vorlesungen über Goethes Faust. In: Berliner Conversations-Blatt Nr. 224ff. v. 16.−18. Nov 1829, 878f., 883, 887. − Zu Rauch s. auch H. Tietze: Die philosophische Periode der deutschen Faustforschung (1817−1839). Greifswald 1916, 109−23. 4 ) G ließ diese Sendung unbeantwortet, s. aber unten 5. Apr 1830: A. v. Goethe an E. Schubarth.

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⎯ F.[riedrich] A.[ugust] Rauch: Vorlesungen über Göthe’s Faust. Büdingen 1830, VIII−X: Viele Jahre hindurch hat der Verfasser Göthe’s Faust als eine tägliche Lectüre bei sich getragen und manche Stunde hat ihm die entzweite Gemüthsstimmung des trotzigen Faust verkümmert: darum trieb es ihn, zu erfahren, ob alles Wissen eitel und die Dinge in ihrer Vergänglichkeit des Wunsches unwerth seien oder nicht, und in diesem Interesse entwarf er diese Schrift als Vorlesungen, von welchen die ersten eine nicht unbedeutende Anzahl von Studirenden anhörte,1) die letzteren aber vorzutragen der Verfasser durch äußere Verhältnisse verhindert wurde, und so gab denn der Wunsch, den Herren, welche sie hören wollten, einen Ersatz zu bieten, die nächste Veranlassung zur Herausgabe dieser Schrift. Dem Grundsatze gemäß, daß das zu Beurtheilende von einem höheren Standpuncte betrachtet werden müsse, als der sei, auf welchem es selbst sich darstelle, wurden den einzelnen Abtheilungen allgemeine Betrachtungen vorangeschickt,2) auf welche dann der weitere Inhalt der Tragödie Beispielweise zum leichteren Verständnisse bezogen wurde . . .3) [Jan] [Frankfurt] Marianne v. Willemer an G (Weitz − Willemer 225f.): Am Neujahrstage wurden einige Szenen aus Faust gegeben; mit dem Spaziergang [Sz. Vor dem Thor] fing man an. Als die Bürger vortraten und der erste anfing zu sprechen: „Der neue Bürgermeister gefällt mir nicht“,4) fing alles an zu lachen, einer von jenen unberufenen vorlauten Ruhestiftern wollte durch Zischen seine Mißbilligung zu erkennen geben, nun fing man an, zu klatschen, bravo zu rufen und die Stelle dacapo zu verlangen, welches natürlich nicht geschah. Beide neu gewählten Herren Bürgermeister waren zugegen, der jüngere lachte, der ältere, Herr Bürgermeister [F. P. W. Freiherr] v. Malapert [de Neufville], lachte nicht, und mag wohl seine Ursachen haben. [1.] [Frankfurt, anonym] Frankfurter Volksbühne. Am 1. Jan. Z w e i F r a g m e n t e a u s G ö t h e ’ s F a u s t . 1 . D e r S p a z i e r g a n g . 2 . A u e r b a c h s K e l l e r . . . In: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität Nr. 3 v. 3. Januar 1830, unpagn.: Die Fragmente aus Göthe’s Faust wurden träge gegeben,5) und die Schweinereien in Auerbachs Keller brachten auf die heutige Neujahrstagzuschauermasse nicht die geringste Wirkung hervor. [1.] [Frankfurt, anonym] Frankfurter Volksbühne. Am 1. Jan. Zwei Fragmente aus Göthe’s Faust. 1. Der Spaziergang. 2. Auerbachs Keller. In: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität Nr. 3 v. 3. Jan 1830, unpagn.: Die Fragmente aus Göthe’s Faust6) wurden träge gegeben, und die Schweinereien in Auerbachs Keller brachten auf die heutige Neujahrstagzuschauermasse nicht die geringste Wirkung hervor.

1

) Vermutl. in Gießen, wo Rauch zeitweise als Privatdozent lehrte. ) I. Abtheilung: Gott 28−48 (u. a. zum Prolog im Himmel); II. Abtheilung: Welt 48−96 (u. a. zu Faust u. Wagner); III. Abtheilung: Teufel 96−156 (u. a. zu Mephistopheles, Gretchen u. Walpurgisnacht). 3 ) F. Th. Vischer bemerkt in einer Rez.: . . . wenn Andere sich noch den Schein geben, als reden sie von Goethes Faust, während sie nur ihre Philosophie vorzutragen beabsichtigen, so bekennt er offen, daß er Philosophie dociren, und das Gedicht nur B e i s p i e l s w e i s e anführen wolle. (Vischer: Kritische Gänge. Bd 2. Tübingen 1844, 184). 4 ) v. 846: Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister! 5 ) Bericht auch in Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung Nr. 3 v. 3. Jan 1830; zu den vorherigen Aufführungen s. oben 1829 Aug 27. u. Sept 5. : Frankfurter Volksbühne. 6 ) s. oben 1829 Aug 27. u. Sept 5.: Frankfurter Volksbühne. 2

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3. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 373f.): Er selbst [G] hatte derweil die neueste französische Übersetzung seines Faust von Ge´rard1) zur Hand genommen, worin er blätterte und mitunter zu lesen schien. „Es gehen mir wunderliche Gedanken durch den Kopf, sagte er, wenn ich bedenke, daß dieses Buch noch jetzt in einer Sprache gilt, in der vor funfzig Jahren Voltaire geherrscht hat. Sie können sich hiebei nicht denken was ich mir denke, und haben keinen Begriff von der Bedeutung, die Voltaire und seine großen Zeitgenossen in meiner Jugend hatten, und wie sie die ganze sittliche Welt beherrschten. Es geht aus meiner Biographie nicht deutlich hervor was diese Männer für einen Einfluß auf meine Jugend gehabt, und was es mich gekostet, mich gegen sie zu wehren und mich auf eigene Füße in ein wahreres Verhältnis zur Natur zu stellen.“2) . . . Die erwähnte Übersetzung von Ge´rard, obgleich größtenteils in Prosa, lobte Goethe als sehr gelungen. „Im Deutschen, sagte er, mag ich den Faust nicht mehr lesen; aber in dieser französischen Übersetzung wirkt alles wieder durchaus frisch, neu und geistreich.“ „Der Faust, fuhr er fort, ist doch ganz etwas Inkommensurables, und alle Versuche, ihn dem Verstand näher zu bringen, sind vergeblich. Auch muß man bedenken, daß der erste Teil aus einem dunkelen Zustand des Individuum hervorgegangen. Aber eben dieses Dunkel reizt die Menschen, und sie mühen sich daran ab, wie an allen unauflösbaren Problemen.“ 31. (s. „Faust. Ein Fragment“: Eckermann Gespräch gD, S. 134)

Febr 20. [Gravenhage] P. G. van Ghert an G (GSA 28/141 Bl. 81): Euer Excellenz nehme ich die Freiheit ein Exemplar meiner Abhandlung über den F a u s t zu übersenden,3) die ich gehalten habe um meine Landsleute näher, nicht bloß mit dem Worte sondern dem inneren Gehalte dieses Kunstwerkes bekannt und vertraut zu machen. Auf deutschen Universitäten gebildet, ward mir das Glück zu Theil den Prof. Hegel zum Leser zu haben, ja er ward mir mehr als Leser, ward mir Freund, und führte mich ein zur Kenntniß des Wahren und Schönen. Die Produkte Ihres Geistes zogen mich daher bald an, und zumal der F a u s t , der das Tiefste der Philosophie im Gewande der Kunst hinstellt, ward mir besonders ein Gegenstand meiner Aufmerksamkeit. Inwiefern ich indessen den Gehalt desselben wesentlich erfaßt habe, muß ich der Beurtheilung Euer Excellenz anheim stellen. Der Abhandlung selbst ist der Anfang einer metrischen Uebersetzung des Faust, als Probe hinzugefügt. Schon vor zwei Jahren übergab ich ein Exemplar dieser Abhandlung dem Studenten Brouwer, bei seiner Abreise nach Berlin, um es Euer Excellenz zu überreichen; vom Prof. Karmann aus Gent vernehme ich indessen daß Sie es nicht erhalten haben. Nehmen Sie die Gabe wohlgefällig auf, nicht als eine Gabe, sondern als einen Beweis, daß es mir ein Bedürfniß war, Euer Excellenz anzudeuten, wie sehr ich wünschte, den Geist des tiefdenkenden deutschen Dichters auch in mein Volk einzusenken und darin wirken zu sehen. März 10. Van Ghert von’s Gravenhage4) sendete eine academische Rede über

Faust. [21.] [Nürnberg, anonym] Correspondenz. In: Münchener-Conversations-Blatt Nr. 86 v. 27. März 1830, 348: Göthes Faust, wohl des großen Meisters größtes Meisterwerk, eine erschütternd-wahre I r o n i e des ganzen menschlichen Strebens, das Jämmerliche der Gottähnlichen in seiner ganzen, mitunter schauderhaften Nacktheit darstellend, er1

) s. oben 22. März 1828. ) Vgl. Dichtung und Wahrheit Buch 11. 3 ) P. G. van Ghert: Redevoering over den Faustus van Göthe, iutgesproken. O.O. u. J.; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1927). 4 ) Pieter Gabriel van Ghert (1782−1852), um 1800 Student in Jena, 1827−1842 in Haag Sekretär der permanenten Kommission des Staatsrats für die Angelegenheiten des römisch-katholischen Kultus, Schüler Hegels. 2

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schien zum erstenmale am Sonntag den 21. März auf der Nürnberger Bühne. Ve r ä n d e r t ist die Bearbeitung für das Theater w e n i g , w e g g e s t r i c h e n aber wurde v i e l , obgleich demungeachtet die Vorstellung fast 31/2 Stunde erforderte. Die Spielenden entsprachen vollkommen allen billigen Wünschen, begriffen größtentheils die Ehre, Organe Göthes zu seyn. Das Haus war gedrängt voll, und wenn manche Erwartungen gewisser Sonntagstheater-Besucher getäuscht worden seyn mögen, so zweifeln wir nicht, daß Faust zu Nürnbergs und der Umgebung Ehre noch mehreremale v i e l e Zuschauer herbeylocken werde.

März 24. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 396): Bei Goethe zu Tische in den heitersten Gesprächen. Er erzählt mir von einem französischen Gedicht, das als Manuskript in der Sammlung von David1) mitgekommen, unter dem Titel: le rire de Mirabeau [von Cordellier-Delaroue]. „Das Gedicht ist voller Geist und Verwegenheit, sagte Goethe, und Sie müssen es sehen. Es ist als hätte der Mephistopheles den Poeten dazu die Tinte präpariert. Es ist groß, wenn er es geschrieben, ohne den Faust gelesen zu haben, und eben so groß, wenn er ihn gelesen.“ 31. [Hirschberg] E. Schubarth an A. v. Goethe (GSA 37/XI, 5, 1): Ew. Hochwohlgeboren Herrn Vater verdanke ich nebst vielen Deutschen so mannichfaches, mich in meinem geistigen Leben förderndes Gute, daß der Wunsch wohl als ein sehr natürlicher erscheint, dieß bei dargebotener Veranlassung auch besonders an den Tag zu legen. Welche Gelegenheit könnte mir nun hierzu geeigneter erscheinen, als indem ich Ew. Hochwohlgeboren gehorsamst ersuche, die Vermittelung für Gewährung der unterthänigsten Bitte bei Ihrem Herrn Vater geneigtest zu übernehmen, daß Er gnädigst erlauben wolle, Ihm meine für den Druck nunmehr bearbeiteten und demselben bereits übergebenen Vorlesungen über Seinen Faust, welche ich in diesem Winter vor einer recht zahlreichen, gebildeten Versammlung an meinem gegenwärtigen Aufenthaltsorte zu halten veranlaßt war,2) in größter Dankbarkeit und tiefster Ehrfurcht zueignen zu dürfen. Gewährt Ihr Herr Vater gnädigst diese Bitte: so werde ich hierin einen neuen Beweis seiner fortdauernden, gewogentlichen Gesinnung gegen mich tief verehren, Ew. Hochwohlgeboren selbst aber mich auf’s dankbarste verpflichtet fühlen, indem Sie mir behülflich sind, dieses kleine Denkmal meiner Verehrung und Neigung Ihrem Herrn Vater zu setzen. Apr

5. [Weimar] A. v. Goethe an E. Schubarth (Konzept; Br 47, 316): Ew. Wohlgeb. habe im Namen meines Vaters für die geneigt ausgesprochene Absicht schönstens zu danken; er versichert nie aufgehört zu haben an Ihren Studien und Schicksalen Theil zu nehmen und es wird ihm Vergnügen machen zu sehen was Sie in Ihrer gegenwärtigen Lage, seine jugendlichen Arbeiten zum Text nehmend, einem gebildeten Kreise für nützlich geachtet haben. [12.] [München] Julius Aquila: Spiegel für Kunst, Mode und Geschmack. Theaterbericht von München. Sechszehnte Woche. Montag den 12. April: F a u s t , Tragödie in fünf Abtheilungen, von G ö t h e . In: Damen-Zeitung. Ein Morgenblatt für die elegante Welt Nr. 96 v. 23. Apr 1830, 381: War es in der That längst ein Wunsch des gebildeten Publikums, Göthe’s gewaltigen Faust auf der engen Bühne zu sehen? ich für mein Theil hätte nie den Gedanken gefaßt, dieß Riesengebilde, dem die Welt selbst zu eng ist, auf die Bretter zu zwängen . . . Doch da es einmal geschah, so muß man bekennen, daß der Einrichter [Joseph Hartmann Stuntz] nicht ohne Sinn, mit Verstand zu Werke gegangen, und daß die vielen störenden Eindrücke nicht seine Schuld sind.

1

) Am 7. März 1830 eingegangene Sendung von Medaillons, Briefen, Hand- u. Druckschriften, verzeichnet in dem Aktenstück Den Aufenthalt des Herrn David in Weimar und die darauf erfolgten Sendungen betr. 1829. 1830 (GSA 30/ 343). 2 ) s. oben 12. Dez 1829: E. Schubarth an G.

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[Apr 12.] [München] M. G. Saphir: Freskobilder der Theater-Arkaden. In: Der Bazar für München und Bayern Nr. 87 u. 88 v. 14. u. 15. Apr 1830, 366−68; 370: Am Zwölften. Zum Erstenmale: „ F a u s t ,“ Tragödie in fünf Akten, von Göthe. Die Theatervorstände sind ein kurioses Völklein! Wird irgendwo etwas Schlechtes gegeben, eine Abgeschmacktheit begangen, sogleich machen sie es nach; wird aber irgendwo ein gutes Stück gegeben, oder sonst eine wohlthätige Neuigkeit oder Neuerung hervorgebracht, davon nehmen sie nie, oder doch so spät als möglich Notiz. Herr Tiek wollte dem Göthe einen theatralischen Katzenbuckel zu seinem Geburtstage machen, er zerknitterte also den großen poetischen Freiheitshut Faust’s zu einem Bühnenclaque, steckte ihn plattgedrückt seinen langarmigen Schauspielern unter den Arm, um den Dichtergreis damit zu beklomplimentiren. Ganz Dresden war im Voraus von der Albernheit eines solchen Unternehmens überzeugt, so wie es jetzt ganz München war und ist . . . Nun ist es aber, nach meinem Dafürhalten, eine Versündigung an der Sittlichkeit, an dem Christenthum, an der Dramaturgie und an Göthe, den Göthe’schen Faust so bearbeitet auf die Bühne zu bringen.1) Leider ist der Raum dieser Blätter zu beengt um diesen Ausspruch in allen seinen Theilen recht ausführlich zu beleuchten, und ich muß mich begnügen es so kurz als möglich zu thun . . . Allein Göthe’s Genie war es vorbehalten, in Faust das Höchste zu ersteigen und das Tiefste zu ergründen, Himmel und Hölle zu verknüpfen und die große Anschauung der Welt, des Lebens, des Seyns, des Wissens, der Religion und des unergründlichen Wesens in einem einzigen großen Gemälde darzustellen . . . Das ist, das liegt im Göthe’schen Faust; in dem aber, den wir gestern sahen, ist alle und jede Idee daran verwischt, wir haben nichts gesehen als einen Teufelsspuk, eine Hexenküche, einen dummen verliebten Faust, und ein verbuhltes Klärchen. Die gestrige Darstellung kann nichts seyn, als ein ärgerlicher Anstoß der Sittlichkeit, der Christlichkeit und der dramatischen Gerechtigkeit. Das alberne Gaukelspiel am Ende, den Faust mit dem Teufel abreiten zu lassen, drückt der ganzen, zerstückten, plan- und sinnlosen Zerarbeitung den sichersten Beweis auf, daß die Bearbeiter die große Uridee des Ganzen, die anwohnende Erhabenheit dieses Stückes nicht kannten, nicht verstanden, nicht ahnten . . . Die Längen aber, das heißt die Szenen, die ganz füglich am ehesten hätten wegbleiben können, die ließen wir wohlweislich, blos um das Stück bis gegen halb eilf Uhr hinzuschleppen, und einigen Schauspielern Gelegenheit zu geben sich peroriren zu hören. Dahin gehört die Szene im ersten Akte, die Szene des Schülers mit Mephisto, und die unendliche Kerkerszene. Der Erfolg des Ganzen war d e r , daß vorgestern bei der zweiten Vorstellung das Haus leer war. Von den Darstellenden läßt sich im Grunde wenig Erhebliches sagen, denn diese Vorstellung kam mir überhaupt blos wie eine Probe vor. [12.] [München, anonym] Göthe’s Faust auf der Müncher Bühne. In: Das Inland. Ein Tagblatt für das öffentliche Leben in Deutschland, mit vorzüglicher Rücksicht auf Bayern Nr. 108/109 v. 18./19. Apr 1830, 437; 439f.: Es konnte wohl von Allen, die nur einigermaßen mit den Elementen der dramatischen Kunst bekannt sind, mit ziemlicher Gewißheit vorausgesehen werden, daß der Gedanke, Göthe’s Faust für die Bühne zu gewinnen, mit wenigem Erfolg gelohnt werden würde. Indeß bleibt der Versuch, obgleich mißglückt, doch Lobes und Dankes werth, wenn auch das Verdienst seiner Ausführung immerhin nur ein negatives ist . . . Es ist sehr einleuchtend, daß die Scenen dieses großen Fragments ohne alle äußere Verkettung aneinander gereiht und blos in der durch das Ganze ziehenden Idee zusammengehalten, bey der Darstellung, wie ein geschüttelter Baum, in unzählige Blätter und Blättchen auseinanderfallen mußten. Es ist ferner leicht einzusehen, daß allegorische Figuren, wie Mephistopheles, die nur von dem Zauberduft der Phantasie überhaucht uns ferne und daher wunderbar bleiben,

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) Textvorlage vermutl. die von Tieck für die Dresdner Aufführung hergestellte Fassung.

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sobald sie verkörpert uns vor Augen stehen, vollkommen lächerlich werden . . . Und wie haben die Dresdener Theater-Exorzisten diesen armen Mephistopheles auch zugerichtet? In der That, sie haben den Teufel glücklich aus dem Teufel herausgetrieben . . . Indessen bleibt der Einfall, dieses ungeheure Werk gerade in fünf Akte einzuzwängen, immer das seltsamste an dieser dramatischen Seltsamkeit . . . warum machte man nicht statt fünf Akten neun oder fünfzehn oder noch mehr; oder warum ließ man überhaupt nicht lieber zwischen jeder Szene den Vorhang sinken? Die Tollheit würde nicht größer ausgefallen seyn, als wenn man Faust morgens in seiner Studierstube bey der Frühglocke noch wach sieht, und zwey Minuten darauf schon in der Abenddämmerung vor dem Stadttor; oder wenn er seinen Trank in der Hexenküche kaum noch hinabgeschluckt hat, und schon als so ein Hans Liederlich auf der Gasse den Mädchen nachläuft u. s. w. Von äußerer Ausstattung, Dekorationen und Maschinerien soll hier Nichts gesagt werden.

[Apr 12.] [München, anonym] Spiegel für Kunst, Mode und Geschmack. Theaterbericht von München. In: Damen-Zeitung. Ein Morgenblatt für die elegante Welt. Hsg. v. C. Spindler. Nr. 96 v. 23. Apr 1830, 381−84: War es in der That längst ein Wunsch des gebildeten Publikums, Göthe’s gewaltigen Faust auf der engen Bühne zu sehen? Ich für meinen Theil hätte nie den Gedanken gefaßt, dieß Riesengebilde, dem die Welt selbst zu eng ist, auf die Bretter zu zwängen, „welche die Welt bedeuten.“ Doch da es einmal geschah, so muß man bekennen, daß der Einrichter nicht ohne Sinn, mit Verstand zu Werke gegangen, und daß die vielen störenden Eindrücke nicht seine Schuld sind . . . Ich setze voraus, daß der größte Theil der gebildeten Welt Faust kennt, mithin verehrt, ja daß selbst die Gegner des Dichtergreises wenigstens d i e ß Werk in seiner Herrlichkeit unangetastet lassen, ich glaube auch, daß die meisten unserer Zuschauer nicht etwas Aehnliches wie „Fausts Mantel!“1) oder Klingemanns „Faust“2) erwarteten, aber der Eindruck des ersten Aktes war dennoch ein überraschender, als der Vorhang aufrollte und der herrliche Monolog begann . . . Ich habe im Text einige unnöthige Lücken wahrgenommen, so geschickt auch vom Monolog bis zu Mephistopheles erstem Abgang die Scenen in einen Akt geordnet sind. So ist es wesentlich, daß der Famulus seine Bestimmung zu einem Geistlichen andeutet, und man konnte sich höchstens in Dresden an die Behauptung stoßen, daß manchmal ein Pfarrer ein Comödiant sey; − warum man es in München wegläßt, ist unbegreiflich, denn es zerstört u n n ö t h i g e r We i s e einen Theil des inneren Zusammenhangs . . . Von den Stellen, die man unnöthiger und oft lächerlicher Weise gestrichen, will ich nicht reden, denn das sich Gewissenssachen; Bearbeiter wie Regisseurs haben oft kein ästhetisches, aber ein polizeigerechtes Gewissen, und in München muß man die Pietisten ja nicht vor den Kopf stoßen, denn man weiß nicht, wer alles dahinter steckt. [Folgend zu den einzelnen Rollen] Die Anordnung des Ganzen war zu lahm, als daß es der Mühe lohnte, ein Wort darüber zu verlieren; − um ein solches Werk in die Scene zu setzen, müßte man es nothwendig v e r s t e h e n , und das ist zuviel von einer Regie verlangt, die sich nur mit dem Praktischen zu befassen hat, und an seichte Machwerke gewöhnt ist . . . [12.] [München, anonym] Faust von Göthe. In: Münchener-Conversations-Blatt Nr. 107 u. 108 v. 17. u. 18. Apr 1830, 431; 434: Göthe scheint seinen Faust nicht für die Darstellung gedichtet, und ihn auch später nicht dazu bestimmt zu haben, sonst wären wenige Federzüge hinreichend gewesen, diesen dramatischen Torso, dieses colossale Fragment der spekulativen Philosophie des Lebens, der Bühne anzupassen . . . So wie G ö t h e uns den F a u s t hinstellte, k a n n er nicht das Opfer der Hölle werden; er ist ein verirrtes Gestirn auf der unermeßlichen Bahn des sittlichen Himmels; doch das

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) Doktor Fausts Mantel; ein Zauberspiel mit Gesang in zwey Akten, von Adolph Bäuerle. Wien 1819. 2 ) A. Klingemann: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig u. Altenburg 1815.

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vorwaltend Göttliche in ihm m u ß ihn durch die Kraft des Willens zum Siege über das böse Prinzip führen. Nach dieser Ansicht würde Göthe seinen Faust geschlossen haben, wie wir glauben, wenn er einen Schluß für nöthig erachtet hätte. Ein anderer Schluß, ein Sieg des bösen Prinzips, wäre ein Frevel gegen die Wahrheit, sohin gegen die ewige Urquelle des menschlichen Geistes gewesen . . . und somit hat auch der Oberkärnermeister T i e k den Versuch gemacht, den Faust G ö t h e ’s der Bühne möglichst anzupassen. Zum Glücke ist dieser Faust eines von jenen seltenen Werken, die, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, n i c h t u m z u b r i n g e n sind. Allein schon der Versuch, welche Wirkung dieser Faust auf der Bühne mache, hat Anspruch auf unsern Dank . . .

[Apr 12.] [München, anonym] Königl. Hof- u. Nationaltheater. Montag den 12. und Dienstag den 13. März [richtig: Apr]: „Faust“ eine Tragödie in 5 Abtheilungen v Göthe. In: Münchener-Conversations-Blatt Nr. 111 v. 21. Apr 1830, 446−48.: Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Einrichtung dieses großen Dichterwerkes für die Bühne beinahe unmöglich scheint, und daß sich Tiek durch die Bearbeitung des Göthe’schen Fragments nicht nur einer sehr schwierigen, sondern auch einer äußerst undankbaren Arbeit unterzog . . . Dem Vernehmen nach hat die hiesige Intendanz dieses Trauerspiel ganz so, wie es für das k. Hoftheater zu Dresden eingerichtet wurde, in Scene gesetzt . . . Obschon Göthe selbst nie die Absicht hatte, seinen Faust auf die Bühne zu bringen, so finden wir dieses Trauerspiel demongeachtet so gut als nur immer möglich nach den dramatischen Gesetzen geordnet, und wir glauben nicht, daß sich mit Grund ein Tadel gegen scenische Einrichtung aussprechen läßt . . . Die Wiederholung des Stückes am darauffolgenden Abende war ein Mißgriff der Regie . . . Wir haben hier kein so großes Publikum, um eine Tragödie zweimal nach einander geben zu können. [Mai 8.] [Weimar] A. E. Koz´mian, Visite eines jungen Polen bei Goethe1) (GG 3.2, 616): Aber Goethe beliebte, mich noch aufzuhalten, und stellte weitere Fragen über Frankreich, über die dortigen bedeutenderen Schriftsteller, über den Stand der schönen Künste. Als ich ihm von zwei vorzüglichen Bildern Ary Scheffers Erwähnung tat, welche Faust und Margarethe vorstellen,2) forschte er mich aus, was für einen Charakter der Maler ihnen gegeben, ob er den Gedanken des Dichters verstanden habe, und ob es Scheffers oder Goethes Faust und Margarethe seien. Juni 15. [Hirschberg] E. Schubarth an A. v. Goethe3) (GSA 37/ XI,5, 1): Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich anbei 2 Exemplare meiner Vorlesungen über den Faust4) ganz gehorsamst zu übersenden, wovon ich das eine Ihrem Herrn Vater unter Vermeldung meines tiefsten Respeckts zu überreichen, das andere aber für Sich geneigtest zu behalten bitte. Indem Ihr Herr Vater in der neuesten Lieferung seiner Werke meiner auf eine so

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) Geschrieben 1839. ) A. E. Koz´mian, aus Paris kommend, kann die beiden Gemälde Faust dans son cabinet und Marguerite au rouet gesehen haben, die, im Pariser Salon von 1831 erstmals ausgestellt, schon 1830 vorlagen; vgl. Giese 240f. 3 ) Schubarth wandte sich an den Sohn, weil er nach einer Zeitungsmeldung G in Italien glaubte. 4 ) Ueber Goethe’s Faust. Vorlesungen von Dr. K. E. Schubarth. Berlin 1830; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1950). − Nach zwei einleitenden Vorlesungen (3−84) interpretiert Schubarth in den Vorlesungen 3−10 (85−336) die Szenen von Faust I; 11−13 (337−85) beschäftigen sich mit den bereits veröffentlichten Teilen zu Faust II. − G’s Reaktion s. unten 8. Okt 1830: an E. Schubarth; Rez. in: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 68 u. 69 v. 9. u. 10. März 1831, 297f. u. 301f.; ALZ Nr. 204 v. Nov 1831, 345−52; Literatur-Blatt Nr. 29 v. 16. März 1832, 113−16; F. Th. Vischer: Kritische Gänge. Bd 2. Tübingen 1844, 69−76; zu Auszügen s. unten: 1831 März 9. u. Nov sowie 16. März 1832: Rez. 2

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ehren- als liebevolle Weise gedenkt,1) freue ich mich, Ihm durch Überreichung und Zueignung meiner Vorlesungen einigermaßen würdigen zu können.

Juli Okt

31. [Nachmittags] Schubarth über Goethes Faust nach Vorlesungen in

Schmiedeberg. 8. An E. Schubarth (Br 47, 283f.): Für die übrigen Sendungen, besonders die von Faust, statte meinen besten Dank ab. Es muß mir immer merkwürdig bleiben, was dieses wundersame Werk aufregt und zu was für Betrachtungen es Veranlassung gibt. 19. [Stuttgart] M. Rapp: Eine Scene aus Göthe’s Faust, in schwäbischem Dialekt. In: Morgenblatt Nr. 250 v. 19. Okt 1830, 997: . . . wir bescheiden uns gerne mit dem Zeugniß, daß wir weder dem Dialektsangehörigen seine Sprache verunstaltet, noch dem Meisterwerke selbst alle inwohnende Grazie entrissen haben möchten.2)

Nov 15. [Craigenputtock] Th. Carlyle an G (Norton 240): My room here is exhausted, otherwise there were innumerable things to say. In No. CIII. of the Edinburgh Review is a Criticism of Lord L. Gower’s Translations3), which, as wiping away a reproach from British Literature, I could not but welcome. The Critic [William Empson], who, I learn, is a man of forty, „a scholar, politician, and philosopher,“ appears to understand nothing whatever of Faust, except that the Author is the first of contemporaneous minds, and that Lord Gower understands less than nothing of it. Even this, however, is something, and not long ago would have seemed surprising. I myself am sometimes meditating a Translation of Faust, for which the English world is getting more and more prepared. But of all this more at large by the next occasion. 21. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1404): Fürst Radziwill hat mich gestern drei neue Szenen seines Faust vernehmen lassen. Die Aufmerksamkeit mit welcher alles bis in die kleinsten Teile durchdacht ist konnte ich nur loben. Die erste der Szenen ist die Totenmesse um die Mutter [Sz. Dom]. Sie fängt schon vor der Kirche an. Gretchen hört schon von fern den Orgelton, geht in den Stuhl; das Requiem beginnt und das Amt geht seinen Gang. Zwischen dem Chorgesang des Dies irae u.s.w. [3798f.] tritt nun gleichsam persönlich Mephisto hinter die Sünderin an die Stelle des Gewissens und spricht die bekannten improperii4) laut redend aus. So geschickt und fleißig das nun alles in den Gang der Handlung verwebt und eingepaßt ist; so bleibt es dennoch ein Fehlgriff weil nicht bloß die Andacht der Sünderin sondern der Kirchendienst selbst d. i. der Chorgesang, durch Dazwischenrede gestört wird.* Wie gesagt die Arbeit muß man loben nur die Intention wie die Wirkung, mochte ich nicht schelten, denn das Werk ist da und die Kritik kommt zu spät. Die andere Szene ist der Spaziergang vor dem Tore mit Wagner, besonders die Unterhaltung über den Pudel [Sz. Vor dem Thor]. Die Verse sind, metrisch zwischen der fortlaufenden Instrumentalmusik so glücklich eingepaßt als wenn sich die Handlung praktisch denken ließe und das Orchester so 1

) C1 39 (1830) 74f. wiederholt die Würdigung aus Antik und modern KA II 1 (1818) 145ff., beginnend mit: Ein junger Freund, C a r l E r n s t S c h u b a r t , in seinem Hefte z u r B e u r t h e i l u n g G o e t h e ’ s , welches ich in jedem Sinne zu schätzen und dankbar anzuerkennen habe, sagt: . . . (Zum Inhalt vgl. W 49.1, 14913−5015.) 2 ) Es folgt 997f. u. 1002f., Abdruck der Sz. Der Nachbarin Haus. 3 ) Carlyle verweist auf die Sammelrez. Lord Leveson Gower’s Poems and Translations in: The Edinburgh Review 52 (1830) Nr. 103 (Okt) 231−61. − Im Bezug auf die Publikation Faust. A Drama, by Goethe. With Translations from the German (2nd Ed. Vol. 1. 2. London 1825) auf 252−54 kritische. Äußerungen zu G’s Faust u. zu Gowers Übersetzung. 4 ) Wechselseitige Gesänge während der Kreuzverehrung.

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mitspazieren könnte. Die dritte Szene gefiel mir am meisten wiewohl sie eben auch melodramatisch wie man’s nennt gesetzt ist. Der Spaziergang im Garten: Faust mit Gretchen und Mephisto mit Marthe gehen im Kreise um einen breiten Rasenplatz so daß immer das eine Paar welches spricht gesehen wird indem das Andere zwischen Buschwerk wandelt [Sz. Garten]. Hier geht die Musik höchst artig bald herzig bald ironisch fort und hängt geschmacksmäßig aneinander. Verse und Reime sind so zart und metrisch in den Gang der Musik verwebt, daß ich es für das Beste gelten lasse was noch in dieser Art gewagt worden; wozu denn freilich gehören würde daß die Deklamierenden gut musikalisch und alle Musiker zusammen so Ohrenfest sind um Gelegentlich zu retardieren und wieder vorzugehen wo denn der verfluchte Taktstock seine Pflicht zu erfüllen hat, ohne welchen man bald nicht mehr wird aufstehn und schlafengehn können. * auch ist es unkatholisch.

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6. [Weimar] Eckermann an Th. Carlyle (Norton 245):1) Es steht mir zwar nicht zu Ihnen zu rathen, wäre ich jedoch an Ihrer Stelle, so würde ich sicher für meine Nation etwas dankbares unternehmen, wenn ich die schönsten Mussestunden einiger Jahre auf eine treue Uebersetzung des Faust verwendete . . . Die Uebersetzung des Lord. L. Gower2) mag denen genügen die das Original nicht kennen, und man mag sie als Vorläufer eines Bessern schätzen, allein genau besehen mag es ihm gefehlt haben, beydes an Einsicht wie an Muth.

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⎯ [Stuttgart] L. B.[echstein]: Die Darstellung der Tragödie Faust von Göthe auf der Bühne. Ein zeitgemässes Wort für Theaterdirektionen, Schauspieler und Bühnenfreunde. Stuttgart 1831,3) 2; 7; 8; 60f.; 62: [2:] Tieck zerfällt den Faust in fünf Abtheilungen, wie die Regel der Tragödie sie heischt; allein bei einer Tragödie, die nicht für die Bühne geschrieben wurde, die a u s n a h m s w e i s e auf die Breter gebracht wird, dürfte auch eine Ausnahme von jener Regel statt finden, um so mehr, da die Hauptsache doch darauf beruht, so viel als möglich von dem Meisterwerk vor den Blick der Beschauer zu führen, und dabei die scenische Anordnung immer als Nebensache und untergeordnet erscheinen muß . . . [7:] Laßt in der Oper Faust Feuer, Pech und Schwefel regnen, laßt in Klingemanns Trauerspiel gleiches Namens Felsenwände mit Donnerkrachen einstürzen, und einen lichterloh brennenden Höllenrachen sichtbar werden, in den Satan Faustus hinabschleudert, wie ein Scheit Holz, wir wollen nichts dagegen sagen, nur entweiht nicht G ö t h e s Faust durch solch läppische Gaukelei! Laßt, was Fragment ist, Fragment bleiben, künstelt keinen Schluß daran, leimt nicht an den ehernen Löwen einen Schweif von Pappe, haltet den Gedanken fest, daß ihr Göthes Faust aufführt, und daß es nicht mehr G ö t h e s Faust ist, wenn ihr euch untersagt, daran zu modeln . . . [8f.:] Es liegt klar am Tage, daß Hinweglassungen unerklärlich sind, wenn Faust gegeben werden soll, was aber streichen? Diese Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten. Alles Anstößige, die Sittlichkeit beleidigende, versteht sich alles Ueberflüssige. Was ist aber überflüssig? − Die langen Lieder, und alles, was k i r c h l i c h ist. Es ist die Frage, ob nicht durch das Letztere mehrere Stellen von ausgezeichneter Schönheit verloren gehen, am schlimmsten aber wird es um die Darstellung des Faust da stehen, 1

) Zum Vorausgehenden s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“, S. 791f. ) Faust. A Drama. And Schiller’s Song of the Bell. Translated by Francis Leveson Gower. London 1823. 3 ) Rez. der Schrift in: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 308 vom 4. Nov 1831, 1340. 2

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wo die Macht und Herrschaft der Kirche so groß, daß jede Stelle, die eines Heiligen, eines Pfarrers, eines Pfaffen der Maria sc., erwähnt, unbarmherzig aus dem Zusammenhang gerissen werden muß. Wo man so befangen denkt, wo ein geistiges Sklaventhum das freie Wort der Wahrheit auf der Bühne sogar, unterdrückt und verbannt, da unterlasse man doch, Stücke, wie Faust, aufzuführen, man begnüge sich mit einer Wiener Posse oder einer faden Zauberoper und schließe der klassischen Ketzerei, Thor und Thüre vor der Nase zu. Mit wahrem Mitleid haben wir gesehen, was das Stück da und dort erdulden müssen, und es ist doch nicht frech, nicht gotteslästerlich, es wird keiner Religionsparthei darin gespottet, nichts w a h r h a f t Heiliges wir darin profanirt . . . [60f.] Wenn Faust von Göthe noch lange auf den Repertoirs bleiben sollte, was wir jedoch bezweifeln, so gebe der Himmel allen Intendanzen und Direktionen soviel Einsicht, aus allen Kräften darauf hinzuwirken, daß das Stück nicht verhunzt werde, und daß namentlich der Schluß s o , w i e e r i s t , am besten ist, am besten ist, daß man daran nicht modeln und schnitzeln soll, denn es taugt nicht, führt auf Abwege und bringt die Beurtheilungskraft und den Schönheitssinn derer, die hier anzuordnen haben, in argen Mißkredit. Man sollte meinen, der Beschränkteste müßte einsehen, daß Feuerwerk und Phantasmagorie nicht die Mittel sind, einen Faust zu heben, der solcher Mittel doch wahrlich nicht bedarf, der in sich selbst gediegene Größe genug besitzt, um ein solches theatralisches Zuhülfekommen entbehren zu können . . . [62:] Noch einmal die Tragödie überblickend,1) wollen wir mit wenigen Worten darlegen, wie nach unserer Ansicht und Meinung F a u s t für die Bühne einzurichten, wenn man ihn doch gehen will, obschon Beides aus dem Vorhergegangenen ziemlich klar erhellt, und wir uns da und dort über das, was passend, und unpassend, mit Bestimmtheit ausgesprochen haben. Wir entwerfen aber jetzt zur bequemern Uebersicht ein Gerippe der scenischen Darstellung, nach welchem gar leicht ein Regisseur im Textbuche seine Einrichtung treffen kann. [Vorschlag einer Szenenfolge, 63−67] 1831 − F. Ancillon: Ueber die classische und romantische Poesie, oder Ueber die Leistungen der Poesie in en letzten Decennien. In: F. Ancillon: Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen. Theil 2. Berlin 1831, 149f.: Endlich hat er [G] in der phantastischen und doch zugleich aus den Tiefen eines durch Uebersättigung und Ueberfülle aller möglichen Genüsse mit sich selbst entzweiten Gemüths hervorgegangenen Schöpfung des Faust seinem Genius die Krone aufgesetzt; sich groß gezeigt in dem er der Menschheit den Stab gebrochen; in dem er die Nichtigkeit aller Größe, alles sinnlichen und übersinnlichen Strebens, aller Realität mit himmlischen und höllischen Zügen abwechselnd schilderte: denn in der That ist der allgemeine Bankerott des Menschen und des menschlichen Treibens auf der Erde im Faust proklamirt Jan 20. [Craigenputtock] Th. Carlyle an M. Napier (Sanders 5, 211): I am greatly approved of your friend Empson’s acknowledgement that Faust was a wonderful Poem, and Lord Leveson Gower a Windbag: only he led h[im] far too gentry over the coals; he should have roasted him there, and made him not Leveson but a cinder. It is positively the nearest approach we can make to sacrilege in these days for a vain young man not knowing his right hand from his left to take an inspired work, like this of Goethe’s, and mangle it into such an unspeakable hash. Let it either be overlooked; or punished by Auto da fe. 22. [Craigenputtock] Th. Carlyle an G (Norton 254): Pray tell him [Eckermann] also that his counsel and admonition about an English version of Faust came in the right season; 1

) Bechstein setzt folgende, durch Zwischentitel ausgewiesene Schwerpunkte: Faust, in die Szene gesetzt von Ludwig Tieck (1−8); Die Hinweglassungen im Faust (8−25); Zusätze und Aenderungen im Faust (25−31); Die Charaktere in der Tragödie Faust, ihre Auffassung und Darstellung (31−42); Die dämonischen Personen, Erscheinungen sc. im Faust (42−48); Dekorationen (49−55); Schluß der Tragödie (56−62); Einige Vorschläge und Schluß (62−70).

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that I had already long been meditating such an enterprise, and had well nigh determined, before much time elapsed, on attempting it. The British World is daily getting readier for a true copy of Faust: already we everywhere understand that Faust is no theatrical spectacle, but a Poem; that they who know and can know nothing of it, must also say nothing of it; which, within the last four years, is an immense advancement. Lord L. Gower’s Translation is now universally admitted to be one of the worst, perhaps the very worst, of such a work, ever accomplished in Britain; our Island, I think, owes you some amends; would that I were the man to pay it! As I said, however, I have as good as determined to make the endeavour ere long.

Febr

1. [Craigenputtock] Th. Carlyle an seine Mutter Margaret A. Carlyle (Sanders 5, 226f.): I have written to him [G] all that was kind: engaged among other things to translate his Poem of Faust, which I reckoned would be a gratification to him. If my own Book were out, I would begin it with alacrity. 10. [Craigenputtock] Th. Carlyle an John A. Carlyle (Sanders 5, 232): I have also undertaken at some future day to translate Faust.

März 2. (s. „Faust. Frühe Fassung“: Eckermann, Gespräche gD, S. 71.) 5. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1456): Diesen Mittag bin ich bei Fürst Radziwill, der wahrscheinl. seinen Faust walten lässt. 6. (s. „Hanswursts Hochzeit“: Eckermann Gespräche gD, EGW 7, 103) 6. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: F. Göschel an G gD, S. 799.) 9. An Zelter (Br 48, 143): Empfiehl mich dem Herrn Fürsten Radziwill

Durchlaucht zum allerschönsten.1) Auch melde mir, ob sich Faust nach und nach in diesen unharmonischen Zeiten immer harmonischer erweise? 9. [Anonyme Rez.] Ueber Göthe’s Faust. Vorlesungen von K. E. Schubarth. Berlin, Enslin. 1830. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 68 v. 9. März 1831, 297f. u. Nr. 69 v. 10. März 1831, 301f.: [297f.:] Niemand kann in Abrede stellen, daß der Verf. dieser Vorlesungen wirklich zu den berufenen Exegeten der tiefsinnigsten Schöpfung der deutschen Poesie und vielleicht aller Poesien gehöre, zu Denen, die nicht allein für sich selbst ein genügendes Verständniß des großen Gedichts errungen haben, sondern die auch vermögend sind, Andern, minder Vorbereiteten eine ausreichende Einsicht in die Idee, welche diese Dichtung belebt, und in den Organismus derselben zu eröffnen . . . Er führt uns mit hellem Blick durch die Irrgänge des großen Dramas, zeigt uns den nothwendigen Zusammenhang des scheinbar Zerfallenden, weist uns überall die Würdigkeit der Idee, die Wahrheit des Gedachten und die freie Schönheit der Form, in der dies Gedachte erscheint, nach. Dabei hält er sich von aller eiteln Rhetorik fern, tadelt und verschmäht jede nicht auf reines Verständniß gegründete Lobpreisung und reproducirt auf kritischem Wege die poetische Idee. So erfüllt er die wahre Aufgabe der Kritik und zeigt sich in diesen Vorlesungen als einen Geistesverwandten des Dichters, den er mehr zu verstehen als zu lobpreisen bemüht ist . . . Was wir gegen die einzelnen Ansichten des Verf. einzuwenden haben möchten, wird bei einer kurzen Analyse seiner Schrift Platz finden . . . [301:] Wir glauben zunächst, daß sich der Verf. des vollen Beifalls des Dichters über seine Analyse des Bösen zu erfreuen haben werde. Diese Ansicht ist des größten deutschen Dichters würdig, und ihre Entwickelung in der Analyse des Prologs ist trefflich. Den Inhalt des „Faust“, sagt er, haben die Meisten nur in einer Darstellung des unbefriedigenden Looses des Menschen gesucht, gleichsam als eine geheime versteckte Anklage gegen die Gottheit und von diesem Standpunkte hat 1

) s. oben 5. März 1831: Zelter an G.

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Lord Byron den Faust in seinem Manfred reproducirt. Allein Göthe, von einer solchen Ansicht weit entfernt, hat vielmehr eine Theodicee, eine wahre Rechtfertigung Gottes, im Sinn gehabt und gezeigt, wie sogar das Böse in dieser Welt nur als ein Reiz- und Weckmittel zum Guten vorhanden sei . . . Diese Analyse ist, ohne sehr kunstreich zu sein, schön und befriedigend, wie Alles, was der Verf. zum Verständniß der ersten Scenen des Stücks in der folgenden Vorlesung beibringt. Von jetzt an wird seine Arbeit leichter; der erste Grundbau ist gelegt und Alles entwickelt sich nun leicht und natürlich . . . Die Erklärung der nächsten Scenen verwickelt den Verf. in einige dialektische Spitzfindigkeiten über Magie und Aberglauben . . . Diese Digressionen scheinen uns entbehrlich und wenig befriedigend . . . [302:] Der Verf. erklärt zu glauben, daß eine völlig beruhigende Vollendung des Gedichts nicht nur möglich ist, sondern auch in dem Plan des Dichters liege . . . Als letztes Resultat des ganzen Gedichts sieht der Erklärer den Gedanken an, daß das Absolute in der Natur oder in der Wissenschaft ergreifen zu wollen, Irrthum sei, und daß es nur in der Poesie lebe, ein Wahn, dem auf ernstem Wege und positiv nichts abzugewinnen sei und nur in scherzhafter, tüchtiger, verneinender Weise Befriedigung und Vortheil gewähre . . . Wir wissen nicht, ob er in dieser Erklärungsweise Recht hat; der Dichter allein kann darüber entscheidend aussprechen

März 13. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1459): Fürst Radziwills Faust rückt langsam vor. 27. (s. „Faust. Frühe Fassung“: Eckermann, Gespräche gD, S. 71) 27. [Neustrelitz] L. G. C. Nauwerck an G (GSA 28/650 St. 2): Noch einmal wage ich es1) . . . Ewr Excellenz mit meinen künstlerischen Versuchen mich zu nahen, indem ich mir erlaube, Ihnen hiebei das lezte Heft meiner Darstellungen zum Faust im Steindruck2) ehrerbietigst vorzulegen. Indem ich nun um milde Nachsicht für die geringe Gabe bitte, benutze ich zugleich diese Veranlassung um die innige Theilnahme bei den Ereignissen auszusprechen, die den Schluß des vergangenen Jahres für Ewr Excellenz so schmerzlich bezeichnet haben3) . . . Von beigehenden Blättern habe ich nichts hinzufügen, als die Bitte, daß, wie bei den ersten Heften,4) zu ihrer Empfehlung ein gutes Wort, wenn nicht von Ewr Excellenz Selbst, doch unter der achtbaren Firma W. K. F. [Weimarer Kunst-Freunde] an das Publikum gelangen möge5) . . . Noch muß ich um Nachsicht bitten, für die etwas lizensiösen Erscheinungen meiner Walpurgisnacht. Auf dem Blocksberge kann man es mit der guten Zucht und feinen Lebensart so genau nicht nehmen, wenn gleich die Vorstellung des Zeichners sich hier etwas anders bedingt, wie die des Dichters − so wie überhaupt mit der Deutung dieser flüchtigen Phantasiebilder. Die Kreuzigung des heidnischen Musengottes, durch die, wie Fernow sie nannte, − albernen Neuchristen, schien mir dem breiten Gipfel des Blocksberg−Parnasses nicht uneben zuzusagen, obwohl doch jetzt, wie es scheint, die nervöse pietistische Entzündung das schlimmsten Stadium durchlaufen haben mag, und bei den Männern, die jetzt über unsern Welttheil dahin fahren, kaum noch zu fürchten ist, daß jenes Delirium auf eine bedenklich Weise contagiös werden könnte, − freilich treten andere an die Stelle . . . Das eine Exemplar des beigehenden III. Hefts bitte ich, gütigst H. Hofrath Meyer zukommen zu lassen. Apr

5. Von Strelitz war eine Sendung von dem guten Nauwerk eingegangen

für mich und Hofrath Meyer. 1

) s. oben 5. Juni 1824 u. 11. Juni 1828: Nauwerck an G. ) Die dritte u. letzte Lieferung der Darstellungen zu Göthe’s Faust mit den Blättern: IX Valentins Tod, X Fahrt nach dem Brocken, XI Walpurgisnacht u. XII Margarete im Kerker; s. unten 7. Juni 1831: Zelter an G; Abb. in Neubert 121f. 3 ) August v. Goethes Tod am 27. Okt 1830 u. G’s Blutsturz im Nov. 4 ) s. oben 5. Juni 1824 u. 11. Juni 1828: Nauwerck an G. 5 ) Die dritte Lieferung wurde nicht in KA angezeigt. 2

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4. [Weimar] J. J. Schmied1) an Anna Schmied (Gräf II 2, 573): Als ich [am 17. Apr während eines Besuchs bei G] mit aller Wärme von dem Eindruck sprach, welchen sein ,Faust‘ auf mich machte und immer noch macht, da traten ihm, dem greisen Goethe, helle Thränen in sein offenes, schönes Auge, und seine Stimme zeugte von seiner Rührung. 10. [München, anonym] Münchener Conversation. In: Münchener-Conversations-Blatt Nr. 130 v. 10. Mai 1831, 522f.: Nächsten Mittwoch, den 11. d., wird dem hiesigen Publikum die äußerst interessante Unterhaltung einer dramatischen Vorlesung . . . dargeboten. Herr A. Kiesewetter, über dessen ausgezeichnetes Talent verschiedene norddeutsche Blätter die rühmlichsten Berichte enthielten, hat als Gegenstand seiner Vorlesung „Faust“ von Göthe gewählt . . . Es ist zu erwarten, daß diese dramatische Vorlesung eine große Anzahl von Zuhörern anziehen werde. 19. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1476): Fürst Radziwill, dem ich Deinen Gruß bestellt habe2) läßt wissen daß er nichts liegen läßt und immer tiefer eingeht. 21. Die Umrisse von Faust von Göttingen3) waren angekommen.

Juni

[Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1480f.): In Paris hat eine Komponistin [Louise Ange´5./7. lique Bertin] einen Faust [Oper Fausto] und zwar mit vollständigem Beifall in Musik gebracht.4) Die Deutschen sind grausam, das muß man ihnen lassen; welche Ungeheuer aber Paris aus dem Abgrunde herauf beschwört dagegen sind wir unmündige Kinder . . . So eben erhalte ich von Nauwerck aus Streliz die 12 lithographierten Blätter zu Deinem Faust die ich bewundere da sie meine Vorstellung der Idee übertreffen.5) Er schreibt mir dazu daß er Dir das Letzte Heft von 4 Blättern zugesandt6) doch keine Äußerung von Dir selbst darüber erhalten habe. Er wünscht eine Anzeige von Dir für ein gutes öffentliches Blatt, wie solche Gunst den beiden vorigen Heften von Dir geworden7) weil dadurch so wie ihm auch dem Commissionair in Hamburg [J. M. Commeter] die höchsten Wünsche befriedigt sein würden. Dies habe Dir melden wollen weil er mich sehr darum bittet. Vor der Hand werde ich ihn beruhigen und Du selber sagst ihm wohl gelegentlich ein Wort.8) Wo ich meine Vorstellung nicht erreicht finde ist das 5te Blatt: „Wie wird mein Pudel lang und breit“ [1250] − die Szene ist zu hell; es fehlt ein Crescendo, ein Werden. In der Figur des Faust denk ich mir, wie ich Dich schon gesehn: Feststehend, den Oberleib zurück gezogen. Doch das Ganze ist nicht nebelhaft genug. Die linke Hand welche das Buch festhält ist brav.9) − Das ist freilich bald gesagt nun alles dasteht. 9. [Anonyme Rez. zu] Faust im Gewande der Zeit. Ein Schattenspiel mit Licht. Von Harro Harring. Leipzig 1831. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 160 v. 9. Juni 1831, 702: Durch seinen neuen „Faust“, der − vielleicht wider den Willen des Verf. − nicht mehr noch weniger, als eine Uebersetzung des Göthe’schen Faust aus dem Deutschen in das Heine’sche geworden ist,10) hat Harring sich in dieser Beziehung ein wahres Verdienst erworben. 1

) G vermerkt am 17. Apr im Tgb: Ein Geistlicher aus der Schweiz. ) s. oben 9. März 1731: an Zelter. 3 ) Wahrscheinlich die lithographierte Ausgabe der Umrisse von Retzsch, um 1825 hsg. vom Verleger Diederich in Göttingen; in der Weimarer Bibliothek, vgl. Henning II 2.2, Nr. 5394. 4 ) Am 8. März 1831 in Paris in ital. Sprache uraufgeführt. 5 ) L. G. C. Nauwerck: Darstellungen zu Göthe’s Faust. 12 Bl. Hamburg 1826−1830. 6 ) s. oben 27. März 1831: Nauwerck an G. 7 ) KA VI 1 (1827) 155−57 u. KA VI 2 (1828) 428−30.; Heft 3 wurde nicht rezensiert. 8 ) Schreiben nicht nachweisbar. 9 ) Abb. in Neubert 119. 10 ) Vgl. auch unten 26. Sept: Rez. 2

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Juni

9. [Leipzig] C. N.: Britisches Urtheil über Göthe’s Faust. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 110 v. 9. Juni 1831, 878: F a u s t ist eine Art Wunder in der Literatur. Als Kunstwerk ist er nur sofern anzusehen, als hier die ungeheuerste Kühnheit in der Erfindung, und zugleich die bewundernswürdigste Leichtigkeit in der Ausführung kund thut. Uebrigens erscheint uns Faust als die merkwürdigste Mischung deutscher Genialität und deutscher Extravaganz; zugleich aber als die Dichtung, in deren verschiedenen Theilen G ö t h e seine verschiedenen, reichen, gränzenlosen Kräfte beisammen hat wirken lassen: Shakespeare’sche Phantasie; unheimlichen, ätzenden Bayle’schen und Gibbon’schen Zweifelgeist; Voltaire’schen kalten oder leichtfertigen Spott, wozu dann ein Anflug bald ziemlich gemeiner Schelmerei, bald leichten und scherzhaften Humors, bald einer zarten, tiefen, innigen, natürlichen Empfindsamkeit sich gesellt. Da nun aber eben die höchste Kraft der P o e s i e in diesem wundersamen Werke es ist, die den Leser unwiderstehlich fesselt und ihn − mag er wollen oder nicht − durch alle diese Hallen seltsamer Bildnerei und abenteuerlicherer Scenen, als selbst dem heil. Antonius sie einst vorgekommen, mit Zaubermacht hindurch führt, so kann auch nur ein P o e t diese P o e s i e in eine fremde Sprache übersetzen.

Juli

8. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1504): Dabei [der Lektüre älterer Briefe] fällt mir auch der brave Nauwerk ein, der mir seine 12 ergetzlichen Darstellungen zum Faust gesandt hat, die bei mir noch offen liegen um auch von Andern beschaut zu werden.1) [9.] [Hamburg] X. X.: Nachrichten aus dem Gebiete der Künste und Wissenschaften. Correspondenz-Nachrichten. Aus Hamburg. Am 9. Juli 1831. In: Abend-Zeitung Nr. 211 vom 3. Sept 1831, 844 u. Nr. 212 vom 5. Sept 1831, 848: Wir gestehen aufrichtig, daß unsere Neugierde, das geniale Fragment auf der Bühne zu sehen abgerechnet, wenig in uns für den guten Erfolg des Stückes sprach;2) wir hielten es größtentheils für undramatisch, und da haben wir denn auch, was das erste Viertel des Stückes anbetrifft, Recht behalten, doch im Uebrigen uns sehr geirrt . . . [848:] Der Faust enthält Scenen genug, welche auf der Bühne von der entscheidendsten Wirkung sind, mehr wie so manche in anderen, oft zur Aufführung gebrachten Göthe’schen Tragödien. Der Faust hat uns, wir gestehen es gern, auch auf der Bühne tief ergriffen und uns in neue Bewunderung alle des Herrlichen versenkt, welches in disem leider noch immer unvollendeten Werke des größten Dichters Deutschlands, so im Uebermaß enthalten ist . . . Faust wurde mit der größten Aufmerksamkeit angesehen; jede ausgezeichnete Stelle wurde mit Beifall begleitet, und das bei einem ganz gefüllten Hause. Diese Theilnahme blieb sich bei dreimaliger Wiederholung gleich . . .

Aug F. C. Förster, Göthes drei und achtzigster Geburtstag am 28. August 1831 (Ost und 4./25.3) West 1837, Nr. 3, 20f. u. Nr. 4, 25): Als ich im Jahre 1815 nach Beendigung des zweiten Feldzuges von Paris zurückkehrte, traf ich Göthe in H e i d e l b e r g , wo er damals bei den Brüdern Boissere´e wohnte und sich mit dem Studium der altdeutschen Kunst beschäftigte . . . Er bat mich, da ich nach Berlin ging, seinen Freund Zelter zu grüßen und von Zeit zu Zeit etwas von mir hören zu lassen, da er wußte, daß ich mich mit Poesie und dem Studium der Kunstgeschichte beschäftigte. Unterdessen verfolgte ich mein friedliches Glück in Berlin weiter, blieb durch Zelter mit Göthe in Verbindung und als mich im Jahre 1821[richtig 1820] mein Weg nach Thüringen führte, versäumte ich nicht, meine junge Frau dem liebenswürdigen alten Herrn [am 27. Sept] vorzustellen. Wir machten mehrere Ausflüge mit ihm, meine Frau sang ihm Compositionen seiner Lieder von Zelter, die er noch nicht kannte4) . . . Im August 1831 gab mir das 1

) s. oben 5./7. Juni 1831: Zelter an G. ) Die erste Aufführung fand in Hamburg bereits am 29. Juni 1831 statt. 3 ) G bezeugt Begegnungen mit Friedrich Christoph Förster (1791−1868) u. dessen Familie für den 4. u. 25. Aug 1831 (Tgb 13, 119 u. 128). 4 ) Ist nicht bezeugt. 2

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Musikfest in Erfurt einen erwünschten Vorwand, Weimar besuchen zu können, zumal da mich Göthe eingeladen hatte, ihm über die Ergebnisse meiner Reise nach Italien schriftliche oder mündliche Relation zu erstatten. Da ich über diese Reise in den „Briefen eines Lebenden“ [Berlin 1831] meine Rechenschaft hinreichend abgelegt, will ich hier davon schweigen und lieber einige „ T i s c h g e s p r ä c h e “ mittheilen . . . − „Ein junger Engländer hat mir wieder eine Uebersetzung des Faust gebracht“1), sagte er [G] zu mir, „dergleichen Lords sind sonst so splendid, ihre Manuscripte für mich mit durchschossenen Lettern drucken zu lassen2); diesmal ist die Handschrift für meine Augen zu sauber, vielleicht sind Sie so gut, einen Blick hinein zu thun, und mir etwas daraus mitzutheilen.“ Dies gab Veranlassung, über Faust zu sprechen. Als ich bemerkte, wie dies Buch gegenwärtig das Räthsel sei, an dessen Lösung die ganze gebildete Welt arbeite, sagte er: „Wir dürfen es ja wohl hier unter uns ohne Anmaßung sagen, daß wir einigen Einfluß gehabt haben; allein es ist unser einem oft genug verleidet worden, wenn man sieht, wie schlecht sie’s verarbeiten; die Franzosen zumal, die verstehen den Teufel von meinem Mephistopheles. Nun ja, wir sind so etwas deutscher Sauerteig gewesen, der nun die Masse in Gährung bringt, wenn sie sich damit befaßt; trübe genug sieht es noch damit aus. Euch Herren Philosophen geht es auch nicht besser . . . Am 27. August [25. Aug] waren wir wieder bei Göthe zu Mittag geladen . . . Er frug mich, ob ich mit dem englischen Faust nähere Bekanntschaft gemacht. Ich konnte nur die Treue und Gewandtheit der Uebersetzung rühmen, selbst die Scene in Auerbachs Keller war gelungen zu nennen. „Nur über eine Stelle“, sagte ich, „muß ich einiges Bedenken haben; es betrifft den König von Thule, und zwar die Zeile: Und als er kam zu sterben.“ Um einen Reim für den „Erben“, successor, zu haben, hat der gute Engländer übersetzt: ,he called his confessor’“; allein ich kann nicht glauben, daß der König von Thule sich einen Beichtvater gerufen hat, als er den letzten Becher austrank.“ − „Nein gewiß nicht“, antwortete Göthe, der König von Thule hat in der That schon vor der Sündfluth regiert, wenn auch die allgemeine Weltgeschichte das Nähere davon nicht berichtet.“

[Aug [Berlin] F. C. Förster, Erinnerungen aus Gesprächen mit Goethe (Kletke 201−04; 4./25.?] 211−15): Als bei einem späteren Besuch in Weimar Goethe meiner Frau Freundliches über ihren Gesang sagte, erwiderte sie ihm, . . . daß sie von seiner gütigen Gesinnung überrascht sei, da sie ja in Berlin zu Hause gehöre, wo die Musen und Grazien der Mark3) sich aber nicht rühmen könnten, in besonderer Gunst bei ihm zu stehen. − Goethe nahm den Scherz wohl auf . . . Goethe hatte sich in die Sophaecke zurückgezogen . . . Meine Frau sang den „König in Thule,“ „meine Ruh ist hin,“ dann später: „O neige, Du Schmerzensreiche“ usw. Nach einigen freundlichen, „dem seelenvollen und innig leidenschaftlichen“ Vortrage der Sängerin gespendeten Worten, sprach er sich anerkennend und eingehend über die Compositionen des Fürsten Radziwill aus, die ihm ja auch, und zwar vorzüglich die Chöre, von unserm gemeinschaftlichen Freunde Zelter als vorzüglich gelungen gerühmt worden seien.4) Nur damit erklärte er sich nicht einverstanden, daß der Componist auch die Selbstgespräche Faust’s, welche sich wohl ohne musikalische Beihülfe zur Geltung bringen würden, mit Musik ausgestattet

1

) Person nicht identifizierbar; auch Übersetzung nicht überliefert; die Faust-Übersetzung von Gower ist auszuschließen. 2 ) Anspielung auf einen Vorgang, der durch G’s Brief an Zelter vom 23.−29. März 1827 u. einen Bericht von Eduard Gans (GG 3.2, 193f.) bezeugt ist: Der Engländer Charles Des Voeux hatte das Konzept seiner Tasso-Übersetzung, weil er G nicht zumuten wollte, sie im Manuskript durchzusehen, in neuen Lettern, sehr anständig abdrucken (Br 42, 103) lassen. 3 ) Vgl. G’s Gedicht Musen und Grazien in der Mark, W 1, 146ff. 4 ) Zu Zelters Einschätzung s. oben 1820 Mai 21. u. 25.: Zelter an G.

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habe, wodurch das Drama den zwitterhaften Charakter des Melodrama’s erhalte, welches weder Schauspiel noch Oper, nicht Fisch, nicht Fleisch sei. In dieser Meinung wurde er noch durch die Mittheilung bestärkt, daß, wenn der Fürst die Monologe, welche er sicherer als irgendein Schauspieler, auch mit Verständniß und tiefgefühlter Empfindung spreche und sich selbst auf dem Cello begleite, das Gedicht zur vollen Geltung gelange; wenn aber der Schauspieler die Rolle spreche, Musik und Rede oft auseinander geriethen, wodurch Zögerung und Fortschreiten an unrechter Stelle unvermeidlich würden. So angemessen der Stimmung die musikalische Begleitung zu Faust’s Monolog: „Verlassen hab’ ich Feld und Auen“ [1177] u. s. w. sei, so störe es jedenfalls, daß der Sprechende als abhängig, oft an unpassenden Stellen unterbrochen und aufgehalten von der musikalischen Begleitung erscheint. Er sei immer der Meinung gewesen, daß die bezeichneten Stellen keiner musikalischen Behülfe bedürften, worin er vollkommen dem geistreichen Coleridge zustimme. „An orphic tale indeed, A tale divine of high and passionate thoughts, T their own music chaunted.“ „Der Faust1), ein orphisches Gedicht fürwahr, Ein göttliches, voll hoher, leidenschaftlicher Gedanken Ertönend zu der eigenen Musik.“ Als von einer der anwesenden Damen bemerkt wurde, daß die Musik Beethoven’s zu Egmont’s Monolog im Kerker und zur Erscheinung Clärchen’s als Traumbild von unbeschreiblich rührender Wirkung sei, sagte Goethe: „Nun, da möcht’ ich doch auf den bedeutenden Unterschied der Situation der beiden Scenen aufmerksam machen. Faust kehrt von dem Spaziergange zurück, in ernste Betrachtungen versenkt, verweist er den knurrenden Pudel, der ihn stört zur Ruh und begiebt sich dann daran, mit Sinnen und Nachdenken sich das Verständniß über die schwerste Stelle des Evangeliums zu erschließen. Dies Alles scheint mir zur musikalischen Begleitung nicht geeignet. Da ist es doch etwas Anderes, wenn Egmont den langentbehrten Schlaf herbeiwünscht.“ . . . Zelter’s Briefe hatten den Wunsch Goethe’s, über die Compositionen und die Aufführungen [von Radziwill] Näheres zu erfahren, rege gemacht, so daß bei einem unserer Besuche in Weimar, er meine Frau bat, eines oder einiges daraus am Flügel zu singen. Laura konnte dieser Aufforderung nur in einer sehr beschränkten Weise genügen, da die Musik damals noch nicht erschienen war. Sie sang aus der Erinnerung die Romanze: „Es war ein König in Thule,“ welche Goethe wegen ihrer Einfachheit belobt und dabei bemerkte: Freund Zelter habe sie zwar auch sehr schön, freilich aber nur für einen mit hinreichender Grundgewalt der Baßstimme begabten nordischen Skalden, nicht für das milder gestimmte Naturkind componirt.2) Ueber eine der unlängst stattgefundenen Aufführungen in dem fürstlich Radziwill’schen Palais erstattete ich, von meiner Frau unterstützt, ausführlichen Bericht3), welcher etwa Nachstehendes enthalten haben mag: Die an den Königlichen Hof ergangenen Einladungen lauteten auf 7 Uhr pünktlich; die an die Gäste 6 1/2 Uhr, die an die Mitwirkenden auf 6 Uhr. Die Mitglieder des Hoftheaters unter des Grafen Brühl, die der Singakademie unter Leitung des Professors Zelter, die der Königlichen Kapelle unter der des Kapellmeisters Weber, standen in geordneten Reihen und Gruppen, als der Hof eintrat. (Hierbei will ich nicht unerwähnt lassen, daß der König Friedrich Wilhelm III. nur einer einzigen Vorstellung beigewohnt hat. Wie verlautete, war er 1

) Wohl von F. C. Förster oder von H. Kletke eingesetzt. − G wird kaum die Stelle aus Coleridges Gedicht To William Wordsworth. Composed on the night after the recitation of a poem on the growth of an individual mind [= Wordsworths Dichtung The Prelude] selbst auf seinen Faust bezogen haben; vgl. Gräf II 2, 278. 2 ) Karl Friedrich Zelter: Der König von Thule. In: K. F. Zelter: Sämtliche Lieder, Balladen und Romanzen für das Pianoforte. Heft 3. Berlin 1812. 3 ) Proben mit Aufführungscharakter am 20. Mai u. 5. Juni 1820 statt; reguläre Aufführungen im Schloß Monbijou am 24. Mai u. 13. Juni 1819 sowie am 24. Mai 1820; vgl. Musik zu Faust 464. Auf welche der Aufführungen sich Förster bezieht, muß offenbleiben.

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nicht nur gegen die Dichtungen Goethe’s, namentlich gegen den Faust, sondern auch gegen den Dichter persönlich eingenommen, was aus einer Begegnung mit ihm in der Rheincampagne sich herschrieb, wo Goethe in einer satirischer Laune − er schrieb damals seinen Reineke Fuchs − sich in Gegenwart des preußischen Kronprinzen mißfällige Anspielungen erlaubt haben soll.) − Die Seele der Vorstellung, das ordnende und bewegende Lebensprinzip bei einer solchen Vorstellung war der Fürst mit dem Cello zwischen den Knieen, Ton und Takt angebend, zuweilen die Monologe allein begleitend und recitirend − besonders rührend die Gespräche Gretchens mit Faust −, zuweilen auch hinter der Scene die Worte des Erdgeistes sprechend. Die gelungensten Vorstellungen waren die, bei denen Wolff die Rolle des Faust, der Herzog Karl von Mecklenburg die des Mephistopheles, Frau Stich (später ihre Tochter Clara) die Gretchens, deren Gesangstücke Laura (später die berühmte Sonntag) vortrugen. Wie aber auch noch bei den heutigen Vorstellungen im Theater die Chöre von der aller mächtigsten Wirkung sind, so waren sie es bei jener ersten im Radziwill’schen Palais in einem noch höheren Grade. In gestrenger Weise handhabte der Fürst die Ordnung im Saal. Wenn er das Zeichen zum Beginn gegeben, dann wurden die Thüren geschlossen; kein Stuhl durfte gerückt, kein Wort gesprochen werden. Als einmal nach dem Beginn an die geschlossene Thür heftig geklopft wurde und man dem Fürsten meldete: Prinz August Königl. Hoheit habe geklopft, rief der Fürst sehr vernehmlich: „muß warten, bis die Scene zu Ende ist.“ − An demselben Abend gab es noch einen sehr belustigenden Auftritt. Der Herzog Karl hatte als Mephisto die Beschwörung zu sprechen: „Der Herr der Ratten und der Mäuse,“ [1516] − bei der folgenden Zeile hielt er an und mit Rücksicht auf die unmittelbar vor ihm in erster Reihe sitzende Kronprinzessin, Prinzessin Karl, Wilhelm die ältere und die jüngere, sowie auch andere prinzeßliche Backfische, unterdrückte er die Worte: „Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“ und fuhr sogleich fort: „befiehlt dir, dich hervorzuwagen und diese Schwelle zu zernagen [benagen, 1518f.].“ Nun hatte der Fürst diese Scene dadurch noch graulicher zu machen gesucht, daß die Beschwörungsworte als ein Echo aus der Hölle von ihm selbst aus einem Versteck mit dröhnender Stimme wiederholt worden. Als nun Mephisto jene bedenkliche Zeile ausließ, streckte der Fürst sein weißes Haupt mit flammenden Augen aus dem unterirdischen Versteck hervor und rief: Herzog Karl! ich kann Ihnen die „Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“ nicht schenken! noch einmal, da capo!“ Unter einem homerischen Gelächter, bei welchem der überlustige Kronprinz es allen Andern zuvorthat, mußte der Herzog von Mecklenburg sich als den Gebieter über all das ekle Ungeziefer bekennen. Zu einem nicht geringeren Ausbruche einer sogenannten „ u n g e h e u e r n “ Heiterkeit ließ der Kronprinz sich hinreißen, als bei einer späteren Aufführung bei Anwesenheit der Prinzessinnen und ihrer Damen die Scene in Auerbachs Keller zur Darstellung kam und der Königliche Opernsänger [A.] Zschiesche mit seines Basses Grundgewalt das Lied von dem großen Floh [2207−40] nach Zelter’s Composition1) vortrug. Schwerlich aber dürfte jemals auf der deutschen Bühne ein vortrefflicherer Mephisto auftreten, als wir ihn von dem Herzog Karl dargestellt sahen. Dieser wurde hierbei nicht nur durch sein Naturell unterstützt: Ueberlegenheit durch satanischen Humor; Verachtung des weiblichen Geschlechts wegen anderer Gelüste, Freisein von jeder Verlegenheit durch Geistesgegenwart, Schadenfreude, Heuchelei, allerunterthänigster Sclavensinn nach oben, rücksichtslose Tyrannenseele nach unten, − sondern auch das eingelernte und eingeübte feine Benehmen des vornehmen Hofmannes, die Gewandtheit des Weltmannes, der sich immer und in jedem Verhältnisse obenauf zu halten wußte (obschon es auch ihm nicht an offenen Gegnern und heimlichen Feinden fehlte), kamen ihm in dieser Rolle zu Statten*). So großen Beifall auch die berühmten Schauspieler [K.] Seydelmann, [L.] Dessoir, [Th.] Döring und andre in dieser Rolle 1

) Karl Friedrich Zelter: Es war einmal ein Koenig. In: K. F. Zelter: Zehn Lieder für 4 Männerstimmen. H. 2, Berlin [1813].

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gewonnen haben: keiner von ihnen reichte auch nur im Entferntesten an die Virtuosität, mit welcher Herzog Karl den Mephisto gab. . . . *) In Aller Munde war damals ein Spottvers, als dessen Autor man einen als patriotischen und satirischen Dichter berühmten Staatsrath (Stägemann?) nannte. „Als Prinz, als General, als Präsident des Staatsraths schofel, Unübertrefflich aber stets als Mephistophel.“

[Aug [Berlin] F. C. Förster, Erinnerungen aus Gesprächen mit Goethe (Kletke 188−94): Bei 4./25.] einem Besuche im Herbst 1829 fand ich ihn [G] wieder an einer Augenentzündung leidend mit einem grünseidenen Schirm gegen Tages- und Lampenlicht geschützt . . . Den 16. October.1) „Wenn mich auch,“ äußerte Goethe heute zu mir, „keine andere Nation mit Besuchern so belästigt und mitunter auch durch die bloße Neugier langweilt, wie die englische, so muß ich doch auch zugeben und hab’ es ja schon selbst oft erfahren, daß kein anderer Landsmann, was splendide Schicklichkeit betrifft, es dem Engländer zuvorthut. Mir hatte vor etwa sechs bis acht Wochen ein mit unserer Literatur sich beschäftigender Engländer eine Uebersetzung meines Faust in zierlicher Reinschrift mit dem Ersuchen zugesendet, mich einer Begutachtung derselben zu unterziehen. Mit höflichster Entschuldigung, daß ein Augenleiden mir es nicht gestatte, Handschriftliches zu lesen, bat ich zu entschuldigen, wenn ich seinem Wunsche in nächster Zeit zu entsprechen nicht im Stande sein würde. − Da erhalte ich nun gestern von dem edlen Lord ein eigens für mich mit splendiden großen Lettern auf Velin g e d r u c k t e s Exemplar, mit dem Wunsche, daß es mir möglich sein möge, diese Schrift lesen zu können, ohne dadurch meinen Augen zu schaden2) . . . Am folgenden Tage fand ich mich zu der mir bestimmten Stunde ein, las zuerst die Zueignung vor, welche Goethe sehr gelungen fand3) und derselben den Vorzug vor einer, ihm ebenfalls in diesen Tagen zugeschickten französischen Uebersetzung (mit lithographirten Illustrationen in Folio)4) zuerkannte. Als ich ferner mittheilte, wie es mich in hohem Grade befremdet habe, daß die prachtvolle Eröffnungsscene im Himmel in der Uebersetzung [von Gower] fehle, da sie mir doch zum Verständniß der Tragödie von höchster Bedeutung, ja unerläßlich zu sein scheine und außerdem als das Erhabenste und Heiligste, was jemals gedichtet worden sei, bewundert werde, mir auch die Schwierigkeit der Uebertragung ins Englische nicht unüberwindlich erscheine, bemerkte Goethe: „Nicht die Schwierigkeit der Uebersetzung wird den edlen Lord behindert haben, es sind religiöse oder vielmehr h o c h k i r c h l i c h e Scrupel, vielleicht nicht seine eigenen, aber die seiner vornehmen Gesellschaft; nirgendwo giebt es so viel Heuchler und Scheinheilige wie in England; zu Shakespeare’s Zeit mag das doch wohl anders gewesen sein.“ − Weiter hatte ich mitzutheilen, daß mir Gretchen’s Lied: „Es wahr ein König in Thule“ nicht ganz getreu wiedergegeben zu sein schiene. Die Stelle: [2767−70] hat Mylord übersetzt: he called for his confessor left all to his successor.5) Goethe lachte 1

) Falsche Zeitangaben; F. C. Förster weilte mit seinem Bruder Ernst bis Dez 1829 in Italien. 2 ) Wiedergabe des Vorgangs um die Tasso-Übersetzung von Charles Des Voeux (s. oben 4./25. Aug 1831: Förster, Goethes drei und achtzigster Geburtstag), vermutl. dem G−Zelter−Briefwechsel (1834) entnommen, vgl. MA 20.1, 987 (23.−29. März 1827: an G). 3 ) Indirekter Verweis auf die Gower-Übersetzung, auch die Übertragung von George Soane könnte gemeint sein, s. oben 3. Juni 1822: Bothe an G u. die Dedication in KA IV 2 (1823). 4 ) Gemeint ist die mit 17 Lithographien des frz. Malers Euge`ne Delacroix (1798–1863) ausgestattete Einzelausgabe der bereits in den Oeuvres dramatiques de Goethe veröffentlichten frz. Übersetzung des Goetheschen Faust von Albert Stapfer, die G am 22. März 1828 erhalten hatte. 5 ) Auf dem Sterbebette ließ er seinen Beichtvater (confessor) rufen, wahrscheinlich nur wegen des Reimes auf „successor“ (Nachfolger) − bei Gower nicht nachweisbar.

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herzlich: „ließ seinen Beichtvater rufen,“ wiederholte er, „wir wollen dem edlen Lord bemerklich machen, daß der König in Thule v o r d e r S ü n d f l u t h regierte; Beichtväter gab es damals nicht.“ − Auch über die französische Uebersetzung Bericht zu erstatten, übertrug er mir, und da gab es denn auch der Curiosa viele. „Die neueren und neusten Uebersetzer des Faust,“ bemerkte Goethe, „sind, was die Unkunde unserer Sprache betrifft, nicht hinter ihrer geistreichen und berühmten Landsmännin, der Frau von Stae¨l, zurückgeblieben, welche sich doch ein unbestreitbares Verdienst um die deutsche, wie um die französische Nation erworben, indem sie durch ihr Buch: „sur la litte´rature allemande“ ihren Landsleuten Bekanntschaft mit unseren Leistungen, den Deutschen Anerkennung bei den Franzosen verschafft hat. Wenn man aber einem, mit der französischen und deutschen Sprache vollkommen vertrauten Literaten den Vers der Madame Stae¨l aufgab: „Ne m’interpre`te pas mal, charmante cre´ature“1) so würde er schwerlich übersetzen, wie es bei mir heißt: „Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!“ [3431] Auch hätte Freund August Wilhelm von Schlegel das lächerliche Mißverständniß beseitigen können, welches dadurch veranlaßt wird, daß Frau von Stae¨l die Worte Gretchens, als sie in der Kirche ohnmächtig niedersinkt und ausruft: „Nachbarin, Euer Fläschchen“ [3834] übersetzt: „ma voisine, une goutte,“2) als ob Gretchen die Nachbarin um ihre Branntweinflasche anspräche, nicht um das Riechfläschchen.“ − Das gab Veranlassung, noch anderer dergleichen belustigender Uebersetzungen zu gedenken: F a u s t : „Heiße Magister, heiße Doctor gar“ [360] ist übersetzt worden: „On me nomme Maıˆtre−Docteur Gar.“3) Von Gretchen sagt Faust: „Und sie kurz angebunden war, Das war nun zum Entzücken gar.“ [2617f.] Hierbei läßt der Uebersetzer das „gar“ unberücksichtigt; allein das „kurz angebunden“ d. h. schnippisch − nimmt er für kurz aufgeschürzt und übersetzt: „et sa robe courte jusque vraiment, c’e´tait a` ravir.“ . . . Aus irgend einem Nachdrucke und noch dazu in Musik gesetzt, hörte ich singen (im König von Thule): „Die Augen gingen ihm über, S o o f t t r a n k er daraus,“ [2765f.] anstatt: so oft er trank daraus. „Bei alledem,“ bemerkte ich zu Goethe, „darf es uns Deutschen zu großer Genugthuung gereichen, wenn wir sehen, wie das tiefsinnigste Werk der deutschen Dichtkunst (der Faust) wie ein Evangelium durch die ganze Welt seine Völkerwanderung angetreten hat, und wie Dichter und Philosophen der fremden Nationen sich bemühen, in den Geist desselben einzudringen.“ − Mit zustimmendem Kopfnicken äußerte Goethe: „Nun ja, wir sind so etwas deutscher Sauerteig gewesen, das fängt schon an das gähren, sie mögen es draußen und drüben mit ihrer Masse durchkneten und sich daraus ein Backwerk nach ihrem Geschmack zurechtmachen. Unterdessen werden wir zu Haus uns nach und nach in diesem wunderlichen Labyrinthe zurecht finden lernen.“ Die dem Dichter zuletzt zugesandte französische Uebersetzung [von A. Stapfer] war in Folio und mit Lithographieen [von E. Delacroix] illustrirt: „Lassen Sie nun einmal die Auffassung eines Franzosen mit der eines Deutschen und zwar eines, wie sich diese Herren zu sein rühmen dürfen, „von echtem Schrot und Korn“ vergleichen. Er bat seinen Hausfreund Schuchart, die Mappe mit Cornelius’ Zeichnungen zum Faust aus dem Schranke zu nehmen,4) und wir legten die Scenen, welche gleichmäßig von den französischen und deutschen Künstlern gewählt worden waren, neben einander. „Ich sollte wohl,“ äußerte Goethe, „mich hierbei eines Urtheils enthalten, denn dasselbe könnte leicht captivirt erscheinen durch das sinnig und poetisch concipirte, fleißig und correct ausgeführte Blatt, mit welchem der ehrenwerthe Künstler mir sein Werk zugeeignet hat. Nur diese e i n e Bemerkung will mir erlauben, daß in einigen Zeichnungen der Franzos für einen Deutschen, und umge1

) G zitiert hier nicht korrekt; in von De l’Allemagne (T. 2, Kap. 23) heißt es: N’interpre`te pas mal ce que je dis, charmante cre´ature. 2 ) Zitat fälschlich Frau von Stae¨l zugewiesen. 3 ) Nicht nachweisbar. 4 ) P. Cornelius: XII. Bilder zu Goethes Faust. Frankfurt 1827.

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kehrt der Deutsche in einigen seiner Zeichnungen für einen Franzosen gelten könnte. So z. B. sogleich das erste Blatt, wo Beide die Scene illustriren, in welcher Faust dem, aus der Kirche sittsam nach Haus gehenden Gretchen seinen Arm anbietet. Cornelius’ Faust würde weit eher für einen französischen Cavalier der Pariser Boulevards, als für einen deutschen Doctor der Philosophie gelten können, während wir dem Faust des Franzosen etwa vor dem Münster in Straßburg, zu der Zeit, als es noch zu Deutschland gehörte, zu begegnen meinen.“1) − Als einer der Anwesenden hierbei in Anregung brachte, daß der Dichter doch dem so vielfach an ihn gerichteten Ansuchen, seinen Faust für die Darstellung auf der Bühne einzurichten, nachkommen möchte, unterbrach ihn Goethe mit der sehr bestimmt ausgesprochenen Erwiderung, daß er hierzu nie rathen und noch weniger seine Hand bieten werde. „Von meinem lieben Freunde Zelter,“ sagte Goethe, „habe ich ausführliche und befriedigende Nachrichten über die Compositionen des Fürsten Radziwill und über die Proben und ersten Versuche, später auch über die gelungenen Aufführungen in Euren königlichen Schlössern und fürstlichen Palästen erhalten,2) die mich wohl verlocken könnten, indessen wollen wir es noch weiter bedenken.“

Aug 24. [Karlsruhe] C. Nehrlich an G (GSA 28/652 St. 2): Ew. Excellenz erhalten hier vorläufig diese Zeilen. In einem Portefeuille werden mehrere Blätter mit Darstellungen aus Ihrem F a u s t , 3 ) r e t o u r n i r t , folgen. Diese Zeichnungen sind das Erzeugniß eines jungen Künstlers, welcher vielleicht vor allen Künstlern neuerer Zeit es werth wäre, sich an Ihre genialen Schöpfungen zu wagen, sie bildlich der Welt wiederzugeben. Was ich hier sage, wird sich in Ihrer Ansicht der Bilder rechtfertigen. Als der junge Künstler, mein Sohn, die Conception dieser Darstellungen aus Faust hatte, war er eben in München, wo er mich nicht in die Berathung ziehen konnte. Gern würde ich ihn geleitet haben, sich noch mehr mit dem Geiste der großen Dichtung vertraut zu machen und die wunderwürdigen Züge letzterer mit strenger Bedeutsamkeit wiederzugeben. Außer dem Hauptcharakter der Dichtung würde ich ihn in das Einzelne geführt haben, zu erkennen, wie der Dichter auch im kleinsten Zuge, der oft nur flüchtig seine Spuren nachläßt, eine wichtige Charakteristik gründe und auch im Kleinen selber sich seine Welt erbaue. So liegt wohl der Schlüssel eines ganzen Drama’s in einem leicht vorübereilenden Worte, ohne daß es nur in einer Sentenz sich ausprägte. Wirklich muß es jedem Dichter, der es mit seinen Dichtungen ernst nimmt, bange seyn, sie durch die Darstellungen von Künstlers Hand sich vorgeführt zu sehen, da sie ihn fast immer als ein f r e m d e s , wohl gar e n t f r e m d e t e s Erzeugniß erscheinen müssen und er sich g e r a d e hier, wo er sich als mehr befreundet und mehr ausgebreitet in der Menschheit sehen sollte, fast ganz verlassen sieht und sich nicht einmahl selber, in seiner eigenen Schöpfung, wieder zu finden vermag. Geschieht es doch sogar schon bei der schriftlichen Auslegung anderer über sein Werk. Ist nicht selber des geistvollen Schubarths

1

) Abb. 14 in Kehrli. ) s. oben 1816 März 31. u. Apr 7.: Zelter an G; Juni 27.: Wolff an G; 1819 Mai 21. u. 24.: A. v. Goethe an G sowie 26.: Brühl an G; 1820 Mai 20. u. Juni 7.: Zelter an G. 3 ) Die originalen 16 Umrißzeichnungen von Gustav Nehrlich sind verschollen, Erstveröffentlichung in: Zeichnungen nach Goethe’s Faust. Mit erläut. Worten von Heinrich Düntzer. 3. Lieferungen. Neuwied/Leipzig 1864−65 [darin: 1) Prolog im Himmel 2) Erdgeist 3) Mephisopheles: Du bist noch nicht der Mann, den Teufel fest zu halten 4) Mephistopheles als Faust belehrt den Schüler 5) Mephistopheles: Mit welchem Weine kann ich dienen? 6) Mephistopheles hat die Gesellen zum Besten] − Abb. von Prolog im Himmel, Nacht. Erscheinung des Erdgeistes, Studierzimmer. Faust von Geistern eingesungen, Studierzimmer. Mephistopheles und der Schüler, Auerbachs Keller. ,Mit welchem Weine kann ich dienen?, Auerbachs Keller. Die Verzauberung der Studenten, Hexenküche u. Garten in Neubert 135−38. 2

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Auslegung des Faust,1) so sehr er sich auch mit der Dichtung vertraut zu machen strebt und mit göthe’schem Anstriche in Ansicht und Sprache sich zu dem Wahren zu erheben sucht, ein eigentliches Herumzerren des himmlichen Genius, der oft verkannt sich von dem Kritiker retten möchte. Der Künstler erschafft erschafft nur für sich selber und meynet, besonders wenn er in eigener Originalität sich kräftig fühlt, daß er wohl gar den Dichter noch durch die Zugabe seiner Phantasie verherrliche, während sich dieser nicht selten durch den fremden, ihm schmählich aufgedrungenen Reichthum so eigentlich verarmt fühlen muß. Der Dichter hat sich oft sehr glücklich zu preisen, wenn der Künstler auch gewöhnlich ganz abweichend von dem Geist und Sinn seiner Productionen letztere nur nicht unwürdig aufgefaßt hat und er das Dichtwerk nicht in das Gemeine herabzieht. Vor dieser Herabziehung ins Gemeine durfte mir bei meinem Sohne nicht bange seyn. Und auch die gänzliche Entfremdung mit der Göthe’schen Muse hatte ich nicht zu fürchten, falls er sich mit der Dichtung des Faust so bekannt machte, als es ihm unter nicht ganz ungünstigen Umständen möglich war. Aber der Künstler war noch sehr jung und hätte einer besonderen Leitung bedurft, um mit einer gewissen Resignation eigenen künstlerischen Bildens sich anderer Productionskraft liebend anzuschließen und sich mit dem fremden Genius zu vermählen. Jedoch über mein Erwarten hat er das Bessere in seinen Darstellungen, so weit sie noch ohne Durchführung durch alle Scenen gediehen waren, treu bewahrt und, das wahrhaft Poetische in der Auffassung in Betracht gezogen, sind sie ein schönes Gegenbild der Urschöpfung des Faust und dürfen daher auch Ihnen eine billige Freude machen. Sein Genius ist klar und tief, reich, groß und zugleich mit Grazie geschmückt. Unerschöpflich ist der Quell seiner Kraft. Die ganze Fülle der Natur liegt nicht außer ihm, sondern in ihm und ihr Ausdruck ist zugleich oft so bescheiden und im Stillen begrenzt wie die Natur außer ihm. Bei allem Feuer in der Composition ziehen sich die zartesten Motive gleich stillen Blumenketten durch seine Schöpfungen hin. Er hat den Gegenstand würdig aufgefaßt. Und bewährt es sich auch hier, daß der Künstler, ohne besonderes Zusammenwirken mit dem Dichter selber, was doch so selten möglich ist, oder mit einem Manne, der kritisch in alle Tiefen des Dichterwerkes eingeht und dessen geheimste Eigenheiten aufzudecken versteht, ohne bei seinen zergliedernden Untersuchungen das lebendige Ganze zu verlieren, nicht durchaus und in allen Zügen, als in einem Spiegel aufgefangen, den Dichter wiedergiebt und sind es auch zuweilen neue Gebilde, die sich regsam durch die Hauptgebilde hinbewegen und sollten sogar fremdartige Beziehungen hinsichtlich letzterer statt finden, so trägt der Hauptcharakter doch das Gepräge der Treue und der geistigen Natürlichkeit, wie sie sich im Faust findet. Die bildlichen Darstellungen verletzen das Gedicht nicht. Auch Cornelius und Ret[z]sch, besonders letzerer hat nicht immer, bei aller Beweglichkeit der Phantasie und der Leichtigkeit künstlerischen Schaffens, im Sinne des Gedichtes gebildet und zuweilen tritt sogar eine Unzulänglichkeit hervor, die auch den Unbefangensten schmerzt und die ihm seine Heilung beim Dichter suchen läßt. Von allen Blättern, welche kommen werden, waren die meisten mehr oder weniger schon vollendet, ehe sie zu meiner Ansicht kamen. Sogar war die Hexenfeier auf dem Blocksberge ganz fertig. Aber ich hatte die Freude, den jungen Künstler zu veranlassen, den „Prolog im Himmel“2) darzustellen, wo ich ihm den wahren Sinn aufzuschließen suchte, welcher wohl ganz einfach ist, aber nicht immer begriffen wird. Diese Darstellung scheint mir zu den tadellosesten in der ganzen Sammlung, so weit sie hier vorliegt, zu gehören. Raphael als Engel der Sonne, Gabriel als Engel der Erde, jener als der erhabenste, reinste, dieser zugleich als himmlischer Bothe, Michael als Engel der Atmosphäre, der Stürme und zugleich als Kämpfer gegen das Böse, das er siegreich bezwingt, sind hier in einfacher Charakteristik dargestellt. Die übrigen himmlischen Gestalten füllen den Raum in schönen Motiven aus. Gott 1 2

) Ueber Goethe’s Faust. Vorlesungen von Dr. K. E. Schubarth. Berlin 1830. ) Abb. in Neubert 135.

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Vater gefällt mir wohl. Mephistopheles, der den Schatten und alles Böse, dem Guten Widerstrebende, vorstellt und doch dieses eigentlich zur Verklärung erhebt, steht hier in der Geberde vor Gott da, wo er sagt, daß er den Faust seine Straße führen wolle. Das „Vorspiel auf dem Theater“1) ist in der Darstellung für den Umschlag bestimmt. Schon ist die Idee dazu gefaßt. Mehrere theatralische Gestalten, während der Director, der Theaterdichter und lustige Person mit einander sprechen, ziehen durch den Theaterraum, worein sich auch Faust, Mephistopheles und Grethchen mischen. Was das Format der Blätter betrifft, so faßte der junge Künstler wie durch glücklichen Instinct geschrieben den Vorsatz, das Längenformat zu wählen. Es ist sicher, für reindramatische Darstellungen eignet sich die Höhe, für epische die Breite. Das dramatische Gedicht Faust aber hat für seine Gestalten einen wahrhaft epischen Hintergrund und viel Landschaftliches, das abgezeichnet, daß das romantische Princip, welches die Gestalten und Formen nur hie und da in ihrer lichten Bestimmtheit hervortauchen läßt, nicht gerne den beengten Raum sucht. Einige Inconvenienz mußte man da schon dahin nehmen, besonders was das Studierzimmer betrift, das sich nur in die Länge ausdehnen kann. Ich begreife nicht wie der kritische Schlegel so wenig kritisch seyn konnte, das Gedicht nicht als ein innig geschlossenes Ganze und symmetrisch schwach anzusehen, wo selbst die hie und da sichtbare Zerrissenheit zum nothwendigen Charakter desselben gehören, wie, diese Zerrissenheit so eigentlich herauszuheben, der Dichter von der Scene, wo Faust und Mephistopheles im Feld zusammenkommen, sogar die Prosa erwählt und für das dramatische Intermezzo „Walpurgisnachtstraum“ gegen die Regel die eigentlich dialogische Form verläßt und ein sonderbares Schellengeklingel in lauter Epigrammen, in welche sich die redenden Personen theilen, hören läßt. Die Regel mußte außer der Regel gesucht werden. Der Dichter in der Sprache kann freier handeln; der bildlich darstellende Künstler aber und besonders derjenige, der in Contouren zeichnet und nicht mit Farben spielen kann, ist gezwungen, die Formen recht rein als Formen zu halten und auch die Nebenräume mit Formen auszufüllen. Der eigentlich r o m a n t i s c h e Ausdruck mußte also zum Theil völlig verloren gehen. Es wurde jedoch Ersatz geboten in den vielen und mancherlei Gestalten, die vor das Auge des Beschauers treten und die Hauptfiguren gleichsam tragen. Wegen der bestimmten Wahl der Bilder für den ganzen Faust war es schwierig, die Geschichte vollständig in ihnen zu entwickeln da, wo in manchen Scenen der Dichter nur das Innere der Personen berührt ohne es äußerlich als Geschichte heraustreten zu lassen. Hier mußte freilich, um den Uebergang nicht ganz aufzuheben, auch die geschichtlose Scene vorkommen und nur das künstlerische S p i e l ! sich in Nebensachen verlieren, die jedoch nicht reitzlos seyn dürfen. Daher manche Ausschmückung des Studierzimmers. Ich komme nun an die einzelnen Blätter und dabey mit nur wenigen Andeutungen. E r s c h e i n e n d e s E r d g e i s t e s v o r F a u s t .2) Gern hätte ich für den Anfang, in den bildlichen Darstellungen nämlich, eine ruhigere Scene gewünscht. Doch mag mit dieser Scene, wenn es nicht anders seyn kann, zuerst die innere Entzweitheit der Natur des Faust hervortreten. Dem Gedichte nach kömmt der Erdgeist, gleichsam waltend in der wirksamen Atmosphäre der Erde, aus der Luft. Sein ganzes Erscheinen muß stürmisch seyn, beweglich, als sind die lebendigen Kräfte, die im ewigen Wechsel ihres Wirkens die Natur ausmachen. Der Erdgeist ist hier zu colossal und kömmt aus der Tiefe. Das Beiwerk im Bilde wird leicht seine Anerkennung finden. Nach dieser poetischen Scene, eigentlich nach dieser Poesie des Faust, tritt der Famulus mit seiner ganzen Prosa auf und zeigt seine gemeine Welt und seinen gemeinen Sinn. In diesem Dialoge lag nichts für eine bildliche Darstellung. Jetzt sollte die Scene dargestellt seyn, wo Faust die Chrystallschaale an den Mund setzt. Auch der Spaziergang vor dem Thor, welcher zwei Bilder giebt, ist noch nicht vorgenommen. Es ließen sich wohl drei Bilder daraus machen. 1 2

) Nicht überliefert. ) Abb. in Neubert 135.

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Zuerst die verschiedenen Spatzierenden, dann Fausts Aufnahme bei den Tänzern unter der Linde, und zuletzt, wo er an seiner Raststelle auf der Höhe sich befindet und der Pudel sich nähert. Die Scene, wo der Pudel in Fausts Zimmer eine fremde, ungeheure Gestalt annimmt, fehlt auch noch. Das Blatt, das nun folgt, hat die Lösung einer schwierigen Aufgabe. Die Phantasien, die in Faust durch den dämonischen Gesang entstehen, sind hier wiedergegeben mit allen Reitzungen, womit ihn die Dämonen verlocken konnten.1) Die schöne weibliche Gestalt, gleichsam hier als dritte Hauptperson, ist eine Allegorie jener Phantasien und zugleich ihre wahre Deutung. Sehr sinnreich wiegt ein Dämon Faust und Mephistopheles als Einsatzgewichte in einer Waage gegen einander ab. Mephistopheles als Faust belehrt den Schüler:2) Dieses Blatt hat sehr viel Gefälliges und Sinnbezeichnendes. Faust sieht man sich zurüsten zur Abreise und sich wohlgefällig im Spiegel betrachten. Gern möchte ich Ihr bestimmteres Urtheil über diese Darstellung erfahren. Auerbachs Keller in Leipzig.3) Die lustigen Gesellen sind im Gedichte scharf gezeichnet und schon in ihren Namen zu erkennen. Der Künstler miskannte das und machte eben sonst eine lustige Gesellschaft und nicht ohne geniale Lebendigkeit. Faust sollte sitzen und man sollte sehen, wie Mephistopheles den Rand des Tisches anbohren will. Die Scene des Nasenanfassens ist drollig genug. Faust im Fortschweben mit Mephistopheles ist eine geistvolle Gruppe. Sehr bedeutsam ist die edle Natur des Kellermädchens dazu gezeichnet. Sie weiß nicht recht was vor ihren Sinnen vorgeht und fühlt sich schmerzhaft ergriffen. Hexenküche.4) Das Bild spricht für sich. Das Begegnen Fausts mit Gretchen ist noch nicht vorhanden. Noch andere Scenen fehlen. Faust in Gretchens Zimmer.5) Der Brautzug und Mariä Empfängniß in den Wandbildern sind wahrscheinlich gut angebracht. Wie sich Gretchen vor dem Spiegel putzt, fehlt. Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spatzierend.6) Daß der Aufgang zu einem Gartenhäuschen fehlt, ist wohl verzeihlich. Mehrere Scenen fehlen. Gretchens physiognomischer Ausdruck ist mehr ins Ideale gehalten als er wohl sollte. In der Wirklichkeit ist schwer ein Abbild für sie zu finden. Der häuslichstille, fromme Sinn und ihr inneres Liebesleben mit dem Ausdrukke altdeutscher Mägdlichkeit vereinigt konnte sich hier auch deswegen nicht so ganz finden; weil Contourzeichnungen schon für sich gern mehr ins Ideale und Plastische übergehen und hier die volle Individualität gebenden Farben fehlen. Der Zweikampf.7) Der Künstler ist über dieses Bild in manchem Zweifel, ob er den Gegenstand desselben auch recht aufgefaßt habe. Billig sollte Faust zur linken Seite stehen und er und der Teufel gleichsam in ihrer Geschlossenheit Eine Person ausmachen. Auch sollte wohl Valentin den Arm gesunken halten. Möchte Ihr weises Urtheil hier die Leitung geben. Valentin sterbend;8) Aufgang Fausts auf den Blocksberg.9) Die Hexe, die mit dem Feuer spielt in der Kluft,10) möchte ich nicht wegwünschen. Die Hexenfeier auf dem Blocksberg.11) Hier zeigt sich die reiche Geistesfülle des Künstlers. Es scheint mir alles gut gruppiert, auch der Ausdruck von Gretchen und Lilith (Eva) nicht verfehlt. Letztere [?] etwas zarter gehalten seyn. Faust mit Mephistopheles auf dem Felde.12) 1

) Abb. in Neubert 136. ) Abb. in Neubert 136. 3 ) Abb. in Neubert 137. 4 ) Abb. in Neubert 138. 5 ) Nicht überliefert. 6 ) Abb. in Neubert 138. 7 ) Nicht überliefert. 8 ) Nicht überliefert. 9 ) Nicht überliefert. 10 ) Nicht überliefert. 11 ) Nicht überliefert. 12 ) Nicht überliefert. 2

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Faust mit Mephistopheles im Vorbeireiten vor dem Hochgerichte.1) Auch Gretchens Mutter mit ihrem wackelnden Kopfe ist zu sehen. Dieses Blatt gehört sicher zu den besten. Zuletzt Gretchen im Kerker.2) Die himmlichste Hilfe für Gretchen durch die Engel anzudeuten, ist vielleicht kaum zuläßlich, indem das Tragische der Schmerzen Gretchens für den Zuschauer gemildert wird. Anderntheils aber war die himmlische Mitwirkung auf keine andere Art besser anzudeuten. Wenn Ew. Excellenz gnädigst die Blätter retour schicken,3) so wäre es sehr erwünscht, wenn Ihr Urtheil hie und da leitende Bestimmungen geben wollte. Der junge Künstler geht damit um, nicht nur den Faust zu vollenden, sondern auch mehrere Süjets aus Ihren unsterblichen Gedichten zur Darstellung zu wählen. Schon hat er deren einige fertig. So habe ich ihm auch Stoff für eine Darstellung I h r e r M u s e gegeben. Die Muse umarmt Gretchen und Faust wird von der Mignon letzterer zugeführt. Jetzt möchte ich ein ernstes Wort an Ihr Herz reden. Mein Sohn ist erst 15 Jahre alt und giebt die schönsten Hofnungen für die Zukunft. Aber er ist in solchen Verhältnissen, daß er einer äußeren glücklichen Einwirkung bedarf, um jene Hofnungen mehr oder weniger zu erfüllen. Es möchte sehr zu seinem Glück gereichen, wenn Sie selber öffentlich ein günstiges Urtheil über ihn aussprechen wöllten. Nicht nur würde er eher einen Verleger für den Faust finden, sondern es würde ihm auch in seinem neuen Vaterlande − ich selber bin aus Eisenach − mehr Beförderung geben. Mit aller schuldigen Verehrung Ew. Excellenz unterthäniger Karl Nehrlich. Dieser Brief, welcher das Versprechen giebt, Ihnen die Bilder des Faust bald zuzustellen, sollte, wo möglich, an Ihrem Geburtstage als Weihegeschenk vor Ihre Augen kommen und Sie erfreuen Du gabst den Faust, uns alle zu belehren, daß alle wir wie Faust zu heftig streben, daß selber wir verneinen unser Leben Und jedem guten Schicksal schnöde wehren. Doch du, das Hohe nicht falsch zu verkehren Und dunkle Nacht ins Tageslicht zu weben, Weißt mächtig sich als Genius zu heben, Der Dichter läßt sich nicht wie Faust bethören. Du stehest über diesem Stoff und schauest Klar in der Zeiten fortbewegtes Drängen, Du lebst und nichts mag dürftig dich beengen. O möchten alle wir den Sinn des Lebens kennen, Wie du dem Gott in Deiner Brust vertrauest, Dich wird man stets mit Recht unsterblich nennen.

Sept 10. Nach Tische Hofrath Meyer, welcher die Zeichnungen nach Faust des

jungen Nehrlich in Calsruhe durchsah. [nach10.] [Weimar] H. Meyer: Nehrlichs Darstellungen aus Faust (W 49.2, 236f.): Der Folge von Zeichnungen von Herrn G. Nehrlich ist der Vorwurf zu machen, daß dieselbe als Cyklus mangelhaft ist; die verschiedenen Darstellungen haben keine anschauliche Beziehung unter sich, und wer nicht mit dem Gang des Gedichts genau bekannt ist, wird vieles mißverstehen, anderes gar nicht faßen. An Empfindungsgabe fehlt es dem Künstler nicht, seine Bilder sind reich von Figuren und Nebenwerken, zum Theil gut erfunden und motivirt, am lobenswürdigsten ist indeßen der Ausdruck, man könnte eine Menge von dieser Seite wohlgerathene, mit Geist und Leben ausgestattete Köpfe anführen. Die Gebärden der Figuren sind fast immer der Handlung angemeßen und die Glieder von guter Gestalt, doch bemerkt man nicht seltene Verstöße gegen die Proportion oder vielmehr im Ganzen zu wenig begründetes Studium dieses wichtigen Theils der Kunst; auch geschieht es daß die Glieder unter sich nicht übereinstimmen so wie im Charakter zu den Köpfen nicht allzu wohl paßen; doch gilt dieses nur in so fern man strenge, von einem hohen Standpunkt ausgehend urtheilen will Mit dem Faltenschlag kann der Beschauer zufrieden seyn, die Anlage der Gewänder ist meistens gut, einiges sogar auffallend zierlich. Endlich ist noch die saubere Ausführung sämmtlicher Blätter mit der

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) Nicht überliefert. ) Nicht überliefert. 3 ) s. unten 10. Nov 1831: an Nehrlich. 2

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Feder zu loben.1)

Sept 19. An C. Nehrlich (Br 49, 83): Daß ein wohlgepacktes Portefeuille, ent-

haltend Zeichnungen von Gustav Nehrlich nach Goethe’s Faust, glücklich angekommen und den Weimarischen Kunstfreunden Gelegenheit gegeben hat, an dem vorzüglichen Talent eines geistreichen jungen Künstlers sich zu ergötzen, wird dessen Herrn Vater hiedurch angezeigt, vorbehaltlich des Weiteren. 26. Lohbauer [Rez.] Harro Harring: Faust im Gewand der Zeit. Ein Schattenspiel mit Licht. Leipzig 1831. In: Literatur-Blatt Nr. 98 v. 26. Sept 1831, 391: Eine mindestens freiere parodische Benutzung des rechten Faust . . . Außer der Beschwörungsscene, die mehr an Byrons Manfred, als an Faust erinnert, wie überhaupt die hypochondrische Düsternheit des Britten mehr auf der ernsten Seite spielt, auf der scherzenden aber trivialere Tolllust, als irgend bei dem geschmackvollen Goethe, finden wir nur noch zwei Scenen herübergespiegelt aus dem Vorbild, die zwischen Mephistopheles und dem Schüler und die in Auerbachs Keller . . . Okt

4. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1548): Ein Geistlich Nachspiel zum Faust von K. Rosenkranz,2) Dir zugeeignet, habe ich eben − nicht ganz durchgelesen. In der Dedikation zeigt der Dichter ein Gelüst Dein Kaplan zu werden indem er Knickse und andere Äußerlichkeiten der Kirche beobachtet; er scheint mir aber vielmehr nur ein Glöckner zu sein der die Leute zusammenbeiert, damit sich jeder das Heil am ersten Orte selber suche. 10. [Nachmittags] Le Peau de Chagrin [von Honore ´ de Balzac] zu lesen

angefangen.3) 11. [Nachmittags] Ich las Le Peau de Chagrin weiter und beschäftigte mich damit die übrige Zeit, wie ich denn in der Nacht auch mit dem 2. Theil fertig wurde. Es ist ein vortreffliches Werk neuster Art, welches sich jedoch dadurch auszeichnet, daß es sich zwischen dem Unmöglichen und Unerträglichen mit Energie und Geschmack hin und her bewegt und das Wunderbare als Mittel, die merkwürdigsten Gesinnungen und

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) Erstveröffentlichung in: Zeichnungen nach Goethe’s Faust. Mit erläut. Worten von Heinrich Düntzer. Neuwied/Leipzig 1864−65. 2 ) K. Rosenkranz: Geistlich Nachspiel zur Tragödie Faust. Leipzig 1831. − Szenen: Himmel (1−4), Thal (5−15), Vor dem Thor (16−24), Kleines, ärmlich meublirtes Zimmer (25−27). Salon (28−46), Garten im Holländischen Geschmack (47−55), Auf der Spitze eines Berges (56−65) u. Kirchhof (66−88); Rez. s. unten: 1832: Febr 16. u. März 16. − Zum Text s. auch Eibl 2000, 151−55. 3 ) La Peau de Chagrin von Balzac als Faust-Roman, dazu: Ekkekart Krippendorff: Eine Entdeckung. In: Liber Amicorum. Katharina Mommsen zum 85. Geburtstag. Hsg. v. A. u. P. Remmel. Bonn 2010, 305−13; 306: La Peau de Chagrin . . . Hier geht es um den Faust!. . . [308:] Goethes Anteilnahme an der französischen Literatur im allgemeinen und an dem »außergewöhnlichen Talent« Balzac und dessen Peau de Chagrin im besonderen korrespondiert eine lebhafte französische Anteilnahme . . . vor allem an der Figur des Faust. − Ein Postscriptum (S. 313) weist darauf hin, daß zeitgleich auch Gustav Seibt auf dieses Rezeptionszeugnis stieß (s. Süddeutsche Zeitung vom 5./6. Jan 2010); erster Hinweis Felix Steins: Die Quellen von Balzacs Roman: La Peau de Chagrin. In: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur 36 (1910) 116−20; s. auch nächstes Z.

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Vorkommenheiten sehr consequent zu brauchen weiß, worüber sich im Einzelnen viel Gutes würde sagen lassen. Okt 16. Herrn Goffs Übersetzung der Zueignungsstanzen von Faust.1) Wohlgeraten. 31. [Hamburg, anonym] Correspondenz und Notizen. Aus Hamburg. In: Zeitung für die elegante Welt Nr. 213 v. 31. Okt 1831, 1703: Was Ihnen wie Ihren Lesern aber erfreulich zu hören seyn wird, ist − daß G ö t h e ’s Faust mit einer kaum geahnten Wirkung auf unsere Bühne gebracht ist, d. h., nicht blos mit einer Wirkung auf die Leute vom Fache, wie man das nennt, nicht blos auf die Aesthetiker par excellence, nicht blos mit einer S c h e i n w i r k u n g auf diejenigen, die, in allen Parterren sitzend, laut das Erhabenste loben, während sie es leise als Langweiliges und Unerträgliches verwünschen, sondern mit erfreulicher und erhabenster Wirkung auf die gesammte Zuhörerschaft, die sich fast mit jeder Wiederholung2) zahlreicher einfand. Nov

⎯ [Anonyme Rez.:] Berlin, in d. Ensl. Buchh.: Ueber Göthe’s Faust. Vorlesungen von Dr. K. E. Schubarth. 1830. In: ALZ Nr. 204 v. Nov 1831, 345−52: Es sind viele Stimmen, besonders auch in neuester Zeit, über Göthe’s Faust laut und sehr verschiedene Gesichtspunkte dabey aufgestellt worden; doch ist uns keine bekannt, die eine solche umsichtige Beachtung verriethe . . . Der Vf. bahnt sich den Weg . . . durch eine Betrachtung des Dichters selbst und seiner Persönlichkeit überhaupt . . . Der Vf. will . . . nicht den Faust für das höchste Meisterwerk des Götheschen Genius erkennen, und widerstreitet auch der Behauptung Franz Horn’s, der es für das unergründlichste Werk aller neuern Poesie erklärt,3) und auch W. A. v. Schlegel, der ihm die Aufführbarkeit abspricht4) . . . Wenn wir auch dem Vf. einräumen, dass die höchste ideale Einheit in diesem Weltdrama Statt findet, und zwar alles echt dramatisch aus des Helden eigenem Streben hervorgeht; so fehlt es doch an der realen Einheit, an der Einheit der Form, die zur dramatischen Wirkung auf der Bühne unerlässlich ist . . . Zuförderst führt der Vf. mit Glück den Beweis, dass Göthe nicht das höhere menschliche Streben an sich als nichtig und das Loos der Menschheit als unbefriedigend darzustellen suche, sondern das Falsche in diesem Streben . . . In der Vertheidigung des bösen Princips, das als ein Selbstständiges im Mephistopheles sich offenbart, keineswegs aber der Gottheit an sich widerstrebt, zeigt sich der Verfasser als einen trefflichen Advocatum diaboli, und wir müssen seine Auffassung dieser kecken Göthe’schen Gestaltung für gelungen erkennen . . . Was den Humor betrifft, so geben wir diesen im Faust gern zu; sehen aber nicht ein, wie der Vf. behaupten kann, er sey den Göthe’schen übrigen Poesieen fremd . . . Das über den Begriff des Humors gesagte ist übrigens, wenn auch nicht neu, doch treffend . . . Der Vf. folgt dann in den weiteren Vorlesungen dem Dichter Schritt vor Schritt . . . Wir können den Vf. nicht . . . begleiten, sondern müssen uns begnügen, nur 1

) Bemerkungen Eckermanns zur Faust-Übers. des Irländers Charles Goff in GSA 25/ XVII, 3, 3. 2 ) Erstaufführung 29. Juni 1831; s. oben 9. Juli 1831: Nachrichten. 3 ) Bei Schubarth heißt es: Franz Horn erklärt diesen [Faust] irgendwo nebst dem Hamlet von Shakespeare und dem Don Juan von Mozart für das unergründlichste Werk der ganzen neuern Poesie. (32) Horn formulierte: Was Goethe’s Faust betrifft, so ist es eben so schwer über ihn zu reden als nicht zu reden. Am besten wird man ihn verstehen, wenn man ihn als den Deutschen Hamlet und im Gegensatze des Don Juan betrachtet. (F. Horn: Die schöne Litteratur Deutschlands, während des achtzehnten Jahrhunderts. Berlin u. Stettin 1812, 142). 4 ) Schlegel hatte geschrieben: Um Goethes ,Faust‘ aufzuführen, müßte man Fausts Zauberstab und Beschwörungsformeln besitzen. Vgl. oben 1811: Schlegel: Ueber dramatische Kunst und Litteratur.

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den Plan herauszuheben, den er dem Mephistopheles unterlegt . . . welchen Seitenweg schlägt Mephistopheles ein, um Fausten zum glücklichen Erfolge des Behagens zu führen? . . . Die Erklärung an sich finden wir übrigens scharfsinnig, und wollen auch nichts dagegen einwenden, wenn der Vf. meint, dass es die Absicht des Mephistopheles sey, Faust zum Heroenthum eines Maıtre de plaisir der Welt und aller Zeiten zu erheben und wenn er ihn dafür gewonnen, ihn als das grösste Welt-Scandal dem Herrn und den Engeln vorzuführen . . . Wie aber wird Faust zur Befriedigung geleitet? das ist die große Frage. Indem Mephistopheles für ihn die Schranken für den unbedingten Genuss der Welt − Raum und Zeit − aufhebt, und ihm so Vergangenheit und Zukunft wie die Gegenwart zum Genuss preis giebt, denn Herr Sch. meint, dass der Dichter Fausten eben so in Napoleons Zeit als durch Helena ins Alterthum einführen werde. − Wie das geschehen soll, mag im Buche selbst nachgelesen werden. − ˘

Nov

2. Hofrath Meyers Recension über Nehrlichs Faust.1) 10. An C. Nehrlich (Br 49, 135): Ew. Wohlgeboren

habe zu vermelden: daß jenes Ende August mir übersendete Portefeuille in diesen Tagen, wohleingepackt, wieder zurück an Dieselben nach Carlsruhe abgegangen sey. Indem ich mich auf Beyliegendes beziehe,2) so säume ich nicht, Denenselben für eine Mittheilung zu danken welche mir und meinen Freunden diese Zeit über viel Vergnügen gemacht hat. Auch Ihren Herrn Sohn schönstens grüßend und ihm zu seiner ferneren künstlerischen Laufbahn alles Glück wünschend, empfehle ich mich zu geneigtem Andenken, mit Bitte: von dem glücklichen Einlangen gedachter bedeutenden Sendung baldigst Nachricht zu geben.3) 10. Nehrlichs Darstellungen aus Faust4) (W 49.1, 346f.): Wir haben auf sechzehn großen Folioblättern einen abermaligen Cyclus vor uns, bedeutender, in dem Goetheschen Trauerspiele F a u s t allenfalls sinnlich denkbarer Situationen und Ereignisse, auch dürfen wir annehmen, daß der Künstler noch manche Lücken ausfüllen und sein Werk, gewissermaßen unabhängig vom Gedichte, zu einem Ganzen bilden werde. Dieses ist um so mehr zu hoffen, als man ihm bezeugen muß, er habe sich in das Gedicht ernstlich versenkt und befinde sich darin wie zu Hause. Seine Bilder sind reich an Figuren und Nebenwerken, meist gut erfunden und motivirt. Sehr gelungen ist der Ausdruck; man könnte eine Anzahl der Art wohlgerathener, mit Geist und Leben ausgestatteter Köpfe anführen. Die Gebärden der Figuren sind der Handlung angemessen und die Glieder von guter Gestalt. Möge der junge Künstler sich auf das Studium der Proportion noch eifrriger legen, damit allen Gliedern ein richtiges Maß zugetheilt und eine Übereinstimmung 1

) s. oben [nach 10. Sept] 1831: H. Meyer, Zu Nehrlichs Darstellungen. ) G’s Gutachten, auf Grundlage von Meyers Text, doch abgemildert in krit.Tendenz, s. nachfolgendes Z u. vgl. mit oben [nach 10. Sept] 1831: H. Meyer, Zu Nehrlichs Darstellungen.. 3 ) s. unten 1831 Nov 21. u. 26.: Nehrlich an G u. Tgb. 4 ) Erschienen in Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften. Beilage der Dresdner Abendzeitung Nr. 105 v. 31. Dez 1831, 417. 2

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derselben unter einander so wie zu dem Charakter der Köpfe durch erreicht werde. Die Anlage der Gewänder ist meistens gut, einige sind als recht zierlich anzuerkennen. Auch darf nicht übergangen werden, daß für die Räumlichkeiten genugsam gesorgt, das Local schicklich gewählt und das Hausgeräthe jener Zeit angehörig dargestellt sei. Die saubere Ausführung der sämmtlichen Blätter mit der Feder trägt zu dem angenehmen Eindruck, welchen sie gewähren, das Ihrige bei. Nov 21. [Karlsruhe] C. Nehrlich an G (GSA 28/652 St. 3): Ew. Excellenz befahlen, von dem glücklichen Anlangen der Zeichnungen meines Sohnes Nachricht zu geben.1) Solches geschieht hiermit und zugleich mit innigster Dankbarkeitsbezeugung für die wohlwollende Aufnahme, welche Sie diesen künstlerischen Productionen schenkten: Der junge Künstler wird nun um so mehr zarte Sorgfalt auf die weitere Bearbeitung und Vollendung eines Werkes wenden, das der große Dichter des Faust anzuerkennen geneigt fand. Bei jeder neuen Darstellung einer Scene, hoffe ich, wird er den wahren Sinn des Gedichtes zu entsprechen suchen, obwohl es immer wahr bleibt, daß der sinnlich darstellende Künstler, so treu er auch seinem Urbild nacharbeitet, in s e i n e r R ä u m l i c h k e i t eine gewisse Unabhängigkeit vom Gedichte behaupten muss. Dieselben wollten den jungen Künstler mit Würde einführen in das Publikum und ermunterten ihn im Namen der Weimarischen Kunstfreunde. Sicher wird es daher nicht gegen Ihre edle Ansicht seyn, wenn ich jene Zeilen, welche sein Künstlertalent so freundlich beurkunden, dem Publikum mittheile und sie also in ein öffentliches Blatt, etwa in die Abendzeitung, einschicke. Ich habe sie mit folgender kurzen Einleitung begleitet: E i n i g e Wo r t e ü b e r e i n e n e u e b i l d l i c h e D a r s t e l l u n g d e s G ö t h i s c h e n F a u s t v o n G u s t a v N e h r l i c h Der große Weltstoff des Göthe’schen Faust, wo in höherer Romantik, den Menschengeist ganz nach innend weisend ohne ihn doch ganz ablösend von allen den mächtigen Banden, die ihn an das äußere Leben fesseln, ein in sich so weiches und sonst herrliches Gemüth in Ueberfülle seiner Kräfte sich dennoch nicht bescheiden kann, mehr zu wollen und mehr zu begehren, und, seine schöne reine, menschliche Bestimmung verkennend, auch noch neben Gretchen, die ihm als guter Engel erscheint, einen bösen Geist in sich aufruft, der sie nun freundlich gegen über sich stellt und als mächtiger Dämon ihn locken und bestrafen muß, jedoch so, daß er nicht ganz untergehe, sondern, denn sein inneres Wesen ist gut, die Ahnung seiner endlichen Rettung in den Grenzen aller Mitfühlenden zurücklasse − dieser große Weltstoff des Göthe’schen Faust, der allein ganz auf seiner dichterischen Höhe von allen übrigen ähnlichen Productionen steht, ist bereits von mehreren Künstlern erfaßt worden, ihn in sinnlicher Darstellung wiederzugeben, eine Aufgabe da, wo sich so Vieles nur zu innerer, intellectueller Anschauung hinwendet, schwer zu lösen und die Darstellung immer noch dramatisch zu halten. Cornelius und Ret[z]sch, jener mit besonnen sinniger Erfassung und Behandlung des vorgenommenen Stoffes, dieser mit fast regerer Erfindungsgabe und freierer Bildsamkeit der Formen, obwohl in manchem leise an etwas, das ich für die schöne Darstellung als ein Ungehöriges bezeichnen möchte, anstreifend, haben beide sich Unsterblichkeit errungen. Sich mit diesen in die Schranken zu stellen, war gewiß kein geringes Unternehmen. Der junge Mahler, Gustav Nehrlich in Karlsruhe, wagte es, die gleiche große Leistung zu übernehmen und seine Kräfte zu zeigen da, wo der bloße Versuch schon dem Künstler eine reiche Geisterwelt eröffnen muß. Ganz unabhängig von den Leistungen seiner Vorgänger, in freier, eigener Productivität und der völligen Hingabe an seinen erwählten Stoff entwarf er einige Scenen des Göthe’schen Faust und zeichnete sie hernach mit der Feder in Contouren auf großem Format. Aber bei aller Fülle der Kraft und sonst künstlerischer Besonnen1

) s. oben 10. Nov: an C. Nehrlich.

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heit schüchtern, ob er, nachdem er bereits 16 Darstellungen gezeichnet hatte, auf immer das Rechte ergriffen und auch so in seinem Unternehmen fortfahren dürfte, das Werk bis zu seiner letzten Vollendung hinzuleiten, entschloß er sich, die bereits fertigen Blätter selber an G ö t h e zu schicken und sich sein Urtheil zu erbitten. Dieser große Mann aber bezeigt ihm sein Wohlgefallen an seinen Schöpfungen und den jungen Künstler ermutigend beehrte er ihn mit einer freundlichen und billigenden Antwort, und der Uebersender dieser mag dem Publikum die schönen Zeilen nicht vorenthalten, die gewiß als ein würdiges belohnendes Geschenk an den Künstler, der sich doch immer an seinen Dichter anschmiegen muß betrachtet werden dürfen. Sonach folgen die Zeilen . . . Innigst gerührt danken wir, ich und mein Sohn, für das bezeigte gnädige Wohlwollen und erfreuen uns, wenn die Blätter aus Faust Denenselben einiges Vergnügen haben gewähren können.

Nov 26. Verschiedene Sendungen . . . Freundliches Anerkennen von Nehrlich

Vater.

1832 Febr

8. [Stuttgart] P. v. Lindpaintner an H. Bärmann (P. v. Lindpaintner: Briefe. Gesamtausgabe. Hsg. v. R. Nägele. Göttingen 2001, 184): Nun bin ich an Göthes Faust. Seydelmann hat ihn für die hiesige Bühne eingerichtet;1) auf sein Dringen schreibe ich die Lieder, alle Chöre (: er ließ fast alles musikalisch bedeutende wie im Originale stehen :) eine Ouvertüre, u. da Faust in 6 Akten gegeben wird, 5 Entreacte dazu. 16. [Anonyme Rez.] Ueber Erklärung und Fortsetzung des „Faust“ im Allgemeinen und insbesondere über „Geistliches Nachspiel zur Tragödie Faust“, v. K. Rosenkranz. Leipzig 1831. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 47 v. 16. Febr 1732, 195f.: Für ihn [den Verf.] scheint der „Faust“ nur ein polemisches Lehrgedicht, gewissermaßen eine Kriegserklärung gegen die übertriebenen Anmaßungen der einzelnen theologischen und philosophischen Schulen zu sein, und in diesem Sinne setzt er das Gedicht fort, nicht ohne einzelne glückliche Reflexionen, aber ganz und völlig außerhalb des Gedichtes, wie wir es begreifen . . . Wir halten diesen Versuch für so vortrefflich i r r i g , für so gründlich v e r f e h l t , daß er uns nur abermals zum Beweise dient, wie Wenige, selbst unter unseren guten und kritischen Köpfen, die eigentliche Bedeutung des größten deutschen Gedichts begriffen haben. 28. [Stuttgart] P. J. v. Lindpaintner2) an C. F. Peters (P. v. Lindpaintner: Briefe. Gesamtausgabe. Hsg. v. R. Nägele. Göttingen 2001, 186): Ich habe die zur Tragödie Faust von Göthe gehörige Musik geschrieben,3) die hier große Theilnahme erregte. Die Ouvertüre und Entreacte habe ich in die Form einer Sinfonie gebracht, und selbe besteht nun in folgenden Sätzen Ouverture oder Introduction und erstes Allegro (: in Fis minor − ich zähle dieses Musikstük zu meinen gelungensten Arbeiten, du ich glaube hiemit den Beweis geliefert zu haben, daß man in der Instrumentalcomposition mit Glük einen Schritt über D a g e w e s e n e s wagen könne :) Dauer 9 Minuten. − Nro 2. Scene in Auerbachs Keller Brillantes Allo in D dur. Durchgeführtes Thema des ersten Studentenliedes. Dauer 4 Minuten. − Nro 3. Hexenscene. In der Form eines Allo Scherzo − oder besser: Hexenwalzer. Fis minor. Dauer 3. Minuten. − Nro 4. Margaretens Liebe.

1

) Uraufführung am 2. März 1832. ) Peter Joseph v. Lindpaintner (1791–1856), Hofkapellmeister in Stuttgart. 3 ) Zu Lindpaintners Schauspielmusik s. Musik zu Faust 383−416; s. auch Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Reihe 2. Bd 6. Wiesbaden 2000, 376f. 2

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Gesangvolles Andante affettuoso − A Dur. Dauer 5 Minuten. − Nro 5. Rondo. Ueber das Thema des Soldatenliedes A Dur Dauer 6 Minuten.* − Dieses Werk, mit Einschluß der 4 händig arrangirten Ouvertüre − (: oder wenn Sie wünschen, das Ganze 4 händig arrangirt:) würde ich gegen das Honorar von 15 Carolin − `a 11 fl. rheinisch I h r e m Ve r l a g e überlassen. − Das Lied Margaretens, welches mir um seiner Einfachheit willen besonders lieb ist, sende ich Ihnen, und erwarte seiner Zeit nur einige Exemplare. Sollten Sie das 4stimmige Soldatenlied − das Studentenlied „Es war eine Ratt im Kellernest & & Mephistopheles Lied „ v o m g r o ß e n F l o h “ − dessen S t ä n d c h e n − Margaretens − „Es war ein König in Thule“ & & − diese 4 leztern mit Klavierbegleitung − zur Herausgabe wünschen, so stehen Sie Ihnen ohne Honorar zu Diensten. Das Ganze habe ich an Goethe gesendet, und zweifle nicht an seiner Zustimmung zu erbetener Dedikation.1) − Umgehend ersuche ich Sie um geneigte Erklärung über Annahme oder Nicht-Annahme des opusculum’s.2) *als 5ter Entreact wird (: zur Notiz für Theaterdirectionen :) das Piu moto der Ouvertüre gespielt.

[März 3.] [Berlin] C. Loewe Tagebuch (Dr. Carl Loewe’s Selbstbiographie. Bearb. v. C. H. Bitter. Berlin 1870, 152): Nach dem Concert ass ich bey Zelter und verdankte ihm die erste Einladung beim Fürsten Radziwill, wo ich den hohen Genuss hatte, die Composition des „Faust“ zu hören. Ich hörte hier etwas Neues, Originelles, Gewaltiges; ein Originalgenie meiner Kunst; meine Aufmerksamkeit steigerte sich bei jeder Nummer. Kühne, kecke, außerordentliche Auffassung der unsterblichen Dichtung wechselte mit Tonformen und hinreissenden Melodien, wie sie nur ein ganz durchdringend gebildeter Geist, ein tiefes, wahres Gefühl, ein kühner Schwung der Phantasie zu schaffen im Stande ist. Man kann mit Wahrheit sagen, wir haben auch jetzt in der musikalischen Literatur einen Faust. 4. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1623f.): Fürst R.[adziwill] hat uns gestern mittag endlich wieder Neues und Altes aus dem Faust zum besten gegeben3) wozu ich einige und 40 Helfershelfer geliefert. Der edle Komponist ist tief ins Gedicht hinein gedrungen, man könnte sagen hinein gefallen indem ich mehr die Wirkung des Gedichts auf Ihn selber als eine Rückwirkung durch die Musik erkennen kann. Ein Austernhaftes Festhalten der Situationen ist lähmend da keine Kunst vorübergehender ist als die Musik. Auch das irae scheint mir verfehlt, die wenn, Gewissenssachen in Töne zu kleiden, eine Aufgabe ist die den bösen Feind in sich hat. Im Gedichte ist es vollkommen angegeben durch die Worte: Dom. Amt, Orgel und Gesang. [Sz. Dom] − Das war denn auch alles in Fülle vorhanden. Doch Gretchen sagt: Das ist nicht recht, man muß dran glauben [3421] − und das kann man nicht. Du hast durch jene bloße Überschrift den Nagel so getroffen als wenn Dich die Orgel einmal selber so angepackt hätte. Auch mir ist sie noch immer ein strenger Beichtiger [Beichtvater] gewesen. Sie hat was Anklagendes, Satanisches in sich. − Dagegen ist der Spaziergang in Marthens Garten allerliebst; wie das höhnisch Ironische mit dem herzlich Verliebten sich wiegt und davonträgt. Wir waren bloß mit dem Flügel ohne Orchester und hatten vornehme Zuhörer. Unser Kronprinz, Herzog Carl von Meklenb. (Mephisto) der Großherzog von Strelitz war wie immer entzückt und, ob ers gewesen wäre, wenn er besser hören könnte? will ich nicht untersuchen. Hin und wieder findet doch ein Funke eine empfängliche Stelle. Das Gedicht an sich hat im Stillen unglaublich ja furchtbar gefruchtet. Von allen Seiten her macht jeder ein anderes Gesicht dazu und keiner kann den Asmodi [Teufel] verbergen. Sie lesen es heimlich, wie die Katholischen die Bibel.

1

) Schreiben nicht ermittelt, zu einer Reaktion G’s kam es nicht mehr. ) Einen weiteren Angebotsbrief schreibt Lindpaintner an Peters am 1. Mai 1832. 3 ) 1830 waren drei neue Szenen hinzugekommen, s. dazu 21. Nov 1830: Zelter an G. 2

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März 13. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1632): So sei denn gemeldet daß, neben den wesentlich täglichen Leistungen, in drei Tagen, 4 drei und vierstündige Proben nacheinander dem ehrsamen Dr. Faust gewidmet worden. Gestern Abend war die vierte, im Hotel des Fürsten in Gegenwart des Hofes. Die vorzüglichsten Mitglieder der K.[öniglichen] Kapelle unter ihrem Kapellmeister [G. A. Schneider] und ein ausgesuchter Singchor in meiner Begleitung konnten freilich noch nicht die Zufriedenheit des fürstl. Meisters [Radziwill] gewinnen. 16. [Anonyme Rez.:] Ueber Göthes Faust. Vorlesungen von Dr. K. E. Schubarth. Berlin, Enslin, 1830. In: Literatur-Blatt Nr. 29 v. 16. März 1832, 113ff.: Der getreue Wagner selbst hätte seinen Meister Faust nicht fleißiger kommentiren können . . . was er . . . über den Faust sagt, unterschreiben wir mit Ausnahme weniger Nebensachen herzlich gern . . . Ohne die Ironie der Hölle wäre Faust ein erbärmlicher Tropf und der Dichter nicht mehr als ein Kotzebue. Daher scheint es uns auch nicht gerathen, wie Herr Schubarth sich erlaubt, den Teufel als bloße Nebenperson mit einer gewissen Gleichgültigkeit und Toleranz anzusehn, und ihn in Bezug auf die Hauptperson Faust in gleiche Linie zu stellen mit Gott, Engeln und Geistern. Nein, nicht umsonst nimmt der Teufel den Vordergrund des Stücks ein . . . Goethe konnte nichts andres sagen und hat wirklich nichts andres gesagt, als die alte Wahrheit, daß, wenn der Mensch glaubt, mit dem Teufel sein Spiel treiben zu können, der Teufel sein Spiel mit ihm treibt. Die Frage ist ganz einfach. Glaubt Herr Schubarth, daß Mephistopheles der wirkliche Satan ist, oder glaubt er es nicht? Mich dünkt, Goethe habe gemeint, daß Mephistopheles der wirkliche Teufel seyn solle. Gibt es nun aber einen Teufel, so muß derselbe auch dem überlegensten Menschenverstand überlegen seyn, und so ist es Mephistopheles, und insofern erscheint auch keineswegs, wie Herr Schubarth meint, Faust erhaben über den Teufel . . . Einen anderen Punkt aber hat Schubarth noch weniger herausgehoben, nämlich Fausts Sentimentalität, die so überaus trefflich zum Teufel passt, daß wir keine genialere Kombination des großen Goethe kennen. 16. [Anonyme Rez.:] Geistlich Nachspiel zur Tragödie Faust. Von Dr. Karl Rosenkranz. Leipzig, Schaarschmidt und Volkmar 1831. In: Literatur-Blatt Nr. 29 v. 16. März 1832, 115: Die Anmaßung, ein solches Nachspiel zu schreiben, wird nur von der Trivialität übertroffen, mit der es geschrieben ist. [Mitte [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1634): Bei Deinem Vergleich der älteren griech. Vor– 22.] bilder,1) fällt mir ein Dir nichts von der Ouverture zum Faust [von Radziwill] gesagt zu haben. Der Komponist hat zu solcher Ouvertüre eine ernsthafte Klavierfuge von Mozart (eine sogenannte Studie) erwählt;2) ihr ein Kopfzeug aufgesetzt und am Ende eine lange Coda daran geschwänzt, da sie sich denn im Gespann von Posaunen und desgleichen fortbewegen und (nicht ohne Geißel) mitziehn muß wie ein unwilliges Pferd vor einer Kartaune. Solch ein Wesen ist die Einleitung in die erste Szene deren ironische Bedeutung − Kurz, man ist froh endlich den Faust zu haben.

1834 Mai

6. [Craigenputtock] Th. Carlyle an Eckermann (Norton 340): My Goethe on the other hand, with all that pertains to him, grows greater and ever truer the more I attain to clearness in myself. And yet he stands there, a completed subject, as one might say, to which there will be nothing further added, − like a granite promontory, high and serene, stretching far out into the waste chaos, but not through it. Through it the world

1 2

) Vgl. Brief vom 11. März 1832: an Zelter. ) Aus Adagio und Fuge in c-Moll für Streichorchester (KV 546).

1834

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seems to be seeking out for itself another path, or else to have given up all zeal after such. To me highly significant! With him and his work, it appears that my labours in the field of German Literature may with advantage be brought to an end, or at any rate, to a pause. And moreover, as to my own England, my mission, in so far as it can be called my mission, may be regarded as fulfilled; as witness merely this, that we have had within the last twelve months no fewer than three new translations of Faust, of which two appeared in Edinburgh on one and the same day.1)

Nov 11. [Weimar] Aufstellung Eckermanns zum vorläufigen Plan einer neuen Goethe−Ausgabe in etwa 6 Bänden2) (QuZ 3, 292f.): U n g e d r u c k t großtentheils Manuscript . . . D r a m a t i s c h e s Nachträge zu Faust. Dez 29. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 316): Die Paralipomena zu Faust [für die geplante Ausgabe] habe ich auf den Rath des Herrn Hofrath Riemer weggelassen, denn er hat recht, es würde die Menschen nur irre machen.

1835 Febr 28. [Stockholm] B. v. Beskow an L. Tieck (Briefe an Tieck 1, 46): . . . habe ich wohl manchmal auch von den Bessern der U n s r i g e n hören müssen: „die d e u t s c h e Art u. Kunst sei allerdings reich, tief u. vielseitig, dafür scheine sie aber auch immer nur ein u n e n d l i c h e s B r u c h s t ü c k bleiben zu wollen.“ Dies liesse sich wohl auch in einem gewissen Sinne behaupten; erinnert mich aber an ein sinniges Wort der sel. [Rahel] Varnhagen, als jemand in ihrer kleinen Gesellschaft sagte, „es ist doch Schade, daß der F a u s t nur ein B r u c h s t ü c k wäre.“ − S c h a d e ?! rief sie aus. Als wäre d a s nicht gerade das größte Verdienst dieses unendlichen Gedichts! Gerade dadurch ist es ja eine so treue Darstellung der ganzen Menschheit; denn was ist s i e , das Leben u. die Welt f ü r u n s anders, als ein ewig anziehendes, ewig unvollendetes Bruchstück? Göthe d a r f das Gedicht nicht fortsetzen, oder gar vollenden, wenn sein Gemählde nach dem U r b i l d e gleich bleiben soll; denn all unser Denken, Träumen u. Ahnen; alle unsre geistige u. sinnliche Liebe, alles was wir von Gott, oder dem Teufel uns einbilden; − Genuß, Sehnsucht, Verzweiflung, Tugend und Verbrechen − a l l e s enthält schon dieses überreiche Bruchstück eines u n e n d l i c h e n K u n s t w e r k s .“

1836 Jan

1. [Weimar] Chr. Th. Musculus an F. v. Müller (QuZ 3, 358f.): [Beilage:] Zu der neuen Ausgabe von Goethes poetischen und prosaischen Werken in zwei Bänden [Ausgabe Q] kommen als b i s h e r u n g e d r u c k t : . . . Dramatisches: . . . Paralipomena zu Faust.

Mai 30. [Weimar] Riemer an F. v. Müller3) (QuZ 3, 386ff.) : Unser Publicum, das zum größern Theil aus Frauen und Mädchen, Jünglingen und Knaben besteht, und unsre Zeit die

1

) Faust. A Dramatic Poem. Transl. into English prose, with remarks on former translations, and notes, by Abraham Hayward. London 1833, 2nd ed. 1834. − Faust, A Tragedy. Transl. by David Syme. Edinburgh und Leipzig 1834. − Faust. A Tragedy. Transl. into English verse, with notes, and Preliminary remarks, by John Stuart Blackie. Edinburgh u. London 1834; vgl. Henning II 1, Nr. 888, 891 u. 892. 2 ) Dieser Plan wurde nicht realisiert. An dessen Stelle trat die Ausgabe Q. 3 ) Am linken oberen Rand von Müllers Hand die Bemerkung: NB. Ich hatte mich gegen den Abdruck einiger zu anstößiger Stellen in den Paralipomenis zu Faust erklärt.

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den Heiligen die Zehen abfrißt, kann freylich durch solche Aristophanismen1), wie sie die Blocksbergsscene darbietet, nicht erbaut sondern nur geärgert werden. Ich bin daher ursprünglich und sponte [spontan] nicht für die Veröffentlichung dieser Scene gewesen. In collegialischem Betrieb einer Sache, wird man oft gegen seinen Willen, wenn nicht zur eigentlichen Stimmung, doch zur Connivenz [Nachgiebigkeit] verleitet, und da man doch das Beyspiel von Andersdenkenden vor Augen hat, so meynt man es könne, ja müsse deren Mehrere geben die das auch gut heißen, oder vertragen mögen, was uns apprehensiv [Besorgnis erregend] schien. So habe ich denn, nach den Auslassungen, welche Dr. Eckermann vorgenommen, die Sache hingehen lassen, nicht ohne die Erwartung die Censur am Druckort würde vielleicht noch einiges tuschen [schwärzen]. Nun aber da Sie Selbst Bedenken tragen, so füge ich mich um so eher Ihrer Meynung, jedoch nicht in ihrer ganzen Ausdehnung. Ein so bedeutendes, von dem Volksmährchen selbst aufgenommenes und noch weiter ausgesponnenes Motiv, wie die Erscheinung des Satans auf dem Blocksberg, sammt dem Hexenunfug − den sogar unsere keuschesten Künstler mit unaussprechlichen (inexpressibles!) Nuditäten ausschmückten − darf schon in Künstlerischer Hinsicht − gleichsam als Contrapunct und Gegenstück zu der Erscheinung [Gottes] im [Prolog im] Himmel, nicht unbenutzt bleiben und muß wenigstens angedeutet werden; freylich, da das Ohr keuscher ist als das Auge, nicht mit den Nuditäten und Cruditäten, die sich vom bildenden Künstler eher verstecken und in den Hintergrund bringen lassen; aber das Scenario, die Angabe der Personen und Figuren, mit abgerissenen Worten müßte allerdings beybehalten werden, damit ein Kunstverständiger, Dichter oder Bildner, sehe der Poet habe ein Wesentliches seiner Fabel nicht übersehen, sondern diese Partieen nur angedeutet und nicht detaillirt. Man muß das H a r z g e b i r g e sehen. Die ganze Scenerie unter der Ueberschrift H ö h e r e R e g i o n [Zusatz des Herausgebers] muß bleiben. Man muß auf dem Gipfel des Brockens den Satan auf seinem Thron. Großes Volk umher. Faust und Mephistopheles im nächsten Kreise sehen. Man muß des Satans erste Worte wenigstens vernehmen. Diese Parodie von B ö c k e n z u r R e c h t e n , Z i e g e n z u r L i n k e n ist zu characteristisch für den Teufel, dem man f ü r d e n Te u f e l ! Doch erlauben wird ein A t h e i s t seyn zu dürfen! Nach den Kirchenvätern ist er ein Simia Die [Nachäffer Gottes], macht dem lieben Gott alles nach (wie er denn auch den Merlin erzeugt hat, auch mit einer J u n g f r a u , um Christi Erscheinung und Wirken einen Gegner und Widersacher zu stellen) − kurz er parodiert den Herrn und hält daher auch A u d i e n z . Davon hernach! − Es muß daher auch der C h o r bleiben, der übrigens nichts Anstößiges hat, sobald man des Satans Worte nicht gehört hat, auf die er sich bezieht. Die S t i m m e ist ebenfalls nöthig, um auch die Zuhörer gewahr zu werden, und deren Interesse in die diabolischen Geheimnisse eingeweiht zu werden. M e p h i s t o p h e l e s Worte zu dem jungen Mädchen sind gleichalls nothwendig, wie ihre Antwort − soweit nämlich als ich’s angestrichen habe. Endlich S a t a n s letzte Worte seiner Thronrede, so weit als ich angedeutet, sind nothwendig zum Schluß dieser jetzt nebulistisch gehaltenen Scene, von der man durch Hexen-Dampf und Lärm nur einzelne Brocken vernehmen kann, und hinreichend um diesen jungen Confirmanden und Neophyten der Hexenschaft als gehörig endoctrinirt [indoktriniert] sich vorzustellen. Denn wenn es einen Satan giebt, und Hexen über die er sein Imperium ausübt, wenn das Local von Faust und Mephistopheles besucht wird; so muß man doch von der Te u f e l s k a n z e l etwas zu sehen und von dem P r e d i g e r darauf etwas zu hören bekommen können; und wenn es auch nur von weitem und so wenig als möglich ist. Soweit. Die Privataudienz ist gleichfalls nicht ganz aufzugeben. Die unendlich feine Ironie die darin liegt, daß der Simia Die sich den H− küssen läßt, wie der Stellvertreter Christi den Pantoffel, ist zu bedeutend und wenn man einmal über den H u n d kommt, kommt man auch über den S c h w a n z ! Nach dieser Ansicht des Ganzen habe ich die wegzulassenden Stellen mit 1

) Anstößiges in der Art des Komödiendichters Aristophanes.

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Bleystift durchgestrichen oder umklammert. So läßt es sich nicht nur ertragen, sondern auch nothdürftig verstehen, und mehr braucht man auch nicht. Versteht man doch − oder viele wenigstens − das in extenso ausgesprochene an andern Stellen nicht; und muß´doch nicht jedem alles klar seyn. Aber sapienti sat! Wenn Sie und die Mitredacteure mit dieser Anordnung einverstanden sind, − ich muß bitten es Dr. Eckermann zu commun[i]ciren, wie denn auch Musculus es abzuändern hat, beyde aber verlangen können, daß nicht hinter ihrem Rücken Abänderungen vorgenommen werden, von denen sie nichts wissen und die sie gleichwohl zu vertreten haben − so wird es ja wohl mit dem Mscpt des Fausts, das ich alleweile noch durch zu corrigiren haben, abgehen können. Andre Paralipomena vom Faust sind mir nicht bekannt. Denn die Scene im IV Bande S. 220−224.1) paßt gar nicht in unsern Faust, und ist blos zum Behuf der Aufführung des Faust bey Fürst Radzivil, als ein t e c h n i s c h e r Behelf von G. erfunden worden; aber meines Erachtens nicht glücklich, wie denn das Nachbessern und Einschieben dem seligen Herrn nicht immer gelingen wollte.

Juni

1. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 388): Ich stimme von Herzen Ihren Vorschlägen bey und habe Riemers treffliche Auseinandersetzung mit hohem Interesse gelesen. Ich war bey der Redaction der fraglichen Scene [Walpurgisnacht] aus dem Grunde etwas läßlich zu Werke gegangen, erstens weil sie an Genialität so groß ist, daß sie als etwas Unübertroffenes dastehen dürfte, zweytens weil ich mir sagte, daß der Te u f e l rede, und daß es unter diesen Umständen doch etwas teuflisch zugehen könne; und ferner weil im bereits gedruckten Faust schon derartige Kühnheiten vorkommen. Doch wie gesagt, ich füge mich herzlich gerne und will jetzt nach Riemers Andeutungen die Scene abermals redigiren und von Herrn M[usculus] ins Reine bringen lassen. Ich lasse also die Blätter umschreiben und sende Ihnen morgen das reine Manuscript. 2. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 388): Hier . . . erfolgen nun die Paralipomena gewünschtermaßen von allem Anstößigen gereinigt, so daß man nunmehr nichts Unanständiges errathen kann. Alle an sich guten und unverfänglichen Verse sind natürlich geblieben; denn es liegt uns ob, o h n e N o t h nichts zu zerstören. Herr Musculus ist damit bey Riemer gewesen, der denn seine entschiedene Zustimmung gegeben hat.2) 13. [Weimar] F. v. Müller an die J. G. Cottasche Buchhandlung (QuZ 3, 390): Dieselben erhalten hierbey: 1.) das InhaltsVerzeichniß der ganzen 2.ten Abtheilung des 1.ten Bandes der neuen Goetheschen Ausgabe, 2) den als Manuscript revidirten F a u s t , 2 Bdchen, 3) Paralipomena zum Faust.

1 2

) Sz. Zwei Teufelchen und Amor, W 14, 241−45; zur Entstehung s. S. 833 f. ) Das Nachfolgende s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“, S. 832.

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[Zu Faust] Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]1)

E D

1826 Dez 16. u. 17.; 1827 März 15./31. KA VI 1 (1827) 200−03. − W 41.2, 290−92; 15.2, 198−212 (P123C). − AA-SL 3, 421f.; 415−21 (P123C). − MA 18.2, 76f.; 68−76 (P123C). − FA I 22, 390−92; FA I 7, 636−44 (P123C).

Z

1826

Juni 10. Ich dictirte an Schuchardt einiges zu Kunst und Alterthum [Faust

P123A]2). 10. (Faust-P123A datiert: Weimar den 10en Juny 1826.) Dez 15. Antecedentien zu Faust an John [= Faust-P123B]3) dictirt. 1

) Ankündigung des Vorabdrucks von Helena klassisch−romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust in C1 4. − Noch in der Fassung der Ankündigung vom 16. u. 17. Dez 1826 [=Faust-P123C] hatte G die Antecedenzien der Helena, d. h. das der Helena vorausgehende Geschehen sehr ausführlich dargestellt, weil er sich keineswegs sicher war, ob er vom Faust II jemals mehr als den Helena-Akt würde vollenden können. In der veröffentlichten Fassung der Ankündigung verzichtete er auf die Inhaltsangaben zum späteren Akt II. Aus der Fassung vom 16. u. 17. Dez 1826 übernahm er nur die sechs einleitenden Abschnitte u. versah sie mit einem kurzen Schluß, der die neue Zuversicht bekundet, die Vollendung von Faust II werde gelingen. 2 ) Faust-P123A ist als 1. Fassung der Ankündigung anzusehen. Der Text enthält nach den Entwürfen in III H7 Bl. 6 u. H P140−146 die ältesten uns überlieferten Überlegungen zur Vorgeschichte der Helena, zum späteren Akt II u. einen ersten Ansatz zur Klassischen Walpurgisnacht, der im Zusammenhang mit der Lukan-Lektüre vom Apr 1826 zu sehen ist. − G beginnt mit der Mitteilung, dass dem alten, auf die ältere von Faust umgehende Fabel gegründeten Puppenspiel gemäß . . . im zweiten Theil meiner Tragödie gleichfalls die Verwegenheit Faust’s dargestellt werden [sollte], womit er die schönste Frau, von der uns die Überlieferung meldet, die schöne Helena aus Griechenland in die Arme begehrt, um dann klarzustellen, daß dieses nun nicht durch Blockbergs Genossen ebensowenig durch die häßliche, nordischen Hexen und Vampyren nahverwandt[e] Ennyo zu erreichen, sondern, wie in dem zweiten Theile alles auf einer höhern und edlern Stufe gefunden wird, in Bergklüfte[n] Thessaliens unmittelbar bey dämonischen Sibyllen . . . welche durch merkwürdige Verhandlungen es zuletzt dahin vermittelten, daß Persephone der Helena erlaubte, wieder in die Wirklichkeit zu treten, mit dem Beding, daß sie sich nirgends als auf dem eigentlichen Boden von Sparta des Lebens wieder erfreuen solle. Zusammen mit einer Kostprobe der ersten neun Verse verrät G von der Helena selbst nur, dass sie vor dem Pallaste des Menelaus in Sparta spielt. 3 ) P123B ist die erste Version der 2. ausführlichen Fassung der für die Veröffentlichung in KA vorgesehenen Ankündigung der Helena von Johns Hand; im Unterschied zu P123A vom 10. Juni 1826 (s. oben), wo G sich mit Andeutungen begnügt hatte, gibt er nun eine ausführliche Darstellung der Handlung vom Hervorrufen der Idole von Helena und Paris bey einem großen Feste an des deutschen Kaisers Hofe bis zur erfolgreichen Losbittung Helenas vor Proserpinas Thron für eine Rückkehr auf den Boden von Sparta. Die Klassische Walpurgisnacht wird dabei viel detailreicher geschildert als in den Schemata von Anf. Nov (P99A u. B). Die antiken Ungeheuer waren inzwischen vermehrt

1826

[ZU FAUST] HELENA. ZWISCHENSPIEL ZU FAUST [ANKÜNDIGUNG]

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Dez 15. (H Faust−P123B datiert: W. den 15. Decbr. 1826.) 16. Einleitung zur Helena an John [= Faust-P123C] dictirt. 17. Abschluß des Schema zu den Antecedenzien der Helena [= Faust-

P123C].1)

u. weitere wichige Motive hinzugekommen wie das Erdbeben u. die Auseinandersetzung darüber zw. den Naturphilosophen Thales u. Anaxagoras. − P123B gewährt auch erstmals Einblick in das Wesen des chemisch Menschlein, nachdem von ihm in P99A u. B nur stichwortartig die Rede war: endlich da Fausts Ungeduld [Helena zu besitzen] nicht mehr halten will, beredet er ihn noch im Vorbeygehen den Doctor und Professor Wagner zu besuchen, den sie in seinem Laboratorium finden, sehr gloriirend daß eben ein chemisch Menschlein zu Stande gekommen sey. Dieses zersprengt augenblicks den Glaskolben und tritt als bewegliches wohlgebildetes Zwerglein auf. Sein Entstehen wird mystisch angedeutet, von seinen Eigenschaften legt er Proben ab, besonders tritt hervor daß in ihm ein allgemeiner Weltkalender enthalten sey. − In der Beschreibung eines kleinwüchsigen, aber sonst voll ausgebildeten Menschen, der aufgrund künstlicher Zeugung mit übernatürlichen geistigen Fähigkeiten ausgestattet ist, liegt die erste HomunculusKonzeption vor. Sie geht zurück auf die alchemistische Vorstellung der generation der homunculi durch putrefaction männlichen Samens, wie sie in der Paracelsus zugeschriebenen Abhandlung De rerum natura (1572) exemplarisch entwickelt war. G erlangte Kenntnis vom Homunculus Paracelsi durch des J. Prätorius Anthropodemus Plutonicus, der im 3. Buch Von Chymischen Menschen ausführlich Paracelsus referiert, wie man ausserhalb dem Leibe der Mutter durch eine Chymische Kunst Menschen machet. Prätorius brandmarkt diese Meynung von der Geburt und Empfängnuß eines Männleins im Glase (S. 157) als lächerlich u. gottlos; zur Lektüre des Anthropodemus Plutonicus s. „Faust. Eine Tragödie“: Dez 1800/März 1801: H P29, S. 177. 1 ) H P123C ist die zweite erweiterte Version der 2. ausführlichen Fassung der für die Veröffentlichung in KA vorgesehenen Ankündigung der Helena, welche − ohne Änderung der Konzeption − die in P123B vorgenommenen Korrekturen einarbeitet, zahlreiche Motive detaillierter entwickelt u. einige wenige neu einführt, so die Ungeheuer um die Ameisen u. die Empuse, die Szene mit Chiron durch den Auftritt der Lamien, die hier noch Faust zu verführen suchen, die Erdbebenszene durch den herabfallenden Meteor u. den Abstieg in die Unterwelt samt Begegnung mit dem Gorgonenhaupt. Im Zusammenhang der neueingeführten Nereiden und Tritonen ist erstmals noch ganz unspezifisch die Rede von einem Feste (Zeile 217), das in den mannigfaltigen Meeren und Golfen, auch Inseln und Küsten der Nachbarschaft (Zeile 219f.) stattfinden soll. − Neu ist eine Einleitung, in der G zur Arbeit am Zweiten Teil des Faust, zur Beschäftigung mit dem Helena-Stoff u. zu den Motiven einer separaten Veröffentlichung der Helena kurz Auskunft gibt: Immer in der Hoffnung das Werck einem gewünschten Abschluß entgegen zu führen, habe er bisher die Arbeit am Zweiten Teil als Geheimniß sorgfältig verwahrt. Jetzt bei Herausgabe der sämtlichen Werke (Ausg. letzter Hand) fühle er sich verpflichtet, kein Geheimniß mehr vor der Publicum [zu] verbergen u. alles sein Bemühen auch fragmentarisch nach und nach vorzulegen. Deshalb entschließ ich mich zuerst oben benanntes, in den zweyten Theil des Faustes einzupassendes, in sich abgeschlossenes kleineres Drama bey der nächst ersten Sendung sogleich mitzutheilen. − Die P99A u. 99B sowie 123B u. 123C sind die grundlegenden Entwürfe für die Darstellung von Fausts Weg zu Helena. P123C läßt dabei besonders die Anlehnung an die Geschichte Asems und der Geisterkönigin aus 1001-Nacht erkennen; dazu Mommsen 2006, 249f.: Helena mußte für Faust schwieriger zu erringen sein als Gretchen. Der Dichter hatte davon auszugehen, daß es eine ,Verwegenheit Faust’s’ bedeutete, wenn er die ,schönste Frau, von der uns die Ueberlieferung meldet, die schöne Helena aus Griechen-

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[ZU FAUST] HELENA. ZWISCHENSPIEL ZU FAUST [ANKÜNDIGUNG]

1826

Dez 17. (H Faust-P123C datiert: W. d. 17. Decbr. 1826) 18. Ende der Einleitung zu Helena. 20. Schuchardt schrieb ab an Helena’s Antecedenzien . . . John schrieb an

Obigem weiter 21. Abschluß [der Abschrift] der Antecedenzien der Helena . . . Abends Doctor Eckermann, dem ich die Einleitung zur Helena zu lesen gab und mich mit ihm darüber besprach.1)

land in die Arme begehrt’ [P123A Zeile 9−13]. Es genügte nicht, wenn Mephistopheles durch ein paar Kniffe die Heroine herbeischaffte wie das Bürgermädchen. Schwierigkeiten mußten sich in den Weg stellen, die Faust selbst zu überwinden hatte. Helena gehörte dem Hades. Daß Faust zu einem ,zweyten Orpheus’ [P123C Zeile 374] wurde, dies Motiv bot sich von selbst an, reichte aber auch für Goethes theatralische Zwecke nicht aus. Mit dem Losbitten Helenas von Persephoneia war es allein nicht getan. 1001 Nacht bot die Lösung. In Asem fand Goethe einen Helden, der sich ein ähnliches Ziel gesteckt hat wie sein Faust. Asem begnügt sich nicht mit Menschenfrauen . . . die ,eine besonders’ muß es sein, die Tochter der Geisterkönigin, die praktisch ganz unerreichbar ist. Und nun tritt das Motiv auf, das für Goethe entscheidend fruchtbar wurde: der l a n g e We g über eine Raum- und Zeitbegriffe übersteigende Entfernung. Der ,lange Weg’, das beliebte Erzählschema der Scheherazade, hatte aber hier die besondere Prägung, wie sie Goethes dramatischen Bedürfnissen weiterhelfen konnte. Es war ein Weg ins ,Land der Geister’, und die Entfernung, Fremdheit, Gefährlichkeit einer solchen Reise war durch einen eigenen erzählerischen Kunstgriff dargestellt: der Held wandert von einer − erst warnenden, dann ratenden und fördernden − Geisterpersönlichkeit zur andern . . . Ein weiterer Zug der Asem-Geschichte kam Goethes Intentionen entgegen. Asems langer Weg ist nicht der eines kämpfenden Herkules. Der Held muß zwar durch Drachen und Ungetüme hindurchgehen, aber er kommt mit keinem ins Gefecht. Er bleibt passiv, geht von Geistern beschützt, schließlich unterm magischen Schirm der Tarnkappe, wo es am bedrohlichsten wird. Die Geschichte ist angelegt auf Mut- und Standhaftigkeitsproben. Das eben konnte Goethe brauchen. Auch Faust war nicht als Drachentöter zu denken . . . Und so geht Faust wie Asem, beherzt und behütet. Zwar schützt ihn in den Wirren der Klassischen Walpurgisnacht keine Tarnkappe, aber er geht doch in gleicher Weise wie Asem u n a n g e f o c h t e n durch das Geisterchaos . . . Ein drittes Hauptmoment, das Goethe verwertete, war die Passage durchs ,Land der Geister’, der Drachen, Schlangen, Untiere, am Ende von Asems Weg . . . Die ersten Entwürfe, nur ein Personal von ,Ungeheuern und Mißgestalten’ [P99B] vorsehend, zeigen wie Goethe bei der Konzeption der Klassischen Walpurgisnacht von den Gestalten bis ins Topographische hinein das Drachen- und Schlangenland der Asem-Geschichte vor sich sieht; zweifellos kam ihm die Ur-Anregung von hier: nachdem die Idee bei ihm Fuß gefaßt hatte, war alles Weitere eine Sache der Um- und Übersetzung ins Antike. Die Geisterszene des Orients wurde nun zur griechischen Geisternacht. Näheres dazu: Mommsen 2006, 232−52. − P123C projektiert Zeile 346ff. den gemeinsamen Abstieg von Manto u. Faust in den Hades u. schildert eingangs die unverhoffte Begegnung mit dem Gorgonenhaupt (Zeile 358). Manto schützt Faust vor dem Anblick, der ihn in Stein verwandeln würde, indem sie ihn mit dem Schleyer (Zeile 354) bedeckt. Das Motiv geht zurück auf Inferno IX 55−60, wo Vergil Dante vor dem Anblick der Medusa bewahrt; zur Funktion der Dante-Anspielung, bei der Manto die Rolle Vergils als Beschützer übernimmt, vgl. Mommsen 1968, 144f. − Zu P123C s. auch FA I 7.2, 1002−5. 1 ) s. unten 15. Jan 1827: Eckermann, Gespräche.

1826

[ZU FAUST] HELENA. ZWISCHENSPIEL ZU FAUST [ANKÜNDIGUNG]

483

Dez 22. [Nachmittags] Herr Professor Riemer. Mit demselben die Antecedenzi-

en zu Helena. 29. Er [W. v. Humboldt] las die [Marienbader] Elegie, auch Helena, und theilte verschiedene Bemerkungen mit. Ingleichen las er die Antecedenzien zu Helena, und war auch [wie Eckermann]1) der Meynung, daß sie gegenwärtig nicht gedruckt werden sollten.

1827 Jan

15. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Eckermann, Gespräche gD, S. 715.) 26. An Cotta (Br 42, 27): Das Manuscript der Helena geht in diesen Tagen

vollständig ab.2) Febr 9. Abends Professor Riemer. Einiges zu Kunst und Alterthum [VI 1] auch nachträglich zu Helena.3) [März (H2 auf Vs mit dem neuen Schluß des Aufsatzes W 41.2, 2925−16 im 1. Entwurf datiernach 15.] bar nach 15. März 1827)4) März 31. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: an F. J. Frommann u. Tgb gD) Apr 10. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD) 15. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: an F. J. Frommann gD) Mai

1. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD) 5. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD)

1

) s. unten 15. Jan 1827: Eckermann, Gespräche. ) Nachdem G die Helena in die Druckerei abgesendet hatte, wird G die Notwendigkeit einer Anzeige neu bedacht haben. 3 ) Noch nicht, wie Gräf II 2, 385 vermutet, Beschäftigung mit dem Schluß der Ankündigung (W 41.2, 2922−16), da H2 erst nach dem 15. März entstand; s. das nächste Z m. Anm. 4 ) H2 (in AA-SL 6, 734 = H7) ist ein flüchtig geschriebener Bleistiftentwurf G’s, der die Umgestaltung der von Schuchardt u. John am 20. u. 21. Dez 1826 abgeschriebenen Antecedenzien zu Helena [= Faust-P123C] für die Publikation in KA VI 1 vorbereitete. Der auf der Rs stehende Text, ein Paralip. zum Aufsatz Stoff und Gehalt zur Bearbeitung vorgeschlagen, der in KA VI 1 auf Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung] folgt, entstand vermutl. zw. 3. u. 15. März 1827. Der Entwurf des neuen Schlusses auf Vs ist wahrscheinlich kurz nach dem 15. März 1827 anzusetzen. 2

484

[Zu Faust] Helena klassisch−romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust.1)

E

1825 Febr Ende − 1827 März 18. Chronologische Übersicht 1767 (?) Helena, der ich nun auch schon sechzig Jahre nachschleiche.2) − Die Helena ist eine meiner ältesten Conceptionen, gleichzeitig mit Faust.3) 1800 Sept 12.: meine Helena ist wirklich aufgetreten.4) − Nov Ende: Helena im Mittelalter.5) 1

) Vorabdruck des späteren Akt III von Faust. Der Tragödie Zweiter Theil. − Im FaustPlan hatte Helena von Anfang an einen festen Platz. 2 ) 1827 Mai 25: an Nees v. Esenbeck (s. dort); damit weist G bis 1767 zurück. H o m e r s Ur-Bild der H e l e n a lernte G schon als Kind durch eine Prosaübers. kennen (DuW Buch 1; AA-DuW 1, 38f.) G’s frühste Dichtung, Der neue Paris, das ›Knabenmärchen‹, das er um 1763 in kindlicher Fassung seinen Gefährten erzählte, zeigt, dass schon damals Helenas Entführer G’s Phantasie beschäftigte. Zur lebenslänglichen Wirkung Homers s. „Ilias“ EGW 7, 493−516 u. Wolfgang Schadewaldt: Goethe und Homer. In: W. S.: Goethestudien. Natur und Altertum. Zürich 1963, 127−57; ebd. 165−205: Faust und Helena. 3 ) 22. Okt 1826: an Boissere´e (s. dort), ähnlich an W. v. Humboldt gD: H e l e n a . . . ist eine meiner ältesten Conceptionen, sie ruht auf der Puppenspiel-Überlieferung, daß Faust den Mephistopheles genöthigt, ihm die Helena zum Beylager heranzuschaffen. Aufführungen des Faust-Puppenspiels durch wandernde Marionetten-Theater, die G als Kind in Frankfurt u. als Student in Straßburg auf öffentlichen Bühnen sehen konnte, zeigten H e l e n a als F a u s t s Geliebte. Vgl. Doktor Johannes Faust. Puppenspiel in vier Aufzügen hergestellt von Karl Simrock (1846). Mit dem Text des Ulmer Puppenspiels. Hsg. v. Günther Mahal. Stuttgart 1991. − Zum Weg des Faust-Stoffs von der Historia von D. Johann Fausten (1587) über Marlowes Tragicall History of D. Faustus (um 1590) bis zum volkstümlichen Puppenspiel vgl. Gerd Eversberg: Doctor Johann Faust. Die dramatische Gestaltung der Faustsage von Marlowes Doktor Faustus bis zum Puppenspiel. Diss. Köln 1988. − Dass G erstaunlich viele Motive aus der Historia von D. Johann Fausten von 1587 übernommen und freilich jeweils einer Umprägung unterzogen hat, betont Anderegg 2011, 39 unter Hinweis auf noch über [Faust Frühe Fassung] hinaus gehende Beispiele. 4 ) 12. Sept 1800: an Schiller (s. dort); vorausgegangen waren Studien a n t i k e r M e t r i k zur Gestaltung der jambischen Trimeter des Helena-Zwischenspiels, s. 1797 Jan 14.: Tgb, Febr 13.: Humboldt an Brinckmann, 1800 Sept 26. u. 28.: an Schiller. − Ausgiebige Lektüre a n t i k e r Tr a g ö d i e n , zumal des E u r i p i d e s , u. a. der den homerischen Mythos variierenden Helena, s. 1798 März 26., 27. u. 28.: Tgb, 1799 Apr 2.−4., 6.: Tgb, Mai 26.: an Humboldt. Zur Landschaft Arkadien: V i r g i l − u. andere Lektüre, s. 29. März 1797: Tgb u. 6. Mai 1800: Tgb. 5 ) Auf der Ur-Helena von 1800 beruht die Partie von 8488−802 (mit späteren Ergänzungen). − H e l e n a i m M i t t e l a l t e r lautet G’s Aufschrift des Umschlags für das Folioheft III H1, dazu als Untertitel Satyr-Drama, Episode zu Faust (verändert aus Satyrisches Drama, Episode zu Faust). Der Untertitel zeigt: Goethe hat die Helena. . . . in einer gewissen Analogie zum griechischen Satyrspiel konzipiert. (Schillemeit 1987a, 307). Der Umschlag enthielt Entwürfe zu einzelnen Szenen: H9, H10, P84 vor allem das Mundum H1 mit ca. 250 Versen. Doch widerstrebte es dem ,klassischen‘ G, das

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

485

1816 [Dez 16.]: H P63, die für DuW Buch 18 vorgesehene Inhaltsangabe zu Faust II.1) 1824 Juli − 1825 Mai: Anregungen zur Fortsetzung durch 1001-Nacht-Lektüre.2) 1825 Febr 26.: An Faust einiges gedacht und geschrieben. Febr 28.: Einiges zu Faust März 14.(Helena vorgenommen) − Apr Anf.: Szenenarbeit;3); [Apr 5.]: P 166a HelenaSchema4); Frühj./Sommer: Studium der Geschichte, Topographie u. Kunst Griechenlands5). Schöne in der Lage seiner Heldin durch Verbindung mit der nordisch-barbarischen Faust-Welt in eine Fratze zu verwandeln (12. Sept 1800: an Schiller). So setzt G erst 1825 die Helena-Dichtung fort. In der Zwischenzeit orientiert er sich u. a. über HelenaDarstellungen in der b i l d e n d e n K u n s t : Polygnots Gemälde beschrieben von Pausanias zu Ehren Helenas; s. 1803 Sept 12., 13.: Tgb u. [Okt]: Polygnots Gemählde. − Zur Landschaft Arkadien am Ende der Sz. [3] u. a. mögl. Anschauungsmaterial: Radierungen von Claude Gillot, s. 25. Juni 1818: Tgb. 1 ) H P63 (Bohnenkamp 266−74): . . . Helena gehört dem Orkus und kann durch Zauberkünste wohl herausgelockt aber nicht festgehalten werden . . . Unendliche Sehnsucht Faust’s nach der einmal erkannten höchsten Schönheit . . . durch einen magischen Ring ist ihr die Körperlichkeit wieder gegeben. Sie glaubt so eben von Troja zu kommen und in Sparta einzutreffen. . . Faust tritt auf . . . da er zu schmeicheln weiß, so findet sie sich nach und nach in ihn . . . Ein Sohn entspringt aus dieser Verbindung, der, sobald er auf die Welt kommt, tanzt, singt und mit Fechterstreichen die Luft theilt . . . Er überschreitet die Linie [magische Zaubergrenze] . . . kriegt Händel, verwundet viele wird aber zuletzt durch ein geweihtes Schwerdt erschlagen . . . Die Mutter ist untröstlich und indem Helena in Verzweiflung die Hände ringt, streift sie den Ring ab und fällt Faust in die Arme der aber nur ihr leeres Kleid umfaßt . . . Den Kontext s. in Z zu „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“ gD, S. 616–18. 2 ) Erst nach dem entscheidenden Anstoß durch 1001 Nacht-Lektüre verwandelte G die Helena im Mittelalter in die Klassisch-romantische Phantasmagorie; auch Grumach GJb 1958, 70 zufolge, vollzog sich diese Wandlung erst im Laufe des Jahres 1825. − Nach einem Vierteljahrhundert vergeblichen Suchens, wie die unmögliche Verbindung zwischen Faust u. Helena bühnenwirksam darzustellen sei, ging es G plötzlich durch 1001 Nacht auf, daß es zur Realisierung eines scheinbar fessellosen Zauberspiels bedurfte, in dem magisches Fabulieren zugleich die Handlung in Gang setzt: die Begegnung Fausts mit Helena, Werbung, Hochzeit, Geburt des Euphorion spielen sämtlich in einer Atmosphäre des ,Wunderlichen, Wunderbaren, Märchenhaften‘. All das gestaltete G in ungewöhnlicher Schnelle unter vielfacher Verwendung von Motiven aus den oriental. Märchen, so daß er im Frühj. 1826 Akt III vollenden konnte. − Bd 15 der Breslauer 1001 Nacht-Ausg., den G im Mai 1825 las, enthielt die Muster zu Fausts erfolgreicher Werbung um die Gunst Helenas, s. unten 10. Mai 1825: an J. Max; Bd 9 den G im Dez 1824 kennenlernte, veranlaßte ihn, durch das Muster der Geschichte des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu zu 9592−618 in Sz. [3] Arkadien, wo Phorkias-Meph. `a la Scheherazade den Ort von Fausts Hochzeit mit Helena als unterirdischen Märchenpalast auszumalen. vgl. Mommsen 2006 mit vielen weiteren Beispielen. 3 ) Vom 14. bis 24. März 1825 liefen die Arbeiten an der Helena parallel zu Akt V; danach bis Anfang Apr 1825 ging es ausschließlich um Helena (P162−P164, P164a, P166a u. vielleicht P167). G förderte sie über Sz. [1] Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta hinaus bis kurz vor Fausts Auftritt in Sz. [2] Innerer Burghof (9164). − In die Arbeitsphase Mitte März bis Anf. Apr 1825 gehören auch Entwürfe, die über 9164 hinausreichen: s. unten [Ende März/Anf. Apr 1825]: III H49. 4 ) P166a skizziert die Fortsetzung bis zum Verschwinden der Helena. 5 ) Zu den antiken Schauplätzen, spez. Sparta u. Mistra, geschildert von Pausanias, Barthe´lemy, Guillet de Saint-George, Dodwell, Cluverus, Coronelli, Gell, Williams u. a.

486

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL 1826 März− Juni 24.: vor allem Sz. [2] Innerer Burghof, Sz. [3] Arkadien u. Völliger Abschluß.1) Aug 13. − Sept 2.: Druckvorlage Dez 16./17. Ankündigung [= Faust-Paralip. 123C] 1827 Jan 26.: Manuskript an Cotta. März 18.: Letzte Textrevision zum Druck2) entstehung der einzelnen Szenen Szene [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta (8488 − 9126) 8488−9047 (P162, Schema-Entwurf) 8489−515 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8515−17 (H60, Entwurf) 8524−59 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8559 (H60, Entwurf) 8569−86 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8587−90 (H 1, R e i n s c h r i f t ) Apr Anf.] 8604−09 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8610−37 (H8, Entwurf) 8610−37 (H7, Entwurf) 8610−37 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8736−53 (H9, Entwurf)3) 8779−802 (H10, Entwurf)4) 8638−802 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8810f. (H12, Entwurf) 8826−45 (H13/14, Entwurf)5) 8843−81 (P163, Entwurf) 8845−82 (H17, R e i n s c h r i f t ) 8860−69 (H19, Entwurf) 8879f. (H13/14, Entwurf)6) 8882−8902 (H7, Entwurf) 8887 (H17, R e i n s c h r i f t ) 8891−94 (H6, Bl 2; Schema-Entwurf) 8891 (H17, R e i n s c h r i f t )

1825 1800 1826 1800 1826 1800 1825 1825 1825 1826 1825 1800 1800 1800 1825 1825 1825 1825 1824 1825 1826 1825 1825 1825

[März] [Herbst] [Juni 13.] [Herbst] [Juni 13.] [Herbst] [März Mitte/ [März Mitte/Apr Anf.] [März] [Mai] [März Mitte/Apr Anf.] [Herbst] [Herbst?] [Herbst] [März] [vor 20. Apr] [Frühj.] [Frühj.] [nach 1. Okt] [vor 20. Apr] [Mai] [Frühj.] [um 29. März] [Frühj.]

zahlr. Bibliotheksentleihungen von 1800 bis 1827. − Zum mittelalterl. Ritterwesen Anregungen durch Raumers Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit (1825), s. 15. Aug 1824: Raumer an G u. 10. Mai 1825: Tgb. 1 ) Mitte März bis 24. Juni dichtete G fast täglich im Anschluß an das Schema P166a den Hauptteil der Sz. [2] Innerer Burghof u. Sz. [3] Arkadien (9165−10038) u. schloß auch die in den alten Partien verbliebenen Lücken (8488, 8516−23, 8560−67, 8591−603, 9032−36, 9039−41, 9072f., 9165−81) u. überarbeitete in häufigen Zusammenkünften mit Riemer die Versification des Ganzen, vor allem der Chöre. − Bei Wiederaufnahme u. Vollendung der Helena im Frühj. 1826 ging es zugleich um Überlegungen u. Vorarbeiten zur Vorgeschichte der Helena, dem späteren Akt II. 2 ) Letzte Revisionsarbeiten 21. Jan, die Versfassung (9939−43) 18. März ab nach Augsburg. 3 ) Bohnenkamp 553: Vorstufen zu . . . H1. 4 ) Vorstufe für H1. 5 ) Bohnenkamp 584: Vorlage für die Abschrift in III H1. 6 ) Bohnenkamp 584: Vorlage für die Abschrift in III H1.

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL 8895−901 (H17, R e i n s c h r i f t ) 8903 (H17, R e i n s c h r i f t ) 8903−8 (H6, Bl 2; Schema-Entwurf) 8930−35 (H34, Entwurf) 8936−9126 (H P164a, Schema) 8937−46 (P165, Schema- R e i n s c h r i f t ) 8936 (H27, Entwurf) 8939−44 (H27, Entwurf) 8954−56 (H34, Entwurf) 8957−59 (P165, Schema- R e i n s c h r i f t ) 8957−65 (H30, Entwurf)1) 8966−70 (H34, Entwurf) 8974−9062 (P164, Schema-Entwurf) 8971−85ff. (H30, Entwurf)2) 8994−96 (H30, Entwurf)3) 9001−67 (P165, Schema- R e i n s c h r i f t ) 9000−10 (H31, Entwurf) 9003f. (H30, Entwurf)4) 9008f. (H30, Entwurf)5) 9011−22 (H30, Entwurf)6) 9013−44 (H31, Entwurf)7) 9026 (H30, Entwurf)8) 9028f. (H30, Entwurf)9) 9031−41 (H59, Entwurf) 9031−41 (H33a, Entwurf) 9043−47 (H30, Entwurf)10) 9046−62 (H34, Entwurf) 9061ff. (P172, Entwurf) 9074−76 (P165, Schema- R e i n s c h r i f t ) 9074−84 (H36, Entwurf) 9122−26 (H38, Entwurf) 8807−9126 (H1, R e i n s c h r i f t ) 8489−9126 (H2, R e i n s c h r i f t )

1825 1825 1825 1825 1925 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1826 1826 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825

[Frühj.] [Frühj.] [um 29. März] [Frühj.] [30. März/2. Apr] [Frühj.] [März Ende/Apr Anf.] [März Ende/Apr Anf.] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [um 29. März] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [nach 9. März] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [nach 9. März] [Frühj.] [Frühj.] [ca. 3. Mai] [um 3. Mai] [Frühj.] [Frühj.] [März] [Frühj.] [Frühj.] [nach 28. Febr] [März Mitte/Apr Anf.] [März Mitte/Apr Anf.]

Szene [2] Innerer Burghof (9127 − 9573) 9127−31 9135−81 9141−51 9152−64

1

(H39, Entwurf) (H P164a, Schema)11) (H38, Entwurf) (ohne 9161, H42, Entwurf)12)

1824 1925 1825 1825

[nach 5. Dez] [30. März/2. Apr] [nach 28. Febr] [um 29. März]

) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 3 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 4 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 5 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 6 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 7 ) Nach FA 7.1, 1027f. insb. 9013−16; 9021f.; 9025f.; 9028−31; 9043−44. 8 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 9 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 10 ) Bohnenkamp 592: Vorarbeiten für die Fortführung des Mundums III H1. 11 ) MA 18.1, 962 bezieht sich auch auf 9192ff. u. 9356−410. 12 ) Bohnenkamp 604: Vorarbeiten zu . . . Mundum III H1. 2

487

488

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL 9127−64 (H1, R e i n s c h r i f t ) 9127−64 (H2, R e i n s c h r i f t ) 9165−81 (ohne 9173, H43, Entwurf) 9182−91 (H44, Entwurf) 9182−91 (Hi, Entwurf) 9207f. (H42, Entwurf) 9247f. (P172, Entwurf) 9273−332 (H46, Entwurf) 9273−332 (H2 Bl. 24, R e i n s c h r i f t ) 9356−9573 (P166, Schema-Entwurf) 9385−9510 (H7, Entwurf) 9385−9400 (ohne 9395 u. 9398, H49, Entwurf) 9442−45 (Hq, Entwurf) 9448 (Hq, Entwurf) 9452f. (Hq, Entwurf) 9462−65 (Hq, Entwurf) 9454−61 (Hn, Entwurf) 9454−69 (H51, Entwurf) 9466−72 (Hn, Entwurf) 9474−81 (H53, Entwurf) 9476 (Hn, Entwurf) 9482−85, 9488f., 9491f., 9496f., 9500−05 (H55, Entwurf) 9506 (H57, Entwurf) 9506−9525 (H58, Entwurf) 9512f. (H57, Entwurf) 9526−41 (H59, Entwurf) 9526−49 (P169, Notizen) 9529−44 (ohne 9532, 9535, 9539, 9541, 9543, H57, Entwurf) 9544 (H59, Entwurf) 9550−65 (Hf, Entwurf) 9557 (H57, Entwurf) 9560 (H57, Entwurf) 9564f. (H57, Entwurf) 9566−69 (H59, Entwurf) 9570−73 (Hf, Entwurf)

1825 1825 1826 1825 1825 1825 1825 1826 1826 1826 1826 1825 1826 1826 1826 1826 1826 1826 1826 1826 1826

[März Mitte/Apr Anf.] [März Mitte/Apr Anf.] [März Ende/ Apr Anf.] [vor 20. Apr] Apr 20. [um 29. März] [März] März 31. März 31. [März Ende/ Apr Anf.] [Mai] [März Ende/Apr Anf.] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [um 14. Apr] [Frühj.] [Apr Mitte] [Frühj.]

1826 1826 1826 1826 1826 1825

[Frühj.] [Frühj.] [Frühj.?] [Frühj.] [ca. 3. Mai] [Juni 14./Aug 9.]?

1826 1826 1826 1826 1826 1826 1826 1826

[Frühj.] [ca. 3. Mai] [März] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [ca. 3. Mai] [März]

Szene [3] Arkadien (9574 − 10038) 9574−10038 (P166, Schema-Entwurf) 9574−80 (H59, Entwurf) 9574−82 (ohne 9583, H60, Entwurf) 9574−9603 (H61, R e i n s c h r i f t ) 9598f. (H60, Entwurf) 9603−05 (H60, Entwurf) 9623−28 (H60, Entwurf) 9629−44 (ohne 9643, H49, Entwurf) 9645−78 (H27, Entwurf) 9711−84 (P148, Entwurf) 9735f. (H54, Entwurf) 9863−80 (H70, Entwurf) 9884−93 (H70, Entwurf) 9907−38 (H70, Entwurf)

1826 1826 1826 1826 1826 1826 1826 1825 1825 1826 1826 1826 1826 1826

[März Ende/ Apr Anf.] [ca. 3. Mai] [vor 9. Juni] [vor 9. Juni] [vor 9. Juni] [vor 9. Juni] [vor 9. Juni] [März Ende/Apr Anf.] [März Ende/Apr Anf.] [Apr?] [um 22. Apr] [um 5. Juni] [um 5. Juni] [um 5. Juni]

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL 9939f. (H73, Entwurf) 9939f. (H74, Entwurf) 9939−43 (H75, R e i n s c h r i f t ) 9958−61 (H78, Entwurf) 9992−96 (H57, Entwurf) 10000−7 (ohne 10006, H57, Entwurf) 10009f. (H59, Entwurf)

D

[vor 6. Febr] [ca. 16. Febr] [vor 18. März] [Okt nach 26.] [Frühj.] [Frühj.] [ca. 3. Mai]

C1 4 (1827) 229−307.1) − C1 41 (1832) 179−250. − Loeper 1870 II 125−74. − W 15.1, 177−244. − MA 18.1 233−83. − FA I 7.1, 335−89.

Z ⎯

1827 1827 1827 1825 1826 1826 1826

489

1760 − 65 [?] ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 12) (AA-DuW 1, 38f.): . . . eine zweyte

Tante, welche mit dem bey der St. Catharinen-Kirche angestellten Pfarrer S t a r k verheiratet war. Er . . . besaß eine schöne Bibliothek. Hier lernte ich zuerst den Homer kennen, und zwar in einer prosaischen Übersetzung, wie sie im siebenten Theil der durch Herrn von L o e n besorgten neuen Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten, unter dem Titel: Homers Beschreibung der Eroberung des trojanischen Reichs, zu finden ist.3) ⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 24) (AA-DuW 1, 47−58): Wohlwollende konnte ich sehr glücklich machen, wenn ich ihnen Mährchen erzählte, und besonders liebten sie, wenn ich in eigner Person sprach . . . Ich füge daher ein solches Märhrchen bey, welches mir, da ich es meinen 1

) Vorabdruck von Akt III in der Taschenausgabe. ) Verfaßt 1811. 3 ) Demnach gehen G’s erste Vorstellungen von Helena zurück auf seines Großonkels Joh. Michael v. Loens Neue Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten mit Homers Ilias, oder Beschreibung der Eroberung des trojanischen Reiches, den deutschen Lesern mitgetheilet, von einer Gesellschaft gelehrter Leute (Frankfurt 1754); sie beruhten auf einer frz. Bearb. d. grch. Originals in Form modischer Reise- und Abenteuerberichte von Anne Dacier. E. Maass 1912, 295f. verweist u. a. auf Bd 6 (T. II, 222 u. 244): Nachdem Theseus viele treffliche Heldentaten verrichtet und die Nachricht von der Schönheit der jungen Helena, einer Tochter des Tyndareus, und Schwester des Kastors und Pollux, erhalten hatte: so entschloß er sich dieselbe zu entführen, unerachtet sie damals erst zehn, oder gar, wie andere sagen, erst sieben Jahre (Diodor III Duris Schol. Lyc. 103), er aber allbereits funfzig Jahre alt war . . . Theseus entführte sie, da sie sieben oder wie andere wollen, zehn Jahre alt gewesen. Kastor und Pollux aber, ihre Brüder, holten sie wieder. (Auswirkung auf Akt II KWN 〈7426ff.〉: F a u s t . Erst zehen Jahr! . . . C h i r o n . Ich seh die Philologen Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.) E. Maas 1912 zitiert zahlreiche Partien, um dämonische Auswirkungen Helenas als des sinnlich Schönsten auch auf andere Werke G’s zu demonstrieren (47f.): Die griechische ParisHelena-Sage blieb der große Magnet für Goethe von der Frühzeit bis in die letzten Tage seines reichen Lebens. 4 ) Verfaßt 1811; am 3. Juli notiert G im Tgb: Der neue Paris, Knabenmährchen, diktiert, am 4. Juli: Revision des Mährchens; vgl. EGW 2, 349. 2

490

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1760 − 65 (?)

Gespielen oft wiederholen mußte, noch ganz wohl vor der Einbildungskraft und im Gedächtniß schwebt. D e r n e u e P a r i s , Knabenmährchen.1)

1770 − 1771 ⎯

⎯ Dichtung und Wahrheit Buch 102) (AA-DuW 1, 344):3). . . Die bedeu-

tende Puppenspielfabel4) . . . klang und summte gar vieltönig in mir wieder . . . ohne jedoch etwas davon aufzuschreiben.

1797 Jan

14. Früh Herrmann de Metris.5) 1

) Beutler (GA 10, 905f.) bewies die Authentizität des ›Knabenmährchens‹, dessen kindliche Fassung er auf 1763 datiert. In diesem 1. Musterstück der in Kinderzeiten erfundenen Geschichten identifiziert sich G bemerkenswerterweise mit dem durch Homer berühmten Verführer Helenas u. Veranlasser des Kriegs um Troja. Allerdings wählte G eine frühere Phase aus Paris’ Leben u. gestaltete das Brautwerbungs-Motiv in Verbindung mit dem Apfel-Motiv selbstschöpferisch um. Dazu E. Maass 1912, 3−10: eine wirklich echte erste Dichtung des Knaben . . . Es war ein Trojaspiel, in welchem Wolfgang Achill und die Griechen, Alerte Penthesilea und ihre Amazonen vorführte. 2 ) Verfaßt 1812 Aug u. Sept. 3 ) Das Vorausgehende u. Folgende s. in „Faust. Frühe Fassung“, S. 42 und 43 mit Anm. 4 ) Daß Helena eine seiner ältesten Conceptionen sei, die auf der Puppenspiel-Überlieferung beruhe, teilte G am 22. Okt 1826 W. v. Humboldt mit; s. auch 24. Mai 1817: an Nees v. Esenbeck. − In der Historia Von D. Johann Fausten (1587) vgl. das Kapitel Von der Helena auß Griechenland so dem Fausto Beywohnung gethan in seinem letzten Jahre. Dort wird berichtet, daß Faust einen Sohn mit ihr zeugte: Als er aber hernach vmb sein Leben kame verschwanden zugleich mit jm Mutter vnd Kindt. (Historia 1587, 110). − In der Ankündigung zu Helena. Zwischenspiel zu Faust schreibt G: Die alte Legende sagt nämlich, und das Puppenspiel verfehlt nicht, die Scene vorzuführen, daß Faust in seinem herrischen Übermuth durch Mephistopheles den Besitz der schönen Helena von Griechenland verlangt und dieser ihm nach einigem Widerstreben willfahrt habe. Ein solches bedeutendes Motiv in unserer Ausführung nicht zu versäumen, war uns Pflicht . . . (W 41.2, 291f.). 5 ) Godofredi Hermanni De metris poetarum Graecorum et Romanorum libri III. Lipsiae 1796; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 676). − G’s Studium der antiken Metrik stand im Zusammenhang seiner metrischen Nachbildungen des Hexameters in den Epen Reineke Fuchs u. Hermann und Dorothea. Mit genialer Sorglosigkeit hatte er die Prosavorlage des Reineke Fuchs in Hexameter umgeformt, die Schiller um des homerischen Tones willen rühmte, der ohne Affektion darin enthalten ist (12. Juni 1794: Schiller an Körner; SNA 27, 11), während J. H. Voß darüber sehr harte Urteile fällte. Die ohne viel Regelzwang geschaffenen Hexameter von Hermann und Dorothea unterwarf G im Frühj. 1797 mit Hilfe von W. v. Humboldt, Böttiger u. a. einem prosodischen Reinigungsprozeß. G’s gründlichere Beschäftigung mit antiker Metrik kam den jambischen Trimetern der Helena im Sept 1800 entscheidend zugute, über die er sich in Herrmanns Metrik Buch II, Kap. 13−18 orientierte; s. 1800 Sept 26. u. 28. (von u. an Schiller).

1797

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

491

Febr 13. (s. „Hermann und Dorothea“: W. v. Humboldt an C. G. v. Brinckmann gD, EGW 7, 228) März 29. Voßens Übersetzung der Ecloge1). Juni 22. (s. „Faust. Eine Tragödie“: an Schiller gD, S. 149 f.) 23. Ausführlicheres Schema zum Faust2). [Juni 23./ (H P82 u. P83)3) 1798 Mai 5.] [Sept] (H P83 Var)4)

1798 Febr 14. An Schiller (Br 13, 65f.): Ich bin mit Ihnen völlig überzeugt daß in

einer R e i s e , besonders von der Art die sie bezeichnen [Reisebeschreibungen von J. Cook u. F. Levaillant], schöne epische Motive liegen, allein ich würde nie wagen einen solchen Gegenstand zu behandeln, weil mir das unmittelbare Anschauen fehlt und mir in dieser Gattung die sinnliche Identification mit dem Gegenstande, welche durch Be1

) Gemeint vermutl. Virgils 4. Ekloge, übers. u. erklärt von Joh Heinr. Voss. Probe einer neuen Ausg. Altona 1795; in der Jenaer Bibliothek. − Möglich auch: Publii Virgilii Maronis Bucolicon Eclogae Decem. Des Publius Virgilius Maro Zehn erlesene Idyllen metrisch übers. u. erklärt. Altona 1797 (= Bde 1 u. 2 der Ausg.: Des Publius Virgilius Maro Ländliche Gedichte. Übers. u. erl. von Joh. Heinr. Voss. 4 Bde. Altona 1797) − In Bd 1, S. 157−163 Ecloga quarta mit Übers. u. ausführl. Kommentar wie im Einzeldruck von 1795. − Durch Anspielungen auf Ecloga III im Satyros u. im Brief an Auguste Gräfin Stolberg vom 14.−19. Sept 1775 schon früh bezeugte Kenntnis der Eclogae des Virgil, einschließlich der berühmtesten aus den Bucolı´ca: Ecloga IV, die die Geburt eines Knaben prophezeit, der zur Göttergemeinschaft emporwachsen u. mit dem die gens aurea (v. 9) sich erheben wird. Die Verse 18−31 u. 37−45 schildern das Goldene Zeitalter in den seit Hesiod herkömmlichen Bildern. Am Ende wünscht der Dichter, die Taten des erwarteten Knaben noch besingen zu können. Er werde es mit Orpheus und Linus aufnehmen, u. sogar Pan, der göttliche Stifter des Hirtengesangs, werde im Wettstreit unterliegen. Arkadien als die Heimat des Pan werde ihm den Sieg zusprechen. Spezifisches zu Sz. [3] Arkadien s. unten S. 509 Anm. 2. 2 ) Zum − nicht überlieferten − Schema s. „Faust. Eine Tragödie“ gD, S. 150. 3 ) P82 u. P83 (Bohnenkamp 201) egh mit Tinte, P82: 4 Verse ohne Personenangabe, durch die Signatur ad 22 wohl auf den Helena-Komplex zu beziehen. P83: Jeder Trost ist niederträchtig / Und Verzweiflung nur ist Pflicht. 2 Verse ohne Personenangabe, die durch die Signatur ad 24 in die Zeit nach dem Verlust der Helena gehören u. wohl eher Faust II Akt IV Sz. [1] als Akt III zuzuordnen sind. Doch bezeugen P82 u. P83, daß die vom Volksbuch vorgegebene Beschwörung Helenas schon fest eingeplant war, als G Faust noch als einteiliges Drama zu vollenden hoffte. − Zu P82 u. P83 s. auch Bohnenkamp 202 u. FA I 7.2, 952. 4 ) P83 Var (Bohnenkamp 199): Aller Trost ist niederträchtig / Und Verzweiflung nur ist Pflicht. Reinschrift in Tinte von Geists Hand im Foliofaszikel zur Reise in die Schweiz, datierbar: Sept 1797; gehört inhaltlich zu P83 u. verweist auf die Situation Fausts nach dem Verschwinden Helenas. − Zu P83 Var s. auch Bohnenkamp 200 u. FA I 7.2, 952.

492

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

März 26. 27. 28. 29.

1798

schreibungen niemals gewirkt werden kann, ganz unerläßlich scheint. Überdieß hätte man mit der Odyssee zu kämpfen, welche die interessantesten Motive schon weggenommen hat. Die Rührung eines weiblichen Gemüths durch die Ankunft eines Fremden, als das schönste Motiv, ist nach der Nausikaa gar nicht mehr zu unternehmen. Wie weit steht nicht, selbst im Alterthume, Medea, Helena1), Dido schon den Verhältnissen nach hinter der Tochter des Alkinous zurück. [Jena] Abends zu Hause. Hecuba des Euripides2). [Jena] Trauerspiele des Euripides. Iphigenia in Aulis. Die Phönicierinnen.3) [Jena] Wiederholung des Euripides.4) [Jena] Schema zur Äneis.5) In der Ilias gelesen.6) 1

) Während seines Aufenthalts in Palermo im Frühj. 1787 hatte G den Plan zu einem Nausikaa −Trauerspiel gefaßt u. mit der Ausarbeitung begonnen, doch war es Fragment geblieben. Die Erinnerung daran belastete ihn vermutl. auch bei seinen Überlegungen zur künftigen Helena im Faust. 2 ) G besaß schon aus des Vaters Bibliothek: Euripidis Tragoediæ duæ, Hecuba, u. Iphigenia in Aulide, latinæ factæ Des.[iderio] Erasmo Roterodamo interprete. Basilæ 1518 (Ruppert Nr. 1257). Zur Vorbereitung auf die künftige Helena im Faust beschäftigte sich G im Frühj. 1798 u. 1799 intensiv mit Euripides, als einem Hauptvorbild zum Zwischenspiel. Anklänge an Hekuba verzeichnet Petersen 1977, 210ff. zu 8488 (zus. m. Ankl. an andere Dramen des Euripides: Andromache, Bakchantinnen, Helena, Troerinnen u. Hippolytos sowie des Aischylus Eumeniden); zu 8903 Anklang an Eur. Hekuba 532f. − Th. Gelzer: Goethes Helena und das Vorbild des Euripides. In: Tragödie. Idee und Transformation. Hsg. v. H. Flashar. Stuttgart u. Leipzig 1997, 199−234. 3 ) s. die vorige Anm. Anklänge an Euripides’ Iphigenia in Aulis 265 verzeichnet Petersen 1977, 212f. für 9020 (Zyklopenmauern); an Iphig. Aul. 181 für 9094; an Iphig. Taur. 399 für 8997f.; zu Euripides: Iphigenia in Aulide s. 2. Nov 1831: Herrmann an G. − Keine Anklänge an Die Phönicierinnen. 4 ) G las zweifellos zur Vorbereitung auf seine Helena im Frühj. 1798 auch des Euripides Helena, worauf Petersen 1977, 210ff. zahlreiche Hinweise gibt: Für 8488, von Eurip. Helena 27 (Klage der Schönheit) auf 8524ff., von Eurip. Helena 25f. (Gefährdete Schönheit) auf 8531ff.; von Eurip. Helena 1688 auf 8591, von Eurip. Helena (,die doppelte Helena’ ) auf 8872 f.; von Eurip. Helena 98f. (Helena u. Achill) auf 8876ff.; von Eurip. Helena 209 u. 493(Eurotas) auf 8997f., von Eurip. Helena 960 auf 9054ff., von Eurip. Helena 493f. auf 9091ff., von Eurip. Helena auf 9250ff. (Entrückung nach Ägypten), von Eurip. Helena 27 (Schönheit, Unheil stiftend) auf 9939; von Eurip. Helena 25f. (Glück u. Schönheit) auf 9939f., von Eurip. Helena 6005f. (Helenaphantom) auf 8591ff., von Eurip. Helena 605f. (Abgang des Helenaphantoms) auf 9946; von Eurip. Helena 1640f. (Herr-Knecht) auf 9963 u. von Eurip. Helena 1640ff. auf 9966ff. 5 ) G’s Äneis-Schema blieb nicht erhalten. − Anklänge in G’s Helena an Virgils Äneis verzeichnet Petersen 1974, 210: zu 8515 (Fama) E. Schmidts 1902, 359 Hinweis auf Äneis. 4, 174f.; zu 8562 (Geschmuck) verweist er ebd. auf Äneis 11,89 in der Übers. von Voß; zu 9054ff. (Deiphobus) führt er Witkowskis 1906, 344 Hinweis auf Äneis. 6, 494 an. 6 ) Ilias-Lektüre setzte G bis 21. Mai 1798 fort; die dabei entstandene Inhaltsübersicht publizierte er erst 1821 in KA III 2 u. 1822 in KA III 3; s. „Ilias“ (EGW 7, 493−516), hier manche Z, bei denen G zugleich an seine Helena-Dichtung gedacht haben mag, bei

1798

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

493

Apr 9., 10., 11., 14., 15., 18., 19. u. 21. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tgb gD, S. 162f.)1)

1799 Apr

2. [Jena] Des Euripides Alceste.2) 3. [Jena] In diesen Tagen die Trauerspiele des Euripides.3) 4. [Jena] Trauerspiele des Euripides . . . Abends bey Schiller. Über die

griechische Tragödie, besonders über den Euripides. Überlegung wie allenfalls diese Materie für die Propyläen zu behandeln sey.4) 6. [Jena] Herkules furens des Euripides5) . . . Nachmittags bey Schiller über den Herkules furens. Mai 26. [Jena] An W. v. Humboldt (Konzept; Br 14, 103): Da Sie, bey Gelegenheit des Kotzebuischen Stücks [Menschenhaß und Reue], etwas über das Drama äußern; so fällt mir ein was wir neulich bey Durchlesung der Euripidischen Stücke zu bemerken glaubten: daß sich nämlich zu der Zeit dieses Autors der Geschmack schon offenbar nach dem was wir Drama nennen hinneigte. Die A l c e s t e ist auffallend von dieser Art so wie der I o n , die H e l e n a 6) und mehrere. Nur wird dort durch ein Wunder das Unauflösliche gleichsam bey Seite gebracht; bey uns muß die Rührung statt des Wunders eintreten. Wenn Euripides das Sujet von Menschenhaß und Reue behandelt hätte; so wäre zuletzt Minerva herder er sich als Homeride empfand. − Anklänge an die Ilias in G’s Helena verzeichnet Petersen 1974, 211−13: Motive zu 8697ff. aus Ilias 5,785 u. 860; 14,148; 11,4; zu 8704 (Zwietracht-Eris) aus Ilias 4,40 u. 11,73; zu 8779 (Kranichgeschrei) aus Ilias 3,3; zu 8789 (Kraft) aus Ilias 15,640; zu 9014f. (menschenfresserisch) aus Ilias 22,346f.; zu 9117 aus Ilias 23,99; zu 9246ff. (Helenas Zauber) aus Ilias 3, 399ff. 1 ) Auch wenn G sich vor allem auf Akt V konzentrierte, so sind doch schon aufgrund der Lektüre von Ilias, Virgil u. Euripides gedankliche Vorbereitungen auf Helena nicht auszuschließen. 2 ) Die grch.-lat. Ausg. der Alkestis von Kaltwasser. Gotha 1776, in G’s Besitz (Ruppert Nr. 1258) beschäftigte ihn schon 1780. (An Ch. v. Stein, Br 4, 288: . . . kriegte meinen Euripides hervor und würzte diese . . . Viertelstunde.) − Anklänge in G’s Helena an Euripides’ Alkestis verzeichnet Petersen 1977, 211 zu 8591, doch zugleich an Euripides’ Helena 1688, Androchmache, Medea u. Bakchen. 3 ) s. oben 28. März 1798: Tgb. − Zu Euripides-Anklängen in der frühen Faust-Forschung Meyer 1847, 163; Deycks 1855, 230, Düntzer, 1857, 621, 632, 636; Düntzer 1859, 108 u. 115, Loeper 1870 II, 126 u. 136, Niejahr 1894, 92, E. Schmidt 1902, 358−60 u. 364f., Witkowski 1906, 340−42. 4 ) Da G durch Helenas Auftritt im Faust quasi in Wettbewerb mit Euripides trat, war bei jeder Auseinandersetzung mit Euripides in dieser Zeit zugleich G’s eigenes Helena-Projekt mit im Spiel. 5 ) Anklänge an Euripides’ Der rasende Herkules 1030 in G’s Helena verzeichnet Petersen 1974, 210 zu 8549, doch zgl. hinweisend auf Eur. Troerinnen 376; Aischylos’ Eumeniden 691 u. Sophokles’ Trachinierinnen 354. 6 ) s. oben 16. Febr 1798: an Schiller.

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1799

vorgetreten und hätte dem alten Hahnrey auf eine vernünftige Weise zugesprochen und so hätte er sich wahrscheinlich in sein Schicksal ergeben.

18001) ⎯ ?

Apr

⎯ Chronologie der Entstehung Goethe’scher Schriften2) (Q 2.2, 661): Helena angefangen. 2. An A. W. Schlegel (Br 15, 51): Nicht allein Ihre grammatische, son-

dern auch Ihre kritische Bemerkungen im allgemeinen3) könnten einem Werke, das ich angefangen habe, sehr zu statten kommen, wenn ich nur den Muth hätte gegenwärtig daran zu denken. Doch wage ich nichts davon sehen zu lassen, bis ich weiter vorgerückt bin. ?

Mai

4. [Jena] A. W. Schlegel an G (SchrGG 13, 75f.): Was Sie von einem angefangnen Werke schreiben, macht mich freylich unendlich begierig auf die Mittheilung, doch kann ich nichts gegen den Aufschub derselben einwenden. Denn von einem allzu kleinen Theile eines Kunstwerkes kann man sich gar zu leicht einen irrigen Eindruck machen, und indem man nicht im Stande ist den Gang zu übersehen und etwas treffendes darüber zu sagen, den Urheber selbst über die hervorgebrachte Wirkung irre leiten. Sie sollten nur ja, wenn die schöne Jahrszeit eintritt, alle Hindernisse bey Seite schaffen um es zu fördern. Wo immer ein poetischer Plan den andern drängt, da ist jeder Zeitverlust mehr als Zeitverlust. 6. [Leipzig] Bey Esslinger4) großer französischer Virgil.5)

1

) Zu 1800 konstatiert G im Entwurf zur Ankündigung der Helena vom 10. Juni 1826 (W 15. 2, 213f.): Dieses Zwischenspiel war gleich bey der ersten Conception des Ganzen ohne Weiteres bestimmt und von Zeit zu Zeit an die Entwickelung und Ausführung gedacht, worüber ich jedoch kaum Rechenschaft geben könnte. Nur bemerke ich, daß in der Schillerschen Correspondenz vom Jahr 1800 dieser Arbeit als einer ernstlich vorgenommenen Erwähnung geschieht . . . wobey ich mich denn gar wohl erinnere, daß von Zeit zu Zeit, auf des Freundes Betrieb, wieder Hand angelegt wurde. . . 2 ) 1837 Okt/Nov zusammengestellt u. geschrieben von Chr. Th. Musculus. 3 ) Auf G’s Bitte hin schlug Schlegel wiederholt grammatisch-prosodische Verbesserungen vor. Bzgl. der Römischen Elegien versicherte Schlegel am 7. Jan 1800 (SchrGG 13, 60): so stehe ich jederzeit mit meinen grammatischen Kleinigkeitskrämereyen zu Befehl. Für Alexis und Dora, Venetianische Epigramme, Weissagungen des Bakis, Episteln, Vier Jahreszeiten etc. machte G von Schlegels Anerbieten Gebrauch. Betr. Reineke Fuchs schrieb Schlegel am 1. Apr 1800 an G (SchrGG 13, 72): . . . ich glaube, man würde dabey auf wenige so hartnäckige Verse stoßen wie in den älteren Elegien und Epigrammen . . . Freylich wäre es immer noch eine beträchtliche Arbeit, das ganze Gedicht nach Ihren jetzigen metrischen Grundsätzen zu reformiren. − G nahm die metrische Kunst der griech.Tragiker sehr ernst, als er sein Helena Zwischenspiel in ihrer Nachfolge in jambischen Trimetern dichtete. 4 ) Buchhändler Eßlinger in Leipzig; G besuchte die dortige Frühjahrsmesse 28. Apr – 16. Mai. 5 ) Publius Virgilius Maro: Bucolica, Georgica et Aeneis. Paris 1798. − Weiteres Z für G’s starkes Interesse an Virgil; s. oben 29. März 1797: Tgb m. Anm.

1800 Mai

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7. [Leipzig] zu Prof. Hermann er ist mit dem Aeschylus und Plautus be-

schäftigt,1) über mancherley philologische Gegenstände über Euripides2) zuletzt über Prosodie und Rhythmik. Herr [J.G.B.] Fleischer [Buchhändler in Leipzig] sagte mir daß das Werk über die Sylbenmaase3) stark nach England gehe. [7.] G. Hermann, Praefatio zu Euripides’ Hekuba, p. XIV4) (BG 5, 20): Euripidis versatile et diversissimis argumentis aptum ingenium memini ante multos annos Goethium in sermone quodam, quum ego Aeschylu et Sophoclem anteferrem, multa cum laude praedicare.5) [7.] O. Jahn, Gottfried Hermann6) (O. Jahn: Biographische Aufsätze. Leipzig 1866, 111f.): In allen wesentlichen Punkten stellte er gleich zu Anfang in der Schrift de metris (1796)7) mit sicherer Hand das ganze Gebäude fertig hin . . . nicht nur die Fachgenossen freuten sich bewundernd der neuen Aufklärung, auch in weiteren Kreisen fanden diese Studien, besonders seit der deutschen Bearbeitung der Metrik (1799), Beachtung und Theilnahme. Bei dem allgemeinen Aufschwung der poetischen Thätigkeit machte sich damals das Streben geltend, auch in der Vollendung der Form sich den Mustern des Alterthums zu nähern; wie willkommen mußte ein Werk wie die Metrik sein. Besonders Goethe, der damals mit der Achilleis und der Helena beschäftigt war und genauer in das Wesen der antiken Versmaße einzudringen strebte, nahm den regsten Antheil daran, und als er bald darauf nach Leipzig kam (1800), trat er eines Abends unerwartet zu dem erstaunten Hermann in’s Zimmer. In dem Gespräch, das sich über die Verskunst zwischen ihnen entspann, forderte ihn endlich Goethe auf, eine deutsche Metrik zu schreiben, was Hermann mit dem Bemerken ablehnte, es sei Goethe’s Aufgabe die deutsche Metrik zu schaffen. Juli

2. [Gotha] H. A. O. Reichard an G (GSA 28/30 Bl. 264): Ich habe von der Cottaschen Buchhandlung den Auftrag erhalten, die, in beykommendem Packet befindliche, Prachtausgabe des Virgil’s8) an Ew. Hochwohlgeb[oren] abzusenden. 1

) G. Hermann publizierte damals Aeschylus, Eumenides apec. ad G. Hermann (Lipsiae 1799) u. Plautus, Trinummus. Recensuit et praefatus est Godofredus Hermannus (Lipsiae 1800). 2 ) Um der Antike näher zu kommen, suchte der Helena-Dichter einen der bedeutendsten Fachgelehrten auf, der damals gerade Euripides’ Hecuba cum animadversionibus Gfr. Hermanni ad eam et ad Porsoni notas animadversiones (Lipsiae 1800) publizierte, eine Edition mit Hermanns eigenen u. mit Anm. zu Porsons Bemerkungen. − Zu Anklängen an Euripides’ Hecuba in G’s Helena s. oben 26. März 1798: Tgb. 3 ) Gemeint entweder: Godofredi Hermanni, De metris poetarum Graecorum et Romanorum libri III. Lipsiae 1796. [Drei Bücher über die Metren der griech. u. lat. Dichter] oder: Handbuch der Metrik von Gottfried Hermann. Leipzig 1799, verkürzte dt. Fassung des lat. Werks; beide in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 675 u. 676) hinsichtl. der metrischen Anforderungen bei G’s Helena wichtige Werke. 4 ) Verfaßt 1831. Hermann erinnerte sich demnach noch 30 Jahre später an G’s denkwürdigen Besuch, bei dem der Dichter seine Vorliebe für Euripides erklärt und diesen sogar hinsichtlich seiner Versatilität und Vielseitigkeit der Argumente über Aeschylos und Sophokles gestellt hatte. 5 ) Übersetzung: Ich erinnere mich, wie Goethe vor vielen Jahren das vielseitige und sich für unterschiedlichste Argumente eignende Genie Euripides’ in einem bestimmten Gespräch hoch lobte, während ich Aeschylos und Sophokles bevorzugte. 6 ) Verfaßt 1849 Jan. 7 ) s. oben 14. Jan 1797: Tgb. 8 ) s. oben 29. März 1797: Tgb.

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6. [Weimar] Nachmittag über Gegenstände der Kunst sodann den franz.

Juli ?

1800

Virgil. Aug 1. [Jena] An Schiller (Br 15, 95): Gestern habe ich einiges Geschäftsähnliche besorgt, und heute einen kleinen Knoten im Faust gelöst.1) 4. Früh nach Weimar Abends zurück [aus Dornburg]. Einiges über Faust . . .2 )

[Sept?] ?

(H P84 mit sog. Rheinlandschema)3)

Sept 5. [Jena] Einiges an Faust.4) 12. [Jena5)] Früh Helena6) . . . [An] H[errn] Hofr Schiller. Etwas über He-

lena. [An] − Regist[rator] Vulpius. Um Topographie von Sparta7). 12. [Jena] An Schiller (Br 15, 102f.): Nach verschiedenen Abentheuern bin ich erst heute früh wieder zu der jenaischen Ruhe gelangt und habe gleich etwas versucht, aber nichts gethan. Glücklicherweise konnte ich diese acht Tage die Situationen fest halten von denen Sie wissen, und 1

) Düntzer 1857, 89 vermutet, der Knoten verweise auf den Helena-Teil, so noch MA 8.2, 569, dies ist naheliegend, doch läßt sich G’s Beschäftigung mit Helena erst ab Sept nachweisen, s. „Faust. Eine Tragödie“, S. 173 m. Anm. 2 und 4. 2 ) Vielleicht auch Arbeit an Faust I, eindeutige Zuordnung nicht möglich. 3 ) H P84 (Bohnenkamp 538f.) egh Schema-Entwurf; Vorstufe zur Reinschrift III H1 Bll. 1−7, die, wie Grumach (GJb 1958, 70) entgegen früheren Datierungen zeigt, 1800 u. nicht schon 1797−1799 entstand. − Im sog. Rheinlandschema (= P84) trifft Helena, die nach Sparta heimzukehren glaubt, auf Mephisto in der Maske einer Egypterin (=Zigeunerin) u. hält diese für die Schaffnerin des Palasts. Im Namen des Menschenrecht[s] verweigert der verkleidete Mephisto, der hier noch in Paarreimen spricht, den Gehorsam u. klärt Helena auf, daß sie sich an einem freundl[ichen] Ort im Rhein thal befinde. − Versmaß u. Maske Mephistos in P84 unterscheiden sich noch deutlich von der Helena-Konzeption in III H1 Bll. 1−7, wo Mephisto in Trimetern spricht u. als Phorkyas auftritt. Doch spielt auch die Helena in III H1 Bll. 1−7 noch im deutschen Mittelalter. Der Ortswechsel nach Griechenland u. der Konzeptionswandel, den die Befürworter einer frühen Datierung von P84 annahmen, hatte demnach noch nicht stattgefunden; zur zeitlichen Stellung von P84 in III H1 Bll. 1−7 s. Bohnenkamp 540ff. − Zu P84 s. auch Bohnenkamp 540−43 u. FA I 7.2, 1018f. 4 ) Vielleicht auch Arbeit an Faust I, eindeutige Zuordnung nicht möglich. 5 ) Vom 10. Sept bis 4. Okt logierte G im Jenaer Schloß mit seinem Diener u. Schreiber J. J. L. Geist. 6 ) Erste Erwähnung des Helena-Projekts im Tgb. − G war vom 3.−6. Sept u. vom 8. Sept − 4. Okt 1800 in Jena. In diesen Wochen − bis zum 14. u. vom 22. bis 26. Sept dichtete G fortgesetzt am neuen Helena-Projekt. Im Nov kam er nochmals darauf zurück, ehe er sich an die Walpurgisnacht machte. − In Schillers Brief an G vom 13. Sept 1800 ist im Zusammenhang mit Helena, wie selbstverständlich, von einem 2ten Theil des Faust die Rede. Demnach muß G schon früher erkannt haben, daß sein HelenaProjekt den Rahmen eines einteiligen Faust-Dramas sprengte und daß diese HelenaDichtung unausweichlich zu einem 2. Teil des Faust führte. − Den Entschluß zur Zweiteilung des Faust bezeugt auch P1 (Bohnenkamp 221). Dessen Datierung durch Pniower GJb 1924, 143−46 auf den 11. Apr 1800 kann jedoch nicht als gesichert gelten. 7 ) G’s Bitte an Chr. A. Vulpius um Literatur zur Topographie Spartas für Helena nicht überliefert.

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meine H e l e n a ist wirklich aufgetreten. Nun zieht mich aber das Schöne in der Lage meiner Heldin so sehr an, daß es mich betrübt wenn ich es zunächst in eine Fratze verwandeln soll. Wirklich fühle ich nicht geringe Lust eine ernsthafte Tragödie auf das Angefangene zu gründen; allein ich werde mich hüten die Obliegenheiten zu vermehren, deren kümmerliche Erfüllung ohnehin schon die Freude des Lebens wegzehrt. Sept 13. [Jena] Früh gebadet1) Helena . . . Abends von Weimar die Expedition.2) 13. [Weimar] Chr. A. Vulpius an G (Meier 1, 53): Ew. Exzellenz sende ich hierbei, was sich ungefähr von der Topographie des alten Sparta auf Fürst[licher] Bibliothek befindet, nebst den Zetteln über diese Bücher. − Bei Breitenbauchs Werk, finden sich die Kupfer nicht. Entweder sie sind gleich nicht mit gebunden worden, oder verloren gegangen. Vielleicht finden sie sich noch, woran ich jedoch zweifle, wenn sie etwa der H. Rath [Bibliothekar Spilcker] gleich andern Sachen, zu Hause in sein Apokalyptisch Astronomisches Museum verkramt hat. 13. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 1. Nov 1800 − : 1) Voyage de Pythagore en Egypte, dans la Chalde´e, dans l’Inde, en Cre`te, `a Sparte, en Sicile, `a Rome, `a Carthage, `a Marseille et dans les Gaules ; suivis des ses lois politiques et morales. Tome quatrie`me. Paris an VII [1799/1800].3) − 2) [Barthe´lemy, Jean Jacques:] Voyage du jeune Anacharsis en Gre`ce dans le milieu du 4. sie`cle avant l’e`re vulgaire. T. 3. Herve 1789.4) − 3) Breitenbauch, Georg August v. : Vorstellung der Schauplätze berühmter Begebenheiten a. d. Geschichte der vornehmsten Völker des Alterthums in 25 Kupf. nebst deren Beschreibung für die Jugend. ([Nebst:] Beil. 1−4 u. Anhang.) Leipzig 1794−97.)5) − 4) Pausanias ou voyage historique de la Gre`ce, trad. en franc¸. avec des 1

) GT II 2, 710 zufolge wiederholte G vermutl. eine auf Drängen seines Hausarztes Huschke im Apr unternommene Badekur mit Pyrmonter Wasser gegen ein Gesichtsnervenleiden. 2 ) Die von Vulpius erbetene Literatur zu Sparta; s. 13. Sept 1800: aus der Weimarer Bibliothek. 3 ) Bei Keudell zu ergänzen: Mare´chal, Pierre Sylvain als Verfasser u. Ausleihung einzig von Bd 4; dort fand G zu Sparta die Kap. CXXXVIII. Topographie exte´rieure de Sparte (S. 48−58), CXXXIX. Pythagore a ` Sparte (S. 58−71) u. CXL. Chilon le Sage, l’un des cinq ´ephores de Sparte, et Pythagore (S. 71−98). 4 ) Zu III Sz. [1] Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta. − Fiktiver Reisebericht eines jungen Skythen. Bd 3 enthält die Reise auf die Halbinsel Peloponnes (Kap. 36−58) u. schildert vor allem Sparta (Kap. 41−53). − Morris 1902, 109 sieht auf S. 162, 168 u. 170 (Kap. 41) das Lokalbild von 8537−48 gestaltet: Wir haben hier den Hafen von Lacedämon, den Weg, der von da am Ufer des Eurotas entlang zu der Erweiterung der Ebene führt, in der Sparta inmitten fruchtbarer Felder, von Bergen umgeben, liegt. − Erneute Entleihung s. 7. Apr 1825: aus der Weimarer Bibliothek; erwähnt 9. Apr: Tgb. − s. auch Pniower 1899, 149. 5 ) In den Hauptband eingebunden: zwei Beylagen (Leipzig 1795). Die 3. u. 4. Beilage (Leipzig 1796/1797) wird Vulpius nicht mitgeschickt haben, da sie nichts zum Thema bieten. Vulpius’ Begleitbrief zeigt, dass G nur der Textband, ohne die Kupferstiche, zur Verfügung stand. − Das populärwissenschaftliche Werk stellt die Schauplätze jeweils mit einer Abbildung und einem kurzen Text vor. Sparta wird im Abschnitt X. (S. 40−47) behandelt. Zur Frage: Wo das antike Sparta lag, meint G.A.v.Breitenbauch: G u i l l e t i e r e hat sich in Bestimmung der Lage des alten Sparta gänzlich geirret, da er meint, daß es auf dem Platze zu suchen sey, wo das jetzige Misitra am Fuß des Ta y g e t o s liegt. Dieses ist aber nach F o u r m o n t s Urtheil . . . auf dem Platz des alten P h a r i s erbaut . . .

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1800

remarques par l’abbe´ Gedoyn. T. 1. 2. Amsterdam 1733.)1) − 5) Gronovius, Jacob: Thesaurus Graecarum antiquitatum. Vol 5: Attici imperii amplitudinem ac mutationes, ut et Lacedaemonis complexum. Lugduni Batavorum 1699.)2) Sept 13. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 195f.): Ich wünsche Ihnen Glück zu dem Schritte, den Sie in Ihrem Faust gethan. Laßen Sie sich aber ja nicht durch den Gedanken stören, wenn die schönen Gestalten und Situationen kommen, daß es Schade sey, sie zu verbarbarisieren. Der Fall könnte Ihnen im 2ten Theil des Faust3) noch öfters vorkommen, und es möchte einmal für allemal gut seyn, Ihr poetisches Gewißen darüber zum Schweigen zu bringen. Das Barbarische der Behandlung, das Ihnen durch den Geist des ganzen aufgelegt wird, kann den höhern Gehalt nicht zerstören und das Schöne nicht aufheben, nur es anders specificieren und für ein anderes Seelenvermögen zubereiten. Eben das Höhere und Vornehmere in den Motiven wird dem Werk einen eigenen Reiz geben, und Helena ist in diesem Stück ein Symbol für alle die Schönen Gestalten, die sich hinein verirren werden. Es ist ein sehr bedeutender Vortheil, von dem Reinen mit Bewußtseyn ins Unreinere zu gehen, anstatt von dem Unreinen einen Aufschwung zum Reinen zu suchen wie bei uns übrigen Barbaren der Fall. Sie müssen also in Ihrem Faust überall Ihr F a u s t r e c h t behaupten.

14. [Jena] Früh gebadet Helena. 16. [Jena] An Schiller (Br 15, 108): Der Trost, den Sie mir in Ihrem Briefe

geben, daß durch die Verbindung des reinen und abentheuerlichen ein nicht ganz verwerfliches poetisches Ungeheuer entstehen könne, hat sich durch die Erfahrung schon an mir bestätigt, indem aus dieser Amalgamation seltsame Erscheinungen, an denen ich selbst einiges Gefallen habe, hervortreten. Mich verlangt zu erfahren wie es in vierzehn Tagen aussehen wird. Leider haben diese Erscheinungen eine so große Breite als Tiefe, und sie würden mich eigentlich glücklich machen, wenn ich ein ruhiges halbes Jahr vor mir sehen könnte. 16. [Jena] An Cotta (Br 15, 106): Philiberts Botanik sowie der Didotische Virgil4) sind angekommen. und die Ruinen des alten Sparta liegen 4 Italienische Meilen oder 32 Stadien davon entfernt . . . Le Roy liefert eine Zeichnung der Gegend und der Ruinen des alten Sparta, jetzo P a l ä o c h o n genannt, welche zum Theil bey dem gelieferten Risse zum Grunde gelegt wurde. (S. 43) − G hatte demnach schon im Sept 1800 Kenntnis von Misitra (Misistra/Mistra), als einer Stadt in Spartas Nachbarschaft. Doch genauere Informationen zur Burg Mistra, die für Phorkyas’ Schilderung 8994−9030 bedeutsam wurden, enthielten erst die 1825 gelesenen Reisewerke. 1 ) Übers. der Beschreibung von Hellas (10 Bücher) des Pausanias. − Tome second. Livre troisie`me enthält die Voyage de la Laconie; darin Kap. XI−XVII (S. 42−77) eine minutiöse Beschreibung des antiken Sparta. Erneute Ausleihe des Pausanias s. Sept 1803: aus der Weimarer Bibliothek. 2 ) Vol. 5 enthält zu Lakonien u. Sparta: 1.) Joannis Meursii de regno Laconico liber singularis (Sp. 2209 −80), 2.) Joannis Meursii miscellanea Laconica sive variarum antiquitatum Laconicarum libri IV. u. 3.) Cragii Ripensis de republica Lacedaemoniorum libri IV. (Sp. 2518−675). Sparta speziell wird behandelt in 2.) Liber quartus: Urbes Laconicae. Cap. X: Sparta (Sp. 2462−66). 3 ) Erstes Z zur Zweiteilung des Faust. Die Beiläufigkeit der Erwähnung erlaubt den Rückschluß, dass die schwerwiegende Konzeptionsänderung Gesprächsgegenstand der Freunde gewesen war. 4 ) s. oben 29. März 1797: Tgb. – G fährt fort an Cotta: Da beyde für fürstl. Bibliothek

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Sept 17. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 197): Mit Vergnügen lese ich, daß sie unterdeßen bei dem Faust geblieben sind und noch ferner dabey bleiben wollen. Endlich muß sich doch etwas præcipitieren, da Sie noch mehrere Wochen Ruhe vor sich sehen. [Herbst] (III H9 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8736−53 u. P171)1) (III H1 Bll. 1−7 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8489−515, 8524−59, 8569−86 u. 8638−802)2) [Herbst?] (III H10 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8779−802 u. P85)3) [Sept21.] Eckermann, Gespräche mit Goethe über den zweiten Theil des Faust4) (FA II 12, 906): Die Anfänge [von Faust II] gehen noch bis zu Schillers Zeiten zurück und Goethe rühmte noch spät, dass ihm das Glück zu Theil geworden eine große Stelle der Helena Schiller’n noch vorlesen zu können. 22. [Jena] früh Helena. 23. [Jena] Früh gebadet. Helena. 23. [Jena] An Schiller (Br 15, 111f.): Ihr neuerlicher Besuch [am 21. Sept

in Jena] war mir sehr erfreulich . . . Meine Helena ist die Zeit auch etwas vorwärts gerückt. Die Hauptmomente des Plans sind in Ordnung, und da ich in der Hauptsache Ihre Beystimmung habe, so kann ich mit bestimmt sind, so kann ich letzten nicht als ein Geschenk annehmen . . . Nur bitte ich um eine Gefälligkeit daß Sie sich erkundigen wie viel Kupfer das Exemplar haben muß? Denn es sind nicht Kupfer zu allen Eklogen. Ich bin zwar überzeugt daß das Exemplar complet ist, es wäre nur zur Beruhigung eines Bibliothekarii. 1 ) III H9 (Bohnenkamp 551f.) egh Entwürfe mit Blei zu den Chören. − Als Vorstufe zu III H1 Bll. 1−7 erwiesen durch die Entwicklung von V. 8749, der auf III H9 von ›Aber so hore denn‹ zu ›Ja so hore denn‹ korrigiert wurde und von Geist dann als ›Ja so harre denn’‹ in III H1 niedergeschrieben wurde − der offensichtliche Hörfehler ›harre‹ wurde im nächsten Arbeitsgang dann wieder zu ›höre‹ korrigiert. (Bohnenkamp 553). − Ob P171 auch zu diesem Zeitpunkt entstand, läßt sich nicht zuverlässig sagen. − Zu H9 u. P171 s. auch Bohnenkamp 553 u. FA I 7.2, 1021. 2 ) III H1 Bll. 1−7 (Bohnenkamp 554−67), Mundum, unterscheidet sich deutlich durch Papierart u. Schreiber von den 1825 hinzugefügten Bll. 8−17. Neben den Versen von Geists Hand (8489−515, 8524−45, 8547−59, 8569−86 u. 8638−778) gehören, wie Fischer-Lamberg 1955, 71−75 zeigen konnte, nur wenige von G egh ergänzte Verse noch dem Herbst 1800 an: 8546 auf Bl. 1 u. 8779−802 auf Bl. 7. Die alte Helena von 1800 endet damit bei 8802. − Das Folioheft III H1 hat auf dem Umschlag die Aufschrift Helena im Mittelalter u. als Untertitel Satyr-Drama, Episode zu Faust, verändert aus Satyrisches Drama, Episode zu Faust. Der Untertitel zeigt: Goethe hat die Helena offensichtlich zunächst − und dieses ›Zunächst‹ reicht bis in die 1820er Jahre hinein − in einer gewissen Analogie zum griechischen Satyrspiel konzipiert. (Schillemeit 1987a, 307) Womit auch die stilistischen Probleme bezeichnet sind, denen sich G gegenübersah: eine Helena, die nach Charakter u. Situation als antike Heroine konzipiert ist, in eine burleske magisch-spukhafte Veranstaltung im mittelalterlichen Deutschland zu integrieren u. damit das Schöne, auf das sich eine ernsthafte Tragödie gründen ließe, in eine Fratze zu verwandeln. − Zu H1 s. auch Bohnenkamp 568f. u. FA I 7.2, 1021f. 3 ) III H10 (Bohnenkamp 548f.), ebenfalls eine Vorstufe zu III H1 Bll. 1−7, enthält Entwürfe zu 8779−802, die den Abschluß der Helena vom Herbst 1800 bilden. − Zeitliche Zuordnung von P85 ungewiß. − Zu H10 s. auch Bohnenkamp 550 u. FA I 7.2, 1020f. 4 ) Aus dem Nachlaß. − Verfaßt 1853/54 Winter; vgl. FA II 12, 964f.

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desto besserm Muthe an die Ausführung gehen. Ich mag mich dießmal gern zusammenhalten und nicht in die Ferne blicken, aber das sehe ich schon daß, von diesem Gipfel aus, sich erst die rechte Aussicht über das Ganze zeigen wird. Sept 23. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 198): Ihre neuliche Vorlesung [der Helena] hat mich mit einem großen und vornehmen Eindruck entlassen, der edle hohe Geist der alten Tragödie weht aus dem Monolog einem entgegen und macht den gehörigen Effekt, indem er ruhig mächtig das tiefste aufregt. Wenn Sie auch sonst nichts poetisches von Jena zurückbrächten, als dieses und was Sie über den fernern Gang dieser tragischen Parthie schon mit sich ausgemacht haben, so wäre Ihr Aufenthalt in Jena belohnt. Gelingt Ihnen diese Synthese des Edeln mit dem Barbarischen, wo ich nicht zweifle, so wird auch der Schlüßel zu dem übrigen Theil des Ganzen gefunden seyn, und es wird Ihnen alsdann nicht schwer seyn, gleichsam analytisch von diesem Punkt aus den Sinn und Geist der übrigen Parthien zu bestimmen und zu vertheilen. Denn dieser Gipfel, wie Sie ihn selbst nennen, muss von allen Punkten des Ganzen gesehen werden und nach allen hin sehen. 24. [Jena] früh Helena. 25. [Jena] Früh gebadet. Helena. 26. [Jena] Früh . . . mit Niethhammer1) spazieren gefahren schönes mit dem

Abgeschmackten durchs Erhabene vermittelt nachmittag Fortschritte an Helena.2) 26. [27.] [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 201f.): Wenn Sie mir den Hermann von den griechischen Sylbenmaaßen3) zu lesen verschaffen könnten, so wäre mirs sehr lieb; Ihre neuliche Vorlesung [21. Sept aus der Helena] hat mich auf die Trimeters sehr aufmerksam gemacht und ich wünschte in die Sache mehr einzudringen. Auch habe ich große Lust mich in Nebenstunden etwas mit dem Griechischen zu beschäftigen, nur um so weit zu kommen, daß ich in die griechische Metrik Einsicht erhalte. Ich hoffe, wenn Humboldt hieher kommt, dadurch eher etwas von ihm zu profitieren . . . Ich wünsche gute Fortschritte in der Tragödie. 28. [An] H[errn] Registr.[ator] Vulpius. Bitte die verlangten Bücher aus

meiner Bibliothek an H[errn] Hofr. Schiller abzuliefern Hermann de metris.

1

) Friedr. I. Niethammer (1766–1848) seit 1793 Professor für Philosophie und Theologie in Jena. ) Vgl. Niejahr 1894, 92: Man wird nicht irre gehen, wenn man unter dem „Erhabenen“ das Motiv der Opferung versteht, das in gedachtem Sinne recht eigentlich ein vermittelndes Element werden kann. Zur Sz. Vor dem Palaste des Menelas 8524f. (Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft / Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt): Im O r e s t des Euripides (v. 53ff.) bleibt Menelaus nach der Landung in Nauplia zunächst dort zurück, während er Helena zur Königsburg in Argos vorausziehen läßt. Genau so hier. − Zu 8957ff.: Vielleicht ist auch in dem Phrygischen Gefolge, mit dem Helena dort auftritt, der Anstoß zu der charakteristischen Gestaltung unsres Chors zu suchen. Das Verhalten des dem Blutbade entronnenen Phrygiers (Orest v. 1506ff.) bildet eine vollkommene Parallele zu der weichlichen Fassungslosigkeit, mit der unsere Dienerinnen die Mitteilung von dem ihnen drohenden Geschick entgegennehmen. 3 ) s. oben 14. Jan 1797: Tgb m. Anm. 2

1800

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

501

Sept 28. [Jena] An Schiller (Br 15, 122): Ich habe Vulpius geschrieben daß er

Ihnen gleich aus meinen Büchern diejenigen aussucht die Sie ohngefähr zu Ihren Zwecken brauchen können,1) Sie werden sich aber wenig daran erbauen. Das Stoffartige jeder Sprache so wie die Verstandsformen stehen so weit von der Production ab daß man gleich, sobald man nur hineinblickt, einen so großen Umweg vor sich sieht daß man gern zufrieden ist wenn man sich wieder herausfinden kann. In meiner Arbeit gehe ich auch nur so nach allgemeinen Eindrücken. Es muß jemand wie etwa Humboldt den Weg gemacht haben, um uns etwa zum Gebrauch das Nöthige zu überliefern. Ich wenigstens will warten bis er kommt und hoffe auch als dann nur wenig für meinen Zweck.2) 30. [Jena] An Schiller (Br 15, 123f.): Es fiel mir ein daß ich noch einen Aufsatz von Humboldt über den Trimeter habe.3) Leider habe ich ihn, als er abgeschrieben war, nicht corrigirt, es kommen daher einige mir wenigstens unheilbare Schreibfehler darinn vor . . . Übrigens mag ich nun nach Hause gehen wenn ich will,4) so habe ich meine vier Wochen nützlich zugebracht und finde mich von allen Seiten gefördert. Manches habe ich nun zu verarbeiten . . .5) Okt 3. [Jena] An Schiller (Br 15, 127): Ich habe mich entschlossen morgen als den 4. Oct. von hier abzugehen. Ob ich gleich nicht gerade das zu Stande gebracht was ich vorgesetzt [zur Helena], so habe ich doch meine Zeit gut zugebracht und bin in manchem vorwärts gekommen. 21. [Weimar] Schiller an Chr. G. Körner (SNA 30, 207): Göthe ist von seiner Excursion nach Jena wo er etwas zu arbeiten hoffte, längst zurück, hat aber nur etwas weniges vom Faust gearbeitet, welches aber vortreflich ist. Im Ganzen bringt er jezt zu wenig hervor, so reich er noch immer an Erfindung und Ausführung.

1

) Schiller antwortete am 29. Sept: Die Bücher hat mir V[ulpius] geschickt, an den Hermann werde ich mich sogleich machen und übrigens in der Sache solange fortfahren als sie mir nicht unerträglich wird. (SNA 30, 202). 2 ) Humboldt hatte seine Rückkehr für Okt in Aussicht gestellt, kam aber erst im Sommer 1801. Schiller u. G schätzten seinen Rat in metrischen Fragen; im übrigen beugte sich G als geborener Dichter nie pedantisch den prosodischen Normen der grch. Metrik; er bewahrte auch in der Helena bei weitgehender Einhaltung der Regeln gewisse Freiheiten u. neuschöpferische Impulse; vgl. oben 14. Jan 1797: Tgb m. Anm. 3 ) Nicht überliefert; vgl. L. Blumenthal: Wilhelm von Humboldts Aufsatz über den Trimeter. (GJb 1979, 261−69) − In einer Mappe Poesie und Ritmik im Einzelnen und Allgemeinen (GSA 25/ XXXIX, Gaa) liegt ein Aufsatz von W. v. Humboldt Von den verschiedenen Gattungen der Chöre in Rücksicht auf die Stellung und Anordnung der verschiedenen Strophen, den G gewiß für Helena benutzte; ED in Trunz 1980, 141f. 4 ) G verließ Jena am 4. Okt 1800, wo er sich seit dem 3. Sept aufgehalten hatte. 5 ) Schiller entgegnete am 1. Okt (SNA 30, 203): Für Mittheilung der Humboldtischen Arbeit danke ich Ihnen sehr; ich hoffe allerlei daraus zu lernen. Es wird mir schwer mit Herrmanns Buch zurecht zu kommen, und schon von vorn herein finden sich Schwierigkeiten, ich bin neugierig, wie es Ihnen mit diesem Buch ergangen, und hoffe, daß Sie mir ein Licht darin aufstecken werden.

502 Nov

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1800

2. [Jena] J. G. Lenz an G (GSA 28/ 31 Bl. 524): Ew. Hochwohlgeborene Excellenz empfangen hier Athenes ancienne et nouvelle, und Lacedemone ancienne et nouvelle.1) 17. [Jena] Alt und neu Lacedämon von Guilletiere.2) 18. [Jena] Alt und neue Athen von Guilletiere.3) 18. [Jena] An Schiller (Br 15, 146): Zur Helena haben sich einige gute

Motive gefunden. 24. [Jena] F. Schlegel an A. W. Schlegel (BG 5, 66): Goethe ist wieder hier . . . Daß ein gewaltiges griechisches Trauerspiel von ihm zu erwarten ist, in Trimetern und chorähnlichen Chören, hat Dir Dorothea glaube ich schon als Resultat seines letzten Hierseyns geschrieben. Er hat einigemal recht viel darüber mit mir gesprochen, indessen habe ich mich doch nicht überwinden können, zu fragen nach dem Süjet. Dez

1. [Braunschweig] A. W. Schlegel an F. D. E. Schleiermacher (F. D. E. Schleiermacher: Briefwechsel. Hsg. v. A. Arndt u. W. Virmond. Bd 4. Berlin, New York 1994, 342): Ich bin wirklich hier arm an bedeutenden Neuigkeiten. Was ich von Goethe’s Thun erfahre, ist durch die dritte Hand. − Sie wissen es gewiß früher unmittelbar von Jena. Das

1

) Athe`nes ancienne et nouvelle, et l’estat pre´sent de l’empire des Turcs, contenant la vie du sultan Mahomet IV, le ministe`re de Coprogli Achmet Pacha, G. Vizir, et son campement devant Candie. Avec le plan de la ville d’Athe`nes. Par le Sieur de la Guilletie`re. Paris 1675 u. Lace´de´mone ancienne et nouvelle ou l’on voit les mœurs et les cou ˆtumes des Grecs modernes, des Mahome´tans, des Juifs du pays : et quelques particularitez du sejour que le sultan Mahomet IV a fait dans la Thessalie. Avec le plan de la ville de Lace´de´mone. Par le Sieur de la Guilletie`re. Paris 1676. − G ließ sich beide Werke durch J. G. Lenz senden, nachdem er bei Breitenbauch auf Guilletie`re gestoßen war. Sie sind sowohl in der Weimarer als auch in der Jenaer Bibliothek vorhanden; s. 17. u. 18. Nov 1800: Tgb. 2 ) Werk des George Guillet de Saint-George (ca. 1625−1705) nicht − wie von ihm behauptet − eines (fiktiven) Bruders, Sieur de la Guilletie`re, auch nicht auf eigener Anschauung, sondern auf frz. Missionarsberichten beruhend. − Guillet de Saint-George beschrieb ausführlich im Livre troisie`me die Stadt Mistra u. ihr Chasteau, was G’s Kenntnis wesentlich erweiterte. Ein Kupferstich u. d. T. Lacedemone ou Misitra (nach S. 564) bot G erstmals eine bildl. Vorstellung der an einen Vorberg des Taygetos-Gebirges angelehnten Stadt u. des den Gipfel des Vorbergs krönenden Chasteau. Trevelyan 1949, 270f. vermutet, daß die Lektüre G den Gedanken eingab, Faust nach Lakedaimonien, statt Helena nach Deutschland zu versetzen. Die dortige Schilderung der auf dem Eurotas schwimmenden Schwäne (I, 97) d’une beaute´ et d’une blancheure extraordinaire, kehre in jenem Motiv wieder, das in seiner endgültigen Form als Fausts Traum von Helena in Wagners Laboratorium (6903−20) u. in der KWN (7295–7308) erscheint. − Guillet, der selbst nie in Griechenland war, vertrat die bis Anf. des 19. Jh. vorherrschende Meinung, Mistra stünde auf den Ruinen des antiken Sparta u die diversen Namen bezeichneten denselben Ort; das Chasteau sei eine byzantinische Gründung: Le nom de Misitra ne luy [der Stadt Sparta] a ´ete´ donne´ que sous les derniers Empereurs de Constantinople. Ie vous ay de´ja dit que la Montagne ou ` est situe´ le Chasteau, u. le Ruisseau . . . portent aussi le nom de Misitra (S. 380) . . . Ils [die in Mistra lebenden Griechen] appellent le Chasteau to Castron. Il est situe´ sur une Montagne faite en pain de sucre, une fois plut haute que celle du Chasteau d’Athenes, u. beaucoup plus escarpe´e . . . Mais ce Chasteau n’est pas celuy de l’ancienne Lacedemone . . . Il est l’ouvrage des Despotes sous le declin de l’empire. (S. 387ff.). − Weitere Informationen zu Mistra boten G erst die 1825 gelesenen Reisewerke. 3 ) s. oben 2. Nov 1800: Lenz an G.

1800

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

503

Griechische Trauerspiel [Helena], was er in der Arbeit hat, wird gewiß eine neue Epoche in unsrer Poesie gründen.

Dez 22. [Berlin] F. D. E. Schleiermacher an A. W. Schlegel (F. D. E. Schleiermacher: Briefwechsel. Hsg. v. A. Arndt u. W. Virmond. Bd 4. Berlin, New York 1994, 390): Goethe’s griechisches Trauerspiel interessirt mich im höchsten Grade; es gährt schon lange etwas in mir über das Verhältniß des Trauerspiels zum Roman und zur modernen Poesie überhaupt, und ich bin neugierig wie der alte Meister dies praktisch darstellen wird . . . 24. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 224): Sie haben nun doch dieses verfloßene Jahr sich im dramatischen aller Art1) produktiv gezeigt und können mit sich zufrieden seyn. [Dez [Jena] Schelling an Caroline Schlegel (Schelling-AA III 2.1, 294): Bei dieser GelegenEnde] heit2) will ich dir sagen, daß Goethe 3. Antike Tragödien liegen hat, nicht nur Eine. Sie scheinen aber länger gemacht. Daß er jetzt auf keine denkt, auch an keiner arbeitet, hat er mir selbst versichert.

1801 Sept

7. [Jena] A. W. Schlegel an F. D. E. Schleiermacher (F. D. E. Schleiermacher: Briefwechsel. Hsg. v. A. Arndt u. W. Virmond. Bd 5. Berlin, New York 1999, 193): Goethe äußerte auch, er wünsche diese Materie [der antiken Trimeter] einmal mit mir durchzugehen überhaupt die in den antiken Tragödien vorkommenden Sylbenmaße. Er scheint noch nicht im reinen zu seyn, was er in seiner Arbeit den chorischen Sylbenmaßen substituiren soll.

1802 Apr 11. [Oßmannstedt] Wieland an Böttiger (Wieland BriefeAA 15.1, 558f.): Göthe hat mir . . . am verwichnen Donnerstag [8. Apr] einen eben so unerwarteten als angenehmen Nachmittagsbesuch gemacht3) . . . Er schien auch gern zu hören, daß ich mich an die Helena des Euripides machen wollte,4) erklärte sie für sein Lieblingsstück . . .

1803 Juli

28. [Weimar] An Zelter (Br 16, 264f.): [Beilage] In der griechischen Tra-

gödie zeigt sich der Chor in vier Epochen . . . In der vierten Epoche zieht sich die Handlung immer mehr ins Privatinteresse zurück, der 1

) Neben Mahomet, Tancred vor allem Faust Akt III. ) Aufführung von Glucks u. Guillards Oper Iphigenia in Tauris am 27. Dez 1800 in Weimar. 3 ) G’s Tgb vermerkt am 8. Apr: In Oßmanstädt bey Hrn. Hofrath Wieland . . . 4 ) Wieland arbeitete 1802 an der Übersetzung: Helena. Eine Tragödie von Euripides. Uebersezt von C. M. Wieland. In: Neues Attisches Museum 1, Heft 1, 1805, S. 47−158. − Die Tragödie lag bis dahin nur in einer Prosaübersetzung Helena in Ägypten von F. Nüscheler (Zürich 1780) vor. 2

504

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1803

Chor erscheint oft als ein lästiges Herkommen, als ein aufgeerbtes Inventarienstück. Er wird unnöthig und also, in einem lebendigen poetischen Ganzen, gleich unnütz, lästig und zerstörend, z. B. wenn er Geheimnisse bewahren soll, an denen er kein Interesse hat und dergl. Mehrere Beispiele finden sich in den Stücken des Euripides, wovon ich die Helena und Iphigenie auf Tauris nenne. Sept ⎯ (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 18. Juni 1804 −: Pausanias ou voyage historique de la Gre`ce, trad. en franc¸. Avec des remarques par l’abbe´ Gedoyn. T. 1. 2. Amsterdam 1733.)1) 12. [Nachmittags] Die Gemählde des Pausanias.2) Prof. Meyer abends. [Sept 12./ Nachricht des Pausanias von Polygnots Gemählde3) (GSA 25/XLVI,1): Okt 3.] [Vorbemerkung G’s] An der Wand eines öffentlichen Versammlungsor-

tes, zu Delphi, sah man ein grosses Gemählde, das zum Theil die Einnahme von Troja, zum Theil die, ihre Rückkehr antretenden Griechen, darstellte. Es ist von der Rechten gegen die Linke beschrieben. Erste Abtheilung. [Übersetzung von Pausanias:] III. . . . Helena sitzt, bey ihr steht ein junger Mann, wahrscheinlich Eurybates, der Herold des Odysseus. Zwar unbärtig. Helena hat ihre zwey Frauen neben sich, Panthalis4) und Elektra; die erste steht bey ihr, die andere bindet ihr die Schuhe. Sept 13. [Nachmittags] Gemälde des Polügnots nach Pausanias. Abends Prof. Meyer eben derselbe Gegenstand.

1

) s. oben 13. Sept 1800: aus der Weimarer Bibliothek. − Keudell sieht mit dem Ausleihzettel Pausanias französ. 2 Vol. wieder die Amsterdamer Ausgabe von 1733 in 4 Bdn. bezeichnet; dann müßte aber T. 1. 2. durch T. 3. 4. ersetzt werden, da G diesmal Pausanias auslieh, um die Nachricht des Pausanias von Polygnots Gemählde (GSA 25/ XLVI, 1) zu studieren, u. diese sich in Bd 4, S. 204−29 (= Buch X 25−31) befindet. Vermutl. bezeichnet der Ausleihzettel die auch in der Weimarer Bibliothek vorhandene zweibändige Pariser Ausgabe von 1731; darin die Nachricht Bd 2, S. 371−88. 2 ) Erstes Z für G’s Studium von Polygnots Gemälden in der Beschreibung des Pausanias, das sich auf die Helena-Gestalt auswirkte; s. auch unten 1803 Sept 13.: Tgb u. Okt: Polygnots Gemählde in der Lesche zu Delphi. − Lektüre der Beschreibung Griechenlands des Pausanias Buch X 25−31 im grch. Urtext sowie in lat. u. frz. Übersetzung; deren Ausleihungen s. Keudell Nr. 323 u. 326. 3 ) Partielle Übersetzung von Buch X 25−31, fertiggestellt spätestens 3. Okt 1803, da als Beilage im Brief an die Brüder Riepenhausen am 4. Okt 1804 abgegangen; vgl. Scheidig SchrGG 57, 372f. − G übersetzte nur die beschreibenden Partien, ließ die kommentierenden weg; Übers. ursprüngl. separat auf Vs eines Faltblatts, danach Bestandteil des Aufsatzes Polygnots Gemählde in der Lesche zu Delphi. (W 48, 81−120). 4 ) Von G als Name für die Chorführerin [vor 8488] übernommen. Dazu E. Schmidt 1902, 358: „Panthalis“ hieß die Chorführerin 1800 noch nicht, und auch ihre individuelle Sonderstellung gegenüber den Elementargeistern ist neu. Goethe las in Pausanias..: „Helena hat ihre Frauen neben sich, Panthalis und Elektra.“ Vgl. E. Szanto: Zur Helena in Faust. Ausgewählte Abhandlungen. Tübingen 1906, 362.

1803 [Okt]

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

505

Polygnots Gemählde in der Lesche zu Delphi1) (W 48, 107−10): Ü b e r d i e Ve r h e r r l i c h u n g d e r H e l e n a . Haben wir das erste Gemählde mit Pausanias von der Rechten zur Linken betrachtet, so gehen wir dieses lieber von der Linken zur Rechten durch. Hier ist von keiner Gewaltthätigkeit [wie im Gemälde Eroberung von Troja] die Rede mehr. Der weise Nestor, noch in seinem höchsten Alter als Pferdebändiger angedeutet, ist am Ufer als Vorsteher einer mit Vorsicht vorzunehmenden Einschiffung gestellt; neben ihm, in drei Stockwerken über einander gehäuft, gefangne Trojanische Frauen, ihren Zustand mehr oder weniger bejammernd. Nicht mehr, wie sonst, ausgetheilt in Familien, der Mutter, dem Vater, dem Bruder, dem Gatten an der Seite, sondern zusammengerafft, gleich einer Heerde in die Enge getrieben, als Masse behandelt, wie wir vorhin die männlichen Todten gesehen. Aber nicht schwache Frauen allein finden wir in dem erniedrigenden Zustande der Gefangenschaft; auch Männer sieht man, meist schwer verwundet, unfähig zu widerstehen. Und alle diese geistigen und körperlichen Schmerzen, um wessentwillen werden sie erduldet? Um eines Weibes willen, des Sinnbildes der höchsten Schönheit. Hier sitzt sie wieder, als Königin, bedient und umstanden von ihren Mägden, bewundert von einem ehemaligen Liebhaber und Freier und ehrfurchtsvoll durch einen Herold begrüßt.2) Dieser letzte merkwürdige Zug deutet auf eine frühere Jugend zurück, und wir werden sogleich auf eine benachbarte Gruppe gewiesen. Hinter Helenen steht Aithra, Theseus Mutter, die schon um ihrentwillen seit langen Jahren in der Gefangenschaft schmachtet und sich nunmehr wieder als Gefangene unter den Gefangenen findet. Ihr Enkel Demophon scheint neben ihr auf ihre Befreiung zu sinnen. Wenn nun, wie die Fabel erzählt, Agamemnon, der unumschränkte Heerführer der Griechen, ohne Helenens Beistimmung die Aithra loszugeben nicht geneigt ist, so erscheint jene im höchsten Glanze, da sie mitten unter der Masse von Gefangenen als eine Fürstin ruht, von der es abhängt, zu binden oder zu lösen. Alles, was gegen sie verbrochen wurde, hat die traurigsten Folgen; was sie verbrach, wird durch ihre Gegenwart ausgelöscht. Von Jugend auf ein Gegenstand der Verehrung und Begierde, erregt sie die heftigsten Leidenschaften einer heroischen Welt, legt ihren Freiern eine ewige Dienstbarkeit auf, wird geraubt, geheirathet, entführt und wieder erworben. Sie entzückt, indem sie Verderben bringt, das Alter wie die Jugend, entwaffnet den rachgierigen Gemahl; und vorher das Ziel eines verderblichen Krieges, erscheint sie nunmehr als der schönste Zweck 1

) Zur Entstehung des Aufsatzes s. Z in „Polygnots Gemählde in der Lesche zu Delphi“. ) Trevelyan 1949, 271 vermutet: Das Motiv der Verzückung des Lynkeus beim Anblick Helenas und seiner aus ihren Händen empfangenen Begnadigung könnte durch dieses Gemälde angeregt sein.

2

506

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1803

des Sieges, und erst über Haufen von Todten und Gefangenen erhaben, thront sie auf dem Gipfel ihrer Wirkung. Alles ist vergeben und vergessen; denn sie ist wieder da. Der Lebendige sieht das Lebendige wieder und erfreut sich in ihr des höchsten irdischen Gutes, des Anblicks einer vollkommenen Gestalt.1) Und so scheint Welt und Nachwelt mit dem Idäischen Schäfer [Paris] einzustimmen, der Macht und Gold und Weisheit neben der Schönheit gering achtet. Mit großem Verstand hat Polygnot hiernächst Briseı¨s, die zweite Helena, die nach ihr das größte Unheil über die Griechen gebracht, nicht ferne hingestellt, gewiß mit unschätzbarer Abstufung der Schönheit. Und so wird denn auch der Moment dieser Darstellung am Rande des Bildes bezeichnet, indem des Menelaos Feldwohnung niedergelegt und sein Schiff zur Abfahrt bereitet wird. Zum Schlusse sei uns noch eine Bemerkung erlaubt. Außerordentliche Menschen als große Naturerscheinungen bleiben dem Patriotismus eines jeden Volks immer heilig. Ob solche Phänomene genutzt oder geschadet, kommt nicht in Betracht. Jeder wackere Schwede verehrt Karl XII, den schädlichsten seiner Könige. So scheint auch den Griechen das Andenken seiner Helena entzückt zu haben. Und wenn gleich hie und da ein billiger Unwille über das Unsittliche ihres Wandels entgegengesetzte Fabeln erdichtete, sie von ihrem Gemahle übel behandeln, sie sogar den Tod verworfner Verbrecher leiden ließ, so finden wir sie doch schon im Homer als behagliche Hausfrau wieder; ein Dichter, Stesichorus, wird mit Blindheit gestraft, weil er sie unwürdig dargestellt; und so verdiente nach vieljähriger Controvers Euripides gewiß den Dank aller Griechen, wenn er sie als gerechtfertigt, ja sogar als völlig unschuldig darstellte und so die unerläßliche Forderung des gebildeten Menschen, Schönheit und Sittlichkeit im Einklange zu sehen, befriedigte.2)

1

) Dazu Schadewaldt 168: Diese Sätze gelten zunächst der Helena der griechischen Sage, so wie Polygnot sie auf seinem Bilde dargestellt hat. Allein sie gelten, wie Goethe am Anfang der Schilderung selbst bemerkt, in Helena zugleich dem »Sinnbild der höchsten Schönheit«, und so ist wirklich beides: die Macht und Wirkung der Schönheit wie ihr Wesen, in diesen Sätzen andeutend ausgesagt. Die Macht ist in ihrer ganzen Paradoxie gefaßt: die Gefangene bedient, bewundert, eine Königin, der es in die Hand gelegt ist, zu binden und zu lösen. Es sei schon hier bemerkt, daß Goethe eben dieses Letzte in der Begnadigungsszene des Zweiten Faust wieder aufgenommen hat: »doch nur du allein bestrafst, begnadigst, wie dirs wohlgefällt« (9211f.), und Helena löst, begnadigt den Turmwächter. Die Macht der Schönheit aber ist zugleich ebenso übermächtig wie dämonisch: sie erregt Leidenschaften, entwaffnet das Racheverlangen, erreicht thronend über Haufen von Toten und Leidenden den Gipfel ihrer Wirkung. Es gibt Verbrechen gegen sie, die schlimmste Folgen haben, sie selber aber bleibt schuldlos: ihre Gegenwart löscht jede ihrer Verfehlungen aus. 2 ) Wichtiges Z für G’s Auffasung der Helena-Gestalt; vgl. H. Nahler: Obwohl zwischen Faust II und dem kunsthistorischen Aufsatz bisher keine philologisch nachweisbaren Arbeitszusammenhänge festgestellt worden sind, gehört das Polygnotstudium zweifellos

1804

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

507

1804 Febr

8. An Schiller (Br 17, 61): Mit den besten Grüßen hierbey verschiedenes:

. . . 4. Ein, ich fürchte, abermals verunglückter Versuch ein griechisches Trauerspiel heranzurücken;1) besonders scheint mir der an den alten, für uns vielleicht zu schweren Schritt des Trimeters ohne Vermittlung angeknüpfte gereimte Chor sehr unglücklich. 8. [Weimar] Schiller an G (SNA 32, 107f.): Für das überschickte2) danke ich allerschönstens. Mit den griechischen Dingen ist es eben eine mißliche Sache auf unserm Theater und, unbesehen des Werks, würde ich schon dagegen rathen. Hat man Ihnen nicht abseiten [= von seiten] Wielands von einer Aufführung der Helena des Euripides3) gesprochen, wobey aber der Chor mit der Flöte soll begleitet werden. Ich habe schon vor 5 Wochen davon reden hören und vergeßen Sie zu fragen.

1810 Jan

22. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 6. Febr 1810 −: Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter, neu bearb. u. hrsg. von Ludewig Tieck. Berlin 1803.)4)

1811 Dez

4. [Kassel] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 169): Fragen wollen, was in dieser Geschichte [Geschichte Gretchens in DuW] Tatsache und was Mythus sei, kommt mir gerade so vor wie die Untersuchungen meines Freundes Geoffroy im Feuilleton: ob die

zu den wichtigen inneren Aneignungs- und Wachstumsvorgängen, die schließlich später zur endgültigen Gestalt der Helena-Dichtung führten. (GJb 1966, 100). Zur Übereinstimmung von G’s Auffassung der Helena mit Polygnot bzw. Pausanias; vgl. auch E. Szanto: Zur Helena in Faust, Ausgewählte Abhandlungen. Tübingen 1906, Trevelyan 1949, 271 u. a. 1 ) Mit Begleitbrief vom 17. Jan 1804 zugesandte Bearbeitung der Elektra des Sophokles für die Bühne von Gottfried Gabriel Bredow. Dessen Zusendung blieb unbeantwortet. − Das Werkverzeichnis in G. G. Bredow’s nachgelassenen Schriften (Hsg. v. J. G. Kunisch. Breslau 1816) verzeichnet die Bearbeitung nicht; sie scheint nicht gedruckt worden zu sein. 2 ) Es waren drei Nummern der Allgemeinen Zeitung, die Besetzungsliste für die Macbeth-Aufführung in Weimar, Schillers Berglied u. die Bearbeitung der Elektra des Sophokles von G. G. Bredow. 3 ) Wieland hatte Euripides’ Helena übersetzt (Neues Attisches Museum. Bd 1. Zürich 1805, 47−158). Eine Aufführung kam nicht zustande. 4 ) Die Ausleihe erfolgte zu G’s Maskenzug Die romantische Poesie; ob sie Auswirkungen auf die Lynkeus-Lieder hatte, wie Rüdiger 1964, 182f. meint, der auf Heinrichs v. Morungen Minnesang hinweist, dem einzelne Motive u. Reime in Lynkeus’ Liedern (9218ff.) in Sz. [2] Innerer Burghof gleichen, bleibe dahingestellt. Vgl. auch W. MüllerSeidel: Lynkeus. Lyrik und Tragik in Goethes Faust. In: Sprache und Bekenntnis. Hsg. von W. Frühwald u. G. Niggl. Berlin 1971, 84f.

508

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1811

Fräulein Helena ihre Jungfrauschaft an Theseus, den roue´, im siebenten oder vierzehnten Jahre, oder ob sie sie überhaupt schon damals verloren habe? Wie Monsieur Me´ne´las und alle die Prinzen und Grafen im Trojanischen Krieg so blödsinnig haben sein können, sich um eine alte Dame zu schlagen, statt aus der ganzen Sache einen Spaß zu machen?1)

1814 Juli

⎯ Hs. zum Deutschen Divan2) (W 6, 67):

Höre den Rath den die Leier tönt3) . . . „Was tönt denn die Leier?“ Sie tönet laut: Die schönste das ist nicht die beste Braut4). . .

1816 ⎯

⎯ Aus meinem Leben. Von Goethe. Zweyter Abteilung Erster Theil. Auch

ich in Arcadien!5) Stuttgard und Tübingen. 1816. Mai 22. Lord Byrons Gedichte.6) [Dez 16.] (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb u. H P63 gD, S. 6477.)

1

) vgl. unten 17. März 1830: Eckermann. ) Im ›Deutschen Divan‹ als Nr. 19, im ED 1819 als Motto zum Buch der Betrachtungen verwendet. 3 ) die Leier − (griech lyra) steht hier für das, was seit Homers Zeiten zu ihr gesungen wurde. 4 ) Zwar wurde G durch Hafis zum Anfang des Gedichts angeregt, doch das Hauptmotiv − Die schönste das ist nicht die beste Braut − fügte er selber im Anschluß an Homer hinzu, der an der ›schönsten‹ − Helena − die Unheil auslösende Wirkung unwiderstehlicher Schönheit dargestellt hatte. 5 ) Das beziehungsvolle Motto: Auch ich in Arcadien! gab G nur dem ED der Ital. Reise bei. 6 ) Erstes Z zu G’s Beschäftigung mit Lord Byron; danach verfolgte er dessen Leben und Werk mit größter Anteilnahme wie bei keinem anderen zeitgenössischen Autor; s. die EGW-Artikel „[Byron I:] Manfred, a dramatic Poem of Lord Byron“, „[Byron II:] [Aus Byrons Manfred]“, „[Byron III:] Byrons Don Juan“, „[Byron IV:] [Aus Byrons English Bards and Scotch Reviewers]“, „[Byron V:] Cain. A mystery by Lord Byron“, „Goethe’s Beitrag zum Andenken Lord Byrons“, „Capitain Medwins Unterhaltungen mit Lord Byron“ u. „Major Parry über Lord Byron“. Mit der Euphorion-Gestalt setzte Goethe Lord Byron ein Denkmal der Liebe, s. unten 5. Juli 1827: Eckermann. 7 ) Die für DuW Buch 18 geplante Inhaltsangabe zu Faust II enthält wichtige Aufschlüsse, wie G sich damals den Verlauf der Helena-Handlung vorstellte. 2

1817

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

509

1817 ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte1) (W 16, 128): Englische Poesie und Literatur

trat vor allen andern dieses Jahr besonders in den Vordergrund; Lord B y r o n s Gedichte, je mehr man sich mit den Eigenheiten dieses ausserordentlichen Geistes bekannt machte, gewannen immer größere Theilnahme . . . Bei erleichterter Gelegenheit seine Werke zu finden und zu besitzen, ward es auch mir zur Gewohnheit mich mit ihm zu beschäftigen. Er war mir ein theurer Zeitgenoß, und ich folgte ihm in Gedanken gern auf den Irrwegen seines Lebens.2) ⎯ Aus meinem Leben. Von Goethe. Zweyter Abteilung Zweyter Theil. Auch ich in Arcadien!3) Stuttgard und Tübingen. 1817.

1818 Mai

3. West-östlicher Divan, Buch Suleika (W 6, 180):4)

B e h r a m g u r , sagt man, hat den Reim erfunden, Er sprach entzückt aus reiner Seele Drang; D i l a r a m schnell, die Freundin seiner Stunden, Erwiderte mit gleichem Wort und Klang. Und so, Geliebte, warst du mir beschieden Des Reims zu finden holden Lustgebrauch, Daß auch Behramgur ich, den Sassaniden, Nicht mehr beneiden darf: mir ward es auch. . .

1

) Verfaßt 1825 Apr 29. / Mai 2. ) Zu Sz. [3] Arkadien. 3 ) Hier wiederholt G noch einmal das beziehungsvolle Motto: Auch ich in Arcadien! 4 ) Zu Sz. [2)] Innerer Burghof (9365−84) die sog. ›Reimfindungszene‹. G war in J. v. Hammers Geschichte der schönen Redekünste Persiens (Wien 1818) auf folgende Legende gestoßen: Als die ältesten Denkmahle persischer Poesie führen die Geschichtschreiber derselben einzelne Verse B e h r a m g u r s , des großen Fürsten der Sassaniden an, welche der Erste in gebundener Rede gesprochen haben soll. Die Veranlassung hiezu soll D i l a r a m , seine geliebte Sclavinn, gewesen seyn, welche aus gleichgestimmter liebender Gesinnung die Rede ihres Kaisers und Geliebten mit gleichgemessenen und am Ende gleichtönenden Worten wiederhohlt habe. So seyen die ersten Verse entstanden . . . (35) Die Einschmelzung des schon im West-östlichen Divan verwendeten oriental. Motivs in den Dialog von Faust und Helena ermöglichte G in aller gebotenen Handlungskürze einen der heikelsten dramatischen Knoten zu schürzen: die über Raum- und Zeitenferne Fremdesten in echten Kontakt zu bringen u. Helenas Liebesgefühle für Faust auf der Bühne überzeugend darzustellen. Schon Düntzer in seiner Erläuterung von Goethes Westöstlicher Divan (Leipzig 1878) betont, dass Goethe J.v. Hammers Hinweis auf die Reimffindung durch die Liebenden Behramgur und Dilaram später in der H e l e n a des F a u s t so glücklich benutzt hat. (346f.) 2

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[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1818

Juni 25. [Jena] . . . kam die Leipziger Sendung Kupfer, welche ich durchging.1) 29. [Heidelberg] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 225): Seit dem Frühjahr ist . . . wieder ein reichlicher Segen von Besuchen ausgezeichneter oder vornehmer Personen. Ich erwähne darunter nur einen geistreichen Engländer [W. R.] Spencer, Übersetzer von Bürgers Leonore . . . Wir sprachen über Lord Byron. Er rühmte ihn sehr, sagte aber, daß dieser Mann wegen seinem frevelhaften Leben bei seinen Landsleuten in gar bösem Ruf stehe. Ich kenne einstweilen nur die in der „eleganten Zeit“ übersetzten Scenen aus dem Manfred2); des Originals konnte ich noch nicht habhaft werden. Ich finde jedoch in dem wenigen schon bestätigt, was Sie mir letzthin schrieben.3) Es ist ein furchtbar dämonisches Wesen in seinen Gedanken und ich weiß nicht, ob ich mehr bewundern soll, daß er die Kraft hat sie auszubilden, oder ob ich mehr beklagen soll, daß er mit solchen Gespenstern gequält ist.

1819 Nach Tische Dodwell Reise durch Griechenland4) . . . [Abends] Nachher für mich jene Lecture fortgesetzt.

Dez 14. [Weimar]

1820 Apr 12. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 17. Apr 1820 −: Dodwell, Edward: A classical and topographical tour through Greece during the years 1801, 1805 u. 1806. Vol 1. 2. London 1818 bis 1819).

1821 Mai 10. [Heidelberg] J. H. Voß d. J. an G (GSA 28/93 Bl. 217): Mein Vater, der Sie herzlich begrüßt, legt ein Exemplar seines eben vollendeten Virgil5) und Horaz bei. 1

) Die auf der Kupferstichauktion in Leipzig am 14. Mai 1818 erworbenen Radierungen u. a. von Claude Gillot, dessen Feste de Bacchus, ce´le´bre´e par des Satyres et des Bacchantes (Femmel 1980, K 27/2) können Anschauungsmaterial für das Dionysos-Fest am Ende von Akt III geliefert haben. Vgl. Sz. [3] Arkadien: Abgang des Chors (10011ff.). 2 ) Geisterszene aus ,Manfred‘, Drama des Lord Byron; überdichtet von Wilhelm Gerhard. In: Zeitung für die elegante Welt Nr 87 v. 4. Mai 1818, 689−93 u. Nr. 88 v. 5. Mai 1818, 699−702; zur ersten Beschäftigung mit Byron s. 22. Mai 1816: Tgb. 3 ) Bzgl. auf 1. Mai 1818: an Boissere´e, zit. in „Faust. Eine Tragödie“, S. 283f. 4 ) Zur Vorbereitung auf Helena: Topographie der Schauplätze in Griechenland. − Erste Kenntnisnahme des Griechenland-Buchs von Dodwell; erneut ausgeliehen 12. Apr 1820: aus der Weimarer Bibliothek; s. auch 14. Juni 1825: Tgb. − Auf den irisch-engl. Altertumsforscher war G schon Ende 1813 aufmerksam, als er Bergrat J. G. Lenz um Auskunft über dessen Person bat; vgl. an Lenz (Br 24, 60). 5 ) Des Publius Virgilius Maro Werke von Johann Heinrich Voss. In drei Bänden. Zweite verbesserte Ausgabe. Braunschweig 1821; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1455). − Bd 1: Ländliche Gedichte und Anhang; darin S. 45−52 Ecloga IV. Dort erträumt Virgil eine

1821

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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Juni 28. Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 8, 312): 28. ejd. [Juni] P. V. Maro Werke übersetzt von J. H. Voß Vom Übersetzer1) Juli

22. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an J. H. Voß d. J. gD, S. 665f.)

Nov 25. [Abends] In den Branischen Miscellen . . . die Lateiner in Constanti-

nopel2) gelesen.

reine Welt des Friedens, der Liebe, des Gesanges u. göttlichen Lebens, reich an Wald, Blumen, Ähren, Weinbergen, die er Arkadien nennt. Die Übers. von Voß endigt mit den Versen: Soll auch Pan sich besiegt vor Arkadiens Richtern erklären! Auf, holdseliges Kind, und erkenn am Lächeln die Mutter! . . . Wen nicht anlachten die Eltern, / Würdigte weder des Tisches der Gott, noch die Göttin des Lagers! − Daß G Vorstellungen Virgils in die Sz. [3] Arkadien aufgenommen hat, liegt nahe. In Virgils Eclogae kommt die grch. Landschaft Arcadia nur als Heimat des Pan vor. G hielt sich bei Schilderung der Kunstwelt Arkadien, in die Faust Helena zu wonnevollem Bleiben auffordert (9526−61), eng an die Bilder der Ecloga IV. Doch wenn er dieses poetische Arkadien u. das Glück darin arkadisch frei nennt, so folgt er nicht Virgil, sondern der Schäferdichtung der Renaissance u. späterer Zeiten, die nach dem Vorbild des Hirtenromans Arcadia von Jacopo Sannazaro (1504) einer heidnisch-antiken Wunschwelt den Namen der grch. Landschaft beigab. − Weitere Erwähnungen der Eclogae s. 1821 Mai 10.: J. H. Voß. an G; Juni 28.: Bücher−Vermehrungsliste; Juli 22.: an J. H. Voß.; Anspielungen auf Ecloga II auch in den Noten und Abhandlungen zum Divan (W 7, 11), auf Ecloga III an W. v. Humboldt, 1. Dez 1831. Dass G von Kindheit an Virgil las, bestätigt DuW Buch 1. − G’s Bibliothek umfaßte neun Virgil-Editionen (Ruppert Nr.1452−1460). 1 ) Z in Bezug auf Sz. [3] Arkadien: mögliche Lektüre der 4. Ekloge in dt. Übers.; s. die vorige Anm. 2 ) In Bezug auf die Sz. [1] Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta: Geschichte und Topographie der Faust-Burg (8984ff.) − Der Krieg der Lateiner gegen Constantinopel. Von P. D a r u . In: Miscellen aus der neuesten ausländischen Literatur. Jena, 29 (1821), 11. Heft, S. 177−248 u. 12. Heft, S. 345−383; die Miscellen wurden G vom Herausgeber F. A. Bran seit 1820 regelmäßig zugeschickt (Ruppert Nr. 312); der Eingang vom 11. Heft 1821 ist in der Bücher-Vermehrungsliste für Okt vermerkt (Tgb 8, 315). − Übersetzter Auszug aus: Histoire de la re´publique de Venise. Par P.[ierre] Daru, de l’acade´mie franc¸aise. Paris 1819. Übersetzt sind aus Bd I das Buch IV (S. 233−316) u. der Anf. des Buchs V (S. 317−344), wobei Einschübe zur venezianischen Innenpolitik weggelassen wurden. − Der Auszug behandelt in der Hauptsache die Geschichte des vierten Kreuzzugs (1202−1204), der ursprünglich nach Ägypten führen sollte, jedoch wesentlich auf Betreiben des greisen Dogen Enrico Dandolo nach Konstantinopel umgelenkt wurde u. mit dessen Eroberung durch die Kreuzfahrer u. der Zerstörung des christl. Byzantinischen Reichs endete. Weiterhin die Kämpfe mit den Byzantinern schildernd, schließt er mit der Eroberung Konstantinopels 1261 durch Michael III. Palaiogolos u. der Wiedererrichtung des Byzantinischen Reichs. − G erhielt durch den Abschnitt zum vierten Kreuzzug aus Darus Geschichte der Republik Venedig Kenntnis von der Verteilung des Byzantinischen Reichs an Venedig u. die Führer der fränkischen Kreuzfahrer. Über die Geschichte des peloponnesischen Fürstentums Achaia als des bedeutendsten Kreuzfahrerstaats in Griechenland u. über Wilhelm II. Villehardouin, der 1245ff. in Mistra die stärkste Zwingburg des Landes erbaute, konnte er aus dem Auszug nichts erfahren. Nach der Daru-Lektüre lag gleichwohl die Vermutung nahe, daß die Burg Mistra, von deren Existenz er seit Sept 1800 wußte, eine fränkische Gründung gewesen war. − Johanna Schmidt GJb 1956, 149 nimmt als weitere Quelle für G’s Kenntnis des vierten Kreuzzugs den biographischen Aufsatz von Friedrich Buchholz Heinrich Dandolo, Doge von Venedig an, erstveröffentlicht in: Geschichte und

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[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1822

1822 Mai 22. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 54f.): Bald entspann sich groser Meinungsstreit über die G r i e c h i s c h e n Angelegenheiten [Beginn des grch. Aufstands]. Er führte gegen mich die Sätze durch, daß der Krieg nur den Untergang der Christen in der Türkey beschleunige, daß Constantinopel doch nicht zerstört, keinem unsrer Potentaten aber ohne Gefahr, dessen Weltherrschaft dadurch zu begründen, überlassen werden könne. Wollte Man aber einen mindermächtigen Staat, oder eine Republick dort gründen, so würden die grösern Mächte sich dort fortwährend um Steigerung ihres Einflusses bemühen und eine ebenso unseelige Gewalten-Zersplitterung hervortreten als z. B. jetzt zu Mainz. Dabey erzählte er die merkwürdige Expedition des Doge Dandolo von Venedig, zu Anfang des 13. Jahrhunderts, nach Constantinopel mit französischen Rittern, die es auch wirklich eroberten.1)

1823 März ⎯ [Paris] J. H. de Saur & L. de Saint-Ge´nies. Des Hommes Ce´le`bres de France au dixhuitie`me sie`cle, et de l’e´tat de la litte´rature et des arts `a la meˆme ´epoque. Par M. Goe¨the: traduit de l’allemand. Paris 1823, 272) . . . Notice abre´ge´e sur la vie et les ouvrages de M. Goe¨the . . .3) Ce drame de Faust . . . Cet art d’eˆtre profonde´ment vrai par les de´tails dans une composition tout-a`-fait fantastique n’appartient qu’a` l’auteur de Faust; c’est par la` qu’il fait illusion, et qu’il donne de la consistance et de la re´alite´ `a cette fantasmagorie dramatique.4) Il s’empare du cœur en meˆme temps qu’il ´ebranle l’imagination: c’est en quelque sorte avoir retrouve´ le secret d’Home`re, chez lequel tous les ´eve´nements sont merveilleux et tous les sentiments naturels.

Politik. Eine Zeitschrift. Hsg v. Karl Ludwig Woltmann. Berlin 1805, 1. St., S. 273−327. Ihre Annahme stützt sie auf einen Ausleihzettel vom 19. März 1819, den Keudell nicht sicher identifizieren konnte u. bei dem sie Geschichte und Politik. E. Zeitschr. hrsg. von Karl Ludwig Woltmann. Bd. 3. Berlin 1805 (Nr. 1220) vermutete. Der Aufsatz steht jedoch nicht im 3., sondern im 1. Bd (= Stück). Abgesehen von der nicht belegten Ausleihe ist es wenig wahrscheinlich, dass G sich erst März 1819 eine Zeitschrift von 1805 auslieh u. wiederum erst 3 Jahre später darüber zu sprechen kam. Auch enthält der Aufsatz nichts, was bei Daru nicht viel genauer u. ausführlicher dargestellt ist; s. unten 22. Mai 1822: F. v. Müller. 1 ) Z zur Sz. [1] Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta: Geschichte u. Topographie der Faust-Burg (8984ff.) u. Arkadien: Byron u. der Griechische Befreiungskampf; s. oben 25. Nov 1821: Tgb. 2 ) Am 11. Apr sandte Graf Reinhard dies Werk an G; Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 9, 325). 3 ) Das Vorausgehende s. in „Faust. Eine Tragödie“: de Saur u. de Saint-Ge´nies, S. 349. 4 ) Der Ausdruck fantasmagorie taucht hier erstmalig im Zusammenhang mit Faust auf, bevor G selber 1826 den Helena-Akt als Klassisch-romantische Phantasmagorie bezeichnete.

1824

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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1824 März 5. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 17. März 1824 − : Museum Worsleyanum or a collection of antique bas-relievos, busts, statues and gems. Vol. 1 . . . London 1824)1) Apr 19. Lord Byron stirbt.2) Mai 23. Erste Nachricht vom Tode des Lord Byron [am 19. Apr 1824]. Juni 15. Goethe’s Beitrag zum Andenken Lord Byrons. Erster Entwurf (W 42.1,

Juli

427f.): Mit Vergnügen ergreife ich die Gelegenheit auszusprechen, wie ich das Genie des Lord Byron von jeher in hohen Ehren gehalten, den Reichthum seiner productiven Kraft bewundert und seinen so schaffenden als durchdringenden Geist zu schätzen gewußt. Der Unfriede mit sich selbst, welcher überall durchblickt, betrübte mich, ohne meine gefühlvollste Hochachtung zu beeinträchtigen. Meine Gesinnungen gegen ihn sprach ich in Gesellschaft öfters lebhaft aus, ohne mich öffentlich darüber zu erklären; nur in einigen Heften von Kunst und Alterthum finden sich übersetzte Stellen, auch weniges muthmaßliche über die Person des Dichters. Das Inhaltsverzeichniß am Ende des vierten Bandes wird hierüber weitere Nachweisung geben.3) 4. Kräuter, Auskunft wegen Missolunghi.4) 16. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Max an G gD, S. 681 f.) 20. [Nachmittags] Über den Tod von Lord Byron von Walter Scott.5)

1

) [Richard Worsley/Ennio Quirino Visconti:] Museum Worsleyanum; or a collection of antique basso-relievos, bustos, statues and gems: with views of the places in the Levant; taken on the spot in the years 1785, 1786 and 1787. London 1824. − Erste Kenntnisnahme des Tafelwerks; s. unten 14. Juli 1825: aus der Weimarer Bibliothek. 2 ) Nachträgliche Eintragung; die Todesnachricht erreichte G erst am 23. Mai 1824 (s. dort). 3 ) s. weitere Z in „Goethes Beitrag zum Andenken Lord Byrons“, EGW 6, 620−85. 4 ) Hier, dem Hauptstützpunkt der Griechen im Freiheitskampf, war Byron an Malaria gestorben. 5 ) Sir Walter Scott: Sur la mort de Lord Byron. Paris 1824; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 50). − Broschüre mit der frz. Übersetzung des Nachrufs Death of Lord Byron von W. Scott u. einer vorangestellten Lettre de traducteur des oeuvres de Sir Walter Scott ´ diteur. − Scott verfaßte den Nachruf sofort [Auguste Jean Baptiste Defauconpret] a ` l’E nach Erhalt der Todesnachricht u. veröffentlichte ihn im Edinburgh Weekly Journal vom 19. Mai 1824. Danach Wiederabdruck in vielen Zeitungen u. Zeitschriften. − Der Nachruf, der Byron überschwenglich würdigt, schließt in der frz. Übersetzung: c’est une re´flexion consolante de penser qu’elle [la mort] a trouve´ notre Byron, non pas dans un moment de frivolite´, mais consacrant sa fortune et hasardant sa vie en faveur d’un peuple qui ne lui ´etoit cher que par sa gloire passe´e, et a ` cause de ses souffrances sous le joug d’un oppresseur paı¨en. Pe´rir dans une croisade pour la liberte´ et l’humanite´, c’eu ˆt ´ete´, dans les anciens temps, une expiation des crimes les plus noirs; une telle mort peut bien de nos jours expier de plus grands torts que ceux don’t la calomnie, qui exage`re tout, a accuse´ Byron. (S. 28)

514

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1824

Juli 26., 28. u. 29. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 682) 30. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Knebel gD, S. 682) Aug 10. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Eckermann Gespräche gD, S. 682) 15. [Eutin] F. v. Raumer an G (GSA 28/723): Ich unterstehe mich Ewr Excellenz die vier ersten Bände meiner Geschichte der Hohenstaufen zu überreichen. Nehmen Sie dieselben als ein Zeichen der aufrichtigsten Verehrung u der herzlichsten Dankbarkeit auf; − denn was man ist, das blieb man andern schuldig! Freilich möchten Sie ungeduldig werden, über die Unzahl der Dankbaren, u ich verlange in der Tat nicht daß Sie meinem dicken Buche irgend Zeit widmen; obgleich Ihre Belehrung mir unendlich wichtiger wäre, als das Urtheil sogenannter Sachverständigen. Auf jeden Fall verzeihen Sie, daß ich diese Gelegenheit ergreife, mich, den Schüler, dem geneigten Andenken des Meisters zu empfehlen.1) [Okt (III H19 zu Sz.[1] Vor dem Palast mit 8860−69)2) nach 1.] ?

30. An Zelter (Br 38, 279): Sonst wird noch mancherlei gefördert was

durch das aufgeregte Leben jener Epoche wieder in’s Leben tritt. Nov 25. Gegen Abend Herr Canzler die neusten Byronschen Angelegenheiten

besprechend. Späterhin Conversations de Lord Byron premier.3) 26. [Nachmittags] Lord Byrons Unterhaltungen weiter gelesen. [Dez (III H39 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9127−31)4) nach 5.] [vor 10.] [Breslau] J. Max an G (GSA 28/109 Bl. 297): Euer Excellenz bitte ich um Hochgeneigte Erlaubniß die Fortsetzung von Tausend und Eine Nacht 2 − 9 . . . übersenden zu dürfen.5)

1

) Begleitbrief zur Zusendung von: Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit von Friedrich von Raumer. Bde 1−4. Leipzig 1823/24; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 3348). − G las die 4 Bde in der Zeit vom 5. Sept bis zum 23. Okt 1824. Raumer gibt in Bd 3 Buch 6 als 7. Hauptstück (S. 189−245) Das Morgenland, der Kreuzzug wider Konstantinopel und die Gründung des lateinischen Kaiserthums (1196−1215). Gegen Ende dieses Hauptstücks führt er aus: Durch die unerwarteten Siege der Franken waren die Griechen in so gränzenlose Furcht gesetzt worden, daß unglaublich kleine Abtheilungen von jenen die Eroberung ganzer Landschaften wagten und vollbrachten. Alle wurden jetzo vertheilt . . . Wir finden fränkische Herren in Argos, Sparta, Korinth, Athen u.s.w. (S. 234). − G konnte hier seine Kenntnis des 4. Kreuzzugs vertiefen, der ihm schon durch einen übersetzten Auszug aus der Histoire des la re´publique de Venise von P. Daru vertraut war; s. oben 25. Nov 1821: Tgb. 2 ) III H19 (W 15.2, 68) Anhaltspunkt für die Datierung: Mitteilung auf Rs durch Wesselhöft vom 1. Okt 1824. 3 ) G las die frz. Übersetzung von A. T. Davesie`s de Ponte`s, die am 6. u. 13. Nov 1824 in Paris erschienen war: Conversations de lord Byron, recueillis pendant un se´jour de sa seigneurie `a Pise, dans les anne´es 1821 et 1822, par Thomas Medwin. Traduit de l’anglais, sur les notes de l’auteur, par D... d. P...Tome Ier. Tome IIe 4 ) III H39 (W 15.2, 69): Datierung aufgrund von Notiz auf Rs vom 5. Dez 1824. 5 ) Die Geschichte des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu in Bd 9, 178−298 veranlaßte G, in Akt III Sz. [3] Schattiger Hain (9592−618) den Ort von Fausts Hochzeit mit Helena als unterirdischen Märchenpalast auszumalen; s. [13. Juni 1826]: III H60 u. III H61.

1824

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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Dez 10., 11., 12., 13., 15. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 684) 16. [Nachmittags] Medwins Unterhaltungen mit Byron.1) 17. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 684) 18.2) An J. Max (Br 39, 48f.): Sie haben, mein werthester Herr, durch die

reichen Bändchen der Tausend und Einen Nacht mir die angenehmsten Abendunterhaltungen bereitet3) und deswegen thut es mir doppelt leid, auf Ihren freundlichen Antrag nicht eingehen zu können. Mein Verhältniß zu Lord Byron war gewiß das zarteste, gegründet auf eine zeitig empfundene sowie ernst geprüfte Hochschätzung seiner großen Dichtergabe, im Lauf der Jahre zugleich mit einem wechselseitigen Wohlwollen glücklich gesteigert, die schönsten Hoffnungen begünstigend und zuletzt durch ein grausames Geschick abgebrochen. Hierüber nur durch äußere Veranlassung laut zu werden, darf sich mein tiefer Schmerz nicht erlauben; nur wenn die Muse selbst mich drängte, müßt ich ihr gehorchen.4)

1825 Febr 26. An Faust einiges gedacht und geschrieben.5) 28. Einiges zu Faust6)

1

) Vermutl. die bei dem Breslauer Verleger J. Max erscheinende Übersetzung der Conversations of Lord Byron by Medwin, für die er in einem undatierten Brief an G um eine Abhandlung über Byrons Dichtungen und über seine ganze Stellung zum Zeitalter gebeten hatte; s. 18. Dez 1824: an J. Max. 2 ) Br 39, 49 zufolge datierte G den Brief irrtümlich: Weimar den 15. December 1824. 3 ) Die 1001 Nacht-Lektüre ermöglichte u. erleichterte G die Fortsetzung des HelenaAkts. 4 ) Dieser Fall trat ein in Sz. [3] Arkadien (9695−944) überschrieben Helena, Faust, Euphorion. . ., wo G in der Euphorion Gestalt seiner Liebe zu Byron u. tiefem Schmerz über dessen Tod Ausdruck gab. 5 ) Gräf II 2, 305 kommentiert, dass G sich zunächst dem Helena-Akt u. dem Schluß zuwandte. 6 ) Gräf II 2, 306 verweist auf E. Schmidt (W 15.2, 69) wonach auf einem 28. Februar 1825 datierten Briefkonzept an Dr. Schütz auf der Rs H38 von G in Blei mit 9122−26 zu III Sz. [1] Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta steht: Ja auf einmal wird es düster, ohne Glanz entschwebt der Nebel / Dunkelgräulich, mauerbräunlich. Mauern stellen sich dem Blicke, / Freiem Blicke starr entgegen. Ist’s ein Hof? Ist’s tiefe Grube? / Schauerlich in jedem Falle! Schwestern ach! wir sind gefangen, / So gefangen wie nur je. Diese Verse stehen unter den älteren Chorführerin-Versen 9141−51 zu III Sz. [2] Innerer Burghof: Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her; / Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht / Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher, / Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder Schritt. /Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth / Der wundersam aus vielen einsgewordnen Burg, / Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb. / Doch sieh, dort oben regt in Menge sich

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[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1825

[Febr (III H38 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 9122−26 u. zu Sz. [2] nach 28.] Innerer Burghof mit 9141−51)1) [März]

(III H8 zu Sz [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8610−37 u. P162)2). (III H12 zu Sz [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8810f. u. P172)3)

März 6. [Abends] Später für mich Lord Byrons Reise nach Griechenland.4) [nach9.]5) (III H31 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 9000−10 u. Stichworten zu 9013−44)6) 14. Abschrift von Faust. Helena vorgenommen7) . . . Griechische Mythologie

. . . [Abends] Die Angelegenheit wegen Faust weiter überdacht. [März/ (III H1 Bll. 1−17 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8587−90, Mitte – 8604−09, 8610−37, 8807−9126 u. Sz. [2] Innerer Burghof mit 9127−64)8) Anf. Apr] allbereits, / In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch / Sich hin und her bewegend, viele Dienerschaft; / Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es. 1 ) III H 28 (W 15.2, 69) Datierung aufgrund von Briefkonzept vom 28. Febr 1825. 2 ) III H8 (Bohnenkamp 574f.) egh Blei, mit Überschrift Chor der Trojanerinnen, datiert nach Bohnenkamp 575f. − P162 Schema-Entwurf (8488−etwa 9047), der auch schon Vorhandenes aufnimmt u. von Helenas Eingangsmonolog Helena von den Schiffen über das Eingangslied des Chors bis zur Konzeption des noch Auszuführenden (ab 8803ff.) reicht. − Zu H8 s. auch Bohnenkamp 575−77 u. FA I 7.2, 1024f. 3 ) III H12 (Bohnenkamp 570) egh Tintenentwürfe, datiert nach Bohnenkamp 571. − P172 entspricht im ausgeführten Text 9061ff. u. 9247f. − Zu H12 s. auch Bohnenkamp 571 u. FA I 7.2, 1023. 4 ) Gräf II 2, 307 vermutet: Lord Byrons Zug nach Griechenland. Ein Beitrag zur neueren Geschichte dieses Landes. Nach dem Engl. In: Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts. Von Dr. Friedrich Alexander Bran 1825 (Jan, Febr, März) 1, 146−60, 229−69. Vgl. G’s Tgb 7. März: In den Branischen Heften vieles gelesen. Es war eine komprimierte Wiedergabe, ohne Quellenhinweis, des im Jan 1825 erschienenen, 314 S. starken Buchs von Pietro Gamba: A Narrative of Lord Byron’s last journey to Greece, s. 28. Mai 1825: aus der Weimarer Bibliothek. 5 ) Datierung von III H31 aufgrund des die Entwürfe u. Vorarbeiten enthaltenden Theaterzettels vom 9. März. Dazu Bohnenkamp 598: Entstehung in der zweiten Märzhälfte ist wahrscheinlich. 6 ) III H31 (Bohnenkamp 597) enthält egh Bleistift- mit Tinte überzogene Entwürfe als Vorarbeit zu 9000−44, z. T. zurückgehend auf schon vorhandene Verse (9013−16), aber noch stark abweichend von der endgültigen Beschreibung, die Phorkyas, auf Helenas Frage nach Fausts Aussehn, von ihm u. seiner gotischen Burg gibt. Doch können die Abweichungen auch, wie Bohnenkamp 598 meint, mit dem nachträglichen Feilen und Umarbeiten aus metrischen Rücksichten zusammenhängen. − Zu H31 s. auch Bohnenkamp 598 u. FA I 7.2, 1027f. 7 ) Erste Tgb-Erwähnung der Helena (des späteren Akt III), die die Wiederaufnahme der um 1800 aus etwa 250 Versen bestehenden Dichtung bezeugt, deren früherer Titel, dem Umschlag zufolge, Helena im Mittelalter lautete. Die Hss. des Schreibers Geist stammen noch von 1800; nun, 25 Jahre später, schrieb John zunächst schon vorhandene Hss. ab, die, zu G’s Weiterarbeit dienend, nach u. nach mundiert u. ergänzt wurden. 8 ) III H1 (Bohnenkamp 554−67) Bll. 1−7 von Geists Hand, also von 1800, enthalten G’s egh Korrekturen u. Ergänzungen 8587−90, 8604−09 u. die von John hinzugefügten 8610−37, s. Bohnenkamp 568; nach Fischer-Lamberg erweitern die von John geschrie-

1825

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

517

(III H2 Bll. 1−20 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8489−9126 u. Sz. [2] Innerer Burghof mit 9127−64)1)

März 16. Einiges an Faust concipirt und mundirt . . . John mundirte den Schluß

der angefangenen Faustischen Abtheilung . . . [Nachmittags] Verschiedene Graeca gelesen. 17. Einiges an Faust. 19. [Abends] In Ludens Weltgeschichte gelesen. Geschichte Griechenlands2) und Bemerkungen dazu. 20. Einiges an Faust . . . Lobe die Rheingegenden illuminirt vorzeigend3) . . .Abends für mich. Einiges an den handschriftlichen Blättern. Helena im Mittelalter.4) [Frühj.]

(H P163 mit Schema zu 8843−81)5) (III P165 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8937−46, 8957−59; 9001−67; 9074−76)6) (III H17 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Meinelas zu Sparta mit 8845−82, 8887, 8891, 8895−901; 8903)7) (III H30 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8957−65, 8971−85., 8994−96, 9003f., 9008f., 9011−22, 9026, 9028f., 9043−47)8)

benen Bll. 8−17 um die neu gedichteten Verse 8807−9164. Damit reicht die Sz. [2] Innerer Burghof bis kurz vor Fausts Auftritt. − Zu H1 s. auch Bohnenkamp 568f. u. FA I 7.2, 1021f. 1 ) Gleichzeitig ließ G durch John eine neue Reinschrift der Helena (III H2) anfertigen (W 15.2, 65f.), die ihm, wie eine Fülle von Korrekturen zeigt, als Arbeitsexemplar diente, vor allem für die zahlreichen mit Riemer geführten Gespräche zur metrischen Gestaltung. Bis Anf. Apr 1825 war sie wahrscheinlich genau so umfangreich wie die Vorlage III H1, reichte also bis 9164. 2 ) Heinrich Luden: Allgemeine Geschichte der Völker und Staaten. Theil 1−3, 2. u. 3. Ausgabe. Jena 1824 (Ruppert Nr. 3290). − Aufgeschnitten nur Teil 1: Allgemeine Geschichte der Völker und Staaten des Alterthums. 3. Ausg. − T. 1 Buch 3 enthält die Geschichte Griechenlands; Kap. 4 Geschichte von Lakedämon vor dem persischen Krieg (S. 251−69), Kap. 9 Der peloponnesische Krieg (S. 321−37); Kap. 10 Die Zeit nach dem peloponnesischen Krieg, Sparta’s Vormacht, Thebä’s kurze Größe (S. 337−48). 3 ) Eduard Lobe (1799−1873), Zeichner u. Kupferstecher in Weimar. 4 ) Schon der vermutl. 1800 beschriftete Umschlag trug die Überschrift Helena im Mittelalter. 5 ) H P163 (Bohnenkamp 578) egh mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 579, ergänzt u. erweitert P162. − Zu P163 s. auch Bohnenkamp 579f. u. FA I 7.2, 1025. 6 ) III P165 (Bohnenkamp 593−95) Schema nach Diktat, dann mit Blei von G fortgeführt; datiert nach FA I 7.2, 1027; skizziert den Übergang Helenas aus der grch. in die faustische Umgebung. − Zu P165 s. auch Bohnenkamp 595f. u. FA I 7.2, 1027. 7 ) III H17 (Bohnenkamp 586f.) egh mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 587, Vorarbeit für Mundum H1. − Zu H17 s. auch Bohnenkamp 587f. u. FA I 7.2, 1026. 8 ) III H30 (Bohnenkamp 589−91) egh mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 592, Vorarbeit für Mundum H1. − Zu H30 s. auch Bohnenkamp 592 u. FA I 7.2, 1026f.

518

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1825

(III H34 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8930−35, 8954−56, 8966−70, 9046−62)1) (III H36 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 9074−84 u. P175)2)

März 21. Gegen Abend einiges an Faust. 22. John überzog die Bleystiftcorrecturen. Einiges an Faust . . . Abends Pro23. 24. 25. 25.

fessor Riemer . . . über griechische Sylbenmaße. John schrieb die Helena ab.3) Ich fuhr fort das Manuscript zu mundiren [III H1] . . . [Nachmittags] Für mich, Helena. An Helena. Helena redigirt. [An] Herrn Professor Riemer, Manuscript von Helena . . . [Abends] An Helena redigirt. An Riemer (Br 39, 154): Da eine absolute Einsamkeit zu meiner Wiederherstellung [nach der Erschütterung durch den Theaterbrand am 21. März] nöthig ist, kann ich Sie auf diesen Abend nicht einladen, sende aber an meiner Statt einen Theil der gestrandeten Ladung, den ich den Strudeln des Lethe kecklich abgewonnen habe. Ich hoffe mit dem übrigen soll es auch gelingen, wenn sich die Elemente nur nicht gar zu wild entgegen setzen. Schenken Sie diesem Hefte Ihre gewohnte liebevoll-einsichtige Aufmerksamkeit. Es gibt freylich mancherlei dabey zu bedenken.

25. [Weimar] Riemer Tagebuch (JbSK 4, 37): Ließ mir Goethe absagen, indem er der Einsamkeit bedürfe, sich herzustellen. 26. Einiges an Helena mundirt . . . Abends für mich, an Helena redigirt. 27. Einiges an Helena . . . [Abends] Ich blieb für mich . . . redigirte an He-

lena. 28. Pensum an Helena dictirt. Einzelner Bogen aus 1806 [TuJ] abgeschrie-

ben4) . . . Nachts die letzten Blätter von Helena durchgesehen. NB.5) 28. An Riemer (Br 39, 159): Möchten Sie, mein Werthester, sich einrichten daß wir morgen Abend das Geschäft unserer schönen Königin weiter fördern können. Ich halte mich an eine flüchtige Redaction damit wir nur erst durchkommen. 1

) III H34 (Bohnenkamp 599) egh Entwürfe, datiert nach Bohnenkamp ebd. − Zu H34 s. auch Bohnenkamp 599 u. FA I 7.2, 1028. 2 ) III H36 (Bohnenkamp 605f.) egh mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 606. − P175 zeigt Entwurf eines Wechselgesprächs zw. Faust u. Helena, in dem Faust Helena die Regierung des Peleponnes verspricht; wird später fallen gelassen. − Zu H36 s. auch Bohnenkamp 606 u. FA I 7.2, 1030. 3 ) Z zur Anfertigung der neuen Reinschrift der Helena (III H2). 4 ) s. unten um 29. März 1825: III H42. 5 ) Das Notabene zielt offenbar auf die in P164a Rs Zeile 1 genannte Einschaltung der Zwerggestalten, die auf Phorkyas’ Befehl Opfergerätschaften herbeischaffen; s. unten [30. März/2. Apr 1825]: H P164a.

1825

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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März 28. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 29. März 1825 − : Christophori Cellarii Smalcaldiensis Geographia Antiqua iuxta & Nova: Recognita & ad veterum novorumque scriptorum fidem, historicum maxime, idemtidem castigata, & Tertia Editione plurimis locis aucta et immutata. Jenae 1698. [Oder die 7. Aufl.:] . . . Septima Editione plurimis locis aucta et immutata Studio Laurentii Reinhardi. Jenae 1745.)1) 29. [Abends] Später Professor Riemer. Helena mit ihm durchgegangen . . .

Ich beschäftigte mich mit Helena. 29. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Apr 1825 − : Cluverus, Philipp: Introductio in universam geographiam tam veterem quam novam, tab. geogr. 46 ac notis olim ornata a Johanne Bunone . . . locupleta addit. et annot. Johannis Friderici Hekelii et Johannis Reiskii. Amstelodami 1697.)2) 29. [Weimer] Riemer, Tagebuch (JbSK 4, 37): Abends bei Goethe, brachte ihm die neue Helena zurück. [um 29.] (III H6 Bl. 2 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8891−94, 8903−8 u. P164 mit 8974−9062)3) (III H42 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9152−64, ohne 9161, u. 9207f.)4)

30. Abends für mich. Helena. [März 30. (H P164a zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8936−9126 u. Sz. [2] / Apr 2.] Innerer Burghof mit 9135−81)5)

1

) Ausleihe zum erneuten Studium der Topographie der Halbinsel Peloponnes (=Morea) speziell der Orte Sparta u. Mistra. Doch enthält das Werk nur sehr allgemeine Aussagen: Morea, Peloponnesus, plus illustrata est, præsertim in ora litorali . . . intus paullo sita sunt Celafa, Navarino Vecchio, Pylus Messenia, u. Cernata, a qua prope in ortum distat Misitra, quam vulgo Spartam esse credunt, sed Sponio αυτο πςη testante quatuor aut quinque M P. ab ruinis Spartæ remota est. (S. 595f.) − Die sofortige Rückgabe zeigt, dass G das Werk nicht ergiebig fand. 2 ) Im Buch 4, Kap. 8, S. 329−37: De Epiro et Peloponneso mit kurzer Darstellung der Topographie der Peloponnes mit Landkarte ohne nähere Ausführungen zu Sparta u. Mistra. 3 ) III H6 Bl. 2 (Bohnenkamp 600f.) egh Schema-Entwurf, datiert nach Schillemeit 1987, 243 mit Bezug auf das Stichwort Anapäste. 8891−94 u. 8903−8, gesprochen vom Chor, nachdem Helena ihm ohnmächtig in die Arme gesunken ist, u. das Ende eines Schemas (= P164), dessen größter Teil auf Rs steht. − Das Schema bietet in den Zeilen 1−17 einen Überblick über die zuletzt entworfenen Partien (etwa 8974−9062); die Zeilen 18−30 beziehen sich auf den geplanten weiteren Verlauf nach Helenas Erwachen aus der Ohnmacht: H[elena] Zaudert Phork. Mit Opfergerät Beil u Strick Zusage Magie Luft Erscheinungen Anäpäste [die letzten 3 Zeilen kaum noch leserlich]. − Zu H6 s. auch Bohnenkamp 601f. u. FA I 7.2, 1028f. 4 ) III H42 (Bohnenkamp 603f.) egh Entwürfe auf der Rs; zur Datierung (Schillemeit 1987, 242f.) mit Bezug auf das Konzept zu TuJ 1806 u. Versschema des Anapäst; Verse des Chors nach dem Übergang in den Inneren Burghof: 9152−60, 9162−4 u. die FaustVerse 9207f. Am Kopf von Rs über 9152 Das Herz geht mir auf o seht nur dahin ist das Versschema eines Anapäst eingetragen. − Zu H42 s. auch Bohnenkamp 604 u. FA I 7.2, 1029. 5 ) P164a (Bohnenkamp 610): Das Schema, wahrscheinlich am 2. April 1825 kurz vor dem vorläufigen Abschluß der Helena-Arbeit niedergeschrieben (Schillemeit 1987, 234−44), notiert Zeile 1−14 neben schon Geleistetem eine vor diesem Einschnitt noch notwendige Arbeit. Nachdem der Chor Wie? aber wie? (9088ff.) schon fertiggestellt u.

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[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1825

[März Ende (III H49 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9385−9400, ohne 9395 u. 9398 u. Sz. [3] /Anf.Apr] Arkadien 9629−44, ohne 9643)1) (III H27 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8936, 8939−44 u. zu Sz. [3] Arkadien 9645−78)2)

März 31. Einiges an Helena . . . [Abends] Einiges zu Helena. Apr

1. Einiges an Helena. 2. Abschrift der fortgesetzten Helena durch John . . . [Nachmittags] Für

mich. An Helena. 2. An Riemer (Br 39, 164f.): Mögen Sie, mein Werthester, beykommen-

dem Helden- und Gespensterspuk fernere Aufmerksamkeit gönnen, auch einige Bleystiftstriche ihren wunderlichen Redensarten zuwenden; so geschieht mir ein besonderer Gefalle. Wie Sie denn auf morgen Mittag zu einem frugalen Mittagsmahle schönstens eingeladen sind. 3. Einiges an Helena . . . Mittag Professor Riemer. Mit demselben die bisherige Helena durchgesprochen. Nachher für mich . . . An Helena weiter gearbeitet. 5. Schema an Helena3) . . . [Abends] Oberbaudirector Coudray die Risse [zum Theaterneubau] bringend. Dazu Professor Riemer. Mit letzterem

die darauf folgende Partie bis zum Chor Das Herz geht mir auf (9152ff.) bereits entworfen war, galt es noch, Helena den Übergang in die Burg als unausweichlich vor Augen zu führen. Das sollte erreicht werden durch die Einschaltung Zwergen, Altar pp, d. h. durch das unmittelbare Vorbereiten der Opferung. Auf die Einschaltung, in der Phorkyas vermummten Zwerggestalten die Opfergerätschaften zu besorgen befiehlt (8936−53), zielt offenbar schon das NB. im Tgb vom 28. März 1825. − In Zeile 15−23 skizziert das Schema einige Hauptstationen des weiteren Handlungsverlaufs, dessen Ausführung dann Aufgabe u. Hauptertrag der Arbeit des folgenden Jahres sein sollte: Phorkyas Nachricht vom Menelaus. Einführung ins Gyneceum Helena Faust Einigkeit Chor. Nicht zu verdenck[en] Phorkyas Nachricht Schwangersch. Niederkunft. Drey Einheit. − Zu P164a s. auch Bohnenkamp 611−14, MA 18.1, 962 u. FA I 7.2, 1031f. 1 ) III H49 (Bohnenkamp 399−401) egh mit Blei, datiert durch Bezug auf 164a u. 166a (Bohnenkamp 401f.); erster Entwurf des Chors, der, vermerkt in P164a Zeile 21 als Chor. Nicht zu verdenk[en], Fausts u. Helenas Hochzeit schildert: Wer verdacht es unsrer Herrscher[in]. Auf Rs steht im Entwurf der Anf. des Chors, der die Geburt des Euphorion feiert: Nennst du ein Wunder dieß. − Zum später eingetragenen P158 s. unten [März/Juni 1826]: III H49. − Zu H49 s. auch Bohnenkamp 401−3 u. FA I 7.2, 992. 2 ) III H27 (Bohnenkamp 607f.) egh mit Blei, datiert durch Bezug auf P164a, enthält auf Vs in zwei Fassungen Entwürfe zu den Versen, die in P164a als Einschaltung geplant sind: Genug ihr seyd verlohr[en] also frisch ans W[erk], u. für die Sz. [3] Arkadien auf Rs die Fortsetzung des Chors Nennst du ein Wunder dieß. − Zu H27 s. auch Bohnenkamp 609 u. FA I 7.2, 1030f. 3 ) Fischer-Lamberg 1955, 109 zeigte überzeugend, daß H P166a gemeint ist: die Schema-Reinschrift von Johns Hand mit dem Handlungsverlauf der Helena von Fausts Eintritt bis zu Euphorions Geburt.

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[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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das Jahr 1809. Auch über ein abzulassendes Schreiben, nicht weniger über Helena, Sylbenmaße und dergleichen.1) [Apr 5.] (H P166a)2) Apr

7. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 30. Apr 1825 − : Gell, Sir William: Narrative of a Journey in the Morea. London 1823)3) 7. Beschäftigung mit der Topographie von Morea . . . [Nachmittags] Wil-

liam Gell Reise nach Morea. 7. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 22. Apr 1825 −: 1) Barthe´lemy, J[ean] J[acques:] Œuvres. T. 1−4. Paris 1821. Atlas des œuvres compl. de J. J. Barthe´lemy compl. de 68 pl. Paris 18224). − 2) Neueste Länder- u. Völkerkunde. E. geogr. Lesebuch. Bd. 14: Die Europäische Türkei. Weimar 1812.)5)

1

) Riemers Tagebuch vom 5. Apr erwähnt keine Arbeit an Helena. (GMD-Keil Bl. 574): Abends bei G. Legte C o u d r a y seine Risse zum neuen Theater vor. Nachher Goethe’s Leben Fortsetzung. 2 ) P166a (Bohnenkamp 617−20) Schema-Reinschrift von Johns Hand, die Helena-Arbeit von 1825 abschließend. Entstehung erwiesen durch Tgb-Eintrag. Die Skizze deutet auf die noch auszuführende Fortsetzung der Helena vom Eintritt Fausts bis zur Geburt Euphorions, doch noch deutlich von der späteren Ausführung von 1826 abweichend: Während zu Beginn des Schemas vor allem das Motiv der Huldigungen des noch nicht namentlich bestimmten ,Thurmwärters’ fehlt . . ., ist im folgenden vor allem die Reihenfolge des Geschehens noch eine andere: Vor die Verwandlung ,des Throns in ein Gezelt’ und die Vermählung von Faust und Helena einschließlich des Chrorlieds ,Wer verdächt’ es unsrer Fürstin’ (9385ff.) ist hier der Auftritt des Heeres, das Motiv der Auseinandersetzung mit der Bedrohung von außen (Menelas), gestellt. Die folgende Vereinigung der Liebenden wird von einem ,Tanz in der oberen Säälen’ begleitet; nach der an das Publikum gerichteten ,Zwischenrede’ der Phorkyas . . . folgt in ebenfalls noch deutlich unterschiedener Gestalt die Ankündigung der Schwangerschaft Helenas und der Geburt des Sohnes, der erst in einer eigenhändigen Ergänzung ,Euphorion’ genannt wird. (Bohnenkamp 621). − Zu P166a s. auch Bohnenkamp 620f. u. FA I 7.2, 1032f. 3 ) Gell arbeitete nach dem grch. Unabhängigkeitskampf Anfang der 20er Jahre Reisenotizen von 1804 u. Aufzeichnungen aus späteren Reisen zu einer Narrative aus, um dem idealisierten Griechen-Bild der Philhellenen a just opinion of the state of Greece, and of the Morea in particular (S. VII) entgegen zu stellen. Ausführlich beschreibt er (S. 320−54) die baulichen Überreste des antiken Sparta. Zu Stadt u. Burg Mistra, die er nur kurz behandelt, fügt er nach S. 332 einen Kupferstich bei, der für G wichtig war, weil er ihm im Unterschied zu dem Stich bei Guilletie`re erstmals eine wirklichkeitsgetreue Ansicht der Örtlichkeit bot. Gells Narrative war das erste für die Arbeit an der Helena herangezogene Reisebuch, das G eingehender Lektüre für wert hielt; s. unten 1825 Apr 7. u. Mai 28.: Aus der Weimarer Bibliothek sowie 30., Juni 8., 10. u. 13.: Tgb. − Zu G’s Bewertung der Narrative s. unten 1. Juni 1825: an Ottilie v. Goethe. 4 ) Neue Werkausgabe mit einem Atlas, der das von Jean Denis Barbie´ du Bocage besorgte Tafelwerk zur Grundlage hat; s. oben 18. Sept 1800: aus der Weimarer Bibliothek. − Zur erneuten Lektüre der Voyage du jeune Anacharsis s. unten 9. Apr 1825: Tgb. 5 ) Kap. 16, S. 474ff. fasst alles, was man damals über Mistra wußte, zusammen: M i s i s t r a oder M i s t r a , eine der größten Städte in der Morea . . . sie liegt im alten Lakonien, am Fuße des Berges Taygetes; daher mehrere Geographen sie für das alte Sparta gehalten haben; aber dieses liegt zwei Stunden davon entfernt, wie schon D’Anville behauptet, und neuerlich Chateaubriand außer allen Zweifel gesetzt hat . . . Von der alten

522 Apr

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1825

9. [Nachmittags] Reisen des Anacharsis, bezüglich auf den Peloponnes.1)

Abends Professor Riemer, einiges über griechische Sylbenmaße. [vor 20.] (III H44 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9182−91 u. Szenar zu 9180)2) (III H13/H14 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8826−45, 8879f., P173 u. P174 )3)

20. (III Hi zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9182−91)4) Mai

1. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 574): Wir sprachen über den Bogen des Odysseus, über die Helden des Homer, dann über die griechischen Tragiker, und end-

Pracht und Herrlichkeit [des antiken Sparta] ist nichts als eine todte Steinmasse übrig geblieben . . . Der Tempel des Lykurg, das Denkmal des Cadmus, der Pallast der Könige. . . Alles ist in gestaltlose Haufen zerfallen. Der ganze Umfang, auf dem einst Sparta stand, ist unbebaut . . . Auch M i s i t r a , das wahrscheinlich aus den Ruinen von Sparta erbaut wurde, und dadurch den völligen Verfall dieser Stadt beförderte, ist gegenwärtig nicht mehr, was sie noch vor wenigen Jahren war. Das Judenviertel ist von den Albanesen verbrannt worden, und das gothische Schloß, das auf einem Hügel die Stadt beherrscht, zerfällt von selbst in Trümmer. (S. 474f.) − Dadurch erfuhr G erstmals, dass die Mistra-Burg ein gotisches Schloß war. Die Angaben zum Baustil entstammten dem Itine´raire de Paris a Je´rusalem et de Je´rusalem a Paris en allant par la Gre`ce, et ´ gypte, la Barbarie et l’Espagne (Paris 1811) von F. R. Chateaubriand: revenant par l’E . . . nous nous trouvions derrie`re Misitra, et presqu’au pied du cha ˆteau ruine´ qui commande la ville. Il est place´ au haut d’un rocher de forme quasi pyramidale . . . Nous quitta ˆmes nos cheveaux, et nous monta ˆmes a ` pied au cha ˆteau par le faubourg des Juifs, qui tourne en limac¸on autour du rocher, jusqu’a ` la base du cha ˆteau. Ce faubourg a ´ete´ entie`rement de´truit par les Albanais; les murs seuls des maisons sont reste´s debout . . . Le cha ˆteau gothique qui couronne ces de´bris tombe lui-meˆme en ruines. (Bd 1, S. 84f.). Ob G die Information dem frz. Original oder einer der beiden dt. Übersetzungen entnahm (K. L. M. Müller/ W. A. Lindau. Leipzig 1812 u. J. H. Eichholz. Leipzig 1812), ist ungeklärt. 1 ) Die Reise auf den Peloponnes: in Bd 4, S. 1−375 der am 7. Apr 1825 entliehenen Werkausgabe. 2 ) III H44 (Fischer-Lamberg 1955, 144), datiert durch Briefkonzept u. Rez. für KA. − Schilderung Fausts bei seinem ersten Erscheinen durch die Chorführerin (9182−91). Ursprünglich bildeten die Verse den Abschluß von III H1: Seltsamerweise wurden sie bei der Abschrift zunächst nicht in H 2 übertragen, vielmehr scheint die Abschrift 1825 mit stark abweichendem Duktus mit 9165−9181, 9192ff. fortgesetzt zu werden. Es wurden also die in H 1 bereits 1825 vorhandenen Verse 9182/ 91 bei der Abschrift zunächst ausgelassen. Ob dies nur ein Versehen des Abschreibers John war, oder ob Goethe die Verse wieder streichen wollte, können wir nicht sagen, jedenfalls wurden die Worte der Chorführerin aus H 1 schließlich herausgeschnitten und in H 2 als Ergänzung eingeklebt. 3 ) III H13/H14 (Bohnenkamp 581−83) egh mit Blei, Vorlage für die Abschrift H1, dadurch Datierung möglich (Bohnenkamp 584), vielleicht schon im März entstanden, wie auch P173, ein Entwurf, der im Zusammenhang mit der Arbeit an 8826−45 entstanden ist, bei der Übertragung in H1 jedoch fallengelassen wurde. − Zu P 174: [Helena:] Nicht meine Schuld ists Cypris hat allein die Schuld, verweist Niejahr 1894, 91 auf Euripides’ Troerinnen (932−48), wo Helena gleichfalls ihre Untreue mit dem Hinweis auf Kypris verteidigt. − Zu H13 u. H14 s. auch Bohnenkamp 584f. u. FA I 7.2, 1025f. 4 ) III Hi: Autograph, datiert Weimar d. 20 Apr 1825. JWvGoethe, mit den schon in III H44 überlieferten 9182−91.

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[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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lich über die vielverbreitete Meinung, daß das griechische Theater durch Euripides in Verfall geraten. Goethe war dieser Meinung keineswegs.1)

Mai 2. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: J. Max an G gD, S. 695) 5. u. 6. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 695) 10. [Nachmittags] Raumers 6. Band. Sittengebräuche, Ritterwesen.2) 10. An J. Max (Br 39, 192):3) Dankbar für die mitgetheilten angenehmen

Bändchen [10 bis 15 von 1001 Nacht]4) ergebenst J. W. v. Goethe. 13. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Max an G gD, S. 695) 16. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 696) 18. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: F.v. Müller, Unterhaltungen gD, S. 696) 22. u. 25. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 696) 27. Zu Nacht die neusten geheimeren Nachrichten aus Griechenland.5) 28. [Nachmittags] Gelesen Relation de l’expe ´dition de Lord Byron en Gre`-

ce.6) 1

) Z für Euripides als Vorbild für die Helena. ) Bde 5 u. 6 der Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit (Leipzig 1825); in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 3348). F. v. Raumer muß die noch ausstehenden Bde im Frühj. 1825 G übermittelt haben, wofür es jedoch keinen Beleg gibt; s. oben 15. Aug 1824: F. v. Raumer an G. − Eintrag bezeugt die Lektüre im 6. Bd. der III. Abteilung Häusliche Verhältnisse, Sitten, Gebräuche mit den Abschnitten 1) Von der Ehe, den Kindern, dem Gesinde 2) Wohnung und Kleidung 3) Sitten, Lebensweise, Gebräuche u.s.w. 4) Vom Ritterwesen (S. 546−619). Besonders der Abschnitt vom Ritterwesen (S. 594−619) war für G von Interesse. 3 ) G’s Tgb vermerkt am 10. Mai: [Brief an] Herrn Buchhändler Josef Max nach Leipzig. 4 ) G’s Lektüre von Bd 15, den der Verleger Max am 2. Mai 1825 geschickt hatte, war außerordentlich folgenreich, weil G dort auf einen arab. Ritterroman stieß, der, wie aus einer Fülle von Einzelmotiven hervorgeht, auf die Art von Fausts Werbung um Helenas Liebe großen Einfluß ausübte. In diesem Fall schloß G sich eng an die Werbung des Ritters Abbaas um die königl. Schönheit Maria in der Geschichte Ins ben Kies an. Die schmeichelnden Brautwerbungslieder u. unermeßlichen Schatzdarbietungen, um die Gunst einer schwer zugänglichen Königstochter zu erwerben, wirkten sich fruchtbar aus auf: 9207f., 9219ff., 9256ff., 9274ff., 9331f., 9348f., 9354f. u. 9482ff. Entscheidend für den Erfolg des Werbers um die höchste Schönheit war jedoch seine Waffengewalt u. Macht über Fürsten, Helden u. Heere, die seinen Befehlen gehorchen. Vgl. 9442−9505. − Die Schilderung regte G dazu an, die Lynkeusszenen als Teil von Fausts Werbung um Helena in Anlehnung an oriental. Muster zu gestalten; vgl. Mommsen 2006, 264−79. 5 ) Z für die Beschäftigung mit dem grch. Befreiungskampf u. dem Schicksal Byrons. 6 ) Relation de l’expedition de Lord Byron en Gre`ce, par le comte Pierre Gamba. Trad. de l’anglais par J. T. Parisot. Paris 1825; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 48). − Engl. Originaltitel: A Narrative of Lord Byron’s last journey to Greece. Extracted from the journal of Count Peter Gamba, who attended his Lordship on that expedition. London 1825. − Ende Febr 1825 erschienene tagebuchartige Darstellung der Ereignisse von Byrons Abreise aus Genua am 13. Juli 1823 bis zu dessen Tod am 19. Apr 1824 in Missolunghi (Messolongion) durch Pietro Gamba Ghiselli, den jüngeren Bruder von Teresa Guiccioli, der Byron als Adjutant u. persönlicher Sekretär zur Seite stand. − Erste Lektüre eines Augenzeugenberichts von Byrons Griechenland-Expedition, der die 2

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Mai 28. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 25. Okt 1825 −: Greece in 1823 and 1824; being a series of letters and other documents on the Greek Revolution, written during a visit to that country. To which is added the life of Mustapha Ali. By the honourable colonel Leicester Stanhope. London 1824.)1) 28. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 15. Okt 1825 − : Gell, Sir William2): Narrative of a Journey in the Morea. London 1823)3) 28. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 7. Juni 1825 − : Blaquie`re, Edward: Die Griechische Revolution; ihr Anfang und weitere Verbreitung . . . A. d. Engl. übers. . . . Weimar 1825)4) 29. Abends Relation de l’expe´dition de Lord Byron en Gre`ce. 30. [Nachmittags] Blieb für mich. Las William Gell, Narrative of a journey in

the Morea, den einsichtig, verständig reisenden Mann bewundernd.

Ernsthaftigkeit des Unternehmens bezeugt. G konnte der Darstellung entnehmen, wie politisch klug u. besonnen Byron die grch. Parteien zu vereinen suchte, wie großzügig er den Kampf der Griechen mit seinem Geld unterstützte u. wie er ernsthaft gewillt war, auch selbst am Gefecht teilzunehmen. Auf S. 125ff. traf er auf ein Gedicht, das Byron zu seinem eigenen 36. Geburtstag am 22. Jan 1824 verfaßt hatte u. das mit der Todesahnung schloß: 9. If thou regret’st thy youth, why live? / The land of honourable death / Is here: − up to the field, and give / Away thy breath! 10. Seek out − less often sought than found − / A soldier’s grave, for thee the best; / Then look around, and choose thy ground, / And take thy Rest. 1 ) Sammlung von Briefen an den Sekretär des Londoner Greek Committee J. B o w r i n g , in denen der Bentham-Schüler S t a n h o p e von seinen Aktivitäten in Griechenland an Byrons Seite Rechenschaft gibt; 1. Buchveröffentlichung vom Okt. 1824 mit Aussagen zu Byrons Verhalten in Griechenland. Trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten würdigt Stanhope uneingeschränkt Byrons Einsatz. Die in den Briefen vom 21. Jan u. 30. Apr 1824 beispielhaft formulierten Einschätzungen bestärkten G darin, Byron im Faust zu ehren: Lord Byron possesses all the means of playing a great part in the glorious revolution of Greece: He has talent; he professes liberal principles; he has money; and is inspired with fervent and chivalrous feelings. He has commenced his career by two good measures: − 1 st, by recommending union, and declaring himself of no party: and, 2dly, by taking 500 Suliots into pay, and acting as their chief. These acts cannot fail to render his Lordship universally popular, and proportionally powerful. Thus advantageously circumstanced, his Lordship will have an opportunity of realizing all his professions [gemeint: Byrons Vorhaben, mit seinen Sulioten die Festung Lepanto zu erobern] (S. 90) England has lost her brightest genius − Greece her noblest friend. To console them for the loss, he has left behind him the emanations of his splendid mind. If Byron had faults, he had redeeming virtues too − he sacrified his comfort, fortune, health, and life to the cause of an oppressed nation. Honored be his memory! (S. 191f.); weitere Lektüre s. unten 1825 Juni 16., 19. u. 21.: Tgb. 2 ) Sir William Gell (1774–1836) Landschaftsmaler, Zeichner u. Architekt. 3 ) Erneute Ausleihe; s. oben 7. Apr 1825: aus der Weimarer Bibliothek. 4 ) Engl. Original: The Greek revolution: its origin and progress; together with some remarks on the religion, national character etc. in Greece, erschienen Apr 1824. − Darstellung aus der Sicht eines Philhellenen u. Bentham-Schülers, noch ohne Erwähnung von Byrons Einsatz; in der Tendenz gerichtet gegen die abgenutzten Verläumdungen und das armselige Geschwätz des Hrn. Wilhelm Gell und so vieler Andern, die sich bemüht haben, den Griechischen Charakter herabzusetzen (S. 297).

1825 Mai Juni

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Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 10, 298): Tausend und Eine Nacht. Band 10. 14. 15.1) Vom Verleger.2) 1. Lord Byrons letzte Tage von Major Parry3) . . . [Nachmittags] Lord Byrons letzte Tage von Parry . . . Sodann obige Lectüre fortgesetzt. 1. An Ottilie v. Goethe (Br 39, 211f.): G e l l s R e i s e durch M o r e a wird Herr Bran nicht übersetzt in die Minerva4) einrücken lassen; sie fällt in die Zeit kurz vor Lord Byrons Ankunft. Ein tüchtiger Engländer und Griechenfreund geht nach Smyrna und mischt sich dort in ihre Händel, gewinnt aber dabey zugleich mit genauer Kenntniß der Nation ihre Handlungsweise, ihre Bezüge unter einander und einen solchen Widerwillen dagegen daß er aus der Sache scheidet und mit solchen Gesinnungen einen reichen Engländer wie es scheint begleitend die mühseligste Reise durch Morea macht. Seine Schilderungen und Äußerungen würden auch dir wenig zur Freude gereichen, ich aber glaube mich dadurch sehr aufgeklärt wobey es denn verbleiben mag5). So eben erhalte [durch den Engländer Cromie]6) ein unschätzbares aber höchsttrauriges Werk: The Last Days of Lord Byron. By Parry. Dieser letzte

1

) Zu den Anregungen durch Bd 15 s. oben 10. Mai: an J. Max m. Anm. ) Liste unvollständig, da G im Mai 1825 noch die Bde 11, 12 u. 13 erhielt. Näheres über Auswirkungen der Lektüre s. unten 17. Dez 1826: H 123C. 3 ) The last days of Lord Byron: with his Lordships opinions on various subjects, particularly on the state and projects of Greece. By William Parry, major of Lord Byron’s brigade, commanding officer of artillery, and engineer in the service of the greeks. London 1825. − Das im Apr erschienene Buch schildert in Kap. 1−6 die äußeren Ereignisse von Parrys Ankunft in Griechenland am 5. Febr 1824 bis zu Byrons Beerdigung am 12. Juli 1824. Kap. 7−11 behandeln: Traits of character in Lord Byron (Kap.7); Lord Byron’s opinions and intentions with respect to Greece (Kap. 8); Lord Byron’s opinions of the Greek Committee (Kap. 9); Lord Byron, Colonel Stanhope, and Mr. Bentham (Kap. 10) u. Conduct of Colonel Stanhope and of the Greek Committee to the Greeks (Kap. 11). Es folgt ein umfangreicher Appendix and illustrative letters (S. 319−60). − Der fire-man Parry war in Byrons letzten beiden Lebensmonaten sein engster Vertrauter, dem er freimütig mitteilte, was er dachte und fühlte. Durch Parry gewann G authentische Einblicke, die ihn veranlaßten, Byron im Helena-Akt ein Ehrendenkmal zu setzen. − Zur hohen Wertschätzung von Parrys Buch s. unten 1825 Juni 1.: an Ottilie v. Goethe u. 6.: Fr. v. Müller u. an Zelter sowie 11.: Eckermann. 4 ) F. A. B r a n (1767–1831) war ein Jenaer Historiker, Ethnograph, Übersetzer und Verleger von Sammelwerken u. Zeitschriften, so von Minerva: Ein Journal historischen und politischen Inhalts, seit 1810 hsg. von Friedr. Alexander Bran. 5 ) Vgl. dazu in Gells Narrative: „To these observations I will add, that I was once very enthusiastic in the cause of Greece; that it is only by knowing well the nation, that my opinion is changed; that all the attempts to excite a crusade in favour of the Greeks have been backed by the most gross misrepresentations of their readiness to learn and improve, and of their present progress. Whoever embarks in their cause will fail, and will end by retiring in disgust. It is only Russia that can save them from themselves; and that must be done by exercising upon them for a whole generation the most despotic and coercive measures, and making them happy by force“ (S. 306). 6 ) s. dazu unten 4. Juni 1825: an Ottilie v. Goethe. 2

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und ausdauernde Freund hat mir nach allen was ich von ihm vernommen von jeher wohl gefallen. Juni

1. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 137): Von 6−8 1/2 Uhr bey Göthe allein . . . Über Cap. Parrys Werk „Die lezten Lebenstage Byrons“, welches das intereßanteste aller erschienenen sey. Byron sey aus Verdruß und Ingrimm über die schlechte Wirthschaft in Griechenland gestorben. Er hätte gleich von Missolunghi umkehren sollen. 2. Morea aus der Großherzogl. Militärbibliothek1) . . . [Abends] später die 3. 4.

6.

8. 9. 10.

letzten Tage Lord Byrons, zweyte Hälfte. [Nachmittags] Lord Byrons letzte Tage weiter gelesen und bedacht. An Ottilie v. Goethe (Br 39, 213):2) Nur mit wenigen Worten begleit ich diese Sendung: . . . 2) Major Parrys letzte Tage Lord Byrons sind das Merkwürdigste was über ihn öffentlich bekannt geworden. Das Englische verdankst du Cromie, bey’m Deutschen kannst du meiner Neigung gedenken.3) An Zelter (Br 39, 215): Begegnet Dir The Last Days of Lord Byron. By William Parry, in Übersetzung, so greife hastig darnach, man wird nicht leicht auf einen so hohen und klaren Standort gehoben; alles bisher über ihn Gesagte sinkt und verschwindet wie Thalnebel. [Nachmittags] Gells Reise nach Morea. [Nachmittags] Die Topographie von Morea sorgfältig weiter studirt. [Nachmittags] Gells Morea.

1

) Historische und Topographische ausführliche Beschreibung der Reiche Morea und Negroponte, Wie auch der Insulen und Hafen selbigen Meeres biß an Salonich, Italiänisch verfertigt und mit vielen schönen Kupffern und Grund-Rissen außgezieret von P. M. Coronelli, Der Durchl. Herrschafft zu Venedig bestellten Cosmographum, verteutschet und an Tag gegeben. Franckfurt am Mayn 1687. − Dt. Übersetzung von: Memorie istoriografiche de’ Regni della Morea, Neroponte e littorali sin’a` Salonichi. Nel laboratorio del P. M. Coronelli Cosmog. della Ser. Republica di Venezia [Venezia 1685?]. − Zur Identifikation des Werks s. Johanna Schmidt GJb 1956, 147f. − Das Werk enthält vor S. 99 einen Kupferstich Misitra oi: Sparta u. S. 99−107 einen Artikel zu Mistra: Nachdemmal die Benamungen, mit welcher diese Stadt beleget worden, unterschiedlich sind; so folget auch, daß sothaniger Ort von denen allerältesten einer seyn müsse. Es hat derselbe erstlich Sparta, nachgehends Lacedæmon, und letztlich Misitra geheissen . . . Es ist diese Stadt in die achthundert Jahr lang wohl erhalten worden, unerachtet sie von denen Mauren entblösset gewesen . . . Und gibt sich anjetzo sowol das Castell als auch die Stadt selbst mit denen selben [Mauern] verwahret zu sehen. Doch sind sie in gar schlechtem Stande . . . Das Castell heisset to Castron, und ruhet auf einem erhabenen Berge, hat eine lang-rundte Form und ziemlich starke Mauren. (S. 99ff.) − Der Kartograph Vincenzo Maria Coronelli gibt von Mistra eine Abbildung u. Beschreibung, die G schon bei Guillet de Saint-George finden konnte; s. oben 17. Nov 1800: Tgb. 2 ) G’s Tgb vermerkt am 4. Juni 1825: An Frau von Goethe nach Jena . . . einiges Byron betreffend . . . 3 ) G übersetzte aus Parrys Buch einen Abschnitt am Ende des 10. Kapitels: S. 2601−623; s. dazu „Major Parry über Lord Byron“.

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Juni 11. [Weimar] Eckermann, Gespräche (FA II 12, 159f.): Goethe sprach heute bei Tisch sehr viel von dem Buche des Major Parry über Lord Byron. Er lobte es durchaus und bemerkte, daß Lord Byron in dieser Darstellung weit vollkommener und weit klarer über sich und seine Vorsätze erscheine, als in allem, was bisher über ihn geschrieben worden. „Der Major Parry, fuhr Goethe fort, muß gleichfalls ein sehr bedeutender, ja ein hoher Mensch sein, daß er seinen Freund so rein hat auffassen und so vollkommen hat darstellen können.1) Eine Äußerung seines Buches ist mir besonders lieb und erwünscht gewesen, sie ist eines alten Griechen, eines Plutarch würdig.“ Dem edlen Lord, sagt Parry, fehlten all jene Tugenden, die den Bürgerstand zieren, und welche sich anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Lebensweise gehindert war. Nun sind aber seine ungünstigen Beurteiler sämtlich aus der Mittelklasse, die denn freilich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu vermissen, was sie an sich selber zu schätzen Ursache haben. Die wackern Leute bedenken nicht, daß er an seiner hohen Stelle Verdienste besaß, von denen sie sich keinen Begriff machen können.2) „Nun, wie gefällt Ihnen das? sagte Goethe, nicht wahr, so etwas hört man nicht alle Tage?“ Ich freue mich, sagte ich, eine Ansicht öffentlich ausgesprochen zu wissen, wodurch alle kleinlichen Tadler und Herunterzieher eines höher stehenden Menschen ein für allemal durchaus gelähmt und geschlagen worden. 13. [Nachmittags] Gells Reise nach Morea. 14. Dodwells Reise nach Morea3). 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 25. Okt 1825 − : Dodwell, Edward: A classical and topographical tour through Greece during the years 1801, 1805 & 1806. Vol. 1. 2. London 1818−1819) 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 19. Sept 1825 − : Dodwell, Edward: Classische und topographische Reise durch Griechenland während d. J. 1805 u. 1806 . . . übersetzt von K. F. L. Sickler. Bd. 1, Abt. 1. 2.; Bd. 2, Abt. 1. 2. Meiningen 1821)4)

1

) The last days of Lord Byron sind inhaltlich Parrys geistiges Eigentum, doch geht die vollkommene Darstellung, was G nicht wissen konnte, auf den ghostwriter Thomas Hodgskin zurück; s. dazu Keats-Shelley Journal 19 (1970) 4−7. 2 ) Freie Wiedergabe des Schlusses von Kap. 10 (S. 26328−649); keine wörtliche Übersetzung. 3 ) Erneute Beschäftigung mit Dodwells Griechenland−Buch; s. oben 14. Dez 1819: Tgb. u. 12. Apr 1820: aus der Weimarer Bibliothek. − Für die Arbeit an der Helena konzentrierte sich die Lektüre vermutl. auf Sparta, dargestellt in To Misitra (Bd II, Kap. 10, S. 399−402; in dt. Übersetzung bei Sickler Reise nach Misithra Bd II.2., Kap. 26, S. 273−78) u. To the ruins of Sparta (Bd II, Kap. 11, S. 403−15; in dt. Übersetzung Reise zu den Ruinen von Sparta Bd II.2., Kap. 27., S. 279−97). − Dodwell zur Lage Mistras, von dessen Burg-Gründern er noch keine Kenntnis hat (II 400f.): This town is situated at the eastern foot of Taygeton. The castle, which is in ruins, exhibits its mouldering form on a grand rock, which is nearly detached from the body of the mountain. The origin of this place is unknown, and there is no reason for supposing it of ancient date . . . Until within these few years it was generally supposed that Misithra stood upon the ruins of Sparta, from which it is, however, distant nearly two miles. − Dem Werk vorangestellt: Map of Greece, die Depping übernahm; s. unten 21. Juli 1825: Bibliotheksentl. Beigegeben sind 66 Kupferstiche, doch keiner zu Mistra u. Sparta. − Weitere Lektüre s. unten 1825 Juni 15., Aug 1., 6. u. 7.: Tgb. 4 ) Gleichzeitig mit dem engl. Original las G jetzt auch die inzwischen erschienene dt. Übersetzung.

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[Juni 14./ (III H53 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit P169 zu 9526−49)1) Aug 9.]? Juni 15. Studium von Morea nach Dodwell . . . Abends und Nachts Morea. 16. [Abends] In Dodwell und Stanhope Morea und die griechischen Ange-

legenheiten. 19. Abends Englisches auf Griechenland Bezügliches. 20. Abends englisch-griechische Angelegenheiten. 21. [Abends] Stanhopes Griechenland von 1823 und 24. 23. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 5. Juli 1825 − : Blaquie`re, Edward: Die Griechische Revolution; ihr Anfang und weitere Verbreitung . . . A. d. Engl. übers. . . . Weimar 1825)2) 24. An H. Meyer (Br 39, 236): Drey bis vier englische Werke auf die grie-

chischen Angelegenheiten der Zeit zwischen 1823 und 24 bezüglich, vor, mit und nach Byron, versetzen unmittelbar in die dortigen Zustände; das Individuelle der wirkenden Menschen und Partheyen ist höchst merkwürdig, und man kann sich daraus einen ganz eigenen Zustand auferbauen, wornach denn die Gegenwart sich einigermaßen

1

) III H53 (Bohnenkamp 627), datiert mit Bezug auf die Dodwell-Lektüre. Die Notizen auf Vs (= P169) von E. Schmidt auf Dodwells Griechenland-Buch bezogen: Notizen für Arkadien; wohl aus der Erinnerung an Dodwell, Class. und topogr. Reise durch Griechenland 1821 I 1,53. I 2, 314 etc. (W 15.2, 230). − Die bezeichneten Stellen in Sicklers Übers.: Die Südseite der Insel [Kerkyra = Korfu] ist sehr sandig und unfruchtbar; der ganze übrige Theil ist blühend, bei außerordentlicher Fruchtbarkeit; besonders die Provinz Mezzo, die nur ein großer Garten ist, würdig des Alkinoos. Orangen, Limonen, Granatäpfel, Mandeln, Feigen erwachsen zu einer bedeutenden Höhe und werden überall gesehen, auch alle Arten von obsttragenden Bäumen finden sich durch die großen Olivenwälder verbreitet, mit den reichsten Weinbergen verbunden. Die Gefilde bringen Waizen, Gerste, Hafer, Baumwolle, Wicken, Linzen, Schminkbohnen, Flachs, Melonen, Wassermelonen und andere verschiedene Arten von Erbsen und Bohnen in Menge. Unter den Gebirgshölzern befinden sich viele Arten von Eichen, besonders die Balania und der Kermes; in den Ebenen sind Cypressen, einige Palmbäume und zahllose stark duftende Gesträuche, als die Myrte, der Mastixbaum, der Rosemarin, die Terebinthe, der Erdbeerbaum, die Salvia pomifera, der Cistus, und der indische Caktus zu Hause. (Sickler 1.1, 53 = engl. Original 1, 40). − Der größere Theil des Gebirges [Hymettos in Attika] bringt blos verkrüppelte Gesträuche und aromatische Pflanzen hervor, die ganz zur Nahrung für die Bienen geeignet sind . . . In den Klüften wachsen viele schöne Pilze und auf dem Gipfel jagten wir einen Satz rothbeiniger Rebhühner auf. Wir trafen auch einige Schäfer mit großen Heerden von Schafen und Ziegen an, die an den Gesträuchen und an dem kurzen Gras, das in den Höhlen der Felsen wächst, ihre Nahrung suchen. (Sickler 1.2, 314 = engl. Original 1, 489). − Anklänge an Dodwell in den Notizen (= P169) sind erkennbar, doch eigentl. Exzerpte sind es nicht, was auch die Datierung in zeitl. Nähe zur Dodwell Lektüre fraglich erscheinen läßt, zumal die aus Kap. 2 u. 14 zitierten Stellen andere grch. Regionen behandeln, nicht den Peloponnes, dem vermutl. G’s Hauptaufmerksamkeit bei der Lektüre im Juni u. Aug 1825 galt; s. unten [Mitte Apr 1826]: III H53. − Zu H53 s. auch FA I 7.2, 1035. 2 ) Wiederholte Ausleihe, s. oben 28. Mai 1825.

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beurtheilen und die Zukunft vorahnen läßt. Seit Ihrer Abreise hat mich dieß in ruhigen Stunden meist unterhalten. Juni 29. [Abends] Später Parry. Juli

12. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 1. Aug 1825 − : Williams, H[ugh] W[illiam]: Select views in Greece with class. ill. Vol. 1. London 1829.)1) 12. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 15. Okt 1825 − : Castellan, A[ntoine] L[ouis]: Briefe über Morea und die Inseln Cerigo, Hydra und Zante. A. d. Franz. Weimar 1809.)2) 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 18. Aug 1825 − : Stanhope, John Spencer: Olympia or topography illustrative of the . . . state of the plain of Olympia . . . London 1824.)3) 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 1. Aug 1825 − : Museum Worsleyanum or a collection of antiques bas-reliefs, bust, statues and gems. Vol 1. 2. London 1824.)4) 17. Worsleyanum Museum. 21. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Aug 1825 − : Depping, G[eorges] B[ernard]: La Gre`ce ou description topographique de la Livadie, de la More´e et de l’Archipel . . . T. 1−4. Paris 1823)5) 21. [Abends] Griechenland von Depping. 23. [Abends] Las in Deppings Griechenland. 25. Abends für mich. Deppings Griechenland.

Aug

1. Abends Dodwell. 1. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Aug 1825 − : Spon, Jacob, u. Georges Wheler: Italiänische, Dalmatische, Griechische und Orientalische Reise-Beschreibung . . . Th. 1. 2. Nürnberg 1681. [Oder:] Spon, Jacob [u. Georges Wheler:] Reisen durch Italien, Dalmatien, Griechenland und die Morgenländer . . . Th. 1. 2. Nürnberg 1713)6) 6. [Abends] Später Dodwell. 7. Blieb den Abend für mich . . . Las in Dodwell. 1

) Bei Keudell Nr. 1645 irrtüml. Zuordnung: der Bibliothekszettel zeigt, dass G nur entlieh: Select views in Greece. Engraved in the best Line-Manner, from drawings by H. W. Williams, Esq. Edinburgh. No. 2. London 1824, enthaltend die Stiche: Corinth−Acrocorinthus of Corinth Thebes, in Bœothia. Delphi, Castilian Fountain, u.c. on Mount Parnassus. Temples of Jupiter Panhellenius, Ægina. Interior of the Acropolis of Athens, from the Propylea. Athens from the East. Erneute Bibliotheksentleihung am 17. Juli 1827 (s. dort). 2 ) Die dt. Ausgabe hat keine Kupferstiche u. auch keine Briefe zu Sparta u. Arkadien, da Castellan 1797/ 98 nur Küstengebiete der Peloponnes u. vorgelagerte Inseln, nicht das Innere der Halbinsel bereiste. 3 ) Der Beschreibung (63 S. Text) beigegeben die erste kartographische Darstellung der Ebene von Olympia u. 17 Kupferstiche. 4 ) Erneute Ausleihe nunmehr im Bezug auf Akt III; s. oben 5. März 1824: Bibliotheksentleihung. − Auf S. 31 des Tafelwerks eine Ansicht der Ruinen von Sparta mit der Bildunterschrift A View of the Principal Ruins at Sparta supposed to be the Remains of the Stadium and the River Eurotas. 5 ) Ausleihe mit Bezug auf Helena-Akt, s. Düntzer 1882, VI; Pniower 1899, 149. 6 ) Schnelle Rückgabe, vermutl. weil weder Thessalien noch der Peloponnes beschrieben werden.

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8. Nachts im Dodwell gelesen. 9. Nachts noch einiges im Dodwell.

[Okt (III H78 zu Sz. [3] Arkadien mit 9958−61)1) nach 26.]

1826 [März]

2

(H P176 Var) ) (III Hf zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9550−65, 9570−73 u. P176)3) (III H49 mit P158)4)

1

) III H78 (W 15.2, 71) Datierung durch Rs: Br-Konzept an Graf v. Beroldingen vom 26. Okt 1825. 2 ) P176 Var (Bohnenkamp 622f.) egh Bleistiftniederschrift, datiert im Zsh. mit der Lektüre einer Kritik der Creuzerschen Symbolik, Entwurf zu einer ,Zwischenrede’ von Phorkyas-Meph. an das Publikum, bereits vorgesehen in P166A mit den Stichworten: Phork. als Zwischenredner Chor tumultuarisch wieder eintretend. Phork. Nachricht von Schwangerschaft und Entbindung. − Eingeschaltet nach Fausts Vermählung mit Helena, kündigt sie die Geburt eines Knaben an u. führt dabei am Ende einen satirischen Schlag gegen die neuere Symbolik, die hinter Geburt u. Gestalt des Euphorion wohl Mysterien vielleicht auch gar Mystificationen indisches und auch Aegyptisches wittern würde. In der ausgeführten Dichtung wurde die ,Zwischenrede’ durch 9574ff. ersetzt u. auf die Polemik verzichtet. − Zu P176 Var s. auch Bohnenkamp 625f. u. FA I 7.2, 1033−35. 3 ) III Hf (Bohnenkamp 624f.) hat auf Vs P176 (= überarbeitete Fassung von P176 Var durch John) u. auf Rs Entwürfe zu Fausts Beschreibung von Arkadien. − Zu Hf s. auch Bohnenkamp 625f. u. FA I 7.2, 1035. 4 ) P158 ist ein ironisch-parodistisch gehaltener Entwurf eines Gesprächs zwischen Faust u. M über den jambischen Trimeter: Faust Das wohlgedachte glaub ich spricht sich ebenso In solchen ernsten langgeschwänzten Zeilen aus. − Das Gespräch galt lange (seit E. Schmidt) als ein Gespräch vor dem Abstieg in die Unterwelt zw. Manto, die in jambischen Trimetern spricht, u. dem in ebensolchen Versen erwidernden Faust. − Doch gelang Schillemeit 1985 eine überzeugendere Zuordnung u. Datierung durch eine umfassende Untersuchung der Entwicklungsgeschichte des Descensus-Plans mit dem Ergebnis, dass nicht Manto, sondern Mephisto Fausts Sprechpartner ist u. der Gesprächsentwurf zu einer Zeit entstanden sein muß, als Manto in der KWN noch gar nicht vorgesehen war u. Mephisto Faust beim Abstieg in die Unterwelt begleiten sollte. Die schon im Juni 1826 geplanten dämonischen Sibyllen (P123a) seien erst in einer Randnotiz in P99b, also nach 9. Nov 1826, zu Manto des Tiresias Tochter konkretisiert worden. Schillemeit 1985, 38 weist hin auf: eine Entstehungsphase innerhalb des . . . Entstehungsprozesses des Faust II, die man als Vorspiel zu den ,Antecedenzien’ der Helena bezeichnen könnte. Es ist eine Zeit, in der die Helena noch nicht fertig, sondern ziemlich genau halb vollendet war, in der ihr erster Teil − der ,reine Helena-Teil’ oder der ,antike’, auch metrisch streng in ,antikem’ Stil gehaltene Teil − abgeschlossen vorlag, der zweite Teil dagegen, der den Auftritt Fausts, des modernen Helden, und seine Begegnung mit Helena bringen sollte, noch nicht geschrieben war; eine Situation der Mitte also und zugleich der planenden Betrachtung des Ganzen, in der der Blick offenbar auch nach vorn (oder innerhalb des Handlungsablaufs gesprochen: zurück) ging auf die noch zu schreibenden Vorgeschichte und Vorbereitung der Helena-Handlung, also auf das, was

1826

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

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März 12. Abends Dr. Eckermann. Einiges im neuen Faust vorgelesen.1) 13. In Betrachtung des Faust fortgefahren. 14. An Faust fortgefahren . . . [Nachmittags] Ich fuhr fort die einzelnen

Papiere zu Faust gehörig zu redigiren . . . Abends Prof. Riemer . . . Auch etwas über die Versification von Faust gesprochen [Frühj.]

(III Hn zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9454−61, 9466−72, 9476)2) (III Hq zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9442−45, 9448f., 9452f., 9462−65)3) (III H55 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9482−85, 9488f., 9491f., 9496f., 9500−05)4) (III H57 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9506, 9512f., 9529−44, ohne 9532,9535, 9539, 9541, 9543 sowie 9557, 9560, 9564f. u. Sz. [3] Arkadien mit 9992−96, 10000−7, ohne 10006)5)

März 31. (III H46 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9273−332: datiert: W. 31. März 1826)6) (III H2 Bl. 24 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9273−332: datiert : W. 31.März 1826)7)

[März Ende/ (III H43 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9165−81, ohne 9173 u. P166)8) Anf. Apr]

dann später »Antecedenzien zu Helena« heißen wird . . . In dieser Situation . . . muß Goethe, freilich nur vorübergehend, daran gedacht haben, Faust in der Szene mit Helena in jambischen Trimetern sprechen zu lassen, und dabei auch . . . mit dem Gedanken gespielt haben, ihn das Sprechen in diesem fremdartigen Versmaß üben und Mephisto dabei . . . die Rolle des philologischen Mentors spielen zu lassen. Schillemeit zufolge gibt es auch einen Grund, daß G die Verse des P158 gerade auf das Blatt mit den ChorliedEntwürfen (III H49) hinwarf, als ihm die Vorarbeiten von 1825 wieder vorlagen: . . . es spricht einiges dafür, daß entscheidend mitbeteiligt dabei der Gedanke an den bevorstehenden und jetzt zu dichtenden Auftritt Fausts war, zusammen mit der Frage, in welcher Redeform, in welchem Stil und in welcher metrischen Form Faust sich dabei, in der neuen, ungewohnten, halb mythologischen, halb geschichtlichen Umgebung, im Dialog mit der antiken Heroine, ausdrücken sollte. (Schillemeit 1985, 50). − Zu P158 s. auch Bohnenkamp 402f. u. FA I 7.2, 992f. 1 ) Vielleicht schon auf Helena bezüglich. 2 ) III Hn (Bohnenkamp 636f.) egh mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 638. 3 ) III Hq (Bohnenkamp 635) egh mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 638. 4 ) III H55 (Bohnenkamp 639f.) egh mit Blei, lat. Schrift; datiert nach Bohnenkamp 640. − Zu H55 s. auch FA I 7.2, 1036f. 5 ) III H57 (Bohnenkamp 643ff.) egh mit Blei, Datierung nach Fischer-Lamberg 1955, 143 durch Bezug auf He. Entwürfe zu den Arkadien-Versen Fausts u. zu den Schlußversen des Chors. − Zu H57 s. auch Bohnenkam 646 u. FA I 7.2, 1037. 6 ) III H46 (W 15.2, 70), datiert W. 31. März 1826, enthält vollständig den 2. LynkeusGesang (9273−332). 7 ) III H 2 Bl. 24 Abschrift Johns aus III H46. − Einziger Fall in III H2, daß eine Abschrift von G datiert wurde. 8 ) P166 (Bohnenkamp 629f.) ist eine Weiterentwicklung von P166a, das mit der Geburt des Euphorion endet. Es skizziert die Handlung von H[elena] zu sich einladend (9356) bis zum Schluß, führt sie also fort über die Geburt des Euphorion hinaus bis zu dessen Tod: Faust, Helena, Euphorion Kunststück und Todt. Die Abfolge des Geschehens entspricht noch ganz P166a: Die heftige Nachricht von Menelas Anrücken, die Nennung der Stämme aus dem Norden mit dem Versprechen der Verleihung Griechenlands sowie ein Kampfgeschehen stehen noch vor der Liebesvereinigung, die hinter der Bühne stattfindet. − 9165−81 leiten über vom Auftritt der Jünglingsknaben (9157) bis

532

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

[Apr?] Apr

1826

(III H P148 zu Sz. [3] Schattiger Hain mit 9711−84)1)

2. [Abends] Dr. Eckermann . . . Las ihm ein Stück von Helena vor. 3. John mundirte an Faust. 4. Einiges zu Faust concipirt und mundirt . . . Abends Professor Riemer,

den Faust durchgegangen. 6. An Faust revidirt. 7. Einiges zu Faust. 10. Einiges an Faust. 11. [Abends] Mit Professor Riemer einiges an Helena durchgegangen. 12. An Faust arrangirt und geheftet . . . [Abends] Einiges an Helena ajustirt. 13. Einiges an Faust. 14. [Nachmittags] Professor Riemer, den Dialog von Helena durchgegan-

gen. [um 14.] (III H51zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9454−69)2) [Mitte] (III H53 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9474−81)3) 16. An Faust weiter gedacht. 17. Einiges weiter an Faust. 18. Einiges zu Faust . . . Abends Professor Riemer. Einiges an Helena. 19. Fortsetzung des gestrigen . . . Arbeitens. 20. An Helena fortgearbeitet. 21. Abends Professor Riemer. Über Helena conferirt. [um 22.] (III H54 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit Szenar nach 9481 u. nach 9505 u. zu Sz. [3] Arkadien mit 9735f.)4)

FAUST herantretend, einen Gefesselten zur Seite u. schließen damit die Lücke, die in III H1 geblieben war. − Zu H43 mit P166 s. auch Bohnenkamp 631f. u. FA I 7.2, 1035f. 1 ) H III P148 (Bohnenkamp 648): egh Versentwurf, datiert nach Bohnenkamp ebd. − Aufgrund des Metrums ist es möglich, die Verse Euphorion zuzuschreiben; doch letztlich bleibt eine solche Festlegung prekär. − Zu P148 s. auch MA 18.1, 998 u. FA I 7.2, 1038. 2 ) III H51 (Fischer-Lamberg 1955, 115), datierbar durch Briefkonzept, enthält 4 Strophen von Fausts Ansprache u. Befehlsausgabe an die Heerführer (= spätere Strophen 3−6 = 9454−69). 3 ) III H53 (Bohnenkamp 627) egh mit Blei, datiert nach Fischer-Lamberg 1955, 143; enthält Entwürfe zur ersten Ansprache Fausts an die Heerführer (9474−81) u. Notizen für die Beschreibung Arkadiens (=P169); s. dazu oben [14. Juni/ 9. Aug 1825]: III H53. − Zu H53 s. auch Bohnenkamp 628 u. FA I 7.2, 1035. 4 ) III H54 (W 15.2, 70), durch Briefkonzept datierbar (um 22. Apr 1826), mit den Szenaren (nach 9481): Faust. steigt herab, die Herzoge bilden einen Kreis um ihn, die Befehle näher zu vernehmen u. (nach 9505): Faust hat, indem die Fürsten abziehen, wieder den Trohn bestiegen und sich neben Helena gesetzt. Die Szenare übertrug G als Ergänzung bzw. Korrektur in III H2. Das Szenar nach 9505 ging aber nicht in den endgültigen Faust-Text ein. (Fischer-Lamberg 1955, 118): den Chor 9482−9505 an

1826

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

533

Apr 23. [Abends] Dr. Eckermann . . . Ich las ihm einiges aus Helena. 25. Abends Professor Riemer. Einiges an Helena durchgegangen. [ca. 25.?] (III H58 zu Sz. [2] Innerer Burghof mit 9506−25 u. P100)1) 26. Mundum von Helena [III H2] weitergeführt . . . Mittag Professor Rie-

[27.]

27. 28. Mai

2.

mer mit mir auf dem Zimmer speisend. Ästhetische und rhythmische Unterhaltungen. Abends für mich, das Geschäft an Helena fortgesetzt. An Riemer2) (Br 50, 105): Da ich nicht das Vergnügen habe Sie heut Abend bey mir zu sehen, erbitt ich das Mspt der Helena um die Folge anzuschließen. Das Übrige auf morgen. Fortgefahren und vorbereitet. Abends Professor Riemer. Abends Professor Riemer. Einiges auf Helena bezüglich.

[ca.3.] (III H59 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 9031−41 u. Sz. [2] Innerer Burghof 9526−41, 9544, 9566−69 zu Sz. [3] Arkadien 9574−80, 10009f.)3) (III H33a Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 9031−41 Var)4)

9. Gegen Abend Professor Riemer . . . über die Chöre der Helena ge-

sprochen 10. John mundirte an der Helena. dessen Ende das Szenar notwendigerweise ergänzt wurde, schrieb Schuchardt in III H 22 [Abschrift mit allen Chören nach 9482] m i t dem Szenar ab; nachdem er dort redigiert worden war, schrieb ihn Riemer noch einmal ab; da es ihm allein auf den Text des Chors ankam, ließ er das Szenar fort; dieses Blatt wurde [als Bl. 28] nun in III H 2 eingeklebt und seine szenarlose Fassung ging somit in III H III ein. Dort spürte Goethe beim Durchlesen den Widersinn, der sich daraus ergab, daß Faust sein Lob Arkadiens im Kreise der Fürsten und nicht neben Helena verkündet und ergänzte, nun allerdings erst nach 9561, die Bühnenanweisung ,Neben ihr sitzend’.− Auf Vs, ohne Zusammenhang mit den Szenaren: Bald löst ich fürchte sich der Verein (9735f.). 1 ) III H58 (Bohnenkamp 291f.): 9506−25 egh mit Kohlestift [F.] Die Gaben, diesen hier verliehen − / An jeglichen ein reiches Land − . . . Dies Land, allein zu dir gekehret / Entbietet seinen höchsten Flor; / Dem Erdkreis, der dir angehöret, / Dein Vaterland, o zieh es vor! Rs. P100 mit Motiven zu Akt 1; s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“. − Zu H58 s. auch Bohnenkamp 292f. 2 ) Undatierter Brief; Datierung nach Gräf II 2, 332 Anm. 1. 3 ) III H59 (Fischer-Lamberg 1955, 121), datierbar durch Beziehung zu III H33a, enthält auf Vs Entwürfe zu Fausts Beschreibung von Arkadien (9526−41, 9544) schließend mit (9566−69): Nicht feste Burg soll dich umschreiben Noch zirkt in ewiger Jugendkraft für uns [Spatium] zu heiterm Bleiben Arkadien in Spartas Nachbarschaft. − Auf Rs folgt ein 1. Entwurf der Phorkyas-Rede (9574−80): Wie lange diese [die Mädchen] schlafen weis ich nicht Ob sie sich träumen ließen was ich sah Blieb ebenfalls mir unbekannt, Drum weck’ ich sie, damit sie drob erstaunen, Und ihr zugleich, die ihr da unten harrt Glaubhafter Wunder Lösung von Ajax’ Schild (9031−41), womit er die Frage des Chors Was sind Wappen? (9030) beantwortet, u. ein Bruchstück des Chorgesangs am Ende des 3. Akts (10009f.). 4 ) III H33a (Fischer-Lamberg 1955, 103) durch Briefkonzept datierbar, enthält in der zweiten Fassung die Beschreibung des Drachenschilds.

534

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1826

Mai 11. Reisen in Griechenland von Bröndstedt erhalten1) . . . [Nachmittags] An

12.

13. 14. 16. 20. 21. 22. 24. 25. 28. [Mai?]

der Reise nach Griechenland gelesen . . . Späterhin suchte ich die Helena abzuschließen. Helena bedacht . . . Fortgefahren in allem Begonnenen und Vorliegenden . . . Gegen Abend Professor Riemer. Einige Concepte, sodann Helena durchgesprochen. Durchaus fortgefahren. Besonders die Lücken an Helena bearbeitet. [Abends] Dr. Eckermann, den ich den Anfang der Helena lesen ließ und mit ihm sprach. Abends Professor Riemer. Einiges an Helena durchgegangen. Abends Unterhaltung mit Professor Riemer . . . Einiges über Helena. John mundirte an Helena. Fuhr John fort an Helena zu mundiren. Ich beschäftigte mich mit dem Abschluß. An Cotta (Br 41, 41): Von meiner Seite soll es nicht fehlen, auch über das Zugesagte, gleich für die ersten Bände das Mögliche zu thun.2) Den mundirten Theil der Helena durchgesehen. Abends Dr. Eckermann, der Helena weiter las. (III H7 Bll. 1, 4, 5 u. 6 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta mit 8610−37, 8882−902, Sz. [2] Innerer Burghof 9385−510, mit P140−P142 u. mit einzelnen Versen aus dem Bereich 8759−819)3)

1

) Peter Oluf Bröndsted: Reisen und Untersuchungen in Griechenland, nebst Darstellung und Erklärung vieler neuentdeckter Denkmäler griechischen Styls und einer kritischen Übersicht aller Unternehmungen dieser Art von Pausanias bis auf unsere Zeiten. Erstes Buch. Paris 1826; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2016). − Das Erste Buch handelt von der Insel Keos u. steht somit in keinem direkten Bezug zur Arbeit an der Helena. 2 ) das Zugesagte betr. Helena klassisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust. − gleich für die ersten Bände − es geschah: C1 4 (1827) 229−307 u. C3 4 (1828) 223−91. − Zu G’s Absicht vgl. unten 3. Juni 1826: an Zelter. 3 ) III H7 (Bohnenkamp 404f.), datiert nach Fischer-Lamberg 1955, 90, versammelt in den Bll. 1, 4 u. 5 Chöre, die noch nicht in der Helena von 1800 enthalten sind: Der Chor Werfet o Schwestern (8610−37) auf Bl. 1 Vs u. Rs, schon im Frühj. 1825 entstanden u. in III H1 ergänzt, wurde metrisch bearbeitet, worauf die Skansionszeichen von Riemer hindeuten. Ebenfalls schon im Frühj. 1825 entstanden u. wiederum metrisch bearbeitet ist der Chor Schweige, schweige (8882−902) auf Bl. 4 Vs. Bl. 5 Vs verzeichnet vollständig den im Frühj. 1826 neu hinzugekommenen Chor Wer verdächt’ es unsrer Fürstin (9385−410). − Der Chor Ach, sie standen noch (8707−53) auf den Bll. 2 u. 3 in einer Abschrift von Riemer gehört schon zum Bestand der Helena von 1800. − Die auf Bl. 6 Vs u. Rs eingetragenen Verse aus dem Textbereich 8759−8819 bezeugen mit ihren Skansionszeichen besonders eindrucksvoll die metrischen Beratungen zw. G u. Riemer. Es handelt es sich um die metrische Bearbeitung von Versen, die bereits in III H1 in Reinschrift vorhanden waren u. nachträglich in III H2 korrigiert wurden. − Die Notizen auf Bl. 6 Vs (= P140−P142) zeigen, daß G schon im Frühj. 1826 mit Überlegungen zur Klassischen Walpurgisnacht beschäftigt war: Wenn er mit seiner Frau

1826

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

535

[Mai/Juni] (H P140 mit den P140−P146)1) Juni

3. An Zelter (Br 41, 49): Sodann darf ich dir wohl vertrauen: daß, um der

ersten Sendung meiner neuen Ausgabe ein volles Gewicht zu geben, ich die Vorarbeiten eines bedeutenden Werks, nicht in der Ausdehnung, sondern in der Eindichtung, wieder vorgenommen habe, das seit Schillers Tod nicht wieder angesehen worden2), auch wohl ohne den jetzigen Anstoß in limbo patrum3) geblieben wäre. Es ist zwar von der Art, daß es in die neueste Literatur eingreift, daß aber auch niemand, wer es auch sey, eine Ahnung davon haben durfte. Ich hoffe, da es zu Schlichtung eines Streites4) gedacht ist, große Verwirrung dadurch hervorgebracht zu sehen.5) 4. Einiges an Helena ajustirt. Anderes durchgesehen . . . [Nachmittags] Einiges an Helena. [um 5.] (III H70 zu Sz. [3] Arkadien mit 9863−80, 9884−93, 9907−38)6) 6. [Nachmittags] Helena abgeschlossen. Abends Professor Riemer. Einiges

über die Chöre. 7. Mundirt an der Helena.

sich zankt Dann sprühen oben die Vulkane (= P142) scheint sich auf eine Personifikation des Erdbebens zu beziehen. In P140 u. 141 geht es um die Sicht der klassischen Antike. Die Notizen finden sich mit leichten Abweichungen wieder auf dem Sammelblatt H P140−P146. − Zu H7 s. auch Bohnenkamp 406f. 1 ) P140−P142 (Bohnenkamp 408), datierbar durch Beziehung zu III H7 Bl. 6 u. durch Lukan-Exzerpte, sind wahrscheinlich Abschriften von III H7 Bl. 6. − P143 gehört in den Zusammenhang der Klassischen Walpurgisnacht, ist jedoch nicht eindeutig zuzuordnen. − P144 u. 145 enthalten Exzerpte aus Lukans Pharsalia VI: Hascht nach dem nächtgen Wetterleuchten (P144), die Übersetzung eines Halbverses von 6, 520, benennt Fähigkeiten der thessalischen Hexe, ebenso das Exzerpt 6, 437 quidquid non creditur ars est. P145 notiert im Original u. in dt. Übersetzung die gewaltige von Jupiter unabhängige Macht der thessalischen Hexen Tonat coelum ignaro Iove Das sind Gewitter von denen Jupiter nichts weis. P146 ist wie P143 in seinem Bezug unklar; es verweist vielleicht mit dem Motiv des Umkreisens des Throns auf den Auftritt der Galatea (8445ff.) oder durch das Motiv der Verführung auf die Doriden (8391ff.). − Zu P140−P142 s. auch Bohnenkamp 409f. 2 ) Betr. die seither Fragment gebliebene Helena. 3 ) Dazu MA 20.3, 746f.: im (Höllen-)Kreis der Väter; mit ›limbus‹ wird nach katholischer Lehre ein zweigeteilter Aufenthaltsort in der Unterwelt für die vorchristlichen Frommen und die ungetauften Christenkinderr bezeichnet; hier wohl eher als Bereich des Vergessens zu verstehen. 4 ) Zw. ›klassischer‹ u. ›romantischer‹ Tendenz, gemäß dem Untertitel Eine klassischromantische Phantasmagorie beides vereinend. 5 ) Andeutung von G’s Absicht, in die erste Lieferung von C1 (Bde 1−5), deren Druckvorlage am 16. Apr 1826 an Cotta abgegangen war, nachträglich die Helena als Zwischenspiel zu Faust aufzunehmen; vgl oben 24. Mai 1826: an Cotta. 6 ) III H70 (W 15.2, 71), nach Konzept datiert, enthält Entwürfe zum Trauergesang des Chors (9907−38) u. zur letzten Lebensetappe Euphorions (9863−80, 9884−93).

536 Juni

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL 8. Völliger III

1826

Abschluß der Helena.1) Vorbereitung des Mundum [III

2

H ]. ) [vor 9.] (III H61 zu Sz. [3] Arkadien mit 9574−603)3) 9. John fing an die zweyte Hälfte der Helena [von III HIII] zu mundiren

. . . Nach Tische mit Helena . . . beschäftigt. 9. (III HIII Bl. 44 [=letztes Blatt] datiert: 9. Jun. 1826). 10. John endigt das Mundum der Helena [III HIII]. Ich dictirte an Schu-

chardt einiges zu Kunst und Alterthum.4) 10. H P123A [Erster Entwurf zur Ankündigung der Helena]5) H e l e n a, klassisch-romantische Phantasmagorie, Zwischenspiel zu Faust. (W 15.2, 213f.): Dem alten, auf die ältere von Faust umgehende Fabel gegründeten Puppenspiel gemäß, sollte im zweiten Theil meiner Tragödie gleichfalls die Verwegenheit Faust’s dargestellt werden, womit er die schönste Frau, von der uns die Überlieferung meldet, die schöne Helena aus Griechenland in die Arme begehrt. Dieses war nun nicht durch Blocksbergs Genossen, ebensowenig durch die häßliche, nordischen Hexen und Vampyren nahverwandte Ennyo zu erreichen, sondern, wie in dem zweiten Theile alles auf einer höhern und edlern Stufe gefunden wird, in den Bergklüften Thessaliens unmittelbar bei dämonischen Sibyllen zu suchen, welche durch merkwürdige Verhandlungen es zuletzt dahin vermittelten, daß Persephone der Helena erlaubte, wieder in die Wirklichkeit zu treten, mit dem Beding, daß sie sich nirgends als auf dem eigentlichen Boden von Sparta des Lebens wieder erfreuen solle; nicht weniger, mit fernerer Bedingung, daß alles Übrige, sowie das Gewinnen ihrer Liebe, auf menschlichem Wege zu-

1

) Abschluß von III H2. ) Wahrscheinlich Beginn der Reinschrift III HIII: Die schon am 10. Juni 1826 abgeschlossene Hs. umfaßt 8489−10038; im Gegensatz zu den vorher angefertigten Reinschriften III H1 u. III H2 hat sie erstmals die Aufschrift Helena klassisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust. − Der erste Teil der Hs. wurde lagenweise an S. Boissere´e gesandt; s. unten 1826 Nov 22., Dez 10., 1827 Jan 1. u. 19. 3 ) III H61 (W 15.2, 70), mit Bezug auf III H60 datierbar (s. unten 13. Juni), enthält auf Vs u. Rs in egh Reinschrift vollständig 9574−603. 9594−97 stehen am Ende von Rs u. sind als Einfügung nach 9593 gekennzeichnet. Sie sind nachgetragen, um die Vorstellung eines unterirdischen 1001-Nacht-Palasts zu wecken: Nicht mehr ein Gyneceum, das Frauengemach einer Burg, wie im P164a vom 2. Apr 1825, nicht mehr ein Gezelt wie im P166a vom 5. Apr 1825 ist jetzt der Schauplatz der Liebesvereinigung von Faust und Helena, sondern ein unterirdisches Zauberreich, wie es in der Geschichte des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu ausführlich geschildert wird; s. Näheres dazu: Mommsen 2006, 279−90. 4 ) s. nachfolgendes Z. 5 ) H P123A ist die 1. Fassung einer zur Veröffentlichung in KA vorgesehenen Ankündigung der Helena, mit der G den vorgesehenen Einzeldruck des Helena−Zwischenspiels begleiten wollte. vgl. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“, S. 480 ff. 2

1826

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

537

gehen müsse; Mit phantastischen Einleitungen solle es so streng nicht genommen werden. Das Stück beginnt also vor dem Pallaste des Menelaus zu Sparta, wo Helena, begleitet von einem Chor trojanischer Frauen als eben gelandet auftritt, wie sie in den ersten Worten zu zugleich zu verstehen giebt: [es folgt 8489−96] Mehr aber dürfen wir von dem Gang und Inhalt des Stücks nicht verrathen. Dieses Zwischenspiel war gleich bey der ersten Conception des Ganzen ohne Weiteres bestimmt und von Zeit zu Zeit an die Entwickelung und Ausführung gedacht, worüber ich jedoch kaum Rechenschaft geben könnte. Nur bemerke ich, daß in der Schillerschen Correspondenz vom Jahr 1800 dieser Arbeit als einer ernstlich vorgenommenen Erwähnung geschieht;1) wobey ich mich denn gar wohl erinnere, daß von Zeit zu Zeit, auf des Freundes Betrieb, wieder Hand angelegt wurde, auch die lange Zeit her, wie gar manches Andere, was ich früher unternommen, wieder ins Gedächtniß gerufen ward. Bey der Unternehmung der vollständigen Ausgabe meiner Werke ward auch dieses wohlverwahrte Manuscript wieder vorgenommen2) und mit neu belebtem Muthe dieses Zwischenspiel zu Ende geführt, und um so mehr mit anhaltender Sorgfalt behandelt, als es auch einzeln für sich bestehen kann und in dem 4. Bande der neuen Ausgabe, unter der Rubrik: Dramatisches, mitgetheilt werden soll. Weimar den 10. Juny 1826. Juni 12. Helena im Zuge durchgelesen. Das Einzelne revidirt. 13. Überlegung noch einiger wirksamer Chöre zur Helena.3) 1

) s. insbesondere oben 1800 Sept 13.: Schiller an G, 16.: an Schiller, 17.: Schiller an G, 23.: an Schiller u. Schiller an G. 2 ) s. oben 14. März 1825: Tgb. 3 ) Die Überlegung noch einiger wirksamer Chöre zur Helena betrifft die in der Anfangspartie des Helena-Akts von 1800 noch fehlenden drei Chorstrophen, die G nachträglich einfügte: 8516−23: C h o r . Verschmähe nicht, o herrliche Frau, / Des höchsten Gutes Ehrenbesitz! / Denn das größte Glück ist dir einzig beschert, / Der Schönheit Ruhm, der vor allen sich hebt. / Dem Helden tönt sein Name voran, / Drum schreitet er stolz, / Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann / Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn. − 8560−67: C h o r . / Erquicke nun am herrlichen Schatz, / Dem stets vermehrten, Augen und Brust; / Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck, / Da ruhn sie stolz und sie dünken sich was; / Doch tritt nur ein und fordre sie auf, / Sie rüsten sich schnell./Mich freuet, zu sehn Schönheit in dem Kampf / Gegen Gold und Perlen und Edelgestein. − 8591−603: C h o r . Was geschehen werde, sinnst du nicht aus; / Königin, schreite dahin / Guten Muts! / Gutes und Böses kommt / Unerwartet dem Menschen; / Auch verkündet glauben wir’s nicht. / Brannte doch Troja, sahen wir doch / Tod vor Augen, schmählichen Tod; / Und sind wir nicht hier / Dir gesellt, dienstbar freudig, / Schauen des Himmels blendende Sonne / Und das Schönste der Erde / Huldvoll, dich, uns Glücklichen? Diese Verse enthalten auffallend ähnliche orientalisierende Elemente wie die Lynkeusszene: Hinweis auf Schatz-Geschenke von Gold, Perlen und Edelgestein, das Motiv der Edelsteine im Wettkampf mit der Schönheit des Gesichts, das Sonnengleichnis. Offenbar sollten diese Chorstrophen zur Vorbereitung auf die orientalisierende Brautwerbung dienen; vgl. Mommsen 2006, 279.

538

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

1826

[Juni 13.] (III H60 zu Sz. [1] Vor dem Palast des Menelas zu Sparta zu 8515−17 u. 8559 sowie zu Sz. [3] Arkadien mit 9574−92, ohne 9583, 9598f., 9603−05 u. 9623−28)1) 21. [Vormittags] James Emerson Reise und Aufenthalt in Griechenland im

Jahre 18252) . . . Nach Tische Museum Worsleyanum3). 21. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 28. Juni 1826 − : Museum Worsleyanum or a collection of antique bas-relievos, busts, statues and gems. Vol. 1. 2. London 1824.)4) 21. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 14. Juli 1826 − : 1) Pindaros: Versuch einer prosaischen Uebersetzung der griechischen Lieder. [Von Christian Tobias Damm.] Berlin u. Leipzig 1770. − 2) Pindaros Siegshymnen. Metr. Übers. von Gottfried Fähse. 1. B. Penig 1804.5)) 22. [Vormittags] Karte von Neugriechenland zur Aufklärung von Emersons 23. 24. 30. [Juli Anf.]

Reise. Einiges an Helena. Völliger Abschluß der Helena, durch Umschreiben einiger Bogen. [Abends] Professor Riemer. Über Helena und anderes. An Unbekannt (Konzeptfragment; Br 41, 302): Über Helena nächstens mehr, das Werk ist abgeschlossen und ist so seltsam und problematisch als ich je etwas geschrieben habe. Vielleicht geben wir im Laufe dieses halben Jahrs davon irgend wo einige nähere Kenntniß. Das Merkwürdigste bey diesem Stück ist daß es ohne den Ort zu verändern gerade drey Tausendjahre spielt,6) die Einheit der Handlung und des Orts aufs genauste beobachtet, die dritte jedoch phantasmagorisch ablaufen läßt.

1

) III H60 (Bohnenkamp 649−51), egh mit Blei, datiert nach Tgb-Eintrag; die Stichworte zum Marchen spann (8515) u. Knecht Gewalt (8559) auf den Außenseiten stehen in Beziehung zur Überlegung noch einiger wirksamer Chöre zur Helena; s. die vorige Anm. Die dort zitierten 3 Chöre fehlen in III H1, III H2 u. III HIII u. wurden erst in III HIII nachgetragen. − Auf den Innenseiten Phorkyas’ Schilderung der Hochzeit Fausts mit Helena, die in III H59 begonnen wurde (9574−80), bis 9604, u. zwar noch ohne 9593−97, die erst in III H61 enthalten sind, u. darüberhinaus die Schlußverse 9623−28. − Zu H60 s. auch Bohnenkamp 652 u. FA I 7.2, 1038. 2 ) A picture of Greece in 1825; as exhibited in the personal narratives of James Emerson, Esq., Count Pecchio and W. H. Humphreys, Esq., comprising a detail account of the events of the late campaign, and sketches of the principal military, naval and political chiefs. In two volumes. Vol. I: Journal of a residence among the Greeks in 1825. By James Emerson: London 1826. − Lektüre bezeugt das anhaltende Interesse G’s an der Entwicklung in Griechenland über Byrons Tod hinaus. 3 ) s. oben 5. März 1824: aus der Weimarer Bibliothek. 4 ) Zu den vorherigen Buchentleihungen s. oben: 5. März 1824 u. 14. Juli 1825. 5 ) Vermutl. entlieh G die Lieder Pindars zur Einstimmung in die griechische Welt u. Verskunst. 6 ) Zum Zeitraum s. auch unten 22. Okt 1826: an Boissere´e u. 24. Mai 1827: an Nees v. Esenbeck.

1826

[ZU FAUST] HELENA . . . ZWISCHENSPIEL

539

8. Professor Zelter las die Helena für sich . . . [Nachmittags] Professor

Juli

Zelter blieb bey mir und las mir den Anfang der Helena vor.1) 10. Abends Professor Zelter weiter in der Helena. 11. [Nachmittags] Las Zelter die Helena hinaus [zu Ende]. 16. Dr. Eckermann las die Helena hinaus [zu Ende]. 20. [Weimar] Eckermann an Johanne Bertram (Tewes 61): Am nächsten Morgen [16. Juli 1826] frühstückte ich mit dem alten Goethe, nachdem ich zuvor seine „Helena“ gelesen hatte, die während meiner Abwesenheit war vollendet worden. Es ist ein großes, kaum begreifliches Werk. „Ihrer Teilnahme“, sagte Goethe, „kann ich es doch verdanken, daß das Stück nun vollendet ist.“ 30. Eckermann las in der Helena. 3. Doctor Eckermann las die Helena zu Ende.

Aug

12. Später [am Abend] Dr. Eckermann . . . Besprachen Naturphilosophi13. ?

14. 26.

Sept

2.

sches, Aristoteles und Helena.2) Schuchardt fing die Abschrift der Helena [= III R] an.3) Das Gestrige fortgesetzt. An S. Boissere´e (Br 41, 132): Ich habe mir indessen große Mühe aufgeladen, um den vierten Band der ersten Lieferung der neuen Ausgabe recht gewichtig zu machen und eine seit zwanzig Jahren ruhende Arbeit wieder aufgenommen: H e l e n a , e i n Z w i s c h e n s p i e l z u F a u s t , in die zweyte Abtheilung gehörig, ruhend auf der Fabel: Faust habe vom bösen Geist den Besitz der Helena gefordert. Es ist eine Arbeit, die Masse macht, ganz rhythmisch, zwanzig Bogen geschrieben. Buchbinder [F. E.] Bauer, übergab ihm die Abschrift der Helena.

9. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 338): Was Sie mir zu dem Zwischenspiel zu Faust, Helena sagen,4) erregt meine höchste Neugierde, und betrübt mich wieder auf’s Neue, daß ich nicht länger habe bei Ihnen verweilen können!5) Wie kömmt es, daß Sie in Ihrer Anzeige beim vierten Bande keine Erwähnung von diesem Zwischenspiel gethan?6)

1

) Weitere Lektüre der Helena durch Zelter am 10. und 11. Juli 1826. ) Ost vermutet einen Bezug zum 15. Kap der Dichtkunst, wo es heißt: In Hinsicht auf das Wesen der Poesie sind Unmöglichkeiten als wahrscheinlich dargestellt Möglichkeiten vorzuziehen, die unwahrscheinlich sind. In Hinsicht auf idealische Darstellungen müssen die Nachahmungen der Poesie den Gemälden des Zeuxis gleichen; das Ideal muß vollkommener als die Natur sein. (Aristoteles: Über die Kunst der Poesie. Hsg. v. J. B. Bühle. Berlin 1798, 115) − Im Gespräch mit Eckermann dürfte in bezug auf die Bildung der Helena das Begehren des Künstlers nach dem ,Unmöglichen‘ zur Sprache gekommen sein, ein Begehren, in dem sich die Bildner Zeuxis, Faust und Goethe gleichstellen. (Hans Ost: Goethes Helena als plastische Gestalt. In: arcadia 4 [1969] 37). 3 ) Schuchardts letzte Abschrift des Akt III vom 13. Aug − 2. Sept 1826, Druckvorlage für C1 4. 4 ) s. oben 26. Aug 1826: an Boissere´e. 5 ) Boissere´e hielt sich vom 17. Mai bis 3. Juni 1826 in Weimar auf. 6 ) In der Anzeige unter Bd IV heißt es nur Dramatisches, s. W 42.1, 110. Boissere´e 2

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Sept 15. [Weimar] An S. Boissere ´e (Br 41, 153): Von H e l e n a nächstens mehr.

In der Anzeige stand nichts davon, denn sie ward erst kurz vor ihrer Ankunft fertig, und ich hätte sie Ihnen gar zu gern vorgelegt. Sie soll in den vierten Band kommen, unmittelbar vor die letzte Abtheilung der zahmen Xenien. Es wird daraus mein eifriges Bestreben hervorgehen, unser Unternehmen so werth zu machen als möglich. 19. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Sternberg gD) 20. An C. F. Reinhard (Br 41, 159): Ich habe einiges hervorgebracht, das

sich aufweisen läßt.1) 22. Mittag mit Dr. Eckermann allein . . . Mit demselben die Aufführbarkeit der Helena besprochen. 28. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Schultz gD) 30. An C. W. Göttling (Br 41, 186f.):2) Ew. Wohlgeboren

nehme mir die Freyheit eine schöne Dame [Helena] zuzuführen, die sich denn selbst einleiten und einschmeicheln möge. Eigentlich aber zu reden wünsche diesem sonderbaren Werke eine freundliche Aufnahme; so problematisch es auch scheinen mag, wird es der Wissende sich leicht erklären. Eines möchte ich bevorworten: Wenn das eigentlich Fehlerhafte der reimlos rhythmischen Stellen allerdings zu tilgen seyn möchte, so würde man dabey doch nicht allzu genau verfahren; bisher habe ich es mit Professor Riemer durchgegangen, bis wir müde wurden. Möchten Ew. Wohlgeboren es Ihrer gewohnten Aufmerksamkeit werth achten. Okt 3. Mittag mit Ottilien. Las derselben den ersten Abschnitt von Helena vor. 17. An S. Boissere ´e (Br 41, 200):3). . . Helena soll zu dem fünften Bande noch etwas bringen, was sich niemand erwartete. 22. An W. v. Humboldt (Br 41, 202f.): Ich habe den ganzen Sommer zu Hause zugebracht und ungestört an der Ausgabe meiner Werke fortgearbeitet. Erinnern Sie sich wohl noch, mein Theuerster, einer dramatischen H e l e n a , die im zweyten Theil von Faust erscheinen sollte? Aus Schillers Briefen vom Anfang des Jahrhunderts sehe ich, daß ich ihm den Anfang vorzeigte, auch, daß er mich zur Fortsetzung treulich ermahnte. Es ist eine meiner ältesten Conceptionen, sie ruht auf der Puppenspiel-Überlieferung, daß Faust den Mephistopheles genöthigt, ihm die Helena zum Beylager heranzuschaffen. Ich habe von Zeit zu

hatte bereits während seines Weimar-Aufenthalts am 24. Mai mit G den neuangekommenen Abdruck der Anzeige besprochen. (s. Tgb) 1 ) Neben der Helena die Wanderjahre. Zum Nachfolgenden s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“. 2 ) G’s Tgb vermerkt am 30. Sept: An Professor Göttling, Helena. 3 ) Zum Vorangehenden s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“.

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Zeit daran fortgearbeitet, aber abgeschlossen konnte das Stück nicht werden, als in der Fülle der Zeiten, da es denn jetzt seine volle 3000 Jahre spielt, von Troja’s Untergang bis zur Einnahme von Missolunghi. Dieß kann man also auch für eine Zeiteinheit rechnen, im höheren Sinne; die Einheit des Orts und der Handlung sind aber auch im gewöhnlichen Sinn auf’s genauste beobachtet. Es tritt auf unter dem Titel: Helena classisch-romantische Phantasmagorie. − Zwischenspiel zu Faust. − Das heißt denn freylich wenig gesagt, und doch genug, hoff ich, um Ihre Aufmerksamkeit auf die erste Lieferung lebhafter zu richten, die ich von meinen Arbeiten zu Ostern darzubieten gedenke. Okt 22. An S. Boissere ´e (Br 41, 209f.): Die Helena ist eine meiner ältesten Conceptionen, gleichzeitig mit Faust, immer nach Einem Sinne, aber immer um und um gebildet. Was zu Anfang des Jahrhunderts fertig war ließ ich Schillern sehen, der, wie unsere Correspondenz ausweist, mich treulich aufmunterte fortzuarbeiten. Das geschah auch, aber abgerundet konnte das Stück nicht werden, als in der Fülle der Zeiten, da es denn jetzt seine volle dreytausend Jahre spielt, vom Untergange Troja’s bis auf die Zerstörung Missolunghi’s; phantasmagorisch freylich, aber mit reinster Einheit des Orts und der Handlung. Und so mag es genug seyn! Ist dieß aber nicht schlimmer, als wenn ich gar nichts gesagt hätte? Welchen Werth man endlich auch dem Stücke zuschreiben mag, dergleichen habe ich noch nicht gemacht, und so darf es gar wohl als das Neuste gelten. Da ich nun wieder lese, was hier auf dem Papier steht, so frage ich mich, ob ich es denn auch fortschicken soll? Denn eigentlich soll man nicht reden von dem, was man thun will, nicht von dem, was man thut, noch was man gethan hat. Alles Dreyes ist gewissen Inconvenienzen unterworfen, die nicht zu vermeiden sind. Warum wohnen wir nicht näher an einander! Daß man sich noch einige Zeit freyer und vollständiger mittheilen könnte. 27. [Jena] C. W. Göttling an G1) (GSA 30/ 319 Bl. 82f.): Ew. Excellenz sende hierbei das Manuscript der Helena zurück; ich habe dieß sinnvolle Gedicht etwas länger behalten, um mich des Ganzen desto mehr zu versichern und am besondren bewußter zu erfreuen. Es kann wohl nichts des alten Kothurns in Form und Ausdruck würdiger seyn als diese Darstellung der Poesie in dreifacher Form: erst als klassisch-antike, deren Repräsentantin Helena mit ihrem unwiderstehlichen Zauber deshalb so schön gewählt ist, weil diese Gestalt in Epos und Drama den Griechen sich so innig verwachsen zeigt, daß beide Dichtgattungen fast nicht ohne sie gedacht werden können; ja diese Idee ist solch ein Dogma für die Griechen, daß der epische Herodot aller eigentlichen Geschichte Anfang mit dem Raub dieses schönen Weibes beginnen läßt. Dann die romantische Form, deren würdigster Vertreter Faust als eigenthümlichstes germanisches Erzeugniß ist. Mit dem Entschwinden des Euphorion endlich, der die Schönheiten beider poetischen Formen vereinte, scheint auch die Poesie entschwunden zu seyn und ihren Cyklus geschlossen zu haben; wenigstens vertheilt sich der Chor als poetisches Publikum in alle vier Winde. Die dionysische Poesie ist fort, aber die klappernde Kelter ist 1

) Teilveröffentlichung in QuZ 2, 394ff. u. Boissere´e 2, 449.

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geblieben. Als mir in solcher Weise der Sinn des Ganzen aufzugehen schien konnte mir die Wahrheit der Schilderung schon deshalb nicht entgehen, weil mir schon lange die alten Griechen, Shakespeare, Schiller und Göthe genug waren, um ein ganzes Leben daran sich zu erfreuen. Meiner Natur nach hat mir der antike Theil des Drama’s am meisten zugesagt. Der Dichter bewegt sich frei in den antiken Versmaßen; einige Anapäste in der Mitte iambischer Senare, die sich eigentlich nur die Antiken Komiker gestatten, und einige nicht gewöhnliche, darum aber nicht arrhythmische Folgen in den glykonischen Systemen [nach dem griech. Dichter Glykon benannter Vers aus acht Silben], sind durch die zwischen Komödie und Tragödie inne stehende Gattung dieses Dramas hinlänglich zu rechtfertigen. S. 1, Vers 4.1) steht: » s t r ä u b i g hohem Rücken« [8492]. Dieß möchte doch wohl analoger » s t r ä u b i g - h o h e m « heißen. Doch erinnere ich mich der Auskunft eines griechischen Dichters, als man ihn einer anormalen Bildung zieh: αÆ λλ’ η εις ε σμεν οι το ν λο γον τεκται νοντες »wir Dichter schaffen die Sprache.« Wir Grammatiker, möchte ich hinzusetzen, spüren erst die Gesetze hinterdrein auf. S. 1, 9. [8497] ist Tyndareos zu lesen; die Form Τυνδαρευ ς statt Τυνδα ρεως kommt, meines Wissens, bei den Griechen nicht vor; obgleich die Neueren sich ihrer oft bedienen. S. 4, (4–5 v. u. ) sind die beiden monometri anapaestici Doch tritt nur ein und fordre sie auf [8564] in einen Dimeter zu verbinden: doch tritt nur ein und fordre sie auf; denn die Griechen lassen nicht 3 monometri auf einander folgen, wie der Fall hier seyn würde. Auch sollte der letzte dieser Anapästen [8567] ein katalektischer seyn ˘ ˘ − − ˘ ˘ − − 2) z. B. »Gegen Gold und Edelgesteine.« S. 5, 9. hier fehlt ein iambischer Fuß; z. B. »der hellen Flammen schnell empfänglich, sei bereit.« S. 20, 11.3) wird Helena ein »zehenjährig« schlankes Reh [8850] genannt. Nach den Stellen der Alten, die sich bei Musgrave zu Eurip. Hel. 1369 angegeben finden, war sie nur sieben Jahre alt, als Theseus sie raubte.4) S. 30, 6. Die Worte des Verses [8976] scheinen durch den Abschreiber verstellt st. »Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang.« S. 31, 1. fehlt ein Iambus [8989]. Vielleicht: »Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht, wie viel es war.« S. 31, 17. »volle zwanzig Jahre« [9004] sind zu viel. S. 39, 2. fehlt nach: „mauerbraun“ [9123] eine Sylbe. S. 41, 8. 9. möchte statt »Oder« beide Male »Ob« zu lesen seyn. S. 62, 2 fehlt nach »um« [9591] eine Sylbe, wie S. 39, 2. S. 63, 9. statt Enceladus besser Antaeus [9611]. −, 14. Fehlt nach »steh ich da.« [9616] eine Sylbe. S. 64, 8 muß das Fragezeichen nach »Flamme« [9624] wohl hinweg. Die Stelle des Aristoteles über eine ähnliche Ansicht des Philosophen von dem Sturz des Phaethon, wie sie nach Ew. Excellenz Ansicht Euripides für sein Stück benutzte, findet sich Meteor. I, 8.

Okt 27. [Abends] Ulriken und Ottilien den zweyten Theil der Helena [vorgele-

sen]. 28. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 447f.):5) Die Erwähnung der Helena [in der Zweiten Anzeige]6) schien mir, wenn sie sonst nichts dagegen einzuwenden haben, in

1

) Vor dieser Stellenangabe wie vor allen folgenden mit Ausnahme von S. 20,11. im Manuskript ein Haken eingetragen, der vermutl. von G stammt. 2 ) katalektisch − ein aus sonst gleichen Elementargruppen bestehender Vers, bei dem die letzte dieser Elementargruppen verkürzt ist. 3 ) Diese Stellenangabe als einzige im Manuskript vermutlich von G mit Tinte durchgestrichen. 4 ) s. zu dieser von Göttling angeregten u. von G angenommenen Veränderung in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Eckermann, Gespräche 17. März 1830. 5 ) Zum Vorangegangenen s. „Zweite Anzeige von Goethe’s sämmtlichen Werken“ gD. 6 ) Entwurf einer neuen Anzeige zu C1, die dem Schreiben beilag u. G am 1. Nov erreichte (s.Tgb); zum Helena-Bezug s. oben 9. Sept 1826: Boissere´e an G.

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jeder Hinsicht passend. Was Sie mir von diesem Stück [Helena] in Ihrem letzten Brief [vom 22. Okt 1826] sagen, macht mich immer mehr begierig darauf. Könnten Sie mir denn nicht das Manuscript schicken? Es wäre das gar sehr freundlich; und daß Niemand außer den Meinigen es zu sehen bekäme, bis ich es an die Buchhandlung ablieferte, das versteht sich von selbst.

Okt 28. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: von Cotta gD) [Nov [Stuttgart] Cotta an G (G-Cotta 2, 187): Der Druck der Taschen Ausgabe hat bereits Anf.] begonnen, und die erste Lieferung derselben, welche im 4ten Band ein bisher ungedrucktes Gedicht von größerem Umfang, Helena, ein Zwischenspiel zu Faust, enthalten wird, erscheint unfehlbar zur Ostermeße 1827. Die Octav Ausgabe wird so schleunig als möglich folgen. Stuttgart Anfang November 1826

Nov

3. An Cotta (G-Cotta 2, 188): [Korrigierter Anzeigenentwurf. Weimar,

den 3. November 1826]: Helena Klassisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust. 3. An S. Boissere ´e (Br 41, 217−19): Hierbey folgt sogleich die neue An-

zeige1) zurück mit vielem Dank und wenig Abänderungen . . . Die Helena habe ich etwas ausführlicher angezeigt, damit kluge Leute eher ahnden, was es damit solle.2) Für Sie, mein Bester, will ich den Vorhang noch etwas weiter lüpfen, indem ich eine Stelle aus Professor Göttlings Brief abschreiben lasse, der die Gefälligkeit hat, meine Werke Band vor Band in letzter Instanz durchzugehen. Die Reinschrift für den Druck ist vollendet, muß aber noch in manchem Betracht sorgfältig revidirt werden. Sobald nichts mehr dabey zu bemerken ist erhalten Sie solche zu stiller Verwahrung . . . [Beilage.]3) (Weiter darf ich vor der Hand nichts mittheilen, ohne das Räthsel zu verrathen, obgleich die Auflösung schon aus dem Titel sich vermuthen läßt.) 8. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 711) 8. [Abends] Hofrath Meyer . . . Er las den Anfang der Helena. 9. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: H P99A gD, S. 711) 10. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 712) [10.] (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: H P99B gD, S. 712)

1

) s. unten 18. Nov 1826: Zweite Anzeige. ) s. oben an Cotta gD u. unten 18. Nov 1826: Zweite Anzeige. 3 ) Auszug aus einem Briefe Herrn Professor Göttlings am 27. October 1826; folgt Zitat: Ew. Excellenz sende hierbey das Manuscript der Helena zurück bis Dann die romantische Form, deren würdigster Vertreter Faust als eigenthümlichstes germanisches Erzeugniß ist pp. 2

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Nov 14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 2. Jan 1827 − : Recueil de cartes ge´ographiques, plans, vues et me´dailles de l’ancienne Gre`ce relatifs au voyage du jeune Anacharsis . . . Havre 1789.)1) 16. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 453): Die weitern Aufschlüsse über Helena lassen mich fast die Conception errathen, und ich sehe einem großen Genuß entgegen, wenn Sie Ihr freundliches Versprechen erfüllend, mir das Manuscript senden werden. 18. Zweite Anzeige von Goethe’s sämmtlichen Werken, vollständige Aus-

gabe letzter Hand (QuZ 2, 407):2) Der Druck der Taschenausgabe hat bereits begonnen, und die erste Lieferung derselben, welche im vierten Bande ein bisher ungedrucktes Gedicht von größerem Umfang Helena, classisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust3) enthalten wird, erscheint unfehlbar zur Ostermesse 1827. 21. Revidirte an Helena. 22. An S. Boissere ´e (Br 41, 234): Nun aber möge Sie die antike Schönheit freundlichst begrüßen; das reine Manuscript [= III HIII R] kann ich nur, wenn es höchst nöthig ist, aus den Händen geben. Da der Guß nach dem so lange studirten Modell endlich geglückt ist, so wird nun des Ausführens und Ciselirens kein Ende. Möge indessen der Eintritt in den Porticus erfreulich seyn und Sie sich eine Weile daran ergetzen; wenigstens gibt er ein Vorgefühl des Innern, wenn auch darin manches Mysteriöse möchte verschlossen seyn. 22. [An] Herrn Dr. Sulpiz Boissere ´e, erste Scene von Helena, Stuttgart.4) 27. [Stuttgart] S. Boissere´e Tagebuch (Weitz − Boissere´e 2, 116): Brief von Goethe − Anfang der ,Helena‘. 30. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 455f.): Die erste Scene Ihrer Helena kömmt mir gerade zur gelegensten Zeit, da ich zufällig dieser Tage die Elektra des Sophokles gelesen habe und noch ganz von dem Eindruck dieses hohen plastischen Dichters erfüllt bin. Wüßte man nicht, daß Sie Ihr Gedicht in seiner Entwicklung mit Faust in Beziehung bringen, so würde man diese Scene für ein Bruchstück einer uns unbekannt gebliebenen griechischen Tragödie der besten Art halten, und es würde einem wehe thun, daß hinter diesem einfach erhabenen Portikus nicht das ganze Gebäude mit allem Schmuck und Bildwerken noch bestehe! Nun aber nimmt uns der ebenso kühne als tiefe Gedanke ein, daß Sie die Sage von dem Verlangen des Faust nach dem Besitz der Helena benutzen, um die Sehnsucht des modernen Dichters und überhaupt moderner Zeit nach antiker Kunst und Schönheit darzustellen. Denn das muß doch am Ende die Aufgabe seyn, auf deren Lösung ich je mehr und mehr gespannt bin.

1

) Ausleihe nur des Tafelbandes; s. oben 7. Apr 1825: aus der Weimarer Bibliothek. ) Das Vorangehende s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Zweite Anzeige gD. 3 ) Im 1. von Cotta u. S. Boissere´e stammenden Entwurf nur Helena, ein Zwischenspiel zu Faust; s. oben 3. Nov 1826: an S. Boissere´e u. an Cotta. 4 ) G übersandte von III HIII insgesamt vier ungeheftete Lagen mit der Blattzählung 1−20 (Nachlaß S. Boissere´e UB Bonn). − Die am 22. Nov 1826 abgeschickte erste Lage umfaßt 8489−637. 2

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Dez 10. An S. Boissere ´e (Br 41, 251f.): Die gute und reine Aufnahme meiner

eintretenden Helena, wenn schon gehofft und vorausgesehen, war mir höchst erfreulich. Hier abermals ein Schritt weiter,1) und ich denke, es muß Ihnen angenehm seyn zu sehen, wie das Räthsel sich verwickelt, wie Ihre Vermuthungen und Ahnungen sich erfüllen oder getäuscht werden. Übrigens haben Sie ganz recht gefühlt, daß dieser Quasi-Prolog mit reiner alterthümlicher Liebe verfaßt ist. Einige Stellen in dem Schillerischen Briefwechsel zeugen, daß ich vor zwanzig Jahren, als ich wieder an dieß Geschäft ging, bedauerte, nicht zu vollkommenem tragischen Ernst den Plan angelegt zu haben. Und so möge denn das Weitere uns zu fernerer freundlicher Unterhaltung dienen . . . Möchten Sie wohl nun einige Aufträge an Herrn v. Cotta übernehmen? . . . 3) Wäre es freundlich, wenn Herr v. Cotta mein opus supererogationis, wie ich die Helena wohl nennen darf, mit einem Dutzend Exemplaren des neuesten Faust2) honorirte. 15. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb u. H P123 gD, S. 481; 714) 15. (H P123B datiert: W. den 15. Decbr. 1826.)3) 15. [Stuttgart] Boissere´e Tagebuch (Weitz − Boissere´e 2, 120): Brief von Goethe Fortsetzung zur ,Helena‘.4)

1

) Übersendung von III HIII 2. Lage 8638−753. ) Cotta hatte 1825 eine neue Einzelausgabe von Faust I (Hagen Nr. 320) herausgebracht, ohne G davon zu informieren u. ihm Belegexemplare zuzusenden. G war von dieser Einzelausgabe durch den Buchhändler J. W. Hoffmann unterrichtet worden; s. „Faust. Eine Tragödie“: Hoffmann an G, 13. Okt 1825, S. 364. 3 ) P123B (Bohnenkamp 424−32) ist die 1. Version der 2. ausführlichen Fassung der zur Veröffentlichung in KA vorgesehenen Ankündigung der Helena von Johns Hand; zu deren Entstehung s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“, S. 480. Im Unterschied zu P123A vom 10. Juni 1826 (s. oben), das sich mit Andeutungen begnügt hat, gibt sie eine ausführliche Darstellung der Handlung vom Hervorrufen der Idole von Helena und Paris bey einem großen Feste an des deutschen Kaisers Hofe bis zur erfolgreichen Losbittung Helenas vor Proserpinas Thron für eine Rückkehr auf den Boden von Sparta. Die Klassische Walpurgisnacht wird dabei wesentlich eingehender u. detailreicher geschildert als in den Schemata von Anf. Nov (P99A u. B). Die Zahl der antiken Ungeheuer hat sich noch erhöht; u. wichige Motive sind hinzugekommen wie das Erdbeben u. die Auseinandersetzung darüber zw. den Naturphilosophen Thales u. Anaxagoras. − P123B gewährt erstmals auch Einblick in das Wesen des chemisch Menschlein, nachdem von ihm in den P99A u. B nur stichwortartig die Rede gewesen ist: endlich da Fausts Ungeduld [Helena zu besitzen] nicht mehr halten will, beredet er ihn noch im Vorbeygehen den Doctor und Professor Wagner zu besuchen, den sie in seinem Laboratorium finden, sehr gloriirend daß eben ein chemisch Menschlein zu Stande gekommen sey. Dieses zersprengt augenblicks den Glaskolben und tritt als bewegliches wohlgebildetes Zwerglein auf. Sein Entstehen wird mystisch angedeutet, von seinen Eigenschaften legt er Proben ab, besonders tritt hervor daß in ihm ein allgemeiner Weltkalender enthalten sey. − Zu P123B s. auch Bohnenkamp 455−62 u. FA I 7.2, 998−1001. 4 ) s. oben 10. Dez 1826: an Boissere´e. 2

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Dez (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb gD, S. 481) 16. u. 17. 17. (H P123C datiert: W. d. 17. Decbr. 1826)1) 1

) H P123C (Bohnenkamp 433−54) ist die 2. noch erweiterte Version der 2. Helena, in der − ohne Änderung der Konzeption − die in P123B vorgenommenen Korrekturen eingearbeitet, zahlreiche Motive detaillierter entwickelt u. einige wenige neu eingeführt sind: Erweitert wurden die Ungeheuer um die Ameisen u. die Empuse, die Szene mit Chiron durch den Auftritt der Lamien, die hier noch Faust zu verführen suchen, die Erdbebenszene durch den herabfallenden Meteor u. der Abstieg in die Unterwelt durch die Begegnung mit dem Gorgonenhaupt. Im Zusammenhang mit den neueingeführten Nereiden und Tritonen ist erstmals noch ganz unspezifisch die Rede von einem Feste (Zeile 217), das in den mannigfaltigen Meeren und Golfen, auch Inseln und Küsten der Nachbarschaft (Zeile 219f.) stattfinden soll. − Neu vorangestellt wurde auch eine Einleitung, in der G zur Arbeit am Zweiten Teil des Faust, zur Beschäftigung mit dem Helena-Stoff und zu den Motiven einer separaten Veröffentlichung der Helena Immer in der Hoffnung das Werck einem gewünschten Abschluß entgegen zu führen, habe er bisher die Arbeit am Zweiten Teil als Geheimniß sorgfältig verwahrt. Jetzt bei Herausgabe der sämtlichen Werke (Ausg. letzter Hand) fühle er sich verpflichtet, kein Geheimniß mehr vor der Publicum [zu] verbergen u. alles sein Bemühen auch fragmentarisch nach und nach vorzulegen. Deshalb entschließ ich mich zuerst oben benanntes, in den zweyten Theil des Faustes einzupassendes, in sich abgeschlossenes kleineres Drama bey der nächst ersten Sendung sogleich mitzutheilen. − Die P99A u. 99B sowie 123B u. 123C sind die grundlegenden Entwürfe für die Darstellung von Fausts Weg zu Helena. P123C läßt dabei besonders die Anlehnung an die Geschichte Asems und der Geisterkönigin aus 1001-Nacht erkennen; s. dazu Mommsen 2006, 249f.: Helena mußte für Faust schwieriger zu erringen sein als Gretchen. Der Dichter hatte davon auszugehen, daß es eine ,Verwegenheit Faust’s’ bedeutete, wenn er die ,schönste Frau, von der uns die Ueberlieferung meldet, die schöne Helena aus Griechenland in die Arme begehrt’[Paralip. 123a Zeile 9−13]. Es genügte nicht, wenn Mephistopheles durch ein paar Kniffe die Heroine herbeischaffte wie das Bürgermädchen. Schwierigkeiten mußten sich in den Weg stellen, die Faust selbst zu überwinden hatte. Helena gehörte dem Hades. Daß Faust zu einem ,zweyten Orpheus’ [Paralip. 123c Zeile 374] wurde, dies Motiv bot sich von selbst an, reichte aber auch für Goethes theatralische Zwecke nicht aus. Mit dem Losbitten Helenas von Persephoneia war es allein nicht getan. 1001 Nacht bot die Lösung. In Asem fand Goethe einen Helden, der sich ein ähnliches Ziel gesteckt hat wie sein Faust. Asem begnügt sich nicht mit Menschenfrauen . . . die ,eine besonders’ muß es sein, die Tochter der Geisterkönigin, die praktisch ganz unerreichbar ist. Und nun tritt das Motiv auf, das für Goethe entscheidend fruchtbar wurde: der l a n g e We g über eine Raum- und Zeitbegriffe übersteigende Entfernung. Der ,lange Weg’, das beliebte Erzählschema der Scheherazade, hatte aber hier die besondere Prägung, wie sie Goethes dramatischen Bedürfnissen weiterhelfen konnte. Es war ein Weg ins ,Land der Geister’, und die Entfernung, Fremdheit, Gefährlichkeit einer solchen Reise war durch einen eigenen erzählerischen Kunstgriff dargestellt: der Held wandert von einer − erst warnenden, dann ratenden und fördernden − Geisterpersönlichkeit zur andern . . . Ein weiterer Zug der Asem-Geschichte kam Goethes Intentionen entgegen. Asems langer Weg ist nicht der eines kämpfenden Herkules. Der Held muß zwar durch Drachen und Ungetüme hindurchgehen, aber er kommt mit keinem ins Gefecht. Er bleibt passiv, geht von Geistern beschützt, schließlich unterm magischen Schirm der Tarnkappe, wo es am bedrohlichsten wird. Die Geschichte ist angelegt auf Mut- und Standhaftigkeitsproben. Das eben konnte Goethe brauchen. Auch Faust war nicht als Drachentöter zu denken . . . Und so geht Faust wie Asem, beherzt und behütet. Zwar schützt ihn in den Wirren der Klassischen Walpurgisnacht keine Tarnkappe, aber er geht doch in gleicher Weise wie Asem u n a n g e f o c h t e n durch

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Dez (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb gD, S. 482) 18. u. 20. 21. [Weimar] W. v. Humboldt an Caroline v. Wolzogen (Literarischer Nachlaß der Frau Caroline von Wolzogen. Bd 2, Leipzig 1849, 33): Ich habe seine Helene gelesen. Es ließe sich vielleicht darüber sprechen, schreiben nicht. Aber das Ganze und Einzelne sind bewundernswürdig. Etwas eigenthümlich Neues, von dem man noch keine Idee hat, für das man keine Regel und kein Gesetz kennt, das aber sich im höchsten poetischen Leben fortbewegt. 21. u. 22. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb gD, S. 482) 24. Herr von Humboldt1) den Anfang der Helena gelesen. Zusammen spa-

zieren gefahren. 25. Herr von Humboldt, in der Helena fortgefahren. Zusammen spazieren

gefahren. 26. Herr Minister von Humboldt. Die Helena ausgelesen. Mit demselben spazieren gefahren. 26. [Weimar] W. v. Humboldt an seine Frau (Sydow 7, 306f.): Mit Goethe habe ich nun seine „Helena“ ganz durchgelesen. Er selbst hat sie mir von einem Ende zum anderen vorgelesen. Leider aber hat seine Stimme doch durch das Alter sehr verloren, so daß es ihr manchmal selbst an Deutlichkeit fehlt. Die „Helena“ macht eine Episode im „Faust“. Sie ist aber so abgeschlossen für sich, daß sie jetzt allein gedruckt werden wird. Sie beruht auf der Legende, daß Faust die Helena verlangte, der Teufel sie ihm herbeischaffte und beide einen Sohn miteinander zeugten. Das ganze Stück, das Goethe selbst eine Phantasmagorie betitelt, spielt also mit Gespenstern, geistigen und traumhaften Gebilden, und so, als eine Traumgestalt, muß man es betrachten, um es richtig zu beurteilen. In den ersten Szenen sieht man ihm das aber nicht an. Vielmehr ist es da wie ein wirkliches Drama mit leibhaften Figuren, ungefähr wie die Gespenstergeschichten, die man hat, wo Leute glauben, mit Menschen zu sprechen, und dann Gespenster sehen. Das Hauptmoyen im ganzen Stück ist wieder Mephistopheles, der aber in der Gestalt eines weiblichen fabelhaften antiken Ungeheuers, der Phorkyas, die als von Menelaos zurückgelassene Schafferin auftritt, spielt. Nur nach dem Stück legt er die Maske ab und erscheint, aber ohne mehr zu sprechen, als Mephistopheles. Das Stück fängt damit an, daß Helena mit dem Menelaos zurückkehrt, aber vorausgeschickt wird, das Geisterchaos . . . Ein drittes Hauptmoment, das Goethe verwertete, war die Passage durchs ,Land der Geister’, der Drachen, Schlangen, Untiere, am Ende von Asems Weg . . . Die ersten Entwürfe, nur ein Personal von, Ungeheuern und Mißgestalten’ [Paralip. 99b] vorsehend, zeigen wie Goethe bei der Konzeption der Klassischen Walpurgisnacht von den Gestalten bis ins Topographische hinein das Drachen- und Schlangenland der Asem-Geschichte vor sich sieht; zweifellos kam ihm die Ur-Anregung von hier: nachdem die Idee bei ihm Fuß gefaßt hatte, war alles Weitere eine Sache der Um- und Übersetzung ins Antike. Die Geisterszene des Orients wurde nun zur griechischen Geisternacht. Näheres dazu: Mommsen 2006, 232−52. − P123C projektiert Zeile 346ff. den gemeinsamen Abstieg von Manto u. Faust in den Hades u. schildert eingangs die unverhoffte Begegnung mit dem Gorgonenhaupt (Zeile 358). Manto schützt Faust vor dessen Anblick, der ihn in Stein verwandeln würde, indem sie ihn mit dem Schleyer (Zeile 354) bedeckt. Das Motiv geht zurück auf Inferno IX 55−60, wo Vergil Dante vor dem Anblick der Medusa bewahrt; zur Funktion der Dante-Anspielung, bei der Manto die Rolle Vergils als Beschützer übernimmt, vgl. Mommsen 1968, 144f. 1 ) Der nach Paris reisende W. v. Humboldt war vom 23. Dez 1826 bis 1. Jan 1827 in Weimar.

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den Palast leer findet, nur die Phorkyas antrifft, die ihr ankündigt, daß Menelaos sie opfern wird. Von da zieht sie, um sich zu retten, in Fausts Burg, die im Peloponnes ist, und hier und in einem arkadischen Waldgebirge spielt nun das Stück aus. Das Sonderbarste, und was man an sich nicht raten würde, ist, daß Faust und Helenas Sohn Lord Byron ist, der als wilder Knabe herankommt, vor den Augen der Zuschauer zum Jüngling heran wächst, und endlich, weil er im Griechenkriege überkühne Flüge machen will, wie Icarus versengt auf den Boden fällt. Genannt ist er nicht, auch so wenig bezeichnet, daß wenigstens ich ihn nicht erraten habe, aber wenn man weiß, daß er gemeint ist, so paßt alles und wunderschön auf ihn. Von dem Ende der „Helena“ an ist der „Faust“ jetzt, wie mir Goethe sagt, so gut als fertig. Ich muß auf die „Helena“ ein andermal zurückommen, heute habe ich nicht die Zeit. [Dez 27.] [Weimar] W. v. Humboldt an Caroline v. Wolzogen (Wolzogen 2, 33): Ich habe seine Helena gelesen. Es ließe sich vielleicht darüber sprechen, schreiben nicht. Aber das Ganze und Einzelne sind bewundernswürdig. Etwas eigenthümlich Neues, von dem man noch keine Idee hat, für das man keine Regel und kein Gesetz kennt, das aber sich im höchsten poetischen Leben fortbewegt. ?

Dez 28. Nach Tafel Herr von Humboldt. Demselben verschiedene bisherige Ar-

beiten mitgetheilt. 28. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 458): Für die Fortsetzung der Helena danke ich schönstens,1) und ahne reichliche Folge. 29. Mit Herrn von Humboldt die Unterhaltungen fortgesetzt. Er las die

[Marienbader] Elegie, auch Helena, und theilte verschiedene Bemerkungen mit.2) 30. An S. Boissere ´e (Br 41, 262f.): Sodann3) folgt abermals eine Sendung 4 Helena ) und zunächst [nächstens] nun das Ganze,5) das Ihnen, hoffe ich, um desto genießbarer seyn wird, als Sie der Exposition dieses Räthsels eine Zeitlang Ihre Aufmerksamkeit gegönnt haben. Freylich bleibt bey so einer Arbeit bis auf die letzte Stunde, da man sie aus den Händen gibt, immer noch etwas zu bemerken, zu bestimmen, und man würde gar nicht fertig werden, wenn der Setzer nicht forderte. 31. . . . die Sendung an Boissere ´e für morgen vorbereitet.

1827 ⎯

ˇevyre¨v: Elena, klassicˇesko-romanticˇeskaja fantasmagorija. Mezˇdude˘jst⎯ [Moskau] S. P. S ˇ ast 6. Moskva 1827, No 21, 79−93 vie k Faustu iz socˇ. Gete. In: Moskovskij Ve˘stnik. C (MA 18.1, 596−99):6) ,Helena, klassisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu 1

) s. oben 10. Dez. an Boissere´e. ) Zum Folgenden s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“, S. 483. 3 ) Zum Vorausgehenden s. „Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe“; EGW 1, 496f. 4 ) Übersendung von III HIII 3. Lage 8754−908. 5 ) s. unten 26. Jan 1827: an Cotta. 6 ) G kannte die Rez., die er übersetzt von dem Russen N. Borchardt mit Brief vom 31. Jan/ 12. Febr 1828 erhalten hatte; in KA VI 2 (1828) 429f. verwies er auf diese Besprechung. − Zu dem Schreiben u. zur Entstehung von G’s KA-Notiz s. „Helena in Edinburgh, Paris u. Moskau“, EGW 7, 148−56. 2

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Faust.’ Wir benachrichtigen hiermit den Verehrer der deutschen Dichtkunst, daß wir in Moskwa die ersten fünf Bände von Goethes Werken, von ihm selbst herausgegeben, bereits erhalten haben . . . Wir wollen von . . . ,Helena‘ ein Mehreres sagen; man muss dasselbe nicht als ein Fragment seines berühmten Trauerspiels Faust, sondern als ein für sich bestehendes Ergebniß der üppigen Phantasie des Dichters, als einen poetischen wunderbaren Traum seiner kecken, luftigen und eigenartigen Phantasie betrachten. [Folgt Inhaltsangabe.] Wir haben es schon gesagt, daß man dieselbe nicht als eine Ergänzung des Faust’s, sondern als ein selbständiges Product betrachten müsse. Unsere Meinung wird durch den Inhalt unterstützt. Faust erscheint hier nicht als Doctor der Phylosophie wie im Trauerspiele, sondern als Ritter des Mittelalters und treuer Verehrer der Schönheit. Er gedenkt nicht seiner vergangenen Leiden und trübt nicht durch die Vergangenheit den Genuß der Gegenwart. Wir sehen hier nicht den Kampf eines zweifachen Lebensprincips − des innern Lebens mit dem äußern, nein, sein Leben gestaltet sich in einer gerundeten, beneidenswerthen Einheit, dem Leben der seligen Minne. Mephistopheles aber verändert auch hier nicht seine Natur. In Helenens Herz hat er das Mißtrauen gegen Menelaus erweckt, durch seine Drohungen hat er den Liebesrausch eines glücklichen Paares vernichtet, denn ewiger Hader und Zwist ist sein Element. Uebrigens bemerken wir, daß Faust und Mephistopheles obgleich allgemeine, doch einzeln an und für sich unzubestimmende, Gebilde sind. Stellt ersterer in sich ein unglückliches Opfer des Zwiespaltes des innern Lebens mit dem äußern dar, so ist letzterer ein lebendiger Dämon der äußern Höllenwelt, ein personificirtes Uebel mit allen Gestaltungen der Leidenschaften und ihrer Laster. Wie ist aber die geheimnißvolle Phantasmagorie des Dichters zu deuten? Wir wollen uns herzlich bestreben, sein Geheimniß zu ergründen, − denn wir wünschen nicht, stumm und unbewußt dem hehren Künstler zu huldigen . . . Dieselbe Helena, welche kaum dem Racheopfer ihres eifersüchtigen Menelaus in jener grauen Vorzeit entgeht, in welcher die Schönheit dem Menschen noch Unterthan war, dieselbe Helena wird im Mittelalter der Gegenstand der reinsten, innigsten Verehrung − sie wird zur Gebieterinn, zu deren Füßen die Ritter des kalten Nordens, von Liebe begeistert nicht nur alle Schätze, alle Gaben der Erdenwelt (wie dies so vollkommen in der Rede des Lynceus ausgesprochen) niederlegen, sondern sich selbst und alle Schätze der Seele zu opfern bestreben. Jene Helena, welcher in den lautlosen Gemächern des Menelaus niemand entgegen kam, außer der unheilverkündenden Zwietracht, wird in der gothischen Veste des Ritters Faust auf den Thron erhoben. Ihr ist das Recht gegeben Verbrecher zu strafen und mit der Königs−Krone zu schmücken. Ein Blick von ihr, ist köstlicher als alle Schätze der Seele zu opfern bestreben. Jene Helena, welcher in den lautlosen Gemächern des Menelaus niemand entgegen kam, außer der unheilverkündenden Zwietracht, wird in der gothischen Veste des Ritters Faust auf den Thron erhoben. Ihr ist das Recht gegeben Verbrecher zu strafen und mit der Königs-Krone zu schmücken. Ein Blick von ihr, ist köstlicher als alle Schätze der Welt: sie allein vermag der Helden ungestüme Kampflust zu bändigen. Wer ist aber des Ehrenpreises werth ihre Hand an seine Lippen zu legen! Wer wagt einen Anspruch an ihre Liebe! − − Der Führer der Männer, der erste unter den Rittern, der über seines Gleichen gebietet, kann es nur seyn! − und wer entsproß denn aus der Verbindung der verklärten Schönheit mit dem großherzigen Ritterthume? − Euphorion, die lebendige musikalische Poesie des Christenthums, die von Herzen singt, die mit dem Pulsschlag des Herzens den Takt ihrer Lieder regelt, welche mannigfaltig sind, wie die Gefühle des menschlichen Gemüthes; sein Streben das Körperliche zu umfangen, verwandelt es in Flammen und er umschließt nur ein Luftgebilde; unaufhörlich strebt er aus den Gränzen der Erdenwelt, hinauf zu endlosen Höhen und verschwindet im strahlenden Emporstreben. In dieser Poesie ist alles himmlisch, alles geistig, außer Leier und Gewand. Sie verschwand und mit ihr das Elternpaar: die geistige hehre Schönheit und die großherzige Mannheit. Sie waren auf dieser Welt gleichsam nur erschienen, um nach einem schnellentschwindenden Rausche in ihrem gesegneten Arkadien die innige himmlische Kunst zu beleben, und mit derselben einen Augenblick

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auf der engen Erde gastlich hausend, in jene unendliche Region sich zu erheben wo nicht Zeit, sondern Ewigkeit die Seelenfreuden mißt! Welches ist denn aber das Schicksal der gefangenen Trojanerinnen, in welchen das Weib der alten Vorwelt dargestellt ist! Sie verwandeln sich in verschiedene Erscheinungen der Außenwelt und entsprechen hiedurch deutlich ihrer Bestimmung − Dergestalt belebt und läutert nun die lebendige Idee des Dichters den rohen Stoff einer Volkssage; seine Kunst besteht nicht in einer sclavischen Nachahmung der Natur, sondern in einer freien Umschaffung ihrer Eigenthümlichkeit. Der Dichter-Seher enthüllte in dieser klaren Phantasmagorie manche Geheimnisse der Geschichte und der Dichtkunst. Hier lösete er das Räthsel der Geburt des Romantismus und des klangvollen Reimes. Gleichzeitig mit der feierlichen Umgestaltung der Schönheit mußte auch geistig dieselbe Kunst, die ihr dienet − die Dichtkunst, sich verändern. Als der gefesselte Ritter die Schönheit nicht sinnlich, sondern geistig zu lieben begann, − da verkündete das Lied nicht mehr das Irdische sondern das Himmlische − es erklang in seinen Tönen das unruhige Streben der Seele in unendlich mannigfaltigen metrischen Verhältnissen und die Harmonie des liebenden Gemüthes sprach sich − im harmonischen Einklange, im Reime aus; wie in der Wechselrede der Liebenden das Herz dem Herzen entspricht, so muß das Wort dem Worte entgegnen.

Jan

1. [Brief u. Sendung an] Herr Dr. Sulpiz Boissere ´e . . . 2. Gegen Abend Herr Professor Riemer. Wir besprachen einiges zu He-

lena. 15. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Eckermann Gespräche gD, S. 715 f.) 15. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 462): Die Bogen zur Helena, für deren Fortsetzung ich danke,1) habe ich Cotta nicht gezeigt, weil ich denke, daß Sie ohnehin ein anderes Manuscript an die Druckerei befördern, und weil eine fragmentarische Mittheilung in den Geschäften von mir nicht passend schien. Der weitern Sendung sehe ich jetzt mit neu gespannter Begierde entgegen.2) 16. Abends Professor Riemer . . . über den Abschluß von Helena. 19. [Brief u. Sendung an] Herrn Dr. Sulpiz Boissere ´e, einen Abschnitt He-

lena. 19. An S. Boissere ´e (Br 42, 19): Hier nun zum letztenmal,3) mein Bester,

eine Abtheilung von Helena;4) Sie gelangen dadurch unmittelbar bis zu der Axe, auf der das ganze Stück dreht. Das vollständige Manuscript wird vor Ende des Monats abgesendet. Es ist auch hier das alte Autorwesen: man getraut sich nicht Amen zu sagen, bis der Setzer uns an die Fersen tritt. 23. [Stuttgart] S. Boissere´e Tagebuch (Weitz − Boissere´e 2, 129): Brief von Goethe ,Helena‘ 25. Helena eingepackt5) . . . Abends Dr. Eckermann. Sehr fördernde Ge-

spräche über die Novelle und sonst [über Helena]6). 1

) s. oben 30. Dez 1826: an Boissere´e. ) s. unten 19. Jan 1827: an Boissere´e. 3 ) s. oben 1826 Nov 22., Dez 10. u. 30. 4 ) Zur Übersendung von III HIII 4. Lage mit 8909−9122. 5 ) Vierte u. letzte Reinschrift der Helena, angefertigt von Schuchardt vom 13. Aug bis zum 2. Sept 1826, nach der Rücksendung durch Cotta in H integriert. 6 ) s. unten 29. Jan 1827: Eckermann. 2

1827 Jan

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25. Satzanweisung als Beilage1) zum Manuskript der Helena (Br 42, 297):

Bey den sehr abwechselnden Sylbenmaßen, den verschiedensten Längen der Strophen, dem Eingreifen eines Rhythmus in den andern, möchte es freylich Schwierigkeit haben, besonders in einem kleinen Format, das Ganze dem Auge gefällig und dem Sinne deutlich zu machen; doch würde ein gewandter Maıˆtre en Page hier eine schöne Gelegenheit finden, seine Gewandtheit darzuthun. Weimar den 25. Januar 1827. J. W. v. Goethe. 26. An Cotta (Br 42, 27):2) Das Manuscript der Helena geht in diesen Tagen vollständig ab; ich hoffe Sie werden demselben ansehen daß ein vieljährig intentionirtes Werk auch bey’m Abschluß mit möglichster Sorgfalt behandelt worden. [26.] [Weimar] Ottilie v. Goethe an F. Soret (Zehn Jahre 194): Der Vater glaubt daß es Ihnen angenehm sein würde die nähere Bekantschaft einer Dame zu machen, die schon bei dem ersten flüchtigen Anblick Ihr Interesse zu erwecken schien. Ich habe mich als Vermitlerin angeboten, und bitte nur daß ehe Sie ihr erlauben zum Vater zurückzukehren, sie mir erst einen flüchtigen Besuch abstattet damit ich prüfe wie gefährlich sie in der Freundschaft ist.3) 27. An S. Boissere ´e (Br 42, 33): Mit wenigem vermelde, daß Helena abge-

gangen ist, unmittelbar an Herrn v. Cotta. Möge das Ganze Gnade finden vor Ihren Augen. 28. [Berlin] W. v. Humboldt an F. G. Welcker (W. v. Humboldt: Briefe an F. G. Welcker. Hsg. v. R. Haym. Berlin 1859, 140): Ich war zehn Tage in Weimar und täglich mehrere Stunden mit Göthe . . . Die Herausgabe seiner Schriften setzt ihn in die erfreulichste Thätigkeit. Er zersplittert nicht seine Zeit dabei auf eine kleinliche Weise, sondern geht daran, das Wichtige und Grosse, was noch der letzten Hand bedurfte, zu vollenden. Es wird sehr viel Neues in der neuen Ausgabe erscheinen. Eine zum Faust gehörige Episode, Helena, in früherer Zeit angefangen, aber in der spätesten und zum Theil erst jetzt vollendet, gab er mir zu lesen. Es ist eine sonderbare Composition wie es bei dem Sujet nicht anders sein kann, aber von Anfang bis zu Ende belebt durch die regste und höchste Poesie. Diese Helena, und eine wunderschöne, vor einigen Jahren in den Böhmischen Bädern gedichtete Elegie werden allein der ersten, Ostern erscheinenden Lieferung einen entschiedenen Werth geben. 29.4) [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 218−20): Ein versiegeltes Paket lag auf dem Tisch. Goethe legte seine Hand darauf. „Was ist das? sagte er. Es ist die Helena, die an Cotta zum Druck abgeht.“ Ich empfand bei diesen Worten mehr als ich sagen konnte, ich fühlte die Bedeutung des Augenblickes. Denn wie bei einem neuerbauten Schiff, das zuerst in die See geht und wovon man nicht weiß, welche Schicksale es erleben wird, so ist es auch mit dem Gedankenwerk eines großen Meisters, das zuerst in die Welt hinaustritt, um für viele Zeiten zu wirken und mannigfaltige Schicksale zu erzeu-

1

) s. das folgende Z. ) G’s Tgb vermerkt am 26. Jan: [An] Herrn v. Cotta, Manuscript der Helena, nach Stuttgart. 3 ) Bezügl. auf die an Soret gesendete Helena − in für Ottilie v. G’s typischer Ausdrucksweise. 4 ) Verwechslung des Datums. Das Gespräch muß am 25. Jan 1827 stattgefunden haben. 2

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gen und zu erleben. „Ich habe, sagte Goethe, bis jetzt immer noch Kleinigkeiten daran zu tun und nachzuhelfen gefunden. Endlich aber muß es genug sein und ich bin nun froh, daß es zur Post geht und ich mich mit befreiter Seele zu etwas Anderem wenden kann. Es mag nun seine Schicksale erleben! − Was mich tröstet ist, daß die Kultur in Deutschland doch jetzt unglaublich hoch steht und man also nicht zu fürchten hat, daß eine solche Produktion lange unverstanden und ohne Wirkung bleiben werde.“ Es steckt ein ganzes Altertum darin, sagte ich. „Ja, sagte Goethe, die Philologen werden daran zu tun finden.“ − Für den antiken Teil fürchte ich nicht, denn es ist da das große Detail, die gründlichste Entfaltung des Einzelnen, wo Jedes gerade das sagt, was es sagen soll. Allein der moderne, romantische Teil ist sehr schwer, denn eine halbe Weltgeschichte steckt dahinter, die Behandlung ist bei so großem Stoff nur andeutend und macht sehr große Ansprüche an den Leser. „Aber doch, sagte Goethe, ist alles sinnlich, und wird, auf dem Theater gedacht, jedem gut in die Augen fallen. Und mehr habe ich nicht gewollt. Wenn es nur so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude in der Erscheinung hat; dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der Zauberflöte und andern Dingen der Fall ist.“ Es wird, sagte ich, auf der Bühne einen ungewohnten Eindruck machen, daß ein Stück als Tragödie anfängt und als Oper endigt. Doch es gehört etwas dazu, die Großheit dieser Personen darzustellen und die erhabenen Reden und Verse zu sprechen. „Der erste Teil, sagte Goethe, erfordert die ersten Künstler der Tragödie, so wie nachher im Teile der Oper die Rollen mit den ersten Sängern und Sängerinnen besetzt werden müssen. Die Rolle der Helena kann nicht von einer sondern sie muß von zwei großen Künstlerinnen gespielt werden; denn es ist ein seltener Fall, daß eine Sängerin zugleich als tragische Künstlerin von hinlänglicher Bedeutung ist.“ Das Ganze, sagte ich, wird zu großer Pracht und Mannigfaltigkeit in Dekoration und Garderobe Anlaß geben, und ich kann nicht leugnen, ich freue mich darauf, es auf der Bühne zu sehen. Wenn nur ein recht großer Komponist sich daran machte! − „Es müßte einer sein, sagte Goethe, der wie Meyerbeer lange in Italien gelebt hat, so daß er seine deutsche Natur mit der italienischen Art und Weise verbände. Doch das wird sich schon finden und ich habe keinen Zweifel; ich freue mich nur, daß ich es los bin. Auf den Gedanken, daß der Chor nicht wieder in die Unterwelt hinab will, sondern auf der heiteren Oberfläche der Erde sich den Elementen zuwirft, tue ich mir wirklich etwas zu gute.“ Es ist eine Art von Unsterblichkeit, sagte ich.

[Febr (III H73 zu Sz. [3] Arkadien mit 9939f.)1) vor 6.] Febr

9. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb, S. 483) 16. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an die Cottasche Buchhandlung gD)

[ca. 16.] (III H74 zu Sz. [3] Arkadien mit 9939f.)2) 17. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD)

1

) III H73 (Bohnenkamp 653) egh Blei, datiert nach Fischer-Lamberg 1955, 133, enthält neben 9939 sieben Fassungen von 9940, dem 2. Vers von Helenas letzten Worten. Die zahlreichen Versuche bezeugen G’s Mühe, dem Vers die gültige Fassung zu geben, s. W 15.2, 127. − Zu H73 s. auch Bohnenkamp 655 u. FA I 7.2, 1038. 2 ) III H74 (Bohnenkamp 654) egh Tinte, datiert nach Fischer-Lamberg 1955, 134, mit der Version Vor allem unglückselig ist die schönste Frau, weiterer Zeuge für G’s Ringen um 9940. Am unteren Rand ist von Riemer notiert die Version Daß Glück und Schönheit dauerhaft, sich nicht gesellt. Dieser Vorschlag Riemers motivierte G zur definitiven Fassung; s. unten 18. März 1827: an Reichel. − Zu H74 s. auch Bohnenkamp 655 u. FA I 7.2, 1038.

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Febr 17. An S. Boissere ´e (Br 42, 62f.): Seit Ihrem werthen Schreiben vom 28.

December v. J., mein Werthester, ist manches von hier abgegangen, welchem glückliche Ankunft und Aufnahme zu wünschen habe. 1) Am 19. Januar ein Abschnitt Helena, an Sie gerichtet. 2) Den 26. Januar, vollständiges Manuscript der Helena an Herrn v. Cotta, durch die fahrende Post. 18. [Karlsruhe] L. Robert an Rahel Levin Varnhagen (Rahel Levin Varnhagen: Briefwechsel mit Ludwig Robert. Hsg. von Consolina Vigliero. München 2001, 493f.: . . . hat er [Cotta] mir . . . auch das neueste Werk Goethes zum Faust gezeigt. Es heißt Helena, eine klassisch−romantische Phantasmagorie, als Zwischenspiel zum Faust. Ich konnte nur hineinblicken. Höchst sonderbar! Streng den Griechen abgelauschte Formen, Tetrameter, Trimeter und Chorsylbenmaße. Endlich erscheint auch Faust, der Reim tritt ein, und zuletzt verwandelt sich die eine der griechischen Personen (deren Nahmen gewiß bedeutsam ist, wovon ich Ignorant aber nichts zu sagen weiß) in den Mephisto [d. i. Phorkyas]! Mehr sah ich im schnellen Überblick nicht; es scheint schwer zu verstehn, wie der Epimetheus, zu seyn;1) gewiß aber eben so großartig als sonderbar. 19. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) März 3. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 2, 196): Euer Excellenz muß ich um Verzeihung bitten, daß ich den Empfang Ihrer beiden geehrten 26 Jan und 16 Febr. so wie des Manuscripts der Helena . . . erst heute anzeige. 10. [Augsburg] W. Reichel an Cotta (QuZ 2, 436): Es ist sehr schlimm, wenn M[anu]s[cri]pte bei Arbeiten, die pressiren, also durch Vertheilen an mehrere Setzer nur beschleunigt werden können mit solchen Bedingungen in die Druckerei kommen, daß sie nicht zerschnitten, nichts drinnen ausgezeichnet u.s.w. werden soll. So erhalte ich das Gedicht Helena gebunden; ich kann nicht anders, ich muß es aus dem Einband heraus nehmen und möglichst schonend aus einander nehmen lassen. 11. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 437): Am 4ten Bande arbeiten wir stark, und wird derselbe im Laufe dieser Woche ausgesezt werden . . . Das Gedicht Helena werden wir suchen nach Wunsch von Ew. Excellenz im Druck zu arrangiren. 15. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 439): Vom 4. Band werden wir von Woche zu Woche Aushängebogen senden. 15. Das Wesen der antiken Tragödie von Hinrichs erhalten und in Sorgfalt

gelesen.2) Die nächsten Erfordernisse überdacht3) . . . 1

) In G’s dramatischem Festspiel Pandora. ) In einer für KA VI 1 bestimmten, jedoch nicht veröffentlichten Rez. des Buches (Halle 1827), das sich in G’s Bibliothek befindet (Ruppert Nr. 691), heißt es: So sprechen wir den Wunsch aus: er möge sich des von uns dargestellten Verhältnisses von F a u s t zu H e l e n a gleichmäßig annehmen; ein Verhältniß, das in freyerer Kunst-Region hervortritt und auf höhere Ansichten hindeutet, als jenes frühere, das in dem Wust mißverstandener Wissenschaft, bürgerlicher Beschränktheit, sittlicher Verwirrung, abergläubischen Wahns zu Grunde ging, und nur durch einen Hauch von oben, der sich zu dem natürlichen Gefühl des Guten und Rechten gesellte, für die Ewigkeit gerettet werden konnte. (W 15.2, 214f.). − Zur Entstehung des Textes u. den Gründen der Nichtveröffentlichung s. EGW 7, 352−57. 3 ) Vermutl. kam G bei dieser Lektüre die Idee, daß der mit dem Wesen der antiken Tragödie vertraute Hinrichs die besten Voraussetzungen mitbrächte, um die im Apr 1827 erscheinende Helena angemessen zu würdigen. 2

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[März Entwurf [H2] zu Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung] (W nach 15.] 41.2, 2925–16):1) Was aber zu einer solchen Behandlung [der Begegnung

von Faust u. Helena] die nähere Veranlassung gegeben, und wie nach mannichfaltigen Hindernissen den bekannten magischen Gesellen geglückt, die eigentliche Helena persönlich aus dem Orcus ins’s Leben heraufzuführen, bleibe vor der Hand noch unausgesprochen. Gegenwärtig ist genug, wenn man zugibt, daß die wahre Helena auf antiktragischem Kothurn vor ihrer Urwohnung zu Sparta auftreten könne. Sodann aber bittet man, die Art und Weise zu beobachten, wie Faust es unternehmen dürfe, sich um die Gunst der weltberühmten königlichen Schönheit zu bewerben.2) 15./31. Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung].3) (W 41.2, 291f.):4) Jetzt darf ich . . . nicht zurückhalten und bei Herausgabe meiner sämmtlichen Bestrebungen kein Geheimniß vor dem Publicum verbergen, vielmehr fühle ich mich verpflichtet, alles mein Bemühen, wenn auch fragmentarisch, nach und nach vorzulegen. Deßhalb entschließ’ ich mich zuvörderst, oben benanntes, in den zweiten Theil des Fausts einzupassendes, in sich abgeschlossenes kleineres Drama sogleich bei der ersten Sendung mitzutheilen. Noch ist die große Kluft zwischen dem bekannten jammervollen Abschluß des ersten Theils und dem Eintritt einer griechischen Heldenfrau nicht überbrückt; man genehmige jedoch vorläufig Nachstehendes mit Freundlichkeit. Die alte Legende [im Volksbuch von 1587] sagt nämlich, und das Puppenspiel verfehlt nicht, die Scene vorzuführen: daß Faust in seinem herrischen Übermuth durch Mephistopheles den Besitz der schönen Helena von Griechenland verlangt und dieser ihm nach einigem Widerstreben willfahrt habe. Ein solches bedeutendes Motiv in unserer Ausführung nicht zu versäumen, war uns Pflicht, und wie wir uns derselben zu entledigen gesucht, wird aus dem Zwischenspiel hervorgehen.5) [vor 18.] (III H75 zu Sz. [3] Arkadien mit 9939−43)6) 18. An W. Reichel (Br 42, 89f.): Beyliegende Stellen bitte die eine in He-

lena . . . einzuschalten . . . [Beilage] Einzuschalten wären in Helena ei1

) Zur Entstehung s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“, S. 481–84. ) Offenbar legte G auf die Darstellung von Fausts Werbung um Helena ganz besonderen Wert. Die Lynkeusszenen bilden den ersten, die Reimepisode den zweiten Teil. 3 ) Es handelt sich um die Ankündigung des Vorabdrucks von Helena klassisch−romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust in C1 4; ED in KA VI 1 (1807) 200−03; zur Entstehung s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“, S. 481–84. 4 ) Zum Vorausgehenden s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“, S. 481–84. 5 ) Zum Nachfolgenden s. unten [nach 15. März] 1827: Entwurf [H2] zu Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]. 6 ) III H75 (Fischer-Lamberg 1955, 134) durch Briefbeilage datierbar, enthält 9939−43 mit der endgültigen Fassung von 9940 als Vorarbeit für die Beilage des Briefs an Reichel vom 18. März 1827. 2

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nige Zeilen, und zwar die letzten Worte derselben folgendermaßen abzudrucken: Helena. Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir: / Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint. / Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band, / Bejammernd beide sage schmerzlich Lebewohl / und werfe pp.1) März 27. [Weimar] F. v. Müller an J. K. L. Schorn (GG 3.2, 105): Im vierten Band [Werke. Vollständige Ausgabe] wird die schöne Helena zum Faust merkwürdig genug hervortreten. 28. [Paris] A. Stapfer an G (GSA 28/ 878 Bl. 96f.): En recevant, par les mains de Mons. de Humboldt, la nouvelle marque de bienveillance dont vous avez daigne´ m’honorer,2) j’ai de nouveau senti le besoin de vous en te´moigner ma reconnaissance; et j’y aurais ce´de´ tout de suite, si je n’avais craint de vous importuner de mes lettres. Je me fe´licite aujourdhui d’avoir ´ete´ retenu jusqu’ici par cette crainte: car ´etant charge´ de vous faire une demande peut-eˆtre indiscre`te, l’ide´e de n’avoir point encore abuse´ de vos momens cette anne´e va me donner, pour vous l’adresser, une hardiesse dont je crois bien que j’eusse manque´ sans cela. Ce qui contribue aussi `a m’enhardir, c’est que la demande dont je parle a rapport `a une publication3) pour laquelle vous avez de´ja` eu la bonte´ de montrer quelque inte´reˆt, en envoyant `a son ´editeur un le´ger croquis d’apre`s vous. Vous avez meˆme vu, m’a-t-on dit, plusieurs des dessins qui doivent en faire partie, et n’en avez pas ´ete´ trop me´content.4) Or il se pre´sente maintenant `a nous un obstacle, que je viens vous prier de vouloir bien lever, si cela est faisable. Vous devinez sans doute qu’il s’agit de la sce`ne nouvelle don’t on assure que vous allez enrichir votre Faust,5) et dont la publication paraıˆt trop prochaine pour que nous ne nous fassions par un devoir de retarder la no ˆtre jusqu’a` ce qu’il nous devienne possible de nous procurer cette sce`ne, et d’en joindre la traduction `a celle du reste de votre bel ouvrage. Mais comme nous sommes d’ailleurs entie`rement preˆts, l’e´diteur voudrait beaucoup n’attendre que tout juste le temps ne´cessaire. Il m’a donc charge´ de vous demander d’avoir l’extre`me complaisance de m’envoyer `a Paris un exemplaire `a part de la nouvelle ´edition de Faust, de`s qu’il y en aura de disponibles, afin qu’imme´diatement apre`s je puisse me mettre `a traduire ce qui se trouvera manquer aux anciennes et le lui livrer pour ˆetre imprime´. Je le repe`te, monsieur, cette demande est peut-eˆtre indiscre`te. Aussi ne vous l’adresse-je qu’avec de´fiance, et en vous suppliant de ne l’accorder qu’autant que cela ne vous ge´ne´rait en rien. Dans le cas contraire, vous la regarderiez comme non-avenue, et l’attribuant, avec votre indulgence ordinaire, `a notre vif de´sir de rendre la publica1

) Neu gegenüber dem in der Druckerei befindlichen Manuskript nur 9939f. ) Der nach Paris reisende sachsen-weimarische Beamte Philipp Christian Weyland (1765−1843) hatte in G’s Auftrag die 1824 von Antoine Bovy (1795−1877) gefertigte Goethe-Portätmedaille mitgenommen u. sie Anf. Juni 1826 Stapfer durchüberreichen lassen. 3 ) Gemeint ist die Einzelausgabe der bereits in den Oeuvres dramatiques de Goethe veröffentlichten frz. Übersetzung des Goetheschen Faust von Albert Stapfer, die mit Lithographien des frz. Malers Euge`ne Delacroix (1798−1863) ausgestattet werden sollte. Die Einzelausgabe, mit dem Vorliegen von zwei Probedrucken von Delacroix im Nov 1826 schon seit längerem angekündigt, erschien am 16. Febr 1828 als Gemeinschaftswerk der Verlage Sautelet & Motte. 4 ) Clemens Wenzeslaus Coudray (1775−1845) hatte am 27. Nov 1826 G eine aus Paris mitgebrachte Mappe mit verschiedenen lithographierten Blättern übergeben. Unter ihnen befanden sich zwei Probedrucke von Illustrationen zum Faust von Delacroix. 5 ) W. v. Humboldt hatte Stapfer über G’s Helena berichtet, nachdem er, vom 23. Dez 1826 bis 1. Jan 1827 in Weimar auf seiner Reise nach Paris Station machend, das Werk bei G kennengelernt hatte. 2

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tion du Faust franc¸ais le moins indigne que possible de l’admirable ouvrage dont nous voulons donner une ide´e `a nos compatriotes, vous ne m’en sauriez pas trop mauvais gre´. C’est dans cet espoir que j’ai l’honneur d’eˆtre, avec le plus profond respect, Monsieur, votre tre`s-humble et obe´issant serviteur Albert Stapfer P. S. d’envoi, s’il a lieu, pourra ˆetre fait, soit `a l’adresse de Mons. Motte, imprimeur en lithographie rue des marais no. 13. faubourg St germain; soit `a la mienne, rue des jeuneurs No. 4. quartier monmartre.

März 28. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 592): „Ich habe nichts dawider, daß Euripides seine Fehler habe; allein er war von Sophokles und Aeschylus doch immerhin ein sehr ehrenwerter Mitstreiter. Wenn er nicht den hohen Ernst und die strenge Kunstvorstellung seiner beiden Vorgänger besaß und dagegen als Theaterdichter die Dinge ein wenig läßlicher und menschlicher traktierte, so kannte er wahrscheinlich seine Athenienser hinreichend, um zu wissen, daß der von ihm angestimmte Ton für seine Zeitgenossen eben der rechte sei. Ein Dichter aber, den Socrates seinen Freund nannte, den Aristoteles hochstellte, den Menander bewunderte, und um den Sophokles und die Stadt Athen bei der Nachricht von seinem Tode Trauerkleider anlegte, mußte doch wohl in der Tat etwas sein. Wenn ein moderner Mensch, wie [A. W.] Schlegel, an einem so großen Alten Fehler zu rügen hätte, so sollte es billig nicht anders geschehen, als auf den Knieen.“ 29. An Zelter (Br 42, 105): . . .1) der nächste Transport bringt die H e l e n a ,

welches funfzigjährige Gespenst endlich im Druck zu sehen mir einen eignen Eindruck machen wird. In vier bis fünf Wochen habt ihr das Ganze; manches wird neu seyn, manches neu erscheinen, und das Alte hoffentlich nicht veraltet. 29. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 445): Ew. Excellenz habe ich die Ehre, mit diesem auch die Aushängebogen No. 15. bis 25. Ende des IV. Bandes . . . zu übersenden sous bande . . . Ferner habe ich die Ehre, den Empfang von Ew. Excellenz gütigem Schreiben vom 18. am 24. dieß anzuzeigen. 2 Stunden später, wäre die Veränderung in dem Gedicht Helena zu spät angekommen. 31. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: an Frommann u. Tgb gD) Apr

1. Kam der Schluß des 4. Bandes. 2. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Caroline v. Wolzogen gD) 3. An W. Reichel (Br 42, 116f.): Ew. Wohlgeboren steigern wahrhaft Ihre

Aufmerksamkeit mit der Zahl der Bände und verpflichten mich mit jedem Schritt auf’s neue. Zuerst also sey das besondere Vergnügen ausgesprochen das ich über die so schön gelungene typographische Einrichtung der Helena empfunden; gewiß man hätte auf eine Prachtausgabe keine größere Sorgfalt verwenden können . . . Die bemerkten orthographischen Differenzen kommen, wie ich vermuthe, in dem vierten Bande des Manuscripts hauptsächlich vor, bey dessen Redaction mancherlei Bedenken und mehrmalige Veränderungen statt fanden, so daß er zuletzt nicht noch einmal im Ganzen revidirt ward, deshalb ich denn mit Ihrem Vorschlag übereinstimmend Folgendes bemerke: Die

1

) Zum Vorausgehenden s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“.

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Apr

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beiden ersten Bände sind noch nicht angekommen; wollten Sie daher mir bald ein vollständiges Exemplar durch die fahrende Post zuschikken und das Original mit beylegen, so würde für nochmalige Revision und Beseitigung aller etwaigen Anstände gesorgt werden, und wir eines großen Vortheils genießen, wenn die Octavausgabe nach der Taschenausgabe abgesetzt würde, besonders da diese was das Arrangement betrifft wie mich dünkt untadelhaft ist. 3. An A. Stapfer1) (Konzept;2) Br 42, 118f.):3) Auf Ihr werthes Schreiben vom 28. März erwidere, mein hochgeschätzter Herr, Nachstehendes, welches ich wohl in Überlegung zu ziehen bitte. Zu dem e r s t e n Theil des Faust, den Sie gefällig übersetzt haben, kommt gegenwärtig n i c h t s hinzu, er bleibt in sich rein abgeschlossen. Das neue von mir angekündigte Drama dagegen, H e l e n a überschrieben, ist ein Zwischenspiel, in den zweyten Theil gehörig. Dieser zweyte Theil nun ist in Anlage und Ausführung von dem ersten durchaus verschieden, indem er in höheren Regionen spielt und dadurch von jenem sich völlig absondert. Er ist noch nicht vollendet und ich gebe nur v o r l ä u f i g das in denselben künftig einzuschaltende Zwischenspiel heraus. Dieses ist meistens in Senaren und andern dem Alterthum nachgebildeten Sylbenmaßen geschrieben, von welcher Art und Weise in den ersten Theilen keine Spur ist. Sie werden selbst, wenn Sie es lesen, sich überzeugen, daß es mit dem ersten Theil nicht verknüpft werden kann und daß Herr Motte seinem Unternehmen schaden würde, wenn er einen solchen Versuch machen wollte. Haben Sie aber das Stück selbst gesehen und sich zu eigen gemacht, findet es Ihren Beyfall, fühlen Sie Neigung solches zu übersetzen, regt es einen bildenden Künstler auf, der Lust und Talent hätte die mannichfaltigen Situationen darzustellen, entschlösse sich Herr Motte4) das Werk zu verlegen, so kann es ganz für sich bestehen; denn, wie ich sagte und wie Sie selbst finden werden, es ist in sich abgerundet und abgeschlossen, auch hat es eine gehörige Breite. Soviel für dießmal. Nehmen Sie meinen Dank für den fortwährenden Antheil den Sie an meinen Werken so freundlich [zeigen].

1

) Von G egh adressiert A Monsieur Albert Stapfer rue des jeuneurs No. 4 Quartier Monmartre Paris. Die Anschrift entnahm G dem Brief des Faust−Übersetzers Albert Stapfer an ihn vom 18. Jan 1823, welcher der Sendung von Bd 4 der Ouevres dramatiques de Goethe beigefügt war. Empfänger des Briefs war also nicht Philippe Albert St., wie Br 42, 118 angibt, sondern dessen Sohn Albert. 2 ) Ein Auszug aus der Reinschrift ist gedruckt in frz. Übersetzung unter dem Datum 4. Apr in: Faust, trage´die de Mr. de Goethe, traduite . . . par M. Albert Stapfer. Paris 1828, s. Br 42, 335f. 3 ) G’s Tgb vermerkt am 3. Apr: [An] Herrn Albert Stapfer nach Paris, seine Anfrage wegen Faust beantwortet. 4 ) Der Verleger von Stapfers Faust-Übersetzung.

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4. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 8. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 451f.): Ew. Excellenz so äußerst huldvolles und gütiges Schreiben empfing ich so eben mit dem lebhaftesten Danke. Die darin ausgedrückte Zufriedenheit mit der nun vollendeten Taschenausgabe in der ersten Lieferung erfreut mich unendlich . . . Was die typographische Anordnung betrifft, so ist sie freilich nur einfach, und von aller der neumodischen Schnörkelei mit gothischen und andern verzierten Lettern entfernt geblieben . . . Eben so füge ich ich das M[anu]s[cri]pt aller 5 Bände bei.1) Was dessen Erhaltung betrifft, habe ich zwar alles Mögliche in der Drukkerei dafür gesprochen; wenn aber etwas mit solcher Eile, wie die lezten Bände betrieben werden, also in viele Hände sich vertheilen muß, so ist die Erhaltung mit bestem Willen nicht immer möglich. 10. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Frommann an G gD) 14. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 15. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: an Frommann gD) 18. [Mittags] Mein Sohn hatte die Helena gelesen. 18. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 601): Darauf bei Tisch, waren wir sehr heiter. Der junge Goethe hatte die Helena seines Vaters gelesen und sprach darüber mit vieler Einsicht eines natürlichen Verstandes. Über den im antiken Sinne gedichteten Teil ließ er eine entschiedene Freude erblicken, während ihm die opernartige romantische Hälfte, wie man bemerken konnte, beim Lesen nicht lebendig geworden. „Du hast im Grunde recht, und es ist ein eigenes Ding, sagte Goethe. Man kann zwar nicht sagen, daß das Vernünftige immer schön sei; allein das Schöne ist doch immer vernünftig, oder wenigstens es sollte so sein. Der antike Teil gefällt dir aus dem Grunde, weil er faßlich ist, weil du die einzelnen Teile übersehen und du meiner Vernunft mit der deinigen beikommen kannst. In der zweiten Hälfte ist zwar auch allerlei Verstand und Vernunft gebraucht und verarbeitet worden; allein es ist schwer und erfordert einiges Studium, ehe man den Dingen beikommt und ehe man mit eigener Vernunft die Vernunft des Autors wieder herausfindet.“ 22. Nach Tische mit meinem Sohn über die Wirkung der Helena.2) Über

den Epilog dazu.3) 22. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an S. Boissere´e gD) Apr 22./ [Weimar] K. v. Holtei: Damals, in Weimar! Rückblicke. In: Der Salon für Literatur, Mai 6.4) Kunst und Gesellschaft. Hsg. v. E. Dohm u. J. Rodenberg 3 (1869) 576: G habe Ampe`re „sogar die unerhörte Auszeichnung erwiesen, ihm einige Scenen aus . . . ,Helena‘ vor kleinstem Zuhörerkreise vorzulesen, und bei den Eingangsworten: Bewundert viel und viel gescholten, Helena wacker auf den Tisch geschlagen, mit geballter Faust, was nach Ampe`res Versicherung wie ein Karthaunen-Signalschuss5) geklungen, zu gespannter Aufmerksamkeit mahnend.

1

) Die Druckvorlagen für C1 1−5, die dadurch im GSA Weimar vorliegen. ) s. oben 18. Apr 1827: Tgb. 3 ) Vermutl. Gespräch über die Regieanweisung am Ende des Helena-Aktes, nach der sich Phorkyas-Mephisto zeigt, um, in so fern es nötig wäre, im Epilog das Stück zu kommentieren. 4 ) Zeitraum des Aufenthalts von Ampe´re in Weimar. 5 ) Karthaunen = veralt. Bezeichnung für schwere Geschütze. 2

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Mai1.u5. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Frommann an G gD) 6. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Eckermann Gespäche gD, EGW 7, 148) 9. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: J. J. Ampe`re an Julie Re´camier; an A. M. Ampe`re; an A. Stapfer gD, EGW 7, 148f.) 9. [Weimar] J. J. Ampe`re1) an Julie Re´camier2) (GG 3.2, 121): J’ai lu en manuscrit un ouvrage tre`s-extraordinaire de lui, qui va paraıˆtre; c’est un ´episode ou pluto ˆt un interme`de destine´ `a trouver place dans la suite de Faust qui n’est pas encore faite. C’est, comme il l’intitule lui-meˆme, une fantasmagorie `a peu pre`s intraduisible; mais, `a travers beaucoup de bizarrerie et assez d’obscurite´, pleine de profondeur, de poe´sie et de graˆce. Depuis le sie`ge de Troie jusqu’au sie`ge de Missolonghi, la mythologie grecque, le moyen ˆage, le temps actuel, lord Byron, tout s’y trouve. C’est un reˆve d’un grand sens, et cette conception, dans laquelle, bon ou mauvais, tout est cre´´e, est sortie d’une teˆte presque octoge´naire. 9. [Weimar] J. J. Ampe`re an A. Stapfer (GG 3.2, 122) : Je vous annonce la premie`re livraison qui va paraıˆtre dans quinze jours. Ce sont cinq volumes qui contiennent les anciennes poe´sies, des poe´sies nouvelles, le Divan et He´le`ne. He´le`ne est un Zwischenspiel qui doit se trouver entre la suite de Faust et la fin, et qui est intitule´: Fantasmagorie classique et romantique. Je viens de lire manuscrit ce singulier ouvrage − ceci n’est pas pour le Globe, mais pour vous – c’est une des choses les plus extraordinaires que Goethe ait faites, et ce qui ne l’est pas le moins, c’est qu’il l’a faite l’anne´e passe´e, `a 77 ans. L’ide´e qui est au fond est pre´cise´ment la tant belle question du classique et du romantique. Le tout a une centaine de pages, c’est un ve´ritable ouvrage `a part. 16. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Boissere´e Tagebuch gD) 19. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 20. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 373): Nach Deiner Helena bin ich sehr verlangend. Was kannst Du nicht alles machen und ausführen. 20. [Dresden] M. Retzsch an Cotta (Dt. Literaturarchiv, Cotta-Archiv Sign. CottaVert. 2): Ew Hochwohlgebohren habe ich die Ehre hiermit aufrichtig zu bekennen, daß es mir sehr leid thut, daß Dero Anfrage hinsichtlich der Göthischen Fortsetzung des Faust in dem Zwischenspiel Helena, nicht wenigstens sechs Wochen früher bei mir eingegangen ist; indem bereits schon am Schluße des Monats Februar Ernst Fleischer in Leipzig in Bezug auf dieses Werk von deßen Erscheinen ich bei dieser Gelegenheit erst Kenntniß erhielt, mündlich u wenig Tage darauf schriftlich, mit mir ein Uebereinkommen3) getroffen hatte. 1

) Jean-Jacques A. Ampe`re (1800–1864) Schriftsteller u. Literaturhistoriker, Hg. der Zs. Le Globe 2 ) Jeanne Franc¸oise Julie Ade´laı¨de de Re´camier (1777–1849) frz. Schriftstellerin. 3 ) Das Uebereinkommen betraf eine von dem Leipziger Verlagsbuchhändler Georg Friedrich Fleischer (1794−1863) veranstaltete Ausgabe von Illustrationen zu Goethes Werken (Kupfersammlung zu Goethe’s sämmtlichen Werken, 1828−1834). Er hatte am 7. Okt 1826 Goethe eine Anzeige davon geschickt und dazu geschrieben (GSA 1826, 320): Was ich nun von Ihnen erbitten wollte, ist: mir aus jedem Bande der neuen Ausgabe Ihrer Werke das Sujet selbst zu bestimmen, was Ihnen am liebsten als Titelkupfer zu dem Bande seyn würde. Diess soll gewählt und nach Möglichkeit gut ausgeführt werden, vielleicht besitze Goethe selbst manche gelungene Darstellung, die sich für das Unternehmen eignen würde. Sollte Ew. Excellenz die Aufzeichnung der Stellen aus allen 40 Bänden auf einmal zu mühsam seyn, so würde vorläufig auch die von den 10 ersten Bänden hinreichend seyn. Goethe hatte daraufhin am 14. Okt 1826 erwidert (Br 41, 197f.): . . . vermelde mit Bedauern, daß es mir gegenwärtig unmöglich fällt, Ihren Wünschen zu willfahren. Sollte ich in der Folge zu Ihrem Unternehmen beytragen

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Mai 21. [Abends] Später Dr. Eckermann. Beredung wegen Helena. 24. An Nees v. Esenbeck (Br 42, 197f.): Wie ich im Stillen langmüthig

einhergehe werden Sie an der dreytausendjährigen Helena sehen, der ich nun auch schon sechzig Jahre nachschleiche1), um ihr einigermaßen etwas abzugewinnen . . . Ich bin in meinen Garten im Thale gezogen und genieße schon gute Frucht von dieser Absonderung. Es liegen so manche Dinge die ich selbst werth achten muß, weil sie sich aus einer Zeit herschreiben die nicht wieder kommt, lange Jahre vor mir da, und bedürfen eigentlich nur einer gewissen genialen Redaction. Vollständige Plane, schematisch aufgestellt, einzelnes ausgearbeitet! und es kommt nur auf einen reinen genialen Entschluß an, so ist es als eine Art von Ganzem brauchbar und gewiß manchem angenehm. So habe ich voriges Jahr mit einem gewaltsamen Anlauf die Helena endlich zum übereinstimmenden Leben gebracht; wie vielfach hatte sich diese in langen, kaum übersehbaren Jahren gestaltet und umgestaltet, nun mag sie im Zeitmoment solidescirt endlich verharren. 28. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: F. v. Müller an C. F. v. Reinhard gD) Juni

2. [Bonn] Nees v. Esenbeck an G (Kanz 285): Wie jung und schön wird uns diese dreitausendjährige Helena nach sechzigjähriger Ruhe bey Euer Exzellenz entgegenkommen! Wie mag Ihnen selbst oft heiter zu Muthe seyn, wenn Sie den in früher Jugend vorbereiteten Stoff nun wieder berühren und dabei an der unsterblichen Jugend des Genius genießen! 5. [Frankfurt, anonyme Rez.] Goethe’s Werke, vollständige Ausgabe letzter Hand. 1. Lieferung: 5 Bde. In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen Nr. 111 v. 5. Juni 1827, 443: Im 3ten und 4ten Band spendet der Dichter gesammelt und geordnet, was er früher in den Heften von „Kunst und Alterthum“ so wie anderwärts zerstreut mitgetheilt hatte, aber dabei auch manches anziehende Neue. Doch treten sämmtliche in diese Bezeichnung fallende Stücke ganz in den Hintergrund gegen die klassisch-romantische Phantasmagorie Helena, ein Zwischenspiel zu Faust, wovon man nicht recht einsieht, warum sie nicht auch mit dem Faust und in ihn eingefugt erscheint. Sie würde ihn wahrlich nicht verunzieren! Diese Helena ist zuverlässig eine der herrlichsten Dichtungen und zugleich, da das Jahr ihrer Entstehung durch innere Kennzeichen über allen Zweifel festgestellt ist, der merkwürdigste Beweis von bis in’s Greisenalter anhaltender poetischer Kraft und Begeisterung. [folgend Inhaltsangabe u. Textauszüge] 15. Abends großer Thee, wobey Herr [Friedrich] Matthisson und der

durchreisende Engländer erschienen. Ersterer sprach mit Antheil von Helena und hatte sich besonders die Schlußchöre zu Herzen genommen. Überhaupt waren seine Bemerkungen, wie es einem solchen Manne geziemt, von Bedeutung. können, so würde es mit Vergnügen thun, der ich mich und das Meinige zu freundlicher Mitwirkung bestens empfehle . . . Zu der Kupfersammlung s. Waltraud Maierhofer: Die Titelkupfer von Moritz Retzsch zu Goethes Ausgabe letzter Hand. In: Goethe Yearbook 21 (2014) 219−45. 1 ) D. h. seit 1767, es sei denn 60 ist als runde Zahl zu nehmen.

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Juni 16. [An] Herrn Professor Göttling, die Revision des IV. Bandes1), Jena. 16. An C. W. Göttling (Br 42, 222): Ew. Wohlgeboren

freundliche Aufnahme meiner letzten Sendung gibt mir die Zuversicht daß Sie auch der gegenwärtigen geneigte Aufmerksamkeit schenken werden. Wie mir denn nichts erwünschter seyn kann als die fortwährende Theilnahme an meinen Bemühungen.

21. [Weimar] H. C. F. Peucer2) an C. F. v. Reinhard (Bode 3, 241): Seine „Helena“ im dritten [recte: vierten] Bändchen seiner bei Cotta erscheinenden gesammelten Schriften macht mit Recht viel Aufsehen.

Juli

26. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 1016): Eine besondere Eigenschaft Deiner Poesie ist, daß gute Köpfe sie aus der bloßen Diktion genießen denen diese zu denken gibt, komme heraus was will. So mit [dem Lyriker F.] Matthisson der mir eben Grüße bringt von Dir und sagt, er habe Dir die Helena vorgelesen. Fast schien es als wenn er von mir etwas darüber zu erfahren gedächte. Er könnte immer wissen daß ich in seinem nämlichen Falle bin was ich ihm jedoch nicht gesagt habe3) da er nicht fragte. 1. [Bonn] B. G. Niebuhr an Dora Hensler (B. G. Niebuhr: Lebensnachrichten. Bd 3. Hamburg 1839, 192): Hast Du Goethens neue Ausgabe? Die Helena wird Dir auch peinlich gewesen seyn. Wie kann Goethe so etwas aushecken? 5. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 250−52): . . . in Lord Byron, sagte ich, finde ich häufig Darstellungen, die ganz unmittelbar dastehen und uns rein den Gegenstand geben . . . Besonders der Don Juan ist an solchen Stellen reich. „Ja, sagte Goethe, darin ist Lord Byron groß; seine Darstellungen haben eine so leicht hingeworfene Realität, als wären sie improvisiert . . . „Seine Frauen, sagte Goethe, sind gut. Es ist aber auch das einzige Gefäß was uns Neueren noch geblieben ist, um unsere Idealität hinein zu gießen. Mit den Männern ist nichts zu tun. Im Achill und Odysseus, dem Tapfersten und Klügsten, hat der Homer alles vorweggenommen.“4) . . . Jemehr ich ihn [Byron] lese, fuhr ich fort, jemehr bewundere ich die Größe seines Talents und Sie haben ganz recht getan ihm in der Helena das unsterbliche Denkmal der Liebe zu setzen.5) „Ich konnte als Repräsentanten der neuesten poetischen Zeit, sagte Goethe, niemanden gebrauchen als ihn, der ohne Frage als das größte Talent des Jahrhunderts anzusehen ist. Und dann, Byron ist nicht antik und ist nicht romantisch, sondern er ist wie der gegenwärtige Tag selbst. Einen solchen mußte ich haben. Auch paßte er übrigens ganz wegen seines unbefriedigten Naturells und seiner kriegerischen Tendenz, woran er in Missolunghi zu Grunde ging. Eine Abhandlung über Byron zu schreiben ist nicht bequem und rätlich, aber gelegentlich ihn zu ehren und auf ihn im Einzelnen hinzuweisen werde ich auch in der Folge nicht unterlassen.“ Da die Helena einmal zur Sprache gebracht war, so redete Goethe darüber weiter. „Ich hatte den Schluß, sagte er, früher 1

) Übersendung von C1 4 (darin Helena S. 229−307) zur Korrektur für den Druck von C3 4, zusammen mit der handschriftlichen Druckvorlage für C1 4. 2 ) Heinrich Carl Friedrich Peucer, gen. Fritz (1779–1849) Jurist, Schriftsteller, seit 1813 Regierungsrat, seit 1815 Geh. Regierungsrat u. Oberkonsistorialdirektor in Weimar. 3 ) Zelter hatte dem kranken G 1823 seine Marienbader Elegie vorgelesen und ihm damit wohlgetan. 4 ) Der Ausspruch zeigt G’s agonale Gefühle gegenüber Homer, den Ur-Schöpfer der Helena-Gestalt, deren Schönheit noch G’s Faust aufs Tiefste bewegt. Kann G’s Faust es auch nicht mit Achill und Odysseus, dem Tapfersten und Klügsten aufnehmen, so ist das Werk doch quasi G’s Odyssee. 5 ) In einzelnen Zügen des Euphorion der Sz. [3] Arkadien (9821−900).

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ganz anders im Sinn, ich hatte ihn mir auf verschiedene Weise ausgebildet und einmal auch recht gut, aber ich will es euch nicht verraten. Dann brachte mir die Zeit dieses mit Lord Byron und Missolunghi und ich ließ gern alles Übrige fahren. Aber haben Sie bemerkt, der Chor fällt bei dem Trauergesang ganz aus der Rolle [9907−38]; er ist früher und durchgehends antik gehalten, oder verleugnet doch nie seine Mädchennatur, hier aber wird er mit einem Mal ernst und hoch reflekierend und spricht Dinge aus, woran er nie gedacht hat und auch nie hat denken können.“ Allerdings, sagte ich, habe ich dieses bemerkt; allein seitdem ich Rubens Landschaft mit den doppelten Schatten gesehen, und seitdem der Begriff der Fiktionen mir aufgegangen ist, kann mich dergleichen nicht irre machen. Solche kleine Widersprüche können bei einer dadurch erreichten höheren Schönheit nicht in Betracht kommen. Das Lied mußte nun einmal gesungen werden, und da kein anderer Chor gegenwärtig war, so mußten es die Mädchen singen. „Mich soll nur wundern, sagte Goethe lachend, was die deutschen Kritiker dazu sagen werden. Ob sie werden Freiheit und Kühnheit genug haben darüber hinwegzukommen. Den Franzosen wird der Verstand im Wege sein, und sie werden nicht bedenken, daß die Phantasie ihre eigenen Gesetze hat, denen der Verstand nicht beikommen kann und soll. Wenn durch die Phantasie nicht Dinge entständen, die für den Verstand ewig problematisch bleiben, so wäre überhaupt zu der Phantasie nicht viel. Dies ist es, wodurch sich die Poesie von der Prosa unterscheidet, bei welcher der Verstand immer zu Hause ist und sein mag und soll.“

Juli

12. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 373f.): Deine Helena hat uns mit Zauber umgeben. Ich studire an dem vortrefflichen Werk und bin noch nicht ganz damit am Rande, da ich das Exemplar erst seit kurzem erhalten habe. Deine Kunst an Erfindung und Ausdruck in Gedanken, Worten und in der ganzen Darstellung hat mich entzückt. 14. [Berlin] F. Förster an G (GSA 28/320): Ihre H e l e n a ist wie ein neuer Planet an dem Horizonte aufgegangen; man muß mit dem Laufe der andern Gestirne bekant sein, um diese Dichtung nicht für ein Meteor zu halten, sondern die Bahn berechnen zu können, die solch eine Schöpfung an dem Himmel, den Sie mit ungezählten Welten bevölkert haben, nimmt. Ich habe dies versucht und wage es, Ew. Excellenz diesen Versuch zu übersenden. Die größte Freude würde es mir sein, von Ihnen zu vernehmen, daß ich das Gedicht nicht mißverstanden habe.

14./16. F. Förster [Rez.:] G o e t h e s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Erste Lieferung. B. 1 bis 5. − Helena. In: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik. Berlin 1(1827) Nro. 138 vom 14. Juli 1827 und Nro. 139 vom 16. Juli 1827, 549−56: [549f.] . . . vor andern tritt uns hier [in Bd 4] das bereits in einem früheren Blatt von uns erwähnte Zwischenspiel zu Faust, H e l e n a , welches der Dichter eine k l a s s i s c h r o m a n t i s c h e P h a n t a s m a g o r i e nennt, entgegen. − Wenn wir auch wünschen möchten, daß dieser wunderbaren Dichtung von dem Dichter die rechte Stelle in dem Faust angewiesen worden wäre, so sind wir doch, da diese Tragödie erst im zehnten Bande erscheint, sehr erfreut, schon jetzt die schöne Gabe, die von dem Dichter viele Jahre im Verborgenen gehegt und erst neuerdings vollendet wurde, zu empfangen. − Schon der Name: „ k l a s s i s c h - r o m a n t i s c h e P h a n t a s m a g o r i e “ deutet an, welche bunte Welt der Dichter an uns vorübergehen läßt. Wie kein Dichter vor ihm, hat Goethe aus allen Zeitaltern und Zonen tributare Geister zu sich herangerufen und die Universalmonarchie, an deren Zustandbringung die Kraft und des Genie großer Kaiser gescheitert sind, hat er, zwar nicht auf dem weltlichen Throne, wohl aber auf dem Throne der Poesie gegründet, auf dem er keineswegs als Usurpator sitzt, denn seine Eroberungen sind sämmtlich seine eigenen Schöpfungen. Wie er in dem west-östlichen Divan den Osten und Westen zusammen geknüpft, so hat er in dem Faust, in dem man früher schon die ganze Weltgeschichte vom Sündenfall bis zur Erlösung gefunden hat, nun noch als eine nothwendige Ergänzung das schöne Griechenland mit der romantischen Zeit verbunden. Die in dem Volksmährchen enthaltene Sage, daß Faust den Mephistophiles gezwungen habe, ihm die schöne Helena zu schaffen, ist schon in der

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Scene der Hexenküche erwähnt, obwohl nur räthselhaft, da dort von Faust wohl der Wunsch, die schöne Helena, die ihm im Zauberspiegel gezeigt wird, zu besitzen, ausgesprochen wird; hinterher aber sehn wir ihn sich mit Gretchen begnügen, ohne daß weiter von der Griechin die Rede ist. − Zu diesem Zwischenspiele gehörten vielleicht in der Anlage noch eine einleitende und eine ausleitende Scene. In der ersteren könnte Faust in den Mephistophiles dringen, ihm Wort zu halten und ihn nach Griechenland zu führen, wobei der Famulus Wagner gewiß um die Erlaubniß, die Herren begleiten zu dürfen, gebeten haben würde, da ihm viel daran lag, an Ort und Stelle einige Lesarten zu berichtigen. In der nachfolgenden Scene würde Faust von Mephistophiles die Heimkehr zu einem deutschen, frommen Gretchen erzwungen haben. Denn nach seinem tiefen Gemüth konnte ihm die g r i e c h i s c h e S c h ö n h e i t , deren Wesen nur in der s c h ö n e n F o r m bestand, nicht genügen: er verlangte dazu ein Herz voll Sehnsucht, Liebe und Glauben, ein Auge voll Treue und Demuth und dies alles konnte er nur da zu finden hoffen, wo die germanische Welt das Heil der neuen Lehre die Gemüther erfüllte. Helena und Gretchen stehen sich gegenüber, wie die Venus des Praxiteles und die Madonna Rafaels. Auf bewundernswürdige Weise hat uns der Dichter das schöne Griechenland in der, wegen ihrer Schönheit berühmten Helena vergegenwärtiget. Nicht nur sind die tragischen Trimeter, in denen Helena spricht, und das Versmaas der Chöre dem antiken Versbau so treu nachgebildet, daß schon der Klang und Rhythmus zum Wohllaut wird, sondern auch der Inhalt ist so aus classischem Guß und Geiste, daß man oft zweifelnd fragen muß, ob dies nicht Sophokles gedichtet habe? Der Gang des phantasmagorischen Dramas ist folgender. [Aus der Inhaltsangabe S. 550−556 nur 3 Zitate zum Chor (8697−753), zu Fausts Aufruf an die Heerführer (9446−81) und zu Euphorion] [551] Dieser Chor, der aus neun Strophen besteht, ist das Gelungenste, und Vollkommenste, was je in deutscher Sprache in dieser Art der Dichtung geschrieben wurde, und wir dürfen zugleich behaupten, daß in keiner einzigen anderen lebenden Sprache, solche Wortfügungen und ein so sicher fallender und dabei gefälliger Rhythmus möglich wär. Und wenn nach Jahrtausenden von der deutschen Sprache, nichts weiter übrig bliebe, als solch ein Fragment wie Helena, so würde man daran eben so gut den ganzen herrlichen Bau und Bildungsreichthum der deutschen Sprache erkennen, wie Michel Angelo in dem Torso den ganzen Herkules erkannte und daran sich zum Meister bildete. [554] Der Aufruf aber, den er an seine Herzöge ergehen läßt, den Menelas zurückzudrängen und Griechenland zu e r o b e r n , könnte in unsern Tagen wohl auch als eine Aufforderung gelten, Griechenland zu b e f r e i e n . [555] Sollen wir vorläufig unsere Meinung aussprechen, so könnten wir in dem poetisch-begeisterten Knaben, der aus der Umarmung des romantischen Nordens mit dem schönen Griechenland gebohren wurde, nur unsere Dichter selbst erkennen; allein so ernst hat er [G] es nicht genommen und aus einer zwar nur mündlich und still uns vertrauten Aeußerung wissen wir, daß mit diesem Knaben „Lord Byron“ gemeint sein soll. Dies wird auch sogleich durch den weiteren Lebenslauf desselben näher bezeichnet.

[Juli [Weimar] Henriette v. Beaulieu-Marconnay’s Deutung der Helena (GJb 1891, 150): vor 16.] Vom Schönheitssinn und von der Kraft erzeugt, tritt das Genie des Meistersängers feßellos und unbezähmbar in die Welt. Es strebt und schwebt und reißt sich aus der Tiefe los, verschmäht der Erde Grund mit leichten Füßen zu berühren, ergreift im Wirbeltanz das Feuer als sein liebstes Spielzeug, steigt von Fels zu Fels bis zu dem höchsten Gipfel der Begeisterung und einen flüchtigen Moment von ihr im Aether fortgetragen, stürzt er, wie Ikarus zur Erde nieder, verschwindet dann und läßt nur sein Gewand − die Außenseite seines Geistes − in der Hand der Überlebenden zurück. Die Mutter folgt dem Kind − dies ist das größte, schmeichelhafteste Lob − und ihr Gewand bleibt in der Hand der Kraft, die es zu halten vermag, und die es zum Wolkenwagen sich gestaltet und ihn aufwärts trägt. Euphorion ist untergegangen − F a u s t lebt noch − und möge der Vater noch lange nach seinem Schöpfling auf dem Wolkenwagen des Schönen und Erhabenen fort schweben, um uns durch seine K r a f t zu erfreuen und zu beglücken!

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16. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 153): Noch später mit Goethe allein oben im Zimmer bis gegen 10 Uhr. Seine grose Freude über Olympiens [Henriette v. BeaulieuMarconnays] Niederschreibung des Helenen-Eindrucks1) . . . Der lezte Chor in der Helena [9992−10038] sey blos darum weit ausgeführter als die übrigen, weil ja jede Symphonie mit einem Verein aller Instrumente brilliant zu endigen strebe. 16. [Weimar] F. v. Müller an Henriette v. Beaulieu-Marconnay (Unterhaltungen 368): Erst diesen Abend fand ich die rechte Stunde, Goethen, nach einem langen Zweygespräch über Helena, Ihre inhaltsreichen, geistvollen Worte zu zeigen. Er war ungemein davon erbaut, überrascht, ergriffen, „Kurios, diese Analyse fängt genial genug von hinten an, überspringt keck und frey den ganzen ersten Theil, trifft geradezu den wichtigsten Punct und schafft sich im analysiren und reproduciren alsobald ein Neues, höchst dichterisches und erhabenes Wesen. Kurios, kurios, aber sehr geistreich, sehr liebenswürdig. Besonders ist das „Greifen des Feuers als Spielzeug“ und die Andeutung „das Gewand bleibt in den Händen der Kraft“ höchst originell und zart ausgesprochen. Nun, ein s o l c h e r Leser entschädiget für Tausend alberne Dunse und Plattköpfe. Aber s i e ist auch aus unserer guten Zeit, hat unsere ganze Bildungsperiode mit durchgemacht, und da müßte es schlimm seyn, wenn K r a f t und S c h ö n h e i t in einem solchen Individuum v e r e i n t nicht ein besseres und höheres Urtheil als alle Immermanne, Tieke und Raupachs unserer neuen Zeit haben wollte. Ja, wenn diese Frau sich nicht so sehr in der Welt verschlossen hätte − − da hättet Ihr erst sehen sollen, zu welchem Gipfel weibliche Kraft anzusteigen vermag!“ Ich schreibe Ihnen diese flüchtigen Zeilen alsobald g e t r e u l i c h nieder zu ihrer Erbauung und Erfrischung.2) [17.] An Zelter3) (Konzept; Br 42, 377f.): Was du über Diction sagst,4) ist

mir nicht unbekannt geblieben. Wenn die Menschen z. B. irgend ein theatralisches Gedicht loben wollen, so sagen sie: es habe eine sehr schöne Sprache; was aber eigentlich gesprochen sey, davon nimmt man selten Kenntniß. Auch bey Gelegenheit der Helena haben sich einige sonst ganz verständige Personen hauptsächlich an den drei vier neuen Worten erfreut und wahrscheinlich schon im Stillen gedacht wie sie solche auch anbringen wollten. Das alles kann einen im sechzigsten Jahr schon berühmten Schriftsteller freylich nicht anfechten; doch ist es vielleicht niemals so arg gewesen, daß man so wenig Leser und so viele Aufpasser und Aufschnapper hat, welche nach der Diction greifen, weil sie denken, wenn man nur so spräche, so sey schon etwas gethan, wenn man auch nichts zu sagen hat. 17. Ich erhielt eine merkwürdige frauenzimmerliche Äußerung über Helena.5) Juli

17. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 19. Juli 1827 − : [Barthe´lemy, Jean Jacques]: Reise des jungen Anacharsis durch Griechenland . . . A. d. Franz. Th. 1. 2. Berlin und Libau 1790.)6) 1

) s. das nächste Z. ) Antwort der Adressatin am 22. Juli (s. dort). 3 ) Teil eines nicht abgegangenen Briefes. 4 ) s. oben 26. Juni: Zelter an G. 5 ) Betr. eine Abschrift von Henriette Beaulieu-Marconnays Helena−Deutung; s. oben [vor 16. Juli]. 6 ) Reise des jungen Anacharsis durch Griechenland vierhundert Jahre vor der gewöhn2

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17. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 15. Aug 1827 − : Williams, H[ugh] W[illiam]: Select views in Greece with class. ill. Vol. 1. London 1829. [Die ersten Lief. offenbar früher erschienen.])1) 18. An Knebel (Br 42, 262): Nach geraumer Zeit begrüße ich Dich wieder

einmal, mein alter verehrter Freund, und läugne nicht, wie ich manchmal beunruhigt bin, daß ein gutes Geschick, das uns so lange mit einander und so nahe neben einander bleiben und wohnen läßt, uns beiderseits aus einander hält, ohne daß wir unternehmen und wagen dürfen, öfter zusammen zu kommen. Ich tröste mich dadurch, daß ich immerfort darauf hinarbeite meinen Freunden von Zeit zu Zeit im Geiste zu erscheinen; wie ich mich denn besonders freue, wenn meine Helena, auf die ich undenkliche Zeit und Sorgfalt verwendet, die Aufmerksamkeit meiner Theuren auf sich zieht, sie zum Betrachten und Denken aufregt, zum Entwickeln und Vorschreiten.2) 20. [Berlin] C. v. Holtei an F. v. Müller (GJb 1917, 173): Helena ist noch gar nicht recht im Publicum. Ich habe sie einmal in der Literaria3) gelesen, wo sie tiefen Eindruck machte und in allen den Entschluß erregte, sie nun selbst nachzulesen. Im Winter werde ich sie bei meinen öffentlichen Vorlesungen auf jeden Fall geben. Wenn auch nicht ganz. Die lange, schwere Einleitung ist nicht für das leider sehr verwöhnte Ohr meiner schönen Hörerinnen. 20. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 377): Deine Helena hat in dieser Zeit noch mehrmals mein Studium gemacht. Es ist ein ausserordentlich wunderbares Produkt, und es läßt keinen Zweifel, daß Du große Sorgfalt darauf verwendet habest. Etwas räthselhaft wird es immer bleiben − aber das mag Mephistopheles verantworten. Die Verbindung der neuern mit der alten Poesie konnte nicht kunstreicher ausgedacht werden. Vorzüglich gefallen mir aber die alten Sylbenmaße und die treffliche Darstellung des alten Geistes. Ich bewundere Deine Belesenheit und Dein glückliches Gedächtniß. 20. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Carlyle gD, EGW 7, 149) 21. An Knebel (Br 42, 272): Wenn du der Helena befreundet bleibst, so

wird dir weder im Ganzen noch im Einzelnen etwas räthselhaft bleiben, so wenig du an der treuen Freundschaft zweifeln wirst. 22. Frau von Wolzogen, welche sich sehr freymüthig und einsichtig über die Helena erklärte. 22. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 149) 22. [Weimar] Henriette v. Beaulieu-Marconnay an F. v. Müller (Unterhaltungen 369): Was soll ich Ihnen über d i e s e [Zeilen F. v. Müllers vom 16. Juli] sagen? − Sie meynen wohl

lichen Zeitrechnung. Aus dem Französischen des Abbt Barthelemy. Berlin und Liebau 1789–1793. −Übersetzung in 7 Teilen von Johann Erich Biester; Teil 1 noch übersetzt von Daniel Jenisch. − Die von G entliehenen Teile 1 u. 2 wurden schnell zurückgegeben, da sie nur bis Kap. 25 reichen. 1 ) Bei Keudell Nr. 1828 falsche Zuordnung des Bibliothekszettels; s. oben 12. Juni 1825: aus der Weimarer Bibliothek. 2 ) s. oben 12. Juli: Knebel an G. 3 ) Mittwochsgesellschaft, später Gesellschaft für in- und ausländische Literatur, begründet von E. Hitzig.

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ich würde Sie recht loben? − Keineswegs, mein feiner Herr, ich schelte aus voller Brust und möchte so laut schreien, daß Sie es über Berg und Thal hören könnten. Mein Urtheil über die göttliche Helena war nur für S i e bestimmt und wer hieß es Ihnen dem Meister solches Zeug vorschwäzen? − Wenn er es gütig, mild und freundlich au[f]genomen, zeigte er sich nur als das was er ist: ein Geist höhrer Art − aber was ich sagte wird darum nicht besser, es bleibt immer nur ein unzusammenhän[gen] des Bruchstück meines tiefen Empfindens, für welches mir die Worte, wie Sie wissen, immer fehlen.

Juli

25. Sendung . . . von Förster . . . [Nachmittags] Försterische Anzeige der

Helena.1) 27. [Jena] C. W. Göttling an G (QuZ 2, 494; 496): Ew. Excellenz übersende hierbei den vierten Band der Werke nebst dem Manuscripte wieder zurück. Ich kann nicht sagen, wie immer neu mir das Vergnügen ist, welches mir bei wiederholter Lesung Helena gemacht hat. Wenn die Sirenen, nach der alten Mythe, der Melpomene Töchter sind, so wird mir erklärlich, wie die Muse auch diese Sirene Helena hervorbringen konnte, die in ihrer Doppelgestalt, oben antik und unten modern, eine in der Literatur höchst eigenthümliche Erscheinung ist, aber eine so anziehende Kraft ausübt, wie nur irgend eine homerische Sirene2). Was mir in diesem vierten Bande zu bemerken zu seyn schien ist folgendes3) . . . S. 267,4. Nach Thurmwärter [vor 9218] Comma weg; oder die Worte müssen umgestellt werden.4) S. 277,16.1. »stillem« st. stillen [9446] S. 280,8.l. »jeglichem« [9507]. Die Construction scheint nicht ganz klar.5) S. 285,4.l. Scherzgeschrei. [9601] So S. 294,11. Geschrei. S. 314,4[3]. Fehlen die » nach Verfänglichkeit. Oder sollten auch vor w i r und nach Unzulänglichkeit eben solche Zeichen stehen6)? . . . Manche der bemerkten Fehler sind freilich Kleinigkeiten; allein da auch diese bei dem Abdruck der Octavausgabe getilgt werden können, so habe ich sie nicht unbemerkt lassen wollen. 29. Helena als Syrene, Epigramm.7) 31. [Abends] Später Herr Oberbaudirector Coudray. Theilnehmend von

Helena sprechend. Aug 13. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 156): . . . beym Grosherzog, der sehr munter und liebreich . . . [Carl August:] „Die Helena verstehe ich nicht, ich finde gar keinen Styl darinn, aber man darf das gar nicht sagen, es giebt Leute, die sie für ein Meisterwerk halten.“ [Aug 13.] [Leipzig, anonyme Rez.] Uber Kunst und Alterthum, von Göthe. Sechsten Bandes erstes Heft. Helena, ein Zwischenspiel zu Faust, von Demselben. Zweiter Brief. In Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 186 v. 13. Aug 1827, 741: Laß mich ein wenig ausholen. Vor 25 Jahren würde mich die erste Erweiterung des „Faust“ gestört, das eben erschienene Fragment vollends irregemacht haben . . . Die geringere Abweichung von dem

1

) s. oben 14. Juli: F. Förster an G. ) s. dazu unten 29. Juli: Tgb. 3 ) Zeile im Brief von G durch Streichung und Ergänzung verändert in: Bey dem vierten Bande zu bemerken: 4 ) Von oder bis werden im Brief von G gestrichen. 5 ) Zeile im Brief von G gestrichen. 6 ) Zeile im Brief von G gestrichen, dafür am oberen Rand ergänzt: S. 304.1. Statt Chorführerin l[ies] Panthalis. S. 314.1. nach n u r die » hinweg. [314]3. nach Verfänglichkeit? « zu setzen. 7 ) Gedicht Die neue Sirene (W 4, 126), veranlaßt durch C. W. Göttlings Brief an G vom 27. Juli 1827; s. auch unten 16. Mai 1830: Göttling an G. 2

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Gebiet der Sage, die herzlichen und frommen Partien, das Factische, das eben nichts weiter sein wollte als das Factum, alles Dies sagte mir damals so zu, daß mir es, selbst in späterer Zeit, etwas schwer ward, ein neues Element, wie die Blocksbergscene, in die mir so gemüthliche Dichtung aufzunehmen. Endlich ward mir klar, daß Göthe, von einem höhern Standpunkte auf sein Werk herabblickend, dasselbe auch in die höhern Regionen der Kunst zu spielen trachte, daß er wol eine umfassendere Idee bei seinem „Faust“ habe, als ich zu fassen und abzusehen vermochte . . . So ward ich denn auf das Gebiet der Symbolik hingewiesen, und in ihm habe ich einen Schlüssel gefunden, mit dem ich mir die Thür zu dem Intermezzo aufzuschließen suche . . . Halten wir uns daran, daß die „Helena“ ein Zwischenspiel ist und bedenken wir, daß Göthe, wie ich erwähnt habe, zu einer reinern Ansicht der Kunst gelangt, mit einer gewissen Ironie auf seine frühern Dichtungen blickt, in welchen Nationalität, Sentimentalität, Grübelei im Gebiet des höhern Wissens einigermaßen dem reinen Schönen widerstrebten. Von dieser Ironie scheint mir das Zwischenspiel ausgegangen. Dennoch ist es weniger herb als jener Prolog auf dem Theater; es betrachtet das Moderne mit Gleichmuth und Billigkeit neben dem höhern Schönen und enthält am Schluß eine Versöhnung, wie sie sich hier nur als möglich denken läßt . . . Dies gibt uns eine Ahnung von der eigentlichen Bedeutung des Faust, wie der Dichter sie stufenweise faßte . . . ´Ich will Dir jetzt einige Stellen des Zwischenspiels mit kurzen Bemerkungen hinsetzen . . .

Aug 15. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 20. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an G gD, EGW 7, 149) 21. Abends Professor Riemer . . . die neue Sirene.1) 21. [München] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 476): Die neue Ausgabe Ihrer Gedichte hat mir seit Kurzem einen großen Genuß gewährt. Die phantastische Auflösung der Helena ist bewunderungswürdig, die Anspielung auf die griechischen Begebenheiten unserer Zeit und auf Byron gibt ihr unabhängig von ihrem innern Werth noch einen ganz eigenen Reiz; die Ironie darin ist von der höchsten und zartesten Art. Ich möchte das Ganze eine Symbolisirung der tiefsten Psychologie nennen. Und doch so einzig diese Phantasmagorie ist, so muß ich gestehen, daß sie den Wunsch einer durchaus tragischen Ausführung im antiken Styl, den mir früher die erste Hälfte des Gedichts erregt, nicht verdrängt hat. Ich bin eben begehrlich genug, um wie das eine, so auch nach dem andern zu verlangen. 25. [Bremen] C. J. L. Iken an G (Schulz 1971, 176; 178f.): Die neuen Produktionen, womit Sie uns dieses Jahr reichlicher beschenkt haben als je zuvor, nämlich die Fortsetzung des Faust . . . haben auch mich unwiderstehlich gefesselt und müssen den Beifall jedes Lesers gewinnen . . . Nun aber „Helena, Zwischenspiel zu Faust!“, ein wahres Geschenk von Ihrer milden Hand; zum ersten Mal edle Gräcität mit hoher Romantik verbunden, beide verschwistert gehen sie ruhig Hand in Hand, ohne einander zu schaden, in harmonischer Eintracht. Faust ist Repräsentant des Romantischen, Helena der griechischen Simplicität; wie Alterthum und Mittelalter hier in einander verwebt sind, eben so sagt auch Helena zu Faust (Seite 276): − „In dich verwebt, dem Unbekannten treu“, gewiß eine der schönsten Stellen, zumal für den Leser, der ein Liebender ist, den sie gewaltig ergreifen muß. Aber zu den Räthseln gehört hier wieder „die Aureole“ (Seite 300), die wie ein Komet zum Himmel aufsteigt. Vermuthlich ist dieser Ausdruck aus den nekromantischen und thaumaturgischen Büchern des Mittelalters entnommen und deutet wohl den Nimbus oder Heiligenschein an, der mit der Seele zum Himmel aufsteigt, wenigstens ist hier das „Körperliche“ demselben entgegengesetzt. Möchten wir

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) Betr. das epigrammatische Gedicht Die neue Sirene: vgl. oben 29. Juli 1827 Tgb m. Anm.

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doch diesen fremden Ausdruck nächstens in Kunst und Alterthum erklärt finden. Niemand hat schöner in Worten gemalt und gezeichnet als die Schilderung der griechischen Landschaft (auf Seite 281), wo „das Zackenhaupt“, die Altwälder und die Wollenheerden“ so üppig frisch kolorirt sind. Herrlich heißt es da: [Zitat 9528f. u. 9543−45] Diese malenden Worte sind unübertrefflich schön; der erste Theil des Faust enthält fast nicht so schöne Stellen, wenigstens nicht in diesem Genre, welches ganz neu ist. Reizend ist das Gemälde: „Feigen und Apfelgold“ − und weiter das große Bacchanal der Weinlese (Seite 296 und 306) womit das Intermezzo schließt. Die eigenthümliche neue Sprache desselben erinnert oft an die Behandlungsweise der Pandora, wie z. B. das „flache Rund“, ein „edles Zwei“ pp. Viele Stellen sind aber auch eben so schwer zu verstehn, wie in jenem Stück. Möchte es daher dem Dichter gefallen, von seiner Höhe uns zuweilen einen Blick in die Geheimnisse seiner Kunst thun zu lassen und uns den Schleier zu lüften. Aug 28. [Weimar, anonyme Rez.] Göthe’s Helena. In: Journal für Literatur, Kunst und geselliges Leben Nr. 103 v. 28. Aug 1827, 817: Diese neue Dichtung von Göthe, welche sich im vierten Bande seiner Werke (Ausgabe letzter Hand) befindet, ist höchst merkwürdig. Ein Urtheil darüber auszusprechen wagen wir nicht, doch wünschten wir wohl, daß wegen der Kühnheit der Composition und wegen der mancherlei dunkeln Beziehungen darin Erklärungen darüber gegeben würden. Einzelne Stellen darin sind von einer solchen Schönheit, daß wir behaupten möchten, Göthe habe die Kraft und Gewandtheit seiner Sprache, die Geschmeidigkeit seines der Natur sich treu anschmiegenden Sinnes nie in einer größern Vollkommenheit gezeigt, als hier; deßhalb wäre es sehr schade, wenn mancher ungelehrte Leser sich vielleicht durch den griechisch-steifen Anfang vom Genuß des Ganzen abschrecken ließe. [Folgend Beschreibung der Szene mit zahlreichen Textauszügen] 30. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 161): Aus Norden [von Iken aus Bremen] habe er [G] die schönsten und zartesten Äußerungen über . . . Helena vernommen1) . . . Wir sprachen über des Grosherzogs Äußerung über Helena p. [vom 13. Aug 1827]. Es sey sehr schade, daß dieser grossinnige Fürst auf der Stufe französischer materieller Bildung in Rücksicht auf Poesie stehen geblieben.

Sept

6. Herr von Reutern und Joukoffsky2), commentirendes Gespräch über

Helena. 7./8. [Wangerooge] H. Heine an R. Christiani (Heine: Säkularausgabe. Bd 20. Berlin 1980, 297f.): Was aber die ganze ’klassisch-romantische’ Helena soll, versteh ich nicht. Es ist vielleicht ein großherzoglich Weimarsches Staatsgeheimniß − allso von keiner großen politischen Wichtigkeit. Den ,Euphorion’ könnte man als die romantische Poesie selbst ausdeuten − er wird gezeugt von dem Göthe-Faust und der antiken helenischen Helena. Ja! ja! hätte er uns nicht verrathen und verkauft, und die Schule stände noch in wogender Blüthe − 20,000 Schleglianer, 20,000 Glöckner der romantischen Minne würden geharnischt auftreten und in Sonetten und Kritiken beweisen, dass Göthe klassisch romantische Helena ein Meisterstück sey! Jetzt aber wird es über letzteres sehr seufzend still hergehn und im Nothfall versichert man es sey nicht ganz schlecht. Und hätte Er noch die alte Karfunkel-Garde, das blaue Blumenregiment, die Wünschelhusaren − wie viel göttlichen Unsinn hätte Göthe in jenem Gedichte anbringen können − Aber er merkte wohl dass ihm der Hinterhalt fehlte und hielt sich zumeist an die Antikenform. Der Anfang ist schön, man glaubt den alten Tragödien Pathos zu hören − aber es geht allmählig über in einen Schikanederschen Operntext. − Göthe ist ein großer Dichter − 1

) s. oben 25. Aug: Iken an G. ) Der Maler G. W. v. Reutern (1794–1865) u. der russ. Dichter W. A. Joukovsky (1784– 1852).

2

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Sept An Unbekannt (W 15.2, 126): Aureole ist ein im Französischen ge8./15.1) bräuchliches Wort, welches den Heiligenschein um die Häupter göttli-

cher oder vergötter[ter] Personen andeutet. Dieser kommt ringförmig schon auf alten pompejanischen Gemälden um die göttlichen Häupter vor. In den Gräbern der alten Christen fehlen sie nicht; auch Kaiser Constantin und seine Mutter erinnere ich mich so abgebildet gesehen zu haben. Hiedurch wird auf alle Fälle eine höhere geistige Kraft aus dem Haupte gleichsam emanirend und sichtbar werdend, angedeutet; wie denn auch geniale und hoffnungsvolle Kinder durch solche Flammen merkwürdig geworden. Und so heißt es auch in Helena: [folgt 9623f.] Und so kehrt diese Geistesflamme, bey seinem [Euphorions] Scheiden, wieder in die höhern Regionen zurück. 8. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 164): Deshalb2) vorzüglich war ich heute wieder dort [bei G]. Er billigte meine Motive, erweiterte aber den Vorgrund der bis Brückenau gehen müsse. Abwechselndes Metrum3). „Ich muß ja Griechenland kennen, da ich es v e r t h e i l t habe [Faust 9466ff.]“. 15. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 167): Er [G] erzählte, wie er diesem wackren Manne [Th. Carlyle] kürzlich [am 22. Juli 1827] ein „Schwänchen“4) überschickt, nemlich seine Taschenausgabe [1. Lieferung von C1 mit Bd 1−5], den Faust, Medaille, Kupferstich, Eisennadeln für die Frau p. 19. [Weimar] Varnhagen von Ense an Rahel Varnhagen (Feilchenfeldt − Schweikert − Steiner 6, 187): Was er [G] alles gesagt,5) wie er manches aufgenommen, kann ich hier nicht ausführen; wir sprachen auch von der Helena . . . 20. [Kassel] W. Grimm an A. v. Arnim (Steig III 567f.): In Göthes Helena ist mir etwas zu viel Stuccatur und Gypsmarmor der Ausführung, aber sie ist schön gedacht.6) 27. An C. J. L. Iken (Br 43, 81−85): Lassen Sie mich nun zuerst das Ver-

gnügen ausdrücken, welches Sie durch den Antheil an Helena mir gewährt haben.7) Bey der hohen Cultur der Bessern unsres Vaterlandes konnte ich zwar ein solches beyfälliges Eingreifen gar wohl erwarten, allein die Erfüllung solcher Hoffnungen und Wünsche bleibt doch immer das Vorzüglichste und Nothwendigste. In solcher Aussicht habe ich denn diese längst intentionirte und vorbereitete Arbeit vollendet und den Aufwand von Zeit und Kräften, das strenge Beharren auf diesem einen Puncte mir schon während der Arbeit zum Gewinn gerechnet. Ich zweifelte niemals, daß die Leser, für die ich eigentlich schrieb, den Hauptsinn dieser Darstellung sogleich fassen würden. Es ist Zeit, daß 1

) Datiert nach Gräf II 2, 410. ) Wegen F. v. Müllers Stanzengedicht an Ludwig v. Bayern Dem König die Muse. 28. August 1827. 3 ) s. unten [nach 8. Dez 1827]: I H7. 4 ) Zu G’s Bezeichnung für Geschenksendungen aus vielerlei Ingredienzien vgl. GJb 1951, 290. 5 ) G’s Tgb verzeichnet: Um 10 Uhr Varnhagen von Ense. 6 ) Zum Nachfolgenden s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“. 7 ) Vgl. oben 25. Aug: Iken an G. 2

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der leidenschaftliche Zwiespalt zwischen Classikern und Romantikern sich endlich versöhne. Daß wir uns bilden ist die Hauptforderung; woher wir uns bilden wäre gleichgültig, wenn wir uns nicht an falschen Mustern zu verbilden fürchten müßten. Ist es doch eine weitere und reinere Umsicht in und über griechische und römische Literatur, der wir die Befreyung aus mönchischer Barbarey zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert verdanken! Lernen wir nicht auf dieser hohen Stelle alles in seinem wahren, ethisch-ästhetischen Werthe schätzen, das Älteste wie das Neuste! In solchen Hoffnungen einsichtiger Theilnahme habe ich mich bey Ausarbeitung der Helena ganz gehen lassen, ohne an irgend ein Publicum noch an einen einzelnen Leser zu denken, überzeugt, daß wer das Ganze leicht ergreift und faßt, mit liebevoller Geduld sich auch nach und nach das Einzelne zueignen werde. Von einer Seite wird dem Philologen nichts Geheimes bleiben, er wird sich vielmehr an dem wiederbelebten Alterthum, das er schon kennt, ergötzen; von der andern Seite wird ein Fühlender dasjenige durchdringen, was gemüthlich hie und da verdeckt liegt: Eleusis servat quod ostendat revisentibus1) und es soll mich freuen, wenn dießmal auch das Geheimnißvolle zu öfterer Rückkehr den Freunden Veranlassung gibt2). . . Indessen da es mir mit Helena geglückt ist, daß diese Production auf den Gebildeten einen guten Eindruck macht und selbst von scharfsichtigen Kritikern als aus Einem Gusse hervorgegangen angesprochen wird, so möchte es an dem Übrigen auch nicht fehlen. Ich habe so oft in meinem Leben auf ein für meine neuen Productionen stumpfes Publicum getroffen, daß es mich dießmal höchlich erfreut, so schnell und unmittelbar aufgefaßt worden zu seyn. Und so sey denn dieses, durch mannichfaltige Zerstreuung unterbrochene Blatt endlich geschlossen und unter Versicherung wahrhafter Theilnahme fortgesendet. [Beilage, Konzept] Aureole ist ein im Französischen gebräuchliches Wort, welches den Heiligenschein um die Häupter göttlicher oder vergötterter Personen andeutet. Dieser kommt ringförmig schon auf alten pompejanischen Gemählden um die göttlichen Häupter vor. In den Gräbern der alten Christen fehlen sie nicht; auch Kaiser Constantin und seine Mutter erinnere ich mich so abgebildet gesehen zu haben. Hiedurch wird auf alle Fälle eine höhere geistige Kraft, aus dem Haupte gleichsam emanirend und sichtbar werdend, angedeutet; wie denn auch geniale und hoffnungsvolle Kinder durch solche Flammen merk-

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) Gemeint: Eleusis bewahrt noch etwas auf, was es erst denen enthüllt, die wiederkommen und genau hinsehen. Aus Senecas Naturales quaestiones liber VII 30, 6: Multa saeculis tunc futuris, cum memoria nostri exoleverit, reservantur . . . Non semel quaedam sacra traduntur. Eleusis servat, quod ostendat revisentibus: rerum natura sacra sua non semel tradit; initiatos nos credimus: in vestibulo eius haeremus. 2 ) Das Folgende s. in „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Iken gD, S. 731.

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würdig geworden. Und so heißt es auch in Helena: Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt ist schwer zu sagen, Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft. [9623f.] Und so kehrt denn diese Geistesflamme, bey seinem Scheiden, wieder in die höhern Regionen zurück. Okt

5. [Weimar] H. C. F. Peucer an Böttiger (Bode 3, 250): Seine „Helena“ ist hier viel gelesen, vielleicht aber nicht durchgängig verstanden. Nachdem ich mit Riemer, Eckermann und Goethes Sohn viel und breit darüber konversiert habe, glaube ich endlich dahin gekommen zu sein, daß ich weiß, was es damit ist . . . Über die zweite Hälfte des Goetheschen Werks, die bloß romantisch gehalten ist, ließe sich freilich unter Freunden allerlei sagen. Dies ist ein buntes Allerlei, zusammengesetzt aus Epimenides und Byron und hundert anderen Reminiszenzen, Gedanken und Einfällen, hie und da rein desultorisch und aus den Blättern der Sibylle herausgerissen, absolut hingeworfen, ohne grammatischen Zusammenhang, zuweilen noch durch mangelhaften Interpunktion erschwert, vielleicht nur Goethen selbst verständlich. Und dennoch glaube ich alles zu verstehen. Ich habe mir eben die Mühe nicht verdrießen lassen. 12. An S. Boissere ´e (Br 43, 107−09): Hierauf [nach dem Grafen Sternberg]

besuchte uns Herr v. Matthisson [27./28. Juli 1827] und zeigte, zwar als kluger Reisender, aber doch auch mit wahrem sentirten Antheil, sein Vergnügen an Helena . . . Die gute Wirkung der Helena ermuthigt mich, das Übrige heranzuarbeiten; Helena bestünde zuletzt als dritter Act, wo sich denn freylich die ersten und letzten würdig anschließen müßten. 19. [Karlsruhe] J. K. Nehrlich1) an G (GJb 1935, 161): Von gleicher Tiefe [wie Bakis’ Weissagungen], dem wahren Sinn nach genommen, dürfte seyn: ,Helena, klassisch-romantische Phantasmagorie’, und Phorkyas-Mephistopheles möchte ich gern in einem Epiloge den Commentar geben hören.2) Vielleicht versuche ich ihn einmal. Das Antike ist mit dem Modernen in Liebe verbunden, und das Lied, weil es aus dem Herzen dringt, fließt in dem Wohllaute des Reimes wieder in ein fühlendes Herz. So wird Helena die Geliebte des Faust, abgewandt vom alten Menelaus. Viele werden sich daran ärgern, denen die Dichtkunst nichts anders sagt, als was sie sich schon längst in ihrer gemeinen Prosa gesagt haben. Okt 26. An W. Reichel (Br 43, 128): Hiebey folgen noch einige Desiderata zu

dem dritten Bande, Bemerkungen zu dem vierten, welche sich glücklicherweise auf wenig Druckfehler beziehen.3) Nov 11. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 371f.): Dein magisches Dichterwerk habe ich nochmals studirt und bin über den Reichthum der Gedanken darin in Erstaunen gerathen . . . doch möchte es nicht jedem gleich verständlich werden. Ich habe es mit unserem

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) Joh. Karl Nehrlich d. Ä. (1773−1849) Maler u. Schriftsteller, studierte 1794 in Jena (u. a. bei Fichte), Lehrer an der Hoftheaterschule in Karlsruhe, schrieb Schlüssel zu den Weissagungen des Bakis (Ms. 1827). 2 ) Am Schluß des Helena-Aktes heißt es: Phorkyas im Proscenium richtet sich riesenhaft auf, tritt aber von den Kothurnen herunter . . . und zeigt sich als Mephistopheles, um, in sofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu commentiren. (W 15.1, 244). 3 ) Übersendung einer Abschrift der von G überarbeiteten u. ergänzten Korrigendaliste Göttlings; s. oben 27. Juli 1827: an C. W. Göttling.

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Freunde Lyncker1) durchtractirt, und dieser hat sogar einen kleinen Commentar darüber geschrieben. Es liegen die Gedanken und Beobachtungen so vieler Jahre in diesem Werke verborgen und eine ungeheure Schöpferkraft . . . Man sagt, Herr Retzsch [der Maler F. A. M. R.] mache Umrisse zur ,Helena’.2) Die möchte ich wohl sehen.

Nov 14. An Knebel (Br 43, 166f.): Es ist mir, theurer verehrten Freund, höchst

wohlthätig, wenn ich erfahre, daß meine ältesten edelsten Zeitgenossen sich mit Helena beschäftigen, da dieses Werk, ein Erzeugniß vieler Jahre, mir gegenwärtig eben so wunderbar vorkommt als die hohen Bäume in meinem Garten am Stern, welche, doch noch jünger als diese poetische Conception, zu einer Höhe herangewachsen sind, daß ein Wirkliches, welches man selbst verursachte, als ein Wunderbares, Unglaubliches, nicht zu Erlebendes erscheint. Aus meinem Briefwechsel mit Schiller geht hervor, daß er schon zu Anfang des Jahrhunderts von dieser Arbeit Kenntniß genommen und, als ich darüber in Zweifel gerieth, mich darin fortzufahren ermuthigt habe. Und so ist es denn bis an die neuste Zeit herauf−, herangewachsen und erst in den letzten Tagen wirklich abgeschlossen worden. Daher denn die Masse von Erfahrung und Reflexion, um einen Hauptpunct versammelt, zu einem Kunstwerk anwachsen mußte, welches, ungeachtet seiner Einheit, dennoch schwer auf einmal zu übersehen ist. Die rechte Art, ihm beyzukommen, es zu beschauen und zu genießen, ist die, welche du erwählt hast: es nämlich in Gesellschaft mit einem Freunde zu betrachten. Überhaupt ist jedes gemeinsame Anschauen von der größten Wirksamkeit; denn indem ein poetisches Werk für viele geschrieben ist, gehören auch mehrere dazu, um es zu empfangen; da es viele Seiten hat, sollte es auch jederzeit vielseitig angesehen werden. Mag dein theilnehmender Freund mir seine schriftlich verfaßten Gedanken mittheilen, so sollt es mich freuen und anregen, vielleicht noch ein und das andere Wort offen zu erwidern. Hier sage schließlich nur soviel: die Hauptintention ist klar und das Ganze deutlich; auch das Einzelne wird es seyn und werden, wenn man die Theile nicht an sich betrachten und erklären, sondern in Beziehung auf das Ganze sich verdeutlichen mag. 16. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 382): Daß Deine wunderbar herrliche Helena nicht in der nächsten Zeit ihre Entstehung erhalten, war wohl zu erachten. So was war nicht in zehn Monden geboren − sagt Properz. Indessen wird das Werk klarer, je mehr man es liest und ist bewundernswürdig. Mit Lynker will ich Unterhandlung pflegen. Sein Kommentar betrifft nur das Geschichtliche. 21. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Zelter gD, S. 736)

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) Der 1818−1828 in Jena lebende Carl W. H. v. Lyncker (1767–1843) Herr auf Flurstedt und Kötschau, ehemals Page in Weimar, 1809 Landrat u. a. des Amts Jena, Sohn des Oberkonsistorialpräsidenten und Landschaftsdirektors C.F.E. v. Lyncker. 2 ) Faust mit Helena im Innern des Burghofes u. Faust und Helena, dem Treiben Euphorions mit Besorgniß zuschauend. In: Umrisse zu Göthe’s Faust. Zweyter Theil. Stuttgart u. Augsburg 1836, Blatt 6 u. Blatt 7.

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Nov 24. A. Nicolovius, Goethes Befinden und gegenwärtige Beschäftigung1) (GG 3.2, 239f.): Goethen sah ich nach Verlauf zweier Jahre in den ersten Tagen dieses (November) Monates [1. bis 3. November] wieder . . . was die Aufmerksamkeit seiner Freunde und Verehrer am meisten erregen wird: Goethe dichtet fortwährend an dem zweiten Teile seines Faustes, zu dem wir Helena, die Blüte und Krone aller neueren Goetheschen Produktionen, notwendig betrachten müssen, wenn wir gleich den Zusammenhang beider nicht einmal zu ahnen imstande sein möchten. „Wem Helena dunkel und bizarr vorkommt“, sagte Goethe einmal, „der lese sie mehrmals, und es wird alles klar werden.“ Und er sagte dies gewißlich mit dem größten Rechte; denn wenngleich höchst kühn, so ist doch alles sehr logisch zusammenhängend, aber freilich nach der Logik eines höheren Geistes, dem die Jahrhunderte nur flüchtige Evolutionen und vollends die Räume nur leichte Papierwände sind. Nie hat antike und moderne Welt sich klarer in einem gemeinsamen Spiegel dargestellt, nie Kraft und Schönheit ein reizenderes Bündnis eingegangen. Welche Tiefe der Empfindung und welcher Zauber der Sprache und Rhythmik. Dez 17. [Berlin] C. v. Holtei an G (GJb 1917, 176−80): Ew. Excellenz haben mich mit einer durch Herrn Canzler von Müller an mich ergangenen Frage ermuthigt, Denselben über den Erfolg meiner letzten öffentlichen Vorträge gehorsamst Bericht abzustatten. Am 30. November las ich F a u s t , vor einem überfüllten Saale . . . Der nächste Freitag war nun für H e l e n a bestimmt. Ich erlaubte mir, diesem Gedichte eine Einleitung voranzuschicken, aus der ich hier einige Zeilen mitzutheilen wage. „. . . Heute haben wir es mit dem letztern dramatischen Werke des L e b e n d e n zu thun, bei dessen Nennung man sich jedes preisenden Beiwortes enthalten soll. Vom Glück gekrönt, hat der fast achtzigjährige Meister ein Gedicht geschrieben, welches in seinen glühenden Intentionen, in seiner mächtigen Ausführung der feurigen Brust eines Jünglings entquollen scheint. Es ist eine classisch-romantische Phantasmagorie, als Zwischenspiel zu Faust. Ob gleich zwischen den F a u s t , an dem wir uns heute vor acht Tagen erbauet, und das vor uns liegende Schattenspiel späterhin ein zweiter Theil des großen Weltgedichts eingeschoben werden dürfte, so schließt sich doch, bevor wir dieses besitzen, H e l e n a am passendsten an die vergangne Vorlesung an. Wer von uns hätte nicht bei dem wackern Puppenspieler Schütz das unsterbliche Drama F a u s t gesehen, welches in seiner naiven Keckheit so hoch über demjenigen Trauerspiel gleiches Namens steht, das zur Schande deutscher Kunst auf allen Bühnen gegeben wird und in welchem der Held zu einem tönenden Erz und einer klingenden Schele, zu einem wahren Klingemann geworden ist2). Jenes alte Puppenspiel enthält im vierten Acte die der volksthümlichen Tradition getreue Scene, daß der Teufel, der gar nicht mehr weiß, wodurch er Faust auf’s neue und fester an sich ketten soll, seine Sinne auf die Reize der alten griechischen Helena zu richten weiß, „um deren willen Troja zerstört worden ist“. Er beschwört sie aus der Unterwelt herauf. In diesem Augenblick wird das altdeutsch-christliche Puppenspiel, seiner selbst unbewußt, zur heidnischen Mythe. Von der schönen Leiche abgewendet, liegt Faust auf seinen Knieen und betet. Da umwittert ihn die neue Lockung der Hölle, es umweht ihn trügerischer Duft der Verwesung. „Ist sie dann wirklich so schön?“ ruft er aus, blickt um sich, taumelt in ihre Arme, Reue und Buße sind vergessen, Mephisto hat seinen Willen. An diese kindlich-kindischen Klänge hat der größte Dichter, der Lebensvolle und Lebendige, seine jugendliche Greisenarbeit geknüpft. Wir finden uns am Palast des Menelaus zu Sparta. Helena tritt auf, mit dem

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) Gedruckt in: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik. Berlin Nr. 233 v. 24. Nov 1827, S. 931. − Der damals 21-jährige Jurastudent Alfred Nicolovius war ein Sohn von G’s Nichte Luise geb. Schlosser. 2 ) August Klingemann: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815.

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Chor gefangener Trojanerinnen. Form wie Inhalt versetzen uns in die alte griechische Tragödie. Wir glauben wirklich Helena in die Heimath treten zu sehen. Wir glauben sie wirklich mit dem Gatten herbeigeschifft, nun zu seiner Stadt vorausgesandt, sich freuend an der wiedergefundnen, langentbehrten Heimath, an dem Besitze wohlerhaltner, königlicher Pracht. Aber da erscheint Mephisto, in der Maske einer alten, vom Könige zurückgelassenen Schaffnerin des hohen Hauses, Phorkyas mit Namen. Vor dieser greulichen Erscheinung entsetzen sich Helena und der Chor und geben ihr Entsetzen in den schwärzesten Bildern kund. Phorkyas schilt derb, schier aristophanisch, die schmähenden Weiber, und es giebt An-und Gegenreden, in welchen sie sich das Ärgste sagen. Doch nun will ich das Gedicht sprechen lassen. Aus dem Schluß der ersten Scene wird Ihnen klar werden, wie meisterhaft uns Helena in ihren eigenen Worten andeutet, daß sie nur ein Phantom, aus der Unterwelt heraufbeschworen, ist. Sie selbst weiß nicht, ob sie lebt oder zu leben träumt. So schmelzen Vergangenheit, Gegenwart, ja Zukunft in eins zusammen. − Sie sinkt! − Drommeten erklingen − Nebel umhüllen alles − und siehe da, wir sind dem Alterthum entrückt, im Mittelalter uns befindend. Hier tritt Faust auf, hier verkündet die romantische Sprache seine Zeit; hier verbindet er sich mit Helena. Aber auch damit begnügt sich der allgewaltige Dichter nicht. Er will nicht nur, dem alten Rechte des Poeten gemäß, ein rückwärts gekehrter Prophet seyn. Sein Gedicht wendet sich auch der andern Seite des Lebens zu, in der w i r leben. Aus dem Bunde Fausts mit Helenen entspringt ein Jüngling, Euphorion mit Namen; dieser Jüngling (er stirbt in Begeisterung für Griechenland) − wer sollt’ es anders seyn als Lord Byron. I h m hat Goethe hier ein Denkmal gesetzt, um welches spätere Geschlechter den großen Todten noch beneiden sollen. Aus dem Bunde romantischer Gluth, die der reflectirende, unbefriedigte Faust mit heidnischer Sinnlichkeit geschlossen, ist dieses Wunderkind erwachsen, um in eignen Flammen aufzulodern. Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich des klareren Verständnisses wegen nicht so schnell und d r a m a t i s c h lese wie sonst, sondern mehr d e c l a m a t o r i s c h die Einzelheiten herauszuheben suche. Wer das Werk kennt, wird mir freilich leicht folgen. Wer es nicht kennt, den möge mein höchst unvollkommner Vortrag wenigstens dazu anregen, sich nachher genauer damit bekannt zu machen“, etc. Ich habe Ew. Excellenz diese Stelle aus meiner Einleitung vorlegen wollen, um den Standpunct gewissermaßen zu bezeichnen, auf den ich mich zu meinem Auditorium gestellt habe. Ich halte mich in dieser Beziehung aus drei Gründen für glücklicher als ein Schauspieler. Erstens, weil mir die Wa h l überlassen ist; zweitens, weil kein andrer mir etwas verderben oder meiner Bestrebung entgegenwirken kann; drittens, weil ich ein Vor-und Nachwort geben darf. So ist es mir denn gelungen, mich der schwierigen Aufgabe, die mir durch Helena geworden, nicht ganz unwürdig zu zeigen. Der Enthusiasmus, den dies merkwürdige Werk erregte, war so groß, daß er sich mehrmals − was sonst in meinem Saale n i e der Fall ist − laut äußerte und besonders beim Eintritt des R e i m e s , bei Fausts A r k a d i e n und beim K l a g e c h o r förmlich ausbrach. Ich sagte am Ende, daß ich es nun (auf Byron so göttlich vorbereitet) für Pflicht hielte, die nächste Versammlung i h m zu weihen. Dies ist auch erfolgt, und ich habe vorgestern seinen S a r d a n a p a l gelesen, von dem jedoch nur die letzten Acte recht erwärmten. − − Ich soll so glücklich seyn, vor Ablauf dieses Winters das theure Weimar, mein geliebtes und gelobtes Land, wiederzuschauen.

Dez 20. [Bremen] C. J. L. Iken an G (Schulz 1971, 181−83): Einer der ersten Kenner der französischen Sprache, der in seiner Vermessenheit so weit ging, sogar an den Werken eines Genies wie Goethe hie und da in kleinlichen Dingen etwas aussetzen zu wollen, strafte ich für seine Anmaßung dadurch, daß ich ihn fragte, was Aure´ole hieße? und siehe da, er wußte es nicht, er mußte bekennen, in seiner Kenntniß des Französischen einem Goethe doch nachzustehen. Ich ließ ihn erst im Wörterbuch das Gesuchte finden und zeigte ihm die Stelle in der „Helena“, wo es als Heiligenschein vorkommt.1) − 1

) Zum Begriff Aureole s. oben 27. Sept 1827: an Iken, Beilage.

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Gute Lehre für alle solche Uebermüthige, die eines Zügels bedürfen. Es scheint mir indeß überdies gewiß zu seyn, was ich früher bemerkte, daß dieser Ausdruck doch wol im Mittelalter aus Ideen der Magie und Nekromanie entstanden und so in die französische Sprache möge eingewandert seyn. A u r ´e o l e kommt offenbar von dem lateinischen a u r e u m und a u r e o l u s , golden oder goldglänzend, womit man den hellstrahlenden Heiligenschein bezeichnen wollte, dessen ringförmige Gestalt freilich wohl schon auf pompejanischen und herkulanischen Gemälden vorkommen mag, was allerdings merkwürdig genug ist. Von daher könnte sich auch vielleicht das Wort a u r ´e o l e schreiben, das nicht unwahrscheinlich schon bei den späteren Lateinern vielleicht vorkommen möchte. Außerdem haben die Franzosen auch die Wörter n i m b e und g l o i r e in der Bedeutung von: Heiligenschein. Wenn mancher Ihrer Leser die Räthselsprache der Helena und andrer Ihrer Werke nicht zu ergründen vermag, so fällt mir dabei unwillkürlich die Stelle aus „Faust“ ein, wo der Schüler sagt: „Kann Euch nicht eben recht verstehn“, welcher dann die Antwort erhält: „Das wird nächstens schon besser gehen“ [1942f.] . . . So werden wir also der Räthsel nicht los und hoffen umsonst auf Lösung. Aber ich möchte fragen: Ist das gut gethan? ist es nicht eine Art von geistigem Versteckspielen? und wenn die Lösung nun so tief versteckt ist, daß sie absichtlich nicht gefunden werden soll und kann, werden wir dadurch gefördert? und kann der Dichter dadurch gewinnen, daß er völlig a l l e i n wandert auf unwegsamen, einsamen Pfaden, wohin ihm keiner zu folgen vermag, wo er ganz allein steht? ist das wohl gethan? . . . so ist im Faust noch Manches aufzuklären. Auch „Helena“ ist nicht für eine ästhetische Te r t u l i a geschrieben. Auf Hieroglyphen treffen wir überall, wie das denn freilich auf klassischem Boden nicht anders seyn kann, wenn wir Hellas und Aegypten finden wollen.

1828 Jan 24. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Zelter gD, S. 745) [Febr K. v. Holtei, Vierzig Jahre2) (GG 3.2, 297f.): Ew. Exzellenz, sagte ich, denn jetzt wollte 9.]1) ich doch etwas Positives mitnehmen, ich soll morgen [?] die zu Faust gehörige „Helena“ vorlesen3). Ich habe mir zwar alle Mühe damit gegeben, aber alles verstehe ich doch nicht. Möchten Sie mir nicht zum Beispiel erklären, was eigentlich damit gemeint sei, wenn Faust an Helenas Seite die Land-Gebiete an einzelne Heerführer verteilt? Ob eine bestimmte Andeutung . . . Er ließ mich nicht ausreden, sondern unterbrach mich sehr freundlich: Ja, ja, ihr guten Kinder, wenn ihr nur nicht so dumm wäret? − Hierauf ließ er mich stehen etc. 12. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: N. Borchardt an G gD, EGW 7, 149) 20. J.-J. Ampe`re [Rez.]: He´le`ne, Fantasmagorie classico-romantique, Interme`de pour la suite de Faust, Par Goethe. In: Le Globe. Tome VI. No. 34, p. 209−11:4) Le Faust que nous connaissons ne forme la pense´e de Goethe que le premier fragment d’une trilogie que nous pouvons encore espe´rer de voir paraıˆtre tout entie`re. La production extraordinaire que nous annonc¸ons aujourd’hui n’est point destine´e `a entrer dans le corps

1

) Gräf II 2, 433 zufolge, ergibt sich der 9. Febr als wahrscheinliches Gesprächsdatum, da Holtei während seines Weimar−Aufenthalts von Ende Jan bis Anf. Apr, laut G’s Tgb, nur zweimal Mittags zu Gast bei ihm war: am 9. Febr u. 8. März 1828. 2 ) Verfaßt 1845. 3 ) Die Vorlesung der Helena fand am 29. Febr 1828 statt. 4 ) G erhielt die Rez. vermutl. am 27. Febr 1828; er verwies auf sie in KA VI 2 (1828) 429f.; s. dazu „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau, EGW 7, 148−56.

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de l’ouvrage: ce n’est pas une sce`ne du drame, c’est un interme`de fait pour ˆetre place´ entre la seconde et la troisie`me partie. Par son ´etendue, par son sujet, sans lien imme´diat avec ce que nous posse´dons de Faust, He´le`ne se pre´sente comme un ouvrage `a part. Goethe a pu le de´tacher de l’ensemble de son ouvrage, pour le faire paraıˆtre isole´ment dans la premie`re partie de l’edition comple`te de ses œuvres, qu’il publie maintenant; et nous pourrons ainsi le conside´rer en lui-meˆme, en ne nous dissimulant pas cependant qu’une partie de l’obscurite´ qu’il peut presenter doit tenir `a ce mode de publication. Cet ´etonnant ouvrage, jete´ ainsi dans le monde sans pre´ambule, sans explication, peut sembler au premier coup-d’œil une poe´tique ´enigme. Goethe ne craint point que ses productions ne fassent quelquefois cette impression sur son public; il se plaıˆt `a l’enchaıˆner `a la fois et par ce qu’il lui montre et par ce qu’il lui laisse deviner. Bien diffe´rent de ces auteurs qui font avec grand soin l’histoire de leur inspiration et le commentaire de leurs ´ecrits, Goethe se plaıˆt `a de´daigner des ´eclaircissements quelquefois utiles. Il se sent assez riche en inspirations poe´tiques pour renoncer `a l’honneur de quelques-unes; il compte assez sur les beaute´s qu’il offre `a l’admiration pour ˆetre su ˆr que quelques myste`res ne la de´courageront pas. Il y a de ces myste`res dans He´le`ne, mais il me paraıˆt qu’on peut saisir la pense´e ge´ne´rale, et que cette pense´e est grande. La tradition consigne´e dans la vieille histoire de Faust, et suivie par les joueurs de marionettes, qui en sont encore en possession en Allemagne, fournissait `a Goethe le moyen de faire paraıˆtre He´le`ne dans ce tableau, ou ` on ne s’attend peut-eˆtre pas `a le rencontrer. Cette tradition rapporte que, sur la demande de Faust, Me´phistophe´le`s ´evoqua pour lui la belle He´le`ne de Troie, que Faust aima ce fanto ˆme, et qu’il en eut un fils. Voila` la donne´e primitive; voyons maintenant ce qu’a fait Goethe . . . Dans le cadre fantastique d’He´le`ne, il semble avoir voulu repre´senter symboliquement, et sous le point de vue poe´tique, l’antiquite´, le moyen age, et le temps pre´sent. Mais ce symbole n’est point, Dieu soit loue´, une alle´gorie exacte et glace´, qui puisse d’un bout `a l’autre se traduiere en un syste`me d’histoire ou de critique. On entrevoit ¸c`a et la` l’ide´e de l’auteur, mais on l’oublie souvent et lui-meˆme se plaıˆt `a l’oublier, entraıˆne´ par la poe´sie des details et la vie de l’ensemble. Il ne faut donc se server de l’explication que je hasarde que comme d’une indication ge´ne´rale, et non comme d’une solution comple`te. C’est un faible jour qui ´eclaire ce beau labyrinthe, mais qui deviendrait une clarte´ trompeuse si on croyait pouvoir par son moyen en reconnaıˆtre tous les points et en bannir toutes les ombres. Cela pose´, je vais donner l’analyse la plus exacte qu’il me sera possible de cette production extraordinaire. Je ne m’interromprai point pour louer ou pour blamer des de´tails. Dans un pareil ouvrage, c’est l’effet du tout sur le lecteur qui doit ˆetre la mesure de son jugement. D’ailleurs il ne faut pas oublier le titre de Goethe: c’est ici une apparition de fanto ˆmes, c’est un songe; un songe ne se discute pas, il se raconte. [Folgt Inhaltsbeschreibung] De`s lors le myste`re s’explique. Tout ce qui vient de se passer, l’existence d’He´le`ne, la naissance, la mort d’Euphorion, ´etait un enchantement. Me´phistophe´le`s a joue´ avec des fanto ˆmes, et en a amuse´ Faust. Le poe`te ne nous a pas averti; il nous a laisse´ dans l’illusion, nous faisant soupc¸onner le prestige, mais ne nous le montrant clairement que quand il est ´evanoui. Mais tandis que cette phantasmagorie amusait notre imagination, n’y a-t-il pas eu un autre spectacle pour notre esprit? Notre vision n’a-t-elle pas commence´ dans la paisible et belle antiquite´? n’avons-nous pas ´ete´ emporte´s dans un brouillard au sein de la chevalerie et du moyen age? et enfin n’e´tait-ce pas le symbole de la poe´sie de ce temps que cet Icare personnifie´ dans le ge´nie de Lord Byron, `a qui la terre ne peut suffire, et qui ne peut atteindre le ciel et se pre´cipite en voulant s’e´lancer. Ce singulier ouvrage commence dans un monde fantastique, dans un temps recule´, et, traversant les sie`cles, vient finir tout pre`s de nous par des allusions `a un poe`te que nous avons connu, `a une guerre qui dure encore: ce sont quarante sie`cles qu’on reˆve sans sortir d’un nuage. Peut-eˆtre y a-til un inconve´nient attache´ `a toute alle´gorie dans les arts; peut-eˆtre y en a-t-il un plus grand `a prendre l’art meme pour objet de l’art. Mais il faut songer que ceci est un jeu de la poe´sie, un interme`de magique, enfin un songe en beaux vers, pour lequel il y ˘

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aurait de l’injustice `a se montrer se´ve`re si, `a travers une foule d’images gracieuses et frappantes, on entrevoit de grandes pense´es. Enfin tout autre sentiment que celui de l’admiration cesse, quand on songe qu’au bout d’une carrie`re si glorieusement remplie et qu’on pouvait croire acheve´e, l’illustre vieillard de Weimar a su produire, apre`s un si grand nombre de chefs-d’œuvre, un ouvrage si diffe´rent de ses autres ouvrages, ou ` se trouvent tant de jeunesse d’imagination, tant de finesse d’aperc¸us, tant d’e´nergie de langage, et que lui seul enfin pouvait avoir la hardiesse de concevoir et d’exe´cuter.

Febr 28. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Reichel an Cotta gD) 29. Abends für mich . . . Töpfer1) kam aus der Vorlesung und gab Nachricht

von dem Vortrag der Helena. März 1. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 150) 2. Zu Mittag Landesdirections-Rath Töpfer. Mannigfaltige Gespräche über

. . . die Vorlesung von Holtei2) . . . [Nachmittags] Auch Holteis Vorlesung. 5./6. [Weimar] F. Soret an P. E. L. Dumont (Zehn Jahre 222f.):3). . . lasen Sie im „Globe“ einen ausgezeichneten Artikel über Goethes „Helena“,4) ein höchst bedeutendes Werk; ich nehme an, er stammt von Ampe`re, der nicht gewußt zu haben scheint, daß der erste Teil des Gedichts schon fünf Jahre alt ist; der zweite, worin der wunderbare Euphorion erscheint, der kein anderer als Byron ist, stammt aus der letzten Zeit, Goethe hat also noch nach seinem siebzigsten Jahre solche von Kraft und Originalität strotzenden Verse schreiben können. Dieser Mann altert nie! . . . Ich hörte Holtei [am 28. Febr] die „Helena“ vorlesen; er ist neben Tieck einer der besten deutschen Vorleser; er kam von Berlin, wo er viel Erfolg hat, und hält hier zwölf Vortragsabende, auf die sich sehr viel Leute abonniert haben. 7. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an John A. Carlyle gD, EGW 7, 151) 12., 14. u. 15. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 151) 24. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) Apr

2. [Craigenputtock] Th. Carlyle [Rez.]: Goethe’s Sämmtliche Werke.Vollständige Ausgabe letzter Hand. First Portion, vol. 1−5. In: The Foreign Review, and Continental Miscellany. Vol. 1. London 1828. No 2, 442f., 450, 466f.:5) [442f.:] And now . . . we arrive at Helena, the ’Classico-romantic Phantasmagoria’, where these Adventurers, strangely altered by travel, and in altogether different costume, have again risen into sight . . . Faust and Helena, though separated by some wide and marvellous interval, are nowise disconnected. The characters may have changed by absence; Faust is not longer the same bitter and tempestuous man, but appears in chivalrous composure, with a silent energy, a grave, and, as it were, commanding ardour. Mephistopheles alone may retain somewhat of his old spiteful shrewdness; but still the past state of these personages must illustrate the present; and only by what we remember of them, can we try to interpret what we see. In fact, the style of Helena is altogether new: quiet, simple,

1

) Der von G geschätzte Jurist u. Landesdirektionsrat Martin Christian Victor Töpfer in Weimar. 2 ) s. oben 29. Febr 1828: Tgb. 3 ) Zum Vorangehenden s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“. 4 ) Rez. von Jean Jacques Ampe`re in: Le Globe VI 34 (20.2.1828) 209ff. 5 ) G erhielt die Rez. vermutl. am 1. Mai 1828; er verwies auf sie in KA VI 2 (1828) 429f.; s. dazu „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau, EGW 7, 148−56.

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joyful; passing by a short gradation from Classic dignity into Romantic promp; it has everywhere a full and sunny tone of colouring; resembles not a tragedy, but a gay gorgeous mask. Neither is Faust’s former history alluded to, or any explanation given us of occurrence that may have intervened. It is a light scene, divided by chasms and unknown distance from that other country of gloom. Nevertheless, the latter still frowns in the background; nay, rises aloft, shutting out further view, and our gay vision attains a new significance as it is painted on that canvass of storm. We question whether it ever occurred to any English reader of Faust, that the work needed a continuation, or even admitted one. To the Germans, however, in their deeper study of a favourite poem, which also they have full means of studying, this has long been no secret; and such as have seen with what zeal most German readers cherish Faust, and how the younger of them will recite whole scenes of it, with a vehemence resembling that of Gil Blas an his Figures Hibernoises, in the streets of Oviedo, may estimate the interest excited, in that country, by the following Notice from the Author, published last year in his Kunst und Alterthum.1) . . . [450:] To our own minds, at least, there is everywhere a strange, piquant, quite peculiar, charm in these imitations of the old Grecian style; a dash of the ridiculous, if we might say so, is blended with the sublime, yet blended with it softly, and only to temper its austerity; for often, so graphic is the delineation, wo could almost feel as if a vista were opened through the long gloomy distance of ages, and we, with our modern eyes and modern levity, beheld afar off, in clear light, the very figures of that old grave time; saw them again living in their old antiquarian custume and environment, and heard them audibly discourse in a dialect which had long been dead. Of all this no man is more master than Goethe: as a modern-antique his Iphigenie must be considered unrivalled in poetry. A similar, thoroughly classical spirit will be found in this First Part of Helena; yet the manner of the two pieces is essentially different. Here, we should say, we are more reminded of Sophocles, perhaps of Aeschylus, than of Euripides: it is more rugged, copious, energetic, inartificial; a still more ancient style. How very primitive, for instance, are Helena und Phorcyas in their whole deportment here! How frank and downright in speech; above all, how minute and specific; no glimpse of ’philosophical culture’, no such thing as a ’general idea’, thus, every different object seems a new unknown one, and requires to be separately stated. In like manner, what can be more honest and edifying than the chaunt of the Chorus? With what inimitable naı¨vete´ they recur to the sack of Troy, and endeavour to convince themselves that they do actually see this ’horrible Thing’; then lament the law of Destiny which dooms them to such ’unspeakable eyesorrow’; and, finally, break forth into sheer cursing; to all which, Phorcyas answers in the like free and plain-spoken fashion . . . [466f.:] Such is Helena, the Interlude in Faust. We have all the desire in the word to hear Mephisto’s Epilogue; but far be it from us to take the world out of so gifted a mouth! In the way of commentary on Helena, we ourselves have little more to add. The reader sees, in general, that Faust is to save himself from the straits and fetters of Worldly Life in the loftier regions of Art, or in that temper of mind by which alone those regions can be reached, and permanently dwelt in. Further, also, that this doctrine is to be stated emblematically and parabolically; so that it might seem as if, in Goethe’s hands, the History of Faust, commencing among the realities of every-day existence, superadding to these certain spiritual agencies, and passing into a more ae¨rial character as it proceeds, may fade away, at its termination, into a phantasmagoric region, where symbol and thing signified are no longer clearly distinguished; and thus the final result be curiously and significantly indicated, rather than directly exhibited. With regard to the special purport of Euphorion, Lynceus, and the rest, we have nothing more to say at present; nay, 1

) Folgt Wiedergabe der Ankündigung Helena. Zwischenspiel zu Faust, KA VI 1(1827) 200–03 u. detaillierte Inhaltsangabe.

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perhaps we may have already said too much. For it must not be forgotten by the commentator, and will not, of a surety, be forgotten by Mephistopheles, whenever he may please to deliver his Epilogue, that Helena is not an Allegory, but a Phantasmagory; not a type of one thing, but a vague, fluctuating, fitful adumbration of many. This is no Picture painted on canvass, with mere material colours, and steadfastly abiding our scrutiny; but rather it is like the Smoke of a Wizard’s Cauldron, in which, as we gaze on its flickering tints and wild splendours, thousands of strangest shapes unfold themselves, yet no one will abide with us; and thus, as Goethe says elsewhere, ’we are reminded of Nothing and of All’.

Apr 11. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: W. Fraser an G gD, EGW 7, 151) 16. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an John A. Carlyle gD, EGW 7, 151) 18. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an G gD, EGW 7, 151f.) Mai

1. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an N. Borchardt u. Tgb gD, EGW 7, 152f.) 2. (s. „Edinburgh Reviews“: Tgb gD, EGW 3, 174) 21. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Zelter gD, EGW 7, 153f.)

[Ende] [Weimar] Eckermann an W. Fraser (Bode 3, 258f.): Die Verbreitung der Goetheschen Werke durch treue, würdige Übersetzungen wird für die englische Literatur ein großer Gewinn sein und auf eine Bildung eigener Art einwirken. Mr. Carlyle hat sehr recht, wenn er sagt, daß Goethe unter allen modernen Autoren der einzige ist, in dem die hohe Kultur der alten Griechen fortlebte. Von der Natur an Leib und Seele durchaus als ein vollkommener Mensch ausgestattet, hat er seine angeborene Gesinnungsweise an den Werken griechischer Literatur und besonders der bildenden Kunst entwickelt, welche Studien bis in sein hohes Alter heraufgehen und täglich als eine Art von Stärkung und Erfrischung fortgesetzt werden. Solche menschlich vollkommene Gesinnungsweise, solche gleichmäßig verfolgte Studien, verbunden mit einer bewunderungswürdigen Penetration und Belebung des Vergangenen, und ein Darstellungstalent der ersten Art erklären es denn einigermaßen, wie Goethe die „Ilias“ [in der Achilleis] hat fortsetzen, die toten Fragmente des „Phae¨thon“ von Euripides zu einem Ganzen beleben und jetzt in der „Helena“ eine Tragödie im Sinne des Sophokles hat beginnen können. Ja diese letzte gelungene Tat läßt mit Recht bedauern, daß er nicht schon in früherer Zeit einige alte Mythen auf solche antike Weise zu Tragödien behandelt hat. Juni 14. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Frommann gD, EGW 7, 154) 15. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Th. Carlyle u. Eckermann an Carlyle gD, EGW 7, 154f.) 24., 25., 28. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Tgb gD) Juli

1. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD) 2. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Tgb gD) 6. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD) 28. [Wilhelmsthal] F. Soret an G (Zehn Jahre 257): Bald werden wir auch die „Helena“ übersetzt sehen; was wird das wieder für eine unerschöpfliche Fundgrube sein; sie wird dem Maler ganz neue Kompositionsmotive vermitteln . . .

Aug 25. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an John A. Carlyle gD, EGW 7, 156) 28. [Bremen] C. J. L. Iken an G (Schulz 1971, 196): Sollte ich in meinen Wünschen wegen Aufklärung der „Helena“ in meinem vorigen Briefe [vom 20. Dez?] zu voreilig und zu kühn gewesen seyn, so bitte ich deshalb reumüthig um Verzeihung. Ich sehe wol, daß

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ich darin etwas zu weit gegangen bin, denn ein Gedicht muß auch v i e l zu denken geben. [Sept 1.] W. Biedermann, Goethe und Dresden1) (GG 3.2, 333): Als Kraukling2) Gerhards3) Auftrag [Einladung G’s nach Leipzig] ausgerichtet, erwiderte Goethe: „Ich habe noch so viel zu tun, um meine Arbeiten zum Abschluß zu bringen, daß ich durchaus keine Reise mehr machen kann; ich versage mir sogar eine Badereise.“ Unter seinen letzten Arbeiten nannte er die „Helena“, über die er äußerte: „Sie ist eine fünfzigjährige Konzeption. Einzelnes rührt aus den ersten Zeiten her, in denen ich an den 〈Faust〉 ging, andres entstand zu den verschiedensten Zeiten meines Lebens. Als ich daran ging, alles in Einen Guß zu bringen, wußte ich lange nicht, was ich damit machen sollte. Endlich fiel mir’s wie Schuppen von den Augen; ich wußte: nur so kann es sein nicht anders!“ Okt 14. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Riemer Tagebuch gD, S. 755) Dez 9. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an Eckermann gD, EGW 7, 156)

1829 Febr

1. [Berlin, anonym] Correspondenznachrichten. Berlin, 1. Februar 1829. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 37 v. 13. Febr 1829, 147: Hr. v. Holtei verfiel jetzt darauf, die Sage von Faust selbst als Melodram zu behandeln.4) So entstand sein Melodram: „Dr. Johann Faust, oder der wunderthätige Magus des Nordens“, der gegenwärtig auf dem königstädtischen Theater Zugstück ist . . . Am gewagtesten ist die Figur der Helena, die gewissermaßen das griechische Alterthum repräsentiren soll, in dessen Studium sich Faust versenkt hat. Mephisto führt sie aus dem alten Tartarus herauf, um den Faust für ihn zu fangen; aber kaum sieht sie das Tageslicht wieder, als sie Selbständigkeit gewinnt und für ihre eignen Zwecke handelt. Sie will den Geliebten aus Deutschland, aus seinem Jahrhundert in die alte Fabelwelt Griechenlands entführen, er soll dem Christenthum entsagen und sich dem Dienst der heitern Götter weihen. Man kann dies Alles nicht anders als fabelhaft nennen. Es war freilich schwer, nach dem Vorbilde des Volksbuchs, des Puppenspiel, Göthe’s, Klingemann’s, die Sage von der Verbindung Faust’s mit Helena, der Gemahlin des Menelaos, poetisch zu gestalten; aber es mußte versucht werden, denn ohne Helena ist jetzt kein Faust mehr denkbar; nur ist dieser Versuch dem Hrn. v. Holtei völlig misglückt . . .

Mai 29. [Weimar] St. Schewyrjow an Awdotja Jelagina (GG 3.2, 413): Goethe . . . zeigte uns ein Geschenk Shukowskis, − ein Bild, das eine Harfe darstellt neben einem Stuhl, auf dem jemand gesessen hatte, jedoch verschwand, seinen Mantel liegenlassend. Der Mondschein fällt auf die Saiten. Die Idee ist der ,Helena‘ entnommen. Goethe ist mit diesem Geschenk sehr zufrieden.5) 1

) Veröffentlicht 1875. ) Der Hsg. der Dresdner Morgenzeitung Carl Constantin Kraukling (1792−1873). 3 ) Der Leipziger Archäologe Friedrich Wilhelm Eduard Gerhard (1795−1867). 4 ) Zu Holteis Beschäftigung mit der Helena s. oben 17. Dez 1827: Holtei an G; zum Melodram „Faust. Eine Tragödie“ 1828 Apr 8., Mai 14., Juni Anf., 13., 19., Dez 26.: Holtei an A. v. Goethe u. die Rez. 1829 Jan 15. u. 17. sowie 23./24. Jan 1829: Zelter an G. 5 ) Vgl. nach 99944: . . . Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen. Phorkyas zu Faust: Halte fest was dir von allem übrig blieb, / Das Kleid laß es nicht los . . . Phorkyas Nimmt Euphorions Kleid Mantel und Lyra von der Erde . . . hebt die Exuvien in die Höhe und spricht: . . . Hier bleibt genug Poeten einzuweihen. 2

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⎯ [Weißenfels] A. G. A. Müllner: Werke. Dritter Supplementband: Anthologie der geistreichsten und witzigsten Gedanken Müllners über Kunst, Literatur und Leben, hsg. v. F. K. Julius Schütz. 2 Bdchen. Meißen 1830, 165−69: Ein schweres Räthsel hat Göthe neuerlich den Kunstfreunden und Kunstrichtern aufgegeben; wir meinen seine Helena, classisch-romantische Phantasmagorie, Zwischenspiel zum Faust, im vierten Bande der neuen Ausgabe seiner Werke, S. 230 bis 307. Denken wir uns nun das neue Zwischenspiel, das vorliegende Helenenspiel, in einen zweiten Theil des Faust eingeschaltet; so kann es zwar der Vorwurf des ermangelnden Zusammenhanges mit dem Faust nicht treffen, denn dieser ist wesentlich mithandelnde Person desselben; wohl aber ein anderer, denn es giebt sich nicht, wie die Blocksbergsscene, für Wirklichkeit, sondern für eine phantasmagorische Spiegelfechterei, die Mephistopheles dem Faust vorgaukelt, indem er selbst in eine alte, hässliche, schmählende Dienerin des Hauses Menelas verkleidet, eine Rolle darin spielt. Zwar täuscht er damit auch den Leser bis an den Schluß: er spiegelt ihm eine Helena vor, die im ersten Acte einer antiken Tragödie auftritt, dann in eine gothisch erbaute und ausgeschmückte Burg entrückt wird, wo Faust als Ritter haust und ihre Liebe gewinnt. Von da versetzt er die Liebenden in ein Arkadien, wo Helena dem Faust einen Sohn gebiert, welcher als ein zweiter Ikarus untergeht. Endlich lässt er Helenen in Faust’s Armen verschwinden, so, daß er nur ihre Kleider behält, welche sich in Wolken verwandeln und den Faust selbst durch die Lüfte hinwegführen. Erst nachdem unter den Wechselreden des zurückgebliebenen Chors von Trojanerinnen der Vorhang gefallen ist, richtet sich Phorkyas im Proscenium auf, tritt von den Kothurnen herunter, und zeigt sich als Mephistopheles, um, in sofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu commentiren. Dadurch wird alle Illusion, welche die Phantasmagorie dem Leser gemacht haben könnte, so entschieden wiederum zerstört, daß er nicht einmal mehr unterscheiden kann, ob bloß Helena dem Faust oder auch der Faust selbst ihm (dem Leser) vorgegaukelt worden ist. So viel wir wissen, hat von den zahlreichen Enthusiasten, welche über Göthe schreiben, noch keiner den „Commentar des Stückes“ geliefert, welchen der Mephistopheles der Welt schuldig verblieben ist. Inzwischen hat in dem französischen Journal le Globe ein Kunstrichter voll französischer Höflichkeit den Schlüssel des Räthsels in der Voraussetzung zu finden geglaubt,1) daß der Dichter in diesem phantastischen Rahmen symbolisch und aus dichterischem Gesichtspunkte das Alterthum, das Mittelalter und die gegenwärtige Zeit habe darstellen wollen. Er findet sogar in dem Euphorion, dem Sohne des Faust und der Helena, eine Allegorie auf − Lord Byron. Daß Göthe daran gedacht, nun das ist eben so möglich, als es gewiß ist, daß er in dem obgedachten Intermezzo des ersten Theils vom Faust das künstlerische und literarische Treiben der damaligen Zeit mit poetischen Irrlichtern und Sternschnuppen beleuchten wollte. Aber zu welchem Zwecke kann er das Eine und das Andere gewollt haben? Zu welchem Zwecke der mit der, von ihm selbst ausgesprochenen tragischen Tendenz des ganzen Faustspieles in irgend einer ästhetischen Verbindung stehen könnte. Das ist die Räthselfrage für die Kritik der tragischen Kunst und wir fürchten sehr, daß die Kritik vergebens um eine befriedigende Lösung derselben sich bemühen wird. Das hätte inzwischen nichts zu sagen, wenn nur dem Leser der Genuß der einzelnen Schönheiten durch die Dunkelheiten der Allegorie und durch eine überkünstlich gesuchte Hieroglyphenhaftigkeit der symbolischen Andeutungen nicht allzusehr verkümmert würde. Und an einzelnen Reizen ist dieses Fragment wohl so reich als irgend ein abgeschlossenes Werk aus den Tagen von Gö-

1

) Rez. von J. J. Ampe`re in der Zft. Le Globe vom 20. Febr 1828; wird von G angezeigt in KA VI 2, 429f.; zur Entstehung der Anzeige s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“, EGW 7, 148−156.

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the’s Kraft; wie es denn auch wohl noch in den Tagen der Kraft gedichtet seyn mag. Es hat freilich auch Fehler genug, Fehler einer grammatikalischen und stylistischen Nonchalance, die man bisweilen die Göthe’sche Bequemlichkeit nennen möchte. Ueberhaupt wird diese Dichtung so langweilig steif sie auch von vorn herein (den Styl der antiken Tragödie fast mehr parodirend als nachahmend) auf dem Kothurn sich bewegt, um so anziehender, je mehr sie in den Styl einer idealischen Oper übergeht, und ihr Ausdruck zum Gesange wird. Die Scenen, in welchen Euphorion waltet, sind die schönsten, und dieses Geschöpf der Phantasie ist so voll Wahrheit und Leben, daß es Schade wäre, wenn man nichts darin erblicken wollte, als eine Anspielung auf Lord Byrons kräftiges, aber verworrenes Dichternaturell. Lassen wir also diesen commentarischen Einfall dem französischen Globe und ergötzen wir uns an der lebenden Gestaltung ohne Commentar.

März 17. [Weimar] Eckermann, Gespräche (FA II 12, 393): So, sagte ich, stand auch in dem Manuskript Ihrer Helena, daß Theseus sie entführet als ein zehenjährig schlankes Reh. Auf Göttlings Einwendungen1) dagegen haben Sie nun drucken lassen: ein siebenjährig schlankes Reh, welches gar zu jung ist, sowohl für das schöne Mädchen, als für die Zwillingsbrüder Castor und Pollux, die sie befreien. Das Ganze liegt ja so in der Fabelzeit, daß niemand sagen kann wie alt sie eigentlich war, und zudem ist die ganze Mythologie so versatil, daß man die Dinge brauchen kann wie es am bequemsten und hübschesten ist. „Sie haben Recht, sagte Goethe; ich bin auch dafür, daß sie zehn Jahr alt gewesen sei als Theseus sie entführet, und ich habe daher auch später geschrieben: vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt [6530]. In der künftigen Ausgabe mögt Ihr daher aus dem siebenjährigen Reh immer wieder ein zehnjähriges machen.“2) 21. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 395): „Der Begriff von classischer und romantischer Poesie, der jetzt über die ganze Welt geht und so viel Streit und Spaltungen verursacht, fuhr Goethe fort, ist ursprünglich von mir und Schiller ausgegangen.3) Ich hatte in der Poesie die Maxime des objektiven Verfahrens, und wollte nur dieses gelten lassen. Schiller aber, der ganz subjektiv wirkte, hielt seine Art für die rechte, und, um sich gegen mich zu wehren, schrieb er den Aufsatz über naive und sentimentale Dichtung. Er bewies mir, daß ich selber, wider Willen, romantisch sei4) . . . Die S c h l e g e l ergriffen die Idee und trieben sie weiter, so daß sie sich denn jetzt über die ganze Welt ausgedehnt hat und nun jedermann von Klassizismus und Romantizismus redet, woran vor funfzig Jahren niemand dachte.“ Mai 16. [Jena] Göttling an G (GSA 28/142 Bl. 151): Neulich habe ich mich sehr ergötzt, daß das Sirenenepigramm auf die Helena, nach einer Nachricht in einer Zeitschrift, von Ew. Excellenz eigentlich für die Sängerin Sonntag bestimmt gewesen sey, zu vernehmen. Das Publicum ist wirklich noch dümmer zuweilen als Treufreund es machen kann.5) Nov 27. [Leipzig, anonym] Ueber die Helena von Göthe. In: Blätter für literarische Unterhaltung Nr. 331 v. 27. Nov 1830, 1321f.: Es ist wol fast überflüssig, zu bemerken, daß alle diese Handlungen allegorisch zu deuten sind, und daß überhaupt das ganze Gedicht sich nach und nach immer allegorischer gestaltet. In der ersten Hälfte lief das Mär-

1

) s. oben 27. Okt 1826: Göttling an G. ) In H blieben jedoch die unterschiedlichen Altersangaben bestehen: 6530 (zehn Jahre), 7426 (sieben Jahre) u. 8850 (dreizehn Jahre); vgl. Lesarten W 15.2, 93 u. FA 7.2, 545. 3 ) Es ist der Helena-Akt, in dem beide Dichtungsformen entschieden hervortreten und eine Art von Ausgleichung finden (16. Dez 1829: Eckermann Gespräch). 4 ) Zum Nachfolgenden s. „Iphigenie auf Tauris“. 5 ) s. oben 29. Juli 1827: Tgb. 2

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chenhafte neben der Allegorie einher; jetzt verschlingt und verdrängt diese jenes ganz. Ob das Gedicht dadurch gewonnen, möchte zu bezweifeln sein, wenigstens däucht es uns, als ob durch jene allmälige Verwandlung das Gedicht an Klarheit und Frische verloren habe; es mag dies aber auch daher rühren, daß die Allegorie selbst sich nicht lebendig genug gestaltet, vorzüglich, weil ein Schwanken zwischen dem Allegorischen und dem Wirklichen (der Hindeutung und Beziehung auf Lord Byron) immer sichtbar bleibt. Helena wird nun ihrerseits ebenfalls von dem ihr fremden Element entzückt und eingenommen, die Liebe schließt fester diesen Bund . . . Die Figur, die nun aus dieser Verbindung entsteht, ist wiederum allegorisch, obwohl es aus gar vielen Stellen ziemlich gewiß hervorgeht, daß Göthe sich eine bekannte Persönlichkeit, Lord Byron nämlich, darunter gedacht. Die germanische Kraft, die sich mit der griechischen Schönheit gattet, erzeugt die moderne Kunst. Diese tritt in engerer Bedeutung als die Kunst der Poesie in der wunderbaren Gestalt Euphorion’s auf. Bildlich führt nun der Dichter an ihm das ganze Schicksal der Kunst, die von Menschen geübt wird, vorüber . . . Indem nun Euphorion in diesem höchsten Streben untergeht, wird eben dadurch die Poesie, die in ihm lebt und die an nichts Irdisches gefesselt sein will, erhoben und verklärt . . . Durch diesen Untergang Euphorion’s ist nun aber auch das Band zwischen Helena und Faust aufgelöst . . . So löset sich das ganze Gedicht luftig wieder auf, wie es luftig als eine Phantasiegeburt begonnen hat.

Dez

6. [Weimar] Eckermann an Th. Carlyle (Norton 245):1) Es steht mir zwar nicht zu Ihnen zu rathen, wäre ich jedoch an Ihrer Stelle, so würde ich sicher für meine Nation etwas dankbares unternehmen, wenn ich die schönsten Mussestunden einiger Jahre auf eine treue Uebersetzung des Faust verwendete. Die Proben Ihrer Helena2) haben zur Genüge gezeigt, dass Sie nicht allein das deutsche Original vollkommen verstehen, sondern auch Ihre eigene Sprache genugsam in Ihrer Gewalt haben, um das Empfundene und Verstandene anmuthig und geistreich wieder auszudrücken.3)

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4. An Zelter (Br 48, 72): Genug! Helena tritt zu Anfang des dritten Acts,

nicht als Zwischenspielerin, sondern als Heroine, ohne weiteres auf. Der Decurs dieser dritten Abtheilung [= Akt] ist bekannt . . .4) 22. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Nachtrag zu Goethes Testament gD, S. 796) [März 3.] [Königsberg] Dr. Lehrs5): Ueber die Darstellung der Helena in der Sage und den Schriftwerken der Griechen (Mit Beziehung auf Göthe’s Helena). In der Sitzung am 3. März 1831 vorgetragen. In: Historische und literärische Abhandlungen der königlichen deutschen Gesellschaft in Königsberg, hsg. v. F. W. Schubert. Zweite Sammlung, Königsberg 1832, 114f.: Schöner [als in den antiken Erzählungen] ist die Allegorie bei Göthe. Es ist eine sterbliche Aphrodite. So wie es der Liebesgöttin Wesen ist, Liebe zu geben und zu empfangen, aber als Wohlthat und Lust: so erscheint in dem zweiten allegorischen Theile der Götheschen Dichtung unsere Heldinn. Nachdem sie zuerst als bestimmte Persönlichkeit mit mannigfachen Gefühlen, Gedanken, Schicksalen und Lei-

1

) Zum Vorausgehenden s. in „Faust. Der Tragödie zweiter Theil“, S. 791f. ) s. oben 2. Apr 1828: Carlyle, Rez. u. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“, EGW 7, 148−56. 3 ) Zum Folgenden s. „Faust. Eine Tragödie“, S. 454, letzter Satz. 4 ) Zum Folgenden s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: an Zelter gD, S. 795. 5 ) Oberlehrer am Friedrichs-Gymnasium u. Priv.-Doz. an der Universität Königsberg. 2

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den, die freilich zuletzt der Sage gemäß an Schönheit und Liebe sich knüpfen, vor uns sich bewegt: sind in der Allegorie gleichsam alle gröbern Elemente abgelöst und nur die leichtern und ätherischen, Schönheit und Liebe, bilden den Inbegriff ihrer Erscheinung.

Mai 15. [Weimar] Abkommen zwischen G und Eckermann (W 53, 339f.): Zur

nächsten Ausgabe eines Nachtrags zu meinen Werken liegen bereit oder werden redigirt, ajustirt zu diesem Zwecke . . . Faust, zweiter Theil. Abschluß des 1. Acts. Zweiter Act, einschließlich der klassischen Walpurgisnacht. Helena, bildet den 3. Act.1)

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8. (s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Tgb gD, S. 822) 18.2) Nachlaß. Zahme Xenien VIII, v. 361−4 (W 5.1, 109): Der Zaubrer for-

dert leidenschaftlich wild / Von Höll’ und Himmel sich Helenens Bild; / Trät’ er zu mir in heitern Morgenstunden, / Das Liebenswürdigste wär’ friedlich ihm gefunden.3) März 3.4) [Weimar] K. W. Müller: Goethes letzte literarische Tätigkeit5) (G laut GG 3.2, 845f.): Weil Euripides ein paar schlechte Stücke, wie Elektra und Helena, geschrieben,6) und weil ihn Aristophanes gehudelt hat: so stellt ihr ihn tiefer, als andere.7)

1833 Apr 26. [Weimar] F. v. Müller Entwurf eines Sendschreibens an die J. G. Cottasche Buchhandlung (QuZ 3, 219): „Aber − hat man Ihnen zugerufen − die Helena, ein guter Theil des ersten Acts vom 2.n Theil des Faust . . . sind sie nicht sogar in den 40 Bänden schon abgedruckt? “ . . . Als Göthe die Helena und andere Fragmente aus dem 2.n Theil des Faust drucken ließ, konnte er, in so hohem Alter, nicht hoffen, den Faust noch zu vollenden; nun, da ein glückliches Geschick es ihm vergönnt und er seine höchsten Kräfte noch darauf verwendet, sollten wir diese lang erhoffte, lang ersehnte Dichtung verstümmelt, zersplittert, ihres Anfangs und ihrer Mitte beraubt, ans Licht treten lassen? Dem Leser anmuthen, die abgerissenen Theile aus frühern Mittheilungen mühselig zusammenzusuchen?

1

) Zum Folgenden s. „Faust. Der Tragödie Zweiter Theil“: Abkommen gD, S. 802. ) Datierung Gräf II 2, 604. 3 ) Bezog sich auf ein Miniaturporträt der Jenny von Pappenheim (1811−1890), die durch Liebreiz und Schönheit den alten Dichter auf friedliche Weise verzauberte – im Gegensatz zur Wirkung der schönen Helena auf den leidenschaftlich wilden Faust. 4 ) Das Vorausgehende s. in „Phaethon [I], Tragödie des Euripides“ gD, EGW 4, 226. 5 ) Verfaßt 1832. 6 ) Zu G´s Bewertung u. Verwendung von Euripides’ Helena s. Gelzer 1997. 7 ) Das Folgende s. in „Die Bacchantinnen des Euripides“ gD, EGW 4, 218. 2

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

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Faust. Der Tragödie Zweiter Theil in fünf Acten1)

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1797 Juni − 1832 Jan2) Überblick zur Entstehung Juni 23. : Ausführlicheres Schema zum Faust.3) Dez 16.: Schema des 2n Theils von Faust (= P634)) Juli − 1825 Mai: 1001-Nacht-Lektüre (Anregungen zu Akt I, II u. III5)) Febr Ende − März Mitte/Ende: Arbeit an Akt V6) Febr Ende − 1827 März 18.: Akt III7) Nov 9.: Schema der Handlung bis Helena;8) Dez 17.: Entwürfe für Fausts Weg zu Helena (H P123C).9) 1827 Mai 18.: Ich griff das Hauptgeschäft an10) [Konzeptionelles u. Akt I]; Mai 24.: Ich bedachte den zweyten Theil von Faust, und regulirte die vorliegenden ausgeführten Theile; Mai 27.: Schema von Faust; Juli 22.: Nahm den Faust vor [vor allem Akt I]11); Nov 21.: Der zweyte Theil des Faust fährt fort sich zu gestalten (an Zelter)

1797 1816 1824 1825 1825 1826

1

) Der vollendete Faust, nachdem 1808 Faust. Eine Tragödie (mit Zwischentitel auf S. 25:) Der Tragödie Erster Theil, erschienen war; s. „Faust. Eine Tragödie“ S. 134 Anm. 1. 2 ) Nach dem Abschluß noch im Sommer 1831 letzte Korrekturen. 3 ) Dem Schema werden diverse Hs. zugeordnet: P65f., P69, P75−77, P81, P91f. u. P 96−98. 4 ) Inhaltsangabe, geplant für DuW Buch 18, vermutl. auf Pläne der Jahrhundertwende zurückgehend; vgl. auch 10. Aug 1824 u. 15. März 1831: Eckermann. 5 ) Vgl. insb. 1824 Juli 16.: J. Max an G, 29.: Tgb, [vor 10. Dez]: J. Max an G u. Dez 12.: Tgb m. Anm. − Weitere Anregungen zur Fortsetzung: 1) Professor Hinrichs zu Halle Commentar über Faust(24. Febr 1825); 2) Beschäftigung mit DuW: Für mich Betrachtungen über das Jahr 1775, besonders Faust (25. Febr 1825); 3) Wasser- und Wolkenphänomene: Überschwemmungsunfälle und meteorologische Betrachtungen (25. Febr 1825). 6 ) Wiederaufnahme der Faust-Arbeit 1825 Febr Ende bis März/Ende begann mit Akt V Sz. [4] Mitternacht, Sz. [5] Großer Vorhof des Palastsu. Sz. [6] Grablegungsowie Reinschrift H2. Die Schnelligkeit, mit der G diese Szenen schuf, läßt vermuten, daß er in den Faust-Papieren von vor 1800 auf mehr als die uns überlieferten Vorleistungen zurückgreifen konnte; wie reichhaltig u. fortgeschritten diese waren u. wieweit sie den 1825 entstandenen Szenen zugute kamen, ist nicht mehr nachweisbar. 7 ) „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“, s. E-Rubrik S. 484–90. 8 ) Skizze des geplanten Verlaufs nach Akt I bis zu Helenas Auftritt. 9 ) s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ gD, S. 546. 10 ) Den Ausdruck ,Hauptgeschäft‘ verwendete G nicht nur für die Arbeit an Faust II, wie frühere Faust-Forscher irrtümlich annahmen; s. Gräf II 2, 464−79. Erst Hertz 1931 S. 157 bewies schlüssig: in G’s Tagebuch vom 26. Sept 1828 bis 7. Febr 1829 bezieht sich ,Hauptgeschäft‘ auf die Wanderjahre. (Dennoch führt die Hist.-krit. Faust-Ausg. von 2016 die auf die Wanderjahre bzgl. Tagebucheintragungen wieder als Entstehungszeugnisse zu Faust II an.) 11 ) Vermutl. Arbeitsbeginn an Akt I Sz. [2]; zur Fortsetzung insb. Akt I Sz. [1−4] u. Akt II Sz. [1] s. Tgb-Eintragungen: 1827 Juli 25., 28.−30., Aug 11., 26.−29., Sept 12., 15., 18., 20., 27., Okt 5., 6., 11., 13., 17., 19., 20., 22., 23., Nov 8., 11., 12., 14., 18., 19., 23., 26., Dez 11., 12., 18., 22.−25., 28.−31.; 1828 Jan 1., 3., 5.−7., 10., 12.−16., 18., 23.

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FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 1828 Jan 15.: Abschluß der Arbeit an Faust [Akt I bis 6036] näher gerückt1); Jan 24.: Ich fahre fort . . ., denn ich möchte gar zu gern die zwey ersten Acte fertig bringen (an Zelter)2); Apr: Vorabdruck (Akt I bis 6036) in C1 12 (1828) 249−313; Juli 26./27.: Es kommt nun darauf an, den ersten Act zu schließen (an Zelter) 1829 Aug Mitte − Herbst: Arbeit an Akt I3); Okt − Dez: Arbeit an Akt II 1830 Jan Mitte: Abschluß Akt I; Jan − Juni4)/Dez: Arbeit an KWN [Akt II Sz. 3−7]5); Dez: Arbeit an Akt V 1831 Jan 4.: Die zwey ersten Acte von Faust sind fertig (an Zelter); Febr 11.: den vierten Akt des Faust angefangen (Eckermann)6); Febr 17.: Reinschriften (H) der Akte I bis III (Manuscript vom 2. Theil des Faust in eine Mappe geheftet); Mai 4.: Abschluß der 5. Abtheilung [=Akt V].7) Beginn der vierten [=Akt IV]. − Abschluß Juli8); Sept 4.: das Ganze liegt vor mir und ich habe nur noch Kleinigkeiten zu berichtigen, so siegle ich’s ein (an Zelter)9) 1832 Jan 18.: Einiges umgeschrieben10); Apr − Sept 21.: Abschrift des Manuskripts u. Redaktion durch Eckermann u. Riemer; Ende Okt − 1833 Apr: Drucklegung.

entstehung der Akte u. Szenen Akt I Szene [1] Anmuthige Gegend (4613 − 4727) 1797 Sept 18.: Rheinfall-Erlebnis11); 1826 Aug/Sept tentative Datierung von 4679−727 aufgrund der Dante-Lektüre (1827 Mai 6. terminus ante quem); Mai 24.: daß ich durch guter Geister fördernde Theilnahme, mich wieder an Faust begeben habe 1

) Im Hinblick auf den Vorabdruck des Anfangs von Faust II. ) Hierzu Tgb-Eintragungen: 1828 Jan 30, Febr 15., 1829 Sept 8., Dez 2.−4., 6.−10., 12.−16. sowie unten E-Rubrik Akt I u. II; noch 1829 Dez 16.: Meine einzige Sorge und Bemühung ist nun: die zwey ersten Acte fertig zu bringen (an Zelter); 28.−31., 1830 Jan 1., 3.−11.: Tgb. 3 ) Dez Arbeit an der Papiergeldszene. 4 ) s. Juni 8. 1830, F. v. Müller: die 2 ersten Acte des 2. Theils beinahe fertig − bis auf den Schluss der KWN. 5 ) 1830 Jan 13., 16.−20., 29., 31., Febr 1.−7., 9., 10., 12.−17., 21.−23., 25.−27., März 1.−6., 15., 18., 21., 23.: Tgb sowie E-Rubrik Akt II Sz. [4] u. [7]. 6 ) Größere zusammenhängende Arbeitsphase von Mai bis Juli. 7 ) Nach Szenenarbeit im Apr; Aussage wohl nicht ganz zutreffend, heißt es doch noch im Abkommen zwischen G und Eckermann am 15. Mai: Am 5. Act fehlt . . . der Anfang; dann am 6. Juni: Goethe zeigte mir heute den bisher noch fehlenden Anfang des fünften Aktes.(Eckermann). 8 ) Vgl. Tgb: 1831 Mai 7.−9., 11., 12., 14., 16., 17., 28. − Unterbrechung krankheitsbedingt; kontinuierliche Wiederaufnahme Juni 24.−30., Juli 1.−15., 18.−22. 9 ) Vgl. 1831 Sept 7: an Reinhard, wonach G das Ms. bereits Mitte Aug abgeschlossen hat. 10 ) Das Tgb bezeugt: G nahm Anf. Jan die Reinschrift nochmals zur Hand, las sie mit Ottilie v. G. u. traf letzte Änderungen, vgl. 1832 Jan 2., 8., 9., 12.−18., 20., 24., 27. u. 29.: Tgb. 11 ) Nachwirkung des im Tgb festgehaltenen Eindrucks des Rheinfalls von Schaffhausen (s. dort); vermutl. Konzeption des Terzinen-Monologs bereits 1797, jedoch erst 1826 vollendet; fest steht nur als terminus ante quem: 6. Mai 1827 (s. dort). − H. Henkels 1879, 164f. u. Kochs 1895, 129 Frühdatierung der Terzinen auf Febr 1798 wurde von 2

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

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(an Zelter); [Mai Ende/Juli Ende]: Hier also der Anfang! 1) (Eckermann); Sept 29.: an Zelter wegen Vertonung des Ariels Gesang von Äolsharfen begleitet; 1828 Jan 14.: Diesmalige Sendung von Faust abgeschlossen.2)

Szene [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones (4728 − 5064) 1797 Juni 23/1798 Mai 5.?; Pläne; Vorstufen; 1826 Frühj.: Schema (P100); 1827 22. Juli: vermutl. Beginn; Okt 1.: die zweyte Scene vorgelesen;3) 1828 Jan 14.: Diesmalige Sendung von Faust abgeschlossen.4) 4903−115) (P101a, Schema-Bruchstück) 1827 [Aug Anf.?] 4889−5060 (P101, Schema- R e i n s c h r i f t ) 1827 [Aug Anf.?]

Szene [3] Weitläufiger Saal mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz (5065 − 5986) 1827 Aug 11./Okt 11.: ältestes überliefertes Schema zur Mummenschanz (H P102) für 5088−688; Aug−Ende Dez: Szenenarbeit6); 1828 Jan 1.: Fausts dritte Scene abgeschlossen7); 2.: Mundum; 14.: Diesmalige Sendung von Faust abgeschlossen; 15.: Abschluß des Carnevals in Fausts 2. Theil.8) 5088−688 (P102, Schema) 5088−103 (I H6, Entwurf) 5108−19 (I H7, Entwurf) 5120−27 (I H8, Entwurf) 5120−27 (I H9, Entwurf) 5128−35 (GSA 68/878, Entwurf) 5136f. (I H9a, Entwurf)

1827 1827 1827 1827 1827 1825 1827

Aug 11./Okt 11. [nach 6. Dez] [nach 8. Dez] [nach 15. Okt] Dez 8. Dez 12. [Sept 24./Dez 8.]

der Forschung nicht akzeptiert (s. Loeper 1879 II, XXV, Düntzer 1891, 261, E. Schmidt 1902, 300, Meyer 1905, 701 u. Witkowski 1906, 283); nach Schadewaldt 1955, 234 gehört die Konzeption der Faust-Terzinen, wenn nicht gar ihr erster Entwurf in diese frühe Zeit der Wiederaufnahme der Arbeit an Faust. − Z zu den Hypothesen: 21. Febr 1798: an Schiller; 1826 Apr 13.: Abeken an G zur Comedia Dantes; 24.: Tgb; Juni 30: Wagner an G; Juli 8.: Fleischer an G; 13.: Tgb; Aug 10.: Tgb; 26.: Tgb u. an A. Wagner. 1 ) Nach Entdeckung des Zusammenhangs der Elfenchöre mit den Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten, deren Entstehung vermutl. in die 2. Maihälfte 1827 fällt, setzte Schadewaldt 1955, 260f. den Elfenchor Ende Juni/Juli 1827 an. Die Datierung auf Frühsommer 1827 widerspricht der von Gräf vorgeschlagenen Datierung eines undatierten Eckermann-Fragments auf den 12. März 1826 (Gräf II 2, 325f.), in dem er berichtet, daß G den Anfang von Faust II vorlegte; vgl. Bohnenkamp 282 u. 15. Mai 1827: Tgb. 2 ) Zur Vorveröffentlichung in C1 12, 251−55. 3 ) Die spärliche hs. Überlieferung bietet keine Entstehungsindizien: I H1 ist ein Quartbl. (W 15. 2, 10) mit egh in Tinte kalligraphisch als Spruch angefertigter Abschrift der 4 Mephisto-Verse (5061−64) u. I Ha (W 15. 2, 13) ein egh Foliobl. mit des Kanzlers Rede (4772−811). 4 ) Zur Vorveröffentlichung in C1 12, 256−70. 5 ) FA I 7.2, 975: 4903−14. 6 ) Tgb-Eintragungen womöglich auf Szenenarbeit bezüglich: 1827 Aug 28; Okt 13.; Dez. 22; mit Sicherheit Nov 8., 23. u. Dez 11. 7 ) Nicht definitiv. 8 ) Zur Vorveröffentlichung in C1 12, 271−310.

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FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 5136−57 (ohne 5150f., I H9, Entwurf) 5166−691) (I H10, Entwurf) 5170−77 (I H11, Entwurf) 5178−982) (I H12, Entwurf)3) 5178−98 (I Hg, R e i n s c h r i f t ) vor 5199 (Szenar, I H P108b u. 108c; Entwurf) 5199−214 (I H13, Entwurf) 5215−36 (I H15, Entwurf) 5217f. (P110, Entwurf) nach 5294 (Szenar; P110a, Entwurf) nach 5298 (Szenar; P110a, Entwurf) 5305−444) (I H12, Entwurf)5) 5317−92 (I H17, R e i n s c h r i f t ) 5393−422 (I Hg, R e i n s c h r i f t ) 5407−22 (I H18, Entwurf)6) 5423−40 (I H17, R e i n s c h r i f t ) 5439−45 (I H18, Entwurf)7) 5441−56 (I Hg, R e i n s c h r i f t ) 5457−71 (I H19, Entwurf) 5484−93 (I H19, Entwurf) 5520−22 (I H18, Entwurf)8) 5537−59 (I H22, Entwurf)9) 5494−569 (I H17, R e i n s c h r i f t ) 5531−35 (I H18, Entwurf)10) 5531f. (P109, Entwurf) 5560−62 (P110, Entwurf) 5562−5 (I H24, Entwurf)11) 5569−71 (I H24, Entwurf)12) 5573 (I H24, Entwurf)13) 5575 (I H24, Entwurf)14) 5582−7 (I H24, Entwurf)15) 5590−605 (I H24, Entwurf)16) 5562−85 (H P104, Schema-Entwurf) 5588f. (H P104, Schema-Entwurf) 5620 (H P104, Schema-Entwurf) 5628f. (H P104, Schema-Entwurf) 1

1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827

) FA I 7.1, 605: 5168f. ) FA I 7.1, 603f.: 5178−92 (ohne 5180) u. 5196−98. 3 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 4 ) MA 18.1, 703: 5305−16. 5 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 6 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 7 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 8 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 9 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 10 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 11 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 12 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 13 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 14 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 15 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 16 ) Vorstufe zum Mundum I H17. 2

Dez 8. [Sept 24./Dez 8.] [nach Dez 22.] [Spätsommer/Herbst] [Herbst] [Sommer] [vor 11.−ca. 12. Sept] [Nov/Dez?] [Sept/Dez] [Aug] [Aug] [Spätsommer/Herbst] [nach 2. Okt] [Herbst] [Sept/Dez] [nach 2. Okt] [Sept/Dez] [Herbst] [nach 22. Dez] [nach 22. Dez] [Sept/Dez] [nach 2. Okt] [nach 2. Okt] [Sept/Dez] [Sept/Dez] [Sept/Dez] [Herbst] [Herbst] [Herbst] [Herbst] [Herbst] [Herbst] [nach 8. Nov] [nach 8. Nov] [nach 8. Nov] [nach 8. Nov]

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 5632−39 (H P104, Schema-Entwurf) 5646−48 (H P104, Schema-Entwurf) 5684−86 (H P104, Schema-Entwurf) 5582−605 (ohne 5588f., I H17, R e i n s c h r i f t ) 5612−9861) (H P105, Schema-Entwurf) 5606−29 (ohne 5626f., I H 26, Entwurf) 5649 (I H24, Entwurf) 5650−53 (I H9a, Entwurf) 5650−53 (I H10, Entwurf) 5654−65 (I H24, Entwurf) 5666−81 (ohne 5677; 5680, I H28, Entwurf) 5675−82 (I H29, Entwurf) 5685−872) (I H10, Entwurf) 5689f. (I H29, Entwurf) 5689−986 (H P106, Schema-Entwurf) 5689−714 (I H32, Arbeits- R e i n s c h r i f t ) 5715−38 (I H33, Entwurf) 5741−66 (ohne 5751f. u. 5759f., I H34, Entwurf) 5759f. (I H29, Entwurf) 5739−66 (I H32, Arbeits- R e i n s c h r i f t ) 5768f.3) (I H34a, Entwurf) 5767−78 (I H33, Entwurf)4) 5797−814 (ohne 5811 u. 5813, I H36, Entwurf) 5801 (I H11, Entwurf) 5805f. (I H40, Entwurf) 5814 (I H40, Entwurf) 5805−8 (I H32, Arbeits- R e i n s c h r i f t ) 5814−21 (I H32, Arbeits- R e i n s c h r i f t ) 5801−155) (I H37, Entwurf)6) 5806−10 (I H33, Entwurf) 5809f. (I H39, Entwurf) 5812 (I H33, Entwurf) 5814 (I H33, Entwurf) 5815−20 (I H39, Entwurf) 5819−21 (I H33, Entwurf) 5864−71 (I H32, Arbeits- R e i n s c h r i f t ) 5864−71 (I H37, R e i n s c h r i f t ) 5884−5935 (ohne 5932, I H36, Entwurf) 5931−43 (ohne 5934, 5942, I H42, Entwurf) 5958 (I H42, Entwurf) 5958ff.? (P116, Entwurf) 5960 (I H42, Entwurf) 1

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1827 [nach 8. Nov] 1827 [nach 8. Nov] 1827 [nach 8. Nov] 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827

[nach 2. Okt] [nach 8. Nov] [Nov ca. 10.] [Herbst] [Sept 24./Dez 8.] [Sept 24./Dez 8.] [Herbst] [vor 15. Dez] [Nov Ende/Dez Mitte] [Sept 24./Dez 8.] [Nov Ende/Dez Mitte] Dez 16. [Dez 2. Hälfte?] [nach 23. Dez]

1827 1827 1827 1827 1827

[nach 10. Dez] [Nov Ende/Dez Mitte] [Dez 2. Hälfte?] [nach 22. Dez] [nach 23. Dez]

1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827 1827

[Dez Ende?] [nach 22. Dez] [Dez] [Dez] [Dez 2. Hälfte?] [Dez 2. Hälfte?] [Dez Ende?] [nach 23. Dez] [Dez Ende?] [nach 23. Dez] [nach 23. Dez] [Dez Ende?] [nach 23. Dez] [Dez 2. Hälfte?] [Dez Ende?] [Dez Ende?] [Dez 13./25.] [Dez 13./25.] [Dez 13./25.] [Dez 13./25.]

) Einige Stichworte verweisen nach Bohnenkamp 336 auf: 5612−14, 5622−24, 5630−32, 5640−42, 5646−48, 5670−72, 5675−91. 2 ) MA 18.1, 703: 5685f.; FA I 7.2, 979: 5685−88. 3 ) Bohnenkamp 349: 5767−69. 4 ) Bohnenkamp 352: Eine Vorstufe zu 5769ff. findet sich auf I H34a. 5 ) Bohnenkamp 470f.: 5805−21, ohne 5811 u. 5813. 6 ) Bohnenkamp 471: Korrekturen und Vorschläge von I H37 sind in I H35 realisiert.

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FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 5981 (I H40, Entwurf) 5931−86 (ohne 5934, I H32, ArbeitsReinschrift)

1827 [Dez] 1827 [Dez 2. Hälfte?]

Szene [4] Lustgarten (5987 − 6172) 1827 Dez Ende: Schemata u. Teilentwurf; 1828 Jan 1.: Übergang zu der vierten [Sz.]; Febr 15.: eine Scene zu Faust [5987−6036];1) 1829 Dez 27.: Heute . . . las Goethe mir die Szene vom Papiergelde (6037−172)2) 5987−6036 (P107, Schema) 5987−97 (I H43, Schema) 6001f. (I H43, Schema) 6005−32 (I H45, Entwurf) 6035f. (I H45, Entwurf)

1827 1827 1827 1827 1827

[Dez/Jan 1828] Dez 22. Dez 22. [Dez Ende] [Dez Ende]

Szene [5] Finstere Galerie (6173 − 6306) 1811 Mai−Juni u. 1820 Nov − 1821 Mai: Plutarch-Lektüre; 1828 Jan 3.: Vorgerückt an den drey letzten Scenen des ersten Acts; 1829 [Sept nach 3.]: Arbeitsreinschrift H47;3) Dez 30.: noch nicht ganz vollendet (Eckermann); 1830 Jan 10.: Scene wo Faust zu den Müttern geht vollendet (Eckermann) 6173−82 (I H47-Ergänzung, R e i n s c h r i f t ) 6183−884) (H P104, Schema-Entwurf) 6183−88 (H P105, Schema-Entwurf) 6183−995) (ohne 6193, I H48, Entwurf) 6207−19 (ohne 6215, I H48, Entwurf) 6183−230 (I H47, R e i n s c h r i f t ) 6237f. (I H50, Entwurf) 6228−38 (I H47-Ergänzung, R e i n s c h r i f t ) 6239−46 (I Hn, Entwurf)6) 6259ff. (I H50a, Entwurf) 6261f. (I H50, Entwurf) 6239−66 (I H47, R e i n s c h r i f t ) 6283 (I H47, R e i n s c h r i f t ) 6267−82 (I H47-Ergänzung, R e i n s c h r i f t ) 6292f. (P120, Entwurf) 6304−6 (I H50, Entwurf)

1830 1827 1827 1829 1829 1829 1829 1830 1829 1829 1829 1829 1829 1830 1829 1829

[Jan Anf.] [nach 8. Nov] [nach 8. Nov] [nach 6. Sept] [nach 6. Sept] [nach 3. Sept] [Herbst] [Jan Anf.] [nach 3. Sept] [Herbst] [Herbst] [nach 3. Sept] [nach 3. Sept] [Jan Anf.] [Herbst] [Herbst]

Szene [6] Hell erleuchtete Säle (6307 − 6376) [1797 Juni 23/1798 Mai 5.?]: Prosaentwurf zur Geisterbeschwörung; 1828 Jan 3.: Vorgerückt an den drey letzten Scenen des ersten Acts. 1

) Vorveröffentlicht in C1 12, 311−13. ) Da kein Schema zu Akt I die Papiergeldszene [4] Lustgarten (6037−172) erwähnt, wohl nachträgl. Zutat. Nur in I H46 Entwürfe zu 6057−78, ohne Datierungsanhalte; so ist unklar, wann die Sz. zw. 15. Febr 1828 u. 27. Dez 1829 entstand. (Bohnenkamp 374ff.) 3 ) Ergänzung der Arbeitsreinschrift I H47 erfolgt [Anf. Jan] 1830, s. dort. 4 ) MA 18.1, 694: 6182−86. 5 ) FA 7.1, 620: 6189−98. 6 ) Vorarbeit zum Mundum I H47. 2

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

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Szene [7] Rittersaal (6377 − 6565) 1825 seit Mai 22. Anregungen durch 1001 Nacht;1) 1828 Jan 3.: Vorgerückt an den drey letzten Scenen des ersten Acts; 1829 Aug/Sept Szenenarbeit; Dez 30.: Heute . . . las Goethe mir die fernere Szene. 6427−38 (I H57, Entwurf) 6415−40 (I H56, R e i n s c h r i f t ) 6431f. (H P119; Entwurf) 6451−56 (I H58, Entwurf) 6459f. (I H58, Entwurf) 6461 (P122, Entwurf) 6449−72 (I H56, R e i n s c h r i f t ) 6479f. (I H50, Entwurf) 6487−501 (I H56, R e i n s c h r i f t ) 6506−15 (I H59, Entwurf) 6506−24 (I H56, R e i n s c h r i f t ) 6541−49 (I H56, R e i n s c h r i f t ) 6549−59 (I H60, Entwurf) 6549−59 (I H48, Entwurf) 6558−65 (I H56, R e i n s c h r i f t )

1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829 1829

[nach 29. Aug] [nach 29. Aug] [nach 6. Sept] [Aug Ende] [Aug Ende] [Aug Ende] [nach 29. Aug] [Herbst] [nach 29. Aug] [nach 11. Aug] [nach 29. Aug] [nach 29. Aug] [nach 30. Aug] [nach 6. Sept] [nach 29. Aug]

Akt II 1820 − 1821: erneute Aristophanes-Rezeption [zu Sz. 3−7]2); 1826 Juni 10.: Überlegungen zur Vorgeschichte der Helena-Szenen; Nov 9. u. 10.: Schema zu Faust [bis zu Helenas Auftritt]; Dez 15.−21.: Entwürfe für Ankündigung der Helena in KA; 1829 Dez: Abschluß von Sz. [1] u. [2]; 1830 Jan 16.: Ein neues Schema dictirt [Sz. 3−7]; 24.: Wenn ich mich fleißig dazu halte, kann ich in ein paar Monaten mit der Walpurgisnacht fertig sein. (Eckermann); Febr 10.: Ich habe jetzt etwas über die Hälfte . . . ich will mich dazu halten und hoffe bis Ostern fertig zu sein.3) (Eckermann); Arbeit an Sz. [3−7] bis Apr; Juni4) u. Dez: Wiederaufnahme.

Szene [1] Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer (6566 − 6818) 1827 Sept/Nov Beginn5); 1828 Juli 26./27.: Der Anfang des zweyten Acts ist gelungen. (an Zelter); 1829 Dez 6.: Heute . . . las Goethe mir die erste Szene vom zweiten Akt . . . (Eckermann) 6570−76 (II H1, Entwurf) 6578f. (II H2b, Entwurf) 1

1827 [nach 12. Sept] 1827 [nach 29. Sept]

) Zu F. v. Müller, 17. Dez 1825: Nur durch Aneignung fremder Schätze entsteht Großes. 2 ) s. 1820: TuJ; Sept 15.: Reisig an G; ca. 28.: an Reisig; 1821: TuJ; Mai 10.: H. Voß an G; Juli 22.: an H. Voß; Okt 11. u. 12.: Tgb. 3 ) Unerfüllte Hoffnung, s. 1830 Apr 14.: Tgb u. Juni 25.: an A. v. Goethe; E: Akt II Sz. [7]. 4 ) Vermutl. Fertigstellung der R e i n s c h r i f t H74 von John mit 7005−394, 7495−508, 7519−675, 7696−8197 u. 8200−338, s. 1830 Juni 14.; 25.: an A. v. Goethe: Die Walpurgisnacht sey völlig abgeschlossen, de facto nur vorläufig, s. [1830 Dez 2.−17.]: II H70. 5 ) Studierzimmerszene größtenteils Sept, Nov 1827. − Alle Hss. zu Akt II Sz. [1] vom Herbst und Winter 1827.

592

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 6592−617 (I H13, Entwurf) 6710−20 (II H3, Entwurf) 6744−57 (II H3, Entwurf) 6791f. (II H4, Entwurf)

1827 1827 1827 1827

[vor 11. Sept−ca. 12.] [Nov 9./17.] [Nov 9./17.] [vor 18. Sept]

Szene[2] Laboratorium (6819 − 7004) 1826 Nov 9.: Schema H P99A erstmalige Erwähnung des Chemisch Menschlein in Wagners Laboratorium; Dez 15.: die geplante Szene ausführlicher skizziert in H P123B; 1827 Ende [?]: erstes Z zur Ausarbeitung;1) 1829 nach Sept 2.: Szenenarbeit bezeugt; Dez: Abschluß der Szene; Dez 16.: . . . las Goethe mir die zweite Szene des zweiten Akts . . . (Eckermann). vor 6819 (II H4a, Szenar) 6819−29 (II H4a, Entwurf) 6863f. (II H5, Entwurf) 6988−90 (II H37, Entwurf) 6989−70002) (II H6, Entwurf)

1829 1829 1829 1827 1829

[nach 2. Sept] [nach 2. Sept] [nach 2. Sept?] [Dez Ende?] [vor 16. Dez]

Szene [3] Klassische Walpurgisnacht, Pharsalische Felder (7005 − 7079) 1826 Apr Lektüre von Lukans Pharsalia;3) Mai/Juni Exzerpte aus Lukans Pharsalia 1829 Ende/1830 Juni Entstehung der Hauptteile; Juni Mitte (14.?): Abschluß Mundum (H74) 7005−07 (II H20, Stichworte) 7005−79 (II H74, R e i n s c h r i f t )

1830 [vor 29. Jan] 1830 [Febr 21.?/Juni Mitte]

Szene [4] KWN, Am obern Peneios (7080 − 7248) 1826 Apr 15.−24.: Herodot-Lektüre; 1829 Nov − 1830 Febr: Szenenarbeit; 1830 Jan 17.: Mephistopheles bei den Greifen und Sphinxen [7080−165] vorgelesen (Eckermann); Jan 20.: Scene [vorgelesen], wo Faust nach der Helena fragt [7181−248]; Juni Mitte (14.?): Abschluß Mundum (H74) 7080−89 (I H56, Arbeits - R e i n s c h r i f t ) 7090−96 (II H9, Entwurf) 7100−11 (II H9, Entwurf) 7080−112 (II H8, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7117f. (I H56, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7116−20 (II H8, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7122f. (I H56, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7122f. (II H8, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7122−32 (ohne 7124, II H13, Arbeits−R e i n s c h r i f t ) 7131−39 (II H56, Arbeits - R e i n s c h r i f t ) 7140−48 (II H14, Entwurf) 7152−55 (II H15, Entwurf) 7130−65 (II H8, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7181f. (P147, Entwurf)

1

1829 1829 1829 1830 1829 1830 1829 1830

[Dez Ende] [Nov 28./Dez 1.] [Nov 28./Dez 1.] [vor 17. Jan] [Dez Ende] [vor 17. Jan] [Dez Ende] [vor 17. Jan]

1830 1829 1829 1829 1830 1829

[nach 17. Jan] [Dez Ende] [nach Jan] [nach 26. Dez] [vor 17. Jan] [Nov 28./Dez 1.]

) I H37 enthält Vorstufe zu 6988−90; in Ermangelung anderer Z ist der Beginn der Arbeit an der Sz. tentativ 1827 Ende / 1828 Anf. anzusetzen; das 2. Z [1829 nach Sept 2.]: II H4a. 2 ) FA I 7.1, 649: 6994−7000. 3 ) 1826 Apr 5.: Abends Lucan 6. Buch.

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 7181−201 (II H17, Entwurf) 7214−28 (II H20, Schema-Entwurf) 7239−42 (II H13, Arbeits-R e i n s c h r i f t ) 7239−48 (ohne 7240−42, II H22, Entwurf) 7239 (II H24, R e i n s c h r i f t ) 7243−48f. (II H24, R e i n s c h r i f t ) 7080−248 (II H74, R e i n s c h r i f t )

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830

593

[Jan 17./20.] [vor 29. Jan] [nach 17. Jan] [Jan Ende] [vor 29. Jan] [vor 29. Jan] [Febr 21.?/Juni Mitte]

Szene [5] KWN, Am untern Peneios (7249 − 7494) 1830 Jan−Apr: Szenenarbeit [7249−470]; Jan 24.: die Szene [7319−488] soll mir gelingen (Eckermann), [Febr 21.?/Juni Mitte]: Mundum (7249−394); Juni Mitte: Szenenarbeit [7471−494].1) 7249−52 (II H13, Stichworte) 7249−51 (II H17, Stichworte)2) 7249ff. (II H25, Schema - R e i n s c h r i f t ) 7263−70 (II H17, Stichworte) 7263−70 (II H25, Schema- R e i n s c h r i f t ) 7337f. (II H20, Schema-Entwurf) 7342f. (II H20, Schema-Entwurf) 7325−52 (II H27, Entwurf) 7349−52 (II H27a, Entwurf) 7249−394 (II H74, R e i n s c h r i f t ) 7426−33 (II H13a, Entwurf)

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830

[nach 17. Jan] [Jan 17./20.] [nach 6.? Febr] [Jan 17./20.] [nach 6.? Febr] [vor 29. Jan] [vor 29. Jan] [Jan 25./29.] [Jan 25./29.] [Febr 21.?/Juni Mitte] [Apr ca. 19.]

Szene [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor (7495 − 8033) 1808 Sept−Nov: Beschäftigung mit Seneca; 1830 Jan 20.: Scene [vorgelesen], wo . . . der Berg entsteht [7495−7580]; Juni Mitte (14.?): Abschluß Mundum (H74) 7495−98 (II H17, Entwurf)3) 7495−98 (II H25, R e i n s c h r i f t ) 7558−61 (ohne 7559, II H15, Entwurf) 7564f. (II H15, Entwurf) 7574−81 (II H24, R e i n s c h r i f t ) 7586−605 (II H24, R e i n s c h r i f t ) 7606−21 (II H42, Entwurf) 7495−675 (II H74, R e i n s c h r i f t ) 7726−28 (II H20, Entwurf) 7797−800 (II H45, Entwurf) 7797−800 (II H24, R e i n s c h r i f t )4) 7801f. (II H46, Entwurf) 7811f. (II H46, Entwurf) 7817f. (II H46, Entwurf) 7843−46 (II H15, Entwurf) ? 7856 (P149, Entwurf) 7857−60 (II H48, Notizen) 7865−68 (II H 49, Entwurf) 1

1830 1830 1829 1829 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1829 1829 1830 1830

[Jan 17./20.] [nach 6? Febr] [nach 26. Dez] [nach 26. Dez] [vor 29. Jan] [vor 29. Jan] [Febr/März] [Febr 21.?/Juni Mitte] [vor 29. Jan] [Jan 25./29.] [vor 29. Jan] [vor Juni] [vor Juni] [vor Juni] [nach 26. Dez] [Okt 17.] [vor Juni] [vor Juni]

) Bezogen auf H34−36, die Fischer-Lamberg 1955, 45 datiert: nach 23. Apr 1830; allerdings verzeichnet das Tgb erst wieder am 12. Juni Arbeit am Faust. 2 ) Bohnenkamp 499: in verkürzter Fassung von II H13 abgeschrieben. 3 ) Bohnenkamp 505: Vorstufe von II H25. 4 ) Bohnenkamp 507: Kombination und Überarbeitung der Bleistiftentwürfe auf II H45.

594

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 7965−69 (II H 49, Entwurf) 7967−79 (II H48, Notizen) 8000f. (II H 49, Entwurf) 8014 −16 (P152, Notizen) 8026f. (II H 49, Entwurf) 8034 −36 (P151, Entwurf) 7696−8033 II (H74, R e i n s c h r i f t )

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830

[vor Juni] [vor Juni] [vor Juni] [vor Juni] [vor Juni] [vor Juni] [Febr 21.?/Juni Mitte]

Szene [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meeres (8034 − 8487) 1829 Dez 9., 12.; 1830 Jan−Juni: Szenenarbeit; Febr 25.: Lektüre über Fabelgestalten; Juni Mitte (14.?): Abschluß Mundum (H74); Dez: endgültiger Abschluß (8347−487); 1831 Jan 22.: Faust, zweiter Theil; der zweyte . . . Act vollendet (Kodizill). 8034−41 (II H22, Entwurf) 8034−41 (II H25, R e i n s c h r i f t ) 8076f. (II H22, Entwurf)1) 8076f. (H25, R e i n s c h r i f t ) 8082−93 (II H55, Entwurf) 8034−197 (II H74, R e i n s c h r i f t ) ? 8260 (P149, Entwurf) 8267−74 (ohne 8271f., II H61, Entwurf) 8267−74 (II H62, Entwurf) 8275 (II H22, Entwurf)2) 8275 (II H25, R e i n s c h r i f t ) 8285−88 (II H63, Entwurf) 8331−38 (II H55, Entwurf) 8200−338 (II H74, R e i n s c h r i f t ) 8347−457 (ohne 8376, 8402f., II H70, Entwurf) 8359−78 (ohne 8369 u. 8376, II H71, Entwurf)

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1829 1830 1830 1830 1830 1829 1830 1830

[Jan Ende] [nach 6.? Febr] [Jan Ende] [nach 6.? Febr] [März ca. 26.] [Febr 21.?/Juni Mitte] [Okt 17.] [März ca. 26.] [nach 26. März] [Jan Ende] [nach 6? Febr] [nach 29. Dez] [März ca. 26.] [Febr 21.?/Juni Mitte]

1830 [Dez 2./17.] 1830 [nach 12. Juni]

Akt III s. „Helena klassisch-romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust“ E-Rubrik; S. 484–89

Akt IV [1797 Mitte/1800]: Vorarbeiten (II H5);3) [1816 Dez 16.]: Vorarbeiten (P63); 1827 Mai: Konzeptionelle Vorarbeiten4); 1831 Febr 11.: den vierten Akt des Faust angefangen (Eckermann)5); Mai 4: Beginn der vierten [Abteilung. = Akt IV]; Mai 16.: Scenario 1

) Bohnenkamp 505: Vorstufe von II H25. ) Bohnenkamp 505: Vorstufe von II H25. 3 ) Vgl. 17. Febr 1831: G im Gespräch mit Eckermann, der Akt sei längst erfunden. D. Richter 2012, 72f. weist zur Sz. [1] Hochgebirg (10079−86) auf die Ital. Reise hin, wo G in Eilige Anmerckungen über den Vesuv (IR 19. März 1787) das Phänomen beschrieb, daß sich in der ausfließenden u. an der Oberfläche rasch erkaltenden Lava runde Löcher, ›Össen‹, bilden, aus denen der Schwefeldampf pfeifend entweicht; die Dampflöcher in der Lava sind in Faust II zu den oberen u. unteren Löchern der Teufel geworden, zu ihren ›Mündern‹ u. ›Hintern‹ also, u. was aus ihnen pfeifend entfährt, ist der Schwefelgestank der Hölle. 4 ) s. 1827 Mai 22.: Tgb u. 24. an Zelter. 5 ) Nach mehrtägiger Arbeit Unterbrechung bis Mai. 2

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

595

zum 4. Act des Faust (P178); [nach 30. Mai]: erste größere Arbeitsreinschrift (IV H8); Juni 18.: vorwärts gegangen . . . und zwar in bedeutenden Angelegenheiten (an Zelter); Juni 24.: Einige Hoffnung zu glücklicher Fortsetzung des Unternommenen; [Juli Ende]: Zweite größere Arbeitsreinschrift (IV H13); Juli 22.: Alles rein Geschriebene eingeheftet.1)

Szene [1] Hochgebirg (10039 − 10344) [1797 Juni/1800]: frühe Entwürfe (P83, P86−P90); 1831 Febr−Juli: Szenenarbeit; Febr 13.: jetzt der Anfang (10039−66?) . . . gelungen (Eckermann) 10039−66 (P179a, Schema-Entwurf)2) 10067−344 (P178, Schema) 10095ff. (IV H5, Entwurf) 10067−70 (IV H2, R e i n s c h r i f t )3) 10107−21 (ohne 10115, IV H2, R e i n s c h r i f t )4) 10120f. (IV H18, Entwurf) 10130−76 (ohne 10157, IV H5, Entwurf) 10156 (IV H6, Entwurf)5) 10159 (IV H6, Entwurf)6) 10198−233 (P188, Entwurf) 10207f. (P188a, Notizen) 10130−211 (IV H2, R e i n s c h r i f t ) 10211ff. (P189, Entwurf) 10212−33 (IV H18, Entwurf)7) 10216f. (P188a, Notizen) 10247−51 (IV H6, Entwurf)8) 10297−310 (IV H6, Entwurf)9) 10313−18 (ohne 10314, IV H6, Entwurf)10) 10296−344 (IV H8, R e i n s c h r i f t )

1828 1831 1831 1831

[nach 18. Apr] Mai 16. [nach 18. Juni] [nach 18. Juni]

1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831

[nach 18. Juni] [Juni Ende] [nach 18. Juni] [Frühj.] [Frühj.] [nach 18. Juni] [nach 24. Juni] [nach 18. Juni] [nach 18. Juni] [Juni Ende] [nach 24. Juni] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [nach 30. Mai]

Szene[2] Auf dem Vorgebirg (10345 − 10782) 1815 Juni−Juli: Beschäftigung mit Kriegswissenschaft; 1831 Mai u. Juni: Szenenarbeit 10345−782 (P178, Schema) 10345−74 (P181, Schema) 10345−422 (P183, Schema)11) 10345−66 (IV H8, R e i n s c h r i f t ) 10385−92 (IV H11, Entwurf)12) 1

1831 1831 1831 1831 1831

Mai 16. [Juni Anf.?] [Juni Ende?] [nach 30. Mai] [Juni Ende]

) Nachtrag 1831 Dez, s. Sz. [2]. ) Bohnenkamp 671: Sicher ist, daß P179a . . . entstehungsgeschichtlich vor P178 . . . anzusetzen sind. 3 ) Bohnenkamp 707: überarbeitete Fassung von IV H5. 4 ) Bohnenkamp 707: überarbeitete Fassung von IV H5. 5 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 6 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 7 ) Bohnenkamp 731: Die älteren Entwürfe . . . H P188. 8 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 9 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 10 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 11 ) Bohnenkamp 720: . . . sehr wahrscheinlich nach dem ausführlichen Schema P181/182 entstanden. 12 ) Reinschriftcharakter. − Bohnenkamp 722: . . . ist wohl nach P183 anzusetzen. 2

596

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 10399−406 (IV H11, Entwurf)1) 10407−22 (ohne 10419f., IV H12, R e i n s c h r i f t )2) 10427−38 (IV H11, Entwurf)3) 10455−62 (IV H11, Entwurf)4) 10440−46 (IV H16, Entwurf) 10463−72 (P183, Schema) 10473−80 (P181, Schema)5) 10512−18 (IV H19, Entwurf)6) 10525−30 (IV H19, Entwurf)7) 10534f. (IV H19, Entwurf)8) 10546f. (IV H19, Entwurf)9) 10475−546 (IV H 18, Entwurf)10) 10407−564 (ohne 10429−38, 10443−46, 10524, 10557−60, IV H13, R e i n s c h r i f t ) 10507−80 (P181, Schema) 10547−53 (IV H5, Entwurf) 10555f. (IV H20, Schema) 10598−611 (IV H22, Schema-Entwurf)11) 10624−39 (ohne 10628f., IV H22, SchemaEntwurf) 10561f. (IV H20, Schema) 10640−53 (P181, Schema) 10693−702 (IV Hd, Entwurf)12) 10707−16 (ohne 10710, IV Hd, Entwurf)13) 10717−33 (IV H22a, Entwurf)14) 10737−41 (IV H22a, Entwurf)15) 10725f. (IV Hd, Entwurf)16) 10737−41 (IV Hd, Entwurf)17) 10750−55 (IV H22a, Entwurf)18) 10768−73 (IV Hd, Entwurf)19) 10640−782 (IV H8, R e i n s c h r i f t ) 1

1831 [Juni Ende] 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831

[Juni Ende?] [Juni Ende] [Juni Ende] [nach 8. Dez] [Juni Ende?] [Juni Anf.?] [Juni Mitte/Ende?] [Juni Mitte/Ende?] [Juni Mitte/Ende?] [Juni Mitte/Ende?] [Juni Ende]

1831 1831 1831 1831 1831

[Juli Anf.] [Juni Anf.?] [nach 18. Juni] [Juni Anf.?] [nach 16. Mai]

1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831

[nach 16. Mai] [Juni Anf.?] [Juni Anf.?] [Juni Mitte/Ende?] [Juni Mitte/Ende?] [nach 30. Mai] [nach 30. Mai] [Juni Mitte/Ende?] [Juni Mitte/Ende?] [nach 30. Mai] [Juni Mitte/Ende?] [nach 30. Mai]

) Reinschriftcharakter. − Bohnenkamp 722: . . . ist wohl nach P183 anzusetzen. ) Bohnenkamp 667: Vorstufe von IV H13. 3 ) Bohnenkamp 667: Vorstufe von IV H13. 4 ) Bohnenkamp 667: Vorstufe von IV H13. 5 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H13. 6 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8 u. H18. 7 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8 u. H18. 8 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8 u. H18. 9 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8 u. H18. 10 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H13. 11 ) Bei Bohnenkamp 678 u. FA II 7.2, 1043 auch: 10612−23. 12 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 13 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 14 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 15 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 16 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 17 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 18 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 19 ) Bohnenkamp 666: Vorstufe von IV H8. 2

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

597

Szene [3] Des Gegenkaisers Zelt (10783 − 11042) 1831 Juli 13./22.: Hauptgeschäft (=10849−1042), basierend auf Vorarbeiten Ende Mai/Anf. Juni.1) 1831 Dez/1832 Jan: abschließende Ergänzung von 10987−90. 10783−848 (P178, Schema) 10783−848 (IV H8, R e i n s c h r i f t ) 10898−916 (IV H20, Entwurf) 10931−76 (P184, Notizen) 10993−10202) (IV H22a, Entwurf)

1831 1831 1831 1831 1831

Mai 16. [nach 30. Mai] [Juni Anf.?] [nach 30. Mai] [nach 30. Mai]

Akt V Vor 1800: erste Pläne u. Vorarbeiten zu Szene [4], [5] u. [6];3) 1825 Febr Ende − März Ende: Arbeit an den Szenen 4−6;4) März 24.: Redaction der Papiere; 1826 März/Apr: Redaktion der Papiere; 1828 Okt 14.: der letzte Akt beinahe fertig (Riemer); 1830 Jan 24.: der fünfte Akt ist so gut wie fertig (Eckermann);5) 1831 Mai 4.: Abschluß der 5. Abtheilung [Akt V]; Mai 5.: Einiges an der 5. Abteilung [Akt V] ajustirt und der Übereinstimmung näher gebracht.

Szene [1] Offene Gegend (11043 − 11142) vor 1800: Vorarbeiten6); 1831 Apr: Szenenarbeit7) unter Verwendung früher Pläne8); Apr 6.: Das Notwendigste durchdacht; Apr 9.: Anderes Geheime bedenkend. Philemon und Baucis . . . sehr zusagend; 1831 Mai 2.: den bisher fehlenden Anfang des fünften Aktes . . . so gut wie fertig9) (Eckermann); Mai 4.: Abschluß der 5. Abteilung; 1831 Juni 6.: Goethe zeigte mir heute den bisher noch fehlenden Anfang des fünften Aktes . . . las bis zu der Stelle, wo die Hütte von Philemon und Baucis verbrannt ist, und Faust . . . den Rauch riecht, den ein leiser Wind ihm zuwehet. (Eckermann) 11043−90 (V Hi, Entwurf) 11095f. (V Hi, Entwurf) 11103−06 (V H39, Entwurf) 11091−116 (V Hj, Entwurf)

1831 1831 1831 1831

[Apr 6.−9./30.] [Apr 6.−9./30.] [nach 25. Apr] [nach 25. Apr]

Szene [2] Palast (11143 − 11287) Vermutl. 1831 Apr u. Mai beendet.

1

) Zu den Arbeiten am Hauptgeschäft s. 13. Juli 1831: Tgb. ) MA 18.1, 1081: 10993−11016]. 3 ) Die Schnelligkeit, mit der G diese drei Szenen schuf, spricht dafür, daß er in den Faust-Papieren von vor 1800 auf mehr als die überlieferten Vorleistungen zurückgreifen konnte; s. 17. Febr 1825: Die ältern Nacharbeitungen vorgenommen. Einiges zurechte gestellt. Über die wiss.Vermutungen betr. Wiederaufnahme der alten Pläne: Bohnenkamp 738−47. 4 ) 1825 Febr 26.: An Faust einiges gedacht und geschrieben; 27.: Betrachtungen über Faust. Die ältern Nacharbeitungen vorgenommen. Einiges zurechte gestellt; März 13.: An Faust den Schluß ferner hin redigirt. 5 ) Die drei Eingangszenen entstanden erst Apr/Mai 1831. 6 ) Die Intention auch dieser Szenen . . . ist über dreißig Jahre alt (2. Mai 1831, Eckermann). 7 ) Beginn vermutl. 2. Apr 1831: s. dort. 8 ) s. 2. Mai u. 6. Juni 1831: Eckermann Gespräch. 9 ) Gemeint wohl die drei Eingangsszenen. 2

598

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

Szene[3] Tiefe Nacht (11288 − 11383) Vermutl. 1831 Apr u. Mai beendet.1)

Szene [4] Mitternacht (11384 − 11510) 1825 Febr Ende − März Ende: Szenenarbeit 11402 (V H4, Entwurf) 11402−5 (V H6, Entwurf) 11403−7 (P202a, Entwurf) 11404f. (V H4, Entwurf) 11410f. (V H4, Entwurf) 11410f. (V H6, Entwurf) 11407−19 (V H8, Entwurf)2) 11420−22 (V H4, Entwurf) 11420−23 (V H6, Entwurf) 11400−23 (V H7, R e i n s c h r i f t )3) 11422f. (P201, Entwurf) 11424−36 (V H9, Entwurf) 11437−39 (H4, Entwurf) 11384−506 (ohne 11400f., V H2, R e i n s c h r i f t ) 11384−510 (P194, S c h e m a - R e i n s c h r i f t )

1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825

[Frühj.] [nach 26. Febr] [Frühj.] [Frühj.] [Frühj.] [nach 26. Febr] [nach 26. Febr] [Frühj.] [nach 26. Febr] [nach 26. Febr] [Febr Ende?] [Febr 26./März 4.] [Frühj.]

1825 [Febr Ende/März Ende] 1830 [nach 2. Dez]

Szene [5] Großer Vorhof des Palasts (11511 − 11603) 1825 Febr Ende − März Ende: Szenenarbeit; 1831 Mai Anf.: Überarbeitung 11511−603 (P194, S c h e m a - R e i n s c h r i f t ) 11511−30 (V H14, Entwurf) 11515−30 (V H13, Entwurf) 11519−26 (V H15, Entwurf) 11531−38 (P92, R e i n s c h r i f t )4) 11539−41 (P91, Entwurf) 11511−603 (ohne11551−54, 11559−80, 11585f., 11591f., V H2, R e i n s c h r i f t ) 11593−95 (V H17, Entwurf)

1830 [nach 2. Dez] 1825 [nach 14. März] 1825 [nach 14. März] 1825 [März ca. 12.] [1797 Juni 23./1798 Mai 5.?] [1797 Juni 23./1798 Mai 5.?] 1825 [Febr Ende/März Ende] 1825 [Febr 26.]

Szene [6] Grablegung (11604 − 11843) [1797 Juni 23./1798 Mai 5.?]: erste Textentwürfe, 1812 Apr Ende: Lektüre von Sicklers Sacra Dyonisiaca; 1825 Febr Ende−März Ende: Szenenarbeit; 1830 Dez: Ergänzungen; 1831 Mai Anf.: Überarbeitung 11604−07 (P92, R e i n s c h r i f t )5) 11638f. (V H23, Entwurf) 11612−14 (P206, Entwurf) 11656−58ff. (V H24, Entwurf) 1

[1797 Juni 23./1798 Mai 5.?] 1825 [Febr Ende?] 1825 [Febr Ende?] 1825 [Febr 27.?]

) Das Lynceus-Lied Zum Sehen geboren. . . wohl früher entworfen (Landeck 106) ) Bohnenkamp 773: Vorstufen . . . auf den Handschriften V H3−H6. 3 ) R e i n s c h r i f t von Vorstufen H6 u. H8. 4 ) Überarbeitung 1825 Febr/März (Bohnenkamp 207). 5 ) Überarbeitung 1825 Febr/März (Bohnenkamp 207). 2

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 11676−84 (V H24, Entwurf) 11699−709 (V H26, R e i n s c h r i f t )1) 11710f. (V H27, Entwurf) 11713−15 (V H27, Entwurf) 11713−152) (P202, Entwurf). 11710−16 (V H28, Entwurf)3) 11726−34 (V H30, Entwurf) 11735−42 (ohne 11741;V H23, Entwurf) 11735−44 (V H26, R e i n s c h r i f t ) 11745−52 (V H30, Entwurf) 11753−55 (V H24, Entwurf) 11753−76 (V H32, Entwurf) 117724) (P205, Entwurf) 11779−82 (V H23, Entwurf) 11783−800 (V H32, Entwurf) 11801−08 (V H30, Entwurf) 11809−16 (V H32, Entwurf) 11817−24 (H30, Entwurf) 11825−31 (ohne 11826, V H32, Entwurf) 11745−52 (V Hm, R e i n s c h r i f t ) 11604−831 (V H2, R e i n s c h r i f t ) 11699−709 (V Hb, R e i n s c h r i f t ) 11836−39 (V Hc, Entwurf) 11604−843 (P194; Schema- R e i n s c h r i f t )

1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1825 1830 1830

599

[Febr 27.?] [März Anf.] [nach 17. Febr] [nach 17. Febr] [Febr Ende?] [März] [vor 6. März] [Febr Ende?] [März Anf.] [vor 6. März] [Febr 27.?] [Febr 28.?] [Febr 27.?] [Febr Ende?] [Febr 28.?] [vor 6. März] [Febr 28.?] [vor 6. März] [Febr 28.?] März 6. [Febr Ende/März Ende] Apr 6. [Dez Anf.] [nach 2. Dez]

Szene [7] Bergschluchten (11844 − 12111) 1830 1. Hälfte Dez: Szenenarbeit;5) Dez 17.: Abschluß von Faust und Mundum desselben; 1831 Mai Anf.: Überarbeitung 11854−65 (V H34, Entwurf)6) 11926−41 (V Hc, Entwurf) 11844−941 (ohne 11902f. u. 11954−80, V H33I u. V H33II, R e i n s c h r i f t ) 11942−53 (V H37, Entwurf) 11954−57 (V Hd, Entwurf)7) 11966−80 (V Hd, Entwurf) 11981−96 (V He, R e i n s c h r i f t ) 11989−96 (V Hd, R e i n s c h r i f t )8) 11954−65 (V Hc, Entwurf) 11954−80 (V H33I u. H33II, R e i n s c h r i f t ) 12001−4 (P208, Entwurf) 12013−19 (V He, R e i n s c h r i f t )

1

1830 [Dez ca. 5.] 1830 [Dez Anf.] 1830 1831 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830

[Dez 1. Drittel] [vor 14. Febr] [Dez] [Dez] [Dez] [Dez] [Dez Anf.] [Dez 1. Drittel] [Dez Anf.] [Dez]

) s. auch 6. Apr 1825: V Hb. ) Bohnenkamp 761 u. FA I 7.2, 1056: 11715−17. 3 ) Bohnenkamp 775: Vorstufen finden sich auf den Handschriften V H25 und V H27. 4 ) Witkowski 1906, 448: 11685−87; Bohnenkamp 766: 11770−72. 5 ) Auf der Grundlage von Entwürfen aus V H2. 6 ) Bohnenkamp 747: V H34 . . . Vorstufe des Mundums V H33. 7 ) Bohnenkamp 793: . . . Vorstufe zu V Hc. 8 ) Landeck 199: HdRs ist als die vorübergehende Reinschrift des Entwurfs He zu betrachten. 2

600

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL 12013−19 (V Hd, R e i n s c h r i f t )1) 12032−111 (P196, Schema-Entwurf) 12032−35 (V Hg1, Entwurf) 12069−75 (V Hg1, Entwurf) 12032−35 (V Hg2, R e i n s c h r i f t ) 12069−75 (V Hg2, R e i n s c h r i f t ) 12076−79 (V Hc, Entwurf) 12084−95 (V Hg2, R e i n s c h r i f t ) 12104−11 (V Hg2, R e i n s c h r i f t ) P97 (Abkündigung) P98 (Abschied) P97 (H2, Abkündigung) P98 (H2, Schluß)

D

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1797 1797 1825 1825

[Dez] [Dez 5./12.] [Dez] [Dez] [Dez] [Dez] [Dez Anf.] [Dez] [Dez] [Juni 23./1798 Mai 5.?] [Juni 23./1798 Mai 5.?] 615 [Febr Ende/März Ende] [Febr Ende/März Ende]

C1 4 (1827) 229−307: Helena klassisch-romantische Phantasmagorie.Zwischenspiel zu Faust.2) − C1 12 (1828) 249−313: Faust. Zweyter Theil.3) − C1 41 (1832) 1−344: Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten. (Vollendet im Sommer 1831.) − Q 1.2 (1836) 178−81: Paralipomena zu Faust.4) − Loeper 1870 II 1−244; 247−52 (Paralipomena). − W 15.1, 1−337; 15.2, 191−247 (Paralipomena). − Die Paralipomena zu Goethes ’Faust’.5) − MA 18.1, 103−351. −− FA I 7.1, 201−464. − Hist. krit. Faust.

Z6)

1760 − 1765 [?] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Dichtung u. Wahrheit gD, S. 489f.)

1770 − 1771 (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Dichtung u. Wahrheit gD, S. 490)

1

) Landeck 199: HdRs ist als die vorübergehende Reinschrift des Entwurfs He zu betrachten. 2 ) Vorabdruck von Akt III in: Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. Vierter Band. Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien. Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1827 (kl. 80; sog. Taschenausgabe). 3 ) Vorabdruck von Akt I bis 6036 in Bd 12 der Taschenausg., mit Schlußbemerkung: (Ist fortzusetzen.) 4 ) Posthume sog. Quartausgabe hsg. von Riemer u. Eckermann. Dort erstmals (S. 180f.) Paralipomena zu Faust [II] u. d. T. Am Hofe des Kaisers: P65, P66, P96; u. d. T. Classische Walpurgisnacht: P140, P150;. u. d.T. Freies Feld: P38, P67, P4, P68, P81; u. d. T. Vor dem Palast: P93, P94, P95. 5 ) ». . . das Hauptgeschäft nicht außer Augen lassend« Die Paralipomena zu Goethes ›Faust‹ Von Anne Bohnenkamp. Frankfurt am Main und Leipzig 1994. S. 266−806 [zu Faust II]. 6 ) Da weltpolitische Ereignisse als Erlebnishintergrund auf Faust II einwirkten, wird hier zu den jeweiligen Jahreszahlen auf sie hingewiesen.

1781

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1781 Febr 19. An Lavater (Br 5, 56): Die lezten Tage der vorigen Woche hab ich im

Dienste der Eitelkeit zugebracht. Man übertäubt mit Maskeraden und glänzenden Erfindungen offt eigne und fremde Noth. Ich tracktire diese Sachen als Künstler und so gehts noch . . . so schmück ich die Aufzüge der Thorheit.1) Juni 21. An Maler J. F. Müller2) (Br 5, 136f.; 140f.): Ihre Gemälde, Zeichnungen und Briefe hab’ ich alle ihrer Zeit wohl erhalten3) . . . Ich will Ihnen gegenwärtig nur kurz meine Gedanken sagen . . . In der Wahl Ihrer Gegenstände scheint Sie auch mehr eine dunkle Dichterlust als ein geschärfter Malersinn zu leiten. Der Streit beider Geister [Erzengel Michael u. Satan] über den Leichnam Mosis ist eine alberne Judenfabel, die weder Göttliches noch Menschliches enthält. In dem alten Testament steht, daß Moses, nachdem ihm der Herr das gelobte Land gezeigt, gestorben und von dem Herrn im Verborgenen begraben worden sei; dies ist schön.4) Wenn ich nun aber, besonders wie Sie es 1

) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz (5065−986). G’s Erfahrungen als Hofpoet u. ›maıˆtre de plaisir‹ bei den Maskenzügen am Weimarer Hof waren wichtige Voraussetzungen für diese Szenen. Hier wie dort wird die Noth, die im Staatsrat Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones zur Sprache kommt, übertäubt mit Maskeraden und glänzenden Erfindungen. Die Klage (4853f. Marschalk): Wir wollen alle Tage sparen / Und brauchen alle Tage mehr, entsprach den von G am Weimarer Hof erlebten Regierungsmißständen; vgl. Mommsen 1989, 134−55. 2 ) Zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts, Sz. [6] Grablegung (11612−843) u. Sz. [7] Bergschluchten. Vgl. Schröer 1896, 368 zu 11614f.; E. Schmidt 1902, 399: Der Kampf guter und böser Mächte um die Seele ist häufiger Gegenstand mittelalterlicher Literatur und Malerei . . . Die Geschichte Judä gibt wenigstens ein Wortgefecht Michaels und Satans um Mosis Leiche. Das hatte Goethe, als Müller es malte, am 21. Juni 1781 zwar schroff eine »alberne Judenfabel« gescholten, aber beredt gesagt, man solle darstellen, wie Moses »entzückt verscheide und Engel ihn in einer Glorie wegzuheben beschäftigt« seien. Das Motiv blieb ihm geläufig. Vgl. 24. Aug 1819: an Schubarth u. das in Zahme Xenien V 1827 erschienene: Über Moses Leichnam stritten / Selige mit Fluchdämonen . . . 3 ) Der durch G und vom Weimarer Hof unterstützte Maler F. Müller hatte am 16. Okt 1779 aus Rom an G geschrieben: Ich habe ein Stück für Sie fertig; was es ist, will ich Ihnen jetzo gleich sagen, hernach können wir weiter fortreden. Dieß Stück ist aus der Epistel Judä genommen, stellt den Streit des Erzengels Michaelis mit Satan über den Leichnam Mosis vor ein Subjekt das Raphael oder ein Michel Angelo hätte malen sollen. − Kurz ich habs gemacht, und wie ich’s gemacht, werden Sie bald sehen, wenn ichs künftiges Frühjahr durch meinen Freund [J. W.] Mechau nach Weimar werde überbringen lassen. − Wers einmal gesehen, kommt immer und siehts wieder, und ob ich gleich nur ein Jahr hier bin, hat mirs doch so viel zuwege bracht, daß mein Wort immer unter denen, die zwölf und funfzehn Jahr schon hier studiren, gilt. (Br 4, 165f.) − Das Bild gilt als verschollen; es ist wohl nicht nach Weimar gelangt, s. Friedrich Müller: Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Hsg. v. R. Paulus u. G. Sauder.Teil 3. Heidelberg 1998, 1371. − Zum Faust-Bezug s. übernächste Anm. 4 ) 5. Buch Mose 34, 1−6; für Witkowski 1906, 370 ist diese Stelle eine Quelle für die

602

Okt

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1781

behandelt haben, den kurz vorher durch Gottes Anblick begnadigten Mann, da ihn kaum der Athem des Lebens verlassen und der Abglanz der Herrlichkeit noch auf seiner Stirn zuckt, dem Teufel unter den Füßen sehe, so zürne ich mit dem Engel, der einige Augenblicke früher hätte herbeieilen und den Körper des Mannes Gottes von der scheidenden Seele in Ehren übernehmen sollen. Wenn man doch dieses Sujet behandeln wollte, so konnte es, dünkt mich, nicht anders geschehen, als daß der Heilige, noch voll von dem anmuthigen Gesichte des gelobten Landes, entzückt verscheidet und Engel ihn in einer Glorie wegzuheben beschäftigt sind; denn das Wort: „Der Herr begrub ihn“, läßt uns zu den schönsten Aussichten Raum, und hier könnte Satan höchstens nur in einer Ecke des Vordergrundes mit seinen schwarzen Schultern kontrastiren und, ohne Hand an den Gesalbten des Herrn zu legen, sich höchstens nur umsehen, ob nicht auch für ihn etwas hier zu erwerben sein möchte.1) 1. An Ch. v. Stein (Br 5, 198): Durch seine [des Barons F. M. Grimm in Gotha] Augen wie ein schwedenborgischer Geist will ich ein gros Stück Land sehn.2)

letzten Szenen von Akt V. Dazu Burdach Faust und Moses 360−67: die Analogie zwischen dem Tod des Faust und dem Tod des Moses erschöpft sich nicht in dem Streit der bösen und guten Dämonen um den Leichnam. Es kommt als Z w e i t e s hinzu das übereinstimmende Motiv der H e r s t e l l u n g d e s G r a b e s durch Mitwirkung von Geistern. Es besteht d r i t t e n s eine Ähnlichkeit darin, daß der hundertjährige Faust wie der hundertzwanzig Jahre alte Moses dem Tod Widerstand leisten, der nur durch geisterhafte Mächte gebrochen wird. Es findet sich v i e r t e n s ein Parallelismus, insofern Faust wie Moses in ihrer schöpferischen Vollkraft, im unverdunkelten Besitz ihres Geistes sterben mit dem sehnsuchtsvollen Blick in das erhoffte nahe Zukunftsland, im Vo r g e f ü h l d e r s i c h e r e n E r f ü l l u n g d e s I d e a l s , das selbst zu erreichen ihnen doch v e r s a g t bleibt, und endlich f ü n f t e n s : beide, Faust und Moses, sterben mit einem Vermächtnis auf den Lippen. Die beiden letzten Übereinstimmungen sind die eigentlich entscheidenden. Hier lebt die Seele der Sage vom Tod des Moses. Diese Seele hat Goethe ergriffen und seine poetische Phantasie zur Nachgestaltung angeregt. Faust, gleich dem Begründer des nationalen jüdischen Staates, dem Gesetzgeber und Bildner der sittlich-religiösen Existenz des jüdischen Volkes, dem Bevollmächtigten und Sprecher Gottes, dem priesterlichen Führer Israels, stirbt auf der Höhe eines titanischen Lebens, von Gott gerufen, von Gott bestattet; er sieht das Land der Verheißung zum Greifen vor sich, aber er selbst kommt nicht hinein, und im Scheiden denkt er nicht mehr an sich, sondern der kommenden Geschlechter, denen er ein G e s e t z s i t t l i c h e n L e b e n s hinterläßt. 1 ) Zu Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts, Sz. [6] Grablegung u. Sz. [7] Bergschluchten. Noch sah G in Maler Müllers Zeichnung vom Streit beider Geister über den Leichnam Mosis nur eine alberne Judenfabel. Erst durch Michelangelos dramatische Darstellung dieses Streits in der Sixtina zu Rom erkannte G dessen Verwendbarkeit in der Tragödie, um den Konflikt zwischen Guten umd Bösem in Fausts Seele durch den Streit zwischen Mephistopheles u. den Engeln um Fausts Leichnam zu demonstrieren. Das wirkte sich noch auf die Darstellung von Fausts Tod, Grablegung u. Himmelfahrt aus. Vgl. unten 1808 Jan 1. die W.K.F.-Rezension von J. M. v. Wagners Moses-Zeichnung. 2 ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten 11906ff. Hinweis von Witkowski 1950, 407f.: die

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603

Nov 14. An Lavater (Br 5, 214): Ich bin geneigter als iemand noch eine Welt

außer der Sichtbaren zu glauben und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar mein eigenes beschränktes Selbst zu einem Schwedenborgischen Geisteruniversum erweitert zu fühlen.

1785 Okt

3. An Elisabeth Goethe (Br 7, 105):1) Wenn man nach Art Schweden-

borgischer Geister durch fremde Augen sehen will, thut man am besten wenn man Kinder Augen dazu wählt. . .2)

17893) Febr 19. An Carl August (Br 9, 86): Wir hören das Carneval sey zu Ihren Ehren

verlängert worden . . . Bei uns ist es desto ruhiger. Seit dem Abscheiden der Frau v. Zigesar welche von Graf Marschall magnetisirt, von Mephistopheles aber würcklich kurirt worden4) und ihre Wundergaben wohl schwerlich in Weimar wieder produciren wird. . .

merkwürdige Vorstellung, daß die Geister in den gewürdigten Seher hineinsteigen, um mit seinen Augen zu sehen, stammt von Swedenborg. Arcana coelestia: Quando primum apertus mihi fuit visus interior et per oculos meos viderunt mundum et quae in mundo sunt spiritus et angelig, obstupefacti sunt, ut dicerent hoc miraculum miraculorum esse. − Von

G öfter verwendet; s. auch 14. Nov 1781: an Lavater; 1. Okt 1785: an G’s Mutter; 18. Nov 1806: an F. A. Wolf; 20. Aug 1824: an d’Alton. 1 ) Unmittelbar vorher: Sie haben mir liebe Mutter in diesem Jahre viele Wohlthaten erzeigt wofür ich Ihnen herzlich dancke. Die gute Aufnahme des lieben Fritz [v. Stein] und die Sorgfalt für ihn, macht mir Freude als etwas das ganz eigens mir zu Liebe geschieht. Sie werden finden daß es ein köstliches Kind ist und mir machen nun seine Erzählungen grose Freude. 2 ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten 11906ff.; vgl. die beiden vorigen Z m. Anm. 3 ) Zum polit. Hintergrund: Franz. Revolution: 14. Juli Erstürmung der Bastille; Abschaffung des Feudalsystems (4.−11. Aug), Deklaration der Menschen- u. Bürgerrechte (26. Aug), frz. Aristokraten strömen zu Tausenden nach Deutschland. Wie G, der sich durch den Moniteur über die anarchischen Zustände in Frankreich auf dem Laufenden hielt, davon berührt wurde, spiegeln seine dadurch ausgelösten dramatischen und epischen Werke. 4 ) Zu Akt I Sz. [6] Hell erleuchtete Säle, wo Mephistopheles (6319−58) die Blondine, die Braune u. eine Dame quacksalbernd curirt. Derartiges beschäftigte G demnach schon 1789, auch wenn unklar ist, wer sich hier hinter Mephistopheles verbirgt. Caroline Herder berichtete ihrem Mann am 6. Febr 1789 über Magnetismus-Anwendungen des Reichsgrafen August D. v. Marschall auf Oßmanstedt u. Burgholzhausen, Erbmarschall in Thüringen: Goethe und Wieland kamen nach Tafel herüber, und da war von dem Unwesen die Rede, das die Frau Vicecanzler [Magdalena Augusta v.] Ziegesar seit Sonntag mit ihren Krämpfen treibt. Sie behauptet, daß sie mit offnen und bewegenden Augen nicht sehen und auch nicht hören könne, sondern durch die Fingerspitzen sehen und hören könne, und da geht denn ein gewaltiger Spectakel mit dem Finger-Hören und

604 Apr

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1789

6. An Carl August (Br 9, 103): Unger hat den ersteren Bogen des Car-

nevals . . . gedruckt.1) Sept 19. [Jena] An C. G. Voigt (Br 9, 153): Mit Herrn [A. G.] Werner haben wir einige angenehme Stunden zugebracht, ich habe nun den ganzen Umfang seiner Meynung über die Vulkane gefaßt.2) Er hat die Materie sehr durchdacht und mit viel Scharfsinn zurecht gelegt.

17903) März 3. [Weimar] An F. H. Jacobi (Br 9, 183): Daß die Französche Revolution

auch für mich eine Revolution war kannst Du dencken.

Übrigens

Fühlen vor, und die Gescheuten finden es denn äußerst grob − platt − dumm, sie alle so zum Narren zu haben . . . Wir bedauern alle, daß der Herzog nicht hier ist; der würde die Mondsüchtige curiren, sie möchte wollen oder nicht, und dem Spectakel ein Ende machen. Der Graf Marschall ist indessen völlig von der Krankheit überzeugt, und hat schon den Magnetismus in selbsteigner Person an ihr probirt, der aber nicht gelungen ist, und der Graf [C. L.] Beust überdenkt und bewundert aufs scharfsinnigste unsre möglichste Verfeinerung der Sinnen etc. Dieser Vorfall ist . . . ein lächerlicher Probirstein für die Sehenden und Blinden geworden. (Herders Reise nach Italien 240f.) − Charlotte v. Lengefeld fragt am 25. März 1789 bei Knebel nach den wunderbaren Erscheinungen der Frau von Ziegesar . . . ob sie vielen Glauben an Somnambulismus in Weimar gefunden oder die Wunderdinge umsonst ausgekramt? (Charl. Schiller 42) 1 ) Das Römische Carneval. Berlin, gedruckt bey Johann Friedrich Unger. 1789. G’s Beschäftigung damit war eine der Voraussetzungen für Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal. 2 ) Eine wichtige Voraussetzung für Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor (7505−77; 7684ff.; 7851ff.) u. Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10075−122) war G’s Übereinstimmung mit dem Hauptexponenten des ›Neptunismus‹, Mineralogen u. Montanisten A. G. Werner. Zur Begegnung vom 16. Sept berichtet Knebel an Luise v. Imhoff: Gestern bin ich mit Goethen herübergereist [nach Jena], und die Gesellschaft des berühmten und in seiner Art einzigen Mineralogen, des Herrn Werner aus Freiberg, hat uns den Nachmittag und Abend sehr unterrichtend und angenehm gemacht. (GG 1, 486). 3 ) Polit. Hintergrund: 1790 stirbt der dt.-österr. Kaiser Joseph II. (20. Febr); gegen seinen in Frankfurt zum Deutschen Kaiser gekrönten Nachfolger Leopold II., Großherzog der Toskana, marschieren preuß. Truppen in Schlesien auf, mit ihnen Carl August als preuß. Generalmajor; G muß ihn begleiten. Den drohenden Krieg zw. Österreich u. Preußen wendet die Konvention von Reichenbach ab. − Eine Voraussetzung für Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172) u. Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10243−45) war der Assignatenschwindel der Franz. Republik von 1790, bei dem 400 Mill. Livres auf Beschluß der Konstituierenden Versammlung als Assignaten, d. h. als verzinsliche Schatzscheine, welche hypothekarisch auf die konfiszierten Güter der Geistlichkeit u. der emigrierten Aristokraten in Form von Papiergeld in Umlauf gesetzt wurden, um die Geldbedürfnisse zu befriedigen. An Zahlungs statt sollte es beim Verkauf jener Güter angenommen u. auch im freien Verkehr als bares Geld angesehen werden. Die mit lautem Beifall begrüßte pseudosozialistische Maßnahme erwies sich für das Volk, einerlei welcher Klasse zugehörig, als ruinös, da nun hemmungslose Gelddruckerei u. wachsende Entwertung einsetzten, so daß der angebl. Betrag der Assignate den Wert der als Pfand dafür haftenden Güter weit überstieg u. Kaufleute ihnen nicht mehr

1790

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605

studire ich die Alten und folge ihrem Beyspiel so gut es in Thüringen gehn will.1) Okt 14. An Geheimrat J. L. Schmidt (Br 9, 228): Übrigens kann ich vorläufig anzeigen daß ich nicht ungegründete Hoffnung habe das ganze Wasserbau Geschäfte endlich in den rechten Weg zu leiten. . .2)

17913) Mai 14. An Knebel (Br 9, 257): Der solide Bau des Schlosses und der leichte

des Theatralischen Gerüstes beschäftigen mich jetzt.4)

trauten. Als der Nennwert des Papiergeldes nur noch 1/833 des Metallgelds betrug, zerrütteten extrem hohe Warenpreise alle wirtschaftlichen Verhältnisse; Finanznot u. Staatsbankrott waren total, zahllose Menschen verhungerten. 1797 wurden die Assignaten für ungültig erklärt; zur Papiergeldproblematik in Österreich s. 27. Juli 1806: Tgb u. 24. Mai 1810: an Carl August. 1 ) Das Z steht hier, weil Faust II ohne die Franz. Revolution u. G’s geistige Orientierung an der Antike nicht die Gestalt gewonnen hätte, die der Dichter dem Werk gegeben hat.− Die Unsicherheit der Zeiten veranlaßte G, 1790 zumindest Faust. Ein Fragment zu publizieren. 2 ) Zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10198ff.) u. Akt V Sz. [1] Offene Gegend (11084 − 11105), wo sich Fausts Wunsch manifestiert, das Naturelement Wasser zu bezwingen u. für Kanalbauten zu sorgen. Eine Voraussetzung dafür war G’s eigene Erfahrung: seine Leitung der neugegründeten Wasserbaukommission (seit 21. Okt 1790); schon vorher hatte er für wasserbauliche Maßnahmen zur Regulierung der Saale gesorgt. 3 ) Auf der polit. Bühne: Mißglückter Fluchtversuch von Louis XVI. (20./21. Juni). Erneut strömen Tausende aristokrat. Flüchtlinge nach Deutschland; in Worms u. Koblenz formieren sich Emigrantenkorps. Kaiser Leopold II., Marie Antoinettes Bruder u. Schwager von Louis XVI., sucht weitere monarchiefeindliche Entwicklungen in Frankreich zu verhindern (Rundschreiben vom 6. Juli), der Dt. Reichstag entscheidet im Aug, die Rechte der Fürsten zu schützen. Truppen der österr. Niederlande werden zusammengezogen. Der preuß. König Friedr. Wilhelm II. schließt sich der österr. Politik an (Deklaration von Pillnitz: 27. Aug). − 4 ) 1791 übernimmt G in Weimar die Leitung zum Wiederaufbau des 1774 abgebrannten Schlosses u. die Organisation des Hoftheaters, dessen Intendant er bis 1817 bleibt. Seine höchst anspruchsvollen Tätigkeiten für den Hof bei unzureichenden Mitteln haben Spuren in den Hofszenen von Faust II hinterlassen. Darauf deutet noch G’s Brief an Schubarth vom 3. Nov 1820 (s. dort), der von idealistischen Vorstellungen, vom sich dem Ideellen nähern und darin entfalten u. von phantastische[n] Irrthümer[n] spricht, durch die unser Freund Faust sich auch durchwürgen mußte. Vgl. Mommsen 1989, 1−36. Zur Ähnlichkeit der Gestalt des jungen Kaisers mit Carl August s. auch H. H. Borcherdt: Die Mummenschanz im Zweiten Teil des Faust (GJb 1936, 303f.); A. R. Hohlfeld: Faust am Kaiserhof (Euphorion 1956, 258) u. P. Requadt: Die Figur des Kaisers im Faust II (JbDSG 1964, 171).

606

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1792

17921) Sept 27. [Hauptquartier Hans] An Knebel (Br 10, 25f.): . . . dieses Musterstück

von Feldzug giebt mir auf viele Zeit zu dencken. Es ist mir sehr lieb daß ich das alles mit Augen gesehen habe und daß ich, wenn von dieser wichtigen Epoche die Rede ist sagen kann: et quorum pars minima fui.2)

17933) Juli

27. [Mainz]4) An C. G. Voigt (Br 10, 98): Endlich kann ich doch ein Wort

aus Maynz sagen. Man ist so zerstört und zerstreut von den Scenen dieser letzten Tage daß man vor einer Menge Ideen kaum einige zusammenbringt . . . Das Elend das die Bürger ausgestanden ist unbeschreiblich.

1

) Polit. Ereignisse: König Friedrich Wilhelm II. von Preußen u. Kaiser Leopold II. von Österreich schließen Schutzvertrag (7. Febr), Leopold II. stirbt (1. März), sein Sohn Franz II. wird zum letzten Kaiser des Heilig. Röm. Reichs deutscher Nation. Auf Frankreichs Kriegserklärung gegen Österreich (20. Apr) beginnt Franz II. zur Rettung der bourbonischen Dynastie den 1. Koalitionskrieg (1792−97). Im Juli rücken die Preußen nach einem Manifest des Herzogs von Braunschweig (25. Juli) in die Champagne ein mit Carl August als preuß. Generalmajor. G muß teilnehmen am militärischen Debakel des Feldzugs vom 8. Aug−16. Dez 1792; Ferdinand von Braunschweig, Anna Amalias Bruder, erweist sich als erfolgloser Feldherr, Kanonade von Valmy (20. Sept), s. „Campagne in Frankreich 1792. Belagerung von Maynz [1793]“; EGW 2, 23−57. − G erfährt in Frankreich vom Sturm auf die Tuilerien (10. Aug), Gefangennahme der königl. Familie, Septembermassakern, der Zerstückelung der Princesse Lamballe u. anderen Horrorakten. Im Okt besetzen frz. Truppen Worms, Speyer, Mainz u. Frankfurt. − Die kurz nach Rückkehr aus Italien G von Carl August aufgenötigte Kriegsteilnahme spiegelt sich in Faust II, wo der Held nach seinem höchsten Daseinsglück im Helena-Akt sofort in Krieg verwickelt wird: Schon wieder Krieg? der Kluge hört’s nicht gern (10235). Vgl. Mommsen 1989, 24. 2 ) = und worin ich eine winzige Rolle spielte, − abgewandeltes Virgil-Zitat aus Aeneis II 5, womit Aeneas den Bericht vom Untergang Trojas beginnt. Über den Feldzug berichtet G am 16. Okt 1782 dem Ehepaar Herder (Br 10, 36): . . . wie von einem bösen Traum zu erwachen, der mich zwischen Koth und Noth, Mangel und Sorge, Gefahr und Qual, zwischen Trümmern, Leichen, Äsern und Scheishaufen gefangen hielt. G’s Kriegserlebnis wirkte sich noch auf Akt IV aus. 3 ) Polit. Ereignisse: Die Hinrichtung von Louis XVI. (21. Jan) veranlaßt England, Holland, Spanien, Neapel u. das gesamte Deutsche Reich dem Bündnis gegen Frankreich beizutreten. Der eskalierende Terrorismus hält die Guillotine in Gang, deren Opfer u. a. Marie Antoinette wird (14. Okt). − Napoleon Bonaparte entreißt den Engländern Toulon. 4 ) G muß auf Wunsch seines Landesherrn vom 12. Mai − 23. Aug 1793 an der Belagerung von Mainz teilnehmen, zumeist im Feldlager von Carl Augusts Regiment in Marienborn. Was er dort erlebte, beeinflußte die zynische Darstellung des Kriegs in Akt IV.

1793

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607

Okt 15. [Weimar] Prolog zu dem Schauspiel Der Krieg, von Goldoni (W 13.1,

163): . . . das Stück, / Es heißt: der Krieg . . . Zwar werdet ihr von tiefer Politik / Warum die Menschen Kriege führen, was / Der letzte Zweck von allen Schlachten sei, / Fürwahr in unserm Lustspiel wenig hören. / Dagegen bleibt ihr auch verschont von allen / Unangenehmen Bildern, wie das Schwert / Die Menschen, wie das Feuer Städte wegzehrt / Und wie, im wilderregten Staubgetümmel, / Die halbgereifte Saat zertreten sinkt. / Ihr hört vielmehr, wie in dem Felde selbst / Wo die Gefahr von allen Seiten droht, / Der Leichtsinn herrscht . . . Und daß der Eigennutz, der viel verderbt, / Auch dort nur sich und seinen Vortheil denkt . . .1)

17942) Aug 27. An Schiller (Br 10, 184f.): . . .3) Wie groß der Vortheil Ihrer Theilneh-

mung für mich seyn wird werden Sie bald selbst sehen, wenn Sie, bey näherer Bekanntschaft, eine Art Dunckelheit und Zaudern bey mir entdecken werden, über die ich nicht Herr werden kann4). . .

17955) Juli 7. [Marienborn] An F. H. Jacobi (Br 10, 88): . . . alles was man weiß und

grade das worauf alles ankommt darf man nicht sagen.6) 1

) Etüden u. Gedankengänge über Kriegsszenen auf der Bühne, ehe G selber in Akt IV seinen Helden mit mephistophelischen Mitteln den Krieg für den Kaiser gewinnen hilft. Vgl. Sz. Hochgebirg (10335−38) Habebald: So leere Händel, das sind Possen, / Damit verdirbt man seinen Tag; Im Nehmen sei nur unverdrossen, / Nach allem andern frag’ hernach. (10342) Haltefest: Zwar nehmen ist recht gut, doch besser ist’s behalten.) − Sz. Auf dem Vorgebirg (10393−96) Kaiser: Sich selbst erhalten bleibt der Selbstsucht Lehre, / Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und Ehre. / Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll, / Daß Nachbars Hausbrand euch verzehren soll? 2 ) Die TuJ 1794 ließ G aufgrund seiner beginnenden Freundschaft mit Schiller zunächst so beginnen (W 35, 285): Dieses Jahr sollte mich gegen die vorigen, in welchen ich viel gelitten, durch mancherlei Tätigkeit erquicken und ich bedurfte dessen. Denn persönlicher Zeuge höchst bedeutender und die Welt bedrohender Umwandlungen gewesen zu sein, das größte Unglück, was Bürger, Bauer und Soldaten begegnen kann, mit Augen gesehen zu haben, gab die traurigste Stimmung. − Polit. Ereignisse des Jahres 1794 waren Dantons Hinrichtung (5. Apr), Robespierres Herrschaft u. Hinrichtung (28. Juli); Krieg der Preußen u. Österreicher gegen Frankreich, Eroberung der österr. Niederlande durch die Franzosen. 3 ) Antwort auf Schillers Brief vom 23. Aug, in dem dieser die Summe von G’s Existenz zog, womit nach der ,glücklichen Begegnung’ vom 20. Juli 1794 bei der Naturforschenden Gesellschaft in Jena, ihre Freundschaft begann. 4 ) Dies gilt speziell für die Fortsetzung des Faust, um die sich Schiller dann ganz besonders verdient gemacht hat. 5 ) Polit. Hintergrund: Friede zu Basel zw. Frankreich u. Preußen (5. Apr). Frankreich

608

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1796

17961) Dez 7. An Schiller (Br 11, 280): . . . Gleich nach dem Tode sitzt der Advokat

des Teufels neben dem Leichnam, und der Engel der ihm Widerpart halten soll, macht gewöhnlich eine klägliche Gebärde.2)

17973) ⎯

⎯ (s. „Faust. Ein Fragment“: F. Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie gD, S. 100)

bleibt im Besitz des linken Rheinufers, Angliederung Belgiens (1. Okt), Besetzung der Niederlande (Batavische Republik). Österreich setzt den Krieg fort: die frz. Heere dringen vom Rhein u. von Italien aus in die österr. Monarchie vor; Napoleon Bonaparte erhält den Oberbefehl in Italien. − Die dortigen Kriege verhindern G’s nochmaligen Italienaufenthalt. 6 ) Betr. Krieg u. polit. Machenschaften, die G mit Horror erlitt, nachdem ihm kurz zuvor höchste Daseinserfüllung durch die in Italien erlebte Antike beschieden war. So spiegelt sich noch eigenes Erleben in dem Ausruf Fausts, nach seiner Verbindung mit Helena (10235): Schon wieder Krieg! der Kluge hört’s nicht gern. Akt IV Sz. [1] Hochgebirg. (Trommeln und kriegerische Musik im Rücken der Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten Seite her). 1 ) Politik u. Krieg notiert G unter den Stichworten für TuJ 1796 (W 35, 278). In Siegesglück Napoleons in Oberitalien referiert G (W 49.1, 413f.): Im Jahre 1796 wird Ober-Italien der Hauptschauplatz des Krieges, Napoleon Bonaparte übernimmt zu Nizza den Oberbefehl über’s französische Heer; unter ihm dienen, als Divisions-Generale, Berthier, Massena, Augereau, Lannes, Laharpe, Menart, Joubert. Unaufhaltsam, übersteigt nun die so kräftig angeführte Heeresmacht den Gebirgsrücken, der sich nah an der Westküste des genuesischen Meerbusens hinter Finale, Noli und Savona herzieht, und so gelangt sie bis zur Quellenregion des Po und Tanaro, unaufhaltsam wälzt sich die Masse hernieder. Ein wichtiges Kampfereigniß drängt das andere . . . Ober-Italien ist verloren, Mailand in französischer Gewalt . . . Bonaparte’s Einzug in Mailand den 15. Mai 1796 . . . Übergang über die Etsch den 14.–19. November 1796. 2 ) Zu Akt V Sz. [5] Grablegung (11612−843). Obwohl der briefliche Kontext ein ganz anderer ist, zeigt der Passus, G beschäftigt sich in Gedanken mit dem zw. Teufel u. Engeln entbrennenden Streit um den Leichnam. Vgl. oben 21. Juni 1781: an Maler J. F. Müller u. 1. Jan 1808: W.K.F. − Zu Parallelen zw. dem sterbenden Moses des A.T. u. G’s sterbendem Fausts s. Burdach Faust und Moses. 3 ) Zu 1797 referiert G in Siegesglück Napoleons in Oberitalien (W 49.1, 414): . . . Mantua ergibt sich . . . Der Krieg wendet sich gegen das aristokratische Venedig und gegen Östreich. Ober-Italien nimmt eine neue Gestalt an . . . Verbündniß des cisalpinischen Freistaats [Mailand, Modena, Ferrara, Bologna, Romagna] . . . Einnahme von Triest . . . März 1797 . . . die Lombardei für frei erklärt. − Napoleon Bonaparte schloß den Frieden von Campoformio (17. Okt), in dem Österreich Belgien gegen Venedig an Frankreich abtrat u. in die Abtretung des linken Rheinufers einwilligte; durch Säkularisierung der geistlichen Besitztümer sollten die geschädigten Fürsten in Deutschland kompensiert werden (Ende des 1. Koalitionskrieges). Über den Pariser Staatsstreich vom 4. Sept (›18. Fructidor‹), an dem N. Bonaparte sich beteiligt, um den Einfluß der Royalisten im Parlament einzudämmen, notiert G am 11. Sept in Tübingen: Abends die Nachricht von der erklärten Fehde des Directoriums mit dem Rathe der 500. − Im Nov wird Friedrich Wilhelm III. König von Preußen.

1797

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609

Jan 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 490) Febr 13. (s. „Hermann und Dorothea“: W. v. Humboldt an C. G. v. Brinckmann gD, EGW 7, 228) März 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 491) Juni 22. (s. „Faust. Eine Tragödie“: an Schiller gD, S. 149 f.) 23. Ausführlicheres Schema zum Faust.1) [Juni 23./1798 Mai 5.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H P82 u. P 83 gD, S. 491) [Sept] Sept

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H P 83 Var gD, S. 491 m. Anm. 4)

[Schaffhausen] Um 6 1/2 Uhr ausgefahren. Grüne Wasserfarbe, Ursache 18. ) derselben. Nebel der die Höhen einnahm. Die Tiefe war klar, man sah das Schloß L a u f e n halb im Nebel der Dampf des Rheinfalls,3) den man recht gut unterscheiden konnte, vermischte sich mit dem Nebel und stieg mit ihm auf. Gedanke an Ossian Liebe zu Nebel bey heftig innern Empfindungen4) U w i e s e n , ein Dorf, Weinberge unten Feld. Oben klärte sich der Himmel langsam auf die Nebel lagen noch auf den Höhen. L a u f e n , man steigt hinab steht auf Kalkfelsen. Theile der sinnlichen Erscheinung des Rheinfalls vom hölzernen Vorbau gesehen. Felsen in der Mitte stehende von dem höhern Wasser ausgeschliffene gegen die das Wasser herabschießt. Ihr Widerstand Einer oben und der andere unten werden völlig überströmt. Schnelle Wellen-Locken Gischt im Sturz, Gischt unten im Kessel, siedende Strudel im Kessel. Der Vers [Schillers Taucher v. 36] legitimirt sich: Es wallet und siedet und brauset und zischt pp. Wenn die strömenden Stellen grün aussehen so erscheint der nächste Gischt leise purpur gefärbt. Unten strömen die Wellen schäumend ab schlagen hieben und drüben ans Ufer die Bewegung verklingt weiter hinab und das Wasser zeigt im Fortfließen seine grüne Farbe wieder. Erregte Ideen Gewalt des Sturzes. Uner2

1

) Zum − nicht überlieferten − Schema s. „Faust. Eine Tragödie“ gD, S. 134, 150 m. Anm. 3. 2 ) Zu Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend 4679−727. Schadewaldt 1955, 234 weist hin auf die Nachwirkung des im Tgb vom 18. Sept 1797 festgehaltenen Eindrucks des Rheinfalls von Schaffhausen mit dem über ihm stehenden Regenbogen, der in den Terzinen so handgreiflich ist, daß man den Grundgedanken der Terzinen schwerlich von diesem Erlebnis trennen kann. Gewiß irrig habe Pniower 1899, 195f. Wassersturz und Regenbogen rein literarisch aus Byrons Childe Harold VI 70 herleiten wollen. 3 ) G’s 3. Begegnung mit dem Rheinfall; die 1. vom 7. Juni 1775 spiegelt der Abschnitt Gebet in Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe (W 37, 323) u. in DuW Buch 18 (W 29, 103); die 2. vom 6. u. 7. 1779 schildert sein Brief an Ch. v. Stein vom 7. Dez 1797 (Br 4, 153). 4 ) Vgl. Werthers Ossian-Zitate am Vorabend seines Todes in Die Leiden des jungen Werthers (W 19, 166f.): . . . Fingal kommt wie eine feuchte Nebelsäule . . . Lied und Gesang, die Seele zu schmelzen . . . sind wie sanfter Nebel, der steigend vom See auf’s Thal sprüht, und die blühenden Blumen füllet das Naß; aber die Sonne kommt wieder in ihrer Kraft und der Nebel ist gegangen.

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schöpfbarkeit als wie ein Unnachlassen der Krafft. Zerstörung, Bleiben, Dauern Bewegung, unmittelbare Ruhe nach dem Fall. Beschränkung durch Mühlen drüben, durch einen Vorbau hieben, ja es war möglich die schönste Ansicht dieses herrlichen Natur Phänomens wirklich zu verschließen. Umgebung. Weinberge, Feld, Wäldchen. Bisher war Nebel, zu besonderm Glücke und Bemerkung des Details die Sonne trat hervor und beleuchtete auf das schönste schief von der Hinterseite das Ganze. Das Sonnenlicht theilte nun die Massen ab bezeichnete alles vor und Zurückstehende, verkörperte die ungeheure Bewegung das Streben der Ströme gegen einander schien gewaltsam zu werden, weil man ihre Richtungen und Abtheilungen deutlicher sah stark spritzende Massen aus der Tiefe zeichneten sich beleuchtet nun vor dem feinern Dunst aus ein halber Regenbogen erschien im Dunste. Bey längerer Betrachtung scheint die Bewegung zuzunehmen das dauernde Ungeheuer muß uns immer wachsend erscheinen; das vollkommne muß uns erst stimmen und uns nach und nach zu sich hinaufheben so erscheinen uns schöne Personen immer schöner, verständige verständiger. Das Meer gebietet dem Meer wenn man sich die Quellen des Oceans dichten wollte, so müßte man sie so darstellen. Nach einiger Beruhigung verfolgt man den Strom in Gedanken bis zu seinen Ursprung und begleitet ihn wieder hinab. Beym Hinabsteigen nach dem flächern Ufer Gedanken an die neumodische Parksucht. Der Natur nachzuhelfen, wenn man schone Motive hat, ist in jeder Gegend lobenswürdig; aber wie bedenklich es sey gewisse Imaginationen realisiren zu wollen da die größten Phänomene der Natur selbst hinter der Idee zurück bleiben. Ich fuhr über. Der Rheinfall von Vorn wo er faßlich ist bleibt noch herrlich man kann ihn auch schon schön nennen man sieht schon mehr den stufenweisen Fall und die Mannigfaltigkeit in seiner Breite. man kann die verschiednen Wirkungen vergleichen vom unbändigsten rechts bis zum nützlich verwendeten links. Ueber den Sturz die schöne Felsenwand an der man das Hergleiten des Stromes ahnden kann rechts das Schloß L a u f e n . Ich stand so, daß das Schlößchen Wörth und der Damm, der von ausgeht, den linken Vordergrund machten. Auch auf dieser Seite sind Kalkfelsen und wahrscheinlich sind auch die Felsen in der Mitte des Sturzes Kalk S c h l ö s s c h e n W ö r t h . Ich ging hinein um ein Glas Wein zu trinken . . . um 10 Uhr fuhr ich bey schönen Sonnenschein wieder hinüber der Rheinfall war noch immer seitwärts von hinten erleuchtet schöne Licht und Schattenmassen zeigten sich sowohl von dem Laufenschen Felsen als von den Felsen der Mitte. Ich trat wieder auf die Bühne an den Sturz heran und ich fühlte daß der vorige Eindruck schon verwischt war es schien gewaltsamer als vorher zu stürmen. Wie schnell sich doch die Nerve wieder in ihren alten Zustand herstellt. Der Regenbogen erschien in seiner größten Schönheit er stand mit seinem ruhigen Fuß in dem ungeheurn Gischt

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und Schaum der, indem er ihn gewaltsam zu zerstöhren droht ihn jeden Augenblick neu hervorbringen muß. B e o b a c h t u n g e n u n d B e t r a c h t u n g e n , Sicherheit neben der entsetzlichen Gewalt. Durch das Rücken der Sonne noch grössere Massen von Licht und Schatten. Da nun kein Nebel ist, scheint der Gischt gewältiger wenn er über den reinen Himmel und die reine Erde hinauffährt. Die dunkle grüne Farbe des abströmenden Flusses ist auch auffallender Wir fuhren zurück. Wenn man nun den Fluß nach dem Falle hinabgleiten sieht so ist er ruhig seigt und unbedeutend. Alle Kräfte die sich gelassen successiv einer ungeheurn Wirkung nähern sind eben so anzusehen mir fielen die Collonen ein wenn sie auf dem Marsche sind. Man sieht nun links über die bebaute Gegend und Weinhügel mit Dörfer und Höfen belebt und mit Häusern wie besäet ein wenig vorwärts Hohentwiel und wenn ich nicht irre die vorstehenden Felsen bey Engen und weiter herwärts. Rechts die Hohen Gebürge der Schweitz in weiter Ferne hinter den mannigfaltigsten Mittelgründen auch bemerkt man hinterwärts gar wohl an der Gestalt der Berge, den Weg den der Rhein nimmt . . . Schafhausen lag mit seiner Dächermasse links im Thale . . . Unterm Thore des Wirthshauses fand ich ein paar Franzosen wieder die ich auch am Rheinfall gesehen hatte, der eine war wohl damit zufrieden der andere aber sagte: c’est asses joli, mais pas si joli que l’on me l’avoit dit. Ich möchte die Ideen des Mannes und seinen Maasstab kennen . . . eodem . Um 3 Uhr fuhr ich wieder nach dem Rheinfall . . . Ich fuhr am rechten Rheinufer hin rechts sind schöne Weinberge und Gärten der Fluß strömt über Felsbänke mit mehr oder weniger Rauschen. . . . Der Kalkstein, an den man vorbey fährt ist sehr klüftig so wie auch drüben bey Laufen Das wunderbarste Phänomen beym Rheinfall ist mir daher die Felsen, welche sich in dessen Mitte so lange erhalten da sie doch wahrscheinlich von derselben Gebirgsart sind. Da sich der Fluß wendet so kommen nun die Weinberge an das entgegengesetzte Ufer und man fährt diesseits zwischen Wiesen und Baumstükken durch. Dann erscheinen drüben steile Felsen und hieben die schönste Cultur. Bey der Abendsonne sah ich noch den Rheinfall von oben und hinten die Mühlen rechts unter mir das Schloß L a u f e n im Angesicht eine große herrliche aber fassliche in allen Theilen interessante aber begreifliche Naturscene man sieht den Fluß heranströhmen und rauschen und sieht wie er fällt. Man geht durch die Mühlen durch in der kleinen Bucht bey dem in der Höhe hervorstehenden mancherley Gebäuden wird selbst der kleine Abfall eines Mühlwassers interessant und die letzten disseitigen Ströhme des Rheinfalls schießen aus grünen Büschen hervor wir gingen weiter um das Schlösschen Wörth herum der Sturz war zu seinem Vortheil und Nachtheil von der Abendsonne grade beleuchtet das grün der tieferen Ströhmungen war lebhafft wie heute früh der Purpur aber des Schaumes und Staubes viel lebhafter

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Wir fuhren näher an ihn hinan es ist ein herrlicher Anblick aber man fühlt wohl daß man keinen Kampf mit diesem Ungeheuer bestehen kann Wir bestiegen wieder das kleine Gerüste und es war eben wieder als wenn man das Schauspiel zum erstenmal sähe. In dem ungeheuern Gewühle war das Farbenspiel herrlich. Von dem großen überströhmten Felsen schien sich der Regenbogen immerfort herab zu wälzen indem er in dem Dunst des herunter stürzenden Schaumes entstand die untergehende Sonne färbt einen Theil der beweglichen Massen gelb die Tiefen Ströhmungen erschienen grün und aller Schaum und Dunst war Licht purpur gefärbt auf allen Tiefen und Höhen erwartete man die Entwicklung eines neuen Regenbogens. Herrlicher war das Farbenspiel in dem Augenblick der sinkenden Sonne aber auch alle Bewegung schien schneller wilder und sprühender zu werden leichte Windstöße kräuseln lebhafter die Säume des stürzenden Schaums Dunst schien mit Dunst gewaltsamer zu kämpfen und indem die ungeheure Erscheinung immer sich selbst gleich blieb fürchtete der Zuschauer dem Uebermaaß zu unterliegen, und erwartete als Mensch jeden Augenblick eine Catastrophe . . .

1797 [−1800]1) [Juni 23./1798 Mai 5.?]2) (H P65 u. P66 zu Akt I Sz. [6] Hell erleuchtete Säle)3)

1

) Zum polit. Zeitgeschehen als Begleitumstände beim Schaffensprozeß von Faust II: G referiert in Siegesglück Napoleons in Oberitalien (W 49.1, 415): Napoleon Bonaparte hat genug geleistet und muß sich hüten in Frankreich furchtbar und verdächtig zu werden. Er übernimmt eine Expedition über See, die ihn lange und weit genug entfernt . . . Landung in Ägypten den 1. Juli 1798. Indessen wird in Italien alles rückgängig; was er gewonnen, ist verloren, und was ihm beifiel, unglücklich . . . Rückkehr desselben aus Ägypten den 7. Oktober 1799. In Frankreich erreicht er bald die hohe, schwer verdiente Würde . . . Bonaparte wird zum ersten Consul der französischen Republik ernannt den 10. November 1799. In Italien aber ist alles verloren und nun geht der Ober-Consul mit der Reserve-Armee über die Alpen und dringt vor . . . Schlacht von Marengo und Tod des General Desaix den 14. Juli 1800 . . . Capitulation der Österreicher. Einräumung von zwölf Festungen den 15. Juni 1800. Bald darauf kehrt Bonaparte nach Paris zurück. − Das frz. Direktorium (1795−99) gab im Mai 1797 seine Zustimmung zur ÄgyptenExpedition des ehrgeizigen General Bonaparte, um ihn aus Frankreich zu entfernen. (2. Juli Landung in Alexandria). Die Invasion Ägyptens stürzte das dort seit dem Mittelalter herrschende Mamluckenregime, erschütterte zugleich das Osmanische Reich u. löste erste Reformen unter Sultan Mohamed II. aus. Im Dez fallen frz. revolutionäre Truppen in die Schweiz ein, die Apr 1798 das Waadtland zur Lemanischen Republik umbilden, die Helvetische Republik ›demokratisieren‹ u. im August ein Bündnis zur Abtretung von Genf, Biel u. Mülhausen an Frankreich erzwingen. − Die Franzosen besetzen ganz Italien. Papst Pius VI. gerät als Gefangener nach Frankreich u. stirbt dort. In Rom bildet Berthier den Kirchenstaat in die Tiberinische Republik um. Die Übergriffe veranlassen die europ. Mächte zu erneutem Kampf. Admiral Nelson vernichtet im Aug 97 die frz. Flotte bei Abukir. Bonaparte zieht nach Syrien, die Engländer verhindern seine Eroberung der Festung Akkon. Zum 2. Koalitionskrieg (1799−1802) verbündet sich Zar

1797 [−1800]

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(H P69 zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones)1) (H P75, P76 u. P77 zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones)2) Paul I. von Rußland mit Österreich, England, Portugal, Neapel, Türkei, während Preußen neutral bleibt. Ferdinand IV. von Neapel läßt sein Heer unter dem österr. General Mack ohne Kriegserklärung in Rom einrücken, um den Papst zu rächen, aber im Jan 1799 erobern die Franzosen Neapel u. proklamieren die Parthenopäische Republik, Ferdinand IV. bleibt nur Sizilien. Frz. Truppen besetzen Piemont u. zwingen König Karl Emanuel II. zum Verzicht auf Sardinien. − Durch Staatsstreich vom 18. Brumaire (9. Nov 1799) stürzt der aus Ägypten zurückgekehrte Bonaparte die Direktorialregierung, an deren Stelle das Konsulat (1799−1804) tritt; alle polit. Macht liegt nun bei drei Konsuln, doch der eigentl. Machthaber ist Bonaparte als 1. Konsul. Napoleons Armeen stürzten oder schwächten die jeweiligen Anciens Regimes unwiderruflich; dies gilt für die westdeutschen Kleinstaaten sowie für Spanien, Portugal u. Ägypten, wo die dreijährige frz. Besatzung der Herrschaftselite des Osmanischen Reiches einen Schock versetzte, der vielfältige Modernisierungsbemühungen auslöste. 2 ) Die unter diesem Datum hier aufgeführten Hss. gehören Bohnenkamp 189f. zufolge aufgrund Papierart, Schreiber u. Bezug zum bezifferten Faust-Schema dem Neuordnungskomplex aus diesem Zeitraum an. 3 ) P65 (Bohnenkamp 186−88): früher Prosa-Dialogentwurf zu Fausts u. Mephistos Geisterbeschwörung am Kaiserhof; zu früheren Datierungsvermutungen s. Bohnenkamp 189f. − [Zeile1−5]: Bravo alter Fortinbras, alter Kauz, dir ist übel zu Muthe ich bedaur dich von Herzen. Nimm dich zusammen Noch ein paar Worte wir hören sobald kein[en] König wieder reden. − Hertz 1931, 16−20 meint, der Name der Shakespeare−Gestalt Fortinbras sei ein Deckname für den Preußenkönig Friedrich II, dessen Geist G bei der Beschwörung am Kaiserhof hätte erscheinen lassen wollen. Er stützt die Argumentation auf Zeile 38−41: B[ischof] Es sind heidnische Gesinnungen ich habe dergleichen im Mark aurel gefunden. Es sind die heidnischen Tugend[en], weil Voltaire Friedrich II. als Marc-Aure`le d’Allemagne bezeichnet hatte. − Morris 1902 I 172 meint, mit alter Fortinbras sei der Geist Alexanders d. Gr. angeredet, der wie in Faust-Volksbüchern u. Puppenspielen am Kaiserhof beschworen werden sollte. − [Zeile 6−29:] Canzl[ler ] Dafür haben wir das Glück die Weisen Sprüche Ihrer Majestät deß Kaysers desto öfter zu verneh[men] M[ephisto] Das ist was ganz anders. Ew Ex brauchen nicht zu protestiren was wir andr[e] Hexenmeister sagen ist ganz unpraejudicirlich Faust Stille stille er regt sich wieder. Fahr hin du alter Schwan! Fahr hin Gesegnet seyst du vor deinem letz[ten] gesang und alles was du uns zuv[or] gesagt hast. Das Uebel was du thun mußtest ist klein dage[g] en Marsch[alk] Redet nicht so laut der Kayser schlaft Ihre Maj scheinen nicht wol M[ephisto] Ihre Majest haben zu befehlen ob wir aufhören sollen. Die Geister haben ohne dies nichts weiter zu sagen . . . − P66, signiert ad 20, gehört mit 3 wohl von Mephisto gesprochenen Versen u. einer Notiz gleichfalls zum Auftritt am Kaiserhof. Dort spielt Mephisto die Phisicus−Rolle wie nach der Zweiteilung in der definitiven Fassung (6307−76). − Zu P65 u. 66 s. auch Bohnenkamp 189−91 u. FA I 7.2, 948f. 1 ) P69 (Bohnenkamp 192) enthält drei an den Kanzler gerichtete Verse Mephistos als Teil der Gespräche am Kaiserhof, anknüpfend an P65. − Zu P69 s. auch Bohnenkamp 192 u. FA I 7.2, 949. 2 ) P75, P76 u. P77 (Bohnenkamp 193). − Die zu Akt I−V gehörigen P65, P66, P69, P75, P76, P77, P81, P91, P92, P96, P97, P98 (Bohnenkamp 186−211) bezeugen, daß Szenen am Kaiserhof, eine Unterredung zw. Faust, Mephisto u. Kaiser, wie auch abschließende Szenen zu Fausts Ende u. Tod schon geplant waren, als Faust noch als einteiliges Drama konzipiert war. Nach G’s Entschluß zur Zweiteilung (erwähnt von Schiller: 13. Sept 1800) gehören diese P zur Entstehungsgeschichte von Faust II. − Zu P75, P76 u. P77 s. auch Bohnenkamp 193 u. FA I 7.2, 950.

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1797 [−1800]

(H P81 zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones?)1) (H P91 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts (11539ff.)2) (H P92 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts mit 11531−38; 11604−07)3) (H P96 zu Akt V Sz. [6] nach Fausts Tod − Mephisto im Konflikt mit den Engeln)4) (H P97 zu Akt V Sz. [7] nicht verwendete Abkündigung)5) (H P98 zu Akt V Sz.[7] nicht verwendeter Abschied)6)

1

) P81 (Bohnenkamp 194) 6 Verse einer Rede Mephistos; die Sign. ad 22 weist auf eine nicht näher bestimmbare Szene nach dem 1. Auftritt am Kaiserhof hin. − Zu P81 s. auch Bohnenkamp 195 u. FA I 7.2, 950. 2 ) P91 (Bohnenkamp 205) Egh Entwurf in Blei zu Faust kurz vor dem Tod; oben rechts signiert ad 27. Linksseitig: N.B. Taubheit. M[eph]. Und Mitternacht bezeichnet dieser Schlag. F[aust]. Was fabelst du es ist ja hoch Mittag / Wie herrlich muß die Sonne scheinen / Sie thut so wohl den alten Beinen. / Komm mit M. Du willst F. ich fordr es selbst von dir. Der endgültigen Ausführung entspricht schon die Grundidee von Fausts Verkennung seiner Lage. Die Sign. ad 27 u. das Papier deuten darauf, daß diese Zeilen 1797/98 entstanden, als G die alten Faust-Papiere neu ordnete. (Damals schrieb der Schreiber Geist die früheren Bruchstücke ab.) − Zu P91 s. auch Bohnenkamp 205 u. FA I 7.2, 952f. 3 ) P92 (Bohnenkamp 206) enthält das bei Fausts Begräbnis gesungene Lied. (G bearbeitete das aus Shakespeares Hamlet V 1 bekannte Totengräberlied frei nach Thomas Percys Reliques of Ancient English Poetry 1765, 1, 161.) Die Vs von Bl. 1 bietet in 2 Korrekturschritten den endgültigen Text 11531−38 u. 11604−07 ohne Personenzuordnung; noch gab es keine Lemuren. Die Verse Dir dumpfer Gast im hänfnen Gewand / Ists viel zu gut gerathen (11606f.), die G mit Blei unter die Version in Geists Abschrift von 1797/98 schrieb, gehören zur 2. Korrekturschicht, wohl vom Frühj. 1825, als G die alten Papiere wieder vornahm. − Zu P92 s. auch Bohnenkamp 207 u. FA I 7.2, 953. 4 ) P96 (Bohnenkamp 208) mit ununterscheidbarer Sign. ad 18 oder − wahrscheinlicher − ad 28: vier Verse Mephistos im Konflikt um Faust mit den Engeln. Mephistos Klage, sein Recht komme dem König nicht zu Ohren, deutet darauf, daß er bereits im Plan von 1797/98 nicht mehr dem Herrn bei einem abschließenden Himmelsgericht gegenüber stehen sollte. − Zu P96 s. auch Bohnenkamp 208 u. FA I 7.2, 208. 5 ) P97 (Bohnenkamp 209) Die 8 Verse umfassende Abkündigung trägt die als letzte Nr. des bezifferten Faust-Schemas anzusehende Signatur ad 30. In der Theatertradition seit den röm. Komödienschlüssen das Publikum zum Applaus auffordernd, war P97 als Gegenstück zum Vorspiel auf dem Theater, gesprochen vom Theaterdirektor oder von der Lustigen Person, als des Dichters Schlußwort gedacht, das aber nach Erfindung der Bergschluchten-Szene von 1830 nicht mehr passte. Ein Bruchstück Abkündigung schon auf Sammelblatt H P10. − Zu P97 s. auch Bohnenkamp 209f. u. FA I 7.2, 954. 6 ) P98 (Bohnenkamp 211f.) signiert ad 30, enthält als Pendant zur Zueignung, gleichfalls in Stanzen, den vom Dichter gesprochenen Abschied. Für den einteiligen Faust waren Abkündigung u. Abschied als Schlußgedichte vorgesehen. G beabsichtigte noch 1825, die beiden Schlußgedichte in den nunmehr zweiteiligen Faust aufzunehmen, wie eine Abschrift in V H 2 bezeugt; s. unten [1825 Febr Ende/März Ende]: V H2. − Mit P91, P92, P96, P97 u. P98 liegen insgesamt 5 Blätter zu den geplanten Schlußszenen vor. G bedachte von Anfang an das Ende von Faust, doch Z zum geplanten Schluß sind erst seit 1797/98 überliefert. − Zu P98 s. auch FA I 7.2, 954−56, insb. zu den früheren Entstehungsvermutungen Bohnenkamp 213f.

1797 [−1800] [1797 Juni/1800] [Sept]

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(II H5 mit P86−P90 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg)1)

(H P121a zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz u. P83 zu Akt IV Sz. [1], nach Helena)2)

17983) Febr 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller gD, S. 491 f.) 21. An Schiller (Br 13, 71f.): Sagen Sie mir doch Ihre Gedanken über die

Versart in welcher der Schlegelsche Prometheus geschrieben ist. Ich habe etwas vor das mich reizt Stanzen zu machen, weil sie aber gar zu obligat und gemessen periodisch sind, so habe ich an jenes Sylbenmaß [Terzinen] gedacht, es will mir aber bey näherer Ansicht nicht gefallen,

1

) P86−P90 (Bohnenkamp 203): Wie an Papier und Beschriftung deutlich wird, ist II H5 ein Sammelblatt aus der . . . Jahrhundertwende. Fünf von Faust gesprochene Zweizeiler bzgl. auf Helenas Verlust u. die Frage was bleibt? − P86: So hab’ ich denn auf immerdar verlohren / Was mir das Herz zum letztenmal erquickt. − P87: Ein irdischer Verlust ist zu bejammern / Ein geistiger treibt zu Verzweiflung hin. − P88: Ich lernte diese Welt verachten / Nun bin ich erst sie zu erobern werth − P89: Der leichte hohe Geist riß mich aus dieser Enge / Die Schönheit aus der Barbarey. − P90: Und wenn das Leben allen Reiz verlohren / Ist der Besitz noch immer etwas werth. Die Verse zeigen, daß G schon vor 1800 Fausts Neubeginn konzipierte, der nach Helenas Verschwinden im Zeichen der Lust am Besitz u. tatkräftiger Welteroberung stehen sollte; s. unten [16. Dez 1816]: P63. − Auf der Rs. von II H 5 notierte G sehr viel später zwei zu Akt II Sz. [2] Laboratorium gehörende Verse (6863f.) s. unten [Sept?] 1829 mit Anm., woraus hervorgeht, daß G das Blatt noch über ein Vierteljahrhundert später wieder vor sich hatte. − Zu P86−P90 s. auch Bohnenkamp 204 u. FA I 7.2, 952. 2 ) P121a (Bohnenkamp 199) Verse Mephistos am Kaiserhof: Wie man bey Hof sich zwischen Fensterpfeiler Mit einer schönen Dame stellt, entstanden während der Schweizer Reise im Sept 1797, da G sie im Reisejournal notierte, dort auch P83 der Zweizeiler Aller Trost ist niederträchtig Und Verzweiflung nur ist Pflicht, dessen Variante in H P82 (Bohnenkamp 201) G die Signatur ad 24 gab. Die Beispiele zeigen, daß G während der Schweiz-Reise an die Fortsetzung des Faust dachte. − Zu P121a u. P83 s. auch Bohnenkamp 199f. u. FA I 7.2, 951f. 3 ) General Bonapartes Zug nach Ägypten u. Sieg bei den Pyramiden hat vermutl. eingewirkt auf die Ägypten-Bezüge der KWN in Akt II Sz. [4] Am oberen Peneios (7241– 48) da sein Appell vom 21. Juli 1798 an die frz. Truppen angesichts der Pyramiden hochberühmt wurde: »Soldats, du haut de ces pyramides, quarante sie`cles vous contemplent.« (P. Martin: Histoire de l’expe´dition franc¸aise en Egypte. Tome I. 1815, p. 199.) Die Aktivitäten seiner wissenschaftl. Umgebung, besonders des unentwegt während des Feldzugs Zeichnungen anfertigenden Dominique Vivant Baron de Denon (1747−1825) veranschaulichten Ägypten für ganz Europa; zunächst im 2-bändigen Voyage dans la Basse et la Haute Egypte pendant les campagnes du ge´ne´ral Bonaparte (Paris 1802), dann im 24-bändigen Description de l’Egypte (Paris 1809–22). G schätzte V. de Denon hoch, hatte sich schon 1790 in Venedig mit ihm befreundet. Visuelle Auswirkungen von Denons bildlichen Wiedergaben der Sphinxe vor den Pyramiden auf die Sphinxe vor den Pyramiden in KWN Akt II, Sz. [4] Am obern Peneios (7080−248) sind nicht von der Hand zu weisen.

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1798

weil es gar keine Ruhe hat und man wegen der fortschreitenden Reime nirgends schließen kann.1) März 26., 27., 28. u. 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 492) Mai

5. An Schiller (Br 13, 136f.): Meinen Faust habe ich um ein gutes weiter

gebracht. Das alte noch vorräthige höchst confuse Manuscript ist abgeschrieben und die Theile sind in abgesonderten Lagen, nach den Nummern eines ausführlichen Schemas hinter einander gelegt.2) Nun kann ich jeden Augenblick die Stimmung nutzen, um einzelne Theile weiter auszuführen und das ganze früher oder später zusammen zu stellen.

17993) März/Apr Achilleis (W 50, 284, v. 377−79): [Athenes Klage über das, was der zu

früh geschiedene Achilleus hätte leisten können]: Städte zerstört er nicht mehr, er baut sie; fernem Gestade / Führt er den Überfluß der Bürger zu; Küsten und Syrten / Wimmeln von neuem Volk, des Raums und der Nahrung begierig.4)

1

) Zu Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend (4679−727) A. W. Schlegel verwendete Dantes Versmaß der Göttlichen Komödie als erster in dt. Sprache für sein in Schillers MusenAlmanach für das Jahr 1798 (S. 49−75) erschienenes Gedicht Prometheus. Da laut G’s Aussage gegenüber Eckermann Fausts Terzinenmonolog Natureindrücke der 3. Schweizreise von 1797 reflektiert, die am 17. Sept in Schaffhausen nah am Rheinfall (der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend) begann u. am 26. Okt endete, kulminierend mit G’s dritter Besteigung des Sankt Gotthard am 3. Okt (Der Berge Gipfelriesen . . . der Alpe grüngesenkten Wiesen), ist es denkbar, daß G den Monolog schon bald nach der Rückkehr konzipierte, auch wenn er ihn wohl erst 1826 vollendete; s. 1826 Juli 8.: Fleischer an G; 13. u. Aug 10.: Tgb; 26.: Tgb u. an A. Wagner; 1827 Mai 6.: Eckermann. 2 ) Zum ausführlichen Schema s. oben 23. Juni 1797: Tgb m. Anm. 3 ) 2. Koalitionskrieg gegen Frankreich (bis 1802) mit Rußland, Österreich, England, Portugal, Neapel u. Türkei als Verbündeten, während Preußen neutral blieb. Staatsstreich des aus Ägypten zurückgekehrten Bonaparte (18. Brumaire = 9. Nov), der das Direktorium stürzt, den Rat der 500 auseinander treibt u. zum 1. Konsul gewählt wird. In TuJ 1799 (W 35, 88) erwähnt G ein Gefäß, worin ich alles, was ich so manches Jahr über die französische Revolution und deren Folgen geschrieben und gedacht, mit geziemendem Ernste niederzulegen hoffte, − hier mit Bezug auf das Natürliche Tochter-Fragment. Doch G’s Einblicke ins Zeitgeschehen hinterließen auch Spuren in Faust II. 4 ) Zur Neulandgewinnung in Akt IV Sz. [1] Hochgebirg 10212−30 u. Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts 11559−86 wies zuerst Vischer 1875, 34 u. 85f. auf die Berührung der Achilleis mit Faust II hin. Pniower 1899, 295: Er zeigt, wie in dem Idealbild, das Pallas Athene in der Klage um den frühen Tod des Achilleus (v. 365ff.) von dem zum »Vollendeten« gereiften Jüngling entwirft, Fausts Schicksal . . .: ein leidenschaftlicher Stürmer endet mit bauen und wirken . . . Selbst an kleinen, wörtlichen Übereinstimmungen fehlt es nicht: W i m m e l n v o n n e u e m Vo l k vergleicht sich mit ’Solch ein G e w i m m e l möcht ich sehn’ (11579) und ’Sogleich behaglich auf der n e u s t e n E r d e ’ (11566).

1799

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617

Apr 2., 3., 4. u. 6. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 493) Mai 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an W. v. Humboldt gD, S. 493f.)

18001) ⎯

⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Chronologie . . . Goethe’scher Schriften gD, S. 494)

Apr

2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an A. W. Schlegel gD, S. 494) 4. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: A. W. Schlegel an G gD, S. 494)

Mai 6.u.7. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 494 und 495) [7.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: G. Hermann, Einleitung zu . . . Euripides’ Hekuba u. Otto Jahn, G. Hermann gD, S. 495) Juli ?

2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Reichard an G gD, S. 495) 6. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 496)

Aug 1.

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller gD, S. 496)

4. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 496) 18. [Paris] W. v. Humboldt an G (GJb 1910, 54−56):2) Seitdem ich mich hier mehr damit beschäftigt habe, die Spanischen Reisebeschreibungen durchzulesen, ist der Entschluß auch etwas einer Reise Aehnliches zu machen, ernsthafter in mir geworden. Ich habe überlegt, daß meine Vorgänger mir noch viel übrig gelassen haben, und daß ich immer ein interessantes Bändchen liefern könnte. Indeß habe ich sie alle mit großer Sorgfalt gelesen, es fehlen mir nur wenige, die ich mir nicht verschaffen konnte, und ich werde schlechterdings nur die Punkte berühren, über die ich etwas Eigenes sagen kann. Ein solcher war der Montserrat, von dem Sie hier eine Beschreibung empfangen. Er ist fast von allen Reisebeschreibern nur mit wenigen Worten abgefertigt worden . . . Ich fing also damit am liebsten an, um so mehr weil die zwei Tage, die ich dort zubrachte, wirklich fast die angenehmsten meiner Reise waren. Ueber meine Schilderung sage ich Ihnen nichts; Sie mögen selbst urtheilen . . . Die inliegende Beschreibung des Montserrat wünschte ich gedruckt zu sehen.3) [Sept?]

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H P84 mit sog. Rheinlandschema gD, S. 496)

Sept 12. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Schiller gD, S. 496) 13. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb, Vulpius an G, Schiller an G u. Bibliotheksentleihungen gD, S. 497) 13. [Weimar] Schiller an G (SNA 30, 195f.): Ich wünsche Ihnen Glück zu dem Schritte, den Sie in Ihrem Faust gethan. Laßen Sie sich aber ja nicht durch den Gedanken stören, wenn die schönen Gestalten und Situationen kommen, daß es Schade sey, sie zu

1

) Napoleon siegte bei Marengo, General Moreau in Bayern über die Österreicher. ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten Wald, Fels, Einöde. Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften. − Humboldts Beschreibung des 1241 Meter hohen, 10 km langen Gebirgsmassivs Montserrat im Nordwesten Barcelonas mit Einsiedeleien mehrerer Eremiten wirkte inspirierend auf G’s letzte Faust-Szene; s. unten 15. Sept 1800: an Humboldt. 3 ) ED von W. v. Humboldts Der Montserrat bei Barcelona in: Allgemeine geographische Ephemeriden. Weimar. 11 (1803) 3. St. (März) S. 265−313. Neudruck in: W. v. Humboldts Werke. Hsg. v. A. Leitzmann. Bd 3. Berlin 1904, S. 30−59. 2

618

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1800

verbarbarisieren.1) Der Fall könnte Ihnen im 2ten Theil des Faust2) noch öfters vorkommen, und es möchte einmal für allemal gut seyn, Ihr poetisches Gewißen darüber zum Schweigen zu bringen. Das Barbarische der Behandlung, das Ihnen durch den Geist des ganzen aufgelegt wird, kann den höhern Gehalt nicht zerstören und das Schöne nicht aufheben, nur es anders specificieren und für ein anderes Seelenvermögen zubereiten. Eben das Höhere und Vornehmere in den Motiven wird dem Werk einen eigenen Reiz geben, und Helena ist in diesem Stück ein Symbol für alle die Schönen Gestalten, die sich hinein verirren werden. Es ist ein sehr bedeutender Vortheil, von dem Reinen mit Bewußtseyn ins Unreinere zu gehen, anstatt von dem Unreinen einen Aufschwung zum Reinen zu suchen wie bei uns übrigen Barbaren der Fall. Sie müssen also in Ihrem Faust überall Ihr Faustrecht behaupten.

Sept 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 498) 15. [Jena] An W. v. Humboldt (Br 15, 103):3) Durch Ihren Montserrat ha-

ben Sie uns ein großes Vergnügen gemacht. Die Darstellung ist sehr gut geschrieben, man liest sie gern und man kann sie aus der Einbildungskraft nicht los werden. Ich befinde mich seit der Zeit, ehe ich michs versehe, bey einem oder dem andern Ihrer Eremiten. 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller u. an Cotta gD, S. 498) 17. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schiller an G gD, S. 499) [Herbst] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H9 u. III H1 Bll. 1−7 gD, S. 499) [Herbst?] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H10 gD, S. 499) [Sept

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann, Gespräche mit Goethe über den 21.] zweiten Theil des Faust gD, S. 499)

22. u. 23. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 499) 23. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller u. Schiller an G gD, S. 499f.) 24. Preise (W 48, 224f.):4) Die Aufgaben für das nächste Jahr sind: . . .

ferner der Kampf Achills mit den Flußgöttern.5) 24., 25. u. 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 500) 26. [27.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schiller an G gD, S. 500) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Schiller gD, S. 500f.) 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller gD, S. 501)

1

) Zu Akt III; ausgelöst durch G’s Nachricht vom 12. Sept: meine H e l e n a ist wirklich aufgetreten. Nun zieht mich aber das Schöne in der Lage meiner Heldin so sehr an, daß es mich betrübt wenn ich es zunächst in eine Fratze verwandeln soll. (Br 15, 102). 2 ) Erste indirekte Erwähnung einer Zweiteilung des Faust. Die Beiläufigkeit, mit der Schiller sie berührt, zeigt, daß G’s Entschluß dazu schon vorher Gesprächsgegenstand war; der Briefwechsel enthält keine Erörterung des Themas. 3 ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten; vgl. oben 18. Aug 1800: Humboldt an G. 4 ) G’s Aufforderung an bildende Künstler, sich an den Weimarischen Kunstausstellungen u. Preisaufgaben zu beteiligen, erschien im Intelligenzblatt der ALZ Nr. 160 v. 1. Okt 1800 u. in der Allgemeinen Zeitung (Augsburg, Cotta) v. 6. Okt 1800. 5 ) Dem Kampf Achills mit den Flußgöttern entsprach in Faust II der Kampf Fausts gegen die Elemente u. Eindämmung des Meers in Akt IV u. Akt V, mit dem G quasi den Homer ’überbot‘; s. unten 1801: Die Preisaufgabe betreffend.

1800 Okt

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3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller gD, S. 501) 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schiller an Körner gD, S. 501)

Nov 2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Lenz an G gD, S. 502) 17. u. 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 502) 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller gD, S. 502) 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. Schlegel an A. W. Schlegel gD, S. 502) Dez

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: A. W. Schlegel an Schleiermacher gD, S. 502f.) 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schleiermacher an A. W. Schlegel gD, S. 503) 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schiller an G gD, S. 503)

[Ende] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schelling an Caroline Schlegel gD, S. 503)

18011) ⎯

⎯ Die Preisaufgabe betreffend 1801 (W 48, 20):2) Der Kampf Achills mit

den Flüssen; oder wenn man lieber will, Achill in Gefahr, von den erzürnten Flüssen überwältigt zu werden. Wir wählten aber jenen Ausdruck, um zu bezeichnen, daß wir mehr den Helden, der ungeheuern Naturkräften widersteht, als den, der ihnen unterzuliegen fürchtet, gebildet sehen möchten. Diese Aufgabe hat mehrere Momente, in welchen sie gefaßt werden kann. Wir ersuchen daher die Künstler, den 21sten Gesang der Ilias ganz zu lesen. So wie wir bei dieser Gelegenheit jedem Künstler, der mit uns in Verbindung steht oder zu treten geneigt ist, empfehlen, sich die Vossische Übersetzung des Homer anzuschaffen . . . und diese Werke als den Grundschatz aller Kunst fleißig zu studiren. Sept

7. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: A. W. Schlegel an Schleiermacher gD, S. 503)

Dez

1. Preise. 1801 (W 48, 28): Der in den Propyläen für dieses Jahr ausge-

setzte Preis von 30 Ducaten auf die beste Zeichnung, die E n t d e k k u n g A c h i l l s u n t e r d e n T ö c h t e r n L y c o m e d s und den K a m p f A c h i l l s m i t d e n F l u ß g ö t t e r n darstellend, ist abermals unter die 1

) 1801 wurde Bonaparte zum Friedensstifter: Frankreichs Gegner (außer England) legten die Waffen nieder: der Friede von Lune´ville (9. Febr) bestimmte den Rhein als Frankreichs Grenze; die Cisalpinische, Batavische, Ligurische u. Helvetische Republik sowie das Königreich Etrurien (Toscana) wurden anerkannt. Durch Vertrag mit Spanien erwarb Frankreich Parma u. Louisiana in Nordamerika; es folgten Friedensschlüsse mit Neapel u. Portugal, mit Rußland u. der Pforte. Ein Konkordat mit dem päpstl. Stuhl kam zustande, wonach Frankreich wieder 9 Erzbischöfe u. 41 Bischöfe erhielt. − Das Erlebnis der für die polit. Machthaber unentbehrlichen Verbindung mit der Geistlichkeit könnte auf den Dialog des Kaisers mit dem Erzbischof-Erzkanzler am Ende von Akt IV (10931−11042) eingewirkt haben. 2 ) Zum Bezug zu Faust vgl. oben 24. Sept 1800: Preise mit Anm.

620

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1801

Herren Nahl [J. A. Nahl d. J.] zu Kassel und Hoffmann zu Köln in gleichen Teilen vertheilet worden.1)

18022) Jan

1. Kunstausstellung vom Jahre 1801 (W 48, 41): Achill verfolgt die Tro-

janer, welche zu retten sich ihm zwei Flüsse entgegensetzen, dagegen stehen ihm obere Gottheiten bei.3)

1

) s. nachfolgendes Z. ) Langwierige Verhandlungen zw. England u. Frankreich kommen im März (Friede von Amiens) zum Abschluß. Rückkehr der frz. Regimenter aus Ägypten. Napoleon Bonaparte wird zum Regenten der ital. Republik, im Aug 1802 zum Ersten Konsul auf Lebenszeit, der alle polit. Gewalt einschließlich der Entscheidung über Krieg u. Frieden innehat. Die Franzosen besetzen Hannover. − G u. seine Zeitgenossen erleben in diesen Jahren auf der polit. Bühne Gewalt u. List als ›dämonische‹ Mächte. Darauf deuten noch Mephistos Aussagen in Akt IV Sz. Hochgebirg (10125ff.):’s ist Ehrenpunkt: der Teufel war dabei! Wir sind die Leute, Großes zu erreichen;Tumult, Gewalt und Unsinn! Sieh das Zeichen! (10301): Kriegslist, um Schlachten zu gewinnen! Akt V Sz. Palast 11184ff.:’Man hat Gewalt, so hat man Recht. Man fragt ums Wa s , und nicht ums W i e . Ich müßte keine Schiffahrt kennen: Krieg, Handel und Piraterie, Dreieinig sind sie, nicht zu trennen. 3 ) G fährt fort: Dieses Sujet hat mehrere Momente, und es entsteht daher das Eigene, daß man es auf entgegengesetzte Weise behandeln kann. Einmal sehr einfach, symbolisch auf Bildhauer-Art. Und dann weitgreifend, mahlerisch, in geschichtlicher Darstellung. Nach beiden Seiten hin haben die Concurrenten gearbeitet, sind aber, nach unserer Überzeugung, vom Ziele allzuweit entfernt geblieben. Von der einfachsten Art war schon ein Muster vorhanden; es befindet sich unter den Flaxmanischen Umrissen. Achill steht, über einem Todten mit Schwert und Schild, zwischen den zwei Flußgöttern, die auf dem Saume der Wogen zwei Leichen gegen ihn anwälzen . . . Welle, Flußgott und Leiche werden dadurch zur Einheit, sowohl in der Idee, als in der Darstellung . . . der Held steht, zum Kämpfen gerüstet, nicht kämpfend, sondern mit Ensetzen zwischen ihnen! Und hier ziemt ihm das Entsetzen, da er nicht von bewaffneten kräftigen Feinden, sondern von göttlichen Wundernaturen, Leichen und einem wilden Element bestürmt wird . . . Flaxmans Arbeit ist eine glückliche Skizze. Wie viel wäre noch an der Composition zu rücken und zu bessern, und, bei einer sorgfältigen Ausführung, an Form und Charakter u.s.w. zu gewinnen gewesen! . . . Das Motiv, daß dem Achill die oberen Götter beistehen, ist auf verschiedenen hier eingesandten Stücken . . . Herrn Hoffmann allein ist es gewissermaßen geglückt. Dem von wüthend andringenden Flußgöttern zu beiden Seiten eingeschlossenen Achill hat er durch eine Wolke einen Rückenhalt bereitet, der ihn mit den höhern Regionen für’s Auge zusammenknüpft. Auf dieser Wolke erscheinen Neptun und Minerva als gelassene göttliche Beistände . . . E r t h e i l u n g d e s P r e i s e s . Nachdem uns diejenigen Arbeiten, welche sich mit Achill zwischen den Flußgöttern beschäftigt, zu wenig Genüge gethan: so haben wir, aus Ursachen, welche vorstehende Beurtheilung im Einzelnen angibt, den Preis von 30 Ducaten zwischen Herrn Nahl in Kassel und Herrn Hoffmann in Köln abermals getheilt . . . wir sind weit entfernt, eine Arbeit, sie sei nun vor Zeiten entstanden, oder sie entstehe in unsern Tagen, unmittelbar an jenen idealen Maßstab zu halten . . . vielmehr suchen wir uns durchaus auf dem historischen Standpunct zu befestigen. Wir bedenken die Zeit, in welcher der Künstler gelebt hat, oder lebt, die Umstände in denen er sich befand, die Periode seines Lebens, in 2

1802

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

621

Apr 11. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Wieland an Böttiger gD, S. 503) Juni 26. [Lauchstädt] Was wir bringen (Festliche Eröffnung des neuen Lauch-

städter Theaters; W 13.1, 80): . . . als Baucis und Philemon unsers Tempelhaus, / Genießet lange, lange noch des guten Glücks . . .1)

18032) Apr [Jena] Schelling an G (Fuhrmans 2, 494): Hier habe ich die Ehre, den Calderon zu vor 22. überschicken. Schlegel wünscht, daß er nicht weiter als an die von ihm bestimmten Personen mitgetheilt werde. Dieses Exemplar steht aber zu Ihrem Befehl, so lange Sie es behalten wollen.3) 22. [Jena] Calderon zwey Stücke. Mit Schelling spazieren gefahren. 22. [Jena] Schelling an A. W. Schlegel (Fuhrmans 2, 495): Mit den Calderonschen Werken haben Sie mir das größte Vergnügen gemacht und mich zum wärmsten Dank verpflichtet. Ich hatte gleich Gelegenheit, sie Goethen zu geben, der gegenwärtig hier ist. Er ist auch von dem zweiten Stück [Über allen Zauber Liebe] entzückt. . .4)

welcher das Werk verfertigt ward; und so lernen wir das, was er geleistet, mit Billigkeit schätzen. (Ebd., 41−47). 1 ) Zu Akt V Sz. [2] Palast: 11242−52. Die Intention zur Philemon-und Baucis-Partie sei über 30 Jahre alt, betont G gegenüber Eckermann am 2. Mai 1831 (s. dort), sie sei ihm so bedeutend gewesen, daß er sie nie vergaß. In Was wir bringen (1802) erinnert G an Philemon und Baucis bei Ovid: der unerkannte Gott verwandelt die dürftige Hütte des gastfreundlichen Paares in einen Tempel; die Verwandlung wies sinnbildlich auf den Aufschwung des Weimarer Theaters durch Goethes und Schillers gemeinsamem Wirken hin. Zugleich . . . welches hohe Verdienst sich das arme Weimar durch seine Gastfreundschaft gegenüber den Dichtern erworben hatte. Im Juli 1814 folgte eine Fortsetzung, in der Philemon und Baucis mit ähnlichem allegorischem Bezug auftraten, im Vorspiel zu Eröffnung des Theaters in Halle. Hieran knüpft G zur Kennzeichnung von Fausts letztem, allerschlimmsten Vergehen an. Genaueres s. Mommsen 1989, 29−33: 2 ) Zur Zeitsituation: Nach Aufhebung von 112 dt. Kleinstaaten regelt der Reichsdeputationshauptschluß zu Regensburg die Umverteilung; geistl. Besitztümer werden zur Ausführung der 1797 zugesicherten Entschädigungen verwendet. Napoleon will deutsche Mittelstaaten schaffen, die stark gegen Österreich, aber zu schwach gegen Frankreich sind. G u. seine Zeitgenossen erleben die Wettkämpfe dynastischer Habgier. Ähnliches schildert Mephisto in Akt IV Sz. Hochgebirg (10261−71): Indes zerfiel das Reich in Anarchie, / Wo groß und klein sich kreuz und quer befehdeten / Und Brüder sich vertrieben, töteten, / Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt, / Zunft gegen Adel Fehde hat, / Der Bischof mit Kapitel und Gemeinde, / Was sich nur ansah, waren Feinde. / In Kirchen Mord und Totschlag . . . Und allen wuchs die Kühnheit nicht gering; / Denn leben hieß sich wehren. . . 3 ) Schelling übergab die Druckfahnen der ersten beiden Stücke aus: Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Barca. Übers. v. A. W. Schlegel. Bd 1. Berlin 1803 (= Spanisches Theater. Hsg. von A. W. Schlegel. Bd 1) enthaltend: Die Andacht zum Kreuz (La devocio ´n de la cruz), Über allen Zauber Liebe (El mayor encanto Amor) u. Die Schärpe und die Blume (La vanda y la flor). Den vollst. gedruckten Bd 1 erhielt G mit A. W. Schlegels Sendung vom 7. Mai 1803 (s. dort) Für Faust II wurde vor allem Über allen Zauber Liebe wichtig; s. die nächsten Z. 4 ) Über allen Zauber Liebe wurde bedeutungsvoll für Akt II Sz. [7] KWN Felsbuchten

622 Mai

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1803

7. [Berlin] A. W. Schlegel an G (Körner−Wienecke 137): . . . Da die Spanischen Stücke überhaupt, und die des Calderon insbesondere so durchaus theatralisch gedacht sind, so halten Sie vielleicht einen guten Erfolg auf Ihrer Bühne im allgemeinen nicht für unmöglich.

[Juni [Weimar] An A. W. Schlegel (Konzept;1) Br 16, 471): [Dank] . . . für die Mitte] Übersetzung aus dem spanischen. Ich freue mich der Hoffnung die Sie

uns geben diesen außerordentlichen Mann [Caldero ´n] noch weiter kennen zu lernen . . . Das mittlere Stück [Über allen Zauber Liebe] läßt sich vielleicht am ersten produciren . . .2) Juli 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Zelter gD, S. 504) [Sept] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 503f.) 12. u. 13. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 504) [Sept 12./(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Nachricht des Pausanias von Polygnots GeOkt 3.] mählde gD, S. 504) [Okt] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Polygnots Gemählde in der Lesche zu Delphi gD, S. 505 f.) Nov 18. [Göttingen] G. Sartorius an G (GSA 30/243 Bl. 145): Simonde de la richesse commerciale3) habe ich mir von der Bibliothek bereits hohlen lassen. Ich verspreche von diedes Aegäischen Meers (8424−86): Galatee auf dem Muschelwagen bis Schlußapotheose auf Eros. Caldero ´ns Drama, das Homers Ulysses u. seiner Gefährten Abenteuer bei der gefährlichen Zauberin Circe galt, gipfelt in der Schlußszene (S. 341ff.) Szenenanweisung: Das Meer erheitert sich und es erscheint auf demselben, in einem Triumphwagen von zwey Delphinen gezogen, Galatea, viele Tritonen und Syrenen mit musikalischen Instrumenten um sie her. G a l a t e a : . . .Galatea bin ich, Doris Und des mächt’gen MeerGebieters Nereus Kind . . . In der nächsten Szenenanweisung erscheint der Ätna, welcher Feuer speyt. Bei Caldero ´ns Meeresfest geht es um Tod u. Leben, die Elemente Feuer u. Wasser, den Triumph der Liebe über alle böse Zauberei. Wichtige Motive konnten G zur Apotheose der KWN inspirieren, zumal das Stück auch atmosphärisch Faust II erstaunlich nahe ist; so ist Circe eine Hexe, Magierin, Pyromantin aus Thessalien [!], wo sie ihre Künste lernte (S. 189); als Nekromantin vermag sie Tote zum Sprechen zu zwingen, was an Erichtho zu Anf. von Akt II erinnert. Durch Zauberkünste gewinnt Circe militärische Schlachten; sie weiß (S. 312f.): . . . bilden meine Krieger gleich ein kleines Häufchen Reis’ge Heere stell ich auf In der Luftgebilde Räumen, Die mit Ordnungen des Fußvolks Und Geschwadern leichter Reuter In fantastischen Gefechten, Nachgeahmten Zügen, täuschen . . . Als Magierin gelingt es ihr (S. 335), ein Volk mit Erscheinungen zu bezwingen; Denn sie flohen vor den Heeren, die sie auf den Schein gebildet. All das entspricht Mephistos Zauberkünsten: Trug! Zauberblendwerk! Hohler Schein in Akt IV (10295−848), mit denen er dem Kaiser (10583: Naturgemäß geschieht es nicht) zum Sieg verhilft. In beiden Dramen werden Trommeln und kriegerische Musik bühnenwirksam eingesetzt. Zu G’s gründlicher Beschäftigung mit Caldero ´ns Stück; s. 1803 Mai 7.: Schlegel an G; Juni Mitte: an Schlegel; 1808 März 16.: Tgb; 19.: Henriette v. Knebel an Knebel u. 23.: Tgb sowie Koch GJb 1884, 319, Storck 1914, 150, Beutler 1940, 608f. u. Atkins 1953. 1 ) Nicht abgesandt. − G’s Dank für Schlegels Sendung vom 7. Mai 1803. 2 ) Über allen Zauber Liebe brachte G nicht auf die Bühne, doch als Theaterdirektor studierte er Caldero ´ns Standhaften Prinzen, Das Leben ein Traum u. Die große Zenobia ein. 3 ) Jean Charles Le´onard Simonde de Sismondi: De la richesse commercial ou principles d’e´conomie politique, applique´s `a la legislation du commerce. 2 T. Gene`ve 1803.

1803

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623

sem, so wie von folgenden Büchern: R e h b e r g über den deutschen Adel1) und T h o r n t o n über den englischen Papier-Credit,2) Ihnen Recensionen zu schicken, wenn anders die beyden letzten Werke noch niemanden sonst zugetheilt sind; weßhalb ich um eine baldige Nachricht bitte.3) Diese drey sind die interessantesten politischen Werke, die in der letzten Zeit erschienen sind; sie verdienen eine ernstliche Behandlung.

18044) Jan

7. [Göttingen] G. Sartorius an G (GSA 30/ 244 Bl. 22f.):5) Eine Zeitlang hoffte ich . . . Ihnen selbst die beyliegende Recension [zu Thornton] überbringen zu können; allein es wollte schlechterdings nicht frieren, und bey diesen schlechten Wegen mußte dieß, von uns so ernstlich gemeinte Projekt aufgegeben werden. Thornton hat mir sehr viel zu schaffen gemacht. Ich läugne nicht, daß mir die Recension mehrere Wochen gekostet hat; es war ein saueres Stück Arbeit. Nach dem Aufwande, den ich gemacht habe, zu urtheilen, ist mir nie eine Anzeige so schwer geworden . . . Die Recension ist fürchte ich etwas zu lang gerathen, und dennoch habe ich noch so wenig von dem gesagt, was alles gesagt werden sollte. Ich halte Thornton’s Buch, bey allen ihm anklebenden Fehlern, für eines der wichtigsten Werke, das über den Papier-Credit, seit Adam Smith erschienen ist. Auch ist zu beobachten, daß ich sehr weitläuftig schreibe und daß beym Ausdrucke immer weniger herauskommt, als ich vermuthete. Sollte Ihnen indeß die

1

) August Wilhelm Rehberg: Ueber den deutschen Adel. Göttingen 1803. ) Zu Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172): Einführung des Papiergelds. Sartorius rezensierte: An Enquiry into the nature and effects of the Paper Credit of Great Britain. By Henry Thornton, Esqu. M. P. London 1802. − Thornton galt als Befürworter des Papiergeldsystems; vgl. Karl Heinz Brodbeck: Faust und die Sprache des Geldes. Freiburg u. München 2014, 273−81. − s. auch 1804 Jan 16.: an Eichstädt u. Febr 2.: Tgb sowie 27. Dez 1829: Eckermann. 3 ) Zum Kontext der Rez. s. „Zur Geschichte der Jenaischen Literaturzeitung“, EGW 6, 350−499. 4 ) Zur polit. Situation erwähnt G in TuJ 1804 (W 35, 170−72): . . . zu einer Zeit, wo die französische Übergewalt so allseitig drohte und stillkluge Menschen das unausweichliche Unheil voraussahen, das uns im nächsten Jahre [gemeint: 1806] an den Rand der Vernichtung führen sollte . . . Frau von Stael trat einen Abend vor der Hofzeit bei mir ein und sagte gleich zum Willkommen, mit heftiger Lebhaftigkeit: »Ich habe Euch eine wichtige Nachricht anzukündigen: [General] Moreau ist arretirt mit einigen andern, und des Verraths gegen den Tyrannen angeklagt.« − Ich hatte seit langer Zeit, wie jedermann, an der Persönlichkeit des Edlen Theil genommen, und war seinem Thun und Handeln gefolgt; ich rief im Stillen mir das Vergangene zurück, um, nach meiner Art, daran das Gegenwärtige zu prüfen und das Künftige daraus zu schließen, oder doch wenigstens zu ahnen. − In Frankreich wird (21. März) der Code Civil verkündet. Durch Senatsbeschluß vom 18. Mai wird Bonaparte als Napoleon I. zum erblichen Kaiser der Franzosen erklärt u. durch Volksabstimmung sanktioniert. Um am 2. Dez Napoleons u. Kaiserin Josephines Salbung in der Kathedrale Notre Dame zu vollziehen, kommt Papst Pius VII. nach Paris. − Akt IV Sz. Des Gegenkaisers Zelt spiegelt (10931−42) Macht u. Einfluß der Klerisei bei kaiserlichen Haupt- u. Staatsaktionen. G’s Erfindung eines Gegenkaisers (10407; 10528), der in Akt IV Sz. Auf dem Vorgebirg den Kaiser zum Krieg nötigt, gehört vermutl. zu den Auswirkungen der Napoleonischen Epoche auf Faust II. Vgl. Mommsen 1989. 5 ) Weiteres Z zur Papiergeld-Problematik in Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172) u. Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10243−45). 2

624

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1804

Recension allzu lang vorkommen, so bin ich erbötig sie abzukürzen. Alles bleibt Ihrem höhern und bessern Urtheile gänzlich unterworfen. Das Original habe ich nicht vergleichen können, wie ich auch angegeben habe, da, seit der Invasion, keine englischen Bücher mehr hierherkommen.1) Den englischen Titel habe ich durch Reuß2) beygefügt. Was alles bey Angaben des Titels in der unechten Litterat. Z. anzugeben Sitte ist, weiß ich nicht; wenn noch etwas fehlen sollte, so wird es leicht ergänzt werden können. Ich hoffe, daß der Setzer eben keine große Schwierigkeiten finden wird, doch kann es seyn, da meine Hand etwas unleserlich ist. Sonst pflege ich dergleichen abschreiben zu lassen, aber unglücklicher Weise hat sich mein Abschreiber vorgestern ersäuft, und ich wollte mit der Übersendung nicht länger zaudern, um nicht wortbrüchig zu erscheinen. Unter die Recension habe ich ein S. gesetzt. Wählen Sie ein anderes Zeichen, wenn Sie wünschen, daß die Verfasser nicht bekannt werden sollen, denn ich glaube allerdings, daß man durch diesen Buchstaben mich um so mehr errathe. Jedoch habe ich gar keine Ursache mich als Verfasser zu verstecken, so wenig auch der Gallische Ochs mit dieser Anzeige zufrieden seyn wird.

Jan

16. An H. C. A. Eichstädt (Br 17, 15): Professor Sartorius . . . hat eine vor-

treffliche Recension über Thornton geschickt, die ich gleich beylege. Hoffentlich werden Setzer und Correctoren sich aus dem Manuscript finden können, sonst wäre es wohl der Mühe werth sie nochmals abschreiben zu lassen und sie genau durchzugehen. Zu dieser letzten Bemühung erbiete mich allenfalls, da mich Materie und Recensent interessiren.3)

1

) Wegen der Napoleonischen Handelssperre gegen England. Demnach entstand Sartorius’ Rez. aufgrund der dt. Übers.: Der Papier-Credit von Großbritannien, nach seiner Natur und seinen Wirkungen untersucht von Heinrich Thornton, Esqu. M. P. Aus dem Engl. übers. u. m. Anm. u. Zusätzen versehen von Ludwig Heinrich Jakob . . . Nebst einer Zugabe und Prüfung zweyer Briefe eines französischen Capitalisten über den englischen Credit. Halle 1803. 2 ) J. D. Reuß, Oberbibliothekar in Göttingen. 3 ) Weiteres Z zur Papiergeld-Thematik in Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172) u. Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10243−45). G beschäftigte sich an den folgenden Tagen intensiv mit der Rez. Zwar las er Thorntons Abhandlung weder im Original noch in Jakobs Übers., doch gab ihm die Sartorius-Rez. ein genaues Bild des Inhalts: Thornton verteidigte den Entscheid der Bank von England von 1797, den Handel mit Münzgeld, einzustellen u. nur noch Banknoten auszugeben; er vertrat die Auffassung, dem Papiergeld als Zahlungsmittel gehöre die Zukunft, da es bzgl. der Zirkulation alle Eigenschaften des Bargeldes besitze. Dem stimmte auch Sartorius zu: Nun aber entsteht, bey der fortschreitenden Bildung der gesellschaftlichen und Handelsverhältnisse der Staaten, ein immer wachsendes Bestreben, das kostbare Umlaufsmittel durch ein wohlfeileres zu ersetzen. Gerade in Krisenzeiten hielt Thornton die Ausgabe von Papiergeld für zwingend nötig, weil einzig sie die Möglichkeit biete, den Kreditbedarf der Wirtschaft zu befriedigen u. weitere Produktion zu stimulieren. Auch dieser Einschätzung stimmte Sartorius zu. Allerdings mißtraute er der Fähigkeit der Regierungen des Kontinents, den Papier-Kredit wie in England streng zu reglementieren, warnte daher vor einer vorschnellen Übernahme des engl. Vorbilds: Denn wie wohlthätig auch der Papier-Credit ist, so verderblich kann er doch bey Mißgriffen für alles öffentliche und Privat-Eigenthum werden. (JALZ Nr. 27 v. 1. Febr 1804, Sp. 210f.) G’s Beurteilung der Rez. ist ein wichtiges Z für seine Bewertung des im Faust als mephistophelische Erfindung erscheinenden Papiergelds. Vgl. Akt IV Sz. Hochgebirg (10243−45. Mephistopheles): Der

1804 Febr

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2. [An] H[rn.] Hofr[at] Eichstädt. Revision der Recension des Hrn. Hofr.

Sartorius von Göttingen zurück.1) 8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Schiller u. Schiller an G gD, S. 507) 17. [Weimar] H. Voß d. J. an R. B. Abeken (BG 5, 435): Als ich zurückkam war der Wein da, u. Göthe meinte, ich könnte heute wohl ein übriges thun, weil es kalt sei. Ich ließ mirs gefallen, die Damen entfernten sich, u. ich blieb bei Göthe am Tische sizen bis der Wagen kam. Wir sprachen von den Hyperboreern, Greifen u. Arimaspen.2) Es ging oft prestissimo, ich weiß nicht wie u. warum. Böse Leute sagen vom Weine. Dez 12. An H. C. A. Eichstädt (Br 17, 227): Für die Greife, die gut um sich

gegriffen haben, danken Sie Freund Voß aufs beste.3)

18054) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte 18055) (W 35, 190): Schiller . . . Bei dem Zu-

stande meines Körpers und Geistes . . . wagte niemand die Nachricht von seinem Scheiden in meine Einsamkeit zu bringen. Er war am

gute Kaiser schwebt in großen Sorgen. / Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten, / Ihm falschen Reichtum in die Hände spielten, / Da war die ganze Welt ihm feil . . . Zwar besaß G selber kein Vertrauen in die Wertbeständigkeit des Papiergelds, doch zeigt seine Bejahung der Rez., daß er deren Beifall zur Wirtschaftsbelebung beipflichtete, die sich noch in Akt I Sz. [4] Lustgarten 6037−173 spiegelt. 1 ) Die Rez. erschien in der JALZ Nr. 27−29 v. 1.−3. Febr 1804, Sp. 210−27. 2 ) Zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit den der Fabelwelt entstammenden Mischwesen s. auch 12. Dez 1804: an Eichstädt. Nach Lektüre der Mythologischen Briefe von J. H. Voß d. Ä. am 13. Febr 1804 unterhielt sich G wiederholt mit dessen Sohn über mytholog. Themen, speziell über Mischwesen der Fabelwelt u. regte mit ihm den Vater Voß zum Aufsatz über die antiken Greife an. 3 ) Geschrieben nach Lektüre des im Nov 1804 verfaßten Aufsatzes Über den Ursprung der Greife von J. H. Voß d. Ä., veröffentlicht als Beilage zum Intelligenzblatt der JALZ Dez 1804. Dort referiert Voß aus antiken Autoren über adlerköpfige Greife mit geflügeltem Löwenleib u. krallenbewehrten Tatzen, Sirenen in Gestalt von mädchenköpfigen Vogelwesen, Sphinxe mit Löwenkörper u. Mädchenkopf sowie über kolossale Ameisen u. das skythische Volk der Arimaspen. 2 Sonderdrucke des Aufsatzes sind in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1984). So war G schon vor der Herodot-Lektüre im Apr 1826 wohlinformiert über die in der KWN auftretenden Mischwesen der Fabelwelt; s. 12. Apr 1826: Bibliotheksentleihung. 4 ) Über die polit. Ereignisse des Jahres schwieg G in den TuJ. − 1805 brachte den 3. Koalitionskrieg mit England, Rußland, Österreich u. Schweden gegen Frankreich, während Preußen zunächst Neutralität wahrt. Napoleon besiegte die Österreicher bei Ulm, nahm General Mack mit 25000 österr. Soldaten gefangen (20. Okt), während Admiral Nelson bei Trafalgar über die frz. u. span. Flotte siegte (21. Okt). Napoleon besiegte Alexander I. von Rußland u. Franz II. von Österreich bei Austerlitz (2. Dez). Im Vertrag von Schönbrunn (15. Dez) trat Preußen Neuenburg, Wesel, Ansbach u. Bayreuth ab u. erhielt dafür das Kurfürstentum Hannover. Im Frieden von Preßburg (26. Dez) trat Österreich Venetien an das Königreich Italien ab, Tirol u. Vorarlberg an Bayern. Österreich erhielt Salzburg. Württemberg u. Bayern wurden Königreiche. 5 ) Verfaßt 1825.

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1805

Neunten [Mai] verschieden . . . unleidlicher Schmerz ergriff mich, und da mich körperliche Leiden von jeglicher Gesellschaft trennten, so war ich in traurigster Einsamkeit befangen.1)

18062) Juli

27. Über die östreichische Staatsschuld. Bemerkung über die unglückliche

Vermischung dreyer ganz separat zu haltender Capitel. 1. Staatsschuld.

1

) Schillers Tod war auch hinsichtlich Faust ein tief einschneidendes Ereignis. Nachdem der wichtigste Freund ihn nicht mehr zur Vollendung des Werks antrieb, resignierte G fast völlig, der ganze Faust schien nicht mehr zu bewältigen; stattdessen entschloß er sich, das Fragment von 1790 auszurunden zu Faust. Eine Tragödie (1808). Erst 20 Jahre später nahm er erneut die Weiterarbeit auf, nachdem er in der Zwischenzeit vieles erlebt hatte, was in verhüllter Form Eingang in Faust II finden sollte. So stiftete er u. a. durch das Auftreten der Kraniche des Ibykus in Akt II Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor (7660−75) ein beziehungsvolles Andenken an den verewigten Schiller, während er in Akt II Sz.[5] KWN, Am untern Peneios (7364−96) dem verklärten Freund unter dem Bilde des zu den Göttern erhobenen Herkules im Dialog Fausts mit Chiron ein geheimes Trauerdenkmal der Liebe u. Sehnsucht setzte, wie schon Thomas Mann erkannte. Zu beiden Textpartien vgl. K. Mommsen 2010, 16−18, 199, 221−23. 2 ) Das von Frankreich gedrängte Preußen nahm von Hannover Besitz, worauf Englands Kriegserklärung gegen Preußen erfolgte. Dänemark suchte sich Holstein einzuverleiben, Schweden führte in Vorpommern die schwedische Verfassung ein. Das mit Rußland verbündete Preußen forderte den Rückzug der frz. Truppen u. provozierte Napoleon durch Mobilmachung zum Krieg. G resümierte in TuJ (W 35, 245−73): 1 8 0 6 . . . brannte die Welt an allen Ecken und Enden, Europa hatte eine andere Gestalt genommen, zu Lande und See gingen Städte und Flotten zu Trümmern . . . das mittlere, das nördliche Deutschland genoß noch eines gewissen fieberhaften Friedens . . . einer problematischen Sicherheit. Das große Reich in Westen war gegründet, es trieb Wurzeln und Zweige nach allen Seiten hin [1806 wurde Napoleon König von Italien, Stiefsohn Eugen Beauharnais Vizekönig, Bruder Louis König von Holland (Batavische Republik), Bruder Joseph König von Neapel, Schwester Elisa Fürstin von Lucca, Massa u. Carrara, Schwager Murat Großherzog von Kleve u. Berg] . . . Im Spätjahr als der Kriegsdrang jedes Verhältnis aufzulösen drohte . . . die Tage und Wochen waren so ahnungsvoll, die letzten Monate so stürmisch und so wenig Hoffnung zu einem freieren Athemholen . . . von Freunden und Ärzten bestimmt, entschloß ich mich Karlsbad zu besuchen . . . das Unheil . . . das unsern Zustand bedrohte . . . während wir von fernen Gewittern uns bedroht sahen, auch in der nächsten Nähe sich Nebel und Dunst zu bilden anfing. Indessen war der Deutsche Rheinbund geschlossen und seine Folgen leicht zu übersehen [16 dt. Fürsten sagten sich im Juli vom dt. Reich los u. vereinigten sich zum Rheinbund, dessen Protektor Napoleon sie sich militärisch verpflichteten]; auch fanden wir bei unserer Rückreise durch Hof in den Zeitungen die Nachricht: das Deutsche Reich sei aufgelös’t. [Franz II. verzichtete am 6. Aug auf die Kaiserwürde; dadurch erlosch nach einem Jahrtausend das Hl. Röm. Reich Deutscher Nation.] . . . kaum war man zu Hause, als man das bedrohende Gewitter wirklich heranrollen sah, die entschiedenste Kriegserklärung durch Heranmarsch unübersehlicher Truppen . . . unser Fürst als preußischer General, bereitet sich zum Abzuge . . . alle fühlten sich in Verzweiflung . . . Jedermann ahnete, fürchtete die Übergewalt der Franzosen . . . ich aber, unter solchen Umständen aller

1806

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2. Deficit der Einnahme gegen die Ausgabe. 3. Papiergeld als currentes Geld oder Scheidemünze im Großen angesehen.1) Nov 20. [Weimar] Riemer, Aphorismen (BG 6, 182f.):2) [Goethe:] . . . Die Natur, um zum Menschen zu gelangen, führt ein langes Praeludium auf von Wesen und Gestalten, denen noch gar viel zum Menschen fehlt. In jedem aber ist eine Tendenz zu einem andern, was über ihm ist, ersichtlich. Die Thiere tragen gleichsam das, was hernach die Menschenbildung gibt, recht zierlich und schön geordnet, als Schmuck, zusammengepackt (als Windeln wie G. sagt) in den unverhältnißmäßigen Organen, als da sind Hörner, lange Schweife, Mähnen usw., welches alles beym Menschen wegfällt, der schmucklos durch sich selbst schön und in sich schön, vollendet, dasteht; der alles was er hat auch ist, wo Gebrauch, Nutzen, Nothwendigkeit und Schönheit alles Eins ist, und zu Einem stimmt. Da beym Menschen nichts überflüssiges ist, so kann er auch nichts entbehren, und verlieren; und was er verliert kann er deswegen auch nicht ersetzen, (Haare und Nägel ausgenommen, und die geringe Reproductionskraft in Rüksicht auf Haut, Fleisch und Knochen). Dagegen bey andern Thieren, und je niedriger die Thiere stehen, die Reproductionskraft ebenso wie die Zeugungskraft größer ist. Die Reproductionskraft ist nur eine unabgelöste Zeugung, und umgekehrt. 28. An F. A. Wolf (Br 19, 235f.): Warum kann ich nicht sogleich, verehrter

Freund, da ich Ihren lieben Brief erhalte, mich wie jene Schwedenborgischen Geister, die sich manchmal die Erlaubniß ausbaten, in die Sinneswerkzeuge ihres Meisters hineinzusteigen und durch deren Vermittelung die Welt zu sehen, auf kurze Zeit in Ihr Wesen versenken und demselben die beruhigenden Ansichten und Gefühle mittheilen, die mir die Betrachtung Ihrer Natur einflößt. . .3)

Hoffnung quitt . . . fand ich in Weimar alles in voller Unruhe und Bestürzung. Die großen Charaktere waren gefaßt und entschieden . . . G schweigt über die Schlacht bei Jena. (Doch ließ er deren Datum: 14. Okt 1806, den Eheringen seiner kurz danach vollzogenen Trauung mit Christiane eingravieren.) Die Inkompetenz der preuß. Heerführung, die zur Aufgabe einer Festung nach der andern, Flucht des Königspaars nach Memel, Kapitulation Berlins u. Potsdams u. zum totalen Zusammenbruch des Preuß. Staates führte, könnte die zynischen Verse in Akt IV Sz. Hochgebirg 10311f. veranlaßt haben, mit denen Faust auf Mephistos Ansinnen reagiert, ihn zum Obergeneral zu machen: Das wäre mir die rechte Höhe, / Da zu befehlen, wo ich nichts verstehe! − Zum Zusammenhang der Schlacht bei Jena mit Akt I, IV u. V vgl. Mommsen 1989, 17–36. 1 ) Zu Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172) − Staatsschuld, Defizit, Papiergeldproblematik. 2 ) Zu G’s hier von Riemer überlieferten Äußerungen vgl. in Akt II Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meers − nach der in Akt II Sz. [2] Laboratorium erfolgten künstlichen Zeugung des Homunculus in der Phiole (6835ff.) − den Rat des Thales zu dessen echtem Entstehn (8322ff.): Von vorn die Schöpfung anzufangen! . . . Da regst du dich nach ewigen Normen, / Durch tausend abertausend Formen, / Und bis zum Menschen hast du Zeit. Vgl. auch 19. März 1807 u. Mitte Nov 1810: Riemer. 3 ) Z zu Akt V Sz.[7 ] Bergschluchten 11906ff. Hinweis von Tayler 1882, 458 u. Witkowski 1950, 407f.

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1807

18071) März 19. [Weimar] Riemer, Aphorismen (BG 6, 236):2) [G:] „Die Natur kann zu Allem, was sie machen will, nur in einer Folge gelangen. Sie macht keine Sprünge. Sie könnte z. E. kein Pferd machen, wenn nicht alle übrigen Thiere voraufgingen, auf denen sie wie auf einer Leiter bis zur Structur des Pferdes heransteigt. So ist immer Eines um Alles, Alles um Eines willen da, weil ja eben das Eine auch das Alles ist. Die Natur, so mannichfaltig sie erscheint, ist doch immer ein Eines, eine Einheit, und so muß, wenn sie sich theilweise manifestirt, alles Uebrige diesem zur Grundlage dienen, dieses in dem Uebrigen Zusammenhang haben.“

18083) Jan

1. W. K. F.4): Neue Unterhaltungen über verschiedene Gegenstände der

Kunst5) (FA I 19, 376): Von der großen Menge schöner Zeichnungen 1

) In TuJ 1807 vermerkt G (W 36, 11): als ein Glück, dem großen hereinbrechenden Kriegsunheil nicht unterlegen zu sein. Das Herzogtum Weimar gehörte (seit 1806) dem von Napoleon dirigierten Rheinbund an. Napoleon hielt Einzug in Warschau, erlitt aber durch russ. u. preuß. Truppen eine schwere Niederlage bei Preußisch-Eylau. Gegen England schloß er mit dem Schah von Persien ein Schutz- und Trutzbündniß. Die Russen u. ihre preuß. Verbündeten besiegte er in der Schlacht bei Friedland. Der Friede von Tilsit zwang Alexander I., sich der Handelssperre gegen England anzuschließen u. zuzustimmen, Dänemark, Schweden u. Portugal zum Beitritt der Kontinentalsperre gegen England zu nötigen. Der preuß. König erhielt Brandenburg, Schlesien, Pommern u. Preußen zurück, mußte aber Militärstraßen durchlegen u. für frz. Truppen freihalten. Das preuß. Militär sollte auf 42,000 Mann beschränkt u. die frz. Besatzung so lange in Preußen bleiben, bis die Kontribution abgezahlt war, deren enorme Höhe Napoleon erst auf der Rückreise in Dresden bestimmte. Das läßt denken an Akt IV Sz. Auf dem Vorgebirg (10525. Habebald): Dem Heldenmut der Kaiserscharen / Soll sich der Durst nach Beute paaren. − Die Rheinbundtruppen unter Napoleons Bruder Jerome besetzten Schlesien. Im Dez wurde Jerome Herrscher des aus dem Herzogtum Braunschweig u. dem Kurfürstentum Hessen gebildeten Königreichs Westfalen. Als Kaiser verlieh Napoleon den Würdenträgern seines Reichs erbliche Adelstitel u. Güter; seinen Waffengefährten schenkte er Herrschaften in Italien, Deutschland u. Polen, auch große Summen Bargeld. Der Erzkanzler, Erzschatzmeister u. die Marschälle wurden Herzöge. − Derartiges spiegelt sich in der Szene Fausts mit den Heerführern Akt III Sz. Innerer Burghof 9442−513; vgl. 9462: [Faust] Herzoge soll ich euch begrüßen . . . [9506−09] Die Gaben, diesen hier verliehen − / An jeglichen ein reiches Land − / Sind groß und herrlich; laß sie ziehen! / Wir halten in der Mitte stand. . . 2 ) Zu Akt II Sz. [2] u. Sz. [7]; vgl. die Anm. zum 20. Nov 1806: Riemer. 3 ) Die Zeitsituation der immerfort bewegten Kriegsläufte mit Napoleon auf dem Gipfel der Macht deutet G in TuJ 1808 nur an (W36, 33−42): von den Hauptereignissen benachrichtigten mich neuigkeitslustige Freunde . . . Die Allgemeine Zeitung [von] 1806 und 1807. . . diese politische Bibliothek mit mir [nach Karlsbad] zu führen . . . gab . . . unerwarteten Unterricht . . . Indessen war die Lage des Augenblicks noch immer bänglich genug, so daß die verschiedenen Völkerschaften . . . sich auch allen politischen Gesprächs enthielten . . . Der im September erst in der Nähe versammelte, dann bis zu uns heranrückende Congreß zu Erfurt ist von so großer Bedeutung, auch der Einfluß dieser Epoche auf meine Zustände so wichtig[!], daß eine besondere Darstellung dieser wenigen

1808

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des Hn. [J. M. v.] Wagner kann ich mich nicht enthalten, wenigstens . . . anzuführen . . . den Leichnam Moses, von den Engeln ins Paradies getragen;1) der Kopf des alten Gesetzgebers ist hier . . . ein Meisterstück von Charakter und Ideal. März 16. Die Damen. Calderon Ulyss und Circe.2) 19. [Weimar] Henriette v. Knebel an Knebel (BG 6, 437): Goethe hat uns am vergangnen Mittwoch [16.] den Anfang eines Schauspiels von Calderon . . . vorgelesen. 23. Besuch von den Damen. Schluß von Ulysses und Circe des Calderon

vorgelesen. Mai 13. Unterwegs [auf dem Weg von Pösneck nach Hof im Gespräch mit Riemer] De rebus aestheticis et poeticis. [Über ästhetische u. poetische Gegenstände.] . . . De Fausti dramatis parte Secunda, et quæ in ea continebuntur. [Über den zweiten Teil des Faustdramas und das darin Enthaltene.]3) 13. [Hof] Riemer Tagebuch (Deutsche Revue 11, 3 (1887) 26): [Unterwegs mit G] Ueber den 2. Theil von ,Faust‘. Juni 16. [Weimar] Wieland an J. F. v. Retzer (Wieland BriefeAA 17.1, 371): . . .4) das was wir jetzt von dieser barokgenialischen Tragödie [Faust I], wie noch keine war, und keine jemals seyn wird, erhalten haben, ist nur der erste Theil . . . und der delphische Apollo mag wissen, wie viele Theile noch folgen sollen . . . Tage wohl unternommen werden sollte. (Vgl. Unterredung mit Napoleon) − Das thüringische Erfurt war damals die östlichste franz. Stadt, in die Napoleon Zar Alexander I. u. die deutschen Rheinbundfürsten einlud, es erschienen 4 Könige, 34 Fürsten u. Prinzen. Napoleon lud auch Goethe zur Audienz nach Erfurt u. unterhielt sich mit ihm am 2. Okt, vor allem über G’s Werther u. franz. Dramen. Beim Weimarer Hofball am 6. Okt suchte Napoleon wieder G’s Gespräch; am 14. Okt verlieh er ihm den Orden der Ehrenlegion. − Dass dramatische Erlebnisse auf Faust-Verse eingewirkt haben, liegt nahe, so etwa Napoleons Anrede an G: »Vous ˆetes un homme« auf die Formulierung des Kaisers Akt IV Sz. Auf dem Vorgebirg (10467f.): Selbst ist der Mann! Wer Thron und Kron’ begehrt, / Persönlich sei er solcher Ehren wert. Doch ist es charakteristisch für den Faust-Dichter, eigene Erlebnisse nie direkt kenntlich zu machen, sondern zu transformieren, wie hier durch die folgenden Verse (10469−72): Sei das Gespenst, das, gegen uns erstanden, / Sich Kaiser nennt und Herr von unsern Landen, / Des Heeres Herzog, Lehnsherr unsrer Großen, / Mit eigner Faust ins Totenreich gestoßen! 4 ) Wenn nicht von G selber, sondern wohl hauptsächlich von Meyer, doch in seinem Sinne. 5 ) ED: JALZ, Extrabeilage, 1. Jan 1808 I−VIII, hier VIII. 1 ) Zu Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts, Sz. [6] Grablegung u. Sz. [7] Bergschluchten. − Bild nicht überliefert; vgl. zum Thema oben 21. Juni 1781: An Maler Müller. 2 ) In der ,Mittwochsgesellschaft‘ Lesung aus Caldero ´ns Über allen Zauber Liebe, von G hier nach den beiden Hauptpersonen benannt; zu G’s Beschäftigung mit dem Stück, das wichtig wurde für Galatee in Akt II Sz. [7] Felsbuchten des Ägäischen Meers (8145−466) u. weitere Szenen; s. 22. Apr 1803: Tgb sowie Schelling u. 1808 März 19.: Henriette v. Knebel an Knebel u. 23.: Tgb. 3 ) Riemers Tagebuch vom 13. Mai vermerkt nur (BG 6, 481): Viel lateinisch gesprochen: Über [Zacharias] Werner und anderes. 4 ) Vorausgehendes u. Folgendes s. in „Faust. Eine Tragödie“: Wieland an Retzer gD, S. 199f.

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1808

Juni 30./ [Belvedere] Wieland an Böttiger (Wieland BriefeAA 17.1, 375):1) Ich gestehe Ihnen, Juli 1. daß mich unbeschreiblich nach dem z w e y t e n T h e i l dieser in ihrer Art einzigen Tr a g ö d i e verlangt, von welcher man, mit viel größerm Recht als von W i l l h e l m M e i s t e r , sagen könnte, daß sie die Tendenz o ˆ (nicht) nur des verwichnen Jahrhunderts, sondern aller zwischen Äschylus und Aristofanes u n d u n s verfloßnen Jahrhunderte sey. Könnte man nicht mit gleichem Recht sagen: Göthe sey in der Poetischen Welt was Napoleon in der Politischen? Können nicht beyde alles was sie wollen, und wollen sie nicht immer das U n g l a u b l i c h s t e u B e y s p i e l l o s e s t e , und wissen es doch so zu behandeln und herbey zu führen, daß es zugleich das N a t ü r l i c h s t e scheint? Juli

7. [Franzensbad] A. F. K. v. Ziegesar an G (GSA 28/1030 St. 1): Wenn Sie Ihren D. Faust im 2ten Theile einmal auch die lange Weile in ihrer höchsten Stufe wollen schmecken lassen; so vermögen Sie Hn Mephistopheles dahin, daß er die förmliche Kur hier mit ihm brauche.

Sept 24. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis ? − : Senecae, M. u. L. Annaei, Opera quae exstant. Integris Justi Lipsii, J. Ferd. Gronovii . . . comm . . . Amstelodami 1673.)2) Nov

9. An Zelter (Br 20, 204): . . .3) indem [K.] Eberwein etwas von Ihrem

Ernst mitgebracht zu haben scheint. Er kommt mir vor wie Moses der vom Berge kam und dessen Gesicht glänzte. . .4) 14. Seneca naturales quaestiones.5) 18. An Herrn Assessor Leonhard (LA I 11, 131f.):6) Ich traf in diesen Tagen auf die Stelle aus Seneca, welche die Naturerscheinung bei Entstehung der Inseln im Ägäischen Meere auf eine Weise beschreibt, die genau mit derjenigen zusammentrifft, wie ich mir die Entstehung des Kammerbergs dachte: nur daß freilich jene Naturbegebenheiten viel mächtiger, gewaltsamer und von größerem Umfange sein möchten. Der Text steht wohl hier am rechten Orte: Naturalium Quaestionum Libro II. Cap. 26. Majorum nostrorum memoria, ut Posidonius tradit, cum insula in Aegeo mari surgeret, spumabat interdiu mare, et fumus ex alto ferebatur. Nam demum prodebat ignem, non continuum sed ex intervallis emicantem, fulminum more, quotiens ardor inferius jacentis superum pondus

1

) Das Vorausgehende s. in „Faust. Eine Tragödie“: Wieland an Böttiger gD, S. 202. ) Zu Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor (7523ff.); Kommentar der Sphinxe zum Erdbeben des Seismos. − Lucii Annaei Senecae opera, quae exstant, integris Justi Lipsii, J. Fred. Gronovii et selectis variorum commentariis illustrata. Amstelodami 1672/75 in 3 Bdn. − Bd 2 enthält die Naturales quaestiones in 8 Büchern; s. dazu die beiden folgenden Z. 3 ) Vorausgehend Dank für musikalische u. kulinarische Gaben. 4 ) Burdach Faust und Moses 363 zitiert den Brief im Zusammenhang der schon am 21. Juni 1781 an F. Müller erwähnten Analogien zw. Moses u. G’s Faust u. als Indiz für G’s innere Beschäftigung mit dem Mosesmythos. 5 ) Zu Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor (7500−57). − Lektüre G’s zur Farbenlehre. Hist. Teil, wo er im Nachtrag der 2. Abt. Römer Seneca behandelt u. die Stelle zur Aufwölbung der Inseln des Ägäischen Meers durch Unterwassereruptionen zitiert. Goethe und die Antike 2, 307 zitiert die auf Erdbeben bzgl. Partien bei Seneca mit Hinweis auf Faust 7500−57. 6 ) Zu Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor wie die beiden vorausgehenden Z. 2

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evicerat. Deinde saxa revoluta rupesque partim illaesae, quas spiritus antequam verteretur, expulerat, partim exesae et in levitatem pumicis versae; novissime cacumen exusti montis emicuit. Postea altitudini adjectum, et saxum illud in magnitudinem insulae crevit. Idem nostra memoria, Valerio Asiatico consule, iterum accidit. Quorsus haec retuli? Ut appareret, nec extinctum ignem mari superfuso, nec impetum ejus garvitate ingentis undae prohibitum exire. Ducentorum passuum fuisse altitudinem Asclepiodotus Posidoni auditor tradidit, per quam, diruptis aquis, ignis emersit.1)

18092) ⎯

⎯ Abeken, Goethe in meinem Leben3) (Heuermann 227f.): „Welche furchtbare Last die Überlieferung von mehreren tausend Jahren auf uns gewälzt hat“ (so klagt Goethe), das empfindet man auch lebendig, wenn man von einer Tragödie wie die des Sophokleischen Ajax zum 2. Theil des Faust kommt. Was gehörte dazu, diese Überlieferung zu bewältigen, so wie es Goethe in der erwähnten Dichtung gethan! In Hinsicht auf den

1

) Übertragung nach L. A. Seneca: Werke. Übers. v. J. M. Moser. Stuttgart 1830, 111 (LA II 8 A, 678): Zu unserer Väter Zeit, wie Posidonius meldet, als eine Insel sich im Ägäischen Meere erhob, schäumte das Meer lange vorher, und es ging Rauch aus der Tiefe hervor. Denn es brachte erst dann Feuer hervor, freilich nicht zusammenhängendes, sondern mit Unterbrechungen hervorschimmerndes, wie Blitze, wenn die Glut des untenliegenden über die Masse oben das Übergewicht hatte. Alsdann rissen sich Steine los und Felsstücke, zum Teil unversehrt, welche der Luftzug, bevor sie sich veränderten, heraufgetrieben hatte, zum Teil aber zerfressen und in eine glatte Masse, wie Bimsstein verwandelt; zuletzt ragte der Gipfel eines ausgebrannten Berges hervor. In der Folge nahm die Höhe zu, und jener Fels wuchs bis zur Größe einer Insel. das nämlich ereignete sich abermals solange wir denken, unter dem Consulat des Valerius Asiaticus. Zu welchem Zweck habe ich dieses angeführt? Es sollte dadurch deutlich werden, daß das Feuer zwar durch das darüber herströmende Wasser nicht ausgelöscht worden sei, daß es aber doch, durch die Schwere des ungeheuern Gewässers gehemmt, nicht mit Gewalt hervortreten könne. Es sei eine Tiefe von zweihundert Schritt gewesen, meldet Asclepiodotus, des Posidonius Zuhörer, aus welcher das Feuer, die Wasser zerreißend heraufkam. 2 ) Zum Zeitgeschehen bemerkt G in TuJ 1809 (W 36, 42−44): . . . unerwartete Kriegsläufte drangen zu und nöthigten zu einem mehrmaligen Ortswechsel. Die ferneren und näheren Kriegsbewegungen in Spanien und Österreich mußten schon jedermann in Furcht und Sorgen setzen. Der Abmarsch unserer Jäger, den 14. März nach Tirol, war traurig und bedenklich; gleich darauf zeigte sich Einquartierung; der Prinz von PonteCorvo, als Anführer des sächsischen Armeecorps, wendete sich nach der Gränze von Böhmen . . . indem man die Nachrichten des gewaltsamen Vordringens der Franzosen in Österreich mit Bangigkeit vernommen hatte, begann der König von Westfalen einen Zug gegen Böhmen, weßhalb ich den 13. Juni nach Weimar zurückging . . . Schon am 15. Juli kommt der König nach Weimar, der Rückzug scheint in Flucht auszuarten und gleich am zwanzigsten ängstigt das umherstreifende Oelsische Corps uns und die Nachbarschaft. Aber auch dieses Gewitter zieht schnell in nordwestlicher Richtung vorüber . . . Im Frieden von Wien (Schönbrunn) tritt Österreich (14. Okt) Salzburg, das Innviertel, Galizien u. die illyrischen Provinzen an Frankreich ab. 3 ) Verfaßt vor 1865 nach Notizen, Tagebüchern u. Briefen, unvollendet, da Abeken im Febr 1866 starb.

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1809

völligen Schluß der Tragödie scheint Goethe wohl in verschiedenen Zeiten verschiedene Absichten gehabt zu haben, wenn anders Wieland sich recht erinnerte, der mir einmal 1809 erzählte: Goethe habe sich nie über seinen Plan für den Faust ausgelassen; nur einmal, in einer aufgeregten Gesellschaft habe er gesagt: „Ihr meint, der Teufel werde den Faust holen. Umgekehrt: Faust holt den Teufel.“1) − Dies Wort gehört wohl in die früheste Weimarische Zeit.

[Jan ?]

[Weimar] F. G. v. Kügelgen an seine Frau (GG 2, 414): Überhaupt kannst Du Dir kaum denken, wie offen und freundlich hier alle mir begegnen, besonders aber Goethe und Wieland2) . . . Besonders aufgeklärt bin ich nun über das sogenannte Heidentum und die Irreligion der Weimaraner, die, in der Nähe gesehen, weit heiliger dasteht, als alle die Afterkatholiken und Antiprotestanten mit ihrem verruchten Wesen. Wieland ist ein frommer, gottergebener Mann, und Goethes Ansichten über die Gottheit sind ebenso erhaben, als er selbst kräftig in seiner Menschenhülle dasteht. Dies war mir nicht neu; denn ich kenne ja seinen Faust. Du hattest ganz recht, wenn Du sagtest, Goethe würde dieses Werkes Vollendung uns nicht schuldig bleiben. Wie sehr freue ich mich, nach unendlichen Labyrinthen, durch welche der Teufel den armen Faust noch führen wird, diesen am Ende doch als Sieger zu sehen! − So triumphiert die Menschheit über das Böse, so Michael, der den Satan in den Abgrund fördert!

Febr 25. [Weimar] C. Bertuch Tagebuch (GSA 06/3069): Nachmittag 3 Uhr zu Goethe, wo er eben gespeißt hatte . . . Dann kam [Zacharias] Werner, wo Goethe höchst gemüthlich über seinen Faust sprach, bey Gelegenheit daß ich den von Baggesen nannte.3) − Es wäre eine alte Frazze der Faust, die jeder nach seiner Art zu behandeln suche. − Er Goethe habe vor kurzem, da er alle Mspte in Säcke habe, auch seinen F a u s t S a c k wieder vorgefunden. Da habe er viele hübsche Späße u. Scenen noch gefunden, die wenn er sie durchführen könnte, aus seinem Faust ein Ganzes machen sollen. Außerdem verbrenne er diese Mspte heilig u. gewiß. − Ueber das Ende des Faust meinte Werner, der Faust würde den Mephistopheles hohlen. − Goethe fand diese Idee genial, u. frappant. − doch werde er auf andere Weise, daß der Faust unverlezt, enden.4) − Goethe sagte: Ich habe euch im Faust lauter Rum gegeben, wo jeder sein Waßer, Zucker Zitrone hinzuthut, um sich einen genießbaren Punsch daraus zu bereiten. − In andern Stücken habe ich Euch die Mischung selbst gemacht. − Sehr gut u. human schraubte er [Zacharias] Werner, der etwas unerhört neues aus der Bühne noch machen wollte, − wo er durchführte, daß sich nichts Neues anführen laße, was nicht schon da gewesen.

1

) Zur oft aufgeworfenen Frage, ob Faust vom Teufel geholt wird, s. die beiden nächsten Z. − Gewiß hatte G schon längst über Akt V Sz. [6] Grablegung entschieden: in Analogie zur Moses-Legende, den Leichnam von Engeln emportragen zu lassen. Vgl. auch 3. Nov 1820: an Schubarth, 3. Okt 1829: K. F. L. Löw von und zu Steinfurt, Besuch bei Goethe u. 4./25. Aug 1831: Förster Erinnerungen. 2 ) Der Porträt- u. Historienmaler war Dez 1808 − Jan 1809 in Weimar, vor allem um G u. Wieland zu porträtieren, was Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen gab. 3 ) J. I. Baggesen: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Ein dramatisches Gedicht in drei Abtheilungen. ED erst in: J. I. Baggesen: Poetische Werke in deutscher Sprache. Hsg. v. C. A. Baggesen. Th. 3. Leipzig 1836, S. 1–362; vgl. Henning III Nr. 1719. − Vorher brachte Baggesen schon wiederholt Hinweise auf seine Faust-Parodie in seinem Almanach Der Karfunkel oder Klingklingel-Almanach. Ein Taschenbuch für vollendete Romantiker und angehende Mystiker (Stuttgart 1810); vgl. 26. Dez 1808: J. H. Voß an Cotta u. 4. Febr 1809: H. Voß d. J. an Cotta (Fehling − Schiller 1, 305 u. 310). 4 ) Das stand für G schon durch die Analogie von Moses’ und Fausts Tod fest.

1809

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März 2. [Kassel] W. Grimm an A. v. Arnim (Steig III 23): Ein junger Architekt, Engelhard, ist kürzlich von Weimar gekommen,1) und hat erzählt, daß Göthe jetzt an dem zweiten Theil des Fausts arbeite, und gesagt, es werde noch viel Spaß darin sein. [nach 2.] [Stallwang] C. Brentano an F. K. v. Savigny (FBA 32, 144): Du hast doch Grimms Brief gelesen u gesehen daß Göthe Faust II Theil schreibt2) . . . Apr 24. [Weimar] Zacharias Werner an J. G. Scheffner (Floeck 2, 192): . . . zu Vollendung seines Faust ist Hoffnung da und ich habe ihn, da dieses göttliche Werk die Krone von allen seinen ist, flehentlich es zu vollenden gebeten.3) [Juni 30.] (s. „Faust. Eine Tragödie“: Falk, Erste Niederschrift Besuchsbericht u. Falk, Goethe . . . dargestellt gD, S. 202) [30.?] [Weimar] Falk, Gesprächsbericht4) (GMD Falk IV.7 Falk: Goethe. Sign. 0): Göthe hat eine Scene aus Faust weggelassen − wie der Kaiser ihn nach Frankfurt kommen läßt − Faust will nicht hin − er sagt: was kann ich dem Kaiser, oder was der Kaiser mir zu sagen haben. Endlich räth ihm Mephistopheles doch zu gehen − er wolle ihm schon zu rechter Zeit zu Hilfe kommen, soutenieren, und statt sei[ner] die Conversation fortsetzen − Faust ist denn das auch zufrieden − aber was geschieht − Er spricht vernünftig der Kaiser ennuyirt sich bis zum Sterben, und steht auf dem Punkt ihn zu entlassen − Nun greift der Mephistopheles ein, und dieser in des Faust’s Gestalt, fängt an die Weltverhältnisse so lügenhaft durchzusprechen, daß der Kaiser ihm stundenlang zuzuhören gar nicht müde wird. − und meint [daß] in diesem Lügner und Aufschneider ein rechter großer Mann stecke, wie er ihn entläßt. [30.?] [Weimar] Falk, Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. Leipzig 1832, 94−96:5) . . . Eine Probe aus diesem Walpurgissacke und zugleich des Goethe’schen Humors sei die in dem gedruckten „Faust“ unterdrückte Szene, welche hier mitgeteilt werden soll. Es wird nämlich dem Faust, weil er die ganze Welt kennen lernen will, vom Mephistopheles unter Anderm auch der Antrag gemacht, beim Kaiser um eine Audienz nachzusuchen. Es ist gerade Krönungszeit. Faust und Mephistopheles kommen glücklich nach Frankfurt. Nun sollen sie gemeldet werden. Faust will nicht daran, weil er nicht weiß, was er dem Kaiser sagen, oder wovon er sich mit ihm unterhalten soll. Mephistopheles aber heißt ihn guten Muthes seyn; er wolle ihm schon zu gehöriger Zeit an die Hand gehn, ihn, wo die Unterhaltung stocke, unterstützen und, im Fall es gar nicht fort wolle, mit dem Gespräche zugleich auch seine Person übernehmen, sodaß der Kaiser gar nicht inne zu werden brauche, mit wem er eigentlich gesprochen oder nicht gesprochen habe. So läßt sich denn Faust zuletzt den Vorschlag gefallen. Beide gehen ins Audienzzimmer und werden auch wirklich vorgelassen. Faust seinerseits, um sich dieser Gnade werth zu machen, nimmt Alles, was irgend von Geist und Kenntniß in seinem Kopfe ist, zusammen und spricht von den erhabensten Gegenständen. Sein Feuer indessen wärmt nur ihn; den Kaiser selbst läßt es kalt. Er gähnt einmal über das andere und steht sogar auf dem Punkte, die ganze Unterhaltung abzubrechen. Dies wird Mephistopheles noch zur rechten Zeit gewahr und kommt dem armen Faust versprochnermaßen zu Hülfe. Er nimmt zu dem Ende dessen Gestalt an und steht mit Mantel, Koller und Kragen, den Degen an seiner Seite,

1

) Der Architekt Daniel Engelhard (1788−1856) traf G wiederholt zw. Spätherbst 1808 u. Jan 1809 bei Johanna Schopenhauer (s. BG 6, 595 u. 606); am 26. Jan 1809 stattete er G einen Abschiedsbesuch ab: Nach Tische der Architect-Engelhardt, um Abschied zu nehmen . . .. (GT IV 1, 10 ) 2 ) s. vorheriges Z. 3 ) s. oben 25. Febr 1809: Bertuch Tagebuch. 4 ) Erste Niederschrift, entdeckt von Renate Grumach im Falk-Nachlaß des GMD. 5 ) Verfaßt Anf. 1824.

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1809

leibhaftig wie Faust vor dem Kaiser da. Nun setzt er das Gespräch genau da fort, wo Faust geendigt hatte; nur mit einem ganz andern und weit glänzenderm Erfolge. Er raisonnirt nämlich, schwadronirt und radotirt so links und rechts, so kreuz und quer, so in die Welt hinein und aus der Welt heraus, daß der Kaiser vor Erstaunen ganz außer sich geräth und die umstehenden Herren von seinem Hofe versichert, das sei ein grundgelehrter Mann, dem möchte er wol tage- und wochenlang zuhören, ohne jemals müde zu werden. Anfangs sei es ihm freilich nicht recht von Statten gegangen, aber nach diesem, und wie er gehörig in Fluß gekommen, da lasse sich kaum etwas Prächtigeres denken, als die Art, wie er Alles so kurz, und doch zugleich so zierlich und gründlich vortrage. Er als Kaiser müsse bekennen, einen solchen Schatz von Gedanken, Menschenkenntniß und tiefen Erfahrungen nie in einer Person, selbst nicht bei den weisesten von seinen Räthen, vereinigt gefunden zu haben. Ob der Kaiser mit diesem Lobe zugleich den Vorschlag verbindet, daß Faust-Mephistopheles in seine Dienste treten, oder die Stelle eines dirigirenden Ministers annehmen soll, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich aber hat Faust einen solchen Antrag aus guten Gründen abgelehnt.

18101) Jan

22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 507)

Mai 24. [Karlsbad] An Carl August (Br 21, 308; 312): . . .2) Die erste Überle-

gung . . . wenn man nach Carlsbad kommt, ist . . . das Geld. Die Bankzettel waren bisher immer im Fallen, standen zuletzt in Wien auf 375 für’s 100. Wir haben sie sogleich für 362 hier gekauft, welches auch ungefähr der Preis ist, wie sie in Sachsen angeschafft wurden. Vor einem Jahre standen sie hier schon auf 500 . . . Dadurch ist eine solche Confusion in die Menschen gekommen, daß die Theurung, selbst gegen Silbergeld gerechnet, zugenommen hat . . . [312:] Erwartet wird . . . die Kaiserinn von Östreich. [Nov [Weimar] Riemer Aphorismen (Pollmer 326): [G:]3) „Das Lebendige schon muß man Mitte] schätzen. Alle Literatur, italienische, französische, deutsche, ist wie eine Gestaltung aus dem Wasser zu Mollusken, Polypen und dergl., bis endlich einmal ein Mensch entsteht . . . Lieber Gott! was sind wir denn alle? usw.“

1

) Polit. Zeitgeschehen: Inflation in Österreich. Napoleon annuliert seine Ehe mit Josephine Beauharnais, um Marie Louise, die Tochter von Kaiser Franz I. v. Österreich, zu heiraten. Holland, Oldenburg, Ostfriesland u. die Hansestädte werden Frankreich einverleibt.− Die TuJ 1810 erwähnen keine polit. Ereignisse, nur G’s eigene Begegnung mit der Kaiserin von Österreich Majestät in Karlsbad (W 36, 60). 2 ) Z zur Papiergeld-Problematik in Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172) u. Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10243−45). 3 ) Weiteres Z zum Entstehn des Homunculus; vgl. 1806 Nov 20.: Riemer u. 1807 März 19.: Riemer.

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18111) Mai 18. [Karlsbad, nachmittags] Plutarchs moralische Schriften . . . [Abends]

Fortgesetzte Lektüre . . . und Gespräch darüber.2) 18. [Karlsbad] Riemer Tagebücher (BG 8, 81):3) Fanden wir die von [F. A.] Wolf zurückgelassenen Bücher bei unserer Wirthin; Plutarch, übersetzt von Kaltwasser. Darin gelesen. Gegen Abend mit G. . . . Lektüre des Plutarch und Gespräch darüber. [Mai 18./ [Karlsbad u. Teplitz] Riemer Mitteilungen (Pollmer 187f.): So lasen wir, während einer Juni 4.] Saison, Plutarchs sämtliche moralische Schriften in der Kaltwasserschen Übersetzung, die ein Badegast [F. A. Wolf] mitgebracht und dort bei seiner weitern Exkursion als überlästig zurückgelassen, damit wir sie ihm nachbrächten. Diese wie gefundene Lektüre gab uns gegenseitigen Stoff zur Unterhaltung bei Tische oder auf Spaziergängen; und bei einer solchen Gelegenheit mögen auch die rätselhaften „Mütter“ im Faust zuerst in Goethes Gedächtnis hangen geblieben sein. Denn als er wohl zwanzig Jahre nachher mich darüber befragte − vielleicht um die Zeit, als er am Faust arbeitend davon Gebrauch machen wollte4) −, wußte er nicht gleich zu sagen, wo sie vorkämen; er aber erinnerte sich im Plutarch davon gelesen zu haben. Anfangs konnte ich die Stellen nicht finden und unterließ oder vergaß das weitere Suchen; nach seinem Tode aber, als ich das Manuskript des Faust durchging, wachte Erinnerung und Forschlust wieder auf; ich fand beide Stellen,5) unterließ aber sie zu allegieren [anzuführen], weil sie für den Gebrauch, den Goethe von jenen mystischen Dämonen gemacht hat, von keiner Aufklärung sind, da seine Gedankenwesen viel was anderes bedeuten. Sept

5. [Aschaffenburg] J. F. H. Frhr. v. Dalberg an G (LA II 8 A, 271):6) Ew. Hochwohlgeboren erlauben Ihnen beiliegende kleine Schrift mitzuteilen, in der Hoffnung, daß ihr 1

) Zum Zeitgeschehen: Geburt des frz. Thronfolgers (König von Rom). Die TuJ 1811 erwähnen keine polit. Zeitereignisse, nur zum niedrigen Stande des Papiergeldes . . . Der Zustand war von der Art, daß er auch den Besonnensten zur Verrücktheit hinriß. (W 36, 69f.) 2 ) Zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie (6215ff.); weitere Gespräche darüber mit Riemer 1811 Mai 19.−22., 24.−27. u. Juni 1. u. 4. 3 ) Z zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie. Das Motiv von Fausts Gang zu den Müttern wurde durch Plutarch-Lektüre angeregt; s. die nächsten Z. 4 ) Gräf II 2, 527 vermutet den 29. Dez 1829 als Gesprächsdatum; s. dort Tgb. 5 ) 1. Stelle vermutl. die in Engyum auf Sizilien verehrten Göttinnen, welche die Mütter heißen, u. die damit verbundene Geschichte des Nikias im 20. Kap. der Lebensbeschreibung des [Marcus Claudius] Marcellus; 2. Stelle im 22. Kap. der Schrift Ueber den Verfall der Orakel, wo es heißt: Die Fläche innerhalb des Triangels ist als ein für alle gemeinschaftlicher Heerd anzusehen, und heißt das Feld der Wahrheit. In demselben liegen die Gründe, Gestalten und Urbilder aller der Dinge, die je existirt haben und noch existiren werden, unbeweglich. Diese umgiebt die Ewigkeit, von welcher die Zeit, wie ein Ausfluß, in die Welten hinübergeht. (Ausführliche Wiedergabe beider Stellen in: Grumach, Goethe und die Antike 2, 852f. Anm.1). G fand die 1. Stelle in: Des Plutarchus von Chäroneia vergleichende Lebensbeschreibungen. A. d. Griech. übers. m. Anm. v. Joh. Friedr. Sal. Kaltwasser. 3. Th. Magdeburg 1801, S. 266; die 2. Stelle in: Plutarchs moralische Abhandlungen. A. d. Griech. übers. v. Joh. Friedr. Sal. Kaltwasser. Bd 4. Frankfurt 1789, S. 121. − Riemers Bericht erweckt den Eindruck, als seien G beide Stellen im Mai/Juni 1811 bekannt geworden. Doch las G damals nur Plutarchs moralische Abhandlungen, also die 2. Stelle. Auf die Stelle zu den Müttern stieß er erst 1820/21 bei erneuter Plutarch-Lektüre; s. unten 16. Nov 1820: Bibliotheksentleihung. 6 ) Z zu Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor (7900ff.): Ein Fels fällt vom Mond

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1811

Inhalt Sie vielleicht einiger Maßen interessiren möchte, besonders in Hinsicht der Aufklärungen die ich über den inneren Sinn der alten Religionen aus verschiedenen merkwürdigen Naturerscheinungen zu geben suche, wobei ich zugleich bemüht war, einige, wie ich glaube bisher noch nicht hinlänglich erforschte Gegenstände aus der alten Physik und Mineralogie zu erläutern.1)

Dez

4. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Reinhard an G gD, S. 508)

18122) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte 18123) (W 36, 75f.): [P. A.] Wolff und Riemer

machten einen Plan zu Aufführung des Faust,4) wodurch der Dichter verleitet ward mit diesem Gegenstand sich abermals zu beschäftigen . . . herab. Angeregt durch [Joh] Fr[iedrich Hugo Frhr. v.] Dalberg: Ueber Meteor-Cultus der Alten, vorzüglich in Bezug auf Steine, die vom Himmel gefallen. Ein Beytrag zur Alterthumskunde. Heidelberg 1811; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1964). 1 ) Seinen Dank für das Werk Ueber Meteor-Cultus der Alten wollte G eigentl. durch die im Okt 1811 nach Aschaffenburg reisende Caroline v. Wolzogen übermitteln, doch verspätete sich sein Brief ganz außergewöhnlich. Jena den 26. November unterschrieben, ging er de facto erst am 10. Dez ab, als G seit dem 30. Nov schon wieder in Weimar war. (Br 22, 211f.): Möchte doch Herr von Dalberg durch Sie erfahren, daß ich ihm für das übersendete Werk sehr dankbar bin. Seine Nachforschung und Zusammenstellung so interessanter Gegenstände war mir sehr erwünscht und belehrend. Es ist gar schön, wenn angeregt durch neue oder wieder bemerkte Naturphänomene Jemand in’s Alterthum zurückgehen mag und dasjenige zu vereinigen sucht, was man sonst darüber erfahren, gedacht und gewähnt habe. Durch Ihre Vermittlung wird mir Herr von Dalberg gewiß mein bisheriges Schweigen verzeihen, und meinen Dank aus Ihrem Munde günstiger aufnehmen. 2 ) Zum polit. Zeitgeschehen: 1812 stand im Zeichen des russ.-frz. Krieges: Der preuß. König trug Napoleon (24. Febr) ein Bündnis an, mit dem er ihm Truppen zum Krieg gegen Rußland zur Verfügung stellte; so auch (14. März) Österreich, das nun Napoleon durch die Ehe mit Marie Louise verbündet war; zusammen mit Soldaten der Rheinbundstaaten, inklusive Sachsen-Weimars, bildeten sie einen Teil der Grande arme´e, wie Europa sie gewaltiger nie erlebt hatte. Aber der von den Russen selber entzündete Brand Moskaus (15.−20. Sept), der den größten Teil der Stadt vernichtete, signalisierte Napoleons Untergang. Dessen obdachlose, demoralisierte Armee trat den Rückzug zu spät an, um sich noch auf den schneebedeckten Steppen vor den Attacken der durch Pelzkleidung vor der eisigen Kälte bewahrten russ. Reiterscharen hätten schützen können. Von Wilna aus gelangte Napoleon mit nur 4 Begleitern im Schlitten nach Dresden (14. Dez). Am 17. meldete das 29. Bulletin des Moniteur unter dem Datum des 3. Dez: die Armee ist verloren, aber der Kaiser bei guter Gesundheit. − G schwieg in TuJ 1812 (W 36, 76) über die polit. Lage, abgesehen von einem indirekten Hinweis auf seinen vergeblichen Friedensappell an Napoleon, im Zusammenhang der von ihm im Namen der Karlsbader Bürger verfaßten drei Gedichte: an die Kaiserin von Österreich (Wie lange harren wir), an den Kaiser von Österreich (Er kommt!) und an die Kaiserin von Frankreich (Sieht man den schönsten Stern), der mit der Beschwörung des Helden, Den das Geschick zum Günstling auserwählt. . .schließt: Der alles wollen kann, will auch den Frieden. 3 ) Verfaßt 1819 u. 1825. 4 ) Zur geplanten Aufführung s. „Faust. Eine Tragödie“, S. 245.

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In Gefolg der Darstellung Mosaischer Geschichte im ersten Bande [DuW] nahm ich den Irrgang der Kinder Israel durch die Wüste aus alten Papieren wieder vor . . .1) Ich acquirirte eine nicht gar ellenhohe altflorentinische Copie des sitzenden Moses von Michelangelo in Bronze gegossen und im Einzelnen durch Grabstichel und andere ciselirende Instrumente fleißigst vollendet: ein schönes Denkmal sorgfältiger, beinahe gleichzeitiger Nachbildung eines höchst geschätzten Kunstwerkes jener Epoche und ein Beispiel, wie man dem kleinen Bilde, welches natürlich die Großheit des Originals nicht darstellen konnte, durch eine gewisse Ausführlichkeit im Einzelnen, einen eigenthümlichen Werth zu geben wußte. Apr 24. [Hildburghausen] F. K. L. Sickler an G (GSA 28/857 St. 1):2) Erlauben Ew. Excellenz, dass ich es wage, die beigelegte kleine Schrift, die die von mir entdeckten Cumanischen Monumente betrifft,3) Ihnen nicht allein zu übersenden, sondern auch dieselbe Hochdero gnädigen und critischen Beurtheilung anzuempfehlen. Mir scheinen diese Monumente eine der freundlichsten und tiefsinnigsten Vorstellungen der heitern Welt der ältesten Griechen, welche diese von den Aegyptern erhielt, darzustellen. Eine Vorstellung, die ihre Erhaltung selbst in den christlichen Mysterien vorzüglich ihrer Lieblichkeit zu verdanken scheint; denn nur dem Mysten selbst dürfte es wohl allein gesagt werden dürfen, daß unser Abendmahl nichts als eine, obgleich schwächere, Repetition des altgriechischen, mystischen und Bacchischen Symposion sey; eine, nur wenig veränderte Darstellung der Lehre der Unsterblichkeit, wie dieß noch aus des Nonnus gefühlter Dichtung des Ampelos-Faun, im Verhältniß zum Dionysos, der deßen Blut den Göttern und Menschen zum Gedächtniß trinken läßt, sich deutlich ergiebt. Wem aber möchte ich, bei der ersten Bekanntmachung dieser Monumente, diese nicht am liebsten und am frühesten zu überreichen wagen, als Demjenigen unter Deutschlands Dichtern, dessen Werke jenen griechischen Geist des höhern und tiefern Forschens, mit höchster Lieblichkeit vereint, am bestimmtesten wieder zurückgerufen und unter uns ausgesprochen haben.

1

) Burdach Faust und Moses 364 zitiert − wie auch die vom 21. Juni 1781: an F. Müller u. am 7. Nov 1808: an Zelter − die folgende Passage als Zeichen der inneren Beschäftigung des Faust-Dichters mit dem Mosesmythos: Nicht die historische Person des Moses will die Schöpfung Michelangelos verkörpern, sondern den gehörnten Gehilfen Gottes, den Inbegriff dessen, was die christliche Phantasie im Einklang mit der mittelalterlichen Bibelexegese und unter halbbewußter Nachwirkung mythischer Überlieferung von dem göttlichen Abglanz auf dem Haupte des Propheten Gottes aus dem geschichtlichen Moses gemacht hat. Dieses künstlerische, mythisch-poetische Bild gestaltete der sich ihm verwandt fühlende Titan. Und dieses Bild zündete in der Seele des Dichters, der in sich Elemente von Muhammed und Moses, von Prometheus und Faust trug, empfand und zum Ausdruck brachte. (Ebd. 363) 2 ) Zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts 11511−38 u. Sz.[6] Grablegung (11604−11): Lemuren; s. dazu die nächsten Z bis Apr 28. 3 ) De monumentis aliquot Graecis, e sepulcro Cumaeo recenter effosso, erutis, sacra Dionysiaca a Campanis veteribus celebrata eorumque doctrinam de animorum post obitum statu illustrantibus. Prolusio orationibus inauguralibus in gymnasio Hildburghusano a. d. XXVIII. apr. a. c. n. MDCCCXII habendis praemissa a F. C. L. Sicklero Gothano . . . gymnasii Hildburghusani directore; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2125).

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Apr 25. [Jena, abends] Sicklers Sacra Dyonisiaca. 26. [Jena] Abends Sicklers Programm. [25./26.] F. K. L. Sickler, De monumentis aliquot Graecis, e sepulcro Cumaeo recenter effosso, erutis, sacra Dionisiaca, a Campanis veteribus celebrate, horumque doctrinam de animorum post obitum statu illustrantibus. Hildburghausen 1812, 8): Ta b u l a s e c u n d a . Tres figurarum humanarum species in hoc monumento exhibentur, ad unam eamdemque classem pertinentes. Lemures, cute musculisque superioribus carentes, esse, primo statim obtutu animadvertere licet, ossa enim, quorum aliquot partes facile distinguas, musculorum tendinumque compagine unice cohaerent. Sceleti imaginem igitur absolutam, eam dico, quam in artis hodiernae monumentis obviam habemus, in his figuris minime deprehendimus, ossa enim carne obducta sunt, verumtamen tali, qua, tamquam adminiculo omnis motus primario et necessario, machina animalis movetur. Hinc quoque mortuos, Lemures dixeris, hic formatos esse nemo, crediderim, negabit; at vero artifex, ex artis principio et lege, ossibus, veram mortis imaginem referentibus, musculos adjecit, ne ab omni ratione nimis absonum egisse videretur, cum corporis motus varios quidem fingeret, instrumentis vero, ad eosdem perficiendos vel maxime necessariis, omnino sublatis.1) 27. [Jena] Betrachtungen über das Sicklerische Programm alte Grabgemäl-

de betreffend. 28. [Jena] An F. K. L. Sickler (Konzept; Br 22, 359−64): Ew. Wohlgeb.

beschenken das kunstliebende Publicum abermals mit einer schönen, ja wohl einzigen Gabe und ich eile von meiner Seite dieselbe dankbar anzuerkennen. Sie haben, indem Sie diese höchst schätzbaren Monumente mittheilen, alles gethan, um solche aus anderen alterthümlichen Überlieferungen zu erläutern und aufzuklären. Erlauben Sie mir dagegen hier mit wenigem anzudeuten, wie ich mir, durch Ihre Schrift belehrt, jene Denckmale, die mich so höchlich entzückt, anzueignen getrachtet habe . . . Das entdeckte Grab ist wohl für das Grab einer vortrefflichen Tänzerinn zu halten, welche, zum Verdruß ihrer Freunde und Bewunderer, zu früh von dem Schauplatz geschieden. Die drey

1

) Zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts (11511−39) u. Sz. [6] Grablegung (11604−12): Lemuren. − Vgl. Sicklers zentrale Aussage zu den Lemuren in der dt. Fassung des Schulprogramms, u. d. T. Beschreibung eines sehr merkwürdigen neuentdeckten Griechischen Grabmals bei Cumä mit drei Basreliefs über die Bacchische Mysterien-Feier in Chr. A. Vulpius’ Zs. Curiositäten der physisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt. Weimar 1812, Bd 2, St. 1, S. 35−66: Zweites Basrelief. (Taf. 2) In diesem erblicken wir drei menschliche Skelette. Es sind Lemuren, denen die Haut nebst den obern Muskeln fehlt; denn ihre Knochen sind noch mit den unteren Muskeln und mit Sehnen bedeckt. Freilich sind es keine ganzen Skelette von so horribler Gestalt, wie wir sie auf den Monumenten der neueren Kunst, unsinnig und abgeschmackt genug (wie z. B. an dem so sehr gerühmten Grabmale des Mare´chal de Saxe in der St. Thomas Kirche in Straßburg von Pigalle) dargestellt, so oft sehen müssen. Diese Skelette sind in Bewegung, deshalb mußten sie wenigstens mit Sehnen und Muskeln versehen seyn, ohne die sich keine Bewegung denken läßt. Todtengeister, Lemuren (nicht Larven, Laren oder Manen) sind folglich hier dargestellt. Ihnen gab der alte Künstler Muskeln und Sehnen zur Ausführung der Bewegung.

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Bilder muß ich als cyclisch, als eine Trilogie ansehen; das kunstreiche Mädchen erscheint mir in allen dreyn; und zwar im ersten die Gäste eines reichen Mannes, zum genußreichsten Leben, entzückend; das zweyte stellt sie vor, wie sie im Tartarus, in der Region der Verwesung und Halbvernichtung kümmerlich ihre Künste fortsetzt; das dritte zeigt sie uns, wie sie, dem Schein nach wiederhergestellt, zu einer ewigen Schattenseligkeit gelangt ist . . . Ich gehe zum zweyten Blatt. Wenn auf dem ersten die Künstlerinn uns reich und lebensvoll, üppig, beweglich, grazios, wellenhaft und fließend erschien, so sehen wir hier in dem traurigen lemurischen Reiche von allem das Gegentheil. Sie hält sich zwar auf einem Fuß, allein sie drückt den anderen an den Schenkel des ersten, als wenn er einen Halt suchte. Die linke Hand stützt sich auf die Hüfte, als wenn sie für sich selbst nicht Kraft genug hätte. Man findet hier die unästhetische Kreuzesform, die Glieder gehen im Zickzack und zu dem wunderlichen Eindruck muß selbst der rechte aufgehobene Arm beytragen, der sich zu einer, sonst grazios gewesenen Stellung in Bewegung setzt. Der Standfuß, der aufgestützte Arm, das angeschlossene Knie, alles giebt den Ausdruck des Stationären, des Beweglich-Unbeweglichen, ein wahres Bild der traurigen Lemuren, denen noch so viel Muskeln und Sehnen übrig bleiben, damit sie sich kümmerlich bewegen können, damit sie nicht ganz, als durchsichtige Gerippe erscheinen und zusammenstürzen. Aber auch in diesem widerwärtigen Zustande muß die Künstlerinn auf ihr gegenwärtiges Publicum noch immer belebend, noch immer anziehend und kunstreich wircken. Das Verlangen der herbeyeilenden Menge, der Beyfall, den die ruhig Zuschauenden ihr widmen, sind hier in zwey Halbgespenstern sehr köstlich symbolisirt . . . Was ist aber dieser Sinn, was ist dieser Ausdruck? Die göttliche Kunst, welche alles zu veredeln und zu erhöhen weiß, mag auch das Widerwärtige, das Abscheuliche nicht ablehnen. Eben hier will sie ihr Majestätsrecht gewaltig ausüben. Aber sie hat nur Einen Weg dieß zu leisten; sie wird nicht Herr vom Häßlichen, als wenn sie es komisch behandelt . . . Eine Künstlerinn, wie diese war, mußte sich, bey ihrem Leben, in alle Formen zu schmiegen, alle Rollen auszuführen wissen; und jedem ist aus der Erfahrung bekannt, daß uns die komischen und neckischen Exhibitionen solcher Talente oft mehr aus dem Stegreife ergötzen, als die ernsten und würdigen, bey großen Anstalten und Anstrengungen. Bekleide man dieses gegenwärtige lemurische Scheusal mit weiblicher jugendlicher Muskelfülle, man überziehe sie mit einer blendenden Haut, man statte sie mit einem schicklichen Gewand aus . . . so wird man eine von denen komischen Posituren sehen, mit denen uns Harlekin und Colombine unser Lebenlang zu ergötzen wußten. Verfahre man auf dieselbige Weise mit den beyden Nebenfiguren, so wird man finden daß hier der Pöbel gemeint sey, der am meisten von solcherley Vorstellungen angezogen wird. Es sey mir

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verziehen, daß ich hier weitläuftiger, als vielleicht nöthig wäre, geworden, aber nicht jeder würde mir gleich auf den ersten Anblick diesen antiken humoristischen Geniestreich zugeben, durch dessen Zauberkraft zwischen ein menschliches Schauspiel und ein geistiges Trauerspiel eine lemurische Posse, zwischen das Schöne und Erhabene ein Fratzenhaftes hineingebildet wird. Jedoch gestehe ich gern, daß ich nicht leicht etwas bewundernswürdigeres finde, als das ästhetische Zusammenstellen dieser drey Zustände, welche alles enthalten, was der Mensch, über seine Gegenwart und Zukunft, wissen, fühlen, wähnen und glauben kann.1) Juli 27. [Teplitz] An Christiane (Br 23, 46f.):2) Grüße Hofr. Meyer schönstens und sage ihm: ich habe eine Nachbildung des M o s e s von Michelangelo in Bronze gekauft, die sehr schön und wahrscheinlich aus dem 16ten Jahrhundert ist. Wie er sitzt ist die Figur 13 Weimarische Zoll hoch. Also eine schöne Größe. Das Nackte ist wohl verstanden. Bart und Gewänder von der größten Ausführung. Aug 14. [Karlsbad] An H. Meyer (Br 23, 59f.):3) Sie erhalten hiebey, mein theurer Freund, eine Silhouette des neu acquirirten Moses, die, obgleich etwas roh, Ihrem Seherblick auf einmal mehr eröffnen wird, als viele meiner Worte thun könnten. Ihre Vermuthung4) ist bey mir zur Gewißheit worden. Die Nachbildung deutet auf einen großen Respect fürs Original und zugleich auf die Absicht, die Copie zu einem selbstständigen Werke zu machen. Dem Künstler derselben hat es nicht an Sinn und Gefühl für die Großheit des Marmorbildes gefehlt; aber mich dünkt, es ist schon eine gewisse Eleganz einer späteren Zeit bemerkbar, besonders an den nackten Armen, welche jedoch sehr wohl verstanden sind. Die nackten Theile sind mit Einfalt und Wahrheit gebil1

) Auf Sicklers Wunsch wurde G’s Brief (ohne den nicht zum Thema gehörenden Schluß) als Sendschreiben des Hrn. Geh. Raths v. Goethe an den Hrn. Rath und Direktor Sickler, über dessen neuentdecktes griechisches Grabmal bei Cumä etc. publiziert in: Curiositäten. Weimar 1812, Bd 2. St. 3. S. 195−202. Nach G’s Tod tilgte Eckermann die Briefform u. stellte den Text in die Nachgelassenen Werke u. d. T. Der Tänzerin Grab (W 48, 143−50). − Die drei von Sickler in Kupferstichen dargestellten Basreliefs, speziell das 2., beeindruckten G so, daß die Lemuren, analog ihrer hier beobachteten ästhetischen Funktion, in Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts u. Sz. [6] Grablegung als Fausts Totengräber auftreten. 2 ) Burdach Faust und Moses 363 zitiert den folgenden Passus wie den schon erwähnten am 21. Juni 1781: an F. Müller u. am 7. Nov 1808: an Zelter sowie in TuJ 1812 als Zeichen der inneren Beschäftigung des Faust-Dichters mit dem Mosesmythos. 3 ) Burdach Faust und Moses 363 zitiert den Brief im Faust-Kontext; vgl. die vorige Anm. 4 ) H. Meyer an G, 29. Juli 1812 (SchrGG 34, 310): Ohne Zweifel wird sie eine Arbeit jener florentinischen Künstler aus der Schule des Giovanni di Bologna seyn, die sich vornehmlich mit dergleichen kleinen Nachahmungen berühmter Werke großer Künstler beschäftigten.

1812

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det, aber unglaublich ist die Ausführung der übrigen: Haare, Bart, Nägel, die dacische Strumpfhose des rechten Fußes mit ihren Manschetten, der schwere wollene Mantel; an jener sind die Maschen, an diesem das wollene Gewirke mit großem Geschmack und Gehörigkeit ausgeführt. Es fielen mir dabey die gewissen Eischen [Eisenchen] des C e l l i n i ein; denn man sieht deutlich, daß sie sich verschiedene Instrumente zugerichtet haben, um schon durch die Form derselben ihre Zwecke zu erreichen. Wenn diese nun durch eine geschickte Hand geführt und durch einen geistreichen Hammer begünstigt worden, so begreift man, daß sie Effecte hervorbringen konnten, die man sonst nur dem Pinsel zutraut.

18131) Jan

7. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 25. Febr 1813 − : Die Werke der Philostrate. A. d. Griech. Übers. von David Christoph Seybold. Bd 1. 2. Lemgo 1776−1777)2)

1

) Wichtigstes polit. Ereignis: Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig (16.–18. Okt). G’s Verzweiflung über die polit. Entwicklung zeigen die TuJ 1813 (W 36, 85): Hier muß ich noch einer Eigenthümlichkeit meiner Handlungsweise gedenken. Wie sich in der politischen Welt irgend ein ungeheures Bedrohliches hervorthat, so warf ich mich eigensinnig auf das Entfernteste. Dahin ist denn zu rechnen, daß ich von meiner Rückkehr aus Karlsbad an mich mit ernstlichstem Studium dem chinesischen Reich widmete . . . Von Ereignissen bemerke vorläufig: der französische Gesandte wird in Gotha überrumpelt und entkommt. Ein geringes Corps Preußen besetzt Weimar, und will uns glauben machen, wir seien unter seinem Schutze sicher. Die Freiwilligen betragen sich unartig und nehmen nicht für sich ein. Ich reise ab, Begegnisse unterwegs. In Dresden russische Einquartierung, Nachts mit Fackeln. Ingleichen der König von Preußen. In Teplitz Vertraulichkeiten. Vorläufige Andeutungen einer allgemeinen Verbindung gegen Napoleon. Schlacht von Lützen. Franzosen in Dresden. Waffenstillstand. Aufenthalt in Böhmen. Lustmanœuvre zwischen Bilin, Ossegg und Dux. Mannichfache Ereignisse in Dresden, Rückkehr nach Weimar. Die jüngste französische Garde zieht ein. General Tr a v e r s , den ich als . . . Begleiter des Königs von Holland kennen gelernt, wird bei mir zu seiner höchsten Verwunderung einquartiert. Die Franzosen ziehen alle vorwärts. Schlacht von Leipzig. Die Kosaken schleichen heran, der französische Gesandte wird hier genommen, die Franzosen von Apolda und Umpferstedt her andrängend. Die Stadt wird vom Ettersberg her überfallen. Die Österreicher rücken ein. − G erwähnt nicht den Rückzug Napoleons nach Frankreich; die Auflösung des Rheinbunds. − Eigene Erlebnisse beeinflußten gewiß die Idee, in Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg, einen Gegenkaiser (10407 u. 10528) u. die Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt (10783ff.) zu schaffen; Zeitgeschichtliches spiegelt sich auch in Mephistopheles’ Schilderung Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10261ff.): Indes zerfiel das Reich in Anarchie, / Wo groß und klein sich kreuz und quer befehdeten / Und Brüder sich vertrieben, töteten, / Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt, / Zunft gegen Adel Fehde hat, / Der Bischof mit Kapitel und Gemeinde; / Was sich nur ansah, waren Feinde, / In Kirchen Mord und Totschlag, vor den Toren / Ist jeder Kauf- und Wandersmann verloren. / Und allen wuchs die Kühnheit nicht gering; / Denn leben hieß sich wehren . . . 2 ) Zu Akt II Sz. [7] Felsbuchten des Ägäischen Meers (8423ff.): Galatee auf dem Muschelwagen; s. die nächsten Z.

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1813

10. [Weimar] Nach Tische Philostrats Gemälde. Die Seyboldische Überset-

zung und meine Redaction mit dem Griechischen verglichen. ⎯ Philostrat der Ältere: Beschreibung einer Gemälde-Gallerie zu Neapel. Zweytes Buch. Das achtzehnte Gemälde. Der Cyklope (Seybold 2, 389):1) [Der in die Meernymphe Galateia verliebte Kyklop Polyphemos beobachtet sie von einem Felsen am Meeresufer aus und versucht, durch zärtliche Blicke u. ein Liebeslied ihre Zuneigung zu gewinnen. IV. u. letzter Abschnitt] Galatea spielt indessen auf dem sanften Meere, und spannt vier Delphine, die von einerley Geist beseelt scheinen, neben einander an einen Wagen. Jungfräuliche Tritonen, die die Galatea bedienen, legen ihnen Zäume an, damit sie nicht allzu muthwillig seyn können. Ihr purpurfarbenes Gewand ist ein Spiel der Winde. Es fliegt ihr über den Kopf hinaus, und macht ihr theils Schatten, theils dient es ihr statt des Seegels. Von demselben fällt ein Glanz auf die Stirne herab, aber er übertrift doch nicht die Röthe ihrer Wangen. Mit ihren Haaren kann der Wind nicht spielen, denn sie sind naß, und daher für die Zephyre zu schwer. Der rechte Arm, dessen Ellenbogen von blendender Weiße gebogen ist, steht von dem Körper ab, und die Finger stehen nur ganz leicht auf der weichen Hüfte auf. Der Arm ist ganz sanft aufgelaufen, wie kleine Wellen des Meeres. Die Brust steht heraus, und auch die Schenkel haben ihre Schönheit. Die Ferse des Fußes, und der übrige Theil von dem untersten Fuß ist über dem Meere schwebend gemalt, und berührt ganz leichte das Wasser, gleichsam um das Ruder des Wagens zu seyn. Die Augen sind bewundernswürdig, denn sie verrathen den schärfsten Blick, der nur durch das Ende des Meers begränzt wird. ⎯ Philostrats Gemählde (W 49.1, 106): C y c l o p u n d G a l a t e e 2) . . . Ru-

hig schwankt die breite Wasserfläche unter dem Wagen der Schönen; vier Delphine neben einander gespannt scheinen, zusammen fortstrebend, von Einem Geiste beseelt; jungfräuliche Tritonen legen ihnen Zaum und Gebiß an, ihre muthwillen Sprünge zu dämpfen. Sie aber steht auf dem Muschelwagen, das purpurne Gewand, ein Spiel der Winde, schwillt segelartig über ihrem Haupte und beschattet sie zugleich; deßhalb ein röthlicher Durchschein auf ihrer Stirne glänzt, aber doch die Röthe der Wangen nicht überbietet. Mit ihren Haaren versucht Zephyr nicht zu spielen; sie scheinen feucht zu sein. Der rechte Arm, gebogen, stützt sich, mit zierlichen Fingern, leicht auf die weiche Hüfte, der Ellbogen blendet uns durch sein röthlich Weiß, sanft schwellen die Muskeln des Arms wie kleine Meereswellen, die Brust dringt hervor, wer möchte der Schenkel Vollkommenheit verkennen! Bein und Fuß sind schwebend über das Meer gewendet, die Sohle berührt ganz leise das Wasser, eine steuernde Bewegung anzudeuten. Aufwärts aber, die Augen, ziehen uns immer wieder und wieder an. Sie sind bewundernswürdig, sie verrathen den schärfsten, unbegränztesten Blick, der über das Ende des Meeres hinausreicht. Bedeutend ist es für unsere Zwecke, wenn wir mit dieser Beschreibung zusammenhalten was Raphael, die Carrache und andere an demselben Gegenstand gethan. Eine 1

) Der folgende Passus aus Der Cyclope − übers. von Seybold − wirkte anregend auf G; s. das nächste Z. 2 ) G’s Übersetzung des Textes zum Κυ κλωψ–Bild (II 18) in der Arbeitsphase Jan 1813; s. „Philostrats Gemählde“.

1813

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solche Vergleichung wird uns den alten und neuen Sinn, beide nach 1 ihrer ganzen Würdigkeit, aufschließen. ) Jan

20. [Breslau] F. H. v. d. Hagen an G (GJb 1929, 126): Zwei große und inhaltschwere Bitten will ich aber hier noch, gewiß im Namen aller, an diesen großen Genius wagen: das eine ist die Vollendung des ’Faust’, des reichsten und tiefsten Nationalgedichts, von dem einige gewiß falsch prophezeiet haben, es könne damit nicht zur Höllenfahrt kommen, und dann die Vollendung der ’Eugenia’ . . .

[Apr [Dresden] H. Th. v. Schön, Selbst-Biographie2) (GG 2, 799f.): Goethe passierte in der 20./25.] Zeit Dresden [20.−25. Apr 1813 auf der Reise nach Teplitz] und sobald ich dies erfuhr, bat ich den Professor Graff,3) zu welchem Goethe früher sehr freundlich gewesen war . . . Goethe aufzufordern, daß er uns ein Kriegslied gebe. Goethe . . . lehnte es ab. Er wolle, sagte er zu Graff, sich vom Schauplatz entfernt halten, und lieber noch eine Szene zum Faust, als einen Kriegsgesang dichten.

18144) ⎯

⎯ (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tag- und Jahres-Hefte gD, S. 250 m. Anm. 6)

Juli

⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Hs. zum Deutschen Divan gD, S. 508)

18155) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte6) (W 36, 98): Besonderes Glück ereignete sich

mir . . . zu Bibrich, indem des Herrn Erzherzogs Karl K[aiserliche]. 1

) Darstellungen der vom Kyklopen Polyphemos bewunderten Meernymphe Galateia (Galatea) sah G in Freskogemälden von Raffael u. den Brüdern Caracci in Rom in der Villa Farnesina u. im Palazzo Farnese. Die Ital. Reise bezeugt am 18. Nov 1786 u. 17. Juli 1787 G’s Besuche der Farnesina u. am 17. Nov 1786 der Farnesischen Galerie, ohne Erwähnung der Galateia-Darstellungen. Reproduktionskupferstiche in G’s Graphiksammlung nach Raffael: Galathee auf einem Muschelwagen von Delphinen gezogen von Marcantonio Raimondi (Schuchardt I 68 Nr. 642) u. von Domenico Cunego (Schuchardt I 69 Nr. 643); nach den Brüdern Caracci: Galathee auf einem Muschelwagen von Tritonen und Nereiden umgeben von Pietro Aquila (Schuchardt I 26 Nr. 229 Bl. 4); von Domenico Cunego (Schuchardt I 27 Nr. 233). 2 ) Verfaßt 1844. 3 ) Anton Graff (Graf), schweiz. Maler, seit 1766 in Dresden. 4 ) Zur Zeitsituation: Winterfeldzug in Frankreich; 31. März Einzug der Alliierten in Paris; 6. Apr Napoleon dankt ab, geht am 11. Apr ins Exil nach Elba. 3. Mai Louis XVIII. zieht als König in Paris ein, beraten von Tayllerand. Frankreich muß im 1. Frieden von Paris (30. Mai) auf alle territorialen Eroberungen seit Jan 1792 verzichten u. sich zur Rückerstattung der durch Napoleon nach Paris gelangten Kunstschätze verpflichten. Wiener Kongress der europ. Großmächte u. Kleinstaaten zur territorialen Neuordnung u. Restauration alter Privilegien (Metternich). Daraus hervorgehend der Deutsche Bund als lose Vereinigung von 39 souveränen Staaten mit dem Bundestag als oberster Bundesbehörde in Frankfurt a.M. 5 ) Zur Zeitsituation: Napoleon gelingt Anf. März Rückkehr nach Frankreich u. Mobilisation von Truppen, proklamiert sich erneut zum Kaiser. Louis XVIII. flüchtet aus Paris

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H[oheit]. die Gnade hatte, nach einem interessanten Gespräch, mir die Beschreibung Ihrer Feldzüge mit den höchst genau und sauber gestochenen Karten zu verehren.1) [Apr nach [Weimar] F. v. Matthisson, Erinnerungen3) (GG 2, 1005): Die zwei letzten Teile von der 17.]2) Trilogie des Faust sind nur erst in der Anlage und in einzelnen Szenen vorhanden.4) Mai

1. An Carl Graf Brühl (Br 25, 292): . . .5) Und gerade ist dieses der Punct,

auf welchen ich Sie im Stillen Ihre Aufmerksamkeit zu richten bitte. Man hat die höheren Forderungen der Poesie, die sich eigentlich auf dem Theater nur symbolisch oder allegorisch aussprechen können, der Tragödie und Comödie durchaus verkümmert, und alles was nur einigermaßen die Einbildungskraft in Anspruch nimmt, in die Oper verwiesen, und auch hier hat sich die Prosa des Trauer- und Lustspiels, ja des Dramas nach und nach eingeschlichen, daß die Geister selbst oft

nach Gent, Napoleon zieht in die Tuilerien ein, wird vom Wiener Kongress als Störer des Weltfriedens verurteilt. Kriegerische Auseinandersetzungen bis zum Sieg der Preußen u. Engländer über Napoleon bei Waterloo (18. Juni). Napoleon erklärt (22. Juni) zugunsten seines Sohnes Rücktritt von der Regierung, die nur 102 Tage gedauert hatte. Louis XVIII. kehrt in das von den Verbündeten besetzte Paris zurück, wo (26. Sept) die Monarchen Rußlands, Österreichs u. Preußens ihre ›Heilige Allianz‹ schließen. Endgültig verbannt, landet Napoleon (18. Okt) auf St. Helena. Der 2. Pariser Friede (29. Nov) zw. der ›Heiligen Allianz‹ u. Louis XVIII. unterzeichnet. Bzgl. auf den großen Weltschauplatz vermerkt G in TuJ 1815 (W 16, 101f.): Napoleons Wiederkehr erschreckte die Welt, hundert schicksalschwangere Tage mußten wir durchleben; die kaum entfernten Truppen kehrten zurück, in Wiesbaden fand ich die preußische Garde; Freiwillige waren aufgerufen, und die friedlich beschäftigten, kaum zu Athem gekommenen Bürger fügten sich wieder einem Zustande, dem ihre physischen Kräfte nicht gewachsen und ihre sittlichen nicht einstimmig waren; die Schlacht von Waterloo, in Wiesbaden zu großem Schrecken als verloren gemeldet, sodann zu überraschender, ja betäubender Freude, als gewonnen angekündigt. In Furcht vor schneller Ausbreitung der französischen Truppen, wie vormals über Provinzen und Länder, machten Badegäste schon Anstalten zum Einpacken, und konnten sich vom Schrecken erholend die unnütze Vorsicht keineswegs bedauern . . . − Zur Einwirkung des Wiener Kongreß auf die Schlußszene von Akt IV s. Mommsen 1989, 26–29. 6 ) Verfaßt 1823. 1 ) Zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg (10345ff.): Strategie der Heere des Kaisers u. des Gegenkaisers. − Erzherzog Karl hatte als strategisch begabter Gegenspieler Napole´ons in der Schlacht bei Aspern u. Essling vor den Toren Wiens am 21./22. Mai 1809 mit dem 1. Sieg über die napoleonischen Truppen seine militär. Karriere gekrönt. Das Werk, dessen sorgfältig gestochene Karten G besonders schätzte, begründete Erzherzog Karls Rang als Militärtheoretiker: Grundsätze der Strategie, erläutert durch die Darstellung des Feldzugs von 1796 in Teutschland. Th. 1 − 3. mit Charten und Planen. Wien 1813, in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 3488). Zur Bedeutung für Faust vgl. unten 12. Juni 1815 m. Anm. 2 ) Datierung nach Gräf II 2, 212. 3 ) Verfaßt 1815. 4 ) Der Ausdruck Trilogie wohl im Hinblick auf das ›Zwischenspiel‹ Helena. − Das Folgende s. in „Faust. Eine Tragödie“, S. 260. 5 ) Das Vorausgehende s. in „Des Epimenides Erwachen“ gD, EGW 4, 82f.

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die prosaischsten Figuren von der Welt sind. Diese Richtung, in welcher sich Autoren, Schauspieler, Publicum wechselsweis bestärken, ist nicht zu ändern, ja ihr nicht gerade entgegenzuarbeiten; aber sie zu lenken und zu leiten geht doch an, und wenn man es auch nur im Einzelnen thut; hierzu habe ich früher die Masken, später die spanischen Stücke gebraucht. Es ist aber immer eine Gefahr dabei.1) Juni 12. [Wiesbaden] Werck des [österreichischen] Erzherzogs [Karl].2) Juli 20. [Wiesbaden] An A. v. Goethe (Br 26, 41): Dienstag d. 18ten Nach Maynz, bey Kayserl. Hoheit zu Tafel, höchst gnädig und freundlich aufgenommen. Kehrte mit dem Geschencke des Prachtwerckes: Grundsätze der Strategie zurück.3) 26. [Köln] Dom . . . Von Innen . . . Kasten der drey Könige. Überreste des Schatzes.4) Aug

3. [Wiesbaden] S. Boissere´e Tagebuch (Weitz − Boissere´e 1, 229): − Faust der 1. Teil geschlossen mit Gretchens Tode, [G:] „nun muß es par ricochet noch einmal anfangen“ − das sei recht schwer, „dazu hat jetzt der Maler eine andere Hand, einen anderen Pinsel − was er jetzt zu produzieren vermag würde nicht mit dem Früheren zusammengehen.“5) Ich erwidere: er dürfe sich keine Skrupel darüber machen, ein anderer 1

) Zum Einfluß von Caldero ´n auf die Gestaltung von Faust II. − Weitere Hinweise s. 1816 Mai 29.: an Gries (Br 27, 32f.) u. 1822 Juni 22.: an Gries (Br 36, 63f.). Vgl. Atkins 1953, 84−94. 2 ) Zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg (10345ff.). G begegnete am 11. Juni 1815 in Bibrich bei einer Mittagstafel am Nassauischen Hof dem österr. Erzherzog, der ihm seine 2 Bde Grundsätze der Strategie schenkte. Vgl. das nächste Z. – Wie R.-H. Steinmetz (GJb 1994, 151−70) nachwies, bilden diese zusammen mit dem Essai ge´ne´rale de tactique (1770) von Jacques Antoine Hyppolite Guibert, den G nach einem Briefzeugnis (Br 3, 67) am 19. Mai 1776 in dt. Übers. (Dresden 1774) las, die Grundlage für die Schlachtdarstellung in der Sz. Auf dem Vorgebirg: Während der Obergeneral des Kaisers bei Truppenaufstellung u. taktischem Vorgehen dem Vorbild der defensiven Aufstellungen in den Grundsätzen der Strategie folgt, handelt der Feldherr des Gegenkaisers nach der flexiblen Taktik, die Guibert, abstrahiert von der Schlacht bei Leuthen (5. Dez 1757), im 13. Kap. des 2. Teils anhand Tafel XIV bescheibt; vgl. Steinmetz GJb 1994, S. 151−70. 3 ) Bei dem Diner in Mainz empfing G das schon am 12. Juni (s. dort) erwähnte Werk offenbar nochmals. G las am 12. u. 13. Juni u. wiederum am 18. bis 20. Juli 1815 in den Grundsätzen der Strategie. 4 ) Zur KWN in Akt II Sz. [6], wo G fabulose Mischwesen auftreten läßt. − Bei Besichtigung des Kölner Doms sah G, − freylich nur bey Kerzen-Grubenlicht (Br 28, 174), auch die im Dreikönigeschrein aufbewahrte Sammlung zumeist antiker Gemmen. Im Sommer 1817 erhielt er von Kanonikus Pick 159 Schwefelabdrücke dieser Gemmen, die er in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte (jetzt im Weimarer Schloß); vgl. Simon JbFDH 2004, 161f. − Auf einer Gemme ist ein Adlergreif mit Vorderklaue auf einem Widderkopf. (Vgl. die Greife 7582−85 u. 7602−05). G kannte von Jugend an das seit der Antike beliebte Greifenmotiv; eigene Zeichnungen s. CG III Nr. 52, 216, 219, 220; IV B 10. − Zu Greifen-Darstellungen in Pompeji s. 1827 Sept 12.: Tgb. 5 ) Diese Erkenntnis hing zweifellos mit den selbsterlebten Kriegs- und polit. Ereignissen zusammen, die Faust II ein anderes Gepräge gaben, als es sich der Dichter in früheren Jahren hätte träumen lassen. Vgl. 3. Nov 1820: an Schubarth über die Irr-

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vermöchte sich in einen andern zu versetzen, wie viel eher doch der Meister in seine früheren Werke. − G.: Ich gebe es gerne zu − vieles ist auch schon fertig.“ Ich frage nach dem Ende. G.: „Das sage ich nicht, darf es nicht sagen, aber es ist auch schon fertig und sehr gut und grandios geraten, aus der besten Zeit −“ Ich denke mir, der Teufel behalte Unrecht. G.: „Faust macht im Anfang dem Teufel eine Bedingung woraus schon alles folgt.“ [1692−1706] Faust bringt mich dazu, wie ich von Napoleon denke und gedacht habe. Der Mensch, der Gewalt über sich selbst hat und behauptet, leistet das Schwerste und Grösste. Das ist in den ›Geheimnissen‹ so schön ausgesprochen.1)

Aug 28. [Frankfurt/Gerbermühle] S. Boissere´e Tagebuch (Weitz − Boissere´e 1, 258): In Beziehung auf den Farben-Kranz [zum Geburtstag] erzählte G: weil er immer seine angefangenen Arbeiten so gern liegen gelassen − hätten seine Freunde in Weimar ihm an einem Geburts-Tag einen Kranz gemacht, worin die Anfangs-Buchstaben, die zerbrochenen, von allen seinen unvollführten Werken zusammengereiht gewesen. Auf solche Art hätten sie ihn oft geschoren an seinem Geburts-Tag.2) Sept 20. [Fahrt von Darmstadt nach Heidelberg] S. Boissere´e Tagebücher (Weitz-Boissere´e 1, 274): [G spricht über] . . . Faust. Fortsetzung desselben. . . Okt 15. [München] Schelling an G (SchrGG 13, 265):3) Anliegende kleine Abhandlung will sich zu Ihnen wagen, sie betrifft einen Gegenstand aus dem guten alten Heydenthum, dem ich damit einen Dienst erweisen wollte. Da ich aus Ihrem Leben [DuW Buch 4] gelernt, wie sie unter so vielem auch einst hebräische Sprache und Schrift angezogen, so hoffe ich, die eingemischten, wunderlichen Buchstabenzüge werden, wenn nichts Anderes, Sie nicht abhalten, der kleinen Arbeit einige Blicke zu schenken. Dez

8. [Jena, abends] Wolckenerscheinungen durch Howard.4)

thümer auf Erden, durch die unser Freund Faust sich auch durchwürgen mußte, m. Anm. 1 ) Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit der Mensch sich, der sich überwindet. (W 16, 178191f.). 2 ) was natürlich vor allem seinem noch unvollendeten Faust gegolten hatte. 3 ) Zu den Kabiren in Akt II Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meers (8070−77, 8168−81 u. 8204f.). In G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1978): Ueber die Gottheiten von Samothrace. Vorgelesen in der öffentl. Sitzung der Baier’schen Akademie der Wissenschaften am Namenstage des Königes den 12. Oct. 1815. Beylage zu den Weltaltern. Stuttgart u. Tübingen 1815). Der gesamte Text S. 1−42 aufgeschnitten, die Anm. S. 43−117 unaufgeschnitten. Dank an Schelling nicht bezeugt. Erneute Lektüre der Schrift bei Gestaltung der KWN, wo G die Kabiren satirisch behandelt; s. 22. Febr 1830: Bibliotheksentleihung sowie 1831 Febr 17. u. 21.: Eckermann. 4 ) Zur Wolkensymbolik in Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10039−66) u. Akt V Sz. [7] Bergschluchten (11970−2019). − Beginn der Beschäftigung mit Luke Howards Beschreibung u. Terminologie der Wolkenformen (Essay on the modification of clouds and the principles of their production, suspension and destruction. In: The Philosophical Magazine. By Alexander Tilloch. London 1803, Bd 16, Nr. 62, S. 97−107; Nr. 64, S. 344−357 u. Bd 17, Nr. 65, S. 5−11). G lernte Howards Wolkenlehre zuerst in der dt. Bearbeitung des Leipziger Physik-Professors L. W. Gilbert kennen: Versuch einer Naturgeschichte und Physik der Wolken, von Lukas Howard, Esq. zu Plaistow bei London. Frei bearbeitet von Gilbert. In: Annalen der Physik. Hsg. v. Ludwig Wilhelm Gilbert. Leipzig 1815, Bd 51 (N.F. Bd 21), St. 9, S. 1−48. Der freien Übers. lag Howards modifizierte Veröffentl. zugrunde: The natural history of clouds. In: A journal of natural philosophy, chemistry and the arts. London 1812, Bd 30, S. 35−69. Ein Brief vom 23. Mai an Vogel (Br 29, 97) bezeugt G’s spätere Kenntnis auch des engl. Originals (in G’s

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18161) ⎯

⎯ Therese Huber [?] Vorrede [zu] Umrisse zu Goethe’s Faust, gezeichnet von Ret[z]sch. Stuttgart u. Tübingen 1816, 4 . . . wünschten wir, der mächtigste Dämon der deutschen Dichtkunst möchte, noch eh er sein Volk im Dunkeln zurücklässt, uns das Ende des Endes von Faust mittheilen. Das Ende, was wir immer wegen der Worte erwartet haben, die d e r H e r r sagt: [Zitat 308−11] ⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Aus meinem Leben gD, S. 508)

Mai 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 508) Okt 28. [Weimar] G. Ticknor, Journal (GG 2, 1168f.): Prof. Riemer, who is second librarian of the Public Library, called on us and amused us above an hour, by describing Goethe’s mode of living, peculiarities, etc. . . . He has much on paper which has never been published, and much in his memory which has not been put on paper, for he writes always by an amanuensis, to whom he dictates from memoranda on a card or scrap of paper, as he walks up and down his room . . . Among the many unpublished things he has on hand, are parts of a continuation auf „Faust“, which Riemer had seen, in which the Devil brings Faust to court and makes him a great man . . .2) [Dez13.]3) Gesamtschema DuW Teil IV (AA-DuW 2, 591): [Buch] 18. Geheimes

Archiv wunderlicher Productionen. Faust. Hanswursts Hochzeit. Ewiger Jude. Invectiven und Widerstreit im Innern.4) Dez 16. Meine Biographie: Schema des 2n Theils von Faust . . . [Nachmittags] Fausts 2r Theil die Papiere durchgesehen . . . [Abends] Obiges fortgesetzt. [16.] (H P63 mit dem Bericht zu Faust für DuW datierbar: 16. Dez 1816)5)

Bibliothek, außer Howards oben erwähnten Essay in Nr. 62 des Philosophical Magazine; Ruppert Nr. 6491). Zur weiteren Beschäftigung s. Z zu „Wolkengestalt nach Howard“; dazu 7. Juni 1820: Wolkengestalt nach Howard. 1 ) Zeitsituation: Der Dt. Bundestag nimmt als Repräsentationssorgan des Dt. Bundes seine Tätigkeit in Frankfurt auf. Im Mai führt Sachsen-Weimar-Eisenach als erstes dt. Land eine Verfassung ein. G wird bei der Neuorganisation Staatsminister, aber ohne Sitz u. Stimme in der Nachfolgeinstitution des Geheimen Consiliums, dem Staatsministerium. Er übt von nun an bis zum Tod die ›Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena‹ (mit C. G. Voigt) aus. − Tod Christianes am 6. Juni 1816. 2 ) Zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz u. Sz. [3] Weitläufiger Saal. − George Ticknor studierte 1816−17 in Göttingen u. besuchte G mit George Everett am 25. Okt 1816 in Weimar. 3 ) Im Tgb. vom 13. Dez notiert G: Redaction der Papiere zum 4. Band meiner Biographie. Tabelle hierzu. 4 ) Weil G damals kaum noch auf Vollendung des Faust hoffte, wollte er wenigstens eine Inhaltsangabe des Zweiten Teils in DuW Buch 18 mitteilen, die vor dem Bericht zu Hanswursts Hochzeit u. zum Ewigen Juden stehen sollte; vgl. W 15.2, 173−77. 5 ) P63 (Bohnenkamp 266−74) undatiert, doch außer dem Tgb-Eintrag vom 16. Dez Schema des 2n Theils vom Faust spricht für Ende 1816 das damals oft verwendete Quartformat der Hs. Kräuters, von dem nur 1816 Hss. zu DuW überliefert sind. Die Inhaltsangabe der geplanten Fortsetzung nicht vollständig überliefert: am Anf. u. Ende der Hs. fehlt jeweils mindestens 1 Blatt; vgl. AA-DuW 2, 169f. − P63 lieferte der Forschung reiches Material für Versuche, alte bis in die Frankfurter Anfänge zurück-

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[Dez 16.] Paralipomenon 63 (AA-DuW 2, 610−12):1) . . . Zu Beginn des zweiten

Theiles findet man Faust schlafend. Er ist umgeben von Geister Chören die ihm in sichtlichen Symbolen und anmuthigen Gesängen die Freuden der Ehre, des Ruhms, der Macht und Herrschaft vorspiegeln. Sie verhüllen in schmeichelnde Worte und Melodien ihre eigentlich ironischen Anträge. Er wacht auf, fühlt sich gestärkt, verschwunden alle vorhergehende Abhängigkeit, von Sinnlichkeit und Leidenschaft, der Geist, gereinigt und frisch, nach dem Höchsten strebend. Mephistopheles tritt zu ihm ein und macht ihm eine lustige aufregende Beschreibung von dem Reichstage zu Augsburg, welchen Kaiser Maximilian dahin zusammen berufen hat, indem er annimmt, daß alles vor dem Fenster, drunten auf dem Platze, vorgeht, wo Faust jedoch nichts sehen kann. Endlich will Mephistophles an einem Fenster des Stadthauses den Kaiser sehen, mit einem Fürsten sprechend, und versichert Fausten, daß nach ihm gefragt worden, wo er sich befinde und ob man ihn nicht einmal an Hof schaffen könne. Faust läßt sich bereden und sein Mantel beschleunigt die Reise. In Augsburg landen sie an einer einsamen Halle, Mephistophles geht aus zu spioniren. Faust verfällt indeß in seine früheren abstrusen Speculationen und Forderungen an sich selbst und als jener zurückkehrt, macht Faust die wundersame Bedingung: Mephistophles dürfe nicht in den Saal, sondern müsse auf der Schwelle bleiben, ferner daß in des Kaisers Gegenwart nichts von Gaukeley und Verblendung vorkommen solle. Mephistophles giebt nach. Wir werden in einen großen Saal versetzt, wo der Kaiser, eben von Tafel aufstehend, mit einem Fürsten ins Fenster tritt und gesteht, daß er sich Faustens Mantel wünsche um in Tyrol zu jagen und morgen zur Sitzung wieder zurück zu seyn. Faust wird angemeldet und gnädig aufgenommen. Die Fragen des Kaisers beziehen sich alle auf irdische Hindernisse, wie sie durch Zauberey zu beseitigen. Fausts Antworten deuten auf höhere Forderungen und höhere Mittel. Der Kaiser versteht ihn nicht, der Hofmann noch weniger. Das Gespräch verwirrt sich, stockt und Faust, verlegen, sieht sich nach

reichende Faust-Pläne zu rekonstruieren. Doch mahnte schon Pniower 1899, 119 zur Vorsicht: Wie sehr Goethe hier [im Rahmen von DuW] also auch bemüht war, seinen alten Plan zu erzählen und ihn von späteren Intentionen frei zu halten, es war, wenn er bei der Reconstruction lediglich seinem Gedächtnis folgte, nicht zu vermeiden, dass er früheres und späteres mischte. Zuzustimmen ist Bohnenkamp (276): Tatsächlich ähnelt der hier entwickelte Plan einer Fortsetzung in wichtigen Punkten dem ,Faust‘, wie er Goethe offensichtlich noch bei der Wiederaufnahme der ’Faust’-Arbeit im Jahre 1825 vorschwebte und der im wesentlichen an den Plänen der Jahrhundertwende orientiert ist. − Zu P63 s. auch Bohnenkamp 274−78 u. FA I 7.2, 970−72. 1 ) Inhaltsangabe von Faust II, geplant für DuW Buch 18, ursprüngl. ein P zu DuW, doch seit dem ED in W 15.2 (1888) auch als P zum Faust betrachtet; diplomat. getreue Wiedergabe: Bohnenkamp 266−74.

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Mephistophles um, welcher sogleich hinter ihn tritt und in seinem Namen antwortet. Nun belebt sich das Gespräch, mehrere Personen treten näher und jedermann ist zufrieden mit dem wundervollen Gast. Der Kaiser verlangt Erscheinungen, sie werden zugesagt. Faust entfernt sich der Vorbereitungen wegen.1) In dem Augenblick nimmt Mephistophles Fausts Gestalt an, Frauen und Fräuleins zu unterhalten und wird zuletzt für einen ganz unschätzbaren Mann gehalten, da er durch leichte Berührung eine Handwarze, durch einen etwas derbern Tritt seines vermummten Pferdefußes ein Hühner Auge curirt, und ein blondes Fräulein verschmäht nicht ihr Gesichtchen durch seine hagern und spitzen Finger betupfen zu lassen, indem der Taschenspiegel ihr sogleich, daß eine Sommersprosse nach der andern verschwinde, tröstlich zusagt. Der Abend kommt heran, ein magisches Theater erbaut sich von selbst. Es erscheint die Gestalt der Helena. Die Bemerkungen der Damen über diese Schönheit der Schönheiten beleben die übrigens fürchterliche Scene. Paris tritt hervor und diesem ergehts von Seiten der Männer, wie es jener von Seiten der Frauen ergangen. Der verkappte Faust giebt beiden Theilen recht und es entwickelt sich eine sehr heitere Scene. Über die Wahl der dritten Erscheinung wird man nicht einig,2) die herangezogenen Geister werden unruhig; es erscheinen mehrere bedeutende zusammen. Es entstehen sonderbare Verhältnisse, bis endlich Theater und Phantome zugleich verschwinden. Der wirkliche Faust, von drei Lampen beleuchtet, liegt im Hintergrunde, ohnmächtig. Mephistophles macht sich aus dem Staube, man ahndet etwas von dem Doppeltseyn, niemanden ist wohl bei der Sache zu Muthe. Mephistophles als er wieder auf Fausten trifft, findet diesen in dem leidenschaftlichsten Zustande. Er hat sich in Helena verliebt und verlangt nun daß der Tausendkünstler sie herbey schaffen und ihm in die Arme liefern solle. Es finden sich Schwierigkeiten. Helena gehört dem Orkus und kann durch Zauberkünste wohl herausgelockt aber nicht festgehalten werden. Faust steht nicht ab, Mephistophles unternimmts. Unendliche Sehnsucht Faust’s nach der Einmal erkannten höchsten Schönheit. Ein altes Schloß, dessen Besitzer in Palestina Krieg führt, der Castellan aber ein Zauberer ist, soll der Wohnsitz des neuen Paris werden. Helena erscheint: durch einen magischen Ring ist 1

) In Joh. Spies’ Historia von D. Johan Fausten (Frankfurt 1587, 132) beschreibt der dritt vnd letzte Theil von D. Fausti Abenthewer was er mit seiner Nigromantia an Potentaten Höfen gethan vnd gewircket. 2 ) In Joh. Spies’ Historia von D. Johan Fausten (Frankfurt 1587, 132−34) beschwört Faust A l e x a n d e r den Großen auf Verlangen von Kaiser Karl V. bei dessen Hofhaltung in Innsbruck, − eine Anregung, die G nicht in Sz. [7] Rittersaal, sondern in verdeckter Form schon in die Mummenschanz-Sz. [3] aufnahm, wo Alexander d. Gr. als Allegorie hinter der Maske des Faust-Plutus durchschimmert. Vgl. Mommsen 2012, Kap. Goethes Wettstreit mit Alexander dem Grossen, 404−15.

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ihr die Körperlichkeit wieder gegeben. Sie glaubt so eben von Troja zu kommen und in Sparta einzutreffen. Sie findet alles einsam, sehnt sich nach Gesellschaft, besonders nach männlicher, die sie ihr lebelang nicht entbehren können. Faust tritt auf und steht als deutscher Ritter sehr wunderbar gegen die antike Heldengestalt. Sie findet ihn abscheulich, allein da er zu schmeicheln weiß, so findet sie sich nach und nach in ihn, und er wird Nachfolger so mancher Herren und Halbgötter. Ein Sohn entspringt aus dieser Verbindung, der, sobald er auf die Welt kommt, tanzt, singt und mit Fechterstreifen die Luft theilt. Nun muß man wissen daß das Schloß mit einer Zaubergränze umzogen ist, innerhalb welcher allein diese Halbwirklichkeiten gedeihen können. Der immer zunehmende Knabe macht der Mutter viel Freude. [Einfügungszeichen G’s; zu ergänzender Text unbekannt] Es ist ihm alles erlaubt, nur verboten über einen gewissen Bach zu gehen. Eines Festtags aber hört er drüben Musik und sieht die Landleute und Soldaten tanzen. Er überschreitet die Linie, mischt sich unter sie und kriegt Händel, verwundet viele wird aber zuletzt durch ein geweihtes Schwert erschlagen. Der Zauberer Castellan rettet den Leichnam. Die Mutter ist untröstlich und indem Helena in Verzweiflung die Hände ringt, streift sie den Ring ab und fällt Faust in die Arme der aber nur ihr leeres Kleid umfasst. Mutter und Sohn sind verschwunden. Mephistophles der bisher unter der Gestalt einer alten Schaffnerin von allem Zeuge gewesen, sucht seinen Freund zu trösten und ihm Lust zum Besitz einzuflösen. Der Schloßherr ist in Palestina umgekommen, Mönche wollen sich der Güter bemächtigen, ihre Seegensprüche heben den Zauberkreis auf. Mephistophles räth zur physischen Gewalt und stellt Fausten drei Helfershelfer, mit Namen: Raufebold, Habebald, Haltefest. Faust glaubt sich nun genug ausgestattet und entläßt den Mephistophles und Castellan, führt Krieg mit den Mönchen, rächt den Tod seines Sohnes und gewinnt große Güter. Indessen altert er, und wie es weiter ergangen wird sich zeigen, wenn wir künftig die Fragmente, oder vielmehr die zerstreut gearbeiteten Stellen dieses zweiten Theils zusammen räumen und dadurch einiges retten was den Lesern interessant seyn wird. Dergleichen dichterische Seltsamkeiten, theils erzählt als Plan und Vorsatz, theils stellenweis fertig vorgelesen, gaben denn freilich eine sehr geistreiche und anregende1)

1

) Hier bricht der Text ab; zu dessen Verwendung s. 10. Aug 1824 u. 15. März 1831.

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18171) ⎯

⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: TuJ u. Aus meinem Leben gD, S. 509)

Apr 16. [Jena] Nachts die Sendung von Weimar durchgesehen . . . Die Kupfer

des Campo Sando.2) Mai 16. [Jena] An C. G. v. Voigt (Br 28, 90f.):3) Ew. Excellenz werden gewiß lächeln, wo nicht gar mich tadeln, daß ich 52 Thaler Sächs. für eine magische Handschrift gezahlt, unserer Bibliothek einzuverleiben.4) Die Aufschrift findet sich auf beyliegendem Blatte. Ich feilschte schon 4 Wochen darum, konnte es aber doch am Ende nicht aus Händen lassen. Eine auf dem Lande Oppburg bey Neustadt wohnende Alchymisten Familie hält es im Geheim seit mehreren Jahren für den größten Schatz und bringt es nur an Tag, weil der Glaube sich mindert, und die Noth sich mehrt. Ich denke es hier zu behalten, und indessen bis Kosegarten5) kommt Tektur und Futteral darüber machen zu lassen, denn bisher ward es immer in Teppichen aufbewahrt. Ich halte es für nicht so alt als es sich angibt, doch ist es immer noch seltsam genug, um Bibliotheksbesuchende in Verwunderung zu setzen, und einen treflichen Aufsatz in die Curiositäten zu veranlassen.6) Nachsicht! und Theilnahme! 1

) Zur Zeitsituation: Verstärkung der absolutistischen Tendenz u. weitere Verhinderung von Verfassungsreformen in Preußen nach engerer Verbindung mit Rußland durch Ehe der Tochter Friedrich Wilhelms III., Prinzessin Charlotte, mit dem Thronerben Nikolai. − Am 18. Okt, dem 4. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, veranstaltet die nach den Freiheitskriegen an der Universität Jena (1815) gegründete Burschenschaft das Wartburgfest deutscher Burschenschaften, was Mißtrauen wegen ›demagogischer Umtriebe‹ gegen die Souveränität der Bundesfürsten erregt. − G verbringt 1817 (nach Verlobung u. Trauung des Sohnes) zumeist in Jena mit oberaufsichtl. Tätigkeiten, lehnt aber den Kurator-Posten der Universität ab. 2 ) Pitture del Campo Santo di Pisa intagliate presso gli originali da Carlo Lasinio. Florenz 1806−1812. Werk gab G Anregungen für Akt V Sz. [6] Grablegung u. [7] Bergschluchten; s. unten 1818: TuJ u. Nov 1.: Tgb. 3 ) Burdach Faust und Moses 364f. zitiert den Brief wegen G’s Interesse an dem magisch-alchemistischen Werk, das in die an den N a m e n M o s e s sich knüpfende Zauberliteratur hineinführt und Moses als einen Kollegen des G e i s t e r b e s c h w ö r e r s F a u s t zeigt. 4 ) Beiliegend ein Blatt von Färbers Hand mit dem Titel (Br 28, 387f.): Bibliae magicae. Das ist die ganze heilige Abschrift alten Testaments von Hans Weymar des sechsten und siebenden Buchs Mosis, Summarien der magischen biblischen Bücher richtiger Eintheilungen und Beschwörungen, nützlich zugerichtet im Jahre Christi 1505 auf 22 Pappetafeln und 2 durchscheinenden Blättern. In Hebräischer, Syrischer und Deutscher Sprache mit grossen farbigen Lettern geschriebenes Werk. 5 ) Der soeben an die Univ. Jena berufene Orientalist Johann Gottfried Ludwig Kosegarten. 6 ) G’s Schwager C. A. Vulpius war Bibliothekar u. Herausgeber von: Curiositäten der physisch-literarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt; zur angenehmen Unterhaltung für gebildete Leser (1811–1825).

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1817

Juni 18. [Weimar] An C. G. v. Voigt (Br 28, 132):1) Als einen Gegensatz von

Verwirrung lege . . . die zauberhaften Seltsamkeiten bey. Jedes Jahrhundert hat seine Fratze und wenn wir unsere Preßfreyheits-Gespenster in Chiffern brächten, so würden sie vielleicht nicht klüger aussehen als wie diese Zeichen. Haben Sie die Gnade dieses Werk nach genugsamer Beschauung auf die Bibliothek zu geben, wo Vulpius wohl überlegen wird, inwiefern das Publikum damit unterhalten werden könne.2) 23. [Jena] An C. G. v. Voigt (Br 28, 142):3) Ew. Excellenz Beyfall zur magischen Acquisition macht mich sehr glücklich. Es ist wirklich ein ganz eigen Sachsen-Weimarisches Monument von der wunderlichsten Art. Der Bibliothekar [Vulpius] wird schon deshalb Recherchen machen. [Aug F. H. von der Hagen, Vorlesung über Faust5) (GG 3.1, 21): Als Schreiber dieses 1817 14.?]4) das große Glück hatte, bei dem Hochverehrten einen unvergeßlichen Abend zu erleben, wagte er’s auch, die Vollendung des Faust, neben der Eugenia, als allgemeinsten Wunsch auszusprechen. Damals ward noch keine Hoffnung gemacht, obschon die alte herzliche Liebe zum Jugendwerke sich offenbarte.6)

18187) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte8) (W 36, 147): . . . das Kupferwerk vom Campo

Santo in Pisa erneute das Studium jener ältern Epoche.9) 1

) Burdach Faust und Moses 365 zitiert den Begleitbrief zu dem Moses-Mskpt. als Beleg, daß G diesem nicht nur eine kulturhistorische Wichtigkeit, sondern auch eine gewisse menschliche Bedeutung beilegt. 2 ) Vgl. unten 18. Juni 1817: an Voigt m. Anm. Ein Aufsatz darüber wurde nicht ermittelt. 3 ) Burdach Faust und Moses 365 zitiert den Briefpassus im Faust und Moses-Kontext. 4 ) Datiert nach G’s Tgb 14. Aug 1817: Abends Regierungsrath [F. L. G. v.] Raumer [u. F. H.] von [der] Hagen. 5 ) Verfaßt 1844. 6 ) Vgl. oben 20. Jan 1813: F. H. von der Hagen an G. 7 ) Zur Zeitsituation: Diskussionen um die ›Preßfreiheit‹, Gründung der ›Allgemeinen deutschen Burschenschaft‹ in Jena am Jahrestag des Wartburgfestes u. der Völkerschlacht bei Leipzig. G empfindet (an C. G. v. Voigt, 29./31. März 1818): alles was tagtäglich bei uns geschieht nur als einen absurden Nachklang der frz. Revolution. 8 ) Abfassungsdaten 1823 Juli, 1824 Aug, 1825 Apr/Dez. 9 ) Für Akt V Sz. [6] Grablegung u. [7] Bergschluchten wurde das Kupferwerk vom Campo Santo in Pisa besonders wichtig. Zu G’s Wendung »erneute« warf G. Dehio in: Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust (GJb 1886, 263) die Frage auf: Meint er jene Kunstepoche im allgemeinen? Oder hat er speziell die Camposantobilder schon früher einmal studiert? Dass Goethe Pisa besucht habe, ist nicht bekannt. Stichreproduktionen nach dem ›Trionfo‹ gab es vor Lasinio keine. Bei Morrona, Pisa illustrate. 2. Aufl. Livorno 1812 (1. Aufl. 1786?) ist allein die Hölle abgebildet. Nicht Meyer, sondern Boissere´e und die Romantiker haben Goethe die während der italienischen Reise noch so schroff abgelehnte Kunst des Mittelalters näher gebracht. Es würde genügen, bei »erneute« an die Jahre 1814–15 zu denken . . . [Es] findet sich aus dem Jahre 1826 in der

1818 Mai Juni

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3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: West-östlicher Divan gD, S. 509) 6. Schubarth: Zur Beurtheilung Goethe’s mit Beziehung auf verwandte Litteratur und Kunst. Zweyte, vermehrte Auflage. Bd 2. Breslau 1820, 9; 37−40: Nachträge über Goethe’s Faust . . . Man trägt sich mit einer Sage herum,1) Goethe habe eine Scene aus dem Faust zurückgelegt: F a u s t v o r K a i s e r M a x i m i l i a n u n d R e i c h . Man kann dieser Sage vielleicht einige Wahrscheinlichkeit abgewinnen . . . Gedenkt man jedoch der Zeit, in welcher Goethe seinen Faust anfing, wie ferner die Stimmung und das Weltverhältniß nach außen beschaffen war, als im Jahr 1808 die vermehrte Ausgabe des Faust erschien, und wie selbst gegenwärtig noch das politische Element rein und unrein beschaffen ist: so wird man sich vorstellen können, wie Goethe bedenklich finden konnte, eine Scene selbst in der neuesten Zeit einzulegen, welche vielleicht gerade demjenigen, was man am lebhaftesten wünscht, eingesehen und begriffen zu haben meint, wenig entsprechen dürfte, und darum nur tausend Widersprüchen und Mißverständnissen aus höhern und niedern Regionen ausgesetzt seyn würde . . . Indeß können wir uns von der Natur dieser Reichtagsscene vielleicht eine Vorstellung machen, wenn wir uns an die durchgreifende Umgestaltung und Umbildung, welche für den innern und äußern Zustand der Menschheit damals sich einleitete, erinnern wollen. Daß Mephistopheles bey einem so gährenden Element, wo ein neuer Gipfel menschlicher Cultur ansetzte, sich in seiner Weise theilnehmend, aussprechend und lenkend erwiesen, darf man ihm wohl zutrauen. Doch wir mögen uns nicht länger in Vermuthungen über einen Gegenstand erschöpfen, der vielleicht gar nicht wirklich vorhanden ist, und einem ungewissen Gerücht einzig und allein angehört. L.[eipzig]2) am 6. Junius 1818 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 510) 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: S. Boissere´e an G gD, S. 510)

Sept 23. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 3. Juni 1819 −: Motanabbi: Proben der arabischen Dichtkunst in verliebten u. traurigen Gedichten aus dem Motanabbi. Arab. u. dtsch nebst Anm. [Übers. u. Hrsg.:] Joh. Jak. Reiske. Leipzig 1765.)3)

Anmerkung zu Dante ein Satz, der die Pisaner Bilder Goethen im Geiste ganz gegenwärtig zeigt: »Man beschaue das Gemälde des Orcagna [der von Vasari als Urheber der Hölle genannt wird] und man wird eine umgekehrte Tafel des Cebes zu sehen glauben, statt eines Kegels, ein Trichter« . . . Hätte Goethe jene »scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren« früher kennen gelernt, so hätte er . . . auch seine [Faust-]Dichtung früher zu Ende gebracht. 1 ) Vgl. oben [16. Dez] 1816: P63, wo G Faust auf den Kaiser Maximilian treffen läßt, sowie Falks Erinnerungen [30. Juni? 1809], in denen von einer solchen Begegnung die Rede ist. 2 ) Schubarth hielt sich von Okt 1817 bis Anf. 1820 in Leipzig auf, wo er den ED Zur Beurtheilung Goethe’s (Breslau 1818) überarbeitete u. auf 2 Bde erweiterte. 3 ) Zu Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor (7782f.). − Bei den Lamien sucht Mephisto Noch eine Dicke An der ich mich vielleicht erquicke . . . Recht quammig, quappig, das bezahlen Mit hohem Preis Orientalen. Anregung durch das zum Westöstlichen Divan entliehene pikante Buch des arab. Dichters Motanabbi, das G wohl schon seit 1765 kannte, da es damals auf der Buchmesse in Leipzig erschien, wo es Sensation machte, als der dort lehrende berühmte Arabist Reiske es Seiner lieben Ehegattin widmete. Zum 6. Gedicht kommentierte er (S. 22): Endlich schildert er [Motanabbi] in einem einzigen Verse die Schönheit seiner Dulcinee. Er sagt, sie habe ein sehr dickes, fettes, schwammigtes, quappigtes und quarkweiches Fleisch an dem Orte, worauf man sitzt. Die Araber denken dießfalls ganz anders als wir. Je schmächtiger ein Weibsbild an der Mitte des Leibes ist, und je mehr dagegen an ihr die Theile unter den Lenden strotzen und bausen, desto vollkommener ist ihre Schönheit in arabischen Augen. S. 47

654 Nov

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1818

1. [Nachmittags] Die Kupfer des Campo-Santo zu Pisa angesehen.1)

18192) Aug 24.3) [Jena] An E. Schubarth (Br 31, 272):4). . . Übrigens komme ich mir bei

Gelegenheit des zurückkehrenden Heftes5) abermals6) wie der Leichnam Mosis vor, um welchen sich die Dämonen streiten.

heißt es im 103. Gedicht: Legt sie ihre Kleider ab, so entblößet diese Entkleidung ihre Schönheiten . . . Der Muskus umarmet sie, als ein in sie unsinnig Verliebter, und wird auf ihren Quappen zu Walzen. [Dazu Reiske:] Quappen . . . nennet der Dichter die Runzeln, welche auf der Haut einer sehr feisten Person vom Fette entstehen . . . G nutzte die Ausdrucksweise für 7782f.; zu diesen Versen s. M. Mommsen GJb 1951, 296. 1 ) Zu Akt V Sz. [6] Grablegung u. [7] Bergschluchten. − Die Kupfer des Campo Santo, lautet schon am 16. Apr 1817 ein Stichwort zu dem nicht abgesandten Brief an B. G. Niebuhr nach Rom (Br 28, 378); vermutl. ein 1. Anlauf zum Erwerb, ehe sich eine günstigere Gelegenheit ergab, wie H. Meyers Brief an G vom 24. Juni 1817 zeigt (SchrGG 34, 411): Sie [Maria Pawlowna] will auch veranstalten, daß Herr v. Könneritz, der nächstens die Reise nach Italien antreten will, irgendein Werk mitbringe, welches sie der hiesigen Bibliothek schenken könne . . . ich habe . . . gebeten, er möchte . . . die Kupferstiche vom Campo Santo mitbringen. Diese lagen G am 1. Nov 1818 vor; auch in TuJ 1818 erwähnt er das Kupferwerk vom Campo Santo in Pisa (W 36, 147). − Gräf II 2, 250 bezieht die Kupfer des Campo Santo auf das Werk des Carlo Lasinio, das die Freskomalereien des Campo Santo wiedergibt: Pitture a fresco del campo santo di Pisa intagliate dal Cav. Carlo Lasinio. Florenz 1812. Mit 40 Tafeln 1812 vollst. erschienen, 1822 u. 1828 neu aufgelegt. Tafel XII enthält den Stich Gli anacoreti nella Tebaide, der, wie 1881 erstmals von L. Friedländer entdeckt u. 1886 von G. Dehio bestätigt, als Bildvorlage G’s für den Szenenbeginn von Bergschluchten, Wald, Fels; Dehio stellte darüber hinaus noch Analogien in Sz. [6] Grablegung mit 2 weiteren Stichen dieser Fresken, Der Triumph des Todes u. Die Hölle, fest. − Die Herzogl. Sammlung in Weimar besitzt die beiden Kupferstiche: Gli anacoreti nella tebaide (=Tafel XII) mit der Aufschrift Pietro Laurati dip[inse] nel Campo Sante di Pisa, Carlo Lasinio disegno ´ e incise presso l’Originale u. Il trionfo della morte (=Tafel XIV) mit der Aufschrift Andrea Orgagna dipinse nel Campo Sante di Pisa, Carlo Lasinio disgno ´ e incise presso l’Originale; Abb. 13 u. 14 in FA 7.2. − Der obige Tgb-Eintrag erlaubt keinen zweifelsfreien Bezug auf das Werk des Carlo Lasinio; er kann sich auch auf das in der Weimarer Bibliothek befindliche Kupferwerk des Sohnes Giovanni Paolo Lasinio beziehen, das die Sarkophage, Urnen u. Skulpturen des Campo Santo in Pisa abbildet: Raccolta di sarcofagi, urne e altri monumenti di scultura del Campo Santo di Pisa intagliati di Paolo Lasinio figlio. Pisa 1814. Ob sich das den Fresken gewidmete Werk des Vaters je in der Weimarer Bibliothek befand bzw. wie u. wann die beiden Kupferstiche daraus in die herzogl. Sammlung gelangten, ist ungeklärt. Daß G die Kupferstiche der Tafeln XII u. XIV kannte, steht fest; s. 15. Mai 1830: Tgb. − Beschreibung vom Triumph des Todes war G bereits aus Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen (Th. 2) bekannt, die A. W. Schlegel ihm am 27. Dez 1798 sandte (Körner − Wieneke 81). 2 ) Zur Zeitsituation erwähnen G’s TuJ 1819 (W 36, 148; 152): die unaufhaltsam wirkenden revolutionären Potenzen und die Ermordung Kotzebue’s, die am 23. März vorfiel . . . von akademischer Turbulenz beunruhigt [konnte G] über die damals so dringenden Angelegenheiten nichts Erfreuliches mittheilen. Der österr. Minister Metternich berief zur Unterdrückung befürchteter Unruhen den Karlsbader Kongreß ein. Dessen Beschlüsse

1819

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Dez 11. [Weimar] Isis 8tes Heft 1819.1) 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 510)

führten zu strenger Pressezensur, Beaufsichtigung der Universitäten, Turnverbot, Auflösung der Burschenschaften, der sog. Demagogenverfolgung (Arndt, Jahn, Görres), dem Ende der preuß. Reformen, Entlassung W.v. Humboldts u. Verbot von G’s Egmont in Berlin etc. 3 ) So datiert nach Br 31, 272, abweichend von G’s Datierung: Jena den 21. August 1819. 4 ) Zu Akt V Sz. [6] Grablegung. Burdach Faust und Moses zitiert S. 365 den Briefpassus u. betont: mit u n m i t t e l b a r e r B e z i e h u n g a u f s i c h selbst ruft er [G] den Propheten herbei. 5 ) Burdach Faust und Moses erläutert S. 365: Hagens Schrift über die Bedeutung der Nibelungen, die gegen Schubarth gerichtet war, der von Goethe Parteinahme in diesem Streit der feindlichen Kunstanschauungen erbat . . . Goethe lehnt das ab. 6 ) Im Konzept statt dessen: schon völlig − Zu G’s Identifikation mit Mosis Leichnam, um den Engel und − wie in Akt V Sz. [6] Grablegung − Faust streiten, s. auch unten 27. Jan 1827: Zahme Xenien V: Über Mosis Leichnam stritten . . . 1 ) Weiteres Z zur Menschwerdung des Homunculus? (Vgl. oben 20. Nov 1806: Riemer u. 19. März 1807: Riemer) G verfolgte die Zs. Isis des Prof. d. Medizin u. Naturphilosophen L. Oken in Jena mit Interesse, selbst nachdem er schon lange persönlich mit ihm gebrochen hatte; allerdings gibt es kein Z dafür, daß er das 7. Heft der Isis von 1819 gelesen hat, in dem Oken pseudonym in den Spalten 1117−23 einen Aufsatz Entstehung des ersten Menschen veröffentlichte, auf den als erster Witkowski in der 7. Aufl. seiner Faust-Ausg. (1924) S. 328f. hinwies: Goethe und seine Zeit glauben noch an Urzeugung (Entstehung der Organismen aus dem Unorganischen) Siehe zu 8266. Zehn Jahre vor der Niederschrift der Klassischen Walpurgisnacht hatte der Jenaer Naturforscher Oken auf der Grundlage dieses Glaubens eine Theorie der Entstehung des ersten Menschen aufgestellt (in seiner Zeitschrift Isis 1819, S. 1117−1123). Unterstützt von Zeichnungen, die seine Idee erläutern sollten, suchte er nachzuweisen, daß der erste Mensch sich in einem Uterus entwickelt haben müßte, der weit größer gewesen wäre, als der menschliche, und fuhr dann abrupt fort: „Dieser Uterus ist das Meer. Daß aus dem Meere alles Lebendige gekommen (8435), ist eine Wahrheit, die wohl niemand bestreiten wird, der sich mit Naturgeschichte und Philosophie beschäftigt hat . . . Das Meer hat Nahrung für den Fötus . . . im Wasser muß alles Organische entstehen . . . so wie andere Thiere in ihm entstanden sind, und die noch täglich in ihm entstehen, Infusorien . . . Einmal muß eine Zeit gewesen sein wo die Wassertemperatur die gleiche war, welche im Mutterleibe stattfindet. Da entstanden Menschen. Dazu Witkowski 329: Diese Theorie hat sich Goethe zu eigen gemacht und auf sie das Werden des Homunculus gegründet, soweit er es für seinen Zweck brauchte: den Übergang von rein geistiger zu geistig-körperlicher, vollkommener menschlicher Existenz zu zeigen. Nur daß Goethe nicht die menschliche Form als die erste ansieht, die Homunculus im Meere empfängt, sondern ihn durch die ganze Reihe der Formen, die zum Menschen hinaufführen, hindurchschreiten läßt. Zu behaupten, G habe sich Okens Theorie zu eigen gemacht, geht allerdings zu weit, auch wenn die Vorstellung vom Meer als Uterus, aus dem alles Lebendige gekommen, G angeregt haben mag, Homunculus dem Ozean zu vermähle[n], um Von vorn die Schöpfung anzufangen (8320−22).

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1820

18201) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte2) (W 36, 155f.; 174): Auf meiner Reise nach

Karlsbad nahm ich den Weg über Wunsiedel nach Alexandersbad, wo ich die seltsamen Trümmer eines Granitgebirges nach vielen Jahren, seit 1785 zum erstenmal, wieder beobachtete. Meine Abscheu vor gewaltsamen Erklärungen, die man auch hier mit reichlichen Erdbeben, Vulcanen, Wasserfluthen und andern Titanischen Ereignissen geltend zu machen suchte, ward auf der Stelle vermehrt,3) da mit einem ruhigen Blick sich gar wohl erkennen ließ, daß durch theilweise Auflösung wie theilweise Beharrlichkeit des Urgesteins, durch ein daraus erfolgendes Stehenbleiben, Sinken, Stürzen, und zwar in ungeheuern Massen, diese staunenswürdige Erscheinung ganz naturgemäß sich ergeben habe. Auch dieser Gegenstand ward in meinen wissenschaftlichen Heften wörtlich und bildlich entwickelt;4) ich zweifle jedoch daß eine so ruhige Ansicht dem turbulenten Zeitalter genügen werde5) . . . R e i s i g s 1

) Zur polit. Situation erwähnen die TuJ 1820 (W 36, 180) Der Herzog von Berry wird ermordet, zum Schrecken von ganz Frankreich u. den Besuch des König von Württemberg in Weimar. Mit Bezug auf den Terror der frz. Revolution (ebd. 175): unselige Zeiten . . . abscheulichste Tage der Weltgeschichte. Abschließend (ebd. 185): Nachträglich will ich noch bemerken, daß Ende Septembers die Revolution in Portugal ausbrach; daß ich persönlich einem Geschäft entging, dessen Übernahme bei großer Verantwortlichkeit mich mit unübersehbarem Verdruß bedrohte [betr. G’s Weigerung, Kurator der Univ. Jena zu werden]. − 1820 kam es in Spanien zum Aufstand der Liberalen gegen die absolutist. Herrschaft König Ferdinands VII. u. zu einer kurzen konstitutionellen Epoche¸ in Wien zur Schlußakte der dt. Bundesverfassung, in Bonn zu E.M. Arndts Entlassung als Prof. der Geschichte wegen liberaler Gesinnung. 2 ) Verfaßt 1825. 3 ) Z zum ,Vulcanisten‘− ,Neptunisten‘−Streit, wichtig auch für Faust II. 4 ) Für Zur Naturwissenschaft überhaupt I 3 (1820) 238ff. der Aufsatz von Anf. Mai 1820 Die Louisenburg bei Alexanders-Bad (LA I 8, 171f. u. Tafeln IV−VII). 5 ) Zu Akt II Sz.[6] Am obern Peneios wie zuvor (7505−77; 7684ff.; 7851ff.) u. Akt IV Sz.[1] Hochgebirg (10075−122). Das Z belegt, daß G noch im letzten Jahrzehnt seines Lebens, ja hier sogar mit wachsender Leidenschaftlichkeit, den Vulkanismus ablehnte. Obwohl er in Einzelfällen vulkanistische Thesen nicht bestreiten wollte, war sein inneres Widerstreben im Prinzipiellen unerschütterlich. Dabei lagen die Ursachen für solche Ablehnung zutiefst in Goethes Religiosität begründet. Dem pantheistischen Denken des Dichters war die Lehre des Vulkanismus deshalb unannehmbar, weil sie nach seiner Auffassung der Natur Gewalt antat, weil sie ihm Vorstellungen aufzwang, die er für wirklichkeitsfremd und ’absurd’ erachtete. Nicht Zufall und plötzliche Willkür konnten − so sah es Goethe − Entstehung und Bildung der Welt bestimmt haben, sondern Gesetz und Regel in allmählichen Entwicklungsprozessen, wie es neptunistischer Lehre eher entsprach. (Mommsen 1968, 191). − Im Aufsatz vom Mai 1820 hieß es noch versöhnlicher: Die ungeheure Größe der, ohne Spur von Ordnung und Richtung, über einander gestürzten Granitmassen gibt einen Anblick, dessen Gleichen mir auf allen Wanderungen niemals wiedervorgekommen, und es ist niemandem zu verargen der, um sich diese, Erstaunen, Schrecken und Grau erregenden chaotischen Zustände zu erklären, Fluten und Wolkenbrüche, Sturm und Erdbeben, Vulkane, und was nur sonst die Natur ge-

1820

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Bemerkungen über den Aristophanes erschienen bald darauf,1) ich eignete mir gleichfalls [wie bei F. A. Wo l f s Prolegomena] was mir gehörte daraus zu, obgleich das Grammatische an sich selbst außerhalb meiner Sphäre lag. Lebhafte Unterhaltungen mit diesem tüchtigen jungen Manne, geistreich wechselseitige Mittheilungen verliehen mir bei meinem dießmaligen längeren Aufenthalt in Jena die angenehmsten Stunden.2) waltsam aufregen mag, hier zu Hülfe ruft. Bei näherer Betrachtung jedoch, und bei gründlicher Kenntnis dessen, was die Natur, ruhig und langsam wirkend, auch wohl Außerordentliches vermag, bot sich uns eine Auflösung dieses Rätsels dar, welche wir gegenwärtig mitzuteilen gedenken. (LA I 8, 171); weitere Z s. März/Apr 1823: Bedeutende Förderniß durch ein einziges geistreiches Wort, 15. Nov 1829: Briefentwurf an Klöden, 16. Febr 1831: Geologische Probleme und Versuch ihrer Auflösung u. 5. Okt 1831: an Zelter. 1 ) s. unten 15. Sep 1820: Reisig an G. 2 ) Zu Akt II Sz. [3−7] KWN: Aristophanes-Einwirkung. Karl Christian Reisig, von 1818−1820 Privatdozent a. d. Univ. Jena, schon damals ein hervorragender Aristophanes-Kenner, stimulierte G zu erneuter Beschäftigung mit dem ihn von Jugend an interessierenden antiken Komödiendichter. (1780 schuf G Die Vögel. Nach dem Aristophanes). − Auf wichtige Anregungen für Faust II durch die 1820/21 erneut einsetzende Aristophanes-Rezeption (s. unten 1821: TuJ u. 11./12. Okt 1821: Tgb) weisen Stuart Atkins u. Thomas Gelzer hin, vor allem darauf, daß G sich für die KWN weitgehend am komisch-satirischen Stil der altattischen Komödie orientierte: Since Düntzer, unfortunately, Faust commentators and critics have been so concerned with elucidating the classical allusions and the ideological connections with Goethe’s total world outlook that they have usually lost sight of the fundamental artistic design of the „Klassische Walpurgisnacht“ − what might be called the Aristophanic dramatic pattern . . . There is thus evidence that Goethe was much interested in and much admired Aristophanes at the time of the composition of the „Klassische Walpurgisnacht“. There is good reason to believe, on the basis of textual-critical arguments and in light of the deliberate compositional variety which characterizes Faust as a whole, that an important part of the Walpurgisnight is phantasmagoria − and it is obvious that much of this phantasmagoria is comic and satiric, best staged in an adaptation of the theatrical style of Attic comedy. (Atkins 1995, 252f.) Das antike Vorbild, das sich Goethe bei der Gestaltung des dritten Aktes des Faust II, der Helena, zum Muster nahm, war die Tragödie des Euripides . . . Eine vergleichbare Rolle wie für Helena der Tragiker Euripides spielt für den zweiten Akt der Komiker Aristophanes. (Gelzer 1983, 51f.) Was er [G] an Aristophanes als Dramatiker sah und bewunderte, und wozu er ihn benützte, läßt sich wiederum aus mehreren seiner eigenen Äußerungen erkennen: Schon am 8. April 1797 schrieb er an Schiller: . . . So erschienen mir diese Tage einige Szenen des Aristophanes völlig wie antike Basreliefen und sind gewiß auch in diesem Sinne vorgestellt worden. Es kommt im Ganzen und im Einzelnen alles darauf an: daß alles voneinander abgesondert, daß kein Moment dem andern gleich sei; so wie bei den Charakteren, daß sie zwar bedeutend voneinander abstehen, aber doch immer unter Ein Geschlecht gehören.’ Diesem Bedürfnis, dem zweiten Akt eine klare, deutliche Struktur zu geben, entsprach die Gestaltungsweise des Aristophanes. Goethe hat ihn nicht einfach zitiert, sondern er hat sich seine Verfahrensweise zu eigen gemacht . . . Aristophanes, der in seinen Komödien mit größter Freiheit den Schauplatz von der Erde in den Himmel oder, wie in den Fröschen, in die Unterwelt verlegt, der Götter, Heroen und Menschen, Lebendige und Tote zusammenbringt, der etwa im Frieden den Trygaios in einem abenteuerlichen Ritt durch die

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1820

Apr 12. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 510) [Juni 7.] Wolkengestalt nach Howard (LA I 8, 89f.):1) Zu besserem Verständnis

der in vorstehendem Aufsatz gebrauchten Ausdrücke wird nachträglich angezeigt: daß, in Übereinstimmung mit Männern welche die Sache bisher bearbeitet, angenommen wird es gebe drei Luft-Regionen, die obere, mittlere und untere, welcher man die vierte, die unterste, noch hinzufügen kann. Die Herrschaft der obern Region manifestiert sich durch trocknes helles Wetter, die Atmosphäre ist in einem Zustande daß sie Feuchtigkeit in sich aufnehmen, tragen, emporheben kann, es sei nun daß sie das Wäßrige zerteilt in sich enthalte, oder daß sie solches verändert, in seine Elemente getrennt in sich aufnehme. Dieser Zustand der Atmosphäre wird durch die größte Barometer-Höhe offenbart und wir erfreuen uns eines schönen, beständigen Wetters; der Himmel ist klar, in gewissen Weltgegenden ganz wolkenlos und hochblau. In diese Region gehören alle Zirrusarten, die man mit verschiedenen Namen bezeichnen kann. Die mittlere Region ist die des Kumulus; in ihr wird eigentlich der Konflikt bereitet, ob die obere Luft oder die Erde den Sieg erhalten soll, diese Region hat die Eigenschaft daß sie zwar viel Feuchtes in sich aufnehmen kann, allein nicht in vollkommener Auflösung, es vereinigt sich zwar zu einer leichten, aber doch dichten Körperlichkeit und erscheint uns geballt, gehäuft und nach oben in bestimmten Formen ausgebogt und begrenzt, unterwärts haben diese Wolkenhaufen eine horizontale Grundlinie, wodurch eine dritte Region angedeutet wird, auf welcher sie wie auf einer Schicht auf einem Elemente ruhen und schweben. Gewinnt nun die obere Region, ihre trocknende, Wasser auflösende, in sich aufnehmende Gewalt, die Oberhand, so werden diese geballten Massen an ihrem oberen Saum aufgelöst und erscheinen als Zirrus und verschwinden zuletzt in dem unendlichen Raum. Überwindet nun aber die untere Region, welche die dichteste Feuchtigkeit an sich zu ziehen und in fühlbaren Tropfen darLuft in den Himmel und dann wieder auf die Erde gelangen und der in den Vögeln den Peithetairos jenes Luftreich gründen läßt, in dem ihn Götter, Heroen und Menschen besuchen − und dessen Gruppen doch so klar und deutlich voneinander abgesondert sind wie antike Basreliefs, so daß nichts Vages, Ungewisses vorkommt, eignet sich also besonders gut als Vorbild zur dramatischen Strukturierung dieses Aktes. (Gelzer 1983, 81f.) − Neben der Anlehnung an das Aristophanic dramatic pattern gibt es nach Atkins u. Gelzer in der KWN auch die Übernahme einzelner aristophanischer Situationen u. Motive. Gesichert erscheinen zwei Fälle: Für Mephistos Abenteuer mit den Lamien u. der Empuse (7695−800) benutzte G die Jagd dreier lüsterner alter Weiber auf einen Jüngling in den Ekklesiazusen (877−1108) u. in den Fröschen die Begegnung des Dionysos mit der Empusa beim Abstieg in die Unterwelt (271−312). Für das Streitgespräch zwischen Thales u. Anaxagoras (7851−950) konnte ihm der Bauer Strepsiades in den Wolken zum Vorbild dienen, der den Sokrates frech ridikülisiert (185−810). 1 ) Dieser Nachtrag stammt vermutl. wie die Einleitung in die Wolkenlehre vom 7. Juni 1820 (Tgb 7, 182).

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zustellen geneigt ist, so senkt sich die horizontale Basis des Kumulus nieder, die Wolke dehnt sich zum Tratus, sie steht und zieht schichtweise und stürzt endlich im Regen zu Boden, welche Erscheinung zusammen Nimbus genannt wird.1) [Aug 28.] H. Ch. A. Clemen, Aus meinem Leben2) (GG 3.1, 211f.): Ich wurde . . . zu einem der drei Abgeordneten gewählt, die sich zu Goethe auf das Zimmer begeben und ihm die Glückwünsche der Burschenschaft [zum 71. Geburtstag] persönlich überbringen sollten . . . Goethe wandte sich nun an jeden einzelnen mit der Frage, was er studierte, und da er vernahm, die beiden andern seien Theologen, ich aber Philolog, so blieb er bei mir stehn und frug, ob ich den Doktor Reisig kenne. Dieser hatte sich als Doctor legens in Jena etabliert und Ostern 1818, gerade als ich hinkam, seine Vorlesungen über Aristophanes mit der Erklärung der „Wolken“ begonnen . . . Dies alles [Aussagen zu Reisig] erregte Goethes Interesse in hohem Grade; er sagte uns, daß auch er an dem jungen Doktor ein lebendiges Interesse nähme, da er sich namentlich seiner gründlichen Kenntnisse über Aristophanes bei seinem Studium dieses Dichters zu bedienen gedächte. Sept 15. [Jena] K. C. Reisig an G (GSA 28/89 Bl. 459): In dem Vertrauen, daß Ew. Excellenz nicht ungnädig es aufnehmen wollen, hab ich mich unterstanden Hochdenselben mein unbedeutendes Werk vornehmlich zu weihen.3) 1

) Zur Wolkensymbolik am Anfang von Akt IV Sz. [1] Hochgebirg, vor 10039: starke, zackige Felsen-Gipfel, / eine Wolke zieht herbei, / lehnt sich an, senkt sich / auf eine vorstehende / Platte herab. Sie teilt sich. / Faust (tritt hervor) aus seiner (10041−66): Wolke Tragewerk . . . Sie löst sich langsam . . . von mir ab . . . Junonen ähnlich Leda’n, Helenen . . . Und spiegelt blendend flücht’ger Tage großen Sinn . . . Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf . . . Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut . . . Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form . . . erhebt sich in den Äther hin Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort. − Die symbol. Funktion der Wolkenformen auch in Akt V Sz. [7] Bergschluchten kündigt sich an in Howards Ehrengedächtnis, dem 4-stroph. Gedicht, das G dem obigen Aufsatz anfügte, besonders deutlich Str. 2 u. 3: K u m u l u s . Und wenn darauf zu höhrer Atmosphäre / Der tüchtige Gehalt berufen wäre/ Steht Wolke hoch, zum herrlichsten geballt, / Verkündet, festgebildet, Machtgewalt, / Und was Ihr fürchtet und auch wohl erlebt / Wie’s oben drohet, so es unten bebt. Z i r r u s . Doch immer höher steigt der edle Drang! / Erlösung ist ein himmlisch leichter Zwang. / Ein Aufgehäuftes flockig löst sich’s auf, / Wie Schäflein trippelnd, leichtgekämmt zu Hauf. So fließt zuletzt was unten leicht entstand / Dem Vater oben still in Schoß und Hand. (LA I 8, 92f.). − Zur Wolkensymbolik in Faust II, die in Howards Wolkenlehre eine Basis hat, vgl. K. Lohmeyer: Während für diese Szenen auf den Zusammenhang zwischen Dichtung und Goethes Wolkenstudien gelegentlich schon hingewiesen worden ist, scheint mir die Meteorologie zur Erklärung eines anderen Faustabschnitts neu zu sein: . . . die Schlußszenen, Fausts Himmelfahrt . . . in diesen letzten Szenen [läßt sich] wie in der Einleitung des IV. Aktes eine zugrundeliegende naturwissenschaftliche Vorstellung nachweisen, sozusagen das meteorologische Skelett herauspräparieren [durch die in den Regieangaben bezeichneten drei Luftregionen u. im Gestaltwandel der sich aufwärts bewegenden Wolken] . . . Die Deutung der Himmelfahrtsregionen des ‘Faust’ aus den Luftregionen der Meteorologie scheint mir einfacher und zwangloser zu sein als die Erklärung aus den Einsiedeleien am heiligen Berge Montserrat oder den himmlischen Wohnungen im Erlösungssystem des Mystikers Swedenborg. (GJb 1927, 113f. u. 117). − Doch schließen Naturbeobachtungen u. Religiöses bei G einander nicht aus, im Gegenteil. 2 ) Verfaßt 1867. 3 ) Begleitbrief zu: Aristophanis Nubes. Fabula nobilissima integrior edita auctore Ca-

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Sept 27. [Jena] Schubarth . . . über die Fortsetzung von Faust . . . Schubarth. fort-

gesetzte gestrige Unterhaltung über das fragmentarische des Faust, und zu wünschender Vollendung1) . . . [ca. 28.] [Jena] An K. C. Reisig (Konzept; Br 33, 266f.): In Hoffnung, Ew. Wohlgeboren baldigst bey mir zu begrüßen, verschiebe nicht länger einen schriftlichen Dank für das höchst erfreuliche Ehrengedächtniß, das Sie mir in so guter Gesellschaft stiften wollen.2) Insofern ich Ihrer vielbedeutenden Arbeit näher treten kann, hab ich mich schon mit einigen Hauptpuncten befreundet, wobey ich denn aber mündliche Erläuterung und Bestätigung zum Abschluß wünschen darf. Nov 3. [Jena] An E. Schubarth (Br 34, 5) . . .3) rührend aber waren mir Ihre Conjecturen über den zweyten Theil des Faust und über die Auflösung. Daß man sich dem Ideellen nähern und zuletzt darin sich entfalten werde, haben Sie ganz richtig gefühlt; allein meine Behandlung mußte ihren eignen Weg nehmen: und es giebt noch manche herrliche, reale und phantastische Irrthümer auf Erden, in welchen der arme Mensch sich edler würdiger, höher, als im ersten, gemeinen Theile geschieht, verlieren dürfte. Durch diese sollte unser Freund Faust sich auch durchwürgen. In der Einsamkeit der Jugend hätte ich’s aus Ahnung geleistet, am hellen Tage der Welt säh es wie ein Pasquill aus.4) Auch rolo Reisigio Thuringo. Accedit syntagma criticum cum additamentis et commentatio de vi et usu α ν particulae. Lipsiae 1820; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1243). Die Publikation enthält: 1. den griech. Text der Wolken (S. 1−94) mit Praefatio (S. VII−XXXVI); 2. die grammatische Abhandlung über das griech. Partikel α ν u. 3. mit neuer Seitenzählung, den Vortrag zur Erlangung der Venia legendi an der Univ. Jena De constructione antistrophica trium carminum Aristophanis syntagma criticum (S. 1−44); schon 1818 separat publiziert: Pro venia legendi publice defendendum suscepit Carolus Reisigius Thuringus. Behandelt Chorpartien der Ekklesiazusen (571−89), der Lysistrate (1279−94) u. der Thesmophoriazusen (953−1000) in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1246). Dort auch Reisigs 1. Buch: Caroli Reisigii Thuringi coniectaneorum in Aristophanem libri duo ad Godofredum Hermannum equitem illustrum. Liber primus [mehr nicht erschienen]. Leipzig 1816; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1245). Zu Aristophanes-Einflüssen auf die KWN vgl. oben 1820: TuJ. 1 ) K. E. Schubarth war vom 24.−28. Sept in Jena. Über diesen Gesprächspartner sagt G in TuJ 1820: Die Neigung, womit er meine Arbeiten umfaßt hatte, mußte mir ihn lieb und werth machen . . . (W 36, 178), s. auch unten 2. Dez 1820 u. 27.−31. Jan 1822: Schubarth an G. 2 ) Betr. die der Edition von Aristophanis Nubes vorgedruckte Widmung: Carolus Reisigius Thuringus Goethio Wolfio Hermanno salute, die G, gefolgt von den altphilologischen Koryphäen Friedrich August Wolf u. Gottfried Hermann galt. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Faust. Eine Tragödie“, S. 325. 4 ) ein Pasquill, ital. Schmähschrift, Spottschrift. − Der höfische u. kriegerische Schauplatz der Faust II-Welt, durch den Faust sich durchwürgen muß, enthält viel Selbsterlebtes, wodurch G’s dichterisches Verfahren in Gang gesetzt wurde. So etwa wenn durch die Staatsrat-Szene (Akt I Sz. 2) die katastrophale finanzielle Lages des Staates evident wird, bevor in Sz. 3 das aufwendige heitere Mummenschanz-Fest beginnt, bei dem Faust den Plutus spielt u. Mephisto den Scheinreichtum zaubert. Bei realistischer

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den Ausgang haben Sie richtig gefühlt. − Mephistopheles darf seine Wette nur halb gewinnen, und wenn die halbe Schuld auf Faust ruhen bleibt, so tritt das Begnadigungs-Recht des alten Herrn sogleich herein, zum heitersten Schluß des Ganzen. Sie haben mich hierüber wieder so lebhaft denken machen, daß ich’s, Ihnen zu Liebe, noch schreiben wollte. Mehr sage ich nicht. Nov 16. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Mai 1821 − : P l u t a r c h u s von Chaeroneia: Vergleichende Lebensbeschreibungen. A. d. Griech. übersetzt . . . von Joh. Friedr. Sal. Kaltwasser. T. 1−10. Magdeburg 1799−1806.)1) [Nov 16./1821 Mai 9.] Aus der Plutarch-Lectüre 1820/21 (W 42.2, 446): III. [Teil der Übers. von Kaltwasser] S. 266. Geschichte von Nikias, der seinen Widersacher in der Stadt 2 Engyium betrügt.. ) Dez

2. [Breslau] E. Schubarth an G (GSA 28/830, Bl. 69−72):3). . . II Ueber die Vorderscenen des zweyten Theils u. ihren Charakter möchte ich vermuthen: daß Mephisstopheles alle Ursache gehabt habe seinem Gebieter die trefflichsten u. ergötzlichsten Künste vorzuführen, um diesen nicht zu einem völligen Bruch zu veranlassen. Es mag ohnedieß, bald nach der übereilten Flucht aus dem Kerker, eine harte Scene gegeben haben. Nur durch das Versprechen keine Abgeschmacktheiten dem vorigen gleich zu begehen, mag Faust in die längere Dienerschaft gewilligt haben. Sollte vielleicht Faust in der ersten Bewegung gar auf den Gedanken gekommen seyn, sich in ein Kloster zu begeben, um dort unter Reu- und Bußübungen sein Leben zu beschließen? Da wird wohl Mephistopheles gleich gewonnenes Spiel haben, um ihm das Unfruchtbare des Fasten und Neigen auf eine neckische Weise herauszusetzen. Ich denke, er wird auch mit treffenden Gründen erinnert haben, daß das dem P r o t e s t a n t e n , als welchen Faust doch zeither sich erwiesen, keineswegs geziehme! Auf dem Blocksberge haben wir bereits beym Intermezzo in eine Seitenregion blicken können. Warum sollte Faust jetzt nicht eine Art von Sommernachtstraum durchleben, nachdem er die lange Nacht überstanden? Ich denke Mephistopheles treibt seine Künste wirklich gut, u Faust findet zu beachtenden Spaß. Auch führt der Teufel ihn in der Welt in der Breite u Höhe herum. Sie nehmen an einem Reichstage Antheil, sehen Italien, Rom u Neapel. Faust merkt nunmehr wohl, daß Welt u Natur in Wirklichkeit ganz andere Dinge sind, als sie in seinen Studienzimmer ihm erschienen. Er begreift nunmehr, warum in dem engen Raum diese höchsten Gegenstände sich nicht bannen lassen. Indem er den Irrthum sieht, daß er für einen unermeßlichen Gegenstand u Zweck die kleinsten, ja kleinlichsten Mittel angewandt, drängt sich ihm die Betrachtung auf, daß es nicht sowohl an den Dingen, als an uns liegen, wenn sie uns nicht befriedigen, uns nicht genügen. Er fühlt sich wieder zum Leben, zum Daseyn berufen. − Niemandem entgeht diese Umwandlung weniger als dem Teufel. Er wird übermüthig, daß seine Mittel so wirken, u er fragt, ob Faust noch ein Klausner zu werden gedenke. Ein Hauptspaß, den wie solchen

Wiedergabe wäre es zum Pasquill geworden, nicht so durch die dichterische Anverwandlung an den mythischen Faust-Schauplatz. Zum Gemeinten vgl. oben Anm. zu 19. Febr 1781: an Lavater. 1 ) Zur früheren Lektüre u. deren Auswirkung auf Faust II s. oben [18. Mai/4. Juni 1811]: Riemer. Nach Tgb am 15., 18., 19., 22., 23., 27. u. 30. Nov sowie 1., 4., 5., 7., 9., 10., 12., 14., 15., 19.−21. Dez Plutarch-Lektüre. 2 ) Zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie (6212ff.) In der Geschichte des Nikias stieß G auf die Gottheiten der M ü t t e r ; s. 1830 Jan 10.: Eckermann. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Faust. Eine Tragödie“: 2. Dez 1821, Schubarth an G, S. 330 ff.

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Gedanken auch den letzten Rest vertilgen, soll ihm den halbgewonnenen Herrn wieder ganz zu eignen. Bisher hatte Mephistopheles sich sorgfältig hüten müssen in seine Späße die Absicht eines neuen Liebesabentheuer zu verflechten. Er sieht aber, daß er ohne Dazwischenkunft eines weiblichen Hülfsmittel sich des vollendeten Sieges nicht erfreuen werde. So gerade zu Fausten der weiblichen Welt wiederzugeben, möchte nicht gerathen seyn. Der Weiberscheue muß an die Gewohnheit des Weibes hinangeleitet werden, ohne daß es ihm eben bedenklich vorkommt. Es müssen hübsche Nönnchen vorerst seyn, die man um so argloser betrachten darf, als bey ihrer dem himmlischen Bräutigam gewidmeten Liebe alles Gefährliche der irdischen Liebe um so mehr beseitigt ist. Da darf denn dem Mitgefühl verwandten Geschicks Faust um so erbaulicher sich überlassen: Denn auch er hat ja eine irdische Braut aufgegeben. So hofft der Teufel das lang Entbehrte wieder aufzuregen und durch ein geistlich Maskenspiel den irdischen Sinn um so gewisser zu bethören, als verschwiegen ist, was [?] zeigen und wirken soll. Doch hier fällt jenes seltsame, unverhoffte Ereigniß ein, und tritt als unvorhergesehenes, [unleserlich:] unbe. . .. . .. . .tes, in den wohlangelegten Plan zwischen ein! Faust freylich kann nur glauben, alles sey Veranstaltung von Mephistopheles: es sey daß äußerste, ausgesuchteste Mittel, um die endliche Entscheidung herbeyzuführen, wodurch der Ungeduldige sich den ewigen Besitz Faustens verschaffen, und die bisherige Dienerschaft in die umgekehrte Hurenschaft endlich verwandeln wolle. G e g e n r e d e Die angenommene Wiederkehr u Dazwischenkunft Gretchens ist zwar ein sehr einfaches Motiv, dürfte indessen doch vielleicht zu verbraucht und zu s e n t i m e n t a l befunden werden. Obwohl durch Behandlung alles Schwächliche u bloß Rührende desselben hinweggeräumt werden könnte. In diesem Sinne scheint mir die Einführung des Kindes unerläßlich. Vielleicht ist es auch am besten, wenn Gretchen zum Freunde weniger oder garnichts spricht, sondern schweigend gewährt, und wir durch die ganze Umwandlung der Scene, in der himmlischen erfahren, was ihr Herz bewegt, und was es nicht verweigern könne. Mag dagegen Faust im Aufwachen der Raserey seiner ganzen frühern Leidenschaft erscheinen, wiewohl er mehr zu sühnen bestrebt ist, als bloß Verlorenes wieder anzueignen. Ein anderer Einwurf ist der, daß die unerwartete Dazwischenkunft Gretchens die Katastrophe mehr abschneide als herbeyführe. Dagegen ist zu bemerken, daß dieser angenommene Dazwischentritt gleich wohl geeignet ist, dasjenige was einer jeden Parthey das Gemäße ist, im höchsten Sinne anzuregen, und ihre verschieden entgegengesetzten Interessen an einem u demselben Gegenstande zu vereinigen, zur Entscheidung zu bringen. Mephistopheles kann seine Kühnheit in diesem schwierigsten Augenblick auf die glänzendste Art bewähren. Faust selbst muß sich nun für immer bestimmen, ob er dem Rechten oder dem Frevel hinfort den Vorzug geben wolle. Je mehr er dabey auf sich selbst gewiesen ist, je weniger er wissen kann, ob hier nicht ein neues Blendwerk abermals stattfinde, um so mehr muß er der außerordentlichsten Entschließung fähig seyn. Die Himmlischen aber, wiewohl sie durch Gretchens Aufbewahrung den nächsten Anlaß zu ihrem Wiedererscheinen gegeben, sind doch von diesen Entschließungen Fausts ganz abhängig, u es wird sich aus ihnen darthun, ob die himmlischen Mächte hinfort zu Gunsten Fausts noch etwas wirken dürfen, oder ihn auf immer seinem Schicksale zu überlassen haben. So hat jede Parthey bei diesem Vorfalle so viel Nachtheile als Vortheile für sich, jede ist eben so sehr auf sich selbst gestellt, als sie sich außer sich bedingt findet. . . ––––––––––––––––––––––––– Durch die Annahme, daß Mephistopheles u Faust im zweyten Theile Kaiser u Reich, dann Italien besuchen u alles Treffliche, Bedeutendste sowohl vom Menschen her als zu Land, Luft u Wasser beschauen, ja überfliegen, wächst dem Werk der Vortheil zu, seinen bisherigen Charakter ins Große auszudehnen, und jene erhabensten Gegenstände, von denen im ersten Theile bloß in Wort, Begriff, Gefühl, Ahnung und in frazzenhafter Verunstaltung die Rede war, in ihrer wirklichen, mächtigern Realität selbst zu exponiren. Ja Mephistopheles ist nun mehr im Stande, am erdonnernden Vesuv u zwischen wüthenden Feuergründen und Lavaströmen, die in den unermeßlichen Ocean feindlich rinnen, ihre Gluthen, ihre Hitze dort zu stillen, in dieser mächtigsten Wirkung u Gegenwirkung

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seine Teufelsnatur als eine der Urseiten des Universums u seiner Prachterscheinung nachzuweisen. So mag denn Faust der Teufel im Schooße der Welt selbst erblickend, ihm endlich wohl eine höhere Seite u Natur zuschreiben! Aber indem Mephistopheles Fausten ans Uebermenschliche durch solche Anschauungen von Zeiten zu Zeiten hinanführt, um ihm allen Selbstbegriff zu nehmen, muß er dennoch fürchten, daß der zu sehr unterdrückte Mensch im Gefühl seiner Menschheit sich sammeln, u einen Widerspruch übe. Er zieht sich daher u seinen Freund eben so oft ins kleine wieder zusammen u sucht durch den schnellsten Wechsel, die manichfaltigste Aufeinanderfolge durchaus die gänzliche Betäubung u Verwirrung seines Freundes zu erreichen. ––––––––––––––––––––––––––––––––– Indessen sieht man schon hieraus, wie auch der Dichter als Künstler Ursache hat aus allem Außer- und Uebermenschlichen zuletzt auf einen Punkt sich zusammenzuziehen, wo er menschliche Formen und Maße wieder in ihrem eigensten Verhältnisse erreicht. Denn die Kunst u Dichtung ist doch ihrem Wesen nach mehr als alles andere auf den Menschen u seine besonderste Natur gegründet. Ja inwiefern sie in ihr Wesen die ganze schaffende Seite des Menschen aufnimmt, u durch diese Seite nur existiert, entsteht, erkennt sie ja den Menschen als ihren Gott an. Und so bleibt dann zuletzt nichts übrig, als daß sie diesen Gott endlich selbst über alles hoch verherrliche. Dieser Zweck aber wird hier auf das vollkommenste erreicht, indem wir an Gretchen zuletzt Engel u Dämonen, die mächtigsten u seligsten Geister, ja durch Faust selbst den ganzen mindern Theil der Menschheit versammelt sehen, und nun an dies ihr Erscheinen die nächsten Pulsschläge, das nächste, kommende, Aus- und Einathmen von Himmel, Welt u Hölle gebunden ist. Das Urthema des Faust kann in der Frage begriffen werden, ob die menschliche Organisation zureichend sey oder nicht, oder ob der Mensch nur das seltsamste Halbgeschöpf sey, zu Nacht und Tag im wunderlichsten Schwanken gebildet. Denn eben diese Doppelnatur kann den Menschen zur Verzweiflung bringen: − im Augenblick empfindet er den größten Verlust in ihr, und muß jedes Einfache beneiden, während doch die Natur eben durch dieses Zweifache ihn aller ihrer Reichtümer und Schätze hat mögen theilhaftig werden lassen. Und so ist der ganze Kreis des Daseyns für ihn bereit aus der Höhe zur Tiefe und von da zur Höhe, vom Guten zum Verkehrten, und von der Lüge zur Wahrheit. Engel können ewig nur das Gute und Teufel ewig nur das Böse. Der Mensch ist es allein, der jene beyden in sich faßt, so himmlisch gut wie die einen und so verworfen wie die andern, zu seyn vermag und nicht etwa in vielen, wie in demselben einen Menschen! Und so ist er dieser höchste Begriff, ja dieser Ueberbegriff vom Menschen der die ganze seltsame Produktion hebt und trägt. ––––––––––––––––––––––––– Mögen mir Ew. Excellenz verzeihen, daß ich mit Muthmaßungen über das seltene Werk Sie und mich doch nur − hinhalte! Es soll das letztemal seyn, daß es geschieht. Mag ich es errathen, oder ganz verfehlt haben, so will ich mir merken es ist thöricht sich mit etwas zu befassen, wozu man nicht geboren ist, noch Kraft oder Anlage besitzt. Wie wohl es eben unser süßester Irrthum ist, gerade das zu leisten, was wir nicht können: ein Irrthum den wir um so weniger aufgeben, je mehr er uns Schmerzen verursacht. In tiefster Verehrung Ew. Excellenz unterthänigster K. E. Schubarth1)

Dez 20. [Rom] Ch. F. C. v. Kölle an G (GSA 28/530 St. 1): Euer Excellenz übersende ich, als Auftrag des Herrn Grafen Mörner, in der Anlage dessen römisches Carneval,2) und wage es, mich bey dieser Gelegenheit in das Andenken Euer Excellenz zurückzurufen

1

) G’s Antwort vom 12. u. 13. Jan 1821 s. in „Faust. Eine Tragödie“: an Schubarth gD, S. 334 f. 2 ) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal. − Der in G’s Bibliothek vorhandene Band (Ruppert Nr. 2461): [Carl Gustaf Hjalmar Graf Mörner:] Il Carnevale di Roma. Roma 1820, angezeigt von H. Meyer in KA III 1 (1821); enthält 20 Radierungen, vermutl. anregend zur Mummenschanz, s. 1821 März 6. u. Mai 4.: Tgb sowie 14. März 1826: Tgb.

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als Hausfreund des, nun verwaisten Körnerschen Hauses, und täglicher Besucher der Dresdner Bildersammlung. Graf Mörner ist schwedischer Officier, aber auf dem Puncte von den Dilettanten zu den Künstlern überzugehen. Das Carneval, so wie ein römischer Octobertag, wurde ursprünglich als Leiste in die Zimmer seines Landsmanns Nyström gefertigt, und ist der erste Versuch im Radiren. Nur der Zuspruch seiner Freunde konnte ihn bewegen, es bekannt zu machen. Ich bin überzeugt, daß manche Erinnerung Euer Excellenz anheimeln wird, und daß die Schärfe der Auffassung, und die Gutmüthigkeit der Darstellung höchst erquicklich in Vorgenuß und Erinnerung wirken werden. Somit seie dieses Werklein . . . bestens empfohlen . . . Kölle Württemb Legationsrat u. Geschäfftsträger.

18211) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte2) (W 36, 189−91): . . . leichtere Bemühungen,

wie etwa die Vorreden zum deutschen Gil-Blas3) . . . gelangen freundlich in ruhigen Zwischenzeiten . . . Die Fragmente Phae¨thons, von Ritter [G.] Hermann mitgetheilt, erregten meine Productivität. Ich studirte eilig manches Stück des Euripides, um mir den Sinn dieses außerordentlichen Mannes wieder zu vergegenwärtigen. Professor Göttling übersetzte die Fragmente, und ich beschäftigte mich lange mit einer möglichen Ergänzung.4) Aristophanes von Voß gab uns neue Ansichten 1

) Die polit. Situation erwähnen die TuJ 1821 nur indirekt (W 36, 193): . . . ein bedeutendes Werk: S p a n i e n u n d d i e R e v o l u t i o n . . . gibt uns einen Begriff von dem, was in einem solchen Lande durch Umwälzungen bewirkt wird. Seine Art zu schauen und zu denken sagt dem Zeitgeist nicht zu; daher secretirt dieser das Buch durch ein unverbrüchliches Schweigen, in welcher Art von Inquisitionscensur es die Deutschen weit gebracht haben. [!] − 1821: Napoleon stirbt auf St. Helena. In Troppau und Laibach Kongresse der europ. Großmächte wegen aufständischer Bewegungen in Neapel u. Piemont, für deren Unterwerfung österr. Truppen sorgen. Beginn des Freiheitskampfes der Griechen gegen die türk. Herrschaft, wobei sie von Freiheitskämpfern aus ganz Europa unterstützt werden. 2 ) Verfaßt 1823. 3 ) Der deutsche Gilblas, eingeführt von Göthe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachse’s, eines Thüringers. Von ihm selbst verfaßt. Stuttgart u. Tübingen 1822. (Sachse war seit 1800 Bibliotheksdiener in Weimar.) Die Erzählung der mit harter Bauernarbeit verbrachten Kindheit enthält ein G e f u n d e n e r S c h a t z überschriebenes Kap. (S. 67): Eines Tages fand ich beym Hacken im Schutt der alten Brandstelle einen zusammengeschmolzenen Goldklumpen . . . Alles lief fröhlich . . . um den verlornen Schatz aufzuheben. G traf also auch auf eine zeitgenössische Schatzhebung von Goldgewicht; vgl. Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz (5037−42): Zieh deinen Pflug und ackre sie ans Licht. Mephistopheles: Nimm Hack’ und Spaten, grabe selber, / Die Bauernarbeit macht dich groß . . . 4 ) Zu Akt II Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor (7900ff.), wo Anaxagoras einen Fels vom Mond herabbeschwört. Hermanns Sendung löste G’s erneute intensive Beschäftigung mit Euripides u. den Phaethon-Rekonstruktionsversuch aus. (Vgl. EGW 4, 219−30: „Phaethon [I], Tragödie des Euripides“, „Zu Phaethon [II] des Euripides“ u. „Euripides Phaethon [III]“) Dabei stieß G bei Diogenes Laertius auf eine Erwähnung des Anaxagoras, zitiert EGW 4, 228, die er zu dessen Faust-Auftritt nutzte; s. 5. Aug 1826: Bibliotheksentleihung u. Tgb.

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und ein frisches Interesse an dem seltsamsten aller Theaterdichter.1) Plutarch und Appian werden studirt, dießmal um der Triumphzüge willen, in Absicht Mantegna’s Blätter, deren Darstellungen er offenbar aus den Alten geschöpft, besser würdigen zu können.2) März 6. [Weimar] Briefe von Rom über Wien. Eine Kupferstichsendung des Carnevals von Graf Mörner, schwedischem Offizier.3) Mai 4. Des Grafen Morner römisches Carneval betrachtet.4) 10. [Heidelberg] H. Voß d. J. an G (GSA 28/93 Bl. 217): Empfangen Sie hier . . . den ersten Theil des deutschen Aristophanes,5) dem die folgenden Theile bald nachkommen werden . . . Zwölf Monate übersetzte mein Vater am Aristofanes, und ließ ihn sodann 9 bis zehn Jahre im Pulte liegen. Um hundert Stellen sind verbessert, auf die ich ihn vorigen Winter, als ich neben dem Anmerkungsschreiben den Kritiker spielte, aufmerksam machte. Ich denke, die Übersetzung, die man ja nicht grad als Kunstwerk sondern als lebendigen Commentar anzusehen braucht, soll das Studium des herrlichen Dichters, des „unerzogenen Lieblings der Grazien“ fördern. Ich las diesen Winter drei Stücke desselben vor einer zahlreichen Zuhörerschaft. Juni 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bücher-Vermehrungsliste gD, S. 511) 28. Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 8, 312): Aristofanes übersetzt von J. H.

Voß. Vom Übersetzer. Juli

22. An H. Voß d. J. (Konzept; Br 35, 24f.): Ihre liebwerthe Sendung [Ari-

stofanes übers. von J. H. Voß], mein Theuerster, kommt noch gerade zu rechter Zeit und Stunde, um mich auf meiner Reise nach den böhmischen Bädern zu begleiten, wohin ich wohl keine angenehmere Gesellschaft finden könnte. Da zu meinen liebsten Gefühlen die Dankbarkeit gehört . . . so kommt mir oft genug vor die Seele, was wir Ihrem Herrn Vater und Ihnen schuldig sind. Je mehr man durchdrungen ist von dem Werthe der Bildung, die wir den alten Schriftstellern verdanken, desto mehr lernt man nach und nach einsehen, daß ein ganzes Leben dazu gehört, sie recht zu verstehen und also gründlich zu nutzen. Vergebens, daß man sich einbildet, nebenbey zu so wichtiger Einsicht gelangen zu können. Wie hoch haben wir daher den Übersetzer als Vermittler zu verehren, der uns jene Schätze herüber in unsere täglichen Umgebungen bringt, wo wir vor ihnen nicht als fremden seltsamen Ausgeburten erstaunen, sondern sie als Hausmannskost benut-

1

) s. oben 1820: TuJ u. unten 10. Mai 1821: H. Voß an G. ) s. oben 16. Nov 1820: Bibliotheksentleihung. 3 ) Vgl. oben 20. Dez 1820: Kölle an G. 4 Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal. 5 Zu Akt II Sz. [3−7] KWN. − Aristofanes von Johann Heinrich Voss mit erl. Anm. von Heinrich Voss. In drei Bänden. Bd 1. Braunschweig 1821; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1241). − Bd 1: I. Die Acharner. II. Die Ritter. III. Die Wolken. IV. Die Wespen. − Bd 2 u. 3 folgten wohl bald, da in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1241). − Bd 2: I. Der Friede. II. Die Vögel. III. Lysistrata; Bd 3: I. Die Thesmophorien. II. Die Frösche. III. Die Weiberherrschaft. IV. Plutos. 2

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zen und genießen. Niemand kann dieß mehr anerkennen als ich, der ich, bey vielbeschäftigter Zerstreuung, zum Kern eilen muß und deswegen mich herzlich freue, wenn er mir so rein und appetitlich vorgesetzt wird.1) Juli

22. [Stralsund] C. C. L. Schöne an G (GSA 28/94 Bl. 270f.): Ew. Excellenz Werke haben meinen Geist schon in meinen früheren Jahren angezogen; das Studium derselben hat mich einen bedeutenden Teil meines Lebens, den mir die Berufsgeschäfte übrig ließen, beschäftigt. So fand der Schüler, bei dem Drange selbst etwas zu erzeugen, der immer heftiger und lebendiger wurde, die nachstehenden Verse in Ihren Schriften: „Willst du dir aber das Beste thun, So bleib nicht auf dir selber ruhn, Sondern folg’ eines Meisters Sinn; Mit ihm zu irren ist dir Gewinn.“2) An diese auffordernden Verse schloß sich die Erinnerung aus der Geschichte des Mittelalters: wie Meister des Gesanges und der Malerey Schüler bildeten, die theils an den Werken der Meister selbst mit arbeiteten; theils Versuche in der Kunst für sich allein anstellten, an welche ihre Meister die letzte Hand legten, um ihnen Rundung und Vollendung zu geben; und daß wir noch heute Kunstwerke finden, wo Kenner zweifelhaft sind: ob sie Raphael allein; oder zum Theil; oder einer seiner Schüler angefertigt habe? So doppelt aufgefordert beschloss ich, bei dem Drange etwas zu erzeugen, meinem Meister zu folgen, und einen Versuch zu wagen. Freunde riethen mir: den Faust fortzusetzen, den Ew. Excellenz wahrscheinlich nicht fortsetzen würden, und der doch in sich selbst den Keim zu einer Fortsetzung trage. Ich erbebte anfangs vor dem Gedanken; ich fühlte, wieviel hier zu leisten sei, und daß nur in Ew. Excellenz allein die Kräfte ruhten − ein so geniales Riesenwerk zu vollenden. Doch Zureden meiner Freunde, und Vertrauen auf Ihre gütige Nachsicht, vermochten mich endlich dahin zu bringen den Versuch zu wagen. Was ich hierüber noch hinzufügen könnte, habe ich in der Zueignung an Ew. Excellenz gesagt; mein heißester Wunsch ist: daß Sie dieselbe, so wie die Dedication genehmigen mögen. Meine innigste Bitte ist: daß Ew. Excellenz den Versuch des Schülers einer strengen Durchsicht würdigen, und ihm über Plan und Form desselben Ihr unschätzbares Urtheil offen mittheilen möchten. Der Augenblick in welchem ich Ew. Excellenz Antwort erhalte, wird, daß muß ich als heilig und wahr hiermit betheuern, der glücklichste Augenblick meines Lebens sein; und meine Freude würde keine Grenzen haben, wenn Sie meinen Versuch nicht ganz Ihres Beifalls unwürdig fänden. Ich werde die Stunden zählen bis mir die ersehnte Antwort zu Theil wird. Das hier beifolgende Manuskript erbitte ich mir nach der Durchsicht gehorsamst zurück; nach dem Druck werde ich mir die Freiheit nehmen Ew. Excellenz ein gedrucktes Exemplar zu übersenden.3)

Okt

3. [Stralsund] C. C. L. Schöne an G (GSA 28/95 Bl. 371): Ew. Excellenz schickte ich unterm 22t July d. J. einen poetischen Versuch − die gewagte Fortsetzung Ihres Faust − mit der herzlichen Bitte um gefällige Beurtheilung desselben. Bis heute ist mir auf diese Zusendung keine Antwort geworden − und ich trage Sorge: daß das Paket auf der Post verlohren und gar nicht in Ew. Excellenz Hände gelangt sei. Wenn mir nun gleich durch die Erklärung im 2ten Heft des dritten Bandes − Ueber Kunst und Alterthum − die schöne Hoffnung geworden ist: daß Ew. Excellenz sich über meinen Versuch vielleicht bald in dem eben erwähnten Werke aussprechen werden:4) so wage ich doch die

1

) Zu Aristophanes’ Wirkung auf die KWN s. oben 1820: TuJ. ) Aus der Gruppe Sprichwörtlich (W 2, 224); ED in B 2 (1815). 3 ) Fortsetzung des Faust von Goethe. Berlin 1823. 4 ) G’s Erklärung und Bitte in KA III 2 (1821) 186 bezog sich auf allzu viele Sendungen und Anfragen von wohldenkenden, talentreichen, strebenden, jüngeren und älteren Personen. Da es Einzelnen zu antworten ganz unmöglich wird, erklärte G: Ich werde daher 2

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herzliche Bitte − um eine Zeile von Ew. Excellenz daß mein Manuscript wirklich in Ihren Händen sei.1)

Okt 11. Abends zu Hause. Die Acharner und Ritter von Aristophanes, Voßische

Übersetzung.2) 12. Abends für mich. Aristophanes Ritter und Wolken. Nov 20. [Breslau] J. G. G. Büsching an G (GJb 1929, 153): Ew. Exzellenz haben schon manchen von meinen Versuchen mit Nachsicht und Gewogenheit aufgenommen, so daß ich hoffe, es wagen zu können, Hochdenselben auch meinen ’Versuch einer Einleitung in die Geschichte der Altdeutschen Bauart’ überreichen zu dürfen. Zugleich habe ich es gewagt, ein Buch anzulegen, welches im treuen Spiegel die Sitten des sechzehnten Jahrhunderts lehrt und um so treuer ist, da es von seinem Verfasser nie zur Bekanntmachung bestimmt war.3) 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 511) 28. (s. „[Euripides] Phaeton [II]“: An C. L. F. Schulz gD, EGW 4, 221)4) Dez

2. Nebenstehende Expeditionen: Manuscript Fausts zweyter Theil an Hof-

rath Schöne nach Stralsund. 3. An C. C. L. Schöne (Br 35, 200f.): Ew. Wohlgeboren verfehle nicht anzuzeigen, daß das schon lange in meinem Gewahrsam sich befindende Manuscript5) gestern mit dem Postwagen abgegangen; ich fühle mich darüber mit mir selbst entzweyt, denn indem ich Ihre Bemühungen zu schätzen alle Ursache fand, so war es mir doch nicht möglich, mich darüber vernehmen zu lassen. Ich hätte müssen meine Intentionen offen hinlegen und sie alsdann mit den Ihrigen vergleichen; weil ich aber meine Absichten bisher immer geheim gehalten und mich nicht entschließen konnte, gegenwärtig damit hervorzutreten, so blieb das Manuscript liegen, ja sogar die Ankunft unangezeigt. Verzeihen Sie einem für meine Jahre überdrängten Zustande, nehmen Sie meinen Dank für den Anteil an meinen Arbeiten und bleiben meiner vorzüglichen Hochachtung versichert.6) in meinen Heften dergleichen niederlegen und ersuche meine unbefriedigten werthen Correspondenten sich darin umzusehn. 1 ) G’s Antwort s. 3. Dez 1821: an Schöne. 2 ) Zu Akt II Sz. [3−7] KWN; s. oben 10. Mai: H. Voß an G m. Anm. 3 ) Zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Throns, da G dort realistische Details u. Redewendungen aus der Zeit des historischen Faust verwendete, die er fand in: Lieben, Lust und Leben der Deutschen des sechzehnten Jahrhunderts, in den Begebenheiten des Schlesischen Ritters Hans von Schweinichen, von ihm selbst aufgesetzt. Hsg. von Büsching. Bd 1. Breslau 1820. Den Eingang des Werks vermerkte G im Dez 1821 in der Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 8, 316; jetzt nicht mehr in G’s Bibliothek). Nachweise seiner Verwendung s. 1823 Jan 4. u. Okt 31.: Tgb. 4 ) Vgl. oben S. 664f. mit Anm. 4 u. weitere Z zu „Phaethon. Tragödie des Euripides“ in EGW 4, 219−30. Starke Einwirkungen des Euripides vor allem in Akt III (Helena). 5 ) Vgl. oben 1821 Juli 22. u. Okt 3.: Schöne an G. 6 ) Vgl. unten 1822 Sept 22.: Zelter an G; Dez: Bücher-Vermehrungsliste; Dez 14.: an Zelter.

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Dez 24. [Nachmittags] Las weiter in Hans von Schweinichens Leben.1) 25. [Abends] Etwas aus Schweinichen Lebensgeschichte gelesen. 27. An J. A. G. Weigel (Konzept; Br 35, 215): Wegen des vierten Auctions-

Catalogs2) habe bisher zu melden gezaudert, weil ich darin gar wenig fand, was meinen Zwecken dienlich wäre . . . nun will ich aber nicht säumen, einiges Angezeichnete hier einzuschalten. „124. Correggio 125. [Correggio]“3)

18224) ⎯

⎯ Tag- und Jahres-Hefte 18225) (W 36, 212):6) Zeichnungen der Wolken-

gestalten wurden gesammelt, mit Aufmerksamkeit fortgesetzt. Jan [Berlin] E. Schubarth an G (GSA 28/830 St. 29): Ew. Excellenz haben mir die un27.−31. schätzbare Erlaubniß ertheilt, Ihnen von Zeit zu Zeit Nachricht von mir geben zu dürfen . . . Ich lege . . . einige Blätter bey . . . Daß ich übrigens den Versuch gemacht habe, den Faust irgendwie zu ergänzen,7) deshalb weiß ich freylich nicht, ob ich mehr gescholten zu werden verdiene, und wenn ich es noch so ungeschickt angefangen habe, als derjenige der das Vermögen hatte zu vollenden und es unterlaßen hat [G]. Ist hier eine höhere Nothwendigkeit im Spiele, oder ist es bloße Willkühr? . . . Am wenigsten bin ich mit Zeltern zufrieden . . . Da erzählt er mir, er wüßte den zweyten Theil von der Pandora und vom Faust. Wenn ich ihn nun ersuche mir doch etwas davon mitzutheilen, sagt er, es sey ihm verboten. Da verwünsche ich ihn, daß er die Neubegierde erregt, ohne sie zu befriedigen. Und ist denn nicht ein Geheimniß schon verrathen, wenn man davon spricht. Wer ein Geheimniß recht bewahren will, muß keinen Menschen wissen laßen, daß er eines besitzt . . . Auf eine solche Art habe ich denn auch immer lebhaft behauptet, der Faust sey ein Ganzes, dem sich am Ende, so schwierig es auch seyn möge, beykommen laßen müße. Daß dieses Werk eine Seite, ein Thema behandelt, über das gerade jeder Neuere sich am meisten ins Klare zu setzen Ursache hat, glaube ich immer mehr einzusehen je mehr mir der Sinn für diese Production aufgeht. Es ist die Grundtragödie des modernen Charakters, der mit großen Vorsätzen zu Anfange, am

1

) Erstes Z zur Lektüre von Schweinichens Leben Bd 1; vgl. oben 20. Nov 1821: Büsching an G. 2 ) Zu Akt II Sz. [2] Laboratorium (6903ff.): Fausts Traum von Leda u. dem Schwan. − Im Verzeichniß einer Sammlung von Kupferstichen, Handzeichnungen und Glasmalereyen, welche . . . d. 2. Jan. 1822 . . . versteigert werden soll; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2290) als Nr. 124 u. 125 zwei Stiche nach Correggio von Etienne Desroches: Danae und Jupiter u. Jupiter und Leda mit ihren Nymphen im Bade. 3 ) Daß der Kupferstich nach Correggios Leda-Gemälde (Schuchardt I 5 Nr. 21) Anf. 1822 in G’s Graphiksammlung gelangte, ist anzunehmen; s. Abb. 9 in FA 7.2. 4 ) Zur polit. Situation kein Wort in G’s TuJ 1822. − Der griech. Nationalkongreß in Epidauros verkündigt die Unabhängigkeit des griech. Volks u. ein Verfassungsgesetz. In Verona ein Kongreß der ›Heiligen Allianz‹ wegen griech. u. span. Unruhen; Frankreich wird beauftragt, die Aufstände in Spanien und die span. Verfassung zu beseitigen. 5 ) Verfaßt 1822 (Auszüge), 1823 (Schema, Diktat), 1824/1826 (zum Druck). 6 ) Zur Wolkensymbolik in Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10039−66). 7 ) Schubarth hatte schon in: Zur Beurtheilung Goethe’s . . . Bd 2., verm. Aufl. Breslau 1820, S. 9−47 Nachträge über Goethe’s Faust veröffentlicht.

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Ende Kleinigkeiten vollbringt, und wenn er es damit gethan hat, sich wohl auch noch einredet, nun sey das Große, das Rechte vollbracht. Der Grund hiervon ist nun freylich der eigenthümliche große Zwiespalt zwischen dem Sinnlichen und Geistigen, in welchen die neuere Welt verfallen ist, in welchem sie sich bewegt, und unveraendert nur das eine oder andere Extrem kultivirt, so daß ihr das höhere vollkommene Ganze sich völlig entzieht, oder nur zerstückt darbietet. Bey solcher Zerbröckelung, Vereinzelung des Werthen und Tüchtigen ist es denn nun auch ganz consequent daß das, was uns als Schicksal, als friedliche Macht unserm Wollen gegenübertritt, nicht jenen großen, ganzen Charakter des antiken Schicksal besitzt, welches einem ganzen Wollen des Menschen gegenübertrat, um es entweder so ganz nochmals höher zu steigern, oder völlig zu vernichten. Es thut sich vielmehr, so wie unser Wollen nur ein Halbwollen ist, als eine Art Halbschicksal hervor, dem wir auch nur eine halbe Ehre und einen halben Rang zugestehen, indem wir es als etwas bloß Schlimmes personificiren, und ihm den Namen und die Personifikation des Teufels verleihen. Und so ist denn auch seine Züchtigung, seine Erniedrigung und die Art von Erhebung, die zugleich dabey möglich ist, immer auf etwas Einseitiges gerichtet. Wir schweben meist zwischen Sittlichem und Sinnlichem, Geistigen u Sinnlichen, ohne es mit einem oder dem andern recht gründlich zu meinen. Hier ruht alles Willkührliche, Verworrene. Und es ist der Punct welcher der Gegenwirkung am meisten bedarf. Da wir nun aber, indem wir über dem Sinnlichen uns bloß schwebend erhalten, glauben des rein Geistigen schon gewiß zu seyn; so ist das natürlichste, und schicklichste, was uns zuerst begegnen mag, daß wir auf die sinnliche Base zurückgedrängt werden. Nun aber gesellt sich das Mißveständniß dazu, daß wir diese als etwas Zufälliges, nicht Nothwendiges an unserm Daseyn betrachten. Dadurch erhält jene Zurückführung den zweydeutigen Charakter einer Beschränkung und Zurücksetzung von etwas Höherem auf etwas Niedrigeres. Dieß ist denn der kranke und der Heilung bedürftige Punct, daß Mephistopheles wirklich, um nur etwas zu retten, gegen jedes Höhere direct wirken, und es als einen Schein, als einen Selbstbetrug behandeln muß. Und so ist denn eigentlich zuletzt so viel verloren als gewonnen, wenn endlich auch der Mensch das Sinnliche, als wo nicht zum Höhern unmittelbar gehörig begreifen, doch als das Reale seines Daseyns behandeln lernt, ohne welches auch nur das mächtigste Behagen des eingeschränktesten Daseyns gedenkbar sey. Ein leichter, kluger, routinirter Weltsinn, der sich mit Geschick durchzuführen weiß, erscheint dann als letztliche Aufgabe. Und damit eine solche Aufgabe nicht als etwas zu geringes beurtheilt werde, ist es erforderlich, das ganze Widerspiel, den Unzusammenhalt, um nicht zu sagen die Jämmerlichkeit dessen aufzudecken, was das Geschlecht sein höheres Bestreben nennt. Es bleibt also ein leidiges Mittlere, was wir im günstigsten Sinn erreichen können, wenn es uns auch irgend wie zuletzt gelingt, uns mit dem Teufel in ein Verhältniß zu setzen, d. i. mit unserm Schicksal auszuführen. Einer andern Natur als Dichter geboren, die sich auf solche Avantagen gesetzt fand ziemte es wohl einen solchen Stoff auszubilden, um aber dadurch, indem sie sich zeitig genug über den eigentlichen Stand der Dinge unterrichtete, über diese Halbheiten zu dem höhern, großen Ganzen zu retten. Eine Lektion und Aufklärung aber der Art über ihr innerstes Wesen kann der modernen Natur nicht schaden, damit sie einsehen lerne, was ihr zukomme, was nicht; und wie sie sehr sie Ursache hat, vor allem Schlechten sich zu hüten, da der Anfangspunkt ihrer Natur schon mit einem Miß- und Unverhältniß anhebt. Glücklicherweise trägt jedoch die neuere Teufelsfabel, wenigstens wie sie sich unter den Deutschen ausgebildet hat, zugleich ein Element in sich, was sich mit dem Höchsten unmittelbar in Verbindung setzt. Es ist der Sinn, daß man sich vor dem Bösen unter keinen Umständen scheuen solle. Dadurch ward jene Wendung ins Humoristische so sehr begünstigt, daß der Teufel als eine Art von lustiger Person auftritt. Indem man alle Tollheiten, Verkehrtheiten, ja Gefährlichkeiten zugibt, die er wie Netze um ein ungeschicktes, täppisches Benehmen ringsum auswirft, um dieses zu verwirren, in seiner ganzen Blöße darzustellen und hierdurch zu bestrafen, gesteht man an der andern Seite schon zu, daß es einen wahrhaft schönen und reinen Weg gibt, wo uns

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solche Neckereien und gefährliche, demüthigende Schalkheiten nichts anhaben können. Hier ergibt sich denn auch die Möglichkeit den ersten bitteren, herben, ja widersinnigen tragischen Urstoff durch das Komische, Heitere, Humoristische der Behandlung zu mildern, ja unschädlich zu machen. Ja, es gibt vielleicht keinen Stoff der Dichtung, wo das Tragische schon das Komische so wesentlich voraussetzt, fordert, den unmittelbaren Zusammenhang beyder klar macht, und sie als Geschwister eines u desselben Ursprungs zeigt, wie hier geschieht. Ich weiß nun nicht, ob in diesem allem etwas ist, was sich den Ideen Ew. Excellenz annähert. Mir hat wenigstens dergleichen bey dem Ergänzungsversuch vorgeschwebt. Da mir keine Poesie zu Gebote steht, so habe ich freylich mit meinen prosaischen Mitteln nur ohngefähr, es ausdrücken können, wie ich mir es denke, daß es wohl seyn möchte, ohne das ich im Stande gewesen wäre, das was seyn müßte, irgend zu erreichen. Ich bemerke nur dieß, daß wenn im zweyten Theil auch Mephistopheles seine Tücke an Faust nicht weiter ausläßt, vielmehr ihn zum Theilnehmer an den lästigen Bosheiten macht, die er der übrigen Welt spielt, er zuletzt doch nicht haben könne, daß er Fausten wo nicht auf der Erde mehr, doch im Himmel vor dem Herrn und den himmlischen Heerscharen zu prostituiren sucht. Wie dankbar würde ich seyn, wenn Ew. Excellenz allen diesen Unbestimmtheiten durch eine ausreichende Erklärung zu Hülfe kommen wollten. Doch auf eine solche Gunst habe ich wohl nicht zu rechnen; ja, wenn ich ein Britte, ein Italiener wäre, würden Sie sich wohl eher geneigt erweisen. Und so muß ich es mir schon gefallen laßen, wenn Sie mich schmählich irren laßen. Es verdient der Deutsche, daß er vom Deutschen aufgegeben, im Stich gelaßen, vergessen und verachtet wird.

Jan

⎯ [Berlin] E. Schubarth an G (Beilage zum vorigen; GSA 28/830 Bl. 90−97):1) Versuch einer Ergänzung des zweyten Theils zum Faust. E r s t e S c e n e . (Nach der Flucht aus dem Kerker. Faust folgte Mephistopheles, als dieser ihn mit der eigenen Lebensgefahr bedrohte.) F a u s t . Nichtswürdigkeit ohne gleichen! So davon zu fliehen! und um mein eigenes schmachvolles Leben nur zu retten sie im Stiche zu laßen. − Aber konnte ich denn die noch retten, die ich in solch ein Elend gestürzt hatte? Vorher hätte ich ihr beystehen sollen! Da war’s an der Zeit, als ich ihr, der ganz glücklichen nahte, sie vor mir, als ihrem größten Unglück, zu warnen! − Und, wenn ich auch alle ihre Banden löste, vermöchte ich ihr die verlorene Ehre und die zerrütteten Sinnen wiederzugeben? Was kann ihr die unbarmherzig richtende, die gefühllos-streng ahndende Menschheit noch nehmen, was ich ihr nicht schon längst genommen? Weh mir! Ich bestahl sie, und ward zum Räuber an Schätzen, die sich mir frey und arglos darboten, weil sie glaubte, ein Freund sey gekommen. Jetzt ist es das entblätterte Bäumchen, dem der Sturm den Wipfel eingeknickt. Nun rodet man den fruchtlosen Stamm aus, und wirft ihn ins Feuer! Und ist nicht der Tod ein lösender Engel für sie? In Henkersgestalt tritt ein Arzt heran, und führt ein breites Eisen, das dem Krebsschaden nur ein Ende macht, der die lieblichste Gestalt ergriffen. Sie stirbt unschuldig, und darf hoffen des Paradieses Wehen und Kühle zu kosten, das allen Erdenschmerz ausheilt! − Aber ich unseligster! ich kann nicht sterben! ich muß leben! − Vom Tode sollte ich hoffen, was das Leben mir nicht gewähren konnte? Ich tausche nur ein unbekanntes Unsichere gegen ein bekanntes ein! Und, wollt’ ich auch enden: versöhnt, mit dem Leben abgefunden, es sey auch wie es sey, vermag ich nicht zu streben. Reue, Buße und Gnade sind mir verschloßen. Zu selbstbewußt, zu hoch und zu klar begann ich! Nicht den leichten Irrthum nur kann ich vorgeben, der das Verzeihen leicht bereit findet. Ich vermaß mich der Manneshöhe, die Göttern selbst nicht weicht! So muß ich vorwärts denn und immer vorwärts die Bahn verfolgen, und neigte sie auch stets mehr abwärts und jäher ins Freche hinab! Geduld und Stand-

1

) Unterschrieben: Berlin Januar 1822. − ED durch M. Hecker in GJb 1935, 185−96 in modernisierter Orthographie u. Interpunktion.

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haftigkeit sind es allein, auf die ich mich zu verlaßen habe. Und zerberstet auch zuletzt dieses Herz: so war sein stolzer Wille nur einigermaßen ein würdiger dann, wenn er dem Uebel, das sein Vermeßen grimmig bestraft, nicht feig und weichlig unterliegt. Ja, ich bekenne mich schuldig! Der letzte Schimmer von Hoffnung und Glaube verschwinde! Denn dieß Loos ward dem Menschen, daß er sich vermißt und seinen Willen dem All verkündigt. Da vernimmt zuerst ein böser Geist die Ausforderung, als wenn was wir gewollt, und das Wo l l e n selbst, ein ursprünglich Böses nur, kein rechter W i l l e schon wäre! Es übt der böse Feind seine Macht und Gewalt über uns. Wir aber?! − Ja, wir sind doch glücklich und trotzen ihm, wenn wir im Sturze selbst nicht verschmähen, die sparsam und knapp zugemessenen Freuden noch zu haschen. Doch, was bewegt mir den Geist so plötzlich? Wohin enteilen die Gedanken alle? Ist nicht des Wurmes Leben hier willkürlich in meine Gewalt gegeben? Langsam kriechend bewegt er sich auf dem Boden. Seine Straße und mein Weg kreutzen sich. Denn, berührt ihn nur die Spitze meines Fußes, den ich hebe, weiterzuschreiten; so liegt er zermalmt, in seinem Daseyn vernichtet da. Und, was kümmerts mich! Mir befiehlt ein innerer Drang aufzustehen und fortzuwandeln! Und, wenn es tausend Würmern das Leben kostet, ich laße mich nicht halten! − Dieser schlanke Baum hier steht in der schönsten Fülle seines Wachsthums. Ob er es wohl weiß, welche herrliche Pracht der Natur mit seiner Erscheinung sich entfaltet? Fühlt er es, oder fühlt er es nicht? − Und, wenn er etwas davon ahnen sollte, wehe ihn dann! Was frag ich darnach. Ich bedarf einer Hütte, meine Glieder verlangt nach Wärme. Nieder muß er ohne Gnade, und ich schlag ihn ein! Dort die herrliche Blume, ihre Farben, ihr Geruch reitzt mich. Könnte ich denn an der bloßen Augenweide nicht schon genug haben? Sie scheint so freundlich sich mir entgegenzuneigen zum Danke, daß ich sie bemerke. Nein! ich tödte ihr Leben, reiße sie vom Stengel herab, um es bloß meiner Nase und mir bequemer zu machen! Doch die verdorrte werf ich dank- und erinnerungslos in den Staub. So ist der Mensch ein Tyrann, ein Frevler gegen Lebendiges und Todtes um ihn her. Weil er der Mächtige ist, opfert er alles seinem Willen, seinen Zwecken auf. Schonungslos sieht er alle Creatur an und behauptet seine Willkühr, seine Uebermacht als ein Recht! Und wie? wir erstaunen noch, wenn, wie wir nicht achtend unsern Willen grenzenlos gegen die ganze übrige Schöpfung geltend machen, in unsere liebsten Wünsche ein feindlich, übermächtig Wesen zwingend sich eindrängt? Wenn wir die Willkühr an uns selbst erfahren müßen, die wir, so hintaumelnd, an allem ausüben? − Ja, nun verehr ich dich, Satan, als eine heilige Macht! Wir bilden uns ein, die Starken zu seyn. Du weist uns empfindlich den schwachen Fleck! Und, wenn wir zu hochmüthig sind, darauf hinzuschauen, die Augen zuschließen, es eine teuflische, boshafte Verläumdung nennen, wer ist dann der Sophiste, der Lügner, wir oder du? So will ich nicht länger jammern und klagen! Du hast dich deines Rechts wohl bedient. Ich dämmerte zwischen Unvermögen und großem Wollen, Verrath und Unschuld. Du stürztest aus der Halbheit mich ins volle Unglück. Weiter hast du nichts gethan. Ich aber, was ersann ich denn? Ich sah der Wahrheit und ihrer Wissenschaft ins Antlitz. Mit einem Halbgesicht davon dacht ich mir einen Gottesdienst zu bereiten, und wo nicht der Gott selbst, doch sicherlich der einzige Priester der heiligen Schau zu seyn! Dich reizenden Himmel da droben klag ich nun nicht länger an, wenn du von uns weichst, und durch die ewige Kluft geschieden, uns nur dein Anschauen uns vergönnst. Wir glauben ein Recht an dich zu haben. Aber womit haben wir es bewiesen? Ist es der stolze, anmaßliche Anspruch schon? − Da geschieht eine große Wahrheit, wenn uns das Böse von unten her auf dem Boden, auf dem wir tief stehen, mit ehernen Fäusten erfast, daß wir merken lernen, wie erhaben das Gute, das Rechte, das Heilige über uns schwebt. Aecht himmlischen Stammes, wie es ist, sollen wir ihm unterthan, knieend es verehren, nicht Gebieter, Herrn desselben uns wähnen! Ja, wir verdienen des Teufels Macht und Zucht! Denn nur zu herrschen, in den Frevel willkührlicher Gewalt alles hineinzuziehen, augenblicks zu genießen und des Erfolgs gewiß zu seyn, nicht zu staunen, zu verehren, anzuerkennen, zu schätzen,

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zu erharren und abzuwarten, ist unser Sinnen und Denken. Glücklich will ich mich preisen, daß ich einen der Meister der Hölle selbst fand, nicht einen Handlanger bloß, der meine Unarten seinen ärgsten Teufeleien verschwistern konnte, die ich für Tugenden hielt, vor denen sich das All neigen sollte. Komm her du böser Geist! nicht schelten soll man dich, wenn du lügst und arg nur bist. Du hast es doch vor dem Menschen voraus, daß du nichts vorher verkündigst, was du nicht hinter her bist und bleibst. Komm her! Laß mich die Lügen, das Falsche, das Gleißnerische in mir selbst und meinem ganzen Geschlecht noch weiter schauen! Du bist der rechte Führer. Wie ich dein war zu Anfang, so will ich dein beharren bis zu Ende. Auf rechter Bahn vermocht ich allein mich nicht zu halten. So will ich es nicht verhehlen, daß ich der Stütze, und welcher Stütze ich bedarf. − F o r t f ü h r u n g . Aus dem Vorstehenden erhellt, daß Faust das Bündniß mit Mephistopheles erneuert, ja verstärkt. Zum Dank dafür verheißt Mephistopheles seinem Gebieter, daß ihm nichts Arges mehr widerfahren solle. Das Schlimmste, das Sauerste hab’ er überstanden. Jetzo werde das rechte Leben, Genuß und Spaß erst anheben und der Teufel seine eingegangenen Obligationen zu erfüllen vermögen. Denn hoffentlich werde über die Thorheiten anderer Faust sich nicht betrüben wollen, da er an sich erfahren, wie schwer es sey, den eigenen Wurm loszuwerden. Auf Tollheiten und Lachen, sich und andere zum Besten zu haben, sey es mit dem ganzen Leben nur abgesehen. Wer aber mit dieser lustigen Wendung nicht zufrieden sey, sondern sonst was von höhern Dingen träume und fasele, der kaufe sich einen Strick, oder er kriech in den Winkel, meide der Sonne Licht und überrede sich in Schmerz und Klagen bestehe das Glück. So nehmen denn beyde ihren Schritt in die Welt. Und zwar geht es für dieß mal in die große Welt. Was machen wir viel Umschweife! Mephistopheles spielt gar bald den Meister überall, noch besser fast als auf dem Brocken, und weiß es an hohen Herrn und Damen herauszulocken, daß man sich hinter einem Würdigen und Rechten nur so lange verstellt hält, bis man den ersehnten Augenblick erharrt hat, da man die beschwerliche Maske dem willkommeen höhern Vortheil zu Liebe ungescheut wegwerfen kann. Hier gewährt denn das Maskenabziehen alle Lust, wie wir uns freuen, wenn Freunde, die auf der Redoute uns berücken wollten, von uns überlistet werden, daß keine Mumerey den ächten, wohlerkannten Charakter vor unserm Seherblick verhüllen kann. Ein solch Maskenhaus ist die ganze Welt! Und es kommt nur darauf an, daß man bey Zeiten seine Leute erkennt! Faust kommt nun bey solchem Spiel der Doktor nicht mehr in die Quere. Im Gegentheil ist es wohlgethan, wenn er an sich hält, und während der Teufel nur allzu reich den Stoff spendet, sinnt, wie man die herrlichen Sachen klüglich zu einem System verständiger Lebensart verbinde, das uns stets vor allen oben an erhalte. „Wenn man nicht andern nützen kann, ist die Hauptlehre, so laße es man wohl bleiben, sich selbst zu schaden. Sich suche man stets zu wahren: denn niemand kann uns so sehr lieben als wir selbst. Den Mitgenuß eines Vortheils, den wir besitzen, mögen wir aller Welt gönnen: denn das schafft nur freundliche Gesichter, und macht uns zum Herrn. Doch den Grund, den Quell solches Besitzes sollen wir uns wohl hüten, irgend jemand, nicht dem Busenfreund, zu offenbaren. Ist das Geheimniß erst heraus, dann macht man uns saure Gesichter, und wo wir vorher Herrn waren, da sind wir nachher Knechte.“ Wie dieß System erfunden und in Ordnung gebracht ist, da sollte man sehen, wie Mephistopheles und seine ganze Höllenschaar bemüht sind, die Stärke und Unübertrefflichkeit des Systems vor aller Welt zu entfalten. Faust ist ein gesegneter Mann. Wohin er tritt, wächst das Glück aus dem Boden hervor. Es vermag der Doktor mehr, als Majestäten können. Von ihm pflanzt sich das Glück auf andere. Kein Rath, den er ertheilt, wäre, der nicht seine Befolger mit Wucher lohnte. Was kommen wird, und kommen kann, er sagts aufs Haar voraus! Kein Wunder, daß zulezt unser Doktor ein allgeliebter Mann ist. Nach ihm senden Kaiser und Könige in unsichern Fällen, dem Pabste selbst schwindet seine Unfehlbarkeit vor ihm. Matronen, Jungfrauen, Pfaffen und Juristen, Feldherrn und Minister, alle drängen sich um den Doktor, um wo möglich was von seiner Weisheit zu profitiren, und in der Kunst was

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zu erlernen, welche Unfehlbarkeit allen unsern Wünschen verleiht. Und so durchzieht er alle Lande; und setzt bey hübschen Frauen, wie weyland Herkules eine tüchtige Nachkommenschaft aus, daß die Nachfolge nicht fehle! Begnügt und zufrieden ist er! Da naht die Zeit, für soviel Gutes den Urheber, den Teufel zu belohnen. Nicht wie mancher Herr, der seinen treusten Diener am Ende vergißt, denkt der Doktor. Er ist bereit, Mephistopheles Wünschen zu willfahren. Auch begehrt der nichts schlimmes. Es ist nur eine Reise geradezu in den Himmel, und Faust soll nur dort vor dem ganzen versammelten Hofstaat seine Zufriedenheit mit Mephistopheles Dienst bezeugen. Dort oben bemitleidete man den Pferdefuß stets. Es ist nichts als ein kleiner Triumph über die betrübten Engelsgesichter. Und daß man für künftige Zeiten den Respekt vor dem Pferdefuß nicht vergesse, wenn er in dieser Versammlung sich wieder zeigt: so ernennt Mephistopheles den Dr. Heinrich Faust ein für allemal zu seinem diensthuenden Kammerherrn für die Dauer jedesmaliger Anwesenheit am himmlischen Hoflager. Auch hat er den Ort und die Station nie zu verlaßen, wenn selbst derjenige, der ihm das Schlüsselamt verliehen, um gewisser Ursachen willen anderswo seinen Aufenthalt zu nehmen beliebte. Im übrigen ist seine Zeit frey, und kann er dieselbe nutzen, sich zu insinuiren − S c h l u ß s c e n e . D e r H e r r , d i e h i m m l i s c h e n H e e r s c h a a r e n M e p h i s t o p h e l e s m i t F a u s t . ( M e p h i s t o p h e l e s hat nicht versäumt die neue Mähr unverzüglich mit großem Pathos zu verkündigen, daß Faust bey vollkommensten Sinnen auf seine Seite getreten und bereit sey, wenn es der Herr nur anders erlaube, den Knecht jetzo für ihn im Himmel zu machen. Denn so lautete der Vertrag: [Zitat 1656−59]. Worauf der Herr die Rechenschaft von Faust abnimmt. Da dann folgende Wechselreden vorgefallen seyn mögen.) F a u s t . Du siehst mich hier vor dir, o Herr, bestürzt stehen! Die Rechtfertigung, auf die ich vor Jahren gesonnen, entfällt mir in diesem Augenblick! Denn welches seelige Wesen selbst empfände nicht sogleich sich schuldig, wollt es dir gegenübertreten, um seiner Vollkommenheit aus sich selbst gewiß zu seyn. Und ich stehe hier mit dem ganzen schweren Erdenschicksal, ja mit seinen Gräueln belastet vor dir. Statt der Entschuldigung kann ich nur eine Erklärung geben, wie ich des Rechts, das du dem Menschen verliehen, mich bedient. Zum Höchsten, was die Erde kennt, glaubt’ ich mich berufen, zum Erkennen! Ich schwang mich über alles, was Menschen Gewißheit und ein Besitz im Wissen schien, hinaus. Doch leider vermocht ich nur die Unsicherheit und das Schwankende in aller menschlichen Einsicht zu erkennen, nicht jedoch zu den Quellen der gewissern Natur selbst hinzudringen! So verwirrte mich nur die Halberkenntniß, und daß ich mich bloß klüger wußte zu wissen, was man nicht wisse, erschuf mir die bittere Pein. Denn der, so andere schuldig findet, ohne das Bessere selbst zu vermögen, sündigt am schwersten. Dergestalt mußt’ ich den Dünkel und Fürwitz nur allzu tief büßen! Verschwunden war alles, was eine Menschenbrust mit Freudebeben hebt, mich grinsete in allem nur ein hohler Wahn an! Jedes Glaubens, jedes Hoffens Sterne erloschen, und Feuerschnuppen nur gleichend, die täuschend am Himmel kreisen, eine niedrige Geburt der Erde, nicht in dem ewigen Aether befestigt, außer allem Gewölb und Gedünst erzeugt, verbrannte ich alles um mich her, was den beschränkten Menschen so leicht und hold befriedigt. Nur die Natur, als tiefsten Kern und Inhalt aller Wissenschaft, wollt ich erfassen! Nichts wenigeres sollt’ es seyn, woran ich meine Kräfte erproben möchte. Doch eben diese Kräfte, die so stolzem Ziel sich entgegensehnten, die sich wetteifernd nur zum Allerhöchsten sich hindrängten, die hatte ich nicht, m i c h s e l b e r hatte ich leider noch nicht erkannt und erfunden! Wozu die Vermögen alle im Menschen, die Begierden, die Sinnlichkeit wären, wovon jenes wunderbare Wechselspiel von hohem geistigen Verlangen und an Thierheit reichendem Bedürfniß abhange, darnach hatte ich nicht gefragt. Ich glaubte ein übermenschlich Wesen höherer Art über solche Forderungen mich entrückt. Und so blieb ich im Menschlichsten gerade ein Kind, roh und unerfahren: während das Weltganze und die Höhen der Gottheit meinem Geist nur ein einzig würdiger Stoff schienen! Erst spät, durch manches Drangsal gezüchtigt, sollte mir der Gedanke klärer und einigermaßen

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hell werden: wenn wir die Welt als Ganzes würdig empfangen wollten, müßten wir uns selbst irgendwie als ein Ganzes ihr erst dargebracht haben. Und so fand mich dieser hier! Und leider, was er an mir that, bewies, daß er seinen Mann nur allzu wohl kannte! Ich bezeugte mich im Nächsten ungeschickt und täppisch. Nur zu bald offenbarte es sich, daß kein Maaß in mir lebte: der Triebe Gewalt übermannte mich bey allem! Nicht einmal zum Genießen war ich geschickt, ohne mir, und wehe! daß ich es dir bekenne, ohne andern zu schaden! Ja, Herr, da fühlt’ ich mich des Höchsten nicht länger werth! Tief beschämt, doch ohne daß mein Herz die Bitterkeit des Menschenschicksals länger angeklagt hätte, glaubt’ ich beym Untern verharren zu müssen! Darf ich es bekennen? Der Geselle, den ein verzweifelnd Bestreben aufgerufen hatte, und dessen Dienst zuerst ich als bloßen Hohn nicht als Dank für ein edleres Bemühen empfing: er ward mir immer werther. Ich mußte ihn zulezt bewundern, wie er jeder Spur einer menschlichen Schwachheit so sicher und gewiß nachging! Was er mir entdeckte, was er an andern offenbarte, alles überzeugte mich, der Mensch verhöhne nur, was er außer seinem Selbst noch höher preise und rühme! Verzeih! o Herr! da glaubt’ ich, wenn wir alles gehörig und recht an uns erwögen: es sey zur K l u g h e i t nur, die sich u andren wenigstens nicht das Urteil bringt, wenn sie nichts schätzen kann − nicht zu jener We i s h e i t , die sich ins Chor der Welten drängt, um überirdisch den Einklang alles Wesens zu schauen und darzustellen − dazu sey allein der Mensch und kaum dazu hinreichend! Hier ist nicht von einem gewordenen S e y n die Rede, wie es ein ewiger Augenblick licht und immer licht besteht. Von einem Zusammenhange, der w i r d , und das Widrigste oft vergeblich zu gatten versucht, davon handelt es sich! Und wie selten ist es möglich, was wir wollten und begehrten, in seinem Widerstreit zur Einigkeit im Thun aufzulösen! Und wie auf der Erde des Sonnenlichts höhere bildende Gewalt sich bloß beschränkt, daß es aus der Finsterniß stummer Nacht ein gemildert Grau hervorruft, und seines Schattens trägen und trüben Gang durch einer Farbenreihe Fluß zu bewegen, zu beleben sucht, doch so, daß der Schatten nicht weicht, sondern ein mehr oder weniger verdunkelter Schatten nur bleibt − so Herr fand ich zuletzt, müsse der Mensch, ja müsse der Gott, der ihn erschuf, schon begnügt seyn, wenn die dunkle Grundlage, die den Urstoff unseres Daseyns bildet, nur nicht jedes Schimmers und Glanzes entbehrt. Wenn wir uns heiter und behaglich im Sinnlich-Nächsten zu fassen wissen, und keinen Schmerz zu hoch nehmen, als ob er uns nur wie ein einziges fluchwerthes Schicksal zugemessen sey, dann mildert sich und erhellt sich des Menschen dunkeles Loos! Ja die Ehrfurcht vor dem Höhern stellt sich reiner her, indem wir es für sich überweltlich und übermenschlich in seinem rein gezogenen Kreise betrachten und denken, so daß es jener bunte Wechsel des Menschengeschicks niemals berührt, und verletzt. Denn der Kohle schwarz Gesicht kann ein helles, lichtes Feuer wohl vertilgen, das du ihr zu nah vermählst, nicht verwandeln. Entzünde sie durch der vollen Flamme Macht: wie bald liegt sie ein unnützer Haufe vermodernder Asche da. Läßt du sie matt und langsam erglühen, sie erwärmt und erquickt dich noch spät. So bedacht ich mich zuletzt o Herr und vollführte den Lebenslauf darnach. Und so stehe ich sogleich begierig, ja sehnsüchtig hier, dein höchstes Urtheil zu empfangen. Es falle auch wider mich aus, wie es muß: ich werde es beglückt vernehmen. Denn, wenn auch strafend, ja verdammend deine Hand sich auf uns legt, so ist es und bleibt es doch noch deine Hand. Nur das Daseyn, die Kreatur wäre ganz verlassen, ihr ganzes unseliges Geschick vollendet, die auch der Gunst deines Zornes nicht mehr werth wäre. Nie hab’ ich als Mensch auf eine höhere als diese Gunst meiner Gottheit gerechnet. Auch weiß ich nicht, so sehr ich mich bescheide, ob der glücklichste, der dir wohlgefälligste Mensch mehr erreichen kann, als daß du sanft zürnend und strafend deine Liebe und Gnade ihm erweisest. D e r H e r r . Du rufst die Wahrheit auf? Fürwahr der Erde Loos, so groß ich es ersonnen, hat dieß Mißgeschick, daß ein höchstes Wehe das Trefflichste und Beste dort aufwiegt. Muß ich es selber doch erwarten, was die Erde mir senden will. Wenn alles dort verdürbe, ich dürfte nichts dazu thun! Doch bin ich auch dafür gewiß, daß von den

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unzähligen Anlagen nicht wenige dem liebsten meiner Wünsche sich von selbst entgegenheben; und was ich glaube, das irgendwo der Vollendung seiner Gottheit entgegeneilt, davon verleiht mir die Erde nicht das spärlichste nur. Du sprichst dich frey und wagst es; so hätt’ ich kein Recht mehr dich zu verdammen. Ich verzeihe dir! Ich bin es schon so gewohnt, daß die Halbheit des Menschengeschlechts, der ich den Vorzug vor dem Thier verlieh, die höhere Begabung mit einem übermüthigen, frechen Gebrauch lohnt. Es ist nicht mein Wille gewesen, daß alles Fürsten, Könige, Helden, Heilige, Ausgezeichnete auf der Erde wären! Ich fügte darum die verschiednen Ordnungen, und stellte zulezt die Menge zahllos, schwach und mit dem nothwendigen nur versehn! Sie sollte kein Pöbel mir werden. Deßhalb schaut ich ihrem Bedürfniß vor, und ließ ihr manches zu! Ich forderte keine Tugend von ihr, und überließ ihr der Selbstheit gewaltigen Trieb. Doch nicht schrankenlos, willkührlich sollte sie mir um sich greifen! Die Klugheit, der Verstand, das Gesetz ordnete ich ihr zu, damit sie sich selbst wahrnähme. Im Sinnlich-Nächsten, heiter und gefällig, eröffnete ich ihr ein Feld, und ließ sie besitzen und ergreifen, was nützlich und löblich erscheint. Doch, daß sie sich nicht selbst verwirre, und wenn es ihr allzu wohl behagt in ihrem Werth und ihrer Kraft sich vergißt, über ihren Verstand, ihr Gesetz und Recht sich vermißt, ordnete ich ihr den Gesellen noch zu! Der, mächtiger als ihr Wollen und ihr Verstand, züchtigt sie mit einem heilsamen Schrecken von Zeit zu Zeiten. Durch Zerstörniß und das harte Drangsal jeder willkührlichen Verwirrniß macht er es dem gemeinsten Sinn klar, was ihm frommt oder nicht. Denn nur durch Schaden läßt sich der Mengemensch belehren und aufklären. Denn wie die Selbstsucht ihn treibt am Nachbar das Unheil vergnüglich zu finden, das ihn noch nicht erreicht und es eher anzuschüren als zu dämpfen, so ist es die Selbstsucht auch, die ihm sogleich das Vernünftige nützlich befinden lehrt, sobald der Schaden ihn erfaßt und mit dem Untergang bedroht. Das Uebel theilt ich dergestalt und ließ es nur zur Hälfte menschlichem Wollen. Die andere Hälfte erscheint als böser Geist und Feind frey und drüber. Der stürzt dann vernichtend auf jedes verkehrte Halbwollen am Menschen sich. Außerdem aber bestellt ich ihn noch, nicht zu dulden, daß nur ein Schein von einem höhern Bestreben über das gemeine Wesen des Menschen sich setze. Er zieht euch alle, denen eine höhere Begabung widerfuhr, die ihr jedoch mißbraucht in den untergeordneten Kreis herab, wenn ihr dem Edlern nicht so ganz die Kraft widmet, die sein Rang und Würde erfordert. So hast du es erfahren! Du bist zuletzt doch den Gebrauch von Klugheit und reinem Weltverstande, der sich das nützlich Vortheilhafte, für ihn und andere, ersann, für die Qual und Pein entschädigt worden, die der Wissenschaft hoher Geist, den du nicht ertrugst, dir bloß bereitete. Mit solchem Ausgang sey denn zufrieden! Und, wenn mich deine frühere Pein und dein höheres Seelenbestreben jetzt noch erbarmt, so laß ich, nachdem dieser hier dich hinreichend gezüchtigt, bloß die Gnade walten, deren ich euch versichern ließ: dächtet ihr an mich nur im Kleinsten, ich würde es euch im Größeren nicht vergessen! (Hierauf wird Faust den Erzengeln übergeben, ihn herzustellen, zu erneuern, zu reinigen. Mephistopheles jedoch wird nach seiner Art beschwichtigt und neu beauftragt, indem die Zeit zu ruhen und zu rasten noch nicht gekommen. Wie im Prolog, so ist er in diesem Epilog: nachdem der Himmel schließt, der lezte, der sich verabschiedet.)

Febr

5. [Berlin] E. Schubarth an G (GSA 28/830 Bl. 79): Ich sollte wohl eigentlich Anstand nehmen die Ergänzungsblätter über Faust Ew. Excellenz zuzusenden, da ich mich zum Theil in manchem anders besonnen habe. Doch ist keine Zeit mehr es von mir zu geben. 11. Sendung von . . . [Ernst] Schubarth aus Berlin. 12. Abends Schubarths Brief und Abhandlung.

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[Mai 6./ Repertorium über die Goethesche Repositur (Gräf II 2, 285)1): E i g e n P o e t i s c h e s . . . 19.] δ. Faust, zu einem Melodram angelegt 40.2) ε − Paralipomena zu Faust. ζ– Walpurgisnachts-Traum,3) (meist von meiner [d. h. Kräuters] Hand). η. − Fortsetzung Fausts (2. Theil). − Einzelne Blätter zu Faust. P a r a l i p o m e n a . a. . . . b. . . . Zu Faust . . . Mai 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller gD, S. 512) Juni 25. [Breslau] J. G. G. Büsching an G (GJb 1929, 154f.): Ew. Exzellenz haben auf eine so freundliche und gütige Art sich in der Vorrede zum ’Deutschen Gilblas’4) über Hans von Schweinichen . . . geäußert, daß ich eile, Hochdenenselben auch den zweiten Band zu überreichen.5) Hat dieser auch nicht den Reichthum an Nachrichten von dem Leben außerhalb Schlesiens, kommen nur weniger Reisen und ergötzliche Abentheuer in ihm vor, so führt er doch wieder mehr in das innere, häusliche Leben und ist nicht ganz arm an erfreulichen Nachrichten. Sobald der dritte Band fertig ist, werde ich mich beeilen, ihn in Ew. Exzellenz Hände zu senden. Aug 14. [Berlin, anonym] Zeitung der Ereignisse und Ansichten. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz. 29. Blatt v. 14. Aug 1822, 612: Hrn. Dr. Schöne’s „Faust“,6) der trefliche Scenen enthalten soll und den von Goethe weiter fördert, auch von diesem (nach der Spenerschen Zeitung) selbst tüchtig befunden ward, kommt hier nun nächstens unter die Presse. Sept 22. [Berlin] Zelter an G (MA 20.1, 718): So ohngefähr [wie einer, der besser sein eigenes Lied singen sollte] kommt mir der Herr Carl Christian Ludwig Schöne vor dessen Faust ich vom ersten bis zum letzten Worte redlich durchgelesen habe. Da er sich Deines Lobes statt Tadels zu erfreuen wünscht muß er wohl an sich glauben, weil er hier sein ganzes Talent erschöpft hat. Eigentlich verstehn wir alle Deinen Faust recht gut, wir

1

) Gräf übernahm die Angaben von Pniower 1899, 135f. über die im Mai 1822 (im Hinblick auf die Ausgabe letzter Hand erforderliche) durch G’s Sekretär Kräuter vollzogene Ordnung von G’s Papieren, die u. d. T. Repertorium über die Goethische Repositur im GSA erhalten blieb. Deren Rubrik Eigen Poetisches enthält die hier wiedergegebene Übersicht über sowohl Projektiertes als auch schon Erledigtes unter G’s Papieren zum Faust. 2 ) Betr. G’s Vorarbeiten zu der nicht zustande gekommennen Teilinszenierung als Monodram für Carl Graf Brühl; vgl. „Faust. Eine Tragödie“ 1. Mai 1815 an Graf Brühl, S. 260 u. Tgb, 17. Mai 1815: Faust Monodram. 3 ) Betr. Pniower 1899, 136 zufolge P40 und P47 (W 14, 305) überschrieben Blocksbergs-Candidaten, die für den Walpurgisnachtstraum bestimmten, aber nicht verwendeten Verse auf J. H. Voß; vgl. „Faust. Eine Tragödie“ 14. Dez 1808: Müller Unterhaltungen, S. 210. 4 ) s. „Sachse, Der deutsche Gil Blas, eingeführt von Goethe“ u. oben 1821: TuJ. Im Vorwort des 1822 erschienenen Büchleins rühmt G ein anderes, das uns einige Jahrhunderte ruckwärts ruft, als gleichfalls hoch zu schätzen; wir wenigstens bekennen gern, daß uns nie so deutlich geworden, wie es in Deuschland in der zweyten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts ausgesehen, als durch die Begebenheiten eines schlesischen Ritters, Hans v. Schweinichen, von ihm selbst aufgesetzt . . . (Als Zeitgenosse des histor. Faust war der Verf. für G interessant u. seine Lebensbeschreibung ergiebig.) 5 ) Übersendung von: Lieben, Lust und Leben der Deutschen des sechzehnten Jahrhunderts, in den Begebenheiten des Schlesischen Ritters Hans von Schweinichen, von ihm selbst aufgesetzt. Hsg. von Büsching. Bd 2. Breslau 1822. G’s Bücher-Vermehrungsliste vermerkt Eingang Dez 1822 (Tgb 8, 325); nicht mehr in G’s Bibliothek. 6 ) Carl Christian Ludwig Schöne: Fortsetzung des Faust von Göthe. Der Tragödie zweiter Theil. Berlin 1823.

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möchten wollen oder nicht sonst könnte weder Sensation noch Gefallen daran statt finden; nimmt sichs aber einer heraus zu sagen wie er dazu gekommen ist, so entsteht das dummste Zeug. Möge Faust dem Hrn. Schöne immer noch einmal erscheinen und ihm sagen: „Sieh mich doch noch einmal an, ob ich wirklich ein so dummer Esel bin als Du mich machst.“1)

Nov 12. (s. „[Byron III] Byrons Don Juan“: an G. F. Benecke gD, EGW 1, 553) Dez

⎯ Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 8, 325): Fortsetzung des Faust v. Goe-

the. Der Tragödie zweyter Theil v. Schöne. Berl. 1823 V.[om] Verfasser.2) ⎯ C. C. L. Schöne: Der Tragödie zweiter Theil. Berlin 1823, VIf.: Es muß der Deutsche sich der Sage freuen / Die Du so meisterhaft hast ausgeschmückt. / O, wolltest Du das Ende dem verleihen, / Was unbeendet schon so sehr entzückt! / O möchten Deine Jahre sich erneuen, / Und würde Dir des Grabes Ziel entrückt! / Ja, dann! − Du schwiegst, Du willst den Faust nicht enden. / So wagt’ ich’s zitternd denn ihn zu vollenden.3) 5. [Stralsund] C. C. L. Schöne an G (GSA 28/99 Bl. 323): Ew. Excellenz geruhen in dem beifolgenden Exemplar des „Faust“ meine innigste und tiefste Verehrung anzunehmen − die ich dem Meister der Deutschen Poesie schuldig bin. Manches ist in dem von Ew. Excellenz gelesenen Manuscripte vor dem Drucke noch geändert, und − wie ich hoffe − verbessert. Möchte dieser Versuch sich Ew. Excellenz Gunst erwerben, es ist das einzige Ziel wonach ich strebe. 14. An Zelter (Br 36, 234): Herr Schöne hatte mir sein Manuscript ge-

schickt,4) ich sah nur hie und da hinein; es ist wunderlich, daß ein sinniger Mensch das für Fortsetzung halten kann was nur Wiederholung ist, das Hauptunglück aber bleibt, daß sie haben in Prosa und in Versen schreiben lernen, und damit, meinen sie, wäre es gethan.

18235) ⎯

⎯ Invectiven. Nachlaß (W 5.1, 191): Herr Schöne. 1823. Dem Dummen

wird die Ilias zur Fibel; /Wie uns vor solchem Leser graus’t! / Er lies’t

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) Zu Schönes Faust-Fortsetzung vgl. oben 1821 Juli 22. u. Okt 3.: Schöne an G; Dez 3.: an Schöne; unten 1822 Dez.: Bücher-Vermehrungsliste; 14.: an Zelter. ) Carl Christian Ludwig Schöne: Fortsetzung des Faust von Göthe. Der Tragödie zweiter Theil. Berlin 1823. (Nicht in G’s Bibliothek; Henning III Nr. 484.); Rez s. unten 2. Apr 1824. − Zum Text s. auch Eibl 2000, 142−51. 3 ) s. das vorausgehende Z. 4 ) s. oben 5. Dez 1822: Schöne an G. 5 ) Zum polit. Zeitgeschehen: In Preußen, wo die Konservativen sich durchsetzen, ist das Verfassungsversprechen noch immer nicht eingelöst; im Gegensatz zu Baden, Württemberg u. Bayern hat der preuß. Staat kein Parlament. In Spanien wird die liberale Revolution auf Beschluß der ›Heiligen Allianz‹, gegen Englands Einspruch, mit Frankreichs Hilfe zugunsten der span. Monarchie niedergeworfen. − Während G in Marienbad ist, besucht ihn am 19. Aug Napoleons Bruder Louis Bonaparte mit seinem Sohn Charles Louis Napoleon, dem späteren Kaiser Napoleon III. 2

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Jan [März]

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so ohngefähr die Bibel, /Als wie Herr Schöne meinen Faust.1) Der du so nach Erfindung bangst, / Du solltest dich so sehr nicht plagen; / Wenn du eine weise Antwort verlangst, / Mußt du vernünftig fragen. 4. [Nachmittags] Leben des von Schweinichen [Bd 2] durch Büsching.2) 5. Abends für mich. Leben des Hans von Schweinichen. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: J. H. de Saur & L. de Saint-Ge´nies. Des Hommes Ce´le`bres gD, S. 512)

[März/Apr] Bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreiches Wort3) (LA I 9,

309f.): Schon einige Jahre such’ ich meine geognostischen Studien zu revidieren, besonders in der Rücksicht, in wiefern ich sie und die daraus gewonnene Überzeugung der neuen, sich überall verbreitenden Feuerlehr nur einigermaßen annähern könnte, welches mir bisher unmöglich fallen wollte. Nun aber, durch das Wort gegenständlich ward ich auf einmal aufgeklärt, indem ich deutlich vor Augen sah, daß alle Gegenstände, die ich seit funfzig Jahren betrachtet und untersucht hatte, gerade die Vorstellung und Überzeugung in mir erregen mußten, von denen ich jetzt nicht ablassen kann. Zwar vermag ich für kurze Zeit mich auf jenen Standpunkt zu versetzen, aber ich muß doch immer, wenn es mir einigermaßen behaglich werden soll, zu meiner alten Denkweise wieder zurückkehren.4) Apr 22. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 67): Abds bey Göthe . . . Interessante Revue über die philosoph. Systeme Kants, Reinholds, Fichte’s, Schellings p. Durch des leztern zweyzüngelnde Ausdrücke über religiöse Gegenstände sey grose Verwirrung entstanden und die rationelle Theologie um ein halb Jahrhundert zurückgebracht worden.5) [Ende Sept/Mitte Okt] [Weimar] Eckermann, Über Goethe (BG 14, 239f.): Im Jahre 1823. kam ich nach Weimar . . . Goethes Persönlichkeit übte auf mich eine so anziehende Gewalt aus, daß ich seinem Wunsche hier zu bleiben und an seiner literarischen Thätigkeit Theil zu nehmen, nicht widerstehen konnte. Er war damals im Begriff eine um 2 0 B ä n d e v e r m e h r t e neue Ausgabe seiner Werke herauszugeben. Vom 2ten Theile des Faust waren erst wenige Fragmente vorhanden, vom 4. Bande von Wahrheit und Dichtung nur das Schema und nur sehr wenig Ausgeführtes. Dagegen führte er mich an einen Haufen starker Convolute von allerlei Manuscripten . . . Unter allen diesen Papieren das Brauchbare vom Unbrauchbaren zu sondern, das Problematische und nicht

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) Reaktion auf Schönes Faust. Der Tragödie zweyter Theil (Berlin 1823); s. auch oben: 14. Dez 1822: an Zelter. 2 ) Für Akt I Sz. [2]: Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones (4875) übernahm G die Redewendung vorgessen Brodt aus Schweinichens Leben Bd 2, S. 34: Darauf ließen I. K. Maj. bei der Hof-Kammer 350 Thlr. auszahlen; es war aber allbereit vorgessen Brodt. . . 3 ) Verfaßt 12. März − 5. Apr 1823; s. „Bedeutende Förderniß . . .“ (EGW 1, 197). 4 ) Weiteres Z für G’s − trotz vulkanistischer Erfahrungen − persönliche Hinneigung zum ’Neptunismus’, wie sie in der KWN zum Ausdruck kommt; s. oben 1820: TuJ. 5 ) Stellungnahme zu Schellings Versuch einer philosophischen Erneuerung der ’positiven’ Religion, der die rationalistische Aufklärungstheologie zurücknimmt; die KabirenSchrift ist in diese Bewertung eingeschlossen; s. oben 27. Febr 1816: an C. G. v. Voigt. Vgl. G’s Persiflage der Kabiren in Akt II KWN 8070−222.

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ganz Vollendete mit mir zu besprechen, das entschieden Fertige abschreiben zu lassen, und alles nach inneren Bezügen nach und nach zu ordnen und zu Bänden zusammenzustellen ist eine Arbeit die eine Jahrelange Thätigkeit in Anspruch nehmen wird. − Wollte ich mich selbst damit befassen, so würde ich bei meinem hohen Alter weiter nichts thun können. Wollten Sie aber mir diese Arbeit abnehmen, so wäre ich eine große Last und Sorge los und ich könnte mich mit allen noch übrigen Kräften auf die Hervorbringung von neuen Dingen wenden, und vor allen den Faust und Wahrheit und Dichtung fertig machen.

Okt 19. [Breslau] J. G. G. Büsching an G (GJb 1929, 167): Ew. Exzellenz habe ich die Ehre, beikommend den dritten und letzten Band des Hanns von Schweinichen zu übersenden.1) Steht er auch in Hinsicht des Anziehenden und der Wichtigkeit dem ersten Bande weit nach, so sind doch viele Züge darin, welche ein lebendiges Bild der damaligen Zeit geben. 31. Herr von Schweinichen [Bd 3].2) Nov

1. [Abends] Von Schweinichen 3. Theil fortgesetzt.

Dez

5. Abends Zelter und Rehbein. Über das Lebensdiarium des Herrn von

Schweinichen gesprochen.3)

18244) Febr

2. (s. „Faust. Eine Tragödie“: C. F. Göschel an G gD, S. 354 f.) 5. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tgb gD, S. 355) [5.] (s. „Faust. Eine Tragödie“: Bücher-Vermehrungsliste gD, S. 355) 29. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 100f.):5) Darauf erzählte mir Goethe die Nachricht von dem Tode Eugen Napoleons (Herzog von Leuchtenberg), die diesen Morgen eingegangen war, welcher Fall ihn tief zu betrüben schien. „Er war einer von den großen Charakteren, sagte Goethe . . . ich kannte ihn persönlich; noch vorigen Sommer war ich mit ihm in Marienbad zusammen . . . Er teilte mir in Marienbad einen Plan mit,

1

) Lieben, Lust und Leben . . . des Schlesischen Ritters Hans von Schweinichen, von ihm selbst aufgesetzt. Hsg. von Büsching. Bd 3. Breslau 1823. − G’s Bücher-Vermehrungsliste vermerkt Eingang am 29. Okt 1823 (Tgb 8, 331); jetzt nicht mehr in G’s Bibliothek. 2 ) Für Akt I Sz. [2]: Kaiserliche Pfalz Saal des Thrones (4864) übernahm G die Redewendung Gesäufte aus Schweinichens Lebensbeschreibung Bd 3, S. 74, wo es unter der Überschrift: F. G. Ziehen aufs Kindtaufen gen der Ohlau heißt: Auf solchen Taufen ist jedermann fröhlich gewesen, habe der fürstl. Sechswöchnerin die Geschenke wegen meines Herrn sowohl wegen der Herzogin zu Wohlau beim Bette überantworten müssen und ist hernach ein groß Gesäufte gehalten worden. 3 ) Noch G’s Tgb vom 5. Juli 1827 verzeichnet ein Gespräch: Mit meinem Sohn über Herrn von Schweinichen und dessen Herrn, den Fürsten von Liegnitz. 4 ) Zur polit. Situation: Nachfolger Ludwigs XVIII. von Frankreich, der eine Verfassung mit Menschenrechten und ein Zweikammersystem eingeführt hatte, wird Karl X. (1824−1830), dessen Streben nach absoluter Herrschaft zunehmende Mißstimmung erregt. 5 ) Zu Akt V Sz. [1]: Offene Gegend (11130), Sz. [2]: Palast (11145f.), Sz. [5]: Großer Vorhof des Palasts (11539−56): Motiv der Kanalbauten; vgl. 10. Febr 1829: an N. Meyer.

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über dessen Ausführung er viel mit mir verhandelte. Er ging nämlich damit um, den Rhein mit der Donau durch einen Kanal zu vereinigen. Ein riesenhaftes Unternehmen! Wenn man die widerstrebende Lokalität bedenkt. Aber jemandem, der unter Napoleon gedient und mit ihm die Welt erschüttert hat, erscheint nichts unmöglich. Carl der Große hatte schon denselbigen Plan und ließ auch mit der Arbeit anfangen, allein das Unternehmen geriet bald in Stocken: der Sand wollte nicht Stich halten, die Erdmassen fielen von beiden Seiten immer wieder zusammen.“

März 5. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 513) Apr

2. [Leipzig, anonyme Rez.:] Fortsetzung des Faust von Göthe. Der Tragödie zweyter Theil, von C. C. L. Schöne. Berlin, in der Maurerschen Buchhandlung, 1823. In: Leipziger Literatur-Zeitung Nr. 80 v. 2. Apr 1824, 637: Der [Verf. Schöne] hat die Dreistigkeit, Göthe’s unvollendete Darstellung in eine Pastete von Spinnen und Rattenschwänzen zu verknäten, und sie mit einer wahren Bettelsuppe von schalen Reimen und platten Einfällen zu begiessen. Er jagt die Phantasie des Lesers durch dick und dünn, durch Sumpf und Morast, und versudelt das Urgemälde zu einer gemeinen Kothmalerey. Seine eigene Phantasie ist so arm, dass er aus allen bisher erschienenen Fausten zusammenstiehlt, was ihm gut dünkt, aber das Gestohlene so stümperhaft verhudelt, dass auch nicht eine Spur der ursprünglichen Farbe zurückbleibt.

19. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 513) [Mai 15.] [Dessau] F. v. Matthisson an J. C. F. Haug, 29. Mai 1824 (GG 3.1, 683f.): Zu Weimar war [am 15. Mai] mein erster Gang zu Goethe, der eben von Jena zurückgekommen war. Kräftig und mit völlig gerader Haltung trat der alte Dichterkönig mir entgegen . . . Auf die Frage: „Werden Sie nicht noch etwas für den Faust tun?“ erhielt ich die Antwort: „Das ist größtenteils schon geschehen.“ [15.] [Wörlitz] F. v. Matthisson an K. V. v. Bonstetten, 14. Juni 1824 (GJb 1903, 106): In Weimar (d. 15. May) war mein erster Gang zu Göthe . . . Unser Gespräch begann mit Dir, dann ging es über auf die verschiedenen Epochen, in welchen Göthe und ich seit 1783 einander begegnet waren. Auf meine Frage, ob er nichts weiter für den Faust thun werde, war die Antwort: „Das ist größtentheils schon geschehen.“ 23. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 513) 25. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 29. Juni 1824 −: Joh. Ludov. Gottfridi Historische Chronica, Oder Beschreibung Der Fürnehmsten Geschichten so sich von Anfang der Welt, biß auff das Jahr Christi 1619 zugetragen. Nach Außtheilung der vier Monarchien und beygefügter Jahr-Rechnung, auffs fleissigste in Ordnung gebracht, vermehret und in acht Theil abgetheilet. Mit viel schönen Contrafacturen und Geschichtsmässigen Kupffer-Stücken zur Lust und Anweisung der Historien gezieret an Tag gegeben und verlegt Durch Weiland Matthaeum Merianum Sel. Jetzo dessen Erben. Frankfurt 1674.)1) Juni 14. [Wörlitz] F. v. Matthisson an C. V. v. Bonstetten (GJb 1903, 106): In Weimar war mein erster Gang [am 15. Mai] zu Goethe . . . Auf meine Frage, ob er nichts weiter für den „Faust“ tun werde, war die Antwort: „Das ist größtentheils schon geschehen.“

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) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal (5920ff.): der maskierte Kaiser gerät in Brand. − Die Historische Chronica (1633), nach DuW Buch 1 (AA-DuW 1, 32) schon Lieblingslektüre in der Kindheit, schildert S. 655f. die Brand-Katastrophe bei einem Maskenfest am Hof Karls VI. von Frankreich im Jahr 1394, bei dem der als ’Wilder Mann’ verkleidete König durch eine ins Gesicht gehaltene Fackel in Lebensgefahr geriet u. vier Höflinge verbrannten. Ein Kupferstich auf S. 655 illustriert das Ereignis.

1824

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Juni 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Goethe’s Beitrag zum Andenken Lord Byrons. 1. Entwurf gD, S. 513) Juli

4. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 513) 16. [Breslau] J. Max an G (GSA 28/108 Bl. 175): Euer Excellenz wollen mir erlauben, den so eben fertig gewordenen 1ten Bogen, einer neuen arabischen Ausgabe von 1001 Nacht, so wie das 1te Bändchen der deutschen Uebersetzung, übersenden zu dürfen.1) Das Intereße welches Höchstdieselben der Arabischen Literatur gewidmet, läßt mich hoffen daß beide Unternehmungen für Euer Excellenz angenehme Erscheinungen sein werden . . . 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 513)

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) Zu Akt I, II u. III. − Tausend und Eine Nacht. Arabische Erzählungen. Zum erstenmal aus einer Tunesischen Handschrift ergänzt u. vollständig übersetzt von Max. Habicht, F. H. von der Hagen u. Karl Schall. Bd 1. o. O. u. J.; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1776). − G las die nach u. nach zugesendeten 15 Bde der Breslauer Ausg. von Juli 1824 bis Mai 1825; die Lektüre erwies sich als denkbar größter Glücksfall für die Weiterarbeit am Faust. Vgl. K. Mommsen 1968, 12f.: Wenn es ihm [G] möglich war, im Februar 1825 nach vieljähriger Pause die Arbeit am Zweiten Teil des ’Faust’ wiederaufzunehmen, so gab die Wiederbegegnung mit der orientalischen Märchenwelt einen entscheidenden Anstoß. Der Dichter fand dadurch den Weg zu jener Form eines ganz fessellosen Zauberspiels vorzustoßen, die er benötigte . . . Durch sie [1001 Nacht-Lektüre] wurde es ihm zunächst ermöglicht, im Frühjahr 1826 den 3. Akt zu vollenden: die Begegnung Fausts mit Helena, Werbung, Hochzeit, sämtlich in einer Atmosphäre des ,Wunderlichen, Wunderbaren, Märchenhaften‘ spielend − all das ward Goethe nun leicht zu schreiben durch vielfache Verwendung von Motiven und Wendungen aus den orientalischen Märchen . . . Dann aber gelang es dem Dichter − gleichfalls durch die 1001Nacht-Lektüre inspiriert − die Idee der Großszene zu Papier zu bringen, die das Aufsuchen Helenas, den Weg zu ihr darstellt . . . 1001 Nacht führte Goethe dazu, der Walpurgisnacht von ’Faust’ im Zweiten Teil der Tragödie ein Gegenstück an die Seite zu stellen. Anders als in ’Faust I’ sollte der Held jedoch durch diese Walpurgisnacht nicht von seiner Liebe abgelenkt, sondern gerade zu ihr hingeführt werden. Faust legt die entscheidende Strecke seines Weges zu Helena zurück, indem er eine unheimliche Zauberund Geisterwelt durchschreitet. − Mommsen 2006, 185f.: Nirgends innerhalb seines Schaffens hat Goethe einen vergleichbar ausgiebigen Gebrauch von frei spielender Phantasie gemacht wie im zweiten Teile des’Faust’. Zauberei, Magie, Illusion sind die Hebel des gesamten Geschehens . . . Das Übernatürliche beherrscht Handlung und Situation derart, daß auf theatralische Aufführbarkeit . . . keine Rücksicht mehr genommen ist. Gewiß darf man sich fragen, ob der Dichter zu der Form eines ganz fessellosen Traumspiels durchgestoßen wäre, hätte er nicht gerade zur Zeit des Beginns der Arbeit am zweiten Teil des Faust (Februar 1825) sich die gesamten Märchen von 1001 Nacht in der Breslauer Ausgabe vor Augen geführt. Es scheint, als ob diese nochmalige Begegnung als einer der vielen Glücksfälle zu betrachten ist, denen das Zustandekommen der Vollendung des ’Faust’ zu verdanken ist. − G ’s enorme Dankbarkeit gegenüber 1001 Nacht bekundete sich aufs Markanteste im Lob des Kaisers (6031−36): Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht, / Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht?/ Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden, / Versichr’ ich dich der höchsten aller Gnaden. / Sei stets bereit, wenn eure Tageswelt, / Wie’s oft geschieht, mir widerlichst mißfällt. So schließt Bd 12 der Ausg. letzter Hand C1, der außer Faust I nur Akt I von Faust II bis zu diesen Versen in Sz. [4] umfaßt, dem G nach Art der Scheherazade die Worte anschloß: (Ist fortzusetzen.).

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26. [Nachmittags] Neue Tausend und eine Nacht von Breslau.1) 28. [Nachmittags] Die Tausend und eine Nacht. 29. [Nachmittags] Tausend und eine Nacht 1. Band absolvirt.2) 30. An Knebel (Br 38, 205): In Breslau gaben sie Tausend und Eine Nacht

in neuerem beliebten Taschenformat heraus; wie sie sagen, zum erstenmal aus einer tunesischen Handschrift ergänzt und vollständig übersetzt. Wie dem auch sey, so ist der Vortrag dieser ewig anziehenden Mährchen sehr natürlich und erfreulich, wie es einer deutschen Prosa der neusten Zeit gar wohl zukommt. ⎯ Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 9, 337): Die Hölle des Dante Alighieri, übersetzt von Streckfuß. Halle 1824.3) Aug 10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 120f.): . . .4) Drittes Buch [DuW Buch 18]. Das dritte Buch, welches den Plan zu einer Fortsetzung des Faust u.s.w. enthält, ist als Episode zu betrachten . . . Ob nun dieser Plan zu Faust mitzuteilen oder zurückzuhalten sein wird, dieser Zweifel dürfte sich dann beseitigen lassen, wenn man die bereits fertigen Bruchstücke zur Prüfung vor Augen hat, und erst darüber klar ist, ob man überall die Hoffnung einer Fortsetzung des Faust aufgeben muß oder nicht.5) 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Raumer an G gD, S. 514) 20. An E. J. d’Alton (Br 38, 223):6) . . . Nun aber seh ich mit Ihren Augen,

wie ehmals die Geister durch Schwedenborgs Organe die Welt kennen lernten, und finde auf die angenehmste und gründlichste Weise meiner Unzulänglichkeit nachgeholfen. [Okt (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H19 gD, S. 514) nach 1.] [2.] [Weimar] M. Heine, Erinnerungen an H. Heine (BG 14, 493): Goethe empfing Heine mit der ihm eigenen graziösen Herablassung. Die Unterhaltung . . . bewegte sich auf sehr gewöhnlichem Boden . . . Da richtete plötzlich Goethe die Frage an Heine: „Womit beschäftigen Sie Sich jetzt?“ Rasch antwortete der junge Dichter: „Mit einem 1

) Eingang der Buchsendung vom 16. Juli 1824. − G las Bd 1 vom 26.−29. Juli 1824. ) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal u. Sz. [4] Lustgarten. − Einwirkung von Bd 1 der 1001 Nacht durch die Geschichte des Brachmanen Padmanaba und des jungen Fikaı¨ (1, 154−70); sie inspirierte G, die Kiste des Plutus in der Mummenschanz in eine Wunderquelle (I H36: 5921) umzuwandeln; näheres [Ende Dez 1827]: I H36. − Geschichte des Scheichs Schahab-eddin (1, 121−43) inspirierte das Flammengaukelspiel, mit dem die Mummenschanz Ende Dez 1827 abschloß, wie auch des Kaisers Fabulieren von seinem vermeintlichen Flammen-Herrschertum in der Sz. Lustgarten (5987ff.), der Mephistos Fabulieren von seiner Meeresherrschaft folgt; näheres in Mommsen 2006, 215−22. 3 ) Die göttliche Komödie, übers. u. erl. v. Karl Streckfuß. T. 1. Die Hölle des Dante Alighieri. Halle 1824. 2 Bl., 354 S. Mit hs. Widmung; in G’s Bibliothek. (Ruppert Nr. 1673); größtenteils unaufgeschnitten. Weitere Sendungen im Sept 1826. − 4 ) Das Vorausgehende s. in Z zu „Dichtung und Wahrheit“ gD, EGW 2, 503f. 5 ) Vgl. oben 16. Dez 1816: Tgb u. unten 15. März 1831: Eckermann. 6 ) Z zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten 11906 ff. − Hinweise u. a. von Düntzer, 1857, 780; Schnetger 1858, 220; Loeper 1870 II, 236; E. Schmidt 1902, 402; Morris 1902 I 39; Witkowski 1906, 378. Vgl. oben 1. Okt 1781: an Ch. v. Stein m. Anm. 2

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Faust.“1) Goethe, dessen zweiter Theil des Faust damals noch nicht erschienen war, stutzte ein Wenig, und fragte in spitzigem Tone: „Haben Sie weiter keine Geschäfte in Weimar, Herr Heine?“ Heine erwiderte schnell: „Mit meinem Fuße über die Schwelle Ew. Excellenz sind alle meine Geschäfte in Weimar beendet,“ und empfahl sich. ?

Okt 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Zelter gD, S. 514)

Nov 25. u. 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 514) [Dez (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H39 gD, S. 514) nach 5.] [vor 10.] [Breslau] J. Max an G (GSA 28/109 Bl. 297): Euer Excellenz bitte ich um Hochgeneigte Erlaubniß die Fortsetzung von Tausend und Eine Nacht 2 − 9 . . . übersenden zu dürfen.2)

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) Heinrich Heine unternahm 1824−1826 eine Bearbeitung der Faustsage, nicht um mit Goethe zu rivalisieren, nein, nein, jeder Mensch sollte einen Faust schreiben, wie er am 20. Juni 1824 zu seinem Freund Eduard Wedekind sagte. Vgl. Gespräche mit Heine, ges. u. hsg. von H. H. Houben. Potsdam 1948. Nr. 89; ebd. Nr. 90 v. 16. Juli 1824: Heines Faust wird genau das Gegenteil vom Goetheschen werden. Bei Goethe handelt Faust immer; er ist es, welcher dem Mephistopheles befiehlt, dies und das zu tun. Bei Heine aber soll Mephistopheles das handelnde Prinzip sein, er soll den Faust zu allen Teufeleien verführen. Bei Goethe ist der Teufel ein negatives Prinzip; bei Heine soll er positiv werden. − Heines Faust soll ein Göttinger Professor sein, der sich in seiner Gelehrsamkeit ennuyiert. Da kommt der Teufel zu ihm und belegt ein Kolleg, erzählt ihm, wie es in der Welt aussieht, und macht den Professor kirre, so daß dieser nun anfängt liederlich zu werden . . . Auf den Sternen haben die Engel inzwischen Teegesellschaften, zu denen sich Mephistopheles auch einfindet, und dort beratschlagen sie über den Faust. Gott soll ganz aus dem Spiele bleiben. Der Teufel schließt mit den guten Engeln eine Wette über Faust. Die guten Engel liebt Mephistopheles sehr, und diese Liebe, besonders zum Engel Gabriel, denkt Heine so zu schildern, daß sie ein Mittelding zwischen der Liebe unter Freunden und der Liebe der Geschlechter wird, die bei den Engeln nicht sind. Diese Teegesellschaften sollen sich durch das ganze Stück ziehen. − Über das Ende ist sich Heine noch nicht gewiß. . .) − Heines Mss. gingen vermutl. bei einem Brand im Hause seiner Mutter verloren. Die im Febr 1847 entstandene zweite Bearbeitung, ein Ballett, hat mit der ersten wohl kaum mehr viel gemein: Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem, nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst (1851); s. die Edition hsg. von Joseph A. Kruse. Stuttgart 1991. 2 ) Zu Akt I u. III. − G las Bde 2−9 vom 10.−21. Dez 1824. Nachweislich wirkten auf Mummenschanz−Szenen in Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal (5471−93): 1) Geschichte des zweiten Kalenders und Königssohns (Bd 2, 67−929), die G die Idee des spukhaften Verwandlungskampfes der Zoilo-Thersites-Episode eingab; s. [nach 22. Dez 1827]: I H19. − 2) Geschichte der Liebe des Prinzen Kamaralsaman von der Insel Chaledan und der Prinzessin Badur von China (Bd 5, 4−60) u. Geschichte des Prinzen Seyn Alasman und des Königs der Geister (Bd 6, 182−216) mit Motiven im Boden vergrabener, durch begabten Mann’s Natur- und Geisteskraft (4896) zu hebender Schätze, die für die Beurteilung des Kaisers in Akt I Sz. [2] Saal des Thrones zentral sind; s. [Anf. Aug 1827]: H P101. − 3) Geschichte des Königs Beder von Persien und der Prinzessin Giauhare des Königreichs von Samandal (Bd 6, 52ff.) fabuliert von einem Fürsten, der mit Meeresprinzessinnen in Unterwasserpalästen lebt, was Mephistos Ausmalung der imaginären Meeresherrschaft des Kaisers in Akt I Sz. [4] Lustgarten (6006−27) inspirierte; s. 29. Juli 1824: Tgb. − 4) Geschichte des blinden Baba Abdallah (Bd 8, 205−228), anregend zu einzelnen Schatzheber-Motiven.

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Dez 10. Später Tausend und eine Nacht, von Breslau übersendet, zweyter Band. 11. [Nachmittags] Tausend und eine Nacht, zweyter Theil. 12. Nach Tische Tausend und eine Nacht. Überlegung des ästhetischen und

sonstigen Werths derselben.1) 13. [Abends] Tausend und eine Nacht fortgelesen. 15. [Abends] Später Tausend und eine Nacht. 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 515) 17. [Nachmittags] Tausend und eine Nacht fortgelesen. 17. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 127f.): Ich traf ihn bei der Lecture der neuen Übersetzung von Tausend und einer Nacht von Büsching [Habicht], Hagen und Schall [Breslau 1824], die er sehr lobte und, da sie aus dem [arabischen] Urtext, der französischen [des Antoine Galland] vorziehen zu dürfen glaubte. „Diese Mährchen, sagte er, müssen mir über die trüben Tage weghelfen; es ist doch als ob das Bewußtseyn, in wenig Tagen der Sonne wieder näher zu kommen, mich schon jetzt erwärmte.“ . . . Eckermann trat ein, das Gespräch kam auf Byrons Conversations . . . „Ich lese sie nun zum zweytenmale, ich möchte sie nicht missen und doch . . . Wie viel zu gedultig läßt er sich Plagiate vorwerfen, scharmuzirt nur zu seiner Vertheidigung, statt mit scharfem Geschütz die Gegner niederzudonnern. Gehört nicht alles, was die Vor- und MitWelt geleistet, Ihm de jure an? Warum soll er sich scheuen, Blumen zu nehmen, wo er sie findet? Nur durch Aneignung fremder Schätze entsteht ein Großes. . .2) 18. [Abends, Lektüre] Tausend und eine Nacht. 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an J. Max gD, S. 515) 19. Abends für mich . . . Tausend und eine Nacht. 20. Abends allein . . . Tausend und eine Nacht. 21. [Abends] Für mich . . . später Tausend und eine Nacht.

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) Im Hinblick auf Faust II aufschlußreiche Stichworte: Tausend und eine Nacht. Breslau . . . Vortrefflichkeit und Schein. Der Wissende wie der Unwissende ergötzt sich daran (aus einem Schema zu KA V 2, 8; AA-SL 3, 324) Wohl Ende Dez 1825 od. Mai 1825 entstandene Notizen: Tausend und eine Nacht Der Stoff real, durchaus gegenwart[i]g, durch unübersehbaren Reichthum oft lastend nie lästig. Die imaginative Behandlung den Geist befreyend, obgleich immer in einem gewissen Kreis herumführend. Der Anhauch von Sentimentalität in den Gedichten ist sammelnd, aufs eigene Gefühl unwiderstehlich zurückführend. In diesem Sinne möchte wohl schwerlich ein bedeutenderes Werck aufzufinden seyn. (AA-SL 1, 94). 2 ) Den auf Faust bzgl. Schluß s. in „Faust. Eine Tragödie“ gD, S. 361. Auf das Recht des Dichters, Blumen zu nehmen, wo er sie findet, pocht G bemerkenswerterweise in einem von 1001 Nacht ausgehenden Gespräch zu einem Zeitpunkt, als er sich für Faust II Akt I, II u. III erstaunlich vieles aus 1001 Nacht anzueignen begann, mit bestem Gewissen, wie sein Ausspruch bekundet: Nur durch Aneigung fremder Schätze entsteht ein Großes.

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18251) [Febr Versuch einer Witterungslehre (LA I 11, 263−65): Bändigen und EntMitte] lassen der Elemente2) . . . Es ist offenbar daß das was wir Elemente

nennen, seinen eigenen wilden wüsten Gang zu nehmen immerhin den Trieb hat. Insofern sich nun der Mensch den Besitz der Erde ergriffen und ihn zu erhalten Pflicht hat, muß er sich zum Widerstand bereiten und wachsam erhalten. Aber einzelne Vorsichtsmaßregeln sind keineswegs so wirksam als wenn man dem Regellosen das Gesetz entgegen zu stellen vermöchte, und hier hat uns die Natur aufs herrlichste vorgearbeitet und zwar indem sie ein gestaltetes Leben dem Gestaltlosen entgegen setzt. Die Elemente daher sind als kolossale Gegner zu betrachten, mit denen wir ewig zu kämpfen haben, und sie nur durch die höchste Kraft des Geistes, durch Mut und List, im einzelnen Fall bewältigen. Die Elemente sind die Willkür selbst zu nennen; die Erde möchte sich des Wassers immerfort bemächtigen und es zur Solideszenz zwingen; als Erde, Fels oder Eis, in ihren Umfang nötigen. Eben so unruhig möchte das Wasser die Erde die es ungern verließ, wieder in seinen Abgrund reißen, die Luft die uns freundlich umhüllen und beleben sollte rast auf einmal als Sturm daher uns niederzuschmettern und zu ersticken; das Feuer ergreift unaufhaltsam was von Brennbarem, Schmelzbarem zu erreichen ist. Diese Betrachtungen schlagen uns nieder indem wir solche so oft bei großem unersetzlichen Unheil anzustellen haben. Herz und Geist erhebend ist dagegen wenn man zu schauen kommt was der Mensch dagegen getan hat, sich zu waffnen, zu wehren, ja seinen Feind als Sklaven zu benutzen. Das Höchste jedoch was in solchen Fällen dem Gedanken gelingt ist gewahr zu werden was die Natur in sich selbst als Gesetz und Regel trägt, jenem ungezügelten gesetzlosen Wesen zu imponieren . . . Hiebei deuten wir noch auf einen 1

) Zur polit. Situation: Tapfere Verteidigung von Missolunghi durch die Griechen, denen England, Rußland u. Frankreich aus unterschiedlichen politischen Gründen beitreten. 2 ) Zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10198ff.): Fausts Entschluß zur Bändigung der Elemente. − K. Lohmeyer hielt den Abschnitt Bändigen und Entlassen der Elemente des postum veröffentlichten Versuchs einer Witterungslehre für ausgelöst durch die verheerende Nordsee-Springflut vom Febr 1825. G habe, von der Katastrophe tief betroffen, in seiner meteorologischen Abhandlung schreiben müssen, daß der Mensch die Elemente in ihrem wilden wüsten Gang bändigen u. sich im einzelnen Fall dienstbar machen müsse. Damit sei Fausts neue Lebensaufgabe ausgesprochen, die dieser sich zu Beginn von Akt IV stellt u. in Akt V ausführt. Die Flutkatastrophe sei G’s Beweggrund gewesen, Faust am Ende gegen das Meer ankämpfen zu lassen, u. zugleich die Veranlassung, seine Arbeit am Faust wieder aufzunehmen: So hatte Goethe, wie man annehmen darf, in den Wochen nach der Nordseekatastrophe die Möglichkeit eines Schlusses der Fausttragödie gefunden . . . dazu trieb ihn nun ein unwiderstehlicher Drang es poetisch darzustellen. (GJb 1927, 126).

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bedeutenden bedenklichen Punkt: wenn nämlich das Barometer lange tief gestanden hat und die Elemente des Gehorsams ganz entwöhnt sind, so kehren sie nicht alsobald bei erhöhter Barometerbewegung in ihre Grenzen zurück, sie verfolgen vielmehr noch einige Zeit das vorige Gleis und erst nach und nach, wenn der obere Himmel schon längst zu ruhiger Entschiedenheit gekommen, gibt sich das in den untern Räumen Aufgeregte in das erwünschte Gleichgewicht. Leider werden wir auch von dieser letzten Periode zunächst betroffen und haben besonders als Meeranwohner und Schiffahrende großen Schaden davon. Der Schluß des Jahres 1824, der Anfang des gegenwärtigen gibt davon die traurigste Kunde; West und Südwest erregen, begleiten die traurigsten Meeres- und Küstenereignisse. [Febr (V H27 zu Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11710f. u. 11713−15)1) nach 17.] Febr 24. Abends . . . Sodann Professor Hinrichs zu Halle Commentar über

Faust2). . . Nächste Fortsetzung des vierten Bandes [DuW] bedacht. 25. Vorarbeiten am vierten Theil [DuW] durch ausführlichere Schemata . . . [Nachmittags] Herr Canzler von Müller . . . Die Überschwemmungsunfälle und metereologische Betrachtungen bey dieser Gelegenheit3) . . .

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) V H27 flüchtige Niederschrift, datierbar durch Bl. zum Versuch einer Witterungslehre (Landeck 158): 4 Zeilen Entwurf für 11710−15 Mephisto (zu den Satanen): Was duckt ihr euch, was duckt ihr euch hinweg / So haltet Stand und laßt sie streuen / Auch mir verdrieslich sind die Blümeleyen / Vor Eurem Hauch sogleich verschrumpfen sie. 2 ) Aesthetische Vorlesungen über Göthe’s Faust: als Beitrag zur Anerkennung wissenschaftl. Kunstbeurtheilung hg. v. Dr. H. F. W. Hinrichs, ord. Prof. der Philosophie an der Universität zu Halle. Halle 1825; s. hierzu s. „Faust. Eine Tragödie“ gD; S. 363. 3 ) 1825 G’s Entschluß zur Wiederaufnahme der Arbeit an Faust II, hing K. Lohmeyer GJb 1927, 120 zufolge, auch mit meteorologischen Betrachtungen − Wolkenformen! − u. katastrophalen Überschwemmungen zusammen. Vgl. Fausts Entschluß zur Bändigung des Meeres: Hier möcht’ ich kämpfen, dies möcht’ ich besiegen in Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10221) u. Auseinandersetzung mit dem Meer in Akt V Sz. [1] Offene Gegend: Eine der schlimmsten Katastrophen . . . brach über die Nordseeländer im Februar 1825 herein. Schon in den letzten Monaten des Jahres 1824 waren von überall her elementare Unglücksfälle gemeldet worden, große Überschwemmungen des Rheines, eine Sturmflut in Petersburg, mit Deichbrüchen verbundene Stürme im Nordseegebiet. Aber das alles war nur ein Vorspiel . . . [In der Nacht vom 3.−4. Febr] entstand bei heftigem Nordweststurme eine ungeheure Vollmondsspringflut. Das Wasser stieg mit nie beobachteter Schnelligkeit, es folgte ein plötzliches Sinken, dann ein um so schnelleres Emporwogen . . . Die Flutwelle, von starken Gewittererscheinungen begleitet, erhob sich zu riesiger Höhe, noch bei Hamburg betrug sie fast 7 Meter über dem Normalen; sie überströmte die Länder an der Nordsee bis tief in die Flüsse hinein mit solcher Gewalt, daß alles Menschenwerk an Deichen, Schleusen und Dämmen unfähig war, sie aufzuhalten. Überall, vom heutigen Belgien bis nach Jütland hinauf, wurden die Marschen auf 151 Quadratmeilen Fläche von salzigem Wasser überströmt; das Trinkwasser wurde verdorben, die Wohnstätten weggespült oder unbewohnbar gemacht. In wenigen Stunden ertranken 800 Menschen, die meist im Schlaf von der Flut überrascht waren.

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[Abends] Für mich Betrachtungen über das Jahr 1775, besonders Faust.1) Febr 26. An Faust einiges gedacht und geschrieben.2) [26.] (V H17 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts mit 11593−95)3) [ab 26.]

(V H6 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht mit 11402−05, 11410f. u. 11420−23)4) (V H8 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht mit 11407−19)5) (V H7 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht mit 11400−23)6)

[26./März 4.] (V H9 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht mit 11424−36)7) Febr 27. [Nachmittags] Betrachtungen über Faust. Die ältern Nacharbeitungen

vorgenommen.8) Einiges zurechte gestellt. 1

) Im Kontext der geplanten Faust II-Inhaltsangabe für DuW Buch 18, die dann unterblieb. 2 ) G’s Wiederaufnahme der Faust-Arbeit begann Ende Febr/Mitte/Ende März mit Akt V. 3 ) V H17, erste datierbare Hs. nach Wiederaufnahme der Arbeit (Landeck 137): Durch das Briefkonzept läßt sich H17 Vs datieren. Der Brief an Beust am Morgen des 27. Februar 25 mundiert . . . Aus der Anlage des Blattes ersichtlich, daß Goethe den Faustentwurf vorher notiert hatte. Vom Tagebuch her läßt sich die Abfassung eindeutig auf den Vortag festlegen. − Vs mit 3 Versentwürfen galt Fausts Tod: Die Uhr sie steht sie schlagt nicht / Mitternacht / Der Zeiger fallt es ist vorbey / Es ist vorbey / Vorbey. − Daß die Uhr im Augenblick von Fausts Tod stehen bleibt, findet die wahrscheinlichste Erklärung darin, daß Goethe an eine antike Wasseruhr (Clepsydrae) denkt, wie Vitruv sie in De Architectura IX, S. 8, 4−7 beschreibt; vgl. Beatrice u. Saul Bastomsky: Eine Deutung der Verse 1705 u. 11593f. in Goethes Faust. In: JbWGV 1970, 58ff.). − G besaß seit 1786 L’architettura di M. Vitruvio Pollione colla trad. italiana e comento del Marchese Berario Galini. Napoli 1758 (Ruppert Nr. 1461) u. studierte das Werk gründlich. 4 ) V H6 (Datierung Landeck 116−18) 13 Zeilen Entwürfe zu Fausts Begegnung mit der Sorge (11402): Es klang so hohl, so geisterhaft gedämpft / Noch hab ich mich in’s freye nicht gekämpft / Ich mühe mich was magisch zu entfernen / Die Zaubersprüche gänzlich zu verlernen. / Doch ist die Welt von solchem Spuk so voll / Und Niemand weis wie er ihn meiden soll. / Ist jemand hier? S[orge]. Die Frage fordert ja! F[aust]. Und Du! Wer bist du? S. Nun einmal bin ich da. F. Entferne dich! S. Ich bin am rechten Ort. F.: erzürnt, sich fassend: / Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort. 5 ) V H8 (Bohnenkamp 769): Überarbeiteter Bleistiftentwurf. Hertz 1932, 256 datiert tentativ: 19. Febr/4. März 1825, Landeck 121: anknüpfend an die Niederschrift von V H6 kurz nach 26. Febr 1825. − Zu H8 s. auch Bohnenkamp 773 u. FA I 7.2, 1057. 6 ) V H7 (Datierung Landeck 118f.) eine zusammenfassende Reinschrift von Vorstufen in V H6 u. V H8; bis auf ein Komma in 11421 blieb Fausts Gespräch mit der Sorge so bestehen. 7 ) V H9 (Datierung Landeck 121) Selbstdarstellung der Sorge (11424−32): Würde mich kein Ohr vernehmen, / Müßt’ es doch im Herzen dröhnen; / In verwandelter Gestalt / Üb’ ich grimmige Gewalt. / Auf den Pfaden, auf der Welle, / Ewig ängstlicher Geselle, / Stets gefunden, nie gesucht, / So geschmeichelt wie verflucht − Hast du die Sorge nie gekannt? u. Fausts Entgegnung (11433−36): Ich bin nur durch die Welt gerannt; / Ein jed’ Gelüst ergriff ich bey den Haaren, / Was nicht genügte, lies ich fahren, / Was mir entwischte, lies ich ziehen. 8 ) Nach Hertz 1932, 250 die Paralipomen zu Faust II aus der Schiller-Zeit; s. unten [Frühj.?] 1825: P93, P94 u. P95.

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[Febr (V H24 zu Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11656−58ff., 11676−84, 11753−55 u. P205 27.?] mit 11772)1) 28. Einiges zu Faust. [28.?] (V H32 zu Akt V Sz. Sz. [6] Grablegung mit 11753−78, 11783−800, 11809−16, 11825, 11827−31)2)

1

) V H24 (Landeck 151−53, Bohnenkamp 764f.) Egh 6 unzusammenhängende flüchtige Entwürfe zum Konflikt zw. Chor der Engel u. Mephisto. Die Vs skizziert Verse zum Gesang der Himmlischen Heerschar (11676−84): Folget Gesandte Himmels verwandte Gemachlichen Flugs Sundern vergeben Staub zu beleben Allen Naturen Freundliche Spuren Weichet zur Seite Des weilenden Zugs. Das auf 11684 folgende kaum lesbare P205 vermutl. Mephistos 1. Antwort darauf (11772): Du [kommst]mir eben recht Lang[weilig] . . . weich Geschlecht. Neuer Ansatz, Mephisto schlägt sich mit den vom Chor der Engel gestreuten Rosen herum (11753−55): Es brennt der Kopf das Herz die Leber brennt Das ist ein Teufels Element Weit spitziger als höllisch Feuer. Rs Entwürfe von Mephistos Rede mit den Dickteufeln (11656−58ff.): Du wanstig[er] Schuft mit de[inen] Feu[er]back[en] Du siehst so recht vom Höllenschw[efel] satt Den hagern tristen krummgezognen Nacken Nun hauch mir glühend Blum u Blatt Matt Seht wie sie schrumpfen. − Landeck 152 datiert: bis 27. Febr. − Schillemeit 1996, 365 argumentiert, die Faust-Verse auf V H24 (Rs, linke Hälfte) seien nicht vor, sondern nach dem Briefentwurf vom 26. Febr 1825 auf der anderen Seitenhälfte entstanden, u. a. weil es sonst unsinnig wäre, daß G sie auf die auf der linken Seitenhälfte schon stehende Zeichnung schrieb. − Zu H24 s. auch Bohnenkamp 765f. u. FA I 7.2, 1054f. 2 ) V H32 (Landeck 169−71): tentative Datierung anschließend an Schillemeit 1996, 365, da V H32 mit 11753−55 in entwickelterer Form später als V H24 entstanden sein muß. Die Vs enthält einen großen Monolog des Mephisto: Mir brennt der Kopf, das Herz die Leber brennt, / Ein überteuflisch Element!/ Weit spitziger als Höllenfeuer. / Drum jammert ihr so ungeheuer / Unglückliche Verliebte! / die verschmäht / Verdrehten Halses nach der Liebsten späht / Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?/ Bin ich mit ihr doch in geschwornem Streite? /Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf / Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen / Ich mag sie gern sehn die hübschen Jungen; / Was halt mich ab daß ich nicht fluchen darf? / Und wenn ich mich bethören lasse / Wer heist denn künftighin der Thor? / Die Wetterbuben die ich hasse / Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor / Ihr schönen Kinder laßt mich wissen: / Seyd ihr nicht Lucifers Geschlecht? /Ihr seyd so hübsch, führwahr ich möcht euch küssen. / Mir ist als kämt ihr eben recht. / Es ist mir so behaglich so natürlich / Als hatt ich euch schon tausendmal gesehen / So heimlich kätzchenhaft begierlich / Mit jedem Blick aufs neue schöner schön. [Rs:] O! nähert euch! O gonnt mir einen Blick Chor Wir kommen schon, warum weichst du zurück Meph Welch ein verfluchtes Abentheuer / Ist dieß das Liebeselement? Der ganze Körper steh in Feuer / Ich fühle kaum daß es im Nacken brennt. / Ihr schwanket hin und her, so senckt euch nieder, / Ein bischen weltlicher bewegt die Glieder, / Fürwahr der Ernst steht euch recht schön. / Doch möcht ich euch nur einmal lächeln sehn. / Das wäre mir ein ewiges Entzücken. / Ich meyne so wie wenn Verliebte blicken, / Ein kleiner Zug am Mund so ists gethan. / Dich langer Bursche dich mag ich am liebsten leiden, /Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden, / So seh mich doch ein wenig lüstern an! / Auch könntet ihr anständig nackter gehen. / Das lange Falten Hemd ist übersittlich − Sie wenden sich − Von Hinten anzusehen! / Die Racker sind doch gar zu appetitlich. Er triumphiert wenn er sich ganz durchschaut / Wenn er auf sich und sich und seinen Stamm vertraut /: in sich gefaßt: / Wie wird mir! Hiobsartig! Beul’ an Beule / Der ganze Kerl, dem’s vor sich dem Kerle graut! / Gerettet sind die edlen Theufelstheile, / Der Liebesspuck er wirft sich auf die Haut. / Schon ausge-

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[Febr (V H231) mit P199,2) P200,3) P201 mit 11422f.,4) P202 mit 11713−15,5) P206 mit Ende?] 11612−146) u. P2077) zu Akt V Sz. [6] Grablegung (11638f.8), 11735−42, ohne 11741,9) 11779−8210)), Sz. [4] Mitternacht11) u. Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts12)) brannt sind die verruchten Flammen, / Und wie es sich gehört fluch ich euch allzusammen. : sich umkehrend: Doch wie? Wo sind sie hingezogen? / Schon mit der Beute himmelwärts entflogen / Drum haben sie um dieses Grab genascht. / Mir ist ein großer Schatz entwendet, / Die Seele die sich mir verpfändet / Die haben sie mir pfiffig weggepascht / Die haben sie mir heimlich weggepascht / Die feinen . . . . . . (2 verlöschte Worte) Da ziehen sie so sittsam auf und ab / Und endlich ist der Teufel selbst betrogen. V H32 diente als Vorlage für das Mundum V H2, das Hertz 1932, 248 u. 265 u. Landeck auf Frühj. 1826 datieren, während Bohnenkamp 786 annimmt, es sei schon zwischen 13. u. 16. März 1825 entstanden. 1 ) V H23 mit P199−202, P206, P207 (Bohnenkamp 758f.; Landeck 149f. ) Das Bl. enthält Entwürfe zu Mephistos Kampf mit den Engeln (11638f., 11735−42, ohne 11741, 11779−82). Landeck 150 bezog die Mischung von Entwurfs- u. Sammelbl. mit einzelnen vielleicht noch aus alten Papieren stammenden Textsplittern nur auf Sz. [6] Grablegung u. schlug als Datierung Anf. Febr 1825 vor, während Bohnenkamp 760 darauf hinwies, daß die Arbeit an Faust II erst Ende Febr einsetzte; sie schlug tentativ Ende Febr 1825 vor, da das Bl. keine äußeren Datierungsanhalte biete. Zur Reihenfolge der Hss. argumentiert Schillemeit 1996, 365, daß V H23 als Ergänzung zu V H32 mit den Versen für Sz. [6] Grablegung 11779−82 also später entstand: Wir nähern uns, und wenn du kannst so bleib. Meph. Ihr scheltet uns Verdammte Geister; / Ihr seyd die wahren Hexenmeister / Denn ihr verführ[et] Mann u. Weib. − Zu V H23 s. auch Bohnenkamp 760f. u. FA I 7.2, 1055f. 2 ) P199 (Bohnenkamp 758): Willst du zu deinem Zweck gelange[n], Mußt dir nicht selbst im Wege stehn, / Die Griechen wußten wir zu fangen / Wir machten uns auf eine Weile schön – Zu Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts? Spätestens seit Stiller 1891, 34 werden die Verse Mephistopheles zugesprochen. Morris GJb 1902, 175 wies hin auf Zsh. mit dem Orthodox im Walpurgisnachtstraum von Faust I (4271−74): Keine Klauen, keinen Schwanz! / Doch bleibt es außer Zweifel: /So wie die Götter Griechenlands, / So ist auch er ein Teufel, wie auch auf die zusätzliche Szene Zwey Teufelchen und Amor Zeile 108−10 (Bohnenkamp 253): Er ist ohn’ allen Zweifel. / Wie alle Götter Griechenlands / Auch ein verkappter Teufel. Morris GJb 1902, 175 erläutert: Nach der Anschauung der alten Kirchenväter u. der neuen Orthodoxen seien die Griechen um ihr Seelenheil betrogen worden durch Teufel, die sich ‘für eine Weile schön’ machten u. ihnen als Götter erschienen. Mephistos Einfall sei nun, es mit den Engeln ebenso zu machen, d. h. sie zur Sinnlichkeit zu reizen u. dadurch ihren heiligen Frieden zu stören, womit ihre feurigen Rosen wirkungslos würden u. Fausts Seele Mephisto zufiele, in der Tat der listigste von seinen Streichen. − Ähnlich Witkowski, DVJs 43 (1969) 447. − Das von Morris verwendete Zitat findet sich in P204: Mir grillts im Kopf / kan ich erreich[en] / Der listigste von mein[en] Streich[en]; von Bohnenkamp (515 u. 517), bezogen auf Mephistos Plan, als Phorkyas aufzutreten (Akt II Sz. [6] KWN [7973ff.]), so auch FA I 7.2, 1014: um so die Helena dem Faust zuzutreiben. − MA 18.1, 1107 bezieht P199 auf Akt V Sz. [2] Palast: 11273−81 − Zu P199 s. auch Bohnenkamp 760 u. FA I 7.2, 1055. 3 ) P200 zu Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts? (Bohnenkamp 758) Mephisto mit Bezug auf Faust: Wir sind noch keineswegs geschieden / Der Narr wird noch zuletzt zufrieden / Da läuft er willig mir in’s Garn − später Anklang an den 1816 in P63 Zeile 159f. angedeuteten Plan: Faust . . . entläßt den Mephistopheles, von dem sich auch noch Spuren in einzelnen Hss. von 1825 finden; MA 18.1, 1117 ordnet P200 Sz. [4] zu. − Zu P200 s. auch Bohnenkamp 760 u. FA I 7.2, 1055. 4 ) P201 Entwurf zum Dialog mit der Sorge in Sz. [4] Mitternacht (Bohnenkamp 758) Vs

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[Febr Ende/März Ende] (V H2 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht mit 11384−506 (ohne 11400f.); Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts 11511−603, ohne11551−54, 11559−80, 11585f., 11591f. u. Sz. [6] Grablegung 11604−831 u. P97 [Abkündigung], P98 [Schluß], P203)1) Zeile 11−14: Muß befehlen S.[orge] Das hilft dir nichts du wirst uns doch nicht los / Grad im Befehlen wird die Sorge gros. Vgl. 11422f.: F a u s t . Entferne dich! S o r g e . Ich bin am rechten Ort. − Zu P201 s. auch Bohnenkamp 760 u. FA I 7.2, 1055f. 5 ) P202 (Bohnenkamp 758) Vs Zeile 15f.: Gethan geschehn sogleich/Verdumpft verschrumpft u wie die Leiche bleich – Entwurf zu Sz. [6] Grablegung im Kontext von Mephistopheles (zu den Satanen) 11713−15: Sie [die Rosen streuenden Engel] denken wohl, mit solchen Blümeleien / Die heißen Teufel einzuschneien; Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch. / Nun pustet, Püstriche! − Genug, genug! / Vor eurem Brodem bleicht der ganze Flug. − Zu P202 s. auch Bohnenkamp 761 u. FA I 7.2, 1056. 6 ) P206 (Bohnenkamp 759) Rs Zeile 22f.: Es war genau in unserm Packt bestimmt / Ich will doch sehn wer mir den nimmt. Entwurf zu Sz. [6] Grablegung im Kontext von Mephistos Kampf mit den Engeln um Fausts Seele; vgl. 11612ff. − Zu P206 s. auch Bohnenkamp 761 u. FA I 7.2, 1056. 7 ) P207 (Bohnenkamp 759) Rs Zeile 24f.: Zart schwebend aufnehmend Das unterst zu oberst kehrend – wohl auch Entwurf zu Sz. [6] Grablegung im Kontext des Kampfs um Fausts Seele. − Zu P207 s. auch Bohnenkamp 761 u. FA I 7.2, 1056. 8 ) V H23 (Bohnenkamp 758) Vs Var zu 11638f. Sz. [6] Grablegung Mephistos Anrede der Teufel: Ihr von altem Teufels-Schrot u. Korne Ihr bringt sogleich den Hollenrachen mit, nur leicht verändert im engültigen Text. 9 ) V H23 (Bohnenkamp 759) Rs Var zu 11735f. Sz. [6] Grablegung im Kontext des Kampfs um Fausts Seele: O ewige Schande solchen Tropfen Satane stehen auf den Kopfen. 10 ) V H23 (Bohnenkamp 759) Var zu 11779−82 Sz. [6] Grablegung im Kontext des Kampfs um Fausts Seele: Wir nähern uns, und wenn du kannst so bleib. Meph. Ihr scheltet uns Verdammte Geister Ihr seyd die wahren Hexenmeister, Denn ihr verführ[et] Mann u. Weib. 11 ) s. oben Anm. zu P201 für Fausts Dialog mit der Sorge in Sz. [4] Mitternacht. 12 ) s. oben Anm. zu P199 für Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts; MA 18.1, 1107 zu Sz. [2] Palast 11273−81. 1 ) V H2 (Landeck 60−75; Bohnenkamp 781−85) Die zw. Ende Febr u. Ende März 1825 datierbare Reinschrift von G u. John faßt Ergebnisse des Frühjahrs zusammen: die Sz. [4−6] Mitternacht, Großer Vorhof des Palasts u. Grablegung, fast endgültig formuliert, u. einen Schluß des Ganzen. In der Sz. Mitternacht, deren Szenar noch Palast, Raum davor, Meeresufer zur Seite, Nacht lautet, fehlen nur 11400f. u. 11507−10. − Die Sz. Großer Vorhof des Palasts − hier noch mit Szenar Vor dem Pallast ohne 11551−54, 11559−79, 11585f. u. 11591f. − doch der endgültigen Fassung nahe. Noch deutlich abweichend auf Bl. 6 Vs nach Mephistos Einspruch, es sei von keinem Graben doch vom Grab die Rede, Fausts letzte Worte vor seinem Tod, in V H2 nur 9 Verse umfassend; nachträglich eingefügt der besonders bedeutungsvolle Vers Auf wahrhaft [John über der Zeile] eignem Grund und Boden stehn (Zeile 5 = 11580). In der um 28 Verse erweiterten definitiven Fassung sind die letzten Worte Fausts noch gewichtiger; doch haben sie schon in V H2 dadurch einen Sonderstatus, daß G sie, wie auch die vorangehenden 11539−50 u. 11555f. auf dem an sich von John geschriebenen V H2 egh auf die weitgehend freigelassene Vs von Bl. 6 schrieb. − Grablegung bietet, außer dem Schluß, den definitiven Text; mit Engelchor endend (P203): Liebe, die gnädige, Hegende thätige, Gnade, die liebende Schonung verübende Schweben uns vor. Fielen der Bande Irdischer Flor, Wolkengewande Tragt ihn empor. Dieser Chor mit Szenar Engel: indessen entschwebend auf V H31, ursprüngl. zu V H2 gehörend, stand noch vor Mephistos v. 11825−31 anstelle des Engelchors (11817−24), der damit das letzte Wort

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[nach (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H38 gD, S. 516) Febr 28.] [März] (V H28 zu Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11710−16)1) ⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H8 u. H12 gD, S. 516) [Anf.] (V H26 zu Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11699−709 u. 11735−44)2) 2. Einiges an Faust geordnet . . . [Abends] Für mich einiges an Faust. 3. Einiges an Faust . . . Abends Faust. 4. Einiges an Faust. 5. An Faust geschrieben. [vor 6.] (V H30 zu Akt V Sz. [6] Grablegung, Entwürfe zum 2., 3., 4. u. 5. Chor der Engel: 11726−34, 11745−52, 11801−08 u. 11817−24)3)

6. Einiges an Faust . . .4) 6. (V Hm zu Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11745−52, Geschenkblatt signiert: Weimar d. 6. März 1825. J W v Goethe)5)

behielt. Durch die Bergschluchten-Szene wurde der Chor entbehrlich. In der definitiven Fassung endet die Sz. mit den neu hinzugekommenen Mephisto-Versen 11832−43. − Am abweichendsten von der definitiven Fassung ist V H2 bei Fausts Ende: Der Grablegung-Sz. sind als Rahmendichtungen Abschied u. Abkündigung angefügt; s. oben [1797 Mitte/1798 Mitte]: H P97 u. H P98. Die Übernahme der Gedichte verdeutlicht den Einfluß der alten Pläne von 1800, als G 1825 erneut die Arbeit aufnahm. Ein Gericht im Himmel gibt es in V H2 nicht; Akt V ist weitgehend so, wie G ihn sich 1825 vorstellte. Aber daß er den Abschluß noch nicht für erreicht hielt, zeigt u. a. die Paginierung, die den Buchstaben a bzw. die Zahl 1 ausließ. Auch drei Entwurfszeilen zu einem weiteren Engelchor nach P203 auf Bl. 12 Rs zeigen, dass der Schluß G noch nicht befriedigte. − Zu H2 s. auch Bohnenkamp 785−87 u. FA I 7.2, 1057−59. 1 ) V H28 (Bohnenkamp 774) egh Entwürfe mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 775, Vorstufen finden sich in H25 u. H27. 2 ) V H26 datierbar durch Bezug zu V Hb u. V Hm (Landeck 156, 172); Johns Reinschrift der Endfassung vom 1. Chor der Engel; die Verse Rosen, ihr blendenden . . . G verschenkte Varianten (V Hm) am 6. März 1825 u. (V Hb) am 6. Apr 1825, s. dort. − Auf Rs: [Meph.:] O! ewge Schande solchen Tröpfen / Satane stehen auf den Köpfen / Die Buben schlagen Rad auf Rad / Und stürzen ärschlings in die Hölle. / Gesegne euch das heiße Bad! /Ich aber bleib auf meiner Stelle. − Irrlichter fort! Du leuchte noch so stark / Du bleibst gehascht ein ekler Gallert = Quark. Was flatterst du? Willst du dich packen! / Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken . . ./ Mir brennt u − Die letzten Worte verweisen auf den Anfang von V H32. 3 ) V H30 (Landeck 163; Bohnenkamp 776) Auf Vs egh Blei-Entwürfe zu zwei Engelschören, Var zu 11726−34: Bluten die seel[igen] / Flam[men] die frohlichen / Liebe verbreiten sie / Wonne bereiten sie / Nichts unbezwing[lich], / Alles durchdringlich . . . Dem Wahren dem Licht. Weiter unten Var zu 11745−52: Was uns nicht angehort / Mussen wir meiden / Was euch im Innern stort, /bringet nur leiden / Dringet es auf uns ein / Mussen wir tüchtig seyn / Liebe nur Liebenden / Führet herein. 11801−08 u. 11817−24 durch Bezug zu V Hm datierbar: vor 6. März 1825. − Zu H30 s. auch Bohnenkamp 777 u. FA I 7.2, 1057. 4 ) Das Folgende in „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 516. 5 ) V Hm (Landeck 173f.) Egh für Gräfin Caroline Egloffstein, überschrieben: Geschlo-

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März 7. Einiges an Faust . . . [Nachmittags] In den Branischen Heften vieles

gelesen.1) Den projectirten Canal durch’s mittlere Amerika von einem Meer zum andern bedacht.2) 8. Einiges an Faust. [nach 9.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H31 gD, S. 516) 10. u. 11. Einiges an Faust. 13. Einiges an Faust . . . Abends für mich. An Faust den Schluß ferner hin

redigirt. Vorhergehende Fragmente betrachtet. [ca 12.] (V H15 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts mit 11519−26)3) 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 516) [nach14.] (V H13 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts mit 11515−30)4) (V H14 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts mit 11511−30)5)

ßener Geisterkreis. Die Verse aus Akt V Sz. [6] Grablegung: [3.] Chor der Engel in endgültiger Fassung: Was euch nicht angehört, / Müsset ihr meiden, / Was euch das Innre stört, / Dürft ihr nicht leiden. / Dringt es gewaltig ein, / Müssen wir tüchtig sein. / Liebe nur Liebende / Führet herein! Vgl. unten 19. März 1825: an F. v. Müller. 1 ) Branische Hefte = Minerva mit Lord Byrons Zug nach Griechenland. 2 ) Zu Akt V Sz. [1] Offene Gegend (11130) u. Sz. [2] Palast (11146)? Vgl. oben 29. Febr 1824 u. unten 21. Febr 1827: Eckermann. 3 ) V H15 (Landeck 134f.) Datierung tentativ aufgrund einer Bibliotheksanfrage vom 12. März 1825 auf der anderen Seite des Oktavblatts, von E. Schmidt (W 15.2, 148) u. Hertz 1932, 253 als nachträgl. geschriebene Rs angesehen, die aber nicht abgeschickt wurde, während Landeck die Bibliotheksanfrage für die frühere Vs hält, die nach der zweiten Anfrage mit dem gewünschten Buch aus der Bibliothek zu Goethe zurück gekehrt . . . darauf zur Aufnahme der Faust-Verse diente. (Also entweder vor od. nach 12. März 1825). − Erste Entwürfe zum Szenenanfang mit Mephistos Aufforderung an die Lemuren (11523−26): Hier braucht kein sonderlich Bemühn / Verfahret nur nach eignem Maasen / Leg einer sich die Länge lang nur hin / Ihr andern Spaten stecht den Rasen; u. die Antwort der Lemuren (11519−22): Die spitzen Pfähle sie sind da / Die Kette lang zum Messen / Warum an uns der Ruf geschah / Das haben wir vergessen. 4 ) V H13 egh Entwürfe, Datierung (Landeck 130−32): nach 14. März 1825 aufgrund von Notizen auf Vs. − Rs wie V H15 (als erstes auf der unteren Hälfte, für die noch zu entwerfende Einleitung der Sz. den oberen Raum frei lassend) die Lemurenverse 11519−22 u. Mephistos Aufforderung 11523−26. − Nicht verwendeter Entwurf zum Lemurenchor (vor 11515ff.): Was schreyst du so was sollen wir Was rufst du uns vom Grabe Wir bringen. Darauf in von der Endfassung abweichender Reihenfolge die Verse: 11515−18, 11511−15, 11519−22, 11523−26, 11529f., 11527f. 5 ) V H14 Datierung (Landeck 132f.): aufgrund von Notizen zu KA V 2: nach 14. März 1825. − Hier bringt G direkt im Abschluß an die Rs von V H13 den Text, unter Weglassung der 3 Entwurfszeilen, in endgültige Reihenfolge. Davor das Szenar Vor dem Pallast Meph. als Aufseher Herbey herbey! herein herein! / Ihr schlotternden Lemuren / Aus Bändern, Sehnen und Gebein / Geflickte Halbnaturen Lemuren im Chor Wir treten dir sogleich zu Hand / Und wie wir halb vernommen / Es gilt wohl gar ein weites Land / Das sollen wir bekommen. / Gespitzte Pfähle die sind da / Die Kette lang fürs Messen / Warum an uns der Ruf geschah/ Das haben wir vergessen. Meph. Hier gilt kein künstlerisch Bemühn / Verfahret nur nach eignen Maasen / Leg einer sich die Länge lang dahin / Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen. Wie man’s für unsre Väter that, /

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[März Mitte/ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H1 Bll. 8−17 u. III H2 Bll. 1−20, Anf. Apr] S. 516) 16., 17. u. 19. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 517) 19. An F. v. Müller (Br 39, 141): . . . Auch liegt der Gräfin Line eine Sen-

dung bey, welche mit meinen besten Empfehlungen zu überschicken bitte.1) 20., 21., 22., 23. u. 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 517 f.) 24. [Nachmittags] Nachher beschäftigt mit dem zunächst Bevorstehenden,

die neuste Ausgabe meiner Werke, nicht weniger die Redaction der Papiere zu Faust.2) [Frühj.]

(V H4 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht P198 u. P202a mit 11403−7 sowie Entwürfen zu 11402, 11404f., 11410f., 11420−22, 11437−39)3) (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H P163; H P165; III H17; III H30; III H34; III H 36 gD, S. 518 m. Anm. 2)

[Frühj.?] (P93, P94 u. P95 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts.)4)

Vertieft ein längliches Quadrat. / Aus dem Palast in’s enge Haus / So dumm läuft es am Ende doch hinaus. 1 ) Betr. das in Anm. zum 6. März 1825: V Hm erwähnte Geschenkblatt für Caroline v. Egloffstein mit Versen des 3. Chors der Engel zu Akt V Sz. [6] Grablegung (11745ff.). Die Empfängerin hatte G aus St. Petersburg einen Bericht über die dortige furchtbare Wasserflut vom Nov 1824 gesendet. 2 ) V H4 (Bohnenkamp 762f.) Entwürfe, datiert nach Bohnenkamp 763. P198 bezogen auf Fausts Gespräch mit der Sorge (die Verse später wieder aufgegeben) u. P202a: Faust wendet sich an die vier Weiber: Ihr seyd mir fremd ich mag euch nicht beschworen; vgl. 11403−7. − Zu H4 s. auch Bohnenkamp 763 u. FA I 7.2, 1056. 3 ) P93, P94 u. P95 (Bohnenkamp 750): Zur Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts drei ältere Bruchstücke, deren Abschrift durch John womöglich erst in der Phase der Wiederaufnahme im Frühjahr 1825 angefertigt wurde. (Hertz 1932, 250: Tatsächlich ist kein Zweifel, daß Goethe die Reinschriften anfertigen ließ, sobald er an die Ausarbeitung des zweiten Teiles herantrat.) Inhaltl. sind die von Mephisto gesprochenen Verse P92 u. P96 nahe, doch ohne mit Signaturen des bezifferten Faust-Schemas von vor 1800 versehen zu sein. − In P93 meditiert Mephisto kurz vor Fausts Tod: Das Leben, wie es eilig flieht Nehmt ihr genau und stets genauer, Und wenn man es beym Licht besieht, G’nügt euch am Ende schon die Dauer. Ähnl. 11589f. − In P94 vermeint Mephisto nach Fausts Tod, die Wette gewonnen zu haben u. freut sich auf Bestätigung seines Siegs durch das Himmelsgericht: Nun freu ich mich aufs grosse Fest Wie sich der Herr vernehmen lässt. Aber in P95 konstatiert er enttäuscht, daß nicht der Herr, sondern der Reichsverweser [Christus] dem Gericht vorsteht, der ihn vertreiben wird: Nein! diesmal gilt kein Weilen und kein Bleiben: Der Reichsverweser herrscht vom Thron Ihn und die Seinen kenn’ ich schon, Sie wissen mich, wie ich die Ratten zu vertreiben. (Zu Christus als Reichverweser s. im NT den Brief des Paulus an die Hebräer 8,1; vgl. auch 2. Juni 1833: Eckermann an F. v. Müller). Zu den sich wandelnden Schlußkonzeptionen s. Bohnenkamp 739−41. − Zu P93 bis P95 s. auch Bohnenkamp 751 u. FA I 7.2, 1054. 4 ) Die Redaktion betraf wohl Abschluß der alle vorliegenden Entwürfe u. Teilhss. zu Akt V vereinigenden Reinschrift V H2 (Landeck 77−79, Bohnenkamp 781−87) s. die nächste Anm.

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März 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb, an Riemer u. Riemer Tagebuch gD, S. 518) 26., 27. u. 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 518) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Riemer u. Bibliotheksentl. gD, S. 519) 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb, Bibliotheksentleihung u. Riemer Tagebuch gD, S. 519) [ca. 29.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H6 Bl. 2 mit 8891−94, 8903−08, P164 u. III H42 mit 9152−64 (ohne 9161) u. 9207f. gD, S. 519) 30. u. 31. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 519 u. 520) [März 30./Apr 2.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H P164a gD, S. 519) [März Ende/Apr Anf.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H49 mit 9385−94, 9396f., 9399f., 9629−44 Var. (ohne 9643) gD, S. 520) (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H27 mit 8936, 8939−44, 9645−78 gD, S. 520) Apr

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 520) 2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Riemer gD, S. 520) 3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 520) 4. An S. Boissere ´e (Br 39, 170): Einige Handschriften für die Pariser

Freundin [Cle´mentine Cuvier] erhalten Sie nächstens und zwar mit einer Beylage.1) 5. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. H P166a gD, S. 521) 6. (V Hb aus Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11699−709, 1. Chor der Engel)2) 7. An S. Boissere ´e (Br 39, 178):3) Hierbey, mein Bester, das Verlangte

und etwas mehr.4) 7. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. Bibliotheksentleihung gD, S. 521) 9. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 522) [vor 20.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H44 mit 9182−91, Szenar zu 9180 u. III H13/H14 mit 8826−45, 8879f. gD, S. 522) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III Hi mit 9182−91 gD, S. 522) 20. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 150): Goethe zeigte mir diesen Abend einen Brief eines jungen Studierenden, der ihn um den Plan zum zweiten Teile des Faust bittet, indem er den Vorsatz habe, dieses Werk seinerseits zu vollenden.5) − Trocken, 1

) Boissere´e hatte im Brief vom 28. März 1825 ein Autograph für Cuviers jüngste Tochter Cle´mentine in Paris erbeten; das Geschenkblatt V Hb (Landeck 172) ist verschollen, doch dessen Inhalt durch Boissere´es Kopie bekannt; s. unten 7. Apr 1825: an Boissere´e. 2 ) Weimar den 6. Apr. 1825 J. W. Göthe. Rosen, ihr blendenden Balsam versendenden! Flatternde, schwebende Heimlich belebende Zweiglein beflügelte Knospenentsiegelte Eilet zu blühn. Frühling entsprieße Purpur und Grün! Tragt Paradiese Der Liebenden zu. Für Mlle. Clementine Cuvier änderte G in 11709 Dem Ruhenden [=Faust] in Der Liebenden. 3 ) G’s Tgb vermerkt am 9. Apr: [An] Herrn Dr. Sulpiz Boissere´e, eigenhändige Blätter. 4 ) s. vorheriges Z. 5 ) Nicht bekannt.

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gutmütig und aufrichtig geht er mit seinen Wünschen und Absichten frei heraus, und äussert zuletzt ganz unverhohlen, daß es zwar mit allen übrigen neuesten literarischen Bestrebungen nichts sei, daß aber in ihm eine neue Literatur frisch erblühen solle. Wenn ich im Leben auf einen jungen Menschen stieße, der Napoleons Welteroberungen fortzusetzen sich rüstete, oder auf einen jungen Bau-Dilettanten, der den Cölner Dom zu vollenden sich anschickte, so würde ich mich über diese nicht mehr verwundern und sie nicht verrückter und lächerlicher finden, als eben diesen jungen Liebhaber der Poesie, der Wahn genug besitzt, aus bloßer Neigung den zweiten Teil des Faust machen zu können. Ja ich halte es für möglicher, den Cölner Dom auszubauen, als in Goethes Sinne den Faust fortzusetzen! Denn jenem ließe sich doch allenfalls mathematisch beikommen, er steht uns doch sinnlich vor Augen und läßt sich mit Händen greifen. Mit welchen Schnüren und Maßen aber wollte man zu einem unsichtbaren geistigen Werk reichen, das durchaus auf dem Subjekt beruht, bei welchem alles auf das Aperc¸u ankommt, das zum Material ein großes selbst durchlebtes Leben und zur Ausführung eine jahrelang geübte zur Meisterschaft gesteigerte Technik erfordert? Wer ein solches Unternehmen für leicht, ja nur für möglich hält, hat sicher nur ein sehr geringes Talent, eben weil er keine Ahndung vom Hohen und Schwierigen besitzt; und es ließe sich sehr wohl behaupten, daß, wenn Goethe seinen Faust bis auf eine Lücke von wenigen Versen selbst vollenden wollte, ein solcher Jüngling nicht fähig sein würde, nur diese wenigen Verse schicklich hineinzubringen.

Apr 26. [Stuttgart] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 383) : Für die übersandten Verse1) danke herzlichst ; sie sind in der That allerliebst. Welche schöne Gottesgabe dergleichen in Ihren Jahren noch hervorbringen zu können!2) Mai

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann gD, S. 523) 2. [Leipzig] J. Max an G (GSA 28/112 Bl. 108): Ich habe die Ehre Euer Excellenz die Bändchen 10, 14, 15, von der Tausend und Einen Nacht unterthänigst zu überreichen; es fehlen nun noch die Bändchen 11, 12, 13, welche in dieser Meße ebenfalls fertig geworden.3) 5. [Abends] Gelesen Tausend und Eine Nacht 10. Band,4) gesendet von

Buchhändler Max aus Breslau. 6. Zehnten Band der Tausend und Einen Nacht ausgelesen . . . [Abends]

Später Tausend und Eine Nacht, Band 14. 10. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an J. Max gD, S. 523) 13. [Leipzig] J. Max an G (GSA 28/ 312 Bl. 36): Die noch fehlenden Bändchen von 1001 Nacht, 11, 12, 13, welche so eben fertig geworden sind, habe ich die Ehre unterthänigst zu übersenden.5)

1

) s. oben 7. Apr 1825: an Boissere´e. ) Betr. die Verse der Rosen streuenden Engel aus Akt V Sz. [6] Grablegung, dem Geschenk für Mlle. Cle´mentine Cuvier. 3 ) s. oben 1824 Juli 24 u. [Dez vor 10.]: Max an G. 4 ) Zu Akt II u. III. − Die in Bd 10, 269−321 enthaltene Geschichte Asems und der Geisterkönigin diente G durch das Erzählschema vom langen Weg zum kostbaren Ziel als Modell für Fausts Weg zu Helena, der Voraussetzung zur KWN; zahlreiche Spuren in Akt II Sz. [4] Am obern Peneios, Sz. [5] Am untern Peneios, Sz. [6] Am obern Peneios wie zuvor, Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meers u. Akt III. Näheres s. unten 17. Dez 1826: H P123C. 5 ) Zu den Sendungen s. oben 1824 Juli 24 u. [Dez vor 10.]: Max an G u. 5. Mai 1825: Tgb. 2

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Mai 16. Tausend und Eine Nacht 11. Band,1) durch den Buchhändler Max von

Leipzig gesendet. 18. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 135): Nachmittags 2 Stden bey Göthe mit Meyer, und Coudray. Er war sehr gemüthlich und gesprächig im hintern Zimmer . . . Vielerley zugesandte Schriften z. B. . . . Tausend und eine Nacht, die der rastlose Mann alle hintereinander durchgelesen. 22. [Nachmittags] Tausend und Eine Nacht 12. Bändchen.2) Die Vorreden

von einigen Bänden, die Manuscripte und überhaupt die Herkunft dieser Märchensammlung betreffend. 25. [Abends] Tausend und eine Nacht. 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 523) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. Bibliotheksentleihung gD, S. 523) 29. u. 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 524 f.)

1

) Zum Schatzheber-Motiv Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz (5012f.): Und findet goldengoldne Rolle Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand (5037f.): Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht: Zieh’ an dem Pflug, und ackre sie ans Licht. Die in Bd 11, 300−04 enthaltene Geschichte des Sultans gab G zusätzliche Anregung zum Schatzhebermotiv; s. oben [vor 10. Dez 1824]: J. Max an G. − Näheres s. K. Mommsen 2006, 196. 2 ) In Bd 12, 82−115 bot die Geschichte des Prinzen Habib und der Prinzessin Dorratal-Gawas mit Varianten des Erzählschemas vom langen gefährlichen Weg zum kostbaren Ziel Anregungen zu Akt I Sz. [7] Rittersaal (6553ff.): ›Doppelreich‹ u. Akt II Sz. [2] Laboratorium (6904−20): Fausts Traum. − In Akt II Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder (7055ff.) die auffällige Begründung: sogleich Kehret ihm das Leben wieder Denn er sucht’s im Fabelreich u. weitere Motive weisen auf 1001 Nacht. − Zu Akt II Sz. [5] KWN, Am untern Peneios (7277−312) Fausts Traumvision von schönen, in Gesellschaft von Schwänen badenden jungen Frauen hat dort erstaunliche Parallelen. Dazu H. Meyer: [Rez. zu] Katharina Mommsen, Goethe und 1001 Nacht. In: The Germanic Review XXXV (1960), 317: . . . when we read here a passage from the story of Asem, which has several elements in common with Faust’s pursuit of Helena, and then come across a passage where the hero observes girls in a swimming basin in a garden and then find one passage (7277ff.) as well as one or two more, which has literal similarities, it appears that Goethe’s imagination was fired or actually directed by this reading for Faust. In the following lines the italicized parts are identical with the ›source‹: ,Gewässer schleichen durch die Frische Der dichten, sanft bewegten Büsche, Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum; Von allen Seiten hundert Quellen Vereinen sich im r e i n l i c h h e l l e n Z u m B a d e f l a c h v e r t i e f t e n R a u m . . . Gesunde j u n g e F r a u e n g l i e d e r . . . Gesellig dann und f r ö h l i c h b a d e n d . . .’ If this were all, we might still doubt, but there are enough supporting bits of evidence to make the connection absolutely certain. Of course, he might have seen springs rushing down like this in Switzerland or, for that matter, Thuringia itself, especially since the image occurs elsewhere, but where would he have seen such a nymphs’ grove? He could have invented it, if his inventiveness ran along such lines, but it didn’t. How then explain the dependence on his reading? I should think that the final explanation would be Goethe’s fundamentally eidetic nature . . . − Die Leda des Correggio, deren Einfluß die Kommentare geltend machen, weist kein Wasserbecken auf, wie G es hier schildert, auch nicht eine Vielzahl badender Schönen, sondern nur zwei. Zu bildlichen Darstellungen des Leda-und-Schwan-Motivs s. unten 16. Dez 1829: Eckermann Gespräch m. Anm.

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Mai

Bücher-Vermehrungsliste (Tgb 10, 298): Tausend und Eine Nacht. Band 10. 14. 15. Vom Verleger.1)

Juni

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb, an O. v. Goethe u. F. v. Müller gD, S. 525 f.)

2. u. 3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 526) 4. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Ottilie v. Goethe gD u. Tgb, S. 526) 6. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Zelter gD, S. 526) 8., 9. u. 10. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 527) 11. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann gD; S. 527) 13. u. 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 527) 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihungen gD, S. 527 f.) [Juni 14./Aug 9.]? (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H53 mit P169 gD, S. 528) 15., 16., 19., 20. u. 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 528) 23. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 528) 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an H. Meyer gD, S. 528) 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 529) Juli (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihungen gD, S. 529) 12. u. 14. 17. u. 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 529) 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 529) 23. u. 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 529) Aug

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. Bibliotheksentleihung gD, S. 529)

6., 7., 8. u. 9. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 530) 11. Von Humboldts Amerika.2) 20. [Nachmittags] Director Peucer übersendete Berliner Briefe, sowie den

dritten Theil der Humboldtischen Reise mit Atlas3) . . . Das von Humboldtische Werk näher betrachtet. 21. [Nachmittags] von Humboldt dritter Theil. Abends dasselbige fortgesetzt, zu meinen Zwecken ausgezogen. 22. [Nachmittags] Alexander von Humboldt über die Verbindung des östlichen und westlichen Meeres. Vorschläge zu Canälen an verschiedenen Punkten.4) 1

) Liste unvollständig, da G im Mai 1825 noch die Bde 11, 12 u. 13 erhielt. ) Voyage aux re´gions ´equinoxiales du nouveau continent, fait en 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 et 1804, par Al. de Humboldt et A. Bonpland; re´dige´ par Alexandre de Humboldt. T. 3. Paris 1825 = Voyage de Humboldt et Bonpland. Premie`re partie. Relation historique. T. 3. Paris 1825; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 4107); zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10181−33) u. Akt V Sz. [1] Offene Gegend (11090−130; 11145f.) im Zusammenhang mit G’s Interesse an Kanalbauplänen; vgl. oben 29. Febr 1824 u. die nächsten Z. 3 ) s. das vorige Z mit Anm. 4 ) Vgl. unten 21. Febr 1827: Eckermann. 2

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1825

[Okt nach 26.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H78 gD, S. 530) Dez 12. Gedichte zu den Bouquets.1) 16. [Weimar] F. v. Müller Tagebuch (Unterhaltungen 142): Freytags Frauen-Verein Ausstellung. Göthes 3 Gedichte.

18262) Febr

9. Kam des Italiäners Valenti[ni] Carneval von Rom,3) angeschlossen die

extemporirte Comödie4) . . . Abends Oberbaudirector Coudray. Sodann Hofrath Soret. Betrachteten wir . . . Späterhin gedachtes Carneval. 1

) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal . . . zur Mummenschanz. G verfaßte 3 Gedichte (GSA 68/878; W 5.1, 69), die er jeweils mit einem Kunstblumenstrauß dem Weimarer Frauen-Verein zum Weihnachtsbasar am 16. Dez stiftete (s. das folgende Z). Zwei Gedichte, Olivenzweig mit Früchten u. Phantasie-Strauß, gingen leicht überarbeitet in Faust ein, dort (5128−31 u. 5132−35) als Aehrenkranz u. Phantasiekranz; s. auch Henke GJb 2008, 270f. 2 ) Zur polit. Zeitsituation: Türken erobern die grch. Seefestung Missolunghi. Von ca. zehntausend Einwohnern bleiben nur etwa tausend am Leben. Die Niederlage löste in Europa eine Welle der Anteilnahme u. Unterstützung für die Griechen u. ihren Befreiungskampf aus. 3 ) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal . . . zur Mummenschanz. − Trattato su la commedia dell’arte, ossia improvvisa. Maschere italiane ed alcune scene del Carnevale di Roma. Dal professore Francesco Valentini romano. Con venti rami colloriti. Berlino 1826; angebunden die dt. Version: Abhandlung über die Comödie aus dem Stegreif und die Italienischen Masken. Berlin 1826; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2543). Dazu F. Valentini, 3. Febr 1826 an G (GSA 28/117 Bl. 92): Eccellenza Non si maravigli dell’ardir d’un da Lei forse ignoto, che si dette a compir la qui accluso operetta nella sola esperanza, ch’essa riguardata esser possa con occhio di benigna indulgenza da Colui della cui Fama `e pieno il mondo. Grande ardire si fu il mio de toccare un soggetto da S. E. si divinamente trattato. Le ripetute istanze pero ` de’ dilettanti della mia natal favella di dar loro uno schiarimento su i Costume e su i caretteri delle Maschere Italiane, in ispezie di quelle di Teatro, e la soddisfazione generale d’ognuno, riunito al loro incitamento di darlo alle stamoe, fecero si che io mi vi determinai quasi non volendo. Quai non volendo poi mi estesi nell’andar toccando le Maschere del Carnevale Romano e nel descriverne alcune scene. Lusingato dalla speranza di riuscir ad inspirare il gusto di queste alla Nazion tedesca, mi detti a far eseguir varii disegni, I quali riusciti come S. E. vede, a piacendo a molti, mi detti ad organizzar un Festino alla Romana. Sua Maesta `e la Real corte di Berlino m’onoro ` della loro alta presenza, e la soddisfazion publica, richiese con la Real Corte un altro festino il quale spero aura `luogo bentosto. Si degni S. E. d’accettar questo fortunato esemplar, con quella benignita ` a Lei innata, che tanto riluce nella sue Opere divine, e che rifletta dalle tante Virtu ` du cui va adorno, e senza badore ne` al donator ne` al dono, accetti solo la buona volonta ` d’un Italiano cui a vantarsi aspira d’esser uno de’ primi veneratori della Tedesca Letteratura, quindi uno de’ suoi adoratori. Accetti intanto, Eccellenza, I miei devotissimi ossequi, e i piu ` venerandi rispetti, e nel chiederle ben mille e mille volte scuse dell’ardir mio, ho l’onore di dirmi Di Sua Eccellenza Umilissimo e Devotissimo Servo F. Valentini. 4 ) Die Al celeberrimo J. W. v. Goethe. L’Autore hs. gewidmete Abhandlung in ital. u. dt. Sprache enthält 20 kolorierte Kupferstiche: Nr. 1−6 Theatermasken, Nr. 7−16 maskierte Einzelfiguren von Berufen u. Charaktertypen; Nr. 17−20 Szenen aus dem Röm. Kar-

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[März]

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(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H P176 Var. u. III Hf mit P176 zu 9550−65, 9570−73 u. III H49 mit P158 gD, S. 530)

12. Abends Dr. Eckermann. Einiges im neuen Faust vorgelesen.1) 13. In Betrachtung des Faust fortgefahren. 14. An Faust fortgefahren. Frau Großherzogin [Luise] . . . vorgewiesen . . .

das neue Berliner Maskenwerk;2) auch das ältere Römische Carneval von dem schwedischen Cavalier3) . . . [Nachmittags] Ich fuhr fort die einzelnen Papiere zu Faust gehörig zu redigiren . . . Abends Prof. Riemer . . . Auch etwas über die Versification von Faust gesprochen [Frühj.]

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III Hn mit 9454−61, 9466−72, 9476f.; Hq mit 9442−45, 9448f., 9452f., 9462−65; III H55 mit 9482−505; III H57 mit 9506f., 9512f., 9529f., 9531, 9533f., 9536−38f., 9540, 9542, 9544, 9557, 9560, 9564f. u. 9992−96, 9999ff., 10005ff. gD, S. 530 ff.)

März 31. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H46 mit 9273−332 u. III H2 Bl. 24 mit 9273−332 gD, S. 531) [Ende/Apr Anf.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H43 mit 9165−72, 9174−81 u. P166 gD, S. 531 ff.) [Apr?] Apr

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H P148 gD, S. 532)

2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD,S. 532) 3. John mundirte an Faust. 4. Einiges zu Faust concipirt und mundirt . . . Abends Professor Riemer,

den Faust durchgegangen. 5. Abends Lucan 6. Buch.4) neval. − Etwaige Anregung zu Teil 1 der Mummenschanz. So zeigt Tafel 14 ein galantes Gärtnerpaar, wozu S. 27 erläutert: Diese Maske, welche die Kleidung der Gärtner und Gärtnerinnen nachahmt, wird zu den graziösesen und edelsten gerechnet . . . Die Blumen nimmt der Gärtner aus einem Körbchen, das seine Begleiterin trägt. Diese ist auf ähnliche Weise und mit leichter Zierlichkeit geschmückt in einem reich gestickten Corset und leichten mit Bändern verzierten Hute. (s. Jensen 1968, 172). − Zu G’s Wertschätzung des Werks vgl. 19. Apr 1830: an Marianne v. Willemer (Br 47, 24f.). 1 ) Nach Hertz 1932, 248f. arbeitet G in dem Zeitraum zw. 12. März u. 18. Apr neben Akt III auch an Akt V: . . . wo die Tagebücher Arbeit am fünften Akt verzeichnen, sprechen sie . . . in diesem Zeitraum stets gradezu vom ,Faust‘. (249) Dieser Annahme folgend, werden die entsprechenden Tgb-Zeugnisse, die nach Hertz auf eine Beschäftigung mit Akt V verweisen könnten, hier aufgeführt. 2 ) s. oben 9. Febr 1826: Tgb. 3 ) s. oben 6. März 1821: Tgb. 4 ) Zu Akt II Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder (7005−39). − De bello civili des Marcus Aeneus Lucanus (39−65), nach 9, 985, Pharsalia genannt, besaß G in 2 Editionen: 1) die des Hugo Grotius von 1670, aus der Bibliothek des Vaters (Ruppert Nr. 1400); 2) die des Frans van Oudendorp von 1728, in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1401). Diese lag G’s Exzerpten zugrunde. Das 6. Buch von Lucans Bürgerkriegsepos diente G zur Orientierung über die griech. Landschaft Thessalien, dem für die KWN prädestinierten Schauplatz, durch berühmte Hexen das klassische Land für Zauberei u. Magie, zugleich der hist. Boden der Schlacht von Pharsalos; auch bot Thessalien einen Einstieg in die

700 Apr

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6. An Faust revidirt. 7. Einiges zu Faust. 10. Einiges an Faust. 11. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD,S. 532) 12. An Faust arrangirt und geheftet.1) 12. (Aus der Weimarer Bibliothek – bis 21. Apr 1826 – 1) He´rodote: Histoire. Trad. du Grec . . . (par [Pierre Henri] Larcher. T. 3. 4. Paris An XI =1802.2) − 2) Herodots Geschichte. Bd 1. 2. Aus d. Griech. übers. von Johann Friedrich Degen. Frankfurt a. Main 1783−1786.)3) 13. [Osnabrück] B. R. Abeken an G (GSA 28/155 Bl. 7): Indem ich es wage, Ew. Excellenz beikommendes Werkchen zu überreichen,4) fühl’ ich . . . daß . . . wenn es einigen Wert hat, denselben vor allen Ihnen zuschreiben muß. Sie werden, wenn Sie es einer Durchsicht würdigen, finden, daß ich mit wunderbaren, oft seltsamen Symbolen und Allegorieen zu thun gehabt habe. Dennoch haben mich diese sehr interessirt, weil sie manches zu sagen Anlaß gaben, was, wie mich dünkt, unsrer Zeit zugerufen werden muß. Was ich in dieser Hinsicht zu geben hatte, war schon vor mehreren Jahren nieUnterwelt, geeignet für Fausts Vorhaben, Helena von Persephoneia freizubitten. − Das die Zeit unmittelbar vor der Schlacht behandelnde Buch 6 ist dreiteilig: Zunächst berichtet Lucan, wie Caesar die Belagerung durch die Pompeianer bei Dyrrachium durchbricht u. nach Thessalien in die Gegend von Pharsalos flieht, wo dann die feindlichen Heere aufeinandertreffen. Der Mittelteil bietet einen ausführlichen Exkurs zur Topographie u. Geschichte Thessaliens. Im 3. Teil folgt, da Pompeius den Ausgang der Schlacht durch Wahrsagerkünste erfahren will, eine Darstellung der Hexenkunst im allgemeinen u. als Höhepunkt der Auftritt der alle Hexen weit übertreffenden Erichtho mit einer makabren Zukunftsschau durch Wiedererweckung eines toten röm. Soldaten (Nekromantie). G übernahm die Gestalt der Erichtho, Lucans ureigenste Erfindung. Aus Buch 6 notierte er 6 Stellen über die unbegrenzte, selbst die olympischen Götter beherrschende Zaubermacht der Hexen: v. 6, 437 im Original, v. 6, 467 im Original mit eigener Übersetzung, v. 6, 520 nur in eigener Übersetzung; vgl. dazu im einzelnen H P144f. (Bohnenkamp 409−11) − Der lakonische Tgb-Eintrag wirkt beiläufig, doch war G’s Lucan-Lektüre sehr intensiv u. ging noch über Buch 6 hinaus; da 7022f. sich eindeutig auf Buch 7 (v. 7−24) bezieht, wo Pompeius nachts vor der Schlacht davon träumt, noch einmal zu alter Größe zu gelangen. Über Lucans Einfluß auf die KWN s. Steffen Schneider: Archivpoetik. Die Funktion des Wissens in Goethes ’Faust II’. Tübingen 2005, S. 77−118 (Kap. III. Thessalien − Das Gedächtnis einer Landschaft). 1 ) Zum Nachfolgenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ gD, S. 532. 2 ) Histoire d’Herodote traduite du Grec, avec de remarques historiques et critiques, un essai sur la chronologie d’Herodote, et un table ge´ographique. Nouv. ´edition revue, corrige´e et conside´rablement augmente´e. A laquelle on a joint la vie d’Home`re, attribue´ `a He´rodote, les extraits de l’histoire de Perse et de l’Inde de Cte´sias et le traite´ de la malignite´ d’He´rodote: le tout accompagne´ de notes. T. 1–9. Paris 1802. − In T. 3: Historien 3 u. 4; in T. 4: Historien 5 u. 6; vgl. 15. Apr 1826. − Lektüre zweifellos im Hinblick auf Faust II. 3 ) Herodots Geschichte a. d. Griech. übers. von Johann Friedrich Degen. Bde. 1−6. Frankfurt a. M. 1783−1791. Die von G entliehenen Bde 1 u. 2 enthalten die Bücher 1−6; vgl. unten 15. Apr 1826: Tgb. 4 ) Bernhard Rudolph Abeken: Beiträge für das Studium der Göttlichen Comödie Dante Alighieri’s. Berlin u. Stettin 1826; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1678). Erhalt der Sendung am 24. Apr 1826 (s. dort).

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dergeschrieben; seit der Zeit bin ich über diesen und jenen Punct zu größerer Klarheit gekommen; und ich würde mich jetzt glücklich schätzen, wenn ich damals schon den Schlüssel gehabt hätte, den mir später Ihre Zeitschrift über K. u. A., namentlich das 2. Heft des 4. Bandes (S. 40) gegeben hat.1) Doch das ist ja das Treffliche bei einem Meister, dem man mit voller Liebe und Aufrichtigkeit anhängt, daß man für weitere Arbeiten immer von neuem Ermunterung und Beistand in ihm findet und ihm verbunden bleibt . . . Mögen Ew. Excellenz gütig aufnehmen, was ich mit einem dankerfüllten Herzen darbiete!2)

Apr 13. Einiges an Faust. 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 532) [ca. 14.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H51 zu 9454−69 gD, S. 532) [Mitte] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H III 53 mit P169 zu 9474−81 gD, S. 532) 15. Blieb für mich beschäftigt. Las Herodots zweytes Buch aus zufälligem 16. 17. 18. 19.

Anlaß.3) An Faust weiter gedacht. Herodot ferner gelesen. Einiges weiter an Faust . . . Abends Herodot. Einiges zu Faust.4) [Nachmittags] Herodot.

19. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 532) 20. [Nachmittags] Herodot und sonst. 20. u. 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 532) 22. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 27. Apr 1826 −: He´rodote: Histoire. Trad. du Grec . . . (par [Pierre H.] Larcher.) T. 5−7. Paris An XI−1802.)5) 22. [Nachmittags] Herodot. [um 22.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H54 mit Szenar nach 9481 u. 9505 u. 9735f. gD, S. 532) 23. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 533) 24. Dante von Abeken6) . . . Mittag für mich. Später Herodot. 1

) Dort der Wort und Bild sind Correlate . . . beginnende Absatz; s. W 42.2, 130. ) Abekens Einführung in die Göttliche Komödie bildete 1826 den Auftakt zu G’s erneuter Dante-Beschäftigung, vermutl. speziell das letzte Kap. Schauplatz der Göttlichen Comödie und Bedeutung desselben (S. 297−364). Über Dante als Fundgrube zu Faust II; s. unten 10. Aug 1826: Tgb. 3 ) Zu Akt II Sz. [4] Am obern Peneios (7083, 7093−98, 7100−8, 7138−40, 7187) − G stieß bei der Herodot-Lektüre vom 15.−24. Apr 1826 in Buch 3 u. 4 auf die kolossalen Ameisen sowie auf Greife u. Arimaspen, die ihm durch Voß schon bekannt waren; s. oben 1804 Febr 17.: H. Voß an Abeken u. Dez 12.: an Eichstädt. 4 ) Zum Nachfolgenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ gD, S. 532 ff. 5 ) Vgl. oben 12. Apr 1826: aus der Weimarer Bibliothek. − In T. 5: Historien 7 u. 8; in T. 6: Historie 9 u. die neu hinzugefügten Beigaben; in T. 7: Essai de chronologie sur He´rodote. 6 ) Eintreffen der Beiträge für das Studium der Göttlichen Comödie; s. oben 13. Apr 1826: Abeken an G. Die Bedeutung seiner Beiträge für Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend 2

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Apr 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 533) [ca. 25.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H58 mit 9506−25, P100 gD, S. 533) 25. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 3. Juni 1826 − : [Barthe´lemy, J. J. :] Voyage du jeune Anacharsis en Gre`ce . . . T. 1−5. Havre 1789. [Atlas u. d. T.:] Recueil de cartes ge´ographiques, plans, relatifs au voyage du jeune Anacharsis . . . Havre 1789.)1)

(4679−727) u. Akt V Sz. [7] Bergschluchten (spez. 12110f.) betont Willi Hirdt in Goethe und Dante (Deutsches Dante-Jahrbuch 68/69 [1993/94] 31−80; ebd. 75): Die Vorstellung des Empor z i e h e n s , die in die Schlußverse des ’Faust’ Eingang findet, scheint in einer Formulierung Abekens S. 338 vorgegeben: „Kaum ist Dante befähigt zum Himmel emporzusteigen, als Beatrice, scharf, wie ein Adler, in die aufgehende Sonne blickt, (Paradies I, 46 u.f.); ihr Schützling thut dieses nach; und beide fahren, durch einen geheimnißvollen Zug, in die Höhe. Dante erträgt den Blick in die Sonne nicht lange; er wird erst eingeweiht in die höhere Erkenntniß, und bedarf eines Mittlers; er schaut in Beatrice’s Augen; und durch sie, die von Himmel zu Himmel sich schöner, leuchtender zeigen, wird er fortan höher g e z o g e n , bis er endlich zum Anschauen Gottes gelangt.“ (Hervorhebung W. H.) − 1863 schrieb Abeken über seine Dante-Studien u. G (Heuermann 166−68): Seit vielen Jahren beschäftigte ich mich mit Dante, für den Schelling schon in Jena mich begeistert hatte. Von ihm konnt’ ich nicht lassen, obgleich mir nicht entgangen war, daß Goethe diesen Dichter, bei aller Anerkennung seiner Kunst, nicht liebte. Auch hier wie bei der Hypothese eines vulcanischen Entstehens unsres Erdkörpers, fand er etwas seiner Natur Widerstrebendes. Als ich im Jahre 1826 ‘Beiträge für das Studium der Göttlichen Comödie’ herausgab, sandte ich ihm ein Exemplar, in welches ich vorn die Worte aus Dantes Hölle, womit Virgil angeredet wird, eingeschrieben hatte: Oh degli altri poeti onore e lume, Vagliami ’l lungo studio e ’l grande amore, Che m’han fatto cercar lo tuo volume. Tu se’ lo mio maestro e ’l mio autore [Inferno I 82−85]. Vielleicht hat Goethe, wenn er dies las, eine bedenkliche Miene gemacht; doch wird er, wenn er die Worte des Buches las, womit ich das Capitel von Dantes Originalität schloß, wohl gewahrt haben, daß die Liebe, die ich für ihn selbst und seine Schöpfungen hegte, sich mit der Ehrfurcht vor dem großen Florentiner wohl vertrage. Sie lauten: „Dantes Zeitalter und die in ihm herrschende religiöse Ansicht waren nicht geeignet, zu der Heiterkeit der Kunst zu führen, die Kunstwerke späterer Zeit beseelt. Die Zeit Dantes war ernst, und der Drang nach Wissen stimmte noch ernster. Alle Kunst dieser Zeit trägt Spuren davon an sich. Dennoch haben wir bemerkt, wie Dante keineswegs sich in einen geist- und kunsttödtenden Mysticismus oder Trübsinn verlor. Nur zu dem Gipfel, auf welchem ein Raphael schwebt, dessen Sixtinische Madonna und Verklärung zugleich zu dem heiligsten Ernste und der höchsten Heiterkeit stimmen, weil sie ebenso ernst als heiter gedacht und gebildet sind, zu diesem Gipfel konnte er sich nicht erheben.“ [Beiträge, S. 197f.] . . . die Liebe zu Goethe und die zunehmende Einsicht in seine Werke [blieb] nicht ohne Einfluß auf mein Thun und Schaffen. Daß ich Danten als Dichter behandelte, daß ich diesen in seiner großartigen Plastik fand − ich denke hier besonders an die ’Hölle’ − daß ich diese Plastik über sein Allegorisiren setzte und mich mit Unwillen von der frömmelnden Schwärmerei abwandte, in der man auch durch ihn, der so erhaben darüber, sich bestärkte, das verdanke ich Goethen. − Zu Dante als Fundgrube für Faust II s. unten 10. Aug 1826: Tgb. 1 ) Zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers. Ausleihe der 2. Ausg. der Voyage du jeune Anacharsis, aus der G im Sept 1800 nur Bd 3 eingesehen hatte. Bei früheren Ausleihen (13. Sept 1800 u. 7. Apr 1825) las er das Werk auf die Peloponnes bezüglich, nun lieh er es wohl vor allem im Hinblick auf Thessalien aus; Bd 3 Kap. 35 schildert im Abschnitt Valle´e de Tempe´ ein Fest der Thessalier: L’orage se dissipa pendant la nuit. A notre re´veil, la mer ´etoit calme et le ciel serein; nous renvıˆnmes a ` la valle´e, et nous vıˆmes les appreˆts d’une feˆte que les Thessaliens ce´le`brent tous les ans, au

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Apr 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 533) [27.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Riemer gD, S. 533) Mai

28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 533) 2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 533)

[ca.3.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H 59 mit 9031−41, 9526−41, 9544, 9566−69, 9574−80 u. 10009f. sowie III H33a mit 9031−41 gD, S. 533) 9.–13., 14., 16., 20.–22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 534) 22. [Abends] Später Dr Eckermann . . . Sodann einiges über den zweiten

Theil von Faust.1) 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Cotta gD, S. 534) 25. u. 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 534) [Mai?]

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H7 Bll. 1, 4, 5 u. 6 mit 8610−8637, 8882−8902, 9385−9510, mit P140− P142 u. einzelnen Versen aus dem Bereich 8759−8819 gD, S. 534 m. Anm. 3)

[Mai/Juni] (H P140, P140 − P146 zu Akt II Sz. [3] KWN Pharsalische Felder)2)

me´moire du tremblement de terre qui, en donnant un passage aux de Pe´ne´e, de´couvrent les belles plaines de Larisse. Les habitans de Gonnus, d’Homolis et des autres villes voisines arrivoient successivement dans la valle´e. L’encens des sacrifices bru ˆloit de toutes parts (b), le fleuve ´etoit couvert de bateaux qui descendoient et montoient sans interruption. On dressait des tables dans les bosquets, sur le gazon, sur les bords du fleuve, dans les petites ˆles, ı aupre`s des sources qui sortent des montagnes. Une singularite´ qui distingue cette feˆte, c’est que les esclaves y sont confondu avec leurs maıˆtres, ou pluto ˆt, que les premiers y sont servis par les seconds. (b) Athen. lib. 14, p. 630 − Aelian. var. hist. lib.3, cap. 1 − Meurs. In Πελω ρ.− Gelzer 1990 vermutet, dass G, angeregt durch diese Schilderung des Peloria-Fests, auch die in Anm. (b) angegebenen Stellen bei Athenaios u. Ailianos nachlas. Athenaios-Lektüre ist zwar früh durch Ephemerides u. wieder durch Ausleihe 26. Aug 1799 − 5. Juli 1800 bezeugt, doch Ailianos-Lektüre nicht, u. ob G auf originalen antiken Quellen fußend, das Peloria-Fest als Vorbild für das Fest der KWN gewählt hat, ist ungewiß. − Diesmal benutzte G auch den von Jean Denis Barbie´ du Bocage besorgten Tafelband: Recueil de cartes ge´ographiques, plans, vues et me´dailles de l’ancienne Gre`ce, relatifs au voyage du jeune Anacharsis, pre´ce´de´ d’une analyse critique des cartes mit den Landkarten: La Thessalie (Tafel Nr.15), La Laconie et l’Isle de Cythe`re (Nr. 20), Essai sur la Topographie de Sparta et de ses environs (Nr. 21) u. L’Arcadie (Nr. 22). − Erneute Ausleihe nur des Tafelbands 14. Nov 1827 u. 13. Jan 1830 (s. dort). 1 ) Vgl. unten 3. März 1830 zu Eckermann: Sie können es sich zurechnen, wenn ich den zweiten Theil des Faust zu Stande bringe; 8. Juni 1830: zu F. v. Müller: Eckermann versteht am besten litterarische Productionen mir zu extorquiren . . . So ist er vorzüglich Ursache, dass ich den Faust fortsetze, dass die zwei ersten Acte des zweiten Theils beinahe fertig sind. 2 ) H P140 (Bohnenkamp 408f.) Sammelblatt mit Textsplittern ohne eindeutige Zuordnungsmöglichkeit. Bohnenkamp 410 datiert: Frühj./Sommer 1826. − P140−P142 wohl Abschriften von III H7 Bl. 6. − P143 gehört zu P144 u. P145 mit Exzerpten aus Lukans Pharsalia VI: Hascht nach dem nächtgen Wetterleuchten (P144), die Übers. eines Halbverses von 6, 520, benennt Fähigkeiten der thessalischen Hexe, ebenso das Exzerpt 6, 437 quidquid non creditur ars est. P145 notiert im lat. Original u. in dt. Übers. die gewaltige von Jupiter unabhängige Macht der thessalischen Hexen Tonat

704 Juni

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3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Zelter gD, S. 535) 4. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 535)

[ca. 5.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H70 mit 9863−80, 9884−93 u. 9907−38 gD, S. 535) 6., 7. u. 8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 536) [vor 9.]

(s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H60 mit 9574−82, 9584−92, 9604 u. 9623−28 sowie III H61 mit 9574−603 gD, S. 536)

9. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 536) 9. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III HIII Bl. 44 [letztes Bl.] gD, S. 536) 10. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. H P123A gD, S. 536) 10. Ich dictirte an Schuchardt einiges zu Kunst und Alterthum [P123A].1) 10. (P123A datiert: Weimar den 10en Juny 1826.)2) 12. u. 13. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 537) [13.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H60 mit Stichworten zu 8515, 8559 u. 8590 sowie 9574−82, 9584−92, 9604 u. 9623−28 Var gD, S. 538) 18. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an C. F. v. Berg gD) 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. Bibliotheksentleihungen gD, S. 538) 22., 23., 24. u. 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 538) 29. Gestern war ein umständliches Reisediarium von Eckermann angekom-

men.3)

coelum ignaro Iove Das sind Gewitter von denen Jupiter nichts weis. − Bei P146 u. P143 Bezug unklar; das Umkreisen des Throns könnte auf Galateas Auftritt (8445ff.) deuten, das Verführungs-Motiv auf die Doriden (8391ff.); zur Zuordnung von P146 s. auch MA 18.1, 902. − Zu P140 s. auch Bohnenkamp 409−11 u. FA I 7.2, 993f. 1 ) Zu Akt III. − Erste Fassung der zur Veröffentlichung in KA vorgesehenen Ankündigung der Helena zur Begleitung des geplanten Vorabdrucks (Bohnenkamp 412−15): wie III HIII überschrieben H e l e n a , klassisch-romantische Phantasmagorie, Zwischenspiel zu Faust. 2 ) P123A (Bohnenkamp 412−16) enthält nach den Entwürfen in III H7 Bl. 6 u. P140−P146 die ältesten überlieferten Überlegungen zur Vorgeschichte der Helena für den späteren Akt II u. einen Ansatz zur KWN im Konnex der Lukan-Lektüre vom Apr 1826; s. oben [Mai/Juni 1826]: H P140. − G teilt mit, dass dem alten, auf die ältere von Faust umgehende Fabel gegründeten Puppenspiel gemäß . . . im zweiten Theil meiner Tragödie gleichfalls die Verwegenheit Faust’s dargestellt werden [soll], womit er die schönste Frau, von der uns die Überlieferung meldet, die schöne Helena aus Griechenland in die Arme begehrt, um dann klarzustellen, daß dieses nun nicht durch Blockbergs Genossen ebensowenig durch die häßliche, nordischen Hexen und Vampyren nahverwandt[e] Ennyo zu erreichen, sondern, wie in dem zweiten Theile alles auf einer höhern und edlern Stufe gefunden wird, in Bergklüfte[n] Thessaliens unmittelbar bey dämonischen Sibyllen . . . welche durch merkwürdige Verhandlungen es zuletzt dahin vermittelten, daß Persephone der Helena erlaubte, wieder in die Wirklichkeit zu treten, mit dem Beding, daß sie sich nirgends als auf dem eigentlichen Boden von Sparta des Lebens wieder erfreuen solle. Von Helena verrät G nur ihre ersten neun Verse u. dass sie vor dem Pallaste des Menelaus in Sparta auftritt. 3 ) Zu Akt V Sz. [1]: Offene Gegend, Sz. [2]: Palast, Sz. [5]: Großer Vorhof des Palasts:

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Juni 30. [Leipzig] A. Wagner an G (GSA 28/119 Bl. 220f.): Ew. Excellenz haben dem Verleger [E. Fleischer] und mir, dem Herausgeber, die Zueignung des Parnaso italiano zu erlauben geruhet. Je ehrenvoller diese Gunst, je würdiger ihr Anlaß und Gegenstand, desto schüchterner und bescheidener bin ich; ja es ist mir wie einem Jüngling zu Muthe, der das Geständnis seiner ersten Liebe wägt und bangt, ob er auch dadurch und darin dem geliebten Gegenstande erhoben und verklärt erscheine, wie er doch wünschen muß. Denn mit einemmale steht jene heitere Welt von Gefühlen, Ahndungen, Gedanken, Gestalten und Ideen vor mir, welche Sie mir zuerst erschlossen; jene Zeit meiner Jugend, wo ich am Ausgange des vorigen Jahrhunderts, zu Jena, ein Ihnen unbeachtbarer Jüngling, bei unserem verewigten Schiller einiger Ihrer Gespräche Zeuge war, die mir unvergeßlich bleiben werden; und dann wieder der Augenblick, wo ich, nun ein Mann, vor bald drei Jahren [23. Juni 1824], mit voller beklommener Brust vor Ihnen zu stehen gewürdiget ward. So darf ich denn wohl sagen, daß, was und wie ich immer seyn mag, lediglich in jener Zeit zu keimen begonnen, unter dem Anwehen Ihrer jeweiligen und Schillers öfterer Nähe, daß ich damals die Feuer- und Geistestaufe empfangen, welche mein Dante von seiner Beatrice empfing. Muß ich mich nun zwar, nicht ohne einen Zug von Wehmuth, bescheiden, daß mir eine mehr beschauliche und aufnehmende Innigkeit, als eine projicirende und bildende Kraft verliehen und gefördert worden, so tröstet es mich doch auch wieder, so manchem edlen Geiste unserer Zeit mehr oder minder nahe zu stehen in Liebe und schlichter Wahrhaftigkeit . . . Die ganze Form des Ew. Excellenz ehrfürchtig geweihten Parnaso, welche wohl bedacht und möglichst gehalten ist, forderte auch eine Zueignung1) in ausländischer, mir nicht allzu fremder Sprache . . . Ich hab’ es gewagt und muß nun Ew. Exc. Urtheil vor allem überlassen, ob ich vermessen war und ob die Leistung dem Streben entspreche . . . Und somit nehmen Ew. Exc. meinen innigsten Dank für die hohe Gunst, dies Unternehmen mit Ihres Namens Stolz und Weihe empfehlen zu dürfen.2) [Juli Anf.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Unbekannt gD, S. 538) Juli

8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539) 8. [Leipzig] E. Fleischer an G (GSA 28/119 Bl. 289): Ew. Excellenz geruhten huldreichst mir im vorigen Jahre das Glück Ihrer Gegenwart zu gönnen, und hatten die Gnade einem meiner lebhaftesten Wünsche willfahrendes Gehör zu schenken.3) Das Werk, welches mit Stolz Ew. Excellenz gefeierten Namen tragen durfte, habe ich die Ehre, in Begleitung eines Schreibens des Herrn Adolf Wagner, Hochdenenselben zu überreichen. Mögen Ew. Excellenz es nachsichtsvoll entschuldigen, daß sich diese erste Lieferung nicht in einem, ihrem feierlichen Zwecke würdigerem Gewande darstellt, welches Unterzeichneter bei dem Beschluß des Werkes mit einem vollständigen Exemplar desselben nach Kräften zu bethätigen wünscht,4) als schwachen Beweis der tiefen, unMotiv der Kanalbauten; 1825 kam es bei Ritzebüttel unweit von Cuxhaven zu einer Sturmflut, wobei ein dem Meer abgerungenes Neuland überspült wurde. 1826 hat Ekkermann zusammen mit dem Wasserbauingenieur Christian Bertram das Gebiet besucht u. vermutl. ein Reisediarium verfaßt, das nicht mehr auffindbar ist; s. auch FA 7.2, 707f. 1 ) A. Wagners in ital. Terzinen verfaßte Zueignung des Parnasso Italiano. 2 ) Die Widmung des Parnasso Italiano an Al Principi de’ Poeti G o e t h e war eine G tief bewegende Ehrung: der schönste Lohn den ich in meinen Jahren zu erleben das Glück habe (Br 41, 324); sie mag mitgewirkt haben, daß er sich zu der von Dante geschaffenen Versart für Fausts Monolog in Akt I Sz.[1] Anmutige Gegend (4679−727) entschied; s. oben 21. Febr 1798: an Schiller; unten 1826 Juli 8.: Fleischer an G; 13.: Tgb; Aug 10.: Tgb; 26.: Tgb u. an A. Wagner. 3 ) Wann G der Widmung des Parnasso italiano zustimmte, ist nicht bekannt. 4 ) Zur Übersendung vgl. unten 26 Aug 1826: Tgb m. Anm u. an A. Wagner.

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begrenzten Verehrung, womit er das Glück hat sich nennen zu dürfen Ew. Excellenz unterthänigster Diener Ernst Fleischer. Juli 10 u. 11. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539)

13. Ich erhielt von Leipzig Il Parnasso Italiano.1) 14. Abends kam Dr. Eckermann. Erzählte von Hamburg, Stade und den

dortigen Anschwemmungen, Einrichtungen, Ansiedelungen.2) 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann an Johanne Bertram gD, S. 539) 24. Dr. Eckermann, mancherley Beobachtungen mittheilend, die er auf sei-

ner Hamburger Reise gemacht.3) 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539) Aug

3. [Jena] C. W. Göttling an G (AA-SL 4, 284): Die neulich bei Ew. Excellenz erwähnte Stelle aus dem Phaethon des Euripides, steht bei Diogenes Laert. vit. Anaxagor. II, 3, 5.4) 3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539) 5. (s. „Euripides Phaethon [III]“: Aus der Weimarer Bibliothek gD, EGW 4, 228) 5. Las im Diogenes Laertius die Stelle auf Euripides Phaethon bezüglich

. . . Nachts Diogenes Laertius. Überlegung wie die darin befindliche Stelle zu nutzen.5) 7. (s. „Euripides Phaethon [III]“: Aus der Weimarer Bibliothek gD, EGW 4, 229) 8. u. 9. (s. „Euripides Phaethon [III]“ Tgb gD, EGW 4, 227−30). [9.] Euripides’ Phaethon.6) (AA-SL 1, 195f.): Als am Ende des vorletzten

Acts . . . Phaethon von seinem göttlichen Vater die Führung des Son1

) Il Parnasso italiano ovvero: I Quattro Poeti Celebberrimi Italiani. La Divina Commedia di Dante Alighieri; Le Rime di Francesco Petrarca; L’Orlando Furioso di Lodovico Ariosto; La Gerusalemme Lib errata di Torquato Tasso. Edizione giusta gli ottimi testi antichi, con note istoriche e critiche. Ornata di quattro ritratti secondo Raffaello Morghen. Lipsia. Presso Ernesto Fleischer. Das Werk erschien 1826 in 4 Lieferungen. G’s Dank für die dem Text vorangestellte Widmung Al Principi de’ Poeti Goethe u. die ihm dedizierte Zueignung in Danteschen Terzinen s. unten 26. Aug 1826: an A. Wagner. − G’s erste datierte Terzinendichtung (bei Betrachtung von Schillers Schädel): Im ernsten Beinhaus . . . entstand 25./26. Sept 1826. Fausts Terzinenmonolog (4679−727) ist undatiert, fest steht nur der terminus ante quem 6. Mai 1827 (s. dort). 2 ) s. oben 29. Juni 1826: Tgb. 3 ) s. oben 1826 Juni 29. u. Juli 14.: Tgb. 4 ) Zu Akt II Sz. [6] Am oberen Peneios wie zuvor (7900−29). Die Stelle aus Buch II, Kap. 3 in der Übers. v. A. C. Borheck (T. 1, S. 103f.): 4. Er [Anaxagoras] behauptete, die Sonne bestehe aus glühendem Eisen, und sey größer als der Peloponnes . . . 5. Man sagt auch, daß er den Fall des Steins beim Ziegenflusse vorausgesagt, und auch gesagt habe, er werde aus der Sonne herunter fallen. Daher habe auch Euripides, der sein Schüler war, im Faeton die Sonne einen Goldklumpen genannt. 5 ) s. oben 3. Aug: Göttling an G m. Anm u. unten 9. Aug: Euripides’ Phaethon. 6 ) Wie der Untertitel − Zu Kunst und Alterthum IV. 2. − vermerkt, handelt es sich hier um eine Studie, die in Ergänzung von G’s Versuch einer Rekonstruktion der nur bruch-

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nenwagens erbeten und ertrotzt, folgt ihm unsere Einbildungskraft auf seiner gefährlichen Bahn und zwar . . . mit Furcht und Entsetzen. In des irdischen Vaters Hause jedoch gehen die Hochzeitsanstalten immer fort, schon hören wir in der Nähe feyerliche Hymnen erschallen, wir erwarten das Auftreten des Chors. Nun erfolgt ein Donnerschlag, der Sturz des Unglückseligen aus der Höhe1) geschieht außerhalb des Theaters, und in Gefolg oben angeführter Restauration wagte man schon folgende Vermuthung: „Wir denken uns das Phänomen als wenn mit Donnergepolter ein Meteorstein bey heiterm Himmel herabstürzte, in die Erde schlüge und sodann alles wieder vorbey wäre: denn sobald Klymene den todten Sohn versteckt hat, ja sogar inzwischen, fährt der Chor in seinem Festgesange fort.“2) Nun finden wir bey Diogenes Laertius, in dem Leben des Anaxagoras, einige hierher gehörige Stellen.3) Von diesem Philosophen wird gemeldet: „Er habe behauptet die Sonne sey eine durchglühte Metallmasse, μυ δρος δια πυρος“ wahrscheinlich wie der aufmerkende und folgernde Philosoph sie aus der Oesse [Feuerherd] halbgeschmolzen unter den schweren Hämmern gesehen. Bald darauf heißt es, daß er auch den Fall des Steins bey Aigos Potamoi4) vorausgesagt und zwar werde derselbe aus der Sonne herunter fallen. Daher habe auch Euripides, der sein Schüler gewesen, die Sonne, in der Tragödie Phaethon, einen Goldklumpen genannt: χρυσε αν βωλον. Ob uns nun schon die Stelle des Tragikers nicht vollständig übrig geblieben, so können wir doch, indem dieser Ausdruck sogleich auf die Erwähnung des gefallenen Steins folgt, schließen und behaupten, daß nicht sowohl von der Sonne, sondern von dem aus ihr herabstürzenden brennenden Jüngling die Rede sey. Aug 10. Abends Dante und sonstiges.5)

stückhaft überlieferten Tragödie Phaethon entstanden ist. Sie ist das Ergebnis von Gesprächen, die G mit C. G. Göttling geführt hatte, vgl. oben 3. Aug: Göttling an G u. EGW 4, 228. 1 ) Das Motiv erinnert auch an Akt III Sz. [3] Schattiger Hain (9900ff.) mit Euphorions Todessturz aus der Höhe. 2 ) Zitat aus KA IV 2 (1823). 3 ) Diogenes Laertius II 3,5; vgl. oben 3. Aug: Göttling an G m. Anm. 4 ) Kleiner Fluß u. Stadt auf der Dardanellenhalbinsel. 5 ) Damals gewann Dante noch zunehmende Bedeutung für G, so daß er sich zu erneuter Auseinandersetzung mit dem ital. Original angeregt fühlte, nachdem Abekens Beiträge im Apr einen wichtigen Anstoß gegeben hatten, dem im Juli der Parnasso Italiano folgte. G’s mit seinem Exlibris versehene Ausg. der Commedia von 1739 stammte noch aus der Bibliothek des Vaters, der ihn 1760–1762 bei dem Sprachmeister Domenico Giovinazzi Italienisch lernen ließ. G’s Cellini-Übers. von 1796/97 bezeugt seine in Italien 1786/88 perfektionierten Sprachkenntnisse. Schon vor Empfang der Commedia im Parnasso Italiano besaß G drei ital. Editionen (Ruppert Nr. 1670, 1671 u. 1672, nur die letzte von 1807 unaufgeschnitten). Juli 1824 war T. 1 der StreckfußÜbers. Die Hölle des Dante Alighieri eingetroffen, doch erst jetzt reizte sie G zu Ver-

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Aug 12. An Zelter (Br 41, 120−22): Zu den Fragmenten des Phaethon hat sich

wieder eine gar hübsch erläuternde und eingreifende Stelle gefunden1) . . . [Beilage.] Als ich vor einigen Tagen Herrn Streckfußens Übersetzung des Dante wieder zur Hand nahm, bewunderte ich die Leichtigkeit, mit der sie sich in dem bedingten Sylbenmaaß bewegte. Und als ich sie mit dem Original verglich2) und einige Stellen mir nach meiner Weise deutlicher und gelenker machen wollte, fand ich gar bald, daß schon genug gethan sey und niemand mit Nutzen an dieser Arbeit mäkeln würde.

gleichen mit dem Original; G’s krit. Einwände erweisen seine souveräne Textkenntnis. (s. „[Dante]“: 6./9. Sept 1826: an Zelter; EGW 2, 249). Auch daß die Streckfuß-Übers. größtenteils unaufgeschnitten blieb, sollte vor Überschätzung hinsichtlich ihres Einflusses auf Faust II warnen. Die Kommentare hielten ihn für maßgeblich, solange ihnen der Parnassos Italiano u. G’s Reaktion darauf entging, erst Michael Engelhard machte KM darauf aufmerksam. Einigkeit besteht darüber, daß G’s Wahl der von Dante geschaffenen Terzinen (terzarima) für Fausts Monolog (4679−727) Dante-Lektüre voraussetzt. Durch die Versform ehrte G deren Erfinder. Die Forschung hat in Faust II viele Dante-Bezüge aufgedeckt: in Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend ähnelt die Szenerie dem paradiso terrestre im Purgatorio XXVIII 1−36. Die Auslöschung von Schuld durch den Tau aus Lethes Flut (4629) erinnert an die besondere virtu ` des durch Dante aus der Unterwelt ins paradiso terrestre versetzten Flusses Lethe, die memoria del peccato nach getaner Buße zu tilgen (Erklärung der virtu ` durch Matelda im Purgatorio XXVIII, 121−33 u. Vollzug durch Beatrice in Purgatorio XXXI 94−102). Die Sonne als Symbol des göttlichen ewigen Lichts (4697) gleicht Dantes Lichtsymbolik u. Sonnenaufgangsszenen im Inferno I 13 u. im Paradiso I 46−84. − Zahlreiche Motive u. Gestalten begegnen sowohl bei Dante als auch in Faust II: Paris u. Helena, Antaeus, Chiron, Manto, Erichtho, Parzen, Guelfen u. Ghibellinen. Anklänge an Dante verstärken sich in Akt V: Mephistos Schilderung der Hölle in Sz. [6] Grablegung folge dem Vorbild Inferno VIII 67−75; Sz. [7] Bergschluchten ähnele atmosphärisch Dantes Paradiso; Pater exstaticus könnte Dantes Stazio nachgebildet sein. Der Schluß, wo es mit der geretteten Seele nach oben geht (FA II 12, 489) sei in Analogie zum Höhenflug Dantes durch die Himmelskreise bis zum Sitz Gottes gestaltet, wie ihn die Gesänge des paradiso vorführen. Christlich-kirchl. Figuren u. Vorstellungen entstammten dem von Dante gestalteten kathol. Kultus. Spezielle Bezugnahmen auf die Commedia lägen vor beim Chor seliger Knaben (Inferno IV 28−39; Purgatorio VII 31ff. u. Paradiso XXXII 40−48), bei der Mater gloriosa, bei der Mitwirkung der Una Penitentium, sonst Gretchen genannt, u. beim Aufruf des Doctor Marianus, zum Retterblick (12096) aufzublicken (Paradiso XXXIII 1−96). Chorus Mysticus (1210f.): Das Ewig-Weibliche . . . bei Dante personifiziert in Maria, Lucia u. Beatrice, bei Goethe: Himmelskönigin u. Gretchen. − Zur Übernahme eines weiteren Motivs im geplanten, aber unausgeführten Abstieg Fausts in den Hades s. 17. Dez 1826: H P123C. − Datiert wird der Terzinenmonolog, in Ermanglung eindeutiger Z, aufgrund der Dantelektüre: Aug/Sept 1826. (Im Sept 1826 traf Bd 2 der Streckfuß-Übers. Das Fegefeuer des Dante Alighieri ein). 1 ) Zu Akt II Sz. [6] Am oberen Peneios (7851ff.) gewann die Diogenes Laertius-Stelle (die G bei der Phaethon-Rekonstruktion half) Bedeutung für Anaxagoras als ’Vulkanist’. 2 ) G besaß mehrere Originalausg.; vgl. Ruppert Nr. 1670, 1671, 1672. Zumeist benutzt erscheint die aus der Bibliothek des Vaters: La commedia di Dante Alighieri, tratta da quella che publicarono gli Accademici della Crusca l’a. 1595 . . . Divisa in 3 tomi. Venezia 1739.

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Aug 12., 13. u. 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539) 26. [An] Herrn Adolf Wagner, Dank für die Widmung des Ariost, einige

Exemplare des Gedichts, Leipzig.1) 26. An A. Wagner (Konzept; Br 41, 130f.):2) Es begegnet mir seit einiger Zeit soviel Gutes, daß, wenn ich nicht eine redliche Selbstkenntniß, welche uns immer auf die Überzeugung unserer Mängel zurückführt, mir von jeher als Leitfaden festgehalten hätte, ich nun befürchten müßte, aus dem wahren und reinen Kreise, den Gott und die Natur mir vorschreiben wollen, irrend herauszuweichen. Wie ich mich aber jetzt fühle, kann ich für Ihre Widmung aufrichtig danken,3) da ich daraus ersehe, daß mein Bestreben auf Sie einen solchen Einfluß ausgeübt hat, wodurch auch Ihr Geist eifrig zu streben und das Ihnen Mögliche zu leisten ernstlich angeregt worden. Ihr Unternehmen ist groß und bedeutend, und es darf mich freuen, daß Sie meiner dabey vorzüglich denken wollen. Fahren Sie in dem glücklich begonnenen Geschäfte muthig fort. Empfehlen Sie mich Herrn Fleischer auf’s beste und bleiben meiner dankbarsten Erinnerung versichert. 26. An Zelter4) (Br 41, 130): Herrn Gartendirector Lenne ´ empfiehl mich gelegentlich. Ich möchte wohl mit einem solchen Manne das Feld durchwandern, wohin ich jetzt nur, wie Moses, vom Berge hinsehe. Diesseits und jenseits des Jordans der Deine G.5) 1

) Vgl. oben 13. Juli 1826: Tgb. Diese Lieferung des Parnasso italiano enthielt Ariosts Orlando furioso. 2 ) Dank für die dem Parnasso Italiano vorangestellte Widmung Al Principe de’ Poeti Goethe u. das am 13. Juli eingetroffene, ihm dedizierte Preisgedicht in Danteschen Terzinen. 3 ) G’s Freude über die Ehrung als principe de’ poeti u. die ihm gewidmeten Terzinen zeigt sich im Briefentwurf noch unmittelbarer; vgl. Br 41, 324. Daß er Fausts Eingangsmonolog in Terzinen verfaßte, war womöglich mitveranlaßt durch den Parnasso Italiano; s. unten 26. Sept 1826: Tgb u. 6. Mai 1827: Eckermann Gespräch. 4 ) Zu Akt V Sz. [6] Grablegung. Burdach Faust und Moses 366f. zitiert diesen Briefpassus u. den ihn auslösenden Brief Zelters vom 18. Aug 1826, der vom 40. Todestag Friedrichs d. Gr. am Vortage berichtet, was G’s Gedanken auf den Tod des großen Königs und zugleich des Moses wie zur eigenen Person des Faust-Dichters lenkte (MA 20.1, 945): Der Königl. Gartendirector Lenne´ gestern in Potsdam konnte gar nicht aufhören Gutes zu sagen von Deinen Morphologischen Heften indem er sagte Deine Buchstaben kämen ihm vor wie die Blätter des Baumes der Natur u.s.w. Er hat in Sanssouci einige recht malerische Aussichten durchgeschlagen und sagte er habe sich stets dabei gedacht wie sie der alte König selbst würde beliebt haben wenn er noch lebte. Nun zog ein anständiges Gewitter anher, der Himmel ward zu Einer Wolke und ein dicker Regen senkrecht herab erinnerte uns an den 17ten August 86, da eben solch ein Himmel war und so pilgerte man die heiligen Terrassen hinauf bis an den Fleck wo Er am heutigen Tage die Welt verlassen hat. − Da man bald dies bald das denken muß was sollte man nicht auch des vergangnen oft mißkannten wie sein selbst gedenken da noch immer die alten derb gesponnenen Fäden den Ballon über der Erde halten? gibt es ja deren auch genug die Ihre Zeit (und zwar nicht ohne Grund) für die Goldne halten. 5 ) Burdach Faust und Moses 367 erläutert: Vor der Seelenphantasie Goethes, die so

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Aug 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an S. Boissere´e gD, S. 539) 28. (s. „[Dante]“: Streckfuß an G gD, EGW 2, 249) 29. (s. „[Dante]“: Zelter an G gD, EGW 2, 249) 2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 539)

Sept

2.,3.u.4. (s. „[Dante]“: Tgb gD, EGW 2, 249) 6. (s. „[Dante]“: an H. Meyer gD, EGW 2, 249) 6./9. (s. „[Dante]“: an Zelter gD, EGW 2, 250) 9. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: S. Boissere´e an G gD, S. 539) 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an S. Boissere´e gD, S. 540) 15. (s. „[Byron] Manfred . . . „: Fürst Pückler-Muskau gD, EWG 1, 558) 19. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Sternberg gD) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Reinhard gD, S. 540) 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 540) 25. Streckfußens Fegefeuer und Paradies Dante’s.1) ?

26. [Abends] Weitere Beachtung der Terzinen.2)

unendlich fein auf jeden ihr verwandten Reiz reagierte, hatte Zelters Schilderung das erhabene Bild jener Stunde heraufbeschworen, da der Schöpfer des nationalen deutschen Kulturgedankens von dannen ging. Der sterbende große König Preußens, der Austrockner der polnischen Sümpfe und der sterbende Faust, der dem Meer Wohnräume für Millionen abzwingen will, der dem letzten Erdebntag entgegengehende Dichter des ›Prometheus‹ und ›Mahomet‹, der zugleich der Bahnbrecher der modernen Morphologie geworden ist − sie bilden in der Phantasie Goethes eine Reihe . . . Für das irdische Ende Friedrichs II., Fausts wie für sein eigenes, das er . . . in der stillen Demut unermüdeten Schaffens erwartete, war der letzte Blick des Moses auf die unerreichbare Herrlichkeit des Landes jenseits des Jordans, in die einzuziehen er sein Volk geleitet . . . hatte, das ausdrucksvollste Gleichnis . . . als Goethe dem Gartendirektor Friedrichs des Großen durch Zelter jenen Dankesgruß bestellen ließ, weil er seine naturwissenschaftliche, insbesondere seine botanische Lebensarbeit gepriesen hatte als ›Blätter des Baumes der Natur‹, war vor seinem inneren Auge die Szene lebendig, da Faust gleich Moses von der Höhe das ersehnte Zukunftsland erblickt, das er den kommenden Geschlechtern bereitet hat, da er im Vorgefühl eines unerreichbaren Glücks den höchsten Augenblick erlebt: den Tod . . . das Eintreten in das Land jenseits des Jordans des Lebens. − Was Burdach nicht erwähnt ist Friedrichs II. Vergleich seiner selbst mit Moses im Jahr 1780: Mir geht es wie Moses; ich sehe das gelobte Land von ferne, doch werde ich es nicht betreten . . . (De la Litte´rature Allemande. Französisch-Deutsch. Krit. Ausg. von Christoph Gutknecht u. Peter Kerner. Hamburg 1969, 117.) G kannte gewiß diesen Text. 1 ) Kenntnisnahme des 2. u. 3. Teils der vom Buchhändler Schwetschke aus Halle mit Brief vom 18. Sept 1826 gesandten Streckfuß-Übers. der Divina Commedia. Im Tgb weiter: Nachts Terzinen bezieht sich auf G’s Terzinengedicht Im ernsten Beinhaus war’s . . . auf den am 17. Sept 1826 (vermeintlich) aufgefundenen Schädel Schillers, worüber das Tgb vom 26. Sept meldet: Früh die Terzinen weitergeführt. 2 ) Vgl. die vorige Anm. Doch könnte Weitere Beachtung der Terzinen sich auch auf Fausts Terzinenmonolog (4679−727) beziehen, von dem nur als terminus ante feststeht: 6. Mai 1827 (s. dort) Zur Datierung s. auch 21. Febr 1798.

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Sept 28. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Schultz gD) 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Göttling gD, S. 540) Okt

3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 540) 17. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Boissere´e gD, S. 540) 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Humboldt u. an Boissere´e gD, S. 540 f.) 23. Neues Blatt zum römischen Carneval.1) 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Göttling an G u. Tgb gD, S. 541 f.) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Boissere´e an G gD, S. 542 f.)

28. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Cotta an G gD) [Nov (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Cotta an G gD, S. 543.) Anf.] 3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an S. Boissere´e u. an Cotta gD, S. 543) 8. Das Schema zu Faust, zweyter Theil, bey Gelegenheit der Helena vor-

genommen.2) 8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 543) 9. (H P99A, Schema der Handlung bis zu Helena, datiert: W. d. 9. Novbr. 1826.)3)

1

) Das Römische Carneval, von Graf Morner. 20 Bl. in qu. fol. (Schuchardt I 218 Nr. 26) anregend zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Nebengemächern. 2 ) Wohl auf H P99A bezüglich; s. das übernächste Z. − Pniower 1899, 164f. u. Gräf II 2, 353 vermuteten H P63, was nach Bohnenkamp 421 unwahrscheinlich ist, weil die vom Frühj. 1826 stammenden Vorarbeiten zu Akt II: P140−P146 u. die 1. Fassung zur Ankündigung der Helena vom 12. Juni 1826, P123A, bereits über das in P63 Entworfene hinausgehen. 3 ) H P99A (Bohnenkamp 417f.), Schema von Johns Hand, ältere Fassung von H P99, skizziert den geplanten Verlauf nach Akt I bis zu Helenas Auftritt. Die mit 7. einsetzende Numerierung weist auf einen verlorengegangenen 1. Teil des Schemas zum noch auszuführenden Akt I. − Punkt 7 stellt die Verbindung zu Akt I her: Faust, niedergelegt an einer Kirchhofsmauer u. Großer Monolog zwischen Gretchens und Helenas Todt Wahnerscheinung; zur Vision beider Geliebten s. [nach 18. Apr 1828]: P179A. − Die Punkte 8−13 skizzieren den geplanten Akt II: Mephisto versucht, durch Zerstreuung Faust von seiner Leidenschaft für Helena abzulenken durch Besuch in Wagners Laboratorium, erstmals (9.) ein Chemisch Menschlein erwähnt. Verschiedene andere Ausweichungen und Ausflüchte bleiben erfolglos. 11. Sie gelangen endlich nach Thessalien. Der Weg zu Helena verläuft über drei Stufen: die häßliche Enyo, eine der 3 Graien oder Phorkyaden. Mit ihr geht Mephisto ein nicht erläutertes Bündniß ein. Dann gelangen sie zur Thessalischen Ursybille, die den Weg in den Hades weist. Dort wird Proserpina um Freigabe der Helena angegangen: Die Beyspiele von Protesilaus Alceste Euridice angeführt Helena selbst hat schon einmal die Erlaubniß gehabt ins Leben zurückzukehren und mit dem Achill sich zu verbinden. Aber bestimmt auf der Insel Leuce. Faust darf schließlich hoffen, sein Ziel zu erreichen, doch nur unter der räumlichen Bedingung: Helena [soll] auf den Boden von Sparta zurückkehren und in dessen Bereich als lebend dort im Hause des Menelaus empfangen und dem neuen Freyer überlassen werden. Wie in P123A ist Helenas Auftritt in Akt III aus dem dt. Mittelalter nach Sparta verlegt. − Zum Bezug auf die Leuke-Sage s. 17. Dez 1826: P123. − Zu P99A s. auch Bohnenkamp 421−23 u. FA I 7.2, 995f.

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Nov 10. Das Schema zu Fausts zweytem Theile fortgeführt . . . Ich verfolgte mei-

ne Gedanken von heute früh.1) [10.] (H P99B, Schema zur Antiken Walpurgisnacht in Thessalien.)2) 10. An S. Boissere ´e (Br 41, 224): Gar manches treibt und drängt, sogar

Mephistopheles regt sich wieder. 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Bibliotheksentleihung gD, S. 544) 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Boissere´e an G gD, S. 544) 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Zweite Anzeige von Goethe’s sämmtlichen Werken, vollständige Ausg. letzter Hand gD, S. 544) 21. u. 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 544) 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Boissere´e gD, S. 544) 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Boissere´e Tagebuch gD, S. 544) 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Boissere´e an G gD, S. 544) 3

Dez )

Nachlese zu Aristoteles’ Poetik (W 41.2, 247f.): Ein jeder, der sich einigermaßen um die Theorie der Dichtkunst überhaupt, besonders aber der Tragödie bekümmert hat, wird sich einer Stelle des Aristoteles erinnern, welche den Auslegern viel Noth machte . . . Meine Gedanken und Überzeugungen von gedachter Stelle glaube ich aber am besten durch eine Übersetzung derselben mittheilen zu können. „Die Tragödie ist die Nachahmung einer bedeutenden und abgeschlossenen Handlung, die . . . nach einem Verlauf aber von Mitleid und Furcht mit Aus1

) Zu Akt II KWN. − Betr. wohl P99B, die Überarbeitung von P99A (Bohnenkamp 419f.). 2 ) Zu Akt II KWN. − H P99B (Bohnenkamp 419f.) ausführlicheres Schema von Schuchardts Hand, datierbar: 10. Nov 1826 durch Tgb-Eintrag. − Punkt 7., Faust niedergelegt an einer Kirchhofsmauer. Träume Darauf großer Monolog zwischen der Wahnerscheinung von Gretchen und Helena. 8., Faust’s Leidenschaft zu Helena bleibt unbezwinglich. Mephistopheles sucht ihn durch mancherley Zerstreuungen zu beschwichtigen 9., Wagners Laboratorium. Er sucht ein chemisch Menschlein hervorzubringen. 10., Verschiedene andere Ausweichungen und Ausflüchte. 11.Antike Walpurgisnacht in Thessalien. Erste Erwähnung der späteren ‘Klassischen Walpurgisnacht’! [links ergänzt: auf der pharsalischen Ebene] 12 Erichtho [links ergänzt: macht die Honneurs] und Erichthonius [links ergänzt: zu ihr gesellt. Etymologische u Symbolische Verwandtschaft beyder] 13, Mephistopheles mit den antiken Ungeheuern und Mißgestalten findet sich zu Hause Später, wohl bei Überarbeitung von P123A im Dez 1826, präzisierte G am linken Rand von P99B: die antiken Ungeheuer erhielten nun Namen: Centauren, Sphynxe, Chimären, Greife, Sirenen, Tritonen und Nereiden, die Gorgonen, die Graien. − Punkt 14 skizziert Mephistos Begegnung mit Enyo. − 15., Faust gelangt zu der Versammlung der Sibyllen. Wichtige Unterhaltung günstiger Moment [links ergänzt: Manto des Tiresias Tochter]. − Die letzten Punkte 16−17 sind im Hades lokalisiert, um Helena von Proserpina freizubitten. − 18., So soll nun Helena auf den Boden von Sparta zurückkehren und als lebendig dort im Hause des Menelaus empfangen werden, und dem neuen Freyer überlassen seyn, in wie fern er auf ihren Geist und ihre empfänglichen Sinne einwirken könne. − Zu P99B s. auch Bohnenkamp 423 u. FA I 7.2, 997f. 3 ) Entstehung nach EGW 1, 142; ED KA VI 1 (1827) 84−91.

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gleichung solcher Leidenschaften ihr Geschäft abschließt.“ . . . Er spricht ganz klar und richtig aus: wenn sie durch einen Verlauf von Mitleid und Furcht erregenden Mitteln durchgegangen, so müsse sie mit Ausgleichung, mit Versöhnung solcher Leidenschaften zuletzt auf dem Theater ihre Arbeit abschließen.1) Dez 10. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Boissere´e gD, S. 545) [15./18.]2) An Riemer (Br 50, 107): Sollte das Datum der Pharsalischen

Schlacht3) auszumitteln seyn. 15. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb u. H P123 gD, S. 545) 15. (H P123B, Entwurf zur Ankündigung der Helena, datiert: W. den 15. Decbr. 1826.)4)

1

) Zwischen den auf Aussöhnung ausgerichteten Textsequenzen in der Sz. Anmutige Gegend u. Grablegung und der hier vorgenommen Katharsis-Auslegung bestehen offenkundige Gemeinsamkeiten, auf die Jost Schillemeit zuerst hingewiesen hat: Produktive Interpretation. Goethes Nachlese zu Aristoteles Poetik im entstehungsgeschichtlichen Kontext. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 55 (1981) 636−43. 2 ) Datiert nach Gräf II 2, 374 mit Hinweis auf [16./17. Dez] 1826: Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]. 3 ) Akt II Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder − Schauplatz der Entscheidungsschlacht im Bürgerkrieg zw. Cäsar u. Pompejus 48 v. Chr. 4 ) H P123B (Bohnenkamp 424−32) Mundum auf 4 Foliobl. von Johns Hand die 1.Version der 2. ausführlicheren Fassung von Ankündigung der Helena (für KA). Statt bloßer Andeutungen wie in P123A vom 10. Juni 1826, beschreibt P123B ausführlicher: Bey einem großen Feste an des deutschen Kaisers Hofe, werden Faust und Mephistopheles aufgefordert eine Geistererscheinung zu bewirken, ungern zwar aber gedrängt rufen sie die Idole von Helena und Paris hervor. Paris tritt auf, die Frauen entzücken sich gränzenlos; die Herren suchen durch Einzelnen Tadel den Enthusiasmus abzuk. Helena tritt auf, die Männer sind außer sich; die Frauen wissen durch Misrede die herrliche Persönlichkeit verächtlich zu machen. Faust von der Gestalt der Helena hingerissen wagt es den Paris der sie eben umarmen will wegdrängen zu wollen; ein Donnerschlag streckt ihn nieder Die Erscheinungen verschwinden, das Fest endet tumultuarisch. Faust schwer ins Leben zurück gerufen tritt auf, exaltirt und paralisirt vom Anschauen der Helena und fordert ihren Besitz dringend von Mephistopheles. Dieser der nicht bekennen mag daß er im klassischen Hades nichts zu sagen hat, bedient sich seines probaten Mittels und zerstreut Fausten auf die mannigfaltigste Weise. . . [Bl. 1 Rs:] . . . endlich da Fausts Ungeduld nicht mehr halten will, beredet er ihn noch im Vorbeygehen den Doctor und Professor Wagner zu besuchen, den sie in seinem Laboratorium finden, sehr gloriirend daß eben ein chemisch Menschlein zu Stande gekommen sey. Dieses zersprengt augenblicks den Glaskolben und tritt als bewegliches wohlgebildetes Zwerglein auf. Sein Entstehen wird mystisch angedeutet, von seinen Eigenschaften legt er Proben ab, besonders tritt hervor daß in ihm ein allgemeiner Weltkalender enthalten sey, was seit Adams Bildung bey gleicher Sonn Mond Erd- und Planeten Stellung unter Menschen vorgegangen sey daher er den Zusammenhang der Weltgeschichte gründlich ableitet und zugleich verkündet daß die gegenwärtige Nacht gerade mit der Stunde zusammentreffe so die pharsalische Schlacht geliefert worden wie denn auch zu gleicher Zeit das Fest der klassischen Walpurgisnacht eintrete. Alle vier entschließen sich nun dorthin zu wandern welches denn auch durch vereinte über- [Bl. 2 Vs:] natürliche Kräfte leicht zu bewirken ist ... Viel detailreicher wird nun die KWN geschildert als in den Schemata von Anfang Nov (P99A u. P99B) bis zur erfolgreichen Losbittung Helenas vor Proserpinas Thron

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Dez 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Boissere´e Tagebuch gD, S. 545) 16. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb gD, S. 481) 17. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: P123C gD, S. 482) 17., 18., 20., 21. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb gD, S. 481 u. 482) 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: W. v. Humboldt an C. v. Wolzogen gD, S. 547) 22. [Nachmittags] Herr Professor Riemer. Mit demselben die Antecedenzi-

en zu Helena. 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“: Tgb gD, S. 482) 24. u. 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 547) 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. W. v. Humboldt an Caroline v. Humboldt gD, S. 547) [27.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: W. v. Humboldt an Caroline v. Wolzogen gD, S. 547) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: S. Boissere´e an G gD, S. 548) 28. u. 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 548) 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an S. Boissere´e gD, S. 548) 31. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 548)

18271) ˇevyre¨v, Elena gD, S. 548 ff.) ⎯ ⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: S Jan1.u.2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 550)

zur Rückkehr auf den Boden von Sparta. Die antiken Ungeheuer sind vermehrt, wichtige Motive hinzugefügt wie das Erdbeben u. die Auseinandersetzung zw. den Naturphilosophen Thales u. Anaxagoras. − P123B gibt erstmals Einblick in das (von P99A u. B nur stichwortartig erwähnte) Wesen des Homunculus als eines künstlich erzeugten, mit übernatürlichen geistigen Fähigkeiten ausgestatteten kleinwüchsigen, sonst aber voll ausgebildeten Menschlein, zurückgehend auf alchemistische Vorstellungen von der generation der homunculi durch putrefaction männlichen Samens, entsprechend der Paracelsus zugeschriebenen Abhandlung De rerum natura von 1572. Lektüre dieser Schrift ist nicht nachweisbar, doch erlangte G vom Homunculus Paracelsi Kenntnis durch den Anthropodemus Plutonicus des J. Prätorius, der im 3. Buch Von Chymischen Menschen ausführlich Paracelsus referiert, wie man ausserhalb dem Leibe der Mutter durch eine Chymische Kunst Menschen machet, um diese Meynung von der Geburt und Empfängnuß eines Männleins im Glase (S. 157) als lächerlich u. gottlos zu brandmarken; zur Lektüre des Anthropodemus Plutonicus s. „Faust. Eine Tragödie“: [Dez 1800] P28 u. P29, S. 177. − Zu P123B s. auch Bohnenkamp 455−62 u. FA I 7.2, 998−1001. 1 ) Zur polit. Zeitsituation: G spricht vom Jahr 1827 als einer Epoche . . . der grimmigsten Anarchie . . . da man [verdiente Personen] unterdrückt, verfolgt und von aller Einwirkung ausgeschlossen wußte (Eunomia; W 41.2, 353). − Engl.-frz.-russ. Flottenverbände vernichten die türk.-ägypt. Flotte bei Navarino; Griechenland erlangt seine Unabhängigkeit; der griech. Freiheitskämpfer Joh. Antonio Graf Kapo d’Istria, Politiker u. Diplomat in russ. Diensten, wird zum regierenden Präsidenten der Griechen.

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Jan 11. [Abends] Dr. Eckermann. Demselben die Terzinen vorgelegt.1) 15. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 198; 200f.): Nach Vollendung der Helena [24. Juni 1826] hatte Goethe sich im vergangenen Sommer zur Fortsetzung der Wanderjahre gewendet . . . Ich brachte das Gespräch auf den zweiten Teil des Faust, insbesondere auf die klassische Walpurgisnacht, die nur noch in der Skizze [= P123C] dalag, und wovon Goethe mir vor einiger Zeit gesagt hatte, daß er sie als Skizze wolle drucken lassen. Nun hatte ich mir vorgenommen, Goethen zu raten, dieses nicht zu tun, denn ich fürchtete, sie möchte, einmal gedruckt, für immer unausgeführt bleiben. Goethe mußte in der Zwischenzeit das bedacht haben, denn er kam mir sogleich entgegen, indem er sagte, daß er entschlossen sei, jene Skizze nicht drucken zu lassen.2) Das ist mir sehr lieb, sagte ich, denn nun habe ich doch die Hoffnung, daß Sie es ausführen werden. „In einem Vierteljahr, sagte er, wäre es getan, allein woher will die Ruhe kommen! Der Tag macht gar zu viele Ansprüche an mich; es hält schwer, mich so sehr abzusondern und zu isolieren. Diesen Morgen war der Erbgroßherzog bei mir, auf morgen Mittag hat sich die Großherzogin melden lassen. Ich habe solche Besuche als eine hohe Gnade zu schätzen, sie verschönern mein Leben; allein sie nehmen doch mein Inneres in Anspruch, ich muß doch bedenken, was ich diesen hohen Personen immer Neues vorlegen und wie ich sie würdig unterhalten will.“ Und doch, sagte ich, haben Sie vorigen Winter die Helena vollendet, und Sie waren doch nicht weniger gestört als jetzt. „Freilich, sagte Goethe, es geht auch, und muß auch gehen, allein es ist schwer.“ Es ist nur gut, daß Sie ein so ausführliches Schema [P123C] haben. „Das Schema ist wohl da, sagte Goethe, allein das Schwierigste ist noch zu tun; und bei der Ausführung hängt doch Alles gar zu sehr vom Glück ab. Die klassische Walpurgisnacht muß in Reimen geschrieben werden und doch muß alles einen antiken Charakter tragen. Eine solche Versart zu finden ist nicht leicht. Und nun den Dialog!“ − Ist denn der nicht im Schema mit erfunden? sagte ich. „Wohl das Was, antwortete Goethe, aber nicht das Wie. Und dann bedenken Sie nur, was alles in jener tollen Nacht zur Sprache kommt! Fausts Rede an die Proserpina, um diese zu bewegen, daß sie die Helena herausgibt, was muß das nicht für eine Rede sein, da die Proserpina selbst zu Tränen davon gerührt wird!3) − Dieses alles ist nicht leicht zu machen und hängt sehr viel vom Glück ab, ja fast ganz von der Stimmung und Kraft des Augenblicks.“ 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Boissere´e an G gD, S. 550) 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 550) 19. (s. „Helena . . .. Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Boissere´e gD, S. 550) 25. (s. „Helena . . .. Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 550) 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. Satzanweisung zum Helena Mskript gD, S. 551) 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Cotta u. Ottilie v. Goethe an F. Soret gD, S. 551) 26. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Cotta gD) 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Boissere´e gD, S. 551)

1

) Vielleicht 4679−727, Verse, die Eckermann im Mai 1827 bereits kannte, s. unten 6. Mai: Eckermann Gespräch. 2 ) s. oben 29. Dez 1826: Tgb. 3 ) Zeugnis, daß G schon früh eine Rede Fausts an Proserpina plante, um von ihr Helenas Freigabe aus dem Hades zu bewirken; weiterer, späterer Beleg s. unten 18. Juni 1830: P157.

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Jan 27.1) Zahme Xenien. V (C1 4 〈1827〉 374; W 3, 349):2)

Ueber Moses Leichnam stritten Selige mit Fluch-Dämonen; Lag er doch in ihrer Mitten, Kannten sie doch kein Verschonen; Greift der stets bewußte Meister Nochmals zum bewährten Stabe,3) Hämmert auf die Pustrichs-Geister;4) Engel brachten ihn zu Grabe.5) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann gD, S. 551 f.) 29.6) (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann gD, S. 551 f.) [Febr (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H73 mit 9939f. gD, S. 552) vor 6.] 7. u. 9. (s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]: Tgb, S. 553) 16. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an die Cottasche Buchhandlung gD) [ca. 16.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H74 mit 9939f. gD, S. 553) 17. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Boissere´e gD, S. 553) 17. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb u. an Boissere´e gD) 17. [Nachmittags] Ich fuhr fort das Humboldtische Werk über Cuba zu

lesen. Besonders dessen Aufsatz über den Durchstich des mittelamerikanischen Isthmus.7) 1

) Späteste Absendung der zumeist früher entstandenen Zahme Xenien Buch V. zum Druck. 2 ) Zu Akt V Sz. [6] Grablegung. Burdach Faust und Moses 365f. betont, G steigere hier den Gedanken der A n a l o g i e s e i n e r P e r s ö n l i c h k e i t m i t M o s e s zu einem poetischen Bekenntnis, das äußerlich die Form eines Scherzes hat, aber ernsten und stolzesten Sinn verkündet. Wider den Falschmünster Pustkuchen, den Verfasser der parodistischsatirischen ›Wanderjahre‹, und ihm verwandte Gegner erhebt sich der alte Dichter. Der Streit der Meinungen um seinen Dichterwert weckt das alte Bild des toten Moses auf, um dessen Leichnam die Engel und Teufel stritten. 3 ) Burdach Faust und Moses erläutert: G greift hier auf die rabbinische Legende über den Tod des Moses zurück. ›Der Stab des Meisters‹ ist der Stab des Moses, mit dem er dem Felsen die Quelle entlockte und mancherlei andere Wunder vollführte, mit dem er nach jüdischen Sagen dem Satan Sammael, der ihn zum Tode mit sich schleppen wollte, abwehrend ein Auge ausstößt. (366). 4 ) Zu Akt V Sz. [6] Grablegung (11716): Nun pustet, Püstriche!. . . Der Ausdruck ›Pustrichs-Geister‹ kettet diese Xenie fest an die Konzeption der Grablegung des Faust! Vgl. Burdach Faust und Moses S. 366. 5 ) Als 1821 G’s 1. Fassung von Wilhelm Meisters Wanderjahre erschien, fand das Werk keine ›geneigte‹ Aufnahme u. als kurz danach J. F. W. Pustkuchens Parodie Wilhelm Meisters Wanderjahre anonym 1821−1828 in 5 Teilen zu erscheinen begann, wurden die Pseudo-Wanderjahre sogar von einer Rez. in den Berlinischen Nachrichten (1822) u. von Teilen des Publikums dem Original vorgezogen. G reagierte auf den öffentl. Spott mit mehreren Zahmen Xenien dieser Abt., die er mit den hier zitierten Versen abschloß. 6 ) Verwechseltes Datum; das Gespräch fand am 25. Jan 1827 statt. 7 ) Essai politique sur l’ıˆle de Cuba; par Alexandre du Humboldt. Avec une carte et un

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Febr 18. [Nachmittags] Ich las Alexander von Humboldts Gutachten über den

amerikanischen Isthmischen Canal.1) 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: L. Robert an Rahel Levin Varnhagen gD, S. 553) 19. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 21. Abends allein. von Humboldts Cuba. Columbien. Durchstich des Isth-

mus.2) 21. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 580f.):3) Bei Goethe zu Tisch. − Er sprach viel und mit Bewunderung über Alexander von Humboldt, dessen Werk über Cuba und Columbien er zu lesen angefangen und dessen Ansichten über das Projekt eines Durchstiches der Landenge von Panama für ihn ein ganz besonderes Interesse zu haben schienen. „Humboldt, sagte Goethe, hat mit großer Sachkenntnis noch andere Punkte angegeben, wo man mit Benutzung einiger in den Mexikanischen Meerbusen fließender Ströme vielleicht noch vorteilhafter zum Ziel käme, als bei Panama. Dies ist nun Alles der Zukunft und einem großen Unternehmungsgeiste vorbehalten. So viel ist aber gewiß, gelänge ein Durchstich der Art, daß man mit Schiffen von jeder Ladung und jeder Größe durch solchen Kanal aus dem Mexikanischen Meerbusen in den stillen Ozean fahren könnte, so würden daraus für die zivilisierte und nichtzivilisierte Menschheit ganz unberechenbare Resultate hervorgehen. Wundern sollte es mich aber, wenn die vereinigten Staaten es sich sollten entgehen lassen, ein solches Werk in ihre Hände zu bekommen. Es ist vorauszusehen, daß dieser jugendliche Staat, bei seiner entschiedenen Tendenz nach Westen, in dreißig bis vierzig Jahren auch die großen Landstrecken jenseits der Felsengebirge in Besitz genommen und bevölkert haben wird. − Es ist ferner vorauszusehen, daß an dieser ganzen Küste des stillen Ozeans, wo die Natur bereits die geräumigsten und sichersten Häfen gebildet hat, nach und nach sehr bedeutende Handelsstädte entstehen werden, zur Vermittlung eines großen Verkehrs zwischen China nebst Ostindien und den vereinigten Staaten. In solchem Fall wäre es aber nicht bloß wünschenswert, sondern fast notwendig, daß sowohl Handels- als Kriegsschiffe zwischen der nordamerikanischen westlichen und östlichen Küste eine raschere Verbindung unterhielten, als es bisher durch die langweilige, widerwärtige und kostspielige Fahrt um das Cap Horn möglich gewesen. Ich wiederhole also: es ist für die vereinigten Staaten durchaus unerläßlich, daß sie sich eine Durchfahrt aus dem Mexikanischen Meerbusen in den stillen Ozean bewerkstelligen, und ich bin gewiß, daß sie es erreichen.“4) „Dies möchte ich erleben; aber ich werde es nicht. Zweitens möchte

supple´ment qui renferme des conside´rations sur la population, la richesse territoriale et le commerce de l’archipel des Antilles et de Colombia. T. 1. 2. Paris 1826; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 4106). − Zu G’s Interesse an Kanalbauten, gespiegelt in Faust II, vgl. s. 1824 Febr 29.: Eckermann; 1825 März 7.: Tgb, Aug 20.: Tgb, 22: Tgb; 1827 Febr 17.: Tgb u. 21.: Eckermann. 1 ) s. die vorige Anm. 2 ) s. 18. Febr: Tgb m. Anm. 3 ) Zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10181−233) u. Akt V Sz. [1] Offene Gegend (11090– 130, Sz.[2] Palast (11145f.). − G’s globales Interesse an Kanalbauten großen Stils im Hinblick auf diese Partien; vgl. 22. Aug 1825: Tgb. 4 ) Das von G vorausgeahnte Projekt eines Kanals zur Verbindung des Atlantischen und des Pazifischen Ozeans wurde 1881 von Frankreich begonnen, 1904 von den USA übernommen u. bei Eröffnung des Panamakanals im Aug 1914 als achtes Weltwunder bestaunt. Die weiteren hier von G vorausgesehenen Kanäle wurden gleichfalls inzwischen verwirklicht.

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ich erleben, eine Verbindung der Donau mit dem Rhein hergestellt zu sehen. Aber dieses Unternehmen ist gleichfalls so riesenhaft, daß ich an der Ausführung zweifle, zumal in Erwägung unserer deutschen Mittel. Und endlich drittens möchte ich die Engländer im Besitz eines Kanals von Suez sehen. Diese drei großen Dinge möchte ich erleben, und es wäre wohl der Mühe wert, ihnen zu Liebe noch einige funfzig Jahre auszuhalten.“

Febr 26. Abends Hofrath Meyer. Den Prachtzug des Ptolomäus Philometer aus

dem Athenäus vorlesend.1) März 3. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Cotta an G gD) 10. u. 11. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Reichel an Cotta; Reichel an G gD, S. 553) 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Reichel an G u. Tgb gD, S. 554) [nach 15] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Entwurf H2 [Ankündigung] gD, S. 554) 15./31. Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung].2) (W 41.2, 290f.):3)

Darüber . . . mußte ich mich wundern, daß diejenigen, welche eine Fortsetzung und Ergänzung meines Fragments unternahmen, nicht auf den so nahe liegenden Gedanken gekommen sind, es müsse die Bearbeitung eines zweiten Theils sich nothwendig aus der bisherigen kümmerlichen Sphäre ganz erheben und einen solchen Mann in höheren Regionen durch würdigere Verhältnisse durchführen. Wie ich nun von meiner Seite dieses angegriffen, lag im Stillen vor mir, von Zeit zu Zeit mich zu einiger Fortarbeit anregend; wobei ich mein Geheimniß vor allen und jeden sorgfältig verwahrte, immer in Hoffnung, das Werk einem gewünschten Abschluß entgegenzuführen.4) [vor 18.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: III H75 mit 9939−43 gD, S. 489) 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Reichel u. Beilage gD, S. 555) 19. An Zelter (Br 42, 95f.): Das entdeckte Verständniß der Aristotelischen

Stelle war mir ein großer Gewinn, sowohl um ihrer selbst und des

1

) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal (5395ff.). − Athenaios, griech. Schriftsteller um 200, schildert in Buch V seines Deipnosophistai (Gelehrte beim Mahl) einen in Alexandria von Ptolemaios Philadelphos veranstalteten Festzug, bei dem ein Elefant mitgeführt wurde. − Eine der Anregungen zum Auftritt eines Elefanten in der Mummenschanz-Szene; s. [11. Aug/11. Okt 1827]: H P102; Hinweis von Morris 1902 I 98. 2 ) Ankündigung des Vorabdrucks von Helena klassisch−romantische Phantasmagorie. Zwischenspiel zu Faust in C1 4; ED in KA VI 1 (1807) 200−03; zur Entstehung s. „Helena. Zwischenspiel zu Faust [Ankündigung]“; S. 480 f. In einer früheren, ungedruckten Fassung (=P123C; W 15.2, 198−212) ist über das hier Ausgewiesene hinaus das der Helena-Sz. vorangehende Geschehen ausführlich dargestellt worden; dort heißt es am Ende: Dieses kurze Schema sollte freylich mit allen Vortheilen der Dicht-und Redekunst ausgeführt und ausgeschmückt dem Publicum übergeben werden, wie es aber da liegt, diene es einsweilen die Antecedenzien bekannt zu machen welche der angekündigten Helena, einem klassisch-romantisch-phantasmagorischen Zwischenspiel zu Faust als vorausgehend genau gekannt und gründlich überdacht werden sollten. (212) 3 ) Zum Vorausgehenden s. „Faust. Eine Tragödie“ gD, S. 378. 4 ) Zum Nachfolgenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ gD, S. 554.

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ästhetischen Zusammenhangs willen, als weil eine Wahrheit Licht um sich her nach allen Seiten verbreitet. März 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller an J. K. L. Schorn gD, S. 555) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Stapfer an G u. Eckermann gD, S. 555) 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Zelter u. Reichel an G gD, S. 556) 31. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: an Frommann u. Tgb gD) Apr

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 556) 2. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Caroline v. Wolzogen gD) 3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Stapfer u. an Reichel gD, S. 556 u. 557 f.) 4. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: W. Reichel an G gD, S. 558) 10. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Frommann an G gD) 14. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 15. [Nachmittags] Betrachtete ich das angekommene bedeutende Werk mit

Abbildungen Voyages de Grand Bretagne par Dupin.1) 15. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: an Frommann gD) 18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann u. Tgb gD, S. 558) 19. [Nachmittags] Dupins Reise nach Großbritannien.2) 22. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an S. Boissere´e u. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 558 f.) Apr 22./ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Holtei gD, S. 559) Mai 6. Mai 1. u. 5. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Frommann an G gD) 6. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 613−16):3)Goethe erzählte uns darauf, wie er im Jahre 1797 den Plan gehabt, die Sage vom Tell als episches Gedicht in Hexametern zu behandeln. „Ich besuchte, sagte er, im gedachten Jahre noch einmal die kleinen Kantone und den Vierwaldstädter See, und diese reizende, herrliche und großartige Natur machte auf mich abermals einen solchen Eindruck, daß es mich anlockte, die Abwechselung und Fülle einer so unvergleichlichen Landschaft in einem Gedicht darzustellen“ . . . „Von diesem schönen Gegenstande [Tell-Epos] war ich ganz voll, und ich summte dazu schon gelegentlich meine Hexameter. Ich sah den See im ruhigen Mondschein, erleuchtete Nebel in den Tiefen der Gebirge. Ich sah ihn im Glanz der lieblichsten Morgensonne, ein Jauchzen und Leben in Wald und Wiesen“ . . . Wir freuten uns dieser Mitteilung, die Allen interessant zu hören war. Ich machte bemerklich, daß es mir vorkomme, als ob die in Terzinen geschriebene prächtige Beschreibung des Sonnenaufgangs in der ersten Szene vom zweiten Teile des Faust4) aus der Erinnerung 1

) Charles Dupin: Voyages dans la Grande-Bretagne. Entrepris relativement aux services publics de la guerre, de la marine et des points et chausse´es, en 1816, 1817, 1818, 1819, et 1820, 6 Vol., Paris 1816−1824, in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 4069). − Weiteres Z für G’s umfassendes Interesse an Kanalbauprojekten, s. oben 21. Febr 1827: Eckermann Gespräch. 2 ) s. oben 15. Apr: Tgb. 3 ) Zum Vorausgehenden s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“, EGW 7, 148. 4 ) Zu Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend (4679−727). − Das Z bezeugt, daß der Monolog

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jener Natureindrücke des Vierwaldstädter Sees entstanden sein möchte. „Ich will es nicht leugnen, sagte Goethe, daß diese Anschauungen dort herrühren; ja ich hätte ohne die frischen Eindrücke jener wundervollen Natur den Inhalt der Terzinen gar nicht denken können. Das ist aber auch Alles, was ich aus dem Golde meiner Tell-Lokalitäten mir gemünzt habe. Das Übrige ließ ich Schillern, der denn auch davon, wie wir wissen, den schönsten Gebrauch gemacht.“ Das Gespräch wendete sich auf den Tasso, und welche Idee Goethe darin zur Anschauung zu bringen gesucht. „Idee? sagte Goethe, − daß ich nicht wüßte! . . . Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! − Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer, als billig. − Ei! So habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hinzugeben, Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre!“ „Da kommen sie und fragen: welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? − Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! − Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre zur Not etwas; aber das ist keine Idee, sondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus schweren Verirrungen immerfort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sei, das ist zwar ein wirksamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es ist keine Idee, die dem Ganzen und jeder einzelnen Szene im Besondern zu Grunde liege. Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!“ „Es war im Ganzen, fuhr Goethe fort, nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, daß Andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen . . . Das einzige Produkt von größerem Umfang, wo ich mir bewußt bin, nach Darstellung einer durchgreifenden Idee gearbeitet zu haben, wären etwa meine Wahlverwandtschaften. Der Roman ist dadurch für den Verstand faßlich geworden; aber ich will nicht sagen, daß er dadurch besser geworden wäre! Vielmehr bin ich der Meinung: je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.“

Mai

9. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: J. J. Ampe`re an Julie Re´camier; an A. M. Ampe`re; an A. Stapfer gD, EGW 7, 148f.) 15. [Weimar,1) abends] Einiges an den chinesischen Jahreszeiten.2)

Natureindrücke von 1797 wiedergibt. Aus Eckermanns Gesprächsdatierung, dem einzigen eindeutig auf Fausts Terzinenmonolog bezüglichen Z, ergibt sich dessen terminus ante quem u. daraus wiederum, daß der Monolog vor den Elfenchören entstand. Zu den diversen Datierungsansätzen vgl. Bohnenkamp 282. 1 ) Vom 12. Mai bis 8. Juni 1827 verbrachte G in seinem Gartenhaus am Ilmpark. 2 ) Zu Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend. − Erstes eindeutiges Z zu G’s Gedichtzyklus Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten. Schadewaldt 1963, 261 stellte zwischen dessen VIII. Stück (Dämmrung senkte sich von oben) u. beiden Anfangsstrophen des Elfenchors (4634−49) eine ins Auge fallende Ähnlichkeit fest u. schloß daraus (253), sie seien in engster sachlicher wie zeitlicher Nähe entstanden; der Elfenchor sei die zeitlich folgende Fortgestaltung (258), weil er nach Darstellung der Nachtzeiten in beiden Anfangsstrophen, die sich eng an das VIII. Stück anlehnt, von der 3. Strophe an

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Mai 16. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tagebuch Boissere´e gD) 18. Ich griff das Hauptgeschäft an und brachte es auf den rechten Fleck. 19. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Knebel an G gD, S. 559) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: M. Retzsch an Cotta gD, S. 559) 21. [Abends] Später Dr. Eckermann . . .1) einiges über den zweyten Theil

von Faust. 22. Einiges über den zweyten Theil von Faust gedacht. Auch schematisirt. 24. An Zelter (Br 42, 190): Nun aber soll das Bekenntniß im Stillen zu dir gelangen, daß ich, durch guter Geister fördernde Theilnahme,2) mich wieder an Faust begeben habe, und zwar gerade dahin, wo er, aus der antiken Wolke sich niederlassend, wieder seinem bösen Genius begegnet.3) Sage das niemanden; dieß aber vertrau ich dir, daß ich von diesem Punct an weiter fortzuschreiten und die Lücke auszufüllen gedenke zwischen dem völligen Schluß, der schon längst fertig ist. Dieß alles sey dir aufbewahrt und vor allem in Manuscript aus deinem Munde meinem Ohr gegönnt. 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Nees v. Esenbeck gD, S. 560) 24. [Abends] Ich bedachte den zweyten Theil von Faust, und regulirte die

vorliegenden ausgeführten Theile. mit den an den Schläfer Faust gerichteten Versen der Elfen vom Naturbereich in den moralischen Bereich übergehe. Schadewaldt vermutete, daß die Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten für die Umgestaltung der Funktion der Geisterchöre u. damit für eine einschneidende Planänderung der Einleitung von Faust II zwar nicht [der] innere Anlaß − wohl aber im Wurzelgeflecht der Anlässe der auslösende Faktor war. Wie in P63 ausgeführt, habe G Faust am Neubeginn ursprünglich schlafend u. umgeben von Geisterchören zeigen wollen, die ihm in sichtlichen Symbolen und anmuthigen Gesängen die Freuden der Ehre, des Ruhms, der Macht und Herrschaft vorspiegeln, um ihn in die Welt des Kaiserhofs u. des großen Handelns hinauszulocken. Dieses Konzept einer Verführung durch eigentlich ironische Anträge sei, wie P100 zeige, bis in die 20er Jahre gültig gewesen. Erst durch die Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten habe G die Lösung der Elfenszene gefunden, in der jener ursprüngliche Gedanke der ironisch Macht u. Ehre vorgaukelnden Geisterchöre fallengelassen ist u. statt seiner die Elementargeister der Natur mit ihrem Gesang den Gesundungsschlaf Fausts begleiten. Ausgehend von der als sicher angenommenen Datierung von P100 auf den 27. Mai 1827, setzte Schadewaldt den Elfenchor Ende Juni/Juli 1827 an; doch ist die P100−Datierung umstritten: Vorsichtiger urteilt Fischer-Lamberg, die bei der Untersuchung der Handschrift lediglich den 7.7.1825 als terminus post quem . . . für das Schema zum 1. Akt bestimmt. (Bohnenkamp 292); vgl. [25? Apr 1826]: III H58. 1 ) Zum Vorausgehenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“, S. 560. 2 ) Anklang an die Eingangsverse von Faust II; mögliche Stütze zur Datierung der Elfenszene Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend auf die 2. Maihälfte 1827. 3 ) Deutlicher Bezug auf den Beginn von Akt IV Sz. [1]: Hochgebirg . . . eine Wolke zieht herbei, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab. Sie teilt sich. Faust tritt hervor. Doch erlaubt das noch nicht den Schluß, daß Fausts Monolog (10039−66) im Mai 1827 entstand; s. 13. Febr 1831: Eckermann.

722

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1827

Mai 25. Gestriges fortgesetzt . . . Abends für mich in Betrachtung des Nächsten. 27. Ich behandelte das Schema von Faust1) anschließend an das schon Voll-

endete. 28. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: F. v. Müller an C. F. v. Reinhard gD) ?

30. Im Garten spazieren. Einiges poetische Bedenken.

[Mai Ende/Ende Juli [Weimar] Eckermann, Gespräche mit Goethe über den zweiten Theil des Faust (FA II 12, 907):2) Hier also der Anfang! Da Sie mich kennen, so werden Sie nicht überrascht sein, ganz in meiner bisherigen milden Art! es ist als wäre alles in dem Mantel der Versöhnung eingehüllt. Wenn man bedenkt welche Gräul, beim Schluß des zweiten Act’s [Gretchenhandlung], auf Gretchen einstürmten und rückwirkend Faust’s ganze Seele erschüttern mußten, so kont’ ich mir nicht anders helfen als den Helden, wie ich’s gethan, völlig zu paralisieren und als vernichtet zu betrachten, und aus solchen scheinbaren Tode ein neues Leben anzuzünden. Ich mußte hiebei eine Zuflucht zu wohlthätigen mächtigen Geistern nehmen wie sie uns in der Gestalt und im Wesen von Elfen überliefert sind. Es ist alles Mitleid und das tiefste Erbarmen. Da wird kein Gericht gehalten und da ist keine Frage, ob er es verdient oder nicht verdient habe, wie es etwa von Menschen Richtern geschehen könnte. Bei den Elfen kommen solche Dinge nicht in Erwägung. Ihnen ist es gleich, ob er ein Heiliger oder ein Böser in Sünde versunkener ist, „ob er Heilig ob er Böse jammert sie der Unglücksmann“[4619f.] und so fahren sie in versöhnender Weise beschwichtigend fort und haben nichts höheres im Sinne als ihn durch einen kräftigen tiefen Schlummer die Gräul der erlebten Vergangenheit vergessen zu machen: „Erst badet ihn im Tau als Lethe’s Fluth.“[4629] Juni

2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Nees v. Esenbeck an G gD, S. 560) 5. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Rez. gD, S. 559)

15. u. 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 561) 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Göttling gD, S. 561) 17. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Reichel an Cotta gD) 21. [Nachmittags] Nachher in Dupin Reise nach England die Stelle von

Leuchtthürmen.3) [Sommer] (I H P108b zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Versen zum Szenar vor 5199)4) (I H P108c zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Versen zum Szenar vor 5199)5) 1

) Welches Schema ist nicht sicher. Pniower 1899, 188ff. bezog die Tgb-Notiz auf P100, was lange akzeptiert wurde, inzwischen aber bezweifelt wird, weil P100 wahrscheinlich auf III H58 Rs mit den Versentwürfen auf Vs im Frühj. 1826 entstand, auch wenn die Ausarbeitung von Akt I erst im Juli 1827 begann (Bohnenkamp 291ff.). Gräf II 2, 397 verweist auf P63, die Inhaltsskizze für Akt I−IV. 2 ) Undatiertes Gespräch aus Eckermanns Nachlaß, geschrieben nach 1850 von dessen Sohn Karl, vermutl. nach Diktat des Vaters. Gräf II 2, 326 datiert es auf 12. März 1826, danach auch FA II 10, 366 während Schadewaldt es im Hinblick auf die Elfenchöre umdatierte: Das Eckermann-Fragment ist . . . nicht vor Ende Mai 1827, wahrscheinlich ebenfalls in die Mitte des Sommer zu datieren (Schadewaldt 1955, 234). 3 ) s. oben 15. u. 19. Apr: Tgb. 4 ) I H P108b (Bohnenkamp 304) egh Reinschrift; vermutl. sollte die Regieanweisung (Szenar vor 5199) ursprünglich in Versen erfolgen. − Zu P108b s. auch Bohnenkamp 304 u. FA I 7.2, 976. 5 ) I H P108c (Bohnenkamp 305) Entwurf−Verse zu den in der Regieanweisung (Szenar

1827

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

723

Juni 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H. C. F. Peucer an C. F. v. Reinhard gD, S. 561) 22. [Nachmittags] Dupin Voyages VI. Theil . . . [Abends] Nachher Dupin

fortgesetzt. Schottische Häfen und Kanäle.1) 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Zelter an G gD, S. 561) Juli

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Niebuhr an Dora Hensler gD, S. 561) 5. [Nachmittags] Mit meinem Sohn über Herrn von Schweinichen und

dessen Herrn, den Fürsten von Liegnitz.2) 5. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann gD, S. 561 f.) 9. Waren die Pasten der Stossischen Sammlung von Berlin gekommen.

Beschäftigte mich damit . . . [Abends] Ich fuhr fort die Stossische Sammlung näher zu betrachten.3) 12. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Knebel an G gD, S. 562) 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Förster an G gD, S. 562) 14./16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. Förster, Goethes Werke. Vollst. Ausg. letzter Hand. Erste Lieferung. B. 1 bis 5 u. Förster an G gD, S. 562 f.) [vor 16.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Henriette v. Beaulieu-Marconnay’s Deutung der Helena gD, S. 563 f.) 16. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 153):4) Bey voller Muse und Abtrennung von der Welt getraue er sich noch jezt, den Faust in drei Monaten zu beenden. 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller an Henriette v. Beaulieu-Marconnay gD, S. 564) 17. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb u. an Zelter u. Bibliotheksentleihungen gD, S. 564 u. 565)

vor 5199) genannten Fischer und Vogelstellern. − Zu P108c s. auch Bohnenkamp 305 u. FA I 7.2, 976. 1 ) Zu des Faust-Dichters spezifischem Interesse für Kanäle vgl. 1824 Febr 29.: Eckermann; 1825 März 7.: Tgb, Aug 20.: Tgb, 22: Tgb; 1827 Febr 17.: Tgb u. 21.: Eckermann. 2 ) Vgl. oben 20. Nov 1821: Büsching an G. 3 ) Zu Akt II Sz. [4] Am oberen Peneios (7186 u. 7606ff.). − Gipsabdrücke von Gemmen der von Winckelmann erschlossenen Sammlung des Philipp v. Stosch, die G durch A. Nicolovius aus Berlin erhalten hatte; vgl. Schuchardt II 344 Nr. 270. Darunter 2 Abdrücke, die G zu Auftritten u. Formulierungen in der KWN anregten: 1) Karneol-Intaglio. Odysseus und die Sirenen: Auf diesem Karneol der frühen römischen Kaiserzeit ist das Schiff des Odysseus zu sehen und über ihm drei musizierende Sirenen. Der homerische Odysseus ließ sich bekanntlich an den Mastbaum seines Schiffes binden, um die Sirenen zwar zu hören, aber ihren Verlockungen nicht nachzugeben. Er steht sonst in allen Darstellungen . . . steif am Mast. Auf dem Karneol beugt er sich dagegen nach vorn, wie es Faust [7186] . . . beschreibt. (Simon JbFDH 2004, 166) 2) Karneol-Intaglio. Pygmäen u. Kraniche: Zwei Pygmäen im Kampf gegen zwei Kraniche. Ein Kranich liegt schon von einer Lanze durchbohrt am Boden. − G hat selber Sirenen gezeichnet; vgl. CG IV B 228 u. VI A 73. Abb. 4 ) Zum Vorangehenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“ gD, S. 564.

724 Juli

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1827

18. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Knebel gD, S. 565) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Holtei an F. v. Müller u. Knebel an G gD, S. 565) 20. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Carlyle gD, EGW 7, 149) 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Knebel gD, S. 566) 22. Nahm den Faust vor.1) 22. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H. v. Beaulieu-Marconnay an F. v. Müller u. Tgb gD, S. 566) 22. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 149) 25. Anderes die neue Ausgabe betreffend. Auch das Hauptwerk nicht ver-

säumt. 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 566) 26. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Cotta gD) [26.] [Weimar] F. v. Matthisson, Tagebuch (GG 3.2, 159): Bei Kanzler von Müller, der mir sagte, daß Goethe fleißig am zweiten Teil des Faust arbeite, worin Mephistopheles ihn in die diplomatischen Zirkel am Hofe Maximilians I. einführt. 27. An Ulrike v. Pogwisch (Br 42, 279f.): Wölfchen [G’s Enkel] ist mein

gewöhnlicher Gesellschafter und pflegt einige Stunden Abends mit mir im Garten zuzubringen . . . dann schreibt er wohl auch die Namen auf aus den orientalischen Mährchen. . .2) 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Göttling an G gD, S. 566) 28. Einiges am Hauptgeschäft. 29. Behandelte ich das Hauptgeschäft. 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 566) 30. Befand mich beim Aufwachen nicht wohl und brachte den Tag meist

unthätig hin, doch war der Hauptzweck nicht versäumt. 31. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 567)

1

) Wohl Arbeitsbeginn an Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones, die G laut Eckermann spätestens 1. Okt 1827 abschloß. Dazu QuZ 2, 493: Ob die hier erneut einsetzende Beschäftigung mit ’Faust II’ im Zusammenhang mit der notwendig gewordenen Umgruppierung der Bde steht und ob Goethe, wie Pniower 194 vermutet, schon jetzt plant, ’Faust I’ in einem besonderen Bd der Ausgabe zu bringen und ihn mit weiteren Proben aus ’Faust II’ zu ergänzen, muß dahingestellt bleiben, da für diese Tage keine näheren Zeugnisse über die bedachte neue Ordnung der Bde vorliegen. Es ist jedoch durchaus möglich, daß der am 18.9. an Cotta gemeldete Inhalt der 3. Lieferung und der Abdruck der ersten Szenen aus ’Faust II’ in Bd 12 . . . schon im Juli ins Auge gefaßt waren, zumal eine Agenda-Notiz vom 15.8. bereits von einer Meldung des Inhalts der 3. Lieferung an Reichel spricht. 2 ) Z für Beschäftigung mit 1001 Nacht, zu deren Auswirkung auf Akt I s. 1824 Juli 29.: Tgb., [Dez vor 10.]: J. Max an G, 22. Mai 1825: Tgb, 1827 [Aug Anf.]: H P101 u. [Dez nach 22.]: I H19.

1827 [Aug]

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725

(H P110a zu Akt I [3] Weitläufiger Saal mit Versentwürfen, einige zu beziehen auf Szenar nach 5294 u. 5298)1)

[Anf.] (H P101 zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz Saal des Thrones mit 4889−5060)2) (H P101a zu Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz Saal des Thrones mit 4903−11)3) 1. Das Hauptgeschäft vorgeschoben. 4. Sodann das Hauptgeschäft verfolgt. 11. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 9. Okt 1827 −: [Grazzini, Antonio Francesco:] Tutti i trionfi, charri, mascheaate o ` canti carnascialeschi andati per Firenze, dal teˆpo del Magnifico Lorenzo vecchio de Medici, quaˆdo egli hebbero prima cominciameˆto, per insino `a questo anno presente 1559. Con due tavole, una dinanzi, e una dietro, da trovare agievolmente, e tosto ogni canto, o ` mascheratas. In Fiorenza 1559. In questa 2. ed. corretti . . . (Part. 1. 2.) In Cosmopoli 1750.)4)

1

) H P110a (Bohnenkamp 306−08) Auf Geschenkblatt notiert, datiert auf Aug 1827, egh Tintenentwurf einer geplanten, aber nicht ausgeführten Poetenszene mit Auftritt diverser Dichtertypen, erkennbar noch im Szenar nach 5294 u. 5298; Zu P110a s. auch Bohnenkamp 308f. u. FA I 7.2, 976f. 2 ) H P101 (Bohnenkamp 294): Schema-Reinschrift von John zum Textabschnitt, der das Motiv der Schatzgewinnung nach Verdienst in die Kaiser-Handlung einbringt, das in P100 vom Frühj. 1826 noch fehlte: Andeutungen auf die verborgenen Schätze Sie gehören im ganzen Reiche dem Kaiser Man muß sie auf kluge Weise zu Tage bringen Man entgegnet aus Furcht vor Zauberey der lustige reduzirt alles auf Natur kräfte. Wünschelruthe und Persönlichkeit Andeutung auf Faust Am Schluß von P101 ist erstmals von Carnevall die Rede, dessen Ende abgewartet werden muß: Fromme Vorbereitung Erst Bee[n]digung des Carnevalls Wegen Bedingung des Schatzhebens, Sammlung u. Buse Erwünschter Aschermittwoch. Noch dominiert der Carneval nicht den Akt. − Datierung: Juli/Sept 1827, wahrscheinlich Anf. Aug (Mommsen 2006, 192). Zur Ausgestaltung wurde G angeregt durch die Geschichte der Liebe des Prinzen Kamaralsaman von der Insel Chaledan und der Prinzessin Badur von China u. Geschichte des Prinzen Seyn Alasnam und des Königs der Geister aus 1001 Nacht. Die in moralischer Hinsicht negative Charakteristik, die der Kaiser dadurch erfuhr, stand als Absicht schon früher fest; s. 16. Dez 1816: P63. Wie G bei der endgültigen Gestaltung der Sz. Saal des Thrones seine Absicht realisierte, läßt die von 1001 Nacht ausgegangene Inspiration erkennen. Alles Reden über Schätze in dieser Szene, die gierige Ungeduld des Kaisers, Mephistopheles’ Ironie, das gerade aus seinem Munde erstaunlich klingende Mahnen und Bedingen − all dies versteht man besser, wenn man jene beiden Geschichten im Hintergrunde stehen sieht. (Mommsen 2006, 194f; detaillierter ebd. 187−96). − Zu P101 s. auch Bohnenkamp 295 u. FA I 7.2, 974f. 3 ) H P101a (Bohnenkamp 296): Schema-Bruchstück, Ergänzungen zu P101, von Johns Hand: Drey Stände: Heilige Ritter Hexenmeister. Das diese Stichworte enthaltene Notizbuch bestätigt durch die Eintragungen vorher u. nachher die Zeitspanne 1827/1828. − Zu P101a s. auch Bohnenkamp 296 u. FA I 7.2, 975. 4 ) In Cosmopoli [= Lucca] 1750. − Die von dem Florentiner Apotheker u. Dichter Antonfrancesco Grazzini veranstaltete Sammlung vereint während des Karnevals gesungene Lieder aus der Zeit des Lorenzo de’ Medici (1449−1492) bis zum Jahr der Herausgabe 1559. Sie besteht aus 310 canti carnascialeschi, Lieder mit denen sich Vertreter verschiedenster Berufe u. Gewerbe in jeweiliger Verkleidung vorstellen, andere zur Begleitung der Prachtwagenaufzüge allegorischen u. mytholog. Inhalts: 23 trionfi, 3 carri u. 2 mascherate. − G benutzte die von Rinaldo Maria Bracci (1710−1757) pseudonym Neri del Boccia besorgte 2. Ausg. von 1750.

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1827

Aug 11. Das Hauptgeschäft gefördert. Canti Carnascialeschi nach langer Zeit

wieder angesehen. Herrlichstes Denkmal der florentinischen Epoche und Lorenz Medicis.1) [Aug 11./ (H P102 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5088−688)2) Okt 11.] Aug 13. [Nachmittags] Fuhr fort in den florentinischen Gedichten [Grazzini] zu

lesen. 13. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller u. Rez. gD, S. 567) 1

) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal. − In Grazzinis Canti Carnascialeschi fand G die meisten Masken seiner Mummenschanz-Typen. Weitere Anregungen durch den trionfo delle Furie, den trionfo delle tre Parche, den trionfo della Prudenza u. trionfo in dispregio dell’oro, dell’ avarizia e del guadagno, wo Gestalten der griech. Mythologie u. Allegorien von Klugheit, Furcht, Hoffnung u. Geiz auftreten. Einzelnachweise bei E. Schmidt 1902, 307ff., Collin 1920, 360−400 u. Bohnenkamp 300−03. – Der direkte Bezug zw. Versen aus Grazzinis Trionfo della Prudenza u. dem Auftritt der Gruppe Klugheit/Furcht/Hoffnung (5407−56) legt es nahe, den Rückgabetermin der beiden Bde von Grazzinis Canti an die Weimarer Bibliothek – 9. Okt 1827 – als Datierungsanhalt zu den Entwürfen von I H 18 zu nutzen: Eine sichere Datierung läßt sich daraus allerdings nicht ableiten (Bohnenkamp 327). Hinweise auf Anregungen durch Grazzini bei Witkowski 1906, 290. 2 ) H P102 (Bohnenkamp 297f.) datiert aufgrund von Lektüre- u. Tgb-Notizen das älteste überlieferte Schema Zur Mummenschanz zw. 11. Aug u. 11. Okt. Die Vs gibt die Auftritte der Berufsgruppen an: Maskenzüge Gärtnerinnen Blumen für alle Jahrszeit bringend Gärtner: Gelegenheit für alle Pflanzen zu finden. Vogelsteller Mit Leimruthen Schlingen und Netzwänden. Fischer mit Netzen, Reißen Angeln Holzhauer. Dazu spezifische Typen: Buffone und Parasiten; sodann: Musikanten Poeten. Hofpoet, Italiäner Danach Figuren der Mythologie Furien Parzen. Auf Rs: Mütter und Töchter Juwelier Klatschen Klugheit auf dem Elephanten führt gefangen Hoffnung und Furcht. Triumph des Plutus Verschwendung vor ihm wirft aus Gefieder Grillen Farfarellen Geitz hinter ihm. Eisenkasten mit Drachenschlößern. − Nach Bohnenkamp 299 entspricht das Schema etwa den Versen 5088−688. − Sicher knüpfte G beim 1. Teil der Mummenschanz nicht nur an Grazzinis Canti Carnascialeschi, sondern auch an eigene Erlebnisse an; s. dazu „Das Römische Carneval“ u. Schmidt 1902, 306f. − Mit den Stichworten Klugheit auf dem Elephanten u. Triumph des Plutus verweist P102 auf Triumphzüge mit Elefanten. G kannte schon mindestens seit 1780 die bildl. Darstellung eines solchen Triumphzugs durch den riesigen Gobelin nach Charles Le Brun Entre´e Triomphante d’Alexandre dans Babilone im Meininger Schloß, der viele von G zu dieser Szene übernommene Motive enthält; 1814 erwarb G einen Kupferstich des Gemäldes von Ch. Le Brun (Femmel 1980, 104 u. Abb. K 39, 2). Den Zusammenhang mit der Faust II-Szene entdeckte als erster Michael Engelhard auf einem Gobelin nach Le Brun im Hotel Grande Bretagne, Athen. Daß G beim Triumph des Plutus Alexander d. Gr. vorschwebte, zeigt Mommsen 2012, 408ff. − Weitere Triumphzüge, die G’s Interesse erregten: Mantegnas um 1490 gemalte Bilderfolge vom Triumphzug des Julius Caesar s. „Julius Cäsars Triumphzug, gemalt von Mantegna“, auch Collin JbFDH 1905, 255. Seit 1814 besaß G einen Kupferstich nach Dürer Der Triumphwagen Kaiser Maximilians, dort mit Pferden (Schuchardt I 120 Nr. 171). Im Juni 1820 erwarb G Kupferstichreproduktionen von Andrea Andreanis Holzschnitten nach Mantegnas Triumphzug (Schuchardt I 44f. Nr. 406); des Athenaios Schilderung eines solchen Prachtzuges von Ptolemaios Philadelphos erwähnt Tgb 26. Febr 1827 (s. dort). − Zu P102 s. auch Bohnenkamp 299−303 u. FA I 7.2, 975f.

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Aug 15. Agenda (Tgb 13, 240): Reichel Dritte Liefer. Inhalt.1) 15. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 20. (s. „Helena in Edinburg, Paris und Moskau“: Carlyle an G gD, EGW 7, 149) 21. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: S. Boissere´e an G u. Tgb gD, S. 567) 25. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Iken an G gD, S. 567 f.) 26. Am Hauptgeschäft gearbeitet. 27. Am Hauptwerke fortgearbeitet . . . [Nachmittags] Bedenken des Haupt-

werks. 28. Fortgearbeitet. [28.] [Weimar] F. v. Müller: Goethe in seiner praktischen Wirksamkeit. Eine Vorlesung. Weimar o.J. [1832] 33: Hat er [G] doch einst, als der Besuch eines erhabenen Königs ihn beglückte,2) sich mitten aus den anziehendsten Gesprächen auf einige Minuten abgeschlichen, um schnell für seinen ,Faust‘ eine eben in ihm aufgetauchte Idee niederzuschreiben. 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Rez. gD, S. 568) 29. Mundirt zum Hauptzwecke. 30. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller gD, S. 568) 31. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Cottasche Buchhandlung an G gD) ?

31. Abends Professor Riemer. Einige Poetika mit ihm durchgegangen und

darüber conferirt. ⎯ [Leipzig] A. Wagner an G (GSA 28/970):3) Später als ich es wünschte, und doch, wenn ich den Umfang des Angestrebten und Geleisteten erwäge, früher, als ich selbst hoffen durfte, bietet sich nun Ew. Exc. der mit Ihrer gnädigen Erlaubnis Ihnen zugeeignete Parnaso italiano. Mit dankbarer und stolzer Freude blicke ich auf diese Arbeit, die mich zwei Jahre so gefesselt, daß ich ihr gegen das Ende körperlich beinah unterlag, zurück; einmal, weil sie Ihren uns allen hochverehrten, ja herzinnigst geliebten Namen an der Spitze zu tragen gewürdigt wurde; und dann, weil sie, wie auch immer, mir bewährt, daß auch das einzelne nicht unlöbliche Streben, wie es unserem eigenen Bildungsgange sich einflicht, so auch dem größern und allgemeinern allmälich sich anreiht und so das schöne Liebes- und Bildungsband der Welt fester schürzt: Hatte ich nämlich weit früher bloß aus Lust und Drang mit jenen Dichtern mich beschäftiget und manches zu eigener Förderung aufgezeichnet, so mußte es mich wol freudig überraschen, nach vielen Jahren, als nun diese Beschäftigung allgemeiner geworden und Frucht getragen hatte, mich auch zur Mittheilung des Meinigen, wie wenig es auch seyn mochte, aufgefordert und dasselbe in das größere Ganze übergehen zu sehen. Nehmen also Ew. Exc. diesen Parnaso freundlich hin und mit ihm zugleich meinen Dank! Denn daß die liebevolle Anschauung Ihres Seyns und Wirkens, soweit sie mir vergönnt ward, mich auch zu diesem Unternehmen reifte, erkenne und fühle ich klar und lehaft. Möge nun die

1

) In der Hs. als erledigt gestrichen. Ob der Anfang von Faust II, der in der 3. Lieferung zu Bd 12 der Ausg. letzter Hand zum Druck gelangte, in dieser Inhaltsangabe schon verzeichnet war, ist ungewiß; ein entsprechender Brief an Reichel ist nicht überliefert. 2 ) Gräf II 2, 409 zufolge: König Ludwig von Bayern, der G am 28. Aug 1827 besuchte. 3 ) Zu Dante-Einwirkungen auf Faust II.

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1827

Arbeit sich Ew. Exc. Gunst und Weihe erfreuen und würdig zeigen! Mir und dem Verleger, welche beide das Glück hatten, Ihnen früher persönlich bekannt zu werden, bleibt nichts übrig, als den allgemeinen inbrünstigsten Wünschen für Ew. Exc. langes, rüstiges, gedeihliches und freundliches Wirken die unsrigen anzuschließen. Und so entschwinde denn auch mein Name Ihrem Andenken nicht gänzlich! Denn wohlthätig ist auch dem Bescheidensten und Anspruchlosesten das Bewußtseyn, dem edelsten und höchsten Geiste seiner Zeit nicht ganz fremd und ungekannt geblieben zu seyn . . .1)

[Spätsommer/Herbst]

(I H12 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5178−98 u. 5305−44)2)

[Sept/Dez] (I H23 Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit P109 mit 5531f. u. P110 mit 5217f. u. 5560−62)3) (I H18 Akt I Sz .[3] Weitläufiger Saal mit 5407−22, 5439−45, 5520−22; 5531−35)4)

Sept 6. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 568) 7./8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: H. Heine an R. Christiani gD, S. 568 f.) 8. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller gD, S. 569) 8./15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Unbekannt gD, S. 569) [vor 11.− (I H13 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal5) mit 5199−214 u. Akt II Sz. [1] Hochgeca. 12.] wölbtes enges gotisches Zimmer mit 6592−6176))

1

) A. Wagners die 2. Ausg. des Parnaso ankündigender Brief wohl erst am 12. Okt von Professor Wolf übergeben; s. 12. Okt 1827: Tgb; G’s Antwort 29. Okt 1827: an Wagner. 2 ) I H12 (Bohnenkamp 310−13) Skizzen u. Varianten mit Blei; datiert nach P102 u. H17; vgl. auch MA 18.1, 703: Herbst 1827; u. a. Entwurf zu den Lachesis-Versen (5333−44). − Zu H12 s. auch Bohnenkamp 314 u. FA 7.2, 977f. 3 ) I H23 (Bohnenkamp 323), datiert nach FA I 7.2, 979; Entwürfe, Vorstufe zu dem Zwischenmundum I H17. − P109: nach FA I 7.2, 979f. zu 5531f. gehörig: Knabe Lenker als Allegorie der Poesie, Plutus für Reichth[um] u. Mephisto für den Geiz stehend. − P110: Beginn nach Morris 1902 I 193 mit Bezug zu den Punicellen (5217f.), der zweite Teil, ab Zeile 8 Entwurf zu 5560−62. − Zu H23 mit P109 u. 110 s. auch Bohnenkamp 324 u. FA I 7.2, 979f. 4 ) I H 18 (Bohnenkamp 325f.), datiert nach FA I 7.2, 980; Entwürfe zum Auftritt von Klugheit, Furcht u. Hoffnung. − Zu H18 s. auch Bohnenkamp 326 u. FA I 7.2, 980. 5 ) I H13 (Bohnenkamp 463f.) Vs egh Tintenentwurf zu den Holzhauer-Versen (5199−214): Nur Platz! Nur Blöße! / Wir brauchen Räume / Wir fällen Bäume / Die krachen, schlagen;/Und wenn wir tragen, / Da gibt es Stöße. / Zu unserm Lobe / Bringt dies ins reine; / Denn wirkten Grobe / Nicht auch im Lande / Wie kämen Feine / Für sich zustande / So sehr sie witzten? Des seid belehret; / Denn ihr erfröret; / Wenn wir nicht schwitzten. − Auf derselben Blattseite in umgekehrter Richtung Tgb-Notizen von John zum 11. u. 12. Sept 1827, die Fischer-Lamberg 1955, 28 u. Bohnenkamp 465 zufolge, nach den Holzhauer-Versen geschrieben, woraus sich 11. Sept 1827 als terminus ante quem ergibt. Nicht sicher ist, ob der Entwurf zu den Holzhauer-Versen vor od. nach den Entwürfen auf der Rs zum Insektenchor u. Mephistos Antwort zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer (6592ff.) entstand; s. die nächste Anm. − Zu H13 s. auch Bohnenkamp 465. 6 ) Erstes Z zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer auf Rs von I H13: egh Entwurf in Blei zum Chor der Insekten (6592−603) schon in fast endgültiger Fassung: Cicaden Kafer Farfarellen Willkom[men] Will[kommen] du alter Patron Wir schweben u sum[men] u kennen dich schon / Nur einzeln im Stillen du hast uns gepflanz[t] / Zu tausenden kommend wir Vater getanzt/Der Schalk in dem Busen verbirgt sich so sehr / Vom Pelze die Läuschen enthullen sich ehr. So auch Mephistos Entgegnung (6604−17): Wie überraschend mich die junge Schöpfung freu[t]/ Man säe nur man

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Sept 12. Einiges am Hauptgeschäft gefördert. [nach12.] (II H1 zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer mit 6570−76)1) 15. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller gD, S. 569) 15. Abends für mich. Stille Vorbereitung für morgen. 16. Zum Hauptzwecke gearbeitet. 17. An die Cottasche Buchhandlung (Br 43, 61):2) Sie werden also die

Gefälligkeit haben, der anfragenden Handlung3) zu erwidern: daß nicht allein der erste Theil der Faust wie er bekannt ist in der nächsten Lieferung [3. Lieferung Bd 12] zum Vorschein kommen werde, sondern daß ich auch geneigt sey, den Anfang des zweyten Theils unmittelbar in demselben Bande folgen zu lassen, wodurch ich das Publicum nicht wenig zu verbinden glaube. [vor 18.] (II H4 zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes . . . gotisches Zimmer mit 6791f. u. P130)4) 18. Das Hauptgeschäft gefördert. 18. An Cotta (Br 43, 63): Zugleich liegt der Inhalt der dritten Lieferung

bey, wie solche nach Ew. Hochwohlgeboren Wunsch eingerichtet worden. Meine Absicht ist, wie Sie ersehen werden, durch einiges bedeutende Neue derselben einen höheren Werth zu geben. . . Beilage: Dritte Lieferung von Goethe’s Werken . . . [Band] XII. 15 [Bogen] Faust, erster Theil. 5 [Bogen] Faust, zweyter Theil, Anfang.5) erndtet mit der Zeit / Ich schüttle noch einmal den alten Flor / Und eines flattert hier und dort hervor / Hierauf! umher! In hunderttausend Ecken / Eilt euch ihr Liebchen zu verstecken. / In solchem Wust u Moder Leben / Muß es für ewig Grillen geben : wendet den Pelz um: Komm decke mir die Schultern noch einmal / Heut bin ich wieder Prinzipal / Dort wo die alten Schachtel[n] stehn /Hier im bebräunten Pergamen / Die Last des Alten war zu gros / Lebendig[es] windet sich nicht los. . . Zur Datierung ist der 12. Sept 1827 nur als 1. Anhaltspunkt zu werten. I H13 Rs belegt mit weiteren Hss. (II H1, II H2b, II H4 u. II H3), dass erhebliche Teile der Studierzimmer-Szene 1827 Sept−Nov entstanden; zu deren Abschluß s. 26. Juli 1828: an Zelter u. 6. Dez 1829: Eckermann. 1 ) II H1 (W 15.2, 37): egh Entwürfe in Blei zu Mephistopheles 6570−76 (noch ohne die später vorangestellten 6566−69). Datierbar durch Stempel: Gotha, 12. September 1827 auf Couvert, − auch für Fischer-Lamberg 1955, 25 u. Bohnenkamp 468 terminus post quem. 2 ) Das Vorausgehende s. in „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Cottas Buchhandlung gD. 3 ) Die Grau’sche Buchhandlung zu Bayreuth; deren Brief vom 31. Aug s. G−Cotta 2, 214. 4 ) II H 4 (Bohnenkamp 466): [Bac.] Wenn ich nicht will; so muß kein Teufel seyn. Meph. Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein. Fischer-Lamberg 1955, 28 datiert.: vor dem 18. 9. 1827. Zuordnung von P130 umstritten, vgl. Bohnenkamp ebd., MA 18.1, 840 u. FA I 7.2, 1005. 5 ) Erste eindeutige Planung des Inhalts von Bd 12: Faust. Eine Tragödie mit Anfang

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Sept 18. An W. Reichel (Br 43, 62):1) Anbey sende die Austheilung der ver-

schiedenen poetischen Arbeiten in die fünf Bände der dritten Lieferung;2) das meiste ist nun schon in Ihren Händen, das Original zum XIV. und XV. Bande folgt nächstens. Die beiden ungedruckten Anfügungen zum XII. [Faust, zweyter Theil, Anfang] und XV. Band [Die Novelle] sende später. Besonders wünschte den Anfang von Faustens zweytem Theil am längsten zu behalten. Da es gleichgültig ist, welcher Theil zuletzt gedruckt wird, so wünschte, daß Sie die Einleitung träfen, diesen erst gegen das Ende vorzunehmen. Haben Sie bey der von mir intentionirten Eintheilung noch irgend etwas zu erinnern, so bemerken Sie solches gefällig. 19. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Varnhagen an R. Varnhagen gD, S. 569) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: W. Grimm an A. v. Arnim gD, S. 569) 20. Am Hauptgeschäft. 21. Abschrift der gestrigen Arbeiten zum Hauptzweck. 21. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an S. Boissere´e gD) 24. [Berka u. Tonndorf] Eckermann Gespräche (FA II 12, 264): Goethe . . . war in den geistreichsten Mitteilungen unerschöpflich; auch über den zweiten Teil des Faust, woran er damals ernstlich zu arbeiten anfing, äußerte er viele Gedanken . . . [Herbst] (I H24 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5562−5, 5569−71, 5573, 5575, 5582−7, 5590−605, 5649, 5654−65)3) [Sept 24./Dez 8.]

(I H9a zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5136f., 5650−53 u. P108a)4)

[24./Dez 8.]5) (I H10 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Entwürfen zu 5166−69, 5650−53 u. 5685−87)6)

von Faust. Zweyter Theil; zum Kontext s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Cotta gD. − In C112 umfaßte Faust I: 247 Seiten u. Faust II Anfang: 64 Seiten (bis 6036). − Auf Druck bzgl. s. 1828 Jan 10: Reichel an G; 15.: Tgb; 16.: an Reichel; 22.: an Reichel; 25.: Tgb; Febr 7.: Reichel an G; 15.: Tgb; 16.: an Reichel; 28.: Reichel an G; 28.: Reichel an Cotta; März 4.: an Reichel; 28.: an Reichel. − Auslieferung s. Mai 10. Reichel: an G. 1 ) Das Vorausgehende s. in „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Reichel gD. 2 ) Kopie der Beilage des Briefs an Cotta vom 18. Sept 1827. 3 ) I H24 (Bohnenkamp 328−30) egh Entwurfsbl. mit Blei; nur vage Datierung möglich, nach Bohnenkamp 330. Es handelt sich um Vorarbeiten zum Arbeitsmundum I H17. − Zu H24 s. auch FA I 7.2, 980. 4 ) I H9a (Bohnenkamp 319): Vs: 2 Var. eines frühen Entwurfs zu 5136f. des Phantasiestraußes: Theophrast, A. v. Humboldt u. Carl v. Linne´ würden hier stutz[en], d. h. außerstande sein, die Kunstblumen uns bestimmt zu nenn[en], also botanisch einzuordnen. I H9 erwähnt nur Humboldt: Meinen Namen euch zu sagen Würde selbst kein Humboldt wagen (5136f.); s. unten 8. Dez 1827: I H9. Die endgültige Fassung ersetzt Humboldt durch Theophrast. − Zum Phantasiestrauß-Thema auf Vs 2 Var. P108a: Denn das Falsche wie das Wah[re] Haben ihren eignen Reiz. − Auf Rs Entwürfe zu GeizVersen (5650−53). I H9a annähernd datierbar durch Briefkonzept u. Bezug zu I H8 u. I H9. Zu H9a s. auch Bohnenkamp 320 u. FA I 7.2., 978f. 5 ) Datierung nach Bohnenkamp 320: Entstehung der vorliegenden Entwürfe wahrschein-

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Sept 27. Nachts und früh beschäftigt einige Lücken am Hauptwerke auszufüllen

. . . Mit Herrn Geheimen Rath Streckfuß um 12 Uhr spazieren gefahren. Mit demselben über manches conversirt.1) Speiste derselbe mit uns, auch Professor Riemer. Nach Tische Doctor Eckermann der mit jenen weg ging. 27. An C. L. Iken (Br 43, 82−84):2) Hiebey darf nicht unerwähnt bleiben, daß ich mit der vierten [richtig: dritten] Lieferung meiner Werke zu Ostern die ersten Scenen des zweyten Theils von Faust mitzutheilen gedenke, um auf manche Weise ein frisches Licht auf Helena, welche als der dritte Act des Ganzen anzusehen ist, zurückzuspiegeln. [nach27.] (II H2c zu Akt II Sz. [6] KWN Am obern Peneios wie zuvor mit P129)3) 29. Das Hauptgeschäft gefördert. 29. An Zelter (Br 43, 90f.): Nun kehr ich zu mir in mein beschränktes

Wesen zurück und denke gern an meinen vierwöchentlichen Aufenthalt im Garten am Park. Wenn man gleich in frühere Zustände weder zurücktreten kann noch soll, so hätte ich, wenn schon vom Wetter keineswegs begünstigt, dennoch ausgehalten und bessere Tage erwartet, aber die Ankunft der Herrn Grafen [Sternberg] veranlaßte mich, in die Nähe der Societät wieder zurückzukehren; und so muß ich denn schon mit dem Gewinn der kurzen dort verbrachten Zeit zufrieden seyn. Dalich . . . nach dem 24.9. und sicher vor dem 8.12.1827; vgl. auch MA 18.1, 703: Ende Sept 1827 u. FA 7.2, 979: zw. Sept u. Dez 1827. 6 ) I H10 (Bohnenkamp 321f.) enthält zweimal die Geiz-Verse (5650−53), Entwürfe zu den Gärtner-Versen (5166−69) u. der später dem Herold zugeteilten Schilderung, wie die Schatzkiste vom Wagen des Plutus gehoben wird: Knab Nun heben Tragen sie den Schatz Die Eisenkiste Und setzen sie am Boden nieder (vgl. 5685−87). Datierung nur annähernd auf einen Zeitpunkt nach 24. Sept 1827 möglich, weil die Geiz-Verse direkt an I H9a anschließen, dort gleichfalls Entwürfe zu den Gärtnern u. zum Erscheinen des Wagens mit Geiz u. Knaben Lenker; die Tatsache, daß I H10 auf der Rs eines Umschlags mit der Aufschrift Der mineralogischen Gesellschaft in Jena steht, ist zur Datierung kaum hilfreich, auch wenn sie womöglich zusammenhängt mit Tgb-Notizen vom 29. Sept 1827: Stroganoffische sehr schöne Mineralien von Jena u. 3. Okt 1827: [Sendung an] Herrn Bergrath Lenz nach Jena. Ankündigung der Mineralien von Graf Alexander Stroganoff. − Zu H10 s. auch Bohnenkamp 322 u. FA I 7.2, 979. 1 ) Zur Bedeutung des Dante-Übersetzers Karl Streckfuß für Faust II s. oben Juli 1824: Bücher-Vermehrungsliste; 1826 Aug 10.: Tgb, 12.: an Zelter; 28.: Streckfuß an G; Sept 25.: Tgb. 2 ) Das Vorausgehende s. in „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Iken gD, S. 570 f. 3 ) II H2c (Bohnenkamp 467) Fischer-Lamberg 1955, 26 gelang die Datierung auf einen Zeitpunkt nach dem 27.9.1827 des keiner Szene sicher zuzuordnenden Zweizeilers: Und wenns der Teufel ernstlich mey[n]t So sind es warlich keine Spaße, aufgrund der Identifizierung des von einer eingetroffenen Sendung abgerissenen Stück Papiers. Morris 1902 I 443 u. Witkowski 1950, 443 vermuten eine an Enyo gerichtete Erwiderung Mephistos, als diese seiner Ehrlichkeit mißtraut. − Riemers Abschrift − II H2d − unter G’s Sprüchen weist auf unabhängige Verwendung evtl. auch Entstehung; zur Einordnung s. auch MA 18.1, 840 u. FA I 7.2, 1005.

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von wirst du denn auch, wenn du, wie Fräuein Ulrike [v. Pogwisch] behauptet, auf der Rückreise [von München] zu uns kommst, dein reichliches Theil dahin nehmen. Unter anderm wird zur Begleitung eines Liedes ein Chor von Aeolsharfen verlangt.1) Ob dergleichen schon ausgeführt worden, ist mir nicht bekannt. Diese Gelegenheit aber, etwas Wundersames hervorzubringen, solltest du dir nicht entgehen lassen. [Sept (II H2b zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer mit P127 u. 6578f.)2) nach 29.] Okt

1. [Abends] Dr. Eckermann, demselben die zweyte Scene [Akt I Sz. [2]

Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones] vorgelesen und das Ganze besprochen.3) 1. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 628f.): Ich . . . ging dann zu Goethe, der mir die zweite Szene seines neuen Faust vorlas. „Ich habe in dem Kaiser, sagte er, einen Fürsten darzustellen gesucht, der alle möglichen Eigenschaften hat, sein Land zu verlieren, welches ihm denn auch später wirklich gelingt.“ „Das Wohl des Reichs und seiner Untertanen macht ihm keine Sorge; er denkt nur an sich und wie er sich von Tag zu Tag mit etwas Neuem amüsiere. Das Land ist ohne Recht und Gerechtigkeit, der Richter selber mitschuldig und auf der Seite der Verbrecher, die unerhörtesten Frevel geschehen ungehindert und ungestraft. Das Heer ist ohne Sold, ohne Disziplin, und streift raubend umher, um sich seinen Sold selber zu verschaffen und sich selber zu helfen, wie es kann. Die Staatskasse ist ohne Geld und ohne Hoffnung weiterer Zuflüsse. Im eigenen Haushalte des Kaisers sieht es nicht besser aus: es fehlt in Küche und Keller. Der Marschall, der von Tag zu Tage nicht mehr Rat zu schaffen weiß, ist bereits in den Händen wuchernder Juden, denen Alles verpfändet ist, so daß auf den Kaiserlichen Tisch vorweggegessenes Brot kommt.“ „Der Staatsrat will Sr. Majestät über alle diese Gebrechen Vorstellung tun und ihre Abhülfe beraten; allein der gnädigste Herr ist sehr ungeneigt, solchen unangenehmen Dingen sein hohes Ohr zu leihen; er möchte sich lieber amüsieren. Hier ist nun das wahre Element für Mephisto, der den bisherigen Narren schnell beseitigt und als neuer Narr und Ratgeber sogleich an der Seite des Kaisers ist.“ Goethe las die Szene und das Zwischen-Gemurmel der Menge ganz vortrefflich und ich hatte einen sehr guten Abend. [Okt (I H22 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Nebengemächern mit 5537−59)4) nach 2.] 1

) Zu Akt I Sz. [1] Anmutige Gegend, Anfang. Br 43, 338 vermutet Bezug auf des Ariel Gesang von Äolsharfen begleitet (Szenar vor 4613). Eine Zeltersche Vertonung unbekannt. 2 ) II H2b u. P127 datiert durch Fischer-Lamberg 1955, 25f. aufgrund eines Theaterzettels vom 29. 9. 1827 (Bohnenkamp 468): Egh Tinten-Entwurf zu Mephistos Monolog während Faust paralysiert liegt: So Ein warm Tropf Restchen Blut das ich ihm abgel[ockt] Vertrockn[et] Sogar hier in Rohr[e] stockt. − P127: Das muß dich nicht verdrieße[n] Wer kuppelt nicht ein[m]al um selb[er] zu genießen, ein wohl auch Mephisto zugehöriger Zweizeiler; MA 18.1, 812 verweist auf 6836f.; s. auch Bohnenkamp 468 u. FA I 7.2, 1005. 3 ) Akt I Sz. [2] Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones (4728−5064) war demnach am 1. Okt 1827 abgeschlossen. 4 ) I H22 (W 15.2, 11): Fol. mit egh Blei-Entwürfen zur Beschreibung des Knaben Lenker, hier noch Euphorion, u. zum Plutus-Euphorion-Dialog. − Datierbar durch Rs Briefkonzept von John An den Patriarchen von Venedig . . . Weimar den 2. October 1827 (Br 43, 96f.)

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(I H17 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5317−92, 5423−40, 5494−5569 u. 5582−5605 (ohne 5588f.)1)

Okt

5. Einiges zum Hauptzweck. 5. (s. „Helena. Zwischenspiel . . . zu Faust“: H. C. F. Peucer an Böttiger gD, S. 571) 6. Einiges am Hauptwerke. 9. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Cotta an G gD) 11. Das Hauptgeschäft bedeutend gefördert . . . Abends um 5 Uhr Herr

Ernst Fleischer das Dedications-Exemplar des Parnasso Italiano bringend.2) Weiteres Gespräch mit demselben über literarische Gegenstände. 12. Fortsetzung . . . Professor Wolf3) brachte mir einen Brief von Adolph Wagner aus Leipzig.4) Erzählte von seinen Bemühungen mit den Gedichten Dantes. 12. An S. Boissere ´e (Br 43, 107−9): . . .5)Was meine Werke betrifft, so arbeitete ich fort an den nächsten Lieferungen, besorgte die Correcturen der ersten zum Besten der Octavausgabe, arbeitete an den Wanderjahren und, was mehr ist, an Faust; da ich denn zur dritten Lieferung den Anfang des zweyten Theils zu geben gedenke. Die gute Wirkung der Helena ermuthigt mich, das Übrige heranzuarbeiten; Helena bestünde zuletzt als dritter Act, wo sich denn freylich die ersten und letzten würdig anschließen müßten. Das Unternehmen ist nicht gering, das Ganze erfunden und schematisirt; nun kommt es auf’s Glück der einzelnen Fortsetzung nächstens6)

1

) I H17 (W 15.2, 10f.): 4 Fol. egh Tinte, die erste der beiden umfangreicheren Zwischenreinschriften zur Mummenschanz-Szene, enthält fast vollständig die Verse der Parzen u. Furien (5317−92), der Hoffnung (5423−40), die Ankündigung des Wagens durch den Herold (5494−520), den Auftritt des Knaben Lenker im Dialog mit dem Herold (5521−69, 5582−605). Es fehlen noch die den Elefanten ankündigenden Heroldsworte (5394−406), der Furcht (5407−22), der Klugheit (5441−56), die Zoilo-Thersites-Episode (5457−93). Datierbar durch Bezug zu I H22. 2 ) Zweite Ausg. von: Il Parnasso Italiano ovvero: i quattro poeti celeberrimi Italiani. La Divina Commedia di Dante Alighieri; le Rime di Francesco Petrarca; l’Orlando furioso di Lodovico Ariosto; la Gerusalemme liberata di Torquato Tasso. Edizione guista gli ottimi testi antichi, con note istoriche e critiche. Compiu `ta in un volume. Ornata di quattro ritratti secondo Raffaello Morghen. Lipsia 1826. Zur 1. Ausg. s. oben 8. Juli 1826: Fleischer an G. 3 ) Oscar Ludwig Bernhard Wolff, Schrifststeller, 1826−1829 Lehrer am Gymnasium in Weimar. 4 ) Der Aug 1827 datierte Brief ? Weitere Briefe Wagners an G von 1827 nicht überliefert. 5 ) Das Vorausgehende s. in „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Boissere´e gD, S. 571. 6 ) Fortsetzung 11. Nov 1827 an S. Boissere´e (Br 43, 162): [nun kommt es auf’s Glück der] Ausführung an, wobey man sich denn freylich sehr zusammen nehmen muß.

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Okt 13. Fortgefahren am Hauptgeschäft . . . Las Zeltern die Scene des Thron-

saals vor.1) 13. [Weimar] N. Meyer, Tagebuch (Kasten 365): Er [G] ist jetzt mit der Vollendung des 3ten [sic] Theils seines Faust’s beschäftigt. [nach15.] (I H8 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5120−27)2) 17. An den Hauptgeschäften fortgefahren. Besorgte manches im Concept

und Mundum 19. Im unteren Garten [des Gartenhauses a. d. Ilm] am Hauptgeschäft. 19. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Nehrlich an G gD, S. 571 f.) 20. Am Gestrigen fortgefahren und solches ins Reine gebracht. 22. u. 23. Einiges am Hauptgeschäft. 24. An Cotta (Br 43, 121):3) Lassen Sie also beiderseitigen guten Willen

fernerhin unserm neuen Unternehmen [Vollständige Ausg. letzter Hand] zu Gute kommen; die veränderte Eintheilung ist nach Ihren Wünschen geschehen, das Publicum sieht sich durch unerwartete Einschaltungen überrascht, und ich werde dafür sorgen daß die dritte Lieferung abermals etwas der Art enthalte.4) 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an W. Reichel gD, S. 572) 31. [Stuttgart] Cotta an G (G−Cotta 2, 222): Durch die unerwartete Einschaltung, welche Sie der dritten Lieferung zugedacht haben, wird das Publikum ebenso überrascht werden, als ich es wurde, wie mir Freund Boissere davon Erwähnung that5) − als wir uns vor etlichen Tagen trennten. Nov

5. Nachts Entwickelung der zunächst auszuführenden poetischen Motive.

Nov/ (I H15 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal zu 5215−36)6) Dez [?] Nov

6. An Zelter (Br 43, 149): Ich fahre fort, an Faust zu schreiben, wie es

die beste Stunde gibt. 8. Dr. Eckermann. Abends mit letzterem das Carneval im Faust. [nach 8.] (H P104 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5562−85, 5588f., 5620, 5628f., 5632−39, 5646−48, 5684−86 u. Sz. [5] Finstere Galerie zu 6183−88)7) 1

) Zelter besuchte G vom 12. bis 18. Okt 1827 in Weimar. ) I H8 (W 15.2, 10) datierbar durch egh Entwurf in Blei auf Rs eines Theaterzettels vom 15. Okt 1827: Olivenzweig mit Früchten, noch ohne Sprecherangabe; s. unten 8. Dez 1827: I H9. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Cotta gD. 4 ) Wie den Anfang von Faust II für Bd 12. 5 ) s. oben 12. Okt: an Boissere´e. 6 ) I H15 (W 15.2, 10) mit Entwürfen zu den Pulcinelle-Versen (5215−36) auf der Rs eines Briefkonzepts von Schuchardts Hand: Serenissimo Indem ich für die mitgetheilten Werke . . . Zur Entstehung dieses undatierten Briefs an Carl August mutmaßt Br 51, 542: Weimar, November oder Dezember 1827? 7 ) H P104 (Bohnenkamp 331f.) Schema-Entwurf zum 2. Teil der Mummenschanz auf 2

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[Nov (H P105 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5612−986, Sz. [4] Lustgarten u. Sz. [5] nach 8.] Finstere Galerie zu 6183−88)1) 9. [München] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 489): Was Sie mir von Ihrem Entschluß, den Faust fortzusetzen, [am 12. Okt] geschrieben, hat mich in jeder Hinsicht über alle Maßen gefreut. Es verkündet uns den höchsten Genuß und gibt zugleich den schönsten Beweis von Ihrer Heiterkeit und seltenen Kraft. Gott erhalte Ihnen und uns dieses Glück noch lange, lange! [9./17.] (II H3 zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes . . . Zimmer mit 6710−20 u. 6744−57)2) [ca. 10.] (I H26 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5606−29 ohne 5626f.)3) 11. [Nachmittags] Sodann einige Conceptionen fortgesetzt. 11. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Knebel an G gD, S. 572) 11. An S. Boissere ´e (Br 43, 162−64):4) ich . . . verschaffte mir die Abdrücke

der Stoschischen Sammlung, welche . . . nach dem alten Winckelmannischen Katalog geordnet, in zierlichen Kästchen ausgegeben werden . . . ein ganz unerschöpflicher Schatz, dessen Einzelheiten uns zu den Foliobl. skizziert; rechtsspaltig: Das Würdige nicht zu beschreib[e]n (vgl. 5562) Doch indireckt beschrieb[en] [links hinzugefügt:] Knabe Flämmchen deutet athmendes Wachsthum derselb[en] Respekt. Auserlich [rechts weiter:] Talar Turban Mondgesicht Behagliches [links hinzugefügt der Zweizeiler 5628f.:] Und ich verkundig[e] vor allen Mein lieber Sohn an dir hab’ ich gefallen [rechts weiter:] Name. Poesie Schnippch[en] als Geschenk Verwandlung derselb[en] Plutus Steigt ab. Avaritia Geiz Weigerung Drache[n] holen herab Knabe jagt fort [links hinzugefügt:] Knabe Verherrlichen des Reichthum[s] Lorbe[e]rkranz auf d[em] Haupte des Plutus [rechts weiter:] Faun[en] kom[men] an Kreisen umher Begaffen. Eroffnen der Kiste Hineinschauen Maske fällt hinein Kayser. Faust [mit] Heroldst[ab] Schließt die Maske[ra]d[e] Hof u der Kays[er]. − [Am Rand quer, zur vom Kaiser geforderten Geisterbeschwörung:] Forderung der Gestalt[en] Versprechen Meph. Schwurig. [Abschließend Zweizeiler 5588f.:] Auch Flammchen spend ich dann und wann Erwartend wo es zünden kann. − Datiert aufgrund der Vs mit Briefkonzept an Varnhagen vom 8. Nov 1827. − Die oriental. Merkmale (Turban, Mondgesicht zur Charakterisierung der Allegorie des Plutus weisen auf Alexander d. Gr. hin, so auch die enge Verbindung zur Poesie; vgl. dazu Mommsen 2012, 402−11. Dort auch Hinweis auf die Beschwörung Alexanders d. Gr. am Kaiserhof in der Historia von D. Johann Fausten von 1587, die G kannte. − Zu P104 s. auch MA 18.1, 694, Bohnenkamp 332f. u. FA I 7.2, 980f. 1 ) H P105 (Bohnenkamp 334f.) Schema-Entwurf skizziert etwas detaillierter als P104 das Geschehen von 5612 bis zum Karnevalschluß; so die Kiste schon flammend: Kiste springt auf u flammt. − Zu Lustgarten das Motiv: Kayser zur Unterhalt[ung] Geistererscheinungen Wahl. Paris u Helen[a] Meph. Widersetzt sich Faust verspricht. (Nichts über Gang zu den Müttern u. über Papiergeld). Datierbar durch Bezug zu P104: nach 8. Nov 1827. − Zu P105 s. auch Bohnenkamp 336 u. FA I 7.2, 981f. 2 ) II H3 (W 15.2, 37) Fol. mit von G in Tinte u. Blei geschriebenen Entwürfen zu Baccalaureus 6710−20 u. Mephistopheles u. Baccalaureus 6744−57. Annähernd datierbar durch Rs mit Trauerreglement des Hofmarschalls v. Spiegel 9. November 1827 u. Briefkonzept. 3 ) I H26 (W 15.2, 11): Egh Tinten-Entwurf auf Foliobl. zum Dialog Knabe Lenker u. Plutus. Datierbar durch Rs (in Johns Hand) mit Bruchstück einer Abmachung über den Druck des Goethe-Schillerschen Briefwechsels, datiert Weimar 10. November 1827. 4 ) Den auf Arbeit am Faust bezüglichen Briefanfang s. 12. Okt 1827: an Boissere´e.

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höchsten, besten Gedanken aufregen1) . . . Auch war mir plastisches Gebilde fortwährend günstig: . . . Gypsabgüsse von denen in England befindlichen antiken Terracottas, auch einzelne Figuren von dem berühmten Basrelief, die Vergötterung Homers vorstellen, zu meiner Zeit noch im Palast Colonna. Dergleichen Gegenstände treiben immer auf’s neue in’s Alterthum, zur Betrachtung der Gesinnungen, Sitten und Kunstweise jener Zeiten. Da man sich denn immer einrichten muß, in einem unerforschlichen Meere zu schwimmen . . . Das ist dagegen das Eigne der griechischen Dichtkunst, daß sie sich einer löblichen menschlichen Fassungskraft hingibt und gleichstellt; das Erhabene verkörpert sich im Schönen. Nov 12. Abschrift des Gestrigen. 14. Ich arbeitete am Hauptgeschäft. 14. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: an Knebel gD, S. 572 f.) 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Knebel an G gD, S. 573) 18. Abends . . . Dr. Eckermann . . . Mit dem letzteren allein geblieben, ver-

traute ihm das Neuste vom Faust. 19. John mundirte . . . Poetisches. 21. An Zelter (Br 43, 179): Der zweyte Theil des Faust fährt fort sich zu gestalten; die Aufgabe ist hier wie bey der Helena: das Vorhandene so zu bilden und zu richten, daß es zum Neuen paßt und klappt, wobey manches zu verwerfen, manches umzuarbeiten ist. Deshalb Resolution dazu gehörte, das Geschäft anzugreifen; im Fortschreiten vermindern sich die Schwierigkeiten. 23. Einiges zum Carneval [Akt I Sz. [3] zur Mummenschanz] arrangirt. 24. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Nicolovius, Goethes . . . gegenwärtige Beschäftigung gD, S. 573) 26. Gegen Abend Dr. Eckermann vom zweyten Theil zu Faust vorgelegt

und besprochen.2) [Nov Ende/ (I H29 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5675−82, 5689f., 5759f.; P113 u. Dez Mitte] P114)3)

1

) Zur Beschäftigung mit der Sammlung Stoschs s. oben 9. Juli 1827: Tgb m. Anm. ) Wie intensiv Goethe sich zur Zeit, als er den Helena-Akt mit den vorausgehenden Akten verknüpfen mußte, mit antiken Abbildungen aus dem thematischen Umkreis beschäftigte, zeigt u. a. seine Antiquarische Anfrage bei Riemer vom 29. Nov 1827, die sich auf Vasengemälde bezog, auf welchen sich die drey Göttinnen dem Paris nähern, worin aber kein Apfel zum Vorschein kommt. Nun wäre die Untersuchung wünschenswerth: wo des Apfels zuerst Erwähnung geschiht, welches ich hier vorläufig, bis auf mündliches Besprechen wollte angezeigt haben. (Br 52, 542). 3 ) I H29 (Bohnenkamp 339f.) Auf Vs weiterer egh Tintenentwurf zu Herold-Versen 5675−82: Bey meinem Stabe! Ruh gehalten! − Doch braucht es meiner Hülfe kaum. 2

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[Dez] (I H40 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5805f., 5814, 5981−83)1) [Dez/ (I H P107 zu Akt I Sz. [4] Lustgarten 5987−6036)2) Jan1828] [Dez (I H6 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5088−103)3) nach 6.] Dez

8. (I H9 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5120−27 u. 5136−57 (ohne 5150f.)4)

Wie sie im raschgewonnen[en] Raum Das Doppel-Flügelpaar entfalten. Entrüstet schüteln sich die Drach[en] Umschuppte feuerspeynde Rach[en] Die Menge flieht rein ist der Plaz. . . − Auf Rs mit P114 die Plutus-Verse 5689f. u. verworfene Verse zum Knaben Lenker. − P113 nicht verwendeter Entwurf von Herold-Versen zum Auftritt von FaustPlutus, eines Dichters, des Geiz u. Chors bei Zaubervorgängen der Mummenschanz. M. Morris 1902 I 188f. u. L. Blumenthal schlossen aus den Dichter-Worten Und nur der Dichter kan[n] es leisten, daß ursprünglich nicht Faust-Plutus, sondern ein Dichter die Feuergaukelei beenden sollte u. die Zauberei des Flammengaukelspiels nicht durch neue Zauberei bezwungen werden sollte . . . sondern durch höhere Magie, die nur der Dichter ’leisten’ kann . . . Er war nicht nur bei dem Geschehen zugegen, um es zu schildern und kommentierend zu begleiten, vielleicht sollte er es im geheimen lenken und schließlich die den Naturgewalten und eigenen Leidenschaften preisgegebene Gesellschaft durch die Magie der Kunst erlösen. (Blumenthal GJb 1954, 149; 151); K. Mommsen zufolge verzichtete G auf die vorher geplante Dichtergestalt, nachdem er sie ersetzt hatte durch das Lob von 1001 Nacht u. Scheherazade (6032f.), deren Fabulierstil den Verlauf der Mummenschanz in zunehmendem Maße bis zum Finale bestimmte, wo zaubermäßige Ereignisse durch die illusionschaffende Fabulierkunst u. Magie Mephistos scheinbar zur Wirklichkeit werden, wie auch im weiteren Handlungsverlauf durch Mephistopheles. (Vgl. Mommsen 1960 u. 2006, 230f. sowie Mommsen 1968, 100f.) − Datierbar: Ende Nov/Mitte Dez 1827. Bohnenkamp 341: aus derselben Arbeitsphase wie I H28, also vor Dez 15. − Zu H29 s. auch Bohnenkamp 341f. u. FA I 7.2, 982f. 1 ) I H40 (Bohnenkamp 350), egh Entwürfe, datiert nach FA I 7.2, 984; aus dem Umkreis des Arbeitsmundus I H32; Plan, die Faune zum Schatz herandrängen zu lassen, sie werden später durch die Gnome ersetzt. − Zu H40 s. auch Bohnenkamp 350 u. FA I 7.2, 984f. 2 ) I H P107 (Bohnenkamp 369), datiert nach FA I 7.2, 986, Schema egh u. durch John für den Fortgang von Akt I nach der Mummenschanz. Zu P107 s. auch Bohnenkamp 370 u. FA I 7.2, 986. 3 ) I H6 (W 15.2, 10) Quartbl. egh Strophe 1−4 der Gärtnerinnen-Verse; die schon vorhandene Str. 5 aus Platzmangel nur durch das Anfangswort Niedlich (5104) angedeutet. Datierbar durch Rs. The Bijou and The Remember u. Gedichtentwurf: Carl August hatte am 22. Nov 1827 zwei engl. Taschenbücher The Bijou or Annual of Literature and the Arts u. Forget me not gesandt u. gebeten, sie nach Lektüre an Caroline v. Heygendorf zu senden. G tat dies mit dem Gedicht Das Kleinod, das Vergißmeinicht am 6. Dez 1827. 4 ) Zum Verschenken bestimmte egh Reinschrift (GSA 25/XVII 4, 10a), signiert mit: W. d. 8 Dez. 1827 G. In 1. Fassung die Str. Olivenzweig mit Früchten (5120−27), Phantasie-Strauß (5136−43), Rosenknospen (5144−49) u. eine 4. Str. (5152−57), von Str. 3 durch Bindestrich getrennt u. ohne Sprecherangabe, mit dem Incipit Wenn der Sommer sich entzündet. Egh Korrekturen mit Blei u. Versergänzung: Mögen bunte Phantasieen Für des Tages Mode blühen (5144f.). Entwurfsblatt am selben Tag an John zur Abschrift, danach von G erneut überarbeitet I H9 (GSA 25/XVII 4, 10b): Zuordnung der Überschriften Ausforderung für 5144−49 u. Rosenknospen für 5152−57. − In einer weiteren Abschrift von John (GSA 25/XVII, 4, 10c) Strophe ergänzt durch 5150f.

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8. Kleine Gedichte zu den Blumenbouquets.

[nach 8.] (I H7 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Herold- u. Gärtnerinnen-Versen 5108−19)1) 9. Abschriften der Blumengedichte für den Frauenverein.2) [nach10.] (I H34 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5741−66 (ohne 5751f. u. 5759f.)3) 11. Einiges an Faust. 12. Abschrift von Faust. [vor 15.] (I H28 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5666−81 (ohne 5677 u. 5680) u. P112)4) [13./25.] (I H42 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Herold: 5931−43 (ohne 5934; 5942), 5958, 5960 u. P116.)5) [Dez (I H32 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5689−5714, 5739−66, 5805−8, 5814−21, 2.Hälfte?] 5864−71 u. 5931−86 (ohne 5934) sowie P103)6)

1

) I H7 (W 15.2, 10) Quartbl. egh Tinte u. Blei, auf Rs von F. v. Müllers Schlußstanze an König Ludwig I., 28. August 1827. Datierbar: nach 8. Dez 1827, weil inhaltlich ergänzend zu I H6 u. I H9. 2 ) s. oben Z zum 8. Dez 1827. − Die Gedichte wurden laut Tgb am 13. Dez an den Frauenverein gesendet; sie bildeten poetische Beigaben zu Kunstblumensträußen, die auf dem Weihnachtsbasar des Frauenvereins in Weimar verkauft werden sollten; zu G’s Blumengedichten u. ihre Aufnahme im Faust s. Henke GJb 2008, 266−69. 3 ) I H34 (W 15.2, 11) Quartbl. egh Blei auf Rs eines Paketbegleitscheins von Frankfurt 8. Dec. 1827. Entwürfe zur Zauber-Kiste mit Plutus-Versen (5741−47; 5757f., 5761f., 5765f.), Menge (5748−50, 5753−56), Herold (5763f.). 4 ) I H28 (Bohnenkamp 337f.): Reaktionen auf den Abgemagerten: Hauptweib (5666−69), Weiber in Masse (5670−74), Herold zu den gespenstischen Verwandlungen: Bey meinem Stabe Ruh gehalten! − Doch braucht es meiner Hülfe kaum Seht hin fürwahr es ist kein Traum . . . Schon seh ich im gewonne[nen] Raum Das doppelt Flügelpaar entfal[ten]. .. (5675f.; 5678f.; 5681f.); − P112: Irrthum d[u] bist [gar zu] sch[ön] Konnt ich dich nur wider find[en]. − Datierbar durch ein als erledigt gestrichenes Konzeptbruchstück. − Zu H28 s. auch Bohnenkamp 338 u. FA I 7.2, 982. 5 ) I H42 (Bohnenkamp 353f.) Entwürfe zur Beschreibung des Brands durch den Herold: Der Bart des Gaffers stürzt hinei[n] Wer mag das glatte Kinn wohl sey[n] Die Hand verbirgt es unserm Blick Der Bart entflamm[t] u fliegt zurück Entzunde[t] Kranz und Haupt u Brust Zu Leiden wandelt alle Lust Zu löschen läuft die Schar herb[ey] Doch keiner bleibt von Flam[men] frey Und wie es patscht und wie es schlägt Wird neues Flamm[en] aufgeregt . . . − P116: Soll immerfort das Ubermaas Das allerherrlichste zerstören − Klage des Herolds über die Brandkatastrophe als Folge jugendlichen Übermaßes? (5958ff.?) − Datierbar durch Stammbuchverse für Hedwig v. Martius vom 13. Dez u. für Clementine v. Mandelsloh vom 25. Dez 1827 auf Rs des Folioblatts. − Zu H42 s. auch Bohnenkamp 354 u. FA I 7.2, 985. 6 ) I H32 (Bohnenkamp 361−67) Schema-Reinschrift, Datierung aufgrund des Bezugs zu P104 u. eingeklebte Zettel zu P103, infrage gestellt durch J. Schillemeit 1996, 364), wonach I H32 eine ursprünglich zum Mundum H gehörige, an Bl. 29 dieses Mundums anschließende Blattfolge war, die erst nach ihrer vollständigen Beschriftung durch eine neue Blattfolge mit erweitertem Text ersetzt wurde. − Auf dem von John geschriebenen Schema deuten G’s Stichworte in Blei das noch Auszuarbeitende an: Geiz: 5767−800, Nymphen: 5872−97, Deputation der Gnomen: 5898−913, Plutus zum Herold: 5914−19 u. Herold: 5920−30. − Zu H32 s. Bohnenkamp 368 u. FA I 7.2, 985f.

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Dez 16. (H P106 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5689−986 datiert: Dez. 16. )1) 17. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: C. v. Holtei an G gD, S. 573 f.) 18. [Abends] Einiges Poetisches gelesen, revidirt und arrangirt. 20. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 521): Die Einsendung von Faust Zweiter Theil erbitte ich.2) 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: C. J. L. Iken an G gD, S. 575) 22. Einiges zu Faust.3) 22. (I H43 zu Akt I Sz. [4] Lustgarten mit 5987−97, 6001f. u. P106 datiert: Dez. 22.)4) [nach 22.] (I H11 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5170−77 u. Teil von 5801.)5) (I H19 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5457−71, 5484−93 u. P108)6)

1

) H P106 (Bohnenkamp 343) Entwurf eines Schemas, das detaillierter als P104 u. P105 die Mummenschanz-Szene nach Verabschiedung des Knaben Lenker durch Plutus bis zum Schluß skizziert: Plutus Verabschiedet den Wagen. Lencker . . . Dem Geiz befehlend Offnung der Kiste . . . Tanz u. Sang. Annäherung an die Kiste. Maske fällt hinein Kiste schlagt zu fliegt fort . . . Faunenchor Gemurmel Flammt auf Entzündet den Faun Dann die Faunen . . . Der Kayser ist entdeckt . . . Plutus Den Stab ergreifend. Platz machend Den Kreis beschreitend . . . Nochmals das Stichwort Der Dichter (Zeile 19 rechts) aber durchstrichen, stattdessen: Faust den Heroldst. fassend En[t]hüllt das Ganze. Hier erhielt Faust-Plutus temporär die zuvor einem Dichter zugedachte Rolle. − Zu P106 s. auch Bohnenkamp 344 u. FA I 7.2, 983f. 2 ) Vgl. oben 18. Sept 1827: an Cotta; demnach ging der Anfang von Faust II als letzter Text zum Druck. 3 ) In Stadelmanns Konzept: einiges zu Faust schemadisiert. (GSA 25/XVII 4, 13): I H11. 4 ) I H43 (Bohnenkamp 345f.) Anfangsverse der Sz. Lustgarten: Verzeihst du Herr das Flammengaukelspiel (5987) u. Entwürfe zu den dem Kaiser suggerierten Illusionen (5988−97, 6001f.); auf Rs die 2. Fassung von P106, nun die Streichungen u. Korrekturen der 1. Fassung eingearbeitet. − Zu H43 s. auch Bohnenkamp 347 u. FA I 7.2, 984. 5 ) I H11 (W 15.2, 10): Fol. mit Bleistiftentwürfen zu Gärtner-Versen (5170−77) u. Einzelnotiz: Das wilde Heer (vgl. 5801). Datierbar durch Rs mit Tgb-Notizen für 20.−22. Dez 1827 von Stadelmann. 6 ) I H19 (Bohnenkamp 315−17): datierbar durch Bezug zu I H42 u. I H11. Verschiedene Bleistiftentwürfe zu der in P102 u. I H17 noch nicht erwähnten Zoilo-ThersitesEpisode (5457−70), die G zur Verdichtung der magischen Atmosphäre später hinzufügte. Hier skizziert in 2 Fassungen u. 3 Abschnitten: 1) Zoilo-Thersites stellt sich vor u. verkündigt seine Absichten 2) Einschreiten des Herolds: So treffe dich du Lumpenhund (5471) u. 3) Gemurmel von einem gespenstische[n] Gezücht, das Alle doch in Furcht gesetzt (5484−93). Noch fehlen die Herold-Verse 5472−83, die auf Spuk und Zaubereien (5502) hinweisen u. das Gemurmel erklären; sie stehen erst in I H20 mit der gesamten Episode. Auch Machte sich der Zwerg verdächtig (5504) ist erst nachträgliche Anspielung des Herolds auf die unheimlichen Verwandlungen des Zoilo-Thersites. G entlehnte, wie K. Mommsen nachwies, die Idee eines spukhaften Verwandlungskampfes u. dessen charakteristische Einzelheiten der Geschichte des Zweiten Kalenders aus 1001 Nacht. Ein ’Kalender’ (niederer Derwisch) verfolgt hier einen turbulenten Verwandlungskampf zw. einer zauberkundigen Sultanstochter u. einem entsetzenerregenden Geisterunhold, wobei er als Zuschauer durch Funkenflug ein Auge einbüßt. Daß die Zoilo-Thersites-Verwandlungen, die G als Einbruch von Magie u. Übergang von Realität

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[Dez (I H34a zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit Entwürfen zu Geiz-Versen 5768f.)1) nach 22.] 23. An Faust vorgerückt. [nach 23.] (I H33 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5715−38; 5767−78; 5806−10; 5812; 5814; 5819−21)2) 24. Die Scenen zu Faust zur Abschrift redigirt. 25. Faust, fernere Abschrift an John. 27. Kam die Sendung an von Augsburg.3) 28. Faust zweyten Theil Concept und Mundum geordnet und geheftet.4) 28. [Weimar] Caroline v. Egloffstein an Henriette v. Egloffstein (Alt-Weimars Abend. Briefe u. Aufzeichnungen aus dem Nachlasse der Gräfinnen Egloffstein. Hsg. v. H. Fhrn. v. Egloffstein. München 1923, 257): Das Goethesche Gedicht mit dem Ölzweig,5) welchen Soret in dem Frauenverein gekauft und mir geschenkt, klingt folgendermaßen: ,Keinen Blumenflor beneid’ ich Jeden Widerstreit vermeid’ ich, Mir ist’s gegen die Natur Bin ich doch das Mark im Lande Und zum sichern Unterpfande Friedenszeichen jeder Flur. Heute hoff’ ich soll mir’s glücken Würdig schönes Haupt zu schmücken.’ [5120−27] Mir hat das Verschen sehr wohl gefallen, und obgleich der Kranz nicht auf mein Haupt kommen wird, bin ich dessen doch nicht, vielleicht, ganz unwürdig. 29. Am Gedicht Gewonnenes ins Reine.6) 29. An W. Reichel (Br 43, 214): Im Publicum fängt es, wie bedauerlich

vorauszusehen war, wegen der schmächtigen Bändchen sich an zu rühren. Wenn man sich über den Mangel an Bogenzahl beklagt,7) so ist es durchaus erforderlich, daß wir dem Gehalt ein Gewicht zulegen, wozu ich von meiner Seite bereit bin.8) Das Manuscript vom zweyten Theil zur Traum- und Zaubersphäre dienten, durch diese Erzählung angeregt sind, bestätigt außer zahlreichen anderen bezeichnenden Motiven das des verletzten Auges in der 1. Fassung von I H19: Gem[urmel] Ist das Auge doch verlez[t], während die 2. Fassung über durchgestrichenem das Auge dann lautet: Ist auch keiner schon verletzt u. I H20 mit Keiner ist von uns verletzt die endgültige Fassung (5490) bringt; Näheres auch zur Frage, warum G den Typus des literarischen Neiders, Thersites, der den Homer verkleinerte, hier auftreten ließ, s. Mommsen 2006, 198−208. − Zu H19 s. auch Bohnenkamp 318 u. FA I 7.2, 978. 1 ) I H34a (W 53, 567) datierbar durch rückseitigen Theaterzettel vom 22. Dec. 1827. 2 ) I H33 (Bohnenkamp 351f.) egh Entwurfsblatt, Vorstufe zu 5769−71 auf I H34a; für Bohnenkamp 352 Datierungsbezug. − Zu H33 s. Bohnenkamp 352. 3 ) Reichels Brief an G vom 20. Dez 1827 mit Bitte um Einsendung von Faust Zweiter Theil. 4 ) Nochmalige Durchsicht des Ms. vor Übersendung an Göttling am 29. Dez 1827. 5 ) s. oben 1827 Dez 8. u. 9.: I H9 u. Tgb. 6 ) Bezieht sich auf das am 28. Dez 1827 erwähnte Mundum für Faust zweyten Theil. 7 ) Die Verlagsankündigung der Taschen-Ausgabe von 1826 hatte pro Bd 18−23 Bogen versprochen, doch die 2. Lieferung mit Bd 6−10, die G am 4. Dez erhalten u. laut Tgb an die verschiedenen Interessenten vertheilt hatte, umfaßte auch Bd 6 mit nur 17 Bogen (West-östlicher Divan). Am 10. Jan 1828 rechtfertigte sich Reichel gegenüber G (s. QuZ 2, 526f.). 8 ) Im Konzept folgt der von G gestrichene Satz: Kann ich den zweyten Theil von Faust

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des Faust wünsche so lange als möglich zu behalten; gerade in den drey ersten Scenen, die ich mittheile, finden sich Lücken, die sich nicht durch den guten Willen ausfüllen lassen, welches nur zur glücklichsten Stunde gelingt.1) Melden Sie mir daher den letzten Termin wenn Sie das Heft brauchen, so kann das Fehlende, obgleich ungern, doch allenfalls mit einigen Worten angedeutet werden.2) Die aufrichtigen Wünsche, die Sie mir von Ihrer Seite gönnen, erwidere dankbarlichst und will gern gestehen, daß, wenn ich auch in meinen hohen Jahren mich jede Stunde bereit halten muß, aus dieser Aufgabe des Lebens und Wirkens zu scheiden, ich doch bey dem wichtigen Abschluß meines literarischen Wandelns gegenwärtig zu bleiben wünsche . . .3) Dez 29. An F. W. Riemer (Br 43, 219): Sie erhalten hiebey, mein Werthester, das fragliche wundersame Werk bis gegen das Ende;4) haben Sie die Gefälligkeit, es genau durchzugehen, die Interpunction zu berichtigen und allenfallsige Bemerkungen niederzuschreiben, vorzüglich aber Folgendes im Auge zu haben: Ich unterließ, wie Sie sehen, in prosaischer Parenthese das, was geschieht und vorgeht, auszusprechen und ließ vielmehr alles in dem dichterischen Flusse hinlaufen, anzeigen und andeuten, soviel mir zur Klarheit und Faßlichkeit nöthig schien; da aber unsre lieben deutschen Leser sich nicht leicht bemühn, irgend etwas zu suppliren, wenn es auch noch so nah liegt, so schreiben Sie doch ein, wo Sie irgend glauben, daß eine solche Nachhülfe nöthig sey. Das Werk ist seinem Inhalt nach räthselhaft genug, so möge es denn der Ausführung an Deutlichkeit nicht fehlen. 30. Einiges am Hauptgeschäft. 31. Das Hauptgeschäft gefördert. [Dez (I H45 zu Akt I Sz. [4] Lustgarten mit 6005−32, 6035f., P117 u. P118.)5) Ende] nach und nach einschalten so werden sich sinnige Leser gar wohl beruhigen lassen (Br 43, 399). Das Konzept zeigt, daß G vorübergehend die Idee erwog, seinem Publikum − nach dem Beispiel der Scheherazade in 1001 Nacht − Faust II in Fortsetzungen zu bieten. 1 ) Dazu I. Jensen: Während John schon mit der Herstellung der Druckvorlage beauftragt war, arbeitete Goethe noch am Text der ersten Szenen, das heißt, er mühte sich um Auffüllung der vorhandenen Lücken und schloß damit auch die Carnevalsszene ab. (Jensen 1968, 170f.). 2 ) Zum letzten Termin s. 10. Jan 1828: Reichel an G; Reichels Bitte um die Druckvorlage des Anfangs von Faust II bis Ende Januar erfüllte G; s. die darauf bezüglichen Z. 3 ) Das Folgende s. in „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Reichel gD. 4 ) D. h. alle für die Veröffentlichung in C1 12 vorgesehenen Teile von Faust II. 5 ) I H45 (Bohnenkamp 371−72) egh Entwürfe zur Sz. Lustgarten mit Var zu 6005−36, datierbar durch Gedichtentwürfe u. Agenda-Notizen auf Ende Dez 1827. Des Kaisers entzückte Schilderung seiner märchenhaften Halluzinationen während der Mummenschanz gipfelt im 1001-Nacht-Lob (6031−33) dort zunächst: Als Meisterin erkennst du Scherazaden anstelle des späteren 6033: Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden. −

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[Dez (I H36 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5797−814, ohne 5811; 5813 u. Ende?] 5884−935, ohne 5932f.)1) (I H37 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5801−18, 5864−71 u. Akt II Sz. [2] Laboratorium mit 6988−90)2) (I H39 zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal mit 5809f., 5815−20 u. P115)3)

In P117 tritt ein Dichter auf: Wer schildert solchen Ubermuth Wenns nicht der Dichter selber thu [abgeschnitten] Dazu noch: Nun tret ich nothgedrungen vor Der Dichter; zur Einordnung s. auch FA 7.2, 986f. u. MA 18.1, 703. − P118 zur Geisterbeschwörung: Und wenn du rufst sie folg[en] Mann für Mann Und Fraun für Frauen die Groß[en] wie die Schon[en] Die bringen her so Paris wie Helenen. − Zu H45 s. auch Bohnenkamp 372f. u. FA I 7.2, 986f. 1 ) I H36 (W 15.2, 11) tentativ datiert aufgrund des Bezugs zu I H32; s. oben [28.? Febr ] 1825: V H32 m. Anm. − Bleistift-Entwürfe G’s zu in I H32 noch fehlenden Versabschnitten, ohne sämtliche Lücken zu füllen: Plutus u. Getümmel und Gesang: 5797−814, Nymphen: 5884−97, Deputation der Gnome: 5898−913, Plutus: 5914−19 u. Herold: 5920−35 ohne 5932f.; s. oben 29. Dez 1827: Tgb. − Der Herold spricht in I H36 über den vom großen Pan mitgebrachten Schatz als von einer Wunderquelle (5921) u. zeichnet, ohne Hindeutung auf Feuer, das Bild eines Schatzbrunnens, in dem ein flüssiger Inhalt auf- und abschwillt, während noch im P106 (16. Dez 1827) u. im P106 Var. (22. Dez 1827) von einem Feuer, das sich aus der Kiste entwickelt, die Rede war u. von einer Maske, die beim Fall in die Kiste auflodert. − I H36 schließt mit den Herold-Versen Er hört nicht auf hinein zu schaun Nun aber fällt sein Bart hinein Da folgt ein großes Ungeschick u. bricht nach Der Bart mitten im Vers ab. Da ein Schatzbrunnen den Bart nicht entflammen konnte, bildete G in der endgültigen Fassung die Wunderquelle in eine Feuerquelle um. − Die seltsame Zwischenversion der Kiste des großen Pan als Schatzbrunnen in I H36 geht, wie K. Mommsen nachwies, auf die Geschichte des Brachmanen Padmanaba und des jungen Fikaı¨ zurück (Mommsen 2006, 208−14). 2 ) I H37 (Bohnenkamp 470f.) tentativ datiert aufgrund des Bezugs zu I H32; s. vorige Anm. − Auf Vs Entwürfe zum Mummenschanz-Bereich 5801−14 mit Sprecherangaben: Wilder Gesang von Ferne: 4 Zeilen (vgl. 5815−17), Plutus: 5807−10, Faunen: 5815−18 u. 5805f., Plutus: 5807f., 5812 u. 5814; auf Rs noch ohne Sprecherangabe die späteren Riesen: 5864−71. − Nach Übernahme der Mummenschanz-Entwürfe in I H35 trug G egh 4 Verse nach 5810 mit Tinte ein: O! Bleibe ruhigen Bezirken Treu, deiner Lampe Nacht Rev.[ier] Auf Menschen ist nicht leicht zu wirken Doch auf das willige Papier. Diese 4 Verse, zunächst als P zu den Zahmen Xenien (ED: W 5.2, 400) aufgefaßt, identifizierte Weitz als Homunculus-Verse, als Vorstufe oder Variante jener AbschiedsAntwort auf das ‘Und ich?’ (6987), das Wagner (‘ängstlich’) an die drei ‘Luftfahrer’ richtet, welche zu den Phassalischen Feldern aufbrechen. (Weitz 1989, 281). − I H37 mit der Vorstufe zu 6988−90 ist das erste Z zur Laboratorium-Sz.; Vorarbeiten zu dieser Sz. wären demnach, obwohl mit Vorbehalt, schon zu Beginn von 1828 anzusetzen. − Zum zweiten Z, das die Arbeit an Akt II Sz. [2] bezeugt, s. [nach 2. Sept 1829]: II H4a u. zum Abschluß der Sz. s. unten 16. Dez 1829: Eckermann. − Zu H37 s. auch Bohnenkamp 471 u. FA I 7.2, 1005f. 3 ) I H39 (Bohnenkamp 348), datiert nach FA I 7.2, 984, Entwürfe aus dem Umkreis des Arbeitsmundums I H32: Gesang des Faunen-Chors. − P115: Nach Morris 1902 I 193f. Versentwurf für die Faune, die später durch die Gnome ersetzt werden. − Zu H39 s. auch Bohnenkamp 349 u. FA I 7.2, 984.

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1. Fausts [Akt I] dritte Scene abgeschlossen.2) Übergang zu der vierten 2.

3. 5. 6. 7.

[Lustgarten] . . . Abends . . . etwas am Hauptgeschäft. Mundum des gestern Entworfenen . . . [Nachmittags] Später Professor Riemer. Mit ihm das Carneval [Mummenschanz in Akt I Sz. 3] durchgegangen. Vorgerückt an den drey letzten Scenen des ersten Acts.3) Manches vorgearbeitet im Concept und Mundum.4) Einiges an Faust. Abends Dr. Eckermann. Las die neusten Scenen am Faust. Munda fortgesetzt . . . In manchen Einzelnheiten vorgeschritten.5)

8. [Frankfurt] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 376): Daß einiges von dem, was Ihre allumfassende Tätigkeit jetzt beschäftigt, nächstens zu unserer Kenntnis kommen werde, läßt ebenfalls Herr von Müller uns hoffen. Eine Fortsetzung des Faust begreif ich; denn daran ist ewig etwas nachzuholen; er kann und soll nicht vollendet werden. Und da aus all diesem zugleich hervorgeht, wie jugendlich kräftig Sie noch immer nach Geist und Körper seien, so hat jene Nachricht mir doppelte Freude gemacht.6) 10. Am Hauptzweck fortgearbeitet. 10. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 526): Der XII. Band, darin der Faust, ist begonnen, und wird bereits am vierten Bogen gesezt. Der erste Theil des Faust wird etwa gegen 16 Bogen geben, die in circa 3 Wochen ausgesezt seyn werden, daher ich Ew. Excellenz um Einsendung des zweiten Theils gehorsamst bitte, so daß er bis Ende Januar hier sey.7) 11. (s. „Faust. Eine Tragödie“: W. Reichel an Cotta gD, S. 384) 12. Einiges am Hauptgeschäft. 13. Am Hauptgeschäft einiges gefördert . . . [Nachmittags] Setzte Arbeiten

und Betrachtungen fort.

1

) Zur polit. Zeitsituation: In Deutschland werden Zollvereine zw. Preußen u. HessenDarmstadt wie auch zw. Bayern u. Württemberg gebildet. − Zar Nikolaus I. führt den Krieg gegen die Türkei weiter. Russische Truppen unter General Diebitsch durchdringen den Balkan. 2 ) Kein endgültiger Abschluß der besonders langen Sz.[3] Weitläufiger Saal; zu weiteren Überarbeitungen u. Ergänzungen der Mummenschanz s. 1828 Jan 15. u. 25.: Tgb. 3 ) Akt I Sz. [5] Finstere Galerie, Sz. [6] Hell erleuchtete Säle, Sz. [7] Rittersaal. 4 ) Letzteres ebenso wie Tgb 4. Jan 1828: Concipirt und mundirt von Pniower 1899, 610 auf Faust bezogen, nicht so von Düntzer (Beilage zur Allg. Zeitung v. 14. Dez 1899, S. 6) u. auch von Gräf II 2, 428 infrage gestellt, evtl. auf Briefe u. a. zu beziehen. 5 ) Von Pniower 1899, 209 auf Faust bezogen, was Gräf II 2, 428 fraglich erscheint. 6 ) G’s Antwort s. unten 28. Jan 1828. 7 ) Zum Vorabdruck des Anfangs von Faust II in C1 12 (1828) s. 1828 Jan 22.: an Reichel; 25.: Tgb; Febr 7.: Reichel an G; 15.: Tgb; 16.: an Reichel; 28.: Reichel an G; Febr 28.: Reichel an Cotta; März 4. u. 28.: an Reichel.

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14. Diesmalige Sendung von Faust abgeschlossen.1) 15. Dem Abschluß der Arbeit an Faust näher gerückt durch einige Ein-

schaltung . . . Abends Professor Riemer. Concepte durchgegangen. Sodann den Abschluß des Carnevals in Fausts 2. Theil.2) 16. Mittag Dr. Eckermann . . . Eckermann las nachher die drey Scenen des 2. Theils von Faust.3) 17. [Edinburgh] Th. Carlyle an G (Norton 65−67): The main purpose of my letter is thus accomplished; but I cannot conclude without expressing my satisfaction at the good news we continue to hear from Weimar, and the interest which all of us feel in your present so important avocations. By returning travellers and Friends resident in Germany we often get some tidings of you. A younger Brother of mine [John A. Carlyle], at present studying Medicine and Philosophy in München, has the honour of an acquaintance with your correspondent, Dr. Sulpiz Boissere´e;4) through whose means I have just learned that you proceed with unabated diligence in the correction of your Works: and what especially contents me, that we are soon to expect . . . a Second Part of Faust5) . . . I am taught to expect with confidence, not only a continuation but a completion, and share in the general curiosity of Europe to see what it is. 18. Abends Professor Riemer. Die Faustischen Scenen nochmals durchge-

gangen.6) 22. An W. Reichel (Br 43, 260f.): Mit dem nächsten Postwagen gehen die ersten Scenen des zweyten Theils von Faust [für C1 12] an Dieselben ab, und ich bin überzeugt, daß Sie bey’m Abdruck dieses Gedichtes den maıˆtre en page7) eben so wie bey Helena gefällig dirigiren werden. Im Ganzen läßt sich wohl soviel davon sagen, daß dasjenige, was von einzelnen Personen gesprochen wird, hervorzurücken, dagegen, was von einer Masse und Menge gesprochen wird, wie z. B. das Gemurmel, welches auch kürzere Verse sind, hineinzurücken sey. Eben so ist auch alles, was als Lied erscheint oder lyrisch vorgetragen wird, wie der 1

) Zu dem für C1 12 bestimmten Anf. von Faust II; die Wendung Diesmalige Sendung deutet darauf hin, daß G noch eine od. weitere Sendungen zur fortsetzungsweisen Faust II-Veröffentlichung plante (s. oben 29. Dez 1827: an W. Reichel m. Anm.); zu abgeschlossen vgl. das nächste Z. 2 ) Abschluß der Sz. [3] Weitläufiger Saal; vgl. oben 2. Jan 1828: Tgb. 3 ) Die für C1 12 bestimmten ersten 3 Szenen: 1) Anmuthige Gegend, 2) Kaiserliche Pfalz, Saal des Thrones, 3) Weitläufiger Saal, mit Nebengemächern . . . zur Mummenschanz, denen G noch den Anfang von 4) Lustgarten. Morgensonne mit dem vorm Kaiser knieenden Faust u. Mephistopheles anfügte bis zum Lob des Kaisers auf 1001 Nacht u. Scheherazade. 4 ) S. Boissere´es Tagebuch vom 7. Nov. 1827 verzeichnet: M[ed.] Dr. Carlyle von Edinburgh Bruder des Biographen von Schiller Tieck Goethe etc. (Weitz − Boissere´e 2, 225). Boissere´e zeigte John A. Carlyle Briefe G’s u. erlaubte ihm, aus denen vom 25. Sept u. 12. Okt 1827 längere Auszüge zu kopieren, die er Thomas Carlyle am 29. Dez 1827 sandte. 5 ) Das Folgende s. in „Wilhelm Meisters Wanderjahre“: Carlyle an G gD. 6 ) Für den Vorabdruck in Bd 12 der Werke, Vollständige Ausgabe letzer Hand. 7 ) Der für richtige u. geschmackvolle Verteilung des Satzes zuständige Schriftsetzer.

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Jan

23. 24. 24.

25.

28.

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größte Theil des Carnevals, gleichfalls einzurücken. Allein es kommen zweydeutige Fälle vor, wo der Geschmack das Urtheil zu leiten hat, inwiefern nämlich auf irgend eine Stelle die Aufmerksamkeit des Lesers zu heften seyn möchte, welche denn hienach einzurichten wären. Doch kommen dergleichen selten vor und ich überlasse sie gänzlich Ihrer Dijudicatur. Auch überlasse, die Rechtschreibung, wenn sie etwa von der eingeführten abwiche, vorkommenden Falls abzuändern. Fernere Durchsicht des zweyten Theils von Faust. Munda von Briefen zur morgenden Post. Desgleichen Packete abgeschlossen.1) An Zelter (Br 43, 262): Ich habe mich die Zeit2) ganz leidlich gehalten und meine Stunden zu allerlei guten und bedeutenden Zwecken verwenden können. Drey bis vier Scenen des zweyten Theils von Faust sind nach Augsburg abgegangen;3) möchtet ihr, wenn sie gedruckt erscheinen, in den Strömungen des Lebens diesen Darstellungen einige Augenblicke widmen können! Ich fahre fort an dieser Arbeit, denn ich möchte gar zu gern die zwey ersten Acte fertig bringen, damit Helena als dritter Act sich ganz ungezwungen anschlösse und, genugsam vorbereitet, nicht mehr phantasmagorisch und eingeschoben, sondern in ästhetisch-vernunftgemäßer Folge sich erweisen könnte. Was gelingen kann, müssen wir abwarten. Nebenstehendes abgesendet: . . . Herrn Reichel, Rolle mit dem 2. Theil von Faust Anfang [Sz. 1−3, für Bd 12 der Ausg. letzter Hand] . . . Hn Factor Reichel, Avisbrief wegen der Rolle und Sonstigem nach Augsburg.4) An C. F. v. Reinhard (Br 43, 266f.): Das vorige Jahr hab ich meist in unverrückter Thätigkeit geschlossen und bin, ich dürfte fast sagen, zufälligerweise in eine Jugendepoche zurückgekehrt, von welcher unser Canzler [F. v. Müller] schon, wie ich sehe, gemeldet hat.5) Ich mag mich gern wieder der alten leichten losen Sylbenmaaße bedienen, an denen der heitere Reim gefällig widerklingt, und unter solcher Form, in solchem Klang nach echter Poetenart dasjenige heiter vor den Geist zurückführen, was uns im Leben erfreuen und betrüben, verdrießen und aufmuntern konnte. Wunderbarerweise fügt sich’s auch, daß die Außenwelt sich in gleichen Bewegungen hervorthut,

1

) Darunter die den Anf. von Faust II betr. Druckvorlagen, die am 25. abgingen. ) Seit G’s letztem Brief an Zelter vom 4. Dez 1827. 3 ) Summarische Angabe, da die ersten 3 Szenen bereits absendebereit verpackt lagen u. G schon jetzt beabsichtigte, noch einen Teil der 4. Szene (Lustgarten) mit zu veröffentlichen. 4 ) Avisbrief wohl identisch mit: an Reichel 22. Jan 1828, s. oben. 5 ) s. oben 9. Jan 1828: Reinhard an G. 2

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Daß hinten weit in der Türkey Die Völker auf einander schlagen [Faust 862f.], die Siege von Lepanto, Tschesme u. s. w. sich erneuern und wir uns also mit der Weltgeschichte wie mit dem Erdball auf unserer eignen Achse herumzudrehen scheinen . . . [Über Lektüre von Walter Scotts The Life of Napoleon Buonaparte und die] sich anschließenden und entwickelnden Weltbegebenheiten . . . der ich, in meinen Klostergarten schauend, jene wichtigsten Ereignisse nur als phantasmagorische Wolken über mir vorbeyziehen sehe1) . . . Indessen nöthigt mich meine örtliche Umgebung, welche weder ästhetisch noch romantisch genannt werden kann hereinwärts zu sehen, in’s Innere der Wohnung und des Geistes . . . Möge das was zunächst von meinen prosaischen oder poetischen Arbeiten zu Ihnen gelangt, eine frohe Unterhaltung geben . . . 30. Mittag Dr. Eckermann . . . Jenem communicirte nach Tisch . . . auch das Weitere zu Faust.2) 7. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 533): Den Empfang der ersten Scenen zu Faust II. Theil zeige ich Ew. Exc. ganz gehorsamst an; ich werde suchen, wie bei der Helena Dero Wünschen zu entsprechen. Noch in dieser Woche beginnt der Satz dieses II. Theiles, und ich bitte um baldige Nachsendung des Uebrigen. [9.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust.“: K. v. Holtei, Vierzig Jahre gD, S. 575 f.) 12. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: N. Borchardt an G gD, EGW 7, 149f.) 15. [An] Herrn Factor Reichel, eine Rolle, enthaltend . . . eine Scene zu

Faust [Akt I Sz. [4] Lustgarten 5987−6036] . . . Im Hauptgeschäft vorgerückt. 16. An W. Reichel (Br 43, 279f.): Ew. Wohlgeboren Schreiben vom 7. Februar zu Folge ist die angezeigte Sendung richtig angelangt, welchem Vermelden ich Nachstehendes hinzufüge. Zu F a u s t s zweytem Theile sende noch einiges [Akt I Sz. [4] Lustgarten 5987−6036] mit der gestern abgegangenen fahrenden Post, welches denn als Abschnitt für dießmal gelten mag. Wunsch und Hoffnung ist, daß die nächsten Lieferungen mit den sich anschließenden Scenen sollen ausgestattet werden. 20. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: J.-J. Ampe`re [Rez.]: He´le`ne gD, S. 576 f.) 28. [Augsburg] W. Reichel an G (QuZ 2, 538f.): Ew. Excellenz habe ich die Ehre den Empfang der mir unterm 16. Febr. angezeigten Mspt Sendung anzuzeigen. Was noch zu Faust ankam, sind nicht mehr als 2 Seiten des Mspts. nämlich 1 Bog. in Folio, dessen zweites Blatt weiß war. Da nun dieses Mspt (zu Faust) alles keine Paginas hat, so kann ich nicht wissen, ob nicht vielleicht etwas dazwischen fehlt, da Ew. Excellenz zu schreiben die Güte haben: „sie sendeten noch Einiges zu (Goethes) Faust 2ter Theil. Ich gebe daher davon Ew. Excellenz folgende Notiz: Was ich bis jezt in Händen hatte,

1

) Das ’Vorbeiziehen phantasmagorischer Wolken‘ ist nur aus dem Geist von Faust II begreiflich; vgl. Akt IV [Sz. 1] Hochgebirg. 2 ) Vielleicht Akt I Sz. [4] Lustgarten.

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schließt mit der Rede des Plutus, welche beginnt: S c h r e c k e n i s t g e n u g v e r b r e i t e t [5970], und endet: S o l l s i c h d i e M a g i e b e t h ä t i g e n [5986]. Das n e u e r h a l t e n e Mspt., in, wie oben gesagt, 2 Seiten bestehend, beginnt: L u s t g a r t e n . M o r g e n s o n n e . D e r K a i s e r , H o f l e u t e u . s . w . [Szenar vor 5987] und endet mit der Rede des Kaisers, welcher spricht: „ We l c h g u t G e s c h i c k h a t d i c h h i e h e r g e b r a c h t ? “ [ 6031] und schließt: W i e ’ s o f t g e s c h i e h t , m i r w i d e r l i c h s t m i ß f ä l l t [6036]. Da nun diese zweite Manuscript-Seite ganz herunter geschrieben ist, da kein Strich oder sonst etwas da ist, das einen einstweiligen Beschluß anzeigte, so macht mich das stutzig, und drängt mich darüber anzufragen, und zugleich darauf aufmerksam zu machen, ob hier nicht zu sagen seyn möchte, d a ß e i n e w e i t e r e F o r t s e t z u n g s p ä t e r n o c h f o l g e n w i r d ?1). . . Ich bitte Ew. Excellenz recht sehr um Verzeihung, wenn Sie alle diese meine Anfragen für u n n ö t h i g finden sollten; ich bitte Dieselben jedoch umgehend um Antwort, da ich von beiden Bänden so lange den Druck sistire.

Febr 28. [Augsburg] W. Reichel an Cotta (QuZ 2, 539f.): Da nun aber der Faust, laut Goethes Brief [vom 16. Febr] . . . noch nicht geendet ist, so frage ich an, was ist damit zu machen, hinsichtlich der 1500 besondern Abdrucke,2) denn dort kann uns das nichts helfen, d o r t muß der Faust ganz seyn? . . . Ich komme noch einmal auf den Faust zurück. Hr. Prof. Lebret3) sagt mir soeben, wie er glaube, daß wenn in den besondern Abdrucken des Faust der erste Theil aus sey, nun erst H e l e n a als Zwischenspiel zu Faust kommen müsse, ehe Faust 2ter Theil kommen könne. Er hält das für die besondere Ausgabe des Faust durchaus nöthig, und zwar spreche die neueste Nummer des „Globe“ davon, daß Faust nun nach dem Schluß des ersten Theils, von Mephistopheles das schönste Weib der Erde verlangt habe,4) und nun gehe im Zweiten Theil erst die Dichtung in die moderne Zeit über. Ich glaube fast selbst, daß das der besondern Ausgabe nützlich wäre, und ich bitte daher hierüber Ordre. Muß die Helena da hinein, so muß ich diese erst wieder setzen lassen. Da nun aber ohnehin Hr. v. Goethe den II. Theil des Faust jezt nicht beendiget, so möchte es wohl das Gerathenste seyn, den b e s o n d e r n Abdruck mit dem e r s t e n Theil zu schließen und mit Anfügung der Helena und des Zweiten Theils zu warten bis Hr. v. Goethe den Zweiten Theil in den nächsten Lieferungen vollends beendiget hat. 28. An Zelter (Br 43, 292): Die Osterlieferung meiner Werke [Bde 11−15]

bringt Dir auch wohl etwas Neues; zwar weiß ich nicht, was Du bey mir gelesen hast, doch wollen wir auch das Bekannte dir empfohlen wissen.5)

1

) Das von Reichel vorgeschlagene Fortsetzungsversprechen (im Stile der Scheherazade) war G willkommen; s. 4. März 1828: an Reichel. In C1 12, 313 bricht Faust II mitten in Akt I Sz. [4] Lustgarten so ab (6031−36): K a i s e r [:] Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht? Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht. Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden, Versichr’ ich dich der höchsten aller Gnaden. Sey stets bereit, wenn eure Tageswelt, Wie’s oft geschieht, mir widerlichst mißfällt. (Ist fortzusetzen.) G nutzte die Gelegenheit, um indirekt seine eigene Dankesschuld gegenüber 1001 Nacht zu bekunden. 2 ) s. 11. Jan 1828: Reichel an Cotta in: „Faust. Eine Tragödie“, S. 384. 3 ) Albrecht Lebret (1778–1846), Redakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung. 4 ) J. J. Ampe`res Rez. von Helena . . . Zwischenspiel zu Faust in: Le Globe VI 34 (20.2.1828) 209−11. 5 ) Außer der Novelle vor allem den Anfang vom zweiten Teil des Faust, Lektüre Zelters belegt, s. oben 13. Okt 1827: Tgb.

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Febr 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 577) März 1. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 150) 2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Tgb gD, S. 577) 2. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Sternberg gD) 4. An W. Reichel (Konzept; Br 44, 7): Wegen der andern Anfragen er-

widere Folgendes: Nach dem Schluß der Rede des P l u t u s : S o l l s i c h d i e M a g i e b e t h ä t i g e n folgt allerdings die neue Scene: L u s t g a r t e n M o r g e n s o n n e welche schließt: W i e ’ s o f t g e s c h i e h t , m i r w i d e r l i c h s t m i ß f ä l l t . Worauf denn die Notiz folgen kann: ( I s t f o r t z u s e t z e n .)1) 5./6. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. Soret an P. E. L. Dumont gD, S. 577) 7. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an John A. Carlyle gD, EGW 7, 151) 11. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 656f.): „Ich hatte in meinem Leben eine Zeit, wo ich täglich einen gedruckten Bogen von mir fordern konnte, und es gelang mir mit Leichtigkeit . . . Jetzt soll ich dergleichen wohl bleiben lassen; und doch kann ich über Mangel an Produktivität, selbst in meinem hohen Alter, mich keineswegs beklagen. Was mir aber in meinen jungen Jahren täglich und unter allen Umständen gelang, gelingt mir jetzt nur periodenweise und unter gewissen günstigen Bedingungen . . . Jetzt, am zweiten Teil meines Faust, kann ich nur in den frühen Stunden des Tages arbeiten, wo ich mich vom Schlaf erquickt und gestärkt fühle und die Fratzen des täglichen Lebens mich noch nicht verwirrt haben. Und doch, was ist es, das ich ausführe! Im allerglücklichsten Fall eine geschriebene Seite; in der Regel aber nur so viel, als man auf den Raum einer Handbreit schreiben könnte, und oft, bei unproduktiver Stimmung noch weniger.“ 12. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 151) 13. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: W. Reichel an G gD) 14. u. 15. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Tgb gD, EGW 7, 151) 24. [Weimar] F. v. Müller an C. F. v. Reinhard (ChronWGV 1909, 22): Er arbeitet unausgesetzt am 2. Theil des Faust . . . 24. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 28. An W. Reichel (Br 44, 44): Auch darf ich nicht unbemerkt lassen, daß

die Abtheilung der verschiedenen Dichtarten, aus welchen der zweyte Theil des Faust besteht, abermals glücklich gelungen sey, für welche Ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit ich hiedurch abermals2) bestens zu danken habe. Apr

2. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Th. Carlyle [Rez.]: Goethe’s Sämmtliche Werke gD, S. 578 f.) 7. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an S. Boissere´e gD)

1

) Vgl. oben Anm. zu 16. Juli 1824: J. Max an G u. 28. Febr 1828: Reichel an G. ) Mit Bezug auf Bd 12, Bogen 17−20 mit 4736−6036; s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“ 13. März 1828: W. Reichel an G.

2

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Apr 11. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: W. Fraser an G gD, EGW 7, 151) 16. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an J. A. Carlyle gD, EGW 7, 151) 18. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an G gD, EGW 7, 151f.) [nach 18.] (H P179a zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg früher Entwurf zum Anfangsmonolog u. zu Akt V Sz. [1] Offene Gegend )1) 22. An Zelter (Br 44, 70): Auf die Messe [Leipziger Frühjahrsmesse] er-

scheint die dritte Lieferung meiner neuen Ausgabe;2) einiges Frische hie und da in diesen Bändchen darf ich wohl empfehlen3) . . . Ein Heft Kunst und Alterthum [VI 2] tritt auch hervor, und so manches andere noch nebenher, indessen Faust mich von der Seite anschielt und die bittersten Vorwürfe macht, daß ich nicht ihm als dem Würdigsten den Vorzug der Arbeit zuwende und alles Übrige bey Seite schiebe. 23. Im Garten. Merkwürdige Wolkenmasse von Osten heranziehend, sich nach Westen und Süden verbreitend, bis zum Zenith reichend und unter Donner und Blitzen sich wieder zurückziehend.4) 24./28. [Jena] J. D. Gries an B. R. Abeken (Abschrift H. G. Gräf in GSA 1/264): Goethe’s Wohlbefinden dauert noch immer fest u. er ist überaus fleissig, u. zwar bei einer Arbeit, die Sie wohl nicht vermuthen, nemlich bei’m Faust. Es scheint sogar, dass er nicht nur das schon Vorhandene sichtet, u. ordnet, sondern auch vieles Neue hinzudichtet. 27. [Weimar] F. v. Müller an W. A. Shukowski (Unterhaltungen 346): Am zweyten Theil des Faust, der sich in fünf Abtheilungen spaltet, wovon Helena als die dritte anzusehen ist, arbeitet er fortwährend.

1

) H P179a (Bohnenkamp 670) datiert aufgrund eines Briefkonzepts u. der Tgb-Notiz vom 23. Apr 1828 (s. dort). − Egh Schema skizziert Zeile 1−3: Meph im Gebirg der Wolcke nach Faust laßt sich nieder die Wolcke steigt als Helena. Ab[lösen] dieser Vision . . . Hier gewahrt Faust in der Wolke einzig Helena, während die späteren Schemata H P179.1 u. H P179.3 die Idee der Vision beider Geliebten vom Nov 1826 wieder aufnehmen (s. 9. Nov 1826: H P99A: Gretchens und Helenas Wahnerscheinung u. 10. Nov 1826.: H P99B: Wahnerscheinung von Gretchen und Helena). − H P179 skizziert [P179.1]: Im Proscenium Faust Wolce Helena Gretchen . . . [P179.3:] Die Wolke steigt als Helena nach Sud Osten halb als Gretchen nach Nordwesten . . . − (H P180): Wolke nach zwey Seiten . . . − Die folgenden Zeilen von H P179a (4−14): Meph. Faust umwendung zum Besitz Gewalt. Aufregung der Volcker Meph. als Werber. der drey Hauptf[iguren. Die drey Hauptf. Chor als That. Reichstag. Andr[er] Kayser Groß[e] Belehn[ung] Fausts Forderungen. Zugestand[en] H. des Delta − Die letzten Zeilen 15−17, graphisch von den vorausgehenden abgesetzt u. im Gegensatz zu diesen nicht als erledigt gestrichen, reichen in Akt V Sz. [1] Offene Gegend hinein: Triumph. [Gewinn] gegen das Meer auf Fausts Landgewinnung zu beziehen; so auch 16 u. 17: Wanderer Ruhm Faust. − Zu P179a s. auch Bohnenkamp 671f. u. FA I 7.2, 1040f. 2 ) Auslieferung Bd 11−15 Anf. Mai 1828; s. 10. Mai 1828: Reichel an G. 3 ) Wohl vor allem im Hinblick auf den Anf. von Faust II in C1 12, 249−313; Zelters Reaktion am 9. Juni 1828, s. dort. 4 ) Zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg. − Bohnenkamp 672 zitiert die Tgb-Notiz im Kontext der wohl etwa gleichzeitigen P179a, P179 u. P180 mit Wolkenmotiven zum Akt-Beginn; s. oben [nach 18. Apr] 1828: H P179a m. Anm.

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1. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an N. Borchardt u. Tgb gD, EGW 7, 152f.) 2. (s. „Edinburgh Reviews“: Tgb gD, EGW 3, 174) [4.]1) [Weimar] Jenny v. Pappenheim Gespräch (Aus Goethes Freundeskreise. Erinnerungen der Baronin Jenny v. Gustedt. Hsg. v. Lily v. Kretschman. Braunschweig 1892, 74): Nach Tisch holte er [G] seinen ,Faust‘, an dessen zweitem Theil er noch arbeitete und aus dem er Ottilie oft vorlas. Jetzt durfte ich ihm lauschen, ich hätte es ewig thun mögen, nie den „Platz zu seinen Füssen“2) zu verlassen brauchen. Es dämmerte, als ich gehen musste. Die Hand, die er mir reichte, zog ich dankbar und ehrfurchtsvoll an die Lippen. Er sah wohl, welch ein Eindruck ich mit mir nahm und sagte noch, als ich mit Ottilien an der Thür stand: „Ja, ja, Kind! Da habe ich viel hineingeheimnisst.“ 6. [München] S. Boissere´e Tagebuch (Weitz − Boissere´e 2, 299): Goethes ,Faust‘ 2. Teil. 10. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: W. Reichel an G gD) 17. [München] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 510): Die neueste Lieferung Ihrer Werke ist mir dieser Tage zugekommen,3) und ich habe gleich mit Heißhunger den zweiten Theil zum Faust noch in den losen Blättern gelesen, jetzt liegt das Bändchen schon gebunden auf meinem Tisch, und ich kann nach wiederholtem Lesen nicht anders sagen, als daß dieses neue Fragment das größte Verlangen nach der weiteren Fortsetzung erregt. Der Monolog des Faust im Anfang und die Schlußscene gehören gewiß zu den besten Theilen des Stücks, so wie die Maskerade zu den vorzüglichsten Intermezzos gehört. Möchte es Ihnen doch gelingen, das Ganze zu vollenden. 21. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“ u. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Zelter gD, EGW 7, 153f.)

[Mai Ende] („Helena . . . Zwischenspiel zum Faust“: Eckermann an W. Fraser gD, S. 579) Juni 9. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1126): „Ist fortzusetzen“4) − und das will ich mir ausgebeten haben! aber, von wem? − da hab ich mir abermalen eine Briesche gerannt indem ich durch den zweiten Teil fuhr. Du hast uns da in eine tüchtige Patsche geführt und jeder mag sehn wie er sich wieder zu Hause findet. Unterdessen fange ich immer von vorn wieder an. Könnte ich nur zeichnen Du solltest den ganzen Faust in Bildern wiedersehn so klar und derb mir alles vor der Einbildung steht; sagen und schreiben und erzählen läßt sich das nicht. 10. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Sternberg gD) 11. [Jena] Knebel an G (G−Knebel 2, 383): Du wirst mir erlauben, daß ich Dir heute für die Freude danke, die mir gestern Dein neubereicherter Faust gemacht hat! − Was hast Du nicht alles in diese kleine Zauberwelt hineingebracht! und welche Gedanken, Bilder und Darstellungen! und welcher Zauber der Harmonie! 14. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1128): Unterdessen dichte ich mich in den neuen Faust5) hinein bis Folge und Beschluß bei Dir lose werden und ins Leben treten. Fühle

1

) Datierung nach Tgb. ) Anspielung auf ein Gedicht Jenny von Pappenheims auf G mit dem Titel Mir gönne nur den Platz zu deinen Füssen. 3 ) s. oben 6. Mai: Boissere´e Tagebuch. 4 ) Zelter zitiert die Bemerkung, mit der in Bd 12 der Ausgabe letzter Hand auf S. 313 der Vorabdruck von Faust, zweyter Theil, Anfang mitten in Akt I Sz. [4] Lustgarten nach 6036 abbricht; vgl. 18. Sept 1827: an Cotta; 1828 März 4.: an Reichel; Apr 22.: an Zelter. 5 ) Akt I in C1 12 (1828) 249−313. 2

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ich nur durch und durch daß Du lebst so wird mir nicht bange, daß die Zeit erfüllet werde.1)

Juni 14. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Frommann u. Tgb gD, EGW 7, 154) 15. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Th. Carlyle gD) 15. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: an Carlyle u. Eckermann an Carlyle gD, EGW 7, 154f.) 17. [Frankfurt, anonyme Rez.:] Goethe’s Faust. Zweiter Theil. In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen Nr. 121 v. 17. Juni 1828, 482f.: Von Goethe’s Werken (Cottasche Gesammtausgabe) ist so eben die dritte Lieferung, oder Bd. 11−15 erschienen. Sie enthält unter anderm bis daher Ungedruckten auch einen zweiten Theil zu Faust. Dieses höchst merkwürdige Fragment − denn als solches giebt es Goethe, indem er am Schluß liebenswürdig naiv beifügt: „ist fortzusetzen“ − kann nicht verfehlen, den Freunden der Poesie, den Verehrern des größten deutschen Dichtergenius, als erwünschte Gabe reichen Genuß zu schaffen, den Gegnern aber − namentlich den Müllnerianern − eine große Aergerniß und daneben der Stoff für neue Unarten zu geben. Wir fürchten, daß selbst viele ganz unbefangene, edeln Eindrücken zugängliche, ja mit Goethe’s Art und Weise bis auf einen gewissen Punct vertraute Gemüther an diesem Bruchstück irre werden und unsere fast unbedingte Anpreisung zu unterschreiben sich kaum entschließen. Das Zwischenspiel H e l e n a hatte die Erwartung auf’s höchste gespannt: der zweite Theil der Tr a g ö d i e befriedigt sie nicht ganz, bleibt aber, an sich betrachtet, immer bedeutend genug. Weder an äußerm Umfang, noch an allgemeinem Interesse, noch an poetischer Vollendung erreicht diese neue Leistung den F a u s t , wie er seit 1808 unter Goethe’s Werken glänzt. [folgend kurze Szenenbeschreibung] Schon aus dieser scenarischen Anordnung wird man schließen, daß es hier auf keinen Fortgang der Geschichte abgesehen sei, auf keine weiteren Collisionen zwischen Fausts besserer Natur und Mephisto’s Lug und Trug . . . Was uns Goethe diesmal geben wollte, was er in urkräftiger Art gegeben hat, ist ein geistreiches Ideenspiel, eine Variation über das große Weltthema, das Product einer gereiften Ansicht von den sublunarischen Dingen, alles gehüllt in den anmuthigsten poetischen Schleier und geschmückt durch lebenvolle Sprüche ächter Weisheit. [Es folgen Textauszüge.] 24.u.25. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Tgb gD) 27. [Dresden] C. D. Weiße: [Rez.] Goethe’s Faust. Zweiter Theil. In: Dresdner MorgenZeitung Nr. 117 v. 27. Juni 1828, 935f.: D i e n e u e L i e f e r u n g v o n G o e t h e ’ s We r k e n , die im Frühling des gegenwärtigen Jahres erschienen ist, enthält als wichtige neue Gabe die längst versprochene und erwartete F o r t s e t z u n g d e s F a u s t . Wer in derselben eine den nämlichen poetischen Charakter tragende Fortführung des ersten Theiles der Tragödie, und vielleicht eine unmittelbare und unzweideutige Lösung der Räthsel, welche jener zu lassen schien, zu finden hofft: wird seine Erwartung freilich getäuscht sehen; nichts destoweniger stehen wir nicht an, dieses Werk für eins der merkwürdigsten und inhaltreichsten unter den späteren des großen Dichters zu erklären.2) 28. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Tgb gD) Juli

1. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD) 2. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: Tgb gD)

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) Anspielung auf Markus I 15 oder Paulus an die Epheser I 10. ) Eine ausführliche Paraphrasierung des I. Aktes in Nr. 117 v. 27. Juni 1828, 935f.; Nr. 118 v. 28. Juni 1828, 937−44; Nr. 119 v. 29. Juni 1828, 948−52; Nr. 120 v. 30. Juni 1828, 954−59; Nr. 121 v. 30. Juni 1828, 963−68.

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6. (s. „Ueber Kunst und Alterthum“: F. J. Frommann an G gD)

26./ 27. [Dornburg] An Zelter (Br 44, 226f.):1) Daß ich in diesen zwanzig Ta-

gen2) aus Unruhe, Neigung, Trieb und Langerweile gar manches geleistet habe, wirst du wohl glauben; leider ist es sehr vielerlei, dergestalt daß es nicht leicht zur Erscheinung kommen wird. Meine nahe Hoffnung, euch zu Michael [Herbst-Buchmesse 29. Sept] die Fortsetzung von Faust zu geben,3) wird mir denn auch durch diese Ereignisse vereitelt. Wenn dieß Ding nicht fortgesetzt auf einen übermüthigen Zustand hindeutet, wenn es den Leser nicht auch nöthigt, sich über sich selber hinauszumuthen, so ist es nichts werth. Bis jetzt, denk ich, hat ein guter Kopf und Sinn schon zu thun, wenn er sich will zum Herrn machen von allem dem was da hineingeheimnisset ist. Dazu bist du denn gerade der rechte Mann, und es wird dir auch deshalb die Zeit bis auf die erscheinende Folge nicht zu lange werden. Der Anfang des zweyten Acts ist gelungen, wir wollen dieß ganz bescheiden aussprechen, weil wir ihn, wenn er nicht dastünde, nicht machen würden. Es kommt nun darauf an, den ersten Act zu schließen, der bis auf’s letzte Detail erfunden ist und ohne dieses Unheil auch schon in behaglichen Reimen ausgeführt stünde. Das müssen wir denn auch der vorschwebenden Zeit überlassen. 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. Soret an G gD, S. 580) Aug

8. [Dornburg] An Th. Carlyle (Br 44, 257): Der dritten Lieferung meiner

Werke4) lege auch das neuste Stück von Kunst und Althertum [VI 2] bey. 12. [Dornburg] Kamen Hofrath Döbereiner und Dr. Weller. Von ersterem sehr viel Bedeutendes vernommen. Er fügte seinen Vorträgen gleich erläuternde Zeichnungen hinzu. Wir speisten zusammen. Die Unterhaltung war durchaus fruchtbar belehrend.5) 1

) Zu Akt I u. Akt II. ) Nach Carl Augusts Tod am 14. Juni zog sich G vom 7. Juli−11. Sept 1828 nach Dornburg zurück. − Daß G sich erst nach des Großherzogs Tod einige seiner bittersten Leiden im politischen Bereich in Faust II vom Herzen schreiben konnte, zeigt Mommsen 1989, 1– 36). 3 ) G’s Hoffnung, weitere Faust II-Szenen den künftigen Lieferungen von Ausg. C1 beizufügen, bereits ausgedrückt an Reichel, 16. Febr 1828: Wunsch und Hoffnung ist, daß die nächsten Lieferungen mit den sich anschließenden Scenen sollen ausgestattet werden. 4 ) C1 11−15 mit Abdruck des Anfangs von Faust II in C1 12. 5 ) Zu Akt II Sz. [2] Laboratorium (6860−64). Über die Gespräche mit Döbereiner am 12. u. 28. u. Berzelius am 20. Aug 1828 fehlen nähere Angaben, doch ist im Zusammenhang des Berzelius-Besuchs ziemlich sicher, daß dabei die Harnstoffsynthese seines Schülers F. Wöhler zur Sprache kam, der Ueber künstliche Bildung des Harnstoffs von dem unerwarteten Resultat berichtet hatte, daß bei der Vereinigung von Cyansäure mit Ammoniak Harnstoff entsteht, eine auch insofern merkwürdige Thatsache, als sie ein Beispiel von der künstlichen Erzeugung eines organischen, und zwar sogenannten ani2

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Aug 15. [Dornburg] Abends . . . Später Claudine von Villa Bella gelesen.1) 20. [Dornburg] Wollte etwas arbeiten, ward aber wieder unterbrochen,

durch den Besuch der Herren Berzelius, Mitscherlich und Rose, welche malischen, Stoffes darbietet. (Annalen der Physik und Chemie Bd 12, St. 2, Febr 1828, 253). Am 22. Febr 1828 schrieb er an Berzelius: Ich . . . muss Ihnen sagen, dass ich Harnstoff machen kann, ohne dazu Nieren oder überhaupt ein Thier, sey es Mensch oder Hund, nöthig zu haben (Briefwechsel zwischen J. Berzelius u. F. Wöhler. Hsg. v. O. Wallach. Leipzig 1901, Bd 1, S. 206). Ähnlich wie die Abhandlung schloß der Brief mit der Frage: Diese künstliche Bildung von Harnstoff, kann man sie als ein Beispiel von Bildung einer organischen Substanz aus unorganischen Stoffen betrachten? (Ebd., S. 208). Berzelius antwortete am 7. März 1828 mit einer ’Raillerie‘: Aluminium und künstlicher Harnstoff . . . werden, mein Herr, als Edelsteine in Ihren Lorbeerkranz eingeflochten werden, und sollte die Quantität des artificiellen nicht genügen, so kann man leicht mit ein wenig Nachttopf supplieren. Sollte es nun gelingen, noch etwas weiter im Produktionsvermögen zu kommen (vesiculae seminales liegen ja weiter nach vorn als die Urinblase), welche herrliche Kunst, im Laboratorium der Gewerbeschule ein noch so kleines Kind zu machen. − Wer weiß? Es dürfte leicht genug gehen. − Aber nun genug mit Raillerie (Ebd.). − G. W. Hertz vertrat 1924 erstmals die Auffassung, daß die Homunculus-Konzeption in der endgültigen Fassung vom Dez 1829 durch die Harnstoffsynthese bedingt sei. (Entstehungsgeschichte und Gehalt von Faust II, Akt 2. In: Euphorion 25 [1924] 389−406; Wiederabdruck: Hertz 1931, 113−163). G’s Vorhaben, in Wagners Laboratorium eine Satire auf die mechanisch−mathematisch gerichtete Wissenschaft (1931, 132) mit ihrem Streben nach Mechanisierung des Lebendigen (138) zu gestalten, wie sie ursprüngl. Nov/Dez 1826 mit der Erzeugung eines chemisch Menschlein (137) nach Paracelsus geplant war, dann aber nicht ausgeführt wurde, habe durch die Harnstoffsynthese neuen Auftrieb erhalten, wobei an Wöhlers Entdeckung . . . für Goethe nicht das Experiment selbst von Bedeutung [war], sondern die naturphilosophischen Folgerungen daraus (133). Wagner betreibe auch in der endgültigen Fassung das Machen eines Menschen noch auf Alchimistenart. Doch: Die Alchimie dient dem Dichter ganz äußerlich zur rein stofflichen Angleichung der Satire an die Faustfabel . . . Dem Gehalt nach stehen wir vielmehr bei der mathematischen Richtung in der Biochemie und dem ihr zugrunde liegenden Newtonschen Weltbild (140). Veranlaßt durch eine entscheidende Wendung in der Geschichte der chemischen Wissenschaft (130), stelle G einen Naturforscher dar, der durch den Herrschaftsanspruch der mathematischen Wissenschaften verführt, das Ziel Wöhlers ins Groteske hinaufschraubt (138), um zu zeigen, wie ein organisches Wesen, zumal ein Mensch, trotz der Biochemiker, nicht entstehe (142). Wagners Experiment als ein ’Wöhlersches’ zu bezeichnen, wie FA I 7.2, 508, geht jedoch zu weit. NB beabsichtigte Wöhler keineswegs, mit seinen Experimenten den Weg zur künstlichen Herstellung von Lebewesen zu eröffnen. Zum Wortgebrauch krystallisieren: Wöhler spricht vom Umkrystallisiren u. beschreibt den künstlich erzeugten Harnstoff als krystallisirbare weiße Substanz bzw. krystallisirte, weiße Substanz, um dessen Form als schmale rechtwinklige, vierseitige Säulen zu bezeichnen, während Wagner die künstliche Erzeugung des Männchens in der Phiole als krystallisieren im Gegensatz zum natürlichen organisieren bezeichnet. Zu 6864: Kristallisiertes Menschenvolk vgl. auch Mommsen 1968, 21. 1 ) Nach Hertz 1931, 156 Beschäftigung mit dem Schauspiel-Text von 1775 (vgl. dagegen EGW 2, 217), darin sei G wieder auf den sonst nicht weiter von ihm verwendeten Begriff Rauchloch gestoßen (W 38, 19021), den er dann zeitnah in Akt II, v. 6837 noch einmal verwendet hat: Bei der Zwischenzeit von mehr als 50 Jahren seit der früheren Anwendung ist eine zufällige Übereinstimmung wenig wahrscheinlich; es ist vielmehr zu vermuten, daß sich dem Dichter bei der Abfassung der Faustverse das durch die Lektüre

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vor der Berliner [Naturforscher-]Zusammenkunft eine Reise an den Rhein zu machen gedenken. Aug 25. (s. „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Th. Carlyle an John A. Carlyle gD, EGW 7, 156) 28. [Dornburg] Speiste mit mir Dr. Stichling, Weller und Schuchardt. Kam

Hofrath Döbereiner dazu, da denn das Gespräch sehr interessant wurde.1) 28. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust.“: C. J. L. Iken an G gD, S. 580) Sept

1. [Dornburg] Meldete sich Doctor Kraukling von Dresden, mit einem

Schreiben von Eckermann. Ich sprach ihn um 4 Uhr. Er brachte verschiedenes Interessante mit; war auch ein sinniger, wohldenkender, unterrichteter, den neusten literarischen Zuständen wohl geeigneter Mann.2) [1.] (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Biedermann, Goethe und Dresden gD, S. 580) 18. [Weimar] Einiges am Hauptgeschäft arrangirt.3) 19. Ingleichen das Geschäft weiter geführt. 25. [Craigenputtock] Th. Carlyle an G (Norton 117f.): A pleasing duty, which has long lain before me, need not now be put off any longer. Both your Packets are at length in my hands . . . In a few hours, too, I purpose to enjoy this Second Part of Faust; and explore what further novelty these estimable volumes contain. Okt

9. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 284): Ich machte die Bekanntschaft des Grafen und der Gräfin Medem . . . Der Graf interessierte sich besonders für den Faust und dessen Fortsetzung, über welche Dinge er sich mit mir eine Weile lebhaft unterhielt. 14. [Weimar] Riemer Tagebuch (JbSK 4, 54): Abends bei Goethe. Von seinen Werken, Wanderjahren, Faust (wovon der letzte Akt beinahe fertig, die Helena mache den 3. Akt). Also noch der Ubergang zum zweiten und dritten übrig. Würde das auch fertig machen, wenn er dazu kommen könnte. vor kurzem aufgefrischte Wort und Bild unwillkürlich aufdrängte. (Ebd.) Damit wären zumindest die Verse Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar / Habt ihr in’s Rauchloch eingeschlossen nach dem 15. Aug entstanden; Hertz schlägt eine Datierung auf September 1828 (ebd.) vor. 1 ) s. die vorige Anm. 2 ) Kraukling gegenüber äußerte G: Ich habe noch so viel zu tun, um meine Arbeiten zum Abschluß zu bringen, daß ich durchaus keine Reise mehr machen kann; ich versage mir sogar eine Badereise. (GG 3.2, 333). − Das weitere s. in „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Biedermann, Goethe u. Dresden gD, S. 580. 3 ) Nach Hertz 1931, 155 Arbeit an Akt II Sz. [2] Laboratorium; s. auch nächstes Z: An diesen beiden Tagen muß die Szene diktiert oder niedergeschrieben worden sein. Angeregt durch Schriften von Maupertuis (Ve´nus physique, 1746) u. La Mettrie (L’homme plante, 1748), die G nach Tgb-Eintrag am 13. u. 14. Sept gelesen hat, habe er sich Gedanken über geschlechtliche Liebe und Fortpflanzung gemacht. Auf diese Tage weisen auch die Verse über das Thema ,wie sonst das Zeugen Mode war’ [6838]; denn sie entstammen . . . der am 14. September abgeschlossenen Lektüre der ,Venus physique’. (156) Zu den beiden Werken ebd., 134−36.

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Okt 20. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) Nov 8. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Göttling gD) Dez

9. [Craigenputtock] Th. Carlyle an Eckermann (Sanders 4, 428f.): The third Lieferung of his Works and the K.[unst] u. A.[ltherthum] I have looked over but must not speak of till next time . . . Faust I have yet found time only to read once.1) 23. [Jena] C. W. Göttling an G (G−Göttling 66):2) Vor allen aber hat mich die Fortsetzung des F a u s t angesprochen, von der ich zwar früher schon durch Professor Riemer gehört, aber nichts gelesen hatte. Kein vortrefflicherer Gegensatz zwischen dem Anfang des ersten Theiles und dem des zweiten war wohl irgend möglich. Wie dort der Herr mit seiner Engelschaar in höchster Genüge und majestätischer Glorie erscheint, so hier des römischen Reiches Potentat in kümmerlicher Majestät, dem es an nicht wenigerem als an allem fehlt und an dessen Hofe der Teufel als Schalksnarr der gescheuteste ist. An diesem Hofe wird es Faust nicht lange aushalten, wenn die artige Mummerei vorüber ist. Nichts könnte ich mehr wünschen, als wenn Faust, aus Unlust an diesem weltlichen Hofe, vom Teufel auch zu Papste gebracht würde und der Hof des heiligen Vaters und der Statthalter Gottes auf Erden auf gleiche vortreffliche Weise zur Anschauung der Gläubigen käme. Wie prächtig müsste sich der Segen des pfaugewedelten santissimo padre [Allerheiligsten Vaters] auf dem Haupte des Mephistopheles ausnehmen! O möchten doch Ew. Excellenz uns noch diese geistlichen Freuden bereiten! „Ist fortzusetzen“ heißt es ja am Ende;3) den Papst müssen wir noch zu sehen bekommen. S. 282 finde ich als zweite Grazie Hegemone [5301f.] genannt. Das ist freilich eine attische Grazie, aber deswegen auch von etwas anderem mythologischen Sinne. Mythologen würden immer die orchomenische Thalia vermissen, wenn Ew. Excellenz, wie ich vermuthe, nicht einen besondern Grund hatten. 24. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD)

18294) [Jan]

A. Klingemann: Einige Andeutungen über Göthe’s Faust; in Beziehung auf eine bevorstehende Darstellung dieses Gedichts auf dem Herzogl. Hoftheater zu Braunschweig. In: Intelligenzblatt zum Mitternachtblatt Nr. 2, 1829, 6−7: Göthe wundert sich, ( K u n s t u n d A l t e r t h u m , sechsten Bandes erstes Heft pag. 201) darüber, „daß diejenigen, welche eine Fortsetzung und Ergänzung seines Fragments unternahmen, nicht auf den so nahe liegenden Gedanken gekommen sind, es müsse die Bearbeitung eines zweiten Theils sich nothwendig aus der bisherigen kümmerlichen Sphäre ganz erheben und einen solchen Mann in höheren Regionen durch würdigere Verhältnisse führen;“ − und deutet dabei zu gleicher Zeit an, daß e r s e l b s t die Materialien zu diesem zweiten Theile vorliegen habe; was denn wohl alle weiteren, unberufenen Mit- oder Nebenarbeiter vorläufig abschrecken dürfte. Bis jetzt machte der Dichter von diesem angedeuteten zweiten Theile nur das Z w i s c h e n s p i e l : H e l e n a bekannt, über welches, so wie über das noch Zurückgehaltene, uns indeß um so weniger ein vorgreifendes Urtheil geziemt, als es nicht einmal ausgesprochen ist, ob die Fortsetzung der f r ü h e r e n oder s p ä t e r e n Periode des großen Dichters angehört: worauf indeß bei der Vollendung 1

) s. auch „Helena in Edinburgh, Paris und Moskau“: Carlyle an Eckermann gD, EGW 7, 156. 2 ) Zum Vorausgehenden s. „Wilhelm Meisters Wanderjahre“. 3 ) s. oben 4. März 1828: an Reichel. 4 ) Zur polit. Situation: Frieden von Adrianopel, den Rußland der Türkei abzwingt, die die Unabhängigkeit Griechenlands anerkennt.

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eines so gewaltigen, mit voller Jugendkraft aufgefaßten Werkes, sehr viel ankommen dürfte! − Manche Kunstrichter sind übrigens der Meinung, Göthe habe seinem Helden eine r e t t e n d e Katastrophe vorbehalten; woran ich jedoch mit gutem Grunde zweifeln mögte, da dieselbe, mit der volksthümlichen Legende selbst, das echt P r o m e t h e i s c h e des Stoffes ganz aufheben müßte. − Dagegen glaube ich eine, wenn auch nur l e i s e Andeutung der beabsichtigten Katastrophe in der Scene zu finden, wo Faust sich dem Mephistopheles verschreibt und über seine Bedingungen mit ihm unterhandelt: [Zitat 1675−707] Sollte nicht Faust eben diese geschlossene Wette verlieren? und seine wild stürmische Natur grade in dem Momente, wo sie Beruhigung und Lust am Dasein gefunden zu haben glaubte, in der Katastrophe zu Grunde gehen? was offenbar die tieffste tragische Ironie abgeben müßte!

[Jan (II H14 zu Akt II Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder mit 7140−48)2) nach 21.]1) Febr [Anf.]

1. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Correspondenznachrichten gD, S. 580) [Minden] N. Meyer an G (Kasten 389f.): Dem Wunsche Ew. Excellenz zu Folge, habe ich mich bemüht einige Notizen über den Bremer Hafen zu erhalten,3) und mich deshalb an meinen Vetter den Senator Dr. Heinecken gewendet, der die obere Leitung dieses Baues hat, und von diesem habe ich gestern eine Zeichnung und allgemeine Nachrichten über den Hafenbau erhalten, denen künftig speziellere folgen dürfen. Ich kann nicht besser thun, als den Brief des Freundes direct zu übersenden, und wünsche, daß er vorläufig als erste Notiz ausreichen möge.4)

9. Verschaffte mir Weser−Karten, um die mitgetheilten Nachrichten über

die neuen Bauten bey Geestendorf und dem Leher Hafen besser einzusehen, worüber die Dr. Meyerischen Mittheilungen sehr angenehm waren. 10. An N. Meyer (Br 45, 156f.): Die Notizen mit dem Interims-Riß der neuen Anstalten an der Einmündung des Weserflusses sind von mir höchst dankbar empfangen worden; sagen Sie das ja Ihrem theilnehmenden Freunde und bitten denselben, von Zeit zu Zeit mir das Nähere wissen zu lassen. Ich habe dabey kein anderes Interesse als das allgemein Deutsch-Continentale. Seit der Cassler Zusammenkunft und den dortigen Beschlüssen muß uns höchst wichtig seyn, eine Unternehmung, die der Weser erst ihre Würde gibt, vorschreiten zu sehen; und wenn an jenem westlichen Ende etwas Bedeutendes der Art eingeleitet 1

) Datierung aufgrund des Papiers: Theaterzettel vom 21. Januar 1829. ) II H14 (W 15. 2, 37): oben Scenar zu Sz. [7] Rittersaal 6377 gestrichen; darunter egh zu Akt II Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder mit 7140−8: M e p h . Du glaubst vielleicht, des Gastes Nägel krauen / Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen? / Versuch’s einmal! S p h i n x . Du magst nur immer bleiben, / Wird dich’s doch selbst aus unsrer Mitte treiben; / In deinem Lande tust dir was zugute, / Doch irr’ ich nicht, hier ist dir schlecht zumute. M e p h . Du bist recht appetitlich oben anzuschauen, / Doch unten hin die Bestie macht mir Grauen. S p h i n x . Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße. 3 ) Zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palastes (10181−233 u. 11539−45) in Verbindung mit Fausts Großprojekten; der G’s Informationsbedürfnis ausdrückende Brief ist nicht überliefert. 4 ) In der Anlage: [Bremen] F. W. Heinecken an N. Meyer (Kasten 390−94). 2

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wird, so muß es bis zu uns herauf in die Werra bis Wanfried wirken. In Erwartung des Weitern bitte mir die Orte zu nennen, durch welche der Weg von der neuen Anlage bis Bremen geführt wird; ich habe drey Special-Charten vor mir, und es würde mir angenehm seyn mich näher zu orientiren. Müssen wir doch so viel von den englischen Docks, Schleusen, Canälen und Eisenbahnen uns vorerzählen und vorbilden lassen, daß es höchst tröstlich ist, an unsrer westlichen Küste dergleichen auch unternommen zu sehen.1) Febr 10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 303): Ich fand Goethe umringt von Karten und Plänen in Bezug auf den Bremer Hafenbau, für welches großartige Unternehmen er ein besonderes Interesse zeigte. 14. John schrieb die Nachricht ab über den Bremer neuen Hafen. März 4. An Zelter (Br 45, 188f.): Das Studium der Witterungslehre geht, wie so

manches Andere, nur auf Verzweiflung hinaus. Die ersten Zeilen des Faust lassen sich auch hier vollkommen anwenden.2) Doch muß ich zur Steuer der Wahrheit hinzufügen: daß derjenige, der nicht mehr verlangt, als dem Menschen gegönnt ist, auch hier für angewandte Mühe gar schön belohnt werde. Sich zu bescheiden ist aber nicht jedermanns Sache. Apr 30. . . . beachtete die Kupfer nach den Raphaelischen Cartonen mit Vergleichung früherer Blätter von Marc Anton und andern.3) Mai 1. . . . besondere Aufmerksamkeit auf die Raphaelischen Cartone. 1

) G’s Interesse für den Bau des Bremer Hafens galt besonders der sog. Wasserbaukunst, zu der er in seiner Bibliothek besaß: 1) Johann Georg Scheyers . . . praktisch–ökonomische Wasserbaukunst: zum Unterricht für Beamte, Förster, Landwirthe, Müller und jeden Landmann, besonders für die, welche an Flüssen und Ströhmen wohnen (Ruppert Nr. 5374), vom Verf. am 28. Sept 1793 G zugesandt; 2) eine Ankündigung der von Carl Friedrich v. Wiebeking hsg. allgemeinen auf Geschichte und Erfahrung gegründeten theoretisch-praktischen Wasserbaukunst vom 28. Nov 1798 (Ruppert Nr. 5379), nicht das 5-bändige Werk (Darmstadt 1798−1807); 3) Joh. G. Büsch: Uebersicht des gesamten Wasserbaues Bd 1. 2. Hamburg 1796 (Ruppert Nr. 5355). Letzteres stellt im Überblick alle Unternehmungen vor, die Faust in Akt V auf diesem Gebiet durchführt. Bd 1: Vom Deichbau (1, 130−271), Von den Mitteln zur Abwendung des Schadens von dem nachteiligen Laufe des Flusses (1, 271−315), Von den Versandungen und den Mitteln dagegen (1, 316−57), Von der Befreiung der Ländereien von dem sie bedekkenden Wasser (1, 357−450). Bd 2: Von Bauunternehmungen, durch welche dem Schaden vom Wasser begegnet werden soll, u. Von den Arbeiten der Kunst zum Vorteil der inländischen Schiffahrt [Kanäle, Schleusen] (2, 3−242), Von der Anwendung der Wasser-Baukunst an Häven (2, 243−368). Selbst wenn Lektüre nicht eigens bezeugt ist, hat G gewiß das in seinem Besitz befindliche Werk von Büsch gelesen u. Informationen daraus für die spätere Arbeit an Akt V verwendet. 2 ) Vgl. die ersten Zeilen des Faust im Eingangsmonolog 354−59: Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin . . . Und bin so klug als wie zuvor − Mit diesem Seelenzustand vergleicht G sein Studium der Witterungslehre, das gleichfalls nur auf Verzweiflung hinaus lief, nachdem ihm die Nutzbarmachung meteorologischer Beobachtungen längst fragwürdig geworden war. Vgl. oben [Mitte Febr]1825: Versuch einer Witterungslehre. 3 ) Zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meeres. G kannte Raphaels

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Mai 29. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Schewyrjow an Awdotja gD, S. 581) Juni 16. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1242): Der zweite Teil des Faust ist was mehr als ein Meisterstück, das sich allenfalls machen läßt. Jenes kann keiner machen, es gehört Dir allein an und niemand braucht zu wissen was Gott an Dir getan. Die Faktur ist innig verschmolzen mit der Konzeption; bald macht der Vers, bald der Reim sich den Gedanken, bald umgekehrt. Und alles klar wie Licht und verständlich zum Greifen; nur wiedergeben kann man’s nicht: wer will sagen, wie eine feine Frucht schmeckt! Und das linde, liebe, reine freie Wort; kräftig, süß und fließend wie ein vielstimmiger Gesang über tiefe Grundharmonie. Mir ist kein Zweifel übrig es muß so sein. Habe großen, großen Dank! Juli

2. Burgemeister Kuhlenkamp von Bremen. Nachricht von dem neuen Bre-

mer Hafen, Schifffahrt überhaupt, und Handelsverhältnisse eröffnet nach Brasilien. 19. An Zelter (Br 46, 17f.): Daß du auf den zweyten Faust zurückkehrst, thut mir sehr wohl; es wird mich das anregen, manches andere zu beseitigen und wenigstens das Allernächste was hieran stößt bald möglichst auszufertigen. Der Abschluß ist so gut wie ganz vollbracht, von den Zwischenstellen manches Bedeutende vollendet, und wenn man mich von Seiten höchster Gewalten auffangen und auf ein Vierteljahr einer hohen Festung anvertrauen wollte, so sollte nicht viel übrig seyn. Ich habe alles so deutlich in Herz und Sinn daß es mir oft unbequem fällt. 23. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1249): Vom 2ten Teile des Faust möchte ich behaupten, daß ihn hier sonst niemand versteht. Alles sucht nach Zusammenhang und ermüdet daran, wenn ich auf jedem Blatte finde was ich brauchen kann. Vermag ich aber etwas über Dich; so setze Dich vier Wochen auf Hohenasberg oder Dornfels und stelle Wielands Kolossen mit ihren Flegeln vor Deine Türe1) und erfahre ich daß Du am 28ten August fertig bist sollst Du gelobt sein wie ich sonst keinen lobe. [Aug

(I H59 zu Akt I Sz. [7] Rittersaal mit 6506−15)2)

nach 11.]

Wandbild Triumph der Galatea aus der röm. Villa Farnesina; eine von Marc-Anton gestochene Reproduktion des Bildes besaß G; s. Abb. 11 in FA I 7.2. 1 ) setze Dich vier Wochen auf Hohenasperg oder Dornfels d. h. in die völlige Einsamkeit, um Faust II zu vollenden (vgl. MA 20. 3, 1026f.). Die ehemalige Festung Hohenasperg, nordwestl. von Ludwigsburg, diente im 18. und 19. Jh. als Staatsgefängnis; ihr berühmtester Häftling war der Dichter u. Komponist Christian Schubart, der dort 1777−1787 einige seiner besten Werke schuf; mit Dornfels ist wohl Dornburg gemeint, wohin G sich nach Carl Augusts Tod zurückgezogen hatte. − Zu Wielands Kolossen mit ihren Flegeln s. Oberon, 3. Gesang, 15. Stanze: Aus Eisen schien das Werk gegossen, Und ringsum war’s so fest verschlossen, Daß nur ein Pförtchen, kaum zwei Fuß breit, offen stand; Und vor dem Pförtchen stehn, mit Flegeln in der Hand, Zwei hochgewaltige metallene Kolossen. (C. M. Wielands sämtliche Werke. Bd 22. Leipzig 1796, S. 102f.). 2 ) I H59 (W 15.2, 12): Quartbl. egh Blei, datierbar durch Färbers Quittung Jena 11. Aug 1829 auf Vs. Entwürfe zu Äußerungen der Hofgesellschaft u. Fausts über Paris u. Helena (6506−15), vermutl. nach I H57 entstanden; s. übernächste Anm.

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Aug 28. (s. „Faust. Eine Tragödie“: C. L. Iken an G gD, S. 426 f.) 29. [Weimar] A. E. Odyniec an J. Korsak (Zwei Polen in Weimar. Ein Beitrag zur Goetheliteratur aus polnischen Briefen übers. u. eingel. v. F. T. Bratranek. Wien 1870, 111f.): Und in der letzten Scene [von Faust I], diese Stimme von oben . . .1) aus jener von oben rufenden Stimme kann man, wenn man will, eine ganze Reihe von Gedanken heraus hören, wie etwa: „Es gibt eine andere Welt und ein Gericht, Belohnung und Strafe, Unsterblichkeit und Ewigkeit. Darauf vergessend oder nicht achtend, aus Stolz nach der Weisheit strebend, gerietst du in Verzweiflung und in die Macht des bösen Geistes. Darauf vergessend oder nicht achtend, suchtest im Sinnenrausche, gerietst du selber in’s Verbrechen und zogst ein Wesen mit, welches aus Liebe dir, wie du niemandem, glaubte. Und siehe, es ist doch gerettet! Und wer war der Retter? Ihr Schmerz, ihre Reue, ihre Buße!“ Alles das kann man in diese Stimme hineinlegen und aus ihr vernehmen. Hat denn aber auch der Dichter daran gedacht? Darauf wird uns vielleicht einmal der zweite Theil des F a u s t antworten, an welchem G o e t h e viele Jahre arbeitet, und in welchem er den letzten Ausdruck seiner moralischen und religiösen Ueberzeugungen deponiren will. Qui vivra, verra.2) Es ist aber zweifelhaft, ob ihm Mephistopheles, mit welchem am Schlusse des ersten Theiles Faust aus dem Gefängnisse verschwindet, und mit welchem er demgemäß auch den zweiten beginnen wird, − ob ihm der Teufel jenen Weg wird betreten lassen, auf welchem ihn Gretchens Beispiel hinweist? Oder ob ihn der Bekenner der Natur nicht wird andere Wege auffinden lassen, auf welchen sein Bund mit dem Teufel gelöst werden könnte und er der Legende nach nicht völlig der Hölle verfiele. [nach 29.] (I H57 zu Akt I Sz. [7] Rittersaal mit 6427−38)3) (I H56 zu Akt I Sz. [7] Rittersaal mit 6415−40, 6449−72, 6487−501, 6506−24, 6541−49, 6558−65)4) [nach 30.] (I H60 zu Akt I Sz. [7] Rittersaal mit 6549−59)5)

1

) Zum Vorausgehenden s. „Faust. Eine Tragödie“: A. E. Odyniec an J. Korsak gD, S. 429 f.. 2 ) Sinngemäß: die Zukunft wird es zeigen. 3 ) I H57 (Bohnenkamp 386) Foliobl. egh Blei, datierbar durch Briefkonzept an König Ludwig I. vom 29. Aug 1829 auf Vs, doch vermutl. vor I H59 entstanden. Bleistiftentwurf zum Beginn von Fausts Beschwörung: In Eur[em] Nahm[en] Mutter die ihr thront In Granzenlosen ewi[g] wohnt Und doch gesellig. Euer Haupt umschw[eben] Des Lebens Bilder regsam ohne Leben . . . Was war sch[ien] Glanz u Schein . . . und es will ewig seyn Und ihr vertheilt es allgewaltge Machte Zum Zelt des Tages zum Gewölb der Nachte − Danach erneut Auftauchen eines Dichters: Die einen faßt des Lebens holder La[uf] Die and[ern] sucht getrost der Dichter auf Der spendet uns den Weihrauch voll Vertrau[en] Was jeder will das Schöne läßt er schauen. In der definitiven Fassung ersetzte G der Dichter durch der kühne Magier u. das Schöne durch das Wunderwürdige. − Zum Dichter s. [1827 Nov Ende/Dez Mitte]: I H29; Dez 16.: H P106; [nach 30. Aug] 1829: I H60. − Zu H57 s. auch Bohnenkamp 388 u. FA I 7.2, 988. 4 ) I H56 (Bohnenkamp 477f.); Datierung Fischer-Lamberg 1955, 68 aufgrund des Briefkonzepts an Ludwig I. von Bayern: nach 29. Aug 1829; egh Arbeitsreinschrift auf Bl. 1−5 die Helena-Beschwörung von der Einleitung durch den Astrologen 6415 bis zu Fausts: Was Raub! − Ihr Mütter! Mütter! Müßt’s gewähren Wer sie gesehn der kann sie nicht entbehren. An den Anfang von 6549 Was Raub unmittelbar anschließend: Ihr Mütter aus 6558. − Zu H56 s. auch Bohnenkamp 479 u. FA I 7.2, 1006. 5 ) I H60 (Bohnenkamp 377) datierbar durch Tgb-Konzepte: nach 30. Aug 1829. Entwurf des in I H 56 Blatt 5 Vs noch fehlenden Zwischenstücks Bin ich für nichts an

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Aug[Ende] (I H58 Akt [I] Sz. [7] Rittersaal mit 6451−56, 6459f. u. P122 mit Bezug zu 6461)1) Sept 1. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 361): „Kant hat unstreitig am meisten genützt, indem er die Grenzen zog, wie weit der menschliche Geist zu dringen fähig sei, und daß er die unauflöslichen Probleme liegen liße. Was hat man nicht alles über Unsterblichkeit philosophiert! und wie weit ist man gekommen! − Ich zweifle nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann die Entelechie nicht entbehren, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestieren, muß man auch eine sein.“2) [nach 2.] (II H4a zu Akt II Sz. [2] Laboratorium mit Szenar vor 6819 u. Entwurf zu 6819−29)3) [Sept ?]4) (II H5 zu Akt II Sz. [2] Laboratorium 6863f. u. P86−P90)5) [nach 3.] (I Hn zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie mit 6239−46 u. P121)6) (I H47 zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie mit 6183−230, 6239−66 u. 6283)7)

dieser Stelle (6549) bis Ich rette sie und sie ist doppelt mein. Gewagt! (6557f.). Nach 6559 Regieanweisung: Damm[er]schein Der Dichter tritt ein. Stattdessen in der endgültigen Fassung die Verse des Astrologen (6560−63). − Zu H60 s. auch Bohnenkamp 378 u. FA I 7.2, 987. 1 ) I H58 (Bohnenkamp 387) egh Entwurfsblatt mit Blei; Vorstufe zu I H56, datiert nach Bohnenkamp 388. − P122 Entwurf zur Äußerung über den ländlich gekleideten Paris, die eine Hofdame an die anwesenden Herren richtet: . . . Man kleid’ ihn ritterlich Ihr guten Herrn von euch hält keiner Stich; vgl. endgültige Fassung 6461. − Zu H58 s. auch Bohnenkamp 387 u. FA 7.2, 988f. 2 ) G’s Skepsis gegenüber der spekulativen Philosophie in Verbindung mit seiner Überzeugung von der Unzerstörbarkeit der in steter Bewegung befindlichen (menschlichen) Geistes-Natur, wie die Sz. Bergschluchten sie demonstriert, entspricht auch dem Eckermann-Gespräch vom 4. Febr 1829: Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geist nicht ferner auszuhalten vermag. (FA II 12, 301) Das gilt, Faust II zufolge, nur für die große Entelechie, im Gegensatz zu 9981f. Panthalis: wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will gehört den Elementen an; so fahret hin! 3 ) Fischer-Lamberg 1955, 30 zufolge ist II H4a datierbar durch Besuchsankündigung. Da zur Sz. Laboratorium keine weiteren Z (außer auf I H37) existieren, sind frühere Vorarbeiten zu vermuten. 4 ) Datierung ungewiß, da kaum Zeugnisse zur Sz. Laboratorium existieren. 5 ) II H5 (Bohnenkamp 203), egh Eintrag; Bohnenkamp 204 zufolge stehen die beiden Verse des Mephisto (6863f.): Ich habe schon in meinen Wanderjahren Kristallisiertes Menschenvolk gesehn, auf der Rs. eines Sammelblatts aus der Arbeitszeit um die Jahrhundertwende. Sie belegen, daß G in der letzten großen Arbeitsphase ab 1825 . . . dieses Papier bei der späteren Fortsetzung der Arbeit wieder vor sich hatte. (Zum Motiv vgl. oben 12. Aug 1828: Tgb m. Anm.). − II H5 enthält nach W 53, 567 auch verwischt das zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg, 10220 gehörige Reimpaar: Da wagt mein Geist sich selbst zu überfliegen Hier möcht’ ich kämpfen, dies möcht’ ich besiegen. 6 ) I Hn (Bohnenkamp 384) datierbar durch Vs mit Quittung vom 3. Sept. − Entwürfe zu Mephisto-Versen über den Ort der Mütter: Und hättest du den Ocean durchschwommen . . . Von allem diesem Nichts in grauer Dänmer ferne. − P121 enthält 6 nicht verwendete Entwurfszeilen: Musst mit Bedacht des Schlussels Krafte fuhren Sie anzuziehen, nicht sie zu beruhren Worauf du trittst es bleib dir unbewußt Es dehnt sich nicht es klemt sich nicht die Brust Wohin sich auch dein Blick begierig wende Nicht Finsterniß doch keine Gegenstände. − Vorarbeit für das Mundum I H47; s. die nächste Anm. − Zu Hn s. auch Bohnenkamp 385 u. FA I 7.2, 988. 7 ) I H47 (W 15.2, 32) Arbeitsreinschrift der im Herbst 1829 noch nicht vollständigen

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Sept 6. Einiges Fernere am Symbolischen.1)

[nach 6.] (I H48 zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie mit 6183−99 ohne 6193, 6207−19 ohne 6215 u. Sz. [7] Rittersaal 6549−59 u. P119 mit 6431f.)2) 8. Einiges am Faust. [Herbst] (I H50a zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie Versentwurf zu 6259−61)3) (I H50 zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie mit Versentwurf zu 6237f., 6261f., 6304−06 u. P120 mit 6292f. u. Sz. [7] Rittersaal mit 6479f.)4)

[Okt 3.] [Weimar] K. F. L. Löw von und zu Steinfurt, Besuch bei Goethe5) (GJb 1896,70): Ich wandte das Gespräch auf seine literarischen Productionen, insbesondere auf Faust und die italiänische Reise. Er äusserte sich darüber mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit . . . In seinem Faust habe er das unruhige Wogen und Treiben im Menschen einmal schildern wollen. Ich sagte, es habe mich sehr gelächert, am Schlusse des zweiten Theils des Faust die Worte „ist fortzusetzen“ zu finden, da

Sz. [5] Finstere Galerie, die usprünglich begann mit 6183: Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn. − Es fehlen noch 6173−82, 6231−38 u. 6272−82, Anf. Jan 1830 nachträglich mit aufgeklebten Zetteln in I H47 eingebracht; s. [Anf. Jan 1830]: I H47 Ergänzung. Bohnenkamp 385: Da I Hn als Vorarbeit für das Mundum I H47 anzusehen ist, gilt auch für diese Reinschrift von 6173–6306 der 3. 9. 1829 als terminus post quem). 1 ) Vielleicht im Hinblick auf Arbeit an Akt I Sz. [5] Finstere Galerie. 2 ) I H48 (Bohnenkamp 379−81) egh Entwürfe auf 4-seitigem Foliobogen, datierbar durch Briefadresse auf S. 1 u. Tgb-Eintrag vom 5. u. 6. Sept 1829. − Auf S. 2 zu Sz. [5] Finstere Galerie 6188, 6183−87 als erledigt gestrichen. − Auf S. 3 zu 6189−92: Du hast Geselle nicht bedacht Wohin uns deine Kunste fuhr[en] Erst haben wir ihn reich gemacht Nun sollen wir ihn amüsieren da stehen [bricht ab]; Var zu 6194−99: Da stehen wir vor andern Stufen Machst frevelhaft am Ende neue Schuld[en] Denkst Helen[en] so leicht hervorzurufen Wie das Papiergespenst der Gulden Mit Hexen Fexen p [bricht ab]; Var zu 6207−19: F[aust] Mit wenig Mur[me]ln ists gethan Ich weis es schon du bringst sie gleich zur Stelle M[ephisto] Das Heidenvolck geht mich nichts an Es haust in seiner eignen Hölle. Doch giebt ein Mittel Sprich u ohne Saumniß Ungern entdeck ich ho[heres] Geheimniß. Göttin[nen] wohnend in der Einsamkeit Um sie kein Ort, noch weniger ein[e] Zeit Die Mütter sind es Mütter Schauderts dich F[aust] Die Mutter Mutter ’s klingt so wunderlich Meph Das ist es auch. Gottin[nen] ungekan[n]t Euch Sterblichen von uns nicht gern gen[annt]. − P119: Nicht Nacht nicht Tag in ewger Dämme[run]g Es war u es will ewig seyn, − Auf S. 4 für Sz. [7] Rittersaal Vorform von 6431f. u. Entwurf zu 6549−59 /: Bliz u Schlag :/ als erledigt gestrichen. − Zu H48 s. auch Bohnenkamp FA I 7.2, 988. 3 ) I H50a (Bohnenkamp 382): Ein klein[er] Schlussel leuchtend klar im Duncke[ln] Er wachst an Große wachst an Spründem [sprühendem] Funckel[n] Was soll’s damit. Bleistiftentwurf zu 6259−61, Bohnenkamp 382 datiert: Herbst 1829 vermutl. Entstehungsreihenfolge: vor I H50. − Zu H50a s. auch FA I 7.2, 988. 4 ) I H50 (Bohnenkamp 383) Sammelbl.; datiert nach MA 18.1, 747; Splitter von H49 hier in einheitlichem Duktus notiert, deshalb vermutl. nach H49 entstanden, s. Bohnenkamp 385. − P120 egh Entwurf mit Blei, Mephisto zu Faust: Am glühnd[en] Schlüssel führst du ihn gefangen Durch Wunder nur sind Wunder zu Erlangen, vgl. 6292f. − Zu H50 s. auch Bohnenkamp 385 u. FA I 7.2, 988. 5 ) Bericht des Frhn. Karl Friedrich Ludwig Löw von und zu Steinfurt (1803−1868) über seinen Besuch bei G am 3. Okt 1829 (Tgb 12, 134), 1896 nach Ms. publiziert durch F. Otto.

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bekanntlich immer soviel darüber gestritten worden, ob das Gedicht überhaupt fortgesetzt werden könne oder nicht, ob Faust der Teufel geholt habe oder nicht; nun seien die armen Leute doch in Zweifel und Ungewissheit geblieben. „Freilich“, erwiederte er mit der lieblichsten Schalkheit, „könnte das nun noch lange Zeit so fortgehen. Ja man muss es wohl einem alten Mann verzeihen, wenn er sich manchmal so einen kleinen Scherz erlaubt.“

[Okt 17.] (H P149 zu Akt II Sz. [6] KWN Am oberen Peneios wie zuvor (7856) oder Sz. [7] KWN Felsbuchten des Aegäischen Meers (8260)1) Nov

6. (s. „Faust. Eine Tragödie“: C. W. Göttling an G gD, S. 440 f.) 15. Über die Gestalt und Urgeschichte der Erde von Director Klöden.2) [15.] Über die Gestalt und die Urgeschichte der Erde von K. F. von Klö-

den3) (LA I 11, 311f.): Die Sicherheit womit dieser treffliche Mann [K.C.F. Glenck]4) zu Werke ging, in Überzeugung daß die Flözlagen des nördlichen Deutschland vollkommen jenen des südlichen gleich seien, bestätigte meinen alten Glauben an die Konsequenz der Flözbildung und vermehrte den Unglauben in betreff des Hebens und Drängens Aufwälzens und Quetschens (Refoulement) Schleuderns und Schmeißens, welches mir nach meinem obigen Bekenntnis durchaus widerwärtig von jeher erscheinen mußte . . . Da ich hier nur Konfessionen niederschreibe so ist nur von mir und meiner Denkweise die Rede; es ist nicht das erstemal in meinem Leben daß ich das was andern denkbar ist unmöglich in meine Denk- und Fassungskraft aufzunehmen vermag.5) 15. (s. „Faust. Eine Tragödie“: D. Friedlaender an Zelter gD, S. 442) 16. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Zelter an G gD, S. 442) 20. (s. „Faust. Eine Tragödie“: an Zelter gD, S. 443–46) 21. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tgb gD, S. 445) [Nov 28./ (II H9 zu Akt II Sz. [4] KWM Am obern Peneios mit 7090−96 u. 7100−11 u P147 mit Dez 1.] 7181f.)6)

1

) H P149 (Bohnenkamp 472) drei Entwurfszeilen einer Anrede an Homunculus, datiert: 17.10.: Wenn du entstehn willst thust du imme[r] besser Du wirfst dich ins ursprüngliche Gewässer. Es ist zu klar. Ob G an Thales (E. Schmidt, W 15.2, 221) oder Proteus (Düntzer 1891 I 103) als Sprecher dachte, ist ungewiß. − Zu P149 s. auch FA I 7.2, 1006. 2 ) Vermutl. Diktat des Textes LA I 11, 311f.; s. das nächste Z. 3 ) Entwurf eines Briefs an Karl Friedrich v. Klöden, der am 18. Sept 1829 sein Werk Ueber die Gestalt und die Urgeschichte der Erde, nebst den davon abhängenden Erscheinungen in astronomischer, geognostischer, geographischer und physikalischer Hinsicht übersandt hatte (Ruppert Nr. 4766). Ein abgegangener Brief ist nicht überliefert. 4 ) Salinendirektor in Stotternheim bei Erfurt, der Salzsolen durch Tiefbohrungen erschloß. 5 ) Z zu G’s Einstellung gegenüber dem ,Vulkanismus‘; s. oben TuJ 1820. 6 ) II H9 u. P147 (Bohnenkamp 473f.; Datierung Fischer-Lamberg 1955, 32) Entwürfe zu 7090−92 [Meph:] Verfluchtes Volk. Doch darf mich nicht verdr[ießen] Als fremder Gast sie freundl[ich] zu begruß[en] Gluck auf den schonen Fraun, klugen Greis[en], zu

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1. Mittag Herr Professor Riemer; demselben manches Neue mitgetheilt.

Auch von Faustischen Scenen etwas vertraut. 2. Scenen im Faust berichtigt.1) 2. [Weimar] F. v. Müller an C. F. Ph. v. Martius (Unterhaltungen 357): Er [G] ist jetzt eben in der siebenten Lieferung seiner Werke [C1 31−35] sehr beschäftigt, die viel Neues enthalten soll, auch Faustisches. Schließen Sie daraus auf die Frischheit und Munterkeit seines Geistes.2) 6. Dr. Eckermann . . . Er und Wölfchen speisten mit mir. [Nachmittags]

Ich las etwas noch nicht Mitgetheiltes aus Faust [Akt II, Sz. Studierzimmer].3) 6. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 362f.): Heute nach Tisch las Goethe mir die erste Szene vom zweiten Akt des Faust. Der Eindruck war groß, und verbreitete in meinem Innern ein hohes Glück. Wir sind wieder in Fausts Studierzimmer versetzt, und Mephistopheles findet noch alles am alten Platze wie er es verlassen hat. Fausts alten Studierpelz nimmt er vom Haken; tausend Motten und Insekten flattern heraus, und indem Mephistopheles ausspricht, wo diese sich wieder untertun, tritt uns die umgebende Lokalität sehr deutlich vor die Augen. Er zieht den Pelz an, um, während Faust hinter einem Vorhange im paralysierten Zustande liegt, wieder einmal den Herrn zu spielen. Er zieht die Klingel; die Glocke gibt in den einsamen alten Kloster-Hallen einen so fürchterlichen Ton, daß die Türen aufspringen und die Mauern erbeben. Der Famulus stürzt herbei und findet in Fausts Stuhle den Mephistopheles sitzen, den er nicht kennt, aber vor dem er Respekt hat. Auf Befragen gibt er Nachricht von Wagner, der unterdes ein berühmter Mann geworden und auf die Rückkehr seines Herrn hofft. Er ist, wie wir hören, in diesem Augenblick in seinem Laboratorium tief beschäftigt, einen Homunculus hervorzubringen. Der Famulus wird entlassen; es erscheint der Baccalaureus, derselbige, den wir vor einigen Jahren als schüchternen jungen Studenten gesehen, wo Mephistopheles, in Fausts Rocke, ihn zum Besten hatte. Er ist unterdes ein Mann geworden und so voller Dünkel, daß selbst Mephistopheles nicht mit ihm 7093−96, [Greife:] Nicht Greise, Greifen, niemand hort es gern Daß man ihn Greis nennt . . . zu 7100−03: Dem ist erprobt Zwar of gescholten mehr [xxx] gelo[bt] Man greife [nur] nach Madch[en] Kron[en] Gold Dem Greifen[den] ihm ist Fortu[na] hold Ameise collos[al] zu 7104−07: Ihr sprecht von Gold ich hatte viel ges[ammelt] Und zwischen Fels und Hole eingerammelt. − zu 7106f.: Der Arimasp dort hat es ausgespurt Und weiß ich nicht wohin gefuhrt. zu 7108−11: G[reife:] Wir wollen ihn schon zum Gestandnis bring[en] Nur heute nicht in freyer Jubel Nacht Bis Morgen ists schon weit hinweg gebracht. Ich denke diesmal soll es doch gelingen. − P147 (Bohnenkamp 474) Entwurf zu F[aust] Wie wunderbar der Anblick thut mir Gnug doch große tuechtig[e] Zug − beim Anblick der Sphinx. − Der Zusammenhang von II H 9 u. P147 ist seit 1899 geklärt (Gerber 214; Fischer-Lamberg 1955, 32). 1 ) Vermutl. auch auf Faust bezüglich die Tgb-Notizen vom 3. Dez: Fortgesetzte Geschäfte von gestern u. 4. Dez: Verschiedenes berichtigt . . . 2 ) Dazu QuZ 2, 639: Einziges und daher mit Vorbehalt zu wertendes Zeugnis für die Absicht Goethes, in der 7. Lieferung neue Szenen aus ,Faust II‘ zu veröffentlichen, wobei allenfalls an die Bde 31 und 32 zu denken wäre, für die Goethe bereits eine zu geringe Bogenzahl und eine mögliche Ergänzung ins Auge gefaßt hatte. Sollte die jetzt einsetzende neue Arbeitsetappe an ,Faust II’ mit dem Plan zusammenhängen, die Bde 31 oder 32 mit ’Faust II‘ zu vervollständigen? 3 ) Zu Akt II Sz. [1] Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer. Der Eintrag erlaubt allerdings nicht unbedingt den Schluß, daß G die Szene erst kurz vor der Lesung beendigte.

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auskommen kann, der mit seinem Stuhle immer weiter rückt und sich zuletzt ans Parterre wendet. Goethe las die Szene bis zu Ende. Ich freute mich an der jugendlich produktiven Kraft, und wie alles so knapp beisammen war. „Da die Konzeption so alt ist, sagte Goethe, und ich seit funfzig Jahren darüber nachdenke, so hat sich das innere Material so sehr gehäuft, daß jetzt das Ausscheiden und Ablehnen die schwere Operation ist. Die Erfindung Szenen aus des ganzen zweiten Teiles ist wirklich so alt wie ich sage. Aber daß ich ihn erst jetzt schreibe, nachdem ich über die weltlichen Dinge so viel klarer geworden, mag der Sache zu Gute kommen. Es geht mir damit wie Einem, der in seiner Jugend sehr viel kleines Silber- und Kupfer-Geld hat, das er während dem Lauf seines Lebens immer bedeutender einwechselt, so daß er zuletzt seinen Jugendbesitz in reinen Goldstücken vor sich sieht.“ Wir sprachen über die Figur des Baccalaureus. Ist in ihm, sagte ich, nicht eine gewisse Klasse ideeller Philosophen gemeint? „Nein, sagte Goethe, es ist die Anmaßlichkeit in ihm personifiziert, die besonders der Jugend eigen ist, wovon wir in den ersten Jahren nach unserm Befreiungskriege so auffallende Beweise hatten. Auch glaubt jeder in seiner Jugend, daß die Welt eigentlich erst mit ihm angefangen, und daß Alles eigentlich um seinetwillen da sei. Sodann hat es im Orient wirklich einen Mann gegeben, der jeden Morgen seine Leute um sich versammelte, und sie nicht eher an die Arbeit gehen ließ, als bis er der Sonne geheißen aufzugehen.1) Aber hiebei war er so klug, diesen Befehl nicht eher auszusprechen, als bis die Sonne wirklich auf dem Punkt stand von selber zu erscheinen.“ Wir sprachen noch Vieles über den Faust und dessen Komposition, so wie über verwandte Dinge.

Dez

7. Poetisches . . . [Abends] Poetisches. 8. Gestriges [Poetische] fortgesetzt . . . Abends für mich . . . Poetisches. 9. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 7. Jan 1830 −: Meursii, Joannis, Creta, Cyprus Rhodus sive de nobilissimarum harum insularum rebus u. antiquitatibus: Commentarii postumi, nunc primum editi [von Joh. Georgius Graevius]. Amstelodami 1675.)2) 9. [Nachmittags] Später Poetisches. J. Meursii Rhodus.3) 10. Poetisches. 12. Poetisches . . . Meursii Cyprus4) . . . [Nachmittags] Ferner Meursii Cre-

ta.5) Landkarten der alten Welt deßhalb, auch wegen sonstiger grie-

chischer Geographie. 13. u. 14. Poetisches.

1

) Vgl. den Baccalaureus in Akt II Sz. [1] (6794f.): Die Welt sie war nicht eh’ ich sie erschuf; D i e S o n n e f ü h r t ’ i c h a u s d e m M e e r h e r a u f . 2 ) Zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers. − Der drei gelehrte Zitatensammlungen vereinigende Bd diente G zur Information über Fabelgestalten aus Rhodos, Zypern u. Kreta für den Festzug am Ende der KWN. Nachweise bei Düntzer 1857, 609 u. komplett bei Morris 1902 I 98−105; zur erneuten Ausleihe s. 25. Febr 1830: aus der Weimarer Bibliothek. 3 ) s. das vorige Z; G las zuerst den auf Rhodos bezüglichen letzten Teil des Kompendiums. 4 ) Cyprus sive de illius insulae rebus u. antiquitatibus libri II; s. 9. Dez Entl. von Meursius. 5 ) Joannis Meursii Creta sive de Cretae rebus u. antiquitatibus libri IV. − die umfangreichste Abhandlung des Kompendiums.

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Dez 15. Poetisches . . . [Nachmittags] Das Poetische fortsetzend . . . Abends . . .

Prof. Riemer . . . Später einiges Poetisches wechselseitig mitgetheilt, woraus noch Anmuthiges entsprang. [vor 16.] (II H6 zu Akt II Sz. [2] Laboratorium mit 6989−7000 u. Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit P133−39)1) 16. Mittag Dr. Eckermann . . . Vortrag des neusten Poetischen.2) 16. An Zelter (Br 46, 183): . . .3)Vorstehendes liegt schon einige Tage, und

nun send ich es nicht ohne Entschuldigung; denn ich kann dir vertrauen daß ich bisher von bösen Geistern, zwar nicht besessen aber doch unterhalten und abgehalten worden. Mit dem alten Faust bin ich zeither [seit Mitte Aug 1829] in Connexion geblieben und habe, in der letzten Zeit, ihn und seine Gesellschaft besonders cultivirt. Meine einzige Sorge und Bemühung ist nun: die zwey ersten Acte fertig zu bringen damit sie sich an den dritten, welcher eigentlich das bekannte Drama, Helena betitelt, in sich faßt, klüglich und weislich anschließen mögen.4)

1

) II H6 (Bohnenkamp 482−84) datierbar durch Eckermann. Entwürfe auf der Vs zumeist nicht verwendete Verse des Homunculus u. Wagners am Schluß der Sz. Laboratorium (6989−7000). − Auf der Rs P133−P36 fragmentarische Entwürfe zur Bergentstehung in der KWN: Der als Sprecher zu denkende Bewirker des Erdbebens (Enceladus in P123, später Seismos) schreibt die Bergentstehung entgegen der Mythologie nicht den Tittan[en] (P135) zu, sondern dem Faktum, daß er einstmal stark gehustet (P134) bzw. daß ihm das Gas sy[l]vestren . . . einst im Schlaf entfuhr (P136). Diese derbe ,Parodie des Physikalischen’ der ersten Entwürfe ging, wie Reinhardt 347 nachwies, auf Senecas Lehre von den Erdgasen (Naturales Quaestiones V 4) zurück: Endlich entsteht auch in den unterirdischen Höhlen und Geädern ein Gebläse aus den Safterzeugungen der Erde nicht unähnlich jenen Blähungen in einem Leibe, der verdaut. Ja, auch der Erde entfahren wie dem Leibe solche Lüfte mitunter mit Getön. Für die Ausführung der KWN verzichtete G darauf, doch verwendete er wesentliches davon in Akt IV Sz. [1] Hochgebirg (10075−94) zu Mephistos Darstellung der Gebirgsentstehung. MA 18.1, 879 weist P134: 7550−54? zu u. P135 den Versen 7560ff?, s. auch Bohnenkamp 485f. u. FA I 7.2, 1007f. − Für P137, P138, P139 Zuordnung völlig offen. 2 ) Akt II Sz. [2] Laboratorium; s. unten Eckermann gD. 3 ) Das Vorausgehende s. in „Faust. Eine Tragödie“: an Zelter, 12. Dez, S. 443–46. 4 ) Fast identisch hinsichtlich der Arbeit am Faust mit G’s Brief an Zelter vom 24. Jan 1828 u. damit ein wesentliches Argument gegen die von Pniower 1899, 220−22 u. Gräf II 2, 464−79 vertretene Auffassung, dass die nach G’s Rückkehr aus Dornburg im Sept 1828 einsetzenden Tgb-Einträge über Arbeit am Hauptgeschäft sich alle auf Faust beziehen. Hertz 1931, 157f. ist die Richtigstellung zu verdanken: Aus der sachlichen Übereinstimmung dieser beiden brieflichen Zeugnisse geht . . . hervor, daß in der Zwischenzeit von fast zwei Jahren seit der Veröffentlichung der ersten Hälfte des ersten Aktes nichts zustande gekommen sein kann, was für den Fortschritt des Gesamtwerks von wesentlicher Bedeutung gewesen wäre . . . Freilich wissen Goethes Tagebücher vom 26. September bis zum 7. Februar 1829 oft genug von der Arbeit am ’Hauptgeschäft’ zu bemelden. D a s H a u p t g e s c h ä f t w a r e n a b e r i n d i e s e m Z e i t r a u m a u s s c h l i e ß l i c h d i e ’ Wa n d e r j a h r e ’ , n i c h t d e r ’ F a u s t ’ , wie denn für diesen . . . die Bezeichnung ’Hauptgeschäft’ erst ganz zuletzt, Ende Juni 1831, wieder auftaucht, während in

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Dez 16. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 364−66):1) Heute nach Tisch las Goethe mir die zweite Szene des zweiten Aktes von Faust, wo Mephistopheles zu Wagner geht, der durch chemische Künste einen Menschen zu machen im Begriff ist. Das Werk gelingt, der Homunculus erscheint in der Flasche, als leuchtendes Wesen, und ist sogleich tätig. Wagners Fragen über unbegreifliche Dinge lehnt er ab, das Räsonieren ist nicht seine Sache; er will handeln, und da ist ihm das Nächste unser Held Faust, der in seinem paralysierten Zustande einer höheren Hülfe bedarf. Als ein Wesen, dem die Gegenwart durchaus klar und durchsichtig ist, sieht der Homunculus das Innere des schlafenden Faust, den ein schöner Traum von der Leda beglückt, wie sie, in anmutiger Gegend badend, von Schwänen besucht wird.2) Indem der Homunculus diesen Traum ausspricht, erscheint vor unserer Seele das reizendste Bild. Mephistopheles sieht davon nichts, und der Homunculus verspottet ihn wegen seiner nordischen Natur. „Überhaupt, sagte Goethe, werden Sie bemerken, daß der Mephistopheles gegen den Homunculus in Nachteil zu stehen kommt, der ihm an geistiger Klarheit gleicht, und durch seine Tendenz zum Schönen und förderlich Tätigen so viel vor ihm voraus hat. Übrigens nennt er ihn Herr Vetter; denn solche geistige Wesen, wie der Homunculus, die durch eine vollkommene Menschwerdung noch nicht verdüstert und beschränkt worden, zählte man zu den Dämonen, wodurch denn unter Beiden eine Art von Verwandtschaft existiert.“ Gewiß, sagte ich, erscheint der Mephistopheles hier in einer untergeordneten Stellung; allein ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß er zur Entstehung des Homunculus heimlich gewirkt hat, so wie wir ihn bisher kennen und wie er auch in der Helena immer als heimlich wirkendes Wesen erscheint. Und so hebt er sich denn im Ganzen wieder, und kann sich in seiner superioren Ruhe im Einzelnen wohl etwas gefallen lassen. „Sie empfinden das Verhältnis sehr richtig, sagte Goethe; es ist so, und ich habe schon gedacht, ob ich nicht dem Mephistopheles, wie er zu Wagner geht und der Homunculus im Werden ist, einige Verse in den Mund legen soll, wodurch seine Mitwirkung ausgesprochen und dem Leser deutlich würde.“ Das könnte nicht schaden, sagte ich. Angedeutet jedoch ist es schon, indem Mephistopheles die Szene mit den Worten schließt: Am Ende hängen wir doch ab Von Kreaturen die wir machten [7003f.]. „Sie haben Recht, sagte Goethe, dies könnte dem Aufmerkenden fast genug sein; indes will ich doch noch auf einige Verse sinnen.“3) der ganzen langen Zwischenzeit das Hauptwerk entweder einfach unter seinem Namen ’Faust’ erscheint oder als ’Poetisches’ bezeichnet wird. 1 ) Zu Akt II Sz. [2] Laboratorium. − Z zum Abschluß der Sz. Laboratorium, zu deren Beginn kein Z existiert; doch erlauben die in I H37 überlieferten Entwürfe den Schluß, dass Vorarbeiten bis Anfang 1828 zurückreichen (Fischer-Lamberg 1955, 30; Bohnenkamp 471); s. [Ende Dez 1827]: I H37. 2 ) Akt II Sz. [2] Laboratorium 6903−20. – Das Bildmotiv Leda und der Schwan kannte G aus vielen Darstellungen; Philostrats Gemählde (W 49.1, 70) bezeugt: Leda, mit dem Schwan, unzähligemal wiederholt. Hercul. Alterth. T. III. Tab. 8. − In G’s Graphiksammlung Kupferstiche Jupiter als Schwan u. Leda mit noch andern badenden Nymphen in einer schönen Landschaft von E. Desrochers nach Corregio (Schuchardt I 5 Nr. 21 u. 22). Weitere Leda-Darstellungen s. Schuchardt I 18 Nr. 144 u. 145 sowie II 337 Nr. 122. − Zur literarischen Schwan-Motiv-Anregung s. oben 22. Mai 1825: Tgb m. Anm. Zur literarischen Schwan-Motiv-Anregung s. oben S. 696 Tgb. vom 22. Mai 1825 m. Anm. 2. 3 ) Düntzer 1885 II 266 verweist hierzu auf Mephistos an Wagner gerichteten Worte (6683f.): Sollt’ er den Zutritt mir verneinen? Ich bin der Mann das Glück ihm zu beschleunen; wozu Schröer 1896, 111 bemerkt: Mephistopheles verrät hier die Absicht das Glück ihm zu beschleunen, d. i. bei der Entstehung des Homunculus mit zu wirken. Pniower 1899, 238 meint dagegen: Goethe hat die beabsichtigten Verse nicht hinzugesetzt.

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Aber, sagte ich, jenes Schlußwort ist ein großes, das man nicht so leicht ausdenken wird. „Ich dächte, sagte Goethe, man hätte eine Weile daran zu zehren. Ein Vater, der sechs Söhne hat, ist verloren, er mag sich stellen wie er will. Auch Könige und Minister, die viele Personen zu großen Stellen gebracht haben, mögen aus ihrer Erfahrung sich etwas dabei denken können.“ Fausts Traum von der Leda trat mir wieder vor die Seele, und ich übersah dieses im Geist als einen höchst bedeutenden Zug in der Komposition. Es ist wunderbar, sagte ich, wie in einem solchen Werke die einzelnen Teile auf einander sich beziehen, auf einander wirken und einander ergänzen und heben. Durch diesen Traum von der Leda hier im zweiten Akt gewinnt später die Helena erst das eigentliche Fundament. Dort ist immer von Schwänen und einer Schwanerzeugten die Rede;1) aber hier erscheint diese Handlung selbst, und wenn man nun mit dem sinnlichen Eindruck solcher Situation später zur Helena kommt, wie wird dann alles deutlicher und vollständiger erscheinen! − Goethe gab mir Recht, und es schien ihm lieb, daß ich dieses bemerkte. „So auch, sagte er, werden Sie finden, daß schon immer in diesen früheren Akten das Klassische und Romantische anklingt und zur Sprache gebracht wird, damit es, wie auf einem steigenden Terrain, zur Helena hinaufgehe, wo beide Dichtungsformen entschieden hervortreten und eine Art von Ausgleichung finden.“ „Die Franzosen, fuhr Goethe fort, fangen nun auch an über diese Verhältnisse richtig zu denken. ,Es ist alles gut und gleich, sagen sie, Klassisches wie Romantisches, es kommt nur darauf an, daß man sich dieser Formen mit Verstand zu bedienen und darin vortrefflich zu sein vermöge. So kann man auch in Beiden absurd sein, und dann taugt das Eine so wenig wie das Andere.’ Ich dächte das wäre vernünftig und ein gutes Wort, womit man sich eine Weile beruhigen könnte.“

Dez 20. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 368−70): Mir trat indes der Faust wieder vor die Seele, und ich gedachte des Homunculus, und wie man diese Figur auf der Bühne deutlich machen wolle. Wenn man auch das Persönchen selber nicht sähe, sagte ich, doch das Leuchtende in der Flasche müßte man sehen, und das Bedeutende was er zu sagen hat, müßte doch so vorgetragen werden, wie es von einem Kinde nicht geschehen kann. „Wagner, sagte Goethe, darf die Flasche nicht aus den Händen lassen, und die Stimme müßte so kommen, als wenn sie aus der Flasche käme. Es wäre eine Rolle für einen Bauchredner, wie ich deren gehört habe, und der sich gewiß gut aus der Affaire ziehen würde.“ So auch gedachten wir des großen Carnevals und inwiefern es möglich, es auf der Bühne zur Erscheinung zu bringen. Es wäre doch noch ein wenig mehr, sagte ich, wie der Markt von Neapel. „Es würde ein sehr großes Theater erfordern, sagte Goethe, und es ist fast nicht denkbar.“ Ich hoffe es noch zu erleben, war meine Antwort. Besonders freue ich mich auf den Elephanten, von der Klugheit gelenkt, die Victoria oben, und Furcht und Hoffnung in Ketten an den Seiten. Es ist doch eine Allegorie wie sie nicht leicht besser existieren möchte. „Es wäre auf der Bühne nicht der erste Elephant, sagte Goethe. In Paris spielt einer eine völlige Rolle; er ist von einer Volkspartei und nimmt dem einen König die Krone ab und setzt sie dem andern auf, welches freilich grandios sein muß. Sodann, wenn am Schlusse des Stücks der Elephant herausgerufen wird, erscheint er ganz alleine, macht seine Verbeugung und geht wieder zurück. Sie sehen also, daß bei unserm Carneval auf den Elephanten zu rechnen wäre. Aber das Ganze ist viel zu groß und erfordert einen Regisseur wie es deren nicht leicht gibt.“ Es ist aber so voller Glanz und Wirkung, sagte ich, daß eine Bühne es sich nicht leicht wird entgehen lassen. Und wie es sich aufbaut und immer bedeutender wird! Zuerst schöne Gärtnerinnen und Gärtner, die das Theater dekorieren und zugleich eine Masse bilden, so daß es den immer bedeutender werdenden Erscheinungen nicht an Umgebung und Zuschauern mangelt. Dann, nach dem Elephanten, das Drachengespann aus dem Hintergrunde durch die Lüfte

1

) Vgl. insb. 9095−108, 9518f.

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kommend, über den Köpfen hervor. Ferner die Erscheinung des großen Pan und wie zuletzt alles in scheinbarem Feuer steht und schließlich von herbeiziehenden feuchten Nebelwolken gedämpft und gelöscht wird! − Wenn das alles so zur Erscheinung käme wie Sie es gedacht haben, das Publikum müßte vor Erstaunen dasitzen und gestehen, daß es ihm an Geist und Sinnen fehle, den Reichtum solcher Erscheinungen würdig aufzunehmen. „Geht nur, sagte Goethe, und laßt mir das Publikum, von dem ich nichts hören mag. Die Hauptsache ist, daß es geschrieben steht; mag nun die Welt damit gebaren so gut sie kann, und es benutzen so weit sie es fähig ist.“ Wir sprachen darauf über den Knaben Lenker. „Daß in der Maske des Plutus der Faust steckt, und in der Maske des Geizes der Mephistopheles, werden Sie gemerkt haben. Wer aber ist der Knabe Lenker.“ − Ich zauderte und wußte nicht zu antworten. „Es ist der Euphorion!“ sagte Goethe. − Wie kann aber dieser, fragte ich, schon hier im Carneval erscheinen, da er doch erst im dritten Akt geboren wird? − „Der Euphorion, antwortete Goethe, ist kein menschliches, sondern ein allegorisches Wesen. Es ist in ihm die Poesie personifiziert, die an keine Zeit, an keinen Ort und an keine Person gebunden ist. Derselbige Geist, dem es später beliebt Euphorion zu sein, erscheint jetzt als Knabe Lenker, und er ist darin den Gespenstern ähnlich, die überall gegenwärtig sein und zu jeder Stunde hervortreten können.“1)

Dez 21. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1295): Daß mir unter Deinen mannigfaltigen geselligen Unterhaltungen die mit der Faustischen Compagnie2) nicht die Schlimmste ist magst Du mir nur glauben. [nach 26.] (II H15 zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7152−55 u. Sz. [6] KWN Am obern Peneios wie zuvor mit 7558−61, ohne 7559; 7564f., 7843−46 u. P133)3) 27. Mittag Dr. Eckermann. Theilte ihm etwas Faustisches mit. 27. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 370f.): Heute nach Tisch las Goethe mir die Szene vom Papiergelde.4) „Sie erinnern sich, sagte er, daß bei der Reichsversammlung das Ende vom Liede ist, daß es an Geld fehlt, welches Mephistopheles zu verschaffen verspricht. Dieser Gegenstand geht durch die Maskerade fort, wo Mephistopheles es anzustellen weiß, daß der Kaiser in der Maske des großen Pan ein Papier unterschreibt, welches, dadurch zu Geldeswert erhoben, tausendmal vervielfältigt und verbreitet wird.“ „In dieser Szene nun wird die Angelegenheit vor dem Kaiser zur Sprache gebracht, der noch nicht weiß was er getan hat. Der Schatzmeister übergibt die Banknoten und macht das Verhältnis deutlich. Der Kaiser, anfänglich erzürnt, dann bei näherer Einsicht in den Gewinn hoch erfreut, macht mit der neuen Papier-Gabe seiner Umgebung reichliche Geschenke, und läßt im Abgehen noch einige tausend Kronen fallen, die der dicke Narr zusammenrafft und sogleich geht, um das Papier in Grund1

) Gräf II 2, 524 verweist auf die Worte des Knaben Lenker (5573−75): Bin die Verschwendung, bin die Poesie; Bin der Poet, der sich vollendet, Wenn er sein eigenst Gut verschwendet u. auf die in W 15.2, 20f. zu 5520−52 angeführten Lesarten in I H17, I H18, I H21 u. I H22, wo im Szenar das ursprüngliche Euphorion überall nachträglich in Knabe Lenker geändert ist, während in I H 23, einer Vorstufe zu dem egh Zwischenmundum I H17, die Bezeichnung Euphorion erhalten blieb. Vgl. auch Bohnenkamp 324 u. 327. 2 ) s. oben 16. Dez 1829: an Zelter. 3 ) II H15 (Bohnenkamp 480) datierbar durch Theaterzettel. − Entwürfe zur ErdbebenMotivik, so auch P133: Ohne graßliches Gepolter Durfte keine Welt entstehen Nur durch plutonisches Gepolder Konnt eine schone Welt entsteh[n]. − Zu H15 s. auch Bohnenkamp 481 u. FA I 7.2, 1007. 4 ) Akt I Sz. [4] Lustgarten (6037−172). Einziges Entstehungszeugnis zur Papiergeldszene.

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besitz zu verwandeln.“ Indem Goethe die herrliche Szene las, freute ich mich über den glücklichen Griff, daß er das Papiergeld von Mephistopheles herleitet und dadurch ein Hauptinteresse des Tages so bedeutend verknüpft und verewigt. Kaum war die Szene gelesen und manches darüber hin und her gesprochen als Goethes Sohn herunterkam und sich zu uns an den Tisch setzte . . . Von unserer gelesenen Szene verrieten wir nichts, aber er selbst fing sehr bald an, viel über preußische Tresorscheine zu reden und daß man sie über den Wert bezahle. Während der junge Goethe so sprach, blickte ich den Vater an mit einigem Lächeln, welches er erwiderte und wodurch wir uns zu verstehen gaben, wie sehr das Dargestellte an der Zeit sei.1)

Dez 28. Einiges Poetische. 29. Poetisches . . . [Abends] Prof. Riemer.2) Vorbereitung auf morgen. 29. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Schubarth an G gD, S. 446) [nach 29.] (II H63 zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers mit 8285−88)3) 30. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 371f.): Heute nach Tisch las Goethe mir die fernere Szene [Rittersaal].4) „Nachdem sie nun am Kaiserlichen Hofe Geld haben, 1

) G war durch Lektüre u. Gespräche mit Fachleuten wohlinformiert über den Nutzen des Papiergelds für die moderne Ökonomie u. die Gefahr des Mißbrauchs. Schon im Jan 1784 kaufte er Joh. Georg Büschs 2bändige Abhandlung von dem Geldumlauf in anhaltender Rücksicht auf die Staatswirtschaft und Handlung (Hamburg/Kiel 1780). Büsch propagierte als erster deutscher Wirtschaftstheoretiker das 1776 erschienene Epochenwerk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations von Adam Smith, betonte die zentrale Rolle des Geldes u. begrüßte wie Smith die Einführung des Papiergelds unter strenger staatlicher Aufsicht. Ende Jan/Anf. Febr 1804 orientierte G sich durch eine Rezension über die Untersuchung des engl. Bankiers Henry Thornton zum Paper-Credit of Great-Britain; s. 18. Nov 1803: Sartorius an G, 1804 Jan 7.: Sartorius an G u. Jan 16.: an Eichstädt. 1810 erhielt G als Sonderdruck aus der Zs. Pallas den Aufsatz Du Papier monnoie, et des moyens de le supprimer von Jean Charles Le´onard Simonde de Sismondi; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 2965). Der Aufsatz erschien hier, wie der Hsg. J. J. O. A. Rühle von Lilienstern anmerkt, zum ersten Mal im Druck, und bezog sich in seiner anfänglichen Gestalt einzig auf das österreichische Papiergeld. Um ihn indessen allgemeiner anwendbar zu machen, hat der Verfasser ihn, wie er hier erscheint, auch auf ähnliche Veranstaltungen anderer Staaten bezogen. Da der 66-seitige Sonderdruck aufgeschnitten ist, wird G ihn gelesen haben. Simonde de Sismondi lehnt im Gegensatz zu Büsch u. Sartorius grundsätzlich das Papiergeld ab, weil es par une ne´cessite´ irre´sistible, par une condition inhe´rente a ` sa nature meˆme, doit se de´grader de plus en plus, et avec une rapidite´ toujours croissante (S. 64f.) u. weil demnach dans tout les pays du continent de l’Europe rien ne sauroit sauver les billets du banque de leur chute totale (S. 63). Rühle v. Lilienstern widerspricht dem in einer Anm.: Englisches Papiergeld wird in dauernd friedlichen Zeiten überall mit Vergnügen genommen. Uns scheint es mit dem Papiergelde zu seyn, wie mit dem Schießpulver, oder dem Feuer. Es hängt vom weisen Gebrauche und von der Zweckmäßigkeit der Einrichtung ab, ob es großen Segen oder großes Unheil bringen soll. Ein Pulvermagazin wird durch eine unbewahrte Flamme in die Luft gesprengt; ein Staat ohne innere nationale Energie, läuft durch das Papiergeld gleiche Gefahr. (S. 13f.) 2 ) Nach Gräf II 2, 527 Gespräch über die Mütter bei Plutarch; s. [18. Mai/4. Juni 1811]: Riemer. 3 ) II H63 (W 15.2, 39): Begrüßung der Telchinen von Rhodos durch die Sirenen (8285−88) in 2 Fassungen; datierbar durch Theaterzettel. 4 ) Zu Akt I Sz. [7]; nur auf diese am 30. Dez 1829 komplett vorliegende Szene bezüglich.

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sagte er, wollen sie amüsiert sein. Der Kaiser wünscht Paris und Helena zu sehen, und zwar sollen sie durch Zauberkünste in Person erscheinen. Da aber Mephistopheles mit dem griechischen Altertum nichts zu tun und über solche Figuren keine Gewalt hat, so bleibt dieses Werk Fausten zugeschoben, dem es auch vollkommen gelingt. Was aber Faust unternehmen muß um die Erscheinung möglich zu machen, ist noch nicht ganz vollendet,1) und ich lese es Ihnen das nächste Mal. Die Erscheinung von Paris und Helena selbst aber sollen Sie heute hören.“ Ich war glücklich im Vorgefühl des Kommenden und Goethe fing an zu lesen. In dem alten Rittersaale sah ich Kaiser und Hof einziehen, um das Schauspiel zu sehen. Der Vorhang hebt sich und das Theater, ein griechischer Tempel, ist mir vor Augen. Mephistopheles im Souffleurkasten, der Astrolog auf der einen Seite des Proszeniums, Faust auf der andern mit dem Dreifuß heraufsteigend. Er spricht die nötige Formel aus und es erscheint, aus dem Weihrauchdampf der Schale sich entwickelnd, Paris. Indem der schöne Jüngling bei ätherischer Musik sich bewegt, wird er beschrieben. Er setzt sich, er lehnt sich, den Arm über den Kopf gebogen, wie wir ihn auf alten Bildwerken dargestellt finden. Er ist das Entzücken der Frauen, die die Reize seiner Jugendfülle aussprechen; er ist der Haß der Männer, in denen sich Neid und Eifersucht regt und die ihn herunterziehen wie sie nur können. Paris entschläft und es erscheint Helena. Sie naht sich dem Schlafenden, sie drückt einen Kuß auf seine Lippen; sie entfernt sich von ihm und wendet sich, nach ihm zurückzublicken. In dieser Wendung erscheint sie besonders reizend. Sie macht den Eindruck auf die Männer, wie Paris auf die Frauen. Die Männer zu Liebe und Lob entzündet, die Frauen zu Neid, Haß und Tadel. Faust selber ist ganz Entzücken und vergißt, im Anblick der Schönheit die er hervorgerufen, Zeit, Ort und Verhältnis, so daß Mephistopheles jeden Augenblick nötig findet, ihn zu erinnern, daß er ja ganz aus der Rolle falle. Neigung und Einverständnis scheint zwischen Paris und Helena zuzunehmen, der Jüngling umfaßt sie, um sie zu entführen; Faust will sie ihm entreißen, aber, indem er den Schlüssel gegen ihn wendet, erfolgt eine heftige Explosion, die Geister gehen in Dunst auf und Faust liegt paralysiert am Boden.2)

Dez 30. Poetisches. Arrangement einiger Concepte . . . [Abends] Vorschweben-

des Poetische. Solches3)

1

) Zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie; zur Vollendung der Szene s. unten 10. Jan 1830: Tgb u. Eckermann. 2 ) Das explosionsartige Verschwinden einer Geistererscheinung nach dem Versuch, sich ihrer zu bemächtigen, kannte G aus Hans Sachs’ Historia: Ein wunderbarlich gesicht keyser Maximiliani, löblicher gedechtnuß, von einem nigromanten (1564) u. wohl auch aus der Erzählung L’enchanteur Faust von Anthony (Antoine) Hamilton (um 1700). − Die Historia, in der Kaiser Maximilian I. seine von einem Schwarzkünstler beschworene verstorbene Gemahlin Maria von Burgund zu umarmen versucht, kannte G auch seit seiner Hans Sachs-Lektüre in den frühen 70er Jahren, die bezeugt ist durch die Eintragung In das Stammbuch von Johann Jakob Heß (26. Apr 1773) u. das Gedicht Hans Sachsens poetische Sendung (1776). Bei Hamilton, der als Parteigänger der Stuarts die Tudors verspottet, umarmt Königin Elisabeth − die 4. von Faust bewirkte Geistererscheinung − König Heinrichs II. Geliebte Rosamund u. bewirkt damit eine Katastrophe: un violent ´eclat de tonnere ´ebranla tout le palais . . . on vit le Magicien Faustus les quatre fers en l’air. Aufgrund der Ähnlichkeit des Ausgangs wird die Lektüre seit H. Düntzer 1864, obwohl weder für das frz. Original, noch für die dt. Übersetzung von Mylius (1778) belegbar, als wahrscheinlich vorausgesetzt. 3 ) Abgebrochener Satz, fortgesetzt am nächsten Morgen; s. das nächste Z 31. Dez: Tgb, ob auf Faust bezüglich, ist ungewiß.

1829

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

771

Dez 31. früh zu Stande gebracht. John mundirte sogleich . . . [Nachmittags]

Blieb in den vordern Zimmern und dachte das nächste Poetische durch . . . [Abends] Fuhr in meinem Geschäft fort und endigte so das Jahr. [Ende] (I H56 Bl. 6 zu Akt II Sz. [4] KWN Am obern Peneios mit 7080−89, 7117f., 7122f. u. 7131−39)1)

18302) ⎯ Jan

⎯ (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: A. G. A. Müllner: Werke gD; S. 581 f.) 1. Poetisches redigirt und mundirt. 3. Poetisches gefördert3) . . . [Nachmittags] Betrachtete eigene poetische

Angelegenheiten näher.4) 3. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 371f.): . . .5) „Es gehen mir [G] wunderliche Gedanken durch den Kopf . . . Der Faust . . . ist doch ganz etwas Inkommensurabeles, und alle Versuche, ihn dem Verstand näher zu bringen, sind vergeblich . . . die Menschen . . . mühen sich daran ab, wie an allen unauflösbaren Problemen.“6) 4. Einiges ausgeführt und mundirt . . . [Nachmittags] Betrachtung und Be-

mühung fortgesetzt . . . [Abends] Vorarbeiten für morgen früh. [Jan Anf.] (I H47 Ergänzung zu Akt I Sz. [5] Finstere Galerie mit 6173−82, 6228−38 u. 6267−82)7) Jan

5. Poetisches concipirt und mundirt . . . [Nachmittags] . . . fortgesetzte Vor-

bereitung zu dem allernächst Abzuthuenden 1

) I H56 (Bohnenkamp 477f.) datierbar durch Bezug zu II H9: Entwürfe zu Meph., Sphynx u. Greif − außer als erledigt gestrichenen Versen zu Akt I Sz. [7] Rittersaal; s. [nach 29. Aug 1829]. 2 ) Zur polit. Zeitsituation: Die durch Unruhen Pariser Handwerker ausgelöste ›Julirevolution‹ ging rhetorisch auf die vorjakobinische Phase von 1789/91 zurück u. rief revolutionäre Zustände in Frankreich u. den südl. Niederlanden hervor, die aus dieser Entwicklung als autonomer Staat Belgien hervorgingen. Zu aufständischen Bewegungen kam es auch in Italien, Polen u. einigen Staaten des Deutschen Bundes, vor allem Kurhessen, Sachsen u. Hannover. Die seit 1815 in Kontinentaleuropa die Oberhand innehabenden restaurativen Kräfte wurden da u. dort geschwächt, aber nur in Frankreich politisch besiegt. 3 ) Die folgenden Worte: Manches zum Geschäft gehörig, bezog Düntzer 1900, 35 auch auf Faust. 4 ) Vorher erörterte G mit Eckermann dessen Gedicht für den König von Bayern. 5 ) Zum Kontext vgl. „Faust. Eine Tragödie“ gD, S. 448. 6 ) Zum Inkommensurabelen vgl. unten 13. Febr 1831: Eckermann Gespräche. 7 ) I H47 (W 15.2, 12): drei Foliobogen eines Mundums von John mit Tintenkorrekturen von G aufgrund schon im Sept 1829 in I H48 (s. oben [nach 6. Sept] 1829: I H48 m. Anm.) u. I H49 entworfener Verse (Bohnenkamp 381). Ergänzung einer neuen Einleitung, Faust auf längst vergangne Zeit rückblickend (6173−82 u. 6228−38) u. erweitertes Gespräch über die Mütter (6267−82). Mutmaßl. datiert aufgrund von TgbEinträgen u. des Abschlußes von Akt I Mitte Jan 1830.

772 Jan

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1830

6. Poetisches vorgerückt, concipirt, mundirt, eingeschaltet, abgerundet . . .

Mittag Dr. Eckermann. 6. [Weimar] Eckermann Tagebuch (FA II 12, 838): Gespräche über den Homunkulus. Entelechie und Unsterblichkeit. 7. Poetisches concipirt und mundirt. 8. Poetisches fortgesetzt. 9. Poetisches concipirt und mundirt. 10. Poetisches concipirt und mundirt . . . Mittag Dr. Eckermann . . . einiges

Poetische communicirt.1) Gespräch über dergl. Verlauf. 10. [Weimar] Eckermann Tagebuch (GSA 25/XIX, 1, 21d:1): Scene wo Faust zu den Müttern geht [Akt I Sz. [5] Finstere Galerie 6173−306]. 10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 374ff.): Heute zum Nachtisch bereitete Goethe mir einen hohen Genuß, indem er mir die Szene [5 von Akt I] vorlas, wo Faust zu den Müttern geht. Das Neue, Ungeahndete des Gegenstandes, so wie die Art und Weise, wie Goethe mir die Szene vortrug, ergriff mich wundersam, so daß ich mich ganz in die Lage von Faust versetzt fühlte, den bei der Mitteilung des Mephistopheles gleichfalls ein Schauer überläuft. Ich hatte das Dargestellte wohl gehört und wohl empfunden, aber es blieb mir so vieles rätselhaft, daß ich mich gedrungen fühlte, Goethe um einigen Aufschluß zu bitten. Er aber, in seiner gewöhnlichen Art, hüllte sich in Geheimnisse, indem er mich mit großen Augen anblickte und mir die Worte wiederholte [6217]: Die Mütter! Mütter! ’s klingt so wunderlich!− „Ich kann Ihnen weiter nichts verraten, sagte er darauf, als daß ich beim Plutarch gefunden, daß im griechischen Altertume von Müttern, als Gottheiten, die Rede gewesen.2) Dies ist alles was ich der Überlieferung verdanke, das Übrige ist meine eigene Erfindung. Ich gebe Ihnen das Manuskript mit nach Hause, studieren sie alles wohl und sehen Sie zu wie Sie zurecht kommen.“ Ich war darauf glücklich bei wiederholter ruhiger Betrachtung dieser merkwürdigen Szene, und entwickelte mir über der Mütter eigentliches Wesen und Wirken, über ihre Umgebung und Aufenthalt, die nachfolgende Ansicht. Könnte man sich den ungeheuren Weltkörper unserer Erde im Innern als leeren Raum denken, so daß man hunderte von Meilen in einer Richtung darin fortzustreben vermöchte, ohne auf etwas Körperliches zu stoßen, so wäre dieses der Aufenthalt jener unbekannten Göttinnen, zu denen Faust hinabgeht. Sie leben gleichsam außer allem Ort, denn es ist nichts Festes das sie in einiger Nähe umgibt; auch leben sie außer aller Zeit, denn es leuchtet ihnen kein Gestirn, welches auf- oder unterginge, und den Wechsel von Tag und Nacht andeutete. So in ewiger Dämmerung und Einsamkeit beharrend, sind die Mütter schaffende Wesen, sie sind das schaffende und erhaltende Prinzip, von dem alles ausgeht, was auf der Oberfläche der Erde Gestalt und Leben hat. Was zu atmen aufhört, geht als geistige Natur zu ihnen zurück, und sie bewahren es, bis es wieder Gelegenheit findet, in ein neues Dasein zu treten. Alle Seelen und Formen von dem was einst war und künftig sein wird, schweift in dem endlosen Raum ihres Aufenthaltes wolkenartig hin und her; es umgibt die Mütter, und der Magier muß also in ihr Reich gehen, wenn er durch die Macht seiner Kunst über

1

) Darunter Akt I Sz. [5] Finstere Galerie; s. die beiden nächsten Z. ) In der Geschichte des Nikias, die Plutarch in der Lebensbeschreibung des [M. C.] Marcellus erzählt; s. [18. Mai/4. Juni 1811]: Riemer u. [16. Nov 1820/9. Mai 1821]: aus der Plutarch-Lektüre 1820/21.

2

1830

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die Form eines Wesens Gewalt haben, und ein früheres Geschöpf zu einem Scheinleben hervorrufen will. Die ewige Metamorphose des irdischen Daseins, des Entstehens und Wachsens, des Zerstörens und Wiederbildens, ist also der Mütter nie aufhöhrende Beschäftigung. Und wie nun bei allem, was auf der Erde durch Fortzeugung ein neues Leben erhält, das Weibliche hauptsächlich wirksam ist, so mögen jene schaffenden Gottheiten mit Recht weiblich gedacht, und es mag der ehrwürdige Name Mütter ihnen nicht ohne Grund beigelegt werden. Freilich ist dieses alles nur eine poetische Schöpfung; allein der beschränkte Mensch vermag nicht viel weiter zu dringen, und er ist zufrieden etwas zu finden, wobei er sich beruhigen möchte. Wir sehen auf Erden Erscheinungen und empfinden Wirkungen, von denen wir nicht wissen woher sie kommen und wohin sie gehen. Wir schließen auf einen geistigen Urquell, auf ein Göttliches, wofür wir keine Begriffe und keinen Ausdruck haben, und welches wir zu uns herabziehen und anthropomorphisieren müssen, um unsere dunkelen Ahndungen einigermaßen zu verkörpern und faßlich zu machen. So sind alle Mythen entstanden, die von Jahrhundert zu Jahrhundert in den Völkern fortlebten, und ebenso diese neue von Goethe, die wenigstens den Schein einiger Naturwahrheit hat, und die wohl den besten gleichzustellen sein dürfte, die je gedacht worden.

Jan

11. Übersicht der poetischen Vorsätze und Schematismen. 13. [Nachmittags] Einiges Poetische vorbereitet.1) 13. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis ? − : [Barthe´lemy, J. J.:] Recueil de cartes ge´ographiques, plans . . . relatifs au voyage du jeune Anacharsis . . . Havre 1789.)2) 16. Poetisches aus den Concepten geordnet. Ein neues Schema dictirt3). . .

Ich beschäftigte mich mit einigem Poetischen . . . [16./ (H P124 zu Akt II Sz. [3−7]: Schema zur Klassischen Walpurgisnacht)4) Febr 6.] 1

) Zu Datierungsfragen s. Bohnenkamp 394: G’s auf Entstehung der KWN bzgl. TgbNotate verzeichnen kontinuierliche Arbeit von Jan bis März 1830 (regelmäßig: Einiges Poetische); seit Abschluß von Akt I Mitte Jan erst wieder ab 21. Febr 1830 fortlaufende Mundierungen. 2 ) Zur KWN erneute Ausleihe nur des Tafelbands der Anacharsis-Ausg.; s. 14. Nov 1826. 3 ) Pniower, Morris, Gräf, Witkowski, Hertz u. a. bis Bohnenkamp 493 vermuten P124, das der Vorausplanung u. Ordnung vorhandener Entwürfe diente, deren Stichworte G Punkt für Punkt abhakte; s. das nächste Z. 4 ) H P124 (Bohnenkamp 490−92) datierbar 16. Jan / 6. Febr 1830: das ältere der beiden detaillierten Schemata zur KWN, vermutl. identisch mit dem laut Tgb am 16. Jan 1830 diktierten neuen Schema. − Viele Details noch nahe P123B u. P123C vom Dez 1826, doch ohne chemisch Menschlein, als sei Homunculus’ Auftritt zeitweise fallengelassen. − P124 plant Zeile 1−5 das noch Auszuführende: Pharsalische Ebene Peneus Mond u Sternhelle Nacht Erichto Zelte Bivouak der beyden Heere als Nachgesicht. Zeile 8−20 ordnet zumeist als erledigt gestrichene Stichworte zur ersten Begegnung Mephistos u. Fausts mit den Ungeheuern der Antike; ab Zeile 22: Erderschütterung Flucht nach dem Meere eingeleitet Beschreibung des Bergwachsens. Sphynxe zum Entstehen des Berges. Zeile 40−51 deuten Stichworte an, was sich am Meeresgestade versammelt: Sirenen flötend und singend Mond im Gewässer Telchinen von Rhodus Kabiren von Samothrace Kureten und Koribanten von Creta Najaden Tritone Drachen und Meerpferde Der Muschelwagen der Venus. Die Schlußzeilen 52−59 skizzieren Fausts Gang zur Unterwelt: Faust mit Chiron und Manto Exposition des Sibyllenzuges Zug selbst Unterirdisch reich Verhandlung Rede der Mando Abschluß die drey Richter. − Zu P124 s. auch Bohnenkamp 492−95 u. FA I 7.2, 1009f.

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1830

[Jan (II H8 zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7080−112, 7116−20, 7122f., vor 17.] 7130−65)1) Jan

17. Poetisches mundirt und schematisirt . . . Mittag Dr. Eckermann. Einige

Vorlesung.2) Unterhaltung darüber. 17. [Weimar] Eckermann Tagebuch (GSA 25/XIX, 1, 21d:1): Mephistopheles bey den Greifen und Sphinxen.3) [nach17.] (II H13 zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7122−32, ohne 7124 u.7239−42; Sz. [5] KWN, Am untern Peneios mit Stichworten zu 7249−52)4) (II H25 zu Akt II Sz. [5] KWN, Am untern Peneios mit Stichworten zu Peneios 7249−51 u. Nymphen 7263−70; zu Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit Sirenen 7495−98; zu Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers mit Sirenen 8034−41, 8076f., Telchinen 8275)5)

1

) II H8 (W 15.2, 37) Doppelfolio von Johns Hand, datierbar durch Tgb-Eintrag. − Arbeitsreinschrift zu Mephistos Begegnung mit antiken Fabelwesen. − Die von Eckermann bezeugte Vorlesung erfolgte wohl aus II H8 (Bohnenkamp 497); s. 17. Jan 1830: Tgb u. Eckermann. 2 ) Wohl aus Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios; vgl. das nächste Z. 3 ) Zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios; s. zu II H14 oben [nach 21. Jan] 1829: II H14 m. Anm. 4 ) II H13 (Bohnenkamp 496f.) datierbar durch Bezug zu II H8: nach 17. Jan 1830. − Vs mit 7122−32 Ergänzung zu den in II H8 noch fehlenden Versen: Sie zeugten auch. Im alten [Bühnenspiel] Sah man mich dort als Old Iniquity, vermutl. auf abgerissenem Papierstreifen auch 7112−21, u. auf Rs die endgültige Fassung von 7239−42: Ihr bleibt doch hier daß ich euch wiederfinde S[phinxe] Ja geh nur hin zum lustigen Ges[inde], überleitend zum Szenenwechsel. Dazu Schema-Entwürfe für die nächste Sz., auf Vs Stichworte teils unleserlich zu: Faust am Peneus Was will es helfen Das alles hat nicht an sie hingereicht . . . Göttl Ursprung Ledas Traum; auf Rs Stichworte zum Schauplatz: das Schilf u Rohr Gelispel das Säuseln der Weid[en] u Pappel zweig[e]. − Zu H13 s. auch Bohnenkamp 497. 5 ) II H25 (Bohnenkamp 503f.) nach 17. Jan 1830 (wie II H13); Vs Szenentitel wie H P125: Buchten des Aegäischen Meeres. − Reinschriften von schon in II H13, II H17 u. II H22 überlieferten Entwürfen: Sirenen [8034−41:] Haben sonst bey nächtigen Grauen Dich thessalische Zauberfrauen Frevelhaft herabgezogen Blicke ruhig von dem Bogen Deiner Nacht, auf Zitterwogen Milde blitzend Glanzgewimmel Und erleuchte das Getümmel Das sich aus der Woge hebt − folgt Sprecherbezeichnung Kabiren. [vor 8076f.:] Götter die sich selbst erzeugen Und nicht wissen was sie sind. (Später gab G Absicht auf, die Kabiren selber sprechen zu lassen.) Folgt: Telchinen. [8275:] Wir haben den Dreyzack Neptunus geschmiedet. Sirenen. [7495−98:] Stürzt euch in des Peneus Fluth Plätschernd ziemt es da zu schwimmen Lied um Lieder anzustimen Dem unseligen Volk zu gut. Dem Gesang der Sirenen folgen ohne Sprecherangabe (später Nymphe) Var. von 7263−70. − Rs: Faust / am Peneus:/ Noch ist ihm nicht geholfen Alles hat nicht an sie herangereicht Deutet auf eine wichtige Vorwelt Sie aber tritt in ein gebildeteres Zeitalter Göttlichen Ursprungs Lebhafte Erinnerung an den Traum Letha [Leda] und die Schwäne. Dazu Witkowski 1950, 431: Bis auf die Schlußworte unausgeführte Skizze zum Auftreten Fausts 7271ff. Die Welt der Dämonen, die Faust bisher erblickt hat, liegt vor dem Zeitalter Helenas 〈vgl. 7197f.〉, das im Gegensatz zu jener Welt als fertig, gebildet erscheint. − Zu H25 s. auch Bohnenkamp 505 u. FA I 7.2, 1011f.

1830

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[Jan (II H17 zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7181−201; Sz. [5]: KWN, Am 17./20.] untern Peneios mit Stichworten zu 7249−51 u.7263−70; Sz. [6]: KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7495−98)1) 18. Einiges Poetische [zu Akt II KWN] 19. Einiges Poetische [zu Akt II KWN] bedacht und berichtigt . . . Mittag

für mich. Poetisches überlegend. 20. Mittag Dr. Eckermann. Demselben einiges mitgetheilt.2) 20. [Weimar] Eckermann Tagebuch (GSA 25/XIX, 1, 21d:1): Fernere Scene, wo Faust nach der Helena fragt und der Berg entsteht.3) 24. Dr. Eckermann zu Mittag. Manches verhandelt.4) Jan

24. [Weimar] Eckermann Tagebuch (FA II 12, 840f.): Früher sprachen wir viel von griechischer Mythologie in Bezug auf die classische Walpurgisnacht und daß er nur solche Figuren genommen die bildlich einen gehörigen Eindruck machen. „Den Faust habe ich leider dieser Tage aussetzen müssen um am zweyten Bande der An[n]alen noch etwas zu thun.5) Dann aber soll mich nichts wieder vom Faust abbringen, ich bin jetzt so weit daß er mit dem Chiron zusammen ist. Der fünfte Act ist fertig, der vierte wird sich von selber machen.“ 24. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 379):6) Wir sprachen sodann über die klassische Walpurgisnacht, deren Anfang Goethe mir vor einigen Tagen [17. u. 20. Jan] gelesen. „Der mythologischen Figuren, die sich hiebei zudrängen, sagte er, sind eine Unzahl; aber ich hüte mich und nehme bloß solche, die bildlich den gehörigen Eindruck machen. Faust ist jetzt mit dem Chiron zusammen und ich hoffe die Szene soll mir gelingen.7) Wenn ich mich fleißig dazu halte, kann ich in ein paar Monaten mit der Walpurgisnacht fertig sein. Es soll mich nun aber auch nichts wieder vom Faust ab1

) II H17 (Bohnenkamp 498f.; Fischer-Lamberg 1955, 36) Entwurfsbl. datierbar durch Bezug zu II H13: nach 17. Jan 1830 u. Eckermanns Tgb vom 20. Jan 1830. − Faust begegnet Sphinxen, Sirenen, Ameisen u. Greifen; Mephistos Kommentar (7191−94), Faust fragt Sphinxe nach Helena (7195f.) sie verweisen auf Chiron (7197−201). − Auf Rs Entwürfe zu Nymphen, Faust ratend, sich am Flußufer niederzulegen (7263−70): Am besten wär es du legtest d[ich] nieder Die Buschufer des Peneus Am besten geschäh dir du legtest dich nie[der] Erholtest im Rohre die schmachten[den] Glied[er] Genieße der ewig entbehrtest[en] Ruh Wir sausel[n] wi riesel[n] wir flüst[ern] dir zu Schilf u Rohr Gelispel Saußeln des Weidengestrauchs des PappelGezweich − Entwurf Sirenen vor dem Erdbeben (7495−98). Stichworte zu 7249ff. (Anf. der Peneus-Sz.) verkürzt aus II H13 übernommen. − Zu H 17 s. auch Bohnenkamp 499 u. FA I 7.2, 1011. 2 ) Aus Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios u. Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor. 3 ) Aus Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios 7181−248 mit Faust (zu den Sphinxen: Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn: Hat eins der Euren Helena gesehn?) u. dem Anf. von Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor (durch Erdbeben bewirkte Bergentstehung). Die dazwischen liegende Sz. [5]: KWN, Am untern Peneios, in der Faust zu Chiron u. Manto gelangt, war noch unausgeführt. Vorlesung vermutl. aus II H13 (s. oben: [nach 17. Jan] 1829: II H13 m. Anm.). 4 ) Auch über Faust II wurde verhandelt, wie Eckermanns Tagebuch bezeugt. 5 ) Die TuJ waren zur 7. Lieferung bzw. Bd 31 u. 32 der Ausgabe letzter Hand bestimmt. 6 Zu Akt IV (Prognosen) u. Akt V. 7 ) Betr. die erst entstehende Chiron-Partie (7319−488) in Akt II Sz. [5] Am untern Peneios.

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bringen; denn es wäre doch toll genug, wenn ich es erlebte ihn zu vollenden! Und möglich ist es; − der fünfte Akt ist so gut wie fertig, und der vierte wird sich sodann wie von selber machen.“

[Jan (II H27 u. II H27a zu Akt II Sz. [5] KWN, Am untern Peneios mit 7325−52, 7349−52 25./29.] u. II H45 zu Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7797−800)1) 28. Abends . . . Poetische Blicke.2) [vor 29.] (II H20 Schema-Entwurf zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7214−28; Sz. [5] KWN, Am untern Peneios mit 7337f., 7342f.; Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7726−28 u. Stichworten zu Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder 7005−07)3) (II H24 zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7239; 7243−48 u. Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7574−81; 7586−605; 7797−800)4)

29. Fortleitung . . . [Nachmittags] Ich fuhr fort an die poetische Aufgabe zu

denken. 31. Poetisches eingeleitet. [Ende] (II H22 zu Akt II Sz. [4] KWN, Am obern Peneios Ende: 7239−48, ohne 7240−42 u. Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meers Anfang mit 8034−41, 8076f. u. 8275)5)

1

) II H27 (W 15.2, 38) anderthalb Fol. egh in Blei u. Tinte Entwürfe zu Chiron (7325−52); II H27a (Fischer-Lamberg 1955, 37) zum Chiron-Faust-Dialog (7349−52) u. II H45 (W 15.2, 38) zu Mephisto vor den Lamien (7797−800); datierbar durch bibliographische Notiz u. Konzept zu TuJ 1808. 2 ) Meint wohl Akt II Sz. [5] Am untern Peneios. 3 ) II H20 (Bohnenkamp 488) Vorarbeiten zu den Schemata P124 u. P125, datiert (nach Fischer-Lamberg 1955, 37: vor 29. Jan 1830) durch Bezug auf II H27a. − Vs Entwürfe zu Meph. (7214−17 u. 7225) u. Sphinx (7218−24, 7226−28); zum Dialog zw. Faust (7337f.) u. Chiron (7342f.) u. zu den Lamien-Versen (7726−28). − Auf Rs Stichworte zum Beginn der KWN: Die Pharsalische Eb[ene] Mond- u Sternhelle Nacht Erichto Zelten. Bivou[a]cs. als Nachgesicht Der Schatten des Jüngeren Pompejus Erichthon[ius]. − Die in P99B eingeführte Gestalt des Erichthonius kannte G längst durch Hederich (S. 1030−32); (an Schiller, 25. Okt 1797: Ihnen ist die Zudringlichkeit des Vulkans gegen Minerven bekannt, wodurch Erichthonius producirt wurde. Haben Sie Gelegenheit, so lesen Sie diese Fabel ja in der ältern Ausgabe des Hederichs nach.) Doch verwendete G das Motiv dann doch nicht, sondern strich bei Überarbeitung des Schemas vom 6. Febr 1830 Erichthonius. − Zu H20 s. auch Bohnenkamp 489 u. FA I 7.2, 1009. 4 ) II H24 (Bohnenkamp 506) egh Reinschrift, Überarbeitung des Entwurfs II H45, der spätestens am 29. Jan 1830 entstand. H24 führt aus, was in P124 stichpunktartig genannt u. dann als erledigt gestrichen wurde (Ameisen, Greife usw.). − Zu H24 s. auch Bohnenkamp 507 u. FA I 7.2, 1012. 5 ) II H22 (Bohnenkamp 502) Entwurf zu einem an den Mond gerichteten Sirenengesang, datierbar durch die direkte Beziehung zu dem detaillierten KWN-Schema H P124, 40−42: Meeresgestade Sirenen flötend und singend. Mond im Gewässer. Die Stichworte Telchin[en] von Rhodus, Kabir[en] vo[n] Samothr[ace] Coryb[an]t[en] von Cret[a] übereinstimmend mit P124, 43−46. − Auf der andern Bl.-seite nochmals bis 8041 in definitiver Fassung. Nach 8041, auf Kabiren bezüglich.: Die Götter die sich selbst erzeugen und niemals wissen was sie sind (später 8076f.) u. der Telchinen von Rhodus-Vers: Wir haben den Dreizack Neptunen geschmiedet (später 8275). − Zu H22 s. auch Bohnenkamp 502 u. FA I 7.2, 1011.

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[Febr/ (II H42 zu Akt II [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7606−21 u. P153 Var)1) März] Febr 1.–6. Einiges Poetische. 6. (H P125 datiert: Schema den 6. Febr. 1830.)2) 7. Einiges Poetische . . . [Nachmittags] Blieb für mich. Das zunächst zu

fördernde Poetische [zu Akt II KWN] durchdenkend. 9. Einiges Poetische [zu Akt II KWN]. 10. Einiges Poetische. Mittags Dr Eckermann.3) 10. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 381): Wir sprachen . . . über die classische Walpurgisnacht, und daß er dabei auf Dinge komme, die ihn selber überraschen. Auch gehe der Gegenstand mehr auseinander als er gedacht. „Ich habe jetzt etwas über die Hälfte, sagte er, aber ich will mich dazu halten und hoffe bis Ostern fertig zu sein.4) Sie sollen früher nichts weiter davon sehen, aber sobald es fertig ist, gebe ich es Ihnen mit nach Hause, damit Sie es in der Stille prüfen. Wenn Sie nun den 38sten und 39sten Band [Ausg. letzter Hand] zusammenstellten, so daß wir Ostern die letzte Lieferung absenden könnten, so wäre es hübsch und wir hätten den Sommer zu etwas Großem frei. Ich würde im Faust bleiben und den vierten Akt zu überwinden suchen.“ Ich freute mich dazu und versprach ihm meinerseits jeden Beistand. 12. Einiges Poetische [zu Akt II KWN]. 13. Poetisches behandelt [Nachmittags] . . . Poetisches fortgesetzt. 14. Einiges Poetisches [zu Akt II KWN]5) . . . Abends für mich. Mancherlei

Vorbereitungen. 14. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 383): Als Frau v. Goethe [nach Tisch] mit ihren Söhnen hinaufgegangen war blieb ich mit Goethe allein. Er erzählte mir von seiner klassischen Walpurgisnacht, daß er damit jeden Tag weiter komme, und daß ihm wunderbare Dinge über die Erwartung gelängen. 1

) II H42 (Bohnenkamp 518) egh mit Blei, als erledigt gestrichen, datiert nach Bohnenkamp 520. P153 Var isolierte Notiz, später gestrichen, s. unten [vor Juni] 1830: H49. − Zu P153 Var. s. auch Bohnenkamp 520 u. FA I 7.2, 1014. 2 ) P125 (Bohnenkamp 508−11) detailliertere Fassung des älteren Schemas P124 zur KWN (s. oben [16. Jan/6. Febr] 1830: P124 m. Anm.) ohne Übernahme der in der Zwischenzeit schon ’abgehakten’ Stichworte. Homunculus taucht erneut auf: Thales den Homunkulus zum Meer einladend. Die Bezeichnung Meeresgestade ersetzt durch Buchten des ägäischen Meers. Der Schluß mit Fausts Abstieg in den Hades zunächst wie P124, dann in egh Zusätzen G’s detaillierter skizziert: Chiron über Manto sprechend Fausten bey ihr einführend. Ubereinkunft. Geheimer Gang Medusenhaupt Proserpina verhüllt Manto ihre Schönheit rühmend Vortrag Zugeständniß. Melodisch unverneh[mlich]. Manto erklärt. Z. 41f.: Heißer Wind und Sandwirbel Der Berg scheint zu versinken, ist ein Zaubervorgänge begleitendes 1001-Nacht-Motiv (Mommsen 2006, 232f.); Latham 1912, 384 u. Friedrich 1932, 431 verweisen auf Lukans Wüstenbeschreibung Pharsalia B. 9. [= De bello civili IX 444−97] − Zu P125 s. auch Bohnenkamp 510f. u. FA I 7.2, 1012f. 3 ) Vgl. das nächste Z. 4 ) G’s Hoffnung auf Ostern (11. Apr) erfüllte sich nicht; s. unten 14. Apr 1830. 5 ) Vgl. das nächste Z. − Weiter meldet G’s Tgb: Verscheiden der Frau Großherzogin [Luise] gegen 2 Uhr. Wurde geläutet. Ottilie und Ulrike kamen, Später Herr Soret, auch Hofrath Vogel. Abends für mich. Mancherley Vorbereitungen.

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Febr 15. Einige Concepte, Munda, Poetisches . . . [Abends] Einiges Poetisches

vorbereitet. 16. [Nachmittags] Einiges disponirt zu nächster Ausführung. 17. Poetisches disponirt. 21. Poetisches, Concept und Mundum.1) [Febr 21.?/Juni Mitte] (II H74 zu Akt II Sz. [3] KWN, Pharsalische Felder mit 7005−79, Sz. [4] KWN, Am obern Peneios mit 7080−248), Sz. [5] KWN, Am untern Peneios mit 7249−394, Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7495−675 u. 7696−8033, Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meeres mit 8034−197 u. 8200−338; P150 u. P150a)2) Febr 21. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 386): „Ich habe mir vorgenommen, sagte Goethe darauf, in vier Wochen so wenig den Temps als Globe zu lesen. Die Sachen stehen so, daß sich innerhalb dieser Periode etwas [Wichtiges in der Politik] ereignen muß, und so will ich die Zeit erwarten, bis mir von Außen eine solche Nachricht kommt.3) Meine klassische Walpurgisnacht wird dabei gewinnen. 22. Poetisches, Concept und Mundum. 22. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 8. März 1830 − : Schelling, Fr. W. J.: Ueber die Gottheiten von Samothrace . . . Beyl. zu d. Weltaltern. Stuttgart u. Tübingen 1815.)4) 23. Einiges Poetische, Mundum . . .5) [Nachmittags] Das nächste Poetische

durchgeführt. Abends die weiteren Plane bedacht.6) 24. Munda der Concepte von gestern Abend. Neues partielles Schema [?]. 1

) Vielleicht schon ein erster Hinweis auf Foliofaszikel II H74, s. nachfolgendes Z. ) II H74: 1. große Mundum der KWN (Bohnenkamp 522f.). Reinschrift von John mit Korrekturen u. Ergänzungen. Noch fehlen letzter Abschnitt der Sz. [5] Am untern Peneios, wo Faust mit Chiron über Helena spricht u. dieser ihn bei Manto einführt (7395−494), Mephistos Monolog vor der Lamien-Begegnung (7676−95), eine kleine Ergänzung zum Kabiren-Komplex (8198f.) u. der Schluß der Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meeres (8339−487), der ursprüngl. mit Unser Fest, es ist vollendet, Heitre Wonne voll und klar! (8345f.) enden sollte. − Fischer-Lamberg 1955, 19−66 nimmt für 7495−800 Entstehung im Jan 1830 an u. den Abschluß der KWN bis 8346 Mitte/Ende Juni 1830; s. 25. Juni 1830: an A. v. Goethe. − Bei P150 u. P150a handelt es sich um nachträglich in die Reinschrift eingetragene Verse, die allerdings später nicht übernommen wurden. − Zu H74 s. auch Bohnenkamp 524 u. FA I 7.2, 1015. 3 ) Entgegen seinem Vorsatz las G den Globe schon am 25. Febr wieder, an dem sein Tgb meldet: Herr Canzler von Müller. Die Relation des Globe vor Gericht gefordert. Ich las gleich das erste Stück, worauf dieses geschehn; der Artikel freylich stark und stellt die Existenz der Bourbonischen Familie in Frage. Man hat ihnen lange nachgesehen, und sie sind immer kühner geworden. − So bildeten politische Unruhen die zeitgeschichtl. Folie zur Entstehung von Faust II, was vor allem Akt IV mutatis mutandis widerspiegelt. 4 ) Vgl. oben 15. Okt 1815: Schelling an G. − Entweder war die Schrift unauffindar oder es war G entfallen, daß er sie besaß. Ertrag der Lektüre in Akt II KWN Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meers: 8070−77, 8168−81 u. 8204f. − Vgl. dazu die letzten beiden Sätze in 17. Febr 1831: Eckermann Gespräche. 5 ) Pniower 1899, 246 bezieht auch auf Faust die auf weitere Vormittagstätigkeit bezügliche Notiz: Verschiedenes geheftet und das Nächste beschaut und überlegt. 6 ) Vgl. unten 26. Febr 1830: Tgb. − Düntzer (Beilage zur Augsburger Zeitung v. 15. Dez 1899, 2) bezog die weiteren Plane auf Akt II KWN Sz. [6] Am oberen Peneios wie 2

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Febr 24. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 387): Goethe sagte mir sodann, daß er in die Erscheinung der Helena noch einen Zug hineingebracht, um ihre Schönheit zu erhöhen, welches durch eine Bemerkung von mir veranlaßt worden, und meinem Gefühl zur Ehre gereiche.1) 25. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis ? −: Meursii, Joannis, Creta, Rhodus, Cyprus . . . Amstelodami 1675.)2) 25. Poetisches, Concept und Mundum . . . [Nachmittags, abends] Blieb für

mich und las Meursii Creta etc. 26. Blieb Abends allein. Überlegte das nächste Poetische. 27. Das nächste Poetische, Concept und Mundum . . . [Nachmittags] EiniMärz3)

ges Poetische fortgeführt. Christus nebst zwölf alt- und neutestamentlichen Figuren den Bildhauern vorgeschlagen (W 49.2, 91):4) M o s e s . Diesen Heroen kann ich mir freilich nicht anders als sitzend denken . . . Wahrscheinlich hat die überkräftige Statue des Michel Angelo am Grabe Julius des Zweiten sich meiner Einbildungskraft dergestalt bemächtigt, daß ich nicht von ihr loskommen kann. 1. Poetisches, Concept und Mundum. 1. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 388): Nach Tische . . . zeigt Goethe mir das Manuskript seiner Walpurgisnacht, und ich bin erstaunt über die Stärke, zu der es in den wenigen Wochen herangewachsen. 2. Poetisches. Concept und Mundum.

2./7. An Zelter (Br 46, 258): Die französischen Memoiren so wie Le Globe

und Le Temps habe ich auf einige Zeit beseitigt.5) Es fällt einem doch einmal auf daß das alles einen gar nichts angeht, daß man von dem Vergangenen ohngefähr soviel weiß als ein anderer auch, und daß man durch die Kenntniß dessen, was der Tag bringt, nicht klüger und nicht

zuvor (8082−473) mit den Gesprächen zwischen Thales, Nereus u. Homunculus, während Gräf II 2, 539 an Ausgestaltung der Sz. [6] Grablegung in Akt V denkt wegen Bibliotheksentl. der Descrizione del Campo Santo di Pisa, 1806 vom 23. Febr − 19. Apr u. der Descrizione della Certosa di Bologna ora cimiterio comunale (Bologna 1828), die aber durch Keudell nicht mehr belegbar sind. 1 ) Vielleicht mit Bezug auf 30. Dez 1829: Eckermann Gespräch. Düntzer 1885 II 271 vermutet 6504f., Pniower 1899, 247 dagegen glaubt, Eckermann habe G auf Endymion und Luna hingewiesen u. so 6506−15 veranlaßt; dem schloß sich Morris 1902 I 127f. mit dem Zusatz an: Man merkt dem zugehörigen Verse ›Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt‹ [6508] auch wohl an, dass er secundär entstanden dem Reime seine Existenz verdankt. 2 ) s. oben 9. Dez 1829: Bibliotheksentleihung. 3 ) Zur Datierung s. EGW 2, 184: „Christus nebst zwölf alt- und neutestamentlich Figuren“ 4 ) Burdach Faust und Moses 364 zitiert den folgenden Passus als Beleg zur Faust−Moses−Analogie; vgl. oben 1812 TuJ m. Anm. u. 27. Jan 1827: Zahme Xenien V mit Anm. 5 ) s. oben 21. Febr 1830: Eckermann Gespräch.

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besser wird. Heute [2. März] haben wir hohen Barometerstand, congruirenden Ostwind, erheiterten Himmel, Sonnenschein, und so regt sich wieder Glaube und Hoffnung an und auf die Natur, da denn die Liebe nicht ausbleiben wird. Seit acht Wochen beschäftige ich mich ununterbrochen mit einer Arbeit [KWN] die mir Freude macht und Euch auch Freude machen soll; dazu schöpf ich nun frischen Athem und denke noch vor Ostern abzuschließen,1) um mich wieder mit neuer Geschäftigkeit zu belasten. März 3. Poetisches, Concept und Mundum. Das zweyte reinere Mundum gefördert.2) Manches vorbedacht. 3. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 388f.): Wir redeten fort über viele Dinge und so kommen wir auch wieder auf die Entelechie. „Die Hartnäckigkeit des Individuums und daß der Mensch abschüttelt was ihm nicht gemäß ist, sagte Goethe, ist mir ein Beweis daß so etwas existiere.“ Ich hatte seit einigen Minuten dasselbige gedacht und sagen wollen, und so war es mir doppelt lieb, daß Goethe es aussprach. „Leibnitz, fuhr er fort, hat ähnliche Gedanken über solche selbstständige Wesen gehabt, und zwar, was wir mit dem Ausdruck Entelechie bezeichnen, nannte er Monaden.“ 4. Das zweyte Mundum gefördert, das Ganze noch einmal durchgesehen

und durchdacht. 5. John fuhr an dem Hauptmundum [II H74] fort . . . [Abends] Blieb für mich, das Morgende vordenkend. 6. Poetisches, Concept und Mundum. Das Schema umgeschrieben . . . [Nachmittags, abends?] Ich fuhr am Hauptgeschäft fort. [6.] [Weimar] Eckermann3) (FA II 12, 700f.): Goethe liest seit einiger Zeit die M e m o i r e n von S t . S i m o n 4) . . . Auch den Globe und Temps, den Goethe seit mehreren Monaten mit dem größten Eifer las,5) hat er seit etwa vierzehn Tagen zu lesen aufgehört. Sowie die Nummern bei ihm unter Kreuzband ankommen, legt er sie uneröffnet bei Seite. Indes bittet er seine Freunde, ihm zu erzählen was in der Welt vorgeht.6) Er ist seit einiger Zeit sehr produktiv und ganz vertieft im zweiten Teile seines Faust. Besonders ist es die klassische Walpurgisnacht, die ihn seit einigen Wochen ganz hinnimmt und die dadurch auch rasch und bedeutend heranwächst. In solchen durchaus produktiven Epochen liebt Goethe die Lektüre überhaupt nicht, es wäre denn, daß sie als etwas Leichtes und Heiteres ihm als ein wohltätiges Ausruhen diente, oder auch, daß sie mit dem Gegenstande, den er eben unter Händen hat, in Harmonie stände und dazu be-

1

) Zum vergeblich erhofften Ostertermin [11. Apr 1830] s. auch 10. Febr 1830: Ekkermann. 2 ) Erstes eindeutiges Z für die Einrichtung der 2. großen Reinschrift von Akt II KWN, die später als Teil der Reinschrift H von Faust II diente. 3 ) Aufgrund von F. Soret, Conversations 6.? März 1830; vgl. Cle´ry 96−98. 4 ) Auf G’s Beschäftigung mit den Thesen Saint-Simons im Zusammenhang mit Faust II verweisen Türck 1917, 134f., Schuchard 1935, 362, Boyle 1981, 4−43, Schings 2011, 430−35 u. Jaeger 2014, 428−44. 5 ) s. oben 21. Febr 1830: Eckermann Gespräch. 6 ) Bei Begründung der Lesepause korrigierte Eckermann Soret, dessen politische Mutmaßungen er tilgte u. stattdessen die von Soret nicht erwähnte Arbeit an der KWN anführte.

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hülflich wäre. Er meidet sie dagegen ganz entschieden, wenn sie so bedeutend und aufregend wirkte, daß sie seine ruhige Produktion stören und sein tätiges Interesse zersplittern und ablenken könnte. Das Letztere scheint jetzt mit dem Globe und Temps der Fall zu sein. „Ich sehe, sagte er, es bereiten sich in Paris bedeutende Dinge vor; wir sind am Vorabend einer großen Explosion. Da ich aber darauf keinen Einfluß habe, so will ich es ruhig abwarten, ohne mich von dem spannenden Gang des Dramas unnützerweise täglich aufregen zu lassen. Ich lese jetzt so wenig den Globe, als den Temps, und meine Walpurgisnacht rückt dabei gar nicht schlecht vorwärts.“1)

März 7. [Weimar] Eckermann Tagebuch (FA II 12, 851): Sodann eröffnet er mir daß er seine Walpurgisnacht habe zurücklegen müssen2) um die letzte Lieferung [Werke C1 36 bis 40] fertig zu machen . . . (Mir selbst überträgt er die Redaction des 38.n und 39.sten Bandes. Wenn wir uns dazu halten sagt er, können wir in 3 bis 4 Wochen fertig seyn so daß die Lieferung Ostern abgehen kann. Ich nehme sodann meine classische Walpurgisnacht wieder auf und gehe im Faust vor.) Hiebey nun bin ich klug gewesen daß ich aufgehört habe wo ich noch in gutem Zuge war und noch viel bereits Erfundenes zu sagen hatte. Auf diese Weise läßt sich viel leichter wieder anknüpfen als wenn ich so lange fortgeschrieben hätte bis es stockte. Ich merkte mir dieses als eine gute Lehre. 7. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 389f.): Um zwölf Uhr zu Goethe . . . Er eröffnete mir, daß er seine klassische Walpurgisnacht habe zurücklegen müssen, um die letzte Lieferung fertig zu machen. „Hiebei aber, sagte er, bin ich klug gewesen, daß ich aufgehört habe, wo ich noch in gutem Zuge war, und noch viel bereits Erfundenes zu sagen hatte. Auf diese Weise läßt sich viel leichter wieder anknüpfen, als wenn ich so lange fortgeschrieben hätte bis es stockte.“ Ich merkte mir dieses als eine gute Lehre . . . Wir waren heiter und sprachen von Arbeiten und Vorsätzen hin und her. „Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei, sagte Goethe, und besonders nicht daß er alleine arbeite; vielmehr bedarf er der Teilnahme und Anregung, wenn etwas gelingen soll. Ich verdanke Schillern die Achilleı¨s und viele meiner Balladen, wozu er mich getrieben, und Sie können es sich zurechnen, wenn ich den zweiten Teil des Faust zu Stande bringe. Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, aber ich muß es wiederholen, damit Sie es wissen.“ Ich freute mich dieser Worte, im Gefühl daß daran viel Wahres sein möge. 10. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tgb gD, S. 448) 12. [Abends] Ich überdachte das vielfache Bevorstehende.3) 13. Abends für mich. Die neuen Hefte von Faust durchgelesen. 14. John schrieb am Faust ab . . . [Abends] Blieb für mich, einiges durch-

zusehen und vorzubereiten. 15. Einiges Poetische, Concept und Mundum. 17. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Eckermann gD; S. 582) 18. Poetisches revidirt.

1

) Diese Art Zeugnisse zeigen, daß G der Tagespolitik nicht in dem Maße Einfluß auf sein Werk zugestand, wie manche Kommentatoren behaupten. 2 ) An welcher Stelle G die Arbeit für 1 bis 2 Wochen unterbrach, ist nicht klar. Pniower 1899, 249 meint, abgesehen von größeren Lücken sei die KWN bis etwa 8338 fertig gewesen, wohin das 1. große Mundum Foliofaszikel II H 74 (Bohnenkamp 522f.) reicht. 3 ) Darunter gewiß Faust II; doch weist Gräf II 2, 545 zusätzlich auf die bevorstehende Reise von G’s Sohn mit Eckermann nach Italien hin, die beide am 22. Apr antraten.

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März 21. Poetisches Concept und Mundum. 21. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 394f.): Wir sprachen sodann über krankhafte körperliche Zustände, und über die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist. „Es ist unglaublich, sagte Goethe, wie viel der Geist zur Erhaltung des Körpers vermag. Ich leide oft an Beschwerden des Unterleibes, allein der geistige Wille und die Kräfte des oberen Teiles halten mich im Gange. Der Geist muß nur dem Körper nicht nachgeben! − So arbeite ich bei hohem Barometerstande leichter als bei tiefem; da ich nun dieses weiß, so suche ich, bei tiefem Barometer, durch größere Anstrengung die nachteilige Wirkung aufzuheben, und es gelingt mir.“ „In der Poesie jedoch lassen sich gewisse Dinge nicht zwingen, und man muß von guten Stunden erwarten, was durch geistigen Willen nicht zu erreichen ist. So lasse ich mir jetzt in meiner Walpurgisnacht Zeit, damit Alles die gehörige Kraft und Anmut erhalten möge. Ich bin gut vorgerückt und hoffe es zu vollenden bevor Sie gehen.“1) „Was darin von Piquen vorkommt, habe ich so von den besonderen Gegenständen abgelöst und ins Allgemeine gespielt, daß es zwar dem Leser nicht an Beziehungen fehlen, aber niemand wissen wird, worauf es eigentlich gemeint ist.2) Ich habe jedoch gestrebt, daß Alles, im antiken Sinne, in bestimmten Umrissen dastehe, und daß nichts Vages, Ungewisses vorkomme, welches dem romantischen Verfahren gemäß sein mag.“3) 22. Poetisches Concept und Mundum. In der zweyten Reinschrift vorge-

rückt. Das noch Übrige zum Ganzen durchgedacht. 23. Im Poetischen vorgerückt. 26. Poetisches Concept und Mundum.4) [ca. 26.] (II H55 zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers mit 8082−93, 8331−38 u. P154, P155.)5) (II H61 zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers mit 8267−74, ohne 8271f.)6)

[nach 26.] (II H62 zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers mit 8267−74)7)

1

) Am 22. Apr fuhr Eckermann als Begleiter von G’s Sohn mit diesem nach Italien. ) Nach Gräf II 2, 548 sind mit den Piquen (7426−33; 8202−26) Anspielungen auf die Mythen- u. Altertumsforscher Creuzer u. Schelling gemeint. 3 ) Zum Folgenden s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“, S. 582 f. 4 ) Daß G auch noch abends am Faust tätig war, erweist das Tgb vom 27. März (s. dort). 5 ) II H55 (Bohnenkamp 512f.) datierbar durch Briefkonzept. − Vs Entwürfe für Proteus (8331f. u. 8335−38) u. Thales (8333f.), nachdem Homunkulus den Proteus-Delphin bestiegen hat; auf Rs in fast endgültiger Fassung Verse des Thales (8082−93), die er am Meeresufer zu Homunkulus spricht. − P155: Kennte der Jüngling die Welt genau Er würde im ersten Jahre grau, von G nach 8332 direkt im Entwurf zu 8331−38 eingetragen, deshalb wohl Proteus zuzuordnen. − P154: Vermutl. Rede des Nereus über das Wesen der Menschen: Im Eigensinn bedächtig Stets Rath bedurfen[d] kein[en] Rath im Ohr; vgl. auch MA 18.1, 903. − Zu H55 s. auch Bohnenkamp 514 u. FA I 7.2, 1013f. 6 ) II H61 (W 15.2, 39) datierbar durch Briefkonzept. − Papierstreifen mit Bleistiftentwürfen für Proteus (8267−70), Thales[:] Ich gehe mit (8273) u. Homunkulus [:] Dreifach merkwürd’ger Geisterschritt (8274). 7 ) II H62 (W 15.2, 39) Quartbl. mit egh Entwürfen in Blei, datierbar durch Teil eines Briefes. − Proteus.[:] Das glaub’ ich, allerliebster Junge! Und weiter hin wird’s viel behäglicher, Auf dieser schmalen Strandeszunge Der Dunstkreis noch unsäglicher; Da vorne sehen wir den Zug, Der eben herschwebt, nah genug. Kommt mit dahin! (8267−70). 2

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März 27. Einiges Poetisches von gestern Abend in’s Mundum. Anderes durch-

gesehen und durchgedacht. 28. Geheftet die nächst durchzuführenden Concepte.1) 31. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Schubarth an A. v. Goethe gD, S. 449) Apr

5. (s. „Faust. Eine Tragödie“ A. v. Goethe an Schubarth gD, S. 449) 14. Mittag Dr. Eckermann . . . Übergab ihm den Faust.2) 18. Dr. Eckermann. Wurde die classische Walpurgisnacht recapitulirt.

[ca. 19.] (II H13a zu Akt II Sz. [5] KWN, Am untern Peneios mit 7426−33.)3) 19. An Marianne v. Willemer (Br 47, 24f.): Ihre frühere Bekanntschaft mit

dem törig-lustigen mannigfaltigen Volksgedränge war mir höchst erfreulich;4) auch bei uns wirken diese südlichen Scherze seit langen Jahren immerfort.5) 24. [Nachmittags] Sendete einen Theil des Faust an Riemer. 27. Abends Professor Riemer . . . Über die Fortsetzung von Faust gesprochen. 28. [Stuttgart] Cotta an M. Retzsch (SLUB Dresden, Msc. Dresd. h 24 m 212 a): Wollen Sie 4−5 Platten zu Faust II liefern, um den angezeigten Preiß [von 18 Loisd’or je Platte], so nimmt die Buchhandlung dies gerne an, jedoch unter der Bedingung, daß Sie bis Ende dieses Jahres derselben zukommen. Es handelt sich nämlich um eine neues Unternehmen mit Faust im Ganzen, daß demnächst beabsichtigt wird.6)

1

) Vgl. oben 13. März 1830: Tgb. ) Gräf II 2, 550 vermutet: Akt I u. II, damit Eckermann ihn vor der Abreise nach Italien am 22. Apr im Zusammenhang durchlesen u. seine Bemerkungen mitteilen konnte. Jedenfalls befand sich die KWN darunter, die aber nicht, wie erhofft, bis Ostern fertig geworden war; abgesehen von einzelnen Lücken, fehlte noch der Schluß; vgl. oben 10. Febr 1830: zu Eckermann mit Bezug auf die KWN: . . .hoffe bis Ostern [11. Apr] fertig zu sein . . . sobald es fertig ist, gebe ich es Ihnen mit nach Hause, damit Sie es in der Stille prüfen; vgl. unten 1830 Apr 18.: Tgb, Aug 9.: an Eckermann. 3 ) II H13a (Bohnenkamp 475), annähernd datierbar durch Briefkonzept. − Entwürfe zu Chirons Versen über mythologische Frau (7428), ein Textabschnitt, der in II H74 noch fehlte; s. oben 1830 [Febr 21.?/Juni Mitte]: II H74 u. unten Juni 14.: Tgb u. 25.: an A. v. Goethe. 4 ) Im Jänner 1830 hatte Marianne v. Willemer ausführlich für G’s Ital. Reise u. das Römische Carneval gedankt u. dabei über die entscheidenden Wirkungen der Carnevalsmasken für ihr ganzes Leben berichtet, vgl. Weitz−Willemer 224f. 5 ) Diese Briefäußerung ist auch im Kontext der Mummenschanz in Akt I Sz. [3] anzusehen, zumal G der Freundin hier das ihn dabei stimulierende Werk von Francesco Valentini mit 20 illuminierten Kupfern (Berlin 1826) empfiehlt; s. oben 9. Febr 1826: Tgb. 6 ) Retzsch nahm den Auftrag an, doch verzögerte sich die Realisierung, auch weil Cotta 1832 starb. Im Juli 1833 kündigte Retzsch dessen Sohn Georg die Lieferung der ersten Platten an, 1836 erschienen endlich die Umrisse zu Goethes Faust Erster und zweiter Theil. Erster Theil neun und zwanzig Platten. Zweiter Theil elf Platten in Stuttgart u. Augsburg bei Cotta. − Da Cotta auf Vorschlag Eckermanns die erste Lieferung von Goethes nachgelassenen Werken (= C1 41−45) mit Abbildungen ausstatten wollte, ent2

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Mai 15. [Nachmittags] Herr Canzler von Müller . . . ingleichen Descrizione delle

Pitture del Campo Santo di Pisa mittheilend1) . . . Später für mich. Obige

italiänische Büchlein durchsehend. 16. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Göttling an G gD, S. 583) [vor Juni] (II H48 zu Akt II Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit Notizen zu 7857−60, 7967−79 u. P152 mit 8014−16)2) (II H49 zu Akt II Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7865−68, 7965−69, 8000f., 8026f. u. P153)3) (II H46) zu Akt II [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor mit 7801f., 7811f. u. 7817f. u. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meeres mit P151)4) Juni

2. Felix [Mendelssohn] dankend für das mitgetheilte alte eigenhändige

Manuscript.5) 6. [München] F. Mendelssohn an seine Eltern (GG 3.2, 631): Den andern Tag [2. Juni] schenkte er [G] mir einen Bogen seines Manuskripts von Faust,6) und hatte darunter geschrieben: Dem lieben jungen Freunde F. M. B., kräftig zartem Beherrscher des Pianos, zur freundlichen Erinnerung froher Maitage 1830. J. W. von Goethe 8. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 191): Nachmittags von 4 − 6 . . . „Eckermann versteht am besten, literarische Productionen mir zu extorquiren durch den sens[ue]llen Antheil, den er am bereits Geleisteten, bereits Begonnenen nimmt. So ist er vorzüglich Ursache, daß ich den Fausten fortsetze, daß die 2 ersten Acte des 2. Theils beinahe fertig sind.“ 12. Beachtung von Faust wieder vorgenommen . . . Abends allein. Plutarchs

Biographien vorgenommen. [nach 12.] (II H71 zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meers mit 8359−78 ohne 8369 u. 8376)7) stand eine erste Illustration zu den Faust-II-Versen 9800−07 (Akt III, Sz. [3] Arkadien) bereits 1832 und wurde dem Faust-Bd C1 41 (1832) als Frontispiz beigefügt; s. Robert F. Arnold: Die älteste Illustration zu Faust II. In: ChronWGV 37 (1932) 18−21, Abb. ebd. 19. 1 ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten wichtiges Werk von Giovanni Rosini (Erstausgabe 1816; 3. Aufl. 1829 in der Weimarer Bibliothek): Descrizione delle pitture del Campo di Pisa, coll’indicazione dei monumenti ivi raccolti. Con 9 figure intagliate in rame da G. Paolo Lasinio. Pisa 1829. Dort S. 47−61 Beschreibung des Freskogemäldes Gli anacoreti nella tebaide; s. oben 1. Nov 1818: Tgb. 2 ) II H48 (Bohnenkamp 516f.) Bleientwurf, entstanden vor H74, P152 bezieht sich auf das Auge, das sich Mephisto von den Phorkyaden erbittet (8014−16). − Zu H48 s. auch Bohnenkamp 517 u. FA I 7.2, 1014. 3 ) II H49 (Bohnenkamp 518f.) egh Entwürfe, datiert mit Hinweis auf II H42. P153 gestrichene isolierte Entwurfsnotiz zu 7865−67. − Zu H49 s. auch Bohnenkamp 520 u. FA I 7.2, 1014. 4 ) II H46 (Bohnenkamp 500) egh Entwürfe mit Blei, datiert mit Bezug auf H74, die die Verse enthalten. − Zuordnung von P151 schwierig, Bohnenkamp 501 votiert für Sirenen-Rede (8034−36), vgl. auch MA 18.1, 903 u. FA I 7.2, 1011. 5 ) s. das nächste Z: Mendelssohn an seine Eltern. 6 ) Zu Akt I Sz. [3] Weitläufiger Saal. − Reinschrift I Hg der im Herbst 1827 entstandenen Mummenschanz-Verse 5178−98, 5393−5422 u. 5441−56. 7 ) II H71 (W 15.2, 39) datierbar durch Theaterzettel. − Entwürfe zu Psyllen u. Marsen-Versen (8359−78).

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Juni 13. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 19. Juni 1830 − : P l u t a r c h u s von Chaeroneia: Vergleichende Lebensbeschreibungen. A. d. Griech. übersetzt . . . von Joh. Friedr. Sal. Kaltwasser. T. 3. Magdeburg 1801.)1) 14. Faust Hauptmotive abgeschlossen2) . . . Nachmittags Plutarch. 15. Neue Resolution wegen Faust.3) 15. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Schubarth an A. v. Goethe gD, S. 452) 18. (H P157 datiert: W. d. 18. Juni 30.)4) 25. An A. v. Goethe (Br 47, 112): Wenn Eckermann, bey soviel Lockungen

und Verführungen [in Italien], noch beysammen und ein rückwärts blikkender Mensch geblieben ist, so sag ihm: Die Walpurgisnacht sey völlig abgeschlossen,5) und wegen des fernerhin und weiter Nöthigen sey die beste Hoffnung. 28. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 194): [G:] „Voltaire, einer der größten Geister, hatte im hohen Alter die Schwachheit noch ein neues Trauerspiel [Ire`ne, 1778] von sich aufführen zu lassen; ich dagegen spüre immer mehr Neigung, das Beste, was ich gemacht und noch machen kann, zu secretieren.“ Juli

9. An Cotta (Br 47, 142f.): Verziehen möge werden daß ich die Angele-

genheit wegen des Damenkalenders nachschriftlich anbringe. Ich finde

1

) Bd enthält die Lebensbeschreibung von M. C. Marcellus, s. oben 18. Mai/4. Juni 1811: Riemer u. 10. Jan 1830: Eckermann Gespräch. 2 ) Vielleicht auf Abschluß von II H74 bezüglich; s. oben 1830 [Febr 21.?/Juni Mitte]: II H74 u. unten Juni 25.: an A. v. Goethe. 3 ) Die Resolution galt vermutl. der geplanten Hades-Sz.; s. unten 18. Juni 1830. 4 ) P157 (Bohnenkamp 525f.) ausführliche Fassung der schon im Febr 1830 notierten Stichworte zu Fausts geplantem Abstieg in den Hades. Die Überschrift Prolog des dritten Acts dokumentiert G’s Absicht, den zunächst als zentrale Szene der KWN gedachten Abstieg, statt in Akt II zu bringen, Akt III als Prolog voranzustellen. (Diese Resolution meint wohl der Tgb-Eintrag vom 15. Juni 1830). − Die Hades-Szene skizziert G so: Geheimer Gang Manto und Faust Einleitung des Folgenden Medusenhaupt Fernerer Fortschritt. Proserpina verhüllt. Manto tragt vor Die Königin an ihr Erdeleben erinnernd. Unterhaltung von der verhüllten Seite, melodisch artikulirt scheinend aber unvernemlich. Faust wünscht sie entschleyert zu sehen. Vorhergehende Entzükkung Manto führt ihn schnell zurück. Erklärt das Resultat Ehre den Antecedenzien Die Helena war schon einmal auf die Insel Leuce beschränkt. Jetzt auf Spartanischem Gebiet soll sie sich lebendig erweisen. Der Freyer suche ihre Gunst zu erwerben. Manto ist die Einleitung überlassen. Daß G die Hades-Szene als Prolog zu Akt III vorsah, beweist, daß er sie damals keineswegs für entbehrlich hielt. Möglich ist sogar, daß er noch kurz vorm Tode daran dachte, die Szene doch noch auszuführen; s. unten 24. Jan 1832: Tgb. − Zu P157 s. auch Bohnenkamp 527f. u. FA I 7.2, 1015. 5 ) Zur KWN lagen Ende Juni 1830 vor: 7005−8338 u. wohl auch der Sirenen-Gesang 8339−46. Es fehlte noch das in P124 u. P125 vorgesehene Fest an den Buchten des Aegäischen Meeres. Wenn G am 25. Juni 1830 die KWN für völlig abgeschlossen erklärt, so läßt das vermuten, er habe die vollständige Ausführung des ursprünglichen Plans aufgegeben. Doch die von Fischer-Lamberg 1955 geleistete Auswertung der chronolog. Indizien erweist den Abschluß vom Juni 1830 als vorläufig, s. [2.−17. Dez 1830]: II H70.

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unter meinen kleinen Gedichten auch nicht das Mindeste, was sich zu einer solchen Mittheilung eignen könnte . . . Auch habe ich die fernere Bearbeitung des Fausts durchgesehen, ob irgend eine anmuthende Stelle sich daraus absondern ließe; aber auch da hat alles nur im Zusammenhang einige Geltung, Charakter und Ton des Einzelnen würde dorthin gleichfalls nicht passen. Juli 13. [Nachmittags] Professor Riemer. Wir gingen die classische Walpurgisnacht durch, das Nöthige zu berichtigen.1) 31. [Nachmittags] Schubarth über Goethes Faust nach Vorlesungen in Schmiedeberg.2) Aug 9. An Eckermann (Konzept; Br 47, 171): Wir haben wenig zu erzählen, und hätten viel zu sagen, wovon ich nur soviel vermelde, daß die classische Walpurgisnacht zu Stande gekommen, oder vielmehr in’s Grenzenlose ausgelaufen ist.3) Hätten Sie solche noch vor Ihrer Abreise [22. Apr 1830] vernommen, so wären Sie vielleicht erstaunt; aber wie kann man den, der aus einer so weiten und großen Welt zurückkommt, noch in Verwunderung setzen. 24. [Dresden] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 321): H. v. Lützerode hat mir eine wahre Ungeduld eingeflößt,4) Ihren Faust in seiner Vollendung zu sehen. Sept 14. [Genf] Eckermann an G (GSA 28/286 St. 15):5) Zu meiner großen Freude habe ich aus einem Ihrer letzten Briefe [vom 9. Aug] in Genua ersehen, daß die Lücken und das Ende der klassischen Walpurgisnacht glücklich erobert worden. Die drei ersten Acte wären also vollkommen fertig, die Helena verbunden,6) und demnach das Schwierigste gethan. Das Ende ist, wie Sie mir sagten, schon da, und so wird wie ich hoffe, der vierte Act sich Ihnen bald überwunden ergeben und etwas Großes wäre zu Stande gebracht, woran künftige Jahrhunderte sich erbauen und üben möchten! Ich freue mich dazu ganz außerordentlich und werde jede Nachricht die mir das Vorrücken der poetischen Mächte vermeldet mit Jubel empfangen. Ich habe auf meiner Reise häufige Gelegenheit gehabt des Fausts zu gedenken und daraus einige klassische Stellen anzuwenden. Wenn ich in Italien die schönen Menschen und das Gedeihen der frischen Kinder sah waren mir die Verse zugegen: Hier ist das Wohlbehagen erblich! /Die Wange heitert wie der Mund; /Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich, /Sie sind zufrieden und gesund. Und so entwickelt sich am reinen Tage / Zu Vaterkraft das holde Kind. / Wir staunen drob, noch immer bleibt die Frage / Ob’s Götter, ob es

1

) Gräf II 2, 554 vermutet, daß bei dieser Gelegenheit das von Riemer (Mittheilungen 2, 664) erwähnte Gespräch stattfand; zum Ausdruck Luder s. in Akt II, Sz. [6] KWN, Am obern Peneios wie zuvor (7719): Und dennoch tanzt man, wenn die Luder pfeifen! 2 ) Ueber Goethe’s Faust. Vorlesungen. Berlin 1830; in G’s Arbeitszimmer (Ruppert Nr. 1950). Darin S. 370−85: Mutmassungen über Fortführung, Ende u. Epilog in Faust II; G dankte am 8. Okt 1830. 3 ) s. oben 25. Juni 1830: an A. v. Goethe. 4 ) G traf Lützerode laut Tgb am 29. Juli. 5 ) Abschrift von Schreiberhand. 6 ) Mißverständnis Eckermanns, der angesichts früherer Entwürfe davon ausging, daß in einer Abschlußsequenz zu Akt II Faust Helena im Hades von Persephone losbittet; s. oben 15. Juni 1830: Tgb mit. Anm.

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Menschen sind. [9550−57] Dagegen, wenn ich von dem Anblick der schönen Natur hingerissen Herz und Augen an Seen Bergen und Tälern weidete, schien irgendein unsichtbarer kleiner Teufel jedesmal sein Spiel mit mir zu treiben, indem er mir die Verse souflirte: Und hätt’ ich nicht gerüttelt und geschüttelt, / Wie wäre diese Welt so schön! [7552f.] Alle vernünftige Anschauung war sodann mit einem mal verschwunden, die Absurdität fing an zu herrschen ich fühlte eine Art Umwälzung in meinen Eingeweiden und es war keine Hülfe, als jedesmal mit Lachen zu endigen.1)

Okt

2. Herr Professor Huschke, auf seiner Durchreise von Hamburg kom-

mend, die ersten Nachrichten von der dortigen Versammlung bringend.2)

1

) Fast vollständig übernommen in die Gespräche, nur zwei stilistische Änderungen: zuflüsterte statt souflirte und in meinem Innern statt in meinen Eingeweiden. (FA II 12, 413) 2 ) G. W. Hertz vertrat 1913 in Goethes Naturphilosophie im Faust u. danach ausführlicher im Aufsatz Der Schluß der ,Klassischen Walpurgisnacht’ von 1915 erstmals die Auffassung, G habe die das Meeresfest abschließenden 8445−87 im Dez 1830 erst dichten können, nachdem er durch Berichte von der 9. Versammlung deutscher Naturforscher u. Ärzte in Hamburg (18.−25. Sept 1830) erfuhr von der Schrift des Kieler Arztes G. A. Michaelis Das Leuchten der Ostsee(Hamburg 1830): Jeder unbefangene Leser wird in diesen Versen, die die Sirenen am Schlusse der ,Klassischen Walpurgisnacht’ singen [8474−8478], das Bild eines Meerleuchtens erblicken. Und doch ist dieses Meerleuchten in fünfundsiebzig Jahren emsigster Forschung nicht als solches erkannt worden, weil man die naturphilosophischen Vorgänge und Gespräche im zweiten Teile des ,Faust‘ nur geringer oder gar keiner Beachtung für würdig hielt. (Hertz 1915, 281) Der Dichter hatte seinen Homunculus ins Meer hinausgeschickt, damit er sich auf der untersten Stufe des Lebens einen organischen Körper gewinne. An eine Vorführung dieses Vorgangs auf der Bühne hatte er damals nicht gedacht. Jetzt aber drängte sich ihm von außen ein Bild auf, wie geschaffen, um dem nächtlichen Seefest im Ägäischen Meere einen Schluß von berauschender Schöne zu geben: das Meerleuchten! . . . Ein solcher Glücksfall war für den Dichter die Entdeckung von Michaelis, daß das Meerleuchten durch die Lebenstätigkeit von Infusorien erzeugt werde. Wie wunderbar anziehend mußte es Goethe berühren, daß es nicht allein das in den Phantasiegestalten der Meereswesen verkörperte Alleben ist, das die Fluten durchpulst, sondern daß unermeßliche Fülle leibhaftig-greifbar gestalteter, doch traumhaft zarter Wesen mit wirklichem, natürlichem Leben im Meeresleuchten aufflammt. Und daß eben dieses Leben nach ewigen Normen, im grenzenlosen Wandel der Formen sich steigernd, zur klassischen Schönheit menschlicher Gestalt emporstrebt. Mit dieser Erkenntnis fand die symbolische Bedeutung des Eingehens der Monade ins organische Leben durch Vermählung mit dem Ozean, wie sie in dem vorläufigen Schlußbild bereits vorgeführt war, eine unerwartete reale Bestätigung: die Idee bewährte sich nachträglich als übereinstimmend mit der Natur.(Hertz 1931, 177f.) − Schöne FA I 7.2, 531f. schloß sich Hertz an: Auch diesen Szenenschluß, bei dem sich im Meeresleuchten die Entstehung des organischen Lebens bezeugt, haben ihm die Naturforscher vorgeschrieben. Im Oktober 1830 hat Goethe von neuen Untersuchungen der Infusorien durch Ehrenberg 1828 erfahren . . . und wohl gleichzeitig von G. A. Michaelis’ Studie über das von solchen Geißeltierchen hervorgerufene Meeresleuchten in der Ostsee.− Hertz stützte seine Annahme, daß G von Michaelis’ Entdeckung erfahren habe, vor allem auf Huschkes Bericht: . . . so entspricht es der Natur der Sache, daß Huschke dem Dichter auch von den Kämpfen über die Urzeugung und über das Wesen der Infusorien berichtete. Danach ist es wohl selbstverständlich, daß dabei auch die Entdeckung von Michaelis über die Ursache des Meerleuchtens zur Sprache gekom-

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Okt 5.1) B. G. Niebuhr: Römische Geschichte. Zweyte, völlig umgearbeitete, Ausgabe. Zweyter Theil. Berlin 1830, V: . . . jezt blicken wir vor uns in eine, wenn Gott nicht wunderbar hilft, bevorstehende Zerstörung, wie die römische Welt sie um die Mitte des dritten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung erfuhr: auf Vernichtung des Wohlstands, der Freyheit, der Bildung, der Wissenschaft. Wenn aber auch Verwilderung lange Jahre hindurch Musen und Gelehrsamkeit ganz verscheuchen sollte, so wird doch einmal eine Zeit wiederkommen wo, anders freylich als im funfzehnten Jahrhundert, die römische Geschichte aufs neue beachtet und geliebt werden wird.2) 5. An Zelter (Br 47, 274−76):3). . . es ist Sonntag Morgens und von außen

beunruhigt mich nichts; denn fast sind wir schon der neusten in der

men ist. (Hertz 1931, 172) Ob die Schrift von Michaelis Über das Leuchten der Ostsee, nach eigenen Beobachtungen nebst einigen Bemerkungen über diese Erscheinung in anderen Meeren (Hamburg 1830) in Hamburg vorlagu. verhandelt wurde, läßt sich nicht mehr ermitteln. Ehrenberg zufolge erschien ein Aufsatz Ueber einen neuen, das Leuchten der Ostsee bedingenden, lebenden Körper, in Annalen der Physik. Leipzig, Bd 23 (1831) St. 1, S. 147−51. Der von den Geschäftsführern J. H. Bartels u. J. C. G. Fricke erstattete Bericht über die Versammlung der deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg 1830 (Hamburg 1831) wie auch ein ausführlicher Bericht über die Versammlung in der Zs. Isis,1831, Heft VIII−X erwähnt Michaelis’ Schrift nicht. Ehrenberg selber kommt als Zeuge nicht in Betracht; s. dazu unten 21. Okt 1830: Tgb. So läßt sich Hertz’ These, daß Michaelis’ Entdeckung auf Fausteinwirkte, dokumentarisch nicht stützen, zumal die Begriffe ’Meerleuchten‘ bzw. ’Meeresleuchten‘ nirgend bei G vorkommen. 1 ) Datierung der Vorrede. 2 ) Brisante Stellungnahme zum Zeitgeschehen mit Einfluß auf G; s. unten 17. Dez: Niebuhr an G m. Anm. u. 3. Jan 1831: Tgb. 3 ) Das Z, ohne direkten Bezug zu Faust, wird hier nur angeführt, um die politischen Begleitumstände als Folge der franz. Julirevolution anzudeuten, die G tief erregten, wogegen er sich aber um seines Werks willen abzuschirmen suchte. Um zu verhindern, daß sein Sohn sich in der Ferne aufgrund von Gerüchten die Zustände schlimmer vorstellte, berichtete er ihm in einem Brief vom 17. Sept − 2. Okt 1830 (Br 47, 260−64), daß ein alberner Nachahmungstrieb überall, mehr oder weniger Rottirungen, wilde Händel, Brennereyen hervorgebracht . . . In Leipzig haben sie Häuser gestürmt, in Dresden das Rathhaus verbrannt und die Polizeyarchive zerstört . . . In Braunschweig geschah das Absurdeste; die Feuerlustigen manövrirten neben den Kanonen vorbey, die man gegen sie aufgeführt hatte und brannten die eine Seite des Schlosses ganz ruhig und ungestört nieder . . . Von unsern Zuständen muß ich dir sagen was dir vielleicht schlimmer zu Ohren käme. Jenes oben gemeldete Übel ist uns immer näher gerückt. Gera, Altenburg, besonders letztes ist stark beschädigt worden. In Jena ist es schon über 14 Tage unruhig . . . doch mußte man zuletzt Militair hinüber schicken. Auch hier am Orte waren schon die wildesten Drohungen ausgestreut, die Personen genannt, welche man, in und mit ihren Häusern, zu beschädigen gedachte. Der Großherzog war abwesend, doch nach einigem Zaudern entschloß man sich unser sämtliches Militair heranzuziehen, achthundert Mann im Ganzen. Da mit und mit sonstiger Vorsicht hoffen wir durch zu kommen. Eisenach und Ilmenau mußten durch Klugheit beschwichtigt werden. Wohl dir daß du indessen in dem herrlichen Campanien hausest. Im nächsten Brief an den Sohn vom 8./10. Nov 1830 berichtet G: Ueber die tumultarische Volks=Erregung[en] sind wir glücklich hinausgekommen; Weimar hat sich in allen Ehren und Würden erhalten. (Br 48, 276) Noch vor Ausfertigung dieses Briefes erhielt G am Abend des 10. Nov die Nachricht vom Tod seines Sohnes in Rom.

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Volks- und Pöbelmasse aufgeregten Wildheiten gewohnt, auch Durchmärsche nehmen wir als bekannt an. Wundersam kommt mir freylich vor daß sich nach vierzig Jahren der alte tumultuarische Taumel wieder erneuert . . . Vorstehendes liegt schon viele Wochen. Das Pariser Erdbeben hat seine Erschütterungen durch Europa lebhaft verzweigt; ihr habt davon ja auch einen Fieberanstoß empfunden. Alle Klugheit der noch Bestehenden liegt darin, daß sie die einzelnen Paroxysmen unschädlich machen, und das beschäftigt uns denn auch an allen Orten und Enden. Kommen wir darüber hinaus, so ist’s wieder auf eine Weile ruhig. Okt

8. (s. „Faust. Eine Tragödie“ an Schubarth gD, S. 453) 21. [Nachmittags] Organisation Syste´matique und geographisches Verhält-

niß der Infusionsthierchen als Geschenk angekommen und nähere Kenntniß davon genommen.1) Nov 27. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: Ueber die Helena von Göthe gD, S. 583) 30. An Eckermann (Br 48, 24): Haben Sie die Güte . . . beykommende . . .

Gedichte nochmals durchzugehen . . . Faust folgt hierauf!2) 30. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 424f.): Goethe setzte uns vorigen Freitag [26. Nov] in nicht geringe Sorge, indem er in der Nacht von einem heftigen Blutsturz überfallen wurde und den ganzen Tag nicht weit vom Tode war . . . Die große Geschicklichkeit seines Arztes . . . verbunden mit seiner unvergleichlichen Natur, haben jedoch auch diesmal gesiegt . . . Es darf niemand zu ihm . . . doch sein ewig reger Geist kann nicht ruhen, er denkt schon wieder an seine Arbeiten. Diesen Morgen erhielt ich von ihm folgendes Billet, das er mit der Bleifeder im Bette geschrieben.3) . . . Nach Goethes rasch erfolgender völliger Genesung wendete er sein ganzes Interesse auf den vierten Akt des Faust,4) so wie auf die Vollendung des vierten Bandes von Wahrheit und Dichtung. 1

) Eingang der Publikation Organisation, Systematik und geographisches Verhältniß der Infusionsthierchen (Berlin 1830) von Christian Gottfried Ehrenberg mit Begleitbrief vom 12. Okt 1830, in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 4519). − Die Publikation enthält die in der Berliner Akademie der Wissenschaften am 10. Jan 1828, am 4. u. 18. März 1830 gehaltenen Vorträge: Die geographische Verbreitung der Infusionsthierchen in NordAfrika und West-Asien, beobachtet auf Hemprichs und Ehrenbergs Reisen, S. 1−20 u. Beiträge zur Kenntniß der Organisation der Infusorien und ihrer geographischen Verbreitung in Sibirien, S. 21−108. − G sah das große Verdienst von Ehrenbergs Vorträgen in dem Nachweis, daß in dem Wasser unter allen Himmelsstrichen sich gleiche einfache Gestalten hervorthun, die sich denn hernach durch Entwicklung und Assimilation, als den Haupt-Wirksamkeiten des Lebendigen, auf das wunderbarste vermannichfaltigen mögen. (an C. G. Ehrenberg, 6. Nov 1830; Br 48, 6). Er fand damit sein vordarwinistisches Entwicklungskonzept bestätigt; über das Meeresleuchten der Infusorien enhält die Publikation nichts. Hinweis auf Ehrenberg mit Bezug auf Akt II bei Herwig 2004, 72 u. Borgards 2012, 164. 2 ) Hertz 1931, 176: Unter ,Faust‘ ist hier zu verstehen die Hauptreinschrift H des zweiten Teiles, die − von der ,Helena‘ und den Kernszenen des fünften Aktes abgesehen − damals fortgeführt war bis zum ,Echo, Chorus der sämtlichen Kreise: Du bists, dem das frischeste Leben entquellt’ (8444). 3 ) Folgt Zitat des Briefs an Eckermann vom 30. Nov; s. das vorhergehende Z. 4 ) Falsch, bedarf der Korrektur; s. unten 2. Dez 1830: Tgb.

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(V Hg1 zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 12032−35, 12069−75 mit weiteren sechs Zeilen)1) (V Hg2 zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 12032−35, 12069−75 mit weiteren vier Zeilen, 12084−95, 12104−11)2) (V He zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 11981−96; 12013−19 u. P209)3) (V Hd zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 11954−57, 11966−80, 11989−96, 12013−19 u. P208 u. P209)4)

[Anf.] (V Hc zu Akt V Sz. [6] Grablegung mit 11836−39 u. Sz. [7] Bergschluchten mit 11926−41, 11954−65, 12076−79 u. P208)5) [2./17.] (II H70 zu Akt II Sz. [7] KWN, Felsbuchten des Aegäischen Meeres mit 8347−457, ohne 8376, 8402f.)6) 2. Nachts an Faust gedacht und einiges gefördert.7)

1

) V Hg1 (Bohnenkamp 796) egh Entwürfe mit Blei, datiert nach Bohnenkamp 798; nach Landeck 205 Vorarbeiten für den Chor der Büßerinnen (12032−36) u. die Rede der Una Poenitentium (12069−75). − Zu Hg1 s. auch Bohnenkamp 798 u. FA I 7.2, 1062. 2 ) V Hg2 (Bohnenkamp 797) Reinschrift durch John, beruhend auf u. datiert nach V Hg1. 3 ) V He (Bohnenkamp 788f.), datiert nach Hertz 1932, 263; Arbeitsreinschrift diktiert u. egh überarbeitet. − P209 Einfall, der keinen Eingang fand in die Endfassung. − Zu He s. auch Bohnenkamp 790 u. FA I 7.2, 1062. 4 ) V Hd (Bohnenkamp 791−93), datiert nach Bohnenkamp 793, welche Bezug nimmt auf Hertz 1932, 263; Entwürfe nach Diktat, von G egh überarbeitet. Landeck 199 stellt fest: HdRs [11989−96 u. 12013−19] ist als die vorübergehende Reinschrift des Entwurfs He zu betrachten. − P208 Var: Entwurfszeilen für Doctor Marianus. − P209 Var: Einfall, der keinen Eingang fand in die Endfassung. − Zu Hd s. auch Bohnenkamp 793 u. FA I 7.2, 1062. 5 ) V Hc (Bohnenkamp 799−801) datierbar durch Gedichtentwurf. Vs: Chor seliger Knaben über dem Gipfel hoch in der Atmosphäre (11926−33): Hände verschlinget Freudig zum Ringverein Regt euch und singet Heilge Gefühle drein Gottlich belehret Dürft ihr vertraun Den ihr verehret Werdet ihr schaun Engel hoch in der Atmosphäre (11934−41): Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen Wer immer strebend sich bemüht Den können wir erlösen Und hat an ihm die Liebe gar Von oben Theil genom[men] Er wandelt mit der Seelgen Schar Und bildet sich vollkom[men] Ein Theil des Chor [:] . . . (11954−65): Doch bleibt ein Erdenrest Zu tragen peinlich Und wär er von Asbest Er ist nicht reinlich − Rs: Wenn hohe Geistes Kraft Die Elemente An sich herangerafft Kein Engel trennte Geeinte Zwienatur Die zarten beyden Die ewige Liebe nur Vermags zu scheiden Rs: 4 Verse der Seligen Knaben: 12076−79 u. P208 drei für Doctor Marianus vorgesehene Verse; vgl. 12001−4. − Rs links quer Entwürfe zu Mephistos Klage 11836−39 über vertanen Aufwand, die den neuen Schluß der Sz. [6] Grablegung bildet. − Zu Hc siehe auch Bohnenkamp 801 u. FA I 7.2, 1062f. 6 ) II H70 (W 15.2, 39) datierbar durch Briefkonzepte u. Tgb-Einträge: 2./17. Dez 1830, anschließend an II H74, s. oben 1830 [Febr 21.?/Juni Mitte]: II H74 u. Juni 14.: Tgb u. 25.: an A. v. Goethe; noch fehlt der Szenenschluß mit 8458−87. 7 ) Seit 13. Juli erstmals wieder ein auf Arbeit am Faust bezüglicher Tgb-Eintrag; s. oben 15. Juni − Dez 1830 entstand außer dem Schluß der KWN ein neuer Schluß von Faust II mit der Sz. Bergschluchten.

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[Dez 2.?] (H P195 zu Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts u. Sz. [6] Grablegung)1) [nach 2.] (H P194 zu Akt V Sz. [4] Mitternacht, Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts u. Sz. [6] Grablegung)2) 3. Nach 1 Uhr [nachts zum 4.] einige Stunden gewacht. Verschiedenes in

Gedanken gefördert. Bis früh geschlafen. [Früh] Einiges am Faust. [ca. 5.] (V H34 zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 11854−65)3) [5./12.] (H P196 zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 12032−1114) [1.Drittel] (V H33I u. V H33II zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 11844−941, ohne 11902f. u. 11954−80)5) 6. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) 6. [Weimar] Eckermann an Th. Carlyle (Norton 244f.): Vor allen freue ich mich nun [nach G’s überstandener schwerer Krankheit] auf die Vollendung des Faust woran jetzt so viel gethan, dass sie nicht ferner zu den Unmöglichkeiten zu rechnen ist. Ich freue mich dazu als zu einem Werk das an Umfang und inneren Reichthum nicht seines Gleichen haben wird, indem es nicht allein nach allen Verhältnissen der geistigen und sinnlichen 1

) H P195 (Bohnenkamp 752) Egh Schema-Entwurf, Datierung (aufgrund eines erledigten Entwurfs zu TuJ 1820 u. Schemas zu DuW) folgt Schillemeit 1996, 365 abweichend von früheren Forschern (z.B. Hertz 1932, 250, Bohnenkamp 753): nicht schon Febr 1825, sondern erst Anf. Dez 1830.. − P195 Zeile 1−18 (Bohnenkamp 752, links): [Leiche Lemuren legen ihn ins Grab Zieh[en] sich zu[rück] Satane Verwesung Seele entflieh[t] Später Satane in Angst zu erhaschen Gesang fern Meph. Argerlich Engel nah Wort Streit Die Engel streun Rosen Die Satane hauchen Sie welken] Zeile 19−35 (ebd. rechts): [Die Rosen in Flam[men] verwandelt flieg[en] auf Geg[en] die Satane diese entflieh[en] Meph. halt aus. Liebespein Engel schaaren Sata[ne] drohn Meph. ab zur Appellation. Da Capo. Himmel Christus Mutter u Evangelisten u alle Heiligen Gericht uber Faust.] − Noch wollte G an den Plan von 1797/98 anknüpfen; erst unmittelbar nach P195 ersetzte die Bergschluchten-Szene das Gericht über Faust. − Zu P195 s. auch Bohnenkamp 753−55 u. FA I 7.2, 1060f. 2 ) H P194 (Bohnenkamp 756f.) datierbar durch Bezug zu P195: vermutl. nach 2. Dez 1830. − P194 Johns Schema-Reinschrift anschließend an P195; darum wieder abweichend von früherer Forschung. Zeile 1f. setzt ein mit den in P195 noch fehlenden Stichworten Vier graue Weiber. Faust und die Sorge, dann wie dort Skizzen zu Großer Vorhof des Palasts u. Grablegung, endend mit Meph. zur Appellation. Keine Stichworte mehr zum Gericht über Faust. − Zu P194 s. auch Bohnenkamp 757 u. FA I 7.2, 1061. 3 ) V H34 (W 15.2, 148) datierbar durch Briefkonzept: um 5. Dez 1830: Entwurf zu den Pater Extaticus-Versen (11854−65), hier noch bezeichnet: Ein Bruder in Verzückung. 4 ) H P196 (Bohnenkamp 794f.) datierbar durch Briefkonzepte: 5./12. Dez 1830 Schemaentwürfe zu den letzten Gestalten (Zeile 1−10): Chor der Bußerin[nen] Maria Magdalen[a] Die Samariterin Chor Gretchen Seel. Knabe[n] Gretchen Mater gloriosa Doctor Marianus Chorus in excelsis. − (Zeile 11−23): Chor der Busserin[nen], Magna Peccatrix zu drey Mulier Samaritana zu drey Maria Egyptiaca zu drey . Gretchen Seel. Knaben Fortsezung Gretchen Mater gloriosa Doctor Marianus Chorus in excelsis. Erst in H erscheint Gretchen als Una Poenitentium u. als eine Büßerin. − Zu P196 s. auch Bohnenkamp 795 u. FA I 7.2, 1062. 5 ) V H33I u. V H33II (Landeck 178−82) enthalten die egh Reinschrift der 1. Hälfte der Sz. (11844−980, ohne 11902f. u. 11942−53). Sie gehörten wahrscheinlich zu den Manuskripten zum Faust, die G am 30. Nov 1830 Eckermann angekündigt hatte u. die dieser am 12. Dez 1830 zurückbrachte; s. unten 12. Dez 1830: Tgb. datierbar durch Bezug zu V H34 u. V Hc.

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Welt hinrührt, sondern auch die menschliche Brust mit allen ihren Leidenschaften und Thätigkeiten, mit ihren Richtungen auf das Wirkliche, so wie auf die imaginären Regionen des Glaubens und Aberglaubens vollkommen ausspricht, und zwar in allen denkbaren Formen und Versen der Poesie. Deutschland wird sich daran üben um es zu verstehen und vollkommen zu geniessen, und die Nachbarnationen werden es ihren vorzüglichsten Talenten danken, wenn sie dieses Deutsche Product durch immer gelungenere Versionen bey sich national machen.1)

Dez

6. . . . Nachts wachend, alles Vorliegende durchgedacht und gefördert. 11. Einiges Poetische.2) 12. Einiges zu Faust . . . Mittag Dr. Eckermann. Brachte das Manuscript

13. 14. 14. 15. 16. 17.

von Faust zurück.3) Das darin ihm Unbekannte wurde besprochen, die letzten Pinselzüge gebilligt. Er nahm die Classische Walpurgisnacht mit. Weitere Ergänzung des Faust4) . . . Mittag Dr. Eckermann. Wurde die Classische Walpurgisnacht besprochen. Bey Zeiten zu arbeiten angefangen. Das Poetische blieb im Gange . . . Mittag Dr. Eckermann. Die Walpurgisnacht näher besprochen. Agenda (Tgb 13, 261): Weller Tagebücher. Dr. Marianus.5) An Faust fortgefahren . . . Mittag Dr. Eckermann. Unsre litterarischen Unterhaltungen fortgesetzt. An Faust fortgeschrieben . . . Mittag Dr. Eckermann. Fortsetzung litterarischer Gespräche. Abschluß von Faust und Mundum desselben . . . Mittag Dr. Eckermann . . . Ich gab ihm den Abschluß von Faust mit.

17. [Bonn] B. G. Niebuhr an G (Vischer 4, 156−58): Für den zweyten Teil der römischen Geschichte6) darf ich voraussezen dass Ihre Zufriedenheit mit dem ersten ihm ein günstiges Vorurtheil bereitet hat . . . In meines Vaters Leben werden Sie finden dass er in seinem hohen Alter einen Blutsturz hatte wie der welcher uns für Sie vor ein Paar Wochen in ängstliche Sorgen setzte: − aber jener gab mir und den meinigen Zuversicht, da mein Vater sich danach weit besser befand. Mögen Sie uns lange, lange erhalten bleiben!7) So lange Sie, als gegenwärtige Gottheit, in unsrer Mitte verweilen, steht der 1

) Das Folgende s. in „Faust. Eine Tragödie“: Eckermann an Th. Carlyle gD, S. 454. ) Landeck 210 bezeichnet den 11. Dez 1830 als spätesten Terminus ante quem für V H33, da G am 12. Dez die Reinschriftblätter H33 von Eckermann zurückerhielt, die dieser vermutl. bei seinem Besuch am 7. Dez mitgenommen hatte. 3 ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten s. oben [1. Drittel Dez 1830]: V H33. 4 ) Hertz 1931, 176: . . . am 13. Dezember wurde der Dichter überrascht durch eine neue Vision: dem Motiv der Entkörperlichung . . . Mit einem Schlage waren so gefunden die fehlenden Bilder für den Schluß des fünften Aktes und des zweiten Aktes. 5 ) Als erledigt gestrichen; s. 18. Dez 1830: an Weller. 6 ) Römische Geschichte von Barthold Georg Niebuhr. Zweyter Teil. Zweyte, völlig umgearbeitete Ausgabe. Berlin 1830; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 3304); s. unten 3. Jan 1831: Tgb. − Hinweis auf einen Bezug zu Faust II bei Boyle 1981, 17−19 u. Jaeger 2014, 421−28. 7 ) Niebuhr selbst starb bereits am 2. Jan 1831, wovon G am 9. Jan noch während der Lektüre der Römischen Geschichte erfuhr. 2

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Barbarey und Ausartung eine Macht entgegen, nach deren Verschwinden alles unter ihre Gewalt fallen würde. Das Urtheil in meiner Vorrede1) über die Zukunft hat vielen Ärgerniss gegeben, die da glauben, es sey eine herrliche Zeit: ich glaube nicht dass Sie es irrig finden, noch zweifeln dass wir der rohsten und widerlichsten Barbarey grade entgegen gehen. Die grässliche Zeit, welche uns bald flüchtig zu werden erwarten lässt, hat mich über das eben vollendete Werk gleichgültig gemacht; daher die verspätete Zusendung.

Dez 18. An Chr. E. F. Weller (Br 51, 573): Wenn ich mich recht erinnere, so

hat in der mittlern Zeit sich ein Gottesgelehrter durch seine Verehrung der Maria und eine dogmatisch rednerische Verherrlichung derselben den Namen Doctor Marianus erworben, eine nähere Nachricht hierüber würde mir sehr angenehm seyn.2) 21. Weniges Poetische. 30. [Nachmittags] Ich las Letters on Demonology and Witchcraft von Walter Scott, offenbar geschrieben, um den vorwaltenden Aberglauben zu beseitigen. Man blickt in die wunderbarsten Zustände, wenn man genau betrachtet, wogegen er ficht und mit was für Waffen.3)

18314) Jan

3. Kam eine angenehme Sendung . . . von Niebuhr, Römische Geschichte

2. Theil. Ich las sogleich die kurze Vorrede, die man ihm schrecklich übel nimmt, weil er das drucken ließ, was gar viele im Stillen fürchten5) . . . [Nachmittags] Las weiter in Niebuhrs Römischer Geschichte 2. Theil. Kriege und anderes, besonders auch Besitz und Eigenthum betreffend. Wie nach und nach die Anstellung der Decemvirn herankommt.6) 4. An Zelter (Br 48, 72f.): Die zwey ersten Acte von Faust sind fertig.7) Die Exclamation des Cardinals von Este, womit er den Ariost zu ehren glaubte,8) möchte wohl hier am Orte seyn. Genug! Helena tritt zu An1

) s. oben 5. Okt 1830: Niebuhr, Vorrede. ) Zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten (vor 11989): Doctor Marianus. − Antwort unbekannt (Bulling 1932, 23). 3 ) Letters on demonology and witchcraft, addressed to J. G. Lockhart, Esq. by Sir Walter Scott. Paris 1831. Vielleicht im Zsh. mit Akt IV verwendet (Morris 1902 I 109−11; E. Schmidt 1902, 382; Witkowski 1906, 360; Beutler 1940, 624f.), Lektüre im Tgb nachweisbar für 31. Dez 1830, 1831 Jan 1., 2., 5. u. 6. 4 ) Zur polit. Situation: Freiheitliche Bewegungen in Kurhessen, Braunschweig u. Sachsen unter dem Einfluß der frz. Julirevolution u. des poln. Aufstands. 5 ) s. oben 5. Okt 1830: Niebuhr, Vorrede. 6 ) s. unten 5. Jan 1831: F. v. Müller. 7 ) Weiteres Argument für die These, daß der Schluß der KWN erst Dez 1830 gedichtet wurde. Hätte er schon Juni 1830 vorgelegen, käme die bekundete Erleichterung etwas spät. 8 ) Kardinal Ippolito d’Este soll Ariost zugerufen haben: Dove, diavole, Messer, avete 2

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fang des dritten Acts, nicht als Zwischenspielerin, sondern als Heroine, ohne weiteres auf. Der Decurs dieser dritten Abtheilung [Akt III] ist bekannt; inwiefern mir die Götter zum vierten Act helfen, steht dahin.1) Der fünfte bis zum Ende des Endes steht auch schon auf’m Papiere.2) Ich möchte diesen zweyten Theil des Faust, von Anfang bis zum Bacchanal, wohl einmal der Reihe nach weglesen. Vor dergleichen pfleg ich mich aber zu hüten; in der Folge mögen es andere thun, die mit frischen Organen dazu kommen, und sie werden etwas aufzurathen finden. Jan

5. [Weimar] F. v. Müller (Unterhaltungen 198f.): 6−8 Uhr Abends . . . Niebuhrs gehaltvoller Brief [vom 17. Dez 1830] bey Übersendung des 2. Th. seiner Römischen Geschichte. In der Vorrede wird ein Zeitalter der Barbarey als Folge der Französischen und Belgischen Revolution geweissaget. „Der Wahnsinn des Französischen Hofes hat den Talisman zerbrochen, der den Daemon der Revolution gefesselt hielt.“ „Die Fantasie wird durch Niebuhrs Werk zerstört, sagte Goethe, aber die klare Einsicht gewinnt ungemein.“ . . . Es schien ihm Bedürfniß diesen Abend recht viel, was mir interessant seyn möchte, mitzutheilen. „Man sollte das öfter thun, sagte er, oft kann man damit einem Freunde Freude machen und mancher gute Gedanke keimt dabey auf. Nun, wenn ich erst meine Testaments Sorge vom Herzen habe, dann wollen wir wieder frisch auftreten. Zehn neue Bände meiner Schriften [Ausg. letzter Hand] sind schon fast parat; vom Faust der 5. Act und der zweyte fast ganz. Der 4. muß noch gemacht werden, doch im Nothfall könnte man ihn sich selbst construiren, da der Schlußpunct im 5. Act gegeben ist.“ 8. An Zelter (Br 48, 76): Auch bleibt in literarischen und poetischen Din-

gen nichts im Stocken, ich suche alles, wenn auch nur Schritt vor Schritt, weiterzuführen. 15. An Zelter (Br 48, 86f.): Von dem unschätzbaren Niebuhr erhielt ich, vor ungefähr drey Wochen [am 17. Dez], einen schönen Brief zu Begleitung seines zweyten Theils der römischen Geschichte . . . Das wichtige Buch traf mich gerade zu guter Stunde, wo ich auf alle Zeitungen Verzicht gethan hatte. Ich begab mich daher sehr gern wieder in jene alten Zeiten und las mich in das Werk anhaltend hinein, welches denn freylich nöthig ist, um von einer solchen Existenz wirklich umfangen zu werden. Eigentlich ist es nicht mein Bestreben, in den düstern Regionen der Geschichte bis auf einen gewissen Grad deutlicher und klarer zu sehen; aber um des Mannes willen, nachdem ich sein Verfah-

tante coglionerie? − Nach F. v. Müller gebrauchte G diese Wendung mit Bezug auf Wilhelm Meisters Lehrjahre schon am 22. Jan 1821: Bey jetziger Wiederlesung hätte ich fast zu mir selbst − wie einst zu Ariosto der Cardinal von Este − sagen mögen: ,Meister Ludwig, wo Hencker habt ihr all das tolle Zeug (Cujonerie) hergenommen?’ (Unterhaltungen 44). 1 ) Zu Akt IV vgl. unten Febr 13. mit Eckermann. 2 ) Diese gegenüber F. v. Müller und Eckermann wiederholte Aussage trifft nur partiell zu, da die drei Eingangsszenen von Akt V erst Apr/Mai 1831 entstanden; s. 1831 Jan 5.: F. v. Müller u. Febr 13.: Eckermann.

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Jan

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ren, seine Absichten, seine Studien erkannte, wurden seine Interessen auch die meinigen. Niebuhr war es eigentlich und nicht die Römische Geschichte, was mich beschäftigte . . . Die sämmtlichen A c k e r g e s e t z e gehen mich eigentlich gar nichts an, aber die Art, wie er sie aufklärt, wie er mir die complicirten Verhältnisse deutlich macht, das ist’s, was mich fördert, was mir die Pflicht auferlegt, in denen Geschäften, die ich übernehme, auf gleiche gewissenhafte Weise zu handeln . . . Auf diese Weise leb ich nun beynahe einen Monat mit ihm als einen Lebenden. Ich habe das wirklich furchtbar anzuschauende Werk durchgelesen und mich durch das Labyrinth von Seyn und Nicht-Seyn, von Legenden und Überlieferungen, von Mährchen und Zeugnissen, von Gesetzen und Revolutionen, von Staatsämtern und deren Metamorphosen und von tausend andern Gegensätzen und Widersprüchen durchgeschlungen, und hatte mich wirklich bereitet, ihm eine freundliche Erwiderung zu senden.1) 22. [Weimar] Nachtrag zu Goethes Testament (QuZ 2, 694): Die meiste Aufmerksamkeit [bei der weiteren Ausg. letzter Hand] verdienen die, aus Manuscripten, gesammelten Druckschriften bestehenden Zehn bis zwölf Bände, welche in Gefolg der Vierzig heraus gegeben werden könnten. Sie bestehen . . . 3., Faust, zweiter Theil; der zweyte und dritte Act vollendet, so daß nunmehr Helena, als Heroine, im dritten Act auftritt. 22. [Craigenputtock] Th. Carlyle an G (Norton 253f., 258f.): What Dr. Eckermann [im Brief vom 6. Dez 1830] mentions of your being busied with a Continuation of Faust could not be other than great news for me2) . . . The Saint Simonians in Paris have again transmitted me a large mass of their performances: Expositions of their Doctrine; Proclamations sent forth during the famous Three Days; many numbers of their weekly Journal. They seem to me to be earnest, zealous, and nowise ignorant men, but wandering in strange paths. I should say they have discovered and laid to heart this momentous and now almost forgotten truth, Man is still Man; and are already beginning to make false applications of it. I have every disposition to follow your advice, and stand apart from them; looking on their Society and its progress nevertheless as a true and remarkable Sign of the Times.3)

1

) Barthold Georg Niebuhr war jedoch am 2. Jan 1831 gestorben. ) Übers. von Ilse Bronisch: Die Mitteilung Dr. Eckermanns, daß Sie mit einer Fortsetzung des Faust beschäftigt sind, mußte mir natürlich höchst wichtig sein. – Das Folgende s. in „Faust. Eine Tragödie“: Th. Carlyle an G gD, S. 455 f. 3 ) Übers.von Ilse Bronisch: Die St. Simonisten in Paris haben mir wieder einen großen Haufen ihrer Schriften zugeschickt: Darlegungen ihrer Lehre, Proklamationen, die während der berühmten drei Tage erlassen wurden, viele Nummern ihrer Wochenschrift. Sie scheinen mir ernste, eifrige und keineswegs unwissende Leute zu sein, die aber seltsame Wege wandeln. Ich möchte sagen, sie haben jene bedeutsame, fast vergessene Wahrheit wieder entdeckt und beherzigt: D e r M e n s c h i s t n o c h M e n s c h , und fangen schon an, falsche Anwendungen davon zu machen. Ich bin sehr geneigt, Ihrem Rat zu folgen und mich von ihnen fern zu halten, obwohl ich ihre Gemeinde und deren Wachstum immerhin als ein getreues und bemerkenswertes Zeichen der Zeit betrachte. 2

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Febr 10. [Rinaldo] Vulpius entließ die Köchin mit billiger Entschädigung. Von

dieser Last befreyt konnt’ ich an bedeutende Arbeiten gehen; ich kann hoffen, die Epoche werde fruchtbringend seyn. 11. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 431): Heute bei Tisch erzählte mir Goethe, daß er den vierten Akt des Faust angefangen habe und so fortzufahren gedenke, welches mich sehr beglückte. 12. [Nachmittags] Das Hauptwerk muthig und glücklich angegriffen. 13. Alles Gestrige verhältnißmäßig fortgesetzt. 13. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 432f.): Bei Goethe zu Tisch. Er erzählt mir, daß er im vierten Akt des Faust fortfahre, und daß ihm jetzt der Anfang so gelungen wie er es gewünscht.1) „Das, was geschehen sollte, sagte er, hatte ich, wie Sie wissen, längst;2) allein mit dem Wie war ich noch nicht ganz zufrieden, und da ist es mir nun lieb, daß mir gute Gedanken gekommen sind. Ich werde nun diese ganze Lücke, von der Helena bis zum fertigen fünften Akt, durcherfinden und in einem ausführlichen Schema3) niederschreiben, damit ich sodann mit völligem Behagen und Sicherheit ausführen, und an den Stellen arbeiten kann, die mich zunächst anmuten. Dieser Akt bekommt wieder einen ganz eigenen Charakter, so daß er, wie eine für sich bestehende kleine Welt, das Übrige nicht berührt, und nur durch einen leisen Bezug zu dem Vorhergehenden und Folgenden sich dem Ganzen anschließt.“ Es wird also, sagte ich, völlig im Charakter des Übrigen sein; denn im Grunde sind doch der Auerbachsche Keller, die Hexenküche, der Blocksberg, der Reichstag, die Maskerade, das Papiergeld, das Laboratorium, die klassische Walpurgisnacht, die Helena, lauter für sich bestehende kleine Weltenkreise, die, in sich abgeschlossen, wohl auf einander wirken, aber doch einander wenig angehen. Dem Dichter liegt daran, eine mannigfaltige Welt auszusprechen, und er benutzt die Fabel eines berühmten Helden bloß als eine Art von durchgehender Schnur, um darauf aneinander zu reihen was er Lust hat. Es ist mit der Odyssee und dem Gil-Blas auch nicht anders. „Sie haben vollkommen Recht, sagte Goethe; auch kommt es bei einer solchen Komposition bloß darauf an, daß die einzelnen Massen bedeutend und klar seien, während es als ein Ganzes immer inkommensurabel bleibt, aber eben deswegen, gleich einem unaufgelösten Problem, die Menschen zu wiederholter Betrachtung immer wieder anlockt.“ [vor 14.] (V H37 zu Akt V Sz. [7] Bergschluchten mit 11942−53)4) 15. Abends Professor Riemer . . . Er brachte bey Gelegenheit von Alexander

von Humboldts Gegenwart gewisse geologische Probleme zur Sprache.5) Ich sagte ihm meine Gedanken darüber.

1

) Zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg Fausts Eingangsmonolog 10039−66? ) s. unten 17. Febr 1831: Eckermann. 3 ) Scenario zum 4. Act des Faust [= P178]; s. unten 16. Mai 1831: IV H 22. 4 ) V H37 (W 15.2, 149) Entwurf zum Chor der jüngeren Engel (11942−53) Vorstufe zu V H33III; datierbar durch Briefkonzept. 5 ) A. v. Humboldt hatte G am 26. u. 27. Jan 1831 in Weimar besucht u. über seine Asienreise berichtet. Entsprechend den geologischen Ansichten, die er im Sept 1831 in den Fragmens de ge´ologie et de climatologie asiatique (Ruppert Nr. 4707) veröffentlichte, vertrat er die Auffassung, daß in früheren Epochen das feurig flüssige Erdinnere sehr viel lebhafter auf die Erdoberfläche eingewirkt habe als später u. daß unterirdisch wirkende Flüssigkeiten die Gebirgszüge des Kaukasus, Altai u. Himalya emporhoben hätten. s. EGW 6, 311−15. 2

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Febr 16. Ich dictirte das gestern von Riemer Gewünschte.1) [16.] Geologische Probleme und Versuch ihrer Auflösung (LA I 11, 316):

[Fragment über die Erdbildung] . . . Die [von A. v. Humboldt vorgetragene] Sache mag sein wie sie will so muß geschrieben stehen daß ich diese vermaledeite Polterkammer der neuen Weltschöpfung verfluche und es wird gewiß irgend ein junger geistreicher Mann aufstehen der sich diesem allgemeinen verrückten Konsens zu widersetzen Mut hat.2) 17. Wurde das Manuscript vom 2. Theil des Faust in eine Mappe geheftet.3) 17. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 440f.): Ich erkundigte mich nach dem Faust und wie er vorrücke. „Der läßt mich nun nicht wieder los, sagte Goethe, ich denke und erfinde täglich daran fort. Ich habe nun auch das ganze Manuskript des zweiten Teiles heute heften lassen, damit es mir als eine sinnliche Masse vor Augen sei. Die Stelle des fehlenden vierten Aktes habe ich mit weißem Papier ausgefüllt, und es ist keine Frage, daß das Fertige anlocket und reizet, um das zu vollenden was noch zu tun ist. Es liegt in solchen sinnlichen Dingen mehr als man denkt, und man muß dem Geistigen mit allerlei Künsten zu Hülfe kommen.“ Goethe ließ dann den gehefteten neuen Faust hereinbringen, und ich war erstaunt über die Masse des Geschriebenen, das im Manuskript als ein guter Folioband mir vor Augen war. Es ist doch alles, sagte ich, seit den sechs Jahren gemacht, die ich hier bin, und doch haben Sie bei dem andern Vielen, was seitdem geschehen, nur sehr wenige Zeit darauf verwenden können. Man sieht aber wie etwas heranwächst, wenn man auch nur hin und wieder etwas hinzutut. „Davon überzeugt man sich besonders wenn man älter wird, sagte Goethe, während die Jugend glaubt, es müsse alles an Einem Tage geschehen. Wenn aber das Glück mir günstig ist, und ich mich ferner wohl befinde, so hoffe ich in den nächsten Frühlingsmonaten am vierten Akt sehr weit zu kommen. Es war auch dieser Akt, wie Sie wissen, längst erfunden; allein da sich das Übrige während der Ausführung so sehr gesteigert hat, so kann ich jetzt von der früheren Erfindung4) nur das Allgemeinste brauchen, und ich muß nun auch dieses Zwischen-Stück durch neue Erfindungen so heranheben, daß es dem Andern gleich werde.“ Es kommt doch in diesem zweiten Teil, sagte ich, eine weit reichere Welt zur Erscheinung als im ersten. „Ich sollte denken, sagte Goethe. Der erste Teil ist fast ganz subjektiv; es ist alles aus einem befangeneren, leidenschaftlicheren Individuum hervorgegangen, welches Halbdunkel den Menschen auch so wohl tun mag. Im zweiten Teile aber ist gar nichts Subjektives, es erscheint hier eine höhere, breitere, hellere, leidenschaftslosere Welt, und wer sich nicht etwas umgetan und Einiges erlebt hat, wird nichts damit anzufangen wissen.“ Es sind darin einige Denkübungen, sagte ich, und es möchte auch mitunter einige Gelehrsamkeit erfordert werden. Es ist mir nur lieb, daß ich Schellings Büchlein über die Kabiren gelesen, und daß ich nun weiß, wohin Sie in jener famösen Stelle der klassi1

) Wohl Geologische Probleme und Versuch ihrer Auflösung, in G’s Nachlaß. ) Z zu G’s Stellung zum ,Vulkanismus‘; s. oben TuJ 1820. 3 ) Betr. die für die einzelnen Akte aus vorliegenden Reinschriften in unterschiedlichen Stadien zusammengestellte Reinschrift H von Faust II. Zunächst wurden in zwei Pappen mit der Aufschrift Faust. Zweyter Theil 1831 u. dem Titelblatt Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten (1831) Reinschriften der Akte I−III eingeheftet; s. 20. Febr 1831: Tgb. − Zur Reinschrift H vgl. im einzelnen Fischer-Lamberg 1955, 9−18. 4 ) Zu Spuren dieser früheren Erfindung s. [Mitte 1797/1800]: II H5; [16. Dez 1816]: P63. 2

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schen Walpurgisnacht deuten. „Ich habe immer gefunden, sagte Goethe lachend, daß es gut sei etwas zu wissen.“1)

Febr 20. John vollbrachte das Einheften der drey ersten Acte von Faust im Ma-

nuscript. Das Mundum war von macherley Seiten zusammenzusuchen. 21. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 446−48): Goethe lobte sehr die neueste Rede von Schelling, womit dieser die Münchener Studenten beruhigt.2) „Die Rede, sagte er, ist durch und durch gut, und man freuet sich einmal wieder über das vorzügliche Talent, das wir lange kannten und verehrten. Es war in diesem Falle ein trefflicher Gegenstand und ein redlicher Zweck, wo ihm denn das Vorzüglichste gelungen ist. Könnte man von dem Gegenstande und Zweck seiner Kabirenschrift dasselbige sagen, so würden wir ihn auch da rühmen müssen, denn seine rhetorischen Talente und Künste hat er auch da bewiesen.“ Schellings Kabiren brachten das Gespräch auf die klassische Walpurgisnacht, und wie sich diese von den Brockenszenen des ersten Teils unterscheide. „Die alte Walpurgisnacht, sagte Goethe, ist monarchisch, indem der Teufel dort überall als entschiedenes Oberhaupt respektiert wird. Die klassische aber ist durchaus republikanisch, indem Alles in der Breite neben einander steht, so daß der Eine so viel gilt wie der Andere, und niemand sich subordiniert und sich um den Andern bekümmert.“ Auch, sagte ich, sondert sich in der klassischen alles in scharf umrissene Individualitäten, während auf dem deutschen Blocksberg jedes Einzelne sich in eine allgemeine Hexenmasse auflöset. „Deshalb, sagte Goethe, weiß auch der Mephistopheles, was es zu bedeuten hat, wenn der Homunculus ihm von thessalischen Hexen redet. Ein guter Kenner des Altertums wird bei dem Wort thessalische Hexen sich auch Einiges zu denken vermögen, während es dem Ungelehrten ein bloßer Name bleibt.“ Das Altertum, sagte ich, mußte Ihnen doch sehr lebendig sein, um alle jene Figuren wieder so frisch ins Leben treten zu lassen, und sie mit solcher Freiheit zu gebrauchen und zu behandeln, wie Sie es getan haben. „Ohne eine lebenslängliche Beschäftigung mit der bildenden Kunst, sagte Goethe, wäre es mir nicht möglich gewesen. Das Schwierige indessen war, sich bei so großer Fülle mäßig zu halten, und alle solche Figuren abzulehnen, die nicht durchaus zu meiner Intention paßten. So habe ich z. B. von dem Minotaurus, den Harpyen, und einigen andern Ungeheuern, keinen Gebrauch gemacht.“ Aber was Sie in jener Nacht erscheinen lassen, sagte ich, ist alles so zusammengehörig und so gruppiert, daß man es sich in der Einbildungskraft leicht und gerne zurückruft und alles willig ein Bild macht. Die Maler werden sich so gute Anlässe auch gewiß nicht entgehen lassen; besonders freue ich mich den Mephistopheles bei den Phorkyaden zu sehen, wo er im Profil die famöse Maske probiert. „Es stecken darin einige gute Späße, sagte Goethe, welche die Welt über kurz oder lang auf manche Weise benutzen wird. Wenn die Franzosen nur erst die Helena gewahr werden, und sehen was daraus für ihr Theater zu machen ist! Sie werden das Stück, wie es ist, verderben; aber sie werden es zu ihren Zwecken klug gebrauchen, und das ist alles was man erwarten und wünschen kann. Der Phorkyas werden sie sicher einen Chor von Ungeheuern beigeben, wie es an einer Stelle auch bereits angedeutet ist.“ Es käme darauf an, sagte ich, daß ein tüchtiger Poet von der romantischen Schule das Stück durchweg als Oper behandelte, und Rossini sein großes Talent zu einer bedeutenden Komposition zusammennähme, um mit der Helena Wirkung zu tun. Denn es sind darin Anlässe zu prächtigen Dekorationen, überraschenden Verwandlungen, glänzenden Cost-

1

) Zu Akt II Sz. [7] Felsbuchten des Aegäischen Meers (8070−77, 8168−81 u. 8204f.) Zu Schellings Kabiren-Schrift s. 15. Okt 1815: Schelling an G u. 22. Apr 1823: F. v. Müller. 2 ) Rede am Abend des 29. Dez 1830 in der Aula der Universität, nachdem es zwischen Studenten u. Militär zu blutigen Auftritten gekommen war.

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umen und reizenden Balletten, wie nicht leicht in einem anderen Stück, ohne zu erwähnen, daß eine solche Fülle von Sinnlichkeit sich auf dem Fundament einer geistreichen Fabel bewegt, wie sie nicht leicht besser erfunden werden dürfte. „Wir wollen erwarten, sagte Goethe, was uns die Götter Weiteres bringen. Es läßt sich in solchen Dingen nichts beschleunigen. Es kommt darauf an, daß es den Menschen aufgehe, und daß Theater-Direktoren, Poeten und Komponisten darin ihren Vorteil gewahr werden.“ ?

Febr 25. Gegend Abend . . . Prof. Riemer . . . verabredete Sonstiges wegen Quan-

tität und Accent verschiedener Namen und Worte. März 2. [Weimar] Gespräch stopheles negatives kraft.“

Eckermann Gespräche (FA II 12, 455f.): Heute bei Goethe zu Tisch, kam das bald wieder auf das Dämonische . . . Hat nicht auch, sagte ich, der Mephidämonische Züge? − „Nein, sagte Goethe; der Mephistopheles ist ein viel zu Wesen; das Dämonische aber äußert sich in einer durchaus positiven Tat-

[3.] („Helena . . . Zwischenspiel zum Faust“: Lehrs: Ueber die Darstellung der Helena gD, S. 584) 6. [Naumburg] F. Göschel an G (GSA 28/352 St. 3): Hochwohlgeborner Herr, Höchst zu verehrender Herr Geheimer Rath und Staatsminister! Ew. Exzellenz wollen mir erlauben Ihnen eine kleine Schrift über Ihro Dichtungen von Faust ehrerbietig überreichen zu dürfen.1) Daß ich die letzten Worte Fausts in der Schlußszene des ersten Theils und die darinn enthaltene Anspielung erst noch im Drucke besser verstanden, habe ich am Rande anzudeuten gesucht. Gerne möchte ich Ihnen zugleich einige frühere Schriften, welche sich zum Theil mit Ew. Exzellenz beschäftigen, namentlich „Die Wartburg“ [Leipzig 1826] und „Reiseunterhaltungen“ [Unterhaltungen auf einer Reise, Leipzig 1828] verehren, aber ich fürchte nach Jahren entweder zu spät zu kommen oder doch zu lästig und zu zudringlich auf einmal zu werden. Die gegenwärtige Schrift glaubte ich aber Ihnen selbst überreichen zu müßen, da sie Dero Namen auf dem Titel führt. Genehmigen Hochdieselben die Versicherung meiner vieljährigen Ehrerbietung, womit ich stets bin Ew. Exzellenz ganz gehorsamster Diener Fr. Göschel ⎯ C. F. Göschel: Herolds Stimme zu Göthe’s Faust, ersten und zweiten Theils, mit besonderer Beziehung auf die Schlußscene des ersten Theils, Leipzig 1831, 40f.: Die nähere Bekanntschaft mit dieser Schlußscene im ersten Theile der Tragödie dürfte um so mehr an der Zeit seyn, als der achtzigjährige Dichter erst vor Kurzem öffentlich bekannt hat, daß er die Bearbeitung eines zweiten Theils nicht aus den Augen verloren, vielmehr von Zeit zu Zeit zu einiger Fortarbeit sich angeregt gefühlt, aber auch hier, wie einst als Jüngling mit dem ersten Theile, sein Geheimniß vor allen und jeden sorgfältig bewahrt habe. G’s Werke XVIII, 321. XIX, 98. oder nach der letzten Ausgabe XXV, 314. XXVI, 98. Ueber Kunst und Alterthum VI, 1, 201. Mit diesem Bekenntnisse hat er das Versprechen verbunden, nicht länger zurück zu halten, und nichts mehr für sich zu behalten, indem er sich vielmehr verpflichtet fühlt, alles sein Bemühen, fragmentarisch, nach und nach vorzulegen, um kein Geheimniß vor dem Publicum zu verbergen.

1

) Herolds Stimme zu Göthe’s Faust. 1. u. 2. Theils, mit bes. Beziehung auf d. Schlußscene d. 1. Theils von C. F. G. . . . 1. Leipzig: A Lehnhold 1831. 115 S. 8o Brosch., beschnitten; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1929). Zu früheren Bemühungen des Verf. um G’s Faust s. „Faust. Eine Tragödie“: 2. Febr 1824: C. F. Göschel an G bei Übersendung von: Über Göthe’s F a u s t und dessen Fortsetzung. Nebst e. Anh. Von dem ewigen Juden. Leipzig: C. H. F. Hartmann 1825. 324 S. 1 Bl. 8o Kart. (Ruppert Nr. 1928).

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März 16. [Weimar] F. v. Müller an F. Rochlitz (G−Rochlitz 476): Auch er [G] leidet seit 8 Tagen an einem bösen Fuß, der zwar keine großen Besorgniße giebt, doch aber sehr peinlich für ihn ist u. seine geselligen Mittheilungen nach Außen sehr stört. Schon hatte er angefangen, alle Sonntag Morgen einen zahlreichen Kreise von Frauen u. Männern zu sehen. „Faust“ hatte große Fortschritte gemacht; der fünfte und letzte Act ist ganz vollendet, nur der vierte noch nicht. [Frühj.] Apr

(IV H6 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg mit Notizen zu 10156; 10159, 10247−51, 10297−310, 10313−18, ohne 10314 sowie P185 u. P186)1)

6. In den untern Garten gefahren. Daselbst für mich gespeist und das

Nothwendigste durchgedacht.2) 9. [Nachmittags] Anderes Geheime bedenkend. Philemon und Baucis und Verwandtes sehr zusagend. [6.–9./30.] (V Hi zu Akt V Sz. [1] Offene Gegend mit 11043−90 u. 11095f.)3)

1

) IV H6 (Bohnenkamp 689f.) datiert Frühj. 1831: egh Sammel- u. Entwurfsbl., Vs [10156] Man freut sich daß das Volk sich mehrt [10159] Und man erzieht sich nur Rebellen. − P185: Das Menschengeschlecht es quält sich eb[e]n Im Besondern u Allgemeinen. Var. Zu 1047−51: Wie er so jung zum Thron[e] kam / Beliebts dem Her[re]n falsch zu schlie[ßen] Er bildete sich fäschlich ein Das konnte wohl zusammen seyn ge[hn] Gen 3ießen un 2d regie 1ren P186: Bin ich denn nicht der Kayser mehr Der Gegen Kayser rückt heran O Herr das ist geschwind gethan Var. zu 10297f.: Die Stellung gut genom[men] Wir treten zu so ist der Sieg willkom[men] Var. zu 10313−18 (ohne 10314).: Da mag der Generalstab sorgen Kriegs Unrath hatt ich schon gespurt Den hab ich dir voraus formirt In diesen Bergen steckt die Kraft Wohl dem der sie zusamm[en]rafft. − Rs Entwurf zu 10299−310 als erledigt gestr. − Zu H6 s. auch Bohnenkamp 691 u. FA I 7.2, 1045. 2 ) Dazu Landeck 89: womit Goethe den Plan zur bisher fehlenden Eröffnung des Schlußaktes meinte. Vgl. unten 1831 Apr 9.: Tgb u. Mai 2.: Eckermann. 3 ) V Hi Foliobogen, datiert auf der Rs von unidentifiziertem Schreiber: 30. Apr.; diese gestr. Datierung ermöglicht mit G’s Tgb die ungefähre Entstehungszeit des bedeutenden egh Entwurfs zu erschließen, der in 4 Schichten erfolgte. (Landeck 87−89): Bl. 1 Vs Fünfter Akt. Offene Gegend. − Wanderer. Ja! sie sind’s die dunkeln Linden / Dort in ihres Alters Kraft. / Und ich soll sie wiederfinden, / Nach so langer Wanderschaft / Jene Hütte die mich barg, / Als die Sturmerregte Welle / Mich an jene Dünen warf. / Meine Wirthe möcht ich segnen / hülfsbereit ein wackres Paar / Das, um heut mir zu begegnen / Als schon jener Tage war. / Ach! das waren fromme Leute !/ Poch ich? ruf ich? − Seyd gegrüßt! / Wenn, gastfreundlich, auch noch heute / Ihr des Wohlthuns Glück genießt. Baucis /: Mütterchen, sehr alt:/: Lieber Kömmling! Leise! Leise! / Ruhe! laß den Gatten ruhn! / Langer Schlaf verleiht dem Greise / Kurzen Wachens rasches Thun., Wanderer. Sage Mutter, bist du’s eben / Meinen Dank noch zu empfahn, /Was du für des Jünglings Leben / Mit dem Gatten einst gethan. Bl. 1 Rs Bist du Baucis, die geschäftig / Halberstorbnen Mund erquickt? [ : der Gatte tritt auf : Du, Philemon der so kräftig, Meinen Schatz der Fluth entrückt. / Eure Flammen raschen Feuers / Eures Glöckchens Silberlaut, / Jenes graußen Abentheuers / Lösung war Euch anvertraut. / Und nun laßt hervor mich treten, / Schaun das gränzenlose Meer, / Laßt mich knien, ´ r schreitet vorwärts auf der Düne:/ laß mich beten / Mich bedrängt die Brust so sehr. : E Philemon zu Baucis: Eile nur den Tisch zu decken / Wo’s im Gärtgen munter blüht. / Laß ihn rennen, laß ihn schrecken, / Denn er glaubt nicht was er sieht. /: neben dem Wandrer stehend :/ Das Euch grimmig mißgehandelt, / Wog’ auf Woge, schäumend wild, / Seht als Garten ihr behandelt, / Seht ein paradiesisch Bild. / Älter war ich nicht

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Apr 15. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 17. Okt 1831 − : Catteau−Calleville, J[ean] P[ierre] : Tableau de la mer baltique, consid. sous les rapports physiques, ge´ographiques . . . T. 1. 2. Paris 1812.)1) [nach25.] (V H39 zu Akt V Sz. [1] Offene Gegend mit 11103−06)2) (V Hj zu Akt V Sz. [1] Offene Gegend mit 11091−116)3) 30. Einiges Poetische.4) Mai

1. Einiges Poetische . . . In den untern Garten gefahren. Einiges Poetische

. . . [Abends] Einiges vorgearbeitet und bedacht. 2. Poetisches. Bedeutendes Mundum durch John . . . Das Hauptgeschäft

durch alles dieses [Besuche und Geschäfte] nicht unterbrochen. 2. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 482f.): Goethe erfreute mich mit der Nachricht, daß es ihm in diesen Tagen gelungen, den bisher fehlenden Anfang des fünften Aktes von Faust so gut wie fertig zu machen. „Die Intention auch dieser Szenen, sagte er, ist über dreißig Jahre alt;5) sie war von solcher Bedeutung, daß ich daran das Interesse nicht verloren, allein so schwer auszuführen, daß ich mich davor fürchtete. Ich bin nun durch manche Künste wieder in Zug gekommen, und wenn das Glück gut ist, so schreibe ich jetzt den vierten Akt hintereinander weg.“

zu Handen, / Hülfreich nicht wie sonst bereit, / Und, wie meine Kräfte schwanden, / War auch schon die Woge weit. Es fehlen noch 11091−94. − (Zur Herkunft der jetzt in New Haven, Beinicke Library of Yale University befindlichen Hs. vermerkte die engl. Schriftstellerin Anna Jameson auf der Rs von Bl. 2: . . . given to me by Ottilie von Goethe when I parted from her November 25 th – 1833.) 1 ) Tableau de la mer baltique: considere´e sous les rapports physiques, ge´ographiques, historiques et commerciaux ; avec une carte, et des notices de´taille´´es sur le mouvement ge´ne´ral du commerce, sur les ports les plus importants, sur les monnaies, poids et me´sures par J. P. Catteau-Calleville. Paris 1812, 2 Bde. − G las das Werk über die Ostsee schon am 16., 17., 20. u. 21. Dez 1828 (Tgb 11, 316−18) u. entlieh es nochmals am 22. Apr 1829. − Erneute Lektüre im Hinblick auf Fausts Plan, gegen das Meer zu kämpfen; s. [nach 24. Juni1831]: H P188a. − Zur Quelle Morris 1902 I, 111−13. 2 ) V H39 (Landeck 85f.) Entwurf zu Philemon-Versen (11103−06) datiert aufgrund von Tgb-Notizen: nach 25. Apr. 3 ) V Hj (Landeck 90f.) datiert von der Vorstufe V H39 her: 25./31. Apr. − Hj schließt direkt an Hi an. Vs [Philemon:] Kluger Herren kühne Knechte / Gruben Dämme, dämmten ein, / Schmälerten des Meeres Rechte, / Herrn an seiner Statt zu seyn. / Schaue grünend Wies’ an Wiese, / Anger, Garten, Dorf u Wald. − / Komm nun aber und genieße, / Denn die Sonne scheidet bald. − / Doch! im Fernsten ziehen Segel / Suchen nächtlich sichern Port. / Kennen doch ihr Nest die Vögel, / Denn jetzt ist der Hafen dort. / So erblickst du in der Weite / Erst des Meeres blauen Saum, / Rechts u links, in aller Breite, / Dichtgedrängt bewohnten Raum. Rs /: Am Tisch zu drey, im Gärtchen: / Baucis Bleibst du stumm? Und keinen Bissen / Bringst du zum verlechzten Mund? Philemon. / Möcht’ er doch vom Wunder wissen; / Sprichst so gerne, tu’s ihm kund. / Baucis. Wohl ein Wunder ist’ s gewesen! / Läßt mich heut noch nicht in Ruh / Denn es ging das ganze Wesen / Nicht mit rechten Dingen zu. Philemon. Kann der Kayser sich versündgen, / Der das Ufer ihm verliehn? 4 ) s. oben [6.− 9./30. Apr 1831]: V Hi. 5 ) Aus der Zeit vor 1800 sind sind keine Z überliefert; doch vgl. zu Philemon und Baucis oben 26. Juni 1802 Was wir bringen und darauf bezüglich Mommsen 1989, 29−36.

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3. Poetisches fortgesetzt . . . [Nachmittags] Ich fuhr fort das bisherige Poe4. 5. 6. 7. 8.

tische durchzusehen und zurechtzurücken. Abschluß der 5. Abtheilung [Akt V]. Beginn der vierten [Akt IV].1) Einiges an der 5. Abteilung [Akt V] ajustirt und der Übereinstimmung näher gebracht.2) Die 5. Abtheilung [Akt V] revidirt und manches ausgeglichen. Die 4. beachtet. Poetisches fortgesetzt. Einiges geordnet.

8. [Weimar] F. Soret, Conversations (Cle´ry 131f.): Goethe me parle en de´tails des arrangements qu’il a pris avec Eckermann pour en faire l’e´diteur de ses oeuvres. Il s’occupe actuellement `a terminer Faust.3) 9. Andres geordnet, fortgeschoben und vorbereitet. 11. Einiges Poetische . . . Mittag Dr. Eckermann. Wir besprachen die näch-

sten litterarischen Arbeiten . . . [Nachmittags] Mit Eckermann die nächsten litterarischen Interessen . . . 12. Einiges Poetische. 14. Früh Poetisches. 15. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Eckermann, Gespräche gD) 15. [Weimar] Abkommen zwischen G und Eckermann (W 53, 339f.): Zur

nächsten Ausgabe eines Nachtrags zu meinen Werken liegen bereit oder werden redigirt, ajustirt zu diesem Zwecke . . . Faust, zweiter Theil. Abschluß des 1. Acts. Zweiter Act, einschließlich der klassischen Walpurgisnacht. Helena, bildet den 3. Act. Der 4. Act ist erfunden und schematisirt und erwartet eine glückliche Ausführung. Am 5. Act fehlt etwa der Anfang, der Schluß aber des Ganzen ist vollendet . . . Herr Dr. Eckermann hat mir seit verschiedenen Jahren bei Bearbeitung vorstehender Werke treulich beigestanden; in wie fern sie als abgeschlossen oder unvollendet anzusehen sind davon wird er jederzeit die beste Auskunft geben können. Ich ernenne ihn deshalb zum Herausgeber vorgemeldeter Werke. 16. Manches gesondert und geordnet.

1

) Beginn der kontinuierlichen Ausarbeitung von Akt IV; in den nächsten 2 Wochen zumeist Vorarbeiten. 2 ) Wohl bezüglich auf die schon vorliegenden Szenen von Akt V Sz. [5] Großer Vorhof des Palasts, Sz. [6] Grablegung u. Sz. [7] Bergschluchten. Anf. Mai 1831 wohl auch Neufassung von Fausts letzten Worten. 3 ) Das Folgende s. in „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: F. Soret, Conversations gD.

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Mai 16. (P178: Scenario zum 4. Act des Faust, signiert: G d. 16. May 1831.)1) [nach 16.] (IV H22 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10598−611 u. 10624−39 ohne 10628f.)2)

) IV H22 〈P178〉 (Bohnenkamp 678−82). Foliobogen mit Schema zu Akt IV von John u. egh Blei- u. Tinte-Korrekturen in: [S.1:] Scenario zum 4. Act des Faust. −− Faust aus der Wolke im Hochgebirg Siebenmeilen Stiefeln. Mephisto. steigt aus. Sagt Faust habe nun die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten gesehen ob er sich etwas ausgesucht habe. Faust läßt den Schein der Welt am Sonnentage gelten. Jener schildert die Zustände der besitzenden Menschen Faust hat immer etwas Widerwärtiges. Meph. schildert ein Sardanapalisches Leben. Faust entgegnet durch Schilderung der Revolte Beneidenswerth sind ihm die Anwohner des Meeres-Ufers, das sie der Fluth abgewinnen wollen. [S.2:] Zu diesen will er sich gesellen. Erst bilden und schaffen Vorzüge der menschlichen Gesellschaft in ihren Anfängen [G Randnotiz: Später zu bringen, doch unterblieb das Motiv.] Mephist. läßts gelten, zeigt die Gelegenheit dazu. Trommeln u kriegerische Musik im Rücken der Zuschauer Fern von der rechten Seite her. Mephist. macht das Bedrängniß des Kaisers anschaulich. Die Verwirrung des Reichs pp. Faust aus alter Neigung wünscht dem Monarchen zu helfen. Vorschlag die Bergvölker aufzuregen. Mephist. macht sie lächerlich. Offerirt höhern Beystand. Und präsentirt die drey Rüstigen. Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen. Gefährliche Lage Der Kaiser tritt auf mit seinen Getreuen [S. 3:] Trommeln im Rücken der Zuschauer von der linken Seite. Nachricht daß der gehoffte Succurs sich zum Feinde geschlagen habe. Alles in Beängstigung. Faust tritt auf geharnischt. [nachträglich G: Gegen Kayse[r] Ausfoderung] Erklärung und Warnung. Die Stellung der Kaiserl. Armee wird gebilligt. Mephist. tritt auf mit den drey Tüchtigen. Haltefest zu LinkenHabebald zur Mitte gesellt Eilebeute die Marketenderin ist bereit. Die Eigenschaften eines jeden werden gepriesen. Trompeten u. Freudengeschrei im feindl. Lager. Der Gegenkaiser sey erwählt u. angekommen. Der rechte Kaiser fordert ihn zum Zweykampfe. Faust zeigt das Nutzlose. Die verneinende Antwort kommt. Das Gebirg glänzt von Helmen, Panzern, Spießen, Schwerdtern und Fahnen. [S.4:] Trompeten von jener Seite verklingen im Winde Fürchterliche Posaunenzinken Töne von diesseits. Das Gefecht bricht los. Die drey Bursche thun Wunder Völlige Niederlage der Feinde. Scherzhafte Fälle bey dieser Gelegenheit. Faust u. Mephist. vom Kaiser als frühere Diener anerkannt. Die treuen Fürsten werden in ihre Besitzthümer eingesetzt. Haben auch schon Ansprüche auf die Confiscirten Faust bringt seine Ansprüche vor an die unfruchtbaren Meeresufer. Man ist zufrieden ihn so leicht abzufinden. Er wird damit beliehen und geht um davon Besitz zu nehmen. [unterzeichnet:] G d. 16. May 1831. − Abweichend vom Schema zeigt die definitive Fassung Fausts Belehnung mit dem Meeresstrand nicht auf der Bühne, abweichend auch der Verlauf der Schlacht, einige weitere Motive u. die Reihenfolge. Keine Hinweise auf Eingangsmonolog u. Schlußsz. [7] Des Gegenkaisers Zelt. Der Monolog wohl unerwähnt, weil schon abgeschlossen, die Ämterverleihung in Alexandriner-Versen (10031−42) wohl Mitte Mai 1831 noch nicht geplant. − Zu den entstehungsgeschichtlichen Voraussetzungen des Ausdrucks Sardanapalisches Leben vgl. Charles A. Grair: Goethe, Faust and Sardanapalus: The End of an Age. In: The Goethe Yearbook 8 (1996) 238−51 u. Peter Anthony Bloom and Hans Rudolf Vaget: Sardanapal! − The French Connection: Unraveling Faust II, 10176 ebd. 252−87. 2 ) IV H22 (Bohnenkamp 683−85) datierbar durch Bezug zu P178. − Folio wie P178 mit Entwürfen [Fortsetzung S. 4, umgekehrt:] Plateau auf dem Vorgebirge man übersieht das Thal Trommeln kriegerische Musik. Das Heer in Schlachtordnung. Des Kaysers Zelt wird aufgeschlag[en] Kayser Oberge[ne]ral Leibwache OG. [S. 1, quer links:] Verzeih o Herr das sind die Spuren Verschollner geistig[er] Naturen Ein Widerschein der Dioskuren Bey den[en]alle Schiffer schwuren Sie sammeln hier die letzte Kraft 1

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Mai 17. Poetische Vorarbeiten. 21. Doctrine de Saint-Simon, zu lesen angefangen.1) 28. Manches geordnet, vorgearbeitet und beseitigt, damit man nach und

nach wieder in’s Geschick kommt.2) 30. Bemühung dem St. Simonistischen Wesen auf den Grund zu kommen. Deßhalb gelesen bis Abends.3) [nach 30.] (IV H22a zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10717−33, 10737−41, 10750−55 u. Akt IV Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt mit 10993−11022)4)

K[aiser]. Doch sage wem sind wir verpflicht[et] Daß die Natur auf uns gerichtet Das seltenste zusammenrafft. [S. 1, quer rechts:] F[aust] Wem als dem Meist[er] jenem Hohen Der Dein Geschick im Busen hegt Durch deiner Feinde starkes Drohn Ist er im tiefsten aufgeregt Sein Dank will dich gerettet sehn Und soll er selbst daran vergehen. Auf den freigelassenen linken Blatthälften Entwürfe zu Versen Fausts (10598−602, 10626f, 10634−37) u. des Kaisers (10603−05, 10624f., 10630−33, 10638f.), die schon das Wirken des Heers aus Gespenstern zur Voraussetzung haben. 10606−11, hier noch Faust zugeschrieben, in der endgültigen Fassung von Mephisto übernommen. − Die Entwürfe müssen nach dem 16. Mai 1831 eingetragen worden sein, da sie den Rahmen des P178 überschreiten. − Zu H22 s. auch Bohnenkamp 686−88 u. FA I 7.2, 1043−45. 1 ) Es gab zwei Publikationen: Doctrine de Saint-Simon. Premie`re anne´e. Exposition. Paris 1830 u. Doctrine de Saint-Simon. Seconde anne´e. Exposition. Paris 1831; deren Ausleihe durch G oder Besitz ist nicht nachweisbar, doch ist von Lektüre, insb. des ersten Teils, auszugehen, s. unten 30. Mai: Tgb. − Eine saint-simonistische Broschüre in G’s Bibliothek: (L. H. Carnot et J. Lechevalier:) Religion Saint-Simonienne. Paris 1831 (Ruppert Nr. 3034), nahm G vermutl. im Juni 1831 zur Kenntnis (Tgb 13, 269). − Saint-simonistische Programmschriften waren G im Hinblick auf den noch nicht fertigen politisch-satirischen Akt IV willkommen; Kanalbau u. Landgewinnung gehörten zu Saint-Simons Lieblingsprojekten; s. Schings 2014, 443f. − G. C. L. Schuchardt hat G’s Saint-Simonismus-Studien rekonstruiert u. deren Einfluß auf die 1831 entstandenen Faust-Partien nachgezeichnet in: Zs. für Deutsche Philologie 60 (1935) 240−74 u. 362−84; weitere Befunde auch bei N. Boyle: The Politics of Faust II. Another look at the stratum of 1831. In: The Publications of the English Goethe Society LII (1982) 4−43 u. Jaeger 2014, 44−53, 428−44 u. 482−94; skeptisch im Hinblick auf den Einfluß der saint-simonistischen Lehre auf Faust II Hamm GJb 2015, 171−81. 2 ) D.h. in der Hoffnung, allmählich wieder an die Faust-Arbeit zurück zu gelangen. 3 ) Das Interesse an der politischen Thematik war durchaus mit Akt IV vereinbar. 4 ) IV H22a (Bohnenkamp 723f.) datierbar durch Verwendung eines Blattes mit einer Jena d. 30. Mai 1831 datierten Quittung. − Egh Bleistiftentwürfe auf Vs eine frühe Version der Aufforderung des Erzbischofs an den Kaiser, der Kirche als Sühne für die Verbindung mit bösen Geistern Land zu stiften (10993−11022). Die Fläche wo dein Kriegszelt aufgeschl[agen] Verehrst du zugunsten deiner Thath[en] Damit er sich als Gottesgrund ern[eue] Der bosen Geiser Athem sich zerstreue Da wird ein hohes Chor zugleich entstehn Wo das Gebet sich durch Gesang erhoht . . . Von dort her wer[den] volle Glock[en] Die Gegend zum Gebete locken So weit man diese Glocke[n] hort So weit verehrest du das Land dem Stift K[aiser] Gescheh es alles wie du sprichst. Metrisch noch keine Alexandriner für die Erzämter-Szene. − Die Verse auf Rs (10717−33, 10737−41 u. 10750−55) für die Auf dem Vorgebirg−Sz., weitere Entwürfe zu den gespenstischen Schlachtszenen, die in P178 noch nicht vorgesehen waren auf der Rs quer: Ein Wetterleuchten in der Ferne Ein schnelles Fallen höchster Sterne Mag jeden SommerTag geschehn. Doch Wetterleuchten in verworrn[en] Büschen Die hat

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[Mai (IV H8 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg mit 10296−344; Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit nach 30.] 10345−66 u. 10640−782; Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt mit 10783−848 u. P184 mit Stichworten zu 10931−76)1) Juni

Agenda (Tgb 13, 270): Regum I. 21.2)

[Anf.?] (H P181 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10345−74, 10473−80, 10507−80 u. 10640−53 sowie IV H20 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit P182 u. mit 10555f. u. 10561f. sowie Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt mit P182 u. 10898−916)3)

man nicht so leicht gesehn. [nach mehrzeiligem Zwischenraum] Sie sturzen fort zu ganzen Haufen Die Narren wähnen zu ersaufen In dem sie frey auf festem Bod[en]schnaufen Und lächerlich mit Schwimmbewegung laufen Nun ist Verwirrung überall Nun gilts die ersten stehen unverdros[sen] Nah aneinander fest geschlossen Der Feind zerstreut in voller Flucht : die Raben kom[men] wieder . . . − Zu H22a s. auch Bohnenkamp 724 u. FA I 7.2, 1049f. 1 ) IV H8 (Bohnenkamp 725f.) Mundum aus 6 Foliobl. u. Briefumschlag mit Stempel Leipzig 21. May [1831]; daraus u. dem Bezug zu IV H22a ergibt sich die Datierung. − Die 1. größere Arbeitsreinschrift zu Akt IV, die das schon Ausgeführte zusammenstellt, um noch vorhandene Lücken zu verdeutlichen. Die Ausführung der mephistophelischen Schlacht geht über die tradierten Schemata hinaus; doch fehlen noch wesentliche Teile der Sz. Auf dem Vorgebirg (10367−639). Die Verse in IV H8 sind nahe der endgültigen Fassung, aber in anderer Abfolge. So stehen die Verse, die später das Ende der Sz. Hochgebirg bilden (10296−344), noch in der Mitte von IV H8 auf Blatt 2 Rs u. Blatt 3 Vs. − Die Bibelstelle Sam. II. 23.8 nach Szenar Die drei Gewaltigen treten auf (nach 10322) von G nachträglich hinzugefügt. − P184 auf Blatt 5 Rs skizziert für die noch fehlende Sz. Des Gegenkaisers Zelt den Versbereich 10931−76: Erzbischoff tritt ein. − Zu H8 s. auch Bohnenkamp 727f. u. FA I 7.2, 1050. 2 ) Lektüre von Kap. 21. des 1. Buchs der Könige in Bezug auf Philemon u. Baucis: Geschichte von König Ahab, der Naboths Weinberg begehrt. − Position als erledigt gestrichen. 3 ) H P181/IV H20 mit P182 (Bohnenkamp 708−711) Schema datierbar durch Bezug zu P178: vermutl. Anf. Juni 1831. − P181 (Zeile 1−53) u. P182 auf Vs (Zeile 54−81) bilden eine Einheit als neues Schema zu Akt IV, das mit dem Beginn der Sz. Auf dem Vorgebirg dort einsetzt, wo die Vorgaben von P178 nicht mehr gültig sind [P181, Vs:] Plateau auf dem Vorgebirge Man übersieht das Thal Trommeln kriegerische Musick von unten auf. Das Heer in Schlachtordnung Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen. −−− Kaiser Obergeneral Leibwache Hier übersiehst du Das Heer bedächtig aufgestellt Der Boden ungleich abhängig Zum Angriff schwer den Feinden Zum Vertheidigen auch wohl zum Angriff stark diesseits Und ganz natürlich finden wir bewährt Wie es die Kriegskunst nur begehrt Die Reiterey ist ihnen unnütz Unser Fußvolk tüchtig Unser rechter Flügel die Muthigsten Streitbegierigsten Der Phalanx in der Mitte − [P181, Rs:] Kräftig und unerschütterlich Die linke Flanke eigens fest Auf Felsenhorsten unersteiglich. Nicht zu umgehen nicht zu vermeiden. Geschoß und Steinwurf zu Beschädigung des Feindes So hast du es so haben es die Deinigen angeordnet Dem Glück ist wenig überlassen Das Größte was man ausgedacht Durch anderer Kraft vollführt zu sehen Des Kaisers Umnuth gegen die Menge Hoffnung auf die Getreuen festgehalten Ein Spion wird eingeführt Nachricht vom Abfall der Besseren Gegenkaiser Kaiser Eröhter Sinn Ausforderung Die Herolde gehen ab Faust Mephisto und die drey Gewaltigen [P182:] Die Stichworte Zeile 10−31 nach dem Szenar Zeile 1−9 kommen der Ausführung sehr nahe, die folgenden Zeilen 32−50 bis zur Ausforderung des Gegenkaisers weniger. Bei den Stichworten zur Schlacht (Zeile 51−76) fehlen noch die kritische Wendung der Schlacht u. der Komplex um den Nekromanten von Norcia. Der

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1. An Zelter (Br 48, 205−07): Fahre ja fort, mein Guter, aus der reichen

äußern Ernte . . . mir von Zeit zu Zeit einige Büschel zuzuschicken, indeß ich ganz in’s innere Klostergarten-Leben beschränkt bin, um, damit ich es nur mit wenig Worten ausspreche, den zweyten Theil meines Faust zu vollenden. Es ist keine Kleinigkeit, das, was man im zwanzigsten Jahr concipirt hat,1) im 82. außer sich darzustellen und ein solches inneres lebendiges Knochengeripp mit Sehnen, Fleisch und Oberhaut zu bekleiden, auch wohl dem fertig Hingestellten noch einige Mantelfalten umzuschlagen, damit alles zusammen ein offenbares Rätsel bleibe, die Menschen fort und fort ergetze und ihnen zu schaffen mache . . . Und nun hätte noch sehr vieles mitzutheilen, denn ich habe diese 14 Tage Gefangenschaft unter einer harten katarrhalischen Despotie gar wohl zu nutzen gewußt, indem ich gränzenlos las und die merkwürdigsten Dinge, an die ich sonst nie gegangen wäre, mir klar machte, z. B. das wunderliche Treiben der St. Simonisten in Paris.2) 5. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1480): Daß Du tätig bist deinen Faust zu vollenden ist mir ein ganz besonderer Trost. Fahre fort Zion! und mache zu Schaffen; sie werden Dich manteln!3) denn, was sie schon jetzt daraus machen ist hinlänglich alle seine Rippen zu zählen.4) 6. Mittag Dr. Eckermann und Wölfchen. Jenen ließ ich etwas frisch Pro-

ducirtes lesen. 6. [Weimar] Eckermann Gespräche (FA II 12, 488f.): Goethe zeigte mir heute den noch fehlenden Anfang des fünften Aktes von Faust.5) Ich las bis zu der Stelle, wo die Hütte von Philemon und Baucis verbrannt ist, und Faust in der Nacht, auf dem Balkon seines Palastes stehend, den Rauch riecht, den ein leiser Wind ihm zuwehet. Die Namen Philemon und Baucis, sagte ich, versetzen mich an die phrygische Küste, und lassen mich jenes berühmten altertümlichen Paares gedenken;6) aber doch spielet unsere Szene in der neueren Zeit und in einer christlichen Landschaft. „Mein Philemon und Baucis, sagte Goethe, hat mit jenem berühmten Paare des Altertums und der sich daran knüpfenden Sage nichts zu tun. Ich gab meinem Paare bloß jene Namen, um die Charaktere dadurch zu heben. Es sind ähnliche Personen und ähnliche Verhältnisse,

Einsatz der Geister ist durch 4 Verse angedeutet, die nach Zeile 67 eingefügt sind: Habe freylich nicht gesäumt / Die Waffensäle ringsum ausgeräumt / Gar manch Gespenst hat sich damit geputzt / Das Mittelalter lebhaft aufgestutzt (10555f. u. 10561f.) Eine zusätzliche Bleistiftnotiz G’s zu Zeile 76 führt das Zelt des Gegenkays[ers] ein, das in der Ausführung Schauplatz einer eigenen Szene wird. Das Schema schließt mit Beleihungen Zuletzt mit dem Meeresstrande. − IV H20 enthält für die Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt auf Rs Entwürfe zur Verleihung der Erzämter (10898−916). − Zu H20 s. auch Bohnenkamp 711f. u. FA I 7.2, 1047. 1 ) Zur Zeitangabe s. die Z von 1769 in „Faust. Frühe Fassung“, S. 32–40. 2 ) s. oben 21. u. 30. Mai 1831: Tgb. 3 ) MA 20.3, 1205: Mit dem Mantel des Ruhms und der Ehre bekleiden. 4 ) Das Folgende s. „Faust. Eine Tragödie“: Zelter an G gD, S. 458. 5 ) s. oben 2. Mai 1831: Eckermann Gespräch. 6 ) Quelle: Ovid, Metamorphosen VIII 618−724 u. Kurzfassung bei Hederich 1770, 529f.

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und da wirken denn die ähnlichen Namen durchaus günstig.“1) Wir redeten sodann über den Faust, den das Erbteil seines Charakters, die Unzufriedenheit, auch im Alter nicht verlassen hat, und den, bei allen Schätzen der Welt, und in einem selbstgeschaffenen neuen Reiche, ein paar Linden, eine Hütte und ein Glöckchen genieren, die nicht sein sind. Er ist darin dem israelitischen König Ahab nicht unähnlich, der nichts zu besitzen wähnte, wenn er nicht auch den Weinberg Naboths hätte.2) „Der Faust, wie er im fünften Akt erscheint, sagte Goethe ferner, soll nach meiner Intention gerade hundert Jahr alt sein, und ich bin nicht gewiß, ob es nicht etwa gut wäre, dieses irgendwo ausdrücklich zu bemerken.“3) Wir sprachen sodann über den Schluß, und Goethe machte mich auf die Stelle aufmerksam, wo es heißt: Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen: Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen, Und hat an ihm die Liebe gar Von oben Teil genommen, Begegnet ihm die selige Schar Mit herzlichem Willkommen 〈.〉 „In diesen Versen, sagte er, ist der Schlüssel zu Fausts Rettung enthalten. In Faust selber eine immer höhere und reinere Tätigkeit bis ans Ende, und von oben die ihm zu Hülfe kommende ewige Liebe. Es steht dieses mit unserer religiösen Vorstellung durchaus in Harmonie, nach welcher wir nicht bloß durch eigene Kraft selig werden, sondern durch die hinzukommende göttliche Gnade.“ „Übrigens werden Sie zugeben, daß der Schluß, wo es mit der geretteten Seele nach oben geht, sehr schwer zu machen war,

1

) Dazu Anderegg 2011, 126−28: Goethes Äußerungen über Faust in den Berichten Ekkermanns sind erstaunlich oft irreführend . . . so verdeckt die Bemerkung über Philemon und Baucis . . . eine intertextuelle Beziehung . . . Gegenüber diesem Prätext [der Geschichte von Philemon und Baucis in Ovids Metamorphosen] erweist sich die Geschichte in Faust als eine genaue Kontrafaktur: die gute und anrührende Geschichte wird zu einer bösen und erschreckenden umgeschrieben. Bei Ovid sind es Jupiter und Merkur, die von den armen Alten gastfreundlich aufgenommen werden . . . Ihrer Güte und Gastfreundschaft wegen werden Philemon und Baucis von der Flut verschont, die die Götter . . . als Strafe über das Land hereinbrechen lassen. Ihre ärmliche Hütte wird in einen Tempel verwandelt, in welchem sie, ihrem Wunsch entsprechend, als Priester wirken dürfen, bevor sie schließlich im hohen Alter und entkräftet, da, wo sie gelebt haben,in zwei Bäume verwandelt werden, in eine Linde und in eine Eiche, deren Äste ineinander greifen dürfen. Auch in Faust erfahren wir, dass Philemon und Baucis einem Hilfesuchenden Obdach gewährt haben; der Wanderer, einst als Schiffbrüchiger von ihnen aufgenommen, berichtet von seiner Rettung und seiner Dankbarkeit. Aber heimgesucht werden die beiden Alten nicht von Jupiter und Merkur, sondern von Mephisto und seinen Drei Gewaltigen Gesellen. Zwar sind auch diese, wie die Götter Ovids, übernatürliche Wesen in Menschengestalt, aber sie bringen nicht Belohnung für erwiesene Wohltat, sondern Enteignung und Tod. Goethe übernimmt in seiner Geschichte von Philemon und Baucis auch das Motiv von Feste und Flut, aber er wendet es um: Die beiden Alten sind überraschend von festem Land umgeben, das − Fausts großes Projekt − dem Meer abgetrotzt worden ist . . . Weitere Details siehe ebd. 2 ) Vgl. Schluß von Akt V Sz. [3] Tiefe Nacht (11286f.): Auch hier geschieht, was längst geschah, Denn Naboths Weinberg war schon da mit Stellenangabe (Regum I. 21.) 3 ) So in P197: H. F. [Haltefest?] Mit jedem Tag wird man gescheiter! Du bist nun hundert Jahr, ich bin schon etwas weiter. − Im definitiven Text keine genaue Altersangabe.

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und daß ich, bei so übersinnlichen, kaum zu ahnenden Dingen, mich sehr leicht im Vagen hätte verlieren können, wenn ich nicht meinen poetischen Intentionen, durch die scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren und Vorstellungen, eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit gegeben hätte.“ Den noch fehlenden vierten Akt vollendete Goethe darauf in den nächsten Wochen, so daß im August der ganze zweite Teil geheftet und vollkommen fertig [Reinschrift H] dalag. Dieses Ziel, wonach er so lange gestrebt, endlich erreicht zu haben, machte Goethe überaus glücklich. „Mein ferneres Leben, sagte er, kann ich nunmehr als ein reines Geschenk ansehen, und es ist jetzt im Grunde ganz einerlei, ob und was ich noch etwa tue.“

Juni

7. Mittag Dr. Eckermann. Ich gab ihm den 5. Aufzug von Faust mit. 7. An Marianne v. Willemer (Br 48, 220): Es ist mir diese Zeit her man-

ches Gute begegnet und gelungen; ich finde mich in dem Falle, nach und nach Ordnung zu machen in allen Dingen um mich her . . . 9. An Zelter (Br 48, 222−24): Heute sind es gerade drey Wochen, daß ich durch einen widerwärtigen Rheumatismus abgeschlossen bin von allem eigentlich geselligen Leben. Meine Nächsten hatten die Freundlichkeit mich diese Tage her zu subleviren [unterstützen]. Das bißchen Thätigkeit, was mir übrig blieb, hab ich angewendet, um zu beseitigen, was nur einen mäßigen Willen und keine Geisteskraft verlangte. Ich hatte die ersten Monate des Jahrs gut angewendet, so daß ich mich des Geleisteten erfreuen konnte, indem ich manches in Gedanken vorbereitete, was zunächst auch gelingen wird . . . Nach all diesen, etwas Timonischen Ausdrücken1) . . . darf ich dir wohl vertrauen: daß seit Anfang des Jahrs mir manches gelungen ist, was ich dafür halten kann, weil ich wenigstens es nicht besser zu machen wüßte. Sey dir also dergleichen Vermächtniß hiemit angekündigt. 18. An Zelter (Br 48, 240f.): Seit drey Wochen, wie ich schon geklagt habe, von katarrhalischen Unbilden und dem widerwärtigsten Wetter niedergehalten, hab ich mich denn doch immer, wie dir auch angenehm zu hören seyn wird, dergestalt zu fassen und zu wehren gesucht, daß ich Tag vor Tag nicht nachgab, sondern fort und fort das Nächste zu fördern trachtete, so daß ich durch diese Hindernisse nicht zurückgehalten ward, sondern vorwärts gegangen bin und zwar in bedeutenden Angelegenheiten, wo man, wenn auch nicht große, nur sichre Schritte zu machen hat. Darunter ist denn auch einiges, das, wenn es dir seiner Zeit vor die Seele gebracht wird, dich nicht ohne Anregung lassen kann. [Juni Mitte/ (IV H19 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10512−18, 10525−30, 10534f., Ende?] 10546f. u. P191)2) 1

) Nach Art des notorisch verdrießlichen Timon von Athen. ) IV H19 (Bohnenkamp 713f.) tentativ datierbar durch Briefumschlag u. Bezug zu den P181 u. P182. Bleistift-Entwürfe G’s zu Versen von Raufebold (10512−18), Habebald (10525−30), Eilebeute (10534) u. Haltefest (10546), die in der 1. großen Arbeitsreinschrift (IV H8) noch fehlen. P191 ist ein erster Entwurf in Jamben zur schon im P178

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[Juni Mitte/ (IV Hd zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10693−702, 10707−16, ohne 10710, Ende?] 10725f., 10737−41, 10768−73)1) [Juni (IV H5 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg mit Entwürfen zu 10095ff., 10130−76 (ohne nach 18.] 10157), P188 u. P189 u. Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10547−53 u. P187)2) (IV H2 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg mit 10067−70, 10107−21, ohne 10115, u. 10130−211)3)

[Sommer] [Weimar] Eckermann, Gespräche mit Goethe über den zweiten Theil des Faust4) (GG 3.2, 934): Goethe übergab mir heute [ohne Datum] das Manuskript des zweiten Teiles seines Faust, um es nebst seinem übrigen Nachlaß einstens. „Sie lesen es wohl noch einmal“, sagte er, „und bemerken wohl, was Ihnen etwa auffällt, damit wir es nach und nach ins reine bringen. Ich wünsche übrigens nicht, daß es jemand anders lese. Sie wissen, ich habe Zelter davon einiges gezeigt; aber sonst kennt es außer Ottilien und Ihnen niemand. Anderen guten Freunden, die nach dem Manuskript einige Neugierde vorgesehenen Ausforderung des Gegenkaisers zum Zweikampf: Die Menge steht dem Kayser nie entgeg[en] Will sie von ihm sich tren[nen] ists Verrath. Rebellion, stets bleibt sie unter ihm Hebt er sie nicht durch Neigung zu sich auf Druckt an die Brust sie liebend vaterlich Nun flucht er ihr als dem ungerath[enen] Verwilderten Geschlecht. Tritt aber tritt Ein Mann hervor u sagt: ich bin der Kayser Das klingt schon anders. Klingt personlich gr[os] Ein GegenKayser: Gut er stell[e] sich. So seys denn Kayser geg[en] Kayser gleich gew[agt] − Zu H19 s. auch Bohenkamp 714 u. FA I 7.2, 1048. 1 ) IV Hd (W 15.2, 133) tentativ datierbar durch Briefumschlag u. Bezug zu P181 u. P182.− Fol. G Blei (Rs Stück Adresse von Sorets Hand, schwarz gesiegelt) enthält für die Szene Entwürfe zu Versen des Obergenerals (10693−98), des Kaisers (10699−702), Mephistos (10707−09, 10711−16, 10737−41 u. 10768−73) u. Fausts (10725f.). 2 ) IV H5 (Bohnenkamp 692−96): tentativ datiert: nach 18. Juni 1831 wegen eines adress. Bogens betr. eine Carlyle Sendung. Zeile 1−5 ältester überlieferter Entwurf zum Gebirgs-Motiv: F Mir ist es lieb das das Gebirge stu[mm] ist Und macht dich nicht vergeb[ne] Pein So lang das Volk so übermaßig du[mm] ist Der Teufel braucht nicht klug zu sey[n], erster Ansatz zur Gebirgsentstehung (10095ff.) vor allem für Hochgebirg die Verse 10130−76, eine Ausführung der Stichworte des P178: Mephisto. steigt aus. Sagt Faust habe nun die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit gesehen Ob er sich etwas ausgesucht habe . . . Jener schildert die Zustände der besitzenden Menschen Faust hat immer etwas Widerwärtiges. Meph. schildert ein Sardanapalisches Leben. Faust entgegnet durch Schilderung der Revolte (Zeile 7−23). − Daneben den ältesten überlieferten Entwurf (4 Verse) zum später breit ausgeführten Gespräch über die Entstehung des Gebirges (10095ff.) u. für Auf dem Vorgebirg einen Entwurf zu Mephistos Versen 10547−53. − P188 Var frühe Entwürfe zu Fausts Versen, in denen er sich die Auseinandersetzung mit dem Meer zum Ziel setzt (10198−233). Das zweizeilige P189 Unfruchtbar kams, unfruchtbar weichts zuruck Und daß es ja unfruchtbar bleib, kann als frühe Version zu 10211ff. angesehen werden. P187 das dauert mir zu lange Ich nehme lieber als empfange, läßt sich nicht zweifelsfrei zuordnen. − Zu H5 s. auch Bohnenkamp 696f. u. FA I 7.2, 1045f. 3 ) IV H2 (Bohnenkamp 705−7) tentativ datiert als überarbeitetes Mundum von IV H5 (s. vorheriges Z m. Anm.). − John Tinte mit G’s Korrekturen in Blei u. Tinte. Szenar vor 10067: Ein Siebenmeilenstiefel tappt auf, der Zweyte folgt alsobald, Mephisto. /: steigt ab, die Stiefel schreiten ungesäumt weiter :/ folgt 10067−70, 10107−14, 10116−19, Entwurf zu 10123ff. u. 10130−33. Erste Ausführungen zum ›Erdentstehungsgespräch‹ der Sz. Hochgebirg, doch von der definitiven Fassung noch deutlich divergierend. 4 ) Undatiertes Gespräch aus dem Nachlaß, geschrieben nach 1850 von Eckermanns Sohn Karl vermutlich nach Diktat.

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verrieten, habe ich weisgemacht, ich hätte es mit sieben Siegeln belegt und fest verschlossen. Wir wollen es dabei bewenden lassen, damit ich nicht ferner geplagt werde!“

[Juni (H P188a zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg 10207f. u. 10216f.)1) nach 24.] Juni 24. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 1. Sept 1831 −: Galilaei, Galileo: Systema cosmicum, autore Galilæo Galilæi Lynceo, Academiæ Pisanæ mathematico extraordinario, Serenissimi Magni-Ducis Hetruriæ philosopho et mathematico primario: in quo quatuor dialogis, de duobus maximis mundi sytematibus, Ptolemaico u. Copernicano, utriusque rationibus philosophicis ac naturalibus indefinite propositis, disseritur; ex Italica lingua Latine conversum; accessit hac altera editione praeter conciliationem locorum scripturæ cum terræ mobilitate, eiusdem tractatus de motu nunc primum ex Italiano sermone in Latimum versus. Leiden 1699)2) 24. Einige Hoffnung zu glücklicher Fortsetzung des Unternommenen.3) . . . 25. 26. 27. 28. 28.

[Nachmittags] Ich las in Galilei’s Werken.4) Sonstige höhere Betrachtung, Fördernisse nicht unbedeutend. Fortgeführter Hauptzweck. [Nachmittags] In Galilei gelesen.5) Den Hauptzweck nicht außer Acht gelassen. An Zelter (Br 48, 258f.): Bey manchen innern stillen Arbeiten . . . bin ich doch auch in das neuere Französische mitunter hineingezogen worden und habe bey solcher Veranlassung über die Re´ligion Simonienne6) nachzudenken gehabt.7) 1

) P188a (Bohnenkamp 699) datierbar durch Exzerpt aus Catteau-Calleville, Tableau de la mer baltique, wie schon Morris 1902 II 111−13 erkannte; die Stichworte Fluth u. Ebbe Maree basse Ebbe Flux reflux (Zeile 1−3), gehen zurück auf Kap. Flux et Reflux (Bd 1, T. 2, 115−18), das Ebbe und Flut als un des spectacles les plus remarquables que l’homme puisse contempler sur le grand the´a ˆtre des ´ele´mens (1, 115) charakterisiert; auslösend für G’s Reflexion (Zeile 4−7): Und wenn die Fluth dich noch so vorwärts führt Die Ebbe gleich wird dich zurücke reissen, als Vorarbeit zu 10207f. u. 10216f. (Doch ähnlich schon G’s Spruch Das Meer flutet immer, Das Land behält es nimmer im West-östlichen Divan.) − Zu P188a s. auch Bohnenkamp 700 u. FA I 7.2, 1046. 2 ) Zu Akt IV Lektüre von Galileis 4. Dialog, in dem die Meeresgezeiten im Zusammenhang mit der Bewegung der Erde erörtert werden: Erstausg. der lat. Übers. Leiden 1635. Vgl. unten [Ende Juni 1831]: IV H18. 3 ) Nachdem G’s Arbeitsfähigkeit Wochen lang durch grippale Infekte u. rheumatische Leiden sehr eingeschränkt war, arbeitete er ab der letzten Juniwoche wieder intensiv an Akt IV weiter. 4 ) Zu Galileis Systema cosmicum im Zusammenhang mit Akt IV s. unten 30. Juni 1831: an Graf Sternberg mit Anm. 5 ) Zum Bezug der Galilei-Lektüre mit Akt IV s. unten 30. Juni 1831: an Graf Sternberg mit Anm. 6 ) Hinweis auf: De la Religion Saint-Simonienne. Bruxelles 1831; s. oben 21. Mai 1831: Tgb m. Anm. 7 ) Aus der Perspektive des Faust II-Dichters, der soeben in Akt IV seine vielfachen Erfahrungen mit politischen Machenschaften im Weltlauf gestaltete, fährt G fort: An der Spitze dieser Secte stehen sehr gescheite Leute, sie kennen die Mängel unserer Zeit genau und verstehen auch das Wünschenswerthe vorzutragen; wie sie sich aber anma-

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Juni 29. Nachher [Nachmittags u. Abends] . . . das Hauptgeschäft nicht außer

Augen lassend. 30. Zum Zweck fortgearbeitet. 30. An Graf Sternberg (Br 48, 265): Zu Stärkung und Kräftigung habe ich angefangen, die Dialogen des Galilei zu lesen.1) [Ende?] (IV H12 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg P192 u. Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10407−22, ohne 10419f.; P183 mit 10345−422 u. 10463−72, P191)2)

ßen wollen, das Unwesen zu beseitigen und das Wünschenswerthe zu befördern, so hinkt sie überall. Die Narren bilden sich ein, die Vorsehung verständig spielen zu wollen, und versichern, jeder solle nach seinem Verdienste belohnt werden, wenn er sich mit Leib und Seele, Haut und Haar an sie anschließt und sich mit ihnen vereinigt. Welcher Mensch, welche Gesellschaft dürfte dergleichen aussprechen, da man ja von Jugend auf nicht leicht jemand kennen und die Steigerung seiner Thätigkeit beurtheilen wird. Wodurch bethätigt sich denn zuletzt der Charakter, als daß er sich in der Tagesbewegung, im Hinund Widerwirken bildet. Wer unterstünde sich den Werth der Zufälligkeiten, der Anstöße, der Nachklänge zu bestimmen, wer getraute sich die Wahlverwandtschaften zu würdigen. Genug, wer sich untersteht zu schätzen, was der Mensch ist, der müßte in Anschlag bringen, was er war und wie er’s geworden ist. Solche allgemeine Unverschämtheiten haben wir gar oft schon erlebt, sie kehren immer zurück und müssen geduldet werden. Dieß hab ich bey Gelegenheit jener Unternehmungen gedacht, und ich zweifle nicht, daß dabey noch gar manches Andere zu denken seyn möchte. Zur Beschäftigung mit dem Saint-Simonismus s. oben 21. u. 30. Mai: Tgb m. Anm. 1 ) Galileis Systema Cosmicum, in quo Dialogis IV de duobus maximis Mundi systematibus. Bohnenkamp 731 zeigte, daß G’s Lektüre von Galileis Dialogen im Zusammenhang mit Akt IV standen, da auf der Rs von Bl. 1 der Entwurfs-Hs. IV H 18 eine egh Bleistiftnotiz steht: Galilei Dialogis d[xx] Systema Cosm[icum] Doppe[l]te Bewegung? vid. dial. 4.) . . . der hier angegebene vid. dial. 4.) diskutiert das Phänomen der Meeresgezeiten im Zusammenhang mit der Bewegung der Erde. Zu IV H 18 s. unten [Ende Juni]. 2 ) IV H12 (Bohnenkamp 717−19) datierbar durch Anschluß an IV H19: vermutl. Ende Juni 1831. P 191: Kaiser: / nach einigem Nachdenken:/ Die Menge steht dem Kaiser nie entgegen Will sie von ihm sich trennen ists Verrath, Rebellion; stets blieb sie unter ihm Hub er sie nicht durch Neigung zu sich auf, Drückt an die Brust sie, liebend väterlich, Nun flucht er ihr, als einem ungerathnen, Verwilderten Geschlecht. − Tritt aber tüchtig Ein Mann hervor und ruft: ich bin der Kaiser Das klingt schon anders, klingt persönlich groß Ein Gegenkaiser, gut ! er stelle sich So seys denn Kaiser gegen Kaiser frisch gewagt. (Diese an Napoleon erinnernden Verse später gestrichen.) Es folgen die Verse des Kaisers, der die Herausforderung des Gegenkaisers annimmt 10407−22, ohne 10419f. mit der Szenenanweisung: Faust Mephisto /: geharnisch mit geschloßenen Helmen:/ Die Drey Gewaltigen /: gekleidet und gerüstet wie oben:/ − Rs P 183: Kayser Obergeneral ObG. Legt die Stellung des Heeres aus Vortheile. Hofnungen Erster Kundschafter Hie u da Abfall Im Ganzen Laßigkeit Kayser Wenig Trost Zweyter Kundschafter Gegen Kayser Aufregung Ausforderung Herolde ab. Kaysers vorerst ablehnende Antwort an Faust Schlacht. Motive der beyden Flügel Und der Mitte. P192: Der Her[r] ist jung man merckts ihm an; MA 18.1, 1060: Als mokante Replik Mephistos auf des Kaisers kühnen Entschluß zum Zweikampf (10472) und vor Fausts ernster Warnung (10473) würde sich der Vers sinnvoll einordnen. − Zu H12 s. auch Bohnenkamp 720 u. FA I 7.2, 1049.

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[Juni (IV H18 zu Akt IV Sz. [1] Hochgebirg mit 10120f., 10212−33 u. Sz. [2] Auf dem Ende] Vorgebirg mit 10475−546)1) (IV H11 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg Entwürfe zu 10385−92, 10399−406, 10427−38, 10455−62)2)

Juli

1. Den Hauptzweck verfolgt . . . [Nachmittags] Blieb für mich, das Haupt-

geschäft fördernd. 2. Den Hauptzweck verfolgt . . . [Nachmittags] Die Früharbeit fortgesetzt. 3. Das Hauptgeschäft fortgesetzt . . . John einiges Mundum. 4. Auf den Hauptzweck losgearbeitet. John mundirte . . . [Nachmittags]

John fuhr fort zu mundiren. 5. Den Hauptzweck nicht außer Augen gelassen. Einiges Mundum deßhalb.3) [Anf.] (IV H13 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10407−564, ohne 10429−38, 10443−46, 10557−60 u. 10524)4) 6. Das Hauptgeschäft verfolgt. 7. Den Hauptzweck verfolgt. 8. Annäherung zum Hauptzweck. 8. An Zelter (Br 49, 3f.): Dieß alles5) halte ja geheim; denn ich möchte

dieß sogar kaum fortschicken, wenn ich dir nicht zugleich sagen könn1

) IV H18 (Bohnenkamp 729f.) auf Ende Juni 1831 datierbar durch Lektürehinweis auf Galilei: Ende Juni 1831. − G Blei auf Bl. 1 Vs Entwürfe zu 10475−502. Auf Bl. 1 Rs Bleistiftentwürfe für die Sz. Hochgebirg zu Fausts Auseinandersetzung mit den Meeresgezeiten (10212−33), auf die sich mit Sicherheit die Randnotiz bezieht, die − obwohl schwer lesbar − eindeutig als Verweis auf den 4. Dialog von Galileis Systema cosmicum zu erkennen ist, der das Phänomen der Meeresgezeiten im Zusammenhang mit der Bewegung der Erde diskutiert; vgl. Bohnenkamp 665 u. 731. Bleistiftentwürfe überschrieben mit 10503−10 u. 10519−24. Blatt 2 Vs u. Rs enthalten Entwürfe zu 10511−18 u. 10525−46 u. die Szenare vor 10511 u. 10523 sowie die Angabe der Sprecher vor 10541 u. 10543. 2 ) IV H11 (Bohnenkamp 721) egh Entwürfe zur Begrüßung Fausts durch den Kaiser, dessen Hilfsangebot bereits vorausgesetzt ist, aber vom Kaiser, wie in der definitiven Fassung, erstmal abgelehnt wird. Datiert nach MA 18.1, 1061: Ende Juni 1831. Vorstufe zum Zwischenmundum IV H13. − Zu H11 s. auch Bohnenkamp 722 u. FA I 7.2, 1049. 3 ) Womöglich mit Bezug auf Johns Mundum IV H 13; s. das nächste Z. 4 ) IV H13 (Bohnenkamp 732f.) enthält die korr. Fassung von IV H18, woraus sich die tentative Datierung Anf. Juli 1831 ergibt. Es ist die 2. größere Arbeitsreinschrift zu Akt IV, welche die Entwürfe in IV H17, IV H18, IV H9, IV H11, IV H15, IV H12 u. IV H14 zusammenfaßt u. einen Großteil der in IV H8 noch vorhandenen Lücken im Kriegsgeschehen schließt. Sie umfaßt den Versbereich 10407−564; es fehlen noch: Faust: 10429−36, 10443−46 u. 10524, Kaiser: 10437f. u. Mephisto: 10557−60. − Zur späteren Erweiterung des Nekromanten-Motivs (10443−46) s. unten [nach 8. Dez 1831]: IV H16. − Zu H13 s. auch Bohnenkamp 733 u. FA I 7.2, 1050. 5 ) G’s Gedanken über ein Danae-Gemälde u. den echten Künstler, der es hervorgebracht hat, weiß selbst nicht recht wie, aber mit dem Bewußtsein daß er es recht gemacht habe . . . Doch vermut ich die neuste Philosophie weiß das alles besser, aber

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Juli

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9. 10. 11. 12. 13.

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te daß es mir in jedem Sinne wohlgeht, dergestalt, daß ich mir ein vor meinem nächsten Geburtstag zu erreichendes Ziel vorgesteckt habe, das ich nicht vorzeitig berufen will. Ist es gelungen, so sollst du der erste seyn dem es notificirt wird.1) An dem Hauptgeschäft fortgefahren. Das Hauptgeschäft ununterbrochen fortgesetzt. Den Hauptzweck verfolgt . . . [Abends] Einige erwünschte Fortschritte zum Hauptzweck. Die Verbindung gelang mit der Hauptparthie.2) John mundirte. Fortgesetztes Hauptgeschäft.3)

14. (Aus der Weimarer Bibliothek − bis 22. Juli 1831 − : O l e n s c h l a g e r , Johann Daniel: Neue Erläuterung der Goldenen Bulle Kaysers Carl IV . . . Frankfurt u. Leipzig 1766)4)

freilich nur in sich selbst; unzugänglich dem Leben und dem mitgebornen Menschenverstande. (Ebd., 3). 1 ) Gemeint war zweifellos der Abschluß von Faust II; s. unten 25. Juli 1831: Tgb m. Anm. 2 ) Verbindung der seit 24. Juni 1831 entstandenen Verse von Akt IV mit der Hauptparthie des bereits vorliegenden Faust u. nicht, wie Düntzer 1891, 332 annahm, die Verbindung von Akt V mit Faust I; vgl. Bohnenkamp 665; durch Bezug zu IV H18 datierbar: Anf. Juli 1831. 3 ) Zu Akt IV Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt (10849−11042). Bei der am 13. Juli 1831 fortgesetzten u. am 21. Juli 1831 beendeten Arbeit am Hauptgeschäft handelt es sich, wie die Olenschlager-Lektüre zeigt, um die Ausführung der Akt IV abschließenden Staats-Szene in Alexandrinern. − Zwei überlieferte Vorarbeiten waren noch in fünfhebigen Jamben entworfen: so des Erzbischofs Aufforderung an den Kaiser, der Kirche Land zu stiften; s. oben [nach 30. Mai 1831]: IV H22a u. auf IV Hc Bl. 2 Vs das P193, zur geplanten Belehnung Fausts, in dem Faust für seine Dienste vom Kaiser zum Ritter geschlagen wird. − Erst in einer egh Niederschrift G’s, die zw. 13. u. 21. Juli 1831 entstanden sein muß, ist die Szene in Alexandrinern überliefert. Diese Niederschrift liegt, verstreut in verschiedenen Archiven, in einzelnen Blättern vor, deren Zusammengehörigkeit u. Reihenfolge aus einer egh Paginierung u. aus Anschlußzeichen zu ersehen ist: IV Hc mit 10849−88, IV Hf mit 10889−98, IV H20 mit 10899−916, IV H1 mit 10917−30, IV Hg mit 10931−11022 u. IV Hh mit 11023−42. Die in IV Hg noch fehlenden 10987−90, die zusammen mit den 10440−46 das Nekromanten-Motiv ausbauen, wurden Dez 1831/Jan 1832 ergänzt; vgl. Bohnenkamp 668f. − Die Entscheidung für den Alexandriner-Vers fiel erst Mitte Juli 1831, wohl zugleich mit dem Entschluß, auf eine szenische Darstellung von Fausts Belehnung zu verzichten; s. auch Ingeborg Frandsen: Die Alexandrinerszene in Faust II. Kiel 1969 u. Mommsen 1989, 26–29. 4 ) Zu Akt IV Sz. [3] Des Gegenkaisers Zelt (10849−11042). Zur Gestaltung des Staatsakts diente Olenschlagers Werk, enthaltend: 1.) die Bulla Aurea Karoli IV. Imperatoris Anno MCCCLVI Promulgata (lat. Text der Kap.1−23 des Nürnberger Gesetzbuchs u. der Kap. 24−31 des Metzer Reichstags auf 47 unpag. Seiten); 2.) die Neue Erläuterung von Olenschlager in 107 Paragraphen (S. 1−416) u. 3.) ein Urkunden-Buch mit gesammelten Verordnungen in der Nachfolge der Goldenen Bulle (S. 1−260). − G kannte die Goldene Bulle von 1356, das wichtigste Verfassungsgesetz des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, schon durch frühzeitigen Umgang mit dem Frankfurter Ratsherrn v. Olenschlager, als er eben seine E r l ä u t e r u n g der güldnen Bulle schrieb; da er mir denn den Werth und die Würde dieses Documents sehr deutlich herauszusetzen

814 Juli

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1831

14. Einige Concepte. 15. Einige Concepte. Mundum eingeheftet . . . Lectüre zu den nächsten

Zwecken.1) 16. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1506): Du lebst in seliger Tätigkeit uns Andere an Deinem 84ten Geburtstage [mit Faust II] zu beschenken und wir − sollen danken lernen. 18. Am Hauptgeschäft fortgefahren . . . Mittags Dr. Eckermann, dessen Ver19. 20. 20.

21. 22. 22.

gnügen am Gelingen der Hauptvorsätze. Im Hauptgeschäft vorgerückt. John mundirte. Am Hauptgeschäft fortgefahren. An H. Meyer (Konzept; Br 49, 10f.): Wundersam bleibt es immer wie sich der von allem absondernde, theils revolutionäre, theils einsiedlerische Egoismus durch die lebendigen Thätigkeiten aller Art hindurchzieht. Den meinen, will ich nur bekennen, hab ich in’s Innerste der Production zurückgezogen und den, nunmehr seit vollen vier Jahren, wieder ernstlich aufgenommenen zweyten Theil des Faust in sich selbst arrangirt, bedeutende Zwischenlücken ausgefüllt und vom Ende herein, vom Anfang zum Ende das Vorhandene zusammengeschlossen. Dabey hoffe ich, es soll mir geglückt [sein], alle den Unterschied des Früheren und Späteren ausgelöscht zu haben. Und so ist nun ein schwerer Stein über den Bergesgipfel auf die andere Seite hinabgewälzt. Gleich liegen aber wieder andere hinter mir, die auch wieder gefördert seyn wollen; damit erfüllt werde, was geschrieben steht [Prediger Salomo 1, 13]: „Solche Mühe hat Gott den Menschen gegeben.“ Abschluß des Hauptgeschäftes. Das Hauptgeschäft zu Stande gebracht. Letztes Mundum. Alles rein Geschriebene eingeheftet. An S. Boissere´e (Br 49, 18f.): Auch Sie, mein Theuerster, finde ich schon seit vielen Jahren erprobt, daß man zu bedenklichen Zeiten seine Thätigkeit gleichsam schärfen und sich bedeutende Aufgaben auferlegen müsse, welche eine entschiedene Richtung nach innen fordern und begünstigen. Ich finde mich in diesen Fall gesetzt und hoffe, eh noch zwey Monate vergehn, inwiefern es mir geglückt ist, entschiedene Nachricht geben zu können. wußte (AA-DuW 1, 133). Im März/April 1764 in Frankfurt hatte G bei Wahl u. Krönung Josephs II., die die Kaiserwahl regelnde Goldene Bulle in Praxis erlebt; vgl. die Schilderungen in DuW Buch 5 von 1811, für die er Olenschlager zu Rat gezogen hatte (Keudell Nr. 717). − Zu Akt IV diente speziell das Haupt-Grund-Gesez der Teutschen Staatsverfassung, der Kommentar zur Einsetzung der Kurfürsten in ihre Rechte u. Pflichten u. die Verleihung der Erzämter, Kap. XXVII. De officiis principum electorum in solempnibus curiis imperatorum vel regum Romanorum mit § 94 der Neuen Erläuterung (S. 372−374). 1 ) Bezieht sich auf die Lektüre von Olenschlagers Werk.

1831 Juli

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25. Hierauf kam Zelter, dem ich die klassische Walpurgisnacht anvertrau-

te.1) Aug 20. [Rosenheim] S. Boissere´e an G (G−Boissere´e 2, 573): Lassen Sie mich noch lieber etwas von der neuen Aufgabe vernehmen, die Sie sich selbst gesetzt haben. Die Nachricht davon hat mir als das beste Zeichen Ihrer innern Heiterkeit den allerangenehmsten Eindruck gemacht. Möge Ihnen die Lösung auf das Schönste gelingen. [4./25.]2) F. Förster, Erinnerungen aus Gesprächen mit Goethe3) (Kletke 216f.): Die Berichte, welche ich und meine Frau bei unsern öfter wiederholten Besuchen in Weimar dem Dichter persönlich erstatteten, gaben mir die erwünschte Veranlassung, über eine und die andere Stelle im Faust mir Auffschluß und Belehrung zu erbitten, wobei ich gelegentlich auch Näheres über den zweiten Theil und über den Abschluß des Ganzen zu erfahren suchte. Ich erhielt nur ausweichende Antworten; ich erinnere mich nur, daß, als ich die Vermuthung aussprach, die Schlußscene werde doch wohl in den Himmel verlegt werden, und Mephisto als überwunden vor den Hörern bekennen, daß „ein guter Menschen in seines Herzens Drange sich des rechten Weges wohl bewußt sei,“ − Goethe kopfschüttelnd sagte: „Das wäre ja Aufklärung. Faust endet als Greis, und im Greisenalter werden wir Mystiker.“ Bei meinem letzten Besuche (1831) lagen zwei starke Foliobände, Manuskripte enthaltend, auf seinem Arbeitstische, und auf diese zeigend, sagte er: „Unter sieben Siegeln liegt hier der zweite Teil des Faust verschlossen; erst aber, wenn ich es nicht mehr instande sein werde, mögen andere ihre Hand daran legen.“ Und so geschah es: der zweite Teil des Faust erschien vollständig erst nach des Dichters Tode. Ich suchte das Gespräch wiederum auf die Bearbeitung des Faust für die Bühne zu leiten, und Goethe stimmte meiner Ansicht bei, daß die großen Dramen und Tragödien in alter wie in neuerer und neuester Zeit nur durch die Vorstellungen auf der Bühne zu allgemeinem Verständnis und allgemeiner Anerkennung gelangt wären. „Aber eben die Bearbeitung“, bemerkte Goethe, „das ist der schwierige Punkt, zumal bei einem Drama wie der Faust, bei welchem der Dichter von Haus aus gar nicht an eine Aufführung auf der Bühne gedacht hat. Hält es doch schwer genug, selbst die gedrungensten Stücke Shakespeares, der doch ausdrücklich nur für die Darstellung schrieb, für unser Theater bühnengerecht zu bearbeiten.“ 31. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2., 1523f.): Nun sage mir mein Geliebter: ist der Faust zur Ruhe gebracht? ich sage nicht zu viel wenn ich bekenne, daß er beinahe meine letzte Sorge auf der Erde gewesen ist. Denn eigentlich hab’ ich keinen reinen Wohlgefallen mehr an der Welt, wie schön sie ist. Ich arbeite mit aller Kraft, mich vor hypochondrischen Anfällen zu bewahren, da man dergleichen infiziertes Volk in Scharen an sich vorüber schattieren sieht. Ist aber dieser Stein von meinem Herzen, so bin ich wieder mein und denke schon wieder auf Weiteres; ich meine die natürliche Tochter und glaube gern daß es keine kleine Arbeit ist. Aber ich will Dich noch erhalten, ja ich will nicht zu viel wenn ich wünsche daß nur aller Stoff zur völligen Vollendung klar und bar in die Zeit übergehe um täppische Hände die allenthalben fertig und aufgehoben sind davon zu entfernen. Ich weiß wohl daß nur unwahres Gewäsch des Tages den ewigen Kreislauf durch Kloake und Düngflächen und Gedärm unberufen wiederholt; ein ewiges Werk will aber fertig sein, der Unbelehrteste will es fertig wissen und Du allein kannst Dein Werk vollenden.

1

) Zelter hielt sich vom 22. bis 26. Juli 1831 in Weimar auf. ) G bezeugt Begegnungen mit Friedrich Christoph Förster (1791−1868) u. dessen Familie am 4. u. 25. Aug 1831 (Tgb 13, 119 u. 128). 3 ) Zweiter Teil der Nachlaßedition Kunst und Leben, hsg. 1873 von H. Kletke; zum Charakter dieser Edition s. „Faust. Eine Tragödie“: [4./25. Aug 1831?], S. 459 f. 2

816 Sept

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1831

4. An Zelter (Br 49, 57): Wenn du nun aber nach dem Faust fragst, so

kann ich dir erwidern: daß der zweyte Theil nun auch in sich abgeschlossen ist. Ich habe seit so vielen Jahren recht gewußt was ich wollte, habe aber nur die einzelnen Stellen ausgeführt die mich im Augenblick interessirten. Dadurch wurden Lücken offenbar, welche ausgefüllt werden mußten. Dieses alles nun zurechtzustellen, faßt ich den festen Vorsatz, es müsse vor meinem Geburtstag geschehen. Und so ward es auch; das Ganze liegt vor mir und ich habe nur noch Kleinigkeiten zu berichtigen, so siegle ich’s ein, und dann mag es das specifische Gewicht meiner folgenden Bände, wie es auch damit werden mag, vermehren. Du hast eine wunderliche Scene [KWN] oder vielmehr einen wunderlichen Theil des Ganzen gesehen;1) was du davon dir auch magst zugeeignet haben, so wird es im Zusammenhang doch noch lustiger erscheinen. 7. An C. F. v. Reinhard (Br 49, 62): Bekräftigen muß ich aber doch vertraulich, daß es mir gelungen ist, den zweyten Theil des Faust in sich selbst abzuschließen. Ich wußte schon lange her was, ja sogar wie ich’s wollte, führte aber nur die einzelnen Stellen aus, die mich von Zeit zu Zeit anlachten. Nun bedurft es zuletzt einen recht tüchtigen Entschluß, das Ganze zusammenzuarbeiten, ich bestimmte fest in mir: es müsse vor meinem Geburtstag geschehen seyn. Und es war in der Hälfte des Augusts, daß ich nichts mehr daran zu thun wußte, das Manuscript einsiegelte, damit es mir aus den Augen und aus allem Antheil sich entfernte. Nun mag es dereinst die specifische Schwere der folgenden Bände meiner Werke vermehren, wie und wann es damit auch werde. Mein Wunsch ist, daß es Ihnen zu guter Stunde in die Hand kommen möge. Aufschluß erwarten Sie nicht; der Welt- und Menschengeschichte gleich, enthüllt das zuletzt aufgelös’te Problem immer wieder ein neues aufzulösendes. 7. [Berlin] Zelter an G (MA 20.2, 1535): Was ich mir vorgestellt hatte ist aber zu meiner Beruhigung eingetroffen; ich dachte mir nämlich daß Deine Zufriedenheit über ein vollendetes Werk, Dir die Munterkeit früherer Jahre herstellen und zu neuen Fertigungen anregen werde. 8. An S. Boissere ´e (Br 49, 63f.): Ihr freundliches Blatt [vom 20. Aug

1831] ward mir dahin [Ilmenau] nachgesendet und nun will ich denn die Anfrage, womit es sich schließt, vor allem etwas umständlicher beantworten. Es ist mir nämlich gelungen, den zweyten Theil des Faust in sich selbst abzuschließen. Ich wußte schon lange her w a s , ja sogar w i e ich’s wollte, und trug es, als ein inneres Mährchen, seit so vielen Jahren mit mir herum, führte aber nur die einzelnen Stellen aus, die mich von Zeit zu Zeit näher anmutheten. Nun sollte und konnte die1

) s. oben 25. Juli 1831: Tgb.

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ser zweyte Theil nicht so fragmentarisch seyn als der erste. Der Verstand hat mehr Rechte daran; wie Sie ja auch schon an dem davon gedruckten Anfang ersehen haben. Nun bedurft es zuletzt einen recht kräftigen Entschluß, das Ganze zusammenzuarbeiten, daß es vor einem gebildeten Geiste bestehen könne. Da steht es nun, wie es auch gerathen sey. Und, wenn es noch Probleme genug enthält, keineswegs jede Aufklärung darbietet, so wird es doch denjenigen erfreuen, der sich auf Miene, Wink und leise Hindeutungen versteht. Er wird sogar mehr finden als ich geben konnte. Und so wird denn das Manuscript endlich eingesiegelt, daß es verborgen bleibe und dereinst, wenn’s glückt, die specifische Schwere der folgenden Bände meiner Werke vermehren möge. Alles was hiezu gehört wird, sorgfältig redigirt und rein geschrieben, in einem aparten Kästchen verwahrt. Verzeihen Sie, wenn diese vielen Worte doch am Ende nichts Befriedigendes aussprechen. Möge das Ganze zu guter Stunde künftig zu Gesicht kommen. Sept 12. [Wetzlar] C. F. L. Schultz an G (G−Schultz 384): Zelter vertraute mir zu spät, daß Sie gerade, als wir [am 22. Juli] zu Ihnen kamen, mit Arbeiten beschäftigt wären,1) die zu unterbrechen mir sehr leid that. 21. [München] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 575): Sie haben mich, verehrtester Freund, durch die Nachricht von der Vollendung des zweiten Theils des Fausts höchst erfreut, es ist das der schönste Beweis Ihres Wohlseyns und der Fortdauer jener seltenen Geistes-und Lebenskraft, womit der Herr Sie gesegnet hat. Möge er Ihnen dieselbe auch während der Drangsale erhalten, denen wir entgegen gehen! Daß Sie ihre neue Schöpfung einstweilen der Welt vorenthalten, begreife ich, aber ich muß es sehr bedauern. 27. An S. Boissere ´e (Br 49, 95): Ihnen darf ich es bekennen: in widerwär-

Okt

tigen Situationen, anstatt mich abzumüden, nahm ich den Abschluß des Dr. Fausts vor. Ich durfte nicht hinter mir selbst bleiben und mußte also über mich selbst hinausgehen und mich in einen Zustand versetzen und erhalten, wo der Tag mit seinen Seiten mir ganz niederträchtig erschien. Nun darf ich sagen daß mir das Gewonnene Lust und Freude macht, ein Nächstes [DuW Buch 4] ebenmäßig anzugreifen. 5. An Zelter (Br 49, 106): Daß sich die Himalaja-Gebirge auf 25000′2) aus dem Boden gehoben und doch so starr und stolz als wäre nichts geschehen in den Himmel ragen, steht außer den Gränzen meines Kopfes, in den düstern Regionen, wo die Transsubstantiation pp. hauset, und mein Cerebralsystem müßte ganz umorganisirt werden − was doch schade wäre − wenn sich Räume für diese Wunder finden sollten.3) 1

) s. oben S. 815 Tgb. 22. Juli 1831. ) 25000 Fuß entsprechen etwa 7850 Metern. 3 ) Z zu G’s Stellung zum ,Vulkanismus‘; s. oben TuJ 1820. − Geschrieben nach Durchsicht der Fragmens de ge´ologie et climatologie asiatique, die G am 2. Okt 1831 von dem Verfasser, A. v. Humboldt, erhalten hatte. − Die Fragmens in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 4707); aufgeschnitten ist nur der Abschnitt Syste`me de l’Himalaja (Kap.4; S. 73−136) 2

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1831

Okt

8. [Dresden] C. F. v. Reinhard an G (G−Reinhard 417): Wann wird der vollendete zweite Teil des Faust erscheinen, abgesondert oder als Anhang zur letzten Ausgabe [Ausg. letzter Hand]?

Nov

2. [Tegel] W. v. Humboldt an G (G−Humboldt 278): Von Ihnen, teuerster Freund, freue ich [mich] unendlich, immer die erwünschtesten Nachrichten zu erfahren . . . Unendlich freue ich mich aber auf den Schluß des Faust, da neulich hier versichert wurde, daß Sie ihn jetzt wirklich beendigten. 23. An Zelter (Br 49, 146f.): Sodann habe zu vermelden daß ich durch eine

neue Ausgabe der Iphigenie in Aulis des Euripides, von Professor und Ritter Hermann in Leipzig,1) wieder auf diesen unschätzbaren griechischen Dichter bin hingewiesen worden. Sein großes und einziges Talent erregte zwar wie sonst meine Bewunderung, doch was mir dießmal hauptsächlich hervortrat, war: das so gränzenlose als kräftige Element worauf er sich bewegt. Auf den griechischen Localitäten und auf deren uralter mythologischer Legenden-Masse schifft und schwimmt er wie eine Stückkugel auf einer Quecksilber-See und kann nicht untertauchen wenn er auch wollte. Alles ist ihm zur Hand: Stoff, Gehalt, Bezüge, Verhältnisse; er darf nur zugreifen, um seine Gegenstände und Personen in dem einfachsten Decurs vorzuführen oder die verwickeltsten Verschränkungen noch mehr zu verwirren, dann zuletzt, nach Maaßgabe, aber doch durchaus zu unsrer Befriedigung, den Knoten entweder aufzulösen oder zu zerhauen. Ich werde nicht von ihm ablassen diesen ganzen Winter. Wir haben Übersetzungen genug die einer Anmaßung in’s Original zu sehn gar löblich bey der Hand sind, und welches . . . mit Beyhülfe der lang hergebrachten Kenntnisse, immer besser von statten gehen wird, als es, in diesem Augenblick, unter den neuentdeckten Trümmern von Messene und Megalopolis geschehen könnte.2) 24. An S. Boissere ´e (Br 49, 152f.): Seitdem ich das Glück hatte, meinen Faust abzuschließen und zu versiegeln, damit er, wie er auch sey, noch einige Jahre in Ruhe bleiben möge, hab ich mich wieder in die naturwissenschaftlichen Dinge geworfen, um sie so zu redigiren, zu stellen und zu ordnen, daß sie sich dereinst an die Ausgabe meiner Werke schicklich anschließen mögen3) . . . Da ich noch ein leeres Blatt vor mir 1

) Euripidis Iphigenia in Aulide. Recensuit Godofredus Hermannus. Lipsiae 1831; in G’s Bibliothek (Ruppert Nr. 1261). 2 ) G hebt hier an Euripides charakteristische Eigenschaften hervor, die er selber als Dichter von Faust II − in der KWN, im Helena-Akt u. bis zum Schluß − praktiziert hat: völlig freizügiges Schalten mit mythologisch Überliefertem, unbekümmertes Verwenden von Stoff, Gehalt, Bezügen, Verhältnissen zu eigenen dramatischen Zwecken, Sorglosigkeit bei verwickeltsten Verschränkungen noch mehr zu verwirren, um dann zuletzt doch den Knoten entweder aufzulösen oder zu zerhauen. Des Euripides genial rigoroses Vorbild ermutigte G gewiß mehr als irgend ein anderer Tragödiendichter beim Abschluß des Werks. 3 ) Das Folgende s. in „Zur Farbenlehre“: an S. Boissere´e gD, EGW 4,973.

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sehe, will ich etwas gestehen was mir von Zeit zu Zeit in den Sinn kommt. Als ich meinen abgeschlossenen Faust einsiegelte, war mir denn doch nicht ganz wohl dabey zu Muthe; denn es mußte mir einfallen daß meine werthesten, im Allgemeinen mit mir übereinstimmenden Freunde nicht alsobald den Spaß haben sollten, sich an diesen ernst gemeinten Scherzen einige Stunden zu ergötzen und dabey gewahr zu werden, was ich viele Jahre in Kopf und Sinn herumbewegte, bis es endlich diese Gestalt angenommen. Sogar als Dichter, der sein Licht nicht unter den Scheffel setzen will, mußt ich verzweifeln, indem ich auf die nächste unmittelbare Theilnahme Verzicht that. Mein Trost ist jedoch, daß gerade die, an denen mir gelegen seyn muß, alle jünger sind als ich und seiner Zeit das für sie Bereitete und Aufgesparte zu meinem Andenken genießen werden. Nov 24. [Leipzig] J. Fr. Rochlitz an Böttiger (GJb 1897, 156): Von Goethes neuem Faust hätte ich Vieles zu melden: ich habe aber dem Dichter das Wort geben müssen, nichts im Voraus verlauten zu lassen. Soviel glaube ich indessen verantworten zu können: Wer zu dem Werke viel mitbringt und das Viele ihm zuwenden will, der wird nicht nur erstaunen, sondern auch sobald nicht fertig werden, es ganz durchzudenken und durchzuempfinden. Wer es liest, wie etwa ein Raupachsches Drama, der wird nur an Einzelheiten in mäßiger Zahl seine Rechnung finden; und wer es liest; wie ein Drama von Hinz oder Kunz, der wird gar nichts daran haben und wohl selbst da lachen, dort Anstoß nehmen. Dez

1. An W. v. Humboldt1) (Konzept; Br 49, 165−67): Von meinem Faust ist

viel und wenig zu sagen; gerade zu einer günstigen Zeit fiel mir das Dictum ein: Gebt ihr euch einmal für Poeten, So commandirt die Poesie [220f.]; und durch eine geheime psychologische Wendung, welche vielleicht näher studirt zu werden verdiente, glaube ich mich zu einer Art von Production erhoben zu haben, welche bey völligem Bewußtseyn dasjenige hervorbrachte, was ich jetzt noch selbst billige, ohne vielleicht jemals in diesem Flusse wieder schwimmen zu können, ja was Aristoteles2) und andere Prosaisten einer Art von Wahnsinn zuschreiben würden. Die Schwierigkeit des Gelingens bestand darin, daß der zweyte Theil des Faust, dessen gedruckten Partien Sie vielleicht einige Aufmerksameit geschenkt haben, seit funfzig Jahren in seinen Zwecken und Motiven durchgedacht und fragmentarisch, wie mir eine 1

) G’s Tgb vermerkt am 28. Nov: Ich hatte früh ein Schreiben an Herrn Minister von Humboldt dictirt. 2 ) Daß Goethe sich, als er den Faust schuf, des Aristoteles’ Poetik vor Augen hielt, ist schon mit Bezug auf Mephistopheles, die interessanteste Figur seines Stücks, gewiß, weil gemäß der aristotelischen Poetik eine absolut böse Gestalt, ohne jedes dramatische Interesse ist, da von ihr keine Katharsis ausgehen kann. Durch die dem Teufel beigegebenen brillanten Eigenschaften machte Goethe ihn überhaupt erst bühnenfähig u. legitimierte ihn als dramaturgische Person. (Vgl. Harald Weinrich: Der zivilisierte Teufel. In: Interpreting Goethe’s Faust Today. Edited by Jane K. Brown, Meredith Lee and Thomas P. Saine. Columbia 1994, 61−67).

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oder die andere Situation gefiel, durchgearbeitet war, das Ganze aber lückenhaft blieb. Nun hat der Verstand an dem zweyten Theile mehr Forderung als an dem ersten, und in diesem Sinne mußte dem vernünftigen Leser mehr entgegengearbeitet werden, wenn ihm auch noch an Übergängen zu suppliren genug übrigblieb. Das Ausfüllen gewisser Lücken war sowohl für historische als ästhetische Stätigkeit nöthig, welches ich so lange fortsetzte, bis ich endlich für räthlich hielt auszurufen: Schließet den Wäss’rungskanal, genugsam tranken die Wiesen.1) Und nun mußte ich mir ein Herz nehmen, das geheftete Exemplar, worin Gedrucktes und Ungedrucktes in einander geschoben sind, zu versiegeln, damit ich nicht etwa hie und da weiter auszuführen in Versuchung käme; wobey ich freylich bedaure, daß ich es − was der Dichter doch so gern thut − meinen werthesten Freunden nicht mittheilen kann. [Dez (IV H16 zu Akt IV Sz. [2] Auf dem Vorgebirg mit 10440−46)2) nach 8.] Dez 15. [München] S. Boissere´e an G (Boissere´e 2, 585): Was Sie mir wiederholt von dem Geheimhalten des letzten Theils Ihres Faust sagen,3) betrübt mich immer wieder. Es ist zwar sehr edel ein Vermächtniß zu hinterlassen . . . aber schöner ist es doch, mit seinen Freunden zu genießen, was die Gunst des Himmels hervorzubringen vergönnt hat. Vor mehreren Monaten als die Welt noch sehr traurig aussah, war freilich auch noch ein äußerer Grund zum Geheimhalten vorhanden, denn das kann man dem Dichter nicht zumuthen, daß er sein Licht in Sturm und Ungewitter aufdeckt; nun aber da sich der Himmel wieder erheitert, sollte er dasselbe nicht länger unter dem Scheffel halten.

18324) Jan

2. Abends mit Ottilien, wegen künftigen Vorlesens [von Faust II]. 6. [Tegel] W. v. Humboldt an G (G−Humboldt 281−85): Die Güte, mit welcher Sie, verehrtester Freund, so unbedeutende Zeilen, als es die meinigen waren, einer so schönen

1

) Schlußvers von Virgils 3. Ecloge Palaemon: Claudite jam rivos, pueri: sat prata biberunt. 2 ) IV H16 (W15.2, 132f.) datierbar durch Stempel auf Frachtbrief Frankfurt a. M. 8. December 1831. − Quartbl. egh Blei [Faust] Der Nekromant von Norcia, der Sabiner, Ist dein getreuer, ehrenhafter Diener. Welch greulich Schicksal droht’ ihm ungeheuer! Das Reisig prasselte, schon züngelte das Feuer; Die trocknen Scheite, rings umher verschränkt, Mit Pech und Schwefelruten untermengt; Nicht Mensch, noch Gott, noch Teufel konnte retten, − Die Majestät zersprengte glühende Ketten. Eine späte Ergänzung des Nekromanten-Motivs, die in H nachgetragen wurde. Von den bereits in IV H13 vorhandenen 10440f. notierte G nur die Reimworte. 3 ) s. oben 8. Sept 1831: an Boissere´e. 4 ) Zur polit. Situation: Gründung des Preß- und Vaterlandsvereins (29. Jan), einer polit. Organisation, die sich für die Pressefreiheit u. die Erlangung eines Nationalstaates einsetzt. Demokraten und Nationale feiern das Hambacher Fest, ein Bekenntnis zur Freiheit und Einheit, worauf die polit. Eliten mit Einschränkungen in der Presse-,

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und ausführlichen Antwort gewürdigt haben, hat mich aufs tiefste gerührt . . . Die Stelle Ihres Briefes über den Faust hat mich aufs höchste interessiert. Ich schicke Ihnen dieselbe in Abschrift zurück, weil Sie gewiß keine behalten haben und die Sache zu wichtig ist, um nicht künftig darauf zurückzukommen. Versuchen Sie doch einmal, ob Sie (da dies in der Stelle mir dunkel bleibt) aus Ihrer Erinnerung entnehmen können, ob Ihnen jene Art der Produktion mit völligem Bewußtsein wohl immer beigewohnt hat, oder ob Sie dieselbe als erst in einer gewissen Epoche eingetreten betrachten? Ich möchte, wenn auch natürlich im Grade Verschiedenheiten gewesen sein mögen, an das Erstere glauben. Der Aristotelische Ausdruck wenigstens, wenn man ihn auch noch so sehr als ein bloßes Extrem ansieht, hat gewiß niemals auf Sie gepaßt und paßt auf keines Ihrer Werke, auch nicht auf den Werther und den Götz. Ihre Dichtung stammte von jeher aus Ihrer ganzen Natur− und Weltansicht. Daß diese in Ihnen nur eine dichterische sein konnte, und daß Ihre Dichtung durch den ganzen Natur− und Weltzusammenhang bedingt sein mußte, darin liegt Ihre Individualität. Ich möchte daher Ihre Dichtung eine solche nennen, die sich verhältnismäßig nur langsam aus dem mächtigen Stoffe entwickeln konnte, und die Sie in keiner Periode Ihres Lebens unterlassen konnten, sich möglicherweise verständlich zu machen. Denn wenn Sie auch nicht dies Streben auf Ihre Dichtung selbst richteten, so mußten Sie dasselbe doch, durch Ihre Natur selbst gezwungen, auf das noch tiefere und ungeheuere Element richten, welches Ihrer Dichtung in Ihnen zum Grunde lag. Sie sehen liebster Freund, daß ich hier ganz eigentlich von dem Wesen der Dichtungskraft, nicht von der, obgleich allerdings auch davon abhängigen Form der Dichtungswerke rede. Das klarere Bewußtsein über diese könnte allerdings und ist wohl unbezweifelterweise später eingetreten, obgleich auch das vielleicht anders sein könnte. Denn es hat mir in jener glücklichen Zeit, wo ich mit Ihnen und Schiller zusammen lebte, immer geschienen, daß Sie um kein Haar weniger (wenn Sie mir den Ausdruck erlauben) eine philosophirende und grübelnde Natur waren, als er . . . Was Ihre Werke an Fortsetzungen des Faust enthalten, habe ich natürlich oft und mit dem größesten Genusse gelesen, auch oft versucht, mir es als ein Ganzes vorzustellen. Es bleiben aber da natürlich noch viele Lücken und man gerät auch wohl auf irrige Ausfüllungen. Schon das steigert das Verlangen, den Knoten von Ihnen selbst gelöst zu sehen, und es ist schon darum Ihre Maßregel des Versiegelns ein wahrhaft grausames Beginnen. Ich weiß auch nicht einmal, ob es dem Zwecke entspricht, den Sie dabei zu haben scheinen, nicht mehr in die Versuchung zu geraten, weiter daran zu arbeiten. Solch ein versiegeltes Manuskript gleicht einem Testamente, das man immer zurücknehmen kann, dagegen stellt nichts ein eigenes Produkt dem Verfasser so außer sich und reißt es von ihm los, als der Druck. Wenn ich Sie recht verstehe, daß Sie es wirklich nicht erleben wollen, den Faust zusammen gedruckt zu sehen, so beschwöre ich Sie wirklich, diesen Vorsatz wieder aufzugeben. Berauben Sie sich selbst nicht des Genusses, denn ein solcher ist es doch, eine Dichtung hinzustellen, die schon so tief empfunden worden ist, und nun in einem noch höhern Sinne aufgenommen werden muß, berauben Sie aber vorzüglich die nicht der Freude, das Ganze zu kennen, die den Gedanken nicht ertragen mögen, Sie zu überleben.

Jan

8. [Abends] Später Ottilie. Sie hatte das was vom zweyten Theil des Faust

gedruckt ist, gelesen und gut überdacht. Es wurde nochmals durchgesprochen, und ich las nunmehr im Manuscript weiter.

Vereins- und Versammlungsfreiheit reagieren. Griechenland wird ein unabhängiges Königreich, die Nationalversammlung wählt am 8. Aug Otto von Wittelsbach zum König Otto I.

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FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

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9. Abends Ottilie. Ich las ihr den Schluß des ersten Acts von Faust vor.

Jan

12. [Abends] Nachher Ottilie und Eckermann. Las im zweyten Theil des

Fausts weiter. 13. [Nachmittags] Später Ottilie; lasen weiter im Faust. 14. Abends Ottilie. Schluß zur klassischen Walpurgisnacht. 15. Um 1 Uhr Ottilie [nachmittags] zur Vorlesung, Anfang des 4. Acts1) . . .

[Abends] Sodann Ottilie. Lasen weiter im Faust. 16. [Abends] Später Ottilie, las im Faust weiter. 17. Einiges im Faust Bemerkte nachgeholfen. John mundirte. 18. Einiges umgeschrieben. 18. (s. „Zwischenspiel . . . zu Helena“: Nachlaß. Zahme Xenien gD, S. 584) ?

19. Verschiedene Munda. 20. Später Ottilie, Anfang des fünften Acts gelesen. 24. Neue Aufregung zu Faust in Rücksicht größerer Ausführung der

Hauptmotive, die ich, um fertig zu werden, allzu lakonisch behandelt hatte.2) Munda durch John. 27. Um 1 Uhr [nachmittags] Ottilie, Faust [Akt V] vorgelesen. 29. Abends Ottilie. Faust ausgelesen. Febr 14. An Schubarth (Br 49, 235): Mein Faust ist abgeschlossen; erscheint er dereinst, so werden Sie selbst beurtheilen, inwiefern Sie sich meiner Gesinnung und Behandlungsweise genähert oder inwiefern Sie sich davon ferngehalten haben.3)

1

) Wegen des nicht vorgelesenen Akts III s. oben 8. Jan 1832: Tgb. ) Katharina Mommsen bezieht diese Tgb-Eintragung auf die unausgeführte HadesSzene, in der Faust Helena von Persephoneia freibitten sollte; zunächst als zentrale Szene von Akt II, dann als Prolog zu Akt III geplant, war sie eigentlich unentbehrlich, um Helenas Auftritt in Akt III zu motivieren; nur notgedrungen hatte G sie quasi hinter die Kulissen verlegt; s. oben 18. Juni 1830; vgl. auch Mommsen 1968, 237. 3 ) Mit Bezug auf Schubarths Werk Ueber Goethe’s Faust (Berlin 1830). Dessen Vermutungen über den weiteren Gang des Dramas refereriert Scholz 1892, 3: Nach seiner Trennung von Helena wird Faust von den eilenden Wolken mitten in die Bedrängnisse des dreißigjährigen Krieges versetzt, der in seinen wechselnden Phasen und mit seinen Haupthelden vor seinem Auge vorüberzieht. Dann durchlebt er die Epoche der englischen Revolution, und wie in weiter Ferne tauchen nebelhaft aus dem Wogensturm der Zeiten die herrlichen Gestalten Eugens von Savoyen und Friedrich’s II. ihm entgegen. Als er die Schreckensszenen der großen französischen Revolution wahrnimmt, da erleuchtet ihn mit einem Schlage himmlische Klarheit und enthüllt ihm den geringen Wert alles eigentlichen Weltwesens. Er flüchtet in die Wolkenregion und das Reich der Wissenschaften und der Künste. Bald aber ruft ihn eine neue Leidenschaft, die in Folge der Begegnung mit Lilli entbrennt, zum irdischen Treiben zurück, und da seine Wünsche nicht erhört werden, entwickelt sich in seiner Brust der tragische Konflikt, der ihm alles Irdische reizlos erscheinen läßt und eine überraschende Katastrophe herbeiführt. Faust wirft sein Leben als eine unnütze Bürde und Last von sich. 2

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März 3. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: K.W. Müller: Goethes letzte literarische Tätigkeit gD, S. 584 f.) 17. An W. v. Humboldt (Br 49, 281−83): Nach einer langen unwillkührli-

chen Pause beginne folgendermaßen und doch nur aus dem Stegreife. Die Thiere werden durch ihre Organe belehrt, sagten die Alten; ich setze hinzu: die Menschen gleichfalls, sie haben jedoch den Vorzug ihre Organe dagegen wieder zu belehren. Zu jedem Thun, daher zu jedem Talent, wird ein Angebornes gefordert, das von selbst wirkt und die nöthigen Anlagen unbewußt mit sich führt, deswegen auch so geradehin fortwirkt, daß, ob es gleich die Regel in sich hat, es doch zuletzt ziel- und zwecklos ablaufen kann. Je früher der Mensch gewahr wird daß es ein Handwerk, daß es eine Kunst gibt, die ihm zur geregelten Steigerung seiner natürlichen Anlangen verhelfen, desto glücklicher ist er; was er auch von außen empfange, schadet seiner eingebornen Individualität nichts. Das beste Genie ist das, welches alles in sich aufnimmt sich alles zuzueignen weiß, ohne daß es der eigentlichen Grundbestimmung, demjenigen was man Character nennt, im mindesten Eintrag thue, vielmehr solches noch erst recht erhebe und durchaus nach Möglichkeit befähige. Hier treten nun die mannichfaltigen Bezüge ein zwischen dem Bewußten und Unbewußten; denke man sich ein musikalisches Talent, das eine bedeutende Partitur aufstellen soll: Bewußtseyn und Bewußtlosigkeit werden sich verhalten wie Zettel und Einschlag, ein Gleichniß das ich so gerne brauche. Die Organe des Menschen durch Übung, Lehre, Nachdenken, Gelingen, Mißlingen, Förderniß und Widerstand und immer wieder Nachdenken verknüpfen ohne Bewußtseyn in einer freyen Thätigkeit das Erworbene mit dem Angebornen, so daß es eine Einheit hervorbringt welche die Welt in Erstaunen setzt. Dieses Allgemeine diene zu schneller Beantwortung der Frage und zur Erläuterung des wieder zurückkehrenden Blättchens. Es sind über sechzig Jahre, daß die Conception des Faust bey mir jugendlich von vorne herein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag.1) Nun hab ich die Absicht immer sachte neben mir herge-

1

) Dass von vorne herein bei G nicht zeitlich, sondern räumlich zu verstehen ist, bewies August Fresenius in Goethe über die Conzeption des Faust (GJb 1894, 251−56). Es bedeutet also nicht: es war G von Anfang an klar im zeitlichen Sinne, wie die meisten Faust-Forscher es aufzufassen scheinen, obwohl dies der Satzkonstruktion widerspricht. (Im Konzept trug Riemer das Wort vorlag nach, ebenso die Worte und nur im Folgenden. Die Stelle durch – zu verbinden lautete im Konzept ursprünglich welchen durchaus gleichmässiges – zu verleihen war; daraus ist von Riemers Hand zuerst welche durch ein gleichmässiges − zu verbinden waren, dann die endgültige Fassung hergestellt worden.) Fresenius erläuterte die Briefpassage entsprechend: Den geforderten Gegensatz zu ’die ganze Reihenfolge hin‘ bildet ’von vorne herein‘, das hier räumliche Bedeutung hat. Also: In ihren vorderen Partien klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich lag die Konzeption des ’Faust‘ dem jugendlichen Dichter vor. Nur so hat auch das Wort

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hen lassen, und nur die mir gerade interessantesten Stellen einzeln durchgearbeitet, so daß im zweyten Theil Lücken blieben, durch ein gleichmäßiges Interesse mit dem Uebrigen zu verbinden. Hier trat nun freylich die große Schwierigkeit ein, dasjenige durch Vorsatz und Character zu erreichen was eigentlich der freywillig thätigen Natur allein zukommen sollte. Es wäre aber nicht gut, wenn es nicht auch nach einem so langen thätig nachdenkenden Leben möglich geworden wäre, und ich lasse mich keine Furcht angehen, man werde das Ältere vom Neueren, das Spätere vom Früheren unterscheiden können, welches wir denn den künftigen Lesern zur geneigten Einsicht übergeben wollen. Ganz ohne Frage würd es mir unendliche Freude machen, meinen werthen, durchaus dankbar anerkannten, weit vertheilten Freunden auch bey Lebzeiten diese sehr ernsten Scherze zu widmen, mitzutheilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber ist wirklich so absurd und confus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden zunächst überschüttet werden. Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über die Welt, und ich habe nichts angelegentlicher zu thun als dasjenige was an mir ist und geblieben ist, wo möglich zu steigern und meine Eigenthümlichkeiten zu cohobiren, wie Sie es, würdiger Freund, auf Ihrer Burg ja auch bewerkstelligen. März 22. [Weimar] F. Soret Erinnerungen (Zehn Jahre 225): Tatsache ist, daß er sich während seiner letzten Krankheit sehr angelegentlich nach dem Datum erkundigt hat, sogar noch am Morgen seines Todes, und daß er, angesichts des herannahenden Frühlings, von dem wohlthätigen Einfluß sprach, den die schönsten Apriltage auf seine Wiederherstellung haben würden. Wenige Stunden später sprach Eckermann die letzten Verse des sterbenden Faust . . .1) 24. [Weimar] F. v. Müller an Caroline Gräfin Egloffstein (Bode 3, 341): Wenn Sie diese Zeilen öffnen, Teuerste! So wissen Sie schon unser aller unersetzlichen Verlust, den Ihrigen ganz insbesondere. Er schied so sanft, so heiter, so vollkräftig bis zur letzten Stunde . . . Vor wenig Wochen schloß er den fünften und letzten Akt des neuen „Faust“ also ab: Es wird die Spur von meinen Erdetagen Nicht in Äonen untergehn. Wie wahr ist es denn nun auf ihn selbst verwendbar!

’jugendlich‘ seinen guten Sinn: es ist eben die Art der Jugend, eine Aufgabe anzugreifen, die ihr zwar in ihren Anfängen, nicht aber in ihrem ganzen weiteren Verlauf klar vor Augen steht. 1 ) Vgl. F. Soret (Zehn Jahre, 643): Im Augenblick des Todeskampfes war der Großherzog [Carl Friedrich] im Hause und wollte unbedingt zu dem Sterbenden, um ihm ein tröstliches Wort zu sagen. Wenige Augenblicke später sprach Eckermann zu den im Nachbarzimmer versammelten Freunden die letzten Verse des „Faust“: Es kann die Spur von meinen Erdetagen Nicht in Äonen untergehn! Und im selben Augenblick tat Goethe seinen letzten Seufzer.

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März 24. [London] S. Naylor an H. C. Robinson (Normann 2, 30): After this you will be in good humour for anything, though the measure of your delight will, with that of every other Anglo-German soul, run over at the news that Goethe’s Faust is finished! Madame Goethe has listened to it, as delivered by the mellow tones of the mighty Poet himself, and says it is ’ausserordentlich schön und voll Jugendgluth.’ Apr

1. [Weimar] F. v. Müller an Cotta (QuZ 3, 19): Das Testament ist eröfnet, ich bin deßen Vollstrecker u. es enthält viel für S i e wichtiges. Kommen Sie doch ja, wie man uns hoffen läßt, zur Ostermeße über Weimar; dann will ich Ihnen alles vorlegen; Faust u. der 4te Theil „aus meinem Leben“ sind g a n z vollendet . . . Die Redaktion ist zwischen Riemer u. Eckermann vertheilt, aber es ist wenig mehr daran zu thun. 18. [Tegel] W. v. Humboldt an F. v. Müller (GSA 68/205b): Ich sehe mit Ungeduld der Nachricht des Erscheinens des Fausts und des neuen Theiles des Lebensbeschreibung entgegen. Ew. Hochwohlgeboren werden doch aber auch mit mir der Meinung sein, daß nun nicht bloß der neue Theil des Fausts, sondern das Ganze in der ihm vom Dichter selbst gegebenen Ordnung nun gedruckt werden muß. Da schon in der letzten Ausgabe die Helena von dem Uebrigen getrennt ist so müßte man sonst alles zu mühsam zusammensuchen und jeder Leser wird um der Verbindung des ganzen willen gern das Alte noch einmal kaufen. Ich habe von Goethe einen unendlich merkwürdigen Brief bekommen und traue meinen Augen kaum jetzt noch, wenn ich sehe, daß er vom 17ten Maerz, also fünf Tage vor seinem Tode, datirt ist. Ich nehme mir die Freyheit, Ew. Hochwohlgeboren eine Abschrift desselben zu überschicken, da ich überzeugt bin, daß er Ihnen große Freude machen wird und nicht glaube, daß Goethe Concepte oder Abschriften solcher Briefe behielt. Der Brief hat, da er sich auf einen von mir bezieht, zwei ganz verschiedenartige Theile, die ich mit einem Striche bezeichnet habe. Ich glaube nicht, daß die Familie oder Ew. Hochwohlgeboren es mir übel deuten würden, wenn ich von dem ersten Theile, welcher bloß allgemeine Ideen entwickelt, vielleicht öffentlichen Gebrauch machte. Von dem zweiten würde ich dies auf keinen Fall, ohne ausdrücklich erhaltene Erlaubniß, thun und auch dann schwerlich einmal. Dieser zweite Theil ist zwar auch höchst merkwürdig, und es wäre wohl nicht ohne Nutzen, laut und öffentlich auszusprechen, mit welchem gerechten Zorn Goethe sich über die Absurditaeten der Zeit geäußert hat. Man bessert aber doch niemanden auf der Welt und man könnte auch Goethes Worte so auslegen, als wäre er mit einer Art Erbitterung aus der Welt gegangen. Sein Tod war aber so schön und sanft, daß man einen so erhebenden und beruhigenden Eindruck zu stören sich wohl hüten muß. Ich wiederhole Ew. Hochwohlgeboren meinen aufrichtigen Dank und würde mich sehr freuen, wenn Sie mich mit einer gütigen Antwort auf diese Zeilen beschenken wollten. 24. [Weimar] Riemer an F. v. Müller (GSA 68/368): Ihrer Güte, verehrtester Herr Geheimrath, verdanke ich so viel Genußreiches das mich zu lebhafter Erkenntlichkeit auffordert. Dass ich den Brief an Humboldt noch einmal wieder lesen konnte, nachdem ich ihn im Concept durchgegangen und meine Monita und Verbesserungen darin benutzt sehe, ist mir gerade jetzt so, weil ich Sie von selbst darauf aufmerksam machen wollte, ob nicht irgendwo ein Gebrauch davon zu machen wäre. Nun ist mir H v. Humboldt zuvorgekommen, und ich respectire seine Dubia. Er hat Recht! Jetzt dürfen wir so etwas noch nicht bringen. Es discreditirt außerdem auch gewissermaßen den Faust bey dem Publico, das alles wissen und besser wissen wollend, am Ende doch nicht damit zufrieden ist, wenn der Dichter selbst es sagt, w i e er es gemacht habe. Erst wenn sie sich darüber ausgesprochen oder a u s g e b r o c h e n (expectorirt) kann man den Leuten sagen, seht das hat der Dichter selbst gesagt. − Die erste Hälfte des Humboldtischen Briefes hat Goethe auch noch wo anders benutzt oder zu benutzen vor. Da man die Concepte seiner letzten Briefe und Abhandlungen nicht zur Hand hat, und haben kann, so lassen sich keine näheren Nachweisungen geben. So viel ist aber gewiß, daß ich über die meisten Briefconcepte und was er naturwissenschaftliches in der letzten Zeit aufgesetzt wohl ein Wort mitsprechen könnte, da ich sie mit ihm durchgegangen und meine

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Bleystiftveränderungen noch sichtbar seyn müssen. Bey dem Anblick der Originale fällt mir auch manches wieder bey, was ohne solchen Anhalt verfliegt. 27. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 20): Die Abschrift des Fausts rückt gut vor so daß bereits 24. Bogen geschrieben sind.1) 19. [Weimar] F. v. Müller an W. v. Humboldt (GSA 68/205b): Euer Excellenz meinen lebhaften Dank für Ihre überaus werthe Zuschrift vom 18. v. M. auszusprechen, war ich bisher blos durch meine Abwesenheit von hier auf einer Reise nach Dresden behindert. Jenes Dankgefühl erhöht sich noch durch Ihre gütige Mittheilung der Abschrift des so überaus merkwürdigen lezten Goetheschen Briefes an Sie, der mit Recht als ein geistiges Vermächtniß an den wahlverwandten, langjährigen Freund angesehen werden mag. Es soll ganz von Euer Excellenz abhängen, jeden Ihnen beliebigen öffentlichen Gebrauch von diesem Briefe zu machen, vielleicht dürfte auch von dem zweiten Theile desselben der erste Abschnitt bis zu den Worten „zu geneigter Einsicht übergeben wollen“, unbedenklich veröffentlicht werden, wogegen wir hier ganz der zarten Rücksicht beistimmen, welche Sie abhält, ein gleiches hinsichtlich des weiteren Inhalts zu wünschen. Ohnstreitig muß der ganze 2te Theil des Faust, also incl. der Helena und der sonstigen schon gedruckten Fragmente, z u s a m m e n erscheinen, ja ich gedenke selbst Cotta’n vorzuschlagen, daß nicht nur mit diesem 2ten Theil des Faust die erste Lieferung der „Folge Goethe[scher] sämmt[licher] Werke“ schon zu Michaeli d. J. eröfnet, sondern auch eine abgesonderte, elegantere Edition des g a n z e n Faust 1ten und 2ten Theils veranstaltet werde. Cotta versprach zur Leipziger Meße selbst hierher zu kommen, hält aber, wie es scheint nicht Wort . . . Wie köstlich Goethe’s Brief vom 17. März auch ist, der Ihrige vom 6. Jan. ist es nicht minder; ja er hat das höhere Verdienst, nicht nur jenen provocirt, sondern mit klarster Entschiedenheit ein Innerstes, eine Welt− und Menschen−Ansicht a u s g e s p r o c h e n zu haben, mit der Goethe, wie sehr2) 22. [Weimar] F. v. Müller an Cotta (Konzept; QuZ 3, 21): Sind Sie mit folgender Auswahl für die e r s t e Lieferung zufrieden: 41r. Band, zweiter Theil des Faust in 5. Abtheilungen.

23. [Weimar] Eckermann an Cotta (Entwurf; QuZ 3, 23f.): Zum wenigsten wird der literarische Nachlaß als Fortsetzung der Goetheschen Werke 15. Bände füllen . . . Der zweyte Theil des Faust in 5. Acten ist wohl das Bedeutendste. Er ward im July 1831. vollendet, und nachdem Goethe im Laufe des vorigen Winters noch hie und da einige Kleinigkeiten verbessert, hat er das Werk für fertig erklärt. Ich habe nun für den Druck eine Abschrift machen lassen, die auch bereit geheftet daliegt und die ich nun revidire. Dieser zweyte Theil bildet einen Band von 3. bis 400. Seiten . . . Da der Verewigte mich zum Herausgeber seines literarischen Nachlasses ernannt und mir nicht bloß die Redaction der einzelnen Bände, sondern auch die Bestimmung der Folge derselben übertragen hat, so denke ich den Faust an die Spitze der ersten . . . Lieferung zu stellen. Juli

7. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: F. v. Müller an Riemer gD) 11. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 34): Hier, mein verehrter Herr Geheimerath, erfolgt das Wesentliche behufs der Ankündigung. Ich fahre nun in der Redaction fleißig fort, damit die erste Lieferung in 2 Monaten an Cotta abgehen kann . . . [Ankündigung] G o e t h e s l i t e r a r i s c h e r N a c h l a ß als Fortsetzung seiner sämmtlichen Werke. E r s t e L i e f e r u n g [Bde. 1−5]. 1ster Band, des Faust zweyter Theil in 5. Acten3) 1

) Nach G’s Tod wurde von der Reinschrift H eine weitere Abschrift genommen, die als Vorlage für den Druck in C1 41 diente. Diese Abschrift blieb nicht erhalten. 2 ) Das folgende 3. Briefblatt ist nicht überliefert. 3 ) Von F. v. Müller korrigiert in: den völlig abgeschloßnen zweyten Theil des Faust in 5. Acten.

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Juli

21. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 37): Der Faust, mit dessen letzter Revision ich beschäftigt, könnte an Riemer in 5. Tagen gehen.

Aug

1. [Weimar] Riemer an F. v. Müller (QuZ 3, 40): Faust ist in meinen Händen. Flüchtig habe ich ihn durchgesehen, um nur erst einen Eindruck des Ganzen zu haben.

Sept

9. [Tegel] W. v. Humboldt an F. v. Müller (GSA 68/205b): Ew. Hochwohlgeboren mir so ungemein erfreuliches Schreiben vom 4ten huj.1) ist mir erst gestern Abend zugekommen. Ich eile aber Ihrem gütigen Wunsche augenblicklicher Beantwortung zu willfahren. Es wird mir in jeder Rücksicht angenehm sein, wenn der Brief, den unser verewigter Freund im Maerz an mich richtete, in dem Schlußhefte von Kunst und Alterthum an der im Register leergelaßenen Stelle abgedruckt wird. [20.] [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 59): Haben Sie denn die Conferenz wegen F a u s t mit Riemer gehalten? Wo nicht, so ist es u n u m g ä n g l i c h nöthig, daß sie heute noch statt finde, aus Gründen, die ich mündlich eröffnen werde. 20. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 59): Mit Riemer werde ich noch heute wegen Faust pp. sprechen. 20. [Weimar] Riemer Tagebuch (QuZ 3, 59): Bei Dr. Eckermann, den Faust noch revidirt und abgeschlossen. 21. [Weimar] Eckermann an Riemer (QuZ 3, 62f.): Hier mein bester Hofrath schicke ich Ihnen den Faust besprochenermaßen ausgeputzt; die Stelle vom Asmodäus [6961] habe ich nicht finden können. Ich habe statt July, vollendet im Sommer geschrieben weil das doch im Grunde auch richtig ist und es auf so genaue Bestimmungen nicht ankommt. Mein Auge war auf’s hohe Meer gezogen Es schwoll empor, pp. [10198f.] Vielleicht hat Herr Geh. R. v. Müller gedacht man könne verleitet werden das E s auf A u g e zu beziehen, weshalb denn das vorgeschlagene D a s (wenn sonst dadurch gegen kein gram: Gesetz verstoßen würde) vorzuziehen seyn möchte. Welches alles Ihrer alleinigen Entscheidung anheim gestellt seyn soll. Ich habe bis jetzt in einem fort daran gearbeitet und mich im Aufsuchen der manchen Fehler fast blind geguckt. Wenn man Zeit hätte, man fände noch etwas. 21. [Weimar] Riemer Tagebuch (QuZ 3, 63): Schickte Eckermann den Faust. Abends schickte ich das Manuskript . . . an den Kanzler. [21.] [Weimar] Riemer an F. v. Müller (QuZ 3, 63): Endlich auch d e r F a u s t wie wir ihn gemeinschaftlich Eckermann und ich durchgegangen sind. Von Ihren Erinnerungen2) haben wir, wo sie uns überzeugten, Gebrauch gemacht. Einiges hätten Sie selbst bey genauerer Ansicht zurückgenommen als gegen Sinn und Absicht des Verfassers. Der desiderirte Reim war nur übersehen. Kleinigkeiten, als A p o s t r o p h e mag es wohl noch zu berichtigen geben; indeß kommt darauf so viel nicht an. Es ist unmöglich dergleichen Mängel zu tilgen, wenn der Abschreiber nicht schon Sprachkenntniß mitbringt: denn im Gefühl und Erwartung des Rechten übersieht man zu leicht das Verfehlte. Man muß auch nur mit den Augen lesen; welches aber schwer ist: denn man wird gleich von der Sache hingerissen. Sollte also der Druck gleich beginnen können, so möchte das Mscpt für abgeschlossen gelten, wo nicht, so wäre ein nochmaliger Durchblick wohl zu wünschen.3)

1

) F. v. Müllers Brief an W. v. Humboldt vom 4. Sept 1832 nicht überliefert. ) Nur bekannt zu 10199. 3 ) Am 22. Sept 1832 reiste F. v. Müller nach Süddeutschland zu Cotta mit den Druckvorlagen für Faust II. Beide scheinen den Abdruck eines Prologs von Müller zu G’s Faust verabredet zu haben; s. 21. Okt 1832: F. v. Müller an Cotta. 2

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Sept 29. [Stuttgart und Tübingen] Verlagsanzeige der J. G. Cottaschen Buchhandlung (QuZ 3, 46): Die unterzeichnete Verlagshandlung erfüllt eine heilige Pflicht, indem sie hiermit die nahe Herausgabe d e r n a c h g e l a s s e n e n S c h r i f t e n G o e t h e ’ s ankündigt . . . Die unermüdete Sorgfalt, welche Goethe der Ordnung und Vollendung dieser seiner nachgelassenen Werke bis zum letzten Hauche seines Lebens widmete, hat sich auch noch in seinen letztwilligen Verfügungen beurkundet. Er hat den langjährig vertrauten Zeugen und Genossen seiner literarischen Wirksamkeit, Herrn Doktor Eckermann, zum Redakteur und Herausgeber seiner nachgelassenen Schriften, unter Beirath und Theilnahme des Herrn Hofraths und Bibliothekars Doktor Riemer, ernannt. Okt

3. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: J. G. Cottasche Buchhandlung an F. v. Müller gD) 20. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Eckermann an Th. Carlyle gD) 21. [Weimar] F. v. Müller an Cotta (QuZ 3, 71): . . . Der versprochene Prolog zum Faust folgt hier anschlüßig, und wird Sie, wie ich hoffe, contentiren. Er ist mir wie eine wahre Eingebung von Oben gekommen. Ich verlange Nichts dafür, sondern werde mich höchlich freuen, wenn man findet, daß dadurch eine paßende Ouvertüre zu dem unschäzbaren Werke geliefert ist.1) 24. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 75f.): Ich beginne jetzt auch den Faust zu setzen2) . . . Noch eine Frage: Das Mst hat bald Mephistopheles bald Meph. bald Mephist. oder auch Mephistoph. Ich denke, man druckt den Namen stets g a n z aus; wie es im Faust 1 Theil auch ist. 24. [Weimar] Eckermann an Cotta (SLUB Dresden, Mscr. Dresd. h.24. m, Nr. 224): Zu den 15 Bänden der nachgelassenen Werke Göthe’s schickliches Titelkupfer zu erfinden, dürfte nach dem Inhalte solcher Bände, keine leichte Sache seyn, und nur ein so bedeutendes Talent wie das von Retzsch möchte reussiren. Hier nur in Eile Vorschläge zu den ersten 5 Bänden. 1r Band Faust zweiter Theil. Der Künstler wird wohlthun wenn er aus der Helena welche den 3ten Akt dieses zweiten Theiles bildet eine passende Scene wählt, etwa die wo Faust und Helena auf dem Throne sitzen und die Reime machen. 26. [Weimar] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 78): Der Faust hat zu setzen bereits begonnen. 28. [Weimar] F. v. Müller an W. Reichel (Konzept; QuZ 3, 79): Ganz einverstanden bin ich, daß durchweg Mephistofoles gesetzt werde.

[ca. 30.] [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 80): Auch ist es gut, daß man den Faust angefangen hat. Nov 13. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 87): Der Faust ist im Satz begonnen, Dero Prolog erhielt ich nicht, aber die Ordre, daß der Faust beginnen könne. 17. [Stuttgart] Cotta an F. v. Müller (QuZ 3, 90): Wie kommt es, daß dasjenige was in der Fortsetzung des Fausts schon in den frühern 40 Bänden kommt, wie Helena p. nun wieder abgedrukt wird?3)

1

) Die Idee, dem ED des Faust II einen Prolog voranzuschicken, faßte Müller Ende Sept 1832 während seiner Reise nach Süddeutschland. Sein 10 Stanzen langer Prolog Den Manen Goethe’s. Beim Erscheinen des zweiten Theils vom Faust gedruckt in QuZ 3, 72f. Durch seine detaillierte Kritik konnte Eckermann ihn zur Zurücknahme des Prologs bewegen; zur Auseinandersetzung s. QuZ 3, 71f. 2 ) Das Folgende s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: W. Reichel an F.v. Müller gD. 3 ) s. unten 1833 März 18.: Cotta an F. v. Müller u. Apr 2.: F. v. Müller an Cotta.

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Nov 26. [Weimar] Ottilie v. Goethe Tagebuch (SchrGG 28, 321): Nach dem Theater den Prolog des Kanzler zum „Faust“ gelesen . . .1) Dez

1. [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 92): Ich sende Ihnen, lieber Doctor! . . . die 4 ersten Bogen des Faust. 1. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 93): Der Druck des Faust ist ganz hübsch, ich danke für die vergönnte Ansicht.

[nach 1.] [Weimar] Riemer an F. v. Müller (QuZ 3, 94): Der Faust nimmt sich ganz hübsch aus, zumal auf weißem Papier. Druckfehler habe ich nicht bemerkt; es wäre aber auch arg, da das Mscpt sehr reinlich und richtig war. 2. [Craigenputtock] Th. Carlyle an John A. Carlyle (Sanders 6, 272): Eckermann wrote a very kind Letter [20. Okt 1832], explaining how busy he was with redacting the 15 voll. of Nachgelassenen Schriften; the titles of all which he gave me. There is a vol of Dichtung u. Wahrheit, and the completion of Faust: these are the most remarkable. 9. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 96): Indem ich Ew. Hochwohlgeboren die Aushängebogen von Faust No. 7. 8 übersende . . . 30. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 114): Seit Dero leztem müssen Sie von Faust die Bogen 11 und 12 erhalten haben, und hiebei folgt 13 und 14.

1833 Jan

2. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 115): Euer Hochwohlgeboren sende ich Bog. 15. und 16 von dem Faust. Derselbe giebt etwa 22 Bogen . . . In Zeit 8 Tagen hoffe ich auszusetzen.

[21.–23.] [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3,129): so eben empfange ich von Augsburg den lezten und ersten Bogen des Faust ausgedruckt. 28. [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 131): Ich habe die Aushängebogen vom Faust u. vom 4n. Band gleich zusammenbinden u. [in] Ihre Farbe kleiden laßen, lieber Herr u. Freund! Damit der Anblick Sie mitten unter Ihren Sorgen und Anstrengungen um so freundlicher berühre. Febr

2. [Weimar] F. v. Müller an W. Reichel (QuZ 3, 140): Hier sende ich auch das Verzeichniß der wenigen Druckfehler im 41n . . . Bande, zur Benutzung bey der 8° Ausgabe [C3]. Wann beginnt denn diese??2)

[vor 12.] [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 139): Musculus, der bis zum 16.n Bogen des Faust, die Druckfehler nachgesehen u. verzeichnet hat, wünscht nun noch die übrigen Bogen [17 bis 22] dieserhalb durchzugehen. Haben Sie daher die Güte, lieber Herr Doctor! Ihm Ihr Exemplar bis Morgen zuzuschicken. [24.] [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 146): Machen Sie also ja, daß ich das Druckfehler Verzeichniß bis Morgen Abend noch bekomme; dann ist gerade noch Zeit es zu berücksichtigen. 25. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 146): Die Druckfehler des Faust, verehrter Herr Geheimerath, werde ich nicht verfehlen bis diesen Abend zu senden.

1 2

) s. oben 21. Okt 1831: F. v. Müller an Cotta. ) Das zu C1 41 noch berücksichtigte Druckfehlerverzeichnis in QuZ 3, 140.

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1833

Febr 25. [Weimar] F. v. Müller an W. Reichel (QuZ 3, 147): Bey n o c h m a l i g e r ganz genauer Durchgehung des Faust haben sich noch einige Druck- − vielleicht auch Schreibfehler − mehr gefunden, als ich früher angab. Ich füge daher ein ganz vollständiges Verzeichniß bey, welches aber auch die früher angezeigten mit umfaßt. Es ist gut, daß noch Zeit ist, diese Fehler bey der Octav-Ausgabe [C3] zu beachten . . . [Beilage] Goethe’s Werke letzter Hand in 12°. Bd. 41. (Folgende Verbesserungen wurden heute Nachmittag (d. 25. Febr. 33.) von Herrn Dr. Eckermann genehmigt.)1) [Febr] [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 147): Es wird daher Nichts übrig bleiben, als daß Sie den dummen Fehler in der Paginirung des Faust in Ihrem nächsten Schreiben an Cotta rügen, oder lieber gleich in einem Briefchen an die Buchhandlung.2) März 2. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 151): Von Faust in Oktav sind bereits 7 Bg. gedruckt. Ich werde die gesandten Druckfehler sogleich nachsehen, eintragen und mit dem Mpt. vergleichen lassen. 4. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 152): Sehr unlieb vernehme ich die noch aufgefundenen Druckfehler im Faust. Was Sie bereits sandten, ist eingetragen, und werde ich alle mit dem Manuscript vergleichen lassen, um zu sehen, ob Setzer und Corrector sudelten. 8. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 160): [Nachschrift] Ich hielt den Druck des Faust in Octav an, und erwarte schmerzlich die angedeuteten Druckfehler, um wieder flott zu werden. 11. [Augsburg] W. Reichel an F. v. Müller (QuZ 3, 163): Die eigentliche Ursache aber, weshalb ich Ew. Hochwohlgeb. heute schreibe ist, daß ich noch immer die paar angedeuteten Druckfehler in Faust erwarte, um solche in der Octav-Ausgabe zu verbessern, wenn es noch Zeit ist. Hätten Dieselben mir solche doch g l e i c h angegeben, oder wenigstes nur die Pagina angedeutet . . . so aber steht das alles still . . . Ich bin also in der bittersten Verlegenheit, und werde genöthigt, Faust in Gottes Namen zu drucken, ohne diese Druckfehler zu erwarten. [13.] [Weimar] F. v. Müller an Eckermann (QuZ 3, 164): Das n e u s t e Verzeichniß der Faustischen Druckfehler gieng mit den Gedichten vor 8 Tagen ab u. Reichel muß es nun seit vorgestern haben. 13. [Stuttgart u. Tübingen] Verlagsanzeige der J. G. Cottaschen Buchhandlung (QuZ 3, 150): Da nunmehr die erste Lieferung der nachgelassenen Werke Goethes, Taschenausgabe [C1], oder 41−45ster Bd. der sämmtlichen Werke, erschienen und verschickt worden ist, (die Oktavausgabe [C3] folgt einen Monat später), so zeigen wir hiermit an, daß die folgenden Subscriptionspreise nur noch auf ganz kurze Zeit fortdauern. 18. [Stuttgart] J. G. Cotta an F. v. Müller (QuZ 3,175): Nicht minder auffallend ist mir der Wiederdruck der Reflexionen und Maximen, die schon im Wilh. Meister enthalten, oder in den Wanderjahren. Was wird das Publicum über diesen doppelten Druck sagen. Ob aber die Verlagsbuchhandlung diese Stellen, wie die zum zweyten Mal gedruckte Helena, und andre Theile des Faust, auch zweymal honoriren solle, darüber erbitte ich mir Ihre Ansicht. 18. [Augsburg] W. Reichel an F.v.Müller (QuZ 3,178): Da ich an der Octav-Ausgabe rasch drucke . . . am 41. (Faust) nur noch wenige Bogen zu machen sind . . . so wären angegebene Druckfehler nothwendig schon längst zu senden gewesen; denn die Ordre des seligen Herrn v. Cotta an mich lautete, etwa 14 Tage nach Fertigseyn der Taschenausgabe, die Octav-Ausgabe zu beginnen. Denn ich hatte expreß angefragt, ob ich zur O[ctav].A[usg]. das Mspt (i.e. ein durchgesehenes Ex. der T[aschen]. A[usg].) aus Weimar erhielte? und erhielt die Antwort, das sey nicht nothwendig, und obige Ordre. 1 2

) Abdruck der Beilage in QuZ 3, 148−50. ) Statt S. 48 haben manche Exemplare von C1 41 S 38.

1833

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

831

März 30. [Weimar] Riemer (Cotta−Archiv: Manuskripte Goethe/Riemer): Auf meine Frage was G sich unter dem Homunculus gedacht, erwiederte mir Eckermann: G habe damit die reine Entelechie darstellen wollen, den Verstand, den Geist, wie er vor aller Erfahrung ins Leben tritt; denn der Geist des Menschen komme schon höchst begabt an, und wir lernten keineswegs alles, wir brächten schon mit. Ihm selbst sey die Welt schon sehr früh aufgegangen, vor aller Erfahrung. Er habe sie durchgesehen, noch ehe er Erfahrung gemacht. Auch in der Alma habe er Eckermann gezeigt, wie klug, wie aufmerksam sie sey. Ja G. habe vor dem Homunculus selbst eine Art Respekt gehabt. Apr

2. [Weimar] F. v. Müller an J. G. Cotta (QuZ 3, 193f.): Es ist gewiß von hier aus das M ö g l i c h s t e geleistet worden, um Ihrem gerechten Streben, mit der 2n. Lieferung zur Ostermeße fertig zu werden, Vorschub zu leisten; D. Eckermann und bezüglich Hofr. Riemer haben mit Hintansetzung aller andern Dinge u. selbst von Berufsarbeiten, Tag u. Nacht dem Zwecke sich gewidmet. Daß im Herbst vorigen Jahres der Abdruck der ersten Bände zu langsam erfolgte, insbesondere das Manuscript vom Faust, welches ich Anfangs Octobers schon in Stuttgart auslieferte, daselbst einige Wochen zurückblieb, war ja nicht unsere Schuld . . . Es ist hier [bei den Maximen] allerdings ganz derselbe Fall wie mit der Helena, die ebenfalls nur als Probe vorausgieng, nun aber im 2n. Theil des Faust nicht fehlen durfte, wenn das Ganze nicht leiden, den Zusammenhang einbüßen sollte. 21. [Weimar] F. v. Müller an Eckermann u. Riemer (QuZ 3, 209): Herr von Cotta stellt folgende Beschwerden auf: 1., sey vieles in G’s früheren Werken Abgedrucktes jetzt unter dem Nachlaß wieder mit abgedruckt . . . Schon der verstorbene Cotta habe deshalb reclamirt1) . . . Ich schlage Folgendes vor: . . . Herr D. Eckermann möge aufs schleunigste heraussetzen, daß außer der Helena und dem Anfang des ersten Aktes vom 2n Theil des Faust (die ganz natürlich wieder abgedruckt werden m u ß t e n , wenn der 2te Theil des Faust nicht sinnlos verstümmelt hervortreten sollte), nichts weiter, als e i n T h e i l der schon in den Wanderjahren vorkommenden Maximen und Reflexionen aus den 40 Bänden jetzt wieder abgedruckt worden ist. 22. [Weimar] F. v. Müller an J. G. Cotta (QuZ 3, 213): Aus den frühern 40. Bänden ist nichts weiter als die Helena, sodann ein Theil des 1n Acts vom 2ten Theil des Faust, der früher als Probe mitgetheilt war . . . wieder abgedruckt. 26. (s. „Helena . . . Zwischenspiel zu Faust“: F. v. Müller Entwurf eines Sendschreibens an die J. G. Cottasche Buchhandlung gD, S. 585) 30. [Weimar] F. v. Müller an W. Reichel (QuZ 3, 226): Ich bin unruhig, auf meinen letzten Brief an H. v. Cotta noch keine Antwort zu haben . . . Ungegründet aber, gänzlich ungegründet sind alle übrigen Ausstellungen, die man wegen Wiederabdrucks der Helena . . . gemacht hat; denn den Faust o h n e sein Mittelglied, die Helena, zu drucken, wäre absurd gewesen . . . Alles dieses unter uns, v e r t r a u l i c h .

Juli

17. [Stuttgart u. Tübingen] Verlagsanzeige der J. G. Cottaschen Buchhandlung (QuZ 3, 247): In der Unterzeichneten sind zur Ostermesse dieses Jahrs erschienen . . . Goethe, J. W. v., sämmtliche Werke, Nachlaß gr. 8. 1ste Lieferung. oder 41−45r Band . . . T. A. 1e und 2e Lfg. oder 41−50 Bd.

1834 Nov 11. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Aufstellung Eckermanns gD, S. 477) Dez 29. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Eckermann an F. v. Müller gD, S. 477) 1

) Aus Schreiben von J. G. Cotta an F. v. Müller, 15. Apr 1833 (QuZ 3, 266).

832

FAUST. DER TRAGÖDIE ZWEITER THEIL

1836

1836 Jan 1. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Chr. Th. Musculus an F. v. Müller gD, S. 477) Mai 30. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Riemer an F. v. Müller gD, S. 477 f.) Juni

1. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Eckermann an F. v. Müller gD, S. 479) 2. [Weimar] Eckermann an F. v. Müller (QuZ 3, 388f.):1) Unten auf der letzten Seite habe ich eine kleine Note, denn es möchte nicht jeder Leser wissen daß mit dem R e i c h s v e r w e s e r C h r i s t u s gemeint sey. Ich wußte es nicht, Musculus auch nicht, wir haben es von Riemer. Sind Sie also der Meinung, daß die kleine Note zum Verständniß’ nützlich, so schreiben Sie das Wort, vielleicht mit Tinte, sind Sie aber der Meinung daß es unnöthig, so ist es leicht weggewischt.2) 13. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Müller an die Cottasche Buchhandlung gD, S. 479)

[Zu Faust] Zwei Teufelchen und Amor3)

E4) D

1812?5) 1814 Apr 2./11.?6) C1 4 (1827) 220−24 (in Dramatisches: Zu Faust. ZweyTeufelchentauchen aus der rechten Versenkung.7)). − Loeper 1870 II 253−56.8) − W 14, 239−45. − MA 6.1, 1067−69. − FA I 7.1, 584−88.

1

) Das Vorangehende s. in „Faust. Eine Tragödie“: Eckermann an Müller gD; S. 479. ) In Q 1.2, 181 als Anmerkung zu P95 aufgenommen. 3 ) Titel folgt W 14, 239–45: dort Überschrift Zu Faust. [mit dem Lauftitel am Kopf der Seiten:] Zwei Teufelchen und Amor; Inhaltsverzeichnis W 14, 688: Zu Faust (Zwei Teufelchen und Amor). G war der Text wichtig genug zur Aufnahme in die Ausg. letzter Hand (s. D).− Es handelt sich um eine zur musikalischen Ausführung gedichtete, balletartige, opernhafte zusätzliche Szene, die G als Beilage am 11. Apr 1814 (s. dort) an Anton Fürst Radiziwill zur Vertonung u. Verwendung für dessen Faust−Inszenierungsvorhaben schickte: drei Quartbll. in lat. Schrift von F.W. Riemer. Das Familienarchiv Radziwill zu Warschau im Archiwum Głowne Akt Dawnych (Hauptarchiv alter Akten AGAD) besitzt außer der Riemerschen Hs. noch eine von G’s Schreiber J.A.F. John von 1821; Bl. 1 beider Hss. abgebildet im GJb 2005, 323 zu J. Steiniger & S. Henke: Die Handschriften von Goethes szenischer Bearbeitung des Faust für Anton Fürst Radziwill (ebd. 316−24). − Düntzer 1857, 792 behauptet unter Berufung auf eine Mitteilung von Prof. Dr. E. Köpke in Berlin, welcher von Goethes Sendungen an den Fürsten Einsicht genommen, daß diese vom Fürsten nicht komponierte Szene auf dessen Wunsch gedichtet ward; während Schillemeit 1988, 647f. betont, es könne sich um eine unabhängig vom Faust einmal geplante kleine Szene zur Aufführung aus gesellschaftlich-gelegentlichem Anlaß handeln zu einer Zeit, als Goethe der Apollo-Mythos und der ganze Weltkreis der antiken Mythologie mindestens ebenso nahe und vielleicht noch näher lag als der Stoffkreis des ›Faust‹ − wie ja überhaupt die ganze kleine Szene, mit ihrer Mischung antiker und nordisch-romantischer Elemente, in höchst merkwürdiger Weise, schon als ein erster, vorausdeutender Hinweis auf die Begegnung von antiker und ›romantischer‹ Welt in ›Faust II‹, auf ›Klassische Walpurgisnacht‹ und ›Helena‹ erscheinen kann. 4 ) Entstehungszeit u. Anlaß unbestimmt (E. Schmidt, W 14, 317; Bohnenkamp 254). 5 ) J. Frankenberger vermutet Entstehung im Zusammenhang mit Weimarer Aufführungsplänen von 1812 (Walpurgis. Zur Kunstgestalt von Goethes Faust. Leipzig 1926, 2

[ZU FAUST] ZWEI TEUFELCHEN UND AMOR

Z1)

833

1812

Nov 29. (s. „Faust. Eine Tragödie“: P.A. Wolff an H. Blümner gD, S. 248f.) 30. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tgb gD, S. 249.) Dez

1. (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tgb gD, S. 249.) 5. (s. „Faust. Eine Tragödie“: P.A. Wolff an H. Blümner gD, S. 249.)

43f.); s. „Faust. Eine Tragödie“, S. 248 m. Anm. 2. Schon E. Schmidt meinte, ohne daß er eine Abfassung vom 2.−4. Apr 1814 ausschloß (Weimarische Inscenirungsversuche. Zum Radziwillschen Faust; W 14, 317): Bald flossen diese Versuche für Weimar und gefällige Bemühungen für den Fürsten Anton Radziwill in einander. Schillemeit 1988, 647 erklärt eine Abfassung dieser Sz. im Apr 1814 für völlig unmöglich; sie sei im wesentlichen und als Ganzes bereits früher und in ganz anderen Zusammenhängen entstanden; vermutlich auch nicht eigentlich zum Zweck einer Aufführung des gesamten Faust, »so wie er ist«. . . 6 ) Nach Gräf II 2, 208 verfaßte G die Szene zw. 4. u. 11. Apr oder aber er hatte diese schon am 2./3. gedichtet. 7 ) Hier ohne die für Radziwill als szenische Vorschrift hinzufügte Bühnenanweisung am Schluß: Amor fliegt gegen die Seite, wo sogleich Faust und Gretchen hervortreten. Die Teufelchen hüpfen in die entgegengesetzte, wo später Mephistopheles und Marthe herauskommen. (W 14, 318) 8 ) In dieser frühen wissenschschaftl. Ausg. gab G.v.Loeper 1870 II 246 den Hinweis: Diese Szene hat Goethe . . . auf den Wunsch des Fürsten Radziwill gedichtet und ihm zur Komposition übersandt, welche jedoch unterblieben zu sein scheint (s. Düntzer 1857, S. 792). Die Szene ist, obgleich dies nicht ausdrücklich gesagt ist, zum zweiten Theile des Faust zu ziehn, da im ersten für dieselbe kein Platz denkbar ist, und Figuren der alten Götterwelt, wie der hier mit nordischen Teufeln zusammengestellte Amor, mit Notwendigkeit auf den zweiten Teil verweisen. Das Stück kann nur bestimmt gewesen sein, am Hofe des Kaisers am Ende des ersten Aktes vor der Aufführung von »Helena’s Raub« gespielt zu werden. Denn sonst wird im Faust nicht Theater gespielt, als nur noch in der Walpurgisnacht des ersten Theils. Mit dem dortigen Intermezzo hat die Szene aber weder nach ihrem Inhalt − wiederum eine Vergleichung nordischer und antiker Mythologie − noch nach ihrer Form die geringste Verwandtschaft. Aus diesem Grunde schließen wir das in sich fertige und abgeschlossene Stück dem zweiten Theile an und nicht dem ersten, wohin es sonst nach der Entstehungszeit zu verweisen sein würde. − Strehlke 1891,18−22 veröffentlichte die Szene u. bemerkte dazu: Diese . . . Scene sollte nach Goethes Absicht der Gartenhausscene (3205 − 3216) vorangehen . . . Daß . . . Goethe die Scene nicht in den Text aufgenommen hat, war sicher wohl überlegt. Es konnte nach der vorliegenden Situation weder von Interesse sein, die diabolische Seite, die in Fausts Liebe zu Gretchen liegt, schon hier hervortreten zu lassen, noch kann man die Darlegung des hohen Bewußtseins, in dem Amor spricht, recht am Orte finden. Es wird dadurch ein Konflikt hervorgerufen, dessen Lösung noch weit entfernt ist. Daß übrigens die kleinen Teufelchen bei alledem mit gutem Humor behandelt sind, braucht darum nicht verkannt zu werden. 1 ) Zu Fürst Radziwills frühsten Faust-Kompositionen s. Z zu „Faust. Eine Tragödie“ 1809 Aug 15. m. Anm., S. 217f.; Sept 15. m. Anm., S. 218; Okt 5., S. 218f.; 1810 Febr 18. m. Anm., S. 220.

834

[ZU FAUST] ZWEI TEUFELCHEN UND AMOR

1813

1813 Nov 25. Fürst [A. H.] Radziwil. Gr. [Graf C. F. M. P.] Brühl.1)

1814 ⎯ Apr

⎯ (s. „Faust. Eine Tragödie“: Tag- und Jahres-Hefte gD, S. 250) 1. [Nachmittags] Fürst Radziwil[l]2) Musick Moltke.3) 1. [Weimar] Riemer Tagebuch (GMD−Keil, Bl. 407): Einladung zu G., wo Fürst Radzivil, der auf dem Violoncell seine Composition von Faust und nachher mit Moltke auf dem Klavier executirte. 2. An Knebel (Br 24, 213): Gestern überraschte uns eine ganz besondere

Erscheinung, Fürst Radziwill, der ein herrlich Violoncell spielt, selbst componirt, und zu diesem Bogeninstrumente singt. Es ist der erste wahre Troubadour der mir vorgekommen; ein kräftiges Talent, ein Enthusiasmus, ja, wenn man will, etwas Phantastisches, zeichnen ihn aus, und alles was er vorbringt, hat einen individuellen Charakter. Wäre seine Stimme entschiedener, so würde der Eindruck, den er machen könnte, unberechenbar seyn. 4. [Nachmittags] Paralipomena zum Faust.4) 1

) Erste Begegnung G’s mit Anton Fürst Radziwill, der schon bald nach Erscheinen von Faust I mit dessen Vertonung begonnen hatte; s. „Faust. Eine Tragödie“ 1809 Aug 15.: W. v. Humboldt an C. v. Humboldt m. Anm., S. 217f. − Graf Brühl, der sich schon in jungen Jahren G künstlerisch verbunden fühlte, wurde 1815 Generalintendant der Königlichen Schauspiele in Berlin. Es liegt nahe, dass Gespräche über Faust-Vertonungen u. Aufführungsmöglichkeiten geführt wurden; zur nächsten folgenreichen Begegnung mit Radziwill s. 1. Apr 1814. 2 ) Zweites Zusammentreffen mit G nach dem ersten kurzen Besuch am 25. Nov 1813. Dazu Gräf II 2, 207: Bei dieser Gelegenheit kommt die Musik zu ›Faust‹ zur Sprache und teilweise auch zu Gehör, mit der der Fürst sich schon seit 1809 oder noch länger beschäftigte; Goethe mag ihm an diesem Tage das bald danach [11. Apr] Ueberschickte schon in Aussicht gestellt haben. 3 ) Karl Moltke war seit 1809 als Schauspieler, Sänger u. Komponist am Weimarer Hoftheater. Daß bei dem gemeinsamen Konzert Radziwills Faust-Vertonungen gespielt u. gesungen wurden, bezeugen die weiteren Z vom 1. u. 2. Apr sowie der darauf bezügliche Passus der TuJ 1814, der des Fürsten Radziwill . . . genialische uns glücklich mit fortreißende Composition zu Faust rühmt. (W 36, 88). 4 ) Vermutl. Durchsicht für eine Sendung an Fürst Radziwill. E. Schmidt (W 14, 317) faßt den Ausdruck Paralipomena als Redaktion oder Abfassung der für Radziwill bestimmten Szenen auf, während, Gräf II 2, 208 zufolge, G die Bezeichnung Paralipomena . . . immer nur für bereits Vorhandenes gebrauchte, das, vollendet oder nicht vollendet, bis dahin aus irgend einem Grunde von der Veröffentlichung ausgeschlossen war. Vermutlich nahm Goethe, auf Radziwills Anregung hin, am 4. die Masse der ungedruckten, zum ›Faust‹ gehörigen Papiere vor, vielleicht zunächst das Scenarium von 1812 (s. „Faust. Eine Tragödie“ Z zu 4. Nov 1812, S. 248) und verfasste dann zwischen 4. und

1814

[ZU FAUST] ZWEI TEUFELCHEN UND AMOR

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[Apr (H der Sz. [Zu Faust] Zwey Teufelchen und Amor)1) 4./11.] 11. An A. H. Fürst Radziwill2) (Br 24, 219f.): Ew. Durchlaucht geruhen,

gegenwärtige kleine Sendung3) gnädig aufzunehmen, in Erinnerung jenes häuslichen Cirkels [am 1. Apr], dem Sie so unvergeßliche Stunden schenken wollen. Ich wünsche, daß die Scene des Gartenhäuschens, in ihrer gegenwärtigen Form, der Musik mehr geeignet seyn möge, als sie es bisher in ihrem Laconismus gewesen. Noch eine andere liegt bey, welche bestimmt ist der Gartenscene vorauszugehen.4)

1821 Sept 10. [Berlin] P. A. Wolff5) an G (GSA 28/1003, St. III): Sr Durchlaucht der Fürst Radziwill trugen mir auf, Ew Excellenz in ihrem Namen nachstehende Bitte vorzutragen. Bey der schnellen Abreiße Sr Durchlaucht und dem hastigen Einpacken des Kamerdieners ist die Scene aus dem Faust zwischen den kleinen Teufeln und dem schlafenden Amor, mit der darauf folgenden6) welche Ew. Excellenz dem Fürsten zur Composition eingerichtet haben, verlegt worden, und da Sr Durchlaucht während ihres jetzigen Aufenthaltes in 11. die fraglichen Scenen, oder aber er hatte diese schon am 2./3. gedichtet und sah die Paralipomena durch, um aus ihnen etwa die Anregung für noch eine oder die andere kleine Scene zu erhalten. Vgl. dazu Schillemeit 1988 oben Anm. 1 u. 3. 1 ) Die Hs ist durch Tgb 4. Apr u. G’s Brief an Radziwill vom 11. Apr, dem sie beilag, datierbar; s. Anm.1. 2 ) ED durch H. Grimm: Aus des Prinzen Schreibtisch in Berlin. In: Preußische Jahrbücher 35 (1875) 2−5. 3 ) Enthaltend die Sz. Zwey Teufelchen und Amor u. die Sz. Ein Gartenhäuschen; s. „Faust. Eine Tragödie“, 4./11. Apr 1814, S. 251. 4 ) Im Briefkonzept von Caroline Ulrichs Hand folgte ursprünglich noch die Anweisung (Br 24, 375): Amor sollte bey der Vorstellung nach der Seite wegfliegen wo sogleich Gretchen und Faust hervortreten, die Teufelchen gegen die andere Seite hüpfen, um das entgegengesetzte Paar anzukündigen. Dieser im Konzept gestrichene Satz wurde nicht in die von F. W. Riemer geschriebene Ausfertigung des Briefes aufgenommen; stattdessen ließ G diese Regieanweisung in noch präziserem Wortlaut auf die für Radziwill bestimmte Hs. zu Zwey Teufelchen und Amor schreiben: Amor fliegt gegen die Seite, wo sogleich Faust und Gretchen hervortreten. Die Teufelchen hüpfen in die entgegengesetzte, wo später Mephistopheles und Martha herauskommen. Daraus wird G’s Absicht deutlich, daß die neue Sz. Zwey Teufelchen und Amor vor der Sz. Ein Gartenhäuschen (3205−16) gespielt werden sollte. Auf die beabsichtigte Verbindung beider Szenen weist auch P1 Zum Radziwillschen Faust (W 14, 316), wo G nach Sc. 4 Gretchens Stube. Margarethe. u. dem Anfang von Sc. 5. Margarethe Faust mit Blei das Wort Combination nachgetragen hat, was Erich Schmidt deutet als die Verbindung mit Gartenhäuschen und Teufelchenscene als ein nachträglicher Einfall. 5 ) Der von G besonders geschätzte, von ihm selber in Weimar ausgebildete Schauspieler u. Regisseur Pius Alexander Wolff hatte 1812 mit Riemer zusammen Aufführungspläne zu Faust I entwickelt; s. „Faust. Eine Tragödie“: Tag- und Jahres-Hefte 1812, S. 245. − Seit 1816 wirkte Wolff am Königl. Schauspielhaus zu Berlin. 6 ) Die darauf folgende war die veränderte Gartenhäuschen-Sz.; s. „Faust. Eine Tragödie“: 4./11. Apr 1814, S. 251–53.

836

[ZU FAUST] ZWEI TEUFELCHEN UND AMOR

1821

Posen sich mit Vorbereitungen zu der Scenendarstellung des Fausts für künftigen Winter beschäftigen, und diese beyden Manuscripte unentbehrlich sind, so würden Ew. Excellenz den Fürsten sehr verbinden, wenn Hochdieselben die Gnade hätten mir dieser beyden Scenen Abschrift zukommen zu lassen, damit ich sie ungesäumt nach Posen senden könnte.

Sept 23. An P. A. Wolff (Br 35, 94f.): Ihr lieber Brief, mein Werthester, hat

mich bey meiner Rückkehr aus den böhmischen Bädern freundlichst empfangen, und es freut mich immer, wenn ich dem Kreise, woher mir soviel Angenehmes kam und kommt, irgend etwas Gefälliges erwidern kann. Empfehlen sie mich daher schönstens dem durchlauchtigsten fürstlichen Paare bey Übersendung inliegender Abschriften.1)

1826 Jan Ende/ Anzeige von Goethe’s sämmtlichen Werken, vollständige Ausgabe letzFebr 5. ter Hand (W 42.1, 109f.): . . . [Band] IV. Gedichte. Vierte Sammlung . . .

Dramatisches.2) März 4. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb u. an C. W. Göttling gD) 30. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: Tgb gD) Apr 16. (s. „Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand“: an Cotta gD)

1836 Mai 30. [Weimar] Riemer an F. v. Müller (QuZ 3, 386ff.) : [Über Aufnahme einzelner FaustParalipomena in die Ausg. Q3)] . . . die Scene im IV Bande S. 220−2244) paßt gar nicht in unsern Faust, und ist blos zum Behuf der Aufführung des Faust bey Fürst Radzivil, als ein t e c h n i s c h e r Behelf von G. erfunden worden; aber meines Erachtens nicht glücklich, wie denn das Nachbessern und Einschieben dem seligen Herrn nicht immer gelingen wollte.

1

) Beide Abschriften von Johns Hand sind GJb 2005, 320 zufolge im Familienarchiv Radziwill. 2 ) Dort in C1 4 (1827) wurde die Szene, G’s Wunsch gemäß, erstmals veröffentlicht; s. oben D. 3 ) Am linken oberen Rand von Müllers Hand die Bemerkung: NB. Ich hatte mich gegen den Abdruck einiger zu anstößiger Stellen in den Paralipomenis zu Faust erklärt. − In der posthumen Ausg. Q, wo eine Anzahl von Faust- Paralip. abgedruckt wurden, geschah dies in sehr verstümmelter Form.. 4 ) Betr. den ED von [Zu Faust] Zwey Teufelchen . . . in C1 4 (1827); ein Abdruck in Ausg. Q unterblieb.