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German Pages 374 Year 2002
CLEMENS ZACHER
Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 153
Die Entstehung des Wirtschaftsrechts in Deutschland Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassung in der Rechtswissenschaft der Weimarer Republik
Von Clemens Zacher
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2000/2001 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D30 Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-10725-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 2000/2001 dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation vorgelegen. Bei ihrer Entstehung wurde ich in mannigfaltiger Weise gefördert, wofür ich an dieser Stelle danken möchte. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Michael Stolleis für die immer im klassischen Sinne kritische Betreuung, bei der er den impulsiven Erkenntniswillen des Schülers stets moderierend glättete und dessen eigenes Verstehen und Bewerten herausforderte. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Bemhard Diestelkamp danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Als Stipendiat des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragenen Graduiertenkollegs für mittelalterliche und neuzeitliche Rechtsgeschichte und juristische Zeitgeschichte unter seinem Leitungsgremium und dessen Sprecher Univ.-Prof. Dr. Joachim Rückert wie auch von Frau Julia Gellner und Herrn Marius Baum habe ich stets Anregung, maßgebliche Förderung und fachlichen Ansporn erfahren. Herrn Prof. Dr. h. c. Norbert Sirnon ist für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der "Schriften zum Wirtschaftsrecht" zu danken. Meine Frau und unsere Tochter haben durch ihre Lebensfreude die Arbeit gefördert. Sie ist meinen Eltern gewidmet. München, im Januar 2002
Clemens Zacher
Inhaltsverzeichnis Einleitung... . ...................... . ....................... . ....................... . ......
13
Erstes Kapitel
Kriegswirtschaftsrecht I. Das Jahr 1914 als rechtshistorische Zäsur und ihre Bedeutung für das Kriegswirtschaftsrecht sowie für das Wirtschaftsrecht .. . .. .. .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. .. . . .. .. .. II. Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsrecht . .. . .. . . . .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. . . . . .. .. .. III. Das Kriegswirtschaftsrecht in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Maßgebliche Begriffsprägungen: Kriegssozialismus und Gemeinwirtschaft im Krieg ................................................. . ....................... . ...... 1. Kriegssozialismus . . .. .. . .. .. . . .. .. .. . . .. .. .. . . . . . . .. . .. .. . .. .. .. . . .. . . .. . . .. .. . . 2. Gemeinwirtschaft .. . . . .. .. .. .. . . . .. .. .. .. .. .. . .. . . . .. . .. .. . .. . .. .. .. . . . . .. .. .. ..
24 24 29 34 42 42 44
Zweites Kapitel
Wirtschaftsrecht 1918-1925 I. Bedingungen für ein neues Wirtschaftsrecht . . .. . . . . . . .. .. . .. .. . . . . .. .. . . . . .. .. . . .. 1. Kriegswirtschaft, Übergangswirtschaft und Sozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Institutionen des Weimarer Verfassungslebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Reichswirtschaftsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Reichswirtschaftsgericht .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. . .. .. . .. . .. . .. .. .. . . .. .. . . .. II. Das Wirtschaftsrecht als eine Reaktion der Rechtswissenschaft auf die Not der Nachkriegszeit . .. .. .. .. .. . .. . . .. . . . .. .. .. .. .. .. . . . . . . .. .. . .. .. . .. . .. .. . . .. . . .. . . .. .. 1. Die Rundschau von Justus Wilhelm Hedemann 1921 .. ...... .... ...... .. . ... ... 2. Der Begriff des Wirtschaftsrechts bei Walter Kaskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hans Goldschmidt . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . . . .. . . .. .. . . . .. .. . .. . .. . . . . .. .. . . 4. Kar! Geiler . .. .. . . . .. .. .. . . . .. .. .. .. .. .. .. . . . .. . . . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. . . .. .. .. 5. Arthur Nussbaum . . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. . .. . .. . . . . .. .. .. 6. Hedemanns Deutung des Wirtschaftsrechts als neuer Rechtsepoche 1922 . . . . . 7. Hans Goldschmidts ,,Reichswirtschaftsrecht" 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Goldschmidts Position im Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) "Selbstregierung" im Wirtschaftsrecht ..... .. . .. . .......... ...... .. ...... ... c) Organisationsgedanke und Rechtsdogmatik im Wirtschaftsrecht.... . . . . . .. . d) Bedeutung und Wirkung von Goldschmidts ,,Reichswirtschaftsrecht" . . . . . . III. Das Wirtschaftsrecht nach 1923 .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . .. .. . .. .. . . .. .. .. . . .. .. . .. . IV. Erste Untersuchungen zu einem "öffentlichen Wirtschaftsrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirtschaftsrecht und öffentliches Recht . .. .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. .. . .. . .. . . .. .. 2. Friedrich Giese . .. .. .. . . . .. .. .. . .. .. .. .. . .. . .. . . .. . . .. .. . .. . .. . .. .. . .. . . . .. .. . .. .
48 48 48 50 50 51 52 53 57 59 61 64 69 70 70 74 75 76 78 79 79 82
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Inhaltsverzeichnis 3. Georg Lucas .. . .. . . .. .. . . .. . . . . ..... ...... .. .. . . .. .. .. .. . .. ..... .. .. .. . . . . . .. .. .. 4. Max Rumpf und andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Das Verhältnis von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Wlrtschaftsrecht in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. .. .. . .. .. . . . . .. .. . . . .. .. . . . . . .. .. . . .. . .. .. . . 86 V. Wirtschaftsverfassung . .. .. . .. . . .. .. .. .. .. . .. .. .. . . .. . . . . . .. . .. .. .. .. .. . .. . . . . .. . .. .
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VI. Reichswirtschaftsrat und Reichswirtschaftsgericht in der wirtschaftsrechtlichen Literatur ................................................. ..... ....................... . . 91
1. Der Reichswirtschaftsrat . .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . . .. . . .. . .. .. .. 2. Das Reichswirtschaftsgericht .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. . .. . VII. Institutionelle Etablierung des Wirtschaftsrechts als wissenschaftliche Disziplin . .
91 94 96
Drittes Kapitel
Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
102
I. Der Ruf nach "Gemeinwirtschaft" in der Nachkriegszeit ..... . . . . ... . . . .... . .. . ... 102 II. Inhalt und Aufbau der ansatzweise verwirklichten Gemeinwirtschaft unter der Weimarer Verfassung .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. . . .. .. . .. .. . .. .. .. .. . .. . .. .. . .. . . . . 106
1. Die gesetzliche Definition der Gemeinwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Die Ausgestaltung der gerneinwirtschaftlichen Regelung, insbesondere in der Kohlen- und Kaliwirtschaft ..................................................... 107 III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wlrtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
1. Gemeinwirtschaft als Teil des Wirtschaftsrechts .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . . . . . .. .. . 111 2. Die bedeutendsten Arbeiten zum Recht der Gemeinwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Artbur Nussbaum ..... . ...................... ... .......................... . .. 113 b) Paul Gieseke .. .. .. .. . . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. . . . .. .. .. . 113 c) Friedrich Glum .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. . . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. . 115 d) Walter Wauer . .. . .. . . .. . . . .. . .. . .. .. . . .. . .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. 116 e) Hans Goldschmidt ........................................................... 118 f) Leopold Heilberg ............................................... . ... . ........ 118
g) Tula Simons .................................................................. 120 3. Selbstverwaltung in der Gemeinwirtschaft ...................................... 121 a) Selbstverwaltung als Indikator für die Unabhängigkeit der Wirtschaft vom Staat ................................................................. .. ....... 121 b) Beibehaltene und fortwirkende Rechtsinstitute der Kriegswirtschaft ..... . . 121 c) Juristische oder politische Selbstverwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Rechtsnatur der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper der Gemeinwirtschaft ....................................... . .................................... 127 a) Die Befassung der Literatur mit der Rechtsnatur der Selbstverwaltungskörper ................... . ....................................................... 127 b) Insbesondere: Wirtschaftliche Selbstverwaltungskörper als Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen oder privaten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
9
Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel
Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie im Wirtschaftsrecht
135
I. Der Begriff des Sozialrechts und seine historische Bedeutung für das Wmschaftsrecht ........ . ................. . . . ................... . . ... .... . ............ . . . .. .. .... 1. Sozialrecht als rechtshistorischer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialrecht im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sozialrecht als Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses . .. .. . .... . .... .. .. .. 1. Sozialrecht als Element sozialistischen Rechtsdenkens ................ . . . .... . . 2. Juristenausbildung und freirechtliche Tendenz mit Seitenblick auf das ,.Soziale" . . . . .................... . . . . . ................... . .. ..... . ............. . ..... ... III. Rechtssoziologie im Wirtschaftsrecht ............... . ..................... . . . ...... 1. Hans Goldschmidt ........ . . . . . .. . .............. . . . ..................... . . . . . .... 2. Artbur Nussbaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Max Rumpf. .. . . . . ... ..... . . . . . ... . ... . .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Justus Wilhelm Hedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Emil Westhoff .............. . . . ... . ... . ............. . .......... . ...... . . . . . ...... 6. Eugen Rosenstock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Friedrich Darmstaedter ...... .. . . ............... . ..... .. ........... . .. . ..... . . .. . 8. Heinrich Kronstein ............. . ............... . ...... . ....................... . . 9. Kar! Geiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Ernst Rudolf Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie: Der Einfluß Rudolf Stammlers auf das Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 135 139 139
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Fünftes Kapitel
Wirtschaftsrecht1926-1929
174
I. Entwicklungslinien im Wirtschaftsrecht ab 1926 ... . . . . . ............ . ...... . . . .... . 1. Konjunktur und Rahmenbedingungen des Wirtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftsrecht und öffentliche W111Schaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftsrecht als methodisch geschlossene Disziplin bei Walter Kaskel 1926 4. Forschungslandschaft: W111Schaftsrecht und Nachbardisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Forschungsrichtungen im Wll1schaftsrecht ab 1926 ...... . ... . . . . . ...... ... a) Justus Wilhelm Hedemann ................. . ... . .......................... . . . b) Gustav Radbruch als Vertreter des Sozialrechts .. . ..................... . . . .. c) Rechtssoziologie und Nationalökonomie im Wirtschaftsrecht . ...... .. . . . .. II. Wirtschaftsrecht und Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Öffentliche Recht unter dem Einfluß des Wirtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeines Verwaltungsrecht und Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0
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Inhaltsverzeichnis a) Die Einwirkung des Wirtschaftsrechts auf das allgemeine Verwaltungsrecht .................... . ...................... . . . . . . . ...................... . . 190 b) Die Berichte im Jahrbuch des öffentlichen Rechts als Indikatoren für die Rolle des Wirtschaftsrechts in der Wissenschaft vom öffentlichen Recht . . . 191 3. Einzelne Rechtsgebiete des öffentlichen Rechts als Schauplätze eines Wirtschaftsrechts, insbesondere das Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Vorbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Gewerberecht bei Amold Köttgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 c) Die Gegenauffassung von Walter Kaskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
III. Schwerpunktmaterien des neueren Wirtschaftsrechts im öffentlichen Recht: Kartellrecht, öffentliche Wirtschaft und Recht der öffentlichen Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Kartellrecht bei Adolf Amdt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3. Öffentliches Wirtschaftsrecht und Recht der öffentlichen Anstalt: Die Berichte am zweiten Tag der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1929 . . . .. . . . . .... . .. . . . . . . . . . . . ... . .. .... . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. 201 a) Lutz Richter: Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand .... . ... 202 b) Amold Köttgen: Recht der öffentlichen Anstalt . . ........................... 208 IV. Verharren und Konvergenz von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Recht . . . . . . . . . 212
Sechstes Kapitel
Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
216
I. Begriffe und Erscheinungsformen der Wirtschaftsverfassung .............. . ... . ... 216
I. Wirtschaftsverfassung als Begriff und als Kategorie des Wirtschaftsrechts . . . . . 216 2. Weimarer Verfassung und Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Materielle Wirtschaftsverfassung als ein Ausdruck des Wirtschaftsrechts .. .. .. 220 4. Der berufsständische Staat im Sinne einer Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . 5. "Wirtschaftsdemokratie" als Wirtschaftsverfassung . .... . . ..... .. . . . . . .. . .. . ... a) Die Konzeption der Wirtschaftsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bewertung der Wirtschaftsdemokratie als rechtswissenschaftliche Option .. .. ..... . ........... . . . . . . . ....... . ............ . . . ............... . . . . . ... .
224 228 228 232
II. Wirtschaftsordnung: Freie Wirtschaftsordnung als Wirtschaftsverfassung in einer Gesamtordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Walter Eucken: Die Krisis des Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Franz Böhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Der Ansatz Böhms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Insbesondere: Gesamtordnung der wirtschaftlichen Freiheitssphären . . . . . . . 242 III. Wirtschaftsverfassung als Antagonismus zur politischen Verfassung ... . . . . . . . . . . . 247 I. Wirtschaftsverfassung in Opposition zur Staatsverfassung bei Carl Schmitt . . . 247 2. Das deutsche Reich als Wirtschaftsstaat Wirtschaftsverfassung bei Ernst Rudolf Huber . .. .. . . ... . .. . . .. . . . . .. .. ... . . ...... . . ... . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .. . . . . ... . 250
Inhaltsverzeichnis
11
Siebentes Kapitel
Wirtschaftsverwaltungsrecht I. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht als wissenschaftliche Disziplin in den letzten Weimarer Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirtschaftsverwaltungsrecht bis zu Hubers Habilitationsschrift ..... . . . ........ 2. Hubers "Wirtschaftsverwaltungsrecht" im Spiegel der wirtschaftsrechtlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirtschaftsverwaltungsrecht bei Ernst Rudolf Huber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hubers System des Wirtschaftsverwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Juristische Prinzipien in Hubers "Wirtschaftsverwaltungsrecht" . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiheitsrechte ........... . ....................... . ..................... ... ... b) Wirtschaftsfreiheit und Allgemeinwohl ...... . .. . . . .............. . . . ...... . . c) Der privatrechtsgestaltende Staatsakt .............. . ................ . ...... . . 3. Hubers Anforderungen an die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Wirtschaftsrechts ................................................................... . ........ a) Rechtsstaatsbegriff in Hubers "Wirtschaftsverwaltungsrecht" . . . . . . . . . . . . . . b) Hubers Stellungnahme zum Methodenstreit der Staatsrechtslehre im "Wirtschaftsverwaltungsrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Justiz, Verwaltung und Stellung des Bürgers gegenüber dem Staat . ........ 4. Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht ...... . . . ................... . ..... a) Justizstaatliche Lösung oder Verwaltungsgerichtsbarkeit? .................. b) Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte .... . . . ....................... . . c) Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die verwaltungsrechtlichen Formen des Wirtschaftsverwaltungsrechts .. . . . . . . a) Verwaltungsrechtliche Formen als Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung von Verbänden durch die Wirtschaftsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gestaltung öffentlicher Rechte und Pflichten .... . . . ................... . . . . . .
258 258 258 260 263 263 265 265 266 267 269 269 270 272 274 274 277 281 283 283 284 289
Achtes Kapitel
Wirtschaftsrecht 1930-1933 I. Rahmenbedingungen und Forschungslandschaft des Wirtschaftsrechts in der Zeit der Wirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Politik und Wirtschaft in der Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schwerpunkte der Entfaltung des Wirtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme des Wirtschaftsrechts .......................... . .............. . ...... . ... . ........... .. ........ . ..... 1. Die Festschrift als Querschnitt und Spiegel der Literatur zum Wirtschaftsrecht 2. Wirtschaftsrecht als Rechtsdisziplin bei Friedrich Klausing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klausings Urteil über die Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Klausings eigener Systementwurf für ein Wirtschaftsrecht als rechtswissenschaftlicher Disziplin in Forschung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffliche Voraussetzungen ................ . . . ........... . ....... . . . . . . . .. . b) Klausings Analyse und eigener Vorschlag für die Lehre des Wirtschaftsrechts ................... . . ... .. .... .. .... .. .. .. .. .. . ... . .... . ..... .. . . . ... .. . . 5. Die Beiträge von Geiler, Rosenstock und Nussbaum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 292 292 294 297 297 299 300 305 305 308 311
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Inhaltsverzeichnis
111. Die Literatur zum Wutschaftsrecht in der Endphase der Weimarer Republik . . . . . . 1. Die Literatur zum Wutschaftsrecht nach der Festschrift Heymann ....... . ... . . a) Reaktion des Wutschaftsrechts auf die Interventionspolitik . ... .. .. . ... .. . .. b) Die Kontroverse um das Wirtschaftsrecht zwischen Haussmann, Schachian und Liefmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die ,,Flucht in die Generalklauseln" ............ . .................... . ... . . . . 2. Ausdifferenzierung des Wutschaftsrechts ...... . . . ... . .................. . ..... . . 3. Autoritärstaatliche und bündische Deutungen der Wirtschaftsverfassung und ihr Gefährdungspotential für das Wutschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313 313 313 314 320 321 322
Schlußbetrachtung .. ... . . ....... . . .. . . . . ... . . . . .. ... . ... . .. . .... . ........ . . . . .. . . . ... . ... 327 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Einleitung I. Die Entstehung jeder juristischen Disziplin folgt aus ihren historischen Bedingungen. Sie entspringt nicht einem gedanklichen Modell. Die Bedeutungen der Begriffe "Wirtschaftsrecht", "Wutschaftsverwaltungsrecht" und schließlich der "Wutschaftsverfassung" scheinen auf den ersten Blick klar auf der Hand zu liegen. Eine Reihe von Rechtswissenschaftlern hat deshalb begriffliche Definitionen vorgelegt. 1 Nur auf den ersten Blick verleitet ein weitgehender, pragmatischer Konsens, der angesichts des gegenwärtig herrschenden, zumindest formell freiheitlichen Wutschaftssystems erreicht ist, häufig genug zur Annahme, über die Bedeutung der Begriffe bestehe Einigkeit. Bei näherem Hinsehen bleibt die Bedeutung der Begriffe jedoch ungewiß. Schon sprachlich ist das Wirtschaftsrecht mehrdeutig. Denn was ist diese Vielheit, die das Recht "Wirtschaft" nennt? Das Wort ist ein ausfüllungsbedürftiger Begriff der Rechtssprache. Unbestimmt ist auch das sachliche Fundament, auf dem das Wutschaftsrecht steht. Zu viele Positionen konkurrieren darum, die Grundlage der Wutschaft als Rechtsbegriff zu bilden. Deshalb kursierten und kursieren sowohl in der Vergangenheit als auch für das geltende Recht eine Vielzahl formaler oder sachlicher Abgrenzungskriterien, die sich entweder auf den Personenkreis der Wutschaftenden, auf die betreffende Tätigkeit oder schlicht auf einen Lebensbereich der "Wirtschaft" und dessen Verhältnis zum Staat bezogen und beziehen. Wrrd einerseits das Wirtschaftsrecht mit dem Wutschaftsverwaltungsrecht identifiziere und dabei der Bogen des öffentlichen Rechts bis zum Recht des unlauteren Wettbewerbs gespannt, 3 so soll andererseits das Wutschaftsrecht das die Wutschaftspolitik konkretisierende Recht sein, 4 einen sich um die Koordinations- und Subordinationsproblematik der wirtschaftlichen "Lebensinstitute" schließenden funktionalen rechtlichen Rahmen bieten, 5 oder nur das bürgerlichrechtliche Individualverhältnis und 1 Siehe die Überblicksdarstellungen bei W. Brohm, Wirtschaftsrecht- Anrecht und Aufgabe, S. 18- 21 . P.-J. Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S.l17ff. 2 R. Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 6. Auflage, S. 7 ff; in der 10. Auflage seines Lehrbuchs geht Stober von der "Überschneidung" zweier Rechtsgebiete, des Wrrtschaftsrechts und des Verwaltungsrechts aus (§ 2 I 5). 3 G. Rinck, Wirtschaftsrecht, 5. Auflage, S. 2-5. 4 E. Steindorff, Einführung in das Wrrtschaftsrecht, S. 5 ff, 9-13. 5 W. R. Schluep, Was ist Wirtschaftsrecht? in: Jagmetti, Riccardo L.; Schluep, Walter R. (Hrsg.), Festschrift für Walter Hug zum 70. Geburtstag, 1968, S. 25- 95, insbes. S. 69-94. Unter
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die Unternehmensverfassung mit einer gesamtwirtschaftlichen Wertung überformen. 6 Auf die unüberschaubaren konzeptionellen und methodischen Unsicherheiten, auf das Gegenüberstehen von Interventionsmodellen und Privatrechtsmodellen im Wirtschaftsrecht seit 1949 hat Friedrich Kühler deutlich hingewiesen. 7 Diese Unsicherheit entstammt gewiß zum einen dem interdisziplinären Charakter der Rechts- und Rechtswissenschaftsgebiete, die mit Komposita von "Wirtschaft" bezeichnet werden. Juristisches Entscheiden im Bereich der Wirtschaft ist eine Alltagserscheinung. Gleichwohl gilt der "Wirtschaftsjurist" als ein Spezialist, dessen methodisches Werkzeug nicht zum feststehenden Bestandteil der juristischen Ausbildung geworden ist. Andererseits ist der Grund für die Ungewißheit über das eigene Fach auch innerhalb des Wirtschaftsrechts selbst zu suchen. In der wirtschaftsrechtlichen Literatur sind methodische und rechtsdogmatische Aussagen über das Allgemeine, das Gemeinsame im Wirtschaftsrecht, die über den Gemeinplatz des geordneten modernen Wirtschaftslebens hinausgehen, kaum zu finden. Deshalb stellen Wirtschaftsrechtier die Frage nach Anrecht und Aufgabe eines Wirtschaftsrechts immer wieder selbst, weil ihnen die autonomen Seinsgründe des Wirtschaftsrechts und deren Herleitung nirgends klar ersichtlich scheinen. 8 Worin liegen die Verzicht auf eine qualitativ eigenständige Theorie stellt der damals in den USA tätige Schweizer Handelsrechtslehrer Schluep die ganzheitliche Funktionalität, die auf vorfindliehe wirtschaftliche Tatsachen gegründete lnstitutionalität und die Technizität des Wirtschaftsrechts im Sinne eines funktionalen Zusammenhangs von Normen, der sich um das Koordinations- und Subordinationsproblem der Wirtschaft schließe, als dessen Grundlage zur Diskussion. 6 W. Schmidt-Rimpler, Art. Wirtschaftsrecht in HDSW, Band XII. S. 690; zur Unternehmensverfassung F. Rittner, öffentlichrechtliche Elemente in der Unternehmensverfassung, S.62. 7 Für die Rechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland F Kühler, Wirtschaftsrecht in der Bundesrepublik, insbes. S. 364-372; ferner ders., Wirtschaftsgeschichte: High Noon, zugl. Rezension K. W. Nörr, Die Republik der Wirtschaft, in: Rechtshistorisches Journal 2000, S. 197- 206; K. W. Nörr, Die Republik der Wirtschaft. Recht, Wirtschaft und Staat in der Geschichte Westdeutschlands. Teil I: Von der Besatzungszeit zur Grossen Koalition, passim. Kennzeichnend für die Nachkriegszeit sind vor allem die Beiträge in der Festschrift Hueck: R. Dietz, H. C. Nipperdey, E. Ulmer (Hrsg.), Festschrift für Alfred Hueck zum 70. Geburtstag, München, Berlin 1959: J. W. Hedemann, Das Wirtschaftsrecht - Rückblick und Abschied, S. 377-412, H. Krause, Wirtschaftslenkung und Ermächtigungsstil, S.413-438; ferner der bilanzierende Beitrag von W. R. Schluep, Was ist Wirtschaftsrecht?, in: R. L. Jagmetti, W. R. Schluep (Hrsg.), Festschrift für Waller Hug zum 70. Geburtstag, Bern 1968, S. 25-95. Später dann die Sammetrezension von L. Raiser, Der Gegenstand des Wirtschaftsrechts, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 1979, S. 338-345, der resümierend darauf hinweist, daß das "erwünschte Unternehmen einer systematischen Gesamtdarstellung des Wirtschaftsrechts seinen Wagnis-Charakter noch nicht verloren" habe. 8 R. Wiethölter, Die Position des Wirtschaftsrechts im sozialen Rechtsstaat, S.41-62, der den Begriff des Wirtschaftsrechts in provokanter Resignation ein "zauberisches Paradoxon" nennt und ihm ein abgrenzbares Rechtsgebiet abspricht, ders., Art. Wirtschafts recht, in: Goerlitz, Handlexikon der Rechtswissenschaft, S. 531. Zu Wiethölter und zur Unschlüssigkeit angesichts des Wirtschaftsrechts siehe auch L. Raiser, S. 338 ff. W. Brohm, Wirtschaftsrecht - Anrecht und Aufgabe, DÖV 1979, S. 18-27. Daß die Frage des Wirtschaftsrechts bevorzugt von den Wirtschaftsrechtlern selbst, von anderen Juristenjedoch nur selten aufgeworfen wurde, be-
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Gründe, aus denen heraus das Recht sich befugt sah und sieht, die Wirtschaft zu regeln? Dahinter freilich steht die Frage nach dem Verhältnis des Staates zur Wirtschaft innerhalb des vielgestaltigen Bildes des Wirtschaftsrechts als einer Emanation der Industriegesellschaft Die Identität des Wirtschaftsrechts über alle positiven Belege hinaus war und ist unklar. Gleichwohl wird die Identität und Autonomie des Subjekts "Wirtschaftsrecht" durch seine eigenen Grenzziehungen am deutlichsten sichtbar. Die eigene Geschichte ist die erste Quelle der Erkenntnis der eigenen Identität. Rechtshistorische Rekonstruktion und Interpretation leben von den gleichen Voraussetzungen wie die allgemeine Geschichtsforschung. Der gemeinsame Verständnishorizont zeichnet sich besonders in den allgemeinen historiographischen Paradigmata ab, über die die Forschung ihre Klärungs- und Vergewisserungsfunktion erfüllt. Über den historischen Großrahmen der Weimarer Zeit nach den Phasen der Hochindustrialisierung, im Übergang zur Industriegesellschaft und begleitet von der Demokratisierung des Staates besteht unter den Historikern ein gewisses allgemeines Einverständnis. Die für die juristische Zeitgeschichte typischen Schwierigkeiten entstehen aber dort, wo sich wegen der zeitlichen Nähe des Forschungsgegenstands die Quellenbegriffe mit den Forschungsbegriffen, aber auch mit heutigen dogmatischen und analytischen Kategorien auf unglückliche Weise mischen und für Verwirrung sorgen. 9 Namentlich der "lnterventionsstaat" und der "organisierte Kapitalismus" in der Folge der "industriellen Revolution", der "Wirtschaftsliberalismus" oder gar der "Kollektivismus" fordern genaue Unterscheidungen, wenn auch eine übermäßige metasprachliche Absicherung der Argumentationsweisen verzichtbar bleibt. Insbesondere die Suche nach dem Wirtschaftsrecht, dem als Begriff zunächst die verschiedensten Bedeutungen beigelegt wurden und das sich erst im Laufe der Zwanziger Jahre 10 in das private und das öffentliche Wirtschaftsrecht und schließlich auch das Wirtschaftsverwaltungsrecht ausdifferenzierte, ist durch die Verwendung des Wortes "Wirtschaftsrecht" durch damalige Wissenschaftler wie durch den richtete zeitgenössisch für die Weimarer RepublikH. Schachian, Das Wirtschaftsrecht und sein Normenkreis, JW 1932, S.1621-1624, S.1621: "Im übrigen haben diejenigen die geringsten Zweifel über den Begriff eines Wirtschaftsrechts, welche sich am entferntesten von seiner Handhabung befinden, und diese Zweifel scheinen zu wachsen mit der zunehmenden Armäherung des einzelnen an die Materie. Das Wort Wirtschaftsrecht enthält eine eigenartige Verkoppelung von zwei Elementen, von denen das eine der Volkswirtschaft und das andere der Rechtswissenschaft entlehnt ist." Als Überblick (im Sinne eines historischen Quellenbefundes) über die Weimarer Zeit, die Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit dient W.R. Schluep, S. 25- 62. 9 Auf dieses Problem konkurrierender rechtshistorischer und juristischer Kompetenz zu Rechts- und Verfassungsfragen der Weimarer Republik verweist besonders treffend D. Willoweit, Ist eine Verfassungsgeschichte der Weimarer Zeit als Rechtsgeschichte möglich?, ZNR 1990, S. 186-197, insbes. S. 195. 10 Sämtliche hier verwendeten historischen Zeitangaben (,,Zwanziger Jahre", ,,Jahrhundertwende") ohne nähere Erläuterung gehören wie der Forschungsgegenstand selbst dem 20. Jahrhundert an.
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Rechtshistoriker heute erschwert. Verschiedene Sinnebenen öffnen sich durch die jeweilige Verwendung des Rechtswortes. Wirtschaftsrecht ist also einerseits der Hintergrundbegriff, der die gesamte Literaturbewegung nach dem ersten Weltkrieg zu erfassen sucht, die sich mit einem auf die "Wirtschaft" bezogenen Recht auseinandergesetzt hat. Sowohl das Industrierecht, wie das Gewerberecht vor dem Ersten Weltkrieg muß der Historiker bei strukturell-genetischer Betrachtung als Elemente des Wirtschaftsrechts werten. Demgegenüber war das Arbeitsrecht aus der Sicht zwar nur weniger, aber namhafter Autoren der Zwanziger Jahre ein Teil des Wirtschaftsrechts, obwohl uns inzwischen beide Rechtsmassen als in ihrer Tradition eigenständig erscheinen mögen. Andererseits ist das Wirtschaftsrecht die auf uns Heutige überkommene Rechtsdisziplin, die geeignet ist, den unbefangenen Blick auf die Verhältnisse der Weimarer Zeit zu verengen. Wenn Fritz Rittner diejenigen Rechtsmassen, "welche die gesamtwirtschaftliche Ordnung als solche verwirklichen sollen", zum Wirtschaftsrecht auch der Weimarer Zeit rechnet, so wird er mit dieser zu sehr vom Gedanken der Globalsteuerung inspirierten Definition dem damaligen von Verbändewirtschaft und partiellem Sozialisierungsstreben geleiteten Organisationsdenken nicht gerecht. 11 Über diese Schwierigkeiten helfen ebenso die kurzen geschichtlichen Abrisse Wolfgang Fikentschers und Gerd Rincks nicht hinweg. Genauso wenig hat die Begrenzung seiner Suche auf den Begriff des WirtschaftsrechtsHans Peter Jugel vor einer ähnlich projektiven Sichtweise geschützt. 12 Die Frankfurter Dissertation von Hendrik Sandmann bietet trotz der Suche nach dem historisch vorfindliehen Begriff des Wirtschaftsrechts keine rechtshistorische Deutung der geistigen und wissenschaftlichen Grundlagen an. 13 Die Verquickung von Zeitlichem und Überzeitlichem, von früherer und gegenwärtiger juristischer Disziplin und die Unsicherheit über den Gegenstand des Wirtschaftsrechts führen zu einer dem Wirtschaftsrecht als historischem Gegenstand und als praktiziertem Recht eigenen und eigentümlichen Problemstellung. Die Ordnungsvorstellungen von Privatrecht und öffentlichem Recht fußen auf einer je eigenen Tradition, sie haben ihre eigene Geschichte und Geschichtsschreibung. Die Be11 F. Rittner, Art. Wirtschaftsrecht im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, S. I 064. Rittner bezieht sich hier auf Art. 151 WRV, dem er freilich einen normativen Wert, wie er nur der Rechtswelt unter der Herrschaft des Grundgesetzes von 1949 denkbar ist, beimißt: ,.Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des anderen zu sichern". In seinem Plädoyer für eine Wirtschaftsrechtsgeschichte stellt Rittner zwar m. E. zutreffende Postulate für eine historische Aufarbeitung des Stoffes auf, indem er die Leistungsfahigkeit der Privatrechtsgeschichte unter methodischen Gesichtspunkten in Zweifel zieht. Im gleichen Atemzug wählt er für seine dort erneut vorgelegte Darstellung der Weimarer Zeit eine unhistarische Perspektive, indem er nur von einer Suche nach ,.umfassenden Ordnungsmodellen" spricht, ders.: Neueste Privatrechtsgeschichte oder Wirtschaftsrechtsgeschichte?, ZNR 1991, S. 173-183, insbes. 183. 12 H. P. luge/, Zum Begriff des Wirtschaftsrechts in Westeuropa, Tübingen 1995 S. 1-30 operiert mit einem überzeitlichen Begriff des Privat- und des Wirtschaftsrechts. 13 P. Sandmann , Die Entwicklung von Begriff und Inhalt des ,.Wirtschaftsrechts" durch die Rechtswissenschaft in der Weimarer Republik, Diss. Frankfurt am Main 1999, S.4.
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sonderheit des Wirtschaftsrechts der Weimarer Zeit liegt in seiner Emanzipation von den überkommenen Denktraditionen. Die mit der Kriegs- und Nachkriegsgesetzgebung einhergehende wirtschaftsrechtliche Literaturbewegung ist so Ausdruck eines Paradigmenwechsels, in dem sich neue wirtschaftliche und staatsbürgerliche Ordnungsvorstellungen artikulierten. Denn nicht nur neue Rechtsformen, auch bereits vorhandene Rechtsinstitute wurden in diesem Licht neu ausgelegt, ein neuer Gehalt hineingelesen. Weder Privatrechtsgeschichte noch die Geschichte des öffentlichen Rechts nehmen sich dieser Verwerfungen zwischen den Rechts-materien in befriedigender Weise an. Die Orientierungsschwäche (nicht Funktionsschwäche) des geltenden Wirtschaftsrechts fußt wesentlich auf diesem Defizit. Deshalb hat Fritz Rittner warnend eine Wrrtschaftsrechtsgeschichtsschreibung eingefordert, die der Einheit des Wirtschaftsrechts als keineswegs willkürlicher, sondern von grundrechtsgeprägten Gerechtigkeitsvorstellungen und wirtschaftlichen Ordnungsmodellen gebotenen Kombination aus Elementen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts Rechnung tragen soll. Nach Rittner soll sie auch dem in schwebender Unsicherheit befindlichen geltenden Wrrtschaftsrecht eine Identifikationsgrundlage bieten. 14 Der hier vorgelegte Beitrag zur Wrrtschaftsrechtsgeschichte gilt dem Versuch, die für ihre Zeit historisch eigenartige wirtschaftsrechtliche Bewegung in ihren wesentlichen Zügen zu charakterisieren. II. Wirtschaftsrecht und Wrrtschaftsverwaltungsrecht sind nach dem ersten Weltkrieg entstanden. Zwar kennt die Rechtsgeschichte der ganzen Neuzeit rechtlich geregeltes Wirtschaften und Einwirkungen des Staates auf die Wirtschaft. Die Rechtswissenschaft begriff sich aber erst unter dem Eindruck des großen Krieges bewußt als Träger der Entwicklung, die zahlreiche rechtliche Phänomene zu einer stoffiichen und methodischen Einheit, zu einer neuen Rechtsdisziplin zusammenführte. 15 "Wirtschaftsrecht" ist der Oberbegriff der wirtschaftsrechtlichen Materien. Er umfaßtjedenfalls in der Zeit seiner Hochkonjunktur von 1920 bis 1925 auch Ansätze zu einem Wirtschaftsverwaltungsrecht und zu einer Wirtschaftsverfassung. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht tritt nach einigen wenigen Orientierungsversuchen einzelner Autoren zum öffentlichen Wirtschaftsrecht am Ende der Weimarer Zeit namentlich durch Ernst Rudolf Huber deutlich hervor. Wenn Knut Wolfgang Nörr annimmt, die Wortbildung von der "Wirtschaftsverfassung" habe sich unabhängig vom Wirtschaftsrecht in mehreren Anläufen vollzogen, so spricht er nur von der "Wirtschaftsverfassung" expressis verbis. Er verzichtet darauf, die gedanklichen Ansätze zu einer Wirtschaftsverfassung, die sich im Wirtschaftsrecht unabhängig 14 F. Rittner, Neueste Privatrechtsgeschichte und Wrrtschaftsrechtsgeschichte, ZNR 1992, S.173-186, insbes. S.174-177. Dazu auchK.-0. Scherner, Gibt es eine Privatrechtsgeschichte der Weimarer Zeit?, ZNR 1990, S. 198-204, insbes. S.202. 15 G. Rinck, Wirtschaftsrecht S. 10.
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von der Suche nach einer konkreten "Wirtschaftsverfassung" artikulierten, für ein besseres Verständnis der Situation nutzbar zu machen, in der der Terminus geprägt wurde. Die gebotene Kürze des von Nörr vorgelegten Überblicks zum Wirtschaftsrecht und zur Wirtschaftsverfassung 16 lädt ohnehin dazu ein, die von ihm vorgelegte Fragestellung am Vorbild der rechtswissenschaftliehen Literatur inhaltlich und historisch diachron zu differenzieren. Die Entfaltung des Wirtschaftsrechts ist 1933 natürlich keineswegs abgeschlossen. Von den Verhältnissen in einer parlamentarischen Demokratie irrte das Wirtschaftsrecht in das Dickicht des diktatorischen Regimes ab und verlor dort seine Konturen. Sowohl die tatsächliche Einbindung der Wirtschaftspolitik in den dualen Staat des nationalsozialistischen Machtapparats und ihre kriegsorientierte Instrumentalisierung als auch die Veränderung und Verkürzung der Wirtschaftsrechtswissenschaft im Sinne der allfällig vertretenen einheitlichen Weltanschauung, nimmt dem Gegenstand seine Besonderheit und Bedeutung. 17 Zwar begann sich in der Weimarer Zeit die "krude Mischung aus korporatistischer Organisation und administra16 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 166-176. An anderer Stelle spricht Nörr selbst von Ansätzen zu einer gedachten Wirtschaftsverfassung, ders. : Auf dem Wege zur Kategorie der Wirtschaftsverfassung. Wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen im juristischen Denken vor und nach dem ersten Weltkrieg, S. 441-452. 17 Rasch nach der Machtergreifung wurde das Wirtschaftsrecht der "Systemzeit" der Weimarer Republik vielerorts für obsolet erklärt sowie Führerprinzip und Volksgemeinschaft als neue Grundsätze in den Vordergrund geschoben: E. Hamm, Recht und Wirtschaft, DJZ 1933, Sp. 1402-1410 zog für das Wirtschaftsrecht einen neuen Rahmen: Im"Wirtschaftsrecht der Zukunft" sei dem "Ehrbegriff eine viel größere Wirksamkeit zu geben als bisher" (Sp. 1409). Die wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlage biete der "Deutsche Sozialismus" als "aus dem Eigennutzen in den Gemeinnutzen sich ergebendes Wirtschaftsstreben" (Sp. 1410). Ein Jahr später sprach H. Haemmer/e, Die Entwicklung des Wirtschaftsrechts seit dem Jahre 1933, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1935, S. 154-180, von der "neuen Ideologie" die alle bisherigen Rechtsprinzipien überwirke. Mönckmeier, Grundzüge der Sozial- und Wirtschaftsordnung, Deutsche Justiz 1936, S. 80, sah zur Wahrung des "Rechtes der Volksgemeinschaft" eine "Gemeinschaftsverwaltung der Wirtschaft unter politischer Führung" als notwendig an, in der jeder Wirtschaftende zum "Arbeiter für Deutschland" werde. Denn "das Ergebnis aller Ordnungsmaßnahmen" sei "die nationalsozialistische Wirtschaftsverfassung", und zwar nicht als "statischer Zustand", sondern als "Ausdruck einer Ordnungs- und Gesinnungsgemeinschaft". "Bürokratie" und "starres Recht" des überkommenen Wirtschaftsrechts wurden von diesem Vertreter der NS-Ideologie vehement bekämpft. Auch Merke/, Wirtschaftsverfassung, Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsrecht, Deutsche Justiz 1936, S. 551- 555 postulierte eine "durchgreifende Umwandlung und Fortbildung" des Wirtschaftsrechts "durch die nationalsozialistische Weltanschauung" der die Gliederung der Wirtschaft in "Stände" eigenartig sei. Schmerzhaft deutlich wird die vorgenommene Wendung bei 1. W. Hedemann, Deutsches Wirtschaftsrecht 1939, S. 14- 16, der seine mit großem Einsatz entwickelten und ausgefochtenen Ansätze zum Wirtschaftsrecht für erledigt erklärte. Hingegen blieb die Berufung auf den "Neuen deutschen Staat", der in dem Beitrag von H. Großmann-Doerth , Sinnlosgewordenes Wirtschaftsrecht, Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift 1934, Sp. 19- 49 zum grundsätzlichen Nachdenken aufgerufen wurde, zunächst ein reines Lippenbekenntnis zu diesem Staat. Vielmehr wies Großmann-Doerth unter Berufung auf die ordnungspolitischen Vorstellungen Franz Böhms auf zahlreiche Fehlentwicklungen im Gesellschaftsrecht hin, die er dem Wirtschaftsrecht zuordnete.
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tiver Lenkung abzuzeichnen, die später das theorie- und planlose Wirtschaften im NS-System beherrschte." 18 Aber auch wenn hier die Vorbedingungen für den totalitären Zugriff auf das Wirtschaftsrecht deutlich hervortreten und analysiert werden, ist der zeitlich begrenzte Gegenstand dieser Untersuchung nur derjenige Abschnitt der Zwischenkriegszeit, in dem rechtsstaatliche Bedingungen vorherrschten. Die Geschichte des Wirtschaftsrechts wird hier aus mehreren Gründen als Literaturgeschichte, dem Kernelement der Wissenschaftsgeschichte verstanden. In der Rechtsgeschichte hat sich die Wissenschaftsgeschichte als Betrachtungsweise gewissermaßen emanzipiert. Mit dem Interesse an der Mentalitätsforschung und an der politischen Ideengeschichte ging die besondere Beachtung der wissenschaftlichen Denkweisen und ihrer einesteils autonomen, andernteils von außen vorgegebenen Forschungsleitbilder einher. Die Wissenschaftsgeschichte bietet einen Weg an, Erkenntnisse zu schöpfen, die Aufschluß über eine Rechtsentwicklung geben, jedoch unter Aussparung eines Großteils der Rechtsanwendung. Demgemäß erhebt sie lediglich den Anspruch, ein getreues Abbild der Geisteshaltungen zu bieten, die die Rechtsentwicklung entweder vorbereiten, begleiten oder, und vor allem, nachvollziehend systematisch durchformen. Gegenstand der Untersuchung ist die Wissenschaft selbst und ihre Emanationen. Die wissenschaftsgeschichtliche Rekonstruktion setzt sich in eigener Verantwortung Leitbilder, die sie aus den in der Literatur angelegten Spuren ermittelt und entwickelt. Das Verhältnis, die Position und Bedeutung der jeweiligen subjektiven Überzeugungen der wissenschaftlichen Autoren zu den Zeitströmungen und zur Wissenschaftslandschaft läßt sich so durch eine verstehende Betrachtung in einer Zusammenschau der Wechselwirkungen von literarischen Zeugnissen und Ereignissen beschreiben und erklären. Der Begriff des Wirtschaftsrechts und der des Wirtschaftsverwaltungsrechts nahm erst im Spiegel der wissenschaftlichen oder wissenschaftswirksamen Konstruktion, also auch in der wirtschaftspolitischen Literatur, Konturen an. Wenn der Beitrag anderer rechtsbildender Faktoren im Wirtschaftsrecht auch erheblich war, vermochten diese dennoch nicht einheitsstiftend zu wirken. Anders als etwa im Steuerrecht, das unter den gleichen geschichtlichen Bedingungen entstand, gab und gibt es keine Kodifikation bedeutender wirtschaftsrechtlicher Materien, nicht einmal eine mit einheitlichen Begriffen arbeitende Kodifikationsbewegung. Gesetzgebung und Rechtsprechung drängten vielmehr zur Diffusion vor allem der hergebrachten Kategorien des öffentlichen Rechts und des Privatrechts. Neue, zeitgebundene Vorstellungen beeinflußten die Rechtswissenschaft. Man sah die "Morgenröte eines neuen Rechtszeitalters" (Hugo Sinzheimer) aufziehen, das Zeitalter des Sozialrechts im Sinne Gierkes, das sich als "Zwischenreich" (Franz Wieacker) inmitten der Gebiete des öffentlichen und des Privatrechts einbetten sollte. In diesem Bereich neu erwachsenden Rechtsdenkens konnte sich das Wirtschaftsrecht entfalten. Das Wirtschaftsrecht läßt sich so auch als Ausdruck der Denkweisen der Zwanziger 18 F. Kühler, S. 368. Hierzu nunmehr auch 0. Lepsius, Die gegensatzaufbebende Begriffsbildung, passim.
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Jahre und insbesondere des Paradigmenwechsels in der Rechtswissenschaft als Geisteswissenschaft verstehen, die sich in ihren zahlreichen, nunmehr gegenüber der Vorkriegszeit verstärkten Absetzbewegungen vom Rechtspositivismus zunehmend den Sozialwissenschaften, namentlich der Soziologie und der Nationalökonomie öffnete. Die Wissenschaftszweige des öffentlichen und des Privatrechts beharrten zwar in ihrem traditionellen Gefüge, waren aber mehr als nur marginal verunsichert. Das öffentliche Recht begab sich auf die Suche nach seiner Legitimation, während das Privatrecht das Absplittern sklerotisch gewordener liberaler Vermächtnisse des Rechtspositivismus zwischen den Mühlsteinen des öffentlichen Rechts und der vermachteten Wirtschaftsstrukturen erfahren mußte. Das Privatrecht trat seinerseits die Flucht in Formen der gesetzesfernen Auslegung, zumindest aber in die überindividuell werthaften und deshalb für neu legitimiert erachteten Generalklauseln 19 an.
III. Der Gedanke eines Wirtschaftsrechts hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine gewisse Gestalt angenommen. 20 Diese Entwicklung haben die Autoren zum Wirtschaftsrecht nach dem Krieg allerdings weitgehend ignoriert. Die vorbereitenden juristischen, speziell wirtschaftsrechtlichen Linien gehen nicht direkt in das Wirtschaftsrecht der Nachkriegszeit ein. Die vom Wirtschaftsrecht ausgehende Anziehungskraft hat vielmehr mehrere Ursachen, juristische, wirtschaftliche und politische. Das Ungenügen, das die Juristenangesichts der Kodifikationendes Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs empfanden, fand in der Jenaer Rektoratsrede Justus Wilhelm Hedemanns im Herbst 1919 seinen reinsten Ausdruck. Die großen liberalen Gesetzgebungswerke hatten versäumt, dem Wandel der Wirtschaftsund Arbeitsbedingungen seit der Industrialisierung Rechnung zu tragen. Die Tendenz zum Großbetrieb und die wirtschaftlichen Verflechtungen hatte die Juristen auch schon während der großen Kodifikationen beschäftigt. Doch kam dieser angestaute Druck erst mit den umfassenden wirtschaftlichen Umwälzungen der Kriegswirtschaft zum Ausbruch. Die historisch hinzutretende Demokratisierung öffnete ein nie dagewesenes breites Feld der politischen Auseinandersetzung, auf dem sich besonders die Sozialdemokratie und mit ihr die Gewerkschaften, denen staatliche Anerkennung im Kaiserreich weitgehend versagt geblieben war, zur Geltung brachten. Ideell speiste sich das Wirtschaftsrecht aus zahlreichen, in die Weimarer Republik reichenden Linien des Denkens. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts vermehrt 19 Kennzeichnend hierfür ist die Veröffentlichung des Jenaer Wirtschaftsrechtiers Justus Wilhelm Hedemann , Die Flucht in die Generalklauseln, 1933. 20 Einen Leitfaden hat 1964 R. Piepenbrock, Der Gedanke eines Wirtschaftsrechts in der neuzeitlichen Literatur bis zum ersten Weltkrieg, vorgelegt.
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auftauchende juristische Literatur zum Wirtschaftsrecht hatte ihre Vorläufer vorrangig in der ökonomisch-kameralistischen Literatur des 18. Jahrhunderts, in den Staatswissenschaften undinderneueren Nationalökonomie. Namentlich in der letzteren war das Wirtschaftsrecht zu einer gefestigteren Größe gediehen. Lorenz von Stein hatte die Gesellschaftswissenschaft begründet und ihr einen Platz in den Staatswissenschaften angewiesen. Auf ihn und seine Schüler gehen in erster Linie synthetische Ansätze zu einem Wirtschaftsverwaltungsrecht zurück. Sie stützten sich zunächst auf Denkmuster, die der Verwaltungslehre angehörten. Die Vorstellung von einer auf die Wirtschaft in einem engeren Sinne einwirkenden staatlichen Verwaltung hatten sie nicht ausgebildet. 21 Das Denken über eine Wirtschaftsverfassung vollzog sich im 19. Jahrhundert in groß angelegten Linien. Liberalismus, Sozialismus und Nationalismus bestimmten das Bild. Fußend auf Vorstellungen vom Verhältnis des Staates zur Gesellschaft und zur Wirtschaft, wie sie der deutsche Idealismus ausgeprägt hatte, nahm in der Mitte des 19. Jahrhunderts das wirtschaftsliberale Denken eine beherrschende Stellung ein. Die hier besonders hervortretende freihändlerische Richtung ging auf die klassische Nationalökonomie Adam Smiths zurück. In Auseinandersetzung und Kritik des Liberalismus setzte sich die historische Schule der Nationalökonomie von ihm ab und führte den Staat als den verantwortlichen Lenker einer Volkswirtschaft in die Theorie ein. Nach französischen und englischen anarchistischen Vorbildern formierte sich im Laufe des ganzen 19. Jahrhunderts der Sozialismus zu einer zuletzt auf den Marxismus verengten Doktrin. Bis zum ersten Weltkrieg hatte sich die historische Schule der Nationalökonomie im wesentlichen auf einen Neoklassizismus nationalistischer und konservativer Spielart verkürzt. Die verblassenden Staatswissenschaften hatten gegenüber der aus ihnen hervorgegangenen Soziologie an Bedeutung verloren. In dieser Zeit, in der man auch von der"Weltfremdheit des Richters" sprach, hatte sich die Rechtswissenschaft jenen Tendenzen nie in der Weise geöffnet, daß der Gedanke einer Wirtschaftsverfassungjuristische Vertiefung erfahren hätte. Das Privatrecht verharrte äußerlich in dem durch die Pandektistik - als Tochter der historischen Rechtsschule - gezogenen Rahmen, und der spätkonstitutionellen Staats- und Verwaltungsrechtslehre war der Gedanke eines Wirtschaftsrechts grundsätzlich fremd. Mit seinem rechtstheoretischen Ansatz hob sich hiervon der Rechtsphilosoph Rudolf Stammler ab, indem er das Recht als die Form und als dessen Inhalt die "Sozialwirtschaft" definierte. 22 War die Wirtschaft bei ihm gegenüber dem Recht 21 J. Freund, Politique et economie selon Lorenz von Stein, S. 129-138, B . Willms, Lorenz von Steins politische Dialektik, S.101-118, R. Schnur, Einleitung, S.17-22, alle in: R. Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein. W.R. Schluep, S.40, beschreibt die Gleichsetzung von Wirtschaftsrecht und "bürgerlichem Verwaltungsrecht" bei Lorenz v. Stein als die notwendig im Gesamtinteresse zu beschränkende Privatautonomie. 22 R. Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschiehtsauffassung 1896, 4. Auflage 1921, K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S.166 beschreibt Stammlers Werk als "wortreich" und inhaltsarrn.
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unselbständig geworden, bot er dennoch keinen Beitrag zu einem einheitlichen Wirtschaftsrecht Die Kongruenz der ideellen Strömungen mit der tatsächlichen Wirtschaftslage und -politik wird ausgesprochen unterschiedlich bewertet. Wahrend einerseits vertreten wird, die Gewerbefreiheit habe in der Zeit des Hochliberalismus nach dem Abbau der Gewerbeschranken durch die Stein-Hardenbergsehen Reformen tatsächlich bestanden, sehen andere ein Kontinuum staatlicher lngerenz durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch. 23 Unabhängig von dieser Bewertung beruht das Wirtschaftsrecht nach 1918 auf einem neuen, antagonistischen Verhältnis zum Liberalismus, den man als feindlich, als den großen Verlierer des Krieges begriff.
IV. Die Entfaltung des Wirtschaftsrechts weicht in charakteristischer Weise von denjenigen historischen Phasen der Weimarer Republik ab, die sich für die allgemeinhistorische Analyse eingebürgert haben. 24 Das Vorspielläuft während des Krieges, doch abseits vom rein militärischen Kriegsschauplatz im Rahmen der Kriegswirtschaft ab. Das erste Hauptstück ist die Hochkonjunktur des Wirtschaftsrechts als einer Notblüte der entbehrungsreichen Nachkriegszeit und der sozialpolitischen Phase bis zur Überwindung der Inflation. Mit etwa einjähriger Verzögerung zum wirtschaftlichen Aufschwung tritt das Wirtschaftsrecht dann ab 1925 in den Hintergrund des Fachinteresses, während der steigende allgemeine Wohlstand die Entfaltung des Arbeitsrechts vorantrieb. Das Drama der wirtschaftlichen Depression regte wieder zur schriftstellerischen Tätigkeit an, jedoch mit dem bedeutenden Unterschied, daß nunmehr eine große Fülle wissenschaftlichen Materials zum Wrrtschaftsrecht vorlag und eines systematischen Zugriffs harrte. Diese Arbeit versucht einerseits den zeitlichen Verlauf der Entstehung und Entfaltung des Wirtschaftsrechts transparent zu machen, andererseits sucht sie besonders hervortretende inhaltliche Zusammenhänge der rechtswissenschaftliehen Fragestellungen, die über die ganze Weimarer Zeit hin wirksam waren, geschlossen zu behandeln. Der Prozeß, in dem sich das aus den verschiedenen Wurzeln des öffentlichen, des Privatrechts und des Sozialrechts im Gierkeschen Sinne gespeiste Wrrtschaftsrecht ausbildete und transformierte, hatte ausgehend vom Kriegswirtschaftsrecht (1. Kapitel) seine Hochphase in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre (2. Ka23 Zum Ganzen: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht S. 17, spricht davon, daß der Staatsvorrang "im wirtschaftlichen Bereich nie geleugnet" wurde. Schmidt verweist dabei auf H.-J. Mertens, C. Kirchner, E. Schanze, Wirtschaftsrecht, S. 63, die von der .,deutschen Variante des bürokratiegetragenen Liberalismus" sprechen. 24 So kennzeichnet etwa E. Kolb, Die Weimarer Republik, S. 1-146 die Phasen der Entstehung und Selbstbehauptung der Republik 1918/1919-1923, der relativen Stabilisierung von 1924-1929, sowie der Auflösung und Zerstörung der Weimarer Republik bis zur Desintegration des politischen Systems in der Ära der Präsidialkabinette.
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pitel). Die zentralen historischen Topoi, die in dieser Zeit ihren Ausgangspunkt genommen hatten und in den Vordergrund traten, die "Gemeinwirtschaft" (3. Kapitel) und das Wirtschaftsrecht als eine besondere Ausprägung des "Sozialrechts" und der Soziologie (4. Kapitel) werden anhand ihrer wichtigsten Vertreter skizziert. Mit der Konsolidierung der Wirtschaft nach der Überwindung der Inflation und dem Dawes-Plan nahm das Wrrtschaftsrecht von 1926 bis 1929 schließlich eine deutlich langsamere, aber bereits klarer konturierte Entwicklung (5. Kapitel). Das 6. Kapitel umreißt die zeitgenössischen Versuche, eine Wirtschaftsordnung oder eine Wirtschaftsverfassung zu konturieren. Das Theorem der "Wirtschaftsdemokratie", das als eigener wirtschaftsverfassungsrechtlicher Ansatz aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen war, steht in diesem Zusammenhang. Wenn auch im wesentlichen nur als Schlagwort, sollte es doch im Wirtschaftsrecht große Wirkung zeigen. Anfang 1932 legte Ernst Rudolf Huber seine Monographie "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" vor, die allmählich eine Kanonisierung dieses Faches innerhalb des Verwaltungsrechts herbeizuführen vermochte (7. Kapitel). Zusammenfassende Arbeiten zum Wirtschaftsrecht überwogen in der letzten Phase der Weimarer Republik (8. Kapitel), die unter der Notverordnungspolitik Brünings ihre wirtschaftspolitische Orientierung verlor, was sich in pessimistischen Untertönen zur Zukunft des Wirtschaftsrechts artikulierte. Das unter dem Reformdruck in der Rechtswissenschaft hervortretende autoritärstaatliche Denken weist mit seinen Forderungen schon über das Ende der Weimarer Republik hinaus.
Erstes Kapitel
Kriegswirtschaftsrecht I. Das Jahr 1914 als rechtshistorische Zäsur und ihre Bedeutung für das Kriegswirtschaftsrecht sowie für das Wirtschaftsrecht Der Beginn des Ersten Weltkriegs markiert ein Wendejahr der Rechtsgeschichte, das von der Verfassungsgeschichte in ihrer Konzentration auf die Revolution von 1918/19 häufig nicht in seiner epochalen Bedeutung gewürdigt wird. 1 Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Befunde deuten auf einen einschneidenden Wandel hin, der sich 1914 vollzogen hatte. Binnen kurzer Zeit mußte sich die stark vom Außenhandel abhängige deutsche Vorkriegswirtschaft unter dem Druck der ausländischen Handelsblockade auf eine weitgehend autarke Versorgung der Bevölkerung und des Heeres umstellen. Die Kriegsvorbereitungen hatten sich auf die militärische Seite konzentriert. Gleich nach Kriegsbeginn wurde deshalb der Rufnach der "wirtschaftlichen Mobilmachung" laut, die man rasch als ein politisches Versäumnis empfand. Da nach der Kriegserklärung Englands auch Frankreich inzwischen in den Krieg eingetreten war, reagierte die Politik im Deutschen Reich am 14. August 1914 mit dem Erlaß der Ermächtigungsgesetze durch den Reichstag. Vorrangig ging es weiter um militärische Maßnahmen. Eher an unauffälliger Stelle wurde der preußisch dominierte Reichsrat ermächtigt, die "notwendigen wirtschaftlichen Maßnahmen" zu treffen. 2 "Die Regierung hatte alle kriegswirtschaftlich wichtigen Gesetze durch die Lesungen gepeitscht und eine Abstimmung in größter Eile erwirkt. Auf eine wissenschaftliche Vorbereitung konnte diese Gesetzgebung nicht zurückgreifen.'' 3 Über die äußeren Bedingungen dieser einschneidenden Maßnahmen herrschte Einigkeit. 1 Zur Bedeutung des Kriegsendes und der Revolution: E. W. Böckenförde, Der Zusammenbruch der Monarchie und die Entstehung der Weimarer Republik, S. 1, 3 u. passim; E. Mathias, Der Rat der Volksbeauftragten, S. 103- 107 zur Frage der Bedeutung der verfassungsgeschichtlichen Übergangsperiode und zur Ausgangsbasis und dem Handlungsspielraum der Revolutionsregierung. E. Kolb, Vorn Kaiserreich zur Weimarer Republik, S. 405-411 als Bibliographie zur letzten Kriegsphase. M. Stolleis, Der lange Abschied vorn 19. Jahrhundert, betont die Relativität der Zäsur von 1914 und die Überlagerung verschiedener Zäsuren in der Verfassungs- und Rechtsgeschichte. 2 § 3 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse RGBI. 1914, S.327. 3 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 1. Auflage, S. 2.
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Mit einem jahrelangen Krieg hatten auch die pessimistischsten Stimmen nicht gerechnet. Die nahezu diktatorische Vollmacht, die der Reichsrat durch die Ermächtigung erhielt, nahm man deshalb als Übergangserscheinung hin. Dabei war Preußen, das wegen seiner großen Bevölkerung auch noch das größte Gewicht im Reichsrat hatte, mit seiner obrigkeitlich-verwaltungszentrierten Tradition eine Führungsrolle zugefallen, die es erst im Verlauf des Krieges durch die politischen Kräfteverhältnisse im Reichstag wieder verlor. Die Dominanz Preußens sicherte aber zunächst eine konservative Politik, die sich der Bedürfnisse der unteren Bevölkerungsschichten nur im Wege allmählicher Zugeständnisse annahm und gegenüber der Wirtschaft eine vom militärischen Standpunkt diktierte Linie vertrat. Im Hinblick auf diese Gesetzgebung herrschte dabei seltene Einigkeit von den Gewerkschaften durch alle gemäßigten Parteien hindurch bis hin zum außerparlamentarischen rechtsextremen ,,Alldeutschen Verband". 4 Dabei waren keineswegs nur patriotische Gefühle im Spiel. So versprach man sich auf Gewerkschaftsseite viel von einer Teilhabe am Wirtschaftswachstum durch einen langsamen Wandel der Verhältnisse. Deshalb führte man in der Frage der Kriegskredite die Zustimmung der SPD im Reichstag herbei. Diese Momentaufnahme der Gesetzgebungsgeschichte hat zu der Auffassung geführt, das Wirtschaftsrecht hätte ebenso mit dem Beginn des ersten Weltkriegs, genauer, mit der wirtschaftlichen Kriegsgesetzgebung vom August 1914 seinen Anfang genommen. Gerd Rinck hat den 14. August 1914 deshalb auch als den "Geburtstag des modernen Wutschaftsrechts" 5 bezeichnet. Die Bewertung, die dieser Meinung Rincks zugrunde liegt, zielt vor allem auf die Dynamik der Kriegswirtschaft ab. In gewisser Hinsicht bedeutet die ab dem Herbst 1914 einsetzende hektische Gesetzgebungstätigkeit vor allem des Verordnungsgebers, die Schaffung von Verwaltungsinstrumentarien für die Kriegswirtschaft und die entstehende marktbeherrschende Stellung der Kriegsunternehmungen, die zu einer engen Fühlungnahme der Heeresleitung mit der Industrie führte, eine bedeutende Grundlage für das Wutschaftsrecht als einem Inbegriff von Rechtsmaterien und Rechtsformen. Die Kriegswirtschaft und im Verlauf des Krieges auch das Kriegswirtschaftsrecht sind so gewiß auch notwendige Bedingungen für das Entstehen eines Wutschaftsrechts. Eine neue Rechtsdisziplin war damit allerdings noch nicht entstanden, nicht einmal in den Kinderschuhen. Der Vorgang, bei dem sich in einem Gemenge verschiedener Faktoren der Rechtsbildung ein neues juristisches Fach herauskristallisiert, ist weder in der Geschichte noch in der Vorstellung, die man sich von einer derartigen Genese zu machen hat, einheitlich. Er geht auch nicht mit Notwendigkeit vor sich, sondern setzt zu tatsächlichen Gegebenheiten auch ein großes Maß schöpferischen Handeins voraus, das in der Regel von der Rechtswissenschaft selbst geleistet werden muß. Ein 4 D. Stegmann, Hugenberg contra Stresemann: Die Politik der Industrieverbände am Ende des Kaiserreichs, 5. 350, 365. 5 G. Rinck, Wirtschaftsrecht, S. 10.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
neues juristisches Fach verdankt seine Entstehung nur in den seltensten Fällen sachlicher Evidenz. Die Essentialia einer neuen Disziplin, die Einheit des Rechtsstoffes und der Methode mit einem gemeinsamen Gerechtigkeitsziel, lassen sich überhaupt erst bei einer Vermischung tatsächlicher und idealer Faktoren erfassen. Aus der Masse konkreter Rechtsverhältnisse und Tatsachen in einem Lebensbereich muß sich erst im Wege juristischer Abstraktion eine neue gedachte Einheit herausschälen. Diese besteht darin, auf dem jeweils nächsthöheren Abstraktionsniveau rechtliche Gemeinsamkeiten zu finden und diese vermittels eindeutiger Unterscheidungsmerkmale zu legitimieren. Historisch gleicht der Vorgang, in dem eine solche neue gedankliche Einheit geschaffen wird, einem Suchen nach einem idealen Ziel. Das Ideal tritt freilich nicht von sich aus in die Wirklichkeit. Stets geht es von Personen als seinen Trägem aus, die, in der Regel Forscherpersönlichkeiten, es zunächst konzipieren und anschließend kommunizieren, der Fachöffentlichkeit unterbreiten. So kann sich eine Vielzahl von Faktoren häufen und die Zeitumstände können bedingen, daß die idealen Faktoren überraschend spät hinzutreten und nur tastend die materialen Voraussetzungen geistig durchdringen. Das Ziel, das mit dem Ideal praktisch verfolgt wird, ist ein leistungsfähiger Begriff, der neben seiner Verbreitung auch die sprachliche Präzision und ideelle Integrationskraft besitzt, die ihm eine dauernde Existenz und Prägekraft im Sinne seiner Erfinder sichern. Ein neues Fach ist daher auch die Summe und das Ergebnis eines Sprachspiels, immer weiterer Versuche, Perspektiven unter einheitlichen Gesichtspunkten zu gewinnen, die immer näher mit der Vorstellung von einer material und methodisch einheitlichen Begriffsbildung konvergieren. Der Historiker hat bei seiner Suche dieses Sprachspiel, tatsächliche Entwicklungen und den historischen Rahmen vor Augen. Aus diesem Gesamtbild entsteht ein möglichst authentisches Wrrklichkeitsbild, das durch eingehendes Befragen auf den gesuchten Gegenstand hin weiter ausdifferenziert werden muß. Einzelne Gesetzgebungswerke, einzelne Postulate führen noch nicht zu einem allgemein etablierten juristischen Novum, hier unserem neuen Wirtschaftsrecht Ebenso wenig kann eine communis opinio, eine Rechtsüberzeugung zur Anerkennungsvoraussetzung erklärt werden. Vielmehr wird es allgemeine Merkmale nicht geben, allenfalls typische. Der Annäherungsprozeß muß vielmehr dem Versuch gelten, die erfaßten Daten zu verstehen und sie vor ihrem Hintergrund zu beleuchten und zu bewerten. Es gilt also den Blick auf diejenigen Momente zu richten, in denen man das Erfordernis eines Wirtschaftsrechts empfand und artikulierte. Die Kriegswirtschaft, hier als Forschungsbegriff verstanden, ist eine notwendige Bedingung für die Entstehung des Wrrtschaftsrechts, wie es sich nach dem Krieg entfaltete. Erst dann entsteht das Fach Wirtschaftsrecht als eine Literaturbewegung, die nach der Revolution die rechtlichen Bestände der Kriegswirtschaft sichtete und einer Vielzahl wirtschaftspolitischer und rechtsgeschichtlicher Faktoren Rechnung trug. Damit ist zugleich gesagt, daß die Kriegswirtschaft reich war an neuem Recht unter den besonderen Bedingungen des kriegführenden Deutschen Reichs. Zeitge-
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nössisch hat sich das Kriegswirtschaftsrecht selbst aus mehreren Gründen nicht als ein juristisches Fach verstanden. Zum einen wollte man natürlich kein Fach für die Kriegszeit gründen, von der man hoffte, sie würde nicht mehr von langer Dauer sein. Zum anderen hielt man die Rechtsformen der Kriegswirtschaft für vergängliche juristische Erscheinungen, weshalb sie zwar festgehalten, aber nicht als Fach verewigt werden sollten, da man für die Friedenszeit mit anderen Verhältnissen rechnete. Als juristisches Fach konnte es demgemäß nicht direkt für das Wtrtschaftsrecht des Friedens von Bedeutung werden. Auch die Wortprägung des "Kriegswirtschaftsrechts" ist nicht für das Wirtschaftsrecht maßgeblich. Das Wort vom Wirtschaftsrecht als der rechtssprachlichen Verbindung von Wirtschaft und Recht hatte frühere Wurzeln, die in das 18. Jahrhundert zurückreichen. Diese Ursprünge waren ihrerseits Ausdruck des Gedankens eines Wirtschaftsrechts, der aber nicht die Formen eines geschlossenen Konzepts angenommen hatte, geschweige denn sich hätte durchsetzen können. Das Kriegswirtschaftsrecht, das sich bis 1918 herausbilden sollte, ist aber in zweierlei Hinsicht Grundlage für das Wtrtschaftsrecht. Zum ersten, weil sich die vom Kriegswirtschaftsrecht vorgenommene Neugruppierung des Rechtsstoffes und einige seiner methodischen Ansätze für das spätere Wirtschaftsrecht als prägend erweisen sollten. Zweitens waren sich die Vertreter des Wirtschaftsrechts nach dem Kriege gerade in der Frage einig, daß das Wtrtschaftsrecht wesentliche Impulse vom Kriegswirtschaftsrecht erhalten hatte. 6 So urteilte der Frankfurter Handelsrechtslehrer Friedrich Klausing 1931 über die Entstehung des "Wtrtschaftsrechts": "Der eigentliche Anlaß für die Verbreitung unserer Bezeichnung liegt nach meiner Auffassung in jener bekannten öffentlichen Regelung des Wirtschaftslebens, die während des Weltkrieges geschaffen und im Gefolge der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umwälzungen, allerdings unter z. T. wesentlich anderen rechtspolitischen Gesichtspunkten, weitergeführt, ausgebaut und umgestaltet wurde. Dabei verkenne ich nicht, daß die tieferen Ursachen für das erste Aufkommen des Ausdrucks ,WJrtschaftsrecht' nicht ausschließlich in diesen neuartigen Rechtsbildungen, sondern recht eigentlich in anderen(...) Faktoren ideologischen Charakters zu suchen sind." 7
Zwar brachte der Weltkrieg große Fortschritte für die Parlamentarisierung der Politik des weiterhin in der Form der konstitutionellen Monarchie verfaßten Reiches. Die Durchsetzung der egalitären Demokratie blieb jedoch der Weimarer Republik und ihrem offenen politischen Klima vorbehalten. Erst hier kam es, zumindest zunächst, zur ungezügelten Auseinandersetzung der politischen Interessen, die strekkenweise den parlamentarischen Rahmen nicht mehr wahrte, 8 was während des Krieges allenfalls während der Generalstreiks des Kriegsjahres 1917 zu vergleich6 E. Heymann, Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen Industrierechts, 1922. 7 F. Klausing, Wirtschaftsrecht 1931, S.l3. 8 Den Übergang berichtet der Historiker und Zeitzeuge A. Rosenbaum, Die Geschichte der Weimarer Republik, S. 50-66 besonders eindrucksvoll.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
baren Zuständen geführt hatte. Die wirtschaftlichen Tendenzen der Vorkriegszeit, Karteliierung und Vertrustung, hatten sich selbständig im privatautonomen Bereich entwickelt. 9 Sie waren nicht hoheitlich sanktioniert und entsprachen keiner an allgemeiner Wohlfahrt orientierten Ideologie der Träger der staatlichen Willensbildung, sondern folgten eigenen Gesetzmäßigkeiten, die bereits im staatlichen Rahmen der Gründerzeit besonders gedeihlichen Boden gefunden hatten. Mit der zunehmenden Parlamentarisierung des Reiches florierten die wirtschaftlichen Interessenverbände, die von langer Hand die Gesetzgebung in eine bestimmte Richtung lenken konnten. Der bis dahin ins rechtliche Ungefähr abgedrängten Tarifautonomie eröffnete erst die republikanische Staatsform freie Entfaltungsmöglichkeiten. Der Ruf von Seiten der Wirtschaftsliberalen nach einer analogen Übertragung der Idee der politischen Selbstverwaltung auf den Gedanken einer Selbstverwaltung der Wirtschaft (Robert Liefmann) ließ sich im Krieg nicht laut vernehmen, obwohl die Tendenzen hin zu einer autoregulativen Wirtschaft nicht mehr zu übersehen waren. 10 Unter Kriegsbedingungen wandelte sich die Wirtschaft aber nicht weiter in Richtung einer Demokratisierung, sondern blieb unter Vormundschaft des Staates und seiner Heeresleitung. Im Verhältnis der Wirtschaft zum Staat konzentrierte sich ein außerordentlicher Modernisierungsdruck, weil die Klärung der Frage nach der Wirtschaftsordnung stets ausgeblieben war und nun der Staatsinterventionismus überband nahm. Der die Gewerbeordnung von 1869n 1 prägende individualistische Wirtschaftsliberalismus war, wenn er sich überhaupt je voll durchzusetzen vermocht hatte, längst ausgehöhlt, ohne daß eine neue wirtschaftspolitische Leitidee an seine Stelle getreten wäre. Bleibende Momente der Epoche der Kriegswirtschaft sind die Interessenverflechtungen über soziale Barrieren hinweg, der entstehende und am Gemeinschaftsgedanken orientierte Wirtschaftsgeist des Weltkriegs und der über den Umweg der SPD starke parlamentarische Einfluß der Gewerkschaften, die sich in Richtung einer für die Arbeiter akzeptablen Lohn-, Preis- und Sozialpolitik bewegten. Im Herbst 1918 hatte unter dem Eindruck der auf die Generalstreiks folgenden Wirtschaftskrise des Jahres 1917 eine Gruppe einflußreicher Industrieller um Stinnes, Siemens, Borsig und Rathenau die im Wmter 1917/18 aufgenommenen Verhandlungen über kollektive Arbeitsverträge, den 8-Stunden-Tag und die Parität in den gemeinsamen Gremien verstärkt betrieben. Erst nach dem Waffenstillstand führten diese zum Stinnes-Legien-Abkommen, nach dem die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern institutionalisiert werden sollte. 11 Ebenso hatte der Ge9 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Dritter Band 1914-1945, S.46m.w.N. 10 R. Liefmann, Gegenwärtige Möglichkeiten einer Verstaatlichung der Produktionsmittel, Recht und Wirtschaft 1919, S. 29-32; ders.: Kartelle und Trusts, 1905. 11 F. Blaich, Staatsverständnis und politische Haltung der deutschen Unternehmer 1918-1930, S. I58-163. Gewerkschaften und Industrie saßen sich in der aufgrunddes StinnesLegien-Abkommens vom 15. November 1918 eingerichteten Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) gegenüber. Die Zentralarbeitsgemeinschaft verlor allerdings aufgrund der sich in der
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danke des Syndikats als eines realisierbaren wirtschaftsmächtigen Forums für die Interessen aller am Produktionsprozeß Beteiligten viele Anhänger, und zwar auch unter den Vertretern der Großindustrie, die nach stabilen Erwerbsverhältnissen strebten. Sie ließ sich aber während des Krieges nur in obrigkeitlich gelenkten Spielformen verwirklichen. Das Reich beeintlußte de lege und de facto die gesamte Wirtschaft, angefangen vom Produktionsprozeß bis hin zur Güterverteilung. So rationalisierte sich der Wirtschaftsprozeß im Kriege sehr stark im Sinne eines Modernisierungsschubs, der den Abbau der Tradition der staatsfreien Wirtschaftsführung vorantrieb. Wenn sich auch ihr wirtschaftlicher und politischer Hintergrund nach dem Kriege wandeln sollte, blieben die Rechtsformen der Kriegswirtschaft als das eigentliche juristische Novum und zugleich als ein historisches Element des Krieges bestehen. Maßgeblicher Ausgangspunkt für die Untersuchung des Wirtschaftsrechts als wissenschaftlicher Disziplin ist demnach die Kriegswirtschaft
II. Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsrecht Die Wirtschaft des Krieges war geprägt von umfassender staatlicher lngerenz zugunsten der militärischen Führung. 12 Der Aufbau der Kriegswirtschaft war aber auch geprägt von einer nicht abreißenden Folge von Herausforderungen. Dem sogenannten Kriegsstoß durch die Mobilmachung und dem Abbruch der Außenhandelsbeziehungen vor allem seit der Außenhandelsblockade ab Februar 1915 versuchte man bereits seit Ende 1914 mit einem pragmatischen Bündel öffentlicher und privater Bewirtschaftungsmaßnahmen zu begegnen. Es folgten die Versorgungsschwierigkeiten im Kohlrübenwinter 1916/17, während man gleichzeitig im Hindenburgprogramm die zunehmende Militarisierung der Wrrtschaft einleitete. Als vierte und nachhaltigste Phase erhielt die nicht mehr von Versorgungskrisen geprägte und umfassende Kriegsrohstoffbewirtschaftung in der "Gemeinwirtschaft" ihre entscheidende Ausgestaltung bis zum Kriegsende. 13 Von Anfang an hatte man versucht, den zu erwartenden Rückstoß der militärischen Auseinandersetzung auf die hochindustrialisierte Wrrtschaft mit den Mitteln des Rechts als einem Instrument der Sozialtechnologie abzufangen. Hatten bis dahin nur Agrarstaaten Kriege geführt, so mußte nunmehr - bei der allseits beherrschenden Vorstellung vom kriegführenden Nationalstaat- ein dem industriellen Entwicklungsgrad entsprechender Wirtschaftskrieg mit dem militärischen Konflikt einhergehen, der die gesamte Volkswirtschaft umfaßte. Zum ersten mal erfaßte man im Ersten Weltkrieg soweit möglich die volk:sNachkriegszeit wieder im Industriellenlager wieder ausbreitenden Herr-im-Hause-Mentalität rasch an Bedeutung. Dabei war der Fortbestand der Marktwirtschaft unter den Bedingungen, wie sie im November 1918 geherrscht hatten, eigentlich als eine Konzession der Gewerkschaften an die Industrie anzusehen. Dieses Verhältnis kehrte sich allerdings zu Beginn der Weimarer Republik wieder um. 12 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S.l8. 13 S .-R. Eifler, Die ,,Feuertaufe" des BGB: Das Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die Kriegswirtschaft des ersten Weltkriegs, S. 240.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
wirtschaftlichen Ressourcen und setzte kriegswirtschaftliche Leitentscheidungen mit den Mitteln der Gesetzgebung um. 14 Im ersten Kriegsjahr fand sich in Deutschland eine Wirtschaft vor, die mit einer zweiten Industrialisierungsphase seit den 1890er Jahren ein starkes Wachstum unter konsequenter Umsetzung von Innovationen hinter sich hatte. 15 Nach der Epoche des Wirtschaftsliberalismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Wirtschaft der Jahrhundertwende im Sinne einer Verflechtung stark gewandelt. In die Gründerzeit fiel der Aufbau zahlreicher Großunternehmen besonders in der Schwerindustrie, womit gleichzeitig die Rechtsform der Aktiengesellschaft erheblich an Bedeutung gewann. Die Zahl der Großbetriebe, in denen auch häufig kleinere Betriebe aufgingen, hatte sich von 1871 bis 1914 verdreifacht. 16 Neben der Trustbildung, der Bildung vertikaler und diagonaler Konzerne, war ein Großteil der Unternehmen in zahlreichen Kartellen horizontal miteinander verbunden. Die Führungsebenen der Unternehmen traten als eigene Entscheidungsträger verstärkt hervor und verdrängten in dieser Rolle zunehmend die Aktionäre. Damit ging eine Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung der internen "Verwaltung" zumindest bei den Großbetrieben einher. Die meisten Wirtschaftsbranchen waren bereits in Verbänden organisiert und das Verbändewesen hatte Wege gefunden, in ständigen Kontakt mit der politischen Führung zu treten. 17 Der Wandel, den die Wirtschaft durchlebte, blieb, im Sinne einer Annäherung, nicht ohne Einfluß auf die Haltung des Staates, während sich andererseits die Wirtschaftsverbände organisatorisch der Kriegswirtschaft zunehmend zur Verfügung stellten. Staatsräsonale und sozialpolitische Motive führten vor allem in Fragen des Arbeitsrechts zu immer weiter zunehmender Intervention des Staates in bislang privatrechtlich gesteuerte Bereiche mit Mitteln des öffentlichen Rechts. Ob nun der Interventionsstaat des ersten Weltkriegs zum Erhalt seiner selbst oder aus heteronomen Motiven handelte, ist Gegenstand einer eigenen Debatte. 18 Jedenfalls wurde die Neuorientierung des Staates Ausdruck eines gewandelten Staatsverständnisses. Ein hohes Maß von Steuerung der Gesellschaft war die Folge des der Gesamtgesellschaft aufgebürdeten ungeheuren Aufwands, um die Stabilität der Industriewirtschaft zu erhalten. Der Staat wurde immer mehr Teilhaber der Wirtschaft, die Wirtschaft immer mehr dominierende gesellschaftliche Macht, die ihren Vorteil auch durch den Staat zu verwirklichen suchte. 19 14
H. Dörner, Erster Weltkrieg und Privatrecht, S. 386.
D. Petzina, Die Deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, S. 11. H. Kellenbenz, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S. 254f. 17 W. Fischer, Staatsverwaltung und Interessenverbände im Deutschen Reich 1871-1914, S.l39-150. 18 L. Ga/1, Ausbildung und Charakter des Interventionsstaates, HZ 1978, insbes. S. 558-560 m.w.N. 19 Zu den historischen Bedingungen des lnterventionsstaates: H . U. Weh/er, Der Aufstieg des Organisierten Kapitalismus und des Interventionsstaates in Deutschland, S.40-52. H.A. Wink/er, Organisierter Kapitalismus: Zwischenbilanz einer Diskussion, 259-263. 15 16
li. Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsrecht
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Der Krieg führte zu einer materialen Verstaatlichung der Wirtschaft. Kriegsanleihen und Zwangsbewirtschaftung vor allem bei den Rohstoffen und Preisregelungen bestimmten das Bild. Mit den Ermächtigungsgesetzen des Reichstags von 1914, welche die umfassende Verordnungskompetenz in allen kriegswichtigen Fragen auf den Bundesrat übertragen hatten, waren die gesetzgebensehen Voraussetzungen für eine das ganze Wirtschaftsleben durchdringende Kriegsverwaltung geschaffen. Das Heer benötigte kriegswichtiges Material und die Zivilbevölkerung mußte weiterhin mit lebensnotwendigen Gütern versorgt werden. Watther Rathenau berichtete als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium im Dezember 1915 von den ersten pragmatischen Anfängen in der Rohstoffbewirtschaftung zu Kriegszwecken. Angefangen habe man mit der "Festsetzung der Höchstpreise für Metalle". 20 Daneben habe die Kriegsverwaltung ein weitgehendes Überwachungsund Aufsichtswesen errichtet und dementsprechende Duldungs- und Meldepflichten geschaffen. 21 Seit der vom Höchstpreisgesetz begleiteten ,,Juristischen Mobilmachung" am 4. August 1914 ergingen aufgrundder Ermächtigungsgesetzgebung bis Kriegsende 825 Verordnungen, die den Kern des Kriegswirtschaftsrechts bildeten. Die Kriegswirtschaftsverordnungen regelten Vorkehrungen gegen Störungen des Geschäftslebens, die Beeinträchtigung von Verkehr und Post und schufen ein Schuldenmoratorium für Kriegsteilnehmer. Neben dem gesetzlichen Kontrahierungszwang und Maßnahmen zur Preisregulierung mußte das Richterrecht die Beschlagnahmefolgen durch tiefgreifende Wandlungen der Anschauungen im Bereich des Leistungsstörungsrechts ausgleichen. Die namentlich von Philipp Heck vorangetriebene methodische Neuorientierung in der Interessenjurisprudenz, die sich am "wirtschaftlichen Zweck" der kriegsprivatrechtliehen Vorschriften ausrichten konnte, hielt Einzug in die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Auch dort, wo Rechtsnormen nicht auf außerrechtliche Muster wie Sitte und andere vorrechtliche Ordnungsvorstellungen verwiesen, nahm man eine Neukonkretisierung der Rechtsauslegung am Kriegszweck vor. Das reichte von der Diskriminierung der Rechtsverhältnisse feindlicher Ausländer bis zur Vorstellung, die Zeichnung der hoch verzinslichen Kriegsanleihen liege im Vermögensinteresse des Mündels. 22 Zunächst hatte der Reichstag das Schritttempo vorgelegt und die Maßnahmen im Einzelnen bestimmt. Im Lauf der Zeit zog die Kriegsverwaltung, zunächst unter der Federführung des Preußischen Kriegsministeriums, immer mehr Kompetenzen an sich, bis schließlich alle maßgeblichen Entscheidungen nur noch von der Obersten Heeresleitung getroffen wurden. Das bedeutete auch eine Konzentration der Gesetzgebungsgewalt beim Reich. Zudem ging damit- abgesehen von der Kriegswirtschaftsverwaltung- eine nahezu umfassende Verwaltungshoheit des Reiches einher, die sich schließlich 1917 in der institutionellen Ausgliederung des ReichswirtW. Rathenau, Deutschlands Rohstoffversorgung, 1916, S. 37. Ebenda, S.41. 22 S.-R. Eijler, S. 243 f, 248 f. H . Dörner, S. 386, 391, spricht im analytischen Sinn von der "Privatrechtlichen Mobilmachung". 20
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I. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
schaftsamtes aus dem Reichsamt des Innern manifestierte. 23 Dies ist um so leichter nachvollziehbar, als die Länder mit Ausnahme Preußens schon seit 1879 unter dem Druck des Reiches ihre obersten wirtschaftlichen Zentralbehörden aufgelöst hatten. 24 Mit Kriegsausbruch erschien als erstes die Bereitstellung ausreichenden Kriegsmaterials im Gesichtsfeld. Der Aufbau der Kriegswirtschaftsverwaltung im engeren Sinne hatte daher 1914 mit der Errichtung der Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium begonnen. Sie hatte durch Vereinbarung Zuständigkeit für das ganze Reich erhalten und konnte sich reichsweit auf etwa 25 Verwaltungssektionen stützen. 25 Im Jahr 1916 entstand innerhalb des Kriegsministeriums das Kriegsamt, in das die Kriegsrohstoffabteilung (KRA) gemeinsam mit der neuen Waffen- und Munitionsbeschaffungsabteilung (WUMBA) integriert wurden, die ihre Tätigkeit durch die Kriegsamts- und Kriegsamtsnebenstellen entfalteten. Die Blockade der Entente vom Februar 1915 hatte bereits den Übergang zur zusätzlichen zentralen Bewirtschaftung des "Volksbedarfs" markiert, nachdem bis dahin der "Kriegsbedarf" allein die Bemühungen geleitet hatte. Diese Maxime führte schließlich im Mai 1916 zur Errichtung des Kriegsernährungsamts. 26 Diese Kompetenzverlagerungen kennzeichneten äußerlich die Konzentration der Wirtschaftslenkung bei dem kriegführenden Reich. Später blieb es auch nach der Novemberrevolution in der ganzen Weimarer Zeit bei der im Krieg geschaffenen Aufteilung der obersten zivilen Wirtschaftsverwaltung des Reiches in die Sektoren Wirtschaft und Ernährung. 27 Unter Ausnutzung der privatrechtliehen Gesellschaftsformen entstanden in kriegswichtigen- nicht mehr privatrechtlich geregelten, sondern nunmehr dem Ansatz nach organisierten - Wirtschaftszweigen gleich zu Anfang des Krieges sogenannte "Kriegsgesellschaften" als Aktiengesellschaften oder als Gesellschaften mit beschränkter Haftung zum Ankauf, zur Sortierung, Lagerung, Transport und Spedition von Rohstoffen sowie zur Versorgung der Zivilbevölkerung oder für militärische Aufgaben. 28 Privates und durch Kriegsanleihen erworbenes Kapital arbeitete in 23 W. Hubatsch, Entstehung und Entwicklung des Reichswirtschaftsministeriums, S. 18f. Errichtung des Reichswirtschaftsamts: Allerh. Er!. über die Errichtung des Reichswirtschaftsamtes v. 21.10.1917, BGBI. S. 963; Bek. über die Geschäftsverteilung zwischen Reichsamt des Innern und Reichswirtschaftsamt v. 31.10.1917, Reichszentralbl. S. 398. 24 F. Facius, Wirtschaft und Staat, S. 113 f. 2S H. Krause, Wirtschaftslenkung und Ennächtigungsstil, S.421 f. 26 S.-R. Eifler, S. 241-243. Errichtung des Kriegsernährungsamts: Bek. d. Bundesrats über Kriegsmaßnahmen z. Sicherung d. Volksernährung v. 22.5.1916, RGBI. S. 401; Bek. d. Reichskanzlers über d. Errichtung eines Kriegsernährungsamtes v. 22.5.1916, RGBI. S.402. Umwandlung zu einer obersten Reichsbehörde: Allerh. Er!. über d. Einrichtung d. Kriegsernährungsamtes v. 30.8.1917, RGBI. S.824; Bek. v. 27.9.1917, RGBI. S.889. 27 In Friedenszeiten trat noch das Ministerium für Verkehr hinzu. Die Aufteilung gilt auch für die Ministerialbürokratie der Bundesrepublik Deutschland (Ministerien für Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft, Verkehr), die an die Weimarer Verhältnisse anknüpfte, vgl. H. Krause, S.422ff. 28 Zum ganzen nunmehr R. Roth, Staat und Wirtschaft im ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungsinstrumente, 1997. Illustrativ für den Bereich der Aktiengesellschaften s. E. Heymann, Kriegswirtschaft, S.l36f: Kriegs-Chemikalien-AG, Sta-
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diesen Gesellschaften für kriegsdienliche Zwecke. Staatliche Kommissare in den Aufsichtsorganen überwachten die Wirtschaftsweise dieser Unternehmen. Die Gründung erfolgte nach pragmatischen Gesichtspunkten und unterlag keiner Form, insbesondere war es nicht gebräuchlich, die Gesellschaften durch Gesetz zu gründen29. Vielmehr wurde der Raum des gesellschaftsrechtlich Zulässigen ausgeschöpft, um "die entscheidende Verwaltungsführung durch den Staat"30 zu gewährleisten. Grundsätzlich wurde für die Eingliederung der Unternehmen in den Funktionszusammenbang der Kriegswirtschaft privater Unternehmergeist und privates Kapital genutzt, wenn auch ein gewichtiges Zwangsmittel der Militärverwaltung darin lag, daß sie in immer steigendem Maße infolge der Beschlagnahmen durch die Kriegsrohstoffverwaltung die wichtigsten Rohstoffe in der Hand hielt. Daneben richtete man "Abrechnungsstellen" bei Privatbanken ein, mit deren Hilfe die Heeresverwaltung kriegswichtige Beschaffungen abwickelte. Diese Abrechnungsstellen hatten behördenähnlichen Charakter und unterlagen ebenso wie die Kriegsgesellschaften der Aufsicht staatlicher Kommissare. Als privatrechtliche Zwischengesellschaften übten die Abrechnungsstellen auf diese Weise in der Rohstoff- und der Ernährungswirtschaft zum Teil öffentlichrechtliche Funktionen aus. 31 Eine bedeutende Rechtsform der Kriegswirtschaftsverwaltung stellten im weiteren die Verwaltungsausschüsse dar. Als Sachverständigengremien mit Beteiligung staatlicher Kommissare bewerteten sie wirtschaftliche Vorgänge und gaben Stellungnahmen zur Wirtschaftsentwicklung und zu notwendigen planvollen Maßnahmen ab. Sie beschränkten sich zwar rechtlich auf eine beratende Rolle, nahmen aber tatsächlich die Interessenvertretung für die beteiligten Kreise wahr, so daß auch hier die Behördenvertreter eingreifend und verteilend tätig wurden. Mit den im Kriege gebildeten Syndikaten, die in verschiedenen Formen als eng miteinander verbundene Unternehmen mit zentralen Einrichtungen, generalisierten Gestehungs-, Produktions- und Absatzregelungen und häufig mit staatlicher Beteiligung oder Kontrolle errichtet worden waren, hatte sich eine für die Kriegswirttut vom 23. September 1914; Kriegs-Metall-AG, 3. September 1914; Kriegsleder-AG, 9. November 1914; Kriegsrohhaut-AG, 23. November 1914, Kriegs-Fell-Aktiengesellschaft, 3. März 1917; Kammwoll-AG, 28. Oktober 1914; Kriegswollbedarf-AG, 9. September 1914; Kriegs-Hadern-AG, 17. März 1915; Leinengarn-Abrechnungsstelle-AG, 1. Juli; ferner die Holz-Vertriebs-AG. Für den Bereich der Gesellschaft mit beschränkter Haftung s. ebenda S. 143f: Schmieröl-GmbH, 6. Oktober 1916; Manganerzgesellschaft mbH, 14. September 1916, Eisenzentrale GmbH, 30. September 1916; Kriegshanf-Gesellschaft 17. Februar 1917, Nesselfaser-Verwertungs-Gesellschaft, 6. Juli 1916; Braunstein-Versorgungs-Gesellschaft, 31. Juli 1916; Seiden-Verwertungsgesellschaft, 2. August 1917, Kriegsausgleichsstelle für Dachpappenteer etc.; W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. 4 erwähnt noch die Kriegsgetreidegesellschaft m. b. H., der späteren Reichsgetreidestelle Geschäftsabteilungm.b.H. 29 E. Heymann, Kriegswirtschaft, 1921 , S.132ff. 30 Ebenda, S. 138. 31
S.-R. Eifler, S. 244.
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schafttypische Organisationsform entwickelt. Die Konformität des wirtschaftlichen Gebarens zum Kriegsbedarf erreichte man nicht durch verwaltungsrechtlichen staatlichen Zwang, der sich in hoheitlichen Maßnahmen äußerte, sondern durch direkten Zugriff und Einfluß auf die Wirtschaftenden auf Unternehmensebene. Wenn auch die staatliche Wutschaftsführung gewiß nicht allumfassend war und zahlreiche wirtschaftliche und verbandsmäßige Subsysteme an der Wirtschaftsorganisation mitwirkten, wie besonders die Gewerkschaften im Arbeitsdienst, so verbreitete sich doch die allgemeine Überzeugung von der absoluten Dominanz der Staatsleitung in der Kriegswirtschaft. Die Kriegswirtschaft hatte, ihren Rechtsformen nach, bedeutsame Unterfalle des öffentlichen Unternehmens und der kapitalsmäßigen Beteiligung an privaten Gesellschaften entwickelt. Diese Fragen hatten bereits vor dem Krieg eine gewisse Dynamik entwickelt, übten aber erst in den Jahren der Weimarer Republik nennenswerten Einfluß auf das Wirtschaftsrecht aus. Obwohl das Kriegswirtschaftsrecht hier einen starken Impuls gab, griff es diesen Ansatz aufgrund der charakteristischen Verzögerung der juristischen Ausarbeitung neuer Rechtskategorien nicht in generalisierender Weise auf. 32 Dennoch wird deutlich, wie sehr der individuelle Charakter des klassischen Privatrechts in die Defensive geraten war. Außerrechtliche Maßstäbe hatten im Richterrecht positivierte Bedeutung erlangt. Durch die dergestalt beeinträchtigten Grundsätze der Abschlußund Gestaltungsfreiheit als auch der eigentumsrechtlichen Verfügungsbefugnis ergab sich eine Aufweichung der formal rationalen Rechtsordnung.33 Das bürgerliche Vertragsrecht war schließlich von Beschlagnahme- und Übernahmerechten staatlicher und halbstaatlicher Stellen, von Erfassungs- und Verteilungsmaßnahmen sowie von Handelsmonopolen überlagert. Mit dieser stetigen Verdichtung des staatlichen Zugriffs auf die Sphäre der pro forma immer noch frei wirtschaftenden Unternehmer hielt der justizförrnige Schutz von deren Freiheitssphäre nicht Schritt. Insbesondere in der Frage der Beteiligung an den Aufträgen des Preußischen Kriegsministeriums, also der Anträge zur Aufnahme in die Betriebsliste der Zulieferbetriebe wurde in einer Reihe von Statuten der Rechtsweg ausgeschlossen und die endgültige Entscheidung dem Kriegsministerium überlassen. 34 Wo die praktische Politik der Entfaltung des Rechtsstaats gegenüberstand, kam es zu einem Modernisierungsstau beim Rechtsstaat einerseits und zu einer großen Vielfalt praktisch relevanter neuer Rechtsformen andererseits.
III. Das Kriegswirtschaftsrecht in der Rechtswissenschaft Als der Karlsruher Rechtsanwalt und Syndikus des Eisenwirtschaftsverbandes Richard Kahn im Herbst 1917 mit der Monographie "Rechtsbegriffe der KriegswirtG. Sigloch, Die Unternehmen der öffentlichen Hand, 1929, S. 7ff. S.-R. Eifler, 255. 34 E. Heymann, Kriegswirtschaft, S. 53- 57, 115ff. 32 33
III. Das Kriegswirtschaftsrecht in der Rechtswissenschaft
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schaft" dem Rechtsanwender eine "sichere Grundlage" 35 in einem noch nicht definierten Rechtsgebiet vorlegte, hatten sich die Fronten des ersten Weltkriegs im Stellungskampf an der Marne festgefressen. Die Sowjetunion war aus dem Krieg ausgeschieden. Der Krieg zog sich nun schon länger hin, als die pessimistischsten Pläne der Obersten Heeresleitung angenommen hatten und drohte zu einem Dauerzustand zu werden. 36 Mit dieser Perspektive unternahm es Kahn als erster, in einer größeren Übersicht die Kriegswirtschaft in rechtliche Begriffe zu fassen. Wenn er sich auch auf die juristische Form und die Handhabung in der Praxis beschränkte, so mußte er doch eine Reihe grundlegender Umwälzungen verarbeiten. Wesentliche Vorarbeiten standen ihm dabei nicht zur Verfügung. Zumindest berief er sich auf keine Untersuchung, die etwa die Rechtsbegriffe der Wirtschaft vor dem Krieg zum Gegenstand gehabt hätte. Dabei hätten mit dem Aufsatz des Jenaer Zivilrechtiers Heinrich Lebmann über das "lndustrierecht" in der Festschrift für Ernst Zitelmann von 1913, der aus dem Kreis um Zitelmann hervorgegangen war, sowie dessen Schrift "Die Kriegbeschlagnahme als Mittel der Organisation der Rohstoff- und Lebensrnittelversorgung" von 1916 sowie mit Ludwig Waldeckers "Kriegsenteignung" und W. F. Brucks "Kriegsunternehmung" einige markante juristische Ansätze vorgelegen. Die Rechtspraktiker Artbur Blaustein und Ernst Neukamp hatten die Begriffe Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsrecht zu Beginn des Krieges bereits geprägt, wenn auch überwiegend in kritischer Absicht gegen die Staatswirtschaft im Kriegssozialismus. 37 Eine Kriegswirtschaftslehre hatte sich bereits 1914 zu etablieren begonnen. Zahlreiche Nationalökonomen griffen kriegswichtige Fragen auf, und zwar weniger pragmatisch als die Rechtswissenschaftler. 38 Auch einige weniger bedeutende Arbeiten zu einzelnen rechtlichen Problemen der Kriegswirtschaft waren inzwischen erschienen. 39 Ein neues Rechtsgebiet sah Kahn im Kriegswirtschaftsrecht nicht. Seine Absicht war ,,nicht ein System des Kriegswirtschaftsrechts zu geben, sondern eine Grundlegung des Kriegswirtschaftsrechts durch Herausarbeiten der hauptsächlichen Rechtsbegriffe" 40 zu leisten. Die Darstellung geht in Übernahme der juristischen Lehrbuchtradition von einer Gliederung in einen allgemeinen und einen besonderen Teil aus. Der Allgemeine Teil umfaßt den Rechtsbegriff, die Rechtsgrundlagen, Verwaltungsorgane und die Sondergerichte R. Kahn, Rechtsbegriffe der Kriegswirtschaft, Vorwort. H . Dörner, S. 389. 37 A. Blaustein, Kriegswirtschaftslehre- Kriegswirtschaftsrecht, in: RuWi. 3 (1914), S.l75 ff; E. Neukamp, Die Ausschaltung unseres Handels durch das Kriegswirtschaftsrecht-eine nationale Gefahr!, DBV, 5. Bd S.2006. Diese und weitere Nachweisungen bei: R. Piepenbrock, S. 192, insbes. Fn. 704. 38 Siehe nur A. Dix, Kriegswirtschaftslehre, RuW 1914, S. 79--82. 39 Unüberschaubar ist die Zahl der patriotischen Druckschriften, die mit den verschiedensten Vorschlägen und wirtschaftspolitischen Thesen an die Öffentlichkeit traten wie "Volkswirt Nuese", der den Vertretern der Gemeinwirtschaft im Kriege, namentlich Wallher Rathenau, nahe stand. K. Nuese, Die Sicherung unserer Ernährung als Frage der Landesverteidigung, 1916. 40 R. Kahn, S. 10. 35
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I. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
der Kriegswirtschaft als auch unter der Bezeichnung ,,Rechtsäußerungen" die Handlungsformen, mit denen das Kriegswirtschaftsrecht arbeitet. Der Besondere Teil bereitet den Rechtsstoff in den Sachgebieten Erzeugung, Verbrauch, Verkehr, letzteres auch im Sinne einer .,Überleitung der Güter aus der Privathand in Organisationen der Allgemeinheit" 41 und Preisgestaltung auf. Kahn orientierte sich dementsprechend am Produktionsvorgang, nicht etwa an einer Aufteilung in verschiedene Wirtschaftsbranchen. Dieses Vorgehen vermied für die juristische Abstraktion eine Orientierung an der Ausnahmesituation des Krieges, weil auf eine Darstellung kriegstypischer Branchen verzichtet werden konnte. Demgemäß bezog sich Kahn auch immer wieder auf den Rechtszustand in Friedenszeiten. Damit beschrieb das Buch aber nicht nur das Kriegswirtschaftsrecht in seiner für die Ausnahmesituation des Krieges maßgeblichen Gestalt, sondern versuchte in der generellen Fortbildung der betroffenen Rechtsmaterien .,zugleich den aus dem Felde Zurückkehrenden einen Einblick in die Rechtsentwicklung während des Krieges (zu) ermöglichen"42• Die markantere Zusammenfassung des Kriegswirtschaftsrechts entstand zur gleichen Zeit wie diejenige Richard Kahns. Sie erschien zwar erst deutlich nach Kriegsende, zog aber wegen der Prominenz ihres Autors die Aufmerksamkeit des juristischen Publikums wesentlich stärker auf sich. Mit seinen ,,Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft" legte Ernst Heymann 1921 eine umfassende Monographie vor, die auch die Perspektive des Friedensrechts mit aufnahm. Im Kriegswirtschaftsrecht sah er zugleich die .,Grundlage des neuen deutschen Industrierechts"43 • Heymann, bis 1914 Professor in Marburg, seitdem Ordinarius für Bürgerliches Recht und Handelsrecht an der Universität Berlin, hatte inzwischen den Grundstein für ein Institut für .,Ausländisches- und Wirtschaftsrecht" innerhalb der Berliner juristischen Fakultät gelegt. Damit war auch die Veröffentlichungsreihe der .,Schriften zum Handels- Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht" verbunden. Die schon durch diese Aufzählung dokumentierten verschiedenartigen Begriffe, die sich um das entstehende .,Wirtschaftsrecht" scharten, hatten je verschiedene Ursprünge. Waren auch freilich Handels- und Gewerberecht bekannt, so waren doch Landwirtschaftsrecht, Wirtschaftsrecht und Industrierecht unklar und überlappend. Diese Termini waren im Bewußtsein eines großen Teils der Juristen kaum näher konturiert und wurden deshalb sehr frei gebraucht. 44 R. Kahn, S. 79. R . Kahn, S. 10. 43 E. Heymann, Kriegswirtschaft, 1921. Die umfassendste Würdigung dieses Werkes lieferte fast zwanzig Jahre später J. W. Hedemann, Der historische Wert der Studien Heymanns zum Recht der militärischen Kriegswirtschaft (Weltkrieg 1914/18) in: Festschrift Heymann zum 70. Geburtstag am 6. April1940, überreicht von Freunden, Schülern und Fachgenossen, Teil II, Recht der Gegenwart, S. 1-46. 44 So erinnerte sich Ernst Friesenhahn, Juristen an der Universität Bonn, S. 41 daran, daß 1917 noch unklar war, ob das Fachwort Industrierecht überhaupt existierte. Das Landwirtschaftsrecht hielt Franz Dochow noch in den Nachkriegsjahren für erklärungsbedürftig: F. Dochow, Vom Landwirtschaftsrecht, JW 1926, S.964; JW 1927, S.2493. 41
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III. Das Kriegswirtschaftsrecht in der Rechtswissenschaft
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Heymanns Darstellung begann mit den staatlichen Organen, schilderte die Rechtsgrundlagen für deren Handeln und wählte dann im weiteren Verlauf eine eher diagonale Untersuchungslinie. Gegenständliche Trennung des Rechtsstoffes gemäß dem wirtschaftlichen Produktions- und Absatzprozeß und juristische Abstraktion gingen dort eine enge Verbindung ein. Auf die "Beschaffung der Rohstoffe" folgen die "Kriegswirtschaftsorganisationen", die "Einwirkungen auf die einzelnen Unternehmungen in Industrie und Handel" und "Das Recht der industriellen Arbeiter". 45 Für die Rolle des Privatrechts stellte Heymann fest: "Das Industrierecht des Krieges zeigt deutlich, daß unser Gewerberecht ebenso wie unser Handelsrecht im Kerne Privatrecht ist. Das öffentliche Recht gibt ihm einen Überbau, der in die privatrechtlichen Gebilde nur modifizierend eingreift." 46 Im Krieg sei die Wirtschaftsordnung im wesentlichen mit den Mitteln des Privatrechts geschaffen worden, was sich im Frieden allerdings nicht mehr hätte halten lassen. Heymanns Verständnis vom Industrierecht beruhte auf der für liberale Juristen kennzeichnenden Überzeugung, daß die Zurückdrängung der "privatrechtlichen Ausgangspunkte" das "Interesse des einzelnen Unternehmers ebenso wie das des einzelnen Arbeiters" 47 gefährdet hätte. Das Privatrecht schien der Garant für die bürgerliche Freiheit zu sein, während das öffentliche Recht mit obrigkeitlichem Zwang identifiziert wurde. Diese Deutung wurde referenziell für das historische Urteil fruchtbar gemacht. Inwieweit die Chance bestand, daß die Privatrechtsidee mit der Rechtswirklichkeit in Einklang zu bringen war, bleibt dabei eine offene Frage historischer Bewertung. 48 Die Legitimation für eine Untersuchung des militärischen Industrierechts sah Heymann eben in der starken privatrechtliehen Prägung des Industrierechts des Krieges. Da nach seiner Überzeugung das Friedensrecht auf der Privatrechtssphäre aufgebaut werden mußte, hätten die Rechtsformen des Kriegsrechts für das Gewerberecht des Friedens dauernden Wert. In der gründlichen Schilderung der privatrechtliehen Entwicklungen des Krieges klingt die Überzeugung an, daß an der Kontinuität des Rechtszustandestrotz der möglicherweise erneuerten Wirtschaftsverfassung durch die Weimarer Verfassung nicht zu zweifeln sei. Eine Auseinandersetzung mit der Weimarer Verfassung vermied Heymann mit einer gewissen Notorietät. Geltungsgrund und Fortgeltung der von ihm herangezogenen Normen schien für ihn nicht zweifelhaft. Die wesentlichen Züge der "Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft" entstammten einem schon 1917 veröffentlichten Bericht, den Heymann als ständiges Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des vormaligen Preußischen Kriegsministeriums erstattet hatte. 49 Heymann schöpfte die Legitimation zu seiner Veröffentlichung von 1921 aus seiner intimen Sachkenntnis. Soweit er aber im E. Heymann, Kriegswirtschaft, S. 3 f. Ebenda, S. 8. 47 Ebenda, S. 9. 48 K. W Nörr, Eher Hege! als Kant, S. 55 f und passim, insbesondere zur Entfaltung der Privatrechtsidee im 19. Jahrhundert. Zum Ganzen ders., Die Leiden des Privatrechts, 1994. 49 E . Heymann, Amtliche Mitteilungen des Kriegsamtes 1917, Nr.19/20 in: Mitteilungen der Handelskammer Berlin 1917, S.198 ff, 232ff. Aus dem Vorwort. 45
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
Kriegswirtschaftsrecht das Friedensrecht vorgezeichnet sah, nahm er eine ins Detail gehende Auseinandersetzung mit den späteren Regelungen der Friedenswirtschaft nicht auf sich. Für die Kriegsunternehmungen und ihr Recht blieb aber Heymanns Arbeit die solideste Grundlage, die auch von allen nachfolgenden Autoren, die sich überwiegend auf ihn beriefen, inhaltlich respektiert wurde. Einen weit pragmatischeren Zugang zur Kriegswirtschaft bot der knappe Abriß von Artbur Nussbaum in seinem Buch "Das neue deutsche Wtrtschaftsrecht", das 1920 in der ersten Auflage erschienen war. Nussbaum hatte sich bereits auf den ersten Bericht Heymanns vor dem Kriegsamt von 1917 bezogen.50 Sein Überblick verknappte die juristischen Konstruktionen sehr stark, traf sie dabei aber dennoch im Kern. Bei den Kriegsgesellschaften sprach er von gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen als Geschäftsabteilung und von jeweils einer Behörde als deren Verwaltungsabteilung. Mit diesen "Abteilungen" hatte Heymann den von da ab gebräuchlichsten Begriff mitgeprägt. Als bedeutendsten Zweig der Kriegswirtsch~ hob Nussbaum die Getreidewirtschaft hervor. Die Reichsgetreidestelle diente ihm als Beispiel für eine Behörde, die sowohl durch Lenkung vermittels der jährlich ergangenen Reichsgetreideordnungen als auch durch eigenes behördliches Handeln den komplexen Verwaltungsvorgang der reichsweiten, auf Kommunalverbände gestützten Getreideversorgung steuerte. 51 Damit stand er allerdings weitgehend allein. Keine andere wichtige Untersuchung zum Kriegswirtschaftsrecht maß der Getreidewirtschaft, weder als bedeutendem Wirtschaftszweig, noch als Beispiel für eine besondere Bewirtschaftungsform, das von Nussbaum veranschlagte Gewicht bei. Der Verwaltungspraxis war Umfang und Bedeutung der Getreideverwaltung natürlich vertraut. Auf Einschätzungen wie den dem Rechtstatsachendenken verpflichteten Erkenntnissen Nussbaums beruhten nach dem Krieg die Erwägungen, die immer mehr zunehmende Infiation durch die Währung einer "Roggenmark" aufzuhalten. 52 Nussbaum wies ferner auf die durch den Mangel an Rohstoffen, Kohle und Arbeitskräften notwendig gewordene gemeinwirtschaftliche Versorgung der Industriewerke hin. Nicht nur das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst und die Möglichkeiten zur Zwangssyndizierung hätten Anlässe und Handhaben für schwerwiegende Eingriffe geboten. Nussbaum genügte ein Verweis auf die öffentlich-rechtliche Natur der zentralistisch gestaffelten neu geschaffenen Kriegsgesellschaften und auf den bürokratisch-zentralistischen Gesamtcharakter der Zwangssyndikate als Apparate ohne eigenen Willen, um die wesentlichen Tendenzen der Kriegswirtschaft zu kennzeichnen. 53 5o 51
E. Heymann, Mitteilungen S.198ff, 232ff.
A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 1. Auflage 1920, S. 33 f.
52 W. Eucken, Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus, S. 298-303. Der Vorschlag einer Roggenmark stammte in seiner pointierten Version von dem Sozialdemokraten Rudolf Hilferding. 53 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 1. Auflage 1920, S. 36.
III. Das Kriegswirtschaftsrecht in der Rechtswissenschaft
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"Rückblicke auf die Kriegswirtschaft" bot auch die Untersuchung Walter Wauers zur wirtschaftlichen Selbstverwaltung von 1923. 54 Er betonte wie auch Heymann die Bedeutung einzelner Institutionen des Kriegswirtschaftsrechts für das Friedensrecht So gingen einzelne Organisationen in gleicher Gestalt aus der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft über. Das Grundprinzip der Leitung in der Kriegswirtschaft sah Wauer anders als Heymann zum Friedensrecht in einem Gegensatz. Die Heeresverwaltung, ab 1915 die Kriegsrohstoffabteilung beim Preußischen Kriegsministerium und das im November 1916 ebenso dort errichtete Kriegsamt sahen sich dazu veranlaßt, Industrie und Bankwelt zu Zwecken der Heeresversorgung und der zivilen Verwaltung in den Kriegsgesellschaften heranzuziehen. Dabei blieben nach dem Urteil Wauers die privatrechtliehen Grundlagen der Wutschaft erhalten. Doch stellte er mit Heymann eine Zwangssyndizierung fast der gesamten Industrie unter dem entscheidenden Einfluß der öffentlichen Gewalt fest. Dies geschah nach Wauers Analyse nicht im Wege einer freiwilligen Vereinigung der Einzelunternehmen auf der Grundlage des Gesellschaftsrechts. Vielmehr wurden die Unternehmen zum Objekt der staatlichen Zwangsverwaltung. Das öffentlichrechtliche Element nahm bei der Kriegsaktiengesellschaft überband. Nicht nur das Vetorecht der Behördenvertreter in den Aufsichtsorganen, auch die Herrschaft über den Rohstoffmarkt schien Wauer für diesen Befund zu sprechen. Insbesondere die Kriegsmetall-A.G. erschien ihm dafür charakteristisch. 55 Die Macht der Kommissare war schon durch die Vorwirkung des staatlichen Zwangs gesichert. Behörden, die für bestimmte Funktionen in den privatrechtliehen Aufbau der Unternehmen integriert waren, verstärkten diesen Einfluß zusätzlich. So hatte 1915 das Metallzuweisungsamt die Vertrauenskommission der Kriegsmetall-A.G. ersetzt. Das Recht der Kriegs-G. m. b. H. war für die Behörden noch günstiger, da ein Aufsichtsorgan frei bestimmt werden konnte. Die Kommissare konnten daher die Führung der Unternehmen unmittelbar übernehmen. In Auseinandersetzung mit der für den Forschungsstand der Rechtswissenschaft vor dem Krieg repräsentativen Stellungnahme Friedrich Freunds zu den gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen von 1911 sprachWauerden Kriegsgesellschaften den Charakter der Erwerbsgesellschaft überwiegend ab. Die Geschäftsführung diente nach seiner Ansicht vielmehr dem Gemeininteresse, während die Mitglieder allenfalls einen ganz beschränkten Gewinn zugebilligt erhielten. "Vielfach ist das Bild so, daß die Kriegsgesellschaft nur eine Seite der bewirtschaftenden Behörde darstellt und an deren Weisungen gebunden ist." 56 54
W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, erschienen als 2. Heft der von
Erwin Jacobi herausgegebenen Schriften des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Leip-
zig, S. 3- 18. 55 W. Wauer, S. 5. 56 W. Wauer, S. 6. F. Freund, Die "gemischte wirtschaftliche Unternehmung", eine neue Gesellschaftsform, DJZ 1911, S.lll3.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
In der Abrechnungsstelle, die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter der Aufsicht eines Überwachungsausschusses eine Großbank als Vermögensrechtssubjekt, Vertreter der zentral organisierten Industrie und Kommissare des Reiches in einem Konsortium verband, erblickte Wauer bereits einen Übergang von der Form privatrechtlicher Gestaltung hin zum öffentlichrechtlichen Selbstverwaltungskörper. Mit Richard Kahn beschrieb Wauer schließlich die Kriegsausschüsse, als "in Form loser Vereinigungen zusarnmengefaßte Glieder einer Behörde ohne Rechtspersönlichkeit". Wie schon die Beiräte bei den Wirtschaftsbehörden der Vorkriegszeit waren sie eine Form der "bürgerlichen Selbstverwaltung". Zur Darstellung der Syndikate breitete Wauer die Problematik des ersten Zwangssyndikatsgesetzes in der Kaliindustrie von 1911 aus. Damals war die rheinisch-westfälische Kaliindustrie, die von einem einzigen als Syndikat bezeichneten Kartell beherrscht worden war, nach allseitiger Kündigung des Kartellvertrags im Zerfall begriffen. Doch reichte allein die Drohung der Zwangssyndizierung durch das Gesetz vom gleichen Jahr als Vorwirkung aus, um das alte Kartell wiederzubeleben, von dem man mit der herrschenden Überzeugung der Zeit annahm, die Wirtschaftsstruktur gebiete seinen Erhalt. Wauer sah in den Syndikaten die korporative Verbindung der Unternehmer als Subjekte ihrer prinzipiell autonomen Wrrtschaftsregelung. Für die Kriegswirtschaft folgerte er dennoch aus der ausschlaggebenden Macht der Staatsgewalt, daß von einer freien Ausübung von Verwaltungsfunktionen durch die Verbände keine Rede sein konnte. Den höchsten Grad durchgebildeter Zwangsorganisation erreichte, wie Wauer illustrativ aus der Reihe der Zwangssyndikate der Kriegswirtschaft herausgriff, die Schuhindustrie. Die Herstellungs- und Vertriebsgesellschaften sah Wauer mit Walter Flechtheim als Körperschaften öffentlichen Rechts "mit privatrechtlicher Betätigung" an. 57 Trotz ihrer Bezeichnung hätten keine Gesellschaften bürgerlichen Rechts oder des Handelsrechts vorgelegen. Die Rechtsnatur des über den Syndikaten stehenden Überwachungsausschusses war für Wauer das eigentliche Problem. Entgegen Karl Geiler und Richard Kahn 58 sah Wauer im Überwachungsausschuß kein Rechtsgestaltungsorgan der Syndikate von öffentlichrechtlicher Natur, weil er einen eigenen Willen bildete. Mit der Definition Paul Labands 59, nach der eine Behörde niemals ein selbständig berechtigtes Subjekt, vielmehr der Staat als das wirkliche Rechtssubjekt der von ihr ausgeübten Hoheitsrechte angesehen werden muß, lehnteWauerauch die Annahme Kahns 60 ab, die Überwachungsausschüsse seien mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Reichsbehörden. Wauer hielt die Überwachungsausschüsse für "öffentlichrechtliche Wirt57
W. Flechtheim, Das Zwangssyndi.katsgesetz, JW 1915, S. 885.
K. Geiler, Gesellschaftliche Organisationsformen des neueren Wirtschaftsrechts, sachlich S. 48, Wauer zitierte fälschlicherweise S. 35; R. Kahn, S. 33 ff. 59 P. Laband, Staatsrecht I, S. 338. 60 R. Kahn, S. 33. 58
111. Das Kriegswirtschaftsrecht in der Rechtswissenschaft
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schaftsstellen mit Rechtssubjektivität." 61 Aus dem zeitlichen Abstand von etwa drei Jahren nach der Umwandlung der Kriegsgesellschaften verglich Wauer die Rechtsformen des Krieges und der Nachkriegszeit "an der Scheidezweier Wirtschaftsepochen".62 Wauer verglich die Überwachungsausschüsse, welche die Tatigkeit der Syndikate und damit auch mit den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper der nachfolgenden Zeit leiteten, mit den Interessenvertretungen des Handels, des Handwerks und der Landwirtschaft in Gestalt der jeweiligen Kammern und stellte strukturelle Ähnlichkeiten fest. Doch fehlte diesen Kammern die für die Kriegswirtschaftsleitungsorgane typische umfassende "positive Leitung und Regelung ihrer Wirtschaftsgebiete". 63 Nur die juristische Form der öffentlich-rechtlichen Körperschaft sei gleich gewesen. Mit Blick auf die Vergangenheit verglich Wauer die obersten Lenkungsorgane der zwangssyndizierten Industrie mit einem Kriegsausschuß, dem zusätzlich eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt worden war. Auf die Zukunft des Wirtschaftsrechts bezogen, vermutete er darin einen entscheidend bürokratischbehördlich beeinflußten wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper. 64 Den Rückblick auf die Kriegswirtschaft schloß Wauer mit einer Analyse des von ihm so genannten Leitprinzips der Kriegswirtschaft ab. Er kennzeichnete das Kriegswirtschaftsrecht als bürokratisch-polizeistaatliches System, das sich nur unter dem unmittelbaren Druck des Krieges hatte aufrechterhalten lassen. Die Elemente dieses Systems waren demnach die Wirtschaftsleitung durch eine Behörde, die Mitgliedschaft des Staates an Kriegsgesellschaften und die unmittelbare Befehlsgewalt gegenüber Kriegsgesellschaften. 65 Die Ausführungen Wauers sollte Tula Simons in ihren knappen Bemerkungen zum Kriegswirtschaftsrecht in ihrer Dissertation von 1931 über den Aufbau der Kohlenwirtschaft formelhaft wiederholen. 66 Ein Jahr nach dem Krieg, noch im Herbst 1919, griff der Mannheimer Rechtsanwalt, Professor an der Handelshochschule Mannheim und Honorarprofessor in Heidelberg, Karl Geiler, in einem viel beachteten Vortrag die Entwicklung der gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen auf und beleuchtete sie von der Warte des Privatrechts aus. Nach seinem Urteil waren zahlreiche Rechtsformen der Kriegswirtschaft aus Rechtsformen der Vorkriegswirtschaft hervorgegangen. Die Erscheinungen der Kriegswirtschaft waren demnach nur Unterfalle der "Fördergemeinschaften", deren Hauptfall wiederum das Kartell war. Die verschiedenen Funktionen der Kartelle, die Kontingentierung und Zentralisierung kämen für die Kriegswirtschaft ebenso zum Tragen wie für die Friedenswirtschaft Die wirtschaftliche W. Wauer, S. 16. W. Wauer, S.16. 63 W. Wauer, S. 15. 61
62 64
Siehe im folgenden Kapitel zur Gemeinwirtschaft/wirtschaftliche Selbstverwaltung.
s W Wauer, S.l7. 66 T. Simons, Der Aufbau der Kohlenwirtschaft, 1932 S. 27 ff, passim.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
Bewertung der Mitgliedschaft im Kartell mit Hilfe der Beteiligungsziffer, die dem Kapitalanteil der offenen Handelsgesellschaft nahe stand, war schließlich nicht nur die Praxis der Kriegsgesellschaften, sondern auch der Syndikate nach dem Krieg. Die aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 4. August 1914 errichteten Syndikate der Kriegswirtschaft waren zwangsweise zusammengeschlossene Unternehmen. Die so errichteten Zwangssyndikate hielt Geiler nicht für Gesellschaften des bürgerlichen Rechts oder des Handelsrechts. Er definierte sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Sichtweise des Praktikers läßt sich bei Geiler sehr gut nachvollziehen. Anders als die übrigen Autoren, die doch eher eine auf die Rechtsformen als solche konzentrierte Betrachtungsweise vorlegten, nahm Geiler auf engstem Raum die wichtigsten Momente der gesellschaftsrechtlichen Praxis für die Zwangssyndikate auf. 67 Sie übten seiner Meinung nach eine privatrechtliche Tätigkeit aus, waren aber nicht auf Gewinn gerichtet, also keine Gewerbebetriebe und damit gewerbesteuerfrei. Ihre Geschäfte entsprachen keinem Handelsgewerbe und ihre Organe hatten nur eine sehr schwache Position angesichts der Überwachungsausschüsse, die als öffentlichrechtliche Organe die eigentliche Leitung in der Hand hatten. Für die Kriegsgesellschaften stellte Geiler ebenso eine besondere Entwicklung heraus. Zunächst als Gesellschaften bürgerlichen Rechts oder nichtrechtsfähige Körperschaften gegründet, nahmen die Aktiengesellschaften und die Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Lauf des Krieges die Überzahl ein. Es waren dies die immer öfter als Geschäftsstellen der Kriegswirtschaftsbehörden errichteten juristischen Personen des Privatrechts. Wie die Syndikate ebenso wenig auf Gewinn ausgerichtet, waren auch sie keine Gewerbebetriebe. Geiler schloß aus ihrer Bestimmung, daß sie vorrangig dem öffentlichen Interesse dienten.
IV. Maßgebliche Begriffsprägungen: Kriegssozialismus und Gemeinwirtschaft im Krieg 1. Kriegssozialismus
Die Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte zu Kriegszwecken wurde bereits im ersten Kriegsjahr augenscheinlich. Die Kriegswirtschaft hatte schließlich im Kriegsjahr 1916 zu Zuständen geführt, wie sie fürdie deutsche Volkswirtschaft beispiellos waren. Nicht nur die starke Verflechtung der wirtschaftlichen Unternehmen, die schon vor dem Krieg zu beobachten war, sondern die unablässig neu herbeigeführten hoheitlichen Regelungen des Wirtschaftsorganismus hatten eine Wirtschaftsform hervorgebracht, in der Staat und Wirtschaft in einer Weise in gegenseitige Verwiesenheil geraten waren, daß schließlich dieser Erscheinung wegen des starken Gewichts des planensehen Elements immer häufiger das Wort vom "Kriegssozialismus" beigelegt wurde. 67
K. Geiler, S. 48 f.
IV. Kriegssozialismus und Gemeinwirtschaft
43
Besonders augenfallig ist dabei die Diskussion um die Anlehnung an die Begriffsprägung Bismarcks vom "Staatsozialismus". 68 Mit Hilfe dieser Wendung hatte der Reichskanzler in den 1880er Jahren programmatisch allen sozialdemokratischen und syndikalistischen Bestrebungen durch staatliche Maßnahmen zuvorkommen wollen, um so den Wmd aus den Segeln der politischen Gegner zu nehmen. Aus dem Begriffsrepertoire der "Fabian Society" und ihrer gemeinwohlorientierten Programmatik entlehnt, hatte sich der "Staatssozialismus" durch die Vermittlung des "Kathedersozialismus" in Deutschland etabliert,69 ehe Bismarck ihn zu einem Politikideal stilisierte. Theodor Heuss spielte 1915 in seiner journalistisch gehaltenen Schrift "Kriegssozialismus" auf diesen Staatssozialismus an. Den Ursprung dieses Begriffs verlegte Heuss bemerkenswerterweise in Fichtes spätmerkantilistische Schriften. 70 Andererseits bestand der Kriegssozialismus für Heuss in der Regelung und dem Eingriff nicht nur in die Beschaffung und Verteilung der kriegswichtigen Versorgungsgüter, sondern nun auch in ihre Produktion. 71 Das war in der Tat das Neue und geschichtlich nicht mehr Vergleichbare, ein Novum des ersten Weltkriegs. Die Begriffsprägung mag zunächst marxistisch besetzt scheinen, schließlich hatte sich in der deutschen wissenschaftlichen und publizistischen Tradition der Sozialismus unter der starken Einwirkung Engels' auf die Perspektive des Marxismus verengt. 72 Sowohl bei der Begriffsbildung als auch in der Realität war mit dem "Kriegssozialismus" jedoch kein Sozialismus marxistischer oder gar leninistischer Prägung gemeint, der einen Aufbau des Gemeinwesens von der Gesellschaft hin zu deren Selbstorganisation erstrebt hätte. Andere sozialistische Denkrichtungen außer der marxistischen hatten entweder bei Sektierern überwintert73 oder waren aus den Sozialismus-Traditionen anderer Länder (rück-)importiert worden. So hatte in England ein nahezu undogmatischer "war socialism" große Verbreitung gefunden, dem der Marxsche Grundgedanke politischer Anarchie natürlicherweise fremd war. 74 Dazu kam die Usurpation des Terminus Sozialismus selbst durch den Staatssozialismus Bismarcks, der die Trennung von Staat und Gesellschaft keineswegs beseitigt wissen wollte. Im Gegensatz zur sozialistischen Deutung des Begriffs bezog im "Kriegssozialismus" der Staat das ganze Wirtschaftsleben lenkend und planend in seinen Wrrkungsbereich mit ein. Nach Gustav Radbruchs Einschätzung von 1928 kam dies in 68 H. Göppert, Staat und Wirtschaft (1924), S. 9. Zur Debatte im Ganzen G. v.Mayr. Staatssozialismus im Krieg und im Frieden, RuW 1915, S. 219-222. 69 W. Krabbe, Munizipalsozialismus und Interventionsstaat, S. 265 f. 70 Th. Heuss, Kriegssozialismus, 1915, S.14. 71 Th. Heuss, S. 16. 12 So zur agitatorischen Tendenz von Engels und Kautsky Th. Ramm, Juristensozialismus in Deutschland, S. 8. 73 Th. Heuss, S.14f. 74 H . U. Wehler, S. 48-52.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
weiten Zügen einer "merkantilistischen" Wirtschaftsverfassung gleich. 75 Dem widersprach jedoch Walter Eucken aus noch größerem zeitlichem Abstand gegen Ende der Weimarer Zeit. Er verwarf alle Deutungen der Wirtschaftsordnung der Kriegsund Nachkriegszeit, die darin die Wirksamkeit eines Neomerkantilismus erblickten. Eucken sah den Merkantilismus als ein vom Interesse des Fürsten an bestimmten Gütern und an der Förderung einzelner Wirtschaftszweige geleitetes Wirtschaften an, das staatsräsonalen Erwägungen folgte. Er kennzeichnete den Übergang von der Kriegswirtschaft zur Friedenswirtschaft durch den Versuch des Staates, die Wirtschaft als ganze zu leiten, wobei die Wirtschaft diesem Streben nicht direkt unterworfen wurde, sondern aus eigenen Kräften ähnliche Tendenzen verfolgte. Eucken hatte beabsichtigt, die Wirtschaftsverfassung des Krieges aus den tatsächlichen Verhältnissen heraus zu beschreiben. Seine Deutung hat Wege in die Geschichtsschreibung gefunden und genommen. 76 Der Kriegssozialismus bestand in der Engführung staatlicher und wirtschaftlicher Interessen und einer ab 1915 einsetzenden Absorption der Arbeitskraft. 77 Ausschlaggebend für die Entwicklung in diese Richtung waren militärische und patriotische Motive seitens der Verwaltung, der öffentlich wirksamen Verbände und Parteien, während seitens der Wirtschaft wiederum die kartellfreundlichen ökonomischen Auffassungen der Zeit Gewicht hatten. Die Tendenz der Vorkriegszeit, sich im organisierten Kapitalismus durch weitere Verflechtung, Trustbildung und Karteliierung gegen den freien Wettbewerb zu schützen, hielt weiter an. Der Krieg war ein entscheidendes Moment, um das Wirtschaftsgeschehen einheitlich auszurichten. Die Ausgangslage für die Kriegswirtschaft war aber auch durch vor dem Krieg liegende Faktoren geprägt. Nicht nur das wirtschaftliche Denken, sogar das ganze politische Klima war einer liberalen Wirtschaftsordnung fern. Der laissez-faire-Liberalismus diente nicht nur Sozialisten als abschreckendes Beispiel. Werner Sombart war als Nachfolger Adolf Wagners auf dessen nationalökonomischen Lehrstuhl in Berlin einer der berufensten Kenner des Sozialismus. Als Einflußreicher Autor auch allgemeinverständlicher Werke hatte er viele Stimmen seiner Zeit gebündelt, indem er in der ihm eigenen Terminologie den Spätkapitalismus, eine Phase nach dem Hochkapitalismus ausrief, der die Unsicherheiten des Kapitalismus durch Planung und Organisation überwinden sollte. 2. Gemeinwirtschaft
Das Zusammenstehen der Bevölkerung im Krieg und die Absorption aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte durch den militärischen Zweck erschöpfte sich 15 G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 7. u. 8. Auflage 1929: zum Diktum der "merkantilistischen Wirtschaftsverfassung". 76 W Eucken, Staatliche Strukturwandlungen, S. 303-305, 313. Dazu]. Kocka, Organisierter Kapitalismus oder Staatsmonopolkapitalismus? Begriffliche Vorbemerkungen, S. 20 ff. 77 H. Kellenbenz, S. 348.
IV. Kriegssozialismus und Gemeinwirtschaft
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nicht im Appell an den Patriotismus der Staatsbürger. Es blieb auch nicht bei einer rein an Militärnotwendigkeiten orientierten und auf die Ernährung der Bevölkerung gerichteten Versorgung. Rasch glomm eine Flamme von großer Leuchtkraft auf, welche die Kriegssituation binnen kurzem auf die gesamte wirtschaftspolitische Debatte der Zeit projizieren sollte: Die Kriegführung des ganzen Volkes forderte das Konzept der "Gemeinwirtschaft" heraus. Walther Rathenau war der bedeutendste Vertreter der "Gemeinwirtschaft" in der Verwaltungspraxis des Krieges. Der Vorstands- und später Aufsichtsratsvorsitzende der von seinem Vater aufgebauten Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (AEG) und langjährige Verbandspolitikerim-vor dem Krieg einflußreichsten- Bund Deutscher Industrieller hatte 1916 zu alledem die Leitung der Kriegsrohstoff-Abteilung im preußischen Kriegsministerium übernommen. Als einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit hatte er die Diskussion über das "Unternehmen an sich" ausgelöst. 78 Rathenau vertrat 1917 die Auffassung, die Aktiengesellschaft als Unternehmen habe sich als Erscheinung des Güter- und Arbeitsmarktes von der Aktiengesellschaft als Kapitalmasse gelöst und führe eine weitgehend verselbständigte Existenz. "Die Großunternehmung ist heute überhaupt nicht mehr lediglich ein Gebilde privatrechtlicher Interessen, sie ist vielmehr, sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtzahl, ein nationalwirtschaftlicher, der Gesamtheit angehöriger Faktor, der( ... ) längst und in steigendem Maße öffentlichen Interessen dienstbar geworden ist und hierdurch sich ein neues Daseinsrecht geschaffen hat. Eine Fortbildung im gemeinwirtschaftliehen Sinne ist möglich." Zugleich prophezeite er im Juli 1917 "derjenigen Nation allein die Zukunft, die alle ihre Zugkräfte gleichgerichtet vor den Wagen ihres Staates und ihrer Wirtschaft spannt". Apodiktisch stellte er Anfang des Kriegsjahres 1918 fest: "Wirtschaft ist nicht mehr Privatsache, sondern Sache der Gemeinschaft."79 "Deutsche Gemeinwirtschaft" hieß zunächst eine seit 1910 in unregelmäßiger Folge erschienene Zeitschrift als Organ konservativer Kräfte, welche die Unterordnung der Wirtschaft unter Zwecke des Staates vorsahen. Wenn auch vielfältig inspiriert von seinem spiritus rector Watther Rathenau, 80 war der preußische Ingenieur und Publizist Wichard Graf von (Wilamowitz-)Moellendorff unbestritten die Zentralfigur dieser Bewegung. Er entstammte einer bedeutenden Offiziers- und Gelehrtenfamilie von altmärkischem Uradel, war nach einem Maschinenbaustudium in die vom Vater Walther Ratbenaus gegründete Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft eingetreten und trat anschließend in die Kriegswirtschaftsverwaltung ein. Schon vor dem Kriege hatte er sich in eigenen Veröffentlichungen den Wechselwirkungen zwischen Technik, Industrie, Kultur, Politik und Nationalökonomie zugewandt und sich 78 Zur wirtschaftstheoretischen Konzeption Walther Rathenaus siehe A. Riechers, Das ,Unternehmen an sich', S. 11-15. Zur Kritik des Nationalökonomen Fritz Haussmann an diesem Begriff ebenda, 5.16-25. 79 W Rathenau, Die neue Wirtschaft, 1918, S. 5, 33. 80 L. Heilberg, Der Aufbau der Gemeinwirtschaft, S. 9.
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1. Kap.: Kriegswirtschaftsrecht
bereits vermehrt zu weltpolitischen Fragen geäußert. Von jeher hatte Moellendorff zu den Fragen der sittlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Erneuerung Deutschlands Stellung bezogen und dabei aus kulturkritischer Sicht eine Modemisierung von Wirtschaft und Gesellschaft gefordert. 81 Die Idee zur Gründung der Kriegsrohstoffabteilung war von seiner Initiative maßgeblich beeinflußt. 1915 Direktor der Kriegschemikalien-A.G., war er seit 1916 neben weiteren Ämtern vorrangig als Reichskommissar in der Stickstoffbewirtschaftung und als Berater im Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt im Kriegsamt tätig. Nach dem Krieg versuchte Moellendorff seine Ansätze auch in der Friedenswirtschaft zu verwirklichen. Schließlich wurde er 1920 Professor für Volkswirtschaft an der Technischen Hochschule Berlin. Bereits 1916 legte Moellendorff die Programmschrift "Deutsche Gemeinwirtschaft" vor, in der er die Vorstellung einer unter dem Primat des Staates sich selbst gemeinnützig steuernden Wirtschaft vertrat. Das Element staatlicher Lenkung stand im Schrifttum Moellendorffs nicht so sehr im Vordergrund, wie das Motiv, der einzelne Unternehmer werde sein Wirtschaften aus höherer Einsicht am gemeinsamen Ganzen ausrichten. Die Definition Knut Wolfgang Nörrs, nach der "das Modell der Gemeinwirtschaft ( ...) die Selbstverwaltungsidee mit einer scharfen staatlichen Wirtschaftslenkung" verband 82, kennzeichnet den Gedanken im Kern. Moellendorffs eigenen und schon zu Kriegszeiten artikulierten Vorbehalten, daß sich nämlich die Wirtschaft nicht prinzipiell steuern lasse, sondern eine Entscheidung über die Gemeinschaftsnützigkeit der einzelnen Wutschaftszweige ergehen müsse, räumt sie dabei keinen großen Stellenwert ein. Moellendorff hatte ein differenziertes Lenkungs- und Förderungskonzept bereitgehalten. Den für wert befundenen Unternehmungen sollten freie Entfaltung und ,,Pflege" sicher sein. Die größtmögliche Chance zur Prosperität erblickte Moellendorff in einer von den wirtschaftenden Kräften selbst loyal beachteten Ordnung, die dem größtmöglichen gemeinen Nutzen diene. Zwar hätten der Handel und die "anderen Einrichtungen der privaten Wirtschaft" Ausgleichskräfte, die man ihnen belassen müßte, doch sei die "Unterordnung dieser Kräfte unter die höhere Idee der Gemeinwirtschaft(...) zu erwirken." 83 Diejenige Wirtschaft, die dem Gemeinwohl nicht nützt, sei auszutilgen, die verbleibende Wirtschaft bedürfe der Unterstützung. Konkret sei durch die Kriegswirtschaft der aus seiner Sicht wünschenswerte Zustand einer von der Heeresverwaltung gesteuerten Privatwirtschaft erreicht. Das freie Spiel der Kräfte, dem man vor dem Krieg gehuldigt habe, sei der besonnenen, von überlegten Ingenieuren und Militärs bestimmten Gemeinwirtschaft gewichen. Die Tugenden des ehrlich Schaffenden 81 Zur Biographie Wichard von Moellendorffs (1881-1937), D .E. Barclay, Art. Wichard von Moellendorff, S. 632; ferner W Berg, Art. Reichswirtschaftsministerium in: K. G. A. Jeserich, W Pohl, F v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 169 Rz. 4. Zum Schrifttum: W v.Moellendorff: Konservativer Sozialismus, herausgegeben und eingeleitet von Curth, Hermann, Harnburg 1932. 82 So bei K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 18. 83 W. v. M oellendorff, Deutsche Gemeinwirtschaft, S. 31.
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seien durch die "Wirtschaftsweltenwende" wieder zu Achtung gekommen, die kurzatmige, zügellose Planwirtschaft sei in ihre Schranken verwiesen. Die rücksichtslose Auseinandersetzung aller wirtschaftlichen Interessen habe die Erkenntnis des gemeinsamen Mittelweges beschleunigt. 84 Mit seinen Ideen griff Moellendorff nicht nur die Vorstellung vom preußischen Staatssozialismus auf, sondern kam den verschiedensten Bewegungen antiliberaler Prägung bis ins sozialistische Lager hinein entgegen. Die Vorstellung von einer intensiven Ausrichtung der Wirtschaft an höheren Ideen war breit verwurzelt, liberale Ideen waren generell im Hintertreffen. 85 Die Gemeinwirtschaft war im Ansatz als moderates Alternativmodell zur sozialistischen Forderung nach der Vergesellschaftung der Wirtschaft gedacht. Die vorherrschende Mehrheitssozialdemokratie bestand im wesentlichen aus den in der Kaiserzeit geprägten Politikern, denen eine radikale Sozialisierung der Produktionsmittel nach dem Vorbild des Bolschewismus nicht wünschenswert erschien, obwohl eine weitergehende Sozialisierung durchsetzbar gewesen wäre. 86 Im Zeichen des Krieges hatte sich eine von staatlicher Lenkung gekennzeichnete Variante der Gemeinwirtschaft durchgesetzt. 87 Ein rechtlich durchgebildetes, geschlossenes System bildete die Moellendorffs Gemeinwirtschaft nicht. Als politisches Programm ohne juristisch stringente Form und als rhetorischer Überbau für die Wirtschaftsweise der Kriegsverwaltung hatte sie zwar rechtshistorisch bedeutsame Wirkungen, unter den Juristen der Zeit sowie bei Vertretern der deutschen Industrie aber auch namhafte Spötter und Feinde. 88
Ebenda, S.l2, 15, 31. H. Schulze, Weimar, S. 32-35. 86 A. Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, S. 20; ebendaS. 21: ,,Der Parteivorstand der USPD und die ihm nahestehenden Theoretiker erkannten die Bedeutung der Räte. Die wünschten ebenfalls eine Kombination zwischen Räten und Nationalversammlung. Über die Möglichkeiten einer Vollsozialisierung dachten sie ebenso skeptisch wir die Mehrheitssozialdemokratie"; H.A. Wink/er, Weimar, ein deutsches Menetekel, S.l5f. 87 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S.18. 88 J. März, Gemeinwirtschaft und Industrie, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1918, Sp. 547-548. D. Stegmann, Hugenberg contra Stresemann, S. 365-367. 84
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Zweites Kapitel
Wirtschaftsrecht 1918-1925 I. Bedingungen für ein neues Wirtschaftsrecht 1. Kriegswirtschaft, Übergangswirtschaft und Sozialisierung
Verdankte das Kriegswirtschaftsrecht seine Entstehung den Kriegsmaßnahmen, die das Wirtschaftsleben einer Gesamtordnung unterstellten, so war die Kriegswirtschaft der ursprünglichen Absicht nach zeitlich und sachlich auf den Krieg begrenzt. Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsverfassung eines neuen Staates waren dadurch nicht von vornherein festgelegt. Wollte man allerdings auf den Zustand vor dem Krieg zurückgreifen und an das gewohnte Alte anknüpfen, so hätte diese rückwärtsgerichtete Umstellung wiederum eine große Belastung für Wirtschaft und Verwaltung bedeutet, die beide erheblich von der Kriegswirtschaft geprägt waren. Dagegen lag in der Übernahme der Kriegswirtschaftsstrukturen eine praktisch verwertbare Kontinuität. Die Umwandlung in einen Zustand, der freiheitliche und planwirtschaftliche Elemente gleichermaßen vereinen sollte, mußte den Abbau der obrigkeitlichen Wirtschaftsleitung des Krieges leisten, den freien Markt und den Rechtsstaat wiederherstellen und zahlreiche sozialpolitische und planwirtschaftliche Institute neu begründen. In den Kompromissen der Weimarer Verfassung findet sich hierfür ein Spiegelbild. Die politische Entscheidung, Elemente der Kriegswirtschaft zu übernehmen oder wieder abzustoßen, bedeutete daher gewiß einen eigenständigen historischen Akt. Schließlich war die identifikatorische Basis des in jeder Hinsicht lukrativen Ziels, den Krieg zu gewinnen, für den ganzen Bereich der Wirtschaft weggebrochen. Im Hinblick auf die konkrete Wirtschaftsverfassung erzwangen jedoch die tatsächlichen Verhältnisse nach dem Krieg eine Orientierung an den wirtschaftlichen Kontinuitäten. Wenn also die Begründung des Kriegswirtschaftsrechts mit den Ermächtigungsgesetzen zu Ausbruch des Krieges als normengeschichtlicher Befund die Diagnose nahe legen mag, das Wirtschaftsrecht habe ebenso dort seinen Anfang genommen, so nötigen die wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Übergang zur Friedenswirtschaft zumindest zu einer Differentialdiagnose. Daß das Wirtschaftsrecht erst nach dem Krieg seinen Anfang nahm, erschließt sich nicht nur aus der rechtshistorischen Analyse, da die Rechtswissenschaft erst zu diesem Zeitpunkt ein Wrrtschaftsrecht ausprägte. Auch die politische Geschichte, die den Willen des handelnden Staates vor Augen hat, sieht erst mit der neuen Wirtschaftsordnung den Willen zu einem neuen Wirtschaftsrecht einhergehen.
I. Bedingungen für ein neues Wirtschaftsrecht
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Die Kriegswirtschaft wurde mit dem Waffenstillstand in eine Demobilmachungswirtschaft überführt. Die Demobilmachungsverwaltung übernahm die Aufgaben des Kriegsrohstoffamts und des Kriegswirtschaftsamtes. Unmittelbar vor der Revolution hatte der Bundesrat die Demobilmachung des Reiches eingeleitet. Das Reichsschatzamt und das Reichswirtschaftsamt, die späteren Reichsministerien, übernahmen soweit möglich wieder die Kompetenzen, die sie vor dem Kriege innegehabt hatten. Der Rat der Volksbeauftragten errichtete kurz nach der Übernahme der Regierungsgewalt ein Demobilmachungsamt und stattete es mit erheblicher Verordnungsmacht aus. Im April 1919 löste Ebert das Demobilmachungsamt auf und verteilte die Befugnisse der Behörde auf die nach ihren Geschäftsbereichen zuständigen Reichsministerien. 1 Sie übernahmen gleichzeitig neu geschaffene Institutionen der Devisenbewirtschaftung und der Erfüllung des Friedensvertrags wie etwa den Reichskommissar für den Außenhandel. Die erste, sozialpolitische Phase der Weimarer Republik hatte, eingeleitet von der politischen Revolution im Kampf um die Demokratie, keine wirtschaftliche Revolution gebracht. 2 Eigentumsordnung, Vertragsfreiheit und Privatwirtschaft blieben im Prinzip unangetastet. Dennoch schlugen die Sozialisierungsbestrebungen der Rätezeit große Wellen. Die stark zunehmende Staatsintervention schuf ein Ventil für die massiven Sozialisierungsbestrebungen der Kommunisten und Sozialisten. Gleichzeitig öffnete sie einerseits ein weites Feld für Subventionen und Einflußnahmen sowie andererseits für das verstärkte Auftreten der organisierten Interessen gegenüber dem Staat. So radikal die politischen Auseinandersetzungen der Zeit auch geführt wurden, es bestand dennoch Einigkeit darüber, daß der Staat die vorhandenen wirtschaftlichen Defizite um jeden Preis und meist allein bewältigen mußte. Für die Konservativen trug die "Republik", die das sozialdemokratische Feindbild in sich aufnahm, die Schuld an der Lage, während der politischen Linken die Intervention des Staates und der Eingriff zu ihren Gunsten nie weit genug gehen konnte. Wie sich an der Literatur zum Wtrtschaftsrecht ablesen läßt, hatten Sozialisierung und Gemeinwirtschaft große Bedeutung, wenn auch beide nicht realisiert wurden oder nur abgeschwächt wirksam werden konnten, wie in den gemeinwirtschaftlich organisierten Wirtschaftszweigen der Kohlen- und Kaliindustrie.
1 H . Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 18f. Verordnung über die wirtschaftliche Demobilmachung v. 7.1l.l918, RGBI. S.I292; Erlaß vom 12.11.1918, RGBI. S.1304; Erlaß des Reichspräsidenten vom 26.4.1919, RGBI. S. 438. Zur vielfältigen Tätigkeit des Demobilmachungsamtes siehe: F.-C. Wachs, Das Verordnungswerk des Reichsdemobihnachungsamtes, 1991. 2 Zu den die Weimarer Republik kennzeichnenden kurzen Phasen siehe vor allem M . Stürmer, Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, S.I3. Zum Verhältnis von Rechtsgeschichte und Politikgeschichte hinsichtlich der historiographischen Einteilung siehe die Darstellung von K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 11 f mit weiteren Nachweisen.
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918-1925
2. Neue Institutionen des Weimarer Verfassungslebens
a) Der Reichswirtschaftsrat Art.165 der Weimarer Verfassung postulierte eine Nebenverfassungzweier Pyramiden von Arbeiter- und Wirtschaftsräten mit der gemeinsamen Spitze des Reichswirtschaftsrates. Arbeiter und Angestellte sollten in Betriebs- und Bezirksräten und im Reichsarbeiterrat eine gesetzliche Vertretung erhalten, die mit Vertretern der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise zu den Bezirkswirtschaftsräten und zum Reichswirtschaftsrat zusammentreten sollten. 3 Der Reichswirtschaftsrat hatte sich nie in der in Art. 165 Abs. 2 u. 3 WRV vorgesehenen Form konstituiert. In Anlehnung an den Bismarckschen Reichswirtschaftsrat und das französische republikanische Vorbild hatte die Verfassung ein eigenes pluralistisches Gremium mit Vorschlags- und Beratungsfunktion im Gesetzgebungsprozeß vorgesehen. Es.sollte aus Vertretern der beteiligten Kreise bestehen, repräsentiert von den Bezirkswirtschaftsräten, den Arbeiter- und Bezirksarbeiterräten, den Vertretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise. Doch kam es mit der Verordnung vom 4. Mai 1920 nur zur Gründung des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats, dem der Unterbau eines Bezirkswirtschaftsratssystems fehlte. Im Betriebsrätegesetz wurde das Rätesystem nur auf unterster Ebene ansatzweise verwirklicht. 4 Bismarck hatte die Absicht verfolgt, dem Parlament bedeutende wirtschaftspolitische Entscheidungen zu entziehen und diese auf einen nicht demokratisch legitimierten Reichswirtschaftsrat zu verlagern. 5 Aufgrund der engen Verbindungen der Wirtschaft zur Kriegsverwaltung hatte man dann im Weltkrieg einen neuen Reichswirtschaftsrat vorbereitet. Erste Anläufe hatte mitten im Krieg der Staatssekretär im Reichsamt des Innern, Clemens von Delbrück, der ein in Fachsektionen gegliedertes "Übergangswirtschaftsreichskommissariat" ins Leben rief, unternommen. Dasselbe trat unter seinem Nachfolger Karl Heltierich zusammen, wurde dann aber von diesem bis zur Handlungsunfähigkeit aufgebläht. Der nachfolgende Staatssekretär Frhr. v. Stein wiederum differenzierte das Gebilde aus. Seit 1916 hatte dann Wichard von Moellendorff, damals noch Leiter der Kriegschemikalien-AG, bei allen wichtigen Stellen den Gedanken eines Reichswirtschaftsrates eingebracht, so auch bei General Gröner, dem späteren Nachfolger Ludeodorfis als Chef der in zuletzt allen politischen Bereichen entscheidungsführenden Obersten Heeresleitung. 6 E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, S. 390- 402. Betriebsrätegesetz v. 4. Februar 1920; Gesetz zur Abänderung des Betriebsrätegesetzes v. 28. Februar 1928. 5 K. Ballerstedt, Art. Wirtschaftsverfassung, Sp. 2963 f. F. Glum, Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, S. 17 ff. 6 F. Glum, Die Wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. 133. Zur Lage In der Weimarer Zeit berichtete-der stellvertretende Präsident des Reichswirtschaftsrates, Fr. Edler von Braun, 3
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I. Bedingungen für ein neues Wirtschaftsrecht
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Zu dieser Entwicklung trat der Rätegedanke. Er war nach Friedrich Glums Dafürhalten das Einzige, was die deutsche Revolution im Ergebnis überhaupt hervorgebracht hatte. Die Zusammenfassung von Legislative und Exekutive in einem von gebundenen Mandaten abhängigen Organ hatte die öffentliche Diskussion vollends in Besitz genommen. Die Regierung Scheidemann-Erzberger vermochte nun geschickt die Räteidee weg von der politischen Seite auf die wirtschaftliche Seite abzudrängen, wie überhaupt die Sozialdemokratie wegen des von ihr anerkannten Vorrangs von Sicherheit und Ordnung vom politischen Rätegedanken zunehmend Abstand genommen hatte. Andererseits hatte Hugo Sinzheimer in der Rätebewegung eine starke ideale Strömung, den Gedanken der "sozialen Selbstbestimmung"7 erblickt, in dem die gesellschaftlichen Kräfte selbst unmittelbar zur Geltung kommen sollten. Auch die politische Rechte setzte sich für den Reichswirtschaftsrat ein. Maßgeblich dafür war der berufsständische Gedanke, der immer zu konservativen Ideen in Beziehung stand. 8 So stimmten dem äußeren Anschein nach die Vorstellungen der Unabhängigen Sozialdemokraten bis hin zu denen der Deutschnationalen im Ergebnis überein. Jede Richtung setzte ihre Hoffnungen in das neu zu errichtende Organ. Gemeinsam war allen nur die Skepsis gegenüber dem Reichstag als politischer Vertretung.
b) Das Reichswirtschaftsgericht Aus dem ,,Reichsschiedsgericht für Kriegsbedarf" (1915), das ab 1916 ,,Reichsschiedsgericht für Kriegswirtschaft" hieß und schließlich in ,,Reichsschiedsstelle für Entschädigungssachen" umbenannt wurde, ging 1920 das Reichswirtschaftsgericht unter seinem langjährigen Präsidenten Georg Lucas hervor. 9 Der Zuständigkeitshereich des Gerichts setzte sich aus in zahlreichen Einzelbestimmungen verstreuten Befugnissen zusammen, die teils aus der Kriegszeit, teils aus der Nachkriegszeit stammten. Wahrend des Krieges hatte das "Schiedsgericht" noch die für Behörden kennzeichnende Struktur und Kompetenzen mit der Hauptaufgabe, die Entschädigungen bei der Beschaffung kriegswichtiger Materialien festzusetzen. Erst in der Weimarer Republik erhielt das Reichswirtschaftsgericht den Charakter eines Gerichts mit der reichsweiten Zuständigkeit für die Demobilisierung einDie Zukunftsbedingungen des Reichswirtschaftsrates, Recht und Wirtschaft 1921, S. 117-119. Siehe auch aus der Sicht der Verwaltungsleitung des vorläufigen Reichswirtschaftsrates, Hauschild, Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920--1926. 7 Nach den Berichten und Protokollen des 8. Ausschusses der verfassunggebenden Nationalversammlung, S. 393 zitiert bei F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 141. 8 H. Herifahrdt, Das Problem der berufsständischen Vertretung, 1921; E. Tatarin-Tarnheyden, Die Berufsstände, ihre Stellung im Staatsrecht und die deutsche Wirtschaftsverfassung, 1922; G. Bernhard, Wirtschaftsparlamente, 1923. 9 VO über die Sicherstellung von Kriegsbedarfv. 24.6.1915 (RGBl. 357); VO ü. d. Reichswirtschaftsgericht v. 21.5.1920 (RGBl. 394). E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, S. 570 bezeichnet das Reichsverwaltungsgericht mit einer Lehrmeinung der Zeit als besonderes Verwaltungsgericht des Reiches. 4*
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918-1925
schließlich der Folgen des Versailler Vertrags, sowie weiterer Entschädigungsfragen. Demnach waren seine Rechtsprechungsbefugnisse gegenüber der Ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit sogar auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts selbst von eher marginaler Bedeutung. Der vieldiskutierte Verfassungsauftrag, ein Reichsverwaltungsgericht zu errichten, nahm dem Reichswirtschaftsgericht wie den anderen Sondergerichten des Reiches wesentliche Entfaltungsmöglichkeiten. 10 Das Reichswirtschaftsgericht als oberstes Rechtsprechungsorgan im Bereich der Wirtschaft hatte nur eine untergeordnete Rolle im Zuständigkeitsgefüge der deutschen Justiz eingenommen. Zwischen den herkömmlichen Gewerbe- und Kaufmannsgerichten und dem Reichswirtschaftsgericht bestand keine Verbindung. 11 Beim Reichswirtschaftsgericht errichtete man 1923 das Kartellgericht. 12 II. Das Wirtschaftsrecht als eine Reaktion der Rechtswissenschaft auf die Not der Nachkriegszeit Die Revolution leitete eine Hochkonjunktur des Wirtschaftsrechts in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre ein. Das Wirtschaftsrecht war nach dem Urteil Friedrich Klausings von 1931 "in aller Munde"Y Einen wichtigen Grund hierfür benannte Friedrich Glum bereits 1922. In Zeiten wirtschaftlicher Not werde, so Glum, viel vorgeschlagen, das nachher in Vergessenheit gerate und von der Entwicklung überholt erscheine. Später, nach der zweiten, weniger ausgeprägten Phase der Befassung mit dem Wirtschaftsrecht während der Weltwirtschaftskrise zu Ende der Zwanziger Jahre formulierte Glum diesen Gedanken noch pointierter. In den Momenten nämlich, in denen Mangel herrsche, bestünde eine starke Tendenz, sein Heil in Wirtschaftsregeinden Rechtslehren zu suchen. 14 Diese Beobachtung trifft einen Kern des wissenschaftshistorischen Befundes, daß das Wirtschaftsrecht als rechtswissenschaftliche Disziplin von den wirtschaftlichen Konjunkturbewegungen- wenn auch mit charakteristischer Verzögerung durch die wissenschaftliche Erfassung und Bearbeitung - entscheidende Impulse erhielt. 10 M. Stolleis, Art. Reichswirtschaftsgericht, in HRG, Bd. IV, Sp. 818 f. W. Kohl, Das Reichswirtschaftsgericht, S. 85-89. 0. Kimminich, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Weimarer Republik, S. 373-375. 11 Mannheim, Zur Änderung des Gewerbegerichtsgesetzes und des Gesetzes betreffend die Kaufmannsgerichte, DJZ 1920, S.587. 12 KartellVO v. 2.11.1923 (RGBI. I 1067). E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, S. 570. Zur Diskussion im Vorfeld: R. lsay, Kartellprobleme, Recht und Wirtschaft 1921, S. 128-134, 130. Zur Errichtung: R. Liefmann, Ist ein Kartellgesetz notwendig? Deutsche Juristen-Zeitung 1923, S. 661-664. Später vgl. die illustrative Debatte zwischen J. Flechtheim, Das Kartellgericht kein Standgericht?, Kartell-Rundschau 1928, S. 8-15; G. Lucas, Das Kartellgericht ein Standgericht?, Kartell-Rundschau 1927, S.681-691; S. Tschierschky, Das Kartellgericht kein Standgericht?, Kartell-Rundschau 1928, S.61-69. 13 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, 1931, S.10. 14 F. Glum, Rezension Spann, Recht und Wirtschaft 1922, S. 571 f; F. Glum, Sammelrezension, AöR 1934. S. llOf.
II. Eine Reaktion auf die Not der Nachkriegszeit
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Wirtschaftsrecht war von Anfang an ein offener Begriff. Das Wort umfaßte zunächst eine große Anzahl neuer rechtlicher Erscheinungen, die von dem gemeinsamen Merkmal neuer, überindividueller rechtlicher Gestaltung wirtschaftlicher Tatbestände gekennzeichnet waren. Nachdem der Krieg eine Vielzahl von Rechtsformen ausgeprägt, und die Revolution den Ruf nach Sozialisierung verstärkt hatte, mußte nun entschieden werden, ob und welche Rechtsformen erhalten oder geschaffen wurden und welches begriffliche Dach sie überspannen sollte. Die Sozialisierung war der erste Anlaufpunkt der rechtswissenschaftliehen Diskussion. Es wurde sowohl die Vergesellschaftung der gesamten Wirtschaft als auch einzelner Branchen mit öffentlichem Einschlag wie in der Kohlen- und der Elektrowirtschaft erörtert. 15 In diesem Punkt trat allerdings schnell eine Beruhigung ein, da die etablierte Mehrheitssozialdemokratie nie einen Zweifel daran ließ, daß sie Forderungen nach Sozialisierung nur mit verstärkter staatlicher Intervention, nicht aber mit einer Änderung der Produktionsverhältnisse verband. "Sozialisierung" wurde als Schlagwort von allen Seiten gebraucht, wobei wenig Klarheit bestand, was darunter wirklich zu verstehen war. So konnte sich ein konservativer Wirtschaftsrechtler wie Heinrich Göppert darüber moquieren, daß staatswirtschaftliche Maßnahmen seit der Herrschaft des Rates der Volksbeauftragten generell die Bezeichnung Sozialisierung trügen. 16 1. Die Rundschau von Justus Wilhelm Hedemann 1921
Der Jenaer Privatrechtier Justus Wilhelm Hedemann mußte in seiner "Rundschau über das Schrifttum zum Wirtschaftsrecht" zu Beginn des Jahres 1921 feststellen: "Heute ist das Wirtschaftsrecht noch keine abgeschlossene Materie." 17 Hedemann hatte bereits vor dem Krieg in besonders ausgeprägter Weise die wachsende Distanz zwischen dem Kodifikationsanspruch namentlich des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der rechtstatsächlichen Wirklichkeit empfunden, was er für das "lndustrierecht" besonders akzentuiert artikuliert hatte. Aus dieser Perspektive wandte er sich dem "Werden und Wachsen" 18 des Bürgerlichen Rechts zu. Er ging unter Vermeidung der freirechtlichen Option insoweit eigene Wege.
15 R. Liefmann, Gegenwärtige Möglichkeiten einer Verstaatlichung der Produktionsmittel, RuW 1919, S. 29- 32; R. /say, Die Sozialisierung des Kohlebergbaues, Sozialisierungsmöglichkeit und tatsächliche Entwicklung, RuW 1919, S.161- 166, 180- 183, 161 f; P. Mamroth, Die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft, DWZ 1919, S. 521-526. 16 H. Göppert, Die Sozialisierungsbestrebungen in Deutschland nach der Revolution, Schmollers Jahrb. 1921, S. 313-347, 314ff. 17 J. W. Hedemann, Rundschau über das Schrifttum zum Wirtschaftsrecht, DJZ 1921, S.26-31, S. 26. 18 J. W. Hedemann, Werden und Wachsen im Bürgerlichen Recht, Berlin 1913, mit "geradezu prophetischen Bemerkungen zur künftigen Veränderung des BGB", vgl. M . Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Dritter Band 1914-1945, S.69, Fn.106.
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918-1925
Hedemann, seit 1909 Ordinarius für römisches Recht in Jena, hatte bereits in den Jahren 1917-1919 vermocht, die Griindung eines Instituts für Wirtschaftsrecht an der Universität Jena durchzusetzen. Hedemann verband eine impulsive Persönlichkeit mit einer beachtlichen wissenschaftlichen Produktivität, was sich neben seiner Stellung als akademischer Lehrer in Jena über fast drei Jahrzehnte-trotz zahlreicher ehrenvoller Rufe- für die Leitung des Instituts besonders günstig auswirkte. 19 Das Institut trat mit einer Schriftenreihe, den "Schriften des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht" und den "Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wrrtschaftsrecht" an die Fachöffentlichkeit. Die "Mitteilungen" waren zunächst jedoch kein für das gesamte Juristenpublikum angelegtes Periodikum, sondern lediglich ein an die Mitglieder des Instituts gerichteter akademischer Semesterbericht, der allerdings mit einer wachsenden Auflagenstärke von zuletzt 1200 Stück die juristische Praxis und den Lehrbetrieb über Verbände und Bibliotheken allmählich erreichte. Das Herzstück der "Mitteilungen", die "Chronik des Wrrtschaftsrechts", die Hedemann durchgehend bis zur Einstellung der Zeitschrift 1937 erstellt hatte, sollte die ereignisgeschichtliche und praktische Ergänzung zu knappen wissenschaftlichen Thesen und ausgewählten Abhandlungen von Autoren aus den Reihen des Instituts bilden. 20 In seiner ,,Rundschau" zum Wirtschaftsrecht berichtete Hedemann über die wesentlichen Neuerscheinungen: "Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht" von Artbur Nussbaum, Ernst Heymanns Schriftenreihe "Arbeiten zum Handels- Gewerbe- und Wettbewerbsrecht" und eine Reihe von Gesetzesausgaben zum Wirtschaftsrecht 19 H. Mohnhaupt, J. W. Hedemann als Rechtshistoriker und Zivilrechtler, S. 120-126, der auch knapp auf Hedemann als Wirtschaftsrechtier hinweist. Zur Persönlichkeitsstruktur Hedemanns: H. Fehr, Die Wissenschaft- Universitäten- Professoren, in: H. Lehmann, H. C. Nipperdey (Hrsg.), Recht und Wirtschaft, Festschrift für Justus Wilhelm Hedemann zum 80. Geburtstag, 1958, S. 69, sprach unter anderem von der "feurigen Art" des Jubilars. Der Jubilar Hedemann selbst äußerte sich zur gleichen Zeit in der Festschrift Hueck auch als Historiker zum Wirtschaftsrecht von den Anfangen in der Kriegswirtschaft bis zum Nachkriegsdeutschland der Adenauerzeit. In diesem sehr von eigenen Anschauungen geprägten ,,Rückblick und Abschied" des Emeritus bezeichnete sich Hedemann selbstbewußt und zu Recht als einen ,,Begründer der Lehre vom Wirtschaftsrecht", ders., Das Wirtschaftsrecht- Rückblick und Abschied, in: R. Dietz, H. C. Nipperdey, E. Ulmer (Hrsg.), Festschrift für Alfred Hueck zum 70. Geburtstag, 1959, S. 380, aufS. 377 berichtete Hedemann, er habe die Leitung des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht nur im Wmtersemester 1927/28, in dem er für eine Forschungsreise nach Frankreich und den Niederlanden beurlaubt war, an Alfred H ueck übergeben. Dieser sei ihm zudem ab 1932 bei der Herausgeberschaft der "Schriften des Instituts für Wirtschaftsrecht" zur Seite getreten. 20 J. W. Hedemann, Chronik des Wirtschaftsrechts vom 1. November 1920 bis 1. Mai 1921, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Nr.1, Mai 1921, S. 2-22, läßt die Prinzipien der Chronik erkennen, die, zunächst wöchentliche, dann vierzehntägig und gegen Ende der Weimarer Zeit monatlich von Hedemann erstellt, semesterweise in die Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht eingerückt wurde. Besonders eindrucksvoll ist die Beschreibung der ,,Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten und der damit im Zusammenhang stehenden Umwälzungen auf wirtschaftsrechtlichem Gebiet, ders., Chronik des Wirtschaftsrechts vom l. November 1932 bis 31. März 1933, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Nr. 25, 1933, S. 26-48.
II. Eine Reaktion auf die Not der Nachkriegszeit
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mit Erläuterungen des Heidelberger Extraordinarius für öffentliches Recht, Franz Dochow. 21 Erste Exponenten von Hedemanns eigener Jenaer Veröffentlichungsreihe waren der damalige Berliner Ministerialbeamte und spätere Kölner Professor Paul Gieseke, Hans Carl Nipperdey, die bis 1925 als Assistent im Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht tätig war, und Hans Goldschmidt, ab 1925 außerordentlicher Professor in Bonn. Ferner lagen, als relativ neue Literaturgattung, eine Reihe von Praktikerkommentaren zu den einzelnen Materien, insbesondere zur Demobilmachungsverordnung, zum Mietwesen, zu den Tarifverträgen, zur Sozialisierung, zu Kartellen und Trusts vor. Als wichtigste Basis der Quellenkunde galten Hedemann die Bände zum "Übergangsrecht" aus dem "Kriegsbuch", einer mehrbändigen Gesetzes- und Verordnungssammlung, die ihren Ausgangspunkt im Kriegsbeginn genommen hatte. Herausgeber dieser Reihe war in erster Linie der Ministerialrat im Reichsjustizministerium und spätere Professor an der Berliner Fakultät, Franz Schlegelberger. Thm standen die Ministerialbeamten Werner Hoche und Thomas von Gishausen zur Seite. 22 In der Literatur gewann nach dem Bericht Hedemanns eine Entwicklung der Praxis immer mehr Gewicht, und zwar eine gewisse Verschiebung hin zum "Wirtschaftsjuristen", der als Syndikus in der Wirtschaft eine zunehmend bedeutende Stellung einnahm. Hedemann lehnte die Auffassung von Franz Dochow ab, das "Wirtschaftsrecht" begreife nicht das Arbeitsrecht in sich. Zwar ließen weder die Veröffentlichungsreihe noch die "Mitteilungen" des Instituts einen vertieften Bezug zum individuellen, allenfalls zum kollektiven Arbeitsrecht erkennen, doch war seinem Verständnis nach das Arbeitsrecht eindeutig im Wirtschaftsrecht inbegriffen. Dabei hatte Dochow durchaus die Einheit von Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht unter der möglichen Bezeichnung ,,Arbeitsrecht" betont, gleichwohl aber eingeräumt, daß sich die Abgrenzung des "Arbeitsrechts" als der Summe der Rechte der Arbeitnehmer und der Pflichten der Unternehmer vom "Wirtschaftsrecht" eingebürgert habe. Weiter hatte sich Dochow für eine klarere Ausgestaltung des Wirtschaftsrechts im Lehrbetrieb als Ergänzung zu handels- und verwaltungsrechtlichen Vorlesungen ausgesprochen. 23 Darüber hinaus hielt Hedemann die Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht nunmehr für überflüssig, wie das auch vergleichsweise beim Lehnsrecht 21 Franz Dochow war seit 1915 Extraordinarius an der Heidelberger Fakultät, die zumindest im öffentlichen Recht während der Kriegszeit von Dochows Lehrer Georg Mayer akademisch und persönlich beherrscht war. Dochow war ferner von 1920 bis 1932 nebenamtlicher Dozent an der Handelshochschule Mannheim. Hierzu nunmehr D. Drü/1, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1805-1932,5.50. 22 F. Schlegelberger, Th. Olshausen, W. Hoche, Übergangsrecht Dies sind die Ergänzungsbände zum von diesen ebenso herausgegebenen "Kriegsbuch", einer Gesetzessammlung mit sämtlichen neueren Gesetzen und Verordnungen für den Gebrauch der Verwaltung. 23 F. Dochow, Wirtschaftsrecht, LZ 1920, Sp. 556.
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der Fall gewesen sei. Beides erkläre sich aus dem allgemeinen Wandel des Rechts in Richtung auf das Wirtschaftsrecht, das keine vereinzelte Materie sei, sondern eine neue Tönung des gesamten Rechts, so daß sich nur der Vergleich mit dem Naturrecht anböte. Hedemann vertrat demnach ein auf einen Paradigmenwechsel im Recht gerichtetes und insoweit universelles und auf ein neues "Rechtszeitalter" bezogenes Konzept vom Wirtschaftsrecht, von dem er einen umfassenden Wandel des Rechts erwartete. Diesen Ansatz sollte er später selbst als die "weltanschauliche" Auffassung vom Wirtschaftsrecht kennzeichnen. Er betonte auch mehrfach die sich daraus ergebende enge Verbindung von Volkswirtschaftslehre und Jurisprudenz. 24 Dochow hatte seinerseits eine Mitteilungsreihe in der von ihm herausgegebenen Deutschen Wirtschafts-Zeitung, einer für die Entwicklung des Wirtschaftsrechts maßgeblichen juristischen und volkswirtschaftlichen Zeitschrift, mit der selbständigen Veröffentlichung "Verwaltung und Wirtschaft" von 1921 eröffnet. Zunächst nur an den Praktiker gewandt, äußerte sich Dochow im Laufe der Zeit auch vermehrt zu Fragen der akademischen Ausbildung. Zunehmend wandte er sich auch an die größere Leserschaft der Juristischen Wochenschrift, dem Organ des deutschen Anwaltsvereins. 25 In "Verwaltung und Wirtschaft" hatte Dochow eine in lapidaren Aussagesätzen abgefaßte Übersicht des geltenden Rechts angelegt, wobei er sich häufig auf das von ihm fortgeführte Lehrbuch seines akademischen Lehrers und ungleich bedeutenderen Heidelberger Öffentlichrechtiers Georg Meyer, der der Gelehrtengeneration der Jahrhundertwende angehört hatte, bezog. 26 Der Stil der Schrift erweckt den Eindruck, Dochow wolle einem Bedürfnis nach Klärung elementarer Rechtsfragen des nachrevolutionären Rechts vor allem der Juristen, die ihre Ausbildung im Kaiserreich durchlaufen hatten, Genüge tun. Tatsächlich war die Arbeit aber wenig innovativ. Die zwei Darstellungsteile waren voneinander getrennt. Die "Regelung der Wirtschaft" war nur induktiv dargestellt, ohne für das geltende Recht zu einer Disziplin des Wirtschaftsrechts synthetisiert oder gar mit der Verwaltung der Wirtschaft in Verbindung gebracht zu werden. 24 J. W. Hedemann, Beziehungen zwischen Recht und Volkswirtschaft, Recht und Wirtschaft 1921, S. 13-18. Zur Terminologie der "weltanschaulichen" Richtung im Wirtschaftsrecht ders., Wirtschaftsrecht, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, S. 933 f. 25 F. Dochow, Verwaltung und Wirtschaft, 1921, S. 5 (Vorwort). Diese nur für den Praktiker gedachten Mitteilungen ergänzte Dochow später mit einer Hinweisreihe zur akademischen Lehre im Wirtschaftsrecht in der Juristischen Wochenschrift, die nahezu das gesamte juristische und damit auch das rechtswissenschaftliche Publikum erreichte. Hier können nur die wesentlichsten Beiträge beispielhaft genannt werden: ders., Wirtschaftsrecht, JW 1926, S. 533; ders., Agrarrecht, JW 1926, S. 964; ders., Vom Landwirtschaftsrecht, JW 1927, S.2439; ders., Gewerbegesetzgebung 1928, JW 1929, S.20. Auf die Herausgeberschaft der Deutschen Wirtschafts-Zeitung und der Sammlung der in loser Folge erscheinenden Mitteilungsreihe "Wtrtschaftsrecht" durch Dochow hatte sich W. Kaskel, Begriff und Bestandteile des Wirtschaftsrechts, S. 212 zeitgenössisch bezogen. 26 Der .. Meyer-Dochow ", G. Meyer, Deutsches Verwaltungsrecht, bearbeitet von F. Dochow, 4. Auflage 1913-1915.
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Dennoch äußerte sich Dochow knapp zu einem Wirtschaftsrecht als Rechtsstoff und zu den zugrundeliegenden Prinzipien. Die Wirtschaftsfreiheit konnte danach nur im Rahmen der Reichsgesetze eingeschränkt werden. Daneben sah Dochow die Wirtschaftsordnung im Gewerberecht gewährleistet. Schließlich stellte er Gewerbeordnung und Handelsgesetzbuch als die grundlegenden Wirtschaftsgesetze dar und wies auf deren Rolle in der Zukunft hin: ,,Eine einheitliche Regelung der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf der Grundlage der Gewerbeordnung und des Handelsgesetzbuches wird sich auf die Dauer nicht umgehen lassen." 27 Der Darstellungsteil "Verwaltung" verweist auf den von der Weimarer Reichsverfassung eingeführten Reichswirtschaftsrat, das Reichswirtschaftsministerium als Aufsichtsbehörde im wirtschaftlichen Bereich und die Sondergerichte, die in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu entscheiden hatten, namentlich das Reichspatentamt, das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung und das Reichswirtschaftsgericht. Dochow wies auch an anderer Stelle auf die enge Verbindung von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Recht hin und stellte die Möglichkeit, ein öffentliches Wirtschaftsrecht zu bilden, zur Diskussion. 28 2. Der Begriff des Wirtschaftsrechts bei Walter Kaskel
Zur gleichen Zeit wie Hedemann gab auch Walter Kaskel einen Überblick über das Wirtschaftsrecht in der Zeitschrift "Recht und Wirtschaft" 29 und nahm dazu Stellung. Durch Kaskels Aufsatz erschien der Terminus "Wirtschaftsrecht" in dieser Publikationsreihe zum ersten Mal an hervorgehobener Stelle. Für die Zeit davor findet sich in dieser Zeitschrift im Hinblick auf die im Werden begriffene juristische Fachrichtung des Wirtschaftsrechts keine explizite terminologische Annäherung an ein "Wirtschaftsrecht". 30 In diesem Vorschlag für die Darstellung des Wirtschaftsrechts in Vorlesungen und Lehrbüchern setzte sich Kaskel zunächst mit den Auffassungen anderer Autoren zum Wirtschaftsrecht auseinander und konstatierte ein Bild verwirrender Vielfalt. Arthur Nussbaum sehe nur die Entwicklung des Privatrechts seit Ausbruch des Krieges als relevante Rechtsmasse des Wutschaftsrechts an. Hedemann und Dochow gingen ihm in der Abgrenzung des Rechtsstoffes zu großzügig vor. Der Mannbeimer Handelshochschullehrer Max Rumpf nahm eine Unterteilung nach Berufen, der Hallenser Industriesyndikus Hermann Knott schließlich eine Unterteilung in ein F. Dochow, Verwaltung und Wirtschaft, S. 26. F. Dochow, Wirtschaftspflege durch die Verwaltung, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1921, S.39-40. 29 W. Kaskel, Begriff und Bestandteile des Wrrtschaftsrechts, Recht und Wirtschaft 1921, 5. 211-216. 30 So das Urteil von F. Klausing, Wirtschaftsrecht, 1931, S.21. 27
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allgemeines Staatsbürgerrecht und ein besonderes Wirtschaftsrecht vor, das sich seinerseits wieder an Berufsbildern anlehnteY Kaskel selbst bot dagegen ein am Kaufmannsbegriff des Handelsgesetzbuchs, also ein an hergebrachten Mustern orientiertes Ordnungskonzept an. Sein dogmatischer Anknüpfungspunkt war der "Unternehmer". Das Wirtschaftsrecht sei das "Sonderrecht" des "wirtschaftlichen Unternehmers", also desjenigen, der der wirtschaftsrechtlichen Norm unmittelbar unterstellt sei, unabhängig davon, ob diese Rechtsnorm dem privaten oder öffentlichen Recht angehöre. Dieser Unternehmer war nach Kaskels Auffassung identisch mit dem aus der Gewerbeordnung bekannten Gewerbetreibenden, der eine fortgesetzte, auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit ausübte. "In Wahrheit" sei "die Gewerbeordnung von jeher eine Wirtschaftsordnung" gewesen. Das Wirtschaftsrecht sah er demgemäß als die Nachfolgedisziplin des Gewerberechts an. 32 Der Unternehmer war der Kern- und Angelbegriff für die Unterscheidung der Rechtsgebiete. Das bürgerliche Recht sollte im Verhältnis zum Konsumenten, das Arbeitsrecht sollte hingegen für die Beziehungen zum Arbeitnehmer gelten. Das Arbeitsrecht war so die "Schwesterdisziplin" des Wirtschaftsrechts, nicht aber ein Bestandteil desselben. 33 Zu Lehrzwecken schlug Kaskel auch eine systematische Gliederung, in der das Wirtschaftsrecht "rechtsenzyklopädisch" abzugrenzen sei, vor. Ein allgemeiner Teil sollte wirtschaftliches Personenrecht, also Begriff und Arten der wirtschaftlichen Unternehmer vom wirtschaftlichen Sachenrecht trennen, das die Unternehmungen und Wirtschaftszweige enthalten sollte. Der besondere Teil umfaßte drei Gebiete. Erstens das Recht des wirtschaftlichen Einzelunternehmers in seinem Verhältnis zum Staat im Wirtschaftspolizeirecht Zweitens das Recht der Mehrheiten von Unternehmern in ihrem Verhältnis zueinander in privatrechtliehen und öffentlichrechtlichen Zusammenschlüssen. Dabei bezeichnete Kaskel die Kartelle als horizontale Zusammenschlüsse und die Konzerne als vertikale vertragliche Verbindung auf Grund privaten Rechts. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung in Innungen und die berufsständische Vertretung in Kammern bildeten die Zusammenschlüsse, die öffentlichrechtlich geregelt waren. Schließlich faßte Kaskel drittens Sozialisierung und Planwirtschaft als Recht der Gemeinwirtschaft zusammen, dessen "eigentliche Systematisierung" noch nicht möglich gewesen sei. Dem besonderen Teil sollte sich ergänzend die Darstellung der Wirtschaftsbehörden und Wirtschaftsstreitigkeiten sowie internationales Recht anschließen. 34 31 W. Kaske/, Begriff und Bestandteile, S. 211 f. Ferner H. Knott, Lieferbedingungen, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, 85. Band 1921, S. 1-20, insbes. a. E. 32 W Kaskel, Begriff und Bestandteile, S. 213. 33 W Kaskel, Begriff und Bestandteile, S. 214. 34 W. Kaskel, Begriffund Bestandteile, S.214f.
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Die innere Geschlossenheit des Wirtschaftsrechts sah Kaskel einerseits in dessen Exklusivität, also der mangelnden Zuordnung der seit Kriegsausbruch entstandenen neuen Rechtsmaterien 35 zu den bisherigen Rechtsdisziplinen. Vor allem aber standen die Bestandteile des Wirtschaftsrechts für ihn durch das "verbindende Glied des wirtschaftlichen Unternehmers unter sich in logischem und rechtstatsächlichem Zusammenhang, so daß sie auch eine natürliche Einheit bilden." 36 Für die Lehre sollte die neue Rechtsdisziplin zusammen mit dem Arbeitsrecht eine gleichberechtigte Position neben dem bürgerlichen und dem öffentlichen Recht erhalten. Während andere Autoren zum Wirtschaftsrecht zunehmend die auf das römische Recht zurückzuführende Unterscheidung von Personen, Sachen und deren Rechtsbeziehungen zueinander verwarfen, ließ Kaskel an der Erforderlichkeit dieser Kategorien für die Wirtschaftsrechtsdisziplin keinen Zweifel. Er schrieb die Personenund Sachenbezogenheit des Bürgerlichen Gesetzbuches für das kommende Wirtschaftsrecht fort. Auch angesichts der anderen Autoren, die nach einer Auflösung dieser rechtssystematischen Unterscheidungsmerkmale zugunsten neuer Rechtsformen strebten, beharrte Kaskel auf dem Hergebrachten. Damit setzte er sich auch später durch, während etwa Hedemann, Max Rumpf und Hermann Knott mit ihren ideologischen und rechtssoziologischen Ansätzen charakteristische, aber wenig dauerhafte Zeiterscheinungen vertraten. Ähnlich ist Kaskels Haltung im Arbeitsrecht und im Sozialrecht zu verstehen. 37 Kaskel erscheint somit als ein Vertreter des von der Pandektistik abgeleiteten, von einem liberalen Welt- und Menschenbild geprägten Systemdenkens, wie es auch dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt. 3. Hans Goldschmidt Hans Goldschrnidts Arbeit ,,Eigentum und Eigentumsteilrechte in ihrem Verhältnis zur Sozialisierung" von 1920 eröffnete programmatisch die Dimension der "soziologischen Richtung" im Wirtschaftsrecht Sie war nach Hans Carl Nipperdeys Arbeit über rechtliche Auswirkungen der Monopole und Paul Giesekes Untersuchung der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper die dritte Schrift der Veröffentlichungsreihe des Instituts für Wirtschaftsrecht der Universität Jena. Unter diesen erscheint sie als die erste, die mit einer methodischen Eingrenzung einen Ansatz zur Erfassung der Eigenartigkeit des Wirtschaftsrechts zu bieten versuchte. Nipperdey hatte sich trotz der wirtschaftsrechtlichen Thematik an der herkömmlichen Dogmatik und Nomenklatur orientiert und auf eine Einordnung des Gegenstands in ein Wirtschaftsrecht verzichtet, weshalb die Arbeit auch bei dem neuen Wirtschaftsrecht von weniger aufgeschlossenen Rechtswissenschaftlern wohlwollend aufgeW. Kaskel, Begriffund Bestandteile, S.212. W. Kaskel, Begriff und Bestandteile, S. 215. 37 Kennzeichnend: W. Kaskel, Zur Lehre vom Tarifbruch, 1923; ders., Begriff und Gegenstand des Sozialrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, DJZ 1918, S. 542ff; ders., Arbeitsrecht, 1925, S. ll ff. 35
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nommen wurde. 38 Die Rechtswissenschaft alleine könne die Regelung der sozialen Phänomene nicht erklären, deswegen müsse das sozialwissenschaftlich geläuterte Rechtsgefühl den gegenüber ,,Logik, Philologik und Historik der Tatbestandssubsumtion" überwertigen Faktor bei der Rechtsfindung bilden. 39 Die soziologische Richtung war demnach von Goldschmidt weiter angelegt als die sonst weithin rezipierte Auffassung Hans Wüstendörfers, nach der sich die soziologische Methode in der Fortschreibung der historischen Methode erschöpfte. 40 Die ,,historisch-soziologische Methode" Goldschmidts schöpfte ihren Wahrheitsanspruch nicht allein aus dem historisch gewordenen Volksbewußtsein, das sich idealiter in den vorfindliehen Rechtskategorien und -begriffen kristallisierte. Vielmehr sollte die Autorität des parlamentarischen Gesetzes aus dem Blickwinkel der Rechtssicherheit gewahrt bleiben. Doch sah insbesondere Goldschmidt das Recht im diachronen Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und sogar Zukunft. Zu jeder Zeit entwickele sich ein eigener "Geist des Gesetzes" im Umfeld von Interessen und Ideen, im Rahmen der Volkswirtschaft und der gesamten Rechtsordnung. Goldschmidt legte damit nicht nur ein neues rechtstheoretisches Konzept, sondern auch implizit einen neuen rechtsphilosophischen Ansatz vor. In einer Absetzbewegung von dem Kantianer Rudolph Stammler, der das Recht als Form der "Sozialwirtschaft" definiert hatte, löste er die kategoriale Trennung von Recht und Wirtschaft auf und ordnete dem Recht eine idealistische und zugleich wirtschaftliche Auslegungslehre zu, die zugleich die konkrete historische Situation betonen sollte. Goldschrnidt näherte sich auf diesem Wege den Anschauungen des konservativen, von der Rechtsphilosophie Hegels geprägten Josef Kohler. 41 Entsprechend 38 H. C. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, Jena 1920; dazu die Rezension des Hallenser, später Göttinger Ordinarius G. Böhmer, Rezension, Nipperdey, ZHR Bd. 87, 1924, S. 214-218, der die Analyse des neuen Privatrechts der Kriegs- und Nachkriegszeit besonders lobte. 39 H. Goldschmidt, Eigentum und Eigentumsteilrechte in ihrem Verhältnis zur Sozialisierung, 1920, S. 3ff, 7ff. 40 Die historische Variante der soziologischen Methode findet sich am Ende einer über zwei Jahrgänge der hanseatischen Rechtszeitschrift erschienenen Aufsatzfolge H. Wüstendörfers, Tatsachen und Normen des Seeschifibaues, Hanseatische Rechtszeitschrift 1919, Sp. 505-516. Die Aufsatzfolge erschien im Folgejahr auch als eigenständige Veröffentlichung, H . Wüstendörfer, Tatsachen und Normen des Seeschifibaues. Ein Beitrag zum Industrierecht und zur dogmatischen Methode, Harnburg 1920. Zur Rezeption der Ansätze Wüstendöners vgl. 0 . Mathies, Rezension: Wüstendörfer, Tatsachen und Normen des Seeschifibaues, Ein Beitrag zum Industrierecht und zum Problem der dogmatischen Methode, Recht und Wirtschaft 1921, S. 183 f; ferner Walsmann, Rezension: Wüstendörfer, Tatsachen und Normen des Seeschifibaues. Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht Band 85, 1921, S.476-481, der die dogmatischen Verdienste Wüstendörfers hervorhob, sein rechtssoziologisches Anliegen aber als überflüssig und undurchdacht bezeichnete. 41 Zu Kohlers rechtsphilosophischen Anschauungen gab Berolzheimer, Die Deutsche Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, Archiv für Rechts- und Wrrtschaftsphilosophie 1 (1907/1908), S. 130- 148 eine zeitgenössische Stellungnahme ab. Kohlergalt als der vielseitigste und- neben Otto von Gierke- größte deutsche Jurist der wilhe1minischen Zeit; sein Schaffen reichte von seinem Hauptgebiet, den Immaterialgüterrechten, über sämtliche Rechtsgebie-
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der Abwendung der gesamten Geisteswissenschaften vom formalen Positivismus hatte Goldschmidt trotz seiner Nähe zu Stammler Anteil an der Renaissance des deutschen Idealismus der Kriegs- und Nachkriegszeit. 42 Die wirtschaftsrechtliche Literatur griff Goldschmidts Darstellung als einer richtungsweisenden Arbeit dankbar auf. Dagegen vernahm man aus der Riege der älteren Generation der Handelsrechtslehrer auch vernichtende Kritik. Die Diskrepanz zwischen dem neuen Wirtschaftsrecht mit seinen methodischen Neuanfangen und der herkömmlichen Doktrin im Sinne gegenseitigen Nichtverstehens hatte hier einen Höhepunkt erreicht. 43 4. Karl Geiler Eine andere Veröffentlichungsreihe, die weder bei Hedemann noch in Kaskels Überblick über das Wirtschaftsrecht Beachtung gefunden hatte, ist diejenige des Rechtspraktikers und zugleich akademischen Lehrers Karl Geiler, die unter Berücksichtigung von Geilers methodischer Auffassung vom Wirtschaftsrecht dem Handels- und Gesellschaftsrecht gewidmet war. Geiler, als Rechtsanwalt ein Sozius der Mannheimer Kanzlei des Wirtschaftsjuristen und liberal-konservativen Chronisten der Weimarer Republik in der Deutschen Juristenzeitung, Max Hachenburg, warneben seiner Stellung als Professor an der Handelshochschule Mannheim auch Extraordinarius und später ordentlicher Honorarprofessor in Heidelberg. Obwohl Geiler also an der gleichen Fakultät wie Franz Dochow tätig war, hatte Hedemann in seiner "Rundschau" Geiler außer acht gelassen. 44 te bis hin zu historischen, philosophischen und ästhetischen Schriften. Nunmehr zu Kahler G. Kleinheyer, J. Schröder, Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, S.490. Ferner zur Wirkung Kohlers im Neuhegelianismus E. Jacob, Grundzüge der Rechtsphilosophie
Julius Binders, S. 11. 42 Hierzu in aller Kürze M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 93 m. w. N. 43 Der Göttinger Ordinarius Gustav Böhmer wies die Darstellung Goldschmidts in jeder Hinsicht zurück. Sie sei weder methodisch reif, noch konsequent soziologisch noch dogmatisch verwertbar. Ders., Rezension: Goldschmidt, Eigentum und Eigentumsteilrechte in ihrem Verhältnis zur Sozialisierung, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, Band 85, 1921, S.485-488. 44 In Geilers Reihe war unter anderen die vielbeachtete Dissertation von Gerhard Sigloch, Die Unternehmungen der öffentlichen Hand von 1929 erschienen. Kar/ Geiler war von 1919-1933 Professor an der Handelshochschule Mannheim, habilitierte sich 1921, wurde sogleich außerordentlicher Professor in Heidelberg, wo er auch 1928 zum ordentlichen Honorarprofessor ernannt wurde. Später war Geiler von 1945- 1947 Ministerpräsident des Landes Hessen und von 1947-1948 Rektor der Universität Heidelberg. Max Bachenburg war einer derberühmtesten Juristen der Weimarer Zeit und verkörperte in besonderer Weise den neuen Typus des Wirtschaftsjuristen. Gemeinsam mit Geiler hatte Hachenburg während des Ersten Weltkriegs das Standardwerk unter den Handelsrechtskommentaren, den "Düringer" bearbeitet. Bachenburg war viele Jahre Mitherausgeber der Juristischen Wochenschrift und der Deutschen Juristenzeitung, sowie Mitglied der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages und zuletzt Vizepräsident des deutschen Anwaltstages. Bachenburg war ferner langjähriger
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Geiler selbst trat vorzugsweise mit Analysen über die Entwicklung des Handelsund Gesellschaftsrechts hervor, trug dabei aber erheblich zum Profil des Wirtschaftsrechts bei. In dem Vortrag über "Gesellschaftliche Organisationsformen des neueren Wirtschaftsrechts" hatte Geiler im Herbst 1919 die Organisationsformen der Kapitalgesellschaften und insbesondere die Auswirkungen des Kriegswirtschaftsrechts und der Zwangssyndizierungen untersucht. Es ging ihm in dieser Schrift, deren Aussagen er in der zweiten Auflage von 1922 bekräftigte und vertiefte, darum, wichtige Elemente des wirtschaftsrechtlich relevanten Gesellschaftsrechts für die Nachkriegszeit in den Gesichtskreis der Fachwelt zu heben. Eine Definition des Wirtschaftsrechts gab Geiler nicht. Seine Warte war vielmehr die des "modernen Gesellschaftsrechts", das "die innige Verknüpfung von Recht und Wirtschaft" zeige, von der aus er das Wirtschaftsrecht als methodisches Instrumentarium ortete. Zugleich beschrieb Geiler die Tendenz zur Kartellierung, einem Untertypus der "Fördergemeinschaft", als ein Movens, das zum Wirtschaftsrecht geführt hatte sowie als ein wesentliches methodisches Element. 45 Das Gesellschaftsrecht war ihm also gleichsam der Spiegel des Wirtschaftsrechts. Dementsprechend wurde Geiler richtungsweisend für die wirtschaftsrechtliche Methode im Aktienrecht, dem er eine Gradmesserfunktion für neue wirtschaftsrechtliche Tendenzen zuschrieb. Geiler war zunächst ein Vertreter der rechtssoziologischen Methode gewesen, später vertrat er diejenige historisch-soziologische Spielart der Rechtssoziologie, wie sie Hans Goldschmidt in seiner bei Hedemann entstandenen Schrift ,,Eigentum und Eigentumsteilrechte" in das Wutschaftsrecht eingeführt hatte. Zu Beginn der Zwanziger Jahre war Geiler lediglich mit seiner Schrift "Gesellschaftliche Organisationsformen des neueren Wutschaftsrechts" und seiner Veröffentlichungsreihe hervorgetreten. Erst 1927 sollte er mit seiner Schrift "Die wirtschaftlichen Strukturwandlungen" seinen wissenschaftlichen Durchbruch im gesamten Handels- und Wutschaftsrecht erreichen. Diese Arbeit war besonders einer antikapitalistischen oder "spätkapitalistischen" Grundtönung im Sinne des "Modernen Kapitalismus" Werner Sombarts verpflichtet. 46 Geiler beschrieb die Jahrzehnte vor dem Weltkrieg als die ,,kapitalistische Wutschaftsepoche", in der der ,,Drang nach Assoziation und Organisation alles beherrschte".47 Das Wirtschaftsleben der Jahrhundertwende war von einer starken Verdichtung der Verbändewirtschaft und einer ebenso starken Kartellierung geprägt. Große Teile der national und historisch geprägten wirtschaftswissenschaftliPräsident des vorläufigen Reichswirtschaftsrates. Hierzu K. Duden, Max Hachenburg, in: Neue Deutsche Biographie, 7. Band, S. 405-406. Ferner K. 0. Scherner, Max Bachenburg (1869-1951), in: H. Heinrichs, H. Franzki, K. Schmalz, M. Stolleis, (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S.415-428. 45 K. Geiler, Gesellschaftliche Organisationsformen des neueren Wrrtschaftsrechts, 1919, S. 3, 4, 32 ff. Ferner vgl. etwa K. Geiler, Zur Frage der bilanzmäßigen Behandlung der Industriebelastung, JW 1924, 5.1492-1494. 46 A. Riechers, Das ,Unternehmen an sich', S. 50 mit den entsprechenden Nachweisen. 47 K. Geiler, Gesellschaftliche Organisationsformen, S.4.
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chen Doktrin und in ihrer Folge die juristische, hatten diese Entwicklung gutgeheißen. Die Karteliierung war als Mittel angesehen worden, den Struktur- und Konjunkturkrisen der Volkswirtschaft wirksam zu begegnen. In der als solche anzusprechenden "Kartelldebatte" hatte sich die Überzeugung von der Bedeutung der Kartelle für die Volkswirtschaft allgemein durchgesetzt, nachdem sie in der juristischen Praxis und insbesondere in der Judikatur des Reichsgerichts ihren Niederschlag gefunden hatte. 48 Von dieser Lage vor dem Krieg ausgehend versuchte Geiler in einer Zeit, in der "alles Bestehende vom Grunde aus umgewühlt" 49 wurde, juristische Anknüpfungspunkte für die weitere Entwicklung des Wirtschaftsrechts zu gewinnen. Es war aufgrunddes Umwälzungsprozesses, "der gegenwärtig unsere Volkswirtschaft ergriffen hat", 50 auch mit einer umfassenden Sozialisierungswelle zu rechnen. "Ob dieser Prozeß zu einem Ausgleich zwischen Kapitalismus und Sozialismus führen wird, oder ob eine völlig andere Wirtschaftsordnung das Ende sein wird, läßt sich heute noch nicht übersehen" urteilte Geiler schließlich über die Relevanz des Wirtschaftsrechts in einer Zeit der Ungewißheit und des Übergangs. Doch war er der Überzeugung, die Rechtsformen des Privatrechts müßten zunächst erhalten bleiben. Konnte man doch an den bestehenden Organisationsformen auch für den Fall einer Sozialisierung anknüpfen. Als Ansatzpunkt für eine Sozialisierung schlug Geiler die Kartellspitze vor, um den "geschwächten Wirtschaftskörper" nicht zusätzlich anzugreifen. Die Sozialisierung begriff er nicht als eine radikale Wende, weil das Bewußtsein über die zentrale Funktion der Preise durch die starken Organisations-, Verflechtungs- und Regulierungstendenzen vor allem während des Krieges aufgeweicht worden, und einem Organisationsdenken mit dem Unternehmen als zentrale wirtschaftliche Größe gewichen sei. Der Gedanke der Organisation hatte sich also auch bei einem nüchternen Rechtspraktiker wie Geiler durchgesetzt. Die Akzeptanz der wirtschaftlichen Organisation war zwar nicht Teil, aber als allgemein herrschende Anschauung notwendige Vorstufe eines undogmatischen Sozialismus, der von der Sozialdemokratie, besonders pointiert später bei Fritz Naphtali, seinen ideologischen Überbau in der "Wirtschaftsdemokratie" erhielt. Die wirtschaftlichen Verflechtungen des organisierten Kapitalismus dienten aufgrund ihrer relativ großen Stabilität und Krisensicherheit in der Realität im wesentlichen den Kapitalgebern. Andererseits wollten auch die Gewerkschaften in diesem Rahmen der Stabilität für ihre Lohnpolitik profitieren. Aus der negativen Erfahrung heraus, daß Konjunkturschwankungen in der Vergangenheit regelmäßig mit einer Verschlechterung der Situation der Arbeiter verbunden waren, setzten die Gewerkschaften auf Stabilität der Verhältnisse. Der Umbau der in hohem Maße durchorga48 Zur Aktualität der Kartelldebatte unter den Juristen siehe R. Liefmann, Ist ein Kartellgesetz notwendig? Deutsche Juristen-Zeitung 1923, S. 661-664; R .lsay, Kartellprobleme, Recht und Wirtschaft 1921, S.128-134, 130. 49 K. Geiler, Gesellschaftliche Organisationsformen, S. 4. 50 Ebenda, S. 54.
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918-1925
nisierten Wirtschaft sollte insgesamt der Wohlfahrt der Arbeiterklasse dienstbar gemacht werden. Ganz anders als Justus Wilhelm Hedemann, Ernst Heymann und später Friedrich Giese, hielt Geiler das Verhältnis von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht für eine Zukunftsfrage des Wrrtschaftsrechts. Aktuell nahm er keine Verschiebung des Gefüges wahr. Neuerungen sollten sich lediglich in der Methode der Rechtsfindung auswirken. Sogar der Rückblick auf die Kriegsgesellschaften, die durch ihre privatrechtlichen Satzungen an die Weisungen von Staatsorganen gebunden waren oder in deren Leitungsorganen staatliche Kommissare saßen, offenbarte für Geiler nur eine gesellschaftsrechtlich-"öffentlichrechtliche Seite". Auch soweit einige Kriegsgesellschaften öffentlichrechtliche Befugnisse, etwa ein Absatzmonopol besaßen, das mit öffentlichrechtlichen Mitteln durchzusetzen war, reduzierte Geiler die Problematik zeitlich auf die Kriegswirtschaft und rechtlich auf einen Unterfall gewillkürter privatrechtlicher Vereinigung mit öffentlichrechtlichen Elementen. 5. Artbur Nussbaum
Hedemann hatte sich auch auf die Veröffentlichung von Artbur Nussbaum, "Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht" von 1920 bezogen. Nussbaum, zu diesem Zeitpunkt außerordentlicher Professor in Berlin, hatte bereits vor Kriegsbeginn, insbesondere 1914 mit seiner Arbeit über ,,Rechtstatsachenforschung" und seither mit seinen anderen rechtssoziologischen Veröffentlichungen große Beachtung gefunden. 51 Mit dem "Wirtschaftsrecht" wollte er zwar nur eine ,,Zusammenstellung über die neuere Rechtsentwicklung" leisten und hatte dabei betont, daß die Verwendung des Ausdrucks Wirtschaftsrecht "selbstverständlich nicht eine neue Disziplin postuliert, sondern eben nur eine Überschrift sein solle." 52 In der Sache legte er damit den ersten monographischen Versuch zum Wirtschaftsrecht als neuer Rechtsdisziplin vor, der, wenn auch bisweilen heftig kritisiert, im Schrifttum lebhafte Resonanz auslöste. So wurde die sachliche Begrenzung des Wirtschaftsrechts auf "die Entwicklung des Privatrechts und der benachbarten Rechtsgebiete seit Ausbruch des Krieges" als zu eng bezeichnet. 53 Beipflichtende Stimmen lobten vor allem die Methode der Arbeit und die Begrenzung des Wirtschaftsrechts seinem Umriß nach. 54 51 A. Nussbaum, Rechtstatsachenforschung, Thbingen 1914, erschienen in der Aufsatzreihe ,,Forschungen in Staat und Recht" des Verlages J. C. B. Mohr; Nussbaum hatte auch eine rechtstatsachenkundliche Reihe ,,Beiträge zur Kenntnis des Rechtslebens" inauguriert, ist damit aber zumindest im Hinblick auf den akademischen Unterricht auf Zweifel gestoßen; siehe: K. Lehmann, Rezension: Nussbaum, Tatsachen und Begriffe im Deutschen Kommissionsrecht (Beiträge zur Kenntnis des Rechtslebens hrsg. von Arthur Nussbaum, Heft 1). 52 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wrrtschaftrecht, I. Auflage 1920, S.III. 53 Fr. Giese, Das öffentliche Wirtschaftsrecht als selbständiger Gegenstand von Forschung und Lehre, DWZ 1922, S. 98- 103, S. 99. 54 Bezogen auf R. Goldschmidt, Rechtssoziologie "im Sinne Nussbaums", siehe E. Westhoff, System des Wirtschaftsrechts, S.1, ,,Rechtstatsachenkunde im Sinne Nussbaums".
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Als wesentlichsten Befund im Wirtschaftsrecht kennzeichnete Nussbaum die Umwandlung des Privatrechts durch die Sozialisierung als eine Verschiebung in Richtung auf das öffentliche Recht. Nussbaum nahm zudem eine weitgehende Einschränkung der Vertragsfreiheit wie auch des Eigentums wahr. Überdies beobachtete er nach dem Kriege eine Internationalisierung, die ihren positiven Gehalt jedoch erst nach der Überwindung der ihrerseits internationalen "Entrechtung" durch den Versailler Vertrag würde zeigen können. 55 Diese erste Bearbeitung des Wirtschaftsrechts in einer Monographie - bislang waren nur Aufsätze erschienen - trug ausgesprochen pragmatische Züge. Sie gliederte sich in die rechtlichen Stoffgebiete des Schuldnerschutzes, des Geld- und Kapitalverkehrs sowie des Warenhandels. Unter die Ausbreitung der öffentlichen Wirtschaft faßte Nussbaum kriegswirtschaftliche Eingriffe, die Organisation der Kriegswirtschaft selbst und die Sozialisierung. Schließlich folgten Grundstücksrecht und Arbeitsrecht. Wegen dieser ungewohnten Gliederung der Arbeit Nussbaums sprach Friedeich Klausing 1931 bezeichnenderweise auch von Nussbaums "Vorlesungen" über "das neue deutsche Wirtschaftsrecht". 56 Zentral für Nussbaums Sicht auf das Wirtschaftsrecht war die unbedingte Hervorhebung des Übergangscharakters im Hinblick auf die Kriegswirtschaft Der geringe zeitliche Abstand zu den revolutionären Ereignissen ist deutlich zu spüren. Nussbaum vollzieht genau den Übergang der Gesetzgebungsgewalt von den kriegsbedingten Sonderbefugnissen von Bundesrat und kaiserlicher Reichsregierung zum Rat der Volksbeauftragten, zur Nationalversammlung und zum Reichstag nach. Anders als später Heymann hatte er offensichtlich das Bedürfnis, wirksame Überleitungsregelungen in den zeitlichen Geltungsbereich der Weimarer Reichsverfassung nachzuweisen, um an der Geltung der einzelnen Normen des Wirtschaftsrechts keinen Zweifel bestehen zu lassen. Die Erörterung der Geltung des Kriegswirtschaftsund Übergangsrechts war in der unmittelbaren Nachkriegszeit verständlicherweise ein wichtiger Topos. Wie alle anderen Wirtschaftsrechtier hatte Nussbaum sich auf die Seite der stark überwiegenden Meinung gestellt, die vom generellen Fortwirken der Verordnungsmacht des Kriegsverwaltungs- und Kriegswirtschaftsrechts ausgingen. 57 In dieser Phase der Umwälzung vermied er schon wegen der wirtschaftlichen Ungewißheiten eine nähere Fixierung des Wirtschaftsrechts als abgeschlossener Disziplin. Deutlich hebt sich auch Nussbaums Erklärung für die Wahl des "Wirtschaftsrechts" als Zusammenfassung der Rechtsmaterien eines Tatsachenzusammenhangs mit rechtlichen Implikationen vom Anspruch auf systematische Reinheit A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 1. Auflage 1920, S. 2. F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 67. 57 Vorbehalte aus der Sicht der technischen Nonnsetzung und Normgeltung hatte Ernst Jacobi entgegen der unter den Staatsrechtlern der Zeit überwiegenden Rechtsauffassung formuliert, vgl.: (G.) A. Arndt, Reichsverordnungsrecht seit dem Kriege, LZ 1920, Sp. 617-621 , insbes. Sp. 617 f. Die Fortgeltung nicht außer Kraft gesetzten Reichsrechts entsprach ganz herrschender Auffassung. Zur Kommentar- und Lehrbuchliteratur zur Weimarer Reichsverfassung M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 95ff. 55
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und instrumentelle Wrrkung ab: Schließlich hatte sich die Inflation nach ilrrem Ausbruch zu Beginn des Krieges, in der Revolutionszeit und in den ersten Monaten der Weimarer Republik bereits spürbar verschärft - die wirtschaftliche Lage war alles andere als sicher - und Nussbaum billigte dem Wirtschaftsrecht als Rechtsmasse kaum melrr als einen Interimscharakter zu. 58 Die Untersuchung ist denn auch in weiten Teilen von der Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Privatrechts unter den besonderen Bedingungen von Kriegswirtschaft und dem Übergang zur Friedenswirtschaft geprägt. So sei der vordringliche Grund für die Ermächtigungsgesetzgebung zu Beginn des Krieges gewesen, den vom Krieg betroffenen Schuldnern ein generelles Moratorium zu gewälrren. Die im Felde stehenden Soldaten und andere von den Kriegsfolgen betroffenen Personen sollten nicht aufgrund ilrrer Kriegspflicht mit fälligen Zahlungen in Verzug geraten und so einen möglicherweise daraus folgenden Konkurs abwenden können. Dementsprechend standen in den jeweiligen Kapiteln die Fragen des Schuldnerschutzes und der Schutz gegen Fristablauf in allen Rechtsbereichen im Mittelpunkt. 59 Die Erscheinung der Höchstpreisregelungen, mit denen namentlich Preistreiberei und Schleichhandel zu Zeiten des Krieges und der Inflation bekämpft werden sollten, behandelte Nussbaum nicht als Staatseingriffe, sondern als Korrektive der Privatrechtsordnung, auch wenn er anerkannte, daß das Ziel der Maßnahmegesetzgebung unter anderem der Schutz der gemeinwirtschaftliehen Preisregelungen war. 60 Die öffentliche Wirtschaft, deren Ausdehnung Nussbaum beschrieb, erfaßte er eigenartigerweise von ilrrer Folgeerscheinung her. Er ging von dem Eingriff aus, der in der Beschlagnahme von Gütern lag, die für die Kriegs- oder Gemeinwirtschaft von Bedeutung waren. Kriegswirtschaft und Gemeinwirtschaft selbst, die jeweils den Grund der Beschlagnahme bildeten, widmete Nussbaum dagegen nur naclrrangige juristische Aufmerksamkeit. Die Darstellung besclrränkt sich hier auf wenige Grundzüge. Kriegswirtschaft und Friedenswirtschaft der "sozialistischen Republik" seien primär zentralistisch-bürokratisch geprägt. Daneben stünden die Organisationen der beteiligten Unternehmen erst in zweiter Linie. 61 In Nussbaums Darstellung der Organisation der Kriegswirtschaft spielt bereits die Gemeinwirtschaft und mit ilrr die Zwangssyndizierung eine große Rolle. Diese Tendenz habe sich nach der Revolution vertieft. In Konsequenz dazu faßte Nussbaum die Nachkriegswirtschaft im folgenden, eng damit verbundenen Kapitel "Sozialisierung" zusammen. Er behandelte dabei die Sozialisierung als einen Fall gemeinwirtschaftlicher Regelung, neben den als Vorstufen die gemeinwirtschaftliehen Organisationen, die Übertragung öffentlich58 Unmittelbar nach Kriegsende kam es zu einem Run auf die Banken, so daß die Stückgeldmenge ruckartig erhöht werden mußte. H. Kellenbenz, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, S.428. Das Verhältnis zum amerikanischen Dollar verschlechterte sich von Anfang 1919 (8,90 Mark) bis Ende 1919 (46,80 Mark) erheblich. Ebenda, S. 360. 59 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 1. Auflage 1920, S. 82. 60 Ebenda, S.18. 61 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wlrtschaftsrecht, 1. Auflage 1920, S.28, 35-37.
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rechtlicher Aufgaben auf private Verbände und die schlichten Monopole wie das Branntweinmonopol traten. 62 Nussbaum reihte sich damit in die Vielzahl der Autoren ein, die dem Wort "Sozialisierung" einen je eigenen Sinn zuschrieben. Diesem Zusammenhang ordnete Nussbaum unter der Bezeichnung Grundstücksrecht die Siedlungsgesetzgebung mit der wichtigen Frage der Auflösung der Fideikommisse, die auch Art. 155 Abs. 3 WRV "zur Förderung der Siedlung" anordnete, nachdem verschiedene einfache Ländergesetze in dieser Sache vorausgegangen waren, zu. 63 Das knapp mitbehandelte Arbeitsrecht dehnte Nussbaum auf das Tarif- und Schlichtungswesen und auf die Betriebsräte aus. 64 Die Einbeziehung des Arbeitsrechts verfehlte seine Wrrkung im Wirtschaftsrecht auf mittlere Sicht nicht, obschon Autoren wie Erwin Jacobi und Walter Kaskel als Arbeitsrechtler65 hier ein starkes Gegengewicht bildeten, das schließlich den Ausschlag zur eigenständigen Entwicklung des Arbeitsrechts geben sollte. 1922 legte Nussbaum sein "Wrrtschaftsrecht" in zweiter Auflage als eine völlig überarbeitete "Übersicht auf wissenschaftlicher Grundlage"66 vor. Inzwischen hatte er eine Wendung vollzogen, da er ein Wirtschaftsrecht als eigene Disziplin nunmehr anerkannte und rechtfertigte. Als Wirtschaftsrecht sah er als dasjenige Recht an, das unmittelbar auf die Volkswirtschaft einwirke. Dagegen sei das bürgerliche Recht diejenige Rechtsmasse, die das Leben des Einzelnen zum Gegenstand habe. Da diese Normen aber auf allen Rechtsgebieten zu finden seien, zweifelte Nussbaum an einer "brauchbaren theoretischen Begründung des Wirtschaftsrechts". Jedoch er hielt das praktische Bedürfnis, das aus den großen und brennenden Fragen des Wirtschaftslebens spreche, für überwiegend, um zur Herausbildung des Wirtschaftsrechts zu gelangen. Nur eine neue Rechtsdisziplin, die die inneren Zusammenhänge des Wirtschaftslebens behandele, werde der Vrrulenz dieser Fragen gerecht. Außerdem gebe es die Möglichkeit einer Ausbildung der Wirtschaftsrechtsdisziplin nach dem Vorbild der theoretischen und der praktischen Nationalökonomie. Die einzelnen Sachgebiete sollten daher auf der Grundlage zunächst zu errichtender allgemeiner Lehren den Rechtsstoff aufarbeiten. 67 Der Übergangscharakter der ersten Auflage war der gängigen juristischen Lehrbuchsystematik gewichen. Der Präsident des Ebenda, S. 36-43. Ebenda, S. 44, 63. Weiterumfaßte das Grundstücksrecht bei Nussbaum den Bodenkredit, das Mietrecht mit dem Mieteinigungswesen und das Pachtrecht. Dort spielten gemeinwirtschaftliche Gesichtspunkte allerdings eine wesentliche Rolle. 64 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht, l. Auflage 1920, S. 63-79. 65 Erwin Jacobi war Herausgeber der Schriften des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Leipzig, in der auch die Dissertation von Walter Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper 1923 erschienen war. Kaskel hatte das- neben Sinzheimers "ordentlicher Honorarprofessor" in Frankfurt- einzige Extraordinariat für Arbeitsrecht der zwanziger Jahre in Berlin inne. Dazu H . P. Benöhr, Hugo Sinzheimer, S. 70. Hierzu auch das Lehrbuch W. Kaskel, Arbeitsrecht, 1925. 66 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht, 2. Auflage 1922, Vorwort. 67 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht, 2. Auflage 1922, S.l. 62
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Reichswirtschaftsgerichts Georg Lucas hob dies in seiner Rezension der zweiten Auflage von Nussbaums "Wirtschaftsrecht" besonders hervor. Zwar sehe Nussbaum primär die eigenständige Methode als Kennzeichen des Wirtschaftsrecht an, doch habe Nussbaum die wirtschaftliche Verwaltung dem öffentlichen Wirtschaftsrecht zugeordnet. Besonderes Augenmerk legte Lucas auf die Feststellung, die monographische Darstellung Nussbaums sei das "erste System" des Wirtschaftsrechts überhaupt. Aber auch seitens der Privatrechtslehre nahm man die zweite Auflage von Nussbaums Wirtschaftsrecht mit Interesse und Wohlwollen auf. 68 Demgemäß lieferte der besondere Teil des Buchs sechs Kapitel zum Geld- und Kapitalverkehr, zu Warenhandel und Lieferungsverträgen, Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft, Grundstücksrecht, Arbeitsrecht sowie Schuldner- und Rechtsschutz. Besonderes Augenmerk legte Nussbaum auf die "Schaffung einer öffentlichen Zentralwirtschaftsorganisation" im Bereich der Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft, die er im Vordringen begriffen sah. Freilich nahm er die Entwicklung zur öffentlichen Wirtschaftsführung nicht positiv auf oder unterstützte sie gar ideologisch. Ganz im Gegenteil verband Nussbaum damit die "Versklavung des deutschen Volkes" 69 durch die wirtschaftliche Not im Krieg und im Frieden durch den Vertrag von Versailles. Der Staat müsse zur Aufrechterhaltung der Wutschaft unter dem Druck der Reparationsregelungen seinen Einflußbereich ständig erweitern. Eine entscheidende Rolle weist Nussbaum hier praktischen Notwendigkeiten zu, während er die Prägefunktion einer "Idee des Wirtschaftsrechts" verneinte: Auch ein starker Staat müßte im Zweifel so handeln; eine Feststellung, deren Nüchternheit später politischen Haltungsfragen zum Opfer fiel, als man wirtschaftliches Engagement des Staates aus Schwäche von der Intervention des neutralen Staates als Ausfluß seiner überlegenen Stärke unterschied. 70 Mit der Trennung der organisierten Wirtschaft im Sinne der Selbstverwaltung von der öffentlichen Wirtschaft der staats- und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen kennzeichnete Nussbaum ein durch die ganze Weimarer Literatur des Wirtschaftsrechts reichendes Darstellungsprinzip. Das öffentliche Recht, das erst allmählich von der Dynamik des Wirtschaftsrechts erfaßt wurde, griff diese Unterscheidung explizit erst später auf. 71 Einer ausdrücklichen Zuordnung des Wirtschaftsrechts zum öffentlichen Recht oder zum Privatrecht hatte sich Nussbaum enthalten. Die Gewichtung der Darstellung läßt jedoch erkennen, daß Nussbaum unter Wutschaftsrecht nicht nur die staatliche Intervention in die Wirtschaftssphäre verstand, sondern damit eine von volks68 G. Lucas, Rezension: Nussbaum, Das neue Deutsche Wrrtschaftsrecht, Juristische Wochenschrift 1922, S. 1659f. J. v. Gierke, Rezension: Nussbaum, Das neue Deutsche Wirtschaftsrecht, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht Bd. 87, 1924, S. 228 f. 69 A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 2. Auflage 1922, S.42. 70 H. Göppert, Wirtschaft und Staat, 1924, hielt den "starken Staat" als allein zur Wirtschaftsführung befähigt. 71 Angedeutet bei G. Lassar, Reichseigene Verwaltung unter der Weimarer Verfassung, JöR 1926, insbes. S. 170 ff. AdolfArndt markiert die Gegenposition, die das öffentliche Wirtschaftsrecht definiert, aber eng umgrenzt, ders ., Kartellrechtliche Verwaltungsakte, S. 193 f.
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wirtschaftlichen Rechtstatsachen geprägte Überformung des Privatrechts durch das öffentliche Recht näher umreißen wollte. In seiner Rezension sprach Lucas im Zusammenhang mit Nussbaums methodischer Position darüber hinaus das Wirtschaftsrecht als ein Steuerungsmittel der "wirtschaftlichen Verwaltung" an. 72 Die Bedeutung von Nussbaums Überblick war für das Wirtschaftsrecht erheblich. Nussbaum hatte damit sein Programm, die neuen Erscheinungen auf dem Gebiet der Wirtschaft zu untersuchen, erfüllt, war damit aber einem konzisen Wirtschaftsrechtsbegriff ausgewichen. Da Nussbaum dennoch das Wirtschaftsrecht für erforderlich hielt, gilt er zurecht als Begründer der "Sammeltheorie" im Wirtschaftsrecht. Die Arbeit wurde durchgehend zitiert und trug zur weiten Verbreitung der Identifikation des Wirtschaftsrechts mit der an wirtschaftlichen Tatbeständen orientierten rechtssoziologischen Methode bei. 6. Hedemanns Deutung des Wirtschaftsrechts als neuer Rechtsepoche 1922
Im gleichen Jahr lieferte Hedemann mit seinem erweitertem Vortrag "Grundzüge des Wirtschaftsrechts" eine weitere Manifestierung seiner Auffassung vom Wirtschaftsrecht als dem umfassenden Merkmal des Rechts der Zeit als Rechtsepoche. Hedemann lehnte jeden Versuch ab, das "sog. Wirtschaftsrecht als ein einzelnes Rechtsgebiet, eine einzelne ,Materie' oder ,Disziplin' aufgefaßt wissen zu wollen.'473 Er sprach den "Rechtseinrichtungen" des Wirtschaftsrechts nunmehr ihren absoluten Charakter ab und sah das ganze Recht von einerneuen "Tönung", einem Grundton durchzogen, der besonderen "Wirtschaftlichkeit" der Epoche. 74 Vertrag und Gesetz hätten ihre Begrenzungen verloren, insbesondere im Tarifvertrag, der nicht mehr als Vertrag gelten könne, da er die Sprache des Gesetzes spreche. Für die Rechtsinstitute des Eigentums und der Persönlichkeit vermerkte Hedemann einen Anschauungswandel, da sie entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und Dynamik zunehmend in ihrer Funktion, als Nutzungs- und Mitwirkungsrecht gesehen würden. Ähnliches beobachtete Hedemann für das Aktienrecht, bei dem das bloße "Haben" hinter die Machtverteilung zurücktrete als auch im Recht der Lieferungsverträge, bei denen sich die wirtschaftliche Dynamik besonders während der Inflation als bestimmendes Merkmal zeige. Durch die Organisationen der Wirtschaft ergreife ein Prozeß der Schichtenbildung das ganze Volk, die an die Ständeordnung der vergangeneu Jahrhunderte erinnere. Ebenso habe das Arbeitsrecht teil an der Kombination und Schichtung von Menschenmassen durch den Wrrtschaftsprozeß, indem es den wirtschaftlichen Gegebenheiten folgend die Arbeitnehmer in verschiedene Klassen unterteilte, anstatt von diesen Unterteilungen zu abstrahieren. 75 G. Lucas, Rezension: Nussbaum, Wirtschaftsrecht, 2. Auflage, JW 1922, S. l659f. J. W. Hedemann, Grundzüge des Wirtschaftsrechts, S.IO. 74 Ebenda, S. 11. 75 Ebenda, S. 25. 72 73
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Als das prominenteste Beispiel stellte Hedemann den Reichswirtschaftsrat mit seinen "Vertretern des wirtschaftlichen Interesses des ganzen Volkes" heraus. Ebenso wie bei den aus dem Drängen auf Sozialisierung hervorgegangenen Selbstverwaltungskörpem, dem Reichskalirat, dem Reichskohlenrat und dem Eisenbahnwirtschaftsbund, kritisierte Hedemann für den Reichswirtschaftsrat, daß sich dort nur die Interessen der zu Entsendungskörpem erwachsenen Schichten artikulierten, nicht aber die staatsmännische Idealtypik des Volksvertreters als Repräsentant des ganzen Volkes. 76 Hedemann sah im Wirtschaftsrecht eine das ganze Recht durchziehende Veränderung, eine Tendenz weg vom Einzelnen hin zur Schicht, zur Mieterschaft, Arbeiterschaft, zum Verbandswesen. Abschließend forderte er einen Ausgleich zwischen dem Individuum und dem Schichtengedanken. Hedemann empfand ein Übergewicht des Organisationsdenkens und der Entindividualisierung des Rechtshandeins in der gesetzgebensehen und verwaltungsmäßigen Rechtsentwicklung. Er wandte sich gegen überzogene Sozialisierungsbestrebungen im Wirtschaftsrecht und appellierte an die Wissenschaft, gedankliche Ansätze zu einem wirksamen Ausgleich von individuellem und überindividuellen Interessenausgleich zu schaffen. Dementsprechend beschrieb er die "sozialen Mächte, die Gemeinschaftsmächte"n, die mit dem Sozialisierungsgedanken zum Schutz gegen die rücksichtslose Verfolgung von Sonderinteressen durch Gruppen und Einzelne auf den Plan gerufen worden waren, als mit einem "Übermaß an Nutzgewalt" ausgestattet. Das Individuum müsse demzufolge gegen sie geschützt werden, das sei zugleich die zukünftige Aufgabe des Wirtschaftsrechts. Diese Linie sollte erst später wieder in prononcierter Weise wieder aufgenommen werden, als sich aufstrebende, liberale wissenschaftliche Anschauungen gegen die organisierte Wirtschaft zu richten begannen. 78 7. Hans Goldschmidts "Reichswirtschaftsrecht" 1923
a) Goldschmidts Position im Wirtschaftsrecht Nach seinen frühen Arbeiten legte Hans Goldschmidt 1923 als Kölner Privatdozent sein "Reichswirtschaftsrecht" vor, das von der wirtschaftsrechtlichen Literatur als eines der bedeutendsten Werke zum Wirtschaftsrecht in der Weimarer Republik aufgenommen wurde. Die Stellungnahmen zu dem Werk, etwa von Friedrich Klausing und Ernst Rudolf Huber79 belegen zeitgenössisch den allerdings differenziert Ebenda, S. 26-28. Ebenda, S. 31 f. 78 Siehe in erster Linie F. Darmstaedter, Das Wirtschaftsrecht in seiner soziologischen Struktur, 1928, S. 68 u. ö. Gegen Ende der Weimarer Zeit entstand auch die Habilitationsschrift von F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, dort S. 178-190 m. w. N. 79 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 67. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 2. Nach Huber verstand Goldschmidt unter Wirtschaftsrecht das ,.der organisierten WirtSchaft eigentümliche Recht". 76 77
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zu betrachtenden Befund, daß Goldschmidt unter Wutschaftsrecht das Recht der organisierten Wirtschaft verstand. Goldschmidts Arbeit erhob trotz ihrer methodischen Enge den Anspruch, das gesamte Wtrtschaftsrecht als wissenschaftliche Disziplin umfassend darzustellen. Die Monographie war wie ein Lehrbuch angelegt, und blieb als solches in der ganzen Weimarer Zeit einzigartig. Von vergleichbarem Umfang und Anspruch legte nur Ernst RudolfHuber sein Buch "Wtrtschaftsverwaltungsrecht" vor, das im Gegensatz zu Goldschmitds Arbeit auf dieses Teilgebiet beschränkt blieb. Zudem erschien es erst neun Jahre später. Das Werk ist anders gegliedert als Nussbaums ,,Neues deutsches Wtrtschaftsrecht" in der 2. Auflage von 1922, das häufig mit dem "Reichswirtschaftsrecht" Goldschmidts in einem Atemzug genannt wurde. 80 Nussbaum hatte nach verschiedenen pragmatisch ausgewählten Rechtsmaterien unterschieden. Goldschmidts Zugang wirkt schon aus der Draufsicht von einem System durchdrungen. Einem allgemeinen Teil, der Begriff und Wesen, wirtschaftspolitische Grundlagen, Wtrtschaftsbehörden, wirtschaftliche Selbstregierung und Rechtsprechung, Unternehmen, Betrieb und wirtschaftliches Vertrags- und Sachenrecht umfaßte, folgte der besondere Teil mit der Bewirtschaftung einzelner Wtrtschaftszweige, dem Bodenrecht, der Organisation von Handel, Geldverkehr und Handwerk und schließlich dem Verkehrsrecht. Die Einleitung bekräftigte und vertiefte Goldschmidts in seiner früheren Arbeit "Eigentum und Eigentumsteilrechte" gefundenen historisch-sozialwissenschaftliehen Ansatz. Die Rechtsmaterie mußte demnach in Gesetzgebung und Rechtsprechung noch nicht umfassend ausgestaltet sein, um in ihrem Wesen erfaßt werden zu können. Eine aus dem positiven Recht und dem Gesetzgebungsmaterial schöpfende induktive Untersuchungsmethode lehnte er ab. Das Rechtsgebiet sollte seine wesentlichen Merkmale schlechthin in der ihm vom wissenschaftlichen Autor zugeschriebenen Gestalt finden. Goldschmidt ging von der sich wandelnden "Sozialwirtschaft" im Sinne Rudolf Stammlers aus, der Recht als Form und Wirtschaft als Inhalt definiert hatte. Er suchte das sich als Form dieser Sozialwirtschaft bildende Recht nachzuzeichnen, das seine Rolle im Staat findet und seine Organisation in den Staat hineinträgt. Im Auffinden dieser Form lag für Goldschmidt die Aufgabe der Rechtswissenschaft. ,,Nicht nur die zurückliegende Entwickelung, auch die Entwickelungsmöglichkeit" wollte er dabei ausforschen. Seine Suche galt historisch den treibenden Kräften und aktuell den Rechtssätzen, die eine "soziologische Verwendbarkeit", also die Fähigkeit auf das gesellschaftliche Zusammenwirken günstig einzuwirken, aufwiesen. 81 Anders als Hedemann maß Goldschmidt der Wtrtschaft keine eigenständige oder neuartige Bedeutung für das Recht bei. Allein die rasche Umbildung der Wtrtschaft sei der Grund für die Ausprägung des Wtrtschaftsrechts, weil die Materie der Wtrt80 81
F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 67.
H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 2.
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schaft im Wirtschaftsrecht ihre Form finde. Die neue Gestaltung des Wirtschaftslebens war für ihn das Unterscheidungsmerkmal, nicht aber eine veränderte Bedeutung der Wirtschaft für das Recht. 82 Auf die Frage nach dem Wirtschaftsrecht als geschlossener, von anderen abgrenzbarer Rechtsdisziplin verwarf Goldschmidt zunächst die "logischen" Rechtsdisziplinen des öffentlichen und des Privatrechts, die auf der Unterscheidung von Gleichordnung und dem Auftreten des Staates als Träger hoheitlicher Gewalt beruhten. Dies aber nicht im Hinblick auf die logischen Implikationen, die vor allem Hans Kelsen gegen die Unterscheidung angeführt hatte, sondern angesichts der Schwierigkeit, die einzelnen Rechtsmaterien den obersten Disziplinen zuzuordnen, ohne die einzelnen Rechtsdisziplinen zu zerreißen.83 So sei das Handelsrecht von öffentlichrechtlichen Elementen nicht frei. Ähnlich bewertete Goldschmidt die Verwaltungstätigkeit der Gerichte in der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hier sei die Unterscheidung von Privat- und öffentlichem Recht nur noch von begrenztem Nutzen. Goldschmidt erklärte das Wirtschaftsrecht programmatisch zum Recht der organisierten Wirtschaft. Die "organisierte Wirtschaft" war sein Oberbegriff für die zur Verbesserung der Produktion besonders geregelte Wirtschaft und für die Gemeinwirtschaft im Gegensatz zur freien Privatwirtschaft, die er mit dem der Sprache des gemeinen Rechts und des BGB zugehörigen Ausdruck "Verkehrswirtschaft" bezeichnete. 84 Die Unterscheidung der Wirtschaftsprinzipien an sich hatte Goldschmidt der Volkswirtschaftslehre entlehnt. 85 Goldschmidt spiegelt auf diese Weise insgesamt die jeweiligen Überzeugungen der in der wissenschaftlichen Literatur zu Beginn der Zwanziger Jahre unter dem Eindruck der Kriegswirtschaft in der Nachfolge des Organisierten Kapitalismus der Vorkriegszeit vorherrschenden Denkrichtung wieder, die von einer gebundenen, am gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang orientierten Wirtschaftsgestaltung ausging. Die Auseinandersetzung mit seinem akademischen Lehrer Hedemann beschränkte Goldschmidt auf den Verweis, daß das Wirtschaftsrecht das mit der wirtschaftlichen Tönung der Zeit durchsetzte Recht sei, zügelte also das von Hedemann für das gesamte Recht hochstilisierte Merkmal der Wirtschaftlichkeit und begrenzte es auf ein sektoral ausgeschnittenes Wrrtschaftsrecht. 86 Die Auffassungen vom Wirtschaftsrecht von Max Rumpf, Hermann Knott, Friedrich Giese und Hans Carl Nipperdey verwarf Goldschmidt, weil sie allesamt eine gesteigerte Bedeutung der Wirtschaft für das Recht annahmen und nicht das von ihm verfochtene Theorem vom H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 13. Ebenda, S. 5; H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1911, S. X. 84 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 10-12. 85 Ebenda, S. 7. Goldschmidt zitierte Adolph Wagner, Eugen v. Philippovich und vornehmlich Ernst Schäffle: Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, 3. Auflage 1888. 86 H. Go/dschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 12. 82 83
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Recht als der Form der Sozialwirtschaft vertraten, wie es seinem von Stammler abgeleiteten rechtstheoretischen Anspruch entsprach. In der Auseinandersetzung mit den von Zeiterscheinungen abstrahierten Begriffen von Walter Kaskel, der den Unternehmer als Anknüpfungspunkt für das Wrrtschaftsrecht gewählt hatte und von Franz Dochow, der das Wirtschaftsrecht auf wirtschaftliehe Angelegenheiten bezog, begrenzte Goldschmidt das Wirtschaftsrecht dezidiert auf das Neuartige der Organisation des Wirtschaftslebens. Goldschmidt beschränkte sich nicht auf einen Begriff vom Wirtschaftsrecht, der induktiv das geltende Recht interpretierte. Er forderte in erster Linie ein Programm, das die Ideale des Wirtschaftsrechts aufbereitete, um sie dem Rechtsleben zu implementieren. 87 Das Buch ging von einem Organisationsdenken aus, das in der Rechtswirklichkeit keine konkrete, sondern nur eine gedachte Entsprechung hatte. Die in der Nachkriegswirtschaft durch die Kriegswirtschaft bereits andeutungsweise vollzogene Abkehr von der freien Marktwirtschaft forderte dieses Konzept in nahezu der gesamten Literatur zum Wirtschaftsrecht heraus. Der Rückhalt in der Wutschaftspraxis stand für Goldschmidt an zweiter Stelle, schließlich wäre bei einer induktiven Untersuchung das Programm der organisierten Wirtschaft außer im Kohle- und Kalibereich kaum nachweisbar gewesen. Die von Art. 165 WRV vorgesehene wirtschaftliche Räteverfassung, auf die Goldschmidt aufbaute, war nur für die Betriebsräte verwirklicht. Den praktisch relevanten, aber ungeregelten und dem Organisationsdenken nur wenig zugänglichen Bereich der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, deren Schwerpunkt bei den Ländern und den Kommunen lag, ließ er ganz außer acht.
Goldschmidt beschrieb das Verhältnis von öffentlichem Recht und Privatrecht im Wirtschaftsrecht als eine notwendige innere Verbindung. Das Privatrecht und die diesem entsprechende individualistische Gedankenwelt würden bei einer Trennung verkümmern. Das auf das Wirtschaftsrecht bezogene Strafrecht sollte dabei im systematischen Zusammenhang des allgemeinen Strafrechts verbleiben. Der Begriff Reichswirtschaftsrecht wiederum bringe die überwiegende Gesetzgebungskompetenz des Reichs und die Beziehung zu "wichtigen einschlägigen Behörden und Organisationen, wie Reichswirtschaftsministerium, Reichswirtschaftsrat, Reichswirtschaftsgericht" zum Ausdruck. 88 Mehr Gewicht als auf seine breit angelegte Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Wandels in der Wirtschaft legte Goldschmidt auf seine nachfolgende Hypothese, der gesellschaftliche und wirtschaftliche Fortschritt bringe ein Fortschreiten der wirtschaftlichen Organisation mit sich. Freilich formulierte er diese Annahme als eigene wissenschaftliche Erkenntnis. Die Bevölkerung sei in drei soziale Klassen geschichtet, die sich wesentlich von den vier Klassen der Vorkriegszeit unterschieden. Nunmehr forderten nicht nur Sozialisten und Kommunisten den 87 88
Ebenda, S. 14. Ebenda, S.15.
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Fortschritt der Organisation. Gleichzeitig strebten auch die Leiter der größeren Unternehmungen, die nach Goldschmidts Urteil die höchste gesellschaftliche Klasse bildeten, nach Vertrustung und Kartellierung, die nach dem Kriege ohnehin einen geschichtlich nie realisierten Höchststand erreicht hätten. 89 Ob der hohe Grad der Organisiertheil eher in Richtung eines Sozialismus oder einer "herrschaftlichen Eigentumsordnung" tendierte, ließ Goldschmidt offen, weil eine wissenschaftliche Analyse sich diesem politischen Bereich verschließen müsse. Mit dem Verweis auf die Schrift "Sozialdemokratie und Sozialismus" des sozialistischen Theoretikers Paul Lensch eröffnete Goldschmidt den Blick auf das in der Weimarer Republik wild bewachsene Feld der Debatte über die möglichen und tatsächlichen Wirtschaftsformen. 90
b) "Selbstregierung" im Wirtschaftsrecht Die von der Weimarer Verfassung sanktionierte Gemeinwirtschaft behandelte Goldschmidt mit sicherem systematischem Zugriff als eine Form der Selbstregierung. Dieser Terminus deutete eine gewisse Ablösung der gesamten Wrrtschaftsorganisation vom Staat an. Die Gemeinwirtschaft gliederte sich nach Goldschmidt in die privatkapitalistische und die sozialistische Variante. Die sozialistische Gemeinwirtschaft zerfiel wiederum in die Formen der durch Enteignung entstandenen und der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung. Die privatkapitalistische Gemeinwirtschaft war dagegen von der wirtschaftlichen Selbstverwaltung gekennzeichnet. 91 Die Wirtschaftsbehörden waren auf eine äußere polizeiähnliche Aufsichtsfunktion begrenzt. 92 Goldschmidt identifizierte das Recht der organisierten Wirtschaft nicht etwa mit der wirtschaftlichen Selbstregierung. 93 Vielmehr sprach er damit die generelle Tendenz zu einem reglementierten Wirtschaften an. Das war zwar keinem bestimmten Wirtschaftsstil zuzuordnen, war aber doch erheblich von Organisationen geprägt, welche die Vielheit der handelnden Personen in Richtung eines organisierten ZuEbenda, S. 20-23. Ebenda, S.33. Paul Lenschs Richtung des nationalen Sozialismus stelltR.P. Sieferle, Die Konservative Revolution, S.45-73 dar. Die Diskussion der Weimarer Zeit ist in weiten Teilen von der Debatte über die richtige Wutschaftsform gekennzeichnet. Insbesondere Werner Sambart, der gewiss populärste Nationalökonom seiner Zeit, hatte wiederholt seine These vom Übergang vom Hoch- zum Spätkapitalismus propagiert. DazuR.P. Sieferle, Die Konservative Revolution, S. 74-105. 9I H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 37 f. 92 Ebenda, S. 40-44. Die als ausführende und als Aufsichtsorgane eingerichteten Wutschaftsbehörden waren, so Goldschmidt in seinem Dritten Abschnitt, das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsschatzministerium, das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das Reichspostministerium, das Reichsverkehrsministerium und das Reichsministerium für Wiederaufbau. 9 3 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S.45-49. s9
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stands immer mehr einte, also gleichsam das individualwirtschaftliche Gepräge des die Wirtschaft betreffenden Rechts überwand. Mit Meyer-Anschütz ging Goldschmidt von einem weiten Begriff der Selbstregierung aus, der für die Regelung der Wirtschaft sowohl die wirtschaftliche Selbstverwaltung als auch das Rätewesen umfaßte. Letzteres nahm der Idee nach die Form der Bezirkswirtschaftsräte und des Reichswirtschaftsrates an, wenn auch nur der vorläufige Reichswirtschaftsrat realisiert werden konnte. 94 c) Organisationsgedanke und Rechtsdogmatik im Wirtschaftsrecht
Goldschmidt ging davon aus, die Unternehmervereinigungen würden sich zunehmend den Zwangsvereinigungen annähern, etwa durch die Tendenz zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer. 95 Entsprechend den Anschauungen der Vorkriegszeit hielt auch Goldschmidt die Kartelle für eine notwendige Erscheinung des sich selbst erhaltenden Wirtschaftslebens. Den Forderungen aus dem Kreis der kartellierten Unternehmer nach einer Staatsaufsicht stellte Goldschmidt die entgegengesetzte Auffassung des Reichswirtschaftsministeriums gegenüber, nach der die Kartelle Tendenzen in Richtung auf eine Selbstaufsicht zeigten, und verwies auf diese Funktion. Die im Zeitraum der Publikation der Arbeit erlassene Kartellverordnung von 1923 bearbeitete Goldschmidt nicht mehr, Grundsätze für das Recht der Unternehmervereinigung stellte er nicht auf.96 Eine Reihe von Gegenständen veranschaulichen den großen Bogen, den Goldschmidt mit seinem Reichswirtschaftsrecht gespannt hatte. Das Gewerberecht ordnete Goldschmidt als Reichsrecht dem Reichswirtschaftsrecht zu. Das der organisierten Wirtschaft eigene Vertragsrecht konkretisierte Goldschmidt als "wirtschaftliches Vertragsrecht". Mit der staatlichen Einwirkung auf den Vertragsabschluß und den Vertragsinhalt mit den Hauptbeispielen des Kontrahierungszwangs und der Höchstpreisregelungen stellte Goldschmidt zwar die Auswirkungen auf Akte des Privatrechts dar, verzichtete aber explizit auf eine Einzeldarstellung der öffentlichrechtlichen Einwirkung auf die Privatrechtssubjekte. 97 Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die Zwecke der Maßnahmen und etwa der Hinweis, daß die meisten Einwirkungen auf die Vertragsfreiheit der Kriegszeit entstammten. Den Regelungen selbst als Gegenstand juristischer Analyse schenkte Goldschrnidt keine Beachtung. Ebenda, S.47-5l. Ebenda, S. 92 f. 96 Ebenda, S. 93 ff behandelte als weitere Unternehmervereinigungen die Genossenschaften und die Verflechtungsgemeinschaften. Letztere erschienen in den Formen der Interessengemeinschaft, der bloßen Beteiligungsgesellschaft und der Kontrollgesellschaft. 97 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S.l24. Anders später Huber, der die Analyse der öffentlichrechtlichen Einwirkung auf Privatrechtsbeziehungen zum Gegenstand des Wrrtschaftsverwaltungsrechts machte, was Goldschmidt in keiner Weise für sich in Anspruch nahm. E.R . Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 91 ff u. ö. 94 95
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Originellerweise sprach Goldschrnidt von wirtschaftlichem Sachenrecht, ein Begriff, der vor ihm im Schrifttum noch keinen Raum eingenommen hatte. Er verstand darunter die Oberherrschaft des Staates über alle "Sachen". Diese artikuliere sich in der Verfassungsbestimmung des Art. I 53 Abs. 3 WRV: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste." Goldschmidt verglich diese Oberherrschaft des Staates in einer eigenartigen und sehr farbigen Parenthese mit derjenigen des fränkischen Königs. Unter Berufung auf Otto v. Gierke beschrieb er die geschichtliche Aufgabe des geteilten Eigentums im Mittelalter. Das in wenigen Händen vereinigte Grundeigentum sollte demnach durch die Konstruktion des geteilten Eigentums auf weitere Volkskreise verteilt werden. Goldschmidt sah in dieser Oberherrschaft des Königs den Keim zu einem Obereigentum angelegt, das den Sachbesitz in den Dienst der Allgemeinheit stellen sollte. Als einen Ausftuß der Oberherrschaft des Staates empfand Goldschmidt das Recht zur Beschlagnahme und zur Enteignung des Kriegs- und Übergangsrechts, wobei er sich auf die in ihrer Zeit bedeutende Monographie Heinrich Lebmanns zur Kriegsbeschlagnahme bezog. 98 Freilich sehr pauschal beurteilte Goldschmidt die Oberherrschaft des Staates als eine bloße Folge der Beschlagnahme. 99 Schließlich gliederte Goldschmidt noch die Frage der Eigentumsteilrechte und des Gesamteigentums der Verbandsperson und ihrer Mitglieder dem "wirtschaftlichen Sachenrecht" ein. Ein besonderer Teil erörterte die Bewirtschaftung einzelner Stoffe, das Bodenrecht, die Organisation von Handel, Geldverkehr und Handwerk und schließlich das Verkehrsrecht
d) Bedeutung und Wirkung von Goldschmidts "Re ichswirtschaftsrecht" Das Wirtschaftsrecht als Rechtsdisziplin war nach dem Urteil Goldschmidts als Mischgebiet von öffentlichem und Privatrecht- welches er mit dem individualistischen Rechtsdenken identifizierte - insoweit schon entstanden, als die organisierte Wirtschaft ihr eigenes Recht hatte. Die umfassende Einheit war jedoch nur dem Prograrnrn nach, nicht aber in Gesetzgebung und Praxis verwirklicht. Die Grundgedanken, die für Goldschmidt das Wirtschaftsrecht konstituierten, unterscheiden sich nicht wesentlich von denen Nussbaums oder Hedemanns. Im Vordergrund stand stets der Wandel der Wirtschaft, wohingegen sich die Schlüsse, die sie jeweils daraus zogen, voneinander unterscheiden. Hedemann sah Folgen für das gesamte Recht, Goldschmidt beschränkte sich auf das Recht der organisierten Wirtschaft. Nussbaum sah, wenn auch nur in der ersten Auftage seines "neuen deutschen Wirtschaftsrechts", die allerdings einen sehr großen Leserkreis unter den Juristen erreicht hatte, im Wirtschaftsrecht lediglich einen Namen für neuere Ent98 H. Lehmann, Die Kriegsbeschlagnahme als Mittel der Rohstoff- und Lebensmitte1versorgung, 1916. 99 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, 5.138-140, 164 berief sich hienu auf Friedrich Carl Gerber.
II. Eine Reaktion auf die Not der Nachkriegszeit
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wicklungen des Rechts, Goldschmidt dagegen einen Wandel der Sozialwirtschaft Unterschiedlich ist auch der systematische Zugriff, mit dem Goldschmidt das Wtrtschaftsrecht beschrieb. Er unternahm als erster eine Gesamtdarstellung des gesamten Rechtsgebiets, auch wenn er einige Teile des Rechtsgebietes nur in Gestalt programmatischer Entwürfe vorstellte. Er nahm damit auch in Kauf, daß er eine Reihe von Fragen nur sehr verkürzt darstellen konnte. Die dabei unterlaufenen Verkürzungen in der sachlichen Aussage wurden dem Werk aber wegen seines eindrucksvoll verwirklichten monographischen Anspruchs nicht negativ angerechnet. Zu der etwas hypertrophen Diskussion um die Gemeinwirtschaft nahm Goldschmidt in seinem Buch nur mit einem knappen Kapitel Stellung. Seine gewichtige Position, die er in der Gemeinwirtschaftsdebatte auch gegen Ende der Weimarer Zeit einnahm, minderte das keineswegs. 100 Goldschmidts Bezugnahme auf Nussbaum, dessen rechtstatsächliches Arbeiten Goldschmidt auch als eigenen Ansatz beanspruchte, läßt beide Arbeiten in einem einheitlichen Licht erscheinen. Das Bekenntnis zu einer Methode steht bei Goldschmidt obenan, so wie Nussbaum sie zwar nicht in den beiden Auflagen seines ,,Neuen deutschen Wirtschaftsrechts" explizit ausführt, aber doch durch die Wahl seiner Untersuchungsgegenstände voraussetzt. Während Nussbaum sich auf das geltende Recht beschränkte, erschien Goldschmidt demgegenüber das sich bietende Material unvollständig. Doch überwand er dieses Darstellungsproblem durch seinen historisch-soziologischen Ansatz, der ihm auch umfängliche Konjekturen erlaubte. Die Stellung der organisierten Wirtschaft in einem staatsrechtlichen System war nicht Gegenstand der Erörterungen. Ob nun der autoritäre oder der demokratische Staat dem Wirtschaftsrecht näher steht, hat Goldschmidt nicht erwogen. Auch zu dem in der Weimarer Zeit vorrangig von Liberalen wie dem Wiener Nationalökonom Ludwig v. Mises vertretenen Deutungsmuster des Interventionismus äußerte er sich nicht. Durch die Verwendung von Stammlers Prämisse einer sich wandelnden Sozialwirtschaft befreite sich Goldschmidt von der Obliegenheit einer expliziten Behandlung des Verhältnisses der Wirtschaft zum Staat. Das rechtsimmanente Bild der Wirtschaft als vom Recht kategorisch aber nicht materiell unterschiedenen Größe ließ eine Gegenüberstellung beider gesellschaftlicher Größen nicht zu. Die Wirkung von Goldschmidts Reichswirtschaftsrecht auf die werdende Rechtsdisziplin des Wirtschaftsrechts ist eindrucksvoll. Goldschrnidts in klarer und eindringlicher Diktion geschriebene Arbeit hatte ihren programmatischen Anspruch voll erfüllt. So gut wie alle nachfolgenden Autoren beziehen sich auf ihn, doch oft nur als Pflichtübung und ohne sachliche Auseinandersetzung. Eine direkte Übernahme seines Ansatzes ist nicht zu erblicken. Friedeich Klausing widmete sich in seinem Überblick über das gesamte Wirtschaftsrecht 1931 auch dem "Reichswirtschaftsrecht", doch gab er einer eingehenden Analyse der Arbeit keinen Raum. Be100 Siehe im Kapitel zur Gemeinwirtschaft. Siehe weiterhin T. Simons, Der Aufbau der Kohlenwirtschaft, 1931, passim.
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918--1925
sonders den sozialwissenschaftliehen Ansatz, der wesentlich von Goldschmidt gefördert worden war, bezog er nicht in seine Kritik mit ein. 111. Das Wirtschaftsrecht nach 1923 Mit Hans Goldschmidts Reichswirtschaftsrecht, dem noch die Veröffentlichung der 1923 entstandenen "Selbstverwaltung der Wirtschaft" von Friedrich Glum nach der Inflation im Jahre 1925 folgte, ebbt die erste und größte Welle der Monographien zum Wirtschaftsrecht ab. Die Literatur zur Gemeinwirtschaft hatte von dieser Hochkonjunktur profitiert und kam ebenso in der Zeit der Bewältigung der Inflation zu einer gewissen Beruhigung. Der Rückgang der Publikationsdichte ist jedoch keineswegs allein für das Wirtschaftsrecht kennzeichnend. Wegen der das ganze Geschehen beherrschenden Inflation konzentrierte sich die rechtswissenschaftliche Literatur auf das Recht der Leistungsstörungen und der Wertsicherung bei den synallagmatischen Verträgen. Diese Literaturbewegung hielt an und kulminierte im Schrifttum zur Aufwertungsrechtsprechung und Aufwertungsgesetzgebung wie dem berühmten Rechtsgutachten des Staatsrechtiers Heinrich Triepel zu "Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien" im Frühjahr 1924. 101 Die Literaturschau zeigt in diesem Zeitabschnitt ein zunächst vielgesichtiges Spektrum von Grundpositionen zum Wirtschaftsrecht Weder die Suche nach dem Gegenstand, noch die sachliche Abgrenzung oder die innere Systematik, noch das Ziel der Forschung waren einheitlich. Erst im Laufe der Zeit zeichneten sich die Richtungen Hedemanns, der das ganze Recht nunmehr im Lichte des Wirtschaftszeitalters sah, diejenige Nussbaums und im weiteren Sinne auch Heymanns, die das neu entstandene Recht auf dem Gebiet der Wirtschaft als Wirtschaftsrecht definierten, ab. Zur letzteren Gruppe sind auch jene Autoren zu zählen, die das neue Wlrtschaftsrecht nur im Recht der organisierten Wirtschaft, also der gemischtwirtschaftlichen Unternehmen als auch der wirtschaftlichen Selbstverwaltung anerkannten, soweit die Unternehmen staatlich inauguriert waren. Methodisch entfaltete sich neben einer, wie bei Kaskel, schöpferischen Fortschreibung des herkömmlichen Rechts eine bedeutende sozialwissenschaftliche Richtung mit Nussbaum und Goldschmidt. Die unterschiedlichen inhaltlichen Positionen hatten sich verfestigt, ohne untereinander zu einem Ausgleich zu gelangen. Ein einheitlicher Begriff des Wirtschaftsrechts war zwar bei weitem nicht in Sicht. 102 Doch waren sich die im Wirtschaftsrecht engagierten Autoren in dem gemeinsamen Ziel einer Kategorie des Wirtschaftsrechts einig. Insoweit nahmen sie aufeinander Bezug, auch wenn die methodische und gegenständliche Abgrenzung diffus blieb. Friedrich Klausing urteilte 1931 insbesondere über die ersten Nachkriegsjahre, daß "die literarischen Äußerun101 102
H. Triepe/, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, 1924. Diese Beurteilung wird hier mit K. W Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 167 geteilt.
IV. Erste Untersuchungen zu einem "öffentlichen Wirtschaftsrecht"
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gen ein Bild ärgster Zersplitterung und anscheinend unlösbarer Meinungsverschiedenheiten" über den Begriff des Wirtschaftsrechts geboten hätten. 103 Das Wirtschaftsrecht war durchaus zu erheblicher Bedeutung gelangt. Dennoch hatte es den Gesichtskreis vieler Juristen und insbesondere den des öffentlichen Rechts nicht erreicht. Einige Stimmen schenkten der neuen Disziplin keine Beachtung, andere leugneten das Wutschaftsrecht als Disziplin und maßen den Grundsätzen keine einheitsstiftende Bedeutung bei. Franz Dochow nahm zwar an der Dynamik des Wirtschaftsrechts teil, hielt aber in einer vermittelnden Position eine Aufteilung der wirtschaftsrechtlichen Materien auf verwandte Disziplinen für möglich. 104 Der Rechtspraktiker Adolf Holländer bestritt 1925 die Notwendigkeit und die Existenz eines Wirtschaftsrechts. Seine Stimme läßt sich gewiß nicht als tonangebend bewerten. Sie stand jedoch nicht völlig allein, war sie doch Ausdruck der eingetretenen Ernüchterung seit der Euphorie der Anfangsjahre. Die Essenz des Wirtschaftsrechts reduzierte sich für Holländer auf eine gewachsene Bedeutung der Rechtstatsachenforschung, die im Bereich der Wirtschaft maßgebliche Neuerungen gebracht hatte und dadurch auf die gesteigerte Aufmerksamkeit, die der wirtschaftlichen Organisation und dem Organisationsgedanken im Recht zukam. 105 IV. Erste Untersuchungen zu einem
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1. Wirtschaftsrecht und öffentliches Recht
Die Öffentlichrechtier übernahmen in ihrer Auseinandersetzung mit wirtschaftsrechtlichen Materien im Laufe der Anfangsjahre der Republik eher unfreiwillig einige Gebiete des Wirtschaftsrechts. Eine Charakterisierung jener Bereiche stößt dabei zunächst auf terminologische Schwierigkeiten. Im Sinne von Forschungsbegriffen böte sich an, generalisierend von Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsverfassung im Gegensatz zum privaten Wirtschaftsrecht zu sprechen. Die Erscheinung des Wirtschaftsrechts der frühen Weimarer Jahre sperrt sich jedoch prinzipiell gegen eine derartige Kategorisierung. Denn das Selbstverständnis des Wirtschaftsrechts, genauer, das Verständnis derer, die sich mit Wirtschaftsrecht befaßten, war einerseits auf ein neues, einheitliches Wirtschaftsrecht gerichtet, andererseits war es zu diffus, um der inhaltlichen Aufteilung in die Komposita Wirtschaftsprivatrecht, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung zu gehorchen. Schon innerhalb der Fachliteratur zum Wirtschaftsrecht läßt sich zu keinem Zeitpunkt ein einheitliches Bild des Faches nachzeichnen. Um nicht in die Gefahr eines die Eigenheiten F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. ll. F. Dochow, Wirtschaftsrecht, JW 1926 S. 533. 105 A. Holländer, Gibt es ein Wirtschaftsrecht? DJZ 1925, Sp. 959, 960. 103
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der Weimarer Zeit bevormundenden Anachronismus zu geraten, sind die Begriffe deswegen zunächst in ihrer historiographischen Funktion eigens zu bewerten. Gewiß hatte die Weimarer Verfassung wirtschaftsbezogene Institutionen und Rechtsinstitute hervorgebracht. Eine Wirtschaftsverwaltung bestand ebenso wie eine wirtschaftende Verwaltung. 106 Vorstellungen von einer Wirtschaftsordnung waren lebendig. Doch waren diese Einzelphänomene nicht durch ein einheitliches Recht verbunden, ja sie blieben in ihrer öffentlichrechtlichen Ausprägung zur Wirtschaft wesensunterschiedlich. Die Betrachtung des werdenden Wirtschaftsrechts muß besonders im öffentlichen Wirtschaftsrecht mit der Schwierigkeit umgehen, daß eine Begriffsbildung nur allmählich erfolgte, anders als im Steuerrecht und im Arbeitsrecht, die sich auf einen gesellschaftlichen und rechtswissenschaftliehen Konsens stützen konnten. Die Wortverwendung von "wirtschaftlicher Verwaltung", "Wirtschaftsverfassung" und wieder "Wrrtschaftsrecht" im öffentlichrechtlichen Kontext ist denn auch äußerst disparat. Gleichwohl stellte man in der Weimarer Rechtswissenschaft ganz explizit wirtschaftsbezogene Fragenkreise in den Kontext des öffentlichen Rechts. Sie weisen sogar eine strukturelle Ähnlichkeit mit den Vorstellungen auf, die sich mit Wrrtschaftsverwaltungsrecht und Wirtschaftsverfassungsrecht verbinden. Die schon eingeführte Bezeichnung "Wirtschaftsrecht" dient historiographisch dazu, den gesamten Komplex - neuartigen wie auf herkömmlichen Rechtsvorstellungen fußenden - wirtschaftlichen Rechts zu bezeichnen. Ebenso ist es legitim, die Begriffe "Wirtschaftsverwaltungsrecht" und "Wirtschaftsverfassungsrecht" zu verwenden. Doch darf man ihnen weder historisch, von der Wortverwendung in der Weimarer Zeit her, noch durch zu eng an heutigen Vorstellungen orientierte Begriffsinhalte inhaltliche Begrenzungen auferlegen, die dazu verleiten würden, das zu beschreibende Bild zu verzerren. Gleichwohl interessiert im Wirtschaftsrecht die Rolle des Staates und seiner Verwaltung im Verhältnis zur Wirtschaft. Hier können die "Wirtschafts"-Komposita Forschungsfunktionen erfüllen. Die Suche nach "dem" Wirtschaftsverwaltungsrecht ist dem Verdacht eines von vornherein fest ausgerichteten, verengten Blicks ausgesetzt. Die genetische Suche nach "einem" Wrrtschaftsverwaltungsrecht, das in seiner historischen Eigenart zu verstehen ist, stellt sich so als legitim dar, ohne als unkritische Methodendindifferenz oder gar als verdeckter hermeneutischer Zirkel gelten zu müssen, weil die kategorische Zuordnung und die Entwicklungslinien hervortreten. Denn streng genommen verböte sich die Frage nach dem Wirtschaftsverwaltungsrecht zu Beginn der Weimarer Zeit. Das Wort wurde nicht verwendet. Die bis 106 Auch ohne wissenschaftliche Grundlage eines ausgeformten Wirtschaftsrechts begleitete der Staat mit seinen Organen der Wirtschaftsaufsicht und als Wirtschaftssubjekt die ganze Weimarer Zeit. Kennzeichnend für die erste Hälfte der Weimarer Republik ist die Sicht des Sozialdemokraten und Chefs des Büros des Reichspräsidenten 0. Meißner, Staatsrecht, s. 319ff.
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heute gebräuchliche Bezeichnung 107 "öffentliches Wirtschaftsrecht" ist 1922 bei Friedrich Giese immerhin verbürgt. Dennoch ist es legitim, von einem Wirtschaftverwaltungsrecht zu sprechen, wenn man darunter einen kategorischen Suchbegriff für die ersten tastenden Versuche der Rechtswissenschaftler versteht, das Recht der Verwaltung, die auf die Wirtschaft einwirkt, zu erfassen und systematisch zuzuordnen Eine neue Disziplin ist damit noch nicht entstanden, nur eine neuartige Fragestellung, die auf eine Fächerdifferenzierung hinweist. Die Ausweichbewegungen, die vom öffentlichen Recht wegführen, bilden wiederum Anlaß zu neuer Kategorisierung. Im Sinne einer negativen Definition bestand weitgehend Einigkeit in dem Punkt, daß das Wirtschaftsrecht sich nicht in die überkomme Rechtsordnung eingliedern lasse, die der herrschenden Auffassung nach dichotomisch in Privatrecht und öffentliches Recht aufgeteilt war. Entweder wurde das Wirtschaftsrecht wie bei Hedemann als Wandel der gesamten Rechtsordnung angesehen, so daß die Kategorien des Privatrechts und des öffentlichen Rechts als solche verblaßten. Oder das Wirtschaftsrecht galt als systemfremd, es paßte nicht in das Schema von öffentlichem Recht und Privatrecht. Gewissermaßen agierte daher das öffentliche Recht auf einer anderen Ebene als das Wirtschaftsrecht, das seinerseits nur ein agonales Profil aufwies: Genauso, wie einige Autoren mit Blick auf einen umfassenden Wandel des Rechtsdenkens keine Zugehörigkeit des Wirtschaftsrechts zum öffentlichen Recht sahen, analysierten andere darin nur den interventionellen, öffentlichrechtlichen Gehalt. Die Schuldisziplin des öffentlichen Rechts hatte gerade ihre neue Identität in der Auseinandersetzung mit Labands Version der juristischen Methode und Otto Meyers gefeiertem Kanon von Begriffen und Definitionen gefunden und ausgebaut. Dort fand man aber für die Entfaltung des Wirtschaftsrechts in der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre keinen Platz. Die Wissenschaft vom Öffentlichen Recht und vom Wirtschaftsrecht näherten sich in einigen Bereichen, jedoch in vielerlei Hinsicht nur peripher einander an. Die Streuung reicht weit, vom Verfassungsrecht bis hin zur wissenschaftlichen Erfassung des Rechts der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand in den Kommunalbetrieben. Daß das öffentliche Recht erst allmählich vom Wirtschaftsrecht Kenntnis nahm, läßt sich als historisches Phänomen durch eine genetische Betrachtungsweise erfassen, bei der sich Formen eines Wirtschaftsverwaltungsrechts auffinden und einander zuordnen lassen. Mit Blick auf die dem öffentlichen Recht zugewandte Seite des Wirtschaftsrechts stellen sich im Lauf der Weimarer Jahre eine Reihe von Befunden ein, wie die Fortentwicklung der Begriffe des Kriegswirtschaftsrechts, die Integration der organisierten Wirtschaft in den Staat, die Entfaltung der öffentlichen Wirtschaft und die Kanonisierung der Handlungsformen und Organisationsformen des Wirtschaftsrechts im Privatrecht und ferner im Verwaltungsrecht Als wirtschaftspolitischer Tenor schwingt freilich immer die politisch107 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner und Besonderer Teil, erschienen in der maßgeblichen Enzyklopädie für Rechts- und Staatswissenschaften.
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programmatische Konvergenz des Staates mit der Wirtschaft mit. Die deskriptive theoretische Hilfsvorstellung vom Interventionsstaat erweist sich dabei vielfach als nützlich, erfaßt aber bei der Analyse des Materials kaum die Vielfalt der Erscheinungen. Gewiß ist es hilfreich, die Vorstellung vom Interventionsstaat dem liberalnichtinterventioneilen Staat gegenüberzustellen, wie dies vielfach geschieht. 108 Die tatsächliche Lage des Wirtschaftsrechts und des Wirtschaftsverwaltungsrechts, die die damaligen Autoren demgegenüber widerspiegeln, korrespondieren jedoch nicht in allen Fällen mit den gedachten Leitbildern der Weimarer Zeit, dem liberalen Staat oder dem Interventionsstaat, sondern ihre Darstellung erfordert ein beschreibendes Modell, wie dies von der Allgemeinhistorie ebenso für die politische Konstellation in Weimar angeboten wird. 109 Die Richtgrößen für das Verständnis des Wirtschaftsrechts im Verhältnis zum öffentlichen Recht der Weimarer Zeit lassen sich daher so kennzeichnen: Entscheidend ist der Wandel des Verhältnisses des Staates zur Wirtschaft und die Bedeutung, die das Wirtschaftsrecht als innovative Größe im Fortgang des öffentlichen Rechts, oder genauer der Wissenschaft vom öffentlichen Recht einnahm. Das Verhältnis des Wirtschaftsrechts zum Privatrecht und zum öffentlichen Recht war dabei zunächst durchaus ähnlich im dem Sinne, daß das Wirtschaftsrecht sich nur allmählich in die angestammten Rechtsbereiche integrieren konnte, wobei insbesondere die Öffentlichrechtier erst sehr spät überhaupt von der Erscheinung des Wirtschaftsrechts Kenntnis nahmen. Zunächst wurde das Wirtschaftsrecht als ,,kollektivistischer" Fremdkörper, als der privatrechtlich-liberalen Gleichordnung der Rechtssubjekte nicht verwandt, angesehen. Auch wurde eine Verwandtschaft des Wirtschaftsrechts mit dem öffentlichen Recht, aber auch ein öffentliches Wirtschaftsrecht überhaupt, abgelehnt. So kam es erst allmählich zur Annäherung des öffentlichen Rechts und des Wirtschaftsrechts. 2. Friedrich Giese
Deutlich nach Kriegsende, also unter dem Eindruck des mit zunehmender Beto~ nung hervortretenden Wirtschaftsrechts, lag für Friedrich Giese als Staatsrechtslehrer nahe, gerade nach der öffentlich-rechtlichen Substanz der neuen, im wesentlichen im Krieg entstandenen Rechtsmasse zu fragen. Friedrich Giese lehrte als Ordinarius an der jungen Universität in Frankfurt am Main neben öffentlichem Recht auch Völker- und Kirchenrecht. Tatsächlich lag der Schwerpunkt seines Werks im Verfassungsrecht, dem Staatskirchenrecht, dem allgemeinen Verwaltungsrecht und 108 M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliche Recht, S. 135 f. Dazu auch L. Galt, Ausbildung und Charakter des lnterventionsstaates, S. 558 ff, der zur Vorsicht im Umgang mit dem "lnterventionsstaat" mahnt. I09 Die (wirtschafts-)politische Kräftekonstellation wurde in Abkehr von der These eines politischen Spektrums von rechts nach links für die Weimarer Republik m. E. besonders sinnfallig in einem Dreiecksmodell erklärt vonR.P. Sieferle, Die konservative Revolution, S. 7-26.
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in verwaltungsrechtlichen Nebengebieten wie dem Beamtenrecht Giese war ein ,,Positivist", der mit sicherem Blick auf die Praxis das geltende Recht zuverlässig in ständig aktualisierten Auflagen seiner zahlreichen Lehrbücher und Kommentare fortschrieb. 110 Wenn Gieses Aufsatz "Oeffentliches Wirtschaftsrecht als Gegenstand selbständiger Forschung und Lehre" 111 auch seine einzige gesonderte Befassung mit dem Wirtschaftsrecht bleiben sollte, so bietet er doch einen markanten Ausgangspunkt für die Suche nach der Trennung oder zumindest einer Unterscheidung von öffentlichem und privatem Wirtschaftsrecht Giese zog zunächst eine Bilanz der Veränderungen und Neuerungen des neuen Rechts nach Kriegsende. Er konstatierte einen völligen Umbau des Rechts aufgrund der neuen Verfassung. Dazu gesellte sich ein Neubau mit den hinzugekommenen Disziplinen des Arbeitsrechts, des Steuerrechts und, was er eher in Zweifel zog, vielleicht auch des Wirtschaftsrechts. 112 Gegenstand des Aufsatzes bildete die Suche nach dem öffentlich-rechtlichen Normenbestand innerhalb des Wrrtschaftsrechts. Auch Giese unterschied die vorherrschenden zwei Grundansichten, ging dabei nur etwas verallgemeinernd vor: Justus Wilhelm Hedemann, Hans Carl Nipperdey und Walter Kaskel gingen nach Gieses Einschätzung von einer gegenständlichen Begrenzung aus, wenn auch bei Hedemann die Abgrenzung nach dem methodischen Gesichtspunkt mit anklang. Vertreter der Abgrenzung nach der Methode der Rechtsanwendung seien der Mannheimer Handelshochschullehrer Max Rumpf und ferner der Hallenser Syndikus Herrmann Knott. 113 Der Autor ordnete sich selbst der letzteren Gruppe zu. Nimmt man Hedemanns Betrachtungsweise im Sinne eines epochemachenden Wandels des Rechts durch das Wirtschaftsrecht in den Blick, so schätzte Giese dessen Haltung nicht ganz zutreffend ein. Doch schien Giese eine Lagerbildung, eine idealtypische Polarisierung für angebracht zu halten, um seine skeptische Haltung gegenüber dem Wirtschaftsrecht als neuem Fach zu demonstrieren. 110 Zu Friedrich Giese allgemein: M. Stolleis, Friedrich Giese, in: B. Diestelkamp, M. Stolleis (Hrsg.), Juristen an der Universität Frankfurt am Main, S.117-127. M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 95. Zum Staats und Verfassungsrecht: Friedrich Giese erlangte große Bedeutung als Kommentator der Weimarer Verfassung. Siehe etwa F. Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches erläutert von Friedrich Giese. 3. Auflage von 1921. Die neue Rolle des Verfassungskommentars als nüchtern-positivistischen Auslegungshilfe für Wissenschaft und Praxis durch Autoren wie Giese betont M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 95. Gieses Kommentar findet sich oft zitiert. So im wirtschaftsrechtlichen Kontext bei F. Dochow, Verwaltung und Wirtschaft, S. 8 (Abkürzungsverzeichnis) und passim. Zum Verwaltungsrecht: Giese war Mitverfasser eines der großen Standardehrbücher zum Verwaltungsrecht: F. Giese, E. Neuwiem, E. Cahn, Deutsches Verwaltungsrecht, 1930. Giese war auch noch nach dem zweiten Weltkrieg im Bereich des Wirtschaftsrechts literarisch aktiv. Siehe dazu etwa: F. Giese, J.H. v.Brunn, Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung, 1950. 111 Fr. Giese, Oeffentliches Wirtschaftsrecht als Gegenstand selbständiger Forschung und Lehre, Deutsche Wirtschafts-Zeitung (DWZ), 1922, S. 98-103. 112 Ebenda, S. 98. m Ebenda, S. 99.
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Giese löste sich von den bis dahin für die nähere Begründung und Definition des Wirtschaftsrechts gefundenen programmatischen Ansätzen, indem er eine induktive Untersuchung des Rechtsstoffes forderte. Nachdem er in einem Hauptteil des Aufsatzes die Rechtsmaterien der Reichsverfassung, des Reichswirtschaftsrats, der wirtschaftlichen Organisationen, der Wirtschaftsabkommen, der Organisationsformen und deren Funktionen umrissen hatte, kam Giese zu dem Ergebnis, daß für den Bereich der Lehre weder ein eigenes Fach "Wirtschaftsrecht" noch ein Fach "öffentliches Wirtschaftsrecht" existiere. Allenfalls käme "Wirtschaftliche Verwaltung" als Teil der Vorlesungen im Verwaltungsrecht in Betracht. Für die Befassung der Forschung mit dem Wirtschaftsrecht gelte der Primat der Methode. Das Wirtschaftsrecht könne nur als neue Methode, nicht als abgeschlossene Sachmaterie Beachtung verdienen. Eine Unterscheidung in privates und öffentliches Recht lasse sich nur für die einzelne Rechtsvorschrift, nicht aber für das Rechtsgebiet als Ganzes treffen. Die gleiche Gemengelage von Begründungen für Normen aus dem Individual- und Sozialinteresse fand Giese im Arbeitsrecht und im Steuerrecht vor. Dabei unterscheide sich das Wirtschaftsrecht unter dem Blickwinkel des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Im Gegensatz zur fiskalischen Bedeutung des Steuerrechts und zum sozialen Grundzug des Arbeitsrechts sei das wirtschaftliche Interesse ubiquitär und damit nicht ein besonderes staatliches Interesse, das die Befassung des öffentlichen Rechts mit der Materie gebiete. Das Vordringen staatlicher Intervention in die Wirtschaft ließ Giese nicht als Unterscheidungsmerkmal für die Bildung einer öffentlichrechtlichen Disziplin gelten. 114 3. Georg Lucas Als einer der regesten Zeitschriftenautoren und Rezensenten des Wirtschaftsrechts trat der Präsident des Reichswirtschaftsgerichts Georg Lucas bereits seit 1920 hervor. Er nahm wie Giese 1922 zu dem bis dahin nicht ausgesprochenen Gedanken eines öffentlichen Wirtschaftsrechts im Sinne eines Teils des Verwaltungsrechts, also eines Wirtschaftsverwaltungsrechts Stellung. Dabei kam er zu einem anderen Ergebnis. Zwar fand er zahlreiche öffentlichrechtliche Anknüpfungspunkte in der Rechtsprechung des Reichswirtschaftsgerichts, drang aber nicht zur Begründung einheitlicher Unterscheidungsmerkmale für ein geschlossenes Rechtsgebiet vor, das sich vom Wirtschaftsrecht als dem in verschiedenen Schattierungen von einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung im Sinne eines Wandels der Rechtssphären der wirtschaftenden Gesellschaft geprägten Recht, wie es in dieser Zeit verstanden wurde, abheben konnte. Vielmehr ordnete Lucas das Wirtschaftsrecht ohne weitere methodische Abgrenzung dem Verwaltungsrecht zu. 115 Dabei ist die Entschiedenheit, mit der er eine öffentlichrechtliche Deutung des Wirtschaftsrechts als einem Ebenda, S.IOl. G. Lucas, Das Reichswirtschaftsgericht und das öffentliche Wirtschaftsrecht, JW 1922, S.662f. 114
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Teil des Verwaltungsrechts vertrat, singulär. Anders als es das Postulat von Lucas für sich genommen vermuten ließe, hatte zu Beginn der Zwanziger Jahre die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht im Wirtschaftsrecht keinen besonders hohen Stellenwert. 4. Max Rumpf und andere
Aus der Sicht der Reformbewegungen im Recht bemerkte der Rechtssoziologe und Professor an der Handelshochschule Mannheim Max Rumpf in seiner Stellungnahme zum Wirtschaftsrecht von 1922 eher beiläufig, daß das Schwergewicht der dogmatischen Ausformung des Wirtschaftsrechts dem öffentlichen Recht zufalle. Zwar hielt Rumpf, der die Rechtsordnung um die Erscheinungen der Wirtschaft, vor allem des Unternehmens gruppiert sah, gleiche Grundsätze im gesamten Wrrtschaftsrecht für wirksam, doch sei es "Aufgabe der Öffentlichrechtler, zum Zentrum des Wirtschaftsrechts vorzustoßen", wenn auch das "öffentliche Wirtschaftsrecht eine andere sozialethische Atmosphäre" atme, was beim Steuerrecht längst "erkannt" worden sei. 116 Rumpf diagnostizierte auch für das Handelsrecht eine erhebliche Ingerenz des öffentlichen Rechts seit seiner Entstehung, während er seit dem Krieg die Ausbreitung eines öffentlichen und staatlichen Wirtschaftsrechts beobachtete, das er aber nicht näher zu definieren vermochte. 1922 verfaßte der Berliner Privatdozent Friedrich Glum die von ihm als "öffentlichrechtliche Studie" bezeichnete Arbeit "Selbstverwaltung der Wirtschaft". Sie erschienjedoch wegen der Beschäftigung Glums im Kaiser-Wilhelm-Institut für Völkerrecht erst 1925. Der Titel steht in enger Verbindung mit der Arbeit von Paul Gieseke, dessen ,,Rechtsverhältnisse der gerneinwirtschaftlichen Organisationen" (1922) aber nach Auffassung Glums mehr die privatrechtliche Seite des Problems durchdrangen. 117 Ohne Aussage zu einem "öffentlichen Wirtschaftsrecht" blieb die am positiven Recht orientierte Zusammenstellung von Kurt Ball zu den "Typen aus dem Rechte der Verwaltungswirtschaft". 118 Franz Dochow, der den Themenkreis von Wirtschaft und Verwaltung mehrfach berührt hatte, drang ebenso wie Ball zu gesetzespositiven Formen der wirtschaftlichen Verwaltung vor. In seinen katalogartigen Zusammenstellungen einzelner Rechtsfragen des Verwaltungsrechts und der Wirtschaftsordnung hatte er sich nicht zu einer in Richtung auf ein Wirtschaftsverwaltungsrecht stofflich und methodisch vereinheitlichenden Betrachtungsweise vorgewagt. 119
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6M. Rumpf, Der Sinn des Wirtschaftsrechts, AcP 120 (1922), S. 186-l88.
F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 4 f. K. Ball, Typen aus dem Rechte der Verwaltungswirtschaft, DJZ 1922, Sp. 351-355. 119 F. Dochow, Verwaltung und Wirtschaft. Grundriß zur Einführung in das geltende Recht, Berlin 1921; ders., Wirtschaftspflege durch die Verwaltung. 117 118
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5. Das Verhältnis von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Wirtschaftsrecht in der Literatur
Nimmt man spätere Vorstellungen von einem privaten und einem öffentlichen Wirtschaftsrecht vorweg und ignoriert man deren untrennbare Vermengung insbesondere zu Beginn der Weimarer Republik, die sich erst allmählich ausdifferenzieren sollte, so führt dies unvermeidlich zu unhistorischem Mißverstehen. Das Besondere des Wirtschaftsrechts ist, zumindest in seinen Anfängen, die Idee von einer neuen, nicht mehr den herkönunlichen Kategorien angehörigen Ordnung, die sich an den tatsächlichen Verhältnissen der Wutschaft ausformt Dafür stehen insbesondere die Befunde aus den Versuchen, ein öffentliches Wirtschaftsrecht zu ermitteln. Giese sah das Phänomen des Wirtschaftsrechts eher aus öffentlichrechtlicher Warte. Die Eigengesetzlichkeit des Wirtschaftsrechts in seinen Einflüssen auf das Privatrecht ignorierte er. Diese Bewertung trifft auch für die von Friedrich Glum in der verwandten Materie der wirtschaftlichen Selbstverwaltung erkennbare Sicht zu. Im Gegensatz dazu drängten genuine Handelsrechtier wie Karl Geiler eine öffentlichrechtliche Deutung ab und verwiesen auf allgemeine Zeitströme, die das Wirtschaftsrecht als eine Erscheinung im ganzen Rechtsleben betrafen. Hans Carl Nipperdey richtete sich nach den Bedürfnissen der Praxis. Für ihn erübrigte sich eine Unterscheidung auf pragmatische Weise. Walter Kaskel mußte sich nicht zu einer Entscheidung gedrängt sehen, hielt er doch mit dem rechtstatsächlich gefärbten Begriff des Unternehmers einen vielfach verwendbaren Trumpf in der Hand, der durch seine Ähnlichkeit mit dem Rechtsbegriff des Kaufmanns bei den Juristen vertraute Assoziationen weckte. Kaskel hatte einen Begriff angeboten, der das Wirtschaftsrecht als Unternehmerrecht beschrieb, so wie das Handelsrecht vom Kaufmannsbegriff bestimmt war. Der vom Handelsgesetzbuch der Reichsjustizgesetzgebung vorgesehene Typus des Kaufmanns entsprach selbstverständlich nicht mehr der Realität. Er war mittlerweile eingebunden in ein Geflecht von Interessenverbänden und ruhte auf einem Netzwerk von Untemehmenszusammenfassungen, Beteiligungen und Kartellen auf, das die Auswirkungen von Marktschwankungen zu entschärfen half. Daher hatte sich das Unternehmen verselbständigt und war in der - die ganzen Zwanziger Jahre anhaltenden - Aktienrechtsreformdebatte zum ,.Unternehmen an sich" geworden. Diesen Befund hatte die Rechtssoziologie in ihrer Ausprägung der Rechtstatsachenforschung als sicherer Befund festgehalten. Kaskels Kunstgriff bestand darin, dich der Gesetzgebungsidee von der Anlehnung des Handelsrechts an den Kaufmannsbegriff zu bedienen. Damit aktivierte er programmatisch ein für die Juristen vertrautes Regelungsmuster, das der Verbreitung seiner Auffassung einen entscheidenden Vorsprung verschaffte. 120 Die Autoren zum öffentlichen Wirtschaftsrecht hatten zwar mehrheitlich die Kategorie eines Wirtschaftsverwaltungsrechts angedeutet, ohne damit ein Desiderat 120 Zur Geschichte des Handelsrechts und der Verflechtung mit dem Unternehmensbegriff grundlegend K. Schmidt, Handelsrecht, S.40- 87.
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der Forschung zu benennen. Der betonte Zwangscharakter der Syndikate und die zahlreichen Übernahmen aus der Kriegswirtschaft hatten bei ihnen den Eindruck hoheitlicher Regelung erweckt. Von der Konzeption eines konturierten Rechtsgebiets waren sie jedoch weit entfernt. V. Wirtschaftsverfassung "Wirtschaftsverfassung" 121 kann vieles sein. Historisch-soziologisch läßt sich damit jedes schon faktische Bestehen von Ordnungszusammenhängen beschreiben. Wirtschaftswissenschaftlich ist der Begriff synonym mit der analytischen Kategorie der Wirtschaftsordnung oder des Wutschaftssystems als einer Eigentums-, Sozialund Arbeitsordnung mit der Komponente der Staatsintervention. Juristisch wird darunter das formelle Verfassungsrecht, das sich auf die Wutschaft bezieht, oder im weiteren Sinne die materielle Wutschaftsverfassung als eine juristische Grundordnung des Wirtschaftslebens verstanden. Der Weltkrieg und die Weimarer Zeit sind aus der Sicht dieser analytischen Kategorien an Ansätzen zu einer Wutschaftsverfassung besonders reich, ohne daß diese als solche erfahren und formuliert worden wären. 122 Tatsächlich vorherrschend war eine Mischverfassung, die eine große Zahl sozialpolitischer, wirtschaftsliberaler und nicht zuletzt von den Siegermächten auferlegter interventionistischer Elemente vereinte. Ein wesentliches Fundament dazu war der positivierte Verfassungskompromiß zwischen liberalen und sozialistischen Prinzipien. Dem Ideal sozialen Fortschritts stand der Erhalt der Institution der freien Wirtschaft gegenüber. 123 Ein Gefüge von vorrangig finanzpolitischer Wirtschaftslenkung, öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften und staatlicher Aufsicht führte auf der Grundlage der grundrechtlich garantierten Wirtschaftsfreiheit zum Gesamtsystem einer gemischten Wutschaftsverfassung. 124 Als Ausprägungen einzelner dieser Kategorien lassen sich aus dem Wutschaftsrecht der Aufbauphase der Republik heraus eine Reihe von Versuchen verschiedener Akteure beschreiben, die eigene Wege zu einer Wirtschaftsverfassung suchten und artikulierten. 125 Sie verfolgten jeweils bestimmte Wege zu einer sektoralen Ordnung von Teilen des Wirtschaftslebens. 121 Zum Ganzen: E.R. Huber. Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Auflage, Band 1, S.20-31; H. Jarass, Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsverfassung, S. 43-83. Mit historischer Herleitung, aber mit Geltungsanspruch für die Bundesrepublik P. Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, S. 17-24. ders., Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, Jus 1976, S. 205m. w. N.; K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, passim. 122 In diesem Sinne der Kategorie einer Wirtschaftsverfassung auch K. W Nörr. Auf dem Wege zur Kategorie einer Wirtschaftsverfassung, 1994. Nicht in gleicher Deutlichkeit in: ders., Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S.173ff. 123 Im Zentrum dieses Verfassungskompromisses steht Art. 151 WRV. Siehe dazu die eindrucksvolle Darstellung von W Apelt, Geschichte der Verfassung der Weimarer Republik, S.358. 124 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, S.1025-1080, insbes. S.1029. 125 Siehe dazu unten Kapitel 6: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung.
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Eine Ausnahme von diesen partikularen Ansätzen zu einer Wrrtschaftsverfassung bildeten die Untersuchungen zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat von Heinrich Göppert. In seinen vielbeachteten Arbeiten nahm er eine Analyse der Wirtschaftsverfassung seiner Zeit im Sinne einer staatsrechtlichen Deutung der Ordnungs- und Lenkungspolitik des Weimarer Reichs vor. Heinrich Göppert, Ordinarius in Bonn, war aus der preußischen Verwaltung zuletzt als Unterstaatssekretär hervorgegangen. In der Zeit des Ersten Weltkriegs war er mit der Aufsicht über die Berliner Börse betraut gewesen und in die Regierung aufgerückt. Er hatte das Institut für Industrierecht an der Universität Bonn mit dessen Gründung übernommen. Göppert firmierte als Zivil- und Handelsrechtslehrer, war also kein Öffentlichrechtler. Das hinderte ihn aber nicht, sich mit dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft zu befassen, wofür er im Kreise der Staatsrechtslehrer Anerkennung fand. 126 Von Göppert liegen zahlreiche Beiträge zu Einzelfragen des Wirtschaftsrechts vor, ohne daß er sich an der Diskussion um das Wirtschaftsrecht als Rechtsdisziplin engagiert beteiligt hätte. 127 Göppert trat zu den Grundfragen der Wirtschaftsverfassung besonders mit seiner Schrift "Wirtschaft und Staat" hervor. Dort hatte er grundsätzlich die Frage für überflüssig erklärt, ob sich "unsere Entwicklung in der Richtung des Wirtschaftsstaats, d. h. des Staates, in dem die Wirtschaft das Richtunggebende, das Beherrschende ist" bewege. Die herausragende Bedeutung der Wrrtschaft in der öffentlichen Meinung flaute nach Göppert angesichts der desolaten Wirtschaftsverhältnisse bereits vor der Durchführung des Dawes-Plans 1924 ab. 128 Er empfand das Wirtschaftsrecht gewissermaßen als Ausdruck der Stärke einer wirtschaftlichen Bewegung, die sich in der ersten Aufbauphase der Republik noch Geltung verschaffen konnte. Indem er die Begriffe Staat und Wirtschaft vergleichend betrachtete, stellte Göppert fest, das Verhältnis beider Größen sei nichts feststehendes, ja die für sie je maßgeblichen Faktoren seien wandelbar. 129 Er beobachtete dabei, daß die Begriffe des Staates und der Wirtschaft der gleichen Dynamik unterworfen waren. Ausgehend vom Liberalismus der 60er und 70er Jahre des 19. Jahrhunderts beschrieb Göppert die Gegenbewegung des preußischen Staatssozialismus unter Bismarck, den er näher als "staatssozialistischen Kapitalismus" bezeichnete, als die "spezifisch preußisch-deutsche Wirtschaftsform, die ein bewußt regelndes Eingreifen des Staates in das freie Getriebe der Wirtschaft im Interesse des Staatsganzen verlangte und auch vor der eigenen wirtschaftlichen Betätigung des Staates nicht 126 Siehe etwa die Stellungnahme Othmar Bühlers, Aussprache über die Berichte am zweiten Tag VVdStRL 6 (1929) S.l48. 127 Siehe besonders H. Göppert, Die Sozialisierungsbestrebungen in Deutschland nach der Revolution, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 313-347. 128 H. Göppert, Wirtschaft und Staat, S. 3-5. Die Abhandlung war in der Reihe ,.Recht und Staat" des Verlages J. C. B. Mohr erschienen, die sonst in der Regel Schriften von Öffentlichrechtlern aufnahm. Dort waren auch die hier Interessierenden Studien Köttgens zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand und Hellers zu Demokratie und Diktatur, aber auch zahlreiche weitere Arbeiten von erstrangiger Bedeutung erschienen. 129 H. Göppert, Wirtschaft und Staat, S. 6.
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zurückschreckte." 130 Göppert hegte die vor allem für die Konservativen seiner Zeit typischen Ressentiments gegen den Liberalismus. Er hielt die Auffassung, das freie Spiel der Kräfte gewährleiste die höchste wirtschaftliche Entwicklung, für eine von den Deutschen eilfertig aufgegriffene westliche Ideologie, deren Auswüchsen erst der Staat Bismarcks Einhalt geboten habe, weil dieser Staat sich nicht von der "liberalistischen" Doktrin zum Nachtwächterstaat degradieren lassen wollte. Die hiernach vorgesehene Rolle des Staates als dem Hüter der wirtschaftlichen Freiheit lehnte Göppert ab. Sein Schüler Ernst RudolfHuber sollte sich wenige Jahre später, aber aus dem Geist des Hegelianismus heraus, der Rolle des Staates als Hüter der individuellen Freiheit positiv zuwenden, wenn auch die Freiheit im Dienste der Gemeinschaft stand, so wie Regel sie verstanden hatte. 13 1 Demgegenüber stimmte Göppert in den vielstimmigen Chor derer ein, die sich zu Beginn der zwanziger Jahre von einem staatlichem Dirigismus eine auch wirtschaftliche Gesundung erhofften. Diese Stimmen wurden erst wieder leiser, als es vor allem aus den Reihen der theoretischen Nationalökonomie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre üblich wurde, den staatlichen Interventionismus für die hemmende Verkrustung des Wirtschaftssystems verantwortlich zu machen. 132 Als "Staatssozialismus" beschrieb Göppert die nach praktischen Gesichtspunkten 133 orientierte Wirtschaftspolitik des Staates, die frei vom Pessimismus des marxistischen Sozialismus ihre Machtmittel im Interesse des Allgemeinwohls zur Geltung brachte. Es ging dort darum, auf dem Boden der Privatwirtschaft durch zu schaffende günstige Voraussetzungen, fördernd und vorsichtig lenkend einzugreifen oder private Betriebe in die öffentliche Hand zu überführen. Besonders die Übernahme von Wirtschaftsbetrieben, wie die von Bismarck als integrative Maßnahme herbeigeführte Gründung der Staatseisenbahnen, wertete Göppert als Teil selbstbewußter Wirtschaftspolitik. 134 Dem Kommunalsozialismus maß Göppert besonders im Versorgungssektor eine wesentliche unterstützende Rolle bei. Der Gemeinschaftsgedanke, der das Handeln der öffentlichen Hand bestimmte, drang, wie Göppert analysierte, auch in die Privatwirtschaft ein. Das Aktienwesen rückte vom Erwerbszweck der Dividendenernpranger ab, und das Unternehmen trat als wirtschaftende Einheit in den Vordergrund. Göppert beschrieb damit die ersten Entwicklungsstränge der Konzentration, Bürokratisierung und Organisation, die hauptsächlich das Aktienwesen betrafen und, in der Praxis angelegt, später zur Doktrin des "Unternehmens an sich" führten. 135 Ebenda, S. 9. G. W. F. Hege/, Grundlinien der Philosophie des Rechts,§ 232. Siehe dazu die Analyse von E. -J. M estmäcker, Wirtschaftsordnung und Geschichtsgesetz, S. 118 f. 132 L. Mises, Kritik des Interventionismus, S. 24f, W. Eucken, Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus, S.297-301. l33 "Praktische Gesichtspunkte" standen bei ihm stets im Vordergrund so auch in H. Göppert, Die Sozialisierungsbestrebungen in Deutschland nach der Revolution, S. 315 f. 134 H. Göppert, Wirtschaft und Staat, S. 14. 135 A. Riechers, Das Unternehmen an sich, S. 26 f. H. Göppert, Wirtschaft und Staat, S. 17 f. 130 131
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Der Munizipalsozialismus war in Deutschland mit dem Staatssozialismus Bismarcks einhergegangen, wissenschaftlich begleitet vom konservativ-sozialen "Kathedersozialismus" eines Adolph Wagner. Die "Soziale Frage" hatte die politische Diskussion der Gründerzeit beherrscht und schließlich zur Gründung des sozialpolitisch engagierten "Vereins für Sozialpolitik" geführt. Der Kern des Kommunalsozialismus war jedoch nicht die sozial motivierte Betätigung der Städte und Gemeinden gewesen. Vielmehr hatte sich die öffentliche Hand im Bereich des Versorgungswesens, teilweise aber auch mit erwerbswirtschaftlichen Betrieben, am Wirtschaftsgeschehen beteiligt. Elektrizitätswerke, Schwenunkanalisation und Nahverkehr bildeten den Schwerpunkt der Aufgaben, um die sich die verschiedenen Formen des neuen Typus des kommunalen Gewerbebetriebs gruppierten. Private Versorgungsanstalten wurden kommunalisiert. Die Kehrseite der Hinwendung zur umfassenden Daseinsvorsorge war der wachsende Finanzbedarf und damit die zunehmende Abhängigkeit vom Obligationenmarkt und von gewinnträchtigen Betrieben. Die Folge war eine Einschränkung der Kommunen in ihrer fiskalischen Bewegungsfreiheit, da ihre wirtschaftliche Betätigung oft nur noch dem Verlustausgleich für defizitäre Pflichtaufgaben diente. Wahrend das Reich sich noch im Weltkrieg von finanziellen Lasten für soziale Ausgaben freigehalten hatte, konnten sich die Kommunen dem nicht entziehen. Aus dem obrigkeitlich-paternalistischen Gestus des ursprünglichen Munizipalsozialismus war die in Abhängigkeiten geratene Kommunalwirtschaft geworden.136 Göppert hing jedoch weiterhin dem Bismarckschen Idealbild an, obwohl sich die gegenseitige Verflechtung von Staat, Wirtschaft und Finanzmarkt schon längst etabliert hatte. Im großen Krieg vermißte Göppert die Umwandlung des Staatssozialismus in eine Kriegswirtschaft, die eine gemeinsame Front mit der Kriegsfront gebildet hätte. Aus seiner Sicht als preußisches Regierungsmitglied im Kriege empfand er die entstandene Kriegswirtschaft, nachdem niemand an eine wirtschaftliche Mobilmachung im vorhinein gedacht hatte, als Notbehelf, der nach dem Krieg sofort wieder hätte verschwinden sollen. In scharfer Opposition zu den wirtschaftspolitischen Tendenzen, diesen aus der Not geborenen Kriegssozialismus in die Friedenszeit zu überführen, warf Göppert die Frage auf, welcher Staat zum Staatssozialismus ausreichend legitimiert wäre. Der Staatssozialismus beruhte nach Göpperts Meinung auf einer Staatsgewalt, die von parlamentarischen Strömungen unabhängig war und kontinuierliche Politik betrieb. Die Abhängigkeit der Regierung von den jeweiligen Mehrheiten in der parlamentarischen Demokratie nehme dem ,,Parteienstaat" die "innere Berechtigung zum Staatssozialismus." 137 Zur Frage, ob das Reich zum Staatssozialismus legitimiert sei, verwies Göppert auf die Geschichte der Reichsverfassung vor dem Kriege. Sie war ihrer Konstruktion nach von der Rolle des vom Dreiklassenwahlrecht bestimmten Preußen als stärkstem Glied des Bundesrates als höchstem Reichsorgan
136 W. Krabbe, Munizipalsozialismus und Interventionsstaat, S. 266 f, 270 ff. 137
H. Göppert: Wirtschaft und Staat, S. 27.
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geprägt gewesen. Doch die pragmatische Politik der Reichsämter verhinderte die preußische Hegemonie zunehmend bis hin zur Gewichtsverlagerung auf das egalitär demokratisch und parlamentarisch geprägte Reich. Im Kriege beschleunigte sich der Machtzuwachs des Parlaments. Daß schließlich nach dem Krieg auf dieser Grundlage ein staatssozialistisches Regime nicht wirksam Platz greifen konnte, belegte Göppert mit dem Bestreben der Großunternehmer, die im Kriege schwach gewordene Hand des Staates beiseite zu schieben. Die Vorstellung von einer "Gemeinwirtschaft" sei nur eine schematische Übertreibung des in der Industrie verbreiteten Kartellgedankens und insoweit nur eine wohlklingende Fassade. Die Begriffsverwirrung der Zeit wird durch ein von Göppert gewähltes Beispiel versinnbildlicht. Danach bezeichnete die Sozialdemokratie die Planwirtschaft als Verewigung des Kapitalismus. Die gleichwohl staatssozialistisch motivierten Versuche des Ministeriums Wissell-v. Moellendorff und der nachfolgenden Ministerien gingen nach Göpperts Auffassung ins Leere. Die seit 1922 unabhängige Reichsbank, die auf die Privatwirtschaft gestützte Rentenbank und die aus der unmittelbaren Verwaltung gelösten Unternehmen der Reichspost und der Reichsbahn ließen ihn auf eine gegenteilige Tendenz schließen. Die einzige der Demokratie adäquate Wirtschaftsform sei der Liberalismus, wenn auch der ungezügelte Kapitalismus dem deutschen Wesen widerspreche, dem der Gemeinschaftsgedanke nun einmal eigen sei. 138 VI. Reichswirtschaftsrat und Reichswirtschaftsgericht in der wirtschaftsrechtlichen Literatur 1. Der Reichswirtschaftsrat
Sowohl das Verfassungsrecht als auch das Wirtschaftsrecht in Gestalt der wirtschaftlichen Selbstverwaltung hatten Anlaß, sich mit dem Reichswirtschaftsrat zu befassen. Aufbauend auf der wissenschaftlichen Diskussion über die Nebenverfassung mit der Spitze des Reichswirtschaftsrats lieferte der Rostocker Staatsrechtier Edgar Tatarin-Tarnbeyden die verfassungsrechtliche Interpretation des Reichswirtschaftsrats als einem ständischen Element der "Wrrtschaftsverfassung". 139 Als Rechtspraktiker bezog demgegenüber Friedrich Edler von Braun, der unter dem Präsidenten Max Hachenburg stellvertretende Präsident des Reichswirtschaftsrates, keine verfassungsrechtliche Position, sondern berichtete von den zahlreichen praktischen Aufgaben und Problemen des neuen Verfassungsorgans. 140 Ebenda, S. 31-34. H. Herrfahrdt, Die Probleme der berufsständischen Vertretung von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, 1921. E. Tatarin-Tarnheyden, Die Berufsstände, ihre Stellung im Staate und die deutsche Wlrtschaftsverfassung, 1922. 140 F. Edler v. Braun, Die Zukunftsbedingungen des Reichswirtschaftsrates, RuW 1921, S. 117-119. Langjähriger Präsident des Reichswirtschaftsrates war Max Hachenburg, vgl. K. 0. Scherner, Max Hachenburg, 5.415-428. 138
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Hans Goldschmidt ordnete das wirtschaftliche Rätewesen neben der wirtschaftlichen Selbstverwaltung im engeren Sinne der von ihm besonders nachdrücklich ausformulierten und begrundeten "Wirtschaftlichen Selbstregierung" zu, einer wirtschaftsverfassungsrechtlichen Kategorie, die Goldschmidt in Anlehnung an Anschütz gebildet hatte. Unter den Arbeiter- und Wirtschaftsräten des Art. 165 WRV hob er den Reichswirtschaftsrat als tatsächlich bedeutendstes Vertretungsorgan besonders hervor. Er sei eine parlamentarische Versammlung nicht nur mit beratender Stimme, sondern auch mit einem Initiativrecht im Reichstag, das er auch gegen den Standpunkt der Reichsregierung im Reichstag durchsetzen könne. Die Stellung des Reichstags sei zwar unangefochten die der Repräsentation des ganzen Volkes und deshalb grundsätzlich nicht die eines Organs der Selbstregierung. 141 Doch könne der Reichswirtschaftsrat, dessen Zusammensetzung und innere Organisation er eingehend darstellte, durch seine eben nicht auf Mehrheitsentscheidung verwiesene Arbeit überzeugen, so daß Goldschrnidt annahm, im Laufe der "Entwicklung" würde er "eine Stellung neben oder gar über dem Reichstag einnehmen". 142 Entsprechend der Idee Moellendorffs erblickte Friedeich Glum im Reichswirtschaftsrat ein reines oberstes Staatsorgan: "Sachverständigenorgan, Wirtschaftsparlament, oberstes Organ der SelbstveJWaltung der Wirtschaft, berufsständische erste Kammer (Kammer der Arbeit), das sind demnach die vier hauptsächlichen Lösungen des Problems des Reichswirtschaftsrates." 143 "Er wird dann das sein, was er jetzt bereits ist (1925, A.d.V.), ein öffentlich-rechtliches Organ einer privatrechtlich und privat-wirtschaftlich organisierten Wirtschaft. Dem Typus des Vertretungskörpers, der Kammer Lorenz v. Steins veJWandt, Organ der SelbstveJWaltung der Wirtschaft- diese als ein politischer Begriff verstanden-, dennoch mehr, als ein Organ, das an der höchsten Betätigung staatlichen Willens mitzuwirken berufen ist, und das eine Macht vertritt, die fast mit Souveränität begabt dem Staate gegenübertritt." 144
Im Vergleich zu den anderen Organen des Art. 165 WRV, den Bezirksarbeiterräten und dem Reichsarbeiterrat sowie dem Reichswirtschaftsrat, die allesamt nie in der vorgesehenen Gestalt entstanden, maß Glum den geplanten BezirkswiJ:tschaftsräten nur ein relativ geringes Gewicht bei. Glum, der zur wirtschaftsrechtlichen Frage der Räteverfassung über die ganze Weimarer Zeit entscheidende Beiträge lieferte, 145 beschränkte sich daher in seiner Darstellung auf einen Vergleich mit den als sektorale Wirtschaftsvertretung zu verstehenden Handwerks-, Landwirtschaftsund Handelskammern. Ihnen kam immerhin die Rolle einer öffentlichen Vertretung zu, der aber wichtige Eigenschaften eines Selbstverwaltungskörpers fehlH. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S.48. Ebenda, S. 49. 143 F. Glum, SelbstveJWaltung der Wmschaft, S. 151. 144 Ebenda, S. 158. 145 F. Glum, Das Problem des Reichswirtschaftsrates, Recht und Wirtschaft 1921, S. 35-41; ders., Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, 1929; ders., Art. Reichswirtschaftsrat in Anschütz/Thoma, 1930. 141
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ten. 146 Erwähnenswert bleibt lediglich die Initiative des preußischen Staatsministers Bill Drews, Wirtschaftsprovinzen zu bilden, in denen die Bezirkswirtschaftsräte errichtet werden sollten. 147 Hans Goldschmidt wollte den Bezirkswirtschaftsräten allenfalls eine verwaltende Rolle zubilligen. 148 Über die Merkmale des Begriffs der Selbstverwaltungskörper herrschte auch nach Auffassung Goldschmidts in der Literatur keine Einigkeit. Anstatt wie die anderen Autoren eine Untersuchung des Rechtsstoffs aus dem spärlichen Material nach induktiver Methode zu versuchen, erörterte Goldschmidt die "Stellung des Begriffs im System (sic)." 149 Aus der Bestimmung der aufgrund § 3 Sozialisierungsgesetz und Art.156 II WRV zu bildenden Verbände, deren Aufgabe es sei, der wirtschaftlichen Selbstverwaltung zu dienen, gehe hervor, daß es sich um öffentlich-rechtliche Verbände handle. Sie seien Selbstverwaltungskörper wie die des allgemeinen Verwaltungsrechts. Die Heranziehung von Staatsbürgern zu der so entstehenden wirtschaftlichen Selbstverwaltung entspreche sogar dem Bild der politischen Selbstverwaltung. Das Recht des Reichswirtschaftsrats wurde durchaus zum Wirtschaftsrecht gezählt, wie die Stellungnahmen Heinrich Herrfahrdts und Edgar Tatarin-Tarnheydens und deren Vorstellung von einer Wirtschaftsverfassung zeigen. 150 Doch galt dies nicht für die anderen organisatorischen Elemente des Art. 165 WRV. So spricht Art. 165 IV WRV von den sozialen Selbstverwaltungskörpern. Walter Wauer war zu der Überzeugung gekommen, nur die wirtschaftlichen, nicht aber die sozialen Selbstverwaltungskörper würden unter den Begriff der wirtschaftlichen Selbstverwaltung fallen. 151 Da Wauer an verwandter Stelle die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper als Problem und als Besonderheit des Wirtschaftsrechts ansah, schloß er damit die soziale Selbstverwaltung und damit das Sozialrecht als einen Teilbereich des Wirtschaftsrechts aus. Der Reichswirtschaftsrat hatte in den ersten Nachkriegsjahren das große Erwartungspotential der Diskussion um die- korporatistische, antikorporatistisch-liberale oder sozialistische - wirtschaftliche Selbstverwaltung auf sich vereint. Da er nur als vorläufiger Wirtschaftsrat zusammengetreten war, büßte er seine Stellung als Hoffnungsträger rasch ein. Aus demselben Grund gingen von ihm auch keine unmittelbaren Impulse für das Wirtschaftsrecht aus; es blieb bei der Diskussion des Reichswirtschaftsrats als einem Element der formellen Wirtschaftsverfassung. F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S.l59-167. Ebenda, S.169-172. 148 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S.Sl. 149 Ebenda, S. 61. tso H. Herrfahrdt, Die Probleme der berufsständischen Vertretung von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, 1921, Vorwort, S. 3ff. E. Tatarin-Tarnheyden, Die Berufsstände, ihre Stellung im Staate und die deutsche Wirtschaftsverfassung, 1922, passim. Aus der Sicht der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit K. Ballerstedt, Art. Wirtschaftsverfassung, Sp. 2963 f. 1s 1 W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. 20. 146
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918-1925 2. Das Reichswirtschaftsgericht
Den Rechtsschutz im Wirtschaftsrecht empfand man in Praxis und Wissenschaft als unzureichend. 152 Ungleichheiten der Verteilungsgerechtigkeit waren evident geworden. Franz Dochow hatte die Befassung mit den Kompetenzen und der Ausgestaltung des Rechtsschutzes im Wirtschaftsrecht angemahnt. Eingereiht in die Frage des Rechtsschutzes gegen die reichsrechtlich angeordneten wirtschaftlichen Maßnahmen der Verwaltung, bei denen er mit anderen erhebliche Defizite beklagte, behandelte er die Kompetenzen des Reichswirtschaftsgerichts und des von der Verfassung in Art. 107 WRV vorgesehenen, aber noch nicht errichteten Reichsverwaltungsgerichts, das für die Verwaltungsgerichtsbarkeit des gesamten Reichs eine einheitliche oberste Instanz bilden sollte. Die judizielle Bewältigung der einer Wirtschaftsverwaltung unterfallenden Materien ordnete er dabei primär dem künftigen Reichsverwaltungsgericht zu. 153 Goldschmidt hatte seinerseits dem Reichswirtschaftsgericht als ausschließlich im Wirtschaftsrecht operierenden Gericht bei der Erörterung der "wirtschaftlichen Rechtsprechung" große Aufmerksamkeit gewidmet. Auch er verglich dessen Kompetenzen mit denen des vorgesehenen Reichsverwaltungsgerichts. Mit der Auffassung, das Reichsverwaltungsgericht würde neben einem immer mehr erstarkenden Reichswirtschaftsgericht seine eigenen Kompetenzen schwer behaupten können, reihte er sich in die große Zahl der wissenschaftlich argumentierenden Streitpositionen und Stellungnahmen in der Diskussion um die Reichsverwaltungsgerichtsbarkeit ein. 154 Neben dem Reichswirtschaftsgericht kommentierte Goldschmidt Aufgaben und Praxis verschiedener Schiedsgerichte der Wlrtschaftsverbände, der Mietund Pachteinigungsämter und der Verwaltungsbehörden, die zur Streitentscheidung berufen waren. Zu Grundsätzen, nach denen er bestimmt hätte, ob es sich in allen Fällen auch um Gerichte und nicht um Behörden mit einem justizförmigen Verfahrensgang gehandelt hat, gelangte Goldschmidt nicht. Er sah in der Rechtsprechung lediglich inhaltlich das einigende Prinzip, daß die Wmschaftsgerichte nach billigem Ermessen zu entscheiden hätten. In weiterem Umfang als bei den ordentlichen Gerichten seien wirtschaftliche Erwägungen zu berücksichtigen und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. 155 Goldschmidt hatte Ludwig Waldeckers Darstellung beigepflichtet, der das Reichswirtschaftsgericht als bloßes Schiedsgericht angesehen hatte. Das schloß Gold152 F. Hertel, Die Stellung des Reichswirtschaftsgerichts nach der Entschädigungsordnung, Recht und Wirtschaft 1921,5.166-170, 167f. 153 F. Dochow, Wirtschaftspflege und Wirtschaftsrecht, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1921, S. 1; ders., Wirtschaftspflege durch die Verwaltung, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1921, S.39-40. 154 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 80f. Zur Diskussion um das Reichsverwaltungsgericht im Verhältnis zum Reichswirtschaftsgericht in der Weimarer Republik W. Kohl, Das Reichsverwaltungsgericht, 5.166-168. 155 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 82 f.
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schmidt aus der Eigenart des Vorläufers des Reichswirtschaftsgerichts im Kriege, der Reichsschiedsstelle für Entschädigungssachen und der Eigenart der Einzelfälle, die eine generalisierbare Rechtsprechung nicht entstehen lassen würden. 156 Freilich hatte sich Waldecker selbst von dieser Auffassung allmählich entfernt. Sein Interesse verlagerte sich, nachdem er nunmehr das Reichswirtschaftsgericht schon aufgrund der Gesetzeslage als staatliches Sondergericht betrachtete, ebenso wie bei Franz Dochow auf das Verhältnis von Reichswirtschaftsgericht und Reichsverwaltungsgericht 157 Indem er die Frage, ob das Reichswirtschaftsgericht zu einem Reichsverwaltungsgericht ausgebaut werden könne, offen ließ, optierte er auch nicht für die öffentlichrechtliche, privatrechtliche oder anderweitige Rechtsnatur der Streitigkeiten, die vor das Reichswirtschaftsrecht gebracht werden konnten. 158 Die von Waldecker favorisierte Herleitung der Kompetenzen des Reichswirtschaftsgerichts von seinem Vorgänger, der Reichsschiedsstelle für Entschädigungssachen, führte den Heidelberger Oberbürgermeister Walz zum Ergebnis, daß das Reichswirtschaftsgericht bereits als besonderes Verwaltungsgericht anzusehen sei. 159 Als Waldecker 1925 in der Festschrift für das Preußische Oberverwaltungsgericht einen Rückblick auf das zehnjährige Bestehen des Reichswirtschaftsgerichts und seiner Vorläufer veröffentlichte, konnte er bereits auf eine umfangreiche Literatur zurückgreifen. Erneut hob er die Kontinuität der Institution - über die Verfassungszäsur von 1918/19 hinweg - hervor. 160 Weder durch seine Rechtsprechung, noch durch seine Stellung als eines der Reichsgerichte konnte das Reichswirtschaftsgericht ein eigenes Profil entwickeln. Eine herrschende Auffassung über die Zugehörigkeit des Gerichts zu einem Gerichtszweig hatte sich ebensowenig herausgebildet. 161 Um so mehr machte das bei ihm errichtete Kartellgericht durch eine einheitliche Rechtsprechung und aufsehenerregende Entscheidungen auf sich aufmerksam.
156 L. Waldecker, Zur Frage der Rechtsnatur des Reichswirtschaftsgerichts, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1922, S. 93. 157 L. Waldecker, Reichswirtschaftsgericht, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1920, S. 327. F Dochow, Wirtschaftspflege und Wirtschaftsrecht, DWZ 1921, S.l. 158 L. Waldecker, Zur Frage der Rechtsnatur des Reichswirtschaftsgerichts, DWZ 1922, S.93- 95. 159 E. Walz, Ist das Reichswirtschaftsgericht ein Verwaltungsgericht? Deutsche WirtschaftsZeitung 1921, S.1-3. Siehe dazu weiter die Beiträge von K. Friedrichs, Reichswirtschaftsgericht und Reichsverwaltungsgericht, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1921, S. 375-389; H . C. Nipperdey, Rezension: Klinger, Die Zuständigkeitsgebiete des Reichswirtschaftsgerichts, Archiv des öffentlichen Rechts 1923, S. 377. 160 L. Waldecker, Zehn Jahre Reichswirtschaftsgericht, S. 224-250. Einzelne Nachweise zur Literatur beiM. Stolleis, Art. Reichswirtschaftsgericht, in: HRG Bd.IV, Sp. 819. 161 E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band VI, S.570 setzt seine eigene Auffassung, das Reichswirtschaftsgericht sei ein besonderes Verwaltungsgericht gewesen, an die Stelle eines historischen Befundes.
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VII. Institutionelle Etablierung des Wirtschaftsrechts als wissenschaftliche Disziplin Wenn auch später Friedrich Klausing die Forschung im Wirtschaftsrecht zu Beginn der Zwanziger Jahre skeptisch als "unklares Suchen" bezeichnen mochte, entsprach dennoch der starken wirtschaftsrechtlichen Strömung innerhalb der Rechtswissenschaft eine Reihe von Gründungen wissenschaftlicher Einrichtungen. 162 Den Möglichkeiten der Wirtschaftsförderung und dem Denken in wirtschaftlichen Größen kommt in Zeiten der Not stets ein besonderer Nimbus zu. Die Notwendigkeit, über Einflußnahmen auf die Wirtschaft und das Verhältnis von Staat und Wirtschaft zu forschen, hat in diesen Zusammenhängen große Überzeugungskraft Der so entstandene öffentliche Druck erleichterte es, insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg, Forschungsmittel zu mobilisieren. Unter den Wirtschaftsrechtsinstituten trat wegen seiner Veröffentlichungsreihe, den "Schriften zum Wirtschaftsrecht" und seinen laufenden "Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht" und nicht zuletzt wegen des Bekanntheitsgrades von Justus Wilhelm Hedemann selbst dessen "Jenaer Institut für Wrrtschaftsrecht" besonders hervor. Diese Gründung ging auf Anregungen aus der Mitte der Jenaer Juristenfakultät, namentlich von Heinrich Gerland, Karl Rauch und Heinrich Lebmann, der seine Antrittsvorlesung an der Universität Jena 1912 dem "Industrierecht" gewidmet hatte, sowie aus den Kreisen des Vereins "Recht und Wirtschaft" zurück. 163 Die Finanzierung des Instituts für Wirtschaftsrecht hatten die Carl-ZeißStiftung der in Jena ansässigen Carl-Zeiß-Werke, im Rahmen einzelner Projekte auch andere Industrielle übernommen. So war auch eine Veröffentlichungsreihe "Veröffentlichungen des Instituts für Wrrtschaftsrecht" möglich geworden. Der Verein "Recht und Wirtschaft", ein von verschiedenen Seiten aus Verwaltung, Justiz, Lehre, insbesondere der Jenaer juristischen Fakultät 164 und verschiedenen Syndices aus der Industrie vor dem Krieg angeregter, schließlich 1910 in Leipzig gegründeter Interessenverband mit Bezirksverbänden im ganzen Reich, hatte Hedemann in diesem Vorhaben unterstützt. Daß die seit 1920 erscheinenden "Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wrrtschaftsrecht" die Zeitschrift ,,Recht und Wirtschaft", als "Monatsschrift des Vereins W Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 2, 11. Auf Lebmanns nicht veröffentlichte Antrittsrede wies J. W. Hedemann, Das Wirtschaftsrecht, Rückblick und Abschied, S. 378 hin. 164 J. W Hedemann, Geschichte des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, S.4. Danach waren führende Praktiker der Justiz, mit Mitgliedern der Jenaer Juristenfakultät die vorantreibenden Kräfte der Bewegung, die rasch über Jena und Thüringen hinausgegriffen und zur Gründung des in ganz Deutschland verbreiteten Vereins "Recht und Wirtschaft" beigetragen hatte. Zum Verein Recht und Wirtschaft ferner das Editorial von H. Düringer, Der Verein Recht und Wirtschaft nach dem Kriege, Recht und Wirtschaft 1919,5.1- 3, in dem der Autor programmatisch vom neuen Geist im neuen Volksstaat sprach und die Zusammenarbeit von Juristen und juristischen Laien auf dem Gebiet der Wutschaft forderte. Siehe auch das Editorial des zehnten Jahrgangs ( 1921) der Zeitschrift Recht und Wirtschaft vor Beginn der Paginierung. 162 163
VII. Institutionelle Etablierung des WirtSchaftsrechts
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zur Förderung zeitgemäßer Rechtspflege und Verwaltung" das Organ des Vereins gleichen Namens, auf lange Sicht in ihrem Erscheinen ablösten, beruhte nicht erklärtermaßen auf einem Zusammenhang. Die Zeitschrift "Recht und Wirtschaft" hatte 1922 noch einmal den Verlag gewechselt und erschien unter der Ägide von Friedrich Glum zwei weitere Jahre, bis sie ihr Erscheinen ohne editoriale Stellungnahme einstellte. Der Verein "Recht und Wirtschaft" verlor schließlich sein Vermögen in der Inflation. Nach ersten Verhandlungen in der Vorkriegszeit hatte sich die Leitung der CarlZeiß-Stiftung im Kriegsjahr 1917 unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Folgen der alliierten Blockadepolitik grundsätzlich zu einer Stiftung zugunsten eines wirtschaftsrechtlichen Instituts bereiterklärt, nachdem man bis zu diesem Zeitpunkt nur naturwissenschaftliche Projekte gefördert hatte. Das Institut erhielt 1918 seine Satzung und konnte so zum Sommersemester 1919 inflations-und kriegsbedingt-man hatte das Stiftungsvermögen in Kriegsanleihen angelegt- zunächst im kleinen Rahmen seine Arbeit aufnehmen. Schwerpunkte der Forschungstätigkeit waren zunächst das Kriegswirtschaftsrecht und die Demobilmachungsgesetzgebung, später die Aufwertungsproblematik, aber auch das gesamte Arbeitsrecht. Letzteres hatte zunächst Hans Carl Nipperdey, bis zu seinem Ruf an die Universität Köln 1925 langjähriger Assistent des Instituts, im Lehrbetrieb betreut. 165 Danach übernahm der im gleichen Jahr von Münster nach Jena berufene Alfred Hueck als Fakultätskollege Hedemanns die Vorlesungen über Arbeitsrecht. Hedemann übertrug im Wmtersemester 1927/28, in dem er für eine Forschungsreise nach den Niederlanden und Frankreich beurlaubt war, vertretungsweise auch die Leitung des Instituts auf Hueck. Neben den Vorlesungen zum Wirtschaftsrecht konzentrierte sich der Lehrbetrieb des Instituts auf das Privatseminar, aus dem eine Reihe von Dissertationen hervorging. 166 Zusätzlichen Ansporn für die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts sollte ein reichsweit ausgelobtes und von dem Jenaer Bankier Arwed Koch, einem ehemaligen ,)enaer Schüler" und Förderer des Instituts, gestiftetes Preisausschreiben bieten. Gegen Ende der Zwanziger Jahre setzte man diese Form der Forschungsförderung auf Betreiben Hedemanns nicht mehr 165 Nipperdey übergab die Stellung des Assistenten arn Institut an George Löning, der schließlich zum Sommersemester 1930 Extraordinarius in Greifswald wurde. Er war gefolgt von weniger namhaften Assistenten. Sämtliche Assistenten sind aufgeführt in: J. W. Hedemann, Geschichte des Jenaer Instituts, S.31. 166 J. W. Hedemann, Geschichte des Jenaer Instituts, S. 5-23. Die spätere Darstellung des Achtzigjährigen widerspricht stellenweise der Zusammenfassung bei Hedemanns Wechsel nach Berlin 1937: So schien nach J. W. Hedemann, Wirtschaftsrecht - Rückblickund Abschied, in: Festschrift Hueck, 1959, S. 378 der Krieg im Sommer 1917 einem glücklichen siegreichen Ende entgegenzugehen und es stand demnach die fortschreitende Entwicklung eines gesunden Kapitalismus zu erwarten. Diese Darstellung fügt sich indes nicht schlüssig in die von Hedemann beschriebene zunächst zögerliche Haltung der Zeiß-Stiftung bei der Errichtung des Instituts ein. Zum Privatseminar: W. v. Mutius, Das Privatseminar über bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Nr. 32, 1027, S.33-52.
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fort, da sie nicht mit dem Charakter des Instituts vereinbar gewesen sei. 167 Das Institut bot darüber hinaus einmal jährlich einen wirtschaftsrechtlichen Fortbildungskurs für Rechtspraktiker und Vertreter der Gewerkschaften an. 168 Hedemanns Institut galt trotz ablehnender Stimmen in der Literatur, die sich gegen Hedemanns sogenannte "weltanschauliche" Auffassung vom Wirtschaftsrecht als neuer Rechtsepoche richtete, weithin als führend. So sprach Friedrich Glum noch 1934 der Arbeit dieses Instituts "vor allen anderen" seine Anerkennung aus. 169 Ernst Heymann hatte in Berlin 1920 die Gründung eines Instituts für "Ausländisches und Wirtschaftsrecht" erreicht, dem die Veröffentlichungsreihe der "Arbeiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht" im Dienst am Wirtschaftsrecht zur Seite standen. Dort erschien insbesondere 1920 die Schrift Hans Goldschmidts ,,Eigentum und Eigentumsteilrechte in ihrem Verhältnis zur Sozialisierung". 1920 nahm in Bonn das industrierechtliche Seminar Heinrich Göpperts seine Arbeit auf. Es war auf Anregung Carl Duisbergs von der Gesellschaft der Freunde der Universität Bonn maßgeblich gefördert worden. 170 Aus ihm gingen insbesondere die Arbeiten von Ernst Rudolf Huber in seiner kardinalen Bedeutung für das Wrrtschaftsverwaltungsrecht und von Tula Simons mit ihrer förderlichen Rolle für das Recht der Gemeinwirtschaft hervor. Die junge Hamburger Universität, an der seit ihrer Gründung der Seerechtier und Rechtssoziologe Hans Wüstendörfer wirkte, richtete 1922 ein Seminar für lndustrierecht171 ein, das aber für das Wirtschaftsrecht ohne große Ausstrahlungswirkung blieb. Erst gegen Ende der Weimarer Zeit entstand an der rechtswissenschaftliehen Universität zu Köln das "Institut für Arbeits- Wirtschafts- und Auslandsrecht", auf dessen Tätigkeitsbereich besonders Hans Carl Nipperdey mit seinem auf dem Arbeitsrecht ruhenden Forschungsinteresse entscheidenden Einfluß ausübte. 167 J. W. HederruJnn, Geschichte des Jenaer Instituts, S.17. Ders., Preisausschreiben des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Universität Jena, DJZ 1925, S. 1106f. 168 Diese Kurse wurden fachöffentlich angeboten, J. W. HederruJnn, 6. staats-und rechtswissenschaftlicher Fortbildungskursus des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Universität Jena, DJZ 1927, Sp. 799f. 169 Die spätere Zukunft des Instituts war wegen der guten Beziehungen zu H ederruJnns Doktoranden Roland Freister gesichert. HederruJnn nahm allerdings 1936 einen Ruf an die Universität Berlin an. Danach konnte weder das in Jena verbliebene Institut seine Ausstrahlungskraft erhalten, noch gelang es HederruJnn, in Berlin eine ähnliche institutionelle Verankerung des Wirtschaftsrechts zu schaffen. Als führendes Mitglied der Akademie für deutsches Recht wandte sich HederruJnn mit seinem Lehrbuch ,,Deutsches Wrrtschaftsrecht" von 1939 plakativ von seinen eigenen - von Rudolf Stammler geprägten - Lehren aus der Weimarer Zeit ab. Er widmete sich in dieser Zeit insbesondere den Arbeiten am Entwurf für ein Volksgesetzbuch an der Akademie für Deutsches Recht. Schließlich übernahm HederruJnn die Leitung dieser Arbeiten, nachdem zunächst Heinrich Lange das Projekt vorangetrieben hatte. Hierzu M. Stolleis, Art. Volksgesetzbuch, in: HRG Bd. V, Sp. 990-992. 170 Dazu E. Friesenhahn, Juristen an der Universität Bonn, S.41 f. 171 0 . Liebmann (Hrsg.), Seminar für Industrierecht an der Universität Hamburg, DJZ 1922, S.173.
VII. Institutionelle Etablierung des Wutschaftsrechts
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Dienationalökonomischen "Wrrtschaftsinstitute" in Kiel, Münster, ferner Breslau und Königsberg spielten für die Entfaltung eines Wirtschaftsrechts keine nennenswerte Rolle. Das bedeutendste unter ihnen, das von Bernhard Harms gegründete "Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr" in Kiel, hatte bereits bestanden. Über einzelne freundliche Kontaktaufnahmen zum Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht hinaus nahm auch das Kieler Institut an der wissenschaftspolitischen Bewegung in Richtung auf ein "Wrrtschaftsrecht" als neuem Gebiet der Rechtswissenschaften keinen Anteil. 172 In Heidelberg bildete Franz Dochow ohne institutionelle Verankerung einen Schwerpunkt des Wirtschaftsrechts. Seine Veröffentlichungsreihe in loser Folge blieb allerdings eine Randerscheinung. Gewichtiger einzustufen ist seine Dozentur an der Handelshochschule Mannheim, die mit Dochow, Karl Geiler und zunächst auch Max Rumpf ein bedeutendes Zentrum des Wirtschaftsrechts bildete, zumindest was die Dichte der Publikationen allein schon dieser drei Autoren anbelangt. Geiler, selbst Honorarprofessor in Heidelberg, hatte seinerseits die Schriftenreihe "Wirtschaftsrechtliche Abhandlungen" begründet, in der die Dissertation Gerhard Siglochs zu den Unternehmungen der öffentlichen Hand erschien. Eher randständige Bedeutung für das Wirtschaftsrecht erlangte außerdem die Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg, an welcher der als Rechtssoziologe ausgewiesene Rechtsanwalt Emil Westhoff seit 1924 im Rahmen eines Lehrauftrags und Max Rumpf schließlich ab 1927 als Ordinarius die Rechtswissenschaften vertraten.173 Die juristischen Prüfungsordnungen, allen voran die des sozialdemokratisch regierten Preußen, nahmen das Wirtschaftsrecht auf. Jedenfalls in Preußen und Thü172 J. W Hedemann, Geschichte des Jenaer Instituts, S. 28. Zum Kieler Institut B . Harms, Das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr an der Universität Kiel, 1927; ders., Weltwirtschaftsrecht, Weltwirtschaftliches Archiv 1924, S. 573--588. 173 G. Bergler, Geschichte der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nümberg, Band I, 1963, gibt einen Überblick über Entstehung, Aufbau und Lehrbetrieb der Handelshochschule Nürnberg (ab 1933 Hindenburg-Hochschule Nürnberg); Band II (1969), insbes. S. 55, 102, 166f, 192f faßt die PersonaHa der Hochschule in Übersichten und Vorlesungsverzeichnissen zusammen: Westhoffhielt im Zeitraum zwischen 1923 bis 1927 Einführungsvorlesungen, Vorlesungen über Fragen zu den wirtschaftlichen Verbänden und ihrer Organisation und zum "System des Wrrtschaftsrechts", während Rumpf das Wirtschaftsrecht ab dem Wmtersemester 1927/28 allein übernahm. Rumpfwar 1931 an der Leitung des Instituts für Wutschaftsbeobachtung beteiligt, hielt Vorlesungen über Arbeits- Handels- und Kartellrecht, aber auch über die Soziologie des bürgerlichen Rechts und des privaten Wirtschaftsrechts und hielt neben Seminaren zu verschiedenen wirtschaftsrechtlichen und rechtssoziologischen Gegenständen im Wintersemester 1930/31 ein ausschließlich dem Wutschaftsrecht gewidmetes Seminar ab. Die Lehre des Wutschaftsrechts nahm auch in den Veröffentlichungen Rumpfs gebührenden Raum ein, ders., Wirtschafts-Rechts-Wissenschaft und Wrrtschafts-Hochschule, 1920; ders., Das Recht innerhalb des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums und der wirtschaftswissenschaftlichen Diplomprüfung, Schmollers Jahrbuch 1927, S. 271-310. Nach 1933 widmete sich Rumpf dem ,,Deutschen Bauerntum", dem ,,Arbeiter" und weiteren dem Namen nach soziologischen Lehraufgaben.
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2. Kap.: Wirtschaftsrecht 1918-1925
ringen etablierte sich das Wirtschaftsrecht 1925 als Prüfungsfach des Referendarexamens. 174 In den Vorlesungsplänen der Universitäten tauchte das Wirtschaftsrecht als selbständige Disziplin nur selten auf. Die Dozenten gingen jedoch in aller Regel aus dem Kreis der wissenschaftlich aktiven Wirtschaftsrechtier hervor. 175 Der Gedanke des Wirtschaftsrechts breitete sich nicht nur in der juristischen Forschung aus. Er fand auch reges Interesse bei den Juristen aller Berufsgruppen, der Rechtsanwaltschaft, der neuen Gruppe der Wirtschaftsjuristen, besonders den Syndikusanwälten der Industrie, den Richtern und Verwaltungsbeamten- insbesondere der höchsten Wirtschaftsbehörden - und war verschiedentlich Gegenstand der populärwissenschaftlichen Literatur. Der 32. Deutsche Juristentag zu Harnberg hatte im Jahre 1921 neben der Abteilung für bürgerliches Recht auch eine solche für "Steuer- und Wirtschaftsrecht" eingerichtet. Sie wurde von da an als ständige Einrichtung beibehalten und schließlich auf dem 35. Juristentag in Salzburg (1928) in ,,Abteilung für Wirtschafts- und Finanzrecht" umbenannt. 176 Zeitschriften, die sich nur dem Wirtschaftsrecht widmeten, sind in der Weimarer Zeit nicht entstanden. Von zentraler Bedeutung war zunächst die ,,Deutsche Wirtschafts-Zeitung", die, 1910 gegründet, 1922 zum reinen Organ des Industrie- und Handelstages wurde und ihren genuin wirtschaftsrechtlichen Bezug verlor. Nach elf Erscheinungsjahren ging das gleichnamige Organ des Vereins "Recht und Wirtschaft" 1922 nach wechselnden Herausgeberschafren in die Hände Friedrich Glums über und stellte ihr Erscheinen 1924 ein. Das Gros der wirtschaftsrechtlichen Beiträge erschien entweder in den großen anerkannten juristischen Zeitschriften, in Spezialzeitschriften wie insbesondere "Archiv für Rechts- und Wrrtschaftsphilosophie", "Bank-Archiv", gelegentlich auch "Weltwirtschaftliches Archiv", der Zeitschrift des Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr an der Universität Kiel sowie in der von Reichswirtschaftsgerichtsrat Siegfried Tschierschky herausgegebenen "Kartellrundschau". Zum Recht der Gemeinwirtschaft erschien ab 1910 bis zur letzten Ausgabe 1921 die Schriftenreihe "Deutsche Gemeinwirtschaft". Die Gemeinwirtschaft als Erscheinung der wirtschaftsrechtlichen Literatur der frühen Zwanziger Jahre war von 174 W. Kaske/, Gegenstand und systematischer Aufbau des Wmschaftsrechts, JW 1926, S. 11-13, insbes. S. 13. 175 J. W. Hedemann, Das Wirtschaftsrecht- Rückblick und Abschied, S. 379. Verlässliche wissenschaftsgeschichtliche Erkenntnisse liegen zur Zahl und Häufigkeit der Vorlesungen im Wirtschaftsrecht genauso wenig vor, wie zu anderen rechtswissenschaftliehen Disziplinen. Zudem stellt sich die Frage der Abgrenzung der Disziplin in besonders scharfer Form, da sich zahllose Vorlesungen mit Materien des Wirtschaftsrechts befaßten, die nicht das "Wirtschaftsrecht" im Titel führten. Der Verfasser hat auf alle in der Literatur erwähnten Vorlesungen und Kolloquien jeweils an Ort und Stelle hingewiesen. Eine Zusanunenfassung dieser wenig verlässlichen Einzelaussagen kann keine geschlossene Darstellung des Vorlesungsbetriebs bieten. 176 H. Conrad, Der Deutsche Juristentag 1860-1960, S. 34-44, insbes. S.41; vgl. ferner die Studie von G. Dilcher, Der Deutsche Juristentag 1960-1980, S.52-63.
VII. Institutionelle Etablierung des Wutschaftsrechts
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dieser unregelmäßigen Folge von Einzelschriften in besonderer Weise geprägt. Einigen Zeitschriften mit geringer Bedeutung und Verbreitung wie vormals die "Beiträge zur Kriegswirtschaft", "Wutschaftsrecht und Wirtschaftspflege", gesellten sich solche zu Einzelgebieten wie die "Deutsche Bergwerkszeitung" hinzu, wie auch "Die Gemeinwirtschaft", eine populärwissenschaftliche Zeitschrift zur Pflege des Genossenschaftswesens. In den späten, krisenhaften Jahren vermehrte sich die konservativ-revolutionäre oppositionelle Presse und namentlich Ernst Rudolf Huber, Ernst Forsthoff und Carl Schmitt belieferten die Zeitschriften "Deutsches Volkstum" und ,,Der Ring" des gleichnamigen Kreises mit ihren Beiträgen. Die Zahl der Zeitschriften, die sich außerhalb des Wutschaftsrechts mit rechtlichen Bezügen der Wirtschaft befaßten, wurde unübersehbar. Ein markantes Beispiel für die zunehmend tendenziöse Publizistik bilden die Beiträge Ferdinand Frieds in der konservativ-revolutionären Zeitschrift "Die Tat". 177
177 Ferdinand Fried steht als Pseudonym für Ferdinand Friedrich Zimmermann. Hierzu R. P. Siefer/e, Die konservative Revolution, S. 214 ff.
Drittes Kapitel
Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung I. Der Ruf nach "Gemeinwirtschaft" in der Nachkriegszeit Die Gemeinwirtschaft der Kriegsverwaltung hatte der Wirtschaftspolitik einen neuen Impuls gegeben. Zugleich hatten sich unter der hoheitlichen Bewirtschaftung Bestrebungen nach einer durch wirtschaftliche und soziale Faktoren gesteuerten Wirtschaft angestaut. Sie artikulierten sich politisch vernehmbar sowohl aus den Reihen der Konservativen als auch aus dem vom Sozialismus geprägten Lager. Leitend war der Ausspruch des ersten Reichswirtschaftsministers der Republik, Rudolf Wissell: ,,Die Methode der Kriegswirtschaft war bürokratisch-polizeistaatlich, wir aber wollen an die Stelle dieser Methode das Prinzip wirtschaftlicher Selbstverwaltung stellen!" 1 Die revolutionären Kräfte waren in ihrer Haltung zur Sozialisierung der Produk:tionsgüter nach der Übernahme der Regierungsgewalt alles andere als einig. Die unabhängigen Sozialdemokraten und später die Kommunisten gaben die Sozialisierung aller Wirtschaftsbereiche als den Willen der Arbeiterklasse aus. Die Mehrheitssozialdemokratie wie auch die Gewerkschaften wollten dagegen zunächst dem Drängen nach Sozialisierung nicht nachgeben. Scheidemann hatte sowohl als Minister ohne Portefeuille im Kabinett des Prinzen Max von Baden als auch im Rat der Volksbeauftragten sowie als erster Reichskanzler eine Sozialisierung stets abgelehnt. Daß die Wirtschaft sich erst von ihrem desolaten Zustand erholen mußte, war nur ein Grund gewesen; zu viele Anlageinvestitionen waren unterblieben. Doch das wesentliche Motiv der Gewerkschaften war, daß man sich von einem Erhalt der bisherigen Strukturen einen rascheren Wirtschaftsaufschwung und infolgedessen auch bessere Verhältnisse für die Gewerkschaftsmitglieder versprach. Der Ruf nach einem Wandel der Produktionsverhältnisse verstummte aber keineswegs. Zwar hielt man in der Weimarer Koalition den Weg der Sozialisierung nicht für gangbar. Die allgemeinpolitisch zunächst sehr wirksame Räteideologie forderte aber auch in der Wirtschaftspolitik ihren Tribut. Ein Netzwerk von betrieblichen und überbetrieblichen Räten sollte die überkommene liberal-kapitalistische 1 R. Wissell, Vortrag vor dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller am 5.6.19, Deutsche Gemeinwirtschaft, Heft 10, S. 9. Zur Vita Wissells: M. Vasold, Art. Rudolf Wissell, in: W. Benz, H. Gram/ (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, S. 369f.
I. Der Ruf nach "Gemeinwirtschaft" in der Nachkriegszeit
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Wirtschaft domestizieren, und damit die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Leitung der Unternehmen sowohl für die Bereiche der Produktion als auch des Vertriebs sichern. Hier artikulierte sich eine Reihe von Bestrebungen, die von der Vollsozialisierung über die Teilsozialisierung und die Betriebsratsmitbestimmung zur bloßen sozialpolitischen staatlichen Einwirkung auf die Wirtschaft reichte. Um die Gefahr einer "zweiten Revolution" abzuwehren, bot Ebert neben den ökonomisierten, also vom politischen Feld abgedrängten Arbeiterräten die Überführung einzelner Industriezweige in "Gemeinwirtschaft" an. Zu einer politischen Klärung des damit verbundenen Programms kam es bei den Verhandlungen der Nationalversammlung Anfang 1919 nicht. 2 Die Vertreter der Industrie beschränkten sich zunächst auf die Kabinettspolitik, die sie aus dem Kriege heraus fortsetzten. Die Hinwendung der Industriellen zur demokratischen Staatsform war dementsprechend zögerlich und kam über einige Lippenbekenntnisse zur Demokratie von Verbandspolitikern, wie die der Koalitionsangebote Paul Silverbergs in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre auch kaum hinaus. Mit Befremden beobachtete die Industrie das vielfaltige Sozialisierungsstreben und suchte den möglichst schonenden Ausgleich, wie ihn der Stinnes-Legien-Pakt vom November 1918 vorgeführt hatte. 3 Um den parlamentarischen Einfluß auf die Wirtschaft zu entschärfen wandten sich Stinnes und Hugenberg der Parteipolitik zu, besonders als sich die Industrielandschaft mit der Krise der Schwerindustrie an Rhein und Ruhr Mitte der Zwanziger Jahre zugunsten der Chemie, der Elektrotechnik, der Textilindustrie und ähnlicher Branchen zu wandeln begann. Trotz der noch aus dem Krieg herrührenden unausgelasteten Überkapazität der Steinkohlewirtschaft vermochten sich die Bergbauunternehmer durch die Syndikalisierung, mehr noch aber durch ihre hohe soziale Homogenität ihr Handelsvolumen und ihren wirtschaftspolitischen Einfluß zu sichern. Erst unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise mißlang der Brückenschlag zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer endgültig, während sich die Verständigung der Industriellen mit der nunmehr ernstzunehmenden politischen Kraft der extremen Rechten anbahnte. 4 Im Sinne der Konvergenz konservativer und sozialistisch-progressiver Kräfte ergab sich in der politischen Praxis unter dem Zeichen des vielgesichtigen Konzepts der Gemeinwirtschaft, das der Erste Weltkrieg hervorgebracht hatte 5 , eine Zusammenarbeit des konservativen Technokraten Wichard von Moellendorff mit dem MSPD-Politiker Rudolf Wissell. Als Wirtschaftsminister im Kabinett Scheidemann 2 K. W. Nörr, Auf dem Wege zur Kategorie der Wirtschaftsverfassung. in: ders., B. Schefolg, F. Genbruck (Hrsg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik, S.444. 3 U. Wengst, Unternehmerverbände und Gewerkschaften und Deutschland im Jahre 1930, S. 99. 4 F. Blaich, Staatsverständnis und politische Haltung der deutschen Unternehmer 1918-1930, S.165f, 169, 176. 5 W. v.Moe/lendorff, Konservativer Sozialismus, hrsg. u. eingel. von Hermann Curth, Harnburg 1932. Siehe weitere Nachweise im 1. Kapitel: Kriegswirtschaftsrecht
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
und in den ersten Sitzungen des Kabinetts Bauer versuchte Wissen gemeinsam mit Moellendorff als seinem Unterstaatssekretär seine Vorstellung von der Gemeinwirtschaft politisch durchzusetzen. 6 In einer Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums vom Mai 1919 hatte Moellendorff die gemeinsamen Anschauungen nicht nur für den Krieg, sondern auch für die Übergangs- und die Friedenswirtschaft zusammengefaßt. 7 Dabei hat er gewichtige Anleihen bei der Kriegswirtschaft genommen. Gleichwohl war, nach den Gesetzesberatungen, die Selbstverwaltung der Wirtschaft für das Friedensrecht deutlich als Gegensatz zu den streng hierarchischen Leitprinzipien der Kriegswirtschaft gedacht. Das Ziel für den Frieden war eine moderierte Planwirtschaft, die der kaufmännischen Seite der Wutschaft dennoch große Spielräume gegeben hätte, indem die Wutschaftsführung unter staatlicher Aufsicht und Kontrolle Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft überlassen werden sollte. Die zentrale Lenkung sollte einer von der Wirtschaft selbst verantworteten Regelung weichen. 8 Nicht nur in diesem Funktionswandel, der gegen die hoheitliche Ausrichtung der Gemeinwirtschaft während des Krieges gerichtet war, sondern auch unter der Einwirkung zahlreicher Pläne der politischen und wirtschaftlichen Akteure der Nachkriegszeit übernahm die Gemeinwirtschaft als Begriff verschiedenste wirtschaftspolitische Funktionen. Schließlich waren die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse in einer Phase verbliebener Restbestände der Kriegswirtschaft und der einsetzenden Demobilmachungsverwaltung nicht klar zu erkennen. Jeder Beobachter konnte seine eigene Vorstellung von der Gemeinwirtschaft ausprägen. Die Frage, wie es hinsichtlich der Gemeinwirtschaft zu einem die Sozialdemokratie und die Konservativen umspannenden Kompromiß kommen konnte, verweist auf die politische Konstellation der Nachkriegszeit. Die die Weimarer Politik bewegenden Kräfte standen keineswegs in einem klaren Links-Rechts-Verhältnis, sondern standen sich in einem mindestens triadischen oder noch komplizierteren Verhältnis gegenüber. Die Extrempunkte lassen sich mit dem marxistischen Sozialismus, dem humanitären Liberalismus und dem Konservatismus mit seinem auf radikale Gestaltung drängenden Flügel der konservativen Revolution kennzeichnen. 9 Zwischen diesen Extrempunkten ordneten sich die politischen Parteien ein und grenzten sich jeweils wieder voneinander ab. Die wirtschaftspolitischen Konzeptionen dieser Richtungen waren durchaus überlappend. Es war zu beobachten, daß sich Sozialisten und Konservative in der Forderung nach staatsgeleitetem Wirtschaften in einem antiliberalen und antiindividualistischen gemeinsamen Nenner trafen. Unterdessen mach6 W. Berg, Art. Reichswirtschaftsministerium in: K. G. A. Jeserich, H. Pohl, G.- Ch. V. Unruch (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. l69ff. 7 Reichswirtschaftsministerium (Hrsg.), Der Aufbau der Gemeinwirtschaft, 7. Mai 1919. 8 W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. 4. 9 R. P. Sieferle, Konservative Revolution, S. 22. Die klare Analyse Sieferles ist gleichwohl sehr auf die Denkrichtung der konservativen Revolution gemünzt, so daß sie hier leicht abgewandelt erscheint.
I. Der Ruf nach "Gemeinwirtschaft" in der Nachkriegszeit
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ten Liberale und Konservative gegen eine übergreifende, auf neue Schichtenbildung abzielende Sozial- und Steuerpolitik Front und versuchten dafür den Staat zu vereinnahmen. Das Programm der Gemeinwirtschaft wandte sich inmitten dieser Kräfteverhältnisse gegen den dogmatischen Sozialismus wie auch gegen die reine Privatwirtschaft und die Beliebigkeil der Wirtschaftspolitik der Vorkriegszeit. Die Gemeinwirtschaft ließ sich einerseits als ein Ersatz zu einer im Ergebnis nicht durchsetzbaren Sozialisierung deuten und instrumentalisieren. Zu diesem Zweck nahm sie den Wohlklang einer Gemeinwohlformel für sich in Anspruch. Damit war dem Streben nach Sozialisierung zumindest verbal Genüge getan. Andererseits sahen die bewahrenden und auch die liberalen Kräfte die Gefahr der Sozialisierung zunächst gebannt. Den am Staat und seinen Eigenzwecken orientierten Konservativen vermittelte die Erinnerung der staatsgeleiteten Gemeinwirtschaft des Krieges ein Gefühl der Sicherheit und die Perspektive eines aus der Krise gestärkt hervorgehenden Staates. Schließlich wohnte dem Denken von der Gemeinwirtschaft ein korporatives Moment inne, weil die so zusammengefaßten Wirtschaftszweige sich als eine berufsständische Einheit ansehen ließen. Das juristische Schrifttum zur Gemeinwirtschaft und insbesondere die politischen Schriften namentlich Ratbenaus und Moellendorffs in der Schriftenreihe "Deutsche Gemeinwirtschaft" erreichten eine große Leserschaft unter Juristen und Wirtschaftsfachleuten. Danach sollte für das aufgrund dieser gemeinwirtschaftliehen Vorstellungen entstehende Recht das Leitbild vom liberalen Staat, der wirtschaftliche Freiräume gewährte, nicht mehr voll zum Tragen kommen. Das Ziel dieser gemeinwirtschaftliehen Bestrebungen war ein auf die tatsächliche Entwicklung gestützter allgemeiner Konsens, der aus nationalem Interesse die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht mehr treffen wollte. Die Intervention des Staates in die wirtschaftliche Sphäre, aber auch die Intervention der Interessenvertreter in die Entscheidungsebenen der Selbstverwaltungskörperschaften war geplant. Ein höheres gemeinsames Ganzes sollte für einen gewissen Sektor die Unterscheidungen in privates und öffentliches Wirtschaften überflüssig machen. Idee und Konzeption der Gemeinwirtschaft blieben durchaus nicht einheitlich. Im Lauf der Zeit artikulierten sich Wandlungen in Folge der tatsächlichen wirtschaftlichen Veränderungen. Besonders nach der Revolution stellte man sich auf die Erfordernisse der Friedenswirtschaft ein. Hatte Moellendorff während des Krieges die scharfe Wirtschaftslenkung noch betont, so wertete er in Friedenszeiten die autoregulativen Kräfte der Wirtschaft höher und begrenzte den Staatseingriff auf die äußere Kontrolle. Gleichwohl war das Ziel eine Planwirtschaft ohne inhaltliche Steuerungsfunktion, die freilich nichts mit der sozialistischen Übernahme der Produktionsmittel durch das Proletariat gemein hatte, sondern die auf das Funktionieren des gesamten "Wtrtschaftskörpers" abzielte. 10 10
W. v.Moellendorff, Zur Geschichte der Planwirtschaft, Wirtschaft und Recht 1920, S.lOf.
K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 163 unterscheidet hier nicht maßgeblich zwischen
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
II. Inhalt und Aufbau der ansatzweise verwirklichten Gemeinwirtschaft unter der Weimarer Verfassung 1. Die gesetzliche Definition der Gemeinwirtschaft
Nach dem Krieg kam es mit dem "Sozialisierungsgesetz vom 23. März 1919" 11 erstmals zu einer positivrechtlichen Regelung der Gemeinwirtschaft. In einer ersten Phase der Arbeit der Nationalversammlung bis zur Sozialisierungsgesetzgebung rangen die bürgerlichen und gemäßigten Abgeordneten mit den Parteigängern der Rätebewegung um die weitere Anerkennung der Privatrechtsordnung mit dem Kernstück des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Fortbestand von Liberalismus und Individualismus der Vorkriegszeit war angesichts der Kriegs- und Demobilmachungswirtschaft und des Sozialisierungsstrebens keineswegs sicher. 12 Die von SPD, Zentrum und DDP in der Nationalversammlung getragene Weimarer Koalition hatte dieses Rahmengesetz unter dem Druck der sozialdemokratischen Parteibasis, die ein Signal zur Eröffnung der erhofften Sozialisierungswelle gesetzt sehen wollte, erlassen. Der Mehrheitsvorschlag der schon vom Rat der Volksbeauftragten eingesetzten und gleichzeitig arbeitenden Sozialisierungskornmission, der von einer echten Sozialisierung ausging, wurde auf Betreiben Moellendorffs umgangen. Er nutzte dafür den Druck des Generalstreiks im März 1919 aus, unter dem die Regierung Scheidemann gestanden hatte. Das Sozialisierungsgesetz versprach ganz allgemein zwei Möglichkeiten: Die gemeinwirtschaftliche Führung der Wirtschaft oder ihre Sozialisierung wiederum zu Zwecken der Gemeinwirtschaft. Die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben sollten auch wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern übertragen werden können. Das Gesetz definierte weder die Bedeutung von "Gemeinwirtschaft" noch den Aufbau der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper. Mit dem Sozialisierungsgesetz war ein politischer Ausgleich zwischen individualistischen und sozialistischen Bestrebungen erreicht. Der Druck der Straße, den man in Zeiten des Generalstreiks gefürchtet hatte, konnte von den sozialisierungsfreundlichen Abgeordneten nur noch mit leichterem Gewicht in die Waagschale gelegt werden. Auf dieser Basis begann für die Arbeit in den verfassungsberatenden Ausschüssen der Nationalversammlung eine ruhigere zweite Phase, in der Hugo Sinzheimer die Gestaltung der wirtschaftlichen Räteverfassung vorantreiben konnte. 13 der Gemeinwirtschaft im Kriege und im Frieden. An anderer Stelle betont er, daß Wissell und Moellendorff nach der Revolution vor die Tatsachen der Friedenswirtschaft gestellt gewesen seien. Beide hätten die Nöte des Tages aus Kriegszeiten mit den Anforderungen einer langen Zukunft verwechselt. Ders., Wirtschaftsverfassung, S. 440. 11 RGBl. 1919, S. 341, abgedruckt bei E.R. Huber. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 4, S. 89f. Damit in Verbindung stehende Gesetze sind in der Arbeit von W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. VIII-XX in einer zeitgenössischen Übersicht zusammengestellt. 12 K. W. Nörr, Die Weimarer Nationalversammlung und das Privatrecht, in: D. Nörr (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel, S. 317- 343, insbes. S. 320, 326. 13 Ebenda, S. 317-343, insbes. S. 331-343.
II. Gemeinwirtschaft unter der Weimarer Verfassung
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Da die Nationalversammlung zur gleichen Zeit den Entwurf der Weimarer Reichsverfassung ausarbeitete, konnte "Gemeinwirtschaft" auch in Art. 156 Abs. 2 WRV in der Gesetzessprache der Verfassung etabliert werden. Art. 156 WRV, der dem Sozialisierungsgesetz nachgebildet war, bot wie dieses die Möglichkeiten der Gemeinwirtschaft und der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. Die dort gefundene Legaldefinition der Gemeinwirtschaft, nach der die Wirtschaftsverbände sich "auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenschließen mit dem Ziele, die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern, Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gerneinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln" ,ließ bis auf die Mitwirkung sämtlicher am Produktionsprozeß Beteiligten wieder alle Fragen offen. 2. Die Ausgestaltung der gemeinwirtschaftliehen Regelung, insbesondere in der Kohlen- und Kaliwirtschaft
In Ausführung des § 4 des Sozialisierungsgesetzes, der die gemeinwirtschaftliche Regelung der Kohle- und Energiewirtschaft programmatisch und nicht nur fakultativ vorsah, erließ die Nationalversammlung am gleichen Tag auch das Gesetz zur Regelung der Kohlenwirtschaft. 14 Diese Wirtschaftszweige wurden in Syndikate zusammengefaßt. Die Syndikate waren körperschaftsähnliche Gebilde, die sich dem Begriffe nach zunächst in Frankreich als syndicats commerciaux entwickelt, und sich in Deutschland als eine stark bürokratisierte Form des Kartells in der Privatwirtschaft vereinzelt etabliert hatten. Die Kohlen- und Kalibergbauunternehmer waren nunmehr kraft Gesetzes Zwangsmitglieder ihrer Syndikate. Die Zwangsverbände waren regional gegliedert und unterstanden dem Reichskohlenrat als höchster Entscheidungseinheit, in dem die Verbände der Unternehmer als auch der Konsumenten vertreten waren. Der Reichskohlenrat legte sowohl die Gesamtfördermenge und den Gesamtabsatz als auch die Beteiligungsziffern und die Höchstabsatzpreise fest. Gleiches galt für den Reichskalirat. Diese Verbände waren nach dem Vorbild des Kaligesetzes von 1910 15, das "sich als eigentliches erstes Zwangssyndikatsgesetz darstellte", 16 errichtet worden. Es sah aber nur eine Absatzkontingentierung sowie die Festsetzung von Höchstpreisen vor. Dieses Vorläufergesetz beabsichtigte - als Vorwirkung an Stelle eines Gesetzesvollzugs -den "freiwilligen" Zusammenschluß der Unternehmen zu Syndikaten. Die Anwendung des Gesetzes war für diesen Fall jeweils ausgeschlos14 Gesetz zur Regelung der Kohlenwirtschaft (Ges. v. 23.3.1919, RGBI. S.342); einen Monat später folgte das Gesetz zur Regelung der Kaliwirtschaft (Ges. v. 24.4.1919, RGBI. S. 413). Das Sozialisierungsgesetz ist abgedruckt in: E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band IV, S. 89 f. 1s RGBI. S. 775; ergänzt 7. September 1915. Hinzu trat die Bekanntmachung des Bundesrates vom 12. Juli 1915. 16 E. Heymann, Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, S.166.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
sen worden. Aber erst im Kriege wurden die Syndikate zu einer wirtschaftlich gewichtigen Erscheinung. 17 War das Syndikat vor dem Krieg noch eine von mächtigen Verbänden durchgesetzte Einzelerscheinung, die sich keineswegs staatlicher Pflege erfreuen konnte, so hatte man die Kriegssyndikate als wichtige Mittel zum staatlichen Zweck zwangsweise eingeführt. Unter dem Zeichen des Friedens hielt man an dieser Entwicklung fest und bezeichnete lediglich neue Zwecke für die Errichtung von Syndikaten. Kriegsnotwendigkeiten konnten nicht mehr maßgeblich sein. Um so mehr war nun das Syndikat der "Gemeinwirtschaft" vorrangig im Bereich der Grundstoffwirtschaft in den Dienst des nationalen Wirtschaftsaufbaus gestellt worden. Nach dem Vorbild der Kohle- und Kaliindustrie folgten die Eisenwirtschaft 18, die Teerwirtschaft 19 die Schwefelsäurewirtschaft20 und der Außenhandel. Für letzteren führte die entsprechende Ausführungsverordnung dessen Außenhandelsstellen als ,,Fachliche Selbstverwaltungsorgane der verschiedenen Wirtschaftsgruppen mit räumlicher Zuständigkeit für das ganze Reich" an. 21 Dazu trat, jedoch mit nur sehr beschränkter Lebensdauer, die Textilwirtschaft. 22 Sowohl das Kohle- als auch das Kalisyndikat sollten durch die ganze Zeit der Weimarer Republik fortbestehen. Das Kohlesyndikat war auch der bedeutendste in Gemeinwirtschaft überführte Wrrtschaftszweig. 23 Die anderen geplanten Syndikate traten entweder nie vollständig ins Leben oder wurden kurz nach ihrer Entstehung wieder aufgelöst. 24 17 Ebenda, S. 167f: Zementsyndikat am 24. November 1916; Herstellungs- und BetriebsGesellschaften in der Schuhindustrie, 17. März 1917; Schuhhandel26. Juli 1917; Graphitindustrie, 4. August 1917; Betriebsverbände in der Binnenschifffahrt, 18. August 1917; Zusammenlegung von Brauereien, November 1917. 18 "Dochow-Gieseke", F. Dochow, P. Gieseke, Eisenwirtschaftsverordnung, zu§ 1 der Verordnung vom 1.4.1920. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.13 Fn. 2: Die Eisenwirtschaftsverordnung zum Eisenwirtschaftsbund trat in Kraft, doch "ohne formelle Aufhebung hat sich der Bund nie über ein Scheindasein erhoben." 19 Verordnung über die Regelung der Teerwirtschaft v. 7.6.1920, RGBI. S. 1156, aufgehoben durch die Verordnung v. 12.1.1924, RGBI. S.29. 20 Verordnung über die Regelung der Schwefelsäurewirtschaft v. 3.5.1920, RGBI. S.1113, aufgehoben durch die Verordnung v. 19.6.1923, RGBI. S.400. 2 1 Ausführungsbestimmungen zu der Verordnung über die Außenhandelskontrolle v. 20.12.1919, v. 8.4.1920, RGBI. S.500. 22 W. Wauer, S. XVI. 23 L. Heilberg, Der Aufbau der Gemeinwirtschaft, 1929, S. 9 f m. w. N .; T. Simons, Der Aufbau der Kohlewirtschaft nach dem Kohlenwirtschaftsgesetz vom 23. März 1919, Diss. Bonn 1931. 24 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.13-15. Doch hatte sich die in al1 diesen Regelungen postulierte "Gemeinwirtschaft" in der Gesetzessprache einen festen Platz gesichert und war zu einem festen Rechtsbegriff der Fachliteratur geworden. Er war sowohl wirtschaftspolitisches Ziel als auch Auslegungskriterium für die im Zusammenhang damit erlassenen Gesetze: K. Ballerstedt, Art. Wirtschaftsverfassung Sp. 2963. Auch in der damals neuen Literaturgattung des juristischen Kommentars: 0. Reier, Sozialisierungsgesetz 1920; R. Isay, Kohlenwirtschaftsgesetz 1920; F. Dochow, P. Gieseke, Eisenwirtschaftsgesetz.
li. Gemeinwirtschaft unter der Weimarer Verfassung
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Aufbau und Organisation der Kohlenwirtschaft waren nach dem Kohlenwirtschaftsgesetz vom 23. März 1919 25 und den entsprechenden Ausführungsbestimmungen26 gemeinwirtschaftlich geregelt. Diese Regelung umfaßte nur die Verteilung, nicht auch die Produktion in der Brennstoffwirtschaft 27 Sie blieb also, hätte man das Fernziel der Vergesellschaftung vor Augen gehabt, weit hinter den sozialistischen Forderungen zurück. 28 Das Reich war in elf Steinkohle- und Braunkohlebezirke eingeteilt, durch die sämtliche vorhandenen Bergwerke erfaßt wurden. Die Bergwerksbesitzer hatten sich in jedem Bezirk in je ein Syndikat zusammenzuschließen. Geschah dies nicht, dann konnte der Reichswirtschaftsminister den Zusammenschluß auch durch Verordnung herbeiführen. Das Syndikat mußte eine juristische Person oder eine Doppelgesellschaft sein, also zugleich eine juristische Person und eine Personengesellschaft Sämtliche Kohlesyndikate bildeten zusammen mit dem reichsweiten Gaskokssyndikae9 den Reichskohlenverband als juristische Person oder als Doppelgesellschaft 30 Über dem Reichskohlenverband und den Syndikaten stand der Reichskohlenrat, dessen 60 Mitglieder teils von den beteiligten Verbänden, teils vom Reichsrat gewählt und anschließend vom Reichswirtschaftsminister ernannt wurden. Von einem Rat im Sinne der Räteideologie der frühen Nachkriegszeit oder auch nur im Sinne des Art.165 WRV kann also nicht gesprochen werden. Der Reichskohlenrat wiederum wählte aus seiner Mitte Ausschüsse und seine organschaftliehe Vertretung. Auf diese Organisationen der Kohlenwirtschaft warenjeweils verschiedene Aufgaben und Befugnisse verteilt. Der Reichskohlenrat hatte zum Zwecke der Wirtschaftsleitung das Recht, allgemeine Normen aufzustellen und Verwaltungsakte zu erlassen, um der Brennstoffwirtschaft zum Schutz der Unternehmer und der Verbraucher vor unwirtschaftlichem Wettbewerb Richtlinien zu geben. Die so erlassenen Vorschriften verpflichteten jedermann, also auch nicht syndizierte Kohlenwirtschaftsunternehmen. Die sich daraus ergebenden Rechte waren auf die verschiedenen Teilorgane des Reichskohlenrats verteilt. 31 Der Reichskohlenverband gestaltete die allgemeinen Bestimmungen des Reichskohlenrates aus und überwachte deren Ausführung durch die Syndikate. Der Reichskohlenverband bestimmte aber auch die Brennstoffverkaufspreise, die Absatzbegrenzungen und Selbstverbrauchsrechte der Syndikatsmitglieder. RGBI. S. 342. Ausführungsbestimmungen zum Kohlenwirtschaftsgesetz v. 21. August 1919, RGBI. S.1449. 27 T. Simons, S.l9f. 28 W. Wauer, S. 19-21. 29 W Wauer, S. 22. Tula Simons erwähnte das Gaskokssyndikat in ihrer Dissertation nicht. 30 §§ 3, 4, 8, 20 der Ausführungsbestimmungen zum Kohlenwirtschaftsgesetz. 3 1 T. Simons, S. 27-29. 25
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3. Kap.: Gerneinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
Die Syndikate übten schließlich die kaufmännische, privatwirtschaftliche Tätigkeit für die Syndikatsmitglieder aus, soweit sie den Mitgliedern nicht unter der Kontrolle der Syndikate im einzelnen überlassen war. Schließlich überwachte das Syndikat die Richtlinien, Anordnungen und Entscheidungen von Reichskohlenrat und -verband. Diese Aufgaben gingen über die rein privatwirtschaftliche Tätigkeit hinaus und unterschieden die Syndikate des Kohlenwirtschaftsgesetzes grundlegend von den rein privatwirtschaftliehen Absatzkartellen. Der Reichswirtschaftsminister nahm die Oberaufsicht für das Reich wahr. 32 Als Relikt aus dem Krieg war die Institution des Reichskohlenkommissars 33 verblieben. Erhebliche Bedeutung hatte er aber nur im Bereich der Ein- und Ausfuhr.34 Der Aufbau der übrigen gemeinwirtschaftlich geregelten Wirtschaftszweige war dem der Kohlenwirtschaft ähnlich. Über die Selbstverwaltung der juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts übte das Reich die Aufsicht aus. In der Regel nahm sie der Reichswirtschaftsminister oder ein anderer Fachminister wahr. Bei diesen Ministerien wurden nichtbeamtete Staatsbürger zu den Behörden in Form von Kommissionen, Ausschüssen oder Beiräten herangezogen. Hervorgehend aus den Kriegsausschüssen, die ursprünglich als nicht rechtsfähige Vereine gegolten hatten, die aber mehr und mehr den Charakter von öffentlich-rechtlichen Kollegien angenommen hatten, waren die bei den Behörden gebildeten Gremien außerordentlich zahlreich. 35 Das Recht der Gemeinwirtschaft hatte auf diese Weise genau die Mischung von öffentlichem und Privatrecht und die starke öffentlichrechtliche lngerenz als sein Spezifikum artikuliert, das auch für das Wirtschaftsrecht ganz allgemein beansprucht wurde. 36 Der Realisierung der Gemeinwirtschaft war nach dem Krieg kein umfassender wirtschaftspolitischer Erfolg beschieden. 37 Noch größere Hindernisse zeigten sich in der Praxis. Die gemeinwirtschaftliche Hülle konnte kaum die kapitalistischen Strukturen verbergen, die unter neuem Namen fortwirkten. Zudem ließ sich die Gemeinwirtschaft in den meisten Wirtschaftsbranchen gegen den Widerstand der Unternehmer gar nicht installieren. Anders als in der ohnehin stark kartellierten Kohlenwirtschaft sahen sie darin keinen besonderen Vorteil. Auch die Verwaltung konnte den erforderlichen Aufwand nicht betreiben. Die Ansätze zu einer Wirtschaftsverfassung im Text der Weimarer Verfassung waren zu unvollkommen, um sich auf Dauer durchzusetzen. Aus dem Krieg und dem Sozialisierungsstreben der Revolution hervorgegangen, blieb die Gemeinwirtschaft auf halbem Wege zur Vergesellschaftung der Wirtschaft stehen und verlor so unter sich allmählich konsolidieren§§47, 109 der Ausführungsbestimmungen zum Kohlenwirtschaftsgesetz. Bekanntmachung des Bundesrats über die Regelung des Verkehrs mit Kohle v. 24.2.1917, RGBI. S. 167. 34 T. Simons, S. 22. 35 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 74f. 36 M. Rumpf, Der Sinn des Wirtschaftsrechts, S.156ff. 37 F. Glum, Rezension: E. R. Huber u. a., AöR 1934, S. 111-113. 32
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III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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den Wirtschaftsbedingungen ihre Überzeugungskraft. Die gemeinwirtschaftliche Regelung der Industriezweige war dennoch Anlaß für eine rechtswissenschaftliche Debatte, die sich sowohl auf die gegenständliche Regelung als auch über die allgemeinen Begriffe wie Gemeinwirtschaft, wirtschaftliche Selbstverwaltung, Sozialisierung und die im Fluß befindlichen Begriffe der Anstalten und der Körperschaften des öffentlichen Rechts bezog. In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre inspirierte sie schließlich das von Gewerkschaftsseite geprägte Konzept der "Wirtschaftsdemokratie". 38
111. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts 1. Gemeinwirtschaft als Teil des Wirtschaftsrechts
Wenn auch der Gemeinwirtschaft zahlreiche historische Erörterungen gewidmet sind, so geht es hier um deren wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung für die Rechtshistorie. 39 Viele Juristen der Zeit hatten sich im werdenden Wirtschaftsrecht mit den allgemeinen Erscheinungen der neueren Rechtsentwicklung befaßt. Demgegenüber traten in der Debatte um die Gemeinwirtschaft einige Brennpunkte des Rechtsverständnisses, des Verhältnisses von Wirtschaft und Staat, der Demokratisierung im Wege der Selbstverwaltung und des Rechtsschutzes besonders hervor. Parallel zur Anerkennung der Tarifautonomie, die, obwohl sie oft gefordert worden war, im Kaiserreich mit dem Makel des Unerlaubten behaftet geblieben war und erst nach der Revolution volle rechtliche Anerkennung fand, drängten die wirtschaftlich-syndikalistischen Modernisierungstendenzen nach ihrer Verwirklichung. Im Recht der Gemeinwirtschaft kristallisierten sich demnach Kernmaterien des Wirtschaftsrechts. Das Wirtschaftsrecht umfaßte entweder das Recht der Gemeinwirtschaft oder es wurde gar mit ihm identifiziert. Dies gilt jedoch nur für diejenigen -hier besonders hervorgehobenen - Rechtswissenschaftler, welche die Entfaltung eines Rechts der organisierten Wirtschaft als eigenständigem Gebiet gestalterisch vollzogen. Anders die Mehrheit der Zivil- und Handelsrechtler. Sie überprüf38 F. Naphtali (Hrsg. im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes): Wirtschaftsdemokratie, 1928. Die Gemeinwirtschaft ist ein historisches Phänomen, dem in der gegenwärtig nur marginale Bedeutung zukommt. Der Gedanke einer gemeinwirtschaftliehen Regelung der Wirtschaft trat besonders nach dem zweiten Weltkrieg immer mehr zurück und bewalrrte sich nur in einzelnen Unternehmen, nicht aber als Wrrtschaftsprinzip. R. Weinert, Das Ende der Gemeinwirtschaft: Gewerkschaften und gemeinwirtschaftliche Unternehmen im Nachkriegsdeutschland, 1994. R. Ebels, Gemeinwirtschaft: Kritik an der Lehre von den gemeinwirtschaftliehen Institutionen im Rahmen einer systematischen Darstellung und kritischen Würdigung der historischen Gemeinwirtschaftskonzeptionen, 1987. Zur gemeinwirtschaftliehen Unternehmensform, als diese für zukunftsträchtig gehalten wurde: W. Hesse/bach, Die gemeinwirtschaftliehen Unternehmen, Instrumente gewerkschaftlicher und genossenschaftlicher Struktur- und Wettbewerbspolitik, 1971. 39 R. Ebe/s, Gemeinwirtschaft, 1987.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
ten die neueren Entwicklungen an angestammten dogmatischen Figuren, am "System" des Zivilrechts. 40 Wenn auch nur langsam, latent und zunächst eher intuitiv, so empfand man doch ein zunehmendes Gewicht der Grundrechte und ihres Schutzbedürfnisses durch die Rechtspflege. Rechtsstaatlichkeit bedeutete zunächst Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Juristen bemühten sich um eine rechtliche Klassifizierung der zunächst wirtschaftspolitischen Phänomene, indem sie diese in ihr dogmatisches Gerüst einordneten oder versuchten, neue Begriffe zu prägen, um der Eigenart der neuen Erscheinungen der Gemeinwirtschaft gerecht zu werden. So fand sich beispielsweise auch die alte Lehre vom rechtlich unbegrenzten Ermessen, das bis in das 20. Jahrhundert hinein die politische Seite der Verwaltungsentscheidung stützen sollte, auf dem Rückzug. Das Verhältnis der Gemeinwirtschaft zur Sozialisierung bildete fast in jedem Fall den Ausgangspunkt für die juristische Analyse. Dabei leiteten die Autoren die Gemeinwirtschaft und die damit verbundenen Bestrebungen historisch auf unterschiedliche Weise her. Mit der Rechtsnatur der Organisationen wirtschaftlicher Selbstverwaltung ist der zweite Kernpunkt des Interesses genannt. Um ihn scharte sich eine Fülle von Rechtsfragen, die direkt als Beschreibung des sich wandelnden Verhältnisses der Wirtschaft zum Staat dienen können. Wenn auch die Frage nach der Rechtsnatur der höchsten Selbstverwaltungsorgane als juristisches Tagesthema im Vordergrund stand, so widmeten die Autoren dem Problem der Selbstverwaltung die größte Aufmerksamkeit. Das bislang rechtlich Unausgesprochene versuchten die Juristen verschiedenen juristischen Typen der Selbstverwaltung zwischen einer hoheitlichen und einer autonomen Regelung der Wirtschaft zuzuordnen. Dem tatsächlichen Assoziationsstreben der Wirtschaft mußte das Recht in einem eigenen Modemisierungsschub folgen. Die Frage nach der juristischen oder politischen Selbstverwaltung in der Wirtschaft ist im Lichte der Auseinandersetzung um das Verhältnis des Staates zur Gesellschaft zu interpretieren. Die Beschreibung der Rechtsfolgen und Handlungsweisen einzelner Wirtschaftskörper mit Mitteln des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, das zugleich ihre Zugehörigkeit zur Sphäre des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts definierte, umriß das Verhältnis der wirtschaftlichen Organisationen zum Staat näher. Das Problem der Unterscheidung von Anstalten und Körperschaften spiegelte die Frage nach dem Kräfteverhältnis bei der Willensbildung im Wirtschaftsleben seitens der Wirtschaft oder des Staates wider.
40 Repräsentativ H . Höniger, Innengesellschaft und lnnensyndikat, ZHR 1921, S. 459-511, der die neueren Erscheinungen der organisierten Wirtschaft durchaus wahrnahm, sie aber am herkömmlichen Gesellschaftsrecht orientiert beschrieb und analysierte, jedoch keine Schlüsse daraus für ein Wirtschaftsrecht oder auch nur ein Recht der Gemeinwirtschaft zog.
111. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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2. Die bedeutendsten Arbeiten zum Recht der Gemeinwirtschaft
a) Arthur Nussbaum Artbur Nussbaum hatte die Gemeinwirtschaft in seine nur ansatzweise systematisierende, vielzitierte Schrift "Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht" von 1920 eingebracht. Er hatte versucht, dieneueren Entwicklungen des Wirtschaftsrechts festzuhalten. Nussbaum behandelte die Gemeinwirtschaft unter der Überschrift "Sozialisierung", wobei er aber die Sozialisierung nur als einen Fall einer gemeinwirtschaftliehen Regelung ansah. Nachdem das zentralistisch-bürokratische System des Krieges sich nicht mehr aufrecht erhalten ließ, mußten fachlich gegliederte Selbstverwaltungskörperder "Gemeinwirtschaft von unten her" den volkswirtschaftlichen Organismus in den Dienst der neuen Aufgaben stellen. So jedenfalls dokumentierte Nussbaum die planmäßig betriebene und gesellschaftlich kontrollierte Volkswirtschaft nach den Plänen Rudolf Wissells und Wichard von Moellendorffs, die nach deren Abschied aus dem Reichswirtschaftsministerium41 im August 1919 zwar nicht mehr direkt fortwirkten, aber die Gesetzgebung doch stark beeinflußten. 42 Feste Formen habe man dabei ohnehin nicht erreicht. Lediglich den privatrechtliehen Unterbau und die öffentlich-rechtliche organisatorische Integration in die Gemeinwirtschaft mit der bereichsspezifischen Spitze eines Fachparlamentes hielt Nussbaum als Merkmale fest. Neben der Sozialisierungsform der Selbstverwaltung bestünde noch die der Vergesellschaftung im engeren Sinne. Als weitere Form der gemeinwirtschaftliehen Regelung bestehe außerdem der Weg freier Verständigung mit den privaten Verbänden zu dem Zweck, ihnen hoheitliche Aufgaben zu übertragen, oder zumindest sie im Rahmen der Demobilmachungsbefugnisse des Reichswirtschaftsministers bei ihnen zu belassen.43 Auch ein Monopol wie das Branntweinmonopol sah Nussbaum als Schritt in Richtung einer Sozialisierung, wenn es auch seinen Charakter von fiskalischen Erwägungen erhielt.44
b) Paul Gieseke Bereits im Dezember 1921 veröffentlichte der Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium Paul Gieseke in der Zeitschrift "Recht und Wirtschaft" seine Auffassung von "Wirtschaftlicher Selbstverwaltung als juristische(m) Begriff."45 W. Berg, Art. Reichswirtschaftsministerium, S.170f. A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, 1. Auflage 1920, S. 37. 43 Ebenda, S.4, 39. 44 Ebenda, S. 39. Gesetz über das Branntweinmonopol vom 26. Februar 1918 RGBL. S. 887 i.V.m. der Verordnung vom 6. April1919, RGBL. 5.415. 45 P. Gieseke, Wirtschaftliche Selbstverwaltung als juristischer Begriff, Recht und Wirtschaft 1921, S. 245-249. 41
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
Schließlich griff Gieseke 1922 in seiner vielbeachteten Schrift über die "Rechtsverhältnisse der gemeinwirtschaftliehen Organisationen" die "Gemeinwirtschaft" als Rechtsbegriff auf. Paul Gieseke leitete sein Buch mit einem begriffsgeschichtlichen Teil ein. Die Nationalökonomie hatte Mitte des 19. Jahrhunderts die Gemeinwirtschaft als die Wirtschaft abgeschlossener Gemeinschaften von der Privatwirtschaft unterschieden. Damit sei sie aber hinter der Schärfe der Trennung Otto v. Gierkes in das herrschaftliche und das genossenschaftliche Prinzip zurückgeblieben. 46 Gieseke urteilte, die bis zum Kriege verwendeten Begriffe der Gemeinwirtschaft hätten "mehr oder weniger im verborgenen geblüht." 47 Echte Breitenwirkung habe der Ausdruck Gemeinwirtschaft erst bekommen, als er von Walther Rathenau und Wichard von Moellendorff in ganz neuem Sinne gebraucht worden war. Der Gedanke der Herrschaft des Gemeinsinns über die Volkswirtschaft sei auch der vorherigen Wirtschaftsauffassung vertraut gewesen. Dieses aber hatten - entgegen Gieseke - Rathenau und v. Moellendorff schärfer formuliert und dabei gefordert, daß der Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesamtheit auch eine bestimmte Organisation entsprechen müsse. Diese sollte die Gesamtbewegung des Wirtschaftskörpers sowohl in der (horizontalen) Arbeitsteilung als auch im (vertikalen) Zusammenwirken der Gewerbe bestimmend beeinflussen. Initiative und Einzelverantwortung sollten in diesem Organismus, der auf Selbstverwaltung beruht, erhalten bleiben. Es sollte keine politische Zentralmacht oder auch nur eine bürokratische Formel alles Handeln zusammenfassen. 48 Obwohl das theoretische Konstrukt von Rathenau und v. Moellendorff einige Unterschiede aufzuzeigen vermochte, hatte das Verhältnis der Gemeinwirtschaft zur Sozialisierung nicht klar auf der Hand gelegen. Die Verwendung der Termini war zu vielfältig. Das Sozialisierungsgesetz hatte schließlich die Sozialisierung nur als einen Weg der Gemeinwirtschaft behandelt, nahm aber sozialistische Forderungen volltönend auf, ohne sie zu verwirklichen. In der Praxis hatte sich nur der Kompromiß Wissells und Moellendorffs durchzusetzen vermocht. Angesichts dieser tatsächlichen und wissenschaftlichen Entfaltung des Begriffs der Gemeinwirtschaft sah Gieseke die Möglichkeiten das Verhältnis von Gemeinwirtschaft und Sozialisierung zu bestimmen mit großer Skepsis, da der Begriff der Sozialisierung sowohl für eine soziale als auch für eine sozialistische Umgestaltung 46 0 . v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I. S. 456ff; ders., Genossenschaftstheorie, S. ll; P. Gieseke, Die Rechtsverhältnisse der gerneinwirtschaftlichen Organisationen, S. 1 f. Die Arbeit erschien als Nr. 2 der Schriftenreihe von Hedemanns Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht. Gieseke gibt in seinem Quellenregister eine wichtige Hilfestellung zum Auffinden des einschlägigen Normenmaterials sowohl der Kriegswirtschaft als auch der Nachkriegsgesetzgebung, S. 121-128. 47 Ebenda, S. 4. Zur Gemeinwirtschaft als ,,Nutzen für die gesamte Volkswirtschaft": RGZ. Bd. 96 S.344; Bd. 98 S.1, 62. Nach dem Kriege dann JW. 1920. S.44, 637. 48 W Rathenau, Die neue Wirtschaft, S. 54f, 61.
III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wutschaftsrechts
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des Wirtschaftslebens verwendet wurde. So lasse sich die Rathenau-Moellendorffsche Gemeinwirtschaft in irgendeinem Sinne immer mit Sozialisierung gleichsetzen. Der Begriff der Gemeinwirtschaft gliedere sich seinerseits in Vollsozialisierung im Sinne der alten Nationalökonomie, in eine bloß vorbereitende Stufe zum Sozialismus oder in eine lediglich auf soziale Umgestaltung gerichtete wirtschaftsethische Gemeinschaft auf. In materieller Hinsicht stimmten die von Gieseke induktiv untersuchten Wirtschaftsgebiete darin überein, daß die wirtschaftliche Regelung durch Rechtsetzung oder Vornahme öffentlicher Einzelakte Einrichtungen oblag, in denen alle an der Wirtschaft beteiligten Kreise vertreten waren. Diese Einrichtungen faßte Gieseke in Anlehnung an die insbesondere von Nussbaum tradierte Terminologie der Kriegswirtschaft als "Verwaltungsstellen", die dazu in Beziehung stehenden gesellschaftsrechtlichen Organisationen als "Geschäftsstellen" zusammen. 49
Eine begrifflich und theoretisch von Gieseke aufgrund seiner pragmatischen Neuorientierung der Gemeinwirtschaft nicht beachtete Unterscheidung war die radikale Klassifizierung Sinzheimers. Nach Sinzheimers Definition hielt sich die Gemeinwirtschaft an das Privateigentum. Sozialismus verneine das Privateigentum und kenne nur andere Formen des Eigentums. Diese klare Distinktion verwarf implizit die Deutung der Gemeinwirtschaft als Sozialisierung; die Gemeinwirtschaft war das Ziel. Wenn Sinzheimer auch generell den Sozialismus nicht konsequent anstrebte, ließ er, anders als hier Gieseke, eine Aufweichung der dogmatischen Positionen nicht zu.5°
c) Friedrich Glum 1922 bearbeitete auch der Privatdozent für öffentliches Recht Friedrich Glum in seinem erst 1925 veröffentlichten Buch "Selbstverwaltung der Wirtschaft" das Problem von Gemeinwirtschaft und wirtschaftlicher Selbstverwaltung. Der Autor, der wie Gieseke im Reichswirtschaftsministerium tätig gewesen war, bevor er sich 1923 durch seine Forschungstätigkeit im Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht vom Wirtschaftsrecht entfernte, hatte die Arbeit im Untertitel eigentümlicherweise als "öffentlichrechtliche Studie" bezeichnetY Für die Bewertung des Werkes Glums darf nicht unerwähnt bleiben, daß es mehr von der visionären und gestalterischen Kraft des Autors lebt, als von der Ausschöpfung des geltenden Rechts. Das ist zwar bei den Autoren der Zeit durchaus üblich, zumal in dogmatisch nicht sehr gefestigten Rechtsgebieten wie dem Recht der Gemeinwirtschaft. Mehr als andere nahm Glum auf die Reinheit des Gedankens und des vorgesetzlichen Plans Bedacht, die er aus den Gesetzesmaterialien oder seinem 49 P. Gieseke, Rechtsverhältnisse, S. 13 f. Diese Terminologie hatte A . Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, in der ersten Auflage 1920, S. 32-36 eingeführt. 50 Sinzheimer zitiert bei F. Glum, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. 17. 51 F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1925.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
persönlichen Eindruck bezog. Nur Hans Goldschmidt betonte ebenso den Vorrang des rechtlichen Programms vor der induktiven Untersuchung, die dieser auf seine soziologisch-historische Methode stützte. Friedrich Glum umriß das historische Feld der Definitionen der Gemeinwirtschaft, das von autoritativ geregelten wirtschaftlichen Beziehungen im Sinne des Nationalökonomen Eugen von Philippovich52 über den bloß organisatorischen Gegensatz zur reinen Staatswirtschaft bis hin zum englischen Gildensozialismus reichte. Letztere Richtung forderte in ihrer Hochblüte Anfang der Zwanziger Jahre in England öffentliche Kartelle, während die Einzelunternehmungen bestehen bleiben sollten. 53 Glum konnte aus seiner Erfahrung aus der Mitarbeit seit 1917 im Reichsamt des lnnem, und gegen Ende des Krieges im Reichswirtschaftsamt, das ab 1919 Reichswirtschaftsministerium hieß, schöpfen. Dies trifft insbesondere auf seinen persönlichen Kontakt mit Wichard von Moellendorff in dessen Zeit als Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsministerium zu. 54 Den Begriff der Gemeinwirtschaft in seiner Verwendung durch die Juristen und Politiker der Zeit ging nach Glum ganz aus dem Wirken Wichard von Moellendorffs hervor. So habe auch Walther Rathenau ganz im Banne Moellendorffscher Ideen gestanden. 55 Im Ergebnis fand Glum den Moellendorffschen Gesamtorganisationsplan nur bruchstückhaft verwirklicht. Die vorgesehene selbständige Verwaltung der gesamten Gemeinwirtschaft bot Glum keinen Anlaß zu einer induktiven Untersuchung. Er suchte die Selbstverwaltung aus den Haltungen zu ermitteln, die Gneist, Frhr. v. Stein und Vincke dazu eingenommen hatten. Sie waren die Urheber der politischen Selbstverwaltung gewesen. Im Rahmen dessen wurde diese später in einen Gegensatz zum Souveränitätsbegriff des Ancien Regime gebracht. 56 Durch sein Initiativrecht im Reichstag und der daraus folgenden Teilhabe an der Volkssouveränität ragte nach Glum der Reichswirtschaftsrat über die allgemeine politische Selbstverwaltung hinaus. d) Walter Wauer
Stark in Anlehnung an Gieseke entstand die 1923 abgefaSte Dissertation von Walter Wauer, die aber sehr detailgetreu und mit plastischen Anschauungen die Rolle der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in der Gemeinwirtschaft erarbeitete. 57 Zwar bezeichnete Friedrich Glum die Arbeit von Wauer als zu der von Gieseke epiE. v. Philippovich, Grundriß der politischen Ökonomie, S. 27 f. F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S.l8. 54 Ebenda, S. 7 (Vorwort), S. 14: "Ich schöpfe diese Kenntnis sowohl aus dem Gesamteindruck seiner Schriften, wie aus mündlichen Aeußerungen." 55 Ebenda, S.l4 Fn.2. 56 Ebenda, S. 23 f, der zutreffend Heinrich Rosin dieser Tradition zuordnete. 57 W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper. 52 53
III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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gonal. 58 Doch bot dieser eine ausgereifte induktive Studie, die sich auch auf Details und Ausführungsbestimmungen stützen konnte und weniger an theoretischen Konstruktionen hing. In Auseinandersetzung mit der obrigkeitlichen Wirtschaftsleitung im Krieg stellte Wauer vier an sich mögliche T)rpen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung auf: Die ungeregelte reine Privatwirtschaft, die ungeregelte gemischte Privatwirtschaft, in welcher der Staat oder eine andere Gemeinschaft selbst als privatkapitalistischer Unternehmer auftritt, die privatkapitalistische Gemeinwirtschaft, mit dem Zwang, gemeinwirtschaftliche Regeln einzuhalten und schließlich die sozialisierte Gemeinwirtschaft, in der die Wutschaftsführung durch den Staat oder eine andere Gemeinschaft vermittels eines Alleinbestimmungsrechts (Vollsozialisierung) oder durch ein Teilbestimmungsrecht (Teilsozialisierung) erfolgt. Das Sozialisierungsgesetz ermögliche in § 2 Ziffer 1 die sozialisierte Gemeinwirtschaft in Gestalt der Vollsozialisierung, in Ziffer 2 dagegen die privatkapitalistische Gemeinwirtschaft. Für die Durchführung dieser Wutschaftsformen stünden in beiden Fällen die Optionen der obrigkeitlich geleiteten einerseits und der selbstverwalteten gemeinwirtschaftlichen Gestaltung andererseits offen. Aus diesen Grundsätzen entwickelte Wauer die Aufbaumöglichkeiten der gesellschaftlichen Organisation der Gemeinwirtschaft nach der Reichsverfassung und dem Sozialisierungsgesetz. Er beschrieb hier wiederum vier Typen. Die obrigkeitlich geleitete sozialisierte Gemeinwirtschaft war in der Elektrizitätswirtschaft in Form der Voll- oder Teilsozialisierung verwirklicht. 59 Nicht verwirklicht war zweitens die selbstverwaltete sozialisierte Gemeinwirtschaft. 60 Drittens hatte Art. 156 II WRV die im Sozialisierungsgesetz angelegte obrigkeitlich geleitete privatkapitalistische Gemeinwirtschaft ausgeschlossen. 61 Schließlich war die selbstverwaltete privatkapitalistische Gemeinwirtschaft der tatsächlich in den meisten Fällen beschrittene Weg. 62 Hier leitete der Selbstverwaltungskörper sein Wirtschaftsgebiet, während die private Form der einzelnen Unternehmen und ihr privates Eigentum erhalten blieben. Anband der Erörterung der Organgestaltung der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper gelangte Wauer zu der Schlußfolgerung, daß die Organisationen der Wirtschaft die "lebendige Beweglichkeit" der Wirtschaft selbst teilten. "Diese Abweichungen der einzelnen Selbstverwaltungskörper untereinander (seien) nicht Willkür und Laune des Gesetzgebers, sondern notwendiger Ausdruck der unendlich differenzierten Äußerungen des Wirtschaftslebens." Im Gegensatz zur starren politischen Verfassung verstand Wauer dieses dynamische Modell als Baustein der "Wirtschaftsverfassung". 63 58
F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 7.
Art. 156 I WRV, § 2 Ziff. 1, § 3 Sozialisierungsgesetz; Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft v. 31.12.19, RGBI. 1920, S.19. 60 Art. 156 I WRV, § 2 Ziff. 1, § 3 Sozialisierungsgesetz. 61 § 2 Ziff. 2, § 3 Sozialisierungsgesetz. 62 Art. 156 II WRV, § 2 Ziff. 2, § 3 Sozialisierungsgesetz. 63 W Wauer, S. 100. 59
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
e) Hans Go/dschmidt Hans Goldschmidt, setzte sich in seinem Buch ,,Reichwirtschaftsrecht" von 1923 mit der gemeinwirtschaftliehen Selbstverwaltung als seinem bedeutendsten Gegenstand auseinander. Goldschmidts enge Definition des Wirtschaftsrechts als dem Recht der organisierten Wirtschaft trug zu dieser Gewichtung bei. Goldschmidt hatte wesentliche Merkmale der Gemeinwirtschaft und der wirtschaftlichen Selbstverwaltung herausgestellt. Mit Meyer-Anschütz ordnete Goldschmidt die Selbstverwaltung der Selbstregierung zu. Sein Versuch, dem Wirtschaftsrecht ein System zu geben, ließ eine Wirtschaftsverfassung hervortreten, in der wirtschaftliche Selbstregierung als Oberbegriff dafür figurierte, was sonst die Gemeinwirtschaft als Ganze genannt wurde. Thr ordneten sich sowohl die Selbstverwaltungskörper, als auch die territorialen Gesamtwirtschaftsvertretungen und der Reichswirtschaftsrat unter. 64 Die rein privatrechtliche Seite nahm in der Literatur zu den Selbstverwaltungskörpern keinen großen Raum ein. Allenfalls Goldschmidt legte darauf ein gewisses Gewicht. Innerhalb der Selbstverwaltungskörper bildeten juristische Personen des Privatrechts das juristische Substrat der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. Goldschmidt wies daraufhin, daß insbesondere die Doppelgesellschaften der Kartellpraxis entstammten. Die beteiligten Unternehmer gründeten eine juristische Person des Privatrechts und schlossen zugleich mit dieser einen Gesellschaftsvertrag ab, oder traten zu einem nichtrechtsfahigen Verein zusammen, wobei sie die Lieferpflichten und ähnliche Pflichten gegenüber der juristischen Person eingingen. Die Besonderheit in der organisierten Wirtschaft sei nunmehr die Möglichkeit des Zwangsbeischlusses zu den Syndikaten als Doppelgesellschaften durch den Reichswirtschaftsminister. f) Leopo/d Heilberg
Von diesem Feld der am Anfang der Zwanziger Jahre entstandenen Arbeiten setzten sich diejenigen ab, die auf den schon zurückliegenden Auseinandersetzungen aufbauen konnten. Aus zeitlichem Abstand konnte daher Leopold Heilberg 1929 in seiner von Hans Carl Nipperdey in Köln betreuten Dissertation Begriff und Geschichte der Gemeinwirtschaft zusammenfassen. Auch nach der Darstellung Heilbergs hatte den verschiedenen Formen der Kriegswirtschaft der Gedanke der entscheidenden Beeinflussung der Wirtschaftstätigkeit durch die öffentliche Gewalt zugrunde gelegen. 65 Ohne dies an irgendeiner Stelle auszusprechen, war Heilberg von der Absicht geleitet, die volkswirtschaftliche Doktrin für die juristische Begriffsbestimmung der Gemeinwirtschaft der Nach64 65
H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 45-75. L. Heilberg, S. 31.
III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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kriegszeitnutzbar zu machen. Das unterscheidet Heilberg merklich von den meist in hermetisch abgeschlossenen juristischen Zirkeln argumentierenden anderen Autoren, die sich mit Fragen der Volkswirtschaft oder Gesamtwirtschaft befaßten. Die begriffsgeschichtlichen Ursprünge der "Gemeinwirtschaft" suchte Heilberg demgemäß in der Volkswirtschaftslehre. 66 Mit systematisierendem Impetus verwarf Heilberg die theoretischen Modelle der Gemeinwirtschaft der frühen Zwanziger Jahre mit dem Hinweis auf das Wesen der unterscheidenden Wirtschaftsprinzipien, die in der Wirtschaft selbst lägen. Er nahm für das "privatwirtschaftliche System" vollkommene Wirtschaftsfreiheit als bestimmendes Prinzip an, während die Leitung der "Gesamtwirtschaftung"67 auf die aus der Gemeinschaft erwachsenden Bedürfnisse achten und bei der Verteilung der Vorteile und Lasten eine Bewertung vornehmen müsse. Dabei werde sowohl das Ob als auch die Art und Weise des Wirtschaftens zwangsweise geregelt. Da weder die Gesetzgebungsgeschichte der Vorkriegszeit, noch die Rechtsprechung des Reichsgerichts, die schlicht Gemeinwirtschaft mit Volkswirtschaft gleichsetzte, Anhaltspunkte geben konnten, meinte Heilberg die Bedeutung des Ausdrucks Gemeinwirtschaft lediglich aus den Gesetzen selbst und deren Entstehungsgeschichte entnehmen zu können. So definierte er im Anschluß an Reier, der seinerseits wieder an Rathenau, Moellendorff und Wissell angeknüpft hatte, die Gemeinwirtschaft als "die planmäßige Gestaltung der Wirtschaft einer bestimmt abgegrenzten Gemeinschaft zur Erzielung des günstigsten Wirkungsverhältnisses der zur Wirtschaftsführung erforderlichen Aufwendungen unter die Wirtschaftsführung bestimmender Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Gesamtheit, insbesondere der in dieser Wirtschaft wirkenden Volksteile". 68 Trotz der engen Verknüpfung im Sozialisierungsgesetz und im "Sozialisierungsartikel'', Art. 156 WRV, wollte Heilberg den Begriff der Gemeinwirtschaft nicht mit Sozialisierung identifizieren. Die Gesetzgebung der Nationalversammlung, der das Sozialisierungsgesetz entstammte, hatte nicht Sozialisierungsmaßnahmen im Wortsinne ins Auge gefaßt. Es sei nur aufgrund politischen Kalküls so benannt worden. Ein juristisch bedeutsamer Sinn, der den begrifflichen Erfordernissen der Sozialisierung im Sinne einer Umorganisation der gesamten Wirtschaft nach einem einheitlichem Plan zu einer Bedarfswirtschaft auf der Grundlage von Gemeineigentum gemäß den Definitionsansätzen der Nationalökonomen Spiethoff, Grünberg und Thgan-Baranowsky entspräche, war nicht darin zu finden. 66 Albert Schae.ff1e hatte darunter den "Inbegriff aller Wirtschaftsführung einer personifizierten sittlichen Gemeinschaft oder Anstalt" verstanden, so daß das Prinzip der Privatwirtschaft mit der Wirtschaftsform der Einzelwirtschaft und das gemeinwirtschaftliche Prinzip mit der Gesamtwirtschaft identisch gedacht war. Dagegen ordnete Adolph Wagner später der Privatwirtschaft die spezielle Entgeltlichkeil in Leistung und Gegenleistung, der karitativen Wirtschaft die Unentgeltlichkeil und der Gemeinwirtschaft generelle Entgeltlichkeil zu. 67 Beide Begrifflichkeilen bei L. Heilberg, S. 9. 68 L. Heilberg, S. 15.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung g) Tula Simons
Tula Simons, die in ihrer Dissertation den "Aufbau der Kohlenwirtschaft" darstellte und juristisch durchdrang, verdanken wir die eingehendste Darstellung. Die Arbeit war erst 1932 bei Heinrich Göppert im industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn entstanden, demnach mit großem Abstand zur intensiven Diskussion der Gemeinwirtschaft vom Kriege bis zur Inflation. Dabei nahm sie eine äußerst kritische Haltung zur Rechtsentwicklung ein. 69 Die Darstellung verdient beispielhaft für die gemeinwirtschaftlich geregelten Wirtschaftszweige Beachtung. An ihre nüchterne Schilderung der Rechtslage schloß die Autorin die Aufnahme der wichtigsten Debatten an. Zwar verwendete Simons zahlreiche Befunde und Argumentationslinien, die bis ins Detail von Walter Wauer in seiner Dissertation über "Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper" bereits formuliert worden waren. Doch zog Simons hieraus wesentlich schärfere Schlüsse. Sie ließ nicht mehr die in der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre üblichen Fiktionen zu, die wie etwa im Falle Giesekes aber auch Wauers von einer nicht näher definierten Gesamtvertretung des Wirtschaftszweiges ausgingen, sondern bereinigte die Rechtsformen der organisierten Wirtschaft im Hinblick auf ihren nachweisbaren öffentlichrechtlichen und privatrechtliehen Gehalt. Sie war damit realistischer, nahm auch Bedacht auf die Justiziabilität der Einzelakte und Verträge der gemeinwirtschaftliehen Organisationen. Doch nahm sie der Gemeinwirtschaft auch ihre "sozialrechtliche" Besonderheit und ordnete sie der Staatsverwaltung zu. Simons erklärte später die Aufsichts- und Beanstandungsbefugnis des Reichswirtschaftsministers für ausreichend, um eine Behördeneigenschaft anzunehmen. Simons schloß ihre Dissertation mit einer exekutivisch geprägten Interpretation der Gemeinwirtschaft. Die Aufgaben des Staates erzeugten demnach öffentliches Recht. Das Privatrecht galt für den einfachen Wirtschaftstreibenden. 70 Simons machte auf einen bedeutenden historischen Befund aufmerksam, nämlich den ausgeprägten Experimentalcharakter der Regelung der Kohlenwirtschaft Die Anlehnung an privatrechtliche Formen, die dennoch dem öffentlichen Recht zugeschrieben werden mußten, würdigte sie als einen Versuch, die Sphäre des Privatrechts durch öffentliches Recht zu überformen, was die Wirtschaftsdemokratie Fritz Naphtalis zum Prinzip erhoben hatte. Doch erklärte sie den Versuch zugleich als im Sinne der Vorherrschaft des öffentlichen Rechts für gescheitert. Sie mahnte einen starken, exekutivisch geprägten Staat an und bezweifelte die Fähigkeit der von Parteien abhängigen parlamentarischen Demokratie, sich die Wrrtschaft durch die Bildung von Dazu unten 7. Kapitel: Wirtschaftsverwaltungsrecht. T. Simons, S. 94f. Simons erwähnte als Zwischenform zwischen öffentlichem Vertragsrecht und Privatrecht die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Sie sei eine Ausnahme wegen der hierfür besonders eingeräumten Gesetzgebungskompetenz des Reiches. 69
70
III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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Wirtschaftskörperschaften unterzuordnen. Das Moment der Selbstverwaltung hatte bei ihr keinen echten Stellenwert mehr. 71 3. Selbstverwaltung in der Gemeinwirtschaft
a) Selbstverwaltung als Indikator für die Unabhängigkeit der Wirtschaft vom Staat Das Sozialisierungsgesetz und die Weimarer Verfassung mit ihrem Art. 156 WRV boten "Gemeinwirtschaft" und "wirtschaftliche Selbstverwaltung" als Rechtsbegriffe an, ohne sie näher zu differenzieren. Die juristische Auslegung war auf vorhandene Interpretationsmuster verwiesen. Der Kern der Auseinandersetzung war die Selbstverwaltung im allgemeinen und diejenigen Momente, die die wirtschaftliche Selbstverwaltung davon unterschieden. Die positivistische Staatslehre hatte feste Formen der Selbstverwaltung ausgeprägt, die den politischen Ursprung des Instituts im Laufe der Zeit verdeckten oder zumindest relativierten. War die politische Selbstverwaltung eine Form, in der sich die bürgerliche Emanzipation ausdrückte, so bedeutete die juristische Selbstverwaltung eine rechtliche Umgrenzung der Verwaltungsbefugnisse innerhalb der abgetretenen staatlichen Kompetenzen. Die juristische Methode im öffentlichen Recht begrenzte die Möglichkeiten der Selbstverwaltung auf wenige Körperschaften. Deren engste Auslegung forderte gar ein territoriales Substrat. Für Formen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung mußten erst neue dogmatische Positionen gewonnen werden. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung war zunächst eine Reaktion auf die obrigkeitliche Kriegswirtschaft Kontinua der Kriegszeit blieben aber auch für die Organisationen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung konstituierend. Der Vergleich nicht nur mit der Natur, sondern auch mit den Aufgaben der hergebrachten Selbstverwaltungskörper wurde gezogen. b) Beibehaltene undfortwirkende Rechtsinstitute der Kriegswirtschaft Die zumal bei Ernst Heymann vielfach vorfindliehe Beobachtung, das Friedensrecht habe von den Rechtsformen der Kriegswirtschaft maßgebliche Impulse erhalten, vollzog Walter Wauer juristisch detailliert nach, während Heymann auf eine eingehende Analyse verzichtet hatte. Die übernommenen und weiterentwickelten juristischen Formen sind nach Wauer die Zwangssyndikate, der Kriegsausschuß und der Überwachungsausschuß. 71
Ebenda, S. 96.
122
3. Kap.: Gerneinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
Das Zwangssyndikat hatte sich im Gegensatz zu den Kriegsgesellschaften zum Subjekt der Verwaltung gewandelt. Die programmatische Erklärung des Art. 156 WRV bedeutete nichts weiter als eine Zwangssyndizierung nach dem Vorbild der Kriegswirtschaft, allerdings mit dem grundlegenden Unterschied, daß der Aufbau "auf Grundlage der Selbstverwaltung" vor sich gehen müsse. Die bürokratisch-polizeistaatliche Beeinflussung der Syndikatsbildung der Kriegszeit sollte für die neuen Gestaltungen nicht in Frage kommen. Eine Reihe von kollegial zusammengesetzten Organen in Organisationen wirtschaftlicher Selbstverwaltung war aus Vertretern betroffener und interessierter Kreise zusammengesetzt, wie das für die Kriegsausschüsse typisch gewesen war. Ihre Zusammensetzung diente als Vorbild für die späteren wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper. Und schon 1917, vermerkte Wauer, hatte Richard Kahn die Demokratisierung der Kriegsausschüsse vermittels einer Wahl der einzelnen Berufsgruppen angemahnt. Dieser Gedankengang sollte Jahre später seine Ausbildung finden. 72 Den Überwachungsausschüssen als Normsetzungs- und Leitungsgremien der eigenen Verwaltung verdankte die wirtschaftliche Selbstverwaltung das Grundcharakteristikum der Verschmelzung von Interessenvertretung, Rechtssubjekt und Trägerschaft öffentlicher Verwaltung. Bereits in den verkehrs-, sozial- und gewerbepolitischen Eingriffen der Vorkriegszeit beobachtete Friedrich Glum nach dem Liberalismus der Mitte des 19. Jahrhunderts einen allgemeinen Interventions- und Anstaltsgeist Zunächst nur wenig von staatlicher Sanktion betroffen, hätten sich vorwiegend bis zur Jahrhundertwende die Verbände, die Handels-, Landwirtschafts- und Handwerkskammern, die Innungen, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Wassergenossenschaften, Jagdgenossenschaften, Fischereigenossenschaften Und zuletzt schließlich als frei wirtschaftender Verband das rheinisch-westfälische Kalisyndikat zusehends vernetzt. 73 Eine Selbstverwaltung im juristischen Sinne bildete sich allerdings nicht heraus. Aus den Kriegsmaßnahmen leitete Glum das von ihm so genannte Prinzip der "Heranziehung der Nächstbeteiligten"74 ab, die das Kriegsrohstoffamt, das Kriegsernährungsamt und die gesamte Zwangswirtschaft praktiziert habe. Diese Zwangswirtschaft sollte nach dem Willen des Reichsinnensekretärs Frhr. v. Stein und seines Unterstaatssekretärs Heinrich Göppert in eine Selbstverwaltung der Wirtschaft umgebaut werden. Für diese Bestrebungen war Moellendorff der treibende Motor gewesen. Aber durch den Kompetenzkonflikt des Reichswirtschaftsamts, des Reichsernährungsamts und des Demobilmachungsamts konnte Moellendorff nicht zur vollen Wirksamkeit kommen. Das Theorem der "Heranziehung der Nächstbeteiligten" in seiner Reinform brach sich deshalb im Recht der Gemeinwirtschaft 72 73
74
W. Wauer, S. 69. F. Glum, S. 43 f.
Ebenda, S.47.
lll. Gerneinwirtschaft als Gegenstand des Wlltschaftsrechts
123
wie im Wirtschaftsrecht überhaupt- anders als etwa das auf eine reine Zweierbeziehung von Staat und Bürger angelegte Polizeirecht-nach dem Krieg keine eigene Bahn. Doch traf diese Idee Glums mit der "Mitwirkung aller schaffenden Volksteile" Paul Giesekes zusammen. Dabei sah Gieseke die Unternehmerzusammenschlüsse als weitgehend wirkungsvoll an, die Arbeitnehmerbeteiligung dagegen wertete er als unbedeutend. 75
c) Juristische oder politische Selbstverwaltung? Der nähere Sinn der Unterscheidung von politischer und juristischer Selbstverwaltung, wie sie aus den staats- und verwaltungsrechtswissenschaftliehen Debatten des 19. Jahrhundert hervorgegangen war, erschien den Autoren für eine juristische Definition der wirtschaftlichen Selbstverwaltung nicht mehr erheblich. Dementsprechend entwickelte sich aus den verschiedenen Vorschlägen ein Feld von juristischen Positionen mit gleitenden Übergängen. Die von den Autoren vorgenommene historische Herleitung läßt nicht den Schluß zu, daß sie kontinuierlichen Linien folgten. Vielmehr gab es mannigfaltige Versuche, die wirtschaftliche Selbstverwaltung politisch und juristisch neu zu konstruieren. Die politische Selbstverwaltung war, durch Rudolf v. Gneist stark hervorgehoben, ein zentraler Gegenstand der liberalen Staatslehre gewesen- ihr galt die Aufmerksamkeit der liberal gesinnten Politisierung des Staatsrechts. Mit ihr stand und fiel das politische Selbstverständnis des aufstrebenden städtischen Bürgertums. Ebenso baute sich auf dem Gedanken der politischen Selbstverwaltung die Vorstellung einer Bürgergesellschaft auf, die bestrebt war, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten, um zugleich das obrigkeitliche politische Denken auf seine schwindende Bedeutung im Staat des Konstitutionalismus zu verweisen. Gerade im Gegensatz zum Hardenbergsehen Gedanken der Verteilung von Verantwortung und Lasten der Verwaltung auf das Bürgertum sollte der politische Spielraum dieses Bürgertums zugleich mit seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verantwortung anwachsen. In der Theorie setzte sich dann von der auf das personelle Substrat aufbauenden politischen Selbstverwaltung die auf der Übertragung materieller Verwaltungsbefugnisse beruhende juristische Selbstverwaltung ab. Dabei hatte die Debatte um die juristische Ausprägung des Selbstverwaltungsgedankens die damals üblichen Reflexionen über das englische selfgovernment unter Berufung auf Gneist meist mit eingeschlossen. Die wirtschaftsrechtliche Literatur griff vorrangig die Staats- und Verwaltungsrechtler Heinrich Rosin, Fritz Stier-Somlo, das Lehrbuch von Georg Meyer, fortgeführt von Gerhard Anschütz und Julius Hatschek als Theoretiker der juristischen Selbstverwaltung auf. Letzterer hatte mit seiner Habilitationsschrift "Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Bedeutung", die 1898 bei Georg Jellinek entstanden war, die Debatte zu einem Höhepunkt geführt. Hatschek hatte ver75
P. Gieseke, Rechtsverhältnisse, S. ll9f.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
sucht, die theoretische Verbindung von politischer Selbstverwaltung durch Ehrenämter im Sinne Gneists mit der körperschaftlichen Selbstverwaltung zu schaffen. 76 Hans Goldschmidt hielt es hinsichtlich der wirtschaftlichen Selbstverwaltung für bezeichnend, daß sie sich zumindest in auf die Selbstverwaltung bezogenen Merkmalen gegenläufig zu den Formen der Kriegswirtschaft ausgebildet hatte. 77 Im Gegensatz zu Glum und Wauer nahm Goldschmidt an, der Begriff der bislang anerkannten allgemeinen Selbstverwaltung im politischen Sinne stimme mit dem Begriff der wirtschaftlichen Selbstverwaltung im politischen Sinne überein. Die übrigen hatten dagegen angenommen, daß eben nicht der Staatsbürger allgemein zur Verwaltung herangezogen würde, sondern der Interessenvertreter gliedere sich mittelbar in vom Staat anerkannte Verwaltungsbereiche ein. Das Unterscheidungsmerkmal der wirtschaftlichen Selbstverwaltung lag nach Goldschmidt nurmehr darin, daß sie sich auf wirtschaftliche Angelegenheiten erstreckte. Auch die Verordnungsgewalt etwa des Reichskohlenrates oder des Reichskalirates hielt er in dieser Hinsicht für nichts außergewöhnliches. 78 Auch Goldschmidt lehnte sich an die zwei hergebrachten Definitionen der Selbstverwaltung an, die politische und die juristische. Goldschmidt billigte die Definition der politischen Selbstverwaltung als Beteiligung der Staatsbürger an der Verwaltung ebenso wie die juristische als Ausübung von Verwaltungsbefugnissen durch öffentlich-rechtliche Verbände, welche dem Staat ein- oder untergeordnet, gleichwohl aber ihm gegenüber selbständig sind. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung knüpfe an diese Begriffe an. 79 Da die Selbstverwaltungsorganisationen als Gegensatz zu den Bildungen der Kriegswirtschaft gedacht waren, lag es für Paul Gieseke nahe, darin den politischen Begriff der wirtschaftlichen Selbstverwaltung zu sehen. Er bestimmte ihn näherhin als die Übertragung der Rechtsetzung und der Vomahme öffentlich-rechtlicher Einzelakte an selbständige Einrichtungen, in denen die Willensbildung durch Vertreter der an der Wutschaft beteiligten Kreise erfolge und die nur einer Aufsicht des Reiches unterstünden. 80 Walter Wauer setzte sich zur weiteren historischen Begründung der Entwicklung mit der allgemeinen staatsrechtlichen Selbstverwaltung auseinander. Dabei legte er die allgemein anerkannten Positionen von Jellinek und Meyer-Anschütz zugrunde. 81 76 A. Sattler, Julius Hatschek, in: F. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, S. 365-384, insbes. S. 377-382; V. Götz, Verwaltungsrechtswissenschaft in Göttingen, in: ebenda, S.336-364, insbes. S.344f. 77 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 46. 78 Ebenda, S.47. 79 Ebenda, S.45. 80 P. Gieseke, Rechtsverhältnisse, S. 117. 81 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S.631; G. Meyer, G. Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 386.
111. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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Vorläufer sei die bürgerliche Selbstverwaltung, bei der in Ausübung öffentlicher Selbstverwaltung Staatsbürger an der Bildung von Verwaltungsbehörden beteiligt werden. 82 So nahm Wauer sowohl die Definition der körperschaftlichen Selbstverwaltung von Meyer-Anschütz als Ausübung von Verwaltungsbefugnissen, namentlich von obrigkeitlicher Gewalt durch rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts auf, als auch die Selbstverwaltung als politisches Prinzip. Danach bedeutete die Selbstverwaltung nach dem bis dato geltenden Recht die Zurückdrängung des obrigkeitlich-bürokratischen Elements bei Ausübung der Staatsgeschäfte auf allen Tätigkeitsgebieten des Staates. Indem er die vollständige Beseitigung von Regelungen wirtschaftlicher Gebietskörperschaften forderte, erweiterte Wauer diesen Grundsatz für den Bereich der Wirtschaft. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung deckte sich nach Wauer weder in ihrer politisch-liberalen Bestrebung einer bürgerlichen, noch in ihrem organisatorischen Bild einer körperschaftlichen Selbstverwaltung mit der allgemeinen staatsrechtlichen Selbstverwaltung. Weder sei die Beteiligung der Staatsbürger als solcher mit der Beteiligung wirtschaftlicher Interessenvertreter zu vergleichen, noch sei den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern Rechtspersönlichkeit zu eigen, oder seien gar die Syndikate allesamt Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Selbstverwaltungskörper des Friedensrechts vereinigten seiner Auffassung nach den Charakter der Repräsentantenvereinigung der Kriegsausschüsse mit der Rechtspersönlichkeit und der Stellung gegenüber dem Reich, wie sie den Überwachungsausschüssen zu eigen gewesen waren. 83 Da Leopold Heilberg explizit dem juristischen Begriff der Selbstverwaltung nachging, lehnte er eine politische Interpretationsvariante wie die des englischen self-govemrnent bei Rudolf v. Gneist ebenso ab wie die Versuche Otto Goebels 84 und Karl Geilers 85, den Begriff volkswirtschaftlich zu erfassen. Für den Begriff der wirtschaftlichen Selbstverwaltung nahm Heilberg an, er habe in seiner politischen Wirkung einen Gegensatz zur Zwangsverwaltung im Kriege bilden sollen und zwar in der Weise, daß an Stelle von Berufsbeamten die beteiligten Kreise das personale Substrat der wirtschaftlichen Verwaltung des Staates bildeten. Ausgehend von Paul Labands "Selbstverwaltung im Gegensatz zum Verwaltetwerden", über Heinrich Rosins ,,Anerkennung eines nicht souveränen politischen Gemeinwesens durch das souveräne als verwaltende Rechtspersönlichkeit", gelangte Heilberg zur herrschenden Auffassung seiner Zeit: Demnach hatte sich das Gewicht zugunsten des "Machteinflusses der Körperschaftsmitglieder" 86 verschoben. Mit der auf die bedeutendsten Staats- und Verwaltungsrechtslehrer gestützten Defi82
W. Wauer, S. 70.
Ebenda, S. 69. 84 0. Goebel, Selbstverwaltung in Technik und Wirtschaft, S.l. 85 K. Geiler, Wirtschaftsrecht, Gruchots Beiträge 1921, S . l44. 86 L. Heilberg, S. 31. 83
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
nition der Selbstverwaltung als "Ausübung von Verwaltungsbefugnissen durch öffentliche Verbände, welche dem Staat ein- und untergeordnet, gleichwohl aber ihm gegenüber selbständig sind", hatte Heilberg die Tendenz zur vordringenden Verwaltung des staatlichen Unterbaus durch eigene Verbände im Gegensatz zur obrigkeitlich-bürokratischen Ausübung von Staatsgeschäften gekennzeichnet. Das von Heilberg nur angedeutete Bestreben ging aus der allgemeinen Tendenz des Staats- und Verwaltungsrechts hervor, die privaten Interessenvertretungen in öffentliche Verbände einzubinden und in vielfältiger Weise im oder gegenüber dem Staat wirksam werden zu lassen. 87 Soweit Heilberg die wirtschaftliche Selbstverwaltung der juristischen Selbstverwaltung zuordnete, mußte er deren Bedingungen einbeziehen. Das gilt zunächst für die Frage, ob ein territoriales Substrat als Wesensmerkmal der Selbstverwaltung angesehen werden mußte, blieb doch in der Verwaltungsrechtsdoktrin die Meinung Hatscheks nicht alleinstehend, der die Selbstverwaltung an die Örtlichkeit und die örtliche Begrenzung ihres Wirkungskreises gebunden sah. Aus der juristischen und der politischen Selbstverwaltung läßt sich eine Tendenz zur Anpassung der juristischen Form an die hergebrachten Institutionen entnehmen, die jedoch vermittels eines politischen Moments der Selbstverwaltung eine staatsfernere Richtung gab, als es für die Selbstverwaltung etwa der Gebietskörperschaften zu beobachten war. Daraus ergab sich aber keineswegs ein einheitliches Bild. Anders als Thla Simons, die die Gemeinwirtschaft in ihrer Dissertation ohnehin demontierte und die abstrakt dem Begriff der wirtschaftlichen Selbstverwaltung jede Schärfe absprach, nahm Leopold Heilberg mit Gerhard Anschütz 88 eine Wahlfreiheit des Reichs zwischen der obrigkeitlich geleiteten Gemeinwirtschaft und der selbstverwalteten Gemeinwirtschaft an. Eine juristisch stringente Form der wirtschaftlichen Selbstverwaltung hatte sich zu keinem Zeitpunkt herausgebildet.
87 Der Schauplatz der Selbstverwaltung und damit der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, in der die Interessen in korporativer Weise in den Staat eingingen, entsprach dem Gesichtsfeld der Diskussion über den Anstaltsbegriff, das sich näher zum Staatsbürger orientierte. Und zwar dem Staatsbürger als demjenigen, dessen Dasein gesichert werden mußte, der aber auch zunehmend seine Teilhaberechte geltend machte. Diese Debatte gipfelte in den Beiträgen Fleiners, Richters und Köttgens zur Staatsrechtslehrertagung von 1929. F. Fleiner, Bundesstaatliehe und gliedstaatliche Rechtsordnung, VVDStRL Heft 6 (1929), S. 3-14. L. Richter, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, VVDStRL Heft 6 (1929), S. 69-104. A. Köttgen, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, VVDStRL Heft 6 (1929), S.l05-143. 88 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1926, S.408.
III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wutschaftsrechts
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4. Rechtsnatur der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper der Gemeinwirtschaft
a) DieBefassung der Literatur mit der Rechtsnatur der Selbstverwaltungskörper Aus der Vielzahl von neuen Rechtsinstituten der Demobilmachungsverwaltung und der Aufbauphase der Republik hatte sich die Frage nach deren Rechtsnatur zumal in der Kohle-, Kali-, und Eisenwirtschaft und in der Textilindustrie immer häufiger gestellt. Die komplizierte Kompetenzenregelung des Kohlenwirtschaftsgesetzes löste eine lebhafte Kontroverse über die Rechtsnatur vorrangig des Reichskohlenrates und bisweilen auch der untergeordneten Organisationstypen, dem Reichskohlenverhand und den Syndikaten aus. Zu schärfsten Widersprüchen hatte nach der Auffassung Walter Wauers die Suche nach dem Rechtssubjekt der einschneidenden Wtrtschaftsleitung durch den Reichskohlenrat geführt. Die in der Literatur beharrlich immer wieder auftauchende Kernfrage stellte Wauer in aller Deutlichkeit: "Ist der Reichskohlenrat selbst Rechtssubjekt seiner Tätigkeit als mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Gestaltung des öffentlichen oder Privatrechts- oder stellt er das Willensorgan eines solchen innerhalb der Kohlenwirtschaft dar? Und weiter vom Standpunkt des Privatrechts: ist im Reichskohlenrat eine nicht rechtsfähige Vereinigung oder das Organ einer solchen innerhalb der Kohlenwirtschaft zu erblicken, deren einzelne Mitglieder das Rechtssubjekt der Tätigkeit des Reichskohlenrates bilden?" 89 War der Reichskohlenrat als höchste Entscheidungsebene der Kohlenwirtschaft eine Reichsbehörde, so zog das die Eingliederung der Wtrtschaftsorganisation in die Staatsverwaltung und ihren Weisungsstrang nach sich. Handelndes Rechtssubjekt war dann der Staat. War andernfalls der Reichskohlenrat ein Organ der Wirtschaft, dann kann man zu Recht von wirtschaftlicher Selbstverwaltung sprechen. Die Betrachtungsweisen gingen wieder zum einen induktiv von den Kompetenzen aus, während andere aus den organisatorischen Strukturen Schlüsse zu ziehen versuchten. In der unsicheren verfassungsgeschichtlichen Lage nach der Revolution bezog man sich nicht häufig auf die Weimarer Verfassung als oberste Autorität. Sie war zu vielen Anfeindungen ausgesetzt und bot im Hinblick auf die Selbstverwaltungskörper zu wenig materielle Ansatzpunkte. Deswegen zogen einige Autoren zur Ermittlung der Rechtsnatur des Reichskohlenrats bisweilen sogar Schlüsse aus der wirtschaftlichen Selbstverwaltung als wirtschaftspolitischem Programm. Die Frage nach der Rechtsnatur entsprang nicht nur rein theoretischem Interesse. An sie war eine Reihe von praktisch bedeutsamen Rechtsfolgen geknüpft, etwa ob dem Reichskohlenrat Verordnungsmacht zukommen konnte. Im Grunde genommen ging es jedoch darum, wer als Rechtssubjekt im Ergebnis die Handlungen des 89
W. Wauer, S.29f.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
Reichskohlenrats zu verantworten hatte, wer durch ihn angesichts der Zurechnung nach öffentlichem und nach privatem Recht vertreten wurde. Im Ergebnis, ob also der Staat oder die Wirtschaftsvertreter selbst die Wirtschaftsleitung und -Ienkung innehatten. Von echter Selbstverwaltung der Wirtschaft konnte ja nur dann gesprochen werden, wenn die Wirtschaft selbst die Entscheidungen trug, auch wenn die Vereinigung durch Zwangssyndizierung herbeigeführt worden war. Hatte der Staat die Wirtschaftsleitung inne, dann war mit der so erreichten obrigkeitlich geleiteten Wirtschaft kein Fortschritt zur Kriegswirtschaft auszumachen. Das von Rudolf Wissen formulierte Ziel der Umwandlung der Gemeinwirtschaft nach dem Kriege wäre dann verfehlt. Das Auseinandersetzungspotential war groß. Es reichte von der Definition des Reichskohlenrates als einem Organ des Reiches über einen selbständigen Rechtsträger eigener Art, ein Gebilde von unvollständiger Rechtspersönlichkeit mit eigener Willensbildung bis zur Deutung als einem Organ der wirtschaftlichen Selbstverwaltung oder einem neben dem Reichswirtschaftsrat bestehenden Wirtschaftsparlament Paul Gieseke revitalisierte 1922 die Vorstellung von den "Verwaltungsstellen" der Kriegswirtschaft, die in ihrer obrigkeitlichen Ausrichtung für die wirtschaftliche Selbstverwaltung allerdings nicht mehr passen wollte. 90 Wauer meinte deshalb auch den Reichskohlenrat aufgrund persönlicher Stellungnahmen Moellendorffs als ein Gebilde mit unvollkommener Rechtspersönlichkeit deuten zu können, das mit der Fähigkeit eigener Willensbildung ausgestattet war. Seine Anordnungen wurden aber nicht von den Exekutivorganen des Reichs, sondern von selbständigen Rechtspersonen, vom Reichskohlenverband und den Syndikaten ausgeführt. 91 In der starken Weisungsabhängigkeit dieser rechtsfähigen Gebilde sah Gieseke den Gedanken des Rechtsstaates ,jetzt mehr oder weniger abgeschwächt". 92 Als ähnliche Rechtsformen nannte Gieseke die preußischen Zweckverbände und die Innungsverbände nach Reichsrecht im§ 104 der Reichsgewerbeordnung. Doch betonte er das körperschaftliche Moment der wirtschaftlichen Verwaltungsstellen nicht allzu sehr. Die Analogie zu den Zweckverbänden schloß er sogar aus, da dort nur Gemeinden und Gemeindeverbände Mitglieder waren, ganz im Gegensatz zu den beteiligten Wlrtschaftskreisen, die den Verwaltungsstellen unterworfen waren. Die Rolle der Vollversammlung als Organ des Reichskohlenrates hob er als einziger besonders hervor. Im Gegensatz zu den Handelskammern und ähnlichen Interessenvertretungen waren hier verschiedene widerstreitende Bestrebungen zu vereinen. Drei Prinzipien sprachen nach Gieseke aus der Zusammensetzung der Vollversammlung: Die Gleichberechtigung "aller schaffenden Volksteile" 93 , der ArbeitgeP. Gieseke, Rechtsverhältnisse, S. l9f. W. Wauer, S.36f. 92 P. Gieseke, Rechtsverhältnisse, S.l03. 93 Art.l56 Abs.2 WRV. 90
91
III. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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ber und Arbeitnehmer und der Wirtschaftsgebiete. Zu einer klar definierten Position des Reichskohlenrates gegenüber dem Reich gelangte Gieseke jedoch nicht. Der erste Kommentator des Kohlenwirtschaftsgesetzes, Rudolf lsay, trat mit dem für den Reichskohlenrat sehr häufig zitierten Deutungsmuster eines eigenständigen Wirtschaftsparlaments hervor, das sich bei größerer Ähnlichkeit zum Reichstag als zum Reichswirtschaftsrat allerdings auf ein Teilgebiet der Wirtschaft beschränken sollte. 94 lsay sprach den Reichskohlenrat zwar als wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, aber weder als Verband noch als Organ eines solchen an. Vielmehr sei er ein unmittelbares Organ des Staates, ähnlich einem Parlament, in dem nur die an der Kohlenwirtschaft interessierten Berufskreise repräsentiert seien. Die gleiche Ansicht vertrat Franz Dochow 95 für den Eisenwirtschaftsbund, während Paul Gieseke96 sie auch für den Wirtschaftsbund für Rohteer und Teererzeugnisse und den Ausschuß für Schwefelsäure vertrat. Wauerund in seiner Nachfolge Simons lehnten diese Deutung wegen des Weisungsrechts des Reichswirtschaftsministers ab. Gieseke meinte aber weiter, besondere Rechtspersönlichkeit sei nicht erforderlich, um dem Reich mit einem eigenen Willen gegenüberzutreten. 97 Dieser Gedanke hatte sich weitgehend durchgesetztinsoweit sprach Gieseke von einer Behörde ohne bürokratisches Element; dies stellte allerdings kein allgemein anerkanntes "System der gemischten Staatsbehörde" (Jellinek) mehr dar. 98 Wegen des fehlenden mitgliedschaftliehen Substrats oder gar einer Vertretung nahm Wauer im Falle des Reichskohlenrats weder einen Verein noch eine Gesellschaft an, deren Organ er hätte sein können. Ein Rechtssubjekt als Träger des kohlenwirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpers fehlte, auch nach der Meinung Giesekes. 99 Die häufig ventilierte Auffassung von Friedländer, der Reichskohlenrat sei das Organ eines als Berufsorganisation zusammengefaSten Zweckverbandes, verwarfWauer mit Rudolflsay als bloße Fiktion. 100 In der Frage, ob der Reichskohlenrat eine Behörde sei, wandte sich Wauer gegen Isay, der eine Behördeneigenschaft ablehnte, weil das Reich kein positives Handeln verlangen konnte und eine Dienstaufsicht in dem bloßen Beanstandungsrecht des Reichswirtschaftsministers nicht zu erblicken war. Wauer konnte sich aber nur mit der Konstruktion eines eigenartigen Dienstaufsichtsrechts behelfen. 101 Im übrigen markierte Wauer 1923 bereits die von Gieseke und der Diskussion des Vorjahres abweichende Tendenz, die bereits eher R. /say, Koh1enwirtschaftsgesetz, S. 65. H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 65. F. Dochow, P. Gieseke, Eisenwirtschaftsverordnung, zu§ 1 der Verordnung vom 1.4.20. 96 P. Gieseke, Rechtsverhältnisse, S. 118 f. 97 P. Gieseke, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, Recht und Wirtschaft 1921, S. 248. 98 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 639. 99 W. Wauer, S. 30f. P. Gieseke, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, S. 248. Dagegen Moses, Kohlenwirtschaftsgesetzgebung S. 19, 95. 100 W. Wauer, S. 32. Friedländer, prVBl 41, Nr. 7. R. lsay, Koh1enwirtschaftsgesetz, S. 65. 101 Die Oberaufsicht war nur im Interesse des Reiches, das die Kohlenwirtschaft stützen wollte, eingerichtet und dies nicht im Sinne einer regulären Fachaufsicht. § 109 der Ausführungsbestimmungen zum Kohlenwirtschaftsgesetz, W. Wauer, S. 39. 94 95
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
von einem Behördencharakter der Selbstverwaltungskörper ausging, indem er die Selbstverwaltung als gegenüber der Staatsleitung im Rückzug begriffen darstellte. Hans Goldschmidt unterschied bei den Selbstverwaltungskörpern dagegen etwas künstlich zwischen eigenständigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und dazugehörigen Wirtschaftsparlamenten im Falle von Reichskohlenrat und Reichskalirat. Der Greifswälder Privatdozent Heinrich Herrfahrdt 102 verlangte die Abgrenzbarkeit des beteiligten Personenkreises und unterschied zwischen dem Reichskohlenrat für die Kohlenwirtschaft als Aufsichtsbehörde über die Selbstverwaltungskörper, dem Reichskohlenverband und den von ihm umfaßten Syndikaten. Erich Hoch 103 wiederum sah die Erzeugerverbände als engere Selbstverwaltungskörper von den weiteren, alle beteiligten Kräfte umfassenden Selbstverwaltungskörpern getrennt. Heilberg ließ später seine Kritik an dieser Vielfalt von Ansichten auf der Erkenntnis fußen, daß der Verband den ganzen Wirtschaftskörper umfassen müsse, nicht nur seine Mitglieder, die einzelnen Syndikate. Sonst ließen sich die Befugnisse zum Zwangsbeischluß noch nicht syndizierter Unternehmer oder auch die Festlegung der Wirtschaftsgebiete nicht erklären. Dies gelte generell für diejenigen Wrrtschaftszweige, in denen Selbstverwaltungskörper gebildet worden waren. Verwaltungssubjekt sei demgemäß die Wrrtschaftsgruppe, die aus den einem bestimmten Fachgebiet zugehörigen Personen gebildet werde. Heilbergs Auffassung spiegelt einen vom Genossenschaftsdenken Otto v. Gierkes und von der Verwaltungsrechtsdogmatik Otto Mayers geprägten weiten Körperschaftsbegriff wider. Den etatistischen Standpunkt vertrat Tula Simons 1931, im darauffolgenden Jahr auch Ernst Rudolf Huber. Der Reichskohlenrat war nach Simons kein Organ eines Selbstverwaltungskörpers, sondern ein Organ des Reichs und zwar eine Behörde. 104 Dies war aber eine Beurteilung ex-post. An der ursprünglichen Auseinandersetzung Anfang der Zwanziger Jahre hatte sie keinen Anteil. Die unklare Rechtslage innerhalb der gemeinwirtschaftliehen Organisationen hatte zu jeder Zeit Anlaß für Kritik geboten. 105 Dennoch zeigen sich klare Entwicklungslinien. Hatten die Autoren der Konjunkturwelle der Gemeinwirtschaft in der Rechtswissenschaft um 1923 noch Hoffnungen gehegt, neue Rechtsformen prägen zu können, so erwiesen sich diese im Laufe der Zeit als nicht haltbar. War Heilberg noch einigen Tendenzen gemeinwirtschaftlicher Eigenart gefolgt, so verwarf Tula Simons so gut wie alle Abweichungen von herkömmlichen Strukturen des öffentlichen Rechts, allerdings, wie zur Frage der Behördeneigenschaft des Reichskohlenrates besonders deutlich auf102 H. Herifahrdt, Die Formen der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper in Deutschland, JöR 1922, S.1-37, 31 ff. 103 E. Hoch, Die staatsrechtliche Stellung der auf Grund der neuen Reichsverfassung geschaffenen wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, 1921. 104 T. Simons, S. 27. 105 J. März, Gemeinwirtschaft und Industrie, S. 545 ff. Spätere Kritik von E. R. Huber, Das deutsche Reich als Wrrtschaftsstaat, S.13-l5.
ill. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wutschaftsrechts
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scheint, nicht ohne den neu geschaffenen Rechtsinstituten zugunsten öffentlichrechtlicher Organisationsstrukturen ihrerseits mit einer gewissen Willkür zu begegnen.106 b) Insbesondere: Wirtschaftliche Selbstverwaltungskörper als Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen oder privaten Rechts Indem Gieseke sich mit dem rechtlichen Charakter der Syndikate, die er durchwegs als Verwaltungsstellen bezeichnete, auseinandersetzte, erörterte er in grundlegender Weise die Kategorien von Anstalt und Körperschaft bei Otto Mayer und Otto v. Gierke. Die Polarität von Anstalt und Körperschaft führte er im wesentlichen auf Gierke zurück. Für die dogmatische Bewältigung der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper wurde diese Dichotomie zunehmend bedeutsam. War die Anstalt ein eher von staatlicher Seite gelenktes Instrument, so konnte in der Körperschaft der Wille ihrer Mitglieder, hier also der Wirtschaftssubjekte zur Geltung kommen. Mayer hatte in seiner berühmten Definition der öffentlichen Anstalt danach gefragt, ob verwaltungsrechtliche Befugnisse vom Staat unmittelbar abgezweigt würden, oder ob dies über den Umweg einer Mehrheit rechtlich verbundener "Einzelmenschen" zugunsten einer juristischen Person, der Körperschaft, geschehe. 107 Gierke sprach dagegen in einer Zuordnung mit soziologischem Einschlag von einer Anstalt, wenn die juristische Person Vermögen, Organisation und Leitung von außen, von einer Körperschaft, wenn sie diese durch sich selbst erhält. 108 In der Analyse der gegebenen Auffassungen polemisierte Gieseke heftig gegen Mayer und dessen juristische Methode, die auch bei neuer Gesetzeslage nach der juristischen Konstruktion suchte, die vormals auch auf induktiven Untersuchungen beruht hatte. Die Polarität, die das öffentliche Recht zwischen Anstalt und Körperschaft ausprägte, lehnte Gieseke zwar nicht ab, doch verortete er die Bildungen neuen Rechts als besondere Gruppe der öffentlich-rechtlichen juristischen Personen zwischen diesen beiden Polen. Aus überlegener aber auch gegenüber den neueren Tendenzen beharrender Position wies Mayer in einer seiner letzten Rezensionen die Angriffe Giesekes als unfundiert zurück. 109 Mit der unentschiedenen Haltung Giesekes ging besonders Glum ins Gericht. Er habe die politische Dimension der Selbstverwaltungskörper übersehen, indem er bei T. Simons, S. 71 ff. 0. Mayer, Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Bd. 2, S. 590f. ws 0. v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 140. P. Gieseke, Wirtschaftliche Selbstverwaltung, S. 100, Fn.4 zitierte Gierke "und seine Anhänger'', also u.a. Ludwig Waldecker. Verwandte Gedanken vermutete er bei Max Weber. 109 0. Mayer, Rezension: Gieseke u. a., JöR 1924. 106
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
seiner induktiven Untersuchung nur der juristischen Selbstverwaltung analoge Gebilde beobachtete. Der verantwortlichen Mitwirkung der Wirtschaft wurde Giesekes juristische Konstruktion tatsächlich kaum gerecht. Nach Glum wirkten selbständige öffentliche Korporationen mit eigenem vom Staate unabhängigem Wirkungskreis in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. Fachlich sei der Reichskohlenrat das oberste Organ der Kohlenwirtschaft. Dem juristischen Begriff nach seien diese Organe wirkliche Selbstverwaltungskörper, nicht öffentliche Anstalten, sondern "eine besondere Gemeinschaft von Personen mit eigener juristischer Persönlichkeit und eigenem, vom Staate unabhängigem Wirkungskreis, die auf dem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Rohstoff oder einer wirtschaftlichen Tätigkeit aufgebaut worden ist." 110 Glum schloß sich damit der zuerst von Heinrich Göppert für die Reichswirtschaftsstellen für das Textilgebiet angewandten Terminologie an. 111 Glum hielt im wesentlichen die von Moellendorff beabsichtigte Gestalt der Selbstverwaltungskörper für maßgeblich und ließ die stringente juristische Analyse des geltenden Rechts beiseite. Der Entwurf112 eines Gesetzes für die gesamte deutsche Gemeinwirtschaft enthalte fachlich und territorial organisierte Verbände, demnach Wutschaftsgruppen, Wutschaftsbezirke mit ihren Berufsvertretungen, die sich wiederum in Wirtschaftsbünde und Wutschaftszweckverbände aufgliedern sollten. Die Gesamtvertretung sollte dann der Reichswirtschaftsrat bilden. 113 Glum sah also etwas juristisch noch nicht Faßbares in dem großangelegten Verband verwirklicht. Im Anschluß an Otto Mayer, der die Auffassung kritisiert hatte, die Handelskammer habe die Rechte einer juristischen Person, während sie eigentlich nur der Vorstand der öffentlichen Genossenschaft der Wahlberechtigten und Beitragspflichtigen sei, vertrat er einen engen allgemeinen Körperschaftsbegriff. 114 Er warnte vor gewaltsamer Konstruktion, wie sie unter dem Einfluß Gierkes, wonach immer nach der Dichotomie Anstalt-Genossenschaft vorgegangen werde, herrschend geworden sei. Goldschmidt unterschied in seiner Definition der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper115 zwischen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, wobei er sich auf die besondere Rechtsform der selbständigen Anstalt bei Otto Mayer 110 F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 119; 0 . Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, 2. Auflage, S. 635. 111 F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 119 Fn. 245. Er berief sich dabei auf die amtliche Begrundung von Heinrich Göppert zur Verordnung für die Reichswirtschaftsstellen für das Textilgebiet 112 Dieser Entwurf lag Glum bei der Abfassung vor. F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 124. 113 F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 123 f. 114 0 . Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II., S. 623, Anm.4. F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 125.
111. Gemeinwirtschaft als Gegenstand des Wirtschaftsrechts
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und Fritz Fleiner berief. 116 Die Rechtsform der Anstalt, der von den beteiligten Kreisen das Recht eingeräumt ist, den Geschäftsbereich als ein Stück Staatsverwaltung selbständig zu führen, eigne sich besonders gut für die wirtschaftliche Selbstverwaltung, worin er Gieseke und insbesondere Glum widersprach. 117 Ein genossenschaftlicher Aufbau sei auf wirtschaftlichem Gebiet noch nicht möglich. Eine von der Mehrheit der Beteiligten unabhängige Führung der Geschäfte sei von der Anstalt besser gewährleistet als von der Körperschaft. Diese sei zudem auf einen bestimmten Personenkreis angewiesen, der bei den schwer abgrenzbaren Wirtschaftskreisen immer vorherrsche. Neben den auch von anderen Autoren als wirtschaftliche Selbstverwaltungskörper bezeichneten Verbänden, wie etwa dem Wirtschaftsverbund für Rohteer, dem Eisenwirtschaftsbund, dem Ausschuß für Schwefelsäure und den Außenhandelsstellen, trat für Goldschmidt seit ihrer gesetzlichen Autonomie auch die Reichsbank. Sie waren demnach allesamt Anstalten, Körperschaften seien lediglich die Kleinschifferverbände. Goldschmidt widmete aber der Reichsbank aufgrund ihrer zahlreichen Besonderheiten ein eigenes Kapitel. us Nach Simons sollte die äußere Form der Verbände als Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, als Doppelgesellschaften, nämlich Körperschaften und Gesellschaften bürgerlichen Rechts oder nichtrechtsfähiger Vereine, daran nichts ändern. u9 Die öffentlichen Korporationen nahmen aufgrund ihrer Privilegierung, die auf ihrer organisatorischen und funktionellen Einbeziehung in die staatliche Ordnung fußte, echte Staatsaufgaben wahr. Das galt auch für die Befugnis des Reichskohlenrats und des Reichskohlenverbandes zur Übernahme der Aufgaben der ordentlichen Gerichtsbarkeit, wie sie § 1025 ZPO nach Vereinbarung vorsieht. Nur den Syndikaten billigte Simons privatwirtschaftliche Residuen zu, doch waren auch sie nicht mehr frei von öffentlichem Zwang. Sie bildeten nach Simons öffentliche Genossenschaften, keine öffentlichen Anstalten im Sinne Mayers. 120 115 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 61 f. bezeichnet zum Teil abweichend von der umfassenden Tabelle von W. Wauer, S. VIII- XX als wirtschaftliche Selbstverwaltungskörper: Wirtschaftsbund fürRohteer-und Teererzeugnisse (VO v. 7.6.1920, RGBI. S. 1156) der Eisenwirtschaftsbund (VO. v. 1.4.1920, RGBI. S. 435), der Ausschuß für Schwefelsäure (VO. v. 31.5.1920, RGBl. S.lll3), der Reichskohlenrat (Ges. v. 23.3.1919, RGBI. S.342), der Reichskalirat (Ges. v. 24.4.1919, RGBI. S.413), die Außenhandelsstellen und -nebenstellen VO. v. 20.12.1919, RGBI. S. 2128), die Preisausgleichsstelle für Thomasmehl (VO. v. 9.3.1922, RGBI. S. 237), die Preisausgleichsstelle für phosphorsäurehaltige Düngemittel (VO. v. 9.3.1922, RGBI. S.238/239) sowie die Kleinschifferverbände zur Vertretung der Kleinschifffahrt eines Stromgebiets (Ges. v. 19.5.1922, RGBI. II, S. 129). 116 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 63; F Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, S. 300; 0. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 2, S. 598. 117 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 64 zitiert P. Gieseke, Die Rechtsverhältnisse der gerneinwirtschaftlichen Organisationen, S.IOI. 118 Gesetz über die Autonomie der Reichsbank vom 26.5.1922, RGBI. II, S. 135. 119 T. Simons, S. 46. 120 Ebenda, S. 56 f., 77, 79-82.
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3. Kap.: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung
Bis zum Ende der Weimarer Republik blieb die "Gemeinwirtschaft" Gegenstand der Diskussion, wurde verfochten oder von liberaler Seite polemisch als abschrekkendes Gegenmodell benutzt. 121
121 L. v. Mises, Die Gemeinwirtschaft- Untersuchungen über den Sozialismus, 1932, in scharfer Opposition zur historischen Schule der Nationalökonomie, besonders in der Nachfolge Schmollers, während Mises an anderer Stelle die Verdienste der theoretischen Schule der Nationalökonomie hervorhob, ders. , Kritik des lnterventionismus, 1929, S. 24 f.
Viertes Kapitel
Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie im Wirtschaftsrecht I. Der Begriff des Sozialrechts und seine historische Bedeutung für das Wirtschaftsrecht 1. Sozialrecht als rechtshistorischer Begriff
Der Begriff des Sozialen entfaltete in der Rechtswissenschaft der Weimarer Zeit große Wirksamkeit. Vielfach verknüpfte Forschungsrichtungen unterschiedlicher Theorielager umspielten in verschiedenen Varianten Vorprägungen des Begriffs des "Sozialen" im Recht. Inhaltlich verstand man darunter sowohl die Einbeziehung gesellschaftlicher Erscheinungen in das Rechtsdenken als auch neue gesellschaftstheoretische Methoden der Soziologie. Ohne daß sich eine scharfe Trennlinie ziehen ließe, prägten sich als Forschungsbegriffe im wesentlichen "Sozialrecht", dieses sowohl als Rechtsgebiet als auch als Fach, und ,,Rechtssoziologie" als Lehrfach und methodischer Ansatz besonders aus. Der Begriff Sozialrecht hat eine lange und weit ausdifferenzierte Tradition. 1 Dazu traten in enger Verwandtschaft aus der Soziologie übernommene Kategorien. Letztere gingen in die Rechtstatsachenforschung und die Rechtssoziologie in ihren verschiedenen Schattierungen ein. Die Verbindungslinien zwischen beiden waren zu keinem Zeitpunkt völlig durchtrennt, insbesondere weil alle Erscheinungen immer wieder pauschal als Sozialrecht bezeichnet wurden. Für die Entwicklung des Wtrtschaftsrechts wurden die meisten Anschauungsweisen des Sozialen im Recht bedeutsam. Sozialrecht in seinem weitesten Sinne ist zunächst ein rechtshistorisches Deutungsmuster, das sich auf die historischen Erfahrungen und Begriffe zu den verschiedenen Prägungen eines "Sozialrechts" stützt. Es geht namentlich auf Franz Wieacker zurück, der das ganze 20. Jahrhundert von einem entindividualisierenden Rechtsdenken durchzogen sah. Das liberale Bürgertum, das sich als die Repräsentation der nationalen Gesellschaft empfand, bewirkte die Einheit des Privatrechts im 19. Jahrhundert, die mit dem Abdanken der liberalen Wtrtschaftsgesellschaft im 1 Zum Sozialrecht generell F. Schmid, Sozialrecht und Recht der sozialen Sicherheit, 1981. Die Arbeit begreift die für die rechtsdogmatische Entwicklung wesentliche Differenzierung bereits im Titel, indem die Unterscheidung zwischen Sozialrecht im weiteren und im engeren Sinne terminologisch angedeutet wird. M. Stolleis, Art. Sozialrecht, in: Handwörterbuch für Rechtsgeschichte, Band IV, Sp. 1730-1733 vorwiegend zum Sozialversicherungsrecht.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
20. Jahrhundert wieder zerfiel. Die Auflösung der systematischen Einheit des Privatrechts erzeugte die neuen Sondergebiete, die die "sozialen Schwerefelder" aufnahmen. Die neuen Rechtsbildungen hatten nichts mit kollektivistischen Prägungen zu tun, da die Gesamtheit nicht ein Mehr gegenüber der Summe der Einzelnen bedeutete. Vielmehr nahmen sie tatsächlich wirksame soziale Veränderungen auf und artikulierten neue Bedürfnisse. Wieacker zählt das Wirtschaftsrecht zu den neuen Sondergebieten. 2 Das Sozialrecht als historisch faßbare Rechtsmaterie war zunächst eine Erscheinung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. SeitderWende vom 18. zum 19. Jahrhundert war die Dichotomie von öffentlichem und staatsisoliertem, freiheitssicherndem Privatrecht verschärft hervorgetreten, wenn sich auch eine kategoriale Zweiteilung kaum durchführen ließ. 3 Lorenz v. Stein, seit 1855 Professor in Wien, hatte zwar die Vermischung von öffentlichem und Privatrecht in der "socialen Verwaltung" angedeutet, aber nicht grundsätzlich reßektiert. 4 Er markierte dennoch deutlich die modifizierenden Einwirkungen der Ordnung des staatlichen Gemeinwesens auf die Privatrechtsordnung. Hauptvertreter eines Sozialrechts als einem neuen Rechtsverständnis waren jedoch später Otto v. Gierke und Hermann Roesler. 5 Gleichwohl: Hermann Roesler konnte nach seiner Auswanderung nach Japan ab der Mitte der 1870er Jahre in Deutschland keine Wirksamkeit durch aktive Teilnahme an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mehr entfalten. Otto v. Gierke hütete sich seinerseits vor einer Überbetonung seines Anliegens, um es nicht gegenüber der in Rechtspraxis und Literatur absolut herrschenden Zweiteilung des Rechts zu diskreditieren. 6 Die von beiden entwickelten Begriffe waren, gemessen an der Bedeutung der klassischen Privatrechtsmaterie und dem Staats- und Verwaltungsrecht, nur partikuläre Erscheinungen, wenn die Zeit auch sonst eine ganze Reihe von "sozial"-Komposita hervorbrachte. 7 F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 543, 547, 552. M . Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 37, 41. 4 L. v. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 1. Auflage 1870, S. 393 ff., 3. Auflage 1888, s. 3ff. 5 Siehe zu Hermann Roesler: A. Rauscher, Die soziale Rechtsidee und die Überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens, insbes. S. 235-247 u. passim; zu Otto v. Gierke: G. Dilcher, Genossenschaftstheorie und Sozialrecht Ein ,Juristensozialismus' Otto v. Gierkes?, S. 355- 359. 6 F. Schmid, S. 72. Otto v. Gierke hatte die Versöhnung der römischrechtlichen Gegensätze von öffentlichem und privatem Recht in der höheren Einheit im SinneHegels gefordert, ders.: Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S.487, 510. 7 F. Schmid, S. 67. AufS. 73 schreibt Schmid sogar: "Die sozialrechtlichen Begriffsprägungen, die bei Roesler und Gierke zu finden sind, stellen für die damalige Zeit extreme Ausnahmeerscheinungen dar." Das gilt angesichts der Begriffsprägungen von Beseler, Bähr und auch Preuss nur im Hinblick auf die Methode, nicht auf den Gegenstand der Forschung. Die "soziale Frage" hatte im Kaiserreich bereits eine erhebliche Bedeutung gewonnen. Das bedeutete neue inhaltliche Fragestellungen, nicht aber durchwegs den neuen Denkansatz des "sozialen Rechts" als Wandel der rechtlichen Kategorien insgesamt. 2
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I. Der Begriff des Sozialrechts und seine historische Bedeutung
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So begleitete in der Nationalökonomie die Diskussion des Sozialrechts als Lösungsansatz für die Eigentumsfrage die rechtswissenschaftliche Suche nach einem Ausweg aus den Verengungen des Rechtspositivismus. Besonders für Adolph Wagner, der angetreten war, das Eigentum über den Umweg des Gesetzespositivismus zu relativieren, um es auf diesem Wege der Disposition des Gesetzgebers zu unterwerfen, besaß der Begriff des Sozialrechts grundlegende Bedeutung. Die Chance zur Wiederbelebung der politischen Ökonomie nach der Vorherrschaft der freihändlerischen Richtung in der Nationalökonomie ließ für Wagner das Sozialrecht zum Kernstück der nationalökonomischen Wirtschaftsverfassung als rechtlicher Grundordnung der gesamten Wirtschaft werden. Über das sich aus der Nationalökonomie hinaus fortpflanzende Organisationsdenken fand das "Sozialrecht" der Nationalökonomie als Ansatz zu einer Wirtschaftsverfassung später auch den Weg zur Rechtswissenschaft. Das Sozialrecht ist daher mit der Kategorie der Wirtschaftsverfassung im Rechtssinne eng verbunden. 8 Roeslers Begriff des "Socialen Rechts", den er in seinem "Socialen Verwaltungsrecht" von 1873 entfaltete, war im Kern eine auf moralischen christlichen Postulaten beruhende Grenzberichtigung zwischen den römischrechtlichen Kategorien des öffentlichen und des abstrakt-zweckneutralen Privatrechts, die von den Leitvorstellungen des klassischen Liberalismus getragen war. Die aus eigenem emanzipatorischen Antrieb zur freien Gemeinschaft gewordene Gesellschaft stelle der Wissenschaft die Aufgabe, dem Übergang vom Polizeistaat zum Rechtsstaat die ihr eigene Kategorie des sozialen Verwaltungsrechts zuzuordnen. In ihr sollten sich öffentliches und Privatrecht vermischen. 9 Ohne direkte Bezugnahmen, etwa durch Zitat, jedoch in struktureller Parallele zu Roesler stand der Begriff des Sozialrechts in den Jahren vor und nach dem Wirken Roeslers in Deutschland bei Otto v. Gierke, den jener aus seiner Theorie der deutschrechtlichen Genossenschaft, die als personenrechtliche Gemeinschaft weder mit der Existenz eines Individuums noch mit der einer individualisierten Anstalt verglichen werden konnte, entwickelt hatte. Dem germanischen Rechtsverständnis sei die schroffe Zweiteilung in "ius publicum" und "ius privatum" fremd gewesen. Vielmehr äußerten sich im von Gierke so bezeichneten "Individualrecht" die menschlichen Willensträger als Einzelwesen. Im Sozialrecht sei dagegen das Recht zu sehen, welches die Beziehungen der in menschlichen Verbänden untereinander verbundenen Subjekte als Gemeinschaftswesen ordne. 10 Gleichwohl verwarf Gierke 8 K. W. Nörr, Auf dem Wege zur Kategorie der Wirtschaftsverfassung. Wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen im juristischen Denken vor und nach dem ersten Weltkrieg, in: ders., B. Schefold, F. Tenbruck (Hrsg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik, S.425f. 9 H. Roesler, Verwaltungsrecht Bd. I, 1. Abteilung, S. VII. Zum Ganzen F. Schmid, S. 67-70. 10 0 . v. Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 26. K. W. Nörr, Eher Hegel als Kant, S. 45 f, kennzeichnet die Kategorie des Sozialrechts bei Gierke als ,,kollektivistisch". Die fehlende Bezugnahme von Roesler und Gierke liegt in dem unterschiedlichen intellektuellen und konfessionellen Hintergrund der Autoren begründet. Wahrend Roesler als römischer Katholik anzusehen
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
das römischrechtlich begründete Unterteilungsschema nicht, sondern gesellte ihm seine Trias Individualrecht- Sozialrecht- Staatsrecht zu. Anders als Roesler, oder der in diesem Zusammenhang oft zitierte und die Bewegung des "Sozialrechts" positiv begleitende "Juristensozialist" Anton Menger, vermochte Gierke dem in seiner Kodifikation begriffenen bürgerlichen Recht sozialere Züge zu verleihen. Es war seine tatsächliche rechtspolitische Absicht geblieben, im Privatrecht einen "Tropfen sozialistischen Öles durchsickern" zu lassen. 11 Für Gierkes Rechtsverständnis bedeutete das eine Umkehrung des Menschenbildes des Liberalismus, das einem individualistischen Ideal des sich selbstverantwortlich entfaltenden und auf Basis der Gleichordnung kontraktuell verwirklichenden Staatsbürgers verpflichtet war. Hier hatte sich eine Begriffsprägung des Sozialrechts im weiteren Sinne, also des Rechts der überindividuellen Gemeinschaften, eine gewisse Geltung verschafft. Gierkes Rechtsverständnis entfaltete eine starke Ausstrahlungswirkung. Nun sah man die Bedingungen des Daseins nicht mehr als für den Einzelnen verfügbar an. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Berufsgruppe, einer Schicht, wurde zur bestimmenden Größe. Das jeweils werthaft dieser Gruppe angemessene Recht sollte für den Einzelnen maßgeblich sein. Für das Wirtschaftsrecht hatte insbesondere Hedemann den Gedanken eines Rechts nach Schichten entwickelt. 12 Mit der herrschenden, vom Pandektenrecht geprägten Rechtswissenschaft des Rechtspositivismus waren die Ansätze eines Sozialrechts im weiteren Sinne weitgehend unvereinbar. Gehör fanden sie lediglich im Zusammenhang mit den Arbeiten zur Kodifikation des Privatrechts im neu entstehenden Bürgerlichen Gesetzbuch, wobei sie in der Literatur mehr Aufsehen erregten, als daß sie über einige Grundsätze wie "Kauf bricht nicht Miete" berücksichtigt worden wären. Neue Wirkung entist, vertrat Gierke den Typus des evangelischen Rechtsgelehrten und Staatsdenk.ers. Über Gierke schrieb H. Thieme, Was bedeutet uns Otto v.Gierke?, S.l130: ,,Er gehörte der evangelischsozialen Bewegung an, einem Friedrich Naumann nahe verbunden, und das bedeutete, daß er sich dafür einsetzte, die Kluft zwischen Arm und Reich zu vermindern und das Wirtschaftsleben wieder in eine organische gesellschaftliche Form zu bringen. ,Auch Otto von Gierke war davon überzeugt, daß übersteigerter wirtschaftlicher Liberalismus, Individualismus und Kapitalismus die sozialen Überlieferungen zerstört hatten. Mit gleicher Entschiedenheit(...) lehnte er jedoch die in den sozialistischen Lehren zum System erhobenen Gedanken, welche den Menschen ausschließlich als Glied der Gesellschaft begreifen und werten, ab.' (Helmut Georg Jsele)". 11 E. Müller, Anton Mengers Rechts- und Gesellschaftssystem S.15-71; K.-H. Kästner, Anton Menger (1841-1906) Leben und Werk; zu Anton Menger als Juristensozialist Th. Ramm, Juristensozialismus in Deutschland, 1974, S. 7 f, 11: Friedrich Engels und Kar/ Kautsky hatten in ihrer Propagandaphase, als es in den 1870er Jahren galt, alle undogmatischen Sozialisten, also alle Nichtmarxisten zu verdrängen, Menger als Karrieristen und "unverschämten Kerl" abgestempelt. Zum vielzitierten Ausspruch Gierkes: 0 . v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 486. Anton Menger vermochte demgegenüber keinen rechtssystematischen Begriff zu prägen, sondern beschränkte sich bei seiner Kritik des BOB-Entwurfs auf das allgemeine Postulat der sozialen Rechtswissenschaft, in der Absicht, die Benachteiligungen der "besitzlosen Volksklassen" abzubauen. Hierzu F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 457. 12 J. W H edemann, Das neue deutsche Wrrtschaftsrecht, 1922, siehe dazu insbesondere diese Darstellung zur allgemeinen Entwicklung des Wirtschaftsrechts.
I. Der Begriff des Sozialrechts und seine historische Bedeutung
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falteten die Begriffe erst wieder als Vorprägungen des Sozialrechts im engeren Sinne, des Arbeits- und des Wtrtschaftsrechts. 2. Sozialrecht im engeren Sinne
Die Zeit bis zum Weltkrieg brachte eine Regelung der Arbeitsverhältnisse und der Arbeiterversicherung hervor. Bismarcks Sozialversicherung, die in der Reichsversicherungsordnung von 1911 ihre zusammenfassende Kodifikation erfuhr, hatte in Verwirklichung von Bismarcks "Staatssozialismus" in staatsräsonaler, altpaternalistischer Manier einen wohlfahrtspolizeilichen Schutz etabliert, der als Institution den weithin beklagten Pauperismus bekämpfen sollte, ohne daß diese Intervention - für die werdende Industriegesellschaft - in der damaligen Zeit als symptomatisch beschrieben worden wäre. Für die positivistisch beherrschte Rechtswissenschaft bedeutete das Sozialrecht in dem zum Zwecke der sozialen Fürsorge geschaffenen Recht der Arbeiterversicherung eine Erweiterung, indem ein Sonderrecht der Sozialversicherungsträger entstand, das weder dem Privatrecht, noch, wegen des überwiegenden Versicherungsleistungscharakters der Einrichtungen, dem öffentlichen Recht eindeutig zuzuordnen war. Die Literatur hierzu blieb weitgehend pragmatisch. Schließlich sprach dem Worte nach Ernst Zitelmann 1912 von der sozialpolitischen Gesetzgebung als dem "Sozialrecht" in seiner wachsenden Bedeutung. 13 Das Sozialrecht im engeren Sinne, nämlich das Recht der Sozialen Sicherheit und der Sozialversicherung, ist für das Wtrtschaftsrecht insoweit von Interesse, als das Sozialrecht als Rechtsgebiet vom Wirtschaftsrecht reklamiert wurde. Diese Bestrebung ist für das Sozialversicherungsrecht in seiner öffentlichrechtlichen Ausformung zu beobachten. Nachdem Walter Kaskell926 das Recht der Sozialversicherung als mittelbarer Staatsverwaltung dem Wirtschaftsrecht zugeordnet hatte, zählte auch Ernst Rudolf Huber im Ergebnis die Sozialversicherung zum Wirtschaftsverwaltungsrecht Beide hatten einen streng systematischen und zugleich einen öffentlichrechtlichen Zugang zum Wtrtschaftsrecht gewählt und formuliert. 14 3. Rechtssoziologie
Daneben hatte sich ein akademisches Rechtsverständnis entwickelt, welches das gesamte Recht als Teil der Lebensäußerungen der Gesellschaft, als Teil des Lebens an sich ansah. Auch wenn aus heutiger Sicht das Sozialrecht als ein Rechtsgebiet, die Rechtssoziologie dagegen als eine empirische Perspektive auf das gesamte Recht zu verstehen ist, beides also keine vergleichbaren Größen darstellen, so ist dennoch die historische Tatsache der häufig vorkommenden Verbindung und bisweilen Gleich13 E. Zitelmann, Eine Schicksalsstunde der juristischen Fakultäten, Sp.l428. Zum Ganzen umfassend: F. Schmid, S. 73-76. 14 W. Kaskel, Gegenstand und systematischer Aufbau des Wirtschaftsrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, S.l2. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.l2 u.ö.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
setzung der beiden kategorisch unterschiedlichen Ansätze für die Zwanziger Jahre unabweisbar und charakteristisch. Die juristische Literatur unterschied zumindest nicht durchgehend zwischen dem Sozialrecht als dem gedanklichen Ansatz zu einem neuen Rechtsgebiet-fußend auf sozialer Fürsorge- und die Einbeziehung des "Sozialen" als methodischem Postulat der Rechtssoziologie. Oft genug wurde auch das Sozialrecht als eine neue empirische Sichtweise auf zumindest bedeutende Teile des Rechts beschrieben. Nach der in Deutschland vor allem von Max Weber vertretenen Anschauungsweise, war das Recht eine Hervorbringung der geschichtlich gewordenen Kultur. Als Rechtshistoriker war Weber ein später Vollstrecker der Historischen Schule der Rechtswissenschaft, die der Rechtsgeschichte für die Gegenwart, wenn auch nur typologisch, nonnativ-bestimmende Qualität zuerkannte. Als Nationalökonom war er der Vollender der nationalökonomischen historischen Schule, aus der heraus er seine fachsoziologischen Forschungen entfaltete. Seiner Anschauung nach teilte das Recht, eingebettet in die anderen Lebenszusammenhänge, das Schicksal der gesamten Kultur. In einzelnen Ausprägungen hatte dieses Denken, das in der Historischen Rechtsschule durch die Eigenart des "Volksgeistes" vermittelt worden war, in der Rechtswissenschaft des Positivismus der Jahrhundertwende einen gewissen Stellenwert behalten und fortentwickelt. 15 Die Erforschung gesellschaftlicher Anschauungen, gesellschaftswissenschaftliehe Untersuchungen der Justiz und der Verwaltung und die Rechtstatsachenforschung waren weitere Stränge, die zur Ausbildung der Rechtssoziologie schon zur Vorkriegszeit führten. Die Rechtswissenschaft im Positivismus des 19. Jahrhunderts hatte einen Abstraktionsgrad erreicht, der zur Diskussion um die Lebensfremdheit des Richters geführt hatte. 16 Die Rechtssoziologie gliedert sich auch in die Bestrebungen der Rechtswissenschaft der Vor- und Zwischenkriegszeit ein, einer positivrechtlichen Regelung zu entrinnen, wie sie vor allem für die Freirechtsschule im Umfeld der Reformbewegung in der Rechtswissenschaft ab der Jahrhundertwende kennzeichnend waren. Der Legitimität des positivierten Willens des Gesetzgebers wurde die Legitimität der Einzelfallentscheidung entgegengesetzt. 17 Vermehrt während und nach dem ersten Weltkrieg stellten die europaweit erstarkenden Sozialwissenschaften das Recht bewußt als eine Determinante unter anderen in den Zusammenhang der Kultur eines Volkes. Für die europäische Dimension der Entwicklung steht insbesondere die historische Herleitung des "droit social" durch den französischen Sozialwissenschaftler Georges Gurvitch. 18 Otto v. Gierke, der das 15 E. W Böckenförde, Die Historische Rechtsschule und das Problern der Geschichtlichkeit des Rechts, S.13-25. 16 K. W. Nörr, Rechtsbegriff und Juristenausbildung, S. 221 f. A. Nussbaum, Rechtstatsachenkunde 1914, Vorwort. Zur Rolle des Rechtssoziologen Eugen Ehrlich N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 15 ff. 17 /. Maus, ,.Gesetzesbindung" der Justiz und die Struktur der nationalsozialistischen Rechtsnormen, S. 81 und insbesondere 86f. 18 G. Gurvitch, Le ternps pn!sent et 1'idee du droit social, 1931; ders., L'idee du droit social, Paris 1932. Zur Rezeption siehe die Rezension von A. Jascenko, AöR 1934, S. 92-99.
I. Der Begriff des Sozialrechts und seine historische Bedeutung
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Sozialrecht aus altständischer und altliberaler Sozialordnung heraus idealistisch in die Zukunft projiziert und als genossenschaftliche Überfonnung des Rechts definiert hatte, diente auch diesen Auffassungen als Orientierungspunkt innerhalb der Rechtswissenschaften. 19 In eine andere Richtung gingen die tendenziell eher von konservativen Wissenschaftlern vertretenen Theorien, die der gesellschaftlichen Schichtenbildung eine ständische Prägung ablesen wollten. Sie stießen zwar auf lebhaftes Interesse, konnten sich in der juristischen und nationalökonomischen Literatur zunächst aber noch keine allgemeine Anerkennung verschaffen, bevor sie zu Beginn der Dreißiger Jahre sowohl in der Rechtswissenschaft als auch der Nationalökonomie Anhänger finden konnten. 20 Bis auf iberische und Österreichische Experimente im Schatten der faschistischen Reiche der dreißiger Jahre konnten sie kaum Wirksamkeit erlangen. Ein ausgeprägteres Bild bot noch der stato corporativo in Italien. Es bleibt dabei kennzeichnend, daß das überindividuelle, das Recht der Gruppen und Schichten für alle politischen und geistigen Richtungen seine Anziehungskraft nie eingebüßt hat. 21 Ebenso wie im Recht der Gemeinwirtschaft legte man dem Sozialrecht dieser Ausprägung den Gedanken einer überindividuellen Rechtsbildung bei, die über die herkömmlichen Kategorien hinausging und nach einer für die neue Gemeinschaft angemessenen Rechtsfonn verlangte. Unter dem Gesichtspunkt der gesamtgesellschaftlichen Anschauung und Entindividualisierung des Rechts wird "Sozialrecht" ausgehend von Robert von Mohls Entwurf eines "Gesellschaftsrechts" zeitgenössisch und historiographisch zudem entweder als ein Wachstum des öffentlichen Rechts oder als eine Entgrenzung des Rechts überhaupt unter Veränderung des Begriffs vom Privatrecht insbesondere und vom öffentlichen Recht im übrigen verstanden. 22 Anband dieser historischen Wurzel lassen sich zahlreiche Überschneidungen der unterschiedlichen Auffassungen vom "Sozialrecht" als Veränderung vorrangig des Privatrechtsbegriffs, sowie als methodische Öffnung des Rechts zur gesellschaftlichen Rechtswirklichkeit nachvollziehen und erklären. Ähnliches gilt für das Wirtschaftsrecht Beide standen während der ganzen Zeit ihrer jeweiligen Emanzipation in enger Wechselwirkung. Die Lehre vom Sozialrecht im engeren Sinne als juristische Disziplin entstand, wie auch das Wirtschaftsrecht, erst mit dem Ersten Weltkrieg. Schon zu dessen Ende hatte Walter Kaskel 19 Diesen Zusammenhang sieht insbesondere F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 546. Zur europäischen Dimension des Sozialrechts sei verwiesen auf den Hinweis Wieackers ebenda, Fn. 7: G. Gurvitch, L'idee du droit social, Paris 1932. 20 Insbes. b. 0 . Spann, Der wahre Staat, 1923, S. 207. Othmar Spann war Nationalökonom an der Universität Wien. 2 1 Zum Ganzen: P. C. Mayer-Tasch, Korporalismus und Autoritarismus, passim; zu Italien, insbesondere zur Idee des Korporalismus dort: ebenda, S. 82-96. 22 M. Stolleis, Öffentliches Recht und Privatrecht im Prozeß der Entstehung des modernen Staates, S. 58; ders., Art. Sozialrecht, Sp. 1731; M. Bullinger, S. 60-74.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
nach Begriff und Gegenstand des Sozialrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach gefragt.23 Die gleiche Frage wiederholte Kaskel drei Jahre später für das Wirtschaftsrecht, um sie in den darauffolgenden Jahren immer wieder zu stellen. 24 Das Sozialrecht als Recht der Sozialen Sicherheit, das noch in Engführung mit dem Arbeitsrecht stand, nachdem es lange Zeit noch damit identifiziert worden war, etablierte sich, freilich erst mit der charakteristischen Verzögerung bis zur Anerkennung als Lehrfach gegen Ende der Zwanziger Jahre. 25 Im Wirtschaftsrecht lassen sich einzelne Rezeptionsvorgänge und gemeinsame Entfaltungen sowohl des Gedankens des Sozialrechts als auch sozialwissenschaftlieber Anschauungsweisen nachzeichnen. Auch eine Verbindung zum Sozialrecht im engeren Sinne als dem Recht der Sozialversicherung und der sozialen Sicherheit taucht immer wieder auf.
II. Sozialrecht als Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses 1. Sozialrecht als Element sozialistischen Rechtsdenkens
Die bedeutendsten Vertreter des Gedankens des Sozialrechts im weiteren Sinne, also in Fortentwicklung der Lehren Otto v. Gierkes waren Hugo Sinzheimer und Gustav Radbruch. Die ausstrahlungskräftigste Persönlichkeit unter den Juristen war ohnehin Radbruch. Er repräsentierte die allgemeine Haltung der Weimarer Zeit gegen Liberalismus und Individualismus als Sozialdemokrat oder, um in der Sprache der Zeit zu sprechen, als Sozialist. 26 In dieser Einstellung trafen sich Sozialisten und Konservative, wenn auch aus verschiedenen Motiven. Sinzheimer, Rechtsanwalt, Politiker der Mehrheitssozialdemokratie und später auch Honorarprofessor in Frankfurt am Main, befaßte sich als Sozialist und den Gewerkschaften nahestehender Theoretiker besonders damit, dem Recht der neuen Republik einen "sozialrechtlichen" Einschlag zu vermitteln. Im Vorwort zur zweiten Auflage seines Lehrbuchs zum Arbeitsrecht von 1927 heißt es: 23 W. Kaskel, Begriff und Gegenstand des Sozialrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, S.541. 24 W. Kaskel, Begriff und Bestandteile des Wrrtschaftsrechts, Wirtschaft und Recht 1921, S. 211-216; ders., Gegenstand und systematischer Aufbau des Wirtschaftsrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, JW 1926, S. 11-13. 2s F. Schlegelberger, Die Entwicklung des Deutschen Rechts in den letzten 15 Jahren, 1930, S. 30. 26 Zur Bedeutung von Radbruchs Persönlichkeit wie hier K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 35; zum Sprachgebrauch der Bezeichnung "Sozialist" siehe Th. Ramm, Juristensozialismus in Deutschland, S. 8.
II. Sozialrecht als Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses
143
"Die alten Grenzen der Rechtswissenschaft sind heute zertlossen, das Bedürfnis nach einem neuen allgemeinen Rechtssystem, das alle Teile und Arten des Rechts umschließt, ist zwar erwacht, aber noch nicht befriedigt. Ein äußeres Zeichen dafür ist das Ringen um eine neue Rechtsbetrachtung, die nicht mehr von Personen und Verhältnissen, sondern von Kräften und Funktionen ausgeht, und das Suchen nach einem besonderen Wrrtschaftsrecht, dessen Gegenstand nicht eine Summe zerstreuter Lebensbeziehungen, sondern ein neu entstehendes, in sich zusammenhängendes soziales Lebensgebilde sein soll." 27
Sinzheimer war sich freilich an gleicher Stelle des auch in seiner nur gedachten Gestalt unfertigen Charakters eines so gearteten Wutschaftsrechts wohl bewußt. Demgemäß galt es, solange das Wirtschaftsrecht in der Entwicklung zu einem lebensfähigen Gebilde gesehen werden mußte, die anerkannten Positionen des Arbeitsrechts, welche die auf abhängige Arbeit angewiesenen Menschen bereits erlangt hatten, zu sichern. 28 Doch Sinzheimer hatte sich auch schon zuvor zum Wirtschaftsrecht geäußert. 29 Insoweit er vom Wirtschaftsrecht als dem Recht der "gebundenen", "organisierten" Wirtschaft sprach, wäre er in die Gruppe mit Goldschmidt, später Kaskel und anderen einzureihen, die ebenfalls das Wirtschaftsrecht als das Recht der über die privatrechtliche Ordnung hinausgehenden, öffentlichrechtlich geprägten Wirtschaftsregelung definierten. Thn unterschied jedoch seine Zukunftsvision der "Morgenröte eines neuen sozialen Rechtszeitalters" von den konservativen Autoren zum Wirtschaftsrecht. Sinzheimer lehnte im Gegensatz zu den Vorgenannten die personale Betrachtungsweise im Recht ab, nach der zusammenhanglose Individuen unabhängig voneinander ihr Dasein führen. Nach der von ihm favorisierten funktionalen Betrachtungsweise waren die bisherigen Personen bürgerlichen Rechts "Funktionäre", die einen gemeinsamen, über ihnen stehenden Willen vollziehen sollten.30 Die Wirtschaft erklärte er zu einem zu verwirklichenden Gemeinschaftsgebilde als Idealtypus der Zukunft. Der Einzelne würde nicht für sich, sondern für das Ganze tätig. Sinzheimer meinte beobachten zu können, wie diese Tendenz sich im neuen Unternehmensbegriff des Wirtschaftsrechts durchzusetzen begann. Damit sprach er die Diskussion um das "Unternehmen an sich" an, in der das Unternehmen dem Unternehmer und den Arbeitern eine besondere Rechtsstellung anwies, die von den jeweiligen Personen der Belegschaft und vor allem vom Inhaber, dem Kapitalgeber, unabhängig war. Das Meinungsspektrum, in dem sich die Aktienrechtsreform, die die ganze Weimarer Republik andauern sollte, bewegte, hatte tatsächlich vor allem diesen Funktionswandel des Unternehmens vor Augen. 31 27
H. Sinzheimer, Arbeitsrecht, 2. Auflage 1927, S. X.
Ebenda, S. X f. Insbesondere H. Sinzheimer, Das Rätesystem, 1919. 3° H. Sinzheimer, Chronik, Die Justiz 1927/28, S.381. 31 Ebenda, S. 382. Zum Ganzen: A. Riechers, Das Unternehmen an sich, insbes. Kapitel I und 3. Eine rechtstheoretische Reflexion mit Bezügen zur Zeit und zahlreichen Nachweisungen bietet aus nur geringem zeitlichem Abstand F. Brecher, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953, S. 105-121. 28
29
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
Mit dieser Zukunftsvision näherte er sich wiederum der Hedemannsehen Sicht vom erst werdenden oder zu erstrebenden Wrrtschaftsrecht, wenn auch mit sozialistischen, oder wie Friedrich Klausing 1931 mit einem Begriff der Zeit urteilte, kollektivistischen Vorzeichen. 32 Hugo Sinzheimer identifizierte sich auch weniger mit der rechtssoziologischen Betrachtungsweise. Obwohl seine Entindividualisierungstendenzen denen des Breslauer Ordinarius Eugen Rosenstock-Huessy ähneln, lag Sinzheimer dessen sozial-technisierte Sichtweise eher fern. Ebenso wenig war umgekehrt die sozialistische Tendenz bei Rosenstock-Huessy ausgeformt, obgleich beide in ihrer praktischen rechtspolitischen Betätigung durch die gemeinsame Gründung der im wesentlichen auf die Schulung von Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten ausgerichteten "Akademie der Arbeit" zu Beginn der Zwanziger Jahre in Frankfurt verbunden waren. 33 Wesentlich konkretere Vorstellungen von der rechtlichen Ordnung der Wirtschaft und Gesellschaft in sozialistischem Sinne prägte Sinzheimer als Mitglied des Redaktionsstabs von Fritz Naphtalis "Wrrtschaftsdemokratie" aus. 34 Gustav Radbruch war der Weimarer Republik nicht nur als demokratisch und sozialistisch gesinnter Rechtsphilosoph und Strafrechtslehrer in Heidelberg, sondern auch als Justizminister in den Jahren 1923-1924 verbunden. Das historische Bild des Wissenschaftlers Gustav Radbruch ist nicht unumstritten. Neuere Forschungen insbesondere- und exemplarisch- zur ,,Radbruchschen Formel" greifen seine Auffassungen an. 35 Radbruch legte nicht selten Idealtypen sowohl kategorialer als auch geschichtlicher Natur seinen Darstellungen zugrunde, die sich hinter seinen AuffasW. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 84. H. Thieme, Eugen Rosenstock-Huessy, SZ Germ. 1989, S. 3. 0 . Antrick, Die Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, S. 23 ff: Sinzheimer hatte dem Ausschuß der sozialdemokratischen Stadtverordnetenfraktion angehört, der den Aufbau einer "Arbeiterakademie" vorbereiten sollte. Sie sollte die Verbindung von Arbeiterbildung als Teil der Volksbildung mit gewerkschaftlichen Bildungskursen herstellen. Die Gedanke der ,,Arbeiterakademie" ging auf eine 1919 entwickelte Initiative des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes zurück, wonach in allen Städten mit über 50.000 Einwohnern eine Schulung von qualifizierten Funktionären und Betriebsräten angeboten werden sollte. Schließlich entstand die "Akademie der Arbeit" 1921 als Annexinstitut zur Frankfurter ,,Bürgeruniversität" unter ihrem ersten hauptamtlichen Leiter Eugen Rosenstock unter gewichtiger Beteiligung der Frankfurter Professorenschaft. Am 31. März 1933 wurde die Akademie der Arbeit von SA-Trupps gewaltsam geschlossen, die Dozentenschaft zum Teil parallel hierzu gleichzeitig vertrieben, Räume und Materialien wurden beschlagnahmt. Die Akademie entstand nach dem Zweiten Weltkrieg an gleicher Stelle mit geändertem Statut als "Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main" erneut. 34 F Naphtali (Hrsg.), Wirtschaftsdemokratie, ihr Wesen und Ziel, Berlin 1928. Siehe dazu die Ausführungen unten zu "Wlrtschaftsdemokratie" in Kapitel 6 Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung. 35 M. Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im ,,Dritten Reich" wehrlos gemacht? S. 334, 339-341 m. w. N.; I. Maus, "Gesetzesbindung" der Justiz und die Struktur der nationalsozialistischen Rechtsnormen, S. 82- 85. 32 33
II. Sozialrecht als Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses
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sungen verbargen, die er aber nicht als solche kennzeichnete. So sprach er etwa von "dem Juristen" einer Zeit oder von "der Moral" als solcher und unterlegte diesen gedankliche Entitäten und Wertigkeiten. Die Analyse von Radbruchs Arbeiten muß sich dieser Kritik stets inne bleiben. Das fällt in dem Fall um so leichter, in dem Radbruch selbst bisweilen den typisierenden Charakter seiner Untersuchungen näher herausstellt.
In seiner vielgelesenen "Einführung in die Rechtswissenschaft" zeichnete er das "Streben nach einem sozialen Recht" nach, das "die starre Scheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht" erschüttere. Nach Radbruch durchdrangen sich beide Rechtsordnungen und führten zur Entstehung neuer Rechtsgebiete dritter Art, zum Wirtschafts- und zum Arbeitsrecht. Die Allgemeinheit trat als "dritter, größerer lnteressent" 36 zu der von der privatrechtliehen Betrachtungsweise favorisierten Personenbeziehung hinzu. Sie beeinßußte die Auseinandersetzung allein zwischen Einzelpersonell im Sinne der ausgleichenden Gerechtigkeit. In der Not des Kriegsendes und unter dem Druck der Reparationen zerstob der optimistische Glaube an das freie Spiel der Kräfte und wich einer Gesetzgebung unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Gemeininteresses. So schrieb Radbruch: "Wirtschaftsrecht entsteht, wenn der Staat das freie Spiel der Kräfte nicht mehr rein privatrechtlich gewähren läßt, vielmehr seine soziologischen Bewegungsgesetze durch juristische Normen, die - selbst soziologische Tatsachen- in die soziologische Bewegung wirksam einzugreifen vermögen, zu beherrschen sucht. Wirtschaftsrecht ist das Recht der organisierten Wirtschaft." 37
Radbruch beobachtete in der Reichsverfassung eine Tendenz in Richtung auf die Sozialisierung, und zwar nicht nur bezüglich der Möglichkeit einer Enteignung. Man habe geradezu von einem deutschrechtlichen Eigentumsbegriff mit seinen eingeborenen öffentlichrechtlichen Schranken gesprochen. Doch war die Sozialisierung in seinen Augen nicht weit gediehen. Er erkannte lediglich zaghafte Ansätze von Gemeinwirtschaft in den gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen und in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. Der körperschaftlichen Vertretung stand Radbruch sehr skeptisch gegenüber. Nicht nur das öffentliche Recht sei in die Wtrtschaft, sondern dieselbe auch in den Staat eingedrungen und das nicht nur auf informellem Wege, sondern gerade durch die explizit korporativen Elemente der Verfassung in den Betriebs-, den WirtschaftsG. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 7. u. 8. Auflage 1929, S. 92. Ebenda, S. 92f. Radbruch berief sich auf die Darstellung des Wirtschaftsrechts bei H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht. Zu den Grundlagen des Wirtschafts- und Arbeitsrechts verwies er an gleicher Stelle auf F. Naphtali, Wirtschaftsdemokratie. Goldschmidt war kein als solcher auftretender Sozialist. Die Berufung auf Fritz Naphtali erklärt sich aber explizit aus sozialistischer Solidarität, gerade weil Radbruch, wenn auch an wenig prominenter Stelle, sich zwar nicht zum wissenschaftlichen Sozialismus bekannte, sondern weil er sich durch die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit veranlasst sah, der sozialdemokratischen Partei beizutreten. G. Radbruch, Kulturlehre des Sozialismus, 1922 (1970), S. 80. 36 37
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
räten und dem Reichswirtschaftsrat Das durch die demokratischen Verhältnisse erreichte Übergewicht der Arbeitermassen sahen viele ihrer Gegner durch die ständisch naheliegende Parität allzu gerne konterkariert. Der Reichswirtschaftsrat habe als berufsständische Kammer überdies die Tendenz zur Verwirtschaftlichung und Vergewerkschaftung der gesamten Politik. Ein Konzept, dessen Konsequenzen Radbruch fürchtete und das er bei den Gegnern der Demokratie, zumal im "stato corporativo" des faschistischen Italien, bereits verwirklicht sah. 38 Bei Radbruch zeigt sich ganz deutlich, daß der gemeinschaftliche Gedanke vom sozialen Recht deutlich von jedem gruppenspezifischen Gemeinschaftsdenken getrennt war. Anders als die gemeinwirtschaftliche Konzeption Wichard v. Moellendorffs hatte Radbruch die sozial Schwachen als schützenswerte und förderungswürdige Schicht vor Augen. Doch ändert das nichts an der Beobachtung, wie sehr sich die Rechtsauffassung Radbruchs vom Recht der Personenbeziehungen entfernte und zum überindividuellen, im Lichte eines Allgemeininteresses zu schöpfenden Recht tendierte. Mit der Wendung "Vom individualistischen zum sozialen Recht" kennzeichnete Radbruch die Gesamtentwicklung der neuesten Rechtsentwicklung des Wirtschaftsund Arbeitsrechts bis zum Jahre 1929 in einem Aufsatz gleichen Namens. Hier stellte er anders als in seinem Kapitel zum Wirtschaftsrecht in der "Einführung in die Rechtswissenschaft" das soziale Recht als höheres Genus und die dazu zählende positivrechtliche Rechtsmasse induktiv dar. In seiner typisierenden und stilisierenden Manier bettete Radbruch die Wandlung des Rechts zum sozialen Recht in die Veränderung der Kultur, sogar in den Übergang von der individualistischen zu einer sozialen "Weltauffassung" ein. Sein Bild von der Wissenschaft der Zeit im Sinne der "Geisteswissenschaften" entsprach der angesprochenen Wandlung: Die Aufmerksamkeit der Forschung wandte sich von der Philosophie ab und der Soziologie zu. 39 Wenn er eine Strukturwandlung allen Rechtsdenkens vom vereinzelt gedachten, hin zum konkreten, vergesellschafteten Menschen, von der Person zur Gemeinschaft beobachtete, führte Radbruch das Wort für viele seiner Zeitgenossen. Doch folgte er dabei nicht einzelnen Beobachtungen, wie etwa Justus Wilhelm Hedemann und stellte sich auch nicht in den sozialwissenschaftliehen Kontext wie Friedrich Darmstaedter40, sondern er legitimierte seine Überlegungen normativ aus seinem Gleichheitsdenken, das integraler Bestandteil seiner praktischen Rechtsphilosophie war. 41 In der abstrakten Gleichheit ohne materialisierte Betrachtungsweise verortete Radbruch die Ungerechtigkeit der überkommenen individualistischen Rechtsordnung. G. Radbruch, Einführung, 7. und 8. Auflage, S. 93f. G. Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht, Sp.458. 40 J. W. Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht im Handwörterbuch der Rechtswissenschaften S. 933 f; F Darmstaedter, Wirtschaftsrecht 1928, S. 7 ff, 36 ff. 41 Zur Rechtsphilosophie Radbruchs A. Kaufmann, Radbruchs Rechtsphilosophie, in: ders. (Hrsg.), Gustav Radbruch: Gesamtausgabe, Band 1: Rechtsphilosophie I, S. 71-88 m. w. N., ders., Negativer Utilitarismus, S. 7-10. 38 39
Il. Sozialrecht als Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses
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Indem er sich auf Karl Diehl, den Nationalökonomen der "sozialen" Richtung berief, verurteilte er die nivellierende Abstraktion des Personenbegriffs des Rechtspositivismus in einem schwerwiegenden Dictum: "Die Eigentumsfreiheit des Besitzenden wird aus einer Freiheit der Verfügung über Sachen zu einer Freiheit der Verfügung über Menschen: wer über die Arbeitsmittel gebietet, hat auch die Kommandogewalt über die Arbeiter. Eigentum, sofern es Macht nicht nur über Sachen verleiht, sondern auch über Menschen, nennen wir Kapital; Eigentumsfreiheit in Verbindung mit Vertragsfreiheit auf dem Boden des Gleichheitsbegriffs der Person, das ist die rechtliche Grundlage des Kapitalismus."42
Nach Radbruch hielt das "soziale Recht" ein Programm bereit, das Nachteile ausgleichen sollte. Radbruch faßte in diesem Programm gleichsam die Bestrebungen des "Sozialrechts" in den Zwanziger Jahren zusammen. Der Gedanke des sozialen Rechts machte zunächst die Machtstellungen unter den prinzipiell gleichgeordneten Rechtssubjekten sichtbar. Nach dem Gedanken distributiver Gerechtigkeit sollte als Dritter und Hauptbeteiligter "die Gesellschaft, der Staat" die Folgen der Machtstellungen materiell ausgleichen. Als Ergebnis des Programms sollte ein Gleichklang von Rechtsform und Rechtswirklichkeit entstehen. Hier führte Radbruch die tatsächliche Rechtsentwicklung mit seinem Programm zusammen. Die augenscheinliche Dominanz des öffentlichen Rechts, die Publizierung des Privatrechts und die Durchdringung des Privatrechts mit sozialem Pflichtgehalt im Sinne der Gemeinverpflichtung des Eigentums waren nicht nur Teile des Radbruchsehen sozialen Rechtsgedankens, sie waren in der Wissenschaft von einem breiten Konsens getragen. 43 Am weitesten war der soziale Rechtsgedanke im Arbeitsrecht gediehen. Der arbeitsrechtliche Verband und die Verbandsmitgliedschaft traten ebenso in den juristischen Gesichtskreis wie der Arbeitnehmer als solcher und seine Schutzwürdigkeit Dagegen war das Wirtschaftsrecht nur Fragment und Programm geblieben. Daß das Wirtschaftsrecht individuelle Rechtsverhältnisse als soziale erkenne und behandle, stellte Radbruch als das Wesen des Wirtschaftsrechts heraus. Bei aller noch 1929 zu beobachtenden Bruchstückhaftigkeit des Wirtschaftsrechts betrachtete er die sozialrechtliche Betrachtungsweise als dessen Kern. Das Wirtschaftsrecht gehöre demnach dem sozialen Recht im weiteren Sinn an. Dieser Ansatz Radbruchs steht in gedanklich enger Verbindung zu Friedrich Darrnstaedter, der die individualistische Anschauungsweise ablehnte und die Schutzfunktion des Wirtschaftsrechts in den Vordergrund rückte. Beide machten aber nicht aufeinander aufmerksam und bezogen sich nicht gegenseitig ein. Ebenso wenig ließ sich Radbruch von der durch die Kartelldebatte angestoßene Diskussion um die Begrenzung der wirtschaftlichen Macht beeinflussen. Diese hatte seit 1928 in dem auch von Radbruch herausgegebenen Publikationsorgan ,,Justiz" eingesetzt und war wesentlich mit dem Namen Franz Böhms verbunden. 42 G. Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht, Sp.459 mit dem Hinweis auf Karl Diehl ebenda. 43 Ebenda, Sp. 462.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
Auswirkungen des sozialen Rechtsgedankens beobachtete Radbruch im Privatrecht, im Zivil- und im Strafprozeß, in der von ihm als Justizminister forcierten Strafrechtsreform und im Familienrecht 44 Besonders die letzten beiden Gebiete hatten zu einem modernen, von Soziologie und Psychologie inspirierten Sprachgebrauch gefunden und hatten begonnen, sich von obrigkeitsstaatliehen Anschauungen zu emanzipieren. An diesem Sprachspiel hatte auch das Wirtschaftsrecht seinen Anteil, wie sich an Wendungen wie der "Gemeinwirtschaft", dem "lndustrierecht", dem "Kraftrecht" und den neuen wirtschaftlichen Auslegungsmethoden im Recht ablesen läßt. Die theoretische Gemeinsamkeit Radbruchs und Sinzheimers wurzelt bei allen Abweichungen in Gierkes Genossenschaftstheorie, wenn sie auch bei Sinzheimer durch ein dogmatisch sozialistisches Gewand verhüllt blieb. Beide treffen mit dem Gierkeschen Gemeinschaftsgedanken den gleichen Kern. Das programmatisch Neue lag bei beiden in der Forderung nach konkreter, materieller und politischer Gleichheit, während bei Gierke eine deutschrechtlich inspirierte Gesellschaftsgliederung nach gruppenspezifischen Mustern kennzeichnend gewesen war. Auch der Österreichische Jurist und sozialistische Politiker Karl Renner, ein maßgebender Vertreter des Austromarxismus, konstatierte 1928 in seinem Buch "Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion": "Wir leben mitten im Umschlag des Bürgerlichen in das soziale Recht."4 s
Die politisierende Tendenz dieser Rechtsauffassungen stand durchaus nicht allein. Im politisch stark aufgeladenen öffentlichen Klima der Weimarer Republik kam es zu zahlreichen Politisierungsvorwürfen innerhalb der Rechtswissenschaft. Es gab eine ganze Reihe bekennender Sozialisten, wie etwa Sinzheimers Schüler Otto Kahn-Freund, Ernst Fraenkel und Franz Neumann oder andererseits Otto Kirchheimer. 46 Andere sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dem alten System verhaftet und demokratiefeindlich zu sein, wovon vor allem die Justiz betroffen war. In der "Vertrauenskrise der Justiz" kulminierte dies zum Vorwurf der "Klassenjustiz".47 Die wirtschaftsrechtlichen Vorstellungen der Sozialisten fanden kaum Eingang in die Gesetzgebung, während die konservative Richterschaft, die ihre Ausbildung in der Kaiserzeit erhalten hatte, zumindest im Bereich der Strafjustiz und der Ebenda, Sp. 462- 465. K. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion, S.47f. Kar! Renner war 1918-1919 österreichischer Staatskanzler. 46 Th. Ramm, Juristensozialismus in Deutschland, S.16. Nunmehr liegt die Rekonstruktion der politischen und staatstheoretischen Analysen Franz Neumanns aus der Perspektive seines Londoner und Neuyorker Exils der Jahre 1933-1944 vor. Neumann dokumentierte auf der Grundlage der Weimarer Erfahrung die Auflösung rechtsnormativer Strukturen und die Zersetzung der einheitlichen Staatsgewalt als grundlegende staatliche Realitätsmomente während der NS-Zeit, J. Bast, Totalitärer Pluralismus, Tübingen 1999. 47 W. Simons, Brief des Reichsgerichtspräsidenten an Prof. Radbruch, Justiz 1926/1927, S. 332; G. Radbruch, Zu Dr. Simons Münchner Rede, Justiz 1926/1927, S.413-415. 44
4s
li. Sozialrecht als Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses
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Aufwertungsrechtsprechung und, wenn auch allenfalls rhetorisch, auf dem "Richterkönigtum" der Freirechtsschule fußend, mit subjektiv empfundener gelockerter Bindung an die neuen Gesetze arbeitete und wohl wirtschaftsrechtliche Auslegungsgrundsätze anwandte und entwickelte, nicht aber ein soziales Recht akzeptieren konnte. Allenfalls in der noch im Aufbau befindlichen Arbeitsgerichtsbarkeit, die zum Teil paritätisch besetzt war, waren wirtschaftsrechtliche Vorstellung des "Sozialrechts" im weiteren Sinne verwirklicht worden. 2. Juristenausbildung und freirechtliche Tendenz mit Seitenblick auf das "Soziale"
Vor allem von den jüngeren und den revolutionsfreundlichen Autoren wurde eine Tendenz weg von alten Rechtsauffassungen, weg von der Weltfremdheit des Richters und hin zu einem an den Tatsachen des Lebens und gesellschaftlichen Bewegungen orientierten Rechtsverständnis verfolgt und ausgebaut. Der soziale Gedanke, die Lebensfremdheit des Richters und in der Nachfolge Jherings die Zweckhaftigkeit des Rechts und seiner Anwendung hatten die Diskussion innovativer Juristen insbesondere um die Juristenausbildung in der Kaiserzeit beherrscht. Die Ausbildung der Richter und Staatsbeamten war deren vordringlichste Aufgabe und unter dieser Perspektive wurde die Debatte geführt. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Aufgabenverteilung zwischen den Rechts- und den Staatswissenschaftlichen Fakultäten. Die Lösungsansätze und Reformvorschläge waren regional und nach den jeweiligen Bedarfen der Staatsverwaltungen verschieden. Das Hauptproblem der Anpassung der Juristen an die ökonomischen Gegebenheiten der Gründerzeit und ihre sozialen Auswirkungen in der Arbeiter-, Gewerkschafts- und sozialpolitischen Frage sollte mit der vermehrten Aufnahme nationalökonomischer Materien in die Juristenausbildung gelöst werden. Diese Tendenz wurde nach dem ersten Weltkrieg in anderer Richtung noch verstärkt. Denn, wenn auch mit schwacher Wirkung, so gab das republikanische Richterbild ohnehin eher den an den Lebensverhältnissen orientierten Schlichter vor als den Justizbeamten Wilhelminischer Prägung mit Autoritäts- und Hoheitsfunktion. 48 Die verdichtete wissenschaftliche Orientierung am "Sozialen" nahm ein gewisses Spektrum zwischen der Befassung mit dem sozialen Gedanken im Sinne des klassenkämpferisch-sozialistischen Gedankens und einem der sozialwissenschaftliehen Methode verpflichteten Denken ein. Auch wenn aus dieser Richtung keine unmittelbaren Impulse kamen, profitierte diese Forschungsweise von der freirechtlichen Tendenz in der Rechtswissenschaft. 49 Die Rechtsprechung hatte sich nicht aufgrund eines Willensakts gewandelt, sondern war geänderten Grundanschauungen gefolgt, ohne sich dessen etwa durch die Wahl einzelner Optionen inne zu werden. Daher nahm man Anteil an der BeweK. W Nörr, Rechtsbegriffund Juristenausbildung, ZNR 1992, 5.217-266. 0. Behrends, Von der Freirechtsbewegung zum konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken, S. 39-42 u. ö. 48 49
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
gung, die von der Gesetzesbindung des Rechtspositivismus wegführte, ohne die an sich gebotene Autonomie der Begründung hierfür zu respektieren. Die Richterschaft hatte überwiegend aufgrund ihrer im nationalen Denken und ihrer Herkunft aus dem ,,national" eingestellten Bürgertum begründeten politischen und sozialen Homogenität die freirechtliche -literarische - Richtung nur im Rahmen ihres eigenen Rechtsverständnisses aufgegriffen. Mit der unter den Richtern verbreiteten Auffassung, vaterländische Gesinnung gehe der Verfassungstreue vor50, hatte sie eine Aufweichung der Gesetzesbindung als einer allgemeinen Zeitströmung mitgeprägt und gefördert. Die gesetzestreue Auslegung war damit preisgegeben, jedoch unabhängig von den rechtspolitischen Forderungen eines Ernst Fuchs oder Hermann Kantorowicz. Damit hatte die Freirechtsschule justizpolitische Folgen ausgelöst, ohne sich mit ihrem an den gesellschaftlichen Bedingungen für die Gesetzesauslegung, am "Sozialen" orientierten theoretischen Programm die beabsichtigte Geltung verschafft zu haben. Entfiel damit eine tatsächliche Wrrkung der Freirechtstendenz auf die Urteilsfindung, so hob Ernst Fuchs in seinen Beiträgen in den Zwanziger Jahren die Notwendigkeit des Freirechtsdenkens nur um so pointierter hervorY
III. Rechtssoziologie im Wirtschaftsrecht 1. Hans Goldschmidt
In seiner Untersuchung zum Eigentum und den Eigentumsteilrechten von 1920 bezog Hans Goldschmidt52 als erster die Rechtssoziologie und die Rechtstatsachenforschung programmatisch in das Wirtschaftsrecht ein. Goldschrnidt kündigt dies eigenartigerweise unter Berufung insbesondere auf Rudolf Stammler mehrfach an, ohne daraus dogmatisch fruchtbare Folgen abzuleiten. Bei ihm bleibt die Rechtssoziologie eher Programm. Das Wirtschaftsrecht war, weil es von der Wissenschaft als neues Phänomen begriffen wurde, besonders den aktuellen Deutungsmustern des Rechts ausgesetzt oder ging gleichzeitig mit diesen aus der neueren Forschung hervor. Die Rechtssoziologie war mit eine Bedingung für die wirtschaftsrechtliche Betrachtungsweise als solcher. Freilich galt dies nicht für alle Wirtschaftsrechtler. Nach traditioneller Anschauungsweise beobachtete man lediglich ein Wachstum der dem Wirtschaftsrecht zugeordneten Rechtsmaterien aus den hergebrachten Formen 50 T. Rasehorn, Rechtspolitik und Rechtssprechung. Ein Beitrag zur Ideologie der ,Dritten Gewalt', S.418. 51 J. Rückert, Richterturn als Organ des Rechtsgeistes: Die Weimarer Erfüllung einer alten Versuchung, S. 307-309, zweifelt wie hier an der tatsächlichen Wrrkung des Freirechtsdenkens auf die Rechtsprechung. Beispielhaft für das Werben Ernst Fuchs' für die Freirechtsschule in der Weimarer Zeit mit Bezug zum Wrrtschaftsrecht, ders., Ein Hohn auf die Gerechtigkeit. Wortsklaventurn und Rechtstreue, Recht und Wrrtschaft 1921, S.161-163. 52 H. Goldschmidt, Eigentum und Eigentumsteilrechte in ihrem Verhältnis zur Sozialisierung, 1920.
III. Rechtssoziologie im Wirtschaftsrecht
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heraus, sei es auch nur vornehmlich im Bereich des Kriegswirtschaftsrechts. 53 Namentlich Franz Dochow im öffentlichen Recht und Hans Carl Nipperdey im Privatrecht verzichteten völlig auf eine rechtssoziologische Einkleidung des Wirtschaftsrechts. 2. Artbur Nussbaum
Das 1920 von Arthur Nussbaum vorgelegte "Neue deutsche Wutschaftsrecht" dokumentierte die Wandlung des Privatrechts nicht nur zugunsten des öffentlichen Rechts, sondern auch zugunsten der "energisch einsetzenden Sozialisierung des Rechtsstoffes." 54 Diese charakterisiere sich juristisch als eine Verschiebung der Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Recht. In der allgemein vorherrschenden öffentlichrechtlichen Atmosphäre zeige das Privatrecht eigenartige Strukturveränderungen. 55 Eine ausgeprägtere sozialwissenschaftliche Anschauungsweise findet sich in Nussbaums Wutschaftsrecht nicht in plakativer Weise. Doch deutet sie sich in der Tendenz an, das Recht an den Erfordernissen der Wutschaft zu orientieren, und das Funktionieren des Rechts als Ordnungsrahmen der Wutschaft an dieser zu messen. Die eigentliche Bedeutung Nussbaums für die rechtssoziologische Richtung im Wirtschaftsrecht rührt von dessen ,,Rechtstatsachenforschung" ( 1914) her. 56 In seinen Antrittsvorlesungen 1914 und 1915 hatte Nussbaum die Auflösung des Handelsrechtsbegriffes bereits programmatisch angekündigt. 57 Im Zuge der starken Wandlungen des Wirtschaftslebens müsse sich die Rechtswissenschaft der Realität stellen und die überkommenen Strukturen, so auch das Handelsgesetzbuch, reformieren. Nussbaum hatte vor dem Krieg nur rechtstatsächliche Wandlungen aufgezeichnet. Gesetzliche Änderungen waren bis 1914 wissenschaftlich wenig vorbereitet gewesen und hatten daher wohl kaum eine Realisierungschance. Nussbaum selbst hatte bis dahin ohnehin nur die Ausdehnung des Handelsrechts auf nahe stehende Rechtsmaterien erwogen. An diese Ankündigung konnte Nussbaum anknüpfen, nunmehr in Richtung auf das neue Wutschaftsrecht Auch Karl Geiler hatte 1922 in der zweiten Auflage seiner "Gesellschaftsformen des neueren Wirtschaftsrechts" das Eindringen von Elementen der Rechtstatsachenforschung und der von ihm nicht näher definierten wirtschaftsrechtlichen Methode und damit den Einfluß Nussbaums auf das Wirtschaftsrecht sichtbar dokumentiert. 58
Siehe I. Kapitel: Kriegswirtschaftsrecht. A. Nussbaum, Das neue deutsche Wirtschaftsrecht, I. Auflage, S. I. 55 Ebenda. 56 Zur Bedeutung Nussbaums siehe M. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 9f. Kleinheyerl Schröder, Nr. 79b. 57 F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S.17. 58 K. Geiler, Gesellschaftliche Organisationsformen des neueren Wirtschaftsrechts, 2. Auflage 1922, Vorwort u. passim. V gl. ferner ders.: Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts seit der Revolution, JW 1921, S. 300-304. 53
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie 3. MaxRumpf
Bis zu seiner Ernennung zum Ordinarius an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg 1928 war Max Rumpf wie Karl Geiler Dozent an der Handelshochschule Mannheim. Als ein starker Motor der Rechtssoziologie, stellte er die Wandlungen des Rechts auf der Folie der Freirechtsschule und der Rechtstatsachenkunde dar. 59 Die Rechtswissenschaft trat nach Rumpf ohnehin als Wirtschafts- und Sozialwissenschaft in die Reihe dieser Wissenschaften. Er propagierte ein "Vollrecht", das als "lebendes Recht" die voll etablierte Freirechtsschule, die Rechtstatsachenforschung und die neuere deutsche Kulturphilosophie als das ,,Reich der Werte" 60 in die Rechtswissenschaft einbrachte und miteinander verband. 61 Rumpf nahm zwar an, der "formale Positivismus" sei ,,heute noch nicht entthront", "in Wirklichkeit" verwiesen die neuen Rechtsformen des Wirtschaftsrechts jedoch auf die zugrundeliegende "natürlich-religiös-sittlich-herkömmlich-rechtliche Gemeinschaft", die sich im Leben selbst und im Rechtsleben durch den Mund der Anwälte und Richter artikulierte. 62 Die Etablierung der justizpolitischen Gedanken der Freirechtsschule war in der Tat neben weiteren antipositivistischen juristischen Methodenlehren wesentlich weiter fortgeschritten, als viele Autoren, allen voran Gustav Radbruch, glaubten. 63 Wirtschaft und Gesellschaft waren für Rumpf die zwei großen vorrechtliehen Begriffszusammenhänge. Rumpfs Vollrecht, angewandt auf diejenigen Normen des objektiven Rechts, deren Realien die Wirtschaft waren, bildete die wirtschaftsrechtliche Betrachtungs- und Arbeitsweise. Das Recht allgemein fußte auf fünf sozialen Größen: Der Mensch, die Güterordnung, der Vertrag, der Verband und der Wettbewerb, die freie Verkehrswirtschaft als der "Seele des Geschäfts". 64 Die Normen des Wirtschaftsrechts und damit auch des Handelsrechts, waren um den Begriff des Unternehmens gruppiert, das sich im Wettbewerb behauptete. Beide waren den Bedingungen des Wettbewerbs unterworfen, doch unterschied sich das bürgerliche Recht vom Handelsrecht durch seine Begrenzung auf das "Haushalten", während das "Wirtschaften" vom Gewinnstreben um jeden Preis gekennzeichnet sei. Rumpfwies dem Privatrecht die Doppelrolle des bürgerlichen Rechts für den privaten Haushalt 59 M. Rumpf, Das Ideal des volkstümlichen Rechts, 1913; ders., Von rein formaler zu typologisch-empirischer Soziologie, Schmollers Jahrbuch 1924, S. 917-962; ders., Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft?, 1929, hierzu die Monita von F. Darmstaedter: Rezension: Rumpf, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft? Juristische Wochenschrift 1929, S.1733f; M. Rumpf, Deutsche Volkssoziologie im Rahmen einer sozialen Lebenslehre, 1931; ders., Soziale Lebenslehre. Ihr System und ihr wissenschaftlicher Ort. 1932; ders., Politische und soziologische Staatslehre, Tübingen 1933. 60 M. Rumpf, Der Sinn des Wirtschaftsrechts, AcP 120 (1922), S.161. 61 Ebenda, S. 160. 62 Ebenda, S. 154. 63 M. Walther, Hat der Positivismus die deutschen Juristen im "Dritten Reich" wehrlos gemacht?, S. 323f, 351; 0. Behrends, S. 37-39. 64 M. Rumpf, Der Sinn des Wirtschaftsrechts, S.163-169.
III. Rechtssoziologie im Wirtschaftsrecht
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und der Basis für alle Berufssonderrechte, die vom Wirtschaftsrecht inbegriffen waren, zu. Doch gerade das System des Bürgerlichen Gesetzbuchs erschien Rumpf wegen seiner Herkunft vom Pandektemecht unsystematisch und lebensfern. Die "liberalistische Verherrlichung des subjektiven Rechts" hatte im System Rumpfs, in dem die Natur der Sache ihr Recht forderte, keinen Bestand. Rumpf hatte zwar nur das "Private Wirtschaftsrecht" näher bestimmt, hielt aber dessen Grundsätze, die Lebendigkeit und das Unternehmen genauso im öffentlichen Wirtschaftsrecht für maßgeblich. Rumpf zielte nicht auf die Auflösung der parlamentarischen Gesetzgebung ab, sondern forderte deren Verwissenschaftlichung im Sinne der Soziologie, um zunehmend wirklichkeitsgetreuere Gesetzgebung zu gewährleisten. 4. Justus Wilhelm Hedemann
Wenn Fritz Rittner auch Hedemann in die Reihe der Wirtschaftsrechtier der "sozialwissenschaftlichen Richtung" stellt, dann gilt dies gewiß nur in einem sehr weiten Sinne. Hedemann hatte für das Wirtschaftsrecht einen epochalen Wandel der Betrachtung auf das Recht und einen Gesinnungswandel der ganzen Gesellschaft reklamiert, indem er eine historische Periode wirtschaftlichen Denkens postulierte. Die naheliegendste Lesart der Haltung Hedemanns ist eine bewußte Vulgarisierung der Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers. Hatte dieser das Verhältnis von Recht und "Sozialwirtschaft" wie das von Form und Inhalt definiert, so deutete Hedemann das Recht der Zeit in ein Wirtschaftsrecht insgesamt um. Ein wissenschaftlicher Rekurs auf die Sozialwissenschaften lag Hedemann fern. Eine induktive Untersuchung, die den von ihm veranschlagten Richtungswechsel in der Rechtswissenschaft dokumentiert hätte, legte er zwar für das Privatrecht und seine Wandlungen vor, nicht jedoch für das Wirtschaftsrecht im engeren Sinne. 65 S. Emil Westhoff
Emil Westhoff baute sein "System des Wirtschaftsrechtes" 66, das nur bis zum ersten von vier Bänden, "Wesen und Grundlagen", gedeihen sollte, auf den Erfahrungen aus seiner Unterrichtspraxis als Dozent an der Handelshochschule Nürnbe~g auf. Seiner Anlage nach führte das Werk in diesem einzig erschienenen ersten Teil in das umfangreiche System des Wirtschaftsrechts ein. Emil Westhoff ist zwar sonst mit keiner weiteren Veröffentlichung zum Wirtschaftsrecht hervorgetreten, doch war die Wirkung gerade dieser Schrift insbesondere für die Entwicklung der Rechtssoziologie als auch für das Wirtschaftsrecht allgemein von nicht zu vernachlässigenF. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 44. E. Westhoff, System des Wirtschllftsrechtes, Band l: Wesen und Grundlagen, Leipzig 1926. 65
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der Bedeutung, wie etwa seine Erwähnung bei Friedrich Klausing 1931 zeigt. 67 Die Schrift war darauf angelegt, mit der "alten Einteilung" der Rechtswissenschaft "energisch" zu brechen. Ein "Wirtschaftsrecht", das diesen Namen verdiente, war nach Westhoff nur mittels einer ganz neuen Systematik zu erreichen. Nachdem Westhoff im ersten Kapitel den Begriff des Wirtschaftsrechts aus dem Verhältnis von Wirtschaft und Recht zu entwickeln versuchte, sollten die "Grundlagen" im zweiten Kapitel die Methode ersehen lassen: "Sie ist ,Rechtstatsachenforschung' im Sinne Nussbaums in Verbindung mit Rechtsentwicklung." 68 Diese Methode sollte mit Hilfe der für die Teile ll-IV des "Systems" vorgesehenen Ausarbeitung in ihrer ,,Fruchtbarkeit" veranschaulicht werden, wogegen Westhoff sie im einzigen vorgelegten Band nur andeuten konnte. Friedrich Klausing, der in seinem Überblick auf das Wirtschaftsrecht Max Rumpf und Westhoff als Vertreter der soziologischen Richtung nannte, 69 bezeichnete Westhoffs Versuch als ,,nicht ganz gelungen". Gleichwohl stellt Westhoffs Anlage seines Systems des Wirtschaftsrechts eine beeindruckende Auseinandersetzung mit nahezu dem gesamten bis 1925 erschienenen Schrifttum zum Wirtschaftsrecht dar, das in seiner Darstellung bereits eine erstaunliche Dichte aufweist. Westhoff prüfte die Literatur insbesondere nach ihrem rechtssoziologischen Gehalt und vernachlässigte so die an der herkömmlichen Jurisprudenz orientierte öffentlichrechtliche und privatrechtliche Literatur. Bei Westhoff wird eine eindeutig gegen die Lehren des Rechtsphilosophen Rudolf Stammler gerichtete Anschauungsweise deutlich. Die Berufung auf die nicht an der Tatsachenwelt orientierte Zuordnung der Wirtschaft als Substanz, die mit der Form des Rechts die Sozialwirtschaft ergab, die im Wirtschaftsrecht verbreitet war, lehnte Westhoff ab. 70 Er orientierte sich vielmehr an Prinzipien, die Eugen Ehrlich als einer der Gründerväter der Rechtssoziologie in Deutschland entwickelt hatte. 71 6. Eugen Rosenstock Eine eigenwillige und originäre Richtung innerhalb der rechtssoziologischen Forschung schlug der Privat- und Handelsrechtslehrer Eugen Rosenstock(-Huessy) ein, der 1923 in Breslau zum Ordinarius berufen worden war. Rosenstock hatte vor dem Ersten Weltkrieg seine wissenschaftliche Arbeit als Rechtshistoriker begonnen und bedeutende deutschrechtliche Arbeiten zur Mediävistik vorgelegt. Nach dem Krieg vollzog er eine wissenschaftliche Wandlung, indem er sich betriebs- und volkswirtschaftswissenschaftlichen sowie soziologischen Studien widmete. Nach W. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.38. E. Westhoff System des Wrrtschaftsrechtes, S. III. 69 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 39. 70 E. Westhoff, System des Wirtschaftsrechts, S. 2 mit einem Hinweis auf die Fruchtlosigkeit der Lehre Stammlers im Werk Hans Goldschmidts. 71 E. Westhoff System des Wirtschaftsrechts, S. 3, 5. 67
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der Erfahrung des Krieges wollte Rosenstock durch seine Veröffentlichungen einen Beitrag zu einer sinnvollen und friedlichen Gemeinschaft der Völker Europas auf allen möglichen Gebieten leisten. In die unmittelbare Nachkriegszeit fallt neben der rechtssoziologischen Ausrichtung seiner Forschungen auch die auf die arbeitsrechtliche und gewerkschaftliche Praxis zielende Gründung der Frankfurter "Akademie der Arbeit" gemeinsam mit Ernst Michel und Hugo Sinzheimer. Besonders die in den Schriften "Soziologie I. Die Kräfte der Gemeinschaft" (1925) und "Vom lndustrierecht" ( 1926) entwickelten Ideen entfalteten eine starke Ausstrahlungskraft und zwar vorrangig außerhalb der Rechtswissenschaften, etwa in der Fachsoziologie aber auch in den Organisationen des "Freiwilligen Arbeitsdienstes" und in der Jugendbewegung.72 Im Bereich des Wirtschaftsrechts beschrieb Rosenstock 1926 in sehr eigenständiger Weise und mit einer stark expressionistisch eingefärbten Sprache seine Auffassung vom "Industrierecht". Diese Bezeichnung hatte Heinrich Lehmarm 1913 der juristischen Fachöffentlichkeit vorgestellt, damals noch ohne großen Erfolg in der Rechtssprache. Ernst Heymann griff sie 1921 auf und auch andere Autoren verwendeten sie verschiedentlich zu Beginn der Zwanziger Jahre. 73 Das ,,lndustrierecht" war eine naturalistische Bezeichnung für Rechtsverhältnisse der Industrie, deren Wandlungen man in ihrer Andersartigkeit zu den relativ konstanten Verhältnissen im primären Wirtschaftssektor für kennzeichnend hielt. Der Unterschied zum Wutschaftsrecht war in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre äußerlich nicht mehr wahrnehmbar. Ihre Verwendung bei Rosenstock ist ein bewußter Anachronismus. 72 H. Thieme, Erich Rosenstock-Huessy, ZRGGerm. Abt. 1989, S.1-11 rn. w.N. EugenRosenstock fügte den Namen seiner Frau Margrit Huessy, einer Schweizerin, dem Gebrauch ihres Heimatlandes folgend, seinem eigenen Namen erst nach seiner Übersiedlung nach den USA 1933 hinzu. Wir finden Rosenstock meist als ,,Rosenstock(-Huessy)" zitiert. Mit der 1933 von ihm beantragten Beurlaubung war er seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis als ,,Nichtarier" zuvorgekommen, da er die Entwicklung längst vorhergesehen hatte. Rosenstock wurde aufgrundseiner gesellschaftlichen Wrrksarnkeit in Schlesien bis 1933 auch als ,,Erzvater des Kreisauer Kreises" bezeichnet. Aus diesem, dem rechtssoziologischen und dem nordamerikanischen Wirkungskreis Rosenstocks ging die ,,Eugen Rosenstock-Huessy-Gesellschaft" hervor, die bis in die Gegenwart hinein die Arbeit Rosenstocks würdigt und fortführt. Hans Thieme läßt die Rolle Rosenstocks für den ideellen und lehrtechnischen Aufbau der ,,Akademie für Arbeit" in Frankfurt am Main etwas zu gewichtig erscheinen. Rosenstock stieß nach dem Urteil von 0. Antrick, Die Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, S. 26 f, 31, auch auf Unverständnis und konnte sich mit seinen eigenwilligen Ansätzen häufig nicht durchsetzen. So setzte sich Rosenstock als erster Leiter der Akademie mit seiner "exemplarischen Methode", die auf eine konkrete praktische Problemstellung und die Schulung der Urteilskraft hieran abstellte, der Kritik Hugo Sinzheimers aus. Dieser beklagte einen ,,Mangel an Systematik und an einem pädagogischen Plan". Nach dem ersten zweijährigen Lehrgang der Akademie wechselte Rosenstock schließlich 1923 als Ordinarius nach Breslau. 73 E. Rosenstock, Vorn lndustrierecht, 1926; H. Lehmann, Die Grundlinien des Industrierechts, 1913; E. Heymann, Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen lndustrierechts, 1921; siehe außerdem den Hinweis auf die Stellungnahme Heinrich Landsbergs zum "lndustrierecht", berichtet bei E. Friesenhahn, Juristen an der Universität Bonn, S.41.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
Rosenstock verwendete das "Industrierecht" als eine Generalbezeichnung für handelsrechtsähnliche Vorgänge allgemeinerer Natur. Der Begriff umfaßte also nicht nur die Rechtsverhältnisse von Personen, wie das herkömmliche Rechtsverständnis nahe legte, sondern alle tatsächlichen Vorgänge. Rosenstock wollte keine künstlichen Rechtsverhältnisse mit dem Begriff umschrieben wissen, sondern warnte vor eigenen Rechtsvorstellungen "über den natürlichen Bereich hinaus", also jenseits einer Schau der für den einsichtigen Beobachter evidenten Verhältnisse. 74 Zur Verdeutlichung seines eigenen programmatischen Argumentationsweges verwarf Rosenstock die Bezeichnung "lndustrierecht" als a priori zu schwachbrüstig. Entsprechende Publikationen hätten sich nicht durchgesetzt. Tatsächlich verlor der Begriff Industrierecht angesichts des erfolgreicheren "Wrrtschaftsrechts" immer mehr an Bedeutung und kam nach Rosenstock augenscheinlich endgültig außer Gebrauch.75 Die empirisch wahrnehmbaren Verhältnisse stellten sich für Rosenstock als eine endliche, zeitbedingte Erscheinung, als die "Kraftwirtschaft" dar. Das herkömmliche Industrierecht- Rosenstock übertrieb hier die Bedeutung des Begriffs im Kontext der Literatur, in der er kaum noch aufschien - stelle nur noch die rechtlichen Bedingungen der Kraftwirtschaft, nämlich das "Kraftrecht" dar. Das Kraftrecht und die "Kräfteordnung" stütze sich auf die tatsächlichen Größen der Arbeitskraft, der kapitalintensiven industriellen Vorgänge und der zunehmenden Rolle des Einsatzes von Maschinen und Energieträgern. Entgegen der inzwischen gefestigten arbeitsrechtlichen Doktrin hielt Rosenstock fest, daß die vom Arbeitsrecht entwickelten Kategorien gegenüber dem Kraftrecht ihre prägende Kraft einbüßten. Der Betrieb zeige sich als Einheit in der Kräfteordnung. Dies jedoch nicht aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Fiktion als einer gedachten Größe, sondern weil die Anschauung des Betrachters den Betrieb als eine tatsächliche Einheit der verschiedenen vorherrschenden Kräfteverhältnisse wahrnehme. Rosenstock zog auch die Grenze zwischen dem Unternehmer und dem Arbeitnehmer mitten durch den Kreis der leitenden Angestellten und der Vorstandsmitglieder. Auch die Problematik der W111schaftsordnung gewann nach Rosenstock ihre Ausrichtung aus dem Blickwinkel der Kräfteordnung. Die Herrschaft über eine Branche durch Kartelle, die er als ,,Zweigherrschaft"76 bezeichnete, stellte sich als die Herrschaft der wirtschaftlichen Kraft dar, die sich auf die Bereiche des Betriebs wie auch des Unternehmens oder eben eines ganzen Wirtschaftszweigs erstrecken konnte. Die Rolle der juristischen Person wurde nach der Einschätzung Rosenstocks zunehmend ungewiß, ihre Prägekraft als juristischer Begriff habe sie eingebüßt. Im E. Rosenstock, Vom Industrierecht, S. 11. F. Kübler, Wirtschaftsrecht in der Bundesrepublik, S. 366. 76 E. Rosenstock, Vom Industrierecht, S. 29.
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III. Rechtssoziologie im Wutschaftsrecht
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Wandel der Kräfteverhältnisse würden auch die Rechtspersonen im Spiel der Kräfte und Mächte aufgehoben. 77 Die Arbeit Rosenstocks stellt ein groß angelegtes Postulat dar. Rosenstock äußerte sich 1931 in der Festschrift für Ernst Heymann, die wesentliche Beiträge zum Wirtschaftsrecht vereinte, zu verwandten Gegenständen. In seinem Beitrag "Über einige Grundbegriffe des Privatrechts" bekräftigte er seine Auffassung vom Wandel der Rechtsbegriffe unter dem Einfluß geschichtlicher und gesellschaftlicher Ereignisse wie dem Krieg. Neben einigen Äußerungen zu den Begriffen Gemeinwohl und Gesamtwirtschaft machte er seine Variante rechtssoziologischen Denkens und Arbeitens in einem dieturn deutlich: "Die Ehre des Juristen beruht nicht zum wenigsten darauf, daß er mit vergänglichen Begriffen zu arbeiten hat. Zum Unterschied von den Philosophen, strebt der Jurist nach der Bewältigung des geschichtlich Gegenwärtigen, nicht des Idealen und Ewigen." 78
Bis auf einige fast zynisch zu nennende Aufmerksamkeitsgesten etwa Ernst Rudolf Hubers, der Rosenstocks Ansatz des Kraftrechts "interessierend" fand, um ihn anschließend zu ignorieren, fanden Rosenstocks Begriffsprägungen und Gedanken zum Wirtschaftsrecht keine weitere Verbreitung. 79 7. Friedrich Dannstaedter
Friedrich Darmstaedter, Landgerichtsrat und später Privatdozent in Köln, bildete mit seiner Studie "Das Wirtschaftsrecht in seiner soziologischen Struktur" von 1928 den Höhepunkt der rechtssoziologischen Richtung. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist die von ihm geführte Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsrecht die für die Weimarer Zeit konsequenteste. Die Untersuchung stellte sich zunächst durch die Übernahme der Definition des Begriffes "Wirtschaft" als der "Tätigkeit des Menschen zur Befriedigung seiner Bedürfnisse" in den Zusammenhang der Sozialwissenschaften. Darmstaedter berief sich für diese Definition auf den Nationalökonomen Carl Jentsch. 80 Der Nationalökonom Karl Diehl 8 1, der Begründer der sozialen oder sozialrechtlichen Richtung der Nationalökonomie, bezeichnete weiterhin die Nationalökonomie als Teil der Sozialwissenschaften und der Tübinger Staatswissenschaftler Emil Lederer82 prägte Ebenda, S. 102. E. Rosenstock, Über einige Grundbegriffe des Privatrechts, S. 228. Rosenstock verwies an gleicher Stelle auf sein Buch "Vom Industrierecht". 79 E. R. Huber Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 2, Fn. 6. 8 C. Jentsch, Volkswirtschaftslehre, 7. Auflage 1922, S.1; ders., Bürgerliche und menschliche Gesellschaft, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, Bd. 21, 1927, S.83f. 81 K . Diehl, Die Nationalökonomie als Teil der Sozialwissenschaft, S. 320f. 82 E. Lederer, Grundzüge der ökonomischen Theorie, 1922, S.4. 77 78
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
sogar den allgemeinen Satz von der Zugehörigkeit der gesamten ökonomischen Theorie zu den Gesellschaftswissenschaften, der auf Dauer seine Gültigkeit behalten sollte. Für die Arbeit Darmstaedters karm von einer ernsthaften Adaptation sozialwissenschaftlicher Theorien und Denkweisen gesprochen werden, während sich etwa Hedemarm, wie andere Juristen auch, auf seine Intuition verließ und sich nicht auf nennenswerte wirtschaftswissenschaftliche Ansätze berief. Auch bei Goldschmidt in seiner ersten Arbeit im Jenaer Institut für Wrrtschaftsrecht, die die Reihe der sozialwissenschaftliehen Übernahmen in das Wirtschaftsrecht einleitete, breitete sich eher ein selbstgeknüpfter Webteppich aus, auf dem die von ihm so bezeichnete Rechtssoziologie einherschreiten sollte. In der Absicht, seinen eigenen Ansatz zur Ermittlung der soziologischen Struktur des Wirtschaftsrechts zu entwickeln, bewies Darmstaedter zunächst seine sozialwissenschaftliche Standfestigkeit In Auseinandersetzung mit Rudolf Stammler verwarf Darmstaedter ausführlich dessen in der Nationalökonomie allgemein abgelehnte83 Lehre von der "Sozialwirtschaft", indem er an die von Max Weber angeführte Kritik des Standpunktes Stammlers anknüpfte. 84 In der Ablehnung der Anschauungen Stammlers unterschied sich Darmstaedter von anderen Rechtssoziologen, namentlich Hans Goldschmidts, 85 die Stammlers Formel von der Wirtschaft als dem Stoff sozialen Lebens und dem Recht als dessen Form, meist ohne Schlüsse daraus zu ziehen, formelhaft wiedergaben. 86
Am Saume des für nationalökonomische Studien87 üblichen Untersuchungsganges von der Einzelwirtschaft über die Gruppenwirtschaft zur Volkswirtschaft in der ,,kollektivistischen Existenz des Menschen" 88 entlang, untersuchte Darmstaedter sowohl die sozial vermittelte Gefahr der gegenseitigen Beeinträchtigung der Menschen als auch die mögliche Förderung durch Gunsterweis. Das führte Darmstaedter zur Annahme einer antithetischen Struktur des Wrrtschaftsrechts. Darmstaedter beschrieb die von ihm gefundene antithetische Struktur des Wrrtschaftsrechts am Beispiel von ausgewählten Wirtschaftszweigen und widmete ihr auch den besonderen Teil seines "Wirtschaftsrechts". Die Einzelwirtschaft im Gegensatz zur Wirtschaft in einer Gesellschaft war auch für Darmstaedter der Ausgangspunkt zur Beschreibung des Wirtschaftsrechts anband soziologischer KategoA . Voigt, Wirtschaft und Recht, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, N. F. 2. Jg. 1911, S. 3 ff. M. Weber, R. Stammlers Ueberwindung der materialistischen Geschichtsauffassung, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 337 ff. 85 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 1-3. 86 E. Westhoff, System des Wirtschaftsrechts, S.2. 87 Insbes. K. Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, S. 5, 38. 88 E. Huber, Ueber die Realien der Gesetzgebung, Zeitschrift für Rechtsphilosophie, 1914, S. 39 ff. Hier deutet sich ein ideologisch weitgehend unverdächtiger Gebrauch des Wortes Kollektivismus als historischer Quellenbegriff an, der in der Weimarer Zeit in verschiedenen Schattierungen Verwendung fand. 83
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III. Rechtssoziologie im Wirtschaftsrecht
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rien, was er als dessen "soziologische Struktur" kennzeichnete. 89 Er verfolgte das Ziel den dem Wirtschaftsrecht eigenen Schutz - des vereinzelt Wirtschaftenden und der Wirtschaft als funktioneller Einheit- als die differentia specifi.ca des Wirtschaftsrechts zu veranschaulichen. Bei alledem fallt auf, daß sich Darmstaedter nur mit der älteren Nationalökonomie auseinander setzte. Die neuere, eher theoretische Richtung der Nationalökonomie bleibt bei seinen Untersuchungen außer acht. Diese wird insbesondere von Walter Eucken repräsentiert, der auf der entscheidenden Rolle der theoretischen Nationalökonomie als der bestimmenden Größe der Zeit bestanden hatte und ihre Position immer weiter auszubauen verstand. Die theoretische Schule in der Nationalökonomie begann sich von der historischen Orientierung der Volkswirtschaft abzuwenden, und zu einer systemimmanenten Theoriebildung überzugehen, in der rechtliche Faktoren nur Gegenstand, nicht aber historisch gewordener Maßstab und Rahmen der Wirtschaftsmaterie waren. Darmstaedter hing aber dem vermittelnden Ideal der Historischen Schule der Nationalökonomie an. Den Mittelpunkt bildete danach nicht das Recht als Gegenstand isolierter Betrachtung, sondern das Recht und das Wirtschaftsrecht als solches jeweils in Beziehung zu einem gesellschaftlichen Phänomen und der damit verbundenen soziologischen Problemstellung. In Abkehr von Stammler, der das Recht als Form und Wirtschaft als Inhalt der Sozialwirtschaft definierte, waren Wirtschaft und Recht für Darmstaedter antagonisierende Elemente des gesellschaftlichen Lebens. Er folgte damit dem Beispiel einiger Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie, allen voran Diehl und Voigt. Die These Darmstaedters vom Wirtschaftsrecht berücksichtigte zunächst die Bedürfnisse des "vereinzelt Wirtschaftenden", dann die Mehrheit. "Wirtschaftsrecht" sei demnach in seiner Kernfunktion die Abwehr von Störungen für den vereinzelt Wirtschaftenden gegenüber anderen Wirtschaftenden. Die Verbindung der vereinzelt Wirtschaftenden zu anderen, die im Verbund in gemeinsamem Interesse wirtschaften, sei erst das zweitrangige Anliegen des Wirtschaftsrechts. 90 Ohne auf Monopolgegner wie Franz Böhm und einige wenige Nationalökonomen zurückzugreifen, artikulierte Darmstaedter einen kartell-, monopol-und trustfeindlichen Affekt, der vor dem Hintergrund der fortdauernd kartellfreundlichen Jurisprudenz seiner Zeit erstaunen muß. Doch weist schon Darmstaedters Engführung von Nationalökonomie, Soziologie und Recht auf eine an klassischen Marktvorbildern orientierte Ablösung von nur in der Jurisprudenz fortbestehenden Vorstellungen hin. Zudem wählte Darmstaedters Arbeit eine andere Bestimmung des Wirtschaftsrechts als die der rechtssoziologischen Methode verschriebenen Autoren. Darmstaedter versuchte, das Wirtschaftsrecht als Teil des Gesellschaftslebens darzustellen. Das Wirtschaftsrecht nahm demnach eine Stellung zwischen der Wirtschaft, 89 So auch der Titel der Untersuchung von F. Darmstaedter, Das Wirtschaftsrecht in seiner soziologischen Struktur, Berlin-Grunewald 1928. 90 F. Darmstaedter, Das Wirtschaftsrecht, S. 23, 25.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
wie sie die Nationalökonomie als Sozialwissenschaft verstand, und dem Recht als soziologischer Größe ein. Dieser von den Wirtschaftsrechtlern entweder nicht wahrgenommene oder gar von Rechtssoziologen abgelehnte Versuch Darmstaedters, das Wirtschaftsrecht zu definieren, beweist große Eigenständigkeil und markiert ein bedeutendes Stadium der deutschen Rechtssoziologie. Der Versuch überragt in seiner sozialwissenschaftliehen Fundierung jedenfalls die eher intuitive Herangehensweise Hedemanns und die frühen Anläufe Goldschmidts, Nussbaums, Westhoffs und Rumpfs, die auch jeweils genuin rechtssoziologische Definitionen für das Wutschaftsrecht angeboten hatten. Breiten Nachhalls im Wirtschaftsrecht außerhalb der rechtssoziologischen Richtung konnte sich Darmstaedters Arbeit nicht erfreuen. Vor Darmstaedters Publikationsjahr 1928 war das Wutschaftsrecht stark: von der Befassung mit der organisierten Wirtschaft dominiert. Darmstaedter vermochte diese Richtung zwar nicht im Ganzen umzukehren, seine am gesamten Marktgeschehen und an wirtschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtete Theorie gab dennoch der Rechtsdogmatik Anhaltspunkte, um den Blick: auf die Schutzrichtungen des Wutschaftsrechts punktuell maßgeblich zu schärfen. Klausing vermißte drei Jahre später in seinem Überblick über das Wutschaftsrecht das Spezifikum von Dannstaedters Wirtschaftsrechtsbegriff, das diesen Begriff von der allgemeinen soziologischen Frage nach dem Recht, nach dem Menschen "in seiner sozialen Stellung schlechthin" hätte unterscheiden können. 91 8. Heinrich Kronstein
Die Eigengesetzlichkeit des Marktes und das Regelungsbedürfnis für den gesamten Markt, der von der Wirtschaftswissenschaft als Einheit aufgefaßt wurde, stand in anderer Weise bei dem Mannheimer Rechtsanwalt Heinrich Kronstein im Vordergrund. Obwohl sich Kronstein, der bis Anfang 1930 durch eine Assistententätigkeit bei Kar! Geiler mit dessen Wrrken verbunden war,cn. nie explizit auf rechtssoziologische Vorbilder berief, entsprach sein Entwurf des Wutschaftsrechts der rechtssoziologischen Methode. Allein die soziale Wtrklichkeit des Wirtschaftslebens war für seine Auffassung vom Wirtschaftsrecht maßgeblich, in dem die Rechtsformen und -prinzipien nach den wirtschaftlichen Tatsachen gebildet werden sollten. Die Wirtschaft, ihre Organisation in Wirtschaftszweigen und ihre innere Einheit seien nur aus dem Zusammenhang heraus zu verstehen. Die vom Weltkrieg gestiftete Einheit der Wutschaft hatte nach Kronsteins Urteil nur noch historische Bedeutung. Doch war der Staat nur mit seiner Kartellverordnung von 1923 und dort nur repressiv im Wirtschaftsrecht schöpferisch tätig geworden. In seiner Substanz hatte sich das Wutschaftsrecht nach den Worten Kronsteins selbst geformt: "Das Recht als sekundäre Lebenserscheinung macht notwendigerweise die Strukturwandlung der Wirtschaft, wie sogar jede Wirtschaftszuckung 91 92
F. Klausing, Wirtschaftsrecht, 1931, S.52. E. Rehbinder, Heinrich Kronstein, S. 255.
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mit. " 93 Auch wenn Kronstein die Lösung von Rechtsproblemen nur für möglich hielt, wenn der Rechtsanwender ein klares Bild der Lebenswirklichkeit, insbesondere der wirtschaftlichen Wirklichkeit gewonnen habe, so verharrte für ihn das Recht gleichwohl nicht in der Abhängigkeit von diesen Lebenserscheinungen. Mit seiner Auffassung von der historischen Bedeutung der Rechtsinstitute, die dem Sieg der privaten Ordnung mit Hilfe der Institute der staatlichen Ordnung entgegenwirken sollten, näherte sich Kronstein der institutionellen Betrachtungsweise Ludwig Raisers an. Insbesondere in seinem über fast sämtliche Weimarer Jahre hinweg verfolgten Habilitationsprojekt über die Einheitsbehandlung des Konzerns verfolgte er die Strategie der Domestizierung der Macht der Wirtschaftsinteressen durch eine Steigerung des Leistungsvermögens des Rechts vermittels neuer Auslegungsmaximen und des Deliktsrechts. Damit behauptete Kronstein auch eine innovative Position in der Kartelldebatte, innerhalb derer Rudolf Isay und Hans Carl Nipperdey lediglich die Stellung von Dokumentaren der gegenwärtigen Gesetzgebung und Rechtsprechung blieb. 94 Insofern war Kronstein nicht nur ein Vertreter der Rechtstatsachenforschung, sondern auch der Lehre von der Folgenabschätzung, also auch der funktionalen Methode im Recht. 95 Der Gedanke der Einheit der Wirtschaft war bei Kronstein äußerst lebendig. Er wollte die Prinzipien des Wirtschaftsrechts aus dem Zusammenhang mit der Organisation der Gesamtwirtschaft, nicht aus den Bedürfnissen der beteiligten Einzelindividuums verstanden wissen. Die Einheit der Wirtschaftszweige in dem sich die typischen Rechtsgeschäfte, Statuten, Beschlüsse und Usancen durch die Dynamik der Rationalisierung ausprägten, beruhte auf der Organisation der Gesamtwirtschaft Als kleinstes Rechtssubjekt war der Unternehmer in die Gesamtwirtschaft eingeflochten. Auf ihm bauten einflußreiche Verbände auf, deren Grundsätze wie Recht wirkten, nämlich als die ganze Wirtschaftsgruppe umfassende "Gemeinschaft ohne Vertrag". 96 Kronstein stellte das Wirtschaftsrecht, vergleichbar der Nationalökonomie, als eine Querschnittsdisziplin von Normendisziplin und der rechtstatsächlich-soziologischen Erkenntniswissenschaft dar. Wenn auch seine Nähe zur Rechtstatsachenkunde unleugbar war, warnte Kronstein davor, in der Theorie des Wirtschaftsrechts die Bedeutung der Rechtstatsachenkunde auf dem Boden der Soziologie nicht überwertig werden zu lassen. Die vollständige Identifikation des Wirtschaftsrechts mit der rechtssoziologischen Methode, wie sie namentlich Rumpf und Geiler vertraten, lehnte Kronstein ab. Im Gegensatz zur Volkswirtschaftslehre "sieht der Wirtschaftsrechtier das Gebiet der Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung und der Entwicklung der Organisation und ihrer rechtlichen Regelung an." 97 93 H. Kronstein, Wirtschaftsrecht - Rechtsdisziplin und Zweig der Rechtstatsachenkunde, Justiz 1927/1928, S.215-225, S.217. 94 R . I say, H . C. Nipperdey, Die Reform des Kartellrechts, Zwei Referate, Berlin 1929, passim. 95 E. Rehbinder, Heinrich Kronstein, S. 260. 96 H. Kronstein, Wirtschaftsrecht, S. 220. 91 Ebenda, S. 223.
II Zacher
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
9. Karl Geiler
Anknüpfend an seine früheren Arbeiten beobachtete Karl Geiler in seinem Beitrag zur Festschrift für Ernst Heymann von 1931 in einem eigenständigen, rechtssoziologisch geprägten Beitrag, wie das ganze Recht in einer Entindividualisierung begriffen sei. Auf diese Weise würde das frühere Individualrecht "in zunehmendem Maße zu einem Sozialrecht". 98 Ein Jahr später vertiefte er diese Bewertung in einer rechtsdogmatischen Untersuchung der Generalklauseln des in den Bereich der Wirtschaft hineinwirkenden Privatrechts, das er generell als "Wutschaftsrecht" bezeichnete. 99 Insbesondere die Ablehnung des Neukantianismus Kelsenscher Prägung 100 und die Zunahme des funktionalen, dynamischen und weniger rationalen Moments im Recht bildeten für Geiler Kriterien für eine fortschreitende Entrationalisierung des Rechtslebens. Die Rechtssoziologie und die Rechtstatsachenforschung erfüllten das Recht wieder mit größerer Wrrklichkeitsnähe und größerer "Lebensbetontheit", wie Geiler durchaus sympathisierend neuere Entwicklungen bewertete. Er berief sich auf Max Webers Sozialökonomik, als er feststellte, daß die Dogmatik irrationalen Kriterien folgte, wenn sie aufgrund der angenommenen Lückenhaftigkeit des Rechts eben aus seinem Wesen ,,richtiges Recht" zu gewinnen suchte. 101 Dabei stellte Geiler einen allgemeinen Zug seiner Zeit fest, die eine weniger pathetisch wertende, echtere und wahrere Betrachtungsweise des Rechts und der Rechtsprechung dem illusionären Streben nach einem Gerechtigkeitsideal vorziehe, dem die vorrevolutionäre Zeit allfällig gehuldigt habe. Als weitere Rechtswandlungen in Richtung auf eine Entrationalisierung zugunsten der gesellschaftlichen Lebenswelt verbanden sich für Geiler mit der rechtssoziologischen Betrachtungsweise eine Entformalisierung und Entgrenzung. Der Übergangscharakter der Zeit äußerte sich für ihn gerade im Wutschaftsrecht Wie im Gegenwartsleben und in der Gegenwartswirtschaft, so stießen seiner Meinung nach auch im Gegenwartsrecht verschiedene Gestaltungsprinzipien, individualwirtschaftliche und überindividualistische, demnach sozialwirtschaftliche und sozialrechtliche Bestandteile des Wutschaftslebens und des entsprechenden Rechts aufK. Geiler, Modeme Rechtswandlungen auf dem Gebiete des Privatrechts, 1931, S. 176. K. Geiler, Die Konkretisierung des Rechtsgebots der Guten Sitten im modernen Wutschaftsrecht, in: Deutscher Anwaltsverein u. a. (Hrsg.) , Festschrift für Albert Pinner zum 75. Geburtstag, Berlin 1932, S. 254-279. 100 Es bestanden noch in der Weimarer Zeit mehrere Richtungen, die sich auf Kant beriefen. Der Wiener, Heidelberger und der Marburger Kantianismus traten besonders hervor. Siehe C. Müller, Die Rechtsphilosophie des Marburger Neukantianismus, 1994. 101 K. Geiler, Modeme Rechtswandlungen, S.l96f. Die Webersehe Deutung der beobachtbaren Verläufe in der Rechtsdogmatik findet sich bei M . Weber, Grundriß der Sozialökonomik III, S. 503ff. Zur Rolle Max Webers R. Zippelius, Rechts- und Staatssoziologie, S. 9-11; P. Rossi, Die Rationalisierung des Rechts und ihre Beziehung zur Wirtschaft, in: M. Rehbinder, K.-P. Tieck, Max Weber als Rechtssoziologe, S. 37-54, insbes. 44- 54. 98 99
III. Rechtssoziologie im Wntschaftsrecht
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einander. 102 Der durch die Zoll-, Monopol- und Kartellpolitik, durch Preis- und Lohnpolitik staatlich manipulierte Zustand der Wutschaft war nach Geiler nichts anderes als das Spiegelbild der Entwicklung zum Monopolkapitalismus, der an die Stelle der früheren Marktfreiheit und Konkurrenz getreten war. Die zunehmende Internationalisierung unter gleichzeitiger Betonung auch der internationalen Organisationen des Wutschaftsrechtes verstärkten das Moment des Zusammenspiels, der Konvergenz von Wirtschaft und wirtschaftlicher Gesetzgebung. 103 Die Rechtssoziologie Geilers hat keine stark programmatischen Züge. Sie beschränkte sich darauf, die Phänomene festzustellen: So standen die beiden wirtschaftlichen Gestaltungsprinzipien, Marktfreiheit und Verflechtung einander gegenüber und verschafften sich auch in der Rechtswelt ihre Geltung. Der Rechtsbegriff hatte dadurch auch seine Einheitlichkeit verloren. Zwar lehnte Geiler die reine Rechtslehre im Sinne Hans Kelsens ab, weil die Geltung jedweder Rechtsnorm aufgrund ihrer Positivität dazu führen würde, daß die Rechtsidee ganz in der Staatsidee aufgehen würde. Die Folge wäre ein freiheitsberaubender Positivismus, unabhängig davon, ob er sich mit der ,,Rechtsidee", sprich dem Rechtsgefühl, vereinbaren lasse. Kritisch stand Geiler andererseits ebenso dem Vorschlag des Rechtsanwalts am Kammergericht und Berliner Honorarprofessors Hermann Isay von einer Rechtsfindung durch das an Normen geschulte und dennoch individuelle Rechtsgefühl des Richters gegenüber, weil er als anderes Extrem die staatliche Norm allzu sehr depossediere. Denn der Rechtsbegriff sollte sich einheitlich auf die so gefundenen Entscheidungen beschränken. Beide Auffassungen bewertete Geiler nicht als gefährlich, weil .,der Rechtsbegriff" dadurch zwar nicht seine Einheitlichkeit eingebüßt habe, indem sich die ,,Rechtsidee" doch immer wieder durchzusetzen vermochte, doch würden die Tendenzen eine Diffusion des Rechtsbegriffs umschreiben. Gegenüber diesen beiden Anschauungen wollte Geiler den Mittelweg zwischen der Gemeinschafts- und der Individualschau beschreiten. Die lebendige Ordnungsfunktion des Rechts, die auf dessen Anerkennung und Integrationswirkung beruhe, wollte er als Wesenskern des Rechtsbegriffs verstanden wissen. Mit der Auffassung, daß so nicht das Rechtsgefühl des Richters, sondern, insbesondere bei den entwicklungsoffenen Generalklauseln die .,Überzeugung der Rechtsgenossen"104 entscheidend sei, hatte der Rechtsentwurf Geilers seine Originalität eingebüßt. Er unterschied sich in der Theorie nicht vom hergebrachten Richterbild. Daß er die Abstraktheit des Rechts aufgriff und sie, wenn auch nur bruchstückhaft, ins Gesellschaftlich-Konkrete führte, zeugte eher wieder von einem soziologischen Einfluß auf das Rechtsdenken Geilers. Die Gemeinschaft, auf die sich das Urteil des Rechtsgenossen bezog, konnte eine engere Gemeinschaft, die nationale Gesellschaft oder die Völkergemeinschaft sein. Bis auf die so gewonnene vage Differenzierung blieb Geiler bei einem Rechtsbegriff, der in weiten Teilen mit dem der K . Geiler: Moderne Rechtswandlungen, S.l99f. Ebenda, S.203. 104 K. Geiler, Moderne Rechtswandlungen, S. 209. 102 103
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
Integrationslehre Rudolf Smends identisch war. Geiler sprach sie nicht explizit an, doch liegt eine so weitgehende strukturelle Ähnlichkeit mit dieser der geisteswissenschaftlichen Richtung der Staatsrechtslehre entwachsenen Lehre vor, die es rechtfertigt, sie als Vergleichsmuster heranzuziehen, oder gar die Auffassung Geilers mit der Integrationslehre gleichzusetzen. Aus der von ihm postulierten Differenz zwischen der reinen Rechtslehre und der Auffassung Isays zog Geiler ohnehin keine weiteren Konsequenzen. Denn die auf der Entscheidung als ordnendes Prinzip fußende Position Isays diente als eklektische Außenseiterposition eher dazu, die Integrationslehre rhetorisch zu untermauern. Ein theoretischer Gegensatz bestand zwischen der reinen Rechtslehre und der Entscheidungsnormlehre Isays weniger, als von diesen beiden zur lntegrationslehre: Beide Lehren waren normgestützt, bereinigten den Rechtsbegriff, während der Integrationslehre das Zweckmoment zugrunde liegt, das Recht und Wirklichkeit verzahnt. 105 Geiler war demzufolge der rechtssoziologischen Richtung und insbesondere der Rechtstatsachenforschung gegenüber offen. Er stand der, immerhin von der Sozialwissenschaft 106 inspirierten, Normlehre Rudolf Smends nahe. Diese näherte die Gesellschaft dem Staat an, nicht aber das Recht dem Befund von den gesellschaftlichen Tatsachen, so wie die Vertreter der rechtssoziologischen Richtung es taten. Geiler blieb hier moderat zurückhaltend. Er nahm in seiner Offenheit für neue rechtssoziologisch gefärbte Gedanken der Zeit lediglich eine Mittlerposition ein. Die Sätze Geilers zum Rechtsbegriff, besonders in der Auseinandersetzung mit Hermann lsay, griffen Elemente der geisteswissenschaftlichen Richtung in der Staats- und Verwaltungsrechtslehre auf, die sich in verdünnter Form in der gesamten privatrechtliehen Literatur verbreitet hatten. Diese Verbreitung läßt sich als ein Indiz für die Verunsicherung des Privatrechts über den eigenen Stellenwert im Gefüge der Rechtsdisziplinen deuten. Neue Fundierungen des Privatrechts finden sich kaum dokumentiert, dagegen um so häufiger Erosionsprozesse. 10. Ernst Rudolf Huber Ernst Rudolf Huber schließlich verfolgte einen nur latent rechtssoziologischen Ansatz. Das rührt von der von ihm favorisierten Anschauungsweise innerhalb der geisteswissenschaftlichen Richtung im Methodenstreit der Staatsrechtslehre her. Er leugnete in seinem Buch "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" von 1932 zwar konstant einen rechtssoziologischen Einfluß auf seine Arbeit und stellte sich zugleich außerhalb 105 Zum Einfluß der Integrationslehre Rudolf Smends S. Korioth, Integration und Bundesstaat. Ein Beitrag zur Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends, S. 97-135; K. Rennert, Die "geisteswissenschaftliche Richtung" in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik, S. 302ff; ferner J. Meinck, Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, S. 143. A. Frhr. v. Campenhausen, Rudolf Smend (1882-1975) Integration in zerrissener Zeit, in: F. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, S.510-527. 106 Zum Einfluß von Theodor Litt, Nicolai Hartmann und der Dilthey-Schule auf Rudolf Smend K. Rennert, S. 215-230. Th. Litt, Individuum und Gemeinschaft, S. 317.
IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie
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des Methodenstreits. Um so mehr berief er sich auf die "zugrundeliegenden Funktionszusammenhänge und Wirkungsweisen", welche die Rechtsformen und Institutionen mit konstituierten. 107 Damit erreichte er eine Vermengung von Voraussetzung und Rechtsfolge der Norm mit der Norm selbst, wie sie für die autoritärstaatlich orientierten Juristen am Ende der Weimarer Republik vornehmlich im Staatsrecht typisch geworden war. Das so angesprochene institutionelle Rechtsdenken bildete bei Huber eine Mixtur aus einer eigenständigen Aufarbeitung der mit rechtssoziologischen Vorstellungen verwandten antipositivistischen Freirechtsschule und eigener neuhegelianischer Ansätze. Huber transplantierte diese Vorstellungen von unumgänglichen Realitäten und dem Diktat des Sachzusammenhangs in das Verwaltungsrecht. Ein Sozialrecht zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht verwarf Huber vehement. Wenn auch die Konturen der rechtssoziologischen Richtung mit dem Wirtschaftsrecht nicht volle Kongruenz aufweisen, so haben die Rechtstatsachenforschung, die Rechtssoziologie und die Wirtschaftswissenschaft mit den Topoi des Marktes, der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft und der wissenschaftlichen Empirie als solcher sich in der wirtschaftsrechtlichen Literatur breiten Raum verschafft. Die Rechtssoziologen nahmen einander als solche wahr, setzten sich im wirtschaftsrechtlichen Forum auseinander, bildeten untereinander ein Verweisungskartell und formierten sich so als von außen wahrnehmbare Gruppe. Nicht nur weil der Beitrag von Nussbaum und Darmstaedter, die personell die Rechtssoziologie vertraten, besonders hoch einzustufen ist, sondern weil in der Wirtschaft ein für die Rechtssoziologie bedeutsames Potential lag, ist die Entwicklung der Rechtssoziologie mit dem Wirtschaftsrecht verwoben. Beide hatten sich in der Weimarer Republik in enger Verflechtung stark zu entfalten vermocht. Die soziologische Richtung im Recht fand aber nie wirklich direkte Wege zur generell staatlich sanktionierten Juristenpraxis, sondern mußte Umwege wie den über das WJrtschaftsrecht als wissenschaftliche Disziplin nehmen.
IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie: Der Einfluß Rudolf Stammlers auf das Wirtschaftsrecht Rudolf Stammler hatte die Rechtsphilosophie zur einer Trägerio des Gedankens von der Verbindung von Recht und Wirtschaft gemacht und damit eine Brücke zur gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise in der Nationalökonomie und zum Konzept der Verrechtlichung der Volkswirtschaft geschlagen. Die Frage nach einer rechtsphilosophischen Begründung der Rechtsdisziplin des Wirtschaftsrechts ließ er zwar offen. Doch aus der Bewegung heraus, die unter Führung von JosefKohlerund Fritz Berolzheimer zur Gründung des Archivs für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie ge107 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht S.218f. Siehe dazu unten 8. Kapitel: Wirtschaftsverwaltungsrecht.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
führt hatte, übernahm Stammler die Rolle des Vermittlers des gesamtwirtschaftlichen Ansatzes zur Rechtswissenschaft und insbesondere zum Wirtschaftsrecht 108
Stammler galt als der meistbesprochene und meistumstrittene Rechtsphilosoph der deutschen Rechtsphilosophie seiner Zeit. Er war ein Vertreter der neukantischen Philosophie im Umfeld des Marburger Neukantianismus mit seinen Exponenten Hermann Cohen und Paul Natorp, während Gustav Radbruch innerhalb der Rechtsphilosophie Positionen des südwestdeutschen Neukantianismus vertrat. Stammlers axiomatische Aussagen bildeten häufiger als alle anderen Ansätze die philosophische Grundlage in wirtschaftsrechtlichen Zusammenhängen. Der immer wieder herangezogene Fundamentalsatz Stammlers besagte, daß das Recht die Form der Wirtschaft als dem Inhalt des sozialen Lebens in Gestalt der "Sozialwirtschaft" sei. Dieser auf der Grundlage der Metaphysik der Sitten Kants entwickelte Gedanke war heftig umstritten, zumal die Mehrzahl der Nationalökonomen in intensiver Auseinandersetzung mit Stammlers Lehre dessen Begriffsbildung von der "Sozialwirtschaft" verwarf. Viele Bezugnahmen durch die Rechtswissenschaft sicherten ihm eine gewisse Dauerhaftigkeit, wenngleich Friedrich Klausing 1931 eine lediglich rein formale Beziehung des Wirtschaftsrechts zu Stammlers Lehren feststellte, die nie wirklich inhaltliche Übereinstimmung mit sich gebracht habe. Wären die Juristen, die sich auf Stammler beriefen, in der Tat konsequent vorgegangen, dann hätten sie das Wirtschaftsrecht von den Grundbedingungen der Wirtschaft, der Wirtschaftstheorie, der Wirtschaftsethik und dem ganzen wirtschaftswissenschaftlichen Denken her erforschen müssen. Ein solchermaßen verfolgter Ansatz in der Nachfolge Stammlers hat sich aber im Wirtschaftsrecht zu keiner Zeit Gehör verschaffen können. Stammler selbst hatte sich nach der in seinem 1986 zuerst erschienenen Hauptwerk "Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung" geschaffenen Synthese der Lehren Kants mit den normativ-politischen Postulaten des Sozialismus bereits der philosophischen Grundlegung der gesamten Rechtswissenschaften zugewandt. Mit der Wiederbelebung des kritischen Denkens Kants verband Stammler eine wissenschaftliche Prägung durch die aus der Nationalökonomie hervorgegangene sozialrechtliche Richtung. Die nationalökonomische historische Schule hatte sich der "sozialen Frage" als einem Teilaspekt der Grundfrage des 19. Jahrhunderts vom Kräftespiel zwischen Eigentum und Arbeit gewidmet. Mit dem Konzept der Verrechtlichung der Volkswirtschaft wollte man durch die Positivierung und damit Bindung des Eigentums dem drohenden Auseinanderfall der Gesellschaft begegnen. Stammler war von diesem auf eine Wirtschaftsordnung gerichteten Programm beeindruckt, entwickelte daraus jedoch einen eigenständigen logischen und erkenntnistheoretischen Zusammenhang von Wirtschaft und Recht. Stammler trat damit für die Wirtschaftsrechtswissenschaft als Verrnittler der Lehren namentlich Adolph Wagners auf. 109 Die 108
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K. W. Nörr, Wirtschaftsverfassung, S.430f. K. W. Nörr, Wirtschaftsverfassung, S. 430f. C. Müller, S. 63 ff.
IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie
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Herkunft des Gedankens von der konzeptionellen Verbindung von Wirtschaft und Recht war durch Stammlers Verwendung des neuartigen Begriffsinstrumentariums der "Sozialwirtschaft", dem Inhalt des Rechts als formalem Element, nun nicht mehr eindeutig auf die Nationalökonomie zurückzuführen. Für die rechtshistorische Rekonstruktion vermag dieser Bezug jedoch die Akzeptanz Stammlers in der Wirtschaftsrechtswissenschaft zu erklären. Im Schrifttum zum Wirtschaftsrecht hatte Hans Goldschmidt in seiner Abhandlung "Eigentum und Eigentumsteilrechte" von 1921 nach dem Krieg als Erster auf die Lehre Stammlers Bezug genommen. Goldschmidt hatte Stammlers Auffassung von der Bedeutung des Wirtschaftsrechts auf die Form-Inhalt-Beziehung von Wirtschaft und Recht zum Leitbild seiner wirtschaftsrechtlichen Arbeiten gemacht. 110 Kein anderer Autor des Wirtschaftsrechts hatte zu einer derart intensiven Identifikation mit Stammler gefunden. Zur gleichen Zeit hatte sich aber andererseits Stammlers bedeutendster Kritiker unter den Juristen, der Öffentlichrechtier Erich Kaufmann gegen Stammlers These von der logisch-erkenntnismäßigen Einheit von Recht und Wirtschaft gewandt. Kaufmann hatte 1921 mit seiner "Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie" den neuen Aufstieg des Naturrechts markiert, indem er der gesamten neukantischen Richtung der Rechtsphilosophie vorwarf, sie deute "abstrakte, unsinnliche, inhaltsleere, rationale ,Reinheit'" zu "metaphysischer und übersinnlicher Reinheit" um. "Aushöhlung und Entleerung alles Lebendigen" sei "das letzte Wort". 111 Ernst Heymann faßte fünf Jahre später die Stammler-Rezeption im wirtschaftsrechtlichen Kontext zusammen. Er entwickelte in seinem Festschriftbeitrag für Rudolf Stammler von 1926 eine Reihe von Gedanken zum Verhältnis von ,,Recht und Wirtschaft in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Juristen, Nationalökonomen und Techniker". Vordergründig ging es um die Frage der juristischen Ausbildung, einem ständig schwelenden Herd, an dem sich die Gemüter in der Nachfolge der Diskussion um die "Weltfremdheit des Richters" immer wieder erhitzten. Heymann war hier ein gefragter Gutachter. 112 Heymann knüpfte eigene Erwägungen zum Verhältnis von Wirtschaft und Recht und zum Wirtschaftsrecht an die Problematik der Lehre an. Der Jurist brauche in seiner Ausbildung einen "Überblick sowohl in der Volkswirtschaft als auch in der BeH . Goldschmidt, Eigentum, S. 8. E. Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, S. 100. E. Heymann, Recht und Wirtschaft in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Juristen, Nationalökonomen und Techniker, S. 211. 112 E. Heymann, Die juristische Studienreform, Schmollers Jahrbuch 1922, S. 109, siehe dort den einleitenden Vermerk Heymanns. Zur juristischen Studienreform siehe die Aufsätze von E. Zitelmann, Eine Schicksalsstunde der juristischen Fakultäten, DJZ 1912, Sp. 1428 ff.; ders., Die Vorbildung der Volkswirte und Juristen, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 305-311; hierzu K. W. Nörr, Rechtsbegriff und Juristenausbildung, S. 217-226. 110 111
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
triebswissenschaftslehre". 113 Zu volks-und privatwirtschaftliehen Grundlagen sollten zudem praktisch relevante technische Kenntnisse treten. Vier Jahre zuvor hatte Heymann die wirtschaftlich-sozialen Grundlagen noch in die Nationalökonomie verwiesen. 114 Nunmehr meinte Heymann, die Nationalökonomen bräuchten hingegen ihrerseits praktische juristische Kenntnisse. Die Verschmelzung beider Materien in einem Ausbildungsgang folge nach alledem aber nicht als notwendiges Postulat aus dem Verhältnis von Wirtschaft und Recht. 115 Entsprechend den Reformbestrebungen zur Juristenausbildung seit dem Kaiserreich lag das Schwergewicht von Heymanns zwar nicht substantiell, aber doch der Färbung nach, interdisziplinärem Beitrag, in dem gedachten Verhältnis des Rechts zur Wirtschaft. Heymann setzte sich im wesentlichen mit den Lehren Rudolf Stammlers in dessen "Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung" auseinander. Wenn Heymanns Beitrag einen Kristallisationspunkt der Befassung mit Stammler und zugleich eine Zusammenfassung der Wirkung von Stammlers Rechtsphilosophie auf das Wirtschaftsrecht bildete, so bot er im Hinblick auf die wirtschaftswissenschaftliche Dimension von Stammlers Ansatz nur eine Annäherung. Die Wirkung Stammlers auf die rechtswissenschaftliche und die nationalökonomische Doktrin ist nicht von der Hand zu weisen, was auch Heymann wiederholt belegte. Entgegen Goldschmidt 116 sprach Heymann nicht von der ablehnenden Haltung der Nationalökonomie, da er das Werk des großen Rechtsphilosophen in dessen Festschrift offenbar nicht schmälern wollte. Er verwies auf die eindringlichen volkswirtschaftlichen Erörterungen des mit der sozialrechtlichen Richtung in der Nationalökonomie verbundenen Karl Diehl 117, weiter aber auch auf die Nationalökonomen der historischen Schule, Max Weber, Gustav v. Schmoller und Wemer Sombart, die sich auf Stammler bezogen hatten, und bemerkte, daß auch die restliche nationalökonomische Literatur zu ihm Stellung nehmen mußte, ohne zu erwähnen, daß Max Weber Stammlers Anschauungen verworfen hatte. Bei den Juristen beobachtete Heymann die Wirkung vom Gedanken Stammlers von der Einheit von Recht und Wirtschaft in Untersuchungen, die zwar an der praktischen Einzelausführung orientiert waren, aber doch eine entweder rechtstatsächliche, soziologische oder wirtschaftliche Untersuchungsrichtung einschlugen, wie zum Beispiel "Das neue deutsche Wirtschaftsrecht" von Arthur Nussbaum. Heymann räumte Stammlers Gegner Brich Kaufmann ein, daß rechtsfreie Wirtschaftsgebiete und Gebiete des Rechts, die von der Wirtschaft nicht ausgefüllt werden, bestünden. Das Ergebnis sei aber kein Recht-Macht-Dualismus, in dem die Wirtschaft uJ E. Heymann, Recht und Wirtschaft, S. 224 sprach wohl nur an dieser Stelle von "Betriebswissenschaftslehre". 114 E. Heymann, Die juristische Studienreforrn, S.l43. us E. Heymann, Recht und Wirtschaft, S. 226-228. ll 6 H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S.6f. 117 K . Diehl, Theoretische Nationalökonomie, Band I. S. 36 f.
IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie
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die tatsächlichen Machtverhältnisse darstellte, sondern nur ein "der Idee nach" anzustrebender Macht-Recht-Monismus. Indem er sich selbst kritisch mit Stammler befaßte, kennzeichnete Heymann den wesentlichsten Unterschied von Wirtschaft und Recht in der Positivität des Rechts. Heymann definierte sie als Ausdruck der Anschauungen der Juristen, deren Verständnismodelle und Arbeitsweisen von ihr geprägt seien. Er hob die im Recht besonders stark entwickelte abstrakte Begriffsbildung hervor. Sie habe sich in der Begriffsjurisprudenz im höchsten Maße entfaltet und sei in der Nachfolge Rudolfvon Iherings von der Freirechtsschule bekämpft worden. Dem Rechtsverständnis nach formal und aus dem Gedanken der Form als der Hüterio der richterlichen Freiheit hervorgegangen, hätte die Begriffsjurisprudenz stabilisierende Wirkung gehabt. Andererseits paßte sich die Freirechtsschule nach Heymanns Urteil "der wirtschaftlichen Macht" gegenüber an. 118 Insoweit zeigte sich Heymanns Prägung durch seine eigene juristische Ausbildung unter der Vorherrschaft rechtspositivistischer Anschauungen. Als weiteren Unterschied des Rechts zur Wrrtschaft hob Heymann die Einwirkung des Gerechtigkeitsprinzips als einer Seite der Idee des Guten auf das Recht hervor, das sich im Gleichheitssatz des antiken "suum cuique" artikuliert hatte. Jedoch könne das Recht aufgrund seiner Generalisierung im Einzelfall unsittlich sein. Wie Kant betonte, muß sich Moralität nicht mit Legalität decken. Daß auch Platon um dieses Unverhältnis "schon wußte" 119 fügte Heymann unter Verweis auf die ein Jahr zuvor erschienene ,,Philosophie des Rechts" des Neuhegelianers unter den Rechtsphilosophen, Julius Binder, hinzu. Auch Hermann Kantorowicz hatte diese Diskrepanz in kritischer Absicht und zur Untermauerung des freirechtlichen Gedankens hervorgehoben. 120 Dagegen war nach Heymann die Sittlichkeit der Wirtschaft generell auf einen Konkurrenzkampf reduziert: Das Recht, schrieb Heymann, konnte die Fragen von Produktion und Preiskampf, die die Wirtschaft konstituierten, nicht erschöpfend regeln. Auch wenn Stammler aussprach, daß es keinen sozialwirtschaftlichen Begriff gebe, der sich nicht auf rechtliche Begriffe als seine logisch bedingenden Elemente zurückführen ließe, so mußte es nach Heymann genügen, wenn etwa die rechtsfreie Preisbemessung ihre Möglichkeit aus den Kaufregeln herleitete. 121 E. Heymann, Recht und Wirtschaft, S. 214f. So wörtlichE. Heymann, Recht und Wirtschaft, S.216. 120 H. Kantorowicz, Vorgeschichte der Freirechtsschule, S. 7. Zu Hermann Kantorowicz M. Fromme/, Hermann Ulrich Kantorowicz (1877- 1940). Ein Rechtstheoretiker zwischen allen Stühlen in: H . Heinrichs, H. Franzki, K. Schmalz, M. Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, S. 631- 641. Zu Binder: R . Dreier, Julius Binder ( 1870- 1939) ein Rechtsphilosoph zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: F. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, S. 435-455, insbes. S.436 m. w. N. zum italienischen und zum holländischen Neuhegelianismus: ,,Binder galt und gilt als Begründer und Hauptrepräsentant des (deutschsprachigen) Neuhegelianismus in diesem Jahrhundert"; fernerE. Jakob, Grundzüge der Rechtsphilosophie Julius Binders, 1996. Der bedeutendste Schüler des Göttinger Ordinarius Binder war Kar/ Larenz, vgl. /. Binder, M . Busse, K. Larenz: Einführung in Hegels Rechtsphilosophie, 1931. 12 1 E. Heymann, Recht und Wirtschaft, S. 220-222. 118
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
In dieser ganzen Reihe von Charakteristika wich Heymann von der Auffassung Stammlers vom Recht als der Form der Wirtschaft ab. Heymanns einleitende Ergebenheitsadressen an Stammler verloren ihre Substanz. Heymann wies im Gegenzug die spezifischen Unterschiede der Begriffe von Recht und Wirtschaft nach. Im Ergebnis rückte also auch er von der Position Stammlers ab. Das Wirtschaftsrecht als Fach finde, so Heymann, durch die Unterscheidung zwischen Recht und Wirtschaft wieder seine Legitimation, die ihm Stammler genommen habe. Wäre es zur Zeit der größten wissenschaftlichen Anerkennung von Stammlers Arbeiten, also vor dem Ersten Weltkrieg, um die Ausprägung eines Wirtschaftsrechts gegangen, so hätte es sich wohl selbst erübrigt, da nach Stammlers Lehre alles die Wirtschaft logisch Bedingende nur Inhalt des Rechts als bloßer Form wäre. Aus der Sicht der Rechtsphilosophie hatte ein Fach "Wirtschaftsrecht" zu diesem Zeitpunkt kaum eine Entfaltungsmöglichkeit Ohne dies explizit auszusprechen, wollte Heymann dem Wirtschaftsrecht, zumindest gegenüber den Ansichten Stammlers, die trotz aller Anfeindungen durch die Nationalökonomie in der Rechtswissenschaft Beachtung fanden, 122 mit der axiomatischen Unterscheidung von Wirtschaft und Recht seine Legitimation zurückgeben. Heymann hatte bei seiner wissenschaftlichen Befassung mit dem Wirtschaftsrecht stets das Verhältnis von Wirtschaft und Recht und das Vordringen wirtschaftlicher Macht in gleicher Weise überprüft. 123 Aus der prinzipiellen Unterscheidung von Wirtschaft und Recht zog Heymann praktische Konsequenzen: Für Rechtslehre und Rechtswissenschaft mußten die wirtschaftlichen Grundlagen der einzelnen Rechtssätze festgestellt und im Einklang mit der Wirtschaft gehalten werden. Formalismus und Begriffsjurisprudenz würden infolgedessen durch die Ausgestaltung des Rechts nach Treu und Glauben zurückgedrängt. Die Praxis überwinde in der Kautelarjurisprudenz die Diskrepanzen zwischen Recht und Wirtschaft durch die "atypische Verwendung" (Max Rumpf) von Rechtsinstituten. 124 In verbliebener Nähe zur Position Stammlers nahm Heymann gleichwohl eine Engführung von Recht und Wirtschaft vor, auch wenn er in der Sache nur auf den Wortlaut, nicht aber konsequent auf den Gehalt der Formel Stammlers zurückgriff. Mit dem Postulat, daß das Recht als Wirtschaftsform gelehrt werden müsse, blieb er in rhetorischer Nähe zu Stammler. Er folgerte daraus, die Klarstellung der wirtschaftlichen Bedürfnisse, denen die betreffenden Rechtsnormen dienten, würde in den Zusammenhang der einzelnen Rechtsdisziplinen gehören. Insoweit sei alles Recht Wirtschaftsrecht Ein spezifischer Wirtschaftsrechtsbegriff sei aus systematisch-juristischen Gründen dann zu bilden, sobald bestimmte Materien wie etwa das Handels-, das Gewerbe- und das Landwirtschaftsrecht unter ihren besonderen wirt122 Die vierte Auflage von Stammlers "Wirtschaft und Recht" erschien 1921. Stammler hatte, obwohl zu dieser Zeit erst 65 Jahre alt, den Zenit seiner Bedeutung wegen der allgemeinen Ablehnung seiner Lehren in der Nationalökonomie bereits überschritten. 123 E. Heymann, Rechtsformen, S. 6, 8. 124 E. Heymann, Recht und Wirtschaft, S.223.
IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie
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schaftliehen Gesichtspunkten ausgeschieden worden seien. Heymann verließ im Ergebnis das Abstraktionsniveau, das er sich in Nachfolge Stammlers auferlegt hatte und begab sich auf die Ebene der Diskussion, wie sie in der Rechtswissenschaft zum Wirtschaftsrecht als wissenschaftlicher Disziplin vorherrschte und die sich im wesentlichen nicht an Stammler orientierte. 125 Eine auf die Begründung eines neuen Verhältnisses von Recht und Wirtschaft abzielende rechtsphilosophische Richtung außer derjenigen Stammlers konnte sich zumindest nicht durchsetzen. Gleichwohl war das Wirtschaftsrecht bei anderen Autoren als bei denjenigen, die sich direkt auf Stammler beriefen, im Sinne der Tradition des deutschen Idealismus in der Regel als ein Gegensatz von staatlichem Recht und gesellschaftlicher Wirtschaft begriffen und fundiert worden. Das Verhältnis fand entgegen Stammler seinen Raum im Gegenüberzweier sozialer Seinsweisen und wurde nicht durch die formale Verknüpfung kategorial verschiedener Bestimmungsgrößen der Sozialwirtschaft aufgrund ihrer materialen Identität gegenstandslos. Stammler hatte neben den Neuhegelianern oder den Naturrechtlern wie Kaufmann auch Gegner im wirtschaftsrechtlichen Schrifttum. Eine distanzierte und kritische Auseinandersetzung mit Stammler führten auf verschiedene Weise Emil Westhoff und Friedrich Darmstaedter. Emil Westhoff trug deutliche Kritik an den Lehren Stammlers vor, die er als wirklichkeitsfern beschrieb. 126 Noch prononcierter argumentierte Friedrich Darmstaedter 1929 in seinem "Wirtschaftsrecht" gegen Rudolf Stammlers Grundannahmen, wobei er, der Schüler Gustav Radbruchs, auf dem Boden der Sozialwissenschaften Standfestigkeit bewies. 127 Gleichwohl konnte Darmstaedter sich mit seinen Vorschlägen für die rechtsphilosophische Fundierung des Wirtschaftsrechts nicht durchsetzen, es blieb bei der Opposition zu Stammler. Mit seinem Begriff der "Sozialwirtschaft" hatte Stammler eine Absetzbewegung von der Nationalökonomie vollzogen. Begriffslogischen Erfordernissen entsprechend, hatte er nach der seinen Begriff legitimierenden nächsthöheren Gattung und dem artbildenden Unterschied für seinen neuen Begriff gesucht. Für die materialen Größen des "Sozialen" und der "Wirtschaft" ging Stammler von der übergeordneten Kategorie der Sozialwirtschaft aus. Da die politische Ökonomie in ihrer wissenschaftlichen Eigenart ein Zweig der sozialen Wirtschaft sei, 128 könne Ausgangspunkt aller nationalökonomischen Untersuchung nicht die menschliche Wirtschaft "in abstracto", sondern nur die "soziale Wirtschaft" sein. Im Gegensatz 125 Ebenda, S. 224. Die Ausführungen zu Kaskel bezogen sich auf dessen kurz zuvor erschienenen Aufsatz: Gegenstand und systematischer Aufbau des Wutschaftsrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, JW 1926, S.11-13. Goldschmidts Auffassung entnahm er augenscheinlich H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, 1923. 126 E. Westhoff, System des Wirtschaftsrechts, S. 2. Siehe hierzu auch das 4. Kapitel: Sozialrecht und Rechtssoziologie. Ferner übte 1931 Friedrich Klausing in einem wirtschaftsrechtlichen Kontext Kritik an der Rechtsphilosophie. Er hielt die rechtssprachlichen Bildungen "Wirtschaft" und "Wntschaftsrecht" für zu wenig erforscht: ders., Wirtschaftsrecht, S. 34f. 127 F. Darmstaedter, Wirtschaftsrecht, S. 7ff. 128 R. Stammler, Wirtschaft und Recht, 4. Auflage 1921, S.138.
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4. Kap.: Sozialrecht, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie
zu der von der Nationalökonomie allgemein anerkannten Definition der Wirtschaft als "Tätigkeit des Menschen zur Bedürfnisbefriedigung" hatte Stammler die Formel des "auf die Bedürfnisbefriedigung gerichteten geregelten Zusammenwirkens" der Menschen in ihrer Mehrzahl zu prägen versucht. Darmstaedter hielt dem entgegen, daß im Definitionselement des ,,rechtlichen Zusammenwirkens" nichts anderes als die herkömmliche "Wirtschaft in abstracto" zu erblicken sei. Die Begriffsschöpfung Stammlers würde also zu nichts anderem führen als zur herkömmlichen nationalökonomischen Anschauung, da sich am Begriffselement der "Wirtschaft in abstracto" durch die Verwendung als Teil eines zusammengesetzten Begriffs nichts ändere. Die nächsthöhere begriffliche Gattung, wie sie die Begriffslogik nach dem Dafürhalten Darmstaedters unter Berufung auf das maßgebliche Standardwerk von Christoph Sigwart 129 forderte, war mit der Wendung zur "Sozialwirtschaft" nicht erreicht. Stammler hatte bloße naturwissenschaftliche Erwägungen über das Wirtschaften vermittels einer Modellbetrachtung vom einzelnen Wirtschaftenden abgelehnt, da sie der sozialen Größen des Wutschaftens nicht gerecht würden. Diese Kritik bezog sich vornehmlich auf die bei den neoklassischen Nationalökonomen beliebten theoretischen Modelle der Einzelwirtschaft, den "Robinsonaden". Darmstaedter wies dagegen nach, daß die Wutschaft in abstracto entweder naturwissenschaftlichen Gesetzen gehorche, dann sei sie auch danach zu untersuchen und eine sozialwissenschaftliche Vorgehensweise verbiete sich. Oder sie sei Gegenstand sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, dann müsse die Erkenntnis der Einzelwirtschaft derjenigen der Sozialwirtschaft gleichstehen. Ebenso widersprach Darmstaedter Stammler, der in der Definition des Wirtschaftens die "planmäßig geordnete" (Wilhelm Roscher, Carl Jentsch) Tätigkeit des Menschen bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse angefochten hatte, weil der Mensch verschiedensten Einflüssen nachgebe. 130 Das "ökonomische Prinzip" Karl Büchers, das "ausgleichende und sparende Abwägen" Othmar Spanns und das ,,rationelle Verfahren" Franz Oppenheimers, 131 somit die Verkürzung des Menschen auf das "wirtschaftliche Prinzip" sah Darmstaedter anders als Stammler als gerechtfertigt an. Denn die Frage des Verhältnisses des wirtschaftenden Menschen zum anderen wirtschaftenden Menschen liege nicht auf der Ebene des Motivs zum wirtschaftlichen Handeln in der Wutschaftsethik. Vielmehr betraf sie nach Darmstaedter genau die Frage des Verhältnisses von Wirtschaft und Recht, also das "Wirtschaftsrecht". Den allgemein gegen Stammler erhobenen Vorwurf, sein System sei rein rechtsimmanent, indem es vermittels der "Sozialwirtschaft" die gesamte Wutschaft in ihrer Eigenart vereinnahmte, hatte Darmstaedter auf diese Weise bekräftigt. 132 Chr. Sigwart, Logik, 4. Auflage 1911. S. 385. R . Stammler, Wirtschaft und Recht, S. l44. 131 F. Darmstaedter, Das Wirtschaftsrecht, S. 7 m. w.N. 132 Zu den Anschauungen der Juristen bezüglich Stammler: K. W Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 32f. 129 130
IV. Wirtschaftsrecht als Rechtsphilosophie
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Nachdem Darmstaedter Stammlers Definition des Verhältnisses vom Recht als Form der Materie Sozialwirtschaft abgelehnt hatte, postulierte Darmstaedter sein eigenes Verständnis vom Verhältnis von Wirtschaft und Recht. Die von Darmstaedter für allgemeingültig befundene Definition des Rechtsbegriffs Radbruchs als der "Regelung des Gemeinschaftslebens" 133 verband er mit der "allgemein gebilligten" These Stammlers, "daß für die Organisation menschlichen Zusammenlebens der rechtliche Zwang notwendig" sei. 134 Die Rechtsordnung regele also das Gemeinschaftsleben, indem sie das mit dem rechtlichen Zwang ausgestattete subjektive Recht verleiht. Dadurch ergab sich für das von Darmstaedter gesetzte Verhältnis von Wirtschaft und Recht, also das Wtrtschaftsrecht: "Die Wirtschaft, nämlich die Tätigkeit des Menschen zur Bedürfnisbefriedigung ist als subjektives Recht dem rechtlichen Zwangsschutze zugänglich und ist seiner bedürftig". 135
Die in der Nationalökonomie durchaus umstrittenen Motive für die menschliche Bedürfnisbefriedigung traten bei Darmstaedter in den Hintergrund. Für die Rolle des Wirtschaftsrechts war allein der aus egoistischen Motiven handelnde Mensch, der "homo oeconomicus" der Wtrtschaft in abstracto, von Interesse. Weil der Mensch bei der Frage nach den menschlichen Bedürfnissen seinen nach subjektiver Willkür bestimmten "endlichen Güterbedarf" 136 an "äußeren Gütern" 137 befriedige, komme es wegen der begrenzten Gesamtgütermenge zu einem gegenseitigen ,,Ausschließen" und einem "Ausgeschlossensein" der "wirtschaftenden Menschen". Die Bedürfnisbefriedigung des einen Menschen bedeute "den Ausschluß der Befriedigung für den anderen Menschen". 138 Erst die Regung dieses ,,Ausschließens" durch die äußerlich geregelte Wirtschaft wertete Darmstaedter daher in Abkehr von Stammler, der den gleichen Terminus rein wirtschaftlich definiert hatte, als "Sozialwirtschaft". 139
G. Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1914, S.42. F. Darmstaedter, Das Wirtschaftsrecht, S. 8 f. 135 Ebenda, S. 9. 136 C. Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 1923, S.60. 137 W Roscher, System der Volkswirtschaftslehre, S. 3. 138 F. Darmstaedter, Wirtschaftsrecht, S. 13. 139 Ebenda, S.l7. 133
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Fünftes Kapitel
Wirtschaftsrecht 1926--1929 I. Entwicklungslinien im Wirtschaftsrecht ab 1926 1. Konjunktur und Rahmenbedingungen des Wirtschaftsrechts
Das Wirtschaftsrecht hatte - nur gebremst und überlagert von der Bewältigung der Inflation - bis 1925 eine Hochphase erlebt, wie sie mit Ausnahme des Arbeitsrechts kein anderes Rechtsgebiet in der Weimarer Zeit für sich verzeichnen konnte. Ein fester Kanon von Lehrmeinungen hatte sich gebildet. Die methodische Richtung, die "Sammeltheorie" und die gegenständliche Auffassung standen einander im Wirtschaftsrecht mehr oder weniger statisch gegenüber. Einigkeit bestand unter den Wirtschaftsrechtlern jedoch insoweit, als man das Wirtschaftsrecht als ein Novum auffaßte und es vom überkommenen Recht unterschied. In sich hatte sich das Wirtschaftsrecht verstetigt, Forschung und Lehre hatten in bestimmten Bereichen darauf reagiert. Man empfand das Wirtschaftsrecht als praxisrelevant, was sich in der nie abreißenden Ausbildungsreformdiskussion artikulierte. Das hatte zu einer Aufnahme des Wirtschaftsrechts in den Prüfungskanon der juristischen Staatsprüfung Preußens und einiger anderer Länder geführt. Allgemeine Anerkennung unter den Juristen hatte das Wirtschaftsrecht gleichwohl noch nicht gefunden. Die enzyklopädische Literatur kam erst allmählich dem Modemisierungsdruck der Nachkriegszeit nach, für den das Wirtschaftsrecht lediglich einen Ausdruck unter vielen Phänomenen darstellt, wenn auch vorwiegend nur Wirtschaftsrechtier ihr Fach dort vertraten. Ab 1925 befand sich die Weimarer Republik in einer Phase der Stabilisierung und des relativen Aufschwungs, der vor allem durch den vom Dawes-Plan herbeigeführten Kreditstrom gefördert wurde. Die Rentenmark hatte die Inflation überwunden und die von der revolutionierenden Rechtsprechung des Reichsgerichts angestoßene Aufwertungsgesetzgebung, die in dieser Form nur in Deutschland ergangen war, 1 hatte versucht, die materiellen Ungleichheiten der Inflationsfolgen einzudämmen. War die juristische Literatur bis dahin ein Spiegel der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Aufbauphase und ihrer Störungen gewesen, so trat ab dem Jahr 1926 eine gewisse Beruhigung ein. Die Notwendigkeit eines Wirtschaftsrechts wollte sich nicht mehr wie bisher von selbst aufdrängen; in Zeiten wirtschaftlicher Not hat1
A. Nussbaum, Bilanz der Aufwertungstheorie, 1929.
I. Entwicklungslinien im Wutschaftsrecht ab 1926
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te dies nahegelegen. Neben einer dennoch fortgeführten Auseinandersetzung über das Wirtschaftsrecht traten in der nun folgenden Aufbauphase neue Erscheinungen in den Vordergrund. Hatte der Ausbau der öffentlichen Wirtschaft unter dem Zeichen der Sozialisierung schon zu Beginn der Weimarer Zeit eingesetzt, so verstärkte sich ihr Einfluß mit dem wachsenden Wohlstand und der Kreditschwemme erheblich. Wenn auch die gemeinwirtschaftliche Dynamik stark gebremst war und ihr gegenüber von allen Seiten immer deutlicher eine gewisse Skepsis vorherrschte, so trat die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand unübersehbar zutage. Die privatrechtliehe Dogmatik und das öffentliche Recht öffneten sich allmählich den damit verbundenen Fragen. Auch grundsätzliche rechtspolitische Fragen zu einer Wirtschaftsverfassung wie die des Wirtschaftsrechts als "sozialem Recht", als Leitfrage der Rechtstatsachenforschung und im sozialistischen Streben zur "Wrrtschaftsdemokratie" fanden neue und zum Teilleidenschaftliche Unterstützung. Die Fortentwicklung der Wirtschaftsrechtsdisziplin konnten sie nur begleiten, ohne einen maßgeblichen Einfluß auf die Lehrauffassungen im Wirtschaftsrecht auszuüben. Das Wirtschaftsrecht entwickelte sich unter diesen neuen Bedingungen vorrangig in Einzelfragen fort, während die Grundsatzdebatte über Abgrenzung und Aufgabe der neuen Disziplin nahezu versiegte. 2. Wirtschaftsrecht und öffentliche Wirtschaft Seit dem Kriege war die Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit immer deutlicher geworden. Der Zuwachs der öffentlichen Wirtschaft konnte nicht mehr als Kriegsfolge abgetan werden. Zwar nahmen die von der freien Wirtschaft als besonders unliebsame Konkurrenz angesehenen Kommunalunternehmen im Jahr 1925 nur 1% des gesamten Handelsvolumens ein. Jedoch weist der Anteil der "öffentlichen Verkehrswirtschaft" an den Neuinvestitionen von 21,1% gegenüber 13,7% bei der Industrie auf ein Übergewicht des öffentlichen Sektors bei der Erschließung der Märkte hin. 2 Tatsächlich waren die Umwälzungen in ihrem Umfang durch Privatisierungen (Viag, Preußenelektra), Versuche der Vermögensübernahme (Ilseder Hütte) und die Demobilmachung völlig präzedenzlos gewesen. Der DawesPlan brachte nicht nur der Privatwirtschaft, sondern auch der öffentlichen Hand vor allem vom amerikanischen Finanzmarkt ein weit über jede realistische Investitionsrate hinausgehendes Kreditangebot kurzfristiger, also wenig krisenbeständiger Kredite. 3 2 F. Blaich, Staatsverständnis und politische Haltung der deutschen Unternehmer 1918-1930. 3 Mit mitreißender Verve berichtete von der Wirtschaftspolitik in der ganzen Weimarer Zeit der Gewerkschafter und Sozialist Hans Staudinger. Zunächst in der preußischen Ministerialverwaltung war er zuletzt Ministerialdirigent im Reichswirtschaftsministerium. Ders., Wirtschaftspolitik im Weimarer Staat, hrsg. von Hagen Schulze. Staudinger wurde zur Emigration gezwungen und war Mitbegründer der ,.University in Exile", der New school for social study,
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926-1929
Forschung und Lehre zum Wirtschaftsrecht orientierten sich nicht immer an den Bedürfnissen der rechtspraktischen Entwicklungen. Bei den Verhältnissen der Elektrizitätswirtschaft deutet sich dieser Sachverhalt für den Bereich der gesamten öffentlichen Wirtschaft an. Ohne theoretische Vorbereitung hatte vorrangig der preußische Staat sein Gebiet in Distrikte aufgeteilt und innerhalb dieser Distrikte aus den staatlichen Elektrizitätsanstalten privatrechtliche Unternehmen gebildet, als bedeutendstes davon die Rheinisch-Westfalischen Elektrizitätswerke. Sie wurden 1923 durch ein eigenes Gesetz unabhängig von dem "gemeinwirtschaftlichen" Reichsgesetz zur Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft verselbständigt. Wenn auch unterstützt durch hoheitliche Eingriffe, etwa Beschlagnahmen zugunsten der Elektrizitätswerke, waren die unter Ausnutzung des Privatrechts gebildeten Vermögensmassen praktisch von großem Umfang und von erheblicher Bedeutung. 4 Die Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft spielten immerhin als bedeutende Arbeitgeber und Inhaber von tatsächlichen und rechtlichen Monopolstellungen eine große Rolle, ohne ins Zentrum der Aufmerksamkeit des Wirtschaftsrechts zu gelangen. Per Gesetz wurde eine ganze Reihe der so gebildeten Unternehmen und Beteiligungen 1927 unter dem Dach der Preußenelektra, die vollständig in der Hand des preußischen Staates war, zusarnmengefaßt. 5 Eine ähnliche Bedeutung kam der Privatisierung der preußischen Hütten und Bergwerke in der Preussag, der Häfen von Duisburg und Stettin und der preußischhamburgischen Hafengemeinschaft zu. 6 In einigen deutschen Ländern hatten sich bereits in der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre Banken etabliert, die für die langfristige gewerbliche Kreditbeschaffung der, besonders von der Inflation geschädigten, mittelständischen Unternehmen meist von staatlicher Seite inauguriert worden waren. Privates Kapital trat in der Mehrzahl der Fälle in Form von auf Inhaber lautenden verzinslichen Pfandbriefen, etwa den "Sächsischen Industriepfandbriefen" zu einem aus den Staatshaushalten vorgelegten Kapitalgrundstock hinzu. Insbesondere im Fall Sachsens war es so gelungen, den seit dem Dawes-Plan aus dem Ausland, insbesondere aus Amerika fließenden Kreditstrom auch auf die mittelständische Industrie zu lenken. 7 An diese in der Wirtschaftswelt bedeutende Erscheinung hatten die rechtspolitischen ForderunNew York. C.-D. Krohn, Intellectuals in Exile, S.209 u.passim; P.M. Rutkoff, W.B. Scott, New scool, S.141, 291. 4 Gesetz betr. Übertragung staatlicher Elektrizitätsanlagen an eine Aktiengesellschaft v. 24. Oktober 1923 GS. S.475. 5 Gesetz v. 24. Oktober 1924, GS. S.l97. 6 Gesetz überdie Bildung derPreussag v. 9. Oktober 1923, GS. S.467, Umwandlung von der Betriebs- zur Eigentumsgesellschaft durch Gesetz v. 26. Juli 1926, GS. S. 234; Gesetz über die staatlichen Hafenanlagen von Duisburg v. 24. Juli 1926 GS. S. 230; Gesetz über die Organisation des Stettiner Hafens v. 22. September 1923, GS. S.451. Siehe hierzu den Bericht von A. Koettgen: Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Preußen, JöR 1930, S.1-129. 7 0 . Reier, Die Industrieschaft als Lösung für das Kreditproblem der Mittel- und Kleinindustrie, S. 57.
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gen der mit dem Wirtschaftsrecht befaßten Rechtswissenschaftler kaum Anschluß gefunden. Um so bemerkenswerter ist es, daß der Rechtsanwalt Otto Reier 1926 an diese Entwicklung anzuknüpfen versuchte. Bezüglich des WJ.rtschaftsrechts war er schon 1920 mit seinem Kommentar zum Sozialisierungsgesetz hervorgetreten. 8 Als Mitglied des Provinzial-Landtages von Nieder-Schlesien nahm er an der Entwicklung des Gedankens einer "Industrieschaft als Lösung für das Kreditproblem der Mittel- und Kleinindustrie" regen Anteil. Zur Sicherung dieser Kredite schlug Reier mit dem Registerpfandrecht ein neuartiges Rechtsinstitut vor, das wie das Immobiliarpfandrecht dem Publizitätserfordernis unterliegen, den Kreditnehmer aber im Besitz seiner beweglichen verpfändeten Sachen belassen sollte. 9 Letztlich war aber die "lndustrieschaft" eine für die Kreditinstitute mit öffentlicher Gewährträgerschaft sprachlich unangemessen überhöhte Formel. Die Bezeichnung war an ständische und zum Teil mittelalterliche Vorbilder wie etwa die Kaufmannschaften angelehnt, hatte aber mit deren besonderer Form der Selbstverwaltung oder auch nur Interessenvertretung nichts gemein. Das Kreditvolumen und damit die praktische Bedeutung dieser Banken war zwar zum Teil erheblich, nahm aber in der Diskussion im Rahmen des WJ.rtschaftsrechts keinen breiten Raum ein. 3. Wirtschaftsrecht als methodisch geschlossene Disziplin bei Walter Kaske11926
Walter Kaskel, Privatrechtslehrer und Inhaber der ersten arbeitsrechtlichen Professur Deutschlands in Berlin, hatte sich nur selten explizit zum Wirtschaftsrecht geäußert. Für ihn stand die schwierige Abgrenzungsfrage, insbesondere im Verhältnis zum Handels- und Arbeitsrecht, seltener zum Sozialrecht im Vordergrund, wohingegen er Detailfragen mied. 10 Dennoch hatte sein Aufsatz in der Juristischen Wochenschrift "Gegenstand und systematischer Aufbau des WJ.rtschaftsrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach" vom Januar 1926 nachhaltige Wrrkung, wie an der starken Resonanz abzulesen ist. 11 0. Reier, Kommentar der Sozialisierungsgesetze, 1920. 0. Reier, Industrieschaft, S. 37 f. Reier berichtet auf den S. 70-73 auch einen ,,Antrag Keinath und Genossen an den Reichstag betr. Einführung des Registerpfandrechts" , also einen vollständigen Antrag von Mitgliedern der DVP als Artikelgesetz. 10 So etwa schon W. Kaskel, Begriff und Bestandteile des Wrrtschaftsrechts, ,,Recht und Wirtschaft" 1921, 211-216; ders., Begriff und Gegenstand des Sozialrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, DJZ 1918, S. 541-546. Diese Einschätzung zur Stellung des - wohl aufgrund des noch ungewissen Charakters des Arbeitsrechts - planmäßigen außerordentlichen Professors Walter Kaskel als Wirtschaftsrechtier und akademischem Lehrer hatte bereits E. Jacobi, Nekrolog: Carl John Walter Kaskel, Deutsches Biographisches Jahrbuch, Band X, 1928, S. 136-139, insbes. S. 138 abgegeben. Darin hatte der Leipziger Arbeitsrechtskollege Jacobi großen Wert auf die Würdigung des arbeitsrechtlichen Werks des früh verstorbenen Walter Kaskel gelegt. 11 W. Kaskel, Gegenstand und systematischer Aufbau des Wirtschaftsrechts als Rechtsdisziplin und Lehrfach, JW 1926, S.11-12. Zit. bei J. W. Hedemann, Wirtschaftsrecht als Disziplin 8
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Im Vordergrund des umfänglich knappen Beitrags Kaskels steht die Bestimmung des Wirtschaftsrechts nach seinem Gegenstand. Als davon abhängig behandelte er die Erfassung des Rechtsstoffes als eine in sich geschlossene Einheit, seine Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsdisziplinen und die Möglichkeit der Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsrechts für alle Wirtschaftsbereiche.
Als erstrangige Anforderung an eine rechtssystematisch brauchbare Disziplinenbildung forderte Kaskel die Einheit einer Rechtsdisziplin und lehnte damit alle Versuche ab, Wirtschaftsrecht als eine neue Methode der Rechtsfindung (Hedemann) oder als Ergänzung der bisherigen Rechtsdisziplinen durch das seit 1914 entstandene Recht, welches aber allen bisherigen Rechtsgebieten gleichermaßen angehören sollte nach der "Sammeltheorie" (Nussbaum), darzustellen. Gemeinsam mit Goldschmidt lehnte er es weiter ab, die neu entstandenen Rechtsinstitute den bisherigen Gebieten anzufügen, weil sie dort nicht mehr "hineinpaßten". Eine dritte Richtung, der sich Kaskel anschloß, und als deren Hauptvertreter er in den Folgejahren angesehen werden sollte, forderte demgegenüber ein Rechtsgebiet, das nach logischen Gesichtspunkten eine innere Einheit bildete. Tatsächlich hatte sich diese dritte Richtung vor Kaskel nicht in der von ihm angesprochenen Form ausgebildet. Vielmehr hatte er sie formuliert und postuliert. Goldschmidt hatte zwar ein in sich geschlossenes Rechtsgebiet gefordert, dies aber auf den Bereich der organisierten Wirtschaft beschränkt. Kaskels Vorschlag erweiterte die Prinzipien des Rechts der organisierten Wirtschaft nun auf das gesamte Wirtschaftsrecht, das er als Recht des wirtschaftlichen Unternehmers umschrieb. Ausgehend von diesem Unterscheidungsmerkmal gruppierte Kaskel das Wirtschaftsrecht in einen allgemeinen Teil, der die Rechtsquellen behandelte, die von der Reichsverfassung bis zum Dawes-Gutachten reichen sollten und einen besonderen Teil, der das Verhältnis des Unternehmers zum Staat, zu den anderen Unternehmern, die Stellung "der Gesamtheit als Unternehrnenn (Das Recht der Gemeinwirtschaft)", worunter Kaskel die Sozialisierung verstand, die sich wiederum in Verstaatlichung, Mischwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung aufgliederte und schließlich das formelle Wirtschaftsrecht der Wirtschaftsbehörden und -verfahren umfaßte. 12 Die Analyse Kaskels spiegelt die historischen Tatsachen zu den Auffassungen der einzelnen Autoren sehr wirklichkeitsgetreu wieder. Verfolgt man die Richtungen, die sich im Wirtschaftsrecht herausgebildet hatten, so ergibt sich in der Tat das im wesentlichen dreiteilige Bild von der eklektischen Sammeltheorie, der methodischen Richtung und schließlich der Ausrichtung an der Sphäre der Unternehmungen und der Unternehmer. Dagegen hatte etwa zur gleichen Zeit Ernst Heymann um der und Lehrfach? JW 1927, S. 13 f; vor allem aber in der Zusammenfassung der Entwicklung bis 1931 von W. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.21: "Dieser Aufsatz hat namentlich in der Frage einer selbständigen ,Wirtschaftsrechtsdisziplin' in allen späteren Erörterungen, bis in die Gegenwart hinein, eine maßgebende Rolle gespielt." 12 W Kaskel, Gegenstand des Wrrtschaftsrechts, S. 12.
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besseren Form willen die vorherrschenden Lehrmeinungen auf zwei Richtungen, die methodische und die Sammeltheorie, verkürzt. 13 Kaskels spezifischen Wirtschaftsrechtsbegriff hielt Heymann für zu vage, Goldschmidts Begriff der organisierten Wirtschaft "ließe sich halten", sei aber zu eng gewählt. Überraschend ist die Unbedenklichkeit, mit der Kaskel das Wirtschaftsrecht dem öffentlichen Recht zuordnete. Er knüpfte an diese eher beiläufig vorgenommene Zuordnung keine weiteren Folgen. Bis dahin hatte nur ein sehr brüchiger Konsens geherrscht, daß das Wirtschaftsrecht zumindest im wesentlichen Privatrecht sei. 14 Dabei fällt allerdings auf, daß das öffentliche Recht sich an der Diskussion so gut wie gar nicht beteiligt hatte, wenn man von der Ausnahme Friedrich Gieses und einiger randständiger öffentlichrechtlicher Stellungnahmen absieht. Die Bereitschaft, vom Wirtschaftsrecht Kenntnis zu nehmen, war im Staats- und Verwaltungsrecht nicht verbreitet. Wahrenddessen erklärten sich die Privatrechder in der Regel für prinzipiell unzuständig, obwohl sie diejenigen waren, die sich mit dem Wrrtschaftsrecht befaßten und es betrieben. So schrieb Kaskel: "Die Übersicht über das Wirtschaftsrecht zeigt, daß die angeführten Rechtsinstitute nicht etwa wahllos zusammengewürfelt und nur mit einem gemeinsamen Etikett versehen sind, sondern daß sie durch ein logisch geschlossenes System miteinander verbunden sind, dessen innere Einheit hinter anderen Rechtsdisziplinen des öffentlichen Rechts, vor allem hinter dem Verwaltungsrecht, nicht zurückbleibt." 1s
Ein Jahr später bezog sich der Ministerialdirigent im Reichswirtschaftsministerium Reichardt direkt auf Kaskel und schloß sich dessen Kategorisierung an. 16 Er fügte mit Blick auf die inzwischen als Beitrag im Archiv des öffentlichen Rechts erschienene Dissertation Adolf Arndts 17 dessen Auffassung vom Wirtschaftsrecht als des Rechts der Wirtschaftsbeziehungen hinzu und brachte ihn mit Heymanns Sicht vom Wirtschaftsrecht als Methode rechtlicher Ordnung und Auslegung in Verbindung. Auf diese Weise rezipierte er Kaskels Auffassung und setzte sie zum öffentlichen Recht und Privatrecht in Beziehung. 4. Forschungslandschaft: Wirtschaftsrecht und Nachbardisziplinen
Der Zustand des Wirtschaftsrechts als Forschungsgegenstand läßt sich sowohl durch Stellungnahmen zum Wrrtschaftsrecht als wissenschaftlicher Disziplin, als auch durch Einzelthemenkreise näher bestimmen, die entweder zum Wrrtschaftsrecht gezählt wurden, sich ihm selbst zuordneten oder von ihm abgrenzten. 13 E. Heymann, Recht und Wirtschaft in ihrer Bedeutung für die Ausbildung der Juristen, Nationalökonomen und Techniker, S. 224. 14 Vor allem E. Heymann, Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, S. 8. 15 W. Kaskel, Gegenstand des Wirtschaftsrechts, S. 13. 16 W. Reichardt, Wirtschaftsrecht als Rechtsdisziplin und Lehrfach? JW 1927, S. 11-13. 17 A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, AöR 1926, S.192-229.
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Franz Dochow stellte das Wirtschaftsrecht 1926 als einheitliche Disziplin in Frage, indem er mit Blick auf die Lehre in den Rechtsfakultäten vorschlug, es in seine Bestandteile aufzutrennen und im Rahmen der Einzelmaterien zu lesen. Er empfahl die Verteilung der Bestandteile des Wirtschaftsrechts auf das Handelsrecht, das besondere Verwaltungsrecht und das Landwirtschaftsrecht, das mit dem bürgerlichen Sachenrecht als Bodenrecht zu lesen sei. Immerhin ließ er das Wirtschaftsrecht für den Universitätsunterricht soweit gelten, daß es, soweit sich ein geeigneter Rechtslehrer dafür fände, auch geschlossen gelesen werden sollte. 18 Dochows Aufteilung war keine Bedrohung mehr für den Bestand des Wirtschaftsrechts als wissenschaftlicher Disziplin. Hinter der sachgerechten Aufteilung der Materien des Wirtschaftsrechts stand vielmehr die Absicht, die Lehre des Fachs zu sichern, soweit das nicht in einer einheitlichen Veranstaltung geschehen konnte. Die Wirtschaftsrechtswissenschaft in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre erlebte ihre eigene Konsolidierungsphase. Große Veränderungen im personellen und institutionellen Bereich ergaben sich nicht. Die Schwerpunkte in Jena und Mannheim blieben erhalten. Max Rumpf folgte 1928 einem Ruf von der Handelshochschule Mannheim auf das einzige juristische Ordinariat an der Hochschule für Wirtschaftsund Sozialwissenschaften in Nürnberg. Bis dahin hatte Emil Westhoff dort die wesentlichen juristischen Lehrveranstaltungen abgehalten. 19 In Frankfurt setzte Friedrich Klausing seine Befassung mit dem Wirtschaftsrecht fort. Eugen Rosenstock, der bereits 1923 von Frankfurt mit seinem Wrrkungskreis in der dortigen "Akademie der Arbeit" nach Breslau gewechselt war, trat 1926 mit seinem ,,lndustrierecht" an die Fachöffentlichkeit Wenn auch einige verwandte Materien nicht für das Wirtschaftsrecht als Ganzes Geltung und Wirkung beanspruchten, näherten sie sich ihm doch an, nahmen methodische Anleihen oder beriefen sich zumindest für ihre eigene Positionsbestimmung auf den Bezug zur Gesamtwirtschaft, wie man ihn überwiegend für das Wirtschaftsrecht für kennzeichnend hielt. Insbesondere stellten Erwin Jacobi im Unternehmens-, Betriebs- und Arbeitsrecht, Karl Geiler im Gesellschafts- und Aktienrecht, Oswald Lehnich und Robert Liefmann im Kartellrecht und Hans Carl Nipperdey im Recht der Monopole und des Kontrahierungszwangs die Verbindung zum Wirtschaftsrecht her. 20 F. Dochow, Wirtschaftsrecht, JW 1926, S.533. Zur Forschungs- und Lehrtätigkeit von Max Rumpfund ferner von Emil Westhoff in Nürnberg G. Bergler, Geschichte der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg 1919-1961, Band li, S.55, 102,166,192. 20 E. Jacobi, Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, 1927; K. Geiler, Die wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht, Gruchots Beiträge 1927, S.593-619, ders .• Grundsätzliches zur Aktienrechtsrefonn, JW 1927, S. 1069; 0. Lehnich, Kartelle und Staat, 1928; R. Liefmann, Die Kartellverordnung und die Exklusivverträge, Kartellrundschau 1928, S. 1; H. C. Nipperdey, Stromsperre, Zulassungszwang und Monopolmißbrauch, 1929; zum Kontrahierungszwang siehe weiter H. Wimpfheimer, Kontrahierungszwang für Monopole, 1929. 18 19
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Karl Geiler hatte den Höhepunkt seiner Bedeutung als Lieferant des soziologischen Unterbaus für die Aktienrechtsreform erreicht, die ihrerseits in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre die Entwicklung des Gesellschaftsrechts sowie des Handels- und Zivilrechts allgemein beeintlußte. Fritz Haußmann und Oskar Netter nahmen als bedeutendste Vertreter der Diskussion um die Aktienrechtsreform die methodische Gleichsetzung Geilers von Wirtschaftsrecht und rechtssoziologischer Betrachtungsweise hin, ohne die Herausbildung der Disziplin des Wirtschaftsrechts vom Gesellschaftsrecht her weiter zu verfolgen. 21 Begleitend zur Entfaltung des Wirtschaftsrechts und zur Aktienrechtsreform lebte die Debatte um den Unternehmensbegriff auf. Zwar war die Mehrzahl der Juristen gewiß dem Bild vom Kaufmann des Handelsgesetzbuchs weiter verhaftet. Doch erzeugte die wirtschaftliche Dynamik im Bereich der Kartelle und Trusts, der neuen Gesellschaftstypen wie Investmentgesellschaften und Konzernholding einen großen Innovationsdruck auf die Handels- und Gesellschaftsrechtswissenschaft Erst 1932 sollte diese Bewegung- wenn auch ohne allgemeine Anerkennung- in das Wirtschaftsrecht münden. Zwar hatte in erster Linie Fritz Haussmann im aktienrechtlichen Kontext Vorarbeit geleistet. Die progressivste Auffassung stammte jedoch von dem Schweizer Rechtshistoriker und Handelsrechtier Hans Fehr. Ihm ging es nicht nur um eine adäquate rechtliche Bewältigung neuer wirtschaftlicher Konstellationen; er wollte mit der Abwendung von der statischen Rechtsordnung einen der dynamischen Wirklichkeit zugekehrten wandelbaren und anpassungsfähigen Rechtsbegriff schaffen, der seiner Vorstellung vom "lebenden Recht", welche die Diskussion der Aktienrechtsreform beeinflußt hatte, entgegenkam. 22 Daneben verzweigte sich das Wirtschaftsrecht im Genossenschaftswesen, Wettbewerbsrecht, Steuerrecht, Mietzwangsrecht und Mieteinigungswesen. 23 A. Riechers, Das Unternehmen an sich, 5 . 16ff, 65ff. H. Fehr, Art. Unternehmen, in: F. Stier-Somlo, A . Elster (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Band VI, 1929, 5 . 247-249. F. Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassung, Mannheim 1926; ders. , Art. Unternehmenszusammenfassung, in: F. Stier-Somlo, A. Elster (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Band VI 1929,5.250-273. F. Dochow, Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, IW 1927, S.233. E. Jacobi, Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, in: Festschrift der Leipziger JuristenFakultät für Victor Ehrenberg, 1927, 5.1-39. K. A. Eckhardt, Betrieb und Unternehmen. Ein Beitrag zur juristischen Terminologie; zu Erwin Jacobi: Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, 94. Band, 1929, 5.1-30. C.A. Crisolli, Rezension: Oppikofer, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, 95. Band, 1920, 5. 126-128. Oppikofer hatte nur historische Beiträge geliefert, der aktuellen Rechtsentwicklung hinkte er hinterher. 23 J. Robens, Die Organisation des deutschen Genossenschaftswesens; S. Feuchtwanger, Die Neuorientierung der 5tandespolitik; im besonderen: Das Problem der genossenschaftlichen Wirtschaftspolitik, IW 1927, S. 2601; H. Crüger, A . Crecelius (Hrsg.), Das Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, 9. Auflage 1924, 10. Auflage 1926, dazu J. v. Gierke, Rezension: Crüger, Crecelius, weiter Heilbrunn, Rezension: Crüger, Crecelius IW 1928, S.612. A. Baumbach, Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 1929, siehe hierzu die Rezension von H. Isay, Rezension: Baumbach IW 1929, S. 3047; H. Rein, Steuer und Wirt21
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S. Die Forschungsrichtungen im Wirtschaftsrecht ab 1926
In den Jahren nach 1925, in denen sich die wirtschaftliche Situation verstetigt hatte und dementsprechend die Bedeutung von Grundsatzfragen abnahm, traten Arbeiten zum Wirtschaftsrecht als Ganzem in die zweite Reihe zurück. 24 Die größere Aufmerksamkeit kam nun zunehmend den polarisierenden Schriften zu, wie später etwa dem ,,Ring", einer konservativen Wochenschrift, oder der ,,Justiz", der von Wolfgang Mittermaier, Hugo Sinzheimer und Gustav Radbruch herausgegebenen Zeitschrift. Dort war vorwiegend der republikanische Richterbund vertreten und Hugo Sinzheimer veröffentlichte darin seine berühmte Chronik, mit der er ein Gegengewicht zu Hachenburgs rechtsliberalen Rundschauen in der Deutschen Juristenzeitung schaffen wollte. Im Jahr 1929leitete Leopold Heilberg dieBefassungmit der Gemeinwirtschaft wieder ein. Seine knappe Übersicht vermochte nicht das von anderer Seite empfundene Ungenügen zu überdecken, das sich angesichts der mangelhaften Umsetzung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung als Rechtsinstitution ausbreitete. Die staatliche Einflußnahme auf die gemeinwirtschaftliehen Organisationen hatte sich nach dieser Sichtweise nicht genügend Raum verschafft. 25 Besonders in Sinzheimers "Chronik" in der ,,Justiz" war dieser Gegenwind zu spüren. Dazu trat die von Radbruch und Sinzheimer herausgegebene ,,Zeitschrift für soziales Recht".
a) Justus Wilhelm Hedemann Justus Wilhelm Hedemann legte 1929 eine Gesamtschau des Wirtschaftsrechts vor. Die bereits in seinem Buch von 1922, "Grundzüge des Wrrtschaftsrechts" und den anderen frühen Arbeiten gefundene Position vom Wirtschaftsrecht als ein dem Naturrecht des 18. Jahrhunderts vergleichbarer neuer Grundzug des Rechts, hatte Hedemann in seinem Lexikonartikel im Handwörterbuch der Rechtswissenschaften von 1929 vertieft. 26 Wie schon andere und vormals auch er selbst unterschied Hedemann auch hier zwischen der Sammettheorie und den gegenständlichen Theorien. schaft, siehe hierzu K. Ball, Rezension: Reinach, JW 1928, S. 2361; F. Hertel, Mieterschutz und Wohnungszwangswirtschaft, JW 1928, S.467. 24 Andere Arbeiten blieben ganz hinter einer Kenntnisnahme des Wirtschaftsrechts zurück wie die von H. Oppilwfer, Das Unternehmungsrecht in geschichtlicher, vergleichender und rechtspolitischer Betrachtung. lübingen 1927, die im wesentlichen den historischen Hintergrund des Unternehmensrechts zum Gegenstand hatte; dazu C.A. Crisolli, Rezension: Oppikofer, S. 126-128. 25 K. Cohn, Privatmacht und öffentliche Herrschaft im Kohlenwirtschaftsrecht, Justiz 1928/29, insbes. 5.176-181. 26 J. W Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht, HdR. VI., 930-937. Später verwarf Hedemann die so geflissentlich in Anspruch genommene Idee vom Wirtschaftsrecht als dem Recht des Wirtschaftszeitalters in seinem Lehrbuch ,,Deutsches Wrrtschaftsrecht" von 1939 zugunsten der einheitlichen Weltanschauung einer alles in einer Hand zusammenfassenden Führung (S. 9) wie eine von einem beliebigen Dritten vertretene Theorie ohne Begründung als nicht brauchbar (S. 14).
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Als Dritte Gruppe führte er die "weltanschaulichen" Theorien aufY Darunter fielen Karl Geiler, Emil Westhoff und Max Rumpf als die Vertreter der "fachwissenschaftliehen" Gruppe, die nach Hedemann das Wtrtschaftsrecht lediglich als Übertragung der soziologischen Denkweise auf das Recht definierten. Hedemann erblickte in dieser Gruppe, die mit dem wirtschaftsrechtlichen Stoff nicht formaljuristisch, sondern "eben mit soziologischem Blick und insbesondere mit Verständnis für die wirtschaftlichen Anforderungen und Zusammenhänge" 28 arbeitete, eine letzte Ausstrahlung der Freirechtsbewegung und des wirtschaftspraktischen juristischen Denkens, dessen sich insbesondere der Verein "Recht und Wirtschaft" angenommen habe. Der Gruppe der weltanschaulichen Theorien ordnete Hedemann sich selbst in ganz dezidierter Weise und im ursprünglichen Wortsinne zu. Nicht nur seine Arbeitsweise "sondern das ganze Weltbild" 29 war für ihn vom wirtschaftlichen Zeitgeist bestimmt. Das Wirtschaftsrecht sei "der Grundton des Rechtsganzen in unserer Zeit". In solchen Rechtsmaterien wie dem Ehe- oder Kirchenrecht, die dem Wtrtschaftsrecht nicht verwandt, sondern "scheinbar ganz abseits" lägen, sei das Wachsen eines wirtschaftsgemäßen Einschlages in den vorangegangenen Jahrzehnten spürbar geworden. Er verwies in seinem Artikel zum Wirtschaftsrecht im Handwörterbuch der Rechtswissenschaften auch auf eine von ihm angeregte Arbeit von Bernhard Meier, der "wirtschaftsrechtliche Vorstellungen im Bereich des Völkerrechts" als weltanschauliche, weltumspannende Totale nachwies. 30 Hedemann hatte diese Auffassung auch weiterhin nachdrücklich an prominenten Stellen vertreten. Zum Einen in seiner "Einführung in die Rechtswissenschaft" und zum Anderen in seiner Festgabe zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, "Reichsgericht und Wtrtschaftsrecht" von 1929. In diesem kleinen Band, einem "Stück deutscher Geistesgeschichte", wie er im Vorwort erklärt, faßte Hedemann die Judikatur des Reichsgerichts unter zwei Dutzend Stichwörtern zusammen. Hedemann stieß zwar auf einige wirtschaftsrechtliche Elemente in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, fand aber bei deren Bewertung immer diejenigen Ergebnisse, die er als Hypothese zuvor hineingelegt hatte, in dem Sinne, daß dem Gericht insgesamt eine Wandlung zum Wirtschaftsrecht auf lange Sicht abzulesen sei. 31 Zu den Schwingungen, in die das System des öffentlichen und des Privatrechts geraten war, nahm Hedemann dagegen nur aus der Sicht der richterlichen Rechtsfortbildung in einem wirtschaftsnahen Sinne, nicht aber aus der des Wtrtschaftsrechts als wissenschaftlicher Disziplin Stellung. J. W: Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht, 933f. Ebenda, S. 933. 29 Ebenda, S. 934. Hedemann spricht von sich und seiner eigenen Auffassung in der dritten Person. 30 B. Meier, Der Staatsangehörige und seine Rechte, insbesondere seine Vermögensrechte, im System des Völkerrechts, Jena, 1927, erschienen als Schrift des Jenaer Instituts für Wutschaftsrecht Nr. 6 mit dem Untertitel: "Studie über die dogmatische Berechtigung und Auswirkung wirtschaftrechtlicher Vorstellungen in den Gedankengängen des Völkerrechts." 31 J. W: Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929. 27
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Zur generellen Einschätzung Hedemanns trat die von ihm vorgeschlagene systematische Stellung des Faches ,.Wirtschaftsrecht" im Rechtsunterricht und die innere Gliederung zu Lehrzwecken. Zwar hob er die Sonderstellung des Wirtschaftsrechts hervor, so daß nur eine Parallelität zur ,.Rechtsphilosophie" oder "Rechtsenzyklopädie" möglich sei. Dies seien ebenso Fächer ganz besonderer Art, die das Recht zum allgemeinen Denken in Beziehung setzten. Doch konnte er unter dem Eindruck der tatsächlichen Entwicklung nur noch an einer ,.Sonderstellung" des Wirtschaftsrechts festhalten. Das Arbeitsrecht gliederte Hedemann in das Wirtschaftsrecht ein, das Steuerrecht (Finanzrecht) sah er als ein eigenes Fach oder Teil des Verwaltungsrechts an. 32 Die innere Gliederung des Wirtschaftsrechts, die Hedemann mit dem Vorschlag Walter Kaskels aus dem Jahre 1926 kontrastierte, sah fünfTeile vor: Staat und Wirtschaft, Eigentum, wirtschaftliches Vertragsrecht, wirtschaftliches Verbands- und Vereinigungswesen und Arbeitsrecht im Anhang. Gleichzeitig betonte Hedemann aber, daß die Festlegung des Wirtschaftsrechts auf einen "materialen" Gehalt ausgeschlossen sein müsse, weil es eben Grundtönung des ganzen Rechts sei. Die geradezu universale Bedeutung des Wirtschaftsrechts ließ Hedemann an keiner Stelle unerwähnt. 33 Hedemann hatte mit seiner Auffassung, das Wirtschaftsrecht sei die grundlegende erkenntnistheoretische Wandlung der Zeit für die Rechtswissenschaft und insbesondere für die Lehre, keine tragfähige Grundlage errichten können. Die Begriffsbestimmung war zu vage und Hedemann war die allseits geforderte fachliche und methodische Abgrenzung im Ergebnis schuldig geblieben. Kennzeichnend ist jedoch vor allem, daß sich kein Wirtschaftsrechtier explizit Hedemann anschloß. Man respektierte ihn, doch jede Übernahme seiner Lehren erwies sich beim zweiten Hinsehen als ein Lippenbekenntnis. Hedemanns schärfster Konkurrent, der Frankfurter Handelsrechtslehrer Friedrich Klausing kritisierte dementsprechend 1931 in seiner Zusammenfassung des Wirtschaftsrechts der Zwanziger Jahre die Darstellungsweise und die Haltung Hedemanns offen und mit einer gewissen Schärfe: "Der unbefangene Beurteiler kann sich des Eindrucks unmöglich erwehren, daß es bei der Lehre H.'s sowohl in den Voraussetzungen als auch in der Formulierung irgendwo nicht stimmt. (...) Das ,Wirtschaftsrecht' ist da, oder vielmehr eigentlich nur der Ausdruck als einstweilen noch ziemlich wesenloser Begriff, und es ist doch wiederum auch nicht vorhanden, nämlich als Bezeichnung bestimmter Rechtsgebiete oder gar einer einzigen Rechtsdisziplin!"34 Den Wert von Hedemanns "Reichsgericht und Wirtschaftsrecht" als einer Untersuchung des gesamten Wirtschaftsrechts in der höchstrichterlichen Judikatur sah Klausing durch Hedemanns eigene Prämissen geschmälert. Hedemann J. W. Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht, S. 935. J. W. Hedemann, Rezension: Spohr, JW 1929, S. 2125. 34 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.45. 32 33
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hatte sich vorgenommen, den konkreten Rechtsstoff der Rechtsprechung danach zu überprüfen, "ob und inwieweit das Reichsgericht den Wirtschaftstatsachen und dem ,wirtschaftlichen Zeitgeist' in zulänglicher Weise Rechnung getragen habe" 35 • Dieser Untersuchungsmaßstab war Klausing zu inkonsistent. Durchsichtigkeit und mögliche Problemtiefe hätte Klausing erst dann für erreicht befunden, wenn der Vergleich des Wirtschaftsrechts mit dem Naturrecht und der nebelhafte Wrrtschaftsrechtsbegriff entfallen wären. Auch für Hedemanns Rückgriff auf ein "soziales Zeitalter" und eine ,,kollektivistische Denkrichtung", so daß der "wirtschaftliche Grundzug nunmehr ein Sozialrecht oder kollektivistisches Recht als Widerspiegelung des allgemeinen Zeitgeistes und beherrschenden Zweck der Gegenwart" darstelle, wies Klausing den Widerspruch Hedemanns nach, der die Charakterisierung des Wrrtschaftsrechts als "sozial-gebunden" oder ,,kollektivistisch" im Sinne Sinzheimers selbst an gleicher Stelle als zu eng und stark unter einer bestimmten Prämisse stehend verworfen hatte. Hedemann räumte selbst ein, daß seine Ansicht von einer neuen wirtschaftlichen Weltanschauung angesichts der Rechtsentwicklung seit dem Kriegsende "halb inkonsistent" und in der praktischen Seite der Rechtsanwendung nicht direkt anwendbar war. 36 Dennoch blieb er durchweg bei seiner Auffassung, daß der Zeitgeist ein Wirtschaftsrecht diktiere. Andere Stimmen als die Klausings verfuhren weniger kritisch mit Hedemann. Eine ernsthafte Rezeption der Hedemannsehen Lehren innerhalb der Wirtschaftsrechtswissenschaft und außerhalb von Hedemanns unmittelbarem Fördereckreis läßt sich dennoch nicht nachzeichnen. 37 Seine Bedeutung beruht schon eher auf der Betonung der Sache des Wrrtschaftsrechts, die er durch sein großes Engagement stets zu fördern wußte. Sie stützte sich weiter auf Hedemanns Jenaer Universitätsinstitut für Wrrtschaftsrecht, das sich durch Preisausschreiben und juristische Lehrgänge hervortat und sich in der Fachwelt durch praktische Tätigkeit Geltung und Anerkennung verschaffte. 38
b) Gustav Radbruch als Vertreter des Sozialrechts Gustav Radbruch zeichnete 1929 in seinem Aufsatz "Vom individualistischen zum sozialen Recht" ein eigenartiges Profil des Wirtschaftsrechts. Vorrangig behandelte der Aufsatz das entstandene Sozialrecht im Sinne eines umfassenden Begriffs für die Abkehr vom liberalistischen Positivismus und Individualismus des 19. Jahrhunderts. Radbruch begriff das Wirtschaftsrecht zu diesem Zeitpunkt lediglich als Programm und Fragment. Deutlich erkennbare Ansätze zu einem Wirtschaftsrecht Ebenda, S. 48. Hedemann, Wirtschaftsrecht als Disziplin oder Lehrfach?, S. 13. 37 H. Hoeniger, Rezension: Hedemann, DJZ 1929, S.528. 38 J. W. Hedemann, Preisausschreiben des Instituts für Wrrtschaftsrecht an der Universität Jena, Deutsche Juristen-Zeitung 1925, S. 1106f; ders., 6. staats-und rechtswissenschaftlicher Fortbildungskursus des Instituts für Wrrtschaftsrecht an der Universität Jena, DJZ 1927, S. 799. 35
36 J. W.
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erblickte Radbruch anders als etwa Kaskel oder früher Goldschmidt, die ein klar konturiertes, querschnittartiges Rechtsgebiet vor Augen hatten, lediglich in der Kartellgesetzgebung, dem Mieterschutz, den Stillegungsbeschränkungen und Anbauverpflichtungen des Landwirtschaftsrechts und in den "Ansätzen einer Zwangssyndizierung" der Gemeinwirtschaft.39 Radbruchs Sicht war nach dem von ihm postulierten Schutzgedanken des Wutschaftsrechts ausgerichtet, der sich außer bei ihm in dieser Deutlichkeit nur bei Friedrich Darmstaedter findet. Radbruchs Definition des Wirtschaftsrechts stand daher der von Hans Goldschrnidt sehr nahe, der vom Wirtschaftsrecht als dem Recht der organisierten Wirtschaft gesprochen hatte. Radbruch ging aber nicht von Organisationsformen aus, die Goldschmidt als Unterscheidungsmerkmale definiert hatte, sondern er legte einen abstrakt-generellen Maßstab an: "Wo im Interesse der Gesellschaft der Staat regulierend und organisierend eingreift, da entsteht Wirtschaftsrecht Es ist also das Wesen des Wirtschaftsrechts, individuelle Rechtsverhältnisse als soziale zu erkennen und zu behandeln." 40
Radbruch unterschied sich demgemäß in der Schutztendenz von Goldschmidt, der keiner expliziten politischen Option gefolgt war, während Radbruch den Staat im Interesse der Gesellschaft und dort vorrangig im Interesse der sozial Benachteiligten in Dienst nahm. Der von Radbruch an gleicher Stelle geforderte Gleichklang von Rechtsform und Rechtswirklichkeit, also die Dominanz des öffentlichen Rechts zugunsten des im Privatrechtsverhältnis unterliegenden sozial Schwächeren, mußte sich bei diesem Vorrang der Organisation günstig auswirken. Das bestehende Wutschaftsrecht beschrieb Radbruch dementsprechend: ,,Diese Durchwachsung des privaten mit öffentlichem Rechte vollzieht sich vor allem in den neuen Rechtsgebieten des Arbeits- und des Wirtschaftsrechts, in denen öffentliches und privates Recht zwar unterscheidbar, aber unscheidbar zusammenliegen." 41
c) Rechtssoziologie und Nationalökonomie im Wirtschaftsrecht Zur gleichen Zeit legte von Seiten der Handelshochschule Nürnberg Emil Westhoff den Ersten Band seines auf vier Bände angelegten "System des Wutschaftsrechtes" vor. Westhoffs System war eher der leidenschaftlichen Verteidigung der rechtssoziologischen Methode als dem materiellen Wutschaftsrecht zugewandt. 42 Doch war die Rechtstatsachenkunde ohnehin der Kern von Westhoffs "System" , das dadurch aber wenig Aussichten haben sollte, auf die Bildung der Rechtsdisziplin in stofflicher Hinsicht Einfluß zu nehmen. Ebenso war Hugo Sinzheimer der Eigenständigkeil des Wirtschaftsrechts als einem Träger der rechtssoziologischen Methode, aber auch der von ihm herbeigeG. Radbruch, Vom individualistischen zum sozialen Recht, Sp.463. Ebenda, Sp. 463. 41 Ebenda, Sp.463. 42 E. Westhoff, System des Wrrtschaftsrechtes, S. 4- 9 u. ö. 39
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sehnten Wirtschaftsverfassung mit sozialistischen Elementen zugetan. Dies hatte er insbesondere in seiner Stellungnahme von 1927 in der "Chronik", seiner Rubrik in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift ,,Justiz", mehrfach betont. 43 Friedrich Darmstaedter hatte in seinem "Wirtschaftsrecht" eine soziologische Fundierung des Rechtsgebiets eingeleitet. Er hatte sich mit der Eigenständigkeil des Marktes befaßt und diesen, in anderer Weise als den von der Rechtstatsachenforschung geprägten "Wettbewerb" Max Rumpfs, als Forschungsbegriff in die Rechtssoziologie aufgenommen. Die Bedeutung des Werkes lag aber im wesentlichen in der Fortbildung der Rechtssoziologie als Methode der Rechtsanwendung und in ihrer wissenschaftlichen Vertiefung. Darmstaedter hatte ein neues Wirtschaftsrecht gefordert, indem er es als Schutz der Wirtschaft und der Wirtschaftenden vor marktfremden Einflüssen konstruierte. Der Rechtspraxis erschien dieser Ansatz unergiebig und fremd. 44 Mit einer auf den rechtssoziologischen Ansätzen Nussbaums und Geilers beruhenden eigenständigen Auffassung vom Wirtschaftsrecht trat Anfang 1928 Heinrich Kronstein hervor. Die Sammeltheorie Nussbaums und die gegenständliche Theorie Goldschmidts, nach der die organisierte Wirtschaft den Gegenstand des Wirtschaftsrechts bildete, lehnte Kronstein ab. Die Ansicht Geilers, der Kronsteins Auffassung nach das Wirtschaftsrecht mit der rechtssoziologischen Methode identifizierte, wies er in ihrer reinen Ausprägung ebenso zurück. Er faßte das Wirtschaftsrecht als das Recht eines als Wirtschaft bezeichneten Lebensgebietes auf, das die organisierte Wirtschaft und die Gesamtwirtschaft oder ihre Zweige umfaßte und seine eigenen Organisationsformen als auch sein Gesamtrecht nach der Dynamik der Wirtschaft schuf. Soweit er sich der wirtschaftsrechtlichen Formen bediente, näherte sich sogar der Staat den privaten Körperschaften an. Kronstein hielt die Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft für die innere Legitimation des Wirtschaftsrechts. Sie erzeuge eine Mischlage aus Normwissenschaft und der Nationalökonomie als Erkenntniswissenschaft, indem sie auf dem Boden der Rechtstatsachenkunde stehe. In der Gesamtwirtschaft und ihren Zweigen bilde sich nichtstaatliches Recht, das sich nach Kronstein nur aus der Dynamik der Wirtschaft heraus verstehen ließ. Dies geschah notwendigerweise zugleich mit den rechtlichen wie mit den empirischen Erkenntnismitteln des Wirtschaftsrechts. Die einzelnen Branchen würden durch die Errichtung von Kartellen und anderen Fördergemeinschaften im Sinne Geilers zu mehr Rentabilität streben, die sich in je eigener "Sitte oder Abmachung" auspräge. Das Recht dieser Gemeinschaft, das auch ohne Vertrag binde, sei eine typische Ausprägung des Wirtschaftsrechts. Kronstein wies auf das Dilemma hin, das im Kartellrecht entstanden war. Den volkswirtschaftlichen Kartellbegriff des Freiburger Nationalökonomen Robert LiefH. Sinzheimer, Chronik, Die Justiz 1927/28 S. 881 f. So auch das Urteil des Präsidenten des Reichswirtschaftsgerichts in seiner Rezension von Darmstaedters "Wrrtschaftsrecht in seiner soziologischen Struktur'' G. Lucas, Rezension: Darmstaedter, JW 1929, S. 30. 43
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926-1929
mannhatte Julius Flechtheim in seiner maßgebenden Monographie zum Kartellrecht übernommen. Er ging später in die Kartellverordnung selbst ein. Eine monopolistische Beherrschung des Marktes im Sinne der volkswirtschaftlichen Modellvorstellung war nicht nachweisbar, weshalb die Rechtspraxis auf den dehnbaren Begriff der Marktbeeinflussung ausgewichen war, der ihr, wie Kronstein am Beispiel Rudolf Isays zeigte, allmählich entglitt. Nur ein auf normative und volkswirtschaftliche Erkenntniswege aufgebautes Wirtschaftsrecht, schrieb Kronstein, konnte hier abhelfen. 45 Wie Kronstein hatte Franz Böhm in demselben Vierteljahresheft der "Justiz" durch die Übertragung der nationalökonomischen Theorie den Markt als gesamtwirtschaftliche Kategorie zum Recht in Bezug gesetzt. Der Markt war das verbindende Element zwischen dem vordringenden neoliberalen Denken und der wie die Nationalökonomie ebenso auf die Tatsachenwelt bedachten Rechtssoziologie.
II. Wirtschaftsrecht und Öffentliches Recht 1. Das Öffentliche Recht unter dem
Einfluß des Wirtschaftsrechts
Weder ist das öffentliche Recht Ursprung des Wtrtschaftsrechts, noch gingen Materien des Wirtschaftsrechts direkt in das öffentliche Recht über. Der Gedanke eines Wirtschaftsverwaltungsrechts bildete sich nur sporadisch und anband einzelner Materien heraus. Deswegen traten sprachlich die Formen des öffentlichen Wirtschaftsrechts, des Wirtschaftsrechts und des öffentlichen Rechts der Wtrtschaft nebeneinander auf. Das Wirtschaftsrecht war in der ersten Hälfte der 20er Jahre nur gelegentlich in den Gesichtskreis des öffentlichen Rechts getreten. Kommentarliteratur lag nur begrenzt vor. Sie beschränkte sich im wesentlichen auf die in der Reichsverfassung enthaltenen Sozialisierungsartikel46 und die Regelung des Reichswirtschaftsrates.47 Sonst waren Öffentlichrechtier wie Pranz Dochow, Friedrich Giese und der Präsident des Reichswirtschaftsgerichts Georg Lucas mit gelegentlichen Untersuchungen zum Verhältnis von Verwaltung und Wirtschaft als Teil des Wirtschaftsrechts an die Fachöffentlichkeit getreten. Stellungnahmen von Privatrechtsseite verwiesen nur auf ein dort meist nicht näher bestimmtes öffentliches Wirtschaftsrecht Eine Tatsache, die auf eine nur geringe Prägekraft des Wtrtschaftsrechts im Verwaltungsrecht hinweist. 45 H. Kronstein, Wirtschaftsrecht- Rechtsdisziplin und Zweig der Rechtstatsachenkunde, S. 215-225.; R. Liefmann, Kartelle und Trusts, 1905; W. Flechtheim, Die rechtliche Organisation der Kartelle; ders. , Zusammenschlüsse zum Zwecke der Rationalisierung, S.1462; R. /say, Kartellverordnung, S. 109. 46 Z. B. 0 . Reier, Sozialisierungsgesetz, 1920. 47 So in den üblichen Kommentaren von Gerhard Anschütz und Friedrich Giese.
II. Wirtschaftsrecht und Öffentliches Recht
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Gleichwohl läßt sich eine überwiegende Forschermeinung rekonstruieren, die von einer Vorherrschaft des öffentlichen Rechts im Wirtschaftsrecht geprägt war. 48 Dieser Gedanke der öffentlichrechtlichen Dominanz hat auch indizierende Bedeutung für die Rolle des Wirtschaftsrechts, das oft als das in Rechtsform erscheinende öffentliche Interesse an der funktionierenden Gesamtwirtschaft erschien. Die theoretische Befassung mit dem Wrrtschaftsrecht hatte ihre eigene Dynamik, so daß das Wirtschaftsrecht sich nur allmählich seinen Weg in die anerkannten Unterdisziplinen des öffentlichen Rechts bahnen konnte. So schnell das Wirtschaftsrecht auch in den Jahren nach dem Krieg zum vieldiskutierten Gegenstand geworden war, kam es nur sporadisch zur Assimilation einzelner Erscheinungen des Wrrtschaftsrechts im öffentlichen Recht. Friedrich Glum hatte 1923 seine Veröffentlichung zur organisierten Wirtschaft als öffentlichrechtliche Studie bezeichnet. Er faßte die Selbstverwaltung der Wirtschaft als Materie hoheitlicher Verwaltung und damit als dem öffentlichen Recht zugehörig auf. In dieser Meinung folgten ihm zwar einige Wirtschaftsrechtler, wie der Arbeitsrechtier Walter Kaskel 1926 und zur gleichen Zeit der Marburger Gerichtsassessor Adolf Arndt. Sie hatten aus verschiedenen Blickwinkeln das Wirtschaftsrecht insgesamt als Teil des Verwaltungsrechts bezeichnet. 49 Doch waren die Wirtschaftsrechtskonzeptionen zu unreif, zu sehr bloßes Programm, das nur bereichsweise eine Umsetzung in geltendes Recht erfahren hatte, als daß sie dem öffentlichen Recht Anlaß zur grundlegenden Befassung mit ihnen geboten hätten. Diejenigen Materien des öffentlichen Rechts, die dem Wrrtschaftsrecht nahe standen, wie das Gewerberecht einschließlich des Gaststätten-, Gesundheits-, Verkehrs- und Technikrechts, sowie der Börsen-, Banken- und Versicherungsaufsicht, ließen sich auch nach dem Krieg als Einzelmaterien verstehen. Ihre Zusammenführung in einem Wirtschaftrecht, in dem einheitliche Auslegungsmaßstäbe gelten sollten und in das volkswirtschaftliche Prinzipien eingeflossen wären, wurde immer wieder erwogen und gedanklich etwa von Friedrich Giese vollzogen, aber anschließend doch jeweils wieder abgelehnt. Zwar war der Ruf dieser Verwaltungszweige nach Juristen mit wirtschaftlicher Vorbildung und "wirtschaftlichem Verständnis" immer lauter zu hören gewesen, ja man hatte sogar eine einheitliche Ausbildung von Nationalökonomen und Juristen für den Staatsdienst vor Augen, wie sie durch die Aufspaltung der rechts- und staatswissenschaftliehen Fakultäten im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verloren gegangen war. 5° Gegenüber der in den ersten Weimarer Jahren vorherrschenden Wirtschaftsrechtseuphorie unter den vorrangigen Vertretern des Wirtschaftsrechts, die zudem meist Privatrechtier waren, hatten die Verwaltungsjuristen auf dem Hergebrachten 48 K. Herrmann, Öffentliches Recht und bürgerliches Recht, DJZ 1927, S. 879; E. Heymann, Rechtsforrnen, 5. 7; A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, 5.192-195. 49 W. Kaskel, JW 1926 5. 13. A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, AöR 1926, 5.192-229. 5°K. W. Nörr, Rechtsbegriff und Juristenausbildung, ZNR 1992, 5. 223.
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926-1929
beharrt. Das bürokratische Denken schloß zwar die Offenheit gegenüber der Wirtschaft mit ein, doch bewahrte sich bei den Geheim- und Regierungsräten aus der Verwaltung der Kaiserzeit ein gewisser Dünkel gegenüber allem, was den Primat des Politischen untergrub. Die Eigengesetzlichkeilen der Wirtschaft auf die Verwaltung auch nur dem Gedanken nach zu übertragen, mußte ihnen fremd sein. Das öffentliche Recht war bei allem Beharrungsvermögen des allgemeinen Verwaltungsrechts auf dem Hergebrachten durch den Methodenstreit der Staatsrechtslehre in Schwingung und Verunsicherung geraten. Diese Schwierigkeiten waren allerdings auf eigene Identitätskrisen und die Frage der Politisierung der Rechtswissenschaft insgesamt zurückzuführen, durchweg aber nicht auf Einflüsse aus anderen Zweigen der Rechtswissenschaft. Dennoch war das öffentliche Recht nach außen hin sensibel geworden. 51 Bis 1925 hatten die Rufe, die auf die Aufgabe der Wissenschaft des öffentlichen Rechts hinwiesen, sich des Wirtschaftsrechts anzunehmen, keine nennenswerte Wirkung gehabt. Konnte man Max Rumpf noch als Handelslehrer abtun, mußte man Friedrich Giese, den namhaften Kommentator der Weimarer Verfassung mit seinem Verweis auf die Zugehörigkeit der wirtschaftsrechtlichen Materien zum besonderen Verwaltungsrecht, schon bewußt ignorieren. Ebenso verhallte die von Walter Kaskel geäußerte Auffassung, das Wirtschaftsrecht gehöre dem Verwaltungsrecht an, im Bereich der Wissenschaft vom öffentlichen Recht ohne Resonanz. 2. Allgemeines Verwaltungsrecht und Wirtschaftsrecht
a) Die Einwirkung des Wirtschaftsrechts auf das allgemeine Verwaltungsrecht In seinem Artikel im Handwörterbuch der Rechtswissenschaft von 1929, hob Justus Wilhelm Hedemann neben Arnold Köttgen mit Gerhard Lassar einen weiteren Vertreter des öffentlichen Rechts hervor, der sich 1926 des Wirtschaftsrechts angenommen hatte. Die Hinwendung zum neuen Phänomen des Wirtschaftsrechts durch Öffentlichrechtler, welche wie die bis dahin im Wirtschaftsrecht dominierenden Privatrechtswissenschaftler- wohl mit Ausnahme Heymanns - der jüngeren oder allenfalls mittleren Juristengeneration angehörten, kennzeichnete Hedemann durchaus zutreffend mit der farbigen Wendung vom "Erwachen der Publizistik". 52 Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht tat sich schwer, auf die Neuerungen, die von der republikanischen Staatsverfassung und der Materialisierung der Staatsaufgaben herrührten, einzugehen. Genuin wirtschaftsrechtliche Bereiche der organisierten Wirtschaft und im engeren Sinne der Gemeinwirtschaft fanden kaum Beach51 G. Ho/stein, Von Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft, AöR 1926, S.1-40. Zum GanzenM.-E. Geis, Der Methoden- und Richtungsstreit der Weimarer Republik, JuS 1989, S. 91-96. 52 J. W. Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht, S. 934.
II. Wirtschaftsrecht und Öffentliches Recht
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tung. Umgekehrt erfaßte die Dynamik des Wirtschaftsrechts das öffentliche Recht mit gewisser Verzögerung. Erst nachdem die Entwicklung des Wirtschaftsrechts sich bereits in den von Kaskel dokumentierten Positionen mehr oder weniger verstetigt hatte und in der juristischen Literatur im wesentlichen nur noch marginale Ergänzungen und Korrekturen das Wirtschaftsrecht fortbildeten, regte sich in der Verwaltungsrechtswissenschaft neue Aufmerksamkeit. Die Entwicklungen hin zu den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern und zur öffentlichen Wirtschaft hatten nun eine Eigendynamik gewonnen, die sich nicht mehr als bloße Kriegsfolge einordnen lassen konnte. Wenn auch das öffentliche Recht das Wirtschaftsrecht stets als einen Fremdkörper ansah, wurde das öffentliche Wirtschaftsrecht stets als ein Teil des Wirtschaftsrechts an sich begriffen. Andererseits bestand über dessen Zugehörigkeit zum Privatrecht oder zum öffentlichen Recht keinerlei Gewißheit, hatten sich doch Thesen verbreitet, die von einem neuen eigenständigen Rechtsgebiet, von Sozialrecht, oder von neuem Recht überhaupt sprachen. Das hinderte die Verwaltungsrechtswissenschaft zunächst an einer Auseinandersetzung mit der allzu neuen Materie. b) Die Berichte im Jahrbuch des öffentlichen Rechts als Indikatorenfür die Rolle des Wirtschaftsrechts in der Wissenschaft vom öffentlichen Recht Obwohl der Hamburger Extraordinarius Gerhard Lassar 1926 einen Überblick über die gesamte Reichsverwaltung vorlegte, die bewußt als Zusammenfassung der neueren Rechtsentwicklung seit dem Kriege gedacht war, beschränkte er sich zur Wirtschaftsverwaltung auf die fiskalische Verwaltung. Hier vollzog Lassar, immer mit dem Blick auf die tatsächliche Verwaltungspraxis die umfangliehen Vermögensübernahmen des Reiches in der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft nach. Einen ausdrücklichen Bezug zum Wirtschaftsrecht stellte Lassar nicht her. Doch läßt die Darstellung ein erwachendes Bewußtsein für die wachsenden Verwaltungsaufgaben der Reichsverwaltung in der eigenwirtschaftlichen Betätigung des Reiches erkennen. Dort wurde nach der Einschätzung Lassars zunehmend nach "kaufmännischen" Gesichtspunkten gewirtschaftet. 53 Lassars Überblick bedeutet in diesem Sinne auch nur eine Momentaufnahme, keine wissenschaftliche Durchdringung der Wandlungen der Verwaltung. Dennoch muß überraschen, daß Lassar die Entfaltung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung als Bestandteil der Reichsverwaltung, wie sie Friedrich Glum so vehement verfochten hatte, und die wirtschaftsrechtliche Behandlung des Unternehmens auch für die Unternehmen der öffentlichen Hand hier keine Rolle spielen ließ. Konnte Hans Helfritz, der an gleicher Stelle wie Lassar einen Überblick über die Entwicklung der 53
S. 6.
G. Lassar, Reichseigene Verwaltung unter der Weimarer Verfassung, JöR Bd. 14 (1926)
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preußischen Verwaltung seit Kriegsende gab, die wirtschaftliche Selbstverwaltung als Reichsangelegenheit ignorieren, so konnte sie Lassar nur deshalb außer acht gelassen haben, weil sie nach seinem Dafürhalten im Hinblick auf die Reichsverwaltung keine beachtenswerte Rolle gespielt hatte. Mit wenigen Ausnahmen blieb das Verwaltungsrecht auf diesem Ohr taub. Die Fortsetzung zu dem Bericht von Hans Helfritz 54 über Preußen, der im Hinblick auf die Wirtschaftsverwaltung schwieg, lieferte 1930 Arnold Köttgen. 55 Er griff die bei Lassar zwar ablesbare, aber nicht besonders gekennzeichnete Abwanderung der öffentlichen Verwaltung vom starren öffentlichen Recht in flexiblere privatrechtliche Rechtsfiguren auf. Köttgen beobachtete, indem er die Privatisierungswelle seines Berichtszeitraums beschrieb, eine Ablösung der öffentlichen Verwaltung durch "staatskapitalistische Tendenzen" überhaupt, die zumal für die Kommunalverwaltungen von herausragender Bedeutung waren. Köttgen mahnte deswegen eine gesetzestechnisch brauchbare begriffliche Trennung von öffentlicher Verwaltung und öffentlicher Erwerbswirtschaft an. 56 Unter der Bezeichnung "Öffentliche Genossenschaften" faßte Köttgen die Ärzte- und Tierärztekammern zusammen und bestritt ihre Eigenschaft als öffentliche Körperschaft.57 Die Rechtsfigur der selbständigen öffentlichen Anstalt erschien Köttgen für öffentliche Geldinstitute, namentlich die Zentralgenossenschaftskasse, preußische Staatsbank (Seehandlung) und die Landesrentenbank, am geeignetsten. Auch an anderer Stelle griff Köttgen wiederholt die von ihm geforderte Unterscheidung von öffentlicher Verwaltung und erwerbswirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand auf. 58 Eher randständig war demgegenüber der Bericht von Heinrich von Jan über die Entwicklung von Verfassung und Verwaltung von Bayern nach 1927, in dem er neuere Gesetzgebungen unter der Rubrik "Wirtschaftliche Verwaltung" zusammenfaßte. Der Begriff war durchaus nicht neu. Er dokumentierte indes, auch hier bei Jan, nicht eine wissenschaftliche Befassung mit einem besonderen Verwaltungsrecht als einem Teil des Wirtschaftsrechts, sondern eine bloße Staatsaufgabe 54 H . Helfritz, Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Preußen seit Inkrafttreten der neuen Verfassung, JöR 1926, S.232-314. 55 A. Köttgen, Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Preußen, JöR 1930, S. 1-129. Köttgen hatte sich 1928 bei Koellreutter in Jena habilitiert. Dort hatte er auch vor seinem Referendarexamen ( 1924) bereits Hedemanns Privatseminar am Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht angehört. V. Götz, Verwaltungsrechtswissenschaft in Göttingen, in: F. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, S. 336-364, insbes. S. 346-353; M . Stolleis, Art. Arnold Köttgen, NDB Bd.12, S.412f; ferner W. Weber: In Memoriam Arnold Köttgen, 1967. 56 A. Köttgen, Entwicklung des öffentlichen Rechts, S. 74-76. 57 A. Köttgen, Entwicklung des öffentlichen Rechts, S. 117 f. Gesetz über die Ärztekammern v. 30. Dezember 1926, GS. S.353, Tierärztekammergesetz v. 13. April1928, GS. S.57. 58 Gesetz über die Organisation der Zentralgenossenschaftskasse v. 12. Dezember 1927, GS. S. 203; Gesetz über die Neuorganisation der preußischen Staatsbank (Seehandlung) v. 22. Februar 1930, GS. S. 19; Gesetz über die preußische Landesrentenbank v. 29. Dezember 1927, GS. S. 283. A . Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht, S. 30.
II. Wirtschaftsrecht und Öffentliches Recht
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im Verhältnis zur Wirtschaft, vergleichbar der politischen Funktion anderer Ressorts. 59 Die von der bürokratisch dominierten Staatsgewalt der Vorkriegszeit und der Kriegszeit geprägten konservativen Wissenschaftler, allen voran Heinrich Göppert, 60 hielten die Staatswirtschaft für unabkömmlich, wenn sie auch die Demokratie nicht für eine dafür geeignete Staatsform hielten. Eine Rückbindung an Grundsätze der Verwaltung spielte keine große Rolle, hatte man doch mit der Reichspost und der Reichsbahn Beispiele für öffentliche Unternehmungen, die offenbar problemlos funktionierten. Erich Kaufmann hob die öffentliche Wirtschaft als notwendige Erweiterung des politischen Staates hervor. Er diagnostizierte für seine Gegenwart eine Strukturwandlung des Staates, die im Zeichen der Abkehr vom Liberalismus stand. Im Gegensatz zu Göppert stellte er unabhängig von der Staatsform die innere Notwendigkeit des Staates heraus, Wirtschaftssubjekt zu werden und sich nicht mehr mit seiner politischen Tätigkeit zu begnügen. Die privatrechtliehen Organisationsformen hätten den Vorzug der Anonymität, träten also nicht als der Staat auf. Doch wies Kaufmann auf die Gefahren von Formenmißbrauch und von Monopolstellungen hin. 61 Erst wenig später trat die staatsautoritäre Richtung namentlich unter ihrem Wortführer Carl Schmitt mit einer massiven Kritik der Kommerzialisierung des Staates verstärkt hervor. 3. Einzelne Rechtsgebiete des öffentlichen Rechts als Schauplätze eines Wirtschaftsrechts, insbesondere das Gewerberecht
a) Vorbedingungen Unabhängig von derbeobachtbaren Genese des Wutschaftsrechts, oder gar sie leugnend, 62 verfolgte die Literatur des öffentlichen Rechts die aus der Vorkriegszeit herrührenden Diskussionszusammenhänge weiter, die unserem Wirtschaftsrecht nahe standen. Der Spätkonstitutionalismus vom Ende des 19. Jahrhunderts hatte die juristische Methode im öffentlichen Recht gebracht, vertieft und gefestigt. Das öffentliche Recht war zu dieser Zeit vorwiegend damit befaßt, seine Position in der juristischen Forschungslandschaft auszubauen und die eigene Methode zu etablieren. Eine große Fülle neuen Rechts war seit der Reichsgründung nach den Reichsjustizgesetzen im Bereich des Verkehrs, der Technik, des Handels und Handwerks sowie im Kammerwesen ergangen. Das bedeutete aber noch lange nicht, daß sich die Wissenschaft diesen Zweigen in einer Weise widmen würde, die der Befassung mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht vergleichbar wäre. Nur in wenigen Disziplinen gewann eine Diskussion an Boden, die sich von der Vorherrschaft des Staatsrechts, des H. v.Jan, Verfassung und Verwaltung in Bayern, 1927-1930, S. 31-33. H. Göppert, Wirtschaft und Staat, S. 23. 61 E. Kaufmann, Aussprache über die Berichte am zweiten Tag, VVDStRL Heft6 S.151 f. 62 F. Schlege/berger, Das Recht der Neuzeit, S. 13.
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allgemeinen Verwaltungsrechts und der engeren Polizeimaterien löste und eine eigene Dynamik entwickelte. Unter diesen ragt nur dieBefassungmit dem Gewerberecht besonders hervor. In einer eigentümlichen Verbindung von Wirtschaftspolizei und wirtschaftsverfassungsrechtlicher Grundlegung verband die Reichsgewerbeordnung von 1869n 1 das liberale Postulat der Gewerbefreiheit mit vorwiegend sicherheitsrechtlichen Genehmigungs-, Erlaubnis- und Untersagungsvorbeha1ten und dem Recht der berufsständischen Korporationen. Lorenz von Stein63 hatte die heterogenen Bestandteile der Gewerbeordnung, die Gewerbepolizei auf der einen und die berufsständische Organisation des Gewerbes auf der anderen Seite, wegen ihrer gegensätzlichen Schutzrichtung angegriffen. Erst im Laufe der Zeit wanderten das ursprünglich enthaltene Handwerksrecht und das berufsständische Kammerwesen in eigene Gesetze ab. Daneben entwickelten sich zahlreiche Regelungsmaterien, welche die Rechtswissenschaft in Einzelgebieten mehr oder weniger unverbunden mit der Gewerbeordnung behandelte oder schlicht der Praxis überließ. Unter den Bedingungen der Wirtschaftsverflechtungen im Organisierten Kapitalismus der Vorkriegszeit mußte die auf die Individualwirtschaft eingerichtete Gewerbeordnung an Glaubwürdigkeit verlieren. An die wissenschaftliche Behandlung des Gewerberechts schloß die Doktrin nach dem Ersten Weltkrieg vielfach an. Justus Wilhelm Hedemann bescheinigte in seiner Jenaer Rektoratsrede vom Herbst 1919 der Reichsgewerbeordnung aufgrund der dominierenden Gewerbefreiheit einen unverwechselbaren Charakter, der sie im Vergleich zum farblosen bürgerlichen Gesetzbuch auszeichne und rief die kommenden Juristengenerationen auf, sich der Materialisierung vornehmlich des bürgerlichen Rechts durch die in das öffentliche Recht abgewanderten "Werte" anzunehmen. 64 Ernst Heymann lieferte 1921 mit seiner fast malerisch zu nennenden Einführung in das Gewerberecht vor dem Krieg die knappe Interpretation der Rolle des Gewerberechts. Danach hätte das Gewerberecht, das "im Kerne Privatrecht" sei und mit dem Landwirtschafts- und dem Handelsrecht ,,heute" zum Wirtschaftsrecht gezählt werde, in der Gegenbewegung zum Liberalismus einen "sozialen Charakter angenommen und die Rückkehr zu den germanischen Rechtsformen (in der eklektischen Ausformung durch Gierke A. d.V.) unter Zurückdrängung des physiokratischen Individuums" vollzogen. Das Gewerberecht habe im Kriege einen unerhörten Zuwachs erfahren. 65 Daß die Einbeziehung des Gewerberechts in das Wirtschaftsrecht Heymann mehr überrascht als überzeugt, demonstriert erneut die verbreitete Haltung, auf den hergebrachten Disziplinen zu beharren, die vor allem im öffentlichen Recht vorherrschte. 66 Erst in der relativ ruhigen wirtschaftlichen Aufbauphase L. v. Stein, VeiWaltungs1ehre, Bd. II, S. 705. J. W Hedemann, Das Bürgerliche Recht und die neue Zeit, S.4, 11. 65 E. Heymann, Rechtsforrnen, S. 6, 18. 66 TrotzEingehensauf die Wirtschaft symptomatisch G. Lassar, Reichseigene VeiWaltung, S. 171ff. 63
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der Republik seit 1925 kam es zu einer Verknüpfung des als öffentlichrechtlich verstandenen Gewerberechts mit dem Wrrtschaftsrecht, indem Walter Kaskel und Arnold Köttgen zum Gewerberecht Stellung nahmen und ihre je eigenen Folgerungen für ein Wirtschaftsrecht daran knüpften. b) Gewerberecht bei Arnold Köttgen 1927 hatte der erst fünfundzwanzigjährige Arnold Köttgen noch vor seiner Habilitation in dem am Ende des Vorjahres entstandenen Artikel zur "Gewerbegesetzgebung" im Handbuch der Staatswissenschaften auf der Grundlage der Geschichte der Gewerbegesetzgebung deren gegenwärtige Lage und ihr Verhältnis zum Wirtschaftsrecht dargestellt. Danach hatte sich das Gewerberecht im Laufe des 19. Jahrhunderts von den sich im Zuge der Industrialisierung immer weiter fortentwickelnden wirtschaftlichen Lebenssachverhalten, namentlich den neuen Betriebsformen, unbewegt gezeigt. Die Gewerbegesetzgebung hatte die industrielle Herstellungsweise mit ihren stark ausdifferenzierten Produktionsvorgängen ignoriert, indem sie immer noch am Bild des im Kleiostbetrieb arbeitenden Handwerkers festhielt, der sowohl das Produkt als Ganzes als auch den Vertrieb allein überwachen konnte und demgemäß zu verantworten hatte. Die Gewerbeordnungen Preußens, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches hätten die unter dem Eindruck der französischen Revolution zumindest für Preußen erreichte Gewerbefreiheit weitgehend relativiert. Vor allem durch die Einschränkungen der Zuverlässigkeitskontrolle, der gewerbepolizeilichen Kautelen und einer sich vor allem im Gesundheitsbereich immer öfter wieder begegnenden Bedürfniskontrolle, schränkten nach Köttgens Rekonstruktion die grundsätzlichen liberalen Errungenschaften bis zur Unkenntlichkeit ein. Köttgen beobachtete dabei immer wieder eine Orientierung an der eigentlich überwunden geglaubten ständischen, zünftigen und innungsmäßigen Ordnung des Mittelalters und der frühen Neuzeit, als das Handwerk an den Verkrustungen der jeweils überkommenen Ordnung gelitten hatte. Diese Organisationen bezeichnete Köttgen als wirtschaftliche Selbstverwaltungskörper und betrachtete sie als die Vorläufer der gegenwärtigen wirtschaftlichen Selbstverwaltung in der Gemeinwirtschaft. Er hob den historisch bemerkenswerten Befund hervor, daß es immer wieder die Vertretungen der Handwerker selbst gewesen seien, die eine innungsmäßige Kontrolle bis hin zur Einführung von Zwangsinnungen forderten. Als das am deutlichsten hervortretende Petitum auf Beseitigung der Gewerbefreiheit bezeichnete Köttgen dasjenige des Handwerkerparlaments, das im Jahre 1848 in Frankfurt am Main getagt hatte. Praktische Wirkung habe dieser Vorstoß freilich nur durch nachfolgende Akte der Landesregierungen, vomelunlich die preußische Notverordnung von 1849 entfaltet, welche für die, nach den liberalen Stein-Hardenbergsehen Reformen von 1811 und die preußische Gewerbeordnung von 1845 noch immer relativ großzügig ausgestaltete Gewerbefreiheit, wesentliche Einschränkungen gebracht 13*
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926-1929
habe. 67 Die so zur Geltung kommenden antiliberalen Tendenzen konnten aber die Gewerbefreiheit nicht in ihrer Substanz beseitigen; erst die nach der Reichsgründung einsetzende Reformbewegung "trachtete" mit den Worten Köttgens danach, mit dem ,,Prinzip der Gewerbefreiheit zu brechen", was sie vornehmlich durch das Arbeiterschutzgesetz und die Befahigungsnachweise im Handwerk erreichte. 68 Mit diesen, gemessen an der Schutzzollpolitik Bismarcks zutreffenden Befunden spielte Köttgen zwar auf die Protektionsforderungen der Wirtschaft der Gründerzeit an, die vorrangig zum Schutz vor Konkurrenz in der imperialistischen Weltwirtschaft den Staat als Helfer angerufen hatten. Aufgrund dieser historischen Einschätzung mußte Köttgen feststellen, daß ein echter Bezug zur Rechtsentwicklung für die Gewerbegesetzgebung des neuen Deutschen Reiches gar nicht mehr bestand. Daneben wies er nach, wie der sich ständig verbreitemde Gesetzgebungsstrom in einer Reihe von Sondergesetzen, die sich nicht mehr als Novellierungen des Gewerbegesetzes verstanden, ungeregelt über das breite Feld des entstehenden und von Köttgen so bezeichneten "Wirtschaftsrechts" ergoß. Auf diesem Wege gab Köttgen auch eine Positionsbestimmung des Wirtschaftsrechts als demjenigen Rechtsgebiet, das sich entwickelt hatte, um der tatsächlichen Entwicklung der modernen Industriewirtschaft einen Ordnungsrahmen zu geben. Allerdings ordnete er das Wirtschaftsrecht nicht dem öffentlichen Recht zu, sondern wies ihm nur einen nicht näher definierten, heteronomen Standort zu. Bemerkenswerterweise behielt Köttgen im Ergebnis für das noch geltende Recht ein nichtinterventionistisches Bild der Gewerbegesetzgebung bei, und zwar aufgrund der prinzipiellen Gewerbefreiheit, der ein Grundordnungscharakter zukomme. Damit hatte Köttgen einen, wenn auch nicht positivierten, wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ansatz zum Verhältnis der Wirtschaft zum Staat formuliert, der allerdings nicht unmittelbar dem Wirtschaftsrecht angehörte. Die Literatur, auf die sich Köttgen bezogen hatte, war überwiegend älteren Datums. Er verband in seiner Analyse die überkommene Debatte mit eigenen Gedanken. Nur der maßgebliche Kommentar zur Gewerbeordnung von Robert von Landmann, war nach dem Krieg ergänzt worden. 69 Köttgen hatte 1922/23 an Hedemanns wirtschaftsrechtlichem Privatseminar im Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht teilgenommen und war seitdem dem Institut verbunden geblieben. 70 Im Licht der jüngsten Rechtsentwicklung hielt Köttgen das Gewerberecht für ein zünftisches Erbe, das als eigene Rechtskategorie im öffentlichen Recht keinen Anspruch auf Anerkennung mehr habe. Das Gewerberecht stellte für Köttgen, dessen wissenschaftliche Prägung durch Hedemann hier spürbar wird, die A. Köttgen, Art. Gewerbegesetzgebung in: HWStW 1927, insbes. S.1007-1009. Ebenda, Sp.IOII-1014. 69 R. v.Landmann, Kommentar zur Reichsgewerbeordnung, 7. Auflage, I. Band, Miinchen 1917,2. Band, München 1925. Die Kommentierung wird bis heute fortgeführt. 70 A. Köttgen, Beamtenrecht und Arbeitsrecht, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wrrtschaftsrecht, Nr.l6, November 1928, S. 3-14. 67 68
III. Schwerpunktmaterien des neueren WirtSchaftsrechts
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"oft überlebte Verbindung verschiedenster Elemente dar, die alle in dem Begriff des Wirtschaftsrechts, d. h. desjenigen Rechts, mit dem der Staat seine Wirtschaft zu beherrschen versucht, ihren Platz finden. Unser heutiges deutsches Gewerberecht wird sich daher im Laufe der Entwicklung notwendig in der übergeordneten Materie des Wirtschaftsrechts auflösen müssen". 71 c) Die Gegenauffassung von Walter Kaskel Einen entgegengesetzten, also konventionellen Standpunkt vertrat Walter Kaskel. Ihm galt die Gewerbeordnung als "ja in Wahrheit eine für alle wirtschaftlichen Unternehmer geltende allgemeine Wirtschaftsordnung", gleichsam als der Urgrund des Wirtschaftsrechts. 72 Sie beschränkte sich zwar auf die Gewerbetreibenden im engeren Sinne, ließ also die Rechtsgebiete, welche die Urproduktion betrafen, nämlich vorrangig das Landwirtschaftsrecht und das Bergrecht, die verstaatlichten Betriebe, Reichspost und Reichsbahn und die freien Berufe außer acht. Diese wollte Kaskel demgegenüber aufgenommen wissen und empfahl deren Einbeziehung als Sonderwirtschaftsrechte in ein von der Gewerbeordnung dominiertes Wutschaftsrecht Die Vertreter des angestammten Gewerberechts blieben gegenüber dem Wirtschaftsrecht entweder völlig immun, wie der erwähnte Robert von Landmann. Oder sie verzeichneten unabhängig von der Dynamik des Wirtschaftsrechts eine innere Krise des Gewerberechts, verbunden mit dem Vorschlag, die Gewerbeordnung ähnlich der Reichsversicherungsordnung zu einer umfassenden Regelung auszuweiten, oder umgekehrt zu einer reinen Gewerbepolizei zu verjüngen. 73
111. Schwerpunktmaterien des neueren Wirtschaftsrechts im öffentlichen Recht: Kartellrecht, öffentliche Wirtschaft und Recht der öffentlichen Anstalt 1. Kartellrecht bei Adolf Amdt
Die bei dem Staatsrechtslehrer Felix Genzmer in Marburg entstandene Dissertation Adolf Amdts über "Kartellrechtliche Verwaltungsakte" von 1926 sprach als erste an prominenter Stelle mit einem durchaus eigenen Ansatz die Abhängigkeit des die Wirtschaft betreffenden Verwaltungsrechts vom Wirtschaftsrecht explizit aus. 74 A. Köttgen, Art. Gewerbegesetzgebung, Sp. 1006. W. Kaskel, Gegenstand des Wrrtschaftsrechts, S.12. 73 Zu Robert v. Landmann: E. Rohmer, Nekrolog: Robert von Landmann, DJZ 1926, S.504-505; Nelken, Zur Reform des Gewerberechts, DJZ 1926, S.416f. 74 A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, Archiv des öffentlichen Rechts 1926, S.192229. ZuAdolf Arndtjun. sieheD. Gosewinkel, Adolf Amdt, 1991, S.31-68: ArndtwarFakultätsassistent in Marburg sowie ab 1930 Gerichtsreferendar und zugleich Assistent bei James Goldschmidt sowie Heinrich Triepel in Berlin. Gemeinsam mit seinem Bruder Ernst Moritz 71
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Ein Wirtschaftsverwaltungsrecht postulierte Amdt hingegen nicht. Er machte das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Verwaltungsrecht deutlich, indem er eingangs markant feststellte: "Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Staatsorgane auf Grund der Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellung vom 2. November 1923 (Kartellverordnung) zu Verwaltungsakten befugt sind, ist in erster Linie eine Frage des Wutschaftsrechts." 75
Die wissenschaftliche Befassung mit dem Kartellrecht war im Schrifttum durchaus umfänglich, doch war die öffentlichrechtliche Analyse und Kritik ein Novum. 76 Amdts Definition des Wirtschaftsrechts ist hierbei zwar eigenständig, aber nicht präzedenzlos. Er ging von einer vor- oder außerrechtlichen Definition aus, von einer Bezogenheil auf einen bestimmten gesellschaftlichen Lebenszusammenhang. Alles Recht der Wirtschaft, im engeren Sinne der Volkswirtschaft, erklärte Amdt zum Wirtschaftsrecht Diese Definition ging nicht von der rechtlichen Eigenart eines Gebietes, aber auch nicht von einem rein außerrechtlichen Zusammenhang aus. In gewisser Weise näherte sich Amdt damit dem in der Literatur häufig vertretenen Gesichtspunkt der eigenständigen Methode als entscheidendem Merkmal des Wlrtschaftsrechts. Diese Anschauung überschnitt sich bei Amdt mit der von der Rechtssoziologie (Max Rumpf, Heinrich Kronstein) betonten Ausrichtung des Wlrtschaftsrechts auf einen eigengesetzlichen Lebenszusammenhang der Wirtschaft. Die Wirtschaftsgesetzgebung in der Folge der Revolution von 1918 empfand Amdt grundsätzlich als begrüßenswert. Denn sie hatte die unlösbaren Zusammenhänge von Staat und Wirtschaft offenbar gemacht. Den jungen Referendar reizte die Aufgabe, neue Lösungen für neue Rechtsprobleme zu finden. Dennoch hatte nach Amdts Auffassung das Rechtswort Wirtschaft gegenüber der Volkswirtschaftslehre im Recht eigenständig Grenzen und Sinn gefunden, es war ,,kein metajuristischer Begriff mehr". 77 Der juristische Begriff sollte sich aus dem positiven Recht, also der Regelung der Kohlen-, Kali-, Elektrizitäts- und EisenwirtArndt übernahm AdolfArndt nach dem Tode des Vaters und Königsherger Ordinarius (Gustav) AdolfArndt die Fortsetzung von dessen Kornmentaren zur Weimarer Reichsverfassung (zuerst (G.) A. Arndt, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Mit Einleitung und Kommentar, Berlin und Leipzig 1919, 3. Auflage postum 1927) und zum Reichsbeamtenrecht. In seinen Berliner Jahren war Arndt bis 1933 als Referendar einer Berufungskammer des Berliner Landgerichts zugeordnet und hatte Anteil an der Urteilstindung in aufsehenerregenden Strafprozessen, etwa gegen Joachim Herzfelde und George Grosz einerseits, aber auch gegen Joseph Goebbels andererseits. Mit seiner Entlassung aus dem Justizdienst im März 1933 scheiterten nicht nur Arndts Habilitationspläne endgültig. Es begann die politische und, aufgrund seiner jüdischen Herkunft, persönliche Verfolgung Amdts, die bis zum Kriegsende fortdauerte. Erst in der gemeinsamen Erfahrung der Verfolgung, aber auch schon durch erste antisemitische Ausgrenzung durch die Marburger Studentenschaft während der Weimarer Zeit gelangte Adolf Arndt in die Nähe der Sozialdemokratie, für die er besonders nach 1945 auftrat. 75 A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, S. 192. 76 Zum Kartellrecht siehe insbesondere die Arbeiten des Rechtsanwalts am Kammergericht Rudolf lsay, insbesondere R. lsay, Kartellprobleme, Recht und Wutschaft 1921, S. 128-134. 77 A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, S.193.
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schaft und der Kartellverordnung ergeben. Eine rechtliche Sondergestaltung der Wirtschaft durch öffentlichrechtliche Sollensnormen bedeutete für Arndt ein Novum. Zuvor habe man die Wirtschaft ihren Seinsgesetzen und dem allgemeinen Privatrecht überlassen. Wirtschaftsrecht war nach Arndt demgegenüber mit öffentlichrechtlicher Organisation oder Aufsicht verbunden. Zwischen einer Einschränkung der rechtsgeschäftliehen Form- und Inhaltsfreiheit, einem eigenen wirtschaftlichen Vertragsrecht oder auch einer staatlichen Aufsicht und Einwirkungsmöglichkeit habe der Gesetzgeber die letztere Variante gewählt. Das bedeutete keine Änderung des bürgerlichen Rechts, sondern die Eroberung eines neuen Gebietes durch das öffentliche Recht, denn, so argumentierte Amdt, es war lediglich die Möglichkeit eines Eingreifens mit Verwaltungsakten zum Schutz der Wirtschaft vorgesehen, indem für die "wirtschaftlichen" Rechtsgeschäfte im Sinne der Kartellverordnung die Form- und Inhaltsfreiheit aufgehoben sein sollte.78 Die Kartellverordnung hatte das wirtschaftliche Rechtsgeschäft nicht rechtlich verändert, es blieb ein bürgerlichrechtlicher Kartellvertrag. Nur war es zu einer Vorbedingung für Verwaltungsakte geworden. Entgegen der herrschenden Auffassung der Lehre und der Rechtsprechung des Kartellgerichts, die von der besonderen Kategorie eines Kartellvertrags ausgingen, definierte Amdt die Kartellabreden neben der vertraglichen Grundlage in Form von Syndikaten, Kartellen, Konventionen und ähnlichen Abreden zusätzlich als einen selbständigen Tatbestand, der kartellrechtliche Verwaltungsakte nach sich ziehen konnte. Den wirtschaftsrechtstypischen Grund für die Sanktion des Kartells sah Amdt in der Möglichkeit der staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft. Deshalb forderte Amdt auch materiell ein wirtschaftliches Rechtsgeschäft als Voraussetzung für staatliches Handeln. Setzte die Kartellverordnung eine Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls voraus, so erblickte Amdt darin die Wesensgesetzlichkeit der Gütererzeugung und des Güterumsatzes innerhalb des Volksganzen. Damit verband Amdt weder eine Staatsleitung, noch ein bestimmtes Wrrtschaftsprinzip, insbesondere nicht den Liberalismus. Die Möglichkeit einer unmittelbaren Einflußnahme auf die Gesamtwirtschaft schloß Arndt mit dem Reichswirtschaftsgerichtsrat Siegfried Tschierschky ,,klar" aus. 79 Worin das Gemeinwohl bestehen sollte, legte Amdt nicht fest, sondern er zog sich auf die wertungsoffenen Begriffe der sozialen Lage und der öffentlichen Rechtsordnung zurück. 80 Nur nach diesen Wertungen waren die Kartelle nichtig oder kündbar, Druckmittel wurden unzulässig. 81 Hatte Amdt primär die Verwaltungsakte des Reichskartellamts im Kartellrecht vor Augen, so hatte er eine eigene Definition des Wirtschaftsrechts als einem reinen Wirtschaftsverwaltungsrecht zwar nicht formuliert, aber doch impliziert. Einen umfassenden Anspruch auf die Definition einer neuen solchen Rechtsdisziplin hatte er Ebenda, S. 195 f. Ebenda, S. 194; S. Tschierschky, Kartellverordnung, S. 73. so A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, S. 211. 8t § 8, 10 Kartellverordnung. 78 79
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damit nicht verbunden. Seine Auffassung markiert dennoch klar einen Wendepunkt der verwaltungsrechtlichen Doktrin, die damit einsetzte, den ihr oftmals angetragenen Anspruch auf das Wirtschaftsrecht als verwaltungsrechtlicher Materie nun wirklich zu erheben. 2. Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand
Die über die bloße haushaltsrechtliche juristische Einbindung hinausgehende eigenwirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand hat bis in die zweite Hälfte der Zwanziger Jahre das öffentliche Recht nicht beschäftigt. Mit seiner Studie über die "erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht" setzte sich Arnold Köttgen 1928, inzwischen Privatdozent in Jena, besonders intensiv mit dem Wirtschaftsrecht auseinander. Gemeinsam mit Friedrich Glum, der mahnte, das öffentliche Recht habe das Wtrtschaftsrecht bislang vernachlässigt und dennoch unbemerkt einen beträchtlichen Impuls erhalten, stand Köttgen unter den Öffentlichrechtlern dem Wtrtschaftsrecht am nächsten, auch wenn er das öffentliche Recht vor Aufweichungen schützen wollte. 82 In einem groß angelegten Plädoyer zeichnete Köttgen das Bild eines auf dem positiven Recht beruhenden und nicht aufgrund rechtslogischer Implikationen eintretenden Bedeutungswandels der Institutionen des öffentlichen Rechts. Aus den starken Verschiebungen des Funktionsbereichs der öffentlichen Verbände schloß er auf einen Charakterwandel dieses Rechtsbereiches. Der Theorie wies er die Aufgabe zu, diesen Wandel in seinem Sinnzusammenhang zu beschreiben und stellte die These auf, der Übergang von hoheitlichen zu nichthoheitlichen Formen der Verwaltung liege in der sich wandelnden Identität von Staat und Volk. Köttgen unterstellte einen Gleichlauf des verfolgten Staatszwecks mit der dort jeweils angewandten Arbeitsmethode. Als Gradmesser dienten ihm die öffentlichrechtliche Gebühr, die sich vom vertraglichen Preis unterschied und die Beamtenverhältnisse im Unterschied zu den Angestelltenverhältnissen. Gegenüber dem Wirtschaftsrecht, das die prinzipielle Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht anfocht und aufweichte, vertrat Köttgen eine rückwärtsgewandte Position. 83 Ihm ging es um die Reinerhaltung des öffentlichen Rechts, die öffentlichen Körperschaften und die privatwirtschaftliehen Betriebe der öffentlichen Hand sollten "wieder" strikt getrennt werden. Köttgen versuchte die Entwicklung, nach der zahlreiche Staatsaufgaben schon seit dem Kaiserreich zunehmend privatrechtlich organisiert und erledigt wurden entweder dem öffentlichen Recht zuzuordnen oder davon abzudrängen. 82 Köttgens Arbeit erschienen als Heft 59 der Tübinger Reihe des Verlages J. C. B. Mohr (Siebeck) "Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart"; siehe dazu die Rezension von F. Glum, JW 1929, S. 1111. Glum und Köttgen bildeten als diejenigen Staatsrechtslehrer, die dem Wirtschaftsrecht am nächsten standen und seine Ausbildung forderten, ein ,,Rezensionsund Verweisungskartell". Siehe auch A. Köttgen, Rezension: Glum, S. 305-312. 83 K. Friedrichs, Rezension: Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht, AöR 1928, S. 465 f.
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Eine explosionsartig zunehmende Zahl von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes und eine ebenso stark ansteigende Zahl von Beschäftigten in den Betrieben der öffentlichen Hand, in erster Linie der Kommunen, hatte die wachsenden staatlichen Aufgaben nach dem Krieg übernommen. Dabei waren die Aufgaben teilweise ringsum neu verteilt und auf die unterschiedlichsten Rechtssubjekte übertragen worden. Hatte das Wirtschaftsrecht diesen tatsächlichen Entwicklungen der Verwaltung Rechnung getragen, so verharrte das öffentliche Recht regungslos. Oder man strebte wie im Falle Köttgens zurück zu einem in dieser Reinheit freilich nie vorherrschenden und auf der sauberen Trennung vom Privatrecht beruhenden Zustand des öffentlichen Rechts. 3. Öffentliches Wirtschaftsrecht und Recht der öffentlichen Anstalt: Die Berichte am zweiten Tag der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1929
In der akademischen Welt des etablierten öffentlichen Rechts wurde man sich der starken Ausweitung der öffentlichen Wirtschaft gegen Ende der Zwanziger Jahre zusehends bewußt. Besonders im Recht der öffentlichen Anstalt kam diese Entwicklung zur Geltung. Dort zeigen sich augenscheinliche Einbruchstellen des Wirtschaftsrechts in die Verwaltungsrechtsdogmatik. Nicht nur auf die öffentliche Anstalt sondern allgemein auf die Betätigung der öffentlichen Hand auf wirtschaftlichem Gebiet bezogen, referierte zunächst der Leipziger Extraordinarius Lutz Richter84 vor den Mitgliedern der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer auf deren sechster Tagung im Jahre 1929. 85 Er warnte generell vor Überschätzungen der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit Amold Köttgen griff als Siebenundzwanzigjähriger in seinem ersten Staatsrechtslehrer-Referat die Problematik des Verwaltungsrechts der öffentlichen Anstalt im besonderen auf. Zwar meinte Richter kein vollständiges Bild von der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit wiedergeben zu können, doch sind seine Darstellung und seine Einschätzungen als Bestandsaufnahme für den Stand des öffentlichen Rechts in dieser Frage von herausragendem Wert. Gleichwohl trägt eine Bemerkung Friedrich Glums in der bei Staatsrechtslehrertagungen üblichen Aussprache zu den Referaten zur Bewertung der Arbeiten von Richter und Köttgen bei. Glum wies daraufhin, daß sich der staatliche Einfluß auf die Wirtschaft nicht auf die Fälle beschränke, in denen der Staat 84 L. Richter war auch zum Sozialrecht innovativ hervorgetreten, ders., W. Sonnenberg, Kassenärztliche Rechtsverhältnisse, Leipzig 1921; ders., Rezension: Braun; Kaskel, Rechtsfalle aus der sozialen Versicherung, AöR 1928, S. 311 f; dies ging ein in Richters Lehrbuch, ders., Sozialrecht, 1931; fernerders., Rezension: Walz, Vom Wesen des öffentlichen Rechts, AöR. 1929, s. 126-129. 85 Zu den Veranstaltungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer M . Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 186- 210, zu den Referaten des zweiten Tags der Tagung von 1929, S. 195, 209.
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oder die öffentlichen Verbände selbst wirtschaftliche Unternehmungen betrieben. Auch der Begriff der öffentlichen Wirtschaft sollte sich nicht auf die Erscheinungstonnen der wirtschaftlichen Eigenbetätigung beschränken. Damit hatte Glum auf die ausstehende rechtliche Erfassung der Wirtschaftsverwaltung hingewiesen. Zumindest ein dem Wirtschaftsrecht über das Recht der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper nahestehender Öffentlichrechtier hatte zur Befassung mit einem Wirtschaftsverwaltungsrecht ennahnt. Doch blieb der Bereich der Wrrtschaftsverwaltung weiter ausgespart. Die öffentliche Wirtschaftstätigkeit hatte man als demgegenüber vordringliches Problem angesehen und erörtert. Richter faßte alle Erscheinungen der öffentlichen Wirtschaft unter dem Begriff der öffentlichen Anstalt zusammen, wie ihn Otto Mayer für die Verwaltungsrechtswissenschaft geprägt hatte. Er hob dabei nicht klar hervor, ob er der von Mayer verfolgten Zweiteilung in Anstalten und öffentliche Erwerbsunternehmen beitrat, sondern beschränkte die Darstellung ohne Differenzierung auf die Anstalten. Köttgen dagegen stand der sich ausdehnenden öffentlichen Wirtschaft wesentlich skeptischer gegenüber. Er hielt diesen Anstaltsbegriff für zu weit und sah die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung als durch ihre "Kommerzialisierung" gefährdet an. Den Begriff hatte er in seiner selbständigen Veröffentlichung vom Vorjahr "Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und das öffentliche Recht" geprägt. Nach dem Urteil Richters wurde die Betätigung der öffentlichen Hand in ihrem Umfang überschätzt, wobei er sich auf den Betriebswirtschaftslehrer Kurt Weidenfeld und den Gewerkschaftstheoretiker Fritz Naphtali, der seinerseits aus der Perspektive der ausgebliebenen Sozialisierung Defizite monierte, berief. 86 Im öffentlichen Recht hatten sich Fritz Reiner und Amold Köttgen 1928 jeweils zu Fragen der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand in je eigener Weise geäußert. Sie hatten einen neuen Bedarf gesehen, den das öffentliche Recht nicht bewältigen konnte, weil die theoretischen Handhaben fehlten. Erst ein Jahr zuvor hatte Fritz Reiner in seinem auf breiter Anerkennung ruhenden Lehrbuch "Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts" den neuen Erscheinungen in einem eigenen Kapitel über "Neue Organisationsfonnen" Rechnung getragen. 87 a) Lutz Richter: Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand Richter suchte zunächst nach den Gründen für die Erscheinung der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand, wobei er es bewußt vennied, die von Weltanschauungen und Interessenlagen gekennzeichnete wirtschaftspolitische Diskussion aufzugreifen. Demgemäß nannte Richter als ersten Grund zwar Sozialismus und Sozialisierung, beschränkte sich aber "unzuständigkeitshalber" auf wenige Be86
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L. Richter, VeiWaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, VVDStRL 6 (1929), S. 69 f.
F. Fleiner, Institutionen des deutschen VeiWaltungsrechts, 8. Auflage 1928, S. 120-129.
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merkungen. 88 Zwar sei der Sozialismus ein starkes Motiv, doch nicht der einzige Grund staatswirtschaftlicher Betätigung. Während liberale Gegner allenthalben ,,kalte Sozialisierung" (Geiler) vermuteten, zogen sich die enttäuschten Sozialisierer auf den vieldeutigen Begriff der Wirtschaftsdemokratie zurück. Richter wies auf das Paradoxon hin, daß das staatswirtschaftliche Ausmaß von Bismarcks Bisenbahnplänen völlig unerreicht, aber keines sozialistischen Motivs verdächtig sei, während andererseits jedes kommunalisierte Unternehmen mittlerweile als Erfolg von Sozialisierungsbestrebungen gewertet würde. 89 Richter griff damit eine Kritiklinie auf, die eine in der Sache nicht gegebene, bloße Etikettierung staatswirtschaftlicher Betätigung als Sozialisierung oder Sozialismus anprangerte, die von Heinrich Göppert bis zu Wemer Sambart reichte. 90 Im Machtbedürfnis des Staates erblickte Richter den zweiten und "gewissermaßen natürlichen Grund staatlicher Wntschaftsbetätigung". Die Gründe im polizeilichen oder wohlfahrtsstaatliehen Denken suchend, sah Richter den Staat wegen der Gefahr des Mißbrauchs einer wirtschaftlichen Machtstellung in privater Hand und einer gleichmäßigen Versorgung zu Recht zur Aktivität veranlaßt Aber auch aus staatstheoretischen Gründen, aus der Notwendigkeit staatlicher Selbstbehauptung, weil jedes soziale Gebilde ein gewisses Quantum Macht brauche, um lebensfähig zu bleiben, billigte Richter dem Staat wirtschaftliche Betätigung zu. Wenn auch unter politischen Vorbehalten sah Richter doch mit dem Soziologen Rudolf Goldscheid die Gefahr der Expropriierung des Staates durch die neuen Machthaber, nämlich die Staatsgläubiger. Nicht ein Träger öffentlicher Schulden, sondern nur ein reicher Staat könne demgemäß ein Rechtsstaat sein. 91 In der für die Tagungen der Staatsrechtslehrer üblichen und meist wohlvorbereiteten Aussprache zum Vortrag kritisierte Friedrich Glum die Auffassung, ein armer Staat könne sich den von den Staatsgläubigem diktierten Bedingungen nicht entziehen, indem er vorbrachte, jedem Staat stünden Mittel der Aufsicht zur Verfügung. Verschiedene Haltungen zum Interventionsstaat prallten hier aufeinander. Während Richter rückwärtsgewandt argumentierte, war Glum bereit, moderne Abhängigkeiten des Staates zu akzeptieren. L. Richter, Öffentliche Anstalt, S. 73. Ebenda, S. 74. 90 H. Göppert, Die Sozialisierungsbestrebungen in Deutschland nach der Revolution, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 313-347 monierte, daß- inhaltlich identische- Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung Bethmann-Hollweg nicht, dagegen Nachkriegserscheinungen rundweg als Sozialisierung bezeichnet wurden. W. Sombart, Die Ordnung des Wirtschaftslebens, 2. Auflage 1927, S.63: "Was wir beobachten, ist ein Prozeß der Umbildung eines ursprünglich vorwiegend naturalistisch- nach den Grundsätzen des Liberalismus gestalteten Wutschaftslebens in ein normativ geregeltes: ein Prozeß, der sich seit einigen Menschenaltem schon vollzieht und der in den letzten Jahren nur etwas beschleunigt worden ist. Dieser Hineinbau, wie man auch sagen kann, eines verwaltungswirtschaftlichen in ein frei-verkehrswirtschaftliches System nennt man neuerdings Sozialisierung. Der Ausdruck ist neu, die Erscheinung alt( ...)." 91 R. Goldscheid, Staat, öffentlicher Haushalt und Gesellschaft- Wesen und Aufgaben der Finanzwissenschaft vom Standpunkte der Soziologie, 1926, S.146, 153, 165. L. Richter, Öffentliche Anstalt, S. 77. 88 89
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Mit der Machtkomponente stand das Finanzbedürfnis des Staates als drittes Motiv für die staatswirtschaftliche Betätigung in enger Verbindung. Fritz Reiner hatte bereits diesen Grund für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand für maßgeblich erachtet. 92 Die konkrete, nämlich privatwirtschaftliche Form des Unternehmens war dadurch ebenso präjudiziert. Die letzte Ursachengruppe bildete nach Richters Analyse der Betätigungsdrang der Bürokratie. Diese wolle den Einfluß der Parlamente, die Rechnungskontrolle und die hoheitliche Staatsaufsicht überhaupt erheblich eindämmen. Die Bürokratie war in der Tat in Weimar zunächst ins Unaufhaltbare gewachsen. Nur mit Mühe hatte man durch den Einsatz des Reichssparkommissars, einer finanzwirtschaftlichen Institution des Reiches, den Ausbau der Bürokratie bremsen können. Dabei nahm die Bürokratie als angestammte Größe im Staatsleben des Kaiserreiches, wie sie in die Republik überkommen war, eine Doppelrolle ein. Für viele Konservative bot sie einerseits eine Gewähr für eine unparteiische Politik. Sogar Max Webers Denken war davon geprägt, der in der Bürokratie eine eigene staatliche Macht sah. Andererseits galt sie, etwa im sozialdemokratisch regierten Preußen, als Hoffnungsträger für eine weitestmöglich gemeinwirtschaftlich gefärbte Staatswirtschaft Deshalb bestand über die Erweiterung der Bürokratie ein Konsens. Zur Frage der Zulässigkeit der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand äußerte sich Richter nicht in einer Weise, die das Verhältnis des Staates zur Wirtschaft zu klären versucht hätte. Richter übernahm die Gliederung der damals in Italien geltenden Carta del Lavoro, wonach der Staatseingriff in die wirtschaftliche Produktion die Form der Überwachung, der Ermutigung oder der unmittelbaren Geschäftsführung annehmen konnte. Nähere Aufmerksamkeit widmete er nur dem unmittelbaren Geschäftsbetrieb der öffentlichen Hand. Zur Zulässigkeit der unmittelbaren Geschäftsbetriebe warf Richter zunächst das Grundrecht der Gewerbefreiheit aus Art. 151 WRV auf. Zwar dürfe die Gewerbefreiheit auch für Reich und Länder nicht beschränkt werden, wenn man es mit Smend halte, der den Grundrechten den Sinn eines Wert- oder Gütersystems beilegte. Der rechtlichen Abgrenzung der freiwirtschaftlichen und hoheitlichen Sphären bei der erwerbswirtschaftlichen Betätigung begegnete Richter ohnehin selbst mit Skepsis. Daher leitete er die Zulässigkeit der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand durch einen Schluß a maiore ad minus aus Art.156 WRV ab. In dieser oft als Sozialisierungsartikel bezeichneten Verfassungsnorm, die erlaubte, Unternehmen in Gemeineigentum zu überführen, staatlichen Einfluß anderweit zu sichern oder wirtschaftliche Selbstverwaltung einzuführen, liege als ein minus, daß die öffentlichen Verbände wirtschaftlich tätig werden dürften. Er stützte sich bei dieser ohne weiteren Aufwand begründeten Annahme auf die Meinung Fritz Poetzsch-Heffters, der in seinem Kommentar zur Weimarer Verfassung diese Auffassung mit besonderer Eindringlichkeit vertrat. 93 92
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F. Fleiner, Institutionen, 8. Auflage 1928, S. 121. F. Pötzsch-Heffter, Handkommentar der RV, 3. Auflage 1928, Art.156, Anm. 4.
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Tatsächlich hatten aber Autoren wie Gerhard Anschütz diese Möglichkeit gar nicht zur Diskussion gestellt. 94 In der Aussprache wies der in eigener Sache unermüdliche Friedeich Glum auf die Bedeutung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung hin, die von Gesetzes wegen öffentliche Aufgaben vertrat und die Richter in seinem Vortrag nicht erwähnt hatte. Da sich im Sprachgebrauch das Gegensatzpaar der öffentlichen und der privaten Wirtschaft herausgebildet habe, sei wirtschaftliche Selbstverwaltung dem Bereich der öffentlichen Wirtschaft zuzurechnen. Als ebenso wichtig bezeichnete Glum die beaufsichtigende Tätigkeit des Staates. Er mahnte überdies an, den Staatskapitalismus von der Wirtschaftsdemokratie zu trennen. 95 Anband der nach Richters Urteil diffusen Merkmale, welche die Figur des beliehenen Unternehmers bestimmten, und an deren Zusammenspiel mit den Behörden, beschrieb er die in seinen Augen schwindende Bedeutung der Dichotomie vom privatem und öffentlichem Recht. Zumal im Bereich des öffentlichen Verkehrs und der Rundfunkanstalten würden Kompetenzen und damit Handlungsformen weitgehend nach Willkür der Behörden verschoben. Einerseits hatte die öffentliche Hand besseren Kredit, während andererseits die Haftung vermittels privater Gesellschaftsformen wirksam begrenzt war. Der Einfluß beschränkte sich bei den beliehenen Unternehmern nicht nur auf das privatrechtliche Stimmenverhältnis durch die staatliche Anteilsmehrheit, sondern war, etwa durch die telegraphemechtliche Verleihung zur Errichtung und zum Betrieb einzelner Fernmeldeanlagen, noch verstärkt. Die von der öffentlichen Hand gewählten Rechtsformen sperrten sich nach Richters Auffassung noch gegen eine Typisierung.96 Die öffentlichrechtlichen Organisationsformen, mit denen die öffentliche Hand wirtschaftend auftrat, handelte Richter auf engstem Raum ab. Er wollte zum einen diesen Problembereich Amold Köttgen, dem Zweitreferenten des Verhandlungstages, überlassen. Zum anderen sah er sich in der Sache nicht veranlaßt, die hergekommenen Institutionen in Frage zu stellen oder näher zu problematisieren. Aus seiner Sicht boten sich die Organisationsformen der Anstalt wie auch genossenschaftliche Gebilde an. In seiner etwas pauschalierenden Untersuchung dieses Topos hatte Richter keine Bedenken, die Unternehmen der öffentlichen Hand fast sämtlich als öffentliche Anstalten im weiten Sinne G. Anschütz, Die Vetfassung des Deutschen Reiches, 10. Auflage 1929, S. 624-627. F. Glum, Aussprache zum 2. Tag, VVDStRL 6 ( 1929), S. 144. Zur Wirtschaftsdemokratie s. 6. Kapitel. % Er sah also eine Entwicklung zu neuen Rechtsformen im Gange. Seine vorsichtigere Einteilung nach Organisationsformen erbrachte nur ein vielfaltiges Bild verschiedener Einzelbeispiele zunächst privatrechtlicher Organisationsformen, in die er die gemischtwirtschaftlichen Formen organisch einzubinden suchte. Zu einer besonderen Behandlung gerade dieser furm sah er keinen Anlaß, wenn er auch das sich abzeichnende Spektrum der Auffassungen zur Frage, ob sich eine eigene Gesellschaftsform der gemischtwirtschaftlichen Unternehmung in das Gesellschaftsrecht einfügen lasse, seit den ersten Ansätzen aus der Vorkriegszeit nicht aus dem Blick ließ. Richter bezog sich auf die allseits anerkannte grundlegende Stellungnahme von F. Freund, Die "gemischte wirtschaftliche Unternehmung", eine neue Gesellschaftsform, DJZ 1911, Sp.lll3ff. 94
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Otto Mayers einzuordnen. In Mayers Anstalt, der "Vereinigung von sächlichen und persönlichen Mitteln, welche in der Hand des Staates oder eines anderen Trägers öffentlicher Verwaltung einem Zwecke derselben dauernd gewidmet sind" schoben sich nach Richter gelegentlich körperschaftliche Elemente. Dabei diente ihm bezeichnenderweise die Reichsbank, die im Vergleich zu den gewöhnlichen wirtschaftlichen Verbänden der öffentlichen Hand eine Ausnahmebehörde darstellte, als Beispiel. Den Verwaltungszweck der Anstalt, den Mayer festgeschrieben hatte, sah Richter solange als unbestritten an, als die verwaltende Staatstätigkeit nur negativ von Gesetzgebung und Rechtsprechung abgegrenzt würde, wie es der herrschenden Auffassung entsprach. 97 Der Begriff der öffentlichen Anstalt zerfiel seinerseits wieder in rechtsfähige und nichtrechtsfähige öffentliche Anstalten, die beide als Organisationsformen der öffentlichen Wirtschaft begegneten. Richter zitierte die zeittypischen Musterbeispiele der Reichsbahn-Gesellschaft für die rechtsfähige Anstalt und der Reichspost als der bedeutendsten nichtrechtsfähigen Anstalt. Zahlreiche kommunale Wirtschaftsbetriebe waren ebenso wenig in Gesellschaftsform überführt und daher nichtrechtsfiihige Anstalten geblieben. Die Charakteristika der nichtrechtsfähigen Anstalt, ihre "staatsrechtlichen Unterlagen", die sie durch die Unterordnung unter die Verwaltung bewahrte, nämlich den rechtlich gebundenen Voranschlag und die Rechnungskontrolle waren nach Richters Dafürhalten in zunehmender Aufweichung begriffen. Erleichterungsklauseln für "das Finanzwesen der ertragswirtschaftlichen Unternehmungen des Staates" der preußischen Verfassung, Nettoetatisierung der Post, wie sie das vieldiskutierte Postfinanzgesetzvon 1927 gebracht hatte, 98 die Einsetzung von Verwaltungsbeiräten, gemischte Ausschüsse, Beschränkung der Rechnungsprüfung durch die Verwaltungsressorts und Rechnungshöfe zugunsten von Treuhandgesellschaften, 99 lösten die Exekutivorgane in ihrem Streben nach wirtschaftlicher Geschäftsführung der Unternehmen zunehmend von der Parlamentsverantwortung. Gleiches gilt für die Gemeinden und Gemeindeverordneten. Genossenschaftliche Sondergebilde erblickte Richter dagegen in den kommunalen Zweckverbänden, in denen das anstaltliehe Moment zurücktrete und private Rechtssubjekte begannen, in eben diese genossenschaftlichen Verbände vorzudringen. 100 Hier berief sich Richter auf A . Merkt, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.4. Hellmuth, System des deutschen Post-, Te1egraphen- und Fernsprech-Verkehrsrechts im Grundriß; dazu die Rezension von E. Staedtler, AöR 1930, S.464-468. Hellmuth, Wurde die deutsche Reichspost durch das Reichspostfinanzgesetz eine ertragswirtschaftliche Unternehmung? AöR Bd. 56 (1929), S. 94-109. 99 Art. 69 preußische Verfassung; § 59 Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Ami 1853 GS. S. 261; § 61 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen i. d. F. vom 15. Juni 1925 GBI. S. 136; §§ 33-39 sächs. Staatswirtschaftsgesetz vom 31. Mai 1922 GBI. S.213; §§48 2 S. 2, 110-115 Reichshaushaltsordnung. 100 L. Richter, Öffentliche Anstalt, S. 97. Für Sachsen: § 163 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. 97
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111. Schwerpunktmaterien des neueren Wirtschaftsrechts
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Schließlich wandte sich Richter den Rechtsbeziehungen zu, welche die Wrrtschaftsuntemehmen der öffentlichen Hand zum "Muttergemeinwesen", zu ihren Arbeitskräften und zu ihren "Kunden" unterhielten. Besonderheiten ergaben sich hier im Arbeitsverhältnis bei der Verwendung von Beamten in öffentlichen Anstalten. In dieser Frage herrschte lebhafter Streit. Richter verzeichnete Bestrebungen dahin, zwischen Hoheits- und Wirtschaftsbeamten zu differenzieren. 101 Der Beamtenstatus verlor immer weiter seine Berechtigung aus den ursprünglichen Zwecken der "guten juristischen Ordnung", der Neutralität und der Befugnis zur Vomahme obrigkeitlicher Maßnahmen. Richter sah großen Reformbedarf. Eine Konvergenz mit dem Arbeitsrecht schien hier unvermeidbar. 102 In den Fragen des Ausschlusses einzelner Bewerber verwies Richter auf Hans Carl Nipperdey, zur Gebührenfrage auf Amold Köttgen. 103 Im Wettbewerb stellte Richter die öffentliche Hand im Einklang mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts den privaten Wettbewerbern gleich. 104
Die Gesamtwürdigung Richters versuchte nicht nur ein Bild des Rechts der öffentlichen Anstalt zu geben, sondern griff das Selbstverständnis des gesamten öffentlichen Rechts auf. Seine Thesen können als Seismograph für den Zustand des öffentlichen Rechts dienen. Diesen Erscheinungen zufolge wurde, wie Richter in einem seiner Leitsätze zusammenfaßte, der Sinn der Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht "zunehmend problematisch". 105 Es werde zunehmend schwierig, allgemeine Regeln aufzustellen und eine Auflockerung theoretischer Begriffe sei allgemein zu spüren. Richter dokumentierte an dieser Stelle die Verunsicherung des öffentlichen Rechts gegenüber wirtschaftsrechtlichen Sachverhalten. Hatte noch Lassar 1926 in seinem Überblick zur Verwaltung des Deutschen Reiches keine Anstalten gemacht, auf das Wtrtschaftsrecht einzugehen und hatte er ein rein öffentlichrechtlich dirigiertes Verwaltungssystem vertreten, in dem sich die Verwaltung nach ihrer Wahl privatrechtlicher Organisationsformen nach außen bedienen konnte, so war nunmehr im Jahre 1929 die Unterscheidung an prominenter Stelle als ungewiß angesprochen worden. Das überlieferte Gefüge der rechtswissenschaftliehen Begriffe lockerte sich auf, Übergangsformen traten an die Stelle fest abgegrenzter Rechtsinstitute. Wenn sich auch die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Recht "irgendwo" ziehen ließ und Mischformen nicht auftauchten, verlor sie jedoch zusehends ihren Sinn. Gleichwohl war das ganze Referat darauf angelegt, für die beschriebenen Erscheinungen 101 Siehe F. Fleiner, Institutionen, S. 121. A. Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung, S. 26-30. 102 Diese Konvergenz hatte Köttgen zuvor abgelehnt, A. Köttgen, Beamtenrecht und Arbeitsrecht, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Nr. 16, November 1928, S. 3-14. 103 H. C. Nipperdey, Stromsperre, Zulassungszwang und Monopolmißbrauch, 1929. A. Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung, S.l9f. 104 Erkenntnis des Reichsgerichts v. 16. April 1929, Az. II 631/28. 105 L. Richter, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, S.l04.
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926-1929
keine neuen Rechtsformen zu entwickeln, sondern alte Rechtsformen, wenn auch in neuer Kombination, bestätigt zu sehen. Dahinter verbarg sich aber ein Wandel der Funktionen und der überkommenen Strukturen. Entgegen Köttgen, der die Entwicklung durch scharfe Kautelen im Sinne eines Gleichlaufs des öffentlichen Rechts mit den öffentlichen Aufgaben gesteuert wissen wollte, nahm Richter mit Karl Geiler eine "vom Wirtschaftlichen her bedingte Entwicklung" an, welche die ganze Struktur des öffentlichen und des privaten Rechts erfasse. Aus der privaten und der öffentlichen Wirtschaft würden soziale Organismen mit organschaftlieber Leitung hervorgehen. 106 Darin ist eine tiefe Verunsicherung des öffentlichen Rechts zu spüren, zugleich zeigen sich aber Versuche, die neuen Erscheinungen in das öffentliche Recht zu integrieren. Dem Charakter eines "Sozialrechts" im weiten Sinne brauchte sich das öffentliche Recht nicht anzunähern, verstand es sich doch als der Inbegriff eines Rechts der Allgemeinheit. Das Ausbrechen einzelner Strukturen des als hoheitliches Recht der öffentlichen Verwaltung gedachten, und vorrangig durch die juristische Methode des Rechtspositivismus durchformten öffentlichen Rechts in weichere, nicht durch hoheitliche Regelungsmuster, von wirtschaftlichen Eigengesetzlichkeiten gesteuerte Bereiche versuchte mit Richter ein Großteil der Staats- und Verwaltungsrechtier durch die Ausdehnung des Geltungsbereichs öffentlichrechtlicher Institutionen und in erster Linie der öffentlichen Anstalt zu kompensieren. Die öffentliche Anstalt war wie das Gewerberecht ein Feld, das die Kenntnisnahme vom Wirtschaftsrecht durch das öffentliche Recht lange Zeit durch seine bloße Existenz verhinderte. Die in der Sache wirtschaftsrechtlichen Neuerungen wurden dort diskutiert, während Wirtschaftsrechtier außerhalb des öffentlichen Rechts bereits ein geschlossenes Wirtschaftsverwaltungsrecht im Sinne wirtschaftsrechtlicher Methodik und Auslegungslehre anboten und empfahlen. Zugleich hatte das Recht der öffentlichen Anstalt eine Angelfunktion für wirtschaftsrechtliche Ansätze im öffentlichen Recht.
b) Arnold Köttgen: Recht der öffentlichen Anstalt Hatte Lutz Richter sich allgemein zur wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand geäußert, so ging Amold Köttgen speziell auf die Funktion des Anstaltsbegriffs im Verwaltungsrecht ein. Sein Zugriff auf die Materie war wie in seiner selbständigen Veröffentlichung zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand in juristisch wesentlich schärferer Form als bei Richter vom Bestreben nach Systemreinheit im öffentlichen Recht gekennzeichnet. Indem er über das neuere Schrifttum insbesondere zum öffentlichen Wirtschaftsrecht berichtete, 107 grenzte er die Fragestellung seines Referats insoweit ein, als er gerade in der Problematik Richter zitierte Geiler aus einem Ausschußbericht Gemeinsam mit Glum setzte sich Köttgen intensiv mit Fragen des Wirtschaftsrechts auseinander. Weiter A. Köttgen, Rezension: Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft; Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, Archiv des öffentlichen Rechts 1929, S. 305-312. 106 107
III. Schwerpunktmaterien des neueren Wirtschaftsrechts
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des Anstaltsbegriffs angesichts der starken wirtschaftlichen Interessen der öffentlichen Körperschaften eine Kernfrage des öffentlichen Rechts erblickte. Ob die Verwaltungsaufgaben nun immer noch von der dazu primär berufenen öffentlich-rechtlichen, also der hoheitlichen Verwaltung vorgenommen werden müßten oder ob auch "privatrechtliche Formationen" eingeschaltet werden könnten, glaubte Köttgen anband der Leistungsfähigkeit des Anstaltsbegriffs beurteilen zu können. Zu Unrecht habe das Interesse der Wissenschaft ausschließlich auf der Anstaltsnutzung geruht. 108 Vom Organisationstyp der Anstalt hänge ab, ob der Verwaltungsapparat den neuen Verwaltungsbedürfnissen unter den gewandelten Verfassungsverhältnissen angepaßt werden könne. Die Zweiteilung öffentlicher Unternehmen in öffentliche Anstalten und öffentliche Gewerbsunternehmen von Otto Mayer erweiterte Köttgen in eine Dreiteilung, indem er die privatrechtliehen Unternehmensformen, die nach herrschender Auffassung davon umschlossen waren, aus dem Anstaltsbegriff ausschied. Er wandte sich weiter dagegen, daß die Anstalt bislang mit der öffentlich-rechtlichen Verwaltungseinheit und jedem Gericht identifiziert wurde. Köttgen versuchte in dieser Hinsicht eine Differenzierung nach den Handlungsformen der Verwaltung vorzunehmen. Behörden sollten vorwiegend Verwaltungsakte erlassen, während sich die Anstalt zu einer gleichberechtigten Institution entwickeln sollte, in der der Realakt dominierte. Dies entsprach auch dem Vorschlag der Unterscheidung nach der "Nutzbarkeit" der Anstalt, den Karl Kormann formuliert hatte. 109 In der Aussprache fügte zu diesem Fragenkreis der Rostocker Ordinarius Edgar Tatarin-Tarnheyden, der zu diesem Zeitpunkt mit der Bearbeitung seines Artikels zur "Wirtschaftsdemokratie" in Hans Carl Nipperdeys bedeutendem Sammelwerk zu den "Grundrechten und Grundpflichten der Deutschen" befaßt war, seinen Standpunkt hinzu. 110 Die Erscheinungen des Kriegswirtschaftsrechts befänden sich zwar im Rückzug, doch habe deren klare Trennung von hoheitlicher und wirtschaftlicher Seite ihre Entsprechung in der Verwaltungs- und der Geschäftsabteilung und demgemäß in der Dienstaufsicht und andererseits der Staatsaufsicht im engeren Sinn gefunden, die sich in der Staatsaufsicht im weiteren Sinne verbanden und insofern ein Ganzes bildeten. Er schrieb ihnen eine für das ganze öffentliche Recht ausstrahlungskräftige Bedeutung zu. Eine Anstalt sei juristische Person und könne von einer Behörde verwaltet werden. Sie kann ihr also nicht gleichgestellt werden. Wrrt108 So in der Tradition Paul Labands bei Otto Mayer und Walter Jellinek in allen Auflagen ihrer Verwaltungsrechtslehrbücher. 109 K. Kormann, Art. Öffentliche Anstalt, bei v. Stengel-Fleischmann, S. 1-4. 110 E. Tatarin-Tarnheyden hatte sich bereits 1922 zur Wirtschaftsverfassung geäußert und tat dies nun wieder im Jahr nach der Staatsrechtslehrertagung, auf der Richter und Köttgen referierten, ders., Die Berufsstände und die deutsche Wrrtschaftsverfassung, Berlin 1922; ders., Artikel165, Recht der Berufsverbände und Wirtschaftsdemokratie, in: H. C . Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Band III, 1930, S. 519-596.
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Schaftsdemokratie sollte jedoch nur organische Demokratie auf dem Gebiet der wirtschaftliehen Selbstverwaltung sein und bleiben. 111 In eigenständiger Interpretation der "Wirtschaftsdemokratie", fügte Tatarin-Tamheyden gewissermaßen als Adept Rudolf Stammlers den wirtschaftsrechtlichen Standpunkt, der die Diskussion um die Gemeinwirtschaft so maßgeblich bestimmt hatte, hinzu. Das Bild, das zur Anstalt in der Gemeinwirtschaftsdebatte entstanden war, war freilich nicht so klar, wie Tatarin-Tamheyden hier andeutete, doch war aus dieser Richtung ein maßgeblicher Impuls für die Befassung der Staatsrechtslehrer mit dem Anstaltsbegriff gekommen. Eine weitere Differenzierung, nach der die Anstalt im Unterschied zum öffentlichen Gewerbeunternehmen einem öffentlichen Zweck zu dienen habe, zog Köttgen in Zweifel, weil sich das psychologische Moment der Gemeinwohldefinition gerade im staatskapitalistischen und ,,modernen korporativen" Staat gegen eine formale Präzisierung und damit gegen eine juristische Begriffsbildung sperre. 112 Nicht nur die staatstheoretischen Begründungen des ethischen Begriffs der Gemeinnützigkeit, dessen Beurteilung immer eine psychologische Frage nach der Haltung des Handelnden bleiben müsse, lehnte Köttgen ab. Ebenso verwarf er den Versuch einer Definition über Einzelmerkmale wie das Gewinnstreben oder den Rechtscharakter der Nutzungsordnung als bloße petitio principii. Auch das Unterscheidungsmerkmal steuerstaatlicher Finanzierungsgrundsätze entfiel in dem Maße, in dem Steuerstaat und _{Jnternehmerstaat miteinander rivalisierten. 113 Köttgen schlug daher vor, die Trennlinie der Anstalt zur bloßen privatrechtliehen Unternehmung dennoch mit der öffentlich-rechtlichen Nutzungsordnung zu ziehen. Damit sei zwar das öffentliche Recht als Kriterium in den Hiatus der problematischen Gemeinnützigkeitsdefinition einbezogen. Doch war damit eine sichere formale Basis für die Anstalt im engen Sinne geschaffen, womit sich Köttgen gegen die unter den Öffentlichrechtlern vorherrschende Meinung auf die Seite des Reichsgerichts stellte. 114 Die Anstalten könnten dann durch neue öffentlich-rechtliche Nutzungsordnungen diesem Kriterium angepaßt werden. Mit der Nutzungsordnung warf Köttgen für die öffentliche Anstalt wie mit dem Begriff der Gebühr ein Jahr zuvor in seinem Aufsatz zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand wieder ein formales Kriterium auf, das die Entscheidung über die Zugehörigkeit zum öffentlichen Recht auf den die Verwaltung ordnenden Normgeber verlagern sollte.
In der Aussprache ließ der Marburger Extraordinarius Hans Gerber die Objektivierung, die Köttgen mit der Erklärung des Öffentlichrechtlichen zum Gestaltungs111 E. Tatarin-Tarnheyden, Aussprache über die Berichte am zweiten Tag, VVDStRL 6 (1929), 5.155-157. 112 A. Köttgen, Öffentliche Anstalt, S. 115-117. Köttgen beschwor den korporativen Staat mehrfach mit deutlichem Bezug zum deutschen Reich und ohne eine Verbindung zum italienischen stato corporativo herzustellen, was Richter hingegen mehrfach tat. 113 Für die Probleme Reichspost und Reichsbahn: G. Lassar, Reichseigene Verwaltung, s. 81. 114 RGZ Bd. 99, S. 96ff.
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Schwerpunktmaterien des neueren Wirtschaftsrechts
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begriff vorgenommen hatte, nicht als solche gelten. Das Öffentliche bleibe ein Wertungsbegriff. Seiner und der allgemeinen Auffassung nach unterwerfe, wer das öffentliche Recht zum Gestaltungsbegriff erkläre, es automatisch auch der Wertung. 115 Köttgen hielt eine dritte Kategorie zwischen dem öffentlichen Gewerbeunternehmen und der öffentlichen Anstalt für unvermeidlich. Sie würde etwa von den öffentlichen Kreditinstituten gebildet, die auf eine privatrechtliche Nutzungsordnung nicht verzichten konnten. Mit der Entscheidung über die Nutzungsordnung sollte sich die Entscheidung über den Unternehmenstypus auf den Gesetzgeber verlagern, was der Gewaltenteilung mit dem Moment der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entsprochen hätte. Dieexekutivische Organisationsgewalt würde, ein Anliegen Köttgens, wieder gebändigt, nachdem zunehmend Aufgaben der Verwaltung in den ungeklärten Bereich von privatrechtliehen Unternehmen abzuwandern drohten und damit die Grundrechtsbindung der Verwaltung und die entsprechenden Gesetzgebungskompetenzen perforierten. Dieses Moment der Argumentation Köttgens verweist auf die allmählich wachsende Aufmerksamkeit über die Rolle der Grundrechte der Weimarer Verfassung. Die Grundrechtsbindung förderte nicht nur eine wachsende Materialisierung des Privatrechts, das sich in weiten Teilen zu einem Sozialrecht wandelte, worauf insbesondere Knut Wolfgang Nörr hinweist. 116 Auch das öffentliche Recht bekam starke Materialisierungsimpulse von den Grundrechten. Das Wirtschaftsrecht hat von dieser Entwicklung profitiert. Die Beachtung der wirtschaftsrechtlichen Institutionen durch das öffentlichen Recht verdankt das Wirtschaftsrecht zumal im Wirtschaftsverfassungsrecht der Aufnahme seiner Grundlagen in den Grundrechtsteil der Weimarer Verfassung (Art.l51-165 WRV). Die Geschäftsführung der Anstalt wollte Köttgen in Richtung auf die Tatsachen des Wirtschaftslebens ausrichten. 117 Die Befreiung von der Bruttoetatisierung bedeutete für die Arbeitsweise in den Wirtschaftsbetrieben den Übergang von der Kameralistik zur Doppik. Köttgen rechnete damit, daß die Rechnungshöfe auch die wirtschaftliche Rechnung prüfen könnten. Nicht aus dem von Max Weber pauschal m H. Gerber, Aussprache zum zweiten Tag, VVDStRL 6 (1929), S.152-154. Hans Gerber wurde noch im Wmtersemester 1929/30 Ordinarius in Tiibingen. 116 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 7-9, 171-173. Die Einwirkung des Wrrtschaftsrechts auf die Wissenschaft vom öffentlichen Recht und vom Privatrecht ist gleichwohl nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 117 A. Köttgen, Öffentliche Anstalt, S. 131-133. Den Ausbau der Anstaltsverwaltung skizzierte Köttgen nur in wenigen wichtigen Punkten. Um die Verwaltung zu vereinfachen und den stets verzerrenden Vergleich mit der Privatwirtschaft zu vermeiden, empfahl Köttgen, die öffentlichen Anstalten von der Gewerbegesetzgebung und der Besteuerung generell auszunehmen. Eine Differenzierung im Einzelfall wie bei der Beamtenhaftung lehnte er wegen des unverhältnismäßigen Aufwands ab. Doch sollte im Haushaltsrecht von Fall zu Fall zu prüfen sein, ob der Etat von Seiten des die Anstalt finanziell tragenden Haushalts gelockert werden sollte. Die Zunahme der variablen gegenüber den fixen Kosten sei in den verschiedenen Bereichen einzeln zu erwägen, um dann möglicherweise den Nettoetat allein verbindlich zu machen. 14*
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926-1929
vorgetragenen Grund, der zu allen Zeiten der Verwaltung in einem weiteren Sinne eine typische Mischung aus Beamten und Vertragsangestellten zuschrieb, sondern weil auch Beamte ihrem Profil nach zu wirtschaftlichem Handeln eingesetzt werden könnten, würden sie den Aufgaben innerhalb der Anstalten jedenfalls gerecht. 118 Leitend war für Köttgen das "Bestreben, durch Ausbau einer der Besonderheit ihrer Aufgabe angepaßten Anstaltsverwaltung die öffentlich-rechtliche Verwaltungsorganisation auch für diejenigen Verwaltungsaufgaben zu einem vollwertigen Instrument werden zu lassen, auf die sie ursprünglich unter dem Einfluß des Liberalismus nicht berechnet war, die jedoch im Zeitalter der sozialen Demokratie ihre unbedingte Gleichberechtigung gegenüber den altehrwürdigen Verwaltungszweigen errungen haben, ohne allerdings bislang gleich ihnen über eine vollwertige Organisation zu verfügen." 119 Einzelne Beiträge von Staatsrechtslehrern in der Aussprache zu den Referaten sind für deren je eigene Haltung kennzeichnend. Ottmar Bühler, der Münsteraner Ordinarius, der vor allem im Steuerrecht hervorgetreten war, stellte die Schrift Heinrich Göpperts "Staat und Wrrtschaft", in der die Unflihigkeit der Demokratie zur Wirtschaftsführung gebrandmarkt wurde, in ihrer Bedeutung weit über die Ausführungen der Referenten. Willibalt Apelt, ordentlicher Professor in Leipzig und zu dieser Zeit sächsischer lnnenminister, wies auf die Konsequenzen eines möglichen Konkurses bei öffentlichrechtlichen Trägem von Betrieben erwerbswirtschaftlicher Betätigung hin. IV. Verharren und Konvergenz von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Recht Die Einordnung des Wirtschaftsrechts in die herkömmliche Einteilung von Privatrecht und öffentlichem Recht bewegte sich bis zur Mitte der Zwanziger Jahre insoweit aus dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht heraus in ein eigenes Terrain, als jedes der herkömmlichen Rechtsgebiete für wesentliche Fragen auf die andere Seite verwies, die Gegenseite sich aber jeweils nicht oder nur zu einem Teil für zuständig hielt. Die Formulierung eines Wirtschaftsrechts war zunehmend autonom geworden. Sei es, daß man einen Wandel der Gesamtrechtsordnung konstatierte, neue Erscheinungen im Wtrtschaftsleben für maßgeblich hielt oder eine gegenständliche Begrenzung auf den Unternehmer oder Organisationen vornahm. Die Frage nach einem Wrrtschaftsverwaltungsrecht ist aufgrund dieser gegenseitigen Abstoßung und der großen Eigengesetzlichkeit des Wirtschaftsrechts eng mit dem Wirtschaftsrecht verknüpft. Das Wirtschaftsrecht hatte eigene Prinzipien entwickelt und insbesondere im Bereich der Selbstverwaltung juristische Eigenheiten erzeugt. Der Tendenz nach erschloß sich seit 1926 das Verwaltungsrecht zunächst Hs H9
M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Auflage, S. 127. A . Köttgen, Öffentliche Anstalt, S.141.
IV. Konvergenz von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Recht
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schleichend und mit allmählich zunehmendem stofflichem und systematischem Zugriff und methodischen Anleihen wirtschaftsrechtliche Materien. An erster Stelle steht hierfür die Analyse Adolf Arndts, die kartellrechtliche Verwaltungsakte dem Wirtschaftsrecht zuordnete. Aus dem Wirtschaftsrecht heraus kam es zu einer Diffusion von Rechtsprinzipien in Richtung auf das öffentliche Recht, wie sie sich vermittels des Sozialrechts im weiteren Sinne und anderer Gründe für eine Materialisierung des Privatrechts aus dem Wirtschaftsrecht ergeben hatte. 120 Das Wirtschaftsrecht war eine bedeutende kreative Zone der Rechtswissenschaft. Seine neuen, mit volkswirtschaftlichen und soziologischen Erkenntnissen herangebildeten Maßstäbe, die sich in den etablierten Wissenschaftszweigen nicht durchsetzen konnten, bildeten dort autonom eine Schicht horizontal ausgleichend ausgerichteten Rechts. Sowohl die privatrechtliehen als auch die öffentlichrechtlichen Anteile des Wirtschaftsrechts waren Ergebnisse eines sich originär gebenden Wirtschaftsrechts. Daß die Befassung des Verwaltungsrechts mit dem Wirtschaftsrecht und das Wirtschaftsverwaltungsrecht selbst aus dem Wirtschaftsrecht hervorgingen, ergibt sich daraus als bemerkenswerterBefund. Ein Ursprung des öffentlichen Wirtschaftsrechts aus der Verfassung, die in der Weimarer Diskussion ohnehin eher den Charakter eines monolithischen Blocks schwer entzifferbarer Kompromisse trug, läßt sich nur für die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Elemente der Räteverfassung und der gemeinwirtschaftliehen Selbstverwaltungskörper beobachten. Das Verwaltungsrecht stand demgegenüber in obrigkeitlicher Tradition, soziale und volkswirtschaftliche Querschnittsfunktionen waren ihm fremd. Das Wirtschaftsrecht als durch die wissenschaftliche Debatte geformter Begriff zehrte von einer gleichzeitigen und gegenseitigen Intervention von Staat und Wirtschaft, die zuvor zumindest in der Literatur gedanklich fundamental getrennt waren, deren Vermengung durch gegenseitige Intervention nunmehr evident wurde. Die ursprüngliche gedankliche Trennung hatte dem Privatrecht, dem Staatsgefüge und dem Verwaltungsrecht ihr Gepräge verliehen. Die hergebrachten Wissenschaftszweige hielten keine Erneuerungsmöglichkeit bereit. Die sozialpolitisch und von der wirtschaftlichen Verflechtung und Organisation geforderte Materialisierung des Privatrechts wurde sehr häufig auf das öffentliche Recht abgewälzt, dort aber nur in Randbereichen geleistet. Wenn die allgemeine Verwaltungsrechtswissenschaft auch einen Wandel zur leistenden Verwaltung konstatierte, so vollzog 120 Besonders eindrucksvoll bei A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, S. 193-195; aber auch bei H. Sinzheimer, Justiz 1927/28, S. 381. Eine dem hier vorgetragenen Ansatz entsprechende Reihung von Autoren trägt K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S.l70f vor. Danach hatte nur eine Richtung im Wirtschaftsrecht vermittels der Einbeziehung der Gesamtordnung der Wirtschaft und der Rolle des Staates dem Begriff des Wirtschaftsrechts seine ordnungspolitische Komponente verliehen. Nörr verweist auf Kronstein, Darmstaedter, Goldschmidt und Sinzheimer. In der dem öffentlichen Recht eigentümlichen Überlagerung mit dem Wirtschaftsrecht spielen demgegenüber die Einzelfragen der verwaltungsrechtlichen Doktrin und der volkswirtschaftlichen Staatsaufgaben eine eigenständige Rolle.
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5. Kap.: Wirtschaftsrecht 1926--1929
sie diesen jedoch nicht durch die Aufnahme der neu entstandenen wirtschaftlichen Konkurrenzfragen und Ausgleichsbedürfnisse in ihre Theorie nach. Die Verwaltungspraxis hatte in der wirtschaftlichen Verwaltung zahlreiche Wege allein voranschreiten müssen. In Einzelmaterien schickte sich das öffentliche Recht an, diese neueren Entwicklungen abzuarbeiten. Gerhard Lassar war mit der Aufnahme der fiskalischen Verwaltung in den Kanon der öffentlichen Verwaltung 1926 einen Schritt vorangegangen. Fritz Fleiner löste als erster, allerdings erst zwei Jahre später, den Bann, mit dem die "großen" Lehrbücher des Verwaltungsrechts die öffentlichen Rechtsformen des Wirtschaftsrechts belegt hatten, mit dem "Versuch, das Neue organisch mit den bewährten Grundsätzen des Deutschen Verwaltungsrechts zu verbinden." 121 Fleiner hatte zwischen der Verwaltung wirtschaftlicher Angelegenheiten des Staates, der Verselbständigung öffentlicher Betriebe in der Privatrechtssphäre, der Zuhilfenahme privatrechtlicher Macht durch Subventionen und Nothilfen und der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in der Gemeinwirtschaft unterschieden. Alle diese Formen bezeichnete Fleiner als verwaltungsrechtliche, nicht als solche des Wrrtschaftsrechts. Diese Tendenz bedeutet in der Sache einerseits die Kanonisierung der wirtschaftsrechtlichen Materien durch das öffentliche Recht, zumindest was die Wirtschaftsverwaltung und die wirtschaftlichen Verbände anbelangte. Andererseits war diese Entwicklung für die Wirtschaftsrechtsdisziplin negativ, erschien sie doch nicht mehr als die Matrix für diese ins öffentliche Recht abgewanderten Rechtsformen. Die Identität des über das öffentliche Recht hinausgehenden Wirtschaftsrechts wurde dadurch verzerrt. Es konnte sich nicht klar konturieren. Die Neuerungen seit dem Krieg, welche die Staatsaufsicht und die leistende Verwaltung in den Vordergrund geschoben hatten, wurden nur allmählich verarbeitet und führten zur Aufblähung des Anstaltsbegriffs, der konturenlos und daher notleidend geworden war. Die gewichtigste Stimme des Verwaltungsrechts führte Otto Mayer. Sein Werk hatte neuere Tendenzen ohne sein eigenes aktives Zutun an den Rand gedrängt, nachdem er die Fülle des neu entstandenen Verwaltungsrechts aus der konstitutionalistischen Epoche nach der juristischen Methode systematisiert hatte. Das Diktum Otto Mayers: "Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht" wurde erst allmählich "mit einem Fragezeichen versehen". 122 So zweifelte zunächst Albert Hensel 123 dieses Diktum aus der Sicht seiner Rezeption der Weimarer Verfassung an. Zu viele Verkrustungen hatten sich unter dem Schutz der vermeintlichen Immobilität des Verwaltungsrechts gebildet. Schließlich nahm Arnold Köttgen, nunmehr Privatdozent in Jena, in seinem Referat vor der 6. Staatsrechtslehrertagung in Frankfurt am Main 1929 die Kritiklinie Hensels auf. Der weite AnstaltsbegriffMayers, der größte Verbreitung gefunden hatte, nahm nach Auffassung KöttF. Fleiner, Institutionen, 8. Auflage 1928, Vorwort. A. Köttgen, Öffentliche Anstalt, S. 108. 123 A. Hensel, Der Einfluß des Steuerrechts auf die Begriffsbildung im öffentlichen Recht, VVDStRL 3 (1926), S. 64, 77, 81. 121
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IV. Konvergenz von Wirtschaftsrecht und öffentlichem Recht
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gens im Anstaltsrecht der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht jede Schärfe. Der allgemeine Gedanke eines Wirtschaftsrechts drang im öffentlichrechtlichen Schrifttum allmählich vor, blieb aber ein wenig beachtetes Einzelphänomen. Das Schwergewicht lastete im öffentlichen Recht weiterhin auf überkommenen Materien, die durch die Ereignisse und das neue Recht einen Bedeutungswandel in Richtung auf ein Wirtschaftsrecht erfahren hatten. Hinsichtlich der zunehmenden Überschneidung von öffentlichem Recht und Wirtschaftsrecht ergaben sich allmählich Veränderungen. Das Jahr 1926 brachte auch hier ein ,,Erwachen der Publizistik". Fritz Stier-Somlo besprach erst drei Jahre nach deren Erscheinen die öffentlichrechtliche Studie Friedrich Glums über die "wirtschaftlichen Selbstverwa1tungskörper", mit der dieser lange Zeit ein Einzelgänger unter den Öffentlichrechtlern geblieben war. Die wissenschaftliche Bearbeitung der Privatrechtsanwendung im öffentlichen Recht durch die 1926 im Archiv des öffentlichen Rechts erschienene Dissertation Hans Meier-Braneckes ist zumindest für die Weimarer Zeit maßgeblich geblieben, während Lassar die privatrechtliehen Verwaltungsformen in die allgemeine Aufmerksamkeit rückte. Das öffentliche Recht weichte in den Einzelmaterien zusehends auf, während es sich als wissenschaftliche Fachrichtung insgesamt vom Wirtschaftsrecht unbewegt zeigte. 124
124 G. A. Walz, Die "Vereinbarung als Rechtsfigur des öffentlichen Rechts" , AöR Bd. 53 (1928}, 5.161-232, 162. H . Meier-Branecke, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Normen im Verwaltungsrecht, AöR 1926, 5. 230-286.
Sechstes Kapitel
Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung I. Begriffe und Erscheinungsformen der Wirtschaftsverfassung 1. Wirtschaftsverfassung als Begriff und als Kategorie des Wirtschaftsrechts
Die historiographische Suche nach einer Wirtschaftsverfassung kann sich auf eine normative oder eine deskriptive Größe beziehen. Eine ganze Fülle von Deutungsmustern tut sich auf, die vorrangig nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Diskussion geführt hat, in der viel Neuland gewonnen wurde, in der aber auch skeptische Stimmen nie zu überhören waren. 1 Bisweilen lebten in dieser Diskussion Vorstellungen der Weimarer Zeit fort. 2 Unter "Wirtschaftsverfassung" kann man sowohl die bloß als soziale Erscheinung beschreibbare Wrrtschaftsordnung als auch eine rechtliche, bisweilen auch verfassungsrechtliche Ordnung verstehen. Staatliche und nichtstaatliche, Teilordnungen und Gesamtordnungen der Wrrtschaft firmierten als Wirtschaftsverfassung. "Wirtschaftsverfassung" kennzeichnet also sowohl die historisch nachweisbare Begriffsbildung und Forschung, als auch eine analytische Kategorie, gerichtet auf die Suche nach Form und Inhalt einer wirtschaftlichen oder einer, auf die Wirtschaft als einer Gesamtheit bezogenen, rechtlichen Ordnung. 3 Die Begriffsprägung geht auf den Nationalökonomen Wilhelm Roseher zuriick, der dem Begriff die Eigentumsverfassung als Organisationsprinzip der funktional verstandenen Wirtschaftsgesellschaft zuordnete. 4 Kategorial war und blieb die "Wirtschaftsverfassung" in der Nationalökonomie mit der Theorie des "Sozialrechts" verbunden. Adolph Wagner hatte die grundlegende Bedeutung des Sozial1 K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 1-9. U. Scheuner, Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staates, S. 21- 26. H. F. Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, S. 558-565. 2 So das Plädoyer für eine .,Wirtschaftsdemokratie in den Verfassungsentwürfen" von Adolf Arndt, die zu der berühmten Entgegnung Franz Böhms zur .,Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung" in der Süddeutschen Juristenzeitung 1946, S.141-149 geführt hatte. 3 Grundlegend K. W. Nörr Auf dem Wege zur Kategorie der Wirtschaftsverfassung: Wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen im juristischen Denken vor und nach dem ersten Weltkrieg, in: ders., B. Schefold, F. Tenbruck (Hrsg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik, S. 423-452. 4 W.R. Schluep, Was istWirtschaftsrecht?, S.39.
I. Begriffe und Erscheinungsformen der Wirtschaftsverfassung
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rechts als rechtliche Ordnung der Gesamtwirtschaft und damit als Wirtschaftsverfassung zur Neubegründung der politischen Ökonomie betont. Das "Sozialrecht" sollte die prinzipielle Trennung von Staat und Gesellschaft überwinden.5 Sowohl die der Wortverwendung nach, wie auch die strukturell als Elemente einer Wirtschaftsverfassung zu verstehenden Erscheinungen der Weimarer Rechtswissenschaft füllten ein weites Spektrum denkbarer Definitionen aus. Sowohl die Vorstellung von einer Wirtschaftsverfassung als der Summe der die Wirtschaft betreffenden Rechtsnormen, von einer in sich gegründeten Wirtschaftsordnung mit Folgeerscheinungen für die Rechtsordnung als auch von einem durch Verfassungswandel erreichten Wirtschaftsstaat waren lebendig. Beachtung sollten dabei sicherlich vor allem diejenigen Stimmen finden, die nicht nur beiläufig von einer Wirtschaftsverfassung sprachen, sondern einer Verselbständigung des Begriffs der Wirtschaftsverfassung das Wort redeten. Und dennoch waren theoretische Vorstellungen im Umlauf, die eine Wirtschaftsverfassung näher umschrieben und bezeichneten, ohne eine Begriffsbildung zu intendieren. Sie sind jedoch, wie man besonders deutlich bei Ernst Rudolf Hubers wirtschaftsverfassungsrechtlicher Studie von 1931 sieht, von prägender Bedeutung. 6 Der Begriff der Wirtschaftsverfassung taucht in der Literatur mit mehreren und nur schwer vereinbaren Begriffsbestimmungen auf. Stellenweise war mit der Wirtschaftsverfassung die Wirtschaftsform, Sozialismus oder Wirtschaftsliberalismus angesprochen, und zwar im Sinne einer autoregulativen Verfaßtheit der Wirtschaft. 7 Andere wieder sahen darin nur die Wirtschaftsnormen der Reichsverfassung. 8 Auch fanden sich einzelne Beiträge zu einer Wrrtschaftsverfassung, die keinem festen Deutungsmuster zuzuordnen sind. Sie trugen dennoch zur Diskussion um das Leit5 K. W Nörr, Wirtschaftsverfassung, S.423-452, insbes. S.426. Ders., Zwischen den Mühlsteinen, S. 175 f. öffnet hinsichtlich des Werks von Franz Böhm aufgrund seiner methodischen Orientierung am Privatrechtsbegriff die Perspektive bis hin zur späteren bundesrepublikanischen Entwicklung: Franz Böhms Beiträge zur Wutschaftsverfassung sind Ausdruck ihrer Zeit, blieben in Weimar aber weitgehend ohne Resonanz; wissenschaftliche Bearbeitungen von Böhms Ansätzen datieren auf die Zeit nach 1933. Nörr verweist deshalb auch darauf, daß die zu erwartende Kritik von Seiten des Staats- und Verfassungsrechts ,,nicht mehr stattfinden" konnte. An Nörrs Ergebnisse zur Bildung des Begriffs der Wirtschaftsverfassung bei den theoretischen Ansätzen zum Rätewesen des Art. 165 WRV, zur Grundrechtsentwicklung und dem von der Nationalökonomie herüberreichenden Ansatz Franz Böhms, schließen sich hier weitere Vorstellungen von einer Wirtschaftsverfassung an. Auch wenn an mancher Stelle eine Begriffsbildung nicht unmittelbar intendiert war, liegen dort Standpunkte und Geisteshaltungen zugrunde, die eine Wirtschaftsverfassung repräsentieren. Zum "Sozialrecht" siehe das 4. Kapitel. 6 E.R. Huber, Das deutsche Reich als Wutschaftsstaat, S. 11 ff. 7 F. Neumann, Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfassung, Die Arbeit 1931, S. 588. Weiter z. B. R. Liefmann, Gegenwärtige Möglichkeiten einer Verstaatlichung der Produktionsmittel, Recht und Wirtschaft 1919, S. 29-32. 8 M. Cohen, Artikel165 der Reichsverfassung, Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1922, S. 127-131. H. H errfahrdt, Grundfragen der Wirtschaftsvertretung, Recht und Wirtschaft 1921, S. 11 07-lll. E. Tatarin-Tarnheyden, Art. 165 Recht der Berufsverbände und Wirtschaftsdemokratie, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte 1930, Band 111, S. 519-596.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wutschaftsordnung
bild des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft bei, das gelegentlich mit dem Verhältnis des Staates zur Gesellschaft korrelierte. Weiterhin behandelten sie die Frage der Repräsentation der wirtschaftlichen Interessen im demokratischen Staat, konkret also nach der verfassungsrechtlichen Rolle des Reichswirtschaftsrates und des ihm untergeordneten Rätesystems im Sinne des Art.165 WRV. Die Suche nach dem Begriff der Wirtschaftsverfassung führt auch auf außerjuristische, aber für das Wirtschaftsrecht relevante Gebiete. Entsprechend seinem Ausgangspunkt in den Wirtschaftswissenschaften identifizierte das wirtschaftspolitische und wirtschaftswissenschaftliche Verständnis die Wirtschaftsverfassung weitgehend mit der Wirtschaftsordnung oder dem Wirtschaftssystem. Die Nationalökonomie hatte in Weimar einen von einem weitgehenden Konsens getragenen Begriff der Wirtschaftsverfassung ausgebildet, der die Wirtschaftsordnungen der freien Marktwirtschaft und ihre mit je mehr oder weniger staatsinterventionistischen Elementen angereicherten Varianten urnfaßte und beschrieb.9 Der Terminologie nach gehört "Wirtschaftsverfassung" eher dem Staat an, während "Wirtschaftsordnung" mehr eine theoretische Entfernung vom Staat anspricht. 2. Weimarer Verfassung und Wirtschaftsverfassung
Als Ausschußvorsitzender in der Nationalversammlung hatte Hugo Sinzheimer den Kompromiß zwischen freier Verkehrswirtschaft und Sozialismus mitgetragen, der insbesondere den Art. 151 WRV kennzeichnete. Im Sinne eines Verfassungsausgleichs, der die verschiedenen politischen Kräfte vereinen sollte, hatte Sinzheimer auch maßgeblich an der Entstehung und der Aufnahme des Räteartikels (Art. 165 WRV) in die Weimarer Verfassung mitgewirkt, der der Arbeiterklasse die unmittelbare Vertretung ihrer Belange sowohl in der Gesetzgebung als auch im Alltag sichern, und politisch eine zweite Revolution verhindem sollte. Auch wenn sich der Begriff der Wirtschaftsverfassung als Alternative oder als Komplement der Staatsverfassung, in dem von Sinzheimer intendierten Sinn im juristischen Schrifttum der Weimarer Zeit verlor, hatte er stets die Anläufe wiederholt, den Rätegedanken in der Staatsorganisation des Reiches und im Verfassungsleben zu integrieren. 10 Für Sinzheimer ging die Wutschaftsverfassung nicht aus dem schlichten Verfassungstext hervor, sie forderte eine lebendige Umsetzung, so daß er selbst über die Anfangszeit der Republik urteilte: "Die Ansätze zu einer wirklichen Wutschaftsverfassung und -ordnung beginnen aber erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Staat versucht hat, sich dieser kollektivistischen Gebilde in9 S. Tschierschky, Wirtschaftsverfassung, 1924. Zur liberalistischen Abstinenz von jeder staatlich inaugurierten Wutschaftsverfassung siehe L. v. Mises, Kritik des lnterventionismus, 1929. 10 So und im übrigen grundlegend zur Rolle Sinzheimers als des wesentlichen Förderers der Nebenverfassung der Räte K. W. Nörr, Wirtschaftsverfassung, S. 441-446, insbes. 445.
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dividualistischer Herkunft zu bemächtigen, sie unter gemeinwirtschaftliehen Zwang zu stellen, sie mit staatseigenen Kapitalgesellschaften besonderer Art zu durchdringen, sie in einen großen, allerdings noch nicht ganz durchorganisierten Apparat von Staatsbehörden und Selbstverwaltungseinrichtungen einzuspannen und auf diesem Wege schließlich zu einer wahrhaft gemein- oder gesamtwirtschaftlichen Regelung unserer ganzen Wirtschaft zu gelangen."
Das war auch der Weg Sinzheimers, den sein Frankfurter Fakultätskollege Friedrich Klausing später nicht unwidersprochen ließ. Klausing wollte die dahinterstehende politische Wertung gelten lassen, meinte aber als Jurist Einwände erheben zu sollen. Zwar danke das Wirtschaftsrecht Sinzheimer die Offenlegung seiner weltanschaulichen Hintergründe. Auch wollte Klausing für die Wirtschaftsverfassung einen weiten Begriff gefaßt wissen, aus dem aber die Festschreibung politischer Anschauungen durch die Umdeutung des Wirtschaftsrechts und der Wirtschaftsverfassung in einem bestimmten politischen Sinne ausscheiden sollten. 11 Das mehrfache Scheitern der Versuche, eine Bezirkswirtschaftsorganisation und einen verfassungsmäßigen Reichswirtschaftsrat zu errichten, ließ die Wrrkung der in der Verfassung installierten Räteverfassung allmählich verblassen. Sie hätte nur eine Wirtschaftsverfassung als Teilordnung der Wirtschaft, nicht als Gesamtordnung darstellen sollen. Zu deutlich war der Vorsprung Tatarin-Tarnheydens in der Deutung des Reichswirtschaftsrats als berufsständischer, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinigender Kammer. Aus der Sicht Sinzheimers stand denn auch die Verteidigung der zunehmend in Gefahr geratenden parlamentarischen Demokratie im Vordergrund. Deshalb ließ er den klassenkampfbezogenen Gedanken der Räteverfassung zugunsten der allgemeinen egalitär-demokratischen Option zurücktreten. 12 Eine noch klarer linkspolitische Option vertrat Franz Neumann, der unter Bezugnahme auf Hermann Heller die Weimarer Verfassung im Hinblick auf die Absicherung einer syndikalistisch-korporatistischen Wirtschaftsverfassung untersuchte. Einen gegenüber der gewerkschaftlichen Konzeption der .,Wirtschaftsdemokratie" eigenständigen Ansatz vertrat er allerdings nicht, weshalb er in deren Schatten keine über sie hinausgehende Beachtung fand. 13 Die Frage nach der Verbindung liberaler und sozialistischer Elemente in den Art. 156 und 165 WRV bildet auch den Rahmen eines Grundrechtsproblems. Die formellen Verfassungsnormen der Wirtschaftsverfassung gehörten zwar dem Grundrechtsteil des Verfassungstextes an, doch blieb die normative Qualität der Grundrechte im Widerstreit. Die programmatische Überlast des Grundrechtsteils tat ein übriges, um die Positionsbestimmung zu erschweren. Mit der Auseinandersetzung des Methodenstreits der Staatsrechtslehre kam es zu einer Wandlung der 11 12
13
F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 23 f, 36f.
H. Sinzheimer, Chronik, Die Justiz 1928/29, S. 880f.
F. Neumann, Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfas-
sung, Die Arbeit 1931, S. 588. Zu Franz Neumann siehe nunmehr J. Bast, Totalitärer Pluralismus, Tübingen 1999.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Grundrechtsdogmatik, die deren Bedeutung für die Rechtsordnung hervorhob. Paul Hensel trat deshalb 1931 für eine liberale Wirtschaftsordnung mit sozialem Einschlag als den Gesetzgeber bindendes Modell ein. 14 Hiergegen trat Ernst Rudolf Huber mit dem von Carl Schmitt übernommenen Institutionendenken an. Er enthob die Wirtschaftsfreiheit dem staatlich prinzipiell unverfügbaren Bereich der Grundrechte und überführte sie in den Bereich der, staatlicher Ausformung unterlegenen, staatlichen Institution. 15 Aus der Wirtschaftsfreiheit sollte dadurch eine gebundene Freiheit im Sinne Hegels werden. 3. Materielle Wirtschaftsverfassung als ein Ausdruck des Wirtschaftsrechts
Vom Wirtschaftsrecht gingen von Anfang an Verbindungslinien zu dem primär von den Organisationsnormen des Art. 165 WRV und dem Sozialisierungsartikel Art.156 WRV geprägten formellen Wirtschaftsverfassungsrecht aus. Aus der Materialisierung von Teilen des Bürgerlichen Rechts zum Wirtschaftsrecht ließen sich aus dem einfachen Recht und der Rechtswissenschaft juristische Ansätze zu einer Wirtschaftsverfassung ablesen. Dagegen war die Entwicklung der Grundrechtsdogmatik unter dem Eindruck des Methodenstreits der Staatsrechtslehre atmosphärisch sicher zu spüren, sie wirkte sich jedoch für die wirtschaftsrechtliche Literatur nicht unmittelbar prägend aus. 16 Erste wissenschaftliche Bearbeiter fand die Wirtschaftsverfassung im Wirtschaftsrecht als solche nur zögerlich. Bisweilen wurde sie schlicht vorausgesetzt, wie in Edgar Tatarin-Tarnheydens Habilitationschrift zu den Berufsständen in der deutschen Wirtschaftsverfassung von 1922. 17 Andere wiederum diskutierten die Wirtschaftsverfassung nicht als feste eigene Größe, als eine der Verfassung gegenüberstehende Ordnung oder als eine Teilordnung, sondern als ein der staatlichen Gestaltung verfügbares Element, das der staatlichen Verfassung untergeordnet ist. Elemente einer Wirtschaftsverfassung finden sich insbesondere in der juristischen Diskussion der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper der Gemeinwirtschaft. So hielt es Walter Wauer in seiner Schrift über Begriff und Organisation der wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper für möglich, zwischen einer Wirtschaftsverfassung und einer Staatsverfassung zu unterscheiden, die einzeln wirksam würden, oder in ein Wechselspiel treten könnten. Im Art.156 WRV und im Sozialisierungsgesetz sah Wauer die Wirtschaftsverfassung in einer mehrgesichtigen Gestalt. Wenn im Falle der Gemeinwirtschaft der Staatsorganismus die Wirtschaftstätigkeit A. Hensel, Grundrechte und politische Weltanschauung, S. 24. E.R. Huber, Wirtschaftsstaat, S. 25-29. 16 Nörr geht von einer maßgeblichen und unmittelbaren Einwirkung der Grundrechte aus und legt hierauf einen Schwerpunkt seiner Betrachtung. K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 173 f. 17 E. Tatarin-Tarnheyden, Die Berufsstände und die deutsche Wirtschaftsverfassung, 1922. 14 15
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selbst leitete, sei die Wirtschaftsverfassung mit der Staatsverfassung identisch. Für den Fall, in dem die Gemeinwirtschaft von besonderen, zur Wirtschaftsregelung geschaffenen Stellen ausgeübt wird, würde die nun neben die Staatsverfassung tretende Wirtschaftsverfassung die wirksamen wirtschaftlichen Kräfte zur maßgeblichen und unmittelbaren Geltung bringen. 18 Friedeich Glums Arbeit von 1923, die er erst 1925 veröffentlichen konnte, bezeichnete er ausdrücklich als öffentlichrechtliche Studie. Er behandelte darin vorrangig Bestandteile des formellen Wrrtschaftsverfassungsrechts, also diejenigen Normen der Verfassung, welche die Wrrtschaftsordnung als eine Sollensordnung positiv festlegten. Nach einer Auseinandersetzung mit den Begriffen Gemeinwirtschaft und Selbstverwaltung der Wirtschaft mit ihren historischen Grundlagen stellte er im zweiten Kapitel die Rechtsformen der Selbstverwaltung der Wirtschaft dar. Das waren, worauf Glum auch später bestanden hat, 19 neben den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern auch andere Elemente einer Wrrtschaftsverfassung, der Reichswirtschaftsrat und die Bezirkswirtschaftsorganisationen. Bei Glum läßt sich daher eine klare Verbindungslinie zwischen Wirtschaftsrecht und Wrrtschaftsverfassung ziehen. Zumindest die Elemente der formellen Wrrtschaftsverfassung in der Weimarer Verfassung füllte bei ihm das Wrrtschaftsrecht aus. Glums Wrrtschaftsverfassung ist demnach die Gußform des Wrrtschaftsrechts, in der dessen Institutionen ihre Verwirklichung finden konnten. Den Schlußstein von Glums Überlegungen bildet seine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Wirtschaft zum Staat, die sich in den Arbeiten zur organisierten Wirtschaft expressis verbis sonst nur bei Tula Simons findet, wenn auch dort im Rückblick auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. 20 Glum warf in dem erst 1925 entstandenen Schlußwort seiner Arbeit die Frage auf, ob nicht eine selbstverwaltete Wirtschaft sich gegen oder gar über den Staat stellen könne. Karl Marx habe ja auf einen derartigen Wandel hinwirken wollen, als er die "Entleerung des politischen Staates durch die Wrrtschaft" im Rahmen des historischen Materialismus voraussagen zu können glaubte. Diese Frage verlor nicht an Bedeutung, sondern fand im Gegenteil zunehmende Resonanz. Kennzeichnend für diese Debatte des Wirtschaftsrechts waren die Topoi des starken und des schwachen Staates, der sich im Ergebnis gegenüber der Wirtschaft als Emanation der Gesellschaft behaupten sollte. Zumal bei Heinrich Göppert und Tula Simons, ferner auch bei Friedeich Glum und Lutz Richter, schließlich und vor allem erklärtermaßen beim "Wrrtschaftsverfassungsrecht" in Carl Schmitts "Hüter der Verfassung" und Ernst Rudolf Hubers "Wrrtschaftsstaat" mündeten die Erörterungen über den starken Staat in die im zeitlichen Ablauf zunehmend nur noch rhetorisch gestellte Frage, ob der demokratische ,,Parteienstaat" sich als überlegener Dritter im Kampf der Interessen überhaupt noch behaupten 18 W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper: Ihr Begriff und ihre Organisation, 1923, S.3. 19 F. Glum, Sammelrezension: Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht u. a., S. 112- 115. 20 T. Simons, Der Aufbau der Koh1enwirtschaft, S. 96.
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könne. 21 Echte Handlungsfähigkeit hatte Göppert noch dem Staat Bismarcks und dessen "Staatssozialismus" zugeschrieben, während die erstarkten Verbände den schwachen Staat der Weimarer Republik absorbieren würden. Mit der Beschreibung, daß das Parlament, von dem die Regierung nunmehr abhängig war, den Parteiinteressen unterworfen und deswegen nicht in der Lage sei, den wirtschaftlichen Kräften aus eigener Machtvollkommenheit gegenüberzustehen, traf er einen wesentlichen Kern des historisch gewordenen Vordringens der wirtschaftlichen Macht in das Feld der politischen Macht der parlamentarischen Demokratie. Göppert vermochte jedoch bis auf eine am Konstitutionalismus des Kaiserreiches orientierte rückwärtsgewandte Sicht keine Lösungsansätze für dieses von ihm beklagte Dilemma anzubieten. Simons zog aus diesen Prämissen Göpperts und ihrer eigenen Untersuchung zur Kohlenwirtschaft weitere Folgerungen für die Rolle des Staates, der durch öffentlichrechtliche Verbände einzelne Lebensbereiche organisierte. Soweit der starke Staat wirtschaftliche Aufgaben an sich zog, öffentliche Verbände privilegierte und mit Hoheitsrechten ausstattete, könne das durchaus zu einer weiteren Stärkung der "Staatsmacht und des Staatsgedankens" 22 führen. Simons ging von dem Ideal einer der Staatsverfassung untergeordneten Wirtschaftsordnung aus, ohne der vordringenden wirtschaftlichen Macht eine politische Funktion zuzuweisen. Sie sollte als Machtfaktor zurücktreten. Simons relativierte die durch die Weimarer Reichsverfassung vorgesehene und nur zum Teil verwirklichte Wirtschaftsvertretung im Reichswirtschaftsrat und den untergeordneten Wirtschaftsräten, indem sie ihr eine eigene positivierte Rechtsstellung zuwies, eine eigene Rolle als politische Macht jedoch absprach. Wirtschaftliche Teilverfassungen mit dem Vorbehalt staatlicher Entscheidungskompetenz sollten die Staatsgewalt stärken. Andernfalls, warnte Simons, könnte sich die vom Staate stammende, auf die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper übertragene Macht gegen diesen Staat selbst kehren. Mit ihr würden die dort vertretenen Interessen, von denen Simons voraussetzte, sie müßten dem Staat entgegengesetzt sein, einen Überschuß an politischer Macht erlangen. Ob der Weimarer Staat zum eigenen Machterhalt auf Dauer in der Lage sei, zog Simons in Zweifel. Warfen diese Autoren damit die Frage nach einer wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ordnung auf, so diskutierten sie die Wirtschaftsverfassung normativ-politisch im Sinne einer Forschungshypothese, die auf die Schaffung eines neuen Rechtsbegriffs gerichtet war, dem sie im Ergebnis zu rechtlicher Positivität zu verhelfen versuchten. Daran ändert bei genetischer Betrachtung dieser wissenschaftlichen Äußerungen die Tatsache nichts, daß eine Begriffsbildung zu einer "Wirtschaftsverfassung" nicht intendiert war. Ja gerade die Leugnung einer neben der Staatsverfassung existierenden Wirtschaftsverfassung ist für die Genese des Begriffs als ein hermeneutisch wertvoller Beitrag von Bedeutung. Aus diesen Fragen spricht die aus der 21 H. Göppert, Staat und Wutschaft, S. 14, 27; F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, Schlußwort ohne Seitenzahl; L. Richter, Verwaltungsrecht der öffentlichen Anstalt, S. 77; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 87-89, E.R. Huber, Wirtschaftsstaat, S. 27 f. 22 T. Simons, S. 96.
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geisteswissenschaftlichen Richtung der Staatsrechtslehre stammende Begründung des Staates aus vorrechtliehen Legitimationsmustern und schließlich aus sich heraus, also jenseits einer demokratischen Legitimation. Die Gesellschaft und die WJ.rtschaft sollten nach dieser Vorstellung dem gleichzeitig postulierten Primat des Politischen unterworfen bleiben. Demgegenüber war die schwache Republik bis zu Beginn der Dreißiger Jahre tatsächlich kaum mehr in der Lage, mit den sich stellenden ökonomischen Problemen fertig zu werden. Die autoritärstaatliche Wende zu Ende der Weimarer Republik zeigte dieses Dilemma und stellte die Frage nach dem Vorrang der Politik in aller Deutlichkeit. 1931 definierte Friedrich Klausing die Wirtschaftsverfassung in einem juristischen Sinn, also als einen Ordnungsbegriff für eine aus dem Wirtschaftsrecht abgeleitete deskriptive Gesamtordnung, und nicht etwa als Gesamtentscheidung für die ganze Wirtschaft oder eine ihrer Teilordnungen. Klausing beobachtete über die Weimarer Jahre hin einen Abbau der staatswirtschaftlich und gemeinwirtschaftlich geprägten Elemente der Wirtschaftsverfassung. Unter dem Eindruck der Notverordnungspolitik seit den Präsidialkabinetten Brünings sah er aber eine neue Auseinandersetzung über die Grundlagen der WJ.rtschaftsverfassung aufkeimen. Klausing befand, daß die individualistisch-kapitalistische WJ.rtschaft gegenüber der kollektivistischen, nach deren starker Entfaltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wieder im Vordringen begriffen war. "Kollektivistisch" verwendete Klausing hier als eine Bezeichnung für ,,kartell- und konzemmäßige" Wirtschaft, nicht etwa in einem Sinne, der eine Einheit voraussetzte, die größer wäre als die Summe ihrer Teile. Doch schien ihm die Zukunft auf neuen Fundamenten aufgebaut zu werden und daher sei sie ungewiß. 23 In der wirtschaftsrechtlichen Literatur der Weimarer Zeit ist es nicht zu einer sich unter einheitlichen Gesichtspunkten entfaltenden, allgemein anerkannten Auffassung über die Wirtschaftsverfassung gekommen. Ein Themenkomplex, der viele Autoren in der Befassung verbunden hätte und der als WJ.rtschaftsverfassung im Sinne einer festgefügten Normenmasse bezeichnet worden wäre, kristallisierte sich nur an wenigen Stellen heraus. Ebensowenig hatte sich eine einheitliche Terminologie und kein durchgehender Diskussionszusammenhang herausgebildet. Wenn das Gegenteil in der Literatur zum WJ.rtschaftsverfassungsrecht gelegentlich anklingt, so ist dies eine Projektion aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich sehr stark mit der Wirtschaftsverfassung befaßte. 24 Nicht einmal Ernst Rudolf Huber, der, nachdem er sich mit den Zusammenhängen der die WJ.rtschaftsverfassung bildenden Rechtsfragen auseinandergesetzt hatte, 1931 in seiner Bonner Antrittsvorlesung den Wirtschaftsstaat ausrief, wie er aus einer großen Verfassungswandlung hervorgegangen sei, ging von einem WJ.rtschaftsverfassungsrecht als Forschungsgegenstand aus. Dennoch lassen sich Konturen einer Kategorie der Wirtschaftsverfassung nachzeichnen. Gerade für die organisierte Wirtschaft ist eine Teil23
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F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.l5f. Siehe insbesondere K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 1-45.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
verfassungder wirtschaftlichen Selbstverwaltung formuliert worden. Auch die Vision Sinzheimers von der Wirtschaftsverfassung, ergänzt durch ein zukunftsfähiges, soziales Wirtschaftsrecht stellte eine Verbindung zwischen Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsrecht her. Die Vorstellung von einer Wirtschaftsverfassung wandelte sich allmählich, löste sich von dem Charakter einer Wirtschaftsverfassung als einer Teilordnung und wandte sich einer Gesamtordnung der Wirtschaft zu. Friedrich Klausing setzte sogar eine das Wirtschaftsrecht, ja die gesamte rechtliche Wirtschaftsordnung umgreifende Wirtschaftsverfassung voraus, ohne freilich den Begriff vertiefend zu behandeln. In einem sich immer weiter entwickelnden Sprachspiel gingen die Vorstellungen von Teilverfassungen und Gesamtordnungen des Wirtschaftslebens dem zugrundeliegenden Gedanken nach ineinander über, ohne als eine Einheit intendiert gewesen zu sein. Das Wertungsmuster einer ganzheitlichen, alle Wirtschaftenden erfassenden Gesamtordnung ging aus der Weimarer Diskussion nicht hervor. Hatten die Vertreter des Denkens vom "starken" oder vom "totalen Staat" die Wirtschaft als anarchische, sich ausbreitende Größe des Gesellschaftslebens gekennzeichnet, so erörterten sie keine an wirtschaftsimmanenten Grundsätzen orientierte Wirtschaftsordnung, sondern forderten in der Regel pauschal die Unterordnung der Wirtschaft unter den Staat. Eine Wirtschaftsverfassung im strengen Sinne der rechtlichen Ordnung der Wirtschaft als solcher ist damit nicht angesprochen. Jedoch läßt sich eine Wirtschaftsverfassung im Sinne ihrer kategorial erweiterten Bedeutung als rechtlichem Ausdruck des Verhältnisses von wirtschaftlicher und politischer Macht umreißen. Vorherrschend waren dagegen auch in der rechtswissenschaftliehen Reflexion die deskriptiven Modelle einer Wirtschaftsverfassung. 4. Der berufsständische Staat im Sinne einer Wirtschaftsverfassung
1923 konnte der Politologe Amold Bergstraesser eine beachtliche Reihe bereits nach dem Krieg entstandener Literatur zum Gedanken des berufsständischen Staates überblicken. 25 Die ständische Idee des Mittelalters und die in der Gesellschaft vorfindliehen Reste eines ständischen Denkens waren das Potential, das sich einige konservative Gesellschaftswissenschaftler und Juristen in ihren Konstruktionen einer in Berufsbereiche aufgeteilten und streng hierarchischen Ordnung zu eigen machten. Ständestaatliche Modelle waren in den organischen und den (sozial-)romantischen Staatslehren tradiert worden. Die ständischen Konzeptionen gingen teils aus einem feudalen Ständedenken, aus einem als Reaktion auf den Individualismus zu verstehenden Universalismus und ferner dem christlichen Solidarismus hervor. Ihnen lag ein zwar neu gestaltetes, aber an Vorstellungen von einer sittlich und rechtlich erstrebenswerten Vergangenheit orientiertes Menschen- und Gesellschaftsbild zugrunde. Aus diesem entwickelten die Vertreter ständischer Gesell25 A . Bergstraesser, Neuere Literatur zum Gedanken des berufsständischen Staates, Schmollers Jahrb. 1923, S. 283-299.
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Schaftstheorien je eigene Staatslehren und pragmatisch-politische ldeen. 26 Deren wesentliches gemeinsames Merkmal war ihre Demokratiefeindlichkeit, die sich hinter einer wertenden Repräsentativität verbarg. Ferner herrschte ein gewisses Effizienzdenken, das darauf gerichtet war, die jeweiligen Interessen direkt und nicht über den Umweg eines allgemein politischen Mandats zu organisieren und zu repräsentieren. 27 Dieser Form des Korporalismus war daher auch der Etatismus fremd, der Primat des Politischen trat hier zurück. Vielen rechtspolitischen Literaturbewegungen der Zeit nach dem ersten Weltkrieg war zudem eine neue, ständisch-korporative Note beigemengt. Die Wirtschaft wurde als ein eigener Bereich angesehen, der sich vom politischen Sein der Gesellschaft abheben und eine eigene, an Eigengesetzlichkeiten orientierte Gemeinschaftsnützigkeit entwickeln sollte. Auch die Forderung nach einem auf Werte gegründeten, materialisierten Recht als Reaktion auf die als liberal und werteindifferent empfundenen Kodifikationen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Gewerbeordnung verband sich nicht selten mit einem korporativ-ständischen Ideal. Gerade die Moellendorffschen und die Rathenauschen Ansätze28 zu einer Gemeinwirtschaft konservativer Prägung zeigten das Bestreben, die Gemeinschaft und die Wirtschaft füreinander in Dienst zu nehmen und nicht dem Staat als dem höheren Zweck unterzuordnen, wie es in der Nachfolge des deutschen Idealismus mehrfach geschehen ist. Korporalistische Entwürfe einer Wirtschaftsverfassung stammten durchweg von rechtsgerichteten, republikfeindlichen und antidemokratischen Autoren. Dabei fällt die Häufung österreichischer Wissenschaftler auf, was später auch zur Umsetzung ständischer Verfassungselemente in Österreich beitragen sollte. Die Kritik an der Leistung der parlamentarischen Demokratie und das Verlangen nach tieferer Rechtfertigung der Staatsordnung waren die politischen Motive, die den Kreis der konservativen Ständestaatler einten. Für die Juristen unter ihnen war die Räteverfassung des Art.165 WRV maßgeblicher Anknüpfungspunkt, wobei sie diese ,,Nebenverfassung" in ihrem Sinne umdeuteten. 29 Das unterscheidet sie von Sinzheimer, der die Räteverfassung in der Nationalverfassung mitgeprägt hatte und nun in seinem Sinne auszuformen versuchte. Doch befaßten sich beide Seiten mit der organisatorischen Eingliederung einer besonderen Arbeits- und Wrrtschaftsverfassung. 30 Die FeindVgl. zum Ganzen: P. C. Mayer-Tasch, Korporativismus und Autoritarismus. J.H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, S.54-65. 28 Siehe hierzu 3. Kapitel: Gemeinwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwaltung. 29 Zum BeispielE. Tatarin·Tarnheyden, Berufsstände, Berlin 1922. 30 Nörr konzentriert sich auf die "Wirtschaftsverfassung" bei Hugo Sinzheimer. K . W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 173. Sinzheimers Programm hatte sich auf das Arbeitsrecht als dem Träger der zu einer ,,Nebenverfassung" führenden Rechtsentwicklung konzentriert. Zu Sinzheimers Unterliegen gegenüber der Übennacht der antidemokratischen Theoretiker des Ständestaats schreibt Nörr: "Für Sinzheimer stand das Verhältnis der Räte zur Staatsverfassung, ihr Platz im Aufbau des Reichs im Vordergrund; der Begriff hatte eine organisatorische Bedeutung. Das Programm des Art.l65 kam aber nicht zustande, so daß auch der Begriff an Resonanz verlor." 26 27
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bilder, welche die Berufsständler kultivierten, nämlich die einer staatsvergessenen und "atomisierten" Gesellschaft, waren sehr verbreitet, und zwar weit über die konservativen Kreise hinaus. Gleichwohl reichte die direkteste Wrrkungslinie vom berufsständischen Denken zur konservativen Revolution. Hatte Heinrich Herrfahrdt sich 1922 noch an den Motiven der Nationalversammlung für die Räteverfassung orientiert und faßte er dies als einen Teil der von ihm definierten wirtschaftlichen Selbstverwaltung auf, so hielt der konservative Rostokker Staatsrechtslehrer Edgar Tatarin-Tarnbeyden kurz darauf diese Selbstbindung nicht mehr durch. Der ursprünglich an Stammlers Neukantianismus und an Gierke orientierte Tatarin-Tarnbeyden war, wohl auch geprägt durch seine frühere Rigaer Grenzlanderfahrung, im Lauf der Weimarer Jahre zum Leitbild eines christlich-autoritären Staatsbilds übergegangen. 31 Er hatte sich mehrfach ganz im Zeichen eines sozialromantischen Korporalismus zu Fragen der berufständischen Organisation geäußert. Seine Marburger Habilitationsschrift über die "Berufsstände, ihre Stellung im Staatsrecht und der deutschen Wrrtschaftsverfassung" blieb über lange Zeit ein in seiner Wirkung auf die Literatur maßgebliches Werk zu Art. 165 WRV. Begrifflich besetzte er mit dieser Arbeit auch die Wirtschaftsverfassung. Daß bei Tatarin-Tarnbeyden die auf den Reichswirtschaftsrat gegründete, auf eine berufsständische Vertretung abzielende staatsrechtliche Seite eher Fassade geblieben war, begründete keinen Ausnahmecharakter seiner Ansichten. Das Staatsrecht war nach der Abstinenz im staatsrechtlichen Positivismus zur Politik zurückgekehrt. Die agitatorische Art, mit der Tatarin-Tarnbeyden die Welt des "Seins", der im Leben verwurzelten Berufsstände, gegen die des "Scheins", des allgemeinen Wahlrechts, aufmarschieren ließ, hatte zumindest bei Amold Bergstraesser Widerstreben hervorgerufen, das Tatarin-Tarnbeyden in der juristischen Literatur nicht in dieser Schärfe begegnet war. 32 Soweit eine Stellungnahme zur -lange Zeit wenig beachtet gebliebenen - Wirtschaftsverfassung in der gängigen juristischen Literatur größere Beachtung erfahren hat, dann war es Tatarin-Tarnbeydeos korporative Deutung der sozialistisch motivierten wirtschaftlichen Nebenverfassung der Wirtschaftsräte. 33 Doch war der Topos ohnehin nicht von erstrangiger juristischer Bedeutung und Wrrkung. Georg Bemhard spielte in seiner Schrift "Wirtschaftsparlarnente" 34 die "Stimmzettelgleichheit" gegen eine materielle Gleichberechtigung aus. Er tat das aus gegensätzlichen politischen Motiven, verharrte aber wie Tatarin-Tarnbeyden in indifferenter Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ausgestaltung des Reichswirtschaftsrats, den er zu einer Kammer der Arbeit umwidmen wollte. In einer durchaus eigenen Ausprägung hatte Bernhard dem Rätewesen ein Sprachrohr verschafft, M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S.173ff, 251 , 291. A. Bergstraesser, S. 285. 33 So z. B. bei H. Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 50. 34 G. Bernhard, Wirtschaftsparlamente, von den Revolutionsräten zum Reichswirtschaftsrat, 1923. 31
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ohne daß er dadurch dem Reichswirtschaftsrat eine Verbindungsfunktion für das Rätewesen einerseits und den berufsständischen Gedanken andererseits zuwies. Von Seiten der Sozialwissenschaften und der Nationalökonomie hatten Kurt Wolzendorff und Othmar Spann das dort vorherrschende, aus der historischen Schule der Nationalökonomie hervorgegangene Organisationsdenken verselbständigt und auf ihre Sicht einer berufsständischen Organisation übertragen. In seinem ,,Reinen Staat" wollte Wolzendorff das Fundament des Staates auf die Gesellschaft und das Volk erweitert wissen. 35 Die selbstorganisatorischen Kräfte des Volkes sollten dadurch zu einem Zusammenwachsen der Gesellschaft zu einer organischen Einheit führen, die ihre eigene Herrschaftsorganisation ausprägen sollte. Spann ging in seinem Buch "Der wahre Staat" dagegen vom Menschen aus, der erst als Gesellschaftswesen seine Existenz fande und formulierte damit das Credo aller wissenschaftlichen korporatistischen Theorien der Zwischenkriegszeit Die Gesellschaft setzte Spann mit dem Staat gleich. Wie eine erlösende Formel präsentierte Spann das daraus erwachsende Dilemma, in dem alle Widersprüche aufgehoben sein sollten: "Niemals gibt es schlechte und gute, höherwertige und minderwertige, wahre und unwahre Elemente und Gemeinschaften einer jeweiligen geistigen Welt als isolierte, chaotische Sondergebilde mit bloßen Werteigenschaften; sondern nur als organische Bausteine eines Geistig-Gegensätzlichen- als Glieder- als Stände !"36
Die Berufsstände bildeten so eine politische Wrrklichkeitsform, die sich nicht auf die wirtschaftliche Seite als menschlicher Gesellschaftsform konzentrieren sollte. In den letzten Weimarer Jahren erlebten die korporatistischen Theorien unter dem Etikett der volkswirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung eine Renaissance in der Nationalökonomie. Ein Großteil des Schrifttums, das eine neue korporatistische Bewegung beschwor, stammte aus Österreich. Besonders die Schule des ständestaatliehen Denkens aus dem Wiener Kreis der Nationalökonomie um Othmar Spann, der vermocht hatte, mit einer wissenschaftsimmanenten Beherrschungsstrategie seinen Einfluß in der Universität Wien auszudehnen, hatte immer wieder korporative Gesellschaftsmodelle in die Diskussion gebracht. In Österreich hatten diese Autoren auch vermocht, Anhänger des korporatistischen Staats zu mobilisieren und zugleich K. Wolzendorff, Der reine Staat, ZGesStW 1922, S.199ff. 0. Spann, Der wahre Staat, 1. Auflage 1921,2. Auflage 1922, S.207. S.199: ,,Es ist die geistige Gegenseitigkeit, das darin gelegene Überindividuelle, was das eigentlich Fruchtbare und Wesenhafte in unserem Leben ausmacht, was unserem Leben die Gesellschaftlichkeit als wesenhafte Grundform einprägt." S. 4: ,,Die heutige Krise ist die Gegenrenaissance, die auf eine Abwendung vom Individualismus hinzielt, auf eine Umwendung des Weltgeistes, wenn diese Hegeische Bezeichnung erlaubt ist." Und weiter S.211: ,,Die Gliederung der Stände als eine (gedachte und leibhaftige) Stufenfolge von Organisationen angesehen, bildet den Staat. Der Staat ist also die ideelle Einheit dieser Gliederung, auf Grund der ideellen Einheit der zugrundeliegenden Gemeinschaften, die Gesamtorganisation des Lebens." Der Einfluß H egels ist evident. Die Sozialwissenschaftler Wittmayer, ein Schüler Spanns, und Schürholz standen mit ihren Arbeiten unter dem Einfluß Othmar Spanns. Sie sind zitiert bei A. Bergstraesser, S. 283. 35
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
den Boden für eine politische Konstellation zu bereiten, in der man zu ständestaatliehen Experimenten bereit war. 37 5. "Wirtschaftsdemokratie" als Wirtschaftsverfassung
a) Die Konzeption der Wirtschaftsdemokratie Aus dem Kreis der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften 38 gingen eigene Vorstellungen von einer Wirtschaftsverfassung hervor. Damit war nicht notwendig eine von der Staatsverfassung getrennte Wirtschaftsverfassung gemeint, wie Ernst Rudolf Huber 1931 verallgemeinernd unterstellte. 39 Das Ziel einer staatsfreien Gesellschaft, die mit der Herrschaft der Arbeiterklasse einhergehen sollte, war zwar im Antikapitalismus der deutschen Kommunisten durchaus 1ebendig.40 Die ideologischen Gräben zwischen den Kommunisten und der Sozialdemokratie, die Huber mit seiner Bemerkung einebnen wollte, waren aber nahezu unüberwindlich. Die SPD als ihrem Anspruch nach "eigentliche Staatspartei der Republik" und die auf realpolitischen Kompromiß gegründeten Gewerkschaften hatten sich durch ihren Revisionismus weit vom Marxismus entfernt, wie er noch zu Beginn der Gründerzeit die sozialistische Doktrin beherrscht hatte. 41 Waren die Gewerkschaften während des Krieges noch in der Lage gewesen, von der Kriegsverwaltung und der Arbeitgeberseite die Einlösung der Versprechungen für den "Burgfrieden" einzufordern, so wurden sietrotzihrer durch den Stinnes-Legien-Pakt vom 15. November 1918 gewonnenen starken Position in der Dynamik des Kieler Matrosenaufstands und des nachfolgenden, vom Rätegedanken geprägten revolutionären Geschehens von der Unabhängigen und der Mehrheitssozialdemokratie vordergründig politisch überrollt. Gleichwohl vermochten die Gewerkschaften, allen voran der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, gestützt auf ihre Mitgliederbasis und geleitet durch einen undogmatischen Pragmatismus, auch politisch auf Dauer in der neuen Republik Fuß zu fassen. 42 Den Höhepunkt der theoretischen Auseinandersetzung der Sozialdemokratie und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes mit der Wirtschaftsverfassung 37 H. Schack, Wirtschaftsverfassung, grundsätzliche Ordnung der Wirtschaft, Schmollers Jahrbuch 1932, S.1083-1097, insbesondere S.1093 f. Auf der überwunden geglaubten individualistischen Wirtschaftsverfassung sollte eine kollektivistische und schließlich eine Universalistische Wirtschaftsverfassung aufgebaut werden. Eher skeptisch blieb!. Dobretsberger, Korporative Wirtschaft, kritische Sichtung ihrer Ideologien, Schmollers Jahrbuch 1932, S. 7- 25. 38 Zur Rolle der Gewerkschaften insbesondere aus der Sicht des Allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes siehe U. Hüllbüsch, Koalitionsfreiheit und Zwangstarif. 39 E.R. Huber, Wirtschaftsstaat, S. 10. 40 D.J.K. Peukert, Die Weimarer Republik, S.154. 41 Zitiert nach H. Schulze, Weimar, S. 73. Zur Trennung der politischen Linken in Weimar D.J.K. Peukert, 5.152- 154. 42 M. Schneider, Zwischen Machtanspruch und Integrationsbereitschaft: Gewerkschaften und Politik 1918- 1933, S.179f.
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bildete die Schrift "Wirtschaftsdemokratie" unter der Federführung des sozialdemokratischen Theoretikers Fritz Naphtali. 43 Diese Kristallisierung der an sich in der politischen Linken vorherrschenden ideologischen Vielfalt war das Ergebnis einer für die Sozialdemokratie im historischen Ablauf zu verstehenden Konstellation. In Folge des Dawes-Plans und des Locarno-Abkomrnens trat nach der überwundenen Inflation und einer Rationalisierungsphase 1924-1926 trotz der Wirtschaftskrise 1925/1926 eine Epoche verhältnismäßiger Stabilität und des Wirtschaftsaufschwungs ein. Die Gehälter stiegen und auch die soziale Gesetzgebung machte Fortschritte. Die SPD war durchgehend die stärkste Partei geblieben, hatte im Mai 1928 mit 29,8% das höchste Ergebnis seit 1919 erreicht und hielt mit der Regierung Preußens eine wichtige Machtposition. Die bürgerlichen Regierungen waren von der Tolerierungspolitik der SPD abhängig. Doch drohte der Sozialdemokratie neben der Verbürgerlichung und der mit der Verkopplung mit dem Establishment einhergehenden Bürokratisierung eine Spaltung zwischen den sozialistischen Mitgliedern und den Gewerkschaftlern. Die politische Linke hatte sich seit der Gründerzeit immer wieder in der Frage zerstritten, ob dem Klassenkampf oder der realen Verbesserung der Situation der breiten Arbeitermassen der Vorrang in der politischen Auseinandersetzung einzuräumen sei. Die Gewerkschaften, an ihrer Spitze der ADGB, hatten sich im Lauf der Jahrzehnte zu einem finanziell und organisatorisch dominanten Faktor der Bewegung entwickelt, waren aber keineswegs zu einem revolutionären Klassenkampf entschlossen. Sie zielten politisch lediglich darauf ab, ihre Errungenschaften für die Arbeiter zu festigen. Schon im Weltkrieg waren sie daher bereit, sich den Realitäten zu fügen, hatten innerhalb der Sozialdemokratie die Bewilligung der Kriegskredite betrieben und mit der kaiserlichen Regierung bei der Abfassung und der Durchführung des Hilfsdienstgesetzes von 1916 kooperiert. Im Stinnes-Legien-Pakt vom November 1918, interfraktionell44 im republikanischen Reichstag und im Reichswirtschaftsrat, hatten sich die Gewerkschaften als unabhängiger politischer Faktor Geltung verschafft. Zugleich änderten und verstärkten sich Selbstverständnis und Funktion der Gewerkschaften in Richtung auf ein allgemeinpolitisches Mandat. 45 Die parlamentarische Demokratie und ihre verfassungsmäßige Anerkennung als Institutionen im Verfassungsleben und im Arbeitskampf stärkten ihre Rolle zusätzlich. 43 F Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, ihr Wesen, Weg und Ziel, 1928. Fritz (Perez) Naph· tali mußte 1933 nach Erez Israel (Palästina) emigrieren, nachdem er von dem sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten und früheren preußischen Staatssekretär Hans Staudinger auf wagemutige und kuriose Weise aus SS-Haft befreit worden war. s. dazu H. Staudinger, Wirtschaftspolitik im Weimarer Staat, hrsg. v. H. Schulze, S. 74. Im Staat Israel bekleidete Naphtali, der schon in den zwanziger Jahren der Idee des Zionismus aufgeschlossen gewesen war, hohe politische Ämter und war zwischen 1951 und 1958 Minister in verschiedenen Regierungen. Naphtali starb 1961. Dieses und zum ganzen J. Riemer, Fritz Perez Naphtali, Sozialdemokrat und Zionist, S. 39-65 und passim. 44 Die politisch und sozial mächtigsten Gewerkschaften der Weimarer Zeit waren der ADGB, die christlichen Gewerkschaften und die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften. 45 M. Schneider, Zwischen Machtanspruch und Integrationsbereitschaft, S.l79f.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Schon in der Mitte der zwanziger Jahre hatte man deshalb versucht, einen Bruch zu verhindern. Leipart, der Einflußreiche Vorsitzende des ADGB, hatte 1925 die bereits zwei Jahrzehnte vorher von Legien ausgesprochene Idee von der Wirtschaftsdemokratie aufgegriffen. Aus der so angeregten Diskussion ging aber kein fest umrissenes Theorem hervor. Zwei Jahre später hatte deshalb Rudolf Hilferding, als mehrfacher Minister auch der bürgerlichen Koalitionen nicht nur einer der bedeutendsten Akteure der Sozialdemokratie, sondern auch ein in der Weimarer Zeit öffentlich sehr wirksamer Wrrtschaftstheoretiker, dazu aufgerufen, politische Machtpositionen auf allen Ebenen zu erringen. Es ging ihm darum, die Gewerkschaftsseite, die sich von Regierungsbeteiligungen für die Verbesserung der Verhältnisse mehr versprach als von politisch-dogmatischer Reinheit und die deshalb auch bereit war, sich dem kapitalistischen Regime anzugleichen, zu integrieren. Nicht zuletzt um seine theoretischen Ziele und Vorstellungen in die SPD hineinzutragen, ergriff man im ADGB die Initiative und beauftragte schließlich 1928 Fritz Naphtali mit der Ausarbeitung der "Wrrtschaftsdemokratie". Dieser nahm den Auftrag an, um die Einheit der Arbeiterbewegung vor einer Spaltung zwischen Gewerkschaften und Partei zu bewahren. Die organisatorische Trennung von Partei und Gewerkschaften sollte sich nicht auf eine ideologische Teilung stützen lassen. 46 Mit der Wirtschaftsdemokratie wollten die Gewerkschaften schon seit 1925 fortschreiben, was sie bereits erreicht hatten. Tarifverträge und Betriebsräte, Betriebe der öffentlichen Hand sollten ausgedehnt und in ihrer Wtrksamkeit vertieft werden. Die öffentlich-rechtlichen Wirtschaftskammern wollte man zu Vereinigungen mit paritätischer Vertretung umbauen, ebenso die Selbstverwaltungskörper der Wirtschaft nach Art. 165 WRV, die dazu aber erst in weiten Bereichen noch geschaffen werden mußten. Der vorläufige Reichswirtschaftsrat bot Anlaß zu Überlegungen, ein selbständiges Wirtschaftsparlament mit einem Gesetzesinitiativrecht zu fordern. 47 Diese Pläne für eine Verdichtung der rechtlichen Steuergrößen, die eine WirtSchaftsverfassung konstituieren sollten, trugen die für die Gewerkschaften typischen Züge einer Politik der kleinen Schritte. Die versuchte man nun zu beschleunigen. Naphtali als Herausgeber und Verfasser des Grundsatzreferats standen redaktionell Hugo Sinzheimer und Rudolf Hilferding zur Seite. Die Konzeption der Wirtschaftsdemokratie erfuhr hier entscheidende Prägungen und erhob ihre Forderungen in einer Deutlichkeit, die in und außerhalb der Rechtswissenschaft Beachtung finden sollte. 48 Auch die Politik nahm vom Konzept der Wirtschaftsdemokratie Kenntnis. Zumindest für die neu angetretene Regierung des Sozialdemokraten Müller wurde sie auf dem Gewerkschaftskongreß 1928 in Hamburg, auf dem Naphtali sein Grundsatzreferat vertrat, vom "Schlagwort zum Programm". 49 Die GrundleF. Naphtali, Die Gewerkschaft, S. l83. H.A. Wink/er, Der Schein der Normalität, S.469. 48 E. R. Huber, Wirtschaftsstaat, S. 10. J. Herzig, Die Stellung der deutschen Arbeitergewerkschaft zur Wrrtschaftsdemokratie, 1933. 49 H. A . Wink/er, Der Schein der Normalität, S. 607. 46 47
I. Begriffe und Erscheinungsformen der Wutschaftsverfassung
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gung seiner Wirtschaftskonzeption hatte Naphtali seinerseits von dem sozialdemokratischen Theoretiker Eduard Bernstein und von Rudolf Hilferding bezogen. Bernstein vertrat die von weiten Teilen der Sozialdemokratie geteilte These, der Sozialismus nehme seinen Weg über die Demokratisierung des Staates und zugleich aller Lebensbereiche. Er stützte sich insoweit auf Marx, der davon ausgegangen war, daß die Arbeiterklasse auf ihrem Weg eine ganze Reihe von Kämpfen und geschichtlichen Prozessen durchzumachen hätte. Die umgewandelten Menschen und Umstände würden dann die neue Gesellschaft in Freiheit setzen, deren Elemente sich bereits im Schoße der zusammenbrechenden Bourgeoisiegesellschaft entwickelt hätten. Diese Perspektive revidierte Bernstein im Gepräge der Ideologie der kaiserzeitlichen Sozialdemokratie. Bernstein, der ohnehin davon überzeugt war, daß die Demokratisierung, Parlamentarisierung und die arbeitsteilige Wirtschaft in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg am weitesten fortgeschritten waren, maß der Fortentwicklung dieser Tendenzen für den Sozialismus auf seinem Weg größte Bedeutung bei. 50 Dies sollte sich Bernstein zufolge bis in die Fragen des Erziehungswesens und den direkten Einfluß der Arbeiter auf die Leitung der Industrie fortsetzen. 51 Die andere Säule der Wirtschaftskonzeption Naphtalis war der "organisierte Kapitalismus" im Sinne Hilferdings. 52 Als Begriff bereits 1916/17 geprägt, lag dem organisierten Kapitalismus die Annahme zugrunde, daß die kapitalistische Industrie durch die Organisierung in Monopolen, Kartellen und Trusts, oft in internationalem Rahmen, seine ursprüngliche Form verändert habe. Wollte man die sozialistische Planwirtschaft errichten, so boten sich die vom organisierten Kapitalismus entwikkelten Formen als Substrat der planmäßigen Einwirkung auf die Wirtschaft geradezu an. Die tatsächliche Entwicklung sah Hilferding bereits weit fortgeschritten. Diese Auffassung fand auch von dritter Seite Bestätigung, denn bereits kurz nach dem Krieg war etwa Karl Geiler unabhängig von der Gewerkschaftsbewegung zu dem gleichen Ergebnis gekommen. 53 Es fehlte nur der prinzipielle Wechsel, der Ersatz des kapitalistischen Prinzips der freien Konkurrenz durch das sozialistische Prinzip planmäßiger Produktion. Der Staat konnte als- marxistisch formuliert - Organisation der handelnden Gesellschaft, eine bewußte, planmäßige und mit Zwangsgewalt ausgestattete Einwirkung auf die Wirtschaft in wesentlich höherem Maße vornehmen, soweit sie einen hohen Organisationsgrad erreichte. 54 Hilferding hatte mit seinem Paradoxon, daß der Sozialismus das Ziel bleibe, während zunächst die faktisch vorhandenen herrschaftlich und nicht demokratisch organisierten VerflechtungserE. Bernstein, Die deutsche Revolution, ihr Ursprung, ihr Verlauf und ihr Werk, S. 172. E . Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, S. 94-138. 52 H. A . Wink/er, Bemerkungen zu Hilferdings Theorie des Organisierten Kapitalismus S.l3-16. 53 K. Geiler, Gesellschaftliche Organisationsformen des neueren WJrtschaftsrechts, 1. Auflage, S.51- 54. 54 H. U. Wehler, Der Aufstieg des Organisierten Kapitalismus und des Interventionsstaates in DeutschlandS. 40f; H.A . Wink/er, Hilferdings Theorie des Organisierten Kapitalismus, S.ll ff. 50
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
scheinungen der Wirtschaft den gegenwärtigen Bedürfnissen der Klassen besser als der sofortige Siegeszug des Sozialismus entsprechen würden, eigentlich keine Vision von einer neuen Wirtschaftsverfassung vorgetragen. Die von ihm vertretene Wirtschaftsordnung basierte vielmehr auf einem von tatsächlichen Erwägungen geleiteten Konvergenzmodell, nachdem, in der marxschen Tradition "gesollter" Geschichte, ein Prinzipienwandel stattfinden sollte, in dem sozialistische Prinzipien unter dem zunehmenden Einfluß der Arbeiterklasse kapitalistische Kategorien verdrängten. Dennoch wollte Hilferding im Ergebnis auf eine neue Wirtschaftsverfassung hinwirken: Die anarchische Organisation der Wettbewerbswirtschaft sollte, da die befürchteten Konjunkturschwankungen die Arbeiterklasse am meisten träfen, von einer durch Verflechtungen beherrschte Organisation ersetzt werden. Das bedeutete keine elementare Wandlung der Wirtschaftsverfassung, sondern lediglich eine Verstärkung vorhandener Organisationstendenzen. So widersprüchlich es auch erscheinen mußte, hatte das Modell mit seiner Überwindung der antagonisierten kapitalistischen Prinzipien lebhaften Beifall gefunden und dennoch auf industrieller Seite zu ängstlichen Reaktionen geführt. Naphtali formte auf dieser Folie die "Demokratisierung der Wirtschaft" als Übergang zur Sozialisierung aus. Er hatte dabei wohl die Rolle der Körperschaften, also der Syndikate, als für die Arbeiterklasse zu günstig eingeschätzt. Wie die tatsächliche Entwicklung zeigen sollte, konnten sich die Sozialisierungsbestrebungen nicht durchsetzen. Das rechtliche Gewand der Syndikate konnte kaum die kapitalistischen Strukturen, die darunter aktiv waren, verhüllen. Schließlich hatten die Syndizierungen im wesentlichen im Bereich der Kohlenwirtschaft, die auch vor dem Krieg bereits freiwillig Kartelle gebildet hatte, stattgefunden und waren von Seiten der Unternehmer nicht bekämft worden. Die Arbeitnehmervertreter hatten nur symbolische Funktion. Große Hoffnungen hatte Naphtali auch an die öffentlichen wie an die gewerkschaftseigenen Unternehmungen geknüpft. Ebenso erwartete er den Ausbau des Genossenschaftswesens für eine umfassende Lebensmittelversorgung, da die Landwirtschaft der Demokratisierung traditionell am meisten verschlossen war. Auch der Reichswirtschaftsrat sollte ausgebaut, gestärkt und zur Demokratisierung genutzt werden. Doch fürchtete Naphtali, der Ausbau der Betriebsräte würde partikularistische Kräfte des Betriebsegoismus anfachen. Das von ihm durchgehend verfolgte Prinzip bestand darin, die Gesamtheit der Körperschaften und Organisationen, die dem Kapitalismus dienten, in den Dienst "aller" zu stellen. b) Die Bewertung der Wirtschaftsdemokratie als rechtswissenschaftliche Option Friedrich Glum verstand 1929 den Begriff "Wirtschaftsdemokratie" im Ursprung als die Beteiligung der Anteilnehmer an der Leitung wirtschaftlicher Unternehmungen überhaupt, als die Betriebsform einer "konstitutionellen Fabrik" und als Vorstu-
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fe zur Demokratisierung der Wirtschaftsbetriebe. In einem weiteren Sinne sei es die wirtschaftliche, ja vielleicht sogar über das Wirtschaftliche hinausgehende gemeinnützige Betätigung der Gewerkschaften. Glum bezog die Wirtschaftsdemokratie auch auf die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper. Da die "psychologischen Voraussetzungen" für eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern dort nicht vorhanden waren, woran seines Erachtens der Gedanke der Selbstverwaltung der Wirtschaft gescheitert war, stellte die Wirtschaftsdemokratie nach Glums Auffassung einen andersartigen Schritt in die Verselbständigung der Wirtschaft gegenüber dem Staate dar. 55 Wie Glums Deutung des Begriffs beispielhaft veranschaulicht, gab es keine herrschende konkrete Deutung des Begriffs der "Wirtschaftsdemokratie". Eine Reihe von theoretischen Modellen hatten der von Gewerkschaftsseite initiierten "Wirtschaftsdemokratie" als Vorbilder gedient. Einige Begriffsprägungen waren aber auch unabhängig von Hilferdings und Naphtalis Konzept entstanden. Ein Vergleich der gedachten Wirtschaftsdemokratie mit den ideellen Ansätzen der Gemeinwirtschaft weist auf deren Ähnlichkeiten hin. Die jeweiligen "Wirtschaftsverfassungen" waren als Teilordnungen gedacht, die sich in die ohnehin vorhandenen Tendenzen der Karteliierung und Vertrustung einpaßten. Mittel der Gesetzgebung war der Zwang. Die Verwaltung sollte die Zusammenschlüsse der Unternehmen fördern und in die vorgesehenen Bahnen lenken. Die sich bildenden Verbände sollten die ihnen zugewiesenen Aufgaben der Gemeinnützigkeit, der Konjunkturförderung mit den jeweiligen ideologischen Implikationen unter strenger Aufsicht der Verwaltung erfüllen. Sowohl die linken wie die rechten Kräfte setzten große Hoffnung auf planwirtschaftliche Elemente. Die Urheber der Gemeinwirtschaftsideologie hatten immer wieder die erfinderische und kaufmännische Initiative betont, die in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen sei, und zwar gleichsam aus freien Stücken, ohne daß dadurch eine gebundene Freiheit unter den höheren Staatszweck im Sinne Hegels angesprochen wäre. Vielmehr war die Gemeinwirtschaft nach Wichard von Moellendorff eine von der Zwangslage des Krieges inspirierte pragmatische Gemeinschaftskonzeption zum Wohle aller Beteiligten. Dagegen sollte die Demokratisierung der Wirtschaft das wirtschaftliche Element in der Gesellschaft durch zunehmende Mitbestimmung der Arbeitnehmer und durch Ausbildung und Aufstieg von Mitgliedern der Arbeiterklasse domestizieren und in deren Willen einbinden. Immer wieder betonte man dort den Satz von der "Verschmelzung" des organisierten Kapitalismus mit den Interessen der Arbeiterklasse. 56 Zu einer rechtlichen Durchformung oder gar Umsetzung der Wirtschaftsdemokratie ist es im Gegensatz zur Gemeinwirtschaft nicht mehr gekommen. Die Wirkung des Theorems war dennoch außerordentlich groß, da das geeinte Auftreten der 55 F. Glum, Aussprache über die Berichten am zweiten Tag, VVDStRL Heft 6 (1929) S.l44-148. 56 F. Naphtali, Wirtschaftsdemokratie, S. 35-50.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Kräfte im Dienste des Sozialismus und der Arbeiterklasse einen vehementen Widerstand von konservativer Seite hervorrief. Edgar Tatarin-Tarnbeyden versuchte die Wirtschaftsdemokratie in seiner Kommentierung des Art. 165 WRV von 1930 im Sinne einer berufsständischen Ordnung nach dem Muster Othmar Spanns umzuwandeln. Ernst Rudolf Huber faßte schließlich 1931 alle Versuche, der Staatsverfassung eine selbständige Wirtschaftsverfassung gegenüberzustellen unter der Bezeichnung "Wirtschaftsdemokratie" zusammen und stellte sie als unter der politischen Staatsverfassung illegitim dar. 57 II. Wirtschaftsordnung: Freie Wirtschaftsordnung als Wirtschaftsverfassung in einer Gesamtordnung Eine bedeutende Linie liberalen Denkens, in der sich Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft verbanden, nahm Ende der Zwanziger Jahre bei dem Juristen Franz Böhm und dem Nationalökonom Walter Eucken ihren Anfang. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte die von ihrem Freiburger Kreis inaugurierte Ordoliberale Schule wissenschaftlich und politisch herausragende Bedeutung. 58 Ihr Ziel war, der freien Marktwirtschaft als der für die europäische Wirtschaft bestimmenden Grundordnung die Hürden der gewachsenen Markthindernisse und Verflechtungen der deutschen Wirtschaft aus dem Weg zu räumen. Bis zum Erscheinungsjahr 1933 von "Wettbewerb und Monopolkampf", dem Hauptwerk Franz Böhms, konnten sich die Auffassungen Böhms und Euckens noch nicht allseitig Gehör verschaffen. 59 Die freiheitlichen Ansätze Böhms traten in der wissenschaftlichen und sonstigen öffentlichen Wahrnehmung hinter der von der Gewerkschaftsseite angestrebten Wirtschaftsdemokratie und konservativ-korporatistischen Ansätzen weit zurück. 1. Walter Eucken: Die Krisis des Kapitalismus
In eindringlicher Diktion zog Walter Eucken 1932 historische Linien, die eine Skizze der gegenwärtigen Wirtschaftsform im Rahmen der vom überkommenen Kapitalismus und der neueren Planwirtschaft gesetzten Koordinaten zeichneten. Eukken, seit 1925 Ordinarius in Tübingen und ab 1927 in Freiburg i. Br., war die herausragende Gestalt der von ihm begründeten und mitgetragenen Freiburger Schule. E.R. Huber, Wirtschaftsstaat, S.ll ff. C. Blumenberg-Lampe, Das wirtschaftspolitische Programm der Freiburger Kreise, s. 96 ff, 132 ff. 59 K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S.175 setzt Franz Böhm als genuin liberalen Juristen an die erste Stelle seiner Untersuchung zur Wutschaftsverfassung. Mit besonderem Nachdruck betonte K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 7, die Bedeutung Böhms. Ballerstedt faßte diesen Beitrag zum Grundrechte-Band von Nipperdey, Rettermann und Scheuner zu Anfang der Fünfziger Jahre unter dem Eindruck der in der Bundesrepublik voll anerkannten und wirtschaftspolitisch überragend wirksamen Lehren der Freiburger Schule ab. 57
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II. Freie Wirtschaftsordnung als Wirtschaftsverfassung
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Eucken nahm an der internationalen Bewegung der wissenschaftlichen N ationalökonomie Anteil, die sich der theoretischen Nationalökonomie zuwandte und die politische Ökonomie mit den jeweiligen historisch-staatswissenschaftlich geprägten Anschauungen hinter sich zurückließ. 60 Schon seit 1919 war John Maynard Keynes, das Haupt der Cambridge-Schule mit seiner Auffassung, daß der Staat für seine wirtschaftspolitischen Zwecke, vor allem den der Vollbeschäftigung, in die Wirtschaft intervenieren müsse, wirksam geworden. Die Nationalökonomie in Deutschland bot ein sehr vielgestaltiges Bild und fand sich von der Bewältigung der Kriegsfolgen und der Inflation in einen unfruchtbaren Pragmatismus gedrängt_M Die Nationalökonomen der Vorkriegszeit waren in historischen Deutungsmustern oder einem abstrakten Neoklassizismus verharrt und hinterließen in zahlreichen praktischen Fragen ein Vakuum. Hier fühlte sich Eucken, wie er selbst mehrfach betont hatte, der von ihm wesentlich mitgetragenen neuerentheoretischen Richtung innerhalb der Nationalökonomie verpflichtet. Diese setzte sich mit zunehmender Wrrksarnkeit von der bei aller Heterodoxie bis dahin herrschenden historischen Schule der Nationalökonomie (Schmoller, Brentano, Max Weber, später Sombart) ab, die sich selbst in Abkehr von ihrem liberalen Ausgangspunkt planungsfreundlichen Tendenzen zugewandt hatte. Doch suchte Eucken stets die Kluft von Theoretikern und Historisten unter den Nationalökonomen zu überwinden. Gelingen sollte ihm das erst 1938 mit seinem Hauptwerk, den "Kapitaltheoretischen Untersuchungen".62 Eucken überschritt in seinen Arbeiten deshalb auch den von der historischen Schule selbstgesteckten nationalen Rahmen und überprüfte seine Theorien an den von übernationalen Zusammenhängen geprägten kapitalistischen Strukturen.63 Wie 60 Siehe dazu in erster Linie die Arbeiten von Gustav Cassel/, Knut Wicksell, lohn Maynard Keynes und für die Wissenschaft in Österreich und Deutschland Joseph A. Schumpeter und Friedrich August von Hayek. 61 Siehe dazu wie zum Ganzen H. Kellenbenz, Deutsche Wirtschaftsgeschichte II, S. 322- 324. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung können die verschiedenen Denk- und Forschungsrichtungen der Nationalökonomie, die gewiß auch jeweils durch politische und ideologische Optionen geprägt waren, nur grob vereinfachend angedeutet werden. Ein wichtiges Zeugnis der Zerklüftungen innerhalb der Nationalökonomie bietet W Sombart, Die drei Nationalökonomien, der von einem ideologischen und begrifflichen Chaos sprach und drei Richtungen der Wirtschaftswissenschaft unterschied: Die verstehende, die ordnende und die richtende Nationalökonomie, also ihre je geistwissenschaftliche, aristotelisch-metaphysische und kartesisch-naturwissenschaftliche Ausprägung, die aber von den verschiedenen Vertretern der Fächer je nach deren Gesinnung, ob von Romantikern, Psychologisierern oder von phänomenologisch-philosophisch Geprägten selbständig ausgelegt würden. Die Wirtschaftswissenschaft umfasse zudem Wirtschaftsphilosophie, Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftskunstlehre, worüber keinesfalls Klarheit bestehe. Sogar F.A. v.Hayek, Preise und Produktion, Vorwort und S.ll9, überprüfte die Konsequenzen seiner Geldtheorie an deren Inftationsstabilität, ein wichtiger Prüfstein für die Nationalökonomie der Zeit. Die von Thm angegriffenen Oberflächentheorien (Konjunkturtheorien) hätten die Inflationsgefahr nicht theoretisch bewältigt. 62 W Eucken, Kapitaltheoretische Untersuchungen 1937. 63 Dies vor allem in der universalgeschichtlichen Betrachtung W. Euckens, Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
in seiner 1932 in polemischer Absicht entwickelten Vorstellung vom "Wirtschaftsstaat" hatte sich Eucken stets um die klassische Nationalökonomie in der Tradition Adam Smiths bemüht, wobei er, insofern entfernte er sich vom klassisch liberalen Vorbild, den Staat als Hüter des freien Marktes einzusetzen bedacht war. Es kam ihm darauf an, daß sich die von ihm favorisierten neueren Richtungen der Nationalökonomie auch in der juristischen Ausbildung angemessenes Gehör verschafften. 64 Im Zentrum seiner Untersuchungen stand immer wieder das Verhältnis von Wirtschaft und Staat. Der Staat des Liberalismus hatte in strikter Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft einen Rahmen für den Kapitalismus geschaffen, in dem er frei zur Entfaltung gekommen war. Motor der Entwicklung war im Liberalismus der Unternehmer gewesen. Eucken deutete die Weltwirtschaftskrise nicht als Frage der Wirtschaftsordnung. Vielmehr führte er die Krise des Kapitalismus auf das im Sinne verstärkter wechselseitiger Intervention gewandelte Staatsverständnis zurück. Dabei ignorierte Eucken die autonome Fehlentwicklung des Kapitalismus, die, ausgehend vom New Yorker Börsenkrach, zur Weltwirtschaftskrise geführt hatte. Er machte den Staat allein verantwortlich. Gegenüber der sich immer mehr festigenden Ansicht, der Unternehmer der Weimarer Zeit strebe nach Sicherheit und Stetigkeit und daraus folge eine Bürokratisierung der Wirtschaft, führte Eucken eine Differenzierung nach Wrrtschaftsstilen an. Die von Monopolen und Kartellen gesicherten Wrrtschaftszweige, also der Steinkohlebergbau, die eisenschaffende Industrie, die chemische und die Kaliindustrie, die alle zumindest zeitweise, ob nun gemeinwirtschaftlich oder nicht, eng durch Verbände verflochten waren, würden die vielbeschriebene Bürokratisierungstendenz zeigen. In den anderen Branchen, in denen höchstens über beschränkte Dauer lediglich Konditions-, Kalkulations- oder höchstens Richtpreiskartelle möglich waren, die also nicht vom Gedanken der umfassenden Organisation beherrscht waren, fand Eucken den Unternehmertyp des Wettbewerbs vor. Eucken stellte den Unternehrnergewinn, der auf dem Erwerb und der Sicherung von Monopolstellungen beruhte, dem nach dem liberalen Vorbild kapitalistischen Unternehmer gegenüber, für den er Anpassungsfähigkeit, Beweglichkeit und die Einführung von (technischen) Neuerungen für entscheidend hielt. Entgegen Marx, und seit der Gründerzeit in Deutschland entgegen Werner Sombart, die von einem baldigen Ende der technischen Entwicklung und damit einem Ende der für den Kapitalismus für unentbehrlich gehaltenen Dynamik und Ausdehnung ausgingen, erwartete Eucken den Übergang von einem dynamischen in einen statischeren Kapitalismus wie zu Ende des 19. Jahrhunderts in England. 65 Die Krisis des Kapitalismus suchte Eucken aus der staatlich-gesellschaftlichen Organisation heraus zu erklären, indem er die Wandlungen der inneren Struktur der 64 W. Eucken, Die Nationalökonomie im Rahmen der juristischen Studienrefonn, DJZ 1930, S.1553. 65 W. Eucken, Staatliche Strukturwandlungen, S. 300 f.
II. Freie Wirtschaftsordnung als Wirtschaftsverfassung
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Staaten in mehreren Epochen beobachtete. Die Spaltung von Staat und Gesellschaft sei im merkantilistischen Zeitalter vollständig gewesen. Der Staat führte neben dem Volk ein Eigenleben. Die Lenkung einzelner Wtrtschaftszweige ging nach Eucken allein im Interesse des Staates vor sich, doch es lag dem merkantilistischen Fürsten fern, die gesamte wirtschaftliche Betätigung der Untertanen lenken zu wollen. Die folgenden Epochen waren nach Euckens Formulierung von diesem Grundproblem der Trennung von Staat und Gesellschaft geformt und gezeichnet: In dem auf die französische Revolution und die Demokratisierung folgenden Liberalismus verschärfte sich die Trennung noch und überließ so dem Unternehmertum die Wirtschaftsführung, was dem Kapitalismus Vorschub leisten mußte. Nur vereinzelt hätten mächtige Gruppen staatliche Intervention erheischt. Demgegenüber habe der politische Liberalismus allgemeine Wehrpflicht und allgemeines Wahlrecht gebracht, was Eucken als erste Verflechtung von Staat und Gesellschaft beschrieb. 66 Dagegen sprach Eucken von einem Zusammenwachsen von Staat und Wtrtschaft, beginnend mit den 1880er Jahren, was mit der Politisierung der Wtrtschaft zum "Wirtschaftsstaat" führte. Darin erblickte er die "zweite Etappe des großen historischen Verflechtungsprozesses von Staat und Gesellschaft". Tatsächlich hatte der Staat Bismarcks hatte aus Gründen der Staatsräson mit seinem Interventionismus den Anfang gemacht. Den Leitgedanken der Gesamtpolitik folgte nach Eucken alle Wirtschaftspolitik. Die Schutzzölle dienten der finanziellen Sicherung des Reiches, die Sozialpolitik der Bindung der Arbeiterklasse an den Bestand des Reiches. War die Verflechtung eingeleitet, so verschwand mit Bismarck auch die alles beherrschende politische Idee. "Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft kehrte sich allmählich um und die Wirtschaft begann die Führung in dem Verflechtungsprozeß von beiden zu übernehmen."67 Eucken beobachtete mit diesen Feststellungen die allgemeine Tendenz der Vergesellschaftung des Staates und das Vordringen der Wirtschaft zur politischen Macht. Seine zeitliche Differenzierung wies dem parlamentarischen Staat, der nicht mehr vom Primat der Außenpolitik gekennzeichnet war, die Verantwortung für den Niedergang des Staates als dem Träger politischer Macht zu. Allein diesen Staat hielt Eucken für fahig, das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu gewährleisten. Demgegenüber seien die Motive, mit denen die Wirtschaft im demokratischen Staat zunehmend erfolgreich nach staatlichen Interventionen verlange, in sich nicht kohärent. Zumeist begehrten einzelne Gruppen Schutz und Förderung. Mit dieser Bewertung traf Eucken die ereignisgeschichtliche Entwicklung im Kern. Ging doch beispielsweise die gemeinwirtschaftliche Regelung der Kohlenindustrie auf ihre vorangegangene freiwillige 66
67
Ebenda, S. 302. Ebenda, S. 303.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wmschaftsordnung
kartellmäßige Organisation zurück, wobei die sozial homogene Gruppe der Kohlenindustriellen sich politisch auf die Zwangsbewirtschaftung verständigt hatte. Ihrem Beispiel waren andere Branchen in je eigener Weise gefolgt. Deswegen beschrieb Eucken das Instrumentarium von der Zollpolitik über Verwendungszwang, Monopolisierung der Konkurrenz und Preispolitik als bereits ausgesprochen differenziert. Ebenso drängten, befand Eucken, der wie zahlreiche andere Wissenschaftler der Zeit von der Erfahrung der "Masse" geprägt war, die Arbeitnehmer in ihrer politisch bedeutsamen Vielzahl nach Intervention zu ihren Gunsten, indem sie bessere Löhne und Arbeitsbedingungen forderten, um ihre wirtschaftliche Lage in der Gegenwart zu verbessern. Zugleich verlangten überwiegend die Arbeitnehmer Staatseingriffe, um mit dem Ziel einer bürokratisierten und kartellierten Wirtschaft die gegenwärtige Wirtschaftsordnung in ihrem Bestand zu überwinden. Eucken verstand dieses antikapitalistische Verhalten aus "der Gesamtheit der geistigen, politischen und wirtschaftlichen Bewegungen der neuesten Zeit in ihrer Wechselwirkung aufeinander", also aus dem Bestreben heraus, den Staat nicht nur im Kapitalismus zu instrumentalisieren, sondern ihn auch zum Träger dieser nichtkapitalistischen Wirtschaftsordnung zu machen. Hatte Marx das Ziel einer staatenlosen sozialistischen Gesellschaft verkündet, so beschrieb Eucken den modernen Antikapitalismus als die in der Gesellschaft verbreitete Hoffnung, der totale, alles beherrschende Staat möge den Kapitalismus überwinden. Er erklärte diese zentrale Rolle des Staates als übermenschlichem, alles vermögendem Wesen genetisch aus dem Wegfall der verschiedenen Glaubensinhalte der immer unwichtiger werdenden Religionen oder zumindest der schwindenden Sinnstiftung durch die Gesellschaft, den Gedanken der Menschheit oder der Kultur. An deren Stelle vermutete Eucken jetzt den totalen Staat.
hn Hinblick auf das Deutungsmuster des totalen Staates bezog sich Eucken ganz bewußt auf Carl Schmitts "Hüter der Verfassung" von 1931. Wie Schmitt ging er von der Annahme aus, die Expansion des Staatsetats, der Steueransprüche und des ganzen Staatsapparates würden den Staat bis zur Auflösung schwächen. Daß bei alledern die selbständige Willensbildung des Staates, auf der seine Existenz beruhte, unterhöhlt wurde, wertete Eucken als besonders schwerwiegend. Zur alles überwölbenden politischen Idee sei der ohne einheitliches System operierende Maßnahmenstaat nicht mehr fahig. Ein reines Staatsinteresse existiere nicht mehr, es sei dem Willen der Interessenten gewichen. Umgekehrt griff nach Eucken unter den vom "interventionistischen Wirtschaftsstaat" gesetzten Bedingungen der Preismechanismus nicht mehr. Eucken beklagte Kapitalfehlleitungen und das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage, die mit den ersten monopolartigen Gebilden aufgekommen waren und sich mit der mittelbaren Preisbestimmung durch den Staat stark vermehrt hatten. Die wirtschaftsordnende Hypothese, die Euckens Analyse zugrunde liegt, ist das Muster der Überlegenheit des staatsfreien Marktes. Der staatlich gebundene Kapi-
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talismus entbehrte einer brauchbaren Steuerung. Also wünschte er einen starken Staat, der sich gegenüber der "Polykratie" der Wutschaftsgesellschaft behaupten konnte. Der starke Staat ist nach Euckens Denkansatz primär nicht aus politischen Gründen zur Stärke aufgerufen, sondern als Marktregulator. Gleichwohl schwingt bei Eucken ein starker, gegen wirtschaftsdemokratische Bestrebungen gerichteter Impetus mit. Die Fragen der Arbeiterklasse, ihrer Vertretung und ihres Begehrens nach Mitbestimmung sprach er deshalb auch nicht an. Eucken zog vielmehr den massiven Rückgriff auf konservative Modelle vor, die wie in den Überlegungen Carl Schmitts unerwünschte politische Realitäten nicht anerkannten, sondern auf konstruierten politischen "Grundentscheidungen" beruhten. Auf deren Grundlage ließen sich "legitime" Folgen aus gedanklichen Konstruktionen deduzieren. Im Gegensatz zu Schmitt und dessen von Rousseau und der politischen Romantik inspirierten sowie auf der politischen Grundentscheidung fußenden politischen Rechtsbegründung hielt sich Eucken an klassische liberale Muster und forderte auf dieser Grundlage die Revision des Versailler Vertrags. Eucken zielte auf den klassischen liberalen Kapitalismus der staatsfreien Wutschaftsverfassung als einer Gesamtentscheidung des Staates ab, aus der die autoregulative Gesamtordnung der kapitalistischen Wirtschaft hervorging. Die starke Expansion des Kapitalismus erklärte Eucken aus der Stabilität und Sicherheit in der europäischen Staatenwelt der Neuzeit, aus der klaren Trennung von Krieg und Frieden und dem Gleichgewicht der europäischen Staatenwelt, die eine Vertrauensgrundlage für den internationalen Kapitalverkehr gebildet hätten: Ein Netz von langfristigen Handelsverträgen, das plötzliche Störungen des Warenverkehrs vermied, erleichterte bis 1914 die internationale Arbeitsteilung. Seit dem Krieg beobachtete Eucken demgegenüber einen Wandel der Wirtschaftsordnung und zudem ein Versagen der deutschen Diplomatie. Unter dem Druck der allgemeinen Demokratisierung habe die Außenpolitik ihre stabilisierende Wirkung eingebüßt. Auch die Unterscheidung von Krieg und Frieden sei mit der Perpetuierung der für die Alliierten günstigen Lage zu Kriegsende durch die Pariser Vorortverträge und die Kriegsschuldthese hinfällig geworden. Die daraus hervorgehenden ständigen Spannungen waren nach aus der Sicht Euckens dafür verantwortlich, daß die für ein System von langfristigen Handelsbeziehungen erforderliche politische Grundlage auf Dauer erschüttert war. In Verbindung mit der lnteressenpolitik, welche die einzelnen Staaten zu zunehmendem Protektionismus zwang, vermutete Eucken in der für ihn gegenwärtigen ,,neuen Lage" eine für die weitere Entfaltung des Kapitalismus ausgesprochen ungünstige Situation.68 Eucken bot das Modell einer liberalen Wutschaftsordnung als einer Wirtschaftsverfassung an, die den Staat nicht als Beherrscher der Wutschaft, sondern als Schützer des Marktes ansah. Mit seiner Abwendung von der historischen Schule und der "sozialrechtlichen" Richtung in der Nationalökonomie wies er warnend auf die Ursachen und Gefahren des sozial- und wirtschaftspolitisch motivierten Interventio68
Ebenda, S. 311.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
nismus hin. War Euckens Einfluß auf die Diskussion der Wirtschaftsverfassung zunächst noch gering, so blieb er insbesondere für Böhm maßgeblich. 2. Franz Böhm
a) Der Ansatz Böhms Der Kreis derer, die in ihrer wissenschaftlichen Arbeit der Monopolwirtschaft von Kartellen und Trusts skeptisch gegenüberstanden, war begrenzt. 69 Mit dem im Ersten Weltkrieg gefallenen Juristen Fritz Kestner, 70 den Nationalökonomen Ludwig v. Mises, Moritz Julius Bonn, Karl Menger71 und schließlich Walter Eucken ist der Kreis der Vertreter bis 1933 im wesentlichen schon umrissen. Als 1928 der als Referent zum Reichswirtschaftsministerium abgeordnete badische Staatsanwalt Franz Böhrn in der "Justiz" in seinem Aufsatz über das ,,Problem der privaten Macht" seine Thesen zum ersten Mal der Fachöffentlichkeit unterbreitete, stand ihm keine von bedeutenden gegenwärtigen Rechtswissenschaftlern vertretene Lehre zur Seite. In diesem "Beitrag zur Monopolfrage" griff Böhrn die Macht der privaten Monopole 72 an, die in der privatrechtliehen Doktrin als hinzunehmende Gegebenheit galt. Obgleich die "Justiz" das Organ des republikanischen Richterbundes war, der tendenziell eher das sozialdemokratische Spektrum vertrat, Böhrn aber als wirtschaftsliberal gelten mußte, ist die Veröffentlichung in dieser Zeitschrift verständlich. Böhrns Auffassungen standen, wie etwa auch die Anschauungen der Nachzügler unter den Vertretern der Freirechtsschule, die neben Eugen Ehrlich ebenso dort publizierten, in Opposition zu den gemeinhin in Richterkreisen herrschenden nationalwirtschaftlichen und an der herkömmlichen Kartellpraxis orientierten Auffassungen. Böhrn traf 1928 auf eine aus der Vorkriegszeit herrührende Situation. Das Reichsgericht hatte 1897 in der Leitentscheidung zum sächsischen Holzstoffkartell die von der Wirtschaft zusehends für notwendig erachteten Kartelle sanktioniert. 73 Diese von Gierkeschen Vorstellungen geprägte Rechtsauffassung hatte sich auf die Seite 69 Einen gewissen Überblick verschafft die Zeitschrift ,.Kartellrundschau" der letzten Weimarer Jahrgänge. R. Lieftrwnn, Die Kartellverordnung und die Exklusivverträge, Kartellrundschau 1928, S.l ff. Böhm verwies auch auf Briefs, Kartellkritik des Liberalismus, Magazin der Wirtschaft, Jahrgang 1928, S. I. 70 F. Kestner, Der Organisationszwang: eine Untersuchung über die Kämpfe zwischen Kartellen und Außenseitern, 1912. F. Kestner, Die Formen des wirtschaftlichen Kampfesam Beispiel Arbeitskampf (Rezension), Deutsche Wirtschafts-Zeitung 1918, Sp. 58-60. Dieser Beitrag wurde kurz nach Kestners Tod im Felde posthum veröffentlicht. Zur Bedeutung Kestners K. W. Nörr, Wirtschaftsverfassung, S.432f. 71 L. v.Mises, Liberalismus, 1925; C. Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 2. Auflage 1923; M.J. Bonn, Das Schicksal des deutschen Kapitalismus, 2. Auflage 1930. Siehe dazu E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Auflage, Band I, S. 331-333. 72 Im Gegensatz dazu siehe zu den Verwaltungsmonopolen: P. Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S.1-8, 38ff.
II. Freie Wirtschaftsordnung als Wirtschaftsverfassung
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des Prinzips einer genossenschaftlichen Selbsthilfe gegenüber dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte geschlagen. Nicht anders hatte sich die Situation in der Monopolfrage entwickelt. Hans Carl Nipperdey hatte in der von Justus Wilhelm Hedemann eröffneten Reihe der Jenaer wirtschaftsrechtlichen Abhandlungen mit seiner 1920 veröffentlichten Studie über "Kontrahierungszwang und diktierten Vertrag" den Boden für die herrschende Auffassung gefestigt, wonach die Monopole als eine notwendige Erscheinung des Wirtschaftslebens galten.
In seinem Aufsatz wandte sich Böhm freilich nicht mit einem fertigen neuen Systementwurf gegen die herrschende Rechtsprechung und Lehre. Er stellte diese nur mit einer Reihe von Thesen in Frage. Er setzte eine bestehende Wirtschafts- und Privatrechtsverfassung voraus, in deren Rahmen das Reichsgericht durch seine Rechtsprechung das private Monopol eingefügt habe. 74 Die Vorstellung von einer Wirtschaftsverfassung in dem von Böhm angesprochenen Sinn hat nur wenig mit den übrigen von verschiedenen politischen Anschauungen getragenen Proklamationen von Wirtschaftsverfassungen zu tun. Die von Böhm bezeichnete Wirtschaftsverfassung ist von der Wirtschaftsordnung, dem Wirtschaftssystem oder der Wirtschaftsverfassung, wie sie die Nationalökonomie kannte, allerdings stark Beeintlußt. Der volkswirtschaftliche Terminus war definiert als die Summe der rechtlichen und tatsächlichen Faktoren, die eine funktionierende Wirtschaft in ihrer Gesamtheit konstituierten. 75 Das Recht bildete überdies in dieser Gesamtheit nur einen Faktor in der Arbeits-, Verkehrs- und Produktionsorganisation. Das Recht war aber nicht seinem juristischen Geltungsanspruch nach Teil der Wirtschaftsverfassung, sondern als eines von vielen tatsächlichen und normativen Elementen in sie integriert. 76 Böhms besondere Absicht und Leistung lag zu diesem Zeitpunkt und später in dem Transport von Begriffen und Inhalten der Wirtschaftsphilosophie und Volkswirtschaftslehre in die Rechtswissenschaft. 77 Böhm leistete damit auch den Transfer der wirtschaftswissenschaftlichen Vorstellung von einer Wirtschaftsverfassung in die Rechtsordnung. Wirtschaftsverfassung nach Böhm ist gegenüber der wirtschaftswissenschaftlichen Definition die Gesamtentscheidung über die Ordnung des Wirtschaftslebens eines Gemeinwesens. Wenn auch selbstverständlich nicht als Staatsverfassung, so war der Begriff der Verfassung durchaus im rechtlichen Sinne gemeint. 78 Böhm knüpfte für seine Kritik der Macht in Händen Privater an der seit der Kartellverordnung bestehenden Rechtslage an. Die wegen ihrer ausgeprägt diskretionä73 Zu dem Urteil des Reichsgerichts E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Auflage, Band 1, S. 316-319. R. Schröder, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, S.16ff. 74 Wieder im Gegensatz zum verliehenen und vom Staate abhängigen Monopol, F. Böhm, Das Problem der privaten Macht, S. 325. 75 K. W. Nörr, Wirtschaftsverfassung, S. 423. 76 K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S.4f. 77 K. W. Nörr, Franz Böhm, ein Wegbereiter des Privatrechtsgedankens, S. 59-61. Zu seiner eigenen Absicht F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 9. 78 K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 7 f.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
ren Sanktionen79 viel kritisierte Verordnung von 1923 hatte nur die Monopole der Kartelle zu domestizieren versucht. Die tatsächlichen, also privaten Monopole marktbeherrschender Unternehmen, der "Monopolismus der Trusts", waren gar nicht erlaßt. Den Grund des Übels suchte Böhm schon vorher in der Rechtsprechung des Reichsgerichts seit 1897, die sich in die kartellfreundliche Haltung der herrschenden Literaturmeinung fügte. Die Rechtsprechung habe nicht nur "tatsächliche" Monopole rechtlich anerkannt und damit eine planvolle Ordnung der Marktverhältnisse zugelassen, sondern den nach Böhm "tauschwirtschaftlichen Machtträgern" Zwangsmittel gestattet, die der Privatrechtsordnung prinzipiell fremd seien. Die privaten Machtträger nahmen, so der Vorwurf Böhms, dem Staat gegenüber die Freiheit der autoritativen Ordnung öffentlicher Angelegenheiten in Anspruch, nicht die Freiheit der eigemechtlichen Ordnung ihrer privaten Lebensverhältnisse. Böhm beobachtete bei den Monopolisten gegenüber dem Staat die Haltung eines Trägers öffentlicher Selbstverwaltungsbefugnisse, die diese nur auf das eigene Privatrecht stützen, nicht aber aus dem öffentlichen Recht ableiten konnten. Im Gegensatz zu den Tendenzen der zwanziger Jahre trat bei Böhm der Privatrechtsgedanke wieder stärker hervor. Wirtschaftsrecht und Sozialrecht schienen zunehmend die Bedeutung der materiellen Unterscheidung von öffentlichem und Privatrecht schwinden zu lassen. Die freiheitswahrende Bedeutung des Privatrechts und die Aufgabe des öffentlichen Rechts, die vom Privatrecht vorausgesetzte Machtfreiheit des Marktes zu sichern, nahm in Böhms Formulierungen ihre reinste Form an. 80
b) Insbesondere: Gesamtordnung der wirtschaftlichen Freiheitssphären Das öffentliche Recht hatte nach allgemeiner Auffassung der Juristen in der Weimarer Republik keine Möglichkeit, private Marktmacht zu verhindern.81 Die öffentlich-rechtliche Wirtschaftsordnung der Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit sah keine Handhabe gegen Monopole vor, weil nur der Eingriff des Staates in die Wirtschaftsfreiheit, nicht aber der von privater Seite, öffentlich-rechtliche Schutzmechanismen für den Bürger auslöste. Das Privatrecht beschränkte den Schutz der Außenseiter auf die durch die guten Sitten gezogene Grenze. In die vom Privatrecht fingierte Vertragsfreiheit las Böhm 79 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht S. 117-119, insbes. 183; F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 324, verwies auf "verschiedene Schriften" des Wirtschaftsrechtiers Ru-
dolflsay.
80 Der Verständnis- und Bewertungsansatz des Privatrechtsgedankens, also die aus dem 19. Jahrhundert hervorgegangene Vorstellung der Freiheitsbewahrung im Privatrecht und dem Lenkungscharakter des öffentlichen Rechts ist Gegenstand bei K. W. Nörr, Die Leiden des Privatrechts. Ders., Eher Hege! als Kant, S. 11-17. 81 G. Lucas, Recht und Wirtschaft, Die Wirtschaft und das Recht 1928, S. 1 ff. Für die Rechtsprechung F. Böhm, Das Problem der Privaten Macht, S. 325. H . C. Nipperdey, Stromsperre, Zulassungszwang und Monopolmißbrauch, 1929.
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aber die Voraussetzung der Konkurrenz als Ordnungsprinzip der Wmschaft hinein. Die Monopolbewegung habe sich indes inzwischen dergestalt ausdifferenziert, daß einzelne Monopole versuchten, mit Mitteln des Organisationszwangs einzelne Marktsegmente ganz zu beherrschen. Sie drängten in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet die von der Intervention seitens der Trusts, der Kartelle und auch des Staates freie- im Sinne Böhms vom Staat und von fremder Beherrschung freie, also "anarchische" - Marktregelung zurück, indem sie die Beziehungen der wirtschaftlichen Außenseiter zu den Anbietern von Rohstoffen und Investitionsgütern einerseits und zu ihren Kunden andererseits störten, was zu einer tatsächlichen Aufhebung von deren Vertragsfreiheit führen mußte. Knüpfte nun ein Monopolunternehmen an sein Umsatzgeschäft Bedingungen, welche die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Konkurrenten außerhalb der "anarchischen" Konkurrenz des Marktes beeinträchtigten, so war für Böhm diese Konkurrenz als Marktordnung außer Funktion. Der von der Rechtsprechung im Laufe der Jahrzehnte seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Schutz mußte ihm so als unzureichend und systemwidrig erscheinen. Die dort entwickelten Grundsätze besagten, daß der Monopolzwang zulässig sei, wenn der Zweck erlaubt, die Mittel nicht sittenwidrig, die Relation von Zweck und Mittel angemessen waren und die Zwangsmaßnahme nicht zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz führte. Diese Rechtsprechung entsprach nominell allgemeinen Prinzipien des Privatrechts, war aber auch das Ergebnis freier richterlicher Rechtsschöpfung. Auf diese Judikatur führte Böhm das innerhalb weniger Jahrzehnte tatsächlich in Kartellen und Monopolen organisierte Wirtschaftssystem zurück. Die nach Maßgabe höchster Leistungsfahigkeit wirtschaftende individualistische Konkurrenz sei peripherisch geworden. Böhm verortete das damit zum Ausdruck gekommene Problem der privaten Macht und des privaten Zwangs sowohl auf dem Grenzgebiet von Jurisprudenz und Nationalökonomie als auch zwischen öffentlichem und privatem Recht. Mit der Betonung der Konkurrenz als Bedingung für die Wlrtschaftsverfassung der "anarchischen" Konkurrenz des Marktes war Böhm nicht ganz allein. Die elementare Funktion des Wettbewerbs für das System des bürgerlichen Rechts war beispielsweise von dem Rechtssoziologen und Wlrtschaftsrechtler Max Rumpf zu Anfang der Zwanziger Jahre hervorgehoben worden. Eine programmatische Verbindung zur theoretischen Umsetzung nationalökonomischer Erkenntnisse für die Ordnungspolitik hatte er jedoch nicht hergestellt. Rumpfs Anschauungen waren aus wirtschaftspädagogischer Erfahrung gewonnen und führten so zu einem pragmatischen, aus der freirechtlichen Perspektive im Sinne Ehrliebs gewonnenen Wettbewerbsdenken im Wirtschaftsrecht Bei der Analyse der Rechtsprechung nahm Böhm die Zwischenstellung des Monopols zum Ausgangspunkt. Als Unterscheidungsmerkmal der für das öffentliche Recht kennzeichnenden Handlungsform der einseitigen Verfügung und dem Vertrag des Privatrechts verstand Böhm den Zwang. Die "normale Form" der rechtlichen Beziehung sei frei von diesem Zwang. Komme er zur Anwendung, dann sei die 16*
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Zweiseitigkeil zur Einseitigkeit verkehrt. Der Privatrechtsordnung, die anerkanntermaßen von einer freien Willensdisposition ausging, ordnete Böhm auch die der Willensfreiheit notwendig vorangehende Voraussetzung einer auf freier Konkurrenz beruhenden Wirtschafts- und Marktverfassung zu. Nur der von Zwang freie Wille könne sich für das günstigste erreichbare Angebot entscheiden. Konsequenterweise war demnach auch die Willensfreiheit beschnitten, wenn das Ausweichen durch marktfremde Maßnahmen des schlechteren Anbieters vermieden wurde. Die Zwitterrolle des Problems, dem er zu begegnen suchte, machte Böhm in einem Schlüsselsatz deutlich: "In der Möglichkeit, als schlechtererAnbieterden Partner von der Annahme besserer Angebote abzuhalten oder ihn für deren Annahme zu bestrafen, beruht das Wesen der wirtschaftlichen Macht; in der Ausnützung dieser Möglichkeit aber das Wesen des wirtschaftlichen Zwangs." Böhm leitete aus den Vorschriften des BGB und des Reichsstrafgesetzbuchs, die sich mit der Verfalschung fremden Willens durch Irreführung und insbesondere Zwang befaßten, das allgemeine Prinzip der Privatrechtsordnung her, daß der Zwang ein unzulässiges und rechtswidriges Mittel der Willensbeeinflussung sei. Der Zwang mußte dabei nicht erheblich sein. Insbesondere mißbilligte Böhm die Rechtmäßigkeilsanforderung der Rechtsprechung an den Monopolzwang, daß Mittel und Zweck in einer angemessenen Relation stehen müßten, als ein in diesem Zusammenhang zwar verständliches aber systemwidriges Postulat des Polizeirechts. Böhm suchte demgemäß das Problem öffentlich-rechtlich zu fassen und das tatsächlich angesprochene öffentliche Recht für die Erhaltung des Marktes zu aktivieren. Das öffentliche Recht kannte nur öffentliche Macht. Doch schienen ihm die Grundsätze, nach denen diese Macht gehandhabt wurde, also das Prinzip der einseitigen Verfügung, der Gesetzlichkeit der Verwaltung, der Unverhandelbarkeit ihrer gesetzlichen Positionen und die Verhältnismäßigkeit in der Zweck-Mittel-Relation für die Ausübung von Zwang auch für die der Monopolmacht angemessen. Böhm stellte aber die Legalisierung durch freie Willensbetätigung für den Verkehr zwischen gleichberechtigten Privaten und die Gesetzmäßigkeit der öffentlichen Verwaltung dem tatsächlichen Monopol gegenüber. Er kam so zu dem eindrucksvollen Ergebnis, daß der wirtschaftliche Machtträger beide Legalisierungswege vermeiden könne und eine formelle Scheinlegalisierung durch die erzwungene Willenserklärung eines Abhängigen ausreiche. Dies beschrieb Böhm als denjenigen Weg, den die Rechtsprechung der Monopolwirtschaft offen lasse. Bei konsequent privatrechtlicher Betrachtung hätte nach Böhm die Folge dagegen Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit sein müssen, nicht jedoch die Modifikation durch Korrektive wie den Kontrahierungszwang, die in der Rechtswissenschaft der Weimarer Republik als Lösungswege angeboten und untersucht wurden. 82 Böhm griff mit diesem Ansatz nicht nur den Monopolzwang, sondern auch die Monopole selbst an. Unter Bezug auf die Rechtsprechung des Schweizer Bundes82
F. Böhm, Das Problem der privaten Macht, S. 335.
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gerichts, dem in einem Fall auch schon das Kartellgericht gefolgt sei, stellte er den Vergleich der öffentlichen Hand mit der Macht eines Privaten an. In den Fällen, in denen die öffentliche Verwaltung nicht zur Errichtung eines Monopols befugt sei, könne auch ein Gericht keinen Privaten der Macht eines anderen Privaten unterwerfen. Dieser Vergleich lag für das Deutsche Reich auf der Hand, da das einzügige Kartellgericht, dem eine Rückkoppelung an den Instanzenzug fehlte, ohnehin eher als justizförrnige Verwaltungsbehörde entschied. 83 Böhm begründete seine Ablehnung des Monopols weiter mit der ausschließlichen Prärogative des Staates über die Wirtschaftsordnung. Die liberale Gewerbeordnung und mit ihm die Grundrechte konstituierten nach Böhm eine öffentlichrechtliche Wirtschaftsordnung der Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit In diesem Zusammenhang betonte er immer wieder, daß dies auch seinem Bild von einer "anarchischen" Wirtschaftsverfassung entsprechen müsse. Die Vertragsfreiheit müsse demgegenüber zurücktreten oder zumindest sei sie auf die Ordnung der einzelnen Wirtschaftsbeziehungen beschränkt, nicht aber zum Zweck der Ordnung der Volkswirtschaft im ganzen oder einzelner ihrer Teile erhoben. Der Staat sollte demgemäß auch Verletzungen der Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit, die er im Bewußtsein seiner Regelungskompetenz hinsichtlich der Wirtschaftsordnung erlassen hatte, und die zu einem Teil seiner gesamten Ordnung geworden war, entgegentreten. In bezug auf das Grundrecht der Gewerbefreiheit wollte Böhm nicht jeder privatrechtliehen Verfügung über das Recht der Gewerbefreiheit die Geltung versagen, sondern nur dann, wenn diese bezweckt war und marktevident geworden war. 84 Böhm begriff die Wirtschaftsordnung als eine öffentlich-rechtliche Institution. Sie sollte die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Einzelnen sichern. Die im 19. Jahrhundert bis zur Verzerrung übertriebenen Grundsätze des Wirtschaftsliberalismus hätten den Glauben an die Souveränität der Wirtschaft, die sich nötigenfalls über die Rechtsordnung hinwegsetzen dürfe, erzeugt, der sich nun in den monopolistischen Verfestigungen gegen seinen liberalen Ursprung gewendet habe. Tatsächlich hatte die starke Betonung des privaten Erwerbsstrebens im 19. Jahrhundert als dem einzig wirksamen Organisationsprinzip der Wirtschaft eine gegenteilige Reaktion erzeugt. Der Wirtschaftsliberalismus hatte durch seine Krisenanfälligkeit und seine sozialen Folgen sowohl das sozialistische als auch das sozial-konservative Lager gegen sich aufgebracht. Gegenüber den "Rentenkapitalisten" und der Großindustrie verstärkte sich im Deutschland der Gründerzeit das von den Gewerkschaften aufgegriffene Grundgefühl einer Empörung wie schon früher gegenüber dem "enrichissez vous" des französischen Bürgerkönigs. Die zweite Reaktion auf den Wirtschaftsliberalismus in seiner freirechtlichen Ausprägung hatte die Wirtschaft selbst gezeigt: In der Schutzzollpolitik des Reiches sollte die Konkurrenz abgehalten werden, während Karteliierung und Trustbildung die Konkurrenz allgemein verhindem sollten. 83
84
Die Terminologie geht zurück auf E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.l81-183. F. Böhm, Das Problem der privaten Macht S. 335.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Ohne diese beiden Abwehrhaltungen anzusprechen, wollte Böhm ihnen aus dem Geiste entgegentreten, daß private Macht mit dem freiheitswahrenden Rechtsstaat nicht vereinbar sei, da die Freiheit des Einzelnen ihre Grenze in der Freiheit der anderen finden müsse. Thre Ausrichtung fand diese Freiheit nicht in der Wrrklichkeit gewordenen Sittlichkeit wie im Staate Hegels, sondern im Gedanken der Selbstbestimmung, der seine Grenze in der potentiellen Allgemeingültigkeit persönlicher Maximen findet, generalisiert also in der Freiheit der anderen, 85 die sich als ein Ausdruck kantischen Erbes verstehen läßt. Die ordnungspolitische Funktion, die Böhm der Rechtsordnung zuwies, bestimmt den Standort seiner Anschauungen innerhalb der Kategorie der Wirtschaftsverfassung. Die von ihm angestrebte Gesamtordnung war sowohl auf die Schaffung einer rechtlichen Ordnung für die Wrrtschaft als Gesamtheit, also begrifflich einer Wirtschaftsverfassung im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne gerichtet, als auch auf eine Grundordnung des Verhältnisses von wirtschaftlicher und politischer Macht. Die politische Macht sollte nicht eingreifend regeln, sondern die autoregulative Funktion des Marktes in Gang halten. In der Aussage Böhms läßt sich eine Vorstellung von einem "Wesen" des Privatrechts identifizieren, das die Eigenständigkeit und die ideelle Reinheit des Privatrechts als Ziel vorschreibt. Dieses Denken war bestrebt, Entwicklungen zu versperren, die auf ein von der wirtschaftlichen Entwicklung und Dynamik und von sozialpolitischen Erwägungen getragenes Wirtschaftsrecht zielten. Angesichts des Abbaus der rein privatrechtliehen Normierungen im Wrrtschaftsrecht und ihrer Materialisierung vorwiegend durch die Interventionen des Staates in die Wrrtschaft war die Forderung Böhms revolutionär. Sei es auch nur durch die Ausdehnung der staatswirtschaftlichen Betätigung in der Energie- und Verkehrswirtschaft und der Banken- und Versicherungsaufsicht, sei es in der Gemeinwirtschaft und der zunehmenden Vertrustung und Kartellierung, jedenfalls hatte sich das Wrrtschaftsrecht in seiner Entwicklung vom reinen Privatrecht entfernt. Böhms Anschauungsweise mußte zunächst den Bruch mit den herrschenden Auffassungen vollziehen, um sich selbst in ihrem politisch und wirtschaftlich liberalen Gepräge entfalten zu können. Die Rolle des Staates ist bei Böhm, auch vor dem Erscheinen seiner Dissertation und seiner Habilitation im Jahre 1933 juristisch klarer ausgeprägt als bei Eucken. Böhm wollte den Staat zum Wächter des "anarchischen" Wettbewerbs machen, die Nichtintervention sollte die stärkste Intervention bilden. Eucken hatte die Intervention des Staates in den Vordergrund gerückt, sich dabei am historischen Bild des liberalen Staates orientiert, und damit das Leitbild des Nichtinterventionismus vorgegeben, ohne daraus explizite ordnungspolitische Folgerungen in juristisch stringenter Form abzuleiten. Das war für ihn als Nationalökonom auch nicht naheliegend. Die Transferleistung hatte vielmehr Böhm vollbracht. 85 So die Interpretation von E.-J. Mestmäcker, Wirtschaftsordnung und Geschichtsgesetz, 8.128.
III. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung
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Die interventionistische Kriegswirtschaft und die Nachkriegswirtschaft hatten immer einige wenige liberale Feinde gehabt, wie eben Eucken in dieser frühen Phase seines Schaffens, oder Böhrn im Jahre 1928. Die Vorstellung von einem liberalkonservativen Kapitalismus der einem mit der Arbeitersache identischen progressiven Sozialismus gegenüberstünde, wäre also verfehlt. Wemer Sombart stellte, wenn auch in einer späten und von Wirtschafts- und Kulturpessimismus geprägten Schaffensphase, eine große Fülle von wirtschaftspolitisch treibenden Kräften dar, für die eine Zuordnung zu bestimmten Interventionsmodellen nicht gelingen konnte. 86 Der Liberalismus hatte, wie sich spätestens mit der Deflationspolitik Brünings überdeutlich zeigen sollte, einen schweren Stand. Sozialismus und Konservatismus hatten sich wirtschaftlich wie politisch im Antiliberalismus getroffen.
111. Wirtschaftsverfassung als Antagonismus zur politischen Verfassung 1. Wirtschaftsverfassung in Opposition zur Staatsverfassung bei Carl Schmitt
Die Schrift vom "Hüter der Verfassung", welche die Stellung des Reichspräsidenten betonte, diente Carl Schrnitt im Ergebnis dazu, die Staatsorganisation der Weimarer Verfassung vor dem Hintergrund des Gegenmodells eines autoritären Staates mit antiparlamentarischer Stoßrichtung in Frage zu stellen. Eine ganze Reihe von Staatsrechtslehrem, allen voran Schrnitt, Erich Kaufmann und Rudolf Smend standen der Weimarer Republik in ihrer parlamentarisch-politischen Gestalt kritisch gegenüber und hielten ihr nicht verwirklichte Idealbilder eines starken, neutralen Staates und eines Rechtstaates entgegen, in den die Gesellschaft eingegliedert werden sollte. Sie stellten die Bildung einer egalitär-demokratischen Gesellschaft laufend in Frage und hielten dieser ihr idealistisches Verständnis von der Repräsentation der ideellen Ganzheit des Volkes entgegen. 87 Sie bekämpften das Wort vom Staat als der Selbstorganisation der Gesellschaft durch das Gegenbild eines von ihnen selbst definierten, werthaften und von der Weimarer Verfassung unabhängigen Rechtsstaats. Diese Richtung in der Staatsrechtslehre hat nicht nur eine gesellschaftspolitische Seite. Auch wirtschaftspolitisch sollten neu definierte Staats- und Gesellschaftszwecke die autonom handelnde Wirtschaft überformen und dem Staat unterordnen oder zumindest vom Staat als Entscheidungsträger femhalten. 88 Eine explizite Position zur dieser Gestaltung der Wutschaftsverfassung findet sich neben anderen insbesondere bei Schrnitt. W. Sombart, Die Ordnung des Wirtschaftslebens 1927, S.35, 63. Am Beispiel von Gerhard Leibholz schildert M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 198f., den Fragenkreis idealistischer Repräsentation. 88 Aus marxistischer Sicht wurde der autoritärstaatlichen Richtung der Staatsrechtslehre eine kapitalismusfreundliche Tendenz zugeschrieben: J. Perels, Kapitalismus und politische Demokratie, 1973 passim. 86 87
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Schmitt bediente sich 1931, wie im gleichen Jahr auch Ernst Rudolf Huber, 89 einer dialektischen Argumentationsweise, welche die positive Verfassung in Frage stellte, indem man ihr die ,,konkrete Verfassungslage" gegenüberstellte. 90 Diese konkrete Verfassungslage kennzeichnete Schmitt mit der Begriffstrias Pluralismus, Polykratie und Föderalismus. Die Gemeinsamkeit dieser Begriffe sah Schmitt in ihrem Gegensatz zur staatlichen Einheit. Seine Staatsrechtslehre beruhte auf dem Grundbegriff der politischen Einheit. Schmitt legte selbst fest, was diese politische Einheit gefährdete und erklärte dies anschließend für feindlich. Er kennzeichnete die "Mehrheit rechtlich autonomer Träger der öffentlichen Wirtschaft, an deren Selbständigkeit der staatliche Wille seine Grenze findet" als "Polykratie", ein Begriff, der von Johannes Popitz, dem langjährigen Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, geprägt worden war. 91 Soziale Größen lösten staatliche Macht aus dem Staatsgefüge heraus und verselbständigten sich so dem Staat gegenüber. Mit Carl Bil:finger verallgemeinerte Schmitt Pluralismus und Polykratie zur Definition des Föderalismus als den "Einfluß auf die Willensbildung des Reiches" und die "Freiheit vom Reich in der Sphäre eigener Unabhängigkeit und Selbständigkeit." 92 Schmitt und Popitz standen der Polykratie feindlich gegenüber. Sie griffen vorrangig diejenigen rechtsstaatliehen Mechanismen an, welche die öffentliche Wirtschaft der Gemeinden als Ausfluß von deren Selbstverwaltungsgarantie schützten. In dieser öffentlichen Wirtschaft artikulierten sich nach Schmitt die parteiischen Interessen der Wirtschaft und anderer gesellschaftlicher Interessengruppen, die einer staatlichen Willensbildung keinen Raum mehr gewährten. Diese "Intervention" führte zu einer Versorgung der Interessenträger durch den Staat auf deren Intervention hin. Zum pluralistischen Auseinanderbrechen des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates trat deswegen für Schmitt gleichzeitig eine intensive Entwicklung zum Wirtschaftsstaat hinzu. Alle pluralistischen, also gegen den Staat als politische Einheit gerichteten Erscheinungen wirkten demnach zusammen. Mit Göppert verneinte Schmitt die Fähigkeit der parlamentarischen Demokratie zur Wirtschaftsführung, umfassende Wirtschafts- und Finanzpläne seien unmöglich geworden.93 E.R. Huber, 1931. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 71. 91 Ebenda. 92 Ebenda. Die Kritiklinie Schmitts verbindet sich mit seiner Mitarbeit zum Autbau eines autoritativen Staatswesens in Deutschland, der, unter Brüning im "Hüter der Verfassung" vorbereitet, mit dem Preußenschlag unter v. Papen und dem anschließenden Prozeß Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof, in dem Schmitt, Car/ Bi/finger und Erwin Jacobi das Reich umfassend vertraten, durch die Destabilisierung der Weimarer Republik seinen Anfang nahm. Preußen galt wegen seiner fast durchgehend sozialdemokratischen Regierung als unsicher. Zugleich sollte der von den radikalen Parteien beherrschte Reichstag ausgeschaltet werden. Ein Ansinnen, dem Schmitt sich keineswegs verschloß. Koenen stellt einen konservativ-revolutionären Zusammenhang her, der die Politiker wie auch die Staatsrechtslehrer umfaßt. A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S.l91-198. 93 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 93 f. 89
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111. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung
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Das Verfassungsleben war entscheidend von der Wandlung des Staates zum Wirtschaftsstaat geprägt worden. Die Präsidialkabinette hatten die Notverordnungen gemäß Art. 48 Abs. 2 WRV nicht mehr auf den militärisch-polizeilichen, sondern auf den wirtschaftlich-finanziellen Notstand gestützt. Carl Schmitt beschrieb diese Veränderung als die Basis für eine neue Verfassungslage, dies freilich vor dem Hintergrund, daß dadurch der Reichspräsident als alternativer Gesetzgeber neben das Parlament trat. 94 Die eigentlich von seiner eigenen Definition her vorgenommene Begrenzung des analytischen Begriffs der Polykratie nur auf die öffentliche Wirtschaft hielt Schmitt, seiner tiefergehenden Skepsis gegenüber der Weimarer Republik entsprechend, nicht durch. Vielmehr erstreckte er seine Kritik auf die gesamte Wirtschaft mit ihrer Intervention in den Staat, der sich dadurch wandele. Gegenüber dem so konstatierten konkreten Verfassungszustand forderte Schmitt entweder einen von allen wirtschaftlichen Einflüssen befreiten neutralen Staat, oder einen zur umfassenden Intervention legitimierten Wirtschaftsstaat Eine vermittelnde Position, wie Huber sie finden sollte, lehnte Schmitt ab. Er war von der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ausgegangen und beobachtete die "dialektische" Entwicklung zum "Wrrtschaftsstaat, Kulturstaat, Fürsorgestaat, Wohlfahrtsstaat, Versorgungsstaat" der als Selbstorganisation der Gesellschaft diese in ihrer Gesamtheit ergreife, also zum "totalen Staat der Identität von Staat und Gesellschaft" werden müsse. 95 Zur Überbrückung des Dilemmas zwischen dem entstandenen Wirtschaftsstaat und der wirtschaftspolitisch äußerlich neutralen Verfassung stellte Schmitt deshalb als "Abhilfe" eine Wirtschaftsverfassung zur Disposition, die, anders als die vorfindliehe politische Verfassung die politische Macht auf der Grundlage der wirtschaftlichen Bedeutung in einem Stände- Gewerkschafts- oder Rätestaat verteilen sollte. Eine solche Wirtschaftsverfassung lehnte er ab, da in ihr die Interessengegensätze noch rücksichtsloser hervortreten müßten, als in der parlamentarischen Demokratie. 96 Die Konzeption der Wirtschaftsverfassung hat bei Schmitt nicht den Charakter einer Teilordnung innerhalb der politischen Verfassung. Sah Art. 165 WRV ein wirtschaftliches Rätesystem vor, so maß Schmitt dem lediglich eine wirtschaftliche, nicht aber eine staatlich-organisatorische Bedeutung bei. 97 Abgesehen davon, daß Schmitt im Gegensatz zu Hugo Sinzheimer nicht für eine Wirtschaftsverfassung eintrat, ja sie gerade vermittels seiner polarisierenden RhetoEbenda, S. 96ff, 132-135. Ebenda, S. 79. 96 Ebenda, S. 99f. 97 Ebenda, S. 97. Nörr leitet daraus für den Begriff der Wirtschaftsverfassung bei Schrnitt eine organisatorische Bedeutung ab. K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S.173. Nörr spricht die theoretischen Ansätze derjenigen rechtspolitischen Autoren, die in Opposition zum Privatrechtsbegriff standen, als kollektivistisch an. Siehe dazu die Kritik von S. Simitis, Stolpersteine der Privatrechtsgeschichte, RJ 1991, S. 3-27. In seiner Betrachtungsweise trifft sich Nörr mit J. Schröder, Kollektivistische Theorien und Privatrecht in der Weimarer Republik, 1994. 94
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6. Kap.: Wutschaftsverfassung und Wutschaftsordnung
rik verwarf, liegt das Besondere an Schmitts Verständnis von einer Wirtschaftsverfassung im materiellen Sinne nicht im Organisationsgedank:en, der bereits seine eigene Tradition hatte. Schmitt baute vielmehr einen Gegensatz zwischen einer politischen und einer Wirtschaftsverfassung auf, ungeachtet dessen, daß er die geltende Verfassung vermittels der ,,konkreten Verfassungslage" als illegitim überspielen wollte. Schmitt stellte eine Alternativität her, in der die Wirtschaftsverfassung eine staatsorganisatorische Verfassung ausschloß. Im "qualitativ totalen Staat", den Schmitt an anderer Stelle im Gegensatz zum vorfindliehen "quantitativ totalen Staat" als verfassungspolitische und verfassungstheoretische Option ausbaute, entfernte er sich ganz vom organisatorischen Verständnis der positiven Wirtschaftsverfassung. Die Wirtschaft als eigengesetzliche unpolitische Teilverfassung sollte seiner Vorstellung nach in den Staat integriert sein. Damit hatte er eine korporatistische Verfassung als antimarxistisch orientierte Option einer Eingliederung der apolitischen Wirtschaft in den Staat im Sinne Hegels offen gelassen, ohne dies explizit auszusprechen. 98
Dem Idealtyp nach ist Schmitts Dichotomie vom Wirtschaftsstaat mit einer Wirtschaftsverfassung gegenüber dem politischen Staat mit seiner Staatsverfassung einleuchtend. Der Industriestaat bedurfte einer wesentlich größeren politischen Neutralität und Stärke, die er vom "citoyen" als seinem Subjekt, nicht aber vom "producteur" bezog. Seine Stabilität hänge davon ab, schrieb Schmitt, während ihn die Interessengruppen der Gesellschaft destabilisierten. Demgemäß drängte Schmitt die Vorstellungen von einem partiellen Wirtschaftsstaat ab und erklärte sie für illegitim. Der Gegensatz war freilich nur ein gedachter und untermauerte aus Schmitts Perspektive die Notwendigkeit einer von ihm betriebenen Verfassungsreform in Richtung auf einen autoritären und wirtschaftspolitisch neutralen Staat.99 2. Das deutsche Reich als Wirtschaftsstaat: Wirtschaftsverfassung bei Ernst Rudolf Huber
Der rechtswissenschaftliche Positivismus in der staatsrechtlichen Epoche des Konstitutionalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte verschiedene Gegenbewegungen nach sich gezogen. In Abkehr vom Positivismus zeichnete sich als theoretischer Gegensatz die Freirechtslehre im Sinne des Freiburger und Kieler Professors Herrmann Kantorowicz und des Karlsruher Rechtsanwalts Ernst Fuchs besonders deutlich ab. Nach dem Urteil von Okko Behrends 100 soll sich in der Schule Carl Schmitts, zu der insbesondere Ernst Rudolf Huber zu rechnen ist, eine sich in98 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 98 f; ders., Die Wendung zum totalen Staat, 1931, S. 153-155. Die antimarxistische Deutung im Sinne des Rechtshegelianismus vertritt R. Mehring, Pathetisches Denken. Katholische Grundeinstellung und antimarxistische Hegelstrategie, S. 19. 99 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 99. 100 0. Behrends, Von der Freirechtsbewegung zum konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken, S.42ff.
III. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung
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nerhalb der geisteswissenschaftlichen Richtung der Staatsrechtslehre entfaltende späte Ausprägung der vor dem Ersten Weltkrieg bereits verbreiteten Freirechtsschule entfaltet haben. Hubers Staatsdenken war demgegenüber von charakteristischen Eigenarten geprägt, die eine Verbindung zum Reformdenken vom Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nahelegen. Einmal findet sich in den Arbeiten zum Wirtschaftsrecht eine erstaunliche Indifferenz gegenüber der MethodenwahL Zugleich aber zeigt sich, daß Huber stets bestrebt war, Widersprüche, die sich nach den herkömmlichen Anschauungen der Rechtswissenschaft boten, in einer begrifflichen Synthese aufzulösen. Häufig stiftete Huber höhere gedankliche Einheiten, um die Vielfalt der Phänomene zu erklären. Verschiedene Stimmen der Forschung haben sich daher mit dem Nachweis dialektischen Denkens und einer dialektischen Arbeitsweise im Sinne der Tradition Hegels bei Huber zu Wort gemeldet. Die Denkrichtung des Neuhegelianismus war gerade in der Weimarer Republik unter der Führung des Rechtsphilosophen Julius Binder besonders akzentuiert hervorgetreten. Huber gehörte diesem Kreis zwar nicht unmittelbar an, 101 doch unterhielt er als Junghegelianer Verbindungen zum Neuhegelianismus als wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Erscheinung. 102 Huber war außerdem ein bedeutender Vertreter der konservativen Staatslehre und gehörte konservativ-revolutionären Zirkeln wie den Jungkonservativen um die ,,Ring"-Bewegung und dem "Berliner Herrenclub" an und stand dem "TatKreis" nahe. Huber führte ein publizistisches Doppelleben. Während er unter eigenem Namen mit seinen Hauptwerken zum Wirtschaftsrecht hervortrat, veröffentlichte er seine oppositionellen, antidemokratischen Beiträge vorrangig unter Pseudonym in konservativen Blättem. 103 So verkündete er bereits 1930 die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Selbstverwaltung dem Staat unterzuordnen. Sein konservativer Freiheitsbegriff verband die Wirtschaftsfreiheit mit einer autoritären Unterordnung un101 S. Hürstel, Rechtsphilosophie oder Rechtsgeschichte?, S. 368 erwähntE.R. Huber in ihrer dem Neuhegelianismus als Erscheinung der rechtsphilosophischem der Weimarer Zeit gewidmeten Studie nicht als zum engeren Kern der neuhegelianischen Rechtsphilosophen gehörig. Die Analyse des Werkes Hubers und seine Zuordnung etwa durch Walkenhaus reiht ihn aber zumindest in den Kreis der Junghegelianer ein, auch wenn keine Arbeiten Hubers mit explizit rechtsphilosophischer Thematik darauf hinweisen. R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 107-111. 102 A. Koenen, Carl Schmitt, S. 173 ff, 197 ff. R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. I 07-111 VerbindetHubers Methodenrelativismus mit demjunghegelianischen Denken. Hierzu z. T. polemisierendH. Kiesewetter, Von Hege! zu Hitler, S. 203 ff. A. v.Martin, Macht als Problem. Hege/ und seine politische Wirkung, S. 122-128 ordnet den Kreis um Schmitt dem Neuhegelianismus in der Staatsrechtslehre zu. Y. Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ringkreis 1928-1933, S. 105 f weist auf die zwiespältige Stellung der Jungkonservativen in der Weimarer Republik hin, die, unter dem Einfluß der Großindustrie stehend, zugleich auch die Wirtschaft als Selbstverwaltungskörper unter dem Primat des Staates angesehen hätten. 103 Siehe hierzu die umfangreichen Nachweise bei R. Wa/kenahus, Konservatives Staatsdenken, S.408ff.
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
ter den wirtschaftlich neutralen Staat. Anders als Schmitt, der keine künftige Staatsverfassung anbot, sah Huber den Sinn der Selbstverwaltung in der eigengesetzlichen und zugleich staatsgebundenen Gestaltung des Wrrtschaftsbereichs. 1()4 Dem Staatssozialismus Göpperts mit seinem Anstaltsgeist und dem aus dem Kommunalsozialismus 105 hervorgegangenen Staatskapitalismus wies Huber keine zukunftsweisende Rolle zu. Huber hatte sich bei aller Nähe zu Göppert bereits einer Fortentwicklung von dessen Konzept des Staatssozialismus im Sinne seines hegelianischen Denkens zugewandt. Ralf Walkenhaus erklärt Hubers Hinwendung zu einer Unterordnung der körperschaftlich organisierten Wirtschaft unter den Staat aus dem ,,korporativen Gedanken" heraus. 106 Der korporative Gedanke prägte sich bei seinen vorrangigen Vertretern, Othmar Spann und Edgar Tatarin-Tarnheyden, durchaus als von den Berufsständen geprägte und getragene Willensbildung aus. Demgegenüber forderte Huber aber eine gebundene Freiheit, also eine Unterordnung unter den Staat, der dadurch der Notwendigkeit enthoben wird, den Wutschaftsbereich voll zu umfassen. Den "Wirtschaftsstaat" lehnte Huber generell ab. Der Staat sollte vielmehr einer von der Wirtschaft unabhängigen Willensbildung fähig sein. In einem Verfassungsausgleich sollte sich die organisierte und die nicht organisierte Wirtschaft dem Staatswillen unterordnen. Versteht man die bei Huber angestrebte Wirtschaftsverfassung als eine umfassende Leitung ohne inhaltliche Lenkung, so daß sich die gesamte Wutschaft dem staatlichen Herrschaftsanspruch unterordnet, und ihn nicht von unten her zu gewinnen sucht, so überwiegt ein etatistischer Herrschaftsanspruch, der die, gewiß vorhandenen, korporatistischen Elemente dominiert. Bei Huber stand der staatliche Anspruch gegenüber der Harmonisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegensätze in völkisch-integrativem Sinn stets im Vordergrund. Wieder unter Pseudonym erklärte Huber auch Demokratie und Wirtschaftslenkung für unvereinbar. Die Wirtschaft mußte sich ,,notwendig" den Staat zu eigen machen, wenn die Demokratie den Staat den Partikularinteressen öffnet. 107 Von großer Bedeutung ist bei alledem die werkimmanente Untersuchung dialektisierender Denkmuster bei Huber. Sie dienen als Schlüssel zu seinem harmonisierenden Stil und der für ihn typischen Denkoperation, mit der er die eigene Auffassung mit einer begrifflich höheren Ebene identifizierte, andere Auffassungen jedoch als bloße Elemente einer gedachten synthetischen Verbindung erscheinen ließ. Durch diese widerspruchsaufhebende Begriffsbildung hob er die gegensätzlichen 104 E.R. Huber, (u. d. Pseudonym Friedrich Landeck) Obrigkeit und Volk, Deutsches Volkstum, 1932, S. 682-684; ders., Selbstverwaltung der Wirtschaft, Dt. Volkstum 1932 S. 887-889. 105 W. Krabbe, Munizipalsozialismus und Interventionsstaat, S. 265 ff. 106 R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 72. 107 E . R . Huber (u. d. Pseudonym Friedrich Schreier), Demokratie und Wirtschaft, Der Ring 1930, S. 323-325, insbes. S. 323 f.
III. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung
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Meinungen auf und relativierte sie: Widersprüche ebnete er ein, indem er eine andere, in der Regel also eine abstraktere begriffliche und logische Ebene wählte. Dabei war seine antipositivistische Herangehensweise von einer entzeiteten und entrechtlicheten Argumentationsstruktur getragen. 108 So zeigt sich gleich zu Beginn seiner Antrittsvorlesung, dem "Deutschen Reich als Wirtschaftsstaat" die Art und Weise, wie Huber den aus der Vorkriegszeit ererbten staatsrechtlichen Positivismus zu relativieren verstand. Huber schlug vor, den Wirtschaftsstaat sowohl als reale Erscheinung wie als normatives System zu beschreiben. Beides seien Teile der geistigen und materiellen Einheit Staat. Veränderungen auf beiden Seiten, sowohl normative Änderungen als auch das in neuen, festen Formen ausgeprägte Verfassungsleben, hier also auch der Wandel des Staates zum Staat der lndustriegesellschaft, ließen sich als Verfassungswandlung begreifen. Denn "Sein und Sollen bedingen und bewegen sich im Verfassungsrecht gegenseitig, weil Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit Funktionen der politischen Idee, die den Staat und seine Form konstituiert, sind. Nur wenn diese politische Idee sich geändert hat, kann sich daher eine echte Verfassungswandlung vollziehen." 109 Im Wirtschaftsstaat, wie er auch in der rechtswissenschaftliehen und politischen Literatur als ein gemischt empirisch-normativer Topos erörtert wurde, beobachtete Huber ein Zusammenwachsen von Staat und Wirtschaft zu einer einheitlichen Ordnung. Das erste Deutungsmuster für den gegenwärtigen Zustand war für Huber die Verfassung. Unter die von Huber für fundamental erklärte Entscheidung, den Kriegssozialismus nicht in die Friedenszeit fortzusetzen, sollte sich der Widerspruch zwischen dem freiheitlichen und dem sozialistischen Prinzip, die beide in der Weimarer Verfassung angelegt waren, 110 unterordnen. Diese aus dem politischen Sein gegriffene, nicht aus der Verfassung abzulesende Entscheidung sollte dazu dienen, den "scheinbaren" prinzipiellen Widerspruch der Wirtschaftsform "in einer gedanklichen Einheit zu überbrücken."'" Hier zeigt sich nicht nur die typische, Widersprüche aufhebende Argumentationsstruktur Hubers. Auch die Verbundenheit mit Carl Schmitt wird deutlich. Seine Behandlung des "Formelkompromisses" im Verfassungsrecht, also der Konflikt des Art.151 WRV 112 zwischen planwirtschaftliehen und freiheitlichen Elementen führte Huber expressis verbis auf Schmitts Ver108 R . Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 394. Besonders eindrucksvoll ist die Relativierung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung durch die (rhetorische) Einführung der Kategorie der Körperschaft des öffentlichen Rechts in E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 13 im Sinne einer Dialektik von Idee und Wirklichkeit. Ebenso C. Zacher, Rezension Ralf Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, ZRP 1998 S. 237. 109 E.R. Huber, Das deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931, S.4. 110 Hierzu W. Apelt, Geschichte der Verfassung der Weimarer Republik, S. 358. 111 E.R. Huber, Wirtschaftsstaat, S.6. 112 Art. 151 Abs.1 WRV barg den Kern des Konflikts: ,,Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen zu sichern."
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
fassungslehre zurück. Da in der Norm ein Kompromiß angelegt war, sah sich Huber befugt, aus der Behandlung der Frage nach der Wirtschaftsform im gesamten Verfassungsleben frei zu schöpfen, aus dem Verzicht auf die konkrete Einführung einer sozialistischen Planwirtschaft also eine Grundentscheidung für die freiheitliche Wirtschaft abzuleiten. Diese Ausprägung einer Wutschaftsverfassung aus dem Verfassungstext hat mit dem Entwurf Franz Böhms die Annahme gemein, eine, wenn auch aus verschiedenen Gründen, offene Verfassungslage würde durch die einfache Gesetzgebung ausgefüllt und konkretisiert. Insoweit besteht eine auffällige Ähnlichkeit der Konstruktion beider Ansätze. Weiter legte Huber, und das unterscheidet ihn von Böhm, der Wirtschaftsfreiheit den Rechtscharakter einer "institutionellen Garantie" bei, einer ebenfalls von Carl Schmitt in seiner "Verfassungslehre" ausgebildeten Kategorie. 113 Die Freiheit durfte demnach nicht in ihrer Substanz angegriffen werden. Gleichwohl bezeichnete Huber die Wirtschaftsfreiheit als nicht mehr nur reale Tatsache, sondern als eine gebundene und gestaltete Freiheit, in der Form, die ihr die Verfassung verliehen hatte. Von diesem Standpunkt aus verwarf Huber die vor allem von Fritz Naphtali entworfene, im Gegensatz zur politischen Verfassung gedachte öffentliche Wirtschaftsverfassung, die in einem vom Rätewesen mit der Spitze des Reichswirtschaftsrats geprägten, als sozialem Rechtsstaat bezeichneten Wrrtschaftsstaat, also der Wutschaftsdemokratie, Wrrklichkeit werden sollte. 114 Ebenso wandte sich Huber gegen berufsständische Modelle, die, am italienischen Vorbild des stato corporativo vieldiskutiert, großen Anklang gefunden hatten. Eine Institutionalisierung und Monopolisierung auch der Arbeitnehmerkoalitionen wie in Italien hielt Huber nach der Weimarer Verfassung für undenkbar. Im folgenden Jahr gab Huber einer korporativen Anschauung von der Arbeitsverfassung dennoch Raum. An einer für die Staatsrechtslehre wenig hervorgehobenen Stelle veröffentlichte er seine Vorstellung von Körperschaften, die anstelle der Gewerkschaften gebildet werden könnten, und die so staatlicher Aufsicht unterlägen. In dem Aufsatz "Die Berufsverbände und der Staat" 115 wird der durchaus eigenständige korporatistische Ansatz der Hubersehen Wutschaftsverfassung ergänzt. Die Gewerkschaften sollten nach Hubers Vorschlag, soweit sie staatlicher Anerkennung fähig waren, in Körperschaften des öffentlichen Rechts umgewandelt werden. Dadurch wüchse ihnen ein öffentlich-rechtlicher Status zu, sie unterlägen aber auch staatlicher Aufsicht und Kontrolle. So sehr Hubers gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kontext auch eine korporatistische Deutung dieser Postulate nahe legt 116, sie verkünden dennoch nur eine etatistische, wenngleich, weil das Produktivkapital nicht berührt wird, nicht sozialistische Vision von einer Wirtschaftsverfassung mit staatlicher 113 C. Schmitt, Verfassungslehre, S.l2l; vor allem aber ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, S. l41 ff, 149ff. 11 4 E.R. Huber, Wirtschaftsstaat, S. l2f. 115 E.R. Huber, Die Berufsverbände und der Staat, Dt. Volkstum 1932, insbes. S.957f. 116 R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 74.
111. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung
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Leitung der Wirtschaft ohne eine inhaltliche Lenkung. Der sich hieraus ergebenden Aporie entzog sich Huber, indem er zur Wirtschaft grundsätzlich nur aus juristischer Sicht Stellung bezog und eine analytische Herangehensweise an die Frage der Unterordnung der Wirtschaft unter den Staat sorgsam vermied. Ebensowenig traf er Aussagen über die sachliche Ausgestaltung der autoritären staatlichen Willensbildung im Bereich der Wirtschaft. Erst nach 1933 äußerte er seine Gedanken zu einer werthaften Ausfüllung der staatlich geleiteten Wirtschaft. 117 Im "Wirtschaftsstaat" deutete Huber den verfassungsrechtlichen Spielraum für gemeinwirtschaftliche und staatsozialistische Elemente nach Art. I 56 WRV im Verfassungsleben unter Berufung auf deren Ausnahmecharakter, insoweit als sie nur "im Falle dringenden Bedürfnisses" zulässig waren, als sehr begrenzt aus. 118 Das System der Wirtschaftsfreiheit war durch alle diese Eingriffsmöglichkeiten nicht in Frage gestellt.
Wirkmächtiger als die Deutungen, die der Verfassungstext von verschiedenen Seiten erfuhr, schienen Huber die tatsächlichen Entwicklungen hin zu einem Wirtschaftsstaat Er benannte vier Elemente: Änderungen innerhalb der privaten Wirtschaft, die Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft, das System der hoheitlichen Eingriffe und die finanzielle Kontrolle des Staates über die private Wirtschaftsführung. Unter Berufung auf den "Tat"-Korrespondenten Ferdinand Fried 119 bezeichnete Huber die Bürokratisierung, die dem Unternehmergeist entgegenstehe, als die gegenüber der Monopolisierung bedeutendere Tendenz. Die kritische Wirtschaftssituation zwinge den Staat, einzelne Wirtschaftsunternehmen durch Notverordnungen zu stützen, wodurch er diese Wirtschaftskörper zu staatsrechtlich relevanten Teilen der öffentlichen Ordnung gemacht habe. Staatssozialismus in der Form des öffentlich-rechtlichen Monopols, auch dem der gemeinwirtschaftlich organisierten Wirtschaft, und Staatskapitalismus in Form privatrechtlicher Unternehmen der öffentlichen Hand bildeten die von ihrem Umfang her bedeutende zweite Säule des Hubersehen Verfassungswandels zum Wirtschaftsstaat. Dieser Staatssozialismus ohne konkrete wirtschaftsplanende Komponenten sei aber eher von willkürlichen Gesichtspunkten reguliert worden, so daß Huber es für angebracht hielt, den auch etwa gleichzeitig in Carl Schmitts "Hüter der Verfassung" propagierten Ausdruck ,,Polyk:ratie" von Johannes Popitz dafür zu verwenden. 120 117 E .R . Huber, Deutscher Sozialismus. Bemerkungen zu Werner Sombarts neuem Buch, Dt. Volkstum 1934,926-929. 118 E.R. Huber, Das deutsche Reich als Wutschaftsstaat, S.14f. 119 F. Fried, Das Ende des Kapitalismus, S.127f. Ferdinand Fried war NationalökonomieKorrespondent der nationalistischen Zeitschrift "Die Tat". Der konservativ-revolutionäre "Tat"-Kreis kooptierte seine Mitglieder aus den verschiedensten politischen Lagern, war aber der republikanischen Politik gegenüber skeptisch. Hierzu R. P. Sieferle, Die Konservative Revolution, S. 212 u. ö. Insbesondere K. Sontheimer, Der Tatkreis, S. 56 ff. 120 E.R. Huber, Das deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S.l7-19. C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 71 f. Dort auch der Verweis auf ,,Prof Dr. Johannes Popitz".
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6. Kap.: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsordnung
Eine starke Tendenz zur Ausschaltung der Wutschaftsfreiheit beobachtete Huber als weiteres Element auch in den hoheitlichen Maßnahmen, namentlich die der Soziallasten, der Lohnpolitik und der Kartellpolitik. Ein planvoller Zusammenhang war freilich nicht ersichtlich. Die Finanzpolitik, die ein, wenn auch nur sehr mittelbar im Wege von staatlicher Kredit-, Subventions-, Zoll- und Steuerpolitik insbesondere im Bergbau und in der Landwirtschaft immerhin nur unvollkommenes "Kontrollsystem" errichtet hatte, erschien Huber schließlich als die vierte Säule des staatlichen Maßnahmenbündels der veränderten ,,konkreten Verfassungslage", die zu einer Einschränkung der Wutschaftsfreiheit tendiere: ,,Nicht das hohe Maß von Wirtschaftsgesetzgebung, sondern die ständige Ausdehnung der staatlichen Wutschaftsverwaltung ist das eigentlich entscheidende Merkmal unserer wirtschaftlichen Situation." 121 Huber beschrieb die verfassungsmäßige Garantie der Wirtschaftsfreiheit, wenn schon nicht die des Liberalismus des 19. Jahrhunderts, so doch die gesetzlich begrenzte der Weimarer Verfassung, als ausgehöhlt. Doch schien ihm diese Verfassungswidrigkeit noch nicht durch den tatsächlichen Zustand in eine neue Statik übergegangen zu sein, die durch planvolle Gestaltung und Struktur die verfassungsmäßige Garantie der Wirtschaftsfreiheit mit der Maßgabe verwaltungsrechtlich kontrollierter Freiheit versehen hätte. Entgegen Carl Schmitt wollte Huber nicht von einer notwendigen Entwicklung hin zum totalen Staat, dem Zustand des Zusammenfalls von Staat und Wirtschaft oder auch Staat und Gesellschaft sprechen. Er sah darin "Überspitzungen" des subjektiven Bemühens um politische Erkenntnis. Die Identität von Staat und Gesellschaft sei ihrer objektiven Idee nach durch zahlreiche Hemmungen und Balancen des Verfassungssystems, ein Ausdruck den Huber der positiven "Verfassung" stets vorzog und diese damit aufweichte, auf Dauer unmöglich. Gestützt auf Heinrich Göppert empfahl Huber einerseits, den parlamentarischen Staat zum Verzicht auf eine Wirtschaftspolitik festzulegen. Andererseits schlug Huber in seinem "Wirtschaftsverwaltungsrecht" vor, für das staatsbürgerliche Korrelat dieser staatlichen Selbstbegrenzung eine besondere wirtschaftliche- und ausdrücklich keine persönliche -Garantie der Freiheit zur privaten Initiative gegenüber dem Staat zu schaffen. 122 Huber hob am Ende seiner Vorlesung zum "Wirtschaftsstaat" besonders die Bestrebungen hervor, die neuen funktionalen Zusammenhänge im Dienste eines neuen Verhältnisses von Staat und Wirtschaft durch einen neuen Freiheitsbegriff, sei er "sozial" oder sei er ,,konservativ", mit der Möglichkeit freien wirtschaftlichen Schaffens für die Gemeinschaft zu erfüllen. Sollte diese gebundene Freiheit sich etablieren, dann wäre es dem Staat möglich, als neutraler Dritter über den Gruppierungen, Interessenverbänden und der ihn absorbierenden Wutschaft als objektiver 121 E. R. Huber, Wirtschaftsstaat, S. 24. Kursivsetzungen von Huber. An dieser Stelle kündigte Huber seine Schrift "Wirtschaftsverwaltungsrecht" an, die kurz darauf erscheinen sollte, ebenda, Fn. 40. 122 H. Göppert, Wirtschaft und Staat, S. 24.
III. Wirtschaftsverfassung und politische Verfassung
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Schlichter aufzutreten. Huber wies damit den von Göppert favorisierten Gedanken, daß nur ein starker Staat zur Wirtschaftspolitik fähig sei, in seinem Ansatz zurück. Er modifizierte ihn in der Weise, daß ein harmonisches Zusammenwirken des sozialen Substrats, der Gesellschaft mit dem Herrschaftskörper Staat diesen wieder in die Lage versetzen würde, seiner unabhängigen, politischen Funktion nachzukommen.
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Siebentes Kapitel
Wirtschaftsverwaltungsrecht I. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht als wissenschaftliche Disziplin in den letzten Weimarer Jahren 1. Wirtschaftsverwaltungsrecht bis zu Hubers Habilitationsschrift
Eine systematische Bearbeitung des öffentlichen Wirtschaftsrechts war bis Anfang 1932, als Ernst Rudolf Huber seine Habilitationsschrift "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" veröffentlichte, von keiner Seite vorgelegt worden. Hans Goldschmidt hatte zwar im Jahre 1923 das Recht der letztlich öffentlich-rechtlich organisierten Wirtschaft umfassend erörtert und damit langen Nachhall im wirtschaftsrechtlichen Schrifttum ausgelöst. Eine umfassende Darstellung des öffentlichen Wirtschaftsrechts war sein "Reichswirtschaftsrecht" aber nicht. Dazu hätte Goldschmidt nicht nur die Rechtsnatur der Selbstverwaltungskörper erörtern, sondern auch einen Überblick über die öffentlich-rechtlichen Rechtsinstitute geben müssen, die von den neuen Erscheinungen des Wirtschaftsrechts betroffen oder gar verändert worden waren. Das war aber gar nicht beabsichtigt. Er hatte vielmehr die Neuartigkeit der Rechtsgebilde vor Augen. Mit der Dichotomie von Privatrecht und öffentlichem Recht hatte er sich nicht weiter auseinandergesetzt Das Wirtschaftsrecht der ersten Zwanziger Jahre war ja gerade von einer als modern geltenden Indifferenz gegenüber den herkömmlichen Kategorien gekennzeichnet und insbesondere Goldschmidt hatte sich nicht veranlaßt gesehen, hier weiter zu unterscheiden. Nur beiläufig bemerkte der Präsident des Reichswirtschaftsgerichts Lucas in seiner Rezension des ,,Reichswirtschaftsrechts" von Hans Goldschmidt, daß Institutionen des wirtschaftlichen Verwaltungsrechts nicht typisch wirtschaftsrechtlich seien. 1 Lucas hatte einen weiten, ,,relativen" Wirtschaftsrechtsbegriffs vertreten, der die ganze rechtlich geregelte Verkehrswirtschaft und die Gemeinwirtschaft umfaßte. Zumindest waren das die Vorzüge, die er an dem von Goldschmidt vorgeschlagenen Wirtschaftsrechtsbegriff gepriesen hatte. Das wirtschaftliche Verwaltungsrecht hatte er an keiner Stelle näher bestimmt. Doch läßt sich aus seiner Auffassung schließen, daß er unter wirtschaftlichem Verwaltungsrecht nur die hoheitliche Staatsverwaltung verstand, der Repressionsmöglichkeiten durch Einzelakte zu Gebote standen. Nicht zum wirtschaftlichen Verwaltungsrecht gehörten demnach die 1
G. Lucas, Rezension: Goldschmidt, Reichswirtschaftsrecht, S. 889.
I. Wissenschaftliche Disziplin in den letzten Weimarer Jahren
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wirtschaftliche Selbstverwaltung und das Verkehrsrecht aufgrundabstrakt genereller Regelung, das seine Nähe zum Privatrecht nicht verleugnen konnte, da es ihm gegenüber keine rechtstechnischen Besonderheiten aufwies. Friedeich Glum hatte seine als öffentlichrechtliche Studie bezeichnete Schrift zu den "wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern" 1925 vorgelegt. Dieser Versuch bezog sich aber nur auf den gemeinwirtschaftlich geregelten Bereich der Wirtschaft, eingeschränkt auch noch auf die Selbstverwaltungskörper, also ausschließlich die Erscheinungsformen der Sozialisierungsgesetzgebung. Im bis dato erschienenen Schrifttum war die Unterscheidung von Selbstverwaltung der Wirtschaft und staatlicher Wirtschaftsverwaltung zwar angelegt gewesen, doch findet sich keine rechtstechnische Aufarbeitung des Problems 2 • Im Zusammenhang mit der Definition des nächstengereD Begriffes der Selbstverwaltungskörper, die er als Träger öffentlicher Rechte gegenüber dem Reich mit der Befugnis zur Rechtsetzung also mit einem Parallelbegriff zu dem juristischen Begriff der Selbstverwaltung kennzeichnete, nahm Paul Gieseke eine Abgrenzung zur "obrigkeitlichen Wrrtschaftsverwaltung" vor. Diesen Begriff hatte er auch schon in seinem bekannten Aufsatz zu den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörpern von 1921 verwendet. 3 Der Terminus wird von Glum hier, wie gelegentlich anderswo verwendet, eine merkliche Reaktion oder gar eine Aufnahme dieses Begriffes bei anderen Autoren findet sich hingegen nicht. Das "Wirtschaftsverwaltungsrecht" ist ein neuer Begriff, den Huber geprägt hatte. Die Kombination seiner Elemente läßt sich zwar schon vorher nachweisen. 4 Dies jedoch nicht als Kompositum, sondern in anderer Gestalt oder in anderer Zusammensetzung. Der Sache nach sprach 1922 zunächst Friedeich Giese von öffentlichem Wirtschaftsrecht Er hatte dabei versucht, induktiv einen öffentlichrechtlichen Bestand aus dem vorhandenen Wirtschaftsrecht zu ermitteln. Im Ergebnis zeigte diese Untersuchung, daß sich ein gesondertes Wirtschaftsrecht zumindest in seinen öffentlichrechtlichen Ausprägungen nicht ausbilden konnte. Das öffentliche Wirtschaftsrecht gehöre vielmehr neben der obrigkeitlichen Verwaltung und der sozialen Verwaltung zum Besonderen Teil des Verwaltungsrechts. 5 Die gewichtigste Stimme, die wirtschaftsrechtliche Materien dem Verwaltungsrecht zuordnete, war nach dieser kurzen Wortmeldung Friedeich Gieses diejenige von Walter Kaskel in seinem wichtigen Aufsatz in der Juristischen Wochenschrift von 1926 zu Gegenstand und systematischem Aufbau des Wrrtschaftsrechts. Er ord2
F. Glum, Selbstverwaltung der Wirtschaft, S.19, Vorwort.
P. Gieseke, Die Rechtsverhältnisse der gemeinwirtschaftliehen Organisationen, S. 118; ders., Wirtschaftliche Selbstverwaltung als juristischer Begriff, Recht und Wirtschaft 1921, s.245-249, 249. 4 Beginnend mit ,,Recht der wirtschaftlichen Verwaltung" bei G. Lucas, Rezension: Goldschmidt, S. 889. 5 F. Giese, Oeffentliches Wirtschaftsrecht als Gegenstand selbständiger Forschung und Lehre, S.l02. 3
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7. Kap.: Wirtschaftsverwaltungsrecht
nete das Wirtschaftsrecht als geschlossene Einheit dem öffentlichen Recht zu, verband damit aber keine besondere öffentlichrechtliche Implikation. Kaskel äußerte sich an dieser Stelle eher beiläufig, so als wolle er mit der vorgenommenen Zuordnung zum öffentlichen Recht keine außergewöhnliche Feststellung treffen.6 Dabei hatte zuvor aber in dem Sinne weitgehend Einigkeit geherrscht, daß das Wirtschaftsrecht gegenüber dem öffentlichen Recht eigenständig oder als gemischtes Rechtsgebiet zu verstehen sei oder, und das war namentlich die von Privatrechtlern favorisierte Auslegung, im wesentlichen dem Privatrecht zuzuordnen sei. 7 Aber auch bei Kaskel kam kein spezifisch verwaltungsrechtlicher Ansatz zum Tragen. Das Wirtschaftsrecht wurde häufig als ein Novum angesehen, das die Funktion eines Wirtschaftsverwaltungsrechts mitübernahrn. In besonderer Weise gilt dies für die Untersuchung Adolf Amdts zu den wirtschaftlichen Verwaltungsakten im Kartellrecht von 1926. Er identifizierte das Wirtschaftsrecht mit den aus den Gesetzen der Wirtschaftsverwaltung induktiv ermittelten Grundsätzen. Eine Nähe zum relativen Wirtschaftsrechtsbegriff von Georg Lucas wird dadurch zwar deutlich, sie verengt demgegenüber aber bereits die Perspektive auf das Wirtschaftsrecht als besonderes Verwaltungsrecht und definiert so das Wirtschaftsrecht enger, ohne es als Wirtschaftsverwaltungsrecht anzusprechen. Ein systematisierender Zugriff auf die Unterdisziplin des Rechts der Wirtschaftsverwaltungsrechts war erwünscht und sollte helfen, das Verhältnis zum Zivilrecht zu klären. 8 In diese Lücke, die auch nicht ansatzweise von den wirtschaftsrechtlichen Schriften seines akademischen Lehrers Heinrich Göppert gefüllt wurde, stieß Ernst Rudolf Huber Anfang 1932 mit seiner Habilitationsschrift, dem "Wirtschaftsverwaltungsrecht". 9 1n dem veröffentlichten Manuskript von Hubers Bonner Antrittsvorlesung als Privatdozent zum "Deutschen Reich als Wirtschaftsstaat" von 1931 hatte er einen Verfassungswandel angedeutet. Die Antrittsvorlesung war bereits im Jahr zuvor erschienen, obwohl er sie erst nach Abfassung seiner Habilitationsschrift gehalten haben kann. 2. Hubers "Wirtschaftsverwaltungsrecht" im Spiegel der wirtschaftsrechtlichen Literatur
Hubers "Wirtschaftsverwaltungsrecht" ist der gewichtigste Beitrag überhaupt zu dieser Teildisziplin in der Weimarer Republik. Die von Huber vorgenommene Systematisierung erlaubt den Schluß, daß das Wirtschaftsverwaltungsrecht von ihm in den Kanon der verwaltungsrechtlichen Teilfächer eingeführt wurde, soweit es sich W. Kaskel, Gegenstand und systematischer Aufbau des Wlftschaftsrechts, S. 13. Am vordringlichsten bei E. Heymann, Die Rechtsformen der militärischen Kriegswirtschaft, S. 7. 8 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S.2l0, 230. 9 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 1931. Dem Werk folgte nach dem Zweiten Weltkrieg eine erheblich erweiterte zweite Auftage in zwei Bänden 1953-1954. 6 7
I. Wissenschaftliche Disziplin in den letzten Weimarer Jahren
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in der Weimarer Republik noch als Rechtsdisziplin etablieren konnte. Huber selbst hatte an der Vertiefung des Wirtschaftsverwaltungsrechts als Fach nach seiner Habilitationsschrift keinen großen Anteil mehr genommen. Er schrieb bis 1933 noch einige Stellungnahmen zu Einzelfragen, aber auch zum Verhältnis der Wirtschaft zum Staat. Ein grundsätzliches Plädoyer für ein Wirtschaftsverwaltungsrecht als wissenschaftliche Disziplin erschien nicht mehr. Es mochte ihm überflüssig erschienen sein. Die Arbeit ist einer der überzeugendsten öffentlichrechtlichen Texte seiner Zeit und hat etwa den Königsherger Ordinarius für öffentliches Recht und Steuerrechtier Albert Hensel zu einer hymnischen Besprechung herausgefordert: "Huber hat( ... ) nicht nur dem Wrrtschaftsrecht, sondern auch der Wissenschaft vom allgemeinen Verwaltungsrecht wesentliche Förderung gebracht. Und es mag ruhig zugegeben werden: zuweilen gelingt es Huber, zu größerer Klarheit und Übersicht vorzudringen, als es uns Älteren bei der Behandlung zahlreicher Fragen geglückt ist. Das umfangreiche Werk muß einen unendlichen Stoff verarbeiten. Schon hierin, mehr noch in der Beherrschung der Literatur liegt eine Leistung, die Hubers Wirtschaftsverwaltungsrecht einen dauernden Platz in der öffentlich-rechtlichen Literatur sichern wird.( ... ) Hier liegt ein Werkjuristischen Gestaltungswillens, juristischer Schulung und nicht zuletzt juristischer Eigenart vor, wie es nur selten geschrieben wird." 10
DieBefassung mit dem Werk Hubers ist stets mit seiner Person und deren Umfeld verbunden. Etwas anderes kann auch für die Untersuchung seiner wirtschaftsrechtlichen Arbeiten nicht gelten. Die vielfaltigen demokratiefeindlichen Äußerungen Hubers spielen auch in sein wirtschaftsrechtliches Schrifttum herein, wenn auch ein besonderer ideologischer Zweck aus Hubers wirtschaftsrechtlichem Werk nicht ablesbar ist. Den Versuch einer umfassenden Werkanalyse im Lichte der Konservatismusforschung hat der Gesellschaftswissenschaftler RalfWalkenhaus vorgelegt: Hubers Werk ist auch im Wirtschaftsrecht mit seinen akademischen Lehrern Carl Schmitt und Heinrich Göppert (und mit den Kollegen Forsthoff, Friesenhahn und Weber) und anderen gesellschaftlichen Kräften wie den Jungkonservativen und dem Berliner Herrenclub untrennbar verbunden. 11 Mit seiner Habilitationsschrift legte Huber nicht nur ein umfassendes System des Wirtschaftsverwaltungsrechts vor. Der Erste Teil der zwei Hauptteile des 304 Seiten umfassenden Werkes ist dem System und den "verwaltungsrechtlichen Formen des Wirtschaftsrechts" 12 gewidmet. Der zweite Teil handelt vom Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht Dieser zweite Teil bietet dabei mehr als nur die Darstellung des Rechtsschutzes im Wirtschaftsverwaltungsrecht Hier kommt es zu einer verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Auseinandersetzung über das Wirtschaftsrecht, seine Rolle im Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern und im Funktionengefüge des gewaltenteilenden Staates. A. Hensel, Rezension: Huber, Zentralblatt für die juristische Praxis 1932, Heft 6. R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 153 u. passim. tz E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.5.
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7. Kap.: Wirtschaftsverwaltungsrecht
Albert Hensels Rezension von Hubers Habilitationsschrift war denkbar positiv, was das Werk als Dokument juristischen Könnens betraf. Hensel schwieg sich aber über die Zukunft eines Faches mit der Bezeichnung "Wirtschaftsverwaltungsrecht" aus. Wie zum Wirtschaftsrecht im allgemeinen kam es in der Endphase der Weimarer Republik zu keinen Stellungnahmen zugunsten eines Wrrtschaftsverwaltungsrechts als wissenschaftlicher Disziplin mehr. Erst 1934 besprach Friedrich Glum das "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" von Huber im Archiv des öffentlichen Rechts. 13 Eigenartigerweise ging er in seiner Rezension der Arbeit Hubers nur auf die wirtschaftsrechtlichen Fragen, nicht aber auf den bedeutenden Zweiten Teil ein, der den Rechtsschutz im Wrrtschaftsverwaltungsrecht zum Gegenstand hatte. Die stark von Glums eigenen Erfahrungsberichten und Anschauungen geprägte Rezension faßte die Kritik des "Wrrtschaftsverwaltungsrechts" mit weiteren Arbeiten Hubers zur Selbstverwaltung der Wirtschaft, der Dissertation von Tula Simons "Der Aufbau der Kohlenwirtschaft nach dem Kohlenwirtschaftsgesetzvom 23. März 1919" aus dem Jahre 1931 und die Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht von 1921-1932 in einem Beitrag zusammen. Glum besprach Arbeiten, die von nachhaltiger Wirkung auf die Entwicklung des öffentlichen Rechts waren. 14 Die Dissertation von Tula Simons 15 war, wie auch die Arbeit von Huber, im Industrierechtlichen Seminar in Bonn bei Heinrich Göppert entstanden. Sie hatte den "Aufbau der Kohlenwirtschaft" zum Gegenstand und beschränkte sich strikt auf diesen kleinen aber repräsentativen Ausschnitt des Rechts der organisierten Wirtschaft. 13 F. Glum, Sammelrezension: Huber u. a., AöR 1934, S. 110-123. Glum hatte selbst 1925 eine ,.öffentlichrechtliche Studie" zur .,Selbstverwaltung der Wirtschaft" vorgelegt. Siehe dazu oben im 3. Kapitel. 14 So F. Glum, Sammelrezension: Huber u. a., S. 112-114. Nachdem Glum kurz die Vorgeschichte der Gemeinwirtschaft beschrieben hatte, erwähnte er zwei Arbeiten der Nationalökonomen Hans Ritschl undlohannes Gerhardt, diebeidedas Verhältnis von Staat und Wirtschaft für die ,,neue Ordnung" gegen Ende der Zwanziger Jahre zum Gegenstand gehabt hätten. Ritschl nahm die von bedeutenden Vertretern seines Fachs wie etwa Ludwig v. Misesund in eigenständiger Weise von Werner Sombart angedeutete Ambivalenz im Hinblick auf die sonst verbreitete Auffassung, eine kapitalistische Wirtschaftsordnung hätte vorgeherrscht, auf, und verschärfte die sich ausbreitende Skepsis in der These eines ,,Dualismus der Wirtschaftsordnung von gemeinwirtschaftlichem und kapitalistisch-marktwirtschaftlichem System". Die Schrift von Gerhardt, .,Unternehmertum und Wirtschaftsführung" ging noch weitergehend von einer Tendenz in Richtung auf eine größere ,,Planmäßigkeit im Zusammenspiel aller Wrrtschaftsfaktoren" aus, die von den einzelnen Wrrtschaftssubjekten, also den Privatunternehmern, getragen würde, worauf sich Huber bezog. Dem stünde der Staat nicht als Wirtschaftsführer vor, sondern er könnte nur regulierend eingreifen, darüber wachen, daß nicht privatwirtschaftliche Machtpositionen entstünden, die den Bestand der Volkswirtschaft gefährden könnten. Is T. Simons, Der Aufbau der Kohlenwirtschaft 1919. Thla Simons war Assistentin im industrierechtlichen Seminar in Bonn und als Frau in der Rechtswissenschaft der Zwanziger Jahre immer noch eine Ausnahrneerscheinung. Simons war die Tochter des vormaligen Reichsgerichtspräsidenten Simons und heiratete später Ernst Rudolf Huber.
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Im Gang der Untersuchung, die nach Meinung Glums ,,nicht nur sorgfältig, sondern auch wohl durchdacht und gegliedert die nicht einfache Materie behandelt" 16 nahm sie aber auch zu wesentlichen Fragen des Wutschaftsrechts, vornehmlich des Rechts der "organisierten Wirtschaft" Stellung. Die in bestechend klarer Diktion gehaltene Arbeit spiegelt den Stand der Forschung im Jahre 1931 wider, wobei Simons das "Wirtschaftsverwaltungsrecht" Hubers noch nicht berücksichtigen konnte. Doch glaubte Glum Übereinstimmungenaufgrund der Zusammenarbeit Hubers und Simons' im Industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn feststellen zu können. 17 Simons hatte die Frage nach der Rechtsnatur der Kohlenwirtschaftsverbände als genuin juristisches Interesse allen anderen Fragestellungen übergeordnet. In enger Anlehnung an Göppert und insbesondere dessen Schrift "Wutschaft und Staat", warf sie zudem die Frage nach dem Verhältnis zwischen beiden Seiten auf. Die historische Einleitung nimmt den Duktus der Arbeiten von Richard Kahn, Paul Gieseke, Ernst Heymann wie auch die Schriften von Walther Rathenau, Wichard von Moellendorff und Rudolf Wissen zur Kriegswirtschaft und zur Gemeinwirtschaft auf und beschreibt auf dieser Grundlage die Entwicklung der Kohlenwirtschaft als einen Zweig der "organisierten Wirtschaft" neben der Kali-, der Schwefelsäure- und der Textilindustrie, auch wenn letztere zur Zeit der Abfassung der Dissertation nicht mehr in einem Syndikat zusammengefaßt war. Erst in der abschließenden Gesamtbewertung schloß sich Simons der antiparlamentarischen Tendenz Heinrich Göpperts an, die die Fähigkeit des Weimarer Staats zur Wirtschaftslenkung verneinte. 18 II. Wirtschaftsverwaltungsrecht bei Ernst Rudolf Huber 1. Hubers System des Wirtschaftsverwaltungsrechts
Die Exposition seiner Arbeit zeigt die systematische Position, in die Huber das Wirtschaftsverwaltungsrecht zu stellen suchte. Die für das Schrifttum der öffentlichrechtlichen Gemeinwirtschaft übliche Diskussion der Rechtsnatur der einzelnen Wirtschaftsrechtsinstitute und damit der Zugehörigkeit zum öffentlichen Recht oder zum Privatrecht verfolgte er nicht in extenso, sondern er setzte voraus, daß das Wutschaftsrecht als einheitliche (Ober-)Disziplin das private Wirtschaftsrecht, das öffentliche Wirtschaftsrecht und, was aber nicht in voller Reinheit anklingt, auch die Wirtschaftsverfassung als Grundordnung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft umfassen sollte. Für das Verhältnis von Staat und Wirtschaft verwies Huber auf seine Bonner Antrittsvorlesung zum "Deutschen Reich als Wutschaftsstaat". Mit seiner Bestimmung des Begriffs des Wirtschaftsrechts schloß Huber alle anderen in der Literatur vorfindliehen und beachtlichen Begriffsbestimmungen aus. Er F. Glum, Sammelrezension Huberu. a., S.l22. Ebenda. 18 T. Simons, Der Aufbau der Kohlenwirtschaft, S. 47 ff, 96.
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verwarf den holistischen Ansatz Justus Wilhelm Hedemanns und das Wirtschaftsrecht als Schutz der Bedürfnisbefriedigung im Sinne Friedrich Darmstaedters wegen der je zu breiten Anlage des Begriffs. Hans Goldschmidts Auffassung vom Wirtschaftsrecht als dem Recht der organisierten Wirtschaft schien ihm dagegen ebenso zu eng umrissen wie das Recht des wirtschaftlichen Unternehmers im Sinne Walter Kaskels. Ohne Berufung auf eine bestimmte Methode, die ihn zu seiner Auffassung gebracht hätte, kam Huber im Wege einer soziologisch und juristisch determinierten Betrachtungsweise zur Definition des Wirtschaftsrechts als dem "Komplex der Sondergesetzgebung" das als "Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse" für dieses "Sachgebiet" eine Einheit bildete. Er präzisierte dies weiter als "das die Beziehungen des wirtschaftlichen Unternehmers gegenüber dem Staat, gegenüber anderen Unternehmern, gegenüber den zugehörigen Sachgütern und gegenüber den Arbeitnehmern regelnde Recht." 19 Bemerkenswert ist hier freilich, wie wortarm Huber das in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft weitgehend verselbständigte Arbeitsrecht ohne weitere Rücksicht auf gegenteilige Argumente in seinen Wirtschaftsrechtsbegriff einbezog. War es auch nicht als abwegig anzusehen, das Arbeitsrecht mit einzubeziehen, so hätte es doch eines gewissen Begründungsaufwands bedurft. Huber ließ sich in seinem streng dogmatischen Ansatz nicht beirren, schließlich ließ sich auch die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ihrer Rechtsnatur und Funktion nach fugenlos in die Reihe der verwaltungsrechtlich konstituierten Verbände einfügen, was für das öffentliche Wirtschaftsrecht ausschlaggebend sein mußte. 20 War das Wirtschaftsrecht auch in quantitativer Hinsicht vornehmlich das durch den Vertrag gekennzeichnete Wirtschaftsprivatrecht, so hatte sich nach Hubers Darstellung daneben ein Wirtschaftsverwaltungsrecht gebildet, das anders als bei Arnold Köttgen die Wirtschaftsführung der öffentlichen Hand im Sinne erwerbswirtschaftlicher Betätigung nicht mit einschloß. Nur der Eingriff in die wirtschaftlichen Verhältnisse mit staatlichen Machtmitteln bildete nach Huber den Gegenstand des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Hatten sich, mit Ausnahme von Kaskels kurzer Stellungnahme in der Juristischen Wochenschrift 1926, bislang alle Arbeiten zum Wirtschaftsrecht an einen am Rechtsstoff orientierten Aufbau gehalten, so bezog Hubers Schrift ihre juristisch dogmatisierende und systematisierende Kraft aus dem Ansatz, das Wirtschaftsverwaltungsrecht nach seinen Rechtsformen darzustellen. Nicht also Wirtschaftsbereiche wie Bergrecht und Landwirtschaftsrecht oder etwa der volkswirtschaftliche Güterkreislauf von Produktion und Verteilung bestimmten die Anordnung der Rechtsmaterien. Huber teilte das Wirtschaftsrecht vielmehr nach den für das VerwaltungsE.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.2f. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 12. Gesetz über die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung i. d. F. v. 12. Oktober 1929. 19
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recht wesentlichen Handlungsformen ein, namentlich der Gestaltung von Verbänden, der Gestaltung öffentlicher Rechte und Pflichten und der Gestaltung privater Rechte durch Akte der öffentlichen Gewalt. 21 2. Juristische Prinzipien in Hubers "Wirtschaftsverwaltungsrecht"
a) Freiheitsrechte
Im Gegensatz zu Georg Jellinek sprach Huber auch in den Fällen, in denen die natürliche Freiheit durch einen staatlichen Akt anerkannt wurde, nicht erst dann von einem subjektiven öffentlichen Recht, wenn der Staat eine über die natürliche Handlungsflihigkeit hinausgehende Befugnis konzedierte. Huber griff die Rechtsmeinung Carl Schmitts in dessen Verfassungslehre auf, indem er feststellte, die Freiheitsrechte würden wie die angestammten Grundrechte in ihrem Kern eine Sphäre der Freiheit von Eingriffen der Staatsgewalt bilden, die dann durch einen Unterlassungsanspruch, der in einen Leistungsanspruch umschlagen konnte, Schutz beanspruchen können sollte. 22 Zu diesen Freiheitsrechten zählte Huber mit der herrschenden Rechtsmeinung die Gewerbefreiheit, die nach Maßgabe der Gesetze durch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes, der späteren Reichsgewerbeordnung und durch Art. 151 Abs. 3 WRV gewährleistet war. 23 Die Reichsgesetze, welche die Gewerbefreiheit einschränkten, konnten bestimmte Tätigkeiten schlechthin verbieten, mit einer individuellen Befreiungsmöglichkeit allgemein verbieten, unter Vorbehalt einer individuellen Untersagung allgemein erlauben oder mit dem Erfordernis der Erlaubnis zu vorbeugender Kontrolle verbinden. Mit Richard Thoma wandte sich Huber insoweit gegen die Terminologie Otto Mayers, der den Fall des absoluten Verbots mit individueller Befreiung und den Fall der vorbeugenden Kontrolle als Polizeiverbot mit Befreiungsvorbehalt zusammengefaSt hatte. 24 Huber verstand die Einschränkungen der Gewerbefreiheit nur in dieser Differenzierung. Die Betriebserlaubnis hatte ihren wesentlichen Anwendungsbereich innerhalb der von der Gewerbeordnung normierten Gebiete, also sämtliche Betriebe, aber auch die Zulassung von Personen und Sachen wie beispielsweise beim Wandergewerbeschein oder gewerblichen Anlagen. Ebenso verhielt es sich bei der Zulassung von Kraft- und Luftfahrzeugen nach den Verkehrsgesetzen. Auch die unter besonderer Aufsicht stehenden Bereiche der Hypothekenbanken, Bausparkassen, Versi21 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht: Verbände, S. 5-42; Gestaltung öffentlicher Rechte und Pflichten, S.42-91; Gestaltung privater Rechte, S. 91-147. 22 C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 163. E. R . Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.74f. 23 Die Reichsgewerbeordnung war hervorgegangen aus der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund v. 21. Juni 1869. 24 0. Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. l, S. 239ff. R. Thoma, Verwaltungsarchiv 1932, S. 247.
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cherungen und Straßenverkehrsgesellschaften hatten eine präventive Kontrolle mit der Betriebserlaubnis verbunden. Individuelle Untersagungen waren die Fälle repressiver Unterdrückung bei Unzuträglichkeiten von Betrieben, die grundsätzlich mit der Genehmigung unbeschränkt zugelassen waren. Dispensationen waren vor allem für Betriebsstillegungen, dietrotzdes in der Nachkriegszeit durchgesetzten generellen Verbots in Härtefallen vorgenommen werden können sollten und im Arbeitsrecht üblich. b) Wirtschaftsfreiheit und Allgemeinwohl Trotz aller planwirtschaftliehen Experimente der frühen Weimarer Jahre stellte Huber fest: "Grundsätzlich ist unsere Wirtschaftsordnung auch heute noch durch die Idee der Wirtschaftsfreiheit bestimmt." 25 Aus dem Grundgedanken der freien Wirtschaftsordnung leitete Huber zum einen das Vertrauen des Staates auf die substanzielle Selbsterhaltung des Marktes ab. Daraus schloß er wiederum, die Intervention des Staates bleibe den Fällen des Marktversagens vorbehalten. Im Gegensatz zum Polizeirecht waren nach Huber dem Wirtschaftsverwaltungsrecht engere Schranken gesetzt. Da die Wirtschaft von der individuellen Freiheit der Wirtschaftenden profitiere, solle die Förderung der Wirtschaft nicht durch Eingriffe des Staates bewirkt werden, sondern auf der Sicherung der individuellen Freiheitssphäre beruhen, damit die Kräfte des Marktes voll zur Entfaltung kommen könnten. Anders als im Polizeirecht ergab sich daraus für das Wirtschaftsverwaltungsrecht kein Vorrang der Interessen der Allgemeinheit vor den Einzelinteressen. Da aus dem intensiveren Schutz der den wirtschaftlichen Bereich betreffenden Individualsphäre auch ein erhöhtes Rechtsschutzinteresse folge, sah Huber keine Veranlassung -auch nicht zum Schutze der Verkehrssicherheit26 - die Rechtsschutzmöglichkeiten vor den ordentlichen Gerichten einzuschränken. Über einen möglichen Vertrauensschutz des Bürgers äußerte sich Huber nicht. Für den privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt konstatierte Huber eine wesentlich größere Kontrolldichte als für sonstige Verwaltungsakte, die als Vorfrage eines bürgerlichen Rechtsstreits auftauchten. Das Individualinteresse hatte hier Vorrang. Insbesondere beim Ersatzgeschäft, bei dem Privatrechtsverhältnisse amtlich konstituiert wurden, war diese Konsequenz evident. Ob nun allerdings die Prüfungskompetenz der ordentlichen Gerichte so weit reichte, daß sie nicht nur nichtigen Verwaltungsakten die Anwendung versagen konnten, sondern ob auch vernichtbare Verwaltungsakte darunter fielen, differenzierte Huber nach der Streitbefangenheit des Verwaltungsrechtsverhältnisses. Eine E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 229. Sol. Hatschek, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 96, E. v.Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts, S. 71 f. 25
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Entscheidung des Verwaltungsgerichts war jedenfalls zu respektieren. Hatte der Kläger es unterlassen, sich im Verwaltungsverfahren gegen eine Rechtsverletzung zu wehren, obwohl ihm Rechtsmittel zu Gebote gestanden hätten, so konnte er den Fehler im bürgerlichen Rechtsstreit nicht mehr rügen. Ganz anders als Walter Jellinek nahm Huber schlechthin die Gültigkeit des fehlerhaften Verwaltungsaktes an. 27 Die inzidente Kontrolle von Verwaltungsakten führte Huber im letzten Teil des Buches konkret aus. Fehlerquellen, welche die Rechtswidrigkeit und damit die Vernichtbarkeit oder gar die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes zur Folge hatten, leitete Huber für dessen äußere Zulässigkeit, seine formellen Bedingungen und seine sachlichen Voraussetzungen je gesondert her.
c) Der privatrechtsgestaltende Staatsakt Das originäre Anwendungsgebiet des Verwaltungsakts war mit seiner am weitesten verbreiteten Definition von Otto Mayer das Gebiet des öffentlichen Rechts. Deswegen richtete sich Mayers Kritik gegen den aufkommenden Verwaltungsakt mit privatrechtlicher Wirkung. 28 Huber stellte aber zu Recht29 für seine Zeit fest, daß dem privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt keine Widersacher mehr entgegen stünden. Typischerweise tauchte diese Form des Verwaltungsakts in der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf, die Huber als justizförmige Behörden, insofern auch den 'IYP des Gerichtsverwaltungsaktes als gewöhnlichen Verwaltungsakt, ansah. Die Systematik der Darstellung Hubers unterscheidet bei der Gestaltung privater Rechte zwischen absoluten Rechten und Rechtsgeschäften. Zentrales Instrument der Einwirkung auf das Eigentum als absolutes Recht ist die Enteignung, der einzige Weg des originären Eigentumserwerbs nach öffentlichem Recht, wie sie im Reichsbahngesetz, im Bergrecht, in der Betriebsstillegungsverordnung und im Siedlungsrecht vorgesehen war. Dem Eigentum ähnlich sind die Bergrechte, die durch öffentliche Verleihung des Bergwerkseigentums oder der Abbaugerechtigkeiten erworben wurden, wenn kein Staatsvorbehalt dem entgegenstand, wie er in Preußen für zahlreiche bergbaufreie Mineralien bestand. Ein bestimmtes Verfahren regelte den Entzug des Bergwerkseigentums. Die Bergrechte waren von wirtschaftlich außerordentlich großer Bedeutung. Sie bildeten in vielfältiger Weise auch den Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion, etwa in der Zeitschrift für Bergrecht oder der Deutschen Bergwerkszeitung. Als Urheberrechte wurden Patente verliehen.30 W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt, S. 118. So noch 0 . Mayer, Verwaltungsrecht, Bd.l, S.l18. 29 Vgl. H. Bürckner, Der privatrechtsgestaltende Staatsakt, Diss. Leipzig 1930, den Huber nicht zitierte. 30 Hoheitliche Maßnahmen konnten diese für nichtig erklären und zurücknehmen oder durch die Verleihung einer Zwangslizenz an einen anderen als den ursprünglichen Patentinhaber der Zwangsbewirtschaftung zuführen. Der Erwerb eines Warenzeichenrechts war von der 27
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Die Gestaltung von Rechtsgeschäften gliederte sich in Rechtsgeschäfte des Unternehmensrechts, des Arbeitsrechts und des Sozialversicherungsrechts auf. Rechtsgeschäfte des Unternehmensrechts konnten geboten oder verboten, oder einem behördlichen Einfluß unterworfen sein. Verbote vor Rechtsgeschäften fanden sich im Wirtschaftsrecht in den Fallen, in denen die Tätigkeit auf einen bestimmten Geschäftskreis beschränkt war. Die bedeutendsten Beispiele waren hier die Reichsbank und alle Hypothekenbanken. Eine Verpflichtung zum Abschluß von Rechtsgeschäften bildete der Kontrahierungszwang, den die Diskussion in der Regel auf die Monopolwirtschaft bezog. Auch Huber setzte sich in dieser Frage wie viele andere nur mit der Arbeit von Hans Carl Nipperdey auseinander, in der jener die Verbindung des Kontrahierungszwangs mit dem Monopol propagiert hatte, wenn Huber auch einen gesetzlichen Kontrahierungszwang kraft öffentlichen Rechts forderte und die übliche Begründung aus § 826 BGB verwarf. 31 Begab Huber sich damit in eine gewisse Nähe zu einigen der von Pranz Böhm im Jahre 1928 entwickelten Positionen, so griff er dessen Forderungen dennoch nicht auf. Ein verwaltungsrechtlicher Einfluß auf Rechtsgeschäfte des Unternehmensrechts fand sich in Aufsicht, Genehmigungspflichten, Ersatzvornahme, Beanstandung von Verbandsbeschlüssen öffentlicher Verbände, Vernichtung von Kartellmaßnahmen, Preis- und Zinssenkungen und in der Vernichtung von Beschlüssen im Gesellschaftsrecht. Huber vereinte allein in diesem Punkt eine Vielzahl von neueren rechtlichen Problemen, die jeweils wissenschaftliche Bearbeiter gefunden hatten. Die synthetisierende Arbeitsweise Hubers hebt dessen Habilitationsschrift besonders an solchen juristisch besonders sorgfaltig gearbeiteten Passagen unter den Schriften zum Wirtschaftsrecht, aber vor allem zum allgemeinen Verwaltungsrecht hervor. Der Aufsicht über den Geschäftsbetrieb unterstanden nach Huber die Hypothekenbanken, die privaten Versicherungsunternehmen und seit September 1931 auch die Banken allgemein. Der behördlichen Genehmigung bedurften die Rechtsgeschäfte der Preußischen Staatsbank, aber seit Dezember 1931 auch die Ausstellung von Schuldverschreibungen auf den Inhaber oder seit August 1931 die Orderlagerscbeine und die der Devisenbewirtschaftung unterfallenden Rechtsgeschäfte. Die wirtschaftsverwaltungsrechtliche lngerenz der Regierung Brüning trat immer deutlicher hervor und fand demgemäß bei Huber ein Abbild. Schon vorher waren aber Maßnahmen des inneren und äußeren Organisationszwangs bei Kartellen der Genehmigung durch das Kartellgericht bedürftig. Die allgemeine Haltung zu den Kartellen war vor allem von Pranz Böhm kritisiert worden. 32 Die Befugnisse des Kartellrechts waren seit 1923 relativ weitreichend. Das Kartellgericht konnte auf Antrag des Reichswirtschaftsministers einen Kartellvertrag, einen einzelnen Beschluß eines Eintragung in die Zeichenrolle, der eines Gebrauchsmusterrechts von der Eintragung in die Musterrolle abhängig. Für das Geschmacksmusterrecht reichte die Anmeldung aus. 31 H. C. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920. 32 F. Böhm, Das Problem der privaten Macht, Justiz 1927/28, S. 328 ff.
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Kartells für nichtig erklären oder den vertraglich nicht vorgesehenen Rücktritt von Kartellverträgen zulassen, soweit eine Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls zu besorgen war. Der Reichswirtschaftsminister konnte die fristlose Kündigung von Kartellmitgliedern erlauben und Kartellbeschlüsse aufschieben. 1930 erhielt die Reichsregierung die Befugnis, nahezu alle Maßnahmen der Kartelle zu vernichten oder zu ersetzen. Ersatzgeschäfte waren typische Maßnahmen der Brüningschen Landwirtschafts- und Osthilfepolitik. Hoheitliche Akte setzten im öffentlichen Interesse Verträge in Kraft, die die Beteiligten so nicht geschlossen hätten. Die besonders bedeutende und einschneidende Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 8. Dezember 1931 betraf Preis- und Zinssenkungen. Die Verordnung legte eine Preissenkung von 10% der durch die organisierte Wirtschaft gebundenen Preise fest. Freie Preise konnte der Reichskommissar für Preisüberwachung nach seinem Ermessen senken. Zinsen für langfristige Kredite sanken ex lege im Verhältnis 8 : 6. Der Reichskommissar für das Bankgewerbe führte Zinssenkungen bei kurzfristigen Krediten herbei. Als Druckmittel konnte er einer Bank das Depotrecht im Wege der gewerberechtlichen Untersagung entziehen. Huber schloß auch die Anfechtung im Aktienrecht und im Genossenschaftsrecht in das Wirtschaftsverwaltungsrecht mit ein. Die Entscheidung des zuständigen ordentlichen Gerichts wertete Huber als behördlichen Akt, der den angegriffenen Beschluß für nichtig erklärte. Den wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Einfluß auf Rechtsgeschäfte des Arbeitsrechts untersuchte Huber im Einzelarbeitsvertrag, im Tarifvertrag und bei der Betriebsvereinbarung. Der Einfluß auf den Einzelarbeitsvertrag war von sozialpolitischen Gesichtspunkten und vom Kündigungsschutz, das Tarifvertragsrecht dagegen vom Schlichtungswesen und von der Frage nach der Allgemeinverbindlicherklärung, die fremde Tarifverträge behördlich ersetzte, geprägt. 33 Die Verwaltungsakte des Sozialversicherungsrechts nahmen auf die Zulassung der Kassenärzte und die Mantelverträge der Krankenkassen mit den zugelassenen Kassenärzten Einfluß und wirkten auf die Abschlüsse kollektiver Kassenarztverträge ein. 34 3. Hubers Anforderungen an die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Wirtschaftsrechts
a) Rechtsstaatsbegriff in Hubers " Wirtschaftsverwaltungsrecht" Huber beurteilte die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Wirtschaftsrechts aus einer gewissen kritischen Distanz heraus. Er sprach nicht vom Rechtsstaat, wie er in Dazu auch E.R. Huber, Justiz und Verwaltung im Arbeitsrecht, AöR 1933, S.l47-188. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.l22-147. Die Fragen von Arbeitsverwaltung und Sozialversicherungsrecht können hier nur angedeutet werden. Die wesentlichen Institute des Wirtschaftsverwaltungsrechts finden sich bereits im Abschnitt über das Unternehmensrecht. 33
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zähem Ringen aus dem Macht- und Gesetzesstaat hervorgegangen war35 , sondern er kennzeichnete den "Glauben" an die Juridifizierung und Legalisierung aller Lebensbereiche als die ,,rechtsstaatliche Ideologie". 36 Da der moderne Staat, der zunehmend ein Wirtschaftsverwaltungsstaat geworden war, immer mehr in Freiheit und Eigentum eingriff, vermerkte Huber ein erhebliches Rechtsschutzdefizit vor allem im Bereich der Verwaltungsgerichte. Huber machte sich damit einerseits zum Anwalt des Rechtsstaats, der mit der gesetzgebensehen Entwicklung nicht Schritt zu halten vermocht hatte. Andererseits nahm er eine distanzierte Haltung zum Parlamentarismus ein, der im Urteil Hubers als Garant der Rechtsstaatlichkeil nicht taugte oder zumindest hinter der Judikative zurückstand. Zumindest auf der Bühne seines "Wirtschaftsverwaltungsrechts" war Huber ein Verfechter des Rechtsstaats in einer für ihn eigentümlichen Prägung: Die Gewaltenteilung war eine auch dem gegenwärtigen Weimarer Staat vorgeordnete Grundordnung, gegen die sich die Verfassung und die nach ihr arbeitende parlamentarische Rechtsordnung stets verging. Darin drückte sich die mehr oder weniger verborgen artikulierte Einstellung Hubers zum Weimarer Staat aus. Die Kritik Hubers am Weimarer Verfassungsleben war der seines Lehrers Carl Schmitt nah verwandt. Mit sich immer wieder erneuerndem, belehrendem Gestus pflegte Schmitt, insbesondere in der "Verfassungslehre" der gegenwärtigen Staatsrechtslehre ihre große, ja unüberwindliche ideelle Ferne vom Rechtsstaat vorzuhalten. Schmitt hatte an vielen Stellen vermocht, mehr ein Gefühl als eine Überzeugung davon zu evozieren, daß der Weimarer Staat in keiner Weise als wahrhaft demokratischer und gewaltenteilender Staat gelten könne. Huber stand ihm darin nur wenig nach. Die enge Zusammenarbeit Hubers mit Schmitt legt auch keinen anderen Schluß als diesen nahe. Durch seine Mitarbeit in Schmitts "Hüter der Verfassung" hatte Huber am Ausbau der autoritärstaatlichen Tendenz auch im Bereich des Wirtschaftsrechts und der Diskussion einer Wirtschaftsverfassung mitgewirkt. 37
b) Hubers Stellungnahme zum Methodenstreit der Staatsrechtslehre im" Wirtschaftsverwaltungsrecht " Zur Beurteilung der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten befand Huber, daß "in letzter Zeit besonders stark die Frage nach der Methode aufgeworfen"38 worden sei. Er nahm also, ohne daß der Untersuchungsgang dies zwingend erfordert hätte und eher en passant, zum Methodenstreit in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik Stellung. Huber betonte aber damit auch die Bedeutung der Rolle des Methodenstreits insbesondere für das Verwaltungsrecht, die im historischen Urteil oftmals weniger deutlich beschrieben wird. 39 Demonstrativ legte HuJedochHuber später selbst, E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. IV, S. 82-88. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 203. 37 R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S.l53. 38 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 218. 39 M. Geis, Der Methoden- und Richtungsstreit in der Weimarer Republik, JuS 1989, s. 91- 96, s. 94. 35
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ber demgegenüber seiner Arbeit einen Methodenrelativismus zugrunde, ja er stellte vielmehr die aus seiner Sicht drei wichtigsten Untersuchungsarten, die positivistische im Sinne Hans Kelsens, die teleologische im Sinne Ernst von Hippels und als die gewichtigste, die geisteswissenschaftliche nebeneinander und wies für alle Sichtweisen auf deren beschränkte Bedeutung hin: ,,Es kann gar nicht anders sein, als daß es verschiedene Methoden wissenschaftlicher Forschung gibt, von denen jede - wird sie richtig angewendet - zu zuverlässigen Ergebnissen führen kann. Jede Untersuchungsart- positivistische, teleologische oder geistesgeschichtliche Betrachtung- ist ein legitimes Mittel der juristischen Erkenntnis, wenn sie dem Stoff und dem Ziel der Untersuchung angepaßt ist."40
Huber trat nicht etwa auf Seiten Schmitts und Smends für die geisteswissenschaftliche Richtung ein. Die von Huber im Anschluß an seine Methodenindifferenz vorgetragene eigene Betrachtungsweise kündete eine bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht merklich in den Methodenstreit eingebrachte Position an, nämlich die des institutionellen Rechtsdenkens, das insbesondere für die Methodenwahl von Carl Schmitt in seinen "Drei Arten des Rechtswissenschaftlichen Denkens" von 1934 maßgeblich werden sollte, die freilich hier und an anderer Stelle vorbereitet worden war: ,,Für die Untersuchung der Folgen von Mängeln in Verwaltungsakten ist neben diesen Forschungsarten vor allem eine institutionelle und funktionelle Betrachtungsweise angebracht, d. h. es ist vornehmlich auf den rechtlichen Sinn der Institutionen in ihrem Zusammenhang zu achten. Ohne nach ,Methodenreinheit' in irgendeiner Form zu streben, seien im folgenden einige allgemeine Grundsätze behandelt, die die Prüfungsbefugnis der Gerichte gegenüber Verwaltungsakten begrenzen." 41
Mit dieser Formulierung verleugnete Huber nicht die Möglichkeit der Methodenwahl. Er bezog eine Position, die sich über die Auseinandersetzung stellte, sich also keiner herkömmlichen Richtung verpflichtet fühlte. Das geht insbesondere aus Hubers Erklärung hervor, die Methodenreinheit sei ein leeres Postulat, eine letztlich irrelevante Größe. Die Methodenfrage war ja gerade zu dem Zweck aufgeworfen worden, die rechtlichen Institutionen in ihren Zusammenhang zu stellen und dort auf ihre Legitimität hin zu überprüfen. Wenn Huber nun behauptete, es gelte die verwaltungsrechtlichen Operationen ohne Rücksicht auf die Methode vorzunehmen, dann verwies er auf den Rechtsanwender, und damit für das Wirtschaftsverwaltungsrecht auf sich selbst als denjenigen, der Interpretationsmaßstäbe setzte. Das brachte freiE.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.219. Ebenda, S. 219 (Hervorhebung vom Verf.). C. Schmitt, Die drei Arten des rechtswissenschaftliehen Denkens. Schmitt hob das normative, das dezisionistische und auf den Einfluß Maurice Haurious hin als neuere Entwicklung das institutionelle Denken hervor. Das institutionelle Rechtsdenken bereitete Schmitts Denken in konkreten Ordnungen und Gestaltungen vor, das sich unter anderem auf die Tradition Hegels berief. Dazu das berühmte Vorwort aus C. Schmitt, Politische Theologie, 2. Auflage von 1933. Zum Einfluß des institutionellen Rechtsdenkensauf Schmitt siehe E. W. Böckenförde, Art. konkretes Ordnungsdenken, Sp.1312, 1313. 40
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lieh auch mit sich, daß die vom Interpreten favorisierten Wertmaßstäbe an das Recht herangetragen werden konnten. Dieses Postulat Hubers bedeutete im Lichte der von Huber mitverfolgten Tendenz, die Verfassung zu entpolitisieren und mit einem konservativen Wertekatalog zu erfüllen, auch für die Rechtsauslegung den Primat der Werte, die wiederum der Interpret, hier also Huber, festzulegen hätte. c) Justiz, Verwaltung und Stellung des Bürgers gegenüber dem Staat Huber gliederte die nun von Methodenfragen entlastete Positionsbestimmung der ordentlichen Gerichtsbarkeit in den organisationsrechtlichen Aspekt des Verhältnisses von Justiz und Verwaltung und den Aspekt des Verhältnisses des Bürgers zum Staat auf. Im Verhältnis von Justiz und Verwaltung im Rechtsstaat ordnete Huber der Rechtsprechung den Auftrag zu, den "materialen Wert des Rechtes unbedingt zur Wrrklichkeit zu bringen." 42 Insbesondere den Zivilgerichten falle die geschichtliche Aufgabe zu, das Recht als Ganzes, als eine geschlossene und unteilbare Einheit und nicht nur in der isolierten Rechtsbeziehung zwischen einzelnen Bürgern zur Geltung zu bringen. Huber wies der Rechtsprechung den unmittelbaren Dienst am Recht zu. Sie diene dem Staat nur insoweit, als dieser sich als Verwirklichung des Rechts empfinde. Er berief sich hier auf die Integrationslehre Rudolf Smends. Smend hatte den Integrationswert der einzelnen Staatsfunktionen unterschieden. Dabei hatte er der Rechtsprechung die Rolle zugewiesen, nicht, wie die anderen Staatsfunktionen in die Staatsgemeinschaft, sondern in die Rechtsgemeinschaft zu integrieren.43 Der "Verwirklichung des Rechtswerts" nach, also zur Positivierung der Rechtsidee im Rechtsstaat sah Huber die Gerichte als legitimiert an, Verwaltungsakte zumindest incidenter zu kontrollieren. Eine Einschränkung der Justiz aus dem Gedanken der Staatsräson, der nach Otto Mayers älterer Auffassung dem Verwaltungsakt eine höhere Dignität einzustiften vermochte, die ihn gegen richterliche Kontrolle immunisierte, erkannte Huber nur für hochpolitische Akte an, also nur für die eigentlichen Regierungsakte. 44 Eine nähere Bestimmung des Verhältnisses von Justiz und Verwaltung und damit der Kontrolle der Verwaltungsakte gewann Huber aus dem Gedanken der Gewaltenunterscheidung, den er in einer neuartigen und eigenwilligen Auslegung präsentierE.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 220. Ebenda, S. 221. R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 97 ff. Ferner zu Smend: A. Frhr. v. Campenhausen, Rudolf Smend (1882-1975) Integration in zerrissener Zeit, in: F. Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250Jahren, Göttingen 1987, S.510-527; S. Korioth, Integration und Bundesstaat: ein Beitrag zur Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends, Berlin 1990; K. Rennert, Die "geisteswissenschaftliche Richtung" in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik. Untersuchungen zu Erich Kaufmann, Günther Holstein und Rudolf Smend, Berlin 1987. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.221. 44 0. Mayer, Verwaltungsrecht, Band I, S. 94f. 42
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te. Der umfängliche Nachweisapparat, mit dem Huber sonst seine Ausführungen untermauerte, ist hier zugunsten der Verfassungslehre von Carl Schmitt stark zurückgedrängt. Huber leitete aus einem "System" der "deutschen Gewaltenunterscheidung" das in der Verfassung angelegte Bestreben her, die übergeordnete politische Einheit zu erhalten. Er nahm damit den Begriff auf, der für die Verfassungslehre Carl Schmitts konstituierend gewesen war. 45 Dieser gegen den Positivismus in der Staatsrechtslehre gerichtete Begriff brachte das Recht in Abhängigkeit vom geschichtlichen Herkommen des Staates und der politischen Bestimmungsgrößen der Gesellschaft, die die politischen "Grundentscheidungen" trügen. Nicht nur mit dieser Begriffswahl gewann Huber Distanz von der Gewaltenteilungslehre, wie sie etwa Georg Jellinek als der meist besprochene und akzeptierte Autor der allgemeinen Staatslehre begriffen hatte. Er entfernte sich auch von Montesquieu, auf den zwar die Gewaltenteilungslehre zu allen Zeiten zurückgeführt wurde, der aber keine Gewaltenteilung im strikten Sinne gefordert, sondern die Gewaltenverteilung nach dem Vorbild des status mixtus des Mittelalters vor Augen hatte. 46 Diese Distanz nutzte Huber, um mit Hilfe des Rechtsverständnisses von Carl Schmitt, das dieser im "Begriff des Politischen" aus seinem vitalistischen Freund-Feind-Schema gewonnen hatte, seinen Gewaltenteilungsbegriff zu stützen und so seine Einstellung gegen den Justizstaat zu untermauern. Huber hatte an diesem Rechtsverständnis großen und produktiven Anteil. 47 Zwar sah Huber bei der Gewaltenunterscheidung die Gewalten als streng getrennt an. Doch postulierte er die Überordnung der Gesetzgebung über die prinzipiell gleichgeordneten Staatsfunktionen der Verwaltung und der Justiz. Beide seien an das Gesetz gebunden oder ihm unterworfen. Die Kontrolle der Verwaltung sei also prinzipiell dem Ressort der Justiz nicht möglich, weil sonst ein institutionelles Übergewicht der Justiz über die Verwaltung entstünde, wie Huber wiederholt betonte. Die Gültigkeitskontrolle der Justiz zu überlassen, hätte zum einen wiederum eine institutionelle Kontrolle geschaffen. Zum zweiten sah Huber das "Verhältnis von Justiz und Verwaltung dadurch bedingt" daß die Kontrolle von Verwaltungsakten zwar von sachlich unabhängigen Behörden vorgenommen werden müsse, die aber ,,ressortmäßig" der Verwaltungsorganisation angehörten. Die Gewaltenteilung würde dadurch im Dienste der politischen Einheit des Staates wieder durchbrochen, weil eine originäre Aufgabe der Justiz, nämlich materielle Rechtsprechung, an die Verwaltung überwiesen werden würde. Als Grund hierfür nannte Huber den "unübersehbaren Konfliktstoff", den die unbeschränkte Kontrolle der Gerichte über die Verwaltungsbehörden berge. Mit der Einordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in die Verwaltungsorganisation wollte Huber den Zerfall der Einheit des Staates gehemmt wissen. Der beschworene Konflikt beruht auf einer widerspruchaufhebenden Argu45 "Verfassungslehre" sei hier sowohl im epistemischen Sinn verstanden, wie auch konkret bezogen auf C. Schmitt, Verfassungslehre S. 186, zur Gewaltenteilung im Weimarer Staat. 46 B . Fa/k, Art. Montesquieu, S.45ff. 47 R . Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S.l53. u.ö.
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mentation. Um die im Weimarer Staat herrschende liberale Gewaltenteilungslehre zu hinterfragen, läßt er mit seiner widerspruchsauthebenden Begriffsbildung die höhere Einheit des Staates gegen sie antreten. Unabhängig von der zweifelhaften juristischen Plausibilität dieses Arguments, das Huber immer wieder heranzog, ist die konsequente Durchführung des Schmittschen Gedankens von der alles bestimmenden politischen Einheit bemerkenswert. Gleichwohl betonte Huber, daß auch die Justiz nur gültige Verwaltungsakte zu akzeptieren habe. Doch lag der sensible Punkt gerade in der Frage, wer über die Gültigkeit von Justizakten entscheidet. Die postulierte Gleichordnung sprach dagegen, die gewünschte hohe Kontrolldichte der Gerichte sprach dafür. Huber schloß daraus, daß der Grundgedanke des deutschen Systems der Gewaltenteilung die Prüfung der Rechtmäßigkeit nicht vollkommen ausschließen würde. Er wollte aber die Kontrolle der Verwaltung aufs äußerste begrenzt und die Auswirkungen der Prüfung im funktionellen Zusammenhang erwogen wissen. 48 4. Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht
a) Justizstaatliche Lösung oder Verwaltungsgerichtsbarkeit?
Hubers Exposition des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Wirtschaftsverwaltungsrecht könnte exemplarisch für das gesamte Verwaltungsrecht Geltung beanspruchen. Das Innovative an Hubers Arbeit, was sie auch in ihrem zweiten Teil als bedeutendes Werk auszeichnet und von den Lehrbüchern des Verwaltungsrechts abhebt, ist die rechtswissenschaftliche Überzeugungskraft, mit der er die Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellte. Die von Huber besonders eindringlich untersuchte Frage nach den im Prozeß zu klärenden subjektiven Rechten, hier also den subjektiv öffentlichen Rechten, ist ganz und gar grundsätzlicher Art, denn in ihr spiegelt sich, was man als den Kern der Definition der Rechtsprechung überhaupt ansehen könnte. Huber ging bei dieser Suche mit großer juristischer Unterscheidungskraft vor, die sich zumindest nicht in der monographischen Ausführlichkeit in den gebräuchlichen Lehrbüchern des Verwaltungsrechts etwa von Fritz Fleiner49 , Adolf Merkl für Österreich50, Julius Hatschek31 oder anderen in der hier vorgetragenen Form und Schärfe wiederfinden lassen. Im Gang der Untersuchung schritt Huber den Kreis ausgehend vom Begriff der Rechtsprechung allgemein über den Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte 48 49
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E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 227 f. F. F/einer, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Auflage, S. 236-248 insbes. A. Merk/, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 369-375. J. Hatschek, Lehrbuch des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts, S. 361-366.
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und den Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte- den er jeweils für unzureichend erklärte - im besonderen aus. Abschließend forderte er eine vollkommen durchgebildete Verwaltungsgerichtsbarkeit, welche die bürgerliche Rechtssphäre zu wahren in der Lage war und die einer, dies freilich nach Hubers eigener Definition, ausgewogenen Gewaltenteilung genügte. Bezeichnenderweise steht arn Anfang des Zweiten Teils des Buches, der ja dem Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht gewidmet ist, ein Kapitel zum Begriff der Rechtsprechung überhaupt. Hier befaßte sich Huber mit der für die Literatur seiner Zeit üblichen Herleitung der Verwaltungsrechtsprechung aus den Bestrebungen des frühen 19. Jahrhunderts, die sich von ihrer Vorstellung von einer Rechtsstaatsidee leiten ließen. 52 Er griff dabei die wesentlichen Fragen des Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte auf, die wenige Jahre zuvor den Gegenstand der Verhandlungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer auf deren Tagung von 1925 gebildet hatten. Hubers Untersuchung stellt ein liberal-rechtsstaatliches Plädoyer für eine Verwaltungsrechtsprechung dar, das die Vollendung der Gewaltenteilung und der ,,Rechtsstaatsidee" ihrem materiellen Gehalt nach erst in einem vervollständigten Rechtsschutz auch in Verwaltungssachen erblickte. Der Schutz des Bürgers durch die ordentlichen Gerichte erschien Huber nach rechtsstaatliehen Maßstäben nicht ausreichend. Er forderte den Schutz der bürgerlichen Rechtssphäre durch die noch auszubauende Verwaltungsgerichtsbarkeit War auch die inzidente, im Rahmen eines bürgerlichen Rechtsstreits vorgenommene Kontrolle des Verwaltungshandeins vor den ordentlichen Gerichten nur eine auf den konkreten bürgerlichen Rechtsstreit begrenzte Möglichkeit, so bot sie doch einen gewissen Schutz gegen rechtswidrige Handlungen der Verwaltung. Das räumte Huber zwar ein, forderte aber weiter: "Trotzdem muß diese Form des Rechtsschutzes im Ganzen als unzureichend und unbefriedigend angesehen werden. Eirunal deshalb, weil sie für den Bürger eben doch ungenügend ist; der Verstoß gegen die konkreten sachlichen Voraussetzungen der Verwaltungsakte ist unter keinen Umständen nachprüfbar, so daß also die normale und einfachste Verletzung der bürgerlichen Rechtsstellung ohne Schutz bleibt.'' 53
Andererseits bezog sich Huber auf die Gewaltenteilung. Das Verständnis dieses Arguments ist ganz wesentlich von dem Bild der Verwaltungsgerichtsbarkeit abhängig, das Huber als rechtswissenschaftlicher Autor in den späten Weimarer Jahren vor Augen hatte. Eine Reichsverwaltungsgerichtsbarkeit existierte nicht. Die Länderverwaltungsgerichtsbarkeit war nicht nur ihrem Erscheinungsbild, sondern auch ihren Organisationsprinzipien und Zuständigkeiten nach äußerst disparat. Vorwiegend jedoch, und das ist der für die Frage der Gewaltenteilung wesentliche Faktor, war die Verwaltungsrechtsprechung Sache der Verwaltung selbst. Die Vertreter der politischen Rechtsstaatsidee und des justizstaatlichen Erbes hatten nach einer Assi52 53
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F. Fleiner, Institutionen, S. 236-240. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.294.
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milation der von der ordentlichen Gerichtsbarkeit her bekannten Struktur gedrängt. Der Transport rechtsstaatlicher Forderungen aus dem 19. Jahrhundert hatte im Laufe der Jahre zu einer sich verdichtenden Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt. 54 Doch tendierte das überwiegende Verständnis der- dadurch wieder zurückgedrängten - Gewaltenteilung dahin, die Verwaltungsrechtssprechung eng mit der Verwaltung selbst zu verzahnen. Lediglich die obersten Rechtsmittelinstanzen waren zumindest in den größeren Staaten von unabhängigen Richtern besetzt, in den unteren Instanzen dominierten die Staatsbeamten und juristischen Laien. Überließ man den Schutz vor rechtswidrigen Handlungen der Verwaltung den ordentlichen Gerichten, dann geriet dieser Schutz in die Nähe der auch 1925 vieldiskutierten, aber doch überwiegend allenfalls als Notlösung akzeptierten ,justizstaatlichen Lösung". Angeführt von Walter Jellinek nahm in der Weimarer Republik die Kritik an der organisatorischen Einbindung der Verwaltungsrechtsprechung in die Verwaltung zu. Dabei blieb die Frage nach der besten Form der Ausgliederung der Verwaltungsgerichtsbarkeit weitgehend offen. Andererseits bedeutete für die auf der klassischen verwaltungsrechtlichen Doktrin aufbauenden Autoren die Justiziabilität von Verwaltungshandlungen vor unabhängigen ordentlichen Richtern eine zunehmende institutionelle Kontrolle der Verwaltung durch die Justiz. 55 Die klassische verwaltungsrechtliche Doktrin hatte sich im Gefolge von Rudolf von Gneist und Otto Mayer von der justizstaatlichen Lösung distanziert. Das Verständnis Hubers von der Gewaltenteilung in ihrer für die Verwaltungsgerichtsbarkeit relevanten Ausprägung war von alledem zunächst geprägt, wobei auch er der justizstaatlichen Lösung kritisch gegenüberstand. Im Rahmen der etwa von Fleiner aufgezählten 56 drei gängigen Auffassungen wandte sich Huber gegen die justizstaatliche Lösung und trat für eine Verwaltungsgerichtsbarkeit ein, die justizhafte Züge tragen sollte. Eine mit der Verwaltung verzahnte, gar aus Beamtengremien gebildete Verwaltungsgerichtsbarkeit lehnte er ab. Huber hatte also aus der gängigen Dreiteilung der Möglichkeiten, welche die Doktrin gemeinhin für die Lösung der Frage nach der Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit bereithielt, diejenige gewählt, die ebenso wie die justizstaatliche Lösung in der neueren Literatur eine große Anhängerschaft fand und die sich insofern von der überkommenen verfestigten Doktrin und Praxis des Verwaltungsrechts unterschied, die eine Verzahnung von Verwaltung und Verwaltungsrechtssprechung gebilligt hatte. Insoweit bezog Huber im Vergleich zu anderen Öffentlichrechtlern zumindest keine außergewöhnliche Position, er vertrat im Ergebnis sogar die herrschende Meinung. Doch prüfte er an einem großen Katalog kategorial unterschiedlicher Fragen s• W. Kohl, Das Reichsverwaltungsgericht, S. 30. Zur ganz unterschiedlichen Ausgestaltung des Verwaltungsrechtsschutzes siehe ebenda, S. 24-40. ss Dies auch die im Ergebnis so vorgetragene Kritik E.R. Hubers, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 294. 56 F. Fleiner, Institutionen, S. 236-242.
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auf eigenständige Weise die Möglichkeiten der Rechtsverfolgung im Wirtschaftsverwaltungsrecht bei konsequenter Trennung der Gewalten. b) Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte Für die Verwaltungsgerichte stellte Huber eine Vermischung der Kompetenzen mit der Verwaltung fest. Hier zeigt sich die juristisch fundierte Arbeitsweise Hubers. Er stellte nicht wie sonst üblich 57 auf die Justizfunktionen und deren Organisation ab, sondern fragte im Anschluß an Richard Thoma nach dem materiellen Gehalt einer richterlichen Entscheidung. Huber schloß sich Thoma an, der bereits festgestellt hatte, wie schwierig eine "begriffliche Bestimmung des Wesens der materiellen Rechtsprechung" 58 sein müsse. Thoma hatte sich dabei auf die Definition beschränkt, daß Verwaltung und Rechtsprechung ein "Ausspruch dessen" seien, "was in Anwendung der Gesetze im konkreten Fall Rechtens ist." Zur Unterscheidung von Verwaltungshandeln und Justizakten blieb nur das Kriterium, daß der Rechtsspruch des Gerichts durch organisatorische und prozessuale Vorkehrungen verselbständigt war. Das reichte für Huber nicht hin, um diese Unterscheidung zu treffen. Er forderte eine materielle Unterscheidung von Rechtsprechung und Verwaltung. So lautete Hubers Definition der Verwaltung zwar die "hoheitliche Vollziehung" der "allgemeinen Normen im konkreten Einzelfall, sofern diese Vollziehung nicht Rechtsprechung bedeutet(e )", doch hob sich seine Definition der Rechtsprechung davon ab: ,,Rechtsprechung im materiellen Sinne bedeutet also die Entscheidung eines konkreten Streites zwischen zwei oder mehreren Beteiligten, der auf die Verwirklichung eines Rechtsanspruchs zielt. Das Wesen der Rechtsprechung ist die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten durch eine unabhängige lnstanz." 59
Huber differenzierte demgemäß für die von Rechts wegen vorgesehenen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zwischen dem justizförmigen Interessenausgleich, dem justizförmigen gebundenen Verwaltungsverfahren und der echten Verwaltungsrechtsprechung.60 Nur in der letzten Variante sah Huber Rechtsprechung materiell verwirklicht. Huber ging also mit seiner luziden Analyse der Verwaltungsgerichtsbarkeit als solcher über die übliche deskriptive Definition der Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit hinaus und schlug eine materiell-normative Definition nach dem verfolgten Anspruch vor: "Echte Verwaltungsrechtsprechung ist dann gegeben, wenn durch eine verwaltungsgerichtliche Behörde innerhalb eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens über einen konkreten, So etwa W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Auflage 1931, S. 299- 306. E.R. Huber, Wirtschaftsverwa1tungsrecht, S.153 Fn. I. R. Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 2, S.127. 59 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. l54. 60 Ebenda, S. l61. 57 58
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auf die Verwirklichung eines verwaltungsgerichtlichen Anspruchs gerichteten Streit entschieden wird. Materielle Voraussetzung der Verwaltungsrechtsprechung ist somit ein Streit über einen verwaltungsrechtlichen Anspruch." 61
Eine Reihe von Grenzfragen der Gewaltenteilungsproblematik tauchen sämtlich bei Huber auf: Freiheit und Gebundenheit der Verwaltung mit der Ermessensproblematik und der freien Beurteilung "unbestimmter Begriffe". 62 Im Wirtschaftsrecht stellten sich weiter die Probleme der Regierungsakte und überhaupt der politischen Dezision bei den Entscheidungen oberster Reichsbehörden, des obrigkeitlichen Zusammenschlusses von Wirtschaftsunternehmen, der Verleihung von Monopolen und Wirtschaftsprivilegien und der, nach Hubers bis dahin nur von Thla Simons geteilten Meinung, in die öffentliche Verwaltung übernommenen Wirtschaftsgebiete im Bereich der Syndikate. Tendenziell trat Huber dafür ein, die Ermessensakte, die unbestimmten Begriffe auf der Tatbestandsseite und die politischen Entscheidungen zwar ihrem Umfang nach rechtlich zu hegen, doch insgesamt für nicht justiziabel zu erklären. 63 Die Gestaltung des Rechtsschutzes im Wntschaftsverwaltungsrecht, soweit er von Verwaltungsgerichten gewährleistet wurde, führte Huber im einzelnen aus. Er überblickte damit im wesentlichen den Kreis der Sonderverwaltungsgerichte, da die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern zumindest im Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts im Vergleich zum sonstigen Verwaltungsrecht wenig vertreten war. Einen justizförmigen Zwangsausgleich ohne Entscheidung über wirkliche Rechtsansprüche fand Huber beim Reichsbahngericht, dem Patentsenat des Reichsgerichts, bei den Filmprüfungsstellen, den Festsetzungsausschüssen der Zündwarenwirtschaft, dem Kartellgericht aufgrund der Kartellverordnung, den Schlichtungsstellen des Arbeitsrechts und den Schiedsämtern der Kassenarztverträge vor. 64 Den justizförmigen Interessenausgleich erklärte Huber mit der Bemerkung für erforderlich, daß "in einem Parteienstaat, in dem die Neutralität staatlicher Anordnungen einer besonderen Befestigung" bedürfe, er "eine wichtige Institution" darstelle. 65 Die Bemerkung läßt verschiedene Lesarten zu. Einmal könnte sie eine nüchterne Bemerkung über die Möglichkeit einer neutralen Entscheidung im gewaltenteilenden Staat darstellen. Andererseits evoziert der Gebrauch des Wortes Parteienstaat eine gewisse Distanzierung von der repräsentativen Demokratie überhaupt. Hier ist einer von mehreren Ansatzpunkten im "Wntschaftsverwaltungsrecht" für die durchaus polemische Haltung, die Huber an anderer Stelle, und sei es auch in unter Pseudonym veröffentlichten Zeitschriftartikeln, gegenüber dem Staat der Weimarer Republik Ebenda, S.l62. Ebenda, S. 166. Das Kapitel ,,Freiheit und Gebundenheit der Verwaltung" S. 166-171 zählt hierzu. 63 Ebenda, S.166-171. 64Ebenda,S.179-185. 65 Ebenda, S.179. 61
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eingenommen hatte. Zwar wäre es unrichtig, würde man die Demokratiefeindlichkeit Hubers mit einer Opposition zum Rechtsstaat gleichstellen. Die Vorstellung von einem autoritären Rechtsstaat ohne demokratische Volksvertretung war in Deutschland gerade am Ende der Weimarer Zeit außerordentlich lebendig und hatte nicht nur unter den Vertretern der konservativen Revolution zahlreiche Anhänger gefunden. Die zweite Möglichkeit des Verwaltungsrechtsschutzes sah Huber im justizförmigen gebundenen Verwaltungsverfahren. Zur Vollziehung der objektiven Rechtsordnung ohne konkretes Rechtsverhältnis traten je nach der Lagerung des Falles der Betroffene selbst, eine Behörde oder auch ein Dritter als Antragsgegner auf. Meist waren hier ohnehin Verwaltungsbehörden tätig, was aber aus der Sicht Hubers nichts an der Justizförmigkeit des Verfahrens änderte. Daß er die deskriptive Definition der Justiz zugunsten der Untersuchung der materiellen Rechtsverwirklichung also in der Gegenüberstellung von der Verwirklichung eines materiellen Anspruchs einerseits und dem justizförmigen, unabhängigen Verfahren andererseits aufhebt, ist gerade das Besondere und überlegen Wirkende an Hubers Vorgehensweise. Im justizförmigen gebundenen Verwaltungsverfahren dominierte das Merkmal der unabhängigen Entscheidungsträger, während die rechtsverwirklichende richterliche Dezision vollends zurücktrat. Als Verfahren auf Antrag einer Behörde nannte Huber die Schließung einer Innung, die Entziehung der Rechtsfähigkeit bei wirtschaftlichen Vereinen durch den preußischen Bezirksausschuß auf Klage der Ortspolizeibehörde.66 Die Bezirksausschüsse bildeten dort in der Regel die zweite Instanz des Verwaltungsgerichtsverfahrens noch vor dem Rekurs zu dem mit großer Tradition arbeitenden preußischen Oberverwaltungsgericht Weiter zählte er die Entziehung der gewerberechtlichen Betriebserlaubnis, die Untersagung von Gewerbebetrieben vor den Kreisausschüssen und wieder vor den Betriebsausschüssen dazu. Schließlich diente auch die Entziehung des Notenbankprivilegs der Privatnotenbanken auf Klage des Reichswirtschaftsministers oder der Landesregierungen durch die Oberverwaltungsgerichte nur der Verwirklichung des objektiven Rechts im Wege des Gestaltungsurteils. 67 Die Verfahren auf Antrag des Betroffenen, die kein konkretes Rechtsverhältnis begründeten, waren in der Regel die Fälle der "freiwilligen Gerichtsbarkeit" oder Nachbildungen dieser Verfahrensarten. 68 Vermehrt fanden die ebenso der objektiven 66 Wie in der gesamten Literatur der Zeit diente in aller Regel Preußen wegen seiner überragenden Bedeutung als meistgenanntes Beispiel. 67 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.l86f. 68 Ebenda, S.l87-189. Diese Verfahren werden bei Huber weitestgehend abschließend mit der Eintragung in das Handelsregister bei den Amtsgerichten, der Eintragung bergrechtlicher Gerechtigkeiten in das Grundbuch, derErteilungvon Patenten und Warenzeichen durch die Patentämter, die Genehmigung der Satzungen der Krankenkassen durch die Versicherungsämter, die Erlaubnis zum Betrieb von Versicherungsgeschäften durch das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung und die Erteilung einer gewerberechtlichen Betriebserlaubnis durch die preußischen Bezirksausschüsse aufgeführt. Die Aufzählung bietet einen Einblick in die Reichweite der Genehmigungspraxis der Wrrtschaftsaufsichtsbehörden.
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Rechtsordnung dienenden Klagen auf Auflösung einer Handelsgesellschaft und die Anfechtung eines Beschlusses einer Aktiengesellschaft nach dem Handelsgesetzbuch vor den ordentlichen Gerichten Gehör. 69 Nicht einmal den Anschein eines Gerichtsverfahrens erweckten die ohne Kläger von Amts wegen durchzuführenden Verfahren. Sie erschöpften sich in Untersagungsverfügungen des Betriebs von Versicherungsgeschäften, der Löschung von Handelsgesellschaften im Registergericht oder von Warenzeichen im Patentamt. "Echte Verwaltungsrechtsprechung", also die Verfahren bei Streitigkeiten um materielle Ansprüche, zogen Klagen der durch eine in einem einfachen Verwaltungsverfahren ergangenen Anordnung beschwerten Bürger nach sich. Hier wurden tatsächlich materielle rechtliche Ansprüche und Befugnisse entschieden. Huber fand sie vor dem Reichsbahngericht bei Fragen über die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, in der Entscheidung der Versicherungsgerichte, der Entscheidung der preußischen Verwaltungsgerichte im Falle von Eintragung, Ausschluß und Beiträgen zu Landwirtschafts- Industrie- und Handelskammern und in einer Reihe von gewerberechtlichen Fällen, im Schiedsgericht der Maiswirtschaft und in einigen vor dem Reichswirtschaftsgericht verhandelten sektoral und enumerativ bestimmten Gewerbesachen. Ferner waren die Enteignungsverfahren im ordentlichen Rechtsweg, die Anfechtung der Verleihung des Bergwerkseigentums vor dem Bergausschuß und der Entziehung des Bergwerkseigentums im ordentlichen Rechtsweg in Preußen als schließlich auch die Entscheidungen des Schwerbeschädigtenausschusses zu nennen. 70 Seinen umfassenden rechtswissenschaftliehen Anspruch machte Huber mit der Dokumentation von wirtschaftsrechtlichen Problemen, die in enger Verbindung zu verwaltungsrechtlichen Institutionen standen, die aber dennoch als Sonderfälle bürgerlicher Rechtsprechung anzusehen waren, geltend. Diese Fälle bürgerlicher subjektiver Rechte ließen den spezifischen Gegensatz der Verfahrensarten hervortreten. Obgleich eine obrigkeitliche Gestaltung begehrt wurde, gehörten die handelsrechtliehe Auflösungs- und Ausschließungsklage nach Huber richtigerweise vor die ordentlichen Gerichte, da über die subjektive Befugnis des Klägers gegenüber der Gesellschaft oder den Mitgesellschaftern entschieden wurde. Ebenso bürgerlichrechtliche Streitigkeiten, die von nah verwandten Verwaltungsgerichtsverfahren zu unterscheiden waren, stellten die Kündigungsklage vor den Kartellgerichten nach der Kartellverordnung von 1923 7 1, im Urheberrecht die Vernichtung eines Patents oder der Widerspruch gegen die Anmeldung eines Warenzeichens dar. Wie dort war auch bei Konkurrenzansprüchen im Bergrecht vor den ordentlichen Gerichten zu verhan69 Ebenda, 8 . 189-194. Dazu zählten ferner das Nichtigkeitsverfahren gegenüber einem erteilten Patent, die Löschung von Warenzeichen und Gebrauchsmustern, die Auflösung von Betriebsvertretungen, die Ungültigkeitserklärung der Wahlen von Industrie- und Handelskammern und der Ausschluß eines Arztes von der Kassenpraxis vor den jeweiligen Schiedsämtern. 1o Ebenda, 8 . 195-199. 71 § 8 der Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen v. 2. November 1923, RGBI. I, S. 311.
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deln. Schließlich faßte Huber auch noch die Entscheidungen der Arbeitsgerichte über die richtlinienwidrige Einstellung eines Arbeitnehmers und die Kündigungseinspruchsklage hierunter. 72 c) Rechtsschutz durch die ordentlichen Gerichte Seinen Ansatz, die Gewaltenteilung nicht als funktionale Teilung zu verstehen, also die Justiz von einer institutionellen Kontrolle der Verwaltung fernhalten zu wollen, verfolgte Huber auch, als er die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Akte der Wirtschaftsverwaltung vor den ordentlichen Gerichten untersuchte. Aufgrund der mangelhaften Rechtsschutzsituation vor den Verwaltungsgerichten, die wie gezeigt nur eine enumerativ begrenzte Zahl von Verfahren zuließ, sah Huber sich veranlaßt, das Maß der, wie er sie einordnete, justizstaatlichen Durchbrechungen des Prinzips der strengen Scheidung der staatlichen Funktionen festzustellen. Seine Auffassung stellte er in den Vordergrund. Die von Fritz Fleiner angeführte Dreiteilung der herrschenden Auffassungen in einerseits den Justizstaat im Sinne Bährs, weiter die Zuweisung der Verwaltungsrechtsprechung an Organe der aktiven Verwaltung oder schließlich die Errichtung einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit ignorierte Huber weitgehend zugunsten der von ihm favorisierten letzten Möglichkeit. 73 Huber sprach die alterierenden Varianten einfach nicht deutlich aus, indem er die Beschränkung der Justiz auf die ordentliche Gerichtsbarkeit so darstellte, als sei sie vom Rechtsstaat in seiner besonderen Ausprägung der Gewaltenteilung geboten. Die nach den Regeln der klassischen Rhetorik der argumentatio vorangehende demonstratio Hubers, daß der Rechtsstaat, wie er von allen gefordert wurde, eine gewisse Situation bedinge, hier also die bestimmte Gerichtsorganisation, ist für den Argumentationsstil Hubers, in schärferem Maße noch für Carl Schmitt kennzeichnend. Huber kehrte dabei fremde Meinungen nicht vollends beiseite, sondern ließ sie nur von Anfang an in zweifelhaftem Licht erscheinen, während im Argumentationsduktus die eigene Auffassung stets als einzig schlüssige Möglichkeit triumphierte. Der auch für die Juristen der Zeit üblichen Argumentationsweise, die vorfindliehen Auffassungen gleichermaßen zu erwägen, um sie anschließend zu gewichten, schloß sich Huber nicht an. Huber nahm allerdings diese Operationen jeweils mit souveräner Hand und großer Überzeugungskraft vor. 74 Tatsächlich in Widerspruch zur herrschenden Auffassung trat Huber, indem er behauptete, die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei ihrem Wesen nach nicht Justiz sondern Exekutive, während die Mehrheit der Autoren die Verwaltungsgerichtsbarkeit der dritten Gewalt zuordnete. 75 Huber knüpfte diese Behauptung an seine eigene TheoE. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.199-203. F. F/einer, Institutionen, S. 249 f. E. R . Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 203. 74 A. Hensel, Rezension: Huber im Zentralblatt für die juristische Praxis 1932 Heft 6. 75 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.204; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Auflage 1931, S. 297, 299-301; F. Fleiner, Institutionen, S. 249: "Die Verwaltungsrechtsprechung bildet ihrem ganzen Wesen nach einen Zweig der Gerichtsbarkeit." 72
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rie, daß die rechtsgestaltende Kontrolle über die Verwaltung der materiellen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorbehalten sei. Den ordentlichen Gerichten sei eine Überprüfung des Handeins der Verwaltungsbehörden versagt. Die Konsequenz dieses Gedankengangs formulierte Huber apodiktisch: "Der Grundsatz der Gewaltenteilung schließt eine derartige Kontrolle einer staatlichen Funktion über eine andere aus. Wo in Einzelfallen die unmittelbare Kontrolle von Verwaltungsakten den ordentlichen Gerichten übertragen ist, handelt es sich in der Sache um Verwaltungsgerichtsbarkeit." 76
Demgemäß waren die ordentlichen Gerichte - insoweit konform mit der herrschenden Meinung - auf die Kontrolle des Verwaltungsakts als einer Vorfrage des bürgerlichen Rechtsstreits beschränkt. Auch für die Bille des § 839 BGB, der Amtshaftung, ergab sich nichts anderes, da dort nur Schadensersatz für Folgen einer Amtspflichtverletzung begehrt werden kann. Der Akt des öffentlichen Amtsträgers, der den Beschwerdeführer verletzt hatte, konnte zu keiner Zeit durch einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt verändert oder gar als unwirksam behandelt werden. Die Kontrolle des Verwaltungsaktes als einer Vorfrage für einen bürgerlichen Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten war dann von besonderer Bedeutung, wenn durch den Verwaltungsakt ein Privatrechtsverhältnis verändert wurde, also im von Huber so genannten privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt.n Die Unterscheidung von nichtigem und anfechtbarem Verwaltungsakt erkannte Huber voll an. Als verfahrensrechtliche Kategorie bedeutete die Nichtigkeit somit die unmittelbar gegebene Ungültigkeit eines Aktes, die von jedermann, also auch von den ordentlichen Gerichten, zu berücksichtigen war. Dagegen stand die Anfechtbarkeil der Vernichtbarkeil des Aktes gleich, die nur in einem besonderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden konnte. Die Nichtigkeit war ursprünglich, so vor allem im bürgerlichen Recht ausschließlich von materiellrechtlicher Bedeutung. Ein Rechtsgeschäft war nichtig oder vemichtbar. Die tiefere Bedeutung dieser ursprünglich materiellrechtlichen Kategorie sah Huber allerdings darin, daß dadurch überhaupt den ordentlichen Gerichten die Möglichkeit offen stand, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu überprüfen und ihm die Anwendung bei besonderer Schwere des Rechtsverstoßes zu versagen. Huber klassifizierte sie daraufhin als verfahrensrechtliche Kategorie. Im Prinzip erkannte Huber die Prüfungsbefugnis der ordentlichen Gerichte für verwaltungsrechtliche Vorfragen an, nicht ohne dieses Zugeständnis sogleich wieder einzuhegen. Die Grenzen der Prüfungsbefugnis von Verwaltungsakten durch die ordentlichen Gerichte bilden das Kernstück der Hubersehen Erörterungen zum Rechtsschutz im Wirtschaftsverwaltungsrecht Sie bergen die in extenso ausgebreiteten Überzeugungen Hubers von der Gewaltenteilung im Rechtsstaat. Indem er seine Argumente, die 76
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E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 204 (zum Ganzen). Ebenda, S. 207.
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er schon im einführenden Teil über "Rechtsstaatsidee, Rechtsschutz und Gewaltenteilung"78 entwickelt hatte, streckenweise pedantisch wiederholte und ausbreitete, vertiefte Huber die Frage nach der "institutionellen Kontrolle" der Verwaltung durch die Justiz insbesondere im Hinblick auf die ordentlichen Gerichte. 5. Die verwaltungsrechtlichen Formen des Wirtschaftsverwaltungsrechts
a) Verwaltungsrechtliche Formen als Ordnungsprinzip
Durch ihren selbstgewählten, engen Ansatz hatten Autoren wie Hans Goldschmidt und Friedrich Glum, die sich relativ bald nach dem Krieg einzelnen Formen des öffentlichen Wirtschaftsrechts zugewandt hatten, keine Einteilung der wirtschaftlichen Verbände nach rechtlichen Merkmalen vorgelegt oder auch nur angestrebt. Sie hatten im Bann der gerneinwirtschaftlichen Dynamik gestanden, die nach ihrer Hochblüte abgenommen hatte. Die in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre im wesentlichen von Arndt, Glum und Köttgen getragene Debatte der Öffentlichrechtler kreiste ohnehin um das Novum der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand und den Anstaltsbegriff, ohne daß ein umfassender Systemansatz ersichtlich gewesen wäre. 79 Um so kühner wirkt der Schwung, mit dem Huber die Einteilung der verwaltungsrechtlichen Formen des Wirtschaftsrechts vornahm. Doch ist eine gewissermaßen absichtsvolle Freizügigkeit im Umgang mit dem Material unabweisbar. Einerseits hatte Huber nahezu das gesamte Schrifttum zum Wirtschaftsrecht und zum Arbeitsrecht erfaßt und mit harmonisierender und juristisch systematisierender Gestaltungskraft in sein Wirtschaftsverwaltungsrecht integriert. Andererseits diente ihm die Fülle des Materials mehr oder weniger zu dem Zweck, seine längerfristige Intention, die Wirtschaft im Zeichen des Primats des Politischen vermittels der Wirtschaftsverwaltung dem Staat als politischer Einheit unterzuordnen. Die von ihm in großer Breite dargelegte und geforderte Begrenzung der Jurisdiktionsgewalt der ordentlichen Gerichte sollte diese zugunsten einer mit der Verwaltung eng verzahnten Verwaltungsgerichtsbarkeit zurückdrängen, um ihr auf dem jurisdiktioneilen Rechtsstaat lastendes Gewicht zu verringern. In enger Verbindung damit standen die autoritärstaatlichen Tendenzen Hubers, wie sie sich im "Wirtschaftsstaat" und an anderen Stellen artikulierten. 80 Dem Buchstaben nach hielt sich Huber im "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" von solchen Tendenzen frei. Huber legte seine tiefere, das Verhältnis von Staat und Wirtschaft betreffende Sichtweise, die er an anderer Stelle hervorhob, im "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" nicht offen. Die größte Aufmerksam7B Ebenda,
S. l48-151. A. Köttgen, Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, S.4-6, 29. Die Themenkreise des öffentlichen Anstaltsbegriffs im Umgang mit Rechtsformen des Privatrechts überschritt Köttgen selten. 80 E.R. Huber. Wirtschaftsstaat, 1931. Ders., Berufsverbände, S. 953-958. 79
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keit fand vor allen anderen Ansätzen, wie der Spiegel der Rezensionen zeigt, 81 in erster Linie das "Wirtschaftsverwaltungsrecht" und der "Wirtschaftsstaat". Die Würdigung des Wirtschaftsrechts im Werk Hubers bezieht sich daher, bei allen externen Einflüssen und bei aller Doppelgesichtigkeit im vielfaltigen Schrifttum Hubers gegen Ende der Weimarer Republik, nur in zweiter Linie auf den ideellen, persönlichen und zeitgeschichtlichen Kontext seines gesamten Schaffens. Die Aufmerksamkeit der Wirtschaftsrechtier widmete sich gerade nicht dem Gesamtwerk Hubers, das im Zeichen der Feindschaft, wenn auch nicht zu einem Rechtsstaat, so doch zur politisch egalitären Demokratie stand. Im Vordergrund steht die unmittelbar rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Intention, die mit seinen erklärtermaßen wirtschaftsrechtlichen Arbeiten verbunden war und die Wirkung, die davon ausging. Das System Hubers beruhte im Wtrtschaftsverwaltungsrecht auf einem juristischen Grundmuster. Er baute auf der für den Juristen, jedenfalls für den, der noch der Pandektistik des 19. Jahrhunderts nahe stand, gängigen Matrix von personae, res, actiones auf: Rechtssubjekte verfügen im Wege von Rechtshandlungen über Rechtsobjekte. Huber ordnete den Staat nicht der Rechtsordnung vor, sondern wies ihm die Rolle eines magistralen Rechtssubjekts zu. So stand dem Staat zunächst die Möglichkeit der Gestaltung neuer (wirtschaftlicher) Rechtssubjekte offen. Der Staat konnte die Rechtsverhältnisse aller wirtschaftlichen Rechtssubjekte, also auch der schon vorhandenen, gestalten. Diese Gestaltung der Rechtsverhältnisse zerfiel ihrerseits in Verhältnisse öffentlichen und privaten Rechts. Die Möglichkeiten waren insoweit öffentlichrechtliche Beschränkungen oder die Verleihung von subjektiv-öffentlichen Rechten und andererseits der Eingriff in das privatrechtliche Gleichordnungsverhältnis. Die Überzeugungskraft eines derartigen juristischen Aufbaus war und ist evident. b) Gestaltung von Verbänden durch die Wirtschaftsverwaltung Zunächst stellte der Staat neue Rechtssubjekte in Form von Verbänden durch Gesetz oder Verwaltungsakt zur Verfügung. Huber legte bei seiner Darstellung kein Gewicht auf die historische Herleitung der neu geschaffenen Rechtssubjekte etwa aus der Notwendigkeit der Kriegswirtschaft heraus. Auch die gesellschaftsrechtlichen oder schlicht gesellschaftlichen Ursprünge der neuen Verbände bilden keinen Gegenstand der Untersuchung. Die Darstellung setzt in ihrem latenten Aufbau diese Ursprünge auch nicht voraus. Als alleiniger Schöpfer aller dieser Rechtsformen erscheint der Staat. Bezeichnenderweise stehen auch die Verbände selbst im Vordergrund, nicht die Privatrechtssubjekte, die das wirtschaftliche Substrat der Verbände bilden, und die bei anderen Autoren als organische Einheit mit den übergeordneten Verbänden dargestellt wurden (Wauer, Gieseke, Goldschmidt). Huber vermittelt den 81 Beachte vor allem F. Glum, Sammelrezension: Huber u. a.; weiter auch 0. Koellreutter, Rezension Huber und Simons, AöR 1935, S.l22- 127; A. Hensel, Rezension: Huber.
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Eindruck, als schaffe der Staat aus eigener Willenskraft Rechtsformen. Er verzichtete darauf, den Bezug zur werdenden lndustriegesellschaft, die in den Staat intervenierte, aufzuzeigen. Die so geschaffenen Rechtssubjekte, die Verbände, waren nach Hubers juristisch durchgebildetem System staatlichen Eingriffen unterworfen, die er nach ihrer äußeren Wirkung in Errichtung und Auflösung des Verbandes, Erlaß und Änderung der Satzung und Bestellung der Organe einteilte. Innerhalb dieser Gruppen unterschied Huber zwischen öffentlichrechtlichen und privatrechtliehen Verbänden. 82 Waren vom Verwaltungshandeln keine in dieser Weise neu geschaffenen Rechtssubjekte betroffen, so gestaltete der Staat für die Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts wie die des Privatrechts entweder öffentliche Rechte und Pflichten oder private Rechte durch den von Huber so genannten privatrechtsgestaltenden Staatsakt. Diese Eingriffe waren zwar rechtlich weniger komplex als die Schaffung neuer Rechtssubjekte. Sie waren aber wirtschaftlich außerordentlich bedeutsam, vor allem wegen ihrer generellen Anwendung. Die Wissenschaft vom Wirtschaftsrecht hatte sich auf der Suche nach ihren öffentlichrechtlichen Prägungen meist mit der organisierten Wirtschaft oder auch mit dem staatsorganisationsrechtlichen Problem der Interessenvertretung im Reichswirtschaftsrat befaßt. Wurden allgemeine Rechtsinstitute untersucht, die alle Wirtschaftssubjekte betrafen, so handelte es sich doch meist in der Forschung nur um Einzelphänomene. Huber hatte sie zum ersten Male alle systematisch zusammengefaßt. Zur Einteilung der wirtschaftsrechtlichen Verbände griff Huber in einer groß angelegten Synthese die vorfindliehen Kategorien und Einteilungskriterien auf. Neben den nicht weiter unterschiedenen privatrechtliehen Verbänden gliederte er die öffentlichrechtlichen Verbände in "bloße Verwaltungsstellen (ohne Rechtspersönlichkeit), die Anstalten und die Korporationen." 83 Die Unterscheidung zwischen öffentlichrechtlichen und privatrechtliehen Verbänden traf Huber im Gegensatz zum ganzen wirtschaftsrechtlichen Schrifttum nicht nach einzelnen Kriterien, sondern nach ihrem Gesamtstatus, wie er sich aus der Vielheit der Beziehungen des Verbandes zum Staate ergab. Vor allem die Autoren zur organisierten Wirtschaft und ihrer Rechtsformen, später die zur öffentlichen Anstalt und ihrer Nutzungsordnung, hatten sich auf Einzelmerkmale begrenzt, nach denen sie jeweils die Rechtsnatur der Verbände ermittelt wissen wollten. 84 Weder also der Verbandszweck, die verliehenen obrigkeitlichen Befugnisse, die organisatorische Eingliederung in den Staat, die Daseinsnotwendigkeit noch die ZwangsmitE.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.5. Ebenda. 84 Im Abstand einiger Jahre lieferte die Dissertation von L. Heilberg, Der Aufbau der Gemeinwirtschaft, 1929, S. 31-42. ansatzweise juristisch stringente Bestimmungsgründe für die Selbstverwaltungskörper, die in der Diskussion der ersten Zwanziger Jahre absolut gesetzt worden waren. 82 83
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gliedschaft allein sollten nach Huber die Unterscheidung zwischen öffentlichen oder privaten Verbänden stützen. Er wollte vielmehr die öffentlich-rechtliche Qualität des Verbandes durch ein wertendes Urteil ermitteln: "Im allgemeinen kann man sagen, daß Korporation des öffentlichen Rechts jeder Verband
ist, der funktionell und organisatorisch derart in die staatliche Organisation eingefügt ist, daß sein Gesamtstatus sich danach als öffentlicher darstellt. " 85
Ebenso knapp unterschied Huber Korporationen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Bei Körperschaften überwog das genossenschaftliche Moment, so daß der Verband auf dem Willen der Mitglieder beruhte. Anstalten empfingen dagegen Zweck und Willen von außen. Welcher Verbandstyp nun vorlag, mußte ein wertendes Urteil ergeben, je nachdem ob "anstaltliche oder genossenschaftliche Elemente" überwogen. 86 Auch hier hatte Huber die breite Diskussion, auf die er freilich verwies, in ihrem Kern zusammenzufassen vermocht. Im Einzelnen führte Huber die Errichtung und Auflösung von Verbänden, also der Verwaltungsstellen, Anstalten, Körperschaften des öffentlichen Rechts und der privaten Gesellschaften auf. Verwaltungsstellen waren die Post- und Telegraphenverwaltung und die Branntweinmonopolverwaltung. 87 Huber maß ihr nur abnehmende rechtspraktische Bedeutung bei. Er setzte sich nicht weiter damit auseinander, daß es sich zumindest bei der Postverwaltung um ein Unternehmen des Reichs handelte, während seine Definition des Wutschaftsverwaltungsrechts an sich nur die Einwirkung auf vom Staat unterschiedene Rechtssubjekte betraf. Anstalten des öffentlichen Rechts waren vor allem Reichsbank und Reichsbahngesellschaft, zahlreiche öffentliche Kreditinstitute und die Anstalten der Sozialversicherung, da sie "im wesentlichen von oben nach unten organisiert" waren. 88 Implizit bestritt Huber damit die Existenz eines Sozialrechts im engeren Sinne, nämlich das Recht der sozialen Sicherheit als eigener Rechtsdisziplin, da er sie zumindest in ihren verwaltungsrechtlichen Anteilen dem Wutschaftsverwaltungsrecht zuschlug. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 7. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht S. 8. 87 Gesetz überdas Postwesen v. 28. Oktober 1871, RGBI. 347; Gesetz überdas Branntweinmonopol v. 26. Juli 1918, RGBI. 887. Huber verwies auf die Arbeit von Gerhard Sigloch, Die Unternehmungen der öffentlichen Hand, S. 38. 88 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. ll f. Reichsbank: Errichtung: Bankgesetz v. 14. März 1875,RGBI. S.177, Bankgesetzvom30. August 1924i.d.F. v. 13. März 1930, RGBI. II S. 355; Reichsbahngesellschaft: Reichsbahngesetz v. 30. August 1924 i. d. F. v. 13. März 1930, RGBI. II S. 369; Weitere Kreditinstitute von praktisch großer Relevanz waren: Deutsche Rentenbankkreditanstalt, Gesetz v. 18. Juli 1925, RGBI. I S. l45, Deutsche Siedlungsbank, VO des Reichsarbeitsministers v. 26. September 1930, auf Grund der VO des Reichspräsidenten v. 26. Juli 1930, Deutsche Girozentrale, VO d. Reichspräsidenten v. 6. Oktober 1931. Ferner bestanden Kreditinstitute der Länder. Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, Gesetz v. 20. Dezember 1911 i. d. F. v. 28. Mai 1924, RGBI. I S. 563, Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Gesetz v. 1. Juli 1927 i. d. F. v. 12. Oktober 1927, Landesversicherungsanstaltenaufgrund der Reichsversicherungsordnung v. 19. Juli 1911 i. d. F. v. 15. Dezember 1924, RGBI. I S. 779. 85
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Zu den genossenschaftlich organisierten Körperschaften merkte Huber an, sie seien mit der deutschen Kriegswirtschaft entstanden und in die Nachkriegsgesetzgebung übernommen worden. Genau wie vor ihm im Ergebnis schon Tula Simons, verwarf Huber die rechtlichen Begriffe, die für das frühe Weimarer Wirtschaftsrecht kennzeichnend gewesen waren in Bausch und Bogen, da von keiner Seite klargestellt worden war, worin ihre Gemeinsamkeiten lagen und in welchen Fällen Selbstverwaltung vorlag. Hubers Kritik verband sich wieder mit einer Unterordnung der Selbstverwaltungsidee unter die staatliche Wutschaftsleitung: "Man spricht in diesen Fällen häufig von ,Gemeinwirtschaft' oder, wirtschaftlicher Selbstverwaltung', ohne daß mit diesen Kennzeichnungen ein genauer Sinn verbunden wäre. Es wird hier auf diese vieldeutigen Ausdrücke verzichtet und von Wirtschaftsführung durch Körperschaften des öffentlichen Rechts gesprochen. " 89
Von den als Selbstverwaltungskörper bezeichneten Verbänden hob Huber nur die Kohlen- und die Kalisyndikate hervor, alle anderen erschienen ihm unbeachtlich. Die in der Literatur umstrittene Frage nach der Rechtsnatur der gerneinwirtschaftlichen Verbände entschied Huber nach dem Sinn des Sozialisierungsgesetzes, das darauf gerichtet war, Verkauf, Gestaltung der Preise und Lieferungsbedingungen in öffentliche Verwaltung zu überführen, dahin, daß mit der Übertragung dementsprechender hoheitlicher Befugnisse durch den Reichskohlenrat Körperschaften des öffentlichen Rechts vorlägen. Den Zwangszusammenschluß und Zwangsbeischluß, die im Diskussionszusammenhang der Gemeinwirtschaft eine große Rolle gespielt hatten, ordnete Huber als verbandsgestaltende Verwaltungsakte mit öffentlichrechtlicher Wirkung dem Wirtschaftsverwaltungsrecht zu. Als weitere Körperschaften des öffentlichen Rechts nannte Huber die gemeinnützigen Siedlungsunternehmungen und Landlieferungsverbände, die Siegelhallen der Hopfenwirtschaft, die gewerblichen Kammern, also Handwerks-, Landwirtschafts-, Industrie- und Handelskammern, Freie und Zwangsinnungen, und eine Reihe von Verbänden des Sozialversicherungsrechts, nämlich die Reichsknappschaft, eine Reihe von Ortskrankenkassen und die Berufsgenossenschaften.90 Hubers Systematik umfaßte schließlich noch die Verbände des privaten Rechts, deren Errichtung oder Auflösung auf hoheitlichem Akt, Verleihung, Genehmigung oder Eintragung beruhte. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 13. Ebenda, S.14-21. Ferner: Reichssiedlungsgesetz v. 11. August 1919, RGBI. S. 1429; Gesetz über die Herkunftsbezeichnung des Hopfens v. 9. Dezember 1929, RGBI. I S.213, DurchführungsVO zur Errichtung der Siegelhallen v. 28. Mai 1930, RGBI. I 1930; Handwerkskammern und Innungen: Gewerbeordnung i. d. F. der Handwerksnovelle v. 11. Februar 1929, RGBI. I S. 21; Landwirtschaftskammern sowie Industrie- und Handelskammernaufgrund von Landesgesetzen: Preußen: Landwirtschaftskammern durch Gesetz v. 30. Juni 1894, GS. S. 126, Industrie- und Handelskammern durch Gesetz v. 24. Februar 1870 i.d. F. v. 19. August 1897, GS. S.355; Reichsknappschaftsgesetz v. 4. Juni 1923 i.d.F. v. 1. Juli 1926 RGBI.I S. 369, Ortskrankenkassen nach der Reichsversicherungsordnung für Angestellte von 1911, dort in den §§ 225 ff, Berufsgenossenschaften in den§§ 961, 1122, Knappschaftsgenossenschaften in den§§ 630, 639. 89
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So waren die Deutsche Rentenbank, die Deutsche Golddiskontbank und die Bank für Deutsche Industrieobligationen Gründungen privaten Rechts aufgrund Gesetzes, um die Folgen der Inflation 1923 durch die Übergangswährung der Rentenmark bis zur Wiedereinführung der Goldwährung zu bewältigen. Ebenso als private Gesellschaft verwaltete die Deutsche Zündwarenmonopolgesellschaft das staatliche ZündwarenmonopoL Auch die Reichsmaisstelle, die Reichsgetreidestelle als Residuen der Kriegsverwaltung und zahlreiche Erscheinungen des hektischen Brüningschen Wirtschaftsdirigismus waren private Gesellschaften, wie die Wutschaftliehe Vereinigung der Deutschen Zuckerindustrie, das Verkaufskontor für Kartoffelstärke und die milchwirtschaftliehen Verbände. 91 Auf öffentliche Verleihung waren die Vereine nach § 22 BGB, aufgrundder praktisch nicht anwendbaren Vorschriften über die deutschen Schutzgebiete die Kolonialgesellschaften und die wirtschaftlichen Vereine auf Gegenseitigkeit angewiesen. 92 Die Handelsgesellschaften bedurften zu ihrer Entstehung der konstitutiven Eintragung in das Handelsregister nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs. Bei Kartellen konnte der Reichswirtschaftsminister, dem Zweck der Kartellverordnung entsprechend, selbstverständlich nicht die Errichtung, sondern nur die Auflösung durch Antrag vor dem Kartellgericht herbeiführen. 93 Verbände privaten Rechts waren zudem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände und die Betriebsvertretungen. Huber sprach hier von Arbeitsverwaltungsrecht 94 Die Mitwirkung beim Erlaß der Satzung öffentlichrechtlicher Verbände bezeichnete Huber als organisatorischen Verwaltungsakt Im Falle eines privatrechtliehen 91 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 21-23. Deutsche Rentenbank aufgrund der Verordnung vom 15. Oktober 1923, RGBI. I S. 693, Deutsche Golddiskontbank aufgrunddes Gesetzes vom 19. März 1924, RGBI. II S. 71, Bank für Deutsche Industrieobligationen aufgrund des Industriebelastungsgesetzes vom 30. August 1924, RGBI. ll S. 257; Zündwarenmonopolgesetz v. 29. Januar 1930, RGBI. I S. 11; Reichsmaisgesetz v. 26. März 1930 RGBl. I S. 88, mit AusführungsVO v. 31. März 1930, RGBI. I S.111; zu Reichsgetreidestelle, Reichskartoffelstelle, Reichsstelle für Speisefette und Reichsbekleidungsstelle siehe W. Wauer, Die wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörper, S. lOff; Wirtschaftliche Vereinigung der Deutschen Zuckerindustrie und Verkaufskontor für Kartoffelstärke nach der gleichen Verordnung des Reichspräsidenten v. 1. Dezember 1930, RGBI. I 86; Milchgesetz vom 31. Juli 1930, RGBI. I S. 421. 92 Gesetz betreffend die Rechtsverhältrrisse der deutschen Schutzgebiete v. 17. April 1886 i. d. F. v. 15. April1900, RGBI. S. 809; Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit erlangten ihre Rechtsfähigkeit durch die vom Reichsversicherungsamt für Privatversicherung zu erteilende Erlaubnis nach dem Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen i.d. F. v. 6. Juni 1931, RGBI. I S.315. 93 Neben die Eintragung der Handelsgesellschaften trat die Auflösung durch Löschung im Register nach dem Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Auflösung von Kartellen nach der Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen v. 2. November 1923, RGBI. I S.311. 94 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 32. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, anerkannt durch Art. 165 Abs. 1 WRV, Mitwirkungsrechte aus § 1 der Tarifvertragsordnung v. 23. Dezember 1918 i.d.F. v. 1. März 1928, RGBI.I S.47; Betriebsrätegesetz v. 4. Februar 1920, RGBI. S.147. Siehe weiter zu diesem Komplex außerhalb des Untersuchungszeitraums, E. R. Huber: Justiz und Verwaltung im Arbeitsrecht, AöR 1933, S.147-188.
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Verbandes hatte der Verwaltungsakt bürgerlichrechtliche Wirkung. Huber unterschied die unmittelbare Festsetzung einer Satzung wie die der Reichsbahngesellschaft oder der preußischen Staatsbank durch Reichsregierung oder preußisches Staatsministerium, die Genehmigung der ersten Satzung der Verbände von zweitrangiger Bedeutung wie bei der Rentenbankkreditanstalt durch die Reichsregierung und der Eintragung der Satzung mit schlichter Gesetzmäßigkeitskontrolle bei einzutragenden Handelsgesellschaften und Genossenschaften. 95 Die Bestellung der Verbandsorgane konnte wie beim Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung durch den Reichspräsidenten durch Staatsakt, im Wege obrigkeitlicher Bestätigung durch den Reichspräsidenten wie beim Reichsbankpräsidenten oder durch nachträgliche staatliche Kontrolle wie bei den gewerblichen Kammern erfolgen. 96 c) Gestaltung öffentlicher Rechte und Pflichten Als zweite große Gruppe der wirtschaftsrechtlichen Verwaltungsakte definierte Huber die Gestaltung öffentlicher Rechte und Pflichten. Er hielt es für angebracht, die Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht, die Georg Jellinek im wesentlichen begründet hatte, zu redefinieren, da er sie "immer noch nicht befriedigend festgelegt"97 vorfand. In Auseinandersetzung mit bedeutenden aktuellen Autoren zum Staatsrecht, mit dem nunmehr schon verstorbenen Otto Mayer, mit Friedeich Giese, Ottmar Bühler, Lutz Richter und Walter Jellinek, die alle eine eng beschränkte Begriffsbestimmung etwa auf eine gliedliehe Stellung des Berechtigten zum Staat, eine ausschließliche Befugnis oder ein Können, eine rechtlich erweiterte natürliche Freiheit gesucht hatten, forderte Huber eine weite Umschreibung des Begriffs vom subjektiven öffentlichen Recht: "Subjektives öffentliches Recht istjede Befugnis innerhalb einer Rechtsbeziehung, an der mindestens ein Träger hoheitlicher Gewalt in dieser Eigenschaft beteiligt ist." 98 Auch hier nahm Huber für sich in Anspruch, das in der Literatur seiner Ansicht nach oftmals verkannte Funktionieren des Rechtsstaats zu erklären: "Erst wenn man erkennt, daß der Staat nicht Herr des Rechtes ist, daß er vielmehr selbst unter der Idee des Rechtes steht, kann nachgewiesen werden, daß der Staat an die von ihm gesetzte positive Ordnung gebunden ist.( ...) Nur diese Bindung ermöglicht nach innen die Verwirklichung des Rechtsstaates. Nur diese Bindung ermöglicht auch die Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat."99
Der Inhalt der rechtlich begründeten Befugnis zerfiel nach Huber in hoheitliche Befugnisse, positive Ansprüche und Freiheitsrechte, die sich aber nicht mit dem staE.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.37-40. Ebenda, S. 40-42. 97 Ebenda, S.44. 98 Ebenda, S. 45. 99 Ebenda, S. 43.
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tus activus, positivusoder negativus im Sinne des "Systems der subjektiven öffentlichen Rechte" Georg Jellineks deckten. Fehlte es dem Träger einer hoheitlichen Befugnis in der Regel an einer staatlichen Organstellung, wie Jellinek sie gefordert hatte, erreichte er also keinen aktiven Status, so mußte auch ein Anspruchsinhaber nicht notwendig staatsbürgerliche Rechte geltend machen, wie es Jellineks Definition des positiven Status entspricht. Lediglich die Freiheitsrechte waren mit dem negativen Status identisch. Huber sah die Persönlichkeitsrechte bezeichnenderweise nicht als natürliches Recht an, sondern als ,,reale Tatsache", die der staatlichen Anerkennung zugänglich, ihr aber nicht vorgeordnet war. 100 Hoheitliche Befugnisse konnten entweder von Rechtssubjekten des öffentlichen Rechts oder solchen des Privatrechts ausgeübt werden. Huber erkannte die Schwierigkeiten an, die eine Abgrenzung des "beliehenen Unternehmers" insbesondere von der Körperschaft des öffentlichen Rechts bereiten würde. Er wählte für diesen eine zeitgebundene Definition, in der nicht juristische, sondern wertende politische Begriffe das Übergewicht hatten: "Wirtschaftsführung durch öffentliche Körperschaften ist staatssozialistisch, Wirtschaftsführung durch beliehene Unternehmer ist privatwirtschaftlich orientiert." 101 Als hoheitliche Befugnisse nannte Huber Monopole und Privilegien. Monopole als Befugnis zur ausschließlichen Bewirtschaftung eines Gutes hatten die Verwaltungsstellen zur Verwaltung des Post- und Telegraphenregals und des Branntweinmonopols inne. Jeweils besondere öffentliche Anstalten verwalteten das Notenregal, das Bahnregal und das ArbeitsvermittlungsmonopoL Die öffentlichen Körperschaften der Kohle- und Kaliwirtschaft handhabten das Kohlen- und das Kali-Verkaufsmonopol. Die Ausübung des Zündwarenmonopols und des Maismonopols war beliehenen Unternehmern übertragen. Die Bezeichnung "Regal" für ein öffentliches Wirtschaftsmonopol war zwar noch nicht abgekommen, doch war die Verwendung durch Huber in dieser Frequenz doch ungewöhnlich. Das ,,Privileg" war Anfang der Dreißiger Jahre nur noch im Steuerprivileg der Rechtssprache erhalten geblieben. Dennoch bezeichnete Huber so die Übertragung einzelner Hoheitsbefugnisse, die sonst als Konzession bezeichnet wurden. Das Privileg bedeutete aber eine Bevorrechtung gegenüber Dritten, nicht wie die Konzession die Anerkennung eines im Prinzip bestehenden Anspruchs im Einzelfall, beispielsweise auf eine Genehmigung. Als Privilegien nannte Huber die der Notenbanken, Konsumvereine, der Getreidehandelsgesellschaft, der Kleineisenbahnen, der Fernmeldeanlagen, besondere Fälle der Wegenutzung durch Versorgungsunternehmen sowie Märkte und Börsen. Ansprüche auf sachliche Leistungen bezogen sich nach dem Urteil Hubers in der Regel auf öffentliche Anstalten und Körperschaften, nicht auf den Staat unmittelbar. Im Vordergrund standen hier die Beiträge und Leistungen der Sozialversicherung, weiter die der gewerblichen Kammern und Innungen. Den ablieferungspfiichtigen 100
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Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 48.
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Unternehmern, die im Wrrtschaftsbereich eines Monopolisten tätig waren, stand je nach ihrer Beteiligungsziffer ein Anspruch auf Abnahme ihrer Ware und Zahlung der Beteiligungsquote zu. Beides waren öffentlichrechtliche Ansprüche. Das galt insbesondere für die Syndikate der Kohlen- und Kaliwirtschaft.
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Achtes Kapitel
Wirtschaftsrecht 1930-1933 I. Rahmenbedingungen und Forschungslandschaft des Wirtschaftsrechts in der Zeit der Wirtschaftskrise 1. Politik und Wirtschaft in der Weltwirtschaftskrise
Die Politik der Kabinette Brüning hatte sich mit der ersten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen 1 schon auf einen autoritärstaatlichen Kurs begeben und eine neue Phase der "Kollektivwirtschaft" 2 unter dem Vorzeichen der allgemeinen Deflationspolitik eingeleitet. Unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise waren die Koalitionsbemühungen der Industrie mit den Gewerkschaften gescheitert. Die Vertreter der Schwerindustrie zielten nunmehr auf eine Verständigung mit der extremen Rechten insbesondere im "Alldeutschen Verband" und mit den Nationalsozialisten ab.3 Die Rufe nach der Reform der Reichsverfassung und des Reichs als solchem wollten nicht mehr verstummen und erreichten 1930 mit dem endgültigen Zerfall der Reichstagsmehrheit ihren vorläufigen Höhepunkt. 4 Der Reichstag dankte praktisch ab. 5 Schließlich wichen die Versuche der Brüning-Ära, eine auf den Reichspräsidenten verlagerte Legislative zugunsten einer Reform des Reichs zu schaffen, den korporativ-autoritären Verfassungsreformplänen der Kanzler Papen und Schleicher. Der voranschreitende Zerfall des Verfassungsgefüges war von UDkoordinierten wirtschaftlichen Notmaßnahmen begleitet. Die staatsrechtlich-verfassungspolitische Position Carl Schmitts hatte sich im Prozeß Preußen contra Reich durchgesetzt. Andere Staatsrechtler, die der Weimarer Verfassung innerlich näher standen, suchten nach Reformen auf konstitutionellem Wege. Die Rechtswissenschaft und insbesondere die Staatsrechtswissenschaft waren in hohem Maße von der 1 VO des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom I. Dezember 1930 (enthält auch die sog. Gemeinnützigkeits-VO). Dieser und weitere Nachweise bei K. W. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, S. 256. H. Schulze, Weimar, S.l 00: 1930 ergingen fünf, 1931 vierundvierzig und 1932 sechzig Diktaturverordnungen. 2 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, 1931, S.l5. 3 F. Blaich, Staatsverständnis und politische Haltung der deutschen Unternehmer 918-1930, S. 176. U. Wengst, Unternehmerverbände und Gewerkschaften in Deutschland im Jahre 1930, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1977, S. 99-119. 4 Kennzeichnend: H . Freyer, Revolution von Rechts, Jena 1930. 5 H. Schulze, Weimar, S. 100; G. Schulz, Triebkräfte und Ziele der Reichsreform nach der Weimarer Verfassung, in: R. Morsey (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte, S. 93-99.
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Reformdebatte absorbiert. 6 Nur wenige erhoben als Verteidiger des Rechtsstaats und der Republik ihre Stimme in der gebotenen Deutlichkeit. 7 Da vor dem Hintergrund der an die Monarchie angelehnten Vision von überparteilichem Staat und unbestechlicher Bürokratie eine Rückkehr zum Parlamentarismus der Parteien nicht mehr möglich schien, lockten bündische und ständestaatliche Modelle, während man mehrheitlich in der Hoffnung auf eine Normalisierung auf das Präsidialregime setzte. 8 Die institutionalisierte Forschung ist typischerweise Grundlagenforschung und damit nicht am aktuellen Geschehen orientiert. Eindrucksvolllang ist der Zeitraum, der zwischen dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 und den wissenschaftlichen Reaktionen zu ihrer Bewältigung durch das Wirtschaftsrecht liegt, in dem auch eine krisenhafte Stimmung nur bei kritisch eingestellten Wissenschaftlern zu spüren ist. Tatsächlich überstürzten sich - als solche unterschätzt - die tagespolitischen Maßnahmen während der "Präsidialdiktatur"9 1930/32 mit ihren fünf Sammelnotverordnungen: Landwirtschaftlicher Vollstreckungsschutz, Bändigung der Kartelle, Auflockerung des Tarifvertragssystems, Anbahnung einer Aktienrechtsreform und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch den großangelegten Versuch, gleichzeitig Löhne, Gehälter, Zinsen, Mieten und Preise zu senken. 10 Die meisten gemäßigten Vertreter des Wirtschaftsrechts fühlten sich eher der Entfaltung eines überzeitlich dauerhaften, ordnungsstiftenden rechtlichen Rahmens als lediglich der Krisenintervention verpflichtet. Die Veränderungen blieben nicht unbeachtet, 11 doch ließen Neuansätze zur Bewältigung der Krise, welche über die reine Analyse hinausgingen, auf sich warten. Wie in den Zeiten der wirtschaftlichen Krisen der Revolutions- und Aufbauphase der Weimarer Republik bis zur Periode der Inflation empfand man in der Weltwirtschaftskrise generell wieder die Notwendigkeit der Grundlagen- und Grundsatzforschung im Wirtschaftsrecht 12 Im Schat6 C. Düssel, Der konstitutive Weg der Verfassungsreform, in: F. Berber (Hrsg.), Zum Neubau der Verfassung, Berlin 1933, S. 171-178; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung passim; diese Schrift war die monographische Rechtfertigung der Diktatur des Reichspräsidenten, die Schmitt gutachtlich vor dem Reichsgericht im Prozeß Preußen contra Reich unterstützt hatte. Huber hatte in der konservativen Wochenschrift "Der Ring" und im "Deutschen Volkstum" das Ende der Demokratie mehrfach angemahnt, so insbesondere ders. , Demokratie und Wirtschaft, Der Ring 1930, S. 323-325. G. Schulz: Triebkräfte, Ziele, S. 71-93. 7 H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur? Tübingen 1930. F. Darmstaedter, Die Grenzen der Wirksamkeit des Rechtsstaates, Heidelberg 1930. 8 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S.l09. 9 J. W. Hedemann, Das Wirtschaftsrecht - Rückblick und Abschied, Festschrift Hueck, 1959,5.397. 10 VO. v. 26. Juli u. 1. Dezember 1930, v. 5. Juni, 6. Oktober, u. 8. Dezember 1931. 11 J. Popitz, Der öffentliche Finanzbedarf und der Reichssparkommissar, Bank-Archiv 1930/31, S. 21-25. H. Kronstein, Preissenkung und gebundene Wirtschaft, Justiz 1930/1931, S.183-187. 12 Erst zum Sommersemester 1933 wurde Klausing zusammen mit de Boor an der Universität Frankfurt am Main die Errichtung eines "Instituts für Rechtstatsachenforschung und an-
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8. Kap.: WJrtschaftsrecht 1930-1933
ten der sich immer deutlicher manifestierenden Wandlung des Rechts- und Verfassungsgefüges artikulierten sich auch in Randzonen des Wirtschaftsrechts Ansätze zu einer Umorientierung und einer Ausnutzung des Wandels im Sinne sozialistischen, im weiteren Sinne "sozialrechtlichen" oder aber konservativen Organisationsdenkens und vornehmlich der ,,konservativ-revolutionären" Gestaltung. Spezifisch nationalsozialistische Tone waren in der "offiziellen" Doktrin noch nicht zu vernehmen, sie blieben noch im Raum politischer Tagesdiskussion. Um so deutlicher ist ein Macht- und Autoritätsvakuum zu spüren, dem teils bereits eine Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten oder ein Umbau der gesamten Verfassung abhelfen sollte, um den Primat des Staates vor der Wirtschaft zu sichern. Das Privatrecht der letzten Weimarer Jahre war stark von Organisationstendenzen, einer vertieften Karteliierung und Bürokratisierung gekennzeichnet. Im öffentlichen Recht bestand eine gegenläufige Tendenz. Hatte Walter Jellinek zu Beginn der Zwanziger Jahre ein Vordringen der schlichthoheitlichen Verwaltung mit kommerziellen Anreizen zu Lasten der obrigkeitlichen Verfügung berichtet, so beobachtete Walter Kaskel im Gegensatz zur von Artbur Nussbaum angesprochenen Dekommerzionalisierung ein Eindringen des Wirtschaftsgeistes in den Bereich von Staat, Kommunen und anderen öffentlichen Verbänden und Einrichtungen. Andererseits verzeichnete er bei den Großunternehmungen das Vordringen eines bürokratischen Geistes aus der Sphäre des alten Staats- und Kommunalbetriebes. Der tatsächliche Grund für diese Wahrnehmungen lag in der Unternehmensgröße und der Verwaltungslastigkeit der Aktiengesellschaften. In programmatischer Erweiterung dieser Tendenzen entfaltete sich die Kontroverse um die weiterhin vorangetriebene Aktienrechtsreform. Vertreter der staatswirtschaftlichen Richtung hatten das Ziel, volkswirtschaftliche Interessen und das "gemeine Beste" in die Hände des Unternehmensfunktionärs zu bringen, der auf privatkapitalistischer Grundlage ein Stück nationalen Gutes verwalten sollte. Dagegen ging es für die Betonung der Autonomie des Aktienrechts und des Institutscharakters der Aktiengesellschaft darum, unter Abbau der Hemmnisse der Bürokratie Anschluß an das "lebende Recht" der wirtschaftlichen Dynamik zu finden. 13 2. Schwerpunkte der Entfaltung des Wirtschaftsrechts
Innerhalb weniger Jahre seit ihrer Gründung vor dem Ersten Weltkrieg hatte die juristische Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main eine anerkannte Stellung erreicht. Man hatte sich besonders den neuen Gebieten der Rechtswissenschaft, insbesondere dem Arbeitsrecht, gewidmet. Sinzheimer hatte gewandtes Wrrtschaftsrecht" genehmigt, berichtet B. Diestelkamp, Juristen an der Universität Frankfurt arn Main, S. 23. 13 Vgl. die monographische zeitgenössische Zusammenfassung bei 0 . Netter, Zur aktienrechtlichen Theorie des ,.Unternehmens an sich", Festschrift Pinner 1932, S.507-612. A. Riechers, Das Unternehmen an sich, S.11 f, 16f, 64ff.
I. Rahmenbedingungen in der Zeit der Wirtschaftskrise
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seine "Akademie der Arbeit" in die Nähe der Universität gebracht und ihr damit über die akademische Ausbildung hinaus Anerkennung verschafft. An dieser Fakultät trieb der Handelsrechtier Friedeich Klausing den Gedanken und die praktische Umsetzung des Wirtschaftsrechts voran. 14 Die institutionellen Schwerpunkte am Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht, an der Handelshochschule Mannheim und ferner der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nürnberg blieben im wesentlichen wie bisher bestehen. Im Zuge einer nahezu unmerklich voranschreitenden Isolation Justus Wilhelm Hedemanns durch die übrigen Wirtschaftsrechtier hatte das Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht zwar nicht den Glanz seiner wissenschaftspolitischen Ausstrahlungskraft, jedoch seine wissenschaftlich wirksame Dynamik in schleichender Weise eingebüßt. Ausdrücklich hatte sich niemand von ihm distanziert. Doch hatte Hedemanns Auffassung vom Gegenstand des Wirtschaftsrecht als Element eines "waltenden Zeitgeistes" keine namhaften Anhänger gefunden. Der Respekt vor dem Wissenschaftler Hedemann und der Arbeit des Instituts war zwar geblieben, doch ergab sich hieraus keine inhaltliche wissenschaftliche Wrrkung Hedemanns über sein eigenes Schrifttum hinaus. Bereits in seinem Artikel "Wirtschaftsrecht" im Handwörterbuch der Rechtswissenschaft aus dem Jahr 1929 modifizierte Hedemann seinen eigenen Ansatz, indem er ihm eine neutrale sozialwissenschaftliche Grundlage zuwies, während er die von ihm selbst früher allein in Anspruch genommene "weltanschauliche" Sichtweise nunmehr schwächer betonte, indem er die gesamte ,,rechtssoziologische" Richtung hierunter faßte. 15 Hedemann veröffentlichte unterdessen im gleichen Jahr sein Buch ,,Fortschritte des Rechts im XIX. Jahrhundert", mit dem er an seine Arbeiten zur Vorgeschichte, Entstehung und Entfaltung der Rechtsdogmatik des bürgerlichen Rechts anknüpfte.16 Er hatte stets darauf verwiesen, wie sehr die Kodifikationendes 19. Jahrhunderts sich von der Rechtswirklichkeit und den Tatsachen des Wirtschaftslebens entfernt hätten. Aus dieser Befassung mit der Gesetzgebungsgeschichte zum Handelsgesetzbuch und zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist die das Recht als Gesamtheit umfassende Sicht- und Forschungsweise Hedemanns zu verstehen. Entsprechend seiner stets an historischen Größen und Rechtskategorien orientierten Darstellungsweise meinte er eine Wandlung des dem Recht zugrundeliegenden Zeitgeistes beobachten zu können. Vor diesem Hintergrund der fortgesetzten Befassung mit der Gesetzgebungsgeschichte und der Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft ist sein Beharren auf dem vom Wirtschaftsdenken bestimmten Wandel des gesamten Rechtsden14 Beispielsweise F. Klausing, Wirtschaftsrecht, in: K. Bott (Hrsg.), Handwörterbuch des Kaufmanns, Band V, 1927, S.1048. IS J. W. Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, 1929, s. 933. 16 Vgl. J. W. Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, 1913; ders., Die Bedeutung der neuen Verfassung für das bürgerliche Recht, DJZ 1919, S. 769-774; ders., Das Bürgerliche Gesetzbuch nach 25 Jahren, DJZ 1925, S.5.
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8. Kap.: Wirtschaftsrecht 1930-1933
kens zu verstehen und zu bewerten. Auch Hedemanns Darstellungsweise, die stets mehr auf die große Linie als auf die Nähe zur Ausdifferenzierung des bürgerlichen Rechts in seine Einzelmaterien bedacht war, läßt auf ein Denken in großen Linien schließen. Zwar befaßte er sich in jeder Phase seines Schaffens auch mit Detailfragen, doch ließ er nur die historische Entwicklungslinie und den Überblick über das Ganze als Maßstab für neuere Forschung gelten. Werner Spohr, der Herausgeber der Gesetzessammlung "Wirtschaftsrecht", würdigte 1930 Hedemann als den "bedeutendsten Förderer" des Wirtschaftsrechts. Hedemanns Theorie sei im erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Sinne grundsätzlich verschieden von den Ansätzen der Sammettheorie Nussbaums und der gegenständlichen Theorie Kaskels. 17 Besonders in Hedemanns Analyse ,,Reichsgericht und Wirtschaftsrecht" beobachte dieser zutreffend eine langsame Ablösung der Bindung an die Gesetzestexte in den Hauptgebieten der Koalitionsfreiheit, des Kartellrechts des Arbeitsrechts, der Gemeinwirtschaft und der Sozialisierung, die sich auch in der organisatorischen "Absplitterung" des Reichsfinanzhofs, des Reichswirtschaftsgerichts mit dem Kartellgericht und des Reichsarbeitsgerichts veranschaulichen lasse. 18 Wie dieser Beitrag einmal mehr zeigt, konnte sich Hedemann mehr als andere Wirtschaftsrechtslehrer einer großen Anhängerschaft unter den Rechtspraktikern des Wirtschaftsrechts auch außerhalb seines Schülerkreises sicher sein. Das zeigt auch Spohrs Würdigung von Hedemanns "sinnhistorischer Analyse", wonach der Wirtschaftsgeist zunächst vorgedrungen sei, zu einer Vorherrschaft der Rechtsanwender über den "inaktiven" Gesetzgeber geführt habe, wobei insbesondere das richterliche Gestaltungsrecht aus dem Freirechtsproblemkreis erwachsen sei. 19 Wirken diese Vorzüge des Ansatzes Hedemanns zunächst praxisfern, so offenbaren sie auf den zweiten Blick gerade für die Wirtschaftsjuristen einen besonderen Reiz. Denn Hedemann schien für das oft beklagte Dilemma der immer komplizierter werdenden Wirtschaftstatsachen rechtliche Lösungen anzubieten, welche die Probleme der Wirtschaft die erste Stelle vor den rechtlichen Kautelen einzuräumen schienen. Hedemanns Schüler, der langjährige Assistent am Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht George Löning setzte sich 1930, im letzten Jahr seiner Jenaer Tätigkeit vor seiner Berufung nach Greifswald behutsam von Hedemanns Ansätzen ab. Er verfolgte eine wissenschaftliche Linie, welche die Deutung des Wirtschaftsrechts als einer allgemeinen "Tonung" des positiven Rechts mit wirtschaftlichem Denken nicht ausschloß, sie jedoch auch nicht theoretisch untermauerte. Mit seiner Untersuchung "Autonomes Recht der Wirtschaft", die in den "Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht" erschienen war, verfolgte er im induktiven Untersuchungsgang die Entfaltung der Geschäftsbedingungen und Vertragswerke der wirtschaftlichen Unternehmen. Eine zusammenfassende Untersuchung hierzu war noch nicht vorgelegt worden. W. Spohr, J. W. Hedemanns Arbeiten zum Wtrtschaftsrecht, ZHR 1930, S. 193-198, S. 194. Ebenda, S.l95. l9 Ebenda, S.197.
17 18
II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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Inspiriert von Löning, jedoch weniger auf die Bedürfnisse der Wissenschaft bedacht, errichtete der Bankier und Förderer von Hedemanns Jenaer Institut für Wirtschaftsrecht Arwed Koch seine Unterscheidung vom "Recht aus der Wirtschaft" und dem "Recht für die Wirtschaft". Letzteres greife hemmend in die Autonomie der Wirtschaft ein, während Koch die Wirtschaft selbst als aus ihrem "Überlebensdrang" heraus treibende Kraft ihres selbstgeschaffenen Wirtschaftsrechts verstand. Koch artikulierte zwar deutlich seine gegen die Notverordnungspolitik gerichtete Einstellung, trug aber bis auf die Forderung der Teilnahme von Wirtschaftspraktikern am wirtschaftsrechtlichen akademischen Betrieb nur eine Vision von einem Wirtschaftsrecht als dem selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft vor, dem er zwar praktische, jedoch keine theoretischen Leitbilder und Abgrenzungen zu geben vermochte. 20 Auf die nachdrücklichen Forderungen aus der Lehre hin hatten sich die Justizverwaltungen Preußens, Thüringens und nach und nach einiger weiterer Länder dazu veranlaßt gesehen, das Fach Wirtschaftsrecht als ein zusätzliches Gebiet für die Studienpläne der Rechtswissenschaft zu empfehlen. Wie im Handelsrecht waren zweistündige Vorlesungen vorgesehen. Für die preußischen Absolventen der Referendarsprüfung machte die Prüfungsordnung das Wutschaftsrecht seit 1925 auch zum Prüfungsgegenstand "beider Tage", also der zwei (einzigen) mündlichen Prüfungstermine. 21 Doch nicht nur die Wissenschaft tendierte zu einer wirtschaftsrechtlichen Betrachtungsweise, auch die Praxis forderte immer lauter den "Wutschaftsjuristen", wobei durchaus Unklarheit herrschte, was unter dieser Bezeichnung eigentlich zu verstehen war. 22
II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme des Wirtschaftsrechts 1. Die Festschrift als Querschnitt und Spiegel der Literatur zum Wirtschaftsrecht
Den umfassendsten zeitgenössischen Überblick über die Entwicklung des gesamten Wirtschaftsrechts der Weimarer Zeit bot Friedrich Klausing 1931, also gegen Ende des verfassungsmäßigen Weimarer Rechtslebens. 23 Sein Beitrag "Wirtschaftsrecht" war die in monographischer Breite angelegte Einleitung der "Beiträge zum Wirtschaftsrecht", der Festschrift für Ernst Heymann zu dessen 60. Geburtstag. Klausing, Hans Carl Nipperdey und Artbur Nussbaum hatten für dieses zweibändige Sammelwerk eine Vielzahl von Autoren zur Darstellung der Allgemeinen A. Koch, Wirtschaftsrecht, Bank-Archiv 1931/1932, S.129f. W. Kaske/, Gegenstand und systematischer Aufbau des Wirtschaftsrechts, JW 1926, s. 11-13. 22 W. Feilchenfeld, Einführung in die juristischen Berufe IV: Der Wirtschaftsjurist, Deutsche Juristen-Zeitung 1930, Sp.1677-1679. 23 Zur Vita Klausings B. Diestelkamp, Friedrich Klausing, in: ders., M. Stolleis (Hrsg.), Juristen an der Universität Frankfurt am Main, S.171-186. 20 21
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8. Kap.: Wirtschaftsrecht 1930-1933
Rechtsentwicklung und der Geschichte (1. Band), und von nach Stoffgebieten getrennten Darstellungen zu Einzelfragen (2. Band) des Wirtschaftsrechts gewinnen können. Die Festschrift, die in der Reihe der von Heymann herausgegebenen "Arbeiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht" erschienen war, konnte demgemäß einen repräsentativen Schnitt des Forschungsstandes zum Wirtschaftsrecht bieten. 24 Die Protagonisten des Wutschaftsrechts in Forschung und Lehre waren mit Ausnahme Hedemanns alle vertreten. Es mag Klausing ein Anliegen gewesen sein, Hedemann von der Mitarbeit an der Festschrift Heymann auszuschließen. Denn nicht nur einmal äußerte sich Klausing äußerst kritisch zu Hedemanns "weltanschaulicher" Deutung des Wirtschaftsrechts. Dieser sei den wissenschaftlichen Beleg für seine Thesen schuldig geblieben. 25 Dementsprechend erschien, ob von Hedemann unmittelbar veranlaßt oder nicht, eine Rezension in den "Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wrrtschaftsrecht" von dem Jenaer Studenten der Rechte Hansen, einem Seminarteilnehmer in Hedemanns Privatseminar. Nach Darstellung des Rezensenten war das erste große Sammelwerk zum Wirtschaftsrecht zwar ein "wertvoller Beitrag" zum angesprochenen Problem, könne aber wegen des fehlenden Beitrags Hedemanns keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. 26 Hansen spielte die Beiträge Karl Geilers und Bugen Rosenstocks, wonach "das ganze Rechtsleben von wirtschaftlichem Geiste durchdrungen sei", gegen den zentralen Aufsatz Klausings aus. Die Festschrift habe damit "die Richtigkeit der Ansicht Hedemanns gezeigt". Der Rezensent postulierte eine bis dahin nicht zu beobachtende Zweiteilung in die "weltanschauliche" und die "gegenständliche" Theorie über das "Wesen des Wirtschaftsrechts". Damit vereinnahmte er die rechtssoziologische Richtung für die "weltanschauliche" Theorie, wie dies bereits Hedemann zwei Jahre zuvor getan hatte und drängte den Ansatz des Wrrtschaftsrechts als dem Recht der "organisierten Wirtschaft" vollends beiseite. Die Rezension schloß mit der Forderung, künftig zur systematischen Erfassung des Wirtschaftsrechts "im Sinne Hedemanns" auch diejenigen Materien heranzuziehen, die nicht reines Handelsrecht darstellten. 27 hn übrigen wurde die gesamte Festschrift in der Literatur durchwegs als eine nicht nur für das Wirtschaftsrecht herausragende Leistung, sondern sogar als eine "über das Normalmaß der zahlreichen rechtswissenschaftliehen Publikationen der Die Festschrift war die Nr. 62 in Heymanns Reihe. Zwar führte offenbar die Rivalität Klausings mit Hedemann dazu, letzteren nicht an der Festschrift zu beteiligen. Hedemann scheint dies aber nicht auf Dauer gekränkt zu haben. Jedenfalls bezeichnete Hedemann die erste Festschrift Heymann und vornehmlich den zentralen Beitrag Klausings als kenntnisreich und gehaltvoll. Diese Bewertung nahm Hedemann an verwandter Stelle neun Jahre später in der zweiten Festschrift zu Heymanns 70. Geburtstag 1940 vor: J. W. Hedemann: Der historische Wert der Studien Ernst Heymanns zum Recht der militärischen Kriegswirtschaft (Weltkrieg 1914/18), S. 35. 26 Hansen, Rezension: Beiträge zum Wrrtschaftsrecht, Festschrift für Ernst Heymann, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wrrtschaftsrecht, Heft 24, Oktober 1932, S.42f, insbes. S. 41. 27 Ebenda, S.42. 24
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II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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letzten Jahre hinausgehende Arbeit" gewürdigt. Klausings "Wirtschaftsrecht" und ferner Geilees "Modeme Rechtswandlungen auf dem Gebiete des Privatrechts" standen dabei im Mittelpunkt. 28 Ernst Rudolf Huber, der in der Zeit vor dem Erscheinen der "Beiträge zum Wirtschaftsrecht" noch mit der Abfassung seiner Bonner Habilitationsschrift "Wirtschaftsverwaltungsrecht" befaßt war, und mit anderen Schriften zum Wirtschaftsrecht noch nicht an die Fachöffentlichkeit getreten war, zählte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Kreis der bekannten Wirtschaftsrechtler. Neben dem zentralen Aufsatz von Klausing lagen mit der Festschrift Heymann große Beiträge von Karl Geiler und Eugen Rosenstock zu Grundsatzfragen von Methode und Abgrenzung und zur eigenständigen Rolle des Wirtschaftsrechts gegenüber dem Privatrecht vor. 29 Weitere Vertreter des Wirtschaftsrechts wie Artbur Nussbaum, Paul Gieseke, Julius Flechtheim und Heinrich Lehmann, um nur die für die Diskussion jener Jahre wichtigsten zu nennen, ferner Hans Carl Nipperdey und Alfred Hueck waren mit kleineren Aufsätzen zu Einzelfragen eines Wirtschaftsrechts in einem weitesten Sinne, nach traditioneller Deutung30 aber mit Materien des allgemeinen Bürgerlichen Rechts, des Gesellschaftsrechts und des Handelsrechts beteiligt. Neben den allgemeinen und den rechtsgeschichtlichen Beiträgen umfaßte die Festschrift Aufsätze zum Unternehmensbegriff und -recht, dem Handelsrecht, Aktienrecht, Umwandlungsrecht, Wechselrecht und dem Versicherungsrecht Die privatrechtliehen Materien überwogen daher in diesem Sarnrnelwerk. 2. Wirtschaftsrecht als Rechtsdisziplin bei Friedeich Klausing
Im Zentrum des Aufsatzes von Friedeich Klausing stand der Versuch, innerhalb der Vielzahl von Richtungen und Vorstellungen vom Wirtschaftsrecht ordnende Grundlinien zu ziehen und dadurch den gegenwärtigen Zustand des in den vorangegangenen dreizehn Jahren gewordenen Wirtschaftsrechts zu erfassen. Das Ergebnis war ein umfassender Überblick über das Wirtschaftsrecht in seinen privatrechtlichen, öffentlichrechtlichen und "sozialrechtlichen" Ausprägungen. Klausing konnte dabei die gerade zu Anfang des Jahres 1931 erschienene Habilitationsschrift Ernst Rudolf Hubers nicht mehr beriicksichtigen, wenn er überhaupt auf sie aufmerksam geworden war. Jedoch konnte er noch während der Drucklegung noch eine Stellungnahme zu Carl Schmitts "Hüter der Verfassung" einfügen, wenn auch ein systematischer Bezug nicht mehr herzustellen war. 28 F. Haussmann, Gibt es ein Wrrtschaftsrecht?, Bank-Archiv 1931/1932, S. 189; ferner H. Schachian, Das Wirtschaftsrecht und sein Norrnenkreis, JW 1932, 5.1621. 29 K. Geiler, Modeme Rechtswandlungen auf dem Gebiete des Privatrechts, in: F. Klausing, H. C. Nipperdey, A . Nussbaum (Hrsg.), Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Band I, S. 173-212; E. Rosenstock, Über einige neue Grundbegriffe des Privatrechts, ebenda, S. 213-228. 30 Dies entsprach auch wohl der zeitgenössischen Deutung wie beiHansen, Rezension: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, S. 42.
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8. Kap.: Wirtschaftsrecht 1930-1933
Klausings Darstellung gliedert sich in eine Einleitung und vier weitere Teile. Der Einleitung zum Stand des Wirtschaftsrechts in Forschung und Lehre folgt eine Begriffsbestimmung und eine geschichtliche Herleitung des Wl.rtschaftsrechtsbegriffs aus der Kriegswirtschaft einerseits und den "Faktoren ideologischen Charakters" andererseits. Schließlich kritisierte Klausing ausführlich die verschiedenen Theorien zum Wirtschaftsrecht und arbeitete einen eigenen Vorschlag aus, das Handelsrecht für die Zwecke von Forschung und Lehre zu einer Oberdisziplin "Wirtschaftsrecht" weiterzuentwickeln. Anband der Gegensätze der vordringlichen Lehrmeinungen dokumentierte Klausing in der Einleitung eine noch immer unzureichende wissenschaftlich-systematische und rechtsdogmatische Erfassung des Wirtschaftsrechts. Er erklärte dies mit der Unschärfe des Wirtschaftsrechtsbegriffs und dessen Abgrenzung gegen die überkommenen Rechtsdisziplinen. Auf dieser Grundlage stelle eine Auseinandersetzung über die Wirtschaftsverfassung ein schwerwiegendes Problem dar. Die selbst noch junge Geschichte des Wirtschaftsrechts, die überdies noch keine Darstellung gefunden habe, schaffe zudem eine schwierige Ausgangsposition. 31 Tatsächlich hatte 1930 Franz Schlegelberger, Ministerialdirigent im Reichsjustizministerium und Professor an der Berliner Universität, in seiner offiziös gehaltenen Schrift "Die Entwicklung des Deutschen Rechts" für den Zeitraum von 1915-1930 das Wirtschaftsrecht noch ignoriert. Diese als Gesamtbilanz der Rechtsentwicklung angelegte Monographie hatte als Wachstumsbereiche nur das Finanz- und das Sozialrecht verzeichnet. Schlegelherger stand mit dieser Einschätzung, die das Wl.rtschaftsrecht für eine vorübergehende Zeiterscheinung erklärte, trotz der Entfaltung des Wirtschaftsrechts auch zu Beginn der Dreißiger Jahre durchaus nicht allein, vielmehr befand er sich mit der allgemeinen Lehrbuchliteratur des Zivilrechts und des Verwaltungsrechts zu diesem Zeitpunkt weitgehend im Einklang. 3. Klausings Urteil über die Rechtsentwicklung Klausing hatte vor der systematischen Analyse die Genese des Wl.rtschaftsrechts diagnostiziert und detailliert berichtet. Danach hatte sich der Ruf nach einem Wirtschaftsrecht bereits in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre sehr rasch verbreitet. So konnte Klausing in seiner Einleitung "herkömmlich zwei (oder drei) Hauptgruppen von Lehrmeinungen" 32 unterscheiden. Die eine Gruppe ging danach von den Normen und Institutionen aus, die den Gegenstand des Wirtschaftsrechts bilden sollten. Klausing verstand darunter ein breites Spektrum von Meinungen, das von der Anerkennung des Wirtschaftsrechts als bloßer "Sammelbezeichnung", als "Sammelbegriff" für die rechtliche Ordnung "wirtschaftlicher Verhältnisse überhaupt" bis zur ganz bestimmten Beschränkung auf die Regelungsgegenstände der "gebundenen" 31 32
F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 11.
Ebenda, S. 3.
II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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"organisierten" Wirtschaft reichte. 33 Die zweite Gruppe legte das Gewicht nicht auf das Gegenständliche, auf die Rechtsmaterie, sondern sah im "Wirtschaftsrecht" einen Ausdruck der "Wirtschaftsgesinnung", des "Wutschaftsgeistes" der Zeit. Dieser insbesondere von Justus Wilhelm Hedemann repräsentierten "Theoriegruppe" ordnete Klausing als gewissermaßen dritte Gruppe die Anhänger der "soziologischen" Jurisprudenz zu. Sie umfaßte die Autoren, die unter dem "Wutschaftsrecht" die Anwendung der rechtssoziologischen Methode auf die das Wutschaftsleben betreffenden Rechtsgebiete verstanden. Trotz der auf Hedemanns eigene Auffassung gestützten Einteilung, welche die "weltanschauliche" Sichtweise Hedemanns als logisch übergeordnete Gruppierung gegenüber der sozialwissenschaftliehen Richtung erscheinen ließ, 34 reflektiert der Bericht Klausings eine seit etwa 1925, jedenfalls aber seit der Dokumentation durch Walter Kaskel Anfang 1926, unveränderte Verteilung der theoretischen Positionen. 35 Den unmittelbaren Anlaß für die verbreitete Wahrnehmung und die rasche Ausbreitung des Wirtschaftsrechts erblickte Klausing nach "gewissen Ansätzen der Vorkriegszeit", also dem Schutz der Kaliwirtschaft durch deren vermittels gesetzlichem Druck herbeigeführten Karteliierung und der Ausbreitung der öffentlichen Wirtschaft vornehmlich in der "gemischtwirtschaftlichen Unternehmung", vor allem im Recht der "Kriegswirtschaft". Mit Artbur Nussbaum und anderen Autoren beobachtete Klausing gerade in den öffentlichen Regelungen des Wirtschaftslebens im Weltkrieg das entscheidende Moment für die Entstehung des Wutschaftsrechts. Anschließend, im Gefolge der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umwälzungen der Nachkriegszeit, hätten Gesetzgebung und Wissenschaft unter dem Eindruck des Rufs nach Sozialisierung, nach Gemein- und Planwirtschaft das Wirtschaftsrecht ausgebaut und umgestaltet. 36 Im Gegensatz zu Autoren wie Hans Goldschmidt, Ernst Heymann und Adolf Amdt 37 war aber für Klausings eigene Auffassung von der Abgrenzung und der inhaltlichen Definition die "öffentliche Wirtschaftsorganisation kollektivistischen, sozialistischen, staatswirtschaftlichen Gepräges" nicht der Inbegriff des Wirtschaftsrechts. In der Tat hatte sich die öffentliche Wirtschaftsorganisation sich in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre nach der Überwindung der Inflation durch die Rentenmark, die Wiedereinführung der Goldwährung, die Goldbilanzenverordnung und durch die Aufwertungsgesetzgebung 38 im Rückzug befunden. Das Wirtschaftswachstum, das die vom Dawes-Plan veranlaßte ausländische Kapitalinvestition in Ebenda, S.4f. J. W. Hedemann, Art. Wirtschaftsrecht, S. 930-937, insbes. S. 933 f. 35 W. Kaskel, Gegenstand und systematischer Aufbau des Wrrtschaftsrechts, S.11-13. 36 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.13f. 37 s. dazu Reichardt, Wirtschaftsrecht als Rechtsdisziplin und Lehrfach?, JW 1927, S. 11; ferner auch A. Hollaender, Gibt es ein Wirtschaftsrecht?, DJZ 1925, S. 959. 38 H. Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktion, 1924. A. Nussbaum, Die Bilanz der Aufwertungstheorie, 1929. 33
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8. Kap.: Wutschaftsrecht 1930-1933
der Form kurzfristiger privater Kredite bewirkt hatte, leitete eine Hochkonjunkturphase ein, welche die Bedeutung der öffentlichen Unternehmen und Verbände sowie der Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf bis zum Eintritt der Finanzkrise 1929 zurücktreten ließ. 39 Doch ließ der Eindruck der neuerlichen Periode der Notverordnungspolitik Klausing die Erwägung anstellen, das Ringen um das Verhältnis der privaten Erwerbswirtschaft zur öffentlichen oder halböffentlichen, also gemischten Wirtschaft sei noch nicht zu einem Ende gekommen, vielmehr stünde man "überhaupt erst am Anfang einer ganz großen, nicht bloß theoretischen, sondern aktuell-praktischen Auseinandersetzung über die Grundlagen (der) Wirtschaftsverfassung" 40 • Die rechtshistorische Begründung des Wirtschaftsrechts sah Klausing in einem größeren Zusammenhang. Den Ideologien des 19. Jahrhunderts schrieb er eine durch geistige und politische, spezifisch juristische und andere wissenschaftliche Bewegungen und Strömungen bestimmte vorbereitende Rolle für das Wirtschaftsrecht zu. Denn auch wenn nicht ein einheitliches Wrrtschaftsrecht, sondern nur Teilbereiche sachlich gerechtfertigt als Rechtsdisziplinen aufgetaucht waren, wie etwa Gemeinwirtschaft, Kohlen-, Kali- und Elektrizitätswirtschaft, so bedeutete dies für Klausing doch einen tiefen Eingriff in die alte liberale Wirtschaftsordnung, die für das Wirtschaftsrecht den Weg geebnet habe. Klausing zog die Entwicklungslinien vom Sozialismus marxistischer Prägung über die "materialistische" Geschichtsauffassung bei Rudolf Stammler41 hin zur großen ,Juristischen Reformbewegung", die mit ihrer Stoßrichtung gegen die Begriffsjurisprudenz verschiedene Methodenlehren hervorgebracht habe. In der Aufzählung Klausings waren das ,,Freirechtsschule", "Interessenjurisprudenz", "soziologische" Jurisprudenz, ,,Rechtstatsachenforschung" und "dynamische" Rechtslehre. 42 Klausing schlug also das Wirtschaftsrecht den antipositivistischen Reformbewegungen zu. Auch aus rechtshistorischer Perspektive hatte sich das Wirtschaftsrecht auf dem Boden der freirechtlichen und der soziologischen Richtungen besonders stark entfaltet. Die Materialisierung und die Anreicherung des Privatrechts mit den Rechtstatsachen des täglichen Lebens mögen im Wirtschaftsrecht und sogar gerade durch dieses ihren Einzug in die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung gehalten haben. Daher sah sich Klausing in seiner Analyse offenbar veranlaßt, alle Reformbewegungen zusammenzufassen. Diese erscheint aber nicht nur für die von der Staatsrechtslehre geprägte generelle Methodendiskussion, sondern auch im Wirtschaftsrecht zu pauschal. Denn die Reformbewegungen vereinten zwar die Gegner des Rechtspositivismus, jedoch unterschieden sich die Richtungen voneinander in ihren politischen und juristischen Ausprägungen, besonders trugen nicht alle ein antireD. Petzina, Die Deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, S.11 f. F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 16. 41 R. Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung, 3. Auflage 1919. 42 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 20. 39
40
ll. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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publikanisches und antidemokratisches Gepräge. 43 Das Wirtschaftsrecht hatte deshalb gewiß an den Reformbewegungen Teil und war der Schauplatz zahlreicher neuer Anschauungsweisen. Anders als Klausing das unterstellte, lag ihm aber bei alledem ein einheitliches methodisches Prinzip nicht zugrunde. Entstehung und Ausdifferenzierung des Wirtschaftsrechts waren aufgrund seiner in den WJrtschaftstatsachen wurzelnden Betrachtungsweise den Reformbestrebungen gegenüber eigenständig und nicht nur eine aus dieser Bewegung hervorgehende Erscheinung. Klausing, der ohnehin den Vorrang der einzelnen wirtschaftsrechtlichen (Unter-)Disziplinen betont hatte, stellte eine im Sinne einer Rechtsmethode reformistische Tendenz im Wirtschaftsrecht als Disziplin im Ganzen fest. Dies beruhte nach seiner Darstellung auf der materialistischen Betrachtungsweise, in deren Kontext er, sehr eigenständig, das zeitgenössische Wutschaftsrecht einbettete. Diese von Stammler hervorgehobene Forschungsrichtung der Sozialwissenschaften, der Geschichte und der Philosophie habe, schrieb Klausing richtigerweise, zur "Theorie" des Kapitalismus geführt, wie sie schließlich von Max Weber zu einem vorläufigen Abschluß gebracht wurde. Das Verhältnis von Wirtschaft und Recht beherrsche demgemäß auch die Beziehung der historischen Schulen in Rechtswissenschaft und Nationalökonomie, wobei sich Klausing auf die Analyse des Historikers Georg von Below44 berief. Schließlich hatte sich auch wissenschaftshistorisch gesehen die Konvergenz von Wirtschaft und Recht mit einem Schwergewicht auf den Sozialwissenschaften bis in die Zwanziger Jahre hinein verstärkt, bis sie bei Max Weber in der konsequenten Engführung beider Seinsweisen sozialen Lebens, der rechtlichen und der wirtschaftlichen, gipfelte.45 Die materialistische Betrachtungsweise gestand der liberalen Doktrin einer eigenständigen Wirtschaftssphäre kein für sich stehendes Existenzrecht mehr zu. Klausing wollte dagegen das Wirtschaftsrecht wieder auf die Funktionen des autonomen Privatrechts rückbeziehen und ihm dort einen Platz im Rechtssystem zuwei43 / . Maus, "Gesetzesbindung" der Justiz und die Struktur der nationalsozialistischen Rechtsnormen, S. 83 ist allerdings der Meinung, es bestünde, abgesehen von der Sonderrolle Kelsens, in der antipositivistischen Doktrin eine antirepublikanische Tendenz. Justiztheoretisch lassen sich Kontinuitätslinien gewiss ziehen, doch unterstellt sie damit gleichzeitig mit Kriegsende eine plötzliche Hinwendung der Freirechtier etc. zur alten und, noch eigentümlicher, eine Hinwendung der Rechtspositivisten zur neuen Regierungsform. 44 Hier G. v.Below, Die Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen, 1916, S. 1242 ff. Zahlreiche Weimarer Juristen, und nicht nur Wrrtschaftsrechtler, rezipierten die Arbeiten v.Belows auffallend häufig und maßen ihnen jeweils große Überzeugungskraft bei, so H. Mitteis, Rezension, G. v. Below, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, 85. Band 1921, S.469- 471; E.Heymann, Rezension: G. v.Below,JW 1921, S.31lf. 45 Seinem Selbstverständnis nach war die Gründung des Vereins ,,Recht und Wirtschaft" durch vornehmlich jüngere Rechtspraktiker und -Wissenschaftler die anschaulich-praktische Seite der Konvergenz von Recht und Wirtschaft. Das publizistische Organ des Vereins, der über Bezirksverbände im ganzen Reich verfügte, war die weit verbreitete Zeitschrift ,,Recht und Wirtschaft". Düringer, Der Verein Recht und Wutschaft während des Krieges, Recht und Wirtschaft 1915, S.113f. Siehe auch das Editorial des zehnten Jahrgangs der Zeitschrift 1921 vor Beginn der Paginierung.
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8. Kap.: Wirtschaftsrecht 1930-1933
sen. Dabei war er bemüht, die Anschauungen im Wirtschaftsrecht als Wissenschaft zu Anfang der Dreißiger Jahre objektiv wiederzugeben, was ihm in weiten Teilen auch gelungen war. Klausing schloß an die Exposition der tatsächlichen und "ideologischen" Gründe für die Entstehung des Wirtschaftsrechts eine eingehende Kritik des Umgangs mit dem Terminus "Wirtschaftsrecht" an. Es fehle die geregelte Erforschung der differenzierten "sprachtechnischen Wurzeln des terminologischen Apparates"46 • Die Verwendung juristischer Termini erfolge nicht nach einem einheitlichen Muster, sondern sei typischerweise Ausdruck besonderer historischer Verhältnisse. Dieser "Psychologie solcher Namengebung und Begriffsbildung im Bereiche der Jurisprudenz"47 wollte Klausing auf den Grund gehen. Er kritisierte mit dieser so aufgeworfenen Frage treffend die oft wahllose Verwendung des Wortes "Wirtschaftsrecht", das vielen Zwecken dienstbar gemacht worden war. Indem er einen generellen geisteswissenschaftlichen Anspruch formulierte, stellte Klausing für eine rechtstechnische Bezeichnung bestimmte Anforderungen auf: Der Begriff dürfe nicht nach Gutdünken eines jeden Autors verwendet werden, sondern mußte im Interesse größtmöglicher Klarheit für Juristen und juristische Laien verständlich sein. Zweitens würde der Zusatz ,,Recht" ohne nähere Spezifizierung "im Zweifel nur für das jeweils geltende Recht" verwendet. 48 Das Kriterium richtete sich gegen Programme, Anregungen und Hoffnungen im Hinblick auf eine zukünftige Systematik und Fächerbildung oder auch nur erwartete Entwicklungen des positiven Rechts als solchem, also gegen "Rechtsutopie" und "Wunschbilder von der künftigen Gestaltung der rechtlichen Ordnung und ihrer leitenden Rechtsgedanken."49 Dieser Beurteilungsmaßstab sollte dazu dienen, Wendungen wie die Hugo Sinzheimers von der "Morgenröte eines neuen sozialen Rechtszeitalters" 50 oder den ,,kommenden Wirtschaftsgeist" im Sinne Justus Wilhelm Hedemanns aus der Rechtsterminologie zu verbannen. Ebenso ging Klausing gegen die rechtssprachliche Prägung - nicht generell gegen die inhaltliche Neuerung- derjenigen Autoren vor, die das "Wirtschaftsrecht" als Bezeichnung einer Rechtsdisziplin mit der "soziologischen" beziehungsweise mit der "wirtschaftsrechtlichen Methode" identifizierten. So setzten in je eigenständiger Weise Max RumpfS 1 und Ernil Westhoff52 das Wirtschaftsrecht mit der soziologischen Methode gleich. Sie betonten die gegenseitige Bedingtheit von "Wirtschaft" und "Recht" sowohl in der Rechtstheorie als auch der Rechtsanwendung. In F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 36. Ebenda, S. 26. 48 Ebenda, S.37. 49 Ebenda, S. 32. 50 H. Sinzheimer, Wirtschaftsrecht, Die Justiz 1927/28, S. 381 f. 51 M. Rumpf, Wirtschaftsrechtswissenschaft und Wirtschaftshochschule, 1924, Vorwort. 52 E. Westhoff, System des Wirtschaftsrechtes, Band 1: Wesen und Grundlagen, 1925, S.l. 46 47
II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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der Argumentationslinie Nussbaums vertraten sie die Forderung nach verstärkter Rechtstatsachenforschung, deren Anwendungsbereich sie jedoch auf den vom Wirtschaftsrecht erfaßten Rechtsstoff begrenzen wollten. Ihnen hielt Klausing entgegen, daß sich die Rechtswissenschaft sowohl im Bereich des Handelsrechts, der nahe Verwandtschaft zum Wirtschaftsrecht aufwies, als auch in anderen Rechtsgebieten der außerrechtlichen Faktoren in ihrer Bedeutung für die juristische Dogmatik durchaus bereits seit langer Zeit bewußt sei. 53 Er forderte demgegenüber eine scharfe Trennung der Fragestellungen nach dem Gegenstand und der Methode einer Disziplin und warf Rumpf und Westhoff fehlende Klarheit über das "Spezifische" der Methodik im Wirtschaftsrecht vor. Eine verwandte Kritiklinie, die sich gegen terminologische Unklarheiten richtete, verfolgte Klausing gegenüber Justus Wilhelm Hedemann. Klausing verwarf Hedemanns wissenschaftlichen Eklektizismus. 54 Innerhalb der ,,rechtssoziologischen Lehre" attestierte Klausing nur der von Karl Geiler angeführten Forschungsrichtung einigen Erfolg. Geiler und seine Schüler Gerhard Sigloch und Hans Bauer hatten zwar auch das Wirtschaftsrecht mit der "wirtschaftsrechtlichen Methode" gleichgestellt, also die "Soziologie" der Wirtschaft zur Grundlage der Rechtsdisziplin erklärt. Sie hatten dabei aber konsequent das Ziel verfolgt, die Eigenständigkeil der Zusammenhänge von Recht und Wirtschaft gegenüber der parallelen Problematik der anderen Disziplinen, namentlich des Arbeits- Familien- und Strafrechts zu untersuchen. Klausing setzte sich kaum mit rein pragmatischen terminologischen Ansätzen auseinander. So ging er nicht auf Autoren wie den literarisch äußerst aktiven Präsidenten des Reichswirtschaftsgerichts Georg Lucas ein, der das Wirtschaftsrecht mit der wirtschaftsrechtlichen Methode identifizierte, aber aus dem von der praktischen Arbeit gespeisten Motiv, daß das Wirtschaftsrecht keine abgeschlossene Rechtsdisziplin außerhalb des Handelsrechts darstellte. 4. K.lausings eigener Systementwurf für ein Wirtschaftsrecht als rechtswissenschaftlicher Disziplin in Forschung und Lehre a) Begriffliche Voraussetzungen
Nach der Kritik der Einteilungs- und Klassifizierungsfragen begründete Klausing seine eigene Auffassung vom materialen Gehalt des Wirtschaftsrechts. Er klärte zunächst den Begriff "Wirtschaft" im Rechtssinne, untersuchte daraufhin die systematische Stellung des Wirtschaftsrechts innerhalb von Forschung und Lehre und schließlich die Funktion des Wirtschaftsrechts in Rechtspraxis und Rechtspolitik. 53 54
F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.40. Ebenda, S.44f.
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Auf einen fest umrissenen Begriff des Wirtschaftsrechts meinte Klausing verzichten zu können, da jedenfalls die in bezugauf "Wirtschaft" noch junge Rechtssprache sich noch nicht von der Umgangssprache entfernt habe. Spekulative Begriffskonstruktionen für das "Wirtschaftsrecht", wie diejenige Friedrich Darmstaedters hielt Klausing für überflüssig. Er gestand jedoch ein, daß die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Wrrtschaftsrechtsbegriffs nahezu unüberwindlich seien. Er warf aber Darmstaedter vor, das Spezifische der Begriffe "Wirtschaft", "wirtschaftender Mensch" und "wirtschaftliche Bedürfnisse" wie schon viele andere verfehlt zu haben, da Darmstaedter den Menschen in seiner sozialen Stellung schlechthin dargestellt habe. Klausing verkürzte an dieser Stelle die Aussage Darmstaedters zugunsten der Reinheit seiner eigenen Kritik an der juristischen Begriffsbildung für das "Wirtschaftsrecht". Die Gegenüberstellungen der soziologischen und der rechtlichen Betrachtungsweise bei Darmstaedter hatte nicht der Definition des Begriffs "Wirtschaft" und damit verwandter Wendungen gedient. Darmstaedter hatte vielmehr das Ziel vor Augen, Funktion und Operationale Bedeutung des Wirtschaftsrechts herauszustellen. Sie dienten damit der Abkehr von den Lehren Rudolf Stammlers, nicht aber einer materialen Auseinandersetzung mit dem Wrrtschaftsbegriff. Schließlich hatte sich in den Sozialwissenschaften die Definition der Wirtschaft als Teil des gesellschaftlichen Lebens durchgesetzt. Von dort kam nicht nur aus antiliberaler, sozialrechtlicher Richtung ein Impuls zum Wrrtschaftsrecht. Derselbe Vorwurf Klausings gegenüber Darmstaedter müßte beispielsweise auch Max Weber treffen, der ebenso die wirtschaftliche Stellung des Menschen mit seiner sozialen Stellung in der Gesellschaft identifiziert hatte. 55 Klausing hielt es demgegenüber zunächst für ausreichend, den Sprachgebrauch von Gesetzgebung und Rechtsprechung zugrunde zu legen. Auch hierin hatte sich das Wirtschaftsrecht inzwischen etabliert, so daß eine rechtsstoffliche Analyse des Wirtschaftsrechts erfolgversprechend schien. Klausing bezog damit auch den Stand der rechtsstofflichen Abgrenzung der gesamten Disziplin in der Gesetzgebung in seine Begriffsbestimmung mit ein. Bis dahin war oft nur das Gegenteil unternommen worden, da die programmatischen Entwürfe eines Wrrtschaftsrechts gegenüber den induktiven Untersuchungen überwogen. Erste Anhaltspunkte gab für Klausing die Gesetzgebung im Bereich der ,,kapitalistischen (Erwerbs-)Wirtschaft": Die beiden "Sozialisierungs- und Räteartikel" (Art. I 56 und 165) der Weimarer Reichsverfassung und in denneueren Regelungen der "Gemein- oder Gesamtwirtschaft", das Sozialisierungsgesetz vom 23. März 1919, die eine öffentliche Zwangsregulierung zum Gegenstand hatten, standen im Vordergrund. Gleiches gelte für die "öffentliche", nämlich die ,,Staats- und Kommunalwirtschaft". Dennoch sei der Begriff "Wirtschaft" auf den maßgeblichen Gebieten des Handels-, Wechsel-, Scheck-, Gewerberechts vermieden wor55
M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S.368ff, 383ff.
ß. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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den. 56 Hier beschränke sich der Gesetzgeber auf Spezialbezeichnungen wie "Kaufleute" und "Gewerbetreibende". Bereits der Sprachgebrauch in der Gesetzgebung der Jahrhundertwende hatte im "wirtschaftlichen" Geschäftsbetrieb des Vereins (§§ 21, 22 BGB) und in den "Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" zur ,,Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft" (§ 1 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz) den Rechtsbegriff "Wirtschaft" in einen volkswirtschaftlichen Zusammenhang gestellt. Hieran knüpften die Normen zum Reichswirtschaftsrat und die Sozialisierungsgesetzgebung an. Trotz dieses gesamtwirtschaftlichen Bedeutungsgehalts identifizierte Klausing den Begriff "Wirtschaft" mit der Verwendung, wie er ihn im allgemeinen Sprachgebrauch erfahren hatte, nämlich im Sinne der kaufmännischen, industriellen oder sonstigen gewerblichen Betätigung. Die genannte Gesetzgebung strahle lediglich auf die privatkapitalistische Unternehmertätigkeit und die ökonomischen Verhältnisse der in diesen Betrieben tätigen Arbeitnehmer und der davon abhängigen Konsumenten aus, was sich auch in der Rechtsprechung spiegele. Klausing wertete somit die volkswirtschaftliche Seite des Begriffs "Wirtschaftsrecht" lediglich als Reflex der neuen und öffentlich-rechtlich geprägten Gesetzgebung, ohne daß er hierdurch eine funktionale Wandlung erfahren hätte. Daß er sich dadurch von Autoren wie Hedemann absetzte, läßt den Schluß auf Klausings Orientierung am Vorbild eines individual-privatrechtliehen Wirtschaftsrechts zu. Das Wirtschaftsrecht als rechtsstoffliche Materie und Systementwurfkonnte nach den vorherrschenden Literaturmeinungen sowohl wirtschaftliche Verhältnisse im weitesten Sinne regeln, als auch ein Recht der erwerbswirtschaftlichen Unternehmer darstellen, oder schließlich auch lediglich die Rechtsordnung der "gebundenen Wirtschaft" bilden. Die beiden ersten Auffassungen waren nach Klausing "zweifellos" vom allgemeinen Sprachgebrauch gedeckt, während ihm die dritte Auffassung nicht mehr davon umfaßt schien. ,,Zur Not" wollte er die dritte Gruppe noch akzeptieren. Daß sich die Wissenschaftler, die diese Auffassung vertraten, in den Bereich des politischen Werturteils begaben, war nach Klausings Verständnis nicht hinderlich, weil er die politische Wertung für einen Teil der Rechtswissenschaft hielt. 57 Seine systematische Stellung bezog das Wirtschaftsrecht nach Klausing aus den Bedürfnissen des Unterrichts. Deshalb glaubte er dem Wirtschaftsrecht eine Zukunft als eigener Disziplin voraussagen zu können. Zwar beobachtete er eine gewisse Berücksichtigung des Wirtschaftsrechts zumal in seiner öffentlichen, staatswirtschaftlichen, kollektivistischen Ausprägung sowohl im öffentlichen oder im bürgerlichen Recht, wenn er auch die Literatur bei der Aufnahme des neuen Stoffes als "noch zurückhaltend" einschätzte. 58 Jedoch sei entsprechend den NachbardiszipliF. Klausing, Wirtschaftsrecht, S.53. Ebenda, S. 60. 58 Ebenda, S. 62 f. Dieses allgemeine Phänomen, hier für das Privatrecht, wurde andernorts häufig für das öffentliche Recht beschrieben. Klausing war bezüglich der Verteilung der Ma~6
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nen, Geschichtswissenschaft, Soziologie und Nationalökonomie, die sich seit langem mit der Materie befaßten, eine Vorlesung ,,Staat und Wirtschaft" entsprechend der Vorlesung "Verfassungsgeschichte der Neuzeit" erforderlich. Allein diese didaktische Aufbereitung trage dem neuen Fach angemessen Rechnung. 59 Die systematische Stellung des Wirtschaftsrechts versuchte Klausing auch für die Forschung außerhalb der Problematik der Gestaltung des Rechtsunterrichts zu bestimmen. Die Stellung des Arbeitsrechts sei entweder im Wirtschaftsrecht oder in einer engen organischen Verbindung neben dem Wirtschaftsrecht zu suchen, die Konkurrenzstellung Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, Handelsrecht würde das tatsächlich vorhandene Wirtschaftsrecht zu sehr verkürzen. Am Bürgerlichen Recht wollte Klausing für die Zukunft insofern festhalten, als er darin ein allgemeines Privatrecht entsprechend dem allgemeinen Staats- und Verwaltungsrecht erblickte. Das würde auf lange Sicht zu einer allgemeinen (positiven) Rechtslehre führen, die allen Rechtsdisziplinen voranzustellen wäre, da sie keiner der großen Disziplinen eigentlich eignete.60 b) Klausings Analyse und eigener Vorschlag für die Lehre des Wirtschaftsrechts Hedemanns Vorschlag von 1927, eine juristische Grundlagenvorlesung "Wirtschaftsrecht" entsprechend der ,,Rechtsenzyklopädie" oder "Rechtsphilosophie" anzubieten, verwarf Klausing. Er wies darauf hin, daß auch diese anderen Grundlagenfächer genauso an dem Wandel des gesamten Rechts teilhaben müßten wie die stofflich getrennten Teildisziplinen, wenn man die von Hedemann postulierte allgemeinen Tönung des gesamten Rechts der Zeit durch das Wirtschaftsrecht konsequent betrachten würde. Wenn auch diese Widerlegung zumindest etwas schief erscheint, weil auch die Rechtsphilosophie dem Recht als "Lebenswissen"61 nur Auskunft über sein philosophisches Fundament geben kann, aber nicht originärer Gegenstand rechtsdogmatischer Überlegung ist, so zeigt sich dennoch erneut die bis zur Ironie reichende Einstellung Klausings gegenüber seinem wissenschaftlichen Konkurrenten Hedemann. Wollte man das Wirtschaftsrecht zu einem Fach außerhalb des Handelsrechts und des Bürgerlichen Rechts machen, so schrieb Klausing, blieb nur die Möglichkeit, sich auf das Recht der organisierten Wirtschaft zu beschränken, wie es dem Plan terien des Wirtschaftsrechts auf die herkömmlichen Materien einer Meinung mit Dochow in dessen wiederholten Stellungnahmen. F. Dochow, Wirtschaftspflege und Wirtschaftsrecht, DWZ 1921, S. 1; ders., Wirtschaftsrecht, JW 1926, S. 533; ders., Zur Überarbeitung der Gewerbeordnung, JW 1928, S.1645f. 59 F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 63. 60 Ebenda, S. 86. 61 H. Kronstein, Wirtschaftsrecht- Rechtsdisziplin und Zweig der Rechtstatsachenkunde, s. 215 f.
II. Die Festschrift Heymann als Markstein und Bestandsaufnahme
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Nussbaums, Goldschmidts und Kaskels entspreche. Doch legte er materialreich dar, daß dadurch viele Zusammenhänge zertrennt würden, die mit dem Bürgerlichen Recht bestünden. Außerdem sei das Recht der wirtschaftlichen Selbstverwaltung und der öffentlichen Regulierung der Wirtschaft weit davon entfernt, ein geschlossenes System zu bilden. Die neue Disziplin sei keineswegs eine Verschmelzung von öffentlichrechtlichen und privatrechtliehen Elementen gleich dem Arbeitsrecht, sondern bestehe überwiegend aus öffentlichem Recht und könne in das besondere Verwaltungsrecht übernommen werden. 62 Soweit die Materien in der Weise auf Bürgerliches Recht und Verwaltungsrecht verteilt waren, blieb nach der Wertung Klausings nur das Verhältnis von Staat und WLrtschaft als ein Bestand, der vom bisherigen Rechtsunterricht noch nicht abgedeckt war. Klausing verband deshalb mit der Feststellung dieses Mangels die Forderung nach einer neuen Vorlesung über "Staat und Wirtschaft". Es lag ihm jedoch fern, das Verhältnis im Sinne einer geschlossenen materiellen Wirtschaftsverfassung zu durchdringen. Die Darstellung dieses Verhältnisses erschien ihm eher als ein Teil der allgemeinen Staatslehre verknüpft mit neuerer Verfassungsgeschichte. Als Klausing seinen Beitrag abfaßte, stand er vor gewandelten Voraussetzungen gegenüber dem Recht der Vorkriegszeit. Seit dem Weltkrieg hatten sich die Rechtsmaterien und mit ihnen das Verhältnis des Staates zur Wirtschaft jedoch nicht in der Weise verändert, daß an die Stelle von Elementen des öffentlichen oder des Privatrechts ein Wirtschaftsrecht im Sinne eines den herkömmlichen Rechtsmaterien nicht mehr angehörigen "Sozialrechts", einer dazwischen befindlichen und andersartigen Neuheit getreten wäre. Das "Sozialrecht" blieb einerseits ein antiliberales Postulat und war andererseits ein analytischer und zugleich synthetisierender Begriff für die Wirkungsweise der Überlagerung von Privatrecht und öffentlichem Recht oder auch einer gesamtwirtschaftlichen Wertung geblieben. Dennoch waren Staat und Wirtschaft sowohl durch die Wirtschaftslenkung als auch durch die fiskalische Wirtschaft des Staates in ein anderes Verhältnis als zuvor getreten. Die staatliche Intervention hatte sich zugunsten der öffentlichen Wirtschaft verstärkt. Aber auch die Einwirkung der Verbände der Wirtschaft auf Gesetzgebung und Verwaltung, die ein vor dem Ersten Weltkrieg nie gekanntes Ausmaß angenommen hatte, begann als ein neuartiges Element der staatlichen Willensbildung die Strukturpolitik des Reichs und der Länder mitzubestimmen. Wie ein Ring legte sich die Intervention der Wirtschaft um Gesetzgebung und Wirtschaftsverwaltung. Die Reichsregierungen, in geringerem Umfang auch die Länderregierungen mußten mit den wirtschaftlichen Kräften kooperieren, da Staat und Wirtschaft nunmehr eine existenzielle wechselseitige Bindung eingegangen waren. In ihrem Funktionieren wurden sie tendenziell zunehmend voneinander abhängig. Vor diesem Hintergrund, den Klausing stillschweigend vorausgesetzt haben mag, beschrieb er die Lage des Wirtschaftsrechts als zwiespältig, da weder die hergebrachte kaufmännische Privatrechtsordnung und das Handelsrecht des 19. Jahrhun62
F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 68 f.
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derts, noch die neuerlich durch andere "sozialistische und kollektivistische" Ideologien bestimmte Wirtschaftsordnung überwögen. Klausing stellte eine theoretische und wirkungsgeschichtliche Parallelität der Verhältnisse des Staates zur Wirtschaft und zur Gesellschaft dar. In beiden beobachtete er die gleiche Tendenz zur Vereinnahmung des Staates durch die gesellschaftlichen Interessen. Beobachtungen dieser Art waren im Gegensatz zur Zeit davor zu Beginn der Dreißiger Jahre häufig. Sie fanden bei Carl Schmitt und Walter Eucken ihren prägnantesten Ausdruck. Im Unterschied zu Schmitt, der im "Hüter der Verfassung" die ideologische Einwirkung einer historisch gewordenen Wirtschaftsverfassung auf die Staatsrechtslehre zum Gegenstand gemacht hatte, ging Klausing von der Bedeutung des Wirtschaftsrechts in der ,,Praxis der Rechtsentwicklung"63 aus, insoweit setzte er sich von Schmitt ab. Die gewandelte Wirtschaftsverfassung von der liberalen zur gemein- oder gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung hatte das Wirtschaftsrecht hervorgebracht. ,,Notwendigerweise", betonte Klausing, müßte sich das Wirtschaftsrecht daher mit dem alten Handelsrecht auch "disziplinmäßig" verbinden. 64 Nicht zuletzt weil Klausing ein eigenständiges Wirtschaftsrecht als Einzelmaterie für didaktische Zwecke ablehnte, schlug er die Handelsrechtsdisziplin als Träger der neuen Normen und Rechtsgedanken über die Regelung des Wirtschaftslebens vor. Dieses solle sich "späterhin zu einer umfassenderen Disziplin des Wirtschaftsrechts entwickeln". 65 Schon vor dem Krieg hatten im Handelsrecht Auflösungstendenzen in Richtung auf eine allgemeinere Disziplin bestanden. Der Begriff des Handelsrechts als einer Disziplin außerhalb des bürgerlichen Rechts war von jeher problematisch gewesen. Im wesentlichen verdankte das Handelsrecht seiner rechtspolitischen Dynamik, die durch die Ausbreitung der Wirtschaftstätigkeit in der Gründerzeit geprägt war, und seiner Bedeutung für das internationale Recht seine Eigenständigkeit. Klausing wollte daher dem Wirtschaftsrecht das Handelsrecht, den "Motor der Rechtspolitik", als integrierendes Plateau zuweisen. In der Nachfolge von Levin Goldschmidt66 ging man, wie Klausing berichtete, von einer Kommerzialisierung des Handelsrechts aus, während Artbur Nussbaum einen Dekommerzionalisierungsprozeß und eine Verschmelzung mit dem "privaten Gewerberecht" beobachtete. 67 Danach wollte Otto Schreiber gar den Begriff des Handelsunternehmens an die Spitze des künftigen Handelsrechtssystems stellen; Goldschmidt und Kaskel nahmen diese Operation aus der Sicht des Wirtschaftsrechts und mit Blick auf das öffentliche Recht vor. Diejenigen Anteile des Handelsrechts, die zwingend vorgeschrieben waren, also das Registerrecht und die Vertretungsregelungen der KörperEbenda, S. 73. Ebenda. 6S Ebenda, S. 74. 66 L. Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, 3. Auflage 1891. 67 A. Nussbaum, Rechtstatsachenkunde, S. 18 ff. 63
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schaften, hätten häufig als öffentlichrechtlicher Bestandteil des "privaten Gewerberechts" gegolten, das somit auch auf die Auflösung des Handelsrechts einwirkte. 68 Infolgedessen schlug Klausing für die Lehre vor, ein Fach mit der Bezeichnung "Handels- und Wirtschaftsrecht" als die Zusammenfassung des Handelsrechts und des "neuen Wirtschaftsrechts im Sinne Nussbaums" zu bilden, um die "individualistische Erwerbswirtschaft und die kollektivistischen Ideen und Bildungen der Gegenwart in ihren rechtstatsächlichen Auswirkungen auf die Rechtsordnung des Wirtschaftslebens anschaulich vorzuführen". 69 Für eine Sondervorlesung "Wutschaftsrecht" befürchtete Klausing, daß hieraus mehr gemacht würde als tatsächlich von Bestand wäre. Die Fächer "Staat und Wirtschaft" und "Handels- und Wirtschaftsrecht", einzeln oder zusammengefaßt, würden genügen. 5. Die Beiträge von Geiler, Rosenstock und Nussbaum Karl Geiler hatte in der Diskussion um die Aktienrechtsreform besondere Wuksamkeit erlangt. Der Berliner Rechtsanwalt und Protagonist des Aktienrechtsstreits Oskar Netter hatte Geilers Variante der Rechtstatsachenforschung und der rechtssoziologischen Methode als "lebendes Recht" gefeiert, und ihr einen festen Platz in der Diskussion um die methodologischen Grundpositionen des Aktienrechts gesichert. 70 Die Bedeutung Geilers hatte sich dadurch bereits stark auf das Aktienrecht als den dynamischsten Teil des Gesellschaftsrechts verlagert. Verbindungen vom Aktienrecht zum Wirtschaftsrecht hatte zwar auch Geiler nicht hergestellt. Doch äußerte er sich sowohl in der Festschrift Beymann als auch an anderer Stelle ausführlich zum grundsätzlichen Dilemma zwischen statischem Privatrecht und dynamischer Wirklichkeit. Die Entfaltung der rechtsmethodologischen Prämisse der Entrationalisierung des Rechts lehnte sich ausdrücklich an Max Weber an. Das formale Privatrecht mußte der Rechtstatsachenbetrachtung seinen Platz räumen. Es zeigt sich hieran nicht nur, wie sehr Geilers Position generell von einer Subjektivierung des Rechts und einer Zurückdrängong des normativen Moments im Rechtsbegriff gekennzeichnet war, sondern auch daß Geiler im Wirtschaftsrecht ein Instrument sah, das Privatrecht zu sprengen und den Rechtsbegriff zu dynamisieren. Den methodisch und inhaltlich erzielte Effekt der Entgrenzung des Individualrechtsverhältnisses deutete Geiler als Ausprägung des "Sozialrechts".71 Ein Jahr später griff Geiler in der Festschrift Pinner diese Gedanken auf und übertrug sie explizit auf das Wirtschaftsrecht Mit der Forderung an die Ausbildung des Richters in sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des Rechtslebens verband er das theoretische Postulat, daß aus dem Recht der freien Wirtschaft der besondere F. Klausing, Wirtschaftsrecht, S. 77f. Ebenda, S. 84. 70 0. Netter, Probleme des lebenden Aktienrechts 1929, S.27. A. Riechers, Unternehmen an sich, S. 65. 71 Siehe zu dieser Arbeit oben zur rechtssoziologischen Bedeutung Geilers 4. Kapitel. 68
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ethische Gehalt der Wettbewerbsrechtsformen zu gewinnen sei. Die Entrationalisierung, die hier wohl als reine Entformalisierung zu verstehen ist, konkretisierte sich nach Geiler in den, dem Recht als "Gesinnungsmomenten" innewohnenden, rechtsethischen Gehalten. 72 Die Lauterkeilsgrundsätze des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen seien ebenso von der Erkenntnis der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge abzuleiten, wie die Zumutbarkeit des Organisationszwangs im Kartellrecht. 73 Eine Deduktion der Gerechtigkeitsfunktion des Rechts aus abstrakten Rechtsprinzipien konnte Geiler für die wirtschaftsrechtliche Entscheidungspraxis nicht hinnelunen. Denn er ließ allein die auf der Folie der rechtstatsächlichen Erkenntnis entfalteten Grundsätze über die Entscheidungsprozesse als Träger rechtslogischer und rechtsethischer Operationen zu. Zugleich ordnete Geiler wie schon zu Beginn der Weimarer Zeit sämtliche Rechtsmaterien des Rechts der Wirtschaft in seinen methodischen Apparat ein. Bugen Rosenstock vertiefte seine schon terminologisch sehr eigenständigen rechtssoziologischen Überlegungen aus seinem "Industrierecht" von 1926 in seinem Festschriftbeitrag "Über einige Grundbegriffe des Privatrechts". Rosenstock insistierte auf dem Bedeutungswandel der Begriffe Gemeinwohl und Gesamtwirtschaft, denen er die Aufgabe zuwies, neue soziale Schwerefelder wie die zukunftsweisende gesellschaftliche und staatliche Wirtschaftslenkung als Komponente des Wirtschaftsrechts aufzunelunen. Hatte noch vor dem Weltkrieg die staatswirtschaftliche Richtung das Verwaltungshandeln beherrscht, so beobachtete Rosenstock zwar mit eigenwilliger Argumentation aber dennoch zutreffend das auch begriffliche Vordringen der Vorstellungen aus der Gesellschaft, der Verbände, insbesondere der Gewerkschaften in die staats- und rechtstheoretische Begriffswelt 74 Arthur Nussbaum resümierte in seinem Beitrag die Literaturbewegung zum Unternelunensrecht der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre, die einerseits mit Hans Fehr dem Ideal eines an den wirtschaftlichen Verhältnissen orientierten dynamisierten Rechtsbegriffs nachgegangen war und andererseits die Ausdifferenzierung des Rechts der Unternelunenszusammenfassungen in Kartellen und Konzernen betrieb. 75
72 K. Geiler, Die Konkretisierung des Rechtsgebots der guten Sitten im modernen Wrrtschaftsrecht, in: Deutscher Anwaltverein u.A. (Hrsg.), Festschrift für Albert Pinner zu seinem 75. Geburtstag, 1932, S. 254-279, hier S. 254, 256- 259. 73 Ebenda, S. 263 ff. 74 E. Rosenstock, Grundbegriffe des Privatrechts, S.213-228. 75 A . Nussbaum, Zurneueren Entwicklung der Lehre vom Unternehmen, in: F. Klausing; H. C. Niperdey ; A. Nussbaum (Hrsg.), Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Band I, S.492- 5ll.
111. Die Literatur in der Endphase der Weimarer Republik
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111. Die Literatur zum Wirtschaftsrecht in der Endphase der Weimarer Republik 1. Die Literatur zum Wirtschaftsrecht nach der Festschrift Heymann
a) Reaktion des Wirtschaftsrechts auf die Interventionspolitik Mit dem Jahr 1931 wurde die Wirtschaftspolitik der Präsidialkabinette zum Dauerzustand. Im wesentlichen hatten Klausings "Wirtschaftsrecht" und Hubers kurz darauf Anfang 1932 erscheinendes "Wrrtschaftsverwaltungsrecht" einen Zeitraum überblickt, in dem zwar die Notverordnungspolitik eine erhebliche Rolle spielte, aber ein in Maßen kontinuierliches Wirtschaftswachstum und kontinuierliche Wirtschaftspolitik vorherrschend gewesen waren. Das änderte sich nun. Die Notverordnungen konnten nunmehr richtigerweise nur noch als fortdauernde Maßnahmen angesehen werden, die Gesetzgebung arbeitete mit Provisorien. Die Wirtschaftskrise, die infolge des schwarzen Freitags 1929 den größten Teil der kurz- und mittelfristigen Kredite des westlichen Auslands aus Deutschland abzog, führte zu einer Arbeitslosigkeit von präzedenzlosem Ausmaß und senkte die industrielle Investitionsquote. Die Wirtschaft stagnierte, woran auch die Brüningsche Deflationspolitik, die in erster Linie eine neuen Inflation verhindem sollte, nichts zu ändern vermochte. Brünings Politik zielte darauf ab, die Folgen der Wirtschaftskrise im Wege massiver Intervention einzudämmen. Der Marktmechanismus wurde bei Zinsen und Preisen bekämpft und man setzte zunehmend künstliche Regulatoren an deren Stelle.76 Erst 1932 datiert die Neuformulierung der wirtschaftspolitischen Ziele Brünings, die erst zu Ende dieses Jahres Aussicht hatten, sich mit einem globalen Aufschwung zu verbinden. Beides kam "hundert Meter vor dem Ziel" den republikanischen Weimarer Regierungen nicht mehr zu Hilfe. 77 Dennoch konnten Ernst RudolfHuber 1932 und Franz Böhm 1933 in ihrenjeweiligen Habilitationsschriften feststellen, daß die Wirtschaft noch immer frei, eine Planwirtschaft noch nicht erreicht sei. Eine Planwirtschaft hatte die Politik auch nicht angestrebt. Der Interventionismus ging allerdings auch ohne zentralverwaltungswirtschaftliche Motivation sehr weit. Das Jahr 1931 brachte einige kleinere zusammenfassende Arbeiten und Analysen auf dem Gebiet des gesamten Wirtschaftsrechts, die sich mit der Interventionspolitik und den Organisationstendenzen auseinander setzten. Neben der Zusammenfassung der nun schon zwölf Jahre zurückliegenden gerneinwirtschaftlichen Regelung 76 Zur wirtschaftshistorischen Erklärung der Weimarer Zeit mit Hilfe eines Stagnationsmodell siehe D. Petzina, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, S. 11 u. ö.; zum Streit über die Bedeutung der Brüningschen Deflationspolitik apologetisch K. Borchardt, Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte, S. 65; moderierend hingegen W. Fischer, Deutsche Wirtschaftspolitik 1914-1945, S.45. 77 H . Schulze, Weimar, S. 358, zitiert einen Ausspruch Brünings.
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der Kohlenwirtschaft durch Th1a Simons trat die auf die interventionistische Wirtschaftsleitung der Gegenwart gerichtete grundlegende Untersuchung von Amo Herzberg des im Hinblick auf die Gleichheit vor dem Gesetz besonders delikaten Kontingentsbegriffs. 78 Kontingentierungen waren sowohl ein Mittel der wirtschaftlichen Selbstverwaltung gewesen, wie sie nun als Maßnahmen hoheitlicher Wirtschaftsverwaltung wieder in den Vordergrund traten. Ohne große Durchsetzungskraft artikulierten sich aus der sozialrechtlichen Richtung des Wirtschaftsrechts Versuche, die Wirtschaftskrise als Krise des individualwirtschaftlichen Systems und positiv als einen Wandel des Wirtschaftsrechtsbegriffs zu deuten. Hans Goldschmidt, nunmehr Professor in Köln, verfolgte unter dem Eindruck der Notverordnungspolitik den Gedanken des Wirtschaftsrechts als Recht der wirtschaftlichen Organisationen weiter und drängte in Entfaltung seiner Thesen vom Beginn der Zwanziger Jahre auf die Positivierung des Verbändewesens als gegensatzaufhebendem Glied zwischen Staat und Wirtschaft. Seine Gedanken zum geteilten Eigentum, die er im ,,Reichswirtschaftsrecht" skizziert hatte, vertiefte er nun nicht mehr, auch wenn er eine vom Organisationsdenken gestützte Umdeutung der Vermögensrechtsordnung favorisierte. 79 Schließlich legte Huber zur Jahreswende sein zukunftsweisendes "Wirtschaftsverwaltungsrecht" vor, in dem er die Krise nicht als für das Wirtschaftsrecht bestimmendes Moment anzuerkennen schien. b) Die Kontroverse um das Wirtschaftsrecht zwischen Haussmann, Schachion und Liefmann
Die wenigen nicht an der Festschrift Heymann beteiligten Wirtschaftsrechtier würdigten die Sammelbände bei allen Vorbehalten im Einzelnen einhellig als bedeutenden Fortschritt für die Sache des Wirtschaftsrechts. Allein von Seiten Hedemanns war keine zeitlich nahe Reaktion auf die mehr oder weniger beabsichtigte Zurücksetzung seiner Forscherpersönlichkeit zu erwarten. 80 Jedoch verweisen die Reaktionen der Fachwelt nicht allein auf die ohnehin große Akzeptanz des von Klausing, Nipperdey und Nussbaum besorgten Querschnitts zum Wirtschaftsrecht Vielmehr vermitteln sie im Kern einen Eindruck von der Fortentwicklung des Wirtschaftsrechts in der Zeit zunehmender wirtschaftlicher Depression, der Arbeitslosigkeit und zahlloser Insolvenzen bei gleichzeitig voranschreitender Kartellierung und Verflechtung des Wirtschaftsgeschehens. Die Beiträge zu einem Wirtschaftsrecht als wissenschaftlicher Disziplin in Forschung und Lehre waren seit dem Verlauf des Jahres 1932 kaum mehr von einem Willen zu umfassender Synthese ge78 A. Herzberg, Der Kontingentsbegriff im Recht, 1932. T. Simons, Der Aufbau der Kohlenwirtschaft nach dem Kohlenwirtschaftsgesetz, 1931. 79 H. Goldschmidt, Das neue Zeitalter der Organisationswirtschaft, 1931, S.12ff, 38ff. 80 Später sollte Hedemann die Festschrift als bedeutend und gehaltvoll würdigen: J. W Hedemann, Wirtschaftsrecht - Rückblickund Abschied, Festschrift Hueck 1959, S.412.
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prägt. Noch weniger fügen sich die Einzelbeiträge zu den neu unter Interventionsdruck stehenden Wirtschaftszweigen zu einem Gesamtbild. 81 Der liberale Rechtsanwalt am Kammergericht und Honorarprofessor Fritz Haussmann, welcher an der Spitze der Bewegung gestanden hatte, die in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre die Aktienrechtsreform vorangetrieben hatte, stellte das Wirtschaftsrecht als Disziplin komplett in Frage. 82 Sein Engagement galt ganz entschieden der Aktienrechtsreform, den Holdinggesellschaften, Kartellen und Trusts, also dem "Recht der Unternehmenszusammenfassungen", dem er eigene Grundsätze zur Problemlösung zuwies, die aber keinem im rechtssystematischen Sinne allgemeinen Wirtschaftsrecht angehören sollten. 83 In einer handels- und gesellschaftsrechtlichen Kontroverse mit dem Freiburger Nationalökonomen Robert Liefmann über das Unternehmensrecht bot sich beiden Kontrahenten keine aus einem allgemeinen Wirtschaftsrecht gespeiste Perspektive an. Haussmann warf Anfang 1932 zugleich mit seiner Besprechung der Festschrift Heymann in besonders pointierter Weise die Frage nach dem Wirtschaftsrecht neben und über den Materien des Handels-, des Bankrechts und des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen auf. Er strebte ein Handelsrecht als erweitertes Unternehmensrecht mit dem Recht der Unternehmenszusammenfassung an. Eine eigenständige Wirtschaftsrechtsdisziplin auf der Grundlage der bisher gewonnenen theoretischen Positionen zog er in Zweifel, doch beobachtete er eine Einfühlung der Rechtswissenschaft in die "Schwierigkeiten und Nöte des Wirtschaftslebens". Die Besonderheit des Wirtschaftsrechts liege nicht in seiner einheitlichen Methode, sondern im Gesichtspunkt der Überwindung der Weltfremdheit und dem ,,Abseitsstehen" der Juristen angesichts der Wirtschaft. 84 Zwar übernahm Haussmann die nach Walter Kaskel üblich gewordene Aufteilung der Theoriepositionen im Wirtschaftsrecht in der nunmehr auch von Klausing tradierten Gestalt: Eine erste wirtschaftsrechtliche Strömung sei zu Beginn bei Nussbaum aufgekommen, anschließend hätten sich die Sammelbezeichnung, das Wirtschaftsrecht als das Recht der organisierten Wirtschaft und der umfassende Ansatz der "Tonung" des ganzen Rechts durch wirtschaftliches Denken "im Sinne Hedemanns" untereinander ausdifferenziert. 85 Haussmann griff jedoch noch nach weiteren Disziplinen aus. Denn auch Haussmarm wies auf die schwindende Bedeutung des herkömmlichen Handelsrechts hin. Hatten Nussbaum und in seiner Nachfolge Klausing die Gefährdung des Handels81 Beispielsweise H. Windthorst, Das jetzige Recht auf dem Gebiete der Wohnungszwangswirtschaft, DJZ 1932, S.1204. 82 F. Haussmann, Gibt es ein Wutschaftsrecht?, Bank-Archiv 1931/32, S. 189- 196, 195. 83 F. Haussmann, Aktiengesellschaft und öffentliche Hand, DJZ 1929, S. 1523-1527; ders., Holdinggesellschaften, Investmenttrusts und verwandte Gebilde, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, 96. Band, 1931, S. 369-415; ders., Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusarnmenfassung, 1926; ders. , Art. Unternehmenszusarnmenfassung, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Band VI, Berlin 1929, S. 250-273. 84 F. Haussmann, Gibt es ein Wirtschaftsrecht?, S.189. 85 Ebenda, S.190.
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rechts durch das Wirtschaftsrecht proklamiert, so diagnostizierte Haussmann ein Zurücktreten des Handelsrechts angesichts des neuen Bankrechts, der modernen Kartell- und Konzentrationsbewegung, so daß sich hier eine Neugruppierung der überkommenen Materien insgesamt aufdrängte. Mit Klausing lehnte er eine ins Uferlose weit gefaßte Ausdehnung des Handelsrechtsbegriffs ab. 86 Gewerberecht und Landwirtschaftsrecht konnten ohne dessen Auflösung nicht im Handelsrecht aufgehen. Haussmann wollte auch die "ständische Systematik" dieser Rechtsmaterien nicht in einem konturenlosen Wirtschaftsrecht aufgehen lassen. Damit hatte Haussmann eine Kritiklinie weitergezogen, die von Franz Dochow über Friedeich Klausing reicht, die sich beide gegen die Auflösung der an den Berufsbildern orientierten Rechtsmaterien ausgesprochen hatten. Für die Ablehnung des Wirtschaftsrechts als eines Sammelbeckens für wirtschaftlich bedeutsames Recht waren bei Haussmann unter anderem wissenschaftlich-biographische Momente wirksam. Die Fundierung von Haussmanns Wirtschaftsauffassung war das individuelle Erwerbsstreben. Daher war auch sein Theorem vom "Unternehmen an sich" in der Auseinandersetzung um die Aktienrechtsreform gegen den Gedanken der staats- und gemeinwirtschaftliehen Indienstnahme der mittleren und der Großindustrie des frühen Walther Rathenau gerichtet. 87 Dementsprechend wandte er sich auch gegen ein Wirtschaftsrecht der organisierten Wirtschaft. Sie sei ein auf sozialistisches Wirtschaftsdenken abhebende Strömung, aus der keine allgemein anerkannten Ergebnisse hervorgegangen seien. Haussmann lehnte im Gegensatz zu Klausing die rechtspolitische Dimension des Wirtschaftsrechts ab. Daher mißbilligte er jede weltanschaulich-politische Rechtfertigung der Wirtschaftsrechtsdisziplin, wenn auch offensichtlich sein mußte, daß besonders seit der Notverordnungspolitik der Regierung Brüning eine Bindung und Bevormundung der Wirtschaftsbetätigung zu einem wie auch immer gearteten Wirtschaftsrecht gehörte. Allgemein solle, so Haussmann, die Politik zwar als rechtsbildender Faktor mitwirken, doch sollte sich Parteipolitik nicht des Deckmantels des neuartigen Begriffs des Wirtschaftsrechts bedienen dürfen. 88 Schließlich stellte Haussrnano die rechtssoziologische Richtung im Wirtschaftsrecht in Frage, weil man hierauf kein System errichten könne, auch wenn er einräumte daß sich seit Jahrzehnten mit der Freirechtsschule die Berücksichtigung der wirklichen Lebensgestaltung in steigendem Maße durchsetze. Haussmann führte die von Klausing begründete Linie des Wirtschaftsrechts als Recht des wirtschaftlichen Unternehmers konsequent fort, verließ dabei aber dessen von der privatrechtliehen Systematik inspirierte individualwirtschaftliche Sichtweise und nahm die gesamtwirtschaftliche Dimension des Monopol-, Kartell- und Trustwesens bei staatlicher Einflußnahme und Kontrolle in seine Vision eines fort86 Ebenda, S. 191. K. Geiler, Rechtswandlungen auf dem Gebiete des Privatrechts, 5.173-212. 87 A. Riechers, Das Unternehmen an sich, S.16f. 88 F. Haussmann, Gibt es ein Wirtschaftsrecht?, S.l91.
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entwickelten Handelsrechts mit auf. Haussmanns Ziel war die Lehre vom Unternehmen, auf der auf- und weiterbauend das moderne Recht der Unternehmenszusammenfassungen als einem Zentralbegriff der modernen Wirtschafts- und Rechtserkenntnis zu entwickeln sei. Was Heinrich Kronstein und Adolf Amdt für das Wirtschaftsrecht zugrunde gelegt hatten, nahm Haussmann hier für das "Unternehmensrecht" in Anspruch: Grundlage des neuen Rechtsgebiets sollte sein Bezug zur Gesamtwirtschaft sein. Diese ist der Verständnishintergrund für die Prinzipienbildung und Auslegung der Rechtsdisziplin. Die sich hieraus ergebende Wirtschaftsordnung sollte ihre Substanz aus dem Wechselspiel von Unternehmerinitiative und Marktmacht erhalten. 89 Allein in diesem Sinne sollten das Handelsrecht und ihm verwandte Materien Ausgangspunkt und Träger eines Wirtschaftsrechts sein. Das Steuerrecht sei durch seine generelle Lenkungsfähigkeit und Wirtschaftsnähe wie kein anderes Rechtsgebiet dazu berufen, das neue Wirtschaftsrecht im dargelegten Sinne aufbauen zu helfen. 90 Gleichwohl beruhte Haussmanns wirtschaftsliberale Konzeption des Wrrtschaftsrecht auf der Privatinitiative und der Marktregulierung des Unternehmensrechts, wie sein Verweis auf Ortega y Gassets Thesen vom Heraufkommen der Massen zur vollen sozialen Macht und der Verstaatlichung des Lebens zeigt. Haussmann wies demgemäß dem Wirtschaftsrecht die rechtspolitische Aufgabe zu, der Idee der Freiheit und der Überlegenheit des Individuums gegenüber der Masse zu dienen und den staatlich-gemeinwirtschaftliehen Einfluß abzustreifen.91 Gegen Haussmanns Vision des staatsfernen Wirtschaftsrechts wandte sich der Berliner Rechtsanwalt und Professor Herben Schachian aus der Sicht des Wirtschaftsrechts als dem Recht der organisierten Wirtschaft und der Zwangswirtschaft. Das aus seiner Sicht zwar im Lehrbetrieb etablierte, jedoch wissenschaftlich noch nicht ausgeformte Wirtschaftsrecht leide ohnehin darunter, daß die Wissenschaftler keine aktuelle Kenntnis der "ewig wechselnden Wrrtschaftstatsachen" hätten, während es für die Praktiker dankbarer sei, sich mit dem Ausbau einzelner Institute zu befassen. 92 Entsprechend dem Ursprung des Wrrtschaftsrechts in der Kriegswirtschaft, also der zwangsweisen Erfassung und Verteilung lebensnotwendiger Güter in der Kriegsrohstoff- und Devisenbewirtschaftung sowie in dem Erscheinen der öffentlichen Hand in privatrechtliehen Formen koppelte Schachian die Entstehung des Wirtschaftsrechts an die Zwangsbewirtschaftung. Dementsprechend deutete Schachian die Parallele der gesetzmäßigen Diktatur im Kriegswirtschaftsrecht mit dem Recht der Notverordnungspolitik, also den Gleichlauf der Krisenbewältigung von 89 H. Kronstein, Wirtschaftsrecht S. 215-225; A. Arndt, Kartellrechtliche Verwaltungsakte, AöR 1926, S. 192-229; ders., Wesen des Wirtschaftsrechts, Kartell-Rundschau 1927, S. 554-557. F. Haussmann, Gibt es ein Wirtschaftsrecht?, S. 192. 90 F. Haussmann, Gibt es ein Wirtschaftsrecht?, S. 194. 91 Ebenda, S.195f; J. Ortegay Gasset, Der Aufstandder Massen, Stuttgart und Berlin 1930. 92 H. Schachian, Das Wirtschaftsrecht und sein Normenkreis, JW 1932, 5.1621-1624, hier s. 1621.
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8. Kap.: Wutschaftsrecht 1930-1933
1919 und 1931/32 als wesentliches Merkmal des nunmehr wieder an Bedeutung zunehmenden Wlrtschaftsrechts. Hatte Hans Goldschmidt vorgeschlagen, die ganze geregelte Verkehrswirtschaft dem Wirtschaftsrecht zuzuweisen, so begrenzte Schachian dieses auf die Zwangsregelung nur in der planmäßig gebundenen Wirtschaft, da er die ganze Wirtschaft als geregelt ansah. Die Verkürzung dieses Ansatzes vermittels der Antithese Kapitalismus-Sozialismus, mit deren Hilfe Klausing Hugo Sinzheimers Projekt eines Wirtschaftsrechts als Instrument des Sozialismus demontieren wollte, wies Schachian zurück, weil die planmäßig gebundene Wirtschaft analog dem Vorgehen der öffentlichen Hand mit den Bindungen und Methoden des Privatrechts geschaffen werde. 93 Die Erläuterung für die wenig überzeugende Annahme, die Intervention, die Bindung der Wirtschaft erfolge mit Mitteln des Privatrechts blieb Schachian schuldig. Eine Anknüpfung an den nicht klar umrissenen Begriff des Einzelunternehmens ließ er nicht gelten, gestand aber Haussmann zu, das Recht der Unternehmenszusammenfassung, nämlich der Kartelle und Konzerne und der weniger umfassenden Abreden, bilde neben der gebundenen Gütererzeugung und -verteilung die Hauptstücke des Wlrtschaftsrechts. Nach Schachians eigenständigem Entwurf hatte sich das Wirtschaftsrecht demnach als sekundäre Erscheinung der Wirtschaft wissenschaftlich seit Lebmanns "Industrierecht" von 1913 in enger Verbindung zum Steuerrecht und zum Gesellschaftsrecht mit den Bestandteilen der gebundenen Wirtschaft und dem Recht der Unternehmenszusammenfassung gebildet. 94 In die von Klausing entfachte Kontroverse um das Wirtschaftsrecht griff auch Haussmanns Kontrahent im Untemehmensrecht, der Freiburger Nationalökonom Robert Liefmann ein. Während Haussmann und Klausing der Erweiterung des Handelsrechtsbegriffs als Grundlage des Wirtschaftsrechts als wissenschaftlicher Disziplin das Wort redeten, nahm Liefmann mit Hedemann an, das Wirtschaftsrecht bedeute "ein Herausheben von Rechtsmaterien aus sehr verschiedenen Gebieten der Rechtswissenschaft". 95 Diese seien Gegenstand der Wirtschaftspolitik, des staatlichen Eingriffs in die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere soweit es um die Beseitigung der Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsweise in Zeiten der Wirtschaftskrise gehe. Initiierend war die Wirtschaftspolitik. Auch wenn sich daher der besonders hervorgehobene Rechtstatsachenkomplex des Arbeitsrechts wirtschaftspolitisch als Schutzrecht der Arbeitnehmer als Teil des Wirtschaftsrechts etabliert habe, gehe es nicht an, das Wirtschaftsrecht mit der rechtssoziologischen Methode gleichzusetzen. Die Identifikationsbasis des Handelsrechts, für das Liefmann die Bezeichnung ,,Erwerbswirtschaftsrecht" vorschlug, sei keinesfalls ausreichend, da die Beziehungen zwischen Recht und Wirtschaft weit über das Handelsrecht, das selbst seine BeEbenda, JW 1932, S. 1623. Ebenda, JW 1932, S.1623f. 95 R. Lieftrwnn, Wirtschaftsrecht, S. 454. 93
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grenzung auf den Handel nach verbreiteter Meinung auch der Handelsrechtier eingebüßt habe, hinausgehe. Andererseits griff Liefmann die von Schachian vorgeschlagene Definition des Wirtschaftsrechts als planmäßig gebundene Güterbedarfsdeckung und die hinkende Gleichsetzung analog dem Vorgehen der öffentlichen Hand an. Die Gleichsetzung mit der Planwirtschaft liege dann nahe, aus der sich auch die sozialistischen Ideen der Überführung der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit ergeben würden. In klarsichtiger Analyse verglich Liefmann daher "Gemeinwirtschaft" und "Wtrtschaftsdemokratie" mit den Thesen der Universalisten um Othmar Spann. Dieser hatte sich eine "Karikatur" des Individualismus zurechtgelegt, um diesen bloßzustellen. 96 Gleichwohl schloß sich Liefmann im Bereich des Rechts der Unternehmenszusammenfassung Haussmann unter Verweis auf eigene Forschungsergebnisse an, da die Systematik der Unternehmenszusammenfassung bei genetischer Betrachtungsweise jedenfalls zum Wirtschaftsrecht zähle. Dies kollidiere mit der formalen Betrachtungsweise des Rechts, während die Wirtschaftsbetrachtung durchaus die genetische Sichtweise zulasse. Dies ist nach der Analyse Liefmanns die Ursache für die Unmöglichkeit einer befriedigenden Abgrenzung des Wirtschaftsrechts; Stammler habe mit seiner Abgrenzung beide Seiten unbefriedigt gelassen, indem er sie aufeinander bezog und dabei das Verhältnis der Betrachtungsweisen durch deren Verschmelzung ignorierte. 97 Wie, wenngleich nicht ausdrücklich, Haussmann, so wendete auch Liefmann den Ausgangspunkt des wissenschaftlich betriebenen Wirtschaftsrechts der Wirtschaftswissenschaft zu, ohne jedoch selbst eine stofflich oder methodisch vereinheitlichende Grundlage für ein Wirtschaftsrecht anzubieten. Befriedigend gelungen sei eine wirtschaftsrechtliche Systematik allenfalls im Recht der Unternehmenszusammenfassung, da dort das Verhältnis der Subordination und Koordination der wirtschaftlichen Subjekte und Kräfte seinen Niederschlag finde. Inhaltlich verwies Liefmann aber auf weitere Defizite, da er den Inhalten des Wirtschaftsrechts deren jeweilige Systematik zugewiesen wissen wollte. Unabhängig von der Rolle des Handelsrechts für das Wtrtschaftsrecht stehe dies mit den "Typen des Wirtschaftslebens" nicht mehr im Einklang. Genauso vermißte er eine Systematik der "gemischten Verträge" und der Personenvereinigungen. 98 Liefmann bestimmte nicht die Struktur, sondern benannte allenfalls die Aufgabe des Wirtschaftsrechts. Er erklärte das Wirtschaftsrecht ausdrücklich nicht zum Träger einer bestimmten Wirtschaftsordnung, wie korporative Lehren oder die "Wirtschaftsdemokratie", wobei er jedoch stillschweigend die eigene wirtschaftsliberale Auffassung als Grundordnung voraussetzte. Das Wirtschaftsrecht sollte nur die Rechtsnormen der besonders gesteigerten Aufgaben des Staates auf dem Gebiete Ebenda, S.455. Ebenda, S.457. 98 Ebenda, S.457. 96 97
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der Wirtschaftspolitik zusammenfassen. Als Wirtschaftswissenschaftler mit großer Anerkennung unter den Juristen nutzte er die von der Rechtswissenschaft oft versäumte Gelegenheit, das Wirtschaftsrecht mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise aus einer gewissen Außenwahrnehmung heraus in Bezug zu setzen. Insoweit wies Liefmann als Befürworter der "individualistischen und kapitalistischen Wirtschaftsweise" dem Wirtschaftsrecht auf Dauer nicht die Aufgabe zu, die interventioneilen Eingriffe der Politik in sich aufzunehmen. Die Weltwirtschaftskrise sei in ihrer Schwere und Dauer in erster Linie eine Folge der Politik.
c) Die "Flucht in die Genera/klauseln" Mit der katastrophalen Inflation, ihren Folgen für Vertrags-, Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze, beschleunigt durch die Notverordnungpolitik kam es zu gegenläufigen Verschiebungen der Rechtsprechung gegenüber der Gesetzgebung. Zahlreiche Fragen waren nicht auf parlamentarischem Wege geklärt worden, die Aktienrechtsreform kam nur schleppend voran. So schuf sich die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiet des Privatrechts immer häufiger ihre Entscheidungsgrundlage selbst oder schöpfte sie aus der Rechtswissenschaft. Für Karl Geiler als Rechtssoziologe war dies ein Grund, die Wertoffenheit der Generalklauseln des Privatrechts als deutungsoffen im Sinne der rechtstatsächlichen Verhältnisse und damit einen Pfeiler des Wrrtschaftsrechts auf dieses Fundament zu setzen.99 Hedemann dagegen betrachtete einen historisch weiteren Rahmen und knüpfte an seine in unregelmäßigen Abständen veröffentlichten Arbeiten zum Bürgerlichen Recht an. In diese Tradition stellte Hedemann sein Buch "Die Flucht in die Generalklauseln", das die Alterungserscheinungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welches die neuen Formen des Wirtschaftsrechts, die Marktstörungen und Kartellzwänge, die wirtschaftlichen Rechtsformen und Gebräuche nur über den Umweg der wertungsoffenen Klauseln von Treu und Glauben und der guten Sitten in sich aufzunehmen vermochte, anband der Rechtsprechung des Reichsgerichts deutete und eigenständig erläuterte. 100 Gegenstand der Untersuchung war das besonders in der Zeit der Inflation und der Wirtschaftskrise ab 1929 übliche Ausweichen und Abweichen der Rechtsprechung von den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, aber auch vom neueren positiven Recht. Im Gegensatz zum 1929 erschienenen "Reichsgericht und Wirtschaftsrecht", in dem Hedemann eine für die Entfaltung des Wrrtschaftsrecht positive Bilanz der Rechtsprechung über die Generalklauseln des bürgerlichen und des Handelsrechts zog, erschien ihm die Lage zum Jahreswechsel 1932/33 bereits gravierend gewandelt. Entgegen seiner sonstigen Publikationspraxis zum Bürgerlichen Recht erscheint das Wirtschaftsrecht nicht als Sujet. Er beobachtete ein "erstaunliches" Vordringen der Generalklauseln im Lauf der letzten dreiK. Geiler, Die Konkretisierung des Rechtsgebots der guten Sitten, S.254-279. W. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, eine Gefahr für Recht und Staat, Tübingen 1933. 99
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III. Die Literatur in der Endphase der Weimarer Republik
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ßig bis fünfzig Jahre. 101 Die Bedrängnis, die der deutschnationale Hedemann angesichts der Abhängigkeit des Rechtssystems von der Richterschaft empfand und mit der er - in einer Parallele zum Zerfall des byzantinischen Rechts - die richterliche Unabhängigkeit in den Händen der tatsächlichen Machthaber dahinschmelzen sah, bezeugt Hedemanns Unversöhnlichkeit mit den Herrschaftsstrukturen der wankenden Republiktrotz allem persönlich Erreichten. Unter Berufung auf Carl Schmitt und Heinrich Herrfahrdt kennzeichnete Hedemann "Polykratie" und Pluralismus als den ,,Nährboden der Generalklauseln". Der Umbau des Bürgerlichen Rechts, von dem Hedemann sich einst Elemente für den Neuaufbau des Rechts als Wirtschaftsrecht erhofft hatte, war ihm nunmehr Anlaß zu resignativem Rückzug. Hedemanns empfundene Unsicherheit drückt auch eine tiefe Skepsis gegenüber dem republikanischen Juristenstand als solchen aus, aus der Hedemann selbst jedoch keine Auswege wies. Dennoch stellte er bei Erscheinen des Werks im März 1933 die zu erwartenden Leistungen der Juristen im Nationalsozialismus noch in Frage. 102 2. Ausdifferenzierung des Wirtschaftsrechts Zu einer allgemein anerkannten Untergliederung des Wirtschaftsrechts drang weder das Wirtschaftsverwaltungsrecht noch das Wirtschaftsstrafrecht vor. Hatte nun das Wirtschaftsverwaltungsrecht mit Huber und seinem monolithisch aufragenden Buch "Wirtschaftsverwaltungsrecht" einen bedeutenden Fürsprecher, so war die Lage im Wirtschaftsstrafrecht damit nicht vergleichbar. In der Literatur zum Wirtschaftsrecht zeigt sich nur an wenigen Stellen ein Ansatz für eine Befassung des Strafrechts mit dem repressiven Rechtsgüterschutz im Bereich der Wirtschaft. Da die Strafrechtsdisziplin wie in anderen Verfassungsepochen auch in der Weimarer Republik durch ihre rechtsdogmatische und methodische Abgeschlossenheit gegenüber den übrigen Fachrichtungen der Rechtswissenschaft gekennzeichnet ist, war es wahrscheinlich, daß eigene Forschungen zu einem Wirtschaftsstrafrecht weder von einem typischen Vertreter des Strafrechts noch von einem Wirtschaftsrechtier im engeren Sinne vorangetrieben wurden. So war es nur folgerichtig, wenn zu Beginn der Dreißiger Jahre Max Alsberg als der bedeutendste Exponent des wenig beachteten Wirtschaftsstrafrechts zu Ende der Weimarer Zeit, auf die methodische Eigenständigkeit des Strafrechts als Hindernis für die Integration des Wirtschaftsstrafrechts in die allgemeine Strafrechtsdogmatik hinwies. Denn der bedeutende Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Berliner Honorarprofessor beschrieb nicht den dogmatischen Zusammenhang des Strafrechts, sondern vielmehr die "soziologisch-phänomenologische Grundlage" der Wirtschaft nach der "empirischen Wirklichkeitsbetrachtung" als die dogmatische Fundierung des WirtEbenda, S. 4. Ebenda, S.46, 57. Am Ende (S. 76) schrieb Hedemann: "Mutig hat in diesem Augenblick die junge deutsche Generation den Vormarsch in die kommenden Zeiten angetreten. Das mahnende Bild der Geschichte steht vor ihr. Vor ihm wird sie sich zu bewähren haben." 101
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8. Kap.: Wirtschaftsrecht 1930--1933
schaftsstrafrechts. Er diagnostizierte daher auch zurecht Berührungsängste der Strafrechtsdogmatiker mit der Rechtstatsachenwelt des Wrrtschaftslebens. 103 Der Konflikt zwischen der an moralphilosophischen Gerechtigkeitspostulaten und naturalistischen Deutungsmustern orientierten allgemeinen Strafrechtsdogmatik und dem Wirtschaftsstrafrecht mußte sich bei den Möglichkeiten der Analogie im Privatrecht, bei der Anwendung des Wrrtschaftsgewohnheitsrechts, vorrangig aber bei wertungsoffenen Klauseln wie dem Verweis auf den Handelsbrauch noch verschärfen. 104 Ein Jahr zuvor hatte der dem wissenschaftlichen Werk Hedemanns verbundene Rechtspraktiker Wilhelm Spohr die Frage nach dem Wrrtschaftsstrafrecht und dessen Verbindung zum Wirtschaftsrecht selbst aufgeworfen. 105 Auf Anregung von Hedemann war schließlich 1932 in der Schriftenreihe des Jenaer Instituts für Wrrtschaftsrecht die Arbeit von Curt Lindemann hervorgegangen, der das Wirtschaftsstrafrecht in das allgemeine Strafrecht integrieren wollte und die Entstehung eines als Nebenstrafrecht eigenständigen Wrrtschaftsstrafrechts in Zweifel gezogen hatte. 106 3. Autoritärstaatliche und bündische Deutungen der Wirtschaftsverfassung und ihr Gefährdungspotential für das Wirtschaftsrecht
Das Klima der rechtswissenschaftliehen Auseinandersetzung radikalisierte sich. Vorschläge zu fundamentalen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen nahmen in der Literatur erheblich zu. Die Kritik an der Weimarer Verfassung, die nie verstummt war, wurde zusehends lauter und unverhohlener vorgetragen. Eine Verfassungsreformerwog man bis in das vernunftrepublikanische Lager hinein. Zugunsten der Macht einer autoritären Führung sollte eine Reichsreform den Einfluß des Parlaments, das als Interessenvertretung einzelner Gruppen gescholten und als nicht funktionstauglich verhöhnt wurde, zurückdrängen. Diese offene Feindschaft galt auch den Plänen einer Wrrtschaftsdemokratie, deren Vertreter sich immer weniger Gehör verschaffen konnten. 107 M. Alsberg, Die Auslegung der Handelsstrafgesetze, Festschrift Pinner 1932, S. 221-225. Siehe ferner: M. Alsberg, Wirtschaftsstrafrecht als Problem der Gesetzgebung, Praxis und Wissenschaft, Berlin 1931, sowie dessen Textausgabe, ders., Die strafrechtlichen Nebengesetze, Band 1: Handels- und Wrrtschaftsstrafrecht, in: M. Apt (Hrsg.), Die Deutsche Reichsgesetzgebung, Berlin 1930. 105 W. Spohr, Zur Frage des Wirtschaftsstrafrechts, Zentralblatt für Handelsrecht 1931, S.56-59. 106 J. W. Hedemann, Chronik des Wirtschaftsrechts, Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Heft 20 November 1930, S. 20, 22; C. Lindemann, Gibt es ein eigenes Wirtschaftsstrafrecht? (Schriften des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Heft 12), 1932. 107 J. Herzig, Die Stellung der dt. Arbeitergewerkschaft zur Wrrtschaftsdemokratie, R.- u. Staatswiss. Diss., Jena 1933, F. Neumann, Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfassung, Die Arbeit 1931, S. 588. 103
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Ein massiver und gegen die Parteiendemokratie gerichteter Reformwille in der Rechtswissenschaft und insbesondere in der Staatsrechtslehre begleitete die autoritärstaatlichen Ansätze der Reichskanzler Papen und Schleicher in der Politik. 108 Dabei waren Verfechter von Reformvorschlägen auf dem Boden der Weimarer Grundordnung ebenso vertreten 109 wie die Verkünder eines autoritären Staates. Die Auflösungserscheinungen der Weimarer Republik waren auch die Folge einer bewußten staatsrechtlichen Demontage vorrangig im Umfeld und Zusammenhang des Prozesses Preußen contra Reich. Ernst Rudolf Huber hatte die Aussichtslosigkeit des Prozesses für Preußen aufgrund der nicht mehr der Weimarer Verfassung entsprechenden Stellung des Staatsgerichtshofs unterstrichen und so die Lockerung des Weimarer Verfassungsgefüges aus der Sicht des Staatsrechtiers dokumentiert. Die Vertrauenskrise der Justiz und die Politisierung aller Lebensbereiche waren bereits vorangegangen.110 Sozialdemokraten und Sozialisten, die grundsätzlich ihren Weg über die Republik nehmen wollten, drangen in der Diskussion für die Reform der Republik und der Wirtschaftsverfassung nicht durch. Die Rückkehr zur Parteiendemokratie war erschwert und nicht selten verhinderten philosophische und dogmatische Fragen ein einheitliches Auftreten der Verteidiger der Demokratie. 111 Die autoritärstaatliche Wende wurde in der Staatsrechtslehre wie in der Politik von zwei ungleichartigen und je eigenständigen geisteswissenschaftlichen Strömungen begleitet, dem Machtsstaatsdenken des Neuhegelianismus und der Konservativen Revolution. Sie traten zu der auch bei den "gemäßigten" Antipositivisten durchaus vorhandenen Fundierung aus bündischer Erfahrung, ständestaatlicher Sozialromantik und durch konfessionelle Prägung gewonnenem Staatsbild hinzu. 112 Der Konservatismus hatte seine Republikfeindschaft über die ganzen Weimarer Jahre bewahrt und verband sich nun mit den radikalen Reformkräften in einer gemeinsamen Linie gegen die positive Verfassung. Die Jungkonservativen traten gegen Ende der Zwanziger Jahre besonders im ,,Ring"-, im "Tat"-Kreis und im Berliner Herrenclub hinzu. Sie zielten nicht auf einen zu erhaltenden politischen Zustand der Vergangenheit ab, ein Bild des Konservatismus, das im 20. Jahrhundert ohnehin nicht mehr anwendbar ist, sondern auf eine politische Vision, die für sich überzeitliche Geltung beanspruchte und in einer Dialektik des "Werdens" und "Machens", lOS G. Schutz, Triebkräfte und Ziele der Reichsreform nach der Weimarer Verfassung, S.90-95. 109 C. Düssel, Der konstitutive Weg zur Verfassungsrefonn, S. 171-178. 110 E.R. Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 6 f u. ö. Zum Verfall der parlamentarischen Demokratie und des Staatswesens: E. Friesenhahn, Zur Legitimation und zum Scheitern der Weimarer Verfassung, S. 89-94, 100-108; K.D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. H. Köhler, Arbeitsbeschaffung und Reparationsfrage zu Ende der Regierung Brüning, S. 276-278, 306f. 111 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 182ff, der die zur Unzeit und wegen der Methodenreinheit geführte Kontroverse Hellers und Kelsens hervorhebt. 112 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Dritter Band 1914-1945, S.171ff.
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8. Kap.: Wirtschaftsrecht 1930-1933
also auch neuschöpferischer revolutionärer Tat durchgesetzt werden sollte. Das Ziel war auch für sie der autoritäre Staat. 113 Die rechtsphilosophische Schule des Neuhegelianismus formte unter ihrem Doyen, dem Würzburger Rechtsphilosophen Julius Binder, aus dem begrifflichen und gedanklichen Vorrat des Deutschen Idealismus in seiner zur Jahrhundertwende vorfindliehen Gestalt, eine Rechtsphilosophie, die sich vor allem durch ihre Gegnerschaft zu naturrechtliehen und neukantianischen Ansätzen auszeichnete. Der Neuhegelianismus begleitete in der Rechtsphilosophie die Renaissance des Hegelianismus in der Staatsrechtslehre. 114 Binder selbst hatte sich von seinem Lehrer, dem Neukantianer Rudolf Stammler entfernt und dem Hegelianer Josef Kohler zugewandt. 115 Gemeinsam mit seinen Schülern Martin Busse und Karl Larenz stellte er die Grundsätze seiner am Staat und den in ihn hineingelegten Zwecken im Sinne Hegels orientierten Philosophie zusammen. Dem Werk stand die "Rechts- und Staatsphilosophie" von Karl Larenz zur Seite. Die letzten Ausläufer der Marburger neukantianischen Schule spielten demgegenüber keine beachtliche Rolle mehr in der rechtsphilosophischen Literatur. 116 Die Bedeutung des Neuhegelianismus liegt in seiner prägenden Wirkung auf viele Juristen der Zeit. Dies gilt insbesondere für Ernst Rudolf Huber, der sich gegenüber Carl Schmitt mit durchaus eigenständigen neuhegelianischen Methodenansätzen absetzte. 117 Hubers "Wirtschaftsstaat" von 1931 sprach in einer vereinfachten Form der Anschauungen Hegels in dessen "Grundzüge der Philosophie des Rechts" (§§ 184, 232) 118 von einer "gebundenen Freiheit der Wirtschaftenden", die der Gemeinschaft zu Diensten sein solle. Die Dynamik in der Literatur zum Wirtschaftsrecht als wissenschaftlicher Disziplin und Lehrfach erschlaffte unter dem Eindruck der ungezügelten Interventions113 J.H. Knoll, Der autoritäre Staat; H. Gerstenberger, Konservatismus in der Weimarer Republik, S. 332-339; M . Greiffenhagen, Dilemma des Konservatismus, Einleitung; S. Huntington, Konservatismus als Ideologie, S. 96 ff; zur Auffassung, daß der Konservatismus keine Erscheinung des 20. Jahrhunderts mehr sein könne, da er allein das Bestreben der- insbesondere durch die Mediatisierung in Deutschland- entmachteten Adelsstände zum Erhalt der eigenen gesellschaftlichen Stellung kennzeichne P. Kondylis, Konservativismus, S. 1-13; K. v. Klemperer, Konservativismus, S. 12 ff; A. Mohier, Die Konservative Revolution, S. 5 ff, 178, zählte zu den juristischen Vertretern der Konservativen Revolution neben Ernst RudolfHuber und Ernst Forsthoff auch den Essener Strafverteidiger und Münsteraner Honorarprofessor für internationales und Prozeßrecht Friedrich Grimm. Zu dessen durchaus eigenartiger Perspektive für die Zeit des Verfalls der Weimarer Republik siehe F. Grimm, Mit offenem Visier. 114 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 176ff. 115 E. Jacob, Die Rechtsphilosophie Julius Binders, S. 7 ff. 116 C. Müller, Die Rechtsphilosophie des Macburger Neukantianismus, 1994. 117 S. Hürstel, Rechtsphilosophie oder Rechtsgeschichte?, erwähnte Huber in ihrer dem Neuhegelianismus gewidmeten Studie nicht. Demgegenüber wird Huber von anderer Seite dem Rechtshegelianismus aus einem ideologiekritischen Ansatz heraus mit den hier angedeuteten Argumenten zugeordnet, R. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 107ff. 118 G. W.F. Hege[, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt 1986.
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politik und der undurchschaubaren Gesetzeslage zusehends nach den zusammenfassenden Arbeiten von Klausing und Huber von 1931. Sie wich einer wiederauflebenden Grundsatzdebatte über eine Wtrtschaftsverfassung, die das abstrakte Verhältnis der Wirtschaft zum Staat im Blick behielt, die Bewältigung des einfachen geltenden Gesetzesrechts und seiner Auslegung aber ignorierte. Aufgrund des längeren Vorlaufs der Diskussion über die Wirtschaftsverfassung in den Wirtschaftswissenschaften erlebte sie auch dort wieder eine Renaissance. Gemäßigte oder apolitische Liberale 119 standen, mit einem Österreichischen und speziell Wiener Schwerpunkt, Vertretern eines Korporatismus in der Volkswirtschaftslehre gegenüber. Die Ansätze der "Wirtschaftsdemokratie" und der "Verfassung der Arbeit" im Sinne Sinzheimers blieben zwar als Feindbild lebendig, büßten jedoch ihre reale Dimension ein. 120 Mit seiner fundamentalen Kritik an der Praxis der Wirtschaftspolitik, die er im "Hüter der Verfassung" vorgetragen hatte, forderte Carl Schmitt eine Erneuerung der politischen Verfassung und lehnte eine eigene Wtrtschaftsverfassung ab. Dagegen hatten der Ständegedanke und andere Varianten korporatistischen Denkenseine Hochkonjunktur, wie sie sonst nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu beobachten gewesen war. 121 Der Ruf nach dem starken und rein politischen, von wirtschaftlichen Konjunkturschwankungen unabhängigen Staat, verschaffte sich sowohl in der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft als auch in der Praxis immer mehr Gehör. 122 Die Gegenwehr der liberalen Interventionsgegner führte eine Nischenexistenz. 123 Stimmen, die dem Wirtschaftsrecht über seine allgemeine Funktion als Ordnungsinstrument des Wirtschaftslebens hinaus eine konstruktive Aufgabe zur Bewältigung der Folgen der Weltwirtschaftskrise zugewiesen hätten, erhoben sich nicht. Die Debatte war ja auf das höhere und deshalb nicht mehr konkret faßbare Niveau der Wirtschaftsverfassung ausgewichen. Zur Jahreswende auf 1933 prangerte Heinrich Göppert wie schon in den Jahren zuvor erneut die Schwäche des parlamentarischen Staates an, der zu keiner einheitlichen Wirtschaftspolitik durchdringen konnte und der Wirtschaftsmacht in ihren Partikularinteressen ausgeliefert war. 124 119 Vgl. M.R. Behm (Hrsg.), Öffentliche Hand und Wirtschaftsgestaltung, Beiträge zur Erkenntnis der Problematik gegenwärtiger Wirtschaftsgestaltung, Festschrift für Kurt Wiedenfeld zum 60. Geburtstag, Leipzig 1931; hierzu C. Victorius, Rezension: Behm, Bank-Archiv 1932/1933, s. 22. 120 Auch Radbruchs und Sinzheimers ,)ustiz" stellte ihr Erscheinen 1931 ein. 121 H. v. Beckerath, Politische Verfassung und Wirtschaftsverfassung, Schmollers Jahrbuch 1932, S.1098, 1101 ff. 122 Der Reichsfinanzminister dokumentierte die Abhängigkeit der Politik von der wirtschaftlichen Konjunktur in aller Deutlichkeit. Graf Schwerin von Krosigk, Die Abhängigkeit der öffentlichen Finanzen von der Wirtschaftslage und das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung, DJZ 1932, S. 1437f. 123 So die neoliberale Schule, die sich in Weimar nicht mehr öffentlichkeitswirksam artikulieren konnte und die A1tliberalen, allen voran der Wiener Geheimrat Ludwig Mises, Die Gemeinwirtschaft - Untersuchungen über den Sozialismus, 2. Auflage, Jena 1932. 124 H. Göppert, Staat und Wirtschaft, DJZ 1933, S.48ff.
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An seiner an Carl Schmitt angelehnten Kritik am totalen, vom Primat der Politik nicht mehr bestimmten Staat, der die Voraussetzungen, die ihn konstituieren, nicht schaffen kann und soll, in der er sich mit seiner Vision des neutralen und starken Staates an eine ungewisse Zukunft wandte, hatte sich Ernst Forsthoff an die bis Anfang 1933 entstandene Literatur angelehnt. Zum Zeitpunkt der Publikation seines "totalen Staats" waren die funktionierenden staatsorganisatorischen Reste der Weimarer Verfassung und der daraus resultierende offene wirtschaftsrechtliche Rahmen bereits zerstört. 125
125 E. Forsthojf. Der totale Staat, 1933, insbesondere S. 35. Die Einsicht, daß der Interventionsstaat zum ersten eigenen Leistungsträger im Dienst der Daseinsvorsorge aufrücken mußte, erarbeitete Forsthofffünf Jahre später: Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938.
Schlußbetrachtung I. Überblicken wir die Geschichte des "Wrrtschaftsrechts" in der Zeit vom ersten Weltkrieg bis zum gewaltsamen Ende der Weimarer Republik, so zeigt sich, daß mit der Auseinandersetzung um das Wutschaftsrecht eine wesentliche Rechts- und Verfassungsfrage der Weimarer Zeit erörtert wurde. Durch Industrialisierung und Parlamentarisierung hatte sich der Untertan zum Bürger der Massengesellschaft in der egalitären Demokratie gewandelt. In das Verhältnis von Staat und Gesellschaft war seit dem Verlauf des 19. Jahrhunderts schrittweise die intermediäre Gewalt der industriellen Wirtschaft eingedrungen, die den Bürger in zahlreiche neuartige Abhängigkeiten brachte und das Machtmonopol des Staates lockerte. Wechselseitig herrschten Interdependenz und Intervention. In der aus der Revolution hervorgegangenen Republik wurde diese gegenläufige Verschiebung zur Verfassungsfrage erhoben. Die Verlagerung der Machtverhältnisse und der damit verbundene Autoritätsverlust des Staates war eine wichtige Ursache für die Zerstörung der Republik. Im Umfeld der politischen lnptlichtnahme der Gesamtwirtschaft im Gesamtinteresse entluden sich im Weltkrieg die in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bewegungen der Vorkriegszeit angelegten Spannungen. Man mußte die parlamentarische Vertretung des Volkes aufwerten. Die Industrie und die immer noch nicht staatlich sanktionierten Gewerkschaften näherten sich unter dem Kriegsdruck einander an. Hatte das Kriegsziel eine stringente Kriegswirtschaft mit dem pragmatischen rechtlichen Rahmen der Verordnungsermächtigung zugunsten der Exekutive sowie später der Heeresführung herbeigeführt, so fand die rechtswissenschaftliche Aufarbeitung angesichts des unerwartet langen Kriegsverlaufs nur schleppend statt. Erst gegen Ende des Krieges entfalteten sich Ansätze zu einer begrifflichen und sowohl für die Praxis als auch für den Lehrbetrieb vorgesehenen Systematisierung. Nach dem Krieg wertete man die neuen rechtlichen Bildungen der Kriegswirtschaft und der Demobilmachung immer mehr als wirtschaftsrechtliche Erscheinungen. In der von Reparationsdruck und innerer Unruhe gebeutelten Demokratie diente Wrrtschaftsrecht als ,,Zauberwort" 1 für eine nicht zu bewältigende Gegenwart sowie zugleich als Hoffnungsprogramm für eine Ordnung, die an den Lebensverhältnissen der Wirtschaft zu messen war und wirtschaftliche Stabilität stiften sollte. 1 R. Wiethölter, Die Position des Wirtschaftsrechts im sozialen Rechtsstaat, in: Festschrift für Franz Böhm, S. 50.
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Schlußbetrachtung
In der Aufbauphase der Republik entfaltete sich eine lebhafte Diskussion der rechtlichen Neuerungen und ihres Einbaus in die Rechtsordnung. Getragen von den auf Kant zurückgeführten Anschauungen Rudolf Stammlers wiesen die meisten Autoren in dieser Zeit zunächst dem Wirtschaftsrecht einen neuen Weg, der den Einbau in die herkömmliche Rechtsordnung ausschloß. Die Konsolidierungsphase brachte ein Abflachen der Diskussion um das Wirtschaftsrecht als wissenschaftliche Disziplin mit sich. Der Bedarf an neuen Lehren zum Wirtschaftsrecht war gedeckt, die Praxis glaubte Orientierung zu haben, die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Politik wurde deutlich und der Stellenwert der Wirtschaftsbetätigung als den Staat beeinflussende Größe hatte sich deutlich abgezeichnet. Die im weiteren materiellen Sinne wirtschaftsrechtlichen Gesichtspunkte wurden in anderen Zusammenhängen diskutiert. Die "sozialrechtliche" Richtung, aus der Nationalökonomie in die Rechtswissenschaft hineingetragen, griff in ihrer sozialistischen Variante die Publizierung des Privatrechts auf und erhoffte durch sie gerechte Verhältnisse bei Produktion und Verteilung. Mit dem Ziel der Demokratisierung der Wrrtschaft, hatte man von hier aus unter Hugo Sinzheimer an der Spitze der Bewegung die Übertragung des Rätegedankens in die Weimarer Verfassung erreicht. In seiner rechtssoziologischen Spielart zielte das "Sozialrecht" auf die Kompensation der Differenz sozialer Realität und ökonomischer Dynamik zur Rechtsordnung. Die Phase der wirtschaftlichen Prosperität ließ das "Sozialrecht" und politisch-sozialistische Pläne zur "Wirtschaftsdemokratie" besonders aufleben. Den latent republikfeindlichen Konservativen mag in dieser Periode ein Angriff auf den Weimarer Staat und die Demontage seiner Wrrtschaftsverfassung noch aussichtslos erschienen sein. Die Krise der Weimarer Republik verschärfte die Reformdiskussion zu Reichsverfassung und Wirtschaftsverfassung. Im Kern stand das Maß der Trennung von Staat und Wirtschaft zur Debatte. Dabei ließen die konservativen Konzepte des "starken Staates" die sozialistischen Reformvorschläge und Interventionsmodelle zunehmend hinter sich. In ihnen spiegelt sich das Verfassungsproblem der ganzen Epoche, nämlich die Position der Verbände, Gewerkschaften, Parteien und schließlich der eng verflochtenen Wirtschaft zwischen Bürger und Staat. Öffentliches Recht und Privatrecht waren bis zu diesem Zeitpunkt meist nur reflexhaft betroffen. Schon 1923 hatte sich, augenscheinlich durch Martin Wolff und kurz darauf mit der beifälligen Zustimmung Heinrich Triepels die These vom verfassungsrechtlichen Schutz aller erworbenen Forderungspositionen als Eigentum im Sinne der Verfassung endgültig durchgesetzt. Damit war die Relativierung des Eigentums als absolutem Recht durch seine Positivierung und Historisierung in Richtung auf den an Grundrechte gebundenen Sozialstaat weiter vorangeschritten. Das Privatrecht hatte längst mit einer veränderten Funktion seiner wertungsoffenen Generalklauseln als Steuerungsinstrumente für die Einführung und Verarbeitung materialer Wertprinzipien reagiert. In der Wissenschaft vom öffentlichen Recht hatte man zunächst allenfalls das Vordringen der öffentlichen Wirtschaft registriert. Vor
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allem zu Ende der Weimarer Republik erörterte man dort das Verfassungsproblem der Wirtschaft, die ein für die politische Grundordnung mitbestimmender Faktor geworden war. Hatte noch Heinrich Göppert die Zustände beklagt und ein Zurückdrängen des wirtschaftlichen Einflusses durch eine Wiederaufnahme der Vorkriegsgepflogenheiten für möglich gehalten, so ging es nunmehr um einen Wandel der Gesamtrechtsordnung, die, vom Verfassungsrecht angeleitet, wieder im Sinne einer Staatslehre reine Verhältnisse schaffen sollte. Die Politik sollte nun nicht nur dem Ruf nach dem starken Staat (Heinrich Göppert, Ernst Rudolf Huber) nachkommen, sondern mit der schillernden Rhetorik Carl Schmitts zur Entmachtung der ,,Polykratie", der vertrusteten Wirtschaft mit ihrem herrschaftsähnlichen Einfluß auf die von ihr abhängigen Bürger antreten. Von dort aus verpönte man unter Berufung auf die Staatsphilosophie Hegels den so definierten "totalen Staat", der die Trennung von Staat und Gesellschaft übersprang. Die "vernunftrepublikanische" vom Interventionismus geprägte Wirtschaftsverfassung wurde wie die Parteiendemokratie diffamiert oder als untauglich beklagt, ohne daß sie eine nennenswerte- zum Kampf um die Demokratie bereite- Unterstützung erwarten konnte. Dennoch drang der Staat der Industriegesellschaft, der von der Wirtschaftsgemeinschaft lebte wie diese von ihm, unausweichlich vor. Der generelle Vorwurf von der Weltfremdheit des Richters war von dem Ruf der Wirtschaftspraxis nach wirtschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Orientierung der Juristen abgelöst worden. Aufgrund von deren Spezialisierung spielte die Rechtspraxis meist nur die Rolle des Indikators für innovative Rechtswissenschaftler. Allgemeine Grundsätze des Wirtschaftsrechts bildeten sich erst auf dem der Grundlagenforschung zugewandten Niveau der Rechtswissenschaft durch eine Verbindung öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Elemente sowie gesamtwirtschaftlicher Grundsätze, Deutungsmuster und Auslegungsmaximen. Die Autoren des Wirtschaftsrechts vom Anfang der Weimarer Zeit, allen voran Justus Wilhelm Hedemann, hatten das Wirtschaftsrecht zunächst als Inbegriff der eigenen Methode und des eigenen Rechtsverständnisses reklamiert. Andere unterschieden nach der Rechtsmaterie: Wirtschaftsrecht war für die "Sammeltheorie" lediglich das neue Recht der Wirtschaft, das -unter Bewahrung der Privatrechtsordnung - nicht in die herkömmlichen Rechtsformen paßte (Arthur Nussbaum). Die dritte Hauptgruppe kennzeichnete mit Hans Goldschmidt das Wirtschaftsrecht wiederum anband der materiellen Kriterien von Bindung und Organisation der Wirtschaft. Bereits vor der Inflation hatten sich miteinander weitgehend unvereinbare Theorien vom Wirtschaftsrecht etabliert, wie sie von Walter Kaskel 1926 und von Justus Wilhelm Hedemann 1929 zusammengefaßt worden waren. Demgegenüber fand Friedrich Klausing 1931 ein zwar nicht endgültig festgelegtes, aber dafür einen repräsentativen Querschnitt einer Disziplin bildendes Wirtschaftsrecht vor. Zwar herrschten Begriffsunsicherheit und Methodenvielfalt, doch war man sich einig über die Andersartigkeit und Bedeutung des Wirtschaftsrechts gegenüber den übrigen Disziplinen. Auch stoffliche Abgrenzung und Verteilung der Rechtsmaterien waren
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nur negativ definiert. Es fand sich jedoch insgesamt ein Konsens über das Ziel und die Eigenständigkeil des Rechtsgebiets im Zeichen einer modernen Orientierung an den Entwicklungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unter Umbau des Rechtsgefüges und weiterem Abbau der traditionellen Selbständigkeit des Rechts. Insofern läßt sich eine Wechselwirkung der antipositivistischen Reformbewegungen mit dem Wirtschaftsrecht feststellen. Allenfalls vorbewußt trat unter den Teilnehmern der Debatte über die neue Rechtsdisziplin das Wirtschaftsrecht als ordnungspolitisches Phänomen im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne auf. Die Begriffsdiskussion zum Wirtschaftsrecht der Weimarer Jahre war Ausdruck eines erkenntnistheoretischen Wandels, der durch ein sich veränderndes ordnungspolitisches und rechtspolitisches Bewußtsein eingesetzt hatte. Die Transposition des Begriffs der "Wirtschaftsverfassung" aus den Wirtschaftswissenschaften fiel ebenso in die Weimarer Zeit wie eigene rechtswissenschaftliche Ansätze zur Klärung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft. 2 II. Die Wirtschaftsrechtsgeschichte nimmt Anteil an der besonderen gegenständlichen und methodischen Eigenart des Wirtschaftsrechts. Die fachliche und methodische Eigenständigkeil des Wirtschaftsrechts führt dazu, daß sich die Wirtschaftsrechtsgeschichte selbständig in dem gedachten Feld zwischen der Privatrechtsgeschichte und der Geschichte des öffentlichen Rechts bewegt. Sie tritt nicht gegen die Privatrechtsgeschichte an und stellt auch nicht die Geschichte des öffentlichen Rechts in Frage. Sie bietet nur zusätzliche Verständnis- und Erklärungswege für ein Rechtsgebiet an, dessen schnelle Entfaltung eine rein wissenschaftsimmanente Fundierung ausschloß. Es ist für das Wirtschaftsrecht kennzeichnend, daß sich in keinem historischen Stadium eine bestimmte Auffassung zu seiner Abgrenzung durchsetzen konnte oder gar ein überzeitlicher Begriff geprägt worden wäre. Aus der Situation nach dem ersten Weltkrieg ging es in seiner Eigenart aus der Überlagerung von Privatrecht, öffentlichem Recht und einem gewichtigen Anteil vorrechtlicher Faktoren hervor. Deswegen kann die Wirtschaftsrechtsgeschichte weder ein Sondergebiet der neuesten Privatrechtsgeschichte noch der Geschichte des öffentlichen Rechts allein darstellen. Sie basiert auf Elementen beider Denktraditionen verbunden mit einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise. Das Wirtschaftsrecht ging aus der Verschiebung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, genauer, des Verhältnisses von politischer und wirtschaftlicher Macht hervor. Denn die politisch induzierte Wandlung des Staatsgefüges ging unter dem Eindruck der neu als konkurrierender Machtträger empfundenen sozialen Gewalt der Wirtschaft mit der Entfaltung eines neuen Rechtsgebiets einher. Daher ist es naheliegend, die Wirtschafts2 Nach K. 0. Scherner, Gibt es eine Privatrechtsgeschichte der Weimarer Zeit?, ZNR 1990, S. 198- 204, insbes. S. 202, war der Begriff der Wirtschaftsverfassung dagegen "eindeutig" ein Produkt der Weimarer Zeit.
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rechtsgeschichte mit verfassungsgeschichtlichen Erkenntnismodellen zu verbinden, da der in der Weimarer Zeit vollzogene Verfassungswandel in besonderer Weise zu den geistigen und wissenschaftlichen Grundlagen des Wirtschaftsrechts zählt. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht der Weimarer Republik gehört dem Verständniszusammenhang des Wirtschaftsrechts an. Jedenfalls waren weder die Isolierung des Wirtschaftsverwaltungsrechts noch seine Integration in das besondere Verwaltungsrecht abgeschlossen. Die Frage nach dem Wutschaftsverwaltungsrecht als der Lehre von den öffentlichrechtlichen Instituten, die man im Bereich des Wutschaftsrechts entwickelte, losgelöst von der Untersuchung des Wirtschaftsrechts zu stellen, hieße, das Wirtschaftsverwaltungsrecht seines wesentlichen historischen Zusammenhangs zu entkleiden. Denn das Wutschaftsverwaltungsrecht bezieht seine geistigen und wissenschaftlichen Grundlagen aus dem Wutschaftsrecht als Rechtsmasse im Sinne eines funktionalen Wutschaftsrechtsbegriffs und als wissenschaftlicher Disziplin, auch wenn das Wirtschaftsverwaltungsrecht eher verwaltungsrechtliche und- wegen des Verhältnisses der Wirtschaft zum Staat- staatsrechtliche Probleme behandelte. Eine isolierte Betrachtung des Wutschaftsverwaltungsrechts könnte sich zudem dem Vorwurf aussetzen, von gegenwärtigen rechtswissenschaftliehen Auffassungen geprägt, und damit rechtshistorisch nicht unangreifbar zu sein. Denn die Anfänge des Wirtschaftsverwaltungsrechts der Zeit bezogen sich selbst ausdrücklich auf das Wirtschaftsrecht Allen voran Ernst Rudolf Huber erforschte nach seiner eigenen Auffassung in seinem Buch "Wirtschaftsverwaltungsrecht" einen Teil des Wirtschaftsrechts. Er hatte sich allenfalls dem Namen nach das Ziel gesteckt, das Wirtschaftsverwaltungsrecht dem besonderen Verwaltungsrecht zuzuordnen. Dennoch wollte Huber der Wirtschaft nur eine gebundene Freiheit unter dem Primat des Staates zugestehen. Er wies daher dem Wutschaftsrecht als solchem einen hoheitsrechtliehen Gehalt zu, um die intermediäre Gewalt der Wirtschaft in den Staat einzubinden. Das deckt sich erneut mit dem Befund, daß das Wirtschaftsrecht einen rechtshistorischen Moment darstellt, in dem sich Privatrecht und öffentliches Recht untrennbar miteinander verbanden. 3 Die Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht büßte nicht nur ihre Überzeugungskraft weiter ein, sondern beide Rechtshälften gingen dort eine das Wirtschaftsrecht konstituierende Synthese ein. Reichten im Privatrecht die Eingriffe in die autonome Selbstbestimmung und die Nutzungsbefugnis des Eigentums sehr weit, so war dennoch das Wutschaftsrecht mit seinen für den Einzelfall relevanten gesamtwirtschaftlichen Bezügen kein Sondergebiet des Privatrechts, wie etwa das Siedlungs-, Pacht- und Wohnungsrecht der 3 Auch für das geltende Recht nach dem Zweiten Weltkrieg beobachtet R. Wiethölter. Die Position des Wutschaftsrechts im sozialen Rechtsstaat, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, Festschrift für Pranz Böhm, Karlsrune 1965, S.41-62, S.61: "Von öffentlichem und privatem Wirtschaftsrecht getrennt zu sprechen, verfehlt die graduellen und in diesem Bereich variablen Übergänge aus einer rein privaten Sphäre des sozial gebundenen Selbstbestimmungsrechts bis hin zu einer rein öffentlichen Sphäre der Zentralsteuerung im Allgemeininteresse." Dies gilt unverändert auch für die Wutschaftsrechtsgeschichte der zweiten Nachkriegszeit.
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Weimarer Zeit. 4 Ebensowenig läßt sich das Wirtschaftsrecht auf seinen hoheitsrechtlichen und verwaltungsmäßigen Gehalt reduzieren, da das Verständnis der Institutionen einen Zugang über die privatrechtliehen Institute voraussetzt. Erst im Zusammenspiel ergibt sich ein geschlossenes Bild. Nicht staatliche Lenkung, Steuerung, Zwang oder Privilegierung konstituierten das Wirtschaftsrecht und mit ihm das Wirtschaftsverwaltungsrecht. Zentrales unterscheidendes Merkmal in der wirtschaftsrechtlichen Diskussion der Zeit war die Bewältigung wirtschaftlicher Kernfragen durch das Recht. Die Wirtschaftsrechtsgeschichte rekonstruiert die Antwort der Rechtswissenschaft der Weimarer Zeit auf das Vordringen der Verbändewirtschaft in den Staat. Mehr als in allen anderen Rechtsgebieten stoßen wir im Wirtschaftsrecht der Weimarer Zeit auf das Wechselspiel der Verstaatlichung der Gesellschaft und der Vergesellschaftung des Staates durch die Verlagerung politischer Macht. Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsverfassung dienten der rechtlichen Hegung dieses Konflikts. Dieser positive normative Gehalt kommt dem Wirtschaftsrecht durch seinen Hintergrund der Schaffung einer gerechten Ordnung zu. Auch im Niedergang des Weimarer Rechtsstaats löste sich das Wirtschaftsrecht als Rechtsmaterie nicht von ihrem auf die Rechtsperson gerichteten rechtsstaatliehen Gehalt. Die Begrifflichkeit des Wirtschaftsrechts konnte nach 1933 nicht im Sinne von Gemeinwohlformeln in einen Unrechtsgehalt umgedeutet werden: Die Diskussion des Wirtschaftsrechts mußte vereinheitlicht und damit unterbunden werden, um die rechtsstaatliehen Zusammenhänge zur Weimarer Republik zu zerstören.
4 Nach K.·O. Scherner, Gibt es eine Privatrechtsgeschichte der Weimarer Zeit?, ZNR 1990, S. 198-204, S. 200, stellte das Pacht· und Siedlungsrecht ein "Gruselkabinett des Dirigismus und Interventionismus" dar.
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24•
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ICartelkecht 99, 180, 187, 197, 198, 199, 260 Kontingentierung 41 Korporatismus 141, 225, 226, 325 Kriegswirtschaft 20ff., 48, 49, 51, 54, 64, 65, 66, 72, 73, 87, 90, 120ff., 155, 179, 247,260,263,284,287,298,300,301, 317,327 materielle Wirtschaftsverfassung 87, 309 Mehrheitssozialisten 102 Methodenstreit der Staatsrechtslehre 164, 190, 270 Naturrecht 56, 182, 185 Neuhegelianismus 61, 169,251, 323, 324 öffentliche Anstalt 126, 131, 133, 192, 197, 201 ff., 222, 283, 285 öffentliche Hand 34, 61, 73, 81, 88, 89, 99, 175, 191 , 192, 200ff., 230,245,255, 264,283,286,317,319 öffentliche Wirtschaft 17, 65, 68, 79, 80, 81,84,85,86, 153, 175,176, 188, 191, 201 ff., 248,255, 258, 283, 301, 309, 328 öffentliches Wirtschaftsrecht 15, 64, 68, 84,85,191,259,263,264,283 Organisierter Kapitalismus 15, 44, 63, 231,233 Parlamentarisierung 27 Planwirtschaft 104ff. politische Selbstverwaltung 28, 93, 112, 116, 123, 124, 126 privates Wirtschaftsrecht 79, 83, 263, 331 Privatrechtsgeschichte 16, 17, 136, 138, 141,249,330,332 privatrechtsgestaltender Staatsakt 267, 285 Privileg 290
Sachwortverzeichnis Rechtsphilosophie 60, 135, 146, 153, 158, 162, 165ff., 184,251,308, 324 Rechtssoziologie 62, 64, 86, 135, 139, 140, 150ff., 186, 187, 188, 198 Rechtstatsachenforschung 64, 79, 86, 135, 140, 150ff., 175, 187,293,302,305,311 Regal 290 Reichsverwaltungsgericht 51, 52, 94, 95, 276 Reichswirtschaftsgericht 51, 52, 57, 73, 84,91,94,95,280 Reichswirtschaftsrat 50, 51, 57, 70, 73, 75,91 ff., 116, 118, 128ff., 146, 208, 219ff., 285, 307 Selbstverwaltung 28, 40, 51, 68, 78, 85, 92,93, 104,107,110, 111ff., 151,177, 189,208,212, 221,222,233, 252,259, 262,287 Selbstverwaltungskörper 40, 41, 50, 93, 106, 113, 117,121, 125ff., 195,220, 230,251,258, 259,285,287 Sozialisierung 102 ff. Sozialisierungsgesetz 93, 106, 107, 108, 114, 117, 119, 121, 177, 188,220, 306 Sozialrecht 59, 93, 135ff., 162, 165, 171, 177,185,191,201,211,217,242,300, 309,328 Sozialwirtschaft 166 Staatsgerichtshof 248, 323 Staatslehre 123 Staatsrechtslehre 72, 164, 219, 220, 223, 247,248,251,254,270,272,273,302, 310,323,324 Staatssozialismus 43, 47, 88, 89, 90, 139, 222,252,255 Stinnes-Legien-Abkommen 28 Subjektive Rechte 274 Syndikat 29 ff. Tatkreis 255 totalerStaat 224,238,249,250,256,326, 329 Verwaltungsgerichtsbarkeit 52, 94, 273, 274,275,276,277,278,281,282,283
373
Verwaltungsrecht 21, 56, 81, 83, 84, 126, 131 ff., 165, 179, 180, 188, 190, 192, 198, 202, 206ff., 258, 259, 260, 265, 267,270,272,274,277,278,281,308, 309,331 Weltwirtschaftskrise 52, 103, 236, 292, 293,320,325 Wirtschaft und Staat 14, 32, 68, 88, 89, 90, 111,193,236,256,263 wirtschaftliche Selbstverwaltung 33, 39, 41, 59, 67, 74, 78, 86ff., 104, 106ff., 145,182,191,195,202,205,210,214, 215, 220ff., 253,259,288,309,314 Wirtschaftsdemokratie 23, 63, 111, 120, 144,145, 175,203,205,209,216,217, 219, 228ff., 254,319,322,325,328 Wirtschaftsfreiheit 57, 87, 119,220, 242, 251 ff., 266 Wirtschaftsliberalismus 15, 28, 30, 217, 245 Wirtschaftsordnung 18, 23, 28, 37, 44, 48, 57,58,63,80,85,87,89, 144,156,166, 197,216,217,218,220,221,222,224, 232,234,236,238,239, 241,242,245, 246,262,266,302,310,317,319,331 Wirtschaftsrechtsgeschichte 16, 17, 330, 331,332 Wirtschaftsstaat 130, 217, 220ff., 248, 249,250, 252,253,254,255,256,260, 263,283,324 Wirtschaftsverfassung 13, 17, 18, 21, 23, 37,44,48,50,51,79,80,87,88,91,93, 103, 106, 108, 110, 117, 118, 137, 144, 166, 175, 187,209, 216ff., 239ff., 300, 302, 310ff. Wirtschaftsverwaltungsrecht 13, 15, 17, 21,23,70, 71, 75, 80,85, 87, 98, 108, 120, 139, 157, 164, 165, 198, 199, 202, 208ff., 221, 240ff., 299, 313, 314,321, 331 wissenschaftliche Disziplin 29, 71, 96, 171,179,180, 183,262,314, 318, 324, 331 Wissenschaftsgeschichte 19