Deutscher Gangsta-Rap: Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen [1. Aufl.] 9783839419908

Der Medienhype um Aggro Berlin, Sidos Beteiligung an der Casting-Show »Popstars« oder der Kinofilm »Zeiten ändern dich«

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German Pages 400 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
South Bronx, Berlin und Adornos Wien: Gangsta-Rap als Popmusik. Eine Notiz aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive
G-Rap auf Deutsch. Eine Einleitung
UNSER LEBEN Gangsta-Rap in Deutschland. Ein popkulturell-historischer Abriss
»Ich bin doch kein Gangster!« Implikationen und Paradoxien szeneorientierter (Selbst-)Inszenierung
»Witz schlägt Gewalt«? Männlichkeit in Rap-Texten von Bushido und K.I.Z.
Nothin’ but a B-Thang? Von Gangsta-Rappern, Orthopäden und anderen Provokateuren
Kulturelle Repräsentation sozialer Ungleichheiten. Eine vergleichende Betrachtung von Polit- und Gangsta-Rap
Von Miami zum Ruhrpott. Analyse von Gangsta-Rap-Performances in den USA und Deutschland
Y’al babour, y’a mon amour. Raï-Rap und undokumentierte Mobilität
Sozialraumkonzeptionen im Berliner Gangsta-Rap. Eine stadtsoziologische Perspektive
»The world is yours«. Schlaglichter auf das Gangstermotiv in der amerikanischen Populärkultur
Gangsta-Rap im zeitgenössischen Kinofilm. Ein Vergleich von »Get Rich or Die Tryin« und »Zeiten ändern dich«
Kunst und Gangsta-Rap im Lichte der Rechtsprechung
Danksagung
Autorinnen und Autoren
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Deutscher Gangsta-Rap: Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen [1. Aufl.]
 9783839419908

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Marc Dietrich, Martin Seeliger (Hg.) Deutscher Gangsta-Rap

Cultural Studies | Herausgegeben von Rainer Winter | Band 43

Marc Dietrich, Martin Seeliger (Hg.)

Deutscher Gangsta-Rap Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen

Die Publikation der vorliegenden Anthologie wurde durch einen Druckkostenzuschuss der Stiftung für Kulturwissenschaften (Sitz in Essen, Mitglied im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft) sowie den AStA der RuhrUniversität Bochum unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Matthias Schmitt, Marc Dietrich, Martin Seeliger Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1990-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

South Bronx, Berlin und Adornos Wien: Gangsta-Rap als Popmusik Eine Notiz aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive

Vorwort von Jürgen Straub | 7 G-Rap auf Deutsch Eine Einleitung

Martin Seeliger und Marc Dietrich | 21 UNSER LEBEN ௅ Gangsta-Rap in Deutschland Ein popkulturell-historischer Abriss 

Stephan Szillus | 41 »Ich bin doch kein Gangster!« Implikationen und Paradoxien szeneorientierter (Selbst-)Inszenierung 

Sebastian Schröer | 65 »Witz schlägt Gewalt«? Männlichkeit in Rap-Texten von Bushido und K.I.Z.

Malte Goßmann | 85 Nothin’ but a B-Thang? Von Gangsta-Rappern, Orthopäden und anderen Provokateuren

Anne Lenz und Laura Paetau | 109 Kulturelle Repräsentation sozialer Ungleichheiten Eine vergleichende Betrachtung von Polit- und Gangsta-Rap

Martin Seeliger | 165

Von Miami zum Ruhrpott Analyse von Gangsta-Rap-Performances in den USA und Deutschland

Marc Dietrich | 187 Y’al babour, y’a mon amour Raï-Rap und undokumentierte Mobilität

Heidrun Friese | 231 Sozialraumkonzeptionen im Berliner Gangsta-Rap Eine stadtsoziologische Perspektive

Lena Janitzki | 285 »The world is yours« Schlaglichter auf das Gangstermotiv in der amerikanischen Populärkultur

Kimiko Leibnitz und Marc Dietrich | 309 Gangsta-Rap im zeitgenössischen Kinofilm Ein Vergleich von »Get Rich or Die Tryin‫«ތ‬ und »Zeiten ändern dich«

Martin Seeliger und Marc Dietrich | 345 Kunst und Gangsta-Rap im Lichte der Rechtsprechung

Thomas Hecken | 363 Danksagung | 393 Autorinnen und Autoren | 395

South Bronx, Berlin und Adornos Wien: Gangsta-Rap als Popmusik Eine Notiz aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive V ORWORT VON J ÜRGEN S TRAUB »Pop ist schrill und schräg, expressiv und Medium eines sich anheftenden, neuformenden Eigenen, emotionale Feier und performativer sozialer Akt. Pop dient zur Ichwahrnehmung und Selbstdefinition. Er vermag Gefühlen Form und Stimme zu geben. Es sind heute wesentlich populäre Verarbeitungsformen, in denen Menschen auf vielen Ebenen ihre selbstgeschaffenen und -erlittenen Kulturbedingungen spie1

geln und reflektieren.«

Die beiden Herausgeber der vorliegenden Anthologie zum Gangsta-Rap in Deutschland haben für die Publikation eines Buches gesorgt, das zu lesen sich auch für Leute lohnt, denen das behandelte musikalische Genre sowie die damit verwobenen kulturellen Praxen eher fremd sind. Marc Dietrich

1

Volker Steenblock (2004): Pop – Unsere Alltagskultur zwischen Ausdrucksform und Kulturindustrie, S. 103. In: Ders., Kultur oder Die Abenteuer der Vernunft im Zeitalter des Pop. Leipzig: Reclam, S. 86-107.

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und Martin Seeliger sowie manche der anderen Autorinnen und Autoren hören HipHop und speziell Gangsta-Rap auch selbst. Sie tun das nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern obendrein mit Vergnügen. Manche fühlen sich bestens unterhalten, genießen jedenfalls einen Teil der Musik, der zugehörigen Texte, Bilder und Videos. Sie lassen sich affizieren und animieren, zugleich aber begegnen sie den unterhaltsamen Darbietungen mit einer analytischen Distanz, welche die eigenen musikalischen Präferenzen weit hinter sich lässt. Gangsta-Rap wird im vorliegenden Band als Phänomen betrachtet, das die Aufmerksamkeit der Sozial- und Kulturwissenschaften verdient. In ihm manifestieren sich gesellschaftliche Verhältnisse, die das Leben von bestimmten Kollektiven und Individuen zutiefst und in je spezifischer Weise prägen. Gangsta-Rap ist ohne soziale Ungleichheiten und prekäre Existenzen, ohne ›Ghettos‹, ›problematische Stadtteile‹ oder ›soziale Brennpunkte‹, wie sie in lokalen Varianten in vielen Regionen der Welt vorhanden sind (bzw. identifiziert und diskursiviert werden), weder in seiner geschichtlichen Entwicklung noch in seinen zeitgenössischen Bedeutungen verständlich. Soziale Hierarchien und die ungleiche Verteilung von materiellem, sozialem und symbolischem Kapital (sensu Pierre Bourdieu) sind zweifellos ein ›Nährboden‹ auch von Gangsta-Rap, einer hybriden künstlerischen Form, in der sich konjunktive Erfahrungen und Erwartungen, Schicksale und Orientierungen, Wünsche und Begehren bestimmter Menschen in oftmals Aufsehen erregenden kulturellen Praktiken artikulieren. Das klingt so gut wie immer cool, bisweilen brachial und martialisch, drohend, aggressiv und verletzend, Gewalt verherrlichend und selbst schon gewaltsam, manchmal dagegen subtil und spielerisch, sensibel und sentimental, motivierend und mobilisierend, vielleicht sozialromantisch und verklärend – und was es sonst noch an Nuancen in dieser Texte und Bilder einschließenden Musik geben mag. Gangsta-Rap steht, in welcher Spielart auch immer, für ein gemeinsames und verbindendes Lebensgefühl, nicht zuletzt für einen Kampf um Anerkennung, Selbstbehauptung und Selbstbestimmung von zumeist jüngeren Generationen, die im Ringen um einigermaßen attraktive Handlungs- und Lebensorientierungen sowie zukunftsträchtige Perspektiven eine vielschichtige und längst ›erfolgreiche‹ Identitätspolitik betreiben. Auf die vieltönige und mutierende, rappende Stimme der Protagonisten hört nicht nur eine weltweite Anhängerschaft und Fangemeinde. Diese die bürgerlichen Gefilde etablierter

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Schichten provozierende Stimme, die von den ›Rändern‹ der Gesellschaft her erschallt und in den Rhythmen jener subkulturellen Milieus erklingt, in welchen soziale Härten, existenzielle Gefährdungen und auch Gewalt (bis hin zur organisierten Kriminalität) zum ›Alltag der Straße‹ gehören, ist seit gut drei Jahrzehnten eine feste Institution. Sie breitete sich von der ›black neighbourhood‹ der South Bronx in New York auch nach Europa aus, nach London und Marseille, nicht zuletzt nach Frankfurt und Berlin, Hamburg, Köln und Stuttgart etwa (wo seit Ende der 1980er Jahre auch in deutscher Sprache gerappt wurde). Die irritierte, mitunter schockierte Öffentlichkeit der etablierten Bürger beäugte den Gangsta-Rap schon bald aufmerksam und kritisch. Elternund Bürgerinitiativen schlugen Alarm. Die zuständigen Behörden (von den Indizierungsstellen über die Gerichte bis hin zum Verfassungsschutz) übernahmen Überwachungs- und Kontrollfunktionen. Die Massenmedien begleiteten den oft spektakulären Ausdruck eines kollektiven Lebensgefühls mit voyeuristischer Angstlust und zugleich mit dem erhobenen Zeigefinger moralischer und politischer Autorität. Wohlmeinendes Interesse und vergnügte Neugier, skandalisierende Vermarktung, staatliche Observationen und pädagogische Interventionen gingen auch hierzulande oftmals Hand in Hand. Daran hat sich bis heute im Prinzip kaum etwas geändert. Die Sozial- und Kulturwissenschaften schauten im Übrigen eher selten genauer hin – obwohl sie sich auch für diese Form populärer Musik sowie ihre soziokulturelle PragmaSemantik wahrlich zu interessieren hätten. Der vorliegende Band bringt frischen Wind in diese Angelegenheit – in einer Zeit freilich, in der der beachtliche (nicht zuletzt kommerzielle) Erfolg des Gangsta-Rap seinen Zenit bereits überschritten hat. Das wissenschaftliche Studium des Gangsta-Rap bleibt jedoch wichtig und lehrreich. Es führt, wie die vorliegende Anthologie eindrucksvoll beweist, in mancherlei Hinsicht ziemlich zügig ins Zentrum moderner Gesellschaften. Während die im vorliegenden Buch versammelten Autorinnen und Autoren ihrem wissenschaftlichen Interesse nachgehen, wecken sie, so vermute ich nach meiner eigenen Lektüre, Neugierde selbst bei Leserinnen und Lesern, die vom Rödelheim Hartreim Projekt, von Charnell (4 4 Da Mess bzw. Da Fource), von Azad und seinen Asiatic Warriors, von Protagonisten wie Frauenarzt, King Orgasmus One, Die Sekte, MC Basstard, Bass Sultan Hengzt (zu diesen Formationen und den folgenden Rappern vgl. u.a. den Beitrag von Stephan Szillus in diesem Band), von Kool Savas oder Sido, Eko Fresh, Bushido, B-Tight und Fler, K.I.Z., G-Hot, Massiv, Bözemann,

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La Honda oder Xatar, von Kollegah, Haftbefehl und Nate57 noch kaum etwas gehört haben (und auch nicht von Schoolly D, Ice-T, KRS-One, von Eazy-E oder Ice Cube, von Jay-Z, N.W.A, 50 Cent, Kool G Rap, Mobb Deep, The Clipse, Raekwon, T.I. oder Rick Ross, Dr. Dre, Tupac Shakur, Nas oder Snoop Dogg, The Notorious B.I.G., Eminem und wie sie alle heißen). Die in verschiedenen Berufsfeldern und wissenschaftlichen Disziplinen tätigen Autorinnen und Autoren nehmen eine Perspektive ein, in der Unvoreingenommenheit als eine Art erstes Prinzip fungiert. Wer diesen Band liest, begegnet Seite für Seite einer wissenschaftlichen Haltung, die mit auffälliger Aufgeschlossenheit für das Leben von ›Anderen‹ und vielleicht ›Fremden‹ einhergeht. Von der naserümpfenden Diskreditierung und Diskriminierung eines musikalischen Genres, das gerade auch hierzulande von der ›Mehrheitsgesellschaft‹ gerne als »ideologisches Feld für Misanthropie, Soziopathie und Gewaltverherrlichung« abgestempelt wurde und wird (so Seeliger und Dietrich in ihrer Einleitung), ist jedenfalls ebenso wenig zu spüren wie von der abwertenden Stigmatisierung der Protagonisten und ihrer Anhänger (junger Leute ›mit Migrationshintergrund‹, wie die Statistiken, oft aber einfach nur eingeschliffene Stereotype und Vorurteile sowie Diskriminierungs- und Stigmatisierungsstrategien zu ergänzen nahe legen). Alle in der vorliegenden Anthologie zu Wort kommenden Beiträger sehen in den Rappern weder ›Schmuddelkinder‹ noch ›Sündenböcke‹ (die kurzerhand für die Gewalt verantwortlich gemacht werden könnten, die sie häufig tatsächlich in großen Gesten hegemonialer Männlichkeit propagieren, nicht selten erlitten haben, manchmal auch selbst ausüben und als ›Profis‹ in die eigene Werbestrategie und Selbstvermarktung integrieren). Die Beachtung und Achtung von Anderen finden im vorliegenden Band auf eindrucksvolle Weise zusammen. Das hindert im Übrigen niemanden daran, auch kritische Überlegungen zu einem Phänomen der globalen Popkultur anzustellen, das viele Zeitgenossen nach wie vor einfach nur als exzentrischen Exzess einiger zwielichtiger Angehöriger der ›Unterschicht‹ abtun, denen die Kulturindustrie ein paar spektakuläre Erfolge beschert hat. Eine verschrobene Liebschaft marginaler Minderheiten ist der GangstaRap seit Langem nicht mehr (wenngleich es leiser um ihn geworden ist). Wie andere Formen populärer Kultur, die einst an den ›Rändern‹ der Gesellschaft entstanden und von Außenseitern gegen Etablierte sowie den dominierenden mainstream in Stellung gebracht worden waren, ist selbst der Gangsta-Rap ein bestens integrierter Teil eines gefräßigen Marktes und

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seiner normalisierenden Macht im toleranten Kapitalismus. Das gilt nicht nur für seine genuin ästhetischen Dimensionen (die sich nicht zuletzt einem Amalgam aus musikalischen Stilen wie dem früheren Breakbeat-DJing und dem späteren Rap, den zwischen Zeichnung und Malerei oszillierenden Graffitis sowie der Tanzform des Breakdance verdanken; der Rap ist dabei natürlich zentral, namentlich etwa Charakteristika wie das »playing the dozens«, »bragging and boasting« und »signifying«, die teils avancierten Sampling-Techniken, usw.). HipHop und speziell Gangsta-Rap sind kulturelle und soziale Phänomene, so wirklich und wirkungsvoll, so normal und normiert wie andere Erscheinungen des von der populären Kultur und globalen Unterhaltungsindustrie bestimmten Alltagslebens in modernen Gesellschaften auch. Zur Alltäglichkeit dieser Phänomene gehören all die medialen Selbstinszenierungen mehr oder weniger prominenter Musiker, die mit der extrem polyvalenten Figur des »Gangsters« spielen. Und dazu gehören die exaltierten Feiern begeisterter Fans, die Skepsis eines distanzierten Publikums, die ökonomisch lukrative Skandalisierung durch einschlägige Akteure, die ungebremste Kommerzialisierung und schließlich die naserümpfende Verachtung durch eine selbsternannte bildungsbürgerliche Elite aus überkommener Zeit, die sich in der Regel pikiert mokiert oder sogar angewidert abwendet (etwa wegen der sexistischen und homophoben Töne, die vielfach in frauen- und schwulenfeindliche Attacken münden, wegen antisemitischer Texte oder nationalistischer und neonationalsozialistischer Phrasen, die es mitunter auch gibt). Über den schon seinem Namen nach auf einschüchternde Distanzierung des Bürgerlichen und Braven, des ›Zivilisierten‹ und Korrekten zielenden Gangsta-Rap vermag heutzutage gleichwohl keine normative Haltung im Zeichen einer avancierten Ästhetik oder kultur- und gesellschaftskritischen Attitüde so schnell den Stab zu brechen. Das leisten sich wohl nur noch allzu bornierte Geister und vollends unbelehrbare Gemüter. Eine pauschale Negation und Abwertung widerspräche aufklärerischen Absichten, wie sie den Sozial- und Kulturwissenschaften gut zu Gesicht stehen, im Übrigen schon deswegen, weil der Gangsta-Rap eine ziemlich heterogene Erscheinung ist. Zumal in ästhetischer und politischer Hinsicht findet sich da vielerlei Verschiedenes, ja Widersprüchliches im weiten Spektrum »zwischen Weltkultur und Nazirap« (wie Hannes Loh und Murat Güngör titeln; vgl. dazu die Einleitung von Seeliger und Dietrich). Entsprechend variieren die Urteile von Beobachtern. Während die einen den HipHop und Rap als äs-

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thetisch anspruchsvolle Avantgarde zu nobilitieren bemüht sind (wie etwa Glenn O’Brien, der dabei, etwas überanstrengt, die nicht-lineare Struktur des Rap hervorhebt; vgl. dazu Hecken 2009, S. 410 f.), sehen die anderen in dieser Musik reichlich banale Massenware. Während manche gerade auch den rebellischen Gangsta-Rap als »kritisches« und »emanzipatorisches« Projekt und radikaldemokratische Praxis des empowerment affirmieren, bleiben andere skeptisch und halten solche wohlmeinenden, optimistischen Auslegungen bestenfalls für naive Ideologien (wie etwa Roger Behrens; vgl. dazu die Einleitung der Herausgeber, die selbst eine offene, differenzierte Haltung einnehmen, die jedes eindeutige Urteil und jede pauschal resümierende zeitdiagnostische Bilanz vermeidet). Im vorliegenden Band erfährt man vieles, sogar sehr vieles, das Einsichten in eine musikalische Kultur ermöglicht, die aufs engste mit Ungleichheitsverhältnissen in modernen Gesellschaften verwoben ist und Einblicke in die vertrackten Paradoxien einer Auflehnung gegen die herrschenden Verhältnisse gewährt, die sich in diese Verhältnisse doch auch einfügt, von ihnen profitiert und neben Widerstand in einer häufig irritierenden Melange Affirmation predigt und praktiziert. Der Gangsta-Rap präsentiert sich bekanntlich häufig in Gestalt eines überbordenden Machismo und einer Zelebration von pekuniärem Erfolg. Er paart die glitzernde Prominenz der Protagonisten oftmals mit ihrem hemmungslos zur Schau gestellten Reichtum. Status- und Luxussymbole sind in den meisten Videoclips wahrlich keine Mangelware. Exzessive Selbstdarstellungen gehören zum Metier wie die imaginierte Grandiosität von Protagonisten, die rund um die mythische Figur des »Gangsters« Authentizitätskulte bedienen, Phantasmen fördern und sich als Idole feiern und bewundern lassen. Es gibt dabei wohl nur wenige Bereiche in der Musik (oder in der Kunst im Allgemeinen, aber auch in der Mode- oder Werbebranche), in denen männliche Macht und Dominanz, Sex und Geld eine so enge Liaison eingehen wie in Videoclips des HipHop und speziell des Gangsta-Rap (wobei die Grenzen gegenüber dem Hardcore-Rap oder Porno-Rap unscharf sind). Nicht alle folgen freilich diesem Muster. Aber viele präsentieren und inszenieren eine Lebensform, die mit den Bildern, Gesten und Sprachspielen einer von Männerphantasien durchtränkten Welt verwoben ist, in der es vor Statussymbolen, Herrschaftsgelüsten und Machtgebärden aller Art unablässig blinkt und blitzt. Auch die symbolische, psychische und physische Gewalt besitzt ihren festen Platz in dieser zugleich grellen und dunklen Welt.

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Was die vorliegende Anthologie angeht, ist festzuhalten: Die Leserschaft trifft auf den folgenden Seiten auf eine in ihrer wissenschaftlichen Kühle eindrucksvolle Haltung, die Musik, einschließlich ihrer sozialen und kulturellen Wurzeln, Verwicklungen und Ambitionen, ernst nimmt – ohne diese vielfältige Praxis einem voreingenommenen Urteil zu unterwerfen, das HipHop und Gangsta-Rap einfach nur als besonders bedenkliche Variante der verderbten Produkte der Kulturindustrie verdammt. Dieser Eindruck gehört aus meiner Sicht zu den besonders faszinierenden Effekten der Lektüre dieses Buches. Gewiss ist das nicht ganz neu. Insbesondere in der Tradition der Cultural Studies ist diese Haltung gegenüber der Popkultur ja schon ein alter Hut: Wenn man die Grenzen zwischen E-Kultur und U-Kultur, zwischen ernsthafter Kunst und bloßem Unterhaltungsmarkt erst einmal eingerissen hat, lassen sich Verbindungen ziehen und Gemeinsamkeiten ausmachen, die viele etablierte, konventionalisierte Unterscheidungen diffus und dubios erscheinen lassen (nämlich als Macht und Herrschaft erhaltende Strategien privilegierter Gruppen). Wer es mit der vindizierten Überlegenheit des Aufklärers nicht ganz so ernst nimmt und bereit ist, sich womöglich von den Anderen belehren und verändern zu lassen, entdeckt auch im Gangsta-Rap Interessantes, Achtensund Beachtenswertes, das alle angeht und betrifft. Wer diese Haltung der Unvoreingenommenheit teilt und zu pflegen bemüht ist, braucht sich von wissenschaftlich relevanten, normativ gehaltvollen und politisch bedeutsamen Differenzierungen freilich keineswegs gleich zu verabschieden. Nur sind solche Differenzierungen, wie die Anthologie über »G-Rap auf Deutsch« eindrücklich zeigt, komplizierter geworden. Mit polarisierenden Unterscheidungen zwischen schwarz und weiß, niedrig und hoch, primitiv und fortgeschritten, einfach und komplex, inkorrekt und akzeptabel, böse und gut ist es in modernen Gesellschaften fast nirgends mehr getan. An dieser Einsicht kann man festhalten, selbst wenn man vermeintlichen Auswegen in eine pluralistische Welt bloßer Differenzen, in der alles einfach nur noch als »eigen« oder eben als »anders« registriert und inspiziert werden kann (wie in den Lifestyle-Magazinen, in denen sogar das nackte Elend im Hochglanz erscheint), ebenso misstraut wie zwielichtigen Wegweisern in ein imaginäres Reich »jenseits von Gut und Böse«. Man muss sich den auch in diesem Band dokumentierten Wandel vielleicht immer wieder vor Augen führen, um zu begreifen, welche wissenschaftliche Revolution die sog. Cultural Studies (sowie ihre Wegbereiter

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und Begleiter, Verwandten, Vorläufer und Ahnen) tatsächlich zustande gebracht haben. Von allen anderen Punkten und Details abgesehen besteht die Innovationskraft dieser ›wissenschaftlichen Bewegung‹ in einer deutlichen Intensivierung des Bemühens um Unvoreingenommenheit. Sie verhalf einer wissenschaftlichen Haltung zur Geltung, die das massenhaft Verbreitete und Genossene, das Gewöhnliche und Populäre, nicht zuletzt in Gestalt des Pop, aufwertete, ja nobilitierte und jedenfalls zu einem eminent wichtigen Gegenstand sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung machte (vgl. dazu die Arbeiten eines auch in der vorliegenden Anthologie vertretenen Autors2). Wenn jemand heute lapidar formuliert: »es gehört nicht zu den Aufgaben der Wissenschaften, anderen etwas vorzuschreiben« (Hecken 2009, S. 15), dann ist diese Feststellung auch ein Ausdruck der besagten Entwicklung – und keineswegs so banal und selbstverständlich, wie sie vielleicht klingt. Die Zeiten, in denen elitäre Intellektuelle und ambitionierte Denker der (angeblichen und vermeintlich einzig wahren) künstlerischen Avantgarde just solche Vorschriften erteilten – vollmundig, klagend und fordernd oder subtil, melancholisch und ein wenig resigniert –, sind noch nicht so lange her und wohl auch noch nicht ganz vorbei. In diesen Zeiten jedenfalls wäre es nur wenigen in den Sinn gekommen, die Popkultur und speziell die Popmusik zu affirmieren, ja: sie sogar selbst als eine subversive Kraft zu begreifen oder wenigstens in ihrem subversiven Potential zu untersuchen (und nicht einfach als Ausdruck blinder Angepasstheit an die herrschenden Verhältnisse, als törichte und feige Bekräftigung des falschen Lebens, als reaktionären Eskapismus aus der politischen Realität, als suchtförmige Verfallenheit an Kommerz und Konsumexzesse oder als fremdbestimmte Abhängigkeit von anderen Surrogaten und Prothesen im Kapitalismus anzuklagen). Mods, Punks, Rapper und viele andere Typen aus der Welt der Popmusik: sie alle geraten in den vom Geist des Cultural Studies-Ansatzes bewegten Sozial- und Kulturwissenschaften unserer Tage in ihrer höchst vielschichtigen Semantik und Pragmatik ins Blickfeld. Sie gelten in der etwas unübersichtlich gewordenen Spät- oder Postmoderne ausnahmslos als polyvalent und multifunktional, ohne dass vermeintlich allgemeine (z.B. wissenschaftliche, ästhetische, mo-

2

Thomas Hecken (2009): Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009. Bielefeld: transcript; ders. (2007): Theorien der Populärkultur. Dreißig Positionen von Schiller bis zu den Cultural Studies. Bielefeld: transcript.

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ralische, politische) Kriterien der einen oder anderen Art diesen Tatbestand jemals wieder beseitigen könnten. Umgekehrt wittert man hegemoniale Begehren und Bestrebungen (gerade) auch dort, wo das von den ›alternativen‹ (bildungsbürgerlichen) Protagonisten selbst aufgeklebte Etikett »Kritik« und »Widerstand« gegen das »uniformierende Gesetz« und den »subjektivierenden Identitätszwang« lautet. Das war einmal anders. Es ist vielleicht hilfreich, an einen zu erinnern, der mit einer Anthologie über (deutschen) Gangsta-Rap wohl seine redliche Mühe gehabt hätte – und der diese Mühe, freilich auf andere ›Fälle‹ bezogen, wie kein zweiter artikuliert, theoretisiert und ›rationalisiert‹ hat. Theodor W. Adorno würde sich wohl im Grabe umdrehen (und immer noch seine erbitterte Gegnerschaft erklären), wenn ihm Gangsta-Rap und auch nur die geringste Freude an dieser Musik, affirmative und apologetische Töne zumal, zu Ohren gekommen wären. Er verachtete populäre Musik (selbst wenn er sich dieser ›leichten‹, allzu leichtfüßigen kulturellen Praxis vom Standpunkt des Überlegenen in herablassender Aufmerksamkeit hie und da widmete). Bloß Unterhaltsames galt ihm nichts. Er schätzte überhaupt jede Form des unmittelbar genießbaren musikalischen Ausdrucks gering, misstraute einem Vergnügen, das (scheinbar, angeblich) ohne jede Ernsthaftigkeit, ohne Aufwand und Anstrengung alles Mögliche zu goutieren imstande war. Zu diesem ›peinlichen Genuss‹, den die bereits verdorbenen, um alle Nachdenklichkeit gebrachten, hedonistischen Konsumenten seines Erachtens schon seinerzeit zelebrierten, steuerte natürlich auch jene ›Musik‹ bei, welche sich in kompositionstheoretischer (und in einem angesichts von Adornos sonstigem Faible für die Komplexität des Denkens seltsamen Kurzschluss: uno actu in gesellschaftstheoretischer) Hinsicht leider nicht auf der Höhe der Zeit bewegte. Unterhaltungsmusik jedweder Provenienz und Spielart betrachtete Adorno, die bildungsbürgerliche Persönlichkeit mit unüberbietbar strengen Maßstäben, schlicht als Müll, jedenfalls theoretisch. Mit vielen Erzeugnissen der Musikindustrie ergehe es einem, schrieb der offenkundig etwas bornierte Kritiker, nicht anders als im Fall eines Kinobesuchs. Auch der Film mache diejenigen, die sich dem Kino auslieferten, ja einfach nur »schlechter und dümmer«, ohne jede Ausnahme.3

3

Es ist überliefert, dass sich der Kritiker privat dann schon auch mal eine Nachlässigkeit, ein eigentliches sträfliches Vergehen also, durchgehen ließ.

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Adornos theoretisch begründete und ebenso systematisch gehegte und gepflegte Intoleranz gegenüber der Massenware der Kulturindustrie ist ebenso bekannt wie die abgrundtiefe Verachtung, die er ihren Produzenten und Promotoren entgegenbringen konnte. Wohlgemerkt, da ging es keineswegs nur um populäre Musik, wie sie der gemeine Mensch schätzt und der etwas besser gestellte bereits naserümpfend missbilligt, um aus den markierten ›feinen Unterschieden‹ seinen Distinktionsgewinn zu ziehen (ein wenig Stolz auf den guten und vermeintlich überlegenen, eigenen Geschmack zumindest). Adorno brach über Giacomo Puccini ebenso den Stab wie über Herbert von Karajan, die Verkörperung eines neuen Typus eines technokratischen Stars, der vor allem von massenmedialen Selbstinszenierungen und der darin verwurzelten Prominenz und Publicity zehrt.4 Die Musik Igor Strawinskys war in den Augen des Kritikers so gut wie nichts wert, ja brandgefährlich (obwohl sie zur gehobenen Klasse des grassierenden Abfalls gezählt werden durfte). Adornos wahrlich bizarre Urteile über den Jazz in toto sind berüchtigt. Der Meisterdenker paarte Ignoranz und Arroganz in hanebüchener Weise, als er Jazz zum ersten Paradebeispiel einer gefräßigen – natürlich ›amerikanisch‹ geprägten, stets auf den Markt schielenden – Kulturindustrie erklärte und darin eine Musikform zu erkennen meinte, die »zum faschistischen Gebrauch gut sich schicken will«. 5 John Coltrane, Ornette Coleman oder Miles Davis und wie sie alle hießen und heißen: ihre Musik bewegt sich, hält man sich an Adorno (der an seinem Verdikt gegen den faschistoiden Jazz bis in die 1960er Jahre festhielt), fernab von jeder »Wahrheit«. Diese Wahrheit hatten das kategorische Urteil und der theoretische Rigorismus eines Denkers ganz allein für sich gepachtet. Adorno sah allein in der avancierten Kunst der ästhetischen Avantgarde sowie in der kritischen Gesellschaftstheorie Orte, an denen es wenigstens

4

Dass Adorno schon lange selbst zu diesem Starsystem gehörte und davon (narzisstisch) profitierte, sei erwähnt. Auch in der Szene öffentlicher Intellektueller mit professoralem Habitus gedieh dieses System bereits seinerzeit. Unsere Gegenwart ist dabei, es auch in universitären Gefilden zu vervollkommnen, so dass ehemalige Unterschiede zunehmend verblassen und auch aus ehemaligen intellektuellen Eliten ganz normale Bestandteile der Popkultur geworden sind.

5

Vgl. hierzu z.B. Heinz Steinert (1993): Die Entdeckung der Kulturindustrie oder: Warum Professor Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.

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noch ein bisschen (Spiel-)Raum gab für eine in exklusiver Weise legitime, lohnens- und achtenswerte Beschäftigung. Zwar konnte es auch dort kein rundum richtiges Leben geben. Das restliche, gerade auch das dem Kommerz und Konsum geopferte Leben in der Kulturindustrie aber war durch und durch ›falsch‹ und ›fatal‹, arbeitete im Grunde sogar dem Faschismus unmittelbar oder indirekt in die Hände. Der Takt der Zeit, einer einigermaßen würdigen, der Vergangenheit gedenkenden, die Gegenwart begreifenden und Zukunft versprechenden Zeit jedenfalls, wurde, wie es Adorno damals sah, in Wien geschlagen. (Adorno hielt sich dort seit 1925 vorübergehend auf, als Schüler beim Meister Alban Berg; mit Arnold Schönberg hatte der Jünger so seine Probleme, persönliche wie sachliche, wobei letztere mit der Verfestigung der Reihentechnik zum starren Dogma zu tun hatten!). Mit dem, was einige Jahrzehnte später aus der South Bronx New Yorks kam und sich später in Berlin und anderen Städten ausbreitete, hätte der Meisterdenker wahrlich nichts anfangen mögen: HipHop und speziell Gangsta-Rap wären ihm ein bloßer Gräuel gewesen. Den HipHoppern und Rappern erginge es mit Adorno und dem an diesem Namen haftenden Geist jedoch nicht minder so. Das ist in gewisser Weise beruhigend und befreiend. Eine derartige Distanzierung einer lange Zeit hegemonialen Kritik öffnet den sozial- und kulturwissenschaftlichen Blick für Phänomene, die zu beachten und zu achten es starke, gute Gründe geben kann. Sie fördert jedenfalls jene Unvoreingenommenheit, welche heute in aller Gelassenheit als unabdingbare Voraussetzung wissenschaftlicher Analysen der Popmusik, auch in Gestalt des Gangsta-Rap, gelten darf. Dafür liefern die Beiträge der vorliegenden Anthologie zahlreiche und eindrucksvolle, neue Erkenntnisse schaffende Beispiele. Mit ihrer um eine gewisse Neutralität bemühten Haltung gegenüber dem Pop stehen die Autorinnen und Autoren der Anthologie, wie gesagt, längst nicht mehr allein da. Selbstverständlich und üblich ist diese Haltung jedoch bis heute keineswegs, wenngleich sie in allen Disziplinen und – das ist keineswegs nebensächlich – in allen Generationen ihre Fürsprecher findet. Ich lasse abschließend einen in diesem Punkt differenziert argumentierenden Philosophen zu Wort kommen, der ebenfalls an der Ruhr-Universität Bochum lehrt – dem Ort, an dem der Plan für die Anthologie ausgeheckt wurde. Auch Volker Steenblock (2004) nimmt die populäre Kultur ernst, schätzt so manches und enthält sich jedenfalls eines pauschalen Urteils, das den Pop in eine schäbige Ecke schiebt, in der sich nur die ›Anderen‹ aufhal-

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ten, Verblendete und Verdorbene, oberflächliche Gemüter und flache Geister zumal. Allerdings lässt es sich dieser Autor nicht ganz nehmen, das »Zeitalter des Pop« in den Rahmen einer von weit her kommenden Geschichte zu stellen, in der die »Abenteuer der Vernunft« ihre sichtbaren Spuren hinterlassen haben. Popkultur in allen ihren Varianten und Verästelungen muss sich demnach auch heute noch Anfragen einer vielgliedrigen kritischen Vernunft gefallen lassen. Dass diese Anfragen bescheidener und bedächtiger, vor allem selbstkritischer und sogar ein wenig unsicherer klingen als dereinst (zu Adornos Zeiten), ist nur recht und billig. Sie haben indes nichts an Berechtigung und Bedeutung eingebüßt. Sie beziehen ihre ungebrochene Virulenz vor allem daraus, dass sie ein weit verzweigtes Gespräch in Gang halten, in dem Menschen einander ernst nehmen, beachten und achten, ohne es sich mit der von allen ersehnten Anerkennung allzu einfach machen. Wo alles und jedes in einem unendlichen Haufen von Differenzen aufgeht, die man in völliger Indifferenz einfach nur noch dokumentieren kann und soll (so gut das eben geht), ist es mit wirklicher Anerkennung meistens nicht weit her. Man kann auch den Gangsta-Rap mit herablassender Generosität dulden, ohne sich mit seinen (expliziten oder impliziten) ästhetischen und theoretischen, normativen und weltanschaulichen, moralischen und politischen Gehalten wirklich auseinandersetzen zu müssen. Das hat mit wissenschaftlicher Akribie dann vielleicht ebenso wenig zu tun wie mit einer noblen Ethik und Politik der Anerkennung. Steenblocks Analyse der Popkultur mündet am Ende in eine Empfehlung unter mehreren möglichen. Sie ist meilenweit entfernt von Adornos vernichtendem Verdikt gegen alles Populäre und bloß Unterhaltsame – dem kritischen Impetus seiner Theoretisierung der kulturindustriellen Praxis aber trotzdem noch verwandt, in gewisser Weise sogar verpflichtet. So warnt der Philosoph etwa davor, im gehetzten Betrieb der Kulturindustrie den perfiden (natürlich von niemandem gewollten und zu verantwortenden) Versuch einer popkulturellen Verwandlung von reflexionsfähigen Individuen in reflexhaft reagierende Konsumenten einfach zu akzeptieren – falls es einen solchen anonymen Versuch denn tatsächlich gibt. Nun, bis heute finden sich durchaus noch andere Menschen als die in der theoretischen Kritik der praktischen Kulturindustrie perhorreszierten Wunschmaschinen, die gedankenlos und endlos nach marktförmigen, käuflichen Erlebnissen hecheln (und anderen bedenklichen Gütern). Es ist meines Erachtens evi-

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dent, dass es nicht zuletzt im Gangsta-Rap vielfach auch um gedankenreiche Artikulationen und keineswegs bloß oberflächliche Reflexionen von Lebenserfahrungen bestimmter Menschen in modernen Gesellschaften geht. Das sollte man zur Kenntnis nehmen und im Detail analysieren. Nicht das Populäre an sich »ist niveaulos, sondern seine Fremdbestimmung. Von der Etablierung des Populären ist gegenüber einem nicht selten exerzierten Kulturdünkel sogar etwas zu lernen: dass die Kultur ihren (Vernunft-) Begriff nämlich nur dann erfüllt, wenn möglichst viele an ihr Anteil haben« (ebd., 88). HipHop und Gangsta-Rap sind wichtige Bestandteile der glokalisierten Popkultur in der Kulturindustrie. Bereits im Gangsta-Rap selbst, jedoch auch in den vielfältigen (auch wissenschaftlichen) Diskursen und Praktiken, die sich auf ihn beziehen und die an ihn anschließen – bejahend oder ablehnend, angetan oder angewidert, ironisch, sarkastisch oder bitterernst –, formiert sich eine Vorstellung oder Idee, ein Begriff dieser Kultur. Auch diese Kultur kann vernünftigerweise nur als Einheit ihrer Differenzen, als eine Art unentwegte und nie ans Ziel gelangende Synthesis des Heterogenen aufgefasst werden. Wie in der Musik des Gangsta-Rap so gibt es in der (Pop-)Kultur, zu der sie gehört, viele Stimmen und Bilder: sich widersprechende und sich widerstreitende, auch solche, die nicht aufhebbare Spannungen erzeugen und Konflikte in einem Macht- und Herrschaftsgeschehen am Laufen halten. Gerade der Gangsta-Rap bleibt trotz seiner Kommerzialisierung und seiner partiellen Transformation in den Mainstream der Medien bis auf Weiteres eine Provokation, deren sich die öffentliche Moral, die Politik und das Recht, das Erziehungs- und Bildungssystem, die Philosophie und die Wissenschaften usw. annehmen sollten, manchmal müssen.6 Zur sukzessiven Eingliederung des für viele noch immer ein wenig ungeheuerlichen und ziemlich bedrohlichen Gangsta-Rap in den Mainstream tragen übrigens auch wissenschaftliche Analysen wie die im vorliegenden Band versammelten unweigerlich bei. Sie tun das nolens volens, ob sie es wollen oder nicht. Sie assimilieren das, was aus dem Rahmen des Geläufigen und Gewohnten und des Ziemlichen ausschert, indem sie es studieren

6

Die Verwandlung von Sonder-, Sub- und Gegenkulturen (der Jugend oder anderer Kollektive) ›erlitten‹ in kapitalistischen Gesellschaften bislang noch immer das Schicksal einer zähmenden Verwandlung im Zuge ihrer gewinnträchtigen Vermarktung und massenmedialen Repräsentation.

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und klassifizieren, in verfügbare Begriffe und neu gebildete Schemata einordnen und so zu ›verstehen‹ trachten. Insofern tatsächlich neue Begriffe und Schemata entwickelt werden, verwandelt sich der Versuch der Assimilation in eine Akkommodation, die unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse vermehrt, unser begriffliches Denken sowie die damit verwobenen Einstellungen verändert. Auch ganz in diesem Sinne wird man sagen können: Gangsta-Rap geht alle an, auch jene, welche noch keine Ahnung davon haben. Marc Dietrich und Martin Seeliger haben mit den sie unterstützenden Autorinnen und Autoren der neuen Anthologie wohl alles Erdenkliche dazu getan, dass sich die eine oder der andere (noch weiter) aus Adornos Wien herausbewegen und in Gefilden umsehen kann, in denen sich wahrlich nicht alles um billige Unterhaltung und andere gemeine Interessen und niedere Instinkte dreht. Wer im oben skizzierten Sinne aufgeschlossen und willens ist und sich speziell für (deutschen) Gangsta-Rap interessiert, dürfte derzeit wohl zu keinem besseren Leitfaden und Wegbegleiter greifen können als zu der vorliegenden Anthologie. Bochum/Pisa, im Dezember 2011

G-Rap auf Deutsch Eine Einleitung M ARTIN S EELIGER UND M ARC D IETRICH

W ARUM

EIN

B UCH

ZU DEUTSCHEM

G ANGSTA -R AP ?

Bushido dreht einen autobiografischen Film mit Bernd Eichinger und wird von Karell Gott gefeaturet, Massiv tritt mit Unterstützung des GoetheInstituts als Kulturbotschafter im Gaza-Streifen auf (Itzek 2008) und mit Manny Marc und Frauenarzt dringen zwei (ehemalige) Gangsta-Rapper in die Gefilde des deutschen Partyschlagers ein: Ein Umstand, auf den bereits der Untertitel des Standardwerkes von Hannes Loh und Murat Güngör (2002) (Fear of a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap) verweist, liegt in der Vielfalt von Ausprägungen und Symbiosen, die HipHop-Kultur in den letzten Jahrzehnten angenommen hat und eingegangen ist. Auf einer politischen Skala sind hierbei z.B. Rapper und Sprayer, die (mal mehr und mal weniger orthodoxe) Werteauffassungen linksradikaler Subkultur zu transportieren trachten, genauso vertreten wie ein Horst Seehofer, der mit Bushido (mehr oder weniger scherzhaft) über einen Wahlkampfsong für die Christlich-Soziale Union verhandelt (Gross 2010). Ein weiteres Indiz für die gar nicht mehr so randständige Position von GangstaRap im kulturindustriellen Spektrum liegt auch darin, dass der Sohn des bayrischen Innenministers vor Kurzem als Gangsta-Rapper in Erscheinung trat (Auer 2010). Das vielleicht spektakulärste Beispiel der letzten Zeit findet sich hier im vormals stalinistisch (sic!) orientierten Rapper Makss Damage aus Gütersloh,

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der Anfang 2011 auf medienwirksame Weise seinen Übertritt ins nationalistische Lager bekannt gab. Eine ähnliche Verschränkung HipHop-kultureller Formen mit spezifischen soziokulturellen Referenzsystemen findet sich in der Selbstdarstellung von Rappern als erfolgreichen Unternehmern, wie im Falle von 50 Cent. Die Inszenierung wirtschaftlichen Erfolgs wird hierbei zum Kernbestandteil der eigenen (dargestellten) Identität, welche wiederum als Teil des an Konsumenten vermittelten Identifikationsangebotes in Erscheinung tritt. Dieser hier nur skizzierten Vielfalt und potenziellen Hybridisierung entsprechend bezeichnet Murray Forman (2007: 18) HipHop als »gelebte Kultur, die aktiv und prozesshaft hervorgebracht wird und sich selbst an historischen Scheidepunkten neu erfindet«. Indem HipHop-kulturelle Elemente auch in Verbindung mit gesellschaftlichen Teilsystemen auftreten (z.B. wie in den vorgestellten Fällen von Politik und Wirtschaft), gewinnt sie den hybriden Charakter, welchen Klein und Friedrich (2003: 9) in einer räumlichen Dimension auch als »Spannungsfeld zwischen afro-amerikanischer Ghettokultur und lokaler Kulturtradition« identifiziert haben. Die akademische Auseinandersetzung mit dem Thema Gangsta-Rap ist in Deutschland nicht besonders ausgeprägt. Komplementär zum Aufstieg des Genres ist allerdings auch eine wachsende Zahl publizistischer Schlaglichter und Diskussionsbeiträge zu verzeichnen. So lassen sich v.a. in der Zeit von 2007 bis 2009 regelmäßig Beiträge in größeren deutschen Zeitungen (hier v.a. Süddeutsche und tageszeitung) und Magazinen (v.a. Der Spiegel) finden. Positiv hervorzuheben ist außerdem ein von Peter Schran gedrehter Dokumentarfilm mit dem Titel ›Westside Kanaken‹, der die Lebenswirklichkeit des Umfeldes einiger Kölner Gangsta-Rapper abbildet. Die besondere Qualität dieses Films speist sich v.a. daraus, dass der Regisseur mit der Darstellung des Alltagslebens einen Gegenstand aufgreift, der im Gangsta-Rap selbst auch regelmäßig zum Thema gemacht wird. Das Leben ›auf der Straße‹ (Kool Savas), ›am Block‹ (Sido), ›im Ghetto‹ (Eko Fresh/Bushido), in ›der Hood‹ (N.W.A.) oder ›im Kiez‹ (Nate57) ist nicht nur regelmäßig Objekt der von Rappern getroffenen Ausführungen, sondern gleichzeitig auch symbolischer Rahmen und Referenzsystem der von ihnen entwickelten Narrative: »Der Reiz von Gangsta-Rap liegt dabei darin, dass das Genre die Ghettoexistenz zu spiegeln scheint, zugleich aber auch das Gefühl vermittelt, Musik sei ein möglicher Ausweg aus diesem Leben« (Menden 2008).

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Aber warum sollten sich nun die Sozial- und Kulturwissenschaften mit dem Thema überhaupt auseinandersetzen? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich hierfür wenigstens drei aus unserer Sicht triftige Gründe finden: 1.

2.

3.

stellt Gangsta-Rap (und ein dazugehöriger Krisendiskurs) einen Ort der symbolischen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen dar (Scharenberg 2001) fungieren die Bildwelten des Gangsta-Rap als kultureller Pool von Identifikationsangeboten, der v.a. für Jugendliche eine sinn- und identitätsstiftende Funktion übernimmt (Thiermann 2009) lassen sich über die Analyse von Gangsta-Rap-Images schließlich auch Rückschlüsse über allgemeine zeitgenössische Kultur ableiten (z.B. hinsichtlich von Mustern hegemonialer Männlichkeit; siehe Seeliger/Knüttel 2010)

Indem die Beiträge des vorliegenden Buches aus unterschiedlichen Perspektiven Schlaglichter auf einzelne Aspekte des Themas werfen und die Ergebnisse in einen breiteren wissenschaftlichen und gesellschafts-politischen Kontext einordnen, werden diese Desiderate nicht nur unterstrichen, sondern auch ein Stück weit eingelöst. Als zentraler Bezugspunkt, an dem die spezifischen Praktiken der Gangsta-Rap-Subkultur ausgerichtet werden, lässt sich die Notwendigkeit zur Selbstbehauptung gegenüber einer feindlichen Umwelt identifizieren (Klein/Friedrich 2003): »Szenegänger beschreiben die HipHop-Szene oft als eine ›harte‹ Szene, in der es nicht leicht ist, sich zu behaupten und zu etablieren.« Das Narrativ, das hier für HipHop im Allgemeinen beschrieben wird, gilt für Gangsta-Rap als Unterform insofern im Besonderen, als die Darstellung von Härte (Liell 2007) als Bestandteil der systematischen Inszenierung »schematischer Versionen von Hypermaskulinität« (Bereswill 2007: 108) dient. Die darstellungsorientierte Gewaltfixierung von Gangsta-Rap-Images resümierend beweist Hannes Loh als deutscher Szenekenner einiges an Prognosefähigkeit: »Die verlockende Aussicht, aus einer ›realen‹ Körperverletzung vermarktbares symbolisches Kapital zu schlagen, wird im nächsten Jahr sicher nicht zur Abrüstungsbereitschaft der Männerbünde und Ich-Armeen beitragen« (Loh 2005: 126).

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So ist als Meilenstein (inszenierter) Gewalteskalation die Schussverletzung des Rappers Massiv zu verzeichnen, der etwa zur gleichen Zeit von Seiten des Stuttgarter Rappers ›Bözemann‹ – einem nach eigener Aussage ehemaligen UCK-Kämpfer, der in seinen Videos auch gern mal mit dem Maschinengewehr (sic!) posiert – bedroht worden war. Solche Fälle, die in Deutschland die Ausnahme bilden und auch in den USA nur sehr selten zu beobachten sind, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch GangstaRap zunächst nur ein musikalisches Genre darstellt, in dem sich die »Umwelt«, d.h. in diesem Fall sozialer und kultureller Missstand sowie der Effekt politischer Entscheidungen, abbildet. Rap existiert keineswegs im luftleeren Raum. Vielmehr handelt es sich um eine Musikrichtung oder kulturelle Praxis, die besonders stark an marginalisierte Gruppen oder Menschen mit Bezug zum »Mann auf der Straße« angelehnt ist. Der ausschlaggebende Gedanke für das diesem Band zugrunde liegende Konzept war es zum einen, dem Phänomen Gangsta-Rap in Form einer Anthologie gerecht zu werden, die sich diesem schillernden Gegenstand angemessen – und das heißt aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Beobachtungschwerpunkten – widmet. Der zweite und mindestens ebenso wichtige Ausgangspunkt war der Eindruck, dass Gangsta-Rap in der Bundesrepublik häufig in die »Schmuddelecke« abgeschoben wurde und kontextignorant als ideologisches Feld für Misanthropie, Soziopathie und Gewaltverherrlichung herhalten musste: Gangsta-Rapper sind aus einer verbreiteten Perspektive heraus junge Erwachsene mit Migrationshintergrund, aber ohne Bildung und Integrationswillen, die stolz auf ihr Deviantsein sind und ihre Seele dem schnellen und dreckig verdienten Geld auf der Straße geopfert haben. So berechtigt die Vorbehalte im Einzelnen gegen Gangsta-Rap auch sein mögen, so wenig konnten wir uns dem Eindruck widersetzen, dass die hitzig geführte Debatte auch ein Stück weit eine »Sündenbock-Diskussion« war und ist. Damit verbunden ist dann häufig eine pauschale moralische Debatte, in der sich zum Teil Kritiker wiederfinden, die auch Horrorfilmen und Videospielen als Ursache allen Übels den Garaus machen wollen: Ihnen zu Folge produziert kaum die Gesellschaft die gewaltvollen Themen, die Rapper in ihren Lyrics verarbeiten, sondern die Rapper schaffen Lyrics, die die Gewalt sozial befördern, ja »salonfähig« machen. Von dieser offenkundig problematischen Perspektive mal abgesehen ist Rap auch aufgrund seiner Fähigkeit, die verschiedensten Themen und Ideo-

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logien aufnehmen zu können, einer verschärften Beobachtung ausgesetzt. Rapmusik ist eine musikalische Praxis, die zum einen ökonomisch wenig voraussetzungsreich ist (was genügt, ist zunächst ein entsprechendes Computerprogramm und ein Mikrofon) und insofern schnell zugänglich ist. Zum Anderen kann Rap aufgrund seiner typischen Sampletechnik noch die entferntesten Genres zu einem neuartigen musikalischen Erzeugnis verquicken und etwa über Vocalcuts Semantiken integrieren, die vom Martin-LutherKing-Zitat über das »Sendung mit der Maus«-Sample bis zum DschihadAufruf reichen. Das kreative Potential der Musik ruft eben nicht nur politisch korrekte Akteure auf den Plan, ohne dass dafür die HipHop-Kultur direkt als Medium für verfassungsrechtlich bedenkliche Sprechakte stigmatisiert werden müsste. Im Gegenteil: Immer wieder auftauchende Fragen und Thesen auch in Bezug auf Extremisten im Rap werden nach genauerer Recherche häufig als gegenstandslos entkräftet. So ging das Team der ZDF-Sendung Neo der Frage nach, ob es in Deutschland islamistisch-extremistische Rapper gibt.1 Nach Interviews mit Alpa Gun, Manuellsen und dem vom Verfassungsschutz beobachteten Ex-Rapper Deso Dogg gelangte man zu dem Fazit, dass islamisch-fundamentalistischer HipHop aktuell nicht auszumachen ist: Rap in Deutschland ist kein Tummelbecken für Hassprediger. Neben der bereits skizzierten Sündenbock-Debatte scheint Rap im Diskurs allerdings auch ein Medium zu sein, das aufgrund gängiger, soziokulturell fundierter Rahmen der Rezipienten extreme Reaktionen hervorzurufen vermag. Dies legt zumindest eine Studie nahe, die die amerikanische Sozialpsychologin Carrie B. Fried durchgeführt hat: Probanden, die einen Country-Song mit einem Text über einen Polizistenmord vorgespielt bekamen, reagierten weniger extrem auf den Inhalt, als Probanden, die denselben Text in einen Raptrack verpackt vorgespielt bekamen. Fried schließt daraus, dass die Wahrnehmung von Rap mit sozial existenten Stereotypen bezüglich »des Afroamerikaners« zusammenhängen könnte (vgl. Rose 2008: 36f). Ob solche Phänomene und Schlussfolgerungen auch auf deutschen Rap und seine Hörer zutreffen, ist nach unserem Wissen nicht erforscht worden. Feststehen mag (1), dass der Diskurs um Gangsta-Rap gut daran tut, soziale

1

Vgl. http://www.zdf.de/ZDFmediathek/#/beitrag/video/1285846/Wild-Germany ---Islamischer-Rap

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und kulturelle Kontextfaktoren in die Interpretation und Bewertung zu integrieren. Ebenso wichtig scheint es (2), sich mit subkulturellen Eigenheiten (Sprachspielen wie dem Braggin & Boastin, Signifying) und zugrunde liegenden Traditionen (den Figuren des Stagger Lee, Badman) auseinanderzusetzen, wenn es darum gehen soll zu beleuchten, was Texte, Bilder und bewegte Bilder im Gangsta-Rap darstellen, kritisieren oder dokumentieren. Ob Gangsta-Rap dabei gut oder schlecht, kritisch oder neutral, ›real‹ oder ›fake‹ ist, kann aus unserer Sicht nicht beantwortet werden. Am besten wäre es vermutlich, diese Frage so gar nicht erst zu stellen, unterstellt sie doch, dass es sich bei diesem so vielfältigen wie komplexen kulturellen Feld um eine (wenigstens relativ) homogene Einheit handele, die sich ohne weiteres auf einen zeitdiagnostischen Begriff bringen ließe. Mit der Sammlung von Fallstudien verfolgen wir im vorliegenden Band vielmehr das Anliegen, Schlaglichter auf die Breite und Tiefe dieser Kultur zu werfen, die – so unsere Ansicht – vielmehr vom Blick auf das Spezielle als von der umfassenden Diagnose her verstanden werden kann. Die Anthologie versteht sich in diesem Sinne also als Diskussionsangebot für Wissenschaftler, Medienvertreter und Interessierte sowie als Versuch, Defizite und mögliche Unzulänglichkeiten im Sprechen über Gangsta-Rap zu korrigieren.

E INE

HISTORISCHE

S KIZZE

DES

G ANGSTA -R AP

Die Geschichte des Gangsta-Raps ist wenig überraschend mit der Entstehung der HipHop-Kultur verbunden. Eine umfassende Ausbreitung der historischen Genese findet sich noch immer am besten in David Toops Klassiker Rap Attack und kann an dieser Stelle nicht in vollem Umfang präsentiert werden. Insofern möchten wir lediglich einige Grundgedanken und zentrale Inhalte der Kultur (wie sie für Gangsta-Rap bedeutsam sind) vorstellen. Daran anschließend machen wir auf die Hauptentwicklungslinien in der amerikanischen Szene aufmerksam. Stellt man sich die Aufgabe, einige elementare Orientierungen der HipHop-Kultur zu benennen, so ist sicherlich die Idee des »Battles«, des leistungsorientierten, auf »skills« basierenden Wettstreits, zu unterstreichen. Unabhängig von der jeweiligen Disziplin (Rappen, DJing, Graffiti, Breakdance) zieht sich das Konzept der Selbststilisierung und Abgrenzung gegenüber »Kontrahenten« wie ein roter Faden durch die Kultur: »Maler«

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(Graffitiartists) konkurrieren um das innovativste, eigenständigste und möglichst waghalsig platzierte »Piece« (Bild), DJs messen sich im Turntablism und profilieren sich als trickreiche, stilsichere (Plattenteller-)Musiker und B-Boys (Breakdancer) zeigen ihre neuesten, individuellen und spektakulären »Moves« (Tanzschritte), um die rivalisierende Crew zu beeindrucken. Die Idee des »sportlichen« Vergleichs findet sich jedoch am augenscheinlichsten im Rap. Unter dem Etikett ›Battle-Rap‹, das nicht immer trennscharf von Gangsta-Rap unterscheidbar ist, firmiert ein ganzes Subgenre, das sich einzig der Selbstprofilierung auf Kosten des Gegners widmet. Die Leistung am Mikrofon (eben die skills) steht zwar mindestens so stark im Vordergrund wie die verbale Attacke auf den präsenten oder imaginierten »Gegner«, festzuhalten bleibt jedoch, dass die »Kreativität des Dissens« (von »to disrespect«) eine zentrale Rolle einnimmt. Was für Nichteingeweihte wie pure Beleidigung klingt, wird erst mit einem Blick in die afroamerikanische Straßenkultur näher verständlich: Das so genannte »Playing the dozens«, eine Sprach-Spiel-Praxis mit Wurzeln im afroamerikanischen Straßen- und Gefängnis-Milieu der 50er Jahre, kann als Vorläufer des Battle-Rap betrachtet werden. Das Ziel des offensiv geführten, letztendlich aber nicht ernst gemeinten Streitgesprächs vor zufälligem Publikum (meistens auf der Straße) ist es, den Kontrahenten zu verhöhnen, seine Fähigkeiten infrage zu stellen und die moralische Integrität der Familie anzuzweifeln. »Beim playing the dozens handelt es sich um ein Sprachspiel, das vor allem von Männern proletarischer Herkunft auf den Straßen gespielt wurde und dessen Sieger derjenige ist, der den Gegner verbal ›auseinander nimmt‹« (Kage 2004: 42). Zum Zeitvertreib nehmen sich die Interaktionspartner »hoch«, überbieten sich in Kreativleistungen verbaler Beleidigung und simulieren so über Sprache einen Konflikt, der nur der Form halber einer ist. Insbesondere in US-Gefängnissen, die traditionellerweise einen hohen Anteil schwarzer Insassen verzeichnen, wurden diese Techniken entwickelt und ritualisiert (vgl. Toop 2000: 29) – heute sind sie Teil der weltweiten (Battle-)Rapkultur. Eng verwandt mit den Dozens ist das »Signifying«. Beim Signifying geht es darum, den hegemonialen, weißen Sprachduktus zu unterlaufen und durch »Toasts« (epische Gedichte) Geschichten zu erzählen, die eben das Prinzip des »kreativen« Beleidigens wiederaufnehmen: »These kind of narrative Poems are called toasts. They are rhyming stories, often lengthy,

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which are told mostly amongst men. Violent, scatological, obscene, misogynist, they have been used for decades to while away time in situations of enforced boredom, whether prison, armed service or streetcorner life« (Toop 2000: 29). Zu besonderer Bekanntheit hat es das toast-poem vom »Signifying Monkey« gebracht: There hadn’t been no shift for quite a bit so the Monkey thought he’d start some of His signifying shit. It was one bright summer day the Monkey told the Lion, »There’s a big bad burly motherfucker livin down your way. He said, You know your mother that you love so dear? Said anybody can have her for a ten-cent Glass a beer.” (zitiert nach Toop 2000: 29)

Bei derartigen Toasts handelt es sich offensichtlich weniger um elaborierte Lyrik als um schlichte, humoristisch orientierte Kurzgeschichten in Reimform. Wie David Toop betont, tritt der Affe in der Rolle des »tricksters« auf, der – wenngleich physisch unterlegen – die Sprache zu seinem Vorteil (Manipulation) nutzen kann. Im Fortlauf des Poems geht der Löwe zum Elefanten, dem der Affe die beleidigende Aussage unterstellt hat. Es kommt zum Konflikt und der Löwe hat das (körperlich schmerzliche) Nachsehen. Man kann sich leicht vorstellen, wie der Erzähler bei der Narration mit dem Affen sympathisiert und so die Begeisterung des Rezipienten in dessen Richtung zu lenken vermag. Die Toasts funktionieren schlussendlich nach einem simplen Prinzip: Auf der Sprachebene (Slang) wird mit dem hegemonialen Sprachduktus gebrochen. Zudem wird der Hegemon selbst (Löwe) attackiert, indem er durch die Sprachlist des vermeintlichen Underdogs (Affe) manipuliert wird. »Es ist hierbei uninteressant, ob der Elefant tatsächlich das gesagt hat, was der Affe dem Löwen berichtet. Der entscheidende Punkt ist, dass es ein Fehler war, sich ohne weiteres auf die Äußerungen des Affen einzulassen, denn dieser kann nur deshalb sein Spiel mit dem Löwen treiben, weil der nicht verstanden hat, dass der Affe im Modus der Andeutung spricht, um ihn indirekt zu beleidigen« (Kage 2004: 43).

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Man kann sagen, dass durch diese Kodierung unterdrückte Minderheiten ihrem Unmut Ausdruck verschaffen und sich gleichermaßen »entertainen« können. Zweifelsohne sind derartige Toast-Formen längst in die Unterhaltungsindustrie eingesickert (etwa bei Rufus Thomas‫ ތ‬Song »Walking the dog«, vgl. Toop 2001: 30) oder in modifizierter Art als Bestandteile eines musikalischen Narrativs integriert worden (etwa in der bluestypischen Figur des »Stackolee« oder auch »Badman«, vgl. Toop 2001: 30).  Überzeugend ist der Ansatz David Toops, der den Battlerap nicht nur an das Playing the dozens sowie die Figur des Badman bzw. Stackolee rückbindet, sondern dafür plädiert, die Ursprungserzählung bei den Griots beginnen zu lassen. Jene in Westafrika situierte Kaste ist dafür bekannt, Sänger hervorzubringen, die historisches Wissen, Lobgesang, politisch subversive Satire, Gerüchte und Tagesgeschehen in ihrer Performance verschmelzen lassen (vgl. Toop 2001: 32). Somit lässt sich vermuten, dass die Griots mit den toastenden Afroamerikanern den Hang zur Subversion, Provokation und Unterhaltung in Form prägnanter Lyrics teilen und diese Narrationsästhetik sich bis in die South Bronx Bahn geschlagen zu haben scheint. Gerade für Gangsta-Rap sind das Playing the dozens sowie das Signifying bedeutende ästhetische Merkmale. Schon bei den Vätern dieses Genres (Ice-T, KRS-1 mit Boogie Down Productions oder Schoolly D) sind die bis heute typischen Stilfiguren der Selbstüberhöhung und der Abqualifizierung anderer zu erkennen. Anders als beim »klassischen« Battlerap setzt die Selbststilisierung im Gangsta-Rap jedoch weniger auf die Preisung des eigenen Rap-Styles oder die Fähigkeit, jeden Rapper lyrisch zu »burnen«, sondern stärker auf das Vermögen, sich erfolgreich in einem sozialen Brennpunkt, dessen Emblem die »Hood« (von neighbourhood) ist, zu behaupten (vgl. dazu den Beitrag von Seeliger/Dietrich in diesem Band). Wenn heutiger Gangsta-Rap einen Hang zum Mafiatum und der Inszenierung zum zwielichtigen Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug aufweist, wie man sie in einigen Videos von Jay-Z bis 50 Cent beobachten kann, dann ist diese Entwicklung wohl mit einem Namen verbunden: Kool G Rap (wobei »G« für »Genius« und nicht »Gangsta« steht). Der New Yorker Rapper integrierte als erster Ende der 1980er Jahre Mafiareferenzen und andere Vergleiche aus dem Bereich der organisierten Kriminalität – eine Inszenierungsfigur, die auch spätere Vertreter wie Mobb Deep, The Clipse, Raekwon oder Rick Ross prägen sollte (vgl. dazu den Beitrag von Leib-

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nitz/Dietrich in diesem Band). Während Ende der 1980er und Anfang der 1990er an der amerikanischen Westküste mit N.W.A. eine mitunter funkige, betont straßenlastige »Ghettoperformance« zur Blaupause für spätere Acts wie Snoop Dogg oder die Westside Connection wurde, setzte der New Yorker Rapper Figuren wie John Gotti, Tony Montana (aus Brian De Palmas »Scarface«) oder die Gambino-Familie auf die popkulturelle Agenda. Wenngleich Gangsta-Rap aus dieser Sicht einen New Yorker Ursprung hat, so etablierten sich in den 1990er Jahren vornehmlich Westküsten-Vertreter im Popbetrieb (man denke z.B. an das Death-Row-Universum mit Dr. Dre, Tupac, Snoop und Tha Dogg Pound). Zeitweise war Gangsta-Rap zu dieser Zeit gleichbedeutend mit »G-Funk« – einer musikalischen Richtung, die Dre mit N.W.A. vorbereitet und auf seinem 1992er Debütalbum »The Chronic« perfektioniert hatte. Die Dominanz Kaliforniens wurde erst gebrochen, als mit Notorious B.I.G. ein Rapper die Szene betrat, der sowohl hinsichtlich der »skillz« als auch der Inhalte gemäß etwas entgegenzusetzen hatte (bzw. diese sogar noch übertraf). Biggies Sound war nach emischen Kategorien eher vom »hardcore« geprägt und konkurrierte mit den oft ebenfalls harten Lyrics von der Westside, ohne deren positiven, tanzbaren Stil zu bemühen. Mit dem Ableben der prominentesten Genrevertreter Biggie und Tupac, deren Schicksal medial reichlich ausgeschlachtet wurde und dessen Verlauf hinlänglich bekannt sein dürfte, erodierte die Konzentration von Gangsta-Rap an den beiden Küsten sukzessive. Zwar hatten schon im Vorfeld auch im Süden der USA Künstler erfolgreich Gangsta-Rap produziert (die Ghetto Boys etwa), aber durch die Beilegung des vermeintlichen Küstenkonflikts erhielten nun auch andere Landstriche gesteigerte Aufmerksamkeit. Veteranen wie Ice Cube oder eben Kool G Rap blieben zwar konsequent präsent, aber auch andere Crews und Artists wussten sich zu etablieren (man denke an Three 6 Mafia, das No-Limit-Imperium um Master P, Ja Rule oder DMX). Auch aktuell lassen sich Gangsta-Rap-Vertreter aus allen Teilen der USA finden, wenngleich der Westen und der Süden vielleicht am präsentesten sind. Zu den kommerziell erfolgreichsten Vertretern des Genres in den letzten Jahren zählen sicherlich 50 Cent, T.I., Young Jeezy, Rick Ross und (mit etwas Abstand) The Clipse.

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S OZIALE U NGLEICHHEITSVERHÄLTNISSE ALS E NTWICKLUNGSHINTERGRUND VON G ANGSTA -R AP Blickt man auf die sozialen Entstehungskontexte (und deren Repräsentation in den Bildwelten der Subkultur), bestätigt sich dem ersten Eindruck entsprechend einmal mehr die klassische These von Karl Marx (1971: 15), nach der das gesellschaftliche Sein der Menschen auch ihr Bewusstsein und ihre Ausdrucksformen bestimme. So ist die sozusagen standardmäßig beschworene ›Ghettoexistenz‹ einer der zentralen Bezugspunkte in der Konstruktion von Gangsta-Rap-Images. Vor dem Hintergrund der Situation schwarzer und lateinamerikanischer Minderheiten, die – so die ursprungsmythische Erzählung (Klein/Friedrich 2003) – HipHop zur kulturellen Form entwickelten, die es ihnen ermöglichte, Randständigkeitserfahrungen zu verarbeiten und denselben Ausdruck zu verleihen. Um die Etablierung von HipHop-Kultur in der Bundesrepublik zu Anfang der 1980er Jahre besser verstehen zu können, die maßgeblich von migrantischen Jugendlichen betrieben wurde (Loh/Güngör 2002; Loh/Verlan 2006), ist es – dem materialistischen Postulat Marxens entsprechend – unerlässlich, dem sozialstrukturellen Hintergrund seiner Verbreitungsakteure nachzuspüren: Neben einer generell schlechteren Ausstattung mit materiellen Ressourcen für (post-)migrantische Haushalte führt Geißler (2006: 246) für diese eine geringe Dichte persönlicher Kontakte mit (Mehrheits-)Deutschen an. So zählten 1980 lediglich 15% der Westdeutschen in Deutschland lebende AusländerInnen zu ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis. Die gesellschaftliche Randständigkeit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu Anfang der 1980er Jahre ist damit einer der zentralen Ausgangspunkte für die gesellschaftswissenschaftliche Auseinandersetzung. Dem soziologischen Blick auf die für HipHop-Kultur üblichen Praktiken bleiben Indizien hierfür keineswegs verborgen: So erscheinen weder Rappen, Breakdance oder Graffiti materiell als besonders voraussetzungsreiche Tätigkeiten (wer z.B. schon mal in einem Fachgeschäft für ReiterInnen-Bedarf war oder die Preise für Chemiebaukästen und deren Nachfüllsortimente überprüft hat, wird dies leicht nachvollziehen können). Darin, dass Jugendliche nun ›ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen‹, liegt allerdings nicht nur ein prinzipiell emanzipatorisches Moment des Empowerment, sondern auch der kulturindustriell so begehrte ›Stoff, aus dem die Träume sind‹. So lässt sich die HipHop-Kultur besonders in ihrer Frühphase als »symbolische[r] Angriff

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auf die dominanzkulturelle Hegemonie« verstehen (Scharenberg 2001: 247). Demgegenüber lassen sich allerdings auch grundlegend skeptische Positionen gegenüber solchen vermeintlich emanzipatorischen Momenten der Kulturgeschichte erkennen. So stellen nach Behrens (2004: 15) Rap und HipHop »heute die lukrativsten Sparten der Popkulturindustrie [dar], nicht zuletzt durch die Vermarktung des Rebellischen; das Rebellische bleibt indessen diffus, Homophobie, Sexismus und Antisemitismus gehören fast zum Programm, und mittlerweile gibt es erfolgreichen deutschsprachigen nationalistischen und neofaschistischen HipHop.«

Die emanzipatorische Kraft von HipHop-Kultur infrage stellend verweist Behrens hier außerdem ein weiteres Mal auf ihre breite Heterogenität. Hinsichtlich des symbolischen Repertoires von Gangsta-Rap als Unterform dieser Kultur lässt sich der Bezug auf soziale Ungleichheit weiterhin als zentraler Bezugspunkt ausfindig machen. Die Präsentation des sozialen Aufstiegs als Rapper/Drogendealer/Zuhälter/etc. (so klar ist das ja nach Aussage zahlreicher Genrevertreter nicht immer zu trennen) gilt hierbei aber nicht vordergründig der expliziten Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern der Zurschaustellung des eigenen biografischen Projekts. Dieses konnte (so jüngst auch Seeliger/Knüttel 2010) als symbolischer Bezug auf Leistungsfähigkeit als Leitbild spätkapitalistischer Gesellschaften und Kernelement hegemonialer Männlichkeit identifiziert werden. Gleichzeitig finden sich aber auch im Gangsta-Rap immer noch zahlreiche Äußerungen, die sich als Referenzen an die Notwendigkeit der Aufhebung ungleichheitsvermittelter Widersprüche in der Gesellschaft (Klassenkampf!) interpretieren lassen (vgl. den Beitrag von Seeliger in diesem Band).

K RISENDISKURS ÜBER J UGENDLICHE MIT M IGRATIONSHINTERGRUND Aber was ist daran jetzt so interessant? Dass benachteiligte Jugendliche bisweilen zu devianten Verhaltensweisen gebracht werden, ist wenigstens seit Charles Dickens’ Oliver Twist Gegenstand kulturindustrieller Darstellungen. Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Ausdifferenzierung der Landschaft unterschiedlicher Jugendkulturen (Hitzler/Niederbacher 2010)

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sollte man ja eher meinen, dass sich das öffentliche Interesse nun über eine Vielzahl unterschiedlicher Genres verteilen müsste, denen im Ergebnis ungleich weniger Aufmerksamkeit zuteil wird. Stattdessen passiert etwas anderes: Besonders zwischen 2007 und 2009 konnte die Berichterstattung über Gangsta-Rap in den deutschen Mainstream-Medien wesentlichen Raum für sich beanspruchen. Wahrscheinlich überrascht es wenig, wenn wir feststellen, dass sich diese Berichterstattung in der Regel nicht durch ein ›leidenschaftsloses Interesse‹ an ihrem Gegenstand auszeichnete. Um diese Form der Aufmerksamkeit genauer verstehen zu können, soll im Folgenden ein spezifischer Krisendiskurs vorgestellt werden, der GangstaRappern als wichtiger Bezugspunkt ihrer Selbstdarstellung dient und in der Bundesrepublik seit einigen Jahren im Zusammenhang mit ethnisierter und vergeschlechtlichter (Gewalt-)Kriminalität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt wird. Als besonders anschauliches Beispiel für die Konstruktion derjenigen Narrative, die eine Form der Berichterstattung am Laufen halten, die sich durch eine stereotype Darstellung männlicher Jugendlicher mit (meist orientalischem) Migrationshintergrund auszeichnet, lässt sich eine Titelstory aus dem Spiegel anführen, die Anfang 2008 mit dem Namen »Migration der Gewalt. Junge Männer – die gefährlichste Spezies der Welt« erschienen ist. Der Übergriff zweier Jugendlicher auf einen Hauptschuldirektor im Ruhestand, der die beiden auf das Rauchverbot in den Anlagen der Münchner Stadtbahn hingewiesen hatte, diente den AutorInnen hier als Ausgangspunkt einer verallgemeinernden und essenzialisierenden Darstellung einer männlich-migrantischen Gewaltfixierung.2 Einem Befund von Huxel (2008: 66) entsprechend werden hier »männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund vor allem als ›Problemfälle‹ thema-

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Derartige Gewalthandlungen zu verharmlosen erschiene genau so abwegig, wie eine generelle Nicht-Berücksichtigung ethnischer Differenzierung in der Kriminalstatistik. So besuchen im Berliner Stadtteil Neukölln, der im Zusammenhang mit dem hier behandelten Krisendiskurs als besonders berüchtigt gilt, 58 % der Kinder mit Migrationshintergrund die Hauptschule und verlassen sie häufig ohne Abschluss (Hüetlin 2010). 2009 lebten dort 214 der 537 jugendlichen Intensivtäter, von denen insgesamt 90 % einen Migrationshintergrund aufwiesen (Meinhardt 2009). Mit der populären Inszenierung derartiger Problemlagen wenden wir uns im Rahmen des vorliegenden Buches einem angrenzenden Themenfeld zu.

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tisiert, als Verursacher von Gewalt und Kriminalität, als Integrationsverweigerer oder als Schulversager«3. Auch ›intellektuelle‹ Organe wie die Zeit scheuen nicht prinzipiell vor einer skandalisierenden und tendenziösen Berichterstattung zurück. Während Sätze wie »Mit Gürtelschnallen dreschen junge Türken auf einen Polizisten ein« im Dossier über ethnisierte Jugendgewalt (Lebert/Willeke 2008) immerhin an die prominente Stelle einer Zwischenüberschrift gelangen, werden Referenzen an Polizeigewalt und Stigmatisierung im Text vergeblich gesucht. In die gleiche Kerbe schlägt der folgende Spiegel-Artikel, der die (angeblich) harte, sozialdarwinistische Wirklichkeit im (boulevard-)bekannten Berliner Brennpunktstadtteil beschreibt: »An anderen Orten gibt es Gewinner und Verlierer – in Neukölln gibt es Leute, die Respekt verdienen, und es gibt Opfer« (Hüetlin 2010). Schließlich wird ein entsprechendes Bild auch von – wer sollte es besser wissen – dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkoswky wiedergegeben: »Studenten, die der billigen Mieten wegen im Bezirk wohnen, berichten, es sei absolut unangemessen, Gruppen von türkischen oder arabischen Jugendlichen nach Einbruch der Dunkelheit mit offenem Blick zu begegnen, man habe den Blick unbedingt zu senken« (Meinhardt 2009).

Man täte vielen von ihnen Unrecht, wenn man behaupten würde, dass solche Äußerungen das ›täglich‫ ތ‬Brot‹ der Gangsta-Rapper bedeuteten. Dennoch lässt sich anhand zahlreicher Aussagen, sowohl in Texten als auch Interviews o.ä. zeigen, wie Gangsta-Rapper sich bei ihrer Selbstinszenierung ständig auch an denjenigen Ressentiments abarbeiten, die ihnen als Vertretern eines spezifischen Lebensstils von Seiten der Mehrheitsgesellschaft entgegengebracht werden. Charakteristisch ist hier das ambivalente Spiel mit der Adaption derartiger Anrufungen: Einerseits kritisiert man ›die anderen‹ (anonymen Herrschenden, Medien, Politiker, Polizisten, Etablierte Bürger, Feministinnen, usw.) dafür, sich herablassend und verständnislos über einen Lebensstil zu äußern, von dessen Härten sie nichts verstünden. Andererseits gibt man ihnen Recht, wenn es darum geht, die eigene Gefähr-

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Wie an anderer Stelle (Seeliger/Knüttel 2010) gezeigt werden konnte, findet die Konstruktion der Täterbilder hier v.a. unter Bezug auf die vier sozialen Kategorien Körper/Sexualität, Geschlecht, Klasse und Ethnizität statt.

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lichkeit und mitunter auch Amoralität zu unterstreichen. Hinsichtlich der Berichterstattung über Gangsta-Rap lassen sich diesbezüglich zweierlei idealtypische Formen unterscheiden: Eine skandalisierende und eine reflexive. So werden einerseits immer wieder Berichte veröffentlicht, die die Selbstdarstellung der Rapper (bzw. ihrer geschickten Vermarkter) dankbar aufzunehmen scheinen, um von ihrer aufmerksamkeitsökonomischen Kraft zu profitieren. Bei einer Darstellung der Entdeckung der Rapper von ›Aggro Berlin‹ äußert man sich im Süddeutsche-Magazin z.B. folgendermaßen: »Sie finden die Rapper in einer Sozialwohnung ohne Heizung, zu acht, zwischen Sperrmüllmöbeln und vollen Aschenbechern. Dort sitzen sie, ungewaschene Pullis übereinandergezogen gegen die Kälte, Joints im Mund.«

Als in ihrem Charakter diesem ersten Idealtypus nahe stehend lassen sich darüber hinaus Vertreter eines Literaturgenres identifizieren, das sich vor Kurzem und nicht zuletzt anschließend an den beschriebenen Krisendiskurs herausbilden konnte. Es handelt sich hierbei um populärwissenschaftliche oder auch autobiografische Bücher oder Filme, in denen den weiter oben vorgestellten Stereotypen entsprechende Formen von Männlichkeit vorgestellt werden (siehe Amend/Bushido 2008; Gülay 2009, sowie kritischreflektierend: Türkmen 2008). Gleichzeitig lassen sich aber auch Stimmen vernehmen, die genau diese aufmerksamkeitsökonomische Konstitutionslogik transparent zu machen versuchen: »Oberflächlich betrachtet veröffentlicht Aggro HipHop aus Berlin. Tatsächlich verkauft Specter über Aggro sehr erfolgreich Schockeffekte.« (Hartmann 2007)

Positionen dieser Art lassen sich tendenziell einem zweiten, reflexiven Idealtypus zuordnen. In der Praxis zeigt sich aber, dass beide Formen der Berichterstattung in Verbindung miteinander auftreten. So geht die diskursive Bezugnahme auf Gangsta-Rap praktisch bereits mit der Referenz an eine (vermeintliche) Skandalträchtigkeit des Themas einher. Wie anhand der Beiträge in der vorliegenden Anthologie deutlich wird, stellt der Tatbestand sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft einen – wenn nicht sogar den –zentralen Bezugspunkt im Symbolsystem des Gangsta-Rap dar.

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V ORSTELLUNG DER B EITRÄGE UNSER LEBEN – Gangsta-Rap in Deutschland. Ein popkulturell-historischer Abriss (Stephan Szillus) Stephan Szillus präsentiert aus musikjournalistischer Perspektive eine kurze Geschichte des Gangsta-Raps in Deutschland. Ausgehend vom »Rödelheim Hartreim Projekt« entwirft er eine detaillierte Genealogie, ohne die heutige Genrevertreter nicht denkbar sind. Gangsta-Rap – das ist aus der hier präsentierten Sicht vor allem ein »Gefühl«. Eindeutigen Abgrenzungsversuchen des Genres gegenüber etwa »Street Rap« erteilt der Autor eine Absage. »Ich bin doch kein Gangster!« Implikationen und Paradoxien szeneorientierter (Selbst-)Inszenierung (Sebastian Schröer) Anhand von Fallbeispielen und aus ethnologischer Sicht widmet sich der Beitrag von Sebastian Schröer der Selbstinszenierung von (Gangsta-) Rappern. Schröer zeigt auf, wie mit verschiedenen Rollen verschiedene »Bühnen« innerhalb der Sozialwelt bespielt werden und welche Leistungen die Akteure vollbringen, um (Rollen-)Konflikte zu bewältigen. »Witz schlägt Gewalt«? Männlichkeit in Rap-Texten von Bushido und K.I.Z. (Malte Goßmann) Im Komplex multipler gesellschaftlicher Differenzlinien betrachtet Malte Goßmann die Ausprägungen des Genres am Beispiel ausgewählter Lyrics der Berliner Rap-Acts Bushido und K.I.Z. Seinen Schwerpunkt legt der Autor hierbei auf die Auseinandersetzung mit den typischen Formen einer von den Sprechern dargestellten Männlichkeit. Nothin’ but a B-Thang? Von Gangsta-Rappern, Orthopäden und anderen Provokateuren (Anne Lenz und Laura Paetau) Ebenfalls auf den Zusammenhang verschiedener gesellschaftlich verfasster Ungleichheitsverhältnisse abhebend entwickeln Anne Lenz und Laura Paetau in ihrem Text eine kritische Perspektive nicht nur auf die diskriminierenden Implikationen der Bildwelten des Genres, ohne hierbei seine gesellschaftlichen Voraussetzungen aus dem Blick zu verlieren. Diese problemorientierte Integration der Betrachtung von Ursachen und Wirkungen der im Genre getroffenen Darstellungen wird von ihnen durch ausführliche und im Rahmen von Interviews fundierte Befunde erzielt.

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Kulturelle Repräsentation sozialer Ungleichheiten. Eine vergleichende Betrachtung von Polit- und Gangsta-Rap (Martin Seeliger) Der Beitrag von Seeliger widmet sich einer vergleichenden Betrachtung zweier Subgenres des Rap am Beispiel ausgewählter Rapper. Ausgehend von der Grunderkenntnis, dass soziale Ungleichheit im Gangsta-Rap einen zentralen Bezugspunkt der Sprecher darstellt, werden dort entsprechende Motive mit explizit politischen Reflexionen dieser Verhältnisse kontextualisiert, um abschließend die Frage zu beantworten, inwiefern sich beiderlei Darstellungsformen als Referenzen an die Notwendigkeit klassenkämpferischer Auseinandersetzungen lesen lassen. Von Miami zum Ruhrpott: Analyse von Gangsta-RapPerformances in den USA und Deutschland (Marc Dietrich) Marc Dietrich unternimmt einen Streifzug durch die verschiedenen Inszenierungen des Gangsta-Raps in den USA und Deutschland. Neben Lyrics legt er den Schwerpunkt vor allem auf ein Musikvideo, das er aus einer videohermeneutischen Perspektive analysiert. Der Beitrag überprüft in diesem Zusammenhang die von Klein und Friedrich ins Feld geführte »Glokalisierungsthese«. Y’al babour, y’a mon amour. Raï-Rap und undokumentierte Mobilität (Heidrun Friese) Die Ethnologin Heidrun Friese beschäftigt sich mit »Raï-Rap« – einer Form von nordafrikanischem Rap, in der sich der Traum von einem guten Leben in Europa artikuliert. Im Rahmen ihrer Feldforschung präpariert Friese anhand von YouTube-Handy-Videos Narrative und Symbole heraus, die dem Gangsta-Rap ähnlich, aber nicht mit ihm identisch sind. Der Beitrag zeigt, wie die »Harraga« Rap als Medium zur Bearbeitung von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Themen einsetzen und Europa zum Gegenentwurf einer defizitär empfundenen Heimat wird. Sozialraumkonzeptionen im Berliner Gangsta-Rap. Eine stadtsoziologische Perspektive (Lena Janitzki) Dem engen semantischen Zusammenhang von Gangsta-Rap und ›dem Urbanen‹ als Versinnbildlichung genre-typischer Lebensstile geht Lena Janitzki in ihrem Beitrag an der Schnittstelle von Stadt- und Kultursoziologie

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nach. Indem sie Bezüge auf bestimmte Konnotationen des Städtischen auf dezidierte Weise herausarbeitet, gelingt es ihr, diesen Zusammenhang vor dem Hintergrund sozialstrukturell verfasster Ungleichheiten als Kernelement genre-immanenter Relevanzsysteme zu interpretieren. »The world is yours«: Schlaglichter auf das Gangstermotiv in der amerikanischen Populärkultur (Kimiko Leibnitz und Marc Dietrich) Kimiko Leibnitz und Marc Dietrich beschreiben die Gangster-Figur aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive als gängigen, verschiedentlich konstruierten Topos im Gangsta-Rap und verweisen auf seine Tradition in Literatur und Film. Der Genre-Film-Klassiker Scarface von Brian De Palma (1983) bildet dabei den Schwerpunkt der Analyse. Gangsta-Rap im zeitgenössischen Kinofilm. Ein Vergleich von »Get Rich or Die Tryin‫ «ތ‬und »Zeiten ändern dich« (Martin Seeliger und Marc Dietrich) Einen Blick auf Gangsta-Rap im zeitgenössischen Kinofilm werfen Dietrich und Seeliger in ihrem gemeinsamen Beitrag, in dem sie die autobiografischen Inszenierungen der Rapper Bushido und 50 Cent vor dem Hintergrund der jeweiligen nationalen HipHop-Kulturen interpretieren. Kunst und Gangsta-Rap im Lichte der Rechtsprechung (Thomas Hecken) Abschließend entwickelt Thomas Hecken einen kulturwissenschaftlichen Blick auf ›Gangsta-Rap im Lichte der Rechtsprechung‹ und bezieht sich dabei auf eine in letzter Zeit von verschiedenen Seiten angestoßene Debatte um rechtliche Verstöße in genre-spezifischen Texten. Der Beitrag weist auch auf juristische Praktiken der Bewertung von Kunst/Nicht-Kunst hin.

L ITERATUR : Amend, Lars; Bushido (2008): Bushido. München.Auer, Katja (2011): Gangsta aus Erlangen. Sohn des Innenministers macht auf SkandalRapper. In: Süddeutsche Zeitung, 21.1.2011, 30.

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UNSER LEBEN – Gangsta-Rap in Deutschland Ein popkulturell-historischer Abriss S TEPHAN S ZILLUS

B EGRIFFSKLÄRUNG UND H ISTORIE Wenn man von Gangsta-Rap spricht, dann geht es in erster Linie um ein Gefühl. Nicht – wie man meinen könnte – um ein festes Genre, dessen Substanz und Charakteristika man trennscharf abgrenzen könnte. Sondern um ein Subgenre der HipHop-Kultur respektive der Rap-Musik, das sich vor allem über bestimmte Stilmittel, Themenfelder und Sprachcodes definiert. Ob ein Song oder ein Künstler als Gangsta-Rap(per) zu kategorisieren ist, liegt in vielen Fällen im Auge des Betrachters und ist damit auch von dessen Sozialisation und Perspektive abhängig. Im Internet findet man unzählige Versuche, Gangsta-Rap als Genre durch bestimmte Voraussetzungen zu umschreiben und von anderen RapSubgenres ähnlich schwammiger Herkunft (Street-Rap, Hardcore-Rap, Porno-Rap usw.) zu unterscheiden. Im Kern geht es im Gangsta-Rap natürlich musikalisch und textlich darum, die Lebenswelt eines Gangsters zu beschreiben. Der Begriff des »Gangsters« ist dabei dehnbar – so kann es sich um den kleinkriminellen Haschischdealer aus dem Märkischen Viertel handeln, aber auch um den italo-amerikanischen Mafiaboss aus Brooklyn. Die Beschreibung kann aus beobachtender Erzählperspektive oder aber in der Ich-Perspektive stattfinden. Nicht zuletzt kann die Beschreibung glorifizierend oder kritisch, nüchtern-distanziert oder leidenschaftlich wirken. Ge-

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meinsam ist allen Protagonisten lediglich das Behaupten einer bestimmten sozialen Herkunft, für die in der öffentlichen Diskussion häufig Begriffe wie »Unterschicht« oder »Prekariat« gebraucht werden. Ihr natürlicher Lebensraum ist das »Ghetto« oder – im Feuilleton-Deutsch – der soziale Brennpunkt. Auch wenn die Öffentlichkeit es gerne anders wahrnimmt, bedeutet HipHop nicht ausschließlich Gangsta-Rap. Vielmehr ist dies ein relativ kleiner, wirtschaftlich allerdings in den letzten zehn Jahren sehr lukrativer Zweig. HipHop selbst ist eine Subkultur, die sich bekanntermaßen im New York der siebziger Jahre aus der Zusammenschau einzelner Disziplinen wie Musik (Breakbeat-DJing und später Rap), Kunst (Graffiti) und Tanz (Breakdance) herausgebildet hat. Nach Deutschland schwappte das Phänomen erstmals in den Jahren 1982/83 über, als mit »Wild Style«, »Style Wars« und »Beat Street« dokumentarische und fiktionale Filme über die junge Subkultur erschienen, die das New Yorker Lebensgefühl einem weltweiten Publikum nahe brachten. Deutschsprachiger HipHop entstand allerdings erst Ende der achtziger Jahre, nach ausgiebigen ersten Gehversuchen der hiesigen Szene in englischer Sprache. Die weit verbreitete These, dass HipHop zu Beginn seiner Entwicklung mit einer Latenz von einer Dekade aus den USA nach Deutschland importiert wurde, trifft zumindest auf die Anfänge und auch auf das Phänomen Gangsta-Rap zu. In den USA begannen Rapper wie Schoolly D, Ice-T und KRS-One ab 1984/85, die Disco-Rap-Ära der späten Siebziger endgültig abzulösen und stattdessen den rohen Tonfall der Straße in ihre Musik zu integrieren. Speziell mit der Band N.W.A. hielt dieses Subgenre Ende der Achtziger dann sogar breiten Einzug in den Mainstream – trotz eines Boykotts durch weite Teile der Medienlandschaft, trotz Gegenwehr von Elternund Bürgerinitiativen, trotz Einführung des berühmt-berüchtigten »Parental Advisory«-Stickers, der Schallplatten und CDs mit besonders explizitem, vermeintlich jugendgefährdendem Inhalt kennzeichnen sollte und letztlich nur als Empfehlungsleitfaden für interessierte Jugendliche wirkte, welche Platten man sich vielleicht auch mal anhören sollte. In Deutschland gab es vor 1993 keinen Gangsta-Rap und auch keine Ansätze für die Adaption dieses Phänomens. Die ersten überregional erfolgreichen Rap-Bands wie Advanced Chemistry aus Heidelberg und Die Fantastischen Vier aus Stuttgart waren inhaltlich weit von dem entfernt, was wir heute als »Gangsta-Rap« bezeichnen würden. Rap hatte sich in

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Deutschland damals entweder revolutionär-politisch oder aber humoristisch-harmlos zu gerieren. Selbst wenn die erste Generation von HipHopAdepten in Deutschland zum überwiegenden Teil aus Migrantenkindern und anderen sozial Benachteiligten bestand, wurde dieser Umstand nur am Rande thematisiert: In frühen deutschen HipHop-Stücken wie »Ahmet Gündüz« äußerte sich die Düsseldorfer Fresh Familee 1990 zwar satirisch zum Themenkomplex Fremdenfeindlichkeit, doch machten sie dies auf eine leicht verdauliche Weise, die dem deutschen Durchschnittsbürger keine Angst machte. HipHop-Künstler agierten zu dieser Zeit stets als die lustigen Wortspielclowns, die von Mainstream-Medien und bürgerlicher Öffentlichkeit mehr belächelt denn ernst genommen wurden. Über den Grund für die späte Adaption lässt sich nur spekulieren. Plausibel erscheint die Theorie, nach der die Themen des amerikanischen Gangsta-Rap einfach zu weit entfernt von der deutschen Lebensrealität schienen. Die US-Vorbilder rappten schließlich über die Lebenswelt des urbanen Ghettos, über Gang-Kriege und organisierte Kriminalität, über die Crack-Babies der Reagan-Ära, über drogensüchtige, minderjährige Mütter und alkoholsüchtige, gewalttätige Väter, über kaputte Familienstrukturen und den täglichen Überlebenskampf auf der Straße. Manche taten dies im Stile eines beobachtenden und anprangernden Reporters, der Rap als »CNN des Ghettos« (Chuck D. von Public Enemy) verstand, andere wie eben N.W.A. nahmen bewusst provokativ eine Ich-Perspektive ein und unterstrichen die Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen durch das Fehlen jeglicher ironischen oder perspektivischen Brechung – man hatte keinen Zweifel daran, dass Eazy-E und Ice Cube tatsächlich raubend, mordend, plündernd und brandschatzend durch ihr Viertel in Los Angeles zogen, in dem die Polizei nichts zu melden hatte, solange sie nicht selbst ihre berufsethischen Regeln über Bord warf und die brutalen Methoden der Gang-Mitglieder übernahm. Auch wenn HipHop in sozial schwachen deutschen Regionen wie KölnChorweiler, Frankfurt-Nordweststadt, Hamburg-Wilhelmsburg oder BerlinNeukölln einen fruchtbaren Nährboden vorfinden sollte, so dauerte es doch einige Jahre, bis die Alltagsthemen der Bewohner dieser Gegenden auch in die Musik Einzug hielten. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in Deutschland jener Stil durchsetzte, der in Amerika mit Figuren wie Snoop Doggy Dogg, Tupac Shakur oder The Notorious B.I.G. gerade im Begriff war, zur wirtschaftlich erfolgreichsten Spielart von Rapmusik zu werden.

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ERSTEN DEUTSCHEN

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Rödelheim Hartreim Projekt Moses Pelham und Thomas Hoffmann waren zwei Freunde, die sich der Legende nach auf dem Basketballplatz im Frankfurter Arbeiterbezirk Rödelheim kennen gelernt hatten. Sie liebten amerikanischen HipHop, doch hatten sie die Schnauze gestrichen voll von politischer Agitation und ironisch-augenzwinkerndem Mittelstandsrap, wie er in Deutschland die SzeneWahrnehmung regierte. Ihr HipHop sollte anders klingen: Härter, roher, gefährlicher. Mit ihnen sollte sich keiner anlegen. Die stolze Gang-Mentalität ihrer heimatlichen Main-Metropole sollte sich auch in ihrer Musik ausdrücken und damit den anderen »Underdogs« in ganz Deutschland eine Identifikationsfläche bieten. 1993 gegründet, arbeiteten sie mit ihren Produzenten Martin Haas und Robert Sattler direkt an ihrem Debütalbum, das 1994 unter dem Titel »Direkt aus Rödelheim« erschien. Von diesem Meilenstein verkauften sie über 160.000 Exemplare und veränderten damit die Wahrnehmung von deutschem HipHop. Nun gab es einen effektiven Gegenspieler zu den Fantastischen Vier – bis dahin die einzige Rap-Gruppe, die es zu einer gewissen Anerkennung durch den bundesdeutschen Mainstream geschafft hatte, gleichzeitig aber von den Protagonisten der Subkultur nie als Sprecher oder gar Vorreiter akzeptiert worden war. Auch das Rödelheim Hartreim Projekt traf in der dogmatisch eingeschworenen HipHop-Szene zunächst auf Ablehnung. Doch ihre selbstbewusste Attitüde sollte sich am Ende auszahlen. Moses Pelham hatte sich bereits ab 1989 in der Frankfurter Musikszene einen gewissen Namen gemacht. Zusammen mit den Dance-Produzenten Michael Münzing und Luca Anzilotti hatte er 1989 das Soloalbum »Raining Rhymes« veröffentlicht, 1992 entstand der Nachfolger »The Bastard Lookin’ 4 The Light«, der jedoch wegen Label-Querelen erst acht Jahre später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die Entscheidung, auf deutscher Sprache zu rappen und gemeinsam mit Partner Thomas Hofmann sowohl textlich als auch musikalisch eine härtere Gangart einzulegen, erwies sich kommerziell und künstlerisch als richtig. Düstere, langsame, tonnenschwere Beats und direkte verbale Attacken gegen real existierende Gegner – das hatte es in dieser Form in Deutschland bis dahin nicht gegeben.

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1993 erschien die erste RHP-Single »Reime«, mit der sich die Rapper Moses Pelham und Thomas Hofmann der Welt präsentierten. Der Song beginnt mit einem besonders sinnfreien Vokalzitat des Fantastischen-VierRappers Thomas D. (»Jede Menge Reime, die sich auch noch reimen«), bevor Moses P. mit bis dato ungekannter Brutalität in den Track platzt: »Das interessiert mich nicht die Bohne/seit fünf Jahren trag ich die Krone«. Mit Gangsta-Rap im heutigen, engeren Sinne hat »Reime« auf den ersten Blick wenig zu tun, es ist vielmehr ein klassisches Battle-Rap-Stück, in dem der Gegner lyrisch angegriffen und der Lächerlichkeit preisgegeben wird: »Sie nennen sich fantastisch/ich wunder mich, was sich/die Jungs dabei denken, sie sind spastisch«. Die Verwendung von explizitem Straßenslang, ruppiger Wortwahl und amerikanischer Soundästhetik war im deutschen HipHop etwas revolutionär Neues. Das Rödelheim Hartreim Projekt gerierte sich im Video genau so stolz und martialisch, wie es nun mal ihrer Frankfurter Lebensrealität entsprach. Zu Beginn des Videos zur dritten Albumsingle »Wenn es nicht hart ist« posierte Moses Pelham mit einem Baseballschläger, in »Reime« drohte er mit Schüssen aus einer 9mm-Pistole, was man als Referenz an den »Boogie Down Productions«-Track »My 9mm Goes Bang« von 1986 – eines der ersten amerikanischen Gangsta-Rap-Stücke überhaupt – verstehen konnte. Oder eben einfach nur als ganz konkrete Drohung, dass er einen über den Haufen ballern würde, wenn man ihm krumm kam. Ganz wie man wollte. Der überraschende Erfolg von RHP führte zu einer ausgiebigen Deutschland-Tournee, die auf dem 1995 erschienenen Live-Album »Live aus Rödelheim« dokumentiert wurde. 1996 folgte schließlich das zweite und letzte Album des kurzlebigen Projekts: »Zurück nach Rödelheim« stieg bis auf Platz 3 der deutschen Albumcharts, RHP waren endgültig im Mainstream angekommen. Mit ihrer Mischung aus mächtigen Produktionen und expliziter Lyrik hatten sie ganz offensichtlich einen Nerv getroffen. Moses Pelham gefiel sich in der Rolle des bösen Buben, er trug Bomberjacken und T-Shirts von der Frankfurter Proleten-Rockband Böhse Onkelz, die zumindest zu Beginn ihrer Karriere offen rechtsradikale Tendenzen offenbart hatten. 1997 brach er Stefan Raab, der sich in seiner damaligen TV-Sendung über Pelham lustig gemacht hatte, auf der »Echo«-Verleihung mit einem Faustschlag das Nasenbein. Er musste 50.000 Mark Strafe zahlen.

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Pelham, der in dieser Zeit bereits das Label 3p (Pelham Power Productions) gegründet hatte, wurde zu einem der relevantesten und erfolgreichsten Pop-Produzenten der späten Neunziger, mit Acts wie Sabrina Setlur oder Xavier Naidoo. Er selbst nahm noch zwei Soloalben namens »Geteiltes Leid 1&2« auf, die 1998 und 2004 erschienen, mit Gangsta-Rap im engeren Sinne jedoch nichts mehr zu tun hatten. Den Weg für die Entwicklung des Genres hatte er allerdings gemeinsam mit Thomas Hofmann, der sich aus dem aktiven Künstlerdasein zugunsten einer Tätigkeit als Produzent und Strippenzieher im Hintergrund zurückzog, eindeutig geebnet. 4 4 Da Mess/Da Fource Einer der wichtigsten Momente in der Frühphase von deutschem GangstaRap war der Song »Mein Leben«, den der Berliner Rapper Charnell Taylor im Jahr 1997 veröffentlichte. Rödelheim Hartreim Projekt hatten zwar neben der Frankfurter Härte auch eine emotionale Seite offenbart, diese erschöpfte sich jedoch in der Regel auf zwischenmenschlich-privater Ebene (»Keine ist wie du«). Taylor hingegen erzählte so nachvollziehbar, unpeinlich und anschaulich aus dem Leben eines sozial benachteiligten Großstadtkinds, dass jede Zurschaustellung typischer Gangster-Härte daneben überflüssig schien. Allein die Härte des Lebens, das Charnell gelebt haben musste, machte aus ihm zu Beginn seiner Karriere eine interessantere und sinnstiftendere Persona als jeden polternden Proleten. Charnell, der ohne Vater und in prekärsten sozialen Verhältnissen in verschiedenen Berliner Stadtteilen wie Wedding, Kreuzberg und Moabit aufgewachsen war, hatte eine Jugend erlebt, wie sie exakt den Lebensläufen der amerikanischen Gangsta-Rapper entsprach: Jugendkriminalität, Gewalt, Drogen, Gangs – als er »Mein Leben« schrieb, wusste er genau, wovon er sprach. Einem Afrodeutschen ohne Schulabschluss schienen sämtliche Türen in die bürgerliche Arbeitswelt verschlossen. Um dem ewigen Kreislauf von Kleinkriminalität und Knast zu entkommen, gründete er die RapGruppe »4 4 Da Mess«. Der Song »Mein Leben« erschien 1997 auf einer gleichnamigen EP der Band, war jedoch effektiv ein Solostück von Charnell. Es war der erste Rap-Song, der konkret von dem Leben am untersten Ende der gesellschaftlichen Skala in Deutschland erzählte. RHP hatten sich zwar wie Ghetto-Jungs geriert, sie hatten gedroht, gepöbelt und geprügelt –

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doch sie hatten nicht so unverhohlen von jenen Schattenseiten des GhettoLebens berichtet, die Charnell hier ganz offen thematisierte. Auf einem Instrumental, das auf einem Sample des US-Soulsängers Luther Vandross basierte, berichtete Charnell von seinen Problemen mit der alleinerziehenden Mutter, von Streitereien im kaputten Elternhaus, von Alkoholsucht und Schlägereien. Seine eigene Existenz bezeichnet er als »Fehler der Gesellschaft«. So eindringlich und verletzlich hatte bis dahin kein Rapper seine realen Probleme und seine Emotionen in Worte gefasst. »’N bisschen was über mein Leben« nannte Charnell diese Gedanken bescheiden in der Hookline des Songs, der Einflüsse von amerikanischen Vorbildern wie Tupac Shakur, Nas oder The Notorious B.I.G. aufgriff, ohne dabei zur platten Kopie zu werden. Denn Charnell sprach nicht über ein imaginäres Brooklyn, das er nur aus Filmen kennen konnte, sondern über seine direkte Umgebung in Moabit, wo kleine Jungs große Messer tragen und zu den Spielern, Dealern und Zuhältern aufschauen, die 3er BMWs fahren und Goldketten tragen. Zusammen mit seinem Jugendfreund Timo Lourenzo da Silva (als Rapper TMO) gründete Charnell nach der Trennung von 4 4 Da Mess die Gruppe Da Fource, die 2001 über das Majorlabel Sony ihr Debütalbum »Überlegen« veröffentlichte, das jedoch kommerziell nicht so einschlug, wie man sich das dort erhoffte. Vielleicht kam die Platte einfach die entscheidenden zwei Jahre zu früh. Da Fource lösten sich jedenfalls im Streit auf, und Charnell begann eine beispiellose Odyssee durch die deutsche Rap-Szene – in den Folgejahren schloss er sich verschiedensten Camps und Labels an, zeitweilig lebte er auch in den USA. Während andere jene kommerziellen Erfolge einsacken konnten, die ihm seiner Meinung nach zustanden, gab sich Charnell frustriert. Er legte sich öffentlich mit denjenigen an, denen er vorwarf, »seine Idee« des deutschsprachigen Gangsta-Rap kopiert zu haben; gleichzeitig zweifelte er die Echtheit und Authentizität ihrer Geschichten an. Kommerziell jedoch half ihm das alles nichts. Andere zogen an ihm vorbei, Charnell selbst verlor den Anschluss an die Szene. Nur »Mein Leben« bleibt für immer.

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Azad Abgesehen von RHP und Da Fource war es vor allem ein Frankfurter Rapper, der deutschem Gangsta-Rap den Weg ebnete und auch selbst zumindest eine gewisse Zeit von den eigenen Innovationen kommerziell profitieren konnte: Azad Azadpour, geboren 1974 als Kurde im Iran, als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen, aufgewachsen in der Frankfurter Nordweststadt. In seinem Song »Hip Hop« nennt er die Kassette »Break Sensation 1984«, einen Soundtrack zum gleichnamigen Film von Vittorio de Sisti, als einen der Auslöser für seine Leidenschaft für HipHop. Nach Breakdance entdeckte er bald Graffiti für sich, dann DJing und schließlich auch Rapmusik, speziell die härtere Gangart aus den Ghettos von New York und Los Angeles, London und Marseille. 1989 schloss er sich der lokalen HipHop-Gruppe Cold-N-Locco an, die sich später in Asiatic Warriors umbenannte und einen für die Zeit extrem brachialen Rap-Style pflegte, allerdings in englischer Sprache. Nachdem die Gruppe sich aufgrund interner Differenzen trennte, wandelte Azad fortan auf Solopfaden. Erst 1999 unterschrieb er einen Plattenvertrag bei 3p, dem Label von Moses Pelham, der harten Rap in Deutschland mit dem Rödelheim Hartreim Projekt etabliert hatte. Im Jahr 2000 veröffentlichte Azad ebendort die Single »Napalm«, die vor allem auch wegen ihres düsteren, bedrohlichen Videos in der zu jener Zeit friedlich-friedensbewegten deutschen Rap-Szene einschlug wie die sprichwörtliche Bombe. Trotz ersten Vorläufern wie RHP und Da Fource waren die späten Neunziger kommerziell von Mittelstandsrap aus Hamburg und Stuttgart geprägt worden. Doch nun schien der harte Stoff aus den dunklen Frankfurter Gassen an der Reihe. 2001 veröffentlichte Azad das Debütalbum »Leben«, das bis heute als Klassiker des deutschen HipHop gilt und bei einem entsprechenden Expertenvoting des Fachmagazins JUICE auf Platz 6 der besten deutschen RapAlben aller Zeiten gewählt wurde. Mit dieser Platte etablierte sich der Frankfurter als »schießeisenharter, extrem glaubwürdiger und fest in der HipHop-Kultur verwurzelter Straßen-MC« (JUICE). Fast vollständig von Azad selbst produziert, war »Leben« ein Monolith aus kühlen Filmmusikund Klassik-Samples, stahlharten Drums und Azads maschinengewehrschnellem Flow, mit dem er als »1 Mann Armee« gegen wacke, sprich: weiche und weibische MC’s in den symbolischen Krieg zog. Ein öffent-

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lichkeitswirksames Battle lieferte er sich mit Samy Deluxe, den er als Sinnbild für kommerzialisierten, weichgespülten HipHop angriff – zunächst mit zwei Zeilen in seinem Song »Gegen den Strom« und, nach Samys Antwort »Rache ist süß« mit dem Diss-Track »Samy De Bitch!! (7 Lektionen)« auf dem Album »Leben«. Wie dicht sich Azads Rap-Entwurf an amerikanischen StraßenrapStandards orientierte, zeigte sich u.a. in der überlieferten Episode, nach der die beiden Rapper Lil Dap und Melachi von der New Yorker Crew Group Home zufällig das »Napalm«-Video zu sehen bekamen und daraufhin unbedingt mit dem Frankfurter MC zusammenarbeiten wollten – das Stück »Da Underground« auf »Leben« war das Ergebnis dieser transatlantischen Kollaboration, die sogar zu einem Besuch der New Yorker bei Azads Release-Party und einer gemeinsamen Deutschland-Tournee führte. Das Lebensgefühl in bestimmten Ecken von Brooklyn und der Nordweststadt schien ganz offenbar nicht mehr so verschieden zu sein. Azad nahm im Laufe der Nuller-Jahre noch eine ganze Reihe weiterer Alben auf, verließ seinen eingeschlagenen musikalischen Pfad jedoch nie wesentlich. Sein Soundentwurf zwischen der Sprache der Straße und poetischer Melancholie mit melodiösen Einflüssen aus seiner arabischen Heimat war für viele Jahre stilprägend, wurde permanent von Nachahmern und Nachfolgern imitiert, aufgegriffen und weiterentwickelt. Seinen kommerziellen Zenith erreichte Azad in den Jahren 2004 bis 2007, als er zeitweilig als Solokünstler beim größten Majorlabel Universal unter Vertrag stand, mit Kool Savas das erfolgreiche Kollabo-Album »One« über SonyBMG veröffentlichte und gemeinsam mit Adel Tawil den Nummer-eins-Hit »Prison Break Anthem« aufnahm, der als Titelsong zur gleichnamigen TVSerie im deutschen Fernsehen lief und sich über 150.000-mal verkaufte. Seinen Ruf als Pate des deutschen Gangsta-Rap festigte Azad auch durch vereinzelte Aktionen, so etwa eine Schlägerei auf dem »HipHop Open«-Festival in Stuttgart 2004, wo er den damaligen Konkurrenten Sido im Backstage-Bereich verprügelte. Grund für die Auseinandersetzung war offensichtlich eine Beleidigung gegen Azads Mutter gewesen, die Sido bei einem anderen Konzert kurz vor dem Festival ausgesprochen hatte. Sein Majoralbum »Der Bozz« wurde wegen jugendgefährdender Textzeilen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährende Medien indiziert, zudem bekam er zahlreiche Beschränkungen bei Konzerten aufgrund des Ausrasters beim »HipHop Open« aufgebrummt. Für sein Image als Straßenrapper aus dem

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sozialen Brennpunkt waren all diese Skandale sicher nicht hinderlich, auch wenn es vermessen wäre, Azad hier Kalkulation oder Vorsatz zu unterstellen. Azad hat sich nämlich selbst nie als Gangsta-Rapper definiert. Trotzdem gilt er bis heute als einer der relevantesten stilistischen Vertreter des Genres in Deutschland – auch wenn man deutlich sagen muss, dass Azad die Lebensverhältnisse im Ghetto nie glorifiziert, sondern allerhöchstens romantisiert hat. Im Gegensatz zu späteren Adepten wie Sido oder Bushido jedoch hat Azad stets die Perspektive des neutralen bis kritischen Beobachters, nicht die des aktiven Täters eingenommen. Gleichzeitig hat er durch sein martialisches Auftreten, die bewusste Zurschaustellung der Zahlenstärke seiner Anhängerschaft und die stets düstere visuelle Verpackung seiner Tonträger und Videos ein stimmiges Bild erschaffen, das viele seiner Fans nicht zwischen der Kunstfigur und dem Menschen Azad unterscheiden ließ. Nicht zuletzt der Umstand, dass er unter seinem bürgerlichen Vornamen rappt, passte hier perfekt ins Bild: Azad legt Wert darauf, kein »Image-Rapper« zu sein, gleichzeitig hat er durch seine unbedingte Bemühung um Authentizität das Prototyp-Image deutschen Gangsta-Raps erschaffen.

B ERLIN R AP Die Berliner Untergrund-Ursuppe Ende der Neunziger brodelte es nicht nur in Frankfurt, sondern vor allem auch in Berlin. Während man in Hamburg und Stuttgart bereits den Mainstream im Würgegriff hatte, nahmen die Berliner HipHopper die Rolle der unbeugsamen Underdogs ein. Es gab lose Verbunde, in ihrer Struktur irgendwo zwischen Label, Crew und Straßengang anzusiedeln, die in ihrer Gesamtheit eine Art Ursuppe bildeten, aus dem sich die erfolgreichen Modelle später herausschälen sollten: Dazu gehörten etwa die Graffiti- und Randale-Crew Berlin Crime (BC), das Bassboxxx-Label oder auch »Royal Bunker«, anfangs ein Freestyle-Café nach Vorbild des »Project Blowed« in Los Angeles, später ein vom Wahlberliner HipHop-Aktivisten Marcus Staiger betriebenes Kassetten-Label in Kreuzberg. In der Berliner Szene zählten Battle-Kultur und Straßenmentalität von Anfang an mehr als im Rest der Nation. Ihre expliziten verbalen Ergüsse

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brachten die Protagonisten dieser Parallelgesellschaft, die blumige Namen wie Frauenarzt, King Orgasmus One, Royal TS bzw. Die Sekte, MC Basstard, Bass Sultan Hengzt, Bushido, Fler und nicht zuletzt Westberlin Maskulin trugen, überwiegend auf selbstkopierten Tapes in Kleinstauflagen unters Volk. Anfangs waren sie nur in lokalen Shops wie dem »Downstairs«-Laden in Berlin-Schöneberg, später über national agierende Indie-Vertriebe wie Distributionz aus Osnabrück oder Groove Attack aus Köln erhältlich. Ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Jugend verzehrte sich nach einem expliziten, unkommerziellen Gegenentwurf zu dem mittlerweile als brav und bieder empfundenen Mittelstandsrap von den Absoluten Beginnern, Fünf Sterne Deluxe, Freundeskreis oder den Massiven Tönen. Die Rolle des Tabubrechers und lyrischen Vorreiters spielte hierbei der Berliner MC Kool Savas (bürgerlich Savas Yurderi, geboren 1975 in Aachen), sowohl in seiner Rolle als eine Hälfte des kurzlebigen Duos Westberlin Maskulin, aber auch zu Beginn seiner Solokarriere in den Jahren 1999 bis 2001. Gemeinsam mit dem afrodeutschen MC Taktlo$$ hatte der in Berlin-Kreuzberg aufgewachsene Deutsch-Türke Ende der Neunziger zwei Platten veröffentlicht, deren Einfluss auf nachfolgende RapGenerationen nicht ernst genug genommen werden kann: »Hoes, Flows, Moneytoes« und »Battlekings« waren alles, was der HipHop von Fettes Brot, Deichkind oder Blumentopf zumindest in der Auffassung von Kool Savas nicht war: rebellisch, unangepasst, asozial, unprofessionell, schwer verdaulich und unfassbar innovativ. Der erfolgreiche Berliner Rapper Prinz Pi erinnerte sich viele Jahre später in einem Interview mit dem Magazin JUICE daran, wie er bei einer Jam Kool ein WBM-Tape aus Kool Savas’ Rucksack kaufte: »Das Tape war die Bombe schlechthin und warf alles um, was ich je an deutschem Rap gehört hatte. [...] Nie wieder habe ich etwas so Rotziges, Dreistes und Energievolles gehört.« Hier bringt Prinz Pi auf den Punkt, was an Westberlin Maskulin und speziell am Rap-Style und der Lyrik von Kool Savas so wegbereitend für deutschen Gangsta-Rap war. Savas war der erste MC, dessen explizite, pornografische Texte tatsächlich den »Parental Advisory«-Sticker herausforderten und gegen den die zaghaften verbalen Ausfälle von RHP, Da Fource und sogar Azad beinahe harmlos wirkten. Er präsentierte sich als »Pimplegioneah«, befahl der Damenwelt »LMS (Lutsch meinen Schwanz)« und konstatierte nüchtern: »Alle MCs sind schwul in Deutschland«. Auch wenn er spätestens zu seinem Major-Solodebüt »Der beste Tag meines Le-

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bens« (2002) die Schimpfwortfrequenz deutlich zugunsten von technischem Anspruch und irrwitzigen Flow-Patterns zurückgeschraubt hatte und sich noch ein paar Jahre später ganz eindeutig von Gangsta-Rap in seiner Gesamtheit distanzierte – Kool Savas hat mit seinem Frühwerk den Anstoß dazu gegeben, dass die Rap-Szene auf lyrischer Ebene keine Geschmacksgrenzen mehr akzeptierte. Den gezielten Tabubruch sollten allerdings andere Künstler kommerziell und wirtschaftlich für sich auswerten. Aggro Berlin Das Label, das schließlich aus der Berliner Untergrund-Ursuppe herausstach und es schaffte, die inhaltlichen Innovationen der Jahrtausendwende in kommerziell verwertbare Produkte zu kanalisieren, war Aggro Berlin. Gegründet von einem ehemaligen Breakdancer (Spaiche), einem ehemaligen Graffiti-Writer (Specter) und dem Inhaber des »Downstairs«-Plattenladens in Berlin-Schöneberg (Halil Efe), war Aggro Berlin das erste und bislang auch einzige Label, das deutschen Gangsta-Rap nahezu in Perfektion ausdefinierte, keine ästhetischen Kompromisse akzeptierte und damit wirtschaftlich voll ins Schwarze traf. Die Erfolgsformel von Aggro Berlin herunterzubrechen, fällt heute leicht, auch wenn sie oft kopiert und nie wieder erreicht wurde: Der inhaltliche Nährboden war von Rappern wie Charnell, Kool Savas oder Azad vorbereitet worden. Jetzt fehlte es nur an kommerziell verwertbaren Produkten, die den ungesättigten Markt überschwemmen würden: Aggro gab sich von Anfang an als visuelle Marke, auf den »Aggro Ansage« betitelten Compilations wurden die künstlerischen Zugpferde des Labels der RapWelt vorgestellt. Für das kontrastreiche, ins Auge stechende Artwork der Platten und die bedrohlich-aufregende Ästhetik der Videos zeichnete Mastermind Specter verantwortlich, dem auch der Großteil der konzeptionellen Arbeit zugeschrieben wird, für die einzelnen Rapper auf dem Label unterscheidbare Images zu kreieren und diese visuell und musikalisch möglichst eindeutig zu untermalen. Da gab es am Anfang Sido (bürgerlich Paul Würdig, geboren 1980 in Berlin), den Deutsch-Sinti aus dem Markischen Viertel – einen Slacker und Kiffer aus prekären sozialen Verhältnissen, ein explizites Sinnbild für die »Null-Bock-Generation«. Daneben gab es B-Tight (bürgerlich Robert Davis, geboren 1979 in Palm Springs), Sidos Partner bei Royal TS, dem Spec-

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ter das noch kontroversere, von Kritikern als rassistisch gegeißelte Image des sexsüchtigen, arbeitsscheuen und gesellschaftlich nutzlosen »Negers« verpasste. Bushido (bürgerlich Anis Mohamed Youssef Fer-chichi, geboren 1978 in Bonn) gab den Klischee-Kleinkriminellen türkisch-arabischer Herkunft. Und Fler (bürgerlich Patrick Losensky, geboren 1982 in Berlin) war der deutsche Prolljunge aus der Unterschicht, quasi das White-TrashPendant zu amerikanischen Phänomenen wie Eminem. Allen ImageKampagnen war gemein, dass sie aufgrund ihrer Plakativität und ihrer Tendenzen zur Klischeehaftigkeit von Gegnern scharf kritisiert wurden – gleichzeitig wurde Aggro Berlin mit genau dieser Taktik zum erfolgreichsten Independent-Label, das deutscher HipHop je hervorgebracht hatte, veröffentlichte bis zu seiner Auflösung 2009 zahlreiche Klassiker und heimste jede Menge Auszeichnungen von der Musikindustrie ein. Das Label mit dem charakteristischen Sägeblatt im Logo steht bis heute für deutschen Gangsta-Rap in seiner reinsten Form: Von den provokanten Texten mit frauen- und schwulenfeindlichen sowie gewaltverherrlichenden Tendenzen bis hin zum enormen Entertainment-Faktor der hier dargebotenen Kunstentwürfe bot Aggro die ganze Reibungsfläche, die auch N.W.A. oder später The Notorious B.I.G. und Tupac Shakur geboten hatten. Dass es auch für ein bewusst kontroverses Label gewisse Grenzen gab, zeigte sich jedoch in der Episode um den Aggro-Rapper G-Hot, der 2007 das schwulenfeindliche Lied »Keine Toleranz« veröffentlichte, worauf sich Aggro Berlin genötigt sah, eine Pressemitteilung herauszugeben, in der man sich vom Inhalt des Lieds distanzierte, auf den bereits einige Monate zuvor beendeten Künstlervertrag mit G-Hot verwies und feststellte, dass es keine weitere Zusammenarbeit mit ihm geben werde. Bis heute wurde übrigens kein Tonträger von Aggro Berlin wegen rassistischer oder rechtsextremer Passagen indiziert, vielmehr haben die Macher hinter den Kulissen diese Vorwürfe stets aktiv bekämpft und verneint – stets mit Verweis darauf, dass die Künstler und Macher von Aggro Berlin verschiedenste kulturelle und nationale Hintergründe hätten. Zum größten Star des Labels entwickelte sich trotz Achtungserfolgen von Fler und B-Tight im Laufe der Jahre der Rapper Sido. Auch wenn er aufgrund seiner inhaltlichen und musikalischen Einflüsse durchaus einhellig dem Genre des Gangsta-Rap zugeordnet wird, hat er selbst eine solche Zuschreibung stets skeptisch beäugt. Aggro-Mastermind Specter hatte ihm als Image-Maßnahme zu Beginn seiner Karriere die silberne Maske als

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sinnstiftendes Markenzeichen verpasst. Sein 2004 veröffentlichter Song »Mein Block« wurde samt seinem ikonischen Video zu einem der stilprägendsten Songs der deutschen HipHop-Geschichte. Darin beschrieb Sido einen typischen Hochhaus-Wohnblock in seinem heimatlichen Märkischen Viertel in Berlin-Reinickendorf und dessen mehrheitlich kriminelle Bewohner. Dies schaffte er mit Humor und Augenzwinkern, aber gleichzeitig mit einer latenten Ernsthaftigkeit, die keinen Zweifel daran ließ, dass Sido selbst in diesem Umfeld aufgewachsen war. Auf seinem Album »Maske«, das mit einer Gold-Auszeichnung prämiert wurde, befahl Sido gleich zu Beginn: »Steig ein, Ellenbogen aus dem Fenster wie ein Gangster/[…]/steig ein, ich zeig dir die Stadt«. Nachdem er die »Maske«, nach der auch sein erfolgreiches Solodebüt betitelt war, öffentlichkeitswirksam fallen gelassen hatte, veröffentlichte er mit »Ich« ein sehr persönliches zweites Album, auf dem bereits der einleitende Song »Straßenjunge« feststellte: »Ich bin kein Gangster, kein Killer, ich bin kein Dieb/Ich bin nur ein Junge von der Straße«. Im weiteren Text macht er diese Unterscheidung noch deutlicher: »Ich bin ein asozialer Proll und Prolet/einer den sie nicht mehr wollen beim Comet/[...]/Ich bin ein Chiller, doch ich lass mir nicht alles gefallen/Ich bin kein Killer, doch wenn’s sein muss, dann mach ich dich kalt«. Sido wollte – wie auch schon sein Vorgänger Azad – auf keinen Fall ein Gangsta-Rapper sein, sondern lediglich der Straße, also dem heimatlichen Viertel und der Unterschicht, seine Stimme leihen. Sido wurde mit seiner Kunst-Persona zu einer breiten Identifikationsfläche für Jugendliche aus den sozialen Brennpunkten, aber auch generell für Pubertierende mit ihrem typischen Drang zur Abgrenzung vom gesellschaftlichen Establishment. Auch hierin liegt ein Reiz des Gangsta-Rap: Der Typus »Outlaw«, der als heroischer Einzelgänger und unangepasster Antiheld stilisiert wird, spielt in der Popkultur ohnehin eine entscheidende Rolle. Sido hat diesen Typus im Bereich des deutschen HipHop auf so geniale wie einzigartige Weise verkörpert, dass man ihm heute sogar die reuige Wandlung hin zum geläuterten Gangsta-Rapper abnimmt, der seinen »MTV Unplugged«-Auftritt mit mainstream-wirksamen Comedians wie Kurt Krömer und dem Gesang des Schmusepoppers Adel Tawil aufwertet. Sido hat in der zweiten Hälfte der Nuller-Jahre so viele Platten verkauft wie kein anderer Rapper – außer einem einzigen, seinem größten Gegenspieler, der erst 2011 zu einem Kollaborateur wurde.

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Bushido Anis Mohamed Youssef Ferchichi ist das größte Phänomen, das deutscher Gangsta-Rap hervorgebracht hat. Im Gegensatz zu Sido oder Azad hat der Deutsch-Tunesier sich nie gegen diese Zuschreibung gewehrt, im Gegenteil hat er selbst stets auf seine reale Lebenswelt verwiesen, um seinen Anliegen weitere Dringlichkeit und Glaubhaftigkeit zu verleihen. In einem Interview mit dem Magazin JUICE vom Januar 2008 sagte er: »Das ist jetzt kein Spaß mehr. In dem Café, in dem ich sitze, sind Einschusslöcher von echten Kugeln in den Scheiben, die Menschen umbringen können. Ich lebe in dieser Welt, und meine Leute auch. Das ist Gangsta-Rap.« Bushido ist bei seiner alleinerziehenden Mutter in Berlin-Tempelhof aufgewachsen, seinen tunesischen Vater hatte sie nach zahllosen Alkoholund Gewalteskapaden aus der gemeinsamen Wohnung geworfen, als Bushido vier Jahre alt war. Als Jugendlicher wurde Bushido zum kleinkriminellen Dealer, bis ihn ein Jugendrichter in ein Ausbildungsheim steckte, wo er seinen späteren Rap-Partner Fler kennen lernte. Seine Liebe zum HipHop entdeckte Bushido im Sommer 1998, sein Demo-Tape »King Of Kingz« nahm er 2001 auf, woraufhin ihn direkt das unabhängige MusikLabel Aggro Berlin unter Vertrag nahm. 2002 folgte dort das stilprägende Kollabo-Album »Carlo, Cokxxx, Nutten«, das er gemeinsam mit Fler unter dem Pseudonym Sonny Black & Frank White produzierte und das bis heute als wegweisendes Album des deutschen Gangsta-Raps gilt. Mit Titeln wie »Cordon Sport Massenmord«, »Drogen, Sex, Gangbang« oder »Wer will Krieg?« führten Bushido und Fler den Hörer in eine dunkle, gefühllose Parallelwelt, in der schneller Sex und harte Drogen regierten. Die Produktion wurde von Bushidos typischen, atmosphärischen Streichersamples und harten, elektronischen Drums dominiert. Von »Carlo Cokxxx Nutten« sollte es später zwei Fortsetzungen geben, beide mit dem Titel »Carlo Cokxxx Nutten 2«, eine mit dem Bremer Rapper Baba Saad aus dem Jahr 2005 sowie eine mit der Originalbesetzung aus Bushido und Fler aus dem Jahr 2009. Die wahre Blaupause des deutschen Gangsta-Rap sollte allerdings erst noch folgen, und zwar mit Bushidos erstem offiziellen Soloalbum, das 2003 bei Aggro Berlin erschien: »Vom Bordstein bis zur Skyline«. Das erste Video zur Single »Electrofaust/Bei Nacht« brachte alles auf den Punkt, was guter Gangsta-Rap aussagen musste: In harter Schwarzweiß-Optik demonstriert Bushido Zahlenstärke und Block-Verbundenheit, gleichzeitig stellt er

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sich arrogant und drohend über seine Gegner: »Du willst alles ausprobieren, dann komm in meinen Hood/Hier kannst du den Bordstein fressen, ich mach dich Spast kaputt«. Auf dem Album fanden sich ähnlich starke Momente wie der Song »Eine Kugel reicht«, in dem Bushido auf einem treibend-elektronischen Beat eine typische Gangster-Geschichte von einem Drogenraub erzählt. Mit eindringlichen, plausiblen sprachlichen Bildern schafft der Protagonist eine düstere, mitreißende Atmosphäre, die den Hörer für fünf Minuten komplett in den Bann der ultrabrutalen Story zieht: »Das Blut rauscht in meinem Ohr, der Blick geht hoch zum Himmel«. »Vom Bordstein bis zur Skyline« war das erste »Aggro Berlin«-Album, das es in die deutschen Charts schaffte, auf Platz 88. Das Album wurde von Musikkritikern bald mit amerikanischen Gangsta-Rap-Klassikern wie »The Infamous« von Mobb Deep oder »Ready To Die« von The Notorious B.I.G. verglichen. 2005 wurde das Album allerdings wegen »derben und menschenverachenden Texten« von vier Stücken indiziert, speziell enthalte das Album diskriminierende Passagen gegen Frauen, Behinderte und Homosexuelle. Seinem Kultstatus tat dieses Urteil selbstredend keinen Abbruch. Vielmehr erwarteten Fans deutschlandweit die nächsten Schritte des mit einem Mal spannendsten deutschen Rap-Newcomers, der den von vielen bereits als gescheitertes Experiment abgetanen deutschen Gangsta-Rap revolutioniert hatte. In seiner selbstbetitelten Autobiografie von 2008 erzählt Bushido auch, wie er mit einem Mann namens Arafat Abou-Chaker in Kontakt kam, als er von seinem Label Aggro Berlin trotz Streits nicht aus seinem Vertrag gelassen wurde. Selbst sein Musikanwalt bescheinigte ihm zu diesem Zeitpunkt keine großen Chancen, den Vertrag anfechten zu können, und die Forderungen des Labels erschienen ihm ungebührlich groß. Also traf Bushido sich in einem Café mit Arafat, laut eigener Aussage »einer der machtigsten und berüchtigsten Männer Berlins, der ganz andere Geschäfte mit ganz anderen Summen am Laufen hatte«. Wenige Tage später soll er mit Bushido ins Büro von Aggro Berlin gefahren und mit einer von den drei Geschäftsführern des Labels unterschriebenen Vertragsauflösung wieder herausgekommen sein. Was wirklich an diesem Tag passierte, wissen nur die Beteiligten. Der Verweis auf die amerikanische Mafia-Serie »Die Sopranos« am Ende des Buchkapitels wirkt jedenfalls wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Im Fall Bushido wurden damit zum ersten Mal in der deutschen HipHop-Geschichte Verbindungen zwischen der realen Halbwelt und

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der Rap-Szene bekannt. Die Internet-Foren tuschelten künftig von Schutzgeld, das beinahe alle Berliner Gangsta-Rapper zahlen müssten, gleichzeitig wurden die Geschichten über die Männer hinter den Rappern für viele interessanter als die Musik der Rapper selbst. Bushido jedoch war vor allem wieder frei von vertraglichen Verpflichtungen und unterschrieb 2004 einen Plattenvertrag bei Universal, das erste gemeinsame Album »Electro Ghetto« stieg mit der Marketing- und Promotion-Unterstützung des Major-Riesen auf Platz 6 der deutschen Albumcharts. Es folgten Alben wie »Staatsfeind Nr. 1« und »Von der Skyline zum Bordstein zurück«, Bushido räumte Musikpreise und Auszeichnungen am Fließband ab. Ende 2007 wechselte Bushido von Universal zu SonyBMG, die Alben »7«, »Heavy Metal Payback« sowie die erwähnte Autobiografie und eine Verfilmung von Produzent Bernd Eichinger folgten. Er gründete sein eigenes Label Ersguterjunge, auf dem er nicht nur Gangsta-Rapper um sich scharte. Heute ist er erfolgreicher Immobilienunternehmer, besitzt ein eigenes Fanartikelgeschäft am Alexanderplatz und eine Villa im Berliner Nobelstadtteil Dahlem. Mehr in der Mitte der Gesellschaft kann man kaum angekommen sein. Wenn man Bushidos Wikipedia-Seite zu Rate zieht, wird vor allem den zahlreichen Kontroversen um seine Person enorm viel Platz eingräumt: So werden ihm von den verschiedensten Seiten u.a. Rechtsextremismus, Frauen- und Schwulenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiamerikanismus, Islamismus, Jugendgefährdung, mangelnde Authentizität und finanzielle Ausbeutung seiner Fans vorgeworfen. Nicht zuletzt musste er zahlreiche Gerichtsprozesse wegen Körperverletzung und Urheberrechtsverletzungen durch Samples in seiner Musik über sich ergehen lassen. Bushido ist dabei stets das Idealbild des erfolgreichen Gangsta-Rappers geblieben, weil er all diese Anfeindungen und Probleme mit der Attitüde des unbeugsamen, unreuigen Gesetzlosen durchlebte. Bushido war und ist trotz oder wegen aller Kontroversen der größte Star, den deutscher HipHop insgesamt in seinen 25 Jahren Existenz bislang hervorgebracht hat. Massiv Nach den enormen kommerziellen Höhenflügen von Sido und Bushido gab es zahlreiche junge Rapper, die ihren erklärten Vorbildern mit ein paar grobschlächtig erzählten Räuberpistolen auf windschiefen Playstation-

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Beats Konkurrenz machen wollten. Keiner von ihnen hat sein Ziel auch nur ansatzweise erreicht. Selbst ein kurzzeitig halbwegs professionell organisierter und talentierter Haufen wie die Weddinger von Shok Muzik (D-Irie, Crackaveli, Young A) schaffte es trotz eines Major-Deals bei Warner Music nicht, an die Erfolge von Aggro Berlin und Bushido anzuknüpfen. Das Gleiche galt für viele andere Berliner Rapper aus dem eingangs erwähnten Untergrund, die nunmehr ihre große Chance gekommen sahen. Die besten Aussichten hatte für einen kurzen Moment der Deutsch-Palästinenser Massiv (bürgerlich Wasiem Taha, geboren 1982 in Pirmasens), der als junger Erwachsener mit großen Karriereträumen 2005 nach Berlin-Wedding gezogen war. Es gab einen Moment, da war man sich relativ sicher, dass Massiv das nächste große Ding im deutschen Gangsta-Rap wird: Er sah aufgrund seiner beeindruckenden Bodybuilder-Statur nicht nur gefährlich genug aus, sondern er schien es auch ernster als alle anderen zu meinen. Sein Demotape, das er unter dem Rap-Namen »Pittbull« aufgenommen hatte, hatte er an alle Rapper von Bushido bis Thomas D. von den Fantastischen Vier geschickt. Geantwortet hatte nur einer: MC Basstard, ein Untergrund-Kultrapper, der das unabhängige Kleinstlabel Horrorkore betrieb. Dort nahm er Wasiem, der sich fortan passend zu seiner Statur Massiv nannte, unter Vertrag. Bis 2006 das »Ghettolied« kam – der von den Berliner Starproduzenten Beathoavenz, die auch schon für Sidos »Mein Block« verantwortlich zeichneten, produzierte Track wurde der Legende nach immer wieder via Bluetooth über die Handys der Jugendlichen weitergegeben, bis am Ende der Major-Riese SonyBMG aufmerksam wurde und dem Rapper einen Vertrag mit einem kolportierten Vorschuss von einer Viertelmillion Euro vorlegte. Die Episode beim Major sollte jedoch kurz bleiben: Massiv konnte die kommerziellen Erwartungen des Großkonzerns nicht erfüllen und fühlte sich selbst auch offenbar nie ganz wohl in den Reihen der Musikgeschäftsmänner. Stattdessen wurde er recht bald wieder zum selbständigen Unternehmer und veröffentlichte Jahr für Jahr konstant auf unabhängige Weise seine Alben. Während man ihm in der Zeit beim Major auch eine emotionale Seite entlocken wollte, beliefert er nunmehr seine Hardcore-Fangemeinde mit grotesk brutalem Gangsta-Rap, wie er in dieser expliziten Form in Deutschland seinesgleichen sucht: Seine Songs sind gewalttätige, dreiminütige Action-Filme in Audio-Form, in denen es vor Maschinengewehren und Drogenküchen nur so wimmelt. Da spielt das Intro seines Al-

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bums »Der Ghettotraum in Handarbeit« schon mal in der »Sony Rechtsabteilung«, während Songtitel auf »Blut gegen Blut 2« u.a. »Massaka Kokain«, »Eisenstahl in unseren Boots« oder »Wir randalieren im Knast« lauten. Mit einem Song hat Massiv hier sogar seinem »Bruder« Ashraf Rammo, der oftmals auch als Massivs Manager auftritt, ein musikalisches Denkmal gesetzt. Laut dem »Spiegel« (Ausgabe 16/2007) gehört Rammo »zu einem der mächtigsten Clans, [...] einer arabischen Großfamilie. So bezeichnet das Landeskriminalamt Berlin die arabisch geführten Gruppen, die weite Teile der Berliner Rotlicht-, Drogen- und Nachtlebenszene kontrollieren.« Ein mächtiger Mann der Berliner Unterwelt also und nach der Verbindung von Bushido und Arafat Abou-Chaker ein weiterer Beweis dafür, dass echte Gangster und Gangsta-Rapper durchaus für beide Seiten gewinnbringende, freundschaftliche Beziehungen eingehen. Die Eskalation der Jahre 2008/2009 Längst hatten sich zu diesem Zeitpunkt gewisse Verschränkungen von organisierter Kriminalität und der Gangsta-Rap-Szene entwickelt. In der Regel ging es dabei dem Vernehmen nach um Rapper, die an Figuren aus der Unterwelt Schutzgeld zahlten, um nach außen ihr hartes Gangster-Image aufrecht erhalten zu können, das für sie eine wirtschaftliche Ertragsquelle darstellte. Diese Umstände wurden in der Folge immer wieder von Rappern angesprochen, die vorgaben, selbst einen gewissen Hintergrund in der Halbwelt vorweisen zu können, anstatt sich diese kriminelle Lebensgeschichte nur gegen Geld »ausborgen« zu müssen. Als Beispiele für (ehemalige) Kriminelle, die Rap als Ausdrucksmittel für sich entdeckt haben, sei an dieser Stelle vor allem auf zwei Acts aus Nordrhein-Westfalen verwiesen: Einerseits auf das Duo La Honda, bestehend aus den Rappern Bero Bass und OJ Kingpin, die seit 2007 in der Rap-Szene ihr Unwesen treiben. In ihrer Musik sprechen La Honda über das Leben auf der Straße sowie ihre Werteordnung, die von Ehre, Stolz und Härte dominiert wird. Beiden MC’s sagt man nach, einen Hintergrund in der Rotlicht- und Türsteher-Szene des Kölner Nachtlebens zu haben. Bero Bass musste sich 2010 wegen einer Messer-Attacke vor einem Kölner Strafgericht wegen versuchten Totschlags verantworten, am Ende konnte ihm jedoch keine Tötungsabsicht nachgewiesen werden, so dass er lediglich zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt wurde.

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Xatar ist ein anderer kurdisch-deutscher Rapper, der ebenfalls vor allem wegen seiner kriminellen Handlungen und nicht wegen seiner Musik ins Gerede kam. Im Alter von vier Jahren kam er als Flüchtlingskind nach Bonn und entdeckte mit 12 Jahren den HipHop von Dr. Dre für sich. Seine musikalische Karriere beschränkt sich bis heute auf einen eindrucksvollen Auftritt im Jahr 2008, als er von mehreren sündhaft teuren und aufwändigen Videos flankiert sein Solodebüt »Alles oder nix« über ein selbstgegründetes Indielabel veröffentlichte. Für die Boulevardpresse und die Schulhöfe waren jedoch die außermusikalischen Eskapaden des kurdischstämmigen Rappers viel interessanter: Von Körperverletzungen in Bars und Diskotheken von Bonn oder der »Playboy Mansion« in Los Angeles bis hin zum Überfall auf einen Goldstransporter bei Ludwigsburg, bei dem er mit einigen Mittätern 120 Kilogramm Gold im Wert von 1,8 Millionen Euro erbeutet haben soll. Festgenommen wurde Xatar übrigens im Irak, wo er von den örtlichen Polizeibehörden gefoltert worden sein soll, bevor er schließlich nach Deutschland ausgeliefert wurde. Bereits zuvor, in den Jahren 2005 bis 2007, hatte Xatar übrigens einen durch einen Haftbefehl erzwungenen Auslandsaufenthalt in London eingelegt. Besonders absurd wirkt in diesem Zusammenhang, dass Xatar das Video zu seinem Song »§ 31«, der auf die entsprechende Bestimmung der Strafprozessordnung verweist, im Oberlandesgericht Köln gedreht hat. Im Song droht er verräterischen Komplizen, die sich Haftmilderungen durch belastende Aussagen erhoffen, explizit mit Blutrache. Das Album »Alles oder nix«, auf dem sich der Song befindet, wurde Anfang 2010 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert, da einige Songs darauf jugendgefährdend und verrohend wirken sowie zu Gewalttätigkeiten anreizen würden. In der Realität lässt sich beobachten, dass Xatar bei jugendlichen Rap-Fans in gewissen sozialen Kreisen zu einer Art Volksheld stilisiert wird, dessen Relevanz und Respekt nicht nur auf seine musikalische Aktivität, sondern vielmehr auf seinen kriminellen Background zurückzuführen ist. Nicht zuletzt führten diese neuen Verschränkungen zwischen krimineller Halbwelt und Gangsta-Rap-Szene auch dazu, dass es vermehrt zu Handgreiflichkeiten auf Konzerten und bei anderen Anlässen kam. Eine Eskalation der Ereignisse folgte in den Jahren 2007 und 2008: Im Januar 2008 wurde Massiv auf offener Straße in Berlin-Neukölln durch einen Streifschuss an der Schulter verletzt. Die Presse spekulierte über einen zu

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Promotion-Zwecken für sein neues Album inszenierten Stunt, sein Label SonyBMG jedoch ließ ihn anschließend fallen, was gegen diese Theorie spricht. Die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« ging zu diesem Anlass so weit, deutschen Gangsta-Rap als »traurigsten Irrtum, auf den je jemand gesetzt hat« zu bezeichnen. Denn bereits zuvor war Massiv in Duisburg bei einem Konzert von der Bühne geprügelt worden, auf Fler hatte es eine Messer-Attacke im Gebäude des Musikfernsehsenders MTV gegeben, auch Bushido war auf der Bühne mit einem Tritt angegriffen worden. »Windige Reporter witterten eine Story, ein ›Rapperkrieg‹ wurde heraufbeschworen, haltlose Vergleiche zu den Zuständen in der US-amerikanischen Gesellschaft gezogen, eine Schreckensvorstellung des ersten ›Rap-Toten‹ an die Wand gemalt, als wäre Rap eine unheilbare Krankheit«, schrieb das HipHop-Szeneorgan JUICE im März 2008 in seiner Titelgeschichte über »Gewalt und Rap«. Allerdings kühlten sich die Verhältnisse schon im Laufe des weiteren Jahres deutlich ab. Fler und Bushido hatten sich zwischenzeitlich einen erbitterten medialen Krieg geliefert, der dem Vernehmen nach auch auf Straßenebene weitergeführt wurde; im Jahr 2010 folgte die Aussöhnung und im Jahr 2011 sogar eine Zusammenarbeit auf Albumlänge von Bushido und Sido, die viele Jahre als erbitterte Erzfeinde galten.

S TATUS Q UO UND Z UKUNFTSCHANCEN DES DEUTSCHEN G ANGSTA -R AP Dem Ruf von HipHop in der Gesellschaft haben die skizzierten Entwicklungen einen Bärendienst erwiesen. Nicht zuletzt konnte die Devise »härter, härter, härter« irgendwann nur noch zu lächerlichen Ausprägungen führen. Daher war es logisch, dass wieder neue Helden auftauchen würden, die HipHop in eine andere Richtung führen und damit auch wieder massentauglicher machen würden, indem man sich offen vom stumpfen Einheitsbrei des Gangsta-Rap-Undergrounds abgrenzte. Nicht zuletzt aufgrund des enormen kommerziellen Erfolges von Gegenentwürfen wie Marteria oder Casper wurde Gangsta-Rap als Modell in den letzten Jahren immer mehr abgeschrieben und von Medien und Beobachtern als autarkes Randgebiet bezeichnet, dessen Fans einhellig einer bestimmten sozialen Schicht zugehörig seien. Trotzdem haben es vereinzelte Rapper geschafft, aus dieser

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Gleichförmigkeit herauszustechen, indem sie Gangsta-Rap durch bestimmte Einflüsse neue kreative Impulse injiziert haben. Der aus der Mainzer Gegend stammende und in Düsseldorf beheimatete Rapper Kollegah (bürgerlich Felix Antoine Blume, geboren 1984 in Friedberg/Hessen) brachte das Spiel mit technisch anspruchsvollen »Punchlines«, Doppeldeutigkeiten, Referenzen und Mehrfachreimen auf eine neue Ebene. Er erfand eine ganz offensichtlich nicht reale Rap-Persona, einen erfolgreichen Zuhälter und Drogendealer, und glich sogar sein äußeres Erscheinungsbild über die Jahre immer weiter dieser Figur an. Nachdem anfangs viel über die mangelnde Authentizität dieses Modells diskutiert wurde, haben sich mittlerweile die meisten Rap-Fans darauf geeinigt, dass dies kein ausschlaggebendes Argument für den Genuss von Musik und Entertainment sein kann. Vielmehr erfreut man sich an den immer ausgetüftelteren Schachtelreimen, Alliterationen und Metaphern, die Kollegah erfindet, um auf möglichst blumige Weise von seinen vermeintlichen kriminellen Eskapaden zu berichten. Unter seinen Fans befinden sich vor allem auch Germanistik-Studenten und andere Angehörige des Bildungsbürgertums. Kollegah selbst studiert derzeit Jura an der Universität Mainz. In Frankfurt-Offenbach hat sich Haftbefehl (bürgerlich Aykut Anhan, geboren 1985 in Offenbach) als einer der spannendsten Newcomer des deutschen Gangsta-Rap hervorgetan. Auf seinem Debütalbum »Azzlack Stereotyp« (2010) verband er unverhohlene Härte mit unterhaltsamen Sprüchen, seiner charakteristisch hohen Stimmlage, einem eigenwilligen Flow und vor allem einer Prise subtiler Selbstironie. Bei seinem Hamburger Pendant Nate57 (bürgerlich Nathan Pedreira, geboren 1990 in Hamburg) sind es stattdessen eine politisch linke Sozialisation und ein offenkundiges Interesse an sozialen Themen, die seinem eigenen Entwurf von Gangsta-Rap eine ganz spezielle, spannende Note verleihen – nachzuhören auf seinem Debütalbum »Stress aufm Kiez« (ebenfalls 2010). Nicht zuletzt diese Beispiele beweisen, dass es verfrüht wäre, deutschen Gangsta-Rap komplett abzuschreiben. Da sich Musikindustrie und Medien jedoch überwiegend von diesem Phänomen abgewendet haben, musste man sich eigene Kanäle erschaffen. Diese Funktionen übernehmen mittlerweile vor allem Internet-Videoplattformen wie »Aggro TV« (betrieben von den ehemaligen »Aggro Berlin«-Machern), oder »Meine Stadt« (betrieben von der Bekleidungsmarke Thug Life). Die Videos von Künstlern wie Haftbefehl, Nate57, Farid Bang, Automatikk oder Alpa Gun haben bei die-

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sen Portalen teilweise mehrere Millionen Aufrufe und lassen etablierte Popstars in Sachen viraler Reichweite weit hinter sich. Tonträger und Konzertkarten jedoch verkaufen sich in diesem Bereich dennoch immer noch denkbar schlecht. Zudem wollen Veranstalter und Labels mit den jeweiligen Umfeldern der neuen Gangsta-Rapper oftmals schlicht nichts zu tun haben – wegen einschlägiger eigener Erfahrungen oder Erzählungen von Kollegen, die solche Erfahrungen machen mussten. Auf kreativer Ebene ist zudem durchaus zu konstatieren, dass im Bereich deutschen Gangsta-Raps prinzipiell alles gesagt ist, was zu sagen war. Die wesentlichen Geschichten sind erzählt, die Probleme benannt, die typischen Biografien nachgezeichnet. Etwas spektakulär Neues verspricht dieser Zweig der HipHop-Kultur in naher Zukunft also nicht. Insoweit hat sich Deutschland im Zuge der digitalen Globalisierung immer weiter an die Entwicklung im HipHop-Mutterland USA herangeschlichen: Heute dauert es keine zehn Jahre mehr, bis ein neuer Trend in Europa adaptiert wird. Stattdessen ist die große Zeit des Gangsta-Rap sowohl in Amerika als auch in Deutschland vorerst vorbei. Gleichzeitig hat sich Gangsta-Rap als festes Subgenre innerhalb der HipHop-Kultur insoweit etabliert, dass ein komplettes Aussterben dieses HipHop-Zweigs äußerst unwahrscheinlich ist. Vielmehr wird er in Form einer Parallelgesellschaft im Internet weiter existieren und bei nächster Gelegenheit auch wieder ein Erfolgsmodell hervorbringen, sofern sich eine Figur findet, die über die Grenzen dieser Parallelgesellschaft hinaus eine Identifikationsfläche bietet. Nicht zuletzt der jüngste Erfolg von Künstlern wie Haftbefehl oder Nate57 beweist, dass man das Rad nicht zwingend neu erfinden muss, um für eine gewisse Aufmerksamkeit in der HipHop-Szene zu sorgen. Ob und inwieweit diese Modelle auch eine subkulturell übergreifende Relevanz erreichen können werden, bleibt aktuell offen.

»Ich bin doch kein Gangster!« Implikationen und Paradoxien szeneorientierter (Selbst-)Inszenierung S EBASTIAN S CHRÖER

E INLEITENDE B EMERKUNGEN Im Rahmen dieses Beitrages wird anhand eines Fallbeispiels rekonstruiert, inwieweit sich eine an den Themen und Werten der HipHop-Szene orientierte Inszenierung des Selbst als kongruent erweist bzw. ob und inwiefern mit einem »Leben in Szenen« (Hitzler/Niederbacher 2010) Paradoxien (performativen) sozialen Handelns einhergehen. Am Beispiel des »Gangsta-Rap«, einem Subgenre der HipHop-Szene, welches im Rahmen medialer Aufmerksamkeit durch eine weitreichende Skandalsierungspraxis gekennzeichnet ist, wird hinterfragt, wie sich eine szeneorientierte »Inszenierung des Selbst« (vgl. Goffman 1969) gestaltet und welche Implikationen damit einhergehen. Durch die innerhalb der Szene verbreitete Orientierung an »Gangsta-Images« im Sinne eines Mythos sowie als Projektionsfläche mit symbolischer Bedeutung, die sich in den Alltagspraxen der am sozialen Geschehen beteiligten Akteure widerspiegelt, kann untersucht werden, welche Paradoxien mit szenebezogenem Handeln verbunden sind. Praxen szeneorientierter Inszenierung vollziehen sich vor dem Hintergrund gemeinsam geteilter ästhetischer Präferenzen und damit verbundener kulturell geprägter Attitüden, welche mit der HipHop-Kultur verbunden sind. Der thematische Fokus der Szene ist an die vier (Kern-)Elemente der Szene, Rap/MCing, Turntablism/DJing, Graffiti/Writing und Breakdance/

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B-Boying bzw. B-Girling gekoppelt. Die HipHop-Szene ist als ein komplexes »Kulturphänomen« (Bock/Meier/Süß 2007) zu deuten, welches global präsent, jedoch lokal angebunden ist und auf regionaler und nationaler Ebene verschiedenartig adaptiert wird. Gleichwohl die Entstehung der HipHop-Kultur durch marginalisierte und sozial segregierte Herkunftsmilieus afro- und lateinamerikanischer Jugendlicher geprägt war – Klein/Friedrich (2003) sprechen in diesem Zusammenhang von einem »Ursprungsmythos« –, fand eine Entgrenzung hinsichtlich Kategorien sozialer Differenzierung statt: HipHop ist nicht (mehr) an einen spezifischen kulturellen und ethnischen Hintergrund gebunden bzw. wurde und wird auch von Akteuren, die beispielsweise der »weißen Mittelschicht« angehören, als Option einer kulturellen und ästhetischen Selbstverortung gewählt. Lokale und regionale Anbindungen der Szene, deren thematischer Fokus an die Elemente der HipHop-Kultur gekoppelt ist, existieren sowohl in modernen Industriegesellschaften als auch in Schwellen- und Entwicklungsländern (vgl. dazu beispielsweise Heinrich 2007). Gleichzeitig bestehen jedoch aufgrund unterschiedlicher intervenierender Bedingungen »vor Ort« regionale und nationale Differenzen hinsichtlich lokaler szeneorientierter Netzwerke. Akteure, die sich innerhalb der Szene verorten, handeln vor dem Hintergrund eines global existenten semantischen Rahmens, denn unabhängig davon, ob Attitüden und sozialer Background geteilt werden, erfolgt eine übergreifende stilistische Orientierung an global geteilten Themen und Werten sowie den damit verbundenen ästhetischen und habituellen Codes. Ursprünglich ist »HipHop als Kultur der Straße« entstanden (vgl. dazu ausführlich Schröer 2009). Das mit der Szene verbundene soziale Geschehen fand hauptsächlich in öffentlichen Räumen statt. Dies hatte durchaus pragmatische Gründe: Akteure, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Szene Ende der 1970er Jahre Teil der Szene gewesen sind, waren teilweise zu jung, um in öffentliche Clubs und Bars eingelassen zu werden. Zudem fehlten ihnen die finanziellen Mittel, kommerzielle Angebote zu nutzen. Sie griffen daher häufig auf die Alternative der »Block Partys« zurück. Dabei handelte es sich um Zusammenkünfte, die entweder in inoffiziellen Clubs sowie im Kontext umgedeuteter räumlicher Settings wie Industriebrachen, Parkflächen, oder aber – und vor allem – im wahrsten Sinne des Wortes »auf der Straße« stattfanden. Diese Zusammenkünfte wurden musikalisch von DJ’s und deren »sound systems«, manchmal auch ironisch als »Ghettoblaster« bezeichnet, und von Rappern (»MC’s«), die diese Musik anfangs

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eher als Moderatoren begleiteten, untermalt. Mit der Entwicklung von Rap hin zu einer »message music« ging einher, dass zunehmend Themen aufgegriffen wurden, die auf alltagsweltliche Erlebnisinhalte der beteiligten Akteure verweisen. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere Ereignisse, die sich auf »der Straße« abspielen, verhandelt. Dazu zählten auch gewalttätige Auseinandersetzungen, Drogenhandel, Prostitution und Zuhälterei, also Formen der Kriminalität, die für Gangs typisch sind (eine »klassische« Untersuchung von Gangs legte Thrasher bereits 1927 vor, eine Auseinandersetzung jüngeren Datums findet sich bei Thiele/Taylor 1998). Graffiti – in Zusammenhang mit Gangs häufig zur Markierung von Territorien genutzt – avancierten zum Mittel der Gestaltung öffentlicher Räume und wurden als (szenespezifische) ästhetische Ausdrucksformen etabliert. Gleichwohl HipHop als »Straßenkultur« mittlerweile zunehmend domestiziert und virtualisiert erscheint (beispielsweise verlagert sich das soziale Geschehen immer mehr in teilöffentliche Räume wie Clubs, Prozesse szenebezogener Aushandlungen finden in para-sozialen Räumen wie dem Internet statt), bleibt »die Straße« einschließlich der damit verbundenen Assoziationen als »Mythos« und gleichzeitig als Projektionsfläche szeneorientierten Handelns bestehen. Durch die (lyrische) Verhandlung des sozialen Geschehens, welches real oder fiktiv auf »der Straße« stattfindet, kam es auch zu einer thematischen Auseinandersetzung mit Gangs, die Teil der Lebenswirklichkeit der Protagonisten waren (und teilweise sind). In diesem Zusammenhang entstand Mitte der 1980er Jahre das Genre des »Gangsta«bzw. »G«-Raps, welches Teile der Szene nachhaltig prägte. In Texten wurden die Bestreitung des Lebensunterhaltes auf der Basis devianten Verhaltens in einer wertschätzenden Art und Weise dargestellt. Mit der Entstehung des Gangsta-Raps wurde die ursprüngliche Intention, wie ihn insbesondere die »Zulu Nation« propagierte, nämlich durch HipHop eine gewaltlose Alternative zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Gangs (»gang wars«) zu schaffen und Konflikte im Rahmen von »Battles«1 – hochgradig symbolischen, aber zumeist gewaltfreien Wettkämpfen im Sin-

1

Mit »Battles« sind im Kontext der HipHop-Kultur Praxen des Wettstreites gemeint, bei welchen die Elemente der Szene (Graffiti, Breakdance, Rap, Turntablism) als »Disziplinen« gedeutet wurden, in denen Überlegenheit demonstriert werden kann.

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ne »institutionalisierter Arenen« der Szene – auszutragen, zum Teil konterkariert. Die Rolle des »Gangsters« wird nicht nur in Texten verhandelt, sondern findet auch habituell eine Entsprechung. In diesem Zusammenhang wird ein Lebensstil glorifiziert, der an Statussymbole gekoppelt ist, die auf das Bild einer »hegemonialen Männlichkeit« (vgl. dazu Connell 2007) verweisen, die hier als »marginalisierte Männlichkeit« (ebd.: 100) in Erscheinung tritt: Eine körperbetonte Selbstdarstellung, die Hervorhebung kostenintensiver Insignien (wie beispielsweise Schmuck und Autos), die als Symbole sozialen Aufstiegs interpretiert werden, sowie von Eigenschaften wie Rücksichtslosigkeit und Stärke sind dafür kennzeichnend. Die Kombination dieser Attribute scheint für (einige) männliche Szenegänger ein attraktives Rollenmodell zu sein. Im Folgenden soll diskutiert werden, wie sich das Spannungsfeld von Identität und der performativen Verwendung szenetypischer Dresscodes sowie damit verbundener Körpersymbolik, die sich an »Gangster«- bzw. »Underdog«-Images orientieren, gestaltet.

M ETHODOLOGISCHER

UND THEORETISCHER

K ONTEXT

Zum Verständnis der folgenden Argumentation erscheint es notwendig, den methodologischen und theoretischen Hintergrund dieses Beitrages zu explizieren. Bevor untersucht wird, welche Paradoxien mit an einem »GangstaImage« orientierten szenespezifischen Praxen der (Selbst-)Inszenierung einhergehen, soll daher in diesem Abschnitt kurz dargestellt werden, welche methodologische und theoretische Perspektive den folgenden Ausführungen zugrunde liegt. Das Fallbeispiel, das im nächsten Abschnitt eingeführt wird, ist einer Studie unter der Fragestellung »HipHop als Jugendkultur?« (Schröer 2011) entnommen, die sich methodologisch auf den Grounded Theory Approach nach Glaser/Strauss (1998 [orig. 1975]) beruft. Strauss benennt in einem Interview aus dem Jahr 1994 drei Essentials dieses Ansatzes: Das theoretische Kodieren des Datenmaterials mit dem Ziel der Entwicklung einer datenbasierten Theorie über einen bestimmten Gegenstandsbereich, die Anwendung der Strategie des »theoretical samplings« sowie den Einbezug von Vergleichskontexten (Legewie/Schervier-Legewie 2004). Da ein derartiges Vorgehen den Rahmen des vorliegenden Beitra-

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ges sprengen würde, wird diese methodologische Rahmung zugunsten eines primär ethnografischen Zugangs im Sinne einer »dichten Beschreibung« (Geertz 2002 [orig. 1983]) des Phänomens vor dem Hintergrund der Fragestellung aufgegeben. Den folgenden Ausführungen liegt eine interaktionistische Perspektive zugrunde, welche sich an dem von Strauss (1993) vorgeschlagenen Modell der »Sozialen Welten« einschließlich der damit einhergehenden handlungstheoretischen Implikationen orientiert. Soziale Welten werden durch Akteure, die in Bezug auf Themen und Werte handeln, die an eine jeweilige soziale Welt gekoppelt sind, generiert, aktualisiert und repräsentiert. Eine solche »sozialweltliche« Perspektive lässt es zu, Manifestationen des sozialen Geschehens, die durch Prozesse der Aushandlung aller beteiligten Akteure kreiert werden, zu untersuchen. Aushandlungsprozesse vollziehen sich, so Strauss, in »sozialen Arenen« und finden nicht nur innerhalb sozialer Welten, sondern auch zwischen ihnen statt (vgl. Legewie/Schervier-Legewie 2004: [73]). Die Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes vor dem Hintergrund einer interaktionistischen Handlungstheorie ermöglicht es, dass neben den Perspektiven der unmittelbar in Bezug auf die Themen und Werte der HipHop-Kultur handelnden Akteure auch externe Sichtweisen (beispielsweise derjenigen, die mittelbar als »Betroffene« in das soziale Geschehen einbezogen sind) erfasst werden können. Die kulturellen Praxen der HipHop-Szene sind an den Elementen der HipHop-Kultur orientiert und umfassen die Bereiche (Selbst-)Inszenierung, Raumbesetzung sowie Stilisierung im Modus performativen Handelns. Die Untersuchung dieser kulturellen Praxen anhand von sozialweltlichen Kategorien beinhaltet die Diskussion von Paradoxien szenebezogenen Handelns am Beispiel szeneorientierter (Selbst-)Inszenierungen. Die Grundlage dafür stellt ein Fallbeispiel dar, das im folgenden Abschnitt entfaltet wird.

D AS F ALLBEISPIEL : »T.GEL« (S PRAYER UND R APPER )

AKA

»ELAN«

Johannes K., derzeit Mitte 20, wurde in einer sächsischen Kleinstadt geboren. Er kam in den 1990er Jahren zunächst mit Graffiti in Berührung, sprayt seitdem unter seinem Pseudonym »T.GEL« und ist seit 2001 in der Crew

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»Gangstas« aktiv. Zunächst sprayte er ausschließlich »illegal«2 und konzentrierte sich dabei auf »styles«3. Nachdem er mehrfach bei Gestaltungsvorgängen aufgegriffen wurde und infolgedessen juristische Auseinandersetzungen in diversen Strafverfahren stattfanden, verlagerte er seine Aktivitäten zunehmend auf die Gestaltung legaler Flächen mit aufwändigen »pieces«4. Durch den engen Kontakt mit den Mitgliedern seiner Crew knüpfte er Netzwerke, die es ihm ermöglichten, seinen Lebensunterhalt durch Auftragsarbeiten zu bestreiten. Mitte der 2000er Jahre veröffentlichte die Graffiti-Crew »Gangstas« anlässlich ihres 10jährigen Bestehens gemeinsam mit befreundeten MC’s und DJ’s einen Tonträger, auf dem er erstmalig als Rapper in Erscheinung trat. Anfangs war dies als einmaliges Ereignis vorgesehen, allerdings erfuhr er aufgrund seines Gastbeitrages ein hohes Maß an Resonanz und Anerkennung innerhalb der Szene und entdeckte sein Interesse an der Produktion von Rap-Texten sowie deren öffentlicher Performanz, sodass er fortan unter dem Pseudonym »ELAN« als Rapper in Erscheinung trat. Im Jahr 2008 veröffentlichte er sein Debütalbum mit dem Titel »Made for Eternity«. In den (in deutscher Sprache verfassten) Texten reflektiert er seine Lebenswelt und verhandelt Themen wie (auto-)biografische Ereignisse (bspw. prägende Ereignisse aus seiner Kindheit), szenespezifische Zusammenhänge (z.B. im Hinblick auf die der HipHop-Kultur immanente Praxis des »Battles«) und die Darstellung des Selbst vor dem Hintergrund szenerelevanter Werte und Kontexte. Zudem ist auf dem Album ein Battle-Track zu finden (»Bulldozer ELAN – Ich mach euch alle platt!«), der sich jedoch an keinen direkten Gegner richtet, sondern auf die Szene allgemein fokussiert ist. »T.GEL« bzw. »ELAN« ist Gründungsmitglied von »Pro Stylez«, einer im Jahr 2006 gegründeten Vereinigung von Rappern, Sprayern, DJ’s und Breakdancern, die als Label, Agentur und Vertrieb fungiert und Ressourcen

2

Als »illegal« werden Graffiti bezeichnet, die ohne Wissen und Wunsch der Eigentümer gestalteter Flächen angebracht wurden. Illegale Graffiti können den Straftatbestand der Sachbeschädigung erfüllen oder als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

3

Graffiti lassen sich grob in figürliche Darstellungen (»characters«) und Schrift-

4

Als »pieces« werden innerhalb der HipHop-Szene aufwändig mit Graffiti gestal-

züge (»styles«) unterteilen. tete Flächen bezeichnet.

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und Kompetenzen der beteiligten Akteure synergetisch bündelt. Sämtliche Tonträgerproduktionen, an denen Johannes K. beteiligt ist, wurden über »Pro Stylez« veröffentlicht. Im Jahr 2010 wurde er als Repräsentant zeitgenössischer Kunst auf eine Messe in Asien eingeladen. Derzeit bestreitet Johannes K. seinen Lebensunterhalt weitestgehend mit Auftragsarbeiten im Bereich (legaler) Graffiti. Darüber hinaus ist er als Leiter von GraffitiSeminaren und Rap-Workshops für unterschiedliche Zielgruppen – u.a. Jugendliche, aber auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes (THW) und der Polizei – tätig. Gegenwärtig lässt er sich in Frankreich als Tätowierer ausbilden. Johannes K. kumuliert (in Anlehnung an Bourdieu formuliert) das »soziale« und »inkorporierte kulturelle« Kapital, welches innerhalb der HipHop-Szene relevant erscheint: Aufmerksamkeit (»fame«), Anerkennung (»respect«) und Individualität (»style«)5. Durch die Veröffentlichung von Tonträgern und der Gestaltung öffentlicher Flächen mit Graffiti ist er als Writer und MC bekannt, erfährt für sein (szenebezogenes) Handeln die Wertschätzung »signifikanter Anderer« und hat dadurch innerhalb der Szene ein positives Image. Die Voraussetzung dafür ist wiederum, als »authentisch« wahrgenommen zu werden. Dies gelingt durch eine glaubwürdige performative Darstellung und Inszenierung des Selbst vor dem Hintergrund szeneimmanenter Themen und Werte, also dem, was Goffman (1986 [orig. 1967]) als »Techniken der Imagepflege« bezeichnet und hier als eine Stilisierung des Selbst in Erscheinung tritt. Dabei erfolgt hinsichtlich der Körpersymbolik, des Kleidungsstils sowie der Verwendung von typischen Accessoires eine Orientierung an medialen Vorbildern, die auf eine authentische Darstellung abzielt. Allerdings besteht in diesem Zusammenhang die Gefahr einer überzeichneten (Selbst-)Darstellung (»overscripting«), sofern die Verwendung von Codes, Zeichen und Symbolen im engeren sozialen Umfeld unangemessen erscheint. Großformatige Goldketten werden beispielsweise in seinem engeren sozialen Umfeld eher belächelt, wie er in einem seiner Texte artikuliert. Selbstwahrnehmung, Selbstbild und die Präsentation des Selbst sowie deren Wahrnehmung durch sowohl verallgemeinerte als auch signifikante Andere (vgl. Mead 2005 [orig. 1934]) können

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Hier sind nicht die oben erwähnten Schriftzüge im Kontext von Graffiti gemeint, sondern der Begriff »Style« wird hier im Sinne der deutschen Übersetzung als »Stil« verwendet.

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voneinander abweichen und semantische Brüche nach sich ziehen. Im folgenden Abschnitt wird daher diskutiert, inwieweit szenebezogenes Handeln vor dem Hintergrund einer Inszenierung eines an Themen und Werten der Szene orientierten Images mit Paradoxien einhergeht, die vor dem Hintergrund alltagsweltlichen Handelns virulent werden.

I MPLIKATIONEN UND P ARADOXIEN SZENEBEZOGENEN H ANDELNS Bevor auf die szeneorientierte Inszenierung des Selbst und die damit verbundenen »Techniken der Imagepflege« im Rahmen von Interaktionen eingegangen wird, sollen zunächst Implikationen szeneorientierter (Selbst-) Inszenierung dargelegt werden, welche auf unmittelbare Auswirkungen im Hinblick auf Prozesse der Aushandlung verweisen und mit Paradoxien einhergehen, die für die am mit der Szene verbundenen »sozialem Geschehen« beteiligten Akteure Identitätsarbeit (vgl. dazu insbesondere Keupp 1999) nach sich ziehen. Die Bedeutung dieser Implikationen soll anhand dreier Beispiele entfaltet werden: (1) die Dimension des Lokalen, (2) die unterschiedlichen Erfordernisse von spezifischen Teilbereichen der HipHopKultur bzw. ihrer Elemente, die auf unmittelbare Konsequenzen für eine Inszenierung des Selbst verweisen, sowie (3) die Kompatibilität sozialer Welten, welche die jeweiligen Lebenswelten der beteiligten Akteure tangieren: (1) Szenebezogenes Handeln erfolgt vor dem Hintergrund von Themen und Werten, die mit der HipHop-Kultur verbunden sind. Gleichwohl diese global geteilt werden, sind die Rahmenbedingungen szeneorientierten Handelns mit unterschiedlichen lokalen Strukturen verknüpft. Dies wiederum hat unmittelbare Auswirkungen darauf, inwieweit der Mythos des »Gangsters« in der Lebenswelt der beteiligten Akteure im Sinne einer objektiv darstellbaren »Realität« verankert ist. Jeweilige lokale Gegebenheiten, welche die Lebenswirklichkeit der Szenegänger prägen, können dabei in starkem Maße divergieren: Die Lebensverhältnisse in segregierten und marginalisierten Bezirken (»districts«) in nordamerikanische Metropolen wie New York City oder Los Angeles sind beispielsweise nicht mit den sozialen Verhältnissen in einer ostsächsischen Kleinstadt zu vergleichen. Insofern bedeutet eine Adaption von Themen und Stilmerkmalen der HipHopKultur, die auf ein Dasein als »Gangsta« abzielen, ein »Nachspielen« me-

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dial vermittelter Images, das maximal auf kleinkriminelle Aktivitäten beschränkt ist – ohne den Aspekt der Gefährlichkeit im Sinne unkalkulierbarer Risiken, die mit »professionellen« kriminellen Karrieren 6 in Gangs einhergehen, auch nur annähernd zu tangieren. Die lokalen Strukturen sind im Hinblick auf eine szeneorientierte Identität, die sich an den Mythos des »Gangstas« anlehnt, jedoch von untergeordneter Relevanz. Stattdessen ist die subjektive Bedeutung entscheidend, welche einer Identität, die an ein »Gangsta«-Image gekoppelt ist, beigemessen wird. Die Auswirkungen sozialer Strukturen auf die Identität der beteiligten Akteure sind also von deren Interpretationen bestimmt, bzw., wie es Thomas und Thomas formulieren: »If men define situations as real, they are real in their consequences« (1928: 572) – kurz: Real ist, was als real wahrgenommen wird. Auch Johannes K. unterliegt den strukturellen »Zwängen« einer lokalen Anbindung der Szene, die sich auf eine glaubwürdige szeneorientierte Performanz auswirkt und gleichzeitig ein Set möglicher Optionen und Dispositionen umfasst. Er orientiert sich beispielsweise an Formen einer stilisierten Körperinszenierung, die sich semantisch auf den Mythos »Straße« beziehen: Er kleidet sich nicht nur im »Street Look« (sportliche Kleidung und Turnschuhe), sondern vollzog auch eine Gestaltung seines Körpers »an sich«, indem er ihn mit Tätowierungen (zur Bedeutung der Körpergestaltung als Mittel individuellen und kollektiven Ausdrucks vgl. Robert Gugutzer 2004, zur Tätowierung allgemein Stephan Oettermann 1979) gestaltete, die szenerelevante Symbole (z.B. das Logo seiner Crew) aufgreifen. Eine permanente Körpergestaltung verweist auf ein hohes Maß an Identifikation mit der Szene, da diese nicht bzw. nur sehr schwer wieder zu entfernen sind, und repräsentiert gleichzeitig ein Image als »Outlaw« bzw. »Gangsta«, da Tätowierungen nicht nur als »postmoderne« Individualitätszeichen, sondern auch als Distinktions- und Zugehörigkeitszeichen mit stigmatisierten sozialen Gruppen assoziiert werden können. (2) Weitere Paradoxien lassen sich hinsichtlich der unterschiedlichen Erfordernisse von spezifischen Teilbereichen der HipHop-Kultur bzw. ihrer Elemente ableiten. Eine Inszenierung des Selbst ist in diesem Zusammen-

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Der Begriff »kriminelle Karrieren« ist der Kriminologie entlehnt (vgl. Haferkamp 1975) und meint die Entwicklung von der Ausführung einzelner Delikte zu dauerhaft deviantem Verhalten. Dabei spielen neben typischen »Verlaufskurven« auch Prozesse der Selbst- als auch Fremdstigmatisierung eine Rolle.

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hang eng an den Zielbereich szenebezogener Aktivitäten gekoppelt. Der als Fallbeispiel angeführte Johannes K. engagiert sich beispielsweise sowohl als MC als auch als Writer. Bei der Pflege eines Images als Writer tritt die Inszenierung des Selbst scheinbar in den Hintergrund: Offenkundig wird nicht primär das Selbst »an sich«, sondern ein Produkt als »Artefakt sozialen Handelns« inszeniert, welches das Selbst des Urhebers repräsentiert. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass das Anbringen von Graffiti justiziabel sein kann: Durch eine weitreichende Anonymität des hinter dem Image stehenden Selbst, die nur von einem engen Kern »Eingeweihter« durchbrochen wird, erscheint die Identität geschützt. Es geht also darum, möglichst unauffällig, aber in hoher Quantität und Qualität (»style«) den (Künstler-) Namen des Urhebers einer diffusen Öffentlichkeit bekannt zu machen und dadurch Aufmerksamkeit (»fame«) zu kumulieren und gleichzeitig dessen Identität hinter dem Produkt zu verbergen. Dies schlägt sich unmittelbar auf die Inszenierung des Selbst im engeren Sinne nieder. Neben der Verwendung von Pseudonymen (Johannes K. sprayt unter dem Namen »T.GEL«) ist ein permanentes Aufmerksamkeitsmanagement notwendig, welches wiederum an lokale Strukturen angepasst werden muss: Ein szeneorientierter »Dresscode« fällt in einer Kleinstadt oder in ländlich geprägten Gebieten in vergleichsweise stärkerem Maße auf als in urbanen Räumen von Metropolen und kann in einem vergleichsweise höheren Maße (auch unerwünschte) Aufmerksamkeit nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang erscheint ein weiterer Aspekt relevant: Das Element Graffiti ist nicht nur als künstlerisch-ästhetische Ausdrucksform zu betrachten, denn in Zusammenhang mit Gangs dienten Graffiti auch und insbesondere der Markierung von Revieren bzw. »Hoheitsgebieten«. Revierverletzungen ziehen je nach lokaler Anbindung verschiedenartige Folgen nach sich. So können beispielsweise auf lokaler Ebene Konkurrenzen bestehen, die auch in violente Auseinandersetzungen (beispielsweise zwischen einzelnen Akteuren, aber auch zwischen Crews) münden können. In Bezug auf das Element Rap ist hingegen eine andersartige Strategie der Inszenierung des Selbst erforderlich, die auf eine authentische Darstellung vor dem Hintergrund szenespezifischer Stilmerkmale abzielt und Urheber (Rapper) und Produkt als Einheit erscheinen lassen. Neben (häufig an medialen Vorbildern orientierten) Techniken der Körperinszenierung erfordert eine glaubwürdige Performanz einen mehr oder weniger virtuosen Umgang mit dem Medium Sprache. Die Verwendung einer »harten« Sprache und Verweise auf latente oder mani-

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feste Konkurrenzen innerhalb der Szene gehen häufig mit Strategien der Authentisierung einher, die auf den Entstehungskontext der Szene, der »Straße«, verweisen. Dabei geht es um eine Beschreibung von realen oder virtuellen Lebenswelten. In diesem Zusammenhang werden – insbesondere im Kontext des Sub-Genres »Gangsta-Rap« – häufig auch Themen wie Gewalt, Drogenhandel sowie die misogynistische Darstellung von Dominanz von Männern über Frauen bis hin zur Prostitution verhandelt. Auch Johannes K. verwendet eine Sprache, für die neben der Verwendung von Kraftausdrücken die Abwertung (realer oder fiktiver) Anderer im Sinne von vermeintlichen oder tatsächlichen »Gegnern« charakteristisch ist. Die in seinen Texten verhandelten Themen sind jedoch eher selbst- und gesellschaftskritisch und durchaus nicht dem Genre des »Gangsta-Rap« zuzuordnen, gleichwohl im Rahmen eines Battle-Textes die Androhung von Gewalt artikuliert wird. Allerdings ist in diesem Zusammenhang nicht unerheblich, dass Rap nicht nur »message music« ist, sondern auch als Entertainment betrachtet wird, welches auf Unterhaltung der Zuhörer abzielt. Eine adäquate Performanz von als authentisch wahrzunehmenden Inhalten erfordert harte Posen, ohne tatsächlich »hart« zu sein, um, mit Goffman (1969 [orig. 1956]) gesprochen, eine Fassade aufrechtzuerhalten, die in den Augen der Adressaten glaubwürdig erscheint. (3) Ferner ergeben sich Paradoxien im Hinblick auf die Kompatibilität sozialer Welten, in denen Akteure, die sich innerhalb der HipHop-Szene verorten und in Bezug auf die damit verbundenen Themen und Werte der HipHop-Kultur handeln, agieren, denn deren Alltagshandeln ist nicht nur auf szenebezogenes Handeln beschränkt, sondern sie repräsentieren neben der HipHop-Szene mehrere (weitere) soziale Welten 7, mit denen sie verbunden sind und die über den Kontext HipHop hinaus verweisen. Das Ausbalancieren von Glaubwürdigkeit innerhalb der Szene einerseits und das Bedürfnis nach Akzeptanz außerhalb der Szene andererseits zieht »habituelle Brüche« nach sich, die im Rahmen performativer Praxen ausgeglichen werden müssen. Dies wiederum erfordert ein situativ angepasstes Eindrucksmanagement. So muss Johannes K. sein Image und dessen Pflege an den dominanten Themen und Werten einer jeweiligen sozialen Welt aus-

7

Damit sind beispielsweise das berufliche Umfeld, die Mitgliedschaft in Institutionen und Organisationen, das familiäre Umfeld, religiöse Selbstverortung und dergleichen mehr gemeint.

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richten, um adäquate Strategien einer authentischen Darstellung des Selbst zu demonstrieren. Dabei erfordern Workshops für Mitarbeiter von Polizei und Technischem Hilfswerk eine andersartige Performanz als Zusammenkünfte mit anderen Szenegängern im Rahmen konkreter sozialer Anlässe, welche für die HipHop-Kultur typisch sind. Eine szeneorientierte Inszenierung des Selbst wird also maßgeblich von denjenigen Akteuren bestimmt, die gleichzeitig (»face to face«) in einer konkreten Situation handeln. Damit geht einher, dass Strategien der Authentisierung und damit verbundene Mittel der Selbstinszenierung vor dem Hintergrund gegenseitiger Erwartungen variieren. Diese können divergieren, haben aber in struktureller Hinsicht einen entscheidenden Einfluss auf Prozesse der Aushandlung, die mit der Zusammenkunft unterschiedlicher Akteure und deren jeweiliger Situationsdefinition einhergehen. Gleichzeitig ist es für die beteiligten Akteure notwendig, die gegenseitigen Erwartungen an die jeweilige Situation anzupassen, um wechselseitiges (kommunikatives und performatives) Handeln zu ermöglichen. Es existieren jedoch auch Segmente sozialer Welten, die inkompatibel erscheinen. So prägen beispielsweise soziale Rollen die wechselseitigen und aufeinander bezogenen Strategien performativen Handelns in entscheidendem Maße. Es ist beispielsweise unwahrscheinlich, dass Johannes K. im Rahmen von Graffiti-Workshops mit Vertretern staatlicher Verfolgungsbehörden über (eigene) justiziable Gestaltungsvorgänge wahrheitsgetreu berichten würde. Das Ausblenden bzw. die Nichtaushandlung von Themen zwischen Repräsentanten inkompatibler sozialer Welten erscheint charakteristisch, wenn es darum geht, konfliktbehaftete Auseinandersetzungen innerhalb von »sozialen Arenen« (vgl. dazu Strauss 1993) zu vermeiden. In Anlehnung an Glaser/Strauss (1974 [1965]) kann man in diesem Zusammenhang von einem Bewusstsein wechselseitiger Täuschung sprechen: Involvierte Akteure verfügen über ein Wissen in Bezug auf Intentionen, Ziele, Werte der Repräsentanten anderer (und zum Teil konkurrierender) sozialer Welten, ohne dieses Wissen im Rahmen von Interaktionen zu explizieren. Nachdem anhand dreier Beispiele Implikationen und Paradoxien szenebezogenen Handelns auf einer verallgemeinerten Ebene dargestellt wurden, soll es nun im Folgenden darum gehen zu untersuchen, wie vor dem Hintergrund subjektiver Sinnsetzungen szeneimmanente Themen und Werte in performative Alltagspraxen integriert werden. Dabei geht es insbesondere darum, einerseits das Verhältnis von Selbstinszenierung und der damit ver-

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bundenen Selbststilisierung, andererseits die damit einhergehende Orientierung an »Gangsta«-Images und den damit verbundenen Symbolen im Spannungsfeld zwischen Authentizität und Opportunität anhand des oben eingeführten Fallbeispiels zu rekonstruieren.

P ARADOXIEN SZENEORIENTIERTER S ELBSTINSZENIERUNG Die Herstellung einer »Mitgliedschaft« innerhalb der Szene erfolgt durch (performatives und kommunikatives) szenebezogenes Handeln. Damit geht einher, dass die mit den (Kern-)Elementen verbundenen Themen und Werte einschließlich der damit einhergehenden Praxen der Selbststilisierung vor dem Hintergrund szenespezifischer bzw. szenetypischer (und decodierbarer) Codes den »Rahmen« szenebezogenen Handelns darstellen. Insofern kann Johannes K. als Repräsentant der HipHop-Szene betrachtet werden: Er »praktiziert« Rap und Graffiti und wählt Strategien der Selbstinszenierung (z.B. durch Körpersymbolik, Dresscodes, Sprache etc.), die darauf abzielen, ein szenetypisches Image verbunden mit der Intention, als Teil der Szene wahrgenommen zu werden, zu begründen. Der szeneimmanente Kampf um Aufmerksamkeit (»fame«) und Anerkennung (»respect«) im Modus des »Battles« zieht nach sich, dass das Image des Akteurs quasi als szenerelevantes »soziales Kapital« zu deuten ist, das auf einer authentischen Performanz beruht: Für Johannes K. ist es wichtig, sowohl als Sprayer (»T.GEL«) als auch als MC (»ELAN«) adäquate Techniken der Imagepflege einzusetzen, um innerhalb der Szene Aufmerksamkeit und Anerkennung kumulieren zu können. Dabei kreiert er einen (scheinbar individuellen, jedoch an den global existenten Normen und Werten der Szene ausgerichteten) Stil (»style«), der sich zum Teil auch der Symbolik krimineller (»Gangster-«)Milieus bedient. Bei der Herstellung eines vor dem Hintergrund szeneimmanenter Themen und Werte authentischen Images greift er auf Strategien einer an den Entstehungskontext der Szene einschließlich der damit verbundenen Mythen angelehnten Selbstinszenierung zurück, die mit gesellschaftlich geächteten Männerbündnissen wie Gangs assoziiert werden können. Dazu zählen beispielsweise großflächige Tätowierungen sowohl seines Crew- als auch seines Künstlernamens. Ebenso ist der Name seiner Crew (»Gangstas«) – hier auf

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einer sprachlichen Ebene – als Reminiszenz an ein Image, welches sich am Mythos des »Gangsters« orientiert, zu deuten. Aus aufmerksamkeitsökonomischen und marketingstrategischen Gesichtspunkten erscheint dies durchaus verständlich, denn »Gangsta-Rap« steht insbesondere aus szeneexterner Perspektive – anders als andere Subgenres der Szene – im Fokus medialer Öffentlichkeit. Allerdings besteht aufgrund der oben dargestellten Diskrepanz zwischen dem Entstehungszusammenhang der Szene und dem damit verbundenen Mythos des »Gangsters« sowie der andersartigen lokalen Anbindung, die sich in struktureller Hinsicht wesentlich unterscheidet, die Gefahr einer »überzeichneten Darstellung«, die aus einer szeneinternen Perspektive die Authentizität performativen szenebezogenen Handelns konterkariert. Das, was Schmidt (2004) im Hinblick auf die Sexualität Jugendlicher attestiert und als Ausdruck einer Überzeichnung (»overscription«) bezeichnet, nämlich eine (vor dem Hintergrund eines als gegeben angenommenen »sexuellen Mainstreams« scheinbar »objektiv«) unangemessene Verwendung sexuell konnotierter Sprache, ist auch im Hinblick auf Gewaltdarstellungen im Bereich des »Gangsta-Raps« rekonstruierbar: Eine Entkoppelung von tatsächlichen lebensweltlichen sozialen Praxen und medial vermittelter Idealisierung bzw. die Skandalisierung szenespezifischer Wirklichkeit, welche als Rollenmodell wirkt. Beispielsweise erscheint die Aussage des von Johannes K. unter dem Pseudonym »ELAN« auf seinem Debüt-Album veröffentlichten Battle-Textes (»Ich mach euch alle platt!«) jenseits einer symbolischen Ebene nicht plausibel. Auch im Hinblick auf die beiden Elemente der Szene, die Johannes K. durch sein szenebezogenes performatives Handeln repräsentiert (Writing und MCing), sind unterschiedliche Strategien einer Imagepflege erforderlich. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, angemessene »Techniken der Imagepflege« zu wählen (vgl. dazu Goffman 1986 [orig. 1967]: 32f.), die auf die jeweiligen Erwartungen, welche mit den mit den jeweiligen Elementen verbundenen szenetypischen Rollen einhergehen, abgestimmt sind. Betrachtet man Artefakte (szeneorientierter) Selbstinszenierung (wie beispielsweise Internetpräsenzen, Visitenkarten, Äußerungen in Interviews in »Szenezeitschriften«/Fanzines), fällt auf, dass ein zielgruppenspezifisches Management an Informationen, die Johannes K. über sich preisgibt, erfolgt, das durch eine Orientierung an Erwartungen an seine jeweilige Rolle als Rapper oder Sprayer gekennzeichnet ist: Bei-

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spielsweise tritt er im Kontext von Visualisierungen in seiner Rolle als MC unmaskiert in Erscheinung, während er als Writer den Schein der Anonymität wahren muss. Das ist insofern bemerkenswert, als dass seine »doppelte Identität« innerhalb der Szene bekannt ist. Dies verweist auf einen wichtigen Aspekt szeneorientierter (Selbst-)Inszenierung: Ein Image, welches sich an Symbolen und Codes eines Daseins als Gangster orientiert, muss kommuniziert und plausibilisiert werden, um Authentizität zu erzeugen. Allerdings besteht dadurch gleichzeitig die Gefahr, die Aufmerksamkeit eines »unerwünschten Publikums« (beispielsweise Strafverfolgungsbehörden) auf sich zu ziehen. Der Verweis auf szenespezifische Praxen, die als »soziales Problem« (vgl. Schetsche 2008) wahrgenommen werden können, also beispielsweise Texte mit jugendgefährdenden und somit der Gefahr einer Indizierung ausgesetzten Inhalten sowie illegal angebrachte Graffiti (vgl. dazu Schröer 2011), dient in diesem Zusammenhang einerseits der Inszenierung von Glaubwürdigkeit innerhalb der Szene, beinhaltet jedoch gleichzeitig das Risiko, aus szeneexterner Perspektive Ablehnung zu erfahren. Das Management der (Selbst-) Darstellung unter aufmerksamkeitsökonomischen Gesichtspunkten (vgl. dazu insbesondere Franck 1998) erscheint nicht zuletzt vor dem Hintergrund der mehr oder weniger vorhandenen »Kompatibilität« sozialer Welten geprägt. Entscheidend ist dabei, welchen Aspekten szenebezogenen Handelns Aufmerksamkeit gilt und welche Sinndeutungen Repräsentanten unterschiedlicher sozialer Welten damit verbinden. Wie bereits oben dargestellt, vollzieht sich die performative Inszenierung eines szeneorientierten Images in Abhängigkeit des jeweiligen »Publikums« im Rahmen konkreter sozialer Anlässe, und kann sich hinsichtlich der Erwartungen und Deutungsmuster beteiligter Akteure unterscheiden. Um Brüchen im Hinblick auf eine situationsadäquate Darstellung des Selbst entgegenzuwirken, greift Johannes K. auf die Strategie der Vermeidung zurück (vgl. dazu auch Goffman 1986 [1967]: 21ff.), um die Illusion eines stringenten szeneorientierten Images aufrecht zu erhalten. In diesem Zusammenhang wird versucht, verschiedene Bereiche der Lebenswelt voneinander abzuschotten. Allerdings kann es vorkommen, dass im Kontext alltäglicher Praxen diese beabsichtigte Trennung nicht aufrecht zu erhalten ist, beispielsweise wenn sich innerhalb der Szene gefragt wird, ob Graffiti-Kurse für Polizeibeamte mit szeneimmanenten Werten zu vereinbaren sind – einem Image, welches auf Symbolen und Codes basiert, die

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sich an eine reale oder fiktive Lebenswelt von »Gangstern« anlehnen, ist dieser Umstand gewiss nicht zuträglich. Hätte er jedoch nicht den Ruch des Gangsters, wäre er aus szeneexterner Perspektive als »Experte« im Rahmen von Workshops möglicherweise uninteressant. Gegebenenfalls werden daher Ausgleichshandlungen im Sinne korrektiver Prozesse (ebd.: 24ff.) wie das situative Relativieren von Handlungen und Aussagen notwendig.

R ESÜMEE Die in marginalisierten und sozial segregierten Milieus in den USA entstandene HipHop-Kultur wird mittlerweile losgelöst von ihrem Entstehungskontext adaptiert. Der damit verbundene Kulturtransfer geht jedoch mit einer partiellen Dekontextualisierung einher, beispielsweise scheinen Kategorien sozialer Differenzierung (wie Rasse, Klasse etc.) gegenwärtig von untergeordneter Bedeutung zu sein, um innerhalb szeneorientierter Netzwerke partizipieren zu können. Unabhängig davon, ob Attitüden und sozialer Background geteilt werden, ist eine stilistische Orientierung an den Dresscodes der »Gangster« verbreitet. Vor dem Hintergrund (sozial-) struktureller Rahmenbedingungen erscheint eine authentische Darstellung ausschließlich auf einer ästhetischen Ebene möglich. Allerdings ist hinsichtlich der Akteure, welche auf diese Symbole rekurrieren, eine reflektierte Rollendistanz charakteristisch: Sie wissen sehr wohl, dass Images nicht mit realen Gegebenheiten einhergehen müssen. Hinsichtlich der Selbstinszenierung und -stilisierung als »Gangster« ist zwischen einer »szenebezogenen« und einer »alltagsweltlichen« Präsentation des Selbst zu unterscheiden, die an spezifische Orte und soziale Situationen gekoppelt ist und auf eine unterschiedlich ausgeprägte Kompatibilität eines szeneorientierten Habitus mit verschiedenen Sinnprovinzen der Lebenswelten von Szenegängern/»Heads« verweist. Die an Gangster-Images orientierte Darstellung des Selbst (beispielsweise durch eine symbolbehaftete Inszenierung von Körper und Sprache) sowie die damit verbundenen Techniken der Imagepflege sind im praktischen Bewusstsein (vgl. dazu Giddens 1997) einer Vielzahl von Akteuren, die in Bezug auf bzw. vor dem Hintergrund von Themen und Werten handeln, die für die HipHop-Kultur spezifisch sind, verankert. Dabei wird als Mittel der Authentisierung häufig auf den Entstehungskontext der Szene

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sowie dem damit verbundenen Mythos der »Straße« als Schauplatz sozialen Geschehens verwiesen. Allerdings zeigt sich im diskursiven Bewusstsein (ebd.) dieser Akteure eine Distanz zur eigenen Rolle. Beispielsweise äußerte Johannes K., angesprochen auf die von ihm verwendeten Mittel der Selbstinszenierung in Zusammenhang mit der Vermutung/Unterstellung, dass er einschlägige Klischees bediene, entsetzt: »Ich bin doch kein Gangster!«. Ob und inwieweit jenseits einer ästhetischen Dimension überhaupt authentische Gangster innerhalb der Szene existieren, ist durchaus zu hinterfragen. Der Anteil derjenigen »Heads«, die ein Gangster-Image kultivieren und tatsächlich justiziablen Aktivitäten nachgehen, erscheint (auch und insbesondere in den USA) relativ gering zu sein, denn es ist durchaus schwierig, den Lebensunterhalt mit kriminellen Aktivitäten zu bestreiten, wenn man gleichzeitig im Zentrum medialer Öffentlichkeit steht. Gleichzeitig bestimmen (medial vermittelte) Projektionen, Erwartungen und Vorstellungen der (potentiellen) Rezipienten die Interpretation dessen, was als authentisch wahrgenommen wird und welche Strategien der Inszenierung Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Die von Klein/Friedrich (2003) aufgeworfene Frage »Is this real?« scheint in diesem Zusammenhang in vielen Fällen zu verneinen zu sein. Die Authentizität des gesamten Genres kann sicherlich nicht anhand eines einzelnen Fallbeispiels diskutiert werden, eine diesbezügliche Untersuchung verweist jedoch auf spannende weiterführende Fragestellungen. Ich bedanke mich bei Jan Baumann für wertvolle Hinweise zur Authentizität US-amerikanischer »Gangsta-Rapper« sowie bei Rudolf Schmitt für hilfreiche Anmerkungen zum Text.

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1

»Witz schlägt Gewalt« ? Männlichkeit in Rap-Texten von Bushido und K.I.Z.2 M ALTE G OSSMANN

J UNG ,

MÄNNLICH ,

R APPER

Rap ist eine männlich dominierte Jugendkultur und damit in zweierlei Hinsicht besonders interessant für eine Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen. Erstens wird die Adoleszenz in der Entwicklung eines Menschen als die »Zeit des Erprobens von Lebensformen« (Meuser 2005: 309) betrachtet – die Aneignung von Männlichkeit findet hier in einer besonders auffälligen Form statt. Zweitens ist der männlich dominierte Rap als eine Form der homosozialen Männergemeinschaft anzusehen und damit als ein Ort, in dem die Beteiligten grundlegende Elemente von Männlichkeit erlernen und sich diese gegenseitig beweisen und bestätigen (Meuser 2005: 314f.).

1

»Witz schlägt Gewalt« lautet die Überschrift eines Artikels auf Zeit Online, der K.I.Z. als Rap-Crew beschreibt, die im Gegensatz zu Rappern wie Bushido durch »Ironie« statt »Stumpfsinn« überzeuge (zeit.de vom 26.08.2007).

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Der vorliegende Artikel ist eine gekürzte und überarbeitete Version meiner Bachelorarbeit. Eine ausführlichere Fassung findet sich in der Ausgabe 2/2010 der StUPS – Studentische Untersuchungen der Politikwissenschaften & Soziologie: www2.hu-berlin.de/stups. Ich danke an dieser Stelle Andreas Heilmann, Sookee und Sabina Bilalovic für ihre Unterstützung.

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Im vorliegenden Artikel untersuche ich mit Hilfe von Theorien aus der Männlichkeitsforschung Männlichkeitskonstruktionen im deutschsprachigen Rap. Dieser wurde in den letzten Jahren regelmäßig in Medien und Politik problematisiert.3 Bei den Debatten wurden insbesondere Rap-Texte thematisiert, die Aspekte bestimmter Männlichkeitsvorstellungen – wie zum Beispiel Gewalt und Sexismus – enthielten, auch wenn Männlichkeit als solche in der Kritik fast nie benannt wurde. Im Gegensatz zur Rezeption von deutschsprachigen Rap-Texten in Politik und Medien arbeite ich diese Aspekte als Teil von Männlichkeitskonstruktionen heraus und zeige die Bedeutung von Männlichkeit für Rap auf. Folgende Fragen stehen bei meiner Untersuchung im Mittelpunkt: Wie werden in den Texten welche Männlichkeiten konstruiert? Inwiefern unterscheiden sie sich voneinander und welche Gemeinsamkeiten weisen sie auf? Wie lassen sich diese Männlichkeitskonstruktionen in Hinblick auf ihren gesellschaftlichen Kontext interpretieren? Hierbei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, denn eine Berücksichtigung aller Männlichkeitskonstruktionen, die in deutschsprachigen Rap-Texten zu finden sind, ist auf Grund der Vielzahl an Veröffentlichungen nahezu unmöglich. Stattdessen richte ich den Fokus auf zwei Fallbeispiele: Bushido und K.I.Z. aus Berlin.4 Diese Auswahl liegt erstens darin begründet, dass für eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands ein Blick auf deutschsprachigen Rap aus Berlin sinnvoll erscheint, da dieser den deutschsprachigen Rap an sich in den letzten Jahren entscheidend geprägt hat (Loh/Verlan 2006: 24ff.). Zweitens vermute ich bei den ausgewählten Rappern, angelehnt an die Methode der maximalen Kontrastierung (Kleemann et al. 2009:

3

So initiierte zum Beispiel die damalige Sprecherin für Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion, Monika Griefahn, 2007 in der Tageszeitung taz eine Debatte über Drogen- und Gewaltverherrlichung, Pornografie und Sexismus im deutschsprachigen Rap (taz.de vom 19.07.2007).

4

Die ausgewählten Rapper sind ausschließlich männlich. Eine Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen in Texten von Rapperinnen oder Personen, die sich nicht in das System der Zweigeschlechtlichkeit einordnen lassen, wäre sicherlich aufschlussreich, um über eine männliche Perspektive hinauszugehen, kann aber aus Platzgründen nicht geleistet werden. Zudem spielen diese und somit auch ihre Männlichkeitskonstruktionen in den Diskursen im deutschsprachigen Rap eine sehr geringe Rolle – im Gangsta-Rap sogar nahezu gar keine.

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26), aufgrund gegensätzlicher Selbstdefinitionen sowie unterschiedlicher Herangehensweisen an Rap kontrastreiche Männlichkeitskonstruktionen. Drittens ist diesen Acts eine gewisse Relevanz innerhalb der Rap-Szene und darüber hinaus gemeinsam. Für meine Untersuchung habe ich die Alben Heavy Metal Payback (ersguterjunge 2008) von Bushido und Sexismus gegen Rechts (Vertigo Berlin 2009) von K.I.Z. ausgewählt.5 Aus Platzgründen analysiere ich nicht alle Songs, sondern pro Album drei Texte, die mir für eine Analyse der Männlichkeitskonstruktionen besonders interessant erscheinen und gleichzeitig exemplarisch für das jeweilige Album sind. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring dient hierbei als methodische Grundlage (Mayring 2008). Ich beschäftige mich seit Jahren außerhalb einer wissenschaftlichen Betrachtung als kritischer Fan mit Rap und bin selbst als Rapper aktiv, weswegen mir Sprache und Habitus im deutschsprachigen Rap vertraut sind. Ziel meines Artikels ist es deswegen einerseits, einen Kontrast zum undifferenzierten Blick auf Rap darzustellen, der in Medien und Politik oft ›von oben herab‹ stattfindet. Andererseits sollen aber auch Herrschaftsverhältnisse im deutschsprachigen Rap nicht verharmlost, sondern als solche benannt und gesellschaftlich eingeordnet werden, um ihnen letztendlich entgegenzuwirken und (selbst-)kritisch6 zu intervenieren.

M ÄNNLICH

WERDEN



EINE

ANLEITUNG

Im Folgenden lege ich kurz den theoretischen Hintergrund meiner Untersuchung dar. Ich gehe dafür auf drei Ansätze ein, Männlichkeit zu erklären: das Konzept der hegemonialen Männlichkeit nach Raewyn7 Connell

5

Beide Alben waren zum Zeitpunkt der Untersuchung die aktuellsten der beiden

6

Zur selbstkritischen Intervention gehört hier zunächst die nur scheinbar simple

Acts. Erkenntnis, dass meine Betrachtung von Männlichkeit aus einer männlichen Perspektive immer auch als solche zu benennen ist. 7

Connell veröffentlichte 2006 noch unter dem Namen Robert Connell. Heute publiziert und lehrt Connell als Frau und mit dem Vornamen Raewyn. Sie möchte auch in Bezug auf vergangene Publikationen in dieser Form zitiert werden,

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(2006), die Habitus-Theorie Pierre Bourdieus (1997) und die Verbindung beider Ansätze durch Michael Meuser (2006). Connell geht davon aus, dass unterschiedliche Männlichkeiten existieren, die in Beziehung zueinander stehen. Diese ordnet sie den folgenden vier Begriffen zu: Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung (Connell 2006: 97). Als hegemoniale Männlichkeit ist laut Connell diejenige Form von Männlichkeit zu bezeichnen, die die Dominanz der Männer und die Unterdrückung der Frauen ermöglicht und zugleich die am meisten akzeptierte Form von Männlichkeit darstellt. Hierbei existieren starke Überschneidungen zwischen machtvollen gesellschaftlichen Positionen und hegemonialer Männlichkeit (ebd.: 98). Die untergeordnete Männlichkeit ist nach Connell als Gegenstück zur hegemonialen zu begreifen. Die homosexuelle Männlichkeit wird hierbei von ihr als die untergeordnete Männlichkeit schlechthin angesehen, und dementsprechend misst sie dem Dominanzverhältnis zwischen heterosexueller und homosexueller Männlichkeit eine große Bedeutung bei (ebd.: 99). Da nach Connell zwar die Mehrzahl der Männer nur zum Teil den Ansprüchen der hegemonialen Männlichkeit gerecht wird, aber dennoch von ihr profitiert, spricht sie außerdem von einer komplizenhaften Männlichkeit. Der Begriff patriarchale Dividende soll dabei die Privilegierung aller Männer – ob nun Vertreter der hegemonialen Männlichkeit oder nicht – durch die Unterdrückung von Frauen beschreiben (ebd.: 99f.). Marginalisierte Männlichkeiten schließlich stellen für Connell Männlichkeiten dar, die auf Grund der Klassenzugehörigkeit oder der Rasse8 keinen hegemonialen Status erlangen können (ebd.: 101). Bourdieus Konzept des Habitus stammt aus seinen Theorien zur Aufteilung der Gesellschaft in soziale Felder und soziale Räume anhand von Kapital (Bohn/Hahn 2000: 257ff.). Er wendet dieses Konzept auf das Geschlechterverhältnis an und unterscheidet zwischen einem männlichen und einem weiblichen Habitus, welche beide als vergeschlechtlicht und als vergeschlechtlichend zu begreifen sind. Die soziale Praxis wird dementspre-

weswegen ich hier im Folgenden die feminine Form verwende (vgl. Sauer 2011: 84, Fußnote 2). 8

Ich schreibe den Begriff Rasse kursiv, wenn ich ihn als Analysekategorie verwende. Ist mit ›Rasse‹ die biologisierende Konstruktion gemeint, setze ich ihn in einfache Anführungszeichen (Eggers et al. 2005: 12f.).

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chend inkorporiert und erscheint als ›natürlich‹ (Bourdieu 1997: 196f.). Der männliche Habitus ist durch die Libido Dominandi gekennzeichnet, die einen Drang zur Herrschaft darstellt. Dieser Drang umfasst den »Wunsch, die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen« (ebd.: 215). Angeeignet, bewiesen und bestätigt wird der männliche Habitus mit Hilfe der »ernsten Spiele des Wettbewerbs« (ebd.: 203), die nur unter Männern stattfinden. In den Spielen geht es prinzipiell darum, als Mann in der Auseinandersetzung mit anderen Männern das eigene Prestige zu vergrößern. Frauen bleiben hierbei auf die Rolle der ›Zuschauerin‹ und des ›Tauschobjektes‹ beschränkt (ebd.: 203ff.). Letztendlich stehen Männer unter dem ständigen Zwang, ihre Männlichkeit beweisen zu müssen – dadurch ist die männliche Herrschaft, die Bourdieu beschreibt, immer auch eine Herrschaft des Mannes über sich selbst (ebd.: 188f.). Meuser verbindet Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit mit der Habitus-Theorie Bourdieus. Ähnlich wie Bourdieu geht auch er davon aus, dass der Geschlechtshabitus dafür sorgt, dass der Körper »›weiß‹, wie man sich darstellen muss, um als Frau bzw. Mann anerkannt zu werden« (Meuser 2006: 118). Der männliche Geschlechtshabitus stellt hierbei sowohl Differenz zur als auch Dominanz über Weiblichkeit her und sichert so die männliche Herrschaft (ebd.: 123). Auch wenn Meuser wie Bourdieu nur von einem männlichen Habitus ausgeht, spricht er von unterschiedlichen Männlichkeiten, da er diese als Ausdrucksformen, den Habitus hingegen als ein generierendes Prinzip begreift. Die jeweilige Ausdrucksform von Männlichkeit wiederum hängt von Faktoren wie zum Beispiel dem sozialen Milieu ab. Die hegemoniale Männlichkeit bildet hierbei den »Kern des männlichen Habitus« (ebd.: 123). Sie stellt somit das Prinzip dar, nach dem der männliche Habitus funktioniert und die jeweilige Männlichkeit – abhängig von weiteren Faktoren – erzeugt wird (ebd.: 120f.). Männer, die sich dem männlichen Habitus zu verweigern versuchen, fallen dadurch auf und werden auf ihre ›Regelverletzung‹ aufmerksam gemacht. Bewegt sich die soziale Praxis eines Mannes hingegen innerhalb des vom männlichen Habitus gesetzten Rahmens, entsteht habituelle Sicherheit. Diese bewirkt, dass die eigene Männlichkeit eben nicht als konstruiert, sondern als ›natürlich‹ und selbstverständlich begriffen wird. Denn Männlichkeit wird in der sozialen Praxis von Männern zwar konstruiert, aber eben nicht als solche benannt – es findet eine Invisibilisierung statt (ebd.: 121ff.).

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Meuser weist ausdrücklich auf die Bedeutung der homosozialen Männergemeinschaften hin, die Bourdieu mit den »ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs« unter Männern andeutet. In diesem Zusammenhang arbeitet er die »männliche[r] Vergemeinschaftung« (ebd.: 124) als einen wichtigen Aspekt homosozialer Männergemeinschaften beziehungsweise des Wettbewerbs unter Männern heraus. Doch auch wenn die Konstruktion von Männlichkeit nach dem Prinzip der hegemonialen Männlichkeit funktioniert, wird nach Meuser in den meisten Fällen keine hegemoniale Männlichkeit hergestellt, sondern oft auch eine untergeordnete9. Entscheidend ist aber das Prinzip, der »Modus der Hegemonie« (ebd. 126.), nach dem Männlichkeit konstruiert wird. Dieser »Modus« wiederum ist in den homosozialen Gemeinschaften und unter jungen Männern besonders auffällig (ebd.: 127).

»B ÜRGERSCHRECK « VS . »G EGENPOL ZUM G ANGSTERSTYLE «?



Bushido – Heavy Metal Payback Bushido wurde 1978 geboren und heißt mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Youssef Ferchichi. Sein Künstlername kommt aus dem Japanischen und bedeutet Weg des Kriegers (welt.de vom 01.02.2010). Er sieht sich unter anderem als Sprachrohr einer marginalisierten Jugend, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass er keine Verantwortung dafür trage, wie seine Texte auf andere wirken oder welche Folgen sie haben (sueddeutsche.de vom 25.01.2008). Murat Güngör, Autor des Buches Fear of a Kanak Planet (2002), bezeichnet ihn deswegen als »Bürgerschreck« (zitiert nach miksesmagazin.de von 12.2008), dem es darum gehe, mit Provokationen Geld zu verdienen.

9

Meuser weist darauf hin, dass Männlichkeiten, die aufgrund ihres sozialen Milieus keine hegemoniale Position einnehmen, als untergeordnet und homosexuelle Männlichkeiten hingegen als marginalisiert zu begreifen sind (Meuser 2006: 126). Da er diese Kritik an den Begriffsdefinitionen von Connell allerdings nicht weiter ausführt, verwende ich in der vorliegenden Arbeit die Bezeichnungen marginalisiert und untergeordnet im Sinne von Connell.

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Heavy Metal Payback ist Bushidos achtes Studio-Album und erschien in Zusammenarbeit mit Sony BMG. Das Album stieg auf Platz 1 der MediaControl-Charts ein, die auf den Verkaufszahlen der Tonträger basieren, und hielt sich dort insgesamt drei Wochen (musicline.de a). Für meine Untersuchung habe ich die Songs Hunde, die bellen, beißen nicht (B02), Ching Ching (B08) und Jenny (B12) ausgewählt. Wer Bushidos Musik hört und wer zu seinen Konzerten geht, lässt sich nicht genau feststellen. In einem Konzertbericht in der taz werden die Fans als »junges, gemischtes Publikum, mehrheitlich ohne ›Migrationshintergrund‹« (taz.de vom 06.12.2007) beschrieben, das »zwischen RealschulAbschluss und Azubidasein, zwischen Sonnenbank und Fitnessstudio nach einem Lebenssinn« (ebd.) suche. Diese Einschätzung ist zweifelsohne sehr spekulativ – schon der nicht vorhandene »Migrationshintergrund« ist nur eine Vermutung –, soll aber als ein Eindruck berücksichtigt werden. Auch dass sich Bushido in seinen Texten wiederholt dem Gangsta-Rap zuordnet, ist relevant. Denn Gangsta-Rap wird in den USA zum großen Teil von Personen konsumiert, denen die in den Texten beschriebene Realität fremd ist und die diese gerade deswegen fasziniert (Klein/Friedrich 2003: 28). K.I.Z. – Sexismus gegen Rechts K.I.Z. bestehen aus den drei Rappern Tarek alias Tarek Ebéné, Maxim alias Maxim Drüner und Nico alias Nico Seyfried sowie dem DJ DJ Craft alias Sil Yan Bori (kulturnews.de vom 25.06.2009). Die Mitglieder der Gruppe sind zwischen 24 und 27 Jahre alt (freitag.de vom 09.07.2009). Der Name K.I.Z. bedeutet unter anderem Kannibalen In Zivil oder Künstler Im Zuchthaus, wobei diese Reihe ständig erweitert wird (laut.de). K.I.Z. werden wegen ihrer überspitzten Texte oft als konträr zum Gangsta-Rap wahrgenommen, was sie selbst skeptisch sehen: »Die Medien suchen nach einem Gegenpol zum Gangsterstyle und meinen, in uns eine annehmbare Variante gefunden zu haben. Dabei wird uns einiges in den Mund gelegt« (Maxim, zitiert nach jungle-world.com vom 30.08.2007). Gleichzeitig geben sich K.I.Z. betont zynisch und wollen zeigen, »dass man nicht alles so nehmen sollte, wie es auf den ersten Blick erscheint« (Tarek, zitiert nach kulturnews.de vom 25.06.2009). Sexismus gegen Rechts ist das dritte Studio-Album von K.I.Z. und erschien in Zusammenarbeit mit Universal. Es stieg auf Platz 7 der Media-

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Control-Charts ein und hielt sich dort eine Woche (musicline.de b). Für meine Untersuchung habe ich die Songs Einritt (K05), Selbstjustiz (K08) und Das System feat. Sido (K14) ausgewählt. Das Publikum von K.I.Z. wird in der Musik-Zeitschrift Intro in einem Konzertbericht als »eine große Anzahl halbstarker Heranwachsender zwischen sechzehn und zwanzig, deren Freundinnen – soweit vorhanden – und ein paar Indie-Checker« (intro.de vom 10.04.2007) beschrieben. Auch wenn diese Einschätzung aus der Zeit vor dem kommerziellen Durchbruch der Band stammt, so nennt sie dennoch einen wichtigen Punkt: Das Publikum von K.I.Z. kann sowohl in Bezug auf das Alter als auch in Bezug auf sonstige musikalische Vorlieben als sehr gemischt angesehen werden. Allerdings scheinen die Fans vorwiegend männlich zu sein, und ob die soziale Mischung auch zum Beispiel die soziale Herkunft umfasst, bleibt unklar. K.I.Z. selbst verweisen darauf, dass es bei ihren Konzerten darum gehe, »Energie rauszulassen und ruhig auch mal aggressiv zu sein« (zitiert nach kn-online.de vom 09.02.2010).

M ÄNNLICHKEIT IN R AP -T EXTEN B USHIDO UND K.I.Z.

VON

Im Folgenden stelle ich die Ergebnisse meiner Untersuchung vor. Dies erfolgt anhand von fünf Kategorien, die sich aus der obigen Darstellung der theoretischen Konzepte zu Männlichkeit und Habitus ergeben10: 1. Differenz und Dominanz gegenüber Weiblichkeit, 2. Differenz und Dominanz gegenüber anderen Männlichkeiten, 3. Wettbewerb unter Männern, 4. Gemeinschaft unter Männern und 5. Körperliche Gewalt. Der Übersichtlichkeit wegen gehe ich nicht in jeder Kategorie auf beide RapActs und alle ausgewählten Songs ein, sondern nur auf besonders prägnante Beispiele.

10 Eine Erläuterung der Kategorien kann in meiner Bachelorarbeit nachgelesen werden (siehe Fußnote 2).

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Differenz und Dominanz gegenüber Weiblichkeit Die Herstellung von Differenz und Dominanz gegenüber Weiblichkeit findet bei K.I.Z. meist im Battle statt – zum Beispiel bei der eigenen Aufwertung als besonders potent oder rücksichtslos (K05). Desweiteren tauchen Frauen als auf ihr Aussehen reduzierte (Sexual-)Objekte auf (K05), und sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen wird normalisiert (K14). Auch setzen K.I.Z. bestimmte Entwürfe von Weiblichkeit als Mittel ein, um den männlichen Gegner abzuwerten, indem sie seine Beschützerrolle in Frage stellen: pass auf dein Mädchen auf ich tauch mit zwanzig Gestörten auf deiner Fete auf (K05)

Der männliche Gegner ist hier nicht in der Lage, ›seine‹ Frau gegen den Rapper und seine Begleiter zu beschützen, und zudem wird ihr durch die Bezeichnung als »Mädchen«, das einen ›Aufpasser‹ benötigt, Unselbstständigkeit unterstellt. Desweiteren wird eine Invisibilisierung von Männlichkeit deutlich: Der gemeinte Mann wird als solcher nicht benannt, sondern selbstverständlich angesprochen und der (männliche) Hörer damit zum Standard. Allerdings weisen K.I.Z. durch die überspitzte Darstellung von Gewalt gegen Frauen auch auf die Widersprüchlichkeit hin, die die männliche Beschützerrolle enthält: ich halte fremden Frauen den Kopf fest und überprüf die Jochbeine sag, wer dich geschlagen hat, oder du kriegst noch eine (K08)

Hier will der Sprecher einerseits die »fremden Frauen« vor ihrem vermutlich gewalttätigen männlichen Umfeld beschützen, setzt dies aber anderseits mit Gewalt gegenüber eben jenen Frauen durch. Differenz und Dominanz gegenüber anderen Männlichkeiten Bushido ordnet sich einer jugendlichen Männlichkeit zu, die er als »kriminell« (B08), zu Hause im »Ghetto« (B08) und »ohne Perspektive« (B08)

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beschreibt. Desweiteren spricht er eine Fremdwahrnehmung als Moslem an (B12), weist in einigen Textstellen explizit auf einen arabischen Migrationshintergrund hin (B02) oder deutet einen nicht näher definierten Migrationshintergrund an:11 hier siehst du kein Lachen, weil sich keiner freut und dieses Klima zwingt dich, dass du von der Heimat träumst (B08)

Diese Männlichkeit erscheint als ein Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse, während auf der anderen Seite eine Gruppe aus wohlhabenden Personen, Staat und Polizei steht, die mit Connell vermutlich als hegemoniale Männlichkeit bezeichnet werden kann: klar, euer scheiß Leben ist schon abgesichert Medizin studiern, Doktor werden über Nacht, ihr Wichser (B08)

Die Herstellung von Dominanz gegenüber anderen Männlichkeiten erfolgt bei Bushido in den untersuchten Texten vor allem im Battle sowie gegenüber homosexuellen und anderen als schwach wahrgenommenen Männlichkeiten. So verwendet er Beleidigungen für homosexuelle Männer, um Gegner abzuwerten, oder ordnet ihnen als weiblich und homosexuell wahrgenommenes Verhalten zu (B02). Wettbewerb unter Männern Bushido verwendet in den untersuchten Texten neben der Herabsetzung von Weiblichkeit und anderen Männlichkeiten mehrere Strategien, um sich selbst im Battle aufzuwerten. So beschreibt er sich als jemanden, für den die Ausübung von körperlicher Gewalt etwas Normales und Alltägliches darstellt (B02), und stellt damit seine Härte und Gewaltbereitschaft unter

11 Ich benenne hier Bushidos Verortung mit Hilfe sozialer Kategorien wie Migrationshintergrund. Anknüpfend an das Konzept des situierten Wissens (Haraway 1996: 224ff.) weise ich an dieser Stelle auch auf meine partiale Perspektive als Weißer ohne Migrationshintergrund und mit akademischer Bildung hin.

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Beweis. Auch der Bezug auf Berlin, Kriminalität, den Konsum illegaler Drogen und einen arabischen Migrationshintergrund (B02) stehen meist in einem Zusammenhang mit dem Battle. Gleichzeitig weist Bushido aber auch auf seine besonderen Leistungen und seinen Reichtum hin, um sich gegenüber seinen Gegnern zu behaupten: die Million, mein Auto, das Haus, was mir gehört hab mir alles selber aufgebaut und weil du neidisch bist leg ich dir deine Leine an, Hunde, die bellen, beißen nicht (B02)

Diese Textstelle präsentiert Bushido auch als einen ›Mann der Tat‹: Anstatt wie sein fiktives Gegenüber nur zu »bellen«, hat er sich seinen Reichtum erarbeitet. In diesem Zusammenhang ist auch die Herabsetzung von Gegnern als bürgerlich oder wohlhabend zu sehen (B02), da diese ihren Wohlstand laut ihm anderen zu verdanken haben. Weitere Abwertungen finden durch den Verweis auf die Gewöhnlichkeit und den Mangel an Widerständigkeit und Gewaltbereitschaft statt (B02). K.I.Z. weisen neben der Abwertung von Weiblichkeit vor allem auf die eigene Gewalt und Härte hin, um sich im Battle zu behaupten. Durch Bezüge auf die Wikinger und die Sagenfigur Siegfried (K05), die der Zurschaustellung der eigenen Männlichkeit dienen, entwickelt sich in den untersuchten Texten ein Bild von einem Mann »im Zerstörungsrausch« (K05), »gekommen zum Plündern und Brandschatzen« (K05). Sind es bei Bushido Schusswaffen, die Härte und Gewaltbereitschaft beweisen sollen, »enthaupte[n]« (K05) K.I.Z. einen DJ, der nicht die gewünschten Songs spielt, »bade[n]« (K05) im Blut der Gegner und trinken Bier und Benzin bis zum Umfallen (K05). Auffallend ist der Song Das System, in dem die Kriterien, die beim Battle in den untersuchten Texten eine wichtige Rolle spielen, zum Teil in ihr Gegenteil verkehrt werden: ich bin erleichtert, die Frauen gucken nur auf das Geld ich springe nackt auf die Theke, sie hat einen Kurzen bestellt (K14)

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Der Phallus, nicht nur im Rap oft das Symbol für Männlichkeit (Pohl 2005: 251), erscheint hier als unwichtig, und Einzigartigkeit wird gerade durch die geringe Größe bewiesen. Allerdings verwenden K.I.Z. – wenn auch scheinbar ironisch – andere Kriterien weiterhin, wie zum Beispiel die sexualisierte Gewalt gegen Frauen: mein Schwanz ist so klein, er reicht nicht bis rein ich versuche deine Frau zu vergewaltigen und sie schläft ein (K14)

Wegen des stark verharmlosenden Umgangs mit sexualisierter Gewalt, der abwertenden Bezeichnungen für Frauen (K14) und des souveränen Umgangs mit dem Battle erscheint folgende Interpretation naheliegend: Der distanzierte Umgang mit der Bedeutung des männlichen Geschlechtsorgans geschieht hier weniger aus Ablehnung dieser Bedeutung, sondern vielmehr aus einer Vertrautheit mit ihr. Gewissermaßen können es sich K.I.Z. und Sido also gerade dank ihrer habituellen Sicherheit leisten, in ironischer Form auf ihren – vermeintlich – kleinen Penis hinzuweisen. Gemeinschaft unter Männern Eine Gemeinschaft unter Männern ist in den untersuchten Texten von Bushido nur schwer feststellbar. Sie taucht allerdings in den untersuchten Texten – wenn auch nur am Rande – als positiver Bezugspunkt auf: Bushido nennt hier die Armee von Sparta oder Soldaten (B02), um die Gewaltbereitschaft und Aggression seines Umfelds darzustellen. Auch Berlin erscheint oft wie eine loyale, gewaltbereite und geschlossene Männergemeinschaft, wenn wiederholt die Härte (B02) und die eigene Verbundenheit mit der Stadt betont wird (B08).12 Wahrscheinlich funktioniert die Herstellung einer Gemeinschaft unter Männern bei Bushido vor allem als eine Gemeinschaft von Rappern und Hörern, in der das Dissen, die Dominanz gegenüber Weiblichkeit und anderen Männlichkeiten und (die Beschreibung von) Gewalt selbstverständlich praktiziert oder eben konsumiert wird. Einerseits stellt sich hier zwar die

12 Siehe zur Bedeutung der Stadt im Gangsta-Rap auch den Beitrag von Lena Janitzki in diesem Buch.

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Frage, inwiefern die Bezeichnung Männergemeinschaft gerechtfertigt ist, da Rap als Musik grundsätzlich offen für alle Konsument_innen13 und damit keine exklusive Gemeinschaft ist. Andererseits wiederum steht bei homosozialen Männergemeinschaften nach Meuser weniger ein rein räumliches Beisammensein im Mittelpunkt, sondern vielmehr die gegenseitige Bestätigung unter Männern, was als Männlichkeit verstanden wird und was nicht (Meuser 2005: 314). Insofern führen die Texte vermutlich zu der Bildung einer homosozialen Männergemeinschaft aus Rappern und Hörern. Körperliche Gewalt Die Bedeutung, die körperliche Gewalt in den untersuchten Texten von K.I.Z. im Battle besitzt, wurde im Punkt Wettbewerb unter Männern zum Teil schon herausgearbeitet. Sie richtet sich gegen Männer, die unter anderem enthauptet werden (K05), gegen Frauen in meist sexualisierter Form (K14), gegen nicht näher definierte Personen oder Gegenstände, die restlos zerstört werden (K05) und gegen sich selbst: ich will dein Mutterkuchen, ich hab Lust auf Gebäck spiele Russisch-Roulette und mein Schluckauf ist weg (K05)

Das Risikohandeln dient hier als Männlichkeitsbeweis: Das eigene Leben wird – wenn auch fiktiv – riskiert, um eine besondere Härte zu demonstrieren. In den meisten Textstellen wird versucht, auf möglichst drastische Art und Weise Gewalt darzustellen und somit eine Einzigartigkeit zu erreichen. Genau genommen handelt es sich allerdings nicht um Risikohandeln, sondern um Schilderungen von angeblichem Risikohandeln. Damit wird jedoch – wie beim Risikohandeln – versucht, den Gegner zu übertreffen. Auch Meuser weist darauf hin, dass das Reden über das (eigene) Risikohandeln von ebenso großer Bedeutung ist wie das Handeln selbst (Meuser 2005: 313).

13 Ich verwende die Schreibweise mit einem Unterstrich, um auch Menschen, die sich zwischen oder außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit verorten, mit einzubeziehen und gleichzeitig auf den Konstruktcharakter von Geschlecht hinzuweisen (Walgenbach et al. 2007: 16).

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K OMPENSATION VON O HNMACHT VS . D EKONSTRUKTION DURCH I RONIE ? Die zentrale Männlichkeitskonstruktion von Bushido basiert vor allem auf der Abgrenzung von anderen Männlichkeiten. Nicht nur im Battle, sondern auch darüber hinaus finden verschiedene Ein- und Ausgrenzungen von Männern statt. Diese spielen eine größere Rolle als die Abgrenzung zu Weiblichkeit, die in den analysierten Texten eine solche Selbstverständlichkeit zu sein scheint, dass sie fast schon nebenbei geschieht. Der junge Mann aus dem »Ghetto«, arbeitslos, kriminell und mit (arabischem) Migrationshintergrund, ist bei Bushido einerseits ein Opfer der Verhältnisse. Seine Männlichkeit wird gewissermaßen von einer hegemonialen Männlichkeit beziehungsweise ihren Vertretern aus der Oberschicht sowie von der Politik und der Polizei, aber auch von (als hinterhältig beschriebenen) Frauen unterdrückt. Er hat nicht nur keine Möglichkeit, gesellschaftlich akzeptierte Macht zu erlangen, sondern ihm wird jegliche gesellschaftliche Teilhabe verwehrt, wodurch er sich mit seiner Situation abfinden und eine passive Rolle annehmen muss. Andererseits sind es genau diese Eigenschaften, wegen derer die von Bushido konstruierte Männlichkeit unterlegen wirkt, die sie im Battle überlegen erscheinen lassen: Er schlägt und »bumst« seine (männliche) Konkurrenz, schmückt sich mit seiner Kriminalität und seiner Herkunft aus dem »Ghetto« und verwandelt sein Dasein als Außenseiter in einen Status der Einzigartigkeit. Seine Gegner sind ihm hierbei ebenfalls genau deswegen unterlegen, weswegen sie ihm sonst überlegen sind: sie sind akademisch, brav, wohlhabend und nicht gewalttätig oder kriminell. Sie scheinen ›verweichlicht‹ und werden dadurch letztendlich, wenn auch nicht ausdrücklich, aus Bushidos Perspektive in die Nähe von Weiblichkeit und homosexueller Männlichkeit gerückt. Ein wichtiger Unterschied zwischen diesen beiden Männlichkeiten – der marginalisierten, positiv besetzten Männlichkeit auf der einen Seite und der hegemonialen, negativ besetzten auf der anderen – ist die Bereitschaft oder Fähigkeit, körperliche Gewalt anzuwenden. Dieser Unterschied ist es auch, der der marginalisierten Männlichkeit im Battle letztendlich doch zur Überlegenheit verhilft: sie ist es gewöhnt, den eigenen Körper im Wettkampf Risiken auszusetzen. Die hegemoniale Männlichkeit hingegen ist nur so lange überlegen, wie sie die Unterstützung des Staates, der Polizei

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oder auch der wohlhabenden Eltern besitzt. Die Unfähigkeit, körperliche Gewalt auszuüben, steht auch in einem Zusammenhang mit der sexuellen Passivität: Sexualisierte Gewalt dient als Strategie, um andere Männer zu demütigen und Überlegenheit zu demonstrieren. Die Gemeinschaft unter Männern taucht kaum auf: der ›echte‹ Mann ist hier ein Einzelkämpfer. Bushidos Männlichkeitskonstruktionen erinnern an eine jugendliche Männlichkeit, die männliches Verhalten noch einüben und beweisen muss – unter anderem durch Abgrenzung und Risikohandeln (Meuser 2005: 310ff.). Gleichzeitig ist es meiner Ansicht nach in Anlehnung an Connell und Meuser sinnvoll, zu berücksichtigen, dass er die marginalisierte Männlichkeit auch mit Hilfe von Hinweisen auf einen (arabischen) Migrationshintergrund und das »Ghetto« konstruiert. An dieser Stelle liegen zwei Interpretationsmöglichkeiten nahe, wobei erstere ihren Schwerpunkt auf die Männlichkeitskonstruktion an sich legt und letztere den gesellschaftlichen Kontext in den Mittelpunkt stellt, in dem diese Männlichkeit konstruiert wird. So kann die Männlichkeit, die Bushido in den untersuchten Texten konstruiert, erstens als ein Zusammenspiel von sozialem Geschlecht, Rasse und Klasse gesehen werden: Der junge Mann, der wegen seines (arabischen) Migrationshintergrunds und seiner sozialen Herkunft nicht an einer hegemonialen Männlichkeit teilhaben darf, realisiert seinen männlichen Drang nach Herrschaft, die Libido Domandi, durch die Dominanz gegenüber Weiblichkeit und nicht-hegemonialen Männlichkeiten sowie mit Hilfe (der Beschreibung von) körperlicher Gewalt. Zudem stellt er fortlaufend eine Differenz zu hegemonialen Männlichkeiten her, indem er sich von Akademikern und Politikern abgrenzt und sich somit seine eigene Identität als marginalisierter Mann aufbaut. Weil er sie auf Grund seiner machtlosen Position ständig beweisen muss, erinnert seine Männlichkeit an eine jugendliche Männlichkeit: Es handelt sich hierbei gewissermaßen um eine Form der Männlichkeit als Kompensation von Ohnmacht. Die zweite Interpretationsmöglichkeit schließt die erste nicht aus, fragt aber nach dem Zusammenhang von eigener und gesellschaftlicher Konstruktion von Männlichkeit. So ist von einem engen Zusammenhang zwischen dominanten Diskursen zu Immigration und Integration und Bildern nicht-deutscher Männlichkeit auszugehen (Scheibelhofer 2008: 183f.). Letztere lassen sich hier mit Mark Terkessidis als das konstruierte »spiegelverkehrte Gegenüber« (Terkessidis 2004: 105) einer deutschen Gesellschaft bezeichnen, die für sich eine aufgeklärte, ›gute‹ Männlichkeit in An-

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spruch nimmt. Leicht vereinfacht erscheint vor diesem Hintergrund die marginalisierte Männlichkeit, die Bushido konstruiert, wie eine Bestätigung rassistischer Vorstellungen von jungen kriminellen ›Machos‹ mit (arabischem) Migrationshintergrund aus sogenannten sozialen Brennpunkten.14 Ob diese Bestätigung unbewusst oder bewusst geschieht, lässt sich an dieser Stelle nicht endgültig feststellen. Allerdings vermute ich – anknüpfend an Güngör –, dass Bushido bestimmte Männlichkeiten auch aus ökonomischen Gründen (und Zwängen) konstruiert. Hierfür spricht, dass ein bedeutender Teil seines Publikums vermutlich aus privilegierteren Verhältnissen als denjenigen kommt, die in seinen Texten beschrieben werden. Durch seine Inszenierung als ›der böse Araber aus dem Ghetto‹ übt er als das gefährliche Andere eine Faszination auf diejenigen Konsument_innen aus, denen diese vermeintliche Realität fremd erscheint. Zugleich liefert Bushido rassistisch privilegierten Personen ein Negativbild, mit deren Hilfe diese eine hegemoniale (deutsche und weiße15) Männlichkeit konstruieren und legitimieren können. Beides beschert ihm wiederum Popularität. Die zentrale Männlichkeitskonstruktion bei Bushido ist somit vermutlich auch eine ökonomische Reaktion auf öffentliche Diskurse: Es handelt sich demnach um eine marginalisierte Männlichkeit als Verkaufsstrategie.16 Hiermit sollen allerdings nicht problematische Männlichkeitskonstruktionen verharmlost werden, sondern eine Einordnung dieser Konstruktionen in einen gesellschaftlichen Kontext erfolgen. Dies ist vor allem deswegen wichtig, weil Rap in öffentlichen Debatten oft problematisiert wird, ohne ihn in einen Zusammenhang mit der Mehrheitsgesellschaft zu setzen.

14 Siehe zum medialen Umgang mit Gangsta-Rap im Kontext von Rassismus auch den Beitrag von Anne Lenz und Laura Pateau in diesem Buch. 15 Ich verwende hier die kursive Schreibweise, um auf die Konstruktion von WeißSein hinzuweisen (Eggers et al. 2005: 13). 16 Die von Bushido positiv besetzte Männlichkeit erfüllt in vielerlei Hinsicht neoliberale Erwartungen (vgl. Sauer 2011: 97). Insofern ist seine zentrale Männlichkeitskonstruktion des Einzelkämpfers, der es ›von ganz unten nach ganz oben‹ geschafft hat, indem er ein ›Unternehmer seiner selbst‹ geworden ist, auch als eine Bewerbung für die neoliberale hegemoniale Männlichkeit anzusehen (vgl. Seeliger/Knüttel 2010: 405). Der Neoliberalismus wiederum erscheint hier als ein »Projekt der Maskulinisierung von Gesellschaft« (Sauer 2011: 98), das auch die Konstruktionsformen marginalisierter Männlichkeiten verändert.

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Männlichkeit scheint hier eine hilfreiche Analysekategorie zu sein, um Phänomene wie zum Beispiel Sexismus im Rap in einem gesellschaftlichen Rahmen zu untersuchen. Auch wenn sicherlich die Songs von Bushido die Wirklichkeit nicht wahrheitsgetreu abbilden sollen, so unterscheidet sich K.I.Z. von ihm jedoch eindeutig durch die Überspitzungen der – angeblichen – Realität. Männlichkeit wird hier meist durch Verweise auf veraltete, vormoderne Männlichkeitslegenden und im (gewalttätigen) Wettbewerb unter Männern sowie durch die Abwertung von Weiblichkeit konstruiert. Ein Bezug auf marginalisierte Männlichkeiten ist ebenfalls auffallend. Es tauchen – in überzeichneter Form – einige Bilder auf, die bei Bushido zentral sind: Der Einzelkämpfer, der den Umgang mit Waffen gewohnt ist, wird bei K.I.Z. zum »Wikinger im Zerstörungsrausch« (K05), und der junge Mann mit Migrationshintergrund aus dem »Ghetto«, der von ›verweichlichten‹ Männern unterdrückt wird, zum »Kanaken«, der von »diamantbesetzten Hörgeräten« überwacht wird und »die Weißen versklaven« will (K08). Wenn K.I.Z. als Gegenpol zum Gangsta-Rap wahrgenommen werden, dann ist dies vermutlich vor allem auf die beschriebenen Übertreibungen zurückzuführen. Ihre Männlichkeitskonstruktionen erscheinen teilweise wie eine Dekonstruktion der Männlichkeiten, die sich bei Bushido finden lassen. Für diese Interpretation spricht auf den ersten Blick auch der Umgang mit den Kriterien für Männlichkeit in Das System: Ein kleiner Penis dient plötzlich als Beweis für die eigene Besonderheit. Doch wie schon weiter oben angedeutet verwerfen K.I.Z. in keinem Moment Männlichkeit als Ganzes, sondern immer nur Teilaspekte. So stützt sich auch Das System auf die Abwertung von Weiblichkeit, den Wettbewerb unter Männern und Gewalt. Zudem weist die Souveränität, mit der K.I.Z. Männlichkeit in übersteigerter Form darstellen, nicht nur auf eine Distanz zu dieser hin, sondern zugleich auf eine Vertrautheit und Nähe. Erst die habituelle Sicherheit, die sie im Battle durch die Herstellung von Dominanz gegenüber Weiblichkeit und anderen Männlichkeiten sowie durch die Schilderung von körperlicher (sexualisierter) Gewalt erhalten haben, erlaubt es ihnen, eine distanzierte Haltung einzunehmen. K.I.Z. bringen in ihren Texten also ohne Frage wie Bushido eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Männlichkeit zum Ausdruck, doch tun sie dies in einer Form, die dank Überzeichnung auch Abstand und Reflektion vermittelt. Dadurch bedienen sie eine »Faszination an Gewaltausübung« (Möl-

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ler 2008: 228), die sich in großen Teilen der Gesellschaft, meist bei männlichen Personen, finden lässt. Gleichzeitig sorgen sie für eine Distanz, die es auch Konsument_innen aus gebildeteren Milieus ermöglicht, ihre Musik zu hören. Dies scheint mir eine mögliche Erklärung für die positive Rezeption von K.I.Z. in den Medien zu sein. Eine Dekonstruktion von Männlichkeit findet hier demnach nicht statt, sondern bloß eine Art Reflektion. Während sich Bushidos Kriterien für Männlichkeit auf Heterosexualität, Leistung, Härte und Gewaltbereitschaft stützen, funktioniert bei K.I.Z. Männlichkeit durch eine humoristische Distanz zu sich selbst. Meuser bezeichnet in seiner Untersuchung des Männlichkeitsdiskurses in neuen Männerzeitschriften einen ironischen Umgang mit Stereotypen von Männern als ›aufgeklärte‹ hegemoniale Männlichkeit (Meuser 2001: 233f.). Da die Männlichkeit, die K.I.Z. in den untersuchten Texten konstruieren, vermutlich nicht als hegemonial, sondern mit Connell eher als marginalisiert zu bezeichnen ist, soll hier von einer ›aufgeklärten‹ marginalisierten Männlichkeit gesprochen werden. ›Aufgeklärt‹ ist diese Männlichkeit allerdings nur insofern, als sie sich selbst nicht mehr als selbstverständlich begreift.

W AS B USHIDO , S ARRAZIN , K.I.Z. UND M ARIO B ARTH GEMEINSAM HABEN Die Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen in Rap-Texten von Bushido und K.I.Z. hat gezeigt, dass auch in einer so eindeutig männlich dominierten Jugendkultur wie Rap Männlichkeit nur als plural und veränderbar zu begreifen ist. Bei genauerer Betrachtung lassen sich sehr unterschiedliche Formen der Konstruktion erkennen und zudem auch eine gewisse Flexibilität der Kriterien, die für Männlichkeit gelten. Gleichzeitig wurden aber auch mehrere Gemeinsamkeiten deutlich, die auf den engen Rahmen, in dem sich Männlichkeit im (Gangsta-)Rap bewegt, hinweisen. So scheint diese kaum ohne eine vehemente und abwertende Abgrenzung von Weiblichkeit und anderen Männlichkeiten denkbar, die eng mit der Verherrlichung von körperlicher Gewalt verknüpft ist. Letztere wiederum findet oft sexualisiert statt, wodurch Sexualität fast ausnahmslos der Herstellung von Dominanz dient und sexuelle Passivität negativ – das heißt unmännlich beziehungsweise weiblich und homosexuell – besetzt wird. Die

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durch verschiedene Abwertungen erreichte Dominanz ist hierbei unverzichtbar für den Battle, den permanenten Wettbewerb unter Männern. Rap wurde in der vorliegenden Arbeit mehrfach als männlich dominierte Jugendkultur bezeichnet, und es wurde darauf hingewiesen, dass sich nach Meuser die Zeit der männlichen Adoleszenz und der (symbolische) Ort der homosozialen Männergemeinschaft durch das Erlernen und Beweisen von Männlichkeit auszeichnen. Das im Punkt Körperliche Gewalt erwähnte Risikohandeln ist demzufolge unter anderem als Strukturübung zu sehen: Die Logik des männlichen Geschlechtshabitus wird sich in übersteigerter Form angeeignet, um diese später und in anderen Bereichen selbstverständlich und abgeschwächt praktizieren zu können (Meuser 2005: 320). Das Risikohandeln wird somit zu einer (männlichen) ›Normalität‹. Wie oben schon angedeutet, lässt sich auch die Herstellung von Dominanz gegenüber Weiblichkeit und homosexueller Männlichkeit in den Prozess des Erlernens und Beweisens von Männlichkeit einordnen (Pohl 2005: 253f.). Demnach sind Männlichkeiten im Rap als zugespitzte Konstruktionen von gesellschaftlich akzeptierten Männlichkeitsvorstellungen zu begreifen. Zugespitzt sind sie hierbei gleich in dreifacher Form: Rap ist eine Jugendkultur und damit eng verknüpft mit der adoleszenten Lebensphase, Rap ist männlich dominiert und damit eine Art homosoziale Männergemeinschaft, und schließlich stellt die Überzeichnung von Realitäten ein wichtiges Stilmittel im Rap dar. Problematische Männlichkeitskonstruktionen in diesem Bereich sind demzufolge immer auch als ein Problem gesellschaftlich akzeptierter Männlichkeiten zu begreifen. Insofern liefern Männlichkeitskonstruktion in Rap-Texten in verdichteter Form Hinweise auf die Männlichkeiten ›außerhalb‹ von Rap. Bushidos Konstruktion einer marginalisierten Männlichkeit könnte hierbei zum einen als Hinweis auf die Zusammenhänge von Männlichkeit und sozialen Kategorien wie Rasse dienen. Zum anderen sind seine Texte eine Andeutung der Vorstellungen, die in gesellschaftlichen Diskursen von marginalisierten Männlichkeiten existieren. An dieser Stelle wäre eine vergleichende Untersuchung der Selbstinszenierung in Bushidos Texten und den rassistischen Bildern von jungen Männern mit (arabischem) Migrationshintergrund in Politik und Medien hilfreich. Beispiele für letztere sind die Diskussionen um ›deutschfeindliche Gewalt‹ während des Wahlkampfes in Hessen 2008 oder die Sarrazin-Debatte.

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Die ›aufgeklärte‹ Männlichkeit von K.I.Z. schließlich wirft die Frage auf, ob ein ironischer Umgang mit Männlichkeit wie ihn auch Meuser in neuen Männerzeitschriften feststellt, als neue männliche Strategie anzusehen ist. Der humoristische Umgang mit Männlichkeit erinnert an den Komiker Mario Barth, der bei seinen Auftritten zwar vor allem Witze über ›seine Freundin‹ erzählt, aber dennoch – oder gerade dadurch – auch vermeintliche Aspekte von Männlichkeit karikiert. Doch durch die humoristische Distanzierung wird zwar Männlichkeit einerseits sichtbar, gleichzeitig ist aber die Position des (männlichen) Sprechers nur schwer greifbar. Dies könnte letztendlich wieder zu einer Invisibilisierung von Männlichkeit führen und damit den von Meuser aufgezeigten Widerspruch zwischen habitueller Sicherheit und Selbstreflexivität zumindest teilweise aufheben (Meuser 2006: 132f.). An dieser Stelle wäre eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung, die Selbstreflexivität in Verbindung mit Ironie für das Fortbestehen von Männlichkeit hat, hilfreich. Handelt es sich hierbei um eine Reaktion auf die Kritik an Männlichkeit? Ist dies als eine neue Strategie anzusehen oder stellt die humoristische Distanzierung zu sich selbst schon länger einen Aspekt von bestimmten Männlichkeitsentwürfen dar? »Schlägt« die Männlichkeit mit »Witz«, wie sich in Anknüpfung an den Titel dieses Artikels formulieren lässt, die Männlichkeit der »Gewalt«? Gemeinsam ist den hier aufgeworfenen Fragen das Ziel, zu untersuchen, warum sich Männlichkeit als gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis trotz unterschiedlicher Widerstände und gesellschaftlicher Veränderungen immer wieder selbst reproduzierte und reproduziert (Meuser 321f.). Denn die Problematik von Männlichkeit zeigt sich in deutschsprachigen RapTexten zwar in pointierter Form, doch ist ihre Existenz gesamtgesellschaftlich und sie damit unbedingt in diesem Kontext zu betrachten.

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Nothin’ but a B-Thang? Von Gangsta-Rappern, Orthopäden und anderen Provokateuren A NNE L ENZ UND L AURA P AETAU

E INLEITUNG »Anfang 2000 gab es das noch gar nicht als Begriff: Gangsta-Rap. Wir haben damals das Album Cakallar von Killa Hakan gepuscht und die Medien sind drauf angesprungen. In der Deutsch-Rap Szene gab es Anfang der 90er die Fantastischen Vier und von den Medien wurde so ein Türkisch-HipHop-Hype produziert, der dann aber nie eingetreten ist. Cartel, Islamic Force, Aziza A. waren dabei. Es wurde viel darüber geschrieben. Es gab diesen klassischen Deutsch-Rap: Fettes Brot und Die Fantastischen Vier auf der einen Seite und auf der anderen Seite den türkischen Rap. Da gab es einen Konflikt, weil die Deutsch-Rap Szene hat gesagt: Türkischer Rap ist Jugendzentrums-Rap. Es gibt keine Ghettos und das ist alles überhaupt nicht die Wirklichkeit von Deutschland. Dann ist Anfang 2000/Ende der 90er aus der Szene dieser Gangsta-Rap entstanden. Vorher haben alle auf Türkisch gerappt. Dann gab es eine neue Generation, die angefangen hat, auf Deutsch zu rappen. Das ist irgendwie total abgegangen. Die Majors sind drauf eingestiegen, die ganzen Jugendlichen haben das gehört und so hat der Gangsta-Rap-Hype angefangen.« (Volkan T.)

Volkan T., Rapper aus Kreuzberg, beschreibt hier ddeutschen Gangsta-Rap als Bruch mit der Popularität von ddeutschem Mittelschichts-HipHop auf der einen und der Marginalisierung von »türkischem Jugendzentrums-Rap« auf der anderen Seite: »Was ich gut fand am Gangsta-Rap war, dass mit

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dem Deutsch-Rap gebrochen wurde [...] Vorher war es total schwierig an große Firmen zu kommen. Die Leute wollten nicht mit – ich sag jetzt mal Kanaken – zusammen arbeiten.« Wir fragen uns: Öffnet und schließt Gangsta-Rap, als populär(st)e Form des Rap, Räume anders als die Mehrheitsgesellschaft dies tut? Und hat er demnach widerständiges Potenzial? Auch weil, zum einen, neue Zugänge in den Musik-Markt geschaffen werden und, zum anderen, seine Lyrics das (marginalisierte) Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft theatralisieren? Und wie kann eine Feministin dies überhaupt fragen? Tricia Rose untersucht in »What we talk about when we talk about HipHop. And why it matters« für den US-amerikanischen Kontext die Platzhalterfunktion, die HipHop in öffentlichen Debatten einnimmt: »Debates about hip hop stand in for discussion of significant social issues related to race, class, sexism and black culture« (Rose 2008: 7). Sie verdeutlicht die politische und gesamtgesellschaftliche Relevanz des Sprechens über HipHop, indem sie erklärt, dass in dieser Debatte immer auch über Schwarze1 Jugendliche, Ghettos, Armut etc. gesprochen wird. Wir gehen davon aus, dass HipHop auch im bundesdeutschen Kontext bei Themen von Ethnisierung, Lokalität und prekären Lebensverhältnissen eine Funktion zukommt. Gangsta-Rap spielt dabei eine besondere Rolle: Im letzten Jahr eroberte eine Debatte, mit Aggro Berlin, starring Bushido, die Mainstream-Medien. Wir – zwei HipHop liebende Feministinnen – ärgern uns über Bushido und all die anderen frauenverachtenden Rapper von Aggro Berlin, soviel steht fest. Wir bemerken aber auch, dass sich die Debatte um Bushido eines Stereotyps ethnisierter Jugendlicher in sogenannten Problembezirken bedient. Meist namentlich Kreuzberg oder Neukölln – unser beider Zuhause. Wir sehen hier die Konstruktion eines Bedrohungsszenarios, indem spezifische rassistische und sexistische Annahmen um Ethnizität, Geschlecht und Lokalität vermengt werden. Wer zu welchem Zeitpunkt in problematisierten Bezirken lebt, hat auch immer mit (Stadt-)Politik zu tun und macht die Frage, welche Räume für wen geschlossen oder offen sind, zu einer hochpolitischen nach Status, Geld und Bildungszugängen. Unsere Ausgangsthese ist, dass Gangsta-Rapper Bushido in der medialen Öffentlichkeit zum Repräsentanten und Experten einer bestimmten Gruppe »jugendlicher, gewaltbereiter, männlicher Integrationsverweigerer« (ge-

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»Schwarz« wird hier und im Folgenden groß geschrieben, um auf die Konstruktion dieser Kategorie zu verweisen.

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macht) wird. Seine Lyrics dienen dabei, ganz im Sinne des Authentizitätskonzepts im HipHop, als Beweis. Der (Bedrohungs-)Diskurs braucht ein (bedrohtes) Objekt und konkretisiert sich allen voran im Schutz der »emanzipierten« westlichen Frau. Wir denken, dass es in der Debatte um »diese« Jugendlichen und »ihre« Bezirke immer auch um Geschlecht geht, explizit und implizit: Wenn von »diesen« männlichen Jugendlichen gesprochen wird, sprechen wir immer auch über »die anderen« Jugendlichen, immer auch über Mädchen und Frauen und sogar über die einheimischen Jungs und Männer, die »ihre« Frauen schützen. Diese rassistischen Bilder und stereotypischen Zuschreibungen, die das Bedrohungsszenario durch männliche, jugendliche Migranten konstituieren, greifen auf vermeintliche feministische Diktionen zurück. Emanzipatorische Forderungen scheinen somit rassistische Politiken zu legitimieren – wir fühlen uns als Feministinnen ausgespielt. Daher: Wir möchten die mediale Debatte um Bushido et al. auf ihre rassistischen Bilder und Vereinnahmungsweisen hin beleuchten, um herauszufinden, wie andere kulturelle Artikulationen mit den hier (re-) produzierten Bildern umgehen. Das Schreiben über diese Bilder ist ähnlich wie die Artikulationen, die wir untersuchen, permanent zwischen Intervention und rassistischer Reproduktionen gefangen. In dem Versuch, zu explizieren, was diese Debatte u.E. implizit verhandelt, laufen wir ständig Gefahr, erneut zuzuschreiben. Wir möchten dennoch versuchen zu erarbeiten, was die Debatte um Gangsta-Rap so funktionieren lässt, wie sie es tut, welche Mechanismen die hier vorgestellten Artikulationen erfahren und wie sie die Vereinnahmung in die rassistische öffentliche Debatte erschweren. One way to go Anhand von Talkshows haben wir einen Blick auf die Debatte um Bushido geworfen. Theoretische Konzepte helfen uns beim Herausarbeiten rassistischer Mechanismen dieser Debatte und der darin (re)produzierten hegemonialen Bilder; sie sind Hintergrund für die Analyse. Wir haben uns die viel besprochenen Stücke angesehen, die in Verbindung mit dem hier wichtigen Stereotyp gebracht werden (können). Wir haben versucht, deren Anschlussfähigkeit und deren Brüche zu explizieren. Die jeweiligen Häuser haben wir auf deren Konzepte hin untersucht und letztlich (Experten)Interviews mit drei Kulturschaffenden geführt, die mehr oder weniger mit HipHop, so-

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genannten Problembezirken und »Hintergrund«2 zu tun haben: Volkan T., Sinan Al-Kuri und Gió Di Sera. Alle drei beziehen sich in ihrer Arbeit auch auf den hier beschriebenen Stereotyp. Volkan veröffentlicht sein RapAlbum (2008) unter dem Titel »Sprich deutsch oder stirb«. Sinans letzte Rolle als Schauspieler »Dr. Kaan Demir« ist die eines türkischen Orthopäden. Gió erläutert uns im Interview seinen Ansatz der Universität der Straße. Kultur und kulturelle Artikulationen wie zum Beispiel Gangsta-Rap aber auch die anderen hier besprochenen verstehen wir als umkämpftes Feld. Sie bewegen sich zwischen Fremd- und Selbstzuschreibungen, müssen mit stereotypisierenden Bildern umgehen und auch um Definitionsmacht streiten. Die Popularität von Gangsta-Rap in Ddeutschland sehen wir insofern als Chance, den Weg für »migrantischen Rap« zu ebnen – gleichzeitig geschieht das auf hochgradig problematische, sexistische Weise. Die rassistische Verhandlung von Gangsta-Rap provoziert in der Mehrheitsgesellschaft angstbesetzte Bilder, die medial ausführlich besprochen werden. Auch andere (migrantische) kulturelle Artikulationen und Kulturschaffende werden auf diese Bilder zurückgeworfen und damit in die Auseinandersetzung mit ihnen gezwungen. Gleichzeitig werden sie durch das Aufgreifen genau dieser hegemonialen Bilder auch anschlussfähig und »hörbar«. So lesen wir in den kulturellen Artikulationen gleichsam eine Entscheidung, sich auf bestimmte Diskurse zu beziehen, diese aufzugreifen und umzudeuten. Ausgehend von den geführten Gesprächen mit Kulturschaffenden sowie dem Heranziehen einzelner kultureller Produktionen und Institutionen, fragen wir uns: Welchen Umgang mit Zuschreibungen und Stereotypisierungen gibt es noch? Was können populäre Strategien im Umgang mit hegemonialen Bildern sein? Womit sind an den hegemonialen Diskurs anschlussfähige Artikulationen konfrontiert? Und warum ist im Kulturverständnis der ddeutschen Mehrheitsgesellschaft die Rolle des (türkischen) Orthopäden vielleicht so provokant wie die des Gangsta-Rappers?

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In Anlehnung an das Programmheft eines der hier vorgestellten Häuser (Ballhaus Naunynstraße) und in der Überzeugung, dass Sprache widerständig sein kann, lassen wir bei der Bezeichnung »Hintergrund« gerne das Wort »Migration« hinter uns.

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SPRICHT HIER ÜBER WEN ?

Im Folgenden möchten wir diejenigen Aspekte der Debatte um Bushido herausarbeiten, die uns annehmen lassen, dass er in die großen privat- und öffentlich-rechtlichen Talkshows nicht als Künstler, sondern vielmehr als Repräsentant und Experte für eine stereotypisierte vermeintliche Gruppe von gewaltbereiten, männlichen Jugendlichen aus sogenannten Problembezirken geladen wird. Wir verstehen dies als exemplarisch für den Verlauf der Debatte, die im Moment bei Gangsta-Rap anfängt. Die Konstruktion des Stereotyps, von dem wir meinen, dass er Bushido zugeschrieben wird, möchten wir in Bezug auf Lokalität und »Integration«3 kontextualisieren. Dabei theoretisieren wir unsere Beobachtungen mit Konzepten zur »Banalität des Rassismus« (Terkessidis) sowie kulturalistischem Rassismus. Bushido talks Zu Talkshows wird Bushido gerne eingeladen zu Fragen bezüglich »Jugendkultur« (Kerner 4.6.2007: http://bit.ly/1pmsmR, 25.7.2011), »Erziehungskatastrophe« (Maischberger 9.2.2011: http://bit.ly/pfx1Pm, 25.7.2011) oder als »Erdkundelehrer zum Thema Berlin« (Spiegel.tv: 24.2.2010: http://bit.ly/dnCYuh, 25.7.2011). Maischberger bezeichnet seinen Werdegang als »vom Staatsfeind No.1 zu Everybody’s Darling«, und Kerner diskutiert in seiner Expertenrunde »Bushidos Texte als Ausdruck einer neuen Jugendkultur oder lediglich Provokation?«. Bushido wird in diesen und vergleichbaren Talksendungen einem ddeutsch-ddeutschen, meist männlichen Expertentum gegenübergesetzt, welches über die Wirkung seiner Texte auf bildungsbürgerliche (ddeutsche) Kinder spekuliert. Man einigt sich darauf, diese könnten damit umgehen, in fürsorglichen, guten Verhältnissen und einem behüteten Elternhaus. Gerne wechselt man im Gespräch mit Bushido – nur was ihn betrifft – auf die persönliche Ebene und fragt ihn nach seinem sozial schwachen Hintergrund und dem Verhältnis zu seiner Mutter (Maischberger 9.2.2011). Frauendiskriminierung und Homophobie in Bushidos Texten werden mit ernster Miene kritisiert. Männer der Mehr-

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»Integration« halten wir für einen politisch aufgeladenen Begriff, der rassistische Zuschreibungen vornimmt (vgl. 1.5). Er wird hier und im Folgenden in Anführungszeichen gesetzt.

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heitsgesellschaft äußern sich im Sinne von Geschlechtergleichheit und verteidigen die Rechte ihrer Frauen und Töchter. So fürchtet beispielsweise Sky Dumont, seine Tochter könnte aufgrund von Bushido Sexualität als etwas »Dreckiges« kennenlernen (Kerner 4.6.2007).4 Sky Dumont: »Wenn ich mir so vorstelle, dass meine (Anm. Aut.: sechsjährige) Tochter [...] diese Texte verstehen würde, dann würde ich wahrscheinlich einen Baseball-Schläger auspacken.« Bushido (dreht sich zu ihm): »Und was würden Sie damit machen, mit dem Baseballschläger?« Sky Dumont (beschwichtigend): »Die CDs kaputtschlagen.«

Trotz Szenen wie dieser, in denen Bushido die Oberhand behält, wirkt er in der Talkshow auf uns sehr bemüht um angemessenes Verhalten und die richtigen Worte. Kerner hingegen zelebriert unter dem Einstiegsmotto »jetzt mal Butter bei die Fische, es ist ja schon spät« ausführlich die Indexbegründung für Bushidos »Mit dem Schwanz in der Hand« und beharrt auf dem Vortragen einzelner Lyrics-Passagen. Bushido wirkt unbehaglich und winkt sogar ab. Ganz anders zeigt er sich als »Mensch bei Maischberger«: In dem von einer Frau moderierten Gespräch scheint er sichtlich Probleme zu haben, und auch sein Sprechen mit Teilnehmerinnen des Talks zeigt nur zu gut: Mit Frauen sprechen und Frauen zuzuhören ist für Bushido schwer. Er fällt ins Wort, spricht die Moderatorin nach jedem Satz mit ihrem Nachnamen an und wirkt unruhig und aggressiv. Nebenbei berichtet er von seinen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt aus der Täterperspektive: Er habe es damals »einfach nicht besser gewusst«. Textzeilen wie »mit der Rechten werd ich wichsen, mit der Linken Dich schlagen« oder »Ich bin der Typ, der den Nutten nichts erklärt, fick meine Gang und Du fickst Deine Ehre« aus eben jenem »Mit dem Schwanz in der Hand« sprechen für sich. In ihnen lässt Bushido seiner Verachtung für Frauen freien Lauf, offen sexistisch beschreibt er detailliert Gewaltsituationen gegenüber Frauen. Er erhält dafür sowohl bei der ARD als auch beim ZDF entsprechend Forum. Traditionell findet Ermächtigung im Gangsta-Rap – so auch hier bei Bushido – durch männlich konnotierte Strategien wie den Rückbezug auf körperliche

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Zur »sauberen« Verhandlung von Sexualität in bundesdeutschen Medien vgl. auch Kachelmann-Prozess und Strauss-Kahn-Affäre, Berichterstattung 2011.

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Überlegenheit, Mut, Omnipotenz und physische Gewalt statt. Die Erniedrigung von Frauen und Schwulen ist dafür der billigste Weg. Der Megastar Bushido erschafft sich in dieser expliziten Abwertung und der damit verbundenen Aufwertung seiner eigenen Person. Vernünftige Mitteleuropäer Interessant bleibt Bushidos vehement wiederholte Referenz auf ein »wir« sowie ein »wir als Mitteleuropäer« oder »wir vernünftigen Mitteleuropäer« (Maischberger 9.2.2011). Das diffuse Hantieren mit »wir«, »ich«, »ihr«, »euch« (auch auf Seiten des Expert_innentums) lässt uns nach Sprechpositionen fragen: Wer spricht über wen? Der lokale Bezug zu Berlin und Neukölln erscheint dabei klarer: Bushido trifft nicht nur »den Nerv von dort« (Kerner 4.6.2007), er selbst erklärt auch: »ich komm von dort« (Bushido ebd.). Die lokale Verortung wird sowohl an ihn herangetragen als auch von Bushidos Seite aufgenommen. Die Themen der Talkshows, zu denen Bushido geladen ist, ebenso wie die Fragen, die an ihn gerichtet werden, bringen uns zur These, dass er zum einen eine Form von Zuständigkeit für Neukölln erhält. Zum anderen erscheint Bushido als Repräsentant und Experte einer vermeintlichen Gruppe ethnisierter Jugendlicher in »sozialen Brennpunkten«. Bushido kann »authentisch«5 von dort berichten: »Versuchen Sie nicht, mich zu verbieten, versuchen Sie mich dazu zu gewinnen, dass ich mit den Jugendlichen rede. [...] Ich weiß, wie es bei uns in Neukölln abläuft, wenn die Jugendclub-Mitarbeiter Angst vor den Kindern haben, weil sie geschlagen werden, von Leuten, die ihren Jugendclub benutzen. [...] Ich hab mehr Einfluss als die Super Nanny auf RTL. Ich kann da kommen und ich kann mit den Leuten reden. Ich würde niemals offen in das Gesicht eines Jugendlichen sagen, mach das, mach das, mach das. [...] Meinem Bruder hab ich beigebracht, das machst Du, das machst Du nicht. Er hat mir vertraut, weil ich sein großer Bruder bin, und er hat Respekt vor

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Bei Verweisen auf »Authentizität« ist zu bedenken, dass sich diese immer in ihrem jeweiligen Kontext herstellt und niemals »an sich« gegeben ist. Im HipHop kommt Authentizität eine besondere Bedeutung zu. Klein und Friedrich äußern sich dazu wie folgt: »Realness ist ein zentrales Qualitätskriterium der HipHop Kultur. Etwas ist (neudeutsch) ›real‹ wenn es als authentisch gilt [...] Keeping it real bedeutet den echten, guten, authentischen HipHop zu bewahren.« (Klein/Friedrich 2003: 7)

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mir und ich vor ihm. Deswegen wird aus meinem Bruder – toi toi toi – ein sehr anständiger Mensch und Organspender.« (Bushido bei Johannes B. Kerner 4.6.2007)

Entantwortung Bushido spricht also keineswegs von und für Jugendliche im Allgemeinen. Vielmehr ist er Stellvertreter für eine ganze Gruppe bestimmter Jugendlicher. Terkessidis beschreibt dieses Phänomen in der »Banalität des Rassismus« als »Entantwortung« (Terkessidis 2004: 186). Entantwortung rührt, wie alle rassistischen »Akte«, aus Bildern. Terkessidis führte Interviews mit Migrant_innen der zweiten und dritten Generation und unterteilt ihm beschriebene, rassistische Situationen in verschiedene solcher Akte: Die »›Entfremdung‹ und die ›Verweisung‹ gliedern das Individuum symbolisch aus einem ›Wir‹ aus und schicken es an einen anderen Ort. Es gibt nämlich [...] angeblich ein ›eigentliches Wir‹ und einen ›eigentlichen Platz‹ für die Betreffenden [...]« (ebd.). Bei der »Entantwortung« werden nun diesem »›eigentlichen Wir‹ (und in eingeschränkterem Maße auch dem ›eigentlichen‹ Ort) zusätzlich bestimmte Merkmale zugeschrieben, was die jeweils Betroffenen gleichzeitig als zumindest potenzielle Träger dieser Eigenschaften erscheinen lässt« (ebd.). Hinter dem »Ich« verbirgt sich ein »Wir« mit bestimmten Eigenschaften. In Folge kann alles, was man tut, als Konsequenz des »Ausländer-Seins« interpretiert werden und nicht mehr als Handeln eines Individuums. »Die Zuschreibung nimmt dem Individuum die Verantwortung weg – ich bin es nicht mehr selbst, der handelt, es ist ›der Türke‹ oder ›der Südländer‹ etc. Zum anderen beraubt es den Einzelnen der Möglichkeit einer Antwort – seine Taten sind gewissermaßen aufgrund der Gruppenzugehörigkeit vorbestimmt« (ebd.). Die zugeschriebenen Eigenschaften differieren: »Für mich auffällig war nach der Analyse der Interviews zudem, dass die Zuschreibungen oft mit dem Geschlecht zu tun haben – das ist zumal bei ›den Türken‹ evident« (ebd.). Das Bild des »türkischen Mädchens« wird ihm von einer Interviewpartnerin (Neijla) wie folgt beschrieben: »(die ›armen türkischen Mädchen‹) sitzen zwischen den zwei Stühlen, werden von ihrem Vater unterdrückt, die Brüder, und alles ist da so schlimm und sie wissen gar nicht, wo sie hingehören« (ebd.: 190). Dieses und ähnliche Bilder negieren reale Emanzipationsprozesse vieler Mädchen und Frauen und schreiben geschlechtsspezifisch unterdrückte und unterdrückende Positionen zu. Terkessidis betont, das sei auch bei ver-

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meintlich positiven Zuschreibungen der Fall. So wirke der »Chauvi« aus »dem Ausland« auf der anderen Seite durchaus begehrenswert; das Image des Südländers schwanke. Entantwortung findet in jeder dieser Situationen statt: An das »›auffällige‹ Element werden bestimmte exotische Qualitäten geknüpft, die begehrenswert erscheinen; am konkreten Individuum wird konsequent vorbeigeblickt – es wird entantwortet« (ebd.: 191). Als Reaktionsmöglichkeiten kann die betroffene Person sich dem »Wir« der »Ausländer« entziehen und sich als etwas anderes definieren oder Anwalt_Anwältin des »Wirs« spielen. Bei ersterer wird die entantwortete Person Teil des rassistischen Konsenses, der im Grunde auch sie umschließt – dabei aber selbst als Ausnahme konzipiert: »Du bist ja nicht so ein Türke«. Die zweite, die Anwalts_Anwältinnen-Position, beschreibt Terkessidis als den Versuch, bestimmte an »Ausländer« gekoppelte Wahrnehmungen, wie zum Beispiel »Bedrohung«, wegzuargumentieren. Immer aus der von außen zugeschriebenen Position. Das Konzept der »Ausnahme« beendet den Prozess der Entantwortung aber keineswegs. Tatsächlich ist es »oft schwer, sich der Entantwortung zu entziehen. Wenn man ständig mit jenen Zuschreibungen konfrontiert wird und diese zumeist auch bewertet werden – ob positiv oder negativ – dann ist es kaum verwunderlich, dass Personen sich teilweise oder ganz mit den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften identifizieren« (ebd: 192). Auf das Phänomen Bushido übertragen bedeutet das, dass wir es hier mit einer zutiefst rassistischen Debatte zu tun haben. Bushido wird in den Talkshows konsequent aus einem »Wir« ausgeschlossen. So zum Beispiel, wenn Kerner fragt »Wie sollen wir denn Ihre Texte verstehen?«, statt beispielsweise zu fragen »Wie sollen ihre Hörer und Hörerinnen die Texte verstehen?«, oder wenn, immer und immer wieder, der Schutz »unserer Kinder« Diskussionsmittelpunkt wird. Hier bleibt interessant anzumerken, dass, wie auch oben im Beispiel mit Sky Dumont, jeweils die Handlungsfähigkeit der Rezipient_innen vollkommen vernachlässigt wird: Wer kauft warum Songs mit Texten über Gewalt, Frauen- und Schwulenhass? Bereits die Talkshowthemen rund um »problematische Jugendliche« und »Erziehung« zeigen, dass Bushido – als einziger weder Pädagoge noch Vater – in einer bestimmten Funktion geladen ist, die sich nur aus der ihm zugeschriebenen Sprechposition erklären lässt. Zudem zielen die Fragen jeweils weit

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über Bushido als Individuum hinaus und verweisen auf eine hinter ihm angenommene Gruppe. »Mit dieser Integrationsdebatte haben zum Beispiel dann auch viele Medien angefangen, wie Spiegel TV, andere Rapper zu porträtieren und immer auf diese Gewalt aufmerksam zu machen, im negativen Sinne. Natürlich nutzen die Rapper das einerseits für sich, um sich zu promoten. Und Spiegel TV macht das, um zu radikalisieren: ja so sind die Jugendlichen halt.« (Volkan T.)

In Bezug auf »die Jugendlichen« geht es, ebenso wenig wie in diesem Zitat von Volkan T., um irgendwelche Jugendlichen, sondern um ein bestimmtes Bild von »männlichen, gewaltbereiten, integrationsverweigernden Jugendlichen« innerhalb einer beschreibbaren Lokalität. Der Bildproduktion kommt auch und vor allem in der Kulturindustrie eine tragende Rolle zu. Solche Stereotypisierungen werden aus aktivistischer Perspektive schon lange kritisiert: »Obwohl Kanak Attack für viele nach Straße riecht, ist es kein Kind des Ghettos. So hätten es die Spürhunde der Kulturindustrie gerne, die auf der Suche nach authentischem und exotischem Menschenmaterial sind, das den vermeintlich grauen Alltag bunter werden lässt. Dazu passt die Figur des jungen, zornigen Migranten, der sich von ganz unten nach oben auf die Sonnenseite der deutschen Gesellschaft boxt [...]« (Kanak Attack Manifest6)

Bushido hat es geschafft. Und so schwanken die Anrufungen an ihn zwischen der von Terkessidis als Anwaltsposition beschriebenen und der als Ausnahme – ebenso wie seine Reaktionen. Er wird in den hier herangezogenen Medienausschnitten der Gruppe, um die es geht, meist zugeordnet. Gleichzeitig aber auch von ihr distanziert: Er kommt zwar »von dort« und »weiß, wie es bei uns in Neukölln abläuft«, wird aber auch, und jetzt im

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Wie bei »queer« oder im Rap auch »bitch« handelt es sich bei ›Kanake‹ um die aneignende Resignifizierung einer diskriminierenden Bezeichnung. Wichtig in diesem Zusammenhang als linguistische Aufarbeitung »Kanak Sprak« von Feridun Zaimoglu (1995) und Kanak Attack als aktivistische Organisierung (Manifest aus dem Jahr 1998). Im deutschsprachigen Rap kommt »Kanak Sprak« als Sozioloekt Bedeutung zu.

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Sinne der »Ausnahme«, als Experte befragt. Er selbst sagt zu Beginn bei Kerner: »Sie haben Glück mit mir. Wir, also auch ich als Rapper aus einer bestimmten Gegend jetzt, hab natürlich das Pech, dass meine Kollegen, die würden sich jetzt hier wahrscheinlich falsch rum auf den Stuhl setzen ...« Bushido muss sich in irgendeinen Bezug setzen zu der durch lokal (und ethnisch) kategorisierten »Gruppe«. Es geht demnach in den Gesprächen nicht um Bushido, sondern vielmehr ermöglicht der Diskurs um die bösen Gangsta-Rap-Lyrics es zu beweisen, dass diese vermeintliche Gruppe existiert und über bestimmte Eigenschaften verfügt. Laura: »Am Anfang hast Du Dich geärgert. Wir haben Bushido reingeworfen und da hast Du Dich gleich geärgert – warum?« Sinan: »Also erstmal, dass der Kerl so einen Scheiß macht. Dass nach außen hin das Bild verbreitet wird des vermeintlich gewaltbereiten Typen, der nur über Ficken und Gewalt und Frauenverachtung rappt. Ganz toll, damit haben wir alle Klischees bedient, was diese Kultur angeht. Da kann man sich nur aufregen, wegen so was hat jeder Ausländer auf der Straße ein Problem, weil er so wahrgenommen wird.«

Sinans Kritik lässt sich als ein Beispiel von Entantwortung verstehen, wenn er findet, dass Bushido ein schlechtes Licht auf »diese Kultur« wirft. Innerhalb derselben Logik wurde uns zu Bushido auch genau die konträre Position erklärt: Sein Kapern des Mainstreams ist dann positiv an dessen Sprechposition rückgekoppelt und bedeutet eine Intervention in den Deutsch-Rap. Spiel mir das Lied vom Ghetto »Berlin-Neukölln gilt als Synonym für gesellschaftliche Missstände, als kiezgewordener Alptraum des Landes: Soziale Verwahrlosung, Kriminalität und die gescheiterte Integration von Menschen aus 163 Nationen prägen den Alltag im Südosten Berlins. 300.000 Menschen leben hier – jeder Vierte ist arbeitslos, in manchen Gegenden liegt der Ausländeranteil bei 40 Prozent, vor vielen Schulen patrouillieren private Wachschützer. SPIEGEL TV begleitet Gerichtsvollzieher auf ihren meist fruchtlosen Streifzügen durch die Hartz-IV-Hochburg, engagierte Pädagogen, die auf Zwölfjährige treffen, die weder richtig lesen noch schreiben können, GangsterRapper, deren Worte flinker sind als ihre Gedanken.« (Berlin Neukölln – ein Stadtteil, so vielfältig wie das Leben. Spiegel Online 2008: http://bit.ly/pQirLE)

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Der »soziale Brennpunkt« oder das »Problemviertel« wird in der medialen Öffentlichkeit häufig beschrieben als geprägt durch Armut und Arbeitslosigkeit, Drogen und Überfälle. Straßenszenen werden gemalt von heruntergekommenen Häusern, arabischen Cafés, dicken BMWs, Kopftuch tragenden Frauen und den bereits erwähnten vermeintlich gewaltbereiten jungen Männern mit Hintergrund – wahlweise mit Kampfhund ohne Maulkorb. Neben der meist polemischen funktionalisierten Berichterstattung lassen sich auch akademische und politisch-aktivistische Auseinandersetzungen finden, welche die Situation in Problembezirken, Ghettos oder Banlieus des globalen Nordens und Südens beschreiben und aktuelle Veränderungsprozesse beleuchten (Thorsson 2009: 258). Thorsson beschreibt, wie das Regieren in Räumen ›begrenzter Staatlichkeit‹ zu einer neuen globalen Fragestellung avanciert, welche jede Form der »sozialen Unordnung« als staatund systemgefährdend zu entlarven versucht. Um die Gefahren von sozialen Aufständen und alltäglichen Verweigerungen zu brechen, nehmen dabei Strategien zur Selbstführung und Eigenkontrolle einen immer größeren Raum ein (ebd. 228). Die Bezeichnung als Problembezirk mit den damit einhergehenden Charakteristika Stereotypisierungen und auch Vorurteilen ist dabei nicht neu: Kreuzberg wurde seit den 80er Jahren zunehmend als »Problemviertel« stigmatisiert. Die Situation vieler Jugendlicher war geprägt von Arbeitslosigkeit und einer ausschließenden Bildungspolitik. Kreuzberger Jugendbanden, in den Medien häufig als »Streetgangs« bezeichnet, wurden als gefährlich und gewalttätig mystifiziert. Auch der Musik-Markt veränderte sich: »Mit zunehmender Kommerzialisierung investierten die Labels immer mehr in Gangsta-Rap und schufen so neue Vorbilder, die Gewalt, Drogen und Prostitution als erstrebenswert deklarierten« (Utlu 2011: 94). HipHop als Kulturform fand seinen Weg auf Kreuzberger Partys: »Eine intuitive Subversion haftete den jugendlichen Gruppen an. Immerhin führten sie, weitgehend ausgeschlossen vom Arbeitsmarkt und von Bildung, mit geringsten Mitteln Elemente einer Subkultur in Deutschland nicht nur ein, sondern erfanden sie neu: Elemente des HipHop.« (Utlu ebd.) Was geht mit den lokalen Referenzen auf »soziale Brennpunkte« und Bezügen »zur Straße« alles einher? Historisch und aktuell spielt HipHop als Kulturform innerhalb dieses lokalen Bezugsrahmens eine wichtige Rolle. HipHop erscheint dabei als subkulturelle Artikulation, die sich einerseits gegen das herrschende Gesellschaftssystem wehrt und gleichzeitig das Ziel

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verfolgt, sich innerhalb des Systems zu etablieren. Dabei vermischen sich soziale und ethnische Komponenten immer auch verknüpft mit der Lokalität. Gerappt wurde zunächst auf türkisch; die türkische Gruppe Fresh Family veröffentlichte 1991 den ersten Rapsong in ddeutscher Sprache. Auch in Ddeutschland erscheint HipHop als Erbe einer black culture, die seit drei Jahrzehnten die Themen Ethnizität und kulturelle Identität verhandelt: »Im Fadenkreuz der HipHop Politik stehen vor allem die tradierten Repräsentationsmuster ethnischer Identität« (Menrath 2003: 220). Diese Repräsentation findet immer in Bezug zur Mehrheitsgesellschaft statt. Die Theatralisierung dieses Verhältnisses spielt innerhalb von HipHop im Allgemeinen und Rap im Besonderen eine zentrale Rolle. Teil der Theatralisierung sind die Beschreibung und Referenzen auf »die Straße« und »soziale Brennpunkte«, in denen die Mehrheitsgesellschaft eben nicht lebt. Das Verhältnis zur ddeutsch-ddeutschen Mehrheitsgesellschaft theatralisiert auch Bushido in seinen Lyrics: »Ghettostory, Ghettojunge, dieser Mann war ziemlich broke! Leider spielte MTV keines meiner VI-DE-OS, Keine Kohle, nur Routine, Nummer ziehen beim Arbeitsamt. Arbeitsdrang? Fehlanzeige! Der Konsum von Gras begann! Immer kalkulieren: Was kann ich bei Lidl kaufen? Heut’ könnt’ ich mir einen ganzen Lidl kaufen! Hast du was, bist du was, die Wichser wollten meine Wohnung pfänden. Ich kauf’ mir ne Villa und kann D-Bo meine Wohnung schenken! Zeiten ändern sich, damals hatt’ ich keinen Pfennig, heute sagt mir Kay fast immer: ,Leih mir mal paar Scheine, Anis! Zeit für Tennis, Zeit für Golf, Zeit für nix, Zeit zum Shoppen [...]’ Ich wurde von euch ausgelacht, ihr Missgeburten habt geredet, ich hab’ drauf gekackt! Seid ihr Fotzen aufgewacht? Guck, ich verkaufe was! 500.000, krass! Kaufe mir ’nen Traumpalast, Zeiten ändern sich! Wer hat sich was draus gemacht? Ihr falschen Schlangen habt geredet, ich hab drauf gekackt.« (Zeiten ändern dich 2010)

Die Verknüpfung von Ethnizität, Race, (under)class und Lokalität wird sowohl innerhalb der Subkultur HipHop hergestellt als auch »von außen« durch eine mediale Öffentlichkeit aufgegriffen. Rap und vor allem GangstaRap finden dabei als vermeintlich »authentische Stimme« Gehör. Was Authentizität im HipHop bedeutet, wird vor allem dann bedeutsam, wenn eine bestimmte Wirklichkeit inszeniert werden muss, um »real« zu sein (vgl. Klein/Friedrich 2003: 7). Im Gangsta-Rap geht die Form der Repräsentation sowie Rezeption dabei häufig mit der Konstruktion eines bestimmten

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Bedrohungsszenarios einher. Dieses Szenario beschreibt auf der einen Seite die Bedrohung in Form von prekären Lebensverhältnissen, Gewalt sowie staatliche Repression gegenüber denjenigen, die sich im Gangsta-Rap selbst artikulieren. Auf der anderen Seite beschreibt die Rezeption dieser Artikulationen, durch was und vor allem wen die Mehrheitsgesellschaft bedroht wird. Bilder werden konstruiert, um aufzuzeigen, von wo die Gefahr ausgeht. »Bedrohung ist Sinn der Sache; was einhergeht mit der Integrationsdebatte. [...] Bushido hat doch ganz offen gesagt, er wohnt in Grunewald (Anm. Aut.: Ortsteil in Berlin mit gut-bürgerlichem Ruf) und setzt sich morgens auf so einen kleinen Rasenmäher und mäht dann seinen Rasen [...] das ist seine Realität – und das ist halt auch eine Antwort. Er sagt ja, ich steh nicht auf, setz mich dann rein und zieh dann 1000 Leute ab.« (Volkan T.)

Das für den migrantischen Gangsta-Rapper konstruierte Bild ist dabei gesetzt und reagiert erstmal nicht auf einen Realitätsabgleich. Das heißt, was Bushido tatsächlich tut und lebt, zählt nicht so sehr wie das Bild, das er verkörpert. Die Konstruktion eines Stereotyps »Junge Männer mit Hintergrund versetzen neuerdings die deutsche Gesellschaft im alltäglichen Endkampf um die abendländische Zivilisation in Angst und Schrecken. Ihr Hintergrund ist meist ein migrantischer oder muslimischer oder bildungsferner. Manchmal treibt diese Angst auch Wurzeln, die sind dann vorzugsweise türkisch oder arabisch. Dann zwingen diese jungen Männer ihre Frauen Kopftuch zu tragen, und ermorden um der Familienehre willen ihre Schwestern. Und statt sich zu bilden und zu arbeiten zeugen die Integrationsverweigerer auch noch ununterbrochen neue Kopftuchmädchen. Soweit die gängigen Klischees der ›Islamdebatte‹.« (Vgl. Programmheft Verrücktes Blut, Produktion Ballhaus Naunynstraße)

Spekularisation Die Wichtigkeit von Bildern betont Terkessidis wiederholt: »Diese (die Teilnehmenden an seiner Untersuchung) sprachen früher oder später von ›Bildern‹ – den ›Bildern‹ vom ›Türken‹, von der ›türkischen Frau‹, vom ›Schwarzen‹ oder vom ›Südländer‹. Aber auch sie spürten die Anwesenheit

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von jemandem, der in ihnen etwas sah, mit dem sie nicht übereinstimmten. Sie befanden sich offenbar an einem anderen Ort als dem, wo dieser Blick sie zu erfassen glaubt« (Terkessidis 2004: 198). Wichtig ist dabei die Abgrenzung zu der allgemeinmenschlichen Erfahrung, in der das Fremdbild mit dem Selbstbild nicht übereinstimmt. Diese Unterscheidung stellt Terkessidis für Personen nichtdeutscher Herkunft über den Grad der Organisation bestimmter Bilder her: »Der weit höhere, weil gesellschaftliche Organisationsgrad der spezifischen Objektivierung macht in ihrem Fall die Erfahrung der Diskrepanz kollektiv und seriell« (ebd.). Diese Kriterien der kollektiven und seriellen Diskrepanzerfahrung im Abgleich mit Bildern lässt sich ebenso auf vergeschlechtlichte Bilder von Weiblichkeit, Frau sein usf. übertragen. Terkessidis macht diese Übertragung von Race nach Gender in umgekehrter Weise, wenn er einen weiteren Akt in das Repertoire rassistischer Situationen einführt: die »Spekularisation«. In Anlehnung an Luce Irigarays Begriff, der sich aus Spiegel und Spekulation zusammensetzt und mit dem sie den Prozess zwischen männlichem und weiblichem Subjekt beschreibt: Irigaray nahm an, dass das (männliche) Subjekt einen eigenen »Anderen« braucht, um einen Prozess der Spekularisation in Gang zu setzen. Auf die herrschaftsstabilisierende Wirkung der binären Konstruktion »des Anderen« haben feministische ebenso wie postkoloniale Theoretiker_innen fundiert verwiesen. So zum Beispiel Donna Harraway 1995: »Bestimmte Dualismen haben sich in der westlichen Tradition hartnäckig gehalten, sie waren systematischer Bestandteil der Logiken und Praktiken der Herrschaft über Frauen, farbige Menschen, Natur, ArbeiterInnen, Tiere – kurz, der Herrschaft über all jene, die als Andere konstruiert werden und deren Funktion es ist, Spiegel des Selbst zu sein« (Haraway 1991: 69 ). In der Konstruktion dieses »Negativs« wird hinter das »Andere« ein »Ihr« gesetzt, das bestimmte Eigenschaften hat. Im Vergleich zur Entantwortung führt der Prozess der Spekularisation dann weiter über die Abgrenzung zu »dem Anderen«. Die Spekularisation lässt, so Irigaray, das männliche Subjekt positiv und kohärent erscheinen, indem es eine immer neue Übereinstimmung mit sich, der eigenen »Identität«, herstellt. Für die hier skizzierte Debatte bedeutet das, dass hinter Bushido eine ganze Gruppe von Jugendlichen steht, hinter denen wiederum ein Bild liegt, das mit diversen Charakteristika ausgestattet ist und das nur in Abgrenzung – und damit in gleichzeitiger Aufrufung – eines Bildes des weißen männlichen Jugendlichen, der weißen, schützenswerten Frau, etc. entstehen kann.

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In der Aufrufung dieses Bildes – und das halten wir für übertragbar auf die ganze Debatte – gilt es, das hegemoniale Subjekt als kohärent, überlegen hervorzubringen. »Frauenrechten«, »Emanzipation« und »Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern« kommt dabei eine perfide Rolle zu: »Es gibt auf der Welt 57 islamische Länder. Es gibt nur drei, die ich kenne, wo man zum Beispiel die Frauen so behandelt, wie es sich gehört. Wie bei uns« (Hans-Olaf Henkel (BDI) bei Maischberger 1.12.2010: http://bit.ly/ oMKMHl, 25.7.2011). Der Spiegel funktioniert über das Aufrufen von Bildern der unterdrückten (anderen) Frau und ruft dabei sogleich, in obigem Beispiel sogar explizit, das Bild der selbstbewussten einheimischen Frau auf. Vor allem aber ruft es das Bild des emanzipierten und gleichberechtigten weißen (einheimischen) Mannes auf, der diese Frau »so behandelt, wie es sich gehört«: Der Spiegel zeigt das Ideal-Ich, wie es nur in der abgrenzenden Konstruktion des »Anderen« entstehen kann. Das hegemoniale Subjekt des weißen, emanzipierten Mannes wird kohärent konstruiert: Über die Spekularisation wird ein Gefühl der Kohärenz hergestellt. Dieses muss immer neu reproduziert werden und ist permanent von der Reaktion des »Anderen« bedroht. Und an dieser Stelle ist der diskursive Mechanismus destabilisierbar. Als Antwortmöglichkeiten der zweiten Generation von Migrant_innen auf die rassistischen Akte beschreibt Terkessidis zum Beispiel das Erfinden neuer kultureller Praxen. Hier wird es interessant. Und hierauf kommen wir später zurück. Wer hat Angst vorm fremden Mann? Jung, männlich, Muslim, Migrant – diese vier Wörter stehen für ein Synonym in der Integrationsdebatte. Ein Synonym für eine Problemgruppe, die überproportional häufig in polizeilichen Kriminalstatistiken auftaucht. Medien greifen dieses Bild einer Gruppe, genauer einer Problem-Gruppe, häufig auf. »U-Bahn-Schlägereien, die Diskussion über Deutschfeindlichkeit auf dem Schulhof und Machogehabe gegenüber Frauen beherrschen die öffentliche Diskussion« (Cigdem Akyol 2001, taz 06.05.2011: http://bit.ly/ qMYkDu, 25.7.2011). Religion und Religiösität bilden einen weiteren Bezugspunkt dieses Stereotyps7: Der männliche »Integration«sverweigerer mit

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Zu antimuslimischem Rassismus in der BRD vgl. u.a. Attia, Iman (2009): Die ›westliche Kultur‹ und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. transcript Verlag, Bielefeld.

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Migrationshintergrund ist auch Moslem. Unter dem Titel »Pop-Muslime« schreibt die Zitty: »Sie hören Musik von ›Haftbefehl‹ und lesen den Koran. Sie gehen freitags in die Moschee und sonnabends shoppen bei Zara. Sie träumen davon, irgendwann viel Geld zu verdienen und sie wollen, dass diese Fragerei ›Bist du Deutscher oder Ausländer?‹ endlich aufhört. […] Religion ist wieder in Mode gekommen. Damit wird angegeben, ein bisschen ist es wohl auch Provokation« (Zitty Titelstory Pop-Muslime, Mai 2011: http://bit.ly/pMwUYz, 25.7.2011). Gewaltbereitschaft ist ebenfalls Teil des Bildes, und dafür wird sich bei der Presse auf Kriminalstatistiken berufen, und »europäische Experten« prophezeien: »Ab 2010 sei für viele Großstädte ein Anteil von unter 40-jährigen Zuwanderern an der Wohnbevölkerung von rund 50 Prozent zu erwarten. […] Niemand ist […] erstaunt, wenn die Berliner Landeskommission gegen Gewalt zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Lebenswelt junger Migranten hauptsächlich auf ihren Kiez beschränkt. [...] Innerhalb solcher Milieus bilden sich dann eigene Werte und Normen, mithin das Gesetz der Straße.« (Die Welt vom 08.09.2010, SPD-Politiker »Einwanderer auf dem Rückmarsch ins Mittelalter«: http://bit.ly/9JqjDX, 25.7.2011)

»Aber es gibt die Einwanderung in die Sozialsysteme, es gibt Integrationsverweigerung und Parallelgesellschaften. Es gibt Rückschrittlichkeit und Kriminalität. Der Risikofaktor jung, männlich, Migrant ist Realität« (ebd.). Folgt man der Berichterstattung, wird die Herleitung des Gewaltpotenzials aus familiären, patriarchalen Zusammenhängen deutlich, verknüpft mit Kultur, Tradition und Religion: »Hinzu kommt vor allem bei Jugendlichen aus dem islamischen Raum die prägende Gewalterfahrung in der Familie. Um kinderreiche Ausländerfamilien besser als bisher zu schützen, fordert Kriminologe Pfeiffer drastische Sanktionen gegen prügelnde Familienoberhäupter. So soll bei nachgewiesenen Misshandlungen schneller als bisher ein Rausschmiss aus der gemeinsamen Wohnung möglich sein. Im Wiederholungsfall plädiert Pfeiffer sogar dafür, das Familienoberhaupt in sein Herkunftsland abzuschieben: ›Der muss dann ganz schnell raus.‹« (Spiegel, Ausgabe 2/2008 Migration der Gewalt. Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt: http://bit.ly /rpNJf8, 25.7.2011)

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Es lassen sich unzählige Beispiele für das skizzierte Bedrohungsszenario finden. Wichtig für die hier geführte Argumentation ist festzuhalten, dass sich das Bedrohungsszenario aus dem Zusammenspiel von (angenommenem) Geschlecht, (angenommenem) Migrations- und sozialem Hintergrund sowie der (angenommenen) Religionszugehörigkeit der adressierten Subjekte konstituiert. Die Schlussfolgerung der öffentlichen Berichterstattung ist häufig klar und zielt in Richtung eines harten Durchgreifens von Seiten der ddeutschen Mehrheitsgesellschaft. Breite Theoretisierungen und kluge Kategorisierungsangebote zur (Re-)Produktion vergeschlechtlichter und rassialisierter Stereotypen/Bilder finden sich an anderer Stelle. So beschreibt zum Beispiel Patricia Hill-Collins (2004) das Konzept des Controlling Image in Bezug auf Schwarze, hypermaskuline Männlichkeit in den USA. Hill Collins greift damit, wie oben auch Terkessidis, auf Bilder zurück, um Rassismus zu beschreiben. Symbolisch werden bestimmte Bilder produziert, um rassialisierte Klassenverhältnisse und die Kriminalisierung Schwarzer Männer zu legitimieren. Paul Scheibelhofer überträgt das Konzept der Controlling Images auf den österreichischen Kontext und die Konstruktionen türkisch-arabischer Männlichkeit. Skandalisierende Medienberichte über Migrantengangs evozieren solche Controlling Images gefährlicher fremder Männer, deren Sozialisation eine von Ehrvorstellungen geleitete Männerwelt sie in die Delinquenz treibt. Auch die Konstruktion des jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers in der bundesdeutschen Debatte kann als Controlling Image gelesen werden. Für die folgende Argumentation gehen wir davon aus, dass es sich bei dem Stereotyp im bundesdeutschen Diskurs um ein vergeschlechtlichtes und ethnisiertes Bild handelt – dass also sowohl Geschlecht als auch Ethnisierung für dieses Bild zentral sind und sich in konkreten sozialen Verhältnissen manifestieren. Auch Scheibelhofer zufolge vermengen sich hier die Annahmen über die gefährlich fremde Männlichkeit mit einem spezifischen Klassendiskurs: »So wird die prekäre soziale Lage vieler MigrantInnen und ihrer Kinder oftmals zwar erwähnt, jedoch nicht, um diese Situation zu kritisieren und Strategien der Betroffenen nachvollziehbar zu machen. Vielmehr wird Armut und Prekariat im Sinne eines Diskurses um ›dangerous classes‹ (vgl. Morris 1994) als zusätzliches Gefahrenpotenzial aufgefasst, durch das die gefährlichen Eigenschaften fremder Männlichkeit verstärkt werden (vgl. Haritaworn 2009: 58)« (Scheibelhofer 2010: 8, Hervorhebung im Original). Die Faszination mit dem konstruierten türkisch-muslimischen

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Übermann beschreibt Scheibelhofer als geprägt durch die Ambivalenz von Abscheu und Begehren, ähnlich wie sie auch im Zusammenhang mit rassistischen Konstruktionen Schwarzer Männlichkeit erklärt werden (Collins, Hall), doch statt dem starken Bezug zu Hypersexualität eher im Sinne einer »ungebrochenen männlichen Herrschaft«: »Vordergründig spricht dieser Diskurs […] von der Notwendigkeit, Souveränität wiederzuerlangen, um wieder ›Herr im Haus‹ zu werden. Sei es im Kampf der Kulturen auf globalem Niveau oder im harten integrationspolitischen Durchgreifen gegen Migranten und ihre Söhne im ›Westen‹« (Scheibelhofer 2010: 9). Spezifische Geschlechterkonstruktionen werden hier als integraler Bestandteil antimuslimischer Fremdkonstruktion gedeutet, die Bilder von »autark-patriarchaler Kultur« und einer »gefährlich-fundamentalistischen Religiosität« bedienen. »Türkisch-muslimische Männer« werden so unter Generalverdacht gestellt und ihr Zugang zu »patriarchalen Dividenden« (Connell, vgl. den Beitrag von Malte Goßmann in diesem Band) erschwert. »Auf Basis dieser kulturalisierenden Fremdkonstruktion kann über die problematische Männlichkeit der Fremden gesprochen werden, ohne dass damit gleichzeitig normative Männlichkeit und die Privilegien, die damit verbunden sind, ebenfalls ins Rampenlicht rücken. Diese Strategie legitimiert Marginalisierung und immunisiert herrschende Ungleichheitsverhältnisse vor kritischer Reflexion, während ›türkisch-muslimische Männlichkeit‹ als dekontextualisiertes Problem thematisiert und regiert werden kann« (Scheibelhofer 2010: 16). An der Konstruktion einer Fremden Männlichkeit und den damit einhergehenden Diskursen sind unterschiedlichste Artikulationen und auch Institutionen beteiligt: sowohl staatliche, mediale, sozialwissenschaftliche ebenso wie: (pop)kulturelle. Die produzierten Bilder schaffen durch Legitimation und Marginalisierung konkrete soziale Realitäten; sie sind bestimmt durch Fremd- und Selbstbeschreibungen, Identifikationsangebote und Sprechpositionen. Sie »stehen den Personen, über die sie sprechen nicht äußerlich gegenüber, sondern als Teil einer sozialen Realität, mit der sie sich auseinandersetzen müssen. Sie sind produktiv in dem Sinn, als sie von jenen, über die sie sprechen, aufgegriffen und konfrontiert werden« (Scheibelhofer 2010: 17). Das Bild einer gefährlichen, fremden Männlichkeit kann so genutzt werden, um sich Gehör zu verschaffen. Ethnisierungen von Männlichkeitskonstruktionen müssen dabei, so Scheibelhofer, als dialektische Prozesse erkannt werden, die zu spannungsreichen und widersprüchlichen Aushandlungsprozessen führen. Rassistische Zuweisungen

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können zum Ausgangspunkt für Selbstbehauptung werden. Wir gehen davon aus, dass Rassismus gerade (sub-)kulturell höchst produktiv ist. Im Gangsta-Rap, ebenso wie in den im Folgenden beschriebenen Artikulationen, wird der Stereotyp des jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers aufgegriffen und (re)produziert, aber auch verweigert und neu bewertet. Die einzelnen Artikulationen darum und (Re)Produktionen dieses Bildes verstehen wir als Prozess und umkämpftes Feld, weil hier Fragen von (kultureller) Hegemonie verhandelt werden. »Integrationsverweigerung« Alle (Artikulationen) wollen in den Mainstream. Zumindest im HipHop ist es anerkanntes Ziel, ins System rein zu kommen. Das Verhältnis von Subkultur und Popkultur ist traditionellerweise eher schwierig und hat im HipHop eine besondere Geschichte. Anders als in anderen Subkulturen stellt das Entern des Mainstreams die künstlerische »Authentizität« nicht automatisch in Frage. Der Rapper Torch formuliert das in einem Interview: »Die Punks wollten aus dem System raus und die anderen Jungs (Anm.: HipHopper) wollten ins System rein. Das ist ja ein Riesenunterschied. Die Punks wollten ein System abschaffen, wo die anderen nicht mal drin waren [...]« (Torch in Menrath 2003: 223). Menrath erklärt, dass im HipHop Identität weniger destabilisiert werde und verweigert, sondern eine Identitätsposition überhaupt erst einmal zu erlangen Ziel sei. Ein System werde demnach »an der Stelle bekämpft, wo es eine eigene, selbstbestimmte Identität unmöglich macht« (Menrath 2003: 223). Marginalisierte Positionen sollen sichtbar gemacht und die Performativität von Identitäten denkbar werden. Menrath beschreibt eine Bewegungsperspektive gegenüber der Main-stream-Gesellschaft: »Die Perspektive der Bewegung hat [...] die Vorstellung vom ›Gegen-Modell‹ der Subkulturen abgelöst. Die Prozesshaftigkeit des Minderheitendaseins gilt nun als maßgebliches Charakteristikum von Minderheiten. Eine Minorität hat kein Modell, sie ist ein Prozess. Die HipHopper als Minorität theatralisieren ihre Beziehungen zur Majorität und geben dieser Beziehung eine performative Dimension« (ebd.: 237). Die Mehrheitsgesellschaft spricht von »Integrationsverweigerung« und zieht Bushido stellvertretend für das oben beschriebene Subjekt als Beispiel heran. Bushido könnte – zum Beispiel ökonomisch – auch als Musterbeispiel für gelungene »Integration” verhandelt werden. Immerhin ist er derjenige

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Megastar, der den ddeutschen Gangsta-Rap weit in den Mainstream gebracht hat – als Krönung seiner Karriere dann »Zeiten ändern dich« in der Bernd-Eichinger-Produktion (vgl. Seeliger/Dietrich in diesem Band). Volkan kommentiert: »Bushido hat ja auch mit dem Film nochmal was richtig Mainstream mäßiges gemacht. Ich mein, mit Bernd Eichinger ist man dann auch nicht mehr besonders kredibil. Das ist Gangsterfilm auf dem Niveau von Schwarzwaldklinik. Das ist halt absoluter Mainstream, damit kann sich keiner von der Straße mehr identifizieren. Weil er hatte ja jede Option: er hätte auch mit Fatih Akin einen Film machen können. Aber er wollte nochmal voll im Mainstream ein Zeichen setzen. Aber dann ist es auch vorbei, mit der Kredibilität. Weil wenn etwas zu Mainstream ist, dann zieht der Untergrund irgendwann nicht mehr mit.«

Damit landen wir mitten in der Integrationsdebatte. Kluge und ausführliche Analysen sowie Positionierungen finden sich an anderer Stelle, zum Beispiel bei Böcker, Bojadžijev, Attia oder – in direkter Reaktion auf Sarrazin im »Manifest der Vielen« (Szegin: 2011). Böcker erklärt die deutsche Sprache zum Hauptschauplatz der Integrationsdebatte und versteht dies als Verweis auf die De-thematisierung rassistischer Machtverhältnisse. Worte wie »Integrationsverweigerung« oder »-unwilligkeit« evozieren machtvolle Assoziationen: »Integration« wird mit Defizitzuschreibungen verknüpft und als Problem an jene verwiesen, die sich integrieren »sollen«. Die Dominanzgesellschaft verortet in derselben Logik Kompetenz bei sich, zum Beispiel über »Integrationsbeauftragte«, »-gipfel« etc. (Böcker 2011: 352). Auch Scheibelhofer sieht eine Diskursveränderung: Kreiste die Debatte um Integration früher um Arbeitsverhältnisse, Stichwort »Gastarbeiter«, Wohnsituation oder Gesundheit, so liegt der Fokus heute auf Kultur, Differenz und Integration (Scheibelhofer 2010: 4). Aus der Integration ist eine kulturelle Integration geworden – und dabei eine individuelle Leistung. Diese Zentrierung der Debatte auf »Kultur« lässt soziale, strukturelle, politische Komponenten des Integrationsbegriffs in den Hintergrund rücken (vgl. Böcker 2011: 356). Wir gehen davon aus, dass es in der Integrationsdebatte immer um Ethnisierung und immer auch um Geschlecht und Klasse geht. Die Diskurse vermischen sich und manifestieren sich in der Lokalität von sogenannten Problembezirken wie Kreuzberg oder Neukölln. Wie wenig trennbar diese Kategorien sind, erzählt uns auch Volkan T. im Interview. Er

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stellt hier auch die Frage danach, von wo Radikalität eigentlich ausgeht. Wer bedroht hier wen? »Ist ja so in der Integrationsdebatte. Alle Leute hier auf der Straße werden wie Tiere wahrgenommen. Ihnen wird jegliche Bildung, Intelligenz, was auch immer abgesprochen. Die werden dann halt so dargestellt, als wären es die letzten Tiere und man müsste die erziehen, heranziehen und so. Das ist aber ein Problem von den Medien. Sarrazin zum Beispiel: Sarrazin arbeitet mit bestimmten Schlagworten. Ich kann mich erinnern, wenn du vor 20 Jahren solche Schlagworte benutzt hättest in Deutschland, dann wäre es ein weltweiter Skandal gewesen, aber heute ist die Radikalität so im Mainstream angekommen, dass die Leute sich gar nicht bewusst machen, was sie da sagen. Ein Freund hat das mal mit der Reichskristallnacht verglichen, hier wird ja wirklich auf eine Gruppe massiv Druck ausgeübt und dann ein Stereotype produziert. Also Bildung, die haben keine Bildung. Für mich ist das Propaganda. Und viele Rapper lassen sich dafür benützen.« (Volkan T.)

K ULTUR , R ASSISMUS ... Wir gehen davon aus, dass in der hier problematisierten Debatte statt über Rassismus über »Integration« gesprochen wird. Bereits 1998 findet sich im Manifest von Kanak Attack: »Der Rassismus artikuliert sich in Deutschland gegenwärtig vor allem in kulturalistischer Form. Wie in anderen europäischen Ländern bietet der Islam eine Projektionsfläche für unterschiedliche Rassismen [...]«

Was heißt kulturalistischer Rassismus? Dieser Neo-Rassismus kann als »Rassismus ohne Rassen« (Hall 1989: 7) bezeichnet werden. Sein beherrschendes Thema ist nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen: Er behauptet, die verschiedenen Lebensweisen seien miteinander unvereinbar. In diesem essentialistischen statt historisch bedingten Kulturverständnis wird, nach Hall, »Rasse« durch »Kultur« funktional ersetzt – statt von »genetischem Mangel« sei von einem »Kulturdefizit« die Rede. Unter bestimmten Voraussetzungen spielten dann Unterschiede in der »Sprache, Hautfarbe, den Gewohnheiten, der Religion, der Familien, den Verhaltensweisen, den Wertesystemen doch

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eine große Rolle« (ebd.: 12). Rassismus möchten wir hier verstanden wissen als ein produktives Unterdrückungsverhältnis, das heißt, die Strategien des Umgangs damit sind vielfältig. Terkessidis spricht in diesem Zusammenhang von einem Prozess der »Subjektivierung« als genuiner Leistung und individueller Arbeit am kulturellen Unterschied, die nicht gesehen wird, weil die »deutsche Norm« gesetzt ist. Rassismus bringt eine Gruppe hervor, die als Abweichung subjektiviert wird und sich gleichzeitig in der Abweichung subjektiviert (vgl. Terkessidis 2004: 154). Aber die Betroffenen sind nicht ausgeliefert, sondern verhalten sich. Gleichzeitig ermöglicht Rassismus, Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern. Er bringt eine soziale Gruppe in Opposition zu einer anderen, ihr untergeordneten Gruppe hervor: Er konstruiert »den Anderen«. Rassismus liegt also vor, wenn eine ausgrenzende Mehrheitsgruppe die Macht besäße, eine Minderheit als nicht »normal« oder »anders« zu definieren und sie in ihren Lebensbedingungen zu benachteiligen (vgl. Hall 1989: 12ff.). Wichtig dabei ist, dass dieser Rassismus, kulturell artikuliert, sich dennoch in sozialen Ausschließungspraxen manifestiert. Das heißt, er hat Auswirkungen auf sozio-politische Strukturen ebenso wie auf Alltag und Lebensrealitäten Geanderter. Wichtig für die vorliegende Argumentation ist weiterhin, bei aller Nähe, die Unterscheidung der Begrifflichkeiten »kulturalistisch«, »Kultur« als Sphäre und »kulturelle Artikulationen«. Ein sich kulturalistisch artikulierender Rassismus bezieht sich nicht (nur) auf die Sphäre der Kultur, sondern benutzt Kultur und Werte, um einen rassistischen Diskurs und damit Ausschließungspraxen zu begründen. Andersherum sind kulturelle Artikulationen in der Sphäre der Kultur zu verorten, wirken aber darüber hinaus. ... und Bedrohung: Claim the Stage! In Talkshows und Pressezitaten wurde deutlich, was in der Debatte seit Jahren dominiert und mit Sarrazin mehr als salonfähig wurde: Wer als Subjekt der Bedrohung gelten soll. Das bildlich konstruierte Bedrohungsszenario um den Stereotyp des Jugendlichen mit Hintergrund wurde oben in seiner herrschaftsstabilisierenden Funktion besprochen. Gleichzeitig besteht, zumindest in Sachen Gangsta-Rap, mehr oder weniger Einigung darüber, was bedroht wird: »Das Drohpotenzial, das diese Kultur von unten für die Majorität entfaltet, liegt weniger in der obszönen Sprache als in der Ungewissheit ob hier Werte der Zukunft generiert werden« (www.Zeit.de vom

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2.5.2008: http://bit.ly/fmfpnE, 25.7.2011). Die vielzitierten »westlichen Werte« stehen ebenso zur Disposition wie die ddeutsche »Leitkultur« oder die Stellung der westlich-emanzipierten Frau. Andersherum können u.E. (sub-)kulturelle Artikulationen »bedrohlich« für den (kulturalistisch) rassistischen Konsens sein: Die Artikulation zu diesem Bild – meist durch das hegemonial als bedrohlich konstruierte Subjekt – bedeutet in der Aneignung auch die Definitionsmacht über eben jene herrschaftsstabilisierenden stereotypischen Bilder. Kurz: die stereotypisierte Gruppe der Jugendlichen mit Hintergrund ist am »bedrohlichsten«, wenn »sie« sich artikuliert. Hier sollen nun Inhalt und vor allem Form dieser ›Bedrohlichkeit‹ konkretisiert werden. Wir nehmen an, dass die Bedrohung, wie sie sich aus den hier vorgestellten (sub-)kulturellen Artikulationen ergibt, mindestens eine doppelte Dimension hat: die des Inhalts und die der Form. (Sub-)kulturelle Artikulationen stellen vor dem Hintergrund eines kulturalistischen Rassismus Interventionen auf gleicher Ebene dar. Das heißt, sie lassen sich insofern als »Antworten« konzipieren, als sie sich auf derselben Ebene artikulieren, auf der das Unterdrückungsverhältnis zum Ausdruck kommt. Dabei ist besonders die Schnittstelle zwischen Subkultur und Mainstream interessant. Historisch kam migrantisches Theater in Ddeutschland meist in Form von Kabarett und Komödie an. In den USA hatten »Schwarze« ihre ersten Auftritte in Theatern als Unterhaltung für die Mehrheitsgesellschaft. Am beliebtesten war es, wenn sie dabei über »sich selbst« redeten. Ähnliche »Erfolgs«geschichten finden sich auch in Ddeutschland, wo Film und Fernsehen die Subkultur des »Kanak-Sprak« für die Mainstream-Rezeption kommerzialisiert haben: Comedians wurden früh ins Abendprogramm von Pro7 und Sat1 aufgenommen: »Integration« kann so witzig sein. Im Kino gab es immer auch andere Trends wie etwa das »Kino der Fremdheit«, die »Metissage« oder das transkulturelle und hybride heutige Kino. Migrantisches und postmigrantisches Theater wurde im Gegensatz dazu in der ddeutschen Kunstszene weniger ernst genommen, so dass es keine Wurzeln schlagen und sich entwickeln konnte (vgl. Vortrag Oliver Kontny vom 12.5.2011 Universität Potsdam). Den Mainstream mit oder trotz eigener Definitionen bezüglich Inhalt und Form zu entern, kann rassistische Mechanismen und Hierarchisierungen herausfordern. Denn der Rassismus, von dem wir hier ausgehen, beruht ja auf Zuschreibungen, der Konstruktion des Anderen und Kategorisierungen. Hall beschreibt Hochkultur beziehungsweise »dominant culture« als

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umkämpftes Feld: »(..)There is a continous and necessarily uneven and unequal struggle, by the dominant culture, constantly to disorganize and reorganize popular culture; to enclose and confine its definitions and forms within a more inclusive range of dominant forms. There are points of resistance; there are moments of suppression. This is the dialectic of the cultural struggle« (Hall 2002: 187). Im Juni dieses Jahres titelt die BZ: »Bushidos neues Leben. Berlins Skandal-Rapper hat sein Glück im Grünen gefunden – mit Freundin, Mutter und seinen drei Labradoren« (BZ vom 5.6.11). Nach »Zeiten ändern dich«, also nachdem Bushido wohl am offensivsten einen Platz im Mainstream eingenommen hatte, wird er ab und an als der »weiche Kerl« vorgestellt – in der Betonung seines Werdegangs vom »harten Kerl zum netten Herrchen« zeigen sich einmal mehr die von Dick Hebdige analysierten systemerhaltenden Mechanismen zum soziopolitischen Umgang mit Subkultur. Hebdige zufolge gibt es zwei Möglichkeiten des Umgangs mit provokanten Subkulturen. Zum einen kann die »Andersartigkeit« des revoltierenden Subjekts betont und dessen Bedrohlichkeit thematisiert werden. Dabei findet allerdings gleichzeitig eine Verortung als »außerhalb« der gesellschaftlich konsensualen Werte statt, die gewährleistet, dass eine Infragestellung eben dieser nicht provoziert wird. Eine zweite, und oft sukzessive, Möglichkeit ist die der Trivialisierung und Vereinnahmung. Dabei werden die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen der jeweiligen Subkultur und ihrer Akteur_innen mit dominanten Werten und Normen betont. Hebdige zitiert als Beispiel den Umgang mit Punk in Großbritannien, der, nach der Verteufelung, in Zeitungsgeschichten rund um das Motto »auch meine Tochter ist Punkerin« kreisen: Punk wird zur family affair. Auch die von uns befragten Kultur-Schaffenden handeln den Kulturbegriff aus: Was ist Sub- und was Hochkultur? Sie gehen mit Kultur(begriffen) um; alle drei sprechen von der »Intervention in den »hochkulturellen Mainstream«. Allen ist dabei vor allem der explosive Charakter des Mainstream-Kaperns bewusst. Erfahren wird dies über Zuständigkeiten und zugeschriebene Thematiken, die immer auch mit der Vergabe von Ressourcen einhergehen.

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V ON G ANGSTA -R APPERN , O RTHOPÄDEN UND ANDEREN P ROVOKATEUREN Anmerkungen zur Empirie HipHop haben wir in den 90ern kennen und lieben gelernt. Neukölln und Berlin ist unser Zuhause. Die hier besprochenen Häuser und Stücke kennen und mögen wir. Wir finden, dass sie eine Menge beizutragen haben zu der Debatte um Gangsta-Rap, die uns so aufstößt. Die ausgewählten Stücke haben wir vor dem Hintergrund des jeweiligen Theaters konzeptionalisiert. Unsere Perspektive ist dabei keine einer Theaterkritiker_in, sondern konzentriert sich auf die politische Message der jeweiligen Artikulation. Wir möchten herausfinden, was vor der Negativfolie der beschriebenen Debatte sichtbar wird. Dabei heben wir bestimmte Aspekte hervor und andere nicht. Und manches ist (auch) Zufall: Dass wir »ArabQueen« als bestes Beispiel für »Affirmative Reading« darstellen, wird verstärkt durch die weiter unten beschriebene Anekdote mit Sarrazin, die unsere eigene ist. Die Nähe zu den Häusern half uns ebenso wie die persönlichen Verbindungen, Interviews führen zu können. Gesprochen haben wir mit Leuten, an denen wir aufgrund der Schnittstellen, an denen diese arbeiten, und aufgrund ihrer eigenen Artikulationen am meisten Interesse hatten. Fast sicher, dass der Zusammenhang zwischen Bushido bei Kerner und »Verrücktes Blut« im Ballhaus eine typische akademische Kopfgeburt sei, die wir den Interviewpartnern erst einmal (schwitzend) erklären müssten, war die größte Überraschung, dass jeder der drei das lange vor uns in Verbindung gebracht hatte: Alle spiegeln uns völlige Klarheit über den Zusammenhang der Besprechung von ddeutschem Gangsta-Rap und ihren Artikulationen und/oder Häusern. Also haben wir uns an den Versuch gemacht, das aufzuschreiben. Die Interviews haben wir in Gesprächsform und ohne Leitfaden geführt. Lediglich die Fragen nach Bushido waren fest und ergaben sich aus der Vorstellung unseres Projektes zu Beginn des Gesprächs. Zwei der drei Interviewpartner gaben ihr Einverständnis zur Aufzeichnung, so dass wir danach transkribieren konnten. Im Folgenden werden nun jeweils kurz die Häuser mit ihren Konzepten vorgestellt, gefolgt von den Stücken/Artikulationen und den interviewten Kulturschaffenden.

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Ballhaus Naunynstraße Unter der künstlerischen Leitung Shermin Langhoffs und der Schirmherrschaft Fatih Akins wurde das Ballhaus Naunynstraße 2008 als translokales Theater im Herzen von Kreuzberg 36 neu eröffnet. Im Selbstverständnis beschrieben als »Kristallisationspunkt für KünstlerInnen sowie BesucherInnen migrantischer und postmigrantischer Verortung und weit darüber hinaus« (http://bit.ly/oNprhe, 25.7.2011). Unter dem Dach des Ballhauses befindet sich seit 2004 auch die »Akademie der Autodidakten«. Sie hat das Ziel, »jungen begabten migrantischen KünstlerInnen«, meist ohne akademische Ausbildung, Zugänge zur Kulturproduktion, insbesondere zum Theater zu verschaffen (http://bit.ly/qtW9PI, 25.7.2011). Volkan T., mit dem wir das Interview führten, leitet die Musikworkshops der »Akademie der Autodidakten« und inszeniert am Ballhaus. Das Haus ist, allen voran mit dem Stück »Verrücktes Blut« (2011), das hier besprochen wird, in den großen bundesdeutschen Medien angekommen. Aus unserer Perspektive spielen sowohl die Lokalität als auch das Konzept, »postmigrantisches« Theater zu machen, eine Rolle in der Anschlussfähigkeit des Hauses an den oben skizzierten Diskurs. Das heißt: Das Ballhaus macht gesellschaftskritisches Theater. Denken wir. Warum jubelt dann die »Bild«? »Post-Migration« als Konzept Als identitätsverlustige Opfer sieht man (sich) zwischen den Stühlen sitzen ... behaglich, lauernd, hoffnungslos, stolz, grübelnd, sprungbereit ... Zugegeben, immer auf der Suche nach einer Heimat, die nicht minder rätselhaft ist. Es sei denn, man definiert sie so konkret, dass ihre Pflege dadurch einfacher wird. Zum Beispiel als einen Zwischenraum postmigrantischer Erfahrungen, die regelrecht danach schreien, erzählt zu werden ... wohlwollend und wissend, dass es keine Identitätskrisen gibt, sondern Identität an sich die Krise ist. (beyond belonging III: almanci! Deutschländer!)

Bezeichnungen wie »Gastarbeiter«, »Ausländer_innen«, »ausländische Mitbürger_innen«, »Menschen mit Migrationshintergrund« und nun auch »mit Migrationserfahrung« sind Kategorisierungen. Die Subjekte, die damit benannt werden, bewegen sich zwischen Fremd- und Selbstbeschreibungen. Der Begriff Postmigration ist nun ein (Gegen-)Entwurf in Sachen Identität,

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den sich das Ballhaus Naunynstraße zum Konzept gemacht hat. Sogenannte post-migrantische kulturelle Artikulationen beziehen sich auf Perspektiven und Geschichten derer, die selbst nicht mehr migriert sind, den Migrationshintergrund aber als Wissen mitbringen. Shermin Langhoff erklärt in einem Interview im Frühjahr 2009: »Labels sind immer so eine Sache. Auf den Begriff ›Postmigration‹ kam ich vor 10 Jahren im Kontext anglo-amerikanischer Literatur. Mir erschien es logisch, dass Geschichten der zweiten und dritten Generation mit Migration umgehen, dabei aber erzählt werden von Menschen, die selbst keine persönliche Erfahrung darin haben und deswegen auch anders gelabelt werden sollten. Postmigration erschien mir als ein geeigneter Begriff. Postmigrantische kulturelle Produktionen gehen über migrantische hinaus.« (Langhoff 2011 aus Vortrag Kontny, Übersetzung durch Aut.)

Volkan T. erklärt zum Begriff Post-Migrant: »Ich benutze den Begriff (Post-Migrant) nicht so gerne, weil ich denke, dass das mit der Migrantensache komplett aufhören muss. Bei Interviews sage ich immer, dass Migrant ja heißt von wo anders herkommen. Ich bin in Tauberbischofsheim geboren, dann nach Frankfurt gegangen, dann nach Berlin. Das liegt alles in Deutschland, sage ich immer. Dann bin ich eigentlich Deutscher auf eine Art und Weise. Aber Post steht für Nach. Das heißt dann eigentlich Nach-Migranten. Positiv ist, dass die Suche nach einem neuen Begriff stattfindet, statt Migrant. [...] Wobei diese ganzen Begrifflichkeiten sind Kacke. Dann sollen die Leute mich doch lieber Kanake nennen, das ist richtiger als Migrant oder Ausländer.«

Labels greifen bestimmte Merkmale oder Kategorien auf und entscheiden somit zuerst über Anschlussfähigkeiten. Sie stehen immer auch in der Gefahr, Zuschreibungen zu reproduzieren oder zu verschleiern. Obwohl Volkan T. die Bezeichnung »Post-Migrant« als »positive Suche nach einem neuen Begriff« beschreibt, nimmt er selbst Abstand davon und kritisiert Begrifflichkeiten im Allgemeinen. Wichtiger als das, wie etwas benannt wird, erscheint, was dahinter steht. Auch eine positiv gedeutete SelbstBeschreibung als »Nach-Migranten« beinhaltet noch den Bezug zu Migration, und genau diese ständige Festschreibung auf die »Migrantensache« möchte Volkan T. überwinden.

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Verrücktes Blut Die Schauspieler_innen betreten die Bühne wie einen Boxring, stellen sich frontal zum Publikum in einer Reihe auf, rotzen, posen und provozieren lautstark. Eins der Mädchen trägt ein Kopftuch, die Jungs – sehr stereotyp inszeniert – fassen sich während ihrer Drohgebärden immer wieder in den Schritt. Diese Jugendlichen mit Hintergrund gehen im imaginären Klassenzimmer aufeinander los, schreien sich an, beleidigen und prügeln sich. Dieser Schulwahnsinn scheint alltäglich und nimmt auch kein Ende, als die Lehrerin Frau Kelich das Klassenzimmer betritt. Den Arm voller kleiner gelber Reclam-Heftchen verkündet sie, dass man sich heute mit Friedrich Schillers ›Die Räuber‹ beschäftigen werde. Sie geht im allgemeinen Geschrei und Chaos unter. Eine abrupte Wendung nimmt das Geschehen, als eine echte Schusswaffe aus dem Rucksack eines Schülers und der Lehrerin in die Hände fällt. Nach kurzem Zögern nimmt Frau Kelich diese Waffe und damit die Situation in die Hand. Unter geladener Pistole zwingt sie nun ihre Schüler_innen die idealistischen Vorstellungen vom klassischen deutschen Theater zu lernen. Was meint Schiller mit »Ästhetische Erziehung des Menschen«? Wie ist der Ehrenmord in »Kabale und Liebe« zu verstehen? Und wie ist die richtige Artikulation des Textes, ganz besonders des schönen Wortes V-E-R-N-U-N-F-T? »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt«, und so spielen die Schüler_innen um ihr Leben. Jede_r einzelne erfährt dabei eine Lektion in deutscher (Leit)Kultur. Am Ende steht die Frage nach dem Umgang mit dem dominanten, gewaltbereiten und sexistischen Tyrannen der Klasse. Was bedeutet es nun, Recht und Ordnung walten zu lassen und welche Strafe ist gerecht? Es sind die Mitschüler_innen, die ihre frisch gelernte Lektion in Sachen Aufklärung umzusetzen wissen. Frau Kelich hätte lieber mit harter Hand durchgegriffen ... Das Stück ist frei nach dem Film »La Journée de la jupe« von 2008 interpretiert und wurde am 2.9.2010 im Rahmen der Ruhrtriennale uraufgeführt. Wer bedroht hier wen? Das eingangs beschriebene Bedrohungsszenario der Mehrheitsgesellschaft durch vermeintlich gewaltbereite Jugendliche mit Hintergrund wird in dem Stück »Verrücktes Blut« umgedreht. Es ist die Lehrerin, die eine Bedrohungssituation gegenüber ihren Schüler_innen kreiert und das nach bestem erzieherischen Wissen und Gewissen. Die deutsche (Leit-)Kultur soll erfolgreich vermittelt werden, und diesem Zweck dienen alle Mittel. Die tat-

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sächliche Bedrohung hat dabei sowohl eine kulturelle als auch geschlechtliche Komponente. Anhand eines klassischen ddeutschen Textes sollen bestimmte kulturelle Werte sowie das Reinheitsgebot der ddeutschen Sprache erlernt werden. Frau Kelich zufolge werden ihre Schüler_innen nur so von Seiten der ddeutschen Mehrheitsgesellschaft ernst genommen und werden sich selbst ernst nehmen können. Der größte Tyrann und Repräsentant des Bedrohungsszenarios in der Klasse ist ein junger Mann mit Hintergrund. Auch hier materialisiert sich die (kulturelle) Macht im männlichen Körper. Die Jungen unterdrücken die Mädchen und die Mädchen unterdrücken sich selbst. Im Sinne ihrer Vorstellung von Geschlechtergleichheit und sexueller Befreiung zwingt Frau Kelich eine Schülerin, ihr Kopftuch abzunehmen. Nach einigem hin und her: »Du bist unterdrückt.« »Nein, bin ich nicht.« »Doch, du bist unterdrückt...«

legt die Schülerin ihr Kopftuch schließlich ab. Frau Kelich erscheint also auch als Verteidigerin und Verfechterin geschlechtlicher Gleichberechtigung und der Emanzipation der Frau. Die Resonanz auf »Verrücktes Blut« war groß: Nach der Premiere bei der Ruhrtriennale in Duisburg war das Stück auf dem Münchner Festival Radikal jung, im Theater Freiburg, auf dem Heidelberger Stückemarkt, dem Berliner Festival Auawirleben, den Mülheimer Theatertagen und auf dem Berliner Theatertreffen als eine der zehn »bemerkenswertesten Inszenierungen« zu sehen. Weit über subkulturelle Printmedien hinaus hat das Stück von Nurhan Erpulat den Sprung in den Mainstream geschafft und wird hochgelobt: »Verrücktes Blut ist das Stück der Stunde: ein Spiel, das mit sozialem Sprengstoff jongliert und dabei sein Vorbild, den Film ›La Journée de la Jupe‹ von Jean-Paul Lilienfeld, nach dem der Regisseur Nurkan Erpulat und der Dramaturg Jens Hillje die Geschichte von der Banlieu nach Berlin verlegen, weit hinter sich lässt«, schreibt Andreas Rossmann in der FAZ (http://bit.ly/nyIZHZ, 25.7.2011). »Kritischer« bemerkt das Kulturradio Ddeutschland: »Man könnte, man kann, viele Einwände haben, im Einzelnen wie im Ganzen. Dass da gar zu lässig Völkerball mit Klischees gespielt wird« (http://bit.ly/o2SdjX, 25.7.2011). Die BILD hingegen ist sich sicher: »Atemberaubender, heiterer, klüger kann ein Theaterabend

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nicht sein« (http://bit.ly/nyIZHZ, 25.7.2011). Volkan T. beschreibt, wie die Presse das Stück häufig missverstanden hat: »Hätten wir nie gedacht, dass soviel darüber berichtet wird in so kurzer Zeit. So ein Hype. Aber viele schreiben natürlich Müll und verstehen das Stück nicht oder verstehen Sachen falsch. Als bestes Beispiel: ›Verrücktes Blut‹ ist ein Stück für das deutsche Bürgertum. Die Lehrerin macht am Schluss radikale Bemerkungen, aber das ist den Leuten gar nicht bewusst, weil die Medien auch die ganze Zeit die radikalen Sachen sagen; die eben vor einigen Jahren gar nicht sagbar waren. Eigentlich sind in diesem Stück nicht die Jugendlichen die Gefahr, sondern die Lehrerin. Die Medien sind so radikalisiert. Das ist die Gefahr.« (Volkan T.)

Volkan zufolge wird in der Inszenierung eigentlich dem »deutschen Bürgertum« der Spiegel vorgehalten, was weder vom Publikum noch der Presse unbedingt so verstanden wird. Mit Klischees wird gespielt, und Erwartungen werden produziert, um diese dann zu brechen. Frau Kelich verkörpert das weibliche Subjekt westlicher Emanzipation und Verfechterin einer ddeutschen Leitkultur. So wie sich die pöbelnden Jugendlichen mit Hintergrund am Ende für Toleranz aussprechen, bleibt auch ihre Figur nicht einheitlich und dem Klischee entsprechend. Durch einen türkischen Satz erfährt die Zuschauerin über den Migrationshintergrund von Frau Kelich: Auch sie ist eine Post-Migrantin. Die Gegenüberstellung der »Mehrheitsgesellschaftlerin« und »Anderen« erfährt spätestens an dieser Stelle einen Störmoment und funktioniert nicht mehr reibungslos. Die einfache Spiegelung ist nicht möglich, Identitäten werden der Zuschauer_in vielmehr als hybride präsentiert. Das Ballhaus selbst beschreibt das als »lustvolle Dekonstruktion aller vermeintlich klaren Identitäten« (http://bit.ly/qpxGHh, 25.7.2011). Volkan T.: »Sprich deutsch oder stirb«  »Volkan T. gilt mit als einer der Wegbereiter für den türkischen HipHop in Deutschland und in der Türkei« (http://bit.ly/mPgZDR, 25.7.2011). Er erlebte die Entstehungsgeschichte von türkischem HipHop in Ddeutschland und in der Türkei aus nächster Nähe. Volkan rappt selbst und ist Mitbegründer des Musik-Labels Ruffmix Recordings. Mit seinem Partner Toby Dope veröffentlichte er Stücke für verschiedene Theateraufführungen und

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Filmsoundtracks. Unser Interview mit ihm fand an einem Morgen mit Kaffee in seinem Büro unterm Dach des Ballhauses Naunynstraße statt. 100 % deutsche Kartoffel Der »Kartoffel-Clip« ist eine Fake-Werbung und Student_innenprojekt der Filmhochschule für Film und Fernsehen. Im Clip sieht man Volkan T. im Kapuzenpulli und mit voll tätowierten Armen durch eine PlattenbauSiedlung gehen. Junge Männer mit Hintergrund, zum Teil mit Äxten bewaffnet, laufen mit schnellen, festen Schritten, springen über Zäune. Sie treffen sich, umringen Volkan, der rappt: »Ich zerquetsch Dich, Du Kartoffel. Die Zeit ist reif, ich werde nicht mehr warten. Opfer begreif: Ich hol dich aus dem Garten. Ich werde Dich klatschen, zerfetzen, zerquetschen« (http://bit.ly/o626zz, 25.7.2011). Die jungen Männer posen in die Kamera, springen ins Bild oder zeigen sich mit harten Gesichtszügen und Händen in den Taschen. Der Kartoffel-Clip gewann auf dem 13. Mannheimer Werbefestival »Spotlight« den Publikumspreis in Silber und den Jurypreis in Bronze. Sowohl in den Medien als auch in Internet-Portalen und Blogs löste er eine breite Diskussion aus. Nicht zuletzt hagelte es rechtsradikale Parolen und Anfeindungen von Seiten der rechten Szene. Im Zuge der Kontroversen und des großen öffentlichen Interesses distanzierte sich die Firma Pfanni offiziell »aufs Schärfste« von »diesem Werbespot«. Der KartoffelClip und auch Volkans Rap-Texte (Album: Sprich deutsch oder stirb, 2008, Label: Ruffmix Recordings) arbeiten mit Provokation und beziehen sich auf das beschriebene Bedrohungsszenario der Mehrheitsgesellschaft durch den Stereotyp des jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers. Volkan, der zu Beginn des Interviews erzählt, dass er zurzeit an seiner Magisterarbeit über die Black-Metal-Szene in Berlin schreibt, erklärt dazu: »Ich kann für mich sagen, dass ich Stereotypen benutze, um zu provozieren. Ich nehme da generell kein Blatt vor den Mund; zum Beispiel ›sprich deutsch oder stirb‹. Nur durch Provokation verschafft man sich erstmal Gehör. Und dann, wenn mich die Leute später reden hören, denken sie sich, der sagt ja eigentlich ganz gute Sachen. Aber nur durch Provokation verschaffst du dir Gehör. So ist das auch bei Sarrazin. [...] Ohne die Schlagwörter wäre er nie in die Bild gekommen und das Volk hätte sich einen Scheiß darum geschert. Ich bin so ein Typ, der eigentlich genauso arbeitet. Deshalb ist Radikalität extrem wichtig, für Gehör und für den Fokus.«

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Volkans Strategie ist also Provokation. Das mehrheitsgesellschaftliche Bedrohungsszenario wird im Kartoffel-Clip verbildlicht: Der Migrant zerquetscht die deutsche Kartoffel mit einer Hand. Wir lesen darin das stereotypisierte Bild des jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers als Bezugspunkt: Das Szenario wird zwar reproduziert, aber darin auch übertrieben und ironisiert. Somit wird auf die Konstruiertheit dieses Stereotyps verwiesen. Ähnlich wie bei »Verrücktes Blut« wurde in der öffentlichen Rezeption die Ironie der Fake-Werbung oftmals nicht als solche verstanden. Wir fragen uns: Ab wann ist Ironie und Provokation als solche lesbar? Und – ob sie nun lesbar sein möchte oder nicht, einmal dahin gestellt – was ist, wenn Ironie nicht oder falsch verstanden wird? Outro Laura: »Ist Bushido dann auch radikal, weil er provoziert?« Volkan: »Vielleicht ist das für jemand aus der Szene gar nicht radikal, aber für andere Leute. Jeder hat seine eigene Auffassung von Radikalität. Aber ich denk mal nicht. Weil tatsächlich radikale Leute kommen nicht in den Mainstream.« Anne: »Und was ist mit Stereotypen?« Volkan: »Ja, außer sie passen in Stereotypen, weil die wirklich radikalen Leute kommen nicht in den Mainstream und kriegen nicht mal Airplay. [...] So Leute wie Bushido bezeichnet man als Studiogangsta. Weil als Gangsta bezeichnet man einen Outlaw. Die kann man dann nicht kontrollieren, das darf man nie vergessen. [...] Die Medien arbeiten mit Stereotypen und haben ein vorgefertigtes Bild. Mich würden sie nicht einladen, weil die dann merken: ›das ist überhaupt nicht der Typ, den wir eigentlich suchen‹ – so arbeiten die Medien. Bushido nutzt das für sich.«

Heimathafen Neukölln: Volkstheater für Neukölln »Berlin hat wieder Volkstheater« – war der Slogan, mit dem der Heimathafen Neukölln 2007 angetreten ist. »Der Heimathafen Neukölln will den Themen und Menschen eine Stimme geben, die in unserer Gesellschaft – und auch im Theater – viel zu selten gehört werden. Die Neuköllner Gegenwart und Geschichte stehen dabei im Mittelpunkt.« Das Haus stellt sich damit in eine bestimmte Tradition: »Volkstheater und Neukölln – das gehörte schon immer zusammen. Das frühere Vergnügungsviertel Rixdorf

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vor den Toren Berlins stand für ›einfache‹ Unterhaltung.«8 Der Anspruch, (Bildungs-)Schichten übergreifendes Theater zu machen, spiegelt sich im Spielplan des Heimathafens. Es findet sich dort klassisches Volkstheater, vorgetragen in Ur-Berliner Dialekt neben Stücken, die sich auf »neuere Aspekte« Neuköllns wie Jugend und Gewalt beziehen. Das bedeutet niedrigschwelligeren Zugang für verschiedenes Publikum, eine Bühne ohne Hochkultur-Charakter. So auch die Presse: »Alle Welt redet von Integration – der Heimathafen Neukölln in Berlin lebt sie, ohne große Worte. […] Der Heimathafen zeigt, was Volkstheater heute sein kann.«9 I love Neukölln Der Heimathafen Neukölln präsentiert sich als Kieztheater mit starkem Lokalbezug. Dieser Bezug auf Neukölln ist dabei grundsätzlich positiv. Das Konzept ist ein deutlicher Appell zur positiven Identifikation mit dem Bezirk, und als Merchandising gibt es »I love NK«-T-Shirts und Frühstücksbrettchen. Heute wird das in der Karl-Marx-Straße gelegene Haus in der Presse regelmäßig besprochen – weit über Fachpublikum und Kritiker_innen hinweg. Die Karl-Marx-Straße, in der zum Beispiel Neukölln Unlimited10 spielt, ist wohl neben dem Rütli-Kiez im hier dargestellten Diskurs der meistzitierte Ort. Sinan beschreibt den Bezug auf die (bedrohliche) Lokalität des Heimathafens als etwas in der Berichterstattung Ungeschriebenes: »Gerade neben der Hetzkampagne (Anm. Aut.: auf Neukölln), man hat ein Feindbild gesucht und jetzt eins gefunden. Das ist aber jetzt eine sehr private Meinung ... Ich glaube, es ist beeindruckend, wie oft die Rütli-Schule gezeigt wird [...] Ich mein, es ist doch jetzt nicht so, dass Du da die ganze Zeit denkst, Du wirst abgestochen. Trotzdem, frag irgendjemand in Deutschland, Rütli-Schule kennen sie alle und die denken, wenn Du nur daran vorbei läufst, wirst Du sofort abgeknallt.«

8

http://bit.ly/qcEbTW, 25.7.2011

9

Theater der Zeit, http://bit.ly/nb3Zi1, 25.7.2011

10 Neukölln Unlimited, 96 min.; Agostino Imondi, Dietmar Ratsch (2010): Der Dokumentarfilm erzählt das Leben der Geschwister Lilal, Hassen und Maradona, die seit 16 Jahren um das Bleiberecht ihrer Familie kämpfen. Berlinale 2010: Bester Jugendfilm.

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Den Bezug zur Lokalität Neukölln stellt der Heimathafen auf der einen Seite her: Mit dem »I love NK«-Konzept wird sich positiv auf den medial häufig für negative Schlagzeilen sorgenden Berliner Kiez11 bezogen. Dieser Bezug garantiert eine gewisse Anschlussfähigkeit. Gleichzeitig kann die Berufung auf die problematisierte Lokalität das Haus, seine Inszenierungen und Schauspieler_innen auf stereotype Merkmale festschreiben. Das wird vor allem virulent, wenn migrantische Jugendliche in Neukölln auf der Bühne des Volkstheaters inszeniert werden. Die Neukölln Triologie: Arabboy, Sisters und ArabQueen Im Jahr 2010 und 2011 macht der Heimathafen mit der »Neukölln Trilogie« von sich sprechen. »Arabboy«, »Sisters« und »ArabQueen« spielen im Kiez. »Arabboy« und »ArabQueen« basieren auf den Romanen von Güner Balci. »Arabboy« erzählt die Geschichte von Rashid A., Sohn eines libanesischen Kurden und einer Palästinenserin, der in Neukölln geboren und aufgewachsen ist. Er nennt sich »Arabboy« und entspricht ziemlich exakt dem Bild des gewaltbereiten, jugendlichen Integrationsverweigerers, wie es als Stereotyp Debatten dominiert: Rashids Welt wird bestimmt vom Gesetz der Straße, und er wird, unter Rückbezug auf klassisch männlich konnotierte Überlegenheitsformen, zum Kiezkönig. Sinan Al-Kuri, unser Interviewpartner vom Heimathafen und selbst Schauspieler in »Arabboy«, beschreibt uns die Berichterstattung: »Ehrlich gesagt, mich hat die Berichterstattung genervt, weil die Fragen waren immer nur auf Neukölln bezogen: erst ein paar Alibi-Fragen über das Stück, dann aber gleich zur Gewalt auf den Straßen von Neukölln. Alter, ich bin Schauspieler, was fragst Du mich? [...] Bin ich Sozialarbeiter? Wenn man ein Stück macht, recherchiert man zwar, aber das find ich dann so nervig, dass man als Ausländer über die Ausländer-Problematik befragt wird. Keine Ahnung, ich kenn die alle nicht.«

Und weiter, konkret zu »Arabboy«:

11 Neukölln sorgt als »Problemkiez« für Schlagzeilen. Gleichzeitig finden in Neukölln realpolitische Gentrifizierungsmaßnahmen statt, die mit der üblichen Veränderung des Kiezes in Form von neuen und vor allem vielen Kneipen, Galerien und Cafés einhergeht und Wohnungssanierungen sowie Mietsteigerungen nach sich zieht.

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»Dass die am liebsten auch nur Interviews mit Hüseyin (Anm. Aut.: Hüseyin Ekici spielt die Hauptrolle in »Arabboy«) nehmen, weil der ein bisschen Akzent hat und dann sagen kann: ›Ey, hier hats einer geschafft von der Straße wegzukommen.‹ Ja, ganz toll! Das ist fast immer so.«

»Arabboy« rekurriert sehr deutlich auf stereotype Bilder, wird (deshalb) viel besprochen und die (migrantischen) Schauspieler_innen werden in den vorher vorgestellten Kategorien von Entantwortung und Authentizität diskutiert. Das heißt, sie werden in der Berichterstattung nicht als Schauspieler_innen angerufen, sondern als »authentische« Repräsentanten der Straße. In diesem Akt von Entantwortung wird ihnen Wissen und Lebensrealität zugeschrieben. Anne: »Und bei »Sisters« war das weniger der Fall?« Sinan: »Da war das nicht so, das konnte man viel schwieriger einordnen. Was ist das denn jetzt? Frauengewalt? Das ist mit Ausländern besetzt, wo man aber nicht weiß, ob die Ausländer spielen. Ich glaube, das ist viel schwieriger einzuordnen. Die Presse hat ja immer ihre Überthemen, worüber sie gerade schreibt. Das war wohl schwierig unter irgendeine Überschrift zu fassen.«

»Sisters« »Sisters« dagegen fällt aus diesem Rahmen und erscheint uns in diesem Zusammenhang als das spannende Mittelstück der Trilogie: Die Protagonistin »Claudia«, gespielt von Pegah Ferydoni, kommt aus Charlottenburg und ist gerade nach Neukölln gezogen. Sie organisiert sich gemeinsam mit der (bio-deutschen) »Miriam«, die einen »klassischen« ›white trash‹-Hintergrund hat und deren Mutter als Alkoholikerin einige erschreckende Szenen spielt, in einer Mädchengang. Um als Mädchen endlich ernst genommen zu werden, üben sie körperliche Gewalt aus. Claudias Bruder (gespielt von Sinan) heißt Tom. Für Claudia wiederum, die von Miriam wegen ihres Wohnorts »Charlotte« genannt wird, hat ihr Umzug nach Neukölln den Charakter einer Studie. Aus guten Verhältnissen kommend, reagiert sie aus einem behüteten Umfeld. »Sisters« wird deutlich weniger besprochen als »Arab-boy« und -»Queen«. Die Presse schreibt dazu: »Nicht woher die gewalttätigen Mädchen kommen, interessiert die Regie von Nicole Oder, sondern woher ihre Gewalt kommt. Ein Stück über soziale Unterschiede, aber auch über Gemeinsamkeiten zwischen den viel beschworenen Paral-

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lelgesellschaften, über Formen von Gewalt, die sich hier wie dort finden« (Theater der Zeit 2010, http://bit.ly/oFCAWM, 25.7.2011). Deutlich wird das Othering oder die Konstruktion des_der Anderen in der Berichterstattung, also die Unterscheidung und Gegenüberstellung von »denen« und »uns«: »Hübsch irritierend schon die Besetzung: bis auf die Neuköllnerin Miriam sind alle Rollen von Schauspielern mit Migrationshintergrund besetzt und damit gegen das Klischee. Großartig auch der Einfall, die Schauspieler zwischen ihren Szenen in die erste Zuschauerreihe zu platzieren, was besonders bei Schulvorstellungen klarmacht: Die Protagonisten sind welche von uns« (Zitty 2010, http://bit.ly/oFCAWM, 25.7.2011). Wir nehmen an, dass »Sisters« nur scheinbar anschlussfähig ist an die skizzierten Diskurse. Es geht zwar um Neukölln und (auch) migrantische Jugendliche. Aber keine dieser Kategorien bildet den Kern des Stücks, vielmehr handelt es sich eigentlich um eine Geschichte über Mädchen, die sich (brutal) ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen. In der Mitte des Stücks verteilen Claudia und Miriam Zettel im Publikum: »Mädchen regieren die Welt. Treffpunkt heute 18 Uhr an der Bushaltestelle Sonnenallee.« Wir lesen in der Darstellung eine Form von Normalisierung. Es ist egal, wie die aussehen, die spielen. Damit erschwert sich die Konstruktion der Anderen und damit die Bedingung für Spekularisation: Sie funktioniert im oben beschriebenen Sinne nicht (mehr), da die notwendigen Kategorisierungen verschwimmen. In prügelnden und doch sympathischen Mädchen mit und ohne Hintergrund lässt sich das Idealbild der weißen emanzipierten Frau nicht gut spiegeln. »ArabQueen« »ArabQueen« ist sowohl der letzte als auch der meist besprochene Teil der Neukölln-Trilogie. Mariam führt ein Doppelleben: zuhause die folgsame Tochter strenger muslimischer Eltern. Auf der Straße die selbstbewusste ArabQueen, die mit ihrer (bio-deutschen) Freundin Lena tanzen geht und sich auch andere kleine Freiheiten erschleicht. »Ein probates Mittel gegen Vorurteile: Wo in pauschalisierenden Statistiken und Sprücheklopfereien über die Köpfe der einzelnen Menschen hinweggegangen wird, braucht es solches Theater, das von ihrem Leben, ihren Gefühlen und Ängsten erzählt« (http://bit.ly/n3se01, 25.7.2011), schreibt die taz über das Stück am 15.11.2011. Die Berliner Zeitung geht sogar noch weiter: »Ein Jugendstück der Extraklasse. […] So donnern Emanzipationsbewegungen« (http://bit.ly/

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pyUVaa, 25.7.2011). Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung dagegen beschränkt sich auf den »Authentizitäts«aspekt der Darstellung: »Dass auf der Bühne viel viel mehr von den Ambivalenzen eines solchen Lebens zu sehen ist als in Balcis Buch, liegt an Regisseurin Nicole Oder, der weniger an einer politischen Botschaft zu liegen scheint als daran, die Klischees von Kopftuchzwang und Integrationsverweigerung mit Leben zu füllen. Vor allem aber liegt es an den drei sensationellen Schauspielerinnen« (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 2011: http://bit.ly/pyUVaa, 25.7.2011).

In »ArabQueen« geht es u.E. um patriarchal unterdrückte Frauen und Mädchen – mit und ohne Kopftuch. Ihre Lebensrealität wird gefüllt mit Alltag aus Füße waschenden Töchtern und Brot backenden Müttern. Bemerkenswert an der Inszenierung ist die Tatsache, dass alle Rollen von Frauen besetzt sind. Das heißt, die prügelnden Väter oder sich die Füße waschen lassenden Brüder müssen von der Zuschauerin imaginiert werden. Darin fällt ein Moment der Bedrohung weg und den auftretenden Frauen kommt sowohl Handlungsfähigkeit als auch eine gewisse Definitionsmacht über die Situation zu. Der Fokus liegt auf ihnen und ihren Strategien, sich (meist im Stillen) kleine Freiheiten zu genehmigen. Alles verbleibt innerhalb der Familie, einen Blick auf die (rassistische) Außenwelt gibt es nicht. Ungleich den »Sisters« haben wir es hier nicht mit fordernden gewaltbereiten Mädchen zu tun, deren Hintergrund unterschiedlich ist. Die Neukölln-Trilogie arbeitet sich am »sozialen Brennpunkt« Neukölln ebenso ab, wie an damit assoziierten Themen. Genau diese Themen ziehen mediale Aufmerksamkeit und Rezeptionen nach sich. Was mehr oder weniger besprochen wird, hängt nicht zuletzt daran; prügelnde Mädchen erscheinen weitaus schwieriger einzuordnen als Brot backende Frauen. Sinan Al -Kuri: Dr. Kaan Demir Wir treffen Sinan Al-Kuri im Hof des Heimathafens Neukölln zum »Club Mate«-Trinken. Er erzählt uns von seinen Rollen im Haus und davon, wie es war, in »Arabboy« zu spielen. Genervt von »ethnisierten Schauspielrollen« und Stereotypisierungen beschreibt er uns: »Was mich schon immer nervt, ist dieses stereotypisch kanakisch. Also das ist mir dann auch egal, ob das ein positiver oder ein negativer Stereotyp ist, das nervt mich. Immer

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ein Stereotyp halt.« Auf die Frage, was so eine typische Kanaken-Rolle ausmacht, antwortet Sinan: »Mordverdächtiger, also zum Glück darf ich meist ohne Akzent reden. Aber sonst Ehrenmörder, unterdrückender großer Bruder... also klar politisch korrekt, mit versöhnlichem Ende. Oder da ist dann halt ein Mord passiert und dann kommt man irgendwann drauf, wahrscheinlich war es doch der Ausländer, war es dann aber am Schluss doch nicht. […] Wir kennen es alle, dass wir nur für solche Rollen gefragt werden.«

In seiner letzten Rolle spielt er einen Orthopäden in einer bekannten Seifenoper eines ddeutschen Privatsenders: »Das Krasse ist, ich spiele da einen Arzt. Also einen Türken zwar, aber das wurde noch nie thematisiert. Ich habe jetzt einmal einen türkischen Satz gesagt – das war’s. Ich bin Orthopäde und ein netter Typ. Das Krasse ist, dass ich das erste Mal eine normale Rolle spiele in einer Soap!« Erst die Soap macht die ganz »normale« Rolle möglich, sonst wird Sinan in seiner Arbeit als Schauspieler auf bestimmte Rollen festgelegt. Für den Mordverdächtigen oder Ehrenmörder kommt er in Frage, und auf Castings für Filmrollen trifft er immer wieder dieselben Gesichter, wie er uns erzählt. Was Sinan als normale Rolle beschreibt, möchten wir hier als Normalisierung aufgreifen. Gemeint ist damit das – endlich – Nicht-mehr-festgeschrieben-Sein auf den Migrationshintergrund, und folglich keine Anrufung, Verantwortung für eine vermeintliche Gruppe zu übernehmen. StreetUniverCity Berlin: Trust yourself! »Wir akzeptieren nicht, dass das soziale und kreative Potential junger Menschen aus sozialen Brennpunkten, überwiegend mit Migrationshintergrund, kaum genutzt wird. Wir halten dies gleichermaßen entwürdigend für die Jugendlichen und die Gesellschaft.« (StreetUniverCity Berlin, http://bit.ly/qfhlcN, 25.7.2011)

Ebenfalls in der Naunynstraße, genauer in der Naunynritze12, sitzt die StreetUniverCity Berlin (SUB), eine Initiative für soziale, sportliche und

12 Die Naunynritze ist ein Sport-, Bildungs- und Kulturzentrum in BerlinKreuzberg mit Geschichte: Ende der 80er, auf dem Höhepunkt des sogenannten

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kulturelle Jugendbildung. Die SUB wurde 2006 von Gió Di Sera, Erhan Emre und Martin Kesting ins Leben gerufen13, um die »Akzeptanz der Straßenkultur« zu fördern und »neue Ansätze der kulturellen und politischen Bildung für Kinder und Jugendliche aus prekären Stadtteilen, insbesondere Berlin-Kreuzberg« zu entwickeln. Die SUB versucht, Jugendlichen mit »zumeist bi-kulturellem« Hintergrund ohne (in diesem Fall: schulische) Ausbildung berufsorientierende Bildung zu vermitteln. Das Projekt will – jenseits von Gewalt und Perspektivlosigkeit – das »Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen junger Menschen aus sozialen Brennpunkten fördern«. Betont wird dabei die Niedrigschwelligkeit der Arbeit: Sprache und Methodik der (Bildungs-)Vermittlung wird »von den Jugendlichen auch verstanden«. So zeigen »anstelle von milieufremden Sozialarbeitern, Vorbildern und ›Respektspersonen‹ (Medienarbeiter/Künstler/Unternehmer u.a.), die SUBporter den Jugendlichen in ihrer Sprache und in ihren Codes neue Perspektiven und Möglichkeiten auf und stärken so die Eigenverantwortung und das bürgerliche Engagement« (StreetUniverCity Berlin ebd.). Bundespräsident Horst Köhler besuchte die SUB im März 2009. In der Fernsehberichterstattung heißt es: »Ein Staatsoberhaupt erweist der Kultur der Straße eine Referenz« (http://bit.ly/pf4U4e, 25.7.2011). Kamerapräsenz scheint in der SUB keine Seltenheit zu sein, und die Jugendlichen wirken sicher, während sie über das eigene Selbstbewusstsein und die Wichtigkeit von Visionen und Zielen sprechen. Genau ein Jahr später erscheint eine zweiteilige ZDF-Dokumentation über die StreetUniverCity Berlin, die einleitet mit: »Brennpunkt Berlin Kreuzberg, für viele Jugendliche gilt hier das Gesetz der Straße. Kein Job, kein Schulabschluss, keine Perspektive. Ihre Ausweglosigkeit bekämpfen sie oft mit Gewalt« (http://bit.ly/mQbzRl, 25.7.2011).

Jugendbanden Phänomens, ging die Naunynritze als Hauptquartier der 36er oder 36 Boys durch die Presse. Das einst berüchtigte Jugendzentrum hat sich seitdem zu einem der kreativsten in Berlin entwickelt und blickt auf langjährige Erfahrungen der »offenen Jugendarbeit« zurück – beispielsweise durch Räume in Selbstverwaltung der Jugendlichen. 13 Die SUB ist dabei Nachfolgeprojekt der »To stay here is my right-Posse«, einer antirassistischen Initiative, die Anfang der 1990er Jahre mithilfe von HipHopKultur und kultureller Bildung »Jugendlichen von der Straße« Perspektiven aufzeigen wollte und sich gegen das Negativimage von Kreuzberg in den Medien positionierte. (Im Gespräch mit Gió Di Sera vom 9.8.2011)

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Die Schlagwörter aus dem Off werden mit Bildern untermalt und O-Tönen gefüllt. In dieser Erzählung scheinen »beispielhafte Entwicklungen« dargestellt zu werden: von der Straße, hin zu einem vorbildlichen Mitglied der ddeutschen14 Mehrheitsgesellschaft – »Du kannst es schaffen, wenn Du es willst.« »Latente Talente aldente« – Vorbild werden Die SUB sitzt direkt an einer der zentralen Stellen in Kreuzberg. Der Bezug zur Straße und die nötige »Street Credibility« sind wichtiger Bestandteil des Bildungsprojektes. Die im Folgenden verwendeten Zitate stammen aus einem Interview, das Gió Di Sera mit seinem Alter Ego »Don Rispetto« führte. »Die Idee, eine ›Universität der Straße‹ zu gründen (kam mir) schon früh. Ich glaube an den Austausch der Generationen und Kulturen und an die gegenseitige Bereicherung. Wir vermitteln authentisches Wissen. Sich selbst und die eigene Biografie positiv zu sehen und daraus zu schöpfen, ist sehr wichtig.«

Giós Position lässt sich als positive Umdeutung stereotyper Bilder lesen: Junge Menschen mit »Migrationshintergrund« aus »sozialen Brennpunkten« erfahren eine positive Selbsterfahrung und -bestätigung. In der Universität der Straße werden eigene Potenziale entdeckt und Talente definiert. »Die SUB will vor allem diejenigen Jugendlichen erreichen, die durch alle herkömmlichen Bildungssysteme gerutscht sind. Es geht darum, in sich schlummernde Potentiale zu entdecken und Talente zu definieren und durch positive Selbsterfahrungen und Selbstbestätigungen sich gesellschaftlich zu positionieren, sowie auch ein soziales Verantwortungsgefühl zu schaffen.«

Mit HipHop und subkulturellen Praxen wird gearbeitet, um Jugendliche dort abzuholen, wo sie sind. Ziel ist dabei der Einzug in Ausbildungs- und

14 Im Kontext unserer Kritik an ›deutscher Leitkultur‹ und vor dem Hintergrund der machtvollen Kategorisierung, was (und vor allem wer) wann deutsch ist und was (wer) nicht, haben wir uns dazu entschieden ›DDeutschland‹ und ›ddeutsch‹ in diesem Beitrag zu stottern.

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Bildungsinstitutionen, der Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft und letztendlich das Kapern des Mainstreams. Das Selbstbewusstsein von jungen Menschen mit und ohne Hintergrund soll durch Wissen gestärkt werden. Hier wird Verantwortung übernommen und Vorbilder werden geschaffen. Das Bild des jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers wird aufgegriffen und in eine positive Vorbildfunktion verkehrt. Statt der Dekonstruktion oder Hybridisierung bestimmter Kategorien und Zuschreibungen geht das Konzept der SUB in Richtung einer positiven Selbstidentifikation von »jungen Menschen mit Hintergrund« und deren Vorbildfunktion. Die Zuständigkeit als Role Model wird hier am stärksten angenommen und zur konzeptuellen Grundlage der Bildungsarbeit. Der »jugendliche, gewaltbereite ...« und das vermeintliche mit ihm einhergehende Bedrohungsszenario werden um- und aufgewertet. Die SUB versucht nicht, den Diskurs umzuwerfen und zu verstören, sie entwirft das Gegenmodell zu Hybridität: Die Straße ist eine »andere« Form von Kultur, und HipHop als Subkultur muss ernst genommen werden. In der verantwortlichen Rolle läuft die SUB nicht so sehr Gefahr, »falsch« verstanden zu werden. Wohin diese Verantwortungsübernahme führt, bleibt zu fragen. Während das Ballhaus mehr das Ziel kulturell-künstlerischer Bildungsarbeit und künstlerischen Ausdrucks verfolgt, erscheint in der SUB Kunst als Mittel zur Bildung. Der fast identitär (post-)migrantischen Positionierung des Ballhauses lässt sich die SUB als »identitär« im Sinne des Straßenbezugs entgegensetzen. Hier geht es um Jugendliche aus dem Kiez in einer unterprivilegierten Bildungssituation. Auch, aber nicht ausschließlich mit Migrationshintergrund. Gió Di Sera: Kanakismus Gió Di Sera alias Don Rispetto ist seit den 80er Jahren fester Bestandteil der Berliner Kunst- und Musikszene. Seine Arbeit mit Jugendlichen wurde bereits, unter anderem, mit dem Freiherr von Stein Preis für gesellschaftliche Innovation (2009) ausgezeichnet. Als Radio-DJ moderierte er von 1993-2008 die Sendung »Radio Kanaka international«15 unter dem Namen Don Rispetto. Radio Kanaka beschreibt er uns mit dem Ziel, den

15 Radio Kanaka international wurde anfänglich auf Kiss FM und später auf Radio Multikulti gesendet.

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Begriff »Kanake« zu entnegativieren. Der Grundgedanke ist: »Jede_r ist ein Kanake, überall«. Wir treffen Gió Di Sera in der Oranienstraße, wo er uns die Grundsätze des »Kanakismus« in Kreuzberg erklärt und erzählt, wie es war, das erste Mal mit der Kanakwood-Limousine durch Berlin zu fahren. »... ich weiß, dass ich nichts weiß...« Sokrates »... aber was ich weiß, weiß ich for real...« Don Rispetto

Im direkten Gespräch erklärt uns Gió, dass Bushido ein Image verkauft, das es so gar nicht gibt. Gió sieht darin eine Marketingstrategie und bewertet Berlin im Vergleich zu »den USA oder anderswo« als »Wohlstands-Ghetto«, das den »Background für Gangsta-Rap nicht hergibt«. Für ihn findet der Gangsta-Rap-Hype vor einem gesellschaftlichen Backlash statt und geht mit jeder Menge Projektionen einher. Die Debatten um Sarrazin versteht er als Teil davon, mit keiner guten Prognose für die Zukunft. Gleichzeitig ergibt sich für ihn daraus Radikalisierungspotenzial: »Wenn es so weiter geht mit dem Sozialabbau, brennt es irgendwann.« Begriffe wie früher Multikulti und später Post-Migration versteht er als Intervention in den Mainstream. Problematisch findet er, wenn Zuständigkeiten entstehen, Themen abgeschoben werden und eine Form des Stellvertretertums entsteht. Gió nutzt in seiner Arbeit mit der SUB die Aufmerksamkeit der Medien und Vorbildfunktion »bekannter Persönlichkeiten« als SUBporter_innen sowie seine eigene. Trotzdem erklärt er in dem Interview auch die Gefahr von Fürsprecher_innenrollen: »Man muss sich selbst immer wieder zurückhalten und die eigene Neutralität bewahren, damit man nicht in Schubladen gesteckt wird oder sich da selber reinsteckt.« Im Interview mit Gió begleiten uns Begriffe wie »Kanakismus« oder »Menschen mit migrantischen Hintern«. Sprache kann Aneignung bedeuten und interventionistisch eingesetzt werden. Gió erzählt uns vom »Berlingo«, der Sprache, die er für seine Radio-Sendung entwickelt hat: »Berlingo steht für die praktische Umsetzung meiner Theorien, nämlich den Leuten einen Teil der globalen Kultur herüberzubringen. [...] Mit einem gewissen Freestyle, bestimmten Wörtern dieses Sprachen- und

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Dialektwirrwarrs, versteht man den Sinn und die Aussage, die einen Schlüssel für die Kommunikation auf eine interkulturelle Art und Weise bieten.« Kanakwood – Urbane Postmigranten Vibes ist der Name der in diesem Kontext von Gió organisierten Veranstaltungsreihe. Auch hier werden bestimmte Bilder aufgegriffen und überzeichnet redefiniert: Die unten abgebildete Limousine ist Teil des »proudly present«-Konzepts, das die diskursive Logik der Dreifaltigkeit von Klasse, Migrationshintergrund und Bezirk entkoppeln will. Kanakwood richtet sich an Kulturschaffende vorwiegend aus dem Film- und Kunstbereich, die in der »Tradition des kulturellen Normadismus« stehen, wo sich Gió Di Sera auch selbst zugehörig fühlt: »Nötig war ein dementsprechend passender Begriff, von dem man sich repräsentiert fühlte jenseits der Mehrheitsgesellschaft.« Hinter der Bezeichnung Urbane Postmigrantische Vibes steht für Gió der Wunsch, »dass sich alle damit identifizieren können, egal welche Herkunft sie haben«. Kanakwood wurde von »Gió Di Sera, Jale Arikan, Nermin Ucar gegründet und als aktive Mitglieder gehören DJ Ipek, Shermin Langhoff und Zigan Aldi dazu«. Die Entwicklung von Kanakismus zur Post-Migrantischen Kultur wurde so salonfähig: »Kanakwood ist ein Berliner Netzwerk für Künstler_innen mit oder ohne Migrationserfahrungen. Der Salon eröffnete im Herbst 2003 und vereint Künstler_innen aus den Bereichen Film, Musik, Literatur und bildender Kunst. Kanakwood wendet sich an alle Migrant_innen: an die, die erst seit kurzem in Berlin leben, genauso wie an die dritte Generation oder Berliner_innen, die für eine Zeit an einem anderen Ort gelebt haben. Sie alle bringen neue Impulse in die Stadt.͒Die daraus entstehenden Salons sind Ausdruck einer typisch Berliner ›Kanakenkultur‹.« (http://bit.ly/pAcFjn)

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Limousine als Shuttle vom Kottbusser Tor (Kreuzberg) zu einer Kanakwood Veranstaltung

Foto: So-min-kang 2004.

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Der Entantwortung antworten Bilder Rassistische Akte beruhen auf Bildern, wie Terkessidis und Hill Collins beschreiben. Bilder, auf die sich die adressierte Person zurückgeworfen sieht und die mit deren Selbstbild nicht übereinstimmen müssen. Diese Bilder imaginieren eine Gruppe hinter der jeweiligen Person und blicken so konsequent am Individuum vorbei. Auch unsere Interviewpartner_innen beschreiben uns, dass sie nicht außerhalb bestimmter Bilder angerufen und rezipiert werden. Als Kulturschaffende_r mit Hintergrund wird immer wieder der Bezug zu einer vermeintlichen Gruppe hergestellt. Wie eingangs gesagt, ergibt sich der gleiche Widerspruch für uns beim Schreiben über rassistische Bilder: Jede Benennung des Stereotyps des »jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers« (re)produziert ihn zunächst, um ihn dann hoffentlich ein Stück näher an seine Auflösung zu bringen. Der Umgang mit Momenten von Entantwortung wurde uns in den geführten Interviews unterschiedlich erklärt. Volkan T. und Gió arbeiten

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gezielt mit dem medialen Bildentwurf des »jugendlichen, gewaltbereiten ...«. Sie greifen die von uns hier angenommene Anschlussfähigkeit von u.a. durch ddeutschen Gangsta-Rap prominent gewordenen Bildern auf. Volkan T. nutzt die Inszenierung männlich-migrantischer Bedrohlichkeit, um sich durch Provokation Gehör zu verschaffen. Er zitiert diese jedoch nicht bruchlos, sondern schafft Irritationsmomente: »Die Medien arbeiten mit Stereotypen und haben ein vorgefertigtes Bild. Mich würden sie nicht einladen, weil die dann merken: das ist ja überhaupt nicht der Typ, den wir eigentlichen suchen.« Gió arbeitet mit positiver Aufwertung; er richtet sich mit seinem Projekt an Jugendliche, die »durch alle herkömmlichen Bildungssysteme gerutscht sind«. Sie sollen in ihnen »schlummernde Potentiale [...] entdecken und Talente [...] definieren«. Auch wenn nicht jede_r dieser Jugendlichen dem Stereotypen des_der jungen Migranten_in entspricht, der_die auf der Straße aufwächst, greift die SUB in ihrer Selbstdarstellung auch auf medial hegemoniale Bilder dieser Jugendlichen zurück. Bestimmt garantiert dies die nötige Glaubwürdigkeit (credibility) und manchmal auch die Aufmerksamkeit der Medien. Bei Sinan ist das anders: Er kritisiert das Zurückgeworfenwerden auf bestimmte Rollen in seiner Arbeit als Schauspieler, wo er den »Mordverdächtigen, Ehrenmörder oder unterdrückenden ›großen Bruder‹« spielt. Er macht Medienstars wie Bushido mitverantwortlich für die Normalisierung eines spezifischen Bildes: »Der vergibt ja ein ganzes Bild und normalisiert das und verbindet das mit sich. Wenn Du in Talkshows viele türkische Ärzte hast, dann wird sich irgendwann einbrennen, dass viele Türken Ärzte werden. Wenn Du aber Rapper hast, die so was rappen, dann wird sich auch das einbrennen.« Er verweigert sich der Anschlussfähigkeit als Aufmerksamkeitsstrategie und lehnt die Referenz auf zugeschriebene Bilder ab: »Egal was man jetzt macht, es wird sich immer nur in Anlehnung oder Ablehnung zu dem definieren können […]. Immer in Relation zu etwas gesehen zu werden, wie krass nervt das denn.« Role Model Auf eine Rolle wird sich von allen positiv bezogen: das Role Model. Volkan erklärt: »Wir haben auch eine Role Model Funktion für die Jugendlichen. Unser Vorteil ist, dass wir zum Beispiel mit Ceza (Anm. Aut.: Türkischer Rap Artist) Workshops gemacht haben, und dann kommen halt auch die Jugendlichen. Ich habe kein Problem damit, Stellvertreter zu sein. Ich hätte eher ein Problem, wenn ein Türke von der CDU Stellvertreter wäre.«

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(Volkan T.) Gió verbindet die Rolle als Vorbild mit Glaubwürdigkeit: »Unsere Dozenten, diejenigen, die sich aus der Straße heraus professionalisiert haben, sind deshalb als Vorbilder glaubwürdig, weil sie authentisches Wissen weitergeben, das die Lebenserfahrungen der Jugendlichen widerspiegelt. Und letztlich greifen wir auf milieuvertraute Nachwuchskräfte zurück und stellen sie ein.« Sinan beschreibt seine eigene Vorbildfunktion so: »Wenn man als Ausländer hier einen Bekanntheitsgrad hat, dann hat man schon ne soziale Verpflichtung denen gegenüber, die das nicht haben und die keine Möglichkeiten haben, mit den Massen zu sprechen. Keine Ahnung, was da das richtige wäre. Doch ich glaube, man muss es probieren, es ist die Pflicht zumindest zu probieren, dass man etwas positiv verändern kann. Ob bei der breiten Masse, oder eben doch mit dem Vorbild Ding im Einzelnen.«

Role Model oder Vorbild sein, bedeutet also Verantwortung zu übernehmen. Für eine vermeintliche Gruppe von Türken, (Post)Migrant_innen usw. Diese Verantwortung wird von unseren Interviewpartnern angenommen und unterschiedlich gefüllt: »Ich würde immer meinen Platz frei machen, damit sich eine alte Frau in der U-Bahn hinsetzen kann. Die sagt dann: Ach, das ist aber ein netter Ausländer. Das ist nicht viel, aber zumindest so ein bisschen das Bild aufweichen, was alle haben« (Sinan). Volkan sieht die Verantwortung mehr darin, seine (Artikulations-)Position zu nutzen, um »radikale Sachen« zu sagen: »Wir sagen ja im Ballhaus offen, was wir denken. Ich bin manchmal selber auch verwundert, weil wir machen auch radikale Sachen und sind jetzt nicht mit Krawatte unterwegs.« Eine weitere Position ist nach Terkessidis die des_der Anwalt_Anwältin eines imaginierten »Wir«. Von rassistischen Akten betroffene Personen reagieren auf solche Akte der Entantwortung, indem sie sich entweder als »nicht so eine_r« zu inszenieren versuchen oder darauf bedacht sind, rassistische Vorurteile gegen die vermeintliche Gruppe von »Türken« wegzuargumentieren. »Selbst im Bekanntenkreis sehe ich, dass es eine rassistische Tendenz gibt, von ehemals linken, gebildeten Leuten. Desto mehr ich mir Mühe gebe anders zu sein, desto mehr bin ich die Ausnahme, die bestätigt, das die anderen doch so sind. Du kommst dagegen nicht an. Wenn ich darüber diskutiere, verhärtet sich das irgendwann: Ne, ne das ist so! Und wenn du Erfolg hast, herzlichen Glückwunsch. [...] Da

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müsste man auf höherer Ebene was machen, da hab ich jetzt nicht die Patent-Lösung für.« (Sinan)

Sinan übernimmt hier, trotz seines Plädoyers für Normalisierung – im postmigrantischen Sinne ethnisierte Kategorien zu verunwichtigen – Verantwortung für die vermeintliche Gruppe von »Ausländern«. Eine uns beschriebene Gemeinsamkeit ist die von außen herangetragene Zuständigkeit: Aufgrund der vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer ethnisierten Gruppe wird an Einzelpersonen die Verantwortung für diese herangetragen. Es wird dann als Migrant_in für Migrant_innen geantwortet, gesprochen und gehandelt. Ob dabei radikale Positionen in die Mehrheitsgesellschaft getragen werden wollen oder der Wunsch nach »Normalisierung« besteht, die Verantwortung als Role Model wird uns als wichtig beschrieben. Was Role Model sein bedeutet, kann dabei völlig unterschiedlich verstanden und umgesetzt werden: von Wissensvermittlung als »SUBporter« über den freigemachten U-Bahn Platz für die Oma bis zum HipHop-Workshop. Wir lesen das Vorbildsein als eng verbunden mit Definitionsmacht. Es geht darum, selbst zu bestimmen, woran sich orientiert wird und welche Bilder produziert und aufgerufen werden. Auch Bushido kann als Role Model fungieren und tut dies bereits. Für wen und mit welcher Bedeutung sind dabei wichtige Fragen. Wem gehören die Nibelungen? Die Debatte um »Integration« hat sich verändert. Ging es früher stärker um Arbeitsverhältnisse und »Gastarbeiter«, stehen heute Kultur und Differenz im Mittelpunkt. Aus »Integration« ist eine »kulturelle Integration« geworden, die individuell zu leisten ist (s.o.). Rassismus heute konstruiert und rekurriert konsequenterweise auf kulturelle Differenzen. Gleichermaßen spielt Kultur, wie oben expliziert, als umkämpfter Bereich eine zentrale Rolle – zunächst im Sinne von »Kulturgut«: Die von Frau Kelich in »Verrücktes Blut« so gepriesene »deutsche Leitkultur« erscheint damit als Bastion der (ddeutschen) Definitionsmacht über (ddeutsche) Werte. In den Interviews sprechen wir viel über Kultur, das Verhältnis von Sub- und Hochkultur und Zugangsbeschränkungen. Volkan beschreibt uns die Hierarchisierung von Kultur(en):

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»Heutzutage unterscheidet man immer noch zwischen ›Hochkultur‹ und ›anderer Kultur‹. Die Jugendlichen müssen an diese eine Hochkultur herangeführt werden. Selbst heute wird immer noch unterteilt und eine Hierarchie in der Kultur geschaffen. Nach meiner Auffassung gibt es heute keine Hochkultur mehr, auch nicht in der Wissenschaft. Jeder Jugendliche kann Kultur produzieren, alles ist Kultur. Es ist ihnen aber nicht bewusst. Man spricht den Jugendlichen jegliches Denken und kulturelles Wissen ab.« (Volkan T.)

Was zählt als Kultur(gut), was nicht? Wer darf Kultur benennen und wer welche Kultur schaffen? In allen drei Interviews sprechen wir über die Vergabe von Zuständigkeiten u.a. durch Fördermittel mit dem Ziel, »(Hoch-)kultur« zu immunisieren: Migrantische Jugendliche dürfen sehr wohl rappen, aber nicht die Nibelungen inszenieren. Das umkämpfte Feld materialisiert sich in der Bereitstellung von Bühnen, öffentlichen Geldern und anderen Ressourcen. »Also, wenn ich jetzt Geld beantrage, dann bin ich gut genug, ein Stück über Kreuzberg zu machen. Ich bin aber nicht gut genug dafür, ein Stück über die NibelungenSaga zu machen, was ich gerne machen würde. Das sehen die Förderer dann auch. Die sagen dann: Was will denn der Kanake jetzt hier mit Nibelungen-Saga? Das ist deutsches Kulturgut. Der soll lieber über seinen Kiez was machen. Und das ist der Konflikt, den man ständig hat. Das die Leute sagen, für das bist du gut und für das bist du nicht gut genug.« (Volkan T.)

Gleichermaßen wird uns Kultur beschrieben als Sphäre von Artikulationen, Aneignungen und widerständigen Praxen. Gió Di Sera inszeniert mit Faust in da City im Hebbel am Ufer (5.1.2010 im Hau1) Goethes Faust als Abschlussarbeit des Fachbereichs Kunst und Medien der StreetUniverCity. »Sturm und Drang« goes Breakdance und wird als zeitgenössische Inszenierung von Kreuzberger Jugendlichen gerappt. Ein satter Beat ist zu hören, als Doctor Faustus die Bühne (und damit Tanzfläche) betritt. Er rappt ins Mic: »Ich hab was gespürt. Ihre Augen haben mich verführt. Wooow. Was geht?

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Sie sieht mich an – Warum? Sie ist wie ein Magnet!«

Das Publikum verfolgt hier kopfnickend das folgenreiche Aufeinandertreffen von Faust und Gretchen. In der darauffolgenden Inszenierung Faust in da City Reloaded (18./19.12.2010 im Hau 1) steht Faust erneut im Zwiegespräch mit Mephisto. Diesmal interpretiert Rapper Drob Dynamic seinen Text auf ein Violin-Konzert von Mozart: »Ich seh’ kaputte Menschen die in der Gegend hier laufen Verzweifelt alles tun und ihre Seele verkaufen Weil sie alles tun für Hab und Gut Ist ne Seele wie der Wechselwahn Nicht stark genug.«

Eine Rap-Performance als Aneignung eines der klassischen ddeutschen Werke lässt sich hier eindrucksvoll erleben. Das Ballhaus benutzt in »Verrücktes Blut« Schiller, und genau danach fragt auch Sinan: »Aber wieso kann nicht einfach mal Schiller gespielt werden? Mit drei Türken, zwei Deutschen und einem Kroaten besetzt? Was weiß ich, das wäre irgendwie moderner. Dass man auch mal sieht: Ja, ich kann auch mal so Typen sehen, der sieht ausländisch aus und der ist trotzdem genauso wie der Jan, der neben mir wohnt.«

Wie an Bushido werden auch an die von uns befragten Kulturschaffenden Zuständigkeiten herangetragen: für vermeintliche Themen bezüglich des berühmt-berüchtigten Hintergrundes und eine bestimmte Lokalität, hier beispielhaft Kreuzberg und Neukölln als »migrantisch« geprägte Stadtteile. Zuständigkeiten, im Sinne von Verantwortungsübernahme der Bewohner_innen für ihren Stadtteil, gehen mit der Vergabe von Ressourcen einher. Für das eingangs beschriebene Bedrohungsszenario durch den Stereotyp des »jugendlichen, gewaltbereiten, männlichen Integrationsverweigerers« soll selbst Verantwortung übernommen werden. HipHop kommt dabei eine besondere Rolle als Instrument sozialer Arbeit zu, das sich (in Berlin) bewährt und etabliert hat. Die von Hill Collins für die USA untersuchten Controlling Images finden auch pädagogische Anwendung: Demnach

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können auch Schwarze Jugendliche erfolgreich sein, wenn sie sich nur an »die Regeln« halten und fleißig sind, statt zu rebellieren. Der erfolgreiche Schwarze Sportler hat genau das geschafft und repräsentiert ParadeBeispiel und Vorbildfunktion für verarmte Schwarze Jugendliche (vgl. Hill Collins 2004 in Scheibenhofer 2010: 3). Personen, die an der Schnittstelle zwischen kulturellen und sozialen Projekten stehen, erhalten schnell den Auftrag, Sozialarbeit zu leisten – immer im Sinne der »Integration«. Wenn kulturelle Artikulationen das »Bedrohungsszenario als migrantisches Thema« bearbeiten, stößt dies von Seiten einer (medialen) Öffentlichkeit auf großes Interesse. Andere Themen finden dabei weitaus weniger Beachtung, und die Verarbeitung klassischer Stoffe gestaltet sich schwierig. Bei der Vergabe von Ressourcen in Form von Geldern, Bühnen, Stücken stellt sich auch die Frage nach der politischen Komponente von Regierbarkeit und Befriedung von Bezirken und zunehmend von Selbstverwaltung. Wenn innerhalb der vermeintlich betroffenen Gruppe Verantwortlichkeiten übernommen werden, ist das gern gesehen. Der Weg aus der Benachteiligung und der Versuch, Zuständigkeiten abzugeben, erweist sich als eher beschwerlich. »Alle wollen in den Mainstream« ist also auch eine Frage von Sprechpositionen. Hier lässt sich der Kreis zum Gangsta-Rap schließen: Die Strukturen erweisen sich auf Bushidos Weg vom Bordstein zur Skyline als durchlässiger, weil durch ihn und die von Aggro Berlin produzierten Bilder nicht (unbedingt) ein rassistischer Status quo in Frage gestellt werden muss. Die Nibelungen-Saga hingegen erscheint nicht nur in der Geschichte selbst als umkämpftes Terrain. Umkämpft ist dabei auch die Frage, wem die Nibelungen gehören. Genau hier scheint die Mehrheitsgesellschaft Angst vor dem fremden Mann und der fremden Frau zu haben. Affirmative Reading Dem Encoding-Decoding Model von Stuart Hall zufolge liegt die Bedeutung eines Textes zwischen dem_er Encoder_in und dem_er Decoder_in. Der_die Encoder_in rahmt die Bedeutung in einer bestimmten Weise, während der_die Decoder_in diese anders empfängt, abhängig von ihrem_seinem persönlichen Hintergrund, bestimmten sozialen Situationen und Interpretationsrahmen (McQuail 1994 bei Vortrag Kontney). Hall zufolge ist die Bedeutung eines Textes weder ein festes Konzept noch eine völlig unsichere Mehrdeutigkeit (Fiske 1986 bei Vortrag Kontney). Obwohl Hall die Mehrdeutigkeit in

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der Bedeutung von Texten erwähnt, wird darin zwangsläufig immer auch eine Position eingenommen. Solch eine Positionierung ist der ausgleichende Punkt innerhalb des Prozesses von Encoder_in und Decoder_in. Der_die Encoder_in versucht dabei ihre_seine Version einer bestimmten Bedeutung, basierend auf dem jeweiligen persönlichen Hintergrund und kultureller Perspektive, dem_der Decoder_in nahezubringen. Während der_die Decoder_in die ursprüngliche Bedeutung in eine neue Version, abhängig von ihrem_seinem eigenen Hintergrund und Besonderheiten, überträgt. Stell Dir vor, Du arbeitest gerade an einem Artikel zu Neukölln und antirassistischen Interventionen. An einem Dienstag Abend willst Du Dir im Theater ums Eck ein vermeintlich gesellschaftskritisches Stück ansehen. Du nimmst gerade Platz in dem kleinen Raum mit den unbequemen Stühlen (I love Neukölln), und herein kommt Thilo Sarrazin – in Begleitung von zahlreichen Genoss_innen. Du bist aufgeregt, rutschst hin und her auf deinem Stuhl, errötest empört, verschickst fieberhaft Nachrichten an dein ganzes Telefonbuch. Irgendwie im Vertrauen darauf, dass das Stück ihm schon um die Ohren fliegen wird. Und dann: Er amüsiert sich köstlich und klatscht immer wieder laut Beifall. Das lässt sich Affirmative Reading nennen. Sarrazin liebt »ArabQueen« Thilo Sarrazin hat sich am 10.5.2011 mit einer Gesellschaft »ArabQueen« angeschaut und dabei bevorzugte Behandlung genossen. Auf die schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme äußert sich die künstlerische Leitung des Heimathafens Neukölln wie folgt: »Am Dienstag, den 10. Mai 2011 hat Thilo Sarrazin die Vorstellung ›ArabQueen‹ im Heimathafen Neukölln besucht. Er war Gast einer Besuchergruppe, die neben einem Kartenkontingent auch anschließendes Catering für einen privaten Empfang im Foyer gebucht hatte. Die Gästeliste war nicht mit uns abgestimmt. Der Heimathafen Neukölln steht für eine kritische und unmittelbare Auseinandersetzung mit virulenten Fragen unserer urbanen Gesellschaft, darunter auch die Integrationsthematik. Die Thesen Thilo Sarrazins stehen konträr zur Grundhaltung unseres Hauses und wir distanzieren uns ausdrücklich davon. Dennoch halten wir eine kritische Auseinandersetzung für notwendig. Es entspricht außerdem nicht unserem Selbstverständnis als Volkstheater, mit dem Publikum selektiv umzugehen. Eine weitere Auseinandersetzung bietet unsere Veranstaltung ›ArabQueen & Thilo Sarrazin. Neuköllner Jugendliche geben Contra‹ am 10. Juni, in der sich Neuköllner Schüler in Form eines

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Theaterstücks mit dem Roman von Güner Balci und Thilo Sarrazins Buch beschäftigen. Künstlerische Leitung Heimathafen Neukölln«

Wir lesen das als ein gutes Beispiel für Zuständigkeiten: Die Auseinandersetzung mit Sarrazin wird hier »Neuköllner Jugendlichen« zugeschrieben. »Contra« zu geben, bleibt also in der Verantwortung Neuköllner Schüler_innen und steht nicht in der Verantwortung des Theaters.16 Abschließende Überlegungen Wenn die StreetUniverCity sich selbst Diplome vergibt, um junge Menschen mit und ohne Hintergrund fit zu machen für den Arbeitsmarkt, wird das vom ZDF gefilmt und vom Senat gefördert. Theaterstücke, die »Bedrohungsszenarien sozialer Brennpunkte« verhandeln, stoßen auf großes mediales Interesse und werden zum Publikumserfolg weit über die Grenzen von Kreuzberg und Neukölln hinaus. Wir haben unterschiedliche Methoden des Umgangs gesehen: Provokation und Parodie, Aufwertung und Normalisierung. Provokation garantiert Gehör. Auch das Bild einer gefährlich fremden Männlichkeit kann so genutzt werden, um sich Gehör zu verschaffen. Im Gangsta-Rap wird mit Provokation gearbeitet. Dabei ist Provokation nicht gleich Provokation: Den Unterschied zwischen Bushidos eigener Aufwertung durch seinen krassen Sexismus und die Abwertung anderer möchten wir hier unbedingt trennen von provokanten Ausdrucksformen, die klug, kreativ und auch selbstironisch Dinge sagbar und damit greifbar machen. Ironische oder parodisierende Überzeichnungen stereotypischer Bilder bergen jedoch die Gefahr, eben diese Bilder zu bestätigen und festzuschreiben. Die Ironie oder Parodie wird dann nicht verstanden, sondern vielmehr als Bestätigung des rassistischen Stereotyps gelesen, so dass die kulturelle (widerständige) Artikulation kompatibel mit dem hegemonialen Diskurs wird. Ab wann werden künstlerisch-kulturelle Darstellungen gesellschaftskritisch? Was tun, wenn Sarrazin sich in Gesellschaft zwischen

16 Und es hört nicht auf: vgl. Kiezspaziergang von Sarrazin am 12.7.2011, der in Begleitung eines ZDF-Teams für die Sendung »Aspekte« mit Güner Balci durch die Adalbertstraße läuft, im Restaurant »Hasir« von Pasant_innen lautstark beschimpft wird und weiter über den Markt am Maybachufer zum alevitischen Gemeindehaus läuft, wo er ebenfalls mit Protesten empfangen wird.

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Weißwein und Käsehäppchen köstlich über die Darstellung »unterdrückter Kopftuchmädchen« amüsiert? Wie hier um Definitionsmacht streiten? In anderen Theaterstücken hätte Sarrazin bestimmt nicht gelacht. Welche Möglichkeiten gibt es also in Bezug auf Handlungsfähigkeit, die die Reproduktion von Stereotypen als Ausgangspunkt nimmt? Wie genau sich kulturelle Artikulationen nicht von Affirmative Reading vereinnahmen oder sogar schlucken lassen, bleibt zu fragen. Oder: Wann bleiben Sarrazin die Käsehäppchen im Hals stecken? Kulturschaffende (Post)Migrant_innen sind mit Bildern konfrontiert, zu denen sie sich zwangsläufig ins Verhältnis setzen müssen – dabei gibt es keine »sichere Seite«, so viel ist klar. Das jede_r Kulturschaffende »das Recht« hat, Kultur zu produzieren, ohne eine »politische Message« als Rucksack mitschleifen zu müssen, steht ebenso außer Frage. Doch die Artikulationen, die Kritik üben wollen am Staus Quo, stehen zwangsläufig vor Widersprüchen: auf der einen Seite, in den Mainstream zu intervenieren, und auf der anderen Seite, auf Ressourcen, Publikum und öffentliche Rezeption angewiesen zu sein. Manchmal bewegen sich solche Artikulationen auf einem schmalen Grat innerhalb der Mehrheitsgesellschaft. Auf der einen Seite wollen sie gesehen sowie rezipiert werden, und gleichzeitig wollen sie dem Publikum einen Spiegel vorhalten, der auch unschöne Seiten sichtbar macht. Mut zur Hässlichkeit gilt nicht nur für die_den einzelne_n Schauspieler_in. Inszenierungen, die sich nicht unbeliebt machen wollen, eignen sich eher zum Entertainment. Kritik an der Mehrheitsgesellschaft üben und gleichzeitig populär werden – dazu bedarf es einer Menge Skills, die sich eigentlich bestens mit Hilfe von Gangsta-Rap lernen lassen. Vielleicht nicht mit Bushido.

L ITERATUR Attia, Iman (2009): Die ›westliche Kultur‹ und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. transcript Verlag, Bielefeld. Böcker, Anna (2011) Integration In: Arndt, Susan; Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.) Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast Verlag, Münster.

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Kulturelle Repräsentation sozialer Ungleichheiten Eine vergleichende Betrachtung von Polit- und Gangsta-Rap M ARTIN S EELIGER

E INLEITUNG Wie nicht nur die Richard David Prechts, Bonos und Westerwelles dieser Welt, sondern auch durchaus ernst zu nehmende Aktionen wie z.B. die Facebook-Proteste in der ›Grünen Revolution‹ im Jahr 2009 oder Anfang 2011 in Nordafrika zeigen, weisen Politik und Popkultur heute signifikante Berührungspunkte auf: »Mit ihrer Politisierung wurde die Popkultur zum Feld sozialer Auseinandersetzungen stilisiert« (Klein 2005: 47). Neben dem populären Agenda-Setting à la Bob Geldorfs Live-Aid-Reihe oder der vom Zweiten Deutschen Fernsehen ins Leben gerufenen »Aktion Mensch« (vgl. Seeliger 2010) lassen sich entsprechende kulturelle Äußerungen allerdings auch ›vom Rande der Gesellschaft‹ (Zaimoglu 2004) vernehmen. Als Austragungsort semantischer Auseinandersetzungen lässt sich Popkultur so auch verstehen als »Ausdruck von Lebensstilen und Alltagspraktiken, sozialer Stellung und Weltbildern spezifischer Milieus; […] als politischer Kampf um Repräsentation, Zeichen und Symbole« (Scharenberg 2001: 243). Diese Auseinandersetzungen finden nun – diese Auffassung wird wenigstens von den meisten geteilt – natürlich in keinem rein immateriellen Symbolraum statt, sondern sind untrennbar verknüpft mit dem historischen

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Prozess, den Karl Marx als »Geschichte von Klassenkämpfen« (MEW 4: 462) erkannt hat. Demnach stellten Konflikte um die Verteilung sozial relevanter Ressourcen schon immer ein bestimmendes Element der Entwicklung menschlicher Gesellschaften dar: »In allen differenzierteren Zivilisationen der Vergangenheit haben immer auch die Massen der Bevölkerung durch Tun und Unterlassen, durch Reaktionen und Aktionen, gelegentlich auch durch mehr oder weniger strukturierte soziale und politische Bewegungen den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung mitbestimmt« (von Oertzen 2006: 40).

Nimmt eine Soziologie sozialer Ungleichheit nun die Herausforderung an, gleichzeitig materielle wie symbolische Komponenten soziokultureller Disparitäten in Betracht zu ziehen, gilt es, neben sozioökonomischen Gegebenheiten auch deren kulturelle Repräsentation in Betracht zu ziehen (vgl. Barlösius 2004: 233). Dementsprechend möchte ich im Folgenden an den konzeptionellen Vorschlag von Degele und Winker (2009) anknüpfen, eine symbolische Ebene als sinnstiftende Instanz anzusehen, welche sozialstrukturell verfasste Ungleichheiten für individuelle Akteure subjektiv erfahrbar werden lässt. Für ein Verständnis der Konstitutionslogik dieser symbolischen Ebene (Knüttel/Seeliger 2011) erscheint es nun unerlässlich, die gesellschaftlichen Dynamiken in Betracht zu ziehen, aus denen heraus sich diejenigen Konstellationen ergeben, innerhalb derer sich die genannten Prozesse der Symbolproduktion (oder auch Repräsentationsregime, vgl. Seeliger 2011) vollziehen. Neben den komplexen Eigenlogiken des kulturindustriellen Verwertungszusammenhangs (Seeliger 2011a) müssen hierbei auch Disparitäten zwischen unterschiedlichen Sprecherpositionen (sowie deren inszenierte Repräsentation in den popkulturellen Bildwelten) in Betracht gezogen werden: »Nicht alle sozialen Gruppen können gleichermaßen auf den Prozess der Generierung und Durchsetzung von Repräsentationen einwirken« (Barlösius 2004: 233).

Vor diesem Hintergrund widmet sich die Fragestellung des vorliegenden Textes einer vergleichenden Betrachtung textlicher Motive zweier deutscher Rapper aus unterschiedlichen Genres: Wie wird soziale Ungleichheit

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in Gangsta-Rap und Politrap thematisiert und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus aus Sicht der Sprecher? Im Anschluss an eine überblickshafte Darstellung der Verbindung von HipHop-Kultur und dem Themenkomplex sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft werden zur Beantwortung der Fragestellung ausgewählte Textbeispiele hinzugezogen. Die Ergebnisse werden schließlich in einem abschließenden Fazit zusammenzustellen sein.

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UND SOZIALE

U NGLEICHHEIT

In ihrem Standardwerk zur glokalen HipHop-Kultur identifizieren Klein und Friedrich vier relevante Sub-Genres von Rap-Musik, welche sich neben spezifischen Themen auch durch besondere eigene symbolische Repräsentationssysteme auszeichnen. Während die beiden (2003: 25ff) mit Partyund Pimp-Rap zum einen zwei eher hedonistisch ausgerichtete Unterströmungen charakterisieren, schreiben sie den Genres des Gangsta- und des Polit-Rap eine durchaus ernsthaftere Schwerpunktsetzung zu. So lässt sich aus einer soziologischen Perspektive die Auseinandersetzung mit der Verteilung sozial relevanter Ressourcen als zentraler Gegenstand von Gangstaund Politrap-Texten identifizieren.1 Dass es eine Verbindung zwischen HipHop-Kultur und sozialer Ungleichheit2 in der Gesellschaft gibt, ist sowohl für die Sozial- und Kultur-

1

Hierbei ist anzumerken, dass sich beide Genres diesbezüglich nicht homogenisieren lassen. Während ein prinzipieller Bezug zu Ressourcenverteilung in der Gesellschaft wenigstens im Fall von Politrap noch als konstitutiver Bestandteil des Genres angesehen werden kann, gilt dies für Gangsta-Rap nicht unbedingt. Trotzdem sind entsprechende Referenzen auch dort zahlreich zu finden.

2

Wenn im Folgenden von sozialer Ungleichheit die Rede sein soll, wird hierbei mit der Definition von Kreckel ein sehr allgemeines Verständnis zu Grunde gelegt. Dies hat den Vorteil, dass mit diesem relativ weit gefassten Spektrum symbolischer wie materieller und sozialer (im Sinne von Netzwerkbeziehungen) Arten von Ungleichheit erfasst werden können. Kreckel (2004: 17) zu Folge liegt soziale Ungleichheit im weiteren Sinne »überall dort vor, wo die Möglichkeiten des Zuganges zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und/oder zu sozialen Positionen, die mit ungleichen Macht- und/oder Interak-

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wissenschaft als auch im Alltagsverständnis keine Neuigkeit. Zwar fällt diese je nach inhaltlicher Orientierung mal mehr und mal weniger eng aus, und es mag durchaus auch Formate geben, in denen sie augenscheinlich überhaupt keine Rolle mehr spielt, insgesamt birgt die Ursprungserzählung der HipHop-Kultur allerdings den Bezug zu gesellschaftlichen Verteilungsdisparitäten, die sich vor dem Hintergrund (ethnien- und klassenspezifisch) segregierter Wohnquartiere manifestieren. Weil ihnen ein Mangel an ökonomischen Ressourcen sowie ihre ›niedrige‹ soziale Stellung (und sicherlich nicht zuletzt auch das US-amerikanische Jugendschutzgesetz) den Zugang zu Diskotheken verwehrte, wurden die Jugendlichen in der New Yorker Bronx Ende der 1970er Jahre selbst als Kulturschaffende aktiv. Während die Akquirierung von DJ-Equipment hier wohl noch die größte Herausforderung darstellte, galt dies für die anderen drei ›Kernelemente‹ der HipHop-Kultur nicht: Spraydosen konnte man zur Not auch klauen, und zum Rappen und Breakdancen war – anders als z.B. zum Start eine Punkband – gar keine materielle Ausrüstung notwendig. Eine ähnliche Situation lässt sich mit Loh und Güngör (2002) sowie Loh und Verlan (2006) auch für die Anfangstage von HipHop in Deutschland konstatieren (vgl. den einleitenden Beitrag von Dietrich und Seeliger in diesem Band). Als besonders anfänglich bedeutsame Stoßrichtung von HipHop-Kultur im Allgemeinen wie Rap-Musik im Besonderen erkennt Titus (2000: 64) die »sprachliche Befreiung der schwarzen Minderheit und die Ablösung von der Sprachhegemonie der Weißen«. Entsprechend ist die Adaption hiphop-kultureller Praktiken durch jugendliche (Post-)MigrantInnen in der BRD zu Anfang der 1980er Jahre neben den materiell wenig exklusiven Teilnahmevoraussetzungen wohl vor dem Hintergrund des Identifikationspotenzials zu verstehen, welches sich ihnen durch die ebenfalls als randständig wahrgenommene Situation schwarzer Rap-Sprecher bot. Ähnlich identifiziert auch Scharenberg (2001: 247) die Stoßrichtung der HipHop-Kultur – und dies gälte v.a. für ihre Frühphase – als »symbolische[n] Angriff auf die dominanzkulturelle Hegemonie«. Den Symbolen der Dominanzkultur würden hierbei »eigene Zeichen und Symbole, auch

tionsmöglichkeiten ausgestattet sind, dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden«.

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eine eigene Sprache, also: das eigene kulturelle Kapital, entgegengesetzt« (ebd. 248).3 Blickt man nun auf die aktuelle Konstellation post-fordistischer Gesellschaften, lassen sich für die letzten Jahre Tendenzen einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten feststellen, die auf eine Veränderung unterschiedlicher gesellschaftlicher Kontextfaktoren zurückzuführen sind. So geht die Zuspitzung internationalen Wettbewerbs im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung v.a. seit den 1970er Jahren mit einer Restrukturierung der Arbeitsmärkte im Zuge des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft sowie einer fortschreitenden Erosion wohlfahrtsstaatlicher Arrangements einher (vgl. Lessenich 2008, Nachtwey 2008, Walter 2010), die sich in Form einer zunehmenden Spreizung von Einkommensverhältnissen und erwerbsvermittelten Desintegrationstendenzen (Häußermann/ Kronauer 2009: 113) im Alltag (nicht nur) westlicher Gesellschaften niederschlägt und auch vor jugendlichen Lebenswelten nicht haltmacht (Busch et al. 2010). Eine programmatische Rolle nahm für die jüngere Diskussion in der Bundesrepublik eine von Neugebauer (2007) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgelegte Studie ein, die eine Gefahr der »Prekarisierung« weiter Bevölkerungsteile belegen konnte. So werden entsprechende Entwicklungen nicht nur aus dem ›üblichen Verdächtigenkreis‹ linker SozialwissenschaftlerInnen moniert (siehe z.B. Castel und Dörre 2009), entsprechende Zeitdiagnosen finden sich auch bei konservativen VertreterInnen wie z.B. in der Rede von der »neuen Klassengesellschaft« (Nolte 2006). Wie Corsten und Rosa (2010: 447) bemerken, ergibt sich die These einer »Génération Précaire« aus zwei Umständen: Zum einen dem Eintritt in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis zu lebenszeitlich späterem Zeitpunk und zum anderen den politisch motivierten Ausschreitungen zwischen Jugendlichen und der Polizei, wie sie sich in Europa in den letzten Jahren v.a. in Frankreich zugetragen haben.

3

Noch expliziter, vermutlich aber auf etwas idealisierende Weise äußert dies auch Weinfeld (2000: 253): Text in der HipHop-Kultur ist ihm zu Folge »Reflexion – eine ursprünglich von den Ausgeschlossenen stammende kritische Reflexion über die psychischen, sozialen und ökologischen Mißstände in einer sich nun global durchsetzenden Welt- und Gesellschaftsordnung, gekennzeichnet durch Phänomene wie gnadenloser Sozialabbau, Zwangsmigration und aggressiven Wettbewerb«.

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Sowohl hinsichtlich der prekären Arbeitsmarktintegration als auch im Bezug auf die Aktionen kollektiven Protestes kommt der ethnischen Dimension eine besondere Bedeutung zu (vgl. Schittenhelm 2005, Schittenhelm et al. 2009). Gemeinsam mit Bremen haben v.a. die Bevölkerungen der deutschen ›Gangsta-Rap-Hochburgen‹ Hamburg und Berlin (Peters 2007) einen besonders hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. So stammt hier jeder vierte bis fünfte Einwohner aus einer Familie, in der mindestens ein Mitglied einen Migrationshintergrund besitzt. Gleichzeitig weisen die drei Städte auch im inner-deutschen Vergleich eine besonders hohe Erwerbslosenquote unter AusländerInnen auf (Läsker/Öchsner 2010). Auch unter Aspekten des zweiten Befundes erscheint Ethnizität als Schlüsselidentität: So konzentrieren sich nach Krummacher (2007: 109) Haushalte mit hohen Armutsrisiken in sozialräumlich benachteiligten Stadtteilen, bei denen es sich in fast allen Fällen um multiethnische Wohnquartiere handelt. Gleichzeitig ist hier außerdem eine Tendenz zur Abwanderung mittelständischer Haushalte zu verzeichnen. Das Dilemma, welches sich für die Bewohner entsprechender Stadtteile ergeben kann, schildern Häußermann und Kronauer (2009: 122): »In einer Nachbarschaft, in der vor allem Modernisierungsverlierer, sozial Auffällige und sozial Diskriminierte wohnten und in der vor allem bestimmte (abweichende) Normen und Verhaltensweisen repräsentiert sind, andere hingegen nicht oder immer weniger, wird ein internes Feedback erzeugt, das zu einer Dominanz abweichender Normen führt – die als Anpassungsdruck, als Homogenisierungstendenz wirkt.«

Unter den hier skizzierten Bedingungen sind nun »Gewalt und Verbrechen häufig die einzigen Mittel für Jugendliche mit proletarischem Hintergrund und ohne Aussichten auf ein Arbeitsverhältnis, um sich das Geld und die Konsumartikel zu beschaffen, die für eine sozial anerkannte Existenz unverzichtbare Voraussetzungen darstellen« (Wacquant 2009: 104).

Eine entsprechende gewaltförmige Verrohung der Straßenkultur wird auch von Zdun und Strasser (2008: 314) konstatiert:

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»Speziell Jugendliche mit wenigen Möglichkeiten, Reputation und Selbstbewusstsein aufzubauen, können leicht der Versuchung erliegen, dies durch Kämpfe zu kompensieren.«

Den skandalösen Charakter eines bedeutsamen gesellschaftlichen Problems gewinnt das Thema Gangsta-Rap vor allem aus einem aktuellen Krisendiskurs, der seit einigen Jahren mit zunehmender Intensität über solche, häufig als ›Problemstadteile‹ oder ›Brennpunkte‹ bezeichnete Wohnquartiere geführt wird. Als zentrale Bezugspunkte dieses Diskurses lässt sich eine stereotype Kreuzung der sozialen Kategorien Ethnizität, Geschlecht und Klasse erkennen, an deren Schnittstelle ein jugendlicher Bildungsverlierer mit Migrationshintergrund sein Unwesen in einem der oben beschriebenen ›Problembezirke‹ treibt (Seeliger/Knüttel 2010). Eine illustrative Beschreibung der Diskussion liefert Huxel (2008, S. 66). Ihr zu Folge werden männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund vor allem als ›Problemfälle‹ thematisiert, als Verursacher von Gewalt und Kriminalität, als Integrationsverweigerer oder als Schulversager. Populärwissenschaftliche oder auch autobiografische Bücher und Filme sowie die mediale Berichterstattung tragen dazu bei, dieses Bild zu prägen, indem die dort beschriebenen und oftmals unter künstlerischen oder journalistischen Gesichtspunkten dramatisierten Fälle als typische Formen migrantischer Männlichkeit diskutiert werden.«

4

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch Liell (2007, S. 269): »Kulturelle Differenz und Gewalt verdichten sich in diesen periodisch immer wieder neu aufflammenden Diskussionen zu einem Bedrohungsszenario, in dem die Gesellschaft auseinanderzubrechen und zu zerfallen droht.«

Entsprechend der skizzierten Diskurslogik skandalisiert etwa die Süddeutsche Zeitung den Alltag in den beschriebenen Quartieren in einer Zwischenüberschrift, in der der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky

4

Der Titel des Nachrichtenmagazins ›DER SPIEGEL‹ (2/08) »Migration der Gewalt. Junge Männer – die gefährlichste Spezies der Welt«, der sich auf einen gewalttätigen Übergriff zweier Jugendlicher auf einen Rentner bezieht (Käppner (2008)), kann hier als illustratives Beispiel dienen.

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mit folgenden Worten zitiert wird: »Es gibt Schulen, in denen man besser kein Salamibrot isst. Weil Schweinefleisch drin ist« (Meinhardt 2009). Ähnlich undifferenzierte Berichte finden sich (wie weiter oben angeklungen) auch im Spiegel: »An anderen Orten gibt es Gewinner und Verlierer – in Neukölln gibt es Leute, die Respekt verdienen, und es gibt Opfer« (Hüetlin 2010: 51). Auch ›intellektuelle‹ Organe wie die Zeit scheuen nicht prinzipiell vor einer skandalisierenden und tendenziösen Berichterstattung zurück. Während Sätze wie »Mit Gürtelschnallen dreschen junge Türken auf einen Polizisten ein« im Dossier über ethnisierte Jugendgewalt (Lebert, Willeke 2008) immerhin an die prominente Stelle einer Zwischenüberschrift gelangen, werden Referenzen an Polizeigewalt und Stigmatisierung gegenüber der ›Problemgruppe‹ im Text vergeblich gesucht. Gleichzeitig beteiligen sich an der Konstitution des Diskurses auch Politiker wie der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch, der sich als »akzeptierter Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen« (Beuckert 2008) geriert, oder Buschkowsky, der sich wie folgt äußert: »Studenten, die der billigen Mieten wegen im Bezirk wohnen, berichten, es sei absolut unangemessen, Gruppen von türkischen oder arabischen Jugendlichen nach Einbruch der Dunkelheit mit offenem Blick zu begegnen, man habe den Blick unbedingt zu senken« (Meinhardt 2009). Eine Gemeinsamkeit der hier nur skizzierten Auseinandersetzung ist die homogenisierende Darstellung in konfliktiver Manier aufeinandertreffender Lager einer Mehrheits- und einer Minderheitskultur. So beobachten Juhasz und Mey (2003: 31f), »dass die Kulturkonfliktthese Kinder und Jugendliche ausländischer Herkunft pathologisiert und sie vor allem als passive Opfer ihrer Situation und nicht als aktiv handelnde Individuen betrachtet«. Hinsichtlich ihrer Repräsentation in den Medien stellen Leenen und Grosch (2009: 216f) fest, dass im Zusammenhang mit (post-)migrantischen Jugendlichen »normale Entwicklungsverläufe und langweiliger Alltag weniger berichtenswert sind als vielmehr exotische Besonderheiten und emotional aufwühlende Konstellationen. Migrantenjugendliche sind als Normalbürger kein interessanter Gegenstand, wohl aber als gefährliche Täter oder als arme Opfer sowie als Helden oder als Verlierer in konflikthaften Auseinandersetzungen.«

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Wie nun am Beispiel des Textmaterials zu zeigen sein wird, ist es genau dieser Krisendiskurs, der die Referenzpunkte bietet, welche von GangstaRapsprechern in ihren Äußerungen hinzugezogen werden.

V ERGLEICHENDE T EXTANALYSE Für die Auseinandersetzung mit den textlichen Motiven der beiden RapStrömungen wurden mit den beiden Rappern Nate57 und Holger Burner zwei exemplarische Vertreter herausgesucht, die innerhalb ihrer jeweiligen Genres einige Bekanntheit genießen. Hierbei ist anzumerken, dass Politrap (jedenfalls zurzeit und in Deutschland) im Vergleich mit Gangsta-Rap einen wenigstens quantitativ weniger signifikanten Teil der HipHop-Kultur ausmacht. So kommt es auch, dass Holger Burner als dem in seinem Genre im deutschen Sprachraum wohl zurzeit mit am bekanntesten Rapper insgesamt weniger öffentliche Aufmerksamkeit entgegengebracht wird als Nate57, obwohl dieser insgesamt nicht zu den populärsten Vertretern deutschen Gangsta-Raps zu zählen ist. Neben ihrem Herkunftsort Hamburg liegt eine weitere Gemeinsamkeit der beiden darin, dass ihrer Selbstinszenierung im Internet für ihre Darstellungs- und Verbreitungskonzepte eine wichtige Bedeutung zukommt.5 Die folgende Auseinandersetzung mit jeweils zwei ausgewählten Liedtexten der beiden Künstler dient als Grundlage für die Beantwortung der weiter oben formulierten Frage nach der Bezugnahme auf soziale Ungleichheitsverhältnisse in Lyrics des Polit- und Gangsta-Rap.6 Der Tatsache, dass die Textanalyse in Relation zum Umfang des Gesamtwerkes der beiden Künstler nur auf Fragmenten beruht, wurde Rechnung getragen, indem im Anschluss an eine sorgfältige Auseinandersetzung nur Textpassagen ausgewählt wurden, die als möglichst repräsenta-

5

Zum Zusammenhang ›neuer‹ Jugendkulturen mit digitalen Medien siehe Hugger 2010.

6

Weiterhin basiert der vorliegende Text auf einem Experteninterview, das Ende 2011 mit Holger Burner geführt worden ist. Ein entsprechender Termin mit Nate57 konnte leider nicht vereinbart werden, da entsprechende Anfragen per EMail leider unbeantwortet blieben. An den Stellen, an denen im Text auf das Interview rekurriert werden soll, wird dies deutlich kenntlich zu machen sein.

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tiv für den Rest des Materials angesehen werden können. Da die hier getroffene Auswahl letztlich nicht objektiv begründbar (vgl. Nachtwey 2008: 20) ist, bleiben verallgemeinernde Aussagen über die Gesamtwerke, die auf Grundlage der vorliegenden Ergebnisse getroffen werden, notwendigerweise hinter ihrer Komplexität zurück. Holger Burner Als dezidiert linkspolitisch orientierter Rapper verbindet Holger Burner in seiner Musik Aktivismus und Subkultur. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Großteil seiner HörerInnen aus Angehörigen des linksautonomen Spektrums zusammensetzt, in dem der Schwerpunkt der Altersspanne laut Hitzler und Niederbacher (2010: 34) zwischen 16 und 30 Jahren liegt. Ähnlich wie in den Texten von Holger Burner zeichnet sich der Alltag innerhalb dieses Spektrums generell aus durch eine »Verbindung von Kultur und Politik« (ebd. 37). Während sich eine Homogenisierung der politischen Orientierungen innerhalb des Spektrums angesichts der mosaikartigen Binnendifferenzierungen kaum vornehmen lässt – Antideutsche, Antiimperialistin, Tierbefreierin, Stalinist und Antifaschistin sind hier nur einige Beispiele möglicher Selbstzuschreibungen, die sich nicht (kategorisch) gegenseitig ausschließen –, lässt sich die grobe ideologische Ausrichtung mit Matuschek et al. (2011: 12) auf den »kleinste[n] gemeinsame[n] Nenner« linksaffiner Gruppen und Milieus bringen: »Es wird in emanzipatorisch-herrschaftskritischer bzw. humanistischer Absicht Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Zu- bzw. Missständen formuliert.«

Wie Matuschek et al. (ebd. 43) weiterhin bemerken, ist bei engagierten linken Jugendlichen »bereits ein distinktiver Habitus mit antiautoritären, avantgardistischen Zügen ausgeprägt. Die Gruppenaktivitäten sind zudem durch ein hohes Maß an Intellektualität und rationaler Diskurskultur gekennzeichnet.«

Während sich derlei Avantgardismus und (wenigstens angenommene und/ oder erwünschte) Intellektualität in einer exklusiven Herangehens- und

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Darstellungsweise (wahrgenommener) gesellschaftlicher Probleme7 äußern kann, lassen sich entsprechende Referenzen in den Texten des Hamburger Rappers nicht, bzw. lediglich in geringem Umfang feststellen. Dieser Befund deckt sich mit dem im Interview explizierten Ansatz Holger Burners, AdressatInnen über allgemein verständliche Ausführungen einen Zugang zu politischen Themen zu erschließen und Gestaltungschancen aufzuzeigen. Die zu besprechenden Texte von Holger Burner tragen die Titel »Klassenkampfrap« und »Straßentreffen« und thematisieren unterschiedliche Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit in einem vordergründig nationalen Rahmen.8 Aus seiner Sicht erscheint eine (Re-)Politisierung von Rap erstrebenswert, »wegen Arbeitsplatzabbau ob bei Staat und Telekom/oder bei Airbus wegen dem Abziehen unserer Renten/wegen unglaublich übertriebener Aktiendividenden« (Klassenkampfrap)

Eine weitere beispielhafte Bezugnahme auf die ungleiche Verteilung (in diesem Fall von Bildung als Voraussetzung für die Chance auf soziale Teilhabe an Reichtum, Anerkennung und individuellen Entwicklungsmöglichkeiten) findet sich in den folgenden Zeilen: »es gibt nichts was effektiver aus dem Arbeitsmarkt herauskugelt/als der Satz »tut mir leid, für dich geht’s auf die Hauptschule«/Mit zehn Jahren wird dir klar, du bleibst ewig Unterschicht/Hast du das erst mal kapiert, dann scheisst du auf den Unterricht« (Straßentreffen)

Der Inhalt des Textes geht hier insofern über die bloße Beschreibung sozialer Disparitäten hinaus, als dass hinter der selektiven Wirkung des Bildungssystems ein gesellschaftlicher Mechanismus identifiziert wird. Ähn-

7

So deuten etwa abenteuerliche Adaptionen Kritischer Theorie in Organen wie dem Magazin Bahamas mitunter eher auf eine Dialektik (post-)linker Aufklärung hin.

8

Es ist anzumerken, dass dieser Fokus auf die Bundesrepublik die grundsätzliche politische Einstellung Holger Burners insofern nicht widerspiegelt, als dass dieser sich generell auch kritisch mit Ungleichheitsverhältnissen im grenzüberschreitenden Maßstab auseinandersetzt.

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lich wie in dem ersten zitierten Absatz erscheinen die Ungleichheiten hier nicht erst im Rahmen einer spezifischen Situation begründet, sondern liegen ›jenseits individuellen Einflusses‹. Als Konsequenz hieraus legt der Sprecher an unterschiedlichen Stellen Äußerungen eines kollektiven politischen Subjektes nahe, die sich aus einer anhaltenden Schlechterstellung von Bevölkerungsgruppen ergeben sollen: »Wir halten stand, wir halten zusammen/von uns aus könnt ihr weiter Phrasen dreschen/Eine Generation mit dem Rücken zur Wand – Am Ende werden wir uns auf der Straße treffen« (Straßentreffen)

Im Unterschied zur Ungleichheitsdiagnostik, die als ›Problemanalyse‹ gewissermaßen einen ersten Schritt in der Argumentationskette des Sprechers ausmacht, birgt die hier zitierte Textpassage einen appellativen Charakter. So lässt sich die erste Zeile nicht nur als Beschreibung eines bestehenden, sondern vielmehr als Aufforderung zur Herstellung eines erstrebenswerten Zustandes solidarischen Engagements lesen. Ähnliche Interpretationen lässt auch die folgende Passage zu: »Weil es wichtig ist, Alternativen aufzuzeigen/vom Streiken bis zur Möglichkeit Betriebe zu enteignen/weil Klassenkampf von oben schon seit Jahren einfach Fakt ist/und denen von unten fehlt halt leider noch die Praxis« (Klassenkampfrap)

Wie gezeigt wurde, bestehen in der Beschreibung von Holger Burner sowohl Ungleichheit als auch die Möglichkeit ihrer Aufhebung. Warum aber findet diese dann statt? Auch hierfür scheint der Rapper eine (Teil-) Erklärung zu haben: So bemüht er hier die (nicht mehr ganz neue) Erklärung einer medialen Öffentlichkeit, die einerseits zu einer Dethematisierung sozialer Ungleichheiten beitrage und weiterhin ein Wertebewusstsein vermittle, welches den von Ungleichheit Betroffenen die Möglichkeit zum kollektiven politischen Handeln unattraktiv (oder evtl. gar nicht) erscheinen ließe. So lauten die Anschlusszeilen an die ersten (s.o.) zitierten Absätze des Rappers folgendermaßen: »weil fast alle Menschen das zwar ähnlich hier sehn/Nur außer wählen zu gehen nichts in den Medien steht« (Klassenkampfrap)

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Eine nicht nur verschleiernde, sondern auch teilweise unmittelbar skandalisierende Funktion von Medien kommt in der Darstellung von Holger Burner auch in den folgenden Zeilen zum Ausdruck. »›Ich bin Reporter, hier n Fuffi, schmeiss mal diesen Stein…‹/Zu der Logik dieser Medien schreien wir ein lautes ›Nein‹/Die Ausländer werden hier nur reich, faulenzen die ganze Zeit/Wie kann man sowas sagen? Zu so was sagen wir nein« (Straßentreffen)

So würden diese bewusst Ereignisse provozieren, um später auf dramatische Art und Weise (und zu Lasten der Angestachelten) über sie berichten zu können. Neben dem Verweis auf ein vom Sprecher als real und dringlich beschriebenes Problem steckt hierin außerdem der Verweis auf eine Logik, die von Grund auf ungerecht erscheint. Unterdrückte werden hier nicht nur unterdrückt, ihr Versuch, sich von ihrer Unterdrückung zu befreien, dient außerdem ihrer weiteren Delegitimierung. Nate57 Die Inhalte des Raps von Nate57, dessen Liedtexte »Blaulicht« und »Kein Para« als Gegenstand der folgenden Auseinandersetzung dienen, drehen sich zumeist um alltägliche Erfahrungen wie die Bewältigung lebensweltlicher Probleme oder Freizeiterlebnisse unter widrigen gesellschaftlichen Bedingungen. Als narrative Kulisse, vor der sich die beschriebenen Situationen ereignen, dient hierbei das ›Leben im Viertel‹. Die Bemühung dieses symbolischen Bezugsrahmens stellt für das Genre Gangsta-Rap ein charakteristisches Stilmittel dar. Einerseits verweist die geringe räumliche Mobilität nicht nur auf geringe finanzielle Möglichkeiten als Zeichen dauerhafter räumlicher Gebundenheit (andere können schließlich wenigstens mal aus dem MallorcaUrlaub berichten). Weiterhin erscheint der eingeschränkte räumliche Erfahrungshorizont vor dem Hintergrund einer – wenigstens medial – prinzipiell enträumlichten Weltgesellschaft als ideelles Defizit. Anschließend an den weiter oben skizzierten Krisendiskurs um die ›Problembezirke‹ spiegelt sich hierin außerdem die Bezugnahme auf eine wahrgenommene Ablehnung von Seiten der Mehrheitsgesellschaft: ›Die Anderen‹ (Reuter 2002) bleiben eher draußen, gehen nur ungern ›rein‹, und wenn sie denn doch mal kommen, kriegen sie Probleme, weil sie die Regeln ›drinnen‹ nicht kennen (umgekehrt

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gilt natürlich das Gleiche). Im Werk von Nate57 wird dieser Referenzrahmen durch den Stadtteil St. Pauli dargestellt, der für die Inszenierung des Rappers besonders vor seinem Hintergrund als traditionellem Rotlichtviertel in der Funktion eines symbolisch aufgeladenen Sonderbereiches mit eigenen Logiken und Gegebenheiten wirksam wird. Wie sich anhand der folgenden Textstellen zeigen lässt, stellen Referenzen an die eigene materielle Armut ein zentrales Element der Texte von Nate57 dar. Die Zeile »Ich wohn in Crackcity, Eure Türen sind aus Gold« (Blaulicht)

veranschaulicht hierbei den relationalen Charakter der vom Sprecher wahrgenommenen Ungleichheitsverhältnisse mitsamt den Implikationen, die sie für die Beschaffenheiten der unterschiedlichen Lebenswelten mit sich bringen. Während der Sprecher im urbanen Drogensumpf der Crackcity feststeckt, verweisen die – offenbar lediglich von außen sichtbaren – Eingangstore einer Oberklassenwelt auf den Wohlstand im Innern. Das Motiv des Lotterie-Spielens veranschaulicht das vom Sprecher beschriebene Problem auf äußerst treffende Weise: »ich geh, spiel oddset, lotto totto/frag mich nich wieviel ich setze, denn das einzige was glänzt,/sind in meiner hand die cents/überzogen ist das konto« (Kein Para)

Wenn Chancengerechtigkeit und soziale Mobilität als Glücksversprechen der kapitalistischen Moderne uneingelöst bleiben9 und sich hieraus eine Klassenpolarisierung zwischen Armen und Reichen ergibt, erscheint die »subjektive Einschätzung, der Chancen, das Ziel des finanziellen Reichtums […] auch faktisch zu erreichen« (Deutschmann 2009: 38) als zentrale Voraussetzung des sozialen Friedens zwischen Kapitalhaltern und den Besitzlosen. Theoretisch könnte man ja gewinnen. Der hier beschriebene Mangel an materiellen Ressourcen wird allerdings nicht etwa in einem Zustand hoher gesellschaftlicher Anerkennung erfahren (wie er z.B. beim ansonsten erwerbsarbeitslosen Privatdozenten gegeben sein könnte). Gleichzeitig sind die Schilderungen des Rappers geprägt von Erfahrungen von Unterdrückung und Stigmatisierung:

9

Empirsch: Becker und Lauterbach (2007), theoretisch Rosa (2009: 97).

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»In keiner Gegend haben sie mehr zu tun, Santa Pauli Amjas/Schubserei, kleine Sache, sie komm mit ner Mannschaft!/Früher war das anders, heute sieht man alle zwei Minuten/am Marktplatz Streifenwagen langfahren!« (Blaulicht)

Als antagonistische Exekutive staatlicher Macht tritt hierbei – wenig überraschend – die Polizei in Erscheinung, die – wie auch im folgenden Textbeispiel – nicht nur unmittelbar in der Situation verfasste Unterdrückungsmomente produziert: »Die Handschellen sitzen fest, aber das ist extra, solche Leute haben Macht, ich ficke diesen Drecksstaat!« (Blaulicht)

Indem die zu fest geschlossenen Handschellen für das Opfer einen Druckschmerz verursachen, verdeutlicht der Sprecher in seiner Darstellung durch die als offenkundige Boshaftigkeit erlebte Konnotation der Handlung gleichzeitig eine versinnbildlichte Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft in der semantischen Dimension des zugefügten Schmerzes. Auf die etablierten Eliten in Wirtschaft und Politik scheint hinsichtlich einer Aufhebung dieser Ungleichheits- und Ausgrenzungsverhältnisse aus Nate57’s Sicht wenig Verlass zu sein: »Ihr spielt Gott in dem Parlament,/die Polizei ist ne Gang, schachfigurn/, nur das alle ihre Namen kenn’!« (Blaulicht) »Hast du ein Chef? dann merkst du nich, wie er dich fifi nennt?/Merkst du nich, wie er dich nach dem stock rennen lässt/und am ende des tages kriegst du kein fleisch, sondern ein knochenrest! (Kein Para)

Stattdessen würden Menschen seines Kalibers auf Grund ihrer sozialen Bedeutungslosigkeit dazu aufgerufen,10 die ihnen zugemuteten Zustände hinzunehmen und nicht weiter in Frage zu stellen.

10 So wird die genannte Zeile auch von einem unbekannten Sprecher mit tiefer, tonal nach unten verschobener und verzerrter Stimme gesprochen. Ob hiermit nur die Polizei parodiert oder ein genereller in soziokulturellen Normalitätsimplikationen verfasster Wertekanon angesprochen werden soll, bleibt allerdings unkar.

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»Schweig und sei leise/Muck nicht gegen das System, Du bist nur ne Ameise« (Blaulicht)

Dass der Rapper hierzu (nach außen hin) allerdings wenig Bereitschaft zeigt, verdeutlicht sich am folgenden Textauszug, in dem die Gewalteskalation als Moment devianten Empowerments und somit Mittel (kurzfristiger) Bewältigung dargestellt wird. »War das verständlich genug, ich red im Slang,/damit Jungs aus’m Ghetto auch verstehen wie ich denk!/Und denkt ihr genauso, dann hebt eure Faust hoch/Wir lassen uns nicht unterdrücken, verbrennt die Autos!«

Interessant erscheint hier der Aufruf zum gezielten Entzünden von Fahrzeugen, der als unmittelbare Referenz an die Aufstände in den Pariser Banlieues (Castel 2009) verstanden werden kann. In dieser Bezugnahme zeigt sich besonders deutlich, dass sich die beschriebenen Formen abweichenden Verhaltens eben nicht als isoliertes Phänomen begreifen lassen, sondern vielmehr auf (die Wahrnehmung) kollektiv geteilte(r) Lebensumstände zurückzuführen sind. Vor dem Hintergrund der (dargestellten) Lebenswelt des Sprechers erscheint sich diese Bewältigung einerseits durch die bloße Thematisierung von Marginalisierungserfahrungen zu vollziehen. Das – vermutlich – zentralere Moment lässt sich allerdings in den dargestellten Motiven des Empowerment identifizieren. Anders als im Rahmen des weiter oben beschriebenen Krisendiskurses vermittelt, ergeben sich Devianz und Delinquenz nicht (allein) aus dem Übermut Testosteron-irritierter Jugendlicher, die sich (womöglich auf Grund ›kultureller Differenzen‹) in der Schule nicht benehmen können. Vielmehr werden diese auch als unmittelbares Rebellieren gegen als ungerecht wahrgenommene gesellschaftliche Rahmenbedingungen interpretierbar.

F AZIT Wie die Auseinandersetzung mit den ausgewählten Texten der beiden Rapper gezeigt hat, setzen sie sich nicht nur textlich mit äußerst ähnlichen Themen (ungleiche Teilhabechancen und Ausgrenzungserfahrungen in der

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Gesellschaft) auseinander, sondern teilen auch bezüglich ihrer Beurteilung ähnliche Einschätzungen. Zur Veranschaulichung des ersten Ergebnisses des Vergleichs beider Rapper lässt sich die Diagnose eines gemeinsamen Fluchtpunktes linker Weltbilder anführen, wie er von Matuschek et al. (2010: 12) herausgearbeitet werden konnte. Dieser liege in der »in unterschiedlicher Klarheit formulierte[n] Wahrnehmung von Defiziten der bestehenden Gesellschaftsordnung, insbesondere der politischen und ökonomischen Verhältnisse«.

Es zeigt sich also, dass sich wenigstens Elemente einer linkspolitischen Orientierung in beiden Fällen nachweisen lassen. Hiermit ist natürlich nicht gesagt, dass sich diese – im Falle der Gangsta-Rapper – auch zu einem umfassenden Weltbild verdichten würden. Was allerdings verdeutlicht werden konnte, ist die Tatsache, dass sich ihre inhaltliche Themensetzung eng an Verweisen auf vorherrschende Ungleichheitsverhältnisse in der Gesellschaft orientiert, die v.a. einerseits als Kritikpunkte und andererseits als Ursachen abweichenden Verhaltens angegeben werden.11 Ein erster Unterschied zwischen den Texten der beiden Rapper ergibt sich allerdings im Hinblick auf die Frage nach möglichen ursächlichen Mechanismen, die den thematisierten Problemen zu Grunde liegen. Während entsprechende Diagnosen bei Holger Burner durchaus vorkommen und sich nicht nur in Verweisen auf (wahrgenommene) Ursachen erschöpfen, sondern häufig auch mit konkreten Handlungsaufforderungen verbunden sind, treten solche Referenzen bei Nate57 wesentlich weniger häufig auf. Gangsta-Rap-Texte scheinen hier eher auf eine subjektive Bewältigung von Problemlagen zu zielen. Während die politische Dimension der Texte im Fall von Holger Burner gewissermaßen als ›Markenzeichen‹ fungiert (die meisten wissen vermutlich, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich entscheiden, Lieder von Holger Burner anzuhören), ist diese in den Lyrics von Nate57 bei oberflächlicher Auseinandersetzung weniger gut zugänglich. Gleichzei-

11 Wie an anderer Stelle ebenfalls gezeigt werden konnte (siehe etwa Seeliger/Knüttel 2010), dienen sie außerdem als konstitutiver Bestandteil der Selbstdarstellung, weil so die Darstellung einer erfolgreichen Erwerbsbiografie als Gangsta-Rapper unter widrigen gesellschaftlichen Bedingungen für die Sprecher als Inszenierungselement verfügbar wird.

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tig werden hier allerdings mit einer weitaus größeren Fülle alltagsweltlicher Referenzen aus dem Umfeld sowie Verweisen auf die Befindlichkeit des Sprechers und seiner Freunde Identifikations- und Kohärenzangebote unterbreitet, die auf eine Bewältigung der beschriebenen Situationen abzielen (ob diese mit den Lebensentwürfen der HörerInnenschaft übereinstimmen, bleibt dabei unerheblich). Interessant erscheint abschließend die Frage, warum die eigentlich recht offenen Bezüge zu den Ungleichheitsstrukturen der (bundesrepublikanischen) Gesellschaft in der Diskussion um deutschen Gangsta-Rap nicht in Betracht gezogen werden: »In der Regel wird gar nicht hinterfragt, was die Jugendlichen mit ihren Formen des ›Sich-sichtbar-Machens‹ ausdrücken wollen, welcher gesellschaftliche Missstand bzw. welche strukturellen Probleme hinter ihren Handlungen liegen« (Reutlinger 2009: 286).

Angesichts des beschriebenen Krisendiskurses scheint es offensichtlich, dass die Deutungsmacht der im massenmedialen Feld etablierten Akteure sensiblen Interpretationen durch eine genuin skandalisierende Darstellung Vorschub leistet. Entsprechende Einschätzungen lassen sich – wenn auch in abgeschwächter Form – auch im wissenschaftlichen Feld vernehmen. So identifizieren Kleiner und Nieland (2007: 239) Gangsta-Rap als »Geschichte von Grenzerfahrungen und Grenzziehungen, der es nicht um Versöhnung und Dialog mit der Gesellschaft, von der sie marginalisiert und ausgeschlossen werden, geht«.

So bleibt diese Deutung des Genres als Pool von Narrativen devianter Lebensentwürfe dem skandalisierenden Tonfall des Krisendiskurses verhaftet, ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Betracht zu ziehen, die letztlich seinen soziokulturellen Nährboden darstellen. Selbstverständlich mag es nun Genrevertreter geben, bei denen diese Aspekte sozialer Ungleichheit weniger im Vordergrund stehen als es beim Hamburger Rapper Nate57 der Fall ist. Es bleibt allerdings kritisch anzumerken, dass diese in den deutschen Massenmedien nach wie vor wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfahren.

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Von Miami zum Ruhrpott Analyse von Gangsta-Rap-Performances in den USA und Deutschland M ARC D IETRICH Jede Gesellschaft hat ihre schwachen Punkte, ihre Wunden. Legen Sie Ihren Finger auf die Wunde und drücken Sie fest zu. Zeigen Sie die Schattenseiten hinter dem Dekor. Insistieren Sie auf der Krankheit, der Agonie, der Hässlichkeit. Reden Sie vom Tod, vom Vergessen. Von Eifersucht, Indifferenz, Frustration, Liebesmangel. Seien Sie widerwärtig, dann werden Sie wahrhaft sein. MICHEL HOUELLEBECQ 1991, ZIT. NACH KRAUSE 2001

E INLEITUNG Wer sich als Privatperson oder interessierter Wissenschaftler mit Rap beschäftigt und im Alltag mit Menschen über dieses Thema ins Gespräch kommt, mag des Öfteren etwa folgende Einschätzung zu hören bekommen: »Früher war Rap noch intelligent und politisch ambitioniert, heute geht es doch nur noch um Geld, Gewaltverherrlichung und fragwürdige Frauenbilder«. Wer diese Einschätzung teilt, verkennt, dass Rap bereits Mitte der 1980er Jahre (also gerade mal wenige Jahre nach dem ersten kommerziel-

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len Lebenszeichen der Kultur) in verschiedene Subgenres zerfallen war. Nicht gerade marginal vertreten war auch damals Gangsta-Rap. Szenegrößen wie Schoolly D, Ice-T oder (später) Kool G Rap, die schon damals die meisten Themen und Symbole installierten, die besagte Kritiker heute auf den Plan rufen, können als wichtige Künstler betrachtet werden, deren Produktionen gewissermaßen wegweisend waren1: Während Public Enemy oder Paris die politisch-revolutionäre (mitunter afrozentrische) Attitüde salonfähig machten, wählten genannte Größen einen anders orientierten, vielleicht radikaleren und deswegen auch heiß diskutierten Weg. An die Stelle des sozialkritischen, (klassen-)kämpferischen Ichs in Politrap-Texten, trat im »G-Rap« das seiner Devianz bewusste Subjekt, dass seine Emanzipationsnarrative und Aufsteigerfantasien geschickt in »crime stories condensed into four minutes of audiodrama« (Toop 2000: 19) verpackte. Straight outta Compton Wenngleich N.W.A. nicht die Urheberschaft des Genres für sich beanspruchen können, so lässt sich bei den Pionieren des G-Funk (Gangsta-Funk) doch einiges ablesen, was bis heute kulturell zirkuliert und Gangsta-Rap prägt. Einige Aspekte, die auch in diesem Beitrag eine Rolle spielen werden, seien erwähnt: Die legendäre Single »Straight outta Compton« nimmt so ziemlich alles vorweg, was auch aktuell zu polarisierenden Einschätzungen auf Seiten der Kritiker und Hörer führt: Vermeintlich soziophobe, gewaltverherrlichende, frauenverachtende Statements und Aussagen jenseits moralischer Standards werden in Form aggressiver Raps über harte, monotone Beats vorgetragen. Das zugehörige Video inszeniert den sozialen Brennpunkt Compton zum Kriegsschauplatz, wo Schwarz und Weiß, Straßengang und L.A.P.D. schonungslos aufeinander treffen. Der Afroamerikaner erscheint hier als Repräsentant einer systematisch unterdrückten Minderheit, die allein aufgrund ihrer Hautfarbe zum Opfer der polizeilich durchgeführten Menschenjagd wird und sich als glaubwürdiger Verbreiter von »streetknowledge« präsentiert. Der subversiv »spittende« Akteur wird

1

Für diese Einschätzung spricht, dass auch aktuelle Künstler wie Kanye West und Common oder Intellektuelle wie Eric Michael Dyson, die nicht gerade bekannt dafür sind, sich an banalen Hedonismus- und Gewaltphantasien zu erfreuen, solche Akteure als Vorbilder bzw. wichtige Einflussgrößen betrachten.

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aus dem öffentlichen Raum entfernt, die überwiegend weiße Polizei wird zum rassistisch motivierten, starken Arm des »law and order« inszeniert. Im Video sehen die Rapper zwar aus wie »G’s«, sind hier aber vornehmlich als sprechende (nicht gewalttätige) Rollenspieler2 präsent, die sich bewusst als Mörder, Vergewaltiger oder Gewaltverbrecher portraitieren. N.W.A. liefern mit ihren Raps ungefilterte Einblicke in die pervertierte Seele des Ghettobewohners und steigern alle zirkulierenden Stereotype vom jungen, asozialen und gewaltbereiten Afroamerikaner bis zur Transgression. Der Sozialraum wird zum Kristallisationsort sozialer und rassenbedingter Konflikte, und der Rapper beansprucht streetcredibility qua Herkunft. Durch den glaubwürdigen Bezug auf die Hood wird das Subjekt in seiner Sprecherposition legitimiert. Dabei hat diese Form der Berichterstattung aus dem Ghetto wohl mehr mit dem Sensationsjournalismus gemein als mit einer mehr oder minder »nüchternen« Reportage im Sinne eines »Black CNN« (Chuck D). Das lyrische Ich im US-Gangsta-Rap präsentierte sich als aggressives, betont deviantes Subjekt, das sich vom »weißen Hegemonialsystem« exkludiert und diskriminiert fühlt. Jene »Outsider-Attitüde« wurde auch dann aufrecht erhalten, als die Lyrics mit der Zeit stärker um Aufstiegsphantasien kreisten und das lyrische Ich gewissermaßen dem amerikanischen Traum (»from nothing to something«) nachjagte. Das New Yorker Mitglied der legendären Juice Crew um Marley Marl, Kool G Rap, mag der erste Rapper gewesen sein, der eben jenes Erreichen von Erfolg und Wohlstand mit Mitteln des Ghettos (Drogenhandel und oder der Zuhälterei) ins Bild setzte. Das schwarze deviante Subjekt war fortan auch Geschäftsmann im Mafioso-Zwirn und erreichte die Vorzüge des hegemonialen Erfolgs-Ideals mit einer Mischung aus afroamerikanischer Straßen-Attitüde und der Kaltschnäuzigkeit eines Tony »Scarface« Montana.

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Dass es sich bei der Performance um das Schlüpfen in eine Rolle oder Kunstfigur handelt, kann ein »close reading« der Lyrics aufzeigen. Deutlich wird dann, dass MC Ren in seiner Standardrolle des »motherfuckin villain« präsent ist, Ice Cube den »crazy motherfucker« gibt und Eazy-E sich als skrupellosen, hinterlistigen Gangster vom Typus »a Brotha That'll Smother Yo' Mother« darstellt.

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Gangsta-Rap als Pop Vergessen werden darf bei all diesen Ausführungen nicht, dass Pop immerzu eine Bühnen- und auch Gangsta-Rap als Teil des Popbetriebs eine Performance ist. Nur wenige würden eine Aussage wie die Talib Kwelis teilen, der zufolge Rap gewissermaßen eine soziologisch fundierte Analyse bestehender Verhältnisse darstellt3. Toops Einschätzung bezüglich des Gangsta-Raps als Audiodrama lässt in diesem Zusammenhang eine interessante Eigenschaft des Genres erkennen: Bei der Performance der Gangsta-Rapper handelt es sich um eine ästhetische Darbietung, die einerseits zwar biografische Anbindungen haben mag, nicht zuletzt aber eine Inszenierung (»Drama«) ist. Nach einer gängigen These ist die Inszenierung des authentischen Subjektes, das »being real« eine Elementarstrategie im Rap (Klein/ Friedrich 2003). Die oftmals verwirrenden und kunstvoll verschachtelten Verschmelzungen von Biografie und Fiktion, Leben und Kunst erschweren und bereichern die Rezeption. Eine weitere Eigenheit bilden die Sprachspiele. Rap hat zweifelsohne seine Wurzeln in der afroamerikanischen Kunst und Kultur (Toop 2000; Kage 2004; Klein/Friedrich 2003). Der ironische, andeutende und im Modus der Übertragung funktionierende Duktus in Raptexten wird manchmal nicht in seiner spezifischen Qualität erkannt, da Rap zuweilen außerhalb der Tradition verortet oder nicht mit dieser in Verbindung gebracht wird. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang etwa das Braggin and Boastin (das bewusste Übertreiben und Überzeichnen von Schilderungen, wie man sie idealtypisch in Muhammad Alis Kampfrhetorik findet), das Playing the Dozens (Sprachspiele der spielerischen Provokation im afroamerikanischen Straßenmilieu) oder aber das Signifying (vgl. dazu Kage 2004: 40-43). All jene und einige weitere (sub)kulturelle Eigenheiten im (Gangsta-) Rap sind im Blick zu behalten, wenn es um eine differenzierte Auseinandersetzung mit Texten und Performances jenseits des manchmal anzutreffenden »Wortwörtlich-Nehmens« oder gar der Identifizierung des authentischen Subjektes mit der Kunstfigur gehen soll. (G-)Rap ist Pop, ist eine Inszenierung, die medial verbreitet und für verschiedene Formate/Publika ex-

3

»[…] in der Soziologie geht es um die Gesellschaft und die Menschen in ihr, Englisch ist die Sprache – beides zusammen ist HipHop« (Talib-Kweli-Zitat Juice, 06/2010, S. 54).

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plizit produziert wird. Ob die biografischen Referenzen überwiegen oder nicht – Rap ist ein Spiel, in dem die Karte der Realness mal mehr, mal weniger ausgespielt wird4. In der Folge möchte ich aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Sicht versuchen, eine zeitgenössische US-Gangsta-Rap-Performance auf ihren Konstitutionsmodus hin zu untersuchen. Das theoretische Anliegen besteht darin, die sozialen und kulturellen Referenzsysteme, den sogenannten Dokumentsinn (Bohnsack 2009: 31, Bohnsack 2008: 159), herauszuarbeiten, wie er sich in der Darbietung abzeichnet: Welche Kategorien und Verweise dokumentieren sich in der Inszenierung des authentischen Subjekts in Gangsta-Rap-Performances? Was in dieser Analyse also im Mittelpunkt steht, ist mit Eco gesprochen die intentio operis5. Als Untersuchungsgegenstand wähle ich ein Musikvideo des Gangsta-Rappers Rick Ross, der aktuell neben 50 Cent und Young Jeezy wohl als prominentester Vertreter des Genres in den USA angesehen werden kann. Der afroamerikanische Rapper ist seit seiner programmatischen Debütsingle »Hustlin’« (2006) mit mehreren Erfolgs-Alben vertreten und kann als Repräsentant des so genannten »Coke-Rap« (eines Subgenres des Gangsta-Rap, das auch mit Namen wie The Clipse oder Raekwon verknüpft ist) kategorisiert werden. Im Schlussteil weise ich auf einige Parallelen und Differenzen zu deutschem Gangsta-Rap hin.

M ETHODISCH -T HEORETISCHE ANMERKUNGEN Die hier durchgeführte Analyse des Musikvideos – ein Gegenstand, der im gegenwärtigen Diskurs seltsamerweise vernachlässigt wird – lehnt sich an verschiedene Ansätze aus dem Bereich der Soziologie bzw. Medien- und Kulturwissenschaft an und folgt insofern dem aus den Cultural Studies bekannten Prinzip der ›Werkzeugkiste‫ދ‬: Der die Bildanalyse betreffende me-

4

Zur aktuellen Diskussion um den Status der Realness im HipHop vgl. die

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Dazu Eco: »[…] man muss im Text nach dem suchen, was er unabhängig von

Schwerpunktausgabe des Source Magazine, September 2010. den Intentionen seines Autors sagt. […] man muss im Text nach dem suchen, was er in Bezug auf seine eigene kontextuelle Kohärenz und auf die Signifikationssysteme sagt, auf die er sich bezieht« (Eco 1992: 35).

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thodische Zugriff orientiert sich partiell an Ralf Bohnsacks dokumentarischer Bild- und Videohermeneutik und dessen analytischer Trennung von vor-ikonografischer, ikonografischer und ikonologischer Ebene (vgl. Bohnsack 2009: 56-58). Mit diesem Vorgehen soll der Eigengesetzlichkeit der Bilder und dem, was sich in ihnen dokumentiert, Rechnung getragen werden (Bohnsack 2009). Zudem möchte ich mich bei der Interpretation der von John Fiske ins Feld geführten Annahme verpflichten, dass a) populäre Texte (d.h. auch Filme und Videos) stets als polyseme und »offene« Erzeugnisse zu betrachten sind (was bedeutet, dass es multiple Anschlussmöglichkeiten seitens des Rezipienten gibt) und b) Texte auf sozial und kulturell existente Macht- und Konfliktrelationen referieren (Fiske 2001). Damit dürfte klar sein, dass meine Interpretation sicherlich nicht die einzig mögliche ist, immerhin aber einen Anspruch auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit stellt. Hinzu kommen einige Grundannahmen und Begriffe aus der neoformalistischen Filmtheorie David Bordwells, der etwa dem Beginn eines Filmes (hier: Videos) eine herausragende Bedeutung zuschreibt, insofern die Erwartungen des Zuschauers vorstrukturiert werden (Bordwell 2008). Primär geht es in diesem Beitrag also um eine Inhaltsanalyse, die anhand von Bildern mit einer besonderen »Fokussierung« (Bohnsack 2008: 196-197) expliziert wird. Ausführungen zum Schnitt, der Kamera oder tiefere Einsichten zur Plotkonstruktion müssen aus pragmatischen sowie aus Platzgründen entfallen.

E MPIRISCHER T EIL : V IDEOHERMENEUTISCHE ANALYSE VON M AFIA M USIC II (R ICK R OSS ) Das dem Album Teflon Don (2010, Maybach Music Group/Def Jam) zugehörige Video Mafia Music II, dem alle vorliegenden Screenshots entnommen sind, lässt sich grob in drei Teile gliedern: Erstens eine Art Introduction (oder Exposition), die den per Limousine zu seinem Anwesen fahrenden Rapper einführt. Innerhalb dieser Eingangsszene wird die Fahrt aus der Sicht von Rick Ross, der durch die Straßen von Porte au Prince (Haiti) manövriert, gezeigt, ohne dass zunächst erkennbar ist, dass der Zuschauer das Geschehen aus der Perspektive von Ross wahrnimmt. In diesen Abschnitt mischen sich als Bildstörung getarnte Bilder von Mafiosi und Gangstern.

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Der zweite Teil bildet das Hauptgeschehen ab, welches auf dem Anwesen des Rappers stattfindet. Gezeigt werden Rick Ross und seine »Gespielin« (die R&B-Sängerin Chrisette Michelle) in einem luxuriös-extravagant eingerichteten Haus. In einem letzten, dritten Teil setzt eine bemerkenswerte Szene ein: Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem vom Album inspirierten Film Teflon Don (»Teflon Don – The Movie«). Jene Szene gliedert sich ästhetisch und narrativ in das bisherige Video ein – ein Bruch im Sinne eines angefügten Trailers kann nicht festgestellt werden. Das Intro

Fotogramm 1 (Intro)

Die Startsequenz (Fotogramm 1) überrascht. Verrauschte Bilder, die einen schlechten Empfang suggerieren, setzten unvermittelt ein, aus der Perspektive eines Autocockpits sieht man eine Straße in südlichen Gefilden (Sonne, grüne Bepflanzung). Erhärtet wird der grobe geografische Verdacht durch die extradiegetische Crediteinblendung »Port au Prince, Haiti«. Aus dem Auto heraus sieht man zwei dem Wagen vorausfahrende Motorräder. Die Fahrer scheinen einer Art Schutztruppe oder Miliz anzugehören – dies lassen die gleichfarbigen, in Sandton gehaltenen und von daher an soldatische Kleidung erinnernden Hemden der Biker vermuten.

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Fotogramm 1.1. (Intro)

Fotogramm 1.2. (Intro)

Fotogramm 1.3. (Intro)

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Fotogramm 1.4. (Intro) Nach weiteren verwackelten Bildern, die so einen stark realistischen Effekt erzielen, blendet der Clip in eine Reihe von schwarz-weißen Bildern über (Fotogramme 1.1.-1.4.). Aufgrund (1) eines expliziten ästhetischen Bruches (Einblendung und Überblendung von Fotografien in schwarz-weiß lösen unruhige, farbige Bilder aus dem Autocockpit ab) sowie der Tatsache, dass (2) die gesamte Sequenz immerhin zweiundvierzig Sekunden beansprucht, sowie (3) Eingangssequenzen ohnehin die Erwartungen des Rezipienten stark prägen (Bordwell), gilt es, hier eine vertiefte Analyse durchzuführen. Die ineinander übergehende und so eine gewisse Zusammengehörigkeit evozierende Bilderreihe ruft dem informierten Zuschauer einige der vielleicht berühmtesten und gefürchtesten (US-amerikanischen) Gewaltverbrecher der letzten einhundert Jahre ins Gedächtnis. Zu sehen sind (hier nicht alle angebildet.): Al Capone, Pablo Escobar, Joe Gotti, Benjamin Siegel, Meyer Lansky, Corey Miller, Gravano Salvatore, Paul Castellano, Elsworth »Bumpy« Johnson, Carlo Gambino, Frank Costello und Larry Hoover. Was hat es nun mit dieser Bildreihe auf sich? Um es einmal vorwegzunehmen: Zu erkennen ist die Strategie, populäre Schicksale bzw. Mythen aufzugreifen, um die eigene Performance daran anzulehnen. Es bedarf sicherlich keiner besonderen Kenntnis, um Teile der vorgeführten Personen namentlich und gemäß ihrem kriminellen Status zu identifizieren.6 Worin liegt nun die genaue Funktion der »Gangster-Foto-Strecke«? Wenn das Intro dazu dient, die zentrale Figur (Ross) näher zu beleuchten, kann konstatiert werden, dass der Rezipient mit dem Protagonisten-Status vertraut gemacht werden soll. Es scheint naheliegend, dass in der Über-

6

Nähere Informationen zu den Kriminellen-Biografien finden sich bei Wikipedia.

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blendung der Ross-Perspektive mit den Gangsterbildern eine Verschmelzung des (Rapper-)Subjektes mit den mythischen Erzählungen um die Mafiaprotagonisten stattfinden soll. Rick Ross inszeniert sich als jemand, der mit einer Eskorte (Milizen auf Motorrädern) zum Anwesen geleitet wird. Die Mystifizierung der Perspektive und die Überblendung in die MafiosiBilder dienen der Unterstreichung des Status: Hier kommt jemand, der in einem Atemzug mit der Gambino-Familie, Al Capone und Straßengangstern a la Larry Hoover zu nennen ist. Bevor also Ross selbst in Erscheinung tritt, wird der Einzug mittels eines »parasitären Aufmerksamkeitsgewinns« (Bohnsack 2008: 238) vorbereitet: Indem über die Bilder das »who is who« amerikanischer GangsterIkonen zitiert wird, eignet sich der eigentliche Akteur Semantiken – Mythen, kulturell zirkulierende Texte – an, die mit diesen Personen verbunden sind. Die Strategie scheint zu sein, solche Figuren auszuwählen, die ein gewisses Maß an Popularität erlangt haben, sodass möglichst viele Zuschauer »verstehend« anschließen können. Unabhängig davon, ob der Rezipient die Vita etwa eines Capones genau kennt, kann davon ausgegangen werden, dass Status und Leistung des Akteurs zumindest grob klassifiziert werden können und es zu einem Effekt der »Beeindruckung« kommt. Neben diesem in seiner Grundfunktion typischen Selektionsmodus für Pop-Produkte (die Anlehnung, das Zitat), lässt sich jedoch eine weitere Auswahlstrategie ausmachen. Ein Abgleich der Mythen, die um die einzelnen abgebildeten Verbrecher kreisen, zeigt, dass ihnen allen Folgendes gemeinsam ist: Es handelt sich um Akteure, die versuchen, aus dem »Nichts« heraus möglichst viel zu erreichen. Jede Figur steht auf ihre Weise für einen Aufsteigernarrativ, der eine von Armut und Ausgrenzung geprägte Ausgangssituation formuliert und diese zu einer Karriere als erfolgreicher »Geschäftsmann« fortschreibt. Alle Personen verkörpern gewissermaßen die Jagd nach dem »amerikanischen Traum«. Dieser Traum wird aber nur abstrakt mit den gesellschaftlich anerkannten Mitteln (»Du selbst musst es aus Eigeninitiative schaffen«) erfüllt. Eher stehen die Karrieren für das Erreichen allgemein angestrebter Ziele (Erfolg, Wohlstand, Reichtum) mit allgemein verurteilten Mitteln. Die Gangster sind damit der Anomie unterlegene, d.h. »deviante Subjekte« im Sinne Robert K. Mertons (vgl., Coser/ Fleck 2007: 161-166). Kriminelle Handlungen prägen die »Erfolgsbiografien«, Ross schreibt sich virtuell in eine Ahnenreihe von Figuren ein, die mit illegalen Methoden zum Ziel gelangen. Zu dieser besonderen und allen

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selektierten Figuren gemeinsamen Charakteristik fügt sich für die überwiegende Zahl eben ein migrantischer Hintergrund. Die Vertreter der amerikanischen Mafia weisen überwiegend eine italienische Einwanderervergangenheit auf. Corey »C-Murder« Miller und Larry Hoover sind Afroamerikaner und gerade aus Sicht der schwarzen Rap-Community sicherlich als vom dominanten Amerikanerbild geschieden zu betrachten. Festzuhalten bleibt, dass es sich bei den gewählten Personen überwiegend um Gewaltverbrecher handelt, die (1) den amerikanische Traum mit kriminellen Mitteln erkämpft haben (zumindest vorübergehend), (2) überwiegend einen migrantischen Hintergrund haben und (3) in vielen Fällen das Bild vom nach außen hin stilvollen, luxuriös lebenden, pragmatischen Geschäftsmann kultiviert haben. Der Hauptteil

Fotogramm 2 (HT)

Fotogramm 2.1. (HT)

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Fotogramm 2.2. (HT)

Fotogramm 2.3. (HT) Die populärkulturellen Anleihen setzen sich in der Anschlusssequenz fort, wenn das Haus (am Strand gelegenes Anwesen mit Pool) als Setting etabliert wird (Fotogramm 2 bis 2.3.): Aus der Vogelperspektive wird der Zuschauer mit dem Luxusanwesen sowie dem Feature-Gast (Credit »Chrisette Michele«) vertraut gemacht. Optisch erinnert diese Sequenz (Fotogramm 2.3.) an den Vorspann von Hollywoodfilmen oder Hochglanz-Serien, wie sie für die amerikanische Unterhaltungsindustrie typisch sind. Die visuell vermittelte Charakterisierung fügt sich in das bislang evozierte Bild vom schwerreichen, dekadenten Lebensstil (Rolls Royce mit Eskorte) und etabliert den Akteur als halbseidenen Businessman. Durch den weichen Schnitt wird das Maybach-Logo (die Luxusmarke von Mercedes) mit Ross überlagert – Ross ist sozusagen der »Maybach unter den Gangstern« und damit ein »Super-Gangster«. Eine eingelagerte Sequenz, die in der Folge durch die Redundanz als Motiv erkennbar wird, führt dann zurück zum erlesenen Fuhrpark des Rappers (Fotogramm 2.2.).

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Der Tatsache Rechung tragend, dass Musik-Videos in erster Linie durchchoreografierte Artefakte darstellen, kann konstatiert werden, dass Details wie die getragene Bekleidung oder die eingeblendete Luxusmarke eine bestimmte Funktion für die Performance einnehmen: In diesem Falle dienen sie als klassenspezifische Symbole, die auf ein bestimmtes Milieu oder einen bestimmten Habitus verweisen sollen. Wenn der Rapper mal in HipHop-typischer Streetwear inklusive »Bling Bling« (so das diskurstypische Wort für protzigen Schmuck) gezeigt wird, der Fuhrpark auch Fahrzeuge enthält, die einem »Ghettochic« entsprechen (auffällige Lackierung, glänzende Felgen), und in der nächsten Szene das eher dezente Äußere mit europäischen Prestige-Autos (Mercedes-Cabriolet, Rolls Royce) präsent ist, werden hier Ober- und Unterschichtsymboliken7 verschmolzen. Der Rapper stilisiert sich über die Einbindung von klassenspezifischen Symbolen zum Grenzgänger, der längst besitzt und lebt, was die reiche Oberschicht für sich beansprucht, und dennoch seine habituellen Wurzeln nie vergessen hat (Knüttel/Seeliger: 2010). Die Performance im Sinne einer hybriden Verschmelzung von nobler Reichtumsästhetik mit »straßenaffinen« Symbolen wird im Anschluss pointiert: Begünstigt durch die Froschperspektive der Kamera inszeniert sich Ross im Atrium seiner kathedralenartigen Villa als übermächtiger, dekadenter Spieler, der das Geld bündelweise in den Händen trägt und so sein ökonomisches Kapital demonstrativ zur Kernsymbolik der Selbst-Stilisierung einsetzt (Fotogramm 2.4.).

7

Ob es sich tatsächlich bei den genannten Marken um klassenspezifische Symbole handelt, müsste im Grunde erhoben werden. Ich beziehe mich hier auf symbolische Konstruktionen von Reichtum wie sie in US-amerikanischen Filmen und Serien zu beobachten sind. Wenn die in den neunziger Jahren äußerst erfolgreich gelaufene Serie Beverly Hills 90210 oder auch Melrose Place schwerpunktmäßig so etwas wie die Betrachtung von Schicksalen der weißen, reichen Oberschicht liefert, dann fungieren opulente Villen und Luxusfahrzeuge als statusanzeigende Symbole und konstruieren das Setting (Beverly Hills) als homogenen Raum.

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Fotogramm 2.4. (HT)

Fotogramm 2.5. (HT)

Durch die Kameraperspektive wird der Zuschauer zum Augenzeugen, der dem Protagonisten perspektivisch zu Boden liegt, und bekommt so die Rolle des potentiellen Bewunderers zugewiesen. Sind solche Gesten des neureichen »Players« schon besonders explizit, so wird in der Folgeeinstellung Ross auf einem Stuhl sitzend abgebildet (Fotogramm 2.5.), die Kamera nähert sich ihm mit einem Brustbild. In dieser Inszenierungsform dokumentiert sich, dass es sich nicht um einen Repräsentanten eines Kollektivs handelt, der hier inszeniert wird, sondern um die Person »Rick Ross«. Offenkundig sollen der Rapper und seine charismatische Aura in den Fokus gerückt werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund der omnipräsenten braun- und goldfarbenen Kulisse des Hauses, dass die Hauptfigur in ein Dekadenz verbreitendes, bernsteinfarbenes Licht taucht. Bei der vorliegenden »Stuhl-Pose« werden auf stereotype Weise die Insignien des zwielichtigen Reichtums vereint: Die diamantenverzierte Uhr,

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ein kostspieliger Ring sowie die für Gangsterbosse und Vorzeige-Kapitalisten in der Populärkultur gleichermaßen typische Zigarre fügen sich mit den Tattoos sowie der Sonnenbrille zum Inbegriff des Dons. Spätestens an dieser Stelle verortet der Rezipient den Rapper im kriminellen Milieu und in einer Reihe mit den Gangsterfiguren aus der Eingangssequenz. Der Rapper wird, nachdem die Identitätsfacette des kapitalmächtigen Dons ausreichend betont wurde, stärker als Beziehungspartner hervorgehoben, der die schönen, romantischen Momente des Lebens zu schätzen weiß und bei Nacht auf der Terrasse mit seiner Partnerin Champagner trinkt (Fotogramm 2.6.). Interessanterweise scheint die Getränkemarke (Vodka Ciroc, eine teure Spirituose, für die Ross wirbt) dabei mehr Geltung zu haben als die Qualität der Beziehung. Die Verhandlung von prestigeträchtigen Marken spielt auch in die Präsentation der romantischen Beziehung hinein. Es dokumentiert sich eine Haltung, die sämtliche Lebensbereiche mittels Luxusgütern zu stilisieren sucht, auch das intime Liebesleben wird noch von der Rahmung durch dekadente Symbole berührt. Dagegen wird die Sängerin als hübsche Gefährtin an der Seite gezeigt, scheint aber kaum über die Funktion des dekorativen Ornats hinaus zu gelangen.

Fotogramm 2.6. (HT)

Ein erneuter Szenenwechsel findet statt, wenn zu einem Treffen an einer weiß gedeckten Tafel bei Champagner übergeleitet wird (Fotogramm 2.7.). Durchgängig in schwarz gekleidet machen auch die Gäste den Eindruck, im Gangstamilieu beheimatet zu sein. Die Optik greift die dekadente Opulenz aus den Szenen zu Beginn wieder auf (Kronleuchter, Türbögen und Säu-

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len). Die Gäste scheinen auf Ross zu warten, der in einer parallelen Szene mit seiner Frau Billard spielend gezeigt wird (Fotogramm 2.8.).

Fotogramm 2.7. (HT)

Fotogramm 2.8. (HT)

Mit freiem Oberkörper und massiver Hals-Kette weist Ross wieder die »Imagezeichen« (vgl. Hecken 2009: 298-301) des Gangsta-Rappers auf, und auch die Gespielin ist eher in einem »casual look« (Kette, Tanktop und Camouflagehose) zu sehen. Die Privatsphäre wird so unterstrichen. Evoziert wird hier, dass der Boss mit seiner Frau noch eine Runde Billard spielt, während die gesamte »Belegschaft« bereits auf ihn wartet – der Don nimmt sich die Zeit und untermauert durch die Ignoranz der Untergebenen seinen souveränen Status. Bezeichnenderweise ist mit der visuellen Wendung hin zum Tischgespräch von der »Lebensgefährtin« nichts mehr zu sehen – offenbar bekommt es der Zuschauer nun mit einer Handlung, die Teil der »Männer-

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welt« ist, zu tun. Einzelne Personen am Tisch werden durch Brustbilder vorgestellt. Es handelt sich dabei um Mitglieder der Crew um Rick Ross (Fotogramm 2.9.). Über die Mode werden auch die übrigen Figuren (an und für sich musikalische Weggefährten von Rick Ross) zu Gangstern inszeniert. Das gesamte »Miami-Movement« stilisiert sich zur kriminellen Vereinigung, das Kollektiv präsentiert sich als Mafiaorganisation.

Fotogramm 2.9. (HT)

Die Trennung zwischen Privat- und Geschäftsleben wird unterstrichen durch die Tatsache, dass die Sängerin/Partnerin vom Tischgespräch mittels eines kostspieligen Präsents ferngehalten wird. Ein Kollier scheint die vorher noch mit Billardspielen beschäftigte Gefährtin abzulenken und so keinerlei Interessen am Geschäftsessen entwickeln zu lassen (Fotogramm 3). Verstärkt wird so der Eindruck vom »Luxusweibchen«, das mit dekadentem Lebensstil und Schmuckgeschenk still gelegt werden kann: Business ist Männersache.

Fotogramm 3 (HT)

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Fotogramm 3.1. (HT)

Unterbrochen wird diese Sequenz durch eingelagerte Bilder, die Heroen des Gangsta-Rap mit der Meeransicht vom Anwesen überblenden (Fotogramm 3.1.). Ostküsten-Ikone Christopher Wallace, bekannter als Notorious B.I.G., und Westküsten-Rapper Tupac Shakur werden schwarz-weiß-farben und durch die Überblendung verblasst in Szene gesetzt. Durch die mangelnde Farbintensität wird visuell auf den Tod der wohl prominentesten RapFiguren verwiesen. Die Rapper, die im Zuge eines medial spektakulär aufbereiteten Eastcoast-versus-Westcoast-Konflikts ermordet wurden, gelten häufig als Personifizierungen des Gangsta-Lifestyle im Sinne von »live by the gun, die by the gun«. In diesem Sinne harmonieren die popkulturellen Erzählungen um den einstigen Brooklyner Crack-Dealer »Biggie« und den Prototypus des »Thug« Tupac, mit den Gangsterfiguren aus dem Intro. Es handelt sich um Gangsta(-Rapper), die ihren Lebensstil besonders kompromisslos gelebt zu haben scheinen und deren »Geist« nun über der präsentierten Szenerie schwebt8. Durch die Integration des Bildes wird insgesamt also dreierlei geleistet: Erstens, die für Rap typische Verbeugung vor den Kulturhelden (und damit die Zurschaustellung des eigenen kulturellen Kapitals in Form von subkulturellem Wissen). Zweitens (und mit dem ersten Aspekt verbunden), die

8

Zudem sind die Rapper aber auch als besonders versierte, mitunter poetische Künstler in der Szene bekannt und werden in dieser Hinsicht teilweise auf eine Ebene mit kulturellen schwarzen Ikonen wie Bob Marley und Martin Luther King gestellt (in dieser Qualität übersteigen sie also die Mythen um die Mafiosi und Gangster).

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Lokalisierung der eigenen Identität in der Traditionslinie von mythischen Rapgrößen. Drittens, die Aneignung eines kriminellen Images, dass Analogien zu dem der Gangster und Mafiosi aufweist.

Fotogramm 3.2. (HT)

Die anschließenden Szenen an der Tafel (Fotogramm 3.2.) portraitieren Ross in seiner Rolle als Boss und Gastgeber gleichermaßen und führen dem Betrachter durch Überblendungen und Nahaufnahmen den Rapper als charismatisches Oberhaupt nachhaltig vor Augen. Auch eine kurzzeitige Rückkehr in die Fuhrparkszene, in der Ross seine Sammler-Fahrzeuge noch einmal gestenreich als sein Besitztum vorführt, dient der unbedingten Festigung des Bildes vom gemachten und mächtigen Mann (Fotogramm 3.3.).

Fotogramm 3.3. (HT)

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D ER AUSSCHNITT

AUS

T EFLON D ON –

THE MOVIE

Fotogramm 4 (AS)

Fotogramm 4.1. (AS)

Die Abschlusssequenz wartet mit einer Überraschung auf: Auffällig ist, dass hier scheinbar ein Film-Trailer integriert wird, der den Namen des Albums Teflon Don trägt, sich aber inhaltlich, thematisch und ästhetisch bruchlos an den Clip fügt (Fotogramm 4.). Das Tischgespräch gerät nun zur Hauptszenerie, parallele Erzählstränge sind nicht mehr zu finden. Die Markierung des Präsentierten (mit Hilfe der credits »Scene from the Movie Teflon Don«) als gewissermaßen autonomen (gleichzeitig aber fortführenden Beitrag), geht mit einer formalen Akzentuierung einher: Ross wird nun aus der nahen Perspektive mit einem Brustbild gezeigt, es findet eine mehrere Sekunden andauernde Monofokussierung statt. Jene Fokussierung wird offenbar mit einer »launigen« Ansprache des Rapper-Dons

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gefüllt, dies legt die Mimik nahe. Ross spricht, schmunzelt und lächelt (Fotogramm 4.1.).

Fotogramm 4.2. (AS)

Fotogramm 4.3. (AS)

Fotogramm 4.4. (AS)

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Die Ruhe wird abrupt unterbrochen, wenn Ross mit dem Baseballschläger auf einen Gast einschlägt (Fotogramm 4.2.-4.4.). Die Szene des gewaltsamen Angriffs wird nicht im Detail gezeigt, vielmehr fokussiert die Kamera Ross erneut im Sinne eines nahen Brustbildes. Auffällig ist, dass die Monofokussierung nur den Don als schlagenden und konsequenterweise blutbespritzten Täter in Szene setzt – nicht das Opfer. Es dokumentiert sich hier also eine Monofokussierung auf den Rapper als aktiven Gewaltverbrecher. Mit diesem inhaltlichen Novum, das die Grenze des fiktiven Zuschreibens von Kriminalität (d.h. der parasitären Aneignung von Gangsterbiografienund Insignien) überschreitet, gewinnt die Inszenierung eine Qualität, die einer vertiefenden Analyse bedarf. Bemerkenswert erscheint zunächst, dass die angehängte Trailer-Szene so etwas wie eine Film-im-Film-Konstruktion darstellt und daher prinzipiell durch die Thematisierung der eigenen Fiktionalität (scene from the movie teflon don) eine Distanzierung von der etwaigen Identifikation realer Akteur/Kunstwerk anvisiert. Diese moderne oder je nach Perspektive postmoderne Figur, die als Spielart der Metafiktion bezeichnet werden kann, fungiert häufig als autoreferentieller Kommentar: Das Medium macht sich selbst und seinen artifiziellen Status zum Thema. Durch die ästhetischinhaltliche Fortführung des bislang Gezeigten wird diese Funktion jedoch ein Stück weit unterlaufen. Wären da nicht die credits, würde das Anhängsel sich nahtlos in die Selbstinszenierung eingliedern. Es steht die Vermutung nahe, dass einerseits mit »Distanz« natürlich der Film beworben werden soll. Andererseits jedoch (eben durch die bruchlose Anfügung) kann das Gezeigte unmittelbar mit der Figur Rick Ross der ersten Ebene (Ross im eigentlichen Videoclip) in Verbindung gebracht werden. Der Gewalttäter der zweiten Ebene (Ross im Film-Trailer) kann also mit der eigentlichen Figur identifiziert werden. Der Rapper-Don inszeniert sich mittels der Filmim-Film-Konstruktion zum aktiven Gewaltverbrecher, der untergebenen Mitgliedern bei Bedarf den Schädel einschlägt. Die Bilder weisen jedoch noch eine weitere Besonderheit auf: Die Szene kann vom sachkundigen, populärkulturell bewanderten Rezipienten als Reminiszenz an den Mafiafilmklassiker The Untouchables mit Robert DeNiro in der Rolle des Al Capone identifiziert werden (Fotogramm 4.5.4.6.). Der Inszenierungsmodus ist nicht völlig identisch, zumal auch das Opfer, nicht aber die Blutspritzer auf dem Jackett, zu sehen sind. Inhaltlich

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ist hier jedoch auch mit Blick auf die Thematik sowie die explizite Al Capone-Referenz zu Beginn von einer klaren Bezugnahme zu sprechen.

Fotogramm 4.5. (AS)

Fotogramm 4.6. (AS) Eine komparative Analyse der Bilder vermag die Qualität des popkulturellen Zitats näher zu beleuchten. Ich möchte mich an dieser Stelle an Bohnsacks Ablaufschema der Bildinterpretation anlehnen9.

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Im Grunde dürften nach dem Bohnsack‫ތ‬schen Verfahren hier keine Eigennamen oder andere mit kulturellem Wissen verbundene Beschreibungen auftauchen. Mit einer vorgeschalteten vor-ikonografischen Ebene soll der Eigengesetzlichkeit des Bildes begegnet werden. Da es sich hier allerdings um eine komparative Analyse handelt, bei der eine eindeutige Bezugnahme auf eine spezielle Figur analysiert wird, scheint ein solches Vorgehen nicht angemessen. Auch weitere,

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Ikonografische Interpretation Die in überwiegend dezenten Farbtönen gehaltenen Originalbilder setzten den Mann als wenig glamourös erscheinenden halbglatzigen Gangster im Smoking in Szene. Das Setting mit seinen extrem hohen Decken und dekorativen Palmen erinnert an ein Luxushotel, bei dem Stil groß- und übermäßiger Prunk eher klein geschrieben wird. Lediglich die Säulenarchitektur erinnert an das farbsprühende, teilweise kathedralenartige Anwesen, in dem sich Ross präsentiert. Während Capone optisch elegant aber keineswegs aus der Menge hervorstechend auftritt, markiert Ross über den Look eine klare Hierarchie: Der Gangstaboss hebt sich im strahlend weißen Anzug deutlich von den uniform schwarz gekleideten »Handlangern« ab. Die weiße Sonnenbrille und die den Raum füllenden »props« (sprich properties: Champagnerflaschen, Sektkühler sowie die rot-goldene Hintergrundoptik) stellen eine gut erkennbare ästhetische Differenz zum Original her: Der Gangsta anno 2010 inszeniert sich als schillernde Persönlichkeit umgeben von Dekadenz und Luxus. Ikonologische Interpretation Die gesamte »Baseballschlägerszene« changiert im Original einstellungsmäßig zwischen Fokussierungen auf das passive Opfer und den aktiven Gewalttäter. Zur szenischen Choreografie lässt sich festhalten, dass hier offenbar die Tat in ihrem vollen Ausmaß im Sinne eines In-BeziehungSetzens von Opfer und Täter illustriert werden soll. Der Gangsterboss reagiert auf einen konkreten Akteur, der seine Tat begründet. Anders verhält es sich in der Ross’schen Adaption: Das Opfer wird zwar von der Kamera thematisiert, während der Tat jedoch ist es nicht zu sehen, vielmehr verweilt die Kamera auf dem zuschlagenden Täter. Das Verbrechen wird indirekt zum Thema gemacht, indem sich Blutspritzer auf dem weißen Anzug abzeichnen (Fotogramm 4.7.).

für diese Methode typische Bemerkungen (etwa zur Planimetrie) müssen aus Platzgründen entfallen.

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Fotogramm 4.7. Es erscheint plausibel, die Rick-Ross-Bilder als inhaltlich-formale Adaption zu betrachten, die stärker den Protagonisten als Täter betont und damit die Handlung als repräsentativen oder symbolischen Akt aneignet. Es geht hier nicht so sehr um die kontextuelle Einbettung der Tat (Capone-Szene), sondern primär um einen Selbstentwurf, der maßgeblich das Bild vom gewalttätigen, kompromisslosen Don in Anspruch nimmt. Unterstützt wird dies durch die Blutspritzer am Revers: Es dokumentiert sich hier ein Subjektentwurf, der die populärkulturell bekannten Stereotype des Gangstas plakativ aneignet und die grundlegende Inszenierungsfigur des Stereotypus unironisch sichtbar macht: Die oberflächlich weiße Weste ist stark mit Blut besudelt Auch an dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass die letzte Sequenz oft eine Art Ausrufezeichen oder inhaltliche Abrundung des Gezeigten bietet. Nicht selten kommt solchen Abschnitten »fokussierungsmetaphorisches Potential« (vgl. Bohnsack 2008: 136-137) zu. Ähnlich verhält es sich bei Mafia Music II: Die Szene markiert einen visuellen Höhepunkt innerhalb einer Videoperformance, die Gewalt und Gangstertum zunächst der Fantasie des Zuschauers überantwortet hat. So steht es dem Rezipienten frei, sich selbst auszumalen, inwiefern die anzitierten Gangsterbiografien mit dem »echten« Rick Ross korrelieren und der Wohlstand mit »blutigen Händen« erarbeitet wurde. Mit der Baseballschlägerszene wird jegliche Spekulation beendet, der Rapper eignet sich nicht nur die Insignien des MafiosoReichtums an, sondern lässt auch handfeste Taten folgen10.

10 Der Übergriff dient in diesem Sinne auch nicht so sehr der Beleuchtung eines konkreten Kontextes zur Tat, sondern der Stilisierung des Rappers zum brutalen

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Die Originalszene aus The Untouchables funktioniert dabei wie ein »Palimpseste« (Genette, 2008), d.h. als eine Art von Urtext, der überschrieben wird. Wird die Szene ablaufgemäß übernommen, so sind es eben die erwähnten Abwandlungen, die den Urtext aufschimmern lassen und der eigenen Performance einen gewissen Glanz verleihen. Für die Bildebene lässt sich konstatieren, dass die Konstruktion des Subjektes Rick Ross durch die gezielte Streuung intertextueller Verweise erfolgt und das unmittelbar Präsentierte stets über sich selbst auf populärkulturelle Texte (Mafiosi-biografien, Metaerzählungen zu Tupac und Biggie, The Untouchables) hinausweist. Die visuelle Inklusionsfigur setzt mit Staeheli systemtheoretisch formuliert zum einen auf die »Integration hyperkonnektiver Elemente«11 in Form einer ansprechend hochglanzbebilderten »Reichtumsschau« (»mein Auto, mein Haus, meine Frau«). Zum anderen wird stark auf die »Überdehnung des systemspezifischen Universalismus« gesetzt, wenn bereits etablierte Erwartungshaltungen beim Genrekenner noch überboten werden: Es geht nicht allein um den genretypischen Erfolgsnarrativ des anfänglichen Klein-

Verbrecher. Die Tatsache, dass die gewaltvolle Handlung mit einer launigen Ansprache eingeleitet wird, spricht umso mehr für das kaltblütige Ansinnen, eine Machtdemonstration mit dem letzten Mittel durchführen zu wollen. 11 Der Systemtheoretiker Urs Staeheli formuliert die Wirkungskraft des Populären mittels zweier Figuren und gibt somit eine inhaltliche Definition des Populären zugunsten eines funktionalen Begriffs auf. Durch bestimmte Operationen des Systems, die besonders attraktiv wirken, kann die Inklusion besonders gesteigert werden. Staeheli nennt hier zum einen die »Überdehnung des systemspezifischen Universalismus« (Staeheli 2004: 182), die an bereits geschaffenen Erwartungsstrukturen ansetzen. Beispielsweise sind solche über-affirmativen Techniken am Werk, wenn Rapper ihre Zugehörigkeit zum Herkunftsviertel derart ausdehnen, dass sie die Erwartungsstrukturen der Publikumssemantik noch überbieten (etwa wenn der Lokalpatriotismus mit einem emphatischen »I’ll be Brooklyn till I die« bei der Gruppe Non Phixion in »Rockstars« zelebriert wird). Zum anderen kann es darum gehen »hyperkonnektive Elemente« (Staeheli, 2004: 182) aufzubieten, also besonders allgemeine Semantiken zu integrieren, die innerhalb der verschiedenen Funktionssysteme prozessiert werden können (etwa wenn Rapsongs die Ambivalenz von Reichtum thematisieren und so große Anschlussfähigkeit stiften).

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kriminellen im Sinne eines »aus der Gosse nach Hollywood«, sondern um eine Art »Super-Gangsta«. Dieser Gangsta steht in einer Traditionslinie mit allem, was in der amerikanischen Verbrecherhistorie Rang und Namen hat. Der Gangsta-Rapper mutiert zum Mafiapaten, aus Gangsta-Rap wird Mafia-Music. Das Video schließt damit auch ästhetisch und inhaltlich an frühere Performances an, die Ross immer wieder als Drogendealer und Lokalpatrioten in seinem Heimatort Carol City, Miami inszenieren12. Stand im ersten HitVideo Hustlin noch der Kokainhändler und sein Tagesgeschäft mit bereits beachtlichem Wohlstand im Vordergrund, so kann Mafia Music II als Bühne für die oberste Stufe der Drogenhändlerkarriere gefasst werden: Der Rapper inszeniert sich zum dekadenten Don im Range eines Pablo Escobar mit Luxusanwesen auf Tahiti. Der eigene aktive 24-Stunden-Hustle ist dem strategischen Tischgespräch vor prunkvoller Kulisse gewichen. Die Statussymbole sind gewuchert, der Rapper bleibt aber im Kern der kompromisslose Gangsta mit dem Baseballschläger im Anschlag. Eine solche, bislang nur auf der Bildebene durchgeführte Analyse kann sich in ihrer Stoßrichtung auch auf der Textebene validieren. Was für die bildhermeneutische Analyse gilt, ist auch hier nicht anders zu bewerkstelligen: Anstelle einer detaillierten Analyse (»close reading«) kann aus Platzgründen nur auszugsweise präsentiert werden, was sich in den Lyrics dokumentiert (auch hier verweise ich auf meine laufende Dissertation). Einige der wichtigsten Inszenierungsfiguren und zugrunde liegende Referenzsysteme seien im Folgenden genannt (der vollständige Text findet sich im Anhang): Textanalyse Der Text setzt mit einer retrospektiv angelegten, poetisch gestalteten Besinnung auf die Anfangsphase der Karriere und das Erleben jener Zeit ein. Es war der Traum von Reichtum und Luxus, der als Initialzündung gedient haben mag (»Lamborghinis were figments of my imagination«). Das lyrische

12 Ross‫ ތ‬beharrliches Festhalten an seiner tatsächlichen Dealervergangenheit wurde ihm zum Verhängnis, als aufgedeckt wurde, dass er vor seinem RapstarDasein als Gefängniswärter gearbeitet hatte. Dies trug ihm den spöttischen Beinamen »Officer Ricky« ein und entfachte eine breite Kontroverse um Authentizität im Rap. Dem Plattenverkauf tat dieses Ereignis jedoch keinen Abbruch.

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Ich kennzeichnet seinen harten Weg des Aufstiegs in metaphorischer Sprache und stilisiert sich zum schwarzen, beharrlichen und bedrohlichen Subjekt (»whips weaving through traffic the triple black centipedes/O please let a n-gga breath«). Nur wenig kaschiert benennt die Sprecherinstanz auch die Triebfeder des Erfolges: »dilated pupils are the seeds of a n-ggas greed/ with 20 g’s in my denim jeans«. Was des einen Laster ist (Drogensucht: dialeted pupils), ist des anderen Verdienst – besonders dann, wenn ausreichend Ressourcen zur Hebung des Potentials vorhanden sind (»with 20 g’s in my denim jeans«). Das Leben des Drogendealers wird in der Folge als ein sexuell erträgliches (»if she f-cking me she lucky just to get some chucky cheese/I bust my nut and holla lucky me«) aber auch gewissermaßen asketisches geschildert (»its tatted in my vein I remain sucker free«). Die zentrale Lebens-Orientierung gibt dabei ein unverkrampftes bis glorifizierendes Verhältnis zur Gewinnmaximierung ab: »As Salamu Alaykum to paper/Walaikum Salam/Im the don inshallah, now pour me my Dom«. Der islamische Friedensgruß – und damit ein religiöser Gruß – wendet sich an »paper«, ein Umgangswort für Geld. Der Gott des lyrischen Ichs ist das Geld. Die Stimme des Geldes imitierend (»Walaikum Salam«, bedeutet etwa »und auch mit euch der Frieden«) wird eine tiefe, religiöse Bindung zwischen dem Akteur und seinem Gott betont. Mit dem beschwörerischen »Im the don inshallah, now pour me my Dom« (inshallah bedeutet: »so Gott will«) wird eine Religion installiert, die göttliche oder spirituelle Instanzen gegen das Geld ausgetauscht hat13. Das Gebet des bekennenden Kapitalisten ist das Zwiegespräch mit dem Dollar. Der Don aus Berufung zelebriert seinen Status dann konsequenterweise mit »Dom« (gemeint ist wohl Dom Perignon). Was bislang nur implizit verhandelt wurde (das Gangstalife) wird dann explizit und nicht ohne kritische Zwischentöne zum Thema gemacht: Das Leben als »Pusher« ist kein Zuckerschlecken, die latente Angst vor dem Erwischtwerden kann zwar mit sexuellen Freuden kurzzeitig sublimiert, nicht aber vollends verdrängt werden (»being gangsta’s a cold job/wack a n-gga go rejoice with a blow job/always wanted Rolls Royce with no

13 Nach dem aktuellen Stand der Information ist Ross Christ – d.h. kein Muslim. Dies offenbart sich auch durch die christlichen Tattoo-Motive. Insofern kann nicht von einer expliziten Referenz an den Islam gesprochen werden, sondern eher von einer dem Sprachspiel zuträglichen Integration des rituellen Grußes.

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job/then again all I fear is a dope charge/all I fear is a dope charge«). Im Gegenteil, durchaus selbstkritische, bekennende Statements mischen sich in die Selbstreflexion des lyrischen Ichs. So werden Zweifel daran laut, ob ein Ableben auch nur einen Menschen interessieren würde. Die Drogendealerkarriere wird indirekt auch als »Schande« beschrieben, die Folgegenerationen noch mittragen müssen (»tell me whats the odds for appeals for a dope boy/who shed tears for a dope boy/oh what happens to the kids of the dope boy/orphans, f-cking orphans«). Dabei wird (rechtfertigend) darauf verwiesen, dass man im Grunde nie aggressiv oder gewalttätig gewesen sei. Im Grunde geht es jetzt aber nur noch darum, den erreichten Lebensstandard auszukosten (»born defending some n-gga never been on offence/now its shrimp, order more shrimp«). Auffälligerweise mangelt es in der lyrischen Performance an Sprechakten, die eine kollektive Identität beschwören, wie sie ansonsten so häufig zu beobachten sind (Representing der »Hood«, »Corner«, der Homies oder eines Bundesstaates). Stattdessen handelt es sich um einen eher individualistisch angelegten Narrativ (»my neighbourhood (?) I practice my importance«). Die Reminiszenzen an eine Ghetto-Community sind eher im Wechsel der Erzählperspektive von »I« zu »we« (»you know we hustle to the key of life«) erkennbar – dann allerdings durchaus mit repräsentativem und aussagestarken Wendungen: »moving weed and white before we learn to read and write/so f-ck a tutor pay attention to my shooter.« Der Rapper stilisiert sich zum Vertreter einer Gemeinschaft, die staatlich-erzieherische Maßnahmen ablehnt (»fuck a tutor«) und stattdessen dem Streetlife, seinen Codes, Regeln und Praxen gehorcht (»pay attention to my shooter«). Besonders erhellend ist die Sequenz deshalb, weil sich die anzitierte Gemeinschaft vom hegemonialen Diskurs dadurch abhebt, dass die elementaren Kulturtechniken eben jener dominanten Mehrheit weniger verbindlich sind als die Elementartechniken des »Hustles« (»moving weed and white before we learn to read and write«). Dieses Beharren auf der milieuspezifischen Ausbildung ist der Grund, weshalb man auf anderem Wege zum Reichtum gelangt: »we assholes with fast cars and cash flow/my last load was gift wrapped by Castro«. Man mag dem kulturellen Bildungsimperativ nur wenig abgewinnen können – immerhin ist man im internationalen »Business« tätig und unterhält florierende Beziehungen mit dem Staatsfeind Castro. Was innerhalb des entfalteten Horizontes zählt, ist also eine Bildungskarriere abseits des offiziellen »education systems« gepaart mit einer Form

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von ökonomischer Intelligenz, die sich in »streetwisen« und ertragreichen Geschäftsentscheidungen dokumentiert (»I did it all but the blow was my specialty/mental/telepathy directly in my recipe/ahh, 2 mill on my second home/still stepping on a couple bricks of that methadone«). Die für Rap typische Verbeugung und Vereinnahmung von kulturellen Ikonen findet sich bei Ross in Form von Tupac (Bildebene), Biggie und RZA (»I got a method for getting money like RZA do/resurrected big poppa in the physical/reincarnated the realest I’m getting revenue«). Wenn die Physis eines Notorious B.I.G. und das »methodische« Gespür eines RZA zusammenkommen, ist aus Sicht des geneigten Rapfans kaum eine bessere und »realere« Synthese von Body & Mind denkbar. Die Lyrics kippen nach dieser dem Self-Representing geschuldeten Passage wieder stärker zum Narrativ hin. Das lyrische Ich berichtet von einem Hinterhalt, in den es gelockt wurde. Mit Hinterlist und Täuschung haben FBI-Agenten eine Falle gestellt, die dem Gangsta eine Haftstrafe eingetragen hat: 10 mill borrowed from my peers in the federal and thats several for slinging in Atlanta but the way they dress you never knew thought they seen a better view but the feds had a rap name reginal that put em on a pedestal the conviction was incredible

Was dann jedoch als moralinsaure Wendung im Text daherzukommen scheint (»the moral of the story was ain’t no happy ending for a thug«), wird mit der Ankündigung einer machtvollen Wiederaufstehung abgewendet (»I think of Tupac, I think of Biggie now/look how they getting down, I went and bought a 50 Cal/we all go when we gotta go«). Das lyrische Ich hat sich auf seine Rapwurzeln besonnen und sich (dennoch) dem Weg der Straße wieder-verschrieben (»I went and bought a 50 Cal«). Der »Return« auf die Gangsta-Agenda ist der Siegeszug einer betont schwarzen Vereinigung, die sich mit dem Fatalismus arrangiert hat (»we all go when we gotta go«) und nun erstarkt ihren Platz zu behaupten ankündigt: »my Glock hole bigger than Nicki Minaj camel toe/so let the panel know we back, the commission intact/teflon don and all black for filling contracts« (Kursivsetzung von M.D.)

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I’m only here to supersede my successors RIP Paul Castellano, Myer Lansky, Bumpy Johnson, Al Capone T-Roger Tookie Williams, Carlo Gambino and last but not least John Gotti, Teflon Don, (Ross, Ross, Ross)

Den Schlusspunkt setzt ein so genannter »shoutout« an die verehrten Mafiosi und Gangsterikonen. Auch Verbrecher wie Tookie Williams14 und T-Rodgers15 finden hier ihren Platz, sodass eine hybride Verschmelzung von »bekennenden« Gewaltverbrechern und z.T. sozialisierten Ex-Gangbangern zu erkennen ist. Mit Bohnsack ließe sich hier erneut von einem »parasitären Aufmerksamkeitsgewinn« sprechen, insofern Ross sich über das Anzitieren popkulturell zirkulierender Metanarrative als Teil oder gar Speerspitze der Gangstermythologie inszeniert. Ross bekundet seine Verehrung für die Größen des organisierten Verbrechens, stellt sich allerdings auch in den Dunstkreis von Afroamerikanern mit Ganghintergrund, die sich anerkanntermaßen von ihrem kriminellen alter ego distanziert haben. In diesem Sinne scheinen zwei Facetten bei der Inszenierung der eigenen Authentizität auf: Zum einen der erwähnte Drogen-Don mit Luxusanwesen, Fuhrpark und reichlich Prunk auf Tahiti (besonders auf der Bildebene), zum anderen der melancholische Hustler, der seinen Lebensstil kritisch reflektiert und sich mit Aussteigern wie T-Rodgers identifiziert (ausschließlich auf der Textebene). Der Konstitutionsmodus des zeitgenössischen amerikanischen Gangsta-Rappers Populäre Kultur Die Performance in Mafia Music II findet maßgeblich auf Basis populärkultureller Bezüge statt: Es sind vornehmlich die Referenzen auf mehr oder weniger bekannte Mafiosi- und Gangsterbiografien, die die Selbstinszenie-

14 Ein Gangmitglied, das wegen Mordes hingerichtet wurde, obwohl seine Schuld nicht zweifelsfrei erwiesen war. Kritiker unterstellten auch rassistische Motive bei der Verurteilung durch Gouverneur Arnold Schwarzenegger. 15 Ein Ex-Blood, der sich mittlerweile sozial engagiert und als Gangexperte die Polizei berät.

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rung rahmen. Die Vita des Rappers Rick Ross wird mit den mythischen Biografien der Kriminellen überblendet. Der szenekundige Rezipient weiß um die von Ross beharrlich verbreiteten biografischen Angaben zur Drogendealerkarriere in Carol City, Miami und vermag die provokativ lancierten Analogien zu etwa Pablo Escobar zu verknüpfen. Der Rapper schreibt sich über den »Epitext« (vgl. Genette 1992: 328) in eine Tradition des organisierten Verbrechens ein, die nicht zuletzt im populärkulturellen Gedächtnis als »stilbildend« firmiert. Der installierte Selbstinszenierungsstil der Gangster wird in zahllosen Filmen und Dokumentationen konserviert und aufbereitet: Was all die integrierten Akteure gemeinsam haben, ist (wenn man sich an diese Darstellungen hält) ein kunstvoll arrangiertes Spiel mit der Fassade des Businessmannes im »feinen Zwirn« und dem Habitus des Gewaltverbrechers. Zu diesen Inszenierungstopoi tritt ein gewisses Grundmuster in den Biografien, die eine weitere Analogie zu Ross darstellen mögen: Der amerikanische Traum, der Aufstieg vom mittellosen, benachteiligten »Opfer des Systems« zum selfmade millionaire, wird mit den Mitteln und Wegen des Herkunftsmilieus (kriminelle Kreise) verfolgt und bisweilen eingelöst. Dabei mögen die migrantischen Hintergründe eine weitere attraktive Ansatzoption für den Afroamerikaner Ross darstellen. In der Inszenierung dokumentiert sich somit eine Verschmelzung der Biografien aufgrund der sich anbietenden Erfolgsnarrative sowie einer analogischen Position der Akteure in einer migrantisch geprägten Ausgangssituation. Ethnizität Interessant ist auch die Hereinnahme von Gangstern, die nicht zwangsläufig in den Kreis der populärsten Verbrecher zu gehören scheinen (Wer ist statusbezogen schon Corey Miller im Vergleich zu Pablo Escobar?). Die aus dem üblichen »Verbrecherkanon« ausscherenden Akteure sind ausnahmslos schwarz und afroamerikanisch. Jene auf der Ethnizität beruhende Integration kann als »Korrektur« der Verbrecherhistorie im Sinne eines »auf die Landkartesetzens des schwarzen Kriminellen« betrachtet werden. Wo die Polit-Rapper von Public Enemy mit »Fight the power« am öffentlichen Diskurs kritisierten, dass schwarze kulturelle und politische Ikonen ausgeblendet werden (»most of my heroes don’t appear on no stamps«), setzt Ross Bumpy Johnson, Corey Miller und Larry Hoover auf die Best-of-Liste der legendären Verbrecher. Dieser Gestus kann als positive Adaption betrachtet werden: Sich positiv identifizierend nimmt der Rapper die negati-

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ven Merkmale der Akteure an und setzt sich selbst als Teil dieser Tradition in Szene. Die Statussymbole und Ideale der reichen (weißen) Oberschicht werden mit den Mitteln der Hood (Kokainhandel) erreicht. Die Adaption der Untouchables-Szene folgt dieser Strategie und funktioniert in gewissem Maße nach dem HipHop-typischen ProduktionsMuster der Selektion (Sampling), Adaption (Integration) und Neukontextualisierung (vgl. Mikos 2003: 64-82). Der Urtext wird bearbeitet und ästhetisch sowie semantisch neu aufbereitet: Der Al Capone anno 2010 ist schwarz, gefährlich und erfolgreich. HipHop Die Referenzen auf HipHop halten sich in engen Grenzen, sind aber sowohl bildlich als auch im Text effektvoll eingesetzt. So markiert der Bezug auf Szene-Ikone RZA die subkulturspezifische Kenntnis des Rappers, der so eine Affinität zum »Underground« evoziert. Allerdings ist diese Bezugnahme in den Grundnarrativ der Performance (die Preisung des ökonomischen Aufstiegs) eingebettet und relativiert lediglich das wirtschaftlich orientierte Streben: Der Rapper »macht Geld« – allerdings nach einer Methode wie sie der RZA nicht besser hätte ersinnen können. Auf der Bildebene wird mit Tupac und Biggie die »Speerspitze« des Gangsta-Raps anzitiert. Die kulturübliche Verbeugung und Würdigung der »Vorfahren« ist als weitere Ausstellung von Wissen und Einschreibung in einen Kanon mit authentizitätsstiftender Wirkung zu betrachten. Auch die Abbildung der musikalischen Weggefährten (DJ Khaled) stellt eine typische Geste des Respektzollens und Representing dar. Die in sanften Schnitten präsentierte Luxuskulisse des Videos greift den balladesken Ton des Beats auf. Gangsta-Rap der Marke Rick Ross zeigt sich eher als Mafia-Ballade denn als »Straßenbrett« (um einmal die musikjournalistische Standardformulierung für solche Instrumentals zu benutzen). Wo etwa N.W.A. oder Kool G Rap harte Beats verwendeten, die musikalisch eben jene Härte und Monotonie des Streetlife reflektierten, greift Ross auf R&B-infizierten Cinemascope-Sound zurück. Die Performance mag primär als Stilisierung zum Drogenbaron in Hollywood-Hochglanzästhetik daherkommen – die vereinzelten Bezugnahmen auf HipHoptypische Gesten fundieren all dies dennoch im Kosmos traditioneller Rapinszenierungs-Figuren.

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Drogenhandel/Entrepreneurship Was etwa bei den Urvätern des G-Rap von N.W.A. kaum eine Rolle gespielt hat, ist im Gangsta-Rap von Rick Ross die Kernthematik: Der Rapper bedient sich innerhalb seiner Selbstinszenierung besonders bei wirtschaftlich bedeutsamen Semantiken. Lebensentwürfe werden stark mit ökonomischem Erfolg gekoppelt (man erinnere sich an den imaginierten Lamborghini, der den Anstoß für die Dealer-Karriere gegeben hatte – ganz zu schweigen von all den Luxusgütern, die detailliert als Beleg für den Aufstieg vorgeführt werden), Selbstcharakterisierungen funktionieren stark über wirtschaftliche Beziehungen und Erfolge (»my last load was gift wrapped by Castro/we assholes with fast cars and cashflow«). Die moralischen Bedenken (»orphans, fucking orphans«) werden zwar thematisiert, letztlich jedoch als Begleiterscheinung verhandelt. Ähnliches gilt für die juristischen Konsequenzen (FBI), die als Erfahrung in die Narration eingebunden sind, aber eben nur deswegen Erwähnung finden, weil sie sozusagen Erlebnisse darstellen, die schlussendlich nur »härter« machen (»so let the panel know we back, the commission intact teflon don and all black for filling contracts«). Wie in diesem Band näher ausgeführt, sind solche ökonomischen Prinzipien der Lebensgestaltung und Reflexion sicherlich durch die zunehmende Leistungsorientierung in der modernen Gesellschaft beeinflusst (vgl. dazu den Beitrag von Dietrich/Seeliger in diesem Band). In diesem Sinne kann der Rapper als 24-Stunden-Hustler beschrieben werden: Sexuelle Vergnügungen spielen sich im Kontext des Lohnerwerbs (Drogenhandel) ab, und das Privatanwesen wird zum strategischen Headquarter. Die Anforderungen der kapitalistisch orientierten Leistungsgesellschaft destruieren dieser These folgend die (vielleicht von jeher falsche) Differenzierung von Lohnarbeit und Privatsphäre und zeigen, dass auch der Gangsta-Rapper in einem (subversiven) Leistungsdiktat befangen ist. Die Performance lässt sich vor diesem Hintergrund als Dokument unbedingter Leistungsbereitschaft mit dem Ziel des schnellen finanziellen Erfolgs lesen. Derartige Leistungs- und Aufsteigernarrative, wie sie zuhauf in RapPerformances auch abseits des Genres auftauchen, sind nicht allein auf afroamerikanische Sprachspiele (Braggin & Boastin) zurückzuführen. Mit etwas Mut ließe sich gar behaupten, dass es diese Grundfigur der rationalen Verfolgung des »from nothing to something« ist, die die US-amerikanischen Gangsta-Rap-Performances der letzten zehn bis zwölf Jahre domi-

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niert hat. Ein Grund für die Quantität dieser Inszenierungsfigur mag in der Komplementarität der Narrative liegen: Mag die Erzählung von der »Pflicht zum Erfolg« (Neckel 2008) ein für die amerikanische Gesellschaft besonders wirksames Konzept darstellen, so vermögen afroamerikanische Rapper mit ihrer »Hood-gemäßen« Bearbeitung des Erfolgsmythos genau hier anzuknüpfen. Der Gangsta-Rapper ist ein 24-Stunden-Hustler, bei dem zwischen Arbeit und Freizeit nicht mehr getrennt werden kann. Die Tatsache, dass die Leistungsschau mit einem emanzipatorischen Subtext im Sinne von »Ich bin schwarz, komme aus dem Ghetto, aber bringe es nach den Regeln des Ghettos zu etwas« verschmolzen werden kann, mag die Attraktivität der Performance ausmachen. In dieser Hinsicht kann der zeitgenössische Gangsta-Rapper als Sprecherposition konzeptualisiert werden, in dem sich ein ökonomisch motivierter gesamtgesellschaftlicher Diskurs der Leistungsfähigkeit (Pflicht zum Erfolg) mit Topoi afroamerikanischer Kultur (Figur des Badman, signifying) bzw. im engeren Sinne Rap-Kultur (Braggin and Boastin, Realness) überschneiden.

S CHLUSS : E IN B LICK

NACH

D EUTSCHLAND

Gangsta-Rap-Inszenierungen sind auch in Deutschland bei weitem keine Ausnahme. In den letzten Jahren konnten Genre-Protagonisten wie Bushido, Massiv, Azad und Haftbefehl beachtliche kommerzielle Erfolge verzeichnen – wenngleich das Genre aktuell wieder etwas stärker in den Hintergrund zu treten scheint, handelt es sich bei den Genannten um ungebrochen einflussreiche Künstler. Wie in den USA, so ist auch in Deutschland eine lokale Konzentration der Rapper auf die Großstädte zu erkennen (Berlin, Frankfurt, Hamburg), aber auch kleinere Städte (Haftbefehl: Offenbach, Massiv: Pirmasens, PA Sports: Essen) werden in G-Rap-Beiträgen represented und gemäß dem amerikanischen Vorbild zum »Emblem der Hood« stilisiert. Wenn bei der Ross-Inszenierung zudem ein Konstitutionsmodus mit den Säulen populäre Kultur, HipHop, Ethnizität, Drogenhandel/Entrepreneurship zu erkennen war und die letzten beiden Punkte mit Blick auf die Tradition (N.W.A.) die wesentlichen sind, so ist zu fragen, ob diese Inszenierungskomponenten auch für deutsche Gangsta-Rapper ausgemacht werden können.

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Schon ein kursorischer Blick in einige Videos und Texte im deutschen Gangsta-Rap kann zeigen, dass es sich oftmals um exakt jene Inszenierungskomponenten handelt, die auch für amerikanische Performances charakteristisch sind. Die Stadt oder präziser das Viertel stellt eine maßgebliche Referenz zur Legitimation der Sprecherposition sowie einen Inspirationsort im »Rapgame« dar – nicht nur bei Rick Ross und seinem MiamiMovement. Wenn Rapper wie 50 Cent auf den urbanen Lebensraum als Kristallisationspunkt von Kriminalität und sozialen Missständen hinweisen (in diesem Falle: Jamaica, Queens, NY), Szenegrößen wie Scarface die Liebe zum entstammten Problem-Sozialraum (Southside Houston, in »On My Block«) preisen, dann sind dies wie erwähnt authentifizierende performative Handlungen, die den Sprecher als glaubwürdigen Gewährsmann qua Herkunft einführen. Ganz ähnlich verhält es sich bei der lyrischen Performance von Azads Crew Warheit, die sich mit durchaus N.W.A.-typischen Semantiken in Szene setzt. Azad, der wie viele andere schon im Beinamen seine lokale Situierung deutlich macht (»Faust des Nordwestens«, Frankfurt), präsentiert seinen Sozialraum als gefährlichen, drogenverseuchten Ort, indem er »authentisch« berichtet, was er miterlebt. Als Beleg hierfür mögen einige Lines aus »Frankfurt« (Urban/Universal, 2008) gelten (Fettmarkierungen von M.D.). (Sezai) Frankfurt hier wächst Haschisch auf den Bäumen Hier gibt’s Kokain schon morgens früh um 9. Hier ist die Stadt deiner wildesten Träume, hier regiert das Geld in jedem Gebäude. Hier ist jeder zweite ein verdammter Gauner, hier wirst du beraubt und fällst schnell in Trauma. Hier träumt jeder vom Mercedes Benz, hier gib’s Gangbang bis die Nille brennt. Hier schreibt Hip Hop die wahre Geschichte. Von hier kommen Styles die Deutschland vernichten. Hier ist Frankfurt Nordi Babylon, hier ist meine Straße Junge es gibt kein Entkommen (Chaker)

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Wir, sprechen die Sprache die keiner außer uns versteht, wir sind besoffen, stumpf und abgedreht, hier ist, ich-fick-alles-ins-Knie-Mentalität denn Asphaltkrieger spiegelt die scheiß Realität (Azad) Das ist Frankfurt, Criminal Minded Hier guckst du schief und du fängst einen Highkick. Hier ist die Stadt in der dein Leben ein paar Worte wert ist. Hier kriegst du einen Spruch: Du wirst erstochen, fertig! Hier ist Frankfurt, Vorhof der Hölle. Hier zählt nur: Wie mach ich Geld auf die Schnelle? Hier ist asozial, du Bastard, hier wird viel geflucht, Glaub mir du bist am falschen Ort wenn du Liebe suchst. Das ist Hassfurt was wollt ihr Ficker? Kommt her Wenn ihr Stress sucht, Bozz haut euch Ficker um. Yeah, das ist FFM in deine Fresse, Junge, Frankfurt Pitbull, glaub mir hier ist Action Junge.

In den Texten dokumentieren sich ziemlich genau die Attribute, die auch für den klassischen US-Gangsta-Rap, der etwa die Bronx (Big Pun), Queensbridge (Mobb Deep), oder Compton (N.W.A., The Game) beschreibt, typisch sind. Die Parallelen zu traditionellen Gangsta-Rap-Performances in den USA sind recht evident, sie werden hier mit einem Pfeil zugeordnet. Anzumerken ist, dass die Schematisierung nur mit den in diesem Text genannten Künstlern vorgenommen wird, diese sicherlich aber nicht die einzigen oder gar ursprünglichen Inspirationsquellen und Einflüsse darstellen. Das Subjekt inszeniert sich als authentischer Sprecher in einem sozialen Brennpunkt, der • •



von der Drogenökonomie beherrscht wird (»Hier gib’s Kokain schon morgens früh um 9«) ĺ Kool G Rap, Rick Ross, N.W.A. die kapitalistische Basisregel des Profitstrebens als einzige Lebensorientierung setzt (»Hier regiert das Geld in jedem Gebäude«) ĺ Kool G Rap, Rick Ross Akteure beheimatet, die von der Teilnahme am sozialen Wohlstand träumen (»Hier träumt jeder vom Mercedes Benz«) ĺ Rick Ross

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durch Rap, als die authentische Stimme des Ghettos, dargestellt wird (»Hier schreibt HipHop die wahre Geschichte.«) ĺ N.W.A. die lokale Gemeinschaft, das Milieu als eine dem »Rest der Welt« gegenüberstehende, entfremdete Gemeinschaft gegenüber positioniert (»Wir sprechen die Sprache, die keiner außer uns versteht«) ĺ N.W.A. das aggressive Subjekt zum Aufzeigen der Sozialpathologie bringt (»denn Asphaltkrieger spiegelt die scheiß Realität«) ĺ N.W.A. Gefühle und Moral zwangsläufig zum Verkümmern bringt (»Hier ist Frankfurt, Vorhof der Hölle./Hier zählt nur: Wie mach ich Geld auf die Schnelle? /Hier ist asozial, du Bastard, hier wird viel geflucht,/Glaub mir du bist am falschen Ort wenn du Liebe suchst«) ĺ Rick Ross, N.W.A.

Ethnizität In Bezug auf die Hautfarbe und damit den Verweis auf den migrantischen Hintergrund, der als Chiffre für Benachteiligung im US-Gangsta-Rap eine Rolle spielt, sind weniger Analogien in deutschen Performances zu finden. Dies mag mit der besonderen Form des »Migrationsregimes in Deutschland« zusammenhängen (Seeliger/Knüttel 2010), welches sich nicht ohne weiteres mit der Situation der afrikanischstämmigen Bürger in den USA vergleichen lässt. Zumeist handelt es sich bei deutschen Performances um Bezüge auf die Milieuzugehörigkeit oder die entstammte Klasse, die die Absatzbewegungen zur Hegemonialgesellschaft markieren (z.B. Sido »Mein Block«) Dennoch lassen sich auch Gegenbeispiele finden, wie das inszenatorisch stark an Rick Ross oder Raekwon geschulte »Massaka Kokain« von Massiv und Haftbefehl (Al Massiva 2011), die die Professionalisierung im Drogengeschäft mit ihrer Herkunft in Verbindung bringen und so die bekannte Figur »Outsider mit migrantischem Hintergrund, der nach den Regeln des Ghettos zum Erfolg gelangt« drastisch aktualisieren16:

16 Zur Überprüfung der These empfiehlt sich das zugehörige Video, in dem sich die Protagonisten als aggressive Dealerbosse (inklusive Rick Ross-Zitat) inszenieren und dabei etwa die aus Gangsterfilmen und Rapvideos bekannten Stereotype vom Cracklabor mit bediensteten Frauen in Unterwäsche einbinden. Vergleiche dazu: http://www.myvideo.de/watch/7961098/Massiv_Feat_Haftbefehl _Massaka_Kokain_Official_Hd_Version

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(Haftbefehl) Es ist Blut gegen Blut 2 Kokain Massaka. Der Kurde und der Araber, Haft und Massiv machen Dijara Haram Masari. Frankfurt, Berlin all das bedient uns mit Beats wie ich Junkies an der Konsti, ich tick pflanzliches Koks Chabo kuck wie ölig der dreck den du ziehst ist nur Synthetik.

In eine ganz ähnliche Richtung läuft die Selbst-Inszenierung eines neueren Gangsta-Rappers aus dem Ruhrgebiet. PA Sports präsentiert seine Heimatstadt Essen in »Ruhrpott«17 entlang der bereits erwähnten Topoi (Drogen, Gewalt, Waffen, Straßen-Wohlstand symbolisierende Objekte wie der auch im Ross-Video vorkommende Bentley). Er zeichnet darüber hinaus sogar das Bild eines sozialen Teilraums, den Thilo Sarrazin, die Bildzeitung und eine RTL-2-Reportage mit vereinten Kräften kaum »besser« schildern könnten18. Essen wird als Ort vorgeführt, in dem so ziemlich alle Stereotype von der migrantisch dominierten Parallelgesellschaft aufgegriffen werden. Es dokumentieren sich patriarchale, anachronistische Strukturen (»Hier ist hardcore hier schlägt dein Vater dich mit einem Gürtel«), ein Handlungsspektrum der Akteure, dass nur zwischen kriminellen Extremen angesiedelt ist (»Hier liegt der Tod in der Luft mit zwei guten Einnahmequellen, Bruder: Koks oder Puff«) sowie eine Rücksichtslosigkeit, die nur aus »amerikanischen Ghetto-Verhältnissen« bekannt ist (»Hier wollen alle Profit, denn jeder fickt den anderen hier in unserem Ballungsgebiet«). Noch prägnanter als bei Massiv und Haftbefehl tritt hier allerdings das Moment des »Ausländerseins« und die Distanzierung von einem nur diffus formulierten Kollektivsubjekt (»Artgenossen«) in den Vordergrund. Jenes Kollektivsubjekt (vermutlich die als hegemonial empfundene Gesellschaft)

17 Vergleiche hierzu das Video: http://www.youtube.com/watch?v=ikkKu3Ijaak 18 Ich beziehe mich hier eher auf unverhältnismäßig häufige Berichterstattungen über kriminelle Ausländer in einer sich selbst genügenden Paralellgesellschaft in Deutschland als eine spezielle Reportage. Sind deviante Ausländer ohnehin in der Medienlandschaft präsenter als »normale« oder gar erfolgreiche Menschen mit Migrationshintergrund, so stellen insbesondere die erwähnten Medien sicherlich die Speerspitze dieser Form der Berichterstattung dar.

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fungiert als konstitutives Außen (Referenz), von dem sich der Sprecher als authentischer Repräsentant des »Ballungsgebietes« betont abgrenzt: »Hier wird scharf geschossen, ich bin Iraner ich ficke deine Artgenossen, hier gibt’s Erpressungen am Kebabstand«

Gleichen diese Inszenierungsteile stark der Ross’schen Schilderung des Drogendealertums und der von N.W.A. bekannten Einstellung des »ungefilterten Ghettosprechers«, so werden die amerikanischen Vorbilder gar ins Lächerliche gezogen (»Bitte erzählt mir nix von Gangsta-Rap, meine Jungs da draußen würden 50 Cent erstechen«). »Gangsta-Rapper« – so der Dokumentsinn – sind nicht halb so hart wie die Realität im Ruhrpott. Das Original (US-Gangsta-Rap) hat in der deutschen Variante (deutscher GangstaRap) keine Geltung. Ein Typ der Marke 50 Cent (durch seine Schussverletzungen immerhin mit reichlich »street credibility« ausgestattet) hat im Kiez von PA keine Chance, denn: »Hier sind Rapper nur Clowns«. Die Gefährlichkeit des sozialen Raumes wird in diesem Kontext stark mit der ethnischen Herkunft identifiziert: »Hier gibt es Perser, Kurden, Türken, Arabs, glaubt mir das is nix für kleine Jungs, also Yalla!«

Der Rapper setzt auf die universale Kenntnis kulturell-ethnischer Stereotype beim Rezipienten und vertraut darauf, dass der Hörer schon weiß, was passiert, wenn »Perser, Kurden, Türken, Arabs« einen Ort dominieren. Es zeigt sich besonders an dieser Stelle, dass die Strategie des Devianz bejahenden Subjektes, wie es N.W.A. installiert und Ross in gewandelter Form reproduziert haben, benutzt wird, um den eigenen Sozialraum und sich selbst auf die popkulturelle Agenda zu setzen. In Bezug auf die Drastizität und Schonungslosigkeit der Bilder und Worte stehen die deutschen Vertreter ihren amerikanischen Ahnen in kaum etwas nach. Im Gegenteil: Wo bei Ross überwiegend das Spiel mit populärkulturellen Verweisen (GangsterFotos) und bei N.W.A. die Gewalt allein auf der Sprachebene zu finden waren, setzen Rapper wie Massiv, Haftbefehl und PA Sports noch einen drauf: Der Gangsta-Rapper erscheint hier als drogendealendes, gewaltbereites und ausgegrenztes Subjekt, das sich bemüht, sich alle Stereotype vom kriminellen und asozialen »Ausländer« anzueignen. Ein Erfolgs- und Aufstiegsnar-

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rativ, wie er so typisch ist für amerikanischen Gangsta-Rap, ist hier nicht zu erkennen19. In den analysierten Performances kann man in poststrukturalistischer Manier den Widerstand gegen den Diskurs mit seinen eigenen Mitteln sehen oder einen Einblick in die psycho-soziale Verfasstheit des von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossenen Subjekts. Eines ist es aber sicherlich nicht: Ein unreflektierter Aufruf zur Gewalt oder die bedenkenlose Glorifizierung eines Lebensstils der »Parallelgesellschaft«. Damit zeigt sich auch, dass die von Klein und Friedrich ins Feld geführte These von der Glokalisierung des HipHops über Adaption und Neukontextualisierung (Klein/Friedrich 2003) sicherlich zutrifft: Amerikanischer Gangsta-Rap wird in seinen grundlegenden Inszenierungsfiguren übernommen und mit zum Teil eigenen Narrativen, Symbolen und Idealen aufgeladen. Die Inszenierung des authentischen Subjekts vor dem Hintergrund der »hardcore urban reality« (Forman) mag die prägnanteste Form der Adaption sein. So wird aus der Stadt Essen ein zweites Queensbridge, aus dem Palästinenser Massiv und dem Kurden Haftbefehl werden Kokaindealer, die den Afroamerikanern Kool G Rap, Raekwon und Rick Ross die Stirn bieten können. Mehr noch: Innerhalb der Neukontextualisierung (die offenbar so neu nicht ist), machen sich deutliche Absatzbewegungen vom amerikanischen »Original« bemerkbar: Der soziale Teilraum des GangstaRappers ist so hart, dass sogar ein 50 Cent hier »abgestochen« würde wie andere »Artgenossen«, die dort nicht zuhause sind. Die identitätsstiftende Distanzierung von der Vorlage ist eine für Pop typische Bewegung. Ob es sich bei dieser hier zu beobachtenden ästhetischinhaltlichen Überbietung amerikanischer Verhältnisse um eine Figur handelt, die sich in der sozialen Realität Deutschlands abbildet, steht auf einem anderen Blatt und hier nicht zur Debatte.

19 Wenngleich auch im deutschen Rap manchmal das Bild vom finanziell potenten Aufsteiger kultiviert wird, so scheint ein kulturell wirksamer Narrativ wie der American Dream für den US-Rap in Deutschland keine gleichwertige Entsprechung zu haben.

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Y’al babour, y’a mon amour Raï-Rap und undokumentierte Mobilität H EIDRUN F RIESE Where has youth gone? Where are the brave ones? The rich gorge themselves The poor work themselves to death The Islamic charlatans show their true face... You can always cry or complain Or flee, but where? CHEB KHALED: EL HARBA WAYN? Y’al babour y’a mon amour khelejni mel la misere 113 UND REDA TALIANI: PARTIR LOIN Dans les civilisations sans bateaux les rêves se tarissent MICHEL FOUCAULT

D IE S ZENE Ich traf Tariq und seine Freunde im Sommer 2009 in einer Bar in Tunis. Frauen haben in diesen männlichen Räumen eigentlich gar nichts zu susuchen. Ein sizilianischer Bekannter arbeitete mittlerweile in Tunis, kannte

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jede Bar und jeden Polizeispitzel, stellte mich als seine Tante vor, und so wurde ich durch die strengen Zugangskontrollen geschmuggelt (er konnte sich noch an mich und meine eine erste Feldforschung in einem sizilianischen Dorf in den 1980ern erinnern, auch wenn er damals noch ein Kind gewesen war). Seine männliche Anwesenheit und mein Alter garantierten ein gewisses Maß an Immunität.1 Ich spendierte Zigaretten und Bier, und wir unterhielten uns – manchmal im Hinterzimmer zwischen den Bierkisten –, bis eine Bar schloss, wir zogen zur nächsten und lernten uns über unsere Geschichten langsam näher kennen. Tariq und seine Freunde hatten keine Arbeit und überlebten von einem Tag zum nächsten. Wir sind in der Scheiße beendete fast jeden ihrer Sätze. Tariq lebte mit seiner Familie – sein Vater arbeitete in einer kleinen Fabrik, verprügelte seine Frau von Zeit zu Zeit und verprasst alles Geld mit anderen Frauen, wie Tariq respektlos anfügte und damit zugleich den Autoritätsverlust einer Generation andeutete, die andere Vorstellungen vom guten Leben hat. Obgleich er seiner Mutter und seinem zwölfjährigen Bruder sehr nahe stand, hing er mit seinen Freunden ab und verbrachte die Zeit mit Warten auf eine günstige Gelegenheit zur Flucht aus diesem schlecht gelebten Leben. Tariqs älterer Bruder wollte nicht länger warten und war letztes Jahr beim Versuch ertrunken, über das Meer nach Lampedusa und damit nach Europa zu fliehen. Er war sicher, es Dank der Hilfe einiger Angehöriger der Küstenwache zu schaffen. Er hat es nicht geschafft, und das Meer hat seine Leiche wieder an die tunesische Küste gespült. Wieder und wieder hat Tariq mir sein Tattoo FÜR MEINEN BRUDER und seine geritzten Unterarme gezeigt, die sein Ausdruck für Schmerz und seine Trauer um den Bruder

Die folgenden Beobachtungen sind Teil meines Forschungspojektes ›Die Grenzen der Gastfreundschaft‹, das großzügig von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Für Fotoessays dieser Forschung, Friese, 2007, 2009b. Für die Diskussion einer ersten Version bin ich den Kollegen des Zentrums für Mittelmeerstudien der Ruhr-Universität Bochum und den Teilnehmern des Workshops The Socio-political Mobilisation of Immigrants and Ethnic Minorities through Popular Arts and Culture anlässlich der Annual Conference IMISCOE (September 2010) dankbar. 1

Während gender zu einem zentralen Topos kritischer Anthropologie geworden ist, gilt das nicht unbedingt für Alter und gender, die damit einen seltsamen blinden Fleck in selbstreflexiven Ansätzen markieren.

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waren. Immer wenn er diese Geschichte erzählte, füllten sich seine Augen mit Tränen, und er konnte kaum weitersprechen. Ich war jedes Mal hilflos. Ich habe zufälligerweise einen europäischen Pass, war auf der privilegierten Seite des Mittelmeers geboren und brauchte kein Visum zur Einreise nach Tunesien. Trotz seiner Trauer und des Wissens um das tödliche Risiko wollte er, wie auch seine Freunde und viele Altersgenossen in Tunesien, Algerien und Marokko, die erste Gelegenheit nutzen, um in das mythische Europa zu fliehen. Harga: so heißt dieses ›brennende Verlangen‹ im Maghreb. Harga heißt wörtlich ›brennen‹ oder ›verbrannt werden‹ (aber auch: ›Papiere verbrennen‹), und die harraga sind diejenigen, die ›brennen‹,2 horga, das schlecht gelebte Leben in die Hand nehmen, versuchen, Würde und Freiheit zu gewinnen und ihrem Traum von Europa, einem besseren Leben zu folgen. Ich würde niemals für drei Kröten so schuften wie mein Vater, sagte Tariq und die Freunde stimmten zu. Alle hofften, es in Europa zu schaffen, einen guten Job, ein Auto, DVD-Player, Plasmafernseher. Keiner konnte sich vorstellen, dass sie als clandestini (›Illegale‹),3 als unterbezahlte Erntearbeiter auf den Feldern in Sizilien oder Kalabrien landen würden oder als sans-papiers in Frankreich sich alltäglich vor der Polizei würden verstecken müssen. Sie versprachen mir, eine Kopie der letzten CD des Rappers RimK, Maghreb United zu besorgen, die ich in den Plattenläden nicht finden konnte. Ich bin nicht sicher, wie Tariq und seine Freunde mein Interes-

2

Vgl. Labdelaoui, 2009:2.

3

›Heimliche‹, so heißen in Italien diejenigen, die ohne Papiere einreisen. Der lat. Wortstamm clam verweist auf das, was vor dem Licht des Tages verborgen ist, und das semantische Feld zugleich auf politische und juridische Praktiken der Illegalisierung. »Illegality« is, like citizenship a (juridical) concept that orders relations to the state and the political order«, wie De Genova bemerkt (2002:422). Die beständige Rede von ›kriminellen Organisationen von Menschenschmugglern‹ trägt der Realität dieser Mobilitätsform kaum Rechnung, sondern dient eher der weiteren Illegalisierung und der Legitimation europäischen Grenzmanagements. Zudem kann ›Schmuggel‹ »illegal, but licit, or socially accepted« sein (de Haas, 2007:4). Zur paradoxen Bedeutung von ›Heimlichkeit‹, die ›Heimlichen‹ werden im demokratischen Staat versteckt, und die Orte ihrer Verwahrung sind nicht öffentlich zugänglich, vgl. Friese, 2010, 2011.

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se an ihren Geschichten, an ›illegalen‹ Geschäften und an Musik verstanden: Ich hätte ihre Großmutter sein können, entsprach keinem gängigen Rollenbild und war auch nicht an amour interessiert. ›Illegalität‹ und der Bruch von Konventionen umrandeten unsere Unterhaltungen.4 Nach der Feldforschung auf Sizilien und Lampedusa – dort interessierten mich die lokalen Einstellungen zu den clandestini und das lokale Grenzregime – und nach der Feldforschung in den tunesischen Häfen an meinen Schreibtisch zurückgekehrt, verbanden sich diese Erinnerungen mit Bildern von Noureddine Lakhmaris Film Casanegra, seinen Protagonisten Adil und Karim und mit raï-Musik, die ich mitgebracht hatte. Nun ist natürlich auch die Ethnografin immer schon Teil (machtvoller) kultureller Produktionen. Nachdem ich den Links auf YouTube zu raï gefolgt war, stieß ich auf die Ready-mades und ganz offensichtlich mit cell-phones aufgenommene Videos, die harga und die Fahrten auf den windigen Booten dokumentieren. Eine neues, populäres Genre von harga-clips und raï/Rapsongs hat sich etabliert, wird weltweit über YouTube verbreitet und beflügelt die soziale Imagination einer Generation, die sich ohne gangbare Alternativen und unmittelbare Verbesserungen der Lebenssituation sieht. Konventionelle Feldforschung, »co-emplacement and coevalness« (Fabian, 1983), die Gleichzeitigkeit von Raum, Zeit und Begegnung, weitete sich plötzlich in einen – so schien es mir – beinahe unendlichen und nicht fassbaren Raum aus, der durch den ständigen Wechsel von Perspektiven bestimmt wurde. Während ich den anonymen links und kurzen Kommentaren zu den Clips folgte, wurde ich zugleich zum Teil der Unternehmenslogik von YouTube, die, obgleich ich sie kaum durchschaute, dennoch diese »distant ethnography« lenkte und mitbestimmte.5

4

Da ich im Hafen von Sfax zweimal von der örtlichen Polizei befragt wurde, während ich mich mit Fischern unterhielt – Polizei und Spitzel der Geheimpolizei des alten Regimes überwachten in Tunesien jeden Ort –, habe ich, um meine neuen Freunde nicht zu gefährden und sie polizeilichem Verdacht auszusetzen, Gespräche grundsätzlich nie aufgezeichnet – auch wenn Gesprächspartner zugestimmt hatten. Mein (verschlüsseltes) Feldtagebuch habe ich jeden Tag von wechselnden Internetcafes auf meine virtuelle Festplatte gespielt.

5

Die Literatur zu ethnografischen Praktiken in Cyber-Space und Internet ist mittlerweile angewachsen. Einen guten Überblick über theoretische und methodologische Fragen geben Wilson and Peterson, 2002. Vgl. weiter Di Maggio, Hargit-

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In den folgenden Bemerkungen werde ich erneut meiner Verwunderung nachgehen. Diese Perplexitäten betreffen erstens die fehlende Verzahnung der politischen Philosophie mit konkreten Handlungs- und Erfahrungsräumen von Migranten und mobilen Menschen, seien diese theoretischen Ansätze nun liberal-kommunitaristisch (John Rawls, Michael Walzer), kosmopolitisch (Sheila Benhabib) oder dekonstruktivistisch orientiert (Jacques Derrida). Zweitens erstaunt die Vernachlässigung von agency und Subjektivität in herkömmlichen akademischen Perspektiven auf ›undokumentierte‹ Mobilitäten, deren Augenmerk immer noch stark auf Makrostrukturen, ›sending‹ and ›receiving‹ countries, mechanischen ›push and pull factors‹ liegt und die damit eine ökonomistische und etatistische Perspektive einnehmen. Drittens verblüffen die halluzinatorischen politischen Designs und Politiken – auch und gerade der EU –, die nicht erst seit 2004 und der Gründung der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex auf ›effizientes border-management‹, die Kontrolle des Mittelmeerraumes, die Verschiebung und Ausweitung (national-)staatlicher Grenzen in postkolonialen Kontexten zielen, und schließlich überrascht die fast vollständige Vernachlässigung des produktiven, kulturellen und symbolischen Raumes, der die – politische – Imagination prägt und Handeln beeinflusst. Ich habe mich an anderer Stelle bereits kritisch mit den ersten drei Aspekten auseinandergesetzt und möchte daher im Weiteren auf die kulturellen Artikulationen des ›brennenden Wunsches‹ zur Flucht eingehen und dabei zugleich auf unterschiedliche Räume verweisen.6 In einem ersten Schritt werden die Routen undokumentierter Migranten skizziert. Da harga fast ausschließlich einen männlichen Handlungs- und Erfahrungsraum bildet, sollen kurz Vorstellungen von Männlichkeit in den Blick kommen. Vor diesem Hintergrund werden in einem zweiten Schritt Repräsentationen dieser Praktik angesprochen. Ich werde hier besonders die Hymne von Harga, Partir loin von 113/Reda Taliani, Espoir des favelas von RimK/113 und die Formen von harga-clips thematisieren, die über YouTube verbreitet werden,

tai, Neuman et al., 2001; Gray und Driscoll 1992; Greschke, 2007; Miller and Slater, 2000; Nisbett, 2006. Zur Forschungsmethodologie, vgl. Androutsopoulos, 2008; Escobar, 1994; Hammann (1999) und die Beiträge in Cybersociology (1999). 6

Vgl. Friese, 2010, 2011.

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raï-rap mit Visualisierungen und Symbolen dieser Praktik verschmelzen und so einen transnationalen, politischen Raum schaffen.

R OUTEN

UND

G ENDER

Seit den späten 1990ern ist die sizilianische Insel Lampedusa zu einem europäischen borderland undokumentierter Mobilität geworden. Obgleich die meisten undokumentierten Migranten in Italien overstayers sind, ist die winzige Insel vor der tunesischen Küste – wie die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla – zu einem der Symbole gescheiterter europäischen Migrationspolitiken und des sogenannten Bordermanagements geworden, das besonders durch die im Jahre 2004 gegründete Grenzsschutzorganisation Frontex geleistet werden soll. Zwischen 2000 und 2009 kamen ca. 111.000 undokumentierte Migranten auf Lampedusa an (vgl. Tabellen 1 und 2).7 Nach dem tunesischitalienischen Vertrag über die Rückführung der ohne Papiere eingereisten tunesischen Bürger aus dem Jahr 1998 stachen die Harraga hauptsächlich von der libysche Küste aus in See. Das ›Freundschaftsabkommen‹ zwi-

7

Auf Lampedusa kamen hauptsächlich Menschen aus den Ländern Nordafrikas (Marocco, Algerien, Tunesien, Libyen), dem Horn von Afrika (Somalia, Eritrea, Äthiopien, Sudan), dem Mittleren Osten (Ägypten, Palästina, Libanon), den Ländern der Sub-Sahara (Goldküste, Ghana, Togo, Liberia, Sierra Leone, Nigeria) und Süd-Asien (Bangladesch, Pakistan, Indien, Sri Lanka) an. Die Erfahrungen der Harraga unterscheiden sich – nicht zuletzt durch die kollektive Erinnerung an den langwährenden Sklavenhandel und den mehr oder minder offenen Rassismus in den Ländern Nordafrikas – allerdings erheblich von denen, die aus den Ländern der Subsahara kommen. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Zahlen und Tabellen kaum Handlungen oder persönliche Entscheidungen abbilden und Statistiken gerne politisch benutzt und zum Teil eines (populistischen) Diskurses werden, in denen eine über Europa hereinbrechende ›Menschenflut‹ heraufbeschworen wird und Ängste geschürt werden sollen. Zugleich müssen wir uns vor Augen halten, dass auf der winzigen Insel ca. 6.100 Einwohner leben (Zahlen von 2007, Quelle: Movimento della popolazione 1994-2007, Ufficio anagrafe, Comune di Lampedusa and Linosa, Ausarbeitung H. Friese).

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schen Italien und Libyen aus dem Jahre 2009 hatte diese Route weitgehend undurchlässig gemacht, viele Boote wurden gegen die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention auf offener See aufgebracht und die Harraga wieder in die Länder zurück geschickt, die durchaus nicht durch Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte bekannt waren. Folgen wir den Berichten von Fortress Europe, sind zwischen 1996 und August 2010 mindestens 4.204 Menschen im Kanal von Sizilien ertrunken und finden Fischer ständig menschliche Überreste in ihren Netzen. Das Mittelmeer ist zu einem Friedhof geworden, und die genaue Zahl der Ertrunkenen wird wohl nie bekannt werden, da viele der windigen Boote spurlos untergehen. Tödliches Risiko ist daher ein Teil der (manchmal) traumatischen Erfahrung von Mobilität, Verwundbarkeit, Unsicherheit und Liminalität, die jedoch nur eine Seite von harga sind. Auch nach der tunesischen Revolution im Januar 2011 haben tausende junger Männer die sich endlich bietende Gelegenheit ergriffen, mutig ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen und sich auf windigen und hoffnungslos überladenen Booten auf den Weg nach Europa gemacht (vgl. Tab. 3).8 Harga verweist zum einen auf die Übertretung staatlicher Bestimmungen und Regeln, nämlich die von Aus- und Einreise. Harga als Prozess verweist zum anderen aber auch darauf, dass man nicht bereit ist, eine desolate, hoffnungslose Situation hinzunehmen, auf das brennende Verlangen, dieser zu entfliehen und natürlich auch darauf, dass man vom allgemeinen Menschenrecht auf Freizügigkeit und Mobilität ausgeschlossen ist. Das Recht auf Freizügigkeit ist bekanntlich Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 9 Während sich mit dem Schengener Abkommen für die Bür-

8

Ich habe Lampedusa im Frühjahr 2011 und die sich entwickelnde ›Krise‹ in einer Reportage dargestellt (Friese, 2011a). Seit den Ereignisse in Tunesien und Libyen im Jahr 2011 sind bis zum 31. Juli 24.769 »Migranten aus Tunesien« und »23.267 aus Lybien« in »Italien angelandet«, so erklärte der Innenminister Maroni am 15.8.2011 in einer Pressekonferenz (Ministero dell’Interno, 2011). Der italienische Außenminister Frattini verkündete am 16.7.2011 den Abschluss einer Vereinbarung mit der provisorischen Regierung Libyens, nach der die Küstenüberwachung erneut gemeinsam geregelt und undokumentierte Mobilität schon an den Küsten Libyens verhindert werden soll (ANSA, 16.6.2011).

9

Art. 13 teilt das Recht auf Freizügigkeit in drei unterschiedliche Elemente: das Recht, sein Land zu verlassen, das Recht auf Freizügigkeit und Niederlassungs-

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ger Europas die Grenzen weitgehend geöffnet haben, so wurde mit der gleichzeitigen Einführung einer einheitlichen Visumspflicht die Bewegungsfreiheit von Bürgern außerhalb der EU eingeschränkt. Diese legalen Räume und die entstehenden Grenzregimes greifen in das alltägliche Leben von mobilen Menschen ein, sie beeinflussen die Beziehungen zur lokalen Gemeinde und öffnen oder schließen Handlungsmöglichkeiten. Harga verweist aber auch auf den Raum, der weitgehend von jungen Männern geschaffen und bestimmt wird.10 Ökonomische Gründe, Arbeitslosigkeit oder die aussichtslose Suche nach Jobs, die dem eigenen Bildungsstand entsprechen (besonders wenn man ohne einflussreiche Beziehungen ist), können sicherlich die Motivation befeuern. Sie machen jedoch nur ein Teil der Sehnsucht nach einem anderen Leben aus. Hoffnungen auf individuelle Freiheit und Befreiung von familiären Fesseln, auch die Imagination fabulöser sexueller Abenteuer (es kursieren phantastische Geschichten von der reichen europäischen Frau, die einem ein luxuriöses Leben in sagenhaftem Überfluss ermöglicht) und nicht zuletzt ein gewisser Gruppendruck – oft machen sich Freunde aus einem Dorf zusammen auf – beflügeln die kollektive Imagination und leeren die Cafés und Bars, in denen man auf etwas anderes wartete. Sie fordern aber auch den Beweis von Männlichkeit, persönlicher Stärke, Schwierigkeiten und Grenzen zu über-

freiheit innerhalb der Grenzen des eigenen Landes und schließlich das Recht auf Wiedereinreise. Der Art. 8a, 1 des Vertrages von Maastricht, der durch das Amsterdamer Abkommen (1977) bestätigt wurde, sieht ähnliche Rechte vor. Dennoch müssen wir sehen, dass es eine fundamentale Diskrepanz zwischen dem Recht auf Ausreise und dem auf Einreise gibt. 10 Das gilt nicht für undokumentierte Mobilität aus den Ländern der Subsahara und des Horns von Afrika. Die harraga des Maghreb sind überwiegend junge und unverheiratete Männer. Eine Studie zeigt, dass 54 % zwischen 18 und 28 Jahre alt sind und 36 % im Alter zwischen 29 und 40 sind. Die harraga sind zu 80,58 % ledig. 89 % haben eine abgeschlossene oder mittlere Schulausbildung, während 2,15 % einen Hochschulabschluss aufweisen. 90,50 % der Befragten waren zur Zeit der Aureise arbeitslos (Labdelaoui, 2009:6). Eine weitere Studie des algerischen Ministère de la Solidarité Nationale macht deutlich, dass »il s’agit du sentiment d’exclusion, de l’oisiveté et du chômage, de la pauvreté, ›de la mal vie‹ et du mal être, du désir d’améliorer la situation, et enfin, du besoin de changer de monde et de mode de vie« (Labdelaoui, 2009:7).

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winden und das Risiko auf sich zu nehmen, um in Europa ein besseres Leben führen zu können. Diese ›illegalen‹ Praktiken beinhalten Risiko, den Bruch von Regeln und Gesetzen, sie brechen aber auch mit dem bisherigen Leben. Risiko ist, wie Nair bemerkt hat, ein Merkmal der Moderne und das immediate and overwhelming risk faced by illicit immigrants in their trans-national movements cuts through the fabric of late modernity’s culture climate of general risk, speculation or reflexivity and venture, highlightening their own limi-nality and otherness to the very contexts that they seek to enter (Nair, 2007: 67).

Ein Risiko einzugehen ist natürlich keinesfalls irrational. Die Herausforderung anzunehmen, die Fähigkeit, Gefahren und Schwierigkeiten auf dem einmal eingeschlagenen Weg zu überwinden, sich durchzusetzen, zu behaupten und es zu schaffen, sind Teil männlicher Subjektivität, männlichen Selbstbewusstseins und herrschender Repräsentationen von Männlichkeit. Harga ist ein dynamisches Projekt von jungen Männern, das also nicht nur auf rein ökonomische Gründe reduziert werden kann. Es beinhaltet Risiko, Transgression, Grenzüberschreitungen, den Beweis männlicher Subjektivität. Harga als männlicher Handlungsraum verweist auf dominante Vorstellungswelten und ist zugleich durch doppelte Abwesenheiten markiert, um sich als solcher etablieren zu können: die Abwesenheit von Frauen und die Ausblendung des Todes (was allerdings nicht heißt, dass Frauen keine Rolle bei der Entscheidungsfindung oder in der Darstellung derjenigen spielen, die am heimischen Ufer zurückbleiben und in einigen Clips als Trauernde erscheinen). Diese aussichtslose Lebenssituation und die Sehnsucht nach einem anderen Leben sind zum Teil einer mobilen, transnationalen ›Jugendkultur‹, ihrer Symbole und Semantiken geworden, die auch in (kommerzieller) Musik ihren Ausdruck findet und kreativ bearbeitet wird.

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H ARGA , 5 $Î

UND POPULÄRE

C LIPS

Raï and Harga Raï (wörtl. ›Meinung‹ oder ›Standpunkt‹) entstand in den 1920/30ern in den multiethnischen Vierteln von Oran, in Tavernen, Bordellen, den Armenvierteln und verband Musikrichtungen wie andalusi, zendani und melhun, die Musik der Beduinen, Araber, Spanier, Afrikaner, Franzosen und damit sogenannte ›traditionelle‹ Musik mit westlichen Einflüssen. Die Texte sprachen von Liebesleid und Sex, Trunkenheit und Armut. Auch und gerade Sängerinnen (cheikas) spielten eine zentrale Rolle in der Entwicklung dieser Musikrichtung.11 Zugleich unterminierte raï dominante kulturelle Codes und war politisch aufgeladen. Im Jahre 1930 – dem Jahr, in dem die Kolonisierung Algeriens 100 Jahre lang währte – schrieb Huoari Hanani das Lied S’hab el baroud (Gens de la poudre, wörtl. ›Leute des Schießpulvers‹), ein patriotisches Lied über die Tugenden der Besiegten, den Mut des bewaffneten Widerstandes gegen die koloniale Armee, ein Motiv, das von Cheb Khaled 1983 in dem Refrain aufgenommen wurde: »Les gens de la pudre avec leur fusils/Portent les bouches de canon la mèche allumée/Nos chefs ont délibérér et décide´/Ils sont voulou réalisier ce jour de célébration«.12 Während des algerischen Unabhängigkeitskrieges traten einige raïMusiker der Front de Liberation National (FNL) bei und gaben dem Kampf gegen die Franzosen ihre Stimme (einige mussten daraufhin in das tunesische Exil oder verschwanden im Gefängnis). Doch auch nach der offiziellen Unabhängigkeit Algeriens im Jahre 1962 wurde die staatliche Zen-

11 Für eine Darstellung von ›world music‹ und raï, vgl. Ellingham, Duane and Dowell, 1999; Virole, 1995; für eine Darstellung von Zensur und raï, Mehdid, 2006; Zur Beziehung zwischen Musik und Prozessen der Identitätsbildung, vgl. Gazzah (2008). Diese Beziehungen zwischen Rap und Identitätskonstruktion hat auch Krims (2002) dargestellt. Vgl. in diesem Kontext besonders Durand, 2002. 12 Die bekanntesten Namen waren wohl Cheikh Hachemi Bensmir (1877-1938), genannt Taïr Labiadh (l’Oiseau Blanc), Cheikh Benyekhlef Boutaleb (18831957), Cheikh Madani (1888- 1954), Cheikh Hamada (1889-1968), Cheikh Khaldi, deren Musik dann auch von den neuen Sängern wie Cheb Khaled aufgenommen wurden (vgl. Musique Arabe, 2007).

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sur des repressiven staatlichen Systems kaum gelockert, und raï aus dem öffentlichen Radio verbannt. In den 1970ern wurde raï – die Musik verband zunehmend Reggae, Funk und Rock, also auch Synthesizer, Bass und Schlagzeug – zu einem zentralen Identifikationsmedium für die algerische Jugend, und die Musikindustrie entwickelte sich u.a. durch den Produzenten Rachid Baba Ahmet (er wurde im Februar 1995 ermordet, wie zuvor schon Cheb Hasni und später der überaus populäre Lounès Matoub).13 Die massenhafte Verbreitung von Musikkassetten trug wesentlich zur Popularität von raï bei, untergrub staatliche Zensur und das Monopol der offiziellen algerischen Medien. Während der politischen Tumulte in den 1980ern betraten neue Musiker die Szene: die Cheb (›Jungen‹) und Cheba (Musikerinnen) wie Cheb Hasni, Cheba Fadila (ihr Hit: You are mine), Cheb Khaled (Kutche, 1989), Cheba Zahouania. Cheb Hasnis Lied mit Cheba Zahouania, Beraka (›die Hütte‹) wurde 1987 zu einem Hit, verursachte einen gewaltigen Skandal und wütenden Protest der Islamisten. The lyrics […] went beyond the bounds of the daring, Hasni singing about ›making love‹ in a dirty old shack. ›I had her ... because when you’re drunk that’s the sort of idea that runs through your head!‹ The song caused a veritable scandal […] catapulting young Hasni to overnight fame (Cheb Hasni, 2004).

Raï sprach gesellschaftliche Tabus an, und die Texte sprachen von Sex, Alkohol, »divorcées, young widows and adultery« und thematisierten die »frustrations and preoccupations of an entire generation«. In El Visa sang Hasni »I was going to go and see my baby/But you’ve taken my visa/You want to kill me!/I’m gonna drink myself stupid and smash everything«. El Visa wurde 1992 zu einem riesigen Hit und verkaufte innerhalb weniger Tage 250.000 Kassetten (Cheb Hasni, 2004). Da diese Musik im staatlichen Radio immer noch zensiert wurde, verlagerten sich bereits Anfang der 1980er Jahre Produktion und Ausstrahlung nach Marseille und die lokale algerische Community (vgl. Noor Al-Deen, 2005:605). Aufgrund der ungeheuren Popularität musste die staatliche Zen-

13 Vgl. Cheb Hasni, 2004. Die Morde während des algerischen Bürgerkriegs sind ungeklärt und werden einmal den Regierungskräften, ein anderes Mal der GIA (Groupe islamique armé) zugeschrieben.

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sur dann jedoch gelockert werden, und 1985 konnte das erste Open-air-raïFestival in Oran stattfinden. Die jüngsten musikalischen Einflüsse nehmen »Jazz, Reggae and hip hop« auf, die »instrumentation has expanded to include modern and electric instruments, from the accordion to saxophone and guitar« (Hogge, 2010) und verbinden die einstige Kolonie mit der französischen gegenwärtigen banlieu. Die Entwicklung von raï und der komplexen musikalischen und semantischen Strukturen kann zugleich von Identitätspolitiken nicht getrennt werden. Raï forderte eine Identität, die sich von Staat und Religion abgrenzte, und widerstand den Versuchen der Vereinnahmung durch die autoritären Staaten des Maghreb und der erstarkenden religiösen Führer. Diese Musik drückt »popular opposition to the status quo« aus, »breaking open instead a space for the articulation of difference lived and experienced at collective levels« (Nair, 2007:65). Zugleich wurde raï zum Teil von Identität der »migrating population, and with them it traveled outside Algeria into France, then Europe, and recently, the United States«.14 In dieser Bewegung wurde auf französisch aufgenommen, und die Sänger wechseln »from one tongue to another, then to a third and a forth (…). In a single sentence, French, English, and two forms of Arabic, standard and spoken, are jumbled together«.15 Damit wurde entwickelt, was wir mittlerweile unter (kultureller) Hybridität und kultureller De-zentrierung verstehen. Linguistische und lexikalische Hybridität, die Entwicklung einer gemeinsam gesprochenen und verschriftlichten Umgangssprache jedoch, die mit grammatikalischen und orthografischen Regeln bricht, Abkürzungen, Akronyme, Leetspeak (bspw. 9ar7a für harga/harraga) benutzt,16 bestän-

14 »Rai’s foray into the United States is relatively new, but it’s gaining exposure and support through popular Western artists. Sting recently featured one of Rai’s most famous singers, Cheb Mami, on his album ›Brand New Day‹«, so Hogge (2010). 15 Daoudi, 2000:34; Noor Al-Deen, 2005:607; Zum code-switching, vgl. Androutsopoulos, 2010; Bentahila und Davies, 2002; Davies und Bentahila, 2008. Hassa, 2010. 16 Ich war – zugegebenenermaßen – überaus erleichtert, auf den Kommentar von fako68 @H1N1KEN »dja la bm c pr montré ke on pe venir den ba et mtn tou cramé ac une voiture kom sa et kess tu raconte toi abdelkrim brahimi il habite tjrs dan le 94«, die folgende Antwort zu lesen: »essaie d’écrire avec des mots je

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diger Codewechsel, kurz: die Erfindung einer »postmodernen«, transnationalen Umgangssprache (Potter, 1995), schließt den Kampf um Identität jedoch durchaus nicht aus. Auf der einen Seite drückt raï die Erfahrung von Marginalisierung und Ausschluss aus. Auf der anderen Seite jedoch fordert der Kampfruf Maghreb United/Algerie, Maroc, Tunisie! Reunifié (Anhang 1) eine gemeinsame Identität des Maghreb. Damit wird eine gemeinsame Identität angeboten, die jedoch auch umstritten und umkämpft ist. Mittlerweile stellt YouTube einen dynamischen, multilingualen (französischen, arabischen und deutschen), transnationalen Sprach- und Erfahrungsraum her, in dem jedoch auch Nationalstolz, Zugehörigkeit und Differenz artikuliert und verhandelt werden.17 Die Kommentare zu den Clips – die meist autoreferentiell sind – eröffnen ein Forum zur Aushandlung einer gemeinsamen Identität, gemeinsamen Bluts und Bruderschaft (oftmals gegen die im Maghreb wenig beliebten ›Araber‹) und zugleich einer deterritorialisierten nationalen Identität, die zum Teil des Selbstentwurfs und von Subjektivität wird: »your tunisia is a small square in algeria....go check your map....we are wider and better...123 viva l algerie«,18 »maybe tunisia is smaller than algeria...but where are all you algerian brothers in their Summer holidays???? in Tunisia ;) shut up ugly boy͒Vive Tunisie! Magreb United!!!«,19 »Tous les maghrebiens͒vous êtes de frères..͒mais les tunisiens sont les meilleurs, ,,, ;)«.20 Einige Kommentare zu Partir loin setzen – gegen kabylischen »Kommunitarismus und Abgrenzung« – explizit eine gemeinsame, muslimische Identität:

ne lis pas les hiéroglyphes« (H1N1KEN @fako68, YouTube Kommentar zu Espoir des favelas). 17 Die Affirmation von »flüssigen Identitäten«, die in raï ausgedrückt werden (vgl. besonders Nair, 2007) übersieht gerne die Identitätsarbeit der Zuhörer, die durchaus durch nationale Identifikationen charakterisiert ist. 18 Kommentar von ASHYLIA88͒͒(user profil: Alter 29; about me: »The thing that doesn’t kill me, that’e what makes me stronger’; about him: Beleive in God and love my country, Algeria, profession: Computer engineer, interests: Music, theater, and studies; films and music:Brave hearth, Seven, Saw; Rock, POP, Chaabi, R&B, Reagae, Gnawi, Andalousi, Houzi, Jazz.......etc; books: Coran, Introduction of Ibn khaldoun). 19 By moMoeXe,͒user profile: age 26, based in Germany. 20 By tunsiano16, user profile based in Switzerland.

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Mais il n’y a ni a se prendre pour un arabe ou un kabyle on est ce qu’on est point barre, le plus important dans la vie est de se sentir MUSLIM et de faire parti de la communauté du prophéte Muhammed SWS:pourquoi vivre dans le communitarisme et se sentir différent???͒Mohammed de Tizi ou Mohammed d’Oran c’est la meme...21

Durch die Verwischung von nationalen und symbolischen Grenzen drückt »rai [...] late modernity’s hybrid reinventions of cultural memory through what are largely collective experiences of de-territorialization and relocation« (Nair, 2007:66) aus und spricht die Schwierigkeiten an, ein gemeinsames kulturelles Gedächtnis des Maghreb zu schaffen und mit der (de)lokalisierten, postkolonialen Alltagserfahrung der europäischen banlieu zu verbinden. Die Hymne der harraga: Partir loin Wie bereits erwähnt: harga ist ein Projekt junger Männer und damit zugleich Teil spezifischer kultureller Artikulationen, hochgradig mobiler Zeichen und Symbolisierungen. Die ›Hymne‹ der harraga ist – neben Talianis El Harraga – sicherlich 113/Reda Talianis Partir loin und drückt Entfrem-

21 Von abdallllllllah @lahagra93 »userprofile: age 29, based in France, about me: Je reste a l’ancienne,que dans le respect et le vrai son!!!! ANTI FACHO/ANTI SIONISTE ET ANTI HAINEUX:OUBLIEZ pas que vous vous etes fais nettoyés par des noirs et des arabes sur Paris entre 86 et 90!!!!!!!!« Diesem Kommentar folgte ein antiarabischer Kommentar von LEJUIF-KHAZAR͒ @abdallllllllah tu as raison, arabe ou kabyle quelle difference ? tous ensemble la meme direction ; le fond de l’eau !͒bougnoules !!!!͒͒(userprofile Amis de la Bête , shalom aleichem !!! Je suis un juif originaire de Khazarie dont le but dans la vie est de voir naître le Grand Israel avec Yerushalaim pour capitale.Le Grand Israel naîtra sur les décombres de l’Islam, qui peut d’ores et déjà compter ses jours !!! Nous allons provoquer une troisième guerre mondiale catastrophique qui va défier votre imagination, et nous allons également faire manifester l’apparition de Maitreya, qui sera accueilli comme le Grand Roi d’Israel pour gouverner ce qui restera du monde. Based in Georgie, Israel; interests in lutter en faveur du sionisme, appliquer les lois Talmudiques, le sexe, l’argent, les voyages, les guerres,et surtout les femmes ! filmsSodome et Gomorrhe).

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dung, Hoffnungslosigkeit, die Lebenseinstellungen einer Generation aus, die nichts zu verlieren hat, auf der Suche nach Perspektiven und A la quête du bonheur (auf der Suche nach Glück) ist (das offizielle Video auf YouTube wurde bis heute [8.9.2011] von 712.055 Usern gesehen, vgl. Anhang 1).22 Partir loin pour fuir les problèmes qu’on à dans la tete, Mec! (›Weit weg, um vor den Problemen zu flüchten, die man im Kopf hat‹): Diese Zeilen reflektieren sicherlich Cheb Khaleds bekannte und prophetische Zeilen El Harba Wayn: You can always cry or complain͒/ Or flee, but where? Sie drücken den Wunsch aus, vor persönlichen, sozialen und politischen Situationen zu flüchten – ist man doch »mit Dieben aufgewachsen«, hat ein »hartes Leben«, das, hat man in der allgemeinen Korruption keine »Schultern«, ohne Alternativen und Auswege scheint: Flucht, fliehen, sich auf den Weg in ein »Eldorado machen, wenn auch in der economy class«, aufbrechen, weit weg, sich aufmachen, ein besseres Leben suchen. Das Video zu Partir loin beginnt, nach einer ironischen Szene üppig ausgestatteter ›orientalisch-orientalistischer‹ Geselligkeit, mit einem highangle-shot auf ein Schiff im Hafen von Algier und Ansichten auf Algier aus der Vogelperspektive, die durch schnelle Schnitte auf die Dächer von Paris unterbrochen werden und damit zwei Orte zusammenbinden.

22 Diese Zahlen umfassen aber lediglich das offizielle Video und nicht private Konzertmitschnitte etc. RimK (Abdelkarim Brahmi) wurde 1978 in Algerien geboren und war – zusammen mit Yohann Duport, geboren in Guadeluope and Mokobé Traoré, geboren 1979 in Mali – Gründer der ›crew‹ 113. Die Gruppe wurde kommerziell überaus erfolgreich und ist seit 2004 bei Sony Music. RimK gründet daneben das Label Fresnik (vgl http://www.banlieue-connexion.com/ rim.html, 28.8.2011). Reda Taliani (Tamni Reda), genannt Talini (Taliani bedeutet ›der Italiener‹) wurde 1980 in El-Biar, Algerien geboren und lebt in Frankreich. Für Darstellungen des Ursprungs und der Entwicklung von HipHop/Rap, vgl. Chang, 2005; Potter, 1995. Für eine Darstellung von Rap und Cultural Studies, vgl. Rosello, 2000.

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Fotogramm 1

Fotogramm 2

Fotogramm 3

Die sich anschließenden Sequenzen des Videos unternehmen eine Reise und repräsentieren ironisch eine Generation weißhaariger Migranten (chibenis), die hart arbeiten und – in klapprigen alten Autos – beladen mit

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Kühlschränken und Waschmaschinen zu Ramadan in ihr Dorf zurückkommen. Sie illustrieren zugleich die Koexistenz von zwei Welten in den zeitgenössischen Modernen. Das Kamel und das alte, zusammengearbeitete Familienauto, das die Zeichen eines geglückten Migrationsprojektes mitbringt und deutlich macht, dass es der Familie besser geht und sozialen Status befördert hat. Zugleich verbindet das Auto hier erneut unterschiedliche Räume: die alte ›Heimat‹ und die französische banlieu. Autos sind ein Zeichen von Männlichkeit, Potenz, männlichem Selbstbewusstsein und werden zum Objekt männlicher Begierde. Es gibt zwei Arten von Autos. Das ›Familienauto‹ und das ›repräsentative‹ Auto, mit dem Männlichkeit dargestellt und bewiesen werden kann. Einer meine Freunde in einem tunesischen Fischerort – er verbrachte den Großteil seiner Jugend auf der sizilianischen Insel Pantelleria und in der Toskana (er war einst aufgebrochen, um sich die damals begehrten italienischen Rifle-Jeans zu kaufen) – ist mittlerweise ein erfolgreicher Heimkehrer, der sich und seiner Familie ein Haus gebaut hat und ein eigenes Fischerboot besitzt. Am Ort galt er als reich – er hat alle modernen Küchengeräte und seine beiden Söhne besitzen je eine Vespa. Auch hat er zwei Autos. Das Familienauto, das von der Frau genutzt wird, und das Statusauto (Alfa Romeo), das selten genutzt wird, dessen sounddesignte Autotüren aber oftmals zum Anlass von Witzen über das arme Migrantenauto seines Freundes wurden (der in Sizilien lebt und in den Sommerferien zurückkommt, um an dem Haus zu bauen). Nicht umsonst macht das Partir loin das Schiff zu einem zentralen Symbol, und die Fähre entlädt – unter dem Blick der Grenzbeamten – ihre Ladung von mit Konsumgütern schwer beladenen Autos.23

23 Das Video zu Tonton du bled von RimK/113 nimmt diese Topoi auf und beschreibt die Reise der Waren von Vitry nach Algerien. Auch hier sind die Waren in einem Supermarkt eigentlich nur ›vorhanden‹ und werden in ein Auto geladen. Ohne hier weitergehende Schlüsse ziehen zu wollen, könnte in dieser Richtung über die jüngsten Vorkommnisse in Großbritannien nachgedacht werden. Auch hier wurden die vorhandenen Waren – die aus dem Produktionsprozess seltsam herausgenommen scheinen – als vorhanden betrachtet, Transgression besteht dann in der Aneignung dessen, was eigentlich im Überfluss zur Verfügung steht und vorenthalten wird. Für einen Überblick über die jüngste anthropologischen Beschäftigung mit ›Consumption‹, vgl. Graeber, 2011.

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Fotogramm 4

Fotogramm 5 Immer und immer wieder: das Schiff als hochgradig aufgeladenes Symbol. Auch das Video L’espoir des favelas (RimK) beginnt mit einer Totale auf den Hafen, ein Schiff und riesige Türme von Cargo-Containern, deren Zwischenraum dem Sänger als Bühne dienen. Die Perspektive, der low-angle shot, ist hier natürlich kein Zufall, sondern soll den Akteur mächtiger erscheinen lassen.

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Fotogramm 6

Fotogramm 7

Der brennende Wunsch, sich auf den Weg in ein mythisches Eldorado zu machen (und schon die europäischen Eroberer waren davon besessen), kann kaum von den konkreten Lebensumständen in den Ländern des ersehnten Überflusses getrennt werden – deren Realität freilich kaum den Träumen entspricht. To flee, but where, so schon die Frage von Cheb Khaled. Denn auch dort bestimmen alltägliche, banale Erfahrungen von Ausschluss, Repression und Marginalisierung die ›Hoffnung der Favelas‹ (das Video wurde bis heute – 8.9.2011 – von 877.455 YouTube-Usern aufgerufen). Der möglichst authentisch inszenierte Widerstand gegen den status quo der banlieu ist jedoch immer schon Teil der gegenwärtigen Kulturindustrie.24

24 Gegen den Protest wird durchaus protestiert, und die mise en scène europäischer favelas wird auch kritisiert: »huevoder mec vous est foutu tous ce vois croies q les favelas il sont comça. les favelas europeas c’est ça. vous coneis pas latino america mecs. ça c’est le plus du lourd de france?! alez buenos aires:villa 31, villa fiorito, villa 1-11-14, dock sud, lanus, villa soldati ça c’est vrai merde! rien a voir (userprofile: account closed)« und mamadakar bemerkt: »denn ich bin marokkaner und habe da überwiegend familie die alle ohne ausnahmen in den banlieues leben und ich bin hier in deutschland geboren und kenne deutschland und ich sage dir sprich nicht über dinge die du nicht kennst denn die probleme die frankreich hat hat deutschland zum glück nicht« (userprofile: age 19, based in Germany). Daneben werden die jeweiligen Szenen bewertet. So schreibt aezakmigta: »deutschland hat nie im leben so eine große kanacken szene. aber dafür gibt es sehr sehr viele kleine szenen und sehr schlimme gegenden. Pariss banlieus sind die reinsten ghettos. aber ausserhalb von paris geht ziemlich wenig in frankreich. in deutschland siehst du selbst auf dem Land in den kleinen

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Auch der hochgradig sexualisierte BMW, Fetisch einer machtvollen und übermächtigen Warenwelt, zeigt dann nichts anderes als den Einschluss in ein System, von dem man doch zugleich ausgeschlossen ist, macht deutlich, dass man die begehrten Güter niemals besitzen wird, dass man niemals dazugehören wird und nie wird verbergen können, was man an sich zu hassen gelernt hat. Frantz Fanon (2008) hat das double-bind, das psychische Trauma des Kolonisierten, dort verortet, wo dieser erkennt, niemals das (Weiße) zu besitzen, das er begehrt, noch das Schwarze verbergen zu können, das zu hassen er gelernt hat, und Homi Bhabha sieht die Mimikry des Kolonisierten als effektive Strategie kolonialer Macht, aber auch als geheime Kunst der Rache.

Fotogramm 8

Fotogramm 9

»The display of abundance, of appropriation of the miraculous object, the good of consumption«, von dessen Kosum man jedoch ausgeschlossen ist,

dörfern kanacken die abhängen und scheiße bauen in den städten is heftiger aber immerhin aber german rap fickt france rap.niggas werden in deutschland nicht gebraucht arabs sind heftiger«. aigleallemand antwortet auf @aezakmigta: »alter ich rappe selbst auf deutsch aber ich muss zugeben das france rap viel besser ist als deutschrap. die meisten deutschrapper versuchen krampfhaft amirap zu kopieren. die franzosen haben ihren eigenen rap und kopieren nicht die Amis (ausser Booba vielleicht).« (userprofile: age 26, based in Germany). DICID21 Le son est excellent ds son genre mais serieusement c est dingue d’ en arriver là, aussi loin de l’islam quand on se dit musulman... C’est juste merdikdu coup vu sous cet angle... drogue, violence, sexe, argent, matérialisme, bref que du propre quoi! ; ).

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wird zum Zeichen der Austreibung des Realen mit den Zeichen des Realen (»conjuring away the real with the signs of the real«), wie Jean Baudrillard (1998:33) bemerkt. Doch die Appropriation der begehrten Ware, der triumphal zur Schau gestellte Überfluss, ist lediglich die Akkumulation der Zeichen des Glücks, des guten Lebens, Zeichen der Hoffnung und der Teilhabe. »›Affluence‹ is, in effect, merely the accumulation of the signs of happiness« (1998:31). Das Kultobjekt des Überflusses repräsentiert, vertritt und substituiert – wie der (Waren-)Fetisch – etwas anderes: »Er vertritt (zumeist) das Bild einer Welt, die unsere Bedürfnisse erfüllt, einer Welt, die immer ›voll‹, ›reich‹, ›großartig‹ und ›schön‹ ist [...]. Das macht die Aura des Warenfetischs aus: Der Warenfetisch winkt mit der Partizipation am Schlaraffenland (in allen Varianten)«, bemerkt Hartmut Böhme (2006:333). Erneut wird das Automobil zum Gegenstand der Aushandlung von Symbolen und der sozialen Verhandlung von Bedeutungen (Slater, 1997/ bei Homi Bhabha ist dieser Raum der Aushandlung der Dritte Raum). Es wird zur Trophäe, dem magischen Zeichen männlicher Aneignung einer Welt, die man nicht länger beherrscht und kontrolliert, sondern von der man ohnmächtig beherrscht wird. Der Griff an den Schritt ist – nebenbei – im Mittelmeerraum eine Geste, die nicht nur eindeutig männliche Stärke demonstriert, sondern auch gegen bösen Blick und Neid wirken soll.

Fotogramm 10

Wer kein Pilot des Lebens ist, kann seine Fähigkeiten doch wenigstens beim street rodeo deutlich machen oder gar zum Steuermann eines BMW werden (das französische Wort pilote verweist etymologisch auf den

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›Steuermann‹ – auf diesen Aspekt wird zurückzukommen sein).25 Was in diesen Szenen jedoch auch gezeigt wird, ist eine ›illegitime‹ Bewegung, eine Art von ›undokumentierter Mobilität‹ innerhalb der sozialen räumlichen Ordnung. Diese legitimiert sich durch die Anteilhabe am System der hegemonialen Zeichen (und wird dann eventuell mit einem guten Plattenvertrag honoriert, der zeigt, dass man es geschafft hat und aufgenommen wurde). In diesem Video erobert die banlieu das Zentrum der Nation: l’Arc de Triomphe, Champs-Élysées, den berühmten Quai d’Orfèvres 36 (Sitz der Direc-tion de la police judicaire). Der zelebrierte BMW wird zum Signifikanten der Aneignung,26 der Aneignung des wundersamen Cargo und ist – als Fetisch – mit magischer Kraft und männlicher Potenz aufgeladen. Als solcher verweist er kaum auf das System der Produktion, sondern gehört der Ordnung der Konsumption, ja, des spektakulären Konsums zu: Der berühmte Heros des Rap stellt die Konsumware sicherlich nicht am Fließband her. Das begehrte Objekt, die Güter sind so präsent und abwesend zugleich. Sie versprechen Gleichheit und speisen – paradoxerweise – ein Begehren, von dessen Erfüllung die Adressaten des Videos im Kreislauf des Konsums jedoch (auf doppelte Weise) ausgeschlossen sind: Als Produzenten und als Konsumenten. »In everyday practice, the blessings of consumption are not experienced as resulting from work or from a production process; they are experienced as a miracle«, so stellt Jean Baudrillard bündig fest (1998:31). Wenn die grauhaarigen Migranten (chibenis), mit denen ich in Tunesien gesprochen habe, auf harga mit einiger Perplexität, wenn nicht Ablehnung reagieren, so ist das auch eine Reaktion auf diesen Kult, der das magische Konsumobjekt von der Produktion und von harter, körperlicher Arbeit trennt. Wer die Waren zusammenschraubt, sind mittlerweile auch nicht mehr die (migrierten) Mütter und Väter, sondern unsichtbare Namenlose in fernen Ländern.

25 Das Wort Pilot (lit. derjenige, der am Ruder eines Schiffes steht), leitet sich aus dem mittelalterlichen lateinischen pilotus und dem griechischen pƝdon, Ruder ab (New Oxford American Dictionary). 26 Der BMW wurde ebenfalls zum Symbol der Rastafari und das Akronym bezeichnete Bob Marley and the Wailors (persönliche Mitteilung von C.-L. Reichert).

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Was sich hier also artikuliert und in den wiederkehrenden Bildern von Schiffen symbolisch ausdrückt, ist ein ›postmoderner‹, ›messianischer‹ Cargo-cult,27 der darauf hofft, am vorhandenen Überfluss der Güter und Waren teilhaben zu können. Der Konsument »erbt« ja »nicht einfach die Güter«, sondern the natural right to abundance […] It does not appear to be something produced and extracted, something won after a historical and social effort, but something dispensed by a beneficent mythological agency […] Consumer goods [...] present themselves as a harnessing of power, not as products embodying work (Baudrillard, 1998:32).

Aufbegehren und Protest beharren auf dem Recht auf Teilnahme an der kapitalistischen Konsumkultur und hoffen auf Teilhabe am magischen Überfluss. »Does not the mass of consumers«, fragt Baudrillard experience plenty as an effect of nature, surrounded as they are by the fantasies of the Land of Cockaigne and persuaded by the advertisers’ litany that all will be given to them and that they have a legitimate, inalienable right to plenty? (Baudrillard, 1998: 32)

Die Güter und das Schiff mit seinem wundersamen Cargo werden zum Teil eines dichten symbolischen Gewebes und zum »Code einer Utopie« (Böhme, 2006:333). Nun ist die soziale Imagination immer schon Teil der Transformation von ›Realität‹ und daher ein zentrales Element des Politischen. Ya l’babour, y’a mon amour, so der Refrain von Partir loin: Das Schiff wird zum Zeichen einer Unterbrechung der Normalität, des banalen Alltags von Armut, Marginalisierung und Beschränkung. Zugleich ist es aber auch ein Symbol für die (globalen) Prozesse ›einschließenden Ausschlusses‹ der ›global poor‹, wie Zygmunt Baumann (2007) deutlich gemacht hat. Auch in Paul Gilroys Darstellung des Black Atlantic spielt das Schiff eine zentrale Rolle und wird zu einem »lebendigen mikrokulturellen,

27 Vgl. die klassische Darstellung von Worsley, 1968; für eine kritische Diskussion vgl. Jebens, 2004. Für eine Darstllung von afrikanischen Kulten um mächtige westliche Politiker und Objekte vgl. Bonhomme, 2010. Ich bedanke mich bei C. Fetscher für diesen Hinweis.

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mikropolitischem Raum in Bewegung«, der gleichwohl koloniale Expansion zusammenfasst (Gilroy, 1993:4).28 Folgen wir Michel Foucault, ist das Schiff aber auch »the greatest reserve of the imagination« und eine »Heterotopy par excellence«.29 Als marginaler Gegenraum ist es Mittel und zugleich Symbol des Aufbruchs in eine andere Welt und verweist doch auf bestehende soziale Räume. Das Schiff ist – wie der Mann am Ufer – auch ein zentraler Topos der Ready-mades und wird zu einem Symbol der Hoffnung. Harga auf YouTube Raï-Rap spielt eine bedeutende Rolle in den Ready-mades von harga, die über YouTube weltweit verbreitet werden und die soziale Imagination und die Erfahrungen der harraga artikulieren. Diese clips gibt es in zwei Versionen: •

Einmal als Form kreativer bricolage, die vorgefundenes Material aus den Medien (Fotos, Karten, Fernsehnachrichten, Karikaturen) benutzt oder besonders treffende Bilder anderer Clips verwendet, die oft von Google-Bilder (›Harraga‹, ›Harragas‹) geladen, dann neu kombinert werden und deutlich machen, dass Bilder wandern und ein Netz von Symbolisierungen schaffen. Diese Ready-mades entwickeln eine eigenständige Erzählung und nehmen politisch Stellung zu Ausgrenzung,

28 Für Paul Gilroy und seine Darstellung des Black Atlantic wird das (Sklaven-) Schiff zum zentralen Topos und Ausgangspunkt seiner Überlegungen: »I have settled on the image of ships in motion across the spaces between Europe, America, Africa, and the Caribbean as a central organising symbol for this enterprise and as my starting point. The image of the ship – a living micro-cultural, micropolitical system in motion – is especially important for historical and theoretical reasons…« (Gilroy, 1993:4; vgl. auch 12-13). 29 »... the boat has not only been for our civilization, from the sixteenth century until the present, the great instrument of economic development [...] but has been simultaneously the greatest reserve of the imagination. The ship is the heterotopia par excellence. In civilizations without boats, dreams dry up, espionage takes the place of adventure, and the police take the place of pirates«, so Michel Foucault (1994:762).

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Repression, der ›Festung Europa‹ und der Komplizenschaft europäischer Politiker mit den Diktatoren. Die zweite Version ist dokumentarisch und stellt Clips ins Netz, die während der Überfahrt mit cell-phones aufgenommen wurden. Diese dienen eher der öffentlich-privaten Dokumentation der Fahrt in das Eldorado, sie bezeugen Mut und die Entschlossenheit, eine schlechte Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Beide Formen artikulieren Lebenserfahrungen im Mahgreb, sie dokumentieren Mobilität, schaffen ein öffentlich-privates Gedächtnis dieser Unternehmungen und ihrer Grenzüberschreitung.30 Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Strukturen aus, die die Prozesse der Schaffung, der Wiederholung, des Konsums, der Aneignung und damit auch der aktiven und kreativen Umdeutung von Bildern deutlich machen. Die Ready-mades, die in der Regel von Raï-Rap begleitet werden und so die politische Botschaft unterstützen, zeichnen sich durch folgende Sequenzen und eine mehr oder minder ähnliche Bildersprache aus. 31

30 Schon für Blumenbergs philosophische Rekonstruktion des Topos vom Schiffbruch mit Zuschauer (1988) wird die »See zu befahren« zu einer »Metapher«, die »immer Überschreiten einer Grenze« anzeigt. 31 Ich habe bislang ingesamt 152 Clips durchgesehen, die auf YouTube gestellt worden sind. Davon sind 78 Ready-mades und 74 wurden mit cell-phones aufgenommen. Die Clips sind zwischen einer und sieben Minuten lang, besonders die ready-mades zitieren sich gegenseitig. Einige Clips werden von bis zu 646.179 Usern gesehen und machen damit deutlich, dass diese Formen kultureller Produktion durchaus kein Randphänomen sozialer Imagination darstellen. Für eine allgemeine Betrachtung der Visualisierung von Migration vgl. Ball and Gilligan, 2010; Friend, 2010; Rose, 2007; zur Narrativität von Bildern im Kontext von Migration vgl. besonders Gilligan and Marley, 2010.

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Ready-mades – harga

Fotogramm 11

Fotogramm 12

Fotogramm 13

Diese Sequenzen artikulieren harga und das ›brennende Verlangen‹ zur Flucht über eine klassische Figur und über den kontemplativen Blick auf das grenzenlose Meer und den Horizont (verstärkt durch die Verdoppelung der horizontalen Linien). Diese Rückenansichten verweisen – erstaunlicherweise – auf die ›klassischen‹ romantischen Symbolisierungen von Sehnsucht, Fernweh und Verloren-Sein (denken wir an die berühmten Rückenansichten von Caspar David Friedrich). Auch hier: das Schiff, die Fähre als Symbol für (unerreichbare) Verbindungen und als Versprechen eines anderen Lebens. Es gibt Clips, die ausschließlich Fähren und Schiffe zeigen.

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Wegkreuzungen

Fotogramm 14

Fotogramm 15

Die Wegkreuzung ist die Herausforderung für den Wanderer. Sie verlangt eine definitive Entscheidung. Diese dramatische Entscheidung und ihr Augenblick sind unwiderruflich, denn nie wird man reumütig und geschlagen an die Wegkreuzung zurückkehren und doch den anderen Weg einschlagen. Kaum zufällig symbolisieren diese Wegschilder eine Situation, in der man vor eine dramatische Wahl gestellt ist, sie verweisen auf einen Weg, der das eigene Leben unwiderruflich in eine Richtung drängen wird. Sie zeigen auch auf ein gelobtes Land (hier Italien), einen Ort, der hinter den alltäglichen und eingefahrenen Wegen aufscheint. Das Boot

Fotogramm 16

Fotogramm 17

»The overcrowded boat is a common visual representation of threatening immigration to the West. In the European context this is usually a flimsy looking craft filled with black Africans«, bemerken Gilligan und Marley

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(2010). Die in den Ready-mades verwendeten Bilder wiederholen endlos die von den Massenmedien vorgeschlagenen Repräsentationen undokumentierter Migration im Mittelmeer. Die dominanten Bilder zeigen meist Schwarze und bedienen die politische Metapher von den ›schwarzen Massen‹, dem Migranten als Bedrohung, Gefahr (und Opfer), die biblische Menschenflut, die über uns hereinbrechen wird und durch europäische Politiken des ›border management‹ eingedämmt werden muss. Dennoch werden diese dominanten Bilder hier entschieden umgedeutet, hinterfragt und untergraben. Die Bedeutung dieser Bilder und die bekannten Tropen der negativen medialen Berichterstattung, die ›schwarze Masse‹ an Gefahr binden, verkehren sich, und die Perspektive dieser Bilder ist eher eine Einladung zur Identifikation. Das Bild vom überfüllten Boot wird zu einer Figur des Protests, einer machtvollen Denunziation der Prozesse globaler Exklusion, von Ungerechtigkeit und Ablehnung.32 Deutlich wird diese Botschaft auch in der nächsten Sequenz der Erzählung, in der auch die Perspektive gewechselt wird.

32 »Die europäischen Kolonialunternehmen haben damals dieselben unnützen und destruktiven Dinge nach Afrika gebracht – Glasperlen, Alkohol und Waffen. Sie gaben sie den Eliten, die die Sklavenjagden organisierten. Die Ausplünderung des Landes hatte die Eliten schon damals in den Besitz importierter Konsumgüter gebracht. Heutzutage ist dieses System nur noch ausgeklügelter, den die Sklaven stellen sich inzwischen von selbst: Es sind die Emigranten. […] Um den Sklavenhandel zu verstehen, braucht man nur das aktuelle Verhalten der afrikanischen Eliten anzuschauen. Warum haben wir völlig veraltete Gesundheits- und Schulsysteme? Weil die Eliten selbst sich nicht in deren Rahmen behandeln lassen und ihnen nicht ihre Kinder anvertrauen. […] Ihre Raubwirtschaft rui-niert das Land und zwingt die Menschen ins Exil. Und zwar in einem solchen Ausmaß, daß man in jedem x-beliebigen afrikanischen Hafen ein Schiff an-docken könnte und nur zu verkünden bräuchte, für Europa würden Sklaven gesucht – ein solches Schiff wäre innerhalb kürzester Zeit brechend voll. Dieses System ist von großem Nutzen für die internationalen Gesellschaften, aber ohne die afrikanischen Eliten hätte es gar nicht existiert. Zur Zeit des Sklavenhandels konnten sich diese mit Hilfe vom Alkohol und Waffen, die sie den Europäern abkauften, ihre Macht sichern. Inzwischen sind es Jeeps und Kalaschnikows« (Thioub, 2011:130). Ich werde auf diese Zusammenhänge und die Sklavenrouten an anderer Stelle näher eingehen.

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Die Kriegsmaschine

Fotogramm 18

Fotogramm 19

Während die meisten harraga meist mehr als erfreut sind, aus Seenot gerettet zu werden (und oft selbst oder über Angehörige die Küstenwache alarmieren), vermitteln diese Bilder eine eindeutige politische Botschaft. Sie zeigen den Einsatz einer eindrucksvollen, übermächtigen und hoch technisierten Kriegsmaschine, die gegen wehrlose Menschen und ihre lächerlichen Boote eingesetzt wird und die »global poor« (Z. Bauman) davon abhalten soll, Europa und seinen Wohlstand zu erreichen. Das Meer und die freie See werden zur unüberwindlichen Grenze, einem ständigen Kriegsschauplatz, der Arme von Reichen trennt und durch die Disproportion zwischen dem fragilen, prekären Boot und dem mächtigen Kanonenboot und den Hubschraubern deutlich markiert wird. Auch die folgenden Bilder gleichen einem Schlachtfeld. Bodies washed ashore

Fotogramm 20

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Fotogramm 21

Fotogramm 22

Das in den Clips oft verwendete erste Bild taucht in einem Clip mit der Überschrift ›Why?‹ auf – das Bild eines gerade eben Erschossenen wurde bekanntlich zu einer Ikone sinnlosen Sterbens im Vietnamkrieg und vorher des spanischen Bürgerkriegs. Der Körper ist ein politischer Ort der Globalisierung. Die Gestrandeten sind ihr Ausdruck. Die meisten Bilder von Toten zeigen Schwarze (und das mittlere Bild ist eher die Ausnahme) und etablieren, so scheint es, eine Hierarchie namenlosen Sterbens und namenloser Opfer. In Europe in recent years the image of irregular African migrants washed up on the beaches of southern Europe has become a recurring visual representation of immigrants as victims […] The representation of immigrants as victims may counter the idea of immigrants as threat. They do so, however, by robbing immigrants of their agency by presenting them as defined by what is done to them, rather than by their own actions (Gilligan and Marley, 2010).

In den Ready-made-Clips wird diese Hierarchisierung jedoch aufgehoben und auch der humanitäre Diskurs untergraben, der den ›racialized Other‹ als traumatisiertes, ewiges Opfer sieht und damit Handlungsmacht abspricht. Diese Bilder dienen kaum der Spektakularisierung – und auch wenn in einigen der gezeigten, reichlich drastischen Bilder vom Tod im Meer der Traumadiskurs durchscheinen mag,33 so verweisen diese Bilder

33 Tatsächlich verarbeitet zumindest ein Clip explit den Tod des kleinen Bruders und die »Visa in den Tod«: solo montana feat karim medfai (le voyage de la mort) (http://www.youtube.com/watch?v=e8z1LnA5qTE). Einige Clips spielen mit der – doppelten – Bedeutung und verwenden das Zeichen der Kreditkarte

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eher auf Mut, Tapferkeit, Entschlossenheit und Niederlage und also auf männliche Tugenden von Kriegern in ihrem Kampf um Gerechtigkeit. Unterstrichen wird die Empörung gegen Unrecht in dem schockierenden Kontrast zwischen den gezeigten Leichen an den Urlaubsstränden, der romantischen Abendstimmung und den am sicheren Ufer gleichgültig Spazierenden. Auch wenn einige clips trauernde Frauen (Mütter, Schwestern, Freundinnen) einfügen, werden tote Frauenkörper nie gezeigt und verweisen erneut auf eine Abwesenheit – ich werde noch darauf zurückkommen. Festung Europa und das Camp

Fotogramm 23

Fotogramm 24

Die Ready-mades stellen für die Erfahrung von Entortung und Wiederverortung im sozialen und politischen Raum eine Struktur bereit und entwickeln eine politische Erzählung, einen spezifischen plot. Das dichte symbolische Gewebe wird zu einer ›klassischen‹ Erzählung verwoben, die sich durch einen Beginn (den Bildern der Sehnsucht), einer Verwicklung (den Bildern der Überfahrt) und ein Ende (den Bildern von Tod oder Gefangennahme) auszeichnen. Diese Erzählung ist jedoch nicht linear, sie ist eher zirkulär und beschreibt einen endlosen Kreislauf von Repression und Ausschluss. Die Flucht vor Marginalisierung und Aussonderung, der Kampf um das eigene Leben endet in namenlosem Tod oder Gefangennahme an

VISA (siehe Fotogramm 45). Visa de la mort ist auch der Titel eines Films von Dellal Samir.

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einem neuerlichen Un-Ort. Erneut die dringliche Frage: Fliehen, aber wohin? Flucht endet in Niederlage, erneutem Warten in einem unerträglichen Zustand, einem Gefängnis, dem zu entfliehen man sich doch aufgemacht hatte und in das man jederzeit wieder zurückgeschafft werden kann. Diese Clips stellen der Bewegung ewige Begrenzungen gegenüber. Begrenzung heißt, eingezwängt zu sein, nicht ›weiter zu kommen‹, nicht voran zu kommen und so in einer eingefrorenen Gegenwart festzustecken. Diese Clips zeigen auch das gemeinsame Schicksal und die Bestimmung der Armen, seien sie Schwarze oder Weiße. Damit stellen sie globale Ungerechtigkeit und den Anteil Europas an diesem System dar.

Fotogramm 25

Fotogramm 26

Besonders der undokumentierte Migrant ist die Figur der Grenze par excellence, er ist jemand, der Grenzen markiert, indem er sie ungefragt überschreitet. Ihm ist ein besonderer Ort zugewiesen, ein Un-Ort, der deutlich macht, dass er als uneingeladener ›Gast‹, als Fremder nicht dazugehört.34 Im Gegensatz zu den Ready-mades stellen die Clips, die die Fahrt der harraga mit cell-phones dokumentieren und nur durch das penetrante Geräusch des Außenborders und lautstarke Gesprächsfetzen begleitet werden, eine andere Struktur her.

34 Vgl. Agamben, 2001; zur Ambivalenz der Gastfreunschaft, die den Fremden zwischen Freund und Feind ansiedelt, Friese, 2003.

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Cell-Phones – die Gefährten

Fotogramm 27

Fotogramm 29

Fotogramm 28

Fotogramm 30

Fotogramm 31

Im Zentrum dieser von den Akteuren aufgenommenen Clips stehen die Dokumentation des Unternehmens und die Aufnahme der Gefährten. Lachende und zuversichtliche Gesichter sehen in die Kamera, die meist jungen Männer erlauben sich Zeichen des Sieges über die Umstände, und die Szenen gleichen eher einem sommerlichen Ausflug mit Freunden. Die Selbstdarstellungen zeigen Gefährten, männliche Intimität, Zusammenhalt, Solidarität und verbreiten Optimismus.35

35 Kommentare zu diesen Clips äußern oft Wünsche für gutes Gelingen, deutliche Zustimmung/Ablehnung zu anderen Kommentaren oder machen politische Anmerkungen zur Situation in den Ländern des Maghreb. Eher selten werden – wie hier – Fragen gestellt und praktische Tipps zur Überfahrt gegeben: »Hochgeladen von MrMalaineh am 09.01.2011 (Alter 29, Algerie), voila un groupe de dix (10) Harrage à bord, ils sont ts diplomés universitaire Antwort: la température été 20°c /oui nous avons rencontré des grand poissons mais ne sont pas des requins / la durée de trajet est 36 heurs / non mais ils fonctionnent quand nous étions de l’autre coté de la méditerranée / une embarcation

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Anders als in den Ready-mades sieht man keine namenlosen Opfer, keinen Hinweis auf traumatische Erfahrungen oder wird zum Zeugen von Schiffbruch und Verderben.36 Vielmehr zeigen sie die Momente einer Grenzüberschreitung, der Selbstermächtigung und die unwahrscheinlichen Augenblicke eines freudigen Fests, einer realisierten Utopie. Hier werden die subjektiven Perspektiven der Beteiligten deutlich und nicht der distanzierte Blick von oben, der die Einzelnen einer (schwarzen) und anonymen Masse einschreibt. Der Pilot, der Steuermann

Fotogramm 32

Fotogramm 33

de 4.80 m , nous étions 10 personnes a bord ( 04 sont diplômés) MrMalaineh vor 7 Monaten Kommentar: Plusieurs questions sur cette vidéo : / La température de l’eau? / Avez vous rencontrer des requins? Des mouettes? / Durée du trajet? / Les téléphones portables fonctionnent-ils mème sans les bornes?... / Quel type de Zodiac votre embarcadère? jugerrePRG7 vor 7 Monaten« Titel: Harraga Ténès le 10-08-2010.mp4; http:// www.youtube.com/watch?v=_BZPNY4EnDo&feature=related (8.9.2011). 36 Ein clip zeigt jedoch den Versuch, einen ausgefallenen Außenborder zu reparieren. Haraga oran 2009.mp4, http://www.youtube.com/watch?v=6rHCgIy5ELw (8.9.2011).

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Fotogramm 34

Fotogramm 36

Fotogramm 35

Fotogramm 37

Das Symbol von harga ist sicherlich nicht der Koffer, das ›klassische‹ Symbol moderner Migration. Wer diesen Weg wählt, hat kaum persönliche Gegenstände dabei, die ein gewisses Maß an Kontinuität sichern. Wer sich auf diesen Weg macht, der verlässt sein bisheriges Leben mit nichts anderem als dem, was er auf dem Leib trägt und einigen Kanistern Benzin für den Außenborder (Friese, 2007). Diese Darstellungen des Unternehmens zeigen Handlungsmacht, die besonders durch die Aufnahme des Steuermanns und den entschlossenen Blick nach vorn unterstützt wird. Diese Szenen fokussieren den Mann, der das gewagte Unternehmen und das Leben der anderen in der Hand hat und den Kurs vorgibt. Sie zeigen auch die banalen technischen Aspekte, von denen Flucht und Leben abhängen: die Benzinkanister und den Außenbordmotor (der wie eine Geliebte umarmt und geküsst wird). Diese Bilder zeigen gemeinsames Handeln, sie machen zugleich deutlich, dass die beständig wiederholte Rede von ›Menschenschleppern‹ vor dem Hintergrund des politischen Willens zur Regelementierung von erwünschter und unerwünschter Mobilität zu sehen ist.

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Getrennt zusammen – andere Boote

Fotogramm 38

Fotogramm 39

Fotogramm 40

Einige der Clips zeigen das zweite Boot, mit dem man im Konvoi in ein anderes Leben und eine Zukunft aufgebrochen war. Man sieht freudiges Winken, hört die Rufe, man steht, getrennt durch das Meer, doch zusammen. Einige Gefährten haben es, wie die elf Männer in dem windigen Boot, nicht geschafft, und die Bilder zeigen – und veröffentlichen - letzte Erinnerungen an die Untergegangenen. Das Meer und Horizonte

Fotogramm 41

Fotogramm 43

Fotogramm 42

Fotogramm 44

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Auch wenn die clips hauptsächlich die Gefährten darstellen, so finden sich immer wieder Szenen, die das Meer – und manchmal die freundlichen Begleiter in den Blick nehmen. Das Meer stellt – besonders für diejenigen, die, aus den Dörfern des Hinterlands kommend, keinerlei Erfahrung haben, eine Herausforderung dar. Die Clips zeigen dann, dass die gefährliche Situation beherrscht wird. Zugleich erlaubt die Fahrt die Eröffnung von unterschiedlichen Horizonten. Diese Aufnahmen zeigen nicht den entfernten Horizont, der unerreichbar vor einem liegt, wie die Sehnsuchtshorizonte der Rückenansichten aus den Ready-mades. Das entschlossene eigene Handeln erlaubt die Verdoppelung von Horizonten. Es erlaubt den Blick auf das, was vor einem liegt und auf das, was jetzt hinter einem liegt, und die zwei Horizonte markieren das Jetzt der Gegenwart. Diese first-hand-Clips entwickeln keine Erzählung im eigentlichen Sinne, vielmehr fungieren sie als Marker der Erinnerung und der Dokumentation. Sie fixieren den Moment der Transgression, der Grenzüberschreitung, den außergewöhnlichen Moment einer geteilten Utopie. Als Zeichen des Sieges erlauben sie keine toten Körper. Die Heterotopie des Boots ist – vor dem Hintergrund der unendlichen See – eine Bühne, auf der man deutlich macht, dass man sein Leben in die Hand nimmt und eine irreversible Entscheidung getroffen hat. Dennoch etabliert sich dieses ›genre‹ über Abwesenheiten. Ich habe keine Clips von Schwarzen gefunden. Und: auch wenn sich die beiden Versionen in ihrer Struktur unterscheiden, so teilen sie doch ein gemeinsames Merkmal, nämlich die weitgehende Abwesenheit von Frauen. Beide etablieren einen Raum für die Bearbeitung eines männlichen Handlungsraumes und »well-established practices about manhood and gender relations« (Donaldson und Howson, 2009: 210), in denen Frauen als die am Ufer Zurückbleibenden, als diejenigen erscheinen, die um die Fortgezogenen trauern. Raï bedeutet ›Meinung‹ oder ›Standpunkt‹ und ist politisch konnotiert. Im sozialen und historischen Kontext gegenwärtiger Modernen eröffnen die komplexen kulturellen Artikulationen einen politischen Raum politischer Mobilisierung, von Subjektivität und Selbstermächtigung. Harga ist ein tägliches Plebiszit (Ernest Renan) gegen die politische, soziale und ökonomische Situation in den Ländern des Maghreb, und diese Darstellungen bezeugen, gegen die globalen Prozesse von einschließender Exklusion, den

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individuellen Anspruch auf Glück und gutes Leben, Würde und Anerkennung, Teilhabe und Gerechtigkeit.

ANHANG El Harraga, Interpret Reda Taliani. Album: Sensation Rai, Vol. 2, 2010, Länge 02:05. Espoir des favelas, Interpret 113. Label: Sony BM Music, 2007. Album: Famille nombreuse, Länge 03:56. Partir loin, Interpret 113, feat. Reda Taliani. Label: Sony BM Music, 2007, Länge 04:05. Interaktive Übersetzungen und Anmerkungen37 http://www.lyricsmania. ELEEF/Senior Memcom/(22.8.2011) ber/Join Date Dec 2008/Thanks 72/Thanked 335 Times in 164 Posts url: http://www.allthelyrics. com/forum/arabiclyricstranslation/44112partir-loin-113-a.html (22.8.2011) (Bledard ) Oué gros

(113) Elle est où Josephine?

Anmerkungen (HF) Übersetzung von rafik_40150 Basic Information Date of Birth August 28, 1985 (25) Location, Algeria

bled=Hinterland; bledard=nordafr. ›Kaffer‹, ›Hinterwäldler‹, pej. für ›Araber‹ mit rassistischer Konnotation (Wo ist Josephine? ›Josephine’ ist der bekann-

37 Dieser Ausschnitt macht die interaktiven Übersetzungsleistungen der Hörer deutlich. Ich habe hier bewusst nicht eingegriffen.

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tester Titel von Reda Taliani) (Bledard) Allez laissez moi de toi (113) Ah bon c’est comme ça (Bledard) Met ayinich (113) 113 taliani (Bledard) C’est bon Refrain (Reda) Y’al babour y’a mon amour khelejni mel la misere (113) Partir loin Fi bledi rani mahgoure Aïte aïte ou j’en ai marre (113) C’est bon! Manratish l’occasion (113) lela! fi bali sa fait longtemps hedi nenssetni qui je suis

O boat, o my love Take me away from misery In my country , I’m tyrannized I am so tired and pissed off I won’t miss the opportunity It has been longtime in my country She made me forgot who I am

bali = my mind & thinking (not country) hedi (here he say «heda« not hedi) & heda mean herrga by us = illegal emigration so its heda nenssetni qui je suis «the illegal emigration made me forgert who i am«

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(113) 113 nekhdem alia jour et nuit Y’al babor, y’a mon amour Khelejni mel la misère Evasion spécial mel l’Algerie l’occidentale

(113) Moi chui d’Kabilyfornie, on fumait 350 benji sur les bords dla corniche

Hebchini merlich, rien à perdre, Rim’k l’malade mental Plus connu qu’le Haj mamba

I work for her day and night O boat, o my love Take me away from misery special evasion from Algeria to the Western

Me , I am from Kabylfornia ( it’s a place in algeria , was an ancian tribe called kabylie , u know, from where zinedine zidane is , so their people call it kabyl-fornia , cuz the cuz it’s name is close to California lol) we used to smoke 350 cigarettes stop me it’s ok, There’s nothing to lose , Rim-K the mental ill (the crazy) More known than the old Mamba

for it i’m working day and night

occidentale here dosn’t mean west of algeria (occidentale here = world west = non arab) «special escape from algeria to occidental« mean: emigration special (illegal) from algeria to occidentale = world west = non arab)

(Haj Mamba, Hadj Mamba, oder Marabout, islam. Heiliger des Volksislam)

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J’voudrais passer l’henné à ma bien-aimé avant qu’j’taille Comme Cheb Hasni chui sentimentale, Partir loin Rien à perdre, vie à boston ou la cheba, laissez moi de toi Comme Robinson su une île, mon mouton j’l’appelerais mecredi Dès qu’l’avion atteri j’applaudi Comme les chibenis, j’vous rends la carte d’residence Un moment d’evasion, y’a ahmare lève toi et danse! (113) J’reste bledard, débrouillard J’t’annonce emmène moi loin d’la misère mon plus fidèle compagnon En route pour l’Eldorado, même en classe eco *dirou sac à dos Partir loin, sans les

I want to put the « henna » for my beloved (means to mary her) Before I get older Like Cheb Hasni ( an algerian sentimental singer) , I’m sentimental, Going far, we’ve nothing to lose Boston’s Life , or the beautiful woman? Like Robison (Chrusoe) on an island My sheep , I’ll call it Wednesday as soon as the airplane land I will applaud Like the old men , I will give you back the residence card A moment of an evasion , you stupid , stand up and dance I will remain always from north Africa , a smart I announce you , take me far from the misery The most faithful companion of mine is in his way to El Dorado Even in the school classes put the backpacks Going far without the

(chibenis, chibanis, die ›Weisshaarigen‹, die alten maghreb. Migranten)

(on the way to Eldorado even if in economy class) (*arracher=abhauen,

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cousins, les blacks arrachent c’est dur J’me considère chanceux d’être en vie pourvu qu’ça dure J’ai grandi qu’avec des voleurs J’aurais toujours les youyous qui résonnent dans ma tête

A la quête du bonheur ! (Reda) Y’a bledi nti fik el khir

cousins It’s hard I consider myself as lucky to be alive May it last ( continue) I grew up only with thiefs I will always have the « youyou sounds » that raciotinate ( the youyous are kind of sounds made by women in arabic world expressing joy , like in marriage ) Inside my head, questing for happiness O my country , you have the well

Yi di ghi li endou el zahar

The one who is lucky can get it

Ye hecheri endou l’ktef

Only the strong one can live,

s’arracher sich um etwas reissen)

el khir = blessing, benefaction ,wealth, riches (not goodness) Ύѧѧѧѧϳ ϱΩϼѧѧѧѧѧΑ Ζѧѧѧϧ΍ Ϛѧѧѧѧѧѧѧѧϴϓ ήϴѧѧѧѧѧѧΨϟ΍ «oh my country there is wealth on you« Yi di ghi li endou el zahar//for the one that has luck ϪѧѧѧѧѧѧϳΪϳ ϲѧѧѧѧѧѧϠϟ΍ ϭΪѧѧѧϨϋ ήϫΰѧϟ΍ «take it who has luck« Ye hecheri endou l’ktef//[B]and for the one that has shoulders ζѧѧѧѧѧѧѧѧϴόϳ ήϴѧѧѧѧϏ ϲѧѧѧѧѧѧϠϟ΍ ϭΪѧѧѧϨϋ ϑΎѧѧѧѧѧѧѧѧΘϜϟ ye3ish ghir eli 3endou lektafe «life only who have

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Ou te zidi loul belel bahar

Refrain (Reda) Y’al babor y’a mon amour khelejni mel la misere (113) Partir loin Fi bledi rani mahgoure Aïte aïte ou j’en ai marre (113) C’est bon ! (Reda) Manratish l’occasion (113) lela ! fi beli sa fait longtemps hedi nenssetni qui je suis (113) 113 nekhdem alia jour et nuit

and you add for him the money of the sea

shoulders« shoulders: here means people with high positions in the society and help the others (cousins and friends) in getting a job for exemple Ou te zidi lou elma le elbehar//and you boost for him the wetness in the sea (you serve them by making them more confortable) ϮϠϳΪѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧϳΰΗϭ ˯ΎѧѧϤϟ΍ ήѧѧѧѧѧѧѧѧѧΤΒϠϟ mean: that its dropp more water in sea = give more wealth for people thats rich allready

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Y’al babor, y’a mon amour Khelejni mel la misère Evasion spécial mel l’Algerie l’occidentale (113) Y’al babor y’a mon amour khelejni mel la misere Fi bledi rani mahgoure Aïte aïte ou j’en ai marre (Reda) Matratish l’occasion Alouah alouah c’est le moment hedi nenssetni qui je suis nekhdem alia jour et nuit Y’al babor, y’a mon amour Khelejni mel la misère (113) Fi bledi rani mahgoure Aïte aïte ou j’en ai marre (Reda) N’sacrifie woun dire

Enta lohek tena wouli

I sacrifice and I revenge

Me too , I’m gonna be

here he say: nesacrifi ou nedir edar ou het ana manwelish ϲϔϳήϛΎѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧѧμϧ ϭ ήϳΪѧѧѧѧѧѧϧ έ΍Ϊѧѧѧϟ΍ ϰΘѧѧѧѧѧΣϭ Ύѧѧѧϧ΍ Ύϣ ζϴϟϮѧѧѧѧѧѧѧѧѧϧ i Sacrifice and i’ll make my own home and also me will not return back

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shar Eheyeyaaaaaa (113) Algerie, Maroc, Tunisie (Reda) Ehyoudiehyouyoudi (113) Viens jt’emmène, viens viens, laissez moi de toi (Reda) Romen jamais i ghmel

nob

(113) Oué viva JSK

Viva J.S.K ( the name of the kabylie team, where he comes from)

Maghreb United Algerie, Maroc, Tunisie ! Reunifié Partir loin pour fuir les problèmes qu’on à dans la tete, Mec! Maghreb United Farid williams au clavier, Rachid le toulousain aux percus ( Maghreb United )

Come on ,I will take you , come come e remel jamais yeghmel Ϟѧѧϣήϟ΍ ϲϣΎΟ ϞѧѧѧѧϤϐϳ the sand will never become ancient mean: that his idea of emigration will never become ancient or leave his mind (La Jeunesse Sportive de Kabylie, JSK – JS Kabylie)

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Tabellen

Lpd/ 447 1105 10.011 8891

Gesamt

21.9.2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

Tab. 1: Undokumentierte Migranten Lampedusa/Linosa und Sizilien

10.497 15.890 18.495 12.177 31.252 2823 111.588

Linosa Sizi- 2782 5505 18.225 14.017 13.594 22.939 21.400 16.875 34.540 7418 157.295 lien

Quelle: Innenministerium, Ministero dell’Interno (Ausarbeitung H. Friese)

Tab. 2: Erklärte Staatsangehörigkeit undokumentierter Migranten (200021.9.2009)

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Gesamt

Nord Afrika 1801 2233 3805 1615 952 5657 10957 4005 9847 1795 42.667

Horn Afrika 43 539 2794 3951 2384 3531 3811 4857 9663 2640 34.213

Mittlerer Osten 329 510 1271 3540 8826 1113 4341 4698 2227 415 27.270

SubSahara 65 117 2757 2066 389 2115 1643 2949 11658 2378 26.137

Quelle: Innenministerium, Ministero dell’Interno (Ausarbeitung H. Friese)

Süd Asien 311 194 3773 1110 940 1096 619 341 1126 182 9.692

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Tab. 3: Undokumentierte Migranten März-August 2011

aufgebrachte Schiffe Männer Frauen Minderjährige Gesamt

aus Libyen

aus Tunesien

Gesamt

91 21.090 2.285 479 23.854

160 11.116 112 228 11.456

251 32.206 2.397 707 35.310

Quelle: L’espresso, 8.9.2011, 36

Abbildungen Fotogramm 1-5: Video Partir loin 113/Reda Taliani (2005) Partir loin. Album 113 Degrés. http://www.youtube.com/watch?v=DLMkUr_GIIc&ob=av3e http://www.youtube.com/watch?v=KNQlv7sQdVs Fotogramm 6-10: Video RimK/113 (2007) Espoir des favelas. Album Famille nombreuse. http://www.youtube.com/watch?v=KBPcQJavpXM und http://www.youtube.com/watch?v=KNQlv7sQdVs Fotogramm 11: Rap algerien 2010...harga fi bladi..MCmo Ώ΍έ ϲΑήѧѧѧѧѧϋ – http://www.youtube.com/watch?v=tSnfuN8DCcY Fotogramm 12: Harraga http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=W9MeIsZzgd8&feature=fvwp Fotogramm 13 (google Bilder) http://moonshadow.over-blog.com/article-21806746.html (Roman von Boualem Sansa Harraga, 2008) auch http://www.elwatan.com/dyn/imprimer.php?link=http%3A%2F%2Fww w....-detenus-dans-des-centres-en-tunisie-26-08-2010-87600_133.php (Zeitung El Watan, Algerien) Fotogramm 14 09_Reda Taliani HARRAGA RAI [2009], 017_HARRAGA RAP MUSIC.mp4 Fotogramm 15 09_Reda Taliani HARRAGA RAI [2009], 017_HARRAGA RAP MUSIC.mp4

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Fotogramm 16 (google Bilder) 09_Reda Taliani HARRAGA RAI [2009], 017_HARRAGA RAP MUSIC.mp4 http://grinesabeur.blogspot.com/2011/04/harraga.html Fotogramm 17-19 09_Reda Taliani HARRAGA RAI [2009], 017_HARRAGA RAP MUSIC.mp4 Fotogramm 20 (google Bilder) http://www.alterinfo.net/photo/art/default/1203423-1565753.jpg?v= 1290015067 Fotogramm 21: AL HARRAGA AL BABOUR Mon Amour http://www.youtube.com/watch?v=5f76wDrnLh0 Fotogramm 22 (google Bilder): Drame de l’immigration clandestine http://www.youtube.com/watch?v=CXHUSoJtBU&feature=results_ video&playnext=1&list=PL17B50F1FE1B0C8C1 Fotogramm 23-26 (google Bilder) HARRAGA RAP MUSIC.mp4 Fotogramm 27: ghassen 7ar9a http://www.youtube.com/watch?v=Qclq2bgbRIg Fotogramm 28: ain defla harraga http://www.youtube.com/watch?v=QaoVZ6O3ooI&feature=related Fotogramm 29: harraga de stidia http://www.youtube.com/watch?v=Ou_hOHE55oY&feature=related Fotogramm 30: ain defla harraga http://www.youtube.com/watch?v=QaoVZ6O3ooI&feature=related Fotogramm 31: harraga ouled annaba vers serdinia part 1 http://www.youtube.com/watch?v=TT2ijWrTUr4&feature=related Fotogramm 32: départ jouanou ville - l’arriveé sardinya http://www.youtube.com/watch?v=t2fDGERFAC4 Fotogramm 33: mr skizo: ϯϭ ϊѧѧѧτϘϣ ϰѧѧѧϠϋ ΔѧѧѧѧѧϗήΤϟ΍ http://www.youtube.com/watch?v=PYrCJqHbJpo Fotogramm 34: départ jouanou ville - l’arriveé sardinya http://www.youtube.com/watch?v=t2fDGERFAC4 Fotogramm 35: * 44_Haraga Fotogramm 36: ain defla haraga http://www.youtube.com/watch?v=QaoVZ6O3ooI&feature=related

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Fotogramm 37: harraga de stidia http://www.youtube.com/watch?v=Ou_hOHE55oY&feature=related Fotogramm 38: HARAGA OUED RHIOU GUIDE YACINE (boudjellah) http://www.youtube.com/watch?v=UDJhZQ9-gsI&feature=related Fotogramm 39: harraga chlef corfa halim http://www.youtube.com/watch?v=BSKYpLQmCFo&feature=relate Fotogramm 40: harga d’oran vers l’espagne http://www.youtube.com/watch?v=D6M2r2pBbpo Fotogramm 41: Harraga dans un chalutier http://www.youtube.com/watch?v=R6VtISYNsZY Auch: Ya lambadouza .3gp (mit dem Lied manni manni) http://www.youtube.com/watch?v=fCHf2DyVrN8&feature=related Fotogramm 42: Harragas mostaganemois avec les dulphins http://www.youtube.com/watch?v=EN8vyr-2ZhU&feature=related Fotogramm 43: haraga de oued rhiou2 04-05-09 07;19 http://www.youtube.com/watch?v=iLvYJ9zfgjY Fotogramm 44:+$5$*$28('5+,28pPHYDJXHJXLGH\DFLQH http://www.youtube.com/watch?v=MFf1Oql9QRo Fotogramm 45

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Sozialraumkonzeptionen im Berliner Gangsta-Rap Eine stadtsoziologische Perspektive1 L ENA J ANITZKI Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block!/Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock! (SIDO 2004: MEIN BLOCK)

E INLEITUNG Um HipHop und seine Bedeutung als Jugendkultur aus stadtsoziologischer Perspektive zu verstehen, muss die Verschränkung von sozialen und räumlichen Bedingungen seines Ursprungs berücksichtigt werden. Eine neu gebaute Autobahn, die das Stadtviertel Bronx in New York durchschnitt, vertrieb in den 1960er Jahren all jene, die es sich leisten konnten, in bessere Gegenden umzuziehen (vgl. dazu detaillierter Rose 2008). Zurück blieben die, die keine andere Wahl hatten: überwiegend Afroamerikaner, deren soziale Marginalisierung durch die entstehende Ghettosituation sozusagen

1

Dieser Beitrag stellt eine gekürzte Fassung meiner Bachelorarbeit dar. Diese wurde am 10.10.2007 am Institut für Sozialwissenschaften der HumboldtUniversität zu Berlin eingereicht. Gutachter waren Prof. Hartmut Häußermann und Dr. Birgit Glock.

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verräumlicht wurde. Die solcherart sozial und räumlich ausgegrenzten Jugendlichen nutzten die verschiedenen Elemente der HipHop-Kultur2 als Anerkennungs- und Identifikationsersatz, als Gemeinschaftserfahrung und Integrationsmöglichkeit, aber auch zur Artikulation von Wut gegenüber einer sie ausschließenden Gesellschaft (vgl. Toop 1992; Verlan/Loh 2006). Auch in Europa wurde der HipHop als erstes von marginalisierten Jugendlichen, meist Angehörige einer ethnischen Minderheit und in den benachteiligten Gebieten der urbanen Zentren wohnend, angenommen und etabliert (vgl. Klein/Friedrich 2003: 18). Zwar variieren die sozialen und räumlichen Hintergründe der lokalen HipHop-Szenen mittlerweile weltweit, bleiben aber mit vielfältigen Identifikationsmöglichkeiten gerade für Jugendliche in benachteiligten Stadtteilen verbunden. HipHop ist »ein Stil der Stadt«, der »auf die vielfältigen Handlungsmöglichkeiten hinweist, die trotz Armut, Unterdrückung und Diskriminierung vorhanden sind« (Hoppmann 2000: 207). In Anbetracht der hier nur kurz umrissenen Entstehung des HipHop sowie seiner Nutzung wird deutlich, dass die jugendlichen Bewohner deprivierter Gebiete nicht als wehrlose Opfer struktureller Bedingungen betrachtet werden sollen. Im vorliegenden Beitrag greife ich den Aspekt der (lokalen) Identifikationsmöglichkeiten für die deutsche Rap-Szene auf. Ich beziehe mich dabei im Speziellen auf den Berliner Gangsta-Rap, der seit Anfang des 21. Jahrhunderts die deutsche Szene zumindest innerhalb der medialen Wahrnehmung und in kommerzieller Hinsicht dominiert. Der Berliner Gangsta-Rap zeichnet sich durch seine aggressiven Texte sowie durch die Betonung der harten Erfahrungen »auf der Straße« aus. Im deutschen medialen Diskurs finden sich diesbezüglich überwiegend moralisch alarmierende und besorgte Stimmen (vgl. u.a. Beck 2007; Schönebäumer 2007), die die brutalen Texte des Gangsta-Rap am liebsten verbieten wollen. Diese Appelle mischen sich mit relativierenden Beschwichtigungen, die auf die Vergänglichkeit des Phänomens hoffen (vgl. u.a. Nouripour 2007). Die außerhalb der Tages- und Wochenpresse nur vereinzelt vorhandenen Veröffentlichungen kritisieren insbesondere die fehlende Authentizität der Berliner Gangsta-Rapper (vgl. Elflein 2007; Verlan/Loh 2006). Vor dem Hintergrund des anhaltenden Erfolges dieser vielfältig kritisierten Musik und der identitäts-

2

Die Kultur des HipHop besteht aus sehr verschiedenen Elementen, ich konzentriere mich in meinem Beitrag auf den Rap.

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stiftenden Funktion für Jugendliche in benachteiligten Stadtgebieten, die dem HipHop von der kultursoziologischen Forschung einstimmig zugeschrieben werden (vgl. u.a. Kimminich 2003; Farin 2002; Mikos 2000), wird hier eine Analyse der Inhalte ausgewählter Raptexte vorgestellt. Im Hinblick auf die Hörer des deutschsprachigen Gangsta-Rap ist anzumerken, dass von vielen Seiten über die faszinierende Wirkung des »Ghetto-Klischees« auch und gerade für die Fans aus der Mittelschicht spekuliert wird (vgl. u.a. Güngör 2007). Da es diesbezüglich keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen gibt, gehe ich entsprechend dem USamerikanischen Gangsta-Rap (vgl. Mikos 2000) davon aus, dass sich sozialräumlich benachteiligte und Jugendliche »aus gutem Hause« auf jeweils unterschiedliche Weise von der neuen deutschen Szene angezogen fühlen. Ich konzentriere mich in meiner Arbeit jedoch auf die (potentielle) Bedeutung für benachteiligte Jugendliche. Mein primäres Forschungsinteresse gilt dabei jedoch weder der individuellen Interpretation durch die Hörer, noch der Motivation der Rapper, sondern dem Dazwischenstehenden: die im Text vermittelten Bilder von städtischem Raum (hier immer verstanden als Sozialraum), die eine Anregung für Jugendliche bieten können, ihre eigene räumliche Situation wahrzunehmen und zu bewerten. Diesbezüglich interessieren insbesondere die soziale und symbolische Bedeutung des beschriebenen Raumes innerhalb der Raptexte sowie die Verknüpfung von Stadt und Identifikation: Wie wird der eigene Stadtteil wahrgenommen und in welcher Form wird ein Bezug hergestellt? Das folgende Kapitel widmet sich den theoretischen Zusammenhängen der sozialräumlichen Bezüge und identitätsstiftenden Funktionen von HipHop. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse der Inhaltsanalyse von Texten des zum Zeitpunkt meiner Untersuchung bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Gangsta-Rap-Labels Aggro Berlin3 dargestellt.

3

Das bis dahin unabhängige Label Aggro Berlin arbeitete seit November 2007 mit dem Major-Label Universal Deutschland zusammen und beendete im April 2009 seine Arbeit ganz. Bushido, der bis heute kommerziell erfolgreichste Berliner Gangsta-Rapper verließ das Label schon 2004. Er startete eine Solokarriere, schrieb eine Autobiografie und spielte in einem Kinofilm sich selbst. Sido steht bei dem Major-Label Universal Music unter Vertrag, Tony D bei Urban.

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Hierfür wurden 10 Texte, die einen Stadtbezug aufweisen, der Rapper Bushido, Sido, Fler, B-Tight und Tony D textanalytisch ausgewertet. Dabei wurde entsprechend einer an die Grounded Theory angelehnten Herangehensweise keine bestimmte Hypothese überprüft, sondern ein umfassender und differenzierter Einblick in das innerhalb der Raptexte entworfene Bild städtischen Sozialraums angestrebt.

H IP H OP

UND SOZIALRÄUMLICHE B ENACHTEILIGUNG THEORETISCHE Z USAMMENHÄNGE



Wie in der Einleitung angedeutet, haben die Ursprünge des HipHop einen starken sozialräumlichen Bezug. Elflein (2007: 16) spricht hier auch vom »regionalen Argument« des Gründungsmythos der HipHop-Kultur. Die Blockparty als Feiern seiner Party im eigenen Kiez, wo sonst niemand hin will, manifestiert diesen regionalen Bezug symbolisch und praktisch und wurde von nachfolgenden HipHop-Szenen immer wieder aufgegriffen. In diesem Kapitel wird zunächst auf die Bedeutung von Raum und dessen unter bestimmten Umständen benachteiligender Wirkung für Jugendliche eingegangen. Anschließend wird die Bedeutung der HipHop-Kultur im Allgemeinen und des Gangsta-Rap im Besonderen für Jugendliche in benachteiligten Quartieren theoretisch beleuchtet. Die Bedeutung sozialräumlicher Benachteiligung für Jugendliche Für das Verständnis der Bedeutung von Raum für Heranwachsende ist ein über die physische Dimension des Raumes hinausgehendes Sozialraumkonzept notwendig. Ein solches Konzept bietet unter anderen Reutlinger (2003) an. Es baut auf der individuellen Aneignung des Raumes durch die Jugendlichen auf, die den Raum durch ihre Interaktionen vor dem Hintergrund ihrer »biographischen Bewältigungsaufgaben« (ebd.: 13) und den Bedeutungen, die sie ihrem materiellen und sozialen Umfeld beimessen,

Fler hat sein eigenes Label Maskulin Digital gegründet. B-Tight ist noch als Rapper aktiv, aber ohne Vertrag.

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konstituieren. Wie auch bei Böllert (2002) und Häußermann/Siebel (2004) ausgeführt, fungieren der Wohnort und die Nachbarschaft für Jugendliche als sozialer Lern-Raum. Jugendliche agieren und entwickeln sich zu einem wesentlichen Teil mit Hilfe sozialräumlicher Aneignungsprozesse. Antworten auf die Fragen der personalen Identität, »wer bin ich?«, »wie sehen mich die anderen?« und »wie möchte ich sein?«, können dort insbesondere mit Gleichaltrigengruppen relativ frei gesucht und ausprobiert werden. Auch für die soziale Identität im Sinne der Bindung an eine bestimmte soziale Gruppe, die sich immer in Abgrenzung zu anderen entwickelt (vgl. Mummendey 1985: 195), spielt der sozialräumliche Kontext eine zentrale Rolle. Jugendkulturelle Praktiken und Symbole äußern sich überwiegend im sozialen Raum, innerhalb dessen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gleichaltrigengruppe einen Abgrenzungsprozess gegenüber anderen Jugendlichen und Erwachsenen reflektiert (vgl. Böllert 2001: 171). Soziale Ungleichheit schlägt sich innerhalb einer Stadt räumlich nieder. Dies wird durch die Entstehung exklusiver Räume, die nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen zugänglich sind, und von Orten der Exklusion, in denen sich die Schließung anderer Stadtteile für sozial benachteiligte Gruppen manifestiert, deutlich (vgl. Häußermann/Siebel 2004). Die Lebensbedingungen für Jugendliche in solchen durch Ausgrenzung geprägten Stadtgebieten sind durch eine räumliche Konzentration von vielfältigen Problemlagen bestimmt. Dazu zählen hohe Jugendarbeitslosigkeit und -kriminalität, eine mangelhafte infrastrukturelle Ausstattung (sowohl an sozialen Einrichtungen als auch hinsichtlich des alltäglichen Bedarfs), die Verwahrlosung des öffentlichen Raums sowie die negative Wahrnehmung durch Bewohner anderer Stadtgebiete. Jugendliche selbst empfinden ihren Stadtteil insbesondere dann als benachteiligend, wenn jugendspezifische sozialräumliche Aneignungsmöglichkeiten fehlen wie beispielsweise Sportplätze oder gut geeignete Treffpunkte (vgl. Böllert 2001: 175; 179). Zudem kann ein benachteiligtes Wohnumfeld negative Sozialisationseffekte, insbesondere auf seine jugendlichen Bewohner haben. Der Mangel an positiven Vorbildern sowie die Einschränkung der Erfahrungswelt von Heranwachsenden, verstärkt durch geringe Mobilität, begrenzen in benachteiligten Stadtvierteln ihre sozialen Interaktionsmöglichkeiten und können einen »Anpassungsdruck nach unten« erzeugen (Häußermann 2001: 47). Dieser Anpassungsdruck drängt Jugendliche zur Übernahme von Normen und Verhaltensweisen, die innerhalb der Mehrheitsgesellschaft als Aus-

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grenzungskriterium fungieren. Insbesondere Jugendliche reagieren auf die Distanz zur Gesamtstadt häufig mit einer verstärkten Identifikation mit ihrem Stadtteil und der Abgrenzung gegen andere Gebiete (vgl. Böllert 2001: 176). Diese »emotionale Ortsbezogenheit« schlägt sich als Teil der personalen und sozialen Identität nieder, ergänzt sie durch eine räumliche Dimension und wird als lokale Identität bezeichnet (vgl. Esser 1987: 110; Eger 2005: 50). Eine Möglichkeit der lokalen Identitätsbildung bietet der Hip- Hop. Die Bedeutung von HipHop für sozialräumlich benachteiligte Jugendliche Die Zuwendung zur HipHop-Kultur kann als Orientierungsmöglichkeit dienen oder nach Kimminich (2003: 87) sogar als Ersatz für fehlende Vorbilder: »HipHop [...] stellt seinen unter Druck stehenden Individuen mangels funktionsfähiger Angebote Rollen aus weit zurückliegender Vergangenheit oder aus anderen Kulturen zur Verfügung. [...] Sie stellen ein Surrogat derjenigen Ressourcen dar, die den integrierten Mitgliedern einer nationalen, kulturellen oder ethnischen Gemeinschaft im Allgemeinen zur Verfügung stehen.« Das Erlernen und die Entfaltung ästhetischer Stile stellt für Jugendliche in benachteiligten Quartieren eine alternative Möglichkeit dar, Anerkennung zu gewinnen sowie Wünsche, Ängste und Forderungen zu artikulieren (vgl. Farin 2002: 143f). Indem der Rap die Situation räumlich marginalisierter Jugendlicher in Großstädten und die ihnen vertrauten Probleme thematisiert, bietet er ihnen die Möglichkeit, sich mit dem eigenen Stadtteil zu identifizieren (vgl. Hoppmann 2003: 236f). Die Zuwendung zur HipHop-Szene kann auch zur Entwicklung von Autonomie beitragen. Mit der Orientierung an alternativen Handlungsweisen und Wertvorstellungen geht eine Abgrenzung vom Lebensstil der Eltern und auch von dem anderer Jugendlicher einher (vgl. Müller-Bachmann 2002: 205). Dieser Distinktionsmechanismus ist für die jugendkulturelle Identitätsbildung zentral: »In der gemeinsamen Erzeugung von Differenz gegenüber Außenstehenden werden individuelle und kollektive Identitäten etabliert« (ebd.: 206). Mikos (2000: 117f), der sich mit den speziellen Aneignungsformen des Gangsta-Rap beschäftigt, beschreibt das Identifikationsangebot von Gangs-

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ta-Rap für marginalisierte Jugendliche als Abgrenzung gegen die dominante Kultur, an der sie nicht Teil haben können bzw. wollen. Indem die Rolle des gesellschaftlichen Außenseiters bewusst angenommen und positiv besetzt wird, entwickeln sie Überlegenheitsgefühle gegenüber der eigentlich mächtigeren Gesellschaft. Die Figur des »Gangstas« symbolisiert hierbei ein alternatives Rollenmodell und die »Möglichkeit, das Rebellische des Gangstas in der Phantasie auszuagieren« (ebd.). Die überzogenen Identifikationsfiguren des Gangsta-Rap stellen mit Kimminichs (2003: 51) Worten eine »Dialektik zwischen Scham und Stolz« dar; diese Selbststigmatisierung kann als selbststärkende Reaktion auf die Stigmatisierung von außen verstanden werden. HipHop ist für seine Mitglieder ein »Mittel der Verortung« (Hoppmann 2000: 204) und bietet ihnen die Möglichkeit der »Rückeroberung der Stadt« (ebd.: 208), sei es in Form von realer Raumaneignung oder mental-verbaler (Re-)Identifikation mit dem eigenen sozialräumlichen Umfeld. Im GangstaRap werden in sprachlicher Form Bilder des benachteiligten und benachteiligenden Raumes entworfen, die den jugendlichen Hörern als Identifikationsangebot mit auf den Weg gegeben werden.

ANALYSE DER S OZIALRAUMKONZEPTIONEN IN B ERLINER G ANGSTA -R AP -T EXTEN Meine Analyse ist als ein erster Schritt zur empirischen Annäherung an die soeben theoretisch aufgeworfenen Fragen der sozialräumlichen Identifikationsangebote im Gangsta-Rap zu verstehen. Für eine explorative Untersuchung konkreter Inhalte von Raptexten ist eine intensive Analyse einiger weniger Fälle als ergiebiger anzusehen als eine breit angelegte Darstellung. Ein an Strauss/Corbins (1996) Verständnis der Grounded Theory angelehntes Vorgehen bietet dabei die Möglichkeit, relativ offen an ein zwar viel diskutiertes, aber kaum erforschtes Phänomen4 heranzugehen. Da Aggro

4

Über den neuen deutschen Gangsta-Rap gibt es nur sehr wenige Veröffentlichungen; zudem existiert aber auch gemäß meiner Recherche innerhalb der deutschen und englischsprachigen Literatur zu amerikanischem Gangsta-Rap keine inhaltsanalytische Untersuchung der Darstellung von städtischen Sozialräumen.

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Berlin den Gangsta-Rap in Berlin etabliert und darüber die Entwicklung des gesamten deutschsprachigen Gangsta-Rap mit angestoßen hat (vgl. Verlan/Loh 2006: 24f), sind die Texte der dort unter Vertrag gestandenen Rapper Sido, B-Tight, Fler, Tony D und Bushido als exemplarische Fälle gut geeignet. Ich habe zunächst von jedem Rapper gezielt jeweils einen Text analysiert, der den städtischen Sozialraum als eines seiner Hauptmotive thematisiert. Nach einem zweiten Auswahlschritt, der gemäß dem Verfahren des theoretischen Samplings5 erfolgte, wurden die in der folgenden Tabelle aufgeführten zehn Lieder in meine Analyse miteinbezogen: Titel

Rapper

Veröffentlichungsjahr

»Mein Block«

Sido

2004

»Steig ein«

Sido

2004

»Straßenjunge«

Sido

2006

»3 Leben«

Sido/Tony D

2004

»Märkisches Viertel«

B-Tight

2002

»Mein

B-Tight

2004

»Identität«

Fler

2006

»Jungs im Viertel«

Fler

2007

»Vom Bordstein bis zur

Bushido/Fler

2003

Bushido

2003

Block

gegen-

über«

Skyline« »Berlin«

Im Folgenden werde ich die Ergebnisse meiner Inhaltsanalyse in Form einer »thematischen Strukturierung« (vgl. Strauss/Corbin 1996: 17) der Sozialraumkonzeption in den Gangsta-Rap-Texten darstellen. Die Strukturierung der Ergebnisse ergibt sich aus der Verknüpfung der sich aus den Daten heraus entwickelnden bedeutsamen Konzepte nach einem von Strauss/

5

Beim theoretischen Sampling werden aus dem sich entwickelnden Kategoriensystem theoretische Gesichtspunkte für die gezielte Erhebung weiterer Daten abgeleitet (vgl. Strauss/Corbin 1996).

S OZIALRAUMKONZEPTIONEN IM B ERLINER G ANGSTA-R AP | 293

Corbin (1996: 75 ff.) vorgeschlagenen Schema. Bei dessen Anwendung wird ein im Analyseprozess generiertes, für die Fragestellung zentrales Phänomen (1.) in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. In meinem Fall handelt es sich dabei um die sozialräumliche Abgrenzung. Anhand der Daten kann nun weiterhin untersucht werden, welches der allgemeine Kontext des Phänomens (2.), seine konkreten Ausgangsbedingungen (3.), Strategien zur Herstellung (4.) sowie Konsequenzen des Phänomens (5.) sind. Durch die Auseinandersetzung mit diesen fünf Aspekten entsteht ein umfassendes Bild der Sozialraumkonzeption der ausgewählten Raptexte und ihres identifikatorischen Potenzials. Ein die Ergebnisse der Analyse zusammenfassendes, exploratives Erklärungsmodell zum Verständnis des spezifischen sozialräumlichen Identifikationsangebotes wird mit der folgenden Grafik veranschaulicht und in den sich anschließenden Abschnitten ausführlich dargelegt.

Zentrales Phänomen: Sozialräumliche Abgrenzung »Ghetto-Gangster-Alltag, nicht wie in ’ner Kleinstadt« In den untersuchten Texten kreisen – wie für den Gangsta- bzw. Battlerap typisch – auffällig viele Stellen explizit um eine Abgrenzung gegen andere soziale Gruppen. Besonders interessant für meine Perspektive ist hierbei, dass der Wohnort als stärkstes Exklusions- bzw. Inklusionskriterium genutzt wird.

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Schon beim ersten Lesen der Texte sticht die fast durchgängige ambivalente Adressierung an Außenstehende ins Auge, welche meist über ihre Ortsfremdheit und ihren höheren sozialen Status definiert werden. Die Adressaten6 werden einerseits angesprochen und aufgefordert, sich die beschriebenen Lebensverhältnisse anzugucken. Andererseits werden sie beschimpft, angeklagt und mit einem Rauswurf bedroht; aus der lokalen Gemeinschaft des Sprechers ausgegrenzt. Den Außenstehenden werden ihre fehlende Härte und ihr gehobener bzw. spießiger Lebensstil vorgeworfen. Hierbei werden analog zur Beschreibung der Ghetto-Kultur (siehe dazu S. 300 ff.) Klischees eingesetzt: das Einfamilienhaus, der Swimmingpool, der gut gedeckte Tisch. Für die Verortung des in den Texten entwickelten Gegenparts ist die erste Strophe von »Jungs im Viertel« exemplarisch. Innerhalb von sechzehn Zeilen werden fünf Orte für die ihnen zugeschriebene Spießigkeit sowie ihren Wohlstand beschimpft und sozusagen als Hassobjekte abgearbeitet: der Kurfürstendamm, München, Westdeutschland sowie die unspezifische Kleinstadt und das »Bauernkaff«. Teilweise wird innerhalb Berlins differenziert und teilweise ganz Berlin als räumlicher Bezugspunkt gewählt, der über drinnen und draußen entscheidet. Eine Identifikation mit Berlin als gesamter Stadt wird über den Ausschluss der gehobeneren Bezirke (und der Vereinheitlichung der jeweiligen benachteiligten Quartiere) erzielt, wie durch die Aussage »Meine Stadt ist Ghetto« in Bushidos »Berlin« deutlich wird. Kontext: Inszenierungs- und Stilmerkmale Sehr ähnlich der weiter oben angesprochenen typischen Stilmerkmale des Gangsta-Rap nach Mikos (2000) wurden auch in dieser Analyse die Aufwertung des Sprechers7 mit Hilfe der Überspitzung der sozialräumlichen Verhältnisse und seiner Inszenierung als Ghetto-Helden sowie gezielte Provokation als Kontext-Kategorien herausgearbeitet. Die in den unter-

6

Im Unterschied zu den Hörern oder der Zielgruppe bezeichne ich als »Adressat« diejenige Person oder Personengruppe, an welche das Lied explizit, also wörtlich gerichtet ist.

7

Zur Unterscheidung der Person des Rappers von der Ich-Person in seinen Texten bezeichne ich letztere analog zu dem in der Literaturwissenschaft verwendeten Begriff des Ich-Erzählers als Sprecher.

S OZIALRAUMKONZEPTIONEN IM B ERLINER G ANGSTA-R AP | 295

suchten Texten beschriebenen Orte werden insofern überzeichnet, als dass die gezeigten Verhältnisse teilweise eher an US-amerikanische Ghettos erinnern als an deutsche benachteiligte Quartiere. So werden düstere Szenarien von Gegenden entworfen, in denen Gewalt, Kriminalität und Drogen regieren. Allein die durchgängige Verwendung des Ghettobegriffs in den Texten ist als Überspitzung der sozialräumlichen Verhältnisse anzusehen. Häußermann/Siebel (2001: 41) definieren ein Ghetto als Wohngebiet, in welchem fast ausschließlich eine Bevölkerungsgruppe – unfreiwillig – lebt, und sehen dieses Kriterium in keinem deutschen Stadtgebiet erfüllt. Der Sprecher nimmt in den Texten häufig die Pose eines skrupellosen, durch das harte Leben auf der Straße gezeichneten Ghetto-Helden ein, worauf ich im Verlauf meiner Ergebnisdarstellung noch näher eingehen werde. Im Gangsta-Rap spiegelt sich die »Battle«-Tradition des HipHop besonders stark wider. Der »Battle« ist laut Mikos (2000:114 f.) eine rhetorische Strategie, mit deren Hilfe sich jeder neue Raptext im Pool der bereits vorhandenen verortet und sich dabei gegen Konkurrenten abgrenzt. Dies geschieht in Form von Beleidigungen und verbalen Tabubrüchen. In den von mir analysierten Texten finden sich häufig Formen gezielter Provokation wie herausfordernde Einstellungen und aggressive Äußerungen. Ausgangsbedingung: Sozialräumliche Benachteiligung Stadt(teil)beschreibung: »Gegenden, auf die es jeden Tag regnet« Die Handlungen der Texte spielen sich immer an dem Ort ab, an welchem der Sprecher zu Hause ist. Die Orte, die beschrieben werden, sind immer großstädtisch geprägt. Teilweise werden diese Orte dabei spezifiziert, teilweise nur als »mein Viertel«, »der Platz« oder »die Straße« besungen. Sido lässt in seinem Lied »Mein Block« (2004) über das Märkische Viertel das triste Bild einer Wohnsiedlung am Stadtrand mit grauen Hochhäusern, wenig Grün, viel Dreck und schlechter Luft entstehen. Sidos »Steig ein« (2004) ist hingegen wie eine Führung durch ganz Berlin aufgebaut. Hier werden die Gegensätze innerhalb einer Stadt betont: »Ich zeig dir die Stadt!/Breite Straßen, schöne Villen, dunkle Ecken«. Die Atmosphäre Berlins wird als laut und lebendig dargestellt, als hart und stressig – als etwas, womit nicht jeder zurechtkommt (Fler/Bushido 2003: »Vom Bordstein bis zur Skyline«; Fler 2007: »Jungs im Viertel«).

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Die Verknüpfung des Raumes mit sozialen Charakteristika wie den Akteuren vor Ort, deren Handlungen und der Bedeutung des Raumes für seine Bewohner ist eng und in allen Texten zu finden. Raum ist hier also vor allem sozialer Raum. Es findet zudem eine starke Bewertung des Raumes statt, die ein zunächst negatives Szenario hervorruft. Sehr bildhaft wird dies an dem Beginn des Liedes »3 Leben« (Sido/Tony D 2004) verdeutlicht: »Drei Leben in drei verschiedenen Gegenden,/auf die es jeden Tag regnet«. Diese Metapher verkörpert sehr einfach und klar die in vielen Texten als wichtiges Motiv auftauchenden benachteiligenden Auswirkungen eines benachteiligten Stadtteils auf seine Bewohner. Ebenso kann sich die »dicke Luft«, mit der Sido in »Mein Block« das Märkische Viertel kennzeichnet, neben Abgasen gleichzeitig auf die aggressive Stimmung beziehen, die in der Luft liegt. Damit sind auch hier soziale und räumliche Benachteiligung rhetorisch besonders eng miteinander verknüpft. Auffällig ist zudem die Unveränderlichkeit, von der bezüglich einer Benachteiligung bestimmter Orte ausgegangen wird (z.B. »3 Leben«; »Mein Block«). Die thematisierte Benachteiligung der Räume geht jedoch auch häufig mit einer spezifischen Art der Aufwertung des eigenen Kiezes oder der Stadt Berlin einher. In den Liedern »Steig ein« und »Mein Block«, die wie eine Stadt(teil)führung des Insiders konzipiert sind, wird der Ort als Sensation für den Fremden angeboten. Die permanent beschworene und für Fremde als schwer genießbar dargestellte Härte bestimmter Stadtteile oder Gesamtberlins wird in den Texten wie eine Auszeichnung benutzt. Auch umgekehrt werden in »Steig ein« objektiv schöne Eigenschaften als subjektiv störend dargestellt: Ein Stück weiter wird die Welt wieder hell, prunkvolle Villen und ein 5-Sterne-Hotel. Auch wenn so ’ne Gegend meine Stadt völlig entstellt, ist Berlin immer noch die schönste Stadt auf der Welt!

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Akteure und soziales Geschehen im Stadtraum: 8 »Rumhängen mit Ghettohomies« Mehrere Texte stellen eine Aneinanderreihung von Personen sowie deren Tätigkeiten und Funktionen in einem bestimmten Viertel dar. Diese Personen werden als Nachbarn und Freunde des Sprechers vorgestellt. Zusätzlich werden Polizisten, Politiker und ortsfremde Zuschauer häufig gleichzeitig als Eindringlinge und als Adressaten der Texte in das beschriebene Szenario miteinbezogen. Die Beschreibungen ähneln sich insgesamt sehr stark. Die Nachbarn werden über ihr von der gesellschaftlichen Norm abweichendes Verhalten definiert und so als Ghetto-Figuren in Szene gesetzt. Insbesondere in »Mein Block« werden die lokalen Akteure direkt mit ihren meist kriminellen oder zumindest sozial abweichenden Tätigkeiten vorgestellt. So besteht die beschriebene Nachbarschaft unter anderen aus dem Junkie, dem Drogendealer, der Prostituierten und den allgegenwärtigen »Ghettohomies«. Drogen, Gewalt, Konflikte, krumme Geschäfte sowie wahl- und emotionslose Sexualkontakte scheinen den Tagesablauf der Bewohner des Blocks zu bestimmen. In »Mein Block gegenüber« von B-Tight (2004) werden extreme Gewalt und soziale Konflikte in Form pornografisch-voyeuristischer Einsichten in das Geschehen vor Ort auf die Spitze getrieben. In den Texten anderer Rapper wird die Schärfe sozialer Probleme häufig anhand betroffener Jugendlicher thematisiert. So sind die »Jungs im Viertel« (Fler 2007) eine »Jugend ohne Ziele«, die ihre Perspektivlosigkeit mit Drogengeschäften, Überfällen und Gewalt überbrücken. Sidos »Straßenjunge« (2006) ist als Jugendlicher in einem benachteiligten Viertel der generellen Chancenlosigkeit und dem täglichen Überlebenskampf ausgeliefert. Die Zugehörigkeit der Sprecher zu den jugendlichen lokalen Gemeinschaften (z.B. »die Jungs«) wird häufig durch die Wir-Form deutlich gemacht. Freundschaften werden meist räumlich verortet und in Verbindung mit der Bedeutung des Ortes als Treffpunkt thematisiert. So läuft der Sprecher in »Märkisches Viertel« (B-Tight 2002) durch seinen Kiez und sucht »Ghettohomies zum Rumhängen«. Auffällig ist die fehlende Zuneigung zwischen den Akteuren; während Sex ständig thematisiert wird, spielt Liebe oder Sympathie scheinbar kaum eine Rolle. Die einseitige Rolle weiblicher Akteure zieht sich

8

»Homie« ist ein US-amerikanischer Slangbegriff für Freunde aus der Nachbarschaft.

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durch alle Texte. Frauen werden auf frappierende Weise auf Sexobjekte reduziert. Eine Ausnahme bildet die Mutter des Sprechers, der in einigen Texten die Rolle der Erzieherin mit zweifelhaftem Erfolg eingeräumt wird. So z.B. in »Jungs im Viertel«: »ich bin genau der Typ geworden,/vor dem mich meine eigene Mutter immer gewarnt hat«. Die Orte werden sozial homogenisiert beschrieben, das heißt in der Wahrnehmung des Sprechers gibt es dort keinen Bewohner, der erwerbstätig ist, keine Drogen nimmt oder nicht in irgendeiner Form kriminell ist. Als Möglichkeit des Geldverdienens wird neben den (klein)kriminellen Tätigkeiten nur die Rapper-Karriere aufgezeigt. Viele der Ghettofiguren haben trotz ihrer Handlungsweisen bzw. gerade deshalb eine spezielle Funktion im betreffenden Stadtteil. Besonders anschaulich wird dies in »Mein Block«, wo innerhalb eines Plattenbaus eine funktionale Differenzierung der Nachbarschaft nach Stockwerk geschildert wird. So gibt es den »Drogenstock«, den »Pornostock«, den Stock, in welchem man Falschgeld bekommt und so weiter. Das beschriebene Ghetto-Dasein wird gleichzeitig problematisiert und als ein in dem betreffenden Viertel etablierter Lebensstil, die Ghetto-Kultur, verteidigt. Diese Ghetto-Kultur bildet sich gemäß der Raptexte aufgrund des Ghetto-Daseins, d.h. der harten Lebensbedingungen, heraus und dient dem Sprecher als Rechtfertigung für die beschriebenen Verhaltensweisen. Die Auswirkungen des Aufwachsens in einem benachteiligten und stigmatisierten Quartier werden in Sidos »Straßenjunge« besonders eindringlich beschrieben, und der dort sozialisierte Jugendliche als eigentliches Opfer verteidigt: Ich bin nicht grundlos böse, ich bin nur ein Junge von der Straße. [...] Sie würden mich am liebsten umsiedeln, in ’nen andern Staat. Ihr gebt mir keine Chance, ich muss gucken, wo ich bleibe. Wenn ich keine Schuhe hab, dann geh ich los und hol mir deine. Wenn du zu ’nem Penner gehst und sagst, du hast nur große Scheine, ist doch klar, dass er dann neidisch wird und kriegt dann große Beine. Die Straßenjungs kämpfen nur ums Überleben. Wir haben’s nicht anders gelernt, einfach nehmen, wenn sie es nicht geben.

Es wird viel von »der Straße« als Sinnbild der harten Lebensumstände gesprochen. Vor allem aber werden die Probleme als Probleme eines be-

S OZIALRAUMKONZEPTIONEN IM B ERLINER G ANGSTA-R AP | 299

stimmten Ortes dargestellt: »hier« ist man arm, »hier« muss man ums Überleben kämpfen und »hier« ist man ausgegrenzt; von der restlichen Gesellschaft abgeschnitten. So singt Fler in »Identität« davon, dass die Bewohner eines benachteiligten Quartiers aufgrund von Stigmatisierung als »Abschaum« der Gesellschaft gelten und dadurch zu einer Gefahr für diese werden bzw. zumindest zu etwas, wovor sich diese fürchtet. Das Motiv des Ghetto-Daseins als Rechtfertigung vermischt sich in den Texten häufig mit Selbststigmatisierung. So betont der Sprecher in »Jungs im Viertel« zwar, dass er nur durch die erlebte Ausgrenzung zu dem geworden ist, was er heute ist, steckt sich und seine Nachbarschaft dabei jedoch in die Schublade der »bösen Ghettobewohner«. Er schafft eine Identifikation über die Ghetto-Kultur und stempelt sich und seine »Jungs im Viertel« als Drogendealer, Schläger und Diebe ab. In Sidos »Straßenjunge« wird anders als in anderen Texten betont, dass der Jugendliche aus dem schlechten Viertel nicht so böse ist wie von außerhalb dieses Viertels Lebenden angenommen. Der Umgang mit dem Ghetto-Dasein ähnelt sich innerhalb der Texte sehr. Teilweise wird zwar traurig oder wütend über den eigenen Wohnort als einem perspektivlosen Ort gesprochen. Die Feststellung einer benachteiligten Lebensweise in bestimmten Stadtteilen wird jedoch in den Texten nicht etwa zum Anlass genommen, einen Ausbruch aus der Situation zu planen oder zumindest zu wünschen. Vielmehr hat sich der Sprecher in den meisten Fällen mit seinen Nachbarn in den Verhältnissen eingerichtet (z.B. in »Mein Block«: »wir kommen klar mit diesem Leben«), wirkt dabei im Gesamtkontext des jeweiligen Textes aber weniger resigniert als trotzig. Strategien: Negatividealisierung, Umkehrung Ausgrenzungsverhältnis, Feindbild »Es passt nicht in dein Konzept, mir egal, ich bleib perfekt«9 Zur Herstellung der sozialräumlichen Abgrenzung sind drei Strategien erkennbar, die eng zusammenhängen und häufig ineinander greifen: die Negatividealisierung, die Umkehrung des Ausgrenzungsverhältnisses und die Entfaltung eines Feindbildes.

9

Das für die Überschrift ausgewählte Zitat, an dieser Stelle nicht näher diskutiert, entstammt dem Track »Vom Bordstein bis zur Skyline« von Bushido/Fler.

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Die Negatividealisierung des Lebens in benachteiligten Stadtvierteln wird durch eine Art Umdeutung der Normen vorgenommen, d.h. gesellschaftlich schlecht Angesehenes wird durch den Sprecher positiv besetzt. So beschreibt B-Tight den Alltag im Märkischen Viertel, der durch Herumhängen, Drogen und Sex bestimmt ist, und stellt fest, dass genau dies der beste Zeitvertreib sei. Fler deutet in »Jungs im Viertel« schulisches Scheitern insofern als Erfolg um, als dass man dadurch mehr Zeit für Frauen und Autos hätte. Die Sprecher der Texte grenzen sich aggressiv von gesellschaftlichen Wertvorstellungen wie Bildung, Vernunft und Verantwortungsbewusstsein ab. Sido beantwortet in »Mein Block« die Arroganz seines bürgerlichen Adressaten »Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus,/weil du denkst, du hast alles was du brauchst« trotzig mit dem Verweis darauf, dass er in seinem Block auch alles bekommt, was er braucht und gar nicht weg möchte. Die zweite Abgrenzungsstrategie ist eine Umkehrung des Ausgrenzungsverhältnisses: Die von der restlichen Stadt bzw. von der Mehrheitsgesellschaft Ausgeschlossenen schließen ihrerseits alle Fremden aus ihrem Wohnort aus. Dieser Ausschluss wird in den Texten meist sehr drastisch vollzogen, z.B. in »Jungs im Viertel«: Du musst raus aus meinem Bezirk, fahr zum Ku’damm mit Bus, sonst gibt es Kopfschuss, du wirst vom Buhmann gebumst.

Die Selbstbetitelung »Buhmann« impliziert das Bewusstsein des Sprechers über seine eigentliche Position innerhalb der Gesellschaft als Außenseiter und Angeklagter. Durch die Umkehrung des Ausgrenzungsverhältnisses erhält er jedoch eine gewisse lokale Macht, die es ihm zumindest innerhalb seines Viertels erlaubt, diese Position umzudrehen. Die dritte Abgrenzungsstrategie geht mit den beiden anderen einher. Im Zuge der Abgrenzung gegen gesellschaftliche Wertvorstellungen wird ein Feinbild des Spießers, des Reichen oder auch des Gebildeten, also des im mehrheitsgesellschaftlichen Sinne Erfolgreichen entfaltet. So werden z.B. bezüglich des Themas Bildung die Institutionen und Personen, die das Scheitern und die Benachteiligung des Sprechers verkörpern, beschimpft und damit abgewertet: die Schule, Lehrer und Studenten. B-Tight spottet in

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»Märkisches Viertel« über die Spießer, die das aus seiner Sicht Alltägliche wie etwas völlig Außergewöhnliches anstarren: »Spießer glotzen auf ’n Joint wie Penner auf Gold«. Das entworfene Feindbild wird durch die permanente Gegenüberstellung von »ich« und »du«, »wir« und »ihr« in den Texten manifestiert und durch die Zuordnung zu bestimmten Sozialräumen verortet. Besonders anschaulich wird diese Verortung in dem bereits angesprochenen Abschnitt aus »Jungs im Viertel« vollzogen. Den Feinden aus dem »Bauernkaff«, der Kleinstadt, aus München, Westdeutschland oder vom Kurfürstendamm wird der Rap als »Brennpunkt-Mucke im Hood«10 entgegen gehalten. In allen drei Strategien wird die eigene Stadt oder der Stadtteil gezielt zur Abgrenzung gegen diejenigen eingesetzt, die der eigenen Welt fremd sind und die diese Welt nicht positiv anerkennen oder sogar diskriminieren. Vor diesem Hintergrund dient sozialräumliche Abgrenzung innerhalb der Raptexte einer Aufwertung des sozialräumlichen Hintergrundes sowie der eigenen Person: der Herstellung einer positiv erlebten lokalen Identität und Macht. Konsequenzen: Lokale Identität und lokale Macht »Meine Stadt ist der Panzer auf dem Feld« Die Identifikation mit der Stadt Berlin oder einem Teil Berlins ist ein zentrales Motiv der Raptexte. Immer wieder wird die Zugehörigkeit zu dem beschriebenen Ort und seinen Bewohnern betont. Es ist von »meiner Stadt«, »meiner Gegend«, »meinem Block« etc. die Rede. Die Verbundenheit mit dem Ort wird zum einen über die nach außen abgegrenzten lokalen Gemeinschaften, die Nachbarn und Freunde hergestellt. Innerhalb dieser lokalen Gemeinschaften findet der Sprecher auch Anerkennung wie aus der Feststellung: »In meinem Block weiß es jeder, wir sind Stars« (»Mein Block«) herausgelesen werden kann. Zum anderen wird wie oben beschrieben der Sozialisationsaspekt des Wohnortes häufig herausgestellt. Sido bezeichnet sich als »Straßenjunge« und »Ghettokind«, Fler ist in seinem Text einer der »Jungs im Viertel«. Die Identifikation mit der als »mein Berlin«

10 »Hood« ist ein US-amerikanischer Slangbegriff, leitet sich von »neighborhood« ab und bezeichnet im vorliegenden Fall die nähere Wohnumgebung bzw. das Ghetto (vgl. Forman 2002).

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bezeichneten Stadt wird in den betreffenden Liedern (»Berlin«; »Identität«; »Vom Bordstein bis zur Skyline«) über die Gleichsetzung der gesamten Stadt mit ihren benachteiligten Stadtteilen und den Ausschluss anderer Bezirke hergestellt. Berlin wird als die Stadt der schwierigen Lebensbedingungen charakterisiert, es werden ihr die Eigenschaften zugeschrieben, die in anderen Texten auf einzelne Viertel angewandt werden: Armut, Kriminalität, Drogenkonsum, Gewalt und die dies als Normalität etablierende Ghetto-Kultur. Die Abgrenzungsstrategie der Negatividealisierung dient zur Stärkung der lokalen Identität. So beschreiben Sido und B-Tight das Märkische Viertel zwar als objektiv unangenehmen Ort, werten diesen aber mitsamt der an diesen Ort gebundenen Freundschaften und Tätigkeiten durchgängig subjektiv auf. Die den benachteiligten Gebieten zunächst von außen zugeschriebenen Merkmale werden als alternative Identität angenommen: »Also scheiß auf die feine Art,/ich machs auf meine Art!« (»Jungs im Viertel«). Zusammen genommen werden die Merkmale der Ghetto-Kultur in den Texten zu einer alle Argumente schlagenden Härte stilisiert, die innerhalb der lokalen Gemeinschaften als Auszeichnung und Überlegenheit gegenüber Ortsfremden benutzt wird. Nur wer den schwierigen Lebensbedingungen des Ghetto-Daseins unterliegt und sich dort im täglichen Überlebenskampf durchsetzt, der kann – so die Botschaft der Texte – etwas auf sich halten. Die sozialräumlich abgegrenzte Ghetto-Kultur wird so zur Grundlage lokaler Identität. Über die starke lokale Identität hinaus wird mit Hilfe der sozialräumlichen Abgrenzung auch lokale Macht erzeugt. Durch die den Ortsfremden fehlende Erfahrung mit der Ghetto-Kultur erscheinen sie gegenüber den Ghetto-Bewohnern verweichlicht und unterlegen. Lokale Macht wird innerhalb der Texte häufig durch demonstrierte Männlichkeit (vgl. hierzu auch die Analyse von Männlichkeitskonstruktionen im Gangsta-Rap von Malte Goßmann in diesem Band) und die Bedrohung der Fremden unterstrichen, so z.B. in »Jungs im Viertel«: Das hier ist Straßenpolitik, ich bin ein Mann in ’nem Slum. [...] Du willst jetzt Streit, kein Problem, komm jetzt Mann gegen Mann.

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Auch Bushido vereinnahmt in dem Lied »Berlin« die Stadt ganz für sich, macht klar, dass dort kein Fremder erwünscht ist. Er benutzt das traditionelle Blockparty-Motiv des HipHop in erweiterter Form zur Verdeutlichung »seiner« lokalen Macht. Dort, wo eigentlich keiner hin will (ins dreckige, gefährliche Berlin), feiern die Bewohner nicht nur ihre eigene Party, sondern sie verbieten auch potentiellen Eindringlingen den Eintritt: Berlin! Es ist meine Stadt. Für euch gibt’s keine Party, [...] Geh, wohin du herkommst. Mach, dass du nicht wiederkommst.

Lokale Macht bedeutet innerhalb der Texte für die Bewohner eines benachteiligten Quartiers, dass sie in diesem Quartier eine räumlich begrenzte Macht gegenüber allen nicht Dazugehörigen besitzen: Hier können sie entscheiden, wer bleiben darf, wer akzeptiert wird. Vielleicht erreichen sie sogar durch die Angst der restlichen Gesellschaft ein wenig Macht über die Grenzen des Quartiers hinaus. Den Sprecher hebt seine besonders große lokale Macht in die Position des Ghetto-Helden, der allen voran seine lokale Gemeinschaft vor Eindringlingen und Angreifern beschützt, die eine Gefahr für das positive Erleben lokaler Identität darstellen. In »Berlin« wird die lokale Macht durch die Kriegsmetapher »Meine Stadt ist der Panzer auf dem Feld« sehr drastisch postuliert. Stadt wird demnach gleichzeitig als Waffe und Schutz auf einem Schlachtfeld um Anerkennung und Identität eingesetzt.

F AZIT

UND

AUSBLICK

In diesem Beitrag wurde HipHop als eine Kultur mit spezifischem Bezug zu sozialräumlichen Phänomenen beleuchtet. Das besondere Augenmerk lag dabei auf ihren Implikationen zur alternativen Herstellung lokaler Identität sozialräumlich ausgegrenzter Jugendlicher. Die in den analysierten Raptexten eingenommene Perspektive entwirft in überspitzter Form eine Innenansicht der im ersten Kapitel theoretisch beleuchteten Sozialisationseffekte eines benachteiligten Umfeldes nach Häu-

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ßermann/Siebel (2004). Die sozialen Effekte eines benachteiligten Quartiers werden zwar der Theorie entsprechend in den Raptexten reflektiert, anders als dort aber weniger problematisiert, da sie durch die Sprecher positiv umgedeutet werden. Eine zentrale Botschaft der Raptexte besteht darin, dass man an den schwierigen sozialräumlichen Bedingungen wächst (»hart wird«) und sie deshalb einen Grund darstellen, stolz zu sein. Der Stolz wird der häufig thematisierten Ausgrenzung und Stigmatisierung von außen entgegen gesetzt. Entsprechend des von Mikos (2000: 117 f.) herausgestellten Identifikationsangebotes des Gangsta-Rap wird in den analysierten Texten zum einen die Figur des »Ghetto-Helden« entworfen, der einen gesellschaftlichen Außenseiter verkörpert und als bewusste Abgrenzung gegen eine Gesellschaft fungiert, an deren Reichtum und Kultur der Sprecher der Texte nicht teilhat. Die Idealisierung des Lebens im benachteiligten Quartier wird durch eine spezielle Art der Abgrenzung getragen. Eine aggressiv über den Wohnort hergestellte soziale Distinktion schafft Distanz zu den nach mehrheitsgesellschaftlichem Maßstab erfolgreichen und mächtigen Bewohnern besser gestellter Quartiere und wertet sie ab. Dieses als zentrales Phänomen der untersuchten Texte herausgearbeitete Motiv führt die von Böllert (2001: 176) theoretisch dargelegten Abgrenzungsmechanismen Jugendlicher in benachteiligten Stadtteilen mit der Lesart des Identifikationsangebotes im Gangsta-Rap nach Kimminich (2003: 50 f.) zusammen. Durch die Nutzung von Selbststigmatisierung als selbststärkender Reaktion auf die Stigmatisierung von außen werden »Räume der Exklusion« (Häußermann/Siebel 2004: 140) umgedeutet in exklusive Räume, die nur Befugten zugänglich sind. Innerhalb der analysierten Texte ist der jugendliche Bewohner so sehr durch das marginalisierte Aufwachsen geprägt, dass die Integration in die Gesamtgesellschaft weder möglich noch erstrebenswert erscheint. In keinem der Texte wird eine reale Veränderung der Situation gefordert. Stattdessen nimmt der Sprecher die lokal begrenzte Identität eines GhettoHelden an, der eine alternative Ordnung des »Drinnen und Draußen« errichtet. Innerhalb dieser Ordnung werden allgemeine Wertvorstellungen negiert bis nur noch männliche Durchsetzungskraft und Härte übrig bleiben. Als Ghetto-Held ist der Sprecher eine starke Identifikationsfigur der Raptexte. Unabhängig davon, ob die entworfenen Bilder authentisch oder

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überzogen sind, erzählt der Gangsta-Rap Geschichten über die sozialräumlichen Verhältnisse von benachteiligten Jugendlichen und entwirft in diesem Kontext Heldenfiguren. Zunächst ist anzunehmen, dass die hier beschriebenen Motive und Figuren eine identitätsstiftende Funktion für die von Ausgrenzung betroffenen jugendlichen Hörer besitzen. Die Frage nach der Art und den Konsequenzen der Identifikation ist jedoch noch unbeantwortet. Denkbar wäre auf der einen Seite das Herausbilden von Selbstbewusstsein und lokaler Identität, die als aktiver sozialräumlicher Anspruch genutzt werden können. Jugendliche, die durch die Raptexte gestärkt und motiviert werden, könnten so eine Chance bekommen, sich mehr für ihre Zukunft und die ihres Quartiers zu interessieren und zu engagieren. Dies könnte beispielsweise in einer gezielten Artikulation politischer Forderungen münden oder in dem Bemühen, (zusammen mit anderen Bewohnern) die eigene Situation vor Ort zu verbessern. Auf der anderen Seite birgt das spezifische Identifikationsangebot der Gangsta-Rap-Texte auch eine Gefahr. Eine einseitige Orientierung an den in den Raptexten vorgelebten Handlungs- und Einstellungsmustern sowie der dort vermittelten Art der Abgrenzung könnte die eigene Ausgegrenztheit reproduzieren. Dies ist um so mehr als problematisch einzuschätzen, wenn diese Ausgegrenztheit mit der Eingegrenztheit auf eine von Sexismus, Gewalt und Kriminalität geprägte Lebens- bzw. Vorstellungswelt einhergeht. Mit diesen Überlegungen möchte ich mich jedoch keineswegs in die Reihe der eingangs angedeuteten moralischen Appelle und alarmierten Aufschreie einreihen. Vielmehr soll meine Untersuchung dazu anregen, sich gezielt und differenziert mit der Bedeutung der Sozialraumkonzeptionen des Gangsta-Rap für diejenigen Jugendlichen auseinanderzusetzen, die von sozialräumlicher Benachteiligung betroffen sind. Der an meine Arbeit anzuknüpfende Forschungsschritt wäre eine breitere Untersuchung der Rezeption der Texte. Diese sollte möglichst umfassend und differenziert der Frage nachgehen, wie die herausgearbeiteten Botschaften des Rap von seinen Hörern verstanden und genutzt werden.

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S OZIALRAUMKONZEPTIONEN IM B ERLINER G ANGSTA-R AP | 307

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Diskografie11: Bushido (2003): »Berlin«. Vom Album »Vom Bordstein bis zur Skyline«. Bushido/Fler (2003): »Vom Bordstein bis zur Skyline«. Von Bushidos Album »Vom Bordstein bis zur Skyline«. Fler (2006): »Identität«. Vom Mixtape »F.L.E.R. 90210«. Fler (2007): »Jungs im Viertel«. Vom Mixtape »Airmax Muzik«. B-Tight (2002): »Märkisches Viertel«. Vom Labelsampler »Aggro Ansage Nr. 1«. B-Tight (2004): »Mein Block gegenüber«. Von Sidos Maxi-CD »Mein Block«. Sido (2004): »Mein Block«. Vom Album »Maske«. Sido (2004): »Steig ein«. Vom Album »Maske«. Sido (2006): »Straßenjunge«. Vom Album »Ich«. Sido/Tony D (2004): »3 Leben«. Von Sidos Album »Maske«.

11 Alle angegebenen Alben und Tapes wurden bei dem Label Aggro Berlin veröffentlicht.

»The world is yours« Schlaglichter auf das Gangstermotiv in der amerikanischen Populärkultur K IMIKO L EIBNITZ UND M ARC D IETRICH

The acceptance of Scarface as a role model to achieve the American dream should scare the hell out of all of us. So completely has been its inculcation into both Hip-hop street life and the mainstream (and one could argue that Hip-hop is the mainstream right now) all parties interested in a deeper psychological understanding of the urban males’ seemingly pathological propensity for violent solutions need to first recognize that the Scarface is, in fact, a highly influential social phenomenon that has been influencing aggressive styles, behavior, and attitudes since 1983. Given these circumstances, and the rich history of cinema’s ability to inflict historical context, a discussion of why and how this phenomenon occurred is crucial at this point in American history, given the horrific «Scarface styled » violence that is ongoing in our inner cities. (Prince 2009: 12)

E INLEITUNG : P OP ODER R HIZOM

ALS INTERTEXTUELLES

P HÄNOMEN

Dass Pop einen ungemein komplexen Teil der populären Kultur darstellt, mögen wohl nur zwei Gruppen von Interessierten bestreiten: Zum einen jene, die Musik aus rein stimmungsbezogenen und ästhetischen Gründen rezipieren. Solche Rezipienten hören Musik, weil sie etwa den »positiven Vibe« zum Feiern schätzen, die angenehme Unverbindlichkeit als »Hinter-

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grundrauschen« mögen oder aber die generelle Option gutheißen, ein bestehendes oder anvisiertes Gefühl auditiv zu evozieren. Ebenso mag man sich – mit Blick auf die Bildwelt von Popmusikvideos – an bunten/düsteren, heiteren/melancholischen, eingängigen/verwirrenden bewegten Bildern erfreuen, sich einem Bilderrausch hingeben, der als »Oberflächenreiz« (vgl. Hecken 2009: 270-271) konsumiert wird, ohne dass damit tiefer gehende Assoziationen ausgelöst werden (sollen). Zum anderen gibt es solche Rezipienten, die populäre Kultur generell und damit auch Pop schlichtweg unterschätzen. Eine idealtypische Perspektive lässt sich etwa bei Adornos Bemerkungen zur Kulturindustrie finden. Populäre Produkte und auch solche, die heute unter »Pop« firmieren, werden dort als banal, substanzlos und tendenziell persönlichkeitsschädigend stigmatisiert. Das Populäre wird als scheinheiliges Produkt eines übermächtigen Medienapparates konstruiert, der den hilflosen Rezipienten mit seinen »intellektuellen Armutszeugnissen« einlullt und nahezu programmiert1. Während die erste Gruppe einen großen Teil des Poppublikums ausmachen mag (ohne dass dies irgendwie zu werten sei), gehört letztere Gruppe zu einer »aussterbenden Spezies«. Längst besprechen Kulturwissenschaftler an Universitäten Videos von Madonna oder neuerdings Lady Gaga und analysieren sie auf ihre performativen Akte, Genderkonstruktionen und gesellschaftsrelevanten Narrative. Die Etablierung der Cultural Studies, die eine Aufwertung des vermeintlich Banalen mit sich brachte, die Verhandlung von Pop im Feuilleton und die Adaption von Popverfahren in Film und Literatur gehören mittlerweile zum kulturellen Normalzustand. Vor diesem Hintergrund ist auch die These, dass es sich bei Pop um ein komplexes intertextuelles Gebilde handelt, das einem Netz ohne konkreten Ursprung und voller Heterogenität ähnelt, weder revolutionär noch weiter überraschend. Pop, der immerzu im Werden begriffen ist, in Strömungen

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Dazu exemplarisch Folgendes: »Nur darum kann die Kulturindustrie so erfolgreich mit der Individualität umspringen, weil in ihr seit je die Brüchigkeit der Gesellschaft sich reproduzierte. In den nach Schnittmustern von Magazinumschlägen konfektionierten Gesichtern der Filmhelden und Privatpersonen zergeht ein Schein, an den ohnehin keiner mehr glaubt, und die Liebe zu jenen Heldenmodellen nährt sich von der geheimen Befriedigung darüber, dass man endlich der Anstrengung der Individuation durch die freilich atemlosere der Nachahmung enthoben sei« (Adorno/Horkheimer 2003: 164-165).

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zerfällt und Phänomene produziert, die häufig genau so schnell wieder verschwinden, wie sie auftauchen, ist als »Rhizom« beschreibbar. Deleuze und Guattari verstehen darunter ein Gebilde, das »unaufhörlich semiotische Kettenglieder, Machtorganisationen, Ereignisse aus Kunst, Wissenschaften und gesellschaftlichen Kämpfen« verbindet (Deleuze und Guattari, zit. nach Frank 2004: 578). »Pop« als Rhizom zu betrachten steht für Anerkennung seiner »Konnexion und Heterogenität« (Deleuze/Guattari 1997: 16), für »Mannigfaltigkeit« (vgl.: 17-18), für »asignifikante Brüche« (vgl.: 19) und wendet sich gegen die Vorstellung einer reinen Reproduktion von Inhalten, Symbolen etc., wie es die Baummetapher der strukturalen Linguistik nahelegt (vgl.: 16). Pop zu konzeptualisieren heißt demnach, eine Karte zu erstellen, die ohne Stammwurzeln auskommt und auch anders konstruierbar wäre: »Die Karte ist offen, sie kann in all ihren Dimensionen verbunden, zerlegt und umgekehrt werden, sie kann ständig neue Veränderungen aufnehmen« (ebd.: 24). Pop kann aus dieser »offenen« Sicht also als ein Phänomen verstanden werden, das sich maßgeblich vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Diskurse und Konflikte dynamisch konstituiert und nicht losgelöst von diesen Faktoren interpretierbar ist. Der intertextuelle Ansatz ist selbstverständlich nicht neu, noch steht er dazu im Widerspruch: Schon im Werk des russischen Literaturtheoretikers und Philosophen Michail Bachtin erkennt Julia Kristeva folgende Perspektive: »Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes« (Kristeva 1996: 337). Was für die Literatur gilt, kann auch für andere Medien wie Filme, Videos oder Musik geltend gemacht werden – besonders dann, wenn man sie mit John Fiske als »populäre Texte« liest (vgl. dazu den Beitrag von Dietrich/Seeliger in diesem Band). Das Zitat, die Anlehnung, die Überschreibung, das Durchstreichen und Zuspitzen sind nur einige Figuren des Pop. Was verfahrensmäßig in der Literatur entstand, ist längst Teil des inszenatorischen Pools im Pop. Mittlerweile ist die parasitäre Aneignung von Verfahren der traditionellen Disziplinen (Literatur, Theater, Film) allerdings keine Einbahnstraße mehr. Im Gegenteil: Der Roman, Kinofilme und TVSerien bedienen sich aus dem ästhetischen und inszenatorischen Kosmos der Popmusik2. Der (einstige) Siegeszug von MTV hat seine Spuren in der

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Zu denken ist hierbei etwa an Bücher, die wie Alben strukturiert sind (High Fidelity von Nick Hornby), Filme, die Sequenzen einbauen, in denen der Musik-

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Unterhaltungskultur unauslöschbar hinterlassen: Die Genres stehen im ständigen Dialog. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit einer speziellen Form des Genreaustauschs – an dieser Stelle jedoch nur in eine Richtung. Es handelt sich schwerpunktmäßig um die Wirkung des Hollywood-Mob-Films der 1930er Jahre und seiner »populärkulturellen Kinder« auf die Bild- und Textwelt des Spartengenres Gangsta-Rap. Es wird zu zeigen versucht, dass jene typischen Figuren, Zitate und »Imagezeichen« (vgl. Hecken 2009: 298-301) des Gangsterfilms sich maßgeblich in einer der erfolgreichsten Musikrichtungen des Pop (unter gewandelten Vorzeichen) reproduzieren. Mehr noch: Sie werden ganz nach Maßgabe des Rapdiskurses, der das Zitat oder »Sample« immer auch als kreative Anverwandlung behandelt sehen möchte, verfremdet und neu kontextualisiert. Es handelt sich hierbei der Deleuze-Metapher folgend um nur eine Zugriffsweise auf die »Karte« des Gangsta-Rap. Die »Linien« könnte man auch früher oder anders ziehen – die hier gewählte Form der Linienführung schien uns jedoch zumindest einleuchtend.

G ANGSTER

UND O UTLAWS IN DER ANGLO - AMERIKANISCHEN

K ULTUR

Zweifelsohne ist der »Schurke«, »Abweichler« oder »Outlaw«, als den sich männliche Rapper in ihren Musikvideos und Songtexten oftmals inszenieren, keine Figur, den die (post-)moderne Unterhaltungsindustrie aus dem Nichts erschaffen hat. Zu den frühesten und prominentesten Vertretern dieses Typus zählt Robin Hood, der im Mittelpunkt eines Balladenzyklus steht, der bereits seit dem Mittelalter in England in Umlauf war und im frühen 16. Jahrhundert erstmals in Druckform erschien (vgl. Singman 1998: 12 ff). Robin Hood vereint bereits einige zentrale Eigenschaften in sich, die auch heute noch eine Vielzahl von Rappern zu verkörpern suchen: er ist ein gewaltbereiter Außenseiter, der mit einer Gruppe Gleichgesinnter ein Le-

einsatz und die Schnitttechnik kaum von Musikvideos zu trennen sind (Fight Club von David Fincher), oder TV-Serien, deren Bildgestaltung aus einem Rapvideo stammen könnte (CSI Miami, und die Rapvideos von Regisseur Hype Williams).

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ben jenseits der gesellschaftlichen Normen führt und mit dem Gesetz in Konflikt steht, dem zugleich aber auch Werte wie Ehre und Gerechtigkeitssinn wichtig sind. Die Sympathisierung mit einem Outlaw, die in der englischen Literatur bzw. Kultur offenkundig wird, lässt sich nicht zuletzt vor einem historischen Hintergrund erklären: bereits im Jahre 1215 begehrte der englische Adel gegen den König auf und setzte die Unterzeichnung der Magna Carta durch, die der Alleinherrschaft des Monarchen ein Ende setzte (vgl. Turner 2003: ix f.). Der Widerstand gegen ein als ungerecht empfundenes, ausbeuterisches Staatsoberhaupt findet in der amerikanischen Kultur seine Entsprechung im Unabhängigkeitskrieg, der von 1775 bis 1783 herrschte (vgl. Ward, 2003: 73-91). Die Anführer der Freiheitsbewegung, allen voran George Washington, galten den Briten als Aufrührer und Volksverhetzer, den eigenen Landsleuten jedoch als Vorbilder. Dieser Dualismus zwischen Held einerseits und Outlaw andererseits ist somit fest in der kulturellen Matrix der Vereinigten Staaten verankert. Etwa ein Jahrhundert später nimmt der amerikanische Held/Outlaw die Gestalt des Revolverhelden an, der den Westen zum »Wilden« Westen macht. Hierbei handelt es sich um Diebe, Bankräuber, Glücksritter und Wegelagerer, die teilweise hohen Bekanntheitsgrad erlangten. So sind Jesse James, John Wesley Hardin, Billy the Kid, Doc Holliday, Butch Cassidy oder die Dalton-Brüder historische Gestalten, die durch Erzählungen, Lieder und Spielfilme in die Populärkultur eingegangen und von dieser verfremdet, fiktionalisiert und dabei oftmals idealisiert worden sind. Ähnlich verhält es sich mit Gangstern, die einige Jahrzehnte später, in den 1920ern und 1930ern in den USA ihr Unwesen trieben; auch heute noch sind die Namen der bekanntesten Kriminellen jener Zeit, allen voran Al Capone, John Dillinger, »Pretty Boy« Floyd und Bonnie & Clyde, gemeinhin bekannt; sie wurden ebenfalls in Spielfilmen und/oder Liedern romantisch verklärt und teilweise zu tragischen Helden umgedeutet. Mit etwas Mut zur Abstraktion lässt sich sagen: Was diesen Texten gemeinsam ist, ist die »gebrochene« Ikonisierung eines Akteurs, der erfolgreich (s)einer Sache nachgeht und dabei im Lichte des Positiven bei gleichzeitiger Verwendung sitten- oder rechtswidriger Methoden gezeigt wird. Der Outlaw verweist in dieser Funktion auf die durchlässige Grenze umkämpfter Definitionen von Recht und Ordnung, Freiraum und Verbot. Eher selten findet man Figuren, die »von Natur aus« böse sind, stattdessen hat

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man es mit Akteuren zu tun, deren Handeln durch persönliche, psychologische oder soziale Faktoren beeinflusst wird. Der Antagonist ist immer nur der Gegenspieler oder das Gegenprinzip von etwas, das sich selbst zum Ideal erhebt, ohne dabei den universalistischen Geltungsanspruch konsistent einlösen zu können. Das Gute und Rechtmäßige soll für alle Bestand haben, die Schurken- und Outlawgeschichten verweisen auf die Unzulänglichkeit dieses Anspruchs und den Reiz der Transgression. Diese Form der Ikonisierung, die Verquickung von Gut und Böse, die oftmals als Kampf mit sich selbst und der Umgebung gezeigt wird, dominiert nicht nur den Mobfilm, um den es in der Folge gehen wird, sondern auch das zeitgenössische Kino. Der einstige Held als Personifizierung des Guten und Richtigen, der auch früher zwar die ein oder andere »menschliche Schwäche« offenbarte, ist heute in erster Linie gebrochen und latent von Grenzübertritten, Moralverletzungen oder gewalttätigen Ausbrüchen bedroht. Der zeitgenössische Held ist immerzu auch Anti-Held3.

(E INE ) S OZIOLOGISCHE R ELEVANZ

DES

G ANGSTERS

Worin aber mag neben den eingangs angeführten abstrakten Funktionen des Outlaws seine soziale Relevanz und Attraktivität liegen? Vereinfacht lässt sich sagen: Er dient mit Blick auf die Rezeptionsebene einerseits als (evtl. subversiv wirkende) Projektionsfläche bzw. Identifikationsfigur und andererseits als Negativbeispiel, das verurteilt und »normenstabilisierend« der gerechten Strafe zugeführt werden kann. Im engeren soziologischen Sinne kann der Verbrecher als »Abweichler« beschrieben werden, der in den fiktiven Produkten als partielles Opfer des Missverhältnisses von kulturell definiertem Anspruch und sozial abgesegneten Mitteln in Erscheinung tritt. Der Parsons-Schüler Robert K. Merton nennt in seinem soziologischen Klassiker Soziologische Theorie und

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Einer der letzten Helden des zeitgenössischen Kinos mag hier als Exempel gelten: Der von Daniel Craig gespielte James Bond in »Quantum of Solace« trägt schwer an persönlichen Rachegedanken und übertritt das Gesetz radikaler als zuvor. Der Kampf zwischen Gut und Böse »innerhalb« der Heldenfigur wird im Kino zumeist zwar zugunsten des letzteren entschieden, die antagonistischen Kräfte jedoch attackieren sich mehr denn je auf Augenhöhe.

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soziale Struktur folgende Konstellation als tragisches Moment für den der »Anomie« verfallenen Akteur: »Anomie wird demnach als ein Zusammenbruch der kulturellen Struktur verstanden, zu dem es insbesondere dann kommt, wenn zwischen den kulturellen Normen und Zielen und den sozial strukturierten Fähigkeiten der Gruppenmitglieder zu einem normenkonformen Handeln eine scharfe Trennung besteht. Nach dieser Auffassung können die kulturellen Werte zur Entstehung eines Verhaltens beitragen, das im Widerstreit zu den Geboten eben dieser Werte steht« (Merton 1995: 156).

Kurz: Wer nach einem Ziel strebt, das kulturell starke Verbindlichkeit besitzt und dem im Zuge dieses Strebens die sozial »erlaubten« Verfahren dafür nicht zu Verfügung stehen, der bewegt sich schnell auf abseitigen Wegen der Zielerreichung4. Bevor der konkrete Bezug zum Scarface-Film hergestellt wird, lässt sich vorab sagen, dass das Opfer dieser Konstellation innerhalb des Plots im Modus der »Innovation« agiert, weil es »die Ablehnung der institutionellen Praktiken unter der Beibehaltung der kulturellen Ziele« (ebd.: 169) aufweist. In einem schlechten Falle werden also die kulturell verbindlichen Ziele akzeptiert, die Mittel zur Erreichung jedoch abgelehnt (bzw. als nicht verfügbar bewertet). Konkret auf den vorliegenden Zusammenhang übertragen, lässt sich folgern, dass die in den Outlaw-Narrativen entfalteten Aufstiegskarrieren diesem besonderen Fall der Anomie unterliegen. Die Figuren streben nach dem sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg wie viele ihrer nicht kriminellen Zeitgenossen, sehen sich allerdings in einer Ausgangssituation befangen, die die sozial erwünschten Handlungsoptionen (Bildung, Durchsetzung auf dem Arbeitsmarkt etc.) als abseitig erscheinen lassen. Tony Camonte, der Protagonist aus dem Original-Scarface-Film von 1932, um den es in der Folge gehen wird, steht genau wie sein Nachfolger von 1983 vor dem Problem, einem bildungsfernen Milieu angehörig zu

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Hier handelt es sich jedoch nicht um einen Strukturdeterminismus, den man Merton manchmal anhängt. Neben der abweichenden Handlung entwirft der Soziologe noch weitere Handlungsalternativen: Konformität, Ritualismus, Apathie, Rebellion (vgl. ebd., S. 169-183). Die Anomietheorie mag zwar etwas einseitig erklären, wie kriminelle Handlungen entstehen, der deskriptiven Kraft für den vorliegenden Zusammenhang tut dies aber keinen Abbruch.

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sein, in einem Klima des gesellschaftlich verfestigten Rassismus zu leben und trotzdem den Weg des Selfmade Man gehen zu wollen. Der amerikanische Traum – jenes sozial enorm bedeutsame Narrativ vom Mittellosen, der es aus eigener Kraft und mit subjektiven Anstrengungen zum respektierten Wohlstandsmenschen bringt – bietet in Geschichten wie diesen den kulturellen (Sub-)Text für die Strategien der Protagonisten. Auch Merton weist explizit darauf hin, dass der finanzielle Erfolg »als ein dominantes Motiv in der amerikanischen Kultur betrachtet« werden kann und »Druck […] auf unterschiedliche Positionen in der sozialen Struktur ausübt« (ebd.: 160). Karl Dieter Opp, ebenfalls Soziologe und Vertreter einer Devianztheorie, knüpft an Mertons Konzeption mitunter an, abweichendes Verhalten kann vereinfacht wie folgt skizziert werden: »Je intensiver, die für die Ausführung einer Klasse von Handlungen relevanten Ziele von Personen sind, Je weniger intensiv die für die Realisierung dieser Ziele relevanten legitimen regulierenden Normen für bestimmte konforme Handlungen aus der genannten Klasse von Handlungen sind, Je intensiver die für die Realisierung dieser Ziele relevanten illegitimen regulierenden Normen für bestimmte abweichende Handlungen aus der genannten Klasse von Handlungen sind, Je geringer die Möglichkeiten sind, die Ziele gemäß den legitimen regulierenden Normen zu erreichen, Je größer die Möglichkeiten sind, die Ziele gemäß den illegitimen regulierenden Normen zu erreichen, desto eher werden Personen die abweichenden Handlungen ausführen (Opp 1974:132-133)«

Wenn Opp also die situativen Faktoren skizziert, die eine abweichende Handlung auszulösen vermögen, dann können diese Einflüsse gut im Plot von Scarface beobachtet werden. Tony ist in vielerlei Hinsicht ein Akteur, der dem von Merton und Opp erarbeiteten Modell ein illustres Beispiel abgibt. Der folgende Abschnitt versucht, die Figur anhand des Modells zu beschreiben und Parallelen zu den über den »Epitext« (Genette, vgl. dazu den Artikel von Dietrich in diesem Band) verbreiteten biografischen Situationen der Gangsta-Rapper herauszustellen.

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S CARFACE »Scarface«, zu deutsch »Narbengesicht«, war der Spitzname des italienisch-stämmigen Unterweltbosses Al Capone. Sein Leben gilt als Folie und Vorlage für den Film »Toni, das Narbengesicht« (so der deutsche Titel). Antonio »Tony« Montana lautet der Name des Protagonisten in Brian De Palmas Remake des Howard-Hawks-Klassikers von 1932. Das Etikett »Remake« zeigt sich in diesem Kontext einmal mehr als unzureichender Beschreibungsterminus: So lehnt sich der Film von 1983 zwar stark an den Grundplot, einige Motive und Figurenkonstellationen an, setzt darüber hinaus jedoch eine Reihe von Akzenten, die ihn als ganz selbstständiges Kunstwerk in Erscheinung treten lassen. Toni, wie auch im Original, ist ein Mann des organisierten Verbrechens, aber auch ein Mensch mit Migrationshintergrund, der in der US-amerikanischen Gesellschaft mit rassistischen Diskursen konfrontiert ist und seinen Traum vom schnellen Aufstieg mit kompromisslos-brutalen Methoden umzusetzen weiß. Wenn bei Hawks der Protagonist jedoch als mitunter charmanter und wortgewandter Sonderling auftritt, so legt De Palma diese Charakteranwandlungen zugunsten einer grundlegenden Gefühlskälte zur Seite. Ähnliche Eingriffe in die Vorlage lassen sich in vielerlei Hinsicht ausmachen: Auch der Toni im Original geht über Leichen, malträtiert seine Mutter und unterdrückt seine Schwester, stellt sein eigenes Glück in den Mittelpunkt und muss dafür bitter bezahlen – all dies kommt aus heutiger Sicht jedoch mit einer gewissen Harmlosigkeit daher. Die 50 Jahre Filmgeschichte, die Hawks und De Palma trennen, haben nicht nur den Farbfilm, visuelle und auditive Nachbereitungseffekte sowie eine ganze Palette drastischer inszenierter Genrefilme hervorgebracht, sondern auch die Erregungsschwelle des Zuschauers deutlich heraufgesetzt. Das Rezept, das die Neuauflage zur Grundlage hat, liegt (1) in der Verschärfung bereits angelegter politischer bzw. sozialer Diskurse, (2) der »Angleichung« des kriminellen Ereignisses mit Blick auf die Zeit, (3) der Radikalisierung der Hauptfigur. Konkret bedeutet dies, dass der nur am Rande präsente Migrantenstatus der Originalfigur zu einer zentralen Variable im filmischen Geschehen wird: Toni Camonte, der italienischstämmige Patriarch der Familie, dem klischeeartige Formeln wie »molto bene« in den Mund gelegt werden, wenn die Pasta der Mutter gut geraten ist, hat mit dem testosteronge-

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schwängerten Castro-Gegner Montana nur noch wenig gemein. Toni Montana ist Kubaner und damit Teil der Exil suchenden »Massen«, die in den 1980er Jahren vorzugsweise in Miami (wo der Plot sein Setting hat) ihr Glück im »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« suchen. Die »Auffanggesellschaft« geizt dann auch nicht mit rassistischen Stigmatisierungen schon bei der Anreise und erlaubt dem Ankömmling, der geraume Zeit in einem Flüchtlingslager verwahrt wird, zunächst nur einen Job als Tellerwäscher. Schon hier kann eine Grund-Bewegung der Hauptfigur ausgemacht werden, die symbolisch für den späteren Karriereverlauf einsteht. Montana kann als Akteur verstanden werden, der wenig oder keinen Zugang zu kulturell legitimierten Methoden des Aufstiegs hat oder sieht. Tony schmeißt den Tellerwäscher-Job hin und ergreift die Chance, sich über ein KokainGeschäft Zugang zur kriminellen Szene und potentiellem Wohlstand zu eröffnen. Zum Millionär möchte er werden – die Tellerwäscherstation überspringt er gleich in seinem ganz persönlichen amerikanischen Traum. Ein Leben wie der durchschnittliche Exilkubaner an der Burgerbude in Little Havanna möchte er nicht führen. Der Akteur verfolgt demnach auf intensive Weise ein Ziel (Aufstieg, Wohlstand in einem Land, das ihm als »grenzenlos« erscheint). Dieses Ziel sieht er schon im Auffanglager, welches als Ort der Stagnation und Unzulänglichkeit präsentiert wird, blockiert. Der Plot macht in seinem späteren Verlauf deutlich, dass Toni bereits auf Kuba illegalen Machenschaften nachgegangen ist. Mit der Akzeptanz konformer Normen ist es also nicht weit her beim aufstrebenden Exilkubaner, der die Heimat aufgrund der mangelnden Aufstiegschancen unter dem CastroRegime verlassen hat. Umso mehr wird er in Amerika mit Optionen zum Aufstieg auf kriminellem Wege konfrontiert. Ein Auftragsmord mit der Aussicht auf weitere »Beschäftigung« ist der erste Schritt auf der »Karriereleiter«. Mit Opp ließe sich sagen, dass in der Tat die legitimen regulierenden Normen als wenig verbindlich erlebt, dafür aber mehrere abweichende Handlungsmöglichkeiten im Sinne illegitimer regulierender Normen perzipiert werden. Schon auf dieser Ebene der Exposition findet man die Eckpfeiler einer Konstellation, die Merton und Opp als ursächlich für abweichendes Verhalten erachten. Montana hat eine gewisse kriminelle Affinität, verfolgt intensiv ein Ziel, das er für kulturell verbindlich hält, ist mit zahlreichen Handlungsoptionen der Abweichung konfrontiert und schätzt den

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Handlungserfolg auf legalem Wege (Arbeit in einem Imbiss) schnell als unzulänglich ein. Bereits die erste halbe Stunde des fast 2,5 Stunden umfassenden Filmes zeigt die sich vollziehende Weggabelung zu Gunsten der Kriminellenkarriere – ein Aspekt, der im Fortlauf des Films zu einer Gewalt- und Verbrechensspirale immer weiter ausgearbeitet wird. Bei der Darbietung des Verbrechens setzt der Film ganz auf den Zeitgeist: Die 1980er, die häufig als das »golden age of cocaine« stilisiert werden, bieten den Hintergrund für die Aufstiegskarriere – es geht nicht mehr um die Prohibition, Schnapsschmuggel und Erpressung in Chicago, sondern um internationale Vernetzung im Drogengeschäft, Korruption und das rockstarähnliche Leben eines Drogenbosses vor Miamis karibisch-urbaner Kulisse. Montana ist Yuppie, 24-Stunden-Unterehmer, ein Killer mit Faible für schicke Autos, Rausch und Frauen. Wo das Original den Plot im Stadtmilieu der South Side Chicagos ansiedelt und lokale Bars für die kriminellen Machenschaften eingespannt werden, da reist der Protagonist bei De Palma im Privatjet für lukrative Deals nach Chile, erledigt die kolumbianische Konkurrenz und geht Verbindungen mit südamerikanischen Staatsoberhäuptern ein. Das Verbrechen hat expandiert, und Tony Montana ist eine wichtige Figur in dieser Form der »globalen Vernetzung«. Mit der Expansion des Verbrechens und der zunehmenden Härte des Geschäftes, die De Palma mit seinem Film diagnostiziert, wird auch die Hauptfigur einer intensiven Radikalisierung unterzogen. Menschliche Regungen zeigen sich nur im Rausch und auch dann nur in pervertierter Form. Die instrumentelle Haltung gegenüber allem und jedem lässt die Grenze zwischen Geschäftswelt und Privatleben, Hyperrationalismus und Emotion erodieren. In Montana spiegelt sich der Raubtierkapitalismus in seiner brutalsten Form. Wer nicht pariert oder gewinnmaximierend profitabel ist, wird verdrängt, unschädlich gemacht oder zumeist gleich getötet. Am Ende hat sich der Protagonist zwar als Unternehmer und Drogenbaron etabliert und ist aufgestiegen, genießt alle Luxusvorzüge die der unbarmherzige Kurs ihm beschert hat, ist aber doch ein Gefallener. Verschanzt in einem gepanzerten Anwesen, umgeben von Koksbergen, denen er längst anheim gefallen ist, Prunk und Geld, hat er nicht nur die Steuerfahndung und die einstigen Verbündeten zum Feind, sondern auch seinen besten Freund Manny erschossen. Als seine kleine Schwester, die Manny zum Mann nehmen wollte, im Kugelhagel der anstürmenden Drogenguerilla stirbt, hat Toni alles verloren: Sein Geschäft, seine Freiheit und diejeni-

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gen, die ihm bis zuletzt die Treue gehalten haben. Gepusht vom Koks und aufgebracht vom Verlust geht er zum Gegenangriff über und reißt einige Widersacher mit schwerer Artillerie in den Tod, bevor er selbst von seinem einstigen Geschäftspartner Sosa in den Rücken geschossen wird. Soviel zum Plot. Wir möchten in der Folge die These vertreten, dass es die Inszenierung von 1983 ist, die das narrative, motivische, symbolische und ästhetische Reservoir für die Selbstdarstellungen von Gangsta-Rappern darstellt. Damit soll nicht geleugnet werden, dass De Palmas Scarface sicherlich in der Tradition seiner Vorlage steht und auch die Figur des Outlaws einer reichhaltigen Kulturtradition entlehnt ist. Im Blick behalten muss man jedoch, dass die Verweise – wie noch in der Folge deutlich werden soll – explizit auf das Remake verweisen. Dass es sich bei den Adaptionen und Neukontextualisierungen im USRap keineswegs um rein mimetische Zugriffe handelt, zeigt schon das kursierende Genre-Label »Gangsta-Rap«. Die Schreibweise »Gangsta« setzt einen ganz eigenen Akzent schon auf der Ebene des Signifikanten und tauscht das herkömmliche »er« durch ein »a« aus. Was in diesem Kontext für das Wort »nigga«, einer ebenfalls anverwandelten Form eines hegemonialen Begriffes, gilt, ist auch für den Typus Gangsta charakteristisch: Man stellt auf der Zeichenebene eine gewisse inhaltliche Nähe zum Ursprungskonzept her, macht aber mit der eigenen Modifikation auf Brüche und Distanz zum Original aufmerksam. Gangsta-Rap ist demnach kein Rap, der die Grundelemente des Gangsterfilms reproduziert, sondern sie vor dem Hintergrund einer ganz eigenen sozialen, politischen und kulturellen Ausgangssituation neu besetzt. Wenden wir uns der Filmfigur noch einmal in seiner basalen Beschaffenheit zu: Tony Montana ist (1) ein Flüchtling des Castro-Regimes. In dem Land seiner Wahl, das er verschiedentlich und gerade zu Beginn als Land der Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten preist, hofft er, dem sozialistischen Kontrollapparat mit seinen nivellierenden Handlungsimperativen zu entkommen. Das dekadente Miami mit seinen Straßenkreuzern, leicht bekleideten Strandschönheiten und bunter Art-Deco-Architektur verheißen ihm Mobilität, erotische Abenteuer und Abwechselung. Die Zeichen in seiner neuen Wahlheimat liest er folglich als Einladung zur »Anteilhabe am System der hegemonialen Zeichen« (vgl. Friese in diesem Band). »The world is yours« steht auf einem Werbeplakat in Neonschrift geschrieben,

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und es ist genau dieses Credo, das Tony fortan antreibt – so sehr, dass es in seiner Luxusvilla zentral platziert wird. Bevor einige praktische Beispiele gegeben werden, lässt sich eine These zum bereits Skizzierten formulieren: Der afroamerikanisch dominierte Gangsta-Rap identifiziert sich teilweise stark mit der Montana-Figur, da sie in eine biografische und sozial-kulturelle Ausgangsposition eingesponnen ist, die derjenigen vieler Genrevertreter nicht unähnlich zu sein scheint. Rapper wie Kool G Rap5, Mobb Deep6 oder Krumb Snatcha geben an, eine Jugend in Armut verbracht zu haben, ihre Lyrics sprechen von einer Jugend in der Perspektivlosigkeit der »Projects«. Der »Nigga« wird zum Synonym des sozial abgehängten Outlaws konstruiert: 13 years in the projects, my mentality is what, kid you talk a good one but you don’t want it sometimes I wonder do I deserve to live or am I going to burn in hell for all the things I did no time to dwell on that ’cause my brain reacts (Havoc, in »Shook Ones Part II« von Mobb Deep, vgl. http://www.elyrics.net/ read/m/mobb-deep-lyrics/shock-ones-%28part-2%29-lyrics.html)

Der »Street-Hustle« und die Karriere im Drogenmilieu werden regelmäßig auch von denen als biografische Station erwähnt, die mittlerweile den Aufstieg geschafft haben (Jay-Z, T.I., Ice-T). Die Musiker sind zudem, wie es Mobb-Deep-Rapper Prodigy programmatisch auf einem Solo-Album fasst, »Product of the eighties«. Wenn Montana die Drogen für die weiße Oberschicht liefert und aufgrund seiner kubanischen Abstammung diskriminiert wird, so mag man sich als Jugendlicher in Queensbridge (Queens, New York) mit der legendären »Crack Era« sowie einer nicht gerade pro-black orientierten Politik der ReaganAdministration konfrontiert gesehen haben (vgl. dazu im Detail Rose 2008: 42–52). Raptexte dokumentieren, dass man sich als Ausge-stoßener in einem Land fühlt, das jenseits der »low wage jobs« für Schwarze nur den Drogenhandel oder andere kriminelle Wege zu kennen scheint. In dieser Hinsicht sind also die Geschichten von Toni, dem Narbengesicht, und vie-

5

Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Kool_G_Rap#Biography

6

Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Mobb_Deep)

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len Gangsta-Rappern durch ähnliche Eckdaten geprägt. Kurz: die fiktive Biografie bietet als abstrakter Plot reichlich Identifikations- und Projektionsraum für Afroamerikaner, die in den Metropolen der 1980er Jahre aufgewachsen sind. Mit der Hauptfigur liegt also ein Charakter vor, der (2) einen Migrationshintergrund aufweist und von ähnlichen Diskursen, Problemen und Konflikten umgeben ist wie seine afroamerikanischen »Adepten«. Zu dieser Konstellation tritt folgendes hinzu: Bei Tony Montana handelt es sich (3) um eine Figur, die ein Aufstiegsnarrativ trägt und aus aussichtloser Position zum gemachten Mann wird. Dabei sichert er seinen Status durch eine Form von (4) »Hypermaskulinität« und (5) Milieuverbundenheit. Neben der Grundüberzeugung, man müsse seine Ziele mit der Faust und der Waffe durchsetzen, zeigen sich machistische Anwandlungen in fast jeder Szene: Der Heiratsantrag an die Frau seines einstigen Bosses und Ziehvaters wird imperativisch vorgetragen, Frauen (und Männer) werden bei Zuwiderhandlungen beschimpft und gefügig gemacht, jeder Mann, der auch nur in die Nähe der Frau oder Schwester gerät, setzt sein Leben aufs Spiel. Tony Montana ist die Potenzierung von all dem, was Männern stereotyp zugeschrieben wird: Aggressiv, misstrauisch und ignorant. Der anfängliche Kapitalismusverehrer fällt in das zumindest oberflächlich zivilisierte Miami ein wie ein Barbar. Diese Haltung ändert sich auch nicht, als der äußerliche Versuch zur Integration im bürgerlichen Milieu angestrebt wird und der protzige Cadillac gegen einen silbernen Porsche eingetauscht wird, der Maßanzug den Disco-Look ersetzt. Montana ist aus diesem Blickwinkel eine Figur, die sich selbst (im schlechtesten Sinne) »treu bleibt«: Von den Bossen wird er explizit als jemand hervorgehoben, »den man besser auf seiner Seite hat«, der letztendlich aber ein »Proll« (so die wiederholte Titulierung) ist und bleibt. Der Mann aus ärmlichen, proletarischen Verhältnissen wird als Figur angelegt, die ihren Habitus nicht hintergehen kann und in der vermeintlich zivilisierten Welt »Respekt« nur aufgrund ihrer damit verwobenen Kompromisslosigkeit erhält. Der Glaube an sich selbst als Subjekt, dem alles durch eigene Anstrengung gelingen kann, und das Verharren auf dem Straßencode geschäftlicher Aufrichtigkeit (Montana: »Scheiß niemals jemanden an«) machen die Figur zu einer ganz besonderen Kreatur des Kriminel-

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len, der dem amerikanischen Traum nachjagt. Die Spitze des Erfolges wird auf Basis des Habitus und den verbundenen Überzeugungen erklommen. Die Burgerbude ist in weite Ferne gerückt – zwischen ihr und dem Anwesen des »Großunternehmers« steht ein gewaltiger Kokain-Berg. Montana ist aus dieser Sicht die Personifizierung des Exkludierten, der die Merkmale und Codes des exkludierten Stamm-Feldes nutzt, um an den Zeichen des Wohlstandes teilzuhaben. Es ist genau diese Geschichte, die unzählige Male im Gangsta-Rap erzählt und durchdekliniert wurde7. Würde man sich die Aufgabe stellen, die semantische Qualität von Gangsta-Rap als kleinsten gemeinsamen Nenner zu formulieren, so wäre es jene Story vom Aufstieg aus dem exkludierten Feld nach den Regeln dieses Feldes. Das Narrativ hat im Grunde genommen dann auch nur zwei potentielle Ausgänge: Die reine Erfolgsstory, die Etablierung »on top«, oder aber den »Absturz« im Sinne eines »rise and fall«.

G ANGSTA-R AP Es bedarf keiner fundierten Recherche, um die expliziten Anknüpfungen von Rappern an die Gangster- und Mafiaprotagonisten zu erkennen. Dabei mischen sich Realität und Fiktion als Referenzpunkte der Selbstinszenierung recht häufig: Der Dogg-Pound-Rapper Kurupt betitelt sich in Anlehnung an den wirklichen Mafiapaten John Gotti als »Young Gotti«, Rapper Capone von CNN bedient sich augenscheinlich bei Al Capone, während The Infamous Mobb (eine Crew um die Gruppe Mobb Deep) und Three 6 Mafia sich nur an den Organisationsformen des Gangstertums Inspiration für die Namensgebung verschaffen. Der Houstoner Rapper Scarface hat gar

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Manche Videos sind schlicht nicht mehr vom Gangsterfilm zu trennen, wenn man den Ton ausstellt. Dies trifft auch auf die Narratologie und die Ästhetik zu: In 50 Cents Video zu »Crime Wave« wird ein Plot entfaltet, der krimiartig Szenarien an verschiedenen Orten mit obligatorischen Orts-Untertiteln anbietet. Das Video folgt offenkundig einem Erzählformat, dass dem zeitgenössischen Gangsterfilm entnommen ist. (http://www.worldstarhiphop.com/videos/video.php?v= wshh9rh2DFpizwSdMwKX).

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sein gesamtes musikalisches Schaffen an der Montana-Figur orientiert (vgl. Prince 2009: 128). Des Öfteren lassen sich allerdings auch Inszenierungen beobachten, die nicht direkt im Namen mit der Referenz auf fiktive oder tatsächliche Gangsterfiguren überschrieben sind. In der Folge möchte ich einen kurzen Einblick in die Bildwelt des Gangsta-Rap gewähren, die das Spiel mit dem Gangstermythos verschiedenartig illustriert. Auch mit textuellen, narratologischen und ästhetischen Vereinnahmungen des Gangster-Symbolkosmos möchte ich mich kursorisch beschäftigen, um zum Abschluss ein Beispiel aus dem Musikvideo »Mobsters« von Krumb Snatcha zu liefern, dass eine ganz eigene Aufbereitung des Gangsterthemas im Rap lanciert8. Analysen Kool G Rap Der Musikjournalist Tobias Kargoll hat es in dem deutschen HipHopMagazin Juice einmal so formuliert: »Wenn man in den Achtzigern geboren wurde, hat man sein ganzes Leben lang Kool G Rap gehört, selbst wenn man ihn eigentlich nie gehört hat. Ghostface Killah und Raekwon sind Kool G Rap, Nas und AZ sind Kool G Rap. 2Pac klang mal ähnlich, Biggie war Kool G Rap und Jay-Z irgendwie auch. Gangsta-Rap ist Kool G Rap, bis hin zu The Clipse und dem Tag, an dem Rick Ross schließlich Kool G Rap so übertrieb, dass man sich fragte, ob das wirklich noch Rap, wirklich »G« und vielleicht trotzdem kool war« (Juice 2011, S. 57).

Der Rapper aus Queens kann also nicht nur als Architekt des Genres betrachtet werden, sondern auch als Einflussgröße für heutige Protagonisten und als Verantwortlicher für die Sparte »Mafioso-Rap« (ebd., S. 58). Schon ein Blick in das Video »Road to the Riches« (1989) lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, welche populärkulturelle Vorlage zur Selbstinszenierung dient (http://www.youtube.com/watch?v=hNqTz2mMwNE).

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Im Grunde verlangt jeder einzelne der hier nur gestreiften Beiträge eine extensive Analyse. Dies kann an dieser Stelle leider nicht geleistet werden. Stattdessen möchte ich mich auf einige Schlaglichter und ihre Basisfunktionen und Qualitäten beschränken.

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Fotogramm 1

Fotogramm 1.1.

Fotogramm 1.2.

Der Rapper stützt sich maßgeblich auf den De-Palma-Film und den Protagonisten Tony Montana. Vor dem Poster, das als intertextueller Verweis den Akteur schon in eine inhaltliche Nähe zum Drogenboss setzt (Fotogramm 1) werden die Deals abgewickelt, die zu Beginn noch auf der Straße über die Bühne gehen. Das Video orientiert sich auch in Bezug auf den Plot an der filmischen Vorlage: Der »Street Hustle« wird zunächst belohnt (Fotogramm 1.1.). Der finanzielle Aufstieg dokumentiert sich auch in der Mode (Anzug löst Streetwear ab) und anhand des Settings (komfortables

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Büro mit prestigeträchtiger Cognacflasche statt Straßenecke). Auch die Tatsache, dass die Weggefährten nun ebenfalls in Anzügen zu sehen sind, die jenen der 1930er-Jahre-Gangsterfiguren nicht unähnlich sind, verweist auf eine kriminelle Vereinigung. Aufstieg, Expansion und Professionalisierung werden anhand weniger Szenen und auf Basis bereits bekannter Stilfiguren aus dem Genrefilm vollzogen. Das »G« im Namen des Rappers, das ursprünglich für »Genius« stand, wird so leicht mit einem »G« für »Gangster« identifiziert. Daran ändert auch die letztendliche Festnahme des Gangsta-Rappers (Fotogramm 1.2.) nichts. Hier schließt sich der intertextuelle Verweis zu Scarface auch auf der Ebene der finalen Botschaft – crime does not pay. Die Textebene weist in eine ganz ähnliche Richtung. Fast identisch sind die hier vom lyrischen Ich ausgeführten Etappen der Karriere. Die aussichtslose Erwerbssituation in einem »low-wage-fast-food-job« ohne Aufstiegsperspektive steht zu Beginn des Narrativs (exakt wie bei Tony Montana): Some nights I shedded tears while I sent up prayers Been through hard times, even worked part time In a seafood store sweepin floors for dimes I was sort of a porter takin the next man’s order Breakin my back for a shack for headquarters? All my manpower for four bucks an hour

Der Traum scheint auf diesem Wege verbaut. Der Wunsch nach Reichtum verlangt zur Realisierung eine andere »road«. Die Einstellung des Hustlers macht sich das lyrische Ich zu Eigen: When I was five years old I realized there was a road At the end I will win lots of pots of gold Never took a break, never made a mistake Took time to create cos there’s money to make To be a billionaire takes hard work for years

Diese Einstellung, die Montana als Inbegriff des unaufhörlich strebenden Kriminellen teilt, kanalisiert sich hier im Crack-Handel – es wird nicht für die reiche Oberschicht geliefert, sondern für die »street clientel« (»I used to

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stand on the block sellin cooked up rock/Money bustin out my sock cos I really would clock«). Schon hier erkennt man die Umakzentuierung: Die Straßen von Queens sind eben nicht das oberschichtsgeprägte Miami. Das Video zeigt Akte des Transfers, die zwischen Schwarzen an der Straßenecke durchgeführt werden, keine Deals im internationalen Maßstab. G-Rap ist der Straßenhustler im grauen Großstadtdschungel mit der Mentalität eines Tony Montana und ähnlicher biografischer Ausgangssituation. Die »road to the riches« wird vor dem Hintergrund einer ausweglos erscheinenden Arbeitssituation und einer reizvollen Alternativroute begangen. Wenn das Ziel als verbindlich erlebt wird, legale Wege versperrt scheinen und deviante Optionen vielversprechender wirken, dann begeben sich Montana und sein popkultureller Zögling auf die Bahn der Anomie. Ein Unterschied, der sich im Resultat niederschlägt, liegt jedoch in der Perspektive des Erzählers: Während der Zuschauer Tonys Aufstieg gleichsam auf Schritt und Tritt folgt, berichtet das lyrische Ich in der Retrospektive und weiß das drohende Unheil rückblickend zu erkennen: Didn’t want to be involved but the money will getcha Gettin richer and richer, the police took my picture But I still supplied, some people I knew died Murders and homicides for bottles of suicide Money, jewery, livin like a star And I wasn’t too far from a jaguar car

»Geld« wird hier als drogenartig wirkendes Phänomen beschrieben (»will getcha«). Während man damit beschäftigt ist, die Früchte des Erfolgs zu ernten (»Money, jewery, livin like a star«), landet man auf dem Radar der Ordnungsmacht (»the police took my picture«). Die Metaperspektive des lyrischen Ichs erlaubt dann auch schonungslose Einblicke in das Tagesgeschäft (»But I still supplied, some people I knew died/Murders and homicides for bottles of suicide«), die aber wie im Film als notwendiges Übel zur Erreichung des Ziels akzeptiert werden. Sind die entfalteten Stationen des Kriminellendaseins ohnehin schon mit Scarfaces Weg vergleichbar, so wird die Selbstinszenierung in der Folge noch expliziter.

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In a small-time casino, the town’s al pacino For all of the girls, the pretty boy valentine I shot up stores and I kicked down doors Collecting scars from little neighbourhood wars Many legs I broke, many necks I choked And if provoked I let the pistol smoke

In konzentrierten Lines wird der eigene Status im Feld der Unterwelt skizziert: Man ist »the town’s al pacino« – der Scarface im Milieu der Verbrecher. Auf diese Weise knüpft man über das metaphorische Namedropping an populäre Diskurse um den Schauspieler Pacino an. Im vorliegenden Kontext kann der Autor der Lyrics auf das verstehende Anknüpfen des Rezipienten und seine Vorstellung von Pacinos Scarface-Performance hoffen. Die qualitative Wirkung der Selbstinszenierung erfüllt sich also besonders bei jenen, die »dieselben konjunktiven Erfahrungsräume« aufweisen (Bohnsack 2009: 18). Präzisiert wird der intertextuelle Verweis auch mit der Narben-Episode (»collecting scars from little neighbourhood wars«). Wie Montana gerät das lyrische Ich zum Verfolger des devianten Weges unter Akzeptanz gewalttätiger Handlungen (»Many legs I broke, many necks I choked/And if provoked I let the pistol smoke«). Die martialischen Ausbrüche und eventuelle Bedenken werden wie im Film-Plot von dem Gefühl, der Familie einen Dienst zu leisten, aufgefangen (»In the first time in my life loanin money to dad«). Der Gangsta ist ganz wie der Gangster wertkonservativ, d.h. »familienverbunden«. Diese wertkonservative Ausrichtung, die neben dem Traum vom Selfmade Man an oberster Stelle der persönlichen Prioritäten des Gangstas und Gangsters steht, wird in (sprachlichen) Bildern dargeboten, die von einer ignoranten, kompromisslosen Aufstiegsorientierung zeugen: I was the type on the opposite side Of smokin the pipe, in a beef I got hype Cos rags to riches switches men to witches Become stitches, body bags in ditches Bloodshed, I painted the town red People fled as I put a dread’s head to bed

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Wenn der Erzähler dann die Ich-Perspektive verlässt, um das Negativdasein des Gangstas zu reflektieren, objektiviert er die Handlungen und charakterisiert ein Kriminellengebaren, das populärkulturell und gerade mit (dem nachtcluberprobten) Tony Montana immer wieder aufbereitet wird: He likes to eat hardy, party Be like john gotti, and drive a maserati Rough in the ghetto, but in jail he’s jello

Der Lebensstil des Gangsters, der sich wie das einstige Oberhaupt der Gambino-Familie gibt und die stereotypen Symbole mit sich führt (Maserati), wird als nur kurzfristig tragfähig beschrieben (»Rough in the ghetto, but in jail he’s jello«). Damit wird Distanz zu den vorangegangenen »detailverliebt-expliziten« Selbststilisierungen erzeugt. Auf diese Weise wird auch eine moralische Wendung initiiert: Der geläuterte Gangsta ist lieber Rapper – einer, der authentisch von allem sprechen kann, was Montana durchlebt und mit dem Tod bezahlen muss. When you think with a shank, talk with a knife Not my lifestyle so I made a u-turn More money I earn, more money to burn Pushin all buttons, pullin all switches My name is g. rap, I’m on the road to the riches

»Road to the Riches« ist im beschriebenen Sinne eine Selbstinszenierung, die sich sowohl semantisch als auch narratologisch bei Scarface bedient. Symbole und Stationen der Kriminellen-Karriere werden durchgespielt, Tätersituationen beschrieben und explizit an den Hörer gebracht. Mit dem »u-turn« wird allerdings eine Abkehr vom devianten Wege integriert, die Tony Montana nicht gelingt. Beließe man es bei dieser Interpretation, so käme die Performance als rein moralisches Lehrstück daher. Dies ist aber mitnichten der Fall. Im Spiel des Gangsta-Rap etabliert Kool G Rap einen Inszenierungspool, der auf folgenden Komponenten basiert: (1) die Verwischung von Realität/Fiktion, (2) die Anleihe beim populären MafiaGenrekino und (3) die Integration des Mafia-Hustler-Motivs in die musikalische Inszenierung.

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Es ist dieser Inszenierungsmodus, den der Beitrag Kargolls metaphorisch umschreibt, wenn er traditionelle und zeitgenössische Genrevertreter wie Ghostface, Raekwon, AZ, Pac und Biggie als »Kool G Rap« bezeichnet. Mit »Road to the Riches« liegen so ziemlich alle Inszenierungskomponenten vor, die noch heute in den USA und jenseits des Atlantiks relevant sind, wenn es um Gangsta-Rap geht. Die eigene Biografie – ob wahr oder nicht, ist hier nicht vollends nachvollziehbar – wird zum Material künstlerischer Anverwandlung. Sie wird aus der Rezeption populärer Gangstermythen abgeleitet. Mit filmischen Bildern und Erzähltechniken des Genres werden klein- und großkriminelle Schicksale im Kopf des Rezipienten erzeugt. Der Rapper authentifiziert sich über den verbreiteten Epitext (biografische Angaben) zum Zeugen oder zumindest Kenner des Milieus. Er bedient sich darüber hinaus beim Motiv vom skrupellosen Gangster, der seinem Traum vom »pot of gold« nachjagt. Der straßenaffine Rapper Jim Jones hat es einmal so gewendet: »Gangsta-Sein« bedeutet auch, sich in der Musikindustrie durchzusetzen9. Das Streben nach Erfolg mit (fast) allen Mitteln ist also das eigentliche Narrativ des Gangsta-Raps. Nun handelt es sich bei Kool G Rap um einen mustergültigen Vertreter des Genres10.

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»A lot of these rappers out here, when you see them and catch them on a oneon-one basis it’s not what it’s cracked up to be. A lot of us have to put on an costume to make this thing look good. Even some of the realest have to do things in this game that they feel might not be the realest thing they had to do. But, shit, if you gotta make a dollar and keep that roof over your head, you gon’ partake in this game a little bit. So if you wanna be real and be broke – Oh, you wanna be the realest nigga and be stupid and be broke? – that’s cool. But you could be real smart about being real and being a real man in this muthafuckin’ industry, and handling yourself like a real street nigga would in the situations that he would have to go through in the streets« (XXL Magazine, 2010, S. 120121).

10 Diesen Ruf zementierte der Rapper auch im Fortlauf seiner Karriere. Das Cover zu seinem fünften Album »Roots of Evil« (1999) zeigt konsequenterweise dann auch ein Bild, das eindeutig an die Ikonografie der Godfather-Filme angelehnt ist.

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Jay-Z Andere Künstler wie Jay-Z, der ja »irgendwie« auch Kool G Rap ist (Kargoll) sind nicht ohne weiteres diesem Genre zuzuschreiben. Der Rapper aus den Marcy-Projects in Brooklyn beginnt seine Karriere zunächst ganz ähnlich wie Kool G Rap – er gibt den Gangster und Hustler. Dies dokumentiert sich insbesondere auf dem Album und dem Cover des Debüts »Reasonable Doubt« (Roc-A-Fella 1996).

http://www.mtv.com/music/artist/jay_z/ albums.jhtml?albumId=51350

Im weiteren Verlauf seiner Karriere wird der Rapper zum Teil-Inhaber eines NBA-Teams (New Jersey Nets), Begründer eines Modelabels (Rocawear) und Ehemann von R&B-Star Beyoncé Knowles. Die Musik deckt unterschiedliche Genres ab (clubtaugliche Rapmusik, »Adult Rap«, »persönlichere« Selbstinszenierungen) und verkompliziert eine klare Klassifizierung (dies gilt übrigens für die meisten Rapper, auch jene, die schnell in der Gangsta-Schublade verschwinden). Die Anknüpfung an die Hustlerund Gangsterthematik findet sich aber auf beinahe jedem Album des zum Popstar avancierten Unternehmers und einstigen Präsidenten des »Def Jam«-Labels. Shawn »Jay-Z« Carter lehnt sich auf seinem 2007er Album American Gangster an den gleichnamigen Ridley-Scott-Film mit Russell Crowe und Denzel Washington in den Hauptrollen an. Der Rapper selbst erklärt seine Motivation für das Album mit dem Verweis auf seinen eigenen Lebensweg

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als Dealer im legendären Viertel Bedford-Stuyvesant, Brooklyn (vgl. http://www.nytimes.com/2007/09/20/arts/music/20jayz.html?hp). Bemerkenswert ist auch hier die Dynamik des Populären: Ein realer GangsterBoss (Lucas) und Zögling des ebenfalls berühmt gewordenen Elsworth »Bumpy« Johnson wird zur Inspiration für einen Film, der wiederum einen Rapper zu einem ganzen Album inspiriert. Wenn sich Scarface an die Biografie Al Capones anlehnt und American Gangster sich bei Frank Lucas bedient, sind dies künstlerisch-fiktive Bearbeitungen von Realität, die auf einer zweiten Stufe erneut anverwandelt werden: Rapper wie Kool G Rap und Jay-Z greifen auf den populären Text zu und installieren ihn als Referenztext, der, aufgeladen mit eigenen Erfahrungen und Bearbeitungen, »parasitär« von seiner Vorlage profitiert: »Like ›Scarface‹, or any one of those films, you take the good out of it, and you can see it as an inspiring film« (Jay-Z, ebd.).

Jener ௅gewissermaßen produktionsästhetische ௅Kommentar, der die Materialanverwandlung als selektiv beschreibt (»take the good out of it«), ist nicht nur die Bestätigung für die übliche Strategie des »Samplings« und »Neukontextualisierens«. Vielmehr wird hier deutlich, dass das Gangstermotiv als »inspirierend« (»inspiring«) gewertet wird, obwohl ௅ oder gerade weil ௅ der Held ein Anti-Held ist: »Jay-Z said he thought his fans would be struck by the image of a black man reaching such heights of success, even on the wrong side of the law, much like such ruthlessly efficient Al Pacino antiheroes as Tony Montana and Michael Corleone« (ebd.). North beach leathers, matching Gucci sweater Gucci sneaks on to keep my outfit together Whatever, hundred for the diamond chain Can’t you tell that I came from the dope game Blame Reagan for making me into a monster (Jay-Z «Blue Magic”, http://www.azlyrics.com/lyrics/jayz/bluemagic.html)

Afroamerikanische Rapper aus der »Hood« mögen sich stärker mit dem deviant agierenden Anti-Helden identifizieren, weil deren widrige Rahmensi-

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tuation und sozialpolitisch negativ beeinträchtigter Weg stärker mit der eigenen sozialen Realität zusammenhängen als mit populären Schicksalen etwa eines Marc Zuckerberg. Der Reiz der Frank-Lucas-Figur liegt für Jay-Z also in der Tatsache begründet, dass es sich um einen »black man« handelt, der in New York aus wenig sehr viel macht und sich dabei selbst treu bleibt. Die kriminelle Ikone wird zum Sinnbild für das unaufhörliche Streben nach dem amerikanischen Traum – bei den »Die-Hard-GenreVertretern« mag manchmal das konkrete Interesse das metaphorische übertreffen, bei dieser Form der Aneignung bleibt es im Allgemeinen dann doch. Es ist jene unbedingte Leistungsbereitschaft des Hustlers, der sich und seiner Herkunft in einer politisch verwirkten Realität treu bleibt, die das Grundmotiv im Gangsta-Rap abgibt. Round and round we go – der »American Gangster« ist für Jay-Z das, was Tony Montana für Kool G Rap ist. Der Pop des Gangsta-Rap reproduziert sich in seinen Stilfiguren, ohne die kreative Anverwandlung am Schnittpunkt von Biografie und kulturspezifischer Inszenierung zu vernachlässigen. Die populärkulturellen Texte überschreiben sich hier palimpsestartig, die sorgsam ausgewählte Iteration (populärer) performativer Akte im Feld des (Gangsta-)Rap ist immerzu beides: Aktualisierung und Neukontextualisierung (vgl. Klein/Friedrich 2003: 197). »Return of the real«: Krumb Snatcha Dass Rap jedoch nicht immer ein affirmatives Verhältnis zum Gangsterdasein und Inszenierungen, die sich an dieses anlehnen, pflegt, kann bei Rapper Krumb Snatcha aus Boston beobachtet werden. Der Musiker, der seine größten Erfolge in den 1990er Jahren feierte und Teil der so genannten Gangstarr Foundation um DJ Premier und GURU war, inszeniert sich in »Mobsters (Gangster Disease)« zum Vertreter des »Real HipHop«. Der Song kann als Kritik an der übertriebenen, ausufernden GangsterPerformance betrachtet werden. Der Rapper polemisiert gegen eine Form der Darstellung, die als zumeist gelogen, von der Plattenfirma künstlich kreiert und der MC-Kunst abträglich skizziert wird.

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Fotogramm 1.3.

Fotogramm 1.4.

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Im Video (http://www.youtube.com/watch?v=mpZwjok0_JA), das sich stark der 30er-Jahre-Mob-Film-Ästhetik verschreibt (Fotogramm 1.3. bis 1.5.), kommentiert der Rapper das unauthentische Rollenspiel von FakeGangstern, die eigentlich Rapper im traditionellen Sinne sein sollten. Dies erfolgt aus der Gegenwart in der MC-Figur sowie aus der Perspektive des

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»wahren Mobsters« der »alten Schule«. Die Hinwendung zu dieser traditionellen Optik des Verbrechers verweist auf die hier auch symbolisch verhandelte Opposition: Man arbeitet sich an dem Dualismus von Imitation (Fake Gangster) und Original (Original Gangster) ab. Ein »lächerlich tanzender« Rapper wird in die Realität des wahren Mobsters versetzt. Der Rapper tanzt nur, hat nichts zu sagen und versteht nicht, dass er sich in eine Welt begibt, die für rein inszenatorische Anleihen an ihren Lifestyle nichts übrig hat. Konsequenterweise wird der FakeRapper gegen Ende des Videos in Manier eines Mafia-Dons, der den Uneinsichtigen bestraft, geohrfeigt und gewaltsam abtransportiert – Rapper, die sich an den Insignien des wahren Mobsters bedienen, ohne zu wissen, »wie das Spiel gespielt wird«, werden unschädlich gemacht und exkludiert. Der Text fügt der »Faker/Original-Gangster-Thematik« eine Doppeldeutigkeit hinzu, die sich aus dem Rap-Diskurs der 1990er Jahre ableitet: Die Frage nach »real« oder »fake« ist nicht nur eine, die den tatsächlichen kriminellen/nicht kriminellen Background des Künstlers behandelt, sondern auch eine, die immerzu auf die Anbindung des Rappers zur Szene und verknüpfter Überzeugungen rekurriert: »Ist ein Rapper auch ein MC und damit ein würdiger Vertreter der Kultur?« lautet die Frage in einer Zeit, die manchmal kommerziellen Erfolg noch als Ausverkauf und Selbstinszenierung als reines Zugeständnis an das Major Label verstand. How many glocks can you cock on one record? Videos of hoes naked, hip hop’s been infected Now lets correct it, before it’s too late

Der Rapper stilisiert sich zum Hüter der ästhetischen Praxis im Sinne einer Kunstform, die auf »fake images« verzichten kann und soll: »Cause if there’s money to make/Then there’s an artist they create,/ignorate to hip hop, meanin he’s fake.« Man stellt die Kunstform über das Image (»But ask the question, you carry gats and rock knifes?/But ask yourself, can you rock the motherfuckin mic?«) und skizziert das Gangstertum als seuchenartige Bedrohung (disease) für den Organismus der Kultur. Deutlich wird dies besonders in der Hookline, die als besondere Form der »Informationsverknappung« häufig – und besonders in diesem Falle – die elementare Message auf den Punkt bringt:

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Now everybody wants to be a mobster Big gold chain, ghetto fame, eatin lobster Lexus keys, vacations over seas Hip hop got infected by the gangstga disease

Die bei Jay-Z und Kool G Rap zu erkennende Überhöhung des GangsterLifestyles wird für Genrevertreter, die als weniger talentiert gelten, nicht akzeptiert und als Übertreibung oder reine Imitation stigmatisiert11. Abzulesen ist hier wieder das typische »HipHop-Dispositiv«. Der Rapper stabilisiert durch seinen Sprechakt den Topos vom authentischen und kreativen Rap-Künstler. Der Vertreter der klassischen »New Yorker Schule« dokumentiert seine Übereinstimmung mit diesem Ideal und setzt sich implizit als Gegenbild zu all dem ein, was als »fake« gilt. »Real Rapper« wie Krumb Snatcha wissen, »(…) dass die reine Nachahmung negativ sanktioniert ist« (Klein/Friedrich 2003: 197). Wanna be drug incorporator, street life narrator But nothin but a bullshit imitator Exaggerator with the bust-shot chatter, that don’t flatter That mean you need to change your subject matter

Wenn Jay-Z also durchaus wohlmeinend auf die filmische Qualität seines musikalischen Schaffens verweist, dann sieht Krumb Snatcha bei den »Wannabe Mobsters« höchstens einen minderwertigen »Cowboy-Film« laufen, der mit seinem Kunstverständnis in Konflikt gerät (»Thats like watchin one of them old John Wayne western movies«). Solche Inszenierungen im buchstäblichen Sinne hält er für echte Rapper als verfehlt: »The Fugees said it loud and clear/›Wack emcees in the rear‹ cause hip hop is out here«. Neben der Abneigung gegenüber aufgesetzten Identitäten dokumentiert sich auch die Aversion gegen kommerziellen Erfolg, der schon gar nicht als Beweis für den Status eines MC verbürgt:

11 Es kann als Fakt gelten, dass Rapper wie Kool G Rap und Jay-Z als glaubwürdige Vertreter des Rap geschätzt werden. Gerade Künstler wie Krumb Snatcha, die den »New York State of mind« künstlerisch hochhalten, dürften an diesen Figuren keinen Anstoß nehmen.

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So what? You carry hot glocks and rocks So what? That type of rap is number one on the charts So what? Your video was on MTV You still ain’t an emcee to me

Die Synthese von Gangster und Musiker wird als unauflöslicher Konflikt beschrieben (»Part time rapper, part time gun clapper/But what you really are is just a full-time actor«). Interessanterweise führt dieser Split im Fortlauf der Lyrics zu genau der Station, die den Ausgangspunkt in Tony Montanas Aufstieg markierte: So while you kick rhymes of doin crime and bustin nines Your record company’s robbin your stupid-ass blind So now you’re fired, a job flippin burgers Or back to the lab writin them fantasy murders

Der »schizophrene Faker«, der sich von der Plattenfirma benutzen lässt und so seine Karriere in die Hände des »Feindes« legt, landet an der Burgerbude – also exakt dort, wo die Vision Tony Montanas von einem besseren Leben seinen Ausgang nahm. Der Wannabe-Mobster-Rapper stirbt vielleicht nicht durch die Waffe des Kontrahenten auf dem Drogenmarkt. Wohl aber durch den performativen Widerspruch, den Krumb diagnostiziert, und die Kräfte der Musikindustrie, die solche Konstrukte verkaufen und schneller fallen lassen als einen unbeliebt gewordenen Burger.

F AZIT Eingangs wurde Pop als Rhizom beschrieben, als ästhetisches Netz, das seine Einzelerscheinungen immerzu als intertextuell verwoben erscheinen lässt. So wurde darauf hingewiesen, dass sich erste Referenztexte motivisch in der Lyrik (Robin-Hood-Zyklus) und in populär gewordenen Liedern (Pretty Boy Floyd) vergangener Jahrhunderte ausmachen lassen. Der Schurke und spätere Gangster ist ein Topos mit weit zurückreichenden und heterogenen Textquellen. Diese Quellen sind allerdings nicht als Wurzeln im Sinne des Repräsentationsmodells zu fassen (gegen dieses wendet sich der Begriff des Rhizoms ja gerade), sondern als Texte, die ihrerseits in

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einem Zusammenhang von bereits »Verschriftlichtem« stehen. Wie gezeigt wurde, erlangt der Gangster seine zentrale Konnotation im Mobfilm der 1930er Jahre. Installiert wird dort ein Arsenal an Narrativen, Symbolen und Motiven, das in der Folge die filmische Inszenierung und damit das Verständnis vom »Gangster« auf Seiten der Rezipienten prägen sollte. Neben Filmen wie The Public Enemy oder Little Caesar ist Scarface von Hawks sicherlich der einflussreichste Film des Genres. Dies trifft besonders im Kontext des Gangsta-Rap zu, der sich allerdings zumeist am Remake von 1983 orientiert. Bei Kool G Rap lassen sich die Anfänge des Gangsta-Raps, oder spezifischer ausgedrückt des »Mafioso-Raps«, studieren: Der Rapper kreiert eine Inszenierungsform, die sich beim Gangsterfilmklassiker zu bedienen weiß, garniert seine eigenen »Streettales« mit Referenzen auf Tony Montana und setzt den »Vorlagetext« auch optisch ins Bild (Poster). Das sich entfaltende Narrativ setzt die Wegmarken der ganz eigenen Erfüllung des amerikanischen Traumes nahezu identisch. Der Protagonist träumt vom sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg, realisiert die Unwägbarkeiten in einer Situation der Perspektivlosigkeit (low wage job) vor dem Hintergrund sozial missbilligter Nebenoptionen (Drogenhandel). Das schnelle Geld und die Möglichkeit der Partizipation an den hegemonialen Zeichen locken auf den devianten Weg. Der Aufstieg wird mit der Härte des Milieus, einer unbedingten Leistungsbereitschaft sowie einer instrumentellen Einstellung zum Ziel erreicht. Die musikalische Bearbeitung des Montana-Plots divergiert nur im Punkt der Bekehrung: Wenn Montana unter der Last des Koksberges zerbricht, transzendiert der Rapper sein Tun und warnt vor den Folgen. Jay-Z exponiert die metaphorische Qualität der Scarface-Geschichte und stellt die exemplarische Funktion in den Vordergrund: Scarface, das ist eine Figur, die abstrakt betrachtet für den Willen des Subjektes und seine Durchsetzungsfähigkeit unter widrigen Umständen mit den Methoden der Straße einsteht. Frank Lucas teilt diese Qualität und bietet darüber hinaus als New Yorker »black man« noch den Vorzug, eine Vita zu haben, die dem Rapper selbst nicht unähnlich ist: Als Afroamerikaner aus ärmlichen Verhältnissen gelingt der Aufstieg durch den kontinuierlichen Hustle und unter Wahrung gewisser Prinzipien. Ein vormaliger Crack-Dealer aus Brooklyn identifiziert sich über die Eckpunkte der filmischen Biografie mit einem Hustler aus Harlem und schafft es, aus seiner Not eine Tugend zu machen. Die Figur Frank Lucas ist professionell und stilsicher – Charakte-

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ristiken, die auch der Rapper Jay-Z für sich reklamiert. Schon das Cover zu »Reasonable Doubt« ist eine ikonografische Verbeugung vor dem Mobfilm. Der Gangster wird zum Sinnbild für die zwar halbseidene aber souveräne Ich-AG. Der Gangsta ist Musiker aus Passion mit Straßenhintergrund, das »er« wird so zum »a«. Bei Krumb Snatcha – jenem Vertreter der New Yorker Schule der 1990er Jahre – findet sich Kritik an der inflationären Gangster-Inszenierung. Der Rapper diagnostiziert eine Unvereinbarkeit von Gangstertum und Musikerdasein, bemängelt die Unfähigkeit, das »motherfuckin mic« zu rocken, sowie die Naivität im Umgang mit der Plattenfirma. Der GangstaRapper ist primär »part time rapper« und daher »part time actor« – nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit der eingeforderten Realness und Kunstfertigkeit hat dies aus der sich dokumentierenden Perspektive nichts zu tun. Nicht nur wird der »Faker« auf der Bildebene von echten Gangstern angegangen, sondern auch als substanzlose Marionette der Musikindustrie geschildert: Die Gangster-Inszenierung führt nicht in die wirtschaftlichen Dimensionen eines Tony Montana oder Al Capone, sondern zurück in den low wage job (Burgerbude). Festzuhalten bleibt, dass hier drei verschiedene Bearbeitungen des Gangstermythos zu erkennen sind: (1) die inhaltliche und symbolische Anlehnung zur Selbstinszenierung des eigenen biografisch inspirierten Weges, der schlussendlich als falsch aber erfahrungsgesättigt und damit authentisch markiert wird (Kool G Rap), (2) die Adaption des Narrativs und der symbolischen Ornate zur metaphorischen Schilderung des eigenen biografisch inspirierten Weges, ohne dass der metaphorische Gehalt als solcher dezidiert ausgewiesen wird (Jay-Z), (3) das Gangstertum im Rap als Distinktionsfolie und Möglichkeit der Kritik an mangelnder Authentizität und Kunstfertigkeit zur Stabilisierung der Szenelosung vom »Keepin it real« (Krumb Snatcha). Entgegen der manchmal zu hörenden Kritik, Gangsta-Rap glorifiziere schlicht Kriminalität, zeigen diese drei Performances auf, dass der Gangster-Topos durchaus heterogen aufbereitet wird und zu ganz unterschiedlichen Resultaten inhaltlicher Art führt. Das heißt nicht, dass diese Inszenierungen moralisch einwandfrei zu werten sind oder pädagogischen Gehalt besitzen. Es zeigt sich aber, dass Gangsta-Rap eine ästhetische, zitatreiche Praxis darstellt, die Vertrautes mit Innovativem kreuzt und so ihre eigene Kartografie permanent erweitert. Gangsta-Rap bietet die Möglichkeit,

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durch die Rezeption populärer Texte den eigenen biografischen Text künstlerisch zu bearbeiten und Pop als Bühne für den eigenen (idealisierten) Weg zu nutzen. Interpretiert man die Tony-Montana-Geschichte als ambivalente Parabel auf die Macht des Subjekts (»The world is yours«), kann sogar ein »tröstendes« Moment ausgemacht werden: »The actions of Tony Montana also appear to offer this audience practical solutions in their ongoing struggle to survive the hopelessness and terror rooted in their environment« (Prince 2009: 11).

Wie zu sehen war, reicht das inhaltliche Spektrum der Auseinandersetzung mit dem Gangster-Topos vom moralisch geprägten »u-turn« über die metaphorische Aneignung bis hin zur Selbstinszenierung ex negativo. GangstaRap-Kritiker und Befürworter mögen gut daran tun, solche unterschiedlichen Inszenierungsformen argumentativ zu berücksichtigen.

L ITERATUR Adorno, Theodor W. und Horkheimer, Max (2003): Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug. In: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a. M., Fischer Taschenbuch Verlag, S. 128 – 176. Bohnsack, Ralf (2009): Qualitative Bild- und Videointerpretation. Opladen und Farmington Hills, Verlag Barbara Budrich. Deleuze, Gilles und Guattari, Felix (1997): Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin, Merve Verlag 1997. Hrsg. v. Günther Rösch. Frank, Michael C.: Rhizom (2004). In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (3. Auflage). Hrsg. v. Ansgar Nünning. Verlag J. B. Metzler, S. 577-578. Hecken, Thomas: Pop (2009). Geschichte eines Konzepts 1955 – 2009. Bielefeld, transcript Verlag. Klein Gabriele/Friedrich, Malte (2004): Is this real? Die Kultur des Hip Hop. Frankfurt a. M., Suhrkamp. Kargoll, Tobias: Kings of Hip Hop: Kool G Rap. In: Juice Nr. 136, Ausgabe Mai/Juni 2011, S. 56 – 61.

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Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman (1996). In: Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart. Hrsg. v. Dorothee Kimmich (u.a.), Stuttgart, Verlag Philipp Reclam jun., S. 334-348. Merton, Robert King (1995): Soziologische Theorie und soziale Struktur. Berlin und New York, de Gruyter. Opp, Karl-Dieter (1974): Abweichendes Verhalten und Gesellschaftsstruktur. Darmstadt und Neuwied, Luchterhand. Singman, Jeffrey L. (1998): Robin Hood: The Shaping of the Legend. Westport: Greenwood Press. Turner, Ralph V. (2003): Magna Carta Through the Ages. Harlow: Pearson Education. Ward, Greg (2003): The Rough Guide: History of the USA. London: Penguin Books. Jones, Jim in: XXL Magazine September Issue 2010 (13th anniversary issue), S. 120-121. Links Prince, Rob (2009): Say hello to my little friend: De Palmas Scarface, Cinema, Spectatorship, and the Hip Hop Gangsta as a urban hero. http://etd.ohiolink.edu/view.cgi/Prince%20Rob.pdf?bgsu1256860175 Interview der New York Times mit Jay-Z http://www.nytimes.com/2007/09/20/arts/music/20jayz.html?hp Abbildung des Jay-Z-Albumcovers von »Reasonable Doubt« http://www.mtv.com/music/artist/jay_z/albums.jhtml?albumId=51350 50 Cent Video »Crime Wave« http://www.worldstarhiphop.com/videos/video.php?v=wshh9rh2DFpiz wSdMwKX). Kool G Rap Video »Road to the riches« http://www.youtube.com/watch?v=hNqTz2mMwNE Biografie Kool G Rap http://en.wikipedia.org/wiki/Kool_G_Rap#Biography Biografie Mobb Deep http://en.wikipedia.org/wiki/Mobb_Deep Vollständige Lyrics zu Jay-Z’s »Blue Magic« http://www.azlyrics.com/lyrics/jayz/bluemagic.html

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Video zu Krumb Snatchas »Mobsters (Gangster disease)« http://www.youtube.com/watch?v=mpZwjok0_JA Lyrics zu Krumb Snatcha »Mobsters (Gangster disease)« http://www.lyrics007.com/Krumb%20Snatcha%20Lyrics/Gangsta%20 Disease%20Lyrics.html How many glocks can you cock on one record? Videos of hoes naked, hip hop’s been infected Now lets correct it, before it’s too late To fix our mistake of lettin record labels infiltrate (for real) Cause if there’s money to make Then there’s an artist they create, ignorate to hip hop, meanin he’s fake Now lets take the average emcee for example They lacin with the same used bullshit samples I watch and construct a rapper bout his conduct And about, how many niggaz he done bucked But ask the question, you carry gats and rock knifes? But ask yourself, can you rock the motherfuckin mic? All this gangsta advocatin is aggravatin And aggitatin, it’s time for us to stop confiscatin With wack rapper with that emcees Thats plagued by the gangsta disease [Chorus: x2] Now everybody wants to be a mobster Big gold chain, ghetto fame, eatin lobster Lexus keys, vacations over seas Hip hop got infected by the gangstga disease Wanna be drug incorporator, street life narrator But nothin but a bullshit imitator Exagerrator with the bust-shot chatter, that don’t flatter That mean you need to change your subject matter You scatter like mice, when I read life Into a microphone device, nothin nice

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I’m livin once a year plus the annual Don’t need instructions for bustin percussions I rock without the manual Like a cannibal, watch Krumb eat Up any self-proclaimed killer comin from the streets Cause his speech don’t move me Thats like watchin one of them old John Wayne western movies The Fugees said it loud and clear ›Wack emcees in the rear‹ cause hip hop is out here [Chorus x2] So what? You carry hot glocks and rocks So what? That type of rap is number one on the charts So what? Your video was on MTV You still ain’t an emcee to me So whether you toke nines or bust rhymes to me it’s no interest While I distribute lyrics and pump the cracks on your Benz’s Part time rapper, part time gun clapper But what you really are is just a full-time actor Crumb snatchers, pullin niggaz cards Cause if y’all was really hard, your ass’d be barred It’s kind of odd, your gettin pimped by your label A and R’s tellin you fables on why he don’t pay you So while you kick rhymes of doin crime and bustin nines Your record company’s robbin your stupid-ass blind So now your fired, a job flippin burgers Or back to the lab writin them fantasy murders [Chorus x2] Niggaz pleeeaaase

Filme Hawks, Howard (1932): Scarface. Universal Pictures. De Palma, Brian (1983): Scarface. Universal Pictures.

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Gangsta-Rap im zeitgenössischen Kinofilm Ein Vergleich von »Get Rich or Die Tryin‫«ތ‬ und »Zeiten ändern dich« M ARTIN S EELIGER UND M ARC D IETRICH

E INLEITUNG Mit dem weltweiten Siegeszug des Internets ist das, was Soziologen unter dem von Robertson (1998) eingeführten Terminus Glokalisierung verhandeln, wohl in besonderer Weise realisiert: Zunächst lokal verankerte Praktiken, Sprachspiele, Symbole und Handlungen gelangen über die mediale Verbreitung in vom Ursprung entfernteste Länder, Städte, Milieus und Szenen, um dort vor dem Hintergrund mitunter ganz unterschiedlicher Kontexte adaptiert zu werden – das Lokale wird global wirksam. Diese seit einigen Jahren gut zu beobachtende Dynamik der Bezugnahme und Verhandlung eines spezifischen »Ursprungsmythos« betrifft insbesondere HipHop – jene Straßen-Musik-Kultur, die Ende der 1970er in der South Bronx, New York entstand und mittlerweile internationale ›Ableger‹ in Form von etwa deutschem, französischen oder türkischem Rap weltweit verzeichnet (vgl. dazu im Detail Klein/Friedrich 2003). Neben den Musikproduktionen (Tracks, Videos) sind es wohl Filme, die die Popularität ihrer Protagonisten am stärksten steigern. Im Kontext der Popstudies oder spezifischer der HipHop-Studies wird dieses wichtige Medium der Popularisierung jedoch eher am Rande verhandelt, wenngleich auch diese mediale Bühne eine gewichtige Rolle innerhalb der Glokalisierung spielt.

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Der vorliegende Beitrag widmet sich dem zuletzt besonders einflussreichen Subgenre Gangsta-Rap und seiner filmischen Manifestation. Zweifelsohne können Gangsterfilme, die eine Affinität zu Rap haben entweder aufgrund ihres Sujets (zum Beispiel De Palmas legendärer Scarface) oder aufgrund ihrer Besetzung (etwa Menace II Society mit MC Eiht), von Filmen mit und über Gangsta-Rapper unterschieden werden. Letztere Kategorie ist hier von Interesse, wenn es darum geht, die biografisch inspirierten Filme Get Rich or die TryinҲ mit Gangsta-Rapper 50 Cent und Bushidos Zeiten ändern dich zu untersuchen. Die amerikanische Produktion beschreibt den Aufstieg des etwa zwölfjährigen Marcus (50‫ތ‬s echter Vorname Curtis wird hier nur oberflächlich kaschiert und aus dem gleichnamigen Mafia-FilmKlassiker entlehnt) vom juvenilen Dealer und Straßengangster zum adulten Rapstar. Ganz ähnlich handelt der von Bernd Eichinger produzierte Film von den Karriereanfängen des jungen Anis (Bushido) auf den Straßen Berlins bis zum kommerziellen Durchbruch.

M ETHODISCHE ANMERKUNGEN ZUR F ILMTHEORIE /I NHALTSANALYSE Da wir aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive primär an den inhaltlichen und symbolischen Konstruktionen von amerikanischen und deutschen Gangsta-Rappern interessiert sind, erscheinen analytische Exkurse, wie sie für filmwissenschaftliche Untersuchungen (respektive der filmischen Form im Sinne von Mise-en-scène, plotorder, Kamera, etc.) charakteristisch sind, hier nicht geboten. Stattdessen legen wir den Fokus auf die zu vernehmenden inhaltlichen Selbst- und Fremdzuschreibungen des Gangsta-Rappers sowie den symbolischen Kosmos, in den dieser eingesponnen ist. Gemäß der dokumentarischen Video-Hermeneutik Ralf Bohnsacks interessieren wir uns für das, was sich im Film dokumentiert – nicht für das, was der Regisseur oder der Hauptdarsteller möglicherweise gemeint haben1. In diesem Sinne schließen wir uns Bohn-

1

Vertreter der Cultural Studies wie John Fiske (1986) haben bereits Mitte der 1980er die Stoßrichtung dieser Diskussion unter Verweis auf die Polysemie populärer Texte und die Eigendynamik subjektiver und sozial motivierter Aneignung des Gesehenen entkräftet: Es erscheint problematisch, die Intention

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sacks videohermeneutischer Grundannahme an: Bewegte Bilder (und damit Filme) zu analysieren bedeutet, insbesondere dessen, was sich dokumentiert – sei es eine Betrachtung der Welt in bestimmten Kategorien, eine Aufteilung der Geschlechter in spezifische Rollenmuster oder was auch immer –, Rechnung zu tragen (vgl. Bohnsack 2009: 151 sowie den Beitrag von Dietrich in diesem Band). Aus unserer Perspektive ergeben sich vornehmlich zwei Fragen, denen wir im Folgenden nachgehen wollen: • •

Wie wird der Gangsta-Rapper prototypisch konstruiert? Welche Analogien und Differenzen lassen sich zwischen dem urförmigen Stereotyp des schwarzen amerikanischen Rappers/Gangstas und seiner deutsch-türkischen Ausprägung erkennen?

F ILMANALYSE Neben Eminems 8 Mile mag Jim Sheridans Get Rich or die TryinҲ als die wohl populärste fiktive Bearbeitung einer Rapperbiografie gelten. Bezeichnend ist die Komplementarität der autobiografisch eingefärbten Lyrics in 50 Cents Musik und der Filmstory: Zentral geht es um die Erfolgsgeschichte des jungen Marcus (Curtis Jackson), der in einem New Yorker ›Brennpunkt‹-Viertel unter Armut und im Spannungsfeld von Drogenhandel und Gewaltverbrechen groß wird. 50 Cents (inszenierte) Biografie, die über die Lyrics bereits der eingeweihten Fangemeinde bekannt ist, lässt sich mit Verweis auf Gérard Genette als populärer Epitext (Genette, 1992), also als Text, der das Filmwerk umgibt und seine Rezeption mitsteuert, fassen. Es mag jene Kombination und Interaktion von medial bereits verbreitetem

eines populären Artfaktes aufzuspüren, wenn ein Text mit Blick auf ein breites Publikum ohnehin auf konfligierende Codes und dadurch möglichst offene Anschlussfähigkeit setzt. Zudem geht ein Musikvideo im kulturindustriellen Produktionsprozess durch eine Vielzahl von Instanzen, die manchmal nicht allzu viel von dem übrig lassen, was sich der Künstler vorgenommen haben mag. Insofern möchten wir auf soziale und kulturelle Referenzpunkte und Wissensbestände aufmerksam machen, die der filmischen Darstellung zu Grunde liegen.

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(textuellen) Wissen und Informationen aus dem Film sein, die die Attraktivität des Genrefilms für den versierten Zuschauer ausmacht. Die Geschichte des Films (ein typischer »Suche-und-Rätsel-Plot«) umfasst das Heranwachsen des jungen Teenagers Curtis in einem New Yorker Armenviertel: Nach der Ermordung seiner Mutter im Zusammenhang mit Drogengeschäften lebt Marcus bei der Familie seines Onkels und entscheidet sich schnell für eine Karriere als bewaffneter Drogendealer. Der Gangster Majestic, der schon die Mutter protegierte, nimmt ihn unter seine Fittiche, Marcus steigt in der Hierarchie der Gang rapide auf und übernimmt eine führende Position. Interne und externe Konkurrenzkämpfe lassen die Situation eskalieren, und der mittlerweile nahezu erwachsene Marcus entkommt mit mehreren Schussverletzungen nur knapp dem Tod. Fortan entschließt er sich, seinem Hobby, dem Rap, sein Leben zu widmen und aus dem Drogengeschäft auszusteigen. Das musikalische Ziel: Ein authentischerer und versierterer Rapper zu werden als der ›Fake-Gangsta-Rapper‹ MC Dangerous. Ähnliche lebensgeschichtliche Entwicklungen konstituieren die Handlung des Films Zeiten ändern dich, der auf der Autobiografie des Rappers Bushido (Bushido/Amend 2008) basiert. Auch hier prägen das Erleben von (häuslicher) Gewalt und materiellem Mangel die biografische Ausgangssituation des Protagonisten. Im Verlauf schlägt auch Bushido den Pfad einer Kriminellenkarriere im Drogenhandel ein, nachdem seine Familie allerdings Opfer eines gewalttätigen Übergriffs wird, beschließt er, sich aus dem Milieu zurückzuziehen. Eine anhaltende Freundschaft mit dem bekannten Kreuzberger Gangsterboss Arafat unterstreicht Bushidos latente Verbindungen zum kriminellen Milieu. Der Schwerpunkt im zweiten Teil des Films liegt allerdings auf der Entwicklung seiner Rap-Karriere sowie in der Auseinandersetzung mit der zerrütteten Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter auf der einen und seinem Vater auf der anderen Seite. Theoretische Prämissen Beim Versuch, bestimmende gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auf den Punkt zu bringen, orientieren sich Kultur- und Sozialwissenschaftler i.d.R. am Catch-All-Begriff (Pries 2008) der Globalisierung, verstanden als fortschreitende Verdichtung weltumspannender Interaktionsbeziehungen und

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Diffusionsprozessen. Auf einen differenzierteren Begriff bringen Klein und Friedrich (2003) Entwicklungen, die sie im Feld der HipHop-Kultur erkennen. Für die grenzübeschreitende Verbreitung HipHop-kultureller Formen identifizieren sie vielmehr eine Doppelbewegung, im Rahmen derer einerseits global zirkulierende Images als Bezugspunkte genutzt und diese andererseits vor dem Hintergrund spezifischer lokaler Verhältnisse interpretiert und ggf. aktualisiert werden. Einen geteilten Bezugspunkt derartiger Interpretationen sehen beide im »Ursprungsmythos« des US-amerikanischen HipHops, wie er sich gegen Ende der 1970er Jahre in der New Yorker Bronx entwickelte. Ausgehend von dieser u.E. durchaus stichhaltigen Analyse müssten sich daher beide Filme aus dem symbolischen Repertoire dieser Ursprungserzählung bedienen, um als im Feld der HipHop-Kultur anschlussfähig gelten zu können. Gleichzeitig spielt ein spezifisches Setting an den Handlungsorten eine bestimmende Rolle für die in den Filmen getroffenen Darstellungen. Motiviert durch einen sozialen wie kulturellen Wandel in den USA (New York) sowie in Deutschland (Berlin) sind die Ausprägungen des Ursprungsmythos unter gewandelten Vorzeichen zu beobachten. So ist HipHop im Allgemeinen wie Gangsta-Rap im Besonderen im deutschen Rahmen etwa nur vor dem Hintergrund eines spezifischen Migrationsregimes zu verstehen (Loh Verlan 2006; Seeliger/Knüttel 2010). Wie weiter unten zu zeigen sein wird, ist eine systematische Berücksichtigung der entsprechenden Kontextfaktoren für eine (international) vergleichende Analyse von fundamentaler Bedeutung. Get Rich or Die Tryin‫ތ‬ Neben den skizzierten inhaltlichen Analogien zwischen den Produktionen sind eine Reihe bestimmter sozial- und kulturell existenter Referenzkategorien für die Konstruktion ›Gangsta-Rapper‹ beobachtbar. Es zeigt sich, dass bestimmte Kategorien wie die Konstruktion von Erfolg recht ähnlich konstruiert werden, manche jedoch vor dem Hintergrund eines anderen lokalen Entstehungskontextes abweichende Züge aufweisen oder gar nicht thematisiert sind.

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»Ich bin Rapper … Gangsta … ich bin Gangsta-Rapper.« (Marcus aka Young Cesar) In Get Rich or Die TryinҲ (GRODT) kommt der ästhetischen Praxis der HipHop-Kultur bzw. Rap eine doppelte Funktion zu: Zum einen fungiert Rap für den Protagonisten als kulturelle Praxis, mittels derer lebensweltliche Konflikte ästhetisch bearbeitet werden können (das Leben als »24Stunden-Drogen-Pusher« kann in sublimierter Form zum Sujet der Lyrics werden; siehe auch Klein/Friedrich in diesem Band), und bietet somit die Chance, die Dealer-Karriere hinter sich zu lassen. Der Schritt vom Gangsta zum Rapper und damit zum Gangsta-Rapper (gleichsam zum Künstler) mündet in den ökonomischen und sozialen Aufstieg2. Zum anderen kann die Funktion von Rap hier auch mit Blick auf die Legitimierung der Sprecherposition (Rapper 50 Cent) im Diskurs des ›Rapgame‹ gedeutet werden: Stellen die soziale Herkunft sowie das kulturelle Wissen wichtige Eigenschaften für die »Realness« eines Rappers dar (vgl. Klein/Friedrich 2003), so wird in Sheridans Film (über-)deutlich, dass Young Cesar/50 Cent erstens ein ›waschechtes Kind der Hood‹ ist und zweitens, dass Rap praktisch mit der Muttermilch aufgesogen wird. Klar wird an dieser Stelle, dass die Hauptfigur von den bis heute geschätzten Autoritäten im Rap gelernt hat: Nicht nur einmal sieht man Marcus mit LL Cool J oder RUN DMC im Ohr Texte rappen, die weitere musikalische Sozialisation wird visuell mitgeliefert (»Public Enemy«- und GangstarrPoster). Auffallend ist, dass die kulturelle Sozialisation sich allein auf Rap fokussiert – andere Disziplinen wie DJing oder Graffiti spielen keine Rolle. Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass sich der Gangsta-Rapper keineswegs einem romantischen oder gar bohèmen Künstlerlebensstil verschreibt, sondern sowohl im Drogen- als auch im Musikbusiness eine Arbeitsethik an den Tag legt, die eine Rollen-Differenzierung im Sinne von private Person/Lohnarbeiter unterläuft: Die vermeintlichen Oppositionen Künstler/Gangsta verschränken sich – und dass im ›fulltime‹-Maßstab. Innerhalb des Tages, der morgens früh mit einer Dusche beginnt und damit dem konventionellen ›Nine-to-five-job‹ nicht unähnlich ist, gibt es nur wenige hedonistische Auszeiten. Diese belaufen sich auf einen abendlichen

2

Auch hier setzt der Film auf den Epitext: Das Werk schließt mit einem Auftritt von Young Cesar/50 Cent. Der informierte Zuschauer weiß, dass dort, wo die Narration endet, realiter die 50-Cent-Karriere erst richtig losgeht.

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Clubbesuch oder eine Spazierfahrt mit dem neu erworbenen Mercedes. Mit dem Stereotyp vom dauerkiffenden, »Hennessy-Sippenden« Rapper amerikanischer Prägung wird hier eindeutig gebrochen, stattdessen übt sich der Protagonist nahezu in Askese, wenn sein gesamtes Umfeld dem Drogenund Alkoholkonsum frönt, er selbst jedoch abstinent bleibt und der von Boss Majestic metaphorisch ausgegebenen Maxime »Die Bitch (gemeint ist Crack) wird nicht gefickt« Folge leistet. Was zählt ist Erfolg auf ganzer Linie. Verbunden mit dieser Leistungsethik ist eine durch und durch pragmatische bzw. instrumentelle Einstellung zum Job: Schon als Teenager möchte Marcus ins Drogengeschäft einsteigen, um sich die neusten Sneakers zulegen zu können, ein Motiv, das bis in die Adoleszenz durchgehalten wird (nur dass aus den Sneakern dann der brandneue Mercedes wird). Moralische Bedenken sind kaum zu erkennen, was zählt ist das Überleben des Stärkeren im urbanen Dschungel. Der für den Künstler positive wie negative Effekt des ›everyday-struggle‹ liegt in der Tatsache, dass zwischen Kunst und Leben nicht getrennt werden muss. Die eigenen biografischen Erfahrungen werden in Texte umgesetzt. Genau diese Deckungsgleichheit von Kunst und Leben ist es, die Young Cesar/50 Cent zum realen Rapper und den populären MC Dangerous zum parasitären Faker stilisieren – der geneigte Rapfan wird unter Rekurs auf diskurstypische Imperative (Keep it real! Kein ›Faking‹) inkludiert und zur Identifikation eingeladen3. Die hier inszenierte Authentizität des Subjekts aktualisiert damit kraftvoll, was Rapgrößen wie Public Enemy (und später unter anderen Vorzeichen N.W.A.) im HipHop-Kosmos konzeptuell installiert haben: Der Rapper ist Straßenreporter mit faktenorientiertem Anspruch (Chuck D sprach von Rap als »Black CNN«) und Berichterstatter aus einem Brennpunkt, der in seinen schlechtesten Momenten einem »schwarzen Vietnam« (so eine häufige Wendung) nahe kommt. Als Rap in den späten 1970er und frühen 1980er

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Was mit gefakten Rapper-Biografien im HipHop geschieht, lässt sich eindrucksvoll bei 1990er-Jahre-Chart-Rapper Vanilla Ice erkennen, der nach Auffliegen seiner fingierten Lebensgeschichte kein Bein mehr auf den HipHopBoden bekam. In der harmloseren Variante ließ sich beobachten, wie MiamiCoke-Rapper Rick Ross nach Enthüllung seiner Tätigkeit als Gefängniswärter an »streetcredibility« einbüßte und fortan den höhnischen Beinahmen »Officer Ricky« ertragen musste.

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Jahren die popkulturelle Agenda betrat, zeichnete sich bereits ab, was auch aktuell noch gut beobachtbar ist: Rap als ökonomisch wenig voraussetzungsreiche kulturelle Praxis wurde und wird stark von Akteuren mit migrantischem Hintergrund zur Artikulation der sozialen, kulturellen und politischen Situation innerhalb eines häufig exkludierend wirkenden, hegemonialen Systems genutzt. Gemäß dem Ursprungsmythos bildet Rap ein Medium für Afroamerikaner oder Latinos in unterprivilegierten Schichten. Als ›Feind‹ entpuppen sich in den Lyrics häufig Vertreter von Institutionen, die etwa den ›schwarzen Mann‹ nur ausbeuten und/oder unterdrücken (vorzugsweise Polizisten oder Labelbosse). »Ich hatte keinen weißen Daddy … und eins war verdammt klar: Mein Vater war kein Cop. Schwarz oder weiß.« (Marcus) Von Bedeutung erscheint auch die Verhandlung von Ethnizität: Marcus stellt bereits eingangs fest, dass sein Vater – eine Figur, die ihn sein gesamtes Leben lang imaginär begleitet – sicherlich eines nicht gewesen sein kann: Weiß und/oder Polizist. Bei allem Unbehagen dem absenten Vater gegenüber scheint diese Information den Protagonisten zu beruhigen. Damit sind zwei Gruppen von Menschen als »negative Vergleichshorizonte« (Bohnsack 2009) eingeführt: weißhäutige Menschen und Polizisten. GRODT behandelt dieses Thema in der Folge weniger im Sinne des thematischen Ausstellens als vielmehr durch eine ›Politik des Nicht-Zeigens‹ (vgl. auch den Ansatz von Nord 2000). Nahezu die gesamte Story konstituiert sich vor dem Hintergrund der afroamerikanischen Community im urbanen Ghetto, das somit als in sich geschlossener Teilraum markiert wird. Weiße Akteure spielen dabei lediglich eine Rolle als Drogenkonsumenten (aus dem provinziellen New Jersey), die bei drohendem Ärger schnell das Weite suchen,4 schaulustige Journalisten (Beerdigung) oder eben als zu meidende Polizisten.

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Dieses Phänomen ist auch in anderen für die HipHop-Kultur wichtigen Filmen zu beobachten. In Menace II Society etwa wagt sich ein kleinbürgerlich anmutender weißer Mann nach South Central L.A., wo er den Diebstahl eines Autos in Auftrag gibt und in der Folge vom dem an sich einverstandenen, jedoch des Ausbeutungsverhältnisses bewussten schwarzen Gangster unter Beschimpfung rausgeschmissen wird.

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Eine weitere bedeutende Inszenierungs-Referenz zur Stilisierung des Protagonisten stellt die Familie im positiven wie negativen Sinne dar. In positiver Hinsicht bezieht sich Marcus’ Erleben, Denken und Handeln auf seine Mutter, die er zwar aufgrund ihres Liebeslebens (häufig wechselnde Partner) und ihrer Erwerbstätigkeit (Drogenhandel) kritisch betrachtet, letztlich jedoch als sorgsame und unterstützende Person im Gedächtnis bewahrt5. Ein zentrales Motiv für Marcus’ Handeln besteht konsequenterweise in der Suche nach dem Mörder, den er in Slim, einem Rick James ähnelnden Konkurrenzdealer seiner Mutter, vermutet. Auch seine Ersatzfamilie, die Familie seiner Tante, bei der er nach dem Tod der Mutter unterkommt, betrachtet er über weite Strecken als Bezugsgruppe, auf die Verlass ist. In negativer Hinsicht jedoch fungieren sein Onkel sowie sein Cousin Deuce als familiäre Bezugspunkte, von denen es sich zu distanzieren gilt. Marcus, der kein männliches Vorbild innerhalb seiner Sozialisation hatte und ein gewisses Maß an Wohlstand (sneakers) gewohnt war, kann den Onkel, der einem Job als Reinigungskraft nachgeht, nicht akzeptieren, weil er mit seinem Männlichkeitsideal konfligiert6. Dies ist auch der Grund, aus dem sich Marcus zu einer Gangstakarriere entschließt – ein »abgefuckter nigga« (Marcus) wie sein Onkel möchte er nicht werden. Der ältere Deuce fungiert insofern als negativer Bezugspunkt, als dass dieser innerhalb des familiären Systems eine Position innehat, die Marcus für sich beanspruchen möchte: die des Anführers. Marcus unterliegt im Ringen um Freiraum und muss fortan im Keller unterkommen, er wird praktisch ausgesperrt. Zudem

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Die Mutter fällt, als Marcus noch ein junger Teenager ist, einem Mord zum Opfer. Der Mörder wird gegen Ende des Films entlarvt. Es handelt sich um Katrinas einstigen Liebhaber, den Gangstaboss Majestic, der eine Affäre zwischen seinem ›Vorgesetzten‹ Leva und der Mutter entdeckt hat.

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Das Männlichkeitsideal dokumentiert sich primär in dem, was Marcus anstrebt (und nach außen trägt): Autonomie, Selbstbestimmtheit, Stärke. Symbolisiert werden diese Männlichkeitsideale durch die eigene Wohnung, Statussymbole wie den weißen Mercedes und teure Streetwear sowie Handlungen, die Souveränität verbreiten sollen (etwa das demonstrative Wegschicken von Charleen beim bewaffneten Racheakt, hier sind Männlichkeitsideal und Machismo praktisch deckungsgleich). Der gemütliche und häusliche Onkel erscheint vor diesem Hintergrund als schwach und domestiziert.

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versucht sich auch Deuce im (Pseudo-)Gangsta-Rap – es sind Versuche, über die Marcus nur lachen kann. Einen mindestens genauso starken Bezug wie seine leibliche Familie stellt die »Wahlverwandtschaft« dar: Die Homies sind gleichermaßen Weggefährten, Freunde als auch Partner im Geschäft mit den Drogen auf der Straße. In dieser Hinsicht wird die Familie (im erweiterten Sinne) betont wertkonservativ an die Spitze der Prioritätenliste gesetzt: Besonders die Geburt des Sohnes und dessen Bedrohungen durch Majestics bilden den ›turning point‹ vom authentischen Gangsta hin zum Gangsta-Lyricist. »Ich kann doch immer für dich tanzen.« (Charleen) Wenn Gangsta-Rap Inszenierungsformen bietet, denen häufig Sexismus vorgeworfen wird, so lässt sich dies mit Blick auf den Sheridan-Film nicht vollständig zurückweisen. Der Film knüpft zum Teil an die im HipHop des Öfteren zu beobachtende dualistische Konstruktion des Frauenbildes Hure/Heilige an. Stereotyp lässt sich dies besonders in Nebenszenen beobachten, in denen Frauen lediglich als sexuell befriedigendes Ornat integriert sind (zum Beispiel wenn einer der Freunde von Marcus mit zwei nackten Frauen nach durchzechter Nacht auf dem Sofa aufwacht, oder aber eine cracksüchtige Frau auf der Party in Marcus’ Wohnung hinausgeworfen wird und so als dämliche Konsumentin stigmatisiert wird). Desweiteren spielen Frauen nur als Kulisse für die Spazierfahrten im weißen Mercedes oder aber als Dekor bei Clubbesuchen eine Rolle: Sie signalisieren der »cruisenden« und feiernden Gang Zuspruch und stärken sie in ihrem zur Schau getragenen Reichtum. Im Falle Katrinas, Marcus’ Mutter, wird die Rolle der Mutter als Heiliger zum Teil gebrochen. Die Mutter wird einerseits als liebevolle Beschützerin inszeniert, zum anderen aber auch als Drogendealerin mit unstetem Lebenswandel, die das Kind zu häufig an die Schwester abgibt, thematisiert. Dennoch wird deutlich, dass die Sozialisation des jungen Marcus maßgeblich durch die Mutter erfolgt, die auch mit materieller Unterstützung den absenten Vater zu kompensieren sucht. Schlussendlich fungiert sie als emotionale, idealisierte Bezugsgröße für Marcus – sowohl zu Lebzeiten als auch post mortem. Die Mutterfigur ist trotz der skizzierten Brüche letztendlich in die Kategorie der ›Heilligen‹ einzuordnen. Etwas schwieriger erscheint die Konstruktion der Freundin Charleen. Aufgewachsen mit Marcus und aufgrund der offensiven Raplyrics des

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Nachwuchsrappers von ihren Eltern zu Verwandten verbracht, stellt sie für Marcus eine Art ›Engelsfigur‹ dar: Der negative Lebenswandel wird sukzessive durch den Kontakt mit Charleen zum Positiven verändert: Die Geburt des Sohnes und ihre aktive Unterstützung nach dem fast tödlichen Anschlag bringen den Gangster zu dem Entschluss, dem Rap nachzugehen und den Drogenhandel hinter sich zu lassen. Charleens Handeln eröffnet so neue Perspektiven im Leben des deprimierten Marcus. Dennoch: Über die Rolle der Heilligen und einen allein dem Zuspruch und der Unterstützung des Mannes gewidmeten Handlungsradius gelangt sie zumeist nicht hinaus. So werden potentiell Autonomie gewährende Handlungsspielräume schnell zugunsten der Rapkarriere des männlichen Partners fallengelassen. Auf die Frage, was denn mit der Verwirklichung ihres Traumes, Tänzerin werden zu wollen, sei, antwortet sie Marcus gegenüber, dass sie doch immer für ihn tanzen könne. In diesem Sinne sind sowohl die Mutter als auch die Lebensgefährtin nicht stereotyp in den Dualismus von der Heilligen und der Hure einzusortieren, können diesen aber auch nicht grundlegend durchbrechen. Zeiten ändern dich Ähnlich wie in Get Rich or Die TryinҲ hat auch Zeiten ändern dich das biografische Projekt des Protagonisten zum Kernelement. So findet sich der kleine Anis in einer Welt negativer Vorzeichen wieder, die nicht nur für einen jungen Menschen schwer erträglich wirken, sondern auch perspektivisch eine gefestigte soziale Stellung in der Mitte der Gesellschaft als für ihn unwahrscheinlich erscheinen lassen. Wie sich im Laufe des Films zeigen soll, gelingt es Bushido jedoch, den für ihn ungünstigen Rahmenbedingungen zu trotzen. Dieses Motiv des stigmatisierten Einzelkämpfers, der sich kontinuierlich gegen die Zumutungen einer widrigen Umwelt behaupten muss und dabei nicht nur ›über die Runden‹, sondern (wenigstens mittelfristig) zu Wohlstand und Ansehen kommt, spiegelt sich sowohl im Gesamtverlauf des Films als auch in einzelnen szenischen Darstellungen. So kommt es gleich eingangs zu einer Situation, in der der junge Anis von seiner Lehrerin angewiesen wird, ein Gedicht vorzutragen. Ihr Unterton lässt den Zuschauer hierbei vermuten, dass sie Grund zu der Annahme hat, dass dies dem Angesprochenen nicht gelingen wird. Indem dieser jedoch der Aufforderung auf etwas unkonventionelle Weise nachkommt, kommen sei-

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ne Klassenkameraden in den Genuss einer gerappten Version von Goethes ›Erlkönig‹,7 die allerdings den Spott eines Mitschülers auf sich zieht. Dieser wird für seine vorlaute Beleidigung von Anis allerdings schnell handgreiflich in die Schranken gewiesen, womit sich der Rapper den Respekt einer Klassenkameradin verdient, die ihm gegenüber im Nachhinein ihre Bewunderung zum Ausdruck bringt. Mittels einer eingehenderen Betrachtung kann hier das Muster transparent gemacht werden, nach welchem die Herleitung von Anerkennung gegenüber Bushido funktioniert: Der junge Anis wird mit sozial als legitim betrachteten Anforderungen konfrontiert, von denen man allerdings nicht erwartet, dass er ihnen gerecht werden kann. Indem er diese Anforderungen nun aber nicht nur grundlegend, sondern auch auf unkonventionelle Weise erfüllt, kommt es zu Gegenreaktionen von Seiten ›der Etablierten‹, der mehrheitsdeutschen Mitschüler. Doch auch diesen versteht der junge Protagonist zu trotzen. Eben noch als Outcast und Sonderling stilisiert, gewinnt er durch den Zuspruch seiner Klassenkameradin die symbolische Anerkennung seiner Umgebung.8 Dieselbe Motivstruktur findet sich – wie angemerkt – allerdings auch im Gesamtverlauf des Films: Die MehrfachStigmatisierung in den Dimensionen Geschlecht, Klasse und Ethnizität (und mit Abstrichen auch Körperlichkeit) wird im Rahmen des Films an zahlreichen Stellen versinnbildlicht. Beispielhaft lässt sich hier für die Klassen- und Geschlechterdimension das Verhältnis des jugendlichen Anis/ Bushido zu seiner Freundin anführen. So dient die Darstellung eines oberschichtsspezifischen Lebensstils, wie er im Film auch von der Freundin und ihrer Familie gepflegt wird, einer stereotyp-dichotomen Zuschreibung von Bodenständigkeit an den Protagonisten, die durch die dekadenten Verhaltensmuster der Familie der Freundin kontrastiert werden. Unangenehme Situationen am Mittagstisch, in denen sich die Eltern unsensibel gegenüber den muslimischen Essgewohnheiten sowie den beruflich-finanziellen Per-

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Vorherige Versionen des Gedichtes wurden im deutsch-österreichischen Kanon etwa von Franz Schubert oder Carl Loewe vertont.

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Ohne Frage spielt hier auch die Geschlechterdimension eine entscheidende Rolle. Während der männliche Mitschüler als Kontrahent erscheint, gegen den Anis/Bushido sich behaupten muss, kommt der Mitschülerin eine neutrale Entscheiderinnenfunktion zu. Ihre Anerkennung ist demjenigen gewiss, der in bestimmter Hinsicht am leistungsfähigsten ist.

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spektiven ihres jugendlichen Gastes äußern. Da es diesem mittlerweile gelungen ist, im Rahmen einer durch die aufrichtige Unterstützung seiner Mutter ermöglichten Kleindealerkarriere einiges an ökonomischem Kapital zu akquirieren, kann er ein weiteres Mal Unabhängigkeit inszenieren, indem er bei seinem furiosen Abschied vom Mittagstisch eine nicht unbeträchtliche Summe D-Mark (schließlich befinden wir uns noch in den 1990ern) auf den Tisch wirft und sich mit dem Sarkasmus des zutiefst Gekränkten für das gute Essen bedankt.9 Dass die Beziehung zwischen Anis und seiner Freundin ihrerseits vor allem durch den Egozentrismus seiner Freundin geprägt ist, versinnbildlicht die stereotypen Zuschreibungen in den genannten Kategorien nicht nur in der Dimension Klasse, sondern auch hinsichtlich der Geschlechterzugehörigkeit. Folgende Äußerung von Anis zeigt, wie aufgebracht dieser nach den geschilderten Ereignissen am Mittagstisch im Hause der Freundin ist: »Ich würde nie in eure Gesellschaft reinkommen, nicht in 1000 Leben. Ihr würdet mich nie reinlassen. Nicht in 1000 Leben. Und weißt du was? Ich scheiß auf eure Gesellschaft.«

Es wäre übertrieben zu sagen, dass sie hierfür keinerlei Verständnis aufbringen kann; tatsächlich geht sie nämlich noch nicht einmal weiter auf seine Aufregung ein und motiviert ihn stattdessen zur Aufnahme sexueller Handlungen: Die Schnittstelle von Weiblichkeit und Oberschichtenzugehörigkeit markieren Egozentrismus und mangelnde (Fähigkeit und/oder Bereitschaft zur) Empathie. Diese Form der Darstellung korrespondiert mit verschiedenen anderen Darstellungen von Weiblichkeit. Hierbei gibt es allerdings eine Ausnahme: Bushidos Mutter wird im Film als einzige Frau durchweg positiv dargestellt.10

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Verschiedene weitere Dekadenzmotive im Haus der Eltern illustrieren ihren verwerflichen Lebensstil. So schmückt den Wohnzimmerboden z.B. das präparierte Fell der verstorbenen Hauskatze, das später im Rahmen einer sexuellen Interaktion zwischen Anis und seiner Freundin als Gegenstand einer symbolischen Retourkutsche in Erscheinung tritt.

10 Güngör (2006: 81) beschreibt diese dichotome Darstellung eines dichotomen Weiblichkeitsbildes mit den Polen ›Heilige‹ und ›Hure‹, welches er als typisch für Gangsta-Rap-spezifische Äußerungen charakterisiert.

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Das Motiv der erfolgreichen Anstrengung, die unter widrigen Bedingungen zum Erfolg führt, findet sich – mit Abstrichen – neben der Rapkarriere auch in Bushidos Engagement als Drogenhändler. So gelingt es ihm bereits als Jugendlichem, geschäftstüchtig und vorausschauend eine Lücke im Berliner Haschisch- und Kokainhandel zu entdecken. Sein Engagement in diesem Wirtschaftssegment endet allerdings jäh, nachdem seine Familie im Zusammenhang mit seiner Dealertätigkeit attackiert wird. In der Konstruktion von Glaubwürdigkeit als zentraler Voraussetzung für Anerkennung im Feld der HipHop-Kultur kommt dieser Arbeit als Drogendealer jedoch eine zentrale Bedeutung zu. Ein entsprechendes Moment der Konstruktion von ›Realness‹ findet sich auch in der rap-förmigen Auseinandersetzung Bushidos mit dem Verhältnis zu seinem Vater. Nachdem dieser seine Mutter mehrfach geschlagen hatte, verließ er die Familie, als Bushido noch sehr klein war. Auf das Drängen eines Freundes hin nimmt er im Verlauf des Films mehrfach Kontakt mit ihm auf. Nachdem er zum Geburtstag eine Postkarte von seinem Vater erhält, verarbeitet er seine emotionale Belastung, indem er ein Lied über die Situation erfindet. Dass er beim Soundcheck für ein Konzert vollkommen spontan mit der Überführung seines akuten Gefühlszustands in einen Raptext beginnt, (O-Ton: »Ich habe gesagt, Du sollst mir ’n Beat geben und nicht so eine halbschwule Dröhnung, Mann«) stellt Bushido seine Nähe zur HipHop-Kultur unter Beweis, deren Symbolsystem ihm die fraglos angemessenste Ausdrucksform zu sein scheint.

F AZIT – ANALOGIEN UND D IFFERENZEN IN DER I NSZENIERUNG AUTHENTISCHER S UBJEKTIVITÄT Neben der bereits erwähnten funktionalen Analogie der Filme auf Basis des Epitextes (das verbreitete Wissen über die Künstler »außerhalb« des Filmes steuert den Rezeptionsprozess mit) lassen sich einige weitere Parallelen bilanzieren: Wie an anderer Stelle (Seeliger/Knüttel 2010) gezeigt, lässt sich die Darstellung der eigenen Biografie im Zeichen von Leistungsfähigkeit als zentraler Bestandteil der Inszenierung von Gangsta-RapSprechern identifizieren. Dieser Befund spiegelt sich auch in der vergleichenden Analyse der beiden Filme. Beide Protagonisten durchlaufen eine Karriere sozialer Aufwärtsmobilität unter widrigen gesellschaftlichen Be-

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dingungen, welche letztlich – neben der grundsätzlichen Veranlagung zum Rapper und Geschäftsmann – erst durch besondere Charaktereigenschaften sowie außergewöhnliche Anstrengungen und Entbehrungen ermöglich wird. Hier kommt den biografischen ›Weggefährten‹ der Hauptfiguren eine zentrale Funktion zu. Indem sie den komparativen Hintergrund konstituieren, vor dem die Handlungen der Protagonisten beurteilt werden müssen, entsteht ein Kontext, aus dem Bushido und Young Cesar/50 Cent positiv hervorstechen können. Die jeweiligen Bedingungen in New York und Berlin, welche im kulturellen wie institutionellen Rahmen der USA/BRD zu verstehen sind, stellen hierbei wiederum narrative Ressourcen zur Verfügung, derer die Inszenierung der notwendigen Sprecherattribute bedarf. Neben der ethnischen Segregation urbaner Wohnquartiere, welche die alltägliche Lebenswelt der Akteure darstellen, umfasst die Dimension Ethnizität hierbei auch den Tatbestand der Einkommensunterschichtung, die eine für die Sprecher ungünstige Ausgangssituation schafft. Diese Situation ist wiederum von grundsätzlicher Bedeutung für die Chance, Leistungsfähigkeit durch sozialen Aufstieg zu inszenieren. Unterschiede innerhalb der Inszenierung lassen sich bezüglich der Intensität der in den beiden Filmen dargestellten Konflikte erkennen. Ist Bushidos Dealerkarriereweg im Grunde mit Argumenten gegenüber und finanzieller Unterstützung durch seine Mutter geebnet, bedarf es bei Cesar/50 Cent einer Schusswaffe, die er sich als Teenager illegal besorgt. Während sich handfeste Konflikte im Drogenmilieu in der deutschen Produktion im wesentlichen auf Faustkämpfe und einen im Rückblick vergleichsweise harmlos erscheinenden Überfall auf die Wohnung von Bushidos Mutter beschränken, ist der blutige Bandenkrieg zwischen schwarzen und kolumbianischen Drogengangs in Get Rich or Die TryinҲ fast schon als Rahmenhandlung und Normalitätsimplikation anzusehen. Eine ursächliche Erklärung dieser Unterschiede kommt sicherlich nicht ohne den Verweis auf eine generell höhere Verbreitung von Gewaltkriminalität im US-amerikanischen Raum aus. Allerdings ist auch hier die jeweils unterschiedliche Beziehung zum Ursprungsmythos von Bedeutung: Ist der Entwicklungspfad USamerikanischer HipHop-Kultur geprägt von gewaltförmigen Eskalationen,11

11 Neben bekannten Mordfällen an Rappern wie Tupac Shakur oder The Notorious B.I.G. kommt hier auch sozialgeschichtlichen Konflikten, wie sie im Zuge des Civil Rights Movement (Kage 2002) oder den ›Race-Riots‹ von Los Angeles

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die einen für die aufmerksamkeitsökonomisch rationale Inszenierung zu übertreffenden Schwellenwert an dargestellter Gewalttätigkeit im ›authentischen Streetlife‹ als nahezu unumgänglich erscheinen lassen, liegt diese Schwelle im deutschen Raum deutlich niedriger. Sind die – um die Angelegenheit etwas plakativer zu formulieren – auch im deutschsprachigen Gangsta-Rap bisweilen geäußerten Todesdrohungen bis auf den (angeblichen) Schusswaffenangriff auf einen bekannten Berliner Rapper ausgeblieben, bedarf es im US-Gangsta-Rap schon nicht weniger als neun Kugeln im Körper, um aus der Masse inhaftierter und vorbestrafter Genrevertreter herauszutreten. Im Rahmen seiner kultursoziologischen Arbeiten zur Bedeutung von Erfolg in der modernen Gesellschaft arbeitet Neckel (2008) in zeitdiagnostischer Absicht dreierlei Entwicklungstendenzen heraus, die die Handlungslogik aus dem Feld des Gangsta-Rap zu erfassen vermögen: Eine »Pflicht zum Erfolg« (ebd. 9) ergebe sich demnach aus dem Zusammenspiel einer »Ausweitung des sozialen Wettbewerbs […], der sich über die Wirtschaft hinaus verallgemeinert hat« mit der »Individualisierung gesellschaftlicher Selbstzuschreibungen« sowie einer »Ausbreitung instrumentalistischer Verhaltensweisen und Einstellungen in zahlreichen Lebensbereichen«. Sowohl bei Bushido als auch bei Young Cesar ist eine unbedingte Leistungsethik zu erkennen, die die Grenze zwischen Erwerbs- und Privatsphäre erodieren lässt. Das biografische Projekt ist beim (erfolgreichen) Gangsta-Rapper ein totales. Das Motiv der Gewinnmaximierung steht im Vordergrund und wird lediglich durch subkulturelle Verhaltenscodizes umgrenzt. Charakteristisch ist hierbei allerdings die auch von Neckel beschriebene Ausdehnung ökonomischer Prinzipien auf Handlungsfelder jenseits der genuin wirtschaftlichen Sphäre. Die zeitdiagnostische Kraft von Neckels Analyse lässt auch sichtbar werden, dass Gangsta-Rap keine zufällige Erscheinung ist, sondern im Rahmen umfassender soziokultureller Entwicklungen anzusiedeln ist. So wurde die erfolgreiche Erwerbskarriere als Rapper bereits an anderer Stelle als Ausdruck der Ambition auf den Vertretungsanspruch hegemonialer Männlichkeit herausgearbeitet (Seeliger/Knüttel 2010). Unter Bedingungen des verschärften Wettbewerbskapitalismus, der neue Subjektivierungsformen hervorbringt (Lessenich 2008; Bröckling

aus dem Jahr 1992 zu Tage traten, eine gar nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.

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2007; Dörre et al. 2009), sind gerade Emanzipations- und Empowermentnarrative passgenau, wie sie für Gangsta-Rap typisch und mit dem Wunsch nach kultureller und sozialer Anerkennung verbunden sind: Unter Bedingungen »performativer Anerkennungsverhältnisse« (Rosa 2009) können ursprüngliche Rapmotive, die sich mit der Thematisierung sozialen Außenseitertums und Stigmatisierung (z.B. auf Grund von Ethnizität) befassen, effektiv zusammenwirken, um zeitgenössischen Anforderungen entsprechen zu können.

L ITERATUR Amend, Lars; Bushido (2008): Bushido. München: Riva. Bohnsack, Ralf (2009): Qualitative Bild- und Videointerpretation. Opladen und Farmington Hills, Verlag Barbara Budrich. Bohnsack, Ralf (2008): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 7. durchgesehene und erweiterte Auflage. Opladen und Farmington Hills, Verlag Barbara Budrich. Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer neuen Subjektivierungsform. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Dörre, Klaus et al. (2009): Soziologie, Kapitalismus, Kritik. Eine Debatte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Lessenich, Stephan (2008): Die Neuerfindung des Sozialen. Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus. Bielefeld: transcript. Fiske, John (2001): Fernsehen: Polysemie und Popularität (orig. 1986). In: Die Fabrikation des Populären. Der John Fiske Reader. Hrsg. von Rainer Winter und Lothar Mikos. Bielefeld, transcript Verlag. Genette, Gérard (1992): Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. New York, Campus Verlag. Güngör, Murat (2006): »in meinem block träumt jeder von dem großen geld«. Ein Gespräch mit Murat Güngör über Getto, Gangstarap und Migration. In: Loh, Hannes; Verlan, Sascha (2006): 25 Jahre HipHop in Deutschland. Höfen: Hannibal. Kage, Jan (2002): American Rap. US – Hip Hop und Identität. Mainz, Ventil Verlag 2002. Klein, Gabriele; Friedrich, Malte (2003): Is this real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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Knüttel, Katharina; Seeliger Martin (2010): »Ihr habt alle reiche Eltern, also sagt nicht, ›Deutschland hat kein Ghetto!‹« Zur symbolischen Konstruktion von Anerkennung im Spannungsfeld zwischen Subkultur und Mehrheitsgesellschaft. In: Prokla 160 (3). Loh, Hannes; Verlan, Sascha (2006): 25 Jahre HipHop in Deutschland. Höfen: Hannibal. Neckel, Sighard (2008): Flucht nach vorn. Die Erfolgskultur der Marktgesellschaft. Frankfurt a.M./New York: Campus. Nord, Christina (2000): Gegen feste Zechen. Sichtbarkeit und Sichtmarmachung jenseits der heterosexuellen Anordnung. In: Holter, Tom (Hg.): Imagineering. Visuelle Kultur und Sichtbarkeit. Köln: König, 156-170. Pries, Ludger (2008): Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Robertson, Roland (1998): Glokalisierung. Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt a.M., 198-220. Rosa, Hartmut (2009): Kapitalismus als Dynaminisierungsspirale – Soziologie als Gesellschaftskritik. In: Dörre, Klaus; Lessenich, Stefan; Rosa, Hartmut: Soziologie - Kapitalismus - Kritik. Eine Debatte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 87-125.

F ILME : Sheridan, Jim: Get Rich or Die Tryin’. MTV Films/Interscope/Shady/ Aftermath 2005. Edel, Uli: Zeiten ändern dich. Bernd Eichinger (et al.) 2010.

Kunst und Gangsta-Rap im Lichte der Rechtsprechung T HOMAS H ECKEN

E INLEITUNG Das Triviale, künstlerisch Bedeutungslose kann man leicht erledigen, indem man es an das Jugendalter koppelt. Damit ist seine Existenz gut begründet, und dem Erwachsenen wird ab und zu eine Regression zugestanden (rechtlich werden ihm kaum Beschränkungen dabei auferlegt). Allerdings hat man sich dadurch das Problem eingehandelt, dass es sich bei den vorausgesetzten Hauptabnehmern trivialer Ware um formbare, verführbare Aufwachsende handelt, die im Sinne richtiger Erziehung davor bewahrt werden müssen. Das Triviale hieß in seiner bedrohlichen Variante früher »Schmutz und Schund«, heute spricht man von der Gefahr sozial- und sexualethischer Desorientierung, die von den entsprechenden Produkten ausgehe. Die Kontrolle darüber, wo das rechte Maß anzusetzen ist, wie viel davon einem Kind, einem Jugendlichen zumutbar ist, meinen Legislative, Judikative, Exekutive nur zum Teil den Erziehungsberechtigten einräumen zu können. Die Gefahr sieht man dann gegeben, wenn das Leichte ernst wird, wenn der triviale Reiz sich wichtiger Themen bedient. Gewalt und Sexualität als die beiden Reaktionsauslöser par excellence finden sich in Darstellungen wieder, die das Wichtige, Ernste, indem sie es »naiv« – nicht reflexiv gebrochen – zeigen, ins Gegenteil verkehren und dadurch für den Kritiker noch ernster werden lassen.

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Man hört in den beanstandeten Artefakten von der Attraktivität der Gewalt, wie man anderen seinen Willen aufzwingen kann, man sieht das Faszinosum der Waffe, wie die Kugel den Körper deformiert, das Blut fließt in der Röte von Technicolor etc. – aber es fehlt zu den Reiz- und Schauwerten eine Legende, die das Geschehen auf eine Weise moralisch oder psychologisch deutet und einfasst, die das Effektvolle mit einer pädagogisch sinnvollen Botschaft versieht. Man hört und sieht, wie vom »Einen« alles andere gesteuert wird, selbst die Aggression, die auch den Sexualakt bestimmen kann, wird vulgär benannt oder gar gefeiert. Noch jedes neue Medium bis hin zum Computerspiel oder dem Internet ist mithilfe solcher Attraktionen marktfähig geworden, noch jedes Mal hob eine Zensurdebatte neu an, die die Aufmerksamkeit wieder darauf lenkte. Es bleibt die Frage, in welchem Maße das Verbot den Reiz ausmacht und ob liberale Freizügigkeit den Grad des Reizwerts verkleinert oder zum Verschwinden bringt. Am Ende eines solchen Nivellierungsprozesses verbliebe dann das Triviale, jetzt ganz und gar als Aufhebung von Schmutz und Schund, in einer vergnüglichen, mäßig reizvollen bunten Form übrig, vollkommen von Schuld, Ekel und dem Kitzel der Übertretung gereinigt, nach dem Bilde einer unchristlichen Postmoderne geformt – und indirekt sogar an den Autonomiepostulaten moderner Kunst ausgerichtet, die darauf bestehen, dass auch moralisch und pädagogisch abträgliche Inhalte und Darstellungsweisen nichts über den möglichen Kunstwert aussagen. Klagen über die Unmöglichkeit, noch zu schockieren, scheinen die Durchsetzung solcher Nivellierung heutzutage zu bestätigen. Häufig hört man nun von der Schwierigkeit, ja tendenziell Unmöglichkeit, im künstlerischen Raume, dem Reservat spielerischer, von den Zwängen der Realität entlasteter wie entlastender Formsprache, länger Anstoß zu erregen. Selbst im Falle, dass Zuschauer bei einer blutigen Performance nicht nur herumstehen und zugucken, es bleibt doch immer ein Kunstereignis, spezielle Räume, besondere Reihen, besondere Privilegien. Wie Kunst kaum je zum Alltagsleben wird, so gerät die ästhetische Provokation nicht länger zum Obszönen. Prominent sind diese Klagen aber einzig aus künstlerischem Munde: Wirkung verblasse, es reiche, wenn überhaupt, gerade noch zur Distinktion. Das Wort scheint nicht mehr mit der Tat verbunden, die Rede folglich frei und unerhört. Niemand, außer Altvorderen, wolle mehr etwas obszön finden. Liberalität setzt Wirkungslosigkeit voraus oder schafft sie sogar erst,

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heißt der ästhetische Vorwurf. Tatsächlich wird dem Obszönen, als dem über den Akt hinausweisenden Angriff auf die Norm, selbst vor Gericht mittlerweile gerade Sinnhaftigkeit, damit Kunsteignung, also Rechtmäßigkeit attestiert. Solange die Werte des modernen Schönen aufscheinen – fiktionale Welt, nicht-alltägliche Sprache, Rätselhaftigkeit –, greifen die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs nicht; nur schlechte Literatur wird im Ausnahmefall noch als pornografisch, gewaltverherrlichend, staatsfeindlich verboten. Schlecht bedeutet trivial. Zu Beginn der Geschichte der Avantgarde-Bewegungen lag der Fall noch anders: Die Fabrikation gewöhnlicher Stimulantien – damit der einfache Genuss – sollte vermieden werden (darin kommen alle avantgardistischen Bestrebungen überein, seien es die Henry Millers oder RobbeGrillets, von Dali oder Malewitsch), um einen juristischen Effekt zu erreichen. Zum angestrebten Schockeffekt führte bei den noch erkennbar narrativ oder figurativ arbeitenden Schriftstellern oder Malern zumeist die Darstellung von Handlungen, die – gleichgültig ob mit oder ohne fiktive Hilfe vollbracht – rechtlich unter Strafe standen. Das Gesetz ist die Bedingung der Wirkung des künstlerischen Verbotsbruchs. Nur: Genau die Titel, die zuvor im Namen des Obszönen, Schockierenden geschrieben und publiziert worden waren, lösen einen derartigen Eindruck heute nicht mehr aus. Immerhin gehört der surrealistische Kanon inzwischen auch zum Kanon der Hochkultur. Anstößig – nicht unbedingt immer im sexuellen, sondern im geschmackssoziologischen Sinn – wirken nun allein der billige Pornofilm, das Heftchen oder auch die Texte zu Musikformen, die sozial deklassierten Schichten zugerechnet werden. Das Bekenntnis zu Bataille oder de Sade hingegen ruft keine ästhetische Abscheu mehr hervor; der Verfasser des Textes »Babyficker« bekommt unter gut zwanzig anderen Autoren in Klagenfurt den Höchstpreis zugesprochen. Rechtlich gesehen stößt diese Wertungsdifferenz auf keinen Einwand mehr. Nicht die Gemeinsamkeit – der sexuelle Gegenstand –, sondern der ästhetische Rangunterschied gibt inzwischen auch juristisch den Ausschlag. Man erkennt daran die seit Kant durchgesetzte Trennung von Moral und Kunst: Goutiert wird die Fantasie, die sprachliche Ausarbeitung, nicht die Lehre; die Darstellung, nicht das Dargestellte. Nur der triviale, nach Identifikationsmöglichkeiten suchende Leser, der sich für Inhalte und damit verbundene Wirkungen interessiert, erinnert immer an die Möglichkeit des Gegenteils. In dieser Hinsicht rückt das, was von Seiten der legitimen

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Kunst und der ihr verpflichteten Rechtsprechung als trivial benannt wird, mittlerweile insofern zur Avantgarde auf, als das Triviale noch als gefährlich eingestuft wird, wenn es pornografisch und gewaltverherrlichend erscheint. Die juristisch instrumentierte Bevormundung hat sich allerdings in Deutschland (und nicht nur hier) im Laufe der Zeit, von 1950 bis Anfang der 1990er Jahre, stetig verringert. Bis in die 1980er Jahre hinein ist von bundesdeutschen Gerichten immer wieder ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1893 herangezogen worden. In seinem grundlegenden Urteil in Sachen Kunst versus Unzucht gestand es den vorbildlichen Künsten die Fähigkeit zu, dank ihrer Formgebung sogar Darstellungen von »Vorgängen geschlechtlichen Charakters« so »durchgeistigen« und »verklären« zu können, dass »beim Betrachter die sinnliche Empfindung durch die interesselose Freude am Schönen zurückgedrängt wird« (RGSt 24, 367). Damit sind Theoreme der idealistischen Ästhetik wie Prinzipien der Autoren des bürgerlichen Realismus getreulich übernommen und zu Rechtsgütern erklärt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich (erst) vor rund 30 Jahren von dieser idealistischen Kunstbestimmung verabschiedet. Jetzt gilt als Maxime, den grundgesetzlichen Kunstbegriff als offen und historisch relativ anzusetzen. Registriert werden muss deshalb vom höchsten Gericht heutzutage, was unter sogenannten Drittanerkennern, also in institutionalisierten und publizistisch tätigen Kunstkreisen, als Kunst gilt (dazu ausführlich Hecken 1997). Die Auffassung z.B., dass Pornografie nie Kunst sein könne, ist im Zuge dieser Beobachtung von Kunstkreisen vom Bundesverfassungsgericht einkassiert worden. Das hat zur Folge, dass im Falle der Pornografie – aber auch in Fällen der Blasphemie, Gewaltverherrlichung, der Veröffentlichung intimer biografischer Daten – jetzt, da der Kunstbegriff weiter angesetzt wird, so gut wie immer eine Abwägung vorgenommen werden muss. So sind also heutzutage fast durchgehend Kunstfreiheit auf der einen und Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte, Jugendschutz etc. auf der anderen Seite im Einzelfall jeweils abzuwägen. Wenn man sich nun die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts des letzten halben Jahrhunderts ansieht, ergibt sich darum folgender Befund: Die vom Verfassungsgericht als »Rechtsgüter« mit »Verfassungsrang« bezeichneten Normen oder Werte sind in diesem Zeitraum im Sinne der geforderten Abwägung und Konkordanz so abgewogen und zum Aus-

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gleich gebracht worden, dass die Indizierung eines literarisches Werkes mal als verfassungsgemäß, mal als nicht verfassungsgemäß eingestuft worden ist. Als nicht selbstverständlich muss man einstufen, dass die Grundrechtsnormen bzw. -werte das aushalten. Dies ist, anders gesagt, ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den Stand der Systemausdifferenzierung: Die Urteile werden hingenommen und die von den Gerichten als zugrunde liegend hervorgehobenen Grundnormen und Werte werden nicht bezweifelt, selbst wenn die höchstrichterlichen Urteile mit geringem zeitlichem Abstand durchaus unterschiedlich ausfallen. Der letzte Stand der Dinge solch rechtlicher Absegnung sieht kurz gesagt so aus, dass auf der einen Seite ein sehr weiter Kunst-Begriff zugrunde gelegt wird (dazu später noch mehr), auf der anderen Seite u.a. der Jugendschutz, von dem im Grundgesetz keine Rede ist, über Art. 1 und 6 des Grundgesetzes als miterfasst gilt und somit in einen Verfassungsrang aufrückt. Der Jugendschutz muss im Rahmen dieses Aufsatzes hervorgehoben werden, weil in seinem Namen die Beschlüsse gegen eine ganze Reihe von Gangsta-Rap-Werken ergangen sind. Die Kunstfreiheit kann dahinter zurückstehen, wenn (bzw. weil) im Einzelfall (also bei einem spezifischen Werk) von Wirkungen ausgegangen wird, die die psychische »Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit […] gefährden«. Zu dieser Gefährdung tragen nach den weiteren Ausführungen des § 18 Abs. 1 Jugendschutzgesetz »vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeiten, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien« bei. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) setzt solche ihrer Auffassung nach gefährlichen Werke auf einen Index; indizierte Werke dürfen Personen unter 18 Jahren nicht zur Kenntnis gebracht werden, was zur Folge hat, dass indizierte Werke weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwinden und nur an bestimmten Orten, zu denen Kinder und Jugendliche keinen Zugang haben, gezeigt, angeboten etc. werden können. Die betroffenen Verfahrensbeteiligten der zur Indizierung vorgeschlagenen Werke können bei den Sitzungen der BPjM nicht nur (von Anwälten unterstützt) selbst Stellung nehmen, sondern auch Fachgutachter heranziehen. Im Falle einer Indizierung durch die BPjM können dagegen Rechtsmittel eingelegt werden, die Indizierung kann dann von Gerichten (bis hin zum Bundesverfassungsgericht) überprüft und ggf. rückgängig gemacht werden.

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D AS K UNST -ARGUMENT Wie solch eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz ausfallen kann, soll im Folgenden am hypothetischen Beispiel eines Gutachtens zur umstrittenen Berliner Hip-Hop-Gruppe K.I.Z. demonstriert werden. Die BPjM sieht die Gruppe im Umfeld des »Porno- und Gangsta-Raps«, konzediert aber, dass K.I.Z. aus dem Gangsta-Rap bekannte und als jugendgefährdend eingestufte Aussagen ironisiert und verfremdet (BPjM 2010a: 23 ff.). Obwohl sie die »Verwendung derber und sexistisch-diskriminierender Sprache« grundsätzlich für »sehr bedenklich« hält, spricht die BPjM darum im Falle von K.I.Z. keine Indizierung aus (ebd. 26). Solch ein Bescheid setzt freilich voraus, dass es einen Antrag auf Indizierung gegeben hat – und ein Verfahren, in dem der Antrag begründet und von der Gegenseite zurückgewiesen wurde. Solch eine begründete Zurückweisung soll hier nach der Logik der Paragrafen und Urteile zur Kunstfreiheit vorgestellt werden. Die folgenden Ausführungen sind einem Gutachten nachgebildet, das der Verfasser dieser Zeilen für die Gruppe Kassierer zur CD »Habe Brille« angefertigt hat. Im damaligen Fall ist dem Indizierungsantrag nicht stattgegeben worden, es steht demnach zu vermuten, dass die nachfolgende Begründung im Falle von K.I.Z. ebenfalls keine abträgliche Wirkung für die Künstler gehabt hätte. Hier nun Ausführungen zur im August 2007 veröffentlichten CD »Hahnenkampf«, die im Lichte der gängigen Rechtsprechung vorgenommen werden und versuchen, den Vorrang der Kunst in Stellung zu bringen: Anwendung von Kriterien des Bundesverfassungsgerichts auf die CD »Hahnenkampf« Von wissenschaftlicher Seite aus ist der Nachweis, ob es sich bei einem speziellen Gegenstand um ein Kunstwerk handelt, relativ leicht zu führen – vorausgesetzt es sind bestimmte Kriterien vorgegeben, deren Einlösung im Einzelfall zu überprüfen ist. Da sich aber seit einigen Jahrzehnten die philologischen Wissenschaften nicht mehr als Wissenschaften verstehen, die neben der Untersuchung von literarischen Texten vor allem auch den entscheidenden Beitrag zu ihrer ästhetischen Bewertung leisten, ist von ihnen eine zugleich substanzielle und emphatische Angabe, was ein Kunstwerk

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sei, kaum mehr zu erfahren. Es werden fast nur noch Angaben darüber gemacht, was ein Epigramm ist, eine Satire, ein Roman usf. Im Feuilleton und in der kunstinternen Debatte werden weitergehende Angaben zwar dauernd vorgenommen, sie lassen sich aber de facto nicht vereinheitlichen. Nach der (vorläufig) epochemachenden Auflösung der ›Kunst‹ ins ›Leben‹ nicht nur innerhalb der bildenden Kunst seit dem Futurismus (mit seinen dadaistischen, surrealistischen, situationistischen u.a. Nachfolgern), vor allem seit der genieästhetischen Absage an verbindliche poetologische Regeln, liegen feste, weitgehend unbestrittene Kriterien nicht mehr vor. Deshalb erleichtert es die Sache (wenn auch auf eine aus künstlerischer, und auch wissenschaftlicher, Sicht vielleicht bedenkliche Weise), wenn entsprechende Kriterien, in diesem Fall juristischer Art, vorgegeben sind. Angesichts der Weite des Kunstbegriffs, die rechtlich durch Wertungsabstinenz und durch eine abwechslungsreiche Reihe technischer, gattungspoetischer und rezeptionsästhetischer Definitionsmerkmale gewährleistet ist, dürften die Bedenken aber eher gering ausfallen. Bezieht man die angesprochenen, vom Verfassungsgericht festgelegten Kriterien auf die CD »Hahnenkampf« der Gruppe K.I.Z., kommt man schnell zu dem Urteil, dass es sich bei ihr um ein Werk der Kunst handelt (erst einmal ungeachtet der Frage, ob es sich um ein gutes oder schlechtes, moralisches oder unmoralisches Kunstwerk handelt). Um ein Kunstwerk nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich, denn: a) es liegt eine Anzahl von Liedern vor, die das Ergebnis einer »anerkannten künstlerischen Tätigkeit« – der des Komponisten und Lieddichters – darstellt (BVerfGE 83, 138; hier auf die Tätigkeit des Schriftstellers bezogen; das Gericht schätzt die Gültigkeit dieses Kriteriums allerdings – ohne sie zu verneinen – als »zweifelhaft« ein). b) das Werk weist »die der Kunst eigenen Strukturmerkmale auf: Es ist Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung« – daran ändern natürlich auch die Verweise (Zitate, Coverversion) auf andere Künstler auf der vorliegenden CD nichts –, »in der Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Autors« in der musikalisch-literarischen Form des Liedes »zum Ausdruck kommen« (ebd.; Anstelle des Liedes ist dort von »der literarischen Form des Romans« die Rede). c) die Lieder lassen – wie noch gesondert zu zeigen sein wird – »eine Reihe von Interpretationen zu, die auf eine künstlerische Absicht schließen lassen« (ebd.).

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Bezieht man in einem zweiten Schritt noch Wertungsaspekte ein, die das Bundesverfassungsgericht ebenfalls vorgibt, ändert sich an der getroffenen Feststellung, die CD »Hahnenkampf« der Gruppe K.I.Z. stelle ein Werk der Kunst dar, nichts. Weil sich nach dem Willen des Gerichts z.B. selbst Pornografie und Kunst nicht wechselseitig ausschließen, unbeschadet sogar von Stil- und Niveauunterschieden sowie der möglichen Wirkung der Werke, steht der Kunsteigenschaft der vorliegenden CD auch nicht die Verwendung obszöner Termini und die Schilderung sexueller und gewalttätiger Handlungen in einer ganzen Reihe von Stücken entgegen. Diese Angaben lassen sich leicht treffen, sie geben einem aber zweifellos keine Anhaltspunkte für weiterführende Einlassungen an die Hand. Gerade vor dem Hintergrund, dass bei strittigen Fällen eine Abwägung zwischen verfassungsrechtlich garantierter Kunstfreiheit und Jugendschutz vorgenommen werden muss, sind solche weitergehenden Einlassungen aber dringend geboten, die das Artefakt in den Zusammenhang seiner Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen stellen. Im Folgenden soll dies nach einer werkimmanenten Analyse der CD »Hahnenkampf« geschehen. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht es auch, in wissenschaftlicher Weise objektive Feststellungen zum Rang des Werks zu treffen, da die Auffächerung des historischen Kontextes zeigen kann, in welchem Maße sich ein Werk zu den Bewertungen und Diskursen verhält, die im Feuilleton und in den Bereichen des Museums, der medialen Kulturprogramme, des Verlagswesens etc. angestellt werden. Werkimmanente Analyse »Geld essen«, das Eingangsstück der CD »Hahnenkampf«, scheint die Gruppe vorzustellen. Die Aussagen werden in der ersten Person Plural oder Singular getroffen, gleich zu Beginn wird der Hörer als »Zeuge« angerufen, als Zeuge für das Schauspiel, »wie K.I.Z. übers Land zieht«. Wie bei den anderen Stücken auch sind zwischen den einzelnen Raps, die sich jeweils auf drei Stimmen verteilen, insgesamt keine gravierenden Unterschiede festzustellen, gegensätzliche Meinungen, beträchtliche Abwechslungen in der Wortwahl, klare Stimmungsschwankungen gibt es nicht (auch wenn einzelne lyrische Ichs sich manchmal wiederkehrende Eigennamen wie »Skinhead Black« geben). In »Geld essen« findet zudem ebenso wie in den folgenden Stücken eine starke Abgrenzung gegenüber anderen statt, die oft

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direkt angesprochen werden, ohne jedoch genau mit Namen oder auch nur als Personenstand benannt zu werden: »Du hast Fans? Ich Jünger, die vor deinem Studio explodieren«; »Deine Mama wird gebumst, bis sich dein Vater verfärbt«. Es scheint sich demnach um eine Selbstfeier im Modus starker, metaphorisch gesteigerter Übertreibung bei gleichzeitiger Erniedrigung anderer zu handeln. Gleich von Beginn an existieren jedoch gegenläufige Tendenzen. »Werdet Zeuge, wie K.I.Z. übers Land zieht/mit Vier-Sack-Antrieb«, heißt es in den ersten beiden Verszeilen; später wird das wieder aufgenommen: »[...] Licht auf mich, ich hol den Sack raus/Früher gab’s für sowas Ritalin, heute Applaus«. Selbstbeweihräucherung sieht zweifellos anders aus; offensichtlich ist bereits das erste Lied von Widersprüchen durchzogen. Dies zieht schnell auch die Greifbarkeit des lyrischen Ich infrage. Heißt es, »Kugeln treffen mich nicht, weil ich 70 Goldketten trage«, kann die Irrealität der Aussage noch evtl. die extrem übertriebene Art der Selbsteinschätzung zum Ausdruck bringen; der Refrain macht solch einen Zusammenhang aber äußerst fraglich. Das Eingeständnis, mit dem Album auf kommerziellen Erfolg abzuzielen, wird dort so pointiert: »Ich habe Hunger/Ich will Geld essen«. Auch ohne die Mitglieder der Gruppe zu kennen, wird es nach solch eigentümlichen Zeilen bereits in rein werkimmanenter Dimension sehr schwer, von einer Identität von lyrischem Ich und Autorsubjekt auszugehen und die Aussagen als authentische Absichtserklärungen und Selbstbeschreibungen der Rapper aufzufassen. Die weiteren Lieder machen das dann deutlicher, wenn das lyrische Ich mal als K.I.Z.-Rapper, mal als Schüler auftritt. Eine Konstante ist dabei freilich, dass die Aussagen dieser immer männlichen »Ich«-Figuren stets von großer Prägnanz und in offensiver Abgrenzung zu anderen, minderwertigen Personen und Personengruppen getroffen werden: »Wir tragen Nike Air Max, ihr tragt Holzschuhe«, sagen die Schüler auf »Klassenfahrt« den Landbewohnern nach; ein »wir«, das sich als »K.I.Z.-Crew« bezeichnet, sagt über sich: »[...] keine Schwänze, sondern Baumstämme,/Keine Säcke, sondern Staudämme«. Diese Aussage dient wiederum der Abgrenzung, hier gegenüber dem »Spast«, dem ins Gesicht gesagt wird: »Spast, du trägst Cordjacken/Spast, du spielst MagicKarten/Spast, du wählst 0190 und willst heiraten/Du rennst zur Arbeit mit deinem zu engen Schlips«. Auffällig ist hierbei aber auch der starke Kontrast zwischen der konventionellen Denunzierung eines modernen Spießers

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und der vollkommen überzogenen Darstellung der eigenen Potenz. Vollends ins Zwielicht rückt das vorgebliche Eigenlob sogar, wenn es kurz danach heißt: »Die probieren K.I.Z. schlecht zu benoten/Doch wir werden von führenden Kriegsverbrechern empfohlen«. Um in solchem Selbstlob eine parodistische Form zu erkennen, braucht es keine besondere Aufmerksamkeit oder analytische Kompetenz; diese braucht man auch nicht, um auf die Differenz zwischen lyrischem Ich und den (vermuteten) Ansichten der Autoren (bzw. der Band) zu kommen. Ein Song wie »Pauch It« lässt diese Differenz und die parodistische Grundhaltung geradezu überdeutlich hervortreten, wenn auf die übliche Selbsteinschätzung »Ich bin sexy« sofort die Erläuterung folgt: »Ich bin sexy: gelbe Zähne, gelbe Finger, schwarze Füße«. Das Lob des Rauchens, das dieses auf die drei Rapper verteilte »Ich« zusammen mit dem obligatorischen Selbstlob verbreitet, ist vollkommen uneigentlich; dadurch wird auch die gewohnheitsmäßige Aggression gegen andere und gegen staatliche Stellen rückhaltlos entwertet bzw. ins Gegenteil verkehrt: »Fick das Gesundheitsamt, ich nenne sie die Vitamin-Mafia«; »Glaub euch kein Wort, als wenn man zwei Lungenlappen brauch./Scheiß was auf Psychologen, ich kenn plastische Chirurgen«. Typisch für die K.I.Z.-Texte ist, dass das lyrische Ich aber selbst nie in Zweifel über seine Aussagen gerät; den uneigentlichen Status dieser Aussagen muss stets der Hörer erkennen. Er wird wie in jeder anderen Satire auch nicht noch innerhalb des Textes expressis verbis darüber informiert, dass es sich um eine solche handelt. So bleibt es auf der Textebene bei den selbstgewissen, überzogenen, aber natürlich auch sich selbst dekouvrierenden Aussagen der lyrischen Ich-Sager: »Ich kann noch prima atmen, vielleicht nicht mehr Treppensteigen./Dafür könnte dieser Atem selbst ne Zigarette sein«. Angesichts solcher und anderer Textstellen gibt es insgesamt sehr guten Grund daran zu zweifeln, dass die getroffenen Aussagen a) als Ansichten der Autoren oder b) als Selbstlob oder als lediglich zum Zwecke der Deutlichkeit übertriebene, ernsthaft gemeinte Einschätzungen des jeweiligen lyrischen Ich aufzufassen sind. Folglich geraten auch die Aussagen und Beschreibungen der Lieder, die brutal und obszön deutlich vorgetragen werden, ins Zwielicht der Ironie und der satirischen Form. Zu den hervorstechendsten Eigenschaften der CD zählt nämlich die knappe, nicht narrativ entfaltete, aber zumeist mit einer detaillierteren Angabe versehene, immer

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in vulgärem Jargon und mitleidlos gehaltene Benennung von Sexualakten und Gewalttaten. In einem Fall ist dies sogar mit dem Ruch nationalsozialistischer Codierung versehen, als in dem Lied »Der Schöne und das Biest« ein lyrisches Ich, das als »Gegendemonstrant« von »Nazis« gefangen wird, der Werbung einer »Skinhead-Fotze« – »Und sie fragte: Glaubst du an die Holocaustlüge/Verbotene Liebe, erotische Triebe?« – nicht widerstehen kann. In diesem äußerst prekären Fall erfolgt allerdings die Aufklärung ausnahmsweise sofort auf der Textebene selber, indem die »verbotene Liebe« mit einer antifaschistischen Pointe endet, welche faschistische Klischees aggressiv gegen die Nazis behauptet: »Und sie wählt NPD, doch sie zieht mich an/Ich erfülle das Klischee schwarzer Riesenschwanz //Das totale Glied, wir haben harten Sex/Kanacken-Style, danach nehm ich ihr die Arbeit weg«. Dies bleibt aber eine, freilich bezeichnende, Ausnahme. In den meisten anderen Songs gibt es solche (im obigen Fall ja auch noch eher indirekte) Aufklärung auf der Textebene nicht, wo Klischees gleich als solche benannt werden. Sonst fabulieren und renommieren die lyrischen Ichs vollkommen unreflektiert; stellvertretend seien hier wenigstens ein paar besonders vulgäre und blutige Beispiele genannt: »Es geht ein-lauf, rein-raus/Sie macht alles für mich, weil ich für sie ein-kauf/Sie schwärmt von damals, alles passé/Ihr bester Gangbang war die rote Armee« (aus dem Lied: »Der Schöne und das Biest«). »Ich bin aufgestylt, Pediküre, Maniküre, Gurkenmaske/Braungebrannt bei Solarent, ich mache mich schön, bevor ich Huren schlachte/Geisterstunde, Zeit für meine Runde, Skinhead Black will ein Menschenopfer/Salzsäure in meiner Wasserpistole, ein typischer K.I.Z.-Schenkel-klopfer« (Lied: »Walpurgisnacht«). »Ich nehme sie bei der Hand und überprüfe, ob sie schwimmen kann im Sumpf./Herz ist Trumpf, ich hab keins, zeig mir deins, es schmeckt gut./Ich beiße hinein und spüre den Adrenalinschub./Dein Vater sieht zu, doch er kann nichts machen/Außer mich hassen, denn meine Zombies bedrohen ihn mit Stichwaffen« (Lied: »Neuruppin«).

Oft kommen aber zu der bereits angesprochenen Logik fantastischer, extremer Übersteigerung, die sowohl den Wirklichkeitsgehalt als auch die Ernsthaftigkeit der brutalen, obszönen Bekenntnisse dementiert, nicht nur im Rahmen der gesamten CD, sondern bereits innerhalb der einzelnen Stü-

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cke auffällige semantische und narrative Brüche hinzu, welche die Eindeutigkeit gewalttätig ignoranter, sadistisch selbstbewusster Herren- und Herrschaftsbekundungen untergraben: »Ich stecke meinen Kopf in ihr Loch wie ein Strauss/Ihr Schließmuskel ist gut trainiert, ich komm nicht mehr raus./Es ist harter Sex, sie fragt mich mit oder ohne/Meint sie den Mundschutz oder die Kondome« (aus: »Seekuh«). Selbst auf die Frauen kann man sich nicht verlassen; zwar weiß Mann, was er will (»Ich will ein böhses Mädchen, ne geile Drecksau«), doch ist dieses »Mädchen« auch in Küche und Bett nicht zuverlässig: »Der Hund frisst, was die Bitch aufgetischt hat/Ich hab Schiss, dass sie Gift ins Essen gemischt hat. //Krieg mit dem Feind in meim Bett, von wegen schwaches Geschlecht./Sie kreischt und schmeißt Besteck, jeder Streit ein Gefecht« (»Böhses Mädchen«). Selbst bei einer ausschließlich werkimmanenten Betrachtungsweise, ohne jede Kenntnis der Gruppe im Besonderen und der Rap-Szene im Allgemeinen, zeigt sich demnach deutlich, dass es sich bei den Rap-Texten nicht um eine Feier männlicher, gewalttätig dominanter Macht handelt. Drei Techniken stehen dem entgegen: a) die bis zur äußersten Spitze geführten fantastischen Übertreibungen, b) die inhaltlichen, ideologischen Brüche und c) die oftmals gegen sich selbst arbeitenden Lobreden, die etwas ganz anderes vermitteln, als es die kommunizierte Selbsteinschätzung des jeweiligen lyrischen Ich besagt. Einordnung in künstlerische und historische Zusammenhänge Kontext: Hip-Hop-Szene Betrachtet man nun in einem zweiten Schritt das Feld, an deren Rändern sich die Gruppe K.I.Z. bewegt und das auch den möglichen jugendlichen Käufern der CD mindestens ansatzweise bekannt ist, verfestigen sich die oben getroffenen Feststellungen augenblicklich. Gerade der Vergleich mit den Texten des seit den ersten Tagen des Gangsta-Rap stets von rechtlichen Bedenken und Maßnahmen begleiteten Teils der Hip-Hop-Szene, der die aggressive Feier männlich-subkultureller Größe und Gewalt betreibt, zeigt den Unterschied der K.I.Z.-Texte zu denen der Konkurrenz. Als Bestandteil der Berliner Szene (zumal als Act des einschlägig ausgewiesenen Labels Royal Bunker) sind ihre unmittelbaren Referenzpunkte das phantasmatische Ausagieren und die konkreten Beschreibungen eigener Größe und

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verbotener oder anstößiger Handlungen, seien es kriminelle Handlungen im Sinne des Ghettos bzw. der street credibility oder sexuelle Akte, wie sie im Untergenre des Porno-Rap firmieren. Genregemäß zeigen sich K.I.Z. als Teil dieser Szene, indem sie mit den Techniken des Angebens und der Kritik bzw. Herabwürdigung anderer ihren Platz reklamieren. Wer den Vorrang hat, daran kann natürlich kein Zweifel bestehen, es ist das lyrische Ich, das im Namen von K.I.Z. spricht. »K.I.Z.-Rap ist ein Hahnenkampf«, heißt es im Refrain des Stückes »Hahnenkampf«, und entsprechend lauten die Vergleiche auf der ganzen CD: »Du rappst auf Kinderniveau im Behindertenzoo/Deine eingeölte Crew spielt Pimmel fängt Po/Zu potent für euch Huren, Tarek K.I.Z./Wenn ich komme, ist der Puff ein Wachsfigurenkabinett« (aus: »Plage«). Entsprechend fallen auch die Versuche aus, den Konkurrenten zu treffen, indem man dessen Mutter und Frau verbal missbraucht: »Ich versuche deine Frau zu vergewaltigen und schlafe ein«; »Ich bin ein Tierfreund, ich muss dein Weibchen mästen/Sie hat die Tage und ich schmeiss sie in mein Haifischbecken« (»Hahnenkampf«). Damit werden die gängigen Topoi und Stereotype des maskulinen Gangsta-Angebers, die bei ihm allesamt trotz ihrer extremen selbstbewussten Pointierungen als realistische Einschätzungen fungieren sollen, in der K.I.Z.-Version derart vollkommen überzogen, dass sie in ihrer parodierten Form der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Hier spielt K.I.Z. die ganze Palette aus; die Homophobie des Gangstas wird zugleich zurückgespiegelt und ironisch unterlaufen: »Wir sind back, so als wären wir grad wiedergekommen./All ihr Homo-Rapper hört auf zu rappen/und das Game brennt, wie wenn wir es angezündet hätten [...] Und auf einmal wollen alle aufs Game rauf./Ihr seid wie Schwule, ihr seht so wie Gays aus./Jetzt ist Schluss mit beef, ich mach keine Faxen./Ich hab ein Batmobil, ich bin jetzt erwachsen« (aus: »Herbstzeitblätter«). Da die Technik, die Angabe der Gegner genregemäß aufzugreifen und sich selbst in die Position des Höherwertigen zu setzen, durch K.I.Z. ins fürchterlich Alberne und extrem Überzogene gesteigert wird, wird sie objektiv ruiniert und überlegen lächerlich gemacht: »Schandtat/Ich bin freundlich und steck ihn rein wie ein Tankwart/Deine Crew liegt im Sterben, ich lieg im Strandbad/Ich renn nackig bis an die Zähne bewaffnet auf Stereoiden in den Landtag //Party bei mir/Wo kommst du her, ich dachte ich hätte deinen Vater kastriert./Ich habe rausgefunden, wie man deiner

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Mom imponiert/Schamhaar rasiert, Genitalien kandiert, den Kontoauszug auf den Schwanz tätowiert« (»Hahnenkampf). Wie steht es aber nun mit dem ebenfalls genremäßigen Bemühen, sich selbst als authentisch hochwertigen Teil des Untergrunds zu sehen? Die Verwendung der drastischen, unflätigen Sprache scheint ja auf eine Bestätigung zumindest dieser Konvention hinauszulaufen, da der radikale HipHop in einer verbalen »Zurückweisung des Mainstreams« besteht. Erst die »provokative Konfrontation mit den Werten und Lebenswelten der Mittelschichten« mittels einer »extensiven Verwendung der Vulgärsprache« konstituiere die »Gettozentrizität«, resümiert Albert Scharenberg: »Anders ausgedrückt: Die Verachtung der Gesellschaft wird bloß gespiegelt. Die Marginalisierten schlagen (diskursiv) zurück, und wann hätten sie das geschichtlich je mit bildungsbürgerlichen Mitteln getan, wo doch der Begriff der Marginalisierung just darauf verweist, dass ihnen diese vorenthalten worden sind?« Scharenberg verweist aber auch auf die Zwiespältigkeit dieser »ghettozentrischen« Verbalaggression, deren Widerständigkeit oftmals äußerst zweischneidige Züge trage: Das rücksichtslose »Streben nach Teilhabe am Kapitalismus, nach Ausbeutung von anderen, die Häme, die noch die Vernichtung des Schwachen begleitet, triumphiert nicht zufällig auch unter denen, die durch sozioökonomische Prozesse weitgehend vom Kapitalverhältnis ausgeschlossen sind. [...] Deshalb triumphiert die ›Nigga identity‹ auch in der Vorbildfunktion derjenigen, die die Ausgebeuteten ausbeuten: Kleinkriminelle (hustler) und Zuhälter (pimps). Diesem Milieu korrespondieren die viel diskutierten, bis zu Misogynie und Homophobie reichenden Geschlechterverhältnisse im Hip Hop, das Lob der ›Härte‹ und die Missachtung alles ›Weichen‹« (Scharenberg 2004: 26 ff.). Wie weitreichend die satirischen Ambitionen von K.I.Z. gehen, kann man vor diesem Hintergrund besonders gut erkennen. Denn trotz ihrer vulgärsprachlichen Provokation von Werten des sogenannten Mainstreams – eine Provokation, die sich auch nicht verliert, wenn man ihre parodistische Qualität erkennt – sind sie keineswegs bemüht, sich als Teil des Undergrounds auszugeben. Eine ganze Reihe von Songpartien beinhalten ausdrücklich Hinweise auf die Paradoxien des sogenannten Untergrunds: »Du brauchst Street Credibility und lässt dir Kugeln implantieren«; »Rappt ruhig über Waffen und Geld, doch es geht nur noch um Punchlines und Steaks«; »Du musst es echt halten, trag nur noch Kleider und schmink dich« (alle Zitate aus »Geld essen«).

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Diese Hinweise ergehen aber offenkundig nicht, um sich selbst als wahrhaft authentische Alternative, als neue, wirkliche Verkörperung des Untergrunds hinzustellen. Im Gegenteil, in Zeilen, die an die Abgrenzung Frank Zappas gegenüber den Hippies erinnern (»We’re only in it for the money«), weist das lyrische Ich solche Ansprüche ausdrücklich zurück: »Wir wollen Liebe und Scheine, K.I.Z. ist Untergrund?/Dann schließ dich in deinem Zimmer ein und denk du hast uns für dich alleine«; »Was bringt uns der Respekt, wenn wir nix verdien« (aus: »Geld essen«); »Bitte frage mich nicht, ob mir diese Szene gefällt./Rap ist wie Konfirmation, ich mache es nur für das Geld« (aus: »Plage«); »Wer den Cent nicht ehrt, ist den Benz nicht wert« (aus: »Herbstzeitblätter«). Und um den ironischen, inauthentischen Stil von K.I.Z. vollends abzurunden, der es nicht zulässt, Verse der Songtexte unmittelbar auf eine feststehende, offene Meinung der Band hochzurechnen, finden sich zu dieser zynischen, unverhohlen materialistischen Haltung auch wieder gegenläufige Bekundungen: »Und mir ist scheißegal, ob sich dieser Mist verkauft./Rapper flüchten aufs Klo, kacken ihr Rückgrat aus« (Geld essen«). Bleibt zuletzt die Vermutung, dass die Wendung gegen die Anerkennung als authentischer Untergrund-Star nur dazu dient, sich im Spiel der Abgrenzungen als potentester Solitär zu positionieren: »Du bist Ghetto, doch kein Leben ist so hart wie mein Schwanz« (»Hahnenkampf«). Doch die bereits hinlänglich bekannte Manier einer parodistischen und um skurrile, abträgliche Vergleiche kreisenden Sprache, die in einer um machistische Coolness bemühten Szene keinerlei Anklang finden kann, macht diesen Anschein sofort zunichte: »Denn ich bin hart wie ein hartes Brot, schlimm wie ne sechs./Ich und Rap gehören zusammen wie alte Männer, Kinder und Sex« (»Herbstzeitblätter«). Kontext: Volkskulturelle Tradition des »grotesken Körpers« Eines bleibt aber trotz aller parodistischen und ironischen, teilweise sogar offen widersprüchlichen Aussagen gleich: Die kleinen Erzählungen, ausgeführten Vergleiche und metaphorischen Wendungen sind allesamt sowohl einer bürokratisch nüchternen als auch höflich zurückhaltenden, zivilisierten Sprache entschieden entgegengesetzt. Sie gehören weitgehend dem an, was mit der kanonischen Abhandlung des russischen Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin über Rabelais und seine Welt als »volkstümliche Lachkultur« bezeichnet wird. Diese Ausprägung der Volkskultur, wie sie

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vor allem in der Renaissance greifbar ist, definiert Bachtin als festliche Befreiung von den offiziellen, herrschenden, ernsten Wahrheiten, Zwängen und Tabus der feudal-klerikalen Gesellschaftsordnung, aber auch in späteren Zeiten von den Formen einer bürgerlichen Ästhetik und dem Gepräge und der Formsprache der Mittelschicht; die Volkskultur bestimmt er als eine zeitweise Aufhebung der hierarchischen Verhältnisse, die alles Bestehende und vorgeblich Vollendete im Namen des unablässigen Werdens und Vergehens verkehrt, bricht und auflöst. Zu den karnevalesken Methoden solcher Volkskultur gehört nach Bachtin u.a. die sprachliche Unsinnskomik, nur durch Reime und Lautähnlichkeiten geordnet, dazu gehört die Verfremdungstechnik, die Benutzung von Dingen ganz gegen ihren üblichen Gebrauch, zu ihnen gehören vor allem Parodien und Herabwürdigungen, Verwünschungen, Flüche und Obszönitäten. Das befreiende Lachen, das auf sie folgt und dem sie entwachsen, sei keineswegs nur ein aggressives Verlachen, es sei spöttisch und heiter, es wirke zerstörerisch und belebe zugleich. Dieser Doppelaspekt ist Bachtin besonders wichtig. Die Rückführung und Erniedrigung des Ernsten und Hohen auf das Vulgäre und Geschlechtliche besitzt nach seinem Urteil in der volkstümlichen Lachkultur auch eine eminent positive Bedeutung, weil sie die herabgesetzten Dinge dadurch wieder ihrer »fruchtbaren Basis« annähere, wo sich alles erneuere und im Überfluss wachse (Bachtin 1995: 468, 419, 61, 71). Überfluss meint hier in starkem Maße auch Überfließen, eine Bewegung über die Körpergrenzen hinaus. Dieser »groteske Körper« (wie ihn Bachtin bezeichnet) verletzt alle Regeln klassizistischer Perfektion und Abgeschlossenheit, indem er ständig diejenigen Körperteile betont, »die entweder für die äußere Welt geöffnet sind, d. h. durch die die Welt in den Körper eindringen oder aus ihm heraustreten kann, oder mit denen er selbst in die Welt vordringt, also die Öffnungen, die Wölbungen, die Verzweigungen und Auswüchse: der aufgesperrte Mund, die Scheide, die Brüste, der Phallus, der dicke Bauch, die Nase. Das Wesen des Körpers als das Prinzip des Wachstums und Übersich-hinaus-Wachsenden enthüllt sich nur in Momenten wie dem Koitus, der Schwangerschaft, der Geburt, dem Todeskampf, dem Essen, Trinken und SichEntleeren. Er ist das ewig Unfertige, ewig Entstehende und Erschaffende, ein Glied in der genetischen Entwicklung, genauer gesagt zwei Glieder an dem Punkt, an dem sie sich vereinen, ineinander übergehen.« (Ebd.: 76)

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Das Prinzip der Überschreitung darf hier freilich nicht als individuelles aufgefasst werden. In einer weiteren eindrucksvollen Passage hebt Bachtin hervor, dass der groteske Realismus als karnevaleske Form sich keineswegs auf den einzelnen Leib oder gar den egoistischen Bürger richtet, sondern auf das Volk, auf einen sich stets erneuernden Volkskörper: »Das Volk hat folglich nicht ein statisches Bild seiner Einheit (›eine Gestalt‹), sondern die dynamische Vorstellung von Einheit und Ununterbrochenheit im Wachsen und Werden. Deshalb halten alle volkstümlich-festlichen Motive eben das Moment des Werdens fest, das Moment der unvollendeten Metamorphose, der Erneuerung im Tod. All diese Motive sind (latent) zweileibig: überall ist das Gattungsmoment unterstrichen, Schwangerschaft, Entbindung, Zeugungskraft [...]« (Ebd.: 296 f.).

An einer solchen Tradition der Volkskultur haben die Texte der Gruppe K.I.Z. ganz offenkundig teil. Neben der vom Reim und der Lautähnlichkeit erzwungenen teilweisen Unsinnskomik – »Gestern wollten die mich boxen zu meim eigenen Klingelton./Ich find dich doch scheisse, wo ist mein Finderlohn« (»Ellbogengesellschaft«) – und den verfremdeten Zitaten aus der Rap-Geschichte – »Schubs mich nicht, weil ich am Abgrund stehe./Ich frühstücke aus der Apotheke« (»Spast«); »Kann ich sie ficken? Ja, du kannst« (»Hahnenkampf«) – ist hier selbstverständlich vor allem auf den Topos des grotesken Körpers zu verweisen. Er findet beinahe in jedem Song reiche Anwendung. Um hier nur einige Beispiele zu nennen: »Du verschwindest in der Küche von einem Asia-Imbiss/Nach dem Abendessen hat dein Vater Dünnschiss./Rapper haben einen widerlichen Nachgeschmack« (»Hahnenkampf«); »Ich erwache, meine Latte rammt ein Loch in die Decke« (»Plage«); »Frisch rasiert, Mund voller Schweinemett/Deine Mutter ist wie meine Karriere, ich hab viel reingesteckt« (»Ellbogengesellschaft«); »Es ist Sylvester, ich wichs Erdbeermilch wie Jimmy Pop./Heul nicht herum, er ist auch nicht dicker als ein Kinderkopf« (»Seekuh«). Kontext: Satire und Überschreitung Wenn man auch die Ausprägungen einer Komik und der karnevalesken Umkehrung bei K.I.Z. leicht identifizieren kann, fällt es aber schwer, einen anderen Aspekt jener Volkskultur bei ihnen rein wiederzufinden. Wie gesehen, spricht Bachtin von einem befreienden Lachen, das dieser Volkskultur entwachse; es handle sich keineswegs nur um ein aggressives Verlachen, es

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sei spöttisch und heiter, es wirke zerstörerisch, aber belebe zugleich. Dies kann man zwar an vielen einzelnen Stellen der K.I.Z.-Lieder, nicht aber als Gesamteindruck bestätigt finden; eine irgendwie geartete positive Vision scheint in den Texten der Gruppe nirgendwo auf. Die Ablehnung und parodistische oder polemische Entwertung sowohl der bürgerlichen Welt als auch der bestehenden HipHop-Szene läuft auf eine umfassend negative Perspektive hinaus. Perfektioniert wird diese Perspektive dadurch, dass die Aussagen der lyrischen Ichs teils widersprüchlich oder ironisch gebrochen sind und sich deshalb nicht zur Überzeugung runden können, hier spreche die Band ihre eigene Position aus. Die Negation gewinnt dadurch eine vollständige Qualität; die Abgrenzungen und Provokationen laufen nicht auf die Möglichkeit einer festen Position, die sowohl Identität als auch die Identifikation durch andere ermöglicht, hinaus, sondern nur auf weitere Provokationen. Dies liegt nicht nur an einem ex-tremen Individualismus – »Bitte frage mich nicht, was ich von deinem Rap so halte./Es langweilt mich sogar, wenn aus meiner Crew ein anderer rappt« (»Ellbogengesellschaft«) –, sondern verdankt sich auch einer ausgestellten Attitüde des Nihilismus und Weltekels: »Wir sind ne Boygroup, der Bunker ist nur Tarnung./Groupies werden ohnmächtig, ich mache Arschzu-Mund-Beatmung./Meine Lehrer ham gesagt, ich wär ein fauler Spast/ Doch heute schrein die Nutten ›Jaa‹ wie im Sportpalast« (»Geld essen«). So wird die Abgrenzung sowohl von der offiziellen Kultur, personifiziert durch den Lehrer, als auch von der des Untergrunds, dargestellt durch das Label Royal Bunker, zu nichts mehr als zur weiteren Denunzierung des eigenen Erfolgs und der manipulierten Fans genutzt. Selbst eine anarchistische Position ist daraus nicht abzuleiten. Zwar heißt es im Lied »Wenn es brennt«: »Das ist Klassenkampf, mach’s wie Mao Tse-Tung/Spann den Abzug und bring die Pauker um«, aber erstens wird das mit Skinhead-Gewalt gleichgesetzt – »Brech die Schule ab, stech einen Schwulen ab/Auch du kannst ein Künstler sein, bemal ein Judengrab« –, und zweitens fällt ein ganz trübes, ironisches Licht auf den so angesprochenen Helden, egal welcher Szene er nun angehören mag: »Du bist frei, geh im Drogenrausch raven/Mit einer Psychose kann man seinen Traum leben«; »Im Ghetto mag dich jeder, Ein-Euro-Straßenfeger«. Zu einem positiven Bild rundet sich das alles keinesfalls. Damit stehen K.I.Z. jedoch nicht alleine. Der alte, Schiller’sche Satirebegriff, demzufolge die Satire eine schlechte Wirklichkeit im Dienste eines guten Ideals noch

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übertreibe und damit nachhaltig bloßstelle und anklage, hat heute tatsächlich nur mehr wenig Geltung. Das Ideal kommt, wie auf dieser CD, oftmals gar nicht mehr in den Blick, und es scheint, als finde bei der Darstellung des ›Schlechten‹ unter der Hand eine Umkehrung statt: Der satirische Darstellungsimpuls speist sich allein aus der zum Selbstzweck erhobenen Lust an der Übertreibung, an aggressiver Darstellung oder sinnfrei bzw. nihilistisch verdrängender Ausagierung von Wünschen und Ängsten. Mit K.I.Z. begibt man sich in die Welt der dadaistischen Satire, in der alles verwirrend und oftmals bestürzend hässlich durcheinander geht, dem Hässlichen aber kein schönes Bild mehr antwortet. Damit gewinnt die CD von K.I.Z., wenn man sich an den heutzutage gängigen Bewertungen der Kunstkritik und der Ästhetik orientiert, wie sie sich auch in Entscheidungen von Museen, Verlagen etc. über Ausstellungssujets und Veröffentlichungswertes niederschlagen, einen hohen Kunstwert. Das Moment der Übertretung, der Überschreitung, der künstlerischen Transgression zählt dort nämlich oftmals als entscheidendes Kriterium, um von einem bedeutenden Kunstwerk zu sprechen. Entsprechende Aktionen und Werke, die unter dem Zeichen des Happenings, des Situationismus, des Trashs oder eben des Neo-Dadaismus in den letzten fünfzig Jahren immer wieder im literarischen Feld oder im Kunstsystem zu beobachten gewesen sind, haben allesamt schnell eine äußerst interessierte feuilletonistische und akademische Aufnahme sowie eine museale oder sonstige Kanonisierung erfahren. Zusammenfassung Im Genre des HipHop liefern K.I.Z. mit ihrer Mischung aus »grotesken Körpern«, Vulgärsprache, überzogenen Vergleichen, Szene-Parodien, brachialen, aber teils offen widersprüchlichen, teils ironisch reflektierten Aussagen, die sich insgesamt zu keiner (satirischen) Botschaft runden, sondern ein verwirrend montiertes Bild abgeben, eine sehr moderne, popkulturelle Variante dadaistischer Überschreitung. Wie auch bereits erste Reaktionen auf die CD zeigen,1 wäre es im Sinne der gegenwärtig im Kunstbetrieb und

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So schreibt das führende, linksliberal ausgerichtet Magazin für avancierte Popmusik in Deutschland, die Zeitschrift Spex (Heft 308, 2007), in einem sehr positiven Vorab-Bericht zur CD-Veröffentlichung: »K.I.Z. möchten nicht mit ihren

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in den Feuilletons prominenten avantgardistischen Einstellungen und ästhetischen Kriterien ein starker Eingriff in die Kunstfreiheit, dieses Bild einer heillosen Welt aus der breiteren Öffentlichkeit zu bannen.

ABSEITS DER K UNST : I NDIZIERUNGEN DER B UNDESPRÜFSTELLE FÜR JUGENDGEFÄHRDENDE M EDIEN So oder ähnlich müsste man höchstwahrscheinlich argumentieren, um der Gruppe K.I.Z. einen Kunststatus zu verleihen, der sie, falls es zu einer Verhandlung vor der BPjM käme, vor der Indizierung schützt. Wie gesehen, sind die Ansprüche nicht allzu hoch, einige Verweise auf Dada, Groteske, semantische Brüche dürften wohl ausreichen, um die äußerst drastischen, obszönen und widerwärtigen Textzeilen zu legitimieren und vor dem Ju-

Bühnen-Alter-Egos gleichgesetzt werden, so gesehen gehen sie ähnlich vor wie Eminem, der sich mit Slim Shady eine Art arschlochhafte, rappende Handpuppe zulegte, die mit allerlei politisch Unkorrektem um sich werfen durfte, aber eben auch wieder abgelegt werden konnte. Andererseits lebt die Provokation, die [KI.Z.] pflegen, auch genau davon, dass sie sich neben der Großmäuligkeit des Berliner Gangsterraps nicht versteckt. Wenn man den Erfolg von Sido, Bushido et al. vor allem darin begründet sehen mag, dass sie aus vollem Rohr gegen jeden Anstand schießen, dann machen sich K.I.Z. über diese aus dem Mutterland des HipHop kopierte Gangsterattitüde lustig und rauben herrschenden RapPlattitüden damit vollkommen den Sinn«. Zusammenfassend heißt es in dem Artikel, die Texte von K.I.Z. seien »derbe und sexistisch«, »gleichzeitig sind sie aber auch hintersinnig und irrsinnig komisch«. Der Berliner Tagesspiegel (11.4.2007) behauptet in ähnlicher Manier: »Auch die K.I.Z. protzen mit ihren Schwänzen und betonen gerne, dass sie die allerkrassesten Gangster sind. Aber sie rappen das derart laut und überdreht, dass jeder die Ironie hört«. – Und zu einem früheren Werk von K.I.Z. schreibt die ZEIT in ihrer ZUENDER-OnlineAusgabe (4/2006): »Das Zeicheninventar besteht im Grunde nur aus Penis, Penis-Zubehör, noch mehr Riesenpenis und Gewalt. [...] Weil die einzelnen diskreten Zeichen ihre Bedeutung kontextuell, arbiträr bis vollkommen chaotisch wechseln, ergibt sich trotzdem ein vielschichtiges Bild.«

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gendschutz zu bewahren. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre es völlig undenkbar gewesen, dass solche Stücke den Weg in die Öffentlichkeit finden; auch höchst subtile Kunst-Verweise und differenzierte Exegesen oder ehrbarste Exegeten aus dem Professorenstande hätten eine Indizierung nicht abwenden können. Deshalb mag es erstaunen, dass in den letzten Jahren so viele HipHopTitel von der BPjM indiziert und ihre Beschlüsse (falls dagegen Rechtsmittel eingelegt wurden) von den Gerichten bestätigt worden sind (weil die Beschlüsse der BPjM von keinem Verwaltungsgericht oder vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden sind, darf wohl summarisch von »Rechtsprechung« in Sachen Gangsta-Rap die Rede sein, selbst wenn gegen viele Beschlüsse der BPjM gar nicht geklagt worden ist). Der Begriff »Gangsta-Rap« entstammt hier der Diktion der BPjM. Sie spricht einzeln von »Gangsta-Rap« und »Porno-Rap«, aber auch zusammenziehend von »›Porno- oder Gangsta-Rap‹« (BPjM 2008: 36, 32, 29, 34), geht also von Familien-Ähnlichkeiten zwischen beiden aus; in diese Reihe stellt sie zudem den »Battle-Rap« (ebd.: 28). Das Jahr 2007, in dem K.I.Z. ihr vielbeachtetes Album »Hahnenkampf« (zahlreiche Artikel und Rezensionen sowie Platz 9 als Höchstplatzierung in den Album-Charts) vorgelegt haben, ist genau eines der Jahre, in denen die BPjM besonders viele solcher »›Porno- oder Gangsta-Rap‹«-Veröffentlichungen auf ihre Liste jugendgefährdender Medien gesetzt hat. Zwischen 2005 und 2007 wurden Titel von Bushido, Frauenarzt, King Orgasmus One, Sido sowie den weniger bekannten Automatikk, Bass Sultan Hengzt und anderer mehr indiziert. Die Indizierungen erfolgten wegen solcher und ähnlicher Stücke: Erstes Beispiel vom einschlägigen Label »Aggro Berlin«: B-Tight mit dem Stück »Psycho Neger B« vom Sampler »Aggro Ansage Nr. 2« (indiziert am 31.05. 2005): Mach’ Platz kreuze nicht mein Weg hässlicher Spast, egal ob Tag oder Nacht, ich bin psychisch verkackt. Mein Gehirn ist nicht intakt, dafür meine Raps, ich scheiß auf dein Gesetz mit dem Sekten Terror Netz. Ich bin übergeil auf Sex und habe null Respekt für das andere Geschlecht, ich misshandel es zu Recht, wie jeden Ficker, der mich stresst. Was ist dein Problem?

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Halt dein Maul oder ich wird’ es mit AIDS zukleben. Du kannst dich nicht bewegen, wenn ich dir mein Ding gebe, egal wie cool du bist, am Ende ficke ich dein Schädel. Alle wollen flexen, doch können nicht ma’ rappen, nicht so wie Smooth B ma’ locker die Snare treffen. Fick’ dein Arsch, du bist ein dreckiger Bastard. Ich töte ohne Sinn und kiffe mich zu wie ein Laster. I repeat: Ich teile nie, denn alles was du siehst, ist und bleibt mein Gebiet. 2x: Psycho Neger B, ich bin aggressiv, mit ner Vollzeit-Latte stehst du auf der Suche nach Beef. Psycho Neger B, ich verteidige mein Revier. Jeder von euch Affen wird zerrissen wie ein Stück Papier. (oh yeah der Nigger in mir) Ich bin B-Tight, trage Silber kein Gold. Meine Coolness macht Frauen feucht, wenn ich einen roll’, rauch ich ihn alleine und verführe Frauen mit X-Tasy. Schlepp sie ins Hinterzimmer, geb’ ihr mehr und fessel sie. Ich bin Pimp Player und dazu ein Dope MC. Versucht mich eine Nutte zu rippen, dann hängt sie. Egal wie zugedröhnt ich bin, ich habe den Überblick, ich bin so smooth und löse Konflikte mit Geld, Drogen, Frauen oder Gewalt. Ich schlepp dich auf das Land, damit dein Schrei ins Nichts hallt. Gib mir alles was du hast, sonst nehm’ ich meine Axt, damit zeig’ ich dir, wie man damit aus Spasten Kleinholz macht. Ich bin voll mit Hass und lasse es an dir aus, ich stech’ dir in den Hals und danach in deinen Bauch, um sicher zu gehen’, dass du auch wirklich tot bist, fick ich auf dich ein bis alles blutrot ist. 3x: Psycho Neger B ich bin aggressiv, mit ner Vollzeit-Latte stehst du auf der Suche nach Beef. Psycho Neger B ich verteidige mein Revier, Jeder von euch Affen wird zerrissen wie ein Stück Papier.

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Zweites, bekannteres Beispiel aus der Hochphase deutschen Gangsta-Raps: Bushido, »Gangbang« (feat. Baba Saad & Bass Sultan Hengzt): [Refrain:] Ein Schwanz in den Arsch, Ein Schwanz in den Mund, Ein Schwanz in die Fotze, jetzt wird richtig gebumst. Es ist gang gagang gagang gang Gangbang, Bushido, Saad und Bass Sultan Hengzt. Leg dein Geld auf den Tisch, es wird Zeit für die drei Ticker. Ich mach Gangbang und schick’ euch in die Dreißiger. Es ist gang gagang gagang gang Gangbang, Bushido, Saad und Bass Sultan Hengzt. [Saad] Yeah, ich komm in deine Stadt, dein Bezirk wird ganz ruhig, Bring mir die Typen, die du kennst, ich nehm’ sie alle durch, Ich setze das um, was du Leuten vormachst. Du brauchst nicht viel zu Reden, ich fick euch noch vor acht. Ich zeig dir, was passiert, wenn wir beide Streit haben, deine Tochter wird für meine Jungs zum Leihwagen. Ich steh im Mittelpunkt, weil ich das nicht anders kenn’. Wenn du nicht down mit mir bist, dann geh’ woanders hin. Bild dir nichts mehr ein, du bist nicht G genug, ich will dein Geld haben, ich geb’ dir ein Beat und gut. Du bist älter als ich? [Doch er kann doppelt so viel!] Ich hab’ alle Flows drauf und verdoppel’ dich Freak. Guck dich bitte an, merkst du, wie beliebt du noch bist? Du warst ein Star wie Dendemann, Homie, jetzt riechst du nach Fisch. Geb’ ein Fick, ihr seid den Fick nicht wert. Ich bin hier die alte Rap-Elite, fick dich zuerst. Refrain [Bass Sultan Hengzt] Lass deine Kinder nicht zur Schule, Hengst rockt das Haus. Ich mach dein Pausenhof zum Schlachthof, Panik bricht aus.

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Hier ist der Chef des Raps, Bass Sultan Hengzt, ja ohne Maulkorb mit Saad und Bushido. Kommt ihr Zecken, Bordsteinfresser, Ketten raus, Kragen hoch, Billigketten brechen. Wenn ich rappe, sagen Mamas nur Aah und Uuh. Ich bin direkt aus dem Kiez von der Klick Bass Crew. Was du Pussy, wer schiebt ne Welle? Ich hab die größte Schnauze Deutschlands! Halt’ die Fresse! Ich mach Geld von CDs über Tapes. Jeder der mich batteln will, ist um 7 ok. Du Haufen Stück Scheiße, sei leise, rap’ nicht Fick’ dein Image, nur ein Blick. Ich fick dich! Denkst Du, es ist Spaß, wenn ich dich therapier’? Kommt ruhig zu viert, ihr werdet alle blamiert! Refrain [Bushido] Herzlich willkomm’ auf dem Asphalt, er singt hier ein Lied guck zum Horizont was willst du Kind hier zwischen Männern, die mit Hero und Coxxx ticken Wir sind die drei, die euch Zecken in den Zoo schicken, die euch so ficken, bis ihr euer Blut kotzt. Ich bin Berliner, der nich’ redet, sondern zuboxt. Deine ganze Familie sind Taschenspieler. Ich werd’ zu 90 Prozent morgen Waffendealer. Ich werd’ es machen wie der Cowboy im Western ich trink nur noch Whisky und fick deine Schwestern. Bring mir alle deine Kumpels und Pfadfinder, geht, macht ’ne Boygroup und nennt euch die Arschkinder. Ich bin nich ASD, ich bin ein Hardliner. Drück’ deiner Mutter mein’ Tape mit meinem Hardliner. Niemand hier hatte jemals seinen Schulabschluss. Komm’, nenn mich Bruder; komm’, gib mir einen Bruderkuss. Refrain

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Wegen dieses Stücks wurde Bushidos CD »Electro Ghetto« (2004), die sechzehn Wochen in den Top 100 platziert war (höchste Chartsposition: 6), am 31.12.2005 auf den Index gesetzt. Daraufhin wurde das Stück, sicherlich mit Einverständnis des Künstlers, von der Plattenfirma gestrichen und die CD in gereinigter Form neu veröffentlicht. Man sieht daran die Macht der BPjM, aber zugleich ihre Ohnmacht: Erst lange nach Veröffentlichung der CD ergeht die Indizierung, im vorliegenden Fall zu einem Zeitpunkt, als die CD bereits wieder aus den Charts verschwunden war, die Käufe und Hörakte der meisten Jugendlichen also wohl schon stattgefunden hatten. Dennoch ist es dem Staat bzw. dem Verfassungsgericht sowie den gesetzgebenden Organen wichtig, dass so verfahren wird. Wenn es sich – vor allem in Zeiten des WorldWideWeb, in denen die BPjM nicht einmal mehr mit ihrer Nachzensur die Tradierung eines Werkes wirksam unterbinden kann – auch in erster Linie um Formen symbolischer, weniger materiell durchschlagend wirksamer Kontrolle handelt, ist die BPjM gehalten, die ihr zugedachte Aufgabe unablässig zu erfüllen. Selbst ohne Aussicht auf direkten Erfolg muss sie stetig ihre Verwaltungsarbeit verrichten. Dies ist zwar einerseits nur eine behördliche Selbstverständlichkeit, andererseits doch insofern eigentümlich, als die BPjM im Einklang mit Gesetzeslage und Rechtsprechung in ihren Indizierungsbescheiden durchgängig darauf verweist, dass Werke aus der Öffentlichkeit verschwinden müssten, weil sie sonst missliche Wirkungen bei Kindern und Jugendlichen hervorriefen. Auch wenn das de facto durch die Aktivität der BPjM weitgehend nicht verhindert werden kann, ist es offensichtlich dennoch (aus prinzipiellen Erwägungen) notwendig, die Indizierungspraxis aufrechtzuerhalten. Es gibt Gründe dafür, vom Gesetzgeber postulierte und von der BPjM zur Leitschnur des eigenen Handelns erklärte Gründe. In den vorliegenden Fällen werden im ersten Schritt von der BPjM all die Bekenntnisse zu Gewalt und sexueller Dominanz nicht als Metaphern der Überlegenheit gegenüber anderen Rappern und gegenüber den Subjekten ideologischer Staatsapparate aufgefasst, sondern als Bekenntnisse zu bestimmten aggressiven oder gar körperlich verletzenden Handlungen. In einem zweiten Schritt hält sie es für eine gesicherte Erkenntnis, dass solche Äußerungen (sogar wenn es sich ausschließlich um Metaphern handeln sollte) bei kindlichen und jugendlichen Hörern eine »verrohende Wirkung« nach sich zögen (BPjM 2008: 19 u. 20).

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Wichtig ist auch ein anderer angegebener Grund. Die BPjM tritt der »Argumentation« entgegen, dass »die Künstler lediglich die in ihrem Milieu gebräuchliche Sprache verwenden«. Nun ist das keine Argumentation, sondern bloß eine Feststellung. Die BPjM meint wohl, dass es nicht stichhaltig sei, aus der Behauptung, es handle sich um eine in einem Milieu durchgesetzte Sprache, den Schluss zu ziehen, es müsse dann auch den Rappern erlaubt sein, diese zu verwenden. Gegen diese Feststellung wendet die BPjM ein, dass »durch die zunehmende Popularität der Interpreten« die Stücke (und mit ihnen der Jargon) bereits »einem breiteren Massenpublikum zugänglich« seien. Die direkt anschließenden Sätze lauten: »Dabei entspricht die im Battle-Rap gebräuchliche Sprache nicht der allgemeinen Jugendsprache. Sofern ein solcher Sprachgebrauch unter einem Teil der Minderjährigen in deren Alltag Einzug gehalten hat, ist es Aufgabe der Eltern und sonstiger erzieherisch tätiger Institutionen, diesem Umstand entgegenzuwirken« (ebd.: 20). Rätselhafte Behördensprache, voll falscher oder vieldeutiger Anschlüsse und Modi. Gemeint ist wohl: ›Die Battle-RapSprache dringt über ihr angestammtes Milieu hinaus, wird aber von den meisten Jugendlichen (noch) nicht gebraucht. Sprechen Jugendliche so, muss das in jedem Fall geändert werden.‹ Rätselhaft bleibt freilich, ob die BPjM nun meint, dass »solcher Sprachgebrauch« bereits über ein spezifisches Milieu hinaus um sich gegriffen hat oder nicht. Wie dem auch sei, fest steht, dass es die »Aufgabe der Bundesprüfstelle [ist], im Sinne einer ungestörten Persönlichkeitsentwicklung für Kinder und Jugendliche zu verhindern, dass dieser Sprachgebrauch Allgemeingültigkeit erlangt« (ebd.). Dann kann man freilich einwenden, gerade sei doch festgestellt worden, dass die »Battle-Rap«-Sprache trotz ihrer massenhaften Zugänglichkeit nicht zur »allgemeinen Jugendsprache« aufgestiegen sei, weshalb die BPjM überhaupt nicht tätig werden müsse. Kurz danach heißt es allerdings (selbstwidersprüchlich), dass die BPjM bereits einschreiten muss, wenn wahrscheinlich »überhaupt Kinder und/oder Jugendliche« einer Gefährdung ausgesetzt seien (ebd.: 21). Entscheidend sind demnach die unterstellten, als wahrscheinlich eingestuften gefährlichen Wirkungen. Deshalb kommt es in erster Linie darauf an, was als Gefahr angesehen wird. In diesem Punkt sind die Ausführungen der BPjM von begrüßenswerter Klarheit. Wie bereits zitiert, fürchtet man den martialischen »Sprachgebrauch« einiger Gangsta-Rapper, weil er die »Persönlichkeitsentwicklung« junger Menschen störe. Auch metaphorische

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Gewalt – »›verbale‹ Gewalt«, wie die BPjM schreibt – sei »generell geeignet, eine verrohende Wirkung auf Kinder und Jugendliche auszuüben« (ebd.: 20). Nimmt man die gerappten Attacken auf die Gegner nicht nur als Überlegenheitsgeste, sondern als realistische Beschreibung im Sinne einer Anleitung zur Tat, wie die BPjM überwiegend verfährt, dann ist die Gefahr der Verrohung nach Ansicht der BPjM natürlich erst recht gegeben: Die »als nachahmenswert oder bewundernswert beschrieben[e]« Gewalt ist selbstverständlich »jugendgefährdend«, zumal sie Bestimmungen geltender Gesetze nicht nur verletzt, sondern diese Übertretung nicht selten sogar feiert. »Teilweise erscheint Kriminalität als etwas Positives«, merkt die BPjM betulich an (ebd.). Das gilt nicht zuletzt für die gerappten Darstellungen sexueller Nötigung und Gewalt. Bemerkenswert ist aber nun, dass die verherrlichende Darstellung nicht nur in Fällen von beschriebenen Verstößen gegen geltende Strafgesetze von der BPjM geahndet wird. Die BPjM sieht sich aufgerufen zu handeln, wenn sie in Medieninhalten eklatante Verstöße gegen »gesellschaftlich anerkannte sittliche Normen« erkennt, wie sie unter Berufung auf das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, Urteil vom 05.12.2003) festhält. Darunter fallen offenkundig auch Verhaltensweisen und Einstellungen, die keineswegs illegal sind. Gesellschaftlich nicht anerkannt ist für die BPjM etwa die »Botschaft, dass die Maximierung sexuellen Lustgewinns das einzige menschliches Dasein beherrschende Ziel sei«. Ein indizierungswürdiger Grund liegt für sie ebenfalls vor, wenn die Rapper den »Eindruck« vermitteln, »Frauen seien bloße sexuelle Reizobjekte und Wegwerfware für den Mann«. Als Äußerungen sind diese Ansichten und Handlungsgrundlagen jedoch gegenwärtig keinesfalls strafgesetzlich verboten. Selbst wenn sie in die Tat umgesetzt werden – wenn überwiegend nach sexueller Lust gegiert wird oder Frauen ausschließlich als sexuelle Objekte wahrgenommen werden – liegt nach geltendem Recht kein Gesetzesbruch vor. Jugendgefährdend sind sie nach Auffassung der BPjM und nach gängiger Rechtsprechung dennoch, weil sie »dem in der Gesellschaft vorherrschenden Erziehungsideal diametral entgegen[stehen], Kindern und Jugendlichen die Achtung gegenüber ihren Mitmenschen und gegenseitigen Respekt zu vermitteln und sie auf diese Weise für gleichberechtigte und liebevolle Partnerschaften stark zu machen« (ebd.: 18). Auffällig an diesen (behördlich und gerichtlich momentan weitgehend unumstrittenen) Sätzen ist die große Entfernung von liberalen Leitlinien. Es

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handelt sich fraglos um einen starken, mittelbaren Eingriff in die Privatsphäre, wenn bestimmte Formen der sexuellen Einstellung und der »Partnerschaft« nicht nur als »vorherrschendes Erziehungsideal«, sondern auch als »gesellschaftlich anerkannte sittliche Normen« ausgegeben werden. Um eine starke Beschneidung der Meinungs- und Kunstfreiheit handelt es sich zudem, weil über den Weg des Jugendschutzes diese ›Ideale‹ nach Willen der BPjM auch zur Richtlinie allgemein zugänglicher Werke aufrücken. Protest gegen solche illiberalen exekutiven wie juristischen Beschlüsse gibt es deshalb nur in geringem Maße, weil die augenblicklich recht liberalen Bestimmungen zum Status der Kunst es verhindern, dass solche Jugendschutzideale und Norm-Feststellungen größere Wirksamkeit erlangen. Von de Sade bis zu den Filmen Andy Warhols ist vieles auch Jugendlichen frei zugänglich, was gegen die angeblich anerkannten Normen in vielerlei Hinsicht verstößt. Wie bereits angemerkt, ist die avantgardistische Grundhaltung mittlerweile so weit verbreitet, dass viele renommierte Verleger, Galeristen, Wissenschaftler, Feuilletonisten etc. es geradezu als Charakteristikum von (hoher) Kunst ansehen, wenn sie gegen die benannten »Ideale« und »Normen« verstößt. Da Gerichte inzwischen darauf verpflichtet sind, bei ihrer Abwägung von Jugendschutz und Kunstfreiheit auch die Meinungen sogenannter Drittanerkenner zu berücksichtigen, bleiben auch Juristen von dieser Entwicklung nicht unbeeindruckt. Selbst die BPjM verschließt sich keineswegs solchen Anschauungen. Dass es in den letzten Jahren kaum zu Debatten über Beschlüsse der BPjM gekommen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die BPjM im Feuilleton positiv besprochene Werke nicht indiziert. In einem – bereits erwähnten – aktuellen Bescheid (in einer Zeit, in der der Gangsta-Rap als Genre insgesamt den Zenit seines Erfolgs überschritten hat) zum dritten Album von K.I.Z., »Sexismus gegen Rechts«, spricht die BPjM sogar selbst in positivem Sinne von »›anarchischer Geschmacklosigkeit‹«. Bei genauerer Betrachtung sieht man allerdings, dass dieses anarchische Element der BPjM nur gefällt, weil sie annimmt, dass durch groteske Übersteigerungen und disparate Montagen bestimmte einzelne – aus dem »klassischen Gangster- und Porno-Rap« bekannte und als jugendgefährdend eingestufte – Aussagen aufgelöst oder »zumindest deutlich« abgemildert würden (BPjM 2010a: 23 f.). »Ironie« und »thematische Verfremdung« erkennt die BPjM in diesem Sinne als »künstlerische Mittel« an (ebd.: 26), die sie begrüßt, weil sie einen »Bruch mit den gängigen Klischees des Gangster- und Pornoraps« herbeiführten (ebd.: 25).

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In einem gegenteiligen Beschluss zu einer CD, in der für die BPjM erkennbar keine Ironie und Distanzierung waltet, heißt es nach dem Hinweis, dass die Lieder in Kritik und Wissenschaft »kein Echo gefunden« hätten, am Ende lapidar: »Der Kunstgehalt wird daher als gering eingestuft« (BPjM 2010b: 21). Interessant ist an dem Vorgang nun, dass – soweit das aus den spärlichen zugänglichen Quellen abgelesen werden kann – auch die Gutachter der Verfahrensbeteiligten kaum versuchen, diese Einschätzung herauszufordern. In einer Stellungnahme von Roland Seim zu drei Samplern von Aggro Berlin liest man z.B. bloß einiges zu spezifischen Berliner »Milieus« und ihrem »restringierten Jargon« sowie ihrer »Vulgärsprache«, die man nicht »wortwörtlich« nehmen dürfe. Ein Kunstanspruch kann folglich nur auf thematischer Ebene indirekt hergestellt werden, indem darauf hingewiesen wird, dass auch frei zugängliche Werke – Seim verweist auf »American Psycho« von Bret Easton Ellis – »starke und z.T. entsetzliche Bilder« aufböten (Seim 2004). Man erkennt also eine große Scheu selbst bei den Verteidigern der indizierten Rapper, ihnen einen künstlerischen Rang zuzuweisen. Vor der Indizierung sollen sie von ihren Verteidigern bewahrt werden, indem der Nachweis geführt wird, dass sie nicht jugendgefährdend seien – und nicht, indem man das Gewicht der Kunst in die Waagschale legt, um die Abwägung schwerer zu machen. Für den Literaturwissenschaftler ist das zumindest ein wenig verwunderlich. Die Fülle an originellen Wendungen, verblüffenden Übertreibungsformeln, spielerischen Wortverwendungen, Wortneuschöpfungen, nicht immer abgenutzten Assonanzen und Reimen ist in den zwei dokumentierten (und von der BPjM indizierten) Beispielen nur für den moralisch empörten Rezipienten schwer zu übersehen oder zu überhören. Nun führt zwar von der Literaturwissenschaft kein direkter Weg zur Literaturkritik, mit Blick auf die Songtexte vieler Pop- und Rockgruppen lässt sich jedoch zweifelsfrei angeben, dass die indizierten Rapstücke ihnen an Originalität, spielerischem Drang und Sprachmächtigkeit weit überlegen sind. Dies bedeutet, um das ausdrücklich zu sagen, keineswegs, dass sie deshalb nicht jugendgefährdend sein können (vielleicht sind sie es gerade deshalb!). Der Umstand, dass die Gangsta-Rap-Texte mutmaßlich einem »autoritär-patriarchalisch geprägten Umfeld« bzw. oftmals einem bestimmten Milieu – dem der »Migranten« – entstammen, wie es bei der BPjM (2008: 18, 20, 28) heißt, bedeutet aber auch nicht – um dies ebenfalls zu betonen –, dass es sich stets um künstlerisch nichtswürdige Artefakte handeln muss.

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L ITERATUR Bachtin, Michail (1995): Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt am Main. BPjM (2008): »Hip-Hop-Musik in der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) – Rechtliche Bewertung und medienpädagogischer Umgang«. In: BPjM Thema, Ausgabe Mai, S. 343. BPjM (2010a): »Auszug aus der Nichtindizierungsentscheidung Nr. 5712 vom 08.04.2010 zur CD ›Sexismus gegen Rechts‹ der Gruppe ›K.I.Z.‹«. In: BPjM-Aktuell, H. 2, S. 22-26. BPjM (2010b): »Auszug aus der Nichtindizierungsentscheidung Nr. 5702 vom 04.02.2010 […] zur CD ›Alles oder Nix‹ des Interpreten ›Xatar‹«. In: BPjM-Aktuell, H. 2, S. 16-21. Hecken, Thomas (1997): Gestalten des Eros. Die schöne Literatur und der sexuelle Akt, Opladen. Scharenberg, Albrecht (2004): »Globalität und Nationalismus im afroamerikanischen Hip Hop«. In: Eva Kimminich (Hg.): Rap: More than Words, Frankfurt am Main u.a., S. 13-44. Seim, Roland (2004): »Gutachterliche Stellungnahme von Roland Seim bezüglich des Indizierungsantrages gegen drei Rap-CDs aus [sic] dem Label Aggroberlin«. Internetquelle: http://www.telos-verlag.de/seiten/ stellungnahme.htm (zuletzt abgerufen am 24.05.2011).

Danksagung

Die Entstehung dieses Bandes wäre nicht möglich gewesen ohne eine Reihe von Menschen und Einrichtungen, die das Projekt von Anfang an tatkräftig unterstützt haben. Zuerst möchten wir uns herzlich bei Professor Jürgen Straub für die konzeptionelle und umsichtige Unterstützung sowie die hilfreiche Beratung in finanziellen Fragen bedanken. Ausdrücklich bedanken möchten wir uns auch bei der Stiftung für Kulturwissenschaften (im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft) und dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen sowie dem ASTA der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, die die Drucklegung der Anthologie finanziert haben (und zuvor bereits die Durchführung eines vorbereitenden interdisziplinären Symposiums am Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie der oben genannten Universität förderten). Persönlicher Dank gilt auch all denen, die uns freundschaftlich verbunden sind und uns bei der Realisierung des Publikationsvorhabens geholfen haben: Matthias Schmitt für die professionelle formale Bearbeitung der Texte sowie Stephan Szillus vom Juice Magazin für das persönliche Engagement jenseits des redaktionellen Tagesgeschäfts. Bedanken möchten wir uns auch beim transcript-Team für seine aufmerksame Betreuung und nicht zuletzt bei Professor Rainer Winter für die Aufnahme des Bandes in die Reihe »Cultural Studies«. Die Herausgeber, 13.10.2011 Aachen/Berlin.

Autorinnen und Autoren

Dietrich, Marc ist Doktorand und Stipendiat der Andrea von Braun Stiftung sowie Lehrbeauftragter an der Sektion für Sozialpsychologie und Sozialtheorie der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Pop, Film, Populäre Kultur und Sozialtheorie. Friese, Heidrun ist Visiting Fellow am Department Social and Political Science des European University Institute in Florenz. Vertretungsprofessur für Sozialanthropologie an der Ruhr-Universität Bochum (2009-2011). Arbeitsschwerpunkte: Transnational Studies, (irreguläre) Migration, Gastfreundschaft, Freundschaft, Identitäten, Sozialtheorie. Goßmann, Malte studiert Sozialwissenschaften (M.A.) an der HumboldtUniversität zu Berlin. Studienschwerpunkte: Männlichkeit und Geschlecht, Rassismus sowie Widerstand und Protest. Er ist unter dem Namen Refpolk als HipHop-Fan und Rapper seit fast zehn Jahren in entsprechenden Zusammenhängen aktiv. Aktuell forscht er in London zu den dortigen Sozialprotesten. Hecken, Thomas vertritt eine Professur für Germanistik und Kulturwissenschaft an der Universität Siegen. Buchveröffentlichungen zum Thema Popund Populärkultur: »Populäre Kultur« (Bochum 2006), »Theorien der Populärkultur« (Bielefeld 2007), »Pop. Geschichte eines Konzepts 19552009« (Bielefeld 2009).

396 | AUTORINNEN UND AUTOREN

Janitzki, Lena ist Masterstudentin am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin mit den Studienschwerpunkten Stadt- und Jugendsoziologie, soziale Ungleichheit sowie qualitative Methoden der Sozialforschung. Momentan schreibt sie ihre Masterarbeit zum Thema Rap aus ostdeutschen schrumpfenden Städten. Leibnitz, Kimiko, Dr. phil. (Kulturwissenschaft der englischsprachigen Länder), lebt und arbeitet in Würzburg als freiberufliche Übersetzerin und Texterin. Lenz, Anne und Paetau, Laura lieben seit den frühen 90ern HipHop und sind trotzdem Feministinnen. Beide leben in Berlin, wo sie unter anderem zu Sub- und Popkultur arbeiten. Laura und Anne sind Autorinnen des Buches »Feminismen und Neue Politische Generation« (Westfälisches Dampfboot 2009) und bieten Seminare an unterschiedlichen Berliner Universitäten an. Schröer, Sebastian, Dr. phil., Studium der Sozialen Arbeit an der HS Zittau/Görlitz und Promotion in Soziologie an der TU Dresden. Praktische Erfahrungen in den Bereichen Jugendarbeit, Erwachsenenbildung und Berufsförderung, Lehraufträge an der HS Zittau/Görlitz (2007-2009) sowie der TU Dresden (2008-2009). Derzeit als Sozialpädagoge in Dresden tätig. Forschungsschwerpunkte und wissenschaftliche Interessen: Interaktionistische Handlungstheorie, juvenile Szenen, soziale Welten und datenbasierte Theoriebildung. Seeliger, Martin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Soziologie/Organisation, Migration, Mitbestimmung an der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Arbeits-, Kultur- und Politische Soziologie sowie Geschlechterforschung. Szillus, Stephan ist seit Ende 2007 der Chefredakteur von JUICE, dem wichtigsten HipHop-Magazin Europas. Er hat Jura in Hamburg und Zürich studiert und seit 2002 in der Musikindustrie gearbeitet, u.a. als Journalist, Autor, Rechtsanwalt, Berater und Künstlermanager. Stephan Szillus lebt und arbeitet die meiste Zeit in Berlin.

Cultural Studies Karin Bruns, Ramón Reichert (Hg.) Reader Neue Medien Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation 2007, 542 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-89942-339-6

María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan Postkoloniale Theorie Eine kritische Einführung (2., vollständig überarbeitete Auflage) August 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-8376-1148-9

Rainer Winter Widerstand im Netz Zur Herausbildung einer transnationalen Öffentlichkeit durch netzbasierte Kommunikation 2010, 168 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-555-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Cultural Studies Rainer Winter (Hg.) Die Zukunft der Cultural Studies Theorie, Kultur und Gesellschaft im 21. Jahrhundert 2011, 280 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-985-5

Rainer Winter, Elisabeth Niederer (Hg.) Ethnographie, Kino und Interpretation – die performative Wende der Sozialwissenschaften Der Norman K. Denzin-Reader 2008, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-903-9

Rainer Winter, Peter V. Zima (Hg.) Kritische Theorie heute 2007, 322 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-530-7

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Cultural Studies Marian Adolf Die unverstandene Kultur Perspektiven einer Kritischen Theorie der Mediengesellschaft

Katrin Keller Der Star und seine Nutzer Starkult und Identität in der Mediengesellschaft

2006, 290 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-525-3

2008, 308 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-916-9

Marc Calmbach More than Music Einblicke in die Jugendkultur Hardcore

Eva Kimminich, Michael Rappe, Heinz Geuen, Stefan Pfänder (Hg.) Express yourself! Europas kulturelle Kreativität zwischen Markt und Underground

2007, 282 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-704-2

Thomas Düllo Kultur als Transformation Eine Kulturwissenschaft des Performativen und des Crossover 2011, 666 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 45,80 €, ISBN 978-3-8376-1279-0

Claudia C. Ebner Kleidung verändert Mode im Kreislauf der Kultur 2007, 170 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-618-2

Moritz Ege Schwarz werden »Afroamerikanophilie« in den 1960er und 1970er Jahren 2007, 180 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-597-0

Christoph Jacke, Eva Kimminich, Siegfried J. Schmidt (Hg.) Kulturschutt Über das Recycling von Theorien und Kulturen 2006, 364 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-394-5

2007, 254 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-673-1

Marcus S. Kleiner Medien-Heterotopien Diskursräume einer gesellschaftskritischen Medientheorie 2006, 460 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-89942-578-9

Karin Lenzhofer Chicks Rule! Die schönen neuen Heldinnen in US-amerikanischen Fernsehserien 2006, 322 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-433-1

Miriam Strube Subjekte des Begehrens Zur sexuellen Selbstbestimmung der Frau in Literatur, Musik und visueller Kultur 2009, 244 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1131-1

Tanja Thomas, Fabian Virchow (Hg.) Banal Militarism Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen 2006, 434 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-356-3

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