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German Pages 560 [546] Year 2005
Ursula
Langkau-Alex
Deutsche Volksfront 1932-1939 Dritter Band
Ursula Langkau-Alex
Deutsche Volksfront 1932-1939 Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau Dritter Band: Dokumente zur Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Chronik und Verzeichnisse
Akademie Verlag
ISBN 3-05-004033-5 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2005
eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übertragung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen Das
-
-
oder übersetzt werden.
Einbandgestaltung: Grube Design Druckvorlage: Peter Rotkehl, Berlin
Druck: MB Medienhaus Berlin GmbH
Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung Abkürzungsverzeichnis
IX XI
Dokumente
I.
Editorische Notiz
3
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen Sammlung der Opposition in einer Volksfront. September 1935 bis Februar 1936
5
zur
1.
2.
3.
4. 5.
6. 7.
8.
Georg Decker und Max Braun, Vorschlag für die Gründungsversammlung des Lutetia-Comités. September 1935 Neu Beginnen, Interne Stellungnahme der Gruppe zur Gründung
des Lutetia-Comités und zur »Brüsseler« Konferenz der KPD. Oktober 1935 Victor Schiff und Willi Münzenberg, Entwurf eines Spitzenabkommens zwischen Sopade und KPD. Oktober 1935 Revolutionäre Sozialisten Deutschlands, Richtlinien zur Volksfront. Mitte November 1935 Emil J. Gumbel, Entwurf eines Minimalprogramms für die Gründungsversammlung des Volksfrontausschusses. Januar/Februar 1936 Heinrich Mann, Ergänzungen zum Programmentwurf von Gumbel. Januar/Februar 1936 Georg Bernhard, Entwurf einer Verfassung für das »Vierte Reich«. Januar/Februar 1936 Leopold Schwarzschild, Entwurf eines Einigungsabkommens und Konzept einer Grundgesetzgebung für das Deutschland nach Hitler.
Januar/Februar 1936
7
9
14
15 20 22
25
35
V
Inhaltsverzeichnis
II. Manifeste und Kampfprogramme.
45
Januar 1934 bis Februar 1936 9. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Sopade), »Prager Manifest« zum 30. Januar 1934 10. Kommunistische Partei Deutschlands, Vorstellungen über ein gemeinsames Kampfprogramm gegen die faschistische Diktatur 1. KPD, Vorbereitung auf die »Brüsseler« Parteikonferenz. Anfang Oktober 1935 2. KPD, Manifest der »Brüsseler« Parteikonferenz. Endgültige Fassung vom
1. Dezember 1935
11. Sozialdemokraten und Kommunisten Dezember 1935 12. Lutetia-Konferenz, Manifest vom 2. Februar 1936 13. Lutetia-Konferenz, Kundgebung vom 2. Februar 1936
IM.
protestieren gemeinsam.
Programmatische Verlautbarungen von Parteien Gruppierungen. Januar 1936 bis Januar 1938
57 57 62 68 71 74
und
14. Schwarze Front, Aufruf zum Kampf. Januar 1936 15. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Sopade), Erklärung zum 30. Januar 1936 16. Neu Beginnen, Deutsche und internationale Dimensionen der Volksfront 1. Neu Beginnen, Analysen und Perspektiven nach dreijähriger NS-Herrschaft. Januar 1936 2. Neu Beginnen, Front populaire und Erfordernisse einer deutschen Volksfront. Juni 1936 17. Proletarische Freidenkergruppe (Max Sievers), Diskussionsgrundlage für alle Gruppen in der Illegalität und der Emigration. März 1936 18. Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, Probleme der deutschen Revolution und der Volksfront 1. SAP, Voraussetzungen einer nachfaschistischen Ordnung in Deutschland. Dezember 1935 bis März 1936 2. SAP, Zu Klassenpolitik und nichtproletarischen Bündnispartnern. Juni 1936
VI
47
77
79 83
90 90 106 113 120 120 132
Inhaltsverzeichnis
19. Rudolf Möller-Dostali, Vorschlag zur Sammlung der Katholiken in der Volksfront. 136 April 1936 20. Volkssozialistische Bewegung Deutschlands, Grundgedanken zur Sammlung der Kräfte. Mai 1936 139 21. Kommunistische Partei Deutschlands, Volksfront gegen den Faschismus Volksfront zur Versöhnung von Faschisten und Antifaschisten 143 1. KPD, Vorschlag für die Grundlinien eines gemeinsamen -
2.
Volksfrontprogramms. Juni 1936 KPD, Aufruf zur Versöhnung.
Oktober 1936 22. Revolutionäre Sozialisten Deutschlands, Konzentration auf deutsche sozialistische Arbeiterpolitik. Juli 1936 23. Emil J. Gumbel und der Kreis der deutschen politischen Emigranten in Lyon, Ein neues Minimalprogramm. Anfang Oktober 1936 24. Gruppe deutsche Volksfront, Berlin, Zehn-Punkte-Programm und dessen Begründung. Dezember 1936 25. Internationaler Sozialistischer Kampfbund, Programm des zukünftigen deutschen Staates. November 1936 26. Deutsche Freiheitspartei, Christentum, Autorität und Freiheit. September 1937 27. Bund freiheitlicher Sozialisten, Gründung einer Organisation
143
155 164 171
173 181 196
antifaschistischer Intellektueller.
11./12. Dezember 1937 28. Heinrich Mann, Willi Münzenberg und Carl Spiecker, Ein deutsches Januar 1938
200
Programm.
202
IV. Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland und Volksfrontausschuß. März 1936 bis April 1937 29. Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland, Appell an die Welt nach der Rheinlandbesetzung. 8. März 1936 30. Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß, Brief an die internationalen Organisationen der Arbeiterbewegung. 18. Mai 1936 31. Lutetia-Kreis, Erklärung nach der Rheinlandbesetzung. Mai 1936
219
221
223 229 VII
Inhaltsverzeichnis
32.
Volksfrontausschuß, Erklärungen zu Spanien 1. Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß,
233
August 1936 2. Von SAP-Vertretern im Volksfrontausschuß boykottierter Aufruf. Dezember 1936 3. Arbeitsausschuß der Programmkommission des Volksfront-
233
Sympathie-Erklärung für das republikanische Spanien.
235
ausschusses, Denkschrift.
21. Dezember 1936 33. Wirtschaftskommission des Volksfrontausschusses, Denkschrift Lohn im Dritten Reich. 21. Dezember 1936 34. Programmkommission des Volksfrontausschusses, Aufruf an das deutsche Volk. 21. Dezember 1936 35. Volksfrontausschuß, Botschaft der »Osterkonferenz«. 10./11. April 1937
V. Resümees dreier Akteure. Dezember 1936 bis Mai 1937 36.
Leopold Schwarzschild, Konsequenzen aus dem Volksfront-Experiment.
237
257
279 285 289
Dezember 1936 37. Rudolf Breitscheid, Schlußfolgerungen nach einem Jahr deutscher Volksfront. Januar 1937 38. Willi Münzenberg, Rückblick und Ausblick. Mai 1937
291
Chronik
315
Verzeichnisse
351
Quellen- und Literaturverzeichnis
353 353 359 366
293 298
1. Archive und Bibliotheken 2. Zeitungen, Zeitschriften, Mitteilungsblätter 3. Bibliographien und Nachschlagewerke 4. Quellenveröffentlichungen und Literatur Namenverzeichnis Verzeichnis der Organisationen und Institutionen Verzeichnis der Medien
371 429 491 522
Nachbetrachtung
535
VIII
Vorbemerkung
Dieser Dritte Band meiner Studie »Deutsche Volksfront 1932-1939« ist mit seinen Dokumenten weit mehr als ein bloßer >Anhang< zu den beiden die Vorgeschichte und die Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront darstellenden und analysierenden Bänden. Im Dokumententeil sind insgesamt 44 zeitgenössische Vorschläge, Entwürfe Stellungnahmen, Manifeste und Kampfprogramme, Aufrufe und Denkschriften aus dem Lutetia-Kreis und von Kommissionen des Volksfrontausschusses sowie einige Resümees abgedruckt und wo nötig annotiert. Das politische und ideologische Spektrum reicht von der Moskau-orientierten KPD über den Exilvorstand der SPD, genannt Sopade, eine innerdeutsche sozialdemokratische Gruppe Deutsche Volksfront, die Zwischenorganisationen der Arbeiterbewegung und bürgerlich-demokratische sowie christliche Einzelpersonen und Zusammenschlüsse bis hin zur Volkssozialistischen Bewegung und der Schwarzen Front des nationalsozialistischen Dissidenten Otto Strasser. Die Dokumente ergänzen und verdeutlichen die Darstellung der historischen Entwicklungen, der Bündnisstrategien und -taktiken, der programmatischen Vorstellungen und deren Rezeptionen in ihrer Kontinuität und in ihren Brüchen, auch innerhalb einzelner Organisationen oder Kommissionen. Sie sind darüber hinaus für sich als Grundlagenmaterial zu individueller oder kollektiv-edukativer (Weiter-)Beschäftigung
gedacht.
Die detaillierte Chronik der Ereignisse im Stile von Nachrichtenmeldungen erlaubt die schnelle Orientierung über Schlüsseldaten zu Vorgeschichte und Geschichte des Volksfrontausschusses im nationalen wie im internationalen Rahmen vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Das Quellen- und Literaturverzeichnis listet alle benutzten öffentlichen und privaten Archive und Bibliotheken in 10 Staaten, Editionen und Handbücher usw., zeitgenössische Periodika und Einzelveröffentlichungen, Memoiren und die Forschungsliteratur auf. Der Wegisterteil umfaßt für alle drei Bände zusammen ein Verzeichnis der Personen einschließlich heutiger Autoren, ein Verzeichnis der Organisationen und Institutionen und ein Verzeichnis der zeitgenössischen Medien und Verlage. Die Nachbetrachtung ist zugleich Resümee und Ausblick, sie zieht Bilanz nach einer langjährigen Forschungsarbeit.
Amsterdam, im Dezember 2004
Ursula
Langkau-Alex
IX
Abkürzungsverzeichnis
AA-PA AB ABA ADG ADGB AdK AdK-StA AdsD
AdSRSÖ AEAR AGSI AIZ AK AL
AN/P APPP ARAB ARBARK As
AVÖS
Auswärtiges Amt, Politisches Archiv Auslandsbüro
Arbejderbevœgelsens Bibliotek og Arkiv Auslandsvertretung der Deutschen Gewerkschaften Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
Akademie der Künste, Archiv und Bibliothek Akademie der Künste, Stiftung Archiv Archiv der sozialen Demokratie Arbeitsausschuß deutscher Sozialisten und der Revolutionären Sozialisten Österreichs Association des Écrivains et Artistes Révolutionnaires Arbeitsgemeinschaft für sozialistische Inlandsarbeit Arbeiter-Illustrierte Zeitung Auslandskomitee
Auslandsleitung
Archives Nationales, Paris Archives de la Préfecture de Police, Paris Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek Abschrift Auslandsvertretung der Österreichischen Sozialisten
AZ AZ
Auslandszentrale
BA/B BA/K
Bundesarchiv, Berlin Bundesarchiv, Koblenz
BDIC BL BN BND BNV BPRS BRD BV BVP BZ
CGT CGTU
(Revolutionären)
Arbeiter-Zeitung
Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine Bezirksleitung Bibliothèque Nationale
Bund Neues Deutschland Bund Neues Vaterland Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Bundesrepublik Deutschland Bezirksvorstand
Bayerische Volkspartei Berliner Zeitung Confédération Générale du Travail Confédération Générale du Travail Unitaire XI
Abkürzungsverzeichnis CNT Coll.
CSR DAF DB-DEA DDP DDR DF DF-LA DFB DFD-MDFB
Confederación National del Trabajo Collection (Archiv, Sammlung) Tschechoslowakische Republik Deutsche Arbeitsfront Deutsche Bibliothek, Deutsches Exil-Archiv Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutsche Freiheit (Zeitung) Deutsche Freiheit La Liberté Allemande Deutsche Freiheits-Bibliothek Das Freie Deutschland Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek Deutsche Friedensgesellschaft Deutsche Freiheitspartei Deutsch-Französische Union Deutsche Informationen Deutsche Informationen vereinigt mit Deutsche Mitteilungen Deutscher Kurierdienst Deutsche Liga für Menschenrechte Deutsches Nachrichtenbüro Deutschnationale Volkspartei Deutsche Revolution (Zeitschrift) -
-
DFG DFP DFU DI DI-DM DKD DLM DNB DNVP DR Ds DSAP DSLF
DStP DVP DVZ DW
Durchschrift, Durchschlag
Deutsche Sozialdemokratische Arbeiter-Partei Deutsche sozialdemokratische Landesorganisation in Frankreich Deutsche Staatspartei Deutsche Volkspartei Deutsche Volks-Zeitung Der Deutsche Weg
Ed. EKKI Ex.
Éditions
FdJ FDJ
Freie deutsche Jugend Freie Deutsche Jugend (Zeitschrift) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Fédération des dAllemagne en France Frankfurter Zeitung
FDGB FEAF FZ GA GdSt GDW Geade
Gestapa XII
Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale
Exemplar
Émigrés
Der
Gegen-Angriff Gegen den Strom
Gedenkstätte Deutscher Widerstand Gewerkschaftliche Auslandsvertretung Deutschlands Geheimes Staatspolizeiamt
Abkürzungsverzeichnis
GRP
Geheime Staatspolizei German Labor Delegation Gosudarstvennoe politiceskoe upravlenie (Staatliche Politische Verwaltung) Gruppe Revolutionärer Pazifisten
HJ
Hitler-Jugend
IAA IAH IC IEE IfZ IGB IGK IGPK IISG IKD IKK IKK ILP
Internationales Antifaschistisches Archiv Internationale Arbeiterhilfe L'Internationale Communiste (Zeitschrift) Information von Emigranten für Emigranten
Gestapo
GLD GPU
INFA
Inprekorr IPTT IRH ISK ITF IVKO IVRS
Institut für Zeitgeschichte
Internationaler Gewerkschaftsbund Internationale Gewerkschaftskorrespondenz Internationale Gewerkschafts-Pressekorrespondenz Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Internationale Kommunisten Deutschlands Internationale Kontrollkommission (der Komintern) Der Internationale Klassenkampf Independent Labour Party Institut zum Studium des Faschismus Internationale Presse-Korrespondenz für Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung Internationale des Post-, Telegraphen- und Telephonpersonals Internationale Rote Hilfe Internationaler Sozialistischer Kampfbund Internationale Transportarbeiter-Föderation Internationale Vereinigung der Kommunistischen Opposition Internationale Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller
JSU
Juventudes Socialistas Unificadas
KAPD
Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands Kommunistische Internationale (Organisation und Zeitschrift) Kommunistische Jugend-Internationale Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kommunistische Internationale (III. Internationale)
KI
KJI KJVD
Komintern Korr.
KPC KPD
Korrespondenz
Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei Deutschlands
KP(D)0, KPO KPD-Opposition KPÖ
KPdSU KZ I.A
Kommunistische Partei Österreichs Kommunistische Partei der Sowjetunion
Konzentrationslager
Lande s archiv
Abkürzungsverzeichnis LBI
Leo Baeck Institute
LG LO
Landesgruppe Linke Opposition (Bolschewiki-Leninisten)
MDFB
Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek Mitglied des Landtags Mitglied des Reichstags
M.d.L. M.d.R. MG MIF MOPR
Ms MSLN MZDE NARA NB NDB nf NF NKWD NRS NS NSBO NSDAP NSV NTB NV NvdS NWB NZZ o.
D.
o.J. o.
O.
ORA OSDS o.U. PA
PCB(-SBIC) PCE
PCF(-SFIC) XIV
Manchester Guardian Miners' International Federation
(Internationaler Bergarbeiter-Verband) Mezdunarodnaja organizacija pomosci borcam revol'jucii (Internationale Hilfsorganisation für Kämpfer der Revolution) Manuskript The Monthly Summary of the League of Nations Mitteilungen der Zentralvereinigung Deutscher Emigranten National Archives and Records Administration Neu Beginnen Neue Deutsche Blätter die neue front Neue Front Narodnyj komissariat vnutrennych del (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) Neuer Roter Stoßtrupp Nationalsozialisten, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkshilfe Das Neue Tage-Buch Neuer Vorwärts Nachrichten von der Saar Die Neue Weltbühne Neue Zürcher Zeitung ohne Datum ohne Jahr ohne Ort Oberreichsanwalt Opposition im Schutzverband Deutscher Schriftsteller ohne Unterschrift Privatarchiv Parti Communiste
Belge, Section de l'Internationale Communiste Partido Comunista de España Parti Communiste Français, Section de l'Internationale Communiste
Abkürzungsverzeichnis PCI Port. POUM PSdF PSI PS( )E
PSUC PT PTTI PTZ PV
Rb RF RFB RGI RGO
RH(D) RK
RL RLB RSchr.
RS(D)
RSHA RSI
RSÖ
Partito Comunista Italiano Portefeuille (bei Aktenbeständen) Partido Obrera de Unificación Marxista Parti Socialiste de France (Union Jean Jaurès) Partito Socialista Italiano Partido Socialista Obrero Español Partito Socialista Unificat de Catalunya Pariser Tageblatt Postal, Telegraph and Telephone International Pariser Tageszeitung Parteivorstand Reichsbanner Schwarz Rot Gold Die Rote Fahne Roter Frontkämpfer-Bund Rote Gewerkschafts-Internationale Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition Rote Hilfe (Deutschlands) Rote Kämpfer
Reichsleitung
Reichsluftschutzbund Rundschreiben Revolutionäre Sozialisten
(Deutschlands) Reichssicherheits-Hauptamt
Rote Sport-Internationale Revolutionäre Sozialisten Österreichs Roter Stoßtrupp
RST RT Runa RUP RGASPI RGVA
Rundschau-Nachrichten Rassemblement Universel pour la Paix
SA SAI
Sturmabteilung (der NSDAP)
SAJ SAP(D)
SAPMO
SASI SD SDS SED SF SFIO SIB SIKO
Reichstag
Rossijskij gosudarstvennyj archiv social'no-politiceskoj istorii Rossijskij gosudarstvennyj voennyj archiv
Sozialistische Arbeiter-Internationale Sozialistische Arbeiter-Jugend Sozialistische Arbeiterpartei (Deutschlands) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Sozialistische Arbeiter-Sport-Internationale Sicherheitsdienst Schutzverband Deutscher Schriftsteller Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Schwarze Front Section Française, Internationale Ouvrière Sozialdemokratischer Informationsdienst
Sievers-Korrespondenz XV
Abkürzungsverzeichnis
SJI SJ V(D) SK
Sopade SPD
SPÖ SPS
SR(I) '
SS
StAK-HA SW
Sozialistische Jugend-Internationale Sozialistischer Jugendverband (Deutschlands) Sozialistischer Kampf Sozialdemokratische Partei Deutschlands (ParteivorstandsBüro in der Emigration) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Österreichs Sozialdemokratische (Landes-)Partei des Saarlands Secours Rouge (International) Schutzstaffel (der NSDAP) Stadtarchiv Köln, Historisches Archiv Sozialistische Warte
TB TUC
Telegrafnoe Agentstvo Sovetskogo Sojuza (Nachrichtenagentur der Sowjetunion) Das Tage-Buch Trades Union Congress
UBB
Universitätsbibliothek Basel
UB(L)
Unterbezirk(sleitung)
TASS
ÜDH
UdSSR UGT ULA URF
USP(D) UW UZ VF VGH
VJB
V-Mann
VPÖD
VSB(D)
Überparteilicher Deutscher Hilfsausschuß Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unión General de Trabajadores Ursula Langkau-Alex Union für Recht und Freiheit Unabhängige Sozialdemokratische Partei (Deutschlands) Unser Wort Unsere Zeit Volksfront
Volksgerichtshof Vierteljahrsbericht Verbindungsmann, Vertrauensmann
Verband Personal öffentlicher Dienste (Schweiz) Volkssozialistische Bewegung (Deutschlands) Die Weltbühne
WB WEB WKKF
Westeuropäisches Büro (der Komintern)
ZA
Zentralausschuß
ZDE
Zentralvereinigung deutscher Emigranten
ZfS ZK ZV ZVE
XVI
Weltkomitee gegen
Krieg und Faschismus
Zeitschrift für Sozialismus Zentralkomitee Zentralvorstand Zentralvereinigung der deutschen
Emigration
Dokumente
Editorische Notiz
Die folgenden 44 Dokumente aus dem Zeitraum von September 1935 bis Januar 1938 sind unter 38 Nummern abgedruckt: In vier Fällen sind je zwei, in einem Fall sind drei sachlich zusammengehörige Dokumente unter einer Nummer gesammelt. Dies erfolgte dort, wo Dokumente besonders anschaulich zum Ausdruck bringen, wie sich innerhalb einer bestimmten Gruppierung Vorstellungen und Erwartungen über das Volksfrontbündnis und dessen politisches Umfeld binnen weniger Monate oder sogar Wochen entwickelten oder wandelten. Nach Charakter und Herkunft sind die Dokumente in fünf Gruppen eingeteilt und dort möglichst chronologisch angeordnet, gelegentlich wird zugunsten der erwähnten Sachgruppen von der Chronologie abgewichen. Die Kriterien der Einteilung und Anordnung werden in kurzen Vorbemerkungen jeweils erläutert. Im folgenden ist die Antiqua den überlieferten Dokumenten vorbehalten, während die Textteile der Herausgeberin in serifenloser Schrift gesetzt wurden. Die
Dokumente erscheinen unter redaktionellen Überschriften, die Verfasser bzw. Herkunft, Charakter und Zeit der Abfassung des Textes mitteilen. Nach der Beschreibung der jeweiligen Vorlage, deren Standort in jedem Fall mitgeteilt wird, werden Parallelüberlieferungen und Vergleichsmaterialien genannt. Auf zeitgenössische und spätere Drucke wird ohne Anspruch auf Vollständigkeit hingewiesen, gegebenenfalls werden Besonderheiten der Wiedergabe der Vorlage erläutert oder deren Wahl begründet. Auf zusätzliche inhaltliche Informationen zu den einzelnen Dokumenten, ihrer Entstehung, ihrem Kontext usw. im Ersten und Zweiten Band der Deutschen Volksfront wird in jedem Fall mit Querverweisen hingewiesen. Die Wiedergabe der Texte erfolgt diplomatisch, in Orthographie, Wortstellung und Interpunktion wurde nicht eingegriffen. Die Dokumente 16.1, 18.1 und 25 werden nur in Auszügen, alle anderen vollständig abgedruckt. Die in den Vorlagen sehr unterschiedlichen Arten der Hervorhebungen wurden vereinheitlicht und sind jetzt kursiv gesetzt. Sämtliche Texteingriffe der Herausgeberin, die für ein besseres Verständnis der Dokumente als notwendig erachtet wurden, sind gekennzeichnet: Fälle fehlerhafter Schreibung oder Wortwahl, die das Verständnis nicht beeinträchtigen, sind mit [sie] gekennzeichnet. Offensichtliche Schreib- bzw. Druckfehler sind in [ ] korrigiert, aber nicht im einzelnen nachgewiesen. Dagegen sind einige wenige mißverständliche, zweifelhafte oder sinnentstellende Schreibungen im Text in [ ] berichtigt und in Anmerkungen ausgewiesen. Textauslassungen in von der Dokumentenvorlage abweichenden Varianten werden mitunter in den Anmerkungen in spitzen Klammern ( > festgehalten. 3
Editorische Notiz
Anmerkungen der Herausgeberin enthalten die Nachweise zu den genannten Verbesserungen gegenüber den Vorlagen sowie Nachweise zu sämtlichen Korrekturen in den Vorlagen selbst. In einigen Fällen werden Abweichungen von Parallelüberlieferungen, zeitgenössischen Erstveröffentlichungen und Nachdrucken ausgewiesen bei Dokument 24, dem Berliner Zehn-PunkteProgramm, wird die Entwicklung des Textes durch drei Fassungen verfolgt. Die Zahl der Sachanmerkungen konnte gering gehalten werden, da eine ausführliche inhaltliche Kommentierung der Dokumente an den jeweils als Kontext ausgewiesenen Stellen erfolgt. Die
—
4
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen zur Sammlung der Opposition in einer Volksfront September
1935 bis Februar 1936
Die Dokumente 1-8 gehören chronologisch und sachlich in die Phase, die der Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront unmittelbar vorausging. Diese Texte wurden unter den an den Gründungsvorbereitungen beteiligten Personen und Gruppen als maschinenschriftliche oder hektographierte Kopien verbreitet und werden hier nach diesen Vorlagen wiedergegeben.
Dokument 1
Georg Decker und Max Braun, Vorschlag für die Gründungsversammlung des Lutetia-Comites September 1935 1 hektographierte Seite, 210 x 330 mm; Korrekturen und Zusatz von unbekannter Hand: »PS. Verfasst von Georg Decker ([kyrillisch:] Ju. P. Denike). Vorgeschlagen von Max Braun a. d. Versammlung in Paris 26. IX. 35, wo ein provisor. Komitee unter dem Vorsitz von Heinr. Mann gewählt wurde« Standort: IISG, studlezaalmap, lljst Abendroth 385 Druck: 1977, Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 167f. Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 179ff.
Vorlage:
Der Bund »Das kommende Deutschland« Vorschlag von Max Braun
1) Die Auslands-Organisation des Bundes »Das kommende Deutschland« (oder »Freies1 Deutschland«) soll für den Kampf im Reiche das Zeichen dafür
sein, dass
aller Unterschiede in den grundsätzlichen Anschauungen und Zukunftszielen die Möglichkeit vorhanden ist, die für den Kampf verhängnisvolle Zersplitterung zu überwinden, die gegenseitige Bekämpfung abzustellen und die Kräfte für den gemeinsamen Schlag gegen das Hiderregime zu sammeln. 2) Als Grundlage der Einigung erscheint die gemeinsame Einsicht, dass für die Gegenwart der Kampf gegen den Faschismus in allen seinen Formen und Abarten für die Erhaltung, bezw. Wiedereroberung der politischen Freiheiten, die erst jeder Richtung den Kampf um ihre Zukunftsziele ermöglichen, die vordringlichste Aufgabe ist. 3) Daraus ergibt sich die Zielsetzung des Bundes, die zugleich geeignet ist, auch im Dritten Reiche alle Unterdrückten und alle diejenigen, die ihre Ideale, ihre Weltanschauung und ihren Glauben beschmutzt und zertreten sehen, in gemeinsamem Kampf zusammenfassen. 4) Der Bund »Das kommende Deutschland« muss ein Bund der Menschlichkeit sein. In der Zeit der tiefsten Erniedrigung der Menschen im Dritten Reiche muss der Welt die Stimme des anderen Deutschland vernehmbar werden, die die Rechte der menschlichen Persönlichkeit und die Menschenwürde vertrotz
teidigt. »Bund das kommende Deutschland« vertritt das andere Deutschland der Welt. Er hat namentlich die Aufgabe zu beweisen, dass die heute Deutschland beherrschenden Cliquen nicht mit der Gesamtheit des deutschen Volkes gleichgestellt werden dürfen und dass in Deutschland die Kräfte vorhanden und im Wachsen sind, die die Hitlerbarbarei, sowie jeden Militarismus und überstiegenen2 Nationalismus zu bekämpfen bereit sind. 6) Der Bund enthält sich jeder Einmischung in die Tätigkeit der illegalen Organisationen, deren Leitung und an sich wünschenswerte Koordinierung die
5) Der
vor
7
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
der entsprechenden Parteien und Gruppen bleiben soll. Er unterstützt ihre Arbeit mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften. 7) Die Tätigkeit des Bundes kann nicht an eine bestimmte Prognose der Entwicklung gebunden sein. In Arbeitskreisen soll die Entwicklung im Dritten Reiche auf allen Gebieten ständig verfolgt werden. Die Arbeitskreise beschäftigen sich mit der Problematikf,] die sich aus dieser Entwicklung ergibt, um bereit zu sein, zu jeder Zeit die praktischen Lösungen der deutschen Probleme vorzu-
Aufgabe
schlagen.
8) Der Bund hat in wichtigen Fällen der Welt die Auffassung des kommenden Deutschlands kundzugeben. Er wird sich auch bemühen, die Welt über die Zustände im Dritten Reiche richtig zu informieren. Durch die äusserste Sorgfalt bei der Nachprüfung soll es erreicht werden, dass die Mitteilungen des Bundes in der ganzen Welt mit vollem Vertrauen aufgenommen werden. Anmerkungen der Herausgeberin: 1
2
8
korrigiert aus: korrigiert aus:
»Neues« »wilden«
Dokument 2
Beginnen, Interne Stellungnahme der Gruppe Gründung des Lutetia-Comités und
Neu zur
»Brüsseler« Konferenz der KPD Oktober 1935
zur
4 maschinenschriftliche Seiten, Durchschlag, 210 x 297 mm, o. D.; Titel, Zusätze und Korrekturen im Text von unbekannter Hand, Zusatz zum Titel: »N.B.« von anderer Hand, Blaustiftunterstreichungen von dritter Hand Standort: IISG, NL Hertz, S. 7, Neu Beginnen, Mappe B, Nr. 4 Druck: 1977, Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 168-173 Wiedergabe folgt dem Text der Vorlage nach den Korrekturen, diese sind in den Anmerkungen nachgewiesen; die offensichtlich späteren Blaustift-Unterstreichungen werden nicht berücksichtigt. Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 179ff., 245ff. und Dokument 10.1 in diesem Band
Vorlage:
Zwei Linien der demokratischen Revolution in Deutschland1 Die proletarische Einheitsfront ist für Deutschland noch nicht formiert. Schon im voraus hat jedoch die KPD auch für Deutschland die Parole der Volksfront aufgestellt und die ersten Schritte zu ihrer Herstellung unternommen. Nach der Komiteebildung in Paris, deren Eigentümlichkeiten man noch für mehr oder minder zufällig halten konnte, ist nun der Aufruf der Brüsseler Konferenz der KPD der entscheidende offizielle Schritt. Er hegt zur Stunde noch nicht im Wortlaut vor; doch lancierte Veröffentlichungen der bürgerlichen Presse unterrichten bereits über seinen allgemeinen Inhalt und werden durch die Linie der kommunistischen Tagesliteratur bestätigt. Wir sagen an anderer Stelle, was wir von der Bildung von »Volksfronten« mit Vertretern der bürgerlichen Emigration ohne Inlandanhang halten.2 Doch die Bedeutung der hier begonnenen Politik geht über solche Kinderkrankheiten natürlich hinaus. Sie liegt nicht in den dilettantischen Versuchen, Bündnisse zu realisieren, für die es an Partnern fehlt. Sie liegt darin, dass die Frage der Losungen der deutschen Revolution, ihrer Klassenbasis, ihrer Strategie von kommunistischer Seite zur
Diskussion gestellt wird. Die Bündnisversuche sind verfrüht; aber die Diskussion über die Kräfte, die verbündet den deutschen Faschismus stürzen können und die Losungen, unter denen sie zu mobilisieren sind, ist nicht verfrüht sie ist dringend notwendig. Die Klärung dieser strategischen Fragen in der deutschen Arbeiterbewegung ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass die revolutionäre Krise die Bewegung politisch vorbereitet findet, fähig zu kämpfen und zu siegen. Die Diskussion über die Aufgaben der russischen Revolution und das Verhältnis der Klassenkräfte in ihr bildeten den Hauptinhalt der Auseinandersetzungen3 in der russischen Arbeiterbewegung von 1905 bis zum Weltkrieg; in diesen Diskussionen formte sich die bolschewistische Strategie, ohne die der Weg von der Februar- zur Oktoberrevolution —
9
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
undenkbar ist. Mit welchen Vorschlägen eröffnet nun die KPD die Diskussion über Aufgaben und Träger der kommenden deutschen Revolution? Was wir bisher davon wissen, lässt sich kurz so zusammenfassen: die Kommunisten gehen davon aus, dass die kommende deutsche Revolution eine demokratische Revolution sein wird. Sie geben ihre weitergehenden Ziele theoretisch nicht auf; aber sie sind bereit, sie zur Formierung einer gemeinsamen Front aller demokratischen Kräfte einstweilen zurückzustellen und sich später dem Entscheid4 der Mehrheit zu unterwerfen. Sie stellen daher ein rein demokratisches Programm auf, das in Anlehnung an die Revolution von 1918 Nationalversammlung und Wiederherstellung des demokratischen Parteiensystems, Organisations- und Pressefreiheit, Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung aller Bürger, Friedenspolitik nach aussen und Lebensmitteleinfuhr statt Rüstungsausgaben fordert. Historisch bedeutet dies Programm eine Rückkehr zum Weimarer System; ökonomisch eine Zerschlagung der faschistischen Staatswirtschaft ohne Ersatz durch etwas Neues, also eine Rückkehr zum »liberalen« Monopolkapitalismus; klassenmässig eine Orientierung auf5 die vom Faschismus enttäuschten, oppositionellen Teile der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums, die bewusste Beschränkung auf Forderungen, die auch für diese Schichten, für die Anhänger des Stahlhelms, der Kirchenopposition akzep-| S. 2 |tabel sind. Strategisch ist entscheidend, dass zwischen diesem Kampfprogramm und dem kommunistischen Endprogramm etwa so viel Verbindung besteht, wie ein Vierteljahrhundert vor dem Weltkrieg zwischen dem Maximal- und dem Minimalteil des Erfurter Programms6 der Sozialdemokratie nämlich gar keine. Dass die Kommunisten ein Programm der demokratischen Revolution aufstellen wollen, das über die Reihen der Arbeiterklasse hinaus eine sammelnde und mobilisierende Wirkung ausüben soll, dass sie die Frage einer revolutionären Volksfront aufwerfen, halten wir für richtig. Dass sie dies Programm konkret als Programm der Unterordnung der Arbeiterinteressen unter die Interessen von oppositioneller Bourgeoisie und Kleinbürgertum formulieren, dass sie ein reines Freiheitsprogramm ohne konstruktive Ziele aufstellen, dass sie die Besonderheiten einer demokratischen Revolution nach dem Faschismus ausser Acht lassen, halten wir für falsch. Ein Programm der demokratischen Revolution für Deutschland aufstellen, das ist ein Verdienst. Den konkreten Charakter einer demokratischen Revolution im heutigen Deutschland nicht verstehen, die führende Rolle der Arbeiterklasse in dieser Revolution nicht sichern, die Verbindung zwischen den Forderungen der demokratischen und der sozialistischen Revolution nicht finden das ist ein Versagen. Die deutsche Revolution wird nicht eher ausbrechen, als bis die Arbeiterklasse sich in Bewegung setzt. Geschieht dies, so wird auch die Opposition der Mittelschichten erwachen und Teile der Bourgeoisie und des Staatsapparates selbst werden das wankende System verlassen. So weit glauben wir mit den Kommunisten -
-
-
einig zu sein. 10
2. Neu
Beginnen,
Interne
Stellungnahme
Aber hier beginnt erst das strategische Problem! Die7 bürgerliche und militärische »Opposition« wird das faschistische Regime verlassen, um die Kontinuität des Staatsapparates zu sichern und die Klassenherrschaft möglichst schnell erneut zu stabilisieren. Die Arbeiterschaft wird auf die Strasse gehen, um mit dem Sturz des Faschismus die Bewegungsfreiheit für den Kampf um den Sturz des Kapitalismus zu gewinnen, der den Faschismus erzeugt hat. Zwischen beiden wird das Kleinbürgertum stehen, vom Freiheitskampf begeistert, aber ohne klare eigene Zielsetzung und schwankend. Um das Kleinbürgertum, gegen die bourgeoise Opposition von gestern wird im Verlauf der deutschen Revolution der Kampf gehen; erst diese Fragestellung gibt einem demokratischen Programm seinen Sinn. Die Frage ist also: mit welchen Forderungen wird die Arbeiterbewegung das Kleinbürgertum auf ihre Seite ziehen und von der bourgeoisen Führung lösen? Mit welchen Forderungen wird sie ein Versanden der Revolution verhindern, wie es der Stahlhelm, die katholische Kirche, die protestantischen Pastoren betreiben werden? Mit welchen Forderungen wird sie die Aktivität der Volksmassen entfesseln und die Fortdauer der revolutionären Bewegung sichern, bis die sozialistische Vollendung der Revolution möglich ist? Sie kann dies nicht erreichen, indem sie den Sozialismus oder gar die Diktatur der sozialistischen Partei als unmittelbare Aufgabe der Revolution proklamiert; soweit haben die Kommunisten Recht. Mit diesen Parolen würde die Arbeiterbewegung in einem Zeitpunkt, wo die Wiedererlangung der Freiheit, die Zerreissung der faschistischen Zwangsjacke auf der Tagesordnung steht, wo die Massen noch keine Gelegenheit hatten, im Kampfe ihre Erfahrungen mit den neu entstandenen Parteien zu machen, im Kampfe sich von der Notwendigkeit der sozialistischen Fortführung der Revolution zu überzeugen, alle8 Schwankenden auf die Seite der Bourgeoi-|S. 3 |sie9 treiben. Sie kann es aber auch nicht erreichen, indem sie sich auf Forderungen beschränkt, die für die gesamte, gestern noch faschistische Bourgeoisie und Bürokratie akzeptabel sind, weil sie die schnelle Stabilisierung des neuen Zustandes und sonst nichts. Mit diesem Programm würde sie die zum Inhalt haben Schwankungen10 verlängern, die Klassengegensätze in dem entscheidenden Augenblick verschleiern, dem Klassenfeind die Atempause zur Sicherung seines Machtapparates lassen kurz, ein neues 1918 vorbereiten. Mit dieser Parole würde sie auch die Mitverantwortung übernehmen für den vollkommenen ökonomischen Zusammenbruch, den der Abbau der faschistischen Interventionspolitik beim Fehlen eines positiven ökonomischen Uebergangsprogramms notwendig zur Folge hätte. Die Arbeiterbewegung kann den entscheidenden Teil der revolutionären Volksmassen nur auf ihre Seite ziehen, wenn sie ein Programm hat,11 das die radikale Entfesselung der demokratischen Aktivität dieser Massen mit den ökonomischen Massnahmen verbindet, die notwendig sind, um die Tätigkeit des faschistischen Staates zu ersetzen, die Lebenshaltung der Massen zu sichern und zu heben, die ökonomischen Machtpositionen der Reaktion gleich ihren politischen12 zu zer-
-
11
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
schlagen. Die Aufstellung eines solchen Programms der Demokratie der Werktätigen und der Planung der Uebergangswirtschaft ist die wichtigste Aufgabe der Arbeiterpartei, die die deutsche Revolution vorbereiten will. Wir können hier nur einige Grundelemente dieses Programms skizzieren. 1. An der Spitze eines Programms der revolutionären Demokratie der Werktätigen steht natürlich die Organisationsfreiheit auf allen Gebieten. Man muss diese Forderung jedoch durch konkrete Forderungen ergänzen, die die Massenaktivität entfalten13 und den alten Machtapparat desorganisieren. Hierher gehört vor allem die Demokratisierung des Heeres, die revolutionäre Polizeimacht, der Neuaufbau der vom Faschismus zerstörten lokalen Selbstverwaltung. 2. Diesen Forderungen gegenüber ist die Frage der verfassunggebenden Nationalversammlung und der Wiederherstellung des Parteiensystems14 eine Frage dritter Ordnung. Einmal, weil unsere Aufgabe nicht die schnelle konstitutionelle Stabilisierung, sondern gerade die Fortführung der Revolution durch die Massen ist, weil wir ihre Blicke nicht auf eine Vertretung lenken,15 sondern ihre eigene Aktivität entfalten wollen. Sodann, weil das Parlament das unpopulärste Stück der Demokratie ist, und die Wiederherstellung des Parteiensystems von einst nicht nur im Wbrdaut eine rückwärts gewandte Forderung ist. 3. Dagegen gehört die sofortige Uebernahme der ökonomischen Führungsaufgaben und das sofortige Vorgehen gegen die ökonomischen Hauptbollwerke des Faschismus zu den entscheidenden Aufgaben der Revolution. Der Abbau der riesigen ökonomischen Aktivität des faschistischen Staates, ohne Uebernahme der Führung würde eine unerhörte, die Revolution vernichtende Wirtschaftskatastrophe bedeuten. Sofort, von der demokratischen, nicht erst von der sozialistischen Revolution müssen Grossgrundbesitz und Rüstungsindustrie enteignet und das Bankwesen zentraler Kontrolle unterstellt werden. Sofort müssen Staatsinvestition in der Richtung der Hebung des Lebensstandards der Massen statt in der Richtung der Kapitalvernichtung unternommen, landwirtschaftliche Veredlungsproduktion und Konsumindustrie gefördert, Monopolpreise abgebaut werden; die Enteignung des Grossgrundbesitzes bietet sowohl Raum für Siedlung16 wie für wirklich modernisierte Grossproduktion. |S. 41 4. Das aussenpolitische Programm einer demokratischen Revolution kann sich
nicht auf einen inhaldosen Pazifismus beschränken; es muss konkret sein und im konkreten Zusammenhang mit ihrer Wirtschaftspolitik stehen. Die Massnahmen zur Umstellung der Aussenhandelspolitik, zum Abbau der Autarkie müssen mit den Umstellungsmassnahmen in der Produktion ineinander greifen und gleichzeitig auf die Schaffung17 [einer] europäischen Föderation ausgerichtet sein. Diese Punkte legen nicht unser Programm fest; sie legen nur die Richtung fest, in der sich unserer Meinung nach ein revolutionär-demokratisches Programm im faschistischen Deutschland bewegen müsste. Es war die entscheidende Ueberlegenheit Lenins in der Vorkriegsdebatte über Charakter und Aufgaben der russischen demokratischen Revolution, dass er sich nicht mit der Feststellung des allgemein demokratischen Charakters der Revolution begnügte, sondern die konkreten 12
2. Neu
Beginnen,
Interne
Stellungnahme
Aufgaben der demokratischen Revolution in Russland, beim gegebenen Zustand der Agrarproduktion, beim gegebenen Verhältnis der Klassenkräfte untersuchte. Darauf, auf die konkrete Analyse der Aufgaben begründete er die führende Rolle des Proletariats in der russischen Revolution, im Bündnis mit der Bauernschaft, im Gegensatz zur Unterordnung des Proletariats unter ein Bündnis mit der
Bourgeoisie, die die Lösung der konkreten, agrarrevolutionären Aufgaben unmöglich gemacht hätte. Von dieser Politik war der Uebergang zur sozialistischen Revolution, die Lenin erst seit dem Kriege als aktuelle Aufgabe für Russland
stellte, im Kampfe selbst möglich. Von der Politik der Unterordnung der Arbeiterklasse unter den parlamentarischen Legalismus der liberalen Bourgeoisie aus, war er nicht möglich. Die demokratisch-revolutionäre Aufgabe für Deutschland muss gestellt werden, aber sie muss konkret, aus den ökonomischen Bindungen und Klassenverhältnissen des faschistischen Deutschlands gestellt werden. Das Schema der demokratischen Revolution im allgemeinen führt zurück nach 1918, unter die Fuchtel von Bourgeoisie und Militär, in die neue Niederlage. Das konkrete Programm, die demokratisch-revolutionären Aufgaben, im nachfaschistischen Deutschland führt dagegen zur revolutionären Mobilisierung der Massen und sichert den Uebergang zur sozialistischen Revolution. Das Schema muss in den Papierkorb, wenn die wirkliche Volksfront entstehen soll. Anmerkungen
der
Herausgeberin:
1
Titel handschr. Vgl. Nachrichten des Auslandsbüros »Neu front mit wem?« 2
Beginnen«, 1935,
Nr. 3, Ende
Dezember, S. 3: »Volks-
3
korrigiert aus: »Auseinandersetzung« korrigiert aus: »Bescheid« 5 korrigiert aus: »[...Jkapitalismus; klassenmässige Orientierung auf« 6 korrigiert aus: »Erfurterprogramms« 7 korrigiert aus: »Problem: die« 8 korrigiert aus: »die« 9 korrigiert aus: »Bour-|S. 3|sie« 10 korrigiert aus: »würde sich die Schwankung« 11 aus: »haben« korrigiert 12 aus: »Reaktion wie ihre politischen« korrigiert 13 Komma getilgt 14 korrigiert aus: »Nationalversammlung und das Partelensystem« 15 korrigiert aus: »lenken können« 16 4
17
korrigiert aus: »Siedler« maschr. Hinzufügung, unvollständig
13
Dokument 3 Victor Schiff und Willi Münzenberg, Entwurf eines Spitzenabkommens zwischen Sopade und KPD Oktober 1935 1 maschinenschriftliche Seite, Durchschlag, 207 x 327 mm, o. D. Standort: IISG, Neu Beginnen, Mappe 2 Druck: 1977, Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 173f. Zu Kontext und Autorschaft von Willi Münzenberg und Victor Schiff sowie zur Kritik des Politbüros der KPD siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 287-290, 327f. und Band 2, S. 476 und 477
Vorlage:
Vereinbarung zwischen den Zentralleitungen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) und der Kommunistischen Partei Deutschlands.
I. Zur besseren
Bekämpfung des deutschen Faschismus und Niederringung des Hider-Regimes werden die sozialistischen Kräfte in der deutschen Arbeiterklasse zu einer Kampfgemeinschaft unter dem Namen »DEUTSCHE VOLKSFRONT« zusammengefaßt. Der Bruderkampf zwischen beiden sozialistischen Parteien wird vorbehaldos eingestellt. Bürgerliche Kräfte mit dem gleichen Ziel können herangezogen werden. Splittergruppen werden nicht aufgenommen; Einzelmitglieder dieser Gruppen können zur Mitarbeit zugelassen werden. Die »DEUTSCHE VOLKSFRONT« ist unabhängig von irgend einem Lande oder einer Internationale. II. Nach der grundsätzlichen Einigung der beiden sozialistischen Parteien über die Büdung der »DEUTSCHEN VOLKSFRONT« stellt jede Zentralleitung einen Kampfplan und ein Programm auf. Ueber beides ist in gemeinsamer Beratung Uebereinstimmung herbeizuführen. Der Kampfplan umfaßt die Aufgaben die zur Bekämpfung des Faschismus und zum Sturz des Hitler-Regimes zu erfüllen sind; das Programm enthält die Forderungen, die im Interesse der arbeitenden Bevölkerung in einer neuen demokratischen Republik Deutschlands verwirklicht werden müssen.
Prag, den. Sozialdemokratische Partei Deutschlands. gez. Unterschrift.
Kommunistische Partei Deutschlands. gez. Unterschrift.
Dokument 4
Revolutionäre Sozialisten Deutschlands, Richtlinien zur Volksfront Mitte November 1935 hektographierte Seiten, 210 x 297 mm, o. D. AdsD, Emigration Sopade, 208 1977, Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 174-179 (nach einer anderen, unvollständigen Vorlage) Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 206ff. Vorlage:
4
Standort: Druck:
Volksfront und
proletarische Revolution in Deutschland
Der Prozess des Zusammenschmelzens der Massenbasis des nationalsozialistischen Regimes hat unter dem Druck der Ernährungsschwierigkeiten in Deutschland seit Herbst 1935 sein Tempo beschleunigt. Unter diesen Schwierigkeiten leiden alle Volksschichten mit Ausnahme der sehr dünnen kapitalistischen Oberschicht und der unmittelbaren Nutzniesser des Regimes. Gegen alle diese Schichten wendet sich, wenn auch nicht gleichzeitig und wenn auch in verschiedenen starken Masse, der Terror des Regimes. Die oppositionellen Stimmungen, die sich aus den verschiedensten Gründen und in verschiedenem Grade fast zu allen Zeiten der Nazidiktatur in den mittelständlerischen, kleinbürgerlichen und bäuerlichen Klassen entwickeln und in den verschiedensten Formen Ausdruck gesucht haben, vereinigen sich mit der Opposition der Arbeiterklasse in der Empörung gegen die Opferung der elementarsten Lebensinteressen der Massen zugunsten der Aufrüstung. Diese Empörung konnte bisher[,] von Ausnahmen abgesehen, noch keinen aktiven Ausdruck finden. Doch bestätigen die Berichte aller aufmerksamen Beobachter in Deutschland eine beginnende Vereinheitlichung der Ablehnung des Regimes. In diesem Monat einer akuten Zuspitzung der Schwierigkeiten des Regimes und der ersten Möglichkeit, die in sich ausserordentliche differenzierte Opposition auf ein elementares Ziel: den Kampf gegen den Nahrungsmittelmangel zu lenken und die Hitlerdiktatur als den Schuldigen an der Verelendung des deutschen Volkes zu zeigen, tritt die KPD mit dem Vorschlag der Bildung einer antifaschistischen Volksfront an die Oeffentlichkeit. Sie überträgt damit eine Politik, die sie unter den völligen anderen Verhältnissen des demokratischen Frankreichs bereits seit längerer Zeit durchführt, auf den illegalen und seinem Wesen nach revolutionären Kampf gegen die faschistische Diktatur. Die Revolutionären Sozialisten haben die Aufgabe, nüchtern und undogmatisch die konkreten Möglichkeiten und Aussichten einer »Volksfrontpolitik[«] in Deutschland unter dem Aspekt ihrer revolutionären Zielsetzung zu betrachten.
15
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
Was kommt nach Hitler? Es liegen bisher keinerlei Erfahrungen darüber vor, in welchen Formen sich der Sturz eines faschistischen Regimes vorbereiten und vollziehen könnte. Der Faschismus ist gekennzeichnet durch eine ausserordentliche Zuspitzung und Verschärfung aller sozialen Widersprüche einerseits, eine Potenzierung der staatlichen Machtmittel, ihre äusserste Zentralisierung und schliesslich durch das faschistische Organisationsmonopol und das Monopol auf alle Formen der legalen Meinungsäusserung andererseits. Die konzentrierten und umfassenden staatlichen Machtmitteln, das Organisations- und Propagandamonopol geben dem Regime eine ausserordentliche Manövrierfähigkeit und ermöglichen ihm, die an sich vorhandene soziale, weltanschauliche und politische Differenzierung der oppositionellen Volksschichten noch zu vertiefen und eine gegen die andere auszuspielen. Dennoch ist die bleibende Grundtendenz im Faschismus, die Verelendigung [sie] immer breiterer Schichten des Volkes und damit verbunden wachsender Druck und Terror, der sich gegen alle Schichten mit Ausnahme der sehr kleinen herrschenden wendet. Darin liegt eine objektive Basis für eine breite antifaschistische Volksfront. Es ist jedoch nach allen bisherigen Erfahrungen unmöglich, eine illegale, antifaschistische Organisation solchen Ausmasses und solcher Schlagkraft zu schaffen, dass sie in der Lage wäre, unmittelbar die Atomisierung der antifaschistischen Kräfte
zu überwinden und die spontanen Widerstands- und Auflehnungsaktionen gegen das Regime so zu koordinieren, dass sie zum Sturz des Regimes führen würden. Eine »Volksfront« kann sich spontan und vorübergehend an Einzelfragen bilden, wie sie zur Zeit | S. 21 in der Empörung gegen die Nahrungsnot im Ansatz vorhanden ist -, aber sie kann unter den Bedingungen des Faschismus nicht organisiert werden. Wahrscheinlich wird sich die Aenderung eines faschistischen Regimes derart vollziehen, dass das Zusammenfallen objektiver Schwierigkeiten mit spontanen Widerstandsregungen breiter Volksschichten und mit den organisierten Aktionen bewusster Gruppen die »sozialen Auftraggeber« des faschistischen Machtapparats, nämlich das Grosskapital und das Militär, im Interesse ihrer gesellschaftlichen Position zu Aenderungen der Herrschaftsmethoden zwingt. D. h.: erst wenn die Exponenten der herrschenden Schicht aus ihrem eigenen Interesse heraus sich infolge der allseitigen Opposition gezwungen sehen, ein neues Instrument der Machtausübung zu suchen und zu schaffen, weil die faschistische Partei und der faschistische Gewaltapparat durch die allseitige Gegnerschaft zersetzt und nicht mehr schlagkräftig sind, erst dann dürfte der Bruch in der Geschlossenheit des »totalen Staates« erfolgen, der den proletarisch-revolutionären Kräften die Möglichkeit zu weiteren Vorstössen gegen das gesamte soziale Gefüge ermöglicht. (Das ist nicht die einzig mögliche^] es ist nur die unter »normalen« Bedingungen wahrscheinliche. Im Falle eines Zusammenbruchs beim Verlauf eines Krieges wird wahrscheinlich das Versagen der Herrschaftsinstrumente zusammenfallen mit einer weitgehenden Auflösung des gesamten sozialen Gefüges und unmittelbare proletarisch-revolutionäre Chancen
eröffnen.)
16
4.
RSD, Richtlinien
zur
Volksfront
Es wäre daher ein realistisches strategisches Ziel einer revolutionären Politik, alle sich regende Opposition gegen das Instrument der grosskapitalistischen Diktatur, nämlich den faschistischen Apparat und seine Repräsentanten zu lenken. In voller Klarheit darüber, dass der eigentliche Feind die hinter Hider stehenden kapitalistischen und militärischen Kreise sind. Um aber überhaupt erst einmal etwas Bewegungsraum für eine breitere revolutionäre Arbeit zu schaffen ist die erste Aufgabe, einen Keil zwischen die Auftraggeber und die Exekutoren, zwischen das Grosskapital und den faschistischen Apparat, zu treiben. Damit wäre nichts anderes erreicht, als für einen historischen Augenblick Bewegungschancen für die proletarischen Kräfte zu schaffen. Die herrschenden Klassen werden bemüht sein, die Zeitspanne eines gelockerten Regimes so kurz wie möglich zu halten, sich mit allen demagogischen und gewalttätigen Mitteln, ganz besonders mit dem Appell an die nationalsozialistischen Instinkte der bürgerlichen Massen und mit dem Schreckgespenst des »sozialen Chaos«, des »bolschewistischen Chaos« usw. die Teilung der Massen und damit wieder die Herrschaft über sie zu erreichen. Vor allem werden sie sich bemühen, zu verhindern, dass die antifaschistische Einheit zu einer antikapitalistischen Einheit wird. In welchem Stadium der Bourgeoisie in einer solchen Situation die Sprengung einer einmal geschaffenen antifaschistischen Einheitsfront gelingen könnte, und um den Preis welcher politischen und sozialen Konzessionen, das hängt wesentlich von dem Kräfteverhältnis zwischen der Bourgeoisie und den antifaschistischen Kräften im allgemeinen und den sozialistisch-revolutionären im besonderen ab. Zunächst sind die herrschenden Kreise noch keineswegs bereit, ihr Herrschaftsinstrument, den faschistischen Apparat, durch ein anderes zu ersetzen, da sie sich der Gefahr eines solchen Wechsels durchaus bewusst sind. Nur unter dem Druck der äussersten Notwendigkeit, nur, wenn es um den Bestand ihrer Herrschaft überhaupt geht, werden sie zu einem Wechsel der Herrschaftsform und des Herrschaftsinstruments bereit sein. Die Frage: Was kommt nach Hitler? kann darum nicht absolut beantwortet werden. Die einzige Antwort kann lauten: eine Auflockerung der politi| S. 31 sehen und sozialen Verhältnisse, deren Form, Ausmass, Tiefe und Dauer jedoch nicht berechenbar sind, sondern von der Konstellation zahlreicher Faktoren abhängen. Einer dieser Faktoren ist die Kraft der Sozialisten.
Volksfront und Einheit des Proletariats. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände wäre die Parole einer antifaschistischen Volksfront in einer Situation, in der tatsächlichen [sie] die verschiedensten unterdrückten Volksschichten eine unorganisierte Einheit der Ablehnung der Autarkieexperimente und des Rüstungswahnsinns des Faschismus bilden, durchaus realistisch, wenn noch einige weitere Voraussetzungen gegeben wären. Es wäre starrer Dogmatismus, wollten die Revolutionären Sozialisten die Chance einer Vereinheitlichung der differierenden Oppositionsschichten nicht ausnutzen. Nur durch die 17
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
aller aus welchen Gründen auch immer oppositionellen Strömungen den Machtapparat der Bourgeoisie, d. h. gegen Hitler und die Nazipartei, gegen kann die Einheit zwischen den herrschenden Schichten der Bourgeoisie und des Militärs und dem faschistischen Apparat gelockert werden. Doch geben sich die Revolutionären Sozialisten keiner Illusion darüber hin, dass die Volksfront ohne das Vorhandensein eines sehr starken, straff organisierten, sehr disziplinierten und sehr zielbewussten illegalen proletarisch-revolutionären Kerns keinerlei nachhaltige Aktionskraft besitzt. Die erste Voraussetzung dazu ist die Schaffung einer proletarischen, demokratisch aufgebauten Einheitspartei, vor allem in der Emigration mit dem organisierten und disziplinierten illegalen revolutionären Kern in Deutschland als realer Basis. Die Ueberwindung der organisatorischen Spaltung des Proletariats, zunächst in der Emigration, erleichtert ein einheitliches Arbeiten in der faschistischen Illegalität, erlaubt eine weit sorgfältigere Auswahl der illegal arbeitenden Sozialisten in Deutschland und eine Konzentration der Kräfte zur Herausbildung einer einheitlichen proletarisch-revolutionären Kernorganisation anstelle der jetzigen zersplitterten, kaum oder gar nicht zentral erfassten, nach alten Partei- oder Gruppenvorstellungen gespaltenen illegalen revolutionären Organisationsansätze. Die Organisierung dieses revolutionären Kerns ist die zweite Voraussetzung für die Realisierung einer antifaschistischen Volksfront. Ohne diese Voraussetzungen bleibt die Volksfront eine leere Parole und birgt darüber hinaus die Gefahr in sich, Illusionen über die Kraft der Antifaschisten zu erzeugen, die Existenz bewusster und organisierter revolutionärer Kaders als überflüssig erscheinen zu lassen. Im Vordergrund der proletarisch-revolutionären Politik kann daher jetzt nicht die Propagierung und Bildung der Volksfront, sondern nur die Konzentrierung aller Anstrengungen auf die Schaffung einer proletarischen Einheitspartei stehen. Ist diese Einheitspartei erreicht und ist ein zentralisierter revolutionärer Kern im Inland geschaffen, so hat die Propaganda der antifaschistischen Volksfront eine grosse revolutionäre Bedeutung. Diese liegt darin, dass bürgerliche und bäuerliche antifaschistische Schichten gewisse Kampfmöglichkeiten haben, die dem Proletariat versagt sind. Die Stärke des Proletariats liegt in seinem organisierten Kampf. Nimmt man der Arbeiterschaft die Organisationsmöglichkeit, so ist sie entwaffnet. Illegale Organisationen können unter den faschistischen Verhältnissen nicht über den Charakter von Vorbereitungsorganisationen hinaus gelangen. Die Stärke der Bürger und Bauern lag nie in ihren Organisationen, sondern in ihren spontanen, massenhaft auftretenden individuellen Aktionen. Solche individuellen Aktionen der bürgerlichen | S. 41 Schichten haben auch unter dem Faschismus nicht aufgehört. Sie steigern sich zeitweilig ohne organisiert zu sein und ohne organisiert werden zu können, zu massenhaften Aktionen. Sie können für den Faschismus umso gefährlicher werden, als diese selben Schichten seine ursprüngliche Massenbasis abgegeben haben. Aktionen dieser Schichten treffen
Sammlung
—
—
IS
4. RSD, Richtlinien stets
mit
zur
Volksfront
objektiven Schwierigkeiten des Regimes zusammen, da sie nämlich daraus
entstehen.
Gelingt es, solche massenhaften individuellen spontanen Aktionen der Bauern und städtischen Mittelschichten mit organisierten Aktionen des Proletariats zu koordinieren,
so
kann daraus die entscheidende Kraft
zum
Sturz des Faschis-
mus erwachsen. Isoliert bleiben die Aktionen der bäuerlichen und städtischen Mittelschichten ohnmächtig. Das Regime nützt sie sogar aus, um die Arbeiterschaft gegen sie zu beeinflussen. Das Proletariat wiederum kann zu einer umfassenden kampffähigen Organisation erst kommen, wenn durch die unorganisierten oppositionellen Handlungen der Mittelschichten und die Vorbereitungsarbeit der illegalen proletarischen Kaders der Druck des Faschismus gelockert werden konnte.
Das
muss
das
erste
Ziel der Volksfront sein.
Es ist nicht zu erreichen, wenn nicht vorerst die Zusammenfassung der illegalen revolutionären Kaders gelingt. Auch dann dürfen diese Kaders in Deutschland unter keinen Umständen selber die Volksfront organisieren. Die Volksfront bleibt bis zur Lockerung des Regimes eine Aufgabe der Emigration. In der Emigration können die Spitzen der deutschen illegalen Organisationen eine gewisse Koordinierung ihrer Arbeit nach Deutschland und in Deutschland herbeiführen. Zudem hat die Volksfront in der Emigration sehr wichtige propagandistische Aufgaben, sowohl nach Deutschland als auch im Auslande. Eine der Hauptaufgaben der Propaganda der Volksfront von der Emigration aus wird sein, die Versuche des Naziregimes, die oppositionellen Schichten gegeneinander auszuspielen, zu bekämpfen und überhaupt über Deutschland und seine Lage den deutschen Massen die Wahrheit zu zeigen. Die technischen Möglichkeiten dazu sind vorhanden. Es bleibt jedoch die erste Aufgabe der Vereinheitlichung der revolutionären Kaders in Deutschland und die Herstellung der organisierten Einheit der Arbeiterparteien in der Emigration. Erst dann kann die Bildung einer antifaschistischen Volksfront ernsthaft in Angriff genommen werden und erst dann ist sie kein opportunistisches Manöver mehr, das nur Verwirrung in die Reihen der Revolutionäre trägt, sondern ein Akt der Vorbereitung der Revolution. Die umgekehrte Reihenfolge jedoch ist ein Betrug an den proletarischen Massen und bedeutet die Opferung der revolutionären Arbeiter für kleinbürgerliche Illusionen und schliesslich für die Reaktion. Unter kleinbürgerlicher Führung wird die antifaschistische Volksfront nach dem Sturz des Faschismus zu einem Instrument der Grossbourgeoisie. Ein Instrument der Revolution kann sie nur unter proletarisch-revolutionärer Führung sein.
19
Dokument 5 Emil J. Gumbel, Entwurf eines Minimalprogramms für die Gründungsversammlung des Volksfrontausschusses Januar/Februar 1936 Vorlage: Standort: Druck:
hektographierte Seite, 210 x 297 mm, o. D.; Vermerk von unbekannter Hand beim Titel: »abgelehnt« AdsD, Emigration Sopade, 194 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 179f.; 1981 Dieter Schiller/Karlheinz Pech/Regine Herrmann/Manfred Hahn, Exil in Frankreich (Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Bd. 7), Leipzig, S. 522f. (nach: IML, ZPA, V 230/4/10) 1
Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 337, 339 und 341f.
Minimal-Programm der Deutschen Volksfront 1) Amnestierung aller der gegen die Banden begangenen politischen Delikte. 2) Endassung aller Parteibuchbeamten, -angestellten, und -arbeiter der oeffentlichen Macht.
3) Unfaehigkeit zur Ausuebung oeffentlicher Funktionen fuer alle frueheren Mitglieder der Bandenpartei und der ihr angeschlossenen Verbaende. 4) Wiedereinstellung aller seit dem 20. Juli 1932 endassenen Beamten, Angestellund Arbeiter der oeffentlichen Macht. aller seit dem (Datum der Einbuergerung Hitlers einfuegen) vorgenommenen Ausbürgerungen und Einbürgerungen. Internierung der Bandenfuehrer in den Konzentrationslagern bis zur Verurteilung durch das Volksgericht auf Grund der von den Bandenfuehrern selbst erlassenen Gesetze. Aufhebung der Rassen- und Kastrationsgesetzgebung. Vermoegensenteignung der Staatsfeinde auf Grund der von den Banden erlassenen Gesetze. Vermoegensenteignung der frueheren Fuersten. Rueckzahlung der Osthilfegelder, im Unvermoegensfalle Verteilung der Gueter durch den Fiskus. Rueckzahlung der seit dem 20. Juli 1932 gewaehrten Subventionen, im Unvermoegensfalle Uebernahme der Betriebe durch das Wktschaftsministerium. Aufteilung der Fidei-Kommisse. Planwirtschaftliche Leitung aller dem Reich und den Laendern gehoerigen Betriebe durch das Wktschaftsministerium. Gewerkschafts- und Vereinsfreiheit. Wiederherstellung des Streikrechts, der Tarifvertraege und des Schlichtungsten
5) Annullierung 6)
7) 8) 9) 10)
11) 12) 13)
14) 15)
wesens.
16) 20
Gesetzlicher Achtstundentag, 40 Stundenwoche.
5.
Gumbel, Entwurf eines Minimalprogramms
17) Abschaffung der Dienstpflicht. 18) Aufloesung der Reichswehr und aller bestehenden militaerischen Verbaende,
Schaffung eines Volksheeres.
19) 20)
Wiedereintritt in den Voelkerbund. Freiheit aller religioesen Bekenntnisse durch Trennung von Kirche und Staat. E. J. Gumbel.
21
Dokument 6 Heinrich Mann, Ergänzungen E. J. Gumbel Januar/Februar 1936
zum
Programmentwurf
von
hektographierte Seiten, 210 x 297 mm, o. D.; beim Titel Vermerk von unbekannter Hand: »abgelehnt« Standort: AdsD, Emigration Sopade, 194 Druck: 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 180-182; 1981 Dieter Schiller/Karlheinz Pech/Regine Herrmann/Manfred Hahn, Exil in Frankreich (Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, Bd. 7), Leipzig, S. 523526 (nach: IML, ZPA, V 230/4/10); 1982 Willi Jasper, Heinrich Mann und die Volksfrontdiskussion, Bern Frankfurt/M., S. 147f. (Auszug nach: Langkau-Alex 1977) Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 337, 339 und 342f. Vorlage:
2
-
Vorschlag fuer Ergaenzungen des Gumbel'schen Minimalprogramms der Deutschen Volksfront. I. Sicherung des Staates. 1. Wirtschaftlich: Die grossen Wirtschaftsunternehmen muessen sozialisiert oder verstaatlicht werden: wenn nicht aus grundsaetzlichen, dann ganz gewiss aus den Forderungen der Staatssicherheit. Kein Volksstaat mit privatem Grosskapital wird seines Funktionierens und Bestandes versichert sein. Aus demselben Grunde muss jede neue Vertrustung, selbst der mitderen und kleinen Unternehmen, verhindert werden. Der gesamte Grossgrundbesitz ist zu enteignen (vgl. Gumbel 10 und 12)1. Eine moeglichst zahlreiche Bauernschaft ist anzusiedeln auf einem Boden, derfuer Nationaleigentum erklaert worden ist. Der zwingende Grund ist immer derselbe: ein Volksstaat wird nur erhalten und wirksam gemacht, wenn sowohl Bauern als Arbeiter mit ihrer Existenz an ihn gebunden sind. Der Staat hat das Monopol des Aussenhandels. 2. Gesetzlich: Im Volksstaat hat Rechte nur, wer ihn anerkennt, und erlaubt ist nur, was in seinem Sinne geschieht. Parteien gegen den Staat werden nicht zugelassen. Wer in Tat oder Wort die Grundsaetze des Staates verkennt, wird aus dem oeffentlichen Leben ausgeschlossen. Die fortwaehrende Verbesserung des Staates soll erstrebt werden, der Staat selbst bleibt unangreifbar. Republik, Sozialismus, Selbstregierung des Volkes werden niemals in Frage gestellt: besonders aber nicht die internationale Einordnung des Deutschen Volksstaates. Bei hoher Strafe soll niemand sich »national« oder »deutsch« nennen duerfen zum Zweck eines Angriffes auf den Staat oder seine Angehoerigen. II. Die internationale Einordnung des Volksstaates. 1. Handlungen: Deutschland kehrt in den Voelkerbund zurueck. Es tritt einem europaeischen Staatenbund bei; an seiner Gruendung wirkt es mit. Auf dem Wege zu diesem Ziel liegen: Der kollektive Friede. Nur allseitige Vertraege. Die staendige 22
6. H. Mann,
Ergänzungen
zum
Programmentwurf
Die Rüstungsindustrie wird, wie alle verstaatlicht. Der Waffenhandel wird verstaatlicht. InterGrossunternehmen, nationale Fragen und militaerische Angelegenheiten werden oeffentlich behandelt. Wer etwas davon verheimlicht, ob Minister, Diplomat oder General, verfaellt hohen Strafen. Nachdem das Ziel einer ueberstaatlichen Leitung Europas erreicht ist, begibt sich der Deutsche Volksstaat ausdruecklich seiner Souveraenitaet zugunsten des europaeischen Gesamtstaates. 2. Anschauungen: So muss gehandelt werden, wenn nicht aus idealer Vernunft und menschlicher Solidaritaet, dann ganz gewiss im praktischen Interesse Deutschlands, das es ausserordentlich noetig hat, sich um seine Angelegenheiten zu kuemmern, und die liegen innerhalb seiner Grenzen. Ausserhalb liegt nichts, und hat schon um der Deutschen selbst willen nichts zu liegen, ausser friedlichen Beziehungen, abzielend auf die irgend erreichbare Vereinheitlichung Europas. Die Deutschen sind in ihrer innenpolitischen Erziehung, Selbstaendigkeit und Freiheit von jeher beeintraechtigt, sie sind zuletzt sogar voellig unfrei geworden immer unter dem Vorwand und mit Hilfe einer groessenwahnsinnigen Aussenpolitik. Es ist hoechste Zeitfuer die Deutschen, ihre Aussenpolitik einzig und allein auf die Zusammenarbeit mit der Welt zu beschraenken. | S. 21 Anders wird kein deutscher Staat Dauer haben, wie bisher schon jeder deutsche Staat zerstoert worden ist durch nationalistische Ansprueche. Feststehen muss, dass es ausserhalb Deutschlands keine Sprach- oder Rassenverwandten gibt, die zu »befreien« waeren.
Bemuehung
um
allseitige Abruestung.
—
III. Erziehung. Der Volksstaat wird ein Staat der Erziehung sein der erste Staat, der die Deutschen zu ihrem eigenen Besten erzieht. Bisher sind sie gedrillt, sind kommandiert oder belogen worden, und zwar zu ihrem Schaden. 1. Die Schulbuecher sollen, vor allem ueber die Geschichte der Deutschen, die reine Wahrheit enthalten. Die Lehrer sind fuer den Dienst an der Wahrheit heranzubilden und dafuer verantwortlich zu machen, dass die Schueler keine Faelschung mehr erlernen, waere sie historischer oder moralischer Art. Bei allen Pruefungen, von der Einheits- bis zur Hochschule, entscheidet, zuE¡eich mit dem Wissen, die Wahrheitsliebe und sittliche Weife. 2. Morallehre wird Hauptfach aller Lehranstalten. Humanismus, Christentum, Sozialismus werden als dieselbe Disziplin vorgetragen und den Lernenden durch denselben Unterricht mitgegeben. 3. Ausbildung jeder denkenden, fuehlenden Persoenlichkeit. Der Schueler soll durchdrungen werden von dem unersetzlichen Wert des einzelnen Menschen, seinem Recht im Leben und in dem Staat, dessen einziger Daseinsgrund er selbst ist. Er soll begreifen, wie hoch und fest ein Volksstaat stehen muss, der dies weiss und danach handelt. 4. Jede Erziehung, auch die staatsbürgerliche, geschieht im kleinen, in sehr vielen kleinen Kreisen. Auf massenhafte Einwirkungen sollte, besonders im Anfang, verzichtet werden; denn erstens sind sie furchtbar missbraucht worden; —
23
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
I.
zur
Sammlung
auch kommt es dem Volksstaat darauf an, das menschliche Einzelwesen wieder herauszuheben aus der Masse, in der man es vorher, aus Nichtachtung und zu seinem Schaden, hatte verschwinden lassen. 5. Danach ist zu beurteilen: die Anwendbarkeit von Rundfunksendungen und die Zulaessigkeit von Massenveranstaltungen, besonders politischer und sportlicher. Einfach abgelehnt wird die Begünstigung und Beschoenigung der Roheit. In der Zeit der deutschen Unfreiheit ist durch die Massenhaftigkeit des oeffentlichen Betriebes (in Lagern, Aufmaerschen, Festen, befohlenen Huldigungen) absichtlich die Verrohung und Verdummung gefoerdert worden. Der Volksstaat wird gerade entgegengesetzt handeln, um dessenwillen, was sein Wesen selbst ist: sittliche
Erziehung. Heinrich Mann
Anmerkung der Herausgeberin: 1
Vgl.
24
Dokument 5 in diesem Band.
Dokument 7
Georg Bernhard,
Entwurf einer Verfassung
für das »Vierte Reich« Januar/Februar 1936
Materialien zur Volksfront, hrsg. vom AK [Auslandskomitee] der KP(D)0, 23 S., hektographiert, 210 x 310 mm, o. O, o. D. [ca. April 1936], hier S. 1-7 Standort: IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 433 Druck: 1977, Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 183-192 Zu Entstehung und Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 298, 325, 339-341, sowie Band 2, S. 38 und 480-482
Vorlage:
Verfassungsentwurf von G. Bernhard: 1. Die politischen Staatsgrundsätze. Das neue Reich erstrebt eine Demokratie, in der freie Menschen sich mit all ihrem Können und Eigentum der Gemeinschaft unterordnen, soweit es nötig ist, um dem Staat den Ausgleich zwischen den einzelnen Gruppen der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Gewissensfreiheit Freiheit des Glaubens und Freiheit der privaten Lebensführung, soweit sie nicht gegen die Gesetze verstößt bildet die Grundlage der Staatsordnung. Die Gleichheit der Angehörigen aller Klassen und Rassen, die Achtung vor dem Menschenleben und der Menschenwürde wird die selbstverständliche Voraussetzung aller seiner gesetzlichen Maßnahmen sein. Um den Staat auf dieser Grundlage neu aufbauen zu können, ist die radikale Austilgung aller Spuren der menschenunwürdigen Barbarei notwendig, die die Staatsführung des Dritten Reiches ausgezeichnet hat. Während einer Uebergangszeit wird die Staatsregierung und die Staatsverwaltung nur von solchen Parteien und Persönlichkeiten geführt werden können, die im Inland oder in der Emigration das nationalsozialistische Regime bekämpft und in keiner Weise mit den Machthabern des Dritten Reiches paktiert haben. Es darf niemand ein öffentliches Amt im Vierten Reich führen, der leitend in der Nationalsozialistischen Partei oder ihren Nebenorganisationen tätig war. Auch während der Uebergangszeit werden demokratische Garantien dafür gegeben, daß keine neue Willkürherrschaft einzelner Klassen, Parteien oder Personen entstehen kann. Die Demokratie der neuen Staatsgemeinschaft wird in einer Form organisiert werden, die die Kontrolle der Volks- und Weltöffentlichkeit ermöglicht, aber jeden demagogischen Mißbrauch unterbindet. Zu diesem Zweck wird den Regierenden die Pflicht auferlegt, aber auch die Möglichkeit geschaffen werden, die breitesten Schichten des Volkes über ihre Meinungen und Handlungen aufzuklären. Die freie Kritik an der Regierung | S. 21 wird nicht unterbunden. Die haltlose Verdächtigung der Beauftragten des Volkes, die Fälschung und Verdrehung von Tatsachen, die Verhetzung der Klassen, Parteien oder Rassen durch bewußte Unwahrhaftigkeit wird schwer geahndet werden. —
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I. Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
Der Grundsatz der Achtung vor der Persönlichkeit und dem Menschenleben wird auch die Außenpolitik des neuen Reiches leiten. Das neue Reich wird keinen Unterschied zwischen Großmächten und kleinen Nationen in seiner auswärtigen Politik kennen. Es wird allen Völkern die gleiche Wertung entgegenbringen, die es für sich selbst verlangt. Das Vierte Reich ist das Reich des Friedens. Es fühlt sich bewußt als ein europäisches Reich. Es wünscht tatkräftiges Mitglied eines Völkerbundes zu sein, in dem alle Völker der Erde in demokratischer Gleichberechtigung zusammenarbeiten, um die Freiheit jeder einzelnen Nation gegen jeden Friedensstörer zu verteidigen. Die Friedenspolitik des Vierten Reiches wird sich darin ausdrücken, daß seine Beauftragten international den Grundsatz der allgemeinen Abrüstung, der Internationalisierung (auch der privaten) Luftfahrt, der Verstaatlichung und internationalen Kontrolle der Rüstungsindustrie, das Verbot des Giftgaskrieges und des Luftbombardements zu fordern verpflichtet sind. Das neue Reich erklärt von vornherein, sich im weitesten Umfange der Schiedsgerichtsbarkeit für alle Konflikte zu unterwerfen, in die es mit anderen Staaten geraten sollte, verlangt aber andererseits, daß dem Völkerbund schnell wirkende Machtmittel zur Verfügung gestellt werden, die denjenigen, die sich entweder einer solchen Schiedsgerichtsbarkeit nicht fügen oder trotz der Entscheidungen der Schiedsgerichte mit Waffengewalt die Ruhe der Welt stören, entgegengestellt werden können. Das neue Reich erklärt alle Bestrebungen alldeutscher Art für verbrecherisch. Die außerhalb der deutschen Reichsgrenzen lebenden Menschen deutscher Sprache betrachtet das neue Reich als wertvolle Verbindungen zu den fremden Staaten, in deren Staatsbürgerschaft sie leben, und zu den fremden Kulturen, denen die Mehrheit derjenigen Staaten entstammt, in deren Verband deutsche Minderheiten eingeschlossen sind. In gleicher Weise haben allefn] Beauftragten des neuen Reiches auch die in Deutschland lebenden fremden Minderheiten als wertvolle Verbindungsglieder zu anderen Nationen und Kulturen zu gelten. Das neue Reich wünscht, daß die verstreut in der Welt lebenden Menschen der gleichen Kulturgemeinschaft sich international zusammenfinden, um ihre kulturelle Eigenart in voller Freiheit und in Freundschaft zu allen Staaten, in denen sie vertreten
sind, [zu] pflegen. Reich wünscht für sich keine Kolonialpolitik auf der Grundlage der ferner Länder und der Unterdrückung ihrer eingeborenen Völker zu Eroberung treiben. Es wird die Institution des Völkerbundsmandats in dem Sinne einer zeitlich bedingten Vormundschaft über die noch nicht entwickelten Völker unter strenger Kontrolle der Wahrung der Rechte der Eingeborenen weiter entwickeln helfen. Das neue Reich verlangt für seine Reichsangehörigen die Mitarbeit an der Aufschließung der Kolonien und Mandatsgebiete der übrigen europäischen Völker unter Vermeidung aller Eingriffe in die bereits bestehenden legalisierten Besitzoder Mandatsrechte der anderen Nationen. Das
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neue
7. Bernhard, Entwurf einer Verfassung
2) Die Wehrverfassung. Das neue Reich schafft ein Heer, dessen Kräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft unter allen Umständen die Verteidigung des Landes verbürgen, aber gleichzeitig es dem Reich ermöglichen, für die Sicherung des Friedens gegen den Angreifer dem Völkerbund oder den von ihm ausgehenden Aktionen zur Sicherung des Friedens ein gut ausgerüstetes und seinen Aufgaben gewachsenes Kontingent zur Verfügung zu stellen. Das gesamte Heer ist auf der allgemeinen Dienstpflicht und der Mindestdienstzeit gegründet, die für eine gute Ausbildung notwendig erscheint. In diesem Heer werden die Offiziere lediglich nach der Eignung aus allen Volksklassen gewählt. Vergehen von Militärpersonen während der Dienstzeit werden von ordentlichen Gerichten abgeurteilt. Ein besonderes Militärstrafgesetzbuch existiert nicht. Soweit es die Eigenart des Heeresdienstes erfordert, besondere Tatbestände unter Strafe zu stellen, oder das Maß ihrer Strafbarkeit zu erhöhen, werden die entsprechenden Bestimmungen in das allgemeine Strafgesetzbuch eingearbeitet werden. Jedem Soldaten steht bei genügender Eignung die Beförderung bis zu den höchsten Stellen im Heere offen. Für Beschwerden militärischer Art der Untergebenen gegen ihre Vorgesetzten werden geeignete Instanzen geschaffen. Beschwerden, die die Verpflegung | S. 31 und die Einrichtung der Wohnräume der Truppen betreffen, sind bei besonders eingerichteten zivilen Instanzen vorzubringen. Während der Dienstzeit ruht das Wahlrecht aller Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere, Soldaten aller Grade haben nicht das Recht, sich in Vereinen oder Verbänden zu organisieren. Die Auswahl der Offiziere, ihre Verteilung nach ihrer Abstammung aus den verschiedensten Volksgruppen, die Verabschiedung von Offizieren und Unteroffizieren und das Verhalten der Vorgesetzten gegenüber ihren Untergebenen unterliegt der Beaufsichtigung durch Zivilkommissare, die den politischen Instanzen verantwortlich sind. 3) Die Beamten und die öffentlichen Angestellten. Die Beamten des Reiches genießen den Vorzug lebenslänglicher Anstellung und Versorgung ihres Alters und ihrer Hinterbliebenen. Sie sind Repräsentanten des Staates und ein Teil von ihm. Es ist deshalb ein Widersinn, ihnen die Rechte einzuräumen, die ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber für sich beanspruchen darf. Der Beamte genießt deshalb keine Versammlungs- und Organisationsfreiheit; dagegen wird er durch ein freiheitlich gestaltetes Beschwerde- und Dienststrafrecht gegen jede Willkür geschützt werden. Der Beamte hat das aktive, aber nicht das passive Wahlrecht für alle diejenigen politischen Körperschaften, die Einfluß auf die Festsetzung seines Gehalts oder seine Beförderungsverhältnisse nehmen könnten. In den Betriebsverwaltungen des Reiches wird die Zahl der Beamten so gering als möglich sein. Die große Mehrzahl der in den öffentlichen Betriebsverwaltungen tätigen Personen wird aus Angestellten und Arbeitern bestehen. Aus ihren Reihen 2"
I. Vorschläge, Entwürfe,
Stellungnahmen
zur
Sammlung
kann eine Anzahl besonders verdienter Personen nach Ablauf einer gesetzlich festgelegten Anzahl von Dienstjahren zu Beamten mit all deren Rechten und Pflichten ernannt werden. -
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4) Die Justiz Während der Uebergangszeit zum neuen Reich wird der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter aufgehoben. Es muß jeder Richter aus dem Amt entfernt werden, der an leitender Stelle in der nationalsozialistischen Partei, in den nationalsozialistischen Juristenverbänden oder Richterverbänden tätig ist, oder Mitglied der nationalsozialistischen Rechtsakademie war, ebenso jeder, der dem Staatsrat oder dem Reichstag oder irgendeinem Gemeinderatskollegium während des Dritten Reiches angehört hat. Das gleiche gilt von den Staatsanwälten und Amtsanwälten. Jeder Richter und Staatsanwalt muß entlassen werden, der an Prozessen beteiligt war, in denen [die]1 politischen Gegner der Machthaber im Dritten Reich zum Tode, zu Zuchthausstrafen oder zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Strafe stehen. Es werden sofort zu Beginn der Uebergangszeit überparteiliche Juristenkommissionen eingesetzt, die alle während der Gewaltherrschaft des Dritten Reiches erfolgten Verurteilungen nachprüfen. Um jede Willkür auszuschließen, werden für diejenigen Fälle Nachprüfungen ermöglicht, in denen die Entfernung aus dem Amte nicht wegen der leitenden Mitarbeit in nationalsozialistischen Organisationen und nicht im Zusammenhang von Todes- und Zuchthausstrafen erfolgen soll. Die aus dem Amt entfernten Richter, Staatsanwälte und Amtsanwälte verlieren jeden Anspruch auf Pension. Außerdem wird vorbehalten, gegen sie strafrechtlich wegen Rechtsbeugung vorzugehen. Endlich sind sie den unter ihrer Mitwirkung unter Verachtung aller Grundsätze des menschlichen Rechts Verurteilten im vollem Umfange schadenersatzpflichtig. Alle Ministerialbeamten, die bei der Abfassung von Gesetzen, die gegen politische Gegner der Machthaber des Dritten Reiches willkürlich hohe Strafen verhängten, sowie die an den Gesetzen gegen die christlichen Kirchen und die Juden oder an deren Ausführungsbestimmungen mitgearbeitet haben, werden sofort und ohne Anspruch fristlos entlassen. Alle Minister, Beamte des Dritten Reiches und Amtspersonen der nationalsozialistischen Partei oder der ihnen untergeordneten Verbände, die sich während der Gewaltherrschaft des Dritten Reiches durch Annahme von Geschenken aus öffentlichen Mitteln, durch Annahme von Bestechungsgeldern oder durch rechtswidrige Handlungen irgendwelcher Art bereicherten, werden auch nach ihrer Dienstendassung in Anklagezustand versetzt; werden sie schuldig befunden, so ist ihnen das zu Unrecht erworbene Gut abzunehmen und ihr übriges Vermögen zu beschlagnahmen. Ist der Nachweis zu erbringen, daß sie Vermögensbestände ins Ausland gebracht haben, so können sie nicht anders als mit mindestens 10 Jahren Zuchthaus bestraft werden. | S. 41 Aus dem Anwaltsstand sind alle diejenigen Personen zu entfernen, die sich an leitender Stelle in der nationalsozialistischen Partei oder in den nationalsozialisti28
7.
Bernhard, Entwurf einer Verfassung
sehen Verbänden betätigten, die Mitglied des Staatsrates, des Reichstages oder der Akademie für deutsches Recht waren. Nach der Uebergangszeit wird der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter und der Grundsatz der freien Advokatur und der Organisierung des Anwaltstandes
wiederhergestellt.
Während alle auf Grund der Mitwirkung an der das deutsche Volk entehrenden Rechtspflege oder Gesetzgebung des Dritten Reiches mindestens nach den Gesetzen bestraft werden sollen, die sie selbst schufen oder anwendeten, wird die Gesetzgebung des neuen Reiches zu den humanen Grundsätzen zurückkehren, die überall in den zivilisierten Ländern in Geltung sind. Der Strafvollzug wird gleichzeitig wieder mit den neuzeitlichen humanen Erfordernissen in Einklang gebracht werden. Die Prozeßordnung des neuen Reiches wird darauf bedacht sein, wo es angebracht erscheint, die Zahl der an den Prozessen mitwirkenden Richtern [sie] nach Möglichkeit zu mindern, dafür aber ihre Verantwortlichkeit zu erhöhen. Der Mitwirkung der Laien an der Rechtssprechung wird wieder größerer Raum gegeben. Das alte Schwurgericht wird wiederhergestellt und seine Mitwirkung bereits bei der Klageerhebung gesichert werden. Der Instanzenzug wird vereinfacht, soweit es ohne Verletzung der Rechtsgarantien möglich ist. Die Mitwirkung der Verteidigung an der Prozeßführung gegen den Angeklagten wird erweitert werden. Das neue Reich wird die Kompetenz der Schiedsmänner und der Friedensrichter auf Bagatellensachen erheblich ausdehnen.
5) Erziehung und Unterricht. Das neue Reich sieht in den Schulen das wirksamste Mittel, die Jugend zu freien Menschen zu erziehen und allmählich die Verwilderung der Seelen und die Verwirrung der Köpfe wieder zu beseitigen, die durch die Erziehungsgrundsätze und die Erziehungspraxis des Dritten Reiches in die jungen Menschen hineingetragen wurden. Die Grundlage der Schulbildung soll die staatliche Einheitsschule sein, an der alle Konfessionen und Religionsgesellschaften unter Aufsicht des Staates Religionsunterricht erteilen können. Allen Konfessionen und Religionsgemeinschaften steht die Gründung von Schulen aus eigenen Mitteln frei, wenn sie diese der Staatsaufsicht unterstellen. Die beaufsichtigenden Staatsorgane haben sich nur darum zu kümmern, ob die Grundsätze, die der Staat für die Erziehung der Staatsangehörigen zu freien Menschen und guten Staatsbürgern aufstellt, inneg[eh] alten werden. Eines [sie] der obersten dieser Staatsgrundsätze für die Erziehung ist, daß die Jugend nicht zu parteipolitischer Einseitigkeit erzogen, sondern in ihnen Verständnis für andere politische Meinungen und Weltanschauungen erweckt wird. Dabei wird im Religionsunterricht als begreiflich unterstellt, daß jede Religion des Glaubens ist, den »wahren Ring« zu besitzen. Aber es wird ebenso selbstverständlich von den Religionslehrern und den Morallehrern nichtkonfessioneller Weltanschau29
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
ung verlangt, daß sie keinen Haß zwischen den
Sammlung
Religionen und Weltanschauungen
säen. Von allen Schulen und Hochschulen sind solche Lehrer zu entfernen, die sich in leitenden Stellungen der nationalsozialistischen Partei oder ihrer Organisationen betätigt haben oder Mitglieder des Staatsrats, des Reichstags oder einer nationalsozialistischen Bildungsorganisation waren. Außerdem sind alle Lehrer und Hochschullehrer, die Gegner des Nationalsozialismus im Unterricht gequält und in ihren menschlichen Gefühlen brutal verletzt haben, aus dem Amt zu entfernen. Um für die letzten Gruppen jede Willkür auszuschließen, werden Berufungsinstanzen eingerichtet werden. Die Schüler der Grundschule und der höheren Lehranstalt genießen Freiheit von jedem Schulgeld. Es werden Staats- und Gemeindestipendien für besonders begabte und bedürftige Schüler eingerichtet, durch die ihnen die Lehrmittel gratis geliefert werden können und evtl. auch der Familie eine Entschädigung für die entgangene Arbeitskraft geleistet werden kann. Der Lehrplan der Schulen soll darauf gerichtet sein, endlich wieder einmal ein gediegenes Wissen zu vermitteln und es der Jugend zu ermöglichen, sich eine gefestigte Weltanschauung ohne Zwang zu bilden. Das Bestreben der Erziehung muß darauf gerichtet sein, der Jugend beizubringen, daß jeder Beruf, der mit Liebe und Kenntnis ausgeübt wird, ehrenvoll ist. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, den unsinnigen Zudrang zu den akademischen, sogenannten »feinen« Berufen abzudämmen. Deshalb muß der Aufbau des Bildungs-|S. 5|wesens an die allgemeine Schule, Fachschulen und Fachakademien angliedern, sodaß die Universitäten, mit denen die Fachakademien in eine organische Verbindung zu bringen sind, endlich zu Instituten für reine Forschungsarbeit und eine Sammelstätte derer, aber nur derer sind, die der Wissenschaft dienen wollen. Der Zutritt zur Universität soll durch kein Abgangsexamen irgendeiner Schule, sondern durch eine besondere Aufnahmeprüfung erschlossen werden, die hohe Anforderungen, die hohe Ansprüche an die geistigen Fähigkeiten der Studenten stellt. Stipendien sollen besonders begabten, unbemittelten Jugendlichen die Existenz für die Studienjahre sichern.
6) Die Wirtschaft. Das neue Reich geht davon aus, daß die politische Demokratie solange Scheindemokratie bleibt, wie es überragenden ökonomischen Mächten möglich ist, viele Tausende von Existenzen in materielle und moralische Abhängigkeit von sich zu bringen. Es muß deshalb im neuen Reich die politische Demokratie durch eine Arbeitsdemokratie ergänzt werden. Das neue Reich erklärt, daß auch die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschen ein wichtiger Dienst an der Allgemeinheit ist und so geordnet werden muß, daß sie der Allgemeinheit zugute kommt. Das Recht auf Eigentum an den Produktionsmitteln aller Art ist begrenzt durch den Anspruch der Allgemeinheit auf ihre produktive Verwertung. Jeder Besitzer eines Produktionsmittels hat nur solange und insoweit ein Recht auf Eigentum daran, wie er sie nach den von der Allgemeinheit aufgestellten Grund-
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7.
Bernhard, Entwurf einer Verfassung
produktiv betreibt. Wer sich diesen Anordnungen widersetzt oder wer wichbrach liegen läßt, verwirkt das Recht an ihnen und kann Produktionsmittel tige werden. enteignet Während der Uebergangszeit wird der Grundsatz des Obereigentums der Gesellschaft an allen Produktionsmitteln deklariert werden. Die Unternehmungen des Kohlen- und Erzbergbaues, sowie der Eisen- und Stahlerzeugung werden verstaatlicht. Ebenso gehen Unternehmungen, die Wasserkräfte verwerten, elektrischen Strom und Gas erzeugen, in die öffentliche Hand über. Stickstoffabriken, Unternehmungen, die Giftgas erzeugen, Waffen- und Munitionsfabriken werden verstaatlicht. Soweit sich Bahn- und Transportunternehmen irgendwelcher Art, Gasanstalten und Produktionsstätten für Wasserkraftverwertung oder Erzeugung von elektrischem Strom bereits in der Hand von Gemeinden oder anderen öffentlichen Verbänden befinden, können sie in deren Besitz unter der Bedingung verbleiben, daß sie entsprechend den zu erlassenden Gesetzen sich mit den gleichen Unternehmungen des Staates zu Produktionsgemeinschaften zusammenschließen. Der Großgrundbesitz (Acker- und Viehwirtschaft, sowie die Forsten) über ein gewisses Areal hinaus wird enteignet. Die überschießenden Areale werden an Landarbeiter und nicht erbberechtigte Bauernsöhne vergeben. Der im Dritten Reich eingeführte Unfug der Erbhöfe wird wieder beseitigt. Das Fideikommissariat sätzen
wird aufgehoben. Die privaten Kartelle und Trusts werden in
Organisationsgemeinschaften aller Mitglieder gleicher Wirtschaftsgruppen umgewandelt, deren Leitungen, die paritätisch von Arbeitern und Unternehmern zu besetzen sind, im Auftrage des Staates die Richtlinien für die produktive Wirtschaft festlegen und das Recht haben, die Innehaltung ihrer Bestimmungen in den einzelnen Unternehmungen zu über-
wachen. Die Vertretung der Arbeitnehmerschaft in den Betrieben sind gewählte Betriebsräte, denen die Verhandlungen zwischen Arbeitgeberschaft und Arbeitnehmerschaft obliegen. Diese Betriebsräte sind in organisatorische Verbindung mit den neu einzurichtenden Gewerkschaften zu bringen, zu denen alle Arbeiter des gleichen Gewerbezweiges vereinigt werden. Die oberste Leitung der Wirtschaft übt ein Wirtschaftsparlament aus, das paritätisch von Arbeitern und Unternehmern zu beschicken ist und dem Vertreter der freien Berufe, sowie der Konsumenten angehören. Das Wirtschaftsparlament wirkt mit Veto-Recht an der wirtschaftlichen Gesetzgebung unter2 Feststellung des Budgets mit und regelt mit seinen Unterorganisationen die Ausführungsverordnungen für die wirtschaftliche Gesetzgebung. Soweit es für notwendig befunden wird, Handelsgewerbe- und Landwirtschaftskammern zu errichten, ist die gleichberechtigte Mitwirkung der Arbeiter und Angestelltenschaft unumstößlicher Grundsatz. Die wirtschaftliche Gesetzgebung und die ganze Führung der Wirtschaft hat ebenso wie die Staatsführung Menschenwürde und die Achtung vor dem Menschenleben als obersten Grundsatz festzuhalten. Auch im Mittelpunkt | S. 61 der 31
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
Wirtschaft steht der Mensch. Die Wirtschaft ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck der Bedarfsdeckung. Menschenökonomie ist mindestens so wichtig, wie Kapitalökonomie. Eine Wirtschaftspolitik ohne Sozialpolitik ist nicht denkbar. Denn der Grundsatz der Menschenökonomie ist auch ein wirtschaftlicher und nicht nur ein ethischer Gesichtspunkt. Die Arbeitskraft der in der Wirtschaft beschäftigten Menschen zu erhalten, ist einer der obersten Grundsätze der-Wirtschaftlichkeit und gilt für das einzelne Unternehmen genau so, wie für die Gesamtheit. Deshalb werden im Vierten Reich die Ausgaben für die Sozialpolitik als Aufwendungen für die Gesunderhaltung des menschlichen Arbeitskapitals angesehen, die ebenso notwendig sind, wie die Abschreibungen und Rücklagen einer Geschäftsunternehmung für die Unterhaltung der materiellen Kapitalsgrundlagen der Unternehmungen und der Gesamtwirtschaft. Die äußere Handelspolitik des neuen Reiches wird sich von dem Gedanken tragen lassen, daß an den ökonomischen Wirrnissen der Welt die überall aufgerichteten hohen Zollmauern die Hauptschuld tragen. Deshalb wird die Wirtschaftspolitik des neuen Reiches auch eine klare Tendenz zum Freihandel haben und bemüht sein, zunächst einmal innerhalb Europas die Zollgrenzen zu vermindern und die Zollmauern abzutragen. Das nächste Ziel der Handelspolitik des neuen Reiches wird die Herstellung einer europäischen Zollgemeinschaft in irgendeiner Form sein. Das Vierte Reich ist der Meinung, daß ein allgemeiner Wohlstand und die Prosperität der einzelnen wirtschaftlichen Unternehmungen auf der Ausbreitung der Konsumkraft der Massen beruht, aus der allein auch ein gewinnbringender Export organisch herauswachsen kann. Die Voraussetzung einer möglichst großen Kaufkraft der Bevölkerung sind aber nicht nur angemessene Löhne, sondern auch die natürliche Erhöhung der Kaufkraft der bestehenden Löhne durch Verbilligung der Waren infolge einer rationellen Betriebsführung, die von der Gemeinschaft bestimmt und überwacht wird. Die Tarifverträge der Arbeiterschaft sind so auszubauen, daß sie die Produktivität der Wirtschaft fördern. Die Regelung der Arbeitszeit kann nicht für alle Arbeiterschichten gleichartig durchgeführt werden. Sie ist den Bedürfnissen der Produktivität der einzelnen Gewerbezweige anzugleichen. Andererseits darf aber auch der Achtstundentag nicht zur untersten Grenze der Arbeitszeit werden. Zur Beseitigung des gräßlichsten aller Uebel, der dauernden strukturellen Arbeitslosigkeit[,] wird in den entwickeltsten Industrien die Arbeitszeit weiter herabgesetzt werden müssen. Die Banken werden, soweit sie nicht bereits im Besitze des Staates sich befinden, unter Staatsaufsicht gestellt. Sie arbeiten weiter nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen, für die aber Richtlinien durch die Organisation des Bankgewerbes festgelegt werden. Das Versicherungswesen wird verstaatlicht. Die Organisationen des Versicherungswesens bestimmt [sie], wie weit vom Interesse an der produktiven Win-
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7. Bernhard, Entwurf einer Verfassung
schaff einzelne Versicherungszweige ausgenommen werden Verhältnis zu ausländischen Versicherungsunternehmungen
können, und wie das zu
regeln ist.
7) Währung und Finanzen.
Die Grundlage der Währung des Vierten Reiches wird die Ausmerzung aller Mißwirtschaft und aller Irrlehren der letzten Jahre sein. Das deutsche Reich braucht eine gesunde Währung, die in einer vernünftigen Relation zu den Währungen der übrigen Länder steht. Das neue Reich wird alle Bestrebungen zur Schaffung einer einheitlichen europäischen [Währung] oder eines Währungsclearings der europäischen Länder fördern. Der Staatsbedarf ist nur durch Steuern, Gebühren, Monopolerträge, Ueberschüsse der Reichsbetriebe und durch solche Anleihen zu decken, die aus der normalen Kapitalentwicklung im Reiche entnommen werden können. Unter keinen Umständen dürfen Geldschöpfung und Kapitalbedarf verquickt werden. Die Grundlage der Besteuerung bildet eine mäßige, nach der Höhe der Einkommen steigende, allgemeine Einkommensteuer, zu der stärker steigende Zuschläge auf das Renteneinkommen treten. Für die Einkommenbesteuerung aus gewerblicher Tätigkeit sind neue Formen zu finden, die der Kompliziertheit, die diese Einkommensteuer angenommen hat, Rechnung tragen und es unmöglich machen, daß auch in Zukunft ein Heer von Beamten des Staates allein für die Kontrolle der Einschätzung nötig wird. Eine allgemeine Umsatz- und Quittungssteuer ist zu erlegen. Einen wesentlichen Ertrag wird das neue Reich aus Monopolen ziehen. Monopolobjekte werden sein: Branntwein, Versicherung, Tabak, Zündhölzer, | S. 71 Stickstoff und elektrischer Strom. Das Tabaksmonopol soll aufgebaut sein auf dem Handelsmonopol des Reiches in Rohtabaken, die bisherigen Zigarettenund Zigarrenfabriken bleiben [,] in einer einheitlichen Gewerbeorganisation zusammengeschlossen, bestehen. Ihnen wird der Rohtabak sowie das Zigarettenpapier zu bestimmten Preisen geliefert. Sie sind verpflichtet, ihre Fabrikate dem Staat zu einem bestimmten Preise, der ihnen einen angemessenen Nutzen läßt, abzuliefern. Eine Erhöhung des Nutzens aus technischen Verbesserungen verbleibt ihnen. Die alte bürokratisierte Form des Geheimratsmonopols soll nach Möglichkeit bei allen Staatsmonopolen ausgeschaltet werden, damit nach Möglichkeit die freie Initiative zur Erhöhung des Unternehmerertrages durch den technischen Fortschritt gewahrt bleibt. Der Wiederaufbau der deutschen Reichsfinanzen und auch der deutschen Wirtschaft nach der unerhörten ausbeuterischen Mißwirtschaft durch die Machthaber des Dritten Reiches und ihre industriellen und banktechnischen Helfershelfer, sowie auch die Sanierung der verbrecherisch ruinierten Währung wird nicht ohne ausländische Kredithilfe möglich sein. Das neue Reich wird alle Hebel in Bewegung setzen, um das im Ausland gesunkene Vertrauen zum deutschen Kredit wiederherzustellen und um allen ausländischen Kreditverpflichtungen gerecht zu werden, die es in Zukunft übernimmt. Andererseits muß aber schon jetzt aus33
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
I.
zur
Sammlung
drücklich betont werden, daß die Regierung des neuen Reiches keinerlei Kredite anerkennen wird, die den Machthabern des Dritten Reiches von innen oder außen freiwillig gewährt wurden. Jeder, der den Machthabern des Dritten Reiches Kredite gewährte, mußte wissen, daß die Regierung des Dritten Reiches ihre Macht unter Täuschung des deutschen Volkes erschlichen hatte und daß daher deren Kreditgeber mit Leuten verhandelten, für deren Unterschrift keinerlei Rechtsgrundlage bestand. Es hieße die Kapitalisten der Welt ermutigen, mit Hochstaplern auf Kosten der Arbeit ganzer Völker Geschäfte zu machen, wenn die Regierung des neuen Reiches es unterließe, die Kredite solcher schlechtgläubiger Darleiher zu annullieren.
Anmerkungen 1 2
der
Herausgeberin:
korrigiert aus: »gegen die« richtiger: und der
vielleicht
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Dokument 8
Leopold Schwarzschild,
Entwurf eines
Einigungsabkommens
und Konzept einer Grundgesetzgebung für das Deutschland nach Hitler Januar/Februar 1936 Vorlage:
Materialien zur Volksfront, hrsg. vom AK [Auslandskomitee] der KP(D)0, 23 S., hektographiert, 210 x310 mm, o.O.,o. D. [ca. April 1936], hier S. 7-12 Standort: IISG, studlezaalmap, lijst Abendroth 433 Druck: 1977, Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 192-201 Zu Entstehung und Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 298, 325, 339-341, sowie Band 2, S. 38 und 480-482
Verfassungsentwurf von Leopold Schwarzschild: Einigung:
Die unterzeichneten
[sie]
Vertreter verschiedener
politischen [sie] Richtungen sind ob und wie ihre Richtungen nach einer zusammengetreten, prüfen, der Verhältnisse in Deutschland Aenderung gemeinsam, unter Ausschluß von wider ein errichten können. neues Staatswesen einander, Kämpfen Sie haben festgestellt, daß die Grundsätze und Einrichtungen, die in dem nachfolgenden Konzept einer Grundgesetzgebung enthalten [sind], für sie alle annehmbar sind. Sie haben festgestellt, daß sie bereit sind, während der in diesem Konzept beschriebenen Periode der »Uebergangszeit« und des »ersten Reichstags« am Aufbau eines Staatswesens nach den hier niedergelegten Grundsätzen und mit den hier beschriebenen Einrichtungen zusammenzuarbeiten.1 Sie anerkennen allseitig, daß nach dem Ablauf dieser beiden Perioden alle hier vertretenen Richtungen wieder frei sind, in der neugeschaffenen und befestigten Demokratie ihre eigenen politischen Wege zu gehen. Zum Beginn ihrer Zusammenarbeit setzten sie nunmehr Ausschüsse ein mit dem Auftrag, auf Grund dieses gebilligten Konzepts einer Grundgesetzgebung einen Verfassungstext und die notwendigen Einzelgesetze auszuarbeiten. am
...
um zu
Konzept einer Grundgesetzgebung.
Als Treuhänder der Nation haben heute Vertreter der hauptsächlichen politischen Richtungen gemeinsam die Regierung Deutschlands angetreten. Sie haben sich verbündet, um unter Zurückstellung ihrer besonderen Bestrebungen die Trümmer der zusammengebrochenen Bandenherrschaft zu beseitigen und den Grundstein zu einem neuen Reich der Freiheit, des Rechts, der Gesittung und des Wohlstandes zu
legen. Dieses Reich erhält
stimmungen:
folgende Verfassung,
abänderbar nach ihren
eigenen Be35
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen A.
zur
Sammlung
Verfassung der Uebergangszeit
1) Die Regierung der Treuhänder amtiert bis zum Zusammentritt des ersten Reichstags. Sie trifft die Vorbereitungen für die ersten Reichstagswahlen, die 6 Monate nach dem heutigen Tag stattfinden werden. 2) Bis zum Zusammentritt des ersten Reichstags erläßt die Regierung der Treuhänder ohne irgendwelche Beschränkung die Gesetze und Verordnungen, | S. 81 die mit Stimmenmehrheit von ihr beschlossen sind. Gegen diese Gesetze und Verordnungen gibt es keine Rechtsmittel. Sie erlöschen nicht mit Beendigung der Uebergangszeit. 3) Die Regierung der Treuhänder besteht aus den treuhänderischen Ministern und aus dem aus ihrer Mitte gewählten treuhänderischen Ministerpräsidenten. Bei Vakanzen wählt dieses Kollegium die Nachfolger. 4) Als Abgeordnete des ersten Reichstages können Männer und Frauen kandidieren, die den Erfordernissen der endgültigen Verfassung entsprechen und die vor ihrer Zulassung als Kandidat durch öffentlichen Eid erklären, daß sie für den Neuaufbau Deutschlands während der Periode des ersten Reichstages nur die Grundsätze und alle Grundsätze der endgültigen Verfassung angewandt wissen wollen. Für die Wahl zum ersten Reichstag gelten im übrigen die einschlägigen Bestimmungen der endgültigen Verfassung. 5) Die Aufgabe der treuhänderischen Regierung besteht darin, die Ueberleitung in die von der endgültigen Verfassung vorgeschriebenen Einrichtungen und Verhältnisse zu bewerkstelligen und soviel von den Bestimmungen der endgültigen
Verfassung zu verwirklichen wie nur möglich. 6) Der erste Reichstag tritt spätestens einen Monat nach seiner Wahl zusammen. Spätestens drei Wochen nach der Wahl wählt die Regierung der Treuhänder den Reichskanzler, der gemäß der endgültigen Verfassung die Regierung ausübt. Innerhalb längstens einer Woche ernennt der Reichskanzler die Staatssekretäre. Die Regierung der Treuhänder ist damit beendet, die Verfassung der Uebergangszeit ist von der endgültigen Verfassung abgelöst. B. Die
endgültige Verfassung.
I.
Grundlagen. 1) Deutschland ist ein Staat unter vielen anderen.
Seine staatliche Geschichte hat es doppelten Anlaß, die Darum Fehlschlägen. Grundsätze und Einrichtungen, die sich in anderen Staaten geschichtlich entwikkelt, bewährt und zu ihrer Größe beigetragen haben, nach Möglichkeit zu benutzen. Seine Aufgabe ist nicht, sich willkürlich von anderen Staatswesen zu unterscheiden, sondern im Gegenteil so weit wie möglich im Einklang mit ihnen zu bleiben.
war
36
bisher eine Kette
von
8.
Schwarzschild, Verfassungsentwurf
2) Deutschland bekennt sich zu der weltgeschichtlichen Lehre, daß stets die Staaten am besten gefahren sind, die sich als Diener des Menschen auffaßten, nicht den Menschen als Sklaven des Staates. 3) Das Privatleben des Menschen in Deutschland ist frei. Der Staat hat kein Recht, sich in das Ehe- und Familienleben, in die religiöse Betätigung, in den gesellschaftlichen Verkehr, in die Zeitverwendung, in die Gesinnungen und Gespräche des Einzelnen einzumischen. 4) Auch im öffentlichen Leben wird der freie Wille des Individuums so wenig beschränkt wie nur irgend möglich. Vorschriften und Verbote rechtfertigen sich nur insoweit, als sie notwendig sind, um die Arbeit des Staatsapparates zu gewährleisten, die soziale Gerechtigkeit zu sichern und zu steigern, die Menschen selbst vor Unrecht zu schützen und Angriffe von außen abzuwehren. 5) Die geistigen und organisatorischen Rückstände der Bandenherrschaft, die Deutschland in Schmach und Elend gestürzt hat, werden mit größter Energie und mit Ausnahmegesetzen liquidiert. Die Führer und höheren Mitglieder der Bande, diejenigen, die sie finanzierten und ihr zur Macht verhalfen, diejenigen, die sich unter Rechts- und Gesetzesbruch ihren Zwecken dienstbar machten, werden für die vernichteten Leben und Existenzen, für die zerstörten, vergeudeten und gestohlenen Vermögen mit Leib und Eigentum haftbar gemacht. Sie können keine Staatsämter einnehmen und nicht Abgeordnete sein. 6) Die Gesetze und Verordnungen der Bandenregierung über die Staatsangehörigkeit im allgemeinen und über die Staatsangehörigkeit einzelner Personen sind null und nichtig. II.
Wegierung.
1) Deutschland
hat zwei volksvertretende Körperschaften: den Reichstag und den Senat. Staatsoberhaupt ist der Präsident. Die Geschäfte werden geführt von dem Reichskanzler. 2) Der Reichstag wird in freier, gleicher, geheimer und direkter Wahl gewählt. Wahlberechtigt ist jeder Staatsangehörige, dem die öffentlichen Ehrenrechte nicht abgesprochen sind, vom Beginn des 30. Lebensjahres ab. Wählbar sind Staatsangehörige jeden Alters. In jedem Wahlkreis ist ein Abgeordneter zu wählen. Gewählt ist, wer im ersten Wahlgang die Hälfte der abgegebenen Stimmen oder wer im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhält. | S. 9 | 2a) Wer in der Wahl zum Reichstag kandidieren will, hat bei der vom Gesetz bestimmten Behörde seine Ansicht zu melden und, falls er sich zu einer Partei rechnet, diese anzugeben. Spätestens drei Wochen vor dem Wahltag verkündet diese Behörde im öffentlichen Akt die Zulassung der Kandidaten zur öffentlichen Wahl, deren Anmeldung ordnungsgemäß ist und die eine Kaution in Höhe von 5.000 Mark erlegt haben. Der Betrag wird dem Kandidaten zurückerstattet, wenn er in der Wahl mehr als 10 % der gültig abgegebenen Stimmen erhält. Erhält er der ist der so Reichskasse verfallen. Indessen gelten die BestimBetrag weniger, mungen über die Kaution erst für die Wahl zum zweiten Reichstag. Sie gelten nicht
37
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
für einen Kandidaten, auf den bei der vorangegangenen Reichstagswahl mehr als 10 % der gültig abgegebenen Stimmen entfielen. 2b) Zur Wahl ist ein amtlicher Stimmzettel zu benutzen, der nur Namen, Beruf und Parteibezeichnung sämtlicher verkündeter Kandidaten enthält. 2c) Jeder in der Wahl gewählte Kandidat erhält von der Reichskasse zum Ersatz der Wahlkosten einen Betrag von 1 Mark für jede auf ihn entfallene gültige Stimme. 2d) Vom Augenblick der Kandidatenverkündigung ab ist nur diejenige Propaganda irgendwelcher Art zugunsten eines Kandidaten oder seiner Partei statthaft, die von dem Kandidaten, zu dessen Gunsten oder zu Gunsten von dessen Partei sie erfolgt, selbst in Auftrag gegeben worden ist, unbeschadet seines Rechts, sich die für die Propaganda notwendigen Beträge seinerzeit von Dritten zu beschaffen. Der Kandidat hat über die gesamten Aufwendungen, ob er sie bezahlt hat oder schuldet, genau Buch zu führen und die Abrechnung nebst sämtlichen Einzelbelegen unter seinem Eid der im Wahlgesetz bestimmten Prüfungsstelle zu überreichen, in der alle Kandidaten oder ihre Beauftragten vertreten sind. Die Summe aller Aufwendungen eines Kandidaten für die gesamte Propaganda, die nach der Verkündigung der Kandidatenaufstellung vonstatten geht oder fortbesteht, darf sich höchstens auf eine Mark pro Kopf jedes Wahlberechtigten im Wahlkreis belaufen. Keine natürliche oder juristische Person außer dem Kandidaten selbst darf für die Kosten von Versammlungen aufkommen, die nach der Verkündigung des Kandidaten zugunsten des Kandidaten oder seiner Partei stattfinden, ebenso nicht für die Kosten von Flugblättern oder Plakaten oder Werbeschriften zugunsten für irgendeinen Kandidaten oder seiner Partei, die nach diesem Termin gedruckt oder verbreitet oder dem Publikum zugänglich gemacht oder gehalten werden, überhaupt nicht für die Kosten irgendwelcher Propaganda zugunsten irgendeines Kandidaten oder seiner Partei nach diesem Termin. Ebenso verboten ist es, Aufträge dieser Art von irgendwem außer den Kandidaten selbst anzunehmen, oder für andere Rechnung als die seinige auszuführen und Zahlungen oder Zahlungsversprechungen dafür von irgendeiner dritten Seite entgegenzunehmen. Näheres einschließlich der Strafe bestimmt das Wahlgesetz. Unter die Bestimmungen dieses Abschnitts fällt nicht die redaktionelle Empfehlung eines Kandidaten durch die regelmäßig in einem Wahlkreis erscheinende Presse. 2e) Die Wahl eines Abgeordneten, der diese Vorschriften über die Wahlpropaganda verletzt hat oder zu dessen Gunsten sie von Dritten verletzt worden sind, ist ungültig. 3) Der Reichstag ist für 4 Jahre gewählt. Er beschließt den Reichshaushalt und die Gesetze in einmaliger Lesung mit Stimmenmehrheit, wenn der Reichskanzler den Haushalt-Entwurf oder einen von ihm vorgelegten Gesetzentwurf bei der Vorlage als dringlich erklärt, so muß der Haushalt binnen 4 Wochen, ein Gesetz binnen 2 Wochen vom Reichstag verabschiedet werden. Ist innerhalb dieser Frist die Verabschiedung nicht erfolgt, so erhält der Haushalts- oder Gesetzesentwurf in der Fassung der Vorlage des Reichskanzlers Gesetzeskraft. 38
8.
Schwarzschild, Verfassungsentwurf
4) Der Reichskanzler ernennt zur Leitung der einzelnen Sachgebiete Staatssekretäre, darunter einen Vertreter für sich selbst, und beruft sie ab. Durch Beschluß der
Reichstagsmehrheit kann der Reichskanzler abberufen werden, jedoch nur, wenn in dem gleichen Beschluß, untrennbar von ihm und mit den gleichen Stimmen ein Nachfolger ernannt wird. Legt der Reichskanzler selbst sein Amt nieder oder stirbt er, so ernennt den Nachfolger der Präsident. 5) Der Senat 6) Der Präsident wird vom Reichstag und
dem Senat in
gemeinsamer Sitzung jedem der beiden Häuser mit gemeinsam mit einfacher Majorität abberufen werden. | S. 101 Die gemeinsame Sitzung der beiden Häuser mit der Tagesordnung »Abberufung des Präsidenmit einfacher Mehrheit für 7 Jahre
gewählt.
Er kann
von
...
muß anberaumt werden, wenn eines der beiden Häuser es mit einfacher Mehrheit beschließt. 7) Be[f]ugnisse des Präsidenten 8) Der Präsident, der Reichskanzler, der Präsident des Reichstages und der Präsident des Senats können die Auflösung und Neuwahl des Reichstags beantragen. Der Antragsteller beraumt eine Sitzung dieses vierköpfigen Kollegiums an. Der Antrag ist beschlossen und rechtskräftig, wenn drei Mitglieder des Kollegiums für ihn stimmen. Die Auflösung und Neuwahl des Reichstages kann ferner mit Zweidrittelmehrheit vom Reichstag selbst beschlossen werden. 9) Die Neuwahl des Reichstages nach Ablauf seiner Amtsperiode oder nach seiner Auflösung muß so erfolgen, daß spätestens 5 Wochen später ein neuer Reichstag gewählt ist. Er muß innerhalb weiterer 2 Wochen zusammentreten. ten«
III. Außenpolitik. 1) Das oberste Ziel aller Außenpolitik ist die Erhaltung des Friedens. Deutschland ist durchdrungen von der Wahrheit, daß insbesondere in Europa unter den heutigen technischen Verhältnissen kein Krieg möglich ist, der nicht sogar vom Sieger weit größere Opfer und Verluste forderte, als er ihm an Gewinn einbringen kann. Jede Außenpolitik, die auf Krieg abzielt, ist schon aus diesem Grunde ein Verbrechen. 2) Deutschland zieht die Folgerung aus der erwiesenen Tatsache, daß der Wohlstand und die Kulturhöhe eines Volkes nicht von der Größe des Gebiets abhängig ist. Es wird kein Gebiet abtreten und will kein Gebiet erwerben. 3) Deutschland ist durchdrungen von der erwiesenen Tatsache, daß jede Trübung des Verhältnisses zwischen zwei Staaten den Beteiligten nur Einbußen bringt. Es ist durchdrungen von der Wahrheit, daß jede Störung der Beziehungen, die
zwischen zwei Staaten einreißt, unter den heutigen Verhältnissen unausweichlich auf andere überschlägt und daß auf diese Weise die Gesinnung ganzer Erdteile vergiftet, ihr Wirtschaftsaustausch verwüstet und ihre Völker in Not und Sorge gebracht zu werden drohen. Es ist deshalb zu einer Außenpolitik mit jedem anderen Lande entschlossen.
39
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
4) Die Zerspaltenheit des kleinen Erdteils Europa in mehr als ein Dutzend Staaten ist beim heutigen Stande der Technik und Wirtschaft zu einer Absurdität geworden. Sie ist gleichbedeutend mit Verarmung und Kriegsgefahr. Die deutsche Außenpolitik wird alles fördern, was dazu dienen kann, die Verwirklichung der Vereinigten] Staaten von Europa zu fördern. In dieser Entwicklung sieht sie die beste Möglichkeit, den latenten Wohlstand zu entfalten, in dieser Entwicklung werden sich gleichzeitig die verschiedenen nationalen Sonder-Aspirationen einzelner Länder am befriedigend] sten und dauerhaftesten auflösen. 5) Die deutsche Regierung schlägt jeder anderen Regierung vor, daß die beiderseitigen diplomatischen Vertreter das Recht und die Pflicht erhalten sollen, die Stimme ihrer Regierung und ihres Volkes auch vor der Volksvertretung des Empfangslandes zu Gehör zu bringen. Sie sollen in der Sitzung der fremden Volksvertretung dieselben geschäftsordnungsgemäßen Rechte wie die eigenen Volksvertreter genießen. Die Presse des Empfangslandes soll verpflichtet sein, ihre Ausführungen vor der Volksvertretung wörtlich zu veröffentlichen. IV Die bewaffnete Macht. 1) Die bewaffnete Macht ist ein Instrument des Staates und seiner zivilen Regierung. Sie ist ausschließlich bestimmt zur Abwehr ausländischer Angriffe. Sie untersteht im Frieden dem Befehl des Staatssekretärs für die bewaffnete Macht, im Kriege dem Befehl des Präsidenten. 2) Die bewaffnete Macht setzt sich in allen Dienstgraden aus Sprößlingen aller Volksschichten zusammen. Unstatthaft ist das Ueberwiegen von Sprößlingen einzelner Volksschichten in einzelnen Dienstgraden. Vorgesetzte, deren bedingungslose Treue zu den Grundsätzen, Vorschriften oder Einrichtungen dieser Verfassung durch Worte oder Handlungen in Frage gestellt sind, sind zu entlassen. Die Angehörigen der bewaffneten Macht haben kein Wahl-, kein Vereins- und Ver-
sammlungsrecht. 3) Stärke und Organisationsart der bewaffneten Macht mögen augenfällig beweisen, daß ihr Zweck ausschließlich die defensive Abwehr allfallsiger ausländischer Angriffe ist. Deutschland erklärt sich bereit und hält es für unerläßlich, die Luftwaffe gemeinsam mit allen anderen Staaten vollkommen zu internationalisieren, einschließlich der Zivilluftfahrt. | S. 111 4) Die Friedenseffektivstärke des Landheeres darf pro Rate der Bevölkerungszahl keinesfalls größer sein als sie es in demjenigen der europäischen Großmachtstaaten ist, der pro [R]ate der Bevölkerungszahl die größte Friedensarmee unterhält.
5) Die bewaffnete Macht rekrutiert sich durch allgemeine Dienstpflicht mit kurzer Dienstzeit. 6) Die Verpflegung und Entlassung länger dienender Unteroffiziere, ebenso die Ueberweisung der geeigneten Unteroffiziere auf Offiziersschulen erfolgt durch den Senat, der zur Vorbereitung einen ständigen Ausschuß bildet. 40
8. Schwarzschild,
Verfassungsentwurf
7) Die Einstellung, Beförderung und Endassung von Offizieren, ebenso die Ueberweisung der geeigneten Offiziere auf die Kriegsakademie etc. erfolgt durch den Senat, der zur Vorbereitung einen ständigen Ausschuß bildet. 8) Jeweils nach der Einstellung des neuen Ersatzes findet bei dem Truppenteil durch den vom Reichskanzler zu bestimmenden höchsten örtlichen Vertreter der zivilen Staatsgewalt und unter Anwesenheit der vom Reichskanzler zu bestimmenden Vertreter der übrigen Zivilbehörden die feierliche Vereidigung und Wiedervereidigung der Angehörigen der Truppenteile statt. Es leisten zuerst die Mannschaften angesichts ihrer Vorgesetzten den Eid auf die Verfassung und die Gesetze. Es leisten sodann sämtliche Vorgesetzten angesichts ihrer Mannschaften den Eid. Der Text des Eides lautet wie folgt: Text: 9) Die Angehörigen der bewaffneten Macht unterliegen im Frieden dem Recht des Friedensmilitärstrafgesetzes und der Gerichtsbarkeit der Friedensmilitärgerichte erster und zweiter Instanz. Die erste Instanz besteht aus einem militärischen Präsidenten, der nach dem Wahrspruch der Geschworenen das Strafmaß festsetzt, und aus 7 getrennt von ihm beratenden zivilen Geschworenen, die den Wahrspruch fallen. Die zweite Instanz besteht aus einem militärischen Präsidenten und zwei militärischen Beisitzern, die nach dem Wahrspruch der Geschworenen das Strafmaß festsetzen^] und aus 11 getrennt von ihnen beratenden zivilen Geschworenen. Ankläger und Verteidiger sind Zivilisten. Die Richter und Ankläger der Friedensmilitärgerichte werden vom Senat ernannt, die Geschworenen nach den Bestimmungen der Verfahrensordnung ausgelost. Das Militärstrafgesetzbuch und die Verfahrensordnung werden durch besondere Gesetze erlassen. 10) Kriegsmilitärgerichtsbarkeit und Kriegsmilitärstrafgesetz.
V. Presse.
1) Blätter, die einmal wöchentlich oder seltener erscheinen, genießen in Deutschland die Pressefreiheit. 2) Blätter, die häufiger als einmal wöchentlich erscheinen, genießen die Pressefreiheit solange, wie sie der hauptamtlichen Chefredaktion eines qualifizierten Publizisten unterstehen. Blätter, die nicht unter der hauptamtlichen Chefredaktion eines qualifizierten Publizisten stehen, haben den Anweisungen zu folgen, die ihnen vom Reichskanzler oder seinem Beauftragten erteilt werden. 3) In den Rang des qualifizierten Publizisten werden, ohne Rücksicht auf ihre Parteirichtung, die anerkanntesten Redakteure und Schriftsteller erhoben, die sich darum bewerben. Sie müssen durch ihre Erfahrung und durch ihre bisherige öffentliche publizistische Leistung die Gewähr dafür bieten, daß sie der Verantwortung, die in der unbehinderten Leitung eines Blattes liegt, gerecht werden können und die notwendige Begabung besitzen. Es können höchstens 15 Redakteure und Schriftsteller in den Rang der qualifizierten Publizisten erhoben werden. Die ersten 7 werden vom Reichskanzler aus allen wesentlichen Parteirichtungen ernannt. Alsdann erkennt das Kollegium der qualifizierten Publizisten selbst mit Stimmen41
I.
Vorschläge, Entwürfe, Stellungnahmen
zur
Sammlung
mehrheit den Rang des qualifizierten Publizisten zu. Mit Zweidrittelmehrheit kann es diesen Rang wieder aberkennen. 4) Ein qualifizierter Publizist kann durch Uebernahme der Chefredaktion nur einem einzigen Blatt die Pressefreiheit bringen. 5) Namentlich gezeichnete Artikel von qualifizierten Publizisten, von Regierungs-, Reichstagsabgeordneten und Senatoren dürfen in der ganzen deutschen Presse veröffentlicht werden; dem Reichskanzler oder seinem Beauftragten ist keine Behinderung gestattet. 6) Die qualifizierten Publizisten sind Mitglieder des Senats. Sie bilden einen Senatsausschuß, der über die Beschwerden aller übrigen Redakteure und Blätter gegen die Presseanordnung des Reichskanzlers oder seines Beauftragten und die von ihm verhängten Strafen rechtsgültig | S. 121 entscheidet. 7) Von den Blättern, die nach Abschnitt 1 und 2 nur den allgemeinen Gesetzen, nicht den Anordnungen des Reichskanzlers oder seines Beauftragten unterliegen, kann dieser nichtsdestoweniger den Abdruck von Aeußerungen oder Erklärungen der Reichsregierung verlangen. Er kann dafür die Zurverfügungstellung von bis zu einem Viertel des normalen Textteiles jeder Ausgabe verlangen. Er kann den Termin, den Platz und die Typographie dafür vorschreiben. Die Redaktionen ihrerseits können gleichzeitig mitteilen, daß es sich um eine Aeußerung der Regierung handelt. 8) Die Beleidigung und Verleumdung, begangen durch die Presse, wird im allgemeinen Strafgesetzbuch nicht nur mit Strafen für den verantwortlichen Redakteur und gegebenenfalls für den Verfasser, sondern auch mit obligatorischen schweren Geldbußen für den Verlag bedroht. 9) Der redaktionelle Leiter einer Zeitung oder Zeitschrift kann belastendes Material, die [sie] ihm gegen eine Amtsperson bekannt wird, vertraulich dem ständigen Disziplinarausschuß des Senats übergeben. Der Ausschuß stellt in nicht öffentlicher Verhandlung Erhebungen und Vernehmungen an, denen der anzeigende Redakteur oder ein Vertreter mit den Kompetenzen eines Nebenklägers beiwohnen kann. Beschließt der Ausschuß, daß der Tatbestand zur Eröffnung eines disziplinären oder strafgerichtlichen Verfahrens Anlaß gibt, so ist der Redakteur berechtigt, den Tatbestand zu publizieren, ohne daß ihm daraus Nachteile erwachsen können. VI. Vereine und Versammlungen/ VII. Wirtschaft/ Erziehung/ IX. Die Selbstverwaltung/ X. Die Beamten und die öffentlichen Angestellten/ XI. Die Justiz.)
(Es fehlen jetzt noch:
VIII.
Geltung der Verfassung. 1) Aenderungen oder Ergänzungen der Verfassung beschließt der Reichstag. 2) In der Abstimmungssitzung haben der Reichskanzler, der Reichstagspräsident und der Präsident des Senats zu erklären, ob sie der Aenderung oder Ergänzung, die zur Abstimmung gelangen soll, zustimmen. Falls mindestens zwei von XII.
42
8.
Schwarzschild, Verfassungsentwurf
ihnen sich bejahend erklären, genügt zur Beschlußfassung des Reichstages die einfache Mehrheit der abstimmenden Abgeordneten. Falls zwei von ihnen sich verneinend erklären, ist zur Beschlußfassung des Reichstags 60 % der Stimmen der abstimmenden Abgeordneten erforderlich. Falls alle drei sich verneinend erklären, ist zur Beschlußfassung die Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Abgeordneten erforderlich. Nichterscheinen oder Stimmenthaltung des Reichskanzlers, des Reichstagspräsidenten oder Senatspräsidenten oder der von ihnen beauftragten Vertreter gilt als zustimmende Erklärung. 3) Eine vom Reichskanzler mit dem Zusatz »dringlich« beantragte Verfassungsänderung oder -Ergänzung, über die am 30. Sitzungstag nach der Einbringung noch kein Beschluß des Reichstages gefaßt ist, ist in der Fassung des Reichskanzlers
rechtskräftig.
Anmerkung der Herausgeberin: 1
In der Vorlage S. 7 sind die Absätze 2 und 3 verwechselt. Der Irrtum ¡st dort durch ersten und Anfang des dritten Absatzes gekennzeichnet und wurde hier korrigiert.
*
am
Ende des
43
Manifeste und Kampfprogramme Januar 1934 bis Februar 1936
Die Dokumente 9-13 ergänzen die eher internen Texte (Dokumente 1-8) als öffentliche Stellungnahmen und zeigen die offiziellen Ausgangspositionen der sozialdemokratischen und kommunistischen Exilpartei ebenso wie den Versuch einer Annäherung über Solidaritätsaktionen zugunsten der Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Diese Texte, an anderer Stelle bereits gedruckt, wurden hier aufgenommen, um ein möglichst umfassendes Bild der Gründungskonstellation zu geben.
Dokument 9
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
(Sopade),
»Prager Manifest« zum
30. Januar 1934
Vorlage: Standort: Druck:
Neuer Vorwärts. Sozialdemokratisches Wochenblatt, Karlsbad, 1934, Nr. 33, 28. Januar, S. 1-2; 310x460 mm IISG 1934 Sozialistische Aktion, 28. Januar, S. 1-2; Tarnschrift: Die Kunst des Selbstrasierens. Neue Wege männlicher Kosmetik, [fingiert:] Hamburg Paris New York: H. F. Gontard & Cié o. J.; 1944 Sozialistische Mitteilungen / News for German Socialists in England [hektograph.], Nr. 60/61, März/April, S. 1-7 (Auszüge); 1968 Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer ergänzt durch andere Überlieferungen, hrsg. im Auftrag der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien von Erich Matthias, bearb. von Werner Link, -
-
Düsseldorf, S. 215ff.;
Wolfgang Runge, Das Prager Manifest von 1934. Ein Beitrag zur Geschichte der SPD, Hamburg, S. 44-54 (Foto der NV-Titelseite auf der vorderen Einbandseite); 1972 Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 20, H. 7, S. 843ff.: Dieter Lange, »Das Prager Manifest von 1934«, hier S. 860ff.; 1973 Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie, hrsg. und eingel. von Dieter Dowe und Kurt Klotzbach, Berlin Bonn-Bad Godesberg, S. 213ff.; 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 201-203 (Auszüge); Zu weiteren Veröffentlichungen siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 132, Anm. 276 Kontext und zeitgenössischen Rezeptionen siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 78, 81, 105f., 1971
-
Zu
131ff., 242 und 245, sowie Band 2, S. 10, 85, 530f. und 569
Kampf und Ziel des revolutionären Sozialismus
Die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Ein Jahr lang lastet die nationalsozialistische Diktatur über Deutschland, über der Welt. Grundstürzend hat der Sieg der deutschen Gegenrevolution das Wesen und die Aufgaben der deutschen Arbeiterbewegung geändert. Der Knechtschaft und Gesetzlosigkeit preisgegeben ist das Volk im totalen faschistischen Staat. Im revolutionären Kampf die Knechtschaft durch das Recht der Freiheit, die Gesetzlosigkeit durch die Ordnung des Sozialismus zu überwinden, ist die Aufgabe der deutschen Arbeiterbewegung.
Bedingungen des revolutionären Kampfes. Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur gibt es kein[en] Kompromiß, ist für Reformismus und Legalität keine Stätte. Die sozialdemokratische Taktik ist allein bestimmt durch das Ziel der Eroberung der Staatsmacht, ihrer Festigung und Behauptung zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. Die Taktik be/. Die
Im
dient sich
zum
Sturz der Diktatur aller diesem Zweck dienenden Mittel.
47
II. Manifeste und
Kampfprogramme
Der revolutionäre
Kampf erfordert die
revolutionäre
Organisation.
Die alte
Form, der alte Apparat ist nicht mehr, und Versuche zu seiner Wiederbelebung
entsprechen nicht den neuen Kampfbedingungen. Neue Organisationsformen mit opferbereiten Kämpfern müssen entstehen. In der Wahl dieser Formen sind wir nicht frei. Noch legt der Gegner durch die Uebermacht seiner Mittel, durch die Brutalität ihrer Anwendung, noch legt uns der Zustand der deutschen Gesellschaft selbst, die unter dem furchtbarsten Druck des ökonomischen, physischen und geistigen Terrors steht, das Gesetz des Handelns auf. Kleine Gruppen bilden sich, sie müssen in teuer erkauften Erfahrungen die Technik ihrer Arbeit
erwerben eine Elite von Revolutionären. Wenn die Gegensätze im Innern des Faschismus, wenn die stets sich verschärfenden Klassengegensätze im Kapitalismus sich entfalten, wenn Unzufriedenheit und Enttäuschung die Massengrundlage der nationalsozialistischen Herrschaft erschüttern, wenn oppositionelle Strömungen entstehen, und spontane Massenbewegungen beginnen, dann wird es zur Aufgabe der revolutionären Elite, die Gegensätze im Bewußtsein der Massen zu vertiefen, ihre Entwicklung zu lenken, ihre Zielsetzung zu beeinflussen, die Verbindungen auszudehnen und die revolutionäre Organisation zur Massenorganisation zu erweitern. In den Dienst der Förderung der revolutionären Organisation hat sich von Anfang an die Leitung der deutschen Sozialdemokratie im Ausland gestellt und für die Erfüllung dieser Aufgabe ihre Kräfte und Mittel eingesetzt. Der Druck des Terrors führt in Deutschland selbst zu weitgehender Dezentralisation der illegalen Arbeit. Die in Deutschland selbst unausweichliche Teilung der Arbeit kann nur in der Tätigkeit der Leitung ihre Zusammenfassung finden. Unterstützung und Förderung erhält jede Gruppe, deren revolutionärer Geist dafür bürgt, daß ihre Tätigkeit dem Sturz der nationalsozialistischen Diktatur im Rahmen der Einigkeit der Arbeiterklasse dient. Die Führung ist sich dabei bewußt, daß sie der ständigen Mitwirkung und Beratung der Leiter der illegalen Gruppen bedarf. -
II. Die Ziele der Massenbewegung. Die Organisation ist das Werkzeug für den revolutionären Kampf. Welches sind seine Bedingungen, was ist sein Ziel? Bedingungen und Ziele des Kampfes lassen sich nicht willkürlich bestimmen, sie erwachsen aus den sich zuspitzenden Gegensätzen der kapitalistischen Gesellschaft und aus den Tatsachen der nationalsozialistischen Gegenrevolution. Wir fragen, wofür muß die Arbeiterklasse unter dem faschistischen System kämpfen, welche Kämpfe sind ihr aufgezwungen? Der Nationalsozialismus leugnet in seiner Theorie die Klassenkämpfe, seine Praxis verschärft sie auf das Grausamste. Seine Herrschaft bedeutet eine unerhörte Steigerung der sozialen Gegensätze, ein neues Erhitzen des Kessels bei gewaltsamer Verschließung aller Ventile. Die Unterdrückung aller Organisationen der Arbeiter und Angestellten, ihre völlige Entmachtung, überliefert sie der Willkür des Großkapitals, in dessen Interessen die Diktatur die Staatsmacht ge48
9.
Sopade, »Prager Manifest«
stellt hat. Diese einseitige Verschiebung der Machtverhältnisse bedroht die Arbeiterschaft mit fortschreitender Verschlechterung ihrer Lebenshaltung. Die Gefahr wird gesteigert durch eine Wirtschaftspolitik, die die Kosten aller Bedürfnisse der breiten Massen erhöht, die Beschäftigung in den Exportindustrien immer mehr drosselt; sie wird vermehrt durch eine Finanzpolitik, die die Massen belastet und immer größere Teile des ihnen abgepreßten Tributs einzelnen vom Regime begünstigten Schichten zuschanzt. Das zwingt die Massen zum Kampf für die Sicherung und Hebung ihrer materiellen Existenz. Aber jede Lohnbewegung ist verboten, jeder Streik wird zur politischen Rebellion! Aus dieser Situation wird mit Notwendigkeit die Forderung nach Wiederherstellung der Koalitionsfreiheit und der Schaffung sozialer Kampforganisationen als Vertreter der Arbeiterinteressen erwachsen. Ihre Koalitionsfreiheit ist nicht möglich ohne ihre Versammlungs-, Vereins- und Pressefreiheit. Aus den unabweisbaren Bedürfnissen der Arbeiterschaft ergibt sich so die Forderung nach politischen Rechten, entspringt der Kampf um ihre demokratische Bewegungsfreiheit. Im Heer der Arbeitslosen wächst mit der Dauer der Arbeitslosigkeit die Rebellion gegen eine Gesellschaft, die ihnen das Recht auf Arbeit versagt, verstärkt sich ihre Forderung nach Wiedereingliederung in den Produktionsprozeß, nach einer Ordnung der Wirtschaft, die Arbeitende und Arbeitslose nicht mehr auseinanderreißt, sondern die Arbeitsmöglichkeit gleichmäßig auf alle Arbeitsfähigen verteilt. Diese Bewegung der von der Diktatur betrogenen Arbeitslosen richtet sich unmittelbar gegen die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft. Die Kämpfe um die Sicherung der Lebenshaltung der Arbeitenden und um die Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den Produktionsprozeß mit allen Kräften zu fördern, die Front der kämpfenden Arbeiter zu verbreitern, den notwendigen inneren Zusammenhang dieser Kämpfe mit dem Ziel des Sturzes der Diktatur den Kämpfenden zum Bewußtsein zu bringen, ist eine der ersten Aufgaben der revolutionären Arbeit. Die Wiedereroberung demokratischer Rechte wird zur Notwendigkeit, um die Arbeiterbewegung als Massenbewegung wieder möglich zu machen und den sozialistischen Befreiungskampf wieder als bewußte Bewegung der Massen selbst zu führen. Jedes demokratische Recht wird aber zur Bedrohung des Fortbestandes der Diktatur. Der Kampf um die Demokratie erweitert sich so zum Kampf um die völlige Niederringung der nationalsozialistischen Staatsmacht. Dieser Kampf ist nur revolutionäres Durchgangsstadium zur Eroberung der ganzen Staatsmacht. Der Sturz der Despotie wird sich, wenn nicht äußere Katastrophen ihn herbeiführen, nur in der gewaltsamen Niederringung, nur durch den Sieg im revolutionären Kampfe vollziehen. Er wird sich ergeben, wenn die Bedingungen einer objektiv revolutionären Situation ausgenützt werden von einer entschlossenen, von radikalem Kampfgeist durchseelten, von einer erfahrenen Elite geführten Partei des revolutionären Sozialismus. Er kann nur erwachsen aus der Tat der Massen selbst. 49
II. Manifeste und
Kampfprogramme
III. Die Ausübung der Macht. Diese Art der Eroberung der Macht bestimmt die Art ihrer Ausübung. Im schweren, opferreichen, leidenschaftlichen Ringen um den Sturz der Diktatur erfüllt sich die Arbeiterbewegung mit radikalem, kompromißlosem Geist. Der politische Umschwung von 1918 vollzog sich am Abschluß einer konterrevolutionären Entwicklung, die durch den Krieg und die nationalistische Aufpeitschung der Volksmassen bedingt war. Nicht durch den organisierten, vorbereiteten, gewollten revolutionären Kampf der Arbeiterklasse, sondern durch die Niederlage auf den Schlachtfeldern wurde das kaiserliche Regime beseitigt. Die Sozialdemokratie als einzig intakt gebliebene organisierte Macht übernahm ohne Widerstand die Staatsführung, in die sie sich von vornherein mit den bürgerlichen Parteien, mit der alten Bürokratie, ja mit dem reorganisierten militärischen Apparat teilte. Daß sie den alten Staatsapparat fast unverändert übernahm, war der schwere historische Fehler, den die während des Krieges desorientierte deutsche Arbeiterbewegung beging. Die neue Situation schließt jede Wiederholung aus. Die Niederwerfung des nationalsozialistischen Feindes durch die revolutionären Massen schafft eine starke revolutionäre Regierung, getragen von der revolutionären Massenpartei der Arbeiterschaft, die sie kontrolliert. Die erste und oberste Aufgabe dieser Regierung ist es, die Staatsmacht für die siegreiche Revolution zu sichern, die Wurzeln jeder Widerstandsmöglichkeit auszureißen, den Staatsapparat in ein Herrschaftsinstrument der Volksmassen zu verwandeln. Der revolutionären Regierung obliegt deshalb die sofortige Durchführung einschneidender politischer und sozialer Maßnahmen zur dauernden völligen Entmachtung des besiegten Gegners. Das erfordert: Einsetzung eines Revolutionstribunals. Aburteilung der Staatsverbrecher, ihrer Mitschuldigen und Helfer in der Politik, der Bürokratie und Justiz wegen Verfassungsbruches, Mordes und Freiheitsberaubung unter Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte. Aufhebung der Unabsetzbarkeit der Richter. Besetzung aller entscheidenden Stellen der Justiz durch Vertrauensmänner der revolutionären Regierung. Grundlegende Umgestaltung der Justiz durch Verstärkung des Laienelementes.
Reinigung der Bürokratie, sofortige Umbesetzung aller leitenden Stellen. Organisierung einer zuverlässigen Militär- und Polizeimacht. Völlige Erneuerung des Offizierkorps. Aufhebung aller die Freiheit der Arbeiterschaft beschränkenden Gesetze und Verordnungen der nationalsozialistischen Despotie.
Volle
staatsbürgerliche Gleichberechtigung ohne Unterschied der Rasse und Religion. Trennung der Kirche vom Staat. Unterbindung jeder konterrevolutionären Agitation.
50
9.
Sopade, »Prager
Manifest«
der notwendigen sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Gesetze durch die revolutionäre Regierung. Die Zerschlagung des alten politischen Apparates muß gesichert werden gegen seine bisherigen gesellschaftlichen Träger. Das erfordert: Sofortige entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes, Ueberführung der Forsten in Reichseigentum und Reichsverwaltung, Verwendung des Ackerlandes zur Schaffung lebensfähiger Bauern-Siedlungen und genossenschaftlicher Betriebe von Landarbeitern mit ausreichender Förderung durch Staatsmittel. Sofortige entschädigungslose Enteignung der Schwerindustrie. Uebernahme der Reichsbank in den Besitz und die Verwaltung des Reiches. Vergesellschaftung und Uebernahme der Großbanken durch die vom Reich bestimmten Leitungen. Erst nach der Sicherung der revolutionären Macht und nach restloser Zerstörung der kapitalistisch-feudalen und politischen Machtpositionen der Gegenrevolution beginnt der Aufbau des freien Staatswesens mit der Einberufung einer Volksvertretung, gewählt nach allgemeinem, gleichem, direktem und geheimem Wahlrecht in Einzelwahlkreisen. Die erste Wahlkreiseinteilung erläßt die revolutionäre Re-
Sofortiger Erlaß
gierung.
Die Volksvertretung wählt mit absolutem Mehr (falls notwendig unter Vornahme einer Stichwahl) den Chef der Reichsregierung, der die Reichsminister ernennt. Bis zum Zustandekommen der Wahl bleibt die Revolutionsregierung im Amt. Das despotische System der zentralisierten Staatsallmacht wird durch die [S. 2] Herstellung einer echten freiheitlichen Selbstverwaltung innerhalb des gegliederten Einheitsstaates gebrochen. In den politischen Gemeinden werden für das Schul-, Wohlfahrts-, Gerichts- und Steuerwesen Selbstverwaltungskörper gebildet, denen die Beamten verantwortlich sind.
IV. Die Evolution der Wirtschaft. Aufgabe der Arbeiterschaft im neuen Staat ist die Anwendung der errungenen Staatsmacht zur Durchführung der sozialistischen Organisation der Wirtschaft. Die Vergesellschaftung der Schwerindustrie, der Banken und des Großgrundbesitzes ist kein Endpunkt, sondern nur der Ausgangspunkt für die Umwandlung der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaft. Die sozialistische Wirtschaftsorganisation beseitigt die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise. Sie überwindet damit die Wirtschaftskrisen und die Arbeitslosigkeit. An die Stelle der planlosen kapitalistischen Wirtschaft tritt die sozialistische Planwirtschaft. An die Stelle des kapitalistischen Profitstrebens tritt das Streben nach Deckung eines stets sich steigernden Bedarfes. An die Stelle der regellosen Rationalisierung zur Erhöhung des Profits durch Ersparung von Arbeitskräften, an die Stelle der regellosen Aufblähung des Produktionsapparates auf Kosten des Konsums tritt die planmäßige Steigerung der Produktionskräfte, 51
II. Manifeste und
Kampfprogramme
die gleichmäßige Erweiterung von Erzeugung und Verbrauch. An die Stelle des zerstörenden Kampfes der einzelnen Produktionszweige gegeneinander tritt ihre auf einander abgestimmte Entwicklung. Die Leitung der Umorganisation obüegt der obersten sozialistischen Planstelle. Diese dient der Lenkung der gesamten Wirtschaft. Sie hat insbesondere
folgende Aufgaben: Aufstellung eines Wirtschaftsplanes schaft.
für die
Entwicklung
der Gesamtwirt-
Schaffung einer Verwaltungsorganisation für die Verstaatlichung der Wirtschaftszweige unter Mitwirkung der Produzenten, Konsumenten und des Staates.
Vorbereitung weiterer Sozialisierung kapitalistisch beherrschter Wirtschaftszweige, Regulierung der Steigerung der Erzeugung und der Anwendung des technischen Fortschrittes durch Lenkung der Kapitalanlagen und der Be-
triebskredite. Regelung der Beziehungen zwischen dem vergesellschafteten Teil der Wirtschaft und der Marktwirtschaft. Für die Vergesellschaftung und einheitliche Leitung kommen zunächst folgende Wirtschaftszweige in Betracht: Das Kreditwesen unter Aufrechterhaltung und Förderung der Selbstverwaltung der bäuerlichen und gewerblichen Genossenschaften. Das Versicherungswesen. Die Schwerindustrie. Die chemische Großindustrie. Der Güter- und Personenmassenverkehr. Die Kraftversorgung (Gas und Elektrizität). V. Die Wevolution der Gesellschaft. Die sozialistische Gesellschaft beseitigt das Ausbeutungseigentum des Kapitals, sie schützt das Arbeitseigenturn des Bauern und des Handwerkers. Sie bedeutet ständige Steigerung der Lebenshaltung, deshalb erleichterte Absatzmöglichkeit für die Produkte der bäuerlichen und handwerklichen Produktion. Sie befreit das Arbeitseigentum in Land und Stadt von dem Druck des agrarischen und industriellen Großbesitzes und von der Uebermacht des Bankkapitals. Sie sorgt durch ihre Beherrschung des Kreditsystems für die ausreichende und billige Versorgung des Mittelstandes mit den nötigen Betriebskrediten. Sie dehnt die Alters-, Invaliden- und Krankenversorgung auf die ländlichen und städtischen Mittelschichten aus und erhöht so deren Existenzsicherheit. Die Agrarpolitik, befreit von dem übermächtigen Einfluß des Großgrundbesitzes, tritt für die Förderung und ausreichende Verwertung der Veredlungsprodukte der bäuerlichen Wirtschaft ein, sorgt durch staatliche Meliorationen für die Verbesserung ihres Grund und Bodens und durch Schaffung eines ausreichenden Bildungswesens für die ständige Hebung der Leistungsfähigkeit. 52
9.
Sopade, »Prager
Manifest«
Die Neuordnung und Kontrolle der Produktion hebt die Bedeutung der Arbeit der technischen und leitenden Angestellten. Der Betrieb bedarf auch in der sozialistischen Wirtschaft einer gegliederten qualifizierten Leitung. Die Loslösung dieser leitenden Organe aus der kapitalistischen Herrschaft, ihre Verwandlung in Funktionäre der Gemeinschaft gibt ihrer Arbeit neuen Inhalt und neue Würde. Das Bildungsprivileg wird zerbrochen. In der Einheitsschule wird das heranwachsende Geschlecht nicht nur für den künftigen Beruf, sondern auch für die Erfüllung seiner Aufgaben in dem freien sozialistischen Gemeinwesen herangebildet. Der Aufstieg zu den höheren Lehranstalten erfolgt ausschließlich auf Grund der Eignung und Begabung ohne Rücksicht auf das Herkommen. Unterricht und Lehrmittel sind auf allen Stufen unentgeltlich. Die sozialistische Gesellschaft stellt die Freiheit des Geistes und der Wissenschaft wieder her, sichert Kulturarbeit und Kunst vor den Eingriffen bürokratischer und kirchlicher Gewalten, gibt der Persönlichkeit ihr unveräußerliches Recht und ihre Menschenwürde wieder zurück. Die sozialistische Neuordnung der Wirtschaft ist mehr als eine materielle Angelegenheit. Sie ist selbst Mittel zum Endziel der Verwirklichung wahrer Freiheit und Gleichheit, der Menschenwürde und voller Entfaltung der Persönlichkeit. Die Arbeit, bisher Quelle der persönlichen Bereicherung der einen und Ringen um die Fristung eines ärmlichen Lebens für die anderen, wird zum sozialen Dienst an der Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstandes. Die Massen werden nicht mehr arbeiten, um den Monopolbesitzern der Produktionsmittel einen dürftigen Lebensraum und ein allzeit von Krisen bedrohtes Dasein abzuringen, sondern sie werden arbeiten für die Gestaltung der sozialistischen Zukunft unter glücklicheren Bedingungen zu höheren Zielen. Die planmäßige Lenkung des technischen Fortschrittes wird die Produktivität der menschlichen Arbeit gewaltig steigern. Die Ausschaltung der Krisen wird den gesellschaftlichen Wohlstand ständig vermehren. Die dadurch ermöglichte Verkürzung der Arbeitszeit, vor allem aber die Befreiung des Menschengeschlechtes von den täglichen materiellen Sorgen der Lebensfristung und der Arbeitssuche ermöglicht allen Gliedern des sozialistischen Gemeinwesens die Anteilnahme an den Schätzen der Kultur, an den Erkenntnissen der Wissenschaft und an den Genüssen der Kunst. Ein neuer Gemeinsinn, eine neue Lebensauffassung, ein neuer Wetteifer um die Entfaltung aller Fähigkeiten erwächst: Die sozialistische Gesinnung, in der die neue Gesellschaft unzerstörbar verankert sein wird. Je mehr sich der gesellschaftliche Umbau seiner Vollendung nähert, je mehr der Obrigkeitsstaat durch die Selbstverwaltung ersetzt wird, umso mehr wird der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Staat und Gesellschaft überwunden. An die Stelle des Machtstaates, der durch Militär, Bürokratie und Justiz seine Untertanen beherrscht, tritt die Selbstverwaltung der Gesellschaft, in der jeder zur Mitwirkung an den allgemeinen Aufgaben berufen ist. An die Stelle des Führerprinzips und der Parteihierarchie, die Willkür und Verantwortungslosigkeit be-
53
II. Manifeste und
Kampfprogramme
deuten, tritt die Verantwortung freier Menschen für die Erfüllung der gesell-
schaftlichen Aufgaben. Die Despotie wird abgelöst durch die freie Selbstbestimmung des Volkes, die Unterdrückung weicht der Gleichheit der gesellschaftlichen Rechte und Pflichten für alle Volksgenossen. Die Menschheit ist aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit getreten. VI. Abrüstung und Kriegsgefahr. Die nationalsozialistische Diktatur hat Deutschland in Barbarei und Bestialität gestoßen[,] das deutsche Volk mit tiefster Schmach bedeckt. Aber die Hitlerherrschaft ist nicht nur Schande und Gefahr für Deutschland, sie bedeutet die Gewaltdrohung gegen die Freiheit und Zivilisation aller anderen Völker. Die Diktatur hat in Rassenwahn und Großmachtsucht den alldeutschen Nationalismus zur Siedehitze gesteigert. Sie vergiftet die Jugend mit militaristischem Angriffsgeist, sie setzt alle geistigen und materiellen Mittel ein für eine fieberhafte Aufrüstung. Sie propagiert offen ihre Kriegsziele: eine neue Großraumpolitik soll Neuland für die Siedlung im Osten schaffen, soll alle »deutschstämmigen« Gebiete dem faschistischen Reich einverleiben. Aber Schlimmeres noch als territoriale Einbuße droht den Völkern von der siegreichen Diktatur: am faschistischen deutschen Wesen soll die Welt genesen. Bedeutet ein neuer Krieg mit den unendlich vervollkommneten Zerstörungsmitteln eine Untergangsdrohung für die Zivilisation, so bedeutet ein Sieg der faschistischen Diktaturen eine Verewigung der Sklaverei und Bestialität im Innern und ihre Ausbreitung über die übrige Welt. Die deutsche Demokratie hat die Forderung der Gleichberechtigung erhoben im Bunde mit den großen Demokratien des Westens als ein Mittel zur Organisation und Sicherung des Friedens. Die Diktatur hat diese Forderung verfälscht, um sie für ihre kriegerischen Absichten zu mißbrauchen. Sie erhebt sie, um militärisch gestärkt, neue militärische Stärkung zu ertrotzen. Sie erhebt sie, um als starker Bundesgenosse neue Koalitionen zur Erreichung ihrer machtpolitischen Ziele bilden zu können. Die auswärtige Politik der deutschen Diktatur bedeutet ständige Bedrohung des Friedens und damit den Zwang zum Wettrüsten. Die Diktatur, die durch schamlosen Verfassungsbruch, durch Inszenierung des Reichstagsbrandes zur Macht gelangt ist, die durch frevelhaften Terror und schamlose Vergewaltigung von Recht und Gesetz die Macht behauptet, bietet erst recht keine Gewähr für die Innehaltung internationaler Verträge. Sie wird sie brechen, sobald sie den Bruch für nützlich hält. Es ist nicht die Aufgabe der Sozialdemokratie, auf den Sturz der Despotie durch den Krieg zu hoffen. Es ist vielmehr ihre Aufgabe, den Krieg zu verhindern. Deshalb verwirft sie alle militärischen Konzessionen an Hitlerdeutschland. Sie warnt die Arbeiterparteien aller Länder, die Gefahr des deutschen Nationalismus zu unterschätzen. Gleichberechtigung der Demokratien, aber keinerlei Aufrüstung für eine kriegslüsterne Diktatur! Diesem System keinen Mann und keinen Groschen, das ist die Parole der deutschen Sozialdemokratie, das muß die Losung der Sozialistischen Arbeiter-Internationale sein. Nicht militärische 54
9.
Sopade, »Prager Manifest«
Zugeständnisse erfordert die Sicherung des Friedens und der Schutz der Freiheit der Nationen, sondern Wiederabrüstung, Entwaffnung und Auflösung der SAund SS-Formationen. Sollte der Krieg, den Festigkeit und wachsame Entschlossenheit der Demokratien unter dem Einfluß ihrer Arbeiterparteien heute noch verhindern können, trotzdem ausbrechen, so werden die deutschen Sozialdemokraten der Despotie in unveränderter, unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehen. Die Einheit und Freiheit der deutschen Nation kann nur gerettet werden durch die Ueberwindung des deutschen Faschismus. Die Sozialdemokratie wird sich mit Entschiedenheit gegen jeden Versuch von außen wenden, einen kriegerischen Zusammenbruch der Despotie in Deutschland zu einer Zerstückelung Deutschlands auszunutzen. Sie wird keinen Frieden anerkennen, der zur Zerreissung Deutschlands führt und eine Hemmung seiner freiheitlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten bedeutet. VII. Die Einheit des revolutionären Sozialismus. Mit dem Sieg des totalen Staates ist die Frage seiner Ueberwindung mit grausamer Eindeutigkeit gestellt. Die Antwort lautet: Totale Revolution, moralische, geistige, politische und soziale Revolution! In diesem Kampfe wird die Sozialdemokratische Partei eine Front aller antifaschistischen Schichten anstreben. Sie wird die Bauern, die Kleingewerbetreibenden, die Kaufleute, die durch die Versprechungen der Nationalsozialisten betrogen sind, sie wird die Intellektuellen, die unter dem gegenwärtigen Regime ein bisher unvorstellbares Maß der Unterdrückung und Entwürdigung erleiden, zum gemeinsamen Kampf mit der Arbeiterklasse aufrufen. Wir haben den Weg, wir haben das Ziel des Kampfes gezeigt. Die Differenzen in der Arbeiterbewegung werden vom Gegner selbst ausgelöscht. Die Gründe der Spaltung werden nichtig. Der Kampf zum Sturz der Diktatur kann nicht anders als revolutionär geführt werden. Ob Sozialdemokrat, ob Kommunist, ob Anhänger der zahlreichen Splittergruppen, der Feind der Diktatur wird im Kampf durch die Bedingungen des Kampfes selbst der gleiche sozialistische Revolutionär. Die Einigung der Arbeiterklasse wird zum Zwang, den die Geschichte selbst auferlegt. Die Führung der deutschen Sozialdemokratie weiß sich deshalb frei von jeder sektenhaften Abschließung und ist sich ihrer Mission bewußt, die Arbeiterklasse in einer politischen Partei des revolutionären Sozialismus zu vereinigen. Wie sie die illegale Arbeit aller Gruppen, die den Kampf gegen die Diktatur und nicht gegen andere Parteien der Arbeiterklasse führen, zu unterstützen bereit ist, so öffnet sie ihre Zeitungen, Zeitschriften und Publikationen1 allen Diskussionen über die Probleme des revolutionären Sozialismus, der Machteroberung und Machtbehauptung in der Ueberzeugung, daß nur aus gemeinsamer geistiger Arbeit die Verwirklichung des einheitlichen revolutionären sozialistischen Bewußtseins der Arbeiterklasse erstehen kann. Aber sie lehnt es ab, die Selbstzerflei55
II. Manifeste und
Kampfprogramme
schung zuzulassen, die um der Frage der Ausnutzung noch nicht errungener Siege willen die Spaltung der Arbeiterklasse, den sichersten Schutz der Diktatur, verewigen will.
Die nationalsozialistischen Machthaber rühmen sich, die revolutionäre sozialistische Arbeiterbewegung vernichtet, den Freiheitsgedanken ausgerottet zu haben. Sie sind die Sieger und üben an den Unterdrückten grausame Rache. Aber je größer ihr Sieg, der Sieg der kapitalistischen Mächte, desto schwerer wird ihre künftige Niederlage sein. Die kapitalistische Entwicklung schafft selbst ihre Totengräber und der Triumph von heute ist der Untergang von morgen. Gegen die faschistische Barbarei führen wir den Kampf für die großen und unvergänglichen Ideen der Menschheit. Wir sind die Träger der großen geschichtlichen Entwicklung seit der Ueberwindung der mittelalterlichen Gebundenheit, wir sind die Erben der unvergänglichen Ueberlieferungen der Renaissance und des Humanismus, der englischen und der französischen Revolution. Wir wollen nicht leben ohne Freiheit und wir werden sie erobern, Freiheit ohne Klassenherrschaft, Freiheit bis zur völligen Aufhebung aller Ausbeutung und aller Herrschaft von Menschen über Menschen! Das Blut der Opfer wird nicht vergebens geflossen sein! Deutsche Arbeiter, ihr habt nur die Ketten eurer Knechtschaft zu verlieren, aber die Welt der Freiheit und des Sozialismus zu gewinnen! Deutsche Arbeiter, einigt euch im revolutionären Kampf zur Vernichtung der nationalsozialistischen Diktatur! Durch Freiheit zum Sozialismus, durch Sozialismus zur Freiheit[!] Es lebe die deutsche revolutionäre Sozialdemokratie, es lebe die Internationale!
Prag, 28. Januar [1934]
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Anmerkung der Herausgeberin: 1
Publikationsorgane
der
Sopade
zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung
des Manifests
waren:
Neuer
Vorwärts, Sozialistische Aktion, Zeitschrift für Sozialismus und die Schriftenreihe »Probleme des Sozialismus«; im Mai erschienen erstmals: Deutschland-Bericht(e) der Sopade, Nr. 1, April/Mai 1934
56
Dokumente 10 Kommunistische Partei Deutschlands, Vorstellungen über ein gemeinsames Kampfprogramm gegen die faschistische Diktatur Dokument 10.1
KPD, Vorbereitung auf die »Brüsseler« Parteikonferenz
Anfang Oktober Vorlage: Standort: Druck:
1935
Der Gegen-Angriff. Antifaschistische Wochenschrift, 1935, Nr. 40, 5. Oktober, S. 1-2; 310 x460 mm IISG 1935 Die Rote Fahne. Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale), Reichsausgabe, Mitte Oktober; 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 205f.
(Auszüge) Obwohl eine andere chronologische Folge in der Vorlage ausdrücklich angegeben wird, erschien Der Gegen-Angriff während, Die Rote Fahne jedoch erst nach der Konferenz; Unterschiede beider Fassungen stilistischer Art sind in den Anmerkungen ausgewiesen. Zu Kontext und inhaltlichen Unterschieden zwischen diesem und dem folgenden Dokument 10.2 siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 199, 245-247, 275, 312 (Anm. 97) und 345, sowie Band 2, S. 475f.
Was eint die Volksfront? Für welche Forderungen ist der gemeinsame aller Hitlergegner möglich?
Kampf
Die in Deutschland illegal erscheinende »Wote Fahne«, das Zentralorgan der KPD, bringt in der neuesten Nummer den folgenden Artikel, der in Aufsehen erregender Weise die Möglichkeiten eines gemeinsamen positiven Kampfprogrammes aller deutschen Hitlergegner und die Bereitschaft der Kommunistischen Partei zum Kampf für solche Forderungen zeigt. In seiner Proklamation auf dem Nürnberger Parteitag, dieser provokatorischen Kriegsdemonstration der Nazis, hat Hider vor aller Welt eingestehen müssen, daß sich die antifaschistischen Kräfte in Deutschland sammeln und organisieren. Er mußte zugeben, daß es ihm nicht gelungen ist, den Marxismus zu überwinden^] und daß dieser eine »latente Gefahr« bleibt. Millionen Menschen in Deutschland wollen Hiders Sturz und halten ihn für möglich. Sie diskutieren heute unter sich die Frage: Was kommt nach Hitler? Darum mußte Hider in seiner Nürnberger Proklamation auf diese Tatsache eingehen. Er versuchte seine Anhänger zu trösten mit der Phrase, daß die Gegner der Hiderdiktatur »nur einig im Negativen« seien. Wir geben darauf die Antwort: Wir beweisen, daß alle Gegner Hiders, alle wahren Freunde des Volkes sich einigen können in der Volksfront für seinen Sturz, für die Beseitigung der faschistischen Barbarei in Deutschland. Wir machen allen 57
II. Manifeste und
Kampfprogramme
Hidergegnern Vorschläge zum gemeinsamen Kampf für Forderungen, in denen sich alle antihiderischen Organisationen und Gruppen einig sein können. Unsere Vorschläge bekunden vor dem deutschen Volke, daß es ein gemeinsames positives Kampfprogramm für alle Hitlergegner gibt. Solange Hiders Tyrannei das deutsche Volk
knechtet, kann
gabe geben,
für einen wahren Freund des Volkes keine höhere Aufals den Sturz Hiders. es
Für die Einheitsfront und die breiteste Volksfront Wir Kommunisten kämpfen gegen das barbarische Unterdrückungssystem Hiders von der ersten Stunde seiner Existenz an. Wir sind Todfeinde des Naziregimes. Wir werden [-] entsprechend den Beschlüssen des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale alles tun, was der Sammlung und Aktivierung aller hidergegnerischen Kräfte dient. Unsere illegalen Kämpfer zeigen in der Tat durch den Einsatz ihres Lebens in jeder Minute, daß wir ein Interesse über alles stellen: Die Befreiung des unterdrückten deutschen Volkes vom grausamen Joch Hitlers. Für diese Aufgabe wollen wir ehrlich die Schaffung der Einheitsfront mit allen Organisationen der Sozialdemokratischen Partei im Lande und auch mit dem Parteivorstand in Prag. Für diese Aufgabe erstreben wir mit allen Organisationen der Hitlergegner die breiteste Volksfront. Die Einheitsfront, die im gemeinsamen Kampf in den Betrieben, Gebieten und im Reich zwischen den Funktionären und Organisationen der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei geschaffen wird, bedeutet eine große Förderung des Zusammengehens aller antihitlerischen Volksschichten und ihrer Organisationen, einschließlich der Katholiken und Demokraten, in der Volksfront. Bei den Vertrauensrätewahlen und in zahlreichen Widerstandsbewegungen der Arbeiter wurde in den Betrieben bereits von unten her einheitlich gehandelt. Es gibt schon viele Beweise dafür, dass das gemeinsame Vorgehen in der Solidarität für die politischen Gefangenen und ihre Familien, in der gemeinsamen Abwehr von Lohnabbau, im gemeinsamen Wiederaufbau der Betriebsgruppen, der freien Gewerkschaften, in der Mobilisierung der Bevölkerung gegen Verhaftungen und faschistische Morde Erfolge erringen kann. In einigen Betrieben und Orten kamen Kampfverbindungen1 zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Funktionären und Organisationen zustande. Kommunisten, Sozialdemokraten, Freigewerkschafter und christliche Arbeiter unterstützten sich gegenseitig im Kampfe gegen Faschismus. In München unterstützten die Kommunisten die katholischen Sammler bei der Caritas-Sammlung, als diese von SS-Leuten brutal überfallen und niedergeschlagen wurden, so wie Antifaschisten in vielen Teilen des Reiches ihren katholischen Kameraden gegen den Naziterror zu Hilfe geeilt waren. Die Hetze des »Völkischen Beobachter« gegen das Münchener Katholiken-Flugblatt der Kommunisten2 unterstreicht nur die Furcht der Faschisten vor aera gemeinsamen Kampf von Kommunisten und Katholiken gegen den gemeinsamen Feind, das Hitlerregime. -
58
10.1 KPD, Was eint die Volksfront?
Es
gibt
nur
eine
Voraussetzung für die
Einheitsfront und die Volksfront: der
Wille, gemeinsam gegen den gemeinsamen Feind Hitler zu kämpfen. Was eint die Volksfront? In welchen Forderungen kann sie, ohne Unterschied der politischen Wichtung, der Weligion und der Weltanschauung, weitgehend übereinstimmen? Wir sind der Meinung, daß ein Zusammenschluß aller antihitlerischen Parteien und Gruppen zur Volksfront für folgende Forderungen möglich ist: Für Meinungs- und Gewissensfreiheit, für Freiheit in Wort und Schrift, in Kunst und Wissenschaft; für Koalitionsfreiheit, für Wiederherstellung des Wechtes der Wahl von Leitungen und Funktionären in den Vereinen; für Amnestie der11 politischen Gefangenen; für die Freiheit der gewerkschaftlichen Interessenvertretung und Organisationen; Schluss mit der unerträglichen Senkung der Löhne, Gehälter, Unterstützungen und sozialen Wenten! Weg mit dem Sammlungswesen*! Das Volk will höhere Löhne und eine gesicherte Lebensexistenzen [sie]/ Herabsetzung der Steuern für Mittelstand und Bauern; Wiederherstellung des freien Marktrechtes für die Bauern; Befriedigung5 der Bodennot der Bauern! Freie und geheime Wahl undfreie Kandidatenaufstellung zu den Gemeindevertretungen und zu allen öffentlichen Körperschaften! | S. 21 Der Kampf des deutschen Volkes für diese Forderungen ist der Weg zum Sturze Hitlers. Die Volksfront wird sich im Kampfe für diese Forderungen die gemeinsamen Organe schaffen müssen, mit Hilfe legaler hitlergegnerischer Funktionäre und Leitungen von Organisationen, z. B. in Form von vorläufig illegalen Komitees oder dergleiwie sie nach den betrieblichen örtlichen und chen, je Bedingungen zweckentsprechend sind und vor der Gestapo am besten gesichert werden können. Durch eine gemeinsame antifaschistische Tätigkeit in den faschistischen Massenorganisationen gilt es, alle legalen Möglichkeiten auszunutzen, die nationalsozialistische Demagogie über den »Kampf gegen die Reaktion«, für den »gerechten Lohn«, für die »Selbstverwaltung« und den »Sozialismus«, gegen den Faschismus selbst zu kehren und die Massen zur Durchbrechung der faschistischen Totalität zu führen. Das ist umso eher möglich, als jene Massen, die in die Organisationen gepreßt wurden, immer mehr die Einlösung der nationalsozialistischen Versprechungen und die Vertretung ihrer Interessen in den Organisationen fordern und dabei in Widerspruch geraten zur Politik der faschistischen Führer. Insbesondere ist ein gemeinsames Vorgehen zur Eroberung der unteren Funktionen in der Deutschen Arbeitsfront notwendig. Nicht in diesen Organisationen zu arbeiten, würde bedeuten, in Passivität zu verfallen und auf die Gewinnung der breitesten Massen zum Kampfgegen Hitler zu verzichten. Die breitesten6 Massen in Deutschland diskutieren die Frage: Was kommt nach Hitler? 59
II. Manifeste und
Kampfprogramme
grundsätzlichen Überzeugung der Notwendigkeit der eines Sowjetdeutschlands als der einzigen wirklichen Befreiung des Schaffung werktätigen Volkes abzugehen, sind wir Kommunisten bereit, auch eine andere Regierung, eine Regierung der Einheitsfront oder der Volksfront zu unterstützen, und unter bestimmten Bedingungen auch an einer solchen Regierung teilzunehmen, wenn die werktätigen Massen noch nicht zum Kampf für die Sowjetmacht bereit sind und sich für eine solche Regierung der Einheitsfront und der Volksfront aussprechen. Eine solche Regierung wird wie Genosse Dimitroff auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale sagte [»]vor allem eine Regierung des Kampfes gegen Faschismus und Reaktion sein«. Die Kommunisten sind dafür, daß nach dem Sturze Hitlers das Volk frei über seine Zukunft entscheidet. Die siegreiche Volksfront muß die freie Entscheidung des Volkes sichern. Deshalb sind wir Kommunisten auch für die Ohne
von unserer
-
—
Wahl einer Nationalversammlung auf Grund einer gesicherten, freien, allgemeinen, gleichen und direkten Wahl. Wir sind überzeugt, daß die schweren Erfahrungen des Hiderfaschismus für alle freiheitsliebenden Menschen in Deutschland eine große Lehre sein werden, nicht die Fehler der Nationalversammlung von 1919 zu wiederholen und die erkämpften demokratischen Freiheiten erneut preiszugeben. Unser Zentralkomitee hat durch seinen Beschluß vom Januar 1935 und durch ihre [sie] Redner auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale klar zum Ausdruck gebracht, daß wir Yj^mmavasten fürjede Maßnahme sind, die das Hitlerregime schwächen und die Front der Hitlergegner stärken kann. Wir Kommunisten sind selbstverständlich bereit, uns mit diesen Organisationen und Gruppen auch über jeden Vorschlag, der geeignet ist, Hider zu bekämpfen, zu verständigen. In verschiedenen Auslandsorganen der Hidergegner wird seit einiger Zeit über die Schaffung eines Komitees aus Vertretern der antihitlerischen Organisationen diskutiert. Wir Kommunisten sind der Meinung, daß die Führung dieses Kampfes nur durch die Organisationen im Lande selbst, durch die Einheitsfront- und Volksfrontorgane erfolgen kann. Zur Unterstützung des Kampfes im Lande sind wir aber auch für die Schaffung eines breiten Komitees im Ausland, dem in Deutschland und im Ausland tätige Vertreter der KPD, der SPD und aller antihiderischen Massenorganisationen angehören. Eine solche Zusammenarbeit würde sofort die Bewegung auf eine viel breitere Basis bringen. Ein solches Komitee der sich entwickelnden Volksfront würde die Zusammenfassung und Aktivierung aller antihiderischen Kräfte im Lande fördern. Sie würde den Willen in breiten Volksmassen stärken, daß sich, wie in Frankreich, auch eine gewaltige Volksfront in Deutschland bildet. Von höchster Bedeutung für die Einberufung einer solchen Beratung von Vertretern der Organisationen und für die Bildung eines Komitees wäre die Verständigung zwischen KPD und SPD über die nächsten
60
gemeinsamen Maßnahmen.
10.1 KPD, Was eint die Volksfront?
Schaffen wir die Einheitsfront! Schaffen wir den Zusammenschluß aller Hidergegner in der Volksfront! Das geknechtete und leidende deutsche Volk ruft nach Freiheit und nach dem Zusammenschluß aller Kräftefür den Sturz Hitlers.
Anmerkungen
der
Herausgeberin:
1
RF: »Kampfvereinbarungen« Vgl. Flugblatt der »K.P.D. Südbayern!«: »An die katholische Bevölkerung Münchens!«, o. J. [1935], in: Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD im Spiegel des Flugblattes 1933-1945, mit einer Einführung von Margot Pikarski und Günter Uebel, Berlin 1978, Dok. 55: Faksimile des offensichtlich masch. vervielfältigten Flugblatts 3 2
4
5 6
RF: »für die« RF: »Sammelunwesen« RF: »Befreiung« RF: »breiten«
61
Dokument 10.2
KPD, Manifest der »Brüsseler« Parteikonferenz
Endgültige Fassung vom Vorlage: Standort: Druck:
1. Dezember 1935
Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Basel, 1935, Nr. 73, 12. Dezember, S. 2823-2825; 200 x 270 mm IISG 1935 Der Gegen-Angriff, Nr. 50, 14. Dezember, S. 1f. (mit geringen Textabweichungen); Wilhelm Pieck, Der neue Weg zum gemeinsamen Kampf für den Sturz der Hitlerdiktatur. Referat und Schlusswort auf der Brüsseler Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands (Oktober 1935). Anhang: Resolution und Manifest der Parteikonferenz, Strasbourg: Éditions Prométhée; Tarnschrift: Philosophie, Leipzig: Verlag für Kunst und Wissenschaft Albert Otto Paulo. J., S. 104-108; 1936 Tarnschrift: Wie unsere Kakteen gepflegt werden müssen. Laß Blumen sprechen! Kakteen nicht vergessen!, hrsg. und den Kakteen-Liebhabern gewidmet von Dr. Burchard & Cie, Chem. Fabrik, Köln-Lindenthal (Wissenschaftliche Abteilung), o.
O.,
o.
J.;
Tarnschrift: Gütermanns Kalender 1936, Hamburg: J. Petersen o. J., S. 105-109; Wilhelm Pieck, Der neue Weg zum gemeinsamen Kampfe für den Sturz der Hitlerdiktatur. Referat und Schlußwort auf der Brüsseler Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands, Oktober 1935. Anhang: Resolution und Manifest der Parteikonferenz, Moskau: Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der
UdSSR; 1947 Wilhelm Pieck, Der neue Weg zum gemeinsamen Kampfe für den Sturz der Hitlerdiktatur. Referat und Schlußwort auf der Brüsseler Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands Oktober 1935. Anhang[:] Resolution und Manifest der Parteikonferenz, Berlin, S. 188-195; mehrere Nachaufl.; 1967 Revolutionäre deutsche Parteiprogramme. Vom Kommunistischen Manifest zum Programm des Sozialismus, hrsg. und eingel. von Lothar Berthold und Ernst Dlehl, Berlin, S. 155-161 (nach: Rundschau); 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 203f. (Auszüge); 1997 Protokoll der »Brüsseler Konferenz« der KPD 1935. Reden, Diskussionen, Beschlüsse, Moskau vom 3.-15. Oktober 1935, hrsg. von Erwin Lewin, Elke Reuter und Stefan Weber, München, Teil 2, S. 828-831 (nach: SAPMO BArch RY 1/1 1/1/43, Bl. 383-387, Protokollseiten 1-5) Bis auf die Publikation von 1997 weisen alle fälschlich das Datum »Oktober 1935« aus. Zum Kontext in den Programmdebatten, zu inhaltlichen Abweichungen von Dokument 10.1 in diesem Band und zum Entwurf des Manifests auf der »Brüsseler« Konferenz siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 247, 275 und 345, sowie Band 2, S. 43, 54, 474ff, 486, 522f. und 524
An das
werktätige deutsche Volk!
Arbeiter, Angestellte, Beamte, Intellektuelle, Mittelständler, Bauern! In schwerer, ernster Zeit wendet sich die Kommunistische Partei Deutschlands Euch! Unsagbar leidet unser ganzes werktätiges Volk und seine Jugend unter den gegenwärtigen Zuständen in Deutschland, unter der faschistischen Entrechtung und Unterdrückung, unter der drohenden Kriegsgefahr, unter der Zerstörung der deutschen Kultur, unter der allgemeinen Not, die die Hitierdiktatur über unser Land gebracht hat. an
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10.2 KPD, Manifest der »Brüsseler« Parteikonferenz
Was hat Hitler Euch nicht alles versprochen, noch mit seiner Partei um die Macht kämpfte? Höhere Löhne und niedriden Arbeitern, gesicherte wirtschaftliche Existenz dem Mittelstande, Preise gere Land und hohe Preise den Bauern, Freiheit allen Werktätigen. Und was ist jetzt das Resultat der fast dreijährigen Hitler-Diktatur? Immer klarer wird es: Das werktätige Volk wurde von Hitler betrogen! Jeder Tag offenbart immer mehr, daß die Lage der werktätigen Massen immer schlechter wird. Die Löhne sinken, die Preise steigen. Mittelständler und Bauern geraten in immer tiefere Schuldenknechtschaft. Kultur und Wissenschaft werden zerstört. Die wirkliche Intelligenz wurde mundtot gemacht oder des Landes vertrieben. Die Gläubigen werden verfolgt. Mit unerhörtem Terror, Meuchelmorden, Folterungen wehrloser Gefangener, Bluturteilen schwerster Art und dem Henkerbeil wird gegen die Opposition vorgegangen, um die Herrschaft des Faschismus zu sichern. Das alles hat Hitler über unser Volk und Fand gebracht. Schwer muß das werktätige Volk dafür büßen, daß es den Versprechungen Hiders Glauben schenkte, daß es ihm folgte und dem Finanzkapital die Aufrichtung der faschistischen Diktatur ermöglichte. Ernst und groß steht vor dem werktätigen Volke die Frage, ob das so weiter gehen soll, oder ob nicht eine Möglichkeit besteht, sich von dieser Pest der faschistischen Diktatur wieder zu befreien. Werktätiges deutsches Volk! Wir rufen Dich %um Kampf! Wir, die zu einer Reichskonferenz der illegal kämpfenden Kommunistischen Partei Deutschlands in Brüssel versammelten Männer, Frauen und Jugendlichen aus dem Lande, die täglich im Kampfe gegen die faschistische Diktatur stehen. Wir Kommunisten erheben unsere Stimme %u Euch! Tausende von Kämpfern aus unseren Reihen wurden wegen ihres Kampfes für die Freiheit des Volkes ermordet. Kein Tag seit der Errichtung der faschistischen Diktatur war ohne unseren Kampf. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer der Kampf ist. Die faschistische Diktatur mit ihrem umfassenden Machtapparat lastet wie ein Bleigewicht auf dem deutschen Volke. Aber im werktätigen Volke ruht die Kraft, diese Last von sich abzuschütteln. Eines ist dafür erforderlich: Vereinigen wir uns %um gemeinsamen Kampfe! Wir Kommunisten unterbreiten Euch unser Kampfprogramm gegen die faschistische Diktatur, für die Freiheit, den Frieden und die Sicherung der Existenz aller Werktätigen. Wir stellen an die Spitze des Programms den Kampf | S. 28241 für die Freiheit des werktätigen Volkes, für die Wiederherstellung demokratischer Freiheiten und Rechte, für volle Organisations-, Versammlungs- und Pressefreiheit, für Glaubens- und Gewissensfreiheit,
als
er
63
II. Manifeste und
Kampfprogramme
für Gleichheit aller
Staatsangehörigen,
ohne Unterschied ihrer
Religion
und
Rasse, für die
Befreiung Thälmanns, Mierendorffs, Ossietzkis [sie] und aller anderen eingekerkerten Antifaschisten, und aller wegen Verletzung der volksfeindlichen Nazigesetze in den Kerkern sitzenden Volksgenossen[J für eine allgemeine Weihnachts-Amnestie! Wir Kommunisten kämpfen für die nationale Freiheit des deutschen Volkes! Wir sind für die resdose Beseitigung des Versailler-Diktats und für die freiwillige Wiedervereinigung aller durch dieses Diktat auseinandergerissenen Teile des
deutschen Volkes in einem freiheitlichen Deutschland! Das soll nicht durch den Krieg, sondern auf dem Wege einer friedlichen Verständigung mit den Nachbarvölkern erfolgen. Werktätiges deutsches Volk! Die Hider-Regierung treibt mit ihrer provokatorischen Außenpolitik, die besonders gegen die Sowjetunion gerichtet ist, das deutsche Volk in einen neuen Krieg, der zu einer schweren Niederlage führen muß. Alle friedensliebenden Menschen in der ganzen Welt sehen in dieser Regierung den Brandstifter eines
Weltkrieges. Krieg gegen die Sowjetunion. Seine Friedensphrasen sollen nur das werktätige Volk täuschen. Die ungeheuren Kriegsrüstungen sprechen eine andere Sprache. Hider will den italienischabessinischen Krieg für die Verwirklichung der Kriegspläne des deutschen Imperialismus ausnützen. Seine Drohungen gegen Litauen und andere benachbarte Länder im Osten sind auf die Schaffung eines Aufmarschgebietes gegen die Sowjetunion gerichtet. Das deutsche Volk braucht aber dringend die Verständigung mit dem großen Sowjetlande. Wir Kommunisten rufen auf %um Kampfefür die Erhaltung des Friedens, gegen die Kriegspolitik der Hitler-Regierung! Die Kriegspolitik nützt nur den Kanonenkönigen, den Kriegsgewinnlern; den Krupp und Thyssen, den Finanzräubern, den ostelbischen Junkern und neuen
Hitler will den
Bauernschindern, und der ganzen Schicht der braunen Bonzen, die sich auf
Kosten des Volkes mästen wie die Maden im Speck. Hitler hat im Interesse dieser Kriegspolitik das deutsche Süd-Tirol, den Polnischen Korridor und Oberschlesien preisgegeben, um si[ch] Verbündete für den Krieg gegen die Sowjetunion zu schaffen.1 Nur der Sturz der Hitlerregierung vermag das deutsche Volk vor diesem Kriegsverbrechen zu retten. Zu diesem Kampfe muß sich das ganze werktätige Volk zusammenfinden, muß es sich um das Freiheits- und Friedensprogramm der Kommunisten scharen, muß dafür alle seine Kräfte einsetzen. Werktätige in Stadt und Fand! Die Not im Lande wächst zusehends. Schaut um Euch. Ein harter Winter hat begonnen. Die Teuerung wächst. Vor den Lebensmittelläden stehen wieder Schlangen von Menschen an. Es mangelt an Butter, Schweinefleisch, Marga64
10.2 KPD, Manifest der »Brüsseler« Parteikonferenz
rine, Eiern und vielem anderem. Die Reichen haben alles im Ueberfluß! Nur Euch, den Werktätigen[,] fehlt es. Goebbels und Hitler sagen Euch: der Himmel sei daran schuld. Die Lebensmittelfehlen, weil Hitler Kanonen baut. Die für die Einfuhr von Lebensmitteln erforderlichen Devisen werden für die Einfuhr von Rohstoffen für die Kriegsrüstungen verbraucht. Je mehr Hitler Kanonen und Flugzeuge bauen läßt, desto mehr muß das werktätige Volk in den Städten hungern, desto mehr wird der Bauer ruiniert. Die Kapitalsgewinne, die Direktorengehälter, die Tantiemen und Dividenden steigen, aber dem werktätigen Volke werden die Einkünfte geschmälert, werden die Lebensmittel vorenthalten. Wir Kommunisten kämpfen gegen den Wirtschaftskurs der Hitler-Wegierung, der den Massen Not und Elend bringt. Wir rufen alle Werktätigen auf, sich mit uns zu vereinigen zum Kampfe für Teuerungsausgleich und ausreichende Löhne und Gehälter; für gesteigerte Zufuhr von Lebensmitteln; für ernste Winterhilfe an alle Hungernden und Frierenden; für Wiederherstellung der Arbeitslosen- und Sozialversicherung und der Sozialrenten;
für Steuererleichterungen und Brechung der Zinsknechtschaft des Mittelstandes und der Bauern; für den freien Verkauf der Arbeitsprodukte der Bauern zu lohnenden Preisen; für Beseitigung der Zwangswirtschaft; für Rückzahlungen aller Subventionen, die an Großagrarier und Großindustrielle gezahlt wurden! Werktätiges deutsches Volk! Das ist unser Kampfprogramm gegen die faschistische Diktatur. Wir sind überzeugt, jeder von euch ist damit einverstanden. Aber es kommt darauf an, dieses Programm in die Tat umzusetzen, die Forderungen zu verwirklichen. Wir Kommunisten stellen uns das nicht leicht vor. Wir wissen, daß das ein opfervoller und schwerer Kampf ist. Aber ohne den Kampf der Mehrheit des werktätigen Volkes wird es keine Freiheit, sondern Knechtschaft, Krieg und Massenelend
geben.
Der Zusammenschluß aller werktätigen Hitler-Gegner zum Kampfe für ein neues, freies Deutschland ist möglich und notwendig. Der beste Teil des werktätigen Volkes hat bereits mit dem Kampf gegen die Hider-Diktatur begonnen. In Fabriken und Kontoren, in den Schächten und Häfen vereinigen sich Arbeiter und Angestellte, in den Städten Handwerker und Kaufleute, in den Dörfern die Bauern zu diesem Kampfe. Das aus dem Lande vertriebene geistige Deutschland erhebt seine Stimme. Die Schaffung der Einheitsfront ist das Gebot der Stunde! Wir Kommunisten bieten dem Parteivorstand und allen Organisationen der Sozialdemokratie die Hand zum Abschluß von Einheitsfront-Abkommen. In den
65
II. Manifeste und
Kampfprogramme
Betrieben, in allen Orten muß die Einheitsfront zwischen der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei hergestellt werden. Gemeinsam muß der einheitliche Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften gefördert werden. Wir Kommunisten sindfür die breiteste Volksfront! Gemeinsam mit der Sozialdemokratischen Partei, mit der Zentrumspartei, den Demokraten und mit allen Organisationen des werktätigen Volkes muß die Volksfront gegen Hitler, gegen die faschistische Diktatur, für deren Sturz geschaffen werden. Alle Menschen und Gruppen, die diesen Kampf wollen, müssen in dieser Front vereinigt werden. Werktätige in Stadt und Fand! Schreiten wir deshalb zum Zusammenschluß, zur Tat! Vereinigen wir uns zum gemeinsamen Kampf für Freiheit, Frieden und Brot! Wenn wir überall gemeinsam unsere Forderungen aufstellen, wenn wir nirgends und niemals die braunen Bonzen in Ruhe lassen, ihnen immer wieder unsere Forderungen entgegenstellen, dann wird bald im ganzen Lande die Volksfrontbewegung entflammen, dann wird kein Hitler und kein Göring diese Bewegung mehr aufhalten können, dann wird sie über das faschistische Regime hinweggehen und seine Vertreter zum Teufel jagen! Wir Kommunisten wollen den Sieg der Sowjetmacht! Der endgültige Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion, begleitet vom wachsenden Wohlstand aller Werktätigen in diesem Lande, vom Aufstieg der Kultur und des Lebensniveaus zeigt allen Werktätigen den Weg aus der kapitalistischen Knechtschaft, den Weg zur Freiheit und zum Wohlstand. Wir Kommunisten wissen, daß es über dieses Kampfziel noch Meinungsverschiedenheiten im werktätigen Volke gibt, daß die Mehrheit noch nicht zum Kampf für dieses Ziel bereit ist. Aber das darfunsjet^t im Kampfe gegen die faschistische Reaktion nicht trennen! Wir schließen keineswegs aus, daß nicht auch eine Regierung der Einheitsfront oder Volksfront sich als möglich und notwendig erweisen kann. Jedenfalls soll und wird das werktätige Volk Deutschlands beim Sturze der Hider-Diktarur selbst über die Regierung entscheiden. Wir Kommunisten werden unter jeder Regierungsform für die Interessen der werktätigen Massen kämpfen! Werktätiges deutsches Volk! Wir rufen dich auf! Nimm in allen deinen Schichten Stellung zu diesem Programm gegen die Hider-Diktatur! Verständigen wir uns im Betrieb, in der »Deutschen Arbeitsfront«, in der NS-Hago2, in den Handwerker-Innungen, in den Organisationen des Reichsnährstandes, in der NS-Volkswohlfahrt, im Deutschen Schriftstellerverband, in allen übrigen Massenorganisationen über gemeinsame Kampfaktionen! | S. 2825 | Zögern wir nicht länger! Fragen wir gemeinsam die großen Losungen des antifaschistischen Kampfes durch das Fand! Gegen die Kriegspolitik Hiders, die das deutsche Volk in die Katastrophe führt! 66
10.2 KPD, Manifest der »Brüsseler« Parteikonferenz
Für die Erhaltung des Friedens! Für die Wiederherstellung der demokratischen Volksfreiheiten! Für ausreichenden Lebensunterhalt und Sicherung der Existenz aller Werk-
tätigen!
Es lebe die Einheitsfront und Volksfront gegen die Hitler-Diktatur! Es lebe der Freiheitskampf des werktätigen deutschen Volkes!
Oktober 1935.
Die Weichsparteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Anmerkungen der Herausgeberin: 1 Im Gegen-Angriff und bei Lewin/Reuter/Weber, Protokoll der »Brüsseler Konferenz«, Teil 2, S. 830, folgt die resümierende Zwischenüberschrift: »Die Hitlerregierung treibt den schlimmsten Landes-
verrat!« Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und
2
Gewerbeorganisation
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Dokument 11
Sozialdemokraten und Kommunisten protestieren gemeinsam Dezember 1935
Vorlage: Standort: Druck:
Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront, hrsg. von der Deutschen Freiheits-Bibliothek in Paris, Basel 1936, S. 26-27; Broschüre, 155 x 235 mm IISG 1935 Pariser Tageblatt, Nr. 740, 22. Dezember, S. 2; Der Gegen-Angriff, Nr. 52, 28. Dezember, S. 1f; 1936 Die Neue Weltbühne, Nr. 1, 2. Januar, S. 28 (Auszug); Das Tribunal. Zentralorgan der Roten Hilfe Deutschlands gegen Klassenjustiz, Faschismus und weißen Terror, Januar, S. 1: »Gemeinsame Anklage« (Auszüge); Sozialistische Aktion, Nr. 1, Januar, S. [5] (Auszug);
Flugblatt;
weitere (Teil-)Drucke laut »Eine Aufgabe« (hier Vorlage), S. 28, in: L'Information, L'Ère nouvelle, La République, L'Aube, L'Œuvre, Le Populaire, L'Humanité, Le Peuple, El Socialista, Política, Volksrecht, Der öffentliche Dienst und in »skandinavischen, amerikanischen und Zeitungen anderer Länder«; 1966 Autorenkollektiv unter der Leitung von Walter Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 5, Berlin, S. 475f. (Auszüge nach: Einheit für Hilfe und Verständigung [sie, richtig: Verteidigung], 1936, Nr. 1, S. 21f.); 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 207-209 Zu Kontext, Reaktionen und Instrumentalisierung siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 306-311, sowie Band 2, S. 64, 297f. und 568
Gemeinsamer Protest deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten gegen den Justizmord an Rudolf Claus
Hinrichtung des deutschen Kommunisten Rudolf Claus ist eines der schlimmVerbrechen, deren sich die gegenwärtigen Machthaber Deutschlands schuldig gemacht haben! Kein anderes Verbrechen konnte Rudolf Claus zur Last gelegt werden als seine politische Gesinnung, als seine Tätigkeit für die Rote Hilfe, als die solidarische Unterstützung notleidender Frauen und hungernder Kinder von politischen Gefangenen. Schon sind 59 deutsche Antifaschisten durch das Henkerbeil geköpft worden! Die
sten
Schon sind Tausende von Sozialdemokraten, Kommunisten, Katholiken und unpolitischen Juden in Konzentrationslagern, Gestapo-Kerkern, in ihren eigenen Wohnungen und sogar auf offener Strasse erschlagen, erschossen oder zu Tode gefoltert worden. Niemals haben diese viehischen Morde je eine Sühne gefunden. Mit der Hinrichtung Rudolf Claus' aber liegt der erste Fall vor, wo ein deutsches Gericht einzig und allein wegen Meinungsverbrechen ein Todesurteil gefällt hat. Das freie Denken ist als Landesverrat erklärt und wird unter das Schafott geschleppt. Wir deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten stellen angesichts dieses eklatanten neuen Mordes unsere prinzipiellen Gegensätze und taktischen Meinungsverschieden-
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11. Gemeinsamer Protest gegen den Justizmord
an
Claus
heiten zurück, um uns ^um ersten Male in einer gemeinsamen öffentlichen Anklage gegen das schuldige Regime zusammenzufinden. Wir weisen insbesondere die öffentliche Meinung der zivilisierten Länder auf die empörende Tatsache hin, dass der hingerichtete Rudolf Claus ein Schwerkriegsbeschädigter war; ihm wurde als Soldat im Felde, infolge eines Schrapnellschusses, eine Hand völlig gelähmt. Um ihn noch vor seiner Hinrichtung zu quälen und zu demütigen, verhaftete man seine Frau und überführte seine beiden unmündigen Kinder in eine Zwangserziehungsanstalt. Während das Naziregime sich im Namen einer geheuchelten Solidarität an die Frontkämpferverbände Frankreichs und Englands heranmacht, um eine gegenseitige Verbundenheit vorzutäuschen und um sie für die innen- und aussenpolitischen Zwecke der faschistischen Diktatur einzuspannen und zu missbrauchen, beweist das Regime durch die Hinrichtung von Claus seinen absoluten Mangel an Ehrfurcht und Anstand gegenüber den Opfern des Weltkrieges. Das Regime, das den Kommunisten Rudolf Claus hat hinrichten lassen, der vor 20 Jahren auf dem Schlachtfelde Leben und Gesundheit aufs Spiel setzte, ist das gleiche, das heute den Schwerkriegsbeschädigten sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Carl Mierendorf[f] (schwere Bauchschüsse), den kommunistischen Führer und ehemaligen Frontsoldaten Ernst Thälmann, den so-1S. 27 |zialdemokratischen Gewerkschaftsführer und Schwerkriegsbeschädigten Schumacher (rechter Arm in Achselhöhe amputiert), den Schwerkriegsbeschädigten kommunistischen Abgeordneten Hugo Graf, den Schwerkriegsbeschädigten sozialdemokratischen Abgeordneten Ernst Heilmann (ein Auge verloren), den im Kriege verschüttet gewesenen kommunistischen Abgeordneten Willi Kasper und den aufrechten Friedenskämpfer Carl von Ossietzky seit mehr als 30 Monaten in den Gefängnissen des Dritten Reiches ohne Anklage eingesperrt hält. Mit ihnen werden Zehntausende von Freiheitskämpfern in der bestialischsten Weise physisch gefoltert und seelisch gepeinigt, meist von jungen Rowdies der Gestapo, der SA und SS, die in den Kriegsjahren noch nicht die Schule besuchten. Wir deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten, die im Auslande leben, wissen: die Sühne für die Kette scheusslicher Verbrechen kann und wird nur vom deutschen Volk selbst, von innen heraus, vollzogen werden! Aber indem wir uns an die Oeffentlichkeit der gesamten Kulturwelt und insbesondere an deren ehemalige Frontkämpfer wenden, die das Naziregime zu missbrauchen versucht, um die kriegerischen Vorbereitungen des Verfassers von »Mein Kampf« umso leichter zu vollenden, wollen wir den gesitteten, den zivilisierten Menschen der ganzen Welt dartun: dieses Regime der Heuchelei, der Barbarei und Knechtschaft hat nichts zu tun mit dem wirklichen deutschen Volk, welchem wir uns durch die Bande der Heimat und unseres gemeinsamen Kampfes verbunden fühlen. Wir Sozialdemokraten und Kommunisten richten in heiliger Empörung im Angesicht des Märtyrertodes von Rudolf Claus an alle freiheitlich denkenden Menschen der Welt, an alle zivilisierten Staaten den feierlichen Appell: 69
II. Manifeste und
Kampfprogramme
Durch die Kraft des Weltprotestes den Morden und der Barbarei im Dritten Reiche Einhalt zu gebieten! Nur durch die Kraft brüderlicher Solidarität, für die Rudolf Claus sein Leben hingab, können neue Hinrichtungen und Morde verhindert, kann die Folterung in den Nazigefangnissen abgeschafft, können die Kerkertore von Mierendorff, Thälmann, Schumacher, Heilmann, Neubauer und Ossietzky aufgestossen und kann all unseren gequälten und todbedrohten Brüdern die Freiheit erkämpft werden. Unterschriften: Sozialdemokraten: Victor Schiff'(ehem. Redakteur des »Vorwärts«) Wudolf Breitscheid (ehem. M.d.R. und Völkerbundsdelegierter) Kirschmann (ehem. M.d.R.) Max Braun (ehem. Mitglied des Saar-Parlamentes) Brauer (ehem. Oberbürgermeister von Altona). Kommunisten: Willi Münzenberg (ehem.
M.d.R.) Philipp Dengel (ehem. M.d.R.) Wilhelm Koenen (ehem. M.d.R.) Hans Beimler (ehem. M.d.R.).
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Dokument 12
Lutetia-Konferenz, Manifest vom
2. Februar 1936
Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront, hrsg. von der Deutschen Freiheits-Bibliothek in Paris, Basel 1936, S. 29-30; Broschüre, 155 x 235 mm Standort: IISG Druck: 1936 Der Gegen-Angriff, Nr. 8, 22. Februar, S. 2; Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Nr. 10, 27. Februar, S. 393f; Pariser Tageblatt, Nr. 808, 28. Februar, S. 2; Neue Front, Nr. 5, Anfang März, Beilage S. 2; 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 209f. (nach: Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront) Zu Entstehung, Kontext und Rezeption siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 308, 337, 338, 339 und 358, sowie Band 2, S. 42, 58, 64 und 222
Vorlage:
Für eine
gemeinsame Amnestieaktion
Am 2. Februar 1936 hat eine Tagung von Vertretern der gesamten deutschen Opposition im Auslande stattgefunden, der für die Weiterentwicklung der Oppositionsbewegung gegen Hitler grosse Bedeutung zukommt. An der Tagung haben 118 Vertreter, darunter besonders zahlreiche Vertreter oppositioneller deutscher bürgerlicher Gruppen und Vertreter aller deutschen Arbeiterparteien und -Organisationen, von den Christlichen Gewerkschaften bis zu den Kommunisten, teilgenommen. Es ist dies seit Antritt der Hitlerregierung das erste Mal, dass sich Delegierte der verschiedenen sozialistischen Strömungen untereinander, und auch bürgerliche Vertreter mit Vertretern der extremen Linken versammelt haben. Nach einer eingehenden Diskussion hat die Tagung einstimmig das nachfolgende Dokument für die Einleitung einer grossen internationalen
Amnestiebewegung angenommen: AN ALLE Seit drei Jahren sitzen Tausende der besten Deutschen in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Sie sind gefangen und werden gequält, nur wegen ihrer Gesinnung, Religion oder Rasse. Viele sind weder verurteilt, noch haben sie jemals ein Prozessverfahren gehabt. Viele wurden verurteilt, haben ihre Strafe verbüsst und werden dennoch weiter festgehalten. Viele Frauen sind als Geiseln für ihre Männer seit Jahren festgesetzt und erdulden Misshandlungen. Seit fast drei Jahren befinden sich Ernst Thälmann, Mierendorff und Ossietzky in der Gewalt ihrer Feinde, ohne dass sie bisher wagten, den Prozess gegen sie durchzuführen.
-1
II. Manifeste und
Kampfprogramme
Männer und Frauen der ganzen Welt, dies ist noch nicht alles! Das Dritte Reich vermehrt unablässig seine Opfer. Gerade in der letzten Zeit hat eine Flut von politischen Massenprozessen eingesetzt, bis zu 600 Angeklagten stehen auf einmal wegen staatsfeindlicher Umtriebe vor Gericht. Ein vierzehnjähriger Gymnasiast, der Katholik ist, sitzt als Staatsfeind im Gefängnis. In ewiger Furcht um ihre Existenz, in tödlicher Angst vor der unausbleiblichen Strafe füllen die nationalsozialistischen Machthaber ihre grauenhaften Kerker mit immer neuen Zehntausenden. Die Zahl der Hinrichtungen und heimlichen Morde steigt ins Unermessliche. In diesem Deutschland verschwinden die Menschen und niemand darf nach ihnen fragen. So verschwinden dort Gesittung und Recht, ohne dass nach ihnen gefragt würde, und was übrig bleibt, ist die Gewalt, gepaart mit dem Betrug. Die deutschen Machthaber betrügen Euch, Männer und Frauen der ganzen Welt! Sie täuschen Euch in Worten, Reden, interna-|S. 30|tionalen Verhandlungen und Veranstaltungen einen Staat vor, der wie jeder andere wäre, und Zustände, in denen sich es leben liesse. Das ist nicht wahr! In jenem Deutschland herrscht das entmenschte Verbrechen, herrscht das seelenloseste Unheil, das in geschichtlicher Zeit jemals Gestalt angenommen hat. Um sogar die Erinnerung an die Freiheit und das Glück des Menschen zu unterdrücken, ist aus dem »deutschen Recht« der Begriff und Name des Menschen gestrichen. Es gibt in dem unseligen Land nur noch Produkte der Rassenzüchtung und Objekte der Willkür: Menschen soll es nicht mehr geben. Verhindert das Schlimmste! Rechtschaffene Menschen der ganzen Welt, denkt daran, dass Euresgleichen im Dritten Reich verfolgt werden, schrecklich leiden und grausam sterben müssen! Schliesst Euch zusammen und fordert die Amnestierung aller Gegner des gegenwärtigen deutschen Regimes. Im besonde-
wird appelliert an die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, die radikalen, liberalen und demokratischen Parteien, an die katholischen und protestantischen Organisationen und an die führenden Männer der Wissenschaft, Kunst, Politik. Ob Christen, Juden, Sozialisten oder Demokraten, Euresgleichen sind alle die deutschen Opfer; gerade die Verschiedenartigkeit zeigt Euch, dass auch Ihr selbst darunter wäret. Befreit den Gefangenen, der schon verzweifelt! Reisst den Todgeweihten vom Richtblock fort! Beweist Kerkermeistern und Henkern, dass Ihr die Stärkeren seid, dass die vereinigte Macht der menschlich Fühlenden sogar die schrecklichste Gewalt des Bösen brechen und entwaffnen kann! Fordert die Amnestie! ren an
Die Parteien haben das Wort... Im Auftrage der Konferenz vom 2. Februar hat sich ihr provisorischer Vorstand an die Vorstände der SPD und KPD, an die Liga für Menschenrechte, an die Vertreter der christlichen Gewerkschaften und an die Vertreter aller deutschen oppositionellen Parteien und Organisationen gewandt mit der Aufforde72
12.
Lutetia-Konferenz, Manifest
rung, unter Hinweis auf das vorstehende Dokument wenigstens in der Frage der Amnestie eine Einheitsaktion herzustellen. Millionen hoffen, dass dieser Ruf Gehör findet und in der Frage der Amnestie unserer Gefangenen die erste gemeinsame Aktion stattfindet.
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Dokument 13
Lutetia-Konferenz, Kundgebung vom
2. Februar 1936
Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront, hrsg. von der Deutschen Freiheits-Bibliothek in Paris, Basel 1936, S. 53-54; Broschüre, 155 x 235 mm Standort: IISG Druck: 1936 Freiheit-Korrespondenz, 4. Februar, Sondernummer (nach der auf der LutetiaTagung vom 2. Februar von einigen Sozialdemokraten, Kommunisten und Sozialisten abgeänderten Fassung); Volksrecht. Sozialdemokratisches Tagblatt. Offizielles Organ der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und des Kantons Zürich, 7. Februar, S. 1 (nach der wie oben abgeänderten Fassung); Pariser Tageblatt, Nr. 793, 13. Februar, S. 1; Le Populaire, 13. Februar, S. 3 (Auszüge in Franz.); L'Humanité, 14. Februar, S. 3 (in Franz., Vorbemerkung mit Hinwels auf 118 Anwesende, Text ohne den Absatz »Sie beschliessen ...«); Das Neue Tage-Buch, H. 7, 15. Februar, S. 151f; Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Nr. 8, 20. Februar, S. 305f. (Auszüge); Materialien zur Volksfront, hrsg. vom AK der KP(D)0, hektographiert, o. O, o. D. [ca. April], S. 17f; Deutsche Volks-Zeitung, Nr. 3, 5. April, S. 3 (Auszug); 1977 Ursula Langkau-Alex, Volksfront für Deutschland?, Frankfurt/M., S. 210-212 (nach: Pariser Tageblatt, Foto der Titelseite des PT auf der vorderen Einbandseite) Der >offiziöse< redaktionelle erste Absatz fehlt bei den meisten anderen Veröffentlichungen. Zu Entstehung und Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 185, 339, 348 und 349-352, sowie Band 2, S. 8, 36, 38, 41, 46-48, 49, 51, 53, 57f, 61, 67, 126 (Anm. 16), 404 und 470
Vorlage:
Kundgebung an das deutsche Volk Auf der »Tagung der Hundert«, die am 2. Februar 1936 stattfand und die das in dieser Broschüre veröffentlichte Manifest AN ALLE für eine gemeinsame Amnestieaktion angenommen hat, wurde gleichzeitig die nachfolgende Kundgebung einstimmig beschlossen: »Über hundert Vertreter des freiheitlichen deutschen Bürgertums und der deutschen Arbeiterschaft aller Richtungen, die Anfang Februar 1936, drei Jahre nach dem Beginn des gegenwärtigen deutschen Regimes, zu einer Tagung im Ausland versammelt waren, beschliessen ihre Prüfung und Aussprache einmütig wie folgt: SIE STELLEN FEST: 1.) Die gegenwärtige deutsche Regierung hat die wirtschaftlichen und sozialen Zustände durch Vergeudung, Rüstung, Zerstörung des Aussenhandels und Zertrümmerung der Kaufkraft zer[r]üttet. Unter diesem Regime ist fortschreitende Verschlirnrnerung unausbleiblich. 2.) Die gegenwärtige deutsche Regierung hat durch das undeutsche System der Willkür, der Gewalt, des Gewissenszwanges und der persönlichen Bereicherung der Machthaber eine tiefe und einheitliche Sehnsucht nahezu aller Deutschen, ^4
13. Lutetia-Konferenz,
Kundgebung
ausgenommen der direkten Nutzniesser des Systems, nach dem Ende dieses Terrors und nach Wiederherstellung der elementarsten Menschenrechte ausgelöst. SIE ERKLÄREN UND FORDERN: 1.) Die Wiederherstellung dieser elementaren Rechte geht in der Gegenwart allem anderen voran. Die einzelnen Parteien und Gruppen werden aufgerufen, sich zusammenzufinden und ohne Aufgabe ihrer programmatischen Ziele ihre ganze Kraft auf die Verwirklichung folgender allgemein gültiger und fundamentaler Postulate zu richten: Freiheit der Gesinnung, der Meinungsäusserung, der Forschung und der Lehre;
|S.54|
Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung; Freiheit der Person; Achtung der Heiligkeit des menschlichen Lebens; Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz; Verantwortlichkeit und Absetzbarkeit der oberen Staatsorgane; Kontrolle über die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben; Ausrottung der Korruption und der parasitären Parteiherrschaft; 2.) Jede Gruppe und alle Einzelnen, die diese elementaren Forderungen als ihre eigenen empfinden, werden feierlich aufgerufen, sich als Kampfgefährten und als Verbündete jeder anderen Gruppe und aller anderen einzelnen zu fühlen und zu betätigen, von denen feststeht, dass sie die gleichen Forderungen als ihre eigenen empfinden. Es ist ihre Pflicht, über alle Klassen-, Gruppen- und Parteischranken hinweg überall und in jeder Lage Freundschaft miteinander zu suchen und zu pflegen, Beistand und Schutz einander zu bieten und zu leisten. 3.) Zur heiligen Pflicht wird diese Haltung in einem Zeitpunkt, in dem durch die höchstgesteigerten militärischen, wirtschaftlichen, moralischen und politischen Kriegsvorbereitungen der gegenwärtigen deutschen Regierung die Gefahr näher rückt, dass das in dem heute wie je massgeblichen Buch »Mein Kampf« klar und ausführlich entwickelte Programm des Vernichtungs- und Eroberungskrieges durchgeführt werden wird. Angesichts dieses Schrecknisses, das Deutschland selbst und die übrige Welt mit Zerstörung bedroht, wird eindringlich festgestellt, dass der Ausbruch oder Nichtausbruch des Verderbens vielleicht davon abhängt, ob und in welchem Grade die Widerstände sich im deutschen Volke verbreitern und zusammenschliessen. Alle Gruppen und alle Einzelnen, die diesem Aufruf zur Bundesgenossenschaft entsprechen, helfen zu ihrem Teil mit, das deutsche Vaterland und Volk und mit ihnen die übrigen Länder und Völker vor der Austilgung durch einen neuen Weltkrieg zu bewahren. -
-
SIE BESCHLIESSEN: Der engere Ausschuss wird beauftragt, durch geeignete Sachbearbeiter eine Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen aufstellen zu lassen. Diese Gemeinschaft hat die Aufgabe, ein Programm auszuarbeiten, das die Grundlage für "5
II. Manifeste und
Kampfprogramme
ein Deutschland der Freiheit und des Friedens, der Gesittung, der Reinlichkeit und des Rechts und einer starken, selbstbewussten, gegen den Missbrauch durch übermächtige Kräfte' gesicherten und energischen Demokratie der Arbeitenden in Stadt und Land sein wird.«
Anmerkung 1
der
Herausgeberin:
Pariser Tageblatt:
^6
»mächtige wirtschaftliche Kräfte«
III.
Programmatische Verlautbarungen von Parteien und Gruppierungen Januar 1936 bis Januar 1938
Die Dokumente 14-28 zeigen das programmatische Spektrum und die konzeptionelle Entwicklung bei Gruppen und Personen, die an den Volksfrontbestrebungen teilnahmen, sowie Stimmen, die sich kritisch davon abheben. Eine besondere Stellung nimmt die Gruppe Deutsche Volksfront in Berlin mit ihrem Programm und dessen Begründung ein (Dokument 24): Hier setzt sich
eine innerdeutsche, rein sozialdemokratische Gruppierung mit den realen Möglichkeiten einer Sammlung von oppositionellen Kräften gegen den Nationalsozialismus unter der Losung der »Volksfront« auseinander und sucht für ihre Widerstandsarbeit im Reich Unterstützung im Ausland. In den verschiedenen Fassungen ihres Kurzprogramms spiegeln sich Auseinandersetzung wie Suche; die Art, in der die Begründung rezipiert wird, illustriert Reaktionen der
Emigrantengruppierungen.
Dokument 14 Schwarze Front, Aufruf zum Januar 1936
Kampf
Die deutsche Revolution. Organ der Schwarzen Front, hrsg. von Otto Strasser, Prag, 1936, Nr. 1, Januar, S. 1-2; 315 x 470 mm Standort: IISG Zu Kontext, Entstehung und Weiterentwicklung der Konzeption siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 276-278, sowie Band 2, S. 18-23 und 404-406
Vorlage:
An das deutsche Volk!
Hitlersystems Hegen hinter uns Zeit genug, um eine gerechte Beurteilung zu ermöglichen. Vier Jahre Zeit hat Hider am 30. Januar 1933 vom deutschen Volk gefordert, um seine Versprechungen »Freiheit und Brot« zu erfüllen. Drei Jahre dieser Frist sind inzwischen verstrichen wie sieht es mit der FreiDrei Jahre
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heit des deutschen Volkes aus?! Aussenpolitisch hat sich das Verhältnis der Umwelt zu Hiderdeutschland von Jahr zu Jahr verschlechtert: Die grosse Hoffnung auf Italien musste begraben werden; das angestrebte politische und finanzielle Bündnis mit England erwies sich in Stresa als eine Illusion; unverändert kühl und misstrauisch blieb das Verhältnis zu Frankreich und der Kleinen Entente, während die Freundschaft zu Polen trotz der Opferung Danzigs und des Korridors keinerlei Früchte trug; verhängnisvoll verschlechterten sich seit dem Mord an Dollfuss die Beziehungen zum österreichischen Brudervolk und die alte Bismarcktradition der deutschrussischen Freundschaft machte einer aggressiven Feindschaft Platz, die unmittelbare Gefahren für unser deutsches Vaterland heraufzubeschwören geeignet ist. Innenpolitisch übt eine korrupte Parteidiktatur eine unerträgliche Terrorherrschaft über das deutsche Volk aus, wirft zehntausende deutscher Volksgenossen in die Zuchthäuser, Gefängnisse und Konzentrationslager des Systems, vergiftet durch Spitzelwesen, Denunziantentum und erbarmungslosen Wirtschaftsboykott die gesamte Atmosphäre Deutschlands und züchtet so zwangsläufig ein Geschlecht von feigen Sklaven. Kulturpolitisch bemäntelt das System seine mangelnden Leistungen auf dem Gebiet der Schule, der Kultur und | S. 2 | Kunst durch eine verbrecherische Unterdrückung der Freiheit des Gewissens, durch Religionsverfolgungen aller Art und durch eine widerliche Judenhetze, die dem wahren völkischen Gedanken nicht weniger ins Gesicht schlägt, als den Gefühlen der Menschlichkeit und dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Wie sieht es mit dem Brotfür das deutsche Volk aus?! Wirtschaftspolitisch ist der Verrat des Hitiersystems noch klarer zu beobachten und in seinen Auswirkungen am verhängnisvollsten zu werten. An Stelle des —
—
79
III.
Programmatische Verlautbarungen
versprochenen Deutschen Sozialismus herrscht die kapitalistische Diktatur des
internationalen Börsenmannes Schacht, anstelle der verheissenen Mitbestimmung der Arbeiterschaft an Betrieb, Gewinn und Leitung regiert die alte Diktatur der Schwerindustrie, anstelle der ersehnten inneren Kolonisation herrscht unverändert der Grossgrundbesitz und die verheissene »Brechung der Zinsknechtschaft« ist von den Bank- und Börsenfürsten zu Fall gebracht worden. Die allgemeine Lebenshaltung aber ist durch gleichbleibende Nominal-Löhne bei steigenden Preisen immer weiter verschlechtert worden während gewaltige Rüstungsgewinne die Dividenden der Kapitalisten verdoppelt und verdreifacht haben. Von den sogenannten Erfolgen des Hitlersystems erweist sich die Vereinheitlichung des Reiches als ein grosser Bluff; denn nach 3 Jahren Hitlersystems bestehen Preussen, Bayern, Hessen und die übrigen »Länder« weiter, einschliesslich aller »Ministerien« und der neu geschaffenen Bonzenstellen der -
»Reichsstatthalter«; die Einheit des Volkes als eine grosse Lüge, die durch die Unterdrückung der Presse- und Versammlungsfreiheit zwar vorgetäuscht werden kann, bei einer freien Abstimmung aber vor aller Welt sichtbar werden würde; die Arbeitsbeschaffungfür Millionen als eine vorübergehende Folge der durchgeführten Aufrüstung, ermöglicht durch eine uferlose Schuldenpolitik, die von Wechselreiterei bis zum Raub des Spargroschens alle Betrugsmanöver des Kapitalismus erschöpft, nur um den Zugriff auf den Kapitalismus selbst zu vermeiden; selbst die wiedergewonnene Wehrhoheit kann gerechterweise nicht als Erfolg gebucht werden, denn sie wurde nur ein Riesengeschäft für Vorkriegsgewinnler aller Art, erkauft durch bitterste Entbehrungen der breiten Massen! Nach 3 Jahren Propaganda und Terror, Lüge und Verrat, nach der beispiellosen Greueltat des 30. Juni 19341 steht das Hidersystem gerichtet vor den Augen des deutschen Volkes, vor den Augen der Weltöffentlichkeit als das System des Verrats, als das System des Betrugs, als das System des Hungers, als das System des Mordes, als das System des Krieges! Denn unausweichlich treiben die Selbstbehauptungskräfte des Kapitalismus und der Machtbehauptungswille der Systemträger zum Krieg, als dem letzten verzweifelten Versuch, der ausweglosen inneren Schwierigkeiten Herr zu werden und die drohende Unzufriedenheit nach aussen abzulenken.
Lage wenden wir uns an das deutsche Volk mit dem Aufruf zum Zum Kampfgegen das Hitlersystem mit allen Mitteln Zum Kampffür innere und äussere Freiheit, für den deutschen Sozialismus, für die europäische Zusammenarbeit.
In dieser
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80
Kampf!
14. Schwarze Front, Aufruf
zum
Kampf
Die Ziele dieses Kampfes im einzelnen lauten: Auflösung der Hitlerpartei (wie aller anderen Parteien) und Aufbau der Selbstverwaltung der Räte und Stände als Grundlage einer wahren Volksregierung! 2. Aufhebung der Konzentrationslager, Befreiung aller politischen Gefangenen und Wiederherstellung der Presse- und Meinungsfreiheit! 3. Aufhebung aller Einzelstaaten und Einteilung Deutschlands in organisch gegliederte Landschaften auf Grund geschichtlicher, stammesmässiger, religiöser und wirtschaftlicher Gegebenheiten. 4. Aufhebung des Propagandaministeriums und aller Eingriffe in das religiöse und kulturelle Leben; dafür Proklamierung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, bei Trennung von Staat und Kirche. 5. Auflösung aller Zwangsvereinigungen des Hidersystems und Organisationsfreiheit nach der natürlichen Gliederung der Berufsstände. 6. Aufhebung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und Nationalisierung der deutschen Volkswirtschaft. 7. Zusammenarbeit der europäischen Völker auf föderativer Grundlage und unter Anerkennung der nationalen Freiheit und Unabhängigkeit aller Völker. Das sind die grossen Ziele der Deutschen Revolution, die vom Hidersystem verraten und geschändet wurde; das sind die tiefen Notwendigkeiten der neuen Ordnung, nach der die Jugend Europas sich sehnt; das sind zugleich die Pfeiler der Zukunft Deutschlands und Europas; Nationale Freiheit! 1.
Soziale Gerechtigkeit! Europäische Zusammenarbeit! Die Durchführung dieser Ziele ist nur möglich durch eine Wevolutionsregierung, die sich auf das Vertrauen des ganzen deutschen Volkes stützt und gleichermassen durch ihre Zusammensetzung wie durch ihre Zielsetzung die Achtung des Auslandes geniesst. Unter betonter Ablehnung jeder Parteidiktatur proklamiert die Schwarze Front daher eine Wegierung von Persönlichkeiten aller zukunftswilligen Kreise des deutschen Volkes, die ihr Gepräge durch den Dreiklang: Jugend Wehrmacht Arbeiterschaft erhält, in bewusster Anknüpfung an jene vorzeitige Lösung »Gregor Strasser- General Schleicher- Gewerkschaftsführer Leipert [sie]«.2 Die Schwarze Front schwört dem deutschen Volk, dass sie den Kampf für diese Zielsetzung fortsetzen wird bis zum endgültigen Sieg; sie schwört, dass sie nicht getrieben ist von Rache und Hass, nicht von Interessen oder Egoismus, sondern einzig und allein von der Sorge um Deutschland, von dem glühenden Wunsch, die Leiden des Grossen Krieges sinnhaft zu machen durch eine neue, bessere Ordnung der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Kultur zum Heile Deutschlands und Europas. -
-
81
III.
Programmatische Verlautbarungen Das Hitlersystem muss sterben
auf dass Deutschland lebe und Europa gesunde! —
Die Reichsleitung der Schwarzen Front: gez. Dr. Otto Strasser.
Anmerkungen der Herausgeberin: '
Um einem angeblichen Putsch vorzubeugen, ließ Hitler am 30. Juni 1934 und in den folgenden Ernst Röhm, den Führer der SA, Gregor Strasser, den Bruder Otto Strassers, und etwa 90 weitere Gegner und Konkurrenten in SA, NSDAP, Generalität und Politik ermorden, siehe Deutsche Volksfront Band 1,S. 201f. 2 Kurt von Schleicher, Reichskanzler vom 3. Dezember 1932 bis zum 27. Januar 1933, hatte versucht, den Gewerkschaftsflügel der NSDAP unter Otto Strassers Bruder Gregor, den von Theodor Leipart geführten ADGB sowie christliche Gewerkschaften und antinationalsozialistische Parteien bis hin zur SPD zur Unterstützung seiner Krisenpolitik zu gewinnen. Gregor Strasser wurde 1932 aus der NSDAP ausgeschlossen; Otto Strasser hatte bereits 1930 die Partei verlassen.
Tagen
82
Dokument 15
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Erklärung zum 30. Januar 1936
(Sopade),
Neuer Vorwärts. Sozialdemokratisches Wochenblatt, Karlsbad, 1936, Nr. 138, 2. Februar, S. 1-2: 310 x460 mm Standort: IISG Druck: 1966, Autorenkollektiv unter der Leitung von Walter Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, Dok. 25, S. 476f. (Auszug) Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 9f.
Vorlage:
Für Deutschland -
gegen Hitler!
Als Hider am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, sprach er nicht von nationalsozialistischer Parteidiktatur. Er beschwor die freiheitliche Verfassung der Republik und versprach sein Amt nach vier Jahren in die Hände des Volkes zurückzulegen. »Nun, deutsches Volk, gib uns die Zeit von vier Jahren, und dann urteile und richte über uns.« So hieß es in dem Aufruf der Regierung Hider vom 1. Februar. Seitdem sind drei Jahre vergangen. Was ist aus den Eiden und Gelöbnissen, was ist aus den Rechten des deutschen Volkes geworden? Vier Wochen nach seiner Ernennung vollzog Hitler den Absprung. Seine Banden steckten den Reichstag in Brand. Er aber log, die Brandstiftung sei das Werk einer angeblichen »sozialdemokratisch-kommunistischen Einheitsfront«. Mit diesem schändlichsten Verbrechen der Weltgeschichte begann die Zeit des braunen Schreckens. Ein Regiment blutiger Willkür wurde aufgerichtet, wie das deutsche Volk es seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte. Die siegreiche Partei herrschte mit Peitsche und Revolver, ihre Gegner waren vogelfrei. Sie fielen nicht im Kampfe, Mann gegen Mann. Wehrlose wurden gejagt und in grausamer Weise getötet. Nie sah die Welt ein schändlicheres Schauspiel als dieses Morden, das im Namen einer wiederhergestellten Volksgemeinschaft von Deutschen an Deutschen verübt wurde. In der Junischlächterei von 1934, dem großen Kameradenmord, erreichte die blutige Orgie ihren Höhepunkt. Aber das Töten hörte damit nicht auf. Noch im dritten Jahr der Diktatur hatte die Sozialdemokratische Partei blutige Opfer zu beklagen, wie Fritz Husemann, Max Sachs und viele unbekannte Soldaten der Freiheit. sie der Sache der ArbeiterMenschlichkeit den Idealen freier treu hohen bewegung, geblieben sind, schmachten in überfüllten Kerkern und Konzentrationslagern. Sammlungen für ihre hungernden Frauen und Kinder werden als Hochverrat mit barbarischer Härte bestraft.
Tausende, deren einzige Schuld darin besteht, daß
83
III.
Programmatische Verlautbarungen
Hitler hat dem deutschen Volk die Freiheit Zuchthausstaat gebracht.
versprochen.
Er hat ihm den
I. »Die nationale Regierung wird mit eiserner Entschlossenheit und zähester Ausdauer folgenden Plan verwirklichen: Binnen vier Jahren muß der deutsche Bauer der Verelendung endgültig entrissen sein. Binnen vier Jahren muß die Arbeitslosigkeit endgültig überwunden sein. Gleichlaufend damit ergeben sich die Voraussetzungen für das Aufblühen der übrigen Wirtschaft«. So die »nationale Regierung« Hiders am 1. Februar 1933. Von den vier Jahren sind drei vorbei. Wer glaubt noch, daß am Ende des vierten die Versprechungen, die vor drei Jahren freigebig verteilt wurden, erfüllt sein werden? Niemand ist im Dritten Reich schlimmer betrogen als der Bauer. Anstatt ihn »der Verelendung endgültig zu entreißen«, haben Hitler und Darre auf seine Ko-
den
lebensunfähigen Großgrundbesitz gerettet. Osthilfe, Absperrung vom Weltmarkt, hemmungslose Liebesgabenpolitik beim Branntweinmonopol sollen ih[m] auf die Beine helfen. Den Bauern aber wurden neue Lasten aufgebürdet. An die Stelle der Förderung der bäuerlichen Veredelungswirtschaft in der Republik trat die Verteuerung der Futtermittel durch Zollerhöhungen und Einfuhrbeschränkungen. Für die wichtigsten bäuerlichen Erzeugnisse ist die Zwangswirtschaft eingeführt worden. Im Namen einer weltfremden Erbhof-Romantik ist die Verfügungsgewalt de[s] Bauern über seinen Besitz eingeschränkt und sein Kredit geschädigt worden. Die versprochene Steuersenkung ist ausgeblieben, statt dessen wurde die Steuereinziehung rücksichtslos verschärft, Belastung durch Zwangsbeiträge und »freiwillige Spenden« aller Art ungeheuer erhöht. Mit dem sten
Geld der Bauern mästet sich im Reichsnährstand und seinen zahllosen Unterorganisationen ein Heer von unfähigen und korrupten braunen Bonzen. Trotz phantastischer Pläne und großsprecherischer Ankündigungen wurden im Dritten Reich jährlich nur halb soviel Siedlungen geschaffen wie in der Republik. Die Arbeitslosigkeit ist angeblich auf zweieinhalb Millionen vermindert worden. Wie aber ist diese Verminderung zustande gekommen? Hunderttausende wurden aus der Unterstützung ausgeschlossen, Hunderttausende zu Pflicht- und Notstandsarbeit gezwungen, bei der sie oft weniger verdienen, als früher ihre
Unterstützung betrug. Hunderttausende Jugendlicher wurden in den Arbeitsdienst und in die Landhilfe gepreßt, wo sie oft unter Zuständen leben und arbeiten müssen, die große sittliche Gefahren und oft schwere Störungen der Berufsentwicklung mit sich bringen. Millionen aber stehen in Kurzarbeit und schaffen nur wenige Tage in der Woche zu einem Verdienst, der weit unter den Unterstützungssätzen der Repubük liegt. Die mit großem Propagandalärm aufgezogene »Arbeitsschlacht« hat das ganze Volk mit wachsender Verarmung bezahlen müssen, nicht zuletzt der Arbeiter selbst. 84
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Sopade, Erklärung
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Mit raffinierten Methoden sind die Löhne herabgesetzt und die Abzüge erhöht worden. Gleichzeitig aber sind die Preise stark gestiegen und damit die Reallöhne noch weit mehr herabgedrückt worden als die Geldbezüge. Die Gewerkschaften sind zerschlagen worden; an ihrer Steile wird die Arbeitsfront zu einer allumfassenden Zwangsorganisation gemacht, in der die Arbeiter nur Pflichten, aber keine Rechte haben. Sie müssen Beiträge zahlen, aber sie erhalten keine gewerkschaftliche Gegenleistung mehr dafür; sie haben kein Recht, die »Amtswalter« zu wähle, und nicht einmal einen Einblick in die Verwendung der Beitragssummen, geschweige denn ein Recht zur Kontrolle. Im Betrieb sind sie rechdos der Ausbeutung durch die Unternehmer preisgegeben. Keine Gewerkschaft, keine Lohnkommission, kein Betriebsrat wacht mehr über die Einhaltung der Tarifbestimmungen. Die »Vertrauensräte« sind nichts als ein Wandschirm zur Verhüllung der nackten Unternehmerwillkür. Mit allen Mitteln trachtet das System danach, den Geist der Solidarität unter den Arbeitern auszurotten und statt dessen kriecherische Unterwürfigkeit und entwürdigende Günstlingswirtschaft zu züchten. Kameradschaftsabende und Betriebsappelle sollen die Arbeiter darüber hinwegtäuschen, daß Arbeitstempo und Ausbeutung bis ins Unerträgliche gesteigert werden. Mit den Löhnen sind Renten und Unterstützungen abgebaut worden. In allen Zweigen der öffentlichen Fürsorge sind die Leistungen vermindert, in allen Teilen der Sozialversicherung die Renten heruntergesetzt worden. Wo früher auf Grund jahrzehntelanger Beitragsleistungen Rechtsansprüche bestanden, gilt heute das Bedürftigkeitsprinzip. Die mustergültige, aber stille Arbeit der Sozialpolitik in der Republik wird verdrängt durch den marktschreierischen Propagandarummel des Winterhilfswerks und der Kraft durch Freude. An die Stelle der öffentlichen Fürsorgepflicht ist das demütigende Almosenwesen, an die Stelle der kulturellen Selbsthilfeorganisation und Selbstbestimmung des Volkes der von den braunen Bonzen kommandierte Unterhaltungsbetrieb und Gesinnungsdrill getreten. Nicht minder hart ist der Mittelstand betroffen. Auf seine Kosten versucht das System die Folgen seiner verfehlten Wirtschaftspolitik, die Preissteigerungen und die Lebensmittelknappheit, zu bekämpfen. Die Handelsspanne wird immer weiter vermindert. Leisten die Handels- und Gewerbetreibenden Widerstand, so werden »Volksempörungen« künstlich inszeniert, um die Erbitterung von den wahren Schuldigen abzulenken. Den verminderten Verdienstmöglichkeiten steht eine gesteigerte Belastung durch Steuern, Zwangsbeiträge und Spenden gegenüber. Die neugebildeten Zwangsinnungen sind nutzlose Beitragsmaschinen und wahre Brutstätten der Korruption und Vetternwirtschaft. Während so alle Schichten des schaffenden Volkes zu immer neuen Opfern gezwungen werden, sind die Rüstungsgewinnler die einzigen, die von dem vor drei Jahren versprochenen »Aufblühen der übrigen Wirtschaft« profitiert haben. Aber der »Segen« der Rüstungsaufträge hat nur eine Scheinblüte der Wirtschaft zu erzeugen vermocht. Die Ankurbelung der Wirtschaft ist nicht geglückt und der ganze wirtschaftliche Kreislauf wird nur durch die Rüstungsaufträge aufrecht85
III.
Programmatische Verlautbarungen
erhalten. Statt die notwendigen Lebensbedürfnisse des Volkes zu befriedigen, werden Kanonen und Tanks fabriziert. Die Scheinblüte eines Teiles der Wirtschaft ist erkauft worden um den Preis einer wachsenden Zerrüttung der öffentlichen Finanzen. Die Aufrüstung verschlingt ungezählte Milliarden. Um sie aufzubringen, hat sich das Reich in eine hemmungslose Schuldenwirtschaft gestürzt. Riesensummen von kurzfristigen Krediten, deren wahre Höhe dem Volke verschwiegen wird, sind in den letzten Jahren aufgehäuft worden. Immer mehr geht das Reich dazu über, die Gelder der Sparkassen und Versicherungsinstitute für die Rüstungsfinanzen mit Beschlag zu belegen. Alles neu sich bildende Kapital wird vom Staat für Rüstungszwecke abgeschöpft und so mit Sicherheit jede wirkliche Gesundung der Wirtschaft vereitelt. Für Wohnungsbau und Siedlung ist trotz wachsender Wohnungsnot kein Geld da. Erz ist wichtiger als Butter, und Flugzeuge sind wichtiger als Wohnungen. Der Rohstoffmangel ist größer als die Bevölkerung ahnt. Der ganze Wahnsinn dieser Wirtschaftspolitik enthüllt sich auf dem Gebiete der Ausfuhr. Deutschland, das größte Verarbeitungsland Europas, ist heute nicht mehr imstande, genug auszuführen, um mit dem Erlös seiner Ausfuhr die erforderliche Einfuhr bezahlen zu können. Große Teile des Außenhandels, in jahrzehntelanger, mühsamer Arbeit aufgebaut, sind vernichtet, wertvollste Absatzmärkte, einst in zähem Ringen einer Welt von Konkurrenten abgewonnen, sind verloren. In freiwilliger Selbstblockade steht Deutschland heute einer Weltwirtschaft gegenüber, die in steigendem Maße die große Krise überwindet und einer neuen Konjunktur zustrebt. Ein Aufblühen der Wirtschaft hat Hider versprochen. Not der Bauern, Not der Arbeiter und Angestellten, Not des Mittelstandes, Lebensmittelnot, Rohstoffnot, drohende Katastrophe der Finanzen und der Wirtschaft das ist das wirkliche Ergebnis. —
II. Nicht nur materielle Werte wurden verschwendet. Schlimmer noch sind die Verwüstungen auf geistigem und sittlichem Gebiet. Hitler- und Streichergeist gibt die Richtlinien für Gesetzgebung und Rechtsprechung, Wissenschaft und Erziehung, Kunst und Literatur. Schweigend oder diensteifrig zustimmend haben sich Richter und Professoren, Beamte, Lehrer, Künsder und Schriftsteller diesem entwürdigenden Anspruch gebeugt. Von dem freien Geistesleben, das die Republik erfüllte, ist nichts übrig geblieben. Der Totalitätsanspruch der regierenden Partei schafft eine Totalität der geistigen Knechtung. Auch die Kirchen, die katholische und die protestantische, haben die Freiheit verloren, deren sie sich in der Repubük im reichen Maße erfreuten. Die Abneigung vieler ihrer Diener gegen die Demokratie, ihr Liebäugeln mit »autoritären« Staatsformen, hat sich fürchtbar an ihnen gerächt. Der Totalitätsanspruch des Dritten Reiches macht auch vor dem Inhalt des christlichen Glaubens nicht Halt. Wie Wirtschafts-, Kultur- und Bevölkerungspolitik, so soll auch die KirchenSo
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Sopade, Erklärung
zum
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politik in den Dienst der Kriegsvorbereitungen gestellt werden. Für ein Christentum, das auf menschlicher Gesinnung beruht, ist keine Stätte mehr, wo ein neues Barbarentum den Kampf gegen die Humanität auf seine Fahne geschrieben hat. Aberglaube und Gewinnsucht haben sich zu einem Ausrottungskrieg gegen die Juden verbündet. Nicht die Trusts werden verstaatlicht, nicht die Bankfürsten werden enteignet, nicht die Zinsknechtschaft wird gebrochen, wie man verheißen hat; dafür schmeichelt man den Instinkten des gemeinsten Pöbels, indem man über eine wehrlose Minderheit herfallt, sie mißhandelt und ausplündert. Den Pogromhelden des Kurfürstendamms und der Nürnberger Gesetzgebung folgen die Hyänen des Schlachtfeldes, Postenjäger und Firmenschlächter. Nie haben sich die Mächtigen skrupelloser auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, sind öffentliche Mittel sinnloser verschleudert worden. Ein Parteifest jagt das andere. Hochzeiten und Geburtstage werden mit Prunk und Pomp gefeiert, während Millionen darben und hungern. Männer, die vor wenigen Jahren noch Offenbarungseide leisteten, verfügen über Güter, Villen, Autos und Auslandsguthaben. Jede Kontrolle der staatlichen Einnahmen und Ausgaben hat aufgehört. An die Stelle der durch Parlament und Presse kontrollierten sparsamen und sauberen Verwaltung der Republik ist ein Sumpf der Korruption getreten. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Mut und Ueberzeugung sind staatsfeindliche Charaktereigenschaften. Heuchelei und Schmeichelei, Streber- und Kriechertum beherrschen alles. Das ist in drei Jahren aus Deutschland geworden. Das hat Hider aus Deutschland gemacht! Er vermißt sich, über 65 Millionen Menschen mit der Unumschränktheit | S. 21 eines asiatischen Despoten zu regieren; er trägt darum auch die volle Verantwortung für die moralischen und materiellen Folgen, die dem deutschen Volke aus seinem Regierungssystem erwachsen sind. Deutschland kann nur gesunden, wenn es sich vom Wahnsinn des »Führergedankens« und vom »Führer« befreit.
III. Aber hat Hitler nicht »Deutschlands Ehre wieder hergestellt«, sein Ansehen erhöht und seine Sicherheit vermehrt, indem er die allgemeine Wehrpflicht proklamierte? Nein, und abermals nein! Er hat von alledem das Gegenteil getan! Ehe Hider kam, war das besetzte Gebiet befreit, die Reparationen waren gestrichen. Deutschland saß als anerkannte Großmacht im Rat des Völkerbundes. Der Weg zu einer Rüstungskonvention war beschriften, Deutschlands Gleichberechtigung war
grundsätzlich gesichert. Es gab keine Kriegsgefahr.
Seit Hitler am Ruder ist, geht Kriegsfurcht im Volke um. Sein theatralischer Austritt aus dem Völkerbund führte zur Isolierung Deutschlands. Seine pomphafte Ankündigung der allgemeinen Wehrpflicht, sein fieberhaftes Aufrüsten trieb alle Länder zu stärkeren Rüstungen an.
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Selbst vom Standpunkt der nationalsozialistischen Machtpolitik wiegt der Gewinn den Verlust nicht auf: England und Frankreich sind fester denn je gegen jeden möglichen Angriff verbunden. Amerika macht aus seinem Abscheu vor der »Regierung der Gangster« kein Hehl. Sowjetrußland ist durch die irrsinnigen Eroberungspläne der Hitler und Rosenberg endgültig auf die Seite der Gegner gedrängt. Durch die verbrecherische Politik gegen Oesterreich, die zum Kanzlermord vom 25. Juli 1934 führte, ging auch die Freundschaft mit dem geistesverwandten Italien in die Brüche. Wo ist die Vermehrung der Sicherheit durch die allgemeine Wehrpflicht? Nicht die Sicherheit ist vermehrt, sondern die Kriegsgefahr. All das wird vor dem Volke verborgen gehalten. Absichtlich wird es über seine wahre Lage in Unkenntnis gelassen. Aber der Frieden kann nur erhalten bleiben, wenn das deutsche Volk die Wahrheit erfahrt. Die ersten drei Jahre der Diktatur waren die Vorbereitung zu Deutschlands Untergang. Hiders Sturz ist Deutschlands Rettung! Am 1. Februar 1933 versprach Hider dem deutschen Volke, er werde es nach vier Jahren zu einer freien Entscheidung aufrufen. Er hat dieses Versprechen gebrochen. Ein Volk, das frei entscheiden soll, muß alle Tatsachen kennen, alle Meinungen hören und sich aus ihnen sein Urteil bilden. Es gibt keine freie Entscheidung ohne Freiheit der Meinungsäußerung, Freiheit des Zusammenschlusses, der Presse, des Vereins- und Versammlungswesens. Hitler hat alle diese Voraussetzungen einer freien Entscheidung zerstört. Nun muß sich das Volk nicht mit Hider, sondern durch den Sturz der Diktatur den Weg zu seinem Recht bahnen. Es ist der Weg zu seiner Rettung. Nur eine frei gewählte Volksvertretung die aus sich heraus eine neue, dem Volk verantwortliche Weichsleitung schafft, kann Deutschland vor dem Untergang bewahren. Nach Hitler das Chaos? Nein, Hider ist das Chaos! Nach Hider der Bolschewismus? All das, was Hitler dem Bolschewismus vorwerfen kann, hat er selbst in der abstoßendsten Form verwirklicht. Nur eines hat er nicht getan, was der Bolschewismus getan hat. Er hat keine Diktatur gegen das Großkapital aufgerichtet, er schwingt die Peitsche für das Großkapital. Während das ganze Land beunruhigt und aufgewühlt einer Ungewissen Zukunft entgegensieht, bilden sich unter den Arbeitern der Großstädte Zentren des Widerstandes, Kristallisationspunkte der neuen Ordnung. Nur aus den dicht zusammengedrängten Massen der Industriebevölkerung kann die Kraft emporsteigen, die den inneren Feind der ganzen Nation überwindet. In diesem Sinne bekräftigen wir, was schon in unserer Erklärung vom Januar 1934 ausgeführt —
wurde: »Der Sturz der Despotie wird sich, wenn nicht äußere Katastrophen ihn herbeiführen, nur in der gewaltsamen Niederringung, nur durch den Sieg im revolutionären Kampfe vollziehen. Er wird sich ergeben, wenn die Bedingungen einer objektiv revolutionären Situation ausgenützt werden von einer entschlossenen, von radikalem Kampfgeist durchseelten, von einer erfahrenen Elite geführten SS
15.
Sopade, Erklärung
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30. Januar 1936
Partei des revolutionären Sozialismus. Er kann nur erwachsen aus der Tat der Massen selbst.« Aber der Kampf gegen die Hiderdiktatur ist nicht die Aufgabe der Arbeiter allein. Alle Klassen und Schichten, abgesehen von einer Oberschicht, die aus den gegenwärtigen Zuständen Gewinn zieht, sind berufen, an dem Befreiungskampf des Volkes mit gleichen Rechten und Pflichten teilzunehmen. Sein Ziel ist nicht eine neue Diktatur an Stelle der alten, nicht die despotische Beherrschung eines Volksteils durch einen anderen Volksteil, sondern die Freiheit des ganzen Volkes. Freiheit der Meinung in Wort und Schrift, Freiheit der Wissenschaft, der Kunst, des religiösen Lebens, Gleichberechtigung aller ohne Unterschied der Partei, der Religion und der Rasse! Freiheit und gleiches Recht für alle die, die Freiheit und gleiches Recht für alle wollen, unerbittlicher Kampf gegen alle Feinde der Freiheit und des gleichen Rechts! Nicht Knechtschaft, sondern Freiheit! Nicht Willkür, sondern Recht! Nicht Chaos, sondern Ordnung! Nicht Geschwätz sondern Sachkunde! Nicht Korruption, sondern Kontrolle! Nicht Festmusik und Wortgedröhn, sondern ehrliche, sachliche und nüchterne Arbeit Zum Wohl des Ganzen! Nur sie kann die ungeheuere, wahrhaft revolutionäre Aufgabe lösen, die den Siegern über Hitler gestellt sein wird: die Demokratie und den Sozialismus in Staat und Wirtschaft zu verwirklichen. Aus Kerker und Exil sprechen wir. Es ist das schaffende Volk Deutschlands, für das wir kämpfen und opfern, es ist das schaffende Volk Deutschlands, an das wir glauben. Der Tag wird kommen, an dem es urteilen und richten wird! 30. Januar 1936.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands.
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Dokumente 16 Neu Beginnen, Deutsche und internationale Dimensionen der Volksfront Dokument 16.1 Neu Beginnen, Analysen und Perspektiven nach dreijähriger NS-Herrschaft Januar 1936 Vorlage:
Sozialistische Aktion, Januar 1936; mimeographierter Dünndruck, 135 x 210 mm Standort: IISG Die Wiedergabe erfolgt nach dem mlmeographierten Druck, der illegal in NS-Deutschland verbreitet wurde, nicht nach der Ausgabe im Zeitungsformat (320 x 470 mm) mit identischem Umbruch. Aus der Vorlage, die überwiegend Beiträge der Gruppe Neu Beginnen enthält, wurden der einleitende programmatische Artikel [S. 1] »Jahr IV die Probe aufs Exempel« und vier weitere ausgewählt. Zu Kontext und Wirkung siehe: Deutsche Volksfront Band 1, S. 301 ff., bes. S. 304, Anm. 63, und Band 2, S. 297 -
Jahr IV
die Probe aufs —
Exempel
Freiheit und Brot Das waren die Parolen, unter denen der Nationalsozialismus siegte; das waren die Güter, die er dem deutschen Volke in vier Jahren zu geben versprach. Drei Jahre sind abgelaufen. Die Freiheit hat sich seither als die »Wehrfreiheit« herausgestellt, und ihretwegen wird den Deutschen die Butter vom Brot genommen. Sklaverei und Hunger hat die faschistische Diktatur dem deutschen Volke in drei Jahren gebracht. Freiheit und Brot an uns ist es, den Kampf um sie zu verkünden. Das Ende des dritten Jahres kündet eine bedeutungsvolle Etappe in der Geschichte des Dritten Reiches an. In diesen drei Jahren ist das faschistische System vollendet worden, weit schneller als in Italien. Alle legalen Organisationen, vom Stahlhelm bis zum letzten Kegelklub, hat sich die herrschende Partei untergeordnet; alle Mittel der Propaganda, vom Rundfunk bis zur letzten Leihbücherei [,] werden von ihr kontrolliert. Ihr Symbol allein weht über Deutschland; ihre Sprache allein spricht die Presse; ihre Auffassung bestimmt die Entscheidungen der Richter und stellt Staatsfeinde und Juden außerhalb von Gesetz und Bürgerrecht. Ihr »Sozialismus« bestimmt die heutige Lage der deutschen Arbeiterklasse; ihre Strategie Deutschlands heutige Stellung in der Welt; ihre Leitung den heutigen Zustand der deutschen Wirtschaft. Mit der Klarheit der Vollendung wird, schon ein Jahr vor der verheißenen Frist, auf allen Gebieten erkennbar, was Nationalsozialismus praktisch bedeutet. -
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16.1 NB, Jahr IV
die Probe aufs
Exempel
-
Bilanz ,md Programm Die Illusionen der Anfangszeit sind in diesen drei lehrreichen Jahren geschwunden, die Illusionen der Anhänger über den neuen Sozialismus, wie die Illusionen der Gegner über den raschen automatischen Zusammenbruch des neuen Systems. An Stelle naiver Hoffnungen und naiver Untergangsprophezeiungen ist heute die nüchterne Erkenntnis der wirklichen Widersprüche möglich geworden. Sie kann und muß jetzt erarbeitet werden, mit allen Konsequenzen. Daß sie möglich geworden ist, daß Erfahrungen vorliegen, verpflichtet uns als Sozialisten, die Erfahrungen zu verarbeiten und daraus für unser Handeln zu lernen. Es verpflichtet uns, die Bilanz dieser drei Jahre, die Bilanz des Hitlersystems zu ziehen, um daraus ein den neuen Aufgaben angepaßtes Programm unseres Kampfes zu entwickeln. Bilanz ur>d Programm sind der Inhalt dieses Blattes. Auf allen Gebieten wollen wir sie entwickeln, um unseren Genossen einen fundierten Ueberblick zu ermöglichen. Wir wollen vorweg umreißen, was wir im einzelnen begründen werden.
-
Alte
Klassenherrschaft,
neue
Staatsform
Die erste Lehre ist: der Nationalsozialismus hat sich ökonomisch und sozial als ein Wegime brutalster kapitalistischer Klassenherrschaft, brutalster Ausbeutung und Entrechtung der Schaffenden herausgestellt. Der Staat hat in die Rechte der einzelnen Kapitalisten nur eingegriffen, um die Erhaltung des Systems umso sicherer zu garantieren. Er hat den Klassenkampf von unten rücksichtslos unterdrückt und dem Klassenkampf von oben volksgemeinschaftliche Phrasen geliehen. Er hat den kapitalistischen und imperialistischen Eigennutz in den feierlichen Mantel des Gemeinnutzes der Nation gehüllt. Doch diese erste Lehre wäre schief und unvollständig ohne die zweite: Daß die Ausbeuterklasse, die durch den faschistischen Staat ökonomisch gesichert wird, ihn politisch nicht regiert. Die Bourgeoisie hat Hitler nicht als ihren Angestellten vorgeschoben, sie hat ihm die wirkliche politische Macht überlassen, um die ökonomische behalten zu können. Nicht ihre Syndici, nicht ihre Vertreter im Kabinett machen die NS-Politik, sondern Hider selbst, gestützt auf seine Partei. Und nicht daß er eine vorgeschobene Figur ist, sichert ihre Klassenherrschaft, sondern daß dieser Partei etwas anderes als die Erhaltung der Klassenherrschaft ihrer Natur nach gar nicht in den Sinn kommen kann.
System und Widersprüche
Was diese besondere Natur ist, und wie sie mit der ökonomischen Besonderheit des Regimes zusammenhängt, das ist die dritte große Lehre dieser Jahre. Die faschistische Bewegung ist weder eine Partei des Finanzkapitals noch des Kleinbürgertums, noch schwebt sie klassenlos in der Luft. Sie entsteht aus dem Bündnis der parasitären und reaktionären, der aus der Produktion herausgeschleuderten oder in ihrer Produktion gefährdeten Teile aller Klassen, der subventionsbedürftigen Bourgeois und der ruinierten Kleinbürger, der Osthilfe schluk91
III.
Programmatische Verlautbarungen
kenden Großgrundbesitzer und der verschuldeten Bauern, der vom Staate lebenden Beamten und der vom Staate lebenden verzweifelten Dauerarbeitslosen. Diese Partei entsteht als der gemeinsame Versuch dieser an der eigenen Kraft verzweifelnden, auf den starken Staat hoffenden Schichten, den zentralisierten, aktiven Staat zu schaffen, der allen helfen wird, wo das parlamentarische System keinem mehr helfen konnte. Sie führt zur Zentralisierung des Klassenstaates und zum vorwiegenden Einfluß der Teile der herrschenden Klasse, die den starken Staat am dringendsten brauchen des Rüstungskapitals, das von der Vergeudung des Volksvermögens lebt, der bankrotten Großagrarier usw. Sie schafft daher neue, besondere ökonomische Widersprüche, indem sie die wirtschaftlichen Energien der Nation zwar planmäßig in eine Richtung lenkt, aber in der [sie] Richtung der unproduktiven Verschwendung und der Hemmung der ökonomischen Entwicklung. So schafft sie neue Ansatzpunkte der Unzufriedenheit, gleichzeitig aber neue Tatsachen der ökonomisch-organisatorischen Entwicklung, mit denen jedes spätere revolutionäre Regime zu rechnen hat, das sich nicht im leeren Raum bewegen will. -
Neue Kampfbedingungen Ob und wann ein solches revolutionäres Regime zur Macht kommt, das hängt freilich davon ab, daß wir auch die vierte große Lehre ziehen, die sich auf die faschistischen Formen der Massenführung und die unter diesem Regime möglichen Formen der Opposition bezieht. So sehr die faschistische Diktatur in ihrer Totalität, ihrer allumfassenden Organisation allen reaktionären Diktaturen der Ver-
gangenheit überlegen ist, so wenig kann diese revolutionäre Opposition sich gegen sie einfach der alten Kampfformen bedienen, die sich gegen andere Diktaturen bewährt haben, und gegen den Kampf in der Demokratie keine entscheidenden Veränderungen aufweisen. Auch darin haben wir die Bilanz dieser drei Jahre zu ziehen, daß wir an Hand der Erfahrungen überprüfen, ob die Formen unseres Kampfes zweckmäßig waren und wie wir sie der Eigenart des Regimes, seinen Stärken und Schwächen am besten anpassen können.
Unser Programm So führt die Bilanz uns mitten in die Fragen unserer eigenen Arbeit, unseres Programms hinein. An den neuen Fatsachen, den neuen Erfahrungen und Erkenntnissen müssen wir uns auch praktisch orientieren, wenn wir unsere geschichtliche Aufgabe lösen wollen. Aus der Erkenntnis des herrschenden Systems, der neuen Voraussetzungen, die es geschaffen und der oppositionellen Kräfte, die es hervorgerufen hat, müssen wir die unmittelbaren Ziele bestimmen, die unser Kampf sich setzen kann und muß. Aus den Aufgaben, die unmittelbar zu verwirklichen sind, müssen wir die Kräfte bestimmen, die dabei unsere Bundesgenossen sein können, und die besondere Rolle, die der Arbeiterklasse dabei als Kraftzentrum der antifaschistischen Revolution zufällt. Aus den Kampfbedingungen des Faschismus müssen 92
16.1 NB, Jahr IV
die Probe aufs Exempel -
wir endlich die Arbeitsmethoden, die Organisationsformen ableiten, die Proletariat ermöglichen können, zu diesem Kraftzentrum zu werden.
es
dem
Die Probe aufs Exempel Nur der Form nach wird das vierte Jahr des Faschismus die Probe aufs Exempel der Hitlerschen Versprechungen sein. Die ersten drei Jahre haben genügt, ein klares Bild zu schaffen. Aber eben deshalb ist dies Jahr die Probe in einem viel tieferem Sinne: Die Probe darauf, ob die illegale deutsche Arbeiterbewegung es versteht, sich die Lehren der ersten drei Jahre anzueignen, sich den neuen Kampfbedingungen anzupassen und die Widersprüche des Wegimes heute, wo sie deutlich zu Lage treten, zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu nutzen. Daran zu arbeiten, daß das deutsche Proletariat diese geschichtliche Aufgabe besteht, ist unsere Pflicht.
[S.3] Kommt nach Hitler das Chaos? Eine der stärksten Stützen des Hiderregimes ist die weitverbreitete Auffassung, daß dieses Regime ertragen werden müsse, weil nach seinem Sturz unweigerlich ein Chaos eintreten würde. Die Diktatur nutzt diese Stimmung raffiniert aus, indem sie einerseits die inneren und äußeren Schwierigkeiten durch ihre Abenteurerpolitik steigert und andererseits dem Volke die Auffassung beizubringen sucht, daß sie allein imstande sei, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden. Parallel damit läuft ihr Bemühen, sich als »Schutzwall vor dem Bolschewismus« auszugeben und das alterprobte Mittel des Bolschewistenschrecks gegen die Kritiker des Regimes ins Feld zu führen. Es wäre falsch anzunehmen, daß diese Propagandamittel des Hitlerregimes nicht mehr verfangen. Die fast dreijährige Beeinflussung der Bevölkerung durch Rundfunk, Presse, Versammlungen usw. und die Fernhaltung jedes freien Wortes haben es zuwege gebracht, daß vielfach noch die unwahrscheinlichsten und dümmsten Dinge geglaubt werden. Zu ihnen gehört auch die offiziell gepredigte These, daß »wir alle in einem Boot sitzen« und daß im nationalsozialistischen Staat Volk und Regierung »auf Gedeih' und Verderb miteinander verbunden« seien. Besonders dankbaren Boden findet diese Propaganda in den gesellschaftlichen Schichten, die durch den nationalsozialistischen Umsturz zu Macht und Würden gelangt sind und die ihre Hauptaufgabe darin sehen, sich auf Kosten des Volkes und des Staates zu bereichern. Diese Nutznießer und Parasiten des Umsturzes sind in der Tat »auf Gedeih und Verderb« mit der Hitlerdiktatur verbunden. Sie sitzen alle »in einem Boot« und müssen befürchten, daß sie bei einem Sturz des Regimes gemeinsam mit ihm von den Wellen verschlungen werden. Das gleiche gilt von den gesättigten Schichten des Großbürgertums und des Junkertums, '
93
III.
Programmatische Verlautbarungen
deren Besitz durch das nationalsozialistische Regime garantiert wird und deren Profite und Vorkriegsgewinne in der Periode der Rüstungskonjunktur ins Uferlose steigen. Auch die Repräsentanten der Wehrmacht und der hohen Bürokratie
finden sich mit manchen Unzuträglichkeiten und Unbequemlichkeiten ab, nachdem ihnen im »totalen Staat« Hiders eine Machtfülle wie nie zuvor gesichert worden ist. Für sie alle bedeutet das Ende des Regimes das Ende ihrer Herrlichkeit und den Beginn einer Abrechnung, die anders ausfallen würde, als im November 1918. Kein Wunder, daß ihnen vor dem »Chaos« graust, daß bei dieser Abrechnung eintreten würde.
Zunehmende Opposition Ganz anders liegen die Dinge bei den gesellschaftlichen Schichten, die durch die Schandwirtschaft und den Druck der Diktatur zur Opposition gegen das herrschende System getrieben werden. Diese Opposition ist im verflossenen Jahr bedeutend zahlreicher geworden. Zu ihr gehören außer den fest gebliebenen Anhängern der unterdrückten sozialistischen Parteien und Gewerkschaften auch viele Elemente, die sich aus den Reihen der verfolgten Katholiken, Protestanten und Juden wie aus den Kreisen des Mittelstandes, der Bauernschaft, der Intellektuellen, der studierenden Jugend, der SA-Leute usw. rekrutieren. Allgemein ist das Anwachsen oppositioneller Stimmungen und Strömungen in der durch die Lebensmittelnot, die Teuerung und den Lohndruck aufgewühlten proletarischen Bevölkerungsmasse. Hier wächst mit der zunehmenden Unzufriedenheit glühender Haß gegen das Regime, Verachtung gegen die Machthaber, Empörung gegen die Fortdauer der Gewaltherrschaft und Erbitterung wegen der Vernichtung aller Errungenschaften der Demokratie und der Arbeiterbewegung. Hier nimmt auch gleichzeitig die Bereitschaft zu, mit allen oppositionellen Elementen des arbeitenden Volkes zusammenzugehen, um den eisernen Ring der Tyrannei zu durchbrechen und die Voraussetzungen zu schaffen für einen organisierten Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur.
Hemmungen und Illusionen spielt die immer wieder gestellte Frage »Was kommt nach Hitler?« eine zwiespältige Rolle. Sie bestätigt einerseits, daß sowohl in proletarischen wie in bürgerlichen Kreisen in immer stärkerem Maße mit einem baldigen Wechsel des Regimes gerechnet wird. Sie kennzeichnet aber andererseits die innere Unsicherheit und Unfertigkeit der Opposition, die von der Ansicht beherrscht zu sein scheint, daß man bis in alle Einzelheiten gehende Rezepte für die Ablösung des Hitlerregimes in der Tasche haben müsse, ehe man an den Kampf gegen die Diktatur herangehe. Die Angst vor einem etwaigen »Chaos« lähmt das Bewußtsein und die Kampfkraft derjenigen, die heute ohne sich vielleicht dessen bewußt In dieser Situation
sein sich mit dem Chaos der Hitlerwirtschaft abfinden. Diese Angst vor dem Chaos geht Hand in Hand mit der Illusion, daß das Regime eines schönen Tages durch irgend ein Wunder, durch das Wirken unsicht-
zu
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16.1 NB, Jahr IV
die Probe aufs
Exempel
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barer Kräfte, zusammenbrechen würde. Beides geht zurück auf eine gemeinsame Wurzel: auf die Mißachtung der Erfahrungen der bisherigen revolutionären Bewegungen, ihrer Triebkräfte und ihrer Entwicklungsgesetze. Würde man sich mehr an diese Erfahrungen halten, so würde man erkennen, daß Revolutionen aus tiefen gesellschaftlichen Widersprüchen und Klassengegensätzen hervorbrechen; daß ihre Aufgabe nicht in der Wiederherstellung der alten Ordnung, sondern in der Austragung dieser Widersprüche und Gegensätze auf der Ebene einer höheren Ordnung besteht; daß ihr Erfolg vor allem von der geistigen Reife und der zusammengeballten Kraft der revolutionären Klassen abhängt, und daß zur Herbeiführung dieses Erfolges eine intensive organisatorische Vorarbeit und eine umfassende geistige Klärung erforderlich ist. Auf die Frage »Kommt nach Hitler das Chaos?« ist deshalb zu sagen: Das Chaos kommt nicht, wenn das geistige Chaos in der Opposition überwunden wird und wenn alle Kräfte, die ihre historische Aufgabe erkannt haben, sich sammeln, um der Freiheit und dem Sozialismus zum Siege zu verhelfen.
Die Ziele der deutschen Revolution Wir kämpfenfür die Freiheit Wir können die Ziele der deutschen Revolution nicht »ausdenken«. Wir können nur formulieren und in seinen Konsequenzen durchdenken, wofür die deutschen bereit sind. Eines ist allen, die gegen das TerrorAntifaschisten zu kämpfen regime kämpfen, gemeinsam: Wir wollen die Freiheit wieder erringen. Aber wir müssen uns darüber klar werden, was wir von der Freiheit erwarten, was Freiheit nach dem Faschismus in Deutschland bedeuten kann, und wie wir sie sichern können. Nur wenn wir mit klarem Zielbewußtsein, mit voller Erkenntnis der vor uns liegenden Aufgaben in den Kampf gehen, wird sich das Schicksal der Revolution von 1918 nicht wiederholen, wird die neue Freiheit kein Weg zur neuen Konterrevolution, sondern ein Weg zum Sozialismus sein. Vor allem bedeutet die Freiheit für uns als Sozialisten, als organisierte Arbeiter dasselbe, was sie zu allen Zeiten für die kämpfende Arbeiterbewegung bedeutet hat: die Freiheit, offen unsere Ziele zu propagieren, uns im Kampf für sie zu organisieren, gemeinsam der Willkür der Ausbeuter Widerstand zu leisten und für die Verbesserung unserer Lebensbedingungen zu kämpfen. Wir wollen diese Freiheit nicht nur für uns Sozialisten, nicht nur für die industrielle Arbeiterschaft, sondern für alle Arbeitenden und Ausgebeuteten. Wir wollen Koalitionsfreiheit und Pressefreiheit, Selbstverwaltung und politische Rechte für Arbeiter und Angestellte, für Handwerker und Bauern, in Betrieb, Gemeinde und Staat. Aber diese Freiheit kann nach Jahren des blutigsten Regimes des Terrors und der Unterdrückung nicht errungen werden, ohne die Vernichtung der Unterdrücker, die Vernichtung ihrer politischen und ökonomischen Machtpositionen. Die Freiheit das erfordert die Zerschlagung des faschistischen Machtapparates, seinen -
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Ersatz durch Selbstverwaltungsorgane des revolutionären Volkes bis hinab in das kleinste Dorf. Die Freiheit das erfordert die Beseitigung der faschistischen Generalität, die Reinigung des Offizierskorps, die Verwandlung des faschistischen Zwangsheeres in ein wirkliches demokratisches Volksheer. Die Freiheit das erfordert eine eigene Schutzwaffe der Revolution, die nichts anderes sein kann, als die bewaffnete Macht der revolutionären Arbeiter selbst, und die vom Polizeiapparat der faschistischen Unterdrückung keinen Stein auf de [m] anderen lassen darf. -
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Wir wollen die Herrschaft über Wirtschaft und Staat Doch rein politische Maßnahmen genügen nicht zur Sicherung der Freiheit, die ökonomischen Machtpositionen der Konterrevolution müssen mitvernichtet werden. Die deutschen Revolutionäre dürfen nicht vergessen, wie der reaktionäre Großgrundbesitz °^e erste Republik »legal« unterhöhlt und schließlich ihren faschistischen Henkern ausgeliefert hat, sie dürfen nicht vergessen, wie die Schwerindustrie der Hauptgewinner der faschistischen Rüstungspolitik war, wie sie mit dem Blutsystem auf Gedeih und Verderb verbunden ist. Ohne Enteignung des Großgrundbesitzes, ohne Verstaatlichung der Rüstungsindustrie gibt es keine Freiheit in Deutschland. All das sind Kampfmaßnahmen, notwendig, die Freiheit zu erringen und zu behaupten. Aber keine Macht der Welt wird im hochindustriellen Deutschland mit Kampfmaßnahmen allein die Freiheit sichern können, wird die Freiheit sichern können, ohne gleichzeitig das Brot zu sichern, ohne positiv die Lebensprobleme der Massen zu lösen, an denen der Nationalsozialismus gescheitert ist. Wollen wir den faschistischen Staat ablösen, wollen wir auf seinen Frümmern eine Demokratie des arbeitenden Volkes errichten, so müssen wir verstehen, was dieser Staat wirtschaftlich für das Deutschland von heute bedeutet. Ein entscheidender Teil der deutschen Wirtschaft wird heute vom Staat entweder direkt beherrscht oder reguliert. Die Rüstungsaufträge, heute ein Riesenanteil der deutschen Produktion, vergibt der Staat. Die landwirtschaftlichen Festpreise bestimmt der Staat. Umfang und Lenkung der Kredite der Staat. Die Rangordnung der Einfuhr der Staat. Das System der Ausfuhrprämien der Staat. Der faschistische Staat benutzt diese Wirtschaftsmacht, um aus der Arbeit der Nation unproduktive Aufrüstung und Unterstützung bankrotter Kapitalisten zu finanzieren, auf Kosten der Lebensmöglichkeiten der Massen selbst. Doch in der Tollheit liegt Methode. All seine Maßnahmen, so volksfeindlich und verbrecherisch sie sind, sind soweit notdürftig aufeinander abgestimmt, daß der ganze Apparat mit Ach und Krach irgendwie im Gleichgewicht bleibt. Eine Revolution, die das faschistische System stürzt, ist daher mehr als jede Revolution der Vergangenheit unmittelbar vor größte wirtschaftliche Aufgaben gestellt. Den Faschismus stürzen, ohne diese Aufgaben sofort zu übernehmen, heißt, die Revolution in einem wirtschaftlichen Zusammenbruch mitvernichten. Die Aufgaben übernehmen, heißt aber, sofort die staatliche Führung der Wirtschaft übernehmen, und die Richtung dieser Führung zugunsten der arbeitenden Massen zu ändern. -
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Der Faschismus hat die Löhne gesenkt, die Bauern ausgepowert, die Konsumindustrie gedrosselt, um die Aufrüstung zu finanzieren. Die revolutionäre Demokratie wird die Rüstungsausgaben abbauen und die frei werdenden Kapitalien sofort verwenden, um die Konsumindustrie zu entwickeln und die Bauernwirtschaft durch Kreditgewährung und Kostensenkung zu heben, sie wird den Konsum durch Sicherung von Mindestlöhnen und Abbau der Monopolpreise beleben. Ihre Handelspolitik wird keine autarke Politik der Kriegswirtschaft, sondern eine Politik der europäischen Zusammenarbeit zum Vorteil der Verbrauchermassen sein. Wir wollen Macht als Mittel zum Sozialismus Auf Schritt und Tritt wird die revolutionäre Demokratie in die Wirtschaft eingreifen müssen, um sie im Sinne der Lebensnotwendigkeiten der Massen umzubauen. Sie wird das Steuer der Wirtschaft nicht aus den Händen des Staates geben, die Wirtschaft nicht steuerlos in den Abgrund treiben lassen sie wird das Steuer herumwerfen zugunsten des arbeitenden Volkes! Das allein ist die Sicherung der Revolution, ist die Freiheit die wir meinen. Aber ist das nicht schon Sozialismus? Nein. Die Verstaatlichung einiger Schlüsselpositionen ist noch nicht die Vergesellschaftung der Gesamtproduktion; die Wirtschaftspolitik im Interesse der arbeitenden Klassen ist noch nicht die Aufhebung der Klassen; die Zerstörung der Machtpositionen der reaktionärsten Kapitalsgruppen und ihrer politischen Sachwalter, die rücksichtslose Brechung der kapitalistischen Sabotage ist noch nicht das Ende des Kapitalismus. Das Programm der revolutionären Demokratie ist kein Sonderprogramm des sozialistischen Proletariats es ist das Programm der Forderungen für die alle Arbeitenden und Ausgebeuteten gemeinsam kämpfen können. Es ist das Programm des wirklichen Kampfes um Freiheit und Brot. Aber dies Programm bringt uns dem Sozialismus näher, als wir je in der Demokratie der Vergangenheit waren weil es die Machtverhältnisse der Klassen umwälzt. Verfassungsfragen sind Machtfragen, lehrte Lassalle. Nicht weil die Verfassung nicht demokratisch genug war, sondern weil die tatsächliche Macht der Reaktion nicht gebrochen wurde, ging die Weimarer Demokratie verloren. Nicht indem wir die Paragraphen der neuen Verfassung ausklügeln, sondern indem wir die Macht der Reaktion brechen und die Macht der arbeitenden Klassen stabilisieren, werden wir die neue Freiheit sichern. Nicht indem wir Demokratie und Diktatur als »Prinzipien« außerhalb der geschichtlichen Wirklichkeit diskutieren, sondern indem wir die geschichtlichen Aufgaben des Machtkampfes im nachfaschistischen Deutschland erkennen und lösen, werden wir durch den Kampffür die Freiheit zugleich den Sieg des Sozialismus vorbereiten. —
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III.
Programmatische Verlautbarungen
[S. 4] Die revolutionären Kräfte Neben der Herausarbeitung der Ziele der revolutionären Bewegung und der Maßnahmen, die zur Sicherung der Revolution erforderlich sind, ist die Frage von Bedeutung, 1. unter welchen Voraussetzungen ein Sturz des Nationalsozialismus durchführbar ist, 2. welche Möglichkeiten sich bei einer etwaigen Ablösung des Regimes ergeben, und 3. welche realen Kräfte als Träger der revolutionären Bewegung in Rechnung gestellt werden müssen.
Voraussetzungen und Möglichkeiten Die oberflächliche Auffassung, daß das nationalsozialistische Regime infolge seiner inneren Widersprüche, seiner Unfähigkeit und Unzulänglichkeit eines Tages wie ein Kartenhaus zusammenbrechen wird, verkennt das Wesen des Faschismus. Dieses Regime ist mit den lebenswichtigen Interessen maßgebender wirtschaftlicher und militärischer Kreise so stark verbunden und verfügt über so viele Reserven und Machtpositionen, daß ein plötzlicher Zusammenbruch kaum glaubhaft ist. Dagegen schafft die Fortdauer des Regimes in zunehmendem Maße die Voraussetzungen für eine Umwälzung, die den jetzt gefesselten oppositionellen und revolutionären Kräften größere Wirkungsmöglichkeiten geben könnte. Die barbarische Unterdrückung und Verfolgung aller Andersdenkenden treibt alle freiheitliebenden Menschen in die Opposition. Die Nichterfüllung der großspurigen Versprechungen des Nationalsozialismus und die Preisgabe all seiner scheinsozialistischen Verheißungen bewirkt in zunehmendem Maße eine Entzauberung des Regimes. Die Erschöpfung der wirtschaftlichen Mittel, die Ausplünderung des Volksvermögens und die Senkung der Lebenshaltung der breiten Massen des arbeitenden Volkes weckt in ihnen den Zweifel, daß der Nationalsozialismus die wirtschaftliche Krise überwinden könnte, und läßt die allgemeine Unzufriedenheit zur Empörung anschwellen. Dies alles schafft die Voraussetzungen, daß sich große Teile des Volkes vom Regime abwenden und daß selbst in den Kreisen seiner Anhänger Zweifel, Mißtrauen und Unsicherheit um sich
greifen.
Das Anwachsen solcher Massenstimmungen kann unter Umständen dahin führen, daß das herrschende Regime selbst einen Dekorationswechsel vornimmt, um dem In- und Auslande Sand in die Augen zu streuen. Ein solcher Wechsel würde jedoch nichts an dem Wesen des Diktaturregimes ändern, solange nicht eine grundlegende Verschiebung der Machtverhältnisse eintritt, auf denen die Diktatur beruht. Selbst eine etappenmäßige Ablösung der Diktatur, auf die manche oppositionelle Kreise ihre Hoffnungen richten, setzt voraus, daß der Block der Herrschenden innerlich so gespalten und die oppositionelle Bewegung so angewachsen ist, daß die herrschende Diktatur zu einer wenn auch teilweisen Kapitulation gezwungen wird. Es kommt also auch bei einer etappenmäßigen Lösung vor allem darauf an,
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daß die oppositionelle und revolutionäre Bewegung stark genug ist, um die wachsenden Schwierigkeiten der Diktatur auszunutzen und sie zu realen und nicht bloß scheinbaren Konzessionen an das Volk zu zwingen. Das Problem steht keineswegs so: Totale Revolution oder etappenmäßige Ablösung, sondern: Reale Volksbewegung, die sich auf oppositionelle und revolutionäre Kräfte stützt, oder irreale Spekulationen, die einer Illusion nach der anderen nachjagen und einen Wechsel des Regimes von irgendwelchen wundertätigen Kräften erwarten. Die realen Kräfte Jede echte Volksbewegung setzt voraus, daß man sich über das Wesen der sie tragenden Kräfte im Klaren ist. Es genügt nicht, eine allgemeine verschwommene Parole auszugeben, man muß auch wissen, auf welche gesellschaftlichen Kräfte man rechnen kann, welche Ziele jede dieser Kräfte sich stellt und wie weit man mit den in Frage kommenden Bundesgenossen zusammengehen kann. Bei der Wertung dieser Kräfte sind zwei Gesichtspunkte von entscheidender Bedeutung: 1. Die Idee der Freiheit, die einer großen Volksbewegung zugrundeliegt, ist ebenso unteilbar wie die Idee des Friedens, für die die Völker kämpfen. 2. Der Einsatz der Kraft, der von einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse oder Gruppe zu erwarten ist, hängt davon ab, wie stark der wirtschaftliche und politische Druck ist, der auf dieser Klasse oder Gruppe lastet, und welche Erwartungen sie an die bevorstehende revolutionäre Umwälzung knüpft. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten die vorhandenen oppositionellen und revolutionären Kräfte, die sich gegen die Hiderdiktatur in Bewegung zu setzen anfangen, so kommt man zu folgenden Ergebnissen: Vier Gruppen 1. Die Schärfe der Kritik und die Erkenntnis des unheilvollen Wakens der Hitlerdiktatur mag zwar in manchen bürgerlichen Kreisen, die genaueren Einblick in den inneren Mechanismus der Wirtschaft und des Staates haben, größer sein, als in jenen proletarischen Kreisen, die in stummer Passivität verharren. Aber die innere Bereitschaft zur Auflehnung und zum Kampf ist in oppositionellen bürgerlichen Kreisen im allgemeinen geringer als im Proletariat, weil sie sich naturgemäß nur enge soziale und politische Ziele stellen und vor allem befürchten, daß die Entfesselung einer revolutionären Volksbewegung in eine Revolution umschlagen könnte, die die Grundlagen der gesamten bürgerlichen Gesellschaftsordnung umstoßen würde. 2. Die gärende Unzufriedenheit in kleinbürgerlichen und bäuerlichen Kreisen bedeutet zwar eine starke Schwächung der Grundlagen des nationalsozialistischen Regimes und eine Zersetzung seiner inneren Kraft, sie kann aber nur dann für eine revolutionäre Volksbewegung nutzbar gemacht werden, wenn sie sich zu größerer Zielklarheit und politischer Einsicht entwickelt. Die antifaschistischen und antikapitalistischen Mittelschichten kommen nur dann als wichtige Faktoren einer revolutionären Volksbewegung in Betracht, wenn sie sich vorbehaltlos zur Demokratie 99
III.
Programmatische Verlautbarungen
bekennen und an Stelle eines verschwommenen Antikapitalismus, der oft zu reaktionären Lösungen drängt, die Bereitschaft setzen, gemeinsam mit der Arbeiterklasse an dem sozialen und wirtschaftlichen Aufbau in der vom Faschismus befreiten Republik mitzuwirken. 3. Die Widerstandsbewegungen in vielen kirchlichen Kreisen, ebenso wie die um sich greifende Kritik in Kreisen der Intellektuellen, sind ein wichtiges Symptom der inneren Zersetzung des Regimes und der unter der Hülle religiöser Auseinandersetzungen ausgetragenen politischen und sozialen Kämpfe. An diesen Auseinandersetzungen vorüberzugehen, wäre kurzsichtig, ihnen aber eine übertriebene Bedeutung beizumessen, wäre falsch, da sie nur im Rahmen einer großen, von starken sozialen Gruppen getragenen Volksbewegung mit ins Gewicht fallen können. 4. Der Schwerpunkt der antifaschistischen Volksbewegung liegt nach wie vor im Proletariat. Hier liegen die Wurzeln ihrer Kraft, hier sind ihre unerschöpflichen Reserven und ihre führenden Kräfte konzentriert. Das Proletariat als die unterste gesellschaftliche Klasse empfindet stärker als alle anderen Klassen der Bevölkerung den Druck der politischen Knechtschaft, der sozialen Degradierung und der wirtschaftlichen Ausbeutung unter der nationalsozialistischen Diktatur. In ihm lebt stärker als in anderen Schichten der Drang nach sozialer Befreiung und nach Aufrichtung einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung. Das Klasseninteresse, das es als größte und wichtigste Gesellschaftsklasse vertritt, ist gleichzeitig ein Febensinteresse der gesamten Gesellschaft. Die Lösungen, die es anstrebt, kommen nicht nur ihm, sondern auch allen anderen Schichten der arbeitenden Bevölkerung zugute. Die Idee der Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit wird von ihm nicht in Partikelchen aufgeteilt, sondern in ihrem ganzen Umfange angestrebt. Und der Einsatz der Kraft ist bei ihm als der stärksten und gedrücktesten Gesellschaftsklasse größer und unwiderstehlicher als bei allen anderen Klassen der Gesellschaft, die an ihrer Umgestaltung beteiligt sind. Faktische Probleme Betonung der führenden Rolle der Arbeiterklasse bei der kommenden Umwälzung ist wichtig, weil sich erst dann eine richtige Perspektive für die zukünftige Entwicklung ergibt. In einem Lande wie Deutschland, in dem etwa drei Viertel der Bevölkerung aus Lohn- und Gehaltsempfängern besteht, kann sich auf die Dauer kein Regime halten, das von der großen Masse der Arbeiterschaft bekämpft wird. Die scheinsozialistischen Phrasen, die von der nationalsozialistischen Propaganda fabriziert werden, ebenso wie die Lobhudeleien, die das Hitlerregime den »Arbeitern der Stirn und der Faust« spendet, bestätigen die Tatsache, daß die Diktatur in steter Furcht vor einer Erhebung der arbeitenden Klassen lebt. Findet die Arbeiterschaft ihr Selbstbewußtsein, ihren Kampfgeist, ihr solidarisches Vorgehen wieder, befreit sie sich von dem lähmenden Druck, den die dreijährige Herrschaft des Naziterrors erzeugt hat, so ist das Ende des Hitlerregimes in greifbare Nähe gerückt. Wenn wir dies feststellen, so stellen wir auch gleichzeitig die ungeheure Verantwortung der Arbeiterklasse für die Gestaltung des weiteren Schicksals des Volkes Die
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und des Staates fest. Es gibt keine Freiheit und keine fortschrittliche Entwicklung in Deutschland, wenn die Arbeiterschaft sie nicht erkämpft! Es gibt keinen Durchbruch zu einer höheren Gesellschaftsordnung, wenn die Arbeiterschaft in dumpfer Passivität verharrt und die Gestaltung des Schicksals des Landes den herrschenden Cuquen und den besitzenden Klassen überläßt! Nur wenn sie sich auf ihre geschichtliche Aufgabe besinnt, kann sie verhüten, daß sie noch einmal, wie nach der Novemberrevolution von 1918, von den bürgerlichen Klassen in den Hintergrund gedrängt und um die Früchte der Revolution betrogen wird. Dies aussprechen, bedeutet nicht, daß wir auf die Bundesgenossenschaft anderer gesellschaftlichen [sie] Schichten verzichten und dem Proletariat eine isolierte Rolle zuweisen. Jeder, der im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur steht, weiß, daß eine ehrliche Kampfgemeinschaft aller antifaschistischen Elemente der arbeitenden Bevölkerung erforderlich ist. Aber Kampfgemeinschaft bedeutet nicht Auflösung aller politischen Erkenntnisse in einem allgemeinen Brei, bedeutet nicht Verzicht auf die Herausarbeitung der Rolle der einzelnen Klassen im revolutionären Prozeß, bedeutet nicht die Preisgabe der proletarischen Klassenziele zugunsten etwaiger Bundesgenossen aus dem Lager der bürgerlichen Opposition. Die Geschichte aller bisherigen Wevolutionen lehrt im Gegenteil, daß die Steigerung des eigenen organisatorischen und politischen Gewichtes der Arbeiterklasse die Anziehungskraft ihrer sozialen und politischen Ideen der großen Volksmasse gegenüber verstärkt und ihr Bundesgenossen aus anderen Gesellschaftsklassen zuführt. Die Frage der proletarischen Führung in der Revolution ist keine akademische Prinzipienfrage, sondern eine Tatsachenfrage. Tritt die Arbeiterklasse mit klarem Bewußtsein ihrer Ziele in den Vordergrund des politischen Geschehens, schafft sie auch organisatorisch Sammelpunkte, von denen aus die oppositionellen und revolutionären Kräfte dirigiert werden können, so arbeitet sie damit am sichersten nicht nur auf den Sturz der Hitlerdiktatur, sondern auch auf die weitere Entwicklung der deutschen Revolution hin.
Die
Organisation der deutschen Revolution
Wer die Aufgaben durchdenkt, die der sozialistischen Arbeiterbewegung beim Sturz des Faschismus gestellt sind, der begreift sofort, daß diese Aufgaben nicht ohne einheitüche, zielbewußte Organisationsarbeit gelöst werden können. Zielbewußt gelöst werden aber muß vor allen Dingen das Problem der Organisationsform selbst: Sie muß den Kampfbedingungen angepaßt sein.
Abwarten oder Organisation? Die Aufgaben, die der illegalen Organisation unter dem Faschismus gestellt sind, sind vor allem Vorbereitungsaufgaben. Vorbereitung ist kein bloßes Abwarten; zu ihr genügt es nicht, wenn die alten Genossen noch persönlichen Kontakt unter101
III.
Programmatische Verlautbarungen
einander halten, ihre Gesinnung bewahren und also wissen, daß sie im Bedarfsfall »da sind«; auch nicht, daß sie gelegentlich illegale Literatur lesen. Durch solches Abwarten erhalten sich Reste einer Vergangenheit, Träger einer Tradition, aber nicht Träger einer Zukunft. Der Faschismus atomisiert das Volk durch seine Propaganda- und Organisationsmonopolje] in einer geschichtlich nie dagewesenen Weise, er schränkt den Horizont des einzelnen auf den Bereich seines unmittelbaren Erlebens ein, er macht jede selbständige kollektive politische Meinungsbildung unmöglich. Diesen Horizontverlust, diese Entpolitisierung zwingt er, je länger desto mehr, auch seinen Gegnern auf, wenn sie sich nicht in der illegalen Organisation das Instrument schaffen, sich selbständigen Ueberblick und selbständigen politischen Willen zu behaupten. Wer abwartet, ohne sich ständig organisiert politisch mit der Entwicklung der faschistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, wird in der Stunde, auf die er gewartet hat, kein Führer der Massen, sondern nur ein trauriges Fossil einer fernen Vergangenheit sein.
Vorangehen ohne Vorbereiten? Vorbereitung ist aber auch weit entfernt von Massenagitation oder gar Aktion. Solange das faschistische System funktioniert, reicht seine Macht aus, um ganz anders als jede Diktatur der Vergangenheit die bloßen Voraussetzungen der Massenbewegung zu zerstören. Es gab eine Massenströmung (wenn auch keine Massenorganisation) für die Revolution im zaristischen Rußland; es gibt eine illegale Bewegung mit Massencharakter unter der klerikal-reaktionären Diktatur im heutigen Oesterreich. Aber es gibt keine illegale Massenbewegung im faschistischen Italien nach Vollendung des Regimes in der Matteottikrise,1 und keine im nationalsozialistischen Deutschland. Es gibt keine Massen, die (bei aller Unzufriedenheit) aufnahmebereit sind für politische Agitation; es gibt keine Möglichkeit,
den ökonomischen Widerstand der Arbeiter bis zu Massenaktionen zu entwikkeln, ohne schon lange vorher auf die Staatsmacht zu stoßen und alle organisatorischen Ansätze im Keim zerstört zu sehen. Das ist kein ewiger und unabänderlicher Zustand. Aber seine Aenderung hängt nicht von unserem revolutionären Willen, unserer Agitation, unseren »Parolen«, sondern von objektiven Faktoren ab. Die Widersprüche, die heute schon soviel Unzufriedenheit hervorrufen, können eines Tages die Belastungsfahigkeit des Regimes überschreiten, zur offenen spontanen Massenaktion, zur offenen Krise des Regimes führen. Auch dann ist der Sturz des Faschismus noch keineswegs gesichert, auch dann ist sein zentralisierter Apparat den zersplitterten Gegnern
noch überlegen; aber darin liegt eben die Aufgabe der illegalen Organisation, sich vorzubereiten, nicht um durch »Parolen« eine Massenbewegung zu schaffen, sondern um sie, wenn sie auftritt, zu vereinheitlichen und zum Sieg zu führen.
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Organisation und Klassenkampf Eine solche Vorbereitung wäre unmöglich, ohne daß wir die gesellschaftlichen Kräfte, auf deren Aktion wir hoffen, schon heute spürten, ohne daß wir schon heute aufs engste mit ihnen verbunden wären. Unterdrückt, atomisiert, verschleiert geht der Klassenkampf weiter. Was wir von der Krise im großen erwarten, der soüdarische Zusammenschluß der Arbeiter für ihre Klassenziele, vollzieht sich täglich im kleinen, in betrieblichen oder bloß abteilungsweisen Verabredungen zum Widerstand, im gemeinsamen Kampf um die Akkordsätze, gegen die faschistischen Sammlungen etc. Es wäre sinnlos, diesen Widerstand, dessen Träger oft von politischer Opposition weit entfernt sind, »politisch« oder »gewerkschaftlich« organisieren zu wollen. Wohl aber ist es möglich, solche Widerstandszentren zu verbinden, | [S. 5] | nicht durch ein Programm oder Beitragsmarken, sondern durch Organisierung des Zusammenhangs der einzelnen, bewußten Elemente, die sich in allen solchen Gruppen finden. Sie, die täglich nicht als Agitatoren, sondern durch praktische Solidarität das Vertrauen ihrer Kollegen im Betrieb gewinnen, gilt es zusammenzufassen in einer Funktionärorganisation, die schon durch die Auswahl ihrer Menschen, durch ihre Zusammensetzung aus den natürlichen Führern der Klasse an den wichtigsten Punkten die Chance hat, in der Krise die Führung der spontanen Bewegung zu erlangen. -
Die Funktionärorganisation
Aufbau, Zusammensetzung, Arbeitsmethoden, Organisationsleben einer solchen
illegalen Funktionärorganisation sehen freilich anders aus, als in allen Organisationen, die wir aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung gewohnt sind. (Die revolutionären Obleute der Kriegszeit, das einzige Vorbild, an das man denken könnte, besaßen zu wenig politische Zielklarheit, um über ihre Verdienste in der Vorbereitung der Novemberrevolution hinaus auch im Verlauf der Revolution selbst politische Bedeutung zu behalten[.]) Durch die Erfahrungen der Illegalität haben sich einzelne der notwendigen Methoden, wie Menschenauswahl, Berichterstattung etc. schon vielfach herausgebildet, doch fehlt es der Arbeit solcher Gruppen von Betriebsfunktionären oft noch an politischem Inhalt, und immer wieder tauchen Fragestellungen auf, wie »Schulung oder Agitation?«, »Aktionsversuch oder Abkapselung von den Massen?«. Die wirkliche Funktionärorganisation ist dadurch mit den Massen verbunden, daß ihre Mitglieder, ohne heute besondere Parolen herauszugeben, sich durch praktische Beratung in den täglichen Kleinigkeiten des Betriebslebens das Vertrauen ihrer Kollegen erwerben, die Bildung unpolitischer Kerne der Solidarität fördern und ihr Han-
deln beeinflussen, ohne sie »politisieren« und »organisieren« zu wollen, ohne auch sich selbst als Lautsprecher der Unzufriedenheit oder als Lautsprecher des Nationalsozialismus zu exponieren. Sie schult ihre Genossen nicht durch Hineinpumpen von Material- und Bücherwissen, sondern durch gemeinsame politische Verarbeitung der Tatsachen ihrer laufenden Berichterstattung, durch Aufzeigung des Zusammenhangs ihrer persön103
III.
Programmatische Verlautbarungen
Erfahrungen mit dem allgemeinen Entwicklungsgang des Regimes, durch Aufhebung der Horizontbeschränkung und Entpolitisierung, die das System sonst bewirkt. Sie befähigt sie dadurch nicht, aller Welt Agitationsreden zu halten, sondern sich besser als ihre Kollegen unter den Bedingungen des Faschismus zurechtzufinden und so praktisch zu ihren Führern zu werden. liehen
Ueberwindung der Zersplitterung! Möglichkeit einer solche politischen Funktionärorganisation in der Illegalität hängt in hohem Grade von der Durchsetzung einer politisch klaren und einheitlichen Führung ab. Das Bild, das wir gezeichnet haben, ist nicht ausgedacht, es entspringt den Erfahrungen der fortgeschrittensten Teile unserer Partei. Doch die Gesamtpartei ist von einem solchen Zustand bewußten Organisationsaufbaus noch weit entfernt; [njeben gut organisierten Gruppen stehen reine Traditionszirkel, Lesegemeinschaften, und die organisierten Gruppen selbst haben untereinander ungenügenden Zusammenhang. Ungleichmäßigkeit der lokalen Entwicklung, Abreißen der Verbindungen etc. sind natürlich in der Illegalität nie zu vermeiden, doch die systematische Vermittlung der Erfahrungen der Gruppen untereinander muß helfen, die Unterschiede soweit wie möglich auszugleichen, das Gesamtniveau zu heben und die Zersplitterung zu überwinden. Die Behandlung der Organisationsprobleme muß deshalb in nächster Zeit eine unserer Hauptaufgaben sein. Die Sehnsucht nach organisatorischer Vereinheitlichung, nach Ueberwindung der lokalen Zersplitterung und Beschränktheit liegt ja auch größtenteils den Einheitsfrontbestrebungen zugrunde, wie sie sich in Deutschland bemerkbar maDie
chen. Wo die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen in konspirativ durchdachten Formen mit vertrauenswürdigen Menschen erfolgt und wo sie dem Zweck dient, gegenseitige Hilfe zu ermöglichen, Informationen und Erfahrungen auszutauschen und zur Verbesserung der Arbeitsmethoden und Klärung der Zielvorstellungen auf beiden Seiten beizutragen, ist sie als einer der Wege zu der erstrebten Vereinheitlichung der illegalen Arbeit zu begrüßen. Die Einheitsfrage darf uns aber nicht ablenken von dem positiven Durchdenken der ungelösten Organisationsprobleme. Die Zusammenarbeit mit den Kommunisten etwa kann dies selbständige Durchdenken schon deshalb nicht ersetzen, weil die kommunistischen Genossen selbst von einer wirklich zweckmäßigen Organisationsform noch weit entfernt sind. Die Konzentrierung aller Arbeit auf und der Aufbau der eigenen Gruppen in Anlehnung an die faschistischen »Massenorganisationen«, die die KP jetzt als neuen Weg zur »Massenarbeit« vorschlägt, zeigt deutlich die hier vorhandenen Illusionen, mit denen wir uns noch ausführlich beschäftigen werden. Nicht die Besetzung von Funktionen in Organisationen ohne inneres Leben, die den Funktionär schließlich hoffnungslos exponieren oder hoffnungslos diskreditieren muß, sondern nur die Weckung der selbständigen Klassen-
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seiner Solidarität im Betrieb kann die Grundlage der unsere Funktionäre werden können, was sie werden müssen[:] die Träger der illegalen revolutionären Klassenpartei!
sein, auf
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kraft des Proletariats,
Anmerkung der Herausgeberin: 1
Die parlamentarische und öffentliche Krise, in die das italienische Regime nach der von führenden Faschisten im Juni 1924 veranlaßten Ermordung von Giacomo Matteotti, dem Sekretär der Sozialistischen Partei und Sprecher der nichtfaschistischen Fraktionen, geriet, nutzte Mussolini zur Ausschal-
tung jedweder Opposition.
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Dokument 16.2
Neu Beginnen, Front populaire und Erfordernisse einer deutschen Volksfront Juni 1936 Vorlage:
Nachrichten des Auslandsbüros »Neu 230 x310 mm IISG
Beginnen«, Prag, 1936,
Nr.
6, Juni, S. 1-2;
Standort: Zu Entstehung, Kontext und politischen Konsequenzen dieses Textes in der Gruppe Neu siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 136-141
Beginnen
Volksfront und deutsche Arbeiterbewegung Mit den Volksfronterfolgen in Frankreich könnte ein neues Kapitel europäischer Geschichte beginnen. Eine wachsende Abwehrbereitschaft breiter proletarischer und kleinbürgerlicher Massen gegen den Faschismus und reaktionäre Abenteuer wird sichtbar. Das wichtigste ist: Die sozialistische Arbeiterbewegung in ihrer Gesamtheit hat gelernt! Sie beginnt sichtbar die gegebenen Chancen besser auszunützen. Überflüssig zu sagen, was eine Festigung der ersten Erfolge besonders in Frankreich für Europa und für die Welt bedeuten würde!
Nach der Niederlage der deutschen Republik und der großen deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung und ihrer aufwühlenden Wirkung setzten Gegenkräfte nur langsam ein. In den skandinavischen Ländern, in der Schweiz, in Belgien behaupteten und erweiterten die sozialdemokratischen Arbeiterparteien ihre Positionen. Es folgte der heroische Kampf der österreichischen Sozialdemokratie und der spanischen sozialistischen Arbeiter. Als Wien und Asturien niedergeworfen waren,1 demoralisierten diese Niederlagen nicht mehr. In der sozialistischen Arbeiterbewegung beginnt seit damals ein Prozeß der Neuorientierung. Unter Schwankungen, zögernd, keinesfalls im richtigen Verhältnis zu den wachsenden Gefahren fortschreitend, aber es war doch der Beginn einer neuen fortschrittlichen Kräftekonzentration. Die Sowjetunion suchte ein Defensivbündnis mit demokratischen Kräften im Westen.2 Ihrer Initiative folgte die Komintern. Der 7. Weltkongreß bezeichnet insofern eine tiefergehende bedeutsamere Wendung als irgendeine taktische Wendung der zahlreichen Wendungen auf dem Fleck in den anderthalb Jahrzehnten vorher. Eine Annäherung der Arbeiterparteien in einigen Ländern, eine wenigstens teilweise Überwindung der schlimmsten Auswirkungen der bisher tiefgehendsten Spaltung seit dem Bestehen der Arbeiterbewegung kommt zustande. Was 1914 und nach dem Kriege noch sich trennte, beginnt sich keinesfalls geraden Wegs und keinesfalls immer zielbewußt wieder zu nähern. Schon diese erste Annäherung hat nach einem Hin und Her, nach Rückschlägen und Störungsmomenten, die nicht zu Ende sind, die ersten Früchte gezeitigt. Wichtige bürgerliche Parteien mit demokratischer -
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Arbeiterbewegung
Tradition wie die spanischen Republikaner oder wie die französischen Radikalen sind in ein Bündnisverhältnis an die Seite der sozialistischen Arbeiterbewegung dieser Länder obwohl auch diese die Spaltung noch nicht überwunden hat gezogen worden. Das ist eine Folge der Konzentration in der Arbeiterbewegung. Am bedeutsamsten ist zweifellos die Einigung der französischen Gewerkschaftsbewegung.3 Seit dieser Einigung zog die große Kraftauswirkung, die von ihr ausging, die Gruppe Daladier4 in ihr Kräftefeld. Das ist der bisher größte Erfolg der neuen Tendenz. Er eröffnet Perspektiven von einzigartiger Bedeutung. Auf eine Formel gebracht ist folgende neue Situation eingetreten: Nicht mehr Mittelschichten mit den reaktionärsten kapitalistischen Gruppen gegen die Arbeiterklasse, sondern zum ersten Male seit 1932 Mittelschichten, Bauern, Intelligenz, städtische Mittelklasse mit den Arbeitern gegen die kapitalistischen Hauptkräfte.5 Noch dazu in einem für die europäischen Verhältnisse so wichtigen Lande wie Frankreich. Das gibt dem Neuen übernationale Bedeutung. Daß diese neue Tendenz auch genährt wird von verstärkten Widerstandskräften, die aus der neuen Konjunkturentwicklung vorübergehend auftreten, gibt dem Neuen größere Stabilität für einige Zeit. Daß eine, wenn auch widerspruchsvolle Aufwärtsentwicklung der Sowjetunion in dieser Phase anhält, gibt dem Neuen ein starkes machtpolitisches Zentrum. Zum ersten Male seit der neuen Frontenbildung erscheint die Perspektive einer geschichtlich fortschrittlichen antifaschistischen, antireaktionären und ernsthaft um Friedenserhaltung kämpfenden Koalition in reale Nähe gerückt. Es sind nicht mehr die reaktionären Kräfte des französischen Imperialismus, die im ungleichen Bündnis mit der Sowjetunion stehen, sondern die radikalen demokratischen Kräfte Frankreichs und der sozialistischen Arbeiterbewegung. Würde die sozialistische Arbeiterbewegung stark genug sein, die neuen Positionen zu behaupten, so könnte man von einer großen historischen Umgruppierung in Europa sprechen, sie würde entscheidend für die nächsten Schicksalsjahre der Weltentwicklung sein. -
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Allerdings es ist kein Anlaß, zu früh zu jubeln. Kritische Reserve ist angebracht. Einmal und das ist das Wichtigste: der Gegner ist nicht geschlagen! Sein Vormarsch in Frankreich, in Spanien, in anderen wichtigen Ländern ist zum Stehen gebracht. In Deutschland vor allem und in Italien, wo der Faschismus in den letzten großen Krisen gesiegt hat, behauptet und stärkt er seine Positionen. Wir wollen nicht wiederholen, was wir anläßlich der neuen deutschen außenpolitischen Offensive nach dem 7. März sagten.6 Seither ist der afrikanische Sieg Mussolinis perfekt geworden. Das römisch-abessinische Imperium wird die Anziehungskraft der faschistischen Welttendenz nicht schwächen, wenn es auch die imperialistischen Widersprüche vermehrt.7 Noch hat im internationalen Kräftespiel der
Faschismus die Initiative und nicht eine Volksfrontländerkoalition. Das zweite ist: nur in den genannten europäischen Ländern haben Volksfrontgruppierungen bereits bedeutende Ausgangspositionen errungen. In England beispielsweise, was hier nicht näher ausgeführt werden kann, drohen besondere Gefahren einer 107
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Programmatische Verlautbarungen
Option der Kräfte des Empire für die reaktionären Zentren der Welt. Rüstung, Militarisierung, damit verbundene reaktionäre gesellschaftliche Impulse in allen Ländern behindern einen Durchbruch radikaler demokratischer Tendenzen. (Nirgends ist das so sichtbar wie in europäischen Bauernländern, wo eine radikale Welle sich vorläufig außerstande zeigt, die Diktatur zu sprengen, eben so in Japan.) Das dritte und entscheidende aber ist: die Arbeiterbewegung hat gelernt, sie hat aber nicht genug gelernt! Der Fortschritt in der Konzentration der Kräfte in der sozialistischen Arbeiterbewegung ist bis heute noch nicht begleitet von einem Wachstum an Zielbewußtheit für die sozialistische Aufgabe, das Schritt hielte mit den Bedürfnissen der Zeit. Sektiererische, dogmatische, subjektivistische Festlegungen, wie sie in der Nachkriegsepoche die kommunistischen Teile der Arbeiterbewegung teilweise zu bloßen Konkurrenzsekten machte, sind abgestreift. Aber kritisch revolutionäre Erkenntnisse, die bei den kommunistischen Teilen der Arbeiterbewegung fortschrittlich waren, drohen verloren zu gehen. In den sozialdemokratischen Parteien vorerst der Volksfrontländer entwickeln sich wichtige Fortschritte der Erneuerung, die der Gesamtbewegung dienen können. Aber dies wieder droht die Einheit der SAI zu sprengen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß ihre Exekutive nur unter großen Anstrengungen diese Einheit aufrechtzuerhalten vermag. Die einen sozialistischen Parteien wie die Labourparty und Parteien und Gruppierungen der linken Strömungen »verstehen sich nicht mehr«!8 Unter diesen Verhältnissen ist die Ohnmacht der Gesamtbewegung noch nicht wirklich überwunden, auch die Operationen der Parteien in den VolksfrontBlockländern stehen unter der Auswirkung der Schranken von gestern, ob kommunistische Parteien oder sozialdemokratische, noch in ihrer Annäherung verbinden sich Elemente des Fortschritts mit Rückfallstendenzen. In einer Neigung Zur Preisgabe der Klassenziele kommt dies vor allem in der französischen Volksfront zum Ausdruck. Die eine Partei mauserte sich mit überraschender Wendigkeit zu einer radikalen Volkspartei, die nicht nur rote Fahne und Tri- |S. 21 kolore versöhnen möchte, die auch mit der neuesten Losung »Kanonen für Volksrechte« auf Konzeptionen der Bebeischen Aera der Arbeiterbewegung zurückgreift. Auf der anderen Seite, die Formel Blums von der Abrüstung, die das Illusionäre der Wilsonschen Friedenskonzeptionen unterstreicht, zwanzig Jahre nach Jaur[e]s, wo die revolutionäre nationale Verteidigung Frankreichs nicht nur der einzige Ausweg für die Behauptung gegen den Faschismus sein kann, wo zugleich nur die führende Initiative für eine sozialistische Lösung Volkskräfte mobilisieren und binden kann, die sonst um so rascher zurück zu den chauvinistischen Nationalisten schwenken würden. Wir nehmen an andrer Stelle zu diesen inneren Schwierigkeiten der Volksfront ausführlich Stellung. Diese Schwierigkeiten müssen erkannt, um überwunden zu werden. Ihre Erkenntnis ist die Voraussetzung einer wirklichen Neuorientierung der Gesamtbewegung und einer dauernden Gewinnung breiter Volksmassen, auch der Mittelschichten neben der Arbeiterklasse, einer Verwandlung des Abstoppens des faschistischen 108
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in eine Niederlage des europäischen Faschismus und in einen Sieg über den Faschismus. In einer solchen Situation kann es aber nicht darauf ankommen, positive Fortschritte und retardierende Elemente nur abzuwägen. Mehr als je muß es heute, wo neue Kräfte im Ansteigen begriffen sind, darauf ankommen, positiv verändern zu helfen. Nur der Sozialismus hat eine europäische iJisung: die Verwandlung der europäischen Kleinstaaterei, in ein sozialistisches Europa. Gegen protektionistische und etatistische Entwicklungshemmungen, die Europa in den größten Unruheherd der Welt verwandeln, die die Produktionskräfte auch noch heute, im Konjunkturansatz eindämmen, die die faschistische Barbarei konsolidieren und die sozialistische Arbeiterbewegung mit dem Untergang bedrohen. In einer solchen Situation kommt es darauf an, klar zu erkennen, daß der Kampf um die Erhaltung der demokratischen Freiheiten verbunden sein muß mit dem kühnen Ziel der Erkämpfung einer Machtposition, die stark genug ist, national und international, die faschistische Aera zu beenden. Für die Einheit der Internationalen, aber nicht mit Konzeptionen, die zur Spaltung der letzten zwei Jahrzehnte beigetragen haben. Für die weitere Zurückdrängung des Faschismus durch die Gesamtkräfte der Bewegung, aber nicht mit Konzessionen an die noch immer herrschenden reaktionären Klassen und Gruppen von heute, die den Faschismus zu Hilfe rufen werden, wenn eine Massenenttäuschung dazu die Gelegenheit bietet. Für den intransigenten Machtkampf nicht mit doktrinären Programmen, aber ohne die Preisgabe der historischen Ziele, nur das kann heute die Orientierung des europäischen Sozialismus sein, gerade heute, wo sich neue Siegeschancen eröffnen. In der internationalen Volksfrontströmung konzentriert sich gegenwärtig das Element des gesellschaftlichen Fortschritts, aber es ist auch dort bedroht!
Vordringens
Versuchen wir die konkrete Nutzanwendung auf unsre deutschen Verhältnisse daraus zu ziehen. Lebhaft ertönt der Ruf nach der deutschen Volksfront. Jedoch für eine bloß schematische Übertragung auf die deutschen Verhältnisse fehlen alle Voraussetzungen. Wo noch demokratische Freiheiten bestehen, wo noch Gesellschaftsteile in Parteigruppierungen die freie Initiative haben können zu einer Umgruppierung, wo wenigstens eine gewisse Wandlung der Exponenten der sozialistischen Arbeiterparteien vorhanden ist, die diese Freiheiten besser zu nutzen gelernt haben, kann es erfolgreiche Volksfrontpolitik geben. In Deutschland gibt es keine Freiheiten, gibt es keine Parteien, gibt es nur winzige Überreste der Arbeiterorganisationen der demokratischen Aera, gibt es einen heldenmütigen Verzweiflungskampf der illegalen Reste ihrer besten Kräfte, aber diese Zusammenfassung dieser illegalen Splitter und Verbindungen, die wünschenswert wäre und längst nicht erreicht ist, kann man Volksfront nennen, es wird deshalb noch keine Volksfront sein. Einigung der Sozialisten ist vor allem nötig.
Je schneller sie gelingt, desto stärkere Voraussetzungen für die Schaffung einer Peripherie von Einzelverbündeten, von Exponenten früherer Organisationen, 109
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Programmatische Verlautbarungen
Transmissionen zu gesellschaftlichen Gruppen und Schichten, die heute dem Faschismus eine noch geringere Organisationsfähigkeit zeigen, als die geschlagene Arbeiterbewegung. Auch diese Verbindungen sind wichtig, und sie können die Erneuerung der illegalen Bewegung, die Vorbereitung einer neuen Bewegung stärken. Insbesondere wo der anregende Einfluß der internationalen Strömungen aufbauend wirkt. Aber nur dann, wenn nicht nach Schema »F« vorgegangen wird, sondern in einer konkreten Anpassung an eine konkrete Situation. Welches sind die Bedingungen dieser Situation und welches ist der Weg einer Vorbereitung einer deutschen Volksfront? 1. Nötig ist vor allem Klarheit über sie und die Ziele eines Kampfes, der erst recht die historische Perspektive des sozialistischen Deutschland im sozialistischen Europa voranstellen muß. Das Ziel der antifaschistischen Revolution ist der Sturz des Regimes im Bündnis mit allen antifaschistischen Kräften und mit allen revolutionär-demokratischen Elementen. Aber keine plötzliche Beteuerung der Heimatliebe, keine Schlaumeiereien in der Wendigkeit auf die Vorstellungswelt der Exponenten der vergangenen formalen Demokratie sichert das Zustandekommen eines neuen Bundes der zersplitterten Gegner des Faschismus. Nur ein über ihn hinausweisendes Gesellschaftsziel kann diejenigen vereinigen, die heute sich kritisch vom nationalsozialistischen Regime abwenden, kann vor allem die Massen der deutschen Arbeiter von der Verwirrung des Nationalsozialismus zurückbringen, die ihr erlegen sind. Mit der Proklamierung der Irrtümer, die von 1918 bis 1936 zur Zertrümmerung einer gewaltigen Machtposition beigetragen haben als neuem Ziel, lockt man vielleicht emigrierte Ex-Parlamentarier zu Emigrantenkongressen, aber man gewinnt auch nicht einen Menschen, der in Jahren der Isolierung, der Atomisierung und der ständigen Vernichtungsgefahr aushalten muß. 2. Die demokratischen Positionen sind zunächst verloren. Die Proklamierung einer Scheinkonzentration ihrer früheren Exponenten schafft noch keine neue Kräftebasis. Es ist wichtig, heute zu begreifen, was verloren ist. Es gab in der deutschen Vergangenheit zweimal bescheidene Ansätze einer Bündnisbestrebung der Arbeiterorganisationen. Nach dem Kapp-Putsch und in der Fürstenabfindung. Die eine hat zum ersten Male die Republik gerettet, die zweite hat zu dem Vormarsch von 1928 entscheidend beigetragen. Beide Male zerfiel das Bündnis so rasch als es gebildet wurde. An Stelle auch nur einer Volksfront damals, verschrieb sich die große Sozialdemokratie den Koalitionsbündnissen und wandte sich die damalige Kommunistische Partei dem sektiererischen Kurs zu, der sie vorübergehend zur einflußlosen Sekte machte. Vorbereitung der Volksfront heute, heißt diese grundlegenden Erfahrungen der Vergangenheit beherzigen und zuerst die Kräfte schaffen, die in den Resten der Arbeiterorganisationen die Vergangenheit wirklich kritisch überwunden haben. Ihre innere Angleichung gilt es zu erreichen und sie als Basis der späteren Verschmelzung zu einer einheitlichen Gesamtorganisation vorzubereiten.
von
unter
110
16.2 NB, Volksfront und deutsche
Arbeiterbewegung
3. Die heute schwache und fehlende Verbindung zu den Massen wird nicht schneller hergestellt, indem man Emigranten-Volksfrontkomitees bildet, sondern indem man geduldig durch den Ausbau und die Koordination der lebensfähigsten Teile und Verbindungen in Deutschland selbst eine wirklich fundierte, den heutigen Bedingungen angepaßte illegale Organisation schafft, die die Ausrottung der wertvollsten Teile, wie sie sich heute noch vollzieht, beendet und in den Schlüsselpunkten des illegalen Kampfes in den großen Betrieben, in den erhalten gebliebenen lokalen Stützpunkten neue, lebensfähige Kaders schafft. Ein festes Organisationsfundament der vereinigten Arbeiterorganisationen, das ist zugleich die Basis einer verstärkten Sammlung der vorbereitenden Volksfrontperipherie, die möglich ist um dieses Zentrum. Das heißt heute aber die Liquidierung des Konkurrenzkampfes der Splitter, heißt Zusammenfassung und Erneuerung der sozialdemokratischen Kräfte, damit sie überhaupt fähig werden, der Partner einer Arbeiterkonzentration, Teil der selbständigen, unabhängigen Arbeiterpartei der Zukunft der deutschen Arbeiterklasse zu werden. Wir begrüßen die kommunistische Volksfrontorientierung, soweit sie diese Vorbereitungsarbeit fördert. Wir treten in der Sozialdemokratie für die Überwindung des Gruppenwesens ein, das nach 3'/2 Jahren faschistischen Regimes unerträglich geworden ist. Wir wollen beitragen, ebenso zur Liquidierung einer »Neubeginnen«-, wie einer RS-, wie einer P"V'-Gruppe. Wir brauchen eine geeinte, illegale Sozialdemokratie, weil sich nur mit einer solchen, im freundschaftlichen Wettbewerb mit den erneuerten und erhalten gebliebenen Teilen der Kommunisten und der andern heutigen Gruppen die Einheitspartei der deutschen Arbeiterklasse bilden kann, die die lebensfähigsten, fortschrittlichsten Elemente der Klasse zusammenfaßt.
Die neue internationale Situation kann diesen Prozeß begünstigen. Aber auch heute lassen sich bestimmte Phasen nicht überspringen. Der heutigen Wirklichkeit entsprechen solche Volksfrontvorbereitungen, deren ersten Stufe Neubeginnen der deutschen Arbeiterbewegung heißt!
Anmerkungen der Herausgeberin: 1
In Österreich wurden im Februar 1934 der Aufstand des sozialdemokratischen, von Kommunisten Dollfuß-Regime militärisch niedergeschlagen, anschließend alle sozialdemokratischen Organisationen, ebenso wie die kommunistischen ein Jahr zuvor, verboten; in Asturien schlugen im Oktober 1934 Armee und Truppen der Fremdenlegion unter General Franco den bewaffneten Widerstand einer Arbeiterallianz aus Sozialisten, Anarchisten, (Semi-)Trotzkisten und Kommunisten gegen die reaktionäre Regierung Lerroux blutig nieder. 2 Die Sowjetunion trat im September 1934 dem Völkerbund bei, am 2. Mai 1935 schloß sie einen Beistandspakt mit Frankreich, am 16. Mai 1935 einen Beistandspakt mit der Tschechoslowakei. 3 Der Vereinigungskongreß von sozialistischer CGT und kommunistischer CGTU fand vom 2.-5. März 1936 in Toulouse statt. 4 Edouard Daladier war der einflußreichste Politiker auf dem »linken« Flügel der Radikalsozialistischen Partei; am 4. Juni 1936 übernahm er den Posten des Verteidigungsministers im Kabinett Léon Blum. unterstützten Schutzbundes gegen das
Ill
IM. 5
Programmatische Verlautbarungen
Dem aufgrund des Wahlsiegs der Linksparteien 1932 zustande gekommenen Kabinett unter dem Radikalsozialisten Herriot folgte bald ein Regierungswechsel nach dem anderen, die Politik wurde u.a. unter dem Druck der Wirtschaftskrise stets unsozialer. 6 Am 7. März 1936 ließ Hitler Truppen in die demilitarisierte Rheinlandzone einmarschieren und brach damit eine Bestimmung des Versailler Friedensvertrags und des diese bekräftigenden Locarno-Pakts vom Oktober 1925. Die Nachrichten des Auslandsbüros »Neu Beginnen«, Nr. 4/5, von April/Mai 1936 konstatierten und analysierten die Sogwirkung von Hitlers anschließender'»Friedensrede« auf das Ausland und den noch zugenommenen Nationalismus auch in der deutschen Arbeiterschaft, wie er im Plebiszit über die Rheinlandbesetzung vom 29. März zum Ausdruck kam (»Der Weg zur Freiheit«, S. 1-4), und sie kritisierten die eher laue Reaktion seitens der französischen Sozialisten und Radikalsozialisten und besonders die pazifistisch-nationalistische Politik des PCF (»Die französischen Volksparteien nach Hitlers Gewaltstreich«, S. 14); die Einschätzung »Zur internationalen Lage« fiel im Wochenbrief, Nr. 3, vom 17. April 1936 noch negativer aus, als einziger kleiner Lichtpunkt wurde eine stetere Haltung der Komintern »in der Richtung auf verstärkte Einheitsfront- und Volksfrontwerbungen« festgestellt, wenn auch »mit der nowendigen prinzipiellen Kritik von uns« an diesem Kurs (S. 5). 7 Am 9. Mai 1936 erklärte Mussolini die Annexion Abessiniens durch Italien und damit den Krieg für beendet, der durch den Einfall der italienischen Truppen in das nordafrikanische Land im Oktober 1935 ausgelöst worden war; England stand In dem Konflikt auf der Seite Italiens und gegen die Interessen Frankreichs; für eine kurze Übersicht der Konstellationen siehe auch: Deutsche Volksfront Band 1, S.106-116. 8 Die Gegensätze zwischen den der SAI angeschlossenen Parteien der nordwesteuropäischen konstitutionellen Monarchien, an der Spitze die Labour Party, dazu der Partei Finnlands, den beiden Parteien der CSR und der SPD, die alle eine Zusammenarbeit mit den Sektionen der Komintern und mit dieser selbst ablehnten, und den Einheitsfront-willigen Parteien sind in meiner Untersuchung mehrfach angesprochen worden, siehe z. B.: Deutsche Volksfront Band 1, S. 138f. und 264f.; zur Konstellation nach der Rheinlandbesetzung siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 110-112.
112
Dokument 17
Freidenkergruppe (Max Sievers), Diskussionsgrundlage für alle Gruppen in der Illegalität und der Emigration Proletarische
März 1936 Vorlage:
Informationsbrief SIKO,
graphierter Dünndruck,
o. O. [Antwerpen 160 x 245 mm
Brüssel], 1. März 1936, S. [1]-[3]; mimeo-
Standort: IISG Zu Entstehung und Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 34f. und 497f.
Nur ein Weg führt zum Ziel.
1. März 1936.
Jeder Tag schafft neue Beweise dafür, dass sich das Hider-Regime in einer äusserst prekären, um nicht zu sagen, verzweifelten Situation befindet. Selbst die skrupellosesten Propagandaredner können die sich bergehoch auftürmenden Schwierigkeiten nicht mehr ableugnen, eine Besserung in absehbarer Zukunft wagt niemand mehr in Aussicht zu stellen. Mit der Hoffnung, dass sich das Regime bald selbst abgewirtschaftet hat, tröstet sich heute ein grosser Teil des Volkes über alle Mühsal des Tages hinweg. Diese Hoffnungen sind aber nichts weiter als trügeri[s]che Illusionen, wenn sie von der naiven Vorstellung ausgehen, dass die Diktatur eines Tages von selbst verschwinden wird. Nicht minder lebensgefährlich für das deutsche Volk ist auch die weit verbreitete Auffassung, dass das nazistische Abenteuer mit einer unvermeidlichen Zwangsläufigkeit in einen Krieg ausmünden muss, und dass nur dieser Krieg die Befreiung vom nazistischen Joch bringen kann. Solange die Hiderbe[w]egung existiert, hat sie mehr von der Schwäche ihrer Gegner, als von ihrer eigenen Kraft gelebt. Es ist die Schwäche der antifaschistischen Bewegung, dass es ihr an einer klaren, positiven Zielsetzung fehlt. Die in der illegalen Front kämpfenden Gruppen beschränken sich grösstenteils darauf, Mat[e]rial über die kritische Lage im Dritten Reich zusammen zu tragen, ohne dass aus dieser Lage die politischen Schlussfolgerungen gezogen werden, es fehlt die Antwort auf die heute von Millionen gestellte Frage, was nach Hitler kommen soll. Nach dreijähriger illegaler Betätigung ist die Situation überreif dafür geworden, dass sich aus dem chaotische[n] Durcheinander der antifaschist[isch]en Front ein sozialistischer Kern herausschält, der die ersten Voraussetzungen für eine einheitliche Kampfesführung schafft, die dem Volke mit aller Entschlossenheit die Wege zum Ziel seiner endlichen Befreiung weist. Am 1. Oktober v.J. haben wir allen Gruppen praktische Vorschläge für die Bildung einer gemeinsamen Front unterbreitet.1 Es ist in vielen Verhandlungen darüber diskutiert worden. Manches »Ja« klang uns entgegen, viele Wenn und 113
III.
Programmatische Verlautbarungen
keiner Seite ein entschiedenes »Nein«. Trotzdem ist es Entscheidungen noch nirgends gekommen, und so irrt weiter alles im gewohnten Trott der Unentschlossenheit und der Zersplitterung herum. Heute unternehmen wir einen neuen und noch konkreter gefassten Versuch. Der in dieser Ausgabe enthaltene Pro¡¿jrammentwurf wird allen Gruppen in der Illegalität und in der Emigration als Diskussionsgrundlage unterbreitet werden. Mit ihm wird eine Basis für wirklich konkrete und grundsätzliche Verhandlungen geschaffen. Es muss doch endlich einmal der Weg gefunden werden, der uns aus der heutigen trosdosen Wüste herausführt. In der Zwischenzeit hat, wie wir bereits mehrfach berichteten, der Prager P.V. das kommunistische Einheitsangebot abgelehnt, was aber die Kommunisten nicht entmutigt hat, ihre Bemühungen fortzusetzen, und auch um die Mitarbeit bürgerlicher Politiker zu werben. So entstanden auf kommunistische Initiative in der Emigration E[i]nheitscomités antifaschistischer Prägung, und mit einer recht gemischten Zusammensetzung. Es ist in ihnen sicherlich viel guter Wille vorhanden und ganz offenbar ist das Bestreben, den Parteifanatismus zu dämpfen und zwischen bisher weit von einander getrennten Lagern die Brücken einer kameradschaftlichen Verständigung zu bauen. Aber dies alles zusammen ergibt noch lange nicht die durch eine positive Zielsetzung zusammengeschweisste Front, und sie wird auch auf diesem Wege nicht entstehen. Man ist sich in diesen Einheitscomir.es einig bis zu dem Programmpunkt: Sturz der Hitlerdiktatur, über die Frage, was nachdem kommen soll, gleitet man mit verlegenen Redensarten hinweg. Wenn wir heute noch in der Weimarer Republik leben würden, und wenn es möglich wäre, die Hitler[-]Regierung per Stimmzettel umzulegen, dann könnten diese Comités recht wertvolle Arbeit leisten. Aber diese guten alten Zeiten sind nun einmal nicht mehr, und sie kommen auch trotz aller Wünsche nicht wieder. Wer das Hitler-Wegime stürzen will, muss die soziale Wevolution wollen. Immer eindringlicher liefert uns die tatsächliche Entwicklung den Beweis, dass der Kapitalismus die Herrschaft über sein eigenes Wirtschaftssystem verloren hat. Jedes Experiment, das am Wirtschaftskörper vorgenommen, jeder neue Ausbeutungsfeldzug, der gegen die werktätigen Massen unternommen wird, vergrössert nur das Chaos und treibt näher an den Abgrund der offenen Katastrophe heran. Nur der Uebergang zu einer vernunftgemässen, sozialistischen Bedarfswirtschaft kann Deutschland wieder einer gesunden Entwicklung zuführen. Wer die soziale Revolution will, muss ihre Losungen klar und eindeutig in das Volk hineinrufen. Sie kann nur erkämpft werden durch den hingebenden, opferreichen Kampf breitester Volksmassen, deren Kampfeswille aber niemals durch halbe Massnahmen und laue Redensarten entzündet werden kann. Die soziale Revolution ist heute keine Utopie mehr. Eine Utopie aber ist es, zu glauben, dass der Nazismus durch ein bürgerliches Regime abgelöst werden könne, ohne das[s] dabei etwas anderes herauskäme, als eine neue Form der
Aber, und eigentlich zu
tatbereiten
114
von
17.
SIKO, Nur ein Weg führt
zum
Ziel
Diktatur und der schrankenlosesten Ausbeutung. Für ein bürgerliches Regime, das[s] frühere, leidlich normale und friedliche Zustände wieder herbeiführen könnte, fehlen aber auch alle Voraussetzungen. Unter Hider hat nicht nur die Zerstörung des kapitalistischen Wirtschaftsapparates gewaltige Fortschritte gemacht, auch die politischen und kulturellen Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft sind recht erheblich beschädigt worden. Nur aus der arbeitenden Klasse können die Kräfte erwachsen, die das gesellschaftliche Leben umformen und auf eine höhere Stufe führen werden. Arbeiterklasse, d. h. nicht nur Industrieproletariat, d. h. alle Volksgenossen, die auf dem Lande und in der Stadt körperliche oder geistige Arbeit leisten, und kein anderes Kapital als das ihrer Arbeitskraft besitzen. Mag diese Klasse heute innerlich noch so zerklüftet sein, mag sie entrechtet und geschändet dahinvegetieren, wie in dieser faschistischen Gegenwart, sie ist trotzalledem unzerstörbar, denn sie ist die einzige wahrhaft erhaltende Kraft der menschlichen Gesellschaft. Die Entwicklung zur sozialen Revolution ist nicht mehr aufzuhalten. Wirkliche Realpolitik hat sich lediglich an diese Tatsache zu halten, und hat sich ausschliesslich darauf zu konzentrieren, dass mit allen Kräften und mit allen Mitteln sozialistisches Wollen in alle Schichten des arbeitenden deutschen Volkes hineingetragen werden. Und darum richten wir an alle in der Illegalität kämpfenden Gruppen, der politischen Emigration, an alle, die ein wirklich freies Deutschlands
alle Kreise wollen, den an
Appell sich in einheitlicher Geschlossenheit für die ausschliessliche erklären: Sturz, der nazistischen Diktatur Ueberwindung des kapitalistischen Systems Aufbau der sozialistischen deutschen Republik.
Zielsetzung
zu
Mit aller Energie und ungeachtet aller Hindernisse muss sich der illegale Kampf auf diese Totallösung einstellen. Aus der heutigen Zersplitterung muss die durch | S. [2] | einheitliche Taktik zusammen geschmiedete Front entstehen, die in allmählicher Steigerung ihrer Aktivität den Durchbruch zur revolutionären Massenbewegung vorzubereiten hat. Für den nach Eroberung der politischen Macht vorzunehmenden Aufbau des sozialistischen Deutschlands gilt das nachstehende.
115
III.
Programmatische Verlautbarungen
Programm I
revolution[ä]re Wegierung bildet sich aus den Vertretern jener Gruppen, die im gemeinsamen Kampfe und in einheitlicher Zielsetzung den Sturz der Diktatur Die
herbeigeführt haben. Sie hat alle Massnahmen durchzuführen, die zur Entmachtung der alten Gewalten erforderlich sind. Erst durch die Erfüllung dieser Aufgabe schafft sie die Voraussetzungen für den Aufbau des sozialistischen Staates und für eine Demokratie, die sich durch ihren sozialistischen Charakter grundsätzlich von der alten Formaldemokratie unterscheiden wird. II Die ersten politischen Massnahmen. Auflösung der Hitlerpartei, und aller von ihr geschaffenen Zwangsorganisationen. Verhaftung aller Elemente, die während des Hitier-Regimes dessen Barbarei und Korruption aktiv unterstützt haben. Zur Aburteilung dieser Schuldigen wird ein
Wevolutionstribunal errichtet. Befreiung aller nazistischen
Opfer aus
den
Gefängnissen und
Konzentrations-
lagern. Säuberung
des Staatsapparates von allen nazistischen Elementen. Alle Beamtenvorrechte werden aufgehoben, die rechtliche Stellung des Beamtentums wird grundsätzlich verändert. Die Machtpositionen des alten Staates, insbesondere] der Justiz und Polizei werden sofort funktionslos gemacht. An die Stelle der heutigen verwahrlosten Justiz, treten Volksjustizorgane, die unter Mitwirkung vertrauenswürdiger Juristen aus Vertretern des Volkes zusammengesetzt werden. Die bewaffnete Macht des neuen Wegimes wird in Form einer revolutionären Miliz geschaffen. In ihr dürfen Angehörige der früheren Polizei und des früheren Heeres nur dann Aufnahme finden, wenn sie ihre Ergebenheit für die Revolution glaubhaft machen können. Proklamierung sozialistischer Grundrechte: Das Recht eines jeden Volksgenossen auf seinen Anteil am gesellschaftlich erarbeiteten Gesamtprodukt wird zum obersten politischen Grundsatz erhoben. Das Recht der Arbeitsunfähigen und Behinderten auf ausreichende Unterstützung wird festgelegt. Die Abschaffung des Bildungsmonopols, und der freie Zugang zu allen Kulturgütern, zu Lehr[-] und Lernmitteln wird rechtlich fundamentiert. Proklamierung der Glaubensf-] und Gewissensfreiheit bei völliger Trennung der Kirche vom Staat. Das öffentliche Erziehungswesen Hegt ausschliesslich in den Händen des Staates und wird von allen konfessionellen Bindungen losgelöst. Auflösung aller Einzelstaaten, Vorbereitung einer zweckmässigen Neugliederung des Reiches.
116
17. SIKO, Nur ein
Weg führt
zum
Ziel
III
Die ersten wirtschaftlichen Massnahmen. Sofort nach der Machtergreifung werden Notenbank und alle Geldinstitute in den Dienst des sozialistischen Wirtschaftszweckes gestellt. Es werden mit sofortiger Wirkung alle Wirtschaftsbetriebe mit mehr wie 20 Beschäftigten, soweit sie sich im Besitz privater Eigentümer befinden, enteignet und in das gesellschaftliche Eigentum überführt. Insbesondere wird auch der landfwirtjschaftliche Grossgrundbesitz, d. h. landwirtschaftlicher Privatbesitz von 200 ha. und mehr von der Enteignung erfasst, und sofort in kollektive Bearbeitung genommen, um die Ernährung der Bevölkerung sicher zu stellen. IV Nach Erledigung und
Sicherung der dringlichsten Massnahmen wird der
Allgemeine Kongress der Arbeitenden. einberufen. Die Regierung setzt einen entsprechenden Wahlschlüssel fest. Wähler sind alle Volksgenossen, die gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten, oder gesellschaftlich unterstützt werden, soweit sie nicht auf Grund ihrer früheren politischen Tätigkeit dieses Recht verwirkt haben. Der Allgemeine Kongress aller Arbeitenden beschliesst die politische Verfassung, und ist die oberste entscheidende Instanz in allen politischen und wirtschaftlichen Fragen. Er entscheidet auch über die militärische Organisation, die zur Verteidigung der Revolution nach innen und aussen notwendig ist. V Die Aussenpolitik der sozialistischen deutschen Republik wird eine Politik des Friedens und der Verständigung mit allen Völkern sein. Sie wird in ihrem Machtbereich keinerlei imperialistische Tendenzen aufkommen lassen, und kein, imperialistischen Zwecken dienendes Bündnis eingehen. Das sozialistische Deutschland wird alle Bemühungen und alle Institutionen, die dem Frieden und der internationalen Zusammenarbeit dienen, aktiv und in jeder Hinsicht unterstützen.
Das sozialistische Deutschland findet seinen natürlichen Bundesgenossen in den Ländern, in denen die arbeitenden Massen bereits die Macht ausüben. Es wird damit rechnen müssen, dass es auf offene Gegnerschaft in kapitalistisch geleiteten Ländern stösst. Das wird die Friedensbereitschaft des neuen Deutschlands nicht erschüttern können, doch wird jeder Versuch einer bewaffneten Intervention auf den härtesten Widerstand eines ganzen, um seine Freiheit kämpfenden Volkes stossen.
117
III.
Programmatische Verlautbarungen VI
Wichtlinien für den Sozialisierungsprozess. Die von der Regierung dekretierte Enteignung ist an sich nur eine juristische Massnahme, die nur die Voraussetzung für den eigentlichen Sozialisierungsprozess, d. h. die Uebernahme und Leitung der Produktion durch die Gesamtheit der Arbeitenden schaffen soll. Es gut mit aller Entschiedenheit jenen Auffassungen von Sozialisierung entgegen zu wirken, die in der diktatorischen Macht einer angeblich unfehlbaren Bürokratie die Lösung aller Probleme erblicken. Eine mechanisch durchgeführte Sozialisierung schafft bestenfalls eine Bürokratie anstelle des Unternehmers, sie führt aber nicht zur Steigerung der Produktion, und vor allem nicht zur Schaffung jener sozialistischen Arbeitsorganisation, die das Ziel des sozialistischen Aufbaus sein muss. Der Gefahr einer bürokratisch ausartenden Staatssozialisierung steht eine andere Gefahr gegenüber, die | S. 3 | der partikularistischen Auffassung der Sozialisierung durch den einzelnen Betrieb, die naive Auffassung, dass jeder Betrieb eine sozialistische Insel für sich sein kann. Darum muss für ein gewisses Uebergangsstadium einerseits die Leitung der Betriebe nach zentralen Richtlinien erfolgen, während andererseits, von Beginn an, höchster Wert auf die Erziehung zur Initiative des produzierenden Menschen gelegt werden muss. Nicht zuletzt geschieht dies durch die Schaffung jener Organisationsformen, die ihrem ganzen Wesen nach den Erfordernissen der Sozialisierungsepoche angepasst sind. Die Grundzüge dieses organisatorischen Aufbaus werden nachstehend aufgezeichnet. Die wirtschaftlich-industrielle Organisation. Der Allgemeine Kongress der Arbeitenden beruft einen Obersten Volkswirtschaftsrat. Diesem stellen sich vornehmlich 3 Aufgaben. 1) Die organisatorisch-technische Wirtschaft. 2) Die Materialwirtschaft. 3) Die Menschenwirtschaft. Der Oberste Volkswirtschaftsrat beruft einen Weichswirtschaftsausschuss, der sich zusammensetzt aus den Delegierten der technischen Leitungen, aus den Konsumvereinen, landwirtschaftlichen Genossenschaften und Materialämtern. Hier wird über den allgemeinen Rahmen, in dem sich die Verwaltung der Wirtschaftseinheiten bewegt, Beschluss gefasst. Es wird hier auch darüber Beschluss gefasst, welche Produktionsgebiete zentraler, und welche lokaler Verwaltung unterstehen. Das Zentrale Materialamt registriert alle vorhandenen V[o]rräte, und ordnet die Verteilung derselben an. Der technische Zentralrat, der ebenso, wie das Materialamt und der Landwirtschaftliche Zentralrat dem Obersten Volkswirtschaftsrat untersteht, hat Vorschläge für technische Erneuerungen, für Investitionen, usw. zu machen. Er wird aus Ingenieuren, den Vertretern der technischen Hochschulen, und Delegierten aus den Betrieben zusammen gesetzt.
118
17.
SIKO, Nur ein Weg führt
zum
Ziel
Die
landwirtschaftliche Organisation. Grundbedingung für die Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung ist d[ie]
Steigerung und reibungslose Verteilung der landwirtschaftlichen Produktion. Die Voraussetzung für die Beteiligung der Bauernschaft an der Organisation des sozialistischen
Aufbaus, ist ihr Zusammenschluss zu Landwirtschaftlichen Produktiv-
genossenschaften. Diese werden zu Zentralproduktivgenossenschaften zusammengeschlossen, die wiederum unter der Direktive des Zentralen Landwirtschafts-
beim obersten Volkswirtschaftsrat arbeiten. Der Zentrale Landwirtschaftsrat gebildet aus den Vertretern der Produktivgenossenschaften, den Konsumgenossenschaften, den Landarbeitervertr[e]tern, und besonderen landwirtschaftlichen Fachleuten. Das sozialistische Wirtschaftssystem bringt den Bauern nicht einmal die Einschränkungen in ihrer Verfügungsgewalt, wie sie ihnen heute vom Hitlersystem auferlegt werden. Dagegen aber erfahren die Bauern im Sozialismus eine Stärkung ihrer wirtschaftlichen Lage, weil ihr Bedarf an Industriegütern garantiert, und die Einstellung landwirtschaftlicher Maschinen erleichtert und gef[ö]rdert wird. rates
wird
Der privatwirtschaftliche Rest. Die sozialistische Macht enteignet grundsätzlich nur Kapitaleigentum, d. h. solches Eigentum, das auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruht. Arbeitseigentum, beispielsweise des Handwerkers und des Bauern wird grundsätzlich nur dann in gesellschaftliches Eigentum überführt, wenn mit seiner Hilfe gegenrevolutionäre Sabotage betrieben wird. Kleine, privatwirtschaftlich funktionierende Betriebe werden dadurch in die Gesamtwirtschaft einbezogen, dass die von ihnen benötigten Materialien nur durch die allgemeinen Materialämter bezogen und die im Privatbetrieb hergestellten Produkte nur durch den gesellschaftlichen Verteilungsapparat abgesetzt werden können. Es unterliegt keinefm] Zweifel, dass sich durch die planmässige Materialund Verteilungswirtschaft sehr schnell das Uebergewicht über die Reste der Privatwirtschaft erweisen wird. Mit diesem Versuch, einen skizzenhaften Grundriss für den Aufbau eines sozialistischen Deutschlands zu zeichnen, treten wir nunmehr an alle sozialistischen Gruppen heran, und erwarten ihre Stellungnahme. Es ist nicht so wichtig, ob in allen Einzelheiten Uebereinstimmung erzielt werden kann, wichtig allein ist, dass eine Zusammenballung aller sozialistischen Kräfte mit der Zielgebung der sozialen Revolution erfolgt. Ist diese Zusammenballung nicht zu erreichen, werden alle Opfer des illegalen Kampfes umsonst gewesen sein.
Anmerkung 1
der
Herausgeberin:
Informationsbrief SIKO, 1, Oktober 1935, S.
[1J-[2]:
»Es
muss
gelingen.« 119
Dokumente 18 Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, Probleme der deutschen Revolution und der Volksfront Dokument 18.1
SAP, Voraussetzungen einer nachfaschistischen Ordnung in Deutschland Dezember 1935 bis März 1936
Vorlage:
»Was kommt nach Hitler?«, Artikelserie in sieben Folgen in: Neue Front. Organ für proletarisch-revolutionäre Sammlung, hrsg. von der Auslandszentrale der Sozialistischen Arbeiter-Partei Deutschlands, Paris; 320 x 490 mm; NF, 1935, Nr. 24, Mitte Dezember, Beilage S. 1, bis NF, 1936, Nr. 6, Mitte März, Beilage S. 1
Standort: Druck:
IISG 1936
Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek, Nr. 13,1. Mai, S. 26-31 (Nachdruck des letzten Artikels); Was kommt nach Hitler? Probleme der deutschen Revolution, hrsg. von der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, Brüssel: Timmermans o. J. [ca. Ende 1936] (aktualisierter Broschürendruck der Serie); Tarnschrift: Hans Wohlgemuth, »Wer Recht in Freuden wandern will...«, o. O.: PhönixVerlag o. J. [ca. Ende 1936] (Text der Broschüre) Abgedruckt werden hier Auszüge aus vier Folgen: »Wo ist die Lösung der Frage zu suchen?« aus der ersten Folge (1935, Nr. 24, Mitte Dezember); »Demokratische Losungen« aus der dritten Folge (1936, Nr. 2, Mitte Januar); »Die Diktatur des Proletariats« aus der sechsten Folge (1936, Nr. 5, Anfang März); »Lenin über Bündnisse«, »Voraussetzungen einer Volksfront« und »Das Wirken der Volksfront« aus der abschließenden, siebenten Folge (1936, Nr. 6, Mitte März). Zum Kontext der Artikelserie »Was kommt nach Hitler?«, zu den oben genannten zeitgenössischen Veröffentlichungen und zur Frage der Autorschaft: Deutsche Volksfront Band 2, S. 37,104, 176, 489ff., 506 und 549f, hier bes. Anm. 40
Was kommt nach Hider? Wo ist die Lösung der Frage zu suchen? Die Frage »Was kommt nach Hitler?« beschäftigt heute die deutsche Emigration, die illegalen Organisationen im Hitler-Lande und das grosse Heer der Unzufriedenen. Zweierlei zeigt die Frage an und zwar in verschiedener Form und Betonung. In den breiten Massen, namentlich in den bürgerlichen Schichten wächst die Erkenntnis, dass es so nicht weiter gehen kann, und die revolutionären Kämpfer ziehen daraus den Schluss, dass die Grundlagen des Hitierregimes brüchig werden und die Zeit herannaht, wo die Massen zum Angriff auf das Regime antreten werden. Zugleich aber verrät die Frage Unsicherheit. Die Avantgarde ist sich nicht klar über Ziel und Weg, und in breiten Schichten der Unzufriedenen lebt die Furcht vor der Ungewissen Zukunft: Was tauschen wir gegen die Hitlerdiktatur ein, kommt dann etwa das Chaos? Die innere Bereitschaft zum Handeln ist also noch nicht vorhanden. Die Klärung der Frage, was nach Hider kommt, wird dazu beitragen, diese Bereitschaft zu schaffen. 120
18.1 SAP, Was kommt nach Hitler?
Bis heute beobachten wir Folgendes: Die einen machen sich ein Zukunftsbild zurecht, formen es nach ihren Idealen, zeigen, wie leicht es zu verwirklichen ist, und laden die Geschichte ein, sich wohlzuverhalten und auf dem vorgeschriebenem Wege loszumarschieren. Sie haben Bannflüche für jene, die sich dem grossen Menschheitsrettungsplan nicht anpassen wollen. Die andern geben Versprechungen, die sie einfach den taktischen Bequemlichkeiten des heutigen Tages anpassen. Beide Methoden führen in die Irre und drohen, den Gewinn einer antifaschistischen Revolution zu verspielen, wenn sie den Willen der entscheidenden revolutionären Kräfte formen. Die Frage lässt sich lösen in manchen Punkten nur annähernd -, wenn man die geschichtlichen Erfahrungen zu Rate zieht und die Klassenkräfte und Klasseninteressen untersucht. -
[...] Demokratische Losungen Wie wir in unserem ersten Artikel betonten, wird der Widerstand gegen das Hiderregime von der Sehnsucht nach Demokratie getragen sein. Gegen das Führerprinzip, gegen die absolute Bevormundung, gegen die erzwungene Jasagerei, gegen die Gleichschaltung der Presse und die Unterdrückung jeder selbständigen Organisation wird das Streben nach freier Selbstbestimmung übermächtig werden. Es wird alle Kräfte umfassen, die die herrschende Diktatur beseitigen wollen, mit alleiniger Ausnahme jener, die die bürgerliche Diktatur erhalten wollen unter Ausmerzung der nationalsozialistischen »Schönheitsfehler« (Generalität, bestimmte kapitalistische Schichten, höhere Bureaukratie usw.). Unter welchen Bedingungen auch immer es zum Endkampf gegen die faschistische Diktatur kommen mag und welche besonderen Tagesinteressen die Massen vorwärtstreiben mögen, die demokratischen Ziele werden im Mittelpunkt stehen. Sie werden den Kitt bilden für eine sehr umfassende antifaschistische Einheitsfront. Um dieser Zusammenfassung der antifaschistischen Kräfte willen müssen wir demokratische Losungen an die Spitze eines Aktionsprogramms unserer Partei stellen. Aber nicht nur aus diesem Grunde. Jeder nachhaltige, andauernde Klassenkampf der Arbeiterschaft ist unter der kapitalistischen Herrschaft nur auf dem Boden demokratischer Rechte möglich. Solange sie nicht errungen sind, wird jede Einzelaktion die Notwendigkeit demokratischer Rechte erweisen und in sie ausmünden. Der Terror, den der faschistische Staat bei jedem Lohnkampf anwendet, die Schwierigkeiten, die der Vorbereitung und der siegversprechenden Ausdehnung und Leitung der Lohnkämpfe im Wege stehen, weisen die Kämpfenden darauf hin, dass um des Lohnes willen das verbriefte Streikrecht und die Organisationsfreiheit errungen werden müssen. Die Voraussetzung des erfolgreichen Kampfes und das nächste grosse Etappenziel erweisen sich dialektisch miteinander verknüpft, und das muss, wenn sonst die Bedingungen für den Sturz des Hidersystems ausgereift sind, dem Kampfe eine gewaltige Stosskraft geben. Das unmittelbare proletarische Klasseninteresse und das gemeinsame Interesse 121
IM.
Programmatische Verlautbarungen
aller unterdrückten Schichten erfordern die Aufstellung demokratischer Losungen. Die bürgerlichen Antifaschisten werden die Demokratie überhaupt als grundsätzliche Losung aufstellen. Können wir uns dem anschliessen? Wir haben am Beginn unserer Untersuchung aus den historischen Erfahrungen festzustellen gesucht, welche Massenstimmungen und politischen Erscheinungen unmittelbar nach dem Sturz Hiders auftreten werden. Wir kamen zu dem Schluss, dass dann die bürgerlichen Politiker die demokratischen Illusionen ausnutzen werden, um die Revolution auf halbem Wege aufzuhalten und sie dann zurückzuschrauben zu einer neuen bürgerlichen Diktatur. Wie 1918 wird sich auch dann wieder bewahrheiten, was Friedrich Engels am 11. Dezember 1884 an August Bebel schrieb: »Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tag der Krise und am Tag nachher die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion, und das, glaub ich, darf nicht aus den Augen verloren werden.« Soll die Arbeiterklasse schnell den Kampf aufnehmen gegen diese Gesamtreaktion, die unter dem Banner der reinen Demokratie marschieren wird, soll sie nicht durch die eigenen Parolen verwirrt und gehemmt werden, so dürfen wir nicht die Losung der Demokratie als Prinzip mit Nationalversammlung, parlamentarische [m] Regime usw. aufstellen. Wir dürfen nichts tun, was der Bourgeoisie erleichtert, sich in der Macht festzusetzen, sondern müssen jene demokratischen Losungen hervorkehren, die zu Waffen der Volksmassen gegen den Faschismus und die Bourgeoisie werden können. Wir standen bereits einmal vor diesem Problem, als wir das Aktionsprogramm der SAP beschlossen. Das war Ostern 1932, also zur Zeit der Brüning-Diktatur. In diesem Aktionsprogramm wurde erklärt: »Das demokratisch-parlamentarische Wegierungssystem ist in Deutschland bankrott. Der Glaube an die Durchführung eines wirklichen parlamentarisch-demokratischen Wegierungssystems in Deutschland ist eine Illusion. Aufgabe der Arbeiterklasse ist, die politischen Positionen und die Bewegungsfreiheit, die ihr die Ueberreste der bürgerlichen Demokratie noch gewähren, im ausserparlamentarischen Kampfe zu sichern, auszuweiten und zum Angriff auf die bürgerliche Diktatur auszunutzen.« Gegenüber der damaligen Situation hat sich geändert, dass durch den Stoss, der Hitler stürzt, eine parlamentarische Demokratie als Vorfrucht einer möglichen neuen Bourgeoisdiktatur wahrscheinüch wird. Aber was damals reine Illusion war, wird jetzt eine handgreifliche Gefahr. Wie wir deshalb damals nur das Ziel setzten, die politischen Positionen und die Bewegungsfreiheit zu sichern und auszuweiten und sie zum Angriff auf die Diktatur zu benutzen, so kommt es nun darauf an, zum Zwecke des Sturzes Hiders und zum Angriff auf die demokratisch verkleidete Bourgeoisherrschaft solche Position und die volle Bewegungsfreiheit der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten zu erringen. Wir werden also solche demokratischen Losungen aufstellen wie: freies Koalitionsrecht (Schaffung vollkommen selbständiger Gewerkschaften) und uneingeschränktes Streikrecht, uneingeschränktes Recht auf politische und kulturelle Organisation, Versammlungs- und Pressefreiheit, freie Wahl zu allen Körper—
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18.1 SAP, Was kommt nach Hitler?
Schäften der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums (eine Forderung, die auch für die faschistischen Berufs- und Wirtschaftsorganisationen gilt, solange sie bestehen), Beseitigung des Volksbetrugs der faschistischen Volksabstimmungen, Beseitigung der faschistischen Justiz und Wahl der Richter durch das Volk. Auflösung der SA, SS und faschistischen Polizei und ihre Ersetzung durch eine Arbeitermiliz. Wir müssen die Losungen der freien Wahl der Gemeindeverwaltungen und ähnlicher Institutionen fordern, solange die faschistische Herrschaft besteht, aber zugleich die Bildung von Räten als künftige Träger der Macht und der Verwaltung propagieren. Die Partei muss sich bewusst sein, das diese und andere demokratische Losungen nicht nur der blossen Agitation und Massenmobilisierung dienen sollen. Sie muss vielmehr noch unter dem Hiderregime jene Forderungen aus revolutionärem Recht zu verwirklichen suchen[,] für welche machtvolle Aktionen revolutionären Charakters zustande kommen. Auf diese Weise eroberte sich 1910 die deutsche Sozialdemokratie das Demonstrationsrecht, ihr einziger grosser durch direkte Aktion errungener Erfolg. Und solche Schöpfung revolutionären Rechts war fast in jeder Revolution der unmittelbare Vorläufer des Sturzes des alten Herrschaftssystems. Wir erinnern nur daran, dass sich die Berliner Volksmassen vor dem 18. März 1848 das freie Versammlungsrecht eroberten, indem sie es gegen den Willen der Regierung selbständig durchführten.
Die Diktatur des Proletariats Welches ist das Ziel der Revolution, deren erste Etappe der Sturz des Faschismus sein wird? In einer Versammlung in Paris stellte Heinrich Mann mit Befriedigung fest, dass die Kommunistische Partei Deutschlands den Gedanken an eine Diktatur des Proletariats aufgegeben habe. Keines der anwesenden KPD-Mitglieder erhob dagegen Einspruch, vielmehr begrüssten Mitglieder dieser Partei daraufhin Heinrich Mann als den Führer im antifaschistischen Kampf. »Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz der bisherigen Gesellschaftsordnung«. Das war die Meinung von Marx und Engels, und das bleibt die Meinung der SAP. Nur der Umsturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung schützt vor dem Rückfall in die brutalste Bourgeoisdiktatur, denn ohne diese kann der deutsche Kapitalismus nicht mehr leben. Die Umwandlung der kapitalistischen in die sozialistische Produktionsweise kann aber nur die proletarische Diktatur vollziehen. Es bleibt bestehen, was Marx als den Grundgedanken seiner politischen Lehre ansah: »Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Uebergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann, als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.«
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IM.
Programmatische Verlautbarungen
Die Diktatur ist die stärkste Konzentration der Staatsmacht einer herrschenden Klasse. Die proletarische Diktatur ist unvermeidlich und notwendig, weil die Arbeiterklasse wie jede neue herrschende Klasse unmittelbar nach dem Siege die äusserste Konzentrierung ihrer Kräfte braucht, um die neu erworbene Macht zu behaupten, weil die Kapitalistenklasse alle Mittel der Gewalt anwenden wird, um die verlorene Macht wiederzugewinnen und ihre Besitztitel wie die Ausbeutungsmöglichkeiten zu sichern, weil die Kapitalisten zu diesem Zweck nicht davor zurückschrecken werden, die feindliche Intervention ins Land zu rufen, und weil die säkulare Aufgabe des sozialistischen Aufbaus die äusserste Willensanspannung der arbeitenden Massen fordert. Bisher hat jede siegreiche Klasse sich genötigt gesehen, zur Selbstbehauptung diktatorisch zu herrschen. Die Arbeiterklasse muss aus der Ge[s]chichte lernen und bewusst wollen, was ihr die Umstände aufzwingen werden. Wir haben auf Grund der geschichtlichen Erfahrung behauptet, dass nach dem Sturze des Faschismus eine Periode eintreten wird, in der der Klassenkampf ausgetragen wird als der Kampf zweier staatlicher Gewalten, von denen die eine von der bisherigen bürgerlichen Opposition gestellt werden und zur Rettung der immer stärker Zuflucht bei der gestürzten Reaktion kapitalistischen »Ordnung« suchen wird, während die andere, im Kampfe um die Existenz gegen den Kapitalismus vorwärtsge[p]eitscht, die am Anfang der Revolution eroberten Stellungen ausbaut, neues revolutionäres Recht schafft und sich zu einer Organisation entwickelt, die zugleich Kampfleitung und Gegenregierung ist. Der Sieg der Revolution ist die Ueberwindung der Doppelherrschaft und die Alleinherrschaft des Pro-
letariats. Die Gegenregierung in der Uebergangsperiode ist der Kampfausschuss, der von den Räten oder räteähnlichen Organen der Arbeiter und rebellierenden Bauern wird. Sie wird nach dem gebildet Siege die Macht übernehmen und zunächst vor allem zwei Massregeln durchführen: die Bewaffnung und militärische Organisation des Proletariats und die Organisierung allgemeiner Rätewahlen. Ein Rätekongress wird dann endgültig die neue Regierung bestimmen. In diesem ganzen Prozess wie auch später wird die revolutionäre Partei als bewusste Avantgarde der Massen eine organisierende und leitende Rolle spielen. Die Rätemacht ist Demokratie und zwar einmal in dem Sinne der Vorherrschaft, denn sie umfasst die grossen Volksmassen, und zweitens als demokratische Vertretung dieser Massen. Sie ist wenn man von den alten urwüchsigen Bauerndemokratien absieht die erste tatsächliche Verwirklichung der Demokratie. Denn die bürgerliche Demokratie mit ihrem parlamentarischen System war und ist in Wirklichkeit das verschanzte Lager der Bourgeoisie gegen die Volksmassen. Hinter den Formen der Demokratie setzt die Bourgeoisie ihren Willen durch, weil sie monopolistisch über die wichtigsten Machtpositionen verfügt: Besitz der entscheidenden Produktionsmittel und Leitung der Produktion, Verfügung über die stärksten Mittel der geistigen Beeinflussung: Kirche, Schule, Presse; Monopol der Finanzen, Monopol der Führung des Heeres, der Polizei, der Justiz, der Verwal-
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18.1 SAP, Was kommt nach Hitler?
Diktatur die besitzenden Klassen macht sie mit der Minderheit nur offen von Mitbestimmung ausschliesst, so das, was jene mit der Mehrheit des Volkes versteckt tat. Gegen die Behauptung, die proletarische Diktatur sei die Demokratie der arbeitenden Massen, wird auf das Beispiel Russlands hingewiesen, wo die Räte ohne politischen Einfluss sind, die politische Macht in den Händen der Partei und der Bürokratie konzentriert ist. Zum Teil handelt es sich dabei um Entartungserscheinungen, vor denen zeitweise keine soziale Institution gesichert ist. Doch entscheidend ist etwas anderes. Eine Regierungsform gestaltet sich niemals nach vorgefassten Rezepten, sondern nach den gegebenen Bedingungen und Aufgaben. Je grosser die Schwierigkeiten, umso enger wird unvermeidlich die diktatorische Macht konzentriert werden. Als wichtigste Faktoren, die die Gestaltung der Diktatur in Russland bewirkten, sind folgende festzustellen: das russische Proletariat hatte als erstes Bresche zu schlagen in die kapitalistische Welt, es blieb als herrschende Klasse in der kapitalistischen Umwelt bisher fast zwei Jahrzehnte isoliert. Es hatte einen Bürgerkrieg durchzufechten von einer Grosse und Dauer, wie er in keinem anderen Lande zu erwarten ist. Es führt die sozialistische Umwandlung der Wirtschaft durch, indem es zugleich die »ursprüngliche Akkumulation« nachholen muss, die in den westlichen Ländern vom Kapitalismus besorgt wurde. Das russische Proletariat hatte das alles zu erfüllen in einem Lande, in dem die Bauernmasse zahlenmässig gewaltig überwiegt, mit einer Arbeiterklasse, die sich beständig in grossem Umfange aus dem Bauerntum ergänzt, die kulturell sehr tief steht und ohne grosse organisatorische Erfahrung ist. In Deutschland sind alle diese Bedingungen weitaus günstiger. Die proletarische Herrschaft hat von vornherein die Stütze an der russischen Sowjetmacht, was ihre Selbstbehauptung erleichtert und sie auch vor den Ernährungsschwierigkeiten bewahren wird. Die Konterrevolution hat im Lande geringe Reserven für den Bürgerkrieg und wird sich kaum auf eine Vendée stützen können. Dass die auswärtigen Mächte eine nachhaltige Intervention wagen würden, ist schwer zu glauben, denn sie riskieren dabei ihren eigenen Sturz und werden ihre Kräfte brauchen, um das eigene Proletariat im Zaum zu halten. Die Arbeiterschaft bildet die zahlreichste Klasse und durchsetzt die ländlichen Gebiete in starkem Masse. Sie steht auf einem hohen Kulturniveau, hat im Laufe von Jahrzehnten grosse organisatorische Fähigkeiten entwickelt und Erfahrung in der Verwaltung. Das ist ein starkes Bollwerk gegen die Entwicklung einer übermächtigen Bürokratie und wird neue Formen der Selbstverwaltung hervorbringen. Schliessüch übernimmt das deutsche Proletariat einen hochentwickelten Produktionsapparat, dessen Ueberführung in die sozialistische Wirtschaft eine unvergleichlich leichtere Aufgabe als in Russland ist. Diese Tatsachen geben uns die Gewissheit, dass sich im revolutionären Deutschland die proletarische Diktatur in reinerer Form als Demokratie der arbeitenden Massen durchsetzen wird. Lenin war davon überzeugt.
tungsbehörden der
usw.
Wenn die
proletarische
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IM.
Programmatische Verlautbarungen Lenin über Bündnisse
»Krieg führen zum Sturz ¿er internationalen Bourgeoisie, einen Krieg der hundertmal schwieriger, langwieriger, komplizierter ist, als der hartnäckigste der gewöhnlichen Kriege
den Staaten und dabei im voraus auf das Lavieren, auf die (wenn auch nur Zeitweilige) Ausnützung der Interessengegensätze zwischen den Feinden, auf das Paktieren und die Kompromisse mit möglichen (wenn auch nur zeitweiligen, unbeständigen, schwankenden, bedingten) Verbündeten verzichten, ist das nicht grenzenlos lächerlich? Ist das nicht dasselbe, wie bei einem schwierigen Aufstieg auf einen noch unerforschten und bis dahin noch unzugänglichen Berg von vornherein ablehnen, manchmal im Zickzack zu gehen, manchmal zurückzukehren, die einmal gewählte Wichtung aufgeben und verschiedene Wichtungen versuchen?« »Einen mächtigen Feind besiegen kann man nur bei grassier Anspannung der Kräfte und bei unbedingter, sorgfältiger, sorgsamer, vorsichtiger, geschickter Ausnutzung wie eines jeden wenn auch des kleinsten >Wisses< zwischen den Feinden, eines jeden Interessengegensatzes zwischen der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder, so wie einerjeden
Zwischen
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auch der kleinsten Möglichkeit, sich einen Verbündeten zu erwerben, wenn auch nur eines zeitweiligen, schwankenden, unbeständigen, unzuverlässigen, bedingten Wer nicht praktisch während einer ziemlich bedeutenden Zeitspanne und in ziemlich verschiedenartigen politischen Lagen erwiesen hat, diese Wahrheit in der Praxis anzuwenden, der hat es noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kampf um die Befreiung der -
wenn
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ganzen Menschheit zu helfen. « »Hieraus folgt mit absoluter Unumgänglichkeit die Notwendigkeit, die bedingungslose Notwendigkeit für die Vorhut des Proletariats, für seine bewussten Teile, für die Kommunistische Partei, zum Lavieren, Paktieren, zu Kompromissen mit den verschiedenen proletarischen Gruppen, mit den verschiedenen Parteien der Arbeiter und der kleinen Besitzer ihre Zuflucht zu nehmen. Es handelt sich nur darum, dass man verstehen muss, diese Taktik zum Zwecke der Erhöhung und nicht der Herabdrückung des allgemeinen Niveaus der proletarischen Erkenntnisfähigkeit, des revolutionären Geistes, der Fähigkeit Zum Kampfe und zum Siege anzuwenden.« Es gibt natürlich einzelne, ausserordentlich schwierige und verwickelte Fälle, wo es nur mit grösster Anstrengung gelingt, den wirklichen Charakter dieses oder jenes Kombestimmen Ein Wezept oder eine allgemeine Wegel zu verfassen, die auf promisses zu alle Fälle passt, das ist eine Absurdität. Man muss einen eigenen Kopf auf den Schultern haben, um sich in jedem einzelnen Fall zurechtzufinden. «x Das sind einige Sätze aus der Schrift Lenins über die »Kinderkrankheiten des Kommunismus«, aus jener Schrift, in der der grosse Stratege die wichtigsten Lehren für die Haltung der Kommunisten gegeben hat. Er hat sie an vielen Beispielen, besonders solchen aus der Geschichte der Bolschewiki illustriert. Vertraut man seiner Erfahrung, so ergibt sich erstens, dass in bestimmten Situationen Kompromisse und Bündnisse, darunter auch solche mit Gruppierungen aus dem bürgerlichen Lager möglich und notwendig sind. Das dürf[t]e als Antwort auf jene genügen, die wie die Trotzkisten und die KPO sich zum Leninismus bekennen und »grundsätzlich« jede Art einer Volksfront ablehnen. ...
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18.1
SAP, Was kommt nach Hitler?
Aber Lenin hat auch mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass jede Bündnispolitik Gefahren enthält. Als allgemeine Richtschnur zur Vermeidung dieser Gefahren forderte er eine Praxis, die die proletarische Erkenntnis- und K[am]pffähigkeit nicht herabdrückt, sondern erhöht. Versuchen wir, dies auf die gegenwärtige Situation anzuwenden.
Voraussetzungen einer Volksfront Der Faschismus bringt durch seine Gesamtpolitik immer mehr soziale Schichten gegen sich auf, die auf Grund verschiedener Traditionen, verschiedener Interessen mit verschiedenen Zielen und verschiedener Kraft gegen ihn kämpfen. Dies macht Bündnisse mit gewissen sozialen Gruppen und Parteien möglich. Denn Bündnisse können zustande kommen zwischen Kräften, die bei verschiedenen Endzielen doch bestimmte gemeinsame Etappenziele haben. Der Sturz des Faschismus löst die grundlegenden sozialen Schwierigkeiten nicht, aus denen heraus er zur Macht kam. Dieser Umsturz schafft vielmehr Zustände, die unvermeidlich entweder zurück zur brutalen Bourgeoisdiktatur oder vorwärts zur proletarischen Diktatur führen müssen. Nur der Sturz des Kapitalismus verrammelt den Weg zurück, und nur die proletarische Diktatur kann den Kapitalismus aus den Angeln heben. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen. Wie bei jeder einzelnen Aktion muss sich die Arbeiterklasse und vor allem die revolutionäre Partei auch bei den Bündnissen von dem strategischen Ziel leiten lassen, und das ist die proletarische Diktatur. Um Bündnisse zustande zu bringen, muss sie zwar bereit sein, den Bündnispartnern Zugeständnisse zu machen, aber diese dürfen das eigene strategische Ziel nicht gefährden oder gar in Frage stellen. Die Arbeiterklasse darf auf ihr Erstgeburtsrecht, auf die Eroberung der politischen Macht, nicht verzichten. Sie darf nicht Bedingungen eingehen, die wenn sie durchgeführt werden diese Machteroberung verhindern. Die revolutionäre Partei darf nicht auf die Propaganda jener Anschauungen und die Vorbereitung jener Zwecke verzichten, die ihre Existenzgrundlage ausmachen. In jedem Bündnis fällt der Arbeiterklasse die führende Rolle zu, weil sie die stärkste Kraft ist und den Kampf gegen den Faschismus mit ungebrochenem Willen führen kann. Deshalb ist die Voraussetzung für jedes Bündnis, das über den Rahmen der Arbeiterklasse hinausgeht, ein Bündnis in ihren eigenen Reihen, die proletarische Einheitsfront. Das ist nicht in einem zeitlichen oder schematischen Sinne gemeint. Es können Umstände vorliegen, die noch die Bildung einer umfassenden proletarischen Einheitsfront verhindern, wenn bereits eine Möglichkeit für ein Zusammengehen mit anderen Gruppen gegeben ist. Doch innerhalb jedes Unternehmens, das den Charakter einer Volksfront trägt, müssen sich die proletarischen Parteien und Gruppen zusammenschliessen, in ihm einen festen Kern bilden, der einheitlich und führend operiert. Die umfassende proletarische Einheitsfront schliesst Organisationen zusammen, die auf verschiedener [g]eistiger Entwicklungfsstufe] stehen, zum Teil an —
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Führung haben wie den Prager Parteivorstand der SPD, die eine rein bürgerliche Politik betreibt und die kommende Revolution auf dem Boden des bürgerlichen Staats festhalten will. Oder es gibt, wie in der KPD mindestens führende Gruppen, die bereit sind, das Ziel der proletarischen Revolution aufzuopfern, um möglichst bequem ein Bündnis mit bürgerlichen Gruppen zu erreichen. Doch die Mitgliedschaft dieser Parteien setzt sich aus Arbeitern zusammen, die den Sozialismus erstreben. In dieser Tatsache liegt die Voraussetzung, dass die Parteien oder diese Mitgliedschaft, durch Aufklärung und Erfahrung belehrt, sich immer mehr zu einer klaren revolutionären Politik durchringen. Darum kann die Einheitsfront über den Sturz Hitlers hinaus dauern, wenn dieser Prozess nicht schon vorher zur Vereinigung der grossen Mehrheit der kämpfenden Arbeiter in einer einheitlichen revolutionären, d. h. einer wirklich kommunistischen Partei, geführt hat. Diese Perspektive sagt deutlich, dass dem Bündnis mit bürgerlichen Gruppen keinesfalls die revolutionären Ziele der Arbeiterklasse geopfert werden dürfen. Sie unterstreicht die führ[e]nde Rolle, die die revolutionäre Partei in jedem Bündnis erfüllen muss. Wir verachten nicht das geschickte Verhandeln und die Fähigkeit, verschiedene Kräfte unter einen Hut zu bringen. Aber nicht darin besteht die führende Rolle der Partei. Das machen die Routiniers umso »erfolgreicher«, je leichter es ihnen gemacht wird, Grundsätze als Steine des Anstosses aus dem Wege zu räumen. Die führende Rolle erweist sich gerade darin, bei allen notwendigen Kompromissen das Endziel fest im Auge zu behalten. Eine Partei, die sich für die Zeit nach dem Sturze Hiders auf die bürgerliche »Demokratie« verpflichtet und sich für eine Volksfrontregierung, also für eine bürgerlich-proletarische Koalition mitten im Entscheidungskampf der Klassen erklärt, beweist damit, dass sie nicht mehr kommunistisch ist und sie tritt die Führung an die bürgerlichen Gruppen ab. Ein Bündnis ist nicht die Herstellung eines Durcheinanders, in dem Einsicht, Propaganda und Aktion auf das Niveau der politisch schwächsten Kraft herabgedrückt wird, sondern ein Marschieren in geordneten Kampftruppen, bei dem die Avantgarde das Ziel bestimmt. Dazu gehört, dass die revolutionäre Partei ihr Gesicht offen zeigt. Ein Führer, der seine Ziele versteckt oder sie aufgibt, erwirbt damit durchaus kein Vertrauen. Er wird verdächtig und verächtlich. Wir müssen den Partnern einer möglichen Volksfront erkläre[n,] dass sie von uns keine Lebensversicherung für den Kapitalism[u]s erhalten können, dass sie sich selber prüfen müssen, ob sie ernsthaft das einigende Ziel wollen, den Sturz des Faschismus. Desorientierung, Verwirrung des Proletariats, Dämpfung seines Klassenkampfes macht alle Vorteile mehr als wett, die eine breitere Front haben könnte. Aber je wirksamer die proletarische Klassenpolitik betrieben wird, um so grösseres Vertrauen wird sie auch bei den Kleinbürgern wecken, die am Faschismus verzweifeln, um so mehr wird sie diese bereit machen, der Arbeiterklasse zu folgen. Der klare Wille und die entschlossene Aktion haben werbende Kraft. ihrer Spitze eine
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18.1 SAP, Was kommt nach Hitler?
Das Wirken der Volksfront Mit welchen bürgerlichen Gruppen ist überhaupt ein gemeinsames Marschieren möglich? Der Kampf gegen den Faschismus ist ein Kampf gegen den Kapitalismus. Rein kapitalistische Kräfte, wie etwa das schwer bedrängte Handelskapital, die nicht subventionierte Industrie, Gruppen der hohen Bürokratie oder die Genekönnen ralität alles Kräfte, nach denen der Prager Parteivorstand schielt nicht Verbündete der Arbeiterklasse sein. Wenn ihnen der Faschismus, dieser Knüppel des Kapitals gegen die Arbeiterklasse, zu ungebärdig wird, wenn ihnen die wirtschaftlichen Widersprüche über den Kopf wachsen und sie deshalb unruhig werden, dann ist es unsere Aufgabe, diese Gegensätze im feindlichen Lager zur Mobilisierung der Massen auszunutzen, aber nicht, jenen »antifaschistischen« Kräften zu Hilfe zu kommen. Mit den Kräften aus der christüchen Gewerkschaftsbewegung verbinden uns starke gemeinsame Interessen. Doch die Arbeiterklasse muss auf der Hut sein vor jenem Klerus, der einen ständisch organisierten Faschismus nach österreichischem Muster erstrebt. Mit den rebellierenden Bauern und städtischen Kleinbürgern, mit den Intellektuellen, die entsetzt sind über die Zerstörung der Kultur, mit den Friedensfreunden, die sich gegen den Faschismus als Kriegstreiber wenden, mit ihnen und anderen Gruppen ist ein Bündnis zu erstreben. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass im Herrschaftsbereich des Faschismus, dort wo die in Frage kommenden Massen sind und leiden, ein vertraglich abgeschlossenes Bündnis einstweilen und vielleicht für die ganze Dauer der faschistischen Herrschaft unmöglich ist. Es fehlt für eine Volksfront die Organisation der Partner, die für die Einheitsfront gegeben ist, und die Sicherung der illegalen Kader wirkt als Hemmung. Hier muss die kämpfende Arbeiterschaft das Bündnis schaffen, indem sie bei den antifaschistischen Massen das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit hervorruft. Die illegalen proletarischen Kader müssen sorgfältig jede Regung des Widerstandes in den anderen Schichten beobachten und ihm durch Aufklärung und wirksame Losungen die Richtung direkt gegen das faschistische Regime geben. Wo irgend eine Möglichkeit gegeben ist, die Arbeiterschaft unmittelbar für Ziele einzusetzen, die das Kleinbürgertum als seine eigenen anerkennt, muss die revolutionäre Partei diese Mobilisierung versuchen. In der Propaganda soll immer darauf Rücksicht genommen werden, dass wir in den kleinbürgerlichen Massen Verbündete suchen. Um nur ein Beispiel zu geben: man muss entschieden dagegen auftreten, dass sich die Wut der Arbeiter über Teuerung und Lebensmittelknappheit gegen die Kleinhändler und Bauern richtet, sondern muss die Arbeiter und die Kleinbürger über die tieferen Ursachen aufklären, die im kapitalistischen und im faschistischen System hegen. Das ist nicht eine taktische Wendung, sondern das Wesen unserer Aufklärungsarbeit selbst. Wie in den Fragen, die allein die Arbeiterklasse angehen, so muss auch für d[ie] kleinbürgerlichen Schichten versucht werden, alle auch noch so bescheidenen legalen Möglichkeiten auszunutzen, um dem Unwillen über das faschistische System -
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Ausdruck zu geben, die Illusionen über den Faschismus zu zerstören, indem man die Probe auf sie erzwingt, und dem Widerstand Ansätze einer Organisierung zu geben. Für lange Zeit werden all diese Versuche auf einen ganz kleinen Umfang beschränkt bleiben, sie werden viele Rückschläge erleiden und Enttäuschungen nach sich ziehen. Aber allein auf diesem Wege können die grossen Bewegungen vorbereitet werden, und nur durch solche kleine [n], aber hartnäckige [n] Versuche wird das Gefühl der Verbundenheit zwischen den antifaschistischen Kräften geschaffen. In der Emigration ist die Bildung der Volksfront auf Grund eines Vertrages leichter möglich. Aber sie bleibt hier notwendig beschränkt auf kleine Gruppen und Einzelpersonen, die zum Teil nur lose Verbindungen mit den aktiven Kaders im Reich haben, manchmal nicht einmal dies. Das ist ein Boden, auf dem Einbildungen und Wünsche über die Entwicklung in Deutschland üppig emporschiessen, wie die Versuche, die Ueberwindung des Faschismus durch »unfehlbare Patentmittel«, ausgeheckt von einer ungeduldigen und durch keinerlei Erfahrung gehemmte [n] Phantasie, zu beschleunigen. Hier ist es die Aufgabe des ernsten Revolutionärs, nüchtern die Grenzen abzustecken. Es kann nicht die Rede davon sein, dass sich irgendwo in Paris der »Generalstab der künftigen antifaschistischen Revolution« zusammenfindet. Aber ein Bündnis, das dort geschlossen wird, kann von grosser Bedeutung werden, wenn es sich auf einige engbegrenzte Aufgaben beschränkt: Vermittlung der Verbindung zwischen den illegalen Kadern in Deutschland, Austausch und Auswertung der Erfahrungen über den Schriftenschmuggel, über das Spitzelunwesen usw., Sammlung von Nachrichten über die faschistische Politik, über den Terror, über die Stimmung der Volksmassen und ihre Auswertung in einer grosszügigen antifaschistischen Propaganda in der ganzen Welt, Einleitung internationaler Aktionen gegen den deutschen Faschismus, und materieller moralischer Hilfe für die vom FaschisOrganisierung juristischer, mus Verfolgten, und Förderung der antifaschistischen Bewegung anderer Länder durch Auswertung der deutschen Erfahrungen. Wenn es gelingen sollte, die aktive Emigration für diese Aufgaben zusammenzuschliessen und diese Aufgaben selber in ernster Arbeit zu erfüllen, dann wird freilich mancher romantische Traum aufgegeben werden müssen, aber dem antifaschistischen Kampf wird ein unschätzbarer Dienst erwiesen. Der Weg zum Sturze des Faschismus ist lang, opferreich und voller Schwierigkeiten, wie sie bisher noch keine illegale Bewegung zu überwinden hatte. Er erfordert von den illegalen Kämpfern ein Heldentum, das sich Stund für Stunde im Wirken für kleinste Zwecke bei grössten Gefahren bewähren muss. Er erfordert von der revolutionären Partei eine geduldige, elastische und zugleich grundsatzfeste Politik, die versucht, alle Risse im Bau des Feindes, alle Chancen für die Mobilisierung von Massen auszunutzen und sich doch nicht vom Wege zum Ziele der Arbeiterklasse abdrängen lässt. Gelingt es, diese höchste Beweglichkeit mit dem unbedingten Festhalten an den Grunderkenntnissen des revolutionären Kampfes zu vereinigen, dann wird nach Hider der Sozialismus und zu seiner 130
18.1
SAP, Was kommt nach Hitler?
Verwirklichung die proletarische Revolution kommen. Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands zum Ziel. Anmerkung
der
Und das
setzt
sich die
Herausgeberin:
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Vgl. diese Passagen in einer anderen zeitgenössischen Übersetzung in: Wladimir I. Lenin, Der »Radikalismus«, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Abschnitt VIII: »Keinerlei Kompromisse?«, Leipzig 1920; ders., Sämtliche Werke, Bd. XXV, Wien Berlin o. J. [1929], S. 256, 257, 261f. und 254f.
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Dokument 18.2
SAP, Zu Klassenpolitik und nichtproletarischen
Bündnispartnern
Juni 1936 Vorlage:
Neue Front. Organ für proletarisch-revolutionäre Sammlung, hrsg. von der Auslandszentrale der Sozialistischen Arbeiter-Partei Deutschlands, Paris, 1936, Nr. 11, Anfang Juni, S. 3; 320 x490 mm
Standort: IISG Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 489-493
Um die »Deutsche Volksfront« Eine entscheidend wichtige Frage einer erfolgreichen proletarischen Klassenpolitik ist die Frage der Bündnisse mit den nichtproletarischen Schichten. (Was es bedeutet, wenn alle bürgerlichen Klassen sich in einem Bündnis gegen das Proletariat einigen, ist uns gerade in Deutschland eindrucksvoll vorexerziert worden.) Es erscheint uns als eine der Hauptschwächen der kommunistischen Politik in der Vergangenheit, die ganze Wichtigkeit dieser Frage nicht erkannt und sie deshalb durchaus unzulänglich beantwortet zu haben. Der Kampf um den Sturz des Kapitalismus, zur Abwehr der faschistischen Diktatur und noch mehr zu ihrer Ueberwindung, der Kampf um den Frieden wird erfolgreich nur geführt werden können, wo es der führenden proletarischen Partei gelingt, die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und ein verhältnismässig festes Bündnis der geeint kämpfenden Arbeiter mit wichtigen Teilen der bürgerlichen Klassen zu sichern. Dabei lehren die Erfahrungen der ganzen Nachkriegsentwicklung dies Eine: Die Herstellung eines solchen Bündnisses ist nicht blos[s] die Frage einer richtigen Propaganda der proletarischen Partei, nicht blos[s] die Frage eines mehr oder weniger zugkräftigen »Bauern- und Mittelstandsprogramms«, das einfach darauf abzielt, jene Schichten als gewöhnliche Parteigänger der Arbeiterbewegung zu gewinnen. Es handelt sich hier vielmehr in hohem Masse auch um ein organisatorisch-politisches Problem. Seine Lösung erfordert wohl oder übel die Bereitschaft zu mehr oder weniger weitgehenden Kompromissen mit den sozialen Vorurteilen, sowie dem politischen Selbstbewusstsein und der relativen Eigenbewegung der in Frage kommenden nichtproletarischen Gesellschaftselemente. Mit der »Volksfront« scheint uns die natürliche organisatorisch-politische Gestalt dieser Kompromisse entdeckt zu sein. Als Formel und systematisierte Taktik bedeutet sie eine wertvolle Weiterentwicklung der taktischen Rüstung des Kommunismus. Es kann heute nicht mehr bestritten werden, dass die Kommunisten mit ihrer Hilfe den Aktionsradius ihrer allgemeinen Politik weit über den rein proletarischen Bereich hin ausdehnen können.
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18.2 SAP, Um die »Deutsche Volksfront«
Ist die
gegebene Form der Volksfront dort, wo es ein gewisses »autonomes« Organisationsleben der gesellschaftlichen Klassen gibt, ein Pakt der Arbeiterbewegung mit den politischen, sozialen, kulturellen Organisationen der »bündnisfähigen« Schichten (von »oben und unten«, wobei die Umwandlung resp. Sprengung des traditionellen Rahmens jener Organisationsgebilde im Zug der Zeit liegen dürfte), so ist in den Ländern der faschistischen Diktatur davon auszugehen, dass es ernstzunehmende bündnisfähige Organisationen dieser Art kaum gibt. Also würde es sich unter den heutigen Umständen bei einer »deutschen Volksfront« blosjs] um eine fiktive Angelegenheit handeln? Gewiss nicht. Auch das politische Organisationsleben der Arbeiterbewegung ist in Deutschland heute gewissermassen blosfs] »für sich« da. Die effektive direkte Wirkung auf die heutige gesellschaftliche Wirklichkeit ist sehr gering. Aber jene verhältnismässig schwachen Elemente von Organisiertheit und politischer »Bewegung« sind für die weitere Entwicklung doch von grösster Wichtigkeit. Spielen sie im heutigen praktischen Leben der Massen auch nur eine geringfügige Rolle, so ist dieses dünne Geflecht von Beziehungen doch ein allgegenwärtiges, lebendiges, zukunftverheissendes Symbol. Alle »wissen«, dass es dieses unterirdische Leben gibt, das Anspruch darauf erhebt, die Zukunft zu verkörpern, und deshalb wird von ihm im Moment der unvermeidlich kommenden gesellschaftlichen Krisen eine bedeutsame organisierende und richtunggebende Wirkung ausgehen. Es braucht hier nicht lang auseinandergesetzt werden, welch grosse Bedeutung bis dahin die den Gesamtzusammenhang gewährleistende und übersehende Auslandsarbeit hat. Und ähnlich stehen die Dinge für die »Volksfront«, die als reales organisato—
risches Phänomen zunächst nur im Ausland entstehen kann. Die hier zusammenzufassenden Kräfte sind besonders auf bürgerlicher Seite viel weniger real, als potenziell, wobei zu bedenken ist, dass für die Orientierung des Bürgertums und bei der Kristallisierung bürgerlicher Bewegungen Einzelpersönlichkeiten immer weitaus mehr bedeutet haben, als dies beim Proletariat der Fall ist. Deshalb kann die Zusammenfassung von repräsentativen Einzel-Vertretern der Interessen und Ideologien gewisser bürgerlicher Schichten durchaus die Bedeutung einer realen Vertretung ernstzunehmender bürgerlicher Strömungen gewinnen und den entsprechenden Schichten eine für sie akzeptable Perspektive eröffnen. Und von einer solchen Perspektive können durchaus aktivierende und in geringem Masse auch organisierende Wirkungen ausgehen, indem der allgemeinen Unzufriedenheit eine gewisse Zielvorstellung hinzugefügt wird. Angesichts der heutigen deutschen Situation müssen die Kommunisten auch auf die Formierung einer nichtproletarischen antifaschistischen Bewegung hinwirken und gestaltenden Einfluss zu nehmen trachten. -
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IM.
Programmatische Verlautbarungen
Die entscheidende Frage ist natürlich, mit wem und wozu man sich verbündet. Lächerliche Don Quichotterie wäre es, sich auf »Leute von gestern« festzulegen, die für die konkrete deutsche Entwicklung nichts mehr zu bedeuten haben. Vielmehr muss das Hauptaugenmerk auf diejenigen Elemente gerichtet werden, die innerhalb der heutigen Gesellschaft auf der Basis seiner heutigen realen Gegensätze auf seine Sprengung hintreiben. Man muss sich sehr hüten, durch Kompromisse mit Kräften der Vergangenheit (die keine Perspektive mehr haben) sich den Zugang zu der aus dem Schosse der heutigen gesellschaftlichen Beziehungen erwachsenden Opposition zu versperren. Es darf keinen Zweifel darüber geben, dass bei der Bildung einer »deutschen Volksfront« heute die antikapitalistische Fragestellung mindestens so bedeutungsvoll ist, wie die demokratische. Und man darf sich keinen Illusionen darüber hingeben, dass der Weg zur Entwicklung einer solchen Volksfront grosse Schwierigkeiten bietet und vielleicht manchen Umweg und Rückzug nötigmachen wird. Im jetzigen Stadium der innerdeutschen Entwicklung sollten sich alle im Ausland eingeleiteten Bestrebungen auf die Vorbereitung einer deutschen Volksfront auf unmittelbar praktische Teilaufgaben beschränken. »Es kann nicht die Wede davon sein, dass sich irgendwo in Paris der Generalstab der künftigen antifaschistischen Wevolution zusammenfindet. Aber ein Bündnis, das dort geschlossen wird, kann von grosser Bedeutung werden, wenn es sich auf einige engbegrenzte Aufgaben beschränkt« (NF, Nr. 6 1936, »Was kommt nach Hitler«)1: Kampf gegen den Terror. Verteidigung und Unterstützung der Opfer, Einleitung internationaler Aktionen gegen den deutschen Faschismus in Verbindung mit dem antifaschistischen Kampf in den anderen Ländern. Besonders in der Entfaltung der internationalen Kampfbewegung gegen die Kriegsgefahr kann die einheitliche deutsche Emigrationsfront durch die Aufklärung der Welt über den wirklichen Charakter der Berliner »Friedensstifter« eine bedeutsame Rolle spielen. Die SAP hat sich dem in Paris gebildeten Komitee zu[r] Vorbereitung der deutschen Volksfront mit der Bereitschaft zu positiver und tatkräftiger Mitarbeit angeschlossen, obwohl sie seiner jetzigen Zusammensetzung und seinem bisherigen Funktionieren gegenüber manches ernste Bedenken hat. Sie ist sich bewusst, dass sie nicht durch Buchstabenkritik von aussen her ihre politischen Aufgaben erfüllen kann, sondern nur dadurch, dass sie sich mitten in die Einheitsbewegung stellt, sowie durch die Herausarbeitung eigener positiver Vorschläge, durch geduldige und in der Sache feste Kritik aller Unzulänglichkeiten und illusionistischen Vorstellungen. Und sie wird auch nicht vor der sich hieraus ergebenden Mitverantwortung ausweichen. Es liegt im Wesen der Sache, dass die Aktionen und Kundgebungen solcher umfassenden Komitees einen anderen Charakter haben, als diejenigen der revolutionären proletarischen Partei. Denn diese kann nicht darauf verzichten, in jedem Moment die Aufmerksamkeit ihrer Anhänger vor allem immer erneut auf das Endziel zu richten; der Sinn von »Volksfront«Manifestationen aber ist gerade die Einigung von im Endziel mehr oder weniger unterschiedenen Kräften auf gemeinsame Teüziele. Wir können nicht erwarten, 134
18.2 SAP, Um die »Deutsche Volksfront«
dass die hierbei einzugehenden Kompromisse in jedem Falle zu unserer vollsten Zufriedenheit ausfallen; und das wird umsoweniger der Fall sein, als unser Gewicht auch innerhalb der beteiligten proletarischen Kräfte vorläufig nicht entscheidend ist. Dieses Gewicht durch geduldige, sympathienwerbende, fruchtbare Mitarbeit fortgesetzt zu verstärken, ist gerade die Aufgabe.
Anmerkung der Herausgeberin: 1
Siehe Dokument 18.1 in diesem Band.
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Dokument 19 Rudolf Möller-Dostali, in der Volksfront April 1936
Vorschlag zur Sammlung der Katholiken
Europa. Wochenzeitung für Tat und Freiheit, Paris, 1936, Nr, 15, 11. 315 x470 mm Standort: IISG Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 24-28, 394f. und 472f. Vorlage:
April,
S. 6-7;
Moeller-Dostali
Ueber die Zukunft Deutschlands Programm der Gerechtigkeit Die flammenden Worte, welche der junge christliche Schriftsteller Ulrich Becher in der Folge 13 von »Europa« an die Christen und Sozialisten unseres Kontinents richtet, haben in katholischen Kreisen aller Länder grossen Eindruck gemacht. Sind doch diese Worte diktiert von der grossen Sorge, die alle verantwortungsvollen Christen unserer Zeit beherrscht um die Zukunft und das Schicksal unserer euro-
päischen Völkerfamilie.
Entkleidet man die diplomatischen Aktionen, die sich jetzt um die Folgen des letzten Hitlerschen Vorstosses abspielen, aller Floskeln, so bleibt nichts anderes übrig als die Tatsache, dass sich die Völker Europas entscheiden müssen, zu handeln. Die Alternative steht vor uns: Entweder wir gehen auf Gedeih und Verderb mit den faschistischen Kräften, die heute am Werk sind, Europa in einen neuen furchtbaren Krieg zu stürzen, das aber bedeutet eine Katastrophe, so furchtbar und grauenerregend wie sie auch die tollste menschliche Phantasie nicht auszudenken vermag oder aber wir entscheiden uns für den aktiven Zusammenschluss aller, die den Frieden und die soziale Gerechtigkeit mit allen Mitteln wollen. Einen Mittelweg gibt es nicht. Vor dem Katholiken erhebt sich die Frage: Wo ist in diesen unruhevollen Tagen mein Platz? Der Ablauf der Geschichte nähert sich einem Entscheidungspunkt. Der Inhalt des heroischen Kampfes, der sich im Schosse der europäischen Völker abspielt, ist zutiefst der Kampf um eine neue Ordnung in allen Regionen unseres menschlichen Daseins. Jeder Katholik, der nicht in ängstlicher Vogel-Strauss-Politik seinen Blick abwendet von den Problemen unserer Zeit, sondern den Ereignissen klar ins Auge schaut, der begreift, dass der Ernst der Situation vor ihm die Frage aufrollt: Wie kann sich der Katholizismus, mit seinem religiösen und sozialen Weltbild als geschichtsbildende Kraft in das historische Geschehen unserer Tage einschalten? -
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19. Möller-Dostali,
Programm
der
Gerechtigkeit
Von der richtigen Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob in der kommenden neuen Ordnung unserer Menschheit der Katholizismus eine zentrale geistige Kraft dieser Ordnung sein wird. Die Ereignisse in Spanien zeigen den Katholiken aller Länder wie verhängnisvoll eine Politik ist, wenn verantwortliche katholische Kreise sich gemeinsam mit den Kräften der finstersten Reaktion in Gegensatz zu den gerechten Forderungen des schwer bedrückten arbeitenden Volkes stellen. Es ist kein Wunder, dass in Spanien erneut Kirchen und Klöster brennen und sich in den Volksmassen eine Atmosphäre des Hasses gegen die Kirche Christi verdichtet. Die, welche heute in verhängnisvoller Verblendung die Marxisten als gotdose Kirchenstürmer bezeichnen, die sollten sich die Worte des heiligen Vaters vor Augen halten, welche in der Enzyklika »Quadragesimo anno« verzeichnet sind: »Ja, selbst das findet sich, dass man gerade die Weligion vorzuschützen sucht als Wandschirm, hinter dem man mit seinen ungerechten Machenschaften sich verstecken und durchaus gerechten Forderungen der Arbeiterschaft sich entziehen will. Niemals werden wir davon ablassen, diesen Leuten auf das ernsteste ins Gewissen zu reden. Sie sind es, die die Schuld tragen, dass auf die Kirche derfalsche Schein und die Verdächtigungfallen konnte, sie begünstige die Besitzenden und sähe die Leiden und Nötfe] der Enterbten dieser Erde teilnahmslos mit an ...« Als in Spanien Giménez Fernandez von Asua, einer der jüngeren Führer der Katholiken, der wegen seiner sozialen Aufgeschlossenheit den Namen »Der weisse Lenin« von den katholischen Werktätigen bekommen hat, mit einem sehr radikalen Agrarreformprojekt auftrat, da erhoben sich die spanischen Granden und höheren Geistlichen gegen ihn und bezeichneten seine Vorlage als Diebstahl und Vorstoss gegen das christliche Eigentumsgesetz. Der tapfere junge Katholikenführer konnte leider gegen die reaktionären Schichten des katholischen Adels nichts ausrichten. Die Ereignisse nahmen ihren Lauf, und die katholische Kirche steht infolge des reaktionär-faschistischen Verhaltens der Gil Robles-Partei vor einem erneuten Hassansturm der Massen gegen die Kirche. Die Achse unserer Gegenwartsgeschichte ist das nationalsozialistische Deutschland. Es hat keinen Zweck zu klagen über das furchtbare Schicksal, das durch den entmenschten braunen Terror über unser deutsches Volk hereingebrochen ist. Klar sind wir uns alle darüber, dass der Kampf gegen das Hidertum innigst verflochten ist mit dem Gesamtschicksal Europas. Die deutschen Antifaschisten, die im Exil zu leben gezwungen sind, haben eine riesengrosse Aufgabe, deren Lösung nur sein kann: Sturz des nationalsozialistischen Wegimes. Für den Katholiken aber gibt es nur eine Entscheidung: Unser Platz in diesem Kampf ist in den Reihen der Antifaschisten. In der ersten März-Nummer des katholischen Blattes »Der Deutsche Weg« findet sich folgende Bemerkung zum deutschen Problem: »Wenn etwa irgendein Bandit, ein Hochstapler oder wer es auch immer sei, sich rücksichtslos in den Besitz der Staatsgewalt setzt, ist dann etwa die katholische Moral dafür da, diesen räuberischen Gesellen den göttlichen Glanz einer rechtmässigen Obrigkeit zu 137
IM.
Programmatische Verlautbarungen
verleihen? Wo es aber keine rechtmässige Obrigkeit gibt, wie kann man sie da anerkennen? Sie (die Katholiken, d. R) haben sogar die Pflicht, alles erdenkbare zu tun, um wieder eine geordnete Staatsgewalt zu schaffen. Ob das mit Waffen geschehen muss, ob ...
...
ohne Waffen, das ist in solchen Augenblicken eine rein politische Frage ...« Das sind deutliche Worte. Hinter dem »Deutschen Weg« stehen katholische Männer, deren Gesinnung über alle Verdächtigungen erhaben ist. Was aber praktisch tun? Anfang Februar fand in Paris eine Konferenz statt, auf welcher sich fast alle Richtungen der deutschen Emigration zusammenfanden, um gemeinsam über ein Programm zu beraten, auf dessen Grundlage der Kampf gegen den Nationalsozialismus in einer geschlossenen Front geführt werden kann. Der Inhalt dieses Programms ist m. E. nach für die Katholiken annehmbar, da darin auch feierlichst die wichtigsten Grundforderungen des Katholi-|S. 7|zismus, als da sind: Heiligkeit des menschlichen Lebens, vollkommene Glaubens- und Lehrfreiheit, Garantie für die freie Tätigkeit katholischer Organisationen, enthalten sind. Ich glaube aber, dass dieses Programm zu allgemein ist. Wenn wir dem deutschen Volk ein gemeinsames Programm vorschlagen, das nach dem Sturz des Hitlerregimes zu verwirklichen wäre, so kann man dem deutschen Volk nicht zumuten, zu dem alten Weimarer System zurückzukehren. Mit der einfachen Wiederherstellung der formalen demokratischen Spielregeln ist dem deutschen Volk nicht geholfen, es verlangt mehr. Vor allem die Garantie, dass der Einfluss des Kapitals in einem neuen Deutschland sichtbar gebrochen wird. Ein Rettungsprogramm für unser Volk muss daher Forderungen enthalten, welches Eingriffe in die kapitalistische Struktur vorsieht. Ferner erwartet die deutsche Arbeiterklasse aller Richtungen ein umfassendes Sozialprogramm. Die Bauern Deutschlands, die durch das Erbhofgesetz zu einem grossen Teil um ihr Anrecht an den Boden gekommen sind, müssen das Bewusstsein erhalten, dass ihr Recht wiederhergestellt wird. Das sind nur einige Punkte, von denen ich glaube, dass sie in einem gemeinsamen Programm konkret berücksichtigt werden müssen. Was Ulrich Becher in seinem Aufruf an die Christen und Sozialisten fordert, das sollten wir deutsche Antifaschisten in einem solchen Programm der Gerechtigkeit möglichst schnell verwirklichen. Untersuchen wir die soziale Enzyklika Pius XI. und vergleichen die Forderungen, welche dieses katholische soziale Programm enthält mit dem Programm der Sozialisten, dann findet sich eine ganze Reihe von Berührungspunkten, die dem natürlichen Gerechtigkeitsprinzip entsprechen und für die ein gemeinsamer Kampf, trotz aller bestehenden weltanschaulichen Gegensätze^] möglich ist. Ich halte den Augenblick für gekommen, dass die katholischen Antifaschisten, die im Auslande leben, zu einer gemeinsamen Beratung zusammentreten, das Pariser Programm diskutieren, eigene Vorschläge für die Konkretisierung des Programms machen und diese der gemeinsamen Front vorschlagen. Mein Vorschlag ist eine Anregung. Die Stunde ist ernst. Handeln wir!
138
Dokument 20
Bewegung Deutschlands, Grundgedanken zur Sammlung der Kräfte
Volkssozialistische ca.
Mai 1936
Vorlage:
Deutsche Freiheitsbriefe, hrsg. von der Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands, 0. [Prag], o. D. [ca. Mal 1936], S. 1-3; mimeographierter Dünndruck, 112 x 150 mm Standort: IISG, NL Hertz, S. 5, Nr. 23 Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 18-20 o.
Was wollen die Volkssozialisten? Volkssozialisten? Schon wieder eine neue Bewegung? So wird mancher fragen, und diese Fragestellung hätte einen Sinn, wenn wir noch im Jahre 1918 wären, als die Aussicht bestand, dass die bestehenden sozialistischen Gruppen ihre Programme verwirklichten und dem deutschen Volk den Sozialismus brachten. Inzwischen aber sind alle alten Parteien und Bewegungen vernichtet. Durch ihre Unfähigkeit in den Zeiten der Weimarer Republik gaben sie dem Nationalsozialismus die Chance zur Machteroberung und tragen also in breitestem Masse die Verantwortung dafür, dass das Unglück des braunen Wahnsinns über Deutschland und Europa hereingebrochen ist. Sie sind vernichtet und zerschlagen. In der Emigration führen sie ein belächeltes Scheindasein. Im Reich ist ihr Echo kaum noch merklich. Die Millionen aber, die den Nationalsozialismus mit seiner Politik des Elends und des Blutrauschs verdammen, die unter dem furchtbaren Joch dieses Zuchthausstaates schmachten, ersehnen in der Tat etwas ganz Neues. Sie schreien geradezu nach einer Bewegung, die unerbittlich mit dem heutigen System Schluss macht. Aber sie wollen auch nicht zurück in die düstere Vergangenheit der Weimarer Republik der Unfähigen, in das Parteiengezänk und die unfruchtbare Koalitionspolitik vergangener Tage. In diese Bresche springen die Volkssozialisten. Sie erheben den Anspruch, mit ihren Zielen gerade das zu vereinen, was dem Sehnen der weitesten Kreise des deutschen Volkes entspricht und was bisher nach der richtigen Ausdrucksform vergeblich rang. Diese Sehnsucht zielt hin auf eine völlige Umgestaltung der deutschen Wirtschaft, auf Wirtschaftsplanung, auf sozialistische Ordnung der Dinge. Diese Sehnsucht erfüllt heute die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes und geht weit, unendlich weit über die Reihen der alten Arbeiter-
bewegung hinaus. Sozialismus: Das
ist längst nicht mehr nur die Traumvorstellung des verzweifelnden Arbeitslosen u. des darbenden Arbeiters allein, er wurde in Zeiten der Krise und der Not, der wirtschaftlichen Sinnlosigkeit und Anarchie zur Hoffnung des Handwerkers und Kleinhändlers, des Angestellten und Beamten, des Wissenschaftlers und Künstlers, des Gewerbetreibenden und Bauern, ja er ist angesichts der Zerstörung aller wirtschaftlichen Fundamente, —
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III.
Programmatische Verlautbarungen
des Raubbaus am Volksvermögen, des skrupellosen Vabanque-Spiels von Bankrotteuren u. Dilettanten auch zum Vernunftspostulat eines grossen Feiles derer geworden, deren materielle Lage noch einigermassen gesichert ist und die in einem sozialistischen Rechtsstaat nicht nur die Gewährleistung ihrer |S. 21 Existenz sondern auch die einige Möglichkeit zum Wiederaufbau Deutschlands erblicken. So braucht der Sozialismus nicht mehr das Schreckgespenst des kleinen Sparers, des geistig Schaffenden zu sein. Die alten sozialistischen Parteien haben die sozialistische Forderung auf den proletarischen Sektor beschränkt. Sie haben alle von sich gestossen, die zwar eine Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft anstrebten, aber das Volk über das Proletariat setzten. Sie haben Unzählige dazu gezwungen, gegen den Sozialismus zu stimmen, weil sie sie zwangen, gegen die Unfähigkeit der alten Parteiapparate zu stimmen. Sie machten den Sozialismus zu einem Monopol des Proletariats und haben damit dem Nationalsozialismus die besten Parolen für seinen Volksbetrug geliefert. Sie erkannten nicht, dass die Arbeiterschaft allein mit ihren Kräften nicht imstande ist, den Sozialismus zu erkämpfen. Der Sozialismus kann nur von der Gesamtheit der Werktätigen, durch das Bündnis der Arbeiter und Bauern, der Angestellten, Kleingewerbetreibenden und Intellektuellen erkämpft werden. Er ist nicht die Angelegenheit einer einzelnen gesonderten Klasse. Die Taktik der alten Parteien hat das Proletariat in eine künstliche Vereinsamung hineingetrieben. Damit muss Schluss gemacht werden, und damit macht der Volkssozialismus Schluss. Er geht nicht darauf aus, wie die alte Sozialdemokratie Scheinpositionen der Macht zu erkämpfen und dann zu behaupten, damit sei der Sozialismus vorwärtsgetrieben worden. Er lässt sich das Gesetz seines Handelns, das nur von den deutschen Notwendigkeiten bestimmt sein kann, nicht wie der Kommunismus von einer ausländischen Zentrale diktieren, die von dem inneren Sehnen des deutschen Volkes, seiner geistigen und wirtschaftlichen Struktur, nur unrichtige Vorstellungen haben konnte. Der Volkssozialismus hat die Fehler der Vergangenheit erkannt und sieht voll Abscheu die Sünden der Gegenwart. Darum hat er die gewaltige Synthese gesucht, die die Interessen des ganzen Volkes zusammenfasst. Denn so war es: Das Versagen der Sozialdemokratie, die ihre Ziele dem sturen Festhalten an den Scheinpositionen einer ausgehöhlten Regierungsgewalt opferte und den Kampf um Pöstchen statt den Kampf um die Macht führte, brachte das Anschwellen der kommunistischen Bewegung, die ihrerseits wieder den Willen zur Macht den utopischen Prinzipien einer ausländischen Zentrale preisgab. Die völlige psychologische Verständnislosigkeit und der weltfremde Internationalismus der alten Arbeiterparteien aber gaben dem Nationalsozialismus seine Chance. Er versprach allen von der Linken Enttäuschten und Vernachlässigten den Sozialismus und warb mit der Kraft des nationalen Gedankens. Sein Sieg brachte den grössten Betrug der Weltgeschichte. Er betrog die Massen um den Sozialismus, den er ihnen versprochen hatte, und er verzerrte das ehrliche nationale Wollen von Millionen zu einem Radaunationalismus, der die ganze 140
20. Was wollen die Volkssozialisten?
Welt zu Feinden Deutschlands machte, zu einem blutdürstigen Pangermanismus, der heute den Bestand des Friedens und damit den Bestand Deutschlands, Europas und der gesamten abendländischen Kultur bedroht. Nichts von alledem darf sich wiederholen. Weder die Unfähigkeit und Willenlosigkeit der alten sozialistischen Parteien, noch das gigantische Betrugsmanöver des braunen Regimes. Die Zukunft gehört dem Volkssozialismus, der das sozialistische Wollen verbindet mit einer Einstellung auf das ganze Volk und dem Bekenntnis zur Nation, der die Diktatur des | S. 3 | Proletariats und der Internationalen ablehnt, der aber auch nicht will, dass das Sehnen nach einer Neuordnung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Formen benutzt wird, um die Kriegsbestie grosszuzüchten, um die Massen zu knebeln, um jede Regung freier Meinungs- und Willensbildung mit Stacheldraht, Giftgas und heimtückischem Mord zu zerschmettern. Unser Ziel ist der deutsche Sozialismus, der Sozialismus des werktätigen Volkes in seiner Gesamtheit, der weder auf eine nebelhafte Weltrevolution wartet, um sich zu manifestieren, noch ausländische Vorbilder kopiert, der seine Wurzeln hat im deutschen Volkstum und im Sehnen der Masse nach Licht, Leben und Freiheit. Die Volkssozialistische Bewegung Deutschlands erblickt die Möglichkeit zum Sturz des heutigen Regimes nur in einer Zusammenfassung aller oppositionellen Kräfte, nur in dem engen Zusammenwirken aller werktätigen Schichten. Sie sucht und schafft die breite Front aller Aufbauwilligen, die die Rückkehr zum Gestrigen ablehnen und das Ende des Heutigen fordern. Sie will die Volksbewegung auf breiter Basis verwirklichen, die allein in der Lage ist, den Umsturz herbeizuführen. Die Beseitigung einer Diktatur kann nicht von einer isolierten Klasse und nicht von einem isolierten Stand herkommen. Die Kräfte, die von den Flügeln ausgehen, sei es von der kommunistischen Volksfront, sei es von den Volksmonarchisten, reichen nicht aus. Die Mitte hat die Stosskraft und die Flügel haben sich ihr anzuschliessen. Die Mitte aber, der Kern der Volksbewegung, das sind die Millionen der Werktätigen, die alle Klassenvorurteile und alle starren Doktrinen als unnützen Ballast über Bord werfen und die wirklich das Recht haben zu sagen: Wir sind das deutsche Volk! Das Deutschland von morgen aber wie soll es aussehen? Es kann weder eine Neuauflage der kraftlosen Weimarer Demokratie, weder eine Diktatur des Proletariats, noch eine Wiederholung des heutigen Zustandes mit dem Totalitätsanspruch einer Gruppe und einem Usurpator an der Spitze darstellen. Es wird sein die Demokratie der Räte aller Werktätigen, die sich weder auf eine Partei, noch auf eine Klasse stützt. Die breiten Massen der Arbeiterschaft, die um den Sozialismus betrogen sind, die Kräfte der Linken, die sich zu Volk und Nation bekennen, und die Kräfte von rechts, die eingesehen haben, dass nur eine Umgestaltung der Wirtschaft Deutschland vom Abgrund zurückreissen kann, finden sich zueinander, die oppositionellen Elemente der NSDAP und der Hitlerjugend, die Enttäuschten in S.A. und S.S. werden den Weg zu uns finden. Das grosse Heer der freiheitlichen christlichen Kräfte, sei es aus dem katholischen Lager, sei -
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III.
Programmatische Verlautbarungen
dem Lager der Evangelischen Bekenntniskirche, die nun endlich wissen werden, dass Trennung von Kirche und Staat besser ist als der brutale Machteinbruch der Diktatur in die Domäne der Kirche, sie alle gehören in unsere Reihen. Für diese gewaltige Zusammenballung aller Kräfte setzen sich die Volkssozialisten ein. Nur sie wird das Regime beseitigen, bevor es ganz Europa in Brand gesteckt und das deutsche Volk in die Katastrophe hineingetrieben hat. Der riesige Widerhall, den die Entstehung der Volkssozialistischen Bewegung in ganz Deutschland ausgelöst hat, beweist uns, dass wir auf dem richtigen Wege sind! In diesem Sinne kämpft mit uns: Für ein freies, sozialistisches Deutschland! Frei Deutschland! es aus
142
Dokumente 21 Kommunistische Partei Deutschlands, Volksfront gegen den Faschismus Volksfront zur Versöhnung von Faschisten und Antifaschisten -
Dokument 21.1
KPD, Vorschlag für die Grundlinien eines gemeinsamen
Volksfrontprogramms Juni 1936
Vorlage:
11 maschinenschriftliche Seiten als Anlage zum Brief von Wilhelm Pieck an Mitglieder der Juni 1936, »Abschrift« Standort: ARBARK, SAP 1, 7, 27 Druck: 1936 Die Rote Fahne. Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale), Reichsausgabe, mimeographierter Dünndruck, o. O., Nr. 9, [Ende November/Anfang Dezember], S. [8]-[9] (Auszüge); 1937 Die Internationale. Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus, hrsg. vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands, Prag Antwerpen, H. 1/2, [Februar oder März], S. 75-82; 1966 Autorenkollektiv unter der Leitung von Walter Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 5, Berlin, S. 482-484, Dok. 29 (Auszüge ab »Die Staatsgrundsätze ...« nach: Die Internationale); 1969 Jahrbuch für Geschichte, hrsg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Geschichte, Berlin, Jg. 4, S. 149ff.: Siegfried Vietzke, »Zur Entwicklung der Konzeption der KPD über die deutsche demokratische Republik (1936)« (S. 160-171 nach: Die Internationale); 1972 Wilhelm Pieck, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. 5, Berlin, S. 356-373 (nach: Die Internationale) Der Abdruck der »Richtlinien« erfolgt hier ohne das als S. 1 der Vorlage vorangestellte Anschreiben von Wilhelm Pieck. Zu Entstehung und Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 85ff., 487 und 513-529
Programmkommission vom 16.
-
Richtlinien für die Ausarbeitung einer politischen Plattform der Deutschen Volksfront.
Bemerkungen zur Einleitung.
Wir, die Vertreter der deutschen Arbeiterschaft und des freiheitlich denkenden Bürgertums rufen die werktätigen Massen Deutschlands auf, sich in der Deut-
schen Volksfront zum Kampfe für den Sturz der faschistischen Diktatur in Deutschland zu sammeln und diesen Kampf auf der Grundlage der nachfolgenden Forderungen und mit dem Ziele der Aufrichtung eines neuen demokratischen Deutschlands zu führen, dessen wichtigste Staatsgrundsätze in dieser Plattform der Deutschen Volksfront niedergelegt sind. Ungeachtet parteipolitischer, weltanschaulicher und religiöser Verschiedenheiten, vereinigt uns das gemeinsame Ziel: Rettung Deutschlands vor der herannahenden Kriegskatastrophe, Auslöschung der Schande der faschistischen Barbarei, Sturz der undeutschen, faschistischen 143
IM.
Programmatische Verlautbarungen
Diktatur Hiders, Errichtung und Sicherung einer demokratischen Republik, eines freien und glücklichen Deutschland. Der Sturz der faschistischen Diktatur ist angesichts der von ihr zur Sicherung ihrer Herrschaft geschaffenen Machtmittel eine so gewaltige Aufgabe, dass keine der antifaschistischen Parteien mit ihren Anhängern allein dazu die Kraft hat. Diese Aufgabe kann nur im Zusammenwirken aller antifaschistischen Parteien und Organisationen, Gruppen und Persönlichkeiten, durch die Schaffung der Deutschen Volksfront erfüllt werden. Die faschistische Diktatur konnte in Deutschland nur aufgerichtet werden, weil die deutschen Arbeiterparteien und alle demokratischen Kräfte sich nicht zu einer einheitlichen Aktion der Verhinderung der faschistischen Diktatur zusammenfanden. Die Uneinigkeit der anti-|S. 2 Ifaschistischen Front ermöglichte dem Faschismus, seine Macht zu festigen und die Organisationen seiner Gegner zu zerschlagen oder in die Illegalität zu drängen. Nur durch die Schaffung der Deutschen Volksfront wird die Kraft erstehen, die fähig ist, die Barbarei des Faschismus zu vernichten und dem deutschen Volke die demokratischen Rechte und Freiheiten zu erkämpfen, den Frieden zu sichern und eine, dem werktätigen Volke dienende Wirtschaftspolitik zu führen. Die Deutsche Volksfront kämpft für ein freies und starkes Deutschland, die [sie] dessen durch die hitlersche Politik geschändetes Ansehen in der Welt wiederherstellen und den deutschen Namen in der Welt wieder zur Ehre bringen wird. Die Deutsche Volksfront wird nach dem Sturz Hiders solche Massnahmen ergreifen, die eine Wiederkehr der faschistischen Barbarei und Reaktion für alle Zeiten unmöglich machen werden.
Wofür kämpft die deutsche Volksfront? Hitlers gesamte Innen- und Aussenpolitik ist auf die Vorbereitung und Auslösung des Krieges eingestellt. Nachdem er das deutsche Volk erbarmungslos unterdrückt und ausplündert, um die Profitgier der Grosskapitalisten und Rüstungsgewinnler zu befriedigen, will er andere Völker unterjochen und fremde Gebiete erobern. Diese Katastrophenpolitik gefährdet die gesamte nationale Existenz Deutschlands, den Frieden der ganzen Welt und treibt durch ihre abenteuerliche Schuldenwirtschaft einer Wirtschaftskatastrophe entgegen. Hider will den Krieg, die Erhaltung des Friedens ist für seine Herrschaft eine tödliche Gefahr. Die Volksfront sieht ihre entscheidende Aufgabe in dem Kampfe zur Verhinderung des Krieges. Sie kämpft für die Völkerversöhnung, für die Kollektivsicherheit, für Abrüstung, für eine feste Zusammenarbeit mit allen den Frieden fördernden Kräften, insbesondere der Sowjet-Union, dem Frankreich der Volksfront und allen den Frieden hebenden Menschen in der Welt. Die Volksfront stellt ihre ganze Kraft auf die Widerlegung der chauvinistischen Propaganda und Rassenhetze Hiders ein, sie enthüllt die gefährlichen Betrugsmanöver, die Hider mit seinen heuchlerischen Friedensphrasen gegenüber 144
21.1
KPD, Richtlinien für die deutsche Volksfront
dem deutschen Volke unternimmt, um es irre zu führen und die Friedenskräfte in Europa zu zersplittern. Der Kampf gegen den Krieg erfordert aber zugleich den Kampf um die innere Freiheit des deutschen Volkes. Nur ein Deutschland, das im Innern frei ist und nach aussen eine konsequente Politik des Friedens führt, wird ein starkes Deutschland sein, das Ansehen und Geltung in der Welt besitzt. Die Volksfront organisiert den Widerstand des Volkes gegen die wahnwitzige Rüstungspolitik und riesigen Gewinne der Rüstungsproduzenten, gegen die Abwälzung der Rüstungslasten auf die Schultern des werktätigen Volkes. Der Kampffür Freiheit und Demokratie. Die Hitler-Regierung hat das ganze deutsche Volk in Ketten ge- |S. 3 |schlagen, es aller seiner Freiheiten und demokratischen Rechte beraubt und ein unerhörtes Terror-Regime gegen alle freiheitlich denkenden Menschen aufgerichtet, die besten des deutschen Volkes ermorden lassen oder in die Konzentrationslager gesperrt oder des Landes vertrieben. Die Deutsche Volksfront kämpft für die Freiheit und Demokratie, für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht, für die demokratische Re-
publik.
Die Deutsche Volksfront kämpft für unbeschränkte Presse-, Versammlungs-, Rede- und Vereinigungsfreiheit, für Glaubens- und Gewissensfreiheit, für das freie Recht der Eheschliessung, für die Herstellung des uneingeschränkten Selbstverwaltungsrechtes der Gemeinden und ihre Befreiung von der korrupten, braunen Kommissarwirtschaft, für die Einheit des Reiches unter Wahrung der Eigenarten der Länder und Gebiete. Die Volksfront kämpft gegen die Verbrechen der Gestapo, für die Aufhebung der Konzentrationslager, gegen die Folterungen und Todesurteile. Die Anhänger der Volksfront verpflichten sich zur aktiven Solidarität mit den Opfern des braunen Terrors, zum gemeinsamen Schutz vor Spitzeln und Verhaftungen, zum Kampf für die Amnestie, für die Abschaffung der sogenannten Volksgerichte und der Gestapo. Die Volksfront führt den Kampf gegen die Religionsverfolgungen und gegen die Eingriffe des Staates in das innere kirchliche Leben, sie führt den Kampf gegen den barbarischen Rassenwahnsinn und die Sterilisation. Die Volksfront kämpft in den Betrieben und in allen Organisationen für das Recht der freien Aussprache, gegen die Kommissarwirtschaft, für das freie Entscheidungsrecht der Mitglieder, für die Wahl der Funktionäre und Leitungen durch die Mitglieder. Der Kampffür den Wohlstand des schaffenden Volkes. Die Hider-Regierung betreibt eine Wirtschaftspolitik des Krieges, die dem ganzen Volke unerhörte Lasten auferlegt und die Versorgung des Volkes mit den wichtigsten Lebensmitteln auf das äusserste gefährdet. 145
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Programmatische Verlautbarungen
Die Volksfront kämpft für eine Wirtschaftspolitik zur Hebung des Wohlstandes der Volksmassen. Anstelle der Rüstungspolitik kämpft sie für eine Politik der Arbeitsbeschaffung durch Hebung der Kaufkraft des Volkes, durch ein grosszügiges Wohnungsbauprogramm, durch normale Handelsbeziehungen mit anderen Ländern, die den Absatz deutscher Qualitätsprodukte im Auslande heben. Anstelle der Steuerpolitik im Interesse der Rüstungsgewinnler und reichen Grossverdiener kämpft die Volksfront für einen radikalen Umbau der Steuerpolitik, für die Entlastung der ärmeren Bevölkerung, für schärfere Heranziehung der Grossverdiener zu den Steuerleistungen, für die Sicherung der Einlagen der kleinen Sparer, für den Schutz der Volksgesundheit, für die Wiederherstellung und den Ausbau der Sozialversicherung. | S. 41 Für die Arbeiter und Angestellten. Die Hider-Regierung hat die Löhne und Ge[h] älter gekürzt, die Differenzierung der Löhne gesteigert, die He[tz]arbeit in den Fabriken erhöht, die kollektive Regelung der Tarifverträge zerschlagen, die Zwangsarbeit eingeführt, die Abzüge von Lohn und Gehalt vermehrt, die Unterstützungen herabgesetzt oder ganz gesperrt, die Gewerkschaftskassen geplündert und die Gewerkschaften zerstört. Die Volksfront unterstützt und fördert den Kampf der Arbeiter und Angestellten gegen jeden offenen oder getarnten Lohnabbau, gegen Zwangsabzüg[e], gegen Zwangsarbeit, für höhere Löhne und Gehälter, für die 40-StundenWoche mit Lohnausgleich, für die kollektive Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, für die Freizügigkeit, für die Abschaffung des Arbeitspasses, für die Hebung der Lage der Landarbeiter, für ausreichende Unterstützung aller Erwerbslosen unter Einbeziehung aller werktätigen Schichten, gegen die Rückzahlung der gewährten Unterstützungen, für verlängerten Urlaub und Urlaubszuschuss für alle Arbeiter und Angestellten. Für die Bauern. Die Hider-Regierung hat die Lage des Bauerntums unerhört verschlechtert. Im Interesse der Rüstungspolitik und der Aufrechterhaltung des korrupten, braunen Bonzenapparates schikaniert sie unausgesetzt den Bauern. Sie hat ihm das Recht zum Schlachten und Markten genommen, bespitzelt seine Wirtschaft durch die faschistischen Kommissare und ruiniert mit ihren Zwangsbestimmungen und Handelsbeschränkungen die Bauernwirtschaften. Sie verteuert das Saatgut, die Futter- und Düngemittel und unterwirft die bäuerlichen Genossenschaften der Willkür der Agenten D[ar]ré's. Die Volksfront kämpft für ausreichende Preise für die landwirtschaftlichen Produkte der Bauernschaft, sie kämpft für die Beseitigung des kostspieligen faschistischen Kontrollapparates, für die Beseitigung der Zwangswirtschaft, für den Absatz der landwirtschaftlichen Produkte durch freie Verkaufsgenossenschaften, für die Aufhebung des Erbhofgesetzes, sie kämpft für die Niederschlagung sämtlicher Steuerrückstände der Bauern, für die Senkung der Futtermittel-, 146
21.1 KPD, Richtlinien für die deutsche Volksfront
und Maschinenpreise, für die Herabsetzung der Pachten und Grundsteuern, für staatliche Hilfe zu Gunsten der nodeidenden Landwirte, für Entschuldung der kleinen und mitderen Bauern, für langfristige Kredite und für die Senkung des Zinsfusses, für Zuteilung von Land auf Kosten des Grossgrundbesitzes der ehemaligen Fürsten und Junker.
Dünger-
Für den Mittelstand.
Hitler-Regierung hat den Kleingewerbetreibenden und Handwerkern viel versprochen, aber wenig oder garnichts gehalten. Sie werden durch die Steuerschraube, durch Miets- und Zinswucher, durch den Spendenzwang fortgesetzt ausgeplündert und durch das Monopolkapital und die wahnwitzigen Rüstungsausgaben dem völligen Ruin ihrer Wirtschaft ausgeliefert. | S. 5 | Die Volksfront kämpft gegen die Monopolwirtschaft, für die Sicherung der Existenz des Mittelstandes, für bevorzugte Berücksichtigung der Handwerker bei kommunalen und staatlichen Aufträgen zu angemessenen Preisen, gegen die Preis-Diktatur der Kartelle, für die Senkung der Frachten, der Ladenmieten und Steuern, für die Aufhebung der Umsatzsteuer, für die Wiederherstellung der Recht[e] und Freiheiten der Handwerker-, Händler- und Kleingewerbeorganisationen (Innungen, Vereinigungen usw.). Die
Für die Beamten. Die Hider-Regierung hat gegen die Beamten ein System der Gesinnungsschnüffelei und des politischen und wirtschaftlichen Terrors errichtet. Wer sich ihrem Terror nicht unterwarf, wurde aus dem Amte gejagt, um unfähigen Parteibuchbeamten der Nazis Platz zu machen. Die Volksfront kämpft für die Wiederherstellung der politischen [und] wirtschaftlichen Rechte des Berufsbeamtentums, für die Heraufsetzung der niedrigen Gehälter der unteren und mittleren Beamten, für Beförderung nach Befähigung und Dienstalter, für die Wiedereinstellung und Entschädigung aller aus parteipolitischen oder Rassegründen entlassenen Beamten, für frei gewählte Beamtenausschüsse. Für die Geistesarbeiter. Die Hitler-Regierung hat die freien Berufe einer skandalösen Dunkelmännerei der Göbbels und Rosenberg unterworfen, sie hat grosse, deutsche Kulturwerte zerstört, durch die Kulturschande der Bücherverbrennung Deutschland entehrt, weltbekannte Gelehrte und Künstler aus dem Lande vertrieben. Sie treibt eine faschistische Uniformierung und Militarisierung der Geistesarbeiter und zwingt Tausende von Lehrern, Wissenschaftlern, Künsdern und Journalisten gegen ihre innere Ueberzeugung zu lehren und zu schreiben. Nicht Fähigkeiten, Wissen und Talent entscheiden, sondern nur das braune Parteibuch. Die Volksfront verteidigt die deutsche Kultur, sie kämpft für die Freiheit des Geistes, der Wissenschaft und Forschung gegen die Kriegshetze und den Rassen147
III.
Programmatische Verlautbarungen
wahn, gegen Gesinnungszwang und Gleichschaltung, gegen faschistische Entwürdigung der Wissenschaft und der Kunst, gegen die Massregelung und Landesvertreibung freier, unabhängiger Künsder und Wissenschaftler, gegen den braunen Düettantismus und die Protektionswirtschaft, für Wissen und Leistung. Für die Jugend.
Die Hitler-Regierung will die deutsche Jugend in die Höhle des Krieges, in die lebensvernichtende Pest der Giftgase, in die mörderischen Schützengräben treiben. Die Hider-Regierung hat die freien Jugendorganisationen zerstört und sucht durch die rassenpolitische und völkerverhetzende Agitation die Herzen und Hirne der Jugend in Schule, Jungvolk, Hider-Jugend, Arbeitsdienst, S.A. und Militärdienst zu vergiften und den kämpferischen Idealismus der deutschen Jugend für ihre Kriegspläne zu missbrauchen. | S. 6 | Die Volksfront kämpft für die Rettung der deutschen Jugend vor ihrer Vernichtung in einem neuen Kriege, sie kämpft für die Erziehung der Jugend im Geiste des Völkerfriedens, der Freiheit und des Fortschritts. Sie kämpft für eine gute Berufsausbildung der Jugend, für die Sicherung ihres Arbeitsplatzes, gegen Arbeitsdienstpflicht und Zwangsverschickung aufs Land, für tarifliche Entlohnung, vierwöchentlichen bezahlten Urlaub und Sechs-Stunden-Tag der Jungarbeiter und Jungangestellten, für ausreichende Lehrstellen und bezahlte Lehrzeit, für Aufhebung der Studiumsbeschränkungen auf den Hochschulen und Universitäten, für gleiches Studiumsrecht der Mädchen, für freies Vereinigungsrecht. Die Volksfront wird der deutschen Jugend alle Möglichkeiten ihres materiellen und kulturellen Aufstiegs erkämpfen. Sie kämpft für eine menschenwürdige Behandlung der Arbeitsdiensder und Rekruten, gegen den militärischen Drill und
Kadavergehorsam. Für die Frauen. Die Hider-Regierung hat durch das faschistische Herrenrecht die Frau zur Magd und Dienerin des Mannes erniedrigt, der jede Gleichberechtigung vorenthalten wird, sie zerstört durch die Verschickung der Männer zum Zwangsarbeitsdienst die Familie, hetzt die Kinder gegen ihre Eltern auf und vergrössert durch die Verminderung des Einkommens der Familie die Sorgen der Mütter. Wieder droht den Frauen die grosse Gefahr, dass durch einen neuen Weltkrieg die Männer und Söhne abgeschlachtet werden. Die Volksfront kämpft für volle Gleichberechtigung der Frau im Beruf und im öffentlichen Leben, gegen die Ausnahmegesetze gegen verheiratete Frauen, für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit, für Arbeiterinnen-Schutz, für den Schutz der Familie und eines gesunden Nachwuchses des deutschen Volkes (Schutz von Mutter und Kind, Unterstützung kinderreicher Familien u. a.). —
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21.1 KPD, Richtlinien für die deutsche Volksfront
An die
werktätigen Anhänger des Nationalsozialismus!
Die Volksfront bietet allen Anhängern des Nationalsozialismus, die bereit sind, für die wirklichen Volksinteressen, für Frieden, Freiheit und ein besseres Leben zu kämpfen, die Hand zum gemeinsamen Kampf. Sie haben ehrlich an die »sozialistischen« Versprechungen Hiders geglaubt, aber sie beginnen immer mehr zu erkennen, dass heute mehr denn je das Grosskapital und die Finanzfürsten das deutsche Land beherrschen. Um deren Forderungen durchzusetzen, hat Hider seinen Terror auch gegen Tausende von Anhängern des Nationalsozialismus gerichtet, die es wagten, ihre eigenen Lebensinteressen zu vertreten und ihrer Enttäuschung Ausdruck zu geben. Der von diesen Anhängern gewollte Zustand von Frieden, Freiheit und Wohlstand soll durch den Kampf der Deutschen Volksfront verwirklicht werden. | S. 7 |
Die
Staatsgrundsätze des neuen Deutschen Reiches.
Die Volksfront ruft die Millionenmassen aller Schaffenden in Deutschland auf, den einheitlichen Kampf für ihre Lebensinteressen, für Frieden, Freiheit und Wohlstand aufzunehmen. Dieser Kampf der Volksmassen für die Forderungen der Volksfront ist der Weg zum Sturze Hitlers. Im Verlauf dieses Kampfe [s] werden überall in Deutschland die von dem Willen der breitesten Massen des Volkes getragenen Organe der Volksfront erstehen, die diesen Kampf organisieren und führen. Diese Organe der Volksfront werden auch nach dem Sturz Hiders die provisorische Regierung bestimmen, deren Aufgabe es sein wird, den Sieg zu sichern und die freie Entscheidung des Volkes über das künftige Regime zu
ermöglichen.
Die in der Volksfront verbundenen Parteien, Richtungen, Organisationen, Gruppen und Personen erklären als den wichtigsten Staatsgrundsatz, dass das neue Reich eine demokratische Republik sein wird, in der das Volk frei über alle Fragen der Wirtschaft, der Innen- und Aussenpolitik des Landes entscheidet und die Regierung durch eine Entscheidung des werktätigen Volkes aufgrund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechtes bestimmt wird. Das neue Reich wird alle Forderungen des Volkes, für die die Volksfront den Kampf führt, erfüllen. Das neue Reich muss eine starke und mächtige Demokratie sein, gestützt auf den Willen der Volksmassen, errungen im Kampf und Sieg über die faschistische Reaktion. Es wird aus den Fehlern der Vergangenheit die Lehren ziehen, um zu verhindern, dass Deutschland nicht zum zweiten Mal den Angriffen der Reaktion
unterliegt.
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Zur Sicherung des Friedens. neue Reich wird frei, stark und unabhängig sein, weil es sich auf die deutschen Volksmassen stützt, die den Frieden und die Verständigung mit den anderen Völkern wollen. Das neue Reich wird sämdiche von dem Volksfeind Hitler abgeschlossenen Kriegspakte für null und nichtig erklären. Es wird wieder dem Völkerbund beitreten und seine ganze Kraft dafür einsetzen, ihn zu einem wirksamen Werkzeug der kollektiven Friedens Sicherung und der Abrüstung zu machen. Es wird mit allen Ländern kollektive Verträge für den Frieden und NichtDas
angriffspakte abschliessen.
Das neue Reich strebt keinerlei territoriale Eroberungen oder Kolonien an. Deutschland hat genug Boden, Erwerbs- und Lebensmöglichkeiten für das deutsche Volk. Es ist reich genug, um allen seinen Bewohnern Wohlstand und Glück zu gewähren. Aber die Voraussetzung dazu ist, dass es sich freimacht von der Herrschaft der Kriegstreiber und der Hiderbarbarei. Das neue Reich lehnt jeden Versuch ab, die deutschen Minderheiten ausserhalb des Reiches chauvinistisch zu beeinflussen oder gewaltsam anzugliedern. Es wird durch eine friedliche und freundschaftliche Verständigung mit den anderen Völkern die Wahrung ihrer nationalen und kulturellen Interessen unterstützen, wie es auch alle Probleme, die | S. 8 | die nationale Einheit und die Beziehungen Deutschlands mit anderen Völkern betreffen, durch eine kollektive Verständigung zu regeln versuchen wird. Die Sicherung der Freiheit. Das neue Reich sichert die volle und uneingeschränkte Freiheit der Person, der Wohnung, der Presse, des Vereins- und Versammlungswesens, der Religion, der wissenschaftlichen Forschung und der Kunst. Es sichert den Angehörigen aller Berufe, aller nichtfaschistischen politischen, weltanschaulichen und religiösen Richtungen das volle und uneingeschränkte Recht, sich zur Vertretung ihrer Interessen und Anschauungen zusammenzuschliessen. Es ist bereit, mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften die von ihnen gewünschten Verträge zur Sicherung ihres selbständigen Lebens abzuschliessen. Es sichert die Freiheit des Volkes, indem es die faschistischen Terrorbanden zerschlägt, jede Neubildung nationalsozialistischer und reaktionärer Organisationen und jede propagandistische Verteidigung des faschistischen Terrors rücksichtslos verhindert. Das neue Reich öffnet die Tore der Konzentrationslager und Gefängnisse für die eingekerkerten Antifaschisten und für alle, die wegen Verstoss gegen die volksfeindlichen Gesetze Hiders in die Gefängnisse geworfen wurden. Die Gestapo wird aufgelöst, ihre Greueltaten werden vor aller Welt enthüllt. Die Führer des faschistischen Terrors, die korrupten Helfershelfer Hiders, die jedes Recht brechenden faschistischen Richter, die für die Morde und Folterungen verantwortlichen Gestapo[s]chergen werden für ihre Taten zur Verantwortung gezogen. Es wird allen den Anhängern des Nationalsozialismus, die das faschistische Terror-Regime unterstützten, die sich aber von diesem Regime abwenden und 150
21.1 KPD, Richtlinien für die deutsche Volksfront
Kampf der Volksfront für Freiheit und Frieden unterstützen, eine Amnegewährt. Sie haben keinerlei Verfolgungen zu befürchten. Der Staatsapparat, das Heer, alle öffentlichen Aemter und Behörden werden
den stie
volksfeindlichen, faschistischen Elementen gereinigt. Das neue Reich wird ein Reich der Sauberkeit und der Ordnung sein, es wird Schluss machen mit der faschistischen Korruption, mit dem Denunziantentum, mit der Heuchelei und Kriecherei, die das faschistische Regime erzeugt hat.
von
Die Sorge um die Opfer des braunen Ferrors. Das neue Reich wird eine Ehrenpflicht darin erblicken, allen Männern und Frauen, die unter der Hider-Diktatur heldenmütig für die Freiheit des deutschen Volkes kämpften, schweren Verfolgungen und Misshandlungen ausgesetzt waren, aus dem Lande vertrieben wurden, grosse Opfer an Gesundheit, Freiheit und Gut brachten, sowie allen Hinterbliebenen der von den Faschisten ermordeten Helden des deutschen Freiheitskampfes seine grösste Sorge zuwenden und ihnen materielle Entschädigungen leisten. Alle Arbeiter, Angestellten, Beamten, Aerzte, Rechtsanwälte, Künsder, Lehrer usw., die wegen ihrer Rasse, Religion[s]-Zugehörigkeit oder politischen Anentlassen oder ihrer Existenz beraubt wurden, werden in ihre alten schauung Rechte wieder eingesetzt. | S. 9 | Das neue Reich wird den Gewerkschaften, Genossenschaften und allen anderen Organisationen der Arbeiter, Angestellten und übrigen Werktätigen ihr ihnen von den Faschisten geraubtes Eigentum zurückgeben.
Sozial- und Wirtschaftspolitik. Das neue Reich wird eine neue, nur den Interessen der werktätigen Massen dienende Wirtschaftspolitik durchführen und eine gründliche Umstellung der von Hider geführten Kriegswirtschaft vornehmen. Statt der wahnsinnigen Rüstungen wird das neue Reich grosse öffentliche Arbeiten zu Tariflöhnen organisieren, die der Befriedigung der Massenbedürfnisse und dem Wohnungsbau dienen. Die für die Arbeitsbeschaffung und Verbesserung der Sozialversicherung erforderlichen Beträge werden zu einem Teil durch sofortige Rückforderung aller den Monopolisten und Trustgewaltigen gewährten Subventionen und durch radikale Besteuerung der Rüstungsgewinne des Grosskapitals aufgebracht. Das neue Reich wird den Arbeitern und Angestellten in ihren Bestrebungen zur Verbesserung der Löhne und Gehälter beistehen. Es sichert ihnen den Si[e]ben-Stunden-Tag und die Vierzigstundenwoche, das uneingeschränkte Streikund Koalitionsrecht, den freien Abschluss von Tarifverträgen durch ihre Organisationen, die freie Wahl von Betriebsräten, bezahlten Urlaubsanspruch von mindestens 14 Tagen, für Jugendliche von mindestens vier Wochen. Jedem Arbeitenden wird das Recht auf Arbeit zu Tariflöhnen, allen Arbeitsunfähigen und Erwerbslosen das Recht auf ausreichende Unterstützung zugesprochen. Das neue Reich führt eine obligatorische Alters- und Invalidenversicherung ein. 151
III.
Programmatische Verlautbarungen
Das neue Reich wird eine neue Steuerpolitik durchführen, deren Grundprinzip die Endastung der werktätigen Volksschichten, die stärkere Belastung der Reichen ist. Es beseitigt die in den Krisenjahren eingeführten neuen Massensteuern und deckt den Ausfall ausschliesslich durch Erhöhung der oberen Stufen der Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer und durch die Sonderbesteuerung der Grossaktionäre. Das neue Reich verwendet die Gutshöfe, Erbhöfe und Ländereien, die von Hider auf Kosten des werktätigen Volkes an die Helfershelfer des faschistischen Terrors verschenkt wurden, für die landarmen Bauern und Landarbeiter. Es wird von den preussischen Junkern die sofortige Rückzahlung der Osthilfe und sonstige^] Subventionsgelder fordern und im Unvermögensfalle entsprechende Teile ihres Bodens für Siedlungszwecke einziehen. Die Banken, deren Aktien im Staatsbesitz sind oder es vor der Hider-Diktatur waren, werden zu einer Staatsbank verschmolzen, deren Aufgabe darin besteht, das Kreditbedürfnis der Bauern und des Mittelstandes zu befriedigen unter systematischer Herabsetzung des Zinsfusses. Das neue Reich wird die Rüstungsindustrie nationalisieren, um den Kriegstreibereien des Rüstungskapitals entgegen zu wirken. Im Interesse der Ordnung, und zur Sicherung der Produktion und der Volksernährung, wird das neue Reich das Eigentum jener Grosskapitalisten und Grossagrarier beschlagnahmen, die die ökonomischen Massnahmen der demokratischen Regierung sabotieren. | S. 10 | Unterricht Wehrverfassung Polizei JustizDas neue Reich wird das ganze Volksschulwesen vollständig umgestalten, nach einem einheitlichen Plane organisieren und den Unterricht völlig unentgeltüch gestalten. Das Leitmotiv der Erziehung wird darin bestehen, den Charakter des jungen Menschen durch die Pflege der freiheitlichen Traditionen, durch die Verbindung mit den grossen Werken der deutschen Kultur, durch die grosszügige Förderung von Sport und Spiel zu bilden und damit unsere Jugend gesundheitlich zu kräftigen und ihr Lebensfreude und eine sichere Zukunft zu verschaffen. Den befähigten Menschen aus allen Volksschichten wird jedes Studium ermöglicht werden. Minderbemittelte Studenten erhalten einen ausreichenden Staatszuschuss. Die Universitäten werden von den Propagandisten des braunen Terrors gereinigt und in Stätten der freien Forschung verwandelt. Die vertriebenen Gelehrten werden zurückberufen. Das neue Reich wird das Reichsheer zu einem demokratischen Volksheer umgestalten. Soldaten und Offizieren erhalten die vollen staatsbürgerlichen Rechte. Die höheren Kommandostellen werden nach den Grundsätzen der sachlichen Befähigung und der Ergebenheit für die demokratische Republik besetzt. Jedem Soldaten steht bei entsprechender Eignung die h [ö] here militärische Schulung und Beförderung zum Offizier offen. Besondere Kommissionen der Volksvertretung wachen über die Rechte der Soldaten. -
152
—
—
21.1 KPD, Richtlinien für die deutsche Volksfront
In der
Polizei, die den Interessen des Volkes zu dienen hat, wird kein Reaktionär belassen, der dem neuen Reich feindlich gesinnt ist. Kommandostellen dürfen nur solche Personen bekleiden, die die Gewähr bieten, dass sie den Polizei-
Apparat rücksichtslos gegen alle faschistischen Reaktionäre einsetzen. In der Justiz wird das Schwergewicht der Rechtsfindung auf die Geschworenen und Schöffen gelegt, die unter der Kontrolle der Volksvertretung aus den breitesten Massen gewählt werden. Alle Beschränkungen ihrer Rechte werden aufgehoben. Die Berufsrichter werden aus den Reihen der Juristen, die sich nicht an der Terror-Justiz des Faschismus mitschuldig gemacht haben[J in freier Volkswahl gewählt. Es besteht die Freiheit der Verteidigung, der Verteidigerwahl, sowie unbedingter Oeffentlichkeit des Gerichtsverfahrens. Wie
kämpft die Deutsche Volksfront gegen die Hitler-Regierung?
Die deutsche Volksfront stützt sich in ihrem Kampfe auf den vielfältigen Widerstand, der in allen Schichten des werktätigen Volkes gegen das faschistische Regime zum Ausdruck kommt und weiter anwachsen wird. Diesen Widerstand gilt es zu entfalten und zu offenen Widerstandsaktionen zu steigern. Ohne eine solche planmässige, organisierende Tätigkeit der Volksfront kann der Sturz Hitlers nicht vorbereitet und herbeigeführt werden. Die Volksfront muss solchen gefährlichen Illusionen entgegentreten, dass das Hider-Regime automatisch durch die inneren Schwierigkeiten zusammenbrechen oder durch den Krieg gestürzt werden könnte. Das Hider-Regime wird nur stürzen, | S. 111 wenn es von den werktätigen deutschen Massen selbst gestürzt wird und wenn diese von einer Kraft geführt werden, die imstande ist, den Massen Richtung und Weg in diesem Kampfe zu zeigen und die Gestaltung eines neuen Deutschlands den werktätigen Massen verständlich zu machen. Das Hauptproblem des antifaschistischen Kampfes in der gegenwärtigen Zeit ist die Aktivierung der Arbeiterklasse und der Werktätigen durch die breiteste Volksfrontpropaganda, durch die illegale Organisierung des Kampfes und der Ausnutzung aller legalen Möglichkeiten in den faschistischen Massenorganisationen. Jede kleine Teilbewegung ist ein Schritt im Kampfe gegen die volksfeindliche Hider-Diktatur. Das organisierte Auftreten in Versammlungen, der Kampf gegen die faschistischen Bonzen und Kommissare, die Forderung auf Wahl der Leitungen und Vertrauensräte, das massenmässige Verlassen von Versammlungen, die Unterstützung der Organisierung von Gewerkschaften, die Verweigerung der Lieferungen an die Zwangsorganisationen des Reichsnährstandes durch die Bauern, die Protestaktionen der Katholiken und Protestanten gegen die Vergewaltigung der Glaubensfreiheit, das alles sind die ersten Anfange der antifaschistischen Massenbewegung. Im Betrieb, auf der Stempelstelle, auf den Märkten, im Dorfe, in den Schulen, in den Kirchen, in der Deutschen Arbeitsfront, in »Kraft durch Freude«, im 153
IM.
Programmatische Verlautbarungen
Luftschutz und in allen anderen faschistischen Organisationen, überall gilt es[,] das Volk zu beeinflussen, alle Methoden der Aktivität[,] des Protestes und des Kampfes auszulösen und zu einer einheitlichen, machtvollen Bewegung gegen
die Hitler-Diktatur zu steigern. Innerhalb der Volksfront kommt der in der Arbeiterschaft herbeigeführte [n] Einheitsfront eine besondere Bedeutung zu. Die in der Einheitsfront vereinigten Arbeiter aller freiheitlichen politischen Richtungen, der katholischen Arbeiterschaftf,] werden durch die Kraft der Einheitsfront nicht nur ihre besonderen Forderungen durchzusetzen imstande sein, sondern auch dadurch eine grosse Anziehungskraft auf die übrigen werktätigen Schichten zur Einreihung in die Volksfront ausüben. Dadurch werden wiederum auch Teile des freiheitlichen und friedensliebenden Bürgertums sich zur Volksfront hingezogen fühlen und ihren Kampf unterstützen. Die in dem Ausschuss zur Organisierung der Deutschen Volksfront geeinten politischen Parteien, Richtungen und Personen gehen die feierliche Verpflichtung ein, mit ihrer ganzen Kraft für die gemeinsame grosse Sache einzustehen und alles zu tun, um das Zustandekommen der Volksfront auf breitester Basis zu fördern. Sie verpflichten sich, die illegale Arbeit im Lande als die entscheidende Aufgabe des deutschen Freiheitskampfes zu unterstützen, sich gegenseitig in allen Angelegenheiten dieses Kampfes beizustehen und die planmässige, praktische Zusammenarbeit immer enger zu gestalten. Sie verpflichten sich, die gemeinsam beschlossene Plattform der Volksfront mit allen ihren Kräften innerhalb und ausserhalb des Landes zu propagieren und gemeinsam die Interessen des Freiheitskampfes für ein demokratisches Deutschland überall zu vertreten. Sie verpflichten sich, gemeinsam das Los aller emigrierten Freiheitskämpfer erleichtern zu helfen. Sie sind sich einig nicht nur in dem Willen zum Sturz der volksfeindlichen Hitler-Diktatur, sondern auch in der Entschlossenheit, alles an den Sturz der Hitler-Diktatur und an die Errichtung und Sicherung eines neuen demokratischen Deutschlands zu setzen. Für keinen Deutschen, der das Glück unseres Volkes will, kann es eine Aussöhnung mit dem faschistischen Regime geben. Hider und sein Regime müssen fallen, damit das deutsche Volk frei werde und Deutschland und die Welt in Frieden leben können.
154
Dokument 21.2
KPD, Aufruf zur Versöhnung Oktober 1936
Die Rote Fahne. Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale), Reichsausgabe, o.O., 1936, Nr. 8, [vordem 15. Oktober], S. 1-2; mimeographierter Dünndruck, 145 x 230 mm Standort: IISG Druck: 1936 Deutsche Volks-Zeitung, Nr. 31, 18. Oktober, S. 4: »Für Deutschland, für unser Volk[,] ein bedeutsamer Aufruf des ZK der KPD« (mit Weglassungen und geringfügigen stilistischen Abweichungen; ebd., S. 1f. kommentierend: Walter [Ulbricht], »Für die Versöhnung des deutschen Volkes«); 1996 Utopie kreativ. Diskussion sozialistischer Alternativen, Nr. 71, September, S. 28-42: Jörn Schütrumpf, »Versöhnung der antifaschistischen und nationalsozialistischen Massen« (Text des Aufrufes, S. 38—42; Kommentar von Walter Ulbricht, S. 32-37, nach: DVZ) Die in der Vorlage durchweg schlecht entzifferbare Interpunktion wurde stillschwelgend, wo möglich nach DVZ, sonst vorsichtig sinngemäß ergänzt. Weglassungen und wenige inhaltliche Abweichungen in der DVZ sind In den Anmerkungen der Herausgeberin nachgewiesen. Zu Entstehung und Kontext des Aufrufs siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 540-546 und (für vergleichbare Aufrufe des PCF und des PCI in der ersten Augusthälfte 1936) S. 170ff.
Vorlage:
Versöhnung des deutschen Volkes für Frieden, Freiheit und
Wohlstand, gegen die 3000 Millionäre!
Deutsches Volk! Vier Jahre sind vergangen, seit Hitler erklärte: Deutsches Volk, gib mir vier Jahre Zeit! Ich will Deutschland zum Aufstieg und das deutsche Volk zum Wohlstand führen! Vier Jahre hat das deutsche Volk hart gearbeitet und riesige Opfer gebracht. Viele Volksgenossen erwarteten daher, daß auf dem Nürnberger Parteitag nunmehr ein Programm für das Wohlergehen des deutschen Volkes verkündet und daß der Grundsatz: -
»Gemeinnutzgeht vor Eigennutz«
Tat würde. Hat Nürnberg dem deutschen Volke neue Wege gewiesen Wege, die zum Wohlstand führen und den Frieden erhalten? Die erste und wichtigste Voraussetzungfür das Gedeihen unseres Landes ist die Erhaltung des Friedens. Ohne Frieden keinen Wohlstand des Volkes. Ohne Frieden keine gesicherte Arbeit. Ohne Frieden kein Familienglück. Der Weltkrieg hat allen Siegern und Besiegten gelehrt: Der Krieg ist der furchtbarste Feind des Volkes, der Feind des Wohlstandes. Hat Nürnberg dem deutschen Volke neue Wege gewiesen, die die Programmforderung der NSDAP auf »Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens« verwirklichen, auf daß es dem Volke besser gehe?1 Ist es wirklich notwendig, wie in Nürnberg gesagt wurde, daß es ohne weitere Opfer und Entbehrungen des Volkes nicht gehe? zur
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155
III.
Programmatische Verlautbarungen
Deutsche Arbeiter! Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Die Fabriken arbeiten, die Schornsteine rauchen. Wir haben eine hochentwickelte Landwirtschaft. Der deutsche Arbeiter ist wegen seiner Qualitätsarbeit in der ganzen Welt bekannt. Gegenwärtig steigen während der Konjunktur die Löhne in Frankreich, England, Amerika. Warum sollen da die Löhne bei uns in Deutschland so niedrig bleiben wie in der Krisenzeit? Die Arbeitskraft ist unser wertvollstes Gut. Wäre es deshalb nicht recht und billig, daß wir deutschen Arbeiter an den gewaltig gestiegenen Erträgnissen der Wirtschaft unseres Landes durch Erhöhung der Löhne teilnehmen? Der Zweck der Wirtschaft soll doch das Wohl des Volkes sein. Dr. Ley hat am 1. Mai 1935 die Einführung des gerechten Lohnes versprochen. Nürnberg wurde erklärt, daß Deutschland gleichberechtigt unter den Völkern sei. Wäre es jetzt nicht erst recht die wahre Ehrung der Arbeit, eine Ehrung der Mühe und des Schweißes des deutschen Arbeiters, wenn nunmehr der gerechte Lohn in jedem Betrieb festgestellt und bezahlt würde? Kann es einen Aufstieg Deutschlands geben, ohne daß die Arbeiter höhere Löhne bekommen? In
dessen verschlechtern die Unternehmer auf Grund ihres Herr-imHause-Standpunktes die Löhne, drücken die Akkordsätze herab und sind so die alleinigen Nutznießer unserer Leistungssteigerung. Wie ist eine solche Handlungsweise zu vereinbaren mit dem Paragraphen des Arbeitsgesetzes, in dem es doch ausdrücklich heißt, daß die Ausnutzung der Arbeitskraft verhindert werden soll?2 In Nürnberg wurden die berechtigten Lohnforderungen der Arbeiter mit dem Hinweis auf die Kosten der Rüstungen abgelehnt. Wir deutschen Arbeiter wollen aber nicht den Krieg sondern Frieden und höhere Löhne. Es wird Zeit, daß die Deutsche Arbeitsfront dafür eingesetzt wird, die Löhne der Arbeiter entsprechend der Leistungssteigerung und Teuerung zu erhöhen. Sorgen wir alle gemeinsam dafür, daß nun endlich ein gerechter Lohn bezahlt wird! Aber
statt
Volksgenossen!
Ohne ausreichende Ernährung ist eine gute Arbeit unmöglich. Unsere Frauen wissen, wie schwer es bei dem Lebensmittelmangel ist, ein nahrhaftes Essen für ihren schwerarbeitenden Mann auf den Tisch zu stellen. Die Lebensmittelversorgung ist das erste, was im Interesse der Arbeitskraft und der Volksgesundheit gesichert werden müßte.3 Sind diejetzigen Ernährungsschwierigkeiten wirklich unvermeidlich? Wir denken an das Jahr 1929. Damals war die Zahl der Beschäftigten noch größer, die Löhne waren höher, Deutschland hatte auch nicht mehr Raum als heute und mußte noch dazu Tribute zahlen und dennoch fehlte damals kein Fleisch, kein Fett, keine Eier. Notwendig ist daher, daß auch heute soviel Lebensmittel eingeführt werden wie früher! —
156
21.2 KPD, Aufruf
Muß das zur Verminderung der Rohstoffeinfuhr und damit der Erwerbslosigkeit in Deutschland führen? Keineswegs.4
zur
Versöhnung
zur
Vermehrung
Was könnte geschehen? Bei einer entschiedenen Friedenspolitik könnte an Stelle der riesigen unproduktiven Rüstungen, die eine besonders große Rohstoffeinfuhr erheischen, die Einfuhr von Lebensmitteln und solchen Rohstoffen erfolgen, die zur Produktion für den Bedarf der Volksmassen und für Exportwaren verwendet werden. Wäre es nicht für unser Volks nützlicher, wenn statt Granaten Wohnungen gebaut würden? Fehlen nicht in Deutschland 1,6 Millionen Wohnungen, durch deren Bau friedliche Arbeit für Hunderttausende geschaffen werden könnte? Wäre nicht die Verbesserung des Lohnes der richtige Weg, um in Deutschland die Konjunktur wie in den anderen Ländern zu beleben, indem mehr Nahrung, mehr Kleidung, mehr Schuhe, mehr Möbel usw. gekauft werden könnten? Hätten nicht die Mittelständler durch diesen erhöhten Konsum den großen Vorteil eines wachsenden Umsatzes? Wenn man den Bauern wieder das Recht der freien Produktion und des Selbstmarktes gibt, werden auch wieder mehr Lebensmittel auf den Markt kommen. Wäre es nicht auch möglich, durch die Herstellung von freundschaftlichen Beziehungen zu den anderen Ländern den friedlichen Austausch deutscher Qualitätswaren gegen Rohstoffe und Lebensmittel zu erhöhen? Auf diesem Wege k[ö]nnten Arbeit und ausreichende Ernährung für unser Volk geschaffen werden. Es gibt keinen Aufstieg des deutsches Volkes ohne ausreichende Ernährung. Wenn die oberen Zehntausend euch Volksgenossen sagen: »Ihr müßt euch einschränken, weil wir uns auf den Krieg vorbereiten müssen« dann gebt zur Antwort: Wir wollen keinen Krieg, wir wollen genügend Fleisch und Fett, wir wollen den Frieden? -
Deutsche Bauern! Euch wurden im Sofort-Programm der NSDAP von 1932 gerechte Preise und die Brechung der Zinsknechtschaft zugesagt. Es hieß dort »Hebung des landwirtschaftlichen Preisstandes, Ausschaltung ungerechter Verdienstspannen des Zwischenhandels, Herabsetzung der Zinslasten auf etwa die Hälfte des bisherigen Zinses.« Außerdem wurden euch in jenem Programm Entschuldung und billige Betriebskredite in Aussicht gestellt. Wäre es nicht an der Zeit, das zu verwirklichen?6 Wir sollten alle innerhalb des Reichsnährstandes verlangen, daß diese Forderungen jetzt in die Tat umgesetzt und auf diese Weise die dringendsten Lebensinteressen der Bauernschaft gegen die Monopolherren und Bankiers befriedigt werden.7 Und wie steht es mit den Steuern, deutsches Volk?
Prüfe du, deutscher Arbeiter, du, deutscher Mittelständler, du, deutscher Bauer, ob es heute nicht notwendiger denn je ist, den Programmpunkt 21 der NSDAP zu verwirkli-
chen, der lautet
157
III.
Programmatische Verlautbarungen
»Durchgreifende Umgestaltung des Steuerwesens nach sozialen, volkswirtschaftlichen Grundsätzen. Befreiung der Verbraucher von der Last der indirekten Steuern sowie der Erzeuger von einengenden Steuern (Steuerverbesserung und Steuerbefreiung).«8
Früher zahlte das Volk schon viel zu viel Steuern, aber jetzt, obwohl es keine Versailler Tributzahlungen mehr gibt, sind die Steuerlasten noch größer geworden. In den letzten drei Jahren ist der Anteil der Massensteuern am Gesamtsteueraufkommen von Dreifünftel auf Dreiviertel gestiegen?
Wo bleibt da die Steuergerechtigkeit? Der Fleischermeister Hintze muß sein Geschäft zusperren, da er nicht mehr die Umsatzsteuer, Einkommensteuer, die Bürgersteuer und die anderen vielen Abgaben zahlen kann. Aber die Krupp, Thyssen, Siemens, Hösch, Springorum, Poensgen und die Bankiers häufen in ihrem hemmungslosen Egoismus zur selben Zeit neue Millionen aus riesigen Rüstungsgewinnen an. Wie verträgt sich das mit dem Punkt 16 im Programm der NSDAP? »Wir fordern die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seine Erhaltung.« Sollte nicht endlich in den Innungen beraten werden, wie diese Forderung verwirklicht werden kann? Denn wie10 kann es einen Aufstieg Deutschlands geben, wenn der kleine Mann von schweren Steuern niedergedrückt wird? Wenn das anders werden soll, dann müßte fest gegen die Großverdiener zugefaßt werden. Sie sind auch die neuen Kriegsgewinnler. Sie profitieren in der Zeit der allgemeinen Entbehrungen und Opfer gewaltig an der Aufrüstung.11 Ist es daher nicht notwendig, daß auf sie der Punkt des NSDAP-Programmes
Beschlagnahme der Kriegsgewinne jetzt angewendet wird? Ist es nicht im höchsten nationalen Interesse, daß die eigennützigen Reichen zum Gemeinnutz des Volkes zahlen müssen und damit
die Steuerlasten für den Mittelstand, die Bauern und die Arbeiter fühlbar erleichtert werden? Das würde dem Antrag der nationalsozialistischen Reichstagsfraktion vom 14. Oktober 1930 entsprechen, in dem es u. a. heißt: »Der Reichstag wolle beschließen: das gesamte Vermögen der Bank- und Börsenfürsten ferner der seit diesem Tage durch Kriegs-, Revolutions-, Inflations- oder Deflationsgewinne erworbene Vermögenszuwachs wird zum Wohle der Allgemeinheit entschädigungslos enteignet. Alle Banken, einschließlich der sogenannten Reichsbank, sind ungesäumt in den staatlichen Besitz zu überführen.«12 Wenn die Herren Krupp und Thyssen samt den andern Industrie-, Bank- und Börsenfürsten sagen: »Ihr | S. 21 müßt Steuern zahlen, damit noch mehr gerüstet werden kann!« dann antworten wir: Wir wollen weniger Steuern zahlen, denn wir sind für den Frieden. ...,
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158
21.2
KPD, Aufruf
zur
Versöhnung
Die Reichen sollen zahlen Deutsches Volk!n Wir alle wollen Wohlstand und Frieden, aber dunkle Kräfte sind am Werk, um Deutschland in einen neuen Krieg hineinzutreiben. Es sind dieselben Kräfte, die uns schon 1914 ins Unglück getrieben und die selber den Krieg gesund und reich überlebt haben. Sie haben Deutschland schon einmal in die Katastrophe gehetzt, nun spielen sie wieder ihr altes schmutziges Spiel mit den Volksinteressen, mit der nationalen Existenz Deutschlands.14 Ein neuer Krieg wäre das furchbarste Unglück, das unser Land treffen könnte. Fliegerbomben und Giftgas würden ihr fürchterliches Vernichtungswerk in unseren Städten vollführen. Mit unbarmherziger Hand würde der Tod in alle Familien greifen. Hunger mit Dörrgemüse, Rübenmarmelade und Brennesselsalat als Nahrungs-Ersatz würde wieder bei uns zu Gast sein.15 Die anderen Völker hassen den Krieg, genau wie wir. Auch sie haben aus dem Weltkrieg gelernt, daß ein sogenannter Sieg nur Wirtschaftskrise, Schulden, Arbeitslosigkeit, Zerrüttung bedeutet. Auch die anderen Völker haben gelernt, daß es im Krieg nur einen Sieger gibt: die Millionäre, die Rüstungsgewinnler, die Giftgas- und Kanonenkönige. Wir wollen doch nicht unsere Hände nach fremdem Boden ausstrecken. Wir wollen im eigenen Lande den Großverdienern, den Zitzewitzen die Möglichkeit nehmen, den deutschen Lebensraum für ihre egoistischen Profitinteressen auszunützen. Das französische Volk, das sich eine Volksfrontregierung geschaffen hat, die Völker der Sowjetunion, die ihr Land in Frieden weiter entwickeln und aufbauen wollen, sie alle möchten mit dem deutschen Volk in Eintracht leben. Welche Unterschiede auch gegenwärtig in den Regierungssystemen der Länder sind, der Friede ist das Lebensinteresse aller Völker.16 -
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Was könnte Deutschland tun, um den Frieden zu sichern? Wie könnte es das bestehende Mißtrauen zwischen Deutschland und den anderen Staaten überwinden helfen?17 Ein gewaltiger Schritt im Interesse des Friedens wäre es, wenn Deutschland heute allen Völkern, Frankreich, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion u. a. erklären würde: »Wir wollen nicht ein Stück fremden Bodens. Wir respektieren die Unabhängigkeit und Sicherheit jeden anderen Volkes, so wie wir wollen, daß unsere Unabhängigkeit und unsere Grenzen respektiert werden. Wir sind bereit, uns mit allen Völkern zu einem Bündnis des Friedens zusammenzuschließen.« Würden alle Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront, der Innungen, des Reichsnährstandes und der Reichskulturkammer in diesem Sinne laut und deutlich ihren Friedenswillen bekunden, wer könnte da noch in der Welt an dem Friedenswillen des deutschen Volkes zweifeln? Welchen gewaltigen Einfluß könnte heute Deutschland in der Welt ausüben, wenn es seine Kraft für die friedliche Verständigung aller Völker einsetzen würde! -
159
III.
Programmatische Verlautbarungen
Eine solche Politik würde den Ausbau der friedlichen Handelsbeziehungen Frankreich, mit der Sowjetunion, mit Amerika, mit England, mit der Tschechoslowakei und vielen anderen Ländern fördern. Eine solche Politik würde überflüssig machen, immer neue Milliarden in den Aufbau der Ersatzmittel-Industrie zu stecken, die künstliche Produkte zum drei- bis zehnfachen Preis der natürlichen Rohstoffe erzeugt und damit die allgemeine Preissteigerung antreibt.18 Erinnern wir uns, daß die Sowjetunion dem deutschen Volke ein starker Verbündeter war, als Deutschland einst durch den Versailler Vertrag völlig isoliert in der Welt dastand! Die Sowjetunion war der einzige Staat, der den Versailler Vertrag nicht anerkannte, durch die Verträge von Rapallo und Berlin Deutschland stärkte und durch Milliardenaufträge in früheren Jahren vielen Hunderttausenden deutscher Arbeiter friedliche Beschäftigung gab. Wer könnte wagen, Deutschland anzugreifen, wenn es ein enges Freundschaftsbündnis mit der mächtigen Sowjetunion haben würde? mit
Wer verhindert eine solche Friedenspolitik in Deutschland? Es sind dieselben19 reaktionären Kräfte, die den Lohn drücken und das Steuerunrecht schützen. Es sind dieselben Kräfte, die dem Volke alles vorenthalten, was es braucht. Es sind die Wüstungsgewinnler, die am letzten Kriege verdient haben und hoffen, am nächsten Krieg zu verdienen. Es sind die oberen Zehntausend, die nach Eroberung fremder Gebiete und nach militärischen Lorbeeren dürsten. Es sind die 3000 Millionäre undjene reaktionären Kräfte, die ihre Geschäfte besorgen.20 Es sind die oberen Zehntausend, die in ihrer maßlosen Profitgier den KreuzZug gegen alle friedens- und freiheitliebenden Kräfte der Welt unternehmen wollen. Sie sind das alte Unglück Deutschlands. Unter dem Kaiser Wilhelm nannten sie sich Monarchisten, unter Ebert spazierten sie als Republikaner herum und jetzt nennen sie sich »Pgs«. Es sind die Krupp, Thyssen, IG-Farben, Springorum, Siemens, Flick, Blohm u. a., die alten Fürsten, Großagrarier, die reaktionären Generäle und die ganze hauchdünne Schicht der oberen Zehntausend. Es ist jene Schicht, die immer oben blieb, wie das Rad sich auch gedreht hat. Ob Krieg oder Inflation, Reparation oder Aufrüstung, sie haben immer profitiert! Je schlechter es dem deutschen Volke ging, desto bessere Geschäfte machten sie, desto gefährlicher ihre Arbeit hinter den Kulissen gegen das Wohl des Volkes.21 Die 3000 Millionäre mit dem alten Reaktionär Schacht an der Spitze, der im Jahre 1924 den Dawes-Tribut-Plan mitunterzeichnet hat, haben bisher rücksichtslos ihre Vorrechte durchgesetzt. Die 3000 Millionäre haben Deutschland schon einmal in die Niederlage getrieben. Die 3000 Millionäre sind wieder an einem neuen Krieg interessiert, weil sie Milliarden an den Rüstungen verdienen. Die 3000 Millionäre wollen die Löhne niedrig halten, denn desto höher ist dann ihr Profit. -
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21.2 KPD, Aufruf
zur
Versöhnung
Die 3000 Millionäre wollen keine hohen Steuern zahlen, denn umso mehr muß dann das Volk bezahlen. Diese 3000 Millionäre sind daran interessiert, daß niemand den Mund auftut, um ihr dunkles Treiben zu enthüllen. Die 3000 Millionäre sind Gegner der Ordnung und Sauberkeit in Deutschland, denn ihre korrupten Interessenvertreter in den Aemtern sind solche Leute wie Kube22, die das Volksvermögen für ihren persönlichen Vorteil verludern. Die 3000 Millionäre verteilen die öffentlichen Aufträge unter sich und treiben den Mittelstand in den Ruin.23 Die 3000 Millionäre spielen eine Schicht des Volkes gegen die andere aus, denn um so besser können sie dann oben bleiben und ihre Profite machen. Diese Reaktionäre sind gegen die Volksrechte, gegen die freie Meinungsäußerung des Volkes. In ihrem Interesse werden deutsche Volksgenossen, Arbeiter, MittelStändler, Bauern in Gefängnisse und Konzentrationslager gesperrt. In ihrem Interesse wird die Gewissensfreiheit unterdrückt und werden die Rechte der christlichen Organisationen beseitigt. Wurde nicht dadurch der Name Deutschlands in der Welt aufs schwerste geschädigt? 24
Muß das alles so sein, deutsches Volk? Wir können das ändern, wir alle zusammen. Welch eine Macht sind die Millionen des Volkes gegen die dünne Schicht der 3000 Millionäre! Wollen wir uns alle wieder versöhnen, damit des Volkes Wille oberstes nicht der Wille von 3000 Millionären
Gesetz **r^ ur,d
Du, Nationalsozialist, du, Sozialdemokrat, du, Katholik, du, Kommunist, du, Arbeiter, du, Bauer, du, Handwerker, du, Wissenschaftler haben wir alle, Söhne des deutschen Volkes, nicht die gleiche Sehnsucht nach einem Leben in Frieden, Freude -
und Wohlstand? Haben wir heute nicht gleich alle die gleichen Nöte? Schließen wir treue Kameradschaft zur Verteidigung unserer Lebensinteressen und des Friedens, zur Verteidigung Deutschlands gegen die raffende Oberschicht von 3000 Millionären! Nationalsozialistische und nichtnationalsozialistische Werktätige haben sich in der Vergangenheit hart bekämpft. Nationalsozialistische Volksgenossen, ihr habt geglaubt, daß der deutsche Sozialismus auf diesem Wege erkämpft würde. Vier Jahre sind vergangen. Was wurde von euerm Programm erfüllt? Was ist die Ursache, warum ach so viele Versprechungen nicht erfüllt wurden? Es ist die Macht der alten Reaktionäre, der Herren Industrie-, Bank- und Börsenfürsten, der Herren von A[h]r und Halm,25 die dem Volke nehmen, was des Volkes ist. Sie sind die Nutznießer der Zersplitterung des Volkes, des gegenseitigen Kampfes nationalsozialistischer und nichtnationalsozialistischer Werktätiger.26
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Weichen wir einander brüderlich die Hände zur Versöhnung!21 Kampfe gegen diese 3000 Millionäre wirst du, deutsches Volk, erfolgreich sein, wenn du gegen diese kapitalistischen Despoten das Freiheitswort unseres großen deutschen Dichters Friedrich Schiller aus dem »Teil« »Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern ...!« wahr machst. Wenn du die wahre Kameradschaft herstellst: Kameradschaft im Betrieb, Kameradschaft in der Deutschen Arbeitsfront, damit die Arbeitsfront die Interessen der Arbeiter vertritt gegen die Millionäre. Kameradschaft in den Innungen, damit die Innungen die Interessen des Mittelstandes vertreten gegen die Monopolherren. Kameradschaft im Reichsnährstand, damit der Reichsnährstand die Interessen der Bauern vertritt gegen die Junker und ihren teuern Beamtenapparat. Kameradschaft in der Reichskulturkammer,28 damit die wahre Kultur des Volkes und die Freiheit der Forschung und der Wissenschaft sich durchsetzt gegen das Dunkelmännertum. Wahre wissenschaftliche Leistung ist ohne innere Freiheit des Wissenschaftlers nicht möglich. Kameradschaft in den Gemeinden, um das Recht der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung durchzusetzen. Kameradschaft für Recht und gerechte Ordnung, ohne die das Volk nicht atmen kann. Im
Volksgenossen!
Wir deutschen Kommunisten sind die Partei des Volkes. Wir haben keine anderen Interessen als das schaffende deutsche Volk. Wir wollen nichts anderes als den Wohlstand unseres Volkes und den friedlichen Aufstieg unseres Landes. Wir heben unsere Heimat. Wir lieben unsere Jugend. Darum wollen wir nicht, daß sie, die Blüte unserer Nation, als Kanonenfutter verblutet.29 Wir wollen, daß unsere Heimat stark und glücklich durch den Frieden wird und nicht unglücklich durch einen Krieg. Das Volk soll selbst entscheiden, welches die besten Wege zur Erhaltung des Friedens sind. Wir Kommunisten sagen euch allen: Ohne den Kampf gegen die Millionäre kann es keinen gesicherten Frieden, keine soziale Gerechtigkeit und auch nicht einen Schritt zum Sozialismus geben!3" Daher führen wir unseren alten Kampf gegen die alten Verderber Deutschlands, der in Wahrheit ein Kampffür Deutschland ist. Für Deutschland das heißt: allesfür die Erhaltung des Friedens! Für Deutschland das heißt: alles für den Aufstieg und Wohlstand des Volkes! Für Deutschland— das heißt:für Ordnung und Sauberkeit im Lande! Für Deutschland— das heißt: Volksrechte gegen die reaktionären Vorrechte der Millionäre! Für Deutschland das heißt: Versöhnung des Volkes gegen die Macht der 3000 Millionäre, gegen die Herrschaft der oberen Zehntausend. -
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Für Frieden, Freiheit, Wohlstand! Für eine glückliche Zukunft des deutschen Volkes! Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands
Berlin, Oktober 1936. 162
21.2 KPD, Aufruf
zur
Versöhnung
Anmerkungen der Herausgeberin: 1
DVZ kennzeichnet Weglassung: »Wohlstandes (Hat Nürnberg [... bis] besser gehe)« DVZ kennzeichnet: »bekommen (Aber statt [... bis] werden soll?)« 3 DVZ kennzeichnet: »unmöglich (Unsere Frauen [... bis] müßte.)« 4 DVZ kennzeichnet: »früher!... (Muß [... Keineswegs.)« 5 In DVZ ungekennzeichnet: »Exportwaren verwendet werden. (Wäre es [... bis] Frieden.)« 6 DVZ kennzeichnet: »zugesagt... (Es hieß dort [... bis] verwirklichen?)« 7 DVZ kennzeichnet: »umgesetzt... (und auf [... bis] befriedigt) werden« 8 In DVZ ungekennzeichnet: Deutsches Volk? (Prüfe du, [... bis] Steuerbefreiung^)« 9 DVZ kennzeichnet: »geworden (In den letzten [... bis] gestiegen.)« 10 DVZ kennzeichnet: »Steuergerechtigkeit? (Der Fleischermeister [... bis] Denn) Wie« 11 DVZ kennzeichnet: »Kriegsgewinnler... (Sie profitieren [... bis] Aufrüstung.)« 12 DVZ kennzeichnet: »angewendet wird? (Ist es nicht [... bis] überführen.Slgnaturzeilen< sind nur in der Vorlage, der Abschrift Ackermann sowie in zwei anderen, hier nicht näher zu berücksichtigenden Abschriften im Nachlaß Hertz (IISG, NL Hertz, S. 16, 1g, Bl. 289 bzw. 292) überliefert; sie wurden in zeitgenössischen und späteren Publikationen nicht wiedergegeben. 15 Abschrift Ackermann nach der Überschrift: »(Entwurf)« Nachrichten AB-NB: Dem Abdruck der Begründung ist ein Kommentar mit der Überschrift: »Innerdeutsche Stellungnahme zur Volksfront« vorangestellt. 16 Nachrichten AB-NB ohne den Satz: »Au[ch] [... bis:] Deutschland.« 17 DVZ: »geeignetste« 18 DVZ: Beginn der kommentierten Auszüge auf der Titelseite unter der Schlagzeile: »SPD Aktivisten für Volksfront« von: »Das gilt besonders von [... bis:] der eine bewußt sozialistische folgen muß.«
Der Kommentar behandelt neben dem »Besuch von Sozialdemokraten aus dem Land beim Parteivorstand der SPD«, die dem PV den »Entwurf eines Volksfrontprogramms« überreicht haben, auch die Gründung des Arbeitsausschusses zur Bildung der Volksfront im Saargebiet. Die Auszüge unter der Zwischenüberschrift »Die tiefe Sehnsucht nach der Einheit« sind mit einer Paraphrase des ersten Absatzes der Begründung eingeleitet: »Nach einer Darstellung des Unterschiedes zwischen der Entwicklung der Volksfront in Frankreich und Deutschland, wobei festgestellt wird, daß in Deutschland nicht mehr die alten legalen freiheitlichen Massenparteien wie in Frankreich existieren, heißt es:« Dem Auszug folgt die Gegenüberstellung »dlese[r] namhaften Sozialdemokraten, die die geschichtliche Lehre aus der Niederlage der deutschen Arbeiterklasse durch die Machtübernahme Hitlers ziehen«, und des »PV der SPD, der doch wahrhaftig die Hauptverantwortung für die Niederlage von 1933 trägt«, und endlich mit »eine[r] neue[n] Politik der Verständigung aller antifaschistischen Kräfte, des revolutionären Kampfes zum Sturze Hitlers beginnen« solle. 19 wohl eher: »sogenannten]«; fehlt In Nachrichten AB-NB 20 DVZ: »Aufgaben (d. h. die antifaschistische Tätigkeit unter der Arbeiterschaft, den Werktätigen in Stadt und Land, dem fortschrittlichen Bürgertum, unter der Jugend, DVZ)« 21 DVZ: »völlig neuer« 22 Nachrichten AB-NB ohne: »(Demokraten)« 23 DVZ druckt den vollständigen Absatz: »Alle diese politischen Aufgaben [... bis:] innerhalb Deutschlands einzustellen.« 24 wohl eher Reichsluftschutzbund als der bereits in den Reichsnährstand integrierte Reichs-Landbund 25 Nachrichten AB-NB: »Organisationsarbeit (in den faschistischen Organisationen)« 26 Nachrichten AB-NB: »Fertigindustrie« 27 Abschrift Ackermann, Streichung: »Sonderinteressen« (, welche [... bis:] werden müssen).« 28 DVZ: »die« 29 DVZ druckt den Satz: »Unter den gemeinsamen Wünschen [... bis:] garantiert.« 30 DVZ: »und ist« 31 DVZ druckt den Satz: »Das zweite alle einende Ziel [... bis:] unmöglich macht.« 32 DVZ: »uns«
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III.
Programmatische Verlautbarungen
DVZ druckt die beiden Sätze: »Das dritte [... bis:] Gefahren.« DVZ beendet die Auszüge aus der »Begründung« mit den Sätzen: »Wer Recht, Freiheit, Frieden, Arbeit [... bis:], daß das notwendig ist.« Zum anschließenden Abdruck der »Zehn Punkte«, einschließlich der Präambel, aber ohne eigene Überschrift, lautet die redaktionelle Überleitung: »Es folgt dann ein formulierter Entwurf der programmatischen Forderungen der Volksfront:« Der anschließend fortgesetzte Kommentar (S. 1f.) beginnt mit den Sätzen: »Wir bekennen uns ohne jeden Vorbehalt zu dem Geist und dem Hauptinhalt dieser Plattform der sozialdemokratischen Freunde. Die notwendige, freundschaftliche Diskussion über wichtige Teilfragen kann nicht der Bedeutung dieses Dokumentes Abbruch tun. Wir begrüssen es, dass die Plattform der Sozialdemokraten aus Deutschland so sehr dem Geist des Entwurfes des Genossen Wilhelm Pieck entspricht.« 35 Nachrichten AB-NB: »Verstaatlichung der Banken und der Schwerindustrie,« 36 Nachrichten AB-NB ohne diese Zeile 37 Nachrichten AB-NB: »auf die Vollständigkeit der Forderungen an,« 38 Abschrift Ackermann, unvollständige Korrektur: »von einigen Rechtsorganisationen Restorganisationen« 39 Nachrichten AB-NB: Abdruck endet hier 40 Abschrift Ackermann: »Volksfrontprogramm popularisieren«, in zwei anderen Abschriften (siehe Anm. 14): »Volksfrontprogramm [Lücke] sieren« 34
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Dokument 25
Internationaler Sozialistischer Kampfbund, Programm des zukünftigen deutschen Staates November 1936 Das Programm des ISK/Internationaler Sozialistischer Bundesvorstand des ISK, Vorwort datiert: »7. November 1936«, London: IVA Internationale Verlags-Anstalt (International Publishing Co.) 1937, 64 S.; Broschüre, 130 x 190 mm Standort: Gedenkstätte Deutscher Widerstand Privatarchiv und -bibliothek ULA: nicht blbllographierter Dünndruck gleichen Umbruchs, 125 x 175 mm Wiedergabe nach S. 7-24 und S. 52-54 der Vorlage, die in der Broschüre durchgezählten Fußnotenverweise sind hier seitenweise zugeordnet und mit * gekennzeichnet. Zu Kontext, Vorarbeiten und Einordnung in die diversen Vorstellungen über ein Deutschland nach Hitler siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 570f.
Vorlage:
Die Soziallstische
Republik.
Kampfbund, hrsg.
vom
Die Sozialistische
Republik.
[...] I. Grundsätzlicher Teil. 1. Allgemeiner Untergang in die Barbarei! Das gilt heute Vielen als sicheres Ende der Gesellschaft. Aber trostloser noch als eine solche Aussicht wirkt auf sehende und denkende Menschen, dass jener »schicksalhafte« Ausgang der Geschichte sehr wohl abgewendet werden könnte. Und zum Verzweifeln ist die Hilflosigkeit, mit der die Menschheit den von ihr entfesselten Kräften eines kulturlosen Mechanismus gegenübersteht, statt entschlossen diese Kräfte, deren Wirken als Wohltat begann und längst zur Plage wurde, in ihre Schranken zu bannen. 2. Zwar hat man sich zu allen Zeiten Gedanken gemacht über den Sinn der Geschichte. Und selbst wenn vieles davon lediglich interessante Unterhaltung oder gar blosses Geschwätz war, so bleiben doch zahlreiche ernsthafte und tieferdringende Versuche, das Geschehen zu deuten und einen Weg zu zeigen, der geordnete Zustände vorbereitet. Aber bis heute sind diese Versuche durchweg gescheitert, so gross angelegt sie auch waren und so viel Unterstützung sie auch gefunden haben. 3. Die Gründe für dieses Versagen sind letzten Endes immer die gleichen, mögen die Versuche im einzelnen noch so verschieden sein. Das Christentum z. B., zu dem jeder dritte Mensch sich bekennt, hat mit seinem Aberglauben an die im das Interesse der Menschen für die im Diesseits Zustände Jenseits Vergeltung hat Es darüber hinaus mit seinem weitgehend verbogen. opportunistischen Lohn-
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III.
Programmatische Verlautbarungen
und Strafsystem das ursprüngliche Rechtsgefühl der Menschen verschüttet*. Die christliche | S. 81 Ueberzeugung, dass die eigenen sittlichen Anstrengungen den Menschen ohne Unterstützung durch die göttliche Gnade nicht zum Guten führen könnten, hat sie vollends davon abgebracht, die Gestaltung ihres Schicksals und das der Gesellschaft selber in die Hand zu nehmen. Dieser gesellschaftliche Fatalismus findet sich in fast allen bekannten Religionslehren. Aber ähnlich findet man ihn auch obwohl theoretisch völlig anders begründet in heutigen sozialistischen Geschichtsdeutungen, und zwar gerade in der Lehre, die von allen den Sozialismus fordernden Weltansichten die verbreitetste ist: im historischen Materialismus von Marx und Engels**. Die Lehre von der unvermeidlichen Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse zum Sozialismus hin, die Lehre, dass auf dialektische Weise: dem angeblichen Gesetz des gesellschaftlichen Widerspruchs und seiner Auflösung folgend, die bürgerliche Gesellschaft notwendig der sozialistischen Platz machen müsse***, hat | S. 91 folgerichtig zum -
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*
Wem diese Seite des Christentums nicht mehr gegenwärtig ist, dem geben wir die Form der »Gebote« zu bedenken: »Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren, auf dass es Dir wohl gehe und Du lange lebest auf Erden.« Wer also auf langes Leben nicht Wert legt, braucht sich um die Ehrung seiner Eltern nicht zu kümmern. Wer die Form dieser Gebote für eine blosse veraltete Ausdrucksweise hält, wird eines | S. 81 Besseren belehrt werden durch die im Jahre 1935 abgegebene Erklärung des Bischofs von Edinbourgh [sie], der anlässlich der Katholiken-Unterdrückungen in E. erklärte, dass er die Verprügelten »nicht wenig beneide um den Lohn, den sie im Jenseits dafür empfangen würden«. In die gleiche Richtung weisen die Aufrufe der Geistlichkeit der spanischen Provinz Navarra, die den Katholiken Befreiung vom Fegefeuer und andere Erleichterungen im Jenseits versprach für den Fall ihrer Teilnahme am Militär-Putsch Francos. Die blosse Rücksicht auf Lohn oder Strafe wird schliesslich zum alleinigen Bestimmungsgrund menschlichen Handelns. Man fragt viel häufiger: »Was kommt danach?« als: »Was ist Recht?« ** »Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der grossen Industrie wird also unter den Füssen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.« (Marx und Enge/s, im »Kommunistischen Manifest«.) »Namentlich bei einer Partei wie die unsrige, deren schliesslicher Erfolg so absolut gewiss ist... .« (Friedrich Engeis, am 20. Juni 1873, in einem Brief. Vergleiche: Marx-Enge/s: »Programmkritiken«, Seite 98.) *** Ein ausführliches Beispiel dieser angewandten Dialektik gibt Karl Marx im »Kapital«, im 24. Kapitel des 1. Bandes, wo er sagt: »Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. Es ist Nega-|S. 9 |tion der Negation. Diese stellt nicht das Privateigentum des Arbeiters wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Aera: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel.« Wie mechanistisch diese Denkweise beschaffen ist, zeigt der vorhergehende Teil, wonach die »Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktions—
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25.
ISK, Die Sozialistische Republik
Fatalismus geführt, d. h. dazu, die Entschlusskraft Derer zu lähmen, die das sogenannte Schicksal ihren sozialistischen Idealen gemäss hätten gestalten können*. 4. Die Verknüpfung ethischer Aufgaben, wie sie auch die sozialistische Lehre in ihren Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit faktisch vertritt, mit überpersönlichen Mächten, sei es Gott, seien es die ökonomischen Verhältnisse, seien es andere dunkle Mächte, hat überall die gleichen Gründe: Man hält zwar fest an ethischen Aufgaben**; aber man glaubt nicht daran, daß Menschen sich diese Aufgabe selber, aus eigener Einsicht stellen können. Man ist überzeugt, dass eine auf eigenem, wissenschaftlichem Boden ruhende Ethik ein blosses Hirngespinst sei. Die Folge ist, dass in solchen Theorien zwar ethische Aufgaben zwar zugegeben werden, eine einsehbare Begründung dafür aber fehlt. Die Berufung auf den Willen Gottes ist zur Begründung verbindlicher ethischer Gebote ebensowenig hinreichend, wie die Einführung des wohl-|S. 101verstandenen »materiellen« Interesses, das nach den Lehren des historischen Materialismus die Proletarier angeblich nötigt, im Klassenkampf Solidarität zu üben. Abgesehen davon, dass es offensichtlich nicht im materiellen Interesse jedes Proletariers liegt, seinen Klassengenossen gegenüber Solidarität zu üben, also Opfer auf sich zu nehmen, dass also Proletarier durchaus mehr zu »verlieren haben als ihre Ketten«, ist auch nicht zu begreifen, inwiefern die materiellen Interessen des Proletariats sich allen andern gegenüber schlechthin als stärker erweisen müssten. Sehr wohl allerdings ist zu begreifen und heute drängt es sich geradezu auf —, dass es eine unabweisbare Forderung ist, Unterdrückte nicht einfach hilflos im Elend sitzen zu lassen. Das kann bedeuten: Genossen zu unterstützen und dabei die materiellen Interessen soweit zu verletzen, dass man dabei sein Leben verliert. Ohne eine wissenschaftliche Begründung solcher Forderungen kann der Sozialismus selber keine Wissenschaft sein! 5. Die wissenschaftliche Nachweisung, dass der Sozialismus eine politischrechtliche Forderung ist, geht durchaus über den Charakter einer akademischen -
prozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse« wächst »mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten«. * Wenn hier von Fatalisten die Rede ist, so sind damit nicht Menschen gemeint, die nichts tun. Der eigentliche Ursprung dieses Wortes, der sich auf die Schicksalsgläubigkeit der Anhänger des Islam bezog, beweist ebenfalls eindeutig, dass Fatalismus mit Tätigkeit, ja sogar mit sehr anstrengender Tätigkeit, durchaus zu vereinbaren ist. Was die Fatalisten auszeichnet, ist aber grade ihr Glaube, dass das gesellschaftliche Geschehen nicht von ihnen selber geschaffen und gestaltet wird, sondern dass sie nur ausführende Arme einer höheren Gewalt sind. Daher fehlt ihnen das persönliche Verantwortungsbewusstsein für ihr öffentliches Tun oder Nichts-Tun. Sie sind geneigt, sich entweder hinter »Gottes unerforschlichen Ratschluss« oder hinter einer »sicherlich nur vorübergehenden Phase des
gesellschaftlichen Lebens« zu verstecken, statt auch ihrer eigenen Unzulänglichkeit die Schuld zuzumessen und durch geeignete Massnahmen diese Unzulänglichkeit und damit das gesellschaftliche Uebel zu beseitigen. Von den, nicht seltenen, Fällen, wo ethische Ueberzeugungen lediglich zu betrüge**
rischen Zwecken ausgenutzt werden, ist hier nicht die Rede!
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III.
Programmatische Verlautbarungen
Angelegenheit hinaus. Eine Lehre, die, wie die bisherigen sozialistischen Theorien, mit Recht Forderungen zwar aufstellt, aber nicht wissenschaftlich rechfertigt, bleibt nicht nur dauernd ein Gegenstand dogmatischen Streits, sondern gibt auch zu schärferen Konflikten Anlass: Die Geschichte der nicht abbrechenden Spaltungen im sozialistischen Lager ist bei dem Mangel an Klarheit über den Sinn des Kampfes nicht verwunderlich. Es ist aber geradezu eine Lebensfrage der sozialistischen Bewegung, ihre tiefgehende Spaltung zu überwinden und als Vorbereitungsarbeit dazu die Ansichten über Ziel und Weg einer gründlichen wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen und damit den Aufbau einer mindestens von Sozialisten allgemein anerkannten Theorie in die Wege zu leiten. 6. Trotzdem glauben immer noch Viele, über das sozialistische Ziel brauche im Gegensatz zur Faktik des sozialistischen Kampfes nicht besonman sich ders zu verständigen. Es herrsche Einmütigkeit darüber, was | S. 111 Sozialismus -
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sei und
was er für die Unterdrückten bedeute. Daran ist sicherlich vieles richtig. Alle Sozialisten stützen sich im Grunde auf das gleiche Gefühl, wenn sie die herrschenden Zustände als ungerecht verwerfen und ihre Umbildung fordern. Aber wie jedes Gefühl kann auch dieses in einzelnen Fällen seinen Träger falsch beraten. Es bleibt der Gefahr ausgesetzt, von andern Gefühlen und Vorurteilen aus der Bahn geworfen zu werden. Schon die Häufigkeit, mit der auch Sozialisten nationalistischen Gedankengängen erliegen, spricht gegen die ursprüngliche Sicherheit bloss gefühlsmässiger Ueberzeugungen; eine andere bloss gefühlsmässige und verhängnisvolle falsche Entscheidung stellt die Handlungsweise mancher Sozialisten dar, jede Gewaltanwendung von vornherein abzulehnen. 7. Auch die sozialistische Lehre bedarf also der Nachprüfung aller bloss gefühlsmässig, wenn auch noch so ehrlich und hingebungsvoll vertretenen Darstellungen und Begründungen. Nur eine einwandfrei wissenschaftliche Bearbeitung vor allem der ethischen Grundlagen des Sozialismus kann deshalb dem Chaos innerhalb der sozialistischen Bewegung ein Ende machen. Die wissenschaftliche Begründung der ethischen Vorzugswürdigkeit einer Gesellschaftsordnung ist eine philosophische Arbeit. Der wissenschaftliche Sozialismus steht und fällt deshalb mit der wissenschaftlichen Lösung ethischphilosophischer Fragen. Diese Arbeit ist von Kant begonnen, von Jakob Friedrich Fries und, in neuerer Zeit, von Leonard Nelson verbessert und weitergeführt worden*. Sie hat ergeben, dass es eine ethische Forderung gibt, eine allgemeingültige
* Kant hat viel Nachfolger und Erneuerer gefunden; es gibt eine Reihe von KantSchulen. Die Kant-Fries-Nelsonsche unterscheidet sich von den anderen durch die Konsequenz in der Anwendung der kritischen Methode, die von Kant als Begründungsmethode einer wissenschaftlichen Philosophie entdeckt worden ist. Die eingehende wissenschaftliche Begründung einer Pflichten- und Ideallehre hat Eeonard Nelson in seinen »Grundlagen der Ehik« gegeben. Ohne eine Widerlegung dieser Ansichten bleibt jede Bestreitung einer wissenschaftlichen Ethik eine oberflächliche und dogmatische Anmassung. Man -
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25. ISK, Die Sozialistische
Republik
Regel menschlichen Verhaltens, |S. 121 durch die den Menschen Aufgaben gestellt werden, die sie erfüllen sollen, die ohne ihr Zutun nicht erfüllt werden können, und ohne deren Erfüllung jede andere Bemühung um einen gesellschaftlichen Fortschritt ihren Wert verliert. Diese Regel ist das Rechtsgesetz. Seine Aufstellung bedeutet die Ablehnung jeder Weltansicht, die die Verwirkhchung ethischer Aufgaben von irgend einer anderen Kraft erwartet als von der zwecksetzenden und die Verhältnisse meisternden Tätigkeit der Menschen. Darauf gründet sich ebenso die Ablehnung jeder Kirchengläubigkeit, wenn man darunter die abergläubische Zuversicht versteht, dass Gott in der Natur schon alles zum Besten wenden werde und dass das Schlechte auf die Dauer nicht siegen könne. Darauf gründet sich aber auch die Ablehnung jedes Fatalismus überhaupt und damit die Ablehnung des Historischen Materialismus, der den Sozialismus als das Ergebnis des blossen Wakens der ökonomischen Verhältnisse (aus dem Widerspruch unvermeidlich geboren) hinstellt.* 8. Mit der ethischen Begründung des Sozialismus ist die sozialistische Theorie nicht abgeschlossen. Mit Recht wandte sich Marx gegen den »Utopismus« seiner Vorläufer, welche die Tatsachenwelt für die Herstellung der neuen Gesellschaftsordnung nicht hinreichend beachtet hatten. Zu der philosophischen Klarstellung —
des idealen Zieles
eine naturwissenschaftliche, insbesondere eine sozioloder Umwelt treten, die mit dem Grundsatz jeder Naturgische Erforschung erkenntnis Ernst macht, wonach das Naturgeschehen durchweg gesetzmässig verläuft. Denn nur soweit diese Gesetze erforscht werden, ist es möglich, zu den als wertvoll erwiesenen Zwecken die geeigneten zweckmässigen Mittel zu finden. muss
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9. Die Frage nach dem Inhalt des Rechtsgesetzes, also nach dem[,] was in der Gesellschaft wirklich geschehen soll, beantwortet die wissenschaftliche Ethik so: Es soll garantiert werden, dass in der Gesellschaft beim Ausgleich der Interessen niemand zu Gunsten der wertvollen Interessen Anderer zurückweniger gesetzt wird**. Damit ist der ursprünglichen Idee der Gerechtigkeit ein klarer und ^
vergleiche hierzu
ferner: Leonard Nelson: »Die kritische Ethik bei Kant, Schiller und Fries. Eine Revision ihrer Prinzipien.« * Den Einwand mancher Marxisten, unsere Auffassung des Historischen Materialismus treffe nur die »Vulgär-Marxisten«, Marx selber habe das ganz anders vor Augen gehabt, können wir hier nicht gelten lassen. Wir haben Marx und Engels selber zitiert sie sind sicherlich unverdächtige Zeugen. Im übrigen beweist schon das Schicksal der Marxschen Lehre, die ewigen Spaltungen der politischen Parteien und der ideologischen Richtungen, die alle auf Marx fussen, die Notwendigkeit einer gründlichen Revision des sogenannten Marxismus. Wie viel von dieser Lehre dann zum Aufbau einer echten Wissenschaft vom Sozialismus übernommen werden kann, wird die Erfahrung zeigen. ** Den Grundsatz für die Vergleichung von Interessen ihrem Wert nach gibt das Ideal der vernünftigen Selbstbestimmung. (Vergleiche Anmerkung 9 [d.i. die folgende].) Wir verweisen dafür ferner auf die bereits erwähnten »Grundlagen der Ethik« sowie auf die bedeutend kürzere Schrift: »Die Theorie des wahren Interesses und ihre rechtliche und -
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politische Bedeutung.« 185
Programmatische Verlautbarungen
III.
eindeutiger Inhalt gegeben. Daraus folgt z. B., dass weder die blosse Zugehörig-
keit zu einer bestimmten Rasse noch zu einem bestimmten Geschlecht einen Grund abgeben kann, jemanden als minderberechtigt zu behandeln. Alle Interessenträger bis hin zu den Tieren haben vielmehr Anspruch auf die Berücksichtigung ihrer Interessen. Die sozialistische Gesellschaft hat nicht nur das Ziel, das Rechtsgesetz zur Geltung zu bringen, also Unrecht zu verhindern. Sie hat darüber hinaus das positive Ziel der Pflege ideeller Güter. Es ist das grosse Kulturideal des öffentlichen Lebens, die Menschen äusserlich und innerlich instand zu setzen, ihr Leben selber zu gestalten und zur reichen Entfaltung eines produktiven, vernünftigen Lebens zu kommen. Diese Anforderung entspricht dem Ideal der vernünftigen Selbst-
bestimmung*. 10. Das Recht läßt sich in der Gesellschaft nur verwirklichen durch eine organisierte, allen übrigen gesellschaftlichen Kräften überlegene Macht. Eine solche organisierte Macht ist der Staat. Es besagt nichts gegen die Notwendigkeit des Staates, dass seine Macht auch in den |S. 141 Dienst des Unrechts gestellt werden kann und bis heute sogar fast nur in dessen Dienst gestanden hat und steht. Der sozialistische Staat vertritt die Forderungen des Rechtsgesetzes. Er schafft Einrichtungen, die die Willkür beim Regieren ausschliessen und damit jeder Art von Despotie entgegentreten. Daraus folgt, dass weder dynastische, noch oligarchische, noch demokratische Methoden im sozialistischen Staat zugelassen sind. Die Demokratie, die Methode, politische Entscheidungen durch Mehrheitsbeschlüsse zu fallen, ist in der Tat nicht weniger despotisch** als die Methode, die
*
zu
Die Vernunft ist das
Vermögen des Menschen, das Vorliegen einer Gesetzmässigkeit er die Mannigfaltigkeit seiner sinnlichen Eindrücke und
erkennen, auf Grund deren
seiner Neigungen Gesetzen unterzuordnen und sie so zu beherrschen vermag. Sie wird für den Menschen bestimmend, wenn er im Erkennen und Werten nicht bei den blossen Anregungen seiner Sinne stehen bleibt, sondern in der Erkenntnis der ihn umgebenden Natur die das Geschehen leitenden Gesetze auffasst und seinen Zwecken dienstbar macht und in seinen Bewertungen von Menschen, Dingen und Vorgängen die blinden Aeusserungen seiner Neigung der Einsicht in die Massstäbe der Gerechtigkeit und der Schönheit unterwirft. ** Als despotisch bezeichnen wir die demokratischen Abstimmungen deshalb, weil bei den Abstimmungen nicht, oder höchstens zufällig, ein Ideal des öffentlichen Lebens leitend ist, sondern die subjektive Willkür der Einzelnen und also auch der Mehrheit der Einzelnen. Die Rechtlichkeit der Abstimmungsentscheidung hängt daher von dem Zufall ab, ob die einzelnen gegeneinanderstehenden Interessen von gleichem Wert sind, sodass die Bevorzugung der grösseren Anzahl von Privatinteressen vor der geringeren Menge solcher Interessen der gerechten Abwägung entspricht. Es sei denn, man ersetze das Gebot dieser Abwägung durch die Behauptung, dass die Rechtlichkeit einer Entscheidung gerade durch die Anzahl ihrer Vertreter erwiesen werde, dass also Recht sei, was die Mehrheit und weil sie es beschliesse. Danach wäre also die Wahl Hindenburgs und auch die Berufung Hitlers durch ihn frisch geschaffenes Recht!
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25. ISK, Die Sozialistische
Republik
öffentlichen Interessen |S. 151 auszuliefern an die Willkür einer Minderheit oder einer einzelnen Person. Denn die Entscheidung der Mehrheit fällt grundsätzlich ebenso nur zufällig mit den Ansprüchen des Rechts zusammen wie die Entscheidungen eines Monarchen oder einer anderen Minderheit. Den Entscheidungen der Regierung soll aber allein die Rücksicht auf die Forderungen der Gerechtigkeit oder auf das kulturell Vorzugswürdige zu Grunde liegen. 11. Die staatliche Macht befindet sich heute fast durchweg in den Händen der Klassenvertreter einer kapitaüstisch-militaristisch-kirchHchen Klassenausbeutung. Diese Nutzniesser der bestehenden Gesellschaftsordnung werden ihren Posten, wie alle bisherige Erfahrung zu urteilen nötigt, nicht freiwillig verlassen. Das heisst, die Klassengesellschaft kann nur durch den revolutionären Druck der Sozialisten beseitigt werden. Der ISK verwirft deshalb alle Ideologien über ein friedliches Hineinwachsen der Klassengesellschaft in eine klassenlose Organisation; er ist eine revolutionäre Partei. Da die Klasseneinteilung der Gesellschaft nicht an den nationalen Grenzen Halt macht, muss diese Partei international organisiert sein, und zwar bedarf sie eines engeren Zusammenschlusses, als die blosse Vereinigung selbständiger Ländergruppen ihn darstellt. 12. Der wissenschaftliche Sozialismus, der das sozialistische Ziel als Ideal begründet und mit Hilfe einer vorurteilsfreien Naturwissenschaft alle Mittel zur Herbeiführung dieses Zieles erforscht, stellt sich damit als ethischer Wealismus dar. Dieser ethische Reaüsmus rückt sowohl von der Einseitigkeit einer bloss mechanistischen Deutung des gesellschaftlichen Geschehens ab wie sie dem Histori-
Die Tatsache, dass in den auch vom ISK befürworteten Selbstverwaltungseinrichtungen Entscheidungen der Mehrheit der Staatsbürger berücksichtigt werden, steht nicht im Widerspruch zur Ablehnung der Demokratie. Bei den Wahlen, die der ISK im Interesse der Selbstverwaltung für zulässig hält, handelt es sich in der Hauptsache darum, zu erfahren, wer das Vertrauen der Staatsbürger in Bezug auf die Vertretung ihrer politischen Interessen besitzt. Diese Frage lässt sich nur durch eine Abstimmung beantworten. Im übrigen werden die Entscheidungen der so gewählten Ausschüsse daraufhin geprüft, ob sie rechtlichen Anforderungen standhalten. Allerdings könnte der ISK, aus propagandistischen Gründen, auch seine Form der Beteiligung des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten als »Demokratie« bezeichnen. Er hätte dazu mindestens so viel Recht, wie viele Menschen und Organisationen ein Recht haben, ihre Staats- und Organisationsform »demokratisch« zu nennen. Wenn z. B. der Entwurf der neuen Verfassung der Sowjet-Union eine Rückkehr zur »Demokratie« darstellen soll was Viele von ihm behaupten -, dann kann auch unser Verfassungsvorschlag diesen Namen beanspruchen. Ja[J wenn man davon ausgeht, dass »Demokratie« auch eigentlich »Freie Bahn dem Tüchtigen!« bedeutet, dann kann man sogar sagen, dass die von uns hier dargestellte Sozialistische Republik sehr »demokratisch«, dass sie sogar die wahre Demokratie ist Wir verzichten nichtsdestoweniger auf diese Bezeichnung für unsere Vorschläge, weil wir die Diskussion nicht mit dem Gebrauch vieldeutiger und also eindeutig unbrauchbarer wenigstens für sachliche Menschen unbrauchbarer Worte belasten wollen. -
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III.
Programmatische Verlautbarungen
sehen Materialismus zu Grunde liegt als auch von der Einseitigkeit einer nur idealen Deutung der Vorgänge wie sie in allen unter dem Schatten der Kirche stehenden sozialen Bewegungen von jeher ihr Spiel treiben. 13. Nur wenn es gelingt, dem ethischen Realismus Boden zu gewinnen und damit der Hoffnung und Tatbereitschaft vor allem der Jugend ein würdiges Ziel zu bieten, wird es in entscheidendem Maße möglich sein, die faktischen Idealisten auch zu Bekennen von Idealen zu machen und | S. 161 die Zyniker und Geschäftspolitiker zu endarven, die aus der idealistischen Gesinnung ihrer Zeitgenossen Nutzen schlagen. Nur wenn endlich das Bündnis zwischen Idealismus und Realismus zustande kommt, nur wenn man den Fatalismus und den Opportunismus aus der sozialistischen Bewegung ausmerzt, wird der Sozialismus die Welt erobern. | S. 171 —
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II. Der
politische Aufbau der sozialistischen Republik.
Während des revolutionären Ueberganges sorgt eine entschiedene Diktatur der Sozialisten für eine rücksichtslose Niederhaltung jedes Versuchs einer Gegenrevolution. In gleichem Masse, wie die konkrete Gefahr einer Gegenrevolution abnimmt, wird auch die sozialistische Diktatur abgebaut werden zu Gunsten eines stetig sich vollziehenden Aufbaus der Sozialistischen Republik. Für diesen Aufbau gelten die folgenden Richtlinien. Politische Verfassung. In der Sozialistischen Republik herrscht vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter und Rassen. Die Regierung besteht aus dem Regenten, der seinen Nachfolger selber bestimmt, und den von ihm ernannten Ministern. Gesetzgebung und alle politische Gewalt liegen in der Hand der Regierung. Die Verhinderung des Missbrauchs der politischen Macht ist in der Sozialistischen Republik so weit garantiert, wie sie sich organisatorisch überhaupt garantieren lässt. Eine rein organisatorische Sicherung lässt sich durch keine Staatsverfassung erreichen; denn eine mit Gewaltmitteln ausgestattete Kontrollstelle würde nur wieder die Frage hervorrufen, wie der Missbrauch der Macht dieser Kontrollstelle verhindert werden könnte, und so fort. Deshalb übernimmt der Regent die Verantwortung für alle politischen Massnahmen in voller Oeffentlichkeit. Eine Garantie dafür, dass der Regent seine Macht nicht missbrauchen wird, kann allein in seinem Charakter liegen, d. h. darin, dass er sich entschliesst, die ihm anvertraute Macht nur im Sinne seiner rechtlichen Aufgaben zu gebrauchen. Regierungsfunktionäre dieser Art die solche Entschlüsse fassen und durchführen planmässig heranzubilden, ist eine der wesentlichen Aufgaben der Regierung in Gemeinschaft mit einer politischen Akademie. | S. 181 —
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25. ISK, Die Sozialistische Republik
Die Regierung client keiner Willkür weder der eines Monarchen oder einer anderen Minderheit, noch einer Mehrheit. Sie leitet vielmehr ihre Befugnisse allein ab aus den Anforderungen des Rechts, die mit objektiver Strenge durch die Wissenschaft des Sozialismus begründet werden*. Um der vernünftigen Selbstbestimmung der Staatsbürger nicht vorzugreifen, wird die Regierung in erster Linie nur solche Massnahmen treffen, die zur Verhütung des Unrechts erforderlich sind. Dazu gehören insbesondere die politische Sicherung des Rechtsstaates (also Aufbau einer sozialistischen Armee und Polizei, Zentralisierung und sozialistische Neugestaltung der gesamten Justiz, radikale Säuberung der Beamtenschaft von allen politischen Gegnern der Sozialistischen Republik), die Verhinderung der Bildung privater wirtschaftlicher und kultureller Monopole, Aufbau eines sozialistischen Erziehungssystems, sowie schliesslich die öffentliche Gesundheitspflege. Zu diesen Aufgaben tritt hinzu das weite Gebiet der Hebung des Wohlstandes und der Förderung der Kultur, dessen sich die Staatsregierung da annehmen wird, wo Initiative und Kraft des Einzelnen und der Selbstverwaltungskörper nicht ausreichen. Soweit nicht allgemeine Interessen dem entgegenstehen, herrscht unbeschränkte Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit**. Dem berechtigten Interesse der Staatsbürger, nach Mass-|S. 19|gabe ihrer Kräfte an der Gestaltung des öffentlichen Lebens beteiligt zu werden, trägt Rechnung die Bildung eines Volksrates und einer Politischen Kommission. Die Politische Kommission übernimmt die systematische Nachprüfung der Regierungsmassnahmen. Die Regierung verpflichtet sich sowohl ihr als auch dem Volksrat gegenüber zu regelmässiger Rechenschaftsablegung. Zusammengesetzt wird die Politische Kommission aus Mitgliedern der Politischen Akademie***. Sie wird durch den Vorsitzenden der Akademie ernannt. -
Ueber die Gestaltung des Verhältnisses zwischen der Regierung und den anderen Staatsbürgern wird hier nur darauf hingewiesen, dass die Rechenschaftsablegung, zu der sich die Regierung verpflichtet, ein ernsteres Zeichen von Verbundenheit darstellt als die in demokratischen Verfassungen eingeführten Volksabstimmungen. Wie diese Rechenschaftsablegung im einzelnen organisiert wird, ist in dem Abschnitt über die Politische Akademie ausgeführt. Es versteht sich von selber, dass die Regierung eines sozialistischen Staates, dem die Freiheit der Staatsbürger als Leitmotiv des kulturellen Aufbaus gilt, möglichst wenig in das *
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Vereins- und Versammlungsleben eingreift. Da es aber niemals ausgeschlossen ist, dass sich die poütische und auch kulturelle Reaktion in Bünden aller Art, unter harmlos klingenden Namen, zusammenfindet, muss sich die Regierung die Möglichkeit vorbehalten, solche Bestrebungen zu verbieten. Ein weitreichendes Beschwerderecht und grosse Sorgfalt bei der Auswahl der Staatsfunktionäre sorgen für eine gerechte Ausübung jener Kontrolle. *** Die Bedeutung dieser Akademie wird erörtert im kulturpolitischen Teil dieses —
Programms.
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IM.
Programmatische Verlautbarungen
Der Volksrat soll eine lebendige politische Verbindung herstellen zwischen den Staatsbürgern und der Regierung. Er soll diese unter anderem ständig unterrichten über die Interessen der von ihm Vertretenen und ihr Vorschläge unterbreiten für eine gerechte und zweckmässige Behandlung dieser Interessen, besonders in Konfliktsfallen. Die Mitglieder des Volksrates werden vorwiegend aus der Mitte der lokalen und beruflichen Selbstverwaltungsausschüsse* durch diese selbst gewählt. Die Regierung darf keinen dieser Gewählten beanstanden. Um würdigen Menschen, z. B. Vertretern kultureller Verbände, die allgemeinere Gesichtspunkte vertreten als die Sonderinteressen der Selbstverwaltungskörper, eine öffentliche Stellungnahme zu ermöglichen, hat auch die Regierung das Recht, Mitglieder in den Volksrat zu berufen. Die Anzahl der Mitglieder des Volksrats soll nur so gross sein, dass eine aktive Mitarbeit aller ermöglicht wird. Der Volksrat gibt sich selber eine Geschäftsordnung. Er kann nach eigenem Ermessen zusammentreten. Seine Tagungen sind öffentlich. Den Vorsitz in ihnen führt der Leiter der Politischen Kommission. Alle Mitglieder der Regierung und der Politischen Kommission haben das Recht, an den Sitzungen des Volksrates und aller seiner Ausschüsse mit den Rechten eines Mitgliedes teilzunehmen. Sie sind verpflichtet, die an sie gerichteten Fragen zu beantworten, entweder in der Vollversammlung oder, | S. 201 wenn sich das aus besonderen Gründen verbietet, vor einem kleineren, nichtöffentlichen Ausschuss. Weder Politische Kommission noch Volksrat sind befugt, die Regierung zu stürzen. Das aktive und passive Wahlrecht hat jeder Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts nach Erreichung der staatlichen Mündigkeitsgrenze, es sei denn, dass ihm die Staatsbürgerrechte durch Gerichtsbeschluss aberkannt worden sind. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sind ferner, mindestens bis zur völligen Stabilisierung der Sozialistischen Republik, alle Menschen, die während des Bestehens der Klassengesellschaft bewusst Förderer oder Nutzniesser der Vorrechte der herrschenden Klasse waren. Aus dieser Klasse selber stammende Personen, die sich nachweislich vor der Revolution gegen ihre Klasse im sozialistischen Sinne betätigt haben oder die bei der Revolution noch nicht 14 Jahre alt waren, sind oder werden wahlberechtigt. Im Zweifelsfall stellen Wahlprüfungskommissionen fest, wer im einzelnen zu den Nichtwahlberechtigten gehört**. -
*
Ueber den Aufbau der Selbstverwaltung unterrichtet der folgende Abschnitt. Nutzniesser der Klassenvorrechte sind alle die, die einen Vorsprung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft gehabt haben, den sie innerhalb der Sozialistischen Republik nicht errungen haben würden. Bei der Entscheidung darüber, ob jemandem das Wahlrecht zuerkannt werden soll oder nicht, wird auf jeden Fall unnachgiebig vorgegangen werden. Wo Zweifel über die Zu**
190
25. ISK, Die Sozialistische
Republik
Eine entsprechende Zulassungsbeschränkung wird angewandt bei Bewerbern Stellen in Wehrmacht, Polizei und im höheren Beamtenkörper. Wenn, wie im Falle einiger »Spezialisten« etwa, diese Beschränkungen nicht tunlich sein sollten, wird solchen Personen ein politischer Kommissar beigeordnet werden. um
-
Selbstverwaltung.
Die öffentliche Verwaltung soll möglichst eine Selbstverwaltung sein. Dies entspricht dem Grundsatz, die Staatsbürger überall da frei entscheiden zu lassen, wo nicht ein Interesse der Allgemeinheit dies verbietet (wie | S. 211 in Fragen der Polizei, des Militärs, der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der Erziehung). Die Selbstverwaltungsausschüsse stellen sich ihre Aufgaben teils selber, teils werden sie ihnen vom Staat zugewiesen. Lokale Selbstverwaltung gründet sich im allgemeinen auf die Gemeinde als den kleinsten Selbstverwaltungskörper. Die Zusammenfassung darauf aufbauender Verwaltungseinheiten wird nach dem Grundsatz der Zweckmässigkeit erfolgen, unter Berücksichtigung sowohl äusserster Sparsamkeit als auch historisch und volksmässig entfalteter Sonderinteressen. Berufliche Selbstverwaltungskörper zu bilden, steht den Interessenten frei. Auf Verlangen des zuständigen Ministers müssen sie gebildet werden. Die Körperschaften haben unter anderem die Aufgabe, die Regierung mit Rat zu unterstützen. Diese kann einzelne ihrer Befugnisse den Ausschüssen der Selbstverwal-
tungskörper übertragen. Der Aufbau der Selbstverwaltung.
Die
Selbstverwaltungskörper wählen sich einen
Vertreterausschuss; dieser wählt sich einen Vorstand und gibt sich eine Ge-
schäftsordnung. Der Vorstand bedarf der Bestätigung durch den zuständigen Staatsbeamten. Dieser hat das Recht, an den Sitzungen der Ausschüsse selber teilzunehmen oder einen Vertreter zu entsenden; er darf ein aufschiebendes Veto gegen alle Beschlüsse der Vertreterausschüsse einlegen, die gegen die öffentlichen Staatszwecke verstossen. Ueber Beschwerden gegen die Staatsaufsicht entscheidet letzten Endes für die lokalen Selbstverwaltungskörper der Innenminister, für die beruflichen Selbstverwaltungskörper der zuständige Fachminister. Gegen jede Verwaltungsmassnahme gibt es das Rechtsmittel des Einspruchs bei einem Verwaltungsgericht.
gehörigkeit zur Gruppe der Nutzniesser vorliegen oder wo eine behauptete rechtliche Gesinnung nicht durch Zeugen oder besser noch durch nachprüfbare Taten zu belegen
ist, wird dem Betreffenden das Wahlrecht nicht zuerkannt werden.
191
III.
Programmatische Verlautbarungen
Justiz.
In der Sozialistischen Republik gibt es keine Klassen-Justiz Aus Gründen der Rechtssicherheit wird zur Verhinderung von Verbrechen Strafe angedroht. Ausgeführte Verbrechen sollen nach dem Grundsatz der Wiedervergel-|S. 22|tung* bestraft werden. Eine Handlung darf jedoch nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich angedroht war, bevor die Handlung begangen wurde. Die Strafart soll unter Berücksichtigung der Abschreckungs- und Besserungsmöglichkeit bestimmt werden. Der Staat soll dafür sorgen, dass auch während der Verbüssung der Freiheitsstrafen die Staatsbürger nicht der Willkür von Beamten ausgeliefert sind. Die Unabhängigkeit der Richter wird gewährleistet. Sie werden von der Regierung ernannt und dürfen nur von ihr abgesetzt werden (z. B. bei parteiischer Rechtsprechung), und zwar nach Anhören des Vorsitzenden der Politischen Akademie und des Präsidenten des Obersten Gerichts. Um materielle Gesichtspunkte bei der Ausübung des Richterberufs möglichst auszuschalten, darf ein Richter nur unter Weiterzahlung seines vollen Gehalts endassen werden, es sei denn, dass er sich eines gemeinen Verbrechens oder eines groben Verstosses gegen die Dienstordnung schuldig gemacht hat. Diese Massnahme soll die Staatsbürger gegen Versuche der Regierung sichern, sich durch Ausnützung materieller Abhängigkeit eine gefügige Kabinettsjustiz heranzubilden**. | S. 231 Möglichst gerechter Abwägung der Interessen wird die Hinzuziehung von Laien aus dem Lebenskreis der Angeklagten oder aus dem Gebiet der zu verhandelnden Angelegenheit dienen (Milieu-Sachverständige), die das Recht haben, sich
*
Nach diesem Grundsatz soll jeder ein solches Mass an Verletzung seiner eigenen Interauf sich nehmen, wie er unberechtigter Weise anderen zugefügt hat. Dass dieser Grundsatz heute im allgemeinen von Sozialisten abgelehnt wird, hat seinen Grund fast immer in der unzulässigen Verallgemeinerung historischer Tatsachen. In der klassengeteilten Unrechtsgesellschaft ist in der Tat nicht Jeder, der ein Gesetz verletzt, ein Verbrecher, weil die Regierung in der Klassengesellschaft nicht die Voraussetzungen ändert, von denen es zum grossen Teil abhängt, ob die Menschen mit dem Gesetz in Konflikt kommen oder nicht. In einer Gesellschaft dagegen, wo durch eine Erziehung zur Rechtlichkeit sowie durch eine gerechte Verteilung der wirtschaftlichen und kulturellen Güter Irrtum und soziale Not als Veranlassung zu unsozialem Verhalten oder zu Verbrechen ausgeschaltet worden sind, besteht kein Grund, Rechtsbrecher anders als nach dem Prinzip der Wiedervergeltung zu behandeln. Die Anwendung dieses Prinzips innerhalb eines Rechtsessen
staates
ist eine
Anforderung
des Rechts
selber, weil ein unbestraftes Verbrechen die
Gleichheit aller Staatsbürger, und damit den rechtlichen Zustand der Gesellschaft selber[J verletzen würde. ** Die Belastung der Staatskasse, die sich daraus ergeben kann, wird aufgewogen durch die Sicherheit, die der Staatsbürger in Bezug auf materielle Unabhängigkeit richterlicher Entscheidungen gewinnt. Im übrigen wird die Berufsauslese der Richter einer besonderen Sorgfalt des Staates unterliegen. -
192
25. ISK, Die Sozialistische
Republik
während des ganzen Verfahrens laufend über alle ihnen wichtig erscheinenden Fragen des Prozess-Stoffes und der Prozess-Führung zu unterrichten. Urteile werden nur durch Berufsrichter gefallt*. Die Gerichtssitzungen sind grundsätzlich öffentlich.** -
Internationale Politik. Die Sozialistische Republik wird sich dafür einsetzen, dass auch im Verhältnis der Staaten zueinander die gleichen Rechtsprinzipien zur Geltung kommen wie in der Sozialistischen Repubük. Das Prinzip der staatlichen Souveränität, wonach eine Einmischung in die Angelegenheiten eines Staates allen anderen Staaten verboten ist, lehnt sie als dogmatisch und dem Gedanken des Völkerrechts widersprechend ab. Sie verwirft alle imperialistischen Bestrebungen und sieht die endgültige Sicherung des Friedens in der Abschaffung aller einzelstaatlichen Heere, an deren Stelle eine internationale Gerichtsbarkeit und Polizeitruppe treten soll. Daraus ergibt sich, dass das Völkerbunds-Ideal des Sozialismus erst nach dessen internationaler Durchführung restlos erreicht ist. Dem widerspricht nicht die dass mit seiner nicht in allen Ländern gleichzeitig Tatsache, Durchführung wird. begonnen Solange ein allgemeiner sozialistischer Staatenbund noch nicht besteht, wird ihn die Sozialistische Republik vor-1S. 241 bereiten helfen durch internationale Abkommen, Einzelverträge und andere Massnahmen, womit sie gleichzeitig eine Grundlage für die Verbreitung der Ueberzeugung schaffen hilft, dass nur ein solcher Staatenbund den Anforderungen der Gerechtigkeit im Völkerleben entspricht. Gegenstand derartiger Abkommen können z. B. sein: Die Internationalisierung der Luftfahrt, das Verbot des chemischen und des bakteriologischen Krieges, die Freiheit der Meere, eine internationale Regelung des Arbeiterschutzes. Zu allen sozialistischen Staaten wird die Regierung der Sozialistischen Repubük ein besonders gutes Verhältnis anbahnen; sie wird sofort nach der Machtergreifung diesen Staaten ein enges Miütär- und Wirtschaftsbündnis anbieten. Der Waffenhandel wird verstaatücht. Die Produktion von Waffen[,] einschüessüch potentieüer Waffen (Gift, Zivilflugzeuge) [,] und der Handel mit potentiellen Waffen stehen unter staatücher Kontrolle.
*
Um dem Urteü der Milieu-Sachverständigen Nachdruck zu verleihen, soll der das Gerichtsurteil fällende und begründende Berufsrichter die Meinung der Milieu-Sachverständigen in der Urteilsbegründung mit aufführen, wenn er selber von dieser Meinung bei der Urteilssprechung abgewichen ist. Er soll auch seine Gründe für diese Abweichung ausführlich in der Urteilsbegründung zum Ausdruck bringen. ** In den seltenen Fällen, wo aus Gründen der Staatssicherheit oder ähnlich wichtigen Gründen eine Beschränkung der Oeffentlichkeit geboten erscheint, darf diese Beschränkung nicht Mitglieder der Politischen Akademie und Hauptschriftleiter der inländischen Presse (nach internationaler Durchführung des Sozialismus: der Presse überhaupt) umfassen.
193
III.
Programmatische Verlautbarungen
Durch geeignete Massnahmen der Erziehung wird die Sozialistische Republik für die Achtung der Rechte und der Kultur anderer Völker und Rassen sorgen. Sie wird, soweit es an ihr liegt, durch besondere Förderung einer internationalen Hilfssprache, Esperanto, daran arbeiten, die gewaltigen Hindernisse einer internationalen Verständigung, die durch die Verschiedenheit der Sprache gebildet werden, unwirksam zu machen. Die Welthilfssprache soll im übrigen die anderen Sprachen nicht ersetzen. Eine Kolonialpolitik im bisherigen Sinne lehnt die Sozialistische Republik ab. Sie fühlt sich allerdings verpflichtet, Völkern, die unverschuldet in zivilisatorischem oder kulturellem Tiefstand leben, zu helfen, sich aus diesem Tiefstand zu erheben. Zum Beweis dessen, dass nur ein Gefühl echter Verpflichtung den Grund abgibt für ihre Einmischung in die Angelegenheiten solcher Völker, soll die Sozialistische Republik dafür sorgen, dass die Entwicklung des rückständigen Landes nach den gleichen Prinzipien gefördert wird, wie die innerhalb der Sozialistischen Republik. —
[Auf den Seiten 25—54 werden abgehandelt: III. Der ökonomische Aufbau der Sozialistischen Republikf:] Die sozialistische Marktwirtschaft (26), Die Umwandlung der kapitalistischen in eine sozialistische Marktwirtschaft (27), Freier Wettbewerb als Mittel zur Beseitigung der Ausbeutung (32), Die Einkommen in der sozialistischen Marktwirtschaft (34); IV. Die Sozialpolitik der Sozialistischen Republikf:] Fürsorge (37), Versicherungen (37), Arbeitsrecht (38), Schutz der Tiere (39), Gesundheitsfürsorge (39), Eugenik (40); V. Der kulturelle Aufbau der Sozialistischen Republikf:] Erziehung und Unterricht (42), Hochschulen und Akademien (47), Familie und Ehe (48), Kirche (49), Oeffentliche Meinungsbildung (51), Politische Akademie (52).]
|S.52| [...]
Politische Akademie.
wichtigste Aufgabe der Kulturpolitik in der Sozialistischen Republik ist die Erziehung der politischen Funktionäre, insbesondere der leitenden unter ihnen. Von dem Gelingen dieser pädagogischen Aufgabe hängt der rechtliche Charakter des Staates und damit des öffentlichen Lebens überhaupt ab*. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird in der politischen Akademie angestrebt werden. Der Zutritt zu ihr steht | S. 531 allen frei, deren Charakter, Klugheit und Gesundheit entsprechend den hohen, hier gestellten Anforderungen in LeistunDie
*
Man könnte erwarten, dass die
Aufgabe, den rechtlichen Charakter des Staates zu si-
chern, ihre Stelle im politischen Teil des Programms finden müsste. Aber diese Sicherung selber hat nicht politischen Charakter; denn es handelt sich nicht etwa darum, gegenüber den Vollmachten des Regenten eine Instanz einzuführen, die, selber mit politischer Macht
ausgestattet, ihn kontrolliert. Da die einzige Sicherung gegen den Missbrauch der Gewalt nur im Charakter des Regenten liegt, ist diese Sicherung eine Erziehungsaufgabe. 194
25.
ISK, Die Sozialistische Republik
worden sind. Die Ausbildung erfolgt in einer Erziehungsgemeinin Kursen und durch praktische Arbeit im Staatsdienst. Wer theoretischen schaft, dieser Akademie geworden ist, bleibt es lebenslänglich, wenn er sich Mitglied nicht als unwürdig erweist. Die lebenslängüche Mitgüedschaft bringt zum Ausdruck, dass die Ausbildung eines politischen Funktionärs niemals abgeschlossen ist. Ferner ermögücht die Mitgüedschaft der im Staatsdienst Stehenden ein enges Verhältnis der Akademie zu den Anforderungen des poütischen Lebens. Die Prüfung zum Abschluss der eigentlichen Lehrzeit erfolgt öffentlich. Vorwiegend aus dem Kreis der in der Akademie Geschulten ergänzt der Staat den Bestand seiner poütischen Funktionäre, insbesondere der mit hoher Vergen
erprobt
antwortung beauftragten. Der Besuch der Akademie g[e]währt keine Anrechte, er erhöht nur die Mögüchkeit, in ein öffentliches Amt berufen zu werden jeder Schüler der Akademie hat vor seinem Eintritt die Ausbildung für einen Beruf nachzuweisen, der ihm -
offen steht, faUs er kein Staatsamt übernimmt. Der Vorsitzende der Akademie wird vom Regenten auf Lebenszeit ernannt. Er ist unabsetzbar unbeschadet eines ihm zustehenden Demissionsrechts*. Mitgüed der Akademie ist jeder, der die Akademie-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. Ausserdem hat der Vorsitzende der Akademie das Recht, im Einvernehmen mit dem Regenten solchen Menschen, die die Aufgaben der Akademie fördern, die Mitgüedschaft zu verleihen. | S. 541 Der Vorsitzende der Akademie ernennt aus dem Kreis der AkademieMitgüeder die Poütische Kommission. Diese tritt unter seinem Vorsitz zusammen und ist die zuständige Stelle, die jährüch ein begründetes Urteil über die der hat. Ihr Rechenschaftsbericht wird veröffentTätigkeit Regierung abzugeben ücht. Dem Regenten obüegt die Pflicht, öffentüch darauf einzugehen. Die Bedeutung dieser Massnahme üegt in der Anerkennung des Grundsatzes, dass der Regent einer Prüfung untersteht: der von subjektiven Beweggründen freien wissenschaftlichen Kritik. Die Strenge und Besonnenheit dieser Kritik und die Bereitschaft des Regenten, sich ihr zu öffnen und ihr gegebenenfaüs zu entsprechen, üefert den allen Mitgüedern der Geseüschaft zugängüchen Massstab dafür, wie weit der Staat, dessen Aufgabe die Sicherung rechtlicher Zustände und die Förderung der Kultur ist, diesem hohen Ziel genügt. -
[Auf den Seiten 55-57 folgt: VI. Der Aufbau des ISK; Seiten 57-59: des ISK; Seite 60: Inhaltsverzeichnis; Seiten 61—64: Verlagsanzeigen.] *
Die Unabsetzbarkeit des Akademievorsitzenden
bringt
nicht
nur
die
Satzung
Erwartung
zum
Ausdruck, dass durch Erziehung eine Reinheit des Betragens erworben werden kann, die die
Möglichkeit von Irrtümern zugelassen die Sachlichkeit der Kritik gewährleistet. Sie bedeutet darüber hinaus, dass der Regent sich in der Unabsetzbarkeit dessen, der ihn kritisiert, zwar keine politische Beschränkung auferlegt, wohl aber die Sicherung schafft, dass die Freiheit —
-
dieser Kritik von ihm nicht angetastet wird.
195
Dokument 26
Freiheitspartei, Christentum, Autorität und September 1937
Deutsche ca.
Deutsche Freiheitsbriefe, o. 0. [Paris], Nr. 27, o. D. unpaginiertes Faltblatt, 135 x 210 mm Standort: IISG Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 407-416
Vorlage:
Freiheit
[ca. September 1937]; 4seltiges
Gib mich Deinen Freunden weiter!
Deutsche Freiheitsbriefe Nr. 27 Freunde! Weil wir die Freiheit lieben, stehen wir zu jenen tapferen Frauen und Männern, die für ihren Glauben und ihre Kirche kämpfen. Gebührt heute schon jedem Achtung, der den Mut aufbringt, diesem System der Knechtung Trotz zu bieten, dann sind unser Herz und unsere Hand gewiss dort, wo noch um des Menschen Würde und Freiheit gekämpft wird. Viele werden heute gewahr, dass dort, wo die Demokratie erschlagen und verworfen worden ist, wo an ihrer statt der Totalitarismus, gleich dem menschenfressenden Götzen Baal, seine Herrschaft aufgerichtet hat, nur noch das Christentum geblieben ist, um die menschliche Persönlichkeit, Menschenwürde und Menschenstolz zu verteidigen. Mit staunender Verwunderung erkennen jetzt viele, dass das Christentum ein Bollwerk der Freiheit und der Menschenrechte ist. Wer darum heute im Nazireich für die Freiheit sich einsetzen und kämpfen will, der muss Partei nehmen in dem von den jetzigen Gewalthabern entfesselten Kulturkampf gegen Christentum und Kirche; der steht gegen die Antichristen, die keine Gewissensfreiheit dulden, und reiht sich in die Front derer, die mit der Glaubensfreiheit und mit den Rechten der Kirche auch die Rechte der menschlichen Persönlichkeit, des Menschen Freiheit und Selbstverantwortlichkeit in leidenschaftlicher Hingabe verteidigen. Wer heute den Glaubenskämpfern in unserem Vaterland hilfreiche Hand leiht, der streitet zugleichy»r die Befreiung unseres Volkes aus der Knechtschaft und Barbarei. Nur Lügner und Betrüger wollen glauben, alles wäre nur Pastorengezänk und es ginge den Pfaffen nur um ihre Macht und ihren Geldbeutel. Ein Pastor Niemöller kämpfte nicht um eine Pfründe. Die ihres Amtes enthobenen und ins Gefängnis geworfenen Pfarrer haben | [S. 2] | nicht eines Zankes um weit- und volksfremde Dinge willen ihre Existenz aufs Spiel gesetzt. Katholische Priester sind nicht verfolgt und verhaftet worden wegen Amtsmissbrauchs oder Gehaltsforderungen. Katholiken und Protestanten sind mit dem Nazistaat in Konflikt geraten, weil sie Gott höher stellen als den irdischen Gewalthaber und weil sie sich dagegen zur Wehr setzen, dass die heiligsten Menschenrechte angetastet und 196
26. Deutsche
Freiheitspartei, Aufruf
werden. Geistliche beider christlichen Konfessionen sind Vorkämpfer der Menschenwürde und der Freiheitsidee geworden. Darum stehen wir zu ihnen darum gehören sie zu uns! Der Kampf um die Kirche geht jeden an, der sich nicht wegwerfen, nicht sein Bestes und Höchstes, seine Freiheit, sein Ich sich rauben lassen wiü. Wir haben den wahren Sinn des hasserfüüten Kampfes des Nationalsoziaüsmus gegen die Kirche erkannt: die christüche Kirche ist eine Gefahr, ja eine Bedrohung für den Nationalsozialismus und darum hasst er sie und sucht sie zu vernichten, wie er seine poütischen Gegner vernichtet hat. In seiner Geistesarmut unternimmt er nicht einmal den Versuch, das Christentum auf geistigem Gebiet zu überwinden das armseüge Gestammel und Kauderwelsch eines Alfred Rosenberg legt beredtes Zeugnis ab für den geistigen Tiefstand des Nationalsoziaüsmus. Sein Element ist die Gewalt und die Art seines Kampfs kennzeichnet die Niedrigkeit seines Niveaus. Seine »geistige Auseinandersetzung« mit dem Christentum tobt sich aus in Sittlichkeitsprozessen und Schieberaffären und mit Presse-Kanzelund Heimtückeparagraphen versteht er den Gegner mundtot zu machen. Wie sollte sich aber der Nationalsoziaüsmus auch anders gegen das Christentum zur Wehr setzen? Sein Angriff ist doch im Grunde nur Verteidigung, weil das Christentum für ihn eine ständige gewaltige Anklage und Verdammung ist. Das christüche Sittengesetz kann erschüchene Gewalt nicht als rechtmässig erworbene Macht anerkennen. Christüche Lehre und christliches Sittengesetz verwerfen das Kernstück der Nazitheorie über Blut und Rasse; sie untersteüen jedermann, ob König oder Betder, ob »Führer« oder »Gefolgsmann«, denselben sittlichen Verpflichtungen und sind nicht in Einklang zu bringen mit der Praxis der Konzentrationslager, mit den Terrormethoden der Gestapo, mit den grausigen Taten und Rechtsverdrehungen des 30. Juni. Das christliche Sittengesetz unterscheidet auch sehr klar zwischen Mein und Dein und gestattet auch »Führern« nicht die persönüche Bereicherung auf Kosten der Schwächeren. In der Tat ist das christliche Sittengesetz ziemüch haargenau das Gegenteil von dem Sittenkodex des Nationalsozialismus und darum ist der fanatische Hass und der Kampf der Nazis gegen die Kirche nicht nur verständüch, sondern ganz selbstverständüch. Darum aber ist dieser Kampf weit mehr als ein Streit um die Kirche. Er geht um die höchsten Menschenrechte, um unsere Kultur, um unsere geschichtliche, völkische und reügiöse Tradition. Aus Liebe zu unserer Heimat, zu unserem Volk und Vaterland müssen wir diesen Kampf zu einem guten Ende führen. In langer Geschlechterfolge haben unsere Väter und auch wir um die Grosse und Einheit des Reiches gerungen. Nie aber hat ihnen, nie darf uns ein Reich als ErfüUung der Sehnsucht aller guten Deutschen gelten, in dem nicht die Freiheit der Bürger gesichert, der Glaube unserer Väter geschützt, elterüche Autorität und Famiüe geschirmt, die Jugend behütet, Ordnung in Freiheit ge-|[S. 3] | wahrt sind. Unser Reich kann nur ein Deutschland sein, in dem Autorität und Freiheit einen segensreichen Bund geschlossen haben, in dem nicht Klasse noch Rasse noch Partei Mittel- und Brennpunkt des staatlichen Organismus und der staatzertreten
-
-
197
III.
Programmatische Verlautbarungen
liehen Aufgaben ist. Wo die Staatsallgewalt proklamiert wird, da wird der sittlich verantwortliche und freie Mensch entthront und versklavt. Dann ist der Staat nicht mehr für die Bürger, dann sind die Bürger nur noch für den Staat da. Der Staat ist heute Selbstzweck geworden. Der Staat aber ist die Partei schlimmer noch, er ist nur mehr Werkzeug der Partei. Die Partei steht über dem Staat; die Partei aber, das sind die Nutzniesser des Staates, das sind die kleinen und die grösseren »Führer«. Das sind die Götzen, denen das Volk opfern muss und denen es geopfert wird. So sieht das Deutschland des Nationalsozialismus aus! Unser Deutschland ist kein Land der krummen Rücken, der Speichellecker und Denunzianten. Unser Deutschland ist ein freies, aufrechtes, furchdoses, christliches Volk. Unser Deutschland ist kein Land der Schreier und Schauspieler, der Selbstanbeter und Hanswurste. Unser Deutschland ist ein ernstes, arbeitsames, der Arbeit des Friedens und den Werken der Kultur dienendes Volk. Unser Deutschland ist keine Despotie zu Gunsten einiger sich bereichernder »Führer«. Unser Deutschland ist ein Volksstaat, in dem jeder, der zur Führung berufen wird, dem Volke Verantwortung schuldet und leistet. Das ist ein Deutschland, in das uns führen wird -
Die Deutsche
Freiheitspartei.
[S.4] Was will die Deutsche
Freiheitspartei?
Die Deutsche Freiheitspartei will die Wiederherstellung des Rechtsstaats und verlangt eine saubere, fachkundige Verwaltung. Die Deutsche Freiheitspartei verlangt die Führung eines geordneten Haushalts in
Reich, Staat und Gemeinden und will
zu diesem Zweck die Kontrolle der Einund Ausgaben durch gewählte Vertreter des Volkes. Die Deutsche Freiheitspartei verlangt das Mitbestimmungsrecht und die Mitverantwortung des Volkes am deutschen Schicksal und will deshalb eine frei
gewählte Volksvertretung. Die Deutsche Freiheitspartei erstrebt weitestgehende Selbstverwaltung, wo immer sie sich als möglich und nützüch erweist, damit das Verantwortungsbewusstsein des Volkes gestärkt und weiteste Volkskreise am Wohlergehen
der Gemeinschaft aktiv mitwirken. Die Deutsche Freiheitspartei verlangt die Wiederherstellung der Grundrechte der Nation: Sicherung der persönlichen Freiheit, der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Lehr- und Pressefreiheit. 198
26. Deutsche
Freiheitspartei, Aufruf
Die Deutsche Freiheitspartei will die aufrichtige Verständigung Deutschlands mit all seinen Nachbarn und Deutschlands Mitarbeit an allen Aufgaben der
europäischen Völkergemeinschaft. Die Deutsche Freiheitspartei erblickt in den ernste Gefährdung unserer Volkswirtschaft
autarkischen Bestrebungen eine und verlangt mit der Rückkehr Deutschlands in den Kreislauf der Weltwirtschaft schnellste UmsteUung unserer weitgehend unproduktiven Wirtschaft auf produktive Friedenswirtschaft. Die Deutsche Freiheitspartei ist Feind jeder Diktatur und wird den totaütären Nazistaat durch den deutschen Volksstaat ersetzen. Alle aufrechten deutschen Frauen und Männer kämpfen mit der
Deutschen
Freiheitspartei.
199
Dokument 27 Bund freiheitlicher Sozialisten, Gründung einer Organisation antifaschistischer Intellektueller 11712. Dezember 1937 Pariser Tageszeitung, 1936, Nr. 554, 19. Dezember, S. 2; 435 Standort: IISG Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 431^t34
Vorlage:
x
580
mm
Bund freiheitlicher Sozialisten Eine Neugründung Am 11. und 12. Dezember tagte unter dem Vorsitz von Heinrich Mann eine Konferenz deutscher Intellektueller, die aus vielen Ländern beschickt war. Die Konferenz beschloss die Gründung eines Bundes freiheitlicher Sozialisten nach folgenden Richtlinien: Der Bund freiheitlicher Sozialisten gliedert sich in Deutschland in die Front derer ein, die den fascistischen Despotismus stürzen und die Freiheit zurückerobern wollen. Er bekennt sich zu den Menschenrechten und zur unverletzbaren Würde der menschlichen Persönlichkeit. Er betrachtet einen neuen Humanismus als die lebenswichtigste Idee des Zeitalters. Er begrüsst alle die personalistischen Strömungen, die den Menschen gegen die Uebermacht unpersönlicher, gesellschaftlicher und politischer Organisationen schützen. Er will an der Heilung der moralischen Krise der Gegenwart mitarbeiten, das zersetzte Rechtsbewusstsein wieder aufrichten, die Menschenrechte des Deutschen durchsetzen und für immer sichern. Personalismus und Sozialismus gehören zusammen. Sie wollen beide dasselbe: Dienst des Staates und der Gesellschaft am Glücke und der schöpferischen Entfaltung des Menschen. Wir nehmen Stellung gegen jede Verwechslung der kapitalistischen mit der liberalen Ideologie. Ein kämpfender Liberalismus muss nach dem Erlebnis des Fascismus eins mit dem Willen zum Sozialismus werden. Die Idee der Freiheit hat ihren Sinn verwandelt. Freiheit ist heute nur durch sozialistische Massnahmen zu erkämpfen und zu sichern. Der Bund bekennt sich zu einer starken und militanten Demokratie. Er lehnt einen totalitären Anspruch ab, von welcher Seite er auch immer kommen möge. Er wünscht eine kräftige Exekutive, die über alle Mittel zur Selbstbehauptung der Demokratie verfügt. Der Bund will von kapitalistischer Denkweise unabhängige Bürger und freie Sozialisten zusammenfassen. Er begrüsst in seinen Reihen die Vorkämpfer der Forderung: Freie Kirche im freien Staat. 200
27. Bund freiheitlicher Sozialisten
Der Bund wendet sich innerhalb der Emigration zunächst an Intellektuelle, die sich zu Recht und Freiheit bekennen, an die Jugend, die eine neue Uebereinstimmung zwischen Poütik und Moral sucht, mit eingeschlossen aüe Männer und Frauen, die zu einem kräftigen Freiheitsbewusstsein durch den Druck unmenschücher Gewalten erwacht sind. Der Ruf des Bundes wird im Reiche verstanden werden vom freiheitüchen Bürgertum, von den kleinbürgerlichen und bäuerüchen Massen, die sich durch den Fascismus enttäuscht und betrogen fühlen. Wir suchen das Bündnis mit den bestehenden Parteien des kämpfenden Proletariats. Wir verwerfen jede Befeindung der Demokratie, besonders verurteüen wir ihre Bekämpfung in der Maske des Antikommunismus. Unser Bund sieht in der Einigung der Arbeiterparteien eine unerlässüche Voraussetzung für die Sammlung aller gegen den Hiderfascismus gerichteten Kräfte. Besinnt Euch auf Eure Sammlung zu Ziele [n], die Euch allen gemeinsam sind: Recht und Freiheit, Euer sittlicher Wille, Euer Glück.
201
Dokument 28 Heinrich Mann, Willi Münzenberg und Carl Ein deutsches Programm Januar 1938
Spiecker,
Ulrich von Hütten [fingiert], Manifest der Deutschen Freiheit, o. O., o. D. [Januar 24 S.; Broschüre, 160 x 235 mm Standort: IISG Zum Kontext und zu den Verfassern siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 416-420
Vorlage:
1938],
Manifest der Deutschen Freiheit Ulrich von Hütten
von
| S. 21
»Deutscher Sänger! sing und preise Deutsche Freiheit, dass dein Lied Unsrer Seelen sich bemeistre Und zu Taten uns begeistre, In Marseillerhymenweise. Girre nicht mehr wie ein Werther, Welcher nurfür Lotten glüht Was die Glocke hat geschlagen Sollst du deinem Volke sagen, Wede Dolche, rede Schwerter! -
Sei nicht mehr die weiche Flöte, Das idyllische Gemüt Sei des Vaterlands Posaune, Sei Kanone, sei Kartaune, Blase, schmettre, donnre, töte!« IS. 31 -
I.
»Doch, soviel ich sehe, wird ihre Tyrannei die längste Zeit gedauert haben, und wenn mich nicht aües trügt, bald vernichtet werden. Denn gelegt ist bereits, ja gelegt ist an der Bäume Wurzel die Axt, und ausgerottet wird jeder
Baum, der nicht gute Frucht bringt, und des Herrn Weinberg gereinigt werden. Das soüet ihr nicht mehr hoffen, sondern nächstens mit Augen sehen. Inzwischen seid guten Mutes, ihr deutschen Männer, und muntert euch wechselseitig auf. Nicht unerfahren, nicht schwach sind eure Führer zur
Wiedergewinnung der Freiheit. üeget nicht mitten im Kampfe. 202
Beweist nur ihr Euch unerschrocken und erDenn durchgebrochen muss endüch werden,
28. H.
Mann/Münzenberg/Spiecker,
Manifest der Deutschen Freiheit
durchgebrochen; besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen Gelegenheiten, einer so gerechten Sache, und da das Wüten dieser Tyrannei aufs höchste gestiegen ist. Das tut und gehabt euch wohl. Es lebe die Freiheit! Ich habs
gewagt!«
Ulrich
von
Hütten.
Jeden Deutschen, dem das Schicksal seines grossen Volkes am Herzen liegt, überfällt tagtäglich die Sorge um seine Gegenwart und Zukunft. In unserem Lande, dessen Volk doch viel geschaffen hat,
war nur die Geschichte nicht Die Geschichte ist reich an Leidenszeiten jetzt Deutschlands schöpferisch. aber sind Brandstifter an der Arbeit, die unser Volk in einen Abgrund hineinzerren. Daraus würde es sich erst in Jahrhunderten wieder emporarbeiten. Um jeden Preis muss den ruchlosen Attentätern auf die Lebenskraft unseres Volkes zuvorgekommen werden. Uebrigens geht es nicht um Deutschland allein; es geht um Europa und die Welt. Mit Lug und Trug, Gewalt und Mord, mit Verbrechen, die beispiellos in der Geschichte sind, haben sich die derzeitigen Machthaber unseres Landes zu seinen Herren aufgeworfen. Erschlichene Macht, gebrochene Eide, Brandstiftung, Urkunden- und Testamentsfälschung: so | S. 41 fing es an. Mit solchen Anfangen behaftet wirft man sich zu Richtern über Sitte und Moral auf, Heuchler, die ihre Verbrechen für »Revolution«, ihre Unterdrückungfür »Freiheit«, ihre Kriegsvorbereitungenfür »Friedensbereitschaft« ausgeben, Schurken, die deutsche Söhne und deutsches Blut nach Spanien verkaufen erfrechen sich, von einer Erneuerung Deutschlands zu reden und behaupten [,] die europäische Kultur und Zivilisation gerettet zu haben. Sie führten den Galgen, die Prügelstrafe, die Tortur wieder ein, sie errichteten Konzentrationslager und stellten den recht- und schutzlosen Zustand aus den beschämen[d]sten und finstersten Zeiten des Absolutismus wieder her, als deutsche Männer ohne Gericht, ohne Urteil jahrzehntelang gefangen gehalten wu[r]den. Die barbarischen Bilderstürmer verbrannten Bücher, das gab es vorher nur ein einziges Mal: vor 2000 Jahren in Asien. »Wohin sind die Eide gekommen,« ruft erbittert der Dichter des Nibelungenliedes. Der früheste unserer grossen Lyriker, Walter von der Vogelweide[,] hielt erschüttert Zwiesprache mit sich selbst über die Verkommenheit seiner Zeit. Und ein anderer deutscher Dichter der Frühzeit sang: »Der ist ein Deutscher Ehrenwerth, Der wacker, herzhaft, unverzagt Sich für die Freiheit mit dem Schwert In Tod und in Gefahren wagt.« Eine tiefe Sehnsucht nach Freiheit, nach einem würdigen Leben in aufrichtigem Handeln, nach einem gesetzmässigen Zustand unseres gesellschaftlichen Lebens hat zu allen Zeiten die Besten unseres Volkes erfüllt. Aber die heutigen Machthaber, Usurpatoren, Plünderer und Unterdrücker in unserem Land, das sie wie Feinde besetzt halten und ausrauben, verhöhnen unsere Vergangenheit und suchen die grossen Traditionen unserer Geschichte zu fälschen und zu zerstören. -
203
III.
Programmatische Verlautbarungen
Hitler und seine Beauftragten erzeugen durch ihre Methoden in der zivilisierten Welt einen Hass, der sich gegen das gesamte deutsche Volk zu richten droht. Deutschland und seine Bürger werden im Ausland mit den nationalsozialistischen Unterdrückern gleichgesetzt und eine raffinierte Propaganda bringt es fertig, den Eindruck zu erwecken, | S. 51 als teilte das deutsche Volk den Ausspruch Hiders: »Knecht muss Knecht bleiben«, woraus zu schüessen wäre, dass er selbst in seinem Innern es gebüeben ist. Die Nationalsoziaüsten versuchen die Vorstellung durchzusetzen, als ob sich das deutsche Volk in der Unterdrückung wohlfühle und kein anderes Ziel kenne, als darin zu verharren. Wenn Hitler, Göbbels und Rosenberg ihre Ansichten über die Geschichte unseres Volkes entwickeln, scheint es, als ob wir noch stolz darauf sind, unterdrückt, getreten, geprügelt zu werden. Auf diese Weise wird unsere Geschichte, das Wesen unseres Volkes von den Nationalsoziaüsten bewusst verfälscht. Es ist ein ungeheurer Vorgang, dass solche Fälscher sich noch gebärden, als hebten sie unser Volk. Sie lügen! Unser Volk, sie lieben es nicht, wie sie nicht geliebt werden, sie hassen und verachten es, wie sie von unserem Volke gehasst und verachtet werden. Die unser Volk und Deutschland lieben sind wir, die man verfolgt, verbannt, einkerkert, foltert, tötet und mordet! Wir lieben unser Volk, unsere Heimat, wir lieben Deutschland. Wir üeben Deutschland um seiner schneebedeckten Berge, seiner blauen Seen, seiner tiefen Wälder, bunten Wiesen und reichen Felder wülen. Wir üeben seine breiten Ströme, die sanften Hügelketten des Taunus, die Höhen des Thüringer Waldes, die düstern Tannen des Harzes und Schwarzwaldes. Wir üeben an unserem Deutschland die Vielheit seiner Stämme und die Vielfältigkeit seiner Kultur und Sitten ja, die Kraft, mit der es die ältere Gesittung zu seiner gemacht und die Kultur der Welt schöpferisch verarbeitet hat. Wir üeben die beschwingte Melodie der Sprache, in der Goethe den »Faust«, Schiller »Don Carlos« und »Wilhelm Teü«, Heine seine Lieder schrieb. Es ist die Sprache Ulrich von Hutten's, Luther's, Humboldt's, Lessing's, Fichte's, Hegel's, Nietzsche's. Es ist die Sprache, die so oft Freiheitsgesänge und Kampflieder gegen eigene und fremde Unterdrücker formte. Diese Sprache ist der QueU der gewaltigen Melodien, die Bach, Beethoven, Haydn, Wagner der Menschheit schenkten. Wir üeben Deutschland um der grossen Werke willen, die deutsche Gelehrte, Künsder, Techniker, Bauern, Handwerker und Arbeiter der Welt gegeben haben, aber wir üeben Deutschland vor AUem um seiner Kämpfe wülen, die unser Volk immer und immer wieder führte, um die Freiheit zu erringen und zu sichern. | S. 61 Römische Historiker schüdern die freie Stammesverfassung der Germanen, und nur diese hat es später ermögücht, die deutschen Stämme zum erfolgreichen gemeinsamen Kampf gegen Eroberer und Unterdrücker zu vereinen. Die freien Markgenossenschaften waren jahrhundertelang der fruchtbare Boden für ein starkes Bauerngeschlecht und für eine reiche bäuerüche Kultur. Die Bauernkriege zeugen von dem unbändigen Freiheitsdrang der kraftvoüsten und grössten deutschen Volksschicht und noch in der Niederlage sangen sie: -
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»Geschlagen ziehen wir nach Haus, heia, oho!
Unsere Enkel fechten's besser aus.« Als die friesischen Bauern ih[r]e Freiheit verteidigten, wurde ihr Schlachtruf »Lewer Duad üs Slaav« der Schlachtruf aller unterdrückten Bauern. Die zerstörten Burgen und Festen feudaler Herren sind Zeugen des Freiheitskampfes deutscher Bauern und Bürger, und dieselben Bürger und Bauern haben auch die Leistungen deutscher Handwerkskunst vollbracht, die man in deutschen Dörfern und Städten noch heute bewundert. Diese Handwerker vergangener Jahrhunderte, die Schmiede und Holzschnitzer, die Steinmetzen und Glasbläser, die Mitglieder der Zünfte und Bauhütten, sie sind die wahren Ahnen der qualifizierten deutschen Arbeiter, die durch ihre Leistungen den Ruhm deutschen Könnens in die Welt hinausgetragen haben. Kein noch so grosser Prunkbau Hiders wird je die Kunstwerke im Nürnberg des 16. Jahrhunderts verdunkeln können. Das aber verdankt all seine Schönheit, seine Bauwerke und Denkmäler den aufrechten Bürge [r]n und streitbaren freien Handwerkern ihre Krone und Vollendung sind die Werke Albert [sie] Dürer 's, Veit Stoss' und Peter Vischer's. Das junge deutsche Bürgertum hat im Zeitalter der Reformation den Kampf für die persönliche Freiheit im Sinne des Humanismus geführt. Ein verarmter Adliger, Ulrich von Hütten, rang in seinen Streitschriften um die Herstellung einer Einheit der Bürger und Bauern gegen die Mächtigen der Zeit. Kühn forderte Hütten die Herrschenden mit seinem Kampflied heraus: »Von Wahrheit will ich nimmer lassen! Das soll mir bitten ab kein Mann, auch soll mich halten keine Wehr, kein Acht, kein Bann, wie fast und sehr | S. 71 man mich damit zu schrecken meint; wie wohl mein' fromme Mutter weint, dass ich die Sach' hart' g'fangen an, Gott wolT sie trösten, es muss gan, und sollt' es brechen auch vor'm End', will's Gott, so mag's nit werden gewendt, drum will ich brauchen Fuss und Hand'. Ich hab's gewagt.« Hütten wurde geächtet und gehetzt, emigrierte, starb einsam auf der Ufenau am Zürichsee, hinterliess nichts als seinen Degen und seine Schreibfeder. Zwei Jahre später brach der grosse Bauernkrieg aus, den Hütten mit seinen letzten Schriften hatte vorbereiten helfen. Er wurde eine der grössten Freiheitsbewegungen unseres Volkes. Heute will ein Fremder wie dieser geistig arme Rosenberg sich freie das Deutschland missachten. zu Aus ihm spricht ein undeutsches anmassen, das nichts weder von unseren Regime, gar weiss, grossen Freiheitskämpfen, noch von seinen Dichtern wie Lessing. Wenn Lessing die Duldung der Meinungen und Bekenntnisse verkündete, tat er es als ein Deutscher, der im grossen Zusammenhang der Welt stand; er tat es unter dem Eindruck des Freiheitskampfes —
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Programmatische Verlautbarungen
Amerikas und der verkündeten Menschenrechte. Seinen poütischen Erkenntnissen gab er die entschiedenste Form und schrieb, dass die Menschen nicht des Staates wegen, sondern der Staat der Menschen wegen da sei. Lessing war es, der im »Ernst und Falk« schrieb: »Jede andere Glückseügkeit des Staates, bei welcher auch noch so wenig einzelne GUeder leiden und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei.« Lessing enthüüte in »Emiüa Galotti« die schändüche Korruption und die abscheuüchen Terrormethoden des Absolutismus der Zeit vor 1789, die bei den Nationalsoziaüsten so hohes Ansehen geniesst und nur durch die Laster und Verbrechen des nationalsoziaüstischen Regimes übertroffen wird. Die Ideen von 1789, die Verkündung der Menschenrechte, dass aüe Menschen von Geburt gleich seien und die gleichen unveräusserüchen Rechte hätten, in unserem Volke waren davon alle Dichter zutiefst erregt, ja, auch sie hatten geholfen, diese Entwicklung vorzubereiten. Schiüer dichtete den »Don Carlos«, um die Gedankenfreiheit zu fordern; in »Kabale und Liebe« erhob er sich gegen den schändüchen Menschenhandel deutscher Fürsten, den der Schandfleck des deutschen Namens, Hitler, heute zu einem Exportgeschäft entwickelt | S. 81 hat. Lässt sich ein wirksameres Wort für die Kämpfe unserer eigenen Epoche prägen als Schülers Verse im »Wilhelm Teü«: »Es ist ein Feind, vor dem wir aüe zittern Und eine Freiheit macht uns aüe frei!« Derselbe Schiüer heiügte als letztes Mittel gegen Tyrannei und Unterdrückung das Schwert, das aüein die verlorene Freiheit wieder erkämpfen kann, im »Wilhelm Teü« verkündet Stauffacher in der nächtlichen geheimen Tagung auf dem Rütü: »Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht; Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, Wenn unerträgüch wird die Last Greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ew'gen Rechte, Die droben hangen unveräusserüch Und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst. Der alte Urständ der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Menschen gegenüber steht Zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben Der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen Gegen Gewalt wir steh'n vor unser Land -
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Weiber, unsre Kinder!« Goethe, dessen Lebenswerk der ganzen Menschheit gehört und der den Ausdruck Wir steh'n
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vor unsre
»Weltliteratur« als Erster prägte, schrieb über den Sieg der französischen Revolutionsarmee bei Valmy, wo die deutschen monarchistischen Söldnerheere geschlagen und zum Rückzug aus Frankreich gezwungen wurden: »Ein Tag, der ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit aufschlägt.« Goethe legt dem 206
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sterbenden Faust, der durch alle Welten gewandert ist, als die letzte Erkenntnis alles Wissens und Strebens, als »der Weisheit letzten Schluss« die Worte in den Mund: »Solch ein Gewimmel möcht' ich seh'n Mit freiem Volk auf freiem Grunde steh'n.« Herder war der Verbündete der Humanitätsidee und begrüsste den Ausbruch der französischen Revolution, Wilhelm von Humboldt begrenzte die Wirksamkeit des Staates und forderte die freie Enfaltung aller schöpferischen Kräfte des Einzelnen. Die jungen Bauern und Bürger, die in die Freiheits-|S. 9 |kriege zogen, um das Joch fremder Eroberer abzuschütteln, dachten ein einiges, freies Deutschland zu schaffen. Die Generale Schamhorst, Gneisenau, Clausewitz waren sich bewusst, dass nur soziale Reformen die Grundlage bilden konnten, damit ein Volk die Kraft fände, sich zu erneuern. Fichte hat nicht die Verewigung des Absolutismus gefordert. Für Köpfe von Rang kann es nicht schwer gewesen sein, den Zusammenbruch des alten Staates Friedrich[s] II. vorauszusehen, wie er bei Jena und Auerstädt katastrophal erfolgte. Fichte schrieb vielmehr kurz vor seinem frühen Tode: »... Nun gibts etwas, worüber ganz gewiss Einverständnis herauszubringen ist: die bürgerliche Freiheit. Diese wollen alle; kein Volk von Sklaven ist möglich. Nicht mehr umzubilden daher wäre ein Volk, noch zum Anhang eines anderen zu machen, wenn es in einen regelmässigen Fortschritt einer freien Verfassung hineinkommt. Dazu also ist es fortzubilden, um seine nationale Existenz zu sichern.« Und ein anderes Mal erklärte Fichte: »... Und so wird von ihnen (den Deutschen) aus erst dargestellt werden ein wahrhaftes Reich des Rechts, wie es noch nie in der Welt erschienen ist, in aller der Begeisterung für Freiheit des Bürgers, die wir in der alten Welt erblicken, ohne Aufopferung der Mehrzahl der Menschen als Sklaven, ohne welche die alten Staaten nicht bestehen konnten: für Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschengesicht trägt. Nur von den Deutschen, die seit Jahrtausenden für diesen grossen Zweck da sind und ihm langsam entgegenreifen; ein anderes Element für diese Entwicklung ist in der Menschheit nicht da.« Die Freiheitskämpfer kehrten heim und wurden betrogen. Metternich und seine preussisch-deutschen Helfershelfer schlugen unser Volk in Bande und hetzten die Männer, die für ein besseres Deutschland zu wirken suchten, durch die Lande. Sie haben sich gewehrt und die Knechtschaft im eigenen Lande nicht erdulden wollen. Der grössten deutschen Dramatiker einer, Georg Büchner, hat in Hessen illegale Flugblätter verbreitet und eines der packendsten politischen Manifeste in unserer Sprache geschrieben, den »Hessischen Landboten«, der unter den Bauern verbreitet wurde. Büchner schrieb: »Das ganze deutsche Volk muss sich die Freiheit erringen. Und diese Zeit, geliebte Mitbürger, ist nicht ferne. Der | S. 10 j Herr hat das schöne deutsche Land, das viele Jahrhunderte das herrlichste Reich der Erde war, in die Hän-
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de der fremden und einheimischen Schinder gegeben, weü das Herz des deutschen Volkes von der Freiheit und Gleichheit seiner Voreltern und von der Furcht des Herrn abgefaüen war Ihr bücktet euch lange Jahre in den Dornäckern der Knechtschaft, dann schwitzt ihr einen Sommer im Weinberge der Freiheit und werdet frei sein bis ins tausendste Güed. Ihr wühltet ein langes Leben die Erde auf, dann wühlt ihr euren Tyrannen das Grab. Ihr bautet die Zwingburgen, dann stürzt ihr sie und bauet der Freiheit Haus. Dann könnt ihr eure Kinder frei taufen mit dem Wasser des Lebens ...« Büchner ist wie Hütten in die Schweiz emigriert und jung gestorben, sein Grab üegt am Zürichberg. Tausende, ja Zehntausende gingen damals ausser Landes, um nicht hinter den Zuchthausmauern zu verkommen, hinter denen Fritz Reuter jahrelang sass. Heinrich Heine, der Dichter des »Weberüedes«, ging in die Emigration, Börne, einer unserer ersten Pubüzisten, schrieb in Paris. In Göttingen wehrten sich sieben Professoren gegen den Verfassungsbruch des Königs von Hannover und woüten üeber brodos sein, als einem Meineidigen gehorchen. Die besten Namen unserer Geschichtsschreibung sind dabei gewesen Dahlmann, die Brüder Grimm, Gervinus. Nimmer üess sich die Stimme des Volkes ersticken, sie forderte Freiheit und Gerechtigkeit. Uhland pries das »gute, alte« Recht und trat für die poütischen Emigranten ein, die von Metternichs Agenten gehetzt, von seinen Skribenten geschmäht wurden. Herwegh dichtete die »Gedichte eines ...
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Lebendigen«:
»Frisch auf, mein Volk, mit Trommelschlag Im Zorneswetterschein!
O, wag es doch, nur einen Tag Nur einen, frei zu sein!«
Freiligrath, Hoffmann von Fallersleben, Kinkel, Gutzkow, Heine kämpften in ihren Dichtungen für ein junges freies Deutschland. Und in der Revolution des Jahres 1848 suchte das deutsche Volk die Freiheiten zu erkämpfen, die von den Völkern Westeuropas längst erworben waren. Die Reaktion üess ihre Soldaten gegen die deutschen Freiheitskämpfer marschieren, und | S. 111 diese verteidigten sich in Baden und Sachsen bis zum Aeussersten heldenhaft. Es wird immer ein Blatt der Schande in unserer Geschichte bleiben, dass deutsche Fürsten deutsche Söhne an fremde Herrscher verkauften, umso strahlender aber werden in der Geschichte die Namen derjenigen Deutschen glänzen, die freiwillig zu den Freiheitsarmeen anderer Länder eilten,
ihren Fahnen für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Unvergessen bleiben die Freiwilligenkorps, die im 18. Jahrhundert unter Steuben, Kalb und Mühlenberg halfenf,] den Unabhängigkeitskrieg in den Vereinigten Staaten zu gewinnen; an seinem Anfang steht die Proklamation der Menschenrechte durch Washington. Deutsche haben an den nationalen Wevolutionen in Italien, Griechenland und Südamerika von 1818 bis 1830 freiwilüg teügenommen. Eine deutsch-französische Brigade um unter
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kämpfte im Carlistenkrieg Deutsche begleiteten Garibaldi auf seinem Zug von Marsala Rom, freiwillige deutsche Regimenter unter Führung der Achtundvierziger kämpften in den Sklavenbefreiungskriegen der Vereinigten Staaten, die Namen: Sigel,
nach
Willich, Hecker, Struwe zeugen dafür. Die freiwilligen Partisanenkämpfer der grossen russischen Revolution von 1918 [sie] und tausende deutscher Freiwilligen [sie], die 1936-37 nach Spanien eilten, um mit ihrem Blut und Feben die Demokratie des spanischen Volkes zu verteidigen, sind die wahren Erben der freiheitlichen Fradition unseres Volkes. Um die Wende des Jahrhunderts erweiterte sich die Kampffront für Fortschritt und Freiheit gegen die preussisch-deutsche Reaktion. Was jetzt einsetzte, war der Kampf für die Hebung des sozialen Niveaus der breiten Volksmassen und für die Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Der junge Gerhart Hauptmann schilderte in seinem Drama »Die Weber« die furchtbaren Lebensbedingungen der schlesischen Arbeiter in der Frühzeit der Industrialisierung. Dichter wie Arno Holz, Dehmel, Karl Henkelt nahmen diesen Kampf auf, in Heinrich Mann und Fhomas Mann entstanden endlich die wirksamsten Vertreter eines Bündnisses des freiheitlichen Bürgertums mit dem schaffenden Volke. Die kraftvolle sozialistische und gewerkschaftliche Bewegung Deutschlands hat nicht nur einen so bodenständigen, hervorragenden Arbeiterführer wie August Bebet geschaffen, sondern weit über die Grenzen Deutschlands hin-|S. 12 |aus hat sie die internationale Arbeiterschaft bereichert. 1918, nach der furchtbaren militärischen Niederlage des immer noch halbfeudalen Kaiserreiches haben allein die freiheitlichen Kräfte des deutschen Bürgertums und der deutschen Arbeiterschaft das Land vor dem völligen Verfall und seiner Zerreissung gerettet. Der Republik fehlte leider die alte deutsche Freiheitsliebe, sie hat nicht die sittliche Kraft gehabt, mit Einsetzung der letzten Staats- und Machtmittel die Feinde der Republik zu bändigen; daher siegten vorübergehend die Söldnerhaufen der faschistischen Tyrannen. Die Sehnsucht nach Freiheit und der Wille[,] sie zu erkämpfen, leben dennoch tief und unausrottbar in dem Herzen eines jeden Deutschen, und keine Gewalt des Bösen, keine noch so blutige und brutale Verfolgung, kein noch so zügelloser Terror kann den wachsenden Freiheitswillen des deutschen Volkes brechen. Die Freiheit lebt in unserem Volke! Dafür zeugen die Hartnäckigkeit der freiheitlichen Aktionen und die ewigen Hochverratsprozesse und Verfolgungen. Dafür zeugen die Blutopfer vieler tausend Arbeiter, Bauern und Bürger. Die Freiheit lebt! Sie ist im deutschen Volk der Funke, der morgen zu hellen Flammen emporschlagen und unser Land reinigen wird von der Schmach und dem Schandfleck des barbarischen, undeutschen Nationalsozialismus. |S. 131
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Programmatische Verlautbarungen II. »Das sind die Plünderer unseres Vaterlandes, die vormals mit Gier, jetzt mit Frechheit und Wut die weltherrschende Nation berauben, vom Blut und Schweisse des deutschen Volkes schwelgen, aus den Eingeweiden der Armen ihren Wanst füllen und ihre Wollust nähren. Ihnen geben wir Gold; sie halten auf unsere Kosten Pferde, Hunde, Maultiere und (o der Schande!) Lustdirnen und Lustknaben. Mit unserem Gelde pflegen sie ihrer Bosheit, machen sich gute Tage, kleiden sich in Purpur, zäumen ihre Pferde und Maultiere mit Gold, bauen Paläste von lauter Marmor. Und während sie früher durch Schöntun uns köderten und durch Lügen, Dichten und Trügen uns Geld abzulocken wussten, greifen sie jetzt zu Schrecken, Drohung und Gewalt, um uns, hungrige Wölfe, zu berauben. Und diese müssen wir noch üebkosen; dürfen sie nicht stechen oder rupfen, ja nicht einmal berühren oder antasten. Wann werden wir einmal klug werden und unsere Schande, den gemeinen Schaden, rächen? Hat uns davon früher die vermeinte Religion und eine fromme Scheu zurückgehalten, so treibt und zwingt uns dazu jetzt die Not.« Ulrich von Hütten.
»Schändung der Vernunft und Mord der Geister heisst ihr Gelübde; ihre Werkzeuge sind Schrecken und Schande. Jede Leidenschaft steht in ihrem Solde; ihre Schünge üegt in jeder Freude des Lebens. Selbst die Einsamkeit ist nicht einsam für sie; die Furcht ihrer AUgegenwart hält selbst in den Tiefen der Seele die Freiheit gefesselt« Diese Sätze könnte ein heutiger deutscher Schriftsteller schreiben, der im III. Reich zu leben versucht und Tag für Tag, Nacht für Nacht sich überwacht, beobachtet, ausgehorcht weiss. Seine Briefe werden erbrochen, seine Worte, in Geseüschaft von mehr als zwei Personen gesprochen, können notiert werden, das Blättchen Papier, dem er seine Beobachtungen anvertraut, ist nicht sicher in der Schublade. Der Mann, der sein Zimmer verschlossen glaubt und in Selbstgesprächen sei-|S. 14 |ner Verzweiflung nachhängt, wird erschreckt einhalten, weü ihm der Verdacht kommt, ein Mikrophon könne hier versteckt sein. Die Feinde des deutschen Volkes hören überall mit, wo Deutsche ihr Herz öffnen. Eine Unterdrückung in solchen Ausmassen wurde in der Geschichte noch nicht erlebt. Wie jenem SchriftsteUer ergeht es 65 Milüonen Bewohnern unseres Landes, unterjocht wie sie von einigen Zehntausend. »Hebt die Augen auf und zählt das Häuf-
lein Eurer Prasser, die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen und durch eure Arme, die ihr ihnen wülenlos leihet!« rief Georg Büchner vor mehr als hundert Jahren den hessischen Bauern zu, die »wie Dünger auf dem Acker« vor den Mächtigen lagen. In seiner »Geschichte des Abfaüs der Vereinigten Niederlande« schrieb Schiüer die oben zitierten Worte, die den entsetzüchen Druck der spanischen Tyrannei auf das niederländische Volk schildern. Sie kennzeichnen Sübe für Sübe die Lage im III. Reich. Himmlers Rede vor den Offizieren des 210
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von diesen Würgern der deutschen Freiheit weiterhin zu erwarten ist. Noch ist das Leiden unseres Volkes nicht zu Ende, das Schlimmste droht erst. Sie haben unser Volk in Knechtschaft gelockt. Jahre lang girrte die Bande, die jetzt schamlos ihre Machtgier weidet. Jetzt ist dies Volk zum würdelosen Werkzeug gemacht, und Krieg oder Frieden hängt von den Launen und dem Gutdünken einer Bande ab. »Ihr seid nichts! Ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos! Ihr müsst geben, was Eure unersättlichen Fresser fordern und tragen, was sie Euch aufbürden!« hiess es im »Hessischen Landboten«. Unser Volk wird geknechet und sein Zustand ist unerträglich. Das Bewusstsein der Sicherheit, das den Frieden auszeichnet und stark macht, ihn gegen alle Gefahren wappnet und ihm seine selbständige Entschlusskraft wahrt, unserem Volk wurde es geraubt. Unser Volk lebt in der Angst der Unfreiheit dahin und selbst die Stimme seines Gewissens soll es unterdrücken. Sie peitschen mit ihren Stahlruten nicht nur unschuldige, wehrlose Gefangene, sondern auch die Seelen, die Herzen unserer Brüder. Ein freies Volk ist Herr seines Geschicks und seiner Entscheidungen. Es ist auch des Beistands seiner freien Nachbarn | S. 151 gewiss, aber heute werden die freien Nachbarn Deutschlands von den Gewalthabern des III. Reiches beunruhigt und mit Vernichtung bedroht: daher die deutsche Angst vor dem Krieg. Freiheit allein verleiht Sicherheit, sie gibt uns die Möglichkeit, unserer Arbeit
Reichsheeres offenbarte, was
nachzugehen. Freiheit schenkt Freude. Dies Alles ist heute in unserem Lande zum Traumbild geworden. Einst wurde von einem deutschen Dichter das Lied gedichtet: »Freude, schöner Götterfunken Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, Dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, Was die Mode streng geteilt; Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt.« Die Verse Schillers reissen seit einem Jahrhundert die Menschen aller Länder der Erde hin, wenn die himmelstürmenden Akkorde der IX. Symphonie Beethovens erklingen. Dieselbe Freiheitsmelodie erfüllt noch immer alle Herzen, beglückt sie mit der Gewissheit einer besseren Zukunft und trägt sie gewaltig empor. Auch die Nationalsozialisten wagen die Neunte erklingen zu lassen, aber zwischen dem Triumphgesang der Freiheit und der grausamen Gegenwart, wie furchtbar empfindet der deutsche Hörer den Unterschied! Die Machthaber des III. Reiches raubten unserem Volk mit der Freiheit die Freude, jeden edlen Genuss des Daseins, ja, sie vergifteten unsere Lieder. Sie haben aus unserem Land nicht nur ein einziges Zuchthaus gemacht, sondern unsere Landsleute in ihre unzähligen Organisationen eingepfercht, um sie ständig überwachen und nach Willkür len211
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ken zu können. Sie sperren unsere Brüder und Schwestern in die Kasernen, in die Verbände der Hitlerjugend, den Bund deutscher Mädchen, in den männüchen und weibüchen Arbeitsdienst. Sie missbrauchen unsere Landsleute für SA, SS, die Kriegervereine und Kyffhäuserbünde, für die Arbeitsfront, die mititärischen Sportorganisationen, den Luftschutzbund. Sie unterwarfen unser ganzes Volk dem Zwang der Haus-[,] Block- und Luftschutzwarte. Sie errichteten die Zwangsorganisationen des Handwerks und des Mittelstandes. Sie erüessen Zwangs- und Abüeferungsgesetze für die Bauern, | S. 161 aber ihre unentbehrüchen Anstalten sind: Konzentrationslager, Gefängnisse, Zuchthäuser. In allen Deutschen, ausgenommen wenige Unterdrücker und ihren engen Kreis von Parasiten, brennen zwei verzehrende Wünsche, erheben sich zwei grosse Forderungen; Sicherheit und Freiheit. Diese beiden sind untrennbar, keine für sich aüein ist denkbar. Das Verlangen nach Freiheit erfiült heute mehr als je die Menschen im Lande. Der Verlust der Freiheit wi[r]d ihnen bewusst auf dem Wege zur Arbeit wie in der Arbeitsstätte, auf dem Heimweg, in den Wohnungen. Wo immer sie gehen und stehen wissen sie, dass sie unfrei sind, und bis in ihre Träume hinein bewegt sie die Trauer um das geraubte Gut. Sie kennen keine höhere Sehnsucht als diese. Freiheit nach der Schule und Lehrstunde träumt der Junge, der zu Kriegsspielen und Gewaltmärschen gezwungen wird. Nach Freiheit verlangt es dem Jüngüng, wenn er ohne Pause von einer Zwangsorganisation in die andere gehetzt wird. Freiheit entbehrt das junge Paar, dem schmachvoüe Rassengesetze verbieten, nach ihrem Herzen zu wählen. Freiheit hat kein junger Mann mehr bei seiner Berufswahl. Freiheit ist dem Arbeiter geraubt, er kann nicht arbeiten^ wo er will und nicht unter
Bedingungen, die er mitbestimmt. Freiheit gehört dem Bauern nicht auf seinem eigenen Grund und Boden. Zwangswirtschaft und Zwangspreise verbittern ihm die Arbeit und die Ernte. Freiheit sucht vergebens der Ingenieur, der Techniker, gesetzt, er wollte seine Kenntnisse für friedliche Errungenschaften, nichtfür Kriegs- und Höllenmaschinen verwenden. Freiheit braucht der Kaufmann und er lehnt sich gegen die Kriegswirtschaft auf, wie Zu lesen im Bericht der Industrie- und Handelskammer Bremen. Freiheit fordert der Handwerker, der kleine Fabrikant, die heute alle durch die Zwangswirtschaft und die nationalsoziaüstischen Riesenkonzerne unterdrückt
werden. Freiheit ist die Lebensbedingung des Gelehrten. Die Forschung bedarf der Gewissensfreiheit. Staatliche Vorschriften zeugen keine Wahrheit. Freiheit ist für jeden Künstler das Dasein selbst. Die Schöpfung folgt inneren Gesetzen allein. Freiheit und Kriegspropaganda vertragen sich nicht, weshalb es im Weiche der Nazis keine Dichter gibt. | S. 171
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Freiheit, schöner Götterfunken! war die Seele der alten deutschen Musik. Die Nazis schicken die Orchester in die Welt, sie geben die deutsche Musik für ihre eigene —
aus, als ob ein Land ohne Freiheit noch
Musik haben könnte.
Freiheit ist die Sehnsucht aller Opfer der Geheimen Staatspolizei. Freiheit wäre die Erlösung für die Insassen der Konzentrationslager, die gegen Recht und Gesetz, ohne Gericht und Urteil Jahr um Jahr leiden müssen, weil sie ihrer Religion, Gesinnung, Partei die Treue hielten. Freiheit um ihretwillen siechen zweihunderttausend Verurteilte in den Gefängnissen und Zuchthäusern dahin. So verschieden im deutschen Volk die Glaubensbekenntnisse sind, so verschieden die sozialen Verhältnisse und Weltanschauungen auch sein mögen, was immer den Arbeiter vom Mittelständler, den Bauern von der Stadt, den Katholiken vom Protestanten, den Norddeutschen vom Süddeutschen unterscheidet, in einem Wunsch, in einer Sehnsucht, in einem Willen, in einem Verlangen sind heute alle Deutschen einig, in der Forderung nach Sicherheit und Freiheit. Sicherheitfür das nackte Leben. Sicherheitfür das Leben der Kinder, Freunde und Kameraden, Sicherheit vor brutalen und willkürlichen Pol¿zeimassnahmen, Sicherheit vor willkürlich verbängten Zuchthausstrafen, Sicherheit der Wohnung Sicherheit der Person, Sicherheitfür den nächsten Fag Sicherheitfür die Existenz Sicherheitfür den Beruf, Sicherheitfür den Ertrag der Arbeit, Sicherheitfür das Volk, Sicherheitfür das Fand, Sicherheitfür den Frieden, Sicherheit gegen einen neuen Krieg, den Hider betreibt und der Deutschland in den furchtbarsten Zusammenbruch und in den tiefsten Abgrund zu reissen droht. Und alle freiheitlichen Deutschen begegnen sich in den Forderungen: Sturz der diktatorischen Hitlerregierung, eine verantwortliche Volksvertretung und -
Regierung
Freies Wahlrecht bei freiem Versammlungsrecht und gesicherte Presse- und Redefreiheit, | S. 18 j Offene Auflegung des Staatsbudgets, der Staats- und Gemeindeeinnahmen und
-Ausgaben,
Gesicherte Freiheit der religiösen Bekenntnisse und ihrer Ausübung, Beseitigung der schändlichen Rassengesetze, Unparteiisches Recht und Rechtssprechung durch unparteiische Gerichte, Schluss mit der monopolistischen Machtstellung einer Partei und gleiche Rechte für alle
Parteien,
Schluss mit dem Gewaltregime und Aburteilung der Brandstifter, der Mörder und der Schuldigen an allen Verbrechen der letzten Jahre durch ein wirkliches Volksgericht. 213
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Schluss mit der Korruption und der Verschleuderung von Staatsvermögen für private Feste und Luxusbauten und Bestrafung der Schuldigen. Es gut jene Freiheit zu erkämpfen, von der John Stuart Mül sagt: »Der eigentliche Begriff der menschüchen Freiheit umfasst zuaüererst das Gewissen in der Forderung nach Gewissensfreiheit im weitesten Sinne des Wortes, nach Freiheit des Gedankens und der Neigungen, nach absoluter Freiheit der Meinungen und Gefühle über jeden Gegenstand, sei er praktischer, forschender, wissenschaftücher, moraüscher oder theologischer Art. Das Prinzip der menschüchen Freiheit erfordert die Freiheit des Geschmacks und der Bestrebungen, die Freiheit, unser Leben gemäss unserem Charakter einzurichten, zu handeln, wie es uns gefäüt, ohne darin durch unsere Mitmenschen behindert zu werden, solange wir sie nicht schädigen. Aus dieser Freiheit jedes Einzelnen geht hervor in den gleichen Grenzen die Freiheit, sich untereinander zusammenzuschüessen. Keine Geseüschaft ist frei, welches auch ihre Regierungsform sei, wenn diese Freiheiten nicht vor aüem anderen respektiert sind[,] und keine Gesellschaft ist voükommen frei, wenn diese Freiheiten nicht in einer absoluten Form und ohne Einschränkung existieren.« In diesem Sinne fordern Millionen deutscher Arbeiter, Bauern, Bürger, Handwerker, Inteüektueüen [sie], Frauen und Männer gebieterisch: Freiheit der Person! Freiheit dem Volk! | S. 191 -
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III. »Die Wahrheit muss herfür, zugut Dem Vaterland, das ist mein Mut. Kein ander Ursach ist noch Grund, Drum ich hab aufgetan den Mund Und mich gesetzt in Armuts Not: Das weiss von mir der ewige Gott. Der helf mir bei der Wahrheit Sach, Lass gehen aus sein göttlich Räch, Damit der Bös nit triumphier, Und dass auch werd vergolten mir, Ob ich vieüeicht ohn Fug und Gümpf, Hätt gfangen an ein solchen Schimpf, Der niemand grössern Schaden bringt, Dann mir, als noch die Sach geüngt, Dahin mich Gott und Wahrheit dringt. Ich habs gewagt.« Ulrich
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zweitausendjährigen Geschichte hat unser Volk Zeiten des langen und schweren Leidens gehabt. Mitten in Europa gelegen ist unser Volk immer wieder Kriegsschauplatz der Völker gewesen, fast das ganze 17. Jahr-
Im Verlauf seiner
hundert hindurch erlebten unsere Städte und Dörfer die Folgen der Kriege, in den Zeiten Friedrich[s] des Zweiten und Napoleons erlitt unser Land jahrelange Heimsuchungen. Aerger noch als diese Kriegsnöte waren die Verfolgungen unserer Bürger und Bauern durch die Mächtigen vom Mittelalter bis in die neuere Zeit. Die Epochen der politischen und sozialen Unterdrückung waren mehrmals von unerträglicher Dauer, aber mit bemerkenswerter Kraft hat unser Volk immer wieder, trotz allen Demütigungen, trotz dem Raub seiner Rechte die Freiheit zurück erkämpft. Die dreissig Jahre zwischen dem Wiener Kongress und dem Ausbruch der Revolution von 1848 sind von einem hartnäckigen Ringen um politische Rechte ausgefüllt, so schwer damals das Metternichsche Regime auf dem Lande lastete. Zur Zeit, da Bismarck die Verfassung brach, hatte er gegen sich das Land, und im nächsten Jahrzehnt des Kulturkampfes konnte mit Massnahmen der Gewalt die staatliche Macht doch nicht ihr Ziel erreichen. Dann aber bewies in einer dreizehnjährigen, schärf-|S. 20|sten Unterdrückung die deutsche Arbeiterschaft, dass sie würdig war, die Erbschaft des deutschen Liberalismus und der deutschen Demokratie zu übernehmen. Diese drei grossen Freiheitsbewegungen umfassen das ganze vorige Jahrhundert wie wäre daher das deutsche Volk geschaffen oder gewillt, das Joch der Sklaverei zu tragen! Es will Herr seines Geschickes sein. Niemals, wahrhaftig ist die Unterdrückung so furchtbar gewesen, wie heute im III. Reich, nie wurde unser Volk einer so schweren Prüfung unterworfen, aber über seine Zukunft entscheiden seine inneren unerschöpflichen Kraftreserven. Auch andere Völker sind zeitweilig von Usurpatoren, Abenteurern, Tyrannen geknechtet worden; was keiner von ihnen kannte, war das abgefeimt demagogische System, um dem Volk einzureden, es trage keine Ketten, und was man ihm zumute, geschehe zu seinem Besten. Wie dies Volk jetzt gedemütigt und geschwächt wird, das ist schwerlich zu überbieten; man treibt mit ihm ein unerhörtes Spiel. Zugleich und überdies macht man die Unterwerfung zur Gefahr für die Welt. Reich Das III. bedroht alle ganze grossen Errungenschaften der europäischen Kultur. Es ist im Begriff zu zerstören, was die Völker Europas in Jahrhunderten geschaffen haben. Das deutsche Volk hätte die Verantwortung zu tragen für das menschenfeindlichste aller Regime. Die Geschichte stellt selten eine Nation vor eine Wahl wie diese. Unser Volk muss sich und die Welt von diesem Regime befreien oder mit ihm zu Grunde gehen. Es muss handeln, bevor das Regime handelt. Die Faten des Regimes würden Europa zurückwerfen bis zu den Zeiten, da Attila mitten in Frankreich, die Mongolen an der Oder standen. Eindringlich sei wiederholt: Die Erhebung gegen die nationalsozialistischen Unterdrücker, die Abschüttelung des unerträglichen Joches, die Errichtung eines freiheitlichen Staates in Deutschland sind Aufgaben, die unserem Volk nicht nur —
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III.
Programmatische Verlautbarungen
seiner eigenen Erhaltung wülen gesteüt sind. Es ist verpflichtet, die ganze Welt zu erlösen von einer Gefahr, deren Schwere und Umfang immer noch nicht klar erkannt sind. Jeder Deutsche hat heute Grund, sich der Mahnung Fichte's zu erinnern: »Es ist kein Ausweg; wenn ihr versinkt, so versinkt die | S. 211 Menschheit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.« Unser aüer Schicksal entscheidet sich hier, es geht nicht mehr nur um Poütik: es geht um unser Menschentum. Das III. Reich verwirrt und verfälscht aüe Begriffe des Rechts und Glaubens, der Zivilisation und Kultur, es vergreift sich an aüen Einrichtungen, die ein Leben in staatlichen Gemeinschaften mögüch machen, es lässt nicht gelten, was Ueberüeferung, Sitte, Rechtsempfinden, Moral seit zwei Jahrtausenden in Europa geschaffen haben. Der Nationalsoziaüsmus leugnet und hasst die unsterbüchen Werte, die das Christentum vor 2000 Jahren geschaffen hat: er bestreitet, dass die christlichen Lehren ein Fundament bleiben für die Gesittung Europas. Man weiss, mit welchen Schmähungen ein unbedeutender Mensch wie der Zwerg Rosenberg die fundamentalen Leitsätze der christlichen Reügion mit Schimpf überhäuft; wie das III. Reich mit niederträchtigen Mitteln die christliche Botschaft vernichten möchte, ihre Grundsätze würden den christlichen um eine Nationalkirche einzusetzen, Lehren Hohn sprechen. Jesus lehrte das Mitleid mit den Armen und Schwachen, Jesus pries seüg, wen hungerte und dürstete nach der Gerechtigkeit. Jesus vergab »unsern Schuldigern«, Jesus sprach: »Seüg sind die Friedfertigen,« »seüg sind, die um der Gerechtigkeit wiüen verfolgt werden.« Und Jesus gab seinen Jüngern den Auftrag, in aüe Welt zu gehen und aüe Völker seine Gebote zu lehren. Der Nationalsoziaüsmus lästert nicht nur die wohltätigen Gebote, er ersetzt sie durch die Anpreisung der Gewalt. Denn die christliche Lehre widerspricht aüerdings den Absichten des III. Reiches auf die Eroberung der Welt. Die christüche Lehre widerspricht den falschen Doktrinen des Blutes und Bodens, der Rasse. Das Christentum heiligtjedes menschliche Leben. Der Nationalsozialismus hat frech aufgeräumt mit der Heiligkeit des Lebens. Das Christentum hat die Sklaverei abgeschafft. Der Nationalsozialismusführt sie wieder ein. Unter den Reformern der christüchen Lehren hat Calvin scharf den Rechtsgrundsatz ausgesprochen, dass die Menschen zur Abwehr befugt sind gegen eine staatliche Ordnung, die gegen die göttlichen Gebote Jesu Christi handelt. Die Widerstandslehre Calvins wurde zur Grundlage der engüschen Revo-1 S. 221 um
—
lution unter Cromwell. Dieser berief sich auf die Bibel bei seinem Kampf gegen eine rechtsbrecherische Krone, die gegen den Grundsatz »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« verstiess. Der Satz »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« hat für jeden Christen, gleichviel welchen Bekenntnisses [,] Geltung, wenn unter dem Gemeinwohl auch tatsächüch das allgemeine Wohl aller Menschen verstanden wird, das Wohl einer aus aüen, vor Gott gleichen Persönüchkeiten gebüdeten Geseüschaft. 216
28. H.
Mann/Münzenberg/Spiecker,
Manifest der Deutschen Freiheit
Eine andere Möglichkeit ist nicht gegeben. Legitim ist der Anspruch der Gemeinschaft auf Einschränkungen der Rechte und Freiheiten des Einzelnen. Bemächtigt sich ein Individuum oder eine Gruppe des Anspruchs, dann ist er angemasst. Niemand hat das Recht, auf Grund eines usurpierten Anspruchs die Würde der Persönlichkeit zu verletzen und sie der Rechte zu berauben, die ihr durch göttliches Gesetz gebühren. Auch darf der Einzelne diese Rechte nicht preisgeben. Gläubige wie Ketzer haben sich auf diese Grundsätze berufen, wenn man ihnen diese Rechte bestritt, und sie haben eher den Tod erlitten, als ihren Glauben geopfert. Der Nationalsozialismus aber unternimmt alles zur Ausrottung christlicher Grundsätze, auf denen unsere ganze Moral beruht. Längst sind sie auch die Wurzeln unseres Freiheitsbegriffes, und ohne sie ist das Leben einer Gemeinschaft undenkbar. Die Menschenrechte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung gehen auf christliche Lehren zurück. Gott hat dem Menschen gleiche, unveräusserliche Gesetze gegeben, die er nicht preisgeben darf. Es ist seine Pflicht gegen Gott, sie zu erhalten. Die nationalsozialistischen Fälscher haben allerdings die ältesten Ueberlieferungen unserer Geschichte für ihre Zwecke missbraucht, aber der Freiheitsbegriff der Menschenrechte ist dennoch ebenso gut in christlichen Lehren verwurzelt wie in altge[r] manischen Auffassungen. Die waren in England erhalten geblieben und sind von den englischen Kolonisten in die neue Welt mitgenommen worden. Der Bruch dieser Rechte durch angemasste Gewalttaten legitimierte den Aufstand der Unterdrückten. Schon die Magna Charta vom Jahre 1215 beglaubigt das Widerstandsrecht des Einzelnen. Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Rechte des Einzelnen fortentwickelt, bis sie im 18. Jahrhundert ihre genaue Formulierung erhielten. Jedem Bürger werden garantiert: persönliche Freiheit, Glaubens- und Gewis- |S. 231 sensfreiheit, Presse- und Meinungsfreiheit, Gewerbefreiheit. Später tritt das Recht der Koalitionsfreiheit hinzu. Nationen germanischer Herkunft haben diese Grundsätze zuerst aufgestellt und für ihre Durchführung mit Einsatz ihres Lebens gekämpft. Das deutsche Volk kämpftfür uralte Rechte, wenn es sich gegen den Nationalsozialismus wendet. Seine Geschichte verpflichtet unser Volk, den Raub dieser Rechte nicht Zu dulden. In unserer klassischen philosophischen Literatur erhielten diese überkommenen Rechtsbegriffe einen genauen Ausdruck und bilden Kernstücke ihrer Systeme. Der Moral- und Freiheitsbegriff Kants ging in seinem Wesenskern auf jene Vorstellungen zurück und bedeutet nichts Anderes als eine Neuformung der uns vertrauten Lehren. »Easst eure Rechte nicht ungeahndet mit Füssen treten,« ruft Kant den Menschen zuNiemand soll sie herabwürdigen oder missbrauchen. Niemand darf von ihnen verlangen, sich wegzuwerfen. »Kriecherei ist des Menschen unwürdig,« erklärt Kant in seiner Sittenlehre. »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner 217
IM.
Programmatische Verlautbarungen
Person als in der Person eines jeden Anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst,« erklärt derselbe Kant, der sich empört gegen den Grundsatz wendet, der Zweck müsse die Mittel heiügen; Recht sei, was einem Menschen gerade nütze. Hegel verüeh dem Gewissen den Rang des »inneren Gerichtshofes im Menschen«. Herder erklärte zornig, dass »erdgeborene Knechte oder wie Wüd gefangene Sklaven kein Vaterland haben können.« Wir erinnern uns, dass Hider 1936 in Nürnberg ausdrücklich forderte, dass Knecht Knecht bleiben und Herr Herr bleiben müsse und sich heftig gegen die Ideen unserer klassischen Philosophen wandte. Schüler schrieb unter Kant's Einfluss: »Des Menschen ist nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts geringeres als die Menschheit streitig, wer sie feigerweise erleidet, wirft seine Menschheit weg.« Wenn das deutsche Volk sich gegen seine Unterdrücker wehrt, verteidigt es nicht nur seine elementarsten Lebensrechte und sucht darüber hinaus die Menschheit vor einer furchtbaren Bedrohung zu erretten. Dies Volk kämpft auch um die Erhaltung der ihm überkommenen grossen Sittüchkeit, die den Inhalt seiner geschichtlichen Kämpfe ausmacht und es zu seinen | S. 24| grossen Leistungen erst befähigte. Aüe Schöpfungen unseres Volkes mahnen uns, nicht preiszugeben, was unter so grossen Opfern und Mühen erstrebt und errungen wurde. Der adüge Stolz, der Goethe's »Prometheus« erfüüt, der moraüsche Mut Immanuel Kant's, dieses unerbittüchen Sittenrichters, der stürmische Drang des jungen Schüler, die Leidenschaft Fichte's, die Klarheit Lessing's, der Trotz Ulrich von Hutten's, der Bekennereifer christlicher Männer, die hohe Gesinnung Hölderün's, die erweckerische Kraft Herder's, die Rechtlichkeit Uhland's sie aüe verpflichten uns, nicht nur ihre Erbschaft zu verwalten. Wir sollen und müssen uns dafür einsetzen, dass die beleidigte, und verletzte Würde der Menschheit wieder hergestellt wird, wir müssen Leib, Blut und Leben wagen, dass Deutschland und sein Volk wiederfrei werden. -
218
IV.
Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland und Volksfrontausschuß März 1936 bis
April
1937
Die Dokumente 29-35 belegen die recht umfangreiche, wenn auch durch interne Konflikte beeinträchtigte Öffentlichkeitsarbeit des Volksfrontausschusses im ersten Jahr seiner Existenz ebenso, wie seine faktische Handlungsunfähigkeit als Folge derartiger Konflikte im folgenden Jahr. Auch die weitgehend unbekannt gebliebenen, damals unveröffentlichten Ergebnisse der Arbeit in den Kommissionen (Dokumente 32.3 und 33) stammen aus dem Jahre 1936. Die Rubrik wird mit einem Appell des Aktionsausschusses für Freiheit in Deutschland stellvertretend für den Im März 1936 noch namenlosen und nicht vollzähligen Volksfrontausschuß eröffnet. -
-
Dokument 29
Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland, Appell an die Welt nach der Rheinlandbesetzung 8. März 1936 Vorlage: Standort: Druck:
Pariser Tageblatt, 1936, Nr. 823, 14. März, S. 2; 435 x 580 mm IISG 1936 Le Temps, 8. März; Arbeiterzeitung, Winterthur, Nr. 64, 16. März; Die Neue Weltbühne, Nr. 12,19. März, S. 380; Deutsche Volks-Zeitung, Nr. 1, 22. März, S. 3, u. d. T.: »Alles für den Frieden«; 1981
mimeographiertes Dünndruck-Flugblatt; Hildegard Feidel-Mertz/Hermann Schnorbach, Lehrer in der Emigration. Der Verband deutscher Lehreremigranten (1933-39) im Traditionszusammenhang der demokratischen Lehrerbewegung, Weinheim, S. 112f.
Zum Aktionsausschuß für Freiheit In Deutschland, warum dieser hier an Stelle des Volksfrontausschusses handelte und zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 97ff. und 105f.
»Wir verabscheuen Gewaltmethoden« Ein Aufruf des Aktionsausschusses für Freiheit in Deutschland Der Aktionsausschuss für Freiheit in Deutschland veröffentücht folgende Erklärung: »Hitler hat das Rheinland besetzt. Die nationalsoziaüstische Regierung bekennt sich vor aüer Welt unter Vorwänden und falschen Friedensbeteuerungen zu einer rücksichtslosen Gewaltpoütik. Das deutsche Volk hat nicht dazu Stellung genommen; es kann nicht frei seinen Wülen erklären. Am 29. März wird die nationalsoziaüstische Regierung als Ergebnis einer Wahl sich auf eine erdrükkende Majorität berufen. Diese Wahl wird gefälscht, sie findet unter dem furchtbaren Terror statt, von dem jeder Tag grauenhafte Fähe enthüllt. Wir, Deutsche, die wir ausserhalb der Grenzen leben und aüein frei sprechen können, und die wir im engsten Zusammenhang stehen mit den starken friedensüebenden Kräften im deutschen Volk, wir sagen der Welt: Wir verabscheuen die Gewaltmethoden, die bisher im Innern angewandt wurden und jetzt auch in der Aussenpolitik herrschen soüen; wir verabscheuen die Poütik der Bedrohungen und der Vertragsbrüche; wir verabscheuen eine Poütik, die im Widerspruch steht zu den sittlichen Traditionen der besten Elemente des deutschen Volkes, und die dem deutschen Volk wie den anderen Völkern den Weg zum Glücke versperrt. Nur ein verblendeter Teü des deutschen Volkes glaubt an die Botschaft der Gewalt. Der tiefste Wunsch der überwiegenden Mehrheit ist aber kein anderer als der aller Völker: Friede! Wir stehen mit allen zusammen, die sich für Recht und Gerechtigkeit, Friede und Freiheit einsetzen. Die Freiheit des deutschen Volkes ist der Schutz, ist die Voraussetzung des Friedens. Wir woüen die Freiheit des deutschen Volkes, wir woüen den Frieden der Welt.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Prof. Georg Bernhard, Max Braun, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei des Saargebiets; Wilhelm Koenen, ehemaliger Vorsitzender der kommunistischen Fraktion des Reichstags, Mitglied des Preussischen Staatsrats;1 Prof. E. J.2 Gumbel; Otto Lehmann-Russbüldt, Schutzverband Deutscher Schriftsteller; Verband Deutscher Journalisten in der Emigration; Notgemeinschaft für Deutsche Wissenschaft und Kunst im Auslande, Sitz Paris; Verein Sozialistischer Aerzte; Union Deutscher Juristen im Auslande; Verband Proletarischer Freidenker Deutschlands; Verband Deutscher Lehrer-Emigranten.3 In ihrem
Auftrage: Aktionsausschuss für Freiheit in Deutschland^«]
Anmerkungen der Herausgeberin: 1
Im Anschluß hieran führen DVZ und NWB Wolfgang Hallgarten auf, mit bzw. ohne Titel. In der Vorlage und in DVZ: »E. I.« Le Temps führte des weiteren auf: Siegfried Marck, Association de la Jeunesse allemande à Paris und Association des artistes allemands (Kollektiv deutscher Künstler). 2
3
Dokument 30 Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß, Brief an die internationalen Organisationen der Arbeiterbewegung 18. Mai 1936 Vorlage:
5 maschinenschriftliche Seiten, mit Unterschriften, hektographiert, 210 x 270 mm; Anlage zum Brief von Rudolf Breitscheid und Willi Münzenberg an Friedrich Adler, Sekretär der SAI, 17. Mai 1936 Standort: IISG, Archiv SAI, 3557 Zu Kontext, Entstehung und Autoren siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 123f. und 128-130
An die Sozialistische Arbeiter-Internationale, zu Hd. des Generalsekretaers Friedrich ADLER, Bruessel, 162 nie de Laeken; An die Kommunistische Internationale, zu Hd. des Generalsekretaers Georgi
DIMITROFF,
Moskau, Mochowaja 16; An den Internationalen
Gewerkschaftsbund,
Hd. des Generalsekretaers Paris VII, 9 Avenue d'Orsay; zu
SCHEVENELS,
An die Rote Gewerkschafts-Internationale, zu Hd. des Generalsekretaers LOSOVSKY, Moskau.
Werte Genossen!
Seit Jahr und Tag verfolgen alle Arbeiterorganisationen der Welt mit wachsender Sorge die staendig zunehmende Kriegsgefahr. Nachdem Mussolini mit seinem Ueberfall auf Abessinien die Gefahr eines neuen Weltkrieges heraufbeschworen und Japan im Fernen Osten an den Grenzen der aeusseren Mongolei und der Sowjet-Union mit der Lunte am Pulverfass hantiert, hat die Gewaltpolitik des Hitlerregimes, deren letzter Ausdruck der Einmarsch in die entmilitarisierte Rheinlandzone vom 7. Maerz ist, eine Lage geschaffen, die zwangslaeufig in naher Zukunft zu einem neuen Weltgemetzel fuehren muss, wenn es nicht noch gelingt, alle Friedensfreunde, in erster Linie die internationalen Organisationen der Arbeiter zu einer einheitlichen Antikriegsbewegung zu veranlassen. Um das Zustandekommen gemeinsamer Friedensaktionen nach Kraeften zu foerdern, haben sich die unterzeichneten Mitglieder der KPD, der SPD, des Arbeitskreises revolutionaerer Sozialisten im Bereich der Sozialdemokratie und
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
der SAPD1
entschlossen, sich mit diesem Schreiben
an die oben genannten Orwenden. Wir einem solchen Schritt besonders uns zu fuehlen ganisationen weil die akute des in erster Linie vom deutWeltfriedens berufen, Gefaehrdung schen Imperiaüsmus und seiner faschistischen Geschaeftsfuehrung ausgeht. Die offizieüe Friedenspoütik der an der Erhaltung des Status quo interessierten kapitahstischen Regierungen ist in sich voller Widersprueche, Halbheiten und Gegensaetze und wird letzten Endes den Ausbruch des Krieges nicht verhindern. Worauf es in der jetzigen gefahrvoüen Situation ankommt, ist, dass die internationale Arbeiterbewegung, deren Kraft aUein den Krieg zu verhindern vermag, ihre Losungen und Kaempfe in Einklang bringt mit dem Friedenswülen der Voelker, und dass sich die Vertreter der soziaüstischen, kommunistischen und gewerkschaftüchen internationalen Organisationen an einem Tisch zusammenfinden, um ueber die Moegüchkeit und Durchfuehrung einer einheitüchen, kraftvoüen internationalen soziaüstischen Friedensaktion zu beraten. Wir legen Wert auf die Feststeüung, dass die frueheren Voraussetzungen einer gleichartigen internationalen soziaüstischen Friedenspoütik in Hitlerdeutschland nicht mehr gegeben sind. Es gibt dort keine | S. 21 organisierte legale Arbeiterbewegung und auch keine anderen legalen Kraefte mehr, die im Stande waeren, in der Oeffentlichkeit, in der Presse, im Parlament, in Versammlungen, durch Flugblaetter, Broschueren und Buecher gegen den Ruestungswahnsinn, fuer die Kontroüe der Militaerausgaben, gegen die ideologische Vorbereitung des Krieges und fuer die Erhaltung des Friedens zu kaempfen. Dieser Aufgabe unterziehen sich im heutigen Deutschland die heroischen iüegalen Kaempfer. Ihr opferreicher Kampf, der mit einer Tapferkeit sondergleichen gefuehrt wird, ist gewiss von gewaltiger Bedeutung. Die Moegüchkeiten ihres Wirkens sind jedoch viel zu beschraenkt, als dass durch sie z. Zt. ein einigermassen ausreichendes Gegengewicht gegen die vielseitigen und gigantischen Kriegsvorbereitungen des Naziregimes gebildet werden koennte. Wir meinen daher, dass Im Kampf fuer den Frieden die Arbeiterorganisationen in den nicht faschistischen Laendern auch in ihrem eigenen Interesse aüe Veranlassung haben, die total veraenderte Lage in Betracht zu ziehen, den schweren Kampf der iüegalen Kader gegen die deutschen Machthaber In jeder Weise aktiv zu unterstuetzen und klar zu erkennen, dass die Erhaltung des Friedens nicht durch Paktieren mit Hitler, sondern nur durch internationale, geschlossene und wuchtige Friedensaktionen gegen Hitler und seine internationalen Helfershelfer zu erreichen ist. Die grandiose Wahlkomoedie vom 29. 3. 36, durchgefuehrt mit rücksichtslosem Terror und beispiellosen Faelschungen hat ein uebriges Mal gezeigt, was heute in Deutschland moeglich ist und was die friedüebende Menschheit vom Hitlerregime zu erwarten hat. Aüe Friedensbeteuerungen Hiders verfolgen nur den Zweck, Zeit zu gewinnen, die Welt und nicht zuletzt die Massen des deutschen Volkes ueber die eigentlichen Absichten zu taeuschen. In Wirklichkeit wird das imperiaüstische Revanche- und Hegemonieprogramm aus »Mein Kampf« zu
systematisch durchgefuehrt.
30. Brief der Vertreter der
Arbeiterparteien
Genugtuung, dass in den Kundgebungen der verschiedenen internationalen Organisationen uebereinstimmend die Auffassung zum Ausdruck kommt, dass gegenwaertig die Hauptkriegsgefahr vom Hiderfaschismus ausgeht, Wir sehen mit
und dass es vor allem gilt, dieser Gefahr zu begegnen. In einem Beschluss, gemeinsam gefasst von der SAI und dem Vorstand des IGB in London am 19. und 20. Maerz 1936 heisst es im Hinblick auf den Einmarsch der deutschen Truppen in die Rheinlandzone: »Wir rufen alle Freunde der Freiheit und des Friedens auf, kraftvoll und unablaessig den Kampf gegen den Krieg zu fuehren. Wir muessen das Gefuehl der internationalen Solidaritaet staerken. Wir fordern die uns angeschlossenen Organisationen auf, alle Kraefte, die vom gleichen Wollen erfuellt sind,
zu einer gewaltigen Bemuehung zusammenzufassen.«2 Im Mai-Aufruf der SAI kommt der Ruf zur Sammlung in folgendem Satz besonders eindringlich zum Ausdruck: | S. 31 »Nur eine gewaltige Anspannung aller Kraefte des Weltproletariats, aller jener, die Freiheit und Frieden wollen, vermag den gefaehrdeten Frieden noch zu
retten.«3
In zahlreichen
Aeusserungen wird auf der kommunistischen Seite die vom deutschen faschistischen Imperialismus ausgehende Gefahr unterstrichen und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Friedensaktion hervorgehoben. »Der Friede schwebt in groesster Gefahr Fuer den Faschismus ist die Erhaltung des Friedens eine toedliche Gefahr. Der Faschismus ist der Feind des Friedens. Der Faschismus ist der Eroberungskrieg. Wer fuer den Frieden kaempfen will, muss gegen den Faschismus kaempfen. Noch ist es nicht zu spaet, den Kriegstreibern den Weg zu versperren. Der Friede kann gerettet werden, wenn die nach Frieden durstenden breitesten Volksmassen allerorts ohne Aufschub ihre gigantischen Kraefte zum Kampf fuer die Erhaltung des Friedens, gegen die faschistischen Kriegstreiber, vereinen. Die Schaffung der breitesten Front der Volksmassen zum Kampf fuer die Erhaltung des Friedens ist gegenwaertig die zentrale Aufgabe des internationalen Proletariats und aller Friedensfreunde.« (Zitat aus dem Maiaufruf des Exekutivkomitees der KI)4 Der IGB hat anlaesslich der Besetzung der entmilitarisieren Rheinlandzone eine eigene Willenskundgebung erlassen, in der es zum Schluss heisst: »Um die oeffentliche Meinung der Welt zu mobilisieren und den verantwortlichen Regierungen den Willen der friedliebenden Menschheit aufzuzwingen, hat der Vorstand des IGB die Organisierung von Massenversammlungen in allen Hauptstaedten Europas in Aussicht genommen. Gleichzeitig fordert er alle anderen Anhaenger des Friedens auf, in diesem grossen Kampf fuer den Frieden alle ihre Kraefte und Energien mit einzusetzen.«5 Die Rote Gewerkschafts-Internationale wies in einem Communiqué von Anfang Februar 1936 darauf hin, dass die Verteidigung des Friedens nur durch die einheitliche internationale Aktion moeglich ist: ...
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
»Nur die unmittelbare, einheitliche internationale Aktion zur Verteidigung des Friedens kann dem abessinischen Krieg ein Ende bereiten und die verbrecherischen Kriegsplaene des faschistischen Deutschlands und Japans durchkreuzen. Die internationalen Arbeiterorganisationen stehen daher vor der Aufgabe, die Kraft der gewaltigen Arbeitermassen, die bereit sind, sich fuer die Sache des Friedens zu erheben und fuer sie zu handeln, zu mobilisieren Angesichts der grossen Gefahr des Krieges ist es am Platze, die Angebote zu bruederücher Zusammenarbeit aüer organisierten Kraefte der Arbeiterklasse fuer eine einheitüche Aktion gegen die Feinde des Friedens und ihrer Verbündeten zu wiederholen.« Neben diesen Aeusserungen massgebender Instanzen der internationalen Arbeiterbewegung gibt es noch unzaehüge Kundgebungen anderer | S. 41 soziaüstischer Richtungen, z. B. der dem Buero für internationale soziaüstische Zusammenarbeit6 angeschlossenen Parteien sowie pazifistischer, syndikaüstischer und anderer Organisationen, die ebenfaüs die Herbeifuehrung einer umfassenden Friedensaktion anstreben. Bei einer von den oben genannten Organisationen gemeinsam beschlossenen und durchgefuehrten Aktion besteht die beste Aussicht, alle an der Erhaltung des Friedens interessierten Organisationen mitzureissen und eine Bewegung von gewaltigem Umfang auszuloesen, die sehr wohl imstande sein koennte, den Kriegstreibern in den Arm zu faüen, sie weitgehend zu isoüeren und im Innern Deutschlands die vorhandenen soüdarischen Gegenkraefte wachzurufen, zu staerken und neue zu wecken. Es wird Sache gemeinsamer Beratungen der internationalen Arbeiterbewegung sein, die zweckmaessigsten Losungen fuer die vorgeschlagene internationale Antikriegsaktion aufzusteüen. Nach unserer Auffassung kommt es vor allem darauf an, in einer sich ueber alle Laender erstreckenden Kampagne die Volksmassen darueber aufzuklaeren, dass die gewalttaetige Poütik der braunen Machthaber, als deren letzter Ausdruck die Rheinlandbesetzung vom 7. Maerz zu verzeichnen ist, eine Lage geschaffen hat, die in naher Zukunft zum Weltkrieg zu fuehren droht, dass der Hiderfaschismus eine beispieüose Drohung gegen die gesamte soziaüstische Bewegung und aüe demokratischen und freiheitüchen Institutionen ...
Europas bedeutet,
dass die Existenz des Hitlerregimes aüe Voelker unmittelbar angeht, dass dieses Regime die finsterste Reaktion verkoerpert, dass es ganz Europa mit der Gleichschaltung bedroht und dass sein Sturz die ureigenste Angelegenheit der Volksmassen aller Laender ist. Außerdem würden wir es von unserem Standpunkt aus für zweckmaessig halten, wenn ueber die Unterstuetzung des Kampfes fuer die Unteübarkeit des Friedens hinaus die Wirksamkeit und die Moegüchkeit der Durchfuehrung von Arbeitersanktionen geprueft und weiter darueber beraten wuerde, ob sich eine Aktivisierung des vom IGB frueher beschlossenen Boykotts herbeifuehren laesst. Sehr wirksam waere es, wenn die Arbeiterorganisationen imstande waeren, zu den
30. Brief der Vertreter der Arbeiterparteien
deutschen Volksmassen durch den Rundfunk frei zu sprechen und wenn man sich bei dem vorgeschlagenen Zusammentreffen ueber gemeinsame Schritte zur Herbeifuehrung dieser Moeglichkeit und zu ihrer einheitlichen Ausnutzung verstaendigen koennte. Es wuerde sich an der Arbeiterbewegung der ganzen Welt und an den demokratischen und friedliebenden Voelkern bitter raechen, wenn ungeachtet der weitgehenden Uebereinstimmung in der Beurteilung der Situation dieser Appell unwirksam bleiben und die lebensnotwenige gemeinsame Antikriegsaktion nicht Zustandekommen sollte. Jeden Tag und jede Stunde ist mit neuen Gewaltakten Hitierdeutschlands zu rechnen, in erster Linie | S. 5 | gegen Danzig und Oesterreich. Darum muss, wenn der Friede gerettet werden soll, schnell gehandelt werden. Wir hoffen, dass sich keine der Koerperschaften, an die wir uns wenden, einer positiven Mitwirkung an der Schaffung einer gemeinsamen internationalen Friedensaktion entziehen wird. In
Erwartung Ihrer baldigen Antwort zeichnen
mit sozialistischen Gruss!
Rudolf Breitscheid, ehem. Mitglied des Reichstages und Voelkerbundsdelegierter Max Braun, ehem. Mitglied des Landesrates Saar Professor Georg Decker Emil Kirschmann, ehem. M.d.R. Max Hofmann7, ehem. 2. Bundesfuehrer des Reichsbanners Ernst Roth, ehem. M.d.R. Wagner, ehem. M.d.R. Heinrich Becker, ehem. M.d.R. Adolf Ludwig, ehem. M.d.L. Dr. Hans Hirschfeld, ehem. Ministerialrat Siegfried Aufhaeuser, ehem. M.d.R. Karl Boechel, ehem. M.d.L. Alexander Schifrin (SOZIALDEMOKRATEN)
Walter Ulbricht, ehem. M.d.R. Franz Dahlem, ehem. M.d.R. Willi Muenzenberg, ehem. M.d.R.
Philipp Dengel, ehem. M.d.R. Wilhelm Koenen, ehem. M.d.R. Hans Beimler, ehem. M.d.R. A. André8 Erich Beifort, Redakteur
(KOMMUNISTEN)
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Jacob Walcher Paul Froelich Dr. Walter Fabian August Enderle W. Brandt
(SOZIALISTISCHE ARBEITERPARTEI) (SAP)
18. Mai 1936.
Anmerkungen der Herausgeberin: '
korrigiert aus: »SDAPD« Internationale Information, 1936, Nr. 10, 20. März, S. 88f. (Schlußsätze). Vgl. 3 Internationale Information, 1936, Nr. 12, 11. April, S. 99f„ hierS. 99. Vgl. 4 Maiaufruf des EKKI, abgedr. in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 20, 30. April, S. 793-795, hier S. 793. 5 Vgl. Bulletin des Internationalen Gewerkschaftsbundes, 1936, Nr. 11, 17. März, S. 1f., hier S. 2; zwischen »in Aussicht genommen« und »Gleichzeitig fordert« steht der Satz: »Es wird sich zu diesem Zwecke mit den angeschlossenen Organisationen in Verbindung setzen.« 6 richtig anstelle von »Zusammenarbeit«: Einheit 7 korrigiert aus: »Hoffmann« 8 2
Das ist Adolf Deter.
Dokument 31
Lutetia-Kreis, Erklärung nach der Rheinlandbesetzung Mai 1936 Vorlage:
Deutsche Informationen, hrsg. von Heinrich Mann, Rudolf Breitscheid, Max Braun, Bruno Frei, Paris, Sonderausgabe, 20. Mai 1936; 210 x 270 mm
Parallelüberlieferungen: 1 Blatt hektographierter Text ohne Unterschriften, Beilage zum Brief von Rudolf Breitscheid und Willi Münzenberg an Friedrich Adler, 17. Mai 1936; »Seid einig, einig gegen Hitler. Für Volksfront zur Rettung Deutschlands vor der Katastrophe des Krieges«; mimeographiertes Dünndruck-Flugblatt, 148 x 210 mm
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Standorte: IISG
hektographiertes Blatt: IISG, Archiv SAI, und ARBARK, SAP; Flugblatt: IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 326 1936 Pariser Tageblatt, Nr. 891, 21. Mai, S. 1f: »Eine Erklärung der deutschen Opposition. Zur Rheinlandbesetzung und zu Hitlers Kriegspolitik«; L'Humanité, 22. Mai, S. 3: »Le Peuple allemand est contre la politique de guerre
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Druck:
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de Hitler«; Deutsche Volks-Zeitung, Nr. 10, 24. Mai, S. 1: »Zusammenschluss notwendiger denn je! Eine beachtenswerte Erklärung der deutschen Linken für den Kampf um die Erhaltung des Friedens«; Die Rote Fahne, Nr. 4, S. 1: »Seid einig! Einig gegen Hitler!«; Neue Front, Nr. 11, Anfang Juni, S. 3: »Erklärung der deutschen Opposition zur Rheinlandbesetzung und zu Hitlers Kriegspolitik«; DFD-MDFB, Nr. 13, 1. August, S. 42^14: »Aufruf der Mitglieder und Freunde des Ausschusses zur Schaffung der deutschen Volksfront vom 7. März 1936«; Tarndruck: Reisen Sie mit offenen Augen durch Norwegen?, o. O [Oslo], o. J.; 1966 Autorenkollektiv unter der Leitung von Walter Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, Berlin, S. 481f. (Auszug ohne Unterzeichner nach: Die Rote Fahne); 1978 Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD im Spiegel des Flugblattes 1933-1945. 240 Faksimiles und 6 originalgetreue Reproduktionen zusammengestellt und eingeführt von Margot Pikarski und Günter Uebel, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, Dok. 67 (Faksimile des Flugblatts bzw. nach: Die Rote Fahne, Titelseite) Die Vorlage wurde mit den Parallelüberlieferungen und den zeitgenössischen deutschen Veröffentlichungen verglichen, die Abweichungen werden nachgewiesen. Zu Kontext, Entstehungsgeschichte und Autorschaft siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 123-128
Eine Deklaration der deutschen Opposition zur Rheinlandbesetzung und zu Hitlers Kriegspolitik Am 2. Februar 1936 haben 118 Mitgüeder aüer Arbeiterparteien Deutschlands und Vertreter seines freiheitlichen Bürgertums in einer Kundgebung an das deutsche Volk eindringhch darauf hingewiesen, dass der von Hider vorbereitete Vernichtungs- und Eroberungskrieg tägüch näher rückt. Am 7. März 1936 hat Hitler den Locarnovertrag gebrochen. Dieser war von Deutschland freiwillig unterzeichnet und von Hitler wiederholt anerkannt. Hitler redet von Gleichberechtigung Deutschlands, aber in Wirkhchkeit organisiert er den Krieg zur Unterdrückung anderer Völker. Die Kriegstreiber von
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
1914, dieselben Krupp, Thyssen, Vogler, denen Deutschland seine Niederlage 1918 verdankt, sie stehen auch jetzt wieder hinter den Ereignissen. Innere Schwierigkeiten sind mit der grosskapitalistischen Hitlerdiktatur unzertrennlich,
von
Hitlers Kriegspolitik führt das deutsche Volk in die Katastrophe. Einzig und allein das deutsche Volk kann den Verbrechern in die Arme fallen, aber die entschlossenen Friedensfreunde aller Nationen können ihm helfen, das Unheil
aufzuhalten. Die Befestigung des Rheinlandes geschieht nicht zum Schütze des deutschen Volkes kein Volk denkt daran, Deutschland anzugreifen -[,] sondern soll der Hitlerdiktatur den Überfall auf Frankreich, Belgien, Österreich, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion erleichtern. Der ungesühnte Angriff Mussolinis auf Abessinien und Japans auf chinesische Gebiete ermuntern Hider zu seinen Kriegsprovokationen. Die Hider gewährten Konzessionen haben nur seine Kriegs-
politik gefördert.
Um das wahre Ziel seiner Kriegsprovokationen zu verschleiern, organisierte Hider das verlogene Schauspiel einer sogenannten Volksabstimmung. Dem setzen wir die offenkundige Wahrheit entgegen. Eine deutsche Regierung, die als unabänderliches Lehrbuch »Mein Kampf« und seine Nazikriegspolitik als Bekenntnis hat, eine deutsche Regierung, die an einem Sicherheitspakt im Osten nicht teilnehmen will, die gegen die kollektive Sicherheit und nur für Einzelverträge ist, sofern sie ihr die Isolierung des Angegriffenen ermöglichen, diese Regierung beweist, dass sie den Frieden nur als Maske trägt. Die Unterzeichneten, Angehörige sämtlicher deutscher Arbeiterparteien und Organisationen, die in Deutschland einen heldenhaften Kampf gegen das Hiderregime führen, erklären gemeinsam mit Vertretern des freiheitlichen deutschen
Bürgertums:
Die deutschen Volksmassen wollen nicht Krieg, sondern Frieden, die Kriegspolitik Hiders widerspricht dem Willen der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes. Es ist unwahr, dass hinter Hitler 99 %' des deutschen Volkes stehen. Die Zahlen der Wahlen sind teils durch einen unerhörten Terror erpresst, teils sind sie erreicht vermittels nachgewiesener beispielloser Fälschungen. Die grosse Masse des deutschen Volkes, besonders die Werktätigen Deutschlands, haben im Zusammenleben mit anderen Nationen nur ein Ziel: in einem freiheitlichen, vom Naziterror erlösten Deutschland mit allen Völkern in Frieden zu leben und alle strittigen Fragen durch friedliche Verständigung zu lösen. Die2 Kundgebung vom 2. Februar 1936 erklärte, dass »der Ausbruch oder Nichtausbruch des Verderbens vielleicht davon abhängt, ob und in welchem Grade sich die Widerstände im deutschen Volke verbreitern und zusammen-
schliessen[«]. Angesichts
der gesteigerten Kriegsgefahr und drohenden Katastrophe ist dieser Zusammenschluss notwendiger denn je, um die Machenschaften Hitlers blosszustellen, um die chauvinistische Demagogie, die ideologische Vorbereitung des Krieges zunichte zu machen.
31. Lutetia-Kreis, Zur
Rheinlandbesetzung
Unser Ruf ergeht an aüe deutschen Arbeiter, an aüe Frauen und Männer, die Deutschland und die Welt vor einem neuen Krieg bewahren wollen! Vereinigt Euch! Kämpft gemeinsam für den Sturz der Hitlerdiktatur! Sie ist das Unglück unseres Volkes und wird zum Unglück für die ganze Welt, wenn wir es nicht verhindern. Unser Ruf ergeht gleichzeitig an die Arbeiter und ihre Organisationen in der ganzen Welt, an die Männer und Frauen in allen Ländern durch einheitüches Handeln, durch Verhinderung jeder finanziellen Unterstützung Hitlerdeutschlands, durch Kampf für die Amnestierung der eingekerkerten Gegner des NaziRegimes, die freiheitüchen und friedüebenden Kräfte des deutschen Volkes in ihrem heroischen Ringen zu unterstützen. Es ist nicht zu spät, das drohende Unheü eines neuen entsetzüchen Krieges zu verhindern, wenn sich aüe Friedenskräfte zur Erreichung dieses Zieles vereinen. Rudolf Breitscheid, ehem. M.d.R.3 Max Braun4 Professor Georg Decker Emil Kirschmann, ehem. M.d.R. Max Hofmann, ehem. 2. Bundesführer des Reichsbanners Karl Böchel, ehem. M.d.R.
Siegfried Aufhäuser, ehem. M.d.R. Ernst
Roth, ehem. M.d.R.
Wagner, ehem. M.d.R. Heinrich Becker, ehem. M.d.R. Hermann Petri5, ehem. M.d.R. Dr. Hans Hirschfeld, ehem. Ministerialrat Alexander Schifrin
(SOZIALDEMOKRATEN) Walter Ulbricht, ehem. M.d.R. Franz Dahlem, ehem. M.d.R. Willi Münzenberg, ehem. M.d.R. Philipp Dengel, ehem. M.d.R.
Wühelm Koenen, ehem. M.d.R. Hans Beimler, ehem. M.d.R. A. André6 Erich Beifort, Redakteur
(KOMMUNISTEN)
Dr. Walter Fabian W. Brandt Jacob Walcher (SOZIALISTISCHE ARBEITERPARTEI, SAP)
Heinrich Mann Georg Bernhard Leopold Schwarzschüd
Otto Lehmann-Russbüldt E.J. Gumbel Professor Fritz Lieb Professor S. Marck Lion Feuchtwanger Walter Schönstedt Ernst Toüer Alfred Kantorowicz DES FREIHEITLICHEN BÜRGERTUMS) (VERTRETER Schutzverband Deutscher Schrift- Freie deutsche Volkshochschule Steuer (Vorsitzende: Rudolf Leonhard und Egon Erwin Kisch) Deutsche Liga für Menschenrechte Koüektiv deutscher Künsder, Paris Freie deutsche Jugend, Paris Verein soziaüstischer Ärzte
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Anmerkungen der Herausgeberin: 1
2 3 4
5 6
in den meisten anderen Publikationen: »Prozent« im Exemplar an Adler: »Unsere« DFD-MDFB fügt hinzu: »und Völkerbundsdelegierter« DFD-MDFB fügt hinzu: »ehem. Mitgl. d. Landt. Saar«
korrigiert aus: »Petry« Das ist Adolf Deter.
Dokumente 32
Volksfrontausschuß, Erklärungen zu Spanien Dokument 32.1 Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß, Sympathie-Erklärung für das republikanische Spanien August 1936 Vorlage:
Das freie Deutschland. Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek, Nr. 14, September 1936, S. 56; 150 x 232 mm
Standort: Druck:
IISG
Zu
1936, Pariser Tageszeitung, Nr. 67, 17. August, S. 2: »Sympathie-Erklärung einer Versammlung von Vertretern deutscher Arbeiterparteien in Paris für den spanischen Freiheitskampf« Kontext und Datierung siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 158-160
Für den Eine In einer
folgende
Sieg der spanischen Demokratie
Kundgebung von Vertretern der deutschen Arbeiterparteien Vertretern der deutschen Arbeiterparteien wurde Sympathie-Erklärung für den spanischen Freiheitskampf beschlos-
Versammlung von
sen:
Die unterzeichneten Mitglieder aller deutschen Arbeiterparteien senden im Namen zahlreicher deutscher Antifaschisten den spanischen Freiheitskämpfern
herzliche brüderliche Grüsse. Mit Spannung und innerer Anteilnahme verfolgen wir jede Phase Eures Ringens, und mit der Bewunderung Eures Heldentums verbindet sich das Bewusstsein, dass Ihr nicht nur für Euch, sondern für uns alle den Kampf führt. Uns deutsche Hitlergegner geht er besonders an, denn ebensowenig wie Ihr zweifeln wir daran, daß der deutsche Nationalsozialismus einer der Drahtzieher hinter den Kulissen des militärfaschistischen Aufstandes ist, dass er ihm moralisch sowohl wie materiell Unterstützung angedeihen läßt. Die Beweise mehren sich von Tag zu Tag, und es liegt auf der Hand, dass es den Berliner Machthabern um die Herbeiführung eines Zwischenfalls zu tun ist, der ihnen den Vorwand zu einem offenen Angriff wider das demokratische und republikanische Spanien liefern soll. Hitler weiss, dass der Triumph des spanischen Volkes über die Gegner seiner Freiheit eine Erschütterung auch des nationalsozialistischen Regimes sein würde. Das geknechtete deutsche Volk begreift durchaus, um was es geht. Mit uns hoffen die proletarischen Massen in Deutschland1 auf Euren Sieg. Euer Kampf stärkt ihre Zuversicht und erhöht ihre eigene Kampfkraft. In Spanien entscheidet sich in diesen Tagen zum grossen Teil das Schicksal Europas, das Schicksal der
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
europäischen Demokratie und Freiheit! Und darum Kampf, und Euer Sieg ist der Anfang unseres Sieges. Es lebe der spanische Freiheitskampf!
ist Euer
Kampf
unser
Für die Sozialdemokraten: Rudolf Breitscheid, Max Braun, Albert Grzesinski. Für die revolutionären Sozialisten: Karl Böchel. Für die Kommunisten: Walter Ulbricht, Kurt Funk, Wüü Münzenberg. Für die Sozialistische Arbeiter-Partei:Walcher, Fröhüch [sie].
Anmerkung der Herausgeberin: 1
PTZ: »proletarischen deutschen Massen«
Dokument 32.2 Von den SAP-Vertretern im Volksfrontausschuß
boykottierter Aufruf Dezember 1936
Vorlage:
Das freie Deutschland. Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek, Nr. 15, Januar 1937, S. 49f.; 150 x232 mm Standort: IISG Druck: 1936 Pariser Tageszeitung, Nr. 197, 25. Dezember, S. 2; 1987 Gerhard Paul, Max Braun. Eine politische Biographie, St. Ingbert, S. 125 (Faksimile eines wortgleichen hektographierten Flugblatts) Zu Kontext, Datierung und zur weiteren Verbreitung siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 158-161
Hitler führt Krieg Hider hat sich feierlich vor aller Welt verpflichtet, seine Hände vom spanischen Bürgerkrieg zu lassen aber seit Monaten schickt er Waffen über Waffen, Maschinengewehre und Geschütze, Tanks und Flugzeuge, Granaten und Bomben und jetzt auch Mannschaften für die reaktionären Generale. Deutsche Soldaten, halb oder ganz gezwungene »Freiwillige«, werden im Namen der »deutschen Ehre« nach Spanien geschickt, damit sie an der Seite des gekauften Gesindels der spanischen Fremdenlegion und der Marokkaner ein freies Volk niederwerfen. Deutsche Soldaten sollen die Aufgabe vollenden, an der die machthungrigen Generale gescheitert sind: Spanien dem blutigen Säbel der Militärdiktatur und der Macht der Inquisition zu unterwerfen! In Spanien kämpft das ganze Volk um seine Demokratie, sein Leben und seine Freiheit: Arbeiter | S. 501 und Bauern, Studenten und Professoren, Handwerker und kleine Kaufleute, Republikaner, Sozialisten, Anarchisten, Kommunisten und baskische Nationalisten. Mit ihnen kämpfen Tausende Antifaschisten aus allen Ländern Europas, die mit ihren Leibern den Weg versperren, darunter viele Hunderte Deutscher, die das Naziregime aus der Heimat vertrieben hat. Sie kämpfen gegen ein gewaltiges materielles Uebergewicht, und sie kämpfen erfolgreich mit einem Heldenmut, der nur dem grossen Gedanken der Verteidigung der Unabhängigkeit, der Freiheit und der Selbstbestimmung über das eigene Schicksal, dem Ringen für eine höhere Gesellschaftsordnung entspringt. Die Franco und Mola sind nur die Werkzeuge Hiders. Hider führt in Spanien Krieg, um das spanische Volk durch ein Regime der Zwangsarbeit auszuplündern. Deutsches Volk! An Dich ergeht der Ruf zur Solidarität. Hört die Sender von Madrid und Barcelona. Tut alles, was in Euren Kräften steht, um die Kriegsproduktion und die Waffen- und Truppentransporte nach Spanien zu hemmen, um dem Verbrechen -
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
in den Arm zu fallen. Kämpft um Eure eigenen Interessen, statt für Francos Kanonen zu hungern! Der Kampf des spanischen Volkes ist Euer Kampf! Die Niederlage Francos wird der Anfang von Hitlers Ende sein!
Heinrich Mann Georg Bernhard Otto Klepper WudolfB reitscheid Max Braun Georg Denike Franz Dahlem Kurt Funk Willi Münzenberg.
Dokument 32.3
Arbeitsausschuß der
Programmkommission des
Volksfrontausschusses, Denkschrift 21. Dezember 1936 Vorlage:
19 maschinenschriftliche Seiten, hektographiert, 210 x 297 mm; Bleistifteinträge von unbekannter Hand auf der Titelseite: »N 92«, »21.12.36« und »Volksfrontmaterial« Standort: IISG, studiezaalmap, lljst Abendroth 425 Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 161f.
Hitlers I.
Kriegs- und Interventionspolitik.
Einleitung.
Die »spanische Wand«. Auf dem Nürnberger Parteitag haben die Führer des Dritten Reiches mit unverhüüter Deutlichkeit zum Kreuzzug gegen den sogenannten »Bolschewismus« aufgerufen. Am Vorabend des Nürnberger Parteitages schrieb die Essener »NationalZeitung«, das Organ Görings (4. September): »Moskau aber rufen wir zu, was schon Bonaparte hörte: >Es ist kein Krieg, um den die Kronen wissen, es ist ein Kreuzzug, es ist ein heüiger Kriegk Die Kreuzfahrer unter dem Hakenkreuz würden mit ihrem >Gott-wül-es!< nicht für ein Dogma sterben, sondern für ihr Volk, ihr Blut, ihre Rasse.« Und Hitlers Proklamation an den Parteitag gipfelte in der Erklärung: »Man soll wissen, dass Deutschland vor keiner Massnahme zurückweichen wird, welcher Art sie auch immer sei, wenn der Bolschewismus aggressiv werden soüte und wenn der gegen ihn eingeleitete Kampf neue Anstrengungen und besonders energische Massnahmen erfordert.« An diesem sogenannten »Kreuzzug gegen den Bolschewismus« ist alles falsch: sowohl der Kreuzzug als der »Bolschewismus«, gegen den er sich angebüch richtet. Wahr ist aüein, dass Hitler einen Angriffskrieg vorbereitet. Der Angriffskrieg verfolgt die Raubziele, die das kaiserüche Deutschland in seinem alldeutschen Annexionsprogramm bereits verfolgt hatte und die es, infolge des Ausgangs des Weltkrieges, vorübergehend aufgeben musste. Diese Raubziele meint Hitler, wenn er zur »Verteidigung der europäischen Kultur« aufruft. Die grossdeutsche Machtpoütik, die Hegemonie über Europa, die »pax germánica«, die Zertrümmerung und Eroberung fremder Staaten das ist es, was sich hinter dem Worte »Kreuzzug« verbirgt. Der sogenannte »Bolschewismus« aber, gegen den sich dieser Kreuzzug richten soll, ist nach den eigenen Worten Hitlers nichts anderes als die Demokratie, von der Hitler in seiner Nürnberger Kulturrede erklärte, dass sie »zwangsläufig zur Anarchie führe«, dass sie die Völker zerstöre und dass sie vernichtet werden müsse. -
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Ganz klar ist
heute: der »Kampf gegen den Bolschewismus« ist die »spanische Wand«, hinter der der Eroberungskrieg des neudeutschen Ultra-Imperialismus vorbereitet wird. Die Propaganda-Formel vom »Kampf gegen den Bolschewismus« soll den hitlerschen Kriegstreibern die Möglichkeit verschaffen, ihren planmässig vorbereiteten Überfall als Intervention zu tarnen und in der faschistischen Bewegung jedes Landes innenpolitische Bundesgenossen zu finden. Der hitlersche Eroberungskrieg beginnt in der Form von Interventionskriegen. Unter dem Vorwand des »Kampfes gegen den Bolschewismus« schafft der Nationalsozialismus die Vorwände und die propagandistischen Schlagworte, um seine rein strategischen Eroberungsziele zu tarnen. Das ist es, was heute dem betrogenen deutschen Volk und dem von den nationalsozialistischen Verwirrungsmanövern beunruhigten Völkern Europas nachgewiesen werden muss. Die deutsche Opposition, Vertreterin der wahren Interessen des friedliebenden deutschen Volkes, klagt vor dem ganzen deutschen Volk und vor allen friedliebenden Völkern die Kriegs- und Interventionspolitik Hiders an, die das deutsche Volk in die grösste Katastrophe seiner Geschichte und die Völker | S. 21 Europas in das furchtbarste Blutbad zu stürzen droht. Die Kriegshetze von Nürnberg hat in den wenigen Monaten, die seither verflossen sind, eine kaum glaubliche Steigerung erfahren. Parallel mit der gleichfalls in Nürnberg verkündeten Verwandlung der Wirtschaft in eine totale Kriegswirtschaft durch den sog. Vierjahresplan, mit dessen Durchführung der General Göring als Kriegswirtschaftsdiktator betraut wurde, parallel mit den zahlreichen anderen eindeutigen Massnahmen einer nicht mehr getarnten Kriegsvorbereitung (Abkürzung der Schulzeit für die Oberklassen, um die Zahl der Offiziersaspiranten zu vergrössern, Freiwilligenwerbungen für die Luftwaffe und die Armee, Mobilisierung der alten Jahrgänge, die Einberufungen zu ausserordentlichen Übungen, forciertes Tempo der Kasernenbauten, Schaffung eigener geheimer Grenztruppen im Westen, umfangreiche Barackenbauten im Rheingebiet, Ausbau der Flughäfen und Befestigungsanlagen, Räumung und Befestigung einiger Nordseeinseln) parallel mit allen diesen eindeutigen Kriegsvorbereitungen, deren forciertes Tempo die Zeitnot Hiders widerspiegelt, verstärkt sich auch die Sprache der Drohungen und Hetzreden der Naziführer, die immer offener zur bewaffneten Intervention gegen die Sowjetunion und alle demokratischen Staaten auffordern und die Unterordnung des gesamten Lebens der Nation unter die Notwendigkeiten des totalen Krieges fordern. Die »Berliner Börsen-Zeitung«, die dem Reichskriegsministerium nahesteht, brachte einen Leitartikel: »Die Fronten im zukünftigen Kriege« von General der Artillerie a. D. Grimme. In dem Artikel wird erklärt, dass man dem Volke keinen Zweifel lassen dürfe »über die durchaus andersgeartete Gestaltung eines zukünftigen Krieges«. Der Verfasser rechnet aus, dass im zukünftigen Krieg Deutschland einschliesstich der 13 Millionen eigentlicher Streitkräfte für die Landeses
verteidigung 27,87 Millionen
Menschen
nötig
haben werde. Und
zwar
für den
Sicherheits- und Hilfsdienst der Luftwaffe eine halbe Million, für die Selbstschutz-
32.3
Programmkommission, Denkschrift zur Kriegspolitik
Zivilbevölkerung bei der Luftabwehr (Luftschutzhauswart, Hausfeuerwehr, Laienhelfer) 8,37 Müüonen, für die Kriegsindustrie 6 Müüonen und für die eigentüche kämpfende Truppe 13 Müüonen. Aus dieser ungeheuren Menschenanforderung ergibt sich folgende Folgerung: selbst wenn man nur die Kinder unter zehn Jahren, Greise, Krüppel und Kranke abzieht, reicht die männüche Bevölkerung, die einschüessüch der Kinder 31,6 Müüonen ausmacht, nicht aus, um diese 28 Müüonen Kriegsteünehmer bereitzusteüen. Daraus folgt: »Der zukünftige Krieg verlangt eine weitgehende Verwendung der Frau in den für sie passenden Diensten der Landesverteidigung«. Ausser den drei Fronten der Armee,
kräfte der
der Flotte und der Luftwaffe, die zusammen 13 Müüonen Menschen erfassen wird, kommt noch die »Vierte Front« mit ihren 15 Müüonen heimatüchen Kriegsteilnehmern hinzu. »Diese müssen in gleicher Weise wie die im grauen Feldrock des Soldaten Tätigen auch ihre >Front< halten und brauchen dazu die gleichen seeüschen Eigenschaften wie der Soldat. Sie werden aüe Schrecknisse und Verluste eines Kampfes miterleben. Das bedeutet, dass die gesamte Bevölkerung mit zur Vierten Front gehört, die zahlenmässig und ausdehnungsmässig die grösste ist«. Aus diesen Erwägungen heraus fordert der Verfasser die totale Kriegserziehung des ganzen Volkes. Offener als je verwandeln die Göbbels und Goring, die Hess und Rosenberg den alten innerpoütischen Schlachtruf des Nationalsoziaüsmus »Deutschland erwache!« in ein europäisches Programm. Göbbels hat am 26. November in Ludwigshafen unmissverständüch erklärt: so wie es in Deutschland gekommen ist und so, wie es in Deutschland gemacht worden ist, ebenso | S. 31 muss es in ganz Europa kommen und ebenso muss es In ganz Europa gemacht werden: »Anfangs ist der Nationalsoziaüsmus in Deutschland ein Rufer in der Wüste gewesen. Hoffen wir, dass die Welt, wie es schüessüch in Deutschland geschehen ist, seinen Warnungsruf nicht ungehört verhauen lässt. Der Führer ist heute nicht nur der Führer der deutschen Nation, sondern der geistige Erwecker Europas Vierzehn Jahre lang haben wir gerufen Deutschland erwache!< Man hat uns damals ausgelacht und verhöhnt, aber Deutschland ist erwacht. Wenn wir heute unseren Warnruf an die zivüisierten Nationen richten, so bedeutet das: >Europa erwachek« Dies ist die neueste Parole des Propagandaministeriums. Auf dem Reichsbauerntag in Goslar am 29. November rief der Reichsbauernführer Darre den anwesenden ausländischen Bauerndelegationen zu: »Bauern Europa[s] erwacht!« »Das europäische Bauerntum muss sich klar darüber werden, dass es vor einem Kampf steht, wie er ausgefochten wurde zwischen der Bauernrepubük Rom ...
und dem punischen Händlertum Karthagos«. Mit dem Ka[r]thago, dessen Zerstörung der neudeutsche Cato fordert, ist aber nicht aüein die Sowjetunion gemeint, sondern, wie er sich beeilt hinzuzufügen, jede Demokratie, jeder Liberalismus, jede Volksfront: »Man kann nicht überal sein oder demokratisch und gleichzeitig ein Gegner des Bolschewismus. Die Konsequenz des Liberaüsmus ist die jüdische Demo-
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
kratie. Dabei ist es gleichgültig, in welcher äusserlichen Staatsform sich diese Demokratie darbietet.« Genau so, wie der Nationalsozialismus in Deutschland nicht nur die Kommunistische Partei, sondern ebenso die sozialdemokratische, die demokratische, ja sogar das katholische Zentrum und die deutschnationale Partei als »Bolschewismus« ausserhalb des Gesetzes stellte, genau so, wie er jede geistige Strömung, die nicht nationalsozialistisch ist, aus Gründen der Totalität seines Machtanspruchs als »bolschewistisch« bezeichnet, bis einschliesslich der Sekte der Bibelforscher genau so brandmarkt der Nationalsozialismus jedes Volk, jedes Land, das sich seinen Erpressungen nicht freiwillig unterwirft, aus Gründen der Totalität seines Hegemonieanspruchs als »Bolschewismus«, gleichgültig ob es sich um die demokratische Republik Spanien, Frankreich oder die Tschechoslowakei handelt. So ist die Kreuzzugsidee Hiders nichts als ein grossangelegtes Manöver zur Einschüchterung der Völker, zur Erpressung der schwankenden Regierungen, zur Verwirrung der öffentlichen Meinung, zur Gewinnung von Bundesgenossen. Im deutsch-japanischen Vertrag schuf diese Politik ihr erstes sichtbares diplomatisches Instrument. Es ist das Muster eines Interventionspaktes, der hinter weltanschaulicher Maske die ultra-imperialistischen Kriegsziele der Unterzeichner nur schlecht verbirgt. Ein Angriffsbündnis wird hier als weltanschauliches Propagandaabkommen getarnt. Dies ist das Vorbild für die Methode, mit der die Kriegspolitik Hiders sich zu ihren Taten anschickt. Die räuberischen Kriegsziele, deren Reihenfolge aus der Richtung des Expansionsbedürfnisses, aus den militärischstrategischen Realitäten abgeleitet wird, werden weltanschaulich untermauert: aus dem machtpolitischen Expansionsbedürfnis wird »Kampf gegen den Bolschewismus«. Die Eroberung beginnt mit der Intervention. Das klassische Beispiel, an dem die Welt seit Monaten den Ablauf dieses Schemas mit angehaltenem Atem verfolgt, ist SPANIEN! | S. 41 -
II. Hiders Intervention in
Die
Spanien.
Vorbereitung:
Die Auslandsorganisation der NSDAP ist eines der Instrumente, mit dem Hitlerdeutschland seine Interventionskriege vorbereitet. Am spanischen Beispiel ist dies zum ersten Mal dokumentarisch nachgewiesen worden. Am dritten Tage des Rebellenaufstandes haben die Milizen in Barcelona Haussuchungen bei der Landesgruppe Spanien der NSDAP und ihren Nebenorganisationen vorgenommen. Das Material, das ihnen dabei in die Hände fiel, wurde von der Weltpresse veröffentlicht, die wichtigsten Dokumente wurden in Buchform herausgegeben (F. Spielhagen: »Spione und Verschwörer in Spanien«1). Die Wühlarbeit der nationalsozialistischen Agenten ist in diesen Dokumenten unwiderleglich nachgewiesen. Am 12. März 1933 schreibt der Leiter des Gebietes Spanien Mitte-Süd[J
32.3
Programmkommission, Denkschrift zur Kriegspolitik
Walter Zuchristian[,] an den Auslandskommissar der NSDAP für Spanien[,] Burbach: »Wir warten auf unsere Zeit. Vorläufig verhalten wir uns stiü und bereiten alles vor, um aktiv werden zu können, wenn der Umschwung kommt. Aüe Anzeichen deuten darauf hin, dass das Volk die Linkswirtschaft satt hat und sie abschütteln will. Seien Sie unbesorgt, unsere O.G. sind für diesen Zeit-
punkt gerüstet.«
Der Zeitpunkt kommt bald. Die Niederschlagung des asturischen Aufstandes wird von Zuchristian in einem Brief vom 18. Oktober 1934 mit den Worten begrüsst: »Jetzt wird richtig zugegriffen. Den roten Brüdern wird der Garaus
gemacht«. 50 Ortsgruppen
und Stützpunkte werden in Spanien eingerichtet. Rund 5 Müüonen Pesetas kostet die nationalsoziaüstische Arbeit in Spanien. Nach dem Siege der Volksfront am 16. Februar 1936 wird die Arbeit vorsichtig getarnt. Decknamen werden ausgegeben, die Korrespondenz über die diplomatischen Vertretungen geführt. Die Aufgabe besteht darin, müitärische und Wirtschaftsspionage zu betreiben, mit den faschistischen Organisationen Verbindungen aufrecht zu erhalten, die nicht zuverlässigen Deutschen zu überwachen und wenn mögüch nach Deutschland zu befördern, Propagandamaterial zu schmuggeln und zu verbreiten. Sogar die konsularischen Vertreter scheuen sich nicht persönüch, Propagandaschriften zu schmuggeln. Die Gestapo sitzt in jedem spanischen Hafen in Form eines Vertreterjs] des nationalsoziaüstischen Hafendienstes. Die Presse wird bestochen. 22 450 Peseten werden als monatliche Zuwendung von dem Artikeldienst des Presseleiters verrechnet. Wanderredner und Füme vervoüständigen das wohlgespannte Propagandanetz. Das Ibero-Amerikanische Institut in Berün wird neben der Auslandsorganisation der NSDAP als Zentrale der Spanienpropaganda errichtet und mit einer eigenen, in spanischer Sprache erscheinenden Zeitschrift ausgestattet (Ej[érc]ito2 Marina Aviación [sic]), die die Aufgabe hat, die Verbindungen der deutschen Reichswehr zu Spanien und seiner Armee zu pflegen. »Zufälügerweise« steht an der Spitze dieses Instituts und seiner Zeitschrift der General a. D. WUhelm Faupel, der nach der Anerkennung der Regierung Franco durch die Hitlerregierung zum ersten deutschen Botschafter in Burgos ernannt wird. So wurden rechtzeitig die Stützpunkte für die nationalsoziaüstische Arbeit in ganz Spanien geschaffen, das braune Netz, das im gegebenen Augenbück, wenn die Zeit der Intervention herangekommen ist, zusammengezogen werden soü. | S. 51 Die Ziele: Warum diese planmässige Anstrengung? Lange bevor in Spanien von »roten Horden« und »bolschewistischen Untermenschen« gesprochen wurde, haben die deutschen Miütärs die Nützüchkeit Spaniens für ihre auf die Niederringung Frankreichs gerichteten Pläne erkannt. Diese Pläne bestanden nämüch bereits im Weltkrieg. Schon damals bemühte sich die wühelminische Diplomatie, Spanien
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen und Frankreich nach einem Bismarckwort die »spanische Fliege in den Norden« zu setzen. Im Jahre 1915 bot Deutschland den Besitz von Gibraltar und Portugal für den Eintritt Spaniens in den Krieg. Damals hielt Spanien an der Neutralität fest, aber diese Neutralität hinderte die damaligen spanischen Generäle, die identisch sind mit den Rebellen von heute, nicht, den deutschen U-Booten in den spanischen Häfen Schlupfwinkel und Stützpunkte zu bieten. So hat, um nur ein Beispiel zu nennen, der Kommandant von Cadix im Jahre 1917 dem deutschen U-Boot »U 49«, das dort interniert war, zur Flucht verholfen. Dieser Zwischenfall führte zum Rücktritt des damaligen deutschfreundlichen Kriegsministers, der niemand anderer war, als Primo de Rivera. Im Jahre 1915 schrieb der alldeutsche Professor Herre in seinem Buche »Spanien und der Weltkrieg«: »Es kann mit Sicherheit angenommen werden, dass die deutsche Staatsleitung an manchem Schritt der Madrider Regierung einen geheimen Anteil hat«. Die von dem bekannten Alldeutschen Paul Rohrbach herausgegebene Zeitschrift »Deutsche Politik« schrieb unter der Überschrift »Spanien und der Ausgang des Weltkriegs« am 14. Februar 1919: »Spanien hatte bei Ausbruch des Krieges die Neutralität erklärt und mit Nachdruck und Überzeugung hat das spanische Volk durch die ganzen Kriegsjahre hindurch daran festgehalten. Neben den konservativen Parteien waren Heer und Geistlichkeit die hauptsächlichsten Vorkämpfer dieses von echtem Verständnis des Weltringens getragenen Neutralitätswillens«. Diese Tatsachen hat die deutsche Heeresleitung nie aus dem Auge verloren. Sie spielen in den Revanche-Plänen und Berechnungen der braunen Kriegstreiber eine wesentliche Rolle. In der gesamten sog. Wehrliteratur wird die Bedeutung Spaniens für die deutschen Angriffspläne gegen Frankreich unterstrichen. So schreibt Banse in seinem Buche »Länder und Völker im Weltkrieg«: »Für uns besteht die Wichtigkeit Spaniens darin, dass es die französische Grenze beträchtlich verlängert, und so Frankreich daran hindert, mit allen seinen Kräften die Westgrenze zu halten.« Die militärpolitische Wichtigkeit Spaniens für ein angreifendes Deutschland liegt aber nicht allein in der Verlängerung der Landfronten Frankreichs durch die Pyrenäenfront, sondern vor allem in der Rolle, die Spanien als Stützpunkt in einem kommenden Krieg im Mittelmeer zu spielen berufen ist. Im Plane der Einkreisung Frankreichs ist es für die auf einen blitzartigen Überfall rüstenden deutschen Strategen eine entscheidende Frage, ob es dem überfallenen Frankreich gelingt, sich aus Nordafrika Menschen- und Materialreserven heranzuholen ein Drittel der französischen Effektivbestände liegt in Nordafrika oder ob es umgekehrt dem Angreifer gelingen wird, seinen blitzartigen Überfall seiner Landarmee durch das Abschneiden der Seeverbindungen Frankreichs | S. 61 nach Nordafrika zu unterstützen. Die blitzartige Niederwerfung Frankreichs erfordert den Durchmarsch durch [Hjolland3 oder die Schweiz oder durch beide Länder. Wenn in diesem Augenblick eine deutsche Kriegsflotte im Mittelmeer auftaucht und —
—
32.3
Programmkommission, Denkschrift zur Kriegspolitik
Frankreich von seiner nordafrikanischen Menschenbasis abschneidet dann ist das Ziel erreicht. Zum Bützkrieg gehört als vorbereitende Handlung die Stützpunktpoütik. Da der Bützkrieg den Gegner hindern soü, seine Kräfte zu entfalten und seine Verbündeten heranzuholen, muss der Angreifer selbst seine Verbündeten berei[ts]4 aufgesteüt und aüe raumpoütischen Vorteüe besetzt haben. Im Gegensatz zu der kaiserüchen Kriegspoütik »Viel Feind [-] viel Ehr« ist die Hitlersche Kriegspoütik darauf bedacht, schon vor dem Ausbruch des Krieges, eine auf den geplanten Überfaü berechnet Verbündetenpoütik zu machen. Die Verbündeten des Gegners absprengen, lähmen, neutraüsieren und für sich selbst Stützpunkte für die entscheidenden Stunden des Zuschlagens schaffen das ist das Ziel der Bemühungen der Nazidiplomatie. Wo es an raumpoütisch wichtigen Punkten keine Verbündeten gibt, da muss man sie schaffen. Spanien ist eines der wichtigsten Punkte für den hitlerschen Angriff auf Frankreich, und deshalb muss dort ein zuverlässiger Verbündeter hin! Deshalb musste am 18.Juü die spanische Generalsrebellion ausbrechen und die Kosten der nationalsoziaüstischen Vorarbeit in Spanien bezahlt machen. Deshalb mussten die aufständischen Generäle mit ihren mordenden Mauren und schändenden Tercios zu Rettern der Ziviüsation avancieren, und deshalb musste die spanische Demokratie zu »bolschewistischen Horden« gestempelt werden, deren Austilgung durch eine faschistische Intervention geboten erscheint. So versteckt sich hinter dem ideologischen Kreuzzug das nackte Eroberungsziel der neudeutsch-aüdeutschen Welteroberer! Ist dies alles nur Phantasie, nur Kombination, nur Mutmassung? Die deutschen Wehrwissenschaftler bemühen sich garnicht, ihre Pläne zu verstecken. Sie steüen bereits detaüüerte Berechnungen an über den Schiffsraum im Mittelmeer, über die Fahrzeiten der französischen Truppentransporter und über die Schutzverhältnisse der nordafrikanischen Häfen Frankreichs. In dem Buche »Der Mittelmeerraum« (Verlag Kurt Vowin[c]kel)5 findet sich folgende Bemerkung über die algerischen Häfen: »Das Laden und Löschen der Schiffe voüzieht sich ziemüch ungeschützt, sodass Truppen nur unter der Gefahr eines Angriffs von der Seeseite oder aus der Luft verladen werden könnten«. In demselben Buch findet sich der Hinweis auf den »gefährüchen Mangel an Schiffsraum«, unter dem die Franzosen in ihrem Verkehr mit Nordafrika leiden; schüessüch werden die Karten aufgedeckt mit dem Hinweis auf die seestrategische Bedeutung der Balearen: »Von den Balearen aus können die französischen Seetransporte jederzeit unterbrochen werden. Die Haltung Spaniens wird dadurch in jedem Mittelmeerkonflikt von ausschlaggebender Wichtigkeit«. Über die Bedeutung der Balearen für den Kampf um das Mittelmeer haben sich die deutschen Wehrwissenschafder bereits vor dem Ausbruch der Rebelüon ge-
-
äussert.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
In einem Artikel »Spanische Sorgen um die Balearen«, erschienen am 19. Dezember 1935 in der Zeitschrift »Deutsche Wehr«, wird die strategische Bedeutung der Balearen in dem Kampf um die Vorherrschaft im Mittelmeer dargestellt. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass Spaniens Ziel »Neutralität« sein muss. Diese Neutralität verträgt sich weder mit der Annäherung an Frankreich, noch mit einer Annäherung an | S. 71 England, wohl aber mit einer »unter weiland Primo de Rivera erörterten Zusammenarbeit mit einem rein nationalen Italien«. Die Voraussetzung zur erfolgreichen Wahrung einer solchen Neutralität ist eine starke Zentralgewalt in Madrid, die imstande ist, die Balearen stark zu befestigen. Die strategische Bedeutung der Balearen liegt darin, dass sie die französischen Lebenslinien zwischen dem Mutterland und den nordafrikanischen Kolonien und dem schwächsten, weil stützpunktlosen Abschnitt der englischen Lebenslinie Gibraltar—Malta beherrschen. Jede Schwächung der Madrider Zentralgewalt, insbesondere »die Verselbständigung Kataloniens käme einem französischen Durchbruch der spanischen Stellung im Mittelmeer gleich«. Deshalb begrüsst die Reichswehrzeitschrift den Ausbau der Befestigung der Balearen als eine Massnahme, die es den spanischen Militärs gestattet, ihre Position gegen den »französischen Durchbruch« im Mittelmeer zu befestigen. Der Artikel schliesst mit folgenden deutlichen Sätzen: »Deutscherseits hat man Verständnis dafür, dass eine stolze Nation wie die spanische danach trachtet, endlich wieder ihr Schicksal wahrhaft in die eigene Hand zu nehmen. Der auf den Balearen beschrittene Weg ist klar. Sicherheit aus eigener Kraft. Wird er beharrlich eingehalten, so wird er eines Tages ans Ziel führen. Damit wäre dann auch Spanien so recht ins Zeitalter der Nation eingetreten. Die spanische Neutralität wird dann eine noch stolzere, segenbringendere sein, als sie es im Weltkrieg, allen Drohungen der Entente ungeachtet, bereits war.« Aus den Barcelonaer Dokumenten geht hervor[J dass die Nazis schon lange vor dem Aufstand auch die nordafrikanischen Gebiete Frankreichs planmässig unterminiert haben. Sie schüren die antisemitische Stimmung unter den Arabern und versuchen Unruhen hervorzurufen. Ein Aufstand gegen die französische Volksfrontregierung in französisch Marokko ist der geheime Wunschtraum der Naziführer. Nicht nur ein Wunschtraum, sondern ein praktisches Ziel, auf das sie heute bereits hinweisen. So schrieb die »Berliner Börsenzeitung« in einem Artikel unter der Überschrift »Was geht in Marokko vor?«: »Die Leidenschaften (der Araber) sind entfacht, und sie zögern nicht, ihrer Hoffnung Ausdruck zu geben, dass der nationale Sieg der Spanier ihnen die Erlösung von der Herrschaft roter spanischer und kommunistischer Banden bringen wird. Im benachbarten spanisch Marokko hat General Franco mit der roten Propaganda gründlich Schluss gemacht. Die Eingeborenen, angefangen mit dem Kalifa und mit den Sheiks, sympathisieren in jeder Beziehung mit den spanischen Generälen und ihre Truppen kämpfen tapfer auf spanischem Boden. Die franzö[si]sche Volksfront, die in französisch Marokko eine so grosse Rolle spielt, hat also allen Grund, mit der Entwicklung —
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Programmkommission, Denkschrift zur Kriegspoütik
der Dinge in der spanischen Zone unzufrieden zu sein. Sie sieht ihre Herrschaft bedroht und befürchtet, dass das spanische Beispiel in Marokko ansteckend wirkt, dass nicht nur die Araber und Berber Marokkos, sondern ganz Nordafrika bis Tunis sich gegen die französischen Verwaltungsmethoden und gegen die Bevorzugung der verhassten Juden auflehnen wird. Es hat sich viel Zündstoff angesammelt.« Die Durchführung: Die deutsche Waffenhilfe an General Franco, die bereits am ersten Tag der Rebelüon angefangen hat, ist aüzu bekannt, als dass sie erst nachgewiesen zu werden brauchte. In zahüosen offizieüen Kundgebungen wurde die deutsche müitärische Intervention als eine Tatsache anerkannt. | S. 81 Der spanische Aussenminister del Vayo hat anlässüch der Völkerbundsratssitzung am 2. Oktober 1936 in Genf ein Weissbuch über die deutschen und itaüenischen Waffenüeferungen veröffentlicht. Der Londoner Untersuchungsausschuss6 hat in mehrtägigen Verhandlungen (24. September—1. Oktober) zahlreiche Zeugen verhört, Beweise geprüft und in einem Schlussbericht die Evidenz der deutschen und itaüenischen Waffenüeferungen bestätigt. Nach den fruchtlosen Verhandlungen des Nichtinterventionsausschusses hat sogar der engüsche Aussenminister Eden die Tatsache der Lieferungen zugegeben. Kein Mensch auf der Welt bestreitet heute, dass es deutsche Junkersbomber sind, die[J begleitet von itaüenischen Capronijag[d]flugzeugen[J die Hauptstadt Spaniens in Trümmer schiessen, Frauen und Kinder haufenweise töten. Eine Zusammensteüung aüer zuverlässigen und nachgeprüften Meldungen über die Kriegslieferungen des Dritten Reiches an die Rebellen ergibt, dass vom 18. Juü bis 15. November 1936 237 deutsche Flugzeuge geüefert worden sind. Aus Dokumenten über die Verhandlungen der Rebellen wegen Lieferung von spanischen Erzen an Deutschland als Gegenleistung für die geüeferten Waffen geht hervor, dass die Lieferungen an deutschen Kriegsmateriaüen, Flugzeuge nicht inbegriffen, bis zum 10. November den Wert von 230 Müüonen Mark erreicht haben. Am 1. Dezember wurde in London halbamtlich bekanntgegeben, dass in Cadix 5000 deutsche Soldaten gelandet seien. Minister Eden bestätigte im Unterhaus diese Information, die deutsche Regierung versuchte [,] sie abzuleugnen. Am 14. Dezember veröffentücht der »Manchester Guardian« einen aufsehenerregenden Bericht eines Sonderkorrespondenten, der in Seviüa und Salamanca die deutschen Truppen besucht hat. In diesem Bericht heisst es: »In dem grossen Hotel in Salamanca war der Speisesaal voü von deutschen Offizieren. Der neuernannte Propagandachef General Francos, General Mülan Astray, ging von Tisch zu Tisch und begrüsste die Deutschen. Die Spanier wurden erst bedient, nachdem die Deutschen ihre üppige und lärmende Mahlzeit beendet hatten. Hier in Salamanca erfuhr ich, dass der ganze Presse- und Propagandaapparat in den Händen deutscher Fachleute ist. Französische und amerikanische Journaüsten wurden, scheinbar grundlos, auf Verlangen der Deutschen ausgewiesen. Selbst
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
die Presseagentur, die die Nachrichten an die französischen Zeitungen schickt, wird von einem deutschen Redaktionsstab hergestellt. Der Hauptratgeber General Molas ist ein Deutscher. Man nennt ihn hier Don Walter. Ein deutscher Generalstab arbeitet in Salamanca gemeinsam mit den spanischen Militärbehörden den neuen Feldzugsplan aus. So sind wir Zeugen der Germanisierung Spaniens. Man sprach viel von den 5000 deutschen Soldaten, die jüngst angekommen seien. Die Wahrheit ist, dass deutsche Soldaten in Cadix und Vigo schon seit Wochen ununterbrochen ankommen. Man schätzt ihre Zahl bereits auf 20.000. Auch Gestapomethoden werden bereits angewandt. Der Journalist Aznar ist in Valladolid in Haft, weil die Deutschen ihn beschuldigen, während des Weltkrieges eine antideutsche Kampagne geführt zu haben. Gestapoagenten betätigen sich als Spitzel. Ein Spanier, der in meiner Gegenwart im Restaurant Fraile sich über die überflüssigen Massenerschiessungen in den eroberten Städten beklagte, wurde von einem Deutschen mit den Worten angebrüllt: >Der Kommunismus muss an der Wurzel ausgerottet werden. Jeder Spanier, der dagegen protestiert,
gehört erschossene Eine vollständige Neuorganisierung der Fremdenlegion wird durchgeführt. Die Mauren, die sich als ungeeignet erwiesen haben, eine Stadt wie | S. 91 Madrid zu nehmen, verschwinden immer mehr und an ihre Stelle
die jungen blonden Männer aus dem Norden, die das Handwerk des modernen Krieges erlernt haben. Angesichts der Niederlage vor Madrid musste General Franco der Germanisierung seiner Städte zustimmen. Hier hört man, dass die Deutschen die matürlichen Verbündetem Spaniens seien. Der Umfang der deutschen Hilfe wird, wie hier versichert wird, noch in beträchtlichem Masse zunehmen. Selbstverständlich ist dies, wie jeder weiss, nicht ohne Gegenleistungen möglich. Spanien wird eine Industriekolonie Deutschlands und wird seine Rohstoffe nach Deutschland liefern. Die deutsche Heeresleitung fordert, dass der Krieg gegen die Roten ohne jede Rücksicht auf Städten [sie], Bauten und Zivilbevölkerung geführt wird. So musste General Franco, wie man mir hier erklärt, seinen Widerstand gegen die Zerstörung Madrids aufgeben, nachdem der deutsche Stab diese Zerstörung als eine militärische Notwendigkeit erklärte.« Am 15. Dezember bestätigt der Pariser Korrespondent des »Manchester Guardian« diese Beobachtungen auf Grund von Auskünften einer anderen aus Salamanca kommenden Persönlichkeit. Nach dieser Schätzung beträgt die Zahl der bei Franco eingetroffenen deutschen Truppen an 12-14.000. Sie tragen eine Uniform, die der britischen Feldarmee ähnlich ist. Der Berliner Korrespondent des »Daily Telegraf« berichtet am 16. Dezember seinem Blatte, dass General Franco die Entsendung einer deutschen Armee von 60.000 Mann gefordert hatreten
zu gewinnen. Es gehen ununterbrochen Flieger- und Deutschland nach Spanien ab. So konnte der KorresponTankspezialisten dent z. B. feststellen, dass 50 Offiziere des 6. Panzerregiments aus Neuruppin nach Spanien gegangen sind. Man übergab ihnen vorgedruckte Formulare, die sie ihren Verwandten schicken sollten, wonach sie sich zu »Spezialmanövern« begeben; sie bitten, Weihnachtsgrüsse an das Luftfahrtministerium zu adressieren.
be,
um
den
Bürgerkrieg aus
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Programmkommission, Denkschrift zur Kriegspolitik
Gleichzeitig veröffentlichen [sie] die »Times« einen Bericht, wonach die Soldaten, die die deutschen Kasernen verlassen, um in Spanien zu kämpfen, einen Sold 200 Mk. monatüch erhalten, die Offiziere erhalten 400 Mk. Schon am 15. September veröffentlichte das DNB eine Botschaft des Chefs der Müitärjunte [sie] von Burgos, General Cabaneüa[s], an das deutsche Volk: »Sagen Sie bitte in Deutschland, dass der Vorsitzende des nationalen Verteidigungsausschusses Spaniens in Burgos, General Cabanellas, dem deutschen Volk in diesem Augenbück sein Wort darauf gibt, dass Spanien möge kommen, was woüe niemals die freundüche Zuneigung und die moraüsche Unterstützung, die Deutschland meinem Vaterlande in diesem Kampf gegen den zersetzenden Geist des Kommunismus und Anarchismus entgegenbringt, vergessen kann und vergessen wird Ihr Führer und ihr Volk halten die Wacht nach Osten. Wir woüen sie im Westen halten, wo sie nicht weniger wichtig erscheint in diesem für Europas Zukunft entscheidenden Augenbück.« A[m] 18. November 1936 wurde die Junta des Generals Franco von der deutschen Regierung als die »Regierung Spaniens« anerkannt. Als erster deutscher Geschäftsträger wurde der General a. D. Wühelm Faupel nach Burgos geschickt. Dieser General Faupel ist der Spanienreferent der Hiderregierung. Seit 1934 ist Faupel Präsident des Ibero-Amerikanischen Instituts. Er hatte die Aufgabe, die Beziehungen zwischen den spanischen und deutschen Müitärkreisen zu pflegen. | S. 101 Über das Ibero-amerikanische Institut in Berün, das mit den Ibero-Amerikanischen Instituten in Hamburg und Würzburg zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefasst ist, üefen schon vor der Rebelüon vom 18. Juü Verbindungen zu Franco, Sanjurio, Mola und den anderen Rebeüengenerälen. General Faupel ist mit diesen Generälen zum Teüe aus der Zeit seiner südamerikanischen Diensdeistung persönüch befreundet. General Faupel hat bisher die Beüeferung der Rebeüengeneräle mit Waffen aus Deutschland organisiert und die deutsche Regierung in allen Spanien-Fragen als Sachverständiger beraten. Seine Ernennung zum deutschen Geschäftsträger ist nichts anderes als die offizieüe Anerkennung des bisher geübten Amtes. Über die Vorgeschichte der voreiügen Anerkennung Francos veröffentlichten die »Spanien-Informationen« (Mitteüungsblätter der Vereinigten Soziaüstischen Partei Kataloniens), gestützt auf die Aussagen eines vertrauenswürdigen Zeugen, der bis vor kurzem dem Gefolge Francos angehört hat, folgende Einzelheiten: Am 15. November traf in Berün ein Sondergesandter General Francos, ein höherer Marineoffizier namens Agacino, ein und nahm sofort Verhandlungen mit dem Auswärtigen Amt, mit dem Reichsltriegsministerium sowie mit dem Aussenpolitischen Amt der NSDAP auf. Agacino traf in Berün etwa zur gleichen Zeit ein wie der Bruder Francos, Ramon Franco, in Rom. Noch am Abend des 15. November fand in den Räumen der Reichskanzlei eine Konferenz statt, an der von Seiten der deutschen Regierung Generaloberst Göring, als Vertreter des Reichskriegsministeriums, General Faupel als Sachverständiger für Spanienfragen,
von
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IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Hess als Stellvertreter Hiders und Alfred Rosenberg als Leiter des Aussenpolitischen Amtes der NSDAP teilnahmen. Von spanischer Seite wurden die Verhandlungen geführt durch den erwähnten Marineoffizier Agacino, ferner durch den ehemaligen Botschafter in Berlin, Agramento y Cortijo, den Militär-Attache Martinez y Martinez und einen gewissen Urbano Feypéo de Sotomayor, der als offizieller Vertrauensmann der Falanga Española in Deutschland anzusehen ist. Agacino schilderte die militärische Lage und erklärte freimütig, dass man in der »Führung der nationalen Erhebung« der Auffassung sei, das ganze Unternehmen sei verloren und könne nur durch Eingreifen Deutschlands und Italiens noch gerettet werden. Agacino beschwor die gemeinsamen Ideale und Interessen, die die Bewegung General Francos mit dem Nationalsozialismus habe, und wies insbesondere darauf hin, dass die deutsche Regierung mit dem Verlust ihrer gesamten, sich auf 200 Millionen belaufenden Kredite rechnen müsse, die sie in Form von Waffenlieferungen und Barkrediten an die Junta von Burgos gewährt hätte. Es genüge heute nicht mehr, die »nationale Armee« mit Waffen zu Vorsorgen, da die »Roten« heute über fast ebensoviel und ebenso gutes Kriegsmaterial verfügen. Nur ein direktes Eingreifen Deutschlands und Italiens könnte den Sieg des Generals Franco sichern. Generaloberst Göring erklärte, dass Deutschland unter keinen Umständen dulden würde, dass der »Bolschewismus in Spanien triumphiere«, die deutsche Regierung müsse jedoch von der nationalen Regierung des General Franco Garantien erhalten, dass im Falle des Sieges die berechtigten Forderungen Deutschlands nach Erweiterung seines Lebensraumes in den bisherigen spanischen Kolonien Erfüllung fänden. Die deutsche Regierung werde sich auf Grund des kürzlich abgeschlossenen | S. 111 deutsch-italienischen Konsultativ-Paktes unverzüglich mit der italienischen Regierung in Verbindung setzen, um die gemeinsam zu unternehmenden Schritte in politischer und militärischer Hinsicht zu beraten. Die deutsche Regierung sei bereit, 15 Unterseeboote nach Spanien zu entsenden. Die Bedingungen Deutschlands seien: Abtretung der Canarischen Inseln als Flottenstützpunkte und Flugzeugbasis des Deutschen Reiches, Abtretung Marokkos und Spanisch-Guineas. Auf die letztere Kolonie lege die Reichsregierung besonderen Wert wegen ihrer Nachbarschaft zu der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun. Ferner verlange Deutschland das unbeschränkte Recht zur Ausbeutung der nördlichen Eisenerzgebiete in Asturien und den baskischen Provinzen, sowie die Kupfererze von Rio Tinto. Am 18. November erfolgte die Anerkennung der Rebellen durch die deutsche und italienische Regierung. Wenige Tage später bereits wurde der spanische Kreuzer »Cervantes« von einem ausländischen Unterseeboot beschossen, das U-Boot C 3 vor Malaga ebenfalls von einem ausländischen Unterseeboot versenkt und am 16. Dezember wagt es der deutsche Kreuzer »Deutschland« bereits, das englische Handelsschiff »City of Oxford« auf offener See anzuhalten. Die deutsche Kriegsflotte ist neben der deutschen Armee zur bewaffneten Intervention in Spanien eingesetzt. -
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Programmkommission,
Denkschrift
zur
Kriegspolitik
So ist die deutsche Intervention in voüem Gange. Sie ist nicht mehr eine Drohung, sie ist eine Reaütät. Aüe Anzeichen sprechen dafür, dass diese Reaütät einen immer grösseren Umfang und ein immer schwereres Gewicht bekommen wird. Bezeichnenderweise droht die deutsche Presse bereits mit der offenen Intervention gegen Barcelona. Die »Berüner Börsenzeitung« schrieb Ende November unter der Überschrift »Rote Signale im Mittelmeer« einen Artikel, der eine offene Sprache spricht. Mit Bezug auf einen angebüchen »Vorstoss der sowjetrussischen Schiffe nach dem westlichen Mittelmeerbecken« schreibt das dem Reichskriegsministerium nahestehende Blatt: »Auch die übrige Welt wird demgegenüber auf die Dauer nicht gleichgültig bleiben können. Vor der katalanischen Küste hegen die Balearen-Inseln, eine seestrategische Steüung ersten Ranges, z. Zt. beherrscht von spanischen nationalen Truppen. Im Zeichen des Bolschewismus würde Spanien diese Inselgruppe nie behaupten können; es gibt aber verschiedene Länder, die sich für diese Inseln interessieren könnten, um sie nicht einer etwaigen roten Herrschaft zu überantworten. Für Frankreich wären die Balearen lebenswichtig mit Rücksicht auf seine Nord-Süd-Verbindung nach den afrikanischen Kolonien; England hätte ebenfaüs ein gewisses Interesse an ihnen im Hinbück auf die Aufrechterhaltung des Status quo im westüchen Mittelmeer, und Itaüen schüessüch könnte mit demselben Recht es als eine Lebensfrage ansehen, die Balearen und damit die Herrschaft über das Mittelmeer nicht an eine der beiden benannten Mächte übergehen zu lassen ...« Und einige Tage später[J am 26. November[J in einem weiteren Artikel |S. 121 zu dem gleichen Thema unter der Überschrift »Barcelona« noch deutlicher: »Schon diese Hinweise auf vorhandene Mögüchkeiten und schwebende Erörterungen zeigen, dass der auch vom höheren geschichtlichen Standpunkt sensationeüe Einbruch der Sowjetrussen in den Mittelmeerraum poütisch Entwicklungen und Verwicklungen herbeiführen kann, deren Breite und Tiefe noch nicht abzusehen ist und deren Bedeutung über den Waum der unmittelbar Interessierten hinausreicht.« So wird in Spanien die Haupttendenz der nationalsozialistischen Kriegspoütik ausprobiert. Spanien ist nicht allein im engeren miütärisch-technischen Sinne eine Generalprobe für Hitlerdeutschlands Kriegspolitik, sondern auch in einem weiteren ideologisch-propagandistischen Sinne. Vor Madrid werden die deutschen Fliegerbomben, die deutschen Tanks und Panzerabwehrkanonen ausprobiert, ausprobiert wird aber in Spanien und um Spanien auch die hitlersche Kriegsbegründung und die hidersche Interventionspropaganda; ausprobiert wird die Durchschlagskraft und Werbekraft der Parole des »gerechten« Hiderkrieges: unter der Flagge eines antibolschewistischen Kreuzzuges die aüdeutschen imperiaüstischen Kriegsziele zu erreichen. Ausprobiert wird, wie weit innerhalb und ausserhalb Deutschlands die Tarnung des faschistischen Raubüberfaüs auf die Nachbarn Deutschlands als »Rettung der heüigsten Güter der Menschheit« vor den »bolschewistischen Horden« geüngt. —
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Hitlers »kleine« Intervention in Spanien ist Hitlers »grosse« Intervention in Europa. | S. 131
III. Nach dem Vorbild
Muster, Probe und Auftakt für
Spaniens
Was heute in Spanien geschieht, kann sich morgen in einem anderen europäischen Lande wiederholen; denn wie er in Spanien hinter Franco steht, so unterstützt und finanziert der Nationalsozialismus faschistische Bewegungen in zahlreichen anderen Ländern, um sich Stützpunkte und Bundesgenossen für die Durchführung seines in »Mein Kampf« niedergelegten Eroberungsprogramms zu schaffen.
Elsass-Lothringen
Durch die nationalsozialistische Wühlarbeit in Elsass-Lothringen soll der Boden für eine Wiedereroberung dieses Gebietes vorbereitet werden, dessen reiche Bodenschätze die deutschen Grosskapitalisten, die ihre Privat-Interessen für die nationalen Interessen des deutschen Volkes ausgeben, wiedergewinnen möchten. Die Nationalsozialisten wenden in Elsass-Lothringen ihre »altbewährte« Methode der Einmischung in die inneren Verhältnisse anderer Länder an. In welcher Form die nationalsozialistische Agitation dort betrieben wird, zeigt ein sehr interessanter Artikel der »NSZ-Rheinfront«, dem Organ des deutschen Saarkommissars Bürckel, vom 18. August 1936, aus dem wir folgendes zitieren: »Misstrauen und wachsende Parteimüdigkeit begleiteten die Wahlerfolge der katholischen Volkspartei 1935 und 1936. Die Bewegung der Feuerkreuzler, die in Frankreich Ordnung und Sauberkeit schaffen wollte, fand auch im Elsass Zulauf aus enttäuschten Volksmassen, die an der Parteipolitik verzweifelten. Es ist bezeichnend, dass zum Erfolg der Feuerkreuzler in ElsassLothringen nicht zuletzt die Sympathie beitrug, die sich das Wirken des Nationalsozialismus in Deutschland gewonnen hatte. Selbst in rechtsgerichteten Kreisen des Elsass war die zunehmende Kritik an den französischen Zuständen begleitet von Hinweisen auf die autoritär geschaffene Ordnung in Deutschland.« Das nationalsozialistische Hetzblatt spricht dann von einer »seelischen Krisis des elsässischen Volkes« und fährt fort: »Unschlüssig stehen noch die Parteiführer da, während das Raunen im Volke unzweideutig ist. Bisherige Royalisten, die als Bannerträger des französischen
Patriotismus im Elsass zu gelten hatten, erörterten heute die Frage, ob man 1918 französisch geworden sei, um sich einer marxistischen Regierung zu unterstellen. In diesen Kreisen ist bereits erwogen worden, ob man sich mangels einer rechtsverbindlichen Abstimmung als Franzosen zu betrachten habe. Ähnlich
wirkt sich bei den Anhängern der aufgelösten patriotischen Ligen das Wirken der Regierung aus. Die liberale Rechte, die sich um die demokratische Partei
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Programmkommission, Denkschrift zur Kriegspolitik
des Strassburger Bürgermeisters Frey sammelt, steüt Vergleiche an zwischen den Zuständen in Frankreich und der Ordnung in Deutschland.« Die Forderung nach einer Abstimmung geht in Elsass-Lothringen ebenso wie in Sudentendeutschland [sie] un[d] in anderen Gebieten von den nationalsoziaüstischen Agenten aus. Das wird auch aus den Schlussätzen des Artikels des Saarbrückener Naziblattes klar: »In Lothringen hat man begonnen, eine lothringische Front gegen den Marxismus zu büden, und es üegt ganz in der Richtung unserer obigen Ausführungen, wenn Kanonikus Ritz in Metz, bisher ein | S. 14| scharfer Deutschenhasser, die Parole prägte: >Lieber Hitler als Moskauk In Lothringen hat sich die Abwehrfront gegen den Marxismus bereits gebüdet, im Elsass spricht man ernstlich davon. Das kathoüsche Organ >Der Elsässer< ist dafür eingetreten, auch in Elsass eine breite Abwehrfront gegen die heutige Pariser Wegierung zu bilden und ein Uebergreifen kommunistischer Unruhen über die Vogesen zu verhindern. Die Ereignisse in Spanien wirken dabei offenkundig stark mit... So sind gut 80 Prozent des elsässischen Volkes von der Krisis erfasst, die entscheidend sein kann für die künftige Gestaltung Elsass-Lothringens Die Frage ist zu stellen, ob die poütisch führenden Kräfte sich zum Entschluss aufraffen, endüch in vereinter Anstrengung jene Neuordnung zu erkämpfen, deren Notwendigkeit von der Mehrheit des Volkes längst erkannt und beja[ht]7 wird.« In diesem Sinne hetzt die nationalsoziaüstische Presse tägüch gegen die »soziaüstisch-kommunistische[«] Regierung in Paris. In diesem Sinne treiben der mit grossen Mitteln ausgestattete »Bund der Elsass-Lothringer im Reich« und das »Wissenschaftliche Institut der Elsass-Lothringer« in Frankfurt am Mein [sie] ihre Propaganda. Immer wieder sucht der Nazi-Rundfunk durch den Reichssender Saarbrücken mit seinem »Grenz-Echo«, der täglichen Sendung, die eigens für Elsass-Lothringen bestimmt ist, die Stimmung dort im nationalsoziaüstischen Sinne zu beeinflussen. Das Ziel Hitlers ist aber nicht nur die Wiedereroberung Elsass-Lothringens und darüber hinaus die Annektion der Erzbecken von Briey und Longwy, des Gebietes der »früheren lothringischen Bistümer Metz, Toul, Verdun und Cambrai« (Ansprüche, die in der offizieüen nationalsoziaüstischen Literatur z. B. von Prof. Mauü, Dr. Steinacher, Rupert v. Schumacher u. a.) immer wieder propagiert werden, sondern die Einkreisung und Vernichtung Frankreichs, die Hider in »Mein Kampf« als sein Ziel aufsteüte. ...
Belgien Holland Schweiz Belgien, das von Frankreich und England isoüert werden soü, sind es die Rexisten Dégreües, die zur Hider-Regierung enge Beziehungen unterhalten und von ihr unterstützt werden. Flandern wird von den Nationalsozialisten als »germanisches Land« für ein künftiges »Grossdeutschland« reklamiert. In Holland unterhält Hitler die sogenannte Mussert-Bewegung, andere ähnliche Organisationen in In
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IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
der Schweiz, au^ di& die Reichsregierung einen ausserordentlichen politischen und wirtschaftlichen Druck ausübt. Fschechoslowakei Eine besonders scharfe Hetze treibt der Nationalsozialismus gegen die Tschechoslovakei [sie], wo er sich in der sudetendeutschen Henlein-Bewegung einen treuen Trabanten seiner Eroberungspolitik geschaffen hat. Wie weit bereits die nationalsozialistische Kriegsdrohung gegen die Tschechoslowakei offen erhoben wird, zeigt ein Artikel »Deutschland und Böhmen«, der im Oktober 1936 in der alldeutschen Zeitschrift |S. 151 »Deutschlands Erneuerung«, die von Justizrat Class, General von der Goltz, Dr. Bang, dem österreichischen (!) General Krauss u. a. herausgegeben wird, erschien. Darin heisst es: »Die dem Tschechenstaat in Versailles zugewiesene Staatsaufgabe verhindert die friedliche Zusammenfassung der deutschen Hauptströme Rhein und Donau zu einer Wirtschaftseinheit. Es sind aber 80 Mill. Deutsche, die in Mitteleuropa geschlossen siedeln und die Frage muss, noch schärfer gestellt, lauten: Sollen 6V2 Mill. Tschechen die Slowaken bilden ja, grossenteils widerwillig, nur den politischen Nothelfer das Recht haben, von altem deutschen Kulturboden aus die friedliche Entwicklung, die Ruhe und Sicherheit eines 80-Millionenvolkes zu bedrohen?« [»]Die Tschechen haben aber ganz übersehen, dass ihr Hauptland, der böhmische Staatskern mit der Zitadelle Prag, rings von deutschen Glacisländern umschlossen ist und dass so das Schicksal ihres Staates wesentlich von dem guten nachbarlichen Verhältnis zu Deutschland abhängt. Böhmens Geschick ist von Natur aus auf Gedeih und Verderb mit den Geschicken Deutschlands verknüpft. Die Tschechen können der Natur nicht in den Arm fallen, ohne selbst die Folgen dieses Widersinns zu fühlen.« »Doch die blutige Tschechoslowakei hat nicht das geringste Recht auf das Vorgelände der böhmischen Ringwallfeste. Die Fschechen haben keinen Anspruch auf diese kerndeutschen Länder, die zum Teil uralten germanischen Mutterboden bilden, so wenig wie der Tschechenstaat ein Anrecht hat auf die Randgebiete Böhmens, die von den Deutschen urbar gemacht und besiedelt worden sind und deshalb heute noch zum deutschen Volksboden Mitteleuropas gehören. Hier ragt Deutschland hinein in den Tschechenstaat, der nur durch die gewaltsame Angliederung dieser Gebiete zu natürlichen Grenzen gelangt ist. Diese Grenzen sind aber unhaltbar, wenn die Fschechen in ihrem Deutschenhass die deutschen Mitteilhaber ihres Staates zum Aeussersten treiben. Die Tschechen mögen bedenken, dass die Deutschen die weitaus stärkere Stellung in der böhmischen Feste einnehmen, weü deren Wälle auch im Innern auf drei Seiten von Deutschen besetzt sind. Natur und Geschichte mögen die Tschechen zur Umkehr, zur Selbstbesinnung mahnen. Sie mögen sich vor Augen halten, dass sie allein nicht imstande sind, die innen und aussen von Deutschen besetzte Festung im Ernstfalle erfolgreich zu verteidigen und ihre eigene -
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Programmkommission,
Denkschrift
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Kriegspolitik
Steüung in der Mitte des böhmischen Kessels gegen die Deutschen zu halten, sie diese zur Verzweiflung treiben. Sie mögen sich erinnern, dass die böhmische Festung schon wiederholt eingenommen wurde und dass sich die Entscheidungskämpfe meist in deren Innern abgespielt haben.« »Die Tschechei gleicht einem gierigen Polypen, der sich an den Weichteilen des deutschen Staatskörpers festgebissen hat und gleichsam an dessen innerstem Marke zehrt. Auf drei Seiten bedroht dieser auf ural[t]-germanischem Mutterboden errichtete, unter gewaltsamem deutschem Länderraub als französische Ostbastion [begründete Völker-|S. 161 Staat das deutsche Volksgebiet und damit zugleich das Deutsche Reich.« »Das ist die Rolle, welche die Weltgeschichte den Tschechen zugeteüt hat. Und das ist das Tragische daran, dass die Deutschen das nicht genugsam erkennen, noch tragischer aber ist es, dass die meisten nicht wissen, dass der ganze Tschechenstaat nichts anderes ist als ein politisches Schmarotzergebilde auf überwiegend germanischem Volksboden und auf Kosten und zum Schaden des Deutschen wenn
Weiches.« Die nationale Befreiung der Sudetendeutschen ist für den Nationalsoziaüsmus nur ein Vorwand: um seine Eroberungsgelüste gegenüber der Tschechoslowakei zu »begründen« und zu maskieren. In der deutschen Miütär-Literatur werden offen die müitärstrategischen Mögüchkeiten des Krieges gegen die Tschechoslowakei erörtert. Ein deutscher Generalstabsoffizier, der unter dem Pseudonym Markomannus 1936 in Potsdam das Buch »Brennpunkt Böhmen« veröffentlichte, schreibt darin u. a.: »Der böhmische Klotz ist im Faüe eines Krieges eine solche Gefahr für Deutschland, dass die einfachste Lösung wäre, Böhmen wie eine grosse Nuss durch zangenförmigen Angriff zu zerdrücken.« (S. 72) Der österreichische Nationalsoziaüst Rupert v. Schumacher erinnert in seinem Buche »Volk vor den Grenzen« (Stuttgart 1936) nicht zufälüg an 1918/19, in dem er ausruft: »Dass (damals) kein deutscher Freikorpskämpfer über die tschechischen Grenzen den Weg zur Sicherung und Heimholung der dreieinhalb Müüonen Sudetendeutscher fand, ist eine der grössten Unbegreiflichkeiten der deutschen Geschichte!«
(S. 264)
Das Weckt auf Bürgerkrieg In demselben Buche wird die folgende bezeichnende Frage gesteüt: »Gäbe im Falle eines deutschen Krieges gegen die Kleine Entente die Zugehörigkeit zur grossen deutschen Volksgemeinschaft den zahlreichen deutschen Volksgenossen auf dem Balkan das Wecht zur Webellion?« (S. 253) Schumacher bejaht! Damit werden die nationalsoziaüstischen Umtriebe auf dem Balkan ins rechte Licht gerückt: auch hier, wo der Nationalsoziaüsmus ebenfaüs den alten Expansionsünien des deutschen Imperiaüsmus der Vorkriegs- und Kriegszeit folgt, wird wie in Spanien das »Wecht« zur Webellion, zur Entfesselung des Bürgerkrieges verkündet, auch hier wird die Anwendung der nationalsoziaüstischen Methode der »indirekten Kriegführung« vorbereitet.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Die baltischen und skandinavischen Eänder Der nationalsozialistische Expansionsdrang richtet sich aber auch zu gleicher Zeit gegen die baltischen und skandinavischen Fänder. Ein typisches Beispiel für die Form, mit der die Annektion dieser Länder angedroht wird, ist ein Artikel des Generals Karl Haushofer, Professor an der Universität München und Beraters von Rudolf Hess, Stellvertreter des Führers. In diesem Artikel, der im Septemberheft 1936 der Berliner Zeitschrift »Volk und Reich« erschienen ist, beschäftigt sich Haushofer mit dem Ostseeraum. Schweden, erklärt er z. B.[J brauche auf demselben Räume |S. 171 nur 6 Millionen Menschen zu ernähren wie Deutschland seine fast 70 Millionen. Man könne hier von einem »Raumluxus« sprechen, der so weit gehe, »dass man wie in den schwedischen und finnischen Nordmarken, in den baltischen Staaten fast von einer Untervölkerung und von einem >Raum ohne Volk< reden kann.« Alle diese kleinen Staaten haben heute keine Existenzberechtigung mehr, erklärt der Generalf:] »Gerade der heutigen springhaften [sie] Entwicklung der Friedens- und Kriegsverkehrsverhältnisse gegenüber (Tonnen-Sprünge der Friedens- und Kriegsflotten, U-Boot-Schlagweite, Stundenflüge der Bombengeschwader) sind die kleinräumigen Pass-Staaten wie die Flussmündungsstaaten mit oder ohne Willen, eine archai[s]che, geopolitisch bei Neugründungen kaum mehr zu rechtfertigende, nur künstlich durch Verträge zu erhaltende Lebensform. Staatsbiologische Daseinsberechtigung haben sie keum [sie] mehr in einer Zeit, in der sich ausserhalb Europas das Ratzeische Gesetz der wachsenden Räume mit solcher Wucht Geltung verschafft.« General Haushofer wendet sich gegen die »Exzasse [sie] des Selbstbestimmungsrechts« und gegen die Ostpakte, die die Existenz dieser »Missgeburten« von Kleinstaaten sichern. Er droht ihnen: »Wer sich wie Litauen zum Ostseeraum und die Tschechoslowakei zwischen Ostsee- und Donauraum, als Korridor (!) gegen das Herz Europas anbietet, der muss auch der Folge ins Auge schauen, dass sich in solchen Korridoren den dorthin gerufenen fremden Soldatenstiefeln und Fliegern andere entgegenstellen, und die räum- und volkspolitische Verwüstung (!) in Kauf nehmen, die für den Korridor daraus folgen könnte.« General Haushofer eine offizielle Persönlichkeit des Dritten Reiches, Präsident der Deutschen Akademie begnügt sich nicht mit diesen Drohungen, die nationale Freiheit der kleinen Völker zu vernichten: er fordert für Deutschland die Vorherrschaft im Ostseeraum. Die Unterwerfung der baltischen und skandinavischen Staaten soll aber zugleich den Angriff gegen die Sowjetunion vorbereiten. —
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Wenn die Ukraine und Sibirien in Deutschland lägen Auch hier finden wir wieder die einheitliche Linie von »Mein Kampf« bis zum Nürnberger Parteitag von 1936 und die konsequente Fortführung dieser Politik in der jüngsten Zeit. Hider hatte in »Mein Kampf« erklärt: »Wenn wir heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an ...
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Kriegspolitik
Russland und die ihm Untertanen Randstaaten denken. Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu woüen.« Hitlers Nürnberger Worte, die es zu einer traurigen Weltberühmtheit gebracht haben: »Wenn der Ural mit seinen unermessüchen Rohstoffschätzen, Sibirien mit seinen reichen Wäldern und die Ukraine mit ihren unermessüchen Getreideflächen in Deutschland lägen, würde dieses unter nationalsoziaüstischer Führung in Ueberfluss schwimmen,« waren nur eine Spezifizierung des in »Mein Kampf« niedergelegten Expansionsprogramms. |S. 181 Diese kurze und unvoüständige Uebersicht über die Eroberungsziele des Nationalsoziaüsmus, der in den letzten Monaten immer lauter seine Ansprüche auf Kolonien erhebt und seine gewaltige Kolonial-Propaganda innerhalb Deutschlands betreibt, zeigt, dass kein Volk sagen kann, es sei von den Kriegsdrohungen des Dritten Reiches nicht betroffen!
IV. Das deutsche Volk ist gegen Hitlers
Kriegspoütik
Das Dritte Reich bereitet mit aüer Kraft und mit dem Einsatz gewaltiger Mittel den Krieg vor. Die Methoden, die es dabei anwendet, sind dieselben, die Hider auf seinem Wege zur Macht in Deutschland selbst anwandte: die Methoden der Gewalt, der Provokation, des Mordes, der skrupellosen Demagogie, der lügenhaften Propaganda und aües verdrehenden Hetze. Am 13. März 1936, wenige Tage nach der Wiederbesetzung des Rheinlandes durch deutsche Truppen, erklärte Hitler in einer grossen Rede in Karlsruhe: »Es ist mein Wunsch, auch die grossen Gegensätze im Völkerleben genau so wie im Inneren des Landes nach den Gesichtspunkten des Rechts, der Bilügkeit und damit der Vernunft zu lösen.« Wie diese gerechte, billige, vernünftige Lösung aussah, haben der Reichstagsbrand und die darauffolgende Niederknüppelung der deutschen Opposition, das Verbot aller Parteien und Organisationen ausserhalb der Nationalsoziaüstischen Partei, die Zertrümmerung der Gewerkschaften, das Verbot der Zentrumspartei und der kathoüschen Jugendorganisationen, das Verbot der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei, die Auflösung aüer pazifistischen Organisationen, die Juden- und Christenverfolgungen, schüessüch das Verbot selbst der Deutschnationalen Partei und des Stahlhelms, die Ermordung und Einkerkerung von Hunderttausenden Opposi[ti]oneüer aus aüen diesen Parteien, ja selbst von Mitgüedern der NSDAP (siehe 30. Juni 1934) genügend
gezeigt. Dieselben Methoden der Gewalt, der Einschüchterung, der Demagogie, der Verdrehung, der »Umkehrung aüer Begriffe« wendet Hider in seiner Aussenpoütik an. Dafür haben wir hier einige Beispiele gegeben. Die Aufrüstung des Dritten Reiches wurde unter der Flagge des »Kampfes für die Gleichberechtigung des
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
deutschen
Volkes«, für »Ehre, Frieden und Freiheit« betrieben. Doch nach der
Erreichung einer bestimmten Etappe, der Remilitarisierung des Rheinlandes genügte diese Losung nicht mehr. Sie genügte z. B. nicht mehr für die »Begründung« der Nazi-Intervention in Spanien. Deshalb trat als neue Haupdosung der »Kampf
gegen den Bolschewismus« hinzu, eine Losung, die ihren bisher stärksten Niederschlag (ausser in der Waffenhilfe für Franco) in dem schon erwähnten deutschjapanischen Pakt gefunden hat. Diese Losung und dieser Vertrag bieten für den Nationalsozialismus die erwünschten »unbegrenzten Möglichkeiten« für jegliche Eingriffe in die Innenpolitikjedes anderen Landes, fürjede Intervention, fürjegliche Grenzverletzungen, ja für das Einrücken von Fruppen, für die Entfesselung neuer Kriege. Das ist der wahre Sinn der nationalsozialistischen Parole des »Kampfes gegen den Bolschewismus«, die ihm zur unmittelbaren Vorbereitung des Krieges, zur Tarnung seiner imperialistischen Eroberungsziele dient. | S. 191 Auf dem Reichsbauerntag in Goslar am 30. November 1936 drohte Göring: »Das mag sich jeder gesag[t] sein lassen: So schwach wie 1914 sind wir heute nicht mehr, kein schwaches Parlament der zerrissenen Parteiherrschaft lähmt heute noch die Kraft des deutschen Volkes.«8 Im Kampf gegen die Demokratie eroberte Hider sich in Deutschland die Macht, der Kampf gegen Demokratie (die Hider nicht erst heute als »bolschewistisch« bezeichnet) ist heute eines der wichtigsten Elemente seiner Aussenpolitik, seiner Kriegspolitik. Ein neuer Krieg liegt nicht im Interesse des deutschen Volkes. Das deutsche Volk will keinen neuen Krieg. Der Kampf der deutschen Opposition um die freie demokratische Republik Deutschlands, ihr Kampf gegen den deutschen Faschismus ist ein Kampf für den internationalen Frieden.
Anmerkungen der Herausgeberin: 1 Franz Spielhagen [d. i. Otto Katz], Spione und Verschwörer in Spanien: nach offiziellen nationalsozialistischen Dokumenten, Paris: Éditions du Carrefour 1936; erschien 1937 in englischer Übersetzung von Emile Bums in London bei Gollancz (»by the editor of The brown book of the Hitler terror«) als The Nazi Conspiracy in Spain von Otto Katz; 1938 unter dem Pseudonym O. K. Simon auf französisch unter dem Titel Hitler en Espagne mit einem Vorwort von Émile Buré bei Denoël in Paris. 2
korrigiert aus: »Ejexito« korrigiert aus: »Jolland« 4 korrigiert aus: »bereist« 5 3
Hans Hummel/Wulf Siewert, Der Mittelmeerraum. Zur Geopolitik eines maritimen Raumes, Heidelberg Berlin: Kurt Vowinckel Verlag 1936; die folgenden drei Zitate dort nacheinander auf S. 73 und 74. Es handelt sich um die Commission of Inquiry into Alleged Breaches of Non-intervention Agreement in
-
6
Spain. korrigiert aus: »bejahrt« Die Hauptveranstaltung des Reichsbauerntages
7
8
statt.
1936 in Goslar fand
am
Sonntag,
den 29. November,
Dokument 33
Wirtschaftskommission des Volksfrontausschusses, Denkschrift Lohn im Dritten Reich 21. Dezember 1936 Vorlage:
17 maschinenschriftliche Seiten, hektographiert, 210 x 310 mm; Titelblatt und 16 paginierte Blätter, teilweise stark verblaßt; Bleistifteinträge von unbekannter Hand auf der Titelseite: »N 92«, »21.12.36« und »Volksfrontmaterial«, auf den Seiten 1, 2 und 4 sind einige Ziffern, Buchstaben und ganze Wörter mit Tinte nachgeschrieben; Parallelüberlieferung: französische Fassung u.d.T: »Les salaires des ouvriers dans le lile Reich«, 37 maschinenschriftliche Seiten (Durchschlag) Standort: IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 425 Der Text folgt der Vorlage einschließlich der handschriftlichen Verdeutlichungen, in einigen Fällen wurde die französische Fassung zur Kontrolle herangezogen. Die Zeichensetzung bei Zahlen ist vereinheitlicht, die seitenweise numerierten Fußnoten sind hier mit * gekennzeichnet. Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 310-321
Wirtschafts-Kommission des Pariser Ausschusses zur Büdung einer Deutschen Volksfront
Der Lohn der Arbeiterschaft im III. Reich »Nicht das Volk ist für die Wirtschaft da, sondern die Wirtschaft ist eine Dienerin am Volke« (Hider[-]Proklamation in Nürnberg)
»Überall, wo man im Wirtschaftsleben bemüht ist, politische Haltung und Verantwortung zu beweisen, werden allgemeine Formulierungen der politischen Aufgabe der Wirtschaft, wie etwa die ...
Wirtschaft muss dem Volk dienen, als zu weitdeutend und unscharf empfunden.« (Georg Ebersbach: »Vom Wehrdienst der Wirtschaft« in »Das junge Deutschland« J: 1936 S: 42)
(der Arbeiter) will Anerkennung der Leistung, Konjunkturlöhne.« (D.V 29/918)
»Er
aber nicht
Abkürzungen: Statistisches Jahrbuch. St.Jb. Vj.K. Vierteljahrshefte für Konjunkturforschung 1936 WK. Wochenberichte [für Konjunkturforschung] 1936 =
=
=
W & St. D.V. RKG.
=
= =
Wirtschaft und Statistik 1936 Die deutsche Volkswirtschaft. Nationalsoziaüstischer Wirtschaftsdienst 1936 Halbjahresbericht der Reichskreditgesellschaft A.G. Berlin 1936.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
|S.1| [Teill] Das nationalsozialistische Programm. Als der Nationalsozialismus in Deutschland zur Macht kam, versprach er, die Lebensmöglichkeiten für die deutsche Arbeiterklasse in 2 Etappen zu verbessern. 1. [Z]unächst sollte die Arbeitslosigkeit liquidiert werden und zwar bei Stabilität des Lebensniveaus der bisher beschäftigten Arbeiter. Löhne und Preise sollten nicht gesteigert werden. 2. Wenn die Eingliederung der Arbeitslosen in den Produktionsprozess unter Aufrechterhaltung der Tariflöhne geglückt sei, dann sollte gleichzeitig mit der weiteren Steigerung der Produktion das Lohnniveau der Arbeiterklasse erhöht werden. Die offizielle Nazipresse verkündet denn auch tausendfach, dass der erste Punkt des Programms fast völlig geglückt sei. Mit dem »Aufstieg« der deutschen Produktion sei die Arbeitslosigkeit immer mehr gesenkt (von 5.603.000 im Jahre 1932 auf 4.804.000 1933 St.Jb. 2.719.000 1934 1936 1935 und 2.151.000 auf 1.035.000 im September 1936)* und diese Eingliederung der Millionenmassen der Arbeitslosen in den Produktionsprozess habe stattgefunden unter sehr geringfügiger Senkung der bisherigen Tariflöhne. Betrug immer nach den amtlichen Statistiken (siehe z. B. die Vj.K.) der Stundenlohnsatz für männliche Facharbeiter im Monatsdurchschnitt -
—
Nach den vielen Fälschungen der Nazistatistik sind sehr begründete Zweifel zu hegen, ob die offizielle Zahl der Beschäftigten, die für September 1936 mit 17.886.000 angegeben wird, richtig ist; ebenso, ob die Nazibehauptung, dass von diesen 17.886.000 17.790.000 regulär beschäftigt sind, stimmt, und nur ein verschwindender Bruchteil bei sogenannten zusätzlichen öffentlichen Arbeiten. Aber selbst[,] wenn wir diese Zahl von 17.886.000 zugrunde legen, so ist es fraglos ein glatter Schwindel, dass im gleichen Zeitraum nur 1.035.000 Arbeitslose vorhanden waren. 17.886.000 + 1.035.000 *
ergibt 18.921.000 »Angriff« aber meldet in
seiner Nummer vom 21. August 1936[,] dass die Zahl der Arbeitsbücher 21,6 Millionen beträgt, und diese Zahl kann stimmen, da man die Zahl der gegen Lohn und Gehalt Beschäftigten 1928/29 in Deutschland auf 21 Millionen schätzte und seitdem sicher eine Steigerung eingetreten ist. Zieht man von den 21,6 Millionen die oben ausgerechnete Zahl von 18,921 [Millionen] ab, und dazu das stehende Heer von ca. 0,600 [Millionen], so bleibt über der Zahl der von den offiziellen Statistiken zugegebenen Arbeitslosen noch eine Zahl von »unsichtbaren« Arbeitslosen [v]on ca. 2 Millionen. Der
ausgegebenen
33.
Wirtschaftskommission, Denkschrift
Lohn
1932 1933 1934
81,6 so betrug er 78,5 78,3 1935 76,3 (St.Jb. 1936)
| S. 21 Noch kleiner ist die Veränderung bei den Hilfsarbeitern. Hier betrugen die Stundenlohnsätze im Monatsdurchschnitt 1932 64,4 1933 62,3 1934 62,2 1935 62,2 (St.Jb. 1936) Wenn der Tariflohn in Deutschland unter dem Naziregime auch nur konstant geblieben wäre, so musste sich die Einstellung von Müüonenmassen in den Produktionsprozess darin ausgewirkt haben, dass das Gesamteinkommen der deutschen Arbeiterklasse beträchtüch gesteigert wäre. Das behauptet denn auch die nationalsoziaüstische Presse. Prüfen wir. Das Gesamteinkommen aus Lohn und Gehalt* Nach den offizieüen deutschen Angaben waren im Durchschnitt des Jahres beschäftigt: Gesamtsumme für Lohn und Gehalt
(in 1.000) 1932 1933 1934 1935 1. Viertel). 36 2. Viertelj. 36
*
12.518 13.080 15.090 16.000 15.950 17.420
=
betrug: (1.000) 26.001 26.342 29.791 31.773
7.997
8.526
St.Jb. 35/36 Vj.K.
Man muss bei den Angaben über Einkommen aus Lohn und Gehalt a) berechnen, dass hierbei auch die Gehälter der gesamten Beamtenschaft eingerechnet sind, die Geb) hälter der höheren Angestellten bis zu den Direktoren [.] Nun sind gerade diese Gehälter sehr beträchtlich gestiegen im Gegensatz zu den Arbeiterlöhnen. Hierfür einige Beispiele aus der Nazipresse. Der »Angriff« vom 2. Mai 1936 meldet: »Die Geschäftsabschlüsse von zwei grossen Montangesellschaften weisen u. a. aus: Vorstandsgehälter 1933/34 betrugen 241.068 Mark, 1934/35 erhöht auf 464.526 Mark. Die Bezüge für 4 Personen haben sich im letzten Jahr also fast verdoppelt. Auf jeden Direktor kommen jährlich 116.131 Mark oder rund 10.000 Mark pro Monat.« Der »Ruhrarbeiter« meldet in seiner dritten Juli-Ausgabe 1936: »Eine Prüfung der Bilanzen ergibt, dass die Vorstandsgehälter durchweg zwischen 40—60.000 Mk. jährlich betragen. Sie sind teilweise bei kleinen Gesellschaften niedriger, aber bei allen unseren grossen westdeutschen Konzernen noch viel höher: zwischen 80-100.000 Mark.«
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
| S. 3 | Wenn wir die ersten 3 Jahre der Naziherrschaft analysieren, für die Gesamtzahlen vorliegen, so hat sich der Lohn von reichlich 26 Milliarden Reichsm[ark] 1932 auf 31,773 Milliarden 1935 erhöht und die durchschnittliche Beschäftigungszahl von 12,518 Millionen auf 16 Millionen. (Bei den Lohnzahlen für 1935 ist das Saargebiet bereits eingeschlossen, bei dem nach den amtlichen Angaben eine Lohnsumme von 2—300 Millionen eingesetzt werden muss und dazu ein Teil der Löhnung für das stehende Heer. Das ist der Grund, warum z. B. die Reichskreditgesellschaft die Lohnsumme für 1935 nur auf ungefähr 31 Millionen
schätzt.)
Danach wäre das Einkommen der gesamten deutschen Arbeiterklasse in 3 Jahren Naziherrschaft um 5 Millionen gestiegen, d. h. um knapp 20 Proz. Die Reichs-Kredit-Gesellschaft vergleicht die Erhöhung der Zahl der beschäftigten Arbeiter mit der Erhöhung des Arbeitseinkommens und bringt darüber folgende Statistik
(R[K]G S. 33):
Es erhöhte sich in Prozent
1932 bis 1933
von
1933 bis 1934
von
Jan.-Sept. 1934 bis
Jan.-Sept. die Zahl der insgesamt
+5,3
+15,2
+5,6
+1,2
+13,3
+5,1
1935
Beschäftigten
das Arbeitseinkommen
Danach hat sich zwar im Jahre 33 die Zahl der beschäftigten Arbeiter weit schneller vermehrt als das gesamte Arbeitseinkommen, die Differenz ist aber bereits 1934 geringer geworden, um 35 fast ganz zu verschwinden. Wenn es wahr wäre, dass einer Erhöhung der Zahl der Arbeiter um reichlich 25% eine Erhöhung der Einkommen um knapp 20% entsprochen hätte, dann hätte man mit einigem Recht behaupten können, dass die Löhne sich in Deutschland einigermassen stabil gehalten hätten. Aber diese Erhöhung um 20 % ist ein glatter Schwindel, wie wir im folgenden an Hand der deutschen offiziellen Statistiken beweisen werden.
Der »Angriff« vom 22. 9. 1936 veröffentlicht unter dem zweispaltigen Titel: Soziale Fortschritte bei Kloeckner, aus dem Jahresbericht dieser Werke: »Die Gesamtbezüge des Vorstandes stiegen von bisher 273.000 Mark auf 338.000 Mark, während die des Aufsichtsrats sich geringfügig von 49.500 auf 46.500 ermässigten. Beim Vorstand hat sich die pro-
Kopfsumme von 68.000 auf 84.000 Mark erhöht.« In der gleichen Nummer heißt es über Humboldt-Deutz: »Die Bezüge des Vorstandes wurden pro Kopf von einem Jahr zum andern von 51.000 auf 71.000 Mark erhöht. Die Dividende wurde bekanntlich von 3 Prozent auf 6 Proz. heraufgesetzt.«
33. Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
Die
Gesamtlohnbewegung.
»So sehr weiter Lohnverbesserungen an sich erwünscht sind, so müssen sie dann jedoch unterbunden werden, wenn sie nicht aus vermehrter Leistung, sondern aus Uebergewinnen in produktionsbegünstigten Betrieben herrühren.« (Deutsche Volkswirtschaft 1936. 30/950) »Schließlich ist jeder Tariflohn nur der Versuch, an den gerechten Massstab für den Wert der jeweiligen Arbeit so nahe wie möglich heranzukommen. Erst der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens zeigt, ob dieser Voranschlag dem Optimum näher oder ferner liegt. Jede nicht durch Mehrleistung begründete organische Lohnsteigerung wird deshalb vermieden werden müssen.« (D.V. 1936. 29/918).
Dem Nominalzuwachs an Einkommen steht einmal der Rückgang der Arbeitslosenunterstützung und die Erhöhung der Steuern und Sozialbeiträge gegenüber. Die Reichs-Kredit-Gesellschaft betont in ihrem ersten Halbjahresbericht 1936 mit Recht (S. 34): »Der Zuwachs der Arbeitseinkommen bedeutete allerdings keine vollentsprechende reale Steigerung der Konsumkraft; abzusetzen ist vielmehr die inzwischen eingetretene Konsumentenpreiserhöhung, s[o]dann der vermehrte Anfaü von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, schüessüch auch der Wegfaü der Unterstützungszuwendungen für die bisherigen Arbeitslosen.«
| S. 41 Analysieren wir die einzelnen Punkte. Die A rbeitslosenunterstützung. Nach den Angaben des Wochenberichts des Institutes für Konjunkturforschung vom 28. Oktober 1936, Nr. 43, die in vielen Reden von dem deutschen Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk bestätigt wurden, betrug die Arbeitslosenunterstützung 1932 1933 1934 1935 1. 1.
Halbjahr 1935 Halbjahr 1936
Wenn die
lysiert wird, rücksichtigt werden.
2,93 2,23 1,44 1,15 0,66 0,54
(WK. 28.10[.])
Gesamteinkommens der deutschen Arbeiterklasse ananatürüch der Rückgang der Arbeitslosenunterstützung be-
Steigerung des so muss
(in Milliarden WM)
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Hatten wir vorhin festgestellt, dass der Lohn in den 3Jahren von 1932-35 von 26 Milliarden auf 31 Milliarden gestiegen ist, so ist nunmehr von diesen Einnahmen 1,780 Milliarden für den Rückgang der Arbeitslosenunterstützung abzuziehen. Aus 31 Milliarden werden so 29 Milliarden 220 Millionen. Wir befinden uns hierbei im übrigen in voller Uebereinstimmung mit den deutschen amtlichen Stellen. So heisst es z. B. in den Vj.K., 7. Nov.[,] Teil B, Seite 118: »Bekommt z. B. ein Arbeitsloser Arbeit, so steigt seine Kaufkraft nicht um den Betrag, der ihm als Nettolohn ausgezahlt wird. Denn gleichzeitig fällt seine Unterstützung fort, mit der er bisher das Notwendigste kaufen konnte.« Erhöhte Steuern und Beiträge. Genaues exaktes Zahlenmaterial an dieser Stelle zu geben, ist kaum möglich, da gerade an diesem Punkt die offiziellen Naziangaben gefälscht sind, da weiterhin eine Anzahl »freiwilliger« Abgaben gezahlt werden. Aber einige Zahlen lassen sich doch nach den offiziellen Angaben zusammenstellen. Die Reichs-KreditGesellschaft bringt in ihrem bereits zitierten Halbjahresbericht Angaben über die Erhöhung der Lohnsteuern. Sie brachte: 1932 750 Millionen 1935 1.360 [Millionen]
Steigerung also Die
610 Millionen*
Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung betrugen: 1932 1935
Steigerung also
851 Millionen 1.098 [Millionen] 247 Millionen | S. 5 |
Beiträge der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung betrugen[:]
Die
1932 1935
514 Millionen 668 [Millionen]
Steigerung also
154 Millionen
*
Die wirkliche Erhöhung bleibt hinter diesen Zahlen stark zurück, da die sogenannte Negersteuer (die Bürgersteuer), bis dahin separat geblieben war und nunmehr zur Lohnsteuer hinzugerechnet wird. Wenn wir die Erhöhung der Lohnsteuer doch oben nach den offiziellen Zahlen eingesetzt haben, dann aus folgendem Grunde: so wie die Lohnsteuern gestiegen sind, so sind im 3. Reich sämtliche Verbrauchssteuern erhöht worden. In den Reden des Finanzministers Schwerin von Krosigk ist immer wieder betont worden, dass ein Teil der Aufrüstung durch den steigenden Steuerertrag finanziert wurde. Bei den wachsenden Steuereinnahmen von ca. 3 Milliarden spielt die Erhöhung der Verbrauchssteuern eine entscheidende Rolle. Auf sie entfällt ungefähr 1,3 Milliarden. Die Arbeiterschaft ist natürlich neben der Erhöhung der Lohnsteuern auch durch die Erhöhung der Verbrauchssteuern zusätzlich belastet worden. Die Abrechnung der Bürgersteuern wird also mehr als ausgeglichen durch die Erhöhung der Verbrauchssteuern.
33.
Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
Die Erhöhung der Lohn- und Verbrauchssteuern, die Erhöhung der Beiträge der Arbeitnehmer für Sozialversicherung und Arbeitslosenunterstützung betrug also in den 3 Jahren mehr als eine Müüarde. Das sind die amtlich zugegebenen Ziffern, wobei aüe »freiwilügen« Beiträge, die in Wirküchkeit fast immer Zwangsbeiträge sind, nicht in Rechnung gesteüt werden.* Zieht man sie von den oben gegebenen Zahlen des Gesamteinkommens der für Lohn und Gehalt Beschäftigten ab, so ergibt sich folgendes:
(in Milüarden) Bruttoeinkommen 1935 Abbau der Arbeitslosenunterstützung Erhöhung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge =
31,000 1,780 1,000 28,220
Wir haben also nicht eine Steigerung des Arbeitseinkommens in den ersten Jahren der Naziherrschaft von 26 Milüarden auf 31 Milüarden, sondern in Wirküchkeit eines [sie] von 26 Milüarden auf 28,220 Milüarden, wobei, um dies noch einmal eindringüch zu betonen, die gesamten »freiwilügen« Abgaben nicht eingerechnet sind. Die Nominalsteigerung des Arbeitseinkommens beläuft sich also auf ca. 2,25 Milüarden, d. h. das gesamte deutsche Arbeitereinkommen Brutto ist in diesen ersten Jahren noch nicht einmal um 10% gestiegen bei einer Steigerung der Beschäftigtenzahlen nach amtüchen Angaben um mehr als 25 %.
Preise und Lebenshaltungsindex in Deutschland. Diese Bruttosteigerung des gesamten Einkommens der gegen Lohn und Gehalt Beschäftigten im besten Faüe um knapp 10% ist jedoch begleitet gewesen von einer ganz beträchtlichen Preiserhöhung in Deutschland gerade für die Gegen-
*
Auf der Dr. Wotschke zu zahlen hat:
Tagung der Reichswirtschaftskammer im August 1936 hat der IndustrieUe festgestellt, dass jeder Arbeiter mindestens die folgenden Abzüge vom Lohn
Pflichtbeiträge: Lohn-[J Bürger-[,] Kirchensteuer, 14,2 % Krankenkassen-[J Invaliden- & Arbeitslosenbeiträge Offiziöse Belastung DAF und NSV 1,9 % Vereinsbeiträge: Partei, Luftschutz, NS[-]Formationen, insbesondere für Familienangehörige 1,6% Beiträge zu staatl. anerkannten & geförderten Organisationen, Soldatenbund, Sport, Arbeitsdank 1,0 % Besuch von Veranstaltungen hiervon 1,3 % zusammen % 20,0 gibt Hier fehlen die »freiwilligen« Spenden für die Winterhilfe usw. Es sind Aufstellungen bekannt, nach denen der Abzug über 30 % beträgt, sodass man einen durchschnittlichen Abzug von 25 % als normal annehmen kann.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
stände des täglichen Bedarfs, gerade für die Produkte, die der Arbeiterhaushalt braucht. Hier exakte Zahlen zu geben, ist allerdings fast unmöglich, da gerade hier die Fälschungsmanöver der offiziellen Statistik am stärksten sind. Ein Beispiel für viele: Der amtliche Febenshaltungsindex zeigte (als Ausgangspunkt ist immer das Jahr 1913/14 mit 100 genommen) folgende Entwicklung: 1933 118,0 1934 121,1 1935 W.K. und St.Jb. | S. 61 123,0 und im 1. Halbjahr 1936 blieb er verhältnismässig stabil. Er schwankte von 124,3 auf 124,2 auf 124,5. Der Ernährungsindex erhöhte sich von 1933 113,3 auf 1935 120,4 (ebenda) der Bekleidungsindex von 1933 106,7 auf 1935 117,8 während der Wohnungsindex stabil blieb. Nach diesen amtlichen Angaben sind also die gesamten Lebenshaltungskosten in Deutschland um 5 Punkte, d. h. noch nicht einmal um 5 % gestiegen. Die reinen Ernährungskosten dagegen um 7 Punkte. Wenn wir für eine Sekunde diesen amtlichen deutschen Lebenshaltungsindex als wahr unterstellen, so wäre im gleichen Zeitraum, in dem die Bruttolohnsumme um knapp 10 % gestiegen ist, die Lebenshaltung um 5 % gestiegen; selbst nach diesen amtlichen Angaben würde das gesamte Einkommen in den ersten Jahren des Naziregimes nur um Brutto 5 % gestiegen sein bei einer Vermehrung der Belegschaft um 25 %. Selbst nach diesen amtlichen Angaben also hätte der deutsche faschistische Kapitalismus die Millionenmassen der Arbeitslosen in den Produktionsprozess eingegliedert, indem die alten Beschäftigten + den [sie] Neuen zusammen kaum mehr verdienten als früher die Alten allein. Aber der Lebenshaltungsindex ist fraglos absolut gefälscht. Das geben die Nazis an anderer Stelle auch direkt zu. Auf der gleichen Seite der Vj.K, auf der regelmässig der Lebenshaltungsindex veröffentlicht wird, wird auch der Grosshandelsindex für Agrarstoffe* publiziert. -
*
Einige instruktive Beispiele für Preisdifferenzen in Grosshandelsindexzahlen (1910-14= 100) April 33 April 36
Getreide Esskartoffeln Schlachtvieh Butter Eier
93 52 66 73 115
106 120 99 105 138
R.K.G
33. Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
1933 im Durchschnitt 1934 auf 1935 [auf] 1936 bis auf
Betrug er
86,8, so stieg er 95,9 102,2, und im Laufe des Jahres 106,6 (St.Jb. 1936)
Während also in den ersten 3 Jahren der Naziherrschaft nach den offizieüen Angaben die Grosshandelspreise für Agrarstoffe um knapp 16 Punkte (um mehr als 16 % !) gestiegen sind, soü bei den Lebenshaltungskosten die Ernährung nur um 7% gestiegen sein. Das ist natürüch ein blanker frecher Schwindel. Das ergibt sich aus diesen Angaben, aber noch aus vielen anderen. Wenn es sich nicht um die Gestaltung der Lohnverhältnisse in Deutschland handelt, sondern um eine Herausstreichung der Massnahmen, die das III. Reich behauptet, für die Landwirtschaft getan zu haben, dann wird diese Erhöhung der Preise auch ganz offen zugegeben. In dem von uns bereits mehrfach zitierten Halbjahresbericht der R.K.G wird bei der Analyse der Landwirtschaft auf die Erhöhung ihrer Einkommen hingewiesen. Dort heisst es (S. 25): »Auf der Einnahmenseite ist die Besserung in der Hauptsache der Hebung des Agrarpreisniveaus zuzuschreiben, die dank den Massnahmen der Reichsregierung seit 1933 erzielt worden ist. Es gelang hierbei, den im Landwirtschaftsjahre 1932/33 weit unter das Vorkriegsniveau herabgesunkenen Preisstand der aus der Landwirtschaft zum Verkauf gelangenden Erzeugnisse bis auf 100 im Spätherbst 1935, d. h. um rund 30 % zu heben.« | S. 71 Um 30 % sind also bereits bis zum Herbst 35 nach den deutschen amtlichen Angaben die Preise für die Agrarprodukte gestiegen. Selbst wenn wir annehmen, dass es geglückt wäre, die Handelsspanne etwas zu verringern, so bleibt mindestens eine Erhöhung der gesamten Lebensmittelpreise um 1/4 Wirküchkeit. Im Budget des deutschen Arbeiters spielen die Lebensmittel die Hauptrolle. Selbst wenn wir eine Kategorie bei unsrer Betrachtung zugrundelegen, die infolge quaüfizierter Arbeit ein etwas erhöhtes Einkommen hat, so gehen auch bei diesem Budget die Hälfte aller Ausgaben in den Lebensmittelbedarf. Eine Erhöhung der Lebensmittelpreise um ungefähr 25 % bedeutet daher, selbst wenn alle übrigen Preise stabü gebüeben sind, was nicht der Faü war, (siehe die Erhöhung der Textiipreise) eine Erhöhung des gesamten Lebenshaltungsindex um ca. 12,5%. Bei der grossen Mehrheit der Arbeiterschaft, in deren Lebensunterhalt die Lebensmittel einen grösseren Prozentsatz ausmachen, beträgt die Verteuerung des Lebenshaltungsindex mindestens 15%. Dass die Agrarpreise in Deutschland um einen Satz von ca. 30 % gestiegen sind, gilt immer abgesehen von den ganz offiziellen Angaben als selbstverständüch. In der Nummer 631 der Frankfurter Zeitung vom Dienstag, den 10. Dezember 1936, ist im Handelsteü ein Leitaufsatz: Die Landwirtschaft als Käufer. Dort wird festgestellt, dass die Verkaufserlöse der Landwirtschaft gestiegen sind, und dann heisst es wörtlich: »Das ist die Wirkung der im Durchschnitt etwa 30 %igen Erhöhung der Agrar-
preise.«
-
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Fassen wir zusammen: einer Gesamtnominallohnsteigerung von im besten Fall knapp 10 % steht eine Mindesterhöhung des Lebenshaltungsindex um 12,5% bis 15 % gegenüber. Oder anders ausgedrückt: die deutsche Arbeiterklasse verdient nach der 4jährigen Naziherrschaft insgesamt weniger, als sie im letzten Krisenjahr verdient hat. Und da in dieser Zeit die Zahl der Beschäftigten um mehr als 1/4 gestiegen ist, so ist das durchschnittliche Einkommen jedes einzelnen deutschen Arbeiters im Durchschnitt in diesem Zeitraum um mehr als 1/41 gesenkt worden. Zu diesem Schluss kamen wir, indem wir nur amtliche deutsche Angaben verwandt haben: die amtlichen Angaben über das Lohn- und Gehaltseinkommen, die amtlichen Angaben über den Abbau der Arbeitslosenversicherung, die amtlichen Angaben über die Erhöhung der Lohn- und Verbrauchsst[e]uern[,] die amtlichen Angaben über die Erhöhung der Beiträge für Sozial- und Arbeitslosenversicherung, die amtlichen Angaben über die Erhöhung der Agrarstoffpreise und die über die Erhöhung des gesamten landwirtschaftlichen Einkommens. Diese unsere theoretische Analyse wird vollauf bestätigt durch sämtliche Berichte der in Deutschland tätigen Arbeiter. In der »Sozialistischen Tribüne« vom August 1936 wird ein Bericht über die Lage der deutschen Bergarbeiter gegeben. Es heisst dort bei der Zusammenfassung der Darstellung über Arbeits- und
Lebensbedingungen:
»Es ist bei dem herrschenden
System der Nachrichtensperre nicht möglich, exakte allgemein gültige Angaben über die Senkung des Reallohns zu erreichen. Soweit man aber aus den vorher berichteten Tatsachen schliessen darf, die durch Einzelangaben symptomatische Bestätigung erhalten, kann man die Senkung des Reallohns zwischen 20 und 33 % einschätzen.« Es ist öfters ein Zweifel geäussert worden, dass die aus Deutschland selbst stammenden Berichte repräsentativ für die gesamte deutsche Arbeiterklasse seien, ob nicht zu vorschnell besonders ungünstige eigene Erfahrungen verallgemeinert werden? Der in den einzelnen Berichten jedoch festgestellte Abbau der Reallöhne um 1/5 bis 1/3 entspricht völlig der von uns gegebenen systematischen Analyse. Die Differenzierung innerhalb der deutschen Arbeiterklasse. Bevor wir uns der Analyse der weiteren Entwicklung zuwenden, ist es notwendig, mit einigen Worten auf die Differenzierung innerhalb der deutschen Arbeiterklasse einzugehen. Trotz der grossen Wichtigkeit dieses Tatbestandes behandeln wir ihn an dieser Stelle nur kurz, weil der gesamte Fragenkomplex demnächst in einer eigenen Arbeit besprochen werden soll. | S. 81 Starke Differenzierungen in den Lohnverhältnissen der deutschen Arbeiterklasse gab es natürlich bereits vor dem Naziregime. Schon damals bestanden erhebliche Unterschiede z. B. bei den Löhnen der Metallarbeiter und denen der Textilarbeiter. Nach allen uns zur Verfügung stehenden Daten und Angaben hat jedoch das Naziregime die Differenzierung nicht abgebaut, sondern weiter verstärkt.
33. Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
In der Textilindustrie erhielt*
der männl. Facharbeiter
der weibl. Facharbeiter der männl. Hüfsarbeiter
der weibl. Hüfsarbeiter
Juni 1936 Sept. 1933 Juni 1936 Sept. 1933 Juni 1936 Sept. 1933 Juni 1936 Sept. 1933
Bruttowochenlohn 29,36 RM
31,00 20,15 23,51 22,72 27,21 15,41 17,07
BruttoStundenlohn
69,4 Pfg. 72,6 33,3 49,4 53,4 56,8 37,5 41,3
Ähnüch üegen die Verhältnisse in der Süss-[,] Back- und Teigwarenindustrie, erhielt* der gelernte Arbeiter es
der männl. Hilfsarbeiter
Juni 1936 Juni 1934 Juni 1936 Juni 1934
41,29 [RM] 43,09 33,06 37,38
85,2 [Pfg.] 93,4 66,2 75,5
Die angeführten Daten beweisen, dass in diesen Wirtschaftszweigen sowohl der Bruttolohn wie der Bruttowochenverdienst abgenommen hat. Vergleicht man diese starke Senkung des Einkommens der Textilarbeiter sowie die niedrige absolute Höhe ihres gegenwärtigen Lohns mit den Löhnen, die den in der Rüstungsindustrie beschäftigten Arbeitern gezahlt werden, so wird deutüch, wie weitgehend es dem Regime geüngt, die Arbeiterschaft in eine Schicht höchstquaüfizierter gutbezahlter Arbeiter und die Masse schlechtbezahlter Almosenempfänger zu differenzieren. In der Eisen- und
Stahler[z]eugenden Industrie im Dezember 1935* erhielten
die ersten Arbeiter im Stahlwerk die ersten Arbeiter i[m] Walz-[,] Hammer- und Presswerk
Bruttowochenlohn 65,67 RM
BruttoStundenlohn
63,76
126,2
120,3 Pfg[.]
Vergleicht man diese Zahlen mit den um die gleiche Zeit gezahlten Löhnen des gelernten Textilarbeiters (Wochenlohn ca. 30 RM), so erkennt man die starke Dif-
ferenzierung der gelernten Arbeiterschaft verschiedener Branchen. Ähnüch üegen die Sätze lt. amtlichen Angaben in der metaüverarbeitenden Industrie.*
*
vgl. W. & St.
1.
Oktoberheft; St.Jb. 1934 S. 276;
1935 S. 280.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Im Juni 1936 erhielt der männliche Facharbeiter einen
Bruttowochenlohn
BruttoStundenlohn
Im Maschinenbau 95,7 [Pfg.] 49,06 [RM] Im Land- und Luftfahrzeugbau 49,94 103,7 In der Elektrotechn. Erzeugung 107,4 53,93 In Optik und Feinmechanik 102,6 52,56 auch die S. Bei diesen ist Differenzierung der Belegschaft | 91 Industriezweigen innerhalb des gleichen Zweiges ausserordentlich stark; so erhalten die Arbeiterinnen (die häufig angelernte Arbeiterinnen sind) weniger als die Hälfte an Lohn, als ihre männlichen Arbeitskollegen. Im Juni 1936 erhielten die Arbeiterinnen einen BruttoBruttowochenlohn Stundenlohn Im Maschinenbau 23,70 [RM] 48,9 [Pfg.] Im Land- und Luftfahrzeugbau 23,65 52,0 In der elektrotechn. Erzeugung 26,76 56,5 In Optik und Feinmechanik 24,79 51,8 unter dem Hitlerregime ständig wachsende Differenzierung zwischen den in der Rüstungsindustrie und den in anderen Erwerbszweigen beschäftigten Arbeitern ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Bruttostunden- und teilweise auch die Bruttowochenlöhne der zweiten Kategorie nach unten gehen. Wie weit die Differenzierung auch dadurch wächst, dass sich die Löhne der in der Rüstungsindustrie beschäftigten Arbeiter tatsächlich erhöhen, lässt sich aus den amtlichen Statistiken z. Z. nur schwer erkennen. Einmal werden heute in der Rüstungsindustrie Prämien gezahlt, die nicht versteuert werden und daher auch nicht in der Statistik erscheinen. Ausserdem sind die Statistiken schon darum gefälscht[J weil sie z. B. von einer wöchentlich durchschnittlichen Arbeitszeit in der metallverarbeitenden Industrie von ca. 50 Stunden, in der Eisen- und stahlerzeugenden Industrie von 51,5 Stunden ausgehen, während in Wahrheit 60 und mehr Stunden gearbeitet wird. Aus den illegalen Berichten ergeben sich daher auch Stundenlöhne von 1,201,50 RM und Wochenlöhne von 70-80 RM. Schliesslich aber fehlt es für die in der Rüstungsindustrie beschäftigten Arbeiter an brauchbaren Vergleichszahlen aus der Zeit vor Hitler. Freilich lässt eine Gegenüberstellung der Erhebungen vom August 1935 und den oben angeführten vom Juni 1936 in der metallverarbeitenden Industrie erkennen, dass auch noch in diesem kurzen Zeitraum die Löhne für qualifizierte Arbeiter erheblich stiegen. In den Metallbetrieben ist z. B. der Stundenlohn von 82,2 auf 91,8 Pfg gestiegen. In der elektrotechn. Erzeugung von 104,0 [auf] 107,4 [Pfg.]. Der Bruttowochenlohn steigt noch stärker infolge der (amtlich zugegebenen) Verlängerung der durchschnittlichen Arbeitszeit von 48,4 auf 49,3 Stunden[,] wobei immer wieder zu bemerken ist, dass in Wahrheit die Arbeitszeit weit stärker ansteigt.
Die
33.
Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
Auf die Konsequenzen, die sich für unsere Arbeit aus den Lohnsteigerungen in der Rüstungsindustrie ergeben (Lohnsteigerungen, die für das Regime notwendig geworden sind, weü gerade in der Rüstungsindustrie z. Z. der Facharbeitermangel gross ist), gehen wir in einer anderen Arbeit ein. Heute nur soviel, dass die Widersprüche für das Regime infolge dieser Entwicklung sich umso eher steigern, weü als Konsequenz der forcierten Aufrüstung die gesamten Lohnsummen faüen müssen. Das wird im 2. Teü dieser Arbeit bewiesen, j S. 10. |
Teil II
Die weitere Perspektive. »Das [Vierjahresprogramm]2 des Führers ist ja in seinem wesentlichen Inhalt eine Lohnpolitische Massnahme, und die Hoffnung haben wir, dass am Ende des Vierjahresplans die Lebenshaltung sich wesentlich gebessert haben wird. Und zwar nicht durch gestiegene Löhne, sondern durch Wiederherstellung unsrer nationalen Kaufkraft, so wie Pg.
Göring es ja ausgesprochen hat[.« ] (Der Ruhrarbeiter[J Nov, 36, Nr. 45)
es ihm (dem Wirtschaftstreuhänder) gelingen wird, die gekennzeichnete lohndrükkende Tendenz wirklich und durchschlagend auf-
»Inwieweit nun
zuheben, wird
im einzelnen, darüber kann sich einer Täuschung nicht hingeben, sehr guten Wülen der Unternehmer abhängen.« (Der Ruhrarbeiter, Dez. 36, Nr. 48)
man vom
Wir haben den ersten Programmpunkt der nazionalsoziaüstischen [sie] Wirtschaftspoütik behandelt. Der Nationalsoziaüsmus versprach Liquidierung der Arbeitslosigkeit bei gleichbleibenden Löhnen. Wir haben gezeigt, dass die Eingüederung von Müüonenmassen in den Produktionsprozess begleitet gewesen ist von einem Zurückschrauben des Einkommens der deutschen Arbeiterklasse um 25-30 %. Wie aber steht es mit der Verwirklichung des 2. Programmpunktes: Erhöhung der Löhne, wenn einmal die Arbeitslosen zu einem grossen Teil beschäftigt sind? Wir werden im weiteren den Nachweis führen, dass bei der Kriegswirtschaft in Deutschland eine Erhöhung der Löhne für die gesamte deutsche Arbeiterklasse absolut ausgeschlossen, direkt denkunmöglich ist. Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, zu zeigen, dass die gesamte deutsche Produktionssteigerung im wesentüchen durch die Aufrüstung und ihre direkten und indirekten Folgen mögüch gemacht wurde. Die Auswirkungen dieser forcier-
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Aufrüstung sind jedoch in den einzelnen Etappen der Naziherrschaft verschieden gewesen. Als Hider mit der Aufrüstung begann, im Frühjahr 1933, fand er eine deutsche Industrie vor, deren Produktion sich infolge der Krisenauswirkungen halbiert hatte. An sichtbaren und »unsichtbaren« Arbeitslosen gab es damals fast 9 Millionen in Deutschland. In der Schwerindustrie wurde die Kapazität der Produktion vielfach nur zu einem Drittel ausgenützt. Infolgedessen war es in der ersten Zeit der Aufrüstung möglich, die rein militärische Produktion ausserordendich zu steigern und gleichzeitig in der Landwirtschaft wie in den eigentlichen Konsumindustrien ungefähr soviel zu produzieren, wie man vor der Machtübernahme produziert hatte. Lediglich die Rohstofffrage machte damals Schwierigkeiten. In letzter Zeit ist das jedoch anders geworden. Die deutsche Schwerindustrie, die Eisen- und Stahlwerke, die Maschinenindustrie, die chemische, die Automobilproduktion, arbeiten auf höchster Tourenzahl. Dadurch werden natürlich die vorhandenen Produktionsanlagen stark abgenutzt, weit stärker als in der Zeit der Krise. Selbst wenn man keine neuen Produktionsanlagen zu schaffen braucht, (in der Automobilindustrie musste man es bereits) muss man immer grössere Investitionen vornehmen, um die alten Produktionsanlagen zu amortisieren und zu erneuern. Oder anders ausgedrückt: in den ersten Jahren der Aufrüstung konnte das gesamte militärische Programm durchgeführt werden, ohne dass die Konsumindustrie allzusehr in Mitleidenschaft gezogen wurde. In der heutigen Zeit dagegen verlangt die Aufrüstung nicht nur den leeren Produktionsraum, der schon vorher vorhanden war, sondern sie ver-|S. 11 |langt darüber hinaus beträchtliche Investitionen für Amortisierung und Erneuerung der Produktionsstätten. Wenn in der »normalen« kapitalistischen Produktion die Produktionsziffern so gestiegen wären, wie es in Hiderdeutschland in den letzten Jahren der Fall gewesen ist, so hätte sich allmählich auch der Vorrat an Konsumptionsmitteln [sie] erhöhen müssen, denn bei einer normalen kapitalistischen Produktionsweise werden ja im Laufe der Zeit aus Produktionsmitteln Konsumgüter. In Hitlerdeutschland dagegen beschäftigt sich ein immer wachsender Radius der Produktionsindustrien mit der Erzeugung von Kriegsmaterial. Aus Bomben wie aus Tanks, aus Maschinengewehren wie aus Jagdflugzeugen werden aber niemals Konsummittel. Hatte das wilhelminische Deutschland während des Weltkrieges eine negativere Produktion, wurden damals weniger Konsumptionsmittel [sie] erzeugt, als es dem normalen Bedarf entsprach, so wirkt sich die forcierte Aufrüstung in Hitlerdeutschland darin aus, dass die Neuerzeugung von Kriegsmaterial und der Ersatz der für sie bestimmten Produktionsanlagen zu einer Verringerung der Produktion der Kosummittel der breiten Massen führt. Im Leben der werktätigen Massen spielen die Lebensmittel die entscheidende Rolle. Selbst bei der qualifizierten Arbeiterschaft, deren Monatseinnahme mehr als 150 RM beträgt [,] wird die Hälfte der Einnahme für Lebensmittel gebraucht. Bei Einkommen unter 100 RM machen die Lebensmittel ca. 2/3 der gesamten ten
—
33.
Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
aus. Auf die drei Güter: Lebensmittel, Textiüen und Wohnung fallt 90 % sämtücher Ausgaben. Wir werden im weiteren den Nachweis bringen, dass die Versorgung mit diesen drei für den Massenbedarf wichtigsten Gütern unter dem Naziregime zurückgegangen ist. Beginnen wir mit den Lebensmitteln.
Ausgaben ca.
Die Nahrungsmittelversorgung. Hier hatte sich der Nationalsoziaüsmus die Aufgabe gesteüt, in Deutschland selbst die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung sicherzusteüen, die Einfuhrabhängigkeit vom Ausland zu beseitigen bzw.[,] wenn das nicht völüg gelang, stark zu verringern. Wie gross war die Abhängigkeit Deutschlands in der Nahrungsmittelversorgung in der Vorkriegszeit vom Ausland? Man schätzt, dass damals 80 % des eigenen Bedarfs im Inlande erzeugt wurde und 1/5 eingeführt wurde.* Die Abhängigkeit vom Ausland in der Nahrungsmittelfrage wurde einem grossen Teil der Bevölkerung darum nicht absolut klar, weü zwar die Fleischversorgung und die mit tierischen Produkten durch das Inland erfolgte aber die Futtermittel für das Vieh eingeführt werden mussten. Erst im Krieg spürte man dies[e] Abhängigkeit am eigenen Leibe. Man hat damals das Wort geprägt, dass Rinder und Schweine »mit 2 Beinen im Ausland ständen.« Ist die Abhängigkeit vom Ausland unter dem Naziregime irgendwie geringer geworden? In keiner Weise. Die wissenschaftliche Pubüzistik hat das längst festgestellt. In einer Sonderuntersuchung des Institutes für Konjunkturforschung: Deutschlands Versorgung mit landwirtschaftüchen Erzeugnissen unter besonderer Berücksichtigung der Auslan[d]sabhängigkeit, von Dr. Hans von der Decken (das Buch ist 1935 erschienen) heisst es S. 65: »Ein Vergleich mit der Vorkriegszeit hinsichtüch der Ernährung und der Auslandsabhängigkeit bei der Versorgung mit Lebensmitteln stösst auf besondere Schwierigkeiten, vor aüem wegen des Mangels an guten und vergleichbaren statistischen Unterlagen. Dennoch lässt sich der Verbrauch an Nahrungsmitteln] für den Durchschnitt der Jahre 1909—13 schätzen. Umgerechnet auf Kalorien wurden im Mittel der Jahre 1909/13 insgesamt rd. 70,4 BUüonen Kalorien verzehrt; | S. 121 davon entfielen auf direkt im Inland erzeugte Nahrungsmittel rd. 63,3 Bül. Kalorien, oder 90 %. Berücksichtigt man jedoch noch die >indirekte< Lebensmitteleinfuhr, d. h. in Form von Futtermitteln, so ergibt sich, dass nur 56,3 Bill. Kalorien aus heimischer Scholle stammten. Hierdurch verminderte sich der tatsächüche Stand unserer Selbstversorgung -
...
* Für Fette beträgt die einheimische Produktion ca. die Hälfte des Verbrauchs. Für Textilien wird unter Einbeziehung der bisherigen Ersatzmassnahmen gerechnet, dass der Bedarf in BaumwoUe zu 15 % und in Wolle zu 45 % im eigenen Lande gedeckt werden kann.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
in der
Vorkriegszeit von 90 % auf 80 %. Im Durchschnitt der Jahre 1909/13 die Auslandsabhängigkeit hinsichtlich der Ernährung also ebenso gross wie im Jahre 1934!« war
Und es wurde damals schon gesagt: »Der Kalorienverbrauch in der Vorkriegszeit liegt, rein rechnerisch gesehen, etwas über dem der Nachkriegszeit.« Ist es etwa in der letzten Zeit besser geworden? Nun, hier liegt ein Ausspruch vor von einer für den Nationalsozialismus sehr autoritären Stelle. Beim Frankfurter Verein für Geographie und Statistik hat der Reichsbankpräsident Schacht eine Rede gehalten. Dort sagte er (nach dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom Donnerstag, den 10. Dezemberf,] Nr. 631): »Deutschland hat aus seinem Boden herausgeholt, was nur möglich war. Die Ergebnisse der letzten 3 Jahre zeigen, dass die 1933 erreichte obere Grenze nicht mehr überschritten werden kann.« Nocheinmal also: die Einfuhrabhängigkeit vom Ausland ist in Nazideutschland ebenso gross, wie im wilhelminischen. Die Ergebnisse der Erzeugungsschlacht sind katastrophal. Ist die Finivihiabhängigkeit aber im gleichen Umfange vorhanden wie in der Vorkriegszeit, wie in der Zeit der sogenannten Weimarer Republik, so ist die Einfuhr selbst gegenüber der damaligen Epoche ganz erheblich zurückgegangen. In den Jahren 1925/29, in den Jahren also vor der Weltwirtschaftskrise, als in Deutschland eine gewisse Konjunktur herrschte, betrug die
Einfuhr von Lebensmitteln (in Millionen RM). 1925 1926 1927 1928 1929
4.023,0 3.571,0 4.326,1 4.188,0 3.822,7
Im Durchschnitt dieser Jahre wurden somit für nicht weniger als 4 Milliarden jährlich an Lebensmitteln im Ausland gekauft. Sie bildeten die notwendige Ergänzung der im Lande selbst erzeugten landwirtschaftlichen Produkte. In der Krise hat sich natürlich der Lebensmittelimport stark gesenkt. Unter dem Naziregime mit seiner »aufsteigenden Wirtschaftsblüte« ist der Lebensmittelimport jedoch immer weiter zurückgegangen. Die deutsche Statistik verzeichnet für 1933 im Monatsdurchschnitt den Lebensmittelimport mit 90 Millionen RM, für 1934 mit 89 Millionen, für 1935 mit 83 Millionen. Für 1936 liegen noch keine Gesamtzahlen vor, aber die bisher vorliegenden Zahlen zeigen, dass der Import keinesfalls grosser ist wie der von 1935. D h.: der Lebensmittelimport unter dem Naziregime bewegt sich ungefähr in der Grössenordnung eines Viertels gegenüber der Zeit, in der eine wirkliche Konjunktur in Deutschland herrschte, in den Jahren
1924/29.
33. Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
Wenn aber die eigene Produktion nur 4/5 des Bedarfs deckt, wenn auf der andern Seite die Importe wegen der Gesamdage des deutschen Aussenhandels auf der einen, wegen der Einführung der Rohstoffe für die Kriegsindustrie auf der anderen Seite, auf 1/4 der Zahlen aus der Konjunkturzeit zusammenschrumpfen, dann ist notwendigerweise für den Konsum der breiten Massen weniger da als früher. Dann ergibt sich einmal trotz aüer Preisbestimmungen, dass die Lebensmittelpreise ständig steigen, dann ergibt sich auf der andern Seite, dass auf aüen Lebensmittelgebieten schwerste Spannungen eintreten, dass gerade die wichtigsten Lebensmittel für den Massenbedarf nur in unzureichender Weise vorhanden sind. Nur einige Beispiele für viele: Über den Fleischverbrauch berichtet die Frankfurter Zeitung: »Nach den Berechnungen des Statistischen Reichsamts betrug der |S. 131 Fleischanfaü aus Schlachtungen im Oktober 1936 insgesamt 2,61 Müüonen dz, das sind je Kopf der Bevölkerung 3,89 kg[.] Vergüchen mit dem Oktober 1935 (je Kopf 4,11 kg) steüt sich der Fleischanfaü infolge der geringen Schweineauftriebe noch um 5 % geringer. Da dieser Monat des Vorjahres bereits im Zeichen der Fleischknappheit stand, lässt sich der Minderverbrauch gegenüber dem Oktober 1934 auf rd[.] 17 % veranschlagen.« Über den Fettverbrauch braucht nicht sehr viel berichtet zu werden, die Notwendigkeit der Einführung der Fettkarte sagt mehr als genug. Aber auch beim Getreide werden die Schwierigkeiten der Versorgung immer grosser. Am Sonntag, den 13. Dezember[,] veröffentlichte die Frankfurter Zeitung in der Nr. 637 einen Aufsatz über die Brotgetreideversorgung, wobei der erste Abschnitt die bezeichnende Überschrift trägt: »Der Schleier der Rekordernten«. Dort wird darauf hingewiesen, dass die wichtigste Pflicht der Bauern die Abüeferung des Brotgetreides sei. Warum? Weü die Ernten nur Durchschnittfs]ernten* sind, sodass aües hergeholt werden muss, um die Versorgung der Bevölkerung mit Brot sicherzusteüen. Es heisst wörtlich: »Der Zufluss des neuen Getreides zu den Lagerhäusern des Handels und der Mühlen hielt sich im August und September in engeren Grenzen als früher, und im Oktober setzte bereits ein fühlbarer Abfluss ein. Insbesondere die grossstädtischen Mühlen konnten sich in den letzten Monaten zeitweise nur dank der Hüfesteüung der Reichssteüe für Getreide mit geeignetem Mahlgut versorgen, und steüenweise konnten die zunehmenden Abrufe des Handels und der Verbraucher nicht voü oder doch nicht ganz in den gewünschten Sorten erfüüt werden. Die gesamten Läger der «weiten Hand< (Mühlen,
*
Ernten in Müüonen Tonnen.
Brotgetreide Futtergetreide (Nach Stjb. 1936 und W.St.)
Durchschnitt
1930/33 12,4 9,93
1935
1936
12,15 9,72
12,27 10,14
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Handel, Lagerhäuser) umfassten Ende Oktober bei Weizen 847.000 t gegenüber 1,67 Millionen i. V und bei Roggen 753.000 t gegenüber 1,52 Millionen 1935. Sie sind also
ziemlich genau noch halb so gross wie zur gleichen Zeit des Vor-
jahres.«
es, dass man sich durch eine einmalige Rekordernte zu falschen Schlüssen hatte verleiten lassen. »Nachdem jetzt 3 Ernten hintereinander mit jeweils nur rd. 4,6 Mill, t Ertrag gezeigt haben, dass jene Spitzenerträge Sonderfälle waren, lässt sich nicht verkennen, dass unter durchschnittlichen Ernteverhältnissen bei diesem Brotgetreide z. Z. noch eine Versorgungslücke offen bleibt.« (Sperrungen [Hervorhebungen] bereits in der Frankfurter Zeitung). Der Aufsatz weist nach, dass heute in Deutschland die Ernte nicht ausreicht, um die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, und gleichzeitig das Vieh mit Futter. Zusammengefasst: wo man auch hinblicken mag, ob man die Fettversorgung ansieht, die Fleischversorgung oder die Getreideversorgung, um nur von den drei wichtigsten Lebensmittelkategorien zu sprechen: überall sind, um den akademischen Ausdruck der Frankfurter Zeitung zu gebrauchen [,] »Versorgungslücken«. Die deutschen werktätigen Massen sind mit Lebensmitteln weit schlechter versorgt als jemals zuvor. Das berüchtigte Wort: »Kanonen sind wichtiger als Butter«, ist nicht nur eine Phrase, sondern für die Millionenmassen in Deutschland eine sehr schmerzhafte Wirklichkeit. | S. 141
Über den Weizen heisst
Die Bekleidungsversorgung. Zur mangelnden Versorgung mit Lebensmitteln kommt die mangelnde Versorgung mit Textilien. Die entscheidendsten Rohstoffe für die Textilversorgung, Baumwolle und Wolle, werden in Deutschland nicht erzeugt. Vor dem Naziregime spielte dieser Ausfall keine wesentliche Rolle. Der deutsche Export stellte die Einfuhr der wichtigsten Textilrohstoffe sicher. Unter dem Naziregime ist das anders geworden. Wenn durch die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik auf der einen Seite die gesamte deutsche Exportsituation ausserordentlich verschlechtert wurde, wenn, wie schon betont, auf der anderen Seite der Rohstoffbezug für die Kriegsindustrie an erster Stelle rangiert, dann bleibt für den Lebensmittel- wie für den Textilienimport nur ein Bruchteil der Summe übrig, die früher vorhanden war. Die amtlichen Stellen müssen das zugeben. Die Vj.K. betonen in ihrem letzten Bericht (1936 Heft 3 Teil B vom 7. Nov. 36, Seite 164) im Abschnitt über die
Textilwirtschaft:
»Insgesamt ist die Rohstoffeinfuhr im laufenden Jahr zurückgegangen; dies gilt sowohl für die Einfuhr der eigentlichen Rohstoffe als auch für die Garneinfuhr«. Im Jahre 1935 war bereits der Import gegenüber der vergangenen Zeit erheblich gesunken. Das Jahr 1936 bringt einen weiteren Rückgang. Vom Januar bis September 1935 betrug die Baumwolleinfuhr 2.919.000 t [vom Januar bis September] 1936 [betrug die Baumwolleinfuhr] 2.452.000 t.
33. Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
Für die Woüeinfuhr ist dieselbe Entwicklung charakteristisch. Hier betrug die Einfuhr in den ersten 3 Vierteljahren [19]35 1.398.000 t, im gleichen Zeitraum 1936 ist sie auf 1.046.000 t zurückgegangen. Man darf sich durch die Nazistatistik über die Entwicklung der Textilproduktion in letzter Zeit nicht irre machen lassen. Die Nazistatistiken behaupten, dass in der Textilproduktion eine Steigerung eingetreten sei. Hier kann man wortwörtüch sagen, dass diese Steigerung eine »Papiersteigerung« ist. Wie im Krieg steht heute in der deutschen Textiündustrie die Ersatzproduktion in Blüte. Die Massen in Deutschland erinnern sich an ihre Kriegserfahrungen. Sie wissen, von wie langer Dauer diese Art der Bekleidung ist. Wenn man statt Wolle und Baumwoüe Papier-Ersatzkleider bringt, dann kann man natürüch die Produktion erhöhen, weil die Haltbarkeit der Stoffe nur ein Minimum der wirküchen Textilstoffe beträgt. In Wirküchkeit aber wirkt sich grade in der Textiündustrie der immer stärkere Rückgang des Rohstoffbezugs in einer Verringerung der für die breiten Massen zur Verfügung stehenden Produktion aus.
Wohnungen.
Und wie steht
in der
Wohnungsfrage? Die Nazistatistik betont, dass die geriesenhaft zugenommen hat, dass die Arbeitslosigkeit beim Bauproduktion Bau entsprechend abgenommen habe. Nur hatte diese Zunahme der Bauproduktion am aüerwenigsten mit dem Wohnungsbau zu tun. Sie war vielmehr die Folge aüer direkten und indirekten Rüstungsmassnahmen. Wie die Wohnungslage in Wirküchkeit beschaffen ist, wird aber selbst aus den amtlichen Ausführungen der Nazis ersichtlich. Es wird für das vergangene Jahr als ein besonderes Ruhmesblatt des Regimes gepriesen, dass im Gegensatz zu den vergangenen Jahren der sogenannte Wohnungsfehlbedarf nicht mehr gestiegen ist. Damit man uns nicht den Vorwurf einer demagogischen Überspitzung macht, zitieren wir wieder die Vj.K. zu diesem Punkt (Heft 3, Teü B vom 7. Nov. 36). Es heisst dort bei der Analyse des Wohn- und Siedlungsbaues als Ergebnis des Jahres 1936 (S. 155): »Der Wohnungsfehlbestand, d. i. die Zahl der Famüien und Haushaltungen ohne eigene Wohnung (Ende 1935 rd. 1,5 Müüonen) wird also nicht mehr es
samte
steigen«.
Hier wird also amtüch zugegeben, dass unter dem Naziregime in den letzten Jahren der Wohnungsfehlbestand immer stärker gestiegen ist, und dass heute noch eineinhalb Müüonen ohne eigene Wohnung sind. [ S. 151 Aber noch etwas anderes wird auf der gleichen Seite dieser amtlichen Pubükation verraten. Es wird dort eine sehr interessante Statistik gebracht über das prozentuale Verhältnis, in dem im Jahre vor der Machtübernahme durch den Nationalsoziaüsmus, 1932, Wohnungen hergesteüt worden sind und in den Jahren unter dem Naziregime. Die deutsche Statistik unterscheidet dabei 3 Kategorien von Wohnungen: die eine von 1-3 Zimmern, das sind die Wohnungen der Arbeite [r] und eines Teüs der Angesteüten. Zweitens die Wohnungen von 4—6 Zimmern, die des besseren Mittelstandes, und die von 7 Zimmern und mehr, die
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Wohnungen der Reichen bzw. heute der Parteifunktionäre. Wie ist nun die Entwicklung im Wohnungsbau dieser 3 Kategorien gewesen? Darüber berichtet die Nazistatistik
(S. 155):
Fertiggestellte Neubauwohnungen mit... Wohnräumen (in v. H.) 1932 1933 1934 1935 1. Halbjahr 1935 1. Halbjahr 1936
/ bis 3
4 bis 6
58,1 42,5 41,9 39,6 39,0 41,7
38,8 52,3 52,6 54,5 54,8 53,7
7 und mehr
3,1 5,2 5,5 5,9 6,2 4,6
Wohnungen mit mehr als 7 Zimmern bildeten unter der Weimarer Republik ungefähr 3 % der Wohnungen; unter dem Naziregime dagegen hat sich der prozentuale Anteil dieser Kategorie der Wohnungen fast verdoppelt. Das ist der deutliche
Ausdruck dafür, wie mit den Geldern des Volkes für die Nazibonzen Wohnungen geschaffen wurden. Auf der andern Seite hat sich der Anteil der Arbeiterwohnungen und der der kleineren Angestellten, der vor dem Naziregime fast 3/5 der Produktion betrug, auf ca. 2/5 verringert. Demgegenüber ist der Anteil der Wohnungen von 4 bis 6 Zimmern gestiegen. Zusammengefasst: die Versorgung der breiten werktätigen Massen der Bevölkerung mit Wohnraum hat sich unter dem Naziregime entscheidend verschlechtert. Die breiten Massen der deutschen Bevölkerung haben weniger Lebensmittel zu verzehren, sie werden schlechter bekleidet, und für die gesamte Klasse vergrössert sich die Wohnungsnot.
Arbeitseinsatz und Intensität der Arbeit. Im ersten Abschnitt ist der Nachweis gebracht worden, dass das Realeinkommen der gesamten deutschen Arbeiterklasse heute geringer ist als in der Zeit vor der Machtübernahme des Nationalsozialismus. Dieser Nachweis, den wir mit den amtlichen Statistiken über die Löhne, die Steuern, die Sozialversicherungsbeiträge und die Preise gebracht haben, wird durch unsere Analyse über den Lebensmittel-[,] den Textilien- und den Wohnungsmarkt bestätigt. Wenn weniger Lebens-
mittel, weniger haltbare Bekleidungsgegenstände, weniger Wohnraum vorhanden ist, dann ist das der deutlichste Beweis dafür, dass in wirklichen realen Werten gerechnet, das Einkommen der Massen zurückgegangen sein muss. Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht eine weitere Steigerung der Ausbeutung der Arbeiter-
klasse in Deutschland. Wir hatten schon weiter oben die Zahlen gebracht für die Steigerung der Zahl der Beschäftigten. Gleichzeitig ist die Arbeitszeit verlängert worden. Im Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung vom 16.9. 1936 heisst es: »Darüber hinaus ergibt sich, dass das Arbeitsvolumen noch stärker gestiegen ist, als die Zahl der Beschäftigten. Die durchschnittliche Arbeitszeit
33. Wirtschaftskommission, Denkschrift Lohn
betrug 1932 6,9 Stunden, 1936 dagegen 7,5 Stunden. (Nach den Ergebnissen der Industriezählung). Das gesamte Arbeitsvolumen eines Monats ist damit heute zwar noch um 2 % niedriger als 1928, aber um 46 % höher als 1932.« Die gesamte deutsche Arbeiterklasse stellt also seit den 4 Jahren des Naziregimes um 46 % mehr Arbeitsstunden dem faschistischen Kapitaüsmus zur Verfügung und sie erhält dafür in realem Wert weniger als 1932. Dazu kommt noch, dass Arbeitsstunde 1936 nicht gleich Arbeitsstunde 1932 ist. Die Produktion je Arbeitsstunde hatte sich in Deutschland im Laufe | S. 161 der Krise beträchtlich erhöht. Das war nicht einmal in erster Reihe die Folge der Rationaüsierungsmassnahmen im Verlaufe der Krise, das war vielmehr in erster Reihe darauf zurückzuführen, dass in der Krise die unmodernen, unrationeüen, zurückgebüebenen Betriebe bankrott gingen, während die modernen, intensiveren, rationaüsierteren Betriebe die Krise noch einigermassen überstanden hatten. Wenn man das Jahr 1928 mit 100 ansetzt, so hat nach den Vj.K. [v.] 29. 9. 36 (der Beitrag, der diese Frage behandelt, stammt von W Bauer und hat den Titel: »Technischer Fortschritt und Produktivität«) die Produktion je Arbeitsstunde 1929 106-107 betragen, 1930 1931
114-115
119-121 1932 123-126 [.] In den Jahren der Krise hat sich also die Produktivität der Arbeit in Deutschland um fast 20 % erhöht. Im Gefolge der Kriegskonjunktur hat, wie bekannt [,] im deutschen faschistischen Kapitaüsmus eine beträchtüche Produktionssteigerung eingesetzt, sodass die Produktionszahlen vor der Krise erreicht, bzw. übertroffen wurden. Gleichzeitig mit dieser Produktionssteigerung ist eine solche weitere Intensivierung der Arbeit eingetreten, dass die Zahlen aus der Krise, jetzt von der gesamten deutschen Produktion übertroffen wurden. Betrug die Produktion je Arbeitsstunde 1932 123-126, so erreichte sie 1933 123-129 1935 125-131 [.] Soweit bisher Berichte vorüegen, ist 1936 eine weitere Steigerung eingetreten. Die Arbeitsleistung der deutschen Arbeiterklasse für den deutscher faschistischen Kapitaüsmus ist also nicht nur um 46 % gestiegen, sondern darüber hinaus noch durch die Zunahme der Intensivierung der Arbeit. Der Ausbeutungsgrad der menschüchen Arbeitskraft unter dem Nationalsoziaüsmus ist beträchtüch weiter gestiegen. Berücksichtigt man noch diese Intensivitätssteigerung, so kann man wiederum nach amtlichen Zahlen feststeüen, dass die deutsche Arbeiterklasse heute eine Mehrleistung von mehr als 50 % für den deutschen faschistischen Kapitalismus leistet, während für die ganze Klasse, noch mehr natürüch für jeden Einzelnen, die Versorgung mit den notwendigsten Lebensgütern zurückgegangen —
—
ist.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Es hat manche Zeiten im
Kapitalismus gegeben, die eine starke Steigerung Ausbeutungsgrad gebracht haben. Eine Steigerung der Mehrwerdeistung um 50 % bei gleichzeitiger Verringerung des Lebensstandards in einem Zeitraum von 4 Jahren ein derartig trauriges Werk blieb dem nationalsozialistischen Regime vorbehalten. Die einzelnen deutschen Arbeiter, die uns immer wieder von der Steigerung ihres Elends, von der Herabsetzung ihrer Löhne, von der Erhöhung ihrer Lebensmittelpreise berichten, glauben vielfach noch, dass es gerade bei ihnen besonders schlecht steht. Es ist unsere Aufgabe, ihnen, deren Leben durch das nationalsozialistische Terrorregime vielfach atomisiert ist, anhand des amtlichen Materials zu zeigen, dass ihre Erlebnisse nicht Einzelerlebnisse sind, dass so wie sie die gesamte deutsche Arbeiterklasse, das gesamte deutsche werktätige Volk getroffen ist. Nationalsozialismus, das heisst für die Arbeiterklasse, für die Werktätigen, nicht nur kapitalistische Ausbeutung wie bisher, sondern verstärkteste kapitalistische Ausbeutung. Und daran wird sich in nächster Zeit von selbst nichts ändern, so gewiss nicht, so gewiss gerade die nächste Zeit ein verschärftes Tempo in der Aufrüstung bringen wird. Andern kann sich nur dann etwas, wenn die Arbeiterschaft, die gerade durch die Kriegsproduktion immer unentbehrlicher wird, ihre verstärkte Produktion [sie]3 im Produktionsprozess dazu ausnutzt, um im Widerstand gegen weitere Verschlechterungen ihrer Lebenslage sich bessere Positionen zu erringen. Hier gilt es einzusetzen. der menschlichen Arbeit
im
-
Anmerkungen der Herausgeberin: 1
2 3
von
Hand unterstrichen,
am
Rande Bleistiftnotiz: 20 %
korrigiert aus: »Vierteljahresprogramm« richtig wohl: Position
Dokument 34
Programmkommission des Volksfrontausschusses, Aufruf an das deutsche Volk 21. Dezember 1936 Vorlagen:
Aufruf an das deutsche Volk, [hrsg. von Das freie Deutschland. Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek/Deutsche Informationen], o. O., o. D. [Paris, Anfang 12seitige Broschüre, 132 x 180 mm; S. 3-10
1937];
Parallelüberlieferungen: [Entwurf der SAP], Anlage zum Rundschreiben Jim [d. i. Jacob Walcher], 7/1936; [Entwurf der Redaktionskommission]; [Vorlage zur Unterschrift], Kopie: Flugblatt-Druck und hektographierte Fassung
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Standorte: IISG; Entwurf der SAP: AdsD, NL Brandt, Allgemeine Korrespondenz 1933-1946; Entwurf der Redaktionskommission: IISG, NL Hertz, S. 16, 1g; Vorlage zur Unterschrift: PA ULA; Flugblatt und hektographierte Fassung: IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 326 Druck: 1937 Pariser Tageszeitung, Nr. 211, 8. Januar, S. 2; L'Humanité, 9. Januar, S. 4 (vollständige französische Übersetzung); Deutsche Volks-Zeitung, Nr. 2, 10. Januar, S. 1f.; Die Neue Weltbühne, Nr. 3, 14. Januar, S. 64-68; Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Basel, Nr. 2, 14. Januar, S. 46f; Le Populaire, 16. Januar, S. 3 (Auszug in französischer Sprache); Das freie Deutschland Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek, Nr. 15, Januar, S. 42-46; Die Rote Fahne. Reichsausgabe, Nr. 1, S. 3; Neue Front. Organ für proletarisch-revolutionäre Sammlung, hrsg. von der AZ der SAP, Paris, Nr. 2/3, Anfang Februar; Norddeutsche Tribüne, hrsg. von Mitgliedern der SPD und KPD, Wasserkante, Nr. 2, Februar, S. 11 (Auszüge); 1955 Wilhelm Pieck, Im Kampf um die Arbeitereinheit und die deutsche Volksfront 1936-1938, mit einem Vorwort von Walter Ulbricht, Berlin, S. 83-90 (nach: -
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Rundschau);
1978 Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD im Spiegel des Flugblattes 1933-1945. 240 Faksimiles und 6 originalgetreue Reproduktionen zusammengestellt und eingeführt von Margot Pikarski und Günter Uebel, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, Dok. 74 (Faksimile des
Flugblatts); 1985 Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz, Jg. 21, S. 183-203: Ursula Langkau-Alex, »»Bildet die deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot!< Zur Genesis des programmatischen Aufrufs des »Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront in Paris vom 21. Dezember 1936«, Dok. 4, S. 199203 (nach der hektographierten Fassung); 1987 Gerhard Paul, Max Braun. Eine politische Biographie, St. Ingbert, S. 145f. (Faksimile des Flugblatts) Zu Kontext, Entstehung und Rezeption des Aufrufs siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 535-541, 551-564, sowie die Dokumentation der Entwürfe bei Langkau-Alex 1985
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Bildet die Deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot! In Kurzem werden vier Jahre seit Hitlers Machtergreifung vergangen sein. Bei seinem Amtsantritt versprach der »Führer und Reichskanzler« dem Arbeiter, dem Bauern und dem gewerblichen Mittelstand Deutschlands Arbeit, Frieden und
Wohlstand. Hider hat sein Versprechen nicht gehalten. Die Not der Werktätigen in Stadt und Land, in Fabriken, Schächten und Kontoren, in Handwerk, Handel und auf den Bauernhöfen hat sich ständig verschärft. Die Unterdrückung der Persönlichkeit wird immer brutaler. Die Volksinteressen werden rücksichtslos der Vorbereitung eines Krieges geopfert, der furchtbarer sein wird als alle bisherigen Kriege. Auf dem letzten Nürnberger Parteitag hat Adolf Hider die Steigerung dieser Politik angekündigt. Sie droht nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt in eine entsetzliche Katastrophe zu stürzen. Um ihretwillen wird das deutsche Volk gezwungen, dem Rüstungskapital immer grössere Opfer zu bringen. | S. 41 In Nürnberg haben die Führer der Nationalsozialisten den Kreuzzug gegen die Sowjet-Union und gleichzeitig gegen die demokratischen Staaten gepredigt. Der Ausrottungskampf gegen alle freiheitlichen Bewegungen in der Welt wurde verkündet. Er hat begonnen in Spanien. Deutsche Bomben legen Madrid und andere spanische Städte in Trümmer, deutsche Divisionen, ausgerüstet mit allen Mitteln der Mordtechnik, stürzen sich auf das heroisch um seine Freiheit kämpfende spanische Volk. Das deutsche Volk aber will den Frieden. Es will Deutschlands Existenz nicht aufs Spiel setzen, um die oberen Zehntausend in ihrem Besitz und ihren Vorrechten zu schützen. Der Friede der Welt und das Glück unserer Heimat sind nur durch den Sturz des Naziregimes zu sichern. Erfüllt von der Ueberzeugung, dass die braune Tyrannei einzig und allein durch den Zusammenschluss aller zum Kampf für Freiheit und Recht bereiten Deutschen gebrochen werden kann, rufen wir unsere Volksgenossen im Reich und im Ausland auf, sich in einer Deutschen Volksfront zu vereinigen. Die Volksfront will keine neue Partei sein. Sie soll ein Bund aller derer werden, die entschlossen sind, ihre Kraft für Freiheit und Wohlstand des deutschen Volkes einzusetzen. Alle in ihr vereinigten Parteien und Gruppen bleiben ihren besonderen weiterreichenden Zielen treu. Alle eint der Wille, die braune Zwangsherrschaft zu vernichten. Erst der Sturz der nationalsozialistischen Machthaber wird jeder politischen, geistigen und religiösen Strömung die | S. 51 Möglichkeit geben, für ihre Ansichten, Ziele und Ideale in freier Gleichberechtigung einzutreten. Um das zu erreichen, verpflichten sich alle Gegner des heutigen Regimes, geeint zu bleiben, und in geschlossener Front zu streiten, bis der Gegner besiegt und ein freies Deutschland geschaffen ist.
34.
Programmkommission, Frieden-Freiheit-Brot-Aufruf
Wir fordern: Freiheit für das Volk! Freüassung aller Opfer des Regimes, die in den Zuchthäusern, Gefängnissen und Konzentrationslagern schmachten! Aufhebung aüer Terror- und Ausnahmegesetze! Keine Folter, keine Konzentrationslager mehr! Bestrafung aüer, die für die Verbrechen des heutigen Systems verantwortüch sind! Freiheit der Presse, Versammlungsfreiheit! Freiheit des Gewissens, des Denkens und der reügiösen Uebung! Ein Ende der Rassenhetze, dieser Schmach für die deutsche Kultur! Ein Ende der kriegshetzerischen Propaganda in jeder Gestalt! Wahl der Richter durch das Volk! Sicherung des Einzelnen gegen Wülkür durch eine verbürgte Rechtsordnung. Koaütionsrecht für aüe schaffenden Männer und Frauen! Befreiung der Wissenschaft von aüen Fesseln. Neuaufbau aller Unterrichtsanstalten in freiheitlichem und modernem Geist! | S. 61 Brot durch Freiheit! Die Geschichte der Nachkriegszeit hat gezeigt, wie kleine Gruppen Bevorrechteter, die den Grossgrundbesitz, die grossen Industriekonzerne und die Banken beherrschen, zu Totengräbern der Freiheit wurden. Um die Freiheit zu sichern, wird das neue Deutschland diese Volksfeinde ihrer Macht entkleiden. Es wird die Rüstungsindustrie und die Grossbanken verstaatlichen. Es wird aüe Sabotageversuche des Grosskapitals unter Anwendung der schärfsten Mittel zu verhindern wissen. Es wird die junkerüchen Saboteure der Volksernährung und Volksfreiheit enteignen. Es wird Heer und Verwaltung von aüen Staatsfeinden säubern und zu verlässüchen Stützen des neuen Deutschland machen. Dagegen wird im neuen Deutschland der Bauer frei auf seinem Besitz sein. Er wird des Schutzes seines Eigentums gegen die Zwangswirtschaft und gegen jene Zwangsabgaben teilhaftig werden, die ihn heute häufig genug zwingen, sich seines Grund und Bodens zu entäussern. Der deutsche Bauer wird der Bevormundung und der Schikanen der Reichsnährstandbonzen ledig sein. Die Aufhebung der Erbhofgesetzgebung wird die freie Verfügung über sein Eigentum und seine ihm vom Dritten Reich geraubte Kreditfähigkeit wiederhersteüen. Durchgreifende Entschuldungsmassnahmen sind vorzunehmen. Die Kriegswirtschaft wird beseitigt und durch eine Wirtschaft für den menschüchen Bedarf ersetzt. Wenn es wieder Butter statt Kanonen gibt, dann wird dem Mittelstand | S. 7 | in Handel und Gewerbe eine auskömmüche Existenz gewährleistet sein.
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Alle schaffenden
Männer, Frauen und Jugendlichen werden zu menschenwürdigen tarifgeregelten Löhnen und Gehältern arbeiten, die Arbeitszeit wird
mit dem technischen Fortschritt der Produktion und der Rücksicht auf die Befriedigung des Bedarfs in Einklang stehen. Der Staat wird den Kranken, Invaliden, Arbeitsunfähigen und Arbeitslosen ausreichende Fürsorge gewähren; die heutige empörende Schröpfung der Gewerbetreibenden, Beamten, Angestellten und Arbeiter durch tausenderlei Abgaben und Zwangssammlungen wird beseitigt werden. Das Volk entscheidet! Nicht Hitlers brutale Macht- und Kriegspolitik, sondern die Politik der Deutschen Volksfront wird dem ganzen Volk Freiheit und Brot bringen. Sobald dies erreicht und die Freiheit gesichert ist, wird das Volk auf Grund eines unverfälschten demokratischen Wahlrechts seine Vertreter wählen, die ihm allein verantwortlich sind. In dem freien Deutschland werden die Gemeinden und werden alle Einrichtungen des öffentlichen Lebens wieder auf die Grundlage der Selbstverwaltung gestellt sein.
Gegen Krieg und Autarkie, für Frieden und Zusammenarbeit! Hider braucht den Krieg um der Erhaltung seiner Herrschaft und um der Erreichung der imperialistischen Ziele seiner | S. 81 Auftraggeber willen. Das neue Deutschland braucht den Frieden zur Befestigung seiner jungen Freiheit und
für seinen sozialen und wirtschaftlichen Aufbau. Es wird eine grosse starke Macht des Friedens sein, die die Politik der friedenstörenden Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder verlassen wird. Sie wird der gewissenlosen Hetze gegen die Sowjet-Union ein Ende bereiten. Das Recht, das an Stelle der Gewalt das staatliche und private Leben Deutschlands beherrschen soll, wird auch massgebend für die Gestaltung der Beziehungen unter den Völkern sein. Internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit tritt an die Stelle der das gesamte Wirtschaftsleben zerstörenden Autarkie. Zur Erreichung dieser Ziele haben wir uns zusammengefunden, sicher der Zustimmung unserer Gesinnungsgenossen in der Heimat. Allen Gegnern des blutigen Schandregimes rufen wir zu: Sucht Verbindung untereinander und mit uns! Vereingt Eure Kräfte mit den unsern zu gemeinsamem Kampf! Schlagen wir in einer Front den, der unser aller Feind ist! Unser nächstes Ziel ist der Sturz Hitlers und aller Peiniger des deutschen Volkes! Für Frieden, Freiheit und Brot!
Dezember 1936.
|S. 9|
34.
Der Aufruf trägt
Programmkommission, Frieden-Freiheit-Brot-Aufruf
folgende Unterschriften: Emil Kirschmann Dr. Hans Hirschfeld Max Hofmann Bruno Süss
WudolfB reitscheid Albert Grzesinski Max Braun Prof. Denicke Toni Sender Prof. Siegfried Marck Dr. E. Drucker Prof. Alfred Meusel Alfred Braunthal
Siegfried Aufhäuser1 Karl Böchel Alexander Schifrin Wichard Kirn Bernhard Menne2 Dr. Otto Friedländer
ProfessorJulius Lips (Sozialdemokraten) Wilhelm Pieck Wilhelm Florin Walter Ulbricht Franz Dahlem Kurt Funk Paul Merk er Willi Münzenberg
Ackermann Weber
Bertz
Wilhelm Koenen Philipp Daub
Hugo Graf
Philipp Dengel (Kommunisten)3
Willi Brandt H. Diesel K. Franz W. Frey Dr. Fried
Ewas M. Koch K- Sachs J. Schwab Th. Vogt
J.
(Für die Soziaüstische Arbeiterpartei, SAP4) Lion Feuchtwanger Arnold Zweig Heinrich Mann Prof. Georg Bernhard Ernst Toller Prof. E. J. Gumbel
WudolfOlden
Balder Olden
Egon Erwin Kisch Wudolf Leon hard
Prof. Alf.
Goldschmidt
Kurt Wosenfeld Prof. Anna Siemsen Otto Lehmann-Wussbüldt Dr. Wolfg. Hallgarten
Bodo Uhse Theodor Fanta
WolfFrank
Dr. Felix Boenheim Johannes R. Becher Walter Schönstedt Prof. Dr. J. Sehaxel Prof. Fritz Lieb Klaus Mann Dr. Budzislawski Kurt Kersten Ernst Bloch Wieland Herzfelde Max Seydewitz Oskar Maria Graf
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Anmerkungen der Herausgeberin: 1
Aufhäuser hatte keine Zustimmung zur Verwendung seines Namens gegeben, doch nur die Neue Front und Norddeutsche Tribüne trugen dem Rechnung. Menne hatte ebenfalls keine Zustimmung zur Verwendung seines Namens gegeben, siehe AufPieck, SAPMO, Ny 3046/558, Bl. 127. zeichnungen 3 Von den Kommunisten zeichneten nur Wehner (Kurt Funk), Eugen Hänisoh (Ackermann diesen Namen trug er weiterhin) und Heinrich Wiatrek (Weber) mit ihren Pseudonymen. 4 Alles Pseudonyme, Auflösung von links oben nach links unten und rechts oben nach rechts unten: Herbert Frahm (Willy Brandt, er behielt sein Pseudonym für sein weiteres Leben), Max Diamant, Paul Frölich, Boris Goldenberg, Fritz Sternberg, Paul Wassermann, Rosi Wolfstein, Walter Fabian, Jacob Walcher, Ludwig Hacke; sämtliche SAP-Vertreter sind weggelassen in dem Abdruck des Appells in: Wilhelm Pieck, Im Kampf um die Arbeitereinheit, S. 83-90, wonach der Wiederabdruck in: Laschitza/ Vietzke, Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, S. 361-364, erfolgte. 5 Grafs Unterzeichnung findet sich nur in der Neuen Weltbühne. 2
-
Dokument 35
Volksfrontausschuß, Botschaft der »Osterkonferenz« 10./11. April 1937 Heinrich Mann, Was will die deutsche Volksfront? Rede auf der Tagung des Ausschusses Vorbereitung der deutschen Volksfront am 10. und 11. April 1937, o. O., o. D. [Paris 1937]; 14seitige Broschüre, 130 x 180 mm; S. 10-14 Standort: IISG Druck: 1937 Pariser Tageszeitung, Nr. 305, 12. April, S. 1; Deutsche Informationen, Nr. 173, 13. April, rosa Beilage; Deutsche Volks-Zeitung, Nr. 16, 18. April, S. 1; Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Basel, Nr. 17, 22. April, S. 46f.; Die Neue Weltbühne, Nr. 17, 22. April, S. 528-530; »Pour un Front populaire allemand«, 3 hektographierte Seiten, französische Übersetzung, IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 425; 1964 Horst Laschitza/Siegfried Vietzke, Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung 1933-1945, Berlin, S. 365-367 (Auszug nach: Rundschau) Zu Kontext und Verbreitung siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 330-342, bes. S. 339f., Anm. 201 und 202
Vorlage:
zur
Botschaft an das deutsche Volk Einigung des deutschen Volkes für Frieden und Freiheit! dem »Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront« durchgeführte Konferenz wandte sich mit der nachstehenden Botschaft an das deutsche Volk: Die
von
Deutsche Männer und Frauen, deutsche Jugend! Wir Sozialdemokraten, Kommunisten, Mitglieder der SAP, Angehörige des freiheitlichen Bürgertums und Angehörige aller Konfessionen, geeint durch unsere gemeinsame Feindschaft gegen Hider und zusammengeschlossen im »Ausschuss zur Vorbereitung der deutschen Volksfront«, wenden uns an das deutsche Volk. Schwere Gefahren bedrohen unsere Heimat. Der Hiderfaschismus treibt zum Krieg. Er verheimlicht dem deutschen Volke, dass er seit Monaten eine kriegerische Intervention gegen das spanische Volk durchführt. Er verheimlicht, dass deutsche Soldaten im fremden Lande verbluten. Er verheimlicht auch die Niederlage deutscher und italienischer Truppen vor Madrid. Hitler hat behauptet, dass seine ungeheuren Rüstungen der Verteidigung Deutschlands und der Erhaltung des Friedens dienten. Seine Intervention gegen das demokratische Spanien, seine Provokationen gegenüber der Tsche- |S. 111 choslowakei und anderen friedliebenden Ländern enthüllen jedoch sichtbar die Eroberungsabsichten des Hiderfaschismus. Es ist der Egoismus der profithungrigen Kapitalmächte, die im Bunde mit der alldeutschen Herrschsucht des Nationalsozialismus zur Eroberung fremder
IV. Aktionsausschuß und Volksfrontausschuß
Gebiete treiben. Wie sie Deutschland ausgeplündert haben und ihm die schwersten Rüstungslasten auferlegen, wie sie das deutsche Volk durch das Hitier-Regime in tiefste Knechtschaft gestossen haben, so woüen sie jetzt fremde Völker aussaugen und unter ihre Knute bringen. Für die Interessen dieser hauchdünnen Oberschicht von Schwerkapitaüsten wird deutsche Jugend in Spanien hingeopfert. Wenn Hitler behauptet, Deutschland brauche neuen Raum, um neue Lebensmögüchkeiten für das deutsche Volk zu schaffen so antworten wir: -
Unser Volk braucht den Frieden! Man braucht nur die Kriegszwangswirtschaft auf dem Lande zu beseitigen und es gibt keinen Mangel an Lebensmitteln mehr. Würden nicht die wirtschaftüchen und finanziellen Kräfte des Landes für die Kriegsproduktion vergeudet, dann gäbe es aües Nötige für die Versorgung des Volkes. Würde der Hiderfaschismus nicht andere Völker bedrohen und Deutschland in die Selbstisoüerung treiben, dann gäbe es durch normale Handelsbeziehungen genügend Rohstoffe und Nahrungsmittel. Es ist nur die Politik der Vorbereitung des totalen Krieges, die dem deutschen Volk Kanonen statt Butter, Tanks statt Fleisch, minderwertigen Ersatz statt der notwendigen Rohstoffe für den Volksverbrauch beschert hat. Görings Erklärung, dass er nicht für Butter und Fleisch garantieren könne, sondern nur für trockenes Brot, zeigt, dass der sogenannte zweite Vierjahresplan Hitlers Deutschland den Zeiten der Rübenmar- |S. 12|melade und des Dörrgemüses, dem Elend des Krieges entgegenführt. Hitlers ganze provokatorische Poütik muss zum Zusammenschluss der Welt gegen ihn und zur fürchterüchen Niederlage Deutschlands in einem kommenden Krieg führen. Deutsches Volk! Wir rufen zum gemeinsamen Kampf, um den Frieden zu retten! Wir mahnen, alles zu tun, um Hitler an der Entfesselung des Krieges zu hindern und das unermessüche Leid des Krieges unserem gepeinigten Volke zu ersparen. Wir erklären vor aüer Welt: Hider ist nicht Deutschland, sondern der Unterdrücker des deutschen Volkes. Das deutsche Volk wiü keine Hetze gegen andere Völker. Es will keine Eroberung fremder Gebiete. Es will den Frieden durch Völkerverständigung, durch koüektive Sicherheitsverträge. Nur durch die Erringung der Selbstbestimmung des deutschen Volkes kann die Einhaltung solcher Friedenspakte gesichert werden. Wir begrüßen, dass sich trotz der schwierigen Bedingungen in unserem Volke die Kräfte des Widerstandes gegen die unerträgüchen Rüstungslasten und den unwürdigen Zwang immer stärker regen. Das deutsche Volk wül nicht opfern für die spanischen Reaktionäre und den Rüstungswahnsinn des Hiderfaschismus. In Berün und im Ruhrgebiet haben sich die Arbeiter in zahlreichen Betrieben höhere Löhne erkämpft. Die Bergarbeiter auf den Zechen haben sich das Mitwirkungsrecht bei der Festsetzung des Lohnes errungen. In Oldenburg haben die Kathoüken erfolgreich ihre Glaubensfreiheit verteidigt und diesen Kampf ver—
—
bunden mit der Bewegung der Bauern gegen die bedrückenden Massnahmen der Kriegszwangswirtschaft. An der Saar hat der Kampf der katholischen Eltern gegen die Entfernung der Kruzifixe in den Schulen seine brüderliche Unterstützung durch den aktiven |S. 131 Kampf der Bergarbeiter in den umliegenden Zechen erhalten. In den Innungen wehren sich die Handwerker gegen den Zwang, gegen die hohen Steuer[n] und Abgaben. Im Berliner Deutschen Theater demonstrierten bei der Aufführung von Schillers »Don Carlos« die Zuschauer, die Schillers Ruf nach Gedankenfreiheit zu ihrer eigenen Forderung erhoben. Indem das deutsche Volk diesen vielfältigen Widerstand leistet, kämpft es für den Frieden und für die innere Freiheit und durchkreuzt die Kriegspläne des Hiderfaschismus. So beginnt an tausend Punkten in kleinen und grösseren Bewegungen, innerhalb der Massenorganisation des Regimes der Volkswiderstand, der zur Volksbewegung für die Rettung des Friedens und die Erkämpfung der Menschenrechte anwachsen muss. Das ist der Kampf der deutschen Volksfront. Das ist die Tat der deutschen Volksfront, heute noch in Teilbewegungen, heute in verschiedenartigen Formen des Kampfes gegen die Kriegsgefahr und für die Freiheit, morgen sich entwickelnd zur grossen Einheit des deutschen Volkes gegen Hitler Wir Anhänger der deutschen Volksfront wenden uns an alle deutschen Männer und Frauen, an die deutsche Jugend, an alle, die den Frieden retten wollen und Freiheit in unserem Lande ersehnen, an alle, die Butter statt Kanonen, die höhere Löhne statt Millionen für Franco wollen: Reichen wir einander die Hand! Verbünden wir uns gegen den gemeinsamen Feind Hitler! Sozialisten, Kommunisten, Demokraten, Angehörige aller Konfessionen, handeln wir gemeinsam, helfen wir uns gegenseitig beenden wirjegliche Zersplitterung, die nur Hitler nützt! Schliessen wir uns zusammen zur grossen deutschen Volksfront, die allein unser deutsches Volk zum Sturze Hitlers führen kann und führen wird.
|S.14|
Schaffen wir durch die brüderliche Verbindung der Kräfte aller Hitlergegner überall Stützpunkte für den Kampf der deutschen Volksfront, in allen Massenorganisationen, in den Betrieben und bei den Hidergegnern im Heer. Deutsches Volk! Kämpfe mit uns für Frieden, Freiheit und Wohlstand, für die demokratische Freiheit, die eine Freiheit sein muss, die für sich einzustehen weiss[,] und eine Humanität, die gegen ihre Mörder keine Schwäche kennt. Wir fordern die Zurückziehung der sog. »freiwilligen« deutschen Truppen und der deutschen Kriegsschiffe aus Spanien und seinen Gewässern. Wir wollen den Frieden retten. Wir wollen Deutschland befreien aus dem Joch des Hiderismus! Wir wollen, dass auf der Grundlage der neu eroberten demokratischen Freiheiten sich das deutsche Volk ein freies, glückliches, sozialistisches Deutschland
erkämpft! 10.
April 1937.
V.
Resümees dreier Akteure Dezember 1936 bis Mai 1937 In den Dokumenten 36-38 bilanzieren ein bürgerlicher Demokrat, der bereits »draußen« steht, ein Sozialdemokrat, der nach anfänglichem Zögern in Eigenverantwortung gegen die Politik seines Parteivorstandes das Experiment der Zusammenarbeit mit Kommunisten wagt, und ein die deutsche Volksfrontbewegung stets stimulierender Kommunist ihre Erfahrungen mit dem Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront nach rund einem Jahr seines Bestehens.
Dokument 36
Leopold Schwarzschild, Konsequenzen aus dem Volksfront-Experiment Dezember 1936
Vorlage:
Das Neue Tage-Buch, 1936, Nr. 52, 26. Dezember, S. 1231f.; 230 Standort: IISG Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 275ff.
Lehren
aus
x
260
mm
einer Erfahrung
An anderer SteUe dieses Blattes ist ein Artikel von Otto Klepper zu finden, der das NTB zu einigen eigenen Bemerkungen veranlasst.1 Der frühere preussische Finanzminister gehört zu den wenigen Amtsträgern der Repubük, die, erfolgreich im Ressort, auch politisch unverbraucht, an anderer Leute Bankerott keinen Anteil haben. Seine Ausführungen, obwohl wir nicht in jedem Punkt absolut zustimmen, veröffentlichen wir um so Ueber, als sie sich in der grossen Linie mit Anschauungen decken, die gerade an dieser SteUe vor anderthalb Jahren (1935, Nr. 31) unter dem Titel »Eine Aufgabe wird sichtbar« entwickelt waren. Gewisse Versuche, die sich daran anschlössen, sind nicht unbekannt gebüeben. Ihr Verlauf lässt es uns als angebracht erscheinen, den Passus der Klepper'schen Ausführungen zu unterstreichen, der die Notwendigkeit einer »neuen poütischen Bewegung« betont. In der Tat war das belehrendste Ergebnis des »Volksftont«-Experiments in deutscher Ausgabe, dass die Idee, alte, vorhandene Gruppen zu addieren und dadurch zu mehr zu gelangen als jede für sich aUein darsteüt, sich als ülusorisch erwiesen hat. Die Addition ergab nicht mehr, sondern noch weniger als die einzelnen Teüe. Indem die alten, fortexistierenden, auch auf weitere selbständige Fortexistenz bedachten Gruppen nebeneinander gesetzt wurden, verstärkte sich nur die Lähmung. In aüen zeigte sich der Wüle beherrschend, jede andere nach Mögüchkeit zu benutzen, aber sich selbst an den eigenen Mögüchkeiten nichts zu vergeben. Nicht etwa ernstliche programmatische Erneuerung und Vereinheitlichung wurden angestrebt, sondern bei jedem wichtigeren Punkt zeigte sich im Gegenteil die Tendenz, ihn entweder ganz zu übergehen, oder in vage, vieldeutige, darum nichtssagende und zwecklose Schablonen-Formulierungen auszuweichen. Ausserdem erwies sich, dass die alten, fortexistierenden Gruppen mit den alten, fortexistierenden Apparaten auch wieder durch die alten, fortexistierenden Exponenten personifiziert waren, das heisst durch eben diejenigen, für deren poütische Intelligenz es nicht grundlos kein anderes Attest gibt als den Zusammenbruch, und die überdies aüzuviele Erinnerungen an frühere gegenseitige IUoyaütäten herum-
tragen. 291
V. Resümees dreier Akteure
Aus diesen Gründen ist der Versuch, die existierenden und auf Fortexistenz bedachten Gruppen zu addieren, unfruchtbar gebüeben. Es ist ihm nichts entsprungen, als dann und wann ein Aufruf, dessen Inhalt vom Bedürfnis dieser Gruppen diktiert war, in der Sphäre der ohnehin selbstverständlichen Passepartout-Formeln zu bleiben. Sogar die Verzierung durch einige klangvoUere individueUe Namen, deren Träger bei aüem Gefühl der Zwecklosigkeit nicht gerade so weit gehen woüten, sich zu verweigern, machte diesen Ersatz nicht wesentüch. Es ist jetzt offenbar, dass auf diese Weise nichts von dem Zustandekommen kann, was für ein Land mit völüg unterbrochener Kontinuität erforderüch ist: weder ein neues, auf die neuen Verhältnisse abgestelltes, zündendes, verkündbares Programm; noch gar eine fachüch-sachüche Durchplanung aü der Dinge, die faktisch in einem Vierten Reich vom ersten Tag an zu tun wären. Die Konsequenz daraus ist, dass man »tabula rasa« beginnen muss, abseits von den fortexistierenden, auf weitere Fortexistenz bedachten Grup-1S. 12321 pen. Die Arbeit hat, das ist jetzt erwiesen, keine Aussicht, wenn sie unter der Kuratel dieser Einzelgruppen und der von ihr Gebundenen steht. Belastet mit dieser Hypothek wird sie offenbar unvermeidüch stets dort aufhören, wo sie erst anfangen musste: bei den Undefinierten, unverbindlichen, verbrauchten AUgemeinheiten. Das genaue Gegenteil wird benötigt. Wir teüen die Auffassung, dass es nur von einer »neuen Bewegung« geleistet werden kann, das heisst von einem Denk- und Planungs-Versuch, der zunächst einmal ohne irgendwelche Teünahme irgendwelcher alten Parteien und Exponenten unternommen wird.
Anmerkung der Herausgeberin: '
Otto Klepper,
292
»Europäische Freiheit«,
in: NTB,
1936, Nr. 52, 26. Dezember, S. 1236-1238.
Dokument 37
Rudolf Breitscheid,
Schlußfolgerungen nach einem Jahr
deutscher Volksfront Januar 1937
Das freie Deutschland. Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek, Nr. 15, Januar 1937, S. 12-16; 150 x232 mm Standort: IISG Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 275ff.
Vorlage:
Rudolf Breitscheid:
Bilanz eines
Kampfjahres
Seit etwas über Jahresfrist wirken nun eine Anzahl deutscher Sozialdemokraten, die in Frankreich in der Emigration leben, mit den Vertretern der K.P.D, der S.A.P. und einigen wenigen ünksstehenden Bürgerüchen in dem »Ausschuss zur Vorbereitung einer Deutschen Volksfront« zusammen, und es ist wohl angebracht, eine Art von Bilanz dieser Gemeinschaftsarbeit zu ziehen. Ich tue das, wie ich ausdrücklich bemerken möchte, zunächst im eigenen Namen, aber ich glaube annehmen zu dürfen, dass meine Freunde meine Auffassungen in allem Wesentlichen teüen. Wir alle haben nicht ohne gewisse Bedenken die Fahrt angetreten, zu der uns die kommunistischen Genossen einluden. Sie sind so bekannt und, wie hinzugefügt werden darf, so begreiflich, dass kaum näher auf sie eingegangen zu werden braucht. Das Misstrauen, das in der Vergangenheit zwischen den Arbeiterparteien gestanden hatte, war bei uns noch nicht überwunden. Der Frontwechsel, den Moskau vornahm, erschien uns zu plötzüch, und wir fragten uns, ob er ehrüch gemeint sei und von Dauer sein könne. Die für unsere sozialdemokratischen Begriffe übertrieben starke organisatorische Abhängigkeit der einzelnen kommunistischen Landessektionen von der Komintern üess bei uns die Befürchtung entstehen, es könnte gegen in dem Pariser Ausschuss gefasste Beschlüsse nachträglich von »höheren Stehen« Einspruch erhoben werden, was uns, die wir uns nicht einer fremden Kontrolle unterwerfen woüten, zu einem frühzeitigen Abbruch der Gemeinschaftsarbeit bestimmen musste, usw. Hinzu kam dann nicht zuletzt die Ueberzeugung, dass sich [sie] die Volksfrontformel, wie sie in Frankreich zur Geltung gelangt war, auf deutsche Verhältnisse nicht ohne weiteres zu übertragen war. In Deutschland hat es keine Partei gegeben, die der radikal-soziaüstischen Herriots zu vergleichen wäre, einfach weü es kein Bürgertum mit den revolutionären Traditionen des französischen gab, und da auch die übergrosse Mehrheit der vom Nationalsozialismus zur Emigration gezwungenen nichtproletarischen Elemente eine entschiedene Stellungsnahme [sie] 293
V. Resümees dreier Akteure
gegen das Hitlertum entweder überhaupt ablehnt oder zum mindesten vor einem Zusammengehen mit den |S. 131 SoziaUsten zurückschreckt, konnten wir uns von einer Ausdehnung der Front über die Grenzen der Arbeiterparteien hinaus kaum etwas Gutes versprechen. Um es offen zu gestehen: gerade in dieser Beziehung sind unsere Zweifel nicht behoben worden. Aber es mag zugegeben werden, dass nur auf dem Wege über die Volksfrontidee zu einer Annäherung der Arbeiterparteien untereinander zu gelangen war, und mit dem, was hier in dem verhältnismässig eng gezogenen Rahmen erreicht worden ist, dürfen wir zufrieden sein. Eng ist der Rahmen insofern, als der Versuch propagandistisch sowohl auf Deutschland wie in der Welt draussen zu wirken, einstweüen in der Hauptsache nur von Paris aus getrieben wird, sodann aber auch weü die leitende SteUe der Deutschen Sozialdemokratie, der Parteivorstand in Prag, seine Mitwirkung versagt. Wir Sozialdemokraten im Westen haben unsere anfängüchen Bedenken überwunden. Der Parteivorstand verharrt bei den seinigen, die sich zum Teü mit den unsern decken, zum Teü über sie hinausgehen. Die Funktionen, die er zu erfüüen hat, der geographische Standort, der ihm angewiesen ist, seine poütische Umwelt und andere Dinge beeinflussen ihn in anderer Weise als uns, und schüessüch fäüt das Wort ist hier nicht in herabsetzenunter aüen Umständen einer Bürokratie dem Sinne gebraucht, eine taktische UmsteUung schwerer als den von dem »Apparat« räumlich getrennten und schon deshalb unabhängigeren und beweglicheren Mitgliedern einer Partei. Aber selbstverständUch bereitet die ablehnende Haltung unserer Prager Freunde der Arbeit Schwierigkeiten. Auch wenn sich die Ablehnung, wie es erfreuücher Weise der Faü ist, auf ein passives Gewährenlassen beschränkt und sich nicht in Vorwürfen oder gar in einem Vorgehen gegen1 die andersdenkenden Genossen äussert. Es würde eine ganz andere Wirkung ausgeübt werden können, wenn neben den Parteileitungen der Kommunisten und der S.A.P. auch die der Sozialdemokratie ihre ausdrückliche Zustimmung zu der »Volksfront« erteüte und sich an ihrer Propaganda beteüigte. Die Geschlossenheit der marxistischen Gruppen würde die Stimmung der Hitlergegner in Deutschland heben, den Mut der Emigration erhöhen und sicher auch die antifaschistischen Kreise in der ganzen Welt zu einer stärke-
-
ren
Unterstützung unserer Freiheitsbewegung ermuntern.
Das ist die aügemein-poütische Seite der Sache. Sie ist die wichtigste. Aber nicht ohne Bedeutung ist auch der Umstand, dass wir Sozialdemokraten, die wir uns als Einzelpersonen beteiligen, uns gegenüber den Genossen aus den beiden andern Lagern in einer etwas peinlichen Lage befinden. Wir sind nicht imstande, das Gewicht einer Partei in die Wa[a]gschale zu werfen, und da wir auch keine geschlossene Gruppe innerhalb der Sozialdemokratie sind und sein wollen, muss jeder von uns mehr oder weniger auf eigene Ver-1 S. 141 antwortung handeln. Dass man uns die Schwäche unserer Position nicht fühlen lasse, war natürlich Voraussetzung unserer Mitarbeit, aber nichtsdestoweniger ist es Pflicht, die Kameradschaftlichkeit, mit der wir trotz unserer Isolierung auf dem 294
37.
Breitscheid, Bilanz eines Kampfjahres
Fuss völüger Gleichberechtigung behandelt worden sind, anerkennend hervorzuheben. Nun wäre es töricht zu behaupten, die Diskussionen, die wir im abgelaufenen Jahre miteinander geführt haben, seien durchaus reibungslos verlaufen. Es hat Meinungsverschiedenheiten gegeben und darunter auch solche, die vorübergehend der Einmütigkeit gefährüch zu werden drohten. Ich erwähne nur die Auseinandersetzungen, die sich nicht in dem Volksfrontausschuss, wohl aber unter seinen Freunden und Förderern, an den Moskauer Prozess gegen Sinowjew und Genossen geknüpft haben. Wir Sozialdemokraten waren aufs unangenehmste von der Art und Weise berührt, in der die kommunistische Presse innerhalb und ausserhalb der Sowjetunion die Genossen aus dem Lager der Zweiten Internationale, die ihre kritische Stimme erhoben hatten, abtun zu können glaubte, und wir haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eine solche Polemik die Grundlage einer Zusammenarbeit auf welchem Gebiete es auch immer sei, aufs schwerste erschüttere. Ich persönhch habe diesen unsern Standpunkt in der Presse vertreten. Die Antwort der deutschen Kommunisten war nach meiner Meinung nicht durchschlagend, aber ihre anerkennenswerte Sachüchkeit bestimmte mich, von einer Fortführung der Debatte abzusehen. Der Beweis war jedenfaüs erbracht, dass sich unter uns auch heikle und stachüge Streitfragen ohne Gehässigkeit erörtern lassen. Möchte es so bleiben! Es fehlte auch nicht an andern Differenzen. Zum Teü hingen sie zusammen mit Vorgängen innerhalb der französischen Volksfront, die wie das nur allzu begreiflich ist, grade auch auf uns Deutsche in Frankreich zurückwirkten. Zum Teil ergaben sie sich aus Diskussionen über gemeinsame programmatische Erklärungen, über das taktische Verhalten zu den spanischen Geschehnissen, über die Auslegung des Begriffs Volksfront und über ähnüche Probleme. Wir sind indessen über alle diese Küppen und Untiefen hinweggekommen. Der Wille zusammen ZU bleiben war stärker als der gelegentliche Unwille über die für abwegig gehaltenen Ansichten der Gefährten, und das stärkste Bindemittel war die Ueberzeugung, dass nur die Einigkeit eine Aussicht auf den Sieg der Freiheit eröffnen könne. Ob wir viel geleistet haben, und ob uns namentlich innerhalb Deutschlands ein gewisser Erfolg beschieden war das sind Fragen, die erst eine spätere Zukunft ausreichend beantworten kann. Es ist in der Emigration nicht leicht, sich ein zutreffendes Büd von den Wirkungen einer von aussen her in die Heimat getragenen Agitation zu machen. Ausserdem stehen wir erst am Anfang unseres gemeinsamen Kampfes. Immerhin sprechen erfreuüche Anzeichen dafür, dass man drüben unser Rufen vernommen hat, und dass die S. | 151 grosse Mehrzahl derer, die in Deutschland den heldenhaften Streit gegen die Barbarei und die Niedertracht führen, freudige Genugtuung über die Einmütigkeit der Rufer empfinden. Wir haben die verschiedensten Anlässe benutzt. Wir haben die Mordjustiz des Dritten Reichs gebrandmarkt und die in Konzentrationslagern und Gefängnissen verübten Verbrechen an den Pranger gestellt. Wir haben bei dem Bruch des Lokarnovertrags und jetzt bei dem Eingreifen deutscher »Freiwüüger« in den -
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V. Resümees dreier Akteure
spanischen Bürgerkrieg die kriegerischen Absichten Hitlers enthüllt. Wir haben in einem durch den Sender von Barcelona verbreiteten Aufruf die Deutschen davor gewarnt, sich an den General Franco verkaufen zu lassen und damit zu unserer grossen Befriedigung die Wut der amtlichen Steüen in Berün erregt. Bei jeder dieser Gelegenheiten kam uns die Kunde, dass wir von unseren Genossen im Lande verstanden waren. Des weiteren ist von uns dem Ausland wertvolles Material zur Beurteilung der poütischen, wirtschaftlichen und kultureUen Lage Deutschlands zur Verfügung gesteüt worden. Es hat in unerwartet grossem Umfang seinen Weg in die Presse gefunden, ist von PoUtikern benützt worden und hat die so notwendige Aufklärung über das[,] was hinter dem eisernen Vorhang diktatorischer Censur vorgeht, verbreiten helfen. Schüessüch haben wir uns bemüht, die deutschen Emigranten in aüen Ländern, soweit sie von uns zu erfassen sind, zu betreuen, die Behörden auf ihre Nodage aufmerksam zu machen und sei es auf dem Wege über den Völkerbund, sei es in unmittelbaren Verhandlungen mit den einzelnen Regierungen eine Verbesserung ihrer rechtlichen und ökonomischen Verhältnisse herbeizuführen. Auch hier sind Erfolge zu verzeichnen. Das aUes ist gewiss noch wenig. Aber der gerecht Urteüende wird nicht vergessen, unter welch widrigen Verhältnissen wir arbeiten, wie wir gegen Wind und Flut zu streiten haben. Und noch einmal: wir stehen erst am Anfang! Wir lernen noch, wir experimentieren, wir sammeln Erfahrungen, die in der Zukunft nutzbar zu machen sind. Wir suchen noch nach dem am meisten geeigneten Kampfboden. Wir werden uns unserer Kraft, und wie und wo wir sie am wirksamsten einzusetzen haben, erst aümähüch bewusst. Jetzt stehen wir am Anfang eines Jahres, das an kritischen und ernsten Geschehnissen reich sein wird. In diesem neuen Zeitabschnitt werden an die Gegner des Faschismus neue grosse Anforderungen gestellt werden. Welcher Art sie im einzelnen sind, lässt sich nicht voraussagen. Auch nicht[,] ob in der gewaltigen Schlacht das Heer der Freiheit seine Fahnen siegreich nach vorwärts wird tragen können. Doch bereit sein ist aües! Und wenn wir Sozialdemokraten an dieser Jahreswende einen besonderen Wunsch hegen, so ist es der, dass die Genossen an der Spitze unserer emigrierten Partei endlich aus ihrer Zurückhaltung heraustreten möchten. Wir kennen ihre Hemmungen, ja wir ver-|S. 161 stehen viele von ihnen. Aber wiegen nicht trotz aüem die Erfordernisse des Kampfes unendüch viel schwerer? Schlimme Erfahrungen, die wir aüe in der Vergangenheit gemacht haben, müssen vergessen werden. Vermutungen über die zukünftige Haltung unserer poütischen Nachbarn müssen wir, wenn wir der Gegenwart genügen woüen, zurücksteUen. Spekulationen über die Umstände, unter denen das Hiderregime einmal stürzen kann und über die Kräfte, die seine unmittelbare Nachfolgerschaft antreten können, sind müssig. Die Ueberzeugung soüte in uns aüen leben, dass[,] sei es auch nach Uebergängen[,] das Dritte Reich nur durch die Machtergreifung des die Wiederherstellung der demokratischen Freiheit verbürgenden Sozialismus abzulösen ist. 296
37. Breitscheid, Bilanz eines
Kampfjahres
Ueberzeugung und der Wüle. Dieses Ziel aber ist nur zu erreichen, wenn die Arbeiterparteien einig und geschlossen sind und bleiben, und wenn nicht wieder Die
wie 1918 Proletarier gegen Proletarier stehen. »Entweder einigen wir uns, oder wir gehen unter!« Das ist die Warnung, die Louis de Brouckère, der Vorsitzende der Zweiten Internationale seinen soziahstischen Freunden in Belgien zuruft. Sie gut für uns alle! Für die, die noch im Abwehrkampf gegen den Faschismus stehen, wie für die, die nach schwerer Niederlage einen neuen Angriff gegen die Sieger von gestern zu wagen haben.
Anmerkung der Herausgeberin: 1
korrigiert aus: »gehen«
297
Dokument 38 Willi Münzenberg, Rückblick und Ausblick Mai 1937 Vorlage:
Willi Münzenberg, Aufgaben einer deutschen Volksfront. Erweiterter Sonderdruck aus »New Masses«, New-York (Mainummer 1937), hrsg. als Sonder-Nummer von »Das freie Deutschland. Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek«, Paris o. J. [1937]; 24seitige Broschüre, 160 x 240 mm; Text S. 5-23
Standort: Druck:
IISG
1937, New Masses, Vol. 22, Nr. 5, 4. Mai, S. 3-5: »From Passivity to Action. The defiance of Hitlerism by the German people spurred on the formation of the now functioning people's front« (kürzer und textlich stark abweichend) Zum Kontext siehe: Deutsche Volksfront Band 2, S. 278, 335-337 und 577f.
Wüti
Münzenberg
Aufgaben einer deutschen Volksfront Durch unsere Uneinigkeit haben wir Deutschland verloren, durch unsere Einigkeit werden wir Deutschland gewinnen.
Die
Lage in Deutschland
AUe mündüchen und schriftlichen Berichte aus Deutschland bestätigen die Einschätzung der »Times« (27. Dezember 1936)*, dass im Verlaufe des vierten Winters die Schwierigkeiten des Hiderregimes ausserordendich zugenommen haben. Hitler versprach bei der Machtübernahme, durch einen Vierjahresplan Lösung der sozialen Fragen, Hebung des Lebensstandards der Arbeiter, Rettung des deutschen Bauern- und Mittelstandes und blühenden Wohlstand für alle Deutschen. Das Resultat nach 4 Jahren Hiderregierung und der von ihr betriebenen autarken Wirtschaftspoüük ist eine unerträgüche Verschlechterung der Lebenslage der breiten schaffenden Massen des deutschen Volkes: Verschlechterung der Lage der Klein- und Mittelbauern, Zerstörung zahlreicher handwerklicher und mittelständischer Existenzen, Stärkung der Trusts und Riesenkonzerns, die aüein an der Aufrüstung hunderte Millionen verdienen. Dem Arbeiter wird das Brot,
*
»Andererseits sieht man nicht, wie Deutschland ohne Hilfe irgendwelcher Art durch einen weiteren Winter kommen soll, wenn es ihm gelingt, durch diesen Winter zu kommen. Es mag geüngen, durch verzweifelte Massnahmen über die kritischen Frühjahrsmonate hinwegzukommen, in denen der Getreidemangel fühlbar wird, aber nur auf Kosten der Vorräte an verschiedenen wichtigen Lebensmitteln für den nächsten Winter. Die Politik der >Kanonen statt ButterWir bleiben, und wenn es den ganzen Tag dauern soüte, bis wir das Kreuz haben.< Nun erschien ein bewaffneter GrenzzoUbeamter mit einem Poüzeihund zur Verstärkung des Gendarmen auf dem Plan. Er drohte, den Hund auf die Leute zu hetzen, wenn sie nicht auseinandergingen. Alles büeb stehen. Jetzt drohte er mit der Waffe. Niemand ging. Der Beamte zog den Revolver und hielt ihn schussbereit auf die Leute. In diesem Augenbück traten verschiedene Männer vor ihn hin und riefen laut: >Für das Kreuz sterben wir jederzeitk >Wir waren im Krieg, wurden mehrmals verwundet und sind auch nicht
gewichen.< Es waren lauter Männer mit vielen Kindern, die so sprachen. Dem Beamten büeb nichts anderes übrig, als den Revolver wieder einzustecken und fortzugehen. Später trafen Poüzeiabteüungen mit Auto und Motorrädern und der Oberamtmann Vogel ein. 24 Stunden später wurde das Kreuz durch den Poüzeidiener von Konnersreuth wieder auf seinen ursprünglichen Platz in die Schule zurückgebracht.« 303
V. Resümees dreier Akteure
Der mehrtägige Prozess gegen Funktionäre der Kathoüschen und Kommunistischen Jugend in Düsseldorf zeigte, dass die gemeinsame Arbeit von Gruppen dieser Organisationen ün Westen Deutschlands bereits Wirklichkeit geworden ist.6 Diese Beispiele der steigenden unterirdischen Tätigkeit und offenen Widerstandsaktionen Hessen sich noch vermehren.
Die Schwächen der
Opposition
politische Reife und Stärke der Oppositionsbewegung in Deutschland darf, aü dieser positiven Erscheinungen, nicht überschätzt werden. Noch verfügt das Hiderregime über eine riesige Macht und starke Reserven. Noch verfügt das Hiderregime über einen beachtüchen ideologischen Einfluss, nicht nur innerhalb des Mitglieder- und Funktionärkreises seiner Partei, sondern in bürgerüchen Kreisen, in einer Masse der Jugendtichen und in gewissen Gruppen besser bezahlter Arbeiter. Das Hiderregime verfügt weiter über einen gewaltigen Staatsund Poüzeiapparat, mit besonders für den Bürgerkrieg psychologisch und technisch geschulten Poüzeitruppen, und über solche Kampfverbände wie SA und SS mit hunderttausenden von Mitgüedern. Aber das Entscheidende ist: die Massenbasis des Hitlerregimes wird schmäler und breiter wird nur der Terror, der heute alle Bevölkerungskreise, auch die unpolitischen, trifft. Die Oppositionsbewegung leidet unter politischer Unreife, sie ist |S. 121 nicht richtig organisiert, wirkt nicht einheitlich und ist mehr Oppositionsstimmung und noch nicht aktive oder gar schöpferische Oppositionsbewegung. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die vielgestaltige und breite Opposition, wenn schon nicht vereint, so doch in einer Stossrichtung wirken würde. Das aber ist bis heute nicht der Faü. Die grösste Schwäche, die nicht mehr länger geduldet werden kann, ist die Spaltung und Zersplitterung der deutschen Opposition in über 60 verschiedene Parteien, Organisationen, Gruppen und Grüppchen, die nicht nur nebeneinander, sondern oft gegeneinander arbeiten und in diesem Kampf mitunter so weit gehen, dass sie den Kampf untereinander als das Wichtigste und als die, wie ein Schriftsteller sagte, »Schicksalsfrage« der deutschen Opposition betrachten, und den Kampf gegen den gemeinsamen Feind darüber vergessen. Die Kennzeichnung der Situation und Opposition in Deutschland in der »National-Zeitung« Basel vom 13. Aprü [1937] ist für den bürgerüchen Teü der deutschen Opposition leider nur zu wahr: »Gewaltig ist die Macht des Staates und gross die Schwäche seiner sich nur im Die
trotz
Verborgenen rührenden Gegnerschaft, die sich zwar auf alle Volksschichten verteüt und aus vielen tausend Kanälen der Enttäuschung, des Mssvergnügens, des Hasses gespeist werden, aber ohne jede Stosskraft, und mehr ein blosser Zustand ist, weü die Uebergewalt des Regimes, seiner KontroUe und vor aüem seiner grossen Helferin, der aUgegenwärtigen Angst, jeden Einfluss und jeden Elan im Keime erstickt.«
304
38.
Münzenberg, Aufgaben
einer deutschen Volksfront
Anders ist die Lage in der Arbeiteropposition und bei der aufkommenden Opposition in der Jugend, die nicht nur die Arbeiterjugend umfasst, sondern auch Kreise an den Hochschulen und Universitäten. Hier zeigt sich besonders in der letzten Zeit ein zunehmender Wüle zu einer tätigeren, aktiven, einsatzbereiteren Opposition und zu einem gemeinsamen Handeln. In dieser Beziehung ist zu unterschreiben, was in »Der Kampf,« Nr. 3, März 1937, im Artikel »Wo steht die deutsche illegale Bewegung?« dazu gesagt wird: »So wenig man bereits für Deutschland selbst, ohne sich neuen gefährüchen Selbsttäuschungen hinzugeben, von einer organisierten Bewegung sprechen kann, so sicher ist, dass die vier Jahre Nationalsoziaüsmus eine grundlegende Aenderung in den Kernschichten der deutschen Arbeiterschaft hervorgerufen haben. Die lange Depressionsperiode, die der Ueberrumpelung durch die nationalsozialistische Machteroberung folgte, geht offenkundig zu Ende. Dafür gibt es zahlreiche Sympto[m]e.« | S. 131 Das aber zu erkennen, legt allen jenen eine grosse Verantwortung auf, die durch ihre SteUung in der deutschen Oppositionsbewegung in der Lage sind, die Verhältnisse weiter und voüständiger zu überschauen, als der ülegal kämpfende Bergarbeiter in Waidenburg oder der Bauer in Thüringen. Die Zentralen der Arbeiterparteien der antifaschistischen deutschen Organisationen und aUe antifaschistischen deutschen Frauen und Männer, besonders auch die im Ausland tätigen, haben eine bessere Uebersicht über die Verhältnisse und ihre Entwicklungstendenzen, als sie die unter den schwierigsten Verhältnissen kämpfenden einzelnen und kleinsten Gruppen und Einzelpersonen in Deutschland haben können. Wer den Kampf zum Sturz Hiders wirklich fördern wül, muss zuerst diesen Kämpfern mit Rat und Tat helfen und auf die hunderte Fragen der Führung ihres tägüchen kompüzierten unterirdischen Kampfes konkrete und praktische Antwort und Hilfe geben. In diesem Zusammenhange kommt der Emigration eine grosse wachsende Bedeutung zu. So richtig es ist, dass die Entscheidungskämpfe nur im Lande selbst geführt werden und die illegalen Kämpfer deshalb selbst die zweckmässigste Form des Kampfes bestimmen müssen, so richtig ist es aber auch, dass gleich den grossen geschichtlichen Beispielen von Marx und Lenin die ideologische Arbeit der Opposition am stärksten vom Ausland gefördert werden muss. Die im Ausland tätigen deutschen Antifaschisten müssen nicht nur, was bereits und in einigen Ländern mit Erfolg geschehen ist, die Hufe für Emigranten und poütische Gefangenen einheitlich organisieren, sondern ihre Hauptkraft für die Unterstützung des allein das Schicksal entscheidenden Kampfes im Lande selbst einsetzen. Die grosse Losung für die deutschen Antifaschisten, die sich heute im Auslande aufhalten, ist: »Das Gesicht dem Lande zu! Aüe Kräfte, aüe Energien zur Unterstützung des Kampfes im Lande.« -
—
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V. Resümees dreier Akteure
Für die Einheitsfront
dringlichste Hilfe ist die Unterstützung bei der einheitlichen Zusammenfassung der proletarischen Kräfte in Deutschland, bei der Schaffung der deutschen Einheitsfront. Es war eine glückliche Initiative, die im Frühjahr 1936 von einer Gruppe SoziaUsten, Kommunisten und Vertretern des freiheitüchen Bürgertums in Paris ergriffen wurde, ein »Komitee zur Vorbereitung der
Die
erste
und
deutschen Volksfront« zu bilden. Der starke Widerhaü aus Deutschland beweist, dass diese Initiative den heissesten Wünschen von vielen Tausenden proletarischer Kämpfer in Deutschland entspricht. Zuerst und vor aüem gut es, die Einheit in der Arbeiterklasse und ihren Parteien herzusteüen. Das muss an die Spitze aller Einheitsbestrebungen gesteüt werden! Es würde einen |S. 141 gewaltigen Schritt vorwärts in der einheitlichen Sammlung aüer antihiderischen Kräfte bedeuten, wenn es gelänge, die Zentralen der beiden deutschen Arbeiterparteien, der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei, in einer Einheitsfront zu vereinigen. Das ist bisher leider am Widerstand des Sozialdemokratischen Parteivorstandes gescheitert. Aber ün Lande selbst wächst der Wüle zu Einheitsaktionen und für die Einheit unter aüen Arbeitern. Von grosser Bedeutung für die Hersteüung der deutschen Einheitsfront ist der Schritt sozialdemokratischer Parteimitgüeder, die eine Delegation zum Parteivorstand nach Prag entsandten und von ihm im Namen der ülegal in Deutschland kämpfenden Sozialdemokraten den Anschluss an und die Unterstützung der deutschen Einheits- und Volksfront forderten.7 Die Einheitsfront ist heute eine absolute Notwendigkeit für die Weiterentwicklung des antihitlerischen Kampfes. In verschiedenen deutschen Orten wurde diese Einheitsfront spontan, auf Initiative von unten geschaffen, zum gemeinsamen Schutz und zur Abwehr von Potizeispitzeln und Agenten, zum gemeinsamen Schutz bei Durchführung illegaler Propaganda und noch öfter bei der Einleitung und Durchführung von wirtschaftUchen Kämpfen. Bei den meisten bisher stattgefundenen Wirtschafts- und Lohnkämpfen ist zu verzeichnen, dass die Belegschaft sich einheitlich, Kommunisten, Sozialisten und Christen und in vielen FäUen Arbeiter, die in nationalsoziaüstischen Organisationen organisiert werden, an den Bewegungen beteiligte. Nach dem Streik in den Opelwerken wurde eine grössere Anzahl SA-Mitglieder wegen Teilnahme am Streik entlassen. Im Mittelpunkt des Interesses weitester Arbeiterkreise Deutschlands steht heute der Kampf um die Verbesserung der Lebenslage, der Kampf um höhere, gerechte Löhne. Dieser Kampf ist aber nur zu führen und zu gewinnen durch die Einheit aller Arbeiter. Die deutsche Einheitsfront ist das Gebot der Stunde!
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Münzenberg, Aufgaben einer deutschen Volksfront
Die Notwendigkeit einer deutschen Volksfront
Es wäre aber falsch, die Fragen zu steUen: Einheitsfront oder Volksfront, oder zuerst Einheitsfront und später Volksfront. Die Lage in Deutschland erfordert und ermögücht die gleichzeitige Schaffung der Einheits- und Volksfront. Für einen erfolgreichen Kampf zum Sturze Hitlers ist eine deutsche Volksfront die erste Voraussetzung. Wenn die Volksfront nicht bereits in Frankreich und Spanien bestehen würde, musste die Idee dieser grossen gemeinsamen Front aüer freiheitlichen |S. 15 | Kräfte für Deutschland besonders erdacht werden! So sehr entspricht sie den Notwendigkeiten unseres Kampfes gegen Hider. Das Charakteristische der Lage in Deutschland ist, dass die überspitzte, persönliche, totale Diktatur der Hiderregierung im krassen Widerspruch zu den Lebensinteressen nicht nur von Müüonen Arbeitern, sondern breiter Bauernkreise, Mittelschichten, Intellektueller, bürgerücher Kreise und sogar industrieller Gruppen steht. Der Befreiungskampf der deutschen Arbeiter fäüt zusammen mit dem Freiheitskampf der beitesten deutschen Volksschichten. Eine Revolution gegen das Hiderregime wäre eine Volksrevolution in des Wortes wahrster
Bedeutung. Es ist
Gegensatz zu Spanien und Frankreich sind das mit dem System unzufriedene Kleinbürgertum und die oppositioneüen bürgerüchen Kreise in Deutschland nicht organisiert. Ehemahge repräsentative Führer der alten bürgerüchen Parteien und des Zentrums lehnen kategorisch die Teünahme an einer deutschen Volksfront ab und dürften kaum dafür zu gewinnen sein. Aber das ist wahr,
im
nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass, wie die Demonstrationen bei den verschiedenen Theateraufführungen mit ihren freiheitlichen Demonstrationen des Pubükums, die kathoüschen Aktionen und Demonstrationen beweisen, heute in Deutschland ein Zustand eingetreten ist, wo bei der Strafe der Verstrickung in langjährige Kriege und des Unterganges in Barb[a]rei die kleinbürgerüchen Schichten gezwungen sind, mit der Arbeiterklasse gemeinsam gegen den gemeinsamen faschistischen Unterdrücker zu kämpfen. Am Anfang unserer Volksfront steht nicht, wie in Frankreich, der poütische Vertrag zwischen den Arbeiterparteien mit einer organisierten bürgerlichen Bewegung, sondern das gemeinsame Handeln der Soziaüsten, Kommunisten, Antifaschisten in Deutschland mit den noch unorganisierten bü[r]gerüchen Hidergegnern im Kampf gegen das Diktaturregime, sowie das Zusammengehen im Ausland. Die Umbildung der bäuerüchen und bürgerüchen Opposition zu festen Organisationen wird in der Entwicklung des Kampfes selbst erfolgen. Das Beispiel der einheitlichen Ablehnung der Unterstützung der meineidigen spanischen Generale durch die gesamte deutsche Opposition, auch ohne direkte Verständigung untereinander, beweist die Uebereinstimmung in gewissen aktuellen poütischen Fragen, die zu gleichgerichteten Schritten aüer Oppositionsgruppen führten. Die deutsche Volksfront ist der einzige Weg, der zur Sammlung aller am Sturze Hitlers interessierten Volksschichten und Massen, Gruppen und Personen 307
V. Resümees dreier Akteure
führt. Diese Sammlung aüein ist die Voraussetzung eines siegreichen Kampfes gegen die Hitlerdiktatur! | S. 161 Die objektive Lage in Deutschland zwingt zur Schaffung der Volksfront. Die internationale Lage begünstigt ihre Entwicklung. Trotz aüer Zensurbemühungen und potizeüicher Absperrungen dringen die Nachrichten über die Erfolge der französischen Volksfront, über den Sieg der spanischen Volksfront, die mit ihren Flugzeugen und Sturmtrupps die itaüenischen und deutschen Faschisten bei Madrid in die Flucht geschlagen hat, nach Deutschland. Der Arbeiter in Sachsen, der Hafenarbeiter in Hamburg fühlt, dass die Volksfront stärker ist als Franco, stärker als Mussolini, stärker auch als Hider. Er fühlt, dass die Volksfront der Weg ist, der herausführt aus der Höüe und der Qual der Hitlerdiktatur zum Siege der Freiheit. Das »Komitee zur Schaffung einer deutschen Volksfront« steht vor einer Schicksalsfrage. Das Komitee hat bei der Gründung absichtlich den einschränkenden Namen »Komitee zur Schaffung einer deutschen Volksfront« gewählt. Es woüte damit zum Ausdruck bringen, dass es sich nicht anmasst, die Volksfront selbst zu sein, solange noch grosse hiderfeindüche Organisationen abseits stehen. Dieser Standpunkt gilt auch heute noch. Aber ohne die Erfolge dieser zähen Werbungen um Anschluss weiterer Organisationen, besonders der S.P.D.f,] abzuwarten, muss das Komitee, wül es nicht hinter der Entwicklung in Deutschland zurückbleiben, seine Tätigkeit beträchtlich verstärken. Das Komitee muss eine systematische, kontinuiertiche Arbeit führen, die es erlaubt, unmittelbar und aktueU auf die poütischen Ereignisse zu reagieren. Es muss seine Verbindung zum Lande direkt und durch die angeschlossenen Organisationen ausbauen, um aüe Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes für ganz Deutschland auszuwerten. Es muss neue starke politische Kräfte zum Anschluss gewinnen und ein handelndes poütisches Kraftzentrum der deutschen Opposition werden. Die deutsche Volksfront muss sich ein konkretes innen- und aussenpoütisches Kampfziel steüen, um aüe Kräfte zu sammeln und werbend im In- und Ausland zu wirken. An der Spitze dieser Kampfziele muss der Kampf zum Sturze der Hiderregierung und der Erkämpfung einer demokratischen Volksrepubük stehen.
Kampf für die demokratische Volksrepublik Ueber die Notwendigkeit, aües
einzusetzen, um ein Mnimum an demokratischen Freiheiten, Versammlungsfreiheit, Rede-, Presse- und Koaütionsfreiheit in Deutschland zu erobern, gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Karl Marx, Friedrich
Engels
und Lenin haben
begründet,
wie
notwendig
ein Mnimum
an
demokratischen Freiheiten als Voraussetzung |S. 171 der Sammlung der Massen für ihren Freiheitskampf ist. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in Russland, in Finnland, in Spanien und anderen Ländern haben das bestätigt. Darüber hinaus aber gut es, ein erkennbares, klares Ziel für diejenigen aufzusteüen, die mit 308
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Münzenberg, Aufgaben
einer deutschen Volksfront
Recht fragen: »Was kommt nach Hitler?« Die Antwort darauf kann nur sein: Dass mit Hufe der Volksfront solche Verhältnisse erkämpft werden soüen und müssen, die es dem deutschen Volke ermögüchen, selbst und frei über das Staatssystem des neuen Deutschland zu entscheiden. Die Demonstrationen während der Aufführung von Schülers »Don Carlos« im Deutschen Theater in Berün und bei anderen ähnhchen Anlässen zeigen, dass heute die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes von einer Hoffnung, einer Sehnsucht, einem Verlangen erfüüt ist: Freiheit, Sicherheit und Demokratie. Das wül das Volk. Was es nicht wül, das ist eine neue Auflage des jetzigen Systems, eine zweite Ausgabe des autarkischen Führerstaates, wie sie Otto Strasser propagiert. Heute geht die Frage in Deutschland auch nicht darum, ob Sowjetdemokratie oder Faschismus, sondern darum, ob es geüngt, Hitler vor einem Krieg zu stürzen und die Volksfront nicht gezwungen wird, die Erbschaft eines furchtbaren Zusammenbruches zu übernehmen. Und deshalb geht heute einzig und aüein die Frage darum: demokratische Volksrepubük oder faschistische Diktatur. Bei einer solchen Fragestellung gibt es nur eine Antwort: demokratische Volksrepubük. Lenin hat darauf hingewiesen, wie unsinnig es ist, zu glauben, dass ein Widerspruch zwischen dem Kampf für die Demokratie und den Soziaüsmus bestünde. Er führt aus: »Es wäre ein grundlegender Fehler zu glauben, dass der Kampf für die Demokratie imstande sei, das Proletariat von der soziaüstischen Revolution abzulenken oder sie in den Hintergrund zu schieben, zu verdunkeln und zu verbleichen. Im Gegenteü. Wie ein siegreicher Soziaüsmus, der nicht die voUständige Demokratie verwirklicht, unmögüch ist, so kann das Proletariat, das keinen aüseitigen konsequenten und revolutionären Kampf für die Demokratie führt, sich nicht zum Sieg über die Bourgeoisie vorbereiten. Die bürgerüche Demokratie ist die Form, die die Kraft reifen lässt, um die voUe Freiheit der Arbeiterklasse und damit der Mehrheit des Volkes zu verwirklichen.«8 Die veränderte Weltlage seit 1918, das Bestehen und das ständige Wachsen des Soziaüsmus in der USSR, die Stärke der Volksfront in Frankreich, das revolutionäre demokratische Spanien, die wachsende geseüschaftüche Roüe der Arbeiterklasse und nicht zuletzt die Erfahrungen der deutschen Arbeiterklasse und eines Teiles ihrer Parteien sind Garantien, dass das kommende neue demokratische Deutschland sein Ge-|S. 181 präge durch das schaffende Volk erhalten wird. Wirtschaftlich ist am Ende des geschichtlichen Umwälzungsprozesses unserer Epoche kein anderes System als das soziaüstische denkbar. Sicher ist, dass die neue deutsche demokratische Republik eine andere sein wird als die von Weimar. Sie wird nicht das Gesicht von Weimar, sondern das kämpferische Gesicht von Madrid tragen. Die Ereignisse in Spanien lehren, dass auch eine demokratische Repubük die Kräfte reifen lassen kann, die stark genug sind und Elan genug haben, um den Faschismus mit Stumpf und Stiel auszurotten und entscheidende wirtschafthche Aenderungen einzuleiten. Es gilt, unter Zurückstellung spekulativer theoretischer Diskussionen, das konkrete Ziel für die nächste geschichtliche Epoche Deutschlands zu sehen und 309
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für dieses Ziel den Kampf aufzunehmen. In der Zeit, in der die Volksfront in Frankreich und Spanien die demokratische Repubük auf der iberischen Halbinsel mit der Waffe in der Hand verteidigt, steht vor der deutschen Volksfront als nächstes grosses konkretes poütisches Ziel: die Hiderdiktatur zu stürzen und die deutsche demokratische Volksrepubük zu erobern. Nur wenn wir ein KampfZiel aufsteüen, dem alle Hidergegner zustimmen können, können wir die Einigung des deutschen Volkes gegen Hitler durch den Kampf der deutschen Volksfront schaffen. Einzelne Gruppen in der deutschen Volksfront verwechseln die Volksfront mit ihrer eigenen Organisation und versuchen, das Program [m] ihrer Organisation zum Programfm] der Volksfront zu machen. Sie vergessen, dass es sich bei der Volksfront nicht um ein Zusammengehen von kommunistischen und sozialdemokratischen oder gar kommunistischen und Unkssoziaüstischen Gruppen handelt, sondern um den Versuch, zu gemeinsamen Aktionen Kommunisten, die SAP, die Sozialdemokratie, Bauern, christüche Gewerkschaften und bürgerliche Gruppen zu vereinigen. Das Kampfziel eines solchen Einheitsabkommens dieser Gruppen kann aber nur ein solches sein, an dessen Verwirküchung alle Betemgten interessiert sind. Nur die unzweideutige klare Aufsteüung dieses demokratischen Zieles wird es ermögüchen, die breiten Volksmassen in Deutschland zum aktiven Kampf gegen Hider zu mobiüsieren und in der Volksfront zu verbinden. Aber auch nur ein Deutschland mit demokratischen Grundrechten wird es der Arbeiterklasse erlauben, jene Kräfte zu entwickeln, um für die Verwirklichung ihrer letzten Ziele zu -
-
ringen.
Die deutsche Volksfront muss für das konkrete Ziel der demokratischen oder sie wird abseits stehen und ohne Einfluss auf die historische Entwicklung bleiben, eine beratende Kommission, aber keine handelnde, machtgestaltende Kraft. |S. 191
Volksrepubük kämpfen,
Die deutsche Jugend her zur deutschen Volksfront! betont klare Politik für die Erkämpfung der Freiheit wird auch die Jugend zurückgewinnen, die aus Not und IUusionen als Erste zu den Hiderfahnen strömte, die heute noch in grosser Zahl an die nationalsoziaüstischen Versprechungen glaubt und mit der Hider hofft, die Opposition niederzuhalten und seine machtpotitischen Träume verwirklichen zu können. Für den Kampf gegen die Hiderdiktatur ist die Gewinnung der Jugend von entscheidender Bedeutung. Bereits beginnt bei einem Teü der deutschen Jugend, sowohl bei der Arbeiterjugend wie bei der Jugend an den Hochschulen und Universitäten eine Desülusionierung und eine heftige Sehnsucht nach Freiheit. Tausende von Jugendlichen erfüüt das Gefühl: einmal los von dem Drül, den Kommandos, dem Stillstehen, Paradieren, Exerzieren, los von dem Zwang der Hitlerjugend, des Arbeitsdienstes, der Kaserne. Hier gut es anzuknüpfen. Die Gewinnung der Jugend ist heute Nur eine
310
so
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Münzenberg, Aufgaben
einer deutschen Volksfront
möglich, als Hitler und Göbbels sich gezwungen sehen, wie so manandere, auch die Demagogie des Kampfes der Generationen preisgeben zu müssen. Mit de[n] Schlagworten von der »Frontjugend,« der »Jungkameradschaft,« der »Partei der Jungen,« der »Bewegung der Jugend,« hat die Hitlerpropaganda die Jugend eingefangen. Jetzt beginnen wesentliche Teüe der Jugend, sich gegen das System, seine Unkultur und Unterdrückung zu wenden. Göbbels, der am meisten von der Hitlerbewegung als der »Bewegung der Jungen« sprach, führte in einer Rede bitter Klage, dass heute 22jährige Jünglinge wagen, an 45jährigen weltbekannten Künsdern Kritik zu üben. Der Jugendführer Schirach erklärte in einer Rede am 7. Dezember [1936]: »Der Gegensatz der Generationen ist überwunden. Die Jugendorganisationen sind nicht daseinsberechtigt als Organisation unreifer Oppositionskräfte gegen den Staat.« Ueber einer Rede von Schirach, die im »Angrif[fJ« vom 14. Aprü 1937 wiedergegeben ist, steht die Schlagzeile: »Jung sein, aber nicht Opposition treiben.« Das bestätigt die Berichte über die sich stärkende Jugendopposition und über den beginnenden Bankrott der Hiderjugendpoütik. Die Jugend beginnt sich zu überlegen, dass Abfäüesammeln unmögüch die Verwirkhchung des deutschen Soziaüsmus sein kann. Sie steUt die Frage: Wofür leben? So kommt sie zur Forderung nach Gedankenfreiheit und dass jung sein heute in Deutschland nur bedeuten kann: Opposition treiben. Es gut, die beginnende Jugendopposition zu unterstützen und mit der Volksfrontbewegung fest zu verbinden. Deutsche Jugend, her zur deutschen Volksfront! | S. 201 umso
eher
che
Die Volksfront als Erbe aüer deutschen
Freiheitsge[s]chichte
Die einzelnen Beispiele der spontanen Ablehnung und Demonstrationen bei der Aufführung der Stücke von Klassikern zeigen, wie aügemein und breit die Stimmung gegen das Hidersystem in Deutschland ist. Sie zeigen aber auch, welche gewaltigen ideeUen Reserven für die Propaganda und den Kampf gegen Hitler in der deutschen Geschichte üegen. Das Hidersystem hat, wie so vieles, das Teuerste, die Begriffe Freiheit und Demokratie, und auch die ganze deutsche Geschichte für seine Zwecke entsteht und gefälscht. Wie die soziale Frage, so war auch für das Hitlersystem die nationale Frage nur ein Mittel zur skrupeüosen Ausnutzung für ihre Parteizwecke und
-Propaganda. Gegenüber
den Entstehungen und Fälschungen gilt es, für den Kampf der deutschen Volksfront nutzbar zu machen die deutsche Geschichte und in Erinnerung zu rufen die demokratischen Grundsätze der alten deutschen Markgenossenschaften, wie sie Friedrich Engels schilderte, anzuknüpfen an die Bauernkriege mit Thomas Münzer, sich zu erinnern an die Worte [von] Friedrich Engels, dass die deutsche Arbeiterbewegung die Erbin der klassischen deutschen Philosophie ist. Dasselbe gilt heute mit aktueüer poütischer Bedeutung für die 311
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deutschen Klassiker, für die Dichter und Kämpfer der Bewegung von 1848, für die Zeit der klassischen deutschen Arbeiterbewegung, und für die illegalen Kämpfe gegen den deutschen Imperiaüsmus während des Weltkrieges. Wie in Spanien der Name »Frente Populare,« [sic] in Frankreich der Name »Front Populaire« heute für Müüonen und Millionen der Inbegriff der Kraft zur Umgestaltung ihrer Heimat in ein freies und glücküches Land ist, so muss es der Name »Deutsche Volksfront« für Millionen deutsche Arbeiter, Bauern und Angehörige der Mittelschichten werden. Anknüpfend an die deutsche Geschichte als Erbin der deutschen Phüosophie, der deutschen Kultur, gestützt auf die Leistungen der deutschen Technik und der deutschen Arbeiter muss und kann die deutsche Volksfront zur Rettung Deutschlands werden.
Der
Kampf gegen den Krieg, für den Frieden
Ueber den Ausgang des grössten geschichtlichen Ringens zwischen Unterdrückung und Freiheit, zwischen Faschismus und Soziaüsmus, gibt es keinen Zweifel. Am Ende dieses Kampfes steht der Sieg und Triumph der freiheitüchen Kräfte. Aber die deutsche Volksfront und die deutsche Arbeiterklasse, | S. 211 und mit ihr das deutsche Volk, hat tausend Interessen, dass dieser Kampf bald entschieden, der Sieg bald errungen wird! Das fordert aüein schon gebieterisch die Rettung der Freiheit und des Lebens der hunderttausende[n] poütischen Gefangenen in Deutschland, die unter den furchtbarsten Verhältnissen eingekerkert sind. Das fordert ebenso gebieterisch die Erlösung der unterdrückten Arbeiter, Bauern- und Volksmassen, und das fordert vor allem die Notwendigkeit der Verhinderung des Krieges. Das Hiderregime opfert heute bedenkenlos die wichtigsten nationalen Interessen Deutschlands, um seine Machtdiktatur zu erhalten und die Eroberungsgelüste eines Häufleins von Monopolkapitaüsten zu erfüüen. Die weltpoUtische Situation, die Tatsache, dass in Frankreich eine Volksfrontregierung fest die Politik führt, dass der sozialdemokratische Norden durch eine breite Linksentwicklung Finnlands verstärkt wurde, dass in England und Amerika grosse demokratische Bewegungen sich verstärken, die wachsenden Kräfte des demokratischen Spaniens, das Bestehen der Tschechoslowakei und die überragende Stärke der sozialistischen Grossmacht der Sowjetunion würden es[,] wie zu keiner anderen Zeit, heute ermöglichen, durch eine Poütik der friedüchen Verständigung die letzten Folgen des Krieges und des Versailler Vertrages für Deutschland zu überwinden, und in Gemeinschaft und in Verbindung mit aüen Ländern eine fruchtbare Aufbauarbeit zu leisten. Eine solche Friedenspolitik wäre heute die einzig wahre nationale Poütik. Aber das enge Partei- und Machtinteresse der faschistischen Diktatur verhindert diese Poütik; es hat Deutschland in eine selbstgewählte Isoüerung mit den schwersten Folgen für die wirtschaftliche und soziale Lage im Innern und mit den grössten Spannungen in der Aussenpolitik
geführt. 312
38.
Aber das
Hitlerregime
Münzenberg, Aufgaben einer deutschen Volksfront
bereitet einen noch
Volksverrat vor. Das Hitlersystem treibt mit seinen fortgesetzten Provokationen, die in Spanien bis zur bewaffneten Unterstützung meineidiger faschistischer Generale geführt haben, in die Gefahr eines abenteuerüchen, verbrecherischen Krieges. Heute kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die riesige Kriegsmaschinerie, die der neue deutsche Imperiaüsmus mit der Hiderregierung schuf, nicht der Verteidigung, sondern dem Angriffskrieg dienen soü. Heute wird diese Kriegsmaschine noch benutzt, um durch Drohungen und Provokationen Konzessionen im Ausland zu erpressen. Morgen aber kann diese Maschine gegen ein Land losbrechen. So widersinnig und ungeheuerlich auch ein solches Vorhaben für jedes vernunftbegabte Wesen erscheint, so muss jedoch mit dieser Mögüchkeit gerechnet werden. Die Leute, die heute in Deutschland über einen Krieg zu bestimmen haben, sind jene, die im Herbst 1918 entschlossen waren, Tausende der besten deutschen Söhne | S. 221 mit der Flotte in den Tod zu senden, um »ruhmvoü« unterzugehen. Und wie damals eine revolutionäre Tat, der Widerstand der zum Tode verurteüten Matrosen, diesen Plan vereitelte, so muss heute die kühne Arbeit und Aktion entschlossener deutscher Antifaschisten und der Volkswiderstand den Plan eines noch grösseren Verbrechens verhindern und wie 1918 die Urheber und Organisatoren dieses geplanten schändhchen Verbrechens hinwegfegen. Es gilt, Hitler vor dem Krieg zu stürzen! Dafür müssen aüe Kräfte eingesetzt werden, sowohl zur Unterstützung des Kampfes im Inneren, wie durch Aufstellung konkreter, klarer Ziele einer deutschen auswärtigen Poütik nach dem Sturze Hitlers wie: Sofortiger Bruch mit der imperiaüstischen Propagandapolitik der hitlerischen
grösseren
Aussenpolitik.
Mitarbeit an der friedüchen Lösung aüer überstaatlichen Fragen. Rückkehr und Mitarbeit, um den Völkerbund zu einem wirksamen Instrument zur Unterstützung des Friedens auszubauen. Freundschaftsbündnisse mit Ländern, die demokratische und Volksfrontregierungen haben und besonders mit der soziaüstischen Sowjetunion, dem grössten Friedensgaranten und des [sie] für einen Aufbau eines demokratischen Deutschlands wichtigsten Partners. Die Aufgaben, die vor der deutschen Volksfront stehen, sind gewaltige. Von aüen Aufgaben steht am dringüchsten die grösste vor ihr und der deutschen Opposition: die Verhinderung eines neuen Krieges. Es gibt heute kein Land, das von einer so schändhchen und barbarischen Diktatur unterdrückt wird, wie Deutschland. Es gibt kein Volk, das so geknebelt wird und so leiden muss, wie das deutsche Volk. Aber es gibt und gab auch keine Oppositionsbewegung, die in so grosser Zahl so heroische Beispiele der Aufopferung, der Treue zum antifaschistischen Kampf aufzuweisen hat, wie das deutsche Volk. Der Gedanke an diese Kämpfer, der Gedanke an unsere tapferen deutschen Antifaschisten, die heute mit solch herrhehem Mut in Spanien Freiheit und Demokratie verteidigen, muss die Freunde und Kämpfer der deutschen 313
V. Resümees dreier Akteure
Volksfront beflügeln und mit dem Geist erfüüen, der die Kämpfer in Deutschland und in Spanien beseelt. Deutschland, das oft das Schicksal Europas war, wird heute mehr denn je zum Schicksal der Welt. Die Geschichte hat es gewoüt, dass der Befreiungskampf der deutschen Arbeiter zusammenfäüt mit dem Befreiungskampf der breitesten | S. 231 deutschen Volksmassen, ja grosser Teüe des deutschen Bürgertums, mit den Interessen der Welt, die nur durch den Sturz Hiders von dem Albdruck der täglichen Gefahr eines Krieges befreit werden kann. Die Stunde fordert den Einsatz der letzten Kräfte für die grössten Taten und steüt gebieterisch eine taktische Forderung:
Angreifen! Angreifen! Angreifen! Anmerkungen der Herausgeberin: 1
korrigiert aus: »bevorstehenden« Eine Reihe innenpolitischer Aktionen und Entscheidungen mit außenpolitischer Relevanz wurde von der NS-Regierung an Sonnabenden durchgeführt bzw. bekanntgegeben: die Morde vom 30. Juni 1934 (»Röhm-Putsch«), die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935, die Verkündung der »Nürnberger Gesetze« am 14. September 1935 und die Rheinlandbesetzung am 2
7. März 1936. 3 wohl eher: Deputationen korrigiert aus: »Münsterhalle« 5 Carl Rover (1889-1942), seit 1928 Gauleiter der NSDAP Weser-Ems, seit 1933 Reichsstatthalter von Oldenburg und Bremen. 6 Das Urteil des II. Senats des Volksgerichtshofs im Prozeß gegen den Kaplan Joseph Rossaint und sechs katholische und kommunistische Mitangeklagte datiert vom 23. April 1937. 7 Anspielung auf die Besprechung zwischen Vertretern der Gruppe Deutsche Volksfront und Mitgliedern des Exilparteivorstandes (Sopade) am 16. und 17. Januar 1937, siehe Deutsche Volksfront Band 2, S. 298. 8 Das Zitat fast wörtlich aus: Wladimir I. Lenin, »Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen (Thesen)« [1916], in: ders., Sämtliche Werke, Bd. XIX, Wien Berlin 1930, S. 39-55, hier S. 40; der letzte Satz des Zitats ist nicht von Lenin, sondern eine freie Weiterführung des Gedankens durch Münzenberg. 4
-
314
Chronik Der folgenden Chronik zur schnellen Orientierung über Schlüsseldaten zur Vorgeschichte und Geschichte des Volksfrontausschusses in Paris und der deutschen Volksfrontbewegung im allgemeinen von der ReichspräsidentenWahlkampagne 1932 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 wurden einige Daten der Jahre 1918 bis 1932 vorangestellt. Sie markieren Ereignisse, auf die verschiedene Einzelpersonen, Gruppierungen, Parteien und Organisationen der politisch motivierten Emigranten unter differierenden Aspekten
rekurrierten, und sie weisen auf Ursachen
von
Konfrontationen hin.
1918 3. November
9. November
10. November
11. November
Kiel: Massenkundgebung für die Freilassung der verhafteten Meuterer des Kieler Matrosenaufstandes; Beginn revolutionärer Erhebungen in Deutschland Berün: Phüipp Scheidemann (SPD) ruft die »freie deutsche Repubhk« aus, Karl Liebknecht (Spartakusbund) die »freie soziaüstische Repubhk« Berün: Der deutsche Kaiser Wühelm II. flieht in die Niederlande; SPD und Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) büden den Rat der Volksbeauftragten Compiègne: Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Entente
1919 1. Januar
15. Januar 6. Februar
2.-6. März 28. Juni
Berhn: Abschluß des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der am 30. Dezember 1918 begonnen hatte Berün: KPD-Mitbegründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden von Regierungstruppen ermordet Weimar: Die am 19. Januar gewählte Nationalversammlung tritt erstmals zusammen; sie wählt am 11. Februar Friedrich Ebert (SPD) zum Reichspräsidenten, konstituiert eine Reichsregierung aus SPD, Zentrumspartei und Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und beschheßt die Ausarbeitung einer Reichsverfassung (am 11. August 1919 vom Reichspräsidenten unterzeichnet, tritt sie drei Tage später in Kraft) Moskau: Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale (Komintern) Versailles: Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit Frankreich akzeptiert die Reichsregierung die Deutschland
auferlegten Bedingungen
317
1920 24. Februar
12.-17. Oktober
München: Die am 5. Januar 1919 gegründete Deutsche Arbeiterpartei benennt sich nach dem von Adolf Hider verkündeten Programm um in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; im Juü 1921 wird Hider Erster Vorsitzender der NSDAP HaUe: Auf dem Parteitag der USPD votieren 60 % der Delegierten für den Anschluß an die Komintern; im Dezember vereinigt sich dieser Flügel mit der KPD zur (Vereinigten) Kommunistischen Partei Deutschlands
1921 26.
August
Bad Griesbach/Schwarzwald: Matthias Erzberger, der als Finanzminister und Vizekanzler zurückgetretene Zenrrumspotitiker, wird als »Novemberverbrecher« von Mitgliedern der rechtsextremen Organisation Consul erschossen.
1922 2.-5.
16.
Aprü
April
Berlin: Beratung von Vertretern der Exekutiven der drei Internationalen Rapaüo: Das Deutsche Reich und die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik unterzeichnen einen Vertrag zur Wiederaufnahme diplomatischer und wirtschaftücher
Beziehungen 24. Juni
24.
September
Bertin-Grunewald: Walther Rathenau (DDP), Außenminister des Deutschen Reiches, wird von Mtgliedern der Organisation Consul erschossen. Nürnberg: Die Rest-USPD schließt sich mit der SPD zur (Vereinigten) Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zusammen
1923 11. Januar 21.-25. Mai
20. Juni
Deutschland: Französische und belgische Truppen beginnen mit der Besetzung des Ruhrgebiets Hamburg: Gründungskongreß der Soziaüstischen ArbeiterInternationale (SAI) Moskau: Karl Radek befürwortet in seiner Rede vor der Erweiterten Exekutive der Komintern eine mehrere Wochen dauernde Zusammenarbeit der KPD mit nationalsozialistischen
Organisationen (»Schlageter-Kurs«)
Chronik 1923-1925
13. August
10. Oktober 16. Oktober
23.-25. Oktober 28. Oktober
Berün: Die SPD tritt dem neuen Kabinett der Großen Koaütion (neben DVP, Zentrumspartei, DDP) unter Reichskanzler Gustav Stresemann (DVP) bei; sie tritt am 2. November des Jahres wieder aus Dresden: Bildung einer Koaütionsregierung von SPD und KPD in Sachsen unter Ministerpräsident Zeigner Weimar: Bildung einer Koaütionsregierung von SPD und KPD in Thüringen auf der Basis eines am 13. Oktober beschlossenen gemeinsamen Regierungsprogramms Hamburg: Der Aufstandsversuch der KPD endet mit einer
Niederlage
Berhn Dresden: Die Reichswehr die legale -
5. November 8./9. November
12. November
Reichsregierung setzt mit Hilfe der Regierung in Sachsen ab (»Reichs-
exekution«) Weimar: Die Reichswehr besetzt Thüringen München: Der Versuch Adolf Hiders, zusammen mit General Erich Ludendorff gegen die Regierungen des Reichs und Bayerns zu putschen (»Marsch auf die Feldherrnhaüe«) und sich selbst zum Reichskanzler zu machen, mißlingt; während der anschheßenden knapp einjährigen Festungshaft schreibt Hitler Mein Kampf Weimar: Die kommunistischen Minister verlassen die Koaü-
tionsregierung Mit Einführung der Rentenmark wird die Inflation gestoppt; am Vortag kostete 1 US-Doüar 4,2 Bilüonen Mark Berün: Verbot der KPD (bis zum 1. März 1924) Berün: Der SPD-Parteiausschuß lehnt jede organisatorische und poütische Zusammenarbeit mit der KPD ab
15./16. November Berün: 23. November 26./27. November
1924 22. Februar
Juü/August
Magdeburg: Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Bund Republikanischer Frontsoldaten Berün: Gründung des Roten Frontkämpfer-Bundes (RFB)
—
1925 26.
Aprü
20./21.Juü
Deutschland: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg wird im zweiten Wahlgang als Kandidat des »Reichsblocks« (DNVP, DVP, BVP und kleinerer Rechtsparteien) als Nachfolger des am 28. Februar verstorbenen Friedrich Ebert zum
Reichspräsidenten gewählt
Deutschland: Die alüierten Truppen räumen das
Ruhrgebiet 319
Chronik 1925-1929
13.-18.
September Heidelberg: Programm
5.-16. Oktober
Der
Parteitag
der SPD beschüeßt ein
neues
Locarno: Auf der Konferenz der Außenminister Deutschlands, Belgiens, Frankreichs, Englands, Italiens, Polens und der Tschechoslowakei werden auf der Grundlage des Versaüler Friedensvertrags ein Sicherheitspakt und Schieds-
verträge geschlossen 1926 24.
Aprü
Berün:
20. Juni
8.
September
Vertrag zwischen Deutschland und
der UdSSR über Freundschaft und Neutraütät Deutschland: Die Volksabstimmung zur Fürstenenteignung, erzwungen durch ein gemeinsam von KPD und SPD mit anderen linken Gruppierungen vorangetriebenes Volksbegehren, ergibt 14,5 Mütionen abgegebene Stimmen für die Enteignung, bleibt jedoch unter der erforderüchen Mndestanzahl von 20 Müüonen Genf: Der Völkerbund nimmt das Deutsche Reich auf und gibt ihm einen ständigen Ratssitz
1928 17. Juli—1.
Moskau: Der VI. Weltkongreß der Komintern befaßt sich unter dem Aspekt der Kriegsgefahr u. a. mit dem »Sozialfaschismus«, unter dem »Trotzkismus«, »Menschewismus«, »Reformismus« und »Theorie des Ultraimperiatismus« subsumiert werden Breslau: Das erste Heft von Gegen den Strom, dem Mitteilungsblatt des rechten Flügels der KPD, erscheint; die Parteidissidenten gründen nach ihrem Ausschluß Anfang 1929 die Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition) (KP[D]0)
September
17. November
1929 1.-3. Mai
Berün: Die sozialdemokratisch geführte Poüzei schlägt eine der KPD trotz Verbots durchgeführte Demonstration und die darauf folgende Barrikadenbesetzungen blutig auseinander (»Blutmai«); RFB und Antifaschistischer Kampfbund werden (vorübergehend) verboten Berün: Der Weddinger Parteitag der KPD beschüeßt, die SPD als Hauptfeind anzusehen von
8.-15. Juni
320
Chronik 1929-1932
25. Oktober 22. Dezember
Freitag«, der Börsenkrach leitet eine ein Weltwirtschaftskrise jahrelange Deutschland: Der Volksentscheid gegen den Young-Plan, erzwungen durch ein gemeinsam von DNVP, NSDAP, Stahlhelm, AUdeutschem Verband und anderen rechten Gruppierungen betriebenes Volksbegehren, scheitert, da nur 13,8 % für den Gesetzentwurf gegen den Young-Plan stimNew York: »Schwarzer
men
1930 29. März
14.
September
Berhn: Der ZentrumspoUtiker Heinrich Brüning büdet ein Minderheitskabinett aus einer Koaütion von der Zentrumspartei bis zur DNVP, unter parlamentarischer Duldung der SPD Deutschland: Bei den Reichstagswahlen wird die NSDAP zur zweitstärksten Fraktion, sie kann die Zahl ihrer Mandate von 12 auf 107 erhöhen; die KPD steigert ihre Mandate von 54 auf 77, die SPD fäüt von 153 auf 143 zurück
1931 August
Deutschland: Die KPD beteiügt sich an dem Versuch von NSDAP, DNVP und DVP, die sozialdemokratisch geführte Koaütionsregierung in Preußen durch einen Volksentscheid
4. Oktober
Berhn: Aus der SPD ausgeschlossene Mitgüeder gründen die Soziaüstische Arbeiter-Partei (SAP) und den Soziahstischen
9.
zu
31. Oktober
stürzen
Jugendverband (SJV) Bad Harzburg: Die
»nationale Opposition« aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm schließt sich zur »Harzburger Front« zusammen
16. Dezember
Berün: Die Vorstände bzw. Bundesausschüsse von SPD, Freien Gewerkschaften, Arbeitersportverbänden und Reichsbanner bereiten die BUdung der »Eisernen Front« vor
1932 12. Januar
20. Januar
Berün: Zu Beginn des Reichspräsidenten-Wahlkampfes nominiert die KPD wie bereits 1925 ihren Vorsitzenden Ernst Thälmann für das Amt Berün: Oberbürgermeister Heinrich Sahm ruft zur Bildung einer nationalen »Volksfront« für die Wiederwahl des amtierenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg auf 321
Chronik 1932-1933
22. Februar
März
10.
Aprü
24.
April
I.Juni 12. Juni
20.JuU
31. Juli
3.-7. November
6. Dezember
Berün: Die NSDAP steüt Adolf Hider als Gegenkandidaten zu Hindenburg auf, nachdem Theodor Duesterberg sich als Kandidat für den Stahlhelm, die DNVP und weitere »nationale Verbände« vorgesteüt hatte Deutschland: Die Mnderheit der KP(D)0-Mitgtieder wechselt zur SAP über Deutschland: Hindenburg wird im zweiten Wahlgang als Kandidat der »Volksfront« als Reichspräsident mit 53 % der Stimmen wiedergewählt Preußen: Bei den Wahlen zum Landtag wird die NSDAP mit 162 Sitzen (vorher: 9) zur stärksten Fraktion; die Regierungskoaütion (SPD, Zentrum, DDP) verüert ihre Mehrheit, die Regierung bleibt jedoch mangels absoluter Mehrheit für die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten im Amt Bertin: Nach der Demissionierung der Regierung Brüning ernennt Hindenburg Franz von Papen (Zentrum) zum Reichskanzler Darmstadt: Die KPD führt den 1. Kongreß der »Antifaschistischen Aktion« für den Bezirk Hessen-Frankfurt/M. durch Berlin: »Preußenschlag«, Reichskanzler Franz von Papen setzt die seit 1925 amtierende, seit den Preußen-Wahlen vom 24. Aprü 1932 nur mehr geschäftsführende »Weimarer Koatitions«-Regierung unter dem Sozialdemokraten Otto Braun ab und wird selbst Reichskommissar für Preußen Deutschland: Bei den Reichstagswahlen wird die NSDAP mit 37,3 % der Stimmen zur stärksten Partei, die SPD erhält 21,6 %, die KPD 14,3 %, das Zentrum 12,5 %; NSDAP und KPD steüen zusammen mehr als die Hälfte der Abgeordneten und können den Reichstag jederzeit blockieren Berün: Streik der Verkehrsarbeiter, gemeinsam durchgeführt von der kommunistischen Roten Gewerkschaftsopposition (RGO) und der NationalsoziaUstischen Betriebszeüenorganisation (NSBO) Berün: Hermann Göring (NSDAP) wird als Vertreter der stärksten Fraktion zum Reichstagspräsidenten gewählt, Paul Lobe (SPD) wird dritter Vizepräsident
1933 25. Ja
322
Berün: Die SPD schlägt der KPD im Vorwärts einen Nichtangriffspakt nach dem Muster der Verträge der UdSSR mit kapitalistischen Staaten vor
Chronik 1933
28. Januar
30. Januar
30. Januar
31. Januar 31. Januar 2.-3. Februar
7. Februar
13. Februar 15. Februar
18./19. Februar
20. Februar
27. Februar
27./28. Februar
Berün: Das ZK der KPD ruft in einem Rundschreiben aüe Bezirksleitungen zur Offensive gegen den geplanten SPDParteitag und zur Einheitsfront »von unten« auf Berün: Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler, der büdet eine Regierung des »Nationalen Zusammenschlusses« aus NSDAP und DNVP Berün: Das ZK der KPD ruft ADGB, SPD, Reichsbanner zum gemeinsamen »Generalstreik gegen die faschistische Terrorherrschaft« auf Moskau: Der Sender der Komintern fordert die KPD zu Kompromissen in der Frage der Einheitsfront auf Berhn: Rudolf Breitscheid (SPD) erklärt in einer Rede die Bereitschaft der SPD zur Verständigung mit der KPD Berün: Die Poüzei geht massiv gegen die KPD vor, durchsucht und sperrt das Karl-Liebknecht-Haus (endgültige
Schüeßung am 24. Februar) Ziegenhals bei Berün: Geheime Zusammenkunft des ZK der KPD mit den Bezirksleitungen und Vertretern der Massenorganisationen Berün: Repubükanische Beamte werden aus dem preußischen Staatsdienst endassen Berün: Heinrich Mann, Präsident der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, wird aufgrund der Unterzeichnung eines Appells des ISK an SPD und KPD, bei den auf den 5. März angesetzten Reichstagswahlen zusammenzuarbeiten, aus der Akademie ausgeschlossen Zürich: Das Büro der SAI ruft auf seiner Tagung die Arbeiter der ganzen Welt für einen einheitlichen Kampf gegen Faschismus und Krieg auf und erklärt sich zu Verhandlungen mit der Komintern bereit Berün: Der Kongreß »Das Freie Wort« vereint Sozialdemokraten, Kommunisten, bürgerüche Demokraten, Gewerkschaftler und parteipoütisch nicht unmittelbar gebundene InteüektueUe; u. a. wird eine Botschaft Thomas Manns an die deutsche Nation »Für Soziaüsmus und Freiheit« verlesen Berhn: Der Reichstag brennt; der hoüändische Rätekommunist Martinus van der Lubbe wird am Ort als Täter verhaftet, Schutzpoüzei und Regierung bezichtigen die KPD der An-
stiftung
Berün: Der Reichspräsident erläßt die von den Nationalsoziaüsten aufgesteüte Notverordnung »zum Schutz von Volk und Staat« und »gegen den Verrat am deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe«; in den Tagen nach dem Brand 323
Chronik 1933
nehmen Poüzei und die schon Mtte Februar in Preußen zur Hüfspoüzei ernannte SA über 5.000 Personen fest und erteilen vor aüem gegen kommunistische und sozialdemokrati-
2. März
3. März
3. März
5. März
5. März
8. März 9. März
11. März ca.
Mtte März
18./19. März
21. März
324
sche Organe weitgehende Veranstaltungs- und Presseverbote; bis Mtte März werden aüein in Preußen mehr als 100.000 poütische Gegner verhaftet; zahlreiche prominent Gefährdete fliehen in benachbarte Länder Deutschland: Sozialdemokratische Beamte und Lehrer werden endassen Berün: Der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann wird verhaftet, Wühelm Pieck wird sein Vertreter, später Vorsitzender der Partei Berün: Die Mehrheit des Vorstandes der SAP empfiehlt den Mtgüedern die Auflösung der Partei und den Übertritt zur SPD Deutschland: Bei der Reichstagswahl erhält die NSDAP 17,2 Millionen, die SPD 7,2 Müüonen und die KPD 4,8 Müüonen Stimmen Moskau: Die Komintern beantwortet den Appeü der SAI vom 19. Februar mit einer Aufforderung an ihre Sektionen, Einheitsfront-Angebote an die jeweitigen nationalen sozialdemokratischen Parteispitzen zu richten Berlin: Die Hitler-Regierung annulliert die Reichstagsmandate der KPD Berlin: Georgi Dimitroff, der Leiter des Westeuropäischen Büros der Komintern, und seine bulgarischen Genossen Blagoi Popoff und Wasü Taneff werden verhaftet und beschuldigt, für den Reichstagsbrand verantwortlich zu sein Berün: Arnold Zweig und andere Hidergegner werden gezwungen, aus dem Vorstand des SDS auszutreten Paris: Wüü Münzenberg, Mtgüed des ZK der KPD und für die Komintern international operierender Organisator, Propagandist und Verleger, kauft kurz nach seiner Ankunft als Flüchtling Name und Räume der Éditions du Carrefour von einem Schweizer Verleger Zürich: Exekutivkomitee und Büro der SAI verabschieden ohne Vertretung der SPD Resolutionen gegen eine Einheitsfront mit Kommunisten, aber auch gegen die Anpassungsund BeschwichtigungspoUtik der SPD Potsdam: Reichspropagandaminister Goebbels präsentiert mit der Inszenierung der Feier in der Garnisonskirche anläßüch der Eröffnung des neuen Reichstages das »Dritte Reich« in der Tradition des Kaiserreichs (»Tag von Potsdam«)
Chronik 1933
23. März
28. März
30. März
Berün (Admiralspalast): Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der SPD-Fraktion (27 sind bereits verhaftet bzw. aus Deutschland geflohen), das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« der Regierung an (»Ermächtigungsgesetz«) der Regierung an Fulda: Die Kathohsche Bischofskonferenz erklärt ihre Loyaütät gegenüber der Reichsregierung und hebt das Verbot der Mitgüedschaft von Katholiken in der NSDAP auf Berün Zürich: SPD-Vorsitzender Otto Wels tritt wegen der Beschlüsse vom 18./19. März aus dem Büro der SAI aus -
1. I.
7.
April April
April
(Wiedereintritt am 17. Mai) Deutsches Reich: Boykott jüdischer Geschäfte Paris: Das IAH-Organ Unsere Zeit meldet die Gründung eines »Deutschen Hüfskomitees« für die Opfer des Nationalsoziaüsmus, später genannt: Welthilfskomitee für die Opfer des deutschen Faschismus, mit Sitz in London Berlin: Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
II.
Aprü
26./27. Aprü
28. April 1. Mai
2. Mai
4./5. Mai 9. Mai
10. Mai 10. Mai 12. Mai
Zürich: Die SAI ruft zur »Hilfe für Deutschlands Arbeiterklasse« durch den Matteotti-Fonds auf Berün: Die SPD-Reichskonferenz erneuert teilweise den Parteivorstand, bekennt sich zum parlamentarischen Rechtsstaat und demokratischen Soziaüsmus gegen Nationalsoziaüsmus und Bolschewismus und beschüeßt weitere Anpassungsversuche zur Rettung der Parteiorganisation und Medien Deutsches Reich: Selbstauflösung des AfA-Bundes Deutsches Reich: »Tag der nationalen Arbeit«, die ADGBFührung ruft die Gewerkschafder auf, an den Feiern der Nationalsozialisten teüzunehmen Deutsches Reich: Die Gewerkschaftshäuser des ADGB werden besetzt, zahlreiche ADGB-Funktionäre werden verhaftet Berün: Die SPD-PV-Mitgüeder Wels, Stampfer, Crummenerl, Vogel und OUenhauer verlassen Deutschland und konstituieren in Saarbrücken den Parteivorstand im Ausland Berün: Die Reichsregierung ordnet die Beschlagnahme des Vermögen von SPD, Reichsbanner und ihrer Zeitungen, am 14. Mai auch des Eigentums der Gewerkschaften an
Deutsches Reich: Öffentüche Bücherverbrennung Berhn: Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) wird gegründet Basel: Das Komintern-Organ Rundschau veröffenthcht die noch vor dem 2. Mai verfaßten Richtlinien der KPD zur »revolutionären Gewerkschaftsarbeit« in der NSBO
325
Chronik 1933
Mtte Mai
Paris:
Emigrierte Schriftsteüer bilden ein Komitee zur Grün-
dung des
Schutzverbandes Deutscher Schriftsteüer im Aus-
land; konstituierende Versammlung der Ortsgruppe Paris in der ersten Juniwoche Saarbrücken: Die emigrierten PV-Mitglieder der SPD beschließen den Umzug des Vorstandes nach Prag, die Herausgabe der Wochenzeitung Neuer Vorwärts und ein Mani-
21. Mai
fest
Mai/Juni 22. Juni
22. Juni
27. Juni 27. Juni-6. Juü 14. Juü
die
Parteimitgüeder
Ausbürgerung oppositioneller Emigranten ermöglicht Rom: Vatikan und deutsche Regierung schüeßen ein Konkordat, das katholischen Geistlichen die poütische Betäti-
20. Juli
22. Juü
20.
an
Paris: Die KPD richtet unter Poütbüro-Mtgüed Wühelm Pieck eine Auslandsleitung ein Berlin: Die Reichsregierung verbietet die SPD als »hoch- und landesverräterisch«; der am 19. Juni auf einer Reichskonferenz gewählte SPD-(Inlands-)Vorsitzende Paul Lobe wird verhaftet Deutsches Reich: Die kathoüschen Gewerkschaften schalten sich gleich Berlin: Vizekanzler Alfred Hugenberg (DNVP) demissioniert Deutsches Reich: Selbstauflösung aüer noch legalen Parteien außer der NSDAP Berün: »Gesetz gegen die Neubüdung von Parteien« und »Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft«, das die
August
gung untersagt Leipzig: Die Reichsanwaltschaft übergibt dem Reichsgericht die Anklageschrift für den Reichstagsbrandprozeß Paris: Das Weltkomitee gegen den imperiaUstischen Krieg, gegründet im August 1932 in Amsterdam, und das im Juni 1933 in Paris gebüdete Zentralkomitee der Antifaschistischen Arbeitervereinigungen Europas fusionieren zum Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus (Amsterdam-Pleyel-
Komitee)
21.-25.
28.
326
August
August
Paris: Der Kongreß der SAI erörtert die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung; zur Frage »Diktatur« oder »Demokratie« fordert SPD-Vorstandsmitgtied Siegfried Aufhäuser eine »Erziehungsdiktatur« Berün: Veröffentlichung der ersten Ausbürgerungsüste, nach der u. a. Rudolf Breitscheid, Albert Grzesinski, Don Feuchtwanger, Fritz Heckert, Heinrich Mann, Wühelm Pieck, Phü-
Chronik 1933
Friedrich Stampfer, Kurt Tucholsky und Otto Wels die deutsche Staatsangehörigkeit verüeren Karlsbad: Die Schrift Neu beginnen! Faschismus oder Sozialismus. Als Diskussionsgrundlage der Sozialisten Deutschlands von Mües [d.i. Walter Loewenheim] erscheint im Graphia-Verlag als Nr. 2 in der von der Sopade herausgegebenen Reihe »Probleme des Soziahsmus«, sie gibt der seit 1929 bestehenden konspirativen »(Leninistischen) Organisation« Loewenheims ihren gebräuchüchen Namen Paris: Das Internationale Antifaschistische Archiv, zur Vorbereitung des Reichstagsbrand-Gegenprozesses und der Herausgabe des Braunbuchs über Reichstagsbrand und Hitlerterror (Editions du Carrefour) provisorisch errichtet, erhält offiziellen Status Moskau: Die UdSSR und Itaüen unterzeichnen einen Nichtangriffspakt und Freundschaftsvertrag London: Im Gegenprozeß (»Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Reichstagsbrandes«) bestätigen die Mitgüeder unter Vorsitz des britischen Kronanwalts Pritt die Unschuld der Angeklagten mit Ausnahme van der Lubbes sowie den »aüerstärksten Verdacht« der Täterschaft der Nationalsoziaüsten Leipzig: Eröffnung des Reichstagsbrandprozesses gegen Dimitroff, Taneff, Popoff, Ernst Torgier (KPD) und Marinus van der Lubbe vor dem Reichsgericht Berün: Die NS-Regierung erläßt das »Reichserbhofgesetz« Berhn: Die NS-Regierung erklärt den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund Paris: Die konstituierende Versammlung des SDS, Sektion Frankreich, wird zum offizieüen Gründungstag des SDS im Exü erhoben Moskau: Ende des bereits am 28. November begonnenen 13. EKKI-Plenums, Hauptthema: die Situation in Deutschland nach dem 30. Januar des Jahres und die Perspektiven der KPD; der »Faschismus« wird verbindüch definiert Paris: Die erste Ausgabe des Pariser Tageblatts erscheint Leipzig: Der Reichstagsbrandprozeß endet mit dem Freispruch von Dimitroff, Taneff, Popoff und Torgier, sie bleiben aber in Haft; van der Lubbe wird zum Tode verurteilt und hingerichtet
ipp Scheidemann,
September
September
2.
September
4.-19.
21.
September
September
29. September 19. Oktober 30. Oktober
12. Dezember
12. Dezember 23. Dezember
327
Chronik 1934
1934 28. Januar
6.-12. Februar
11.-16. Februar
27. Februar
22.
Aprü
24. Aprü 10. Mai
l.Juni
9./10.Juni
23.-26. Juni
30. Juni
Prag Karlsbad: Neuer Vorwärts und Sozialistische Aktion publizieren das Manifest des PV der SPD »Kampf und Ziel des revolutionären Soziaüsmus« (»Prager Manifest«) Paris: Die revolutionäre Situation im Zusammenhang mit -
Wirtschaftskrise und Finanzskandal, die Aufmärsche der faschistischen Ligen und blutige Straßenkämpfe zeitigte, endet mit einem Generalstreik, in dem sich die kommunistische CGTU schtießüch mit der soziaüstischen CGT vereint Österreich: Der sozialdemokratische Repubükanische Schutzbund unterliegt nach blutigen Kämpfen gegen die austrofaschistische Regierung den Heimwehren und dem Heer; zahlreiche Verhaftungen, Todesurteüe, Verbot aüer Parteien außer der Vaterländischen Front und Emigration führender österreichischer Sozialisten und Kommunisten sind die Folge Berün: Die NS-Regierung endäßt nach weltweiten Protesten und nachdem ihnen die Regierung der UdSSR die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen hat, Dimitroff, Taneff und Popoff aus der Haft und schiebt sie nach Moskau ab Paris: Die Landesgruppe der SPD löst sich nach Ausschluß von 20 oppositioneü-revolutionären Mtgtiedern nahezu auf Berlin: Per Gesetz wird der Volksgerichtshof geschaffen Paris: Die Deutsche Freiheits-Bibliothek wird eröffnet Genf: Der Völkerbund legt die im Versaiüer Vertrag festgelegte Volksabstimmung über den Status des Saargebiets auf den 13. Januar 1935 fest Moskau: Auf der Sitzung des EKKI-Präsidiums wird das Zentralkomitee der KPD wegen seiner ultralinken Einheitsfronttaktik gerügt und aufgefordert, die Parole »Rote Saar im Räte-Deutschland« zugunsten der Status-quo-Losung faüen zu lassen Ivry: Auf der Konferenz des PCF schwenkt der Parteivorsitzende Maurice Thorez auf Druck aus dem EKKI auf die neue Einheitsfrontünie von Jacques Doriot ein, dieser wird am Tag danach aus der Partei ausgeschlossen Deutsches Reich: Hitler läßt den SA-Führer Ernst Röhm und rund 90 weitere prominente Gegner und Konkurrenten in NSDAP, Generaütät und Poütik ermorden (»Röhm-
Putsch«) 2. Juli
328
Saarbrücken: Max Braun für die Sozialdemokratische Partei des Saarlands und Fritz Pfordt für die KPD/Saar unterzeichnen einen Aktionseinheitspakt mit gegenseitiger Nicht-
Chronik 1934
angriffs-Klausel für den Kampf um den Status quo bei dem
12. Juü
bevorstehenden Saar-Plebiszit; es ist der erste Einheitsfrontpakt zwischen einer sozialdemokratischen und einer kommunistischen Parteiorganisation seit 1923 Berün Paris: Von nationalsoziaüstischer Seite wird die der Liga für Menschenrechte assozüerte Deutsch-französische Geseüschaft aufgelöst, später in Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und der Action française durch eine —
neue ersetzt
27. Juü
28. Juü 2. 2.
August August
9.
August
26.
1.
August
September
15.
September
(Comité Franco-Allemand)
Paris: SFIO und PCF schüeßen einen pacte d'unité d'action mit einer Nichtangriffsklausel Berün: Ein deutsch-französisches Wirtschaftsabkommen wird unterzeichnet Neudeck: Reichspräsident Paul von Hindenburg gestorben Berün: Hitler vereint die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers im Amt des »Führers und Reichskanzlers«, von jetzt an wird auch die Reichswehr auf seine Person vereidigt Basel: Das Komintern-Organ Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung veröffentlicht den Aufruf des ZK der KPD, zu der für den 19. August angesetzten Volksabstimmung über die Gesetze der NS-Regierung vom 2. August eine »Volksfront gegen Hitler« zu bilden Sulzbach: Erste große Kundgebung der Einheitsfront an der Saar mit Katholiken für den Status quo und mehr demokratische Rechte Moskau: Abschluß des am 17. August begonnenen Ersten Allunionskongresses der Sowjetschriftsteüer, auf dem u. a. die strikte Koppelung von »Antifaschismus« und »Soziaüsmus« faüengelassen wird Genf: Beginn der Tagung des Völkerbunds, u.a. wird die
Sowjetunion aufgenommen Karlsbad: Die Zeitschrift für Sozialismus veröffentlicht »Der Weg zum soziaüstischen Deutschland. Eine Plattform für die Einheitsfront. Zur Diskussion gesteüt von einem
September/Oktober
Oktober
Arbeitskreis revolutionärer Soziaüsten« Spanien: Mit aus Marokko geholten Mauren und Fremdenlegionären schlägt General Francisco Franco Unruhen, Rebelüonen, (General-)Streiks und den bewaffneten Aufstand der Arbeiter-Alüanz von Soziaüsten, Anarchosyndikahsten, Linkskommunisten und Kommunisten in der BergarbeiterRegion Asturien gegen die reaktionäre Regierung und die ultrarechte kathoüsche Confederation Española de Derechas Autónomas (CEDA) nieder; das Vorgehen der Miütärs fordert 329
Chronik 1934-1935
9. Oktober
14. Oktober
15. Oktober
8. November
8. November
12. November
15. November
28. November
Dezember
Tausende von Toten und Verwundeten, rund 40.000 werden inhaftiert Marseiüe: Bei dem Attentat auf den jugoslawischen König Alexander I. wird auch der französische Außenminister Louis Barthou getötet, sein Nachfolger wird Pierre Laval Frankreich: In der zweiten Runde der Kantonalwahlen gewinnen die Einheitsfrontparteien PCF und SFIO 18 bzw. 14 Sitze hinzu, die Radikalsoziatistische Partei vertiert 12 Brüssel: Bei der Besprechung mit Vertretern der Komintern erklären sich die Vertreter der SAI nicht für befugt, Vereinbarungen über gemeinsame Hufe für die spanischen Arbeiter zu treffen Prag: Die RSD-Vertreter Aufhäuser und Böchel lehnen in Verhandlungen mit u. a. Ulbricht vom ZK der KPD Einheitsfront-Separatabkommen ab und verweisen auf den PV der SPD und die SAI als übergeordnete Instanzen Basel: Das ZK der KPD appelliert in der Rundschau an die »christlichen Werktätigen«, eine »geeinte Volksfront aller gegen die Hitlerdiktatur gerichteten Kräfte« aufbauen zu helfen Paris: F'Humanité, das Zentralorgan des PCF, lanciert für Frankreich den Slogan »large front populaire antifasciste« (breite antifaschistische Volksfront) Paris: Ende der zweitägigen Sitzung der Exekutive der SAI: u. a. wird beschlossen, daß die nationalen Parteien künftig selbst über Abkommen mit den kommunistischen Parteien entscheiden dürfen Saarbrücken: Christliche Gegner des Nationalsozialismus gründen den überkonfessioneüen Deutschen Volksbund für christüch-soziale Gemeinschaft Saargebiet: Die Gegner einer Rückgüederung der Saar an das nationalsozialistische Deutsche Reich schüeßen sich zum Wahlbündnis der Freiheitsfront, auch Volksfront genannt, zusammen
2. Dezember
Saarbrücken: Die antifaschistische Wochenzeitung Grenzland erscheint erstmals ansteüe der durch einen Strohmann von Goebbels aufgekauften Westland
1935
Anfang Januar
330
Saarbrücken: Die Saar-»Volksfront« empfangt ein Wunschund Ermutigungstelegramm des emigrierten Ex-Reichskanzlers Heinrich Brüning für die Volksabstimmung
Chronik 1935
13. Januar
15. Januar 17. Januar
30. Januar
6. Februar
5. März 9. März
16. März 20. März
7.
Aprü
9.
Aprü
Saargebiet: Bei der Volksabstimmung entscheiden sich 90,8 % der Wahlgänger für die Deutsche Front mit ihrer Parole »Heim ins Reich«; das Ausland gratuüert der NS-Regierung;
der Exodus von Gegnern des Nationalsoziaüsmus in benachbarte demokratische Länder beginnt Saarbrücken: Die Saar-Volksstimme veröffentlicht den letzten gemeinsamen Aufruf von SPS und KPD/Saar Genf: Der Völkerbundsrat setzt die Rückgüederung des Saargebiets an Deutschland auf den 1. März des Jahres fest Moskau: Das ZK der KPD verabschiedet nach harten Auseinandersetzungen eine vom EKKI geforderte Resolution zur »proletarischen Einheitsfront« und zur »antifaschistischen Volksfront« Moskau: Auf dem VII. Sowjetkongreß referiert Molotov, der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare, über die am 1. Februar auf dem XVII. Parteitag der KPdSU(B) beschlossenen Änderungen in der Sowjetverfassung Paris: Das Comité de Vigilance des Intellectuels antifascistes erklärt sich in einem Manifest als Verbündeter der Arbeiterklasse Prag: Der PV der SPD teüt der Landesleitung und den Grenzsteüen die Anfang des Jahres genommenen Beschlüsse mit: wegen »organisatorsicher Sonderbestrebungen« Ausschluß der Revolutionären Sozialisten Aufhäuser und Böchel aus dem Parteivorstand und Entzug finanzieüer Mittel an die Gruppe Neu Beginnen Berün: Per Gesetz wird die aügemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, die Reichswehr in die Wehrmacht umgewandelt Prag Das ZK der KPD schlägt dem PV der SPD die Schaffung einer »gemeinsamen Kampffront für den Frieden« und gegen die Gesetze vom 16. März vor Danzig: Bei den Wahlen zum Volkstag wächst die NSDAPFraktion von 38 auf 42 Sitze, das Zentrum stagniert mit 10 Sitzen, die Sozialdemokratische Partei der Freien Stadt Danzig fäüt von 13 auf 12, die KPD von 5 auf 2, die Nationale Front von 4 auf 3 Sitze, die polnische Minderheit verbessert sich von 2 auf 3 Sitze Deutsches Reich: Vertrauensräte-Wahlen in den Industriebetrieben, verbunden mit einem Plebiszit u. a. zu der am 16. März proklamierten »Wehrfreiheit«; die Ergebnisse werden von Reichsseite mit 80 % Ja-Stimmen bei 90 % Wahlbeteüigung, von Seiten der Illegalen und der Emigration mit einer je nach Betrieb unterschiedlichen »Opposition« zwischen 25 % und 75 % angegeben 331
Chronik 1935
Mai
Genf: Die Flüchdinge aus dem Saargebiet werden der Obhut des Internationalen Nansenamts untersteüt, die Saar-Flücht-
lingslager aufgelöst 2. Mai
16. Mai 19. Mai
Ende Mai
1. Juni
1. Juniwoche
8. Juni
10. Juni
18. Juni
21.—25. Juni
Moskau: Die UdSSR und Frankreich unterzeichnen einen Beistandspakt auf fünf Jahre; als Konsequenz wird der PCF künftig dem Militäretat um der Landesverteidigung willen zustimmen Prag: Die Sowjetunion und die Tschechoslowakei schüeßen einen Beistandspakt Tschechoslowakei: Bei den Parlamentswahlen wird die Sudetendeutsche Partei stärkste Partei, die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiter-Partei (DSAP), die ihr eine »Volksfront« ohne die Kommunisten und andere Partner entgegengestellt hatte, erleidet hohe Stimmenverluste Paris: Max Braun bespricht mit Georg Bernhard, dem Chefredakteur des Pariser Fageblatts, erstmals die Idee einer die gesamte Emigration aus Deutschland umfassenden »Freiheits- oder Volksfront« Prag: Der PV der SPD legt den Vorschlag des ZK der KPD, ein Kathoüken, InteUektueüe u. a. Antifaschisten einschüeßendes Komitees für die Opfer des Terrors und deren Angehörige zu schaffen, als »nicht zweckmäßig« zu den Akten England: Mit rund 12 Müüonen Pro-Stimmen wird die 1934 begonnene »Volksabstimmung für den Frieden« (Peace Ballot)
abgeschlossen (offizielle Bekanntgabe der Ergebnisse durch Lord Robert Cecü auf einer Massenkundgebung in London am 26. Juni) Prag: Der Gegen-Angriff veröffentlicht einen Vorschlag zur Herstellung einer »Deutschen Einheitsfront gegen Hitler-
Terror« London: Bei einem Zusammentreffen mit Bruno Frei, dem Chefredakteur des Gegen-Angriffs (Prag), übergibt Max Braun ein Exposé über die politische Bedeutung einer Sammlung der deutschen Emigration in einer Volksfront London: Mit der Unterzeichnung des deutsch-britischen Flottenabkommens wird Deutschland eine Seeaufrüstung bis zu 35 % der britischen Flotte zugestanden Paris: Der Erste Internationale Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur vereint 250 weltanschaulich z. T. sehr heterogene Autoren aus 37 Ländern; in den Vorstand der gegründeten Internationalen Schriftsteüer-Vereinigung zur Verteidigung der Kultur werden Heinrich und Thomas Mann
gewählt 332
Chronik 1935
Der Gegen Angriff'beginnt mit der Veröffentlichung von Zuschriften auf seinen Vorschlag vom 8. Juni Montreuil: Der in diesem Pariser Vorort stattfindende 7. Internationale Soüdaritätstag der IAH ist mit über 60.000 Teilnehmern eine Demonstration für den Wassemblement bzw. Front populaire; in einem Appeü werden die deutschen Antifaschisten zur Einigung gemahnt Paris: Das Pariser Tageblatt veröffentlicht mit Konrad Heidens Appeü »Heraus aus der Zerspütterung!« seinen ersten poütischen Beitrag zur deutschen Emigration Berün: Per Gesetz wird der obügatorische Arbeitsdienst ein-
22. Juni
Prag:
23. Juni
26. Juni
26. Juni
geführt 14. Juü
20. Juli
27. Juü
ca.
Ende Juü
25. Juü-21.
August
August/September
30.
August
Frankreich: Der Höhepunkt des Nationalfeiertags ist für die Linke der Anschluß der Radikalsoziaüstischen Partei an den Front populaire und das Defilee in Paris von rund einer halben Milüon Anhängern von der Bastüle aus durch die Stadt Paris: Wüü Münzenberg schließt sich Max Brauns Initiative zur BUdung einer Volksfront an und schreibt einer Reihe von sozialistischen und parteüosen Pazifisten Boulogne-Bülancourt: Auf einer Massenkundgebung gegen den Terror in Deutschland rufen die Pariser Organisationen des Front populaire das deutsche Volk zur »Einheit des antifaschistischen Kampfes« auf Paris: Nach Gesprächen in kleineren Zirkeln seit Juni sowie Appellen und Artikeln in den Medien bildet sich als loser Kreis der Vorläufige Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront; er fixiert auf die Wiederherstellung der Demokratie in Deutschland Moskau: Der VII. Weltkongreß der Komintern vollzieht eine Wende zur Einheitsfront mit der Sozialdemokratie auch »von oben« und dekretiert für die Sektionen die Hersteüung von Volksfronten über die Arbeiterklasse hinaus gegen Reaktion, Faschismus und Krieg; Georgi Dimitroff wird Generalsekretär der Komintern Paris: Der Vorläufige Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront verfestigt sich organisatorisch offizieU zum Vorbereitenden Ausschuß (Komitee) zur Schaffung einer deutschen Volksfront, doch existiert auch der andere Name weiter; in der Öffentlichkeit tritt er als Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland auf Moskau: Der französische Schriftsteüer Henri Barbusse stirbt; nach seinem Tod erhält das Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus ein Präsidium, dem auch Heinrich Mann angehört 333
Chronik 1935
15.
September
23.
September
25.
September
26.
September
2. Oktober 3.-15. Oktober
10.-12. Oktober
18. Oktober
21. November
Während des Reichsparteitags der NSDAP werden die antisemitischen »Nürnberger Gesetze« verkündet (»Reichsbürgergesetz« und »Gesetz um Schütze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«) New York: Antifaschistische Vereine gründen den Deutschamerikanischen Kulturverband Paris: Das Rassemblement Universel pour la Paix tritt an die
Nürnberg:
Öffentlichkeit
Paris: Auf der ersten größeren, von 45-50 Teünehmern besuchten Sitzung, der poütisch motivierten deutschen Emigration im Hotel Lutetia bekennen sich die Kommunisten zur Demokratie und zur Einberufung einer Nationalversammlung; Max Braun und Georg Denicke legen Richtlinien für einen »Bund das kommende Deutschland« vor; ein Gremium (Lutetia-Comité) unter dem Vorsitzenden Heinrich Mann wird instaltiert Abessinien: Itaüenische Truppen überfaüen das afrikanische .
Königreich
Kuncevo bei Moskau: Auf der »Brüsseler« Parteikonferenz der KPD setzt sich nach scharfen Auseinandersetzungen die »Fraktion« der Befürworter einer Wende der politischen Taktik gegenüber der SPD und der Schaffung einer Volksfront ün Sinne des VII. Weltkongresses der Komintern durch; Zentralkomitee und Poütbüro werden verjüngt Brüssel: Tagung von Büro und Exekutive der SAI sowie gemeinsame Tagung mit dem Ausschuß des IGB, diskutiert werden die Beschlüsse des VII. Weltkongresses und das Einheitsfront-Angebot des EKKI gegen die faschistische Aggression gegen Abessinien; die Mehrheit der Parteien in der SAI gibt Sekretär Adler und Präsident de Brouckère kein Mandat für offizielle Verhandlungen mit Vertretern der Komintern Paris: Meinungsaustausch zwischen den Komintern-Vertretern, Cachin und Thorez, und denen der SAI, de Brouckère und Adler, über gemeinsame Aktionen im Faüe Abessinien; die SAI-Vertreter lehnen ab Basel: Die Rundschau veröffentücht die Rede des EKKIMtglieds Dmitri Manuü'skij vor dem Moskauer und Leningrader Parteiaktiv, in der er eine Volksfront »von unten« gegen die Bourgeoisie und den Einfluß der Sozialdemokratie
propagiert
22. November
334
Paris: Die vorverlegte Tagung des Lutetia-Comités und des Lutetia-Kreises unter Heinrich Mann beschäftigt sich vor-
Chronik 1935-1936
23. November
29. November
1. Dezember 12. Dezember
20. Dezember
nehmüch mit den Ausführungen Münzenbergs über die auf der »Brüsseler« Parteikonferenz ausgearbeitete Einheitsfrontund Volksfronttinie der KPD Prag: Die Besprechung zwischen Stampfer und Vogel als Vertreter des PV der SPD und Ulbricht und Dahlem als Vertreter des ZK der KPD ergibt zur Enttäuschung parteipolitisch unterschiedlich engagierter Emigranten innerhalb und außerhalb des Lutetia-Kreises keine Annäherung der Standpunkte in Sachen Aktionseinheit von Faü zu FaU, Einheitsfront und Volksfront Genf: Eine von Heinrich Mann geleitete vierköpfige Delegation der am 10. November in Paris von 15 Hüfsorganisationen gegründeten Fédération des Emigrés d'Allemagne en France übergibt einer Expertenkommission während der Tagung des Völkerbunds über Emigrantenschutz ein Memorandum mit poütischen, wirtschaftüchen und sozialen Forderungen Leningrad: Sergej M. Kirov, Erster Sekretär der Leningrader Organisation der KPdSU(B), wird ermordet Basel: Die Rundschau veröffentlicht das z. T. revidierte Manifest der »Brüsseler« Parteikonferenz der KPD, u. a. ist die Wahl einer Nationalversammlung nach dem Sturz des NS-
Regimes gestrichen Paris: Fünf prominente Sozialdemokraten und vier ebenso prominente Kommunisten unterzeichnen und pubüzieren den gemeinsam verfaßten Protest gegen die am 17. Dezember in Berün voüzogene Hinrichtung des iüegalen Leiters der Berüner Roten
Hilfe, Rudolf Claus
1936 22. Januar
22.-25. Januar 24. Januar
30. Januar
1./2. Februar
Paris: Das Kabinett Laval demissioniert nach dem Austritt der radikalsoziatistischen Mnister Lyon-Vüleurbanne: Der PCF veranstaltet seinen VIII. Partei-
kongreß Prag: Ein Rundschreiben des PV der SPD verpflichtet aufgrund eines internen Beschlusses vom 17. Januar aüe Funktionäre und Mitglieder auf die Ablehnung jegücher Vereinbarungen mit KPD und RHD Paris: Das unter der Trägerschaft der NSDAP-Auslandsorganisation stehende »Braune Haus« wird als Forum der deutschen Kolonie eingeweiht Paris: Der außerordentliche Nationalkongreß der SFIO bekräftigt Bündnis und Programm des Rassemblement populaire 335
Chronik 1936
1. Februar
2. Februar
2. Februar
4. Februar
5. Februar
13. Februar
13. Februar 16. Februar
26. Februar
29. Februar
1. März
2.-5. März
336
Paris: Der SDS und die Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung aus KPD, SPD und SAP bereiten sich jeweüs auf die Tagung der »deutschen Opposition im Ausland« am nächsten Tag vor Paris: Die Tagung der »deutschen Opposition im Ausland« im Hotel Lutetia beschüeßt: die Konstituierung eines »Engeren Ausschusses« (Volksfrontausschuß) unter der Präsidentschaft von Heinrich Mann; die Einsetzung einer Programmkommission; eine »Kundgebung an das deutsche Volk«; ein Manifest »Für eine gemeinsame Amnestieaktion« der ausländischen Staaten und Organisationen und die Gründung des Presseorgans Deutsche Informationen Karlsbad: Neuer Vorwärts veröffentlicht eine Erklärung des SPD-Parteivorstands zum 30. Januar 1933 unter dem Titel »Für Deutschland gegen Hitler« Metz: Die Freiheit-Korrespondenz unter Max Braun veröffentlicht als erstes Periodikum in einer Sondernummer die »Kundgebung an das deutsche Volk« in der am 2. Februar revidierten Fassung Prag: Dissidenten aus KPD, SPD und national-demokratisch bis national-sozialistisch Gesinnte konstituieren die Volkssoziaüstische Bewegung Deutschlands Paris: Pariser Tageblatt, in der Folge auch andere Zeitungen, veröffentlichen die »Kundgebung« der Lutetia-Konferenz vom 2. Februar in der ursprüngüchen Fassung Paris: Anhänger der Action française verüben ein Attentat auf SFIO-Führer Léon Blum Spanien: Bei den Cortes-Wahlen siegt das Bündnis des Frente popular, der am 19. Februar gebüdeten Regierung unter Ministerpräsident Azaña gehören weder Soziaüsten, Kommunisten, Anarchisten noch POUMisten an Paris: Die Französische Erste Kammer ratifiziert den francosowjetischen Beistandspakt vom 2. Mai 1935 Prag: Das KPD-Poütbüro (Ulbricht) kritisiert die LutetiaKonferenz vom 2. Februar und ihre Ergebnisse in einem internen Rundschreiben Moskau: Stahn erklärt in einem Interview mit dem amerikanischen Journaüsten Roy Howard, daß die Sowjetunion die Revolution nicht exportieren werde Toulouse: Auf dem Kongreß vereinigen sich die soziaüstische Gewerkschaft CGT und die kommunistische Gewerkschaft CGTU zur CGT —
Chronik 1936
6. März 7. März
9. März
10. März
10. März
10. März
Paris: Die erste Sitzung der Programmkommission des Volksfrontausschusses endet mit einem Eklat Deutsches Reich: Wehrmachttruppen besetzen die entmititarisierte Rheinlandzone, Hitler bricht damit den Versailler Friedensvertrag und den Pakt von Locarno; vor dem Reichstag hält er eine »Friedensrede« mit dem Angebot büateraler ansteüe koüektiver Abkommen Paris: Die Deutschen Informationen erscheinen erstmals unter der Herausgeberschaft von Heinrich Mann, Rudolf Breitscheid, Max Braun und Bruno Frei Berün: Reichspropagandaminister Goebbels verkündet eine Volksabstimmung zur Rheinlandbesetzung verbunden mit einer Reichstagwahl als Kampf gegen die Emigranten und die alten Parteien Paris: Der Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland formuüert aus Anlaß der Rheinlandbesetzung einen »Appell an die Welt« Moskau Prag: Das ZK der KPD schlägt dem PV der SPD Besprechungen über gemeinsames Vorgehen in der Frage der Rheinlandbesetzung und der Reichstagswahlen vor Moskau: Eine EKKI-Kommission beendet die Besprechungen zur Schüchtung des Streits in der KPD um die Volksfront-Dnie mit einer Resolution, in der auch die Ersteüung einer »Plattform der Volksfront« gefordert wird London: Der sowjetische Außenminister Litvinov erklärt während der Tagung des Völkerbundsrats (14.-24. März), daß der franco-sowjetische Beistandspakt vom Mai 1935 nicht in Anwendung komme, solange Deutschland weder Frankreich noch die Sowjetunion angreife London: Die Exekutive der SAI und das Büro des IGB lehnen auf ihrer gemeinsamen Konferenz aus Anlaß der Rheinlandbesetzung Sanktionen gegen das Deutsche Reich ab, bekräftigen aber das System der koüektiven Sicherheit im Rahmen des Völkerbunds unter Einschluß der Sowjetunion Berün: Die NS-Regierung gibt offizieü die Verschiebung der für den 3./4. Aprü angekündigten Vertrauensrätewahlen bekannt Paris: (Wieder-)Gründung der sozialdemokratischen Arbeiterwohlfahrt Prag: Die KPD ersetzt im Zeichen der Volksfront den GegenAngriff'durch die Deutsche Volks-Zeitung Deutsches Reich: Volksabstimmung und Reichstagswahl; Mtgüeder der deutschen Kolonie in Paris werden mit Son-
14./15., 17. März
17. März
19./20. März
21. März
21./22. März 22. März
29. März
337
Chronik 1936 zur Abstimmung nach Aachen und zurück gebracht Moskau: Ergebnis der Tagung des EKKI-Präsidiums vom 23.-31. März zur Frage der Kriegsgefahr ist ehr »Beschluß«, in dem u. a. die Richtlinie des VII. Weltkongresses, wonach ein »imperiaüstischer Krieg« in einen Bürgerkrieg umzuwandeln sei, revidiert wird Paris: Auf der Besprechung erörtern 35-40 Vertreter der Arbeiterparteien in Lutetia-Kreis und Volksfrontausschuß sachüche und poütische Differenzen und büden eine Kommission, die anläßüch der Rheinlandbesetzung einen Brief an die internationalen Organisationen der Arbeiterbewegung und eine »Kundgebung zur poütischen Lage« ausarbeiten soü Paris: Die Wochenschrift Europa veröffentlicht einen Vorschlag von Rudolf Möüer-Dostaü zur Sammlung der KathoUken in der Volksfront Paris: Die Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß stehen die Programmkommission neu zusammen Paris: Die in der Stadt lebenden Mitgüeder des Volksfrontausschusses beschließen eine Reorganisation, eine Erweiterung von 12 auf 15 Mitgüeder und Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz Moskau: KPD-Poütbüro und EKKI-Führer rügen Münzenberg wegen angebücher Verbreitung von Interna der KPD Berün: Die am 30. Oktober 1935 begonnenen Wirtschaftsverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR werden mit der Unterzeichnung eines bis zum 31. Dezember des Jahres laufenden Abkommens abgeschlossen Paris: Die französische Regierung löst die sozialdemokratische BeratungssteUe für Saarflüchtünge in Forbach auf Frankreich: Das Bündnis des Front populaire geht als Sieger aus der zweiten Runde der Parlamentswahlen hervor Paris: PCF-Führer plädieren für die Einbeziehung Mussoünis in die »Anti-Hiderfront des Friedens« im Rahmen der koüektiven Sicherheit des Völkerbunds Paris: Auf der Tagung des Internationalen Büros für revolutionäre sozialistische Einheit, dem auch die SAP angehört, lehnt die Mehrheit der Parteien eine Anbindung an die internationale Volksfrontbewegung ab Paris: Das Exekutivkomitee des Internationalen BergarbeiterVerbandes verabschiedet eine Resolution für den Frieden und für Soüdarität mit den deutschen Genossen Paris: Der Volksfrontausschuß wird nochmals reorganisiert
derzügen I.
Aprü
8.
Aprü
II.
April
20.
Aprü
22.
Aprü
22.
April
29.
Aprü
30.
April
3. Mai 6. Mai
8—10. Mai
10. Mai
15. Mai 338
Chronik 1936
16.-18. Mai
18. Mai
20. Mai
20. Mai
24./25. Mai 6. Juni
7./8. Juni
8./9. Juni
11./12. Juni 11—24. Juni
Brüssel: Die Exekutive der SAI beschüeßt auf ihrer Tagung u. a. eine Resolution gegen den Krieg, lehnt aber gemeinsame Aktion mit der Komintern ab Paris: Datum des von Sozialdemokraten, Kommunisten und SAPlern als Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß unterzeichneten Briefs an SAI, Komintern, IGB und RGI zur Rheinlandbesetzung Paris: Das Büro des IGB lehnt für die Gesamtorganisation und die Länderzentralen Teilnahme am Weltfriedenskongreß des Wassemblement Universelpour la Paix ab Paris: Die Deutschen Informationen veröffentlichen als erste die »Deklaration der deutschen Opposition zur Rheinlandbesetzung und zu Hitlers Kriegspoütik« Paris: Gründungskonferenz des Arbeitsausschusses freigewerkschaftlicher Bergarbeiter Deutschlands unter dem Dach des Internationalen Bergarbeiter-Verbandes Paris: Léon Blum büdet bei vorab beschlossener Abstinenz des PCF ein Kabinett aus SFIO, Radikalsoziaüstischer Partei und der Union des socialistes républicaines Paris: Die Streiks in Frankreich nach den Parlamentswahlen werden durch eine zwischen Regierungs-, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern ausgehandelte sozial-ökonomische Vereinbarung, nach dem Tagungsort Accord Matignon genannt, beendet Paris: Zum Teü erweiterte Tagungen der Vertreter der Arbeiterparteien und des Volksfrontausschusses, der den offizieüen Namen »Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront« erhält; die Programmfrage bleibt ungelöst, Grzesinski wird der dritte Sozialdemokrat im Ausschuß und ein Organisationskommission wird instaUiert Paris: Redakteure beschuldigen den Verleger Poljakov, das Pariser Tageblatt an die Nazis verkaufen zu woüen, und bringen die Pariser Tageszeitung heraus Paris: Die Tagung des teüweise erweiterten Poütbüros der KPD klärt organisatorische und personeüe Fragen, propagiert für Innerdeutschland verstärkt Gewerkschaftsarbeit und die Anwendung der »Taktik des Trojanischen Pferdes« in
Massenorganisationen
12. Juni
und diskutiert die Frage einer Plattform für die Volksfront Moskau: Die Deutsche Zentral-Zeitung veröffentlicht den Entwurf der neuen Sowjetverfassung in einer deutschen Übersetzung, der Abdruck in der Wundschau folgt am 18. Juni
339
Chronik 1936
14./15. Juni 17. Juni
19./20. Juni
20./21. Juni 29. Juni
2.—4. Juü
Paris: Auf ihrer »Westkonferenz« beschüeßt die Gruppe Neu Beginnen, sich vorsichtig in Lutetia-Kreis und Volksfrontausschuß einzuschalten Paris: Der KPD-Vorsitzende Pieck legt den Vertretern der nichtkommunistischen Arbeiterparteien in der Programmkommission des Volksfrontausschusses die »Richtünien für die Ausarbeitung einer poütischen Plattform der deutschen Volksfront« vor Paris: Die Internationale Konferenz deutscher Emigranten beschäftigt sich mit der sozialen, poütischen und juristischen Lage der Asylanten und ruft die Zentralvereinigung der deutschen Emigration ins Leben Paris: Die nichtstaatliche Internationale Asylrechtskonferenz verabschiedet ein Memorandum für die Zwischenstaatliche Konferenz des Völkerbunds Buenos Aires: Deutsche Emigranten gründen ein Volksfrontkomitee Genf: Die Zwischenstaatüche Konferenz des Völkerbunds beschüeßt ein »Vorläufiges Übereinkommen betreffend das Statut der Flüchtlinge aus Deutschland« (»Genfer Konven-
tion«) ist als
4. Juü
Moskau: Die Reise Paris Reise« getarnt
5. Juü
Brüssel: Die Europäische Amnestiekonferenz für die poütischen Gefangenen in Deutschland richtet eine Ständige Kommission für eine poütische Voüamnestie in Deutschland mit Sitz in Brüssel ein Paris: Herbert Wehner übernimmt die Kontroüe der kommunistischen Pressearbeit im Auftrag des ZK der KPD Spanien: Aufstand von nationaüstischen Generälen, darunter Franco, gegen die repubükanische Regierung auf der Basis des Frente popular; der Bürgerkrieg beginnt Berün: Nach Gespräche von Abgesandten General Francos mit Hitler und Wehrmachtführern erfolgen umfangreiche Lieferungen von Kriegs- und Versorgungsmaterial aüer Art und von Soldaten nach Spanien zur Unterstützung der Putschisten
7. Juü
17./18. Juü 22. Juü
24. Juü
29. Juü
340
Münzenbergs
»Spanien-
-
Berün: Der Leiter der NSDAP-Auslandsleitung ruft zu einem Spanien-Hüfsdienst des deutschen Volkes auf Paris: Die Vertreter der Arbeiterparteien in der Programmkommission des Volksfrontausschusses beschließen eine gemeinsame Sympathieerklärung für das repubükanische Spanien (Erstveröffentlichung in Pariser Fageszeitung am 17. Au-
Chronik 1936
und die Ausarbeitung eines Appells an das deutsche Volk ansteüe eines Volksfrontprogramms Paris: Vertreter des ZK der KPD und des AK der KP(D)0 besprechen Mögüchkeiten gewerkschaftlicher und humanitärer Zusammenarbeit Paris: Deutsche Sozialdemokraten und Kommunisten errichten ein Kriegshüfskomitee für das republikanische Spanien unter dem Vorsitz von Rudolf Breitscheid Sowjetunion: Umfangreiche Verhaftungen und Säuberungen
gust) 30. Juü
31. Juü
Ende Juü Ende Juli
1.-16. August 3. August
beginnen
Paris: Herbert Wehner und Kurt Schmidt aüas August Hartmann werben die ersten Freiwüügen für den antifaschistischen Kampf in Spanien Berün u. a. Orte: Olympische Sommerspiele Paris: Das unter dem Innenministerium ressortierende, aus Franzosen und deutschen Emigranten zusammengesetzte Comité Consultatif zut der Emigranten hält seine erste konstituierende Sitzung ab Paris: Léon Blum rechtfertigt in einer öffentüchen Rede die mit England vereinbarte Nichtintervention in Spanien (Ende August treten u. a. das Deutsche Reich und die UdSSR dem Pakt bei) Paris: PCF-Führer Thorez plädiert für den Front des Français gegen die »200 Famüien« Paris: Die Auslandsleitung der KPD ruft waffenkundige deutsche Antifaschisten zum Kampf in Spanien auf Paris: Die Pariser Fageszeitung veröffentlicht die von Heinrich Mann in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront verfaßte Erklärung »Für die spanische Freiheit, gegen Hiders Umtriebe in
Überprüfung
6.
August
6.
August
7.
August
7.
August
8.-13.
Spanien«
August
Genf: Erster Jüdischer Weltkongreß; Georg Bernhard wird in die Exekutive des Verwaltungsrats des World Jewish Congress
gewählt 11.
August
13. August
17.
August
Paris: Vertreter der französischen und der itaüenischen Re-
gierung unterzeichnen ein Handelsabkommen Paris: Das Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus führt eine Europäische Konferenz zur Verteidigung der Spanischen Repubük durch Paris: Die Vertreter der Arbeiterparteien in der Programm-
kommission des Volksfrontausschusses nehmen einen Redaktionstext für einen »Appeü der deutschen Volksfront« zur weiteren Beratung an
341
Chronik 1936
19.-24.
August
20.
August
24.
August
25.
August
28.
August
2.-4.
4.
Schauprozeß gegen alte Bolschewiki als »Trotzkistisch-sinowjewistisches terroristisches Zentrum«; er endet mit der Erschießung aller 16 Angeklagten, darunter Krugljanskijs (Fritz David), des persönüchen Sekretärs des Moskau: Erster
KPD-Vorsitzenden Pieck Basel: Die Wundschau veröffentlicht den Aufruf des PCI zur »Wiederversöhnung des italienischen Volkes für die Rettung Itaüens« Berün: Die NS-Regierung setzt die Dienstpflicht der Wehrmacht von einem Jahr auf zwei Jahre herauf Paris: Ministerpräsident Blum und Reichswirtschaftsminister Schacht vereinbaren die Büdung eines französisch-deutschen Rohstoff-Pools Moskau: Unter Stahns Leitung entscheidet das Pohtbüro der KPdSU(B), daß über die Sendung von Waffen und miütärischen Beratern hinaus Freiwilüge aus aüen Ländern für eine Armee zur Unterstützung der Spanischen Repubük rekrutiert werden soüen (das EKKI beschüeßt am 18. September, ent-
sprechend zügig zu handeln)
September
September
8.-14.
September
19.
September
29.
September
Oktober
Oktober
Brüssel: Der Weltfriedenskongreß findet unter Ausschluß einer Delegation der deutschen Opposition statt; diese läßt ein Memorandum überreichen und tagt separat Madrid: Francisco Largo CabaUero, Vorsitzender des PSOE und UGT-Generalsekretär, büdet ein neues Kabinett, in das auf Geheiß des EKKI auch zwei Kommunisten eintreten Nürnberg: Der »Reichsparteitag der Ehre« der NSDAP steht im Zeichen des »Kreuzzugs« gegen »Bolschewismus« und »Demokratie« sowie der erneuten Forderung nach Kolonien; der verkündete neue Vierjahresplan dient der Hochrüstung und der Autarkiewirtschaft Moskau: Karl Radek, der KPD eng verbundener EKKIFunktionär und Freund Münzenbergs, wird verhaftet; die Pravda meldet das Ereignis erst am 7. Oktober Paris: Die Vertreter der Arbeiterparteien in der Programmkommission des Volksfrontausschusses nehmen die Arbeit an dem Redaktionstext des Appeüs vom 17. August trotz der Kritik der Nichtkommunisten an dem Moskauer Schauprozeß wieder auf Moskau: Münzenberg muß vor der Kontroükommission des EKKI Rechenschaft über seine Tätigkeiten ablegen Prag Paris: Die operative Leitung des KPD-Pohtbüros wird von Prag nach Paris verlegt und zum Sekretariat des ZK unter der Führung von Ulbricht erhoben -
342
Chronik 1936
Albacete: Das erste Basislager der Internationalen Brigaden wird in Betrieb genommen 15. Oktober Paris: Georg Bernhard nimmt seit der Affäre Pariser Fageblatt/ Pariser Fageszeitung erstmals wieder an einer Sitzung der Programmkommission teü, die damit wieder Volksfront-Status erhält 18. Oktober Prag: Die Deutsche Volks-Zeitung druckt den kurz zuvor in der Reichsausgabe der Roten Fahne veröffentlichten, mit »ZK der KPD« unterzeichneten Aufruf für die »Versöhnung des deutschen Volkes« unter anderem Titel auszugsweise nach, begleitet von einem Kommentar von Walter Ulbricht 21. Oktober Paris: Die nichtkommunistische Mehrheit in der Programmkommission des Volksfrontausschusses setzt gegen die KPDVertreter durch, daß ein Appeü an das deutsche Volk ausgearbeitet und veröffentlicht wird, und bestimmt die Eckpunkte des Inhalts 25. Oktober Berün: Mt der Unterzeichnung eines deutsch-itaüenischen Vertrags, in dem u. a. die NS-Regierung das itaüenische Kaiserreich Abessinien (Äthiopien) formeü anerkennt, wird die sogenannte »Achse Berün—Rom« begründet Metz: Die französische Regierung richtet das Office Sarrois ein November 6. November Madrid: Die Regierung Largo CabaUero verläßt die bereits umkämpfte Stadt und verlegt den Regierungssitz nach Valencia 16.-23. November Paris: SDS und Deutsche Freiheits-Bibüothek organisieren die Aussteüung »Das Freie Deutsche Buch« gegen die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst veranstaltete nationalsozialistische Buchaussteüung Mtte November Paris: Der gemeinsame Protest von sieben EmigrantenHüfsorganisationen gegen die Hinrichtung des Kommunisten Edgar André, u. a. pubüziert in: Neue Front, wird zum des Ausgangspunkt Überparteiüchen Deutschen Hüfsausschusses 18. November Berün Rom: Das Deutsche Reich und Itaüen erkennen das Franco-Regime in Burgos als legitime Regierung Spaniens an 23. November Oslo: Carl von Ossietzky, ün KZ inhaftierter Pazifist und Journaüst, erhält den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 25. November Berün: Das Deutsche Reich und Japan unterzeichnen den »Anti-Komintern-Pakt« November Paris: Der französische antifaschistische Schriftsteüer André Gide verabschiedet sich mit der Publikation seines Reiseberichts Retour de ¿'USSR von seinen revolutionären IUusionen und seinen bisherigen kommunistischen Freunden 14. Oktober
-
343
Chronik 1936-1937
Dezember
1. Dezember
21. Dezember
Paris: Im Laufe des Monats muß Münzenberg aüe von ihm kontrolüerten Organisationen und Gelder dem vom EKKI eingesetzten tschechischen Kommunisten Smeral übertragen Buenos Aires: US-Präsident Franklin D. Roosevelt spricht auf der Panamerikanischen Konferenz über die sozial-ökonomischen und rehgiösen Voraussetzungen für die Erhaltung des Friedens Paris: Der Volksfrontausschuß verabschiedet den AppeU an das deutsche Volk »Bildet die deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot!« er wird im Januar 1937 mehrfach pubhziert und die Denkschriften »Hitlers Kriegs- und Interventionspohtik« und »Der Lohn der Arbeiterschaft im III. Reich« Berün: Eine sozialdemokratische Gruppe (Gruppe Deutsche Volksfront) verabschiedet ein Zehn-Punkte-»Programm einer Deutschen Volksfront«, die »Begründung« wird drei Tage -
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21. Dezember
später fertiggesteUt
25. Dezember
31. Dezember
Paris: Die Pariser Tageszeitung veröffentlicht die Weihnachtsbotschaft des Volksfrontausschusses an das deutsche Volk, »Spanien-Aufruf der deutschen Opposition« Zürich: Thomas Mann lanciert seinen Offenen Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn nach der Aberkennung seines Ehrendoktor-Titels am 19. Dezember
1937 Januar
Januar Januar 16./17. Januar 21. Januar
23.-30. Januar
344
Die Volkssoziaüstische Bewegung Deutschlands veröffentlicht in ihren Deutschen Freiheitsbriefen einen von sieben konservativen Exüorganisationen unterzeichneten programmatischen Aufruf der Deutschen Front gegen das Hidersystem an das deutsche Volk Brunn: Die SAP hält ihre »Kattowitzer« Parteikonferenz ab Paris: Herbert Wehner wird nach Moskau abberufen Prag: Eine Delegation der Berüner Gruppe Deutsche Volksfront führt Besprechungen mit Vertretern der Sopade Paris: Das französische Parlament verabschiedet ein Gesetz, das die Werbung französischer Freiwilüger für Spanien verbietet Moskau: Zweiter Schauprozeß gegen das »sowjetfeindüche trotzkistische Zentrum«, angeklagt ist u. a. Karl Radek; Lion Feuchtwanger, der sich seit Anfang Dezember 1936 in der UdSSR aufhält, wohnt zeitweiüg dem Prozeß bei
Prag:
Chronik 1937
1. Februarwoche
7. Februar
17. Februar
Februar/März 1. März
20. März
20.-23. März
22. März
9.
Aprü
10./11. Aprü:
Metz: Sozialdemokratische und kommunistische Poütiker und Gewerkschaftler aus dem Saarland gründen einen Arbeitsausschuß zur Bildung der Volksfront im Saargebiet und erlassen den Aufruf »Saarvolk höre !« Moskau: Nach Besprechungen mit KPD-Führern verfügt das EKKI in einer Resolution, daß überall, vorrangig in Deutschland, nach den Vorbildern in Frankreich und in Spanien Einheitsgewerkschaften zu bilden seien Paris: Die Pariser Fageszeitung veröffentlicht das erste Flugblatt der Deutschen Freiheitspartei Moskau: Das EKKI steüt nach Besprechungen mit Vertretern einer Reihe von Sektionen seine »Volksfront«-Sttategie und Taktik um Paris: Kundgebung der poütischen Emigration »Vier Jahre nach Hider« mit rund 1000 Teünehmern Paris: Sozialdemokratische, kommunistische und christliche Gewerkschaftler konstituieren den Koordinationsausschuß deutscher Gewerkschafter Spanien: In der Schlacht bei Guadalajara siegen die repubtikanischen Truppen über itaüenische Verbündete Francos und erobern Vülaherta Paris: Der am 11. März gegründete Aktionsausschuß der deutschen Emigration organisiert eine Feier zum Gedenken an die revolutionären Ereignisse von 1848 in Berün Barcelona: Marc Rein, Mtgüed der Gruppe Neu Beginnen, wird in Barcelona entführt, später ermordet Paris: Die »Osterkonferenz« des Volksfrontausschusses und der deutschen Opposition beschließt eine »Botschaft an das deutsche Vom«, in der ein »soziaüstisches Deutschland« nach Hider propagiert wird; die KPD steüt dem Volksfrontausschuß ihren Sender in Spanien als Deutscher Freiheitssender 29,8 zur
12.
Aprü
26.
Aprü
27.
Aprü
3.-7. Mai
15.-17. Mai
Verfügung
Paris: Erste und letzte Großkundgebung des Überparteüichen Deutschen Hüfsausschusses Guernica: Das Bombardement der Legion Condor zerstört die baskische Stadt Moskau: Heinz Neumann, Münzenbergs Schwager und Freund, wird verhaftet Barcelona: Blutige Auseinandersetzungen innerhalb der spanischen republikanischen Kräfte Valencia: Largo CabaUero muß sein Ministerpräsidentenamt an
Juan Negrin abgeben 345
ronik 1937
21. Mai
31. Mai 12. Juni
19. Juni
Paris: Auf einer Sitzung des Pariser ZK-Sekretariats der KPD kommt es zum Eklat zwischen Münzenberg und Ulbricht Spanien: Die Legion Condor bombardiert Almeria Moskau: MarschaU Tuchacevskij und weitere hohe miütärische Führer der Roten Armee werden nach einem Geheim-
prozeß hingerichtet Paris: Das Neue Tage-Buch veröffentlicht einen Aufruf prominenter, aus SDS und Verband Deutscher Journalisten in der Emigration ausgetretener Schriftsteüer und Journaüsten im Namen des neu gegründeten Bundes »Freie Presse und Literatur«
Annemasse: In dem französischen Grenzstädtchen findet eine informelle Besprechung zwischen Vertretern der SAI und der Komintern über Hilfsmaßnahmen für das repubükanische Spanien und akrueUe poütische Aufgaben statt Paris: Das Kabinett Blum demissioniert; der Radikalsozialist 21./22. Juni Camüle Chautemps büdet ein neues Kabinett Paris: Die Krisensitzungen des Volksfrontausschusses wer26./27. Juni den mit der BUdung eines Arbeitsausschusses abgeschlossen 29. Juni Paris: IGB-Generalsekretär Walter Schevenels nimmt das Verbot vom 20. Mai 1936 zurück und verfügt die Mitarbeit aller Landeszentralen an den nationalen Komitees des Wassemblement Universelpour la Paix 4.-17. Juü Valencia Madrid Paris: Zweiter Internationaler SchriftsteUerkongreß zur Verteidigung der Kultur September-November Paris: Briefwechsel der verschiedenen Parteien und Gruppierungen im Volksfrontausschuß Oktober Paris: Die Bemühungen der Arbeiterparteien und -gruppen in der Emigration um eine gemeinsame Abwehr von Gestapospitzeln scheitern 31. Oktober Paris: Die Delegiertenkonferenz der Freundeskreise der deutschen Volksfront wird von den nichtkommunistischen Parteien offiziell boykottiert 11. November Basel: In einem in der Wundschau veröffentüchten Artikel zum 20. Jahrestag der bolschewistischen Revolution nimmt G Dimitroff erstmals wieder Stellung gegen den »Sozialdemokratismus« 21. Juni
—
11. November
-
geplante Revolutionsfeier der Emigration ist weAuseinandersetzungen im Volksfrontausschuß abge-
Paris: Die
gen der
sagt
13./14. November
Paris: Die Union für Recht und Freiheit in Deutschland löst auf ihrer Tagung die Ständige Kommission für eine poütische VoUamnestie in Deutschland durch die Neugründung
Chronik 1937-1938
des Centre Internationationalpour le Droit et la Liberté en Allemagne ab Paris: Max Braun teilt dem KPD-Vorsitzenden Pieck schrift16. November üch den Beschluß der Nichtkommunisten im Volksfrontausschuß vom Tage mit, aüe gemeinsamen Aktivitäten mit den Vertretern der KPD bis zur Beseitigung der Ursachen der Konflikte ruhen zu lassen Moskau: Dimitroff erhält ein Telegramm von Heinrich Mann 17. November und Don Feuchtwanger mit der dringenden Bitte, in die innerkommunistischen Streitigkeiten im Interesse des Weiterbestehens des Volksfrontausschusses einzugreifen 23.-27. November Moskau: Die Verhandlungen über einen Beitritt der SowjetGewerkschaften zum IGB scheitern 29. November Paris: Rudolf Breitscheid erklärt der Redaktion der Deutschen Informationen schriftlich seinen Austritt zum 31. Dezember 3. Dezember Paris: Max Braun bringt die Wochenzeitung Deutsche Freiheit/ Fa Fiberté Allemande heraus 7. Dezember Moskau: Das EKKI-Sekretariat weist telegraphisch PCFFührer Thorez an, Ulbricht die seit Monaten laufenden Verhandlungen über den Kauf der Pariser Fageszeitung für die KPD bzw. Komintern ün Wetdauf gegen Münzenberg abbrechen zu lassen 11./12. Dezember Dijon: Gründung des Bundes freiheitücher SoziaUsten unter dem Vorsitz von Heinrich Mann 15./16. Dezember Brüssel Paris: Vertreter der Berüner Gruppe Deutsche Volksfront führen Gespräche mit Vertretern der SAI und des deutschen sozialdemokratischen Exüs -
1938
Januar 9. Januar 12. Januar 15.—18. Januar
4. Februar
Paris: Walter Ulbricht und Franz Dahlem reisen auf Geheiß des EKKI nach Moskau, letzterer kehrt Ende Juni als neuer Leiter des Sekretariats des ZK der KPD zurück Paris: Die Deutsche sozialdemokratische Landesorganisation in Frankreich (DSLF) konstituiert sich Paris: Georg Bernhard scheidet als Chefredakteur aus der Pariser Fageszeitung aus Paris: Chautemps demissioniert mit seinem Kabinett, nach vergebüchen Bemühungen einer Regierungsbüdung durch Blum neues Kabinett Chautemps ohne die SoziaUsten Berün: Hider schaltet nach der Endassung des Oberbefehlshabers des Heeres Fritsch und des Reichskriegsministers Blomberg die Wehrmacht gleich 347
Chronik 1938
12.-19. Februar
2.-13. März
13. März 13. März 31. März
Paris: Die Nichtkommunisten scheiden aus den Deutschen Informationen aus und bringen Deutsche Informationen vereinigt mit Deutsche Mitteilungen heraus Moskau: Im dritten Schauprozeß, gegen den »Block der Rechten und Trotzkisten«, wird u. a. Bucharin, der »Vater« der neuen Sowjetverfassung, zum Tode verurteilt Deutsches Reich: »Anschluß« Österreichs als »Ostmark« Paris: Léon Blum büdet ein neues Kabinett nach der Demission von Chautemps Paris: Die Zentralvereinigung der deutschen Emigration berät über die Kriegsgefahr und die Steüung der Emigranten zum
3.
Aprü
10.
Aprü
24.
April
14. Mai
16. Mai
22. Mai 9. Juni
September 16.
September
16.
September
20. 29.
September September
348
Krieg
Paris: Die Besprechungen zur Wiederbelebung des Volksfrontausschusses scheitern Paris: Rücktritt des Kabinetts Blum, der Radikalsozialist Edouard Daladier übernimmt die Regierungsgeschäfte Paris: An der Landeskonferenz der DSLF nehmen ISK, Sopade und eine Delegation des Bundes freiheitlicher Soziaüsten teü Moskau: Das ZK der KPD weist in einer Resolution Vorschläge zur Schaffung von »Bataillonen der Freiheit« zur Unterstützung einer zukünftigen Kriegsalüanz FrankreichEngland-Sowjetunion gegen NS-Deutschland zurück Moskau: Pieck antwortet den Nichtkommunisten im Volksfrontausschuß, z. Hd. Heinrich Mann, auf ihren Brief vom 1. Oktober 1937; das Sekretariat des ZK der KPD leitet den Brief nicht weiter Paris: Die Deutsche Volks-Zeitung meldet den Ausschluß Wüü Münzenbergs aus dem ZK der KPD Paris: Nach dem Umzug aüer Sopade-Mitgüeder zwischen Januar und Juni von Prag findet die erste Vorstandssitzung statt Berün: Beginn der Verhaftungen von Mitgüedern der Gruppe Deutsche Volksfront Paris: Ein Thomas Mann-Ausschuß wird in Anwesenheit des Dichters und seiner Tochter Erika gegründet Paris: Eine Arbeitsgemeinschaft für soziaüstische Inlandsarbeit (AGSI) konstituiert sich Paris: Der Heinrich Mann-Ausschuß wird ins Leben gerufen München: Im Abkommen zwischen Hitler, Mussoüni, Daladier und Chamberlain wird die Tschechoslowakei gezwungen, ab 1. Oktober das Sudetenland zu räumen und an das Deutsche Reich abzutreten; Hitler und Chamberlain unterzeichnen einen Nichtangriffspakt (»Münchner Vertrag«)
Chronik 1938-1939
Tschechoslowakei: Die Wehrmacht marschiert in das Sudetenland ein Paris: Die Wochenzeitung Die Zukunft erscheint erstmals 12. Oktober Paris: Sechs Exüorganisationen schüeßen sich zum Deut12. Oktober schen KulturkarteU zusammen 3./4. November Paris: Auf einer Konferenz wird die AGSI zur Arbeitsgemeinschaft der deutschen SoziaUsten und der Revolutionären SoziaUsten Österreichs erweitert Deutsches Reich: Reichspogromnacht. Goebbels läßt SynNovember 9./10. agogen sowie Geschäfte und Wohnhäuser von Juden zerstören, Tausende jüdischer Männer werden verhaftet Barcelona: Die Internationalen Brigaden halten ihre Ab15. November 1. Oktober
6. Dezember
schiedsparade
Paris: Eine deutsch-französische unterzeichnet
Nichtangriffserklärung wird
1939 Brüssel: Die Exekutive der SAI diskutiert über den »Kampf für die Demokratie und den Frieden« Draveü: Auf ihrer »Berner« Konferenz orientiert die 30. Januar-1. Februar KPD auf Einheitspartei, Volksfront und »Deutsche demokratische Repubük« 27. Februar Paris London: Frankreich und England erkennen General Franco als Spaniens Regierungschef an, am 1. Aprü folgen die USA 10. März Paris: Wiüi Münzenberg erklärt öffentüch seinen Austritt aus der KPD Berün: Nach der von Deutschland geförderten Sezession der 15./16. März Slowakei besetzt die Wehrmacht die verbleibenden tschechischen Gebiete und annektiert sie als »Protektorat Böhmen und Mähren« 25. März Paris: Ein Aktionsausschuß deutscher Oppositioneüer unter dem Vorsitz von Hermann Budzislawski wird konstituiert 20. Aprü Paris: Französische Oppositionen und deutsche Emigranten gründen die Deutsch-französische Union 3. Mai Moskau: Stalin ersetzt Außenminister Dtvinov durch Molotov und kündigt so eine Neubestimmung der außenpolitischen Linie an 14. Mai Brüssel: Louis de Brouckère und Friedrich Adler, Präsident bzw. Sekretär der SAI, treten von ihren Ämtern zurück; Adler bleibt bis zu seiner Flucht aus Brüssel 1940 demissioniert im Amt 14.-16. Januar
-
349
Chronik 1939
22. Mai 28. Juü
Gruppe
19.
August
23.
August
25. August 25. August
1.
Paris: Die Deutsche Volks-Zeitung gibt den Ausschluß Wüü Münzenbergs aus der KPD bekannt Paris: Eine Vereinigung deutscher Sozialdemokraten konstituiert sich aus Opponenten des PV der SPD und der Braun-
September
Moskau: Das Deutsche Reich und die UdSSR schüeßen einen neuen Kredit- und Handelsvertrag Moskau: Die Außenminister Joachim von Ribbentrop und Vjaceslav M. Molotov unterzeichnen den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag und ein geheimes Zusatzprotokoü (»Hitler-Staün-Pakt«) London: England und Polen schheßen einen Bündnisvertrag Paris: Das Sekretariat des ZK der KPD rechtfertigt in einer »Erklärung« den Hitler-Staün-Pakt, plädiert für den Zusammenschluß der deutschen Opposition drinnen und draußen und beschuldigt die Sozialdemokratie des Verrats am Frieden Die deutsche Wehrmacht überfäüt Polen, der Zweite Welt-
krieg beginnt
350
Verzeichnisse
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Archive und Bibliotheken (Archiv, Bestand/Fonds, Center, Dossier, (Teil-)Nachlaß, Papers/Papiers, Sammlung/Collection) Bei deutschen Archiven, die in den Jahren nach der Wiedervereinigung umzogen, umstrukturiert und umkatalogisiert wurden, wurden nicht mehr alle neuesten Signaturen erfaßt.
Akademie der Künste,
Stiftung Archiv, Berlin (ehem. Akademie der Künste der
DDR) (AdK-StA)
Martin Andersen-Nexö Johannes R. Becher Bertolt Brecht Rudolf Leonhard Heinrich Mann Erich Weinert
Akademie der Künste, Archiv und Juüus Bab Ferdinand Bruckner Lion Feuchtwanger Alfred Kerr Alfred Neumann Erwin Piscator
Bibüothek, Berün (AdK)
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibüotek, Oslo (ARBARK) SAP
Arbejderbevœgelsens Bibüotek og Arkiv, Kopenhagen (ABA) KPO, Paris 1935-1936
Arbetarrörelsens Arkiv och Otto Friedländer Max Hodann SPD
Bibhotek, Stockholm (ARAB)
Archiv der sozialen Demokratie, Bonn Walter Auerbach Willy Brandt
(AdsD)
Joseph Buttinger 353
Quellen- und Literaturverzeichnis
DGB: Hans Gottfurcht Wilhelm Dittmann
Emigration Sopade Internationale Transportarbeiter-Föderation Internationaler Jugendbund/Internationaler Sozialistischer Kampfbund Erwin Schötde
Soziaüstische Jugend-Internationale Friedrich Stampfer Archives de la Préfecture de
Poüce, Paris (APPP) B/A, cartons provisoires: 55, 65, 66, 268, 269, 407
Archives Nationales, Centre des Archives Contemporaines, Fontainebleau 19940 462, article 90, dossier 8814, Mann, Henri Mann, Heinrich -
Archives Nationales, Paris (AN/P) 14AS:Nr. 134,139-141 22 AS: Amis de Marceau Pivert B: Nr. 685, 692, 696 DG XVI: (J), (T) PoUce générale/Sûreté nationale: Série F 7/13076-13519 Série F 7/15123 Série F 7/15131
Auswärtiges Amt, Poütisches Archiv (AA-PA) Abteüung II, Serie Pol. 2 bis 2 C, Frankreich betreffend Abteüung II, Serie Pol. 3, Frankreich-Rußland, Bd. 18 Rußland B, Handel 13, Bd. 1 Inland II A/B, Bde. 84/2, 84/3, 85/1, 86/3, 86/5 Inland II A/B, 83-60, Bde. 2-7 Inland II A/B, 83-60 Sdh I (86/3) Inland II A/B, 83-60 Sdh III (86/5) Inland II A/B, 83-75, Bde. 7,11, 14,19, 21, 23 Inland II A/B, 83-76 (Ausbürgerungsüsten) Inland II A/B, 83-78, Bd. 3 Inland II g 27, 83-45, 83-75, 83-79 Inland II g 28, 83-75 und 83-78 Inland II g 32, 83-45 B, Bd. 1 Inland II g 40, 83-60 A Mssionsakten Bern 430/3 XII 20 -
354
1. Archive und Bibliotheken
BibUothèque de Documentation Internationale Contemporaine, Nanterre (BDIC) Deutsche Informationen Gabrieüe Duchêne Fonds allemand Bundesarchiv Berün (ehem. Zentrales Staatsarchiv der N 2020: Georg Bernhard N 2040: Robert Breuer N 2202/1: Wüü Münzenberg N 2277: Leopold Schwarzschild N 2286: Hans Siemsen N 2290: Carl Spiecker R 8045: Pariser Tageszeirung
DDR, Potsdam) (BA/B)
Bundesarchiv Koblenz (BA/K) Wühelm Abegg, Nr. 329
Kleine Erwerbungen: 65; 119; 242; 292; 329; 353; 484 Hans Albert Kluthe: Nr. 78, 82, 84, 85 Bernhard Menne, Bde. 1-4 Serie R 43 II
1192a u. b; 1400; 1400a; 1405; 1405b; 1408a; 1439a und b; 1440a 1409c; 1412; 1436; 1439; Serie R 58 (Reichssicherheits-Hauptamt): /l; /3; /7; /58; /193; /194; /235;
(Reichskanzlei):
/236; /355; /356; /408; /411; /417^120; /424; /430-432; /450; /456; /460; /464; /475; /476; /481; /498; /501; /543; /560; /564; /578; /586; /589; /590; /596; /627; /639; /645; /654; /659; /678; /705; /725; /1022; /1218; /1641 Serie R 60 II (Volksgerichtshof/Oberreichsanwalt): /63; /85; /95; /96; /Ton 1, Pl 196 [Dr. Franz Forster] Schumacher: 226 Deutsche Bibhothek, Deutsches Exü-Archiv, Frankfurt am Main EB 86/124: Albert Grzesinski Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berün Rote Kapeüe Hoover Institution Rudolf Katz Institut ED ED ED ED
on
(DB-DEA)
(GDW)
War, Revolution and Peace, Stanford, CA
für Zeitgeschichte, München (IfZ) 120: Wühelm Hoegner 201: Kurt R. Grossmann 202: Kurt Glaser 210: Hans Jäger, Bde. 1, 9, 14 355
Quellen- und Literaturverzeichnis
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(LBI)
Library of Congress, Manuscript Division, Washington, DC (LoC) Reinhold Niebuhr
356
1. Archive und Bibliotheke
Lion Feuchtwanger Memorial Library, Pacific Paüsades, CA Lion Feuchtwanger: Korrespondenzen National Archives and Records Administration, RG 226, Entry 100: GE(rmany) 1497
Coüege Park, MD (NARA)
-
Nordrhein-Westfäüsches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ehem. Bestand 3601: StaatspoüzeisteUe Düsseldorf, Außensteüe Essen ehem. Bestand RW 58: Gestapoleitsteüe Düsseldorf, Personalakten über KPD-Funktionäre und Spanienkämpfer Privatarchiv Ursula Langkau-Alex, Amsterdam (PA ULA) (G: Gespräch(e); K.: Korrespondenz; M.: Materiaüen) Franz Dahlem (G, K, M.) Max Diamant (G, K, M.) Heinrich (Henry) Ehrmann (K.) Ruth Fabian (G, K.) Walter Fabian (G, K.) Bruno Frei (G, K.) Hüda H. Golden (G, K.) Daniel Guérin (G) Fritz Heine (G, K.) Helmut Hirsch (G, K.) Hans Jaeger (G) Alfred Kantorowicz (K.) Leo Klatser (G.)
Jürgen Kuczynski (K.) Fritz H. Landshoff (G.)
Richard Löwenthal (K.) Günter Markscheffel (K.)
Hans Martens (G) Karl Obermann (G, K.) Amahe und Theo Pinkus (G) Jenny und Walter Pöppel G, K.) Else und Konrad Reisner (G, K.) Hüde und Erich R. Schmidt (G, K.) Clara und Gustave Stern (G) Rosi Wolfstein-Fröhch (G, K.) Henk (Heinz) Wielek (Wüly Kweksüber) (G.) Materiaüen: Diverse Broschüren, (hektograph.) Memoranda, Pamphlete Notizen zum Interview von Chris van der Heyden mit J. C. S. Goethe-Institut 1982, betr. Schwarzschüd
Warendorf,
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Society of Wisconsin, Madison, WI
Státní ústfední archiv v Praze (Zentrales Staatsarchiv, Prag) Presidium zemského úfadu v Praze (Präsidium des Landesamtes Prag), Serie PZÚ-207 Presidium ministerstva vnitra v pfedmnichovské CSR (Präsidium des Innenministeriums), Serie PMV-225
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (SAPMO) Ny 4036: Wühelm Pieck, Poütischer Bestand: /515; /558 Ry 1,1 2/3: KPD, Zentralkomitee und Poütbüro: /19 (Film: FBS 278/12591); /40; /286 (FBS 278/12656); /287 (FBS 278/12657); /383; /384 (FBS 278 /12565); /419 (FBS 278/12668); /420 (FBS 278/12580); /421; /422; /423 Ry 1,1 3/4/1641 Ry 1,1 6/3/64 und I 6/3/66-68: Sekretariat Dimitroff: Kommunistische Internationale (KI) Zur Geschichte der KPD (Fotokopien aus Moskau) Ry 1,1 6/3/256: EKKI-Vertretung der KPD (Fotokopien aus Moskau) -
Universitätsbibüothek Basel Fritz Lieb
(UBB)
University of Chicago, The Joseph Regenstein Dbrary, Chicago, IL EmüJ. Gumbel
358
2.
2.
Zeitungen, Zeitschriften, Mitteilungsblätter
Zeitungen, Zeitschriften, Mitteilungsblätter
nur die für die vorliegende Untersuchung relevanten Jahre. Zu den Jahrgangs- und Bandzählungen, zu den oft mehrfach wechselnden Untertiteln, Herausgebern, Chefredakteuren und Erscheinungsorten der deutschsprachigen Periodika vor allem nach 1933 siehe Lieselotte Maas,
Verzeichnet sind
Handbuch der deutschen Exilpresse 1933-1945, und Alfred Eberlein, Internationale Bibliographie deutschsprachigen Presse der Arbeiter- und sozialen Bewegungen von 1830-1982.
zur
AERO-Press, Prag 1935-1938 Gg. \-A) AIZ-Arbeiter-Illustrierte Zeitung,
Prag 1933-1936 (Jg. 12-15) [fortgesetzt als
V. I.
Volks-Illustrierte] die aktion, Paris 1933-1934 (Jg. 1-2) Das andere Deutschland. Für entschiedene repubükanische Poütik, Hagen i.W. Berün 1931-1932 (Jg. 11, 12) Die Antifaschistische Front, hrsg. vom Organisationsbüro zur Einberufung des Antifaschistischen Arbeiterkongresses Europas, Kopenhagen Paris 1933 Der Ausweg. Zeitschrift für Umschichtung, Wanderung, Siedlung, Paris Zürich 1934-1935 Og. 1-2) Die AZ Die Arbeiter-Zeitung. Tageszeitung der Kommunistischen Partei für die werktätige Bevölkerung, Saarbrücken 1934—1935 (Jg. 1—2) —
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Inprekorr.
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Le
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Temps, Paris 1936-1937
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von
—
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Zentralorgan der SPD, Berün 1924, 1930, 1932
Die Weltbühne. Wochenschrift für Poütik,
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Kunst, Wirtschaft, Berün 1930-1932
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Voümer, Bernhard: Volksopposition im Polizeistaat. Gestapo- und Regierungsberichte 1934-1936, Stuttgart 1957 Walter, Hans Albert: Exilpresse I (Deutsche Exüüteratur 1933-1950, Bd. 7), Darmstadt
Neuwied 1974 Weber, Hermann/Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004 Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Moderne deutsche Sozialgeschichte (Neue Wissenschaftüche Bibliothek, Nr. 10, Reihe Geschichte), Köln Berlin 1966 Wickert, Christi: Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919 bis 1933, 2 Bde., Göttingen 1986 Wülmann, Heinz: Geschichte der Arbeiter-Illustrierten Zeitung 1921—1938, Berün 21975 -
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4.
4.
Quellenveröffentlichungen
und Literatur
Quellenveröffentlichungen und Literatur
Folgende wissenschaftliche Zeitschriften werden abgekürzt zitiert: BzG Beiträge zur Geschichte der IRSH International Review of Social History; HZ Historische Zeitschrift; IWK Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung; WZG Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft.
Arbeiterbewegung;
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Abendroth, Wolfgang: Gewerkschaften. Weg demokratischer Integration (Kleine Schriften zur poütischen Büdung, H. 5/6, Gewerkschaftsausgabe), Die deutschen
Heidelberg 1954
Abendroth, Wolfgang: »Das Problem der Widerstandstätigkeit der >Schwarzen Frontnation éclartéc Front populaire et question nationale en Espagne«, in: Wolikow/Bleton-Ruget (direction), Antifascisme et Nation, S. 113-128 Emmerson, James Thomas: The Whineland Crisis. 7 March 1936. A study in multilateral diplomacy, London 1977 Enderle, August: Moskvaprocessen. Rättvisa ellerjustitiemord?Engranskningavprocessdokumenten [Der Moskauer Prozeß. Gerechtigkeit oder Justizmord? Eine kritische Untersuchung der Prozeßdokumente], Stockholm 1936 -
Enderle-Ristori, Michaela: »Kontrolle und Überwachung der deutsch-österreichischen Emigrantion durch die französische Sûreté Nationale«, in: Saint SauveurHenn (Hrsg.), Fluchtziel Paris, S. 190-204 Enderle-Ristori, Michaela: Markt und intellektuelles Kräftefeld. Literaturkritik im Feuilleton gen 1997
von
»Pariser Tageblatt« und »Pariser Tageszeitung« (1933—1940), Tübin-
Enderle-Ristori, Michaela: »Volksfront und >EhekrachbochesEmigrantenpresse und Schrifttum»Alte Garde< oder >Schurkengalerie